Marx global: Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965 9783050088754, 9783050046112

In seiner Studie zeigt Jan Hoff, dass im Zuge der theoretischen Entdogmatisierung des Marxismus seit Mitte der 60er Jahr

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German Pages 345 [348] Year 2009

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Marx global: Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965
 9783050088754, 9783050046112

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Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965

Jan Hoff

Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965

Akademie Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Berliner Vereins zur Förderung der MEGA-Edition e. V

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. D 188

ISBN 978-3-05-004611-2 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2009 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Lektorat: Mischka Dammaschke Einbandgestaltung: Ingo Schefïler, Berlin Satz: Frank Hermenau, Kassel Druck: MB Medienhaus Berlin Bindung: BuchConcept, Calbe Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Vorwort

9

Einleitung

11

1. Die Entwicklung verschiedener an Marx orientierter Denkansätze im Spannungsfeld von Politik und Theorie von den 1960er Jahren bis heute

27

1.1. Der dogmatische Marxismus vor dem politischen und theoretischen Aufbruch ... 27 1.1.1. Der sowjetische Marxismus-Leninismus vor der Entstalinisierung 27 1.1.2. Ein kurzer Einblick in den Forschungsstand zum chinesischen Marxismus vor 1978 32 1.2. Der globale Aufschwung des Marxismus zur Anfangs- und Hochzeit politischer Emanzipationsbewegungen (ca. 1960/65-1977) 34 1.2.1. Westeuropa und die angelsächsische Welt 35 1.2.2. Lateinamerika und Asien 46 1.2.3. „Häretischer Marxismus" in Osteuropa 56 1.3. Von der Ausrufung der „Krise des Marxismus" bis zum Untergang des Marxismus als Massenideologie (ca. 1974-1990) 1.3.1. Europa und Nordamerika 1.3.2. Lateinamerika, Afrika und Asien

58 58 63

1.4. Die globale Situation nach dem Ende des Marxismus als Massenideologie (ca. 1990-2008)

69

2. Die Fortentwicklung der Marx-Debatte seit den 1960er Jahren. Ein Überblick

78

2.1. Westdeutschland

78

2.2. Japan 2.2.1. Die Situation vor 1945 2.2.2. Die Entfaltung der japanischen Debatte von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart

95 95 100

6

INHALT

2.3. Andere asiatische Länder 2.3.1. Südasien 2.3.2. Ostasien

117 117 120

2.4. Die ehemals sozialistischen Länder in Europa 2.4.1. Die Sowjetunion 2.4.2. Die DDR und andere ehemals sozialistische Länder in Europa

125 125 137

2.5. Italien, Frankreich und weitere westeuropäische Länder 2.5.1. Italien 2.5.2. Frankreich 2.5.3. Weitere westeuropäische Länder

143 143 154 163

2.6. Lateinamerika und Spanien 2.6.1. Lateinamerika 2.6.2. Spanien

167 167 180

2.7. Die angelsächsische Welt

182

Kritischer Exkurs zu Perry Andersons In the Tracks of Historical Materialism

196

3. Vertiefungen - Zentrale Diskurse innerhalb der deutschen und der internationalen Marx-Diskussion von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart

199

3.1. Gegenstandsverständnis und Werttheorie 3.1.1. Zum Gegenstandsverständnis der Kritik der politischen Ökonomie 3.1.2. Ein Blick auf die internationale Debatte zur Marxschen Werttheorie und insbesondere zu dessen Analyse der Wertform 3.1.3. Fazit 3.2. Die Problematik von Forschung und Darstellung in der Kritik der politischen Ökonomie 3.2.1. Ein „Mont Blanc" an Forschungsmaterial 3.2.2. Der Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten und das „Problem des Anfangs" in der Marxschen Darstellung 3.2.3. Das Verhältnis der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu Hegels Philosophie im Spiegel der internationalen Debatte 3.2.4. Fazit 3.3. Der 6-Bücher-Plan sowie das Konzept des „Kapital im allgemeinen" 3.3.1. Die Struktur der Kritik der politischen Ökonomie in sechs Büchern 3.3.2. Die Problematik des „Kapital im allgemeinen" 3.3.3. Fazit

201 201 209 220 221 221 227 238 252 253 253 266 275

INHALT

7

3.4. Krisentheorie bei und nach Marx 3.4.1. Interpretationsansätze zur Marxschen Krisentheorie 3.4.2. Einblick in die an Marx orientierte südkoreanische Krisendiskussion nach der Asienkrise von 1997

276 276 286

Exkurs zu Weltmarkt und Krise

290

3.4.3. Fazit

291

Zusammenfassung

293

Bibliographie

299

Personenverzeichnis

339

Vorwort

Die vorliegende Studie ist die aktuelle Fassung meiner Dissertationsschrift „Globalisierung der Kritik der politischen Ökonomie. Zur Entwicklung des internationalen MarxDiskurses von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart". Der Marxismus als umfassende Weltanschauung ist historisch überwunden. Doch der Marxsche Theorieansatz, den inneren Zusammenhang der ökonomischen Kategorien und Verhältnisse detailliert darzulegen und eine „Entzauberung" der „verkehrten Welt" der Ökonomie vorzunehmen, ist nach wie vor von großer theoretischer Bedeutung. Das Marxsche Ziel der theoretischen Erforschung und Darstellung des ökonomischen Bewegungsgesetzes der modernen bürgerlichen Gesellschaft bleibt aktuell. Insbesondere in den letzten 50 Jahren haben sich - international - Generationen von Wissenschaftlern mit den Marxschen Erkenntnissen beschäftigt. Dies in der historischen Entwicklung aufzuzeigen, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit, die sich aus drei zentralen Kapiteln zusammensetzt. In Kapitel 1 ist die Entwicklung an Marx orientierter Denkansätze im Spannungsfeld von Politik und Theorie dargelegt. Kapitel 2 handelt von der Fortentwicklung der Marx-Rezeption und der an Marx orientierten kritischen Gesellschaftstheorie und gibt hierzu einen Überblick über die historische Entwicklung der Diskussion in den verschiedenen Weltregionen, besonders seit ca. 1965. Kapitel 3 schließlich behandelt vertiefend zentrale Diskurse innerhalb der nationalen und internationalen wissenschaftlichen Marx-Diskussion von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2008 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Am 22. Dezember 2008 fand die Disputation statt. Mein besonderer Dank gilt meinem Erstgutachter Professor Dr. Wolfgang Wippermann und meinem Zweitgutachter Professor Dr. Frieder Otto Wolf, die mein Dissertationsprojekt am Friedrich-Meinecke-Institut mit wertvollen Hinweisen nachhaltig unterstützt und begleitet haben. Auch den Teilnehmern der wissenschaftlichen Kolloquien beider Professoren danke ich für fruchtbare Diskussionsbeiträge. Darüber hinaus gilt mein Dank Dr. Mischka Dammaschke, der sich als Lektor des Akademie Verlags sehr für meine Arbeit engagiert hat. Für wertvolle Unterstützung danke ich Dr. Michael Heinrich, Professor Dr. Rolf Hecker, Professor Dr. Thomas Sekine, Dr. José Maria Durán, Martin Birkner, Rafael Carrion und Ken Kubota. Nicht zuletzt danke ich dem Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition e. V. für einen finanziellen Beitrag zur Buchveröffentlichung. Berlin, im April 2009

Jan Hoff

Einleitung

Karl Marx verortete im ersten Kapital-Band das „Heimatsland der politischen Ökonomie" im „Westen von Europa". (MEGA2 II.6, S. 684, 683) Seiner eigenen Theorie - der Kritik der politischen Ökonomie - ordnete Marx ebenfalls einen relativ kleinen geographischen Raum zu. Zumindest geschah dies im Brief an Ferdinand Lassalle vom 12. November 1858, in dem Marx sich auf sein ökonomiekritisches Theorieprojekt als Beitrag zu einer Wissenschaft „im deutschen Sinn" bezog: „In Deinem Frankfurter Brief hattest Du mir nichts geschrieben von Deinem ökonomischen Werk. Was nun unsre Rivalität betrifft, so glaube ich nicht, dass in diesem Fach embarras de richesses für das deutsche Publikum existiert. In fact, die Ökonomie als Wissenschaft im deutschen Sinn ist erst zu machen, und nicht nur wir zwei, sondern ein Dutzend sind dazu nötig. " (MEW 29, S. 567)1 Und in der bekannten Rezension zur Marxschen Schrift Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859) schrieb Friedrich Engels: „Während so Bürgerthum, Schulmeisterthum und Büreaukratie in Deutschland sich noch abmühten die ersten Elemente der englisch-französischen Oeconomie als unantastbare Dogmen auswendig zu lernen, und sich einigermaßen klar zu machen, trat die deutsche proletarische Partei auf. Ihr ganzes theoretisches Dasein ging hervor aus dem Studium der politischen Oeconomie, und von dem Augenblick ihres Auftretens datirt auch die wissenschaftliche, selbstständige, deutsche Oeconomie. Diese deutsche Oeconomie beruht wesentlich auf der materialistischen Auffassung der Geschichte, deren Grundzüge in der Vorrede des oben citierten Werks kurz dargelegt sind" (MEGA2 II.2, S. 247; Herv. im Original), womit Zur Kritik der politischen Ökonomie gemeint ist. Die Kritik der politischen Ökonomie wurde also von Marx als Beitrag zu einer ökonomischen Wissenschaft „im deutschen Sinn" und von Engels als „deutsche Ökonomie" betrachtet. Karl Marx und Friedrich Engels selbst ordneten der Kritik der politischen Ökonomie somit eindeutig ein nationales Epitheton zu. Die Marxsche Ökonomiekritik wurde allerdings über nationale, sprachliche und kontinentale Grenzen hinweg rezipiert, diskutiert und weiterentwickelt. Dieser Prozess fand im Zeitraum von den 1960er Jahren bis zur Gegenwart in einer intensiveren Form statt als jemals zuvor. Man hat es hierbei mit einer Art Globalisierung auf dem Gebiet von 1

Was in der Marxschen Redeweise von der erst zu leistenden „Ökonomie als Wissenschaft im deutschen Sinn" alles mitschwingt - womöglich ein impliziter Bezug auf Hegel oder eventuell auf die Unterentwicklung der zeitgenössischen deutschen gegenüber der britischen Ökonomie - , sei dahingestellt. Die durch Marx vorgenommene nationale Zuordnung seines Theorieprojekts jedenfalls ist offensichtlich.

12

EINLEITUNG

Theorie und Wissenschaft zu tun. Zu berücksichtigen ist, dass in der vorliegenden Studie der Schwerpunkt eindeutig auf die Geschichte der internationalen Interpretation und Diskussion der „reifen" Kritik der politischen Ökonomie von Marx gelegt wird, nicht auf die internationale Editionsgeschichte des Marxschen Werks. Genauer gesagt handelt es sich beim Gegenstand der vorliegenden Arbeit um die internationale Rezeption der Kritik der politischen Ökonomie im Zeitraum von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart. Die Globalisierung der Marxschen Theorie setzte bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein. Zu diesem frühen Ausbreitungsprozess liegen inzwischen verschiedene Studien vor.2 Spätestens seit der Oktoberrevolution wurden auch verstärkt die Länder des „globalen Südens und Ostens" davon erfasst. Allerdings breitete sich die Marxsche Lehre häufig in einer durch die Marxismen der II. und der III. Internationale überformten Gestalt aus. Die 1960er und 70er Jahre stellen in der Geschichte der Globalisierung der Marxschen Theorie eine Zäsur dar, und dies sowohl aus politischen als auch aus theorieimmanenten Gründen. Erstens fand die neue „Globalisierungswelle" damals nach der Entstalinisierung in der Sowjetunion und im Vorfeld oder im Kontext der Herausbildung neuer emanzipatorischer und sozialrevolutionärer Bewegungen im Weltmaßstab statt. Zweitens wurde die in den 1960er Jahren begonnene neue Epoche der Globalisierung der Marxschen Theorie durch die Entstehung und Entwicklung eines innovativen und in dieser Qualität neuartigen theoretischen Potenzials in der Interpretation und Weiterentwicklung der Marxschen Ökonomiekritik begleitet. Dieser Prozess entwickelte (und entwickelt) sich in mehreren Weltgegenden fast gleichzeitig und bisweilen in Abhängigkeit voneinander, so dass sich ein kompliziertes Geflecht von gegenseitigen theoretischen Bezügen, von internationalem Theorietransfer und geistigem Austausch über den Globus erstreckt. In den letzten zwei Jahrzehnten hat eine enorme Umwälzung der Bedingungen für eine wirkliche Globalisierung der Marxschen Theorie und der an sie anschließenden Diskussion stattgefunden. Nach der „Wende" von 1989/90 besserten sich die Möglichkeiten eines regen und offenen Gedankenaustausche von Wissenschaftlern aus Ost und West. Die zweite Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA2), einst ein Projekt von Parteiinstituten in Ostberlin und Moskau, wird seit den 90er Jahren als ein stärker international ausgerichtetes Editionsprojekt (in „westlicher", „östlicher" und „fernöstlicher" Kooperation) weitergeführt. Die MEGA2 erschließt nicht nur auf hohem editionswissenschaftlichen Niveau bisher kaum bekannte Quellen u. a. zur Marxschen Ökonomiekritik und liefert somit der quellenorientierten Forschung neues Material, sondern verbindet auch die wissenschaftliche Arbeit zahlreicher Historiker, Sozial- und Politikwissenschaftler, Ökonomen und Editionswissenschaftler aus verschiedenen Ländern und Kontinenten miteinander. Ebenfalls seit den 90er Jahren ermöglicht das Internet eine rasche weltweite Verbreitung aktueller Forschungsergebnisse und erleichtert die wissenschaftliche Kommunikation. 2

Siehe z. B. Anna W. Urojewa, „Das Kapital" eroberte sich den Erdball. Zur internationalen Verbreitung des Marxschen Hauptwerkes bis 1895, in:... unserer Partei einen Sieg erringen. Studien zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des „Kapitals" von Karl Marx, Berlin/Ost 1978, S. 180ff.

EINLEITUNG

13

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine theoriegeschichtliche Arbeit, welche einige Aspekte des weiten und vielfältigen Feldes der internationalen Theoriebildungsprozesse im Anschluss an die Marxsche Ökonomiekritik im Zeitraum von ca. 1965 bis in die Gegenwart untersucht. Mit dieser Schwerpunktsetzung auf die Zeit nach 1965 und mit der gleichzeitigen Fokussierung auf die spezifisch internationale und interkontinentale Dimension der theoretischen Entwicklungsprozesse im Anschluss an die Kritik der politischen Ökonomie schließt diese Arbeit - trotz der zahlreichen Ansätze zur Geschichtsschreibung des Marxismus - eine Forschungslücke. Warum ist ca. zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus" eine Studie von Relevanz und Aktualität, in der es darum geht, wie sich bestimmte Theorieströmungen in den letzten fünfzig Jahren weltweit entfalteten, die an die Ökonomiekritik von Karl Marx anknüpfen, sie interpretieren oder weiterentwickeln? Relevanz und Aktualität besitzt dieses Thema mindestens in doppelter Hinsicht. Erstens handelt es sich bei vielen in meiner Studie thematisierten Strömungen um Formen eines an Marx anknüpfenden Denkens, die nicht einer anachronistischen „Legitimationswissenschaft" im Sinne einer autoritären Parteidiktatur zuzurechnen sind, sondern - im Gegenteil - großenteils um Formen eines „dissidenten" Marxismus, der sich oftmals in Abgrenzung vom parteiorthodoxen Marxismus-Leninismus herausgebildet hat. Zweitens sind mit dem historischen Scheitern des „real existierenden Sozialismus" keineswegs die wichtigsten Aspekte der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie widerlegt, denn diese hatten nicht den Sozialismus, sondern den Kapitalismus zum Gegenstand. Eine theoriegeschichtliche Darstellung zur Erforschung der verschiedenen Deutungen und Interpretationsströmungen, die sich in den letzten Jahrzehnten zum Marxschen Projekt einer kritischen Kapitalismustheorie herausgebildet haben, ist nach wie vor von großer Bedeutung und Aktualität. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie soll im Folgenden als eine kritische Theorie begriffen werden, die auf die Erforschung der Struktur und der Bewegungsgesetze der modernen kapitalistischen Ökonomie ausgerichtet ist. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie kann auch als eine „kritische Theorie der kapitalistischen Gesellschaft" bezeichnet werden. Wenn in der vorliegenden Arbeit also die Geschichte der Globalisierung der Marxschen Theorie (oder weiter gefasst: des Marxismus) als kritischer Gesellschaftstheorie von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart untersucht wird, so ist damit bereits eine entscheidende Einschränkung des relevanten Themenfeldes in der Geschichte marxistischer Theoriebildung vorgenommen. Von der historischen Entwicklung des dialektischen Materialismus, des historischen Materialismus, der verschiedenen Ansätze „konkreter" marxistischer Historiographie sowie der marxistischen politischen Theorie (im engeren Sinn) wird hier abgesehen. Diese Aspekte werden in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt. Die Absetzung des Marxismus als kritischer Gesellschaftstheorie von den hier genannten Beschäftigungsfeldern marxistischer Theoriebildung ist selbst das Resultat eines historischen Entwicklungsprozesses. Andere Elemente, die über lange Zeit das Marxismusverständnis geprägt haben - wie etwa eine an den späten Engels anknüpfende „Dialektik der Natur" oder eine bestimmte deterministische Geschichtsauffassung, die im Anschluss an Marx und Engels konstruiert wurde - rückten in einem theoriegeschichtlichen Entwicklungsprozess gleichzeitig mit

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EINLEITUNG

dem wachsenden Interesse am Marxismus als kritischer Gesellschaftstheorie zumindest in Teilen der internationalen Marxismus-Rezeption immer mehr in den Hintergrund oder wurden zunehmend kritisch betrachtet. Wie der „Marxismus als kritische Gesellschaftstheorie" genauer charakterisiert werden kann, ist allerdings nicht vorab zu klären, sondern ergibt sich aus der Darstellung der theoriehistorischen Entwicklungsprozesse.

Im scheinbaren Gegensatz zur beinahe globalen Entwicklung der an Marx anknüpfenden Theoriebildung blieb ein theoretischer Provinzialismus in der Geschichte des von Marx inspirierten Denkens ein bedauerliches Traditionsmerkmal der Theorierezeption. Dies gilt nicht zuletzt hinsichtlich der deutschen Diskussion. Gerade aufgrund dieses theoretischen Provinzialismus und der in dieser Hinsicht hierzulande zu füllenden Wissensund Forschungslücken ist die zu leistende Aufarbeitung der theoriegeschichtlichen Entwicklung, die in internationalem Maßstab seit den 1960er Jahren vor sich gegangen ist, insbesondere im deutschen Sprachraum von großer Bedeutung.3 Stefan Gandler schreibt in der Einleitung seiner umfangreichen Studie zu den an Marx anknüpfenden lateinamerikanischen Denkern Adolfo Sanchez Vazquez und Bolivar Echeverría etwas überspitzt und übertrieben, aber dennoch in die richtige Richtung weisend: „Während zum Beispiel in Mexiko jede theoretische Innovation' in Europa und den USA aufmerksam verfolgt und kommentiert wird, Übersetzungen sowohl erstellt als auch veröffentlicht und gelesen werden, stößt in Frankfurt am Main allein die Feststellung, dass in Mexiko zwei Philosophen leben, die zu lesen es sich lohnen könnte, bereits auf Ausrufe des Entzückens oder der Erschütterung - beides Ausdruck der gleichen behäbigen Selbstgefälligkeit."4 Tatsächlich ist in Deutschland nicht einfach nur geringes Wissen beispielsweise über die lateinamerikanische Theoriediskussion vorhanden, was ein durchaus zu behebendes bzw. abzuschwächendes Defizit wäre. Noch schwerer wiegt die mangelnde Offenheit und das Desinteresse gegenüber der lateinamerikanischen Debatte und deren Geschichte. Zu Gandlers Rede von den „Ausrufen des Entzückens" ist hinzuzufügen, dass eine euphorisch-unkritische Rezeption der Geschichte der Theoriebildungsprozesse des „globalen Südens und Ostens" genauso wenig weiterführend wäre wie die gegenwärtig weitgehend herrschende Indifferenz. Es würde sich dabei nur um die andere Seite der Medaille des theoretischen Provinzialismus handeln. Ein Beispiel fur theoretischen Provinzialismus - wiederum aus der deutschen Diskussion - enthält die wichtige Monographie Christoph Hennings zur Entwicklung philosophischen Denkens nach und im Anschluss an Marx. Henning begründet die Konzentration vorwiegend auf deutschsprachige Literatur damit, dass sich ein spezifisch auf 3

Immerhin wird in Deutschland mittlerweile die Problematik des Verhältnisses von Marx bzw. Marxismus und Interkulturalität in der Philosophie diskutiert. Marco Iorio kommt zu dem zwiespältigen Ergebnis, dass die „antiinterkulturalistischen Züge, die sich mit Blick auf Marx und sein Werk zweifelsfrei aufweisen lassen, [...] mit einer ganzen Reihe von Charakteristika, die durchaus auch auf einige interkulturalistische Spurenelemente hindeuten", kontrastieren (Marco Iorio, Karl Marx interkulturell gelesen, Nordhausen 2005, S. 110).

4

Stefan Gandler, Peripherer Marxismus. Kritische Theorie in Mexiko, Hamburg 1999, S. 16.

EINLEITUNG

15

die Philosophie zielender Ansatz eben speziell auf die deutschsprachige Diskussion beziehen müsse. Und zwar deshalb, weil die drei Quellen des Marxismus, von denen Lenin in seiner bekannten These von 1913 sprach (französischer Sozialismus, englische politische Ökonomie und deutsche Philosophie), nach Marx wieder in unterschiedliche Richtungen auseinander gedriftet seien. Die „dritte ,Quelle des Marxismus' war bereits für Lenin nicht einfach die Philosophie, sondern die deutsche Philosophie." Das „metaphysische Volk der Deutschen hat mit der Politik seine Probleme, und so wurde Marx in Deutschland bald wieder .geistig' gelesen, er wurde rephilosophiert,"5 Hennings Argumentation hinsichtlich der Konzentration speziell auf die deutschsprachige philosophische Diskussion bleibt zu hinterfragen. Ein entschieden philosophischer Zugang zur Kritik der politischen Ökonomie ist kein spezifisches (und schon gar kein ausschließliches) Charakteristikum der deutschen oder deutschsprachigen Debatte. Auf Anhieb kann in diesem Kontext auf Denker wie den Lateinamerikaner Enrique Dussel, den Briten Christopher Arthur oder den Russen Victor Vazjulin hingewiesen werden. Auf alle drei wird später zurückzukommen sein, zu Dussel ist jedoch hier schon vorwegzunehmen, dass sein origineller Zugang zum Marxschen Werk gerade aus der „peripheren", lateinamerikanischen (und dezidiert nicht-eurozentrischen) Perspektive der dortigen Philosophie der Befreiung erfolgt, d. h. zugleich aus einer spezifisch philosophischen und einer spezifisch lateinamerikanischen Perspektive. Einen exemplarischen Fall von Provinzialismus in Deutschland (und insbesondere im Westteil dieses Landes) liefert das Vorwort zu einer Festschrift für Helmut Reichelt, das von Personen aus dessen Schülerkreis verfasst wurde. 6 Zwar wird von ihnen die historische Entwicklung der von Hans-Georg Backhaus als „neue Marx-Lektüre" bezeichneten Interpretationsrichtung, welche in spezifischer Weise auf das Marxsche Gegenstands- und Methodenverständnis fokussiert, in einigen Punkten treffend nachgezeichnet, doch fallt spätestens auf den zweiten Blick auf, dass sie sich nicht bloß auf Deutschland, sondern - schlimmer noch - nur auf die ehemalige Bundesrepublik konzentrieren, und zwar mit einem eindeutigen lokalen Schwerpunkt: Frankfurt am Main. Dabei ist dies - unter dem Gesichtspunkt der rezeptionsgeschichtlichen Entwicklung der Neuen Marx-Lektüre - in sachlicher Hinsicht nicht zu rechtfertigen. Im Laufe meiner Studie kann ersichtlich werden, dass es durchaus angebracht ist, wichtige Theoretiker „aus aller Welt" gerade als Protagonisten einer Neuen Marx-Lektüre zu verstehen - und zwar in dem Sinn, dass ihre Interpretationsansätze denen des westdeutschen Diskurszusammenhangs um Hans-Georg Backhaus, Helmut Brentel, Michael Heinrich etc. in entscheidenden Aspekten durchaus ähnlich sind. Mit der vorliegenden Studie soll der theoretische Provinzialismus überwunden werden. Es gilt, die internationale Entwicklungsgeschichte einer bestimmten Richtung des an die Marxsche Theorie anknüpfenden Denkens der letzten fünf Jahrzehnte darzustellen. 5 6

Christoph Henning, Philosophie nach Marx. 100 Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie der Gegenwart in der Kritik, Bielefeld 2005, S. 22. Siehe Christine Kirchhoff, Hanno Pähl, Christoph Engemann, Judith Heckel, Lars Meyer, Zuvor, in: Christine Kirchhoff, Hanno Pähl, Christoph Engemann, Judith Heckel, Lars Meyer (Hg.), Gesellschaft als Verkehrung. Perspektiven einer neuen Marx-Lektüre, Freiburg/Br. 2004, S. 7ff.

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EINLEITUNG

Allerdings erfordert diese Aufgabe eine kritische Selbstreflexion hinsichtlich der eigenen Kriterien, der Bewertungen sowie des eigenen Wissensstandes. Es handelt sich bei der vorliegenden Arbeit um eine „internationale Rezeptionsgeschichte". Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie aus einer spezifisch (west)deutschen Perspektive verfasst ist, nämlich durch einen Autor, dessen durch die westdeutsche Neue Marx-Lektüre gewonnene Sichtweise in diese Studie eingeflossen ist. Überdies ist mein Kenntnisstand der nicht-deutschsprachigen Debatten (und insbesondere der Debatten in - den mir unzugänglichen - asiatischen oder slawischen Sprachen) notwendigerweise begrenzt.

Es liegen bereits mehrere ζ. T. sehr elaborierte Versuche einer Historisierung des Marxismus vor, in denen der spezifisch internationale Charakter marxistischer Theoriebildungsprozesse berücksichtigt ist. Es ließe sich aber auch aufzeigen, dass bei einigen hier aufgeführten Marxismushistorikern gerade der globale Aspekt der an Marx anknüpfenden Theorierezeption und Theoriebildungsprozesse noch besser hätte herausgearbeitet werden können. Ein wichtiges Werk zur Theoriegeschichte des Marxismus stammt vom jugoslawischen Philosophen Predrag Vranicki.7 Die erste Auflage seiner Geschichte des Marxismus von 1962 enthält die Entwicklung bis zum Ende der 1950er Jahre, während die zweite Auflage von 1970 auch die Entwicklung bis ins Jahr 1968 berücksichtigt. Der Autor entstammte dem Kreis der Praxis-Gruppe und ist somit als Vertreter eines gegenüber der sowjetischen Orthodoxie eigenständigen und spezifisch jugoslawischen Marxismus anzusehen. Vranicki stand der Strömung des humanistischen Marxismus nahe. Der erste Teil von Vranickis umfangreichem Werk behandelt Marx und Engels selbst, der zweite den Marxismus in der Epoche der I. und II. Internationale. Der dritte Teil ist Lenin gewidmet, der vierte dem Marxismus in der Periode der III. Internationale. Der fünfte Teil, der hier am meisten interessiert, bezieht sich auf den Marxismus der zeitgenössischen Periode. Hierunter subsumiert der jugoslawische Philosoph erstens den Marxismus im „sozialistischen Lager", zweitens den chinesischen Marxismus, drittens den Marxismus in der kapitalistischen Welt (insbesondere in Westdeutschland, Frankreich, Italien und den angelsächsischen Ländern), viertens schließlich den Marxismus in seinem eigenen Land. Vranickis umfassende theoriehistorische Arbeit ist als bedeutendes Standardwerk aus der Historiographie des Marxismus nicht wegzudenken. Doch in seiner Schlussüberlegung äußert sich Vranicki zum marxistischen Denken folgendermaßen: „Es entstand und entwickelte sich als Ausdruck der europäischen Kultur; und auf dem europäischen Boden hat es bisher seine größten und fruchtbarsten Siege errungen. Die übrigen Zentren der modernen Zivilisation [...] waren kein geeigneter Boden für weitere Entwicklungen eines so komplexen Denkens. Sei es wegen der historisch zurückgebliebenen Situation, sei es wegen des Fehlens bestimmter Kultur- und Denktraditionen: die übrigen Teile der Welt konnten bisher nur in den Perioden heftigster praktisch-revolutionärer Aktion zu dieser Entwicklung beitragen, und zwar insbesondere im Hinblick

7

Siehe Predrag Vranicki, Geschichte des Marxismus, 2 Bd., Frankfurt/M. 1985.

EINLEITUNG

17

auf die politisch-soziale Problematik und die revolutionäre Praxis." 8 Auf der Grundlage der hier vorzulegenden Forschungsergebnisse könnte nicht nur gezeigt werden, dass Vranickis Urteil mit Blick auf die Gegenwart des frühen 21. Jahrhunderts unangemessen wäre, sondern auch, dass dieses eurozentrische Verdikt des jugoslawischen Marxismushistorikers bereits hinsichtlich des in der zweiten Auflage seines Werks berücksichtigten Zeitraums bis 1968 für problematisch gehalten werden muss. Ein weiteres wichtiges Werk zur Geschichte des Marxismus stammt aus der Feder des exilpolnischen und nicht-marxistischen Philosophen und Ideenhistorikers Leszek Kolakowski und ist von diesem als ein Lehrbuch konzipiert. 9 Der erste Band umfasst hauptsächlich Marx und Engels sowie deren theoriegeschichtliche Verortung. Der zweite behandelt die Periode, die vom Marxismus der II. Internationale bis zum Leninismus reicht. Der dritte Band schließlich enthält die Entwicklung vom frühen sowjetischen Marxismus zum Marxismus-Leninismus der Nachkriegszeit, sowie die Marxismen von Gramsci, Lukacs, Korsch, Goldmann, von Vordenkern der Frankfurter Schule, von Marcuse und Bloch bis hin zu einem Überblick über die damals jüngsten Entwicklungen im Marxismus (dieser letzte Band, der die uns hier interessierende Periode berücksichtigt, stammt aus den Jahren 1975/76). Ähnlich wie Vranickis Arbeit weist auch Kolakowskis umfangreiches Standardwerk eurozentrische Züge auf. Die Namen von so bedeutenden lateinamerikanischen oder asiatischen Theoretikern wie Adolfo Sanchez Vazquez, Marta Harnecker, Hajime Kawakami, Kozo Uno oder Samezo Kuruma sucht man im Personenregister von Kolakowskis Werk vergeblich. Indes schreibt Kolakowski selbst zu Beginn des dritten Bandes: „Im vorliegenden Band wird die Geschichte der marxistischen Theorie während der letzten Jahrzehnte behandelt. Beim Schreiben ergaben sich besondere Schwierigkeiten, so zum Beispiel, dass es angesichts der ungeheuren Literatur, die niemand vollständig kennen kann, unmöglich ist, jedermann - wenn ich so sagen darf - gerecht zu werden." 10 Einer der wichtigsten Protagonisten der intellektuellen Neuen Linken in Großbritannien war in den 60er und 70er Jahren neben dem Historiker E. P. Thompson insbesondere Perry Anderson, und zwar nicht nur aufgrund dessen Herausgebertätigkeit für die New Left Review (bei dieser Zeitschrift handelte es sich einst um ein wichtiges Periodikum zur marxistischen Theorie). Insbesondere entfaltete sein im Buch Considerations on Western Marxism von 197611 niedergelegter Historisierungsversuch zu einem bestimmten Teilgebiet des marxistischen Denkens im 20. Jahrhundert auch über die Grenzen der angelsächsischen Welt hinaus eine relativ große Wirkung. Dies zeigt sich u. a. darin, dass Perry Anderson wesentlich zur internationalen Verbreitung des Begriffs „Westlicher Marxismus" (der allerdings schon vor seinem Buch vom französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty gebraucht wurde) beigetragen hat. Der Westliche

8 9 10 11

Ebd., S. 1071. Siehe Leszek Kolakowski, Die Hauptströmungen des Marxismus, Bd. 1, München, Zürich 1976, S. 11. Ebd., Bd. 3, München, Zürich 1978, S. 9. Siehe Perry Anderson, Über den westlichen Marxismus, Frankfurt/M. 1978. Zu Andersons Auseinandersetzung mit E. P. Thompson siehe Perry Anderson, Arguments within English Marxism, London 1980.

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EINLEITUNG

Marxismus entstand Anderson zufolge mit Lukacs, Korsch und Gramsci ab den 1920er Jahren. Neben diesen Denkern werden u. a. die Hauptvertreter der Frankfurter Schule dieser Strömung des Marxismus zugerechnet. Dem Westlichen Marxismus ordnet Anderson u. a. das Merkmal der strukturellen Trennung von der politischen Praxis zu (seine „fundamentalste Eigenart"12), aber auch eine obsessive Beschäftigung mit Methodologie.13 Der Westliche Marxismus habe Marx' eigene Entwicklung in entgegengesetzter Richtung beschritten. Marx habe sich in seiner Entwicklung von der Philosophie weg- und zu Politik und Ökonomie hinbewegt, der Westliche Marxismus hingegen sei von Ökonomie und Politik immer mehr auf das Terrain der Philosophie zurückgekommen.14 Durch die theoretische und politische Heterogenität der in Andersons Studie dem Begriff „Westlicher Marxismus" subsumierten Denker ergibt sich allerdings ein Problem. Generell kann nämlich nach der Sinnhaftigkeit einer gemeinsamen Zuordnung von (teilweise auch in Bezug auf Andersons eigene Kriterien) so unterschiedlichen Denkern wie beispielsweise Adorno und Korsch zu letztlich ein und demselben MarxismusTypus gefragt werden. (Auf dieses Problem kann hier nicht näher eingegangen werden. Wenn in der vorliegenden Studie der Terminus „Westlicher Marxismus" verwendet wird, so geschieht dies - unter Vorbehalt - , weil er sich in der Forschung nach Anderson eingebürgert hat.) Gemäß Anderson haben sich mit dem Pariser Mai die Bedingungen fur eine marxistisch inspirierte Theoriebildung verändert. „Der Anbruch einer neuen Periode in der Geschichte der Arbeiterbewegung, die die lange, Theorie und Praxis voneinander trennende Unterbrechung der Klassenkämpfe beenden könnte, ist heute allerdings in Sicht. Die französische Revolte des Mai 68 bezeichnet in dieser Hinsicht einen entscheidenden Wendepunkt der Geschichte. Denn zum ersten Mal seit nahezu 50 Jahren kam es zu einer massiven revolutionären Erhebung innerhalb des fortgeschrittenen Kapitalismus [...]"' s Damit sind - gemäß Anderson - einer neuen Generation marxistischer Theoretiker neue Möglichkeiten eröffnet. Und dies gerade dahingehend, dass in der Theorieproduktion eine Prioritätsverschiebung weg von der Philosophie und hin zu den politischen und ökonomischen Themenfeldern stattfinden solle. Besonders hebt Anderson, der damals gewisse Sympathien fur den Trotzkismus hegte, die Rolle von trotzkistischen Intellektuellen wie Isaak Deutscher oder Roman Rosdolsky hervor - gewissermaßen als Alternative zum sog. Westlichen Marxismus. Anderson schreibt: „Der westliche Marxismus war [...] stets quasi magnetisch auf den offiziellen Kommunismus als einzige historische Verkörperung des internationalen Proletariats als revolutionärer Klasse fixiert. Nie hat er den Stalinismus vollständig akzeptiert, er hat ihn auch nie aktiv bekämpft. Aber welche Haltung die verschiedenen Denker ihm gegenüber auch einnahmen, für sie alle gab es außerhalb des Stalinismus kein anderes wirkliches Feld

12 13 14 15

Perry Anderson, Über den westlichen Marxismus, S. 50. Siehe ebd., S. 82. Siehe ebd., S. 81. Ebd., S. 139.

EINLEITUNG

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sozialistischer Aktion." 16 Genau hier liegt nach Anderson ein wichtiger Unterschied des sog. Westlichen Marxismus gegenüber Leo Trotzki. (Doch Anderson hätte berücksichtigen können, dass Karl Korschs politisch-theoretische Opposition gegen den Bolschewismus bzw. Stalinismus diesem Schema durchaus widerspricht.) Andersons Grandauffassung von 1976 lässt sich folgendermaßen wiedergeben: Der sog. Westliche Marxismus soll gemäß Anderson von einer neuen Generation von Sozialisten keineswegs ignoriert werden. Stattdessen gelte es, mit ihm „abzurechnen". Von dieser Denktradition zu lernen, als auch sie zu überwinden, sei eine Grundbedingung für die Erneuerung marxistischen Denkens. Letztendlich sei auch die geographische Beschränktheit dieser zu überwindenden Tradition eine Ursache ihrer Schwäche. „Der Marxismus trachtet im Prinzip danach, eine universelle Wissenschaft zu sein, die bloß nationalen und kontinentalen Zuschreibungen nicht stärker unterworfen ist als jede andere objektive Realitätswahrnehmung." 17 Perry Anderson fokussiert in seiner Studie über den sog. Westlichen Marxismus in erster Linie auf Denker aus Kontinentaleuropa. Indes stellt sich die Frage, ob außereuropäische Denker wie beispielsweise Kazuo Fukumoto oder Adolfo Sanchez Vazquez nicht der Sache nach ebenfalls dem sog. Westlichen Marxismus zugerechnet werden könnten. Falls man diesen nach inhaltlichen Kriterien bestimmt (d. h. nicht nach geographischen), gäbe es m. E. Argumente, die dafür sprächen, diese Theoretiker in die Linie des sog. Westlichen Marxismus zu stellen. Beide Denker bleiben in Andersons Schrift leider unerwähnt. Elias José Palti schreibt, dass „en su repaso del marxismo occidental, Anderson no mencione ninguna coniente latinoamericana." 18 Eine 1983 erschienene Nachfolgepublikation Andersons - das Buch In the Tracks of Historical Materialism, auf das noch eingegangen wird - erweist sich als Negativhöhepunkt eines theoretischen Provinzialismus. In den Jahren 1978 bis 1982 erschien eine fünfbändige Geschichte des Marxismus in italienischer Sprache. 19 Dieses Projekt war sowohl mit Blick auf den Autorenkreis als auch in Bezug auf die thematische Bandbreite konsequent international ausgerichtet. Außer dem Marxismus in der Zeit von Marx, dem Marxismus der Zweiten sowie dem der Dritten Internationale wurde auch zeitgenössischen Entwicklungen auf dem Gebiet der marxistischen Theorie große Aufmerksamkeit geschenkt. Neben dem „offiziellen" sowie dem eher „häretischen" Marxismus in Osteuropa wurden nicht nur bedeutende westeuropäische Strömungen wie die Deila Volpe-Schule und die Althusser-Schule berücksichtigt, sondern auch außereuropäische Theorierichtungen wie beispielsweise die japanische Uno-Schule, die zu dieser Zeit außerhalb Japans nur Wenigen bekannt war. Dieses fünfbändige Projekt gewährt wichtige Einblicke in die Globalisierung der an Marx orientierten Theoriebildung bis ca. 1980, doch bleibt eine entsprechende Darstellung für den Zeitraum der letzten drei Jahrzehnte nach wie vor ein Desiderat.

16 Ebd., S. 140. 17 Ebd., S. 138. 18 Elias José Palti, Verdades y saberes del Marxismo. Reacciones de una tradición politica ante su „crisis", Buenos Aires 2005, S. 55. 19 Siehe Eric Hobsbawm u. a. (Hg.), Storia del Marxismo, 5 Bd., Turin 1978-1982.

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Ansätze zu einer Geschichtsschreibung des internationalen Marxismus sind keineswegs nur in Europa zu finden. Wie aus Ausführungen des chinesischen Marxismusforschers Su Shaozhi (damals Repräsentant des Instituts für Marxismus-LeninismusMaoismus an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften) deutlich wird, setzte sich die chinesische Forschung in den 80er Jahren u. a. mit Vranicki sowie mit westlichen Marxismushistorikern auseinander und verfolgte das Vorhaben, eine eigene, chinesische Geschichtsschreibung des internationalen Marxismus auf den Weg zu bringen: „the proposal for writing and publishing a History of the Development of Marxism of several volumes by researchers of Marxism in our country through concerted effort is an important event for Chinese social scientists."20 Die hierbei einzunehmende Position formulierte Su Shaozhi folgendermaßen: „It is understood that to write a history of the development of Marxism it is necessary to take Marxism-Leninism and Mao Zedong Thought as the guide and to adhere to the proletarian stand of the Party."21 Allerdings ist zu betonen, dass Su Shaozhi selbst Protagonist einer Öffnung des chinesischen Marxismus in der Ära nach Mao Zedong war und das Institut für Marxismus-Leninismus-Maoismus in den 80er Jahren mit Kritik seitens ideologischer Dogmatiker und schließlich sogar mit staatlicher Repression konfrontiert war. Su Shaozhi steht gewissermaßen repräsentativ für die in den 80er Jahren zunächst ganz vorsichtig und nicht ohne Rückschläge erfolgte Öffnung des chinesischen Marxismus gegenüber der „ A u ß e n w e l t " des internationalen Marxismus. Mitte der 90er Jahre setzte sich der (west-)deutsche Sozialwissenschaftler Michael Krätke mit der Geschichte des Marxismus auseinander. Krätke unterschied vier historische Phasen: Die erste reichte von 1842 bis zu Marx' Todesjahr 1883, die zweite, die des „klassischen Marxismus", von 1883 bis zum Ersten Weltkrieg. Die dritte Phase charakterisierte Krätke folgendermaßen: „Mit der Oktoberrevolution und der Behauptung der Sowjetunion im Bürgerkrieg beginnt zwar nicht die Phase des .westlichen' Marxismus, aber die Phase der großen Spaltung in eine im Osten wie im Westen sehr präsente Partei- und Staatsideologie, den Marxismus-Leninismus, und eine Vielzahl von Marxismen, die mehr oder weniger lose mit der sozialistischen Arbeiterbewegung außerhalb der Sowjetunion verbunden sind, aber dort nicht länger die Rolle der offiziellen Organisationsdoktrin spielen."22 Diese geschichtliche Phase reiche bis zum Ende der 60er Jahre. Anschließend skizziert Krätke eine vierte, eine zeitgenössische Periode: die Phase eines spezifisch sozialwissenschaftlichen Marxismus im Anschluss an die Marx-Renaissance der 60er Jahre. Die MEGA2-Edition stelle eine „ständige Energiequelle" für diesen sozialwissenschaftlichen Marxismus dar. Allerdings fallt auf, dass sich Krätke in seiner theoriegeschichtlichen Darstellung von Denkströmungen seit den 60er Jahren vornehmlich auf Europa und Nordamerika bezieht und die Theorieentwicklung in Asien und Lateinamerika eher vernachlässigt wird. 20 Su Shaozhi, Some Questions Concerning the Writing of the History of the Development of Marxism, Peking 1985, S. 3. 21 Ebd., S. 3f. 22 Michael Krätke, Marxismus als Sozialwissenschaft, in: Frigga Haug, Michael Krätke (Hg.), Materialien zum Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus, Hamburg 1996, S. 82.

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Der (West-)Berliner Politologe und Marx-Interpret Michael Heinrich hat Ende der 90er Jahre eine kommentierte Literaturliste zur Rezeption und Diskussion der Marxschen Ökonomiekritik publiziert, die durchaus eine Historisierung der Debatte enthält.23 Dabei verfahrt Heinrich so, dass er einen gesellschaftstheoretisch-methodologisch orientierten Rezeptionsstrang von der Geschichte der im engeren Sinne „ökonomistischen" Debatte abtrennt und dabei ersterem etwas mehr Aufmerksamkeit widmet - insbesondere der Entwicklung ab 1960. Hinsichtlich der gesellschaftstheoretisch-methodologisch orientierten Marx-Lesarten bezieht sich Heinrich auf Interpretationen, welche ihm zufolge „die Kritik der politischen Ökonomie explizit nicht auf ein fachökonomisches Unternehmen beschränken, sondern es als Analyse und Kritik eines bestimmten Vergesellschaftungszusammenhangs und der aus ihm herauswachsenden Formen sowohl des alltäglichen wie des wissenschaftlichen Bewusstseins begreifen."24 Heinrich stützt sich in seiner historischen Literaturschau insbesondere auf Ansätze aus Westeuropa (inklusive der BRD), Mittel- und Osteuropa (inklusive der DDR) sowie der angelsächsischen Welt. Wichtige japanische Beiträge werden am Rande angesprochen. Aus Frankreich liegen Interpretationsansätze zur Geschichte des Marxismus in derjenigen historischen Periode vor, die auch im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht. Jacques Bidet spannt in Gestalt einer Synopsis einen weiten Bogen über diverse an Marx und insbesondere an dessen Ökonomiekritik orientierte Interpretationsströmungen von den 1960er Jahren bis fast in die Gegenwart hinein, über nationale und kontinentale Grenzen hinweg. Er berücksichtigt den analytischen Marxismus angelsächsischer Provenienz und die japanische Uno-Schule (inklusive deren „ k a n a d i s c h e n Flügels") wie auch die aus der Tradition der Frankfurter Schule stammenden westdeutschen Ansätze (A. Schmidt, Backhaus, Reichelt) und den von der Befreiungsphilosophie beeinflussten lateinamerikanischen Marx-Interpreten Enrique Dussel, daneben auch Theorieströmungen aus Italien, Frankreich und Osteuropa. Indes fehlt ihm der Raum, um die von ihm angeschnittene Komplexität der internationalen Debatte auch konsequent und detailliert herausarbeiten zu können.25 Bei André Tosel steht eine theoriegeschichtliche Periodisierung im Vordergrund. Tosel teilt die Entwicklung der Marx- und Marxismus-Debatte von den 1960er Jahren bis 2005 in drei verschiedene Etappen: Die erste Etappe (1968-1975) wird durch das Ende des Marxismus-Leninismus und durch die letzten Beiträge der „großen Häretiker" des Marxismus (als Beispiele nennt er Lukacs und Bloch) bestimmt. Die zweite Periode (1975-1989) wird als die der Krisenjahre des Marxismus bezeichnet. Die dritte Etappe, die mit dem Jahr 1989 beginnt, wird von Tosel als eine Periode der theoretischen Pluralität aufgefasst, als eine „Periode der tausend Marxismen". Tosel fokussiert überwiegend auf Frankreich, Italien, Mitteleuropa (dabei speziell Westdeutschland) und die an23 Siehe Michael Heinrich, Kommentierte Literaturliste zur Kritik der politischen Ökonomie, in: Elmar Altvater et al. (Hg.), Kapital.doc. Das Kapital (Bd. 1) von Marx in Schaubildern und Kommentaren, Münster 1998, S. 188ff. 24 Ebd., S. 205. 25 Siehe Jacques Bidet, Les nouvelles interprétations du Capital, Paris 2005, im Internet: http://perso. orange.fr/jacques.bidet/intercap.htm (letzter Zugriff: 23.5.2007).

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gelsächsische Welt. Die theoretisch so reiche und für die Geschichte der an die Marasche Ökonomiekritik anknüpfenden Theoriebildung so bedeutende theoriegeschichtliche Entwicklung in Asien, insbesondere in Japan, bleibt außen vor. Hinsichtlich der lateinamerikanischen Debatte kommt André Tosel immerhin auf Enrique Dussel zu sprechen.26 Auch aus Lateinamerika stammen Forschungsbeiträge zur Geschichte des Marxismus. Mit Blick auf die Geschichte des lateinamerikanischen Marxismus wären in erster Linie Arbeiten des brasilianischen Trotzkisten und Marxforschers Michael Löwy zu nennen, doch darüber hinaus existiert eine Darstellung des Südamerikaners Javier Amadeo, die über seinen eigenen Kontinent hinausweist.27 Amadeo verfolgt die geschichtliche Entwicklung des Marxismus bis in die jüngste Vergangenheit. Er widmet seine Aufmerksamkeit besonders dem französischen Marxismus (u. a. dem Althusserianismus), dem italienischen Marxismus, der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, der Budapester Schule und dem Marxismus in der angelsächsischen Welt (u. a. dem „analytischen Marxismus"). Bei der Betrachtung des marxistischen Denkens in Lateinamerika hat Amadeo vor allem den Marxismus der Befreiungstheologie im Blick, obgleich er sich dessen bewusst ist, dass hiermit zwar - seiner Einschätzung zufolge - „una de las corrientes teóricas más importantes de nuestro continente"28 berücksichtigt ist, aber keineswegs die gesamte Bandbreite des lateinamerikanischen Marxismus. Amadeo konzentriert sich also auf die historische Entwicklung, die der Marxismus insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in West- und Mitteleuropa, in der angelsächsischen Welt sowie in Lateinamerika durchlaufen hat. Dass die historische Entwicklung des Marxismus in anderen Ländern, so u. a. des chinesischen und des japanischen Marxismus kaum oder gar nicht ins Blickfeld des südamerikanischen Autors rückt, ist ein Manko seiner umfangreichen Studie. Ein neuartiger Ansatz zu einer Historisierung marxistischer Theoriebildung stammt von Ingo Elbe und liegt in dessen Aufsatz Zwischen Marx, Marxismus und Marxismen Lesarten der marxschen Theorie skizziert vor.29 Elbe nimmt eine Differenzierung dreier unterschiedlicher Marxismus-Typen vor, nämlich des „traditionellen Marxismus", des Westlichen Marxismus sowie der Neuen Marx-Lektüre. Als Kernelemente des „traditionellen Marxismus" identifiziert Elbe eine Verwandlung der Marxschen Theorie in eine „geschlossene proletarische Weltanschauung und Lehre der Evolution von Natur und 26 Siehe André Tosel, Devenirs du Marxisme 1968-2005. De la Fin du Marxisme-Léninisme aux mille Marxismes, o. O., o. J., im Internet: http://semimarx.free.fi,/IMG/pdf'TOSEL_Devenirs_du_marxisme_ 1968-2005_PARTIE_l.pdf [erster Teil], http://semimarx.free.fr/IMG/pdCTOSEL_Devenirs_du_ marxisme_1968-2005_PARTIE_2.pdf [zweiter Teil], http://semimarx.free.fr/IMG/pdf/TOSEL_ Devenirs_du_marxisme_1968-2005_PARTIE_3.pdf [dritter Teil] (letzter Zugriff: 26.5.2007). Als eine frühere französische Darstellung zur Geschichte des Marxismus, die bis zu Althusser reicht, ist zu erwähnen: Pierre Favre, Monique Favre, Les Marxismes après Marx, Paris 1970. 27 Siehe Javier Amadeo, Mapeando el Marxismo, in: Atilio A. Boron, Javier Amadeo, Sabrina Gonzalez (Hg.), La teoria marxista hoy. Problemas y perspectivas, Buenos Aires 2006, S. 53ff. 28 Ebd., S. 92. 29 Siehe Ingo Elbe, Zwischen Marx, Marxismus und Marxismen - Lesarten der marxschen Theorie, in: Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf (Hg.), Das Kapital neu lesen - Beiträge zur radikalen Philosophie, Münster 2006, S. 52ff.

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Geschichte",30 einen zentralen Stellenwert der Ontologie sowie eine historizistische Umdeutung der formgenetischen Methode der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Als wichtige Vertreter des „traditionellen Marxismus" begreift Elbe theoretische Führungsfiguren der II. und III. Internationale, wobei deutlich wird, dass dieser Marxismus-Typus - Elbe zufolge - sowohl in der Theoriebildung der sozialdemokratischen wie auch der kommunistischen Bewegung dominierte. Der sog. Westliche Marxismus, der nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Scheitern der Revolution im „Westen" entstanden ist, sensibilisierte (nach Elbe) stärker für die subjektive Vermitteltheit des Objekts und begriff den Marxismus als „kritisch-revolutionäre Theorie gesellschaftlicher Praxis".31 Da innerhalb des Paradigmas des „traditionellen Marxismus" die Kategorie der Praxis und die subjektive Vermitteltheit des Objekts kaum angemessen berücksichtigt worden seien, wäre der Westliche Marxismus - im Anschluss an Elbe als ein gegenüber dem „traditionellen" wesentlich verschiedenartiger Marxismus-Typus zu begreifen. Als wichtige Protagonisten des Westlichen Marxismus können Elbe zufolge u. a. Lukacs, Korsch, Gramsci, die Frankfurter Schule und die jugoslawische PraxisGruppe gelten. Einer der Verdienste Elbes besteht darin, eine Art Systematisierungsansatz mit Blick auf den Typus der Neuen Marx-Lektüre geleistet zu haben, die sich - sieht man von frühen Vorläufern wie Isaak Iljitsch Rubin oder Eugen Paschukanis in der Sowjetunion der 20er Jahre ab - erst seit den 60er und 70er Jahren herausbilde. Diese Neue MarxLektüre beziehe sich auf die Marxsche Theorie als eine „Dechiffrierung und Kritik der Formen kapitalistischer Vergesellschaftung". Elbe beansprucht zu zeigen, wie sich mit den jeweiligen Marxismus-Typen auch die Bezugnahme auf das Marxsche sowie das Engelssche Werk ändert, und dabei jeweils andere Texte oder Textabschnitte als zentrale Referenztexte in den Mittelpunkt des Interesses der Rezipienten rücken. Zu Elbes Pionierarbeit kann ergänzt werden, dass auch ein beträchtlicher Teil der in meiner Studie vorgestellten Denker der Neuen Marx-Lektüre zugerechnet werden kann oder ihr zumindest nahe steht. Zudem wird anhand der vorliegenden Studie nachvollziehbar, dass dieser Theorietypus nicht nur in Westdeutschland zu finden ist, sondern ein internationales Phänomen darstellt. Inzwischen hat Ingo Elbe ein umfangreiches, stark in die Tiefe gehendes und fur die künftige Debatte zur neueren Marx-Rezeption richtungweisendes Standardwerk zur Herausbildung und Entwicklung der Neuen Marx-Lektüre in Westdeutschland ab Mitte der 60er Jahre vorgelegt.32 Er bezieht sich darin auf die werttheoretischen und methodologischen Grundlagenreflexionen, die in der neueren Rezeptionsgeschichte der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie vorgebracht wurden, aber auch auf die sog. Staatsableitungsdebatte und auf revolutionstheoretische Marx-Interpretationen. Zwar beschränkt sich Elbe in seiner Monographie hauptsächlich (wenn auch nicht ausschließlich) auf die westdeutsche Debatte. Dennoch erweist sich Elbes Werk min30 Ebd., S. 65. 31 Ebd. 32 Siehe Ingo Elbe, Marx im Westen. Die neue Marx-Lektüre in der Bundesrepublik seit 1965, Berlin 2008.

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destens in zweifacher Hinsicht als offen und anknüpfungsfähig für eine „internationalistische" Perspektive auf die Marx-Rezeption. Erstens berücksichtigt Elbe frühe sowjetische Denker wie I. I. Rubin und E. Paschukanis als Vorläufer der Neuen MarxLektüre33 und gesteht bestimmten späteren Autoren aus den „realsozialistischen" Ländern eine gewisse Annäherung an die Neue Marx-Lektüre zu 34 . Elbe geht auch dem eventuellen Einfluss Louis Althussers auf die westdeutsche Marx-Rezeption nach und sieht in einem Beitrag des französischen Marx-Interpreten Jacques Rancière von 1965 eine Vorwegnahme von vielen der Motive und Einsichten, „die in der bundesrepublikanischen Debatte der 1970er Jahre anzutreffen sein werden". 35 Zweitens liefert Elbe trotz seiner Konzentration auf die bundesrepublikanische Neue Marx-Lektüre 36 letztendlich eine auf das Problemfeld der internationalen Marx-Rezeption ausdehnbare Bestimmung dieses speziellen Theorietypus. In diesem Zusammenhang erscheint nach Elbe insbesondere das Kriterium der spezifisch formtheoretisch bzw. formkritisch zugespitzten Perspektive auf die Marxsche Theorie als entscheidend. (Die internationale „Open Marxism"-Strömung wird dann von Elbe auch konsequenterweise - u. a. aufgrund der Bezüge auf Rubin, Paschukanis und die Form- und die Fetischtheorie - der Neuen Marx-Lektüre zugerechnet.) Somit kann an Elbes Projekt angeknüpft werden, falls der Horizont der Untersuchung stärker und konsequenter über den westdeutschen Bezugspunkt hinaus erweitert wird. Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Marxismus wurde auch vom Berliner Historiker Wolfgang Wippermann vorgelegt. 37 Im Zentrum von Wippermanns Darstellung steht der Gedanke der „vier Leben", die Marx gefuhrt habe. Das erste Leben des Karl Marx war sein eigenes, das vor allem durch sein Theoretikerdasein als Autor des Kapital und durch seine Tätigkeit als politischer Revolutionär bestimmt wurde. Eine Art „zweites Leben" führte Marx in der Tradition der marxistischen Arbeiterbewegung der Zweiten und der Dritten Internationale. Die entsprechende Entwicklung begreift Wippermann im Zusammenhang mit einer zunehmenden Deformierung der Marxschen Theorie. Ein „drittes Leben" erhielt Marx mit einer durch „dissidente" marxistische Theoretiker geprägten Renaissance marxistischen Denkens. In jüngster Vergangenheit sei der falschlich totgesagte Marx abermals wiedergekehrt bzw. zu neuem Leben erwacht. Marx verdiene es, in der Welt der Gegenwart neu gelesen zu werden, und zwar nicht nur als Ökonom, sondern insbesondere auch als Historiker und als Philosoph. Wippermann spricht Marx mit Blick auf die Globalisierungsdiskussion Bedeutung zu, rückt seine Theorien der „asiatischen Despotie" sowie des Bonapartismus

33 Siehe ebd., S. 32ff. 34 Siehe ebd., S. 30. 35 Ebd., S. 58. Indes sei Rancières Beitrag „bis 1972 nicht ins Deutsche übersetzt und auch danach in Deutschland kaum wahrgenommen, geschweige denn angemessen gewürdigt" (ebd.) worden. 36 Dass die Neue Marx-Lektüre in Deutschland nicht allein auf den Frankfurter Rezeptionsstrang um Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt zu reduzieren ist (obgleich diese Strömung einen wichtigen Bestandteil der Neuen Marx-Lektüre in diesem Land darstellte und darstellt), dürfte nach der Lektüre von Elbes Buch endgültig klar sein. 37 Siehe Wolfgang Wippermann, Der Wiedergänger. Die vier Leben des Karl Marx, Wien 2008.

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ins Blickfeld und wendet sich auch dem „Religionskritiker und Philosophen" Marx zu, an dem man sich „bei der Bekämpfung und Überwindung des Fundamentalismus und der Schaffung einer besseren Welt orientieren"38 könne.

An die hier genannten Versuche einer Geschichtsschreibung des Marxismus wird in der vorliegenden Studie angeknüpft. Dennoch soll auch über sie hinausgegangen werden, und zwar in erster Linie mit Blick auf die beinahe globale Dimension, in der sich eine bestimmte Strömung des an Marx anknüpfenden Denkens in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Es kann nicht zuletzt gezeigt werden, dass die außereuropäische Welt der letzten fünfzig oder sechzig Jahre nicht nur „revolutionäre Praxis" (Vranicki, s. o.), sondern auch theoretische Innovationen von großem theoriegeschichtlichem Interesse hervorgebracht hat.

38 Ebd., S. 133.

1. Die Entwicklung verschiedener an Marx orientierter Denkansätze im Spannungsfeld von Politik und Theorie von den 1960er Jahren bis heute

In diesem Teil der vorliegenden Arbeit geht es um die historische Entwicklung, welche die internationale Marxismus-Debatte von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart durchlaufen hat - und zwar im Zusammenhang mit bestimmten historisch-politischen Prozessen. Im geschichtlichen Anschluss an die späte Stalinzeit und die Entstalinisierung innerhalb des sowjetischen Marxismus-Leninismus sind mit Blick auf die - im Spannungsfeld von Politik und Theorie vonstatten gegangene - historische Entwicklung des Marxismus im Weltmaßstab drei Phasen voneinander zu unterscheiden. Zunächst erfolgte im Zeitraum von ca. 1960/65-1977 der Aufstieg eines innovativen und sich aus den Fesseln des dogmatischen Marxismus-Leninismus insbesondere sowjetischer Provenienz befreienden Marxismus. Dies geschah im Zuge der Herausbildung und Entwicklung weltweiter von Marx und dem Marxismus inspirierter politischer Bewegungen. Die darauffolgende Phase von ca. 1974-1990 beginnt mit der Konstatierung einer Art „Krise des Marxismus" (insbesondere in Westeuropa) infolge des Ausbleibens politisch-revolutionärer Umbrüche und führt schließlich zum Niedergang des „Marxismus als Massenideologie" (Jannis Milios) infolge der „Wende" in Osteuropa und des Zusammenbruchs des sowjetischen Marxismus-Leninismus. Die dritte Phase von ca. 1990 bis in die Gegenwart kann als Periode von Neuansätzen innerhalb eines weitgehend marginalisierten Marxismus bezeichnet werden. Es existierten und existieren weiterhin auch nach dem historischen Ende des Marxismus als Massenideologie intellektuelle Widerstandsformen unter Rückgriff auf Marx, die man als „Denkversuche wider den Zeitgeist" beschreiben könnte.

1.1. Der dogmatische Marxismus vor dem politischen und theoretischen Aufbruch 1.1.1. Der sowjetische Marxismus-Leninismus vor der Entstalinisierung Die theoretische Seite des sowjetischen Marxismus-Leninismus der späten Stalinzeit kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur ganz kurz in einigen Aspekten, aber keineswegs in allen Grundzügen dargestellt werden. Wichtig ist zunächst, sich vor Augen zu halten, dass der terminologisch als Leninismus bzw. Marxismus-Leninismus firmierende

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Stalinismus1 sich nicht unter direktem Rückgriff auf das Marasche Denken historisch herausbildete, sondern aus bestimmten theoretischen Entwicklungen der Marxismen der Zweiten und der Dritten Internationale hervorging. Eine wesentliche Rolle spielten der Gedanke der Einheit der Theorien von Marx und Engels sowie der Gedanke von der späteren Weiterentwicklung erst durch Lenin und dann durch Stalin. Dabei kam es zur Kanonisierung der Engelsschen „Dialektik der Natur" und von Lenins Schrift Materialismus und Empiriokritizismus. Die bereits vor Lenin begonnene und von Lenin selbst aufgegriffene und weitergeführte Entwicklung des Marxismus zu einer umfassenden und in sich geschlossenen „Weltanschauung"2 bildete auch ein Kernelement des theoretischen Stalinismus. Dialektischer und historischer Materialismus wurden zu verbindlichen Leitlinien alles marxistischen Denkens erhoben. Dabei wurde der historische Materialismus von den Stalinisten verstanden im Sinne der Ausdehnung der Leitsätze des dialektischen Materialismus auf die Erforschung des gesellschaftlichen Lebens, auf die Erforschung der Geschichte der Gesellschaft. Als entscheidendes Kriterium zur philosophiehistorischen Bewertung früherer Theoretiker etablierte sich ein abstrakter Schematismus der Gegenüberstellung von Materialismus und Idealismus. Auf erkenntnistheoretischer Ebene wurde eine abbildtheoretische Position vertreten. Die Marasche Kritik der politischen Ökonomie wiederum wurde zu einer proletarischen politischen Ökonomie uminterpretiert. Der Stalinismus führte auf dem Gebiet der Marx-Interpretation eine massive Einschränkung der wissenschaftlichen Freiheit herbei. Theorieelemente von Marx und Engels wurden zum Zweck der Herrschaftslegitimation missbraucht. Die Forschung hatte sich der Politik unterzuordnen, andernfalls drohten Repressionen. Rolf Hecker begreift auch den Abbruch der Edition der ersten Mara-Engels-Gesamtausgabe als eines der Resultate der Politik der Stalinzeit. Im Anschluss an Hecker könnten zwei unterschiedliche Ebenen der stalinistischen Reaktion auf ein an Marx anknüpfendes Denken unterschieden werden: „Stalinismus in den gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen, die zu politischen , Säuberungen' und damit zur Ausschaltung kritisch denkender und streitbarer Persönlichkeiten führten; Stalinismus aber auch als Reduzierung der Marxschen Lehre auf ein starres ideologisches Dogma, das keinerlei Abweichungen' duldete und als ,Marxismus-Leninismus' zur Legitimation und Festigung des absoluten Machtanspruchs instrumentalisiert wurde."3 Durch die Recherchearbeit von Hecker und anderen Forschern für

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Zum theoretischen Stalinismus siehe auch Oskar Negt, Marxismus als Legitimationswissenschaft. Zur Genese der stalinistischen Philosophie, in: Nikolai Bucharin, Abram Deborin, Kontroversen über dialektischen und mechanistischen Materialismus, Frankfurt/M. 1974, S. 7ff. Eine kürzere Übersicht gibt: David McLellan, Marxism after Marx, London 1979, S. 134ff. „Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist. Sie ist in sich geschlossen und harmonisch, sie gibt den Menschen eine einheitliche Weltanschauung", so W. I. Lenin, Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus, in: Lenin Werke, Bd. 19, Berlin/Ost 1977, S. 3f. Dieses Leninsche Diktum stammt von 1913. Rolf Hecker, Editorial, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Stalinismus und das Ende der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe (1931-1941) (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 3), Hamburg 2001, S. 10.

1.1. DER DOGMATISCHE MARXISMUS

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den Sammelband Stalinismus und das Ende der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe (1931-1941) kann die brutale staatliche Verfolgung (bis hin zur Ermordung) von MarxEngels-Forschern und Marx-Engels-Editoren während der Stalinzeit historisch rekonstruiert werden. Ein Merkmal der Kapital-Interpretation nach der Durchsetzung des theoretischen Stalinismus war die Deutung des Marxschen Hauptwerks im Sinne des Nachweises einer historischen Unvermeidlichkeit bzw. Notwendigkeit, dass der Übergang vom Kapitalismus zur Diktatur des Proletariats oder zum Sozialismus erfolgen müsse. So schrieb der sowjetische Philosoph Mark M. Rosental 1952: „Wenn die utopischen Sozialisten sozialistische Theorien aufstellten und es dabei nicht verstanden, den objektiven Mechanismus des Kapitalismus zu erklären, dessen Entwicklung zu seinem eigenen Untergang führt, so ist es das Verdienst von Marx, den Sozialismus nicht als Wunsch der Menschen, sondern als notwendiges gesetzmäßiges Ergebnis der gesellschaftlichen Entwicklung gezeigt zu haben. Darum gibt es ohne das .Kapital' keinen wissenschaftlichen Sozialismus."4 In eine ähnliche Richtung zielt die Interpretation P. S. Trofimows aus dem Jahr 1951. Er sah im Kapital „die Unvermeidlichkeit der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats"5 dargelegt. Problematisch - im Hinblick auf Marx - ist indes die Tatsache, dass derartige Interpretationen sich durchaus auf das Marxsche Hauptwerk stützen können. Im siebten Abschnitt des Kapitels zur sogenannten ursprünglichen Akkumulation spricht Marx im Kapital tatsächlich davon, dass die kapitalistische Produktion mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation erzeuge. (Siehe MEGA2 11.10, S. 685) Im Marxschen Werk existiert eine Ambiguität hinsichtlich geschichtsdeterministischen Denkens. Während die stalinistische Tradition an den topos von der gesetzmäßigen Notwendigkeit des Übergangs zum Sozialismus anknüpfte, versuchen antistalinistische Interpreten, gerade diesen Aspekt in ihrem kritischen Rückgriff auf Marx zu hinterfragen. Der Stalinismus wirkte sich auch auf die Diskussion abstrakter theoretischer Fragen aus, die auf den ersten Blick nur wenig mit Politik zu tun hatten. Beispielsweise war zumindest während der Spätphase des Stalinismus eine negative Sichtweise auf die Philosophie G W. F. Hegels offiziell verordnet.6 Das vom theoretischen Stalinismus geprägte negative Hegelbild koinzidierte mit der genauso gängigen wie oberflächlichen Tendenz, die Geschichte der Philosophie auf den Gegensatz von Idealismus und Materialismus zu reduzieren. Als ein historischer Hintergrund der aktuellen Beschäftigung mit dem HegelMarx-Verhältnis ist zu berücksichtigen, dass eine sachlich angemessene Diskussion der Philosophie Hegels in der Zeit zumindest des Spätstalinismus in der Sowjetunion (bis

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Mark M. Rosental, Die Ausarbeitung des Gesetzes vom Kampf der Gegensätze in Karl Marx's „Kapital", in: Deutsche Zeitschrift fur Philosophie 1/2 (1953), S. 332. R S. Trofimow, Fragen der materialistischen Dialektik und Erkenntnistheorie im „Kapital" von Karl Marx, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 1/3&4 (1953), S. 579. Ähnliches vertrat I. Bljumin, Die Mehrwertlehre - der Grundpfeiler der ökonomischen Theorie von Marx, in: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Abteilung 1953/3, S. 343ff. Auf die Debatte zwischen „Dialektikern" und „Mechanisten" (und deren unterschiedliche Bewertung Hegels) während der Frühphase des Stalinismus kann hier nicht eingegangen werden.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN M A R X ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

zur ,,Tauwetter"-Periode) und auch im Spätstalinismus in der D D R der fünfziger Jahre auf heftigen ideologischen Widerstand zu stoßen drohte. Gemäß der Vorgabe v o n Stalin dominierte zumindest zeitweise im offiziellen Marxismus-Leninismus ein Hegelbild, das in dem Stuttgarter Philosophen einen politischen Reaktionär und Wegbereiter des deutschen Faschismus sah. 7 Camilla Warnke berichtet: „Stalin hatte 1944 in einer Geheimkonferenz des ZK der K P d S U einen Beschluss erwirkt, nach d e m auch Hegel für den deutschen Nationalismus und Chauvinismus verantwortlich zu machen war und so zu einem Vorläufer des Faschismus wurde (Eine damals nicht nur für Stalin typische Deutung!). Der Sinn dieses Urteils ist zweifellos in der politischen Ideologie zu suchen." 8 Warnke interpretiert, dass eine entsprechende Hegel-Verleumdung einen Beitrag dazu liefern sollte, „die antideutsche Attitüde" der Stalinschen Politik ideologisch zu flankieren. Zudem galt es, den „traditionell großen Einfluss der deutschen Klassik und insbesondere Hegels in der sowjetischen Philosophie zurückzudrängen". 9 Der theoretische Marxismus-Leninismus in der Periode des späten Stalinismus erklärte Hegel - gegen den Widerstand marxistischer Philosophen wie Georg Lukacs oder Wolfgang Harich zur persona non grata. In der post-stalinistischen Periode wurde Hegels Philosophie

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Siehe Camilla Warnke, „Ich lasse auf Hegel nicht scheißen!" Wolfgang Harichs Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie 1951-1954, in: Stefan Dornuf, Reinhard Pitsch (Hg.), Wolfgang Harich zum Gedächtnis. Eine Gedenkschrift in zwei Bänden, Bd. 2, München 2000, S. 523 u. 544. Zum Hegelbild des Spätstalinismus siehe u. a. Walther Ch. Zimmerli, Die Aneignung des philosophischen Erbes. Eine Analyse der Diskussion „Über das Verhältnis des Marxismus zur Philosophie Hegels" in der DDR 1952/53 bis 1956/57, in: Clemens Burrichter (Hg.), Ein kurzer Frühling der Philosophie. DDR-Philosophie in der „Aufbauphase", München u. a. 1984, S. 27ff. Allgemein zu Aspekten des Marxismus-Verständnisses in der frühen DDR siehe u. a. Siegfried Prokop, Das KarlMarx-Jahr 1953: Intellektuelle der DDR im Widerstreit zwischen Ideologie, Politik und Wissenschaft, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Werkausgaben in der UdSSR und DDR (1945 bis 1968) (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge Sonderband 5), Hamburg 2006, S. 359ff.

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Carmilla Warnke, „Ich lasse auf Hegel nicht scheißen!" Wolfgang Harichs Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie 1951 -1954, S. 523. An anderer Stelle gibt Warnke eine Anekdote wieder (die allerdings von einem nicht immer zuverlässigen Historiker überliefert ist): „Über Stalins Verhältnis zu Hegel enthält D. Wolkogonows Stalin-Biographie von 1990 neues Material. Wir erfahren, dass Stalin Schwierigkeiten im Umgang mit der Dialektik hatte. Deshalb habe er Ende der 20er Jahre bei dem Philosophen und Altbolschewisten Jan Sten (damals stellvertretender Direktor des Marx-Engels-Institutes), nach einem eigens für ihn ausgearbeiteten Programm Philosophieunterricht genommen, das das Studium Hegels, Kants, Feuerbachs, Fichtes, Schellings und ebenso Plechanows und Kautskys umfasste. Zweimal wöchentlich habe Sten versucht, seinem hochgestellten Schüler Hegels philosophische Welt näherzubringen. Aber die .Abstraktheit machte Stalin wütend' und veranlasste ihn, seinen Mentor immer wieder mit unwirschen Fragen zu unterbrechen: , Welche Bedeutung hat das alles für den Klassenkampf?' ,Wer soll diesen ganzen Blödsinn in der Praxis anwenden?' ", so Camilla Warnke, „Das Problem Hegel ist längst gelöst." Eine Debatte in der DDRPhilosophie der fünfziger Jahre, in: Volker Gerhardt, Hans-Christoph Rauh (Hg.), Anfänge der DDRPhilosophie. Ansprüche, Ohnmacht, Scheitern, Berlin 2001, S. 199. Jan Sten, so berichtet Warnke im Anschluss an Wolkogonow weiter, überlebte die großen „Säuberungen" nicht.

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Carmilla Warnke, „Ich lasse auf Hegel nicht scheißen!" Wolfgang Harichs Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie 1951 -1954, S. 524.

1.1. DER DOGMATISCHE MARXISMUS

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jedoch neu diskutiert. Bisweilen nahm der Hegelbezug nun vergleichsweise positivere Züge an. Die ideologische Atmosphäre des Spätstalinismus wird durch eine allein schon im Hinblick auf die Diktion schauderhafte Passage aus einem Buch des sowjetischen Philosophen Mark M. Rosental deutlich, das erstmals 1955 in russischer Sprache erschienen ist. Hier polemisiert Rosental gegen die Theorieströmung des sowjetischen MarxInterpreten Isaak Iljitsch Rubin, der zu den bedeutendsten an Marx orientierten Denkern der Zwischenkriegszeit gehört hatte und während der großen „Säuberungen" der 30er Jahre ermordet worden war: „Die Rubin-Anhänger und die menschewisierenden Idealisten, die in den 20er und 30er Jahren auf dem Gebiete der Ökonomie und Philosophie ihr Wesen trieben, haben eine ganze Menge über die ,Dialektik des Kapitals' geschrieben, aber sie behandelten die revolutionäre Methode von Marx im Geiste des Hegelianertums, sie machten daraus ein scholastisches Begriffsspiel, ein kompliziertes System von Klügeleien und Spitzfindigkeiten, die von der Wissenschaft himmelweit entfernt waren. Die idealistisch-scholastische Behandlung der Marxschen Dialektik bei Rubin zum Beispiel verfolgte das Ziel, die sowjetischen Ökonomen zu verwirren und sie in abstrakte Probleme zu verstricken [...] Ein deutliches Beispiel für idealistischhegelianische Behandlung der Methode des .Kapitals' ist die Arbeit eines Schülers Rubins, Kuschins [...] Die kommunistische Partei hat diese dem Marxismus fremden Strömungen zerschlagen und den sowjetischen Philosophen und Ökonomen geholfen, deren Wesen zu entlarven."10 Erste Ansätze einer Entstalinisierung gab es in der Sowjetunion bereits kurze Zeit nach Stalins Tod (1953) zu Beginn der sog. „Tauwetter-Periode". Eine wichtige Rolle im Prozess der Entstalinisierung spielte die gegen Stalin gerichtete Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956. Fünf Jahre später, zum XXII. Parteitag, wurde die Abkehr von der Stalinzeit nochmals forciert. In der VR China fand eine innerhalb gewisser Grenzen mit der sowjetischen Entstalinisierung vergleichbare Entwicklung erst ab 1978 statt. Die Entstalinisierung in der Sowjetunion ist mit Blick auf die internationale kommunistische Bewegung als eine historische Zäsur zu begreifen. Indirekt eröffnete sie der großenteils erstarrten oder dogmatisierten marxistischen Theoriebildung auf internationaler Ebene neuen Entfaltungsraum. Die verschiedenen Dogmatisierungen, die den Marxismus der II. und III. Internationale kennzeichnen, waren bisweilen Hand in Hand mit einer Vulgarisierung der Marxschen Theorie gegangen.11

10 Mark M. Rosental, Die Dialektik in Marx' „Kapital", Berlin/Ost 1957, S. 19. 11 Marx selbst reagierte übrigens erzürnt darauf, wenn er bemerken musste, dass Bekannte bestimmten theoretischen Schwierigkeiten eher aus dem Weg gingen, anstatt sich auf ambitionierte Art und Weise mit ihnen auseinander zu setzen. Ein Brief von 1851 gibt über die Marasche Haltung Auskunft: „Ich bin meist von 9 Uhr morgens bis abends 7 auf dem Britischen Museum. Der Stoff, den ich bearbeite, ist so verdammt viel verzweigt, dass es mit aller Anstrengung nicht gelingt, vor 6-8 Wochen abzuschließen. [...] Die demokratischen .simpletons', denen die Erleuchtung ,νοη oben' kommt, haben natürlich derartige Anstrengungen nicht nötig. Wozu sollten sie sich mit ökonomischem und historischem Material plagen, diese Sonntagskinder? Es ist ja alles so einfach, pflegte

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Die verschiedenen theoretischen Neuansätze, mit denen im Zuge der Entstalinisierung und in der Zeit danach ein neues und von dogmatischem Ballast zumindest teilweise befreites Marx- und Marxismusverständnis erarbeitet wurde, waren mit grobschlächtigen Vereinfachungen häufig nicht mehr vereinbar. 1.1.2. Ein kurzer Einblick in den Forschungsstand zum chinesischen Marxismus vor 1978 Auf die komplexe und weitverzweigte Geschichte des chinesischen Marxismus vor dem Wendejahr 1978 kann in diesem Rahmen nur ganz kurz und stichpunktartig - im Anschluss an den internationalen Forschungsstand - eingegangen werden. Nick Knight, der zu den wichtigsten westlichen Fachleuten zur Geschichte des frühen chinesischen Marxismus zählt, hält es mit Blick auf die theoretischen Aspekte des Determinismus, der Ontologie, der Epistemologie und der Logik für evident, dass „Marxist philosophy in China during its formative years was heavily influenced by European and Soviet Marxist philosophy."12 Aus Knights Studie über den chinesischen Philosophen Li Da lässt sich ersehen, dass hinsichtlich der Interpretation der Marxschen Theorie auch ein Ideentransfer über bzw. aus Japan zu den Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen des frühen chinesischen Marxismus gehörte. Li Da übersetzte in der Zwischenkriegszeit Hajime Kawakami, einen der Väter der marxistischen Theoriebildung in Japan, ins Chinesische.13 Auch der Theorietransfer aus Europa nach China lief zumindest teilweise über Japan bzw. über die Übersetzung aus dem Japanischen.14 Wolfgang Lippert behauptet, dass die Kategorien und Begriffe der Marxschen und Engelsschen Gesellschaftslehre fast ausnahmslos durch japanische Vermittlung in die intellektuelle Kultur Chinas eingedrungen seien.15 Knight setzt sich mit der Geschichte der marxistischen Philosophie in China während des Zeitraums von 1923 bis 1945 auseinander, wobei er die Theoretiker Qu Qiubai, Ai Siqi, Li Da and Mao Zedong in den Mittelpunkt stellt, die für die chinesische Marxismus-Rezeption von großer Bedeutung waren. Trotz Qu Qiubais früherer Bemühung, die marxistische Philosophie in China einzuführen, habe eine wichtigere Entwicklung darin gelegen, dass Ai Siqi, Li Da und andere in den 30er Jahren an der „introduction [...] of the Soviet Union's New Philosophy"16 gearbeitet hätten. Die Jahre zwischen den späten 30ern und dem siebten Kongress der chinesischen KP im Jahr

der wackre Willich" - ein politischer Kontrahent - „mir zu sagen. Alles so einfach! In diesen wüsten Köpfen. - Höchst einfache Kerls!" (MEW 27, S. 560) 12 Nick Knight, Marxist Philosophy in China. From Qu Qiubai to Mao Zedong, 1923-1945, Dordrecht 2005, S. 222. 13 Siehe Nick Knight, Li Da and Marxist philosophy in China, Boulder/USA 1996, S. 130. 14 Siehe ebd., S. 117f. 15 Siehe Wolfgang Lippert, Entstehung und Funktion einiger chinesischer marxistischer Termini. Der lexikalisch-begriffliche Aspekt der Rezeption des Marxismus in Japan und China, Wiesbaden 1979, S. 393. 16 Nick Knight, Marxist Philosophy in China, S. 216.

1.1. DER DOGMATISCHE MARXISMUS

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1945 begreift Knight als die Zeitspanne, in der Mao Zedongs Denken zur Parteiideologie habe aufsteigen können. Die Widerspruchstheorie und die Praxistheorie als zentrale Elemente von Maos philosophischem Denken seien „clearly not his own invention. The immediate inspiration for Mao's understanding of these foundational dimensions of Marxist philosophy was the New Philosophy" aus der Sowjetunion. „This philosophy", so schreibt Knight weiter, „described the law of the unity of opposites (or contradictions) as ,the fundamental law of dialectics', and provided a detailed explanation of its logical structure and examples of its manifestation. Similarly, in its discussion of epistemology, the New Philosophy asserted that practice is the touchstone against which claims to knowledge are evaluated." 17 Auf der Grundlage der Lehren vom Widerspruch und von der Praxis habe Mao seine philosophische Theorie aufgebaut. Chenshan Tian, ein Historiker der traditionellen chinesischen Philosophie sowie des chinesischen Marxismus, hat eine Interpretation von dessen Geschichte vorgelegt, in der er wiederum der traditionellen chinesischen Philosophie eine bedeutende Rolle einräumt. Er spricht von einer Sinisierung des dialektischen Materialismus, die in den 1920er und 30er Jahren stattgefunden habe. Intellektuelle wie Qu Qiubai und Ai Siqi setzten sich so schreibt Tian - in dieser Zeit vor dem Hintergrund der klassischen chinesischen Philosophie mit der marxistischen Dialektik auseinander. Die Sinisierung des Marxismus wurde Tian zufolge mit Mao Zedong noch gesteigert. Dieser habe einerseits marxistische Texte durch die Brille einer spezifisch chinesischen Philosophie rezipiert, nämlich der towgè/aw-Denktradition (dies übersetzt Tian mit „Kontinuität durch Veränderung"). Andererseits habe Mao aber auch Elemente des traditionellen chinesischen Denkens im Sinne des dialektischen Materialismus gelesen. Tian schlussfolgert: „Die Form, die der Marxismus in seiner Begegnung mit China annahm, war nicht mehr die von der Tradition der marxschen Dialektik in Europa geerbte." Es handle sich um eine Version, die „in der Tat tongbian, eine traditionelle chinesische Denkweise, in einer Sprache ausdrückt, die" auf der Terminologie des okzidentalen Marxismus gründe, „aber in seiner chinesischen Übersetzung." Letztendlich könne man von einer „modernisierten Form traditionellen Denkens" 18 sprechen. David Salomon hat gegenüber Chenshan Tians philosophiehistorischer Deutung einen Einwand geltend gemacht. „Tians These, die Sinisierung des Marxismus' bestehe darin, ihn aus der westlichen Tradition zu lösen und in die chinesische als Spielart des tongbian einzupassen, verfehlt den kritischen Gehalt marxistischen Denkens in Europa, zumal der ,westliche Marxismus' sich als philosophie der Praxis' (Gramsci) beschreiben lässt." 19 Der entscheidende Aspekt der Praxis sowie die für den Marxismus charakteristischen gesellschaftlichen Emanzipationskriterien bleiben (für Salomon) in Tians Interpretation nicht hinreichend berücksichtigt. Es lässt sich hinzufügen, dass m. E. aber gerade die Kategorie der Praxis von entscheidender Bedeutung für das philosophische Denken Mao Zedongs war. Auf die Frage nach den

17 Ebd. 18 Chenshan Tian, Chinesische Dialektik: die historische Entwicklung des Marxismus in China, in: Das Argument 268 (2006), S. 192. 19 David Salomon, West-östlicher Marxismus. Entgegnung auf Chenshan Tian, in: Das Argument 268 (2006), S. 193.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

vermeintlichen Quellen des chinesischen Marxismus - sowjetischen, westeuropäischen, japanischen, traditionell-chinesischen - kann hier nicht näher eingegangen werden. Indes werden später einige Entwicklungen angesprochen, welche die chinesische Beschäftigung mit dem Marxismus während der politisch durch Deng Xiaoping geprägten Phase nach Maos Tod betreffen.

1.2. Der globale Aufschwung des Marxismus zur Anfangs- und Hochzeit politischer Emanzipationsbewegungen (ca. 1960/65-1977) Die politischen Revolten der 60er Jahre besaßen eine spezifisch internationale Dimension. Der Vietnamkrieg, die japanische Bewegung gegen das japanisch-amerikanische Sicherheitsabkommen im Jahr 1960 (und abermals im Jahr 1970), die immer weiter gehende Entwicklung der kubanischen Revolution, die lateinamerikanische Guerillabewegung auf dem Land sowie in den Städten,20 die US-amerikanische Bewegung gegen den Vietnamkrieg, der indische Naxalitenaufstand, die Studentenbewegungen in Mexiko, Westdeutschland, Japan, Spanien und vielen anderen Ländern in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, der Pariser Mai 1968, die Streikwelle des „Heißen Herbstes" in Italien: Dies alles waren politische Ereignisse oder Bewegungen, die international rezipiert und in manchen Fällen über Landesgrenzen hinweg zu wichtigen politischen Inspirationsquellen wurden. Die spezifisch internationale Dimension der politischen Revolten in den 60er Jahren sollte indes nicht als ein historisches Novum dargestellt werden, denn den Transfer revolutionärer Einflüsse und Gedanken über Landesgrenzen hinweg hat es auch schon in früherer Zeit gegeben (man denke nur an die internationalen Revolutionsereignisse von 1848/49 oder 1917-1919). Allerdings wurden bei den Revolten der 1960er Jahre nicht nur nationale, sondern auch in stärkerem Maße kontinentale Grenzen überschritten. Die Revolten der 60er Jahre waren mit einem wachsenden Interesse an einer intensiven Beschäftigung mit der Marxschen Theorie verbunden. Zugleich mit den politischen Revolten entwickelte sich eine Welle der Aneignung der Marxschen Theorie und insbesondere seiner Kritik der politischen Ökonomie. Auch dieser Prozess besaß internationalen Charakter. Über Sprach- und Landesgrenzen hinweg entwickelte sich ein reger Transfer von Theorien und Interpretationen. Milos Nikolic schreibt: „The new wave of dissemination of Marxism and its more intensive political and theoretical re-affirmation began [...] in the early 1960s. This wave brought a re-affirmation of Marxism in West Germany, it spread Marxism for the first time in Great Britain and the USA, it advanced Marxist theory in Latin America, and took the first significant steps in the development of Marxism in Africa."21 Zudem habe der Marxismus in den 1960er Jahren in der akademischen Sphäre verankert werden können. Kritisch zu ergänzen wäre, dass die von Nikolic skizzierte internationale „Marxismus-Welle" nicht wirklich exakt datiert 20 Die marxistischen Kräfte in Lateinamerika erlebten allerdings 1964 mit dem rechten Putsch in Brasilien einen Rückschlag. 21 Milos Nikolic, The Basic Results of the Development of Contemporary Marxism, in: Socialism in the World. International Journal of Marxist and Socialist Thought 38 (1983), S. 20.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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werden kann. Vielmehr entwickelte sie sich ungleichzeitig, beispielsweise in Japan22 bereits in den 50er Jahren. Ein wichtiges Moment der Entwicklung dieses Nachkriegsmarxismus war gemäß Nikolic der Beginn eines Revisions- und Überwindungsprozesses bezüglich des Marxismus der III. Internationale. Dieser Prozess, der auch als Marxismus-Renaissance bezeichnet worden sei, habe mit einer Rückkehr zu den Marxschen Originaltexten begonnen. Im hier thematisierten Zeitraum fand also eine starke Zunahme des Interesses am Marxismus als kritischer Gesellschaftstheorie statt - und dies in internationalem Maßstab. Bei der folgenden historischen Darstellung ist zu berücksichtigen, dass immer wieder auf einzelne Theoretiker eingegangen werden muss, in deren Denken sich bestimmte Ideenströme oder politische Ereignisse spiegelten, auf Intellektuelle aus aller Welt, die politische sowie ideengeschichtliche Entwicklungsprozesse geistig begleiteten. 1.2.1. Westeuropa und die angelsächsische Welt In Westdeutschland deutete nach dem Verbot der KPD im Jahr 1956 und dem Abschied der SPD von ihren letzten Bezugspunkten zum Marxismus (in Gestalt ihres Godesberger Programms von 1959) Anfang der 60er Jahre zunächst nur wenig auf eine Renaissance des an Marx orientierten Denkens hin. Dennoch gab es in Westdeutschland einige intellektuelle Einzelgänger, die sich in den 50er Jahren und in der ersten Hälfte der 60er Jahre zumindest bemühten, das Interesse an Marxscher und marxistischer Theorie wach zu halten. Exemplarisch könnte in diesem Kontext Leo Kofier 23 genannt werden, aber auch der Politikwissenschaftler Iring Fetscher und nicht zuletzt der aus der Tradition der Kritischen Theorie stammende Philosoph Alfred Schmidt. In den 60er Jahren durchlief der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS)24 einen politischen Radikalisierungsprozess, gerade auch in Westberlin und Frankfurt, den Hochburgen der Studentenbewegung. Diese erlebte 1968 ihren Höhepunkt. Dieser 22 Dieses Land wird von Nikolic an dieser Stelle nicht erwähnt. 23 Zur Person Leo Kotier siehe Christoph Jünke, Freiheit wozu? Zur Einführung in Leben und Werk von Leo Kofler (1907-1995), in: Leo Kofler, Zur Kritik bürgerlicher Freiheit. Ausgewählte politisch-philosophische Texte eines marxistischen Einzelgängers, Hamburg 2000, S. 7ff.; Mario Kessler, Zwischen Ost und West: Ernst Bloch, Hans Mayer, Leo Kofler, Alfred Kantorowicz, in: Mario Kessler, Exil und Nach-Exil. Vertriebene Intellektuelle im 20. Jahrhundert, Hamburg 2002, S. 43ff. Zu Koflers Marxismusverständnis siehe Leo Kofler, Marxistischer und stalinistischer Marxismus [1954/55], in: Leo Kofler, Zur Kritik bürgerlicher Freiheit, S. 40ff. Näher zu Kofler im Milieu der westdeutschen Nachkriegslinken: Christoph Jünke, Sozialistisches Strandgut. Leo Kofler - Leben und Werk (1907-1995), Hamburg 2007, S. 271ff. Zur prekären Situation marxistischer Intellektueller in der westdeutschen Nachkriegszeit siehe Frank Deppe, Was bedeutete es, in den 50er Jahren gesagt zu haben: „Sie dürfen niemals vergessen, dass ich Marxist und Sozialist bin"? Leo Kofler und die „heimatlose Linke" jenseits von Sozialdemokratie und Staatssozialismus, o. O. 1999, im Internet: http://www.leo-kofler.de/texte/deppe.html (letzter Zugriff: 8.4.2001). 24 Das wohl bekannteste Standardwerk zur Geschichte des SDS ist immer noch: Tilman Fichter, Siegward Lönnendonker, Kleine Geschichte des SDS. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von 1946 bis zur Selbstauflösung, Berlin/West 1977.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN M A R X ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

politische Prozess war von einem wachsenden Interesse an einer theoretischen Auseinandersetzung mit Marx begleitet. Rudi Dutschke verfasste 1966 eine Art marxistischen Literaturkanon, um seinen Genossen einen Leitfaden zur Aufarbeitung der Entstehung, Entfaltung und Rezeption marxistischer Theorie zur Hand zu geben. Anhand dieses Kanons lässt sich der theoretische Gesichtskreis eines bestimmten Teils des Berliner SDS erschließen,25 wobei auffällt, dass nach Dutschkes Marxismusverständnis „der Versuch der Wiederherstellung' des Marxismus durch einen unmittelbaren und direkten Rückgriff auf den ,reinen' Marx das Wesen und die Methode von Marx"26 verfehlt. In der Tat erfolgte nicht nur in Berlin, sondern auch in Frankfurt die Marx-Rezeption innerhalb des SDS sowohl auf direkte als auch auf vermittelte Art und Weise, letzteres durch die Auseinandersetzung mit von Marx inspirierten Denkern. Karl Korsch, insbesondere aber Georg Lukacs und Herbert Marcuse wurden gleichermaßen in Frankfurt und in Berlin rezipiert.27 Der bedeutendste Theoretiker des Frankfurter SDS war Hans-Jürgen Krahl. In der Forschung wird behauptet, dass sich bereits etwa gegen Ende der 50er Jahre „im SDS über dessen Frankfurter Gruppe hinaus in anderen Gruppen eine Rezeption der Frankfurter Schule"28 vollzogen hatte. Allerdings war der theoretische Einfluss der Frankfurter Schule gerade in der Frankfurter SDS-Gruppe besonders präsent.29 Krahl war persönlicher Schüler Theodor W. Adornos. Er setzte sich im Zuge der Studentenbewegung über dessen bedenkentragende Haltung zur Revolte hinweg,30 ohne aber die theoretische Prägung durch Adorno zu verlieren. Kurz nach Adornos Tod schrieb Krahl seinem

25 Theoretischer Protagonist einer früheren Generation des Westberliner SDS war der bereits Anfang 1966 verstorbene Michael Mauke (siehe Die Klassentheorie von Marx und Engels, Frankfurt/M. 1970). 26 Rudi Dutschke, Zur Literatur des revolutionären Sozialismus von K. Marx bis in die Gegenwart, Berlin/West 1966, im Internet: http://www.infopartisan.net/archive/1967/266764.html (letzter Zugriff: 15.4.2007). 27 Studenten aus dem Umkreis des SDS suchten in den 60er Jahren auch persönlichen Kontakt zu Lukacs. In diesem Kontext steht auch ein von Frieder Otto Wolf editierter Dutschke-Brief: Rudi Dutschke, Auf der Suche nach einem linken Weg aus der Krise - Brief an den Genossen und Professor Lukacs (1967), in: Das Argument 238 (2000), S. 829ff. Zum berühmten Aufeinandertreffen der Berliner Studenten mit Herbert Marcuse im Audimax der Freien Universität im Sommer 1967 siehe Wolfgang Lefèvre, Marcuse, Studentenbewegung, FU-Identität, in: AStA FU Berlin (Hg.), Zur Aktualität der Philosophie Herbert Marcuses. Dokumentation einer Veranstaltung an der Freien Universität Berlin am 17. Juli 2003, Berlin 2005, S. 7Iff. 28 Jens Becker, Der Konflikt zwischen dem SDS und der SPD-Führung in den 50er und frühen 60er Jahren, in: Iring Fetscher, Alfred Schmidt (Hg.), Emanzipation als Versöhnung. Zu Adornos Kritik der „Warentausch"-Gesellschaft und Perspektiven der Transformation, Frankfurt/M. 2002, S. 17. 29 Generell zur Problematik „Kritische Theoretiker und Studentenbewegung" siehe Rolf Wiggershaus, Die Frankfurter Schule. Geschichte, theoretische Entwicklung, politische Bedeutung, München, Wien 1986, S. 676ff. 30 Zum Verhältnis Adornos zur Studentenrevolte siehe auch Theodor W. Adorno, Kritik der PseudoAktivität. Adornos Verhältnis zur Studentenbewegung im Spiegel seiner Korrespondenz. Eine Dokumentation, in: Frankfurter Adorno-Blätter VI (2000), S. 42-116.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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Lehrer das Verdienst zu, dass dessen „mikrologische Darstellungskraft [...] die verschüttete emanzipative Dimension der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie" zutage gebracht habe, „deren Selbstbewusstsein als einer revolutionären Theorie, also einer Lehre, deren Aussagen die Gesellschaft unter dem Aspekt radikaler Veränderung konstruieren, den marxistischen Wirtschaftstheoretikern der Gegenwart zumeist verloren gegangen ist."31 Adornos spezifischer Bezug auf die Kategorien der Verdinglichung, der Fetischisierung, der Mystifikation und der zweiten Natur habe das dem westlichen Marxismus der Zwischenkriegszeit eigene Emanzipationsbewusstsein historisch überliefert. Von Adornos Position aus war dessen Eintreten gegen die (u. a. für den MarxismusLeninismus typische) Forderung der Einheit von Theorie und Praxis nur konsequent. Bereits in der Negativen Dialektik, noch vor der Zeit der Studentenbewegung verfasst, hatte er sich kritisch gegen eine entsprechende Auffassung gewandt: „Die Forderung der Einheit von Praxis und Theorie hat unaufhaltsam diese zur Dienerin erniedrigt; das an ihr beseitigt, was sie in jener Einheit hätte leisten sollen. Der praktische Sichtvermerk, den man aller Theorie abverlangt, wurde zum Zensurstempel. Indem aber, in der gerühmten Theorie-Praxis, jene unterlag, wurde diese begriffslos, ein Stück der Politik, aus der sie hinausfuhren sollte; ausgeliefert der Macht." 32 Es war gerade der AdornoSchüler Krahl, der trotz seines politischen Engagements eventuellen theoriefeindlichen Tendenzen innerhalb der Studentenbewegung entgegentrat. 33 Krahl setzte sich intensiv mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie auseinander. Hans-Georg Backhaus, der in den 60er Jahren Krahls Kommilitone war und etwas später Vordenker der Neuen Marx-Lektüre in der BRD wurde, behauptet, dass es seine (Backhaus') Beschäftigung mit der Marxschen Ökonomiekritik gewesen sei, die Hans-Jürgen Krahl dazu anspornte, sich „mit den ihm damals noch unbekannten Texten zur Marxschen Werttheorie zu befassen". 34 Krahl gilt in der deutschsprachigen Marx-

31 Hans-Jürgen Krahl, Der politische Widerspruch in der Kritischen Theorie Adornos, in: Detlev Claussen u. a. (Hg.), Keine Kritische Theorie ohne Amerika, Frankfurt/M. 1999, S. 79. 32 Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt/M. 1998, S. 146. 33 Detlev Claussen sieht Krahl als wesentlich von der Adornoschen Gesellschaftskritik beeinflussten Protagonisten einer „dritten Generation" der Kritischen Theorie, dessen Leistung im Zuge der Protestbewegung gerade auch in der Artikulation des „Widerspruchs gegen theorie- und damit emanzipationsfeindliche Tendenzen in der Bewegung" bestanden habe, so Detlev Claussen, Hans-Jürgen Krahl - ein philosophisch-politisches Profil, in: Wolfgang Kraushaar (Hg.), Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail. Frankfurter Schule und Studentenbewegung, Bd. 3, Hamburg 1998, S. 69f. Zu Krahl siehe auch Helmut Reinicke, Für Krahl, Berlin/West 1973. 34 Hans-Georg Backhaus, Zuvor: Die Anfänge der neuen Marx-Lektüre, in: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik, Freiburg/Br. 1997, S. 31. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Backhaus nicht ohne jede Kritik auf Krahl zurückblickt. Der Titel des berühmten Krahlschen Aufsatzes Zur Wesenslogik der Marxschen Warenanalyse (HansJürgen Krahl, Zur Wesenslogik der Marxschen Warenanalyse, in: Hans-Jürgen Krahl, Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution, Frankfurt/M. 1971, S. 31ff.) sei „irreführend, von einer wesenslogischen Konkretisierung der Warenanalyse, die über das von mir hinsichtlich der Kategorie Verdopplung Dargelegte hinausgeführt hätte, etwa zum Problem der Ware als ,unmittelbarem Widerspruch', kann gar keine

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN M A R X ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Debatte als Protagonist einer „hegelianisierenden" Interpretation der Marxschen Ökonomiekritik. So schrieb er: „Die Übertragung der aus ihrem metaphysischen Zusammenhang herausgelösten Kategorien der Hegeischen Logik auf die Kategorien der politischen Ökonomie macht Marx zufolge erst die Kritik der politischen Ökonomie aus. Die Hegeische Logik ist nach Marx die metaphysische Verkleidung der Selbstbewegung des Kapitals." 35 Entsprechend richtete sich die spätere Kritik am „Hegelmarxismus" insbesondere gegen Krahl. 36 In den Jahren 1968 und 1969 verschärften sich innerhalb des S D S die fraktionellen Spannungen immer mehr. N a c h dem Unfalltod v o n Hans-Jürgen Krahl im Jahr 1970 wurde die Organisation schließlich aufgelöst. D i e Studentenbewegung hatte indes ein in der B R D völlig neuartiges, gleichermaßen intensives und weitverbreitetes Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Marxschen Œuvre und insbesondere mit der Kritik der politischen Ökonomie hinterlassen, das bis in die zweite Hälfte der 70er Jahre hinein anhielt. 37

Rede sein. Vermutlich stammt der Titel von den Herausgebern. Er wiederholt lediglich in neuen Umschreibungen die Kategorie ,Verdopplung'; einen Schritt weiter fuhrt eher sein Aufsatz Bemerkungen zum Verhältnis von Kapital und Hegelscher Wesenslogik, doch die fast gleichzeitige Ausarbeitung desselben Problems bei Helmut Reichelt, mit gewissen Einschränkungen auch bei Klaus Hartmann, war weit gründlicher: die Funktion der .dialektischen Darstellung' war Krahl ganz entgangen", so ebd., S. 40. 35 Hans-Jürgen Krahl, Bemerkungen zum Verhältnis von Kapital und Hegelscher Wesenslogik, in: Oskar Negt (Hg.), Aktualität und Folgen der Philosophie Hegels, Frankfurt/M. 1970, S. 141. In einer anderen überlieferten Fassung lautet diese Textpassage etwas anders (siehe Hans-Jürgen Krahl, Hegels Idealismus und materialistische Erkenntniskritik, in: Hans-Jürgen Krahl, Vom Ende der abstrakten Arbeit, Frankfurt/M. 1984, S. 160). 36 Michael Heinrich wendet gegenüber Krahl kritisch ein: „Eine solche Übertragung" - wie die, von der Krahl im obigen Zitat spricht - „deckt sich nicht mit dem Marxschen Selbstverständnis. Vor allem aber sperrt sich die Hegeische Philosophie selbst gegen ein solches Vorgehen. Dass nämlich die spezifische Form der Marxschen Darstellung in Hegels Logik zu suchen sei, setzt voraus, was bei allen hegel-marxistischen Autoren [...] ohne weiteres angenommen wird: dass es überhaupt möglich ist, die Argumentationsfiguren der Hegeischen Logik von ihren spekulativen Prämissen abzutrennen, ohne sie dabei zu zerstören. Hegels logische Kategorien sind aber gerade nicht bloße Formen, die auf einen von ihnen selbst unterschiedenen Inhalt angewandt wurden und daher auch auf einen anderen Inhalt angewendet werden können", so Michael Heinrich, Hegel, die „Grundrisse" und das „Kapital". Ein Nachtrag zur Diskussion um das „Kapital" in den 70er Jahren, in: Prokla 65 (1986), S. 147. 37 Der US-Amerikaner George Katsiaficas, der die internationale Dimension der Protestereignisse um 1968 in den Mittelpunkt rückt, schreibt: „The German New Left was among the most theoretically inclined [...] members of the global movement", so George Katsiaficas, The Imagination of the New Left: A Global Analysis of 1968, Boston 1987, S. 49. Im Kontakt mit der Studentenbewegung der 60er Jahre hatte sich übrigens auch im Umkreis der aus der Antiatombewegung der späten 50er Jahre hervorgegangenen Westberliner Zeitschrift Das Argument das Interesse an Marx und marxistischer Theorie verstärkt. „Als die Studentenbewegung zur Massenbewegung wurde, hatte die Gruppe um das Argument bereits die Schwelle zum Marxismus überschritten", so schreibt Wolfgang Fritz Haug, Westlicher Marxismus? Kritik eines notwendigen Versuchs, die marxistische

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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In Italien war die Situation in der Nachkriegszeit wesentlich anders als in Westdeutschland, denn die KPI blieb im Gegensatz zur (ab 1956 verbotenen) KPD in den 1950er und 60er Jahren eine einflussreiche Massenpartei. Mit Blick auf das Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft, in dem sich die Theoriebildung zu Marx und zum Marxismus bewegte, waren in Italien zunächst zwei Aspekte von besonderer Bedeutung: erstens die Entstehung einer gegenüber Moskau teilweise eigenständigen politischen Linie der KPI, die insbesondere mit dem Wirken Palmiro Togliattis in Verbindung stand; zweitens das neuerstarkte Interesse an einer intensiven Auseinandersetzung mit der Marxschen Theorie und den Marxschen Originaltexten, das insbesondere der Philosoph Galvano della Volpe (1895-1968) wecken konnte. Die italienische KP der Nachkriegszeit schlug unter Togliatti einen Weg ein, der über „Strukturreformen" zum Sozialismus fuhren sollte, womit die Programmatik der Revolution in den Hintergrund geriet. Bereits auf dem VIII. Parteikongress der KPI im Jahr 1956 antizipierte Togliatti die These von einem gegenüber Moskau eigenständigen italienischen Weg zum Sozialismus. Auf theoretischer Ebene stellte vor allem die MarxInterpretation von della Volpe einen zentralen Impetus dar, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich im Laufe der 50er und 60er Jahre immer mehr der schulbildende Einfluss della Volpes herauskristallisierte. Lucio Colletti legte nahe, dass aufgrund der internationalen Ereignisse von 1956 viele Intellektuelle der KPI den Rücken kehrten und infolgedessen della Volpe, der in der Partei verblieben war, zeitweise eine Art „Aufwertung" innerhalb der KPI erfahren habe.38 Anfang der 60er Jahre wurde in der Partei mit Blick auf die della Volpe-Schule der Vorwurf der Fraktionsbildung erhoben.39 Auf die della Volpe-Schule wird im zweiten Teil dieser Arbeit näher einzugehen sein. Etwa gegen Anfang der 60er Jahre entstand in Italien eine neue politisch-theoretische Strömung, die einen gegenüber dem „akademischen Marxismus" eigenständigen Zugriff auf die Marxsche Theorie herausbildete. Entsprechend ist im Hinblick auf die italienische Auseinandersetzung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zwischen einer kampftheoretischen und stärker auf die politisch-revolutionäre Praxis bezogenen Theorieströmung einerseits sowie der in stärkerem Maße „akademischen" Marx-Debatte andererseits zu unterscheiden. Die Differenz zwischen „akademischem Marxismus" und „militantem Marxismus" erreichte Giacomo Marramao zufolge in Italien in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ihren Höhepunkt.40 In diesem Kontext ist insbesondere der sog. Operaismus der 60er Jahre von Relevanz, eine kommunistischrevolutionäre Bewegung, die zwar in Italien ihren Ursprung hatte und ihre größte Wirkung

Theorie zu historisieren, in: Das Argument 110 (1978), S. 486. Dabei war das Studium des Kapital von Bedeutung. Wolfgang Fritz Haug, der Herausgeber des Arguments, insistierte 1972 auf dem vermeintlichen inneren Zusammenhang zwischen der Kritik der politischen Ökonomie und dem Marxschen Sozialismus. Siehe Wolfgang Fritz Haug, Die Bedeutung von Standpunkt und sozialistischer Perspektive für die Kritik der politischen Ökonomie, in: Das Argument 74 (1972), S. 56Iff. 38 Siehe Lucio Colletti, A Political and Philosophical Interview, in: New Left Review 86 (1974), S. 5. 39 Siehe John Fraser, An Introduction to the Thought of Galvano della Volpe, London 1977, S. 15. 40 Siehe Giacomo Marramao, Kritische Bemerkungen zur Korsch-Rezeption in Italien, in: Claudio Pozzoli (Hg.), Über Karl Korsch (= Jahrbuch Arbeiterbewegung 1), Frankfurt/M. 1973, S. 217.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

entfaltete, die aber durchaus auch auf andere Länder ausstrahlte.41 Politisch stand die operaistische Bewegung im Unterschied zu den etablierten Arbeiterorganisationen für den konsequenten Kampf gegen die Arbeit, wobei der verhältnismäßig neuartige Typus des „Massenarbeiters" als wichtiger Bezugspunkt diente.42 Die von Raniero Panzieri gegründete Zeitschrift Quaderni Rossi spielte für die Entwicklung der operaistischen Theorie eine zentrale Rolle. Claudio Pozzoli beschreibt die Auseinandersetzung mit dem Marxschen Werk als zentral für die Theoretiker im Umkreis dieser Zeitschrift. Dabei sei die Kritik der politischen Ökonomie zum entscheidenden Bezugspunkt geworden. „Dem ,Kapital' und den ,Grundrissen'", so schreibt Pozzoli, „werden die Interpretationskategorien für eine Analyse der italienischen Gesellschaft in revolutionärer Absicht entnommen."43 Um 1963/64 entstand nach einer Spaltung der Gruppe um die Quaderni Rossi das Periodikum Classe Operaia, an dem auch Mario Tronti (wie zuvor an den Quaderni Rossi) mitarbeitete. Insbesondere diese beiden Denker, Tronti und (der bereits 1964 verstorbene) Raniero Panzieri, standen innerhalb des Operaismus fur eine intensive Auseinandersetzung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Mario Tronti strebte dabei nach einer Aneignung des Marxschen Denkens von einem revolutionären Klassenstandpunkt aus. Die Arbeitswerttheorie ist Tronti zufolge nicht vom Politischen zu trennen: „Für Marx ist Arbeitswert eine politische These, eine revolutionäre Losung; nicht aber ein Gesetz der Ökonomie oder ein Mittel der wissenschaftlichen Interpretation gesellschaftlicher Phänomene; oder besser: er beinhaltet diese beiden letzten Bestimmungen, aber auf der Grundlage der ersten und und als deren Konsequenz."44 Die Arbeit sei - so führt Tronti aus - deshalb Wertmaß, „weil die Arbeiterklasse Bedingung des Kapitals ist. Dieser politische Schluss ist der wahre, vorausgesetzte Ausgangspunkt der Marxschen ökonomischen Analyse selbst."45 In den 70er Jahren sollte die operaistische Bewegung einen weiteren politisch-theoretischen Entwicklungsprozess durchlaufen, wobei weiterhin der Bezug auf die Marxsche Theorie einen wichtigen Stellenwert einnahm.

41 Zur Rezeption des italienischen Operaismus in Teilen der westdeutschen Linken der 70er Jahre siehe Angelika Ebbinghaus, Die „andere" Arbeiterbewegung. Operaistische Strömungen in den 1970er Jahren, in: Arno Klönne u. a. (Hg.), Fluchtpunkte. Das soziale Gedächtnis der Arbeiterbewegung, Hamburg 2003, S. 241. 42 En Detail zur Geschichte und insbesondere zur Theoriegeschichte des Operaismus siehe Steve Wright, Storming Heaven. Class Composition and Struggle in Italian Autonomist Marxism, London 2002. 43 Claudio Pozzoli, Notiz des Herausgebers, in: Claudio Pozzoli (Hg.), Spätkapitalismus und Klassenkampf. Eine Auswahl aus den „Quaderni Rossi", Frankfurt/M. 1972, S. 7. 44 Mario Tronti, Marx, Arbeitskraft, Arbeiterklasse, in: Mario Tronti, Arbeiter und Kapital, Frankfurt/M. 1974, S. 192. Dieser Text stammt aus dem Jahr 1965. 45 Ebd., S. 193.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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Die französischen Maiereignisse von 1968 können (vielleicht neben dem italienischen Heißen Herbst von 1969) als Höhepunkt der Revolte in Westeuropa gelten - die in Frankreich und Italien nicht nur eine Studenten-, sondern auch eine Arbeiterrevolte war. Die Maiereignisse selbst und die ersten Jahre danach waren durch das Erstarken von trotzkistischen und maoistischen Gruppierungen geprägt. In theoretischer und politischer Hinsicht noch wichtiger als die ausländischen Einflüsse auf die französische Marxismus-Rezeption war in den 60er und 70er Jahren die „innerfranzösische" Entwicklung der an Marxscher bzw. marxistischer Theorie orientierten Diskussion. 46 Zwar hatte sich die KPF lange Zeit einer konsequenten Entstalinisierung widersetzt, teilweise auch noch nach 1956. Doch schon vor dem Mai 1968 hatte sich in Frankreich ein breites und heterogenes Feld emanzipatorischer Philosophie und Gesellschaftstheorie herausgebildet, 47 wobei der Bezug auf Marx bisweilen eine wichtige Rolle spielte. Bereits vor den Maiereignissen von 1968 existierte eine intellektuelle Atmosphäre, in der Teile des französischen Marxismus um eine von Dogmatismus befreite Neuaneignung der Marxschen Theorie - insbesondere des Kapital - bemüht waren. Die theoretisch bedeutendsten Denkprozesse im Spannungsfeld von Theorie und Politik in den 60er und 70er Jahren wurden durch Louis Althusser und seine Schule geleistet.48 Mit Blick auf den Theorieansatz von Louis Althusser ist die Tatsache bedeutsam, dass er seine theoretischen Interventionen in den frühen und mittleren 60er Jahren in einer historischen Situation leistete, in der die marxistische Theorie mit dem Gegensatz von post-stalinistischem Dogmatismus und einer das marxistische Denken vermeintlich „aufweichenden" Entdogmatisierung konfrontiert war. Althusser schuf innerhalb der marxistischen Theorie eine Alternative zu diesem Gegensatz, indem er mit seiner Rezeption des Überdeterminationsbegriffs aus der psychoanalytischen Theorie die marxistische Theoriebildung in Richtung einer größeren Komplexität öffnete, ohne jedoch den Anspruch auf theoretische Strenge und marxistische Orthodoxie aufzugeben. Damit hat er entscheidend zu einer theoretisch-politischen „Erneuerung" des Marxismus in den 60er Jahren beigetragen. Althusser zielte insbesondere darauf, die Marxsche Dialektik von der Hegeischen Dialektik abzusetzen.

46 Zur historischen Entwicklung des französischen Marxismus im 20. Jahrhundert siehe Sunil Khilnani, French Marxism - existentialism to structuralism, in: Terence Ball, Richard Bellamy (Hg.), The Cambridge History of Twentieth-Century Political Thought, Cambridge 2003, S. 299ff. Zur Entwicklung bis Anfang der 70er Jahre siehe auch Pradeep Bandyopadhyay, The many Faces of French Marxism, in: Science and Society 36/2 (1972), S. 129ff. 47 Zu diesem Feld sind u. a. der marxistische Philosoph Lucien Goldmann, der Situationist Guy Debord, die „Arguments"-Gruppe, der nicht- bzw. antimarxistische „Anarchosozialist" Cornelius Castoriadis, Jean-Paul Sartre, der 1958 aus der KPF ausgeschlossene Soziologe und Marxforscher Henri Lefèbvre (siehe u. a. Henri Lefèbvre, Karl Marx, Paris 1985) sowie der „Marxologe" Maximilien Rubel zu rechnen. 48 Der Entwicklungsprozess von Althussers Theoriebildung in den 60er und 70er Jahren in seinen verschiedenen Phasen kann im Rahmen der vorliegenden Erörterung nicht angemessen dargestellt werden. Auf Althussers Schriften, die in die Zeit vor den 60er Jahren fallen, kann in der vorliegenden Studie gar nicht eingegangen werden.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Althussers Beschäftigung mit dem Marxschen Werk kann so interpretiert werden, dass er damit durchaus auch politische Intentionen verfolgte. Althussers Zugang zur Theorie und damit auch zu den Marxschen Texten ist keineswegs im Sinne eines Verzichts auf politische Praxis zu verstehen. Entscheidend waren für ihn der Kampf (auch und gerade innerhalb der französischen KP) um eine neue marxistische Orthodoxie, und das Vorhaben, sich einen neuartigen Zugang zu wirklich revolutionärer Theorie zu erarbeiten. Althussers Bemühungen sind dabei durchaus in einem pädagogischen Sinn zu verstehen. Er wirkte als Lehrer der angehenden Elite einer neuen Generation revolutionärer Theoretiker, die den revolutionären Prozess in der Politik theoretisch begleiten sollten. Althusser beharrte auf der herausgehobenen Position führender marxistischer Theoretiker. Man muss berücksichtigen, dass Althussers theoretisches Wirken innerhalb zweier bedeutender Institutionen verortet war. Einerseits ist hier auf akademischer Seite die École Normale Supérieure zu nennen, eine der exponiertesten universitären Institutionen Frankreichs. Althussers Marx-Seminar von 1965 an der École Normale Supérieure zog einen Schülerkreis an, der in späterer Zeit das intellektuelle (und teilweise auch das politische) Leben der französischen Linken entscheidend beeinflussen sollte. Andererseits ist auf politisch-intellektueller Seite die KPF als mindestens ebenso wichtiger institutioneller Bezugspunkt zu nennen, auf deren theoretische und politische Ausrichtung Althusser Einfluss auszuüben versuchte.49 Man kann Althussers Theoriearbeit der 60er Jahre auch in einem noch spezifischeren Sinn als politische Intervention begreifen, nämlich insofern, als es sich dabei u. a. um den Versuch handelte, eine Alternative zu einer bestimmten, damals in der KPF vorhandenen Marxismus-Interpretation zu liefern. Althusser schrieb 1968, dass die Stalinismus-Kritik im Anschluss an den XX. Parteitag der KPdSU (1956) innerhalb der kommunistischen Parteien eine „kleinbürgerliche" Ideologie habe Wiederaufleben lassen, der - gemäß Althusser - eine Interpretation des Marxismus als „Humanismus" und eine Fokussierung auf das Marxsche Frühwerk sowie auf Begriffe wie „Mensch", „Entfremdung", „Aneignung des menschlichen Wesens", „Freiheit" entspricht. „Bis dahin war die Interpretation des Marxismus als ,Humanismus', d. h. die ethische, idealistische Interpretation der marxistischen Theorie, der Rückgriff auf die Frühschriften von Marx die Sache von bürgerlichen Intellektuellen oder sozialdemokratischen Ideologen oder avantgardistischen Theologen (darunter Katholiken) gewesen. Nunmehr ist es auch die Sache zahlreicher Marxisten und Kommunisten selbst."50 Nach dem XX. Parteitag der KPdSU war der Versuch einer „Entstalinisierung" des französischen Kommunismus der sich die KPF teilweise widersetzte - mit dem Aufkommen einer „humanistischen" Marx-Interpretation innerhalb der KPF verbunden, die ansonsten auch außerhalb der französischen KP vorangetrieben wurde. Genau diese Tendenz war es, gegen die Althussers Kritik sich richtete und gegen die er seine eigene, davon grundverschiedene 49 Hier kann nicht näher auf die verschiedenen Entwicklungsphasen des Verhältnisses von Althusser zur KPF eingegangen werden. 50 Louis Althusser, Von „Das Kapital lesen" (1965) bis „Lenin und die Philosophie" (1968) - Entwurf eines Vorworts, in: Louis Althusser, Elemente der Selbstkritik, Berlin/West 1975, S. 101.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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(„anti-humanistische") Marx-Interpretation ausrichtete. Als wichtiger Protagonist eines humanistisch orientierten Marxismus innerhalb der KPF der post-stalinistischen Ära war es insbesondere Roger Garaudy, dessen Position derjenigen von Louis Althusser entgegenstand, der wiederum nicht von seinem „theoretischen Antihumanismus" abgehen wollte.51 In der zweiten Hälfte der 60er Jahre, in etwa um 1967, bewegte sich Althusser stärker als zuvor in eine Richtung, die letztlich beinahe auf einen durch den „Primat der Politik" geprägten Standpunkt hinauslief. Althusser Position, die zuvor eher dem Prinzip einer Autonomie der Theorie gegenüber der Politik nahe gestanden war, verschob sich nun in eine „überpolitisierende" Richtung.52 Lenin wurde nun zu einem ganz zentralen Bezugspunkt von Althussers Denken. Althusser betonte besonders nachdrücklich die Rolle des Klassenkampfs. So schrieb er Anfang 1971: Die „gesamte Theorie von Marx, d. h. der von Marx begründeten Wissenschaff', worunter Althusser den historischen Materialismus versteht, „und der von Marx eröffneten Philosophie", hierunter versteht Althusser einen neubestimmten dialektischen Materialismus, „hat als Zentrum und Herz den Klassenkampf."53 Aber nicht nur in Althussers eigenem theoretischen Werk, sondern auch in der Kritik an Althussers Theoriebildung waren politische Implikationen präsent. Jacques Rancière, einer der theoretisch bedeutendsten Schüler Althussers und Mitautor am Lire Le CapitalProjekt, sollte in späterer Zeit, nach seiner Trennung von der Althusser-Schule und seiner Hinwendung zum Maoismus, gegen die „reactionary political foundations"54 dieses Theorieprojekts zu Felde ziehen, dem auch seine eigene, in Lire Le Capital eingegangene Arbeit Der Begriff der Kritik und die Kritik der politischen Ökonomie von den „Pariser Manuskripten"zum „Kapital" angehörte. Rancières politisch-theoretische Wendung gegen Althusser und dessen Schule vollzog sich noch in den 60er Jahren.55

51 Zu Garaudy und Althusser siehe Robert Geerlandt, Garaudy et Althusser. Le débat sur l'humanisme dans le Parti Communiste Francais et son enjeu, Paris 1978. Zur Diskussion des ZK der KPF in Argenteuil im Jahr 1966 bzw. zur Reaktion darauf siehe u. a. Tony Judt, Marxism and the French Left, Oxford 1986, S. 192f.; Bruno Schoch, Marxismus in Frankreich seit 1945, Frankfurt/M. 1980, S. 223f.; Sunil Khilnani, Revolutionsdonner. Die französische Linke nach 1945, Hamburg 1995, S. 162fif. 52 Zu Althussers politisch-theoretischer Positionsverschiebung um 1967 siehe u. a. Gregory Elliott, Althusser. The Detour of Theory, London 1987, S. 197ff. 53 Louis Althusser, Anmerkungen zum Verhältnis von Marxismus und Klassenkampf, in: Louis Althusser, Elemente der Selbstkritik, Berlin/West 1975, S. 104. Mit Blick auf Althussers theoretische Interventionen um 1970 erscheint insbesondere seine Theorie der „ideologischen Staatsapparate" als zentral, worauf hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann. 54 Jacques Rancière, How to use Lire le Capital, in: Ali Rattansi (Hg.), Ideology, Method and Marx. Essays from Economy and Society, London, New York 1989, S. 181. 55 Zu Rancières Althusser-Kritik siehe Jacques Rancière, Wider den akademischen Marxismus, Berlin/West 1975, S. 5ff. Zur theoretisch-politischen Auseinandersetzung zwischen Louis Althusser und John Lewis (einem Theoretiker aus den Reihen der KP Großbritanniens), die gegen Anfang der 70er Jahre stattfand siehe Horst Arenz, Joachim Bischoff, Urs Jaeggi (Hg.), Was ist revolutionärer Marxismus? Kontroverse über Grundfragen marxistischer Theorie zwischen Louis Althusser und

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Der Marxismus-Historikerin Monserrat Galceran Huguet zufolge blieb im Spanien der letzten Jahre der Franco-Diktatur „die offizielle Zensur noch bestehen, mehr und mehr traten aber die Bücher, Arbeiten und Aufsätze über das, was P. Anderson" Westlichen Marxismus „nennt, in den Vordergrund."56 Einer der bekanntesten marxistischen Denker in Spanien war der Philosoph Manuel Sacristán Luzon (1925-1985). Politisch war Sacristán - noch unter der Franco-Herrschaft über Spanien - über einen längeren Zeitraum hinweg im Kontext der spanischen KP zu verorten. Von 1965 bis 1970 war Sacristán Mitglied des ZK der Partei. Gegen Ende der 60er Jahre wurden die Pariser Maiereignisse und der Prager Frühling zu Inspirationsquellen seines politischen Denkens. Bei der Schaffung der Voraussetzungen eines theoretisch avancierten spanischen Marxismus, der über lange Zeit weitgehend ein Desiderat geblieben war, ist Sacristáns theoretisches Wirken auch insofern als wichtig einzuschätzen, als er darum bemüht war, dazu beizutragen, durch Übersetzung oder Rezeption den Stand der internationalen Marxismus-Debatte nach Spanien zu transferieren und den spanischen Marx- und Marxismus-Diskurs auf das Niveau der internationalen Debatte zu heben. Diesbezüglich setzte er sich mit den Theorien von Marx, Engels, Gramsci, Lukacs, mit der Frankfurter Schule, der Deila Volpe-Schule sowie mit dem zeitgenössischen tschechoslowakischen Philosophen und Marx-Interpreten Jindrich Zeleny auseinander. Dem (in Spanien in den 70er Jahren breit rezipierten) Althusserianismus gegenüber verhielt sich Sacristán kritisch. 57 Eine inzwischen herausgegebene Sammlung von Sacristáns Schriften zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie ermöglicht einen Einblick in seine Lektüre der Grundrisse, der Theorien über den Mehrwert und des Kapital. Bemerkenswert ist, dass damit auch die Präsenz einer Rezeption der Marxschen Aufbaupläne zur Kritik der politischen Ökonomie innerhalb der spanischen Marx-Beschäftigung nachgewiesen werden kann, da sich Sacristán darum bemühte, die Aufeinanderfolge der verschiedenen Marxschen Strukturentwürfe zur Kritik der politischen Ökonomie detailgetreu nachzuvollziehen. 58 Insgesamt betrachtet leistete Sacristán einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines avancierten Marxismus in einem Land, das historisch eine schwächere marxistische Tradition besaß (und immer noch besitzt) als Italien oder Frankreich.

John Lewis, Westberlin 1973. Zu E. R Thompsons Althusser-Kritik siehe E. R Thompson, The Poverty of Theory and Other Essays, London, New York 1978. 56 Monserrat Galceran Huguet, Beschäftigung mit Marx und Engels in Spanien, in: Internationale MarxEngels-Forschung (Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF 12), Frankfurt/M. 1987, S. 263. 57 Mit Sacristáns Verhältnis zu Althusser befasst sich: Salvador López Arnal, Le renversement: Manuel Sacristán critique de Louis Althusser, in: ContreTemps 20 (2007), S. 82ff. 58 Siehe Manuel Sacristán Luzón, Escritos sobre El Capital (y textos afines). Edición de Salvador López Arnal con prólogo de Alfons Barceló y epilogo de Óscar Carpintero, Barcelona 2004, S. 138fF. Zu Sacristán siehe auch Carles Muntaner, Francisco Fernandes Buey: Manuel Sacristan, Spanish Marxist - Breaking the Pact of Silence, in: Rethinking Marxism 10/2 (1998), S. 123ff.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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Die an Marx orientierten Intellektuellen, die sich in den angelsächsischen Ländern der Nachkriegsperiode im Spannungsfeld von Theorie und Politik bewegten, hatten mit größeren Widerständen zu kämpfen als ihre italienischen oder französischen Genossen, da sie sowohl mit einem weiter verbreiteten militanten Antikommunismus, als auch mit einem stärker ausgeprägten (und auch auf der politischen Linken anzutreffenden) traditionellen theoriefeindlichen Pragmatismus konfrontiert waren. In Großbritannien 59 bildete sich infolge der internationalen politischen Ereignisse von 1956 eine „erste Neue Linke" heraus, die auf eine Erneuerung sozialistischer Politik jenseits der KP-Orthodoxie abzielte. Die „erste Neue Linke" in Großbritannien, deren vielleicht bekanntester intellektueller Repräsentant der aus der KP ausgetretene Historiker und „sozialistische Humanist" Ε. P. Thompson war, kann wiederum von einer „zweiten Neuen Linken" der 60er und 70er Jahre unterschieden werden. Einem der wichtigsten intellektuellen Protagonisten dieser „zweiten Neuen Linken", nämlich Perry Anderson, 60 ging es u. a. um die Bekanntmachung des britischen Publikums mit kontinentalen Theorieströmungen, d. h. mit dem sog. „Westlichen Marxismus". Die britischen Marxisten hatten - ursprünglich - am „Westlichen Marxismus" nicht nur keinen großen eigenen Anteil (kein einziger der herausragenden Vertreter des sog. „Westlichen Marxismus" war Brite), sondern die meisten britischen Marxisten besaßen bis zur interkulturellen Vermittlungsleistung Andersons und der von ihm herausgegebenen New Left Review i. d. R. auch weder hinreichende Kenntnis dieser „fremden" Theoretiker noch größeres Interesse an ihrem Denken. Der dann schließlich in den 60er und 70er Jahren doch noch stattgefundene Theorietransfer vom Kontinent nach Großbritannien und die auf der Insel einsetzende und sich verstärkende Rezeption des „Westlichen Marxismus" wurden von dem weitgehend in einem insularen Provinzialismus befangenen E. P. Thompson, der insbesondere an Althusser Kritik übte, mit Argwohn verfolgt. In den 60er Jahren entwickelte sich eine US-amerikanische Neue Linke.61 Bezeichnenderweise lautete die Einschätzung der US-amerikanischen Neuen Linken des Jahres 1967 durch Herbert Marcuse, diese sei - einige kleine Gruppen ausgenommen „nicht orthodox marxistisch oder sozialistisch. Sie ist charakterisiert durch ein tiefes Misstrauen gegen alle Ideologie, auch gegen die sozialistische Ideologie [...]"62 Allerdings muss angemerkt werden, dass die von Marcuse benannte Ideologiefeindschaft eine kaschierende und euphemistische Charakterisierung war, hinter der sich eine tiefsitzende 77zeon'efeindschaft verbarg. James William Chesebro zitiert Tom Hayden, einen der wichtigsten Vorreiter der Neuen Linken in den USA, mit den Worten, die Neue Linke

59 Zur dortigen Neuen Linken siehe Lin Chun, The British New Left, Edinburgh 1993. 60 Näher zu Anderson siehe Gregory Elliott: Perry Anderson. The Merciless Laboratory of History, Minneapolis 1998. 61 Theoriebildungsprozesse innerhalb der dortigen Neuen Linken werden untersucht von: Richard Guarasci, The Theory and Practice of American Marxism, 1957-1970, Lanham/USA 1980. 62 Herbert Marcuse, Ziele, Formen und Aussichten der Studentenopposition, in: Das Argument 45 (1967), S. 398.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

sei „,more on feel than theory'". 63 Für eine intensive Auseinandersetzung mit der Marxschen Ökonomiekritik war eine entsprechende Haltung nicht gerade förderlich. Während George Katsiaficas im historischen Rückblick der Neuen Linken (West-)Deutschlands „theoretical strengths" zuerkennt, spricht er hinsichtlich der US-amerikanischen Neuen Linken von einem „militant pragmatism".64 Allerdings näherten sich ab Ende der 1960er Jahre im Zuge der politischen Radikalisierung Teile der US-amerikanischen Neuen Linken verschiedenen Varianten des Marxismus bzw. Marxismus-Leninismus an. Doch wurde mit Herbert Marcuse (1898-1979) ausgerechnet ein Vertreter der Frankfurter Schule zu einem Mentor, der Teile der studentischen Opposition in den USA theoretisch und politisch begleitete. Herbert Marcuse wirkte während der Studentenrevolte als ständiger Bezugspunkt der radikalen Studenten.65 Dies war nicht zuletzt deshalb der Fall, weil sein Denken eine Alternative zur marxistischen bzw. marxistischleninistischen Orthodoxie sowjetischer Provenienz darstellte.66 Marcuse sah in den opponierenden Studenten und den protestierenden ethnischen Minderheiten zwar kein solches Subjekt des revolutionären Prozesses, das die Arbeiterklasse im eigentlichen Sinne „ersetzen" könnte, billigte ihnen aber eine Art „Vorreiter"-Funktion innerhalb eines möglichen gesellschaftlichen Befreiungs- und Umwälzungsprozesses zu. Marcuse vertrat die Auffassung, dass die emanzipatorische Theoriebildung auf die seit der Zeit von Marx stark veränderte gesellschaftliche und politische Ausgangsposition reagieren und die Theorie sich folgerichtig erneuern müsse. In diesem Kontext stehen auch Marcuses eigene Theorieansätze. 1.2.2. Lateinamerika und Asien Der bekannteste und einflussreichste marxistische Denker Lateinamerikas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Peruaner José Carlos Mariategui. Dieser Denker versuchte - gemäß Raul Fornet-Betancourt - in den 1920er Jahren bis zu seinem Tod im Jahr 1930, den marxistischen Ansatz als „Wegweiser für ein sich kreativ vollziehendes Denken zu gebrauchen, das seine historische Aufgabe darin sieht, die seinen

63 James William Chesebro, The Radical Revolutionary in America: Analysis of a Rhetorical Movement, 1 9 6 0 - 1 9 7 2 , Ann Arbor 1972, S. 96. 64 George Katsiaficas, The Imagination of the New Left: A Global Analysis of 1968, S. 181. 65 Andere marxistische Intellektuelle der angelsächsischen Welt, die Zeitgenossen Marcuses waren, stehen heutzutage hinsichtlich ihrer Bekanntheit in dessen Schatten, u. a. der Ökonom Paul Sweezy und die marxistische Humanistin Raya Dunayevskaya aus den USA sowie der trotzkistische Historiker Isaac Deutscher aus Großbritannien. Nicht vergessen werden sollte der deutsch-amerikanische Ökonom und Rätekommunist Paul Mattick, der jedoch intellektueller und politischer Außenseiter blieb. Von Mattick ist neben einer Aufsatzsammlung, in der er sich mit bürgerlichen und marxistischen Ökonomen auseinandersetzt - Paul Mattick, Kritik der Neomarxisten, Frankfurt/M. 1974 - auch wichtig: Paul Mattick, Marx und Keynes, Frankfurt/M. 1969. 66 Zu Marcuses eigener Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Marxismus siehe Herbert Marcuse, Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus, Neuwied 1964.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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Kontext bestimmende konkrete Wirklichkeit adäquat zu analysieren."67 Mariateguis Denken bildet eine wichtige Etappe innerhalb einer theoretisch produktiven Entwicklungslinie des marxistischen Denkens lateinamerikanischer Provenienz. Diese innovative lateinamerikanische Theorietradition wurde in den 60er Jahren erneut aktuell.68 Der brasilianische Marxismushistoriker Michael Löwy behauptet, die Kubanische Revolution - die 1958/59 stattfand und in den Folgejahren einen politisch-ideologischen Radikalisierungsprozess durchlief - habe eine intellektuelle Atmosphäre begünstigt, die einer Erneuerung des lateinamerikanischen Marxismus zum Vorteil gereicht und dessen Emanzipation vom Modell des Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung beeinflusst habe. Während der 60er Jahre, so fuhrt Löwy aus, habe Kuba „a flourishing of sociological, historical, and philosophical research" gesehen, „a witness to the existence of a creative and open Marxism", 69 welcher (gemäß Löwy) in der kubanischen Zeitschrift Pensamiento Critico Ausdruck gefunden hat.70 Entscheidend ist die Tatsache, dass die Kubanische Revolution sowohl in politischer als auch in theoretischer Hinsicht einen Stimulus nicht nur fur die Situation in Kuba, sondern für die Situation in ganz Lateinamerika darstellte. Im Spannungsfeld von Theorie und Politik ist auch das Denken eines der wichtigsten von Marx inspirierten lateinamerikanischen Philosophen der 1960er Jahre zu betrachten, der wesentlich an der Entwicklung eines undogmatischen Marxismus in Mittel- und Südamerika mitgewirkt hat. Hierbei handelt es sich um den Mexikaner Adolfo Sanchez Vazquez. Sanchez Vazquez wurde 1915 in Spanien geboren und floh nach dem Spanischen Bürgerkrieg nach Mexiko. Er ist aber insofern eher als ein lateinamerikanischer und weniger als ein europäischer Philosoph zu begreifen, als es später insbesondere Ereignisse in Lateinamerika waren, die wichtige Bezugspunkte seines politisch-philosophischen Denkens darstellten. Dies gilt insbesondere für die Kubanische Revolution. Im Jahr 1978 antwortete Sanchez Vazquez auf die Frage, was die Kubanische Revolution für ihn bedeutet habe, folgendermaßen: „Ohne meine erste lebendige und direkte Begegnung 1964 mit den Menschen und den Errungenschaften der Kubanischen Revolution, wäre mein Buch Las ideas estéticas de Marx nicht möglich gewesen, wie auch mein Vorhaben in Filosofia de la praxis, den Weg des Marxismus weiter zu gehen und dabei die Krücken der gängigen Lehrbücher links liegen zu lassen". 71 67 Raúl Fornet-Betancourt, Ein anderer Marxismus? Die philosophische Rezeption des Marxismus in Lateinamerika, Mainz 1994, S. 106. 68 Auf die lateinamerikanische Dependenztheorie, die sich insbesondere seit den 60er Jahren entwickelt hat und sich zumindest teilweise auf Theorieelemente aus der Tradition des Marxismus stützte, kann im Folgenden nicht eingegangen werden. Parallelen zwischen der Dependenztheorie und dem Denken Enrique Dussels, auf das näher einzugehen sein wird, sind aber nicht von der Hand zu weisen. 69 Michael Löwy, Introduction, in: Michael Löwy (Hg.), Marxism in Latin America from 1909 to the Present. An Anthology, New Jersey, London 1992, S. xlvii. 70 Auf die Entwicklung der marxistisch orientierten Philosophie auf Kuba in den 1960er Jahren geht näher ein: Yohanka Leon del Rio, Avatares del marxismo en la década del sesenta, o. O. 2000, im Internet: http://www.filosofia.cu/contemp/yoe003.htm (letzter Zugriff: 21.4.2007). 71 Zit. η. Stefan Gandler, Peripherer Marxismus. Kritische Theorie in Mexiko, S. 23f.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Als eine bedeutende politische Bewegung, welche einen Hintergrund der theoretischen Diskussion der Folgejahre darstellte, ist die mexikanische Studentenbewegung der 60er Jahre zu nennen, deren entscheidende Zäsur das Massaker am Platz der drei Kulturen im Oktober 1968 bildete. Stefan Gandler überliefert, wie Sanchez Vazquez die Ereignisse im Rückblick bewertete: „Auch wenn sie niedergeschlagen wurde, veränderte die 68er Bewegung die politische Physiognomie des Landes, und von da an war die Universidad Nacional nicht mehr die gleiche. Der Marxismus, vermittels seiner kritischen und antidogmatischen Richtung, verwandelte sich in eine der stärksten Denkströmungen in den Institutionen der UNAM", der Universidad Nacional Autónoma de México (einer der wichtigsten akademischen Institutionen ganz Lateinamerikas), „insbesondere auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften."72 Wolfgang Fritz Haug ist neben Stefan Gandler einer der wenigen Deutschen, die sich mit diesem mexikanischen Denker auseinandergesetzt haben. Haug hob bereits Anfang der 80er Jahre den undogmatischen Charakter von Sanchez Vazquez' Philosophie hervor. Dieser verpflichte die „marxistischen Philosophen auf die Unaufhebbarkeit von Diskussion und Streit innerhalb des Marxismus, also gegen jeden Monopolanspruch."73 Sanchez Vazquez macht die Marxsche Hinwendung zur Kategorie der Praxis als das entscheidende Moment von dessen Denken aus. Problematisch bleibt indes an der MarxInterpretation von Sanchez Vazquez, dass er sich in erster Linie auf das Marxsche Frühwerk (u. a. auf die Thesen über Feuerbach) stützt und sich mit der Kritik der politischen Ökonomie des reifen Marx in geringerem Maße auseinandersetzt - obwohl er, wie Gandler betont, in seiner Sicht auf das Marxsche Werk als ein Ganzes gerade die Idee eines radikalen Bruchs in der Marxschen Entwicklung ablehnt.74 Als eines der wichtigsten Werke von Sanchez Vazquez muss dessen Buch Filosofìa de la praxis gelten, in dem er versucht, aus der Perspektive einer Philosophie der Praxis die überlieferte marxistische Orthodoxie zu überwinden und einem davon verschiedenen Marxismusverständnis den Weg zu bahnen. Dieses Buch erschien erstmals im Jahr 1967, also noch vor dem Höhepunkt der mexikanischen Studentenbewegung, und wurde in den Folgejahren zu einem wichtigen Bezugspunkt der lateinamerikanischen Marxismus-Diskussion.75

In Japan war es in der Nachkriegszeit zu einer Intensivierung des Interesses an der Theorie von Marx gekommen. Um wichtige, im Spannungsfeld von Theorie und Politik befindliche marxistische Denkansätze, die im Japan der Nachkriegszeit diskutiert wurden,

72 Zit. n. ebd., S. 47. 73 Wolfgang Fritz Haug, Orientierungsversuche materialistischer Philosophie. Ein fragmentarischer Literaturbericht, in: Das Argument 128 (1981), S. 529. 74 Siehe Stefan Gandler, Peripherer Marxismus, S. 144. „Sanchez Vazquez besteht [...] vehement in Abgrenzung zum Althusser-Marxismus auf der Unteilbarkeit des Marxschen Werkes", so ebd., S. 191. 75 In einem im Jahr 1972 verfassten Prolog, der in der englischsprachigen Ausgabe von Sanchez Vazquez' Buch abgedruckt ist, spricht dieser selbst von einer „enthusiastic reception of this study" durch das Publikum: Adolfo Sanchez Vazquez, The Philosophy of Praxis, London, New Jersey 1977, S. xii.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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in ihrem historischen Kontext angemessen darstellen zu können, ist es zunächst notwendig, zeitlich noch weiter zurückzugehen und eine bedeutende theoretisch-politische Kontroverse des japanischen Marxismus der Zwischen- und unmittelbaren Nachkriegskriegszeit anzusprechen. 1922 organisierte sich in Japan unter der Ägide der Komintern eine Kommunistische Partei. Sie erhielt in Gestalt von verschiedenen Thesenentwürfen in den 1920er und 30er Jahren Direktiven von der Komintern, wobei die Thesen von 1932 schließlich als maßgeblich betrachtet wurden. 76 Gemäß dieser Komintern-Direktive sei die Revolution als in zwei Phasen erfolgend zu denken: zuerst gelte es, im Sinne einer bürgerlichen Revolution das Tennosystem zu beseitigen; daraufhin sei die sozialistische Revolution zu organisieren. Eine Gruppe marxistischer Wissenschaftler, die sog. „Vorlesungen-Gruppe" (Koza-Gruppe), legte in den frühen 1930er Jahren in einem mehrbändigen historischen Werk über die Entwicklung des japanischen Kapitalismus ihre Auffassungen dar, die geeignet erschienen, die durch die Komintern vorgegebene politische Strategie der KP zu stützen.77 Eine zentrale These der Koza-Gruppe lautete gemäß Setsuo Furihata, dass es sich bei der Meiji-Reform insgesamt lediglich um eine solche Umwälzung handelte, „die das rein feudale Grundeigentum in semi-feudales Grundeigentum reorganisiert hätte". 78 Hiroshi Mizuta streicht in diesem Kontext die Bedeutung des Theoretikers Moritaro Yamada (1905-1984) heraus. Yamada, „an associate professor of Tokyo Imperial University and the most influential of those authors" der Koza-Gruppe, „published a book based on his contributions" zum eben genannten mehrbändigen Werk. „The book was entitled Analysis of Japanese Capitalism [...] and called, ironically, a bible for his disciples." 79 Anders als das letztendliche Urteil der Koza-Richtung über die vergangene und die zeitgenössische ökonomische Struktur und Entwicklung Japans lautete die These, die marxistische Wissenschaftler im Umkreis der Zeitschrift , Arbeiter und Bauern" (RonoGruppe) vertraten, die sich um den kommunistischen Politiker Hitoshi Yamakawa (18801958) sammelten. Dessen Gruppierung hatte gegen die Steuerung der kommunistischen Bewegung in Japan durch die Komintern opponiert und mit der Partei gebrochen. 80 Die These der Rono-Gruppe lief auf folgende Sichtweise hinaus: Von der Rono-Gruppe wurde die Meiji-Ära im Sinne einer quasi-bürgerlichen Umwälzung und die zeitgenössische japanische Gesellschaft als bereits primär sich in eine kapitalistische Richtung entwickelnde Gesellschaft begriffen. Die Rono-Gruppe wich in einem entscheidenden Punkt von den Auffassungen der Koza-Gruppe ab, der zufolge nämlich in Japan der soziale Umwälzungsprozess in eine kapitalistische Richtung weniger weit fortgeschritten war, als sich im Anschluss an die Rono-Gruppe annehmen ließ. Entsprechend war,

76 Siehe Setsuo Furihata, Entwicklung des japanischen Kapitalismus und marxistische Wirtschaftswissenschaft in Japan, in: Prokla 66 (1987), S. 78. 77 Siehe ebd., S. 79. 78 Ebd. 79 Hiroshi Mizuta, The Japanese concept of civil society and Marx's bürgerliche Gesellschaft, in: Hiroshi Uchida (Hg.), Marx for the 21st Century, London 2006, S. 116. 80 Siehe Thomas Sekine, Translator's Introduction, in: Kozo Uno, Principles of Political Economy. Theory of a Purely Capitalist Society, Sussex, New Jersey 1980, S. xi.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

entwickelt man die Thesen der Rono-Gruppe weiter, die politische Strategie nicht auf eine zweiphasige Revolution, sondern unmittelbar auf die sozialistische Revolution hin zuzuspitzen.81 Tessa Morris-Suzuki schreibt im Hinblick auf einen der wichtigen Theoretiker der Rono-Richtung, Itsuro Sakisaka, dieser sei der vermeintlichen Tendenz der Koza-Schule, die japanische Gesellschaft der post-Meiji-Ära als ein eher statisches Gebilde zu betrachten, kritisch entgegengetreten. Der Ansatz der Koza-Schule - so habe Sakisaka kritisiert - „entirely ignores the profound changes that have occurred, and continue to occur, within the system - above all the gradual transformation of the peasantry into a modern proletariat."82 Die theoretische (und in zweiter Linie auch politische) Kontroverse zwischen der Koza- und der Rono-Gruppe prägte das marxistische Milieu der 1930er Jahre,83 das jedoch unter dem Druck der staatlichen Repression in Japan bis 1945 immer brutaler unterdrückt wurde. In der Nachkriegszeit konstituierte sich sowohl ein „Neo"-Koza- als auch ein „Neo"Rono-Ansatz. Ersterer stand nach wie vor der offiziellen Parteilinie der KPJ nahe und knüpfte so an die Koza-Strömung der Zwischenkriegszeit an. Nach einer kurzen Phase der Radikalisierung gegen Anfang der 1950er Jahre (der Periode des sog. „MolotowCocktail-Programms") wandte sich die KPJ ab der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts einem gemäßigteren und sich sukzessive auf die politische Perspektive der „Strukturreformen" hin orientierenden Kurs zu. Hierbei besteht durchaus eine Parallele zur KP Italiens; beide Parteien wiesen gewisse Züge einer Antizipation des späteren Eurokommunismus auf. Die „Neo"-Rono-Strömung bewegte sich im Umkreis des nicht-parteikommunistischen, linkssozialistischen Spektrums. Itsuro Sakisaka (1897-1985), der schon in den 30er Jahren zu den wichtigen Theoretikern der Rono-Strömung gehört hatte, wurde zu einem fuhrenden Protagonisten einer politisch-theoretisch ausgerichteten Gruppe, die ihre Wurzeln der Rono-Richtung besaß. Dabei handelt es sich um die innerhalb der Sozialistischen Partei agierende Socialist Association. Itsuro Sakisaka liefert ein Beispiel dafür, dass der Marxismus-Leninismus auch von japanischen Linksintellektuellen außerhalb der KPJ angenommen wurde. „Although Sakisaka argued that Japan's revolution would pursue its own peaceful course, he did not criticize the shortcomings of the Soviet experience; nor did he limit the validity of Marxism-Leninism to the Soviet Union. He envisaged the JSP", d. h. die japanische Sozialistische Partei, „as a party

81 Siehe Setsuo Furihata, Entwicklung des japanischen Kapitalismus und marxistische Wirtschaftswissenschaft in Japan, S. 79f. 82 Tessa Morris-Suzuki, History of Japanese Economic Thought, London, New York 1989, S. 87. 83 Zur Kontroverse zwischen der Koza- und der Rono-Richtung: Germaine Α. Hoston, Marxism and the Crisis of Development in Prewar Japan, Princeton 1986, S. 35ff.; Kaoru Sugihara, Le débat sur le capitalisme japonais (1927-1937), in: Jacques Bidet, Jacques Texier (Hg.), Le Marxisme au Japon (= Actuel Marx 2), Paris 1987, S. 24ff.; Makato Itoh, Value and Crisis. Essays on Marxian Economics in Japan, London 1980, S. 22ff.; Curtis Anderson Gayle, Marxist History and Postwar Japanese Nationalism, London, New York 2003, S. 24f.; Curtis Anderson Gayle, Marxistische Geschichtstheorie im modernen Japan, in: Hans Martin Krämer, Tino Scholz, Sebastian Conrad (Hg.), Geschichtswissenschaft in Japan. Themen, Ansätze und Theorien, Göttingen 2006, S. 92f.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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ideologically based on Marxism-Leninism [,..]"84 Indes war Sakisaka in der Nachkriegszeit gleichermaßen politisch und theoretisch - auch in der Marxforschung - aktiv.85 Ab 1947 erschien eine Übersetzung aller drei Kapital-Bände aus Sakisakas Feder. Obgleich in der Nachkriegszeit die im KPJ-Umfeld herrschende marxistisch-leninistische Theorieorthodoxie unter den japanischen Linksintellektuellen über einen großen Einfluss verfugte, ist es andererseits auch angebracht, auf marxistisch orientierte japanische Intellektuelle einzugehen, deren politisch-theoretisches Wirken in der Nachkriegszeit eine Alternative zur Theorieorthodoxie der KPJ darstellte und zur „Entstalinisierung" der japanischen Linksintelligenz beitrug. Als eine „alternative" (und überdies ziemlich einflussreiche) Denkströmung innerhalb des japanischen Marxismus, die sich unter Abgrenzung vom theoretischen Stalinismus ab den 60er Jahren entwickelte, ist beispielsweise die „Civil Society"-Schule anzuführen; innerhalb dieser Theorierichtung übte Kiyoaki Hirata aus einer auf Marx selbst zurückgreifenden Perspektive Kritik am real existierenden Sozialismus. Doch diese Theorierichtung war nicht die einzige, innerhalb der Kritik entweder am Realsozialismus oder am theoretischen Stalinismus geübt wurde. Ein Intellektueller, der im Zuge des Versuchs der „Entstalinisierung" der japanischen Linken bereits in den 1950er Jahren eine beachtliche Wirkung entfaltete, war Tadayuki Tsushima (1901-1979). Insbesondere gegenüber dem politisch-gesellschaftlichen System der UdSSR war Tsushima äußerst kritisch eingestellt und sprach ihm den sozialistischen Charakter ab. Für den überzeugten Antistalinisten war die UdSSR ein staatskapitalistisches Land, in dem eine bürokratische Diktatur herrschte. Tsushima stellte sich auf den Standpunkt, dass innerhalb einer sozialistischen Gesellschaft kein Wertgesetz existiere, die in einem Produkt vergegenständlichte Arbeit nicht die Form des Wertes annehme, also der Wert selbst und die Wertform inexistent seien. Tsushimas Auffassung lässt sich folgendermaßen ergänzen: Denkt man die Marxsche Theorie in einer bestimmten Richtung weiter, so erschließt sich, dass in einer sozialistischen Gesellschaft die Arbeitsprodukte aus unmittelbar vergesellschafteter Arbeit resultieren, nicht aber - wie in der kapitalistischen Gesellschaft - aus Privatarbeit, die erst innerhalb des Austauschprozesses den Charakter allgemein-gesellschaftlicher Arbeit annimmt. Der Wertcharakter und die Warenform der Arbeitsprodukte innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise ergeben sich notwendig auf der Basis einer bestimmten historisch-spezifischen Vergesellschaftungsweise der Arbeit. Aber diese muss in der sozialistischen Gesellschaft aufgehoben sein. Stalins Auffassung lief jedoch darauf hinaus, dass das Wertgesetz auch in einer sozialistischen Gesellschaft existieren könne. Davon war Stalin mit seiner Spätschrift Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR (1952) ausgegangen. Tsushima kritisierte diese Schrift in seinem Werk Mythen des Kremls von 1956, in dem er Stalin theoretisches Unverständnis vorwarf. Für den Japaner bedeutete die Existenz des Wertgesetzes, dass es sich bei der sowjetischen Gesellschaft keineswegs um eine sozialistische handeln konnte. Die Nichtexistenz der Kategorien Wert und Geld innerhalb der

84 Germaine A. Hoston, Marxism and the Crisis of Development in Prewar Japan, S. 281. 85 Siehe Makato Itoh, Value and Crisis, S. 35f.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

sozialistischen Produktionsweise ergab sich für Tsushima notwendig auf der Grundlage der Marxschen Werttheorie.86 Auf einen weiteren Kritiker des Stalinismus muss etwas ausführlicher eingegangen werden. In den 1950er und 60er entfaltete sich in Japan eine ökonomische Denkschule, die nach ihrem Gründer und „Lehrmeister" Kozo Uno (1897-1977) als Uno-Schule bezeichnet wird und zahlreiche an marxistischer Theoriebildung interessierte Intellektuelle anzog. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss klargestellt werden, dass Uno keineswegs als eine politische Führungsfigur bezeichnet werden kann. Er selbst vermied es, sich politisch zu sehr zu exponieren. Aber Kozo Uno und seine Schule bildeten für viele junge Intellektuelle eine überzeugende theoretische Alternative zum Marxismus-Leninismus, von dem sich Uno konsequent absetzte. So diente Unos Denken als Bezugspunkt für einen Teil derjenigen an Marx orientierten Intellektuellen, die sich nicht mit dem orthodoxen Marxismus-Leninismus und seinen japanischen Adepten anfreunden konnten. Insofern hat sein Denken gerade auch innerhalb des Spannungsfeldes von Theorie und Politik gewirkt. Ein wichtiges Differenzkriterium der Theorie Kozo Unos gegenüber dem Marxismus-Leninismus lag darin, dass Uno der Lehre des dialektischen Materialismus kritisch gegenüberstand. Seine Revision des überlieferten Marxismusverständnisses der japanischen und internationalen Orthodoxie erstreckte sich auch auf das Postulat der „Einheit von Theorie und Praxis". Kozo Uno brach mit dieser für den Marxismus-Leninismus maßgeblichen Doktrin. Kozo Uno selbst legte Wert auf die Abtrennung des Theoriebildungsprozesses von einer unmittelbar politischen Betätigung. Daher ging und geht die Zugehörigkeit zur Uno-Schule keineswegs notwendig mit einer bestimmten politischen Positionierung einher. Übrigens sah sich Uno in seinem Selbstverständnis gar nicht als Marxist, obwohl er sich theoretisch in die Tradition von Marx stellte. Der Terminus „Marxist" schloss für Uno die intensive Beteiligung an politischer Praxis ein, weshalb er - trotz seiner Sympathie für Marx und den Sozialismus - diese Bezeichnung für sich selbst zurückwies.87 Trotz seiner Tendenz zur vermeintlichen Praxisabstinenz und zur Abtrennung von Theoriebildungsprozess und unmittelbar politischer Betätigung, scheute Uno keineswegs davor zurück, offene Kritik am Stalinismus zu üben. Dies leistete er bereits in den 1950er Jahren. Kozo Uno vertrat gegenüber der Auffassung Stalins zur angeblichen

86 Siehe Tadayuki Tsushima, Understanding „Labor Certificates" on the Basis of the Theory of Value The Law of Value and Socialism, o. O. 1956, im Internet: http://www.marxists.org/subject/japan/ tsushima/labor-certificates.htm (letzter Zugriff: 6.4.2007). Marx selbst schrieb in der Kritik des Gothaer Programms: „Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren." (MEW 19, S. 19f.) 87 Siehe u. a. Hyeon-Soo Joe, Politische Ökonomie als Gesellschaftstheorie. Studien zur Marx-Rezeption von Isaak Iljitsch Rubin und Kozo Uno, Marburg 1995, S. 139.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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Fortgeltung des Wertgesetzes im Sozialismus die Ansicht, dass eine sozialistische Wirtschaft „should aim at the abolition of economic laws, such as the law of value, dominant in capitalist society".88 Kozo Unos Theorie wurde ihrerseits ein Objekt vehementer Kritik seitens orthodoxer Marxisten-Leninisten innerhalb der japanischen Linksintelligenz. Wichtig im Kontext des Spannungsfeldes von Theorie und Politik ist auch der Aspekt, dass Kozo Uno der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie „wissenschaftlichen" Charakter zuerkannte, während er hingegen dem historischen Materialismus nur den Stellenwert einer „ideologischen" Hypothese beimaß. Dieser „häretische" Gedanke ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass dem historischen Materialismus im Theorieverständnis von KPJ-nahen japanischen Intellektuellen eine große wissenschaftliche Bedeutung zukam. Der Uno-Schüler Thomas Sekine gibt die Auffassung der Uno-Schule folgendermaßen wieder: „Socialism never becomes a science; it remains an ideology. Socialism does not become even more defensible because of the formulation of the materialistic conception of history. The conception (otherwise known as historical materialism)" sei „an ideological hypothesis."89 Die politische Ökonomie sei die wissenschaftliche Basis des Marxismus. Aber „Marxism (including socialism) is not a science; it is an ideology based on scientific achievements."90 Offensichtlich brach Uno als einer der einflussreichsten an Marxscher Theorie orientierten Denker in Japan mit der in der marxistischen Orthodoxie über lange Zeit tradierten Auffassung von einem „wissenschaftlichen Sozialismus" - ohne allerdings die Befürwortung des Sozialismus im Sinne eines politischen Standpunktes aufzugeben. Der Marxismushistoriker Hiroomi Fukuzawa behauptet, Unos Hauptwerk Keizai Genron von Beginn der 50er Jahre habe seine Wirkung u. a. Unos Behauptung verdankt, dass es notwendig sei, die politische Ökonomie als Wissenschaft von der Frage der politischen Nutzbarmachung der Theoriebildung abzutrennen. Fukuzawa fugt hinzu: „Die Brisanz seiner Behauptung ist nur vorstellbar, wenn man das damalige marxistische Lager kennt, in dem jegliche Kritik an Marx sofort dazu führte, den Kritisierenden als antimarxistisch abzustempeln und in dem die marxistische Theorie als die Dienerin der Politik zum Zweck der Revolution verstanden wurde."91 Unos Ansichten bewirkten jedoch keineswegs, dass er für die gesamte politisch aktive intellektuelle Linke in Japan diskreditiert war. Einer der wichtigsten Bezugspunkte der japanischen Studentenbewegung der 1960er Jahre war neben dem Protest gegen den Vietnamkrieg insbesondere die Ablehnung des militärisch-„sicherheitspolitischen" Bündnisses zwischen Japan und den USA, was in den militanten Protesten gegen die japanisch-amerikanischen „Sicherheitsverträge" von 1960 und 1970 zum Ausdruck kam. Die linke studentische Dachorganisation Zengakuren (Alljapanischer Verband der stu-

88 Makoto Itoh, Marx's economic theory and the prospects for socialism, in: Hiroshi Uchida (Hg.), Marx for the 21st Century, London, New York 2006, S. 23. 89 Thomas Sekine, Uno-Riron: A Japanese Contribution to Marxian Political Economy, in: Journal of Economic Literature 13 (1975), S. 850f. 90 Ebd., S. 851. 91 Hiroomi Fukuzawa, Aspekte der Marx-Rezeption in Japan. Spätkapitalisierung und ihre sozioökonomischen Folgen, dargestellt am Beispiel der japanischen Gesellschaft, Bochum 1981, S. 140.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

dentischen Selbstverwaltungen) war bereits im Jahr 1948 gegründet worden. Sie durchlief in den Folgejahren, nachdem sie bis zur Herausbildung der japanischen Neuen Linken in der zweiten Hälfte der 50er Jahre mehr oder minder unter der Kontrolle der KPJ gestanden hatte, einen Radikalisierungsprozess. Seit den späten 50er Jahren bildete sich in Japan die in einem ständigen Umgruppierungsprozess befindliche Neue Linke heraus, d. h. eine Linke jenseits des klassischen moskauorientierten Parteikommunismus sowie des Marxismus der Sozialistischen Partei. In den späten 1960er Jahren hatte sich das Spektrum der studentischen Linken in eine unübersichtliche Struktur miteinander rivalisierender (und teilweise einander gewaltsam bekämpfender) parteikommunistischer, linkssozialistischer, trotzkistischer, maoistischer und anarchistischer Gruppen entwickelt. 92 Trotz der Trennung von „Wissenschaft" einerseits und sozialistischer „Ideologie" andererseits, und trotz der eigenen „akademischen" Praxisabstinenz übte Unos Theorieansatz auf Teile der japanischen Neuen Linken eine gewisse Anziehungskraft aus. Andrew Barshay schildert die Situation folgendermaßen: „This same combination of a demonstrated anti-Stalinism (Stalin being portrayed as willfully distorting Marxism) with a powerful systematizing drive that provided Uno's economics its academic bona fides may also have made it attractive to elements of the radical student movement and a left-wing fraction of the Socialist Party."93 Dies gilt beispielsweise fur Theoriebildungsprozesse innerhalb des Bundes der Kommunisten (nicht zu verwechseln mit der KPJ), einer der bekanntesten Organisationen der Neuen Linken, die 1958 gegründet worden war. Kozo Unos Theorie wurde nicht zuletzt seitens des antistalinistischen Theoretikers Kan'ichi Kuroda kritisch gewürdigt. 94 Kuroda war in der Entstehungszeit der Neuen Linken ein theoretischer Kopf des im Jahr 1957 aus dem Japanischen Trotzkistenbund hervorgegangenen Japanischen Bundes Revolutionärer Kommunisten. 95 Bemerkenswert an Kurodas Interpretation der Darstellung der Marxschen Ökonomiekritik ist die Tatsache, dass er sich bereits in den 60er Jahren gegen die Deutung der Marxschen Warentheorie als Theorie einer (historischen, vorkapitalistischen) „einfachen Warenproduktion" aussprach. Im Werk Kurodas liegt der politische Bezug seiner ATapz'ta/-Interpretation auf der Hand. Kuroda schrieb in den 60er Jahren, Das Kapital sei „a mental weapon for the self-liberation of the proletariat all over the world, as well as being the monumental achievement of Marxism." 96 In politisch-theoretischer Hinsicht kam es Kuroda darauf an, den zeitgenössischen europäischen sowie den asiatischen „real existierenden Sozialismus" in kritischer Absicht vom Denken von Marx und Lenin abzusetzen: „The

92 Eine detaillierte Übersicht zu den verschiedenen Gruppen und Organisationen findet sich bei Gavan McCormack, The Student Left in Japan, in: New Left Review 65 (1971), S. 37ff. 93 Andrew E. Barshay, The Social Sciences in Modern Japan. The Marxian and Modernist Traditions, Berkeley u. a. 2004, S. 124. 94 Siehe Kan'ichi Kuroda, Engels' Political Economy. On the Difference in Philosophy between Karl Marx and Friedrich Engels, Tokio 2000. 95 Siehe Claudia Derichs, Japans Neue Linke. Soziale Bewegung und außerparlamentarische Opposition, 1 9 5 7 - 1 9 9 4 , Hamburg 1995, S. 63. 96 Kan'ichi Kuroda, Engels' Political Economy, S. 221.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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socialist Soviet Union, realized through the Russian revolution in 1917, has undergone Stalinist degeneration. It exists as something alike in appearance but quite different in nature from the socialism envisaged by Marx and Lenin. This is not restricted to the contemporary Soviet Union. The so-called ,socialist countries' in Eastern Europe and Asia exist as something different from socialist societies or states under proletarian dictatorship clarified theoretically by Marx and Lenin."97 Zurück zu Uno selbst. Im berühmten Unterkapitel über die historische Tendenz der kapitalistischen Akkumulation innerhalb des Kapitels über die ursprüngliche Akkumulation bezieht sich Marx im Kapital auf die angebliche Notwendigkeit der Transformation des Kapitalismus in den Sozialismus. Marx schrieb: „Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalistische Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigenthum, ist die erste Negation des individuellen, auf eigne Arbeit gegründeten Privateigenthums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Nothwendigkeit eines Naturprocesses ihre eigne Negation. Es ist Negation der Negation. Diese stellt nicht das Privateigenthum wieder her, wohl aber das individuelle Eigenthum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Aera: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst producirten Produktionsmittel." (MEGA2 ILIO, S. 685) Kozo Uno sah sich genötigt, mit Blick auf diesen Punkt im Marxschen Kapital Stellung zu beziehen. Unos zentrale These lautet: Obwohl Marx sich auf eine „Notwendigkeit" des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus beziehe, „I do not believe that this necessity follows from the economic laws which Marx discusses in Capital of the motion of capitalist society."98 Uno schreibt weiter, die „reine" Theorie des Kapitalismus müsse die kapitalistische Warenökonomie darstellen „as if it were a self-perpetuating entity in order to divulge the laws of its motion. It, therefore, seems to me quite impossible for economic theory to demonstrate at the same time a transformation which involves the denial of these laws."99 Weder eine Theorie der „reinen" kapitalistischen Gesellschaft, noch eine Theorie verschiedener Stadien des Kapitalismus, noch empirische Studien zu einer konkret-historischen kapitalistischen Ökonomie können nach Uno eine ökonomische Erklärung des Übergangsprozesses zum Sozialismus bieten. Kozo Unos zentrale Auffassung lautet: „In any case, whether or not the victory of socialism is necessary depends on the practice of socialist movements, not directly on the economic laws of motion of capitalist society."100 Für die - an der Moskauer Orthodoxie orientierten - marxistisch-leninistischen Theoretiker in Japan bestand die Möglichkeit, gegen Uno einzuwenden, dass in dessen Theorie die im berühmten Unterkapitel über die historische Tendenz der kapitalistischen Akkumulation

97 Ebd., S. 15. 98 Kozo Uno, Principles of Political Economy. Theory of a Purely Capitalist Society, Sussex, New Jersey 1980, S. 125. 99 Ebd. 100 Ebd., S. 126.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN M A R X ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

gemachte Marasche Andeutung zu einer Notwendigkeit des Übergangs z u m Sozialismus keine positiv entscheidende Rolle spielte, sondern problematisiert wurde. 1 0 1 Setsuo Furihata berichtet, dass sich unter dem Eindruck des Autoritätsverlustes der japanischen KP infolge der internationalen Ereignisse v o n 1956 der Zulauf marxistischer Wissenschaftler zur Uno-Schule verstärkte und daher in späterer Zeit - so schätzt Furihata, übrigens selbst einer der bekanntesten Uno-Schüler - „von den etwa tausend Mitgliedern der Vereinigung der marxistischen Ökonomen in Japan ^Wissenschaftliche Vereinigung für Wirtschaftstheorie' - Keizai Riron Gakkai) ca. 2 0 % der Uno-Richtung zugerechnet werden konnten." 1 0 2

1.2.3. „Häretischer Marxismus" in Osteuropa Eine der bekanntesten „häretischen" Strömungen des osteuropäischen Marxismus wurde in den 1960er und 70er Jahren durch eine jugoslawische Theoretikergruppe um die Zeitschrift Praxis repräsentiert - also durch Denker wie Mihailo Markovic, Danko Grlic, Gajo Petrovic und Predrag Vranicki. Diese eher heterogene Strömung stand zumindest teilweise fur einen insbesondere am jungen Marx orientierten „theoretischen Humanismus". Innerhalb der jugoslawischen Marx-Interpretation 103 wurde dem Marxschen Früh-

101 Eine ähnliche Kritik formulierte beispielsweise Samanosuke Omiya, Zur Marx-Engels-Forschung und -Edition in Japan, in: Marx-Engels-Jahrbuch 3, Berlin/DDR 1980, S. 371ff. 102 Setsuo Furihata, Entwicklung des japanischen Kapitalismus und marxistische Wirtschaftswissenschaft in Japan, S. 83. Die Verbreitung des Marxismus in den 1960er Jahren war in den verschiedenen asiatischen Ländern sehr unterschiedlich, aber an die wissenschaftliche Intensität und theoretische Tiefe der japanischen Marx-Diskussion konnte nirgendwo anders herangereicht werden. Im Gegensatz zu Japan können auch asiatische Länder genannt werden, in denen marxistische Politik und Theorie von Anfang an niemals bedeutenden Einfluss besaßen. Dies traf und trifft beispielsweise auf die Türkei zu, die als historischer Musterfall in Sachen Antimarxismus bezeichnet werden kann. Dennoch gab es auch dort Versuche, die Marxsche Theorie heimisch zu machen, allerdings ohne großen Erfolg. Yakub Demir zufolge erschien der erste Kapital-Band in vollständiger türkischer Übersetzung erst 1966/67 - also ein Jahrhundert nach der deutschen Erstausgabe. (Siehe Yakub Demir, Das „Kapital" von Karl Marx und der Einfluss des Marxismus-Leninismus auf die türkische Arbeiterbewegung, in: „Das Kapital" von Karl Marx und seine internationale Wirkung. Beiträge ausländischer Teilnehmer an der wissenschaftlichen Session „100 Jahre ,Das Kapital' ", veranstaltet vom ZK der SED am 12. und 13. September 1967 in Berlin, Berlin/Ost 1968, S. 357ff.) Demir berichtet, das Buch sei „von Seiten der reaktionären türkischen Journalisten mit einem Schweigen voller Furcht und Zorn aufgenommen" (ebd., S. 366) worden. Wolfgang Fritz Haug berichtete Anfang der 1980er Jahre von der Folterung und Ermordung eines türkischen Marx-Verlegers. Siehe Wolfgang Fritz Haug, 1883-1983: L'oeuvre de Marx - un siècle après, in: Das Argument 139 (1983), S. 426. 103 Zur Marx- und Marxismus-Beschäftigung in Jugoslawien existiert ein Überblickswerk, das sich allerdings hauptsächlich auf die Debatten nur bis 1963 bezieht: Ludvik Vrtacic, Der jugoslawische Marxismus. Die jugoslawische Philosophie und der eigene Weg zum Sozialismus, Freiburg/Br. 1975.

1.2. DER GLOBALE AUFSCHWUNG DES MARXISMUS

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werk große Aufmerksamkeit gewidmet.104 In der jugoslawischen Diskussion, die in den 60er und 70er Jahren um das Marasche Frühwerk gefuhrt wurde, spielten insbesondere die erstmals im Jahr 1932 veröffentlichten Ökonomisch-philosophischen Manuskripte von 1844 eine Rolle. Hans-Georg Conert, der ausführlich auf die jugoslawische Marxismus-Diskussion der 1960er und 70er Jahre eingeht, behauptet: „Die unverkennbar enthusiastische Rezeption der Entfremdungskonzeption in den ,Ökonomisch-philosophischen Manuskripten' drückt zunächst ein entsprechendes Nachholbedürfnis jener jugoslawischen Philosophen aus, die während ihres Studiums in der UdSSR in den ersten Nachkriegsjahren und später auch noch in Jugoslawien nicht mit diesem Aspekt des Marxismus konfrontiert wurden und denen vermutlich in dieser Zeit die sich an die Erstveröffentlichung von 1932 anschließenden Interpretationen und Diskussionen nicht zugänglich waren."105 Der Zugang von Teilen der jugoslawischen Diskussion zum Marxschen Werk erinnert aufgrund der Fokussierung besonders auf das Frühwerk und der Betonung der Entfremdungsproblematik an eine generelle Tendenz in Teilen der westeuropäischen Marx-Diskussion der Nachkriegszeit. Dass innerhalb der Praxis-Gruppe eine Hinwendung zum Marxschen Frühwerk bedeutsam war, soll jedoch nicht heißen, dass dem Kapital oder insgesamt dem ökonomiekritischen Werk des reifen Marx in der jugoslawischen Marx-Diskussion überhaupt keine Aufmerksamkeit zugekommen wäre. Obwohl eine Übersetzung der Grundrisse erst 1979 in Jugoslawien erschien, hatte der Philosoph Gajo Petrovic, einer der bekanntesten Vertreter der Praxis-Gruppe, bereits zuvor Untersuchungen zu diesem Marxschen Manuskript von 1857/58 vorgelegt.106 Das Wirken der Praxis-Gruppe wurde durchaus im Ausland rezipiert. Zeitweise erschien neben der jugoslawischen auch noch eine internationale Ausgabe der Zeitschrift Praxis. Im Zeitraum von 1963 bis 1974 fand auf der kroatischen Adriainsel Korcula regelmäßig eine von der Praxis-Gruppe initiierte internationale Sommerschule statt, die u. a. dem Gedankenaustausch zwischen jugoslawischen und ausländischen Denkern diente. Allerdings waren Vertreter der Praxis-Gruppe mit Kritik seitens der offiziellen jugoslawischen Parteiorthodoxie und schließlich sogar mit staatlicher Repression konfrontiert 1975 wurde die Zeitschrift Praxis eingestellt.107 Eine weitere „häretische" Richtung des osteuropäischen Marxismus war die sog. Budapester Schule im Umkreis von Georg Lukacs (1885-1971). Ihm gelang es, einen Theoretikerkreis um sich zu scharen, dem in den 60er Jahren als prominenteste Mitglieder u. a. die Philosophen György Markus und Agnes Heller zuzurechnen waren.108

104 Siehe Hansgeorg Conert, Gibt es einen jugoslawischen Sozialismus? Produktionsverhältnisse und Ideologie (2. Teil), in: Das Argument 84 (1974), S. 76ff. 105 Ebd., S. 76. 106 Siehe Lino Veljak, Yugoslavia [Dissemination and reception of the Grundrisse in the world], in: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx's Grundrisse. Foundations of the critique of political economy 150 years later, New York 2008, S. 262. 107 Siehe Helga Grebing, Der Revisionismus. Von Bernstein bis zum „Prager Frühling", München 1977, S. 235f. 108 Indes sagte Lukacs in einem Interview: „Markus ist kein Schüler von mir. Markus ist zu 75 Prozent als fertiger Mensch aus Moskau zurückgekommen, und ich sage nicht, dass ich keinen Einfluss

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Ähnlich wie in der Diskussion der jugoslawischen Praxis-Gruppe spielte das Marxsche Frühwerk auch in der philosophischen Marx-Lektüre von Markus eine wichtige Rolle.109 Ein zentraler Aspekt von dessen Denken bestand darin, Marxismus und Anthropologie aufeinander zu beziehen. Agnes Heller sollte nach Lukacs' Tod die Entwicklung von der Protagonistin eines kritischen Marxismus zu einer entschiedenen Gegnerin marxistischen Denkens durchlaufen.

1.3. Von der Ausrufung der „Krise des Marxismus" bis zum Untergang des Marxismus als Massenideologie (ca. 1974-1990) Das Interesse an einer intensiven und differenzierten Auseinandersetzung mit der Marxschen Theorie nahm in der darauffolgenden Periode wieder deutlich ab, nachdem die erhofften politisch-revolutionären Veränderungen ausgeblieben waren. Dies gilt insbesondere fur Westeuropa. In Teilen Lateinamerikas und Asiens präsentierte sich hingegen sowohl in politischer wie in theoretischer Hinsicht eine Situation der offenen Entwicklung. 1.3.1. Europa und Nordamerika Im Zeitraum von Mitte der 70er Jahre bis 1989/90 gerieten die verschiedenen marxistisch orientierten politischen Kräfte in den Ländern außerhalb des realsozialistischen Machtbereichs immer mehr in die Defensive, zumindest wenn man die politischen Kräfteverhältnisse im Weltmaßstab betrachtet (Mittelamerika und Südkorea stellen sicherlich Ausnahmen dar). Diese politische Entwicklung wurde durch einen Wandel im intellektuellen Zeitgeist begleitet. In Frankreich entfaltete sich die „Nouvelle Philosophie" im Umkreis von Bernard-Henri Lévy und André Glucksmann, die wenige Jahre zuvor noch der radikalen Linken zugerechnet werden konnten und jetzt eine „antitotalitäre" und antikommunistische Position einnahmen. Das intellektuelle Klima wandelte sich und eine zugleich ambitionierte wie differenzierende Beschäftigung mit Marx traf auf immer weniger Interesse. Als eine Art „Wendejahre" sind die Jahre 1973-1979 anzusehen. Mit Blick auf diesen Zeitraum ist auf der politischen Ebene hinzuweisen auf den Niedergang radikaler sozialistischer Bewegungen in Westeuropa und Nordamerika (allen voran die Zerschlagung der italienischen Autonomia) und das Scheitern sozialistischer Transformationsversuche in Chile und anderen Ländern. Die kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs - die bedeutendsten in Westeuropa - vollzogen in diesem Zeitraum eine politische Rechtswende. Die KPI beschritt in den 70er Jahren den Weg des sog. „historischen Kompromisses", während die KPF auf ihrem XXII. Parteitag im Jahr 1976 die auf ihn ausgeübt hätte, aber als meinen Schüler kann man ihn nicht bezeichnen", so Georg Lukacs, Gelebtes Denken. Eine Autobiographie im Dialog, Frankfurt/M. 1981, S. 232. 109 Siehe György Markus, Über die erkenntnistheoretischen Ansichten des jungen Marx, in: Alfred Schmidt (Hg.), Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt/M. 1969, S. 18ff.

1.3. VON DER AUSRUFUNG DER „KRISE DES MARXISMUS" BIS ZUM UNTERGANG

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Forderung nach der Errichtung der „Diktatur des Proletariats" fallen ließ. Andererseits hat es noch einen weiteren Grund, dass man die Jahre 1973-1979 als „Wendejahre" bezeichnen muss. Durch aufsehenerregende Interventionen versuchten zwei „theoretische Führungsfiguren" des westeuropäischen Marxismus, das Publikum für eine angebliche „Krise des Marxismus" zu sensibilisieren. Die Rede von einer „Krise des Marxismus" reicht zwar historisch bis zu Karl Korsch und noch weit hinter diesen zurück, gewann aber in den 1970er Jahren eine neue Aktualität. Der ursprünglich aus der della Volpe-Schule stammende italienische Philosoph Lucio Colletti sprach im Jahr 1974 in einem vielbeachteten Interview davon, dass sich der Marxismus in einer Krise befinde. Colletti argumentierte: „Not only has the falling rate of profit not been empirically verified, but the central test of Capital itself has not yet come to pass: a socialist revolution in the advanced West. The result is that Marxism is in crisis today, and it can only surmound this crisis by acknowledging it." Aber genau diese Anerkennung der Krise werde von zahlreichen Marxisten bewusst verweigert. Dies sei im Hinblick auf die Apologeten unter den Intellektuellen innerhalb der kommunistischen Parteien nachvollziehbar, „whose function is merely to furbish a Marxist gloss for the absolutely unMarxist political practice of these parties." Viel schwerer wiege die Angelegenheit jedoch bei theoretisch wirklich bedeutenden Intellektuellen, „who systematically hide the crisis of Marxism in their work, and thereby contribute to prolonging its paralysis as a social science."110 Collettis eigene intellektuelle und politische Biographie verdeutlicht, warum die hier geschilderte Periode bis 1990 als Krisenjahre zumindest des westeuropäischen Marxismus interpretiert werden können. Einst einer der wichtigsten Protagonisten des italienischen Marxismus im Kontext der della VolpeSchule, wandte sich Colletti in späterer Zeit immer weiter nach rechts. In den 80er Jahren näherte er sich der Sozialistischen Partei an. Später zog er sogar für die Liste von Berlusconis Forza Italia ins italienische Parlament ein. Im Herbst 1977 rief auch Louis Althusser auf einer von der Gruppe um die italienische Zeitung II Manifesto (die gegenüber der italienischen KP eine eigenständige Position vertrat) organisierten Konferenz die „Krise des Marxismus" aus.111 Das Echo, das Althusser mit dieser provokanten These in Westeuropa hervorrief, ist kaum zu überschätzen. Die Krise des Marxismus war für Althusser „ein Phänomen, das in historischen und weltweiten Dimensionen die Schwierigkeiten, Widersprüche und Sackgassen betrifft, in denen sich heute die in der marxistischen Tradition stehenden revolutionären Organisationen des Klassenkampfs befinden."112 Die Krise betraf dem französischen Philosophen zufolge auch die marxistische Theoriebildung. Dabei sei die Krise des Marxismus keineswegs ein neuartiges Phänomen, auch wenn sie früher nicht wirklich

110 Lucio Colletti, A Political and Philosophical Interview, S. 21. 111 Siehe G Goshgarian, Translator's Introduction, in: Louis Althusser, Philosophy of the Encounter. Later Writings, 1978-1987, London, New York 2006, S. xxii. Detailliert zu Althussers These von der „Krise des Marxismus": Gregory Elliott, Althusser. The Detour of Theory, S. 275ff. 112 Louis Althusser, Die Krise des Marxismus, Hamburg 1978, S. 54.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

offen zutage getreten sei. Sie habe sich „für uns"m bereits in den 1930er Jahren angebahnt. Gleichzeitig sei sie aber während des Stalinismus blockiert worden. Die Krise des Marxismus wurde indes von Althusser nicht als etwas rein Negatives oder Unwandelbares begriffen, sondern auch als eine Herausforderung. Sie zwinge die Marxisten, den Marxismus zu verändern. Es sei von großer Wichtigkeit, die Schwierigkeiten, Widersprüche und Lücken anzuerkennen, die es in der marxistischen Theorietradition sehr wohl gebe. Falls die Marxisten zu einer Veränderung in der Lage seien, eröffne die Krise eine historische Chance. Die Rede von der „Krise des Marxismus" entwickelte sich schon bald zu einem geflügelten Wort. Das Zentrum der Debatte über die „Krise des Marxismus" war - nicht zuletzt aufgrund der aufsehenerregenden Interventionen von Colletti und Althusser das westliche Europa," 4 obwohl die entsprechende Debatte auch außerhalb Europas rezipiert wurde (beispielsweise in Mexiko).115 Doch nicht von allen marxistischen Theoretikern Westeuropas wurde die These von der „Krise" aufgenommen. Der Philosoph Lucien Sève, lange Zeit einer der fuhrenden Intellektuellen der KPF, wandte um 1980 ein: „Von ,Krise des Marxismus' zu sprechen, bedeutet meiner Meinung nach, eine falsche Antwort auf reale Probleme zu geben. Wir leben im Zeitalter der Revolutionen und der lebendige Marxismus ist deren zugleich kritische und schöpferische Seele."116 Zur damals in Mode gekommenen Rede von der „Krise des Marxismus" wäre allerdings im Nachhinein kritisch die Notwendigkeit einer Differenzierung anzumerken. Es muss nämlich gefragt werden, um welche Variante des Marxismus es sich handelte, die sich damals (in Westeuropa) in einer Krisensituation befand. Am ehesten war es der Marxismus im Sinne einer Einheit von Theorie und politischer Praxis, der ab Mitte der 70er Jahre in eine Krise geriet. Für die historische Theorieentwicklung des Marxismus im Sinne einer an die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie anknüpfenden Theoriebildung galt dies nicht oder zumindest nicht in gleichem Maße. Allerdings setzte in den späten 70er Jahren eine Entwicklung ein, die als eine Abkopplung der ambitionierten wissenschaftlichen Marx-Diskussion (die sich weiterhin positiv entwickelte) vom sukzessiv zurückgehenden Breiteninteresse an der Marxschen Theorie zu verstehen ist.

113 Althusser macht an dieser Stelle nicht deutlich, wen genau er mit „uns" meint: die Marxisten insgesamt im Unterschied zu den Nicht-Marxisten, die französischen oder die westeuropäischen Marxisten im Unterschied zu den anderen, oder etwas ganz anderes. 114 Auch die Westberliner Zeitschrift Prokla befasste sich mit der „Krise des Marxismus": Krise des Marxismus? (= Prokla 36), Berlin/West 1979. 115 Ein jüngerer brasilianischer Diskussionsbeitrag zu Althussers These von der „Krise des Marxismus" stammt von Miriam Limoeiro-Cardoso (Sobre Althusser e a crise do Marxismo, in: Armando Boito Jr. u. a. [Hg.], A obra teòrica de Marx. Atualidade, problemas e interpretacoes, Sao Paulo 2002, S. 107ff.) 116 Lucien Sève, Krise des Marxismus?, in: Das Argument 122 (1980), S. 523. Zur „Krise des Marxismus" siehe auch eine Darstellung Guido Liguoris, der am Beispiel der Theoriezeitschrift Critica Marxista die Entwicklung des italienischen Marxismus zwischen Theorie und Politik im Zeitraum von 1963 bis 1991 schildert (Guido Liguori, Il Marxismo Italiano tra teoria e politica. „Critica Marxista" 1963-1991, in: Critica Marxista 1/2006, S. 34).

1.3. VON DER AUSRUFUNG DER „KRISE DES MARXISMUS" BIS ZUM UNTERGANG

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In den 70er Jahren gehörte Italien nach wie vor zu denjenigen westeuropäischen Ländern, in denen die politische Auseinandersetzung eine kämpferische Form besaß. Indes fand innerhalb der sich reorganisierenden revolutionären Bewegung eine Neuorientierung statt, wobei das Konzept des „gesellschaftlichen Arbeiters" als Subjekt der Emanzipation an den Platz des „Massenarbeiters" des klassischen Operaismus der 60er Jahre trat. Damit dehnte sich die Sphäre des Kampfes von der Fabrik auf die Gesellschaft aus. Einer der intellektuellen Protagonisten des Kampfes der 70er Jahre, der Philosoph Antonio Negri, legte 1978 einen systematisch auf die Grundrisse gestützten Versuch einer Marx-Neulektüre vor (den er übrigens auf Einladung von Louis Althusser im Rahmen eines Seminars an der Ecole Normale Superiéure vorstellte). In Gestalt dieser Initiative fand die kampftheoretische Auseinandersetzung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, die sich in der intellektuellen Kultur des italienischen Operaismus der 60er Jahre herausgebildet hatte, eine spezifische Weiterentwicklung. 117 Antonio Negri maß dem GRWWI/RÄSE-Manuskript enorme theoretische und politische Bedeutung bei. Es galt ihm als „the summit of Marx's revolutionary thought". Ein Kernpunkt von Negris Perspektive auf die Grundrisse besteht darin, dass er beansprucht, diesen Text „for itself' 1 1 8 zu untersuchen - im Gegensatz zu anderen Grundrisse-Lektürzn, welche dieses Manuskript auf einen Entwicklungsschritt im Marxschen Denkprozess reduzieren, der schließlich zum Kapital führte. Die Grundrisse eröffnen - Negri zufolge - allerdings auch die Möglichkeit einer angemessenen Lektüre des Kapital. Etwa zur selben Zeit, als Negri seine Grundrisse-Lektüre vorstellte, entfaltete Harry Cleaver in den USA eine durchaus ähnliche Lektüreperspektive im Hinblick auf die Marasche Ökonomiekritik. 119 Politisch-theoretisch war Cleaver der auch in den USA vorhandenen Strömung des durch den italienischen Operaismus beeinflussten „Autonomist Marxism" zuzuordnen. Er betonte die Notwendigkeit, das Kapital politisch zu lesen und stellte die dezidiert politische Marx-Lektüre der ökonomischen und der philosophischen als Alternative gegenüber. Cleaver schreibt, dass es ihm um Folgendes geht: „to bring out the political usefulness of the analysis of value by situating the 117 Negri wurde im Zuge der gegen die radikale Linke gerichteten Repressionsmaßnahmen des italienischen Staates 1979 verhaftet und später zu mehr als 30 Jahren Haft verurteilt. Mittlerweile befindet sich Antonio Negri nach seinem Exilaufenthalt in Frankreich und der Zeit im Gefängnis wieder in Freiheit und ist (in Kooperation mit dem US-amerikanischen Literaturwissenschaftler Michael Hardt) zu einem fuhrenden Theoretiker einer postoperaistischen Theorieströmung avanciert. Diese ist vom französischen Poststrukturalismus beeinflusst und setzt seine emanzipatorischen Hoffnungen auf eine schwer fassbare „Multitude". Der postoperaistische Ansatz emanzipatorischer Theoriebildung, der von Toni Negri und Michael Hardt seit den 1990er Jahren entwickelt und schließlich insbesondere in Gestalt des Buchs Empire (siehe Toni Negri, Michael Hardt, Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt/M. 2002) vorgelegt wurde, rief kurz nach der Jahrtausendwende große Resonanz in linken und linksintellektuellen Kreisen hervor, nicht zuletzt aber auch Kritik. Dass der Bezug auf die Marxsche Ökonomiekritik in Negris Theoriebildung aus jüngerer Vergangenheit zwar immer noch präsent, allerdings neben (oder vielleicht sogar hinter) andere wesentliche Theoriebezüge getreten ist, scheint nicht von der Hand zu weisen. 118 Toni Negri, Marx beyond Marx. Lessons on the Grundrisse, London 1984, S. 15. 119 Siehe Harry Cleaver, Reading Capital Politically, Brighton 1979.

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L. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

abstract concepts" des ersten Kapitels des Kapital „within Marx's overall analysis of the class struggles of capitalist society."120 Der US-Amerikaner beansprucht, mit seinem Interpretationsansatz zum ursprünglichen Zweck des Marxschen Theoriebildungsprozesses zurück zu gelangen: Marx „wrote Capital to put a weapon in the hands of workers."121 Zu Cleaver ergänzend kann in diesem Kontext daran erinnert werden, dass Marx selbst in einem 1867 geschriebenen Brief an Johann Philipp Becker das Kapital als „das furchtbarste Missile" bezeichnete, „das den Bürgern (Grundeigentümer eingeschlossen) noch an den Kopf geschleudert worden ist" (MEW 31, S. 541).

Etwa zur selben Zeit, als in Italien der letzte großangelegte politisch-gesellschaftliche Transformationsversuch der radikalen Linken scheiterte - gegen Ende der 70er Jahre - , verloren zahlreiche westeuropäische Linke unter dem Eindruck des Aufstiegs der sog. Neuen Sozialen Bewegungen (Ökologiebewegung, Feminismus etc.) immer mehr den vormals engen Bezug zur Marxschen oder marxistischen Theorie. Ein zusätzliches Problem entstand dadurch, dass sich die Krise des Marxismus (die in der westeuropäischen Linksintelligenz in vieler Munde war) keineswegs auf den westlichen Teil Europas beschränkte. Nachdem es in Polen bereits in den Jahren 1956 und 1968 zu Protestwellen gegen das sozialistische Regime gekommen war, erlebte der antikommunistische Protest mit der Solidarnosc-Bewegung zu Beginn der 80er Jahre einen neuen Höhepunkt. Der Marxismus war zu diesem Zeitpunkt nicht nur in der Masse der polnischen Bevölkerung, sondern auch innerhalb der polnischen Intelligenz marginalisiert. Vor diesem Hintergrund meldete sich in der ersten Hälfte der 80er Jahre Adam Schaff publizistisch zu Wort, der als Direktor des Instituts für Philosophie und Soziologie an der Polnischen Akademie der Wissenschaften zu den ganz wenigen international bekannten marxistischen Denkern Polens gehörte. Was die Interpretation des Marxschen Werks betrifft, so insistierte der polnische Philosoph auf einer Einheit des Werks des jungen und des reifen Marx. Schaff trat der Reduktion der Entfremdungstheorie auf die Lehre allein des jungen Marx entgegen. Die Entfremdungstheorie habe den gesamten Schaffensprozess von Marx geprägt - auch noch die Theoriebildung in dessen reifen Lebensalter.122 Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen, aber Schaff begab sich mit seiner Verteidigung des (von ihm als offenes und undogmatisches System verstandenen) Marxismus innerhalb der Intelligenz seines sozialistischen Heimatlandes in eine Außenseiterposition. Der polnische Philosoph musste damals feststellen, dass „in Polen der Mythos vom ,Ende des Marxismus' [...] weit verbreitet ist".123 Die These von der Krise des Marxismus modifizierte Schaff allerdings zur „Krise der Marxisten". Diese sei nicht allein ein zeitgenössisches Phänomen - es habe sie auch schon 1956 gegeben, als es „damals

120 Ebd., S. 3. 121 Ebd. Ähnlich wie in seinem Buch argumentiert Cleaver auch in einem Aufsatz: Harry Cleaver, Karl Marx: Economist or Revolutionary, in: Suzanne W. Helbum, David F. Bramhall (Hg.), Marx, Schumpeter and Keynes. A Centenary Celebration, Armonk/USA 1986, S. 144. 122 Siehe Adam Schaff, Marxismus heute, in: Adam Schaff, Polen heute, Wien 1984, S. 137. 123 Adam Schaff, Die Aktualität des Marxismus, in: Adam Schaff, Polen heute, S. 171.

1.3. VON DER AUSRUFUNG DER „KRISE DES MARXISMUS" BIS ZUM UNTERGANG

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Mode" war, „Antimarxist zu sein".124 Das Interesse für Marxismus war Schaff zufolge (in der ersten Hälfte der 80er Jahre) im Westen - er selbst hatte neben seiner akademischen Tätigkeit in Polen auch eine Professur in Wien und Gastprofessuren an amerikanischen Universitäten inne - größer als in seiner Heimat.125 1.3.2. Lateinamerika, Afrika und Asien Politisch wurde der lateinamerikanische Marxismus in den 1970er Jahren durch rechtsgerichtete und von den USA unterstützte Militärputschs wie in Chile und Argentinien in die Defensive gedrängt. In Hinblick auf gesellschaftskritische und emanzipatorische Theoriebildung eröffnete sich jedoch bald in Gestalt eines bestimmten Flügels der lateinamerikanischen „Philosophie der Befreiung" ein neuer Ansatzpunkt. Die Philosophie der Befreiung entwickelte sich seit den 70er Jahren neben der Befreiungstheologie und teilt mit dieser einige Gemeinsamkeiten, ist aber nicht ohne weiteres mit ihr zu identifizieren. Innerhalb dieser durchaus heterogenen Denkströmung der Philosophie der Befreiung entwickelte eine Richtung, die durch Enrique Dussel repräsentiert wird, in den 80er Jahren einen emphatischen und neuartigen Bezug auf das Marxsche Denken. Der aus Argentinien stammende und seit Mitte der 70er Jahre in Mexiko lebende Philosoph und Theologe Enrique Dussel126 zählt zu den wichtigsten Marx-Interpreten und kritischen Gesellschaftstheoretikern südlich des Rio Grande, die sich im Spannungsfeld von Theorie und Politik bewegen. Dies gilt für die gegenwärtige lateinamerikanische Debatte, galt aber auch schon für die 1980er Jahre. Dussel betreibt seine Theoriebildung zwar aus einer spezifisch lateinamerikanischen Perspektive heraus, doch reicht seine Bedeutung weit über diesen Kontinent hinaus. Er gehört zu den Protagonisten der Befreiungsethik, womit er sich innerhalb einer bestimmten Denkrichtung der lateinamerikanischen Philosophie der Befreiung bewegt. Ein Merkmal von Dussels Theorie besteht darin, dass sie durch ein Studium des Denkens des französischen Philosophen Emmanuel Lévinas geprägt ist, wie auch durch die intensive Beschäftigung mit der Marxschen Theorie, insbesondere mit den verschiedenen Entwürfen der Kritik der politischen Ökonomie. Ein entscheidender Bezugspunkt von Dussels Denkansatz ist die Aufteilung der gegenwärtigen Welt in Zentrum und Peripherie. Die Peripherie bringt Dussel mit der Kategorie der Exteriorität zusammen, wobei er auf eine zentrale Kategorie aus dem Denken des Emmanuel Lévinas zurückgreift. Dussel geht es darum, die Völker und Kulturen der sog. Dritten Welt und insbesondere Lateinamerikas als historisch-konkrete Exteriorität im Sinne eines „Anderen" gegenüber der kapitalistischen Totalität zu begreifen. Das Verhältnis von Totalität und Exteriorität ist für Dussel sowohl hinsichtlich seiner Interpretation des gegenwärtigen kapitalistischen Weltsystems von entscheidender Bedeutung, als auch für seine Interpretation der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, da er mit Blick auf Marx das Gegenüber der Totalität des 124 Adam Schaff, Krise des Marxismus oder der Marxisten?, in: Adam Schaff, Polen heute, S. 152. 125 Siehe Adam Schaff, Den Marxismus propagieren - aber wie?, in: Adam Schaff, Polen heute, S. 160. 126 Zu Dussels Biographie siehe Hans Schelkshorn, Ethik der Befreiung. Einfuhrung in die Philosophie Enrique Dussels, Wien 1992, S. 16ff.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Kapitals und der Exteriorität der „lebendigen Arbeit" als entscheidendes Theorem begreift. Zentral für das ökonomische Verhältnis von Zentrum und Peripherie ist nach Dussel die Dependenz, deren Merkmal er in dem Transfer von Mehrwert erblickt. Der Kerngedanke Dussels kann folgendermaßen skizziert werden: Das „vertikale" soziale Verhältnis von Kapital und Arbeit sei durch Ausbeutung charakterisiert. Die Arbeit produziere innerhalb dieses Verhältnisses Mehrwert. Daneben existiert für Dussel aber noch eine „horizontale" gesellschaftliche Beziehung, die internationalen Charakter besitzt; dabei spielt der ökonomische Wettbewerb zwischen der Bourgeoisie wirtschaftlich entwickelterer und der Bourgeoisie wirtschaftlich weniger weit entwickelter Weltregionen eine entscheidende Rolle. Dieses internationale Verhältnis sei keine direkte Ausbeutungsbeziehung, wohl aber ein internationales Herrschaftsverhältnis. In diesem Verhältnis wird kein Mehrwert produziert, sondern dieser wird ζ. T. zwischen verschiedenen Weltregionen transferiert. Er fließt aus der Peripherie ins Zentrum. Dussels politisch-philosophische Perspektive läuft auf die Befürwortung einer gesellschaftlichen Befreiung in den peripheren Ländern (den Ländern der sog. Dritten Welt) hinaus, wobei sie im Sinne einer „populären Befreiung" gedacht ist. Ein wichtiger emanzipationstheoretischer Bezugspunkt ist für Dussel die Kategorie des „Volkes". Mit dem Terminus „Volk" bezieht sich Dussel auf die unterdrückten Massen, denen eine Exteriorität in dem Sinne zukommt, als sie gegenüber der Totalität das periphere „Andere" darstellen. Gemäß Dussel ist dies im Sinne einer Gegenüberstellung des Zentrums des kapitalistischen Weltsystems und der „Völker" der unterdrückten Peripherie zu konkretisieren. Diese Theorie bildet den politischen Kontext von Dussels intensiver Beschäftigung mit den verschiedenen Marxschen Texten zur Kritik der politischen Ökonomie, auf die in Teil 2 dieser Arbeit noch einzugehen sein wird. Vorerst muss noch erwähnt werden, dass sich Dussel erst längere Zeit nach seiner Entwicklung zu einem Befreiungsphilosophen (nämlich erst seit circa Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre) den Weg zu einem positiven Bezug zur Marxschen Theorie bahnte, da er in Marx zunächst einen Theoretiker in der europäischen Tradition eines bestimmten Totalitätsdenkens gesehen hatte. Erst im Zuge einer intensiven Neurezeption der Marxschen Schriften konnte Dussel in Marx einen Denker der Exteriorität erkennen.127 Dussels philosophische Entwicklung, die von einer kritischen zu einer positiveren Haltung gegenüber Marx und dem Marxismus führte, steht dem in Westeuropa an Colletti und anderen Denkern aufzeigbaren Trend der 70er und 80er Jahre entgegen.128

127 Zu Dussels Neubewertung von Marx siehe Anton Peter, Enrique Dussel. Offenbarung Gottes im Anderen, Mainz 1997, S. 72ff. 128 Mit Blick auf die lateinamerikanische Marx-Debatte der 80er Jahre wäre noch auf ein Buch von José Aricó (siehe José Aricó, Marx y América Latina, Lima 1980) hinzuweisen, das für ein gewisses Aufsehen gesorgt hat. Darin wurde behauptet, dass Marx bisweilen der sozialen und politischen Realität Lateinamerikas einigermaßen verständnislos gegenübergestanden sei.

1.3. VON DER AUSRUFUNG DER „KRISE DES MARXISMUS" BIS ZUM UNTERGANG

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Anfang der 1980er Jahre stellte Wolfgang Fritz Haug in einem Bericht über eine internationale Marx-Konferenz fest, dass der Denker aus Trier „noch immer erst im Begriff ist, in den unterschiedlichen Weltregionen anzukommen', sprachlich zugänglich zu werden, und dass dies eine Ankunft ist, die vielerorts brutale Verfolgung auf sich zieht."129 Bereits in den 1960er und 70er hatte dies in Bezug auf verschiedene Weltregionen nicht anders ausgesehen. Im Hinblick auf die Zugänglichkeit des Marxschen Werkes ist zu beachten, dass mit der Edition der Marx-Engels Collected Works (MECW), die u. a. auch fur die englischsprachigen Länder der sog. Dritten Welt konzipiert waren, erst in den 1970er Jahren begonnen worden ist. Der sowjetische Marxforscher Lew Golman schrieb im Jahr 1978 mit Blick auf die MECW: „Außerordentlich groß ist der Leserkreis, für den die englische Ausgabe bestimmt ist. Sie wird nicht nur in England und in den USA verbreitet, sondern in allen englischsprachigen Ländern - in Irland, Australien, Neuseeland, Kanada, Indien, Burma, Sri Lanka - sowie in einer Reihe anderer asiatischer und auch afrikanischer Länder, die sich erst vor kurzem vom kolonialen Joch des britischen Imperialismus befreit haben."130 In einigen Regionen der sog. Dritten Welt war (und ist) eine an Marx orientierte und theoretisch ambitionierte methodologische Diskussion aus wirtschaftlichen, politischen oder politisch-ideologischen Gründen kaum existent. Dies traf (und trifft) beispielsweise auf arabische Länder131 zu, aber auch auf Subsahara-Afrika. In den 1980er Jahren erklärte Paulin J. Hountondji - der aus Benin stammt und mittlerweile zu den bekanntesten afrikanischen Philosophen zählt die afrikanische Perspektive folgendermaßen: „We still have no real, consistent, intellectual Marxist tradition. We still continue to learn and teach our Marxism out of popular handbooks written elsewhere, especially in the Soviet Union."132 In einer anderen Schrift, die von 1976 stammt, führte der westafrikanische Philosoph aus: „Wir müssen positiv eine marxistische theoretische Tradition in unseren Ländern befördern - eine widerspruchsvolle wissenschaftliche Debatte rund um das Werk von Marx und seinen Nachfolgern. Denn eines wollen wir nicht vergessen: Der Marxismus ist selbst eine Tradition, eine vielfältige Debatte auf den theoretischen Grundlagen, die Marx gelegt hat." Hountondji bedauert, dass im Hinblick auf die marxistische Diskussion noch immer

129 Wolfgang Fritz Haug, 1883-1983: L'oeuvre de Marx - un siècle après, S. 428. 130 Lew Golman, Die Herausgabe der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels in englischer Sprache, in: Marx-Engels-Jahrbuch 1, Berlin/Ost 1978, S. 436. 131 Es liegt ein Beitrag aus den 80er Jahren zur Situation der Marx-Edition in arabischer Sprache vor: Sobhye Mchaurab, Marx auf Arabisch: Stand, Probleme und Aufgaben bei der Übersetzung der Werke von Marx und Engels in die arabische Sprache, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 17, Berlin/Ost 1984, S. 144ff. Zum Marxismus in der arabischen Welt siehe auch Jacin Hafez, Arabisierung des Marxismus, in: Bassam Tibi (Hg.), Die arabische Linke, Frankfurt/M. 1969, S. 112ff. Der bekannteste sich an Marx anlehnende kritische Gesellschaftstheoretiker afrikanisch-arabischer Herkunft ist der inzwischen im Senegal lebende Ägypter Samir Amin, der sich in den 1970er Jahren ausfuhrlich mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie auseinander gesetzt hat. Siehe u. a. Samir Amin, La loi de la valeur et le matérialisme historique, Paris 1977. 132 Paulin J. Hountondji, Marxism and the Myth of an „African Ideology", in: Sakari Hänninen, Leena Paldan (Hg.), Rethinking Marxism, Berlin, New York, Bagnolet/Frankreich 1984, S. 107.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

ein theoretisches „Vakuum" in Afrika existiert. Er fährt fort: „Wir haben unseren Marxismus aus populären Schriften gelernt, und nachdem wir ihn in kleinen Schlücken aufgesogen hatten, genossen wir es, darüber in streng geschlossenen Zirkeln zu flüstern." Eine Lösung besteht Hountondji zufolge darin, dass „wir hier und jetzt in diesem halben Schweigen, zu dem wir in unserer Arbeit verdammt sind, uns bemühen, unser Wissen über Marx und die reiche Tradition, die er eingeleitet hat, zu verbreitern und so ein für allemal unsere Vorurteile von Einstimmigkeit und Dogmatismus ausmerzen: Wir müssen der Theorie ihr Geburtsrecht wieder zuerkennen".133

Der südkoreanische Marxforscher Moon-Gil Chung behauptet im Hinblick auf die Situation in Korea, dass vor 1945 „das Interesse der koreanischen Intellektuellen an Marx bzw. am Marxismus und ihre Kontakte zu dieser Ideologie vom Niveau her ähnlich wie das der japanischen Intelligenz"134 gewesen seien. Ob Chung damit zugestimmt werden muss oder nicht, kann hier nicht beantwortet werden. Jedoch steht fest, dass die Aufteilung des Landes in einen kapitalistischen Süd- und einen stalinistischen Nordteil infolge des Zweiten Weltkriegs und des Koreakriegs von 1950 bis 1953 einen fundamentalen Einschnitt darstellte. Im Süden hatte die politisch motivierte genauso wie die primär wissenschaftliche Beschäftigung mit Marx und dem Marxismus mit repressiven Maßnahmen von staatlicher Seite zu rechnen. Für eine über die antikommunistische Indoktrination hinausgehende Auseinandersetzung mit Marx und dem Marxismus bestand außerhalb der oppositionellen Untergrundbewegung kaum Freiraum. Im stalinistischen Norden erstickte der Dogmatismus der herrschenden „Juche"-Ideologie jedes emanzipatorische theoretische Potenzial. Nach dem Kwangju-Massaker von 1980, in dem Hunderte von Protestierenden vom Militär niedergemetzelt worden waren, entwickelte sich in Südkorea eine starke oppositionelle Protestbewegung, die sich im Gegensatz zu früheren Protestbewegungen stärker radikalisierte und sich ideologisch immer mehr zum Marxismus hin orientierte. In diesem Kontext war die Entwicklung einer intellektuellen „Gegen"- und „Untergrund"Kultur von Bedeutung, in der eine an Marxscher und marxistischer Literatur interessierte Lektüre-Bewegung eine wichtige Rolle spielte. Die südkoreanische Linke der 1980er Jahre, die aufgrund der staatlichen Repression im Untergrund agieren musste, griff zum größten Teil auf Formen des dogmatischen Marxismus zurück. Die beiden bedeutendsten Strömungen innerhalb der südkoreanischen Linken der 80er Jahre waren einerseits ein orthodoxer Leninismus, andererseits die nordkoreanische „Juche"-Ideologie (der Trotzkismus hingegen war damals so gut wie bedeutungslos). Eine wichtige Theoriedebatte innerhalb des marxistischen Untergrundmilieus in Südkorea drehte sich in den

133 Paulin J. Hountondji, Afrikanische Philosophie. Mythos und Realität, Berlin 1993, S. 217f. 134 Moon Gil Chung, Aktivitäten zur Marx-Engels-Forschung und -Edition in Süd-Korea, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geschichtserkenntnis und kritische Ökonomie (= Beiträge zur Marx-EngelsForschung. Neue Folge 1998), Hamburg 1998, S. 269.

1.3. VON DER AUSRUFUNG DER „KRISE DES MARXISMUS" BIS ZUM UNTERGANG

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80er Jahren um den spezifischen sozialökonomischen Charakter der südkoreanischen Gesellschaft. 135 Erst in den 1990er Jahren, als sowohl die militante Protestbewegung als auch das Interesse an Marxscher und marxistischer Theorie sich in Südkorea bereits im Niedergang befanden, konnte eine Art südkoreanische Entsprechung zur westlichen Neuen Linken Fuß fassen. 136 Mit dem Rückgang (dies heißt aber nicht völliges Verschwinden) der staatlichen Repression im selben Jahrzehnt verbesserte sich die Forschungssituation für die an Marxscher Theorie orientierten südkoreanischen Wissenschaftler. Doch lässt sich das gegenwärtig relativ geringe Interesse der jungen Generation an Marx kaum mit der intensiven Marx- und Marxismus-Rezeption durch die Protestgeneration der 80er Jahre vergleichen. Aber immerhin stoßen mittlerweile der Althusserianismus sowie der (Post-)Operaismus bei einigen Intellektuellen in Südkorea auf positive Resonanz.137

In der Volksrepublik China brach nach Maos Tod im Jahr 1976 und mit dem Aufrücken Deng Xiaopings in die führende Position nicht nur politisch, sondern auch auf ideologischem Gebiet eine neue Epoche an. Der Philosoph Liu Fangtong erläutert im Rückblick auf die Zeit unter Mao, dass „both Marxism and other cultural fields were confined to a closed situation for a long time, which cut them off from the development of the rest of the world. It obstructed their growth and enrichment."138 Die intellektuelle Situation veränderte sich seit den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen ab Ende der 1970er Jahre. Der Philosoph Li-Quan Chou sah in diesem Kontext eine neue intellektuelle Offenheit. Die klassischen Werke von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao

135 Teilweise wird diese Diskussion mit dem Terminus „social formation debates" bezeichnet. Dazu ausfuhrlich: Gi-Wook Shin, Marxism, Anti-Americanism, and Democracy in South Korea: An Examination of Nationalist Intellectual Discourse, in: Tani Ε. Barlow (Hg.), New Asian Marxisms, London 2002, S. 359ff. 136 In diesem Absatz stütze ich mich vor allem auf eine in der angelsächsischen Welt lebende und lehrende koreanische Soziologin und Historikerin der Protestbewegungen ihres Landes: Mi Park, Ideology and Lived Experience: Revolutionary Movements in South Korea, 1980-1995, London o. J., im Internet: http://www.edgehill.ac.uk/Research/smg/pdf- Conference/Mi Park - Ideology and Lived Experience.pdf (letzter Zugriff: 10.11.2007); Mi Park, Organizing Dissent against Authoritarianism: The South Korean Student Movement in the 1980s, o. O., o. J., im Internet: http:// people.stfx.ca/rbantjes/Soc 212/Texts/Korea-Journal-final.doc (letzter Zugriff: 10.11.2007). Der marxistische Wirtschaftswissenschaftler Seongjin Jeong übt von einer trotzkistischen Perspektive aus Kritik sowohl am „Juche"-Flügel der südkoreanischen Linken der 80er Jahre, als auch am leninistischen Flügel, den er als „stalinistisch" betrachtet (siehe Seongjin Jeong, Capitalism and Stalinism in South Korea: A Marxist Critique, o. O. 1996, im Internet: http://nongae.gsnu.ac.kr/ -seongjin/publications/stalinismsk.doc [letzter Zugriff: 10.11.2007]). 137 U. a. zum (Post-)Operaismus in Südkorea: Kyoung Soo Kim, Kapitalismus im 21. Jahrhundert und die alternative Globalisierung - Kongressbericht über die dritte Marx-Communale 2007 in Seoul, in: Marx-Engels-Jahrbuch 2007, Berlin 2008, S. 170ff. 138 Liu Fangtong, China's Contemporary Philosophical Journey: Western Philosophy and Marxism, Washington D. C. 2004, S. 187.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

würden - so schrieb er in den 80er Jahren - nicht mehr als das ultimative Wahrheitskriterium angesehen. Zudem finde ein Transfer verschiedener philosophischer Ideen aus Osteuropa, Westeuropa und Amerika nach China statt. Ein wichtiges Thema der chinesischen Forschung in dieser neuen Periode war die Frage des Verhältnisses von Marxismus und Humanismus, in deren Kontext sich (vor dem Hintergrund der neuen Offenheit) eine wirkliche philosophische Diskussion zaghaft entfalten konnte.139 Hierbei standen - nach Li-Quan Chou - die Vertreter der Auffassung, dass „humanism [...] indeed an essential ingredient of Marxism" sei, denjenigen Denkern gegenüber, welche die Ansicht vertraten, dass „humanism cannot be incorporated into Marxism".140 Auch Su Shaozhi, damals ein hochrangiger Vertreter des Instituts für Marxismus-LeninismusMaoismus an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, konnte in der ersten Hälfte der 80er Jahre über ein neues Marxismusverständnis in China berichten. Ihm zufolge stellten die eventuellen Verbindungen und Differenzen zwischen dem Marxschen Früh- und dem Spätwerk, das Verhältnis von Marxismus und Humanismus, das Verhältnis von Wissenschaft und Ideologie sowie „die Verbindung bzw. die Unterschiede zwischen Marx einerseits und Engels und Lenin andererseits"141 wichtige Fragen dar, denen sich die chinesische Marxismus-Debatte stellen müsse. Der Marxismus darf - so schreibt Su Shaozhi an anderer Stelle - weder im Sinne einer Religion, noch im Sinne einer Zwangsideologie behandelt werden. Er sei „a branch of the social sciences, but it is not an all-encompassing ,science of sciences'." 142 Exemplarisch können die „ideologischen Kämpfe" um den reformerischen Öffnungsversuch innerhalb des chinesischen Marxismus in der Periode der späten 70er und der 80er Jahre anhand der Geschichte des Instituts für Marxismus-Leninismus-Maoismus geschildert werden, das 1979 gegründet worden war (die englische Bezeichnung lautet: Institute of Marxism-Leninism-Mao Zedong Thought).143 Innerhalb dieses Instituts existierte allem Anschein nach durchaus Interesse daran, den internationalen Diskussionsstand zur marxistischen Theorie aufzuarbeiten. „The Institute regularly published Reference Materials on the Study of Marxism (distributed internally) to introduce Chinese readers to the various schools of Marxism and socialism in the contemporary 139 Su Shaozhi schrieb 1983 anlässlich des hundertsten Todesjahrs von Marx: „There is [...] the relationship between Marxism and humanism to consider. For a long period, this question remained a forbidden area of study in China. Today, fewer and fewer people still refuse to admit that there is humanism in Marxism", so Su Shaozhi, Developing Marxism under Contemporary Conditions. In Commemoration of the Centenary of the Death of Karl Marx, in: Su Shaozhi, Wu Dakun, Ru Xin, Cheng Renquian, Marxism in China, Nottingham 1983, S. 39. 140 Li-Quan Chou, Great changes in Marxist philosophy in China since 1978, in: Philosophy East and West. A Quaterly of Asian and Comparative Thought 38/1 (1988), S. 61. Zur Entwicklung des chinesischen Marxismus nach Maos Tod siehe auch Saen-Yang Kha, La grande mutation actuelle du marxisme chinois, in: Jacques Bidet, Jacques Texier (Hg.), L'état du marxisme (= Actuel Marx 1), Paris 1987, S. 113ff. 141 Su Shaozhi, Neues Marxismusverständnis in China, in: Das Argument 143 (1984), S. 78. 142 Su Shaozhi, Marxism and Reform in China, Nottingham 1993, S. 111. 143 Zu diesem Institut: Su Shaozhi, A Decade of Crises at the Institute of Marxism-Leninism-Mao Zedong Thought, 1979-1989, in: China Quaterly 134 (1993), S. 335ff.

1.4. DIE GLOBALE SITUATION NACH DEM ENDE DES MARXISMUS

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world, commentary on Marxism abroad, criticisms and revisions of Marxism in the West and Eastern Europe, and descriptions of the reforms under way in the Soviet Union and Eastern European countries."144 Indes ist es - so berichtet Su Shaozhi - immer wieder zu Rückschlägen in Form von Repressionen gekommen. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne gegen „geistige Verschmutzung", die 1983 von dogmatischen „Hardlinern" geführt wurde. Su Shaozhi schreibt, dass nach dem Tod des Reformpolitikers Hu Yaobang und den dadurch ausgelösten massiven Studentenprotesten im Jahr 1989 das Institut für Marxismus-Leninismus-Maoismus von staatlichen Repressionen betroffen gewesen sei. Es sei zu Verhaftungen und Entlassungen gekommen. Su Shaozhi selbst sah sich zur Emigration gezwungen. Bemerkenswert ist, dass mit Su Shaozhi in der zweiten Hälfte der 80er Jahre auch ein chinesischer Theoretiker von einer Krise des zeitgenössischen Marxismus ausging. Den historischen Prozess, der zur Krise des Marxismus geführt habe, skizzierte der Chinese folgendermaßen: „Seit einer langen Periode, ungefähr seit dem Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, wurde der Marxismus versimpelt, versteinert und dogmatisiert. Der wissenschaftliche Geist und die Innovationskraft des Marxismus wurden zerstört. Die Praxis des Sozialismus und der weltkommunistischen Bewegung erlitten Schaden, und die marxistische Theorie fiel weit hinter die Praxis zurück, sie hatte keine Kraft mehr, sich weiterzuentwickeln."145 Stalin habe die Entwicklung des Marxismus zu einem Dogma vorangetrieben. Su Shaozhi befürwortete demgegenüber einen Marxismus von pluralistischem und offenem Charakter und griff in diesem Zusammenhang das Diktum von den hundert Schulen auf, die miteinander wetteifern mögen.146

1.4. Die globale Situation nach dem Ende des Marxismus als Massenideologie (ca. 1990-2008) Unterscheidet man im Anschluss an den griechischen Gesellschaftstheoretiker Jannis Milios (s. u.) einen Marxismus als Massenideologie („Marxism as an ideology of the masses") vom Marxismus als einer Art Theoriesystem („Marxism as a theoretical system"), so lässt sich hinsichtlich des Letzteren sagen, dass die systematische theoretischwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Marx durch den Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus zwar insofern tangiert wurde, als es zu einer weitgehenden „Abwicklung" der institutionalisierten Marxforschung in den ehemals realsozialistischen Ländern und insbesondere in der DDR kam; dennoch existiert die theoretisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Marxschen Werk und insbesondere mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie in Ost und West sowie in einigen Ländern der sog. Dritten Welt bis in die Gegenwart. Der politische Zusammenbruch des real144 Ebd., S. 342. 145 Su Shaozhi, „Niemand hat das Recht, darüber zu urteilen, wer Marxist ist und wer nicht". Zwei Reden, in: Das Argument 177 (1989), S. 747. 146 Siehe ebd., S. 752.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

sozialistischen Staatensystems Mittel- und Osteuropas sowie die sich seit den 1990er Jahren verstärkende Umwandlung der VR China in eine moderne kapitalistische Gesellschaft haben - in den Augen zahlreicher Forscher weltweit - das Marxsche Projekt einer Kritik der politischen Ökonomie keineswegs obsolet werden lassen. Als ein Beispiel für die wissenschaftliche Aktualität der Marx-Beschäftigung auch nach 1990 kann die Weiterführung der Marx-Engels-Gesamtausgabe (als repräsentativstes Projekt der internationalen Marx-Engels-Forschung und -Edition) unter dem Schirm der Internationalen Marx-Engels-Stiftung genannt werden. Allerdings ist das Breiteninteresse an einer über Oberflächlichkeiten hinausgehenden Auseinandersetzung mit der Marxschen Theorie weiter zurückgegangen. So muss angemerkt werden, dass insbesondere die Attraktivität des Marxschen Werks für den wissenschaftlichen Nachwuchs, aber auch für die jüngere Generation politischer Aktivisten - im Vergleich zu den 70er Jahren - stark nachgelassen hat. Adornos Rede von der „Neurotisierung, die das Bewusstsein Marx gegenüber erfahren hat",147 scheint erneut aktuell zu sein. Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus bedeutete das historische Ende des Marxismus als politisch-ideologische Massenbewegung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zuvor die Marxismen der Massenparteien der II. und III. Internationale und ihrer historischen Nachfolger meistens nur in ihrer vulgarisierten Gestalt den Massen zugänglich waren, wobei eine intensive Beschäftigung der Massen mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zumeist ausblieb. Seit den politischen und ökonomischen Umwälzungsprozessen, die in den Jahren ab 1989 in Mittel- und Osteuropa stattfanden, haben selbst die vulgarisierten Marxismusvarianten alle „Massenkompatibilität" endgültig verloren - zumindest in den meisten Ländern der Welt. Marxistisches Denken erscheint als grundsätzlich diskreditiert (obgleich der Einwand geltend gemacht werden könnte, dass dies nicht in allen Ländern in gleichem Maße der Fall ist). Außerhalb der engen Grenzen der intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Marx und dem Marxismus, die seit 1989 unvermindert anhält, wurde der „Abgesang" auf den Marxismus zum Gemeinplatz des intellektuellen Diskurses. Francis Fukuyamas Mutmaßungen über das Ende der Geschichte bzw. über die liberale Demokratie als Endpunkt der ideologischen Entwicklung der Menschheit wurden in den 90er Jahren breit rezipiert. Auch wenn diese Zuspitzung zurückzuweisen ist: Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus und mit ihm des Marxismus-Leninismus in Theorie und Praxis stellen eine weltgeschichtliche Zäsur dar, die seit 1989/91 den historischen Hintergrund der weiteren Entwicklung gesellschaftskritischer Denkansätze im Spannungsfeld von Politik und Theorie bildet. Zwar hatte der Zusammenbruch des osteuropäischen Marxismus-Leninismus einschneidende Folgen für die Marxisten in aller Welt, und zwar unabhängig davon, ob sie mit der sowjetischen Marxismusvariante sympathisierten oder ob sie sich von ihr abgrenzten. Doch am unmittelbarsten war der Marxismus in denjenigen Ländern von den politischen und ideologischen Umwälzungen betroffen, in denen er einst die offizielle

147 Theodor W. Adorno, Philosophische Terminologie, Bd. 2, Frankfurt/M. 1974, S. 272.

1.4. DIE GLOBALE SITUATION NACH DEM ENDE DES MARXISMUS

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Ideologie der herrschenden Partei dargestellt hatte. Die Sowjetunion bildet in diesem Kontext ein schlagendes Beispiel. Alexander Litschev und Dietrich Kegler unterscheiden hinsichtlich der sowjetischen Philosophie dieser Umbruchszeit und ihrem Bezug auf Marx zwei unterschiedliche Interpretationen.148 Zum einen erkannten sie während der Umbruchsphase theoretische „Rettungsversuche" des Marxismus, wobei der Rückgriff auf den originalen - und, wie man hinzufugen könnte, unverfälschten - Marx eine zentrale Forderung dargestellt habe. Andererseits habe sich auch eine Strömung zu Wort gemeldet, die auf eine gänzliche Überwindung und Beseitigung des Marxismus drängte. Eine in Bezug auf das Marxismusverständnis gegenüber der Arbeit von Litschev und Kegler differenziertere Studie zur sowjetischen Philosophie in der Spätphase der Perestroika stammt vom Südkoreaner Seong-Paik Lee.149 Er begreift einen „marxistischen Humanismus" als eine fundamentale Leitidee derjenigen reformphilosophischen Kräfte, die in der Perestroika um eine Erneuerung marxistischen Denkens kämpften. Der marxistische Humanismus habe „seinen entscheidenden Ursprung in der Diskussion um den jungen Marx' in den 60er Jahren"150 gehabt. Vor dem Hintergrund von Lees Studie offenbart sich eine Parallele des um eine Erneuerung bemühten marxistischen Denkens der sowjetischen Perestroika-Zeit zu den theoretischen Öffnungen und Entwicklungen innerhalb des chinesischen Marxismus, die - wie zaghaft auch immer und gegen großen Widerstand seitens der Dogmatiker - während der Ära Deng Xiaopings zu Tage traten. Auch dort kam es zur Herausbildung eines „marxistischen Humanismus". Heutzutage ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit Marxscher oder marxistischer Theorie in Russland zwar noch existent151 (u. a. im Kontext des MEGA2-Projekts), jedoch als Randerscheinung innerhalb der russischen Philosophie und Gesellschaftswissenschaft. Beispielsweise arbeiten Alexander Buzgalin und Andrej Kolganov an der Formierung einer Denkschule des postsowjetischen Marxismus in Russland, die durch die Kritik des theoretischen Stalinismus sowie die Anknüpfung an Strömungen des humanistischen Marxismus geprägt sein soll.152

148 Siehe Alexander Litschev, Dietrich Kegler, Einleitung, in: Alexander Litschev, Dietrich Kegler (Hg.), Abschied vom Marxismus. Sowjetische Philosophie im Umbruch, Reinbek 1992, S. 9ff. 149 Siehe Seong-Paik Lee, Erneuerungsversuch und Ende der Sowjetphilosophie in der Spätphase der Perestroika, Wiesbaden 1998. 150 Ebd., S. 45. 151 Siehe z. B. Günter Mayer, Nachwort: Zur Situation des postsowjetischen Marxismus in Russland, in: Alexander V. Buzgalin, Andrej I. Kolganov, Postsowjetischer Marxismus in Russland: Antworten auf die Herausforderungen des XXI. Jahrhunderts. Thesen zur Formierung einer wissenschaftlichen Schule, Berlin 2007, im Internet: http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/ pdfs/Marxismus_in_Russland_neu/pdf (letzter Zugriff: 25.9.2007). Siehe auch Günter Mayer, Wolfgang Küttler, Postsowjetische Marxisten in Russland, in: Utopie kreativ 201/202 (2007), S. 740ff. 152 Siehe Alexander V. Buzgalin, Andrej I. Kolganov, Postsowjetischer Marxismus in Russland: Antworten auf die Herausforderungen des XXI. Jahrhunderts. Thesen zur Formierung einer wissenschaftlichen Schule, Berlin 2007, im Internet: http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/ pdfs/Marxismus_in_Russland_neu/pdf (letzter Zugriff: 25.9.2007).

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Ab den 1990er Jahren entstand mit der sog. Globalisierungskritik153 eine neue soziale Bewegung im Weltmaßstab, als deren Bezugspunkte der Zapatistenaufstand von 1994,154 die Proteste zum Treffen der Welthandelsorganisation in Seattle von 1999 sowie die Proteste zum G8-Gipfel in Genua im Jahr 2001 genannt werden können. Bei der internationalen globalisierungskritischen Bewegung handelt es sich um eine politisch und theoretisch vielfältige Protestbewegung. Innerhalb dieser Bewegung sind an Marx orientierte Strömungen zwar vorhanden, bislang aber nur in marginaler Form. An der Theorie von Marx scheiden sich innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung die Geister. Zwar ist anzunehmen, dass die Marxsche Theorie für den größten Teil der eher „pragmatischen" Globalisierungskritiker nur geringe Bedeutung besitzt. Doch ist mit der globalisierungskritischen Bewegung auch ein neues Spannungsfeld von Theorie und Politik entstanden, in dem sich einige Denker aus verschiedenen Ländern bewegen, die sich durchaus intensiv mit der Marxschen Theorie auseinandergesetzt haben. Obwohl es diesen Theoretikern bisher nicht gelungen ist, einen maßgeblichen Einfluss auf weite Kreise der Globalisierungskritiker auszuüben, lohnt sich ein Blick auf das politisch-theoretische Profil von einigen an Marx orientierten Denkern, die sich auch auf die globalisierungskritische Bewegung beziehen. Die intensive Beschäftigung mit Marx fand in Japan auch nach den Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa eine Fortsetzung.155 Der japanische Philosoph und Marxforscher Tomonaga Tairako befasst sich vor dem Hintergrund der Globalisierung seit dem Ende des Kalten Krieges, der Asienkrise von 1997 und der globalen Migrationsströme mit möglichen Lösungsvorschlägen für die mit der kapitalistischen Globalisierung verbundenen gesellschaftlichen Probleme und versucht, in diesem Kontext die Rolle der Philosophie zu reflektieren. „The most critical goal of globalization studies", so führt Tairako aus, „is to construct resistant discourse against capitalist globalization without falling into the pitfall of nationalism."156 Die Zielvorstellung des japanischen Philosophen besteht in der Schaffung eines globalen Sicherheitsnetzes, das alle Individuen vor direkter Gewalt und Unterdrückung sowie der mit der kapitalistischen Globalisierung zusammenhängenden „strukturellen" Gewalt schützt. Hinsichtlich der Rolle, die die Philosophie spielen kann, schreibt Tairako, sie solle „the needs and demands of people suffering from today's globalization" ernstnehmen. Es sei wichtig „to keep supporting the social movements for empowering 153 Zur Problematik „Marx und die Globalisierungskritik" siehe Christoph Henning, Narrative der Globalisierung. Zur Marxrenaissance in Globalismus und Globalisierungskritik, Trier 2006, S. 29ff. Immerhin bezeichnet einer der international bekanntesten globalisierungskritischen Intellektuellen, der philippinische Soziologe Waiden Bello, Marx als einen prägenden Einfluss auf sein eigenes Denken. Siehe Waiden Bello, Marx, Gramsci und die Philosophie des Widerstandes, o. O. 2004, im Internet: http://praxisphilosophie.de/bellomarx.pdf (letzter Zugriff: 17.6.2007). 154 Hierbei handelte es sich um einen 1994 begonnenen Aufstand der indigenen Bevölkerung in der südmexikanischen Region Chiapas. Die Bezeichnung „Zapatisten" ist auf eine der Führungsfiguren der mexikanischen Revolution des frühen 20. Jahrhunderts, Emiliano Zapata, zurückzuführen. 155 Siehe z. B. Narihiko Ito, Zur Aktualität von Karl Marx. Eine Tagung in Sapporo (Japan), in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 1994, S. 323 ff. 156 Tomonaga Tairako, Contradictions of contemporary Globalization: How is Socialist Philosophy to cope with it?, in: Hitotsubashi Journal of Social Studies 37 (2005), S. 59.

1.4. DIE GLOBALE SITUATION NACH DEM ENDE DES MARXISMUS

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them and to equip them with the sense of human dignity and ethical meaningfulness which grounds on historical necessity."157 Auf Tairakos Marx-Interpretation, die fur die japanische Marxforschung aufgrund seiner originellen reifikationstheoretischen Lektüre der Kritik der politischen Ökonomie einen wichtigen Stellenwert besitzt, wird noch einzugehen sein. Einer der wohl bekanntesten globalisierungskritischen Intellektuellen in der VR China ist gegenwärtig der Ökonom Han Deqiang, der sich allerdings kritisch auf den Marxismus bezieht (bzw. auf das, was er darunter versteht). Er stellte einige seiner Thesen auf einer internationalen Marx-Konferenz in Havanna dem nichtchinesischen Publikum vor: Die VR China sei geprägt durch „the emergence of [a] new exploiting class and the return in reality of capitalism". Sie sei eine „new economic colony of the United States."158 Han Deqiangs Denkansatz weist in eine andere Richtung als derjenige des oben erwähnten Su Shaozhi, der in den 80er Jahren dem Reformflügel des chinesischen Marxismus nahe stand. Han Deqiang rekurriert auf Mao Zedong und bewertet sogar den Ansatz der Kulturrevolution letztlich positiv. Er insistiert auf einer grundsätzlichen Revision des Marxismus. Seine Kritik drückt sich darin aus, dass er das traditionelle Basis-Überbau-Schema auf Kopf stellen will: „So, this Marxist statement would be rewritten as: ,the superstructure of a society dominates its economic basis while the latter restrains the former.'" 159 In dieser Verkehrung drückt sich Han Deqiangs radikaler Voluntarismus aus, sowie die führende Rolle, die er einer „ideologischen Revolution" beimisst. Es müsse zugegeben werden, dass die Schriften von Marx und Engels „leave too much room for revisionists. What is more, Marxism is likely to become detached from revolutionary practice since it does not fully recognize the importance and complexity of ideological revolution."160 Dies sei eine Schranke des Marxismus. Die Lösung des Problems, die Han Deqiang anbieten will, besteht darin, „to admit the limitation of Marxism, innovate and integrate Marxist theory through a summary of international communist revolutionary practice under the guidance of Marxism in the last 150 years, and consequently establish new theories that are more fitting to revolutionary practices and historical rules, thus laying a solid theoretical foundation for the final elimination of capitalism and for true liberation of humanity."161 In politischer Hinsicht ist Han Deqiangs letztendliche Parteinahme fur Mao Zedong und die Kulturrevolution fatal. Dennoch ist es wichtig, seine Gedanken insofern hier zu berücksichtigen, als sie ein Ausdruck der gesellschaftlichen und ideologischen Spannungen sind, welche die chinesische Gegenwartsgesellschaft in ihrem gewaltigen Umwandlungsprozess im Kontext der kapitalistischen Globalisierung durchziehen.

157 Ebd., S. 60. Tairako hat übrigens auch einen Beitrag zum Problemfeld „Marx und Globalität" vorgelegt: Tomonaga Tairako, Marx on Capitalist Globalization, in: Hitotsubashi Journal of Social Studies 35 (2003), S. l l f f . 158 Han Deqiang, Chinese Cultural Revolution: Failure and theoretical Originality, o. O. 2003, im Internet: http://www.nodo50.org/cubasigloXXI/congreso04/deqiang_300304.pdf (letzter Zugriff: 12.6.2007), S. 1 u. 7. 159 Ebd., S. 7. 160 Ebd., S. 10. 161 Ebd.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN MARX ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

Der ungarische Philosoph István Mészáros, der nach dem Aufstand von 1956 die Westemigration dem Verbleib in seiner Heimat vorgezogen hatte, sah in seinem Werk Marx's Theory of Alienation von 1970 das Entfremdungskonzept als einen entscheidenden Schlüssel zum Verständnis sowohl des jungen wie des älteren Marx.162 Dieses Werk, in dem die intellektuelle Fortentwicklung von Marx nicht bestritten wird, obgleich Mészáros sich entschieden gegen eine Interpretation im Sinne einer strengen Dichotomie von , jungem" und „reifem" Marx wendet, war fur die Marx-Diskussion im angelsächsischen Raum (und teilweise auch darüber hinaus) von großer Bedeutung. Ein neueres, im Jahr 1995 publiziertes Buch von Mészáros163 - Beyond Capital164 - hält an der emanzipatorisch-sozialistischen Perspektive fest und wird nicht nur in der angelsächsischen Welt, sondern auch in Lateinamerika rezipiert. Dorothea Melcher schreibt, dass Beyond Capital sogar „von der venezolanischen Regierung 2001 übersetzt und herausgegeben wurde."165 Mészáros selbst argumentiert, dass der Titel Beyond Capital in dreifacher Hinsicht zu verstehen sei. Erstens sei hier eine auf Marx selbst zurückgehende Bedeutung dieser Formulierung zu nennen. „In this sense it means going beyond capital as such and not merely beyond capitalism,"166 Zweitens gehe es darum, über die drei Bände des Marxschen Kapital (plus Grundrisse und Theorien über den Mehrwert) hinauszugehen. Als dritten Aspekt fugt der ungarische Theoretiker hinzu, dass auch über das Marxsche Projekt selbst hinauszugehen sei: „Beyond the Marxian project itself as it could be articulated under the circumstances of commodity society's global ascendancy in the nineteenth century, when the possibilities of adjustment for capital as a ,hybrid' system of control - which became fully visible only in the twentieth century were as yet hidden from theoretical scrutiny."167 Dennoch bleibt Marx fur Mészáros' Denken ein entscheidender Bezugspunkt. Neben Mészáros und dem bereits genannten argentinisch-mexikanischen Philosophen Enrique Dussel, dessen Theoriebildung in Lateinamerika (und darüber hinaus) weiterhin rezipiert wird, sind weitere Intellektuelle zu nennen, die auf die gegenwärtige marxistische Diskussion Lateinamerikas einen gewissen Einfluss ausüben. So muss der in Mexiko lebende deutsche Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich erwähnt werden, der als Vordenker des Projekts eines - gemäß Dieterich basisdemokratisch zu gestaltenden 162 Siehe István Mészáros, Marx's Theory of Alienation, London 1970. 163 Das politische Denken von Mészáros in den 1990er Jahren ist auch aus zwei Interviews (aus den Jahren 1992 und 1999) zu erschließen: Marxism Today. An interview with István Mészáros, in: Monthly Review 44/11 (1993), S. 9ff.; The Need for a Radical Alternative. Interview with István Mészáros, in: Monthly Review 51/8 (2000), S. 26ff. 164 Siehe István Mészáros, Beyond Capital. Toward a Theory of Transition, London 1995. 165 Dorothea Melcher, Venezuelas Erdöl-Sozialismus, in: Das Argument 262 (2005), S. 511. Diese Information kann hier nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden. Einer der bekanntesten venezolanischen Interpreten der Kritik der politischen Ökonomie war übrigens der Philosoph und Ökonom José Rafael Nunez Tenorio. Siehe u. a. J. R. Nunez Tenorio, Marx y la economia politica, Caracas 1969; J. R. Nunez Tenorio, Problemas del metodo de la economia politica, Caracas 1985. 166 István Mészáros, Beyond Capital, S. xxi. 167 Ebd.

1.4. DIE GLOBALE SITUATION NACH DEM ENDE DES MARXISMUS

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„Sozialismus des 21. Jahrhunderts"168 gilt, auf das sich auch der venezolanische Staatspräsident Hugo Chavez beruft. 169 Ferner ist auf die aus Chile stammende Philosophin Marta Harnecker hinzuweisen. Sie leistete in den 60er und 70er Jahren einen bedeutenden Beitrag zur Verbreitung und Entwicklung marxistischen Denkens in Lateinamerika, indem sie ein wesentlich vom „strukturalistischen" Marxismus Althussers beeinflusstes Lehrbuch über die Grundbegriffe des historischen Materialismus publizierte, das zahlreiche Auflagen erlebte und von dem in der spanischsprachigen Welt insgesamt ca. eine Million Exemplare im Umlauf sind. Dieses Werk170 wird auch gegenwärtig noch rezipiert. Harnecker floh nach Pinochets Militärputsch von 1973 nach Kuba und betätigte sich als Historikerin der lateinamerikanischen Linken und als Beobachterin von deren politischer Entwicklung.171 Ihr Denken im Hinblick auf den Marxismus kann dahingehend zugespitzt werden, dass ihr zufolge eine wichtige theoretische Herausforderung in der Aktualisierung der marxistischen Theorie besteht. Zudem ist der in Mexiko lebende und lehrende Ire John Holloway zu nennen. Der Ansatz von Holloway weist in die Richtung einer Revolutionstheorie.172 Der Ire bezieht sich im Kontext seiner eigenwilligen Kombination einer kritischen fetischismustheoretischen Perspektive mit einer „kampftheoretischen" Perspektive auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie 173 sowie auf den Operaismus. Holloway ist um eine Neuorientierung des marxistischen Denkens bemüht, was sich ausdrückt in seiner Kritik an der „Tradition des wissenschaftlichen Marxismus' ", die gegenüber der Fetischismusproblematik blind sei. Ein maßgeblicher Hintergrund von Holloways Denken besteht darin, dass er aus dem Theoretikerkreis des internationalen „Open Marxism"-Projekts174

168 Siehe Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie nach dem globalen Kapitalismus, Berlin 2006. Zu Dieterichs Marx-Rezeption siehe ebd., S. 65ff. 169 Einer der schärfsten Kritiker von Heinz Dieterich ist der britische Trotzkist Alan Woods, der offensichtlich versucht, innerhalb des Prozesses der „Bolivarischen Revolution" in Venezuela politisch-theoretisch an Einfluss zu gewinnen. Zur Kritik an Dieterich siehe Alan Woods, Reformism or Revolution? Marxism and socialism of the 21st century. Reply to Heinz Dieterich, London 2008. 170 Siehe Marta Hamecker, Los conceptos elementales del materialismo histórico, Mexico City 1969. Siehe zudem eine populäre Hinfuhrung zum Kapital·. Marta Harnecker, El Capital. Conceptos fundamentales, Santiago 1972. Dieses Buch enthält drei Teile, zwei davon stammen von Harnecker, der dritte ist die Übersetzung eines sowjetischen Lehrbuchs von 1929, in dem Grundbegriffe des Kapital behandelt werden. 171 Siehe Marta Harnecker, La izquierda en el umbral del Siglo XXI. Haciendo posible lo imposible, Madrid 1999. 172 Siehe John Holloway, Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, Münster 2002. Zu Holloway siehe auch Ingo Elbe, Holloways „Open Marxism". Bemerkungen zu Formanalyse als Handlungstheorie und Revolutionsromantik, Dortmund 2006, im Internet: http://www.rote-ruhruni.com/texte/elbe_open_marxism.pdf (letzter Zugriff: 24. 8. 2007). 173 Zu Holloways Sicht auf die Marxsche Ökonomiekritik siehe auch John Holloway, Why read „Capital"?, in: Capital & Class 75 (2001), S. 65ff. 174 Zum „Open Marxism"-Projekt siehe u. a. César Altamira, Los marxismos del nuevo siglo, Buenos Aires 2006, S. 18Iff.

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1. DIE ENTWICKLUNG VERSCHIEDENER AN M A R X ORIENTIERTER DENKANSÄTZE

stammt. Dieses internationale marxistische Theorieprojekt entwickelte sich in den 1990er Jahren mit der programmatischen Ausrichtung auf den Zusammenhang v o n Theorie und Praxis s o w i e mit einer auf Emanzipation abzielenden Perspektive. 1 7 5 (Zumindest teilw e i s e wurde das „Open Marxism"-Projekt v o n der westdeutschen N e u e n Marx-Lektüre beeinflusst, genauer gesagt: v o n den Arbeiten v o n Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt. 1 7 6 ) Holloways emanzipationstheoretischer Denkansatz stößt bei einer Minderheit innerhalb der globalisierungskritischen B e w e g u n g durchaus auf Resonanz.

Weiterhin beziehen sich einige dem internationalen Trotzkismus zuzurechnende MarxInterpreten177 auf die globalisierungskritische Bewegung. In diesem Kontext sind der französische Philosoph Daniel Bensaid (Mitglied der Ligue Communiste Révolutionnaire), der brasilianische bzw. brasilianisch-französische Philosoph, Ökosozialist und Marxismusforscher Michael L ö w y (ebenfalls Mitglied der französischen Ligue Communiste Révolutionnaire) s o w i e der britische Gesellschaftswissenschaftler A l e x Callinicos (Mitglied der Socialist Workers Party) zu nennen. Callinicos bezieht sich in Gestalt eines Anti-Kapitalistischen Manifests auf die globalisierungskritische Bewegung. 1 7 8 Seiner Beschäftigung mit Marx lag - nach eigener Aussage aus dem Jahr 1983 - das Anliegen

175 Siehe Werner Bonefeld, Richard Gunn, John Holloway, Kosmas Psychopedis, Introduction: Emancipating Marx, in: Werner Bonefeld, Richard Gunn, John Holloway, Kosmas Psychopedis (Hg.), Open Marxism. Volume III: Emancipating Marx, London 1995, S. Iff. 176 U. a. liegt dies in Anbetracht einer Studie Werner Bonefelds zur Bedeutung des Marxschen Kritikbegriffs nahe. Siehe Werner Bonefeld, „Kapital" and its Subtitle: A Note on the Meaning of Critique, in: Capital & Class 75 (2001), S. 53ff. In der Marx-Lesart von Bonefeld, einem deutschen Repräsentanten des „Open Marxism"-Projekts, stehen u. a. die Aspekte der Formtheorie und der Fetischkritik im Vordergrund. 177 Als einer der bekanntesten trotzkistischen Interpreten der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie konnte in den 60er und 70er Jahren der belgische Ökonom Ernest Mandel (1923-1995) gelten, dessen Werk eine beachtenswerte internationale Verbreitung fand. (Siehe u. a. Ernest Mandel, Marxistische Wirtschaftstheorie, 2 Bd., Frankfurt/M. 1968; Ernest Mandel, Entstehung und Entwicklung der ökonomischen Lehre von Karl Marx, Frankfurt/M. 1968; Ernest Mandel, Kontroversen um „Das Kapital", Berlin 1991.) Eine Biographie von Ernest Mandel - in der auch auf die Kontakte des Belgiers zur westdeutschen und zur französischen Studentenbewegung der 60er Jahre eingegangen wird - wurde jüngst von Jan-Willem Stutje vorgelegt (Ernest Mandel. Rebel tussen Droom en Daad, Antwerpen 2007). Mandel stellte sich in politischer Hinsicht als einer der fuhrenden Protagonisten des westeuropäischen Trotzkismus sowohl der „Moskauer Orthodoxie" als auch den Kommunistischen Parteien in Westeuropa kritisch entgegen, wobei er sich durchaus als Vertreter eines undogmatischen „offenen Marxismus" verstand. (Siehe Ernest Mandel, Johannes Agnoli, Offener Marxismus. Ein Gespräch über Dogmen, Orthodoxie und die Häresie der Realität, Frankfurt/M., New York 1980.) In der BRD wurde allerdings schon früh vehemente Kritik an Mandéis ökonomischer Theoriebildung laut: Autorenkollektiv (Veit-Michael Bader, Joachim Bischoff, Heiner Ganssmann, Werner Goldschmidt, Burkhard Hoffmann, Lothar Riehn), „Marxistische Wirtschaftstheorie" - ein Lehrbuch der Politischen Ökonomie?, in: Das Argument 57 (1970), S. 216ff. 178 Siehe Alex Callinicos, Ein Anti-Kapitalistisches Manifest, Hamburg 2004.

1.4. DIE GLOBALE SITUATION NACH DEM ENDE DES MARXISMUS

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zugrunde, Marx „from the distortions he has suffered" 179 zu retten. Im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der Marxschen Theorie wendete er sich in jüngerer Vergangenheit kritisch gegen den „New Dialectic"-Ansatz des britischen Marx-Interpreten Christopher Arthur (s. u.).180 Bensaid begreift die Marxsche Theorie weder im Sinne einer Geschichtsphilosophie, noch im Sinne einer soziologischen Klassenlehre oder einer ökonomischen Wissenschaft, sondern im Sinne einer Art kritischer Theorie des sozialen Kampfes und der Veränderung der Welt.181 Löwy hat sich außer mit der geschichtlichen Entwicklung des lateinamerikanischen Marxismus u. a. mit der Marxschen Revolutionstheorie auseinandergesetzt.182 Der brasilianische Trotzkist behauptet mit Blick auf die jüngere Entwicklung in Lateinamerika, dass die Zapatistenbewegung u. a. das historische Erbe Che Guevaras und der Befreiungstheologie angetreten habe. Die „Bolivarische Revolution" unter Hugo Chavez in Venezuela bezieht sich in Löwys Einschätzung nicht nur auf Simon Bolivar - den Befreier Südamerikas vom kolonialen Joch und Vordenker einer kontinentalen Einheit - , sondern auch auf Karl Marx und Friedrich Engels, auf Rosa Luxemburg, Leo Trotzki, José Carlos Mariategui und Che Guevara. Der Frage, ob und inwieweit dem tatsächlich so ist, kann hier nicht nachgegangen werden. Indes steht fest, dass der Einfluss der hier genannten trotzkistischen Marx-Interpreten auf die internationale globalisierungskritische Bewegung insgesamt als gering einzuschätzen ist.

Abschließend ein kurzes Resümee: Historischer Ausgangspunkt der vorliegenden Darstellung war der internationale Aufstieg sozialistischer Bewegungen insbesondere in den 1960er Jahren. Im Zuge dieses politischen Aufbruchs wurde die Marxsche Theorie wahrscheinlich intensiver rezipiert als jemals zuvor. Dabei wurde der Marxismus großenteils entdogmatisiert. Ab Mitte/Ende der 70er Jahre entfaltete sich insbesondere in Westeuropa eine Debatte zur (angeblichen) „Krise des Marxismus". Ab den 80er Jahren eröffneten sich jedoch dem an Marx orientierten Denken in anderen Weltteilen (Lateinamerika, Südkorea) neue Wirkungsmöglichkeiten. In der VR China kam es während der Ära Deng Xiaopings zu Entdogmatisierungstendenzen innerhalb der marxistischen Theoriebildung. Nach dem historischen Ende des „Marxismus als Massenideologie" infolge der Epochenzäsur von 1989/90 ist das an Marx orientierte Denken im Spannungsfeld von Theorie und Politik zwar weithin marginalisiert, aber immer noch präsent seit den 1990er Jahren im Umkreis der internationalen globalisierungskritischen Bewegung.

179 Alex Callinicos, The Revolutionary Ideas of Karl Marx, London 2004, S. 11. Es existiert auch eine kürzere, allgemeine und einfuhrende Darstellung zur Marxschen Theorie: Alex Callinicos, Social Theory. A Historical Introduction, Cambridge 2007, S. 78ff. 180 Siehe Alex Callinicos, Against the New Dialectic, in: Historical Materialism 13/2 (2005), S. 41ff. 181 Siehe Daniel Bensaid, Marx L'Intempestif. Grandeurs et misères d'une aventure critique, Paris 1995, S. 12. 182 Siehe Michael Löwy, The Theory of Revolution in the Young Marx, Leiden/Niederlande 2003.

2. Die Fortentwicklung der Marx-Debatte seit den 1960er Jahren. Ein Überblick

Die intensive Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik in der Nachkriegszeit ist bereits in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg von bedeutenden historischen Vorläufern antizipiert worden. In diesem Kontext ist auf die werttheoretischen Forschungen Rubins in der Sowjetunion der 1920er Jahre hinzuweisen sowie auf Samezo Kurumas Diskussion u. a. der Marxschen Aufbauplan-Problematik im Japan der Zwischenkriegszeit, aber auch auf die theoretischen Auseinandersetzungen um Hajime Kawakami und Kazuo Fukumoto; schließlich ist in diesem Zusammenhang auch die Bearbeitung u. a. der Aufbauplan-Problematik durch Henryk Grossmann in der Zeit der Weimarer Republik zu nennen. Sicherlich könnten auch noch zahlreiche andere Beispiele genannt werden. Sieht man von historischen Vorläufern ab, dann lässt sich jedoch feststellen, dass die theoretisch ambitionierte, systematische und differenzierte Diskussion der Kritik der politischen Ökonomie vor allem in der Nachkriegszeit einen großen Aufschwung erlebte: dies war der Fall in Japan, in Westeuropa, in den sozialistischen Ländern Europas (insbesondere in der Sowjetunion, etwas später auch in der DDR); schließlich in Westdeutschland, sowie auch - ab den 1960er, vor allem aber ab den 70er Jahren - in der angelsächsischen Welt und seit den 60er und 70er Jahren auch stärker als je zuvor in Lateinamerika. Hier soll ein Überblick über die theoriegeschichtliche Entwicklung der internationalen Rezeption und Weiterentwicklung der Marxschen Ökonomiekritik von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart gegeben werden. In Gestalt dieses Überblicks soll auf das Vorhandensein bestimmter Forschungsfelder und für die Theoriebildung wichtiger Thesen in verschiedenen Ländern hingewiesen werden; es sollen verschiedene Theorieströmungen und Denkschulen in einzelnen Weltregionen vorgestellt werden; und es gilt, den internationalen Theorietransfer und die Theoriebezüge über Länder- und Sprachgrenzen hinweg anzusprechen.

2.1. Westdeutschland1 Da in den thematischen Vertiefungen zur historischen Entwicklung der internationalen Marx-Diskussion, die in Teil 3 der vorliegenden Studie erarbeitet sind, ausführlich auf westdeutsche Theorieansätze seit 1980 eingegangen wird, konzentriere ich mich hier

1

In der vorliegenden Arbeit ist der Westteil Berlins in den Begriff „Westdeutschland" eingeschlossen.

2.1. WESTDEUTSCHLAND

79

primär auf die Darstellung der westdeutschen Debatte der 60er und 70er Jahre. Um nicht zu sehr vorzugreifen, wird die spätere Entwicklung hier nur ganz kurz skizziert und periodisiert. Allerdings soll mit der an dieser Stelle vorgenommenen Schwerpunktlegung auf die 60er und 70er Jahre keineswegs suggeriert werden, dass die Folgejahre bis zur Gegenwart in der Theoriedebatte keine oder nur geringe Fortschritte erbracht hätten. Ganz im Gegenteil. Die westdeutsche Debatte erlebte in theoriegeschichtlicher Hinsicht ihre Höhepunkte erst in späterer Zeit. Die Wiederentdeckung und Wiederaneignung der „reifen" Kritik der politischen Ökonomie von Marx war die wichtigste Aufgabe, die sich in den 60er Jahren stellte nach der brutalen Beendigung der Diskussion durch den Nationalsozialismus und nach ihrer anschließenden (weitgehenden) Vermeidung durch die für die westdeutsche Nachkriegszeit typische Fokussierung auf die Marxschen Frühschriften. Einen wirksamen und weiterführenden Anstoß erhielt die westdeutsche Marxbeschäftigung gegen Ende der 60er Jahre von außerhalb der BRD: nämlich aus dem US-amerikanischen Exil, von Roman Rosdolsky, der einen vielgelesenen Kommentar zu den Marxschen Grundrissen verfasst hatte.2 Der ursprünglich aus Galizien stammende Marxforscher Rosdolsky, der sowohl um die Zerstörung der sowjetischen Rubin-Strömung in der Stalinzeit wusste,3 als auch selbst als antifaschistischer Widerstandskämpfer in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück und Oranienburg beinahe umgebracht worden wäre, gab über die hinter seinem opus magnum stehende Motivation folgendermaßen Auskunft: Er selbst sei weder ein Ökonom noch ein Philosoph ex professo. Er hätte es daher nicht gewagt, „einen Kommentar zum , Rohentwurf zu schreiben, wenn es heute noch - wie im ersten Drittel unseres Jahrhunderts - eine Schule marxistischer Theoretiker gäbe, die dieser Aufgabe besser gewachsen wären. Indes: Die letzte Generation namhafter marxistischer Theoretiker ist zumeist dem Hitlerschen und dem Stalinschen Terror zum Opfer gefallen. Dadurch wurde aber die Weiterbildung des marxistischen Gedankengutes für Jahrzehnte unterbrochen. Unter solchen Umständen glaubt der Verfasser verpflichtet zu sein, seine Arbeit - wie mangelhaft und unvollkommen sie auch sein mag - dem Leserkreis zu übergeben - in der Hoffnung, dass nach ihm jüngere Kräfte kommen werden, für die die Marxsche Theorie wiederum ein lebendiger Quell der Erkenntnis und der darauf gerichteten Praxis sein wird." 4 Diese Hoffnung Rosdolskys sollte sich erfüllen, was nicht zuletzt seinem eigenen Theoriebeitrag zu verdanken war. (Er selbst erlebte dies allerdings nicht mehr, da er 1967 im Exil zu Detroit verstorben war und sein Hauptwerk erst im darauffolgenden Jahr posthum in Westdeutschland veröffentlicht wurde.) Während sich in Japan bereits recht bald nach 1945 eine differenzierte Diskussion um die Methode der Marxschen Ökonomiekritik wieder herausbildete und dabei an den japanischen Diskussionsstand der Zwischenkriegszeit nicht bloß angeknüpft, sondern über ihn hinausgegangen wurde, unterblieb in Westdeutschland zunächst eine vergleich2 3 4

Siehe Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital". Der Rohentwurf des „Kapitals" 1857-1858, Frankfurt/M. 1968. Siehe ebd., S. 675. Ebd., Bd. 1, S. lOf.

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2 . DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

bare Entwicklung. Hier ging es bis gegen Ende der 60er Jahre vor allem darum, eine vor 1933 bloß im Anfangsstadium befindliche,5 dann gewaltsam abgebrochene und seither weitgehend inexistente Kapital-Debatte überhaupt erst mit Leben zu erfüllen. Während der Hochphase von Rosdolskys Arbeit an der 1968 erschienenen Monographie, nämlich in den frühen 50er Jahren, entwickelte sich eine Briefkorrespondenz Rosdolskys mit Karl Korsch. Dieser zählte zu den wichtigsten Repräsentanten eines gegenüber dem „offiziellen" Marxismus-Leninismus kritischen Marxismus der Zwischenkriegszeit und hatte ebenfalls Zugang zu einem der ganz wenigen Exemplare der Grundrisse, die nach der sowjetischen Erstveröffentlichung von 1939/1941 in die westliche Welt gelangt waren. Michael Buckmiller schreibt über die Diskussion zwischen Rosdolsky und Korsch: „Rosdolsky ist im Dezember 1950 mit der Bearbeitung der Grundrisse so weit fortgeschritten, dass er an die Niederschrift seines Kommentars und seiner ,Umkomposition' gehen will und Korsch sich [...] als kritischen Gegenleser und Diskutant wünscht - vor allem in Hinblick auf Unterstützung in der Hegel-Interpretation."6 In der publizierten Fassung von Rosdolskys Monographie klang dessen Bedauern darüber durch, dass er die von ihm selbst als sehr wichtig eingeschätzte Problematik des Marxschen Verhältnisses zur Hegeischen Logik nur ansprechen, nicht aber tiefgehender theoretisieren konnte. Rosdolskys Arbeit zu den Grundrissen war um die Jahreswende 1953/1954 fast fertiggestellt. Bereits im Jahr 1953 konnte eine in die Monographie eingegangene Untersuchung über die Problematik des „Kapital im allgemeinen" bei Marx in der schweizerischen Zeitschrift Kyklos erscheinen.7 Dies erregte aber - ganz im Gegensatz zur Buchpublikation von 1968 - wenig nachhaltige Aufmerksamkeit. Allem Anschein nach war der deutschsprachige - und insbesondere der westdeutsche - Marx-Diskurs der 1950er Jahre noch nicht reif für eine breite und intensive Diskussion methodologischer Probleme dieser Richtung. Der linkssozialistische Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth, dem Rosdolsky sein Buchmanuskript in den 50er Jahren hatte zukommen lassen, charakterisierte in einem Brief von 1957 die Situation folgendermaßen: „Die Marx-Diskussion müsste auf ernsthafte und nicht lediglich philosophisch bzw. theologisch ver5

Bereits in den 1920er Jahren hatte sich Henryk Grossmann die Rekonstruktion der dem Kapital zugrundeliegenden Methode zur Aufgabe gestellt. Allerdings zog er hinsichtlich des zeitgenössischen Forschungsstands ein ernüchterndes F^zit. „Der unbefriedigende Zustand der bisherigen Marxforschung ist m. E. darauf zurückzuführen, dass man sich bisher über die Marasche Forschungsmethode nicht nur keine klaren, sondern, so merkwürdig das erscheinen mag, überhaupt keine Gedanken machte. Man klammerte sich an die Ergebnisse der Lehre. Die Methode ging dabei verloren", so Hernyk Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, Leipzig 1929, S. v. Zu Grossmann siehe u. a. Rick Kuhn, Henryk Grossman and the Recovery of Marxism, Urbana/USA 2007.

6

Michael Buckmiller, Die Marx-Interpretation im Briefwechsel zwischen Karl Korsch und Roman Rosdolsky (1950-1954), in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Werkausgaben in der UdSSR und DDR (1945 bis 1968) (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 5), Hamburg 2006, S. 310. Siehe Roman Rosdolsky, Das „Kapital im Allgemeinen" und die „Vielen Kapitalien", in: Kyklos 6/2 (1953), S. 153ff.

7

2.1. WESTDEUTSCHLAND

81

sponnene Weise auch in Deutschland wieder in Gang gebracht werden." 8 Von daher ist zu fragen, ob vor d e m Hintergrund der D o m i n a n z des westdeutschen Frühschriften-Diskurses und insbesondere der Marx-Debatte im Umkreis der Evangelischen A k a d e m i e n die Arbeit v o n R o s d o l s k y in den 50er und frühen 60er Jahren Jahren überhaupt so inspirativ und nachhaltig hätte wirken können w i e ab 1968. Jedenfalls überarbeitete Rosdolsky erst kurz vor seinem Lebensende (1967) die fast fertige Monographie und machte sie druckfertig. A u f inhaltliche Kernthesen aus R o s d o l s k y s Arbeit wird in Teil 3 dieser Studie eingegangen; hier genügt die Feststellung, dass R o s d o l s k y s Monographie dazu beitrug, der westdeutschen Marxbeschäftigung der folgenden Jahrzehnte neue thematis c h e Horizonte z u erschließen und w i c h t i g e Problemfelder der weiteren Forschung abzustecken. D i e s gilt insbesondere für die Debatte zur „Aufbauplan-Problematik" in Hinblick auf die v o n Marx ursprünglich konzipierte 6-Bücher-Struktur s o w i e bezüglich des Gliederungskonzepts des „Kapital im allgemeinen", aber auch generell zur Entstehungsgeschichte des Marxschen Hauptwerks. D i e Kapital-Debatte

i m Z u s a m m e n h a n g mit der Studentenbewegung der späten 60er

Jahre ist teilweise vor d e m Hintergrund v o n Marx-Interpretationen zu betrachten, die Ende der 50er und A n f a n g der 60er Jahre im Umkreis des Frankfurter Instituts für Sozialforschung erarbeitet wurden. 9 Hier wäre in erster Linie die Dissertation z u m Begriff

8

9

Wolfgang Abendroth, Brief vom 19. Juni 1957 an Roman Rosdolsky, zit. n. Michael Buckmiller, Die Marx-Interpretation im Briefwechsel zwischen Karl Korsch und Roman Rosdolsky (1950— 1954), S. 316. Zur Marx-Beschäftigung im Umkreis des Frankfurter Instituts für Sozialforschung ist erwähnenswert, dass zwei Quellen unabhängig voneinander den theoretischen Einfluss von Adornos MarxLektüre hervorheben. Ernst-Theodor Mohl schreibt: „In einem Privatissimum hat er [Adorno] mir Anfang der 60er Jahre den Fetischabschnitt und die daraus folgende Subjekt-Objekt-Verkehrung so erläutert, dass mir im Folgenden eine ökonomistisch-verkürzte Sicht auf Marx' KapitalismusKritik nicht mehr unterlief', so Ernst Theodor Mohl, Ein Reisebericht, in: Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition e. V. (Hg.), In Memoriam Wolfgang Jahn. Der ganze Marx. Alles Verfasste veröffentlichen, erforschen und den „ungeschriebenen" Marx rekonstruieren (= Wissenschaftliche Mitteilungen, Heft 1), Hamburg 2002, S. 18f. Hans-Georg Backhaus schreibt über seine 1997 publizierte Mitschrift einer Adorno-Vorlesung über Marx: „Die im Anhang veröffentlichte Mitschrift aus dem Sommer 1962 dürfte einen Einblick in die geistige und politische Atmosphäre vermitteln, die Anfang und Mitte der 60er Jahre den Anstoß zu einer neuen Marx-Lektüre gab und die auch den geistigen Hintergrund der Protestbewegung mitgeformt hat", so Hans-Georg Backhaus, Zuvor: Die Anfange der neuen Marx-Lektüre, in: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik, Freiburg 1997, S. 29. Im Jahr 1974 übte Backhaus allerdings folgende Kritik an der Frankfurter Schule: „Die Tatsache, dass nur von der Marxschen Arbeitswerttheorie her der Gesellschafts- und Ideologiebegriff der Frankfurter Schule verständlich wird, aber dennoch diese werttheoretische Dimension im deutschen Positivismusstreit sowie in der kommentierenden Darstellung dieses Streits völlig ausgeblendet worden ist, weist nun allerdings darauf hin, dass Adorno und Horkheimer selbst die arbeitswerttheoretische Grundlegung der kritischen Theorie methodologisch unzulänglich reflektiert haben. Obwohl die Grundbegriffe der Marxschen Werttheorie, der Meinung Adornos und Horkheimers zufolge, die Werttheorie als fachökonomische Disziplin transzendieren, wurde auf die Interpretation dieser für die Frankfurter Soziologie und Philosophie grundlegenden Begriffe ein erstaunlieh geringes Maß an Sorgfalt verwendet. Bedenkt

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2 . DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

der Natur bei Marx zu nennen, die der Horkheimer-Schüler Alfred Schmidt in den Jahren 1957 bis 1960 anfertigte und die nach ihrer Veröffentlichung im Jahr 1962 in den Folgejahren weite Verbreitung fand. Obwohl in thematischer Hinsicht von einer intensiven Auseinandersetzung mit den Spezifika der Marxschen Ökonomiekritik in dem Sinne, wie sie Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt in späterer Zeit lieferten, noch nicht die Rede sein kann, gab Schmidt mit dieser Arbeit für die nachfolgende MarxDebatte einen wichtigen Impuls, den er in einem Postscriptum von 1971 folgendermaßen reflektiert: „Dem Buch wohnt insofern ein polemisches Element inne, als es zu den ersten Studien gehörte, die versuchten, die politisch-ökonomischen Schriften des mittleren und reifen Marx, insbesondere Das Kapital und" die Grundrisse „für eine philosophische Interpretation des Marxschen Lebenswerks heranzuziehen. Der Verfasser stellte sich damit gegen die westeuropäisch verbreiteten, existenzialistisch, auch theologisch gefärbten Tendenzen der fünfziger Jahre", die Marxsche Theorie auf eine um die „Entfremdungsproblematik der Frühschriften (namentlich der Pariser Manuskripte von 1844) zentrierte , Anthropologie'" 10 zu reduzieren. Mit der Fokussierung auf die „philosophische Tiefe" des jungen Marx habe man sich den Kritiker der bürgerlichen Ökonomie vom Hals gehalten. Die Marx-Lektüre der 60er Jahre war tatsächlich in Teilen von dem Versuch geprägt, die Defizite der bis dahin beinahe dominanten und relativ einseitig auf die Frühschriften zentrierten Interpretation zu überwinden. Eine Weichenstellung für die in den 60er Jahren aufkeimende und sich spätestens in den 70er Jahren zu einem wichtigen Theoriezusammenhang herausbildende neue Frankfurter Marx-Interpretation war durch das theoretische Erbe der Frankfurter Schule vorgegeben. Während für den traditionellen Marxismus die Engelssche„Dialektik der Natur" und insbesondere die mit dessen Anti-Dühring bereits antizipierte Entwicklung der Marxschen bzw. marxistischen Theorie zu einer proletarischen „Weltanschauung" von entscheidender Bedeutung war, versuchten nun Vertreter einer jüngeren Generation,

man die außergewöhnliche Funktion, die einem einzigen ,Begriff, dem Wert oder der gesellschaftlichen Arbeit, zugesprochen wird, so kann man sich nur wundern, dass Adorno und Horkheimer das soziologisch und philosophisch relevante Lehrstück der Arbeitswerttheorie, die Wertformanalyse, gänzlich ignoriert haben." (Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform, S. 75f.) Inzwischen ist eine Reihe von Studien zur Marx-Rezeption von Adorno bzw. Horkheimer erschienen: Kornelia Hafner, „Daß der Bann sich löse". Annäherungen an Adornos Marx-Rezeption, in: Diethard Behrens (Hg.), Materialistische Theorie und Praxis. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Kritik der politischen Ökonomie, Freiburg 2005, S. 129£f.; Jürgen Ritsert, Realabstraktion. Ein zurecht abgewertetes Thema der kritischen Theorie?, in: Christoph Görg, Roland Roth (Hg.), Kein Staat zu machen. Zur Kritik der Sozialwissenschaften, Münster 1998, S. 324ff.; Hans-Joachim Blank, Zur Marx-Rezeption des frühen Horkheimer, in: Iring Fetscher, Alfred Schmidt (Hg.), Emanzipation als Versöhnung. Zu Adornos Kritik der „Warentausch"-Gesellschaft und Perspektiven der Transformation, Frankfurt/M. 2002, S. 50ff. 10 Alfred Schmidt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx. Überarbeitete, ergänzte und mit einem Postscriptum versehene Neuausgabe, Frankfurt/M. 1971, S. 207. Ein weiterer westdeutscher Autor, der in den 60er Jahren auf die Grundrisse einging, war indes kein genuiner Vertreter der „Frankfurter Richtung" der Marx-Interpretation: Friedrich Tomberg, Der Begriff der Entfremdung in den „Grundrissen" von Karl Marx, in: Das Argument 52 (1969), S. 187ff.

2 . 1 . WESTDEUTSCHLAND

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sich das zum Klassiker stilisierte, jedoch selten gründlich gelesene Kapital und insbesondere den bis dahin weitgehend übersehenen Rohentwurf von 1857/58 zu erschließen. Dies geschah gerade unter Abschüttelung des rezeptionshistorischen Ballastes, den die Weltanschauungs-Marxismen der II. und der III. Internationale großen Teilen der Marxismus-Beschäftigung bis dahin aufgeladen hatten. Hans-Georg Backhaus schrieb 1978: „Die ,neue Kapital-Lektüre' ist im Umkreis der Frankfurter Schule entstanden und verdankt sich daher vor allem" deren „Kritik an der Widerspiegelungstheorie und der Naturdialektik sowie am Basis-Überbau-Theorem. Sie verhält sich orthodox lediglich gegenüber der Marxschen Ökonomiekritik, jedoch durchaus revisionistisch gegenüber gewissen philosophischen Leitvorstellungen von Marx und Engels. Dieser zwiespältigen Haltung wegen könnte man die ,logische' Richtung der ATop/to/-Interpretation als neoorthodoxe kennzeichnen."11 Wir haben es also mit einer selektiven Klassiker-Aneignung seitens der theoretischen Köpfe der Frankfurter Marx-Lektüre der 60er/70er Jahre zu tun, die durch das Interpretationsschema der Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer beeinflusst war. Diese Prägung durch eine ältere Theorieströmung war eine entscheidende Vorbedingung dafür, dass sich in den 70er Jahren eine zugleich orthodoxe und revisionistische „Neoorthodoxie" gegenüber der traditionellen marxistischen Theorieorthodoxie west- wie ostdeutscher Provenienz positionieren konnte. In seinem dritten Teil der Materialien zur Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie von 1978 wandte sich Hans-Georg Backhaus jedoch von dieser „Neoorthodoxie" ab, da er eine „orthodoxe" Position gegenüber der Marxschen Ökonomiekritik angesichts der in ihr (angeblich) vorhandenen Probleme für unangebracht hielt. Ein weiteres Moment, das die Frankfurter Kapital-Lektüre der 60er Jahre beeinflusste, war ein Zufallsfund, auf den ein damaliger Student und heutiger Nestor der Frankfurter Marx-Interpretation, nämlich Hans-Georg Backhaus, ca. 1963 in der Bibliothek des wenige Jahre zuvor verstorbenen sozialdemokratischen Politikers Hermann Brill gestoßen war. Hierbei handelte es sich um die damals - zumindest in Westdeutschland - kaum bekannte Ä^pz'taZ-Erstausgabe von 1867;12 „schon auf den ersten Blick", so schreibt Backhaus rückblickend, „zeigten sich kategoriale Unterschiede in der BegrifFsbildung und auch der Fragestellung der Werttheorie, die in der zweiten Ausgabe allenfalls noch angedeutet worden sind. In der hundertjährigen Diskussion über die Marxsche Werttheorie war dieser ältere Text völlig übergangen worden [...]"13 In der Tat existieren zwischen diesen beiden Ausgaben des ersten Kapital-Bandes beachtenswerte Unterschiede. Schließlich wurde der Frankfurter Politikwissenschaftler Iring Fetscher auf die

11 Hans-Georg Backhaus, Materialien zur Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie III., in: HansGeorg Backhaus, Dialektik der Wertform, S. 138. 12 In der DDR war spätestens 1955 der popularisierte wertformanalytische Anhang zur Kapital-Erstausgabe von 1867 neu erschienen, in Japan wurde spätestens 1959 ein Reprint der Erstausgabe des Kapital herausgebracht. Diese editionsgeschichtlichen Ereignisse trafen in der damaligen MarxRezeption Westdeutschlands im Allgemeinen nicht auf die große Aufmerksamkeit, die sie verdient gehabt hätten. 13 Hans-Georg Backhaus, Zuvor: Die Anfänge der neuen Marx-Lektüre, in: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform, S. 29.

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neuentdeckte Erstausgabe des Kapital von 1867 aufmerksam und nahm einen werttheoretischen Textabschnitt daraus in die 1966 von ihm herausgegebene Marx-Engels-Studienausgabe auf.14 Was auf den ersten Blick als Anekdote aus den 60er Jahren erscheinen mag, offenbahrt auf den zweiten Blick weitreichende theoretische Konsequenzen. Die Backhaussche Zufallsentdeckung stand am Anfang einer Entwicklung, in der die Interpretation von wert- bzw. wertformtheoretischen Unterschieden zwischen den verschiedenen Ausgaben des ersten Kapital-Bandes15 (durch Hans-Georg Backhaus selbst über Gerhard Göhler bis hin zu Winfried Schwarz, 16 Michael Heinrich 17 und Christian Iber 18 ) zu einem geradezu „klassischen" Forschungsfeld der westdeutschen KapitalInterpretation wurde, anhand dessen zentrale Fragen - das Logische und das Historische in der Marxschen Darstellung, die Problematik von Formanalyse und Handlungstheorie oder die Frage der Popularisierung der Marxschen Theorie durch Marx selbst - diskutiert oder angeschnitten werden konnten. Ein erster Höhepunkt der neuen Frankfurter Beschäftigung mit der Marxschen Ökonomiekritik wurde auf dem Frankfurter Kongress zum hundertsten Jahrestag der Veröffentlichung der eben erwähnten Erstausgabe des ersten Kapital-Bandes erreicht, im Jahr 1967. Wieder stand Alfred Schmidt im Mittelpunkt, wobei es ihm gelang, wichtige Themen zu kennzeichnen, welche die ÄTa/Nta/-Interpretation bis in die Gegenwart beschäftigen. Dies gilt zum einen für das Verhältnis von Marxschem Früh- und Spätwerk, das Schmidt folgendermaßen bestimmte: „Auf das Marxsche Lebenswerk selbst ist der methodische Grundsatz Marxens anzuwenden, dass wir die Anatomie des Affen aus der des Menschen erklären und nicht umgekehrt. Die Frühschriften von Marx und Engels, in denen man lange den eigentlich philosophisch-humanistischen Gehalt des Marxismus sehen wollte, sind ganz nur aus der historisch-ökonomischen Analyse des Kapitals zu

14 Siehe Iring Fetscher, Karl Marx, Friedrich Engels: Studienausgabe. Überlegungen, die zur Zusammensetzung der Texte zur Studienausgabe in vier Bänden (1966) geführt haben, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Werkausgaben in der UdSSR und DDR (1945 bis 1968) (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 5), Hamburg 2006, S. 464. 15 Ein Beitrag von einer Marxforscherin aus der ehemaligen DDR zur Marxschen Überarbeitung seiner Werttheorie im Rahmen der Vorbereitung der Zweitausgabe von Band I des Kapital·. Barbara Lietz, Die Problematik von Wert und Tauschwert und die „Ergänzungen und Veränderungen zum ersten Band des Kapital", in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx' Ökonomiekritik im Kapital (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1999), Hamburg 2000, S. 57ff. 16 Siehe Winfried Schwarz, Die Geldform in der 1. und 2. Auflage des „Kapital". Zur Diskussion um die „Historisierung" der Wertformanalyse, in: Internationale Marx-Engels-Forschung (= Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF 12), Frankfurt/M. 1987, S. 200ff. 17 Siehe Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, Münster 1999, S. 226ff. Zur Marxschen Analyse der Wertform siehe auch Michael Heinrich, Wie das Marxsche Kapital lesen? Hinweise zur Lektüre und Kommentar zum Anfang von „Das Kapital", Stuttgart 2008, S. 104ff. u. 259fF. 18 Siehe Christian Iber, Die Bedeutung der Differenz in der Entwicklung der Wertformen zwischen der ersten und der zweiten Auflage des Kapital, in: Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf (Hg.), Das Kapital neu lesen - Beiträge zur radikalen Philosophie, Münster 2006, S. 189ff.

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verstehen." 19 Zum anderen hob Schmidt den Marxschen Kritikbegriff hervor, mit Blick auf dessen Projekt einer Kritik der politischen Ökonomie. Wichtig ist auch, dass Schmidt den Gedanken fasste, dass die Marx-Interpretation „konstruierend" über die Unmittelbarkeit der Marxschen Texte und über die notwendige philologische Arbeit mit diesen Texten hinauszugehen habe. Elemente eines derartigen Vorgehens lassen sich durchaus in der späteren Forschung finden. Schmidt argumentierte zudem, dass das Marxsche Selbstverständnis - so wichtig es auch sei - oft genug weit hinter dem zurückbleibe, „was Marx in seinen materialen Analysen theoretisch bietet." 20 Es dürfte nicht übertrieben sein, zu behaupten, dass Schmidts Vortrag eine Art „Geburtsdokument" der damals neuartigen intensiven und ambitionierten Beschäftigung mit der Kritik der politischen Ökonomie im westlichen Nachkriegsdeutschland darstellt. Hans-Georg Backhaus und sein Forscherkollege Helmut Reichelt rückten seit den 60er Jahren eine spezifisch „qualitative" Problematik im Marxschen Werk in den Mittelpunkt, der sich die Beschäftigung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu stellen habe. Die Marxsche Kritik ökonomischer Kategorien transzendiert nach Backhaus zwar die Disziplin der Fachökonomie, doch leiste die Wertformanalyse eine Aufhebung fachökonomischer Antinomien. Backhaus bahnte mit einer Bearbeitung der Wertform- sowie der Fetischismusproblematik, die 1969 im Rahmen seines vielrezipierten Aufsatzes Zur Dialektik der Wertform publiziert wurde, einem Teil der späteren deutschen bzw. westdeutschen Diskussion zur Kritik der politischen Ökonomie den Weg.21 Im Jahr 1969 hatte sich Helmut Reichelt gegen eine fachökonomisch verkürzte Lesart der Marxschen Ökonomiekritik ausgesprochen. 22 Am Ende der ersten „Welle" der neuen Frankfurter Marxbeschäftigung, deren Anfang bis auf Schmidts Monographie zum Marxschen Naturbegriff zurückgeht, steht Reichelts Interpretation der Marxschen Wert-, Geld- und Kapitaltheorie aus dem Jahr 1970. Es handelt sich bei Reichelts Dissertation um den Versuch, einen Teil des Darstellungsgangs der Marxschen Explikation der ökonomischen Kategorien nachzuzeichnen, genauer gesagt, von Ware und Geld bis zur abstraktesten Form des Kapitals. Marx besteht nach Reichelt auf einer strengen Ableitung der Genesis ökonomischer Formen. 23 Reichelts Arbeit steht im Kontext der internationalen GnWräje-Lektürewelle der 60er und 70er Jahre. In den Grundrissen trete deutlicher als im Kapital zutage, dass „die , schwer verständliche Hegeische Ausdrucksweise' integraler Bestandteil der Marxschen Kritik ist. Die Verflechtung von Sachverhalten, die traditionellerweise der ökonomischen Wissenschaft zugerechnet werden,

19 Alfred Schmidt, Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie, in: Walter Euchner, Alfred Schmidt (Hg.), Kritik der politischen Ökonomie heute. 100 Jahre Kapital, Frankfurt/M. 1968, S. 33. 20 Ebd., S. 32. 21 Siehe Hans-Georg Backhaus, Zur Dialektik der Wertform, in: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform, S. 41ff. Dieser Aufsatz beruht auf einer 1968 abgeschlossenen Diplomarbeit. 22 Siehe Helmut Reichelt, Zur Marxschen Werttheorie und deren Interpretation bei Werner Hofmann, in: Sozialistische Politik 2 (1969), S. 17ff. 23 Siehe Helmut Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx, Freiburg 2001, S. 22. Die Erstausgabe dieses Buchs wurde 1970 veröffentlicht.

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und eine an der Hegeischen Logik orientierte Form der Darstellung dieser Sachverhalte ist hier so eng, dass das eine abgelöst vom anderen gar nicht mehr zu erörtern ist."24 Der emphatische Bezug auf die Grundrisse sollte auch in späterer Zeit fur Backhaus' und Reichelts Auseinandersetzung mit der Marxschen Ökonomiekritik konstitutiv bleiben. Die Marxschen ökonomiekritischen Texte ab Zur Kritik (1859 veröffentlicht) seien von Marx selbst popularisiert25 und die Methode sei „versteckt" worden - so lautet ein Grundtenor von Backhaus' und Reichelts Forschung seit den 90er Jahren. In diesem Zusammenhang habe Marx wesentliche Momente seiner Ökonomiekritik verschleiert. Umgekehrt impliziert diese These von Backhaus und Reichelt eine Aufwertung der Grundrisse und des Urtextes von 1858.26 Hans-Georg Backhaus' Aufsatzserie Materialien zur Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie aus den 70er Jahren, insbesondere deren zweiter Teil von 1975, begründete im deutschsprachigen Raum die Interpretationsrichtung der „monetären Werttheorie" bzw. der Deutung der Marxschen Werttheorie als Kritik prämonetärer Werttheorien. „Die Marxsche Werttheorie ist" - so hielt Backhaus seine Ansicht prägnant fest - „als Kritik prämonetärer Werttheorien konzipiert - sie ist auf der Darstellungsebene der einfachen Zirkulation essentiell Geldtheorie."21 Backhaus wies der Marxschen Darstellung seiner Ökonomiekritik einen strikt „logischen" Charakter zu und wandte sich damit gegen die auf Engels28 zurückgehende „logisch-historische" Lesart der Marxschen Darstellung, stellte jedoch im dritten Teil der Materialien zur Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie von 1978 eigene diesbezügliche Ansichten wieder in Frage. In Westdeutschland inklusive Westberlin war - wie Frieder Otto Wolf, Alexis Petrioli, Ingo Stützle und ich an anderer Stelle bereits dargelegt haben - für die Jahre ab 1968 eine rege Auseinandersetzung „nicht nur mit marxistischen ,Klassikern', sondern auch mit dem zeitgenössischen Kapital-Verständnis im In- und Ausland zu verzeichnen. In den Rezensionsspalten der Zeitschriften Sozialistische Politik, Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Das Argument 24 Ebd., S. 21. Zu Reichelts gegenwärtiger Sicht auf die Grundrisse: Helmut Reichelt, Zum Problem der dialektischen Darstellung ökonomischer Kategorien im Rohentwurf des Kapitals, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geld - Kapital - Wert. Zum 150. Jahrestag der Niederschrift von Marx' ökonomischen Manuskripten 1857/58 Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2007), Hamburg 2007, S. 87ff. 25 Man spricht in dieser Hinsicht von einer „Popularisierungsthese" von Backhaus und Reichelt. 26 Dieter Wolf hat einen großangelegten Versuch unternommen, neuere wert- und geldtheoretische Auffassungen von Reichelt zu widerlegen: Dieter Wolf, Kritische Theorie und Kritik der Politischen Ökonomie, in: Dieter Wolf, Heinz Paragenings, Zur Konfusion des Wertbegriffs. Beiträge zur „Kapital"-Diskussion (= Wissenschaftliche Mitteilungen des Berliner Vereins zur Förderung der MEGAEdition e. V., Heft 3), Hamburg 2004, S. 9ff. 27 Hans-Georg Backhaus, Materialien zur Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie II, in: HansGeorg Backhaus, Dialektik der Wertform, S. 94. 28 Backhaus war nicht der einzige, der in der BRD der 70er Jahre zu Engels' Auseinandersetzung mit der Marxschen Ökonomiekritik forschte: Siehe auch Heinz-Dieter Kittsteiner, „Logisch" und „Historisch". Differenzen des Marxschen und Engelsschen Systems der Wissenschaft, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 13 (1977), S. Iff.

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und Neue Kritik fanden Auseinandersetzungen"29 mit Interpretationen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie statt, die von dem Marburger Soziologen Werner Hofmann, dem belgischen Marxisten und Trotzkisten Ernest Mandel, dem Hallenser Marxforscher Wolfgang Jahn, dem tschechoslowakischen Philosophen Jindrich Zeleny, dem Marxforscher Roman Rosdolsky, den sowjetischen bzw. ostdeutschen Marx-Interpreten Witali Wygodski und Walter Tuchscheerer, aber auch von Jürgen Habermas vorgelegt worden waren.30 An der,Aufnahme der Arbeiten Wygodskis, Tuchscheerers, Jahns und Zelenys ist erkennbar, dass es sich bei der Kapital-Lektüre der BRD-Studentenbewegung trotz ihres innovativen Potenzials nicht um ein reines ,Eigengewächs' handelte, sondern parallel zu den ,eigenen' Theoriebildungsprozessen auch ein fruchtbarer Theorietransfer von Ost nach West stattfand."31 Zudem kann nach dem eventuellen Einfluss der Althusser-Schule auf die westdeutsche Marx-Rezeption gefragt werden.32 Die westdeutsche Marx-Debatte, die sich vor allem im Gefolge der Studentenbewegung entwickelte, ist nicht als ein isoliertes Phänomen zu betrachten. Stattdessen stellte sie innerhalb der internationalen Diskussion - die auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs" gefuhrt wurde - einen wichtigen Schnittpunkt eigener Theorieansätze mit denen aus Ost und West dar. Ein wesentlicher Aspekt der Auseinandersetzung mit der Kritik der politischen Ökonomie, die während oder unmittelbar nach der Studentenbewegung stattfand, war die Rezeption von davor in Westdeutschland zu wenig berücksichtigten Marxschen Texten. Neben dem 1966 neu herausgebrachten Anfangsteil der bereits angesprochenen KapitalErstausgabe von 1867 ist in diesem Zusammenhang vor allem auf das beachtliche Interesse an den Grundrissen33 hinzuweisen, welches nicht zuletzt ab 1968 auch durch die Monographie Rosdolskys gesteigert wurde. Als ein weiteres Beispiel sind die Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses zu nennen. Nachdem dieser Marxsche Text erstmals 1933 (in deutscher und russischer Sprache) veröffentlicht worden war, erschien er Ende der 60er Jahre in Westdeutschland neu. Eine intensive Kapital-Debatte hatte sich in Westberlin mit geringer zeitlicher Verzögerung (gegenüber der zunächst etwas weiter fortgeschrittenen Frankfurter Diskussion)

29 Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf, Einleitung zu Das Kapital neu lesen, in: Jan Hoff", Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf (Hg.), Das Kapital neu lesen - Beiträge zur radikalen Philosophie, Münster 2006, S. 26. 30 Aus einer Reihe von kritischen Auseinandersetzungen, die sich um 1968 bis 1970 in den genannten Periodika befinden, können hier exemplarisch genannt werden: Wolfgang Müller, Habermas und die Anwendbarkeit der Arbeitswerttheorie, in: Sozialistische Politik 1 (1969), S. 39ff.; Wolfgang Müller, Marxistische Wirtschaftstheorie und Fetischcharakter der Ware. Kritische Bemerkungen zum Hauptwerk Ernest Mandéis, in: Neue Kritik 51/52 (1969), S. 69ff. 31 Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf, Einleitung zu Das Kapital neu lesen, S. 26. 32 Zu dieser Frage äußert sich Ingo Elbe, Marx im Westen, S. 48ff. 33 Eine Diskussion der Grundrisse findet übrigens auch heute noch statt. Siehe Komelia Hafner, Kirsten Huckenbeck, 150 Jahre Grundrisse. Eine Revolutionierung der Marx-Lektüre. Tagungsbericht, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Das Spätwerk von Friedrich Engels. Zur Edition in der Marx-Engels-Gesamtausgabe (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2008), Hamburg 2008, S. 267ff.

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herausgebildet. Zu den einflussreichsten Theoretikern des Westberliner Marxismus der 70er Jahre gehörte Joachim Bischoff, der im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der Dialektik-Problematik u. a. auf die Frage von Forschung und Darstellung bei Marx einging. Während Bischoff der Darstellung der Kritik der politischen Ökonomie eine dialektische Form zuwies, konnte er hinsichtlich des Forschungsprozesses - bei dem es um das Aufspüren des inneren Zusammenhangs ökonomischer Formen gehe - keine Hinweise auf einen Beitrag der dialektischen Methode feststellen.34 Im Kreis um Bischoff formierte sich zu Beginn der 70er Jahre die „Projektgruppe Entwicklung des Marxschen Systems" (PEM), die in der Folgezeit außer ihrer Interpretation zu verschiedenen Entwürfen der Marxschen Geldtheorie35 Textkommentare zu den Theorien über den Mehrwert sowie zu anderen Marxschen Schriften vorlegte.36 Von großer Bedeutung war die theoretische Kontroverse über den grundsätzlichen Stellenwert der Theorien über den Mehrwert im Marxschen Œuvre, die zwischen der Westberliner PEM und Marxforschern aus der DDR bzw. aus dem Umfeld der MEWund MEGA 2 -Editionsprojekte in den 70er Jahren ausgetragen wurde. Bekanntlich bilden die Theorien über den Mehrwert, die Bestandteil des Marxschen Manuskripts von 1861-63 sind (in Gestalt der Hefte VI bis XV, wobei spätere Hefte, insbesondere das Heft XVIII, Nachträge dazu enthalten), die bedeutendste und bekannteste Auseinandersetzung des Trierers mit der Geschichte der politischen Ökonomie. Da Marx spätestens ab Sommer 1865 plante, sein ökonomiekritisches Hauptwerk - Das Kapital in vier Bücher zu gliedern, wobei er die Theoriegeschichtsschreibung im vierten Buch konzentrieren wollte, (siehe MEW 31, S. 132) wurden die Theorien über den Mehrwert in der Marx-Interpretation bisweilen als vierter Band des Kapital bezeichnet. Einen entsprechenden Untertitel tragen die Theorien in der MEW-Ausgabe. (Siehe MEW 26.1-3) Auch Forscher aus dem Umkreis des MEGA2-Projekts verteidigten im Prinzip die Ansicht, wonach es sich bei den Theorien tatsächlich um einen Text handle, der unter Berücksichtigung seines Charakters als „Rohfassung" dem von Marx in späterer Zeit geplanten vierten Kapital-Band (mehr oder minder) entspreche. Die PEM vertrat eine andere Auffassung, die darauf hinauslief, dass die Bezeichnung der Theorien als „vierter

34 Siehe Joachim Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit als Systembegriff. Über wissenschaftliche Dialektik, Berlin/West 1973. 35 Siehe Projektgruppe Entwicklung des Marxschen Systems, Das Kapitel vom Geld. Interpretation der verschiedenen Entwürfe, Berlin/West 1973. Ingo Elbe vermutet, dass in dieser Schrift die „Einfügung der Geldform in die Wertformanalyse" wahrscheinlich erstmals in der westdeutschen Neuen Marx-Lektüre „explizit thematisiert und hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Darstellungsgang des Kapitals interpretiert" worden sei, so Ingo Elbe, Wertformanalyse und Geld. Zur Debatte über Popularisierungen, Brüche und Versteckspiele in der Marxschen Darstellung, in: Ingo Elbe, Tobias Reichardt, Dieter Wolf, Gesellschaftliche Praxis und ihre wissenschaftliche Darstellung. Beiträge zur Ä3/?/'to/-Diskussion, Hamburg 2008, S. 214. 36 Siehe u. a. Projektgruppe Entwicklung des Marxschen Systems, Der 4. Band des „Kapitals"? Kommentar zu den „Theorien über den Mehrwert", Berlin/West 1975 (im Folgenden setze ich mich mit dieser Studie auseinander); Projektgruppe Entwicklung des Marxschen Systems, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie: Kommentar, Hamburg 1978.

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Band des Kapital" unangemessen sei, da der Text zumindest teilweise einen wesentlich anderen Charakter habe. Ihr zufolge sind die Theorien nicht zuletzt auch als ein Dokument des Marxschen Forschungsprozesses im Kontext der Auseinandersetzung mit der Geschichte der politischen Ökonomie anzusehen; Marx habe mit der Arbeit an den Theorien seine Erkenntnisse sowohl zur Geschichte dieser Wissenschaft als auch - dies ist zentral - zur Struktur des Gegenstands selbst vertieft. Die generelle Bedeutung dieser Textbeschäftigung der PEM für die rezeptionshistorische Entwicklung in der Bundesrepublik bestand in ihrer Herangehensweise, den Marxschen Text konsequent bezüglich seines spezifischen Charakters zu befragen und in der interpretierenden Auseinandersetzung über die fragwürdige Praxis hinauszugehen, Marasche Texte auf eine Fundgrube für Zitate zu reduzieren. Neben Bischoff und der PEM wurde die Kapital-Debatte des Westberliner Marxismus der 70er Jahre auch durch weitere Richtungen bzw. Projekte repräsentiert. Erstmals 1974 erschienen Vorlesungen zur Einführung ins Kapital von Wolfgang Fritz Haug, 37 die ursprünglich als universitäre Begleitveranstaltungen zu Lektüregruppen (als Ausdruck der damals neuartigen ,,massenhafte[n] Rezeption des Kapital"3*) konzipiert waren. Zentrale Aspekte der Haugschen Vorlesungen bildeten u. a. das Problem des Darstellungsanfangs bei Marx sowie die Wertformproblematik. Ein Gedanke Haugs war, „die Einheit von ,Logischem' und »Historischem' als grundlegend für die Methode der Kritik der politischen Ökonomie aufzuweisen". 39 Ein ähnliches Motiv war auch bei der Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik seitens eines weiteren bekannten Repräsentanten des Westberliner Marxismus der 70er Jahre maßgeblich. Der Psychologe Klaus Holzkamp knüpfte im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit Bischoff an die traditionelle „logisch-historische" Lesart der Marxschen Ökonomiekritik an und verfolgte damit einen m. E. sachlich sehr problematischen Ansatz. 40 Eine auf die Rekonstruktion der Marxschen Ansätze zur Krisentheorie zugeschnittene Auseinandersetzung mit der Kritik der politischen Ökonomie wurde von einer anderen Westberliner Projektgruppe angegangen. 41 Trotz der Einschätzung, dass die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie im Hinblick auf die allgemeine Analyse der ökonomischen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft „von hoher Reichweite und Erklärungskraft" sei, wird von Bader et al. die Ansicht vertreten, dass im Kapital bezüglich

37 38 39 40

Siehe Wolfgang Fritz Haug, Vorlesungen zur Einführung ins „Kapital", Hamburg 1985. Ebd., S. 6. Ebd., S. 9. Siehe Klaus Holzkamp, Die historische Methode des wissenschaftlichen Sozialismus und ihre Verkennung durch J. Bischoff, in: Das Argument 84 (1974), S. Iff. Als ein weiterer Protagonist des insgesamt relativ heterogenen Westberliner Marxismus der 70er und 80er Jahre galt Elmar Altvater, der jahrelang am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Marx-Seminare veranstaltete und schließlich in Gestalt einer Ä"ap;ta/-Einführung das Resümee aus seiner diesbezüglichen Lehrtätigkeit zog: Elmar Altvater, Das Kapital (Bd. 1) von Marx in Schaubildern und Kommentaren, in: Elmar Altvater et al. (Hg.), Kapital.doc. Das Kapital (Bd. 1) von Marx in Schaubildern und Kommentaren, Münster 1998, S. 11 ff.

41 Siehe Veit-Michael Bader et al., Krise und Kapitalismus bei Marx, 2 Bd., Frankfurt/M. 1975.

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der Begründung bestimmter ökonomischer Bewegungsgesetze sowie ihres inneren Zusammenhangs durchaus auch Defizite vorhanden seien. Marx sei keineswegs über weitreichende Ansätze hinaus zu einer systematischen Darstellung der Krisen gelangt. Bader et al. waren um eine methodologische Fundierung ihrer Arbeit zu den krisentheoretischen Ansätzen von Marx bemüht. In diesem Kontext sollten zentrale Elemente der Marxschen Methode unter Bezugnahme auf die Philosophie G W. F. Hegels einer Klärung zugeführt werden. Der emphatische Hegelbezug von Bader et al. reiht sich in eine generelle Tendenz von Teilen der westdeutschen Marx-Debatte ein. Neben den beiden Zentren der westdeutschen Beschäftigung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie - Frankfurt/Main und West-Berlin - bildeten sich in den 70er Jahren auch in einigen „Subzentren" entsprechende Lektürebewegungen heraus. Die Marx-Interpretation in Konstanz (um Volkberth Roth42) war von der Frankfurter Theoriediskussion um Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt beeinflusst und knüpfte bald schon Verbindungen zur angelsächsischen Marx-Debatte („Projekt Sydney-Konstanz"43). In Hannover entstand eine „Projektgruppe zur Kritik der politischen Ökonomie". Das Kapital untersucht - der Interpretation der Projektgruppe zufolge - die Formbestimmtheiten der kapitalistischen Produktionsweise, die als historisch spezifische zu charakterisieren seien. Die Marxsche Argumentation sei als eine Formanalyse des Kapitals zu begreifen. Zudem bezieht sich die Autorengruppe auf das hohe Abstraktionsniveau der Marxschen Darstellung im Kapital. Es handle sich um eine Darstellung der allgemeinen, gesetzmäßigen Strukturen des Kapitalismus.44 Gemäß der „Hannoveraner" Deutung des Marxschen Darstellungsgangs dürfen die ökonomischen Kategorien darin „nicht aus der Empirie äußerlich aufgenommen werden, sondern sind im Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten auseinander zu entwickeln."45 Unter dem Eindruck des infolge der westdeutschen Studentenbewegung stark gestiegenen Interesses an Marx wagten einige „Fachphilosophen" ein „Gastspiel" in der Marx-Interpretation. Neben Arbeiten von Hans Friedrich Fulda46 und Michael Theunissen47 ist in diesem Kontext ein Beitrag von Rüdiger Bubner hervorzuheben, demzufolge zwei logische Elemente für eine Konvergenz von Hegelscher Logik und Marxschem Kapital sprechen.

42 Siehe u. a. Dirk von Holt, Ursula Pasero, Volkberth Roth, Aspekte der Marxschen Theorie 2. Zur Wertformanalyse, Frankfurt/M. 1974. 43 Auf die inhaltliche Ausrichtung der Forschung in Konstanz und Sydney wird im Überblick über die historische Entwicklung der angelsächsischen Debatte eingegangen. 44 Siehe Projektgruppe zur Kritik der politischen Ökonomie, Zur Logik des Kapitals, Westberlin 1973, S. 13. 45 Ebd., S. 24. 46 Siehe u. a. Hans Friedrich Fulda, These zur Dialektik als Darstellungsmethode (im „Kapital" von Marx), in: Hegel-Jahrbuch 1974, Köln 1975, S. 204ff. 47 Siehe Michael Theunissen, Krise der Macht. Thesen zur Theorie des dialektischen Widerspruchs, in: Hegel-Jahrbuch 1974, Köln 1975, S. 318ff.

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Bubner nennt in diesem Kontext das Problem der Voraussetzung sowie den Aspekt der kategorialen Verhältnisbestimmung.48 Egbert Dozekal stellte Mitte der 80er Jahre die These auf, dass sich in der westdeutschen Theoriedebatte von den späten 60er bis in die 80er Jahre hinein eine Entwicklung vom Projekt der Rekonstruktion der Marxschen Theorie hin zur Ausrufung der „Krise des Marxismus" und zu der sie umkreisenden Debatte vollzogen habe.49 Gegenüber Dozekal ist anzumerken, dass bei näherem Hinsehen deutlich wird, dass die Entwicklung der westdeutschen Marx- und Marxismus-Debatte keinesfalls einseitig auf eine derartige Richtung hin zugespitzt werden darf. Die „spektakuläre" Ausrufung einer „Krise des Marxismus" durch französische und italienische Marxisten ab ca. Mitte der 70er Jahre blieb zwar in der westdeutschen Marxismus-Diskussion nicht ohne Widerhall, doch gab es hierzulande nach wie vor eine ganze Reihe von Theoretikern, die (zumindest hauptsächlich) jenseits der Debatte um diese angebliche „Krise" weiterhin beharrlich und theoretisch gewinnbringend an der detaillierten Erforschung und Erschließung der Marxschen Ökonomiekritik arbeiteten. Für den Zeitraum von Ende der 70er bis Anfang der 80er Jahre sind in diesem Kontext insbesondere die Monographien von Gerhard Stapelfeldt, Winfried Schwarz, Fred Schräder und Gerhard Göhler nur ganz kurz anzusprechen (in Teil 3 dieser Arbeit wird dann en detail auf einige ihrer Interpretationsansätze rekurriert). Winfried Schwarz50 legte eine strukturtheoretische Untersuchung zur Werkgenese der Kritik der politischen Ökonomie vor und versuchte eine kritische „Überprüfung" von Rosdolskys Interpretation des werkhistorischen Schicksals des „Kapital im allgemeinen"Konzepts bei Marx. Schwarz kam zu dem Schluss, dass dieses schließlich (der Sache nach) von Marx zwar beibehalten worden, jedoch unter die Dominanz eines neuen Strukturprinzips gestellt worden sei. Die wohl akribischste westdeutsche Untersuchung des Zeitraums von 1850 bis 1858 innerhalb des Marxschen Forschungs- und Ausarbeitungsprozesses der Kritik der politischen Ökonomie hat Fred Schräder vorgelegt,51 und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Londoner Hefte 1850-1853 noch nicht in der MEGA2 veröffentlicht waren (auch bis dato - 2008 - ist ihre Edition in der MEGA2 noch nicht vervollständigt). Schräder widmete insbesondere den Marxschen Studienheften und seiner dortigen Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie - u. a. in geldtheoretischen Fragen - seine Aufmerksamkeit, versuchte aber auch zu zeigen, wie sich die Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie auf die Ausarbeitung des Grundräse-Manuskripts auswirkte. Zudem lieferte er eine Interpretation der Marxschen „Lösun-

48 Siehe Rüdiger Bubner, Logik und Kapital, in: Rüdiger Bubner, Dialektik und Wissenschaft, Frankfurt/M. 1973, S. 73. 49 Siehe Egbert Dozekal, Von der „Rekonstruktion" der Marxschen Theorie zur „Krise des Marxismus". Darstellung und Kritik eines Diskussionsprozesses in der Bundesrepublik von 1967 bis 1984, Köln 1985. 50 Siehe Winfried Schwarz, Vom „Rohentwurf' zum „Kapital". Die Strukturgeschichte des Marxschen Hauptwerkes, Westberlin 1978. 51 Siehe Fred Schräder, Restauration und Revolution. Die Vorarbeiten zum „Kapital" von Karl Marx in seinen Studienheften 1850-1858, Hildesheim 1980.

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gen" des „Problems des Darstellungsanfangs" einerseits im Vorfeld von Zur Kritik der politischen Ökonomie und andererseits in dieser Schrift selbst. In diesem Kontext maß Schräder einer in das Jahr 1858 fallenden Marxschen Exzerpierung Benjamin Franklins entscheidende Bedeutung bei. Mit dem „Problem des Anfangs" bei Marx setzte sich fast gleichzeitig auch Gerhard Stapelfeldt auseinander.52 Dieser versuchte eine Rekonstruktion der Marxschen Wert- bzw. Wertformtheorie und eine Interpretation der Struktur der werttheoretischen Argumentation in der Kritik der politischen Ökonomie. Dabei gibt es wiederum eine thematische Parallele zu Gerhard Göhlers Monographie. Es handelt sich dabei um eine Untersuchung von unterschiedlichen Typen dialektischer Darstellung in der Marxschen Theorie von Ware, Wert, Wertform und Austauschprozess. 53 Summa summarum ist die Entwicklung, die die westdeutsche Marx-Debatte in den späten 70er und frühen 80er Jahren beschritt, jenseits der Krisenthese als beachtlicher theorieimmanenter Fortschritt im Sinne einer weiteren Erschließung und Erforschung der Marxschen Texte zur Kritik der politischen Ökonomie zu verstehen. Eine weitere - und für die gegenwärtige Debatte wegweisende - Etappe der Auseinandersetzung mit der Marxschen Ökonomiekritik erstreckt sich von etwa Mitte der 80er bis Anfang der 90er Jahre. Dieter Wolf legte eine umfassende Untersuchung des dialektischen Widerspruchs im Kapital vor,54 während Helmut Brentel den Kerngehalt des Marxschen Gegenstandsverständnisses in einer spezifischen Formtheorie verortete. 55 Michael Heinrich 56 begriff die Marasche Ökonomiekritik vor allem im Sinne einer wissenschaftlichen Revolution. In diesem Zusammenhang spielte Heinrichs Rezeption und Neubestimmung des Begriffs des „theoretischen Feldes" aus der Althusser-Schule eine entscheidende Rolle. Marx hat gemäß Heinrichs Interpretation mit dem theoretischen Feld der politischen Ökonomie gebrochen - dies sei ihm großenteils (aber nicht gänzlich) gelungen. Auf die Ansätze von Brentel und Heinrich wird in Teil 3 detailliert eingegangen.

52 Siehe Gerhard Stapelfeldt, Das Problem des Anfangs in der Kritik der politischen Ökonomie, Frankfurt/M. 1979. 53 Siehe Gerhard Göhler, Die Reduktion der Dialektik durch Marx. Strukturveränderungen der dialektischen Entwicklung in der Kritik der politischen Ökonomie, Stuttgart 1980. 54 Siehe Dieter Wolf, Der dialektische Widerspruch im Kapital. Ein Beitrag zur Marxschen Werttheorie, Hamburg 2002. Hierbei handelt es sich um die durchgesehene Neuauflage eines im Jahr 1985 erschienenen Buches mit dem Titel Ware und Geld. 55 Siehe Helmut Brentel, Soziale Form und ökonomisches Objekt. Studien zum Gegenstands- und Methodenverständnis der Kritik der politischen Ökonomie, Opladen 1989. Zu Brentels Theorieansatz siehe auch Diethard Behrens, Erkenntnis und Ökonomiekritik, in: Diethard Behrens (Hg.), Gesellschaft und Erkenntnis. Zur materialistischen Erkenntnis- und Ökonomiekritik, Freiburg/Br. 1993, S. 129ff. 56 Siehe Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, Münster 1999. Dies ist die erweiterte und überarbeitete Ausgabe einer bereits 1991 erschienenen Schrift.

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Seit ihrer Gründung im Jahr 1992 werden wichtige Kontroversen zur Kritik der politischen Ökonomie innerhalb der Marx-Gesellschaft geführt.57 In den Diskussionen der Marx-Gesellschaft konnte über den inhaltlichen Dissens zwischen den verschiedenen Interpretationsrichtungen innerhalb der deutschsprachigen Debatte Verständigung erzielt werden; in zentralen Fragen konnte jedoch kein Konsens gefunden werden.58 Die Frage, ob man von einer geschichtsphilosophischen Dimension im Marxschen Denken (u. a. in der Kritik der politischen Ökonomie) sprechen könne, hat in den 90er Jahren zu einer Kontroverse innerhalb der Marx-Gesellschaft gefuhrt. In diesem Zusammenhang vertrat Thomas Lutz Schweier die Ansicht, dass Marx in seinem eigenen Selbstverständnis kein Geschichtsphilosoph gewesen sei. Eine Sichtweise, die in Marx einen Geschichtsphilosophen erblickt, wies Schweier als unangemessen zurück.59 Eine eher abwägende Position nahm Michael Heinrich ein. Er schrieb: „Heute erscheint (zumindest in der wissenschaftlichen Diskussion) die Behauptung eines historischen Determinismus als eine eher peinliche Angelegenheit."60 Undogmatische Marxisten - so Heinrich weiter - würden ihn daher gern einer verkürzten Rezeption zuschreiben und Marx selbst von diesem „Makel" freisprechen. Heinrich gelangte jedoch zu dem Resümee, dass bei Marx auch im systematischen ökonomiekritischen Werk aus der Zeit nach 1857 geschichtsphilosophische bzw. geschichtsdeterministische Ansichten vorhanden seien. „Einen wissenschaftlichen Gehalt, der von der Kritik der politischen Ökonomie gedeckt

57 Siehe Kornelia Hafner, Diskussionen gegen den Zeitgeist. Das „Marx-Kolloquium", in: Diethard Behrens (Hg.), Geschichtsphilosophie oder das Begreifen der Historizität, Freiburg 1999, S. 15ff. 58 Allerdings war es auch nicht der Zweck der Debatten, jeglichen wissenschaftlichen Dissens auszuräumen. „Ob wir überhaupt einen kleinen gemeinsamen Nenner finden, da habe ich auch meine Zweifel, aber das muss auch nicht sein. Also es war einmal in den Anfangszeiten dieser Marx-Gesellschaft [, da] kursierte das Wort von dem Konsens über den Dissens. Also dass man sozusagen nicht einen Konsens in bestimmten Fragen erreicht, aber einen Konsens darüber[:] der Dissens, der liegt an den und den Punkten. Dass man sich also nicht dauernd etwas um die Ohren wirft und sagt, du verstehst mich ja nicht und ich habe es ganz anders gemeint. Sondern man versteht sich und hat in den und den Punkten einfach einen Dissens, den man dann auch stehen lässt", so Michael Heinrich, [Mündlicher Diskussionsbeitrag], in: Thomas Seidl, Protokoll der Diskussion des Referats von Dieter Wolf (Abschrift einer Bandaufzeichnung), unv. Manuskript, o. O. 2002, S. 11. 59 „Ihn als solchen zu interpretieren, gehört der ML-Tradition an oder in die des bürgerlichen Humanismus oder ist einer Auffassung geschuldet, die Marx' Hoffnung auf eine soziale Revolution gegen seinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit ausspielen möchte", so Thomas Lutz Schweier, Geschichtliche Reflexion bei Marx. Bemerkungen zu seinem Geschichtsverständnis, in: Diethard Behrens (Hg.), Geschichtsphilosophie oder das Begreifen der Historizität, S. 149 (Herv. im Orig.). Das Marxsche Selbstverständnis, auf das Schweier verweist, findet in einem 1877 verfassten Brief an die Redaktion des russischen Periodikums Otetschestwennyje Sapiski Ausdruck. Es ist deutlich, dass Marx - zumindest in diesem Kontext - keineswegs den „Universalschlüssel einer allgemeinen geschichtsphilosophischen Theorie, deren größter Vorzug darin besteht, übergeschichtlich zu sein" (MEW 19, S. 112), zu besitzen beansprucht. 60 Michael Heinrich, Geschichtsphilosophie bei Marx, in: Diethard Behrens (Hg.), Geschichtsphilosophie oder das Begreifen der Historizität, S. 136.

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wäre, können solche Passagen aber nicht beanspruchen."61 Es handle sich bloß um Einzelstellen oder um Hinzufügungen in deklamatorischen Textabschnitten. Diese geschichtsphilosophischen Passagen stellen nach Michael Heinrich „keine Voraussetzung für wesentliche Argumentationen"62 der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie dar, sie seien für die wissenschaftliche Analyse nicht konstitutiv. Im Kontext der Debatten innerhalb der Marx-Gesellschaft ist auch die theoretische Intervention von Nadja Rakowitz zu verorten. Sie knüpfte - trotz bestimmter Differenzen gegenüber Backhaus und Reichelt, allen voran in der Interpretation der Marxschen Schlüsselkategorie „abstrakte Arbeit" - im Jahr 2000 an die werttheoretische MarxLektüre von Backhaus aus den 70er Jahren an. Die Marxsche Werttheorie muss Rakowitz zufolge als „monetäre Werttheorie" verstanden werden. Zudem wendet sich Rakowitz gegen die Fehlinterpretation der Marxschen Theorie der „einfachen Zirkulation" als Theorie einer historischen, vorkapitalistischen „einfachen Warenproduktion" und übt eine entsprechende Kritik an Friedrich Engels; hier stimmt die Marx-Interpretin mit Backhaus überein. Rakowitz erarbeitete indes innerhalb dieses „Frankfurter" Diskurses auch eine spezifisch ideologiekritische Zuspitzung.63 Zudem wurde in den letzten Jahren die Dialektik-Diskussion weitergeführt.64 Dieter Riedel hinterfragte kritisch in einem Aufsatz von 1998 die schier endlosen Versuche, die „dialektische Darstellung" im Kapital zu dechiffrieren, insofern sie - so erläutert Riedel - unterstellt haben, dass in der Entwicklungsgeschichte der Marxschen Ökonomiekritik (mindestens seit der Einleitung von August 1857) die Marxsche Methode prinzipiell gleich geblieben sei. Diese Unterstellung verkennt nach Riedel eine Krise im Methodenverständnis von Marx. In diesem Zusammenhang verweist Riedel auf den Abbruch des Urtextes von Zur Kritik der politischen

Ökonomie im Herbst 1858. Die

Marxsche Methode habe eine tiefgreifende Veränderung erfahren, nachdem Marx zu seiner Einsicht in die Grenzen der dialektischen Darstellungsform gelangt sei. In diesem Kontext ist der mittlerweile fast allseits bekannte Marxsche topos aus dem Urtext von 1858, dass „die dialektische Form der Darstellung nur richtig ist, wenn sie ihre Grenzen 61 62 63 64

Ebd., S. 138. Ebd. Siehe Nadja Rakowitz, Einfache Warenproduktion. Ideal und Ideologie, Freiburg 2000. Dabei spielte die Problematik der „Grenzen der dialektischen Darstellungsform" eine zentrale Rolle. Siehe Dieter Riedel, Grenzen der dialektischen Darstellungsform, in: MEGA-Studien 1997/1, Amsterdam 1998, S. 3ff. Zu diesem Text ist folgende Replik erschienen: Helmut Reichelt, Grenzen der dialektischen Darstellungsform - oder Verabschiedung der Dialektik? Einige Anmerkungen zur These von Dieter Riedel, in: MEGA-Studien 2000/1, Berlin 2003, S. lOOff. Kritisch zur Kontroverse um Reichelt und Riedel äußert sich Frieder Otto Wolf, Marx' Konzept der „Grenzen der dialektischen Darstellung", in: Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf (Hg.), Das Kapital neu lesen - Beiträge zur radikalen Philosophie, S. 159ff. Neuerdings auch zu dieser Kontroverse: Dieter Wolf, Zum Übergang vom Geld ins Kapital in den Grundrissen, im Urtext und im Kapital. Warum ist die „dialektische Form der Darstellung nur richtig, wenn sie ihre Grenzen kennt"?, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geld - Kapital - Wert. Zum 150. Jahrestag der Niederschrift von Marx' ökonomischen Manuskripten 1857/58 Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2007), Hamburg 2007, S. 45ff.

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kennt", (MEGA 2 II.2, S. 91) in Erinnerung zu rufen. Riedel argumentiert: „In einem komplizierten und widersprüchlichen, von Ungleichzeitigkeiten geprägten Prozess hatte Marx erkannt, dass die dialektische Form seinem Gegenstand nicht adäquat ist, dass sie nicht geeignet ist, Entstehung und Selbstreproduktion der kapitalistischen Produktionsweise darzustellen. Die Methode, die im Kapital angewandt wird, steht nicht mehr unter dem Anspruch einer dialektischen Begriffsentwicklung." 65 Doch dies wird von Riedel allem Anschein nach keineswegs allzu negativ bewertet. Lasse auch der Leser diesen Anspruch fallen, so trete im Kapital eine „komplexe, aber doch überraschend klare und durchsichtige Argumentationsstruktur hervor." 66 Zu den bekanntesten Forschungskontroversen der letzten Jahre zählen überdies: die Auseinandersetzung des Kreises um Michael Heinrich mit der „traditionellen" MarxInterpretation im Hinblick auf die Problematik der Geldware; 67 die Debatte um Dieter Wolf und Helmut Reichelt zum spezifischen Zusammenhang von Wertform, Geldgenese und Austauschprozess; sowie schließlich die Auseinandersetzung zwischen Wolfgang Fritz Haug und Michael Heinrich u. a. zur Problematik der „monetären Werttheorie". 68 Aus diesen Debatten ist zu ersehen, wie wichtig noch immer der Bezug der Diskussion auf die Marxsche Darstellung von Ware und Geld ist. Es ist anzunehmen, dass sich daran in Zukunft wenig ändern wird.

2.2. Japan 2.2.1. Die Situation vor 1945 Im Verlauf des 20. Jahrhunderts entfaltete der Marxismus einen außergewöhnlich großen Einfluss insbesondere innerhalb der ökonomischen Wissenschaft in Japan, aber auch innerhalb des japanischen Geisteslebens insgesamt. 69 Doch zu Beginn des 20. Jahrhun65 Dieter Riedel, Grenzen der dialektischen Darstellungsform, S. 40. 66 Ebd. 67 Eine Zusammenfassung des aktuellen Diskussionsstandes zur „Geldware-Problematik" liefert: Ingo Stützle, Die Frage nach der konstitutiven Relevanz der Geldware in Marx' Kritik der politischen Ökonomie, in: Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf (Hg.), Das Kapital neu lesen - Beiträge zur radikalen Philosophie, S. 254ff. 68 Siehe Michael Heinrich, Geld und Kredit in der Kritik der politischen Ökonomie, in: Das Argument 251 (2003), S. 397ff.; Wolfgang Fritz Haug, Wachsende Zweifel an der Monetären Werttheorie, in: Das Argument 251 (2003), S. 424ff. Erneut gegen die „monetäre Werttheorie": Wolfgang Fritz Haug, Die „Neue Kapital-Lektüre" der monetären Werttheorie, in: Das Argument 272 (2007), S. 560ff. Als eine Reaktion auf die Haug-Heinrich-Kontroverse zur Methodenfrage liegt vor: Dieter Wolf, Zur Methode in Marx' Kapital unter besonderer Berücksichtigung ihres logisch-systematischen Charakters. Zum „Methodenstreit" zwischen Wolfgang Fritz Haug und Michael Heinrich, in: Ingo Elbe, Tobias Reichardt, Dieter Wolf, Gesellschaftliche Praxis und ihre wissenschaftliche Darstellung. Beiträge zur Ä^rp/toZ-Diskussion, Hamburg 2008, S. 7ff. 69 Dies gilt auch für die Geschichtswissenschaft. Siehe Hans Martin Krämer, Tino Scholz, Sebastian Conrad, Geschichtswissenschaft in Japan: Entwicklung und aktueller Diskussionsstand, in: Hans

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derts war dies noch nicht absehbar. Die europäische ökonomische Wissenschaft gelangte während der Meiji-Periode von 1868 bis 1912 primär in Gestalt der antimarxistisch gefärbten deutschen Strömung des „Vereins für Socialpolitik" (Gustav von Schmoller, Adolph Wagner, Lujo Brentano) nach Japan. 70 So übte in Japan im frühen 20. Jahrhundert eine dem deutschen Vorbild entsprechende Theorierichtung großen Einfluss aus, während die Marasche Theorie in ihrer Komplexität zunächst noch wenig bekannt war. Beispielsweise studierte einer der bekanntesten nichtmarxistischen Theoretiker der „sozialen Frage", die Japan in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hervorbrachte, nämlich Tokuzo Fukuda, bei Lujo Brentano und promovierte in München. Auf die historische Entwicklung der japanischen Rezeption der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie vor 1945 soll im Folgenden nur ganz kurz eingegangen werden. Die erste Gesamtübersetzung der drei Kapital-Bände in japanischer Sprache erschien 1920 bis 1924. In der Zeit vor 1920 hatte sich die inhaltlich differenzierte und wissenschaftlich ambitionierte Diskussion der Marxschen ökonomischen bzw. ökonomiekritischen Theorie in Japan noch nicht richtig entfalten können.71 Hajime Kawakami (18791946) gelang es kurz nach dem Ersten Weltkrieg als einem der ersten ökonomischen Theoretiker, sich von der am deutschen „Verein fur Socialpolitik" angelehnten Strömung weg zu bewegen und sich in Richtung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu orientieren.72 Außer seinen sonstigen wissenschaftlichen und politischen Aktivitäten übersetzte er das Kapital ins Japanische. Er spielte in der Frühzeit des japanischen Marxismus eine wichtige Rolle dabei, dass das an Marxscher Theoriebildung orientierte Denken unter japanischen Intellektuellen und nicht zuletzt an den japanischen Universitäten Fuß fassen konnte. Aus politischen Gründen wurde er in den 1930er Jahren inhaftiert. Der Ökonom und Marxismushistoriker Makoto Itoh berichtet, dass sich in Japan bereits in den Jahren von 1922 bis 1930 eine lebhafte Diskussion der Marxschen Werttheorie herausbildete. 73 Auch Kawakami und sein kritischer Meisterschüler Tamizo Kushida (1885-1934) beteiligten sich an der werttheoretischen Debatte der 20er Jahre, die u. a. von der durch Böhm-Bawerk inspirierten Marx-Kritik aus der Perspektive der nicht- bzw. antimarxistischen Ökonomie in Japan ausgelöst worden war. Wichtig ist,

Martin Krämer, Tino Scholz, Sebastian Conrad (Hg.), Geschichtswissenschaft in Japan. Themen, Ansätze und Theorien, Göttingen 2006, S. 17f. 70 Siehe Thomas Sekine, Translator's Introduction, in: Kozo Uno, Principles of Political Economy. Theory of a Purely Capitalist Society, Sussex, New Jersey 1980, S. ixf. Zum großen Einfluss der (nichtmarxistischen) deutschen Ökonomie auf die im Entstehungsprozess befindliche japanische Ökonomie siehe auch Kiichiro Yagi, History-Oriented Economics in Kyoto, in: The Kyoto Economic Review 73 (2004), S. 12. 71 Zu der im Embryonalstadium befindlichen japanischen Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik vor 1920 siehe Wolfgang Lippert, Entstehung und Funktion einiger chinesischer marxistischer Termini. Der lexikalisch-begriffliche Aspekt der Rezeption des Marxismus in Japan und China, S. 75ff., insbesondere S. 83. 72 Diesen Prozess schildert Gail Lee Bernstein, Japanese Marxist. A Portrait of Kawakami Hajime, Cambridge/USA 1976, S. 103ff. 73 Siehe Makoto Itoh, Value and Crisis. Essays on Marxian Economics in Japan, London 1980, S. 17.

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dass Kushida trotz seines Schüler-Lehrer-Verhältnisses zu Kawakami auch darauf bedacht war, die theoretische Beschränktheit von dessen Interpretation der Marxschen Werttheorie zu überwinden. Gegenüber der gegen die Marxsche Werttheorie gerichteten Kritik antwortete Kawakami „with a series of articles in which he criticised the neoclassical school and developed his own defence of the labour theory of value." 74 Doch Kawakamis Verteidigung von Marx war selbst wiederum theoretisch defizitär. Kawakami modifizierte „Marx's view - that exchange value is determined by the amount of labour required to produce a given commodity - into the statement that the value of any object reflects the amount of human effort and sacrifice involved in its production." 75 Sein Schüler Kushida konnte Kawakamis Interpretation der Marxschen Werttheorie überwinden. Tessa Morris-Suzuki schreibt: „As Kushida Tamizo was quick to point out, Kawakami had tried to create a universal and immutable theory of value that applied to all things and all times". 76 Kushida erkannte die Historizität der Kategorie Wert. Für Kushida hat Marx gerade den historischen Charakter des Werts dargelegt. Kawakami wiederum korrigierte seine eigene vorherige werttheoretische Position schon bald. Weitere Debatten, die in der Zwischenkriegszeit geführt wurden, drehten sich um die Problematik von Reproduktion und Akkumulation des Kapitals und um die Kategorie der Grundrente. Kawakami beteiligte sich auch an diesen Debatten um die Marxsche Ökonomiekritik. Hajime Kawakami äußerte sich auch zum „Problem des Anfangs" in der Marxschen Darstellung. In einer 1928 publizierten Arbeit lief Kawakamis Theorieansatz darauf hinaus, dass - in Marxscher Terminologie gesprochen - die Wissenschaft das Wesen des Gegenstands enthüllt, das hinter der Erscheinungsform verborgen ist. Die Vulgärökonomie begnüge sich mit dem Aufgreifen der Erscheinungsformen. Allerdings mache die wissenschaftliche Untersuchung mit einer Erscheinungsform den Anfang. In diesem Sinne interpretiert Kawakami den Darstellungsanfang des Kapital·. „Der Reichthum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ,ungeheure Waarensammlung', die einzelne Waare als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Waare." (MEGA 2 II.6, S. 69) Der japanische Theoretiker begreift die Ware als widersprüchliche Einheit von Gebrauchswert und Wert. Die Ware schließt nach Kawakami den Keim jedes Widerspruchs der kapitalistischen Gesellschaft ein.77 Eine Rolle als wichtiges Bindeglied zwischen den Anfängen eines sich nach dem Ersten Weltkrieg herausbildenden sog. Westlichen Marxismus und dem marxistischen Denken in Japan spielte ein Kritiker von Hajime Kawakami. Hierbei handelt es sich um den durch Karl Korsch und Georg Lukacs beeinflussten Theoretiker Kazuo Fukumoto

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Tessa Morris-Suzuki, History of Japanese Economic Thought, S. 79. Ebd. Ebd., S. 80. Siehe Hajime Kawakami, Marxist Political Economy as a Science, o. O. 1928, im Internet: http:// www.marxists.org/subject/japan/kawakami/economy-science.htm (letzter Zugriff: 9. 2. 2007). Zu den theoretischen Arbeiten Kawakamis in den 20er Jahren siehe auch Germaine Α. Hoston, Marxism and the Crisis of Development in Prewar Japan, S. 46f.

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(1894-1983). 78 Dieser hatte im Jahr 1923 gemeinsam mit Korsch und Lukacs an der berühmten „Marxistischen Arbeitswoche" im Thüringer Wald teilgenommen, die eng mit der Vorgeschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung verbunden ist. Nach seiner Rückkehr nach Japan engagierte sich Fukumoto in der dortigen kommunistischen Bewegung und hatte kurzzeitig sogar eine politische Führungsposition inne, die er aufgrund von politischen Divergenzen mit der Komintern im Jahr 1927 wieder verlor. Im darauffolgenden Jahr wurde Fukumoto verhaftet und schließlich zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.79 Kazuo Fukumoto bereicherte die japanische Diskussion der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Mitte der 20er Jahre versuchte er, die japanischen Marxisten auf das bisher insgesamt eher vernachlässigte Moment der Marxschen Methodologie aufmerksam zu machen. Fukumoto stellte vor allem die Frage nach Gegenstand und Reichweite des Marxschen Kapital (den Gegenstand der Kritik der politischen Ökonomie hielt Fukumoto für viel umfangreicher als den Gegenstand des Kapital). In methodologischer Hinsicht spielte das „Methodenkapitel" der Einleitung von 1857 eine wichtige Rolle für Fukumoto. Die Marxsche Methode beinhaltet - so lautet Fukumotos Interpretation - eine Kombination von analytischer Abstraktion und synthetischer Konstruktion. Fukumoto gehört zu denjenigen Interpreten der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, die dem in der internationalen Marx-Debatte der zweiten Jahrhunderthälfte viel diskutierten „Problem des Darstellungsanfangs" bei Marx bereits frühzeitig einen wichtigen Stellenwert beimaßen. Das Auftreten von Kazuo Fukumoto markiert eine Zäsur in der Entwicklungsgeschichte des japanischen Marxismus und hat Kawakamis und Kushidas Position als führende Theoretiker Japans, die an Marx anknüpften, in Frage gestellt.80 Eine gewisse Rolle im Zusammenhang mit der Entwicklung marxistischen Denkens in Japan spielte auch das 1919 gegründete und von dem Unternehmer Ohara Magosaburo finanzierte Ohara-Institut für Sozialforschung in Osaka, das später eine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Moskauer Marx-Engels-Institut entfaltete. Hierbei handelte es sich um ein Forschungsinstitut, in dem auch jüngere marxistische Wissen-

78 Siehe Yoichi Sakuramoto, Fukumoto Kazuo, ou la naissance de l'intellectuel marxiste au Japon, in: Actuel Marx 27 (2000), S. 179ff. 79 Zu den Ereignissen von 1927/28 siehe ebd., S. 184. 80 Eine kritische Würdigung Fukumotos von einem orthodox marxistisch-leninistischen Standpunkt aus liefert Chikatsugu Iwasaki, Zur Entwicklung der marxistischen Dialektik in Japan, im Siegfried Bönisch u. a. (Hg.), Marxistische Dialektik in Japan. Beiträge japanischer Philosophen zu aktuellen Problemen der dialektisch-materialistischen Methode, Berlin/Ost 1987, S. 21. Auf Fukumoto geht detailliert ein: Kiichiro Yagi, Emergence of Marxian scholarship in Japan: Kawakami Hajime and his two critics, o. O. 2005, im Internet: http://www.econ.kyoto-u.ac.jp/~yagi/yagi2005/ linkfiles/EMERGENCEMARXIAN.doc (letzter Zugriff: 1.6.2008). Bereits 1929 lag ein Bericht in deutscher Sprache über eine wichtige Arbeit Fukumotos vor. Siehe Y. Hirano: K. Fukumoto, Zur Methodologie der „Kritik der Politischen Ökonomie", Tokio 1926, 439 S. [Rezension], in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung 14 (1929), S. 157ff.

2.2.

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schaftler einen Platz fanden, darunter Samezo Kuruma81 (1893-1982) und der Kawakami-Schüler Kushida. Der Institutsdirektor der 20er Jahre, Iwasaburo Takano (1871 — 1949), favorisierte allerdings eher empirische Forschung als die Beschäftigung mit abstrakten methodologischen Fragen zur Marxschen Ökonomiekritik. Iwasaburo Takano hatte übrigens bei Lujo Brentano studiert. Doch näherte sich Takano immer mehr an Marx an. Rolf Hecker schreibt, dass Wissenschaftler des Ohara-Instituts es als eine ihrer Aufgaben betrachteten, „zur Verbreitung marxistischen Gedankengutes auf wissenschaftlicher Grundlage in Japan beizutragen."82 Das Ohara-Institut existiert bis heute und ist mittlerweile der Tokioter Hosei Universität angegliedert. Bereits vor 1945 existierte zwischen japanischen und westlichen Marx-Interpreten ein wissenschaftlicher Austausch. Davon zeugt das Beispiel des japanischen Ökonomen Shigeto Tsuru (1912-2006), 8 3 der zwischenzeitlich in den USA lebte und dort Anfang der 40er Jahre u. a. mit dem marxistischen Ökonomen Paul Sweezy zusammenarbeitete. Der japanische Forscher, der sich zuvor ausführlich mit der Marxschen Fetischismustheorie und Methodologie auseinandergesetzt hatte,84 kritisierte 1938 in einer englischen Zeitschrift die Interpretation der Marxschen Werttheorie durch den marxistischen Ökonomen Maurice Dobb und wies dabei auf die spezifisch „qualitative" Seite der Wertproblematik hin.85 Sweezy bezog sich seinerzeit positiv auf Tsurus Auseinandersetzung mit der Marxschen Werttheorie in dessen Dobb-Kritik86 und veröffentlichte seine eigene Schrift Theorie der kapitalistischen Entwicklung im Jahr 1942 überdies mit einem von Tsuru stammenden Anhang zu den Marxschen Reproduktionsschemata.87

81 Auf dessen Interpretation der Marxschen Wert- und Geldtheorie wird später eingegangen. 82 Rolf Hecker, Zu den Beziehungen zwischen dem Moskauer Marx-Engels-Institut und dem OharaInstitut für Sozialforschung in Osaka. Die Marx/Engels-Editionen in Japan von 1918 bis 1937, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), David Borisovic Rjasanov und die erste MEGA (= Beiträge zur MarxEngels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 1), Hamburg 1997, S. 90. Im Zusammenhang mit dem Ohara-Institut ist auch von Interesse: Seijiro Kubo, Die Bibliographie über die marxistische Literatur (1929) und ihre Bedeutung für die Wirkungsgeschichte des Marxismus in Japan, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Neue Aspekte von Marx' Kapitalismus-Kritik (= Beiträge zur Marx-Engels Forschung. Neue Folge 2004), Hamburg 2006, S. 223ff. 83 Zu dessen Biographie siehe Kotaro Suzumura: Shigeto Tsuru (1912-2006) - Life, Work and Legacy, in: European Journal of the History of Economic Thought 13/4 (2006), S. 613ff. 84 Siehe Shigeto Tsuru, An Aspect of Marx's Methodology in Economics: „The Fetishism of Commodities", in: Shigeto Tsuru, Economic Theory and Capitalist Society. The Selected Essays of Shigeto Tsuru: Volume 1, Aldershot/GB 1994, S. 153ff. 85 Siehe Shigeto Tsuru, Mr. Dobb and Marx's Theory of Value, in: Shigeto Tsuru, Economic Theory and Capitalist Society. The Selected Essays of Shigeto Tsuru: Volume 1, S. 22Iff. 86 Siehe Paul Sweezy, Theorie der kapitalistischen Entwicklung. Eine analytische Studie über die Prinzipien der Marxschen Sozialökonomie, Frankfurt/M. 1972, S. 39. 87 Kotaro Suzumura zufolge wurde Tsuru schließlich „one of the greatest political economists and influential opinion leaders in post-war Japan." (Kotaro Suzumura: Shigeto Tsuru [1912-2006] Life, Work and Legacy, S. 613). 1972 bis 1975 war Tsuru Präsident der Hitotsubashi-Universität in Tokio. Obwohl Tsurus intellektuelles Tätigkeitsfeld weit über die Marxforschung im engeren Sinne hinausging, hat er sich auch noch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Marxschen Theorie

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Die bisher genannten Diskurse wurden bzw. waren jedoch durch die Entwicklung zweier miteinander konkurrierender marxistischer Denkschulen der 30er Jahre, auf die bereits eingegangen wurde, ein wenig in den Hintergrund gedrängt: hierbei handelt es sich um die Kontroverse zwischen der Koza- und der Rono-Richtung (s. o.). Zudem wurde die Situation marxistischer Wissenschaftler durch die Repressionsmaßnahmen des japanischen Staats immer prekärer. Indes war mit der japanischen Marx- und Marxismus-Rezeption vor 194588 ein beachtlicher Ansatzpunkt geschaffen, hinter den die japanische Debatte späterer Jahre nicht wieder zurückfallen durfte. Doch ihr theoretisches Potenzial sollte die japanische Forschung erst in der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg ausschöpfen. Vor allem in der Nachkriegszeit gelang der Aufstieg Japans zu einem geistigen Zentrum der internationalen Erforschung und Weiterentwicklung der Marxschen Theorie. 2.2.2. Die Entfaltung der japanischen Debatte von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart Es kann festgestellt werden, dass die Marx-Interpretation bzw. die wesentlich von der Marxschen Theorie inspirierte kritische Gesellschaftstheorie in Japan in Gestalt verschiedener Denkansätze ein innovatives Potenzial entfaltete. Als ein Hintergrund dieser Entwicklung ist die außergewöhnlich große Verbreitung Marxscher Schriften in Japan zu nennen. Rechnet man alle dort bisher erschienenen Kapital-Ausgaben zusammen, so kommt man auf mehrere Millionen Exemplare.89 Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit erlebte die intensive Kapital-Rezeption in Japan einen neuen Aufschwung. Mehrere führende Theoretiker und Marx-Interpreten beteiligten sich an Debatten, die 1947/48 in Tokio stattfanden, darunter Itsuro Sakisaka, Kozo Uno und Samezo Kuruma. Kiyoshi Nagatani gibt einige Fragen und Themenfelder, befasst: Shigeto Tsuru, Marx and the Analysis of Capitalism: A New Stage on the Basic Contradiction?, in: Shigeto Tsuru, Economic Theory and Capitalist Society. The Selected Essays of Shigeto Tsuru: Volume 1, S. 207ff.; Shigeto Tsuru, Institutional Economics Revisited, Cambridge 1993, S. 3ff. 88 Auf die zwischen dem Marxismus und der (an Kitaro Nishida [1870-1945], einem der bekanntesten japanischen Philosophen, orientierten) Kioto-Schule stehenden Denker Kiyoshi Miki ( 1 8 9 7 1945) und Jun Tosaka (1900-1945) kann hier nicht näher eingegangen werden. 89 Einen Überblick über die Edition vor 1980 gibt: Samanosuke Omiya, Zur Marx-Engels-Forschung und -Edition in Japan, in: Marx-Engels-Jahrbuch 3, S. 366. Bemerkenswert ist zudem, dass die vollständige Grundrisse-Übersetzung ins Japanische als eine der ersten vollständigen Übersetzungen dieses wichtigen Textes in eine Fremdsprache erschien, gemäß Rolf Hecker in den Jahren 1958 bis 1965. Die vollständige russische Übersetzung sei erst 1968/69 erschienen. Siehe Rolf Hecker, Unbekannte Geschichte der Erstveröffentlichung des Marxschen ökonomischen Manuskripts von 1857/58 als Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (1939/41) unter den Bedingungen des Stalinismus, Sendai/Japan 2001, im Internet: http://www.marxforschung.de/docs/010213hecker.pdf (letzter Zugriff: 23.5.2008). Detailliert zu Edition und Rezeption der Grundrisse in Japan: Hiroshi Uchida, Japan [Dissemination and reception of the Grundrisse in the world], in: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx's Grundrisse. Foundations of the critique of political economy 150 years later, New York 2008, S. 213ff.

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die damals zur Debatte gestanden seien, wie folgt an: „whether a commodity in the opening chapter of Capital 1 is a commodity in simple commodity production or one in capitalist production; the law of value in a socialist economy; the relevancy of the method by which to abstract value as congealed labor leaving aside both use values in an exchange relation between two commodities; the connection of the value form with the exchange process of commodities (Chapter 2), and so on."90 Die damaligen Debatten bildeten eine Grundlage für bestimmte in unterschiedliche Richtungen weisende Theorieentwicklungen der Folgezeit, etwa für die voneinander verschiedenen werttheoretischen Ansätze von Uno und Kuruma. Nach dem Zweiten Weltkrieg vertiefte sich die japanische Auseinandersetzung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie nicht nur, sie verbreiterte sich auch. Zwei an japanischer Theoriebildung orientierte nordamerikanische Wissenschaftler geben die Schätzung an, dass „at its height in the late 1960s perhaps as many as 50 % of all professors of economics in Japanese Universities were primarily oriented towards Marxian economic theory".91 Obwohl angenommen werden muss, dass dieses intellektuelle Kräfteverhältnis nicht mehr aktuell ist, darf davon ausgegangen werden, dass nach wie vor in kaum einem anderen kapitalistischen Land der Welt das wissenschaftliche Interesse an der Marxschen Ökonomiekritik größer ist als in Japan. Nach Izumi Omura beträgt die Anzahl der im Zeitraum von 1975 bis 1998 in Japan publizierten wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit der Kritik der politischen Ökonomie befassen, fast viertausend.92 Toshio Yamada stellte in seinem aus den 1980er Jahren stammenden Überblick über die unterschiedlichen Theorieströmungen innerhalb des zeitgenössischen japanischen Marxismus drei verschiedene Hauptrichtungen heraus.93 In der Übersicht von Toshio

90 Kiyoshi Nagatani, Value-form as a Starting Point of Uno Theory, o. O. 1997, im Internet: http:// homepage2.nifty.com/nagatani-kiyoshi/my works.htm (letzter Zugriff: 18.5.2008). 91 Robert Albritton, John R. Bell, Introduction, in: Robert Albritton, Thomas Sekine (Hg.), A Japanese Approach to Political Economy. Unoist Variations, London 1995, S. 3. Thomas Sekine wartete gegen Mitte der 70er Jahre mit konkreten Zahlenangaben auf: „There are approximately 2,300 academic economists in Japan, most of whom belong either to the Economic Theoretical Association, with a 100 percent Marxian membership of 950, or to the Theoretical-Economic and Econometric Association, with a 100 percent non-Marxian membership of 1,000. Those who do not belong to either of these associations are specialists in economic history, finance, and other applied fields and can be of either Marxist or non-Marxist persuasion. Thus, it can be safely concluded that, outside the communist world, Japan probably possesses the largest group of Marxian political economists who are professionally engaged in teaching and/or research", so Thomas Sekine, Uno-Riron: A Japanese Contribution to Marxian Political Economy, S. 847f. 92 Siehe Izumi Omura, La ricerca su Marx in Giappone e l'attività del gruppo di lavoro della MEGA di Sendai, in: Marcello Musto (Hg.), Sulle tracce di un fantasma. L'opera di Karl Marx tra filologia e filosofia, Rom 2006, S. 75. 93 Siehe Toshio Yamada, Les tendances du marxisme japonais contemporain, in: Jacques Bidet, Jacques Texier (Hg.), Le Marxisme au Japon (= Actuel Marx 2), Paris 1987, S. 34ff. Auch in deutscher Sprache liegt ein wichtiger Überblicksartikel zur japanischen Marx-Rezeption vor: Teinosuke Otani, Iichiro Sekine, Beschäftigung mit Marx und Engels in Japan. Forschungen über die Methode der

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Yamada wird als erstes der Theorieansatz der Uno-Schule genannt, auf den noch en detail einzugehen ist.94 Zweitens die „Civil Society"-Richtung, welche u. a. Spezifika des japanischen Kapitalismus untersucht. Drittens die kritische Theorie der Verdinglichung, die auf den schulbildenden Philosophen Wataru Hiromatsu (1933-1994) zurückgeht,95 und deren spezifisches Verdinglichungskonzept strikt vom Entfremdungsbegriff abzusetzen ist. Zentralen Stellenwert in Hiromatsus Marx-Interpretation besitzt die Annahme eines theoretischen Einschnitts, der im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Manischen Denkens von den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten zur Deutschen Ideologie stattgefunden habe. Innerhalb dieser Weiterentwicklung sei die Marxsche Abwendung von der Entfremdungstheorie zu lokalisieren. Nach dem Einschnitt habe sich Marx der Verdinglichungstheorie zugewendet. Der Hiromatsu-Spezialist des HistorischKritischen Wörterbuchs des Marxismus interpretiert hinsichtlich des von Hiromatsu thematisierten Einschnitts, den dieser im Marxschen Werk erkennt, dass die Entfremdungstheorie - gemäß Hiromatsu - mit einem Subjekt-Objekt-Schema einhergehe. Der Entfremdungsbegriff beschreibe „ursprünglich den Prozess, in dem das .menschliche Wesen' ins Objekt übergeht (Vergegenständlichung) und dieses sich dem Subjekt als fremde und feindliche Macht gegenüber stellt (Entfremdung)."96 Mit dem Einschnitt lässt Marx dieses Subjekt-Objekt-Schema fallen und entwickelt stattdessen danach einen Theorieansatz, der auf gesellschaftliche Verhältnisse und deren Verdinglichung abzielt. Zu Wataru Hiromatsu ist generell zu sagen, dass er zu den wichtigsten Theoretikern der japanischen Neuen Linken gehörte und seine Philosophie hinsichtlich ihrer Quellengrundlage und ihrer thematischen Breite keineswegs nur auf Marx-Rezeption im engeren Sinne zu reduzieren ist.97 Über Yamadas Aufzählung hinaus existierten noch ein orthodox marxistisch-leninistischer Theoriestrang, der in der Nachkriegszeit innerhalb der marxistischen Diskussion Japans über beträchtlichen Einfluss verfügte, sowie ein breites Feld der werkgeschichtlich bzw. methodologisch orientierten Marx-Forschung im engeren Sinne. Fraglich ist, ob eine „Weiterentwicklung" der Uno-Schule seit den 60er Jahren, die wesentlich von

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politischen Ökonomie und die Entstehungsgeschichte des Kapitals, in: Internationale Marx-EngelsForschung (Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF 12), Frankfurt/M. 1987, S. 245fF. U. a. zu Kozo Uno siehe auch Ken Kubota, Die dialektische Darstellung des allgemeinen Begriffs des Kapitals im Lichte der Philosophie Hegels. Zur logischen Analyse der politischen Ökonomie unter besonderer Berücksichtigung Adornos und der Forschungsergebnisse von Rubin, Backhaus, Reichelt, Uno und Sekine, erscheint in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2009. Von Hiromatsus Werk ist nur wenig in westlichen Sprachen veröffentlicht. Siehe ζ. B. Wataru Hiromatsu, La philosophie de Marx „pour nous", in: Jacques Bidet, Jacques Texier (Hg.), Le Marxisme au Japon (= Actuel Marx 2), S. 72ff. Ryoji Ishizuka, Hiromatsu-Schule, in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 6/1, Hamburg 2004, Sp. 277. Einen Blick auf die Philosophie Hiromatsus wirft Toshiaki Kobayashi, Hiromatsu Wataru - ein marxistischer Philosoph im Nachkriegsjapan, in: Steffi Richter (Hg.), „Intelli". Japan-Lesebuch III, Tübingen 1998, S. 238ff.

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Hiroshi Iwata beeinflusste „World Capitalism"-Strömung,98 als eigene Schule oder eher als Zweig der Uno-Schule betrachtet werden kann. Auf den Uno-Kritiker Samezo Kuruma, der zeitweise Direktor des Ohara-Instituts war und dessen Thesen bezüglich der Marxschen Wert- und Geldtheorie großen Einfluss auf die japanische Debatte ausübten, wird später im Text ausführlich einzugehen sein. Obwohl es einen Kreis von Nacheiferern gab, lehnte es Kuruma ab, eine eigene Schule zu gründen."

Eine der von Yamada genannten Denkschulen wird hier genauer dargestellt. Dabei handelt es sich um die Uno-Schule, die sich ab den 1950er Jahren herausbildete.100 Dass der Uno-Schule in dieser Darstellung mehr Raum gegeben wird als den anderen japanischen Denkschulen, ist durchaus zu rechtfertigen. Erstens ist sie diejenige von der Marxschen Theorie inspirierte Denkschule in Japan, der es mit Abstand am besten gelang, auch außerhalb Asiens bekannt zu werden.101 Sie war bzw. ist international, über Japan und Asien hinaus, beachtet und einflussreich. Dies gilt zumindest im Hinblick auf grundsätzliche Fragen der Methodologie kritischer Gesellschaftstheorie. Ihre bekanntesten Vertreter sind inzwischen feste Größen innerhalb der internationalen, insbesondere innerhalb der englischsprachigen Diskussion. Zweitens polarisierte die Uno-Schule innerhalb der japanischen Diskussion über einen langen Zeitraum hinweg. Man konnte sich ihr anschließen oder sie vehement zurückweisen, doch übergehen konnte man sie nicht. Man war - wenn man sich in Japan mit Marx beschäftigte - gezwungen, sich zu ihr zu verhalten. Drittens leistete Uno einen entscheidenden Beitrag zur Zurückweisung des orthodoxen Marxismus-Leninismus stalinistischer Prägung, der in der Nachkriegszeit in der japanischen Linksintelligenz verbreitet war. Dies halte ich für durchaus bedeutsam, auch wenn Uno nicht der einzige japanische Theoretiker war, der sich in dieser Hinsicht verdient machen konnte. Viertens verfügte Uno über eine große Anzahl von Schülern, die seinen Ansatz aufnahmen oder selbständig weiterentwickelten. Gemäß

98 Näher zu Iwata und der „World Capitalism"-Strömung: Sugiyama Mitsunobu, The World Conception of Japanese Social Science: The Koza Faction, the Otsuka School, and the Uno School of Economics, in: Tani E. Barlow (Hg.), New Asian Marxisms, London 2002, S. 233ff. 99 Neben den hier genannten Strömungen könnte eventuell auch noch die „ökonomisch-mathematische" Interpretationsrichtung von Nobuo Okishio (1927-2003) erwähnt werden. Siehe Nobuo Okishio, Ein mathematischer Kommentar zu Marxschen Theoremen (1963), in: Hans G Nutzinger, Elmar Wolfstetter (Hg.), Die Marxsche Theorie und ihre Kritiker II. Eine Textsammlung zur Kritik der Politischen Ökonomie, Frankfurt/M., New York 1974, S. 39ff. Ein anderer „ökonomisch-mathematischer" Theoretiker, der sich intensiv mit Marx befasste, war Michio Morishima (1923-2004). Siehe Michio Morishima, Marx's Economics. A dual Theory of Value and Growth, Cambridge 1973. 100 In der vorliegenden Arbeit wird in der Auseinandersetzung mit Kozo Uno auf dessen eigenständige Theoriebildung im Anschluss an Marx fokussiert, nicht auf seine Marx-Rezeption im engeren Sinne. 101 Unterdessen kann festgestellt werden, dass Wataru Hiromatsus Werk mittlerweile auch in der VR China zur Kenntnis genommen wird. Im Westen ist die Hiromatsu-Schule jedoch weniger bekannt als Kozo Uno und dessen Denkschule.

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Andrew Barshay fand Unos Theorie Unterstützung durch „hundreds of adepts, particularly among economists with ties to Tokyo University, where Uno had moved shortly after the war had ended". 102 Barshay schreibt über die wichtigsten Uno-Schüler: „These scholars in their turn trained their own students, so that over the two decades from the mid-1950s through the mid-1970s, Marxian economics in Japan came to be dominated by, or at least to assume its strongest academic ,personality,' in the Uno school". 103 Der Terminus „Dominanz", den Barshay hier (mit Einschränkung) nahe legt, ist ein wenig übertrieben, da sich die Uno-Schule in Japan auch mit zahlreichen - darunter manchen theoretisch einflussreichen (z. B. Samezo Kuruma) - marxistischen Kritikern konfrontiert sah. Zudem nimmt seit einiger Zeit der Einfluss der Uno-Schule in Japan eher ab. Dennoch bleibt das Verdienst der Uno-Schule, als eine auf grundsätzliche methodologische Fragen kritischer Gesellschaftstheorie fokussierende und am Marxschen Hauptwerk orientierte japanische Denkschule über nationale und kontinentale Grenzen hinweg eine beachtliche Bekanntheit erreicht zu haben. Allein schon dieser Aspekt rechtfertigt den Raum, der hier - in einer die Globalisierung der marxistischen Theorie darstellenden Studie - Kozo Uno und seiner Schule zugestanden wird (darunter auch den japanischen Uno-Schülern Makoto Itoh und Thomas Sekine, auf die der Theorietransfer in die angelsächsische Welt großenteils zurückzufuhren ist). Kozo Uno darf als einer der wichtigsten und wirkungsmächtigsten kritischen Gesellschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts gelten. Für Uno und seine Schule war die Anknüpfung gerade an das Marxsche Hauptwerk, d. h. an dessen reife Kritik der politischen Ökonomie maßgeblich, viel weniger der Bezug auf das Marxsche Frühwerk. Zudem standen spezifisch methodologische Fragestellungen im Mittelpunkt von Unos selbständiger Theoriebildung. Als in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Beschäftigung mit marxistischer Theorie in Japan einen ungeahnten Auftrieb erhielt, bemühte sich Kozo Uno darum, eine neue Epoche fur die an Marx orientierte politische Ökonomie in Japan einzuleiten. Eine entscheidende Weichenstellung im Leben des jungen Kozo Uno war dessen Studienaufenthalt in Deutschland zu Beginn der 1920er Jahre, wo er erstmals das Kapital intensiv studierte. Nachdem Uno 1924 Professor für Ökonomie an der Universität von Sendai geworden und infolge einer Inhaftierung aus politischen Gründen Ende der 1930er aus dem Universitätsbetrieb herausgerissen worden war, trat er 1947 in Tokio erneut eine Professur an. Etwa zur gleichen Zeit begann seine Laufbahn als bedeutender Häretiker des japanischen Marxismus. Von Tokio aus konnte Uno mit der Publikation seines zweibändigen Hauptwerkes von 1950/1952, Keizai Genron betitelt (was in der englischen Sprache mit Principles of Political Economy wiedergegeben wird), beträchtlichen Einfluss auf die marxistische Theoriediskussion seines Landes entwickeln. Bereits zuvor, im Jahr 1947, war eine bedeutende werttheoretische Schrift Unos erschienen. 104

102 Andrew E. Barshay, The Social Sciences in Modern Japan, S. 123. 103 Ebd., S. 123f. 104 Thomas Sekine schreibt zu dieser Arbeit, dass ihre Publikation „set against him [Uno] not only the Marxian professors of Tokyo University but virtually the whole profession of Marxian political

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Von der komprimierten Neuauflage von Unos Principles of Political Economy aus dem Jahr 1964 existiert eine englische Übersetzung, die wesentlich zur Rezeption der Uno-Schule in der anglophonen Welt beitrug.105 (Neben den drei Versionen von Unos Principles of Political Economy - dem zweibändigen Werk von 1950/1952, der komprimierten Fassung von 1964 und der Seminar-Ausgabe von 1967 - liegen übrigens einige Arbeiten aus Unos Schülerkreis vor, die ebenfalls mit Keizai Genron oder mit terminologischen Abwandlungen betitelt sind,106 wobei sich die Schüler in der Theoriebildung bewusst in die Tradition ihres Lehrers stellen.) Es muss darauf hingewiesen werden, dass Uno in den Principles of Political Economy - zumindest, wenn man von den zahlreichen Fußnoten, die sich auf Marx beziehen und beinahe eine Art Subtext darstellen, absieht - kaum Marx-Forschung oder Marx-Interpretation im engeren Sinne betreibt. Stattdessen geht es ihm um die Darstellung der „Sache selbst", nämlich um die Darstellung der „reinen" kapitalistischen Gesellschaft. So sind Titel und Untertitel (Theory of a Purely Capitalist Society) der englischsprachigen Ausgabe zu erklären. Da Uno in Marx aber einen Vorgänger in eben diesem theoretischen Ansatz sah (auch wenn dieser bei Marx in bestimmten Aspekten defizitär geblieben sei), stellte er sich in die Traditionslinie von Marx. Im Zentrum von Unos Denken steht eine „Drei-Stufen-Theorie", 107 die für seine Schüler maßgeblich wurde und zum Kerngehalt seiner Schule gehört. Für Uno liegt im Kapital nicht eine Darstellung der kapitalistischen Produktionsweise in diesem oder jenem Land, zu dieser oder jener Zeit vor, sondern - zumindest der Tendenz nach (auch wenn Marx dies nicht immer konsequent durchgehalten habe) - die Analyse einer „reinen" kapitalistischen Gesellschaft. Diese Theorie muss auf einer hohen Abstraktionsebene angesiedelt sein. Die „theory of a purely capitalist society" entspricht der ersten Stufe in Unos dreistufigem Schema. Ein entscheidendes Moment von Unos Darstellung der „reinen" kapitalistischen Gesellschaft ist der Systemgedanke, d. h. ihre Darstellung als System. Die zweite, d. h. die mittlere Ebene innerhalb der „Drei-Stufen-Theorie" ist die stadientheoretische Ebene, auf der bestimmte historische Stadien der kapitalistischen Gesellschaft Gegenstand der Untersuchung sind. Uno unterschied hinsichtlich der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise die Stadien Merkantilismus, Liberalismus und Imperialismus. Denkt man den Ansatz von Uno weiter, so könnte etwa Lenins Imperialismusschrift108 als ein Exempel der Theoriebildung auf dieser Abstraktionsebene gelten. Auf der dritten und konkretesten Ebene wäre im Anschluss an Kozo

economy in Japan", so Thomas Sekine, Uno-Riron: A Japanese Contribution to Marxian Political Economy, S. 848. 105 Dies ist die Übersetzung, auf die ich mich im Folgenden stütze. 106 Siehe Shoken Mawatari, The Uno School: a Marxian approach in Japan, in: History of Political Economy 17 (1985), S. 407. 107 Siehe auch Brian MacLean, Kozo Uno's „Principles of Political Economy", in: Science & Society 45 (1981), S. 213fF., sowie Jacques Bidet, Kozo Uno et son école. Une théorie pure du capitalisme, in: Jacques Bidet, Jacques Texier (Hg.), Le Marxisme au Japon (= Actuel Marx 2), S. 56; Jacques Bidet, Théorie de la modernité suivi de Marx et le marché, Paris 1990, S. 241ff. 108 Siehe W. I. Lenin, Der Imperialismus als das höchste Stadium des Kapitalismus, Berlin/Ost 1986.

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Uno die Analyse einer konkreten historischen Situation einer konkreten kapitalistischen Ökonomie anzusiedeln. Es wird deutlich, dass die Differenzierung von unterschiedlichen Abstraktionsebenen innerhalb der marxistischen Theoriebildung ein zentrales Prinzip von Unos Methodologie bildete. Dem „historischen Materialismus" kommt in Unos Denken - wie bereits erwähnt nur der Stellenwert einer „ideologischen Hypothese", nicht der einer „wissenschaftlichen Theorie" zu. Uno insistierte auf dem Primat der Wissenschaft der politischen Ökonomie.109 Zentral für das Verständnis von Unos Ansatz ist, dass es ihm in seinen Principles of Political Economy - d. h. in seiner Theorie einer „reinen" kapitalistischen Gesellschaft - weniger um eine Interpretation der verschiedenen Entwürfe der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie ging, sondern vielmehr darum, die Theorie einer „reinen" kapitalistischen Gesellschaft gemäß der ihr immanenten „Logik" zu konstruieren. Parallelen sowie Abweichungen zu Marx verdanken sich daher Unos Verständnis der „Sache selbst", nicht Unos Marxverständnis. Uno sah sich zwar dem Marxschen Grundansatz verpflichtet, sein Denken kann aber nicht auf eine bloße Aneignung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie (wie sie in dessen verschiedenen Entwürfen überliefert ist) reduziert werden. Uno ist als wesentlich eigenständiger Denker zu charakterisieren, der über Marx hinaus will, obgleich er in dessen Tradition steht. Kritisierte man Unos Theorie einer „reinen" kapitalistischen Gesellschaft, weil sie in diesem oder jenem Punkt der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie nicht entspricht, so würde man an Unos Theorie vorbeizielen und deren eigenständigen Charakter verkennen. Allerdings gilt es - falls man der Uno-Schule folgt - , bestimmte Marxsche „Defizite" zu überwinden. Aus der Sicht der Uno-Schule schreibt Shoken Mawatari: „In order to locate Capital as the principles of the capitalist economy, we must purify Marx's Capital, by setting aside Marx's references to historical changes, by eliminating his ideological forecasts and prejudices, and by removing his logical inconsistencies."110 Der Uno-Schüler Thomas Sekine richtet an Marx die Kritik, dieser habe bei seiner Arbeit am Kapital Folgendes nicht hinreichend differenziert: „the theory of a purely capitalist society, capitalism in its liberal stage of world-historic development, and the economic history of England up to the middle of the nineteenth century."111 Mit Blick auf Unos Theorie einer „reinen" kapitalistischen Gesellschaft ist festzustellen, dass sie ein in sich abgeschlossenes theoretisches System bildet. Als Voraussetzung ist dabei unterstellt, dass das ökonomische Leben der „reinen" kapitalistischen Gesellschaft voll und ganz einer Warenökonomie entspricht: Sämtliche Produkte nehmen die Warenform an.112

109 Siehe Hyeon-Soo Joe, Politische Ökonomie als Gesellschaftstheorie, S. 30f. 110 Shoken Mawatari, The Uno School: a Marxian approach in Japan, in: History of Political Economy 17 (1985), S. 406. 111 Thomas Sekine, An Essay on Uno's Dialectic of Capital, in: Kozo Uno, Principles of Political Economy, S. 151. 112 In einer Arbeit von 2007 betont der kanadische Uno-Schüler Robert Albritton die herausragende Bedeutung der Marxschen Theorie der Warenform. Siehe Robert Albritton, Economics Transformed. Discovering the Brilliance of Marx, London 2007, S. 2 Iff.

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Es lohnt sich, zwei der Punkte, an denen Uno von den Marxschen Auffassungen abweicht, näher zu betrachten. Zunächst wäre in diesem Kontext Unos Ansicht zu nennen, dass die Theorie der Wertsubstanz abstrakte Arbeit bei Marx fehlplatziert sei. Die Darstellung der Wertsubstanz abstrakte Arbeit gehört gemäß Uno nicht in die Zirkulations-, sondern in die (später folgende) Produktionstheorie,113 hat also erst an einer viel späteren Stelle innerhalb der systematischen Darstellung ihren adäquaten Ort. Die Theorie der Wertform müsse vor und unabhängig von der Theorie der Wertsubstanz abstrakte Arbeit entwickelt werden. Uno schreibt, dass Marx am Anfang der Darstellung im ersten Kapital-Band die Bedeutung der Warenform der Produkte herausstelle. Aber „after stating that use-value and value are the two elements of a commodity, he immediately attributes the substance of value to labour that is required to produce the commodity. But the production-process of a commodity is not yet analyzed at this stage."114 Unos Schüler Thomas Sekine stellt in seiner nach dem Prinzip von Unos Principles of Political Economy geschriebenen Arbeit Dialectic of Capital erst innerhalb seiner Lehre von der Produktion die Wertsubstanz systematisch dar.115 Im Hintergrund von Unos Überlegung zum Darstellungsort der Wertsubstanz abstrakte Arbeit steht sein Bemühen um eine strikte Trennung der „Doctrine of Circulation" von der später folgenden „Doctrine of Production" und der zuletzt folgenden „Doctrine of Distribution". Diese strikte Trennung und Aufeinanderfolge ist für seine Darstellung der „reinen" kapitalistischen Gesellschaft geradezu konstitutiv. Auch in diesem Zusammenhang, mit Blick auf die innere Struktur der Principles of Political Economy, zeigt sich, wie wichtig für Unos Methodologie die Differenzierung unterschiedlicher Abstraktionsebenen war. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass Kozo Uno darstellungslogische Veränderungen im Vergleich zur Struktur des dritten Kapital-Bandes von Marx vornimmt bzw. innerhalb des Bereichs, den Uno im Kontext der Dreigliederung von Zirkulation, Produktion und Distribution der Lehre von der Distribution zurechnet.116 Insbesondere fällt auf, dass Uno die Behandlung der Grundrente logisch vor der Darstellung des Zinses positioniert. Uno fuhrt zur Gliederung seiner Lehre von der Distribution aus: „The theory of interest including the account of commercial profit must follow the theory of rent which directly supplements the general theory of profit because rent originates in the direct participation of landed property in the production-process of capital."117 Es ist zu beachten, dass Uno mit Marx darin übereinstimmte, dass die Gliederung der Darstellung nicht nach äußerlichen Gesichtspunkten zu erfolgen hat, sondern den inneren

113 Siehe Hyeon-Soo Joe, Politische Ökonomie als Gesellschaftstheorie, S. 67ff. 114 Kozo Uno, Principles of Political Economy, S. xxviif. 115 Siehe Thomas Sekine, The Dialectic of Capital. A Study of the Inner Logic of Capitalism, 2 Bd., Tokio 1986, S. 119 u. 297. Inzwischen existiert auch eine überarbeitete und gekürzte Neufassung dieses Buchs: Thomas T. Sekine, An Outline of the Dialectic of Capital, 2 Bd., London, New York 1997. 116 Zu Unos Umarbeitung der Struktur des dritten Kapital-Bandes: nomie als Gesellschaftstheorie, S. 117f. 117 Kozo Uno, Principles of Political Economy, S. 75.

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Zusammenhang der ökonomischen Kategorien adäquat ausdrücken soll und somit durch die Struktur des Gegenstands selbst vorgegeben ist. Der Marxschen Gliederung des dritten Kapital-Bandes ist Unos Gliederung der Lehre von der Distribution folgendermaßen entgegenzustellen:118 Einleitung 1. Profit - Die Bildung der allgemeinen Profitrate: Die Transformation von Werten in Produktionspreise - Marktpreise und Marktwerte (oder Markt-Produktionspreise): Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage und die Bildung des Surplusprofits - Der tendenzielle Fall der allgemeinen Profitrate: Die Steigerung der Produktivkräfte und Geschäftszyklen 2. Grundrente 3. Zins - Kreditkapital und Bankkapital - Das kommerzielle Kapital und sein Profit - Das Kapital als automatisch zinstragende Kraft/Macht (force) - Die Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaft Die von Uno innerhalb der Darstellungsstruktur gegenüber Marx vorgenommenen Veränderungen sind beträchtlich. Die Marxsche Gliederung des dritten Kapital-Bandes in sieben Kapitel ist folgendermaßen wiederzugeben (siehe MEGA2 II.4.2, S. 5*-7*): Erstes Kapitel. Verwandlung von Mehrwert in Profit Zweites Kapitel. Die Verwandlung des Profits in Durchschnittsprofit Drittes Kapitel. Gesetz des tendenziellen Falls der allgemeinen Profitrate im Fortschritt der kapitalistischen Produktion Viertes Kapitel. Verwandlung von Warenkapital und Geldkapital in Warenhandlungskapital und Geldhandlungskapital oder in kauimännisches Kapital Fünftes Kapitel. Spaltung des Profits in Zins und Unternehmergewinn. (Industrieller und kommerzieller Profit.) Das zinstragende Kapital Sechstes Kapitel. Verwandlung von Surplusprofit in Grundrente Siebtes Kapitel. Revenuen (Einkommen) und ihre Quellen Einige Uno-Schüler blieben zwar dem Geist ihres Lehrmeisters treu, sahen es aber als gerechtfertigt an, über Uno hinauszugehen, ähnlich wie dieser beanspruchte, über Marx hinausgegangen zu sein. Ein entscheidendes Kriterium der Zugehörigkeit zur UnoSchule ist - für gewöhnlich - die Akzeptanz der Drei-Ebenen-Methode sowie die damit verbundene Einschätzung der Ebene der Principles of Political Economy gewissermaßen als Grundlage der Theoriebildung auf der mittleren (stadientheoretischen) sowie

118 Hier ist die Principles of Political Economy-Ausgabe von 1964 zugrunde gelegt.

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auf der dritten, konkretesten Ebene. Allerdings gibt es innerhalb der auf Uno zurückgehenden Tradition auch eine Richtung, die kritisch auf das theoretische Fundament der Uno-Schule, d. h. auf die Drei-Ebenen-Methode, zielt. Hierbei handelt es sich um Theoretiker aus der „World Capitalism"-Strömung um Hiroshi Iwata u. a., die sich in den 60er Jahren herausgebildet hat. Dabei wird eine Zwei-Ebenen-Methode gegenüber der Drei-Ebenen-Methode favorisiert. Die Ebene der Stadientheorie wird fallen gelassen.119 Aber für andere Uno-Schüler behält Unos dreistufige Gliederung der Abstraktionsebenen inklusive einer Ebene der Stadientheorie als mittlere Stufe ihre Gültigkeit.120 Die Uno-Schule war und ist keineswegs homogen. Nicht nur in Bezug auf die Bewertung der grundsätzlichen Methode Unos, sondern auch in der Weiterarbeit an Unos Theorie existieren unter seinen Schülern Differenzen. Es haben sich zahlreiche UnoSchüler gefunden, die entweder auf der Ebene der Principles of Political Economy, oder auf der stadientheoretischen Ebene, oder auf der Ebene der konkreten und empirischen Analyse Unos Ansätze weiterzuentwickeln versuchten. Dabei wurde davon ausgegangen, dass Unos Ansätze in desto weniger weit entwickelter Gestalt vorlägen, je konkreter die jeweilige Theorieebene ist. Dennoch wurde in Unos Schülerschaft auch hinsichtlich der abstraktesten Ebene, deijenigen der Principles of Political Economy, weiter geforscht u. a. zur Werttheorie, Rententheorie, Kredittheorie und Krisentheorie.121 Dass in der Bezugnahme auf Unos Werttheorie innerhalb der Uno-Schule keineswegs nur theoretische Einmütigkeit vorhanden war, wird von Thomas Sekine angedeutet.122 Der bereits erwähnte Theoretiker Kan'ichi Kuroda geht ausfuhrlich auf den werttheoretischen Diskurs innerhalb des Marxismus der 1950er und 60er Jahre ein. Dabei wird von Kuroda die (von ihm selbst vehement abgelehnte) Interpretation der KapitalAnfangsteile im Sinne einer „einfachen Warenproduktion", die (auch) im Kontext des theoretischen Stalinismus vertreten wurde, der werttheoretischen Position von Kozo Uno gegenübergestellt. Unos Ansicht sei mit einer entsprechenden Interpretation im Sinne einer „einfachen Warenproduktion" unvereinbar. „In opposition to the Stalinist distortion of Marx's theory of commodities into a theory of simple commodity production, he [Kozo Uno] proposes the ,theory of circulation' merely as a theory of circulation forms (unrelated to the process of production), by abstracting from the issue of the substance of commodities (the so-called ,dual character of labour') to be corroborated later (i. e. in the theory of production process)."123 In der Tat - so darf zu Kuroda ergänzt werden - gilt für Uno, dass die Theorie des „reinen" Kapitalismus mit der Zirkulationstheorie beginnen muss, „in which the forms of circulation alone are to be examined."124 Kuroda selbst war ein vehementer Kritiker von Stalins ökonomischer

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Siehe Shoken Mawatari, The Uno School: a Marxian approach in Japan, S. 413f. So etwa für Thomas Sekine, The Dialectic of Capital, Bd. 1, S. 64ff. Siehe Shoken Mawatari, The Uno School: a Marxian approach in Japan, S. 414. Siehe Thomas Sekine, An Uno School Seminar on the Theory of Value, in: Science & Society 48 ( 1 9 8 4 - 1 9 8 5 ) , S.419.

123 Kan'ichi Kuroda, Engels' Political Economy, S. 55. 124 Kozo Uno, Principles of Political Economy, S. xxiv.

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Theorie, die ihm zufolge von dem, was Marx selbst dargelegt habe, grundsätzlich verschieden ist.

Soweit zu Kozo Unos Theorieansatz. Ergänzend kann auf die Tatsache hingewiesen werden, dass die Interpretation der ÄTa/?zta/-Anfangsteile im Sinne einer historischen, vorkapitalistischen „einfachen Warenproduktion" bis auf Friedrich Engels zurückgeführt werden kann. Die Auseinandersetzung mit dem Problem des Verhältnisses von Marx und Engels besitzt übrigens in Japan eine lange Tradition, die gemäß Akira Miyakawa „auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgeht."125 Eine abweichende Position gegenüber der (ursprünglich auf Engels zurückgehenden) sog. „logisch-historischen" Interpretation der Marxschen Methode wurde allem Anschein nach von Sekisuke Mita vertreten.126 Mita zählte in den 60er/70er Jahren in Japan zu den bekanntesten Interpreten der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Mita verweist mit Blick auf die Marxsche Vorgehensweise auf eine dialektische Methode im Sinne einer Entwicklungsmethode, die zu der von Marx beibehaltenen analytischen Methode hinzugefugt sei. Die analytische Methode sei auch diejenige der klassischen politischen Ökonomie. Die der Grundlage - d. h. der analytischen Methode - beigefugte Entwicklungsmethode sei dann die dialektische Methode. Sekisuke Mita zufolge stützt sich Marx in Hinblick auf seine Vorgehensweise also auf die analytische Methode und verfolgt zusätzlich die dialektische Methode.127 Sekisuke Mita zählte übrigens zu den ausgesprochenen Uno-Gegnern unter den japanischen Marxisten. Chikatsugu Iwasaki wies in einem in den 1970er Jahren angefertigten Überblick zur marxistischen Dialektik-Diskussion in Japan mit Blick auf das Verhältnis zwischen dem dialektischen Widerspruch und dem der formalen Logik entnommenen Prinzip der Widerspruchsfreiheit auf eine Forschungskontroverse hin. Iwasaki schrieb: „Alle marxistischen Philosophen stimmen natürlich darin überein, dass der dialektische Widerspruch allein mit Hilfe der formalen Logik nicht begriffen werden kann. Doch unterscheiden sich ihre Meinungen in bezug auf die Frage, ob der dialektische Widerspruch ohne Verletzung des logischen Prinzips der Widerspruchsfreiheit ausdrückbar ist oder nicht."128 Es darf ergänzt werden, dass dieses Problem als von Bedeutung in bezug auf ein angemessenes Verständnis der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie begriffen werden muss.

125 Akira Miyakawa, Japanische Forschungen zu Marx' drittem Buch des Kapital durch die MEGA im Aufschwung, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geschichtserkenntnis und kritische Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1998), Hamburg 1998, S. 254. 126 Siehe Teinosuke Otani, Iichiro Sekine, Beschäftigung mit Marx und Engels in Japan. Forschungen über die Methode der politischen Ökonomie und die Entstehungsgeschichte des Kapitals, S. 249. 127 Siehe Sekisuke Mita, The Method of Capital, Tokio 1974, im Internet: http//www.marxists.org/ subject/japan/mita/method-capital.htm (letzter Zugriff: 14.10.2007). 128 Chikatsugu Iwasaki, Zur Diskussion über die materialistische Dialektik in Japan, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 27/3 (1979), S. 363.

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Sowohl dem theoretischen Verhältnis von Marx zu den Klassikern der politischen Ökonomie, als auch dem von Marx zu Hegel wurde in der japanischen Diskussion große Aufmerksamkeit gewidmet. Kan'ichi Kuroda zufolge existierte bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine hegelianisch beeinflusste Kapital-Lektüre in Japan.129 Die Beachtung, die in Japan dem Hegel-Marx-Verhältnis in späterer Zeit geschenkt wurde, ist aus Arbeiten ersichtlich, die in den 80er und 90er Jahren erschienen sind. Hiroshi Uchida stellte die Frage, ob das Verhältnis zwischen den Marxschen Grundrissen und G. W. F. Hegels Logik nicht „wesentlicher und systematischer ist, als bisher angenommen wurde."130 Uchida legte eine „hegelianisierende" Interpretation der Grundrisse vor, in welcher die Einleitung von 1857 mit der Begriffslehre in Hegels Logik, das Geldkapitel der Grundrisse mit der Seinslehre und schließlich das Grundrisse-Ka$\te\ vom Kapital mit der Wesenslehre bei Hegel parallelisiert wird. Der Marx- und Hegelforscher Yoshihiro Niji hat zu belegen versucht, dass eine wesentliche Parallele zwischen der Hegeischen Urteilslogik einerseits und der Marxschen Wertformanalyse andererseits bestehe bzw. dass gewisse Elemente der Hegeischen Logik als eine Quelle der Marxschen Werttheorie anzusehen seien.131 Nijis Position ist in der deutschen Diskussion zur Kenntnis genommen und kritisiert worden.132 Zu Nijis Ansatz ist zu bemerken, dass dieser vor einem spezifischen rezeptionsgeschichtlichen Hintergrund zu betrachten ist. Die Interpretation der Marxschen Wertformanalyse (wie auch von dessen Geldtheorie133) stellt ein geradezu „klassisches" Feld der japanischen Marx-Beschäftigung dar, dem bereits in den 50er Jahren, als die westdeutsche Marx-Debatte die Wertformanalyse insgesamt eher vernachlässigte, große Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Dies war natürlich auch in jüngerer Vergangenheit der Fall. So wird der Wertformanalyse beispielsweise in der Untersuchung der Marxschen Warentheorie durch Susumu Takenaga ein zentraler theoretischer Stellenwert beigemessen.134 Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass Takenaga die Marxsche Warentheorie als Grundlage der ganzen ökonomischen Theorie von Marx begreift. (Eine positive Begleit- oder Folgeerscheinung der intensiven Beschäftigung japanischer Wissenschaftler mit der Marxschen Werttheorie ist die Tatsache, dass das international nur wenig be-

129 Siehe Kan'ichi Kuroda, Engels' Political Economy, S. 35 u. 232ff. 130 Hiroshi Uchida, Logik der Produktion. Marx' Grandrisse und Hegels Logik, Hannover 1994, S. 11. 131 Siehe Yoshihiro Niji, Hegels Theorie vom Urteil und Marx' Theorie von der Wertform, in: The Hannan Ronshu 19/2 (1983), S. 55ff.; Yoshihiro Niji, Der Formgehalt oder Forminhalt des Wertausdrucks in der Politischen Ökonomie von Karl Marx - die Hegeische Logik als Quelle des Marxschen Wertbegriffs, in: The Hannan Ronshu 31/2 (1995), S. Iff. 132 Die Kritik wird wiedergegeben von: Kornelia Hafner, Diskussionen gegen den Zeitgeist. Das „Marx-Kolloquium", in: Diethard Behrens (Hg.), Geschichtsphilosophie oder das Begreifen der Historizität, S. 28. 133 Eine neuere Interpretation der Marxschen Geldtheorie stammt von Masao Ishikura: Marx's Theory of Money and Monetary Production Economy, in: Hitotsubashi Journal of Economics 45/2 (2004), S. 81ff. 134 Siehe Susumu Takenaga, Valeur, formes de valeur et étapes dans la pensée de Marx, Bern u. a. 1985, S. 127ff.

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kannte, aber in werttheoretischer Hinsicht äußerst bedeutende Marxsche Selbstverständigungsmanuskript zur Überarbeitung des Kapital von der Erst- zur Zweitauflage des ersten Bandes - die Ergänzungen und Veränderungen zum ersten Band des „Kapitals" von Jahreswechsel 1871/1872 - in Japan durchaus Beachtung findet.) Der Marx-Interpret Tomonaga Tairako begriff in den 80er Jahren eine spezifische Verkehrung als eine strukturelle Eigentümlichkeit der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Sie bestehe darin, dass das Wesen notwendigerweise eine verkehrte Erscheinungsform annimmt und dieses Wesen somit nicht mehr unmittelbar transparent ist. Ein Kerngehalt der Marxschen dialektischen Methode besteht für Tairako darin, die „Stufen jenes Prozesses, vermittels dessen sich das Wesen verkehrt und damit notwendig scheinbar sich widersprechende Erscheinungsformen annimmt, aus dem Wesen selbst genetisch zu entwickeln."135 Tairako unterscheidet mit Blick auf die Marxsche Theorie der Verkehrung prinzipiell zwischen Sache und Ding bzw. zwischen Versachlichung und Verdinglichung: „Firstly, the commodity production reverses the human interaction of producers to the reified interaction of things (Sachen). Secondly, it further reverses the social characteristics of this reified interaction itself to the natural attributes which pertain to the natural things (Dinge). The first reversal is termed Versachlichung in the sense of the reversal of the human relations of production to the reified (versachlicht) ones. The second reversal is termed Verdinglichung in the sense of the reversal of the relations of things to the natural properties of things."136 Mit Tairakos Interpretation hat die reifikationstheoretische Marx-Lektüre in Japan einen neuen Ansatzpunkt gewonnen. Einen Beitrag zur Marxschen Auseinandersetzung mit der klassischen politischen Ökonomie lieferte Akira Miyakawa in den 1990er Jahren. Dabei galt sein Interesse der Problematik des gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozesses in der Geschichte ökonomischer Theoriebildung. Der theoriegeschichtliche Bogen, der in diesem Kontext gespannt wurde, reicht von Francois Quesnays „Tableau économique" über das - nach Marx theoretisch defizitäre - Smithsche Dogma (dem zufolge sich der Wert des jährlichen Produkts der Gesellschaft in die Revenuen Arbeitslohn, Profit und Grundrente auflöst) bis zur Marxschen Darstellung des gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Miyakawa zufolge arbeitete Marx seine Reproduktionstheorie in der Auseinandersetzung mit dem Smithschen Dogma aus, wobei der Denker aus Trier gerade im Manuskript von 1861-1863 bei dessen Überwindung vorangekommen sei. Doch habe Marx seine kritische Abarbeitung am Smithschen Dogma anschließend keineswegs auf-

135 Tomonaga Tairako, Der fundamentale Charakter der Dialektik im „Kapital" von Marx. Zur „Logik der Verkehrung", in: Siegfried Bönisch u. a. (Hg.), Marxistische Dialektik in Japan, S. 105. 136 Tomonaga Tairako, Philosophy and Practice in Marx, in: Hitotsubashi Journal of Social Studies 34 (2002), S. 51. Die deutschen Begriffe und die Hervorhebungen stehen im Original. Zur Unterscheidung von Versachlichung und Verdinglichung siehe auch Tomonaga Tairako, Materialismus und Dialektik bei Marx, in: Friedrun Quaas, Georg Quaas (Hg.), Elemente zur Kritik der Werttheorie, Frankfurt/M. u. a. 1997, S. 45.

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gegeben. „Dessen kritische Überwindung zieht sich wie ein roter Faden durch die Entstehungsgeschichte der Marxschen Reproduktionstheorie."137 Eine bedeutende Studie von Takahisa Oishi, die im Jahr 2001 in englischer Sprache erschienen ist, trägt den programmatischen Titel The Unknown Marx. Reconstructing an Unified Perspective,138 Oishi vertritt die These, dass es sich bei Marx in dem Sinne um einen weithin unbekannten Denker handelt, als er früher vor allem unter dem Einfluss des sowjetischen Marxismus-Leninismus interpretiert worden sei. Diese Perspektive habe ein problematisches Bild von Marx ergeben. Dem Japaner geht es darum, die Marasche Theorie, in dessen Zentrum er die Kritik der politischen Ökonomie verortet, einerseits von Friedrich Engels abzusetzen, andererseits auch von den Theorien der Klassiker der politischen Ökonomie. Den Kerngehalt der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie lokalisiert Oishi sowohl in der Methode der dialektischen Darstellung ökonomischer Kategorien, als auch in ihrer Spezifität als Kritik der Kategorien der politischen Ökonomen. Als Parallele zum weithin bekannten „Adam-Smith-Problem" im Hinblick auf das Verhältnis der Theory of Moral Sentiments zu den Wealth of Nations benennt Oishi die international vieldiskutierte Frage des Verhältnisses von Marxschem Früh- und Spätwerk als „Karl-Marx-Problem". Zwischen dem jungen und dem reifen Marx sei jedoch kein methodologischer Bruch, keine wirklich tiefe Zäsur zu verorten. Stattdessen sieht Oishi bei Marx eine werkgeschichtliche Entwicklungskontinuität. Mit Blick auf die Differenz von Marx zur ökonomischen Klassik argumentiert Oishi, dass Marx im Elend der Philosophie von 1847 - einer Schrift auf die Oishi reichlich Bezug nimmt David Ricardos ahistorisches Verständnis der kapitalistischen Ökonomie zurückgewiesen habe.139 Ein Ansatz zur Lektüre und Rekonstruktion der Marxschen Theorie stammt vom Philosophen Kojin Karatani, der indes weniger auf Hegel Bezug nimmt, als vielmehr auf Kant. Hierbei handelt es sich um das ambitionierte Projekt einer vor dem Hintergrund des Marxschen Denkens stattfindenden Kant-Lektüre sowie einer vor dem Hintergrund von Kants Philosophie stattfindenden Marx-Lektüre, wobei das spezifische Moment der Kritik bei beiden Denkern als zentral anerkannt wird. Karatani bemerkt zu seinem Vorhaben: „Capital is commonly read in relation with Hegelian philosophy. In my case, I came to hold that it is only the Critique of Pure Reason that should be read

137 Akira Miyakawa, Der gesamtgesellschaftliche Reproduktionsprozess in der Theoriegeschichte: F. Quesnay, A. Smith und K. Marx, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Quellen und Grenzen von Marx' Wissenschaftsverständnis (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1994), Hamburg 1994, S. 40. Zu den verschiedenen Marxschen Manuskripten zum zweiten Kapital-Band siehe Akira Miyakawa, Eine Wiederaufnahme der Testamentsvollstreckung durch die MEGA? Neuere Tendenzen in japanischen Studien zum zweiten Buch des Kapital, in: MEGA-Studien 1995/2, Amsterdam 1996, S. 46f. 138 Siehe Takahisa Oishi, The Unknown Marx. Reconstructing an Unified Perspective, London 2001. 139 Siehe auch Takahisa Oishi, Ricardo's Value Theory Re-examined: Marx VS. Ricardo on Value, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Engels' Druckfassung versus Marx' Manuskripte zum III. Buch des „Kapital" (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1995), Hamburg 1995, S. 164.

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while cross-referencing Capital."140 Später fuhrt Karatani aus: „In fact, Marx sought to describe the capitalist economy as if it were a self-realization of capital qua the Hegelian Spirit" - jedoch sei Das Kapital hinsichtlich der Motivation von der Hegeischen Philosophie verschieden. „The end of Capital is never the ,absolute Spirit'. Capital reveals the fact that capital, though organizing the world, can never go beyond its own limit. It is a Kantian critique of the ill-contained drive of capital/reason to self-realize beyond its limit."141 Karatani sieht einen entscheidenden Bruch im Marxschen Spätwerk, genauer gesprochen, zwischen den Grundrissen und dem Kapital. Vor diesem Bruch sei Marx in theoretischer Hinsicht (wenn auch auf radikal kritische Art und Weise) innerhalb des ricardianischen Horizonts geblieben. Mit diesem Bruch habe er sich in Form der Ausarbeitung seiner Theorie der Wertform - welche für Karatani ein Kernelement der Marxschen Theorie ist - davon befreit und einen entscheidenden theoretischen Durchbruch geleistet. Dabei sei er durch Samuel Baileys Ricardo-Kritik durchaus inspiriert worden. Marx habe in der Folge seine Werttheorie zwischen den beiden Polen Ricardo und Bailey beide überwindend - entwickelt.

Besonders wichtig ist die Tatsache, dass die fortschreitende MEGA2-Edition nicht nur für die deutsche, sondern gerade auch für die japanische Marx-Diskussion als ein Stimulus dient. Als Folge der erstmaligen Edition des Marxschen Originals des dritten Kapital-Bandes aus dem sog. Manuskript von 1863-1865 nahm in der Sicht von Akira Miyakawa „die ,Kapital'-Forschung in Japan einen neuerlichen, im Wesentlichen auch qualitativen Aufschwung."142 Längst leisten japanische Marx-Engels-Forscher und Editoren einen wichtigen Teil der Arbeit an der MEGA2-Edition.143 Bereits seit den 80er Jahren wirkten Japaner an der Diskussion um dieses Editionsprojekt mit. In bestimmten Fällen versuchten japanische Marx-Philologen144 sogar, eventuelle Fehler bzw. Ungenauigkeiten der MEGA2-Editoren zu korrigieren: Bei den fraglichen Themen ging es einerseits um die Frage, ob die in MEGA 2 II.8 publizierte dritte Ausgabe des ersten Kapital-Bandes als die „Auflage letzter Hand von Marx" bezeichnet werden kann oder

140 Kojin Karatani, Transcritique. On Kant and Marx, Cambridge/USA 2005, S. ix. Das japanische Original stammt von 2001. 141 Ebd., S. 9. 142 Akira Miyakawa, Japanische Forschungen zu Marx' drittem Buch des Kapital durch die MEGA im Aufschwung, S. 251. 143 Siehe Izumi Omura, Der Beitrag japanischer Wissenschaftler zur Fertigstellung der MEGA, in: Beatrix Bouvier (Hg.), Karl Marx. Neue Perspektiven auf sein Werk, Trier 2005, S. 35ÍT. 144 Diese Bezeichnung ist keineswegs abwertend gebraucht, sondern positiv als Kennzeichnung von großer Kenntnis der Marxschen Texte. Alfred Schmidt hat einst gesagt: „Wann immer, das lehrt die wechselvolle Geschichte der Marx-Interpretation, der sogenannte Buchstabe dem Geist aufgeopfert wurde, war es dieser selbst, der den Schaden davontrug" (Alfred Schmidt, Geschichte und Struktur. Fragen einer marxistischen Historik, München 1971, S. 105).

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nicht (Izumi Omura beantwortete diese Frage negativ);145 zum anderen ging es um Datierungsschwierigkeiten hinsichtlich bestimmter Textabschnitte des Marxschen Manuskripts von 1861-1863. 146 Der wissenschaftliche Austausch zwischen japanischen Forschern auf der einen, den (ost)deutschen Marxforschern und MEGA2-Editoren auf der anderen Seite, existierte bereits vor 1989 und wurde seit den 1980er Jahren immer intensiver. Eine gewisse Rolle spielte in diesem Kontext die japanische „Arbeitsgemeinschaft der Marx-Engels-Forscher".147 Thomas Marxhausen zufolge wurde vor der „Wende" ein Fünftel jeder MEGA2Bandauflage in Japan vertrieben. In der Zeit der akuten Gefahrdung des MEGA2-Projekts zu Beginn der 1990er Jahre unterzeichneten etwa anderthalbtausend japanische Wissenschaftler einen Unterstützungsaufruf zur Weiterfuhrung der MEGA2-Edition.148 Mittlerweile ist die Kooperation japanischer und deutscher MEGA2-Forscher intensiver denn je.

In den letzten Jahren scheint die Uno-Schule in Japan weniger Zulauf seitens der an Marx orientierten Wissenschaftler zu erhalten. Doch wird sie international immer mehr zur Kenntnis genommen. Die japanischen Uno-Schüler Makoto Itoh und Thomas Sekine verbreiteten mehr oder weniger unabhängig voneinander ab den 1970er und vor allem ab den 80er Jahren Unos Theorie sowie ihre eigenen respektiven Weiterentwicklungen auf dieser Basis auch außerhalb Japans. So gelangte die Uno-Schule insbesondere in den englischen Sprachraum.149 Itoh und Sekine stießen in der angelsächsischen Debatte sowohl auf Zustimmung150 als auch auf Kritik.151 Der sich auf Unos Theorie stützende

145 Siehe Izumi Omura, Zum Abschluss der Veröffentlichung der verschiedenen Ausgaben des Kapital in der MEGA2: von der 3. deutschen Auflage, der „Auflage letzter Hand von Marx" (1984), zur 3. Auflage, „die dem letzten Willen des Autors zu einem bestimmten Grad entspricht" (1991), in: MEGA-Studien 1994/2, Amsterdam 1995, S. 56ff. 146 Siehe ebd., S. 66t, sowie Yoshio Miyake, Marx' ökonomisches Manuskript von 1861 - 1 8 6 3 und Probleme seiner Edition im MEGA2-Band II/3. Die Stellung der 23 Hefte von „Zur Kritik der politischen Ökonomie" (Manuskript 1861 bis 1863) in Marx' ökonomischen Arbeiten, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Forschung im historischen Spannungsfeld (= Beiträge zur MarxEngels-Forschung. Neue Folge 1993), Hamburg 1993, S. 186ff. 147 Siehe Naoki Hashimoto, Bericht über die Arbeitsgemeinschaft der Marx-Engels-Forscher in Japan, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Studien zum Werk von Marx und Engels (= Beiträge zur MarxEngels-Forschung. Neue Folge 1991), Hamburg 1991, S. 210ff. 148 Siehe Thomas Marxhausen, „MEGA-MEGA" und kein Ende, in: Utopie kreativ 189/190 (2006), S. 600. 149 Arbeiten von Makoto Itoh wurden auch in China rezipiert. 150 Eine positive Bewertung des werttheoretischen Ansatzes der Uno-Sekine-Richtung liefert Robert Albritton, The Dialectic of Capital. A Japanese Contribution, in: Capital & Class 22 (1984), S. 157ffi 151 Eine Kritik, die insbesondere gegen Itohs theoretische Wurzeln im Denken Kozo Unos zielt, liefert Simon Clarke, The Basic Theory of Capitalism: A Critical Review of Itoh and the Uno School, in: Capital & Class 37 (1989), S. 133ff.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Ansatz von Sekine152 gelangte insbesondere nach Kanada (er lehrte als Professor für politische Ökonomie an der York University in Toronto). Sekine ging es in seinem Hauptwerk (das in den 80er Jahren in englischer Sprache erschienen ist) um die Darstellung einer „Dialektik des Kapitals"153 auf der Abstraktionsebene einer Theorie der „reinen" kapitalistischen Gesellschaft. Ähnlich wie sein Lehrer Uno strukturiert Sekine die Darstellung der „reinen" kapitalistischen Gesellschaft gemäß dem Prinzip einer Aufgliederung in die Darstellung zunächst der Zirkulation, danach der Produktion und zuletzt der Distribution. Zudem folgt er in wesentlichen Punkten Unos Umstrukturierung und Modifikation des dritten Kapital-Bandes. Sekines Fazit zu Marx lautet, dass beim Denker aus Trier Logik mit politischer Ökonomie koinzidiere, bei Hegel hingegen Logik mit Metaphysik. Der Uno-Schüler Sekine schreibt, dass Kozo Uno „never related his approach to economic theory to Hegel's Logic. Nor did he, unlike Lenin, ever recommend his students to familiarize themselves first with the Hegelian Logic in order to understand correctly Marx's Capital",154 Indes argumentiert Sekine in seinem Buch The Dialectic of Capital·. „It is my belief that the dialectic operates essentially in the same way whether in idealism or in materialism, and that therefore Marx's thought can never be understood as it was intended to be without a full comprehension of the significance of the Hegelian dialectic."155 Sekine zufolge kann man im Marxschen Kapital „the materialistic substitute for Hegel's Absolute" finden. Die Dialektik des Kapitals „replaces the dialectic of the Absolute; with Marx ,capital' plays the same role as Hegel's Absolute."156 Die Uno-Theorie bzw. diese Theorie in Sekines Interpretation, und insbesondere auch die entsprechende Methodologie, wurde von Forschern aus der angelsächsischen Debatte aufgegriffen. 157 So etwa von Robert Albritton, der das anglophone Publikum mit Unos (und Sekines) methodologischen Auffassungen vertraut zu machen versuchte.158

152 Da in den folgenden Vertiefungen (siehe Teil 3) Theorieansätze von Itoh noch thematisiert werden, gehe ich an dieser Stelle näher auf Sekine ein. 153 Siehe Thomas Sekine, The Dialectic of Capital. Einen Einblick in seinen spezifischen Dialektikbegriff gibt Sekine in zwei Aufsätzen: Thomas T. Sekine, The Dialectic of Capital: An Unoist Interpretation, in: Science and Society 62 (1998), S. 434ff.; Thomas T. Sekine, The Dialectic, or Logic that coincides with Economics, in: Robert Albritton, John Simoulidis (Hg.), New Dialectics and Political Economy, London 2003, S. 120ff. 154 Ebd., S. 120. Mawatari schreibt jedoch über Uno, dass er Hegels Logik sorgfältig gelesen habe (siehe Shoken Mawatari, The Uno School: a Marxian approach in Japan, S. 405). 155 Thomas Sekine, The Dialectic of Capital, S. 26. 156 Ebd., S. 35. 157 Dies gilt (oder galt zumindest) neben Robert Albritton für John R. Bell, Brian MacLean und Colin A. M. Duncan. Siehe John R. Bell, Dialectics and Economic Theory, in: Robert Albritton, Thomas Sekine (Hg.), A Japanese Approach to Political Economy. Unoist Variations, London 1995, S. 107ff.; John R. Bell, From Hegel to Marx to the Dialectic of Capital, in: Robert Albritton, John Simoulidis (Hg.), New Dialectics and Political Economy, S. lOlff.; Brian MacLean, Kozo Uno's „Principles of Political Economy", in: Science and Society 45 (1981), S. 212ff.; Colin A. M. Duncan, Under the Cloud of Capital: History vs. Theory, in: Science & Society 47/3 (1983), S. 300ff. 158 Siehe ζ. Β. Robert Albritton, A Japanese Reconstruction of Marxist Theory, London 1986.

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Vor dem Hintergrund einer Anknüpfung an die durch Thomas Sekine geprägte Richtung innerhalb der Uno-Schule ist auch eine neuere Monographie Robert Albrittons zu verstehen. Der Kanadier bezieht sich darin auch auf die methodologische Dimension der Uno-Sekine-Richtung.159 Robert Albritton und John Bell gingen Mitte der 1990er Jahre so weit, die Ansicht zu vertreten, dass die Uno-Schule in Japan im Niedergang begriffen sei, während - ihrer Ansicht nach - die „Canadian branch" dieser Schule „is doing the most to develop the legacy of Uno".160 Auf weitere Aspekte der japanischen Marx-Debatte wird in Teil 3 dieser Arbeit eingegangen, so z. B. auf Samezo Kurumas in den 50er Jahren dargelegte Interpretation der Marxschen Wert- und Geldtheorie; oder auf die Diskussion zur Aufbauplanproblematik bei Marx, mit deren Berücksichtigung japanische Forscher nach dem Zweiten Weltkrieg an einem Thema weiterarbeiteten, das bereits in der Zwischenkriegszeit Gegenstand der japanischen Forschung zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie gewesen war.

2.3. Andere asiatische Länder 2.3.1. Südasien Die südasiatische Marx-Rezeption in Bezug auf die Kritik der politischen Ökonomie war bzw. ist relativ eng mit der angelsächsischen Debatte verbunden. Hinsichtlich der Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik auf dem indischen Subkontinent ist in Deutschland eher wenig bekannt.161 Im angelsächsischen Raum gelangte ein Interpretations-

159 Siehe Robert Albritton, Dialectics and Deconstruction in Political Economy, Basingstoke 1999. 160 Robert Albritton, John R. Bell, Introduction, in: Robert Albritton, Thomas Sekine (Hg.), A Japanese Approach to Political Economy. Unoist Variations, S. 1. Immerhin wird der „kanadische Flügel" der Uno-Schule auch von Forschern aus dem Ursprungsland dieser Schule zur Kenntnis genommen und gewürdigt: Sadao Ishibashi, The Demonstration of the Law of Value and the Uno-Sekine Approach, in: Robert Albritton, Thomas Sekine (Hg.), A Japanese Approach to Political Economy. Unoist Variations, S. 44ff. 161 Hierzulande in Fachkreisen bekannt ist eine umfangreiche indische Kapital-Einfuhrung: N. S. Ranganayakamma, An Introduction to Marx's „Capital", 3 Bd., Hyderabad 1999. Als ein weiterer indischer Beitrag zur Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik könnte exemplarisch genannt werden: Arun Bose, Marx on exploitation and inequality. An essay in Marxian analytical economics, Delhi 1980. Eric Hobsbawm zufolge scheint das Kapital den Indern nicht nur in englischer Übersetzung zur Verfugung zu stehen: Eine „major linguistic extension of Capital occurred in independent India, with editions in Hindi, Bengali and Malayalam in the 1950s and 1960s." (The fortunes of Marx's and Engels' Writings, in: Eric Hobsbawm u. a. [Hg.], The History of Marxism. Volume One: Marxism in Marx's Day, Brighton 1982, S. 343.) Ein ostdeutscher Autor schrieb hingegen in den 70er Jahren mit Blick auf die indischen Landessprachen, dass eine „vollständige Übersetzung der drei Bände des .Kapitals' von Karl Marx [...] nur in Malayalam" vorliege (siehe Horst Krüger, Die Intelligenz und der soziale Fortschritt im unabhängigen Indien, in: Annemarie Hafner, Joachim Heidrich, Petra Heidrich, Horst Krüger [Hg.], Studien zum Kampf um den sozialen Forschritt in Indien, Berlin/Ost 1975, S. 277.)

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ansatz des indischen Intellektuellen Jairus Banaji zu gewisser Bekanntheit, der gegen Ende der 70er Jahre wichtige werttheoretische und methodologische Probleme anschnitt.162 Hier muss es genügen, einige Aspekte von Banajis Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie nur exemplarisch und punktuell anzusprechen. Der indische Marx-Interpret nimmt gewissermaßen eine Art Gegenposition zu Strömungen ein, die die Marasche Methode von der Philosophie Hegels in erster Linie absetzen. Für Banaji steht fest, dass „the method that Marx followed was a method ,which Hegel discovered' ",163 Eine Parallele zu einem Teil der westdeutschen Marx-Interpretation der 70er Jahre besteht darin, dass der indische Theoretiker - übrigens unter Verweis auf Hans-Georg Backhaus die Marxsche Werttheorie im Sinne einer Einheit von Wert- und Geldtheorie interpretiert. In Banajis Studie wird zudem auf das (innerhalb der internationalen KapitalRezeption zu den geradezu klassischen Themenfeldern zu zählende) „Problem des Anfangs" eingegangen. Banaji fasst das „Problem des Anfangs" bei Marx dergestalt, dass er zwischen einem „analytischen" und einem „synthetischen" Ausgangspunkt unterscheidet. Der „analytische" Ausgangspunkt sei die Ware, wie sie zu Beginn von Das Kapital dargestellt wird; von ihr gelange man zum Wert. Der Wert wiederum wird von Banaji als „synthetischer" Ausgangspunkt im Kapital qualifiziert.

Der Iraner Ali Shamsavari hat Anfang der 90er Jahre mit einer Monographie über die Methode der Kritik der politischen Ökonomie und das Marxsche Verhältnis zur Hegelschen Philosophie zur internationalen Diskussion beigetragen.164 Ein Ausgangspunkt seines Versuchs, die Methodologie der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie - wie auch das Band, das die methodologische Perspektive von Marx mit Hegels Philosophie und Logik verbindet - zu rekonstruieren, ist eine kritische Auseinandersetzung mit Interpretationsansätzen, die versuchen, das Marxsche Denken von Hegels Philosophie zu distanzieren. In diesem Zusammenhang hat Shamsavari neben den „üblichen Verdächtigen" Althusser und Colletti insbesondere neoricardianisch inspirierte Ökonomen wie Ian Steedman sowie den „analytischen Marxismus" (s. u.) vor Augen. Die Herausbildung der „anti-hegelianischen" Denkrichtungen bis in die 1980er Jahre bildet den theoriegeschichtlichen Hintergrund, von dem sich Shamsavari mit seiner Alternativinterpretation absetzen will: „As opposed to the anti-Hegelian trends [...], it is the central contention of this book that the dialectical method as developed by Hegel constitutes a central influence on Marx's economic and historical studies, and that, furthermore, that method in itself is valid and essential for social theorizing."165 Shamsavari fasst die Marxsche Werttheorie als wissenschaftlichen Durchbruch auf, insbesondere deshalb, weil Marx mit seiner Wertformanalyse in theoretisch entschei162 Siehe Jairus Banaji, From the Commodity to Capital: Hegel's Dialectic in Marx's Capital, in: Diane Elson (Hg.), Value: The Representation of Labour in Capitalism, London 1979, S. 14ff. 163 Ebd., S. 19. 164 Siehe Ali Shamsavari, Dialectics and Social Theory. The Logic of Capital, Braunton/Großbritannien 1991. 165 Ebd., S. 14.

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dender Art und Weise über den werttheoretischen Horizont der klassischen politischen Ökonomie hinausgegangen sei. Deren Vernachlässigung einer Analyse der Wertform wird von Shamsavari als eine Konsequenz ihrer defizitären Methode interpretiert. Trotzdem übt Shamsavari an der Marxschen Werttheorie auch Kritik. Mit seiner Kritik spricht Shamsavari einen ähnlichen Punkt an wie zuvor schon Hans-Georg Backhaus166 in der deutschen Diskussion: „The central problem with Marx's presentation of his theory of value in Chapter One of Capital I, as I see it, concerns the curious isolation of the value-form analysis both from the question of the essence and the measure of value (which precedes the analysis of value-form) and from the fetishism of commodities (which follows the section on value-form)."167 Hier kann zu Shamsavaris These ergänzt werden, dass im Anhang der Kapital-Erstauflage von 1867 die Problematik des Warenfetischismus zumindest teilweise - unter der Überschrift „Der Fetischismus der Waarenform ist frappanter in der Aequivalentform als in der relativen Werthform" (MEGA2 II.5, S. 637) - mit der vierten Eigentümlichkeit der Äquivalentform in die Wertformanalyse selbst integriert ist. (Siehe MEGA2 II.5, S. 637f.)

Der Thailänder Pichit Likitkijsomboon hat sich (beinahe zeitgleich mit Shamsavaris Ansatz) mit dem Marxschen Verhältnis zur Hegeischen Dialektik auseinandergesetzt und vertritt einen Theorieansatz, den man als „hegelianisierende" Marx-Deutung bezeichnen könnte.168 Ihm zufolge muss eine tragfahige Interpretation der Marxschen Theorie auf einem adäquaten Verständnis sowohl der Hegeischen Dialektik wie auch von deren Rezeption durch Marx basieren. Das Marxsche Theorievorhaben fasst Likitkijsomboon so, dass es Marx darum gegangen sei, alle relevanten ökonomischen Kategorien zu identifizieren und deren logisches Verhältnis untereinander zu erforschen, um die „reine Form" der kapitalistischen Ökonomie angemessen darstellen zu können. Nach Likitkijsomboon geht es Karl Marx darum, die Logik des Selbstentfaltungsprozesses des Kapitals (das der Thailänder als Subjekt fasst) darzustellen - und zwar von den abstraktesten und einfachsten Kategorien bis zur voll entwickelten Totalität der,/einen" kapitalistischen Ökonomie. Likitkijsomboons Redeweise von einer „Dialektik des Kapitals" und einer „,reinen' kapitalistischen Ökonomie" mag auf den ersten Blick auf eine theoretische Nähe zur Uno-Schule und insbesondere zu Thomas Sekine nahe legen, doch gerade an letzterem übt der Thailänder scharfe Kritik. Sekines Dialektikkonzeption, die Likitkijsomboon als

166 „Die mangelhafte Vermittlung von Substanz und Form des Werts kommt schon darin zum Ausdruck, dass in der Entwicklung des Werts ein Bruch aufweisbar ist: Der Übergang vom zweiten zum dritten Abschnitt des ersten Kapitels ist als notwendiger Übergang nicht mehr einsichtig", so Hans-Georg Backhaus, Zur Dialektik der Wertform, in: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform, S. 44. Zwar schrieb dies Backhaus im Jahr 1969, doch im Jahr 2002 teilte mir Backhaus in einem Gespräch mit, dass er an dieser Ansicht zumindest im Grundsätzlichen nach wie vor festhält. 167 Ali Shamsavari, Dialectics and Social Theory, S. 246. 168 Siehe Pichit Likitkijsomboon, The Hegelian Dialectic and Marx's Capital, in: Cambridge Journal of Economics 16/4 (1992), S. 405ff.

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„an interpretation of ,dialectic' from the standpoint of formal logic"169 bezeichnet, stimme keineswegs mit dem Dialektikverständnis von Hegel und Marx überein. Likitkijsomboon hat sich in einem weiteren Text aus den 90er Jahren mit der Marxschen Wertformtheorie auseinandergesetzt.170 Eine zentrale These Likitkijsomboons besteht in der Annahme, dass „a systematic overview of Marx's theory of value-form, with its dialectical method, reveals a theory consisting of both social and quantitative aspects. The two aspects are logically integrated within the dialectical structure of the theory."171 Die Marxsche Geldtheorie betrachtet Likitkijsomboon als in dessen Arbeitswert- und Wertformtheorie logisch begründet. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Überlegungen zur Marxschen Wertformanalyse kritisiert der Thailänder u. a. die Wertformtheorie innerhalb der Uno-Schule.172 Es ist daran zu erinnern, dass die Uno-Schule die Theoretisierung der Wertsubstanz abstrakte Arbeit aus der Lehre von der Zirkulation in die (erst später darzustellende) Lehre von der Produktion verschieben, also die Theoretisierung der Wertsubstanz abstrakte Arbeit von der Wertformtheorie unmittelbar abtrennen will. Likitkijsomboon kritisiert, das „Unoist adventure in the sphere of value-form only mystifies the categories of value and value-form and obliterates the utmost significance of the necessity to verify private, individual labor as social labor, which is" hier trifft Likitkijsomboon in der Tat einen wichtigen Punkt - „at the root of Marx's value theory."173

2.3.2. Ostasien Hier soll ein Blick auf Aspekte der jüngeren Vergangenheit der chinesischen und der südkoreanischen Marx-Interpretation geworfen werden.174 Wei Xiaoping, Direktor der Marxismus-Sektion des Instituts für Philosophie an der Chinesischen Akademie der Gesellschaftswissenschaften, berichtet, dass es in der (volks-)chinesischen Beschäftigung mit dem Marxismus derzeit drei Hauptrichtungen gebe: erstens den „offiziellen" Marxismus im Sinne der ideologischen Leitlinie des „Sozialismus chinesischer Natur" bzw. im Sinne der Ideologie der Führung der Kommunistischen Partei Chinas; zweitens den „akademischen" Marxismus, auf den - so könnte man ergänzen - wohl am ehesten die

169 Ebd., S. 418. 170 Siehe Pichit Likitkijsomboon, Marxian Theories of Value-Form, in: Review of Radical Political Economics 27/2 (1995), S. 73ff. 171 Ebd., S. 74. 172 Es liegt die Replik eines weiteren Kritisierten vor, des Niederländers Geert Reuten (der nicht der Uno-Schule zuzurechnen ist): Geert Reuten, Conceptual Collapses. A Note on Value-Form Theory, in: Review of Radical Political Economics 27/3 (1995), S. 104ff. 173 Pichit Likitkijsomboon, Marxian Theories of Value-Form, S. 89. 174 Die VR China und Südkorea sind - nach Japan - im Hinblick auf die Marx-Interpretation die wichtigsten ostasiatischen Länder, wenn auch nicht die einzigen, in denen eine Auseinandersetzung mit der Marxschen Theorie stattgefunden hat. Über die editorische Situation beispielsweise in der Mongolei berichtet: Birwa, Zur Frage der Übersetzung und der Herausgabe der Werke von Karl Marx in mongolischer Sprache, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 28, Berlin/Ost 1989, S. 133fF.

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Hoffnung hinsichtlich einer weiteren Entfaltung der methodologischen Kapital-Diskussion gesetzt werden kann; drittens die Rezeption dessen, was als „Westlicher Marxismus" bezeichnet werden könnte.175 Diese Theorietradition werde in der Volksrepublik China besonders seit den 1980er Jahren zur Kenntnis genommen. Der Philosoph He Ping glaubte in jüngerer Vergangenheit, einen „Return to Marx" in der chinesischen marxistischen Philosophie feststellen zu können.176 In der Volksrepublik China wurde bereits zwischen 1956 und 1985 (hauptsächlich auf der Grundlage der zweiten russischen Marx-Engels-Werkausgabe) eine erste chinesische Edition der Werke von Marx und Engels herausgegeben, die fünfzig Bände umfasste. Die Tatsache, dass neben den drei Kapital-Bänden auch „die erste deutsche und die französische Ausgabe des ersten Bandes des ,Kapital' (1867 bzw. 1872-1875)"177 in chinesischer Übersetzung vorliegen, spricht dafür, dass in China die editorische Situation (zumindest bis zu einem gewissem Grade) eine differenzierte Kapital-Debatte zulässt. In editorischer Hinsicht wird sich die Situation in Zukunft weiter verbessern. Mit einer zweiten chinesischen Marx-Engels-Werkausgabe, diesmal auf der Grundlage der MEGA2, plant das Institut für die Herausgabe und Übersetzung der Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas, den editorischen Standard sowohl in Bezug auf die Übersetzung als auch mit Blick auf den wissenschaftlichen Apparat qualitativ zu verbessern. Diese Ausgabe wendet sich an ein wissenschaftliches Publikum und wird nach Maßgabe der MEGA2-Gliederung vier Abteilungen (Werke und Entwürfe, Kapital und Vorarbeiten, Briefe, Exzerpte/Notizen/ Marginalien) und insgesamt voraussichtlich ca. 70 Bände umfassen.178 Der erste Band dieser neuen Edition erschien 1995. Die zweite chinesische Marx-Engels-Werkausgabe kann wegen ihres Umfangs und der Berücksichtigung der MEGA2 bei der Arbeit an der Edition als bemerkenswert gelten. Der Zeitpunkt der Fertigstellung ist noch nicht abzusehen. Die Arbeit an diesem editorischen Großprojekt geht eher langsam voran. Eine

175 Siehe Wei Xiaoping, Lo stato attuale della ricerca su Marx in Cina, in: Marcello Musto, Sulle tracce di un fantasma. L'opera di Karl Marx tra filologia e filosofia, Rom 2006, S. 384ff. 176 Siehe He Ping, On the phenomenon of „Return to Marx" in China, in: Frontiers of Philosophy in China 2007/2, S. 219ff. Ein japanischer Marxforscher schreibt: In „China tauchte seit dem Anfang der 90er Jahre eine Tendenz a u f , die darauf hinauslief, dass „immer mehr chinesische Marxforscher sich nicht mehr nach den dogmatischen Theorien des orthodoxen Marxismus-Leninismus, sondern nach den Marxschen Originaltexten richteten", so Tomonaga Tairako, Die neuesten Tendenzen der Deutschen /¿feo/og/e-Forschung in Asien [wird demnächst veröffentlicht in: Wissenschaftliche Mitteilungen des Berliner Vereins zur Förderung der MEGA-Edition, Heft 7], S. 3. 177 Jiang Renxiang, Zur Herausgabe der Marx-Engels-Werke in China, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geschichtserkenntnis und kritische Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1998), Hamburg 1998, S. 263. 178 Siehe Chai Fangguo, Systematische Übersetzung der Werke von Marx und Engels. Zur zweiten chinesischen Ausgabe der Marx-Engels-Werke, [wird demnächst veröffentlicht in: Wissenschaftliche Mitteilungen des Berliner Vereins zur Förderung der MEGA-Edition, Heft 7.], S. 3.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

kleinere, zehnbändige Werkausgabe, deren Edition für die jüngste Vergangenheit anvisiert war, sollte auch die drei Kapital-Bücher enthalten.179 Übrigens liegen auch die Marxschen Grundrisse in chinesischer Übersetzung vor, und zusätzlich eine Exzerptsammlung mit Kommentaren von Marx, die zum Forschungshintergrund dieses Manuskripts von 1857/58 gehört. Das erste Heft eines von der MarxEngels-Abteilung des Instituts für die Herausgabe und Übersetzung der Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin beim ZK der KP herausgegebenen Periodikums zur MarxEngels-Forschung180 enthielt 1989 die erstmalige chinesische Übersetzung des Marxschen Manuskripts Bullion, dieser Exzerptsammlung auf zweiter Bearbeitungsstufe, mit der Marx gegen Winter/Frühjahr 1851 den Stand seiner bisherigen geldtheoretischen Exzerpte systematisch aufarbeitete. Da Bullion zu den bei der Anfertigung der Grundrisse benutzten Materialien gehört, ist durch diese Veröffentlichung der Zugang zu einem besseren Verständnis des Forschungshintergrunds der Grundrisse und damit dieses Rohentwurfs von 1857/58 selbst geebnet. Innerhalb der chinesischen Auseinandersetzung mit Marx fand spätestens seit den 80er Jahren durchaus eine detaillierte Beschäftigung mit der Entstehungsgeschichte seines ökonomischen Hauptwerks statt. Chinesische Forscher widmeten nicht zuletzt den Grundrissen ihre Aufmerksamkeit.181 Zhongpu Zhang berichtet, dass im Jahr 1995 chinesische Forschungsergebnisse zum Marxschen 6-Bücher-Plan publiziert wurden; 182 in diesem Punkt scheint also eine thematische Parallele zwischen der chinesischen und der internationalen Rezeption der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu existieren. Hier kann nur ein kurzer Blick auf ein Beispiel aus der neueren chinesischen MarxInterpretation geworfen werden. Die Rede von einer „Kapitallogik" ist inzwischen nicht mehr auf die deutsche, dänische oder angelsächsische Marx-Diskussion beschränkt, sondern spielt auch in der neueren chinesischen Beschäftigung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie eine Rolle. Die Stoßrichtung des Interpretationsansatzes von Yang Haifeng besteht darin, drei zentrale Aspekte der Marxschen Philosophie zu profilieren: erstens die Kritik metaphysischer Philosophie; zweitens die Darstellung der

179 Zur Marx-Engels-Edition in der VR China siehe auch Lu Lu, New Chinese Edition of Marx and Engels Collected Works. Regarded from the Perspective of MEGA and the Chinese reception of Marxism, o. O. 2006, im Internet: http://wAvw.psa.ac.uk/spgrp/marxism/online/lulu.pdf (letzter Zugriff: 2.7.2007); Yang Jinhai, Introduction to Marxism Research in China, o. O. 2006, im Internet: http://www.psa.ac.uk/spgrp/marxism/online/jinhai.pdf (letzter Zugriff: 2.7.2007). 180 Siehe Johannes Skambraks, Zuo Haixian, Zur Marx-Engels-Forschung in China, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Studien zum Werk von Marx und Engels (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1991), Hamburg 1991, S. 219ff. 181 Siehe Zhongpu Zhang, China [Dissemination and reception of the Grundrisse in the world], in: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx's Grundrisse, S. 220f. 182 Siehe ebd.

2 . 3 . ANDERE ASIATISCHE LÄNDER

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„Kapitallogik"; drittens den Aspekt der Gesellschaftskritik, wobei für Haifeng das Moment der Marxschen Fetischismustheorie von Bedeutung ist.183 Haifeng ist ein Schüler des Philosophen Zhang Yibing, welcher sowohl zur „akademischen" Richtung der chinesischen Marx- und Marxismus-Beschäftigung, als auch zu den Protagonisten der chinesischen Auseinandersetzung mit dem sog. Westlichen Marxismus zählt, und stellvertretend für den chinesischen „Return to Marx"-Trend seit den 90er Jahren steht. Im Hinblick auf die Frage des Theorietransfers von Japan nach China ist erwähnenswert, dass Zhang Yibing die chinesische Rezeption der Theorie des schulbildenden japanischen Marx-Interpreten und Philosophen Wataru Hiromatsu vorangetrieben hat. In der VR China existiert ein Netzwerk von am Marxismus orientierten wissenschaftlichen Institutionen, welches u. a. das Marxism Research Institute an der Shanghai University of Finance and Economics und die Academy of Marxism an der Chinese Academy of Social Sciences umfasst. Das Projekt der Rezeption des modernen außerchinesischen Marxismus wird u. a. am Center for Studies of Marxist Social Theory an der Nanjing University verfolgt. Als Beispiel eines Versuchs, eine internationale Kooperation in der marxistischen ökonomischen Forschung herbeizuführen, kann die erst vor wenigen Jahren gegründete World Association for Political Economy (WAPE) gelten, deren Sitz in Hongkong liegt und deren Vorsitzender Cheng Enfu eine Führungsposition an der Academy of Marxism an der Chinese Academy of Social Sciences innehat.

Unter dem Eindruck der zunehmenden Oppositionstätigkeit in Südkorea seit 1980 kam es dort in der Folgezeit zu einer Editionswelle der Schriften von Marx und Engels. Zwar wurde noch 1987 die Edition des Kapital von den staatlichen Repressionsorganen behindert und der Verleger verhaftet,184 aber später erfolgte die Tätigkeit der Marx-Editoren und der wissenschaftlichen Interpreten in der Regel weitgehend unbehelligt. Es fällt auf, dass viele bedeutende Forschungsbeiträge von südkoreanischen Wissenschaftlern stammen, die in Europa ausgebildet wurden. Die Ausbildung zahlreicher südkoreanischer Marx-Interpreten im Ausland hat dazu beigetragen, dass sie sich mit Denkansätzen aus dem europäischen Marxismus auseinander gesetzt haben. Daneben spielte aber auch die Rezeption des japanischen Marxismus eine Rolle. Von der älteren Generation der Forscher, die sich an der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie orientieren, hatte SooHaeng Kim in London, Young-Ho Park in Frankfurt am Main und Woon-Young Jeong in Löwen (Belgien) studiert, bevor sie sich - noch in den 80er Jahren - an Universitäten ihres Heimatlandes etablieren konnten.

183 Siehe Yang Haifeng, Critique of Metaphysics, Capital Logic and Totality, and Social Critique Theory - The Three Critical Dimensions of Marx's Philosophy, in: Frontiers of Philosophy in China 2006/2, S. 269«. 184 Siehe Moon Gil Chung, Aktivitäten zur Marx-Engels-Forschung und -Edition in Süd-Korea, S. 279f.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Von den südkoreanischen Marxforschern, die in jüngerer Vergangenheit promoviert haben, wurden u. a. No-Wan Kwack, Young Bin Hahn, Lee Jun Kim, Kyung-Mi Kim185 und Dae-Won Park in Deutschland ausgebildet (auf die Studie zu Isaak Iljitsch Rubin und Kozo Uno, die von dem ebenfalls in Deutschland ausgebildeten Südkoreaner HyeonSoo Joe verfasst wurde, ist bereits hingewiesen worden). Auf bedeutende Forschungsergebnisse von Theoretikern aus diesem Kreis wird später en detail eingegangen, etwa auf ambitionierte Denkansätze, die auf den Zusammenhang von Geld-, Kredit- und Krisentheorie bzw. auf epistemologische Fragestellungen zielen. Ein weiterer südkoreanischer Wissenschaftler, Chai-On Lee, forschte und promovierte in Großbritannien. Lee überprüfte die Vorwürfe der Redundanz, der Inkonsistenz oder des mangelnden Realismus, die u. a. von neoricardianischen Ökonomen oder von „analytischen Marxisten" gegen die Marxsche Werttheorie vorgebracht wurden und versuchte, Marx zu verteidigen.186 Die Studie Ideologie und Kritik von Choeng-Lip Chu ist als Promotionsarbeit an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main entstanden.187 ChoengLip Chu eröffnete eine formtheoretische Perspektive auf die Marxsche Ökonomiekritik und begriff dessen Wertformanalyse unter dem Einfluss von Hans-Georg Backhaus im Sinne einer Einheit von Wert- und Geldtheorie. Innerhalb der Marx-Beschäftigung der südkoreanischen Forschung spielen auch methodologische Fragen eine Rolle. Dies kann anhand eines Beispiels gezeigt werden. In der südkoreanischen Forschung der 90er Jahre ist u. a. die Problematik der kategorialen Übergänge innerhalb der Marxschen Darstellung seiner Ökonomiekritik berücksichtigt worden. In der Untersuchung von Seung-Wan Han,188 der übrigens auch in Deutschland promoviert hat, nimmt die Explikation des Marxschen Übergangs vom Geld zum Kapital einen bedeutenden Stellenwert ein. Hinsichtlich des kategorialen Übergangs zum Geld innerhalb der Marxschen Darstellung, der vor dem Übergang vom Geld zum Kapital erfolgen muss, schreibt Han, dass Marx in den Grundrissen die Hegeische Logik bei der Konstruktion des Übergangs als Hilfsmittel genutzt habe. Obwohl eine Passage der Grundrisse, die an Hegels Logik der Reflexionsbestimmungen erinnere, in Zur Kritik der politischen Ökonomie wegfalle, sei hier immer noch in der Geldentwicklung eine Ähnlichkeit zu den Grundrissen gegeben. Han schreibt: „Der der Ware immanente Widerspruch entwickelt sich hier auch zum äußerlichen Widerspruch zwischen Ware und Geld."189 Mit Blick auf den Übergang vom Geld zum Kapital vertritt Seung-Wan Han die These, Marx führe in den Grundrissen einen doppelten Übergang durch. Einerseits sei hier ein Übergang von der Sphäre der Zirkulation zur produzierenden Tätigkeit kon-

185 Kyung-Mi Kim stammt aus dem Umkreis der Marburger „Forschungsgruppe Politische Ökonomie". Siehe Kyung-Mi Kim, Hilferding und Marx. Geld- und Kredittheorie in Rudolf Hilferdings „Das Finanzkapital" und im Marxschen „Kapital", Köln 1999. 186 Siehe Chai-on Lee, Marx's Labour Theory of Value Revisited, in: Cambridge Journal of Economics 17/4 (1993), S. 463ff. 187 Siehe Choeng-Lip Chu, Ideologie und Kritik, Regensburg 1998. 188 Siehe Seungwan Han, Marx in epistemischen Kontexten. Eine Dialektik der Philosophie und der positiven Wissenschaften, Frankfurt/M. 1995. 189 Ebd., S. 99.

2.4. DIE EHEMALS SOZIALISTISCHEN LÄNDER IN EUROPA

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struiert; doch dies sei nicht der Übergang zum Kapital selbst. Der doppelte Übergang vom Geld zum Kapital besteht gemäß Han darin, dass „bei diesem Übergang einmal der Sphärenwechsel von der Zirkulation zur Produktion, ein anderes Mal, aber gleichzeitig, die kategoriale Entwicklung vom Geld zum Kapital stattfindet." 190 Mit der Problematik der kategorialen Übergänge zum Geld bzw. zum Kapital bearbeitete Seung-Wan Han ein Problemfeld, das auch in der japanischen und in der europäischen Forschung einen gewissen Raum einnimmt. Eine thematische Parallele von Seung-Wan Hans Studie zu späteren Arbeiten aus Südkorea191 besteht in der Aufmerksamkeit, die dem Hegel-MarxVerhältnis zukommt.

2.4. Die ehemals sozialistischen Länder in Europa 2.4.1. Die Sowjetunion 192 Das Marxsche Kapital gelangte früh nach Russland. Fast schon unzeitgemäß früh, denn die Theorie, die beanspruchte, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen kapitalistischen Gesellschaft zu enthüllen, war vor dieser Gesellschaftsform selbst in Russland eingezogen. Die erste russische Übersetzung des ersten Kapital-Bandes erschien 1872.193 Damit war, wie Marx selbst feststellte, die „erste fremde Nation, die ,Das Kapital' übersetzt, [...] die russische." (MEW 32, S. 567) Nach der sozialistischen Oktoberrevolution wurden Ressourcen für die Gründung des Moskauer Marx-Engels-Instituts (im Jahre 1921) sowie für die Edition der ersten historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe (erste MEGA) bereitgestellt, die unter der Ägide des Institutsdirektors David B. Rjazanov herausgegeben wurde. 194 Für die Arbeit an der ersten MEGA gelang es auch, Verbindungen zum 1924 gegründeten Frankfurter Institut für Sozialforschung zu

190 Ebd., S. 110. 191 Siehe dazu Ho-Gyun Kim, South Korea [Dissemination and reception of the Grundrisse in the world], in: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx's Grundrisse, S. 276f. 192 Die sowjetische Marx-Rezeption kann in der vorliegenden Studie - ebenso wie die Marx-Rezeption in den asiatischen Ländern - nur ausschnittweise berücksichtigt werden, d. h. soweit sie in westeuropäischen Sprachen dokumentiert ist. 193 Siehe Anna W. Urojewa, „Das Kapital" eroberte sich den Erdball. Zur internationalen Verbreitung des Marxschen Hauptwerkes bis 1895, in: ...unsrer Partei einen Sieg erringen, S. 190. Auf einen interessanten Aspekt der Marx-Übersetzung in die russische Sprache geht ein: Valeri Tschechowski, Zur Übersetzung des Marxschen Begriffs Wert ins Russische, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geld - Kapital - Wert. Zum 150. Jahrestag der Niederschrift von Marx' ökonomischen Manuskripten 1857/58 Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (= Beiträge zur MarxEngels-Forschung. Neue Folge 2007), Hamburg 2007, S. 165ff. 194 Siehe Rolf Hecker u. a. (Hg.), David Borisovic Rjasanov und die erste MEGA (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 1), Hamburg 1997. Zu Leben und Werk Rjazanovs siehe u. a. Volker Külow, André Jaroslawski (Hg.), David Rjasanow - Marx-Engels-Forscher, Humanist, Dissident, Berlin 1993, S. lOff.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

knüpfen, dessen damaliger Direktor aber noch nicht Max Horkheimer, sondern noch Carl Grünberg war.195 Bereits in den 1920er Jahren hatte sich in der Sowjetunion eine ambitionierte Diskussion der Marxschen Werttheorie herausgebildet. In deren Zentrum stand Isaak Iljitsch Rubin, dessen Hauptwerk, die Studien zur Marxschen Werttheorie, erstmals 1923 erschienen war.196 Nach der Neupublikation in mehreren Sprachen seit den 1970er Jahren und der Edition weiterer Texte Rubins außerhalb der Sowjetunion stieß bzw. stößt dessen Theoriebildung in der werttheoretischen Debatte in Westeuropa, Japan sowie Nord- und Südamerika auf Interesse. Rubin äußerte Gedanken, die sich der Sache nach in gewissem Maße „als Antizipationen der sich ab den 1970er Jahren besonders in Westdeutschland herausbildenden Auffassung der Marxschen Werttheorie als einer monetären Werttheorie interpretieren lassen".197 Die Marxsche Werttheorie enthält nach Rubin die Synthese der Theorie der Wertsubstanz und der Theorie der Form des Werts („Form des Werts" nicht im Sinne der Wertform, sondern des „Werts als Form") sowie des qualitativen und des quantitativen Aspekts der Werttheorie.198 Im Hinblick auf die Kategorie der „gleichen Arbeit" unterscheidet Rubin drei Bestimmungen, nämlich die in allen historischen Epochen existierende physiologisch gleiche Arbeit, die für alle Systeme der gesellschaftlichen Arbeitsteilung charakteristische sozial gleichgesetzte Arbeit, und schließlich die fur die Warenproduktion charakteristische abstrakte bzw. abstraktallgemeine Arbeit. Rubin betont, dass „der Begriff der abstrakten Arbeit bei Marx untrennbar mit dem des allgemeinen Äquivalents verbunden"199 ist. „In Wirklichkeit definieren wir die abstrakte Arbeit als Arbeit, die durch die allseitige Gleichsetzung aller Arbeitsprodukte angeglichen wurde, aber die Gleichsetzung aller Arbeitsprodukte ist nicht anders möglich als durch die Angleichung jedes einzelnen von ihnen an ein allgemeines Äquivalent."200 Der Begriff der abstrakten Arbeit führe unbedingt zum Begriff des Geldes. Für Rubin war insbesondere die Problematik des Warenfetischismus von Bedeutung,201 womit deutlich wird, dass er - im Gegensatz zu eventuellen quantitativ-

195 Siehe Rolf Hecker u. a. (Hg.), Erfolgreiche Kooperation: Das Frankfurter Institut für Sozialforschung und das Moskauer Marx-Engels-Institut (1924-1928) (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 2), Hamburg 2000. 196 Siehe Isaak Iljitsch Rubin, Studien zur Marxschen Werttheorie, Frankfurt/M. 1973. Dieses Werk hat in der Sowjetunion bis 1930 vier Auflagen erlebt. Auf Veränderungen von der zweiten zur dritten Auflage geht ein: Susumu Takenaga, Sur les révisions de la seconde à la troisième édition des Essais sur la théorie de la valeur de Marx par 1.1. Roubine - une phase dans la polémique de la valeur dans l'ex-Union soviétique dans les années 1920, o. O. 2007, im Internet: http://netx.uparisl0.fr/actuelmarx/cm5/com/M15_Marx_Takenaga.doc (letzter Zugriff: 28.5.2008). 197 Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf, Einleitung, in: Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf (Hg.), Das Kapital neu lesen - Beiträge zur radikalen Philosophie, S. 17. 198 Siehe Isaak Iljitsch Rubin, Studien zur Marxschen Werttheorie, S. 64ff. 199 I. I. Rubin, Abstrakte Arbeit und Wert im Marxschen System, in: I. I. Rubin, S. A. Bessonow u. a., Dialektik der Kategorien. Debatte in der UdSSR (1927-29), Westberlin 1975, S. 21. 200 Ebd. 201 Siehe Hyeon-Soo Joe, Politische Ökonomie als Gesellschaftstheorie, S. 142ff.

2.4. DIE EHEMALS SOZIALISTISCHEN LÄNDER IN EUROPA

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ökonomistisch verkürzten Marx-Interpretationen - der spezifisch qualitativen Dimension der Marxschen Ökonomiekritik einen zentralen Stellenwert innerhalb seiner Interpretation zuerkannte.202 In den 1930er Jahren erhielt die wissenschaftliche Marx-Beschäftigung in der Sowjetunion durch den Stalinismus Rückschläge. Das Marx-Engels-Institut wurde 1931 „gesäubert" und reorganisiert, Wissenschaftler wurden verfolgt und später sogar ermordet, das Erscheinen der ersten MEGA 1935 eingestellt.203 Unter schwierigen Bedingungen konnte in den Jahren 1939/1941 die weltweit erste Edition der Grundrisse (außerhalb der ersten MEGA) erfolgen,204 ein Meilenstein in der Geschichte der Marx-Edition. Die Grundrisse wurden also zuerst in der Sowjetunion veröffentlicht, aber zunächst im Original (die vollständige russische Übersetzung erschien erst 1968/69). Rolf Hecker berichtet, dass bereits 1940/41 zwei Aufsätze des Grundrisse-Editors Paul Weller als „praktisch die ersten Signale auf die Erstveröffentlichung der Grundrisse" erschienen seien.205 Noch während der Epoche des Stalinismus erfolgte die frühe Rezeption der Grundrisse, und zwar durchaus im Zusammenhang mit methodologischen Überlegungen.206 Eine russische Wissenschaftlerin berichtet, dass der Marx-Interpret Lew Leontjew bereits 1946 eine Monographie publiziert habe, die „much interest in the Grundrisse amongst a new generation of scholars" hervorgerufen habe. „In celebration of the 100th anniversary of the Grundrisse, articles by A. G. Achundov (1957) and Igor A. Bolduirev (1958) were published."207 Der sowjetische Marxforscher Alexander Malysch betrachtete 1963 die Bedeutung der Manuskripte von 1857/58 als „kaum zu überschätzen" und untersuchte die Grundrisse sowohl im Hinblick auf die Wert- und Geldtheorie als auch hinsichtlich der Mehrwerttheorie.208 Zusammengefasst bildete die Entwicklungs-

202 Allerdings ist Rubins ausführliche Auseinandersetzung mit der Marxschen Theorie des Warenfetischismus zwar in der nordamerikanischen, nicht aber in der deutschen Ausgabe der Studien zur Marxschen Werttheorie enthalten: Isaak Illich Rubin, Marx's Theory of Commodity Fetishism, in: Isaak Illich Rubin, Essays on Marx's Theory of Value, Montreal, New York 1990, S. 5-60. Ebenfalls in englischer Sprache publiziert ist eine umfangreiche dogmenhistorische Studie: Isaac Ilych Rubin, A History of Economic Thought, London 1979. 203 Siehe Rolf Hecker u. a. (Hg.), Stalinismus und das Ende der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe (1931-1941) (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 3), Hamburg 2001. 204 Dazu detailliert: Rolf Hecker, Unbekannte Geschichte der Erstveröffentlichung des Marxschen ökonomischen Manuskripts von 1857/58 als Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (1939/41) unter den Bedingungen des Stalinismus, Sendai/Japan 2001, im Internet: http:// www.marxforschung.de/ docs/010213hecker.pdf (letzter Zugriff: 23.5.2008). 205 Siehe ebd. 206 Siehe Manfred Müller, Zu einigen sowjetischen Forschungsergebnissen über die Entstehungsgeschichte des „Kapitals", in: Beiträge zur Geschichte der Marx/Engels-Forschung und -Edition in der Sowjetunion und der DDR, Berlin/Ost 1978, S. 116. 207 Lyudmila L. Vasina, Russia and the Soviet Union [Dissemination and reception of the Grundrisse in the world], in: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx's Grundrisse, S. 205. 208 Siehe Alexander I. Malysch, Marx' ökonomische Manuskripte von 1857/58 - eine wichtige Etappe in der Entwicklung der marxistischen politischen Ökonomie, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1963, Berlin/Ost 1963, S. 421ff.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

geschichte der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie - oder, wie J. P. Kandel es in orthodoxer Manier formulierte, die Geschichte der „Herausbildung der ökonomischen Lehre des Marxismus" - einen Forschungszweig in der Marx- und Marxismus-Diskussion der sowjetischen Zwischenkriegszeit und Nachkriegszeit. 209 Indes überlebten Isaak Iljitsch Rubin und David B. Rjazanov die Stalinzeit nicht. Sie wurden verhaftet, ihrer Posten enthoben, und während der „Großen Säuberungen" 1937 bzw. 1938 umgebracht.210 Während Rjazanov 1958 rehabilitiert wurde, blieb Rubin bis in die Zeit der Perestroika hinein eine persona non grata. Rubins Werke blieben der sachlichen Diskussion zumindest teilweise entzogen. Dennoch existierte in der Sowjetunion auch vor der Entstalinisierung ein gewisser Spielraum für wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Marxschen ökonomischen Theorie. Neben dem bereits im Hinblick auf seine Gegnerschaft zu Rubin angesprochenen Marxforscher Mark M. Rosental, der 1955 eine methodologische Untersuchung zur Kritik der politischen Ökonomie vorlegte, 211 wäre als Beispiel David I. Rosenberg zu nennen, der eine detaillierte Untersuchung der Marxschen und Engelsschen Beschäftigung mit der politischen Ökonomie in den 1840er Jahren212 als Teil eines umfassenden Forschungsprojekts hinterlassen hat. Das geplante Gesamtwerk zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Marxschen ökonomischen Theorie musste aufgrund von Rosenbergs Tod im Jahr 1950 unvollendet bleiben. Das „Tauwetter" nach Stalins Tod (1953) und dem X X . Parteitag der KPdSU (1956) gewährte der sowjetischen Marx-Diskussion einen theoretischen Spielraum, der sehr weit über einen bloß legitimatorischen Auftrag hinausging. Eine der bekanntesten M o nographien aus der sowjetischen Debatte nach der „Entstalinisierung", der nicht nur in der ehemaligen DDR, sondern auch in der Bundesrepublik größere Aufmerksamkeit zuteil wurde, war ein Werk von Witali Wygodski aus dem Jahr 1965.213 Hier stand ins-

209

Siehe J. P. Kandel, Marx-Engels-Forschung in der Sowjetunion, in: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge 1960/1, S. 293f.

210

Siehe Ljudmilla Vasina, 1.1. Rubin - Marxforscher und Politökonom, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Quellen und Grenzen von Marx' Wissenschaftsverständnis ( = Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1994), Hamburg 1994, S. 144ff., sowie Jakov Rokitjanskij, Das tragische Schicksal von David Borisovic Rjasanov, in: R o l f Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Forschung im historischen Spannungsfeld ( = Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1993), Hamburg 1993, S. 3ff.

211

Siehe Mark M. Rosental, Die Dialektik in Marx' „Kapital".

212 Siehe D. I. Rosenberg, Die Entwicklung der ökonomischen Lehre von Marx und Engels in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, Berlin/Ost 1958. 213

Siehe Witali Solomonowitsch Wygodski, Die Geschichte einer großen Entdeckung. Über die Entstehung des Werkes „Das Kapital" von Karl Marx, Berlin/Ost 1967. In einer Fortsetzung bzw. Ergänzung aus dem Jahr 1970 lieferte Wygodski eine systematische Übersicht über die verschiedenen Entwicklungsetappen der Marxschen Arbeit an der Ökonomiekritik: Witali S. Wygodski, Wie „Das Kapital" entstand, Berlin/Ost 1976. Zur Forscherpersönlichkeit Wygodski siehe Ljudmila Vasina, Wolfgang Jahn und Vitalij Vygodski - Freunde und MEGA-Forscher, in: Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition e. V. (Hg.), In Memoriam Wolfgang Jahn. Der ganze

2 . 4 . DIE EHEMALS SOZIALISTISCHEN LÄNDER IN EUROPA

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besondere die Interpretation der Entwicklung und Herausbildung des ökonomischen Werks von Marx im Vordergrund, wobei Wygodski auf die Marxsche Verarbeitung und Aufbereitung umfangreichen Materials, auf die Marxschen Forschungsstudien und Exzerpierungen hinwies, die einen entstehungsgeschichtlichen Hintergrund des Kapital bilden. Die Marxsche Rezeption der ökonomischen Theoriebildung nimmt in Wygodskis Studie einen bedeutenden Stellenwert ein. Die Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten in der Kritik der politischen Ökonomie, die auch von Wygodski thematisiert wurde, bildete einen Gegenstand einer Studie des Philosophen Ewald Iljenkow aus der Zeit des „Tauwetters".214 Iljenkow sah die Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten sowohl in den Grundrissen und in Zur Kritik der politischen Ökonomie als auch im Kapital als vorhanden an.215 Zudem kann hier eine ursprünglich im Jahre 1968 erschienene Untersuchung des Philosophen Viktor Vazjulin zur Marxschen Darstellungslogik erwähnt werden. Ihm geht es um eine Rekonstruktion der dialektischen Logik des Kapital. Vazjulin sieht die Möglichkeit, „ein System der materialistischen Dialektik überhaupt herauszufinden, indem ein Spezialfall der Dialektik, nämlich die Dialektik des Kapitalismus, analysiert wird."216 Marx habe sich im Zuge seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Logik Hegels, im Prozess der Herausarbeitung des „rationellen Kerns" der Hegeischen Philosophie, das System ökonomischer Kategorien theoretisch erarbeitet. Die Bewegung des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten bestehe in einer spiralförmigen Gedankenbewegung, die alle drei Kapital-Bände umfasse und in der „vom unmittelbaren Wissen zum Wesen für sich genommen und vom Wesen als solchem zur Erscheinung und Wirklichkeit"217 gelangt werde. Ein bestimmter Abschnitt dieser großen Spiralwindung stelle selbst noch einmal eine kleinere Spiralwindung dar - nämlich „diejenige Etappe des unmittelbaren Wissens, welcher im Kapital die Darlegung der Lehre von Ware und Geld entspricht".218

Marx. Alles Verfasste veröffentlichen, erforschen und den „ungeschriebenen" Marx rekonstruieren (= Wissenschaftliche Mitteilungen, Heft 1), Hamburg 2002, S. 67ff. 214 Siehe Evald Iljenkov, The Dialectics of the Abstract and the Concrete in Marx's Capital, Moskau 1982. Ein Teil dieser in russischer Sprache bereits 1960 erschienenen Arbeit ist auch in einem westdeutschen Sammelband veröffentlicht worden: Ewald W. Iljenkow, Die Dialektik des Abstrakten und Konkreten im „Kapital" von Marx, in: Alfred Schmidt (Hg.), Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt/M. 1969, S. 87-127. 215 Auch noch in jüngerer Vergangenheit haben sich Theoretiker aus verschiedenen Ländern mit Iljenkow auseinandergesetzt. Zu Iljenkows Interpretation der Marxschen Ökonomiekritik siehe u. a. Diethard Behrens, Der Anfang und die Methode, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geld - Kapital - Wert. Zum 150. Jahrestag der Niederschrift von Marx' ökonomischen Manuskripten 1857/58 Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2007), S. 23ff. 216 Viktor Vazjulin, Entwicklung systematisch denken. Ein Vergleich des Systems der dialektischen Logik bei Hegel und Marx, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 2005/2, S. 204. 217 Ebd., S. 217f. 218 Ebd., S. 218. Auf Ware und Geld innerhalb des Ganzen der Marxschen Darstellung bzw. auf die „kleine Spiralwindung" als Abschnitt der „großen Spiralwindung" geht Vazjulin in seiner Monographie genauer ein: Viktor Vazjulin, Die Logik des „Kapitals" von Karl Marx, Norderstedt 2005, S. 172fif.

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Im Zuge der Arbeit an der seit 1975 vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU in Moskau sowie vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED in Ost-Berlin herausgegebenen zweiten Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA2) nahm ein Teil der sowjetischen Forschungen zu Marx und Engels den Charakter von Begleitstudien zur MEGA2-Edition an und wurde durch die Publikation in ostdeutschen Begleitperiodika der MEGA2 auch der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich. In diesem Kontext haben sowjetische Forscher mit Blick auf die Marxsche Ökonomiekritik auch methodologische Probleme bearbeitet. Es ist deutlich zu machen, dass die zweite MEGA zwar von Instituten der herrschenden Parteien in Ostberlin und Moskau herausgegeben wurde und dass zwar darauf Wert gelegt wurde, dass die MEGA2 „der weiteren Verbreitung der Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus"219 dienen sollte; dass aber dennoch die MEGA2-Edition und die sie begleitende Forschung - gerade auch die methodologische Forschung zur Marxschen Ökonomiekritik - summa summarum wissenschaftliche Projekte waren, die weit über die legitimationsideologischen Bemühungen des offiziellen Marxismus-Leninismus der Sowjetunion und der DDR hinauswiesen. Rolf Dlubek, über lange Jahre selbst am MEGA2-Projekt beteiligt, führt aus: „In den staatssozialistischen Ländern [...] sollte die Marx-Engels-Forschung zur Untermauerung des Marxismus-Leninismus als der Ideologie der herrschenden Parteien dienen. Marx-Engels-Edition war eine Domäne von zentralen Parteiinstituten. Eine historisch-kritische Gesamtausgabe erforderte einen immensen Aufwand, konnte aber politisch nur mittelbar wirksam werden, ja sogar Erosionen an einem kanonisierten Ideologiegebäude bewirken. Daher war sie an den Parteiinstituten umstritten. Eine historisch-kritische Marx-Engels-Gesamtausgabe, die auf veränderten Grundlagen weitergeführt werden konnte, kam nur dank der zähen Bemühungen wissenschaftlicher Mitarbeiter, die dabei nur allzu oft gegen engstirnigen politischen Utilitarismus und inkompetenten Bürokratismus anzukämpfen hatten, zustande."220 Im Hinblick auf die Geschichte und Vorgeschichte dieser zweiten MEGA ist zu konstatieren, dass zwar die erste Initiative, das Projekt einer Marx-Engels-Gesamtausgabe wieder aufzunehmen, von sowjetischen Wissenschaftlern ausging. Bald aber schien die Ambition zur Herausgabe einer neuen Marx-Engels-Gesamtausgabe in der DDR größer geworden zu sein,221 während dann die sowjetische Seite zögerte. Rolf Dlubek berichtet, dass die sowjetischen Marx-Editoren eine Zeitlang mit einer Ablehnung des Edi-

219 Redaktionskollegium [des Marx-Engels-Jahrbuchs], Geleitwort, in: Marx-Engels-Jahrbuch 1, Berlin/Ost 1978, S. 11. 220 Rolf Dlubek, Die Entstehung der zweiten Marx-Engels-Gesamtausgabe im Spannungsfeld von legitimatorischem Auftrag und editorischer Sorgfalt, in: MEGA-Studien 1994/1, Berlin 1994, S. 62f. 221 „Anfang der sechziger Jahre ging in den Bemühungen um eine neue Marx-Engels-Gesamtausgabe die Initiative auf das Berliner IML [Institut für Marxismus-Leninismus, J. H.] über, obwohl dieses damals weder die wissenschaftlichen Kräfte noch die Quellenbasis besaß, um etwa die Hauptrolle bei einem solchen Projekt übernehmen zu können", so ebd., S. 65.

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tionsprojekts einer historisch-kritischen Gesamtausgabe für Marx und Engels innerhalb hoher Parteiinstanzen der KPdSU konfrontiert gewesen seien.222 Zunächst galt es für die sowjetischen Marx-Engels-Editoren, an der Herausgabe der zweiten russischen Werkausgabe zu arbeiten. Diese diente seinerzeit - ähnlich wie später die MEGA2 gegenüber der englischsprachigen Ausgabe Marx-Engels Collected Works, gegenüber der zweiten chinesischen Werkausgabe sowie künftig gegenüber der französischen Ausgabe Grande Édition Marx-Engels - als wichtiger Orientierungspunkt für die Erstellung von vielbändigen Marx-Engels-Werkausgaben außerhalb der russischen Sprache.223 Die zweite russische Marx-Engels-Werkausgabe (Sotschinenija)224 erschien, sofern man die Ergänzungsbände hinzurechnet, in den Jahren 1954 bis 1981 in 50 Bänden und stellt bis dato die wichtigste Marx-Engels-Edition in russischer Sprache dar. Im Hinblick auf die MEGA2-Edition gilt übrigens - sofern man die Anzahl der in der Sowjetunion mit jener der in der DDR bearbeiteten Bände vergleicht - , dass der editorische Beitrag der DDR als etwas größer zu veranschlagen ist als der sowjetische. Nach der „Wende" in der DDR und dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den damit verbundenen Auflösungen" der Institute für Marxismus-Leninismus in Ostberlin und Moskau - also der „Auflösung" der alten Herausgeberinstitutionen der MEGA2 - , fungiert die Anfang der 1990er Jahre gegründete Internationale Marx-Engels-Stiftung (IMES) als MEGA2-Herausgeberinstitution.225 Neben dem Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, dem Karl-Marx-Haus in Trier und mehreren Arbeitsgruppen an Universitäten (u. a. in Japan) sind unter dem Dach der IMES auch Wissenschaftler aus russischen Institutionen seit den 1990er Jahren an der Fortsetzung der MEGA2 beteiligt. Die hinsichtlich der internationalen Marx-Engels-Edition einmalige Bedeutung der MEGA2, deren Editionsprinzipien (Vollständigkeit,226 Originaltreue, Textentwicklung, Kommentierung) sie als die wissenschaftliche und historisch-kritische Marx-Engels-Ausgabe schlechthin

222 Siehe Rolf Dlubek, Frühe Initiativen zur Vorbereitung einer neuen MEGA ( 1 9 5 5 - 1 9 5 8 ) , in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Zur Kritik und Geschichte der MEGA 2 (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1992), Hamburg 1992, S. 43. 223 Auf die zweite rassische Werkausgabe und die ostdeutsche MEW „stützten sich vielbändige Werkausgaben in bulgarischer, japanischer, koreanischer, polnischer, rumänischer, serbokroatischer, tschechischer, ukrainischer, ungarischer und anderen Sprachen", so Lew Golman, Richard Speri, Zum Erscheinen der ersten Bände der neuen Marx-Engels-Gesamtausgabe, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 24/1 (1976), S. 59. 224 Siehe Larisa Romanovna Miskevitsch, Die zweite russische Marx-Engels-Werkausgabe (Sotschinenija). Ihre Prinzipien und Besonderheiten, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Werkausgaben in der UdSSR und DDR (1945 bis 1968) (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 5), Hamburg 2006, S. 141ff. 225 Siehe Jürgen Rojahn, Und sie bewegt sich doch! Die Fortsetzung der Arbeit an der MEGA unter dem Schirm der IMES, in: MEGA-Studien 1994/1, Berlin 1994, S. 5ff. 226 Siehe Richard Speri, Das Vollständigkeitsprinzip der Marx-Engels-Gesamtausgabe - editorischer Gigantismus?, in: Richard Speri, „Edition auf hohem Niveau". Zu den Grundsätzen der MarxEngels-Gesamtausgabe (MEGA) (= Wissenschaftliche Mitteilungen des Berliner Vereins zur Förderung der MEGA-Edition e. V., Bd. 5), Hamburg 2004, S. 34ff.

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qualifizieren, wird von Wissenschaftlern in aller Welt anerkannt. Der große Beitrag, den sowjetische bzw. russische Wissenschaftler im Rahmen der MEGA 2 -Edition und der sie begleitenden Forschung geleistet haben, steht außer Frage. Doch gehen wir von der gegenwärtigen Situation zunächst noch einmal ca. drei Jahrzehnte zurück. Eine wichtige methodologische Diskussion führte in den 1970er Jahren zu einer Auseinandersetzung am Lehrstuhl für politische Ökonomie an der Moskauer Lomonossow-Universität. Hierbei handelte es sich um eine Debatte über den methodologischen Status der Kapital-Anfangsteile, die zwischen den Forschern N. Chessin und V. P. Schkredov gefuhrt wurde. 227 Während Chessin davon ausging, dass Marx in den entsprechenden Textteilen eine vorkapitalistische „einfache Warenproduktion" dargestellt habe und somit in diesem Punkt auf einer an Friedrich Engels anknüpfenden Lesart insistierte, sah Schkredov eine ganz andere Auffassung als treffender an. Schkredov zufolge wurde am Darstellungsanfang des Kapital keine vorkapitalistische „einfache Warenproduktion", sondern der „kapitalistische Prozess des Warenaustausches in seiner ersten unmittelbaren abstrakten Form" 228 dargestellt. Natürlich äußerten sich auch noch weitere sowjetische Wissenschaftler zum methodologischen Status des .Anfangs" der Marxschen Darstellung. Mit Witali Wygodski vertrat einer der bekanntesten sowjetischen ^fapz'ta/-Interpreten die Ansicht, dass im ersten Abschnitt des ersten Ä^r/?;ta/-Bandes die Verhältnisse der kapitalistischen Warenproduktion in abstrakter Form untersucht würden, zugleich aber eine Analyse der realen vorkapitalistischen Warenverhältnisse gegeben sei. 229 Rolf Hecker, der Ende der 70er Jahre als Aspirant an der Moskauer Lomonossow-Universität über den Stand der sowjetischen Forschungsdiskussion aus erster Hand unterrichtet war, schreibt von der zeitgenössischen sowjetischen (und ostdeutschen) Debatte über den Untersuchungsgegenstand im ersten Abschnitt von Band I des Marxschen Hauptwerks: „Es ist dabei die Meinung vorherrschend, dass Marx den geschichtlichen Entwicklungsprozess der einfachen Warenproduktion untersucht. Jedoch sind in letzter Zeit eine Reihe von Arbeiten erschienen, die diese Interpretation nicht teilen und davon ausgehen, dass Marx die einfache Zirkulation kapitalistisch produzierter Waren in der Darstellung der Analyse der Mehrwerttheorie voranstellt." 230 Mit der Charakterisierung letzterer Forschungstendenz hatte Hecker nicht zuletzt auch Schkredov im Sinn. Hecker selbst erschien die Behauptung Chessins, dass Marx im ersten Abschnitt des ersten Kapital-Banàss die „einfache Waren-

227

Siehe Rolf Hecker, Einfache Warenproduktion oder einfache Warenzirkulation - Die Debatte um die Ausgangskategorie des Kapital, in: Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition e. V. (Hg.), In Memoriam Wolfgang Jahn, S. 8Iff. 228 Zit. n. Wolfgang Jahn, Die Entwicklung der Ausgangskategorie der politischen Ökonomie des Kapitalismus in den Vorarbeiten zu Marx' „Kapital", in:... unsrer Partei einen Sieg erringen. Studien zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des „Kapitals" von Karl Marx, Berlin/Ost 1978, S. 69. 229 Siehe Rolf Hecker, Die Entwicklung der Weittheorie von der 1. zur 3. Auflage des ersten Bandes des „Kapitals" von Karl Marx ( 1 8 6 7 - 1 8 8 3 ) , in: Marx-Engels-Jahrbuch 10, Berlin/Ost 1987, S. 190. 230 Rolf Hecker, Einige Probleme der Wertformanalyse in der Erstausgabe des „Kapitals" von Karl Marx, in: Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung 8, Halle/Saale 1979, S. 79.

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Produktion" untersucht habe, als „haltlos".231 Bemerkenswert an der Debatte um Schkredov und Chessin ist auch die Tatsache, dass sie einerseits in der DDR rezipiert wurde und die dortige Diskussion anregte, andererseits aber durchaus auch Parallelen zur Kap/fa/-Debatte aufwies, die fast zeitgleich in der Bundesrepublik geführt wurde. Seinerzeit wurde diese methodologische Debatte in der Sowjetunion durch politischen Druck auf Schkredov behindert, 232 der übrigens auch die Theoriebildung des damals nach wie vor nicht rehabilitierten Rubin in seinen theoretischen Selbstverständigungsprozess miteinbezogen hatte. 233 In den 70er Jahren hatte sich im Hinblick auf den Umgang mit „alternativen" und vom offiziellen Credo abweichenden Marx-Interpretationen die Situation gegenüber der Stalinzeit auf unübersehbare Weise verändert - man halte sich nochmals die Ermordung Rubins während der „Großen Säuberungen" vor Augen. Dennoch hatten Schkredovs wissenschaftliche Interventionen auf politischer Ebene Folgen. Er war - so schreiben Hecker und Tschepurenko - „vor allem in seinen Universitätsjahren nicht mit wissenschaftlichen Diskussionen an sich konfrontiert, sondern mit ideologischen Kampagnen seitens der Lehrstuhlleitung und des Parteikomitees gegen seine angeblich hegelianisch-idealistische Interpretation des ,Kapital'". 234 In einem späteren Nachtrag zur sowjetischen Debatte der 1970er Jahre kritisierte Schkredov ganz offen die „historizistische" Interpretation der Marxschen Ökonomiekritik durch Friedrich Engels. 235 Die Debatte zeigt, dass sich trotz des marxistisch-leninistischen Ideologems von der Einheit des Denkens von Marx und Engels spätestens in den 70er Jahren in der Sowjetunion Wissenschaftler fanden, die trotz einer nicht unproblematischen politisch-ideologischen Atmosphäre bereit waren, die „traditionelle", von Engels inspirierte Interpretation der Anfangsteile des Kapital im Sinne einer vorkapitalistischen „einfachen Warenproduktion" kritisch zu hinterfragen. Ähnliches galt - im Anschluss an die sowjetische Diskussion - von Wissenschaftlern aus der DDR.

231 Siehe ebd., S. 82. 232 Siehe Rolf Hecker, Einfache Warenproduktion oder einfache Warenzirkulation - Die Debatte um die Ausgangskategorie des Kapital, S. 82. Siehe auch eine redaktionelle Nachbemerkung von Rolf Hecker und Alexander Tschepurenko zu: Vladimir Petrovic Schkredov, Über Engels' Historismus in seinem „Kapital"-Verständnis, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx und Engels. Konvergenzen - Divergenzen (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1997), Hamburg 1998. 233 Daneben ist auch der Bericht von Rolf Hecker bemerkenswert, wonach in den 70er Jahren HansGeorg Backhaus' werttheoretischer Interpretationsansatz zur Pflichtlektüre im Seminar von Schkredov gehörte. 234 Redaktionelle Nachbemerkung von Rolf Hecker und Alexander Tschepurenko zu: Vladimir Petrovic Schkredov, Über Engels' Historismus in seinem „Kapital"-Verständnis, S. 130. 235 Siehe ebd., S. 114ff. Schkredov argumentierte: „Die Interpretation der Logik des .Kapital' als geschichtliche Widerspiegelung der Verwandlung der einfachen Warenproduktion in die kapitalistische fuhrt unweigerlich zu einem verkürzten Verständnis der von Marx angewandten dialektischen Methode, zu ihrer Einengung auf den historischen Prozess der Entstehung und Entwicklung dieser oder jener ökonomischer Formen. Die Schuld fur dieses tragische Unverständnis, so kann man sagen, liegt nicht nur bei Engels allein, sondern ebenso bei den nachfolgenden Kommentatoren und Verteidigern der Marxschen Werttheorie", so ebd., S. 122.

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Die sowjetische Debatte um den methodologischen Status des „Anfangs" des ersten Kapital-Bandes blieb nämlich in der DDR nicht ohne Echo. Wolfgang Jahn betrachtete das Objekt der Ausgangsanalyse des Kapital als „einfache Zirkulation" im Sinne einer abstrakten Sphäre der kapitalistischen Produktionsweise und wandte sich somit von der traditionalistischen, an Friedrich Engels anknüpfenden Interpretation im Sinne einer „einfachen Warenproduktion" ab.236 Insgesamt betrachtet, wirkt angesichts der - zwar eingeschränkten, aber dennoch existenten - Pluralität der nach-Stalinschen sowjetischen Marx-Diskussion wie auch der Debatte in der DDR manche „westliche" Retrospektion fragwürdig, welche die Marx-Debatte im „Osten" in die Richtung eines Einheitsdenkens von theoretischer Sterilität rückt. Die Bedeutung der Marx-Interpretation aus dem „Osten" sollte keineswegs heruntergespielt werden.237 Dennoch blieb auch die MEGA2 nicht frei vom problematischen Theorem des grundsätzlichen theoretischen Einvernehmens von Marx und Engels. In der Einleitung des von sowjetischen Wissenschaftlerinnen (unter Leitung Larissa Miskewitschs) bearbeiteten MEGA2-Bandes II.2, der im Jahr 1980 erschien, steht geschrieben: „Ein Vergleich der wichtigsten Thesen der Rezension von Engels" - gemeint ist die gerade in methodologischer Hinsicht wirklich problematische Rezension von Zur Kritik der politischen Ökonomie - „mit der von Marx im August 1857 verfassten ,Einleitung' [...] zeigt, dass viele Gedanken und Feststellungen von Engels mit Marx' Darlegungen inhaltlich übereinstimmen, dass diese Rezension im Grunde genommen eine Ergänzung zu Marx' Buch ist. Dadurch wird erneut bestätigt, dass es zwischen den Freunden einen ständigen Meinungsaustausch gab und theoretisches Einvernehmen herrschte, dass die marxistische politische Ökonomie das gemeinsame Ergebnis der theoretischen Überlegungen der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus ist." (MEGA2 II.2, S. 22*) Und noch 1987 schrieb Viktor Vazjulin über die Theoriedebatte in seiner Heimat: „In der sowjetischen philosophischen und insbesondere der ökonomischen Literatur dominiert bislang jene Auffassung vom Historischen und Logischen, die sich auf die Aussagen von Engels in seiner Rezension zu Marx ' ,Zur Kritik der politischen Ökonomie' sowie im Vorwort zum dritten Band des ,Kapitals' stützt. Die Ansichten von Marx zu diesem Problem werden faktisch mit den Aussagen von Engels identifiziert."238 Eine derartige Meinung so lässt sich ergänzen - wäre schon damals hinter einem adäquaten Forschungsstand zurückgeblieben.

236 Siehe Wolfgang Jahn, Die Entwicklung der Ausgangskategorie der politischen Ökonomie des Kapitalismus in den Vorarbeiten zu Marx' „Kapital", S. 66ff. 237 Es ist problematisch, wenn Backhaus behauptet: „Da dem Kapital innerhalb des Sowjetmarxismus vor allem eine legitimatorische Funktion zugedacht war und die als Bibel missbrauchte Kritik der politischen Ökonomie als Werkzeug des politischen Kampfes instrumentalisiert wurde, war kaum jemand an einer ernsthaften Aufarbeitung seines theoretischen Gehalts interessiert", so Hans-Georg Backhaus, Zuvor: Die Anfange der neuen Marx-Lektüre, in: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform, S. 18. 238 Wiktor A. Wasjulin, Das Historische und Logische in der Methodologie von Karl Marx, in: Internationale Marx-Engels-Forschung (Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF 12), Frankfurt/M. 1987, S. 238.

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Einige Themenkreise und Problemfelder der wissenschaftlichen Marxbeschäftigung in der Sowjetunion vor der Perestroika-Zeit lassen sich anhand eines Literaturüberblicks von Rolf Hecker festhalten, der über sowjetische Dissertationen aus den frühen 1980er Jahren berichtet. In ihnen wurden folgende Aspekte thematisiert: die Entwicklung der Marxschen Grundrententheorie, die Herausbildung der Marxschen Arbeitswerttheorie in den 1840er und 50er Jahren, die Ausarbeitung des Problems des Kapitalkreislaufs in Manuskripten der 1860er Jahre, die Entwicklung der Marxschen Geldtheorie in den 1840er und 50er Jahren sowie die Marxsche Konzeption der entfremdeten Arbeit. 239 Die weitgehende Berücksichtigung der Entwicklungsgeschichte der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie stellte übrigens generell eine Stärke der sowjetischen Marxforschung dar. Mit der Perestroika und dem Niedergang der Sowjetunion traten theoretische Ansätze ans Tageslicht, die nicht nur mit dem Marxismus-Leninismus, sondern auch mit der Marxschen Theorie nicht mehr vereinbar waren. 240 Auch wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, in der marxistischen Theoriebildung innovativ über Das Kapital hinauszugehen, wobei - in der Frage der Geldware-Problematik - eine Parallele von Albert Kogans Ansatz 241 zu Teilen der gegenwärtigen Diskussion im „Westen" offensichtlich ist. Es gehört auch der Versuch Wygodskis erwähnt, bestimmte Dogmen der orthodoxen Marx-Interpretation des Marxismus-Leninismus kritisch zu hinterfragen. 242 Die Öffnung der wissenschaftlichen Marx-Diskussion während der Perestroika-Zeit zeigt sich in dem von Alexander Tschepurenko im Sommer 1988 artikulierten Wunsch von Repräsentanten des Marx-Engels-Sektors am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, mit Forschern aus der BRD intensiver zusammenzuarbeiten, „auch wenn unsere Einschätzungen divergieren sollten." 243 Es ist erwähnenswert, dass Tschepurenko hinsichtlich der Forschung zu Entstehungsgeschichte und Methode des Kapital neben Witali Wygodski auch „solche Außenseiter' wie Schkredow, Kogan, Boldyrew u. a." 244 hervorhebt. Igor Boldyrew, der hier von 239 Siehe Rolf Hecker, Neue Forschungsergebnisse über die Entwicklung der Marxschen ökonomischen Theorie (Mitteilung über neue sowjetische Dissertationen), in: Beiträge zur Marx-EngelsForschung 13, Berlin/Ost 1982, S. 95ff. 240 Siehe z. B. Juri Buitin, Die Achillesferse der Marxschen Geschichtstheorie, in: Marx-Engels-Jahrbuch 13, Berlin 1991, S. 170ff. 241 Siehe Albert Kogan, Aktuelle Probleme der Marxschen Geldtheorie in den „Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie", in: Marx-Engels-Jahrbuch 13, S. 246ff. 242 Siehe Vitali Vygodski, Überlegungen zu einigen Dogmen der Marx-Interpretation, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Forschung im historischen Spannungsfeld (= Beiträge zur Marx-EngelsForschung. Neue Folge 1993), S. 107ff. 243 Alexander Tschepurenko, Der Marx-Engels-Sektor am IML Moskau, in: Marx-Engels-Forschung heute 1, Neuss 1989, S. 32. Mit der Marxforschung aus der DDR kooperierten sowjetische Forscher natürlich länger und viel enger. Siehe Michail Mtschedlow, Zu einigen Fragen der Erforschung und Veröffentlichung des theoretischen Nachlasses von Karl Marx und Friedrich Engels in der UdSSR, in: Beiträge zur Geschichte der Marx/Engels-Forschung und -Edition in der Sowjetunion und der DDR, Berlin/Ost 1978, S. 28. 244 Alexander Tschepurenko, Der Marx-Engels-Sektor am IML Moskau, S. 32.

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Tschepurenko neben Schkredow und Kogan als dritter „Außenseiter" aufgezählt wird, ist (im Kontext der Forschung zur Marxschen Arbeit an der Ökonomiekritik im Zeitraum von 1861 bis 1867) für die spätestens gegen Ende der 1970er Jahre geäußerte Vermutung bekannt, dass das sog. Manuskript von 1863-1865 keineswegs eine verloren gegangene Rohfassung des ersten Kapital-Bandes enthalten habe. Ein derartiger Text sei damals von Marx gar nicht verfasst worden. Stattdessen fußte - Boldyrew zufolge - die Erarbeitung des 1867 veröffentlichten ersten Kapital-Bandes auf früherem Material, nämlich auf dem Manuskript 1861-1863. 245 Die Hypothese Boldyrews wurde von anderen sowjetischen Wissenschaftlern zurückgewiesen, darunter auch von Tschepurenko.246 Mit den Auffassungen der sowjetischen Editoren des 1988 (unter der Leitung Witali Wygodskis) publizierten MEGA2-Bandes II.4.1 ist Boldyrews Vermutung nicht zu vereinbaren. Sie gehen davon aus, dass Marx auf der Basis „des 1863/1864 geschaffenen Manuskripts des ersten Buches die endgültige Fassung des Textes des ersten Bandes vorbereitete." (MEGA2 II.4.1, S. 445) Allerspätestens Anfang der 90er Jahre ist Boldyrew selbst offenbar von seiner umstrittenen Hypothese abgegangen. Jedoch bleibt es ein Verdienst Boldyrews, der Debatte zur Marxschen Ökonomiekritik im Zeitraum von 1861 bis 1867 wichtige Anregungen geliefert zu haben. Ob mit den Ansichten der Editoren des MEGA2-Bandes II.4.1 das Problem korrekt gelöst ist, kann hier nicht entschieden werden. Zu Beginn des neuen Jahrtausends ist die russische Marxforschung noch immer in der internationalen Theoriedebatte präsent.247 Auch an der MEGA2-Edition wirken russische Wissenschaftler nach wie vor mit. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion widmeten sich russische und deutsche Marxforscher zudem der historischen Aufarbeitung der politischen „Säuberungen" und Verfolgungen während der Stalinzeit, der zahlreiche Marxforscher und Marx-Editoren zum Opfer fielen. Die neue Situation seit den 90er Jahren forderte indes nicht nur Quellenmaterial zutage, anhand dessen sich die Geschichte der Verfolgung von an Marx orientierten Wissenschaftlern historisch rekonstruieren lässt, sondern ermöglicht vielleicht schon bald auch neue Einblicke in theoretische Forschungsergebnisse der frühen sowjetischen Marx-Debatte, die über einen langen Zeitraum hinweg der Öffentlichkeit kaum zugänglich waren. So ist für die nächste Zeit die Veröffentlichung bislang weitgehend unbekannter Forschungen von Isaak Iljitsch Rubin zu erwarten248 - mehr als 70 Jahre nach seiner Ermordung durch Stalins Terrorregime.

245 Siehe Ehrenfried Galander, Ulrike Galander, Probleme der Marxschen politischen Ökonomie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 27/10 (1979), S. 1260. 246 Siehe Larissa Miskewitsch, Michail Ternowski, Alexander Tschepurenko, Witali Wygodski, Zur Periodisierung der Arbeit von Karl Marx am „Kapital" in den Jahren 1863 bis 1867, in: MarxEngels-Jahrbuch 5, Berlin/Ost 1982, S. 295f. 247 Ein neuerer methodologischer Forschungsbeitrag: Irina Antonova, Einige methodologische Aspekte der Wechselwirkung von Sozial- und Naturwissenschaften bei Marx, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Karl Marx und die Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert (= Beiträge zur Marx-EngelsForschung. Neue Folge 2006), Hamburg 2006, S. 162ff. 248 Dafür ist Sonderband 4 der Neuen Folge der Beiträge zur Marx-Engels-Forschung

vorgesehen.

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2.4.2. Die DDR 249 und andere ehemals sozialistische Länder in Europa Im „realsozialistischen" Teil Europas ragte im Hinblick auf die Erforschung der Entstehungsgeschichte und der Methode der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie neben der sowjetischen Forschung insbesondere die Marx-Interpretation in der DDR heraus. Einer Bestandsaufnahme der DDR-Marxforschung bis in die frühen 1960er Jahre 250 ist zu entnehmen, dass bereits in den 1950er Jahren methodologische Fragen und die Aufbauplan-Problematik der Kritik der politischen Ökonomie diskutiert wurden.251 Doch beklagte der ostdeutsche Marxforscher Walter Tuchscheerer noch 1962 eine beträchtliche Vernachlässigung der Marx-Engels-Forschung in der DDR. Als mögliche Perspektive für die DDR-Forschung propagierte Tuchscheerer die Bedeutung von werkund entstehungsgeschichtlichen Forschungen zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie insbesondere der 1850er und 1860er Jahre. Diese Perspektive wurde für Teile der späteren DDR-Forschung tatsächlich maßgeblich. Aber für Tuchscheerer war noch ein weiterer Aspekt entscheidend: „Wir werden [...] nur dann einen Schritt in der MarxEngels-Forschung vorankommen, wenn sowohl gewisse kadermäßige als auch institutionelle Voraussetzungen für eine systematische, planmäßige, zielgerichtete allseitige Erforschung der Herausbildung und Entwicklung der marxistischen politischen Ökonomie geschaffen werden." 252 Und genau dies geschah in späterer Zeit, wobei die entscheidende Rolle des MEGA 2 -Projekts hervorzuheben ist, 253 in dessen Kontext die wissenschaftlich ertragreichste Marx-Rezeption in der DDR geleistet wurde.

249 Auf die Marx-Rezeption in der DDR wird in diesem Teil der vorliegenden Studie nur kurz eingegangen, dafür später ausführlich auf ein herausragendes wissenschaftliches Projekt von Forschern aus der DDR, die sich mit der Problematik der Marxschen Aufbaupläne beschäftigten. 250 Siehe Walter Tuchscheerer, Zur Marx-Engels-Forschung in der DDR auf dem Gebiet der politischen Ökonomie, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1962 (Sonderband), Berlin/Ost 1962, S. 73ff. 251

Hier ist folgende Arbeit wichtig, mit der sich übrigens auch Roman Rosdolsky (kritisch) befasste: Fritz Behrens, Zur Methode der politischen Ökonomie, Berlin/Ost 1952. Fritz Behrens scheint zu den ersten Forschern gehört zu haben, die sich in der DDR mit der Entstehungsgeschichte der ökonomischen Theorie von Marx auseinandergesetzt haben. Er schrieb im Jahr 1953: „Die Frage nach der Entwicklung der politischen Ökonomie bei Marx selbst ist bislang nicht untersucht worden." (Fritz Behrens, Zur Entwicklung der politischen Ökonomie beim jungen Marx, in: Aufbau. Kulturpolitische Monatsschrift 9/5 [1953], S. 444.) Neben Fritz Behrens setzte sich in der DDR frühzeitig mit methodologischen Fragen auseinander: Hermann Ley, Marx' Einleitung in die Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 2/3 (1954), S. 574ff. Zur Grundrisse-Diskussion der 1950er Jahre siehe Heinz Paragenings, Die Rolle der Grundrisse in der ökonomischen Debatte der fünfziger Jahre in der DDR, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Werkausgaben in der UdSSR und DDR (1945 bis 1968) (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge, Sonderband 5), S. 39Iff.

252 Walter Tuchscheerer, Zur Marx-Engels-Forschung in der DDR auf dem Gebiet der politischen Ökonomie, S. 98. 253 Dass das MEGA 2 -Projekt auch eine längere Vorgeschichte besitzt, ist dokumentiert. Darüber informiert u. a.: Rolf Dlubek, Tatsachen und Dokumente aus einem unbekannten Abschnitt der

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Die MEGA 2 wurde von einer Vielzahl von Forschungsprojekten flankiert, deren Resultate in den Begleitperiodika der wissenschaftlichen Öffentlichkeit innerhalb wie außerhalb der DDR zugänglich gemacht wurden. Die zahlreichen Forschungsstudien im Kontext der MEGA 2 -Edition heben die DDR-Forschung späterer Jahre gegenüber der Marx-Beschäftigung aus früherer Zeit ab. Ein historischer Einschnitt wird dabei in Gestalt der Herausgabe der MEGA 2 selbst und der Entstehung der entsprechenden Begleitperiodika ab Mitte der 1970er Jahre sichtbar, obgleich Walter Tuchscheerers eigene Monographie (s. u.), die 1968 posthum erschienen war, das neue Forschungsniveau bereits antizipierte. Der Aspekt der intensiven MEGA2-begleitenden Forschung hebt auch abstrahiert man von der Forschungssituation in der UdSSR - die DDR-Forschung von der Marx-Beschäftigung in anderen Ländern des „real existierenden Sozialismus" ab. Die seinerzeit auch im Westen rezipierten Monographien von Walter Tuchscheerer und Manfred Müller, die jeweils auf einen Teilabschnitt der werkgeschichtlichen Entwicklung der Kritik der politischen Ökonomie fokussieren, gaben der Debatte wichtige Impulse. 254 Tuchscheerer ging u. a. der Entwicklung der werttheoretischen Auffassungen von Marx und von dessen Verhältnis zu David Ricardo nach. Zudem beinhaltet Tuchscheerers Monographie eine der relativ frühen ausführlichen Auseinandersetzungen mit den Grundrissen in der deutschsprachigen Diskussion. Manfred Müller ging es in seiner Monographie u. a. um die strukturgeschichtliche Entwicklung der Kritik der politischen Ökonomie, wobei die Frage der unterschiedlichen Darstellungsebenen in der Marxschen Ökonomiekritik eine wichtige Rolle spielte. Ein generelles Schwergewicht seiner Tätigkeit lag auf der Erforschung des Marxschen Manuskripts von 1861-1863 sowie der entsprechenden Vorarbeiten.255 Manfred Müller gehörte (neben Wolfgang Jahn, Dieter Noske, Thomas Marxhausen u. v. a.) zur „Hallenser" Fraktion der DDR-Marxforschung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Westdeutsche Ernst Theodor Mohl m. E. mit seiner Einschätzung richtig liegt, dass Halle als „die ,heimliche Hauptstadt' der DDR-Marx-Engels-Forschung mit dem thematischen Schwerpunkt, Geschichte des Marxschen Kapital' " 256 anzusehen ist. Vorgeschichte der MEGA 2 ( 1 9 6 1 - 1 9 6 5 ) , in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Forschung im historischen Spannungsfeld (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1993), S. 41ff. 254 Siehe Walter Tuchscheerer, Bevor „Das Kapital" entstand. Herausbildung und Entwicklung der ökonomischen Theorie von Karl Marx in der Zeit von 1 8 4 3 - 1 8 5 8 , Berlin/Ost 1968; Manfred Müller, Auf dem Wege zum „Kapital". Zur Entwicklung des Kapitalbegriffs von Karl Marx in den Jahren 1 8 5 7 - 1 8 6 3 , Berlin/Ost 1978. 255 Siehe u. a. Manfred Müller, Die vorbereitenden Materialien für Marx' ökonomisches Manuskript von 1 8 6 1 - 1 8 6 3 , in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 1, Berlin/Ost 1977, S. 95ff.; Manfred Müller, Über die Stellung des Manuskripts „Zur Kritik der politischen Ökonomie" (1861 - 1 8 6 3 ) im ökonomischen Nachlass von Karl Marx, in: Marx-Engels-Jahrbuch 6, Berlin/Ost 1983, S. 173ff. 256 Ernst-Theodor Mohl, Zur Marx-Forschung in Halle, in: Naturwissenschaften und Produktivkräfte bei Marx und Engels (= Marx-Engels-Forschung heute 3), Frankfurt/M. 1991, S. 118. Hallenser bzw. in Halle ausgebildete Wissenschaftler stellten einen beachtlichen Teil der Autoren zweier Sammelbände: ... unsrer Partei einen Sieg erringen. Studien zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des „Kapitals" von Karl Marx, Berlin/Ost 1978; Der zweite Entwurf des „Kapitals". Analysen, Aspekte, Argumente, Berlin/Ost 1983.

2 . 4 . DIE EHEMALS SOZIALISTISCHEN LÄNDER IN EUROPA

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Ein besonderes Augenmerk der Hallenser Forschung lag auf der Entwicklung der Kritik der politischen Ökonomie im Zeitraum von 1850 bis 1863, gerade auch unter Berücksichtigung methodologischer Gesichtspunkte bei Marx. Auf das ambitionierte Vorhaben einer Rekonstruktion des Marxschen 6-Bücher-Projekts, in das die methodologischen Forschungen aus dem Kreis der „Hallenser" Wissenschaftler einfließen sollten, wird später en detail einzugehen sein. Vorerst genügt es, auf die Produktivität der „Hallenser" in der Erforschung der Marxschen Methode und in der Erschließung von dessen Werkentwicklung hinzuweisen. In diesem Zusammenhang kam in den 70er und 80er Jahren auch die Forschungstätigkeit einer jüngeren Generation zum Tragen. Während der Hallenser Forschungsschwerpunkt eindeutig auf der detaillierten Erforschung der Marxschen Manuskripte zur Ökonomiekritik sowie der dazugehörigen Exzerptmasse lag, zeugte die Herangehensweise von damals jungen Forscherinnen und Forschern wie Ulrike Galander, Thomas Marxhausen und Marion Zimmermann von einer nicht zu sehr allein auf Marx verengten Perspektive. Ein Grundzug der „Hallenser" Forschung bestand nämlich darin, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Marxschen Texten zur Ökonomiekritik in einem engen Zusammenhang mit der Erschließung der Quellengrundlage des Trierers erfolgen sollte.257 Mittlerweile scheint die kritische Fetischismustheorie von Marx ein zentraler Bezugspunkt eines „modernen" Marxismusverständnisses geworden zu sein, welches u. a. von Intellektuellen repräsentiert wird, die sich von den antiquierten Dogmen des „traditionellen" Marxismus absetzen möchten. Einer dieser Intellektuellen - John Holloway - , kritisiert, dass die fur Marx so wichtige Kategorie des Fetischismus in der Hauptströmung des Marxismus fast vollständig vergessen worden sei.258 Indes lässt sich ergänzen, dass man vorsichtig sein und ein entsprechendes Verdikt nicht vorschnell und generell gegenüber der Marx-Diskussion in der DDR aussprechen sollte. Denn die Problematik des Fetischismus war in der Marx-Rezeption in der DDR durchaus präsent, wie sich exemplarisch an der Theoriebildung von Thomas Marxhausen aufzeigen lässt.259 257 Siehe ζ. B. Ulrike Galander, Thomas Marxhausen, Marion Zimmermann, Marx' Analyse philosophischer Aspekte in der Ricardoschen und postricardoschen bürgerlichen politischen Ökonomie, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg 32/2 (1983), S. 3 Iff. Eine frühere Studie Zimmermanns fokussiert auf die Marxsche Ricardo-Rezeption von 1851: Marion Zimmermann, Marx' Ricardo-Rezeption im Heft VIII der Londoner Exzerpthefte (1850-1853), in: Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung 8, Halle 1979, S. 18ff. Thomas Marxhausen äußerte sich mehrfach zur Marxschen Rezeption Ricardos bzw. der ökonomischen Klassik: Thomas Marxhausen, Aspekte der Marxschen Analyse der „sonderbaren Architektonik" von Ricardos „Principles" im Manuskript 1 8 6 1 - 1 8 6 3 , in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 23, Berlin/Ost 1987, S. 97ff.; Thomas Marxhausen, Otto Schattenberg, „Klassische bürgerliche politische Ökonomie" und „Vulgärökonomie" - Entstehung, Inhalt und Einsatz der Begriffe im ökonomischen Werk von Marx, in: Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung 4, Halle 1978, S. 4 f f ; Thomas Marxhausen, Was verstand Marx unter „klassischer politischer Ökonomie"?, in: Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung 12, Halle 1980, S. 36ff. 258 Siehe John Holloway, Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, S. 138. 259 Siehe Thomas Marxhausen, Die Theorie des Fetischismus im dritten Band des Kapital, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 25, Berlin/Ost 1988, S. 209ff.; Thomas Marxhausen, Zum

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2 . DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Für die wissenschaftliche Marxbeschäftigung in der DDR war in institutioneller Hinsicht der bereits im Jahre 1969 gegründete „Wissenschaftliche Rat für Marx-EngelsForschung" von besonderer Bedeutung, da mit seiner Hilfe die wissenschaftliche Tätigkeit in verschiedenen Forschungseinrichtungen koordiniert wurde.260 Erich Kundel argumentierte bei einem im Jahre 1988 gehaltenen Vortrag, dass es durch die Tätigkeit dieses Rates immer besser gelungen sei, „die spezifische Marx-Engels-Forschung in der DDR um die Herausgabe der MEGA zu gruppieren und so zu einer entsprechenden Schwerpunktbildung, zu langfristigen Entwicklungslinien und zu einer unmittelbaren Verbindung der Forschung mit der Editionspraxis zu gelangen."261 Es verwundert auch nicht, dass die wichtigsten ostdeutschen Publikationsorgane (bzw. deren gesamtdeutsche Nachfolgeorgane) zur Marxforschung als Begleitperiodika zur MEGA-Edition konzipiert waren bzw. sind.262 In Begleitperiodika zur MEGA2 sind auch Auseinandersetzungen mit methodologischen Fragen zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu finden, die z. T. von Forschern aus der DDR stammen. Durch die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in den Jahren 1989/1990 und die damit verbundenen „Abwicklungen" im akademischen und institutionellen Bereich wurde die DDR-Marxforschung mit radikalen Veränderungen konfrontiert. Im Jahr 1990 gründeten Ostberliner Marxforscher die MEGA-Stiftung Berlin e. K263 Diese Organisation heißt seit 1991

Zusammenhang von Fetischismus, Entfremdung und Ideologie bei Marx, in: Deutsche Zeitschrift fur Philosophie 35/12 (1987), S. 1099ÍF. 260 Siehe Erich Kundel, Zur Tätigkeit des Wissenschaftlichen Rates für Marx-Engels-Forschung der DDR, in: Marx-Engels-Forschung heute 1, Neuss 1989, S. 24ff. 261 Ebd., S. 26. 262 Zu nennen sind das vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU und vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED herausgegebene Marx-Engels-Jahrbuch (13 Ausgaben von 1978 bis 1991); die von der Marx-Engels-Abteilung im Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED herausgegebenen Beiträge zur Marx-Engels-Forschung (fast 30 Ausgaben im Zeitraum von 1977 bis 1990); die von der Sektion Marxismus-Leninismus an der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg herausgegebenen Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung (mehr als 20 Ausgaben von 1976 bis 1988); die in den 1980er Jahren an der Karl MarxUniversität Leipzig herausgegebenen Marx-Engels-Forschungsberichte; die von Rolf Hecker, CarlErich Vollgraf und Richard Speri herausgegebenen Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge (mit Sonderbänden mehr als 20 Ausgaben seit 1991). Zudem fanden (bzw. finden) Forschungsergebnisse auch von Wissenschaftlern aus der ehemaligen DDR in den vom Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition e. V. herausgegebenen Wissenschaftlichen Mitteilungen (mehrere Ausgaben seit 2002) und in den von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung herausgegebenen MEGA-Studien (etwa zehn Ausgaben zwischen 1994 und 2001) sowie in der ebenfalls von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung herausgegebenen Neufassung des Marx-EngelsJahrbuchs (mehrere Ausgaben seit 2003) ein Forum. 263 Siehe Carl-Erich Vollgraf, Zuerst die Nr. 349 im Vereinsregister - dann unbekannt; zunächst wohlbetucht, dann auf Spenden aus: Das launische Schicksal des Vereins „MEGA-Stiftung e. V." im deutschen Einigungsprozess, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Studien zum Werk von Marx und Engels (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1991), Hamburg 1991, S. 192ff.

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Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition e. V. und stellt nach wie vor ein wichtiges Forum zur Marx-Engels-Forschung im Kontext der MEGA 2 -Edition dar.

Nicht nur in der Sowjetunion und in der DDR, sondern auch in den anderen Ländern des Warschauer Vertrags - und auch in Jugoslawien - fand die Beschäftigung mit Marx teilweise in herrschaftslegitimierenden Kontexten statt. Trotzdem bestand (insbesondere ab der ,,Tauwetter"-Periode) auch anderswo als nur in der Sowjetunion und der DDR ebenfalls die Möglichkeit zu einer differenzierten und elaborierten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Marxschen Ökonomiekritik. Als wichtige Beiträge der tschechoslowakischen264 Marx-Diskussion der 1960er Jahre sind eine wissenschaftstheoretische und methodologische Monographie von Jindrich Zeleny sowie der Theorieansatz des Philosophen Karel Kosik zu nennen. Zelenys Arbeit 265 wurde in deutscher Übersetzung sowohl in der DDR als auch in Westdeutschland in den 60er und 70er Jahren breit rezipiert und spielte in der internationalen Kapital-Diskussion eine wichtige Rolle. 266 In Zelenys Interpretation kommt beispielsweise dem Verhältnis von Wesen und Erscheinung in der ökonomischen Theorie von Marx, dem „Problem des Anfangs" bei Marx sowie der theoretischen Beziehung des Trierers einerseits zur Philosophie Hegels, andererseits zur klassischen politischen Ökonomie Ricardos ein wichtiger Stellenwert zu. Zeleny versucht, zentrale theoretische Differenzen zwischen Marx und Ricardo herauszuarbeiten. U. a. kommt der Tschechoslowake zu dem Ergebnis, dass es Marx gelungen sei, Ricardos einseitige Fokussierung seiner ökonomischen Theoriebildung auf quantitative Aspekte zu überwinden (Zeleny spricht mit Blick auf Ricardos Theorie von einem Quantitativismus). Im Kapital sieht Zeleny eine strukturell-genetische Analyse am Werk. Bei Marx sei - so lautet ein wichtiges Fazit ein neuartiger logischer Typ wissenschaftlichen Denkens angelegt. Karel Kosik gehört zu denjenigen Autoren, die schon frühzeitig - ähnlich wie Alfred Schmidt in Westdeutschland 267 - auf den emphatischen Kritikcharakter des Marxschen Projekts einer Kritik der politischen Ökonomie hingewiesen haben. 268 264 In der CSSR erreichte Das Kapital hohe Auflagenzahlen. Siehe Zdenek Dvoracek, Die Werke von Marx und Engels in der Tschechoslowakei (1876 bis 1980), in: Marx-Engels-Jahrbuch 6, Berlin/Ost 1983, S. 387. 265 Siehe Jindrich Zeleny, Die Wissenschaftslogik bei Marx und „Das Kapital", Berlin/Ost 1968. 266 Ein Beispiel für die Rezeption in der BRD: Jürgen Ritsert, Probleme politisch-ökonomischer Theoriebildung, Frankfurt/M. 1973. Unlängst setzte sich Ingo Elbe kritisch mit Zeleny auseinander: Ingo Elbe, Wertformanalyse und Geld. Zur Debatte über Popularisierungen, Brüche und Versteckspiele in der Marxschen Darstellung, in: Ingo Elbe, Tobias Reichardt, Dieter Wolf, Gesellschaftliche Praxis und ihre wissenschaftliche Darstellung. Beiträge zur ,föjp/ta/-Diskussion, S. 21 Iff. 267 Siehe Alfred Schmidt, Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie, in: Walter Euchner, Alfred Schmidt (Hg.), Kritik der politischen Ökonomie heute, S. 33f. 268 Siehe Karel Kosik, Gesellschaftliches Sein und ökonomische Kategorien, in: Folgen einer Theorie. Essays über „Das Kapital" von Karl Marx, Frankfurt/M. 1967, S. 94ff. Ein anderer tschechoslowakischer Beitrag bleibt streckenweise ziemlich allgemein: J. Svetly, Marx's Method of Political Economy and the Present Time, in: John Cunningham Wood (Hg), Karl Marx's Economics. Critical

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

In den 1970er Jahren zielte der polnische Philosoph Marek Siemek auf eine ähnliche Problematik, indem er den spezifischen Kritikbegriff der Kritik der politischen Ökonomie zu ergründen versuchte. Das Kapital ist nach Siemek keineswegs der politischen Ökonomie zuzurechnen. Der Autor des Kapital sei Philosoph gewesen und habe sich auf einer anderen Theorieebene bewegt als die ökonomische Wissenschaft. Die „Kritik der politischen Ökonomie" wird von Siemek als ein epistemologisches Projekt begriffen und sei nicht mit dem unmittelbar epistemischen „Wissen" der politischen Ökonomie gleichzusetzen. Es sei „nicht die ,Methode', sondern der Gegenstand und die Ebene der Theorie, was die Marasche Kritik von der politischen Ökonomie selber am schärfsten unterscheidet. Bei Marx finden wir nämlich die epistemologische Ebene, auf der als der eigentliche Gegenstand nicht der ,Gegenstand der Ökonomie', sondern die Ökonomie selbst erscheint, und zwar in der strukturellen Beziehung auf ihren Gegenstand, d. h. auf die verdinglichte Objektivitätsform des gesellschaftlichen Seins, welche sie zugleich ausdrückt und verhüllt." 269 Siemeks Interpretation steht jedenfalls einer simplifizierenden Reduktion der Kritik der politischen Ökonomie auf eine „alternative" politische Ökonomie entgegen. Dass in den 80er Jahren das Problem des Marxschen Darstellungsanfangs und die Marxsche Warenanalyse ein Interpretationsfeld der osteuropäischen Marx-Beschäftigung blieb, kann anhand zweier Beispiele gezeigt werden. Der jugoslawische Philosoph Davor Rodin legte im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Marxschen Warenanalyse einen Deutungsansatz vor, innerhalb dessen er die Theorie von Marx als kritische Demystifikation der verdinglichten gesellschaftlichen Beziehungen bzw. des Warenfetischismus interpretierte. Der Warenstruktur kommt gemäß Rodin fundamentale Bedeutung zu: „So wie bei Hegel das Wesen der Logik die ganze Rechtsphilosophie, Ästhetik, Geschichtsphilosophie, Naturphilosophie rein formal durchdringt und lenkt, so durchdringt und lenkt die Warenstruktur alle Regionen des Lebens, also auch den Staat wie auch die bürgerliche Gesellschaft." 270 Die Ware wird von Rodin als Wesensstruktur der politischen Ökonomie gefasst. Die Kritik der politischen Ökonomie sei erst aus der Perspektive der Warenanalyse möglich. Der ungarische Philosoph Imre Tagai möchte auf eine zentrale Differenz zwischen Hegel und Marx aufmerksam machen:

Assessments - Second Series, Bd. 5, London, New York 1993, S. 17Iff. Dieser Aufsatz erschien ursprünglich 1983. 269 Marek J. Siemek, Die Gesellschaft als philosophisches Problem bei Marx, in: Marek J. Siemek, Von Marx zu Hegel. Zum sozialpolitischen Selbstverständnis der Moderne, Würzburg 2002, S. 30. Weitere polnische Forschungen aus den 1970er Jahren stammen vom Wissenschaftstheoretiker Leszek Nowak, der u. a. ein spezifisches Marxsches „Erklärungsmodell" im Kapital identifizieren wollte (siehe Leszek Nowak, Das Problem der Erklärung in Karl Marx' „Kapital", in: Jürgen Ritsert [Hg.], Zur Wissenschaftslogik einer kritischen Soziologie, Frankfurt/M. 1976, S. 13ff) und methodologische Unterschiede zwischen den Ansätzen von Marx und Max Weber herauszuarbeiten versuchte (siehe Leszek Nowak, Weber's Ideal Types and Marx's Abstraction, in: Neue Hefte für Philosophie 13 [1978], S. 8Iff.). 270 Davor Rodin, Theorie des Warensystems bei Karl Marx, in: Hegel-Jahrbuch 1986, Bochum 1988, S. 45.

2 . 5 . ITALIEN, FRANKREICH UND WEITERE WESTEUROPÄISCHE LÄNDER

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„Hegel beginnt mit dem Begriff bzw. Sein im allgemeinen, Marx, im Gegensatz dazu, mit einer konkreten Kategorie, dem bestimmten Begriff, der Ware. Weiter folgt die Beziehung zwischem dem Gebrauchs- und Tauschwert nicht dem , Schema' der Hegelschen Reflexionsbestimmungen." 271 Tagai vertrat im Kontext seiner Untersuchung die Ansicht, dass Marx die Hegeische Logik nicht einfach nur vom Kopf auf die Füße gestellt, sondern sie ganz und gar umgewälzt habe.

2.5. Italien, Frankreich und weitere westeuropäische Länder 2.5.1. Italien Hinsichtlich der westeuropäischen Marx-Diskussion stellen die Diskurse in Italien und Frankreich die wichtigsten Bezugspunkte dar - wenn auch keineswegs die einzigen. Allerdings kann in diesem Rahmen nur punktuell auf die Diskussionen in Italien und Frankreich eingegangen werden. Es soll hier nicht die ganze Bandbreite der äußerst vielfältigen und theoretisch reichen Geschichte des italienischen Marxismus der Nachkriegszeit bis in die jüngere Vergangenheit (mit Denkern wie Ludovico Geymonat, Sebastiano Timpanaro, Gianfranco La Grassa etc.) dargestellt werden, sondern hier kann nur ein Schlaglicht auf einige von denjenigen Autoren geworfen werden, die sich mit der Interpretation der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie hervorgetan und dabei internationale Bekanntheit erlangt haben. 272 Entscheidenden Einfluss auf die italienische Marx-Diskussion der Nachkriegszeit 273 übten die bereits erwähnten Philosophen Galvano della Volpe 274 und Lucio Colletti 275

271 Imre Tagai, Zur Dialektik der Werttheorie im „Kapital", in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 27, Berlin/Ost 1989, S. 173. Zur Edition des Kapital in Ungarn bis in die 1960er Jahre siehe Laszlo Hay, Das „Kapital" von Karl Marx und der Aufbau des Sozialismus in Ungarn, in: „Das Kapital" von Karl Marx und seine internationale Wirkung. Beiträge ausländischer Teilnehmer an der wissenschaftlichen Session „100 Jahre ,Das Kapital' ", veranstaltet vom ZK der SED am 12. und 13. September 1967 in Berlin, Berlin/Ost 1968, S. 73ff. Zum marxistischen Denken ungarischer Herkunft siehe Joseph Gabel, Hungarian Marxism, in: Telos 25 (1975), S. 185ff. 272 Die Reihenfolge, in der die in diesem Unterkapitel vorgestellten Autoren behandelt werden, kann allerdings nicht immer der Chronologie folgen. 273 Zur noch früheren Marx-Diskussion siehe Gian Mario Bravo, Einhundert Jahre Marx-Rezeption in Italien. Triviale Deutungen, überwundene Standpunkte, schöpferische Neuansätze, in: Gerhard Kuck (Hg.), Karl Marx, Friedrich Engels und Italien (= Schriften aus dem Karl-Marx-Haus 40/2), Trier 1989, S. 2Iff. Zur Marx-Engels-Edition bis 1926 siehe Emilio Gianni, The Diffusion of Marxism in Italy from 1848 to 1926, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geld - Kapital - Wert. Zum 150. Jahrestag der Niederschrift von Marx' ökonomischen Manuskripten 1857/58 Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2007), S. 247ff. Zur Marx-Engels-Edition in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg siehe Gian Mario Bravo, Marx ed Engels in Italia, Rom 1992, S. 232ff. Ein umfassendes Werk behandelt detailliert die Geschichte des italienischen Marxismus vom späten 19. Jahrhundert, von Labriola, über Gramsci, über den Nachkriegsmarxismus mit der Deila Volpe-Schule, über den Operaismus, bis in die jüngere

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2 . DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

aus, für die u. a. die Klärung des Verhältnisses von Marx zu Hegel eine wichtige Rolle spielte. Als zentrale Aspekte von Galvano della Volpes Rezeption der Marxschen Theorie können sein Bestehen auf der spezifischen Wissenschaftlichkeit des Marxschen Denkens sowie auf einem Marxschen Bruch mit der Philosophie Hegels, und besonders seine Deutung der Marxschen Abstraktion als eine der Hegeischen Abstraktion entgegenstehende „bestimmte Abstraktion" angesehen werden. Della Volpe fasste die Marxsche Methode als eine Bewegung v o m Konkreten zum Abstrakten und dann wieder zum Konkreten auf. Generell gesprochen gebührt della Volpe innerhalb der italienischen MarxBeschäftigung das Verdienst, wesentlich dazu beigetragen zu haben, dass sich eine methodologisch ausgerichtete Marx-Lektüre der Nachkriegszeit etablieren konnte. Die Entstehung der della Volpe-Schule 2 7 6 in den 50er Jahren bedeutete für die Geschichte des italienischen Marxismus eine Zäsur, insbesondere hinsichtlich der systematischen Auseinandersetzung mit der Marxschen Theorie, die von della Volpe in den Vordergrund gerückt wurde. 277 Deila Volpes wichtige philosophische Arbeit Logica come scienza positiveÏ278 gewann nach ihrer Veröffentlichung im Jahr 1950 allmählich an Einfluss. Lucio Colletti behauptet indes, dass bis etwa 1955 oder 1956 die Marxsche Theorie (und allen voran

Vergangenheit: Cristina Corradi, Storia dei Marxismi in Italia, Rom 2005. Zum italienischen Marxismus im 20. Jahrhundert siehe auch Riccardo Bellofiore (Hg.), Da Marx a Marx? Un bilancio dei marxismi italiani del Novecento, Rom 2007. Zur Geschichte des italienischen Marxismus äußert sich auch: Costanzo Preve, Ideologia italiana. Saggio sulla storia delle idee marxiste in Italia, Mailand 1993. (Zu Preves Marx-Interpretation siehe u. a. Costanzo Preve, La filosofia imperfetta. Una proposta di ricostruzione del marxismo contemporaneo, Mailand 1984; Costanzo Preve, Storia critica del marxismo. Dalla nascita di Karl Marx alla dissoluzione del comunismo storico novecentesco, Neapel 2007. Auf Preves politische Auffassungen kann hier nicht eingegangen werden.) 274 Siehe Galvano della Volpe, Für eine materialistische Methodologie, Berlin/West 1973. Siehe auch Ruedi Graf, Deila-Volpe-Schule, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 2, Hamburg 1995, Sp. 522ff. Eine Einfuhrung in della Volpes methodologische Auseinandersetzung mit Marx, die auch auf die historischen Umstände eingeht, in denen sich della Volpes Denken entwickelt hat, stammt von Mario Montano. (On the Methodology of determinate Abstraction: Essay on Galvano della Volpe, in: Telos 7 [1971], S. 30ff.) 275 Siehe Lucio Colletti, Hegel und der Marxismus, Frankfurt/M., Berlin/West, Wien 1976; Lucio Colletti, Marxismus und Dialektik, in: Lucio Colletti, Marxismus und Dialektik, Frankfiirt/M., Berlin/West, Wien 1977, S. 5ff. Martin Jay bringt in seiner bekannten Studie Marxism and Totality sowohl della Volpe als auch Colletti große Aufmerksamkeit entgegen (Marxism and Totality. The Adventures of a Concept from Lukacs to Habermas, Oxford 1984, S. 423ff.). Detailliert zu Colletti: Ingo Elbe, Marx im Westen, S. 139ff. 276 Neben Lucio Colletti, Nicolao Merker u. a. ist der Philosoph Mario Rossi als einer der bekanntesten dieser Schule entstammenden Theoretiker zu nennen. Zu Rossi siehe Romeo Bufalo (Hg.), Storia e sapere dell'uomo. Marxismo, etica e filosofia in Mario Rossi, Mailand 1990. 277 Dies heißt selbstverständlich nicht, dass das thematisch vielseitige Gesamtwerk della Volpes auf dessen Marx-Rezeption (im engen Wortsinn) zu reduzieren sei. 278 Die Ausgabe von 1969 erschien mit verändertem Titel: Galvano della Volpe, Logica come scienza storica, Rom 1969.

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Das Kapital) nur einen eher geringen Einfluss auf das intellektuelle Leben der italienischen Linken ausgeübt habe. „The essential lesson I learnt from contact with the writings of Della Volpe", so formuliert Colletti, war „the need for an absolutely serious relationship to the work of Marx - based on direct knowledge and real study of his original texts. This may sound paradoxical, but it is important to remember that the penetration of Marxism in Italy in the first post-war decade, from 1945 to 1955, was intellectually and theoretically very superficial and exiguous."279 Ob man Collettis Behauptung zustimmt oder nicht, jedenfalls wurde - unter dem Einfluss della Volpes - in den 1950er Jahren ein wichtiger Schritt in Richtung einer intensiveren Rezeption der Marxschen Theorie getan. In diesem Zusammenhang ist etwas genauer auf die Marx-Deutung della Volpes einzugehen. Zwischen der Marx-Interpretation von Galvano della Volpe und derjenigen von Louis Althusser280 gibt es hinsichtlich des Insistierens auf dem unüberbrückbaren theoretischen Unterschied zwischen Hegel und Marx eine wichtige Ähnlichkeit. Beide, della Volpe und Althusser, gingen auch von einem radikalen „Bruch" bzw. „Einschnitt" innerhalb der Marxschen Denkentwicklung aus, der sich auf das theoretische Werk des Trierers ausschlaggebend ausgewirkt habe. Allerdings ist nicht die Differenz hinsichtlich der zeitlich-werkgenetischen Verortung des entscheidenden Bruchs im Marxschen Werk zu übersehen. Althusser setzt den Marxschen Bruch mit seinem früheren „humanistischen" bzw. „ideologischen" Denken frühestens ins Jahr 1845, wobei die Thesen über Feuerbach und die Deutsche Ideologie diesen Bruch dokumentieren sollen. Für della Volpe markiert indes bereits die Kritik des Hegeischen Staatsrechts von 1843 den entscheidenden Marxschen Bruch, nämlich den mit Hegel, so dass sich - so könnte man hinzufugen - gegenüber Althusser eine völlig andere Bewertung des Marxschen Denkens im Zeitraum von 1843 bis 1845 ergibt. Die Dimension dieses Unterschieds erschließt sich, wenn man berücksichtigt, von welch großer Bedeutung insbesondere das hinsichtlich seiner Bewertung nun völlig umstrittene - Jahr 1844 war, das Jahr, in dem Marx seine Beschäftigung mit der politischen Ökonomie entscheidend intensivierte und nach dem es für Marx hinsichtlich dieses neuen theoretischen Arbeitsfeldes keinen Weg zurück mehr gab.281 Dass jenseits der oberflächlichen Ähnlichkeit die Unterschiede zu della Volpe nicht übersehen werden dürfen, gilt übrigens nicht nur für Louis Althusser, sondern auch für einen weiteren schulbildenden Philosophen, welcher die entscheidende Bedeutung eines Einschnitts im Marxschen Werk betont: nämlich für den japanischen Theoretiker und Marx-Interpreten Wataru Hiromatsu mit seinem verdinglichungs-

279 Lucio Colletti, A Political and Philosophical Interview, S. 8. 280 Siehe auch Althussers kritische Würdigung della Volpes: Louis Althusser, Für Marx, Frankfurt/M. 1968, S. 39. 281 Zur Marxschen Rezeption der politischen Ökonomie im Jahr 1844 siehe u. a. Marcello Musto, Marx in Paris: Manuskripte und Exzerpthefte aus dem Jahr 1844, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geld — Kapital - Wert. Zum 150. Jahrestag der Niederschrift von Marx' ökonomischen Manuskripten 1857/58 Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2007), S. 178ff.

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theoretischen Ansatz. Denn auch dieser Marx-Interpret setzte den Einschnitt bei Marx später an als della Volpe. Galvano della Volpe gelang es, durch Übersetzung und Interpretation Marxscher Schriften aus den Jahren 1843/1844 das italienische Publikum mit diesem Abschnitt der Marxschen werkgeschichtlichen Entwicklung vertraut zu machen. Gerade diesem Zeitraum des Marxschen Entwicklungsprozesses maß della Volpe im Kontext der Schaffung des Fundaments für die gegenüber Hegel neuartige Marxsche Methodologie eine entscheidende Bedeutung zu. Della Volpe war indes der Auffassung, dass die Kritik des Hegeischen Staatsrechts von 1843 noch wichtiger sei als die Ökonomisch-philosophischen Manuskripte von 1844. Doch konzentrierte sich della Volpe keineswegs allein auf die Marxschen Frühschriften vor 1848, da u. a. insbesondere die Untersuchung der Einleitung von 1857 für della Volpes Perspektive auf das Marxsche Methodenverständnis einen großen Stellenwert besaß.282 Die methodologische Bewegung vom Konkreten zum Abstrakten und wieder zum Konkreten sah della Volpe sowohl in der Einleitung thematisiert, als auch bei der Arbeit am Kapital angewandt. Der von Galvano della Volpe beeinflusste und ursprünglich aus dessen Schule stammende Philosoph Lucio Colletti war wie jener ein Vertreter einer anti-hegelianischen Marx-Interpretation. In den 70er Jahren manifestierte sich auf der Basis einer Marx-Neulektüre eine theoretische Weiterentwicklung Collettis. Dieser besaß in der Philosophie Kants einen wichtigen theoretischen Bezugspunkt hinsichtlich seiner Marx-Interpretation und differenzierte den „dialektischen Gegensatz" grundsätzlich von einem „Gegensatz ohne Widerspruch" im Sinne der Kantschen Realopposition oder Realrepugnanz, wobei letzterer Gegensatz durchaus mit dem Prinzip des Nicht-Widerspruchs vereinbar sei. Ein fundamentaler Grundsatz des Materialismus und der Wissenschaft war für Colletti „das Prinzip des Nicht-Widerspruchs. Die Realität verträgt keine dialektischen Widersprüche, sondern nur Realoppositionen, Widerstreit von Kräften, Gegenverhältnisse. Und dies sind Gegensätze ohne Widerspruch, d. h. Nicht-Widersprüche statt dialektische Widersprüche."283 Doch seien die Gegensätze in der kapitalistischen Gesellschaft für (den reifen) Marx dialektische Widersprüche, nicht bloß Realoppositionen. Wichtig ist, dass Colletti im Zuge seiner Loslösung von della Volpe dessen These von Marx als Wissenschaftler nach dem Muster Galileo Galileis neu überdachte und nun bei Marx einen wissenschaftlichen Diskurs von einer Art „philosophischen" Diskurs unterschied. Colletti sah im reifen Marx folglich einen Denker mit zwei verschiedenen

282 Siehe Galvano della Volpe, Für eine materialistische Methodologie, S. 54ff. Siehe auch Nicoiao Merker, Einleitung: Galvano della Volpe als Theoretiker des Marxismus, in: Galvano della Volpe, Rousseau und Marx. Beiträge zur Dialektik geschichtlicher Strukturen, Darmstadt, Neuwied 1975, S. 14f. Die Einleitung von 1857 blieb ein wichtiger Bezugspunkt der italienischen Marx-Rezeption von della Volpe über Mario Dal Pra (La dialettica in Marx. Dagli scritti giovanili all' „Introduzione alla critica dell'economia politica", Bari 1977, S. 283ÍF.) bis neuerdings zu Marcello Musto (History, production and method in the 1857 „Introduction", in: Marcello Musto [Hg.], Karl Marx's Grundrisse. Foundations of the critique of political economy 150 years later, New York 2008, S. 3ff.). 283 Lucio Colletti, Marxismus und Dialektik, in: Lucio Colletti, Marxismus und Dialektik, S. 39.

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Gesichtern. Collettis Marx-Bild war erschüttert. Schließlich wandte sich der italienische Denker von Marx und v o m Marxismus ab. Mit dem Gedanken der „zwei Gesichter" von Marx stand Colletti in der italienischen Marx-Rezeption aber keineswegs allein. A l s einer der bedeutendsten italienischen Interpreten der Kritik der politischen Ökonomie tat sich in den 1960er und 70er Jahren der Ökonom Claudio Napoleoni hervor. Hinsichtlich der Marxschen Ökonomiekritik differenzierte Napoleoni - hierin der zentralen These Collettis nicht unähnlich - zwei unterschiedliche Diskurse. Einerseits entfalte Marx einen „philosophischen" Diskurs. In diesem Kontext geht er entscheidend über die Fragestellungen der tradierten ökonomischen Wissenschaft hinaus. Der andere, der „ökonomische" Diskurs befinde sich mehr oder weniger in einer Kontinuitätslinie mit der klassischen politischen Ökonomie. Beide Seiten seien im Hinblick auf werttheoretische Überlegungen v o n Marx in dessen Werk präsent. 284 Natürlich war die Marx-Debatte der 1950er bis 70er Jahre keineswegs auf das Terzett v o n della Volpe, Colletti und Napoleoni beschränkt. 285 Beispielsweise stellte der v o n della Volpe beeinflusste italienische Ökonom und Marx-Interpret Giulio Pietranera in den 50er Jahren die Frage nach der Differenz der Marxschen Methode zu derjenigen klassischer politischer Ökonomen. 2 8 6 Vor dem Hintergrund, dass der erste Kapital-Band über lange Zeit hinweg viel intensiver als der zweite und dritte rezipiert wurde, 2 8 7 ist es

284 Zu Napoleoni siehe u. a. Jean-Pierre Potier, Les économistes italiens et la théorie de Marx: le débat de Modène en 1978, in: Jacques Bidet, Jacques Texier (Hg.), Marxisme italien. Quelle identité? 1975-1988 (= Actuel Marx 4), Paris 1988, S. 63 u. 67f. Auf Napoleoni geht ebenfalls ein: Riccardo Bellofiore, Guest Editor's Introduction, in: International Journal of Political Economy 27/2 (1997), S. 5ff. Dieser Aufsatz ist der italienischen Debatte besonders der 1970er Jahre zur Marxschen Werttheorie gewidmet. Auf die Einzelheiten dieser Debatte kann hier genauso wenig eingegangen werden wie auf Napoleonis Entwicklungsprozess in einzelnen Theoriefragen. Weiterhin zu Napoleoni: Claudio Napoleoni, Smith, Ricardo, Marx. Considerazioni sulla storia del pensiero economico, Turin 1970; Claudio Napoleoni, Il capitale e il pensiero economico di Marx, in: Fondazione Giangiacomo Feltrinelli (Hg.), Marx e i marxismi, Mailand 1983, S. 132ff. 285 Eine Übersicht über die Diskussion zu Marx und zum Marxismus, die von den 50er bis in die 70er Jahre gefuhrt wurde, gibt ein von Franco Cassano herausgegebener Sammelband: Marxismo e filosofìa in Italia (1958-1971). I dibattiti e le inchieste su „Rinascita" e il „Contemporaneo", Bari 1973. Es ist hier nicht möglich, die einzelnen Aspekte der in Cassanos Band dokumentierten Diskussion wiederzugeben, da dies den Rahmen des vorliegenden Unterkapitels sprengen würde. Zum italienischen Marxismus der 60er Jahre siehe auch Nicola Badaloni, Il marxismo italiano degli anni sessanta, Rom 1971. 286 Siehe Giulio Pietranera, La estructura lògica de El Capital, in: Estudios sobre El Capital, Madrid 1973, S. 31. Dieser Text des italienischen Theoretikers stammt aus dem Jahr 1956. 287 Der mexikanische Marx-Interpret Raul Rojas schreibt sogar: „Der zweite und der dritte Band des Kapital erlangten [...] nie die Popularität des ersten Bandes. Die einzigen, die eifrig darauf warteten, die zwei letzten Bände des Kapital in die Hände zu bekommen, waren die professionellen Ökonomen [...] Die Arbeiter und politischen Aktivisten maßen aber dem zweiten und dritten Band des Kapital nie eine sehr große Bedeutung zu. Vom Kapital wurde - historisch gesehen nur der erste Band gelesen. Obwohl Marx selbst immer unterstrich, dass Das Kapital ein theoretisches Ganzes sei, ist Das Kapital nicht als solches gelesen worden", so Raul Rojas, Das unvollendete Projekt. Zur Entstehungsgeschichte von Marx' Kapital, Hamburg 1989, S. 253.

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erwähnenswert, dass Pietranera in den 50er Jahren das Interesse an der Marxschen Ökonomiekritik über die Beschäftigung nur mit dem ersten Band des Kapital hinaus ausweitete. Der von Galvano della Volpe beeinflusste Philosoph Mario Rossi legte in den 60er Jahren seine philosophiegeschichtliche Studie Da Hegel a Marx vor, worin er ausführlich auf die Entwicklung des Marxschen Denkens bis 1848 einging, darunter auch auf die erst in der Zwischenkriegszeit veröffentlichten Ökonomisch-philosophischen Manuskripte288 und auf die Deutsche Ideologie2*9. Ein bedeutender Marx-Interpret der italienischen Nachkriegszeit, der die methodologische Interpretation Galvano della Volpes überwinden wollte, war der Philosoph Cesare Luporini. Dieser stellte della Volpes Interpretation der Marxschen Methode als Bewegung vom Konkreten zum Abstrakten und dann wieder zum Konkreten einen Verlauf des Marxschen Denkens entgegen, der beim Abstrakten beginnt und beim Abstrakten endet. Luporini stützte sich in seinem Aufsatz Die eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes auf das Marxsche Nachwort zur zweiten Auflage des ersten KapitalBandes.290 Dort sprach Marx die eigene Methode u. a. im Verhältnis zu Hegel an. Die entsprechende Passage des Nachworts ist gemäß Luporini wortwörtlich und analytisch zu deuten. Marx habe in der Hegeischen Dialektik einen rationellen Kern ausgemacht und diesen von der mystischen Hülle gelöst. Die kritische Eigenart der Dialektik, die sich in ihrem Kern zeige, bestehe darin, dass sie im positiven Verständnis des Bestehenden zugleich das Verständnis seiner Negation einschließe. Indes hat Marx nach Luporini einen wichtigen Punkt unvollendet gelassen. Wie allgemein bekannt, hat Marx im Nachwort gegenüber Hegel anerkannt, dass dieser die „allgemeinen Bewegungsformen" der Dialektik „zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt" (MEGA2 II.6, S. 709) habe. Vor diesem Hintergrund ergibt sich aber für Luporini folgendes Problem: Wenn „man vom rationellen Kern ausgeht, wie werden dann in der umgestülpten Dialektik die allgemeinen Bewegungsformen rekonstruiert? Wir müssen gleich sagen, dass Marx dieses Problem nie gelöst hat, das heißt, er hat den theoretischen Abstand zwischen dem rationellen Kern' und den ,allgemeinen Bewegungsformen' der Dialektik nie ausgefüllt".291 Doch habe er ein Gespür für dieses Problem gehabt. „Wenn die Dialektik einmal umgestülpt und entmystifiziert ist", so fragt Luporini, „können dann ihre allgemeinen Bewegungsformen' in der gleichen Weise wie bei Hegel weiterbestehen? Können sie überhaupt weiterbestehen? Das heisst: Können sie (oder ihre modifizierte Gestalt) in einem kategoriellen Kontinuum, d. h. systema-

288 Siehe Mario Rossi, Da Hegel a Marx. III: La Scuola hegeliana. Il giovane Marx, Mailand 1974, S. 456ff. 289 Siehe Mario Rossi, Da Hegel a Marx. IV: La concezione materialistica della storia, Mailand 1975, S. 20ff. 290 Siehe Cesare Luporini, Die eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes, in: Cesare Luporini, Karl Marx - Kommunismus und Dialektik. Zwei Aufsätze, Frankfurt/M. 1974, S. 107ff. Luporini lieferte u. a. auch eine eingehende Interpretation des Marxschen Geschichtsdenkens (La concezione della storia in Marx, in: Nicoiao Merker [Hg.], Marx, un secolo, Rom 1983, S. 171 ff.). 291 Cesare Luporini, Die eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes, S. 111.

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tisch, auf dem Boden der materialistischen Dialektik dargelegt werden?"292 Jedenfalls habe Marx in diesem Kontext eine theoretische Lücke hinterlassen. Mit Blick auf die italienische Marx-Rezeption in der Nachkriegszeit bleibt indes zu bedenken, dass wichtige Texte von Marx erst spät in italienischer Sprache zugänglich wurden (falls Umberto Cerronis Angaben zuverlässig sind, erschienen der dritte KapitalBand und die Theorien über den Mehrwert erst in den 1950er Jahren, die Grundrisse erst 1968-70 in italienischer Übersetzung293). In den 1960er und 70er Jahren entfaltete sich jedoch in Italien eine äußerst intensive Auseinandersetzung mit der Marxschen Theorie. In diesem Zusammenhang ist neben bereits genannten Theoretikern auch auf den Philosophen Nicola Badaloni294 hinzuweisen. Dieser untersuchte in seiner Arbeit Per il comunismo295 sowohl die Hegeische Logik, wie auch die Logik des Marxschen Kapital. Ein anderer Marx-Interpret dieser Zeit, der Philosoph Salvatore Veca296, setzte sich mit dem wissenschaftlichen Programm von Marx auseinander und fasste den historischen Materialismus als „metaphysischen Kern" des Marxschen Programms auf.297 Italienische Studien aus den 1970er und 80er Jahren befassen sich mit der Problematik der „dialektischen Darstellung"298 bei Marx bzw. mit dem „Problem des Anfangs"299. Diese Themenfelder sind auch in der deutschen Diskussion präsent. Dem „Anfang" der Kritik der politischen Ökonomie wurde u. a. von Luporini große Aufmerksamkeit gewidmet, d. h. der Marxschen Analyse der Ware, der Analyse der Wertform und der Darstellung des Austauschprozesses. Dabei begriff der italienische MarxInterpret die Wertgegenständlichkeit der Waren, diese gemäß Marx gespenstische, übersinnliche Gegenständlichkeit, als eine rein gesellschaftliche Dimension. Der Marxforscher Alberto Gajano publizierte gegen Ende der 1970er Jahre eine Untersuchung über die Marxsche Warenanalyse, wobei er sich systematisch auf das erste Kapitel von

292 Ebd. 293 Siehe Umberto Cerroni, Introduzione, in: Umberto Cerroni (Hg.), Il Pensiero di Marx, Rom 1972, S. 40. Der sog. „Maschinenabschnitt" der Grundrisse (siehe in etwa MEGA 2 II. 1.2, S. 569-584), auf den in der operaistischen Theoriebildung Bezug genommen wurde, erschien bereits 1964 in den Quaderni Rossi in italienischer Übersetzung. Beispiele fur die italienische Grundrisse-Rezeption liefern u. a. Pier Aldo Rovatti, The Critique of Fetishism in Marx's Grundrisse, in: Telos 17 (1973), S. 56ff.; Aldo Schiavone, Per una rilettura delle „Formen": teoria della storia, dominio del valore d'uso e funzione dell'ideologia, in: Problemi teorici del marxismo, Rom 1976, S. 189ff. Näher zu den Grundrissen in Italien: Mario Tronti, Italy [Dissemination and reception of the Grundrisse in the world], in: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx's Grundrisse, S. 229ff. 294 Zu Badaloni siehe u. a. Otto Kallscheuer, Marxismus und Erkenntnistheorie in Westeuropa. Eine politische Philosophiegeschichte, Frankfurt/M. 1986, S. 150ff. 295 Siehe Nicola Badaloni, Per il comunismo. Questioni di teoria, Turin 1972. 296 Siehe u. a. Salvatore Veca, Value, Labour and the Critique of Political Economy, in: Telos 9 (1971), S. 48ff.; Salvatore Veca, Saggio sul programma scientifico di Marx, Mailand 1977. 297 Siehe ebd., S. 99. 298 Siehe Enrico Grassi, L'„esposizione dialettica" nel Capitale di Marx, Rom 1976. 299 Siehe Mimmo Porcaro, I difficili inizi di Marx. Contro chi e per che cosa leggere „II Capitale" oggi, Bari 1986.

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Zur Kritik der politischen Ökonomie stützte. 300 Mit Blick auf die Marasche Methode unterschied Alberto Gajano innerhalb der Marxschen Darstellung ein analytisches Moment von einem synthetisch-genetischen Moment. 301 In den 1970er und 80er Jahren kamen in der italienischen Forschung zur Marxschen Werttheorie Interpretationen auf, die auf eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ansatz von Ökonomen wie Ian Steedman hinauslaufen, welcher durch den neoricardianischen Ökonomen Piero Sraffa (1898-1983) beeinflusst war. Aus dessen Ansatz ließ sich fur Steedman die Redundanz der Marxschen Arbeitswerttheorie folgern. Der Stellenwert der Arbeitswertlehre von Karl Marx wurde auch von italienischen Interpreten kritisch hinterfragt. Die italienische Marx-Rezeption lieferte in Form einer Monographie des Ökonomen Marco Lippi eine auch international rezipierte Interpretation der Marxschen Werttheorie,302 wobei sich Lippis Ansatz in die Richtung einer möglichen Loslösung von der Marxschen Arbeitswerttheorie bewegte. Auch eine Studie von Massimo Mugnai 303 wies in die Richtung einer möglichen Loslösung von der Marxschen Arbeitswerttheorie. Mugnai lieferte auch eine Erörterung des Marxschen Widerspruchsbegriffs und thematisierte das Verhältnis von Marxscher und Hegelscher Dialektik. Zudem wurde in der italienischen Debatte der Fetischismusproblematik innerhalb der Marxschen Ökonomiekritik große Aufmerksamkeit zuteil. 304 Der Philosoph Alessandro Mazzone setzte sich in den 70er Jahren mit der Problematik von Kapitalfetischismus und Ideologietheorie auseinander.305 Bezüglich der sowohl in Italien wie auch in Deutschland diskutierten Fetischismusproblematik hat Alfonso M. Iacono in den 80er Jahren einen Ansatz vorgelegt, mit dem er die Debatte um die Frage nach dem Quellenhintergrund des Marxschen Fetischismusbegriffs erweiterte. Marx habe bereits in den

300 Siehe Alberto Gajano, La Dialettica della Merce. Introduzione allo studio di Per la critica economia politica di Marx, Neapel 1979.

dell'

301 Zu Gajano siehe auch Roberto Fineschi, Zum Geschichtsbegriff in der marxistischen Debatte Italiens. Teil II und III, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Neue Texte, neue Fragen. Zur Kapital-Edition in der MEGA (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2001), Hamburg 2002, S. 231f. 302 Siehe Marco Lippi, Marx: il valore come costo sociale reale, Mailand 1976. Von dieser Schrift existieren Übersetzungen in die englische und die spanische Sprache. 303 Siehe Massimo Mugnai, Il mondo rovesciato. Contraddizione e „valore" in Marx, Bologna 1984. 304 Siehe ζ. Β. Pier Aldo Rovatti, Fetishism and Economic Categories, in: Telos 14 (1972), S. 87ff. 305 Siehe Alessandro Mazzone, Der Kapitalfetischismus: Über Grundfragen einer materialistischen Ideologietheorie (I), in: Sozialistische Politik 42 (1977), S. 64ff.; Alessandro Mazzone, Der Kapitalfetischismus: Über Grundfragen einer materialistischen Ideologietheorie (II) in: Sozialistische Politik 43 (1978), S. 84ff.; Alessandro Mazzone, Der Kapitalfetischismus: Über Grundfragen einer materialistischen Ideologietheorie (III), in: Sozialistische Politik 45 (1978), S. 136ff. Aus späterer Zeit datieren Mazzones Forschungen zur spezifischen Zeitlichkeit der kapitalistischen Produktionsweise (siehe Alessandro Mazzone, Die spezifische Zeitlichkeit der kapitalistischen Produktionsweise. Oder: Die historische Mission des Kapitals, in: Domenico Losurdo, Hans Jörg Sandkühler [Hg.], Philosophie als Verteidigung des Ganzen der Vernunft, Köln 1988, S. 197ff.) sowie zum Marxschen Klassenbegriff (siehe Alessandro Mazzone, Was heisst „Produzieren"? Überlegungen zum Klassenbegriff im Kapital, in: Rolf Hecker u. a. [Hg.], Neue Texte, neue Fragen. Zur Kapital-Edition in der MEGA, S. 55ff.).

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frühen 1840er Jahren eine ethnologische Arbeit von Charles de Brosses aus dem Jahr 1760 rezipiert, die den Titel Du culte des dieux fétiches trägt.306 Einen in der Rezeptionsgeschichte der Kritik der poltischen Ökonomie bisweilen eher vernachlässigten Interpretationsansatz verfolgte in jüngerer Vergangenheit Franco Soldani. Die Marasche Theorie entstand nicht allein im Spannungsfeld von Philosophie und politischer Ökonomie. Soldani ist sich - ähnlich wie der Südkoreaner Seung-Wan Han oder eine schweizerische Arbeitsgruppe um Judith Janoska - der Tatsache bewusst, dass sich Marx auch mit der Naturwissenschaft seines Zeitalters auseinandergesetzt hat.307 Der italienische Interpret fragt nach den Anregungen, die Marx aus seiner Beschäftigung mit der Naturwissenschaft gewonnen haben könnte. Aspekte naturwissenschaftlicher Rationalität hätten bei Marx ihren Niederschlag gefunden, erstens in Gestalt der Differenzierung der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion von ihrer Erscheinungsform als koerzive Gesetze der Konkurrenz, zweitens in Gestalt der „difference between the ,internal organisation' of this society and its typical,modes of existence' in the phenomena or Erscheinungsformen of economic life."308 Der MEGA2-Edition wird in Italien bereits seit längerer Zeit Aufmerksamkeit gewidmet, u. a. gegenüber einem breiteren Publikum in den Theoriezeitschriften Marxismo oggi und Critica marxista,309 Von der Beachtung dieser Edition in jüngerer Zeit zeugt u. a. ein im Jahr 2002 von Alessandro Mazzone herausgegebener Sammelband, in dem deutsche, italienische und US-amerikanische Autoren aus dem Umkreis des MEGA2-Projekts das italienische Publikum über die Geschichte der MEGA2 und die Restrukturie-

306 Siehe Alfonso M. Iacono, Sul concetto di „feticismo" in Marx, in: Anna Maria Nassisi (Hg.), Marx e il mondo contemporaneo, Rom 1987, S. 101. 307 Siehe Franco Soldani, La strada non presa. Il marxismo e la conoscenza della realta sociale, Bologna 2002. 308 Franco Soldani, Marx and the Scientific Thought of his Time, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx und Engels. Konvergenzen - Divergenzen (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1997), Hamburg 1998, S. 92. 309 Siehe Gian Mario Cazzaniga, Le centenaire de Marx en Italie, in: Jacques Bidet, Jacques Texier (Hg.), L'état du marxisme (= Actuel Marx 1), Paris 1987, S. 112; Roberto Fineschi, Marx dopo la nuova edizione storica-critica (MEGA 2 ): un nuovo oggetto di ricerca, in: Marxismo oggi 1999/12, S. 199ff.; Malcolm Sylvers, Roberto Fineschi, Novità della Marx-Engels-Gesamtausgabe. La grande edizione storico-critica va avanti, in: Marxismo oggi 2003/1, S. 87ff.; Marcello Musto, La „Nuova MEGA" e il carteggio di Marx ed Engels del 1 8 5 8 - 1 8 5 9 , in: Critica Marxista 2004/5, S. 56ff. (Musto schildert den Inhalt des MEGA 2 -Bandes III.9, äußert sich aber auch zur Geschichte und Vorgeschichte der MEGA 2 ); Fineschi geht auch anlässlich eines Essays zum Hegel-MarxVerhältnis kurz auf die MEGA 2 ein: Roberto Fineschi, In che senso è dialettica la teoria marxiana del capitale?, in: Marxismo oggi 2006/1, S. 70f. Zudem wurde in Marxismo oggi ein Interview Fineschis mit den MEGA 2 -Editoren Manfred Neuhaus und Gerald Hubmann publiziert: Roberto Fineschi, Novità dalla MEGA, in: Marxismo oggi 2007/1, S. 85ff. Zuletzt äußerte sich abermals Musto zur MEGA 2 : Marcello Musto, The Rediscovery of Karl Marx, in: International Review of Social History 52 (2007), S. 486ff.

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rung und Fortsetzung des Projekts nach der „Wende" informieren, aber auch über die Debatte innerhalb der deutschsprachigen Beschäftigung mit der Marxschen Werttheorie.310 Seit einiger Zeit zählen Riccardo Bellofiore und Roberto Finelli zu den bekanntesten Vertretern der nach wie vor vielfaltigen methodologischen Marx-Diskussion in Italien. Einen entscheidenden Bezugspunkt fur die Interpretation erblicken Finelli und Bellofiore im Kreis von Vorausgesetztem und Gesetztem in der Darstellungslogik der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Das Vorausgesetzte, von dem ausgegangen wird, entpuppe sich im Zuge der Darstellung der ökonomischen Kategorien als Gesetztes. Bellofiore und Finelli fuhren aus: „At the beginning of Capital, abstract labour [...] is hypothetically .presupposed' ". „But in the course of the three volumes" von Das Kapital, „abstract labour turns out to be the ,posit' of capitalist labour, that is, of .labour that is opposed to capital' or wage labour."311 Bellofiore und Finelli haben sich (wie auch Roberto Fineschi) der strikt „anti-hegelianischen" Marx-Rezeption der beiden vielleicht international bekanntesten italienischen Interpreten der Nachkriegszeit, della Volpes und Collettis, nicht angeschlossen. Bellofiore und Finelli erkennen in der Marxschen Logik im Kapital ein wichtiges „hegelianisches Erbe". Die Erörterung des Marxschen Verhältnisses zu Hegel ist und bleibt jedenfalls traditionell eine zentrale Frage in der italienischen Debatte, auch nach dem theoretischen Wirken della Volpes und Collettis. So rückt eine neuere Arbeit Fineschis das Hegel-Marx-Verhältnis in den Mittelpunkt. 312 Eine Studie Fineschis aus dem Jahr 2002 dreht sich um die Frage des Logischen und Historischen in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, genauer gesagt im Hinblick auf die Problematik von Wertformanalyse und Darstellung des Austauschprozesses. 313 Fineschis Ansatz läuft darauf hinaus, das „historische" Moment in der Marxschen Geldentwicklung im Kapital selbst in einem „logischen" Sinne zu verstehen. Auf der Basis seiner Marx-Interpretation könne man sich, so schreibt Fineschi, „mit der traditionellen Unterscheidung zwischem ,Historischem' und ,Logischem' auseinanderset-

310 Siehe Alessandro Mazzone (Hg.), MEGA 2 : Marx Ritrovato, grazie alla nuova edizione critica, Rom 2002. Darin zur deutschen Werttheorie-Diskussion der 1970er und 80er Jahre: Roberto Fineschi, MEGA 2 : dalla filologia all'interpretazione critica. Un resoconto sul dibattito tedesco sulla teoria de valore negli anni '70/'80, S. 81ff. 311 Riccardo Bellofiore, Roberto Finelli, Capital, Labour and Time: The Marxian Monetary Labour Theory of Value as a Theory of Exploitation, in: Riccardo Bellofiore (Hg.), Marxian Economics: A Reappraisal. Volume One: Method, Value and Money, London, N e w York 1998, S. 51. Zum „circolo metodologico del ,presupposto-posto' " siehe u. a. Riccardo Bellofiore, Marx dopo Hegel. Il capitale come totalità e la centralità della producione, in: Marcello Musto (Hg.), Sulle tracce di un fantasma. L'opera di Karl Marx tra filologia e filosofia, Rom 2006, S. 265f., sowie Roberto Finelli, La Sciencia del Capitale como „circolo del presupposto-posto". Un confronto con il deconstruzionismo, in: Marcello Musto (Hg.), Sulle tracce di un fantasma, S. 211 ff. 312 Siehe Roberto Fineschi, Marx e Hegel. Contributi ad una rilettura, Rom 2006. 313 Siehe Roberto Fineschi, Nochmals zum Verhältnis Wertform - Geldform - Austauschprozess, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Neue Aspekte von Marx' Kapitalismus-Kritik (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2004), Hamburg 2006, S. 115ff.

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zen. Statt eines gegensätzlichen Verhältnisses können wir unter diesen Definitionen zwei verschiedene Ebenen der dem Begriff der Ware immanenten Logik verstehen [,..]"314 Roberto Fineschi hat in jüngerer Vergangenheit überdies einen wichtigen Forschungsbeitrag zum Marxschen Kapitalbegriff vorgelegt,315 der in seiner Fragestellung an die deutschsprachige Diskussion über die unterschiedlichen Abstraktionsebenen in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie bzw. in den jeweiligen Planentwürfen erinnert. In Bezug auf die Marxsche Darstellung unterscheidet Fineschi hinsichtlich des Kapitalbegriffs zwischen vier Abstraktionsebenen: der „nullten" Ebene, nämlich der Abstraktionsebene der einfachen Zirkulation; der Ebene der Allgemeinheit des Kapitals; der Ebene der Besonderheit des Kapitals; schließlich der konkretesten Abstraktionsebene, der Ebene der Einzelheit des Kapitals. In diesem Kontext sei der Marxsche Bezug auf Hegels Begriffslogik deutlich. Fineschi geht davon aus, dass eine der Hegeischen Trias entsprechende kapitaltheoretische Gliederung in Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit hinsichtlich der werkgeschichtlichen Entwicklung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie von den Grundrissen bis zum Kapital durchgehalten worden sei. Allerdings habe Marx bei der Weiterentwicklung seiner Theorie Modifikationen bezüglich der jeweiligen Reichweite sowie der jeweiligen Übergangselemente von Allgemeinheit des Kapitals, Besonderheit des Kapitals und Einzelheit des Kapitals vorgenommen. So sei die Problematik der Akkumulation, ursprünglich auf der Abstraktionsebene der Besonderheit lokalisiert, im Fortgang der Marxschen Studien schließlich der Ebene der Allgemeinheit zugeordnet worden. Weiterhin sei das ursprüngliche Marxsche Vorhaben aufgegeben worden, das Einheitskapital bzw. das Kapital als ein Ganzes dieser letzteren Abstraktionsebene, die vielen Kapitale hingegen erst der Ebene der Besonderheit zuzuordnen. Die Pluralität der Kapitale trete in späterer Zeit bereits auf der Ebene der Allgemeinheit auf, auch wenn dort nach wie vor von der Konkurrenz abstrahiert sei. Innerhalb des Herausbildungsprozesses der Kritik der politischen Ökonomie verortet Fineschi eine Veränderung der Marxschen Herangehensweise: „If, at the beginning, Marx tried to apply Hegel's scheme to a given matter to put it in order, going on he understood that the very theory of capital could be worked out only following its own inner logic. That's why changes occurred and that's why the final structure is more dialectic and consistent than the original one."316 Ein bemerkenswerter Aspekt der italienischen Marx- und Marxismus-Rezeption ist die gute Übersetzungssituation ausländischer Forschungsbeiträge. Da wichtige Forschungsarbeiten aus der ehemaligen Sowjetunion (mindestens zwei Arbeiten von Witali Wygodski und eine von Ewald Iljenkow, daneben die Studien zur Marxschen Werttheorie von Isaak Iljitsch Rubin) sowie aus beiden deutschen Staaten (Arbeiten von Hans-

314 Ebd., S. 132f. 315 Siehe Roberto Fineschi, The Four Levels of Abstraction of Marx's Concept of „Capital", o. O. 2005, im Internet: http://www.marx-gesellschaft.de/Texte/1005_Fineschi_Four LevelsAbstraction. pdf (letzter Zugriff: 13.9.2007). Dieser Text hat folgende Monographie zur Grundlage: Roberto Fineschi, Ripartire da Marx. Processo storico ed economia politica nella teoria del „capitale", Neapel 2001. 316 Roberto Fineschi, The Four Levels of Abstraction of Marx's Concept of „Capital", S. 23.

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Georg Backhaus, Helmut Reichelt und Walter Tuchscheerer) und dem deutschsprachigen Exil (das Hauptwerk von Roman Rosdolsky) schon seit längerer Zeit auf italienisch vorliegen, ist davon auszugehen, dass die Kenntnis von Standardwerken u. a. aus dem deutschen bzw. russischen Sprachraum einen Hintergrund der italienischen Diskussion darstellt. Im Zentrum des italienischen Marx-Diskurses der letzten Jahrzehnte standen dennoch vor allem die inländischen Ansätze mit Denkern wie della Volpe, Colletti, Napoleoni, Luporini und anderen italienischen Interpreten der Marxschen Ökonomiekritik. Indes haben sich die italienische und die französische Auseinandersetzung mit Marx gegenseitig inspiriert und die Diskussion in jedem der beiden Länder wurde im jeweils anderen aufmerksam verfolgt. 317

2.5.2. Frankreich Wie hinsichtlich der italienischen so muss auch bezüglich der französischen Debatte betont werden, dass hier nicht die Geschichte des französischen Marxismus als Ganzes nach dem Zweiten Weltkrieg dargestellt werden kann. Selbst auf eine so wichtige Debatte wie die französische Diskussion über den prinzipiellen Stellenwert der Dialektik, die in den frühen 1960er Jahren um Jean-Paul Sartre, Roger Garaudy, Jean Hyppolite und andere gefuhrt und bald darauf auch hierzulande bekannt gemacht wurde, 318 kann hier nicht eingegangen werden. Stattdessen können hier nur einige Einblicke in verschiedene Ansätze innerhalb der methodologisch-gesellschaftstheoretischen Debatte zur Marxschen Ökonomiekritik gegeben werden, wie sie sich insbesondere seit den 1960er Jahren entwickelt hat. Die französische Erstausgabe des ersten Kapital-Bandes (siehe MEGA 2 II.7) war bereits zu Lebzeiten von Marx erschienen und war von ihm selbst bearbeitet worden. So verwundert es nicht, dass die französische Kapital-Lektüre eine lange Tradition besitzt, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg stärker denn je zuvor entfalten konnte. 319 Das Marxsche Kapital320 bzw. die Marxsche Werttheorie321 wurden auch schon in den Jahren kurz nach dem Krieg erörtert. In der Nachkriegszeit verwendete ein Teil der fran317 Siehe z. B. Maria Giacometti, Augusto Illuminati, Mimmo Porcaro, Costanzo Preve, Maria Turchetto, La cognizione della crisi. Saggi sul marxismo di Louis Althusser, Mailand 1986; Jean-Pierre Potier, Lectures italiennes de Marx. Les conflits d'interprétation chez les économistes et les philosophes, Lyon 1986. 318 Siehe folgenden Sammelband: Existentialismus und Marxismus. Eine Kontroverse zwischen Sartre, Garaudy, Hyppolite, Vigier und Orcel, Frankfurt/M. 1965. 319 Zur historischen Kapital-Edition in Frankreich: Gilbert Badia, Einige Bemerkungen über die Verbreitung der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels in Frankreich, in: Marx-Engels-Jahrbuch 4, Berlin/Ost 1981, S. 447ff. Zum Verhältnis französischer Wirtschaftswissenschaftler zum Marxismus, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Thierry Pouch, Les Économistes français et le Marxisme. Apogée et déclin d'un discours critique (1950-2000), Rennes 2001. 320 Siehe Jean Hyppolite, De la structure du Capital et de quelques présuppositions philosophiques de l'oeuvre de Marx, in: Jean Hyppolite, Études sur Marx et Hegel, Paris 1955, S. 142ff. 321 Siehe Robert Guihéneuf, Le problème de la théorie marxiste de la valeur, Paris 1952; Henri Denis, Valeur et capitalisme, Paris 1957.

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zösischen Marx-Interpretation die Selbstbezeichnung „Marxologie" (dieser Terminus war auch in der DDR in Gebrauch, dort allerdings nicht als Selbstbezeichnung, sondern mit polemischem Unterton gegenüber Teilen der „westlichen" Marx-Diskussion). Mit der Strömung der französischen Marxologie der Nachkriegszeit ist insbesondere das wissenschaftliche Werk von Maximilien Rubel verbunden. 322 Rubel war einer der ersten Autoren des „Westens", der zu den Grundrissen forschte, und zwar noch bevor dieses Manuskript durch die ostdeutsche Ausgabe von 1953 überhaupt erstmals einem größeren „westlichen" Leserkreis zugänglich gemacht wurde. In einem Aufsatz, der 1950 veröffentlicht wurde - also in etwa zur gleichen Zeit, als sich Korsch und Rosdolsky im amerikanischen Exil in die Grundrisse vertieften - , widmete Rubel u. a. dem Geldkapitel dieses damals (zumindest außerhalb der Sowjetunion) noch weitgehend unbekannten Manuskripts seine Aufmerksamkeit. 323 Zu Beginn der 1960er Jahre legte Maurice Godelier methodologische Untersuchungen zum Kapital vor.324 Mit Blick auf die Marxsche Vorgehensweise skizzierte Godelier den Zusammenhang zweier zueinander gehöriger und doch zu unterscheidender Methoden: nämlich einerseits einer hypothetisch-deduktiven und andererseits einer dialektischen; die dialektische Methode setze die hypothetisch-deduktive Methode voraus. Der Ansatz von Godelier wurde indes durch den einflussreicheren Theorieansatz von Louis Althusser in den Schatten gestellt. Die Herausbildung der am „Strukturalismus" orientierten Althusser-Schule fand in den 1960er Jahren statt.325 Ihre Entstehung markiert eine wichtige Zäsur nicht nur in der französischen, sondern auch in der internationalen Marx-Interpretation.

322 Siehe z. B. Maximilien Rubel, Karl Marx. Essai de biographie intellectuelle, Paris 1957. Rubel griff noch Mitte der 1990er Jahre (in einem der letzten Aufsätze vor seinem Tod) in die damalige Debatte um Friedrich Engels ein: Maximilien Rubel, Nach hundert Jahren: Plädoyer für Friedrich Engels, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 31/4 (1995), S. 520ff. 323 Siehe Maximilien Rubel, Contribution a l'Histoire de la Genèse du Capital. Les Manuscrits économico-politiques de Karl Marx (1857-58), in: Revue d'Histoire économique et sociale 28 (1950), S. 172ff. Etwa zeitgleich mit Rubel arbeitete Auguste Cornu an der Erforschung der Marxschen Theorie. Siehe Auguste Cornu, Karl Marx und Friedrich Engels. Leben und Werk, 3 Bd., Berlin/Ost 1954-1968. Der Franzose Cornu siedelte nach dem Zweiten Weltkrieg in die spätere DDR über. 324 Siehe Maurice Godelier, Rationalität und Irrationalität in der Ökonomie, Frankfurt/M. 1972, S. 157ff. u. 23Iff. Eine weitere methodologisch orientierte Auseinandersetzung mit dem Kapital lieferte in den 60er Jahren Pierre Naville (La méthodologie dans l'analyse du „Capital", in: Victor Fay [Hg.], En partant du „Capital", Paris 1968, S. 211ff.). 325 Auf diejenigen Schriften Althussers, die in den Zeitraum vor den 60er Jahren fallen, kann in der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen werden. Zur Althusser-Schule innerhalb und außerhalb Frankreichs: Frieder Otto Wolf, Althusser-Schule, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 1, Hamburg 1994, Sp. 184ff.

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Althusser verfolgte in den 60er Jahren sein Projekt einer neuen Kapital-Lesebewegung326 zusammen mit seinen Schülern Etienne Balibar, Jacques Rancière,327 Roger Establet und Pierre Macherey.328 Althusser vertrat das Prinzip einer „symptomalen Lektüre". Der französische Philosoph beanspruchte damit, das im Marxschen Diskurs „abwesend Anwesende" aufzuspüren, also die nicht textlich offenkundigen, sondern eher impliziten - aber dennoch geradezu konstitutiven - Grundbedingungen des Marxschen Denkens in den Blick zu nehmen. Es ging Althusser im Kontext seines auf den „Strukturalismus" gestützten philosophischen Ansatzes um die Aufdeckung der theoretischen Voraussetzungen des Kapital. Während sich Althusser selbst in Lire Le Capital speziell mit dem Gegenstand des Kapital auseinander setzte, ging Balibar in diesem Werk auf Grundfragen des historischen Materialismus ein und befasste sich Althussers Schüler Establet mit der Aufbauplanproblematik des Kapital. Rancière bezog sich auf die Kritik der politischen Ökonomie sowohl in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 wie auch später im Kapital. Mit der Frage des Ausgangspunkts der Marxschen Darstellung in dessen ökonomiekritischen Hauptwerk beschäftigte sich Macherey in seinem Text zur Problematik der Marxschen Darstellung, hinsichtlich der der französische Interpret die Marasche Warenanalyse und dessen Werttheorie in den Blick nahm. Zurück zu Althusser selbst. Ein wichtiger Gedanke Althussers war die Annahme eines epistemologischen Einschnitts bzw. Bruchs im Marxschen Werk. Hierbei handelt es sich um Althussers Thematisierung eines (angeblichen) werkhistorischen Bruchs zwischen dem früheren, „ideologischen" bzw. „humanistischen" Marxschen Werkteil und dem späteren, „wissenschaftlichen" Werkteil. Genau genommen unterscheidet Althusser in Für Marx vier Phasen des Marxschen Werks: Die Jugendwerke bis 1844,329 die für den Bruch

326 Siehe Louis Althusser, Etienne Balibar, Das Kapital lesen, 2 Bd., Reinbek 1972. (Die Texte von Rancière, Establet und Macherey aus der Erstausgabe von Lire Le Capital [1965] fehlen in dieser deutschen Ausgabe.) Eine spätere Auseinandersetzung Althussers mit dem Kapital ist in der internationalen Marx-Diskussion etwas weniger beachtet worden: Louis Althusser, Marx' Denken im Kapital, in: Prokla 50 (1983), S. 130ff. 327 Siehe Jacques Rancière, Der Begriff der Kritik und die Kritik der politischen Ökonomie von den „Pariser Manuskripten" zum „Kapital", Westberlin 1972. Dieser Text stammt aus der Erstfassung von Lire Le Capital. 328 Im Bannkreis der Althusser-Schule argumentierte auch: Nicos Poulantzas, Theorie und Geschichte. Kurze Bemerkungen über den Gegenstand des „Kapitals", in: Alfred Schmidt, Walter Euchner (Hg.), Kritik der politischen Ökonomie heute, S. 58ff. 329 Die frankophone Auseinandersetzung mit den Marxschen Schriften aus den Jahren 1843 und 1844, die Althusser der Periode vor dem sog. „epistemologischen Bruch" zuordnete, findet weiterhin statt. Als Beispiele können angeführt werden: Solange Mercier-Josa, Retour sur le jeune Marx. Deux études sur le rapport de Marx à Hegel dans les Manuscrits de 44 et dans le Manuscrit dit de Kreuznach, Paris 1986; zudem Beiträge in folgendem Sammelband: Etienne Balibar, Gérard Raulet (Hg.), Marx démocrate. Le Manuscrit de 1843, Paris 2001; vgl. auch Eustache Kouvélakis, Philosophie et révolution. De Kant à Marx, Paris 2003, S. 293ff.

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entscheidenden Werke des Einschnitts von 1845 (d. h. die Thesen über Feuerbach330 und die Deutsche Ideologie), die Werke der Reifung bis 1857 und schließlich die Werke der Reife von 1857 bis zum Tod des Denkers.331 Indes vertrat Althusser - zumindest zeitweise, nämlich im Jahr 1969 - die Auffassung, dass der Marasche Prozess der Überwindung des Einflusses der Hegeischen Philosophie erst in den letzten Lebensjahren zu einem Abschluss gelangt sei. Marx habe erst im Spätwerk, u. a. in den Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie " - d. h. u. a. in seiner letzten ökonomiekritischen Arbeit, die kurze Zeit vor seinem Tod verfasst wurde - die endgültige Überwindung des Einflusses der Hegeischen Philosophie vollendet. „Das berühmte Vorwort von 1859 (,Zur Kritik der politischen Ökonomie') ist noch zutiefst hegelianisch-evolutionistisch. Auch die ,Grundrisse' [...] sind noch stark durch das Denken Hegels geprägt, dessen ,Logik' Marx 1858 mit Bewunderung wiedergelesen hatte. Als der erste Band des ,Kapital' erscheint, sind noch Reste des Hegeischen Einflusses vorhanden. Sie werden erst viel später gänzlich verschwinden: die ,Kritik des Gothaer Programms' (1875) wie auch die ,Randglossen über Wagner' " - von Althusser ins Jahr 1882 datiert - „sind gänzlich und endgültig befreit von jeglicher Spur des Hegeischen Einflusses".332 Neben der inspirierenden Wirkung auf die französische Marx-Debatte sowie auf französische Theorieströmungen außerhalb der Marx-Interpretation im engeren Sinne333 war der Einfluss der Althusser-Schule u. a. in Lateinamerika und in der angelsächsischen Welt beachtlich, wo sich jeweils eigene Zweige dieser Strömung herausbildeten.334 In Westdeutschland traf Althusser - obgleich er auch hier Anhänger hatte - frühzeitig auf Widerstand.335 U. a. die Dominanz „autochthoner" Marx-Lektüren in den 1960er/70er

330 Französische Beiträge zu den Marxschen Feuerbachthesen sind u. a.: Georges Labica, Karl Marx Thesen über Feuerbach, Hamburg 1998; Pierre Macherey, Marx 1845. Les thèses sur Feuerbach, Paris 2008. 331 Siehe Louis Althusser, Für Marx, S. 35. 332 Louis Althusser, Marxismus und Ideologie. Probleme der Marx-Interpretation, Berlin/West 1973, S. 101. 333 Zum Verhältnis des Althusserianismus zu der in den 1970er Jahren in Frankreich entstandenen „Regulationstheorie" siehe Alain Lipietz, Vom Althusserismus zur „Theorie der Regulation", in: Alex Demirovic u. a. (Hg.), Hegemonie und Staat. Kapitalistische Regulation als Projekt und Prozeß, Münster 1992, S. 9ff. 334 Über den britischen Althusserianismus berichtet: Grahame Lock, Althusser en Angleterre, in: Dialectiques. Revue trimestrielle 15-16 (1977), S. 64ff. Die US-amerikanische Althusser-Rezeption ist auch in Frankreich zur Kenntnis genommen worden. Siehe Etienne Balibar, Actualité d'Althusser à l'étranger, in: Actuel Marx 7 (1990), S. 166. 335 Siehe Alfred Schmidt, Der strukturalistische Angriff auf die Geschichte, in: Alfred Schmidt (Hg.), Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt/M. 1969, S. 194ff. Schmidts Bezugnahme auf Althusser war - generell gesprochen - zwar kritisch, aber keineswegs ausschließlich negativ. Ulrich Müller, Althussers strukturalistische Umdeutung des „Kapital", in: Das Argument 89 (1975), S. 85ff., sieht bei Althusser eine „weitgehende Revision des Marxismus" am Werk und spricht von einem , Angriff auf zentrale Bestandteile des Marxschen Denkens" (ebd., S. 85). Eher wenige deutsche ÄTap/toZ-Interpreten beziehen sich eher positiv auf Althusser. Zwei Beispiele: Hermann

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Jahren und im Grunde bis in die Gegenwart, in denen zudem bisweilen ein emphatischer und positiver Hegelbezug eine wichtige Rolle spielte, verhinderte eine Hegemonie des Althusserianismus in der deutschsprachigen Marx-Diskussion. Insgesamt betrachtet wirkte sich Althussers Marx-Lektüre und ihre breite internationale Rezeption auf zwiespältige Art und Weise aus. Einerseits lenkte Althusser die Aufmerksamkeit auf die oft vernachlässigte epistemologische Problematik und lieferte mit dem Begriff des „theoretischen Feldes" ein Konzept, das innerhalb der späteren Ansätze von Michael Heinrich oder des von letzterem beeinflussten Südkoreaners No-Wan Kwack rezipiert und weiterentwickelt werden konnte. Andererseits beeinträchtigte Althusser den Blick auf bestimmte Fragestellungen. In diesem Kontext wäre vor allem Althussers problematische Sichtweise auf die Marxsche Fetischismustheorie zu nennen, der Althusser kritisch gegenüberstand. Dessen an Kapital-Leser gerichtete Anweisung - er selbst macht deutlich, dass es sich hier um mehr als einen bloßen Ratschlag handelt - , die Lektüre nicht mit dem Abschnitt über Ware und Geld, sondern mit dem zweiten Abschnitt, dem über die Verwandlung von Geld in Kapital, zu beginnen, 336 kann als Kuriosum in der Geschichte der internationalen Kapital-Lektüre erwähnt werden. 337 In Bezug auf die Unterbewertung der Marxschen Fetischismustheorie durch Althusser ist indes nachzutragen, dass der aus der Althusser-Schule stammende Philosoph Etienne Balibar in seiner 1993 erschienenen Studie über Marx dessen Theorie des Fetischismus in besserem Licht erscheinen ließ und sie folgendermaßen charakterisierte: „It is not merely a high point of Marx's philosophical work, entirely integrated into his .critical' and scientific' work, but one of the great theoretical constructions of modern philosophy." 338 Die wenige Jahre nach der erstmaligen Publikation von Lire Le Capital (1965) angelaufene westeuropäische GRW«I/RME-Rezeptionswelle erfasste auch Frankreich.339 Dieses Manuskript erschien erstmals 1967/68 in französischer Übersetzung. Für Althusser stand

Kocyba, Widerspruch und Theoriestruktur. Zur Darstellungsmethode im Marxschen „Kapital", Frankfurt/M. 1979; Frieder Otto Wolf, Am „Kapital" arbeiten! Einführende Notizen zu Althussers Kapital-Text, in: Prokla 50 (1983), S. 127ff. 336 Siehe Louis Althusser, Avertissement aux lecteurs du Livre I du Capital, in: Karl Marx, Le Capital. Livre I, Paris 1969, S. 7ff. 337 Zum Darstellungsanfang des Kapital äußerte sich Althusser auch noch 1978: Louis Althusser, Marx dans ses limites (1978), in: Louis Althusser, Écrits philosophiques et politiques, Bd. I, Paris 1994, S. 390ff. 338 Etienne Balibar, The Philosophy of Marx, London, New York 1995, S. 56. Balibar hatte sich 1974 ausfuhrlich mit der Marxschen Fetischismustheorie auseinandergesetzt: Etienne Balibar, Über historische Dialektik. Kritische Anmerkungen zu Lire le Capital, in: Urs Jaeggi, Axel Honneth (Hg.), Theorien des historischen Materialismus, Frankfurt/M. 1977, S. 294ff. Auf die Entwicklung von Balibars Auffassungen zur Fetischismusproblematik kann hier nicht eingegangen werden. 339 Siehe z. B. J. Semprun, Economie politique et philosophie dans les „Grundrisse" de Marx, in: L'Homme et la société 7 (1968), S. 59ff. In einer späteren Arbeit widmete Henri Denis den Grundrissen und dem spätestens seit 1957 in französischer Übersetzung vorliegenden Urtext von Zur Kritik große Aufmerksamkeit: Henri Denis, L'„Economie" de Marx. Histoire d'un échec, Paris 1980, S. 55ff. bzw. 121ff. Zur französischen Beschäftigung mit den Grundrissen·. André Tosel, La réception des Grundrisse en France, in: La Pensée 355 (2008), S. 83ff.

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allerdings weniger diese Schrift, sondern eher Das Kapital im Vordergrund.340 Der Philosoph Lucien Sève erhebt gegenüber Althusser einen schweren Vorwurf: „Althusser n'a jamais lu les Grundrisse, au vrai sens fort du mot lire, si l'on excepte quelques textes comme bien sur l'Introduction de 1857, à propos de laquelle il a écrit des pages marquantes."341 Der Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Lucien Sèves Behauptung kann hier nicht nachgegangen werden. In der neueren französischen Marx-Debatte hat sich Jacques Bidet mit einem ihm zufolge sowohl von französischen als auch von internationalen (u. a. italienischen, japanischen, deutschen) Denkern vertretenen Theorieansatz auseinandergesetzt, der für ihn darin besteht, dass diese Theoretiker „seek the truth of Capital in the texts that precede it, these being characterised by a far more intensive use of concepts drawn from the Hegelian tradition in Marx's elaboration of the theory of capitalism."342 Natürlich ist in diesem Kontext - so darf ergänzt werden - insbesondere an das GnwiHsje-Manuskript zu denken, an dessen internationale Rezeption sowie an dessen Stellenwert für eine „hegelianisierende" Marx-Interpretation (mit Blick auf letzteren Aspekt sei z. B. an den japanischen Philosophen und Ökonomen Hiroshi Uchida erinnert). Die Diskussion um Althussers theoretische Eingriffe entfaltete sich schon bald nach der Veröffentlichung von Pour Marx und Lire Le Capital.343 Allerdings kam unter französischen Marxisten auch Kritik an der Theoriebildung von Althusser auf.344 Als ein Beispiel für eine Althusser-kritische Haltung kann auch der marxistische Ökonom Paul Boceara genannt werden. Mit seiner eigenen Marx-Interpretation von Anfang der 60er Jahre345 ging Boceara auf die Problematik der Marxschen Aufbaupläne ein. Er favorisierte zudem eine logisch-historische Lesart der Darstellung des Kapital. „Um zu erklären, dass sowohl ,Das Kapital' als auch ,Zur Kritik der politischen Ökonomie' mit der Analyse der Ware beginnen, genügt es nicht zu sagen, dass die Ware die ökonomische Form des Produkts, also das Band zwischen allen ökonomischen Beziehungen, das fundamentalste' im ökonomischen Leben ist." Boceara fährt fort: „Man muss vor allem sehen, dass die Warenproduktion der kapitalistischen Produktion historisch vorausgeht und deren Ausgangspunkt bildet. Der historische Ausgangspunkt liefert demnach auch den logischen Ausgangspunkt."346 Bocearas Deutung weist in diesem Zusammenhang

340 Siehe Bernard Guibert, „Die Eule der Minerva fliegt in der Dämmerung" - Eine symptomale Lektüre der „symptomalen Kapital-Lektüre" in Frankreich, in: Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf (Hg.), Das Kapital neu lesen - Beiträge zur radikalen Philosophie, S. 77. 341 Lucien Sève, Penser avec Marx aujourd'hui: I. Marx et nous, Paris 2004, S. 29 (Herv. im Original). 342 Jacques Bidet, The Dialectician's Interpretation of Capital, in: Historical Materialism 13/2 (2005), S. 124. 343 Als ein Beispiel fur die Diskussion noch vor dem Mai 1968 kann genannt werden: Jean-Claude Forquin, Lecture d'Althusser, in: Dialectique marxiste et pensée structurale (à propos des travaux d'Althusser), Paris 1968, S. 7ff. 344 Siehe ζ. Β. Denise Avenas, Alain Brossât, Les malsaines „lectures" d'Althusser, in: Sur la Méthode 9 (1972), S. 64ff. 345 Also noch vor Lire Le Capital enstand. 346 Paul Boceara, Studien über „Das Kapital", Frankfurt/M. 1982, S. 35.

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in eine ähnliche Richtung wie Engels' mangelhafte Interpretation der Marasche Methode, die trotz ihres problematischen Gehalts auf den traditionalistischen Marxismus großen Einfluss ausübte. In der französischen Marx-Debatte der 70er Jahre beschäftigte sich Michel Vadée mit der werkhistorischen Entwicklung der kritischen Theorie der Abstraktion bei Marx, während Francois Ricci in seiner Untersuchung zur logischen Struktur des Darstellungsanfangs des Kapital den Versuch unternahm, verschiedene Ebenen im Marxschen Denken zu differenzieren.347 Suzanne de Brunhoff hatte bereits 1967 eine vielrezipierte geld- und kredittheoretische Studie zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie vorgelegt.348 Dem Ökonomen Gérard Duménil ging es gegen Ende der 70er Jahre in seiner Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie um die Herausarbeitung des ökonomischen Gesetzesbegriffs, der sich im Marxschen Hauptwerk finde. In seiner Studie zielt Duménil auf die Erkenntnis der spezifischen Logik des Marxschen Denkens im Kapital ab.349 Ein erstmals 1976 publiziertes zweibändiges Werk des nichtmarxistischen Philosophen Michel Henry, der das Denken von Karl Marx grundsätzlich vom Marxismus abgrenzt, beinhaltet eine Interpretation sowohl des Marxschen Frühwerks wie auch zu dessen reifer Ökonomiekritik.350 Nachdem Jacques Rancière bereits 1965 in seinem Beitrag zu Lire Le Capital351 eine fetischismustheoretische Marx-Lektüre präsentiert hatte und Pierre Macherey auf das Problem des Darstellungsanfangs bei Marx eingegangen war, erhielt seit den 70er Jahren eine intensive Beschäftigung mit der Marxschen Fetischismustheorie, mit seiner Wertformtheorie und mit dem „Anfang" des Kapital Auftrieb. Von Bedeutung war in diesem Kontext die von Paul-Dominique Dognin im Jahr 1977 vorgenommene Edition und Kommentierung des Kapital-Anfangs (inklusive der Wertformanalyse) aus der Erstauflage von 1867.352 Dieser Text, dessen Kenntnis für die Deutung der Entwicklungsgeschichte der Marxschen Werttheorie von entscheidender Bedeutung ist, war bis dahin in der französischen Debatte nur wenig bekannt. Insbesondere in den 70er bis 90er Jahren bahnte sich die Entwicklung einer wichtigen Strömung der Marx-Interpretation an.

347 Siehe Vincent von Wroblewsky, Diskussionen in Frankreich um die Logik bei Marx, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 25/9 (1977), S. 1125f. u. 1127Í 348 Eine englischsprachige Fassung erschien 1976: Suzanne de Brunhoff, Marx on Money, New York 1976, S. 19ff. 349 Siehe Gérard Duménil, Le concept de loi économique dans „Le Capital" (avant-propos de Louis Althusser), Paris 1978. 350 Siehe Michel Henry, Marx. I: Une philosophie de la réalité, Paris 1976; Michel Henry, Marx. II: Une philosophie de l'économie, Paris 1976. 351 Siehe Jacques Rancière, Der Begriff der Kritik und die Kritik der politischen Ökonomie von den „Pariser Manuskripten" zum „Kapital". Ingo Elbe geht ausführlich und würdigend auf diesen Beitrag Rancières ein (siehe Marx im Westen, S. 58ff.) und gesteht dem französischen Denker zu, in seiner Marx-Interpretation mit dem auf Engels zurückgehenden traditionellen Verständnis der Marxschen Darstellung als „logisch-historische" Darstellung gebrochen zu haben. 352 Siehe Paul-Dominique Dognin, Les „Sentiers escarpés" de Karl Marx. Le chapitre I du „Capital" traduit et commenté dans trois rédactions successives, 2 Bd., Paris 1977.

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Der 2004 verstorbene Theoretiker Jean-Marie Vincent353 gehörte zu denjenigen französischen Marx-Interpreten, die eine ganz andere Position zur Marxschen Fetischtheorie einnahmen als Althusser, der diese unterbewertete. Vincent eröffnete eine fetischismustheoretisch zugespitzte Perspektive auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie. Auf ein zentrales Werk von Tran Hai Hac als eine der elaboriertesten Schriften aus der fetisch- und formtheoretischen Interpretationsströmung in der französischen Marx-Rezeption wird später genauer einzugehen sein. Die Herausbildung dieser Interpretationsrichtung ist als ein entscheidender theoretischer Fortschritt in der französischen MarxDiskussion zu begreifen. Dass die form- und fetischtheoretische Interpretation innerhalb der französischen Rezeption der Kritik der politischen Ökonomie in jüngster Vergangenheit fortgeführt wurde, zeigen die Ansätze von Antoine Artous354 und Alain Bihr355. Es ist erwähnenswert, dass in der französischen Marx-Beschäftigung der 1980er Jahre auch die ab 1975 erscheinende MEGA2-Edition zur Kenntnis genommen wurde. Beispielsweise setzte sich der französische Germanist und Kapital-Übersetzer Jean-Pierre Lefebvre mit der MEGA2 auseinander.356 Generell ist mit Blick auf die französische Marx-Beschäftigung seit den 80er Jahren jedoch vor allem der wichtige Beitrag zur Rezeption der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie anzusprechen, der in Frankreich seit diesem Jahrzehnt in Gestalt der Theoriebildung von Jacques Bidet357 entstand. Der französische Denker gründete in den 80er Jahren (zusammen mit Jacques Texier) die Zeitschrift Actuel Marx, die als bedeutendes Periodikum im Hinblick auf die Bekanntmachung des französischen Publikums u. a. mit der japanischen, der chinesischen, der italienischen und der angelsächsischen Marxismus-Debatte eine Rolle spielte; auch der deutschen Marx-Diskussion wurde und wird dort Aufmerksamkeit zuteil.358 Bidets

353 Zu seinen Hauptwerken gehören u. a.: Jean-Marie Vincent, Fétichisme et société, Paris 1973; JeanMarie Vincent, Abstract Labour. A Critique, Basingstoke/Großbritannien 1991 ; Jean-Marie Vincent, Un autre Marx. Après les marxismes, Lausanne 2001. 354 Siehe Antoine Artous, Le fétichisme chez Marx. Le marxisme comme théorie critique, Paris 2006; Antoine Artous, Le marxisme comme théorie critique, o. 0 . 2 0 0 4 , im Internet: http:// semimarx.0ee.fr/ IMG/pdCARTOUS_Le_marxisme_comme_theorie_critique_CC_l 73_ete_2004_.pdf (letzter Zugriff: 5.8.2008). 355

Siehe Alain Bihr, La critique du fétichisme économique, fil rouge du Capital, o. O. 2007, im Internet: http://netx.u-parisl0.fr/actuelmarx/cm5/com/M15_Philo_Bihr.pdf (letzter Zugriff: 28.5. 2008); Alain Bihr, La reproduction du capital. Prolégomènes à une théorie générale du capitalisme, Lausanne 2001.

356 Siehe Jean-Pierre Lefebvre, Présentation du corpus, in: Georges Labica (Hg.), 1 8 8 3 - 1 9 8 3 . L'oeuvre de Marx, un siècle après, Paris 1985, S. 2Iff. 357 Siehe u. a. Jacques Bidet, Théorie de la modernité suivi de Marx et le marché, Paris 1990; Jacques Bidet, Théorie générale. Théorie du droit, de l'économie et de la politique, Paris 1999; Jacques Bidet, Que faire du Capital? Philosophie, économie et politique dans Le Capital, Paris 2000; Jacques Bidet, Explication et reconstruction du „Capital", Paris 2004. 358 So liefert etwa ein neuerer Beitrag Michael Krätkes einen Einblick in die Spätphase der Marxschen Beschäftigung mit der Kritik der politischen Ökonomie: Michael R. Krätke, Le dernier Marx et Le Capital, in: Actuel Marx 37 (2005), S. 145ff. Ein wichtiger „autochthoner" Beitrag stammt beispielsweise von Emmanuel Renault (Marx et les critiques de l'économie politique, in: Actuel

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eigene Theoriebeiträge werden zwar durchaus auch in Deutschland zur Kenntnis genommen,359 in anderen Ländern aber intensiver rezipiert. Jacques Bidets Studie Que faire du Capital? erschien erstmals im Jahr 1985. Diese Arbeit bezieht sich aber keineswegs allein auf das Kapital selbst, sondern der Gegenstand des französischen Marx-Interpreten in dieser Studie ist die Kritik der politischen Ökonomie, wie sie in Form Marxscher Texte aus dem Zeitraum von 1857 bis 1875 vorliegt. Neben den Grundrissen wären in diesem Zusammenhang insbesondere das (die Theorien über den Mehrwert enthaltende) Manuskript von 1861-1863, das sog. Manuskript von 1863 -1865 sowie der erste Kapital-Band in der ersten und in der zweiten deutschen Ausgabe und in der französischen Ausgabe von 1872-1875 zu nennen. Obwohl der hier abgesteckte Zeitrahmen der Theoriebildung in die „reife" Periode von Marx falle, findet darin - Bidet zufolge - eine Reihe von Brüchen statt. Mittlerweile gilt Que faire du Capital? in der internationalen Marx-Diskussion als Standardwerk und wurde auch in serbokroatischer, japanischer, koreanischer und englischer Übersetzung publiziert.360 Auf die theoretische Weiterentwicklung Bidets seit der ersten Auflage von Que faire du Capital? kann hier im Einzelnen nicht eingegangen werden. Es genügt zu konstatieren, dass sich Bidets Ansatz mittlerweile in die Richtung einer Ausweitung und fundamentalen „Neubegründung" der Marxschen Theorie ausgebildet hat. Ein neuerer Text des Franzosen skizziert seinen in den letzten Jahren erfolgten Versuch, an Marx anknüpfend über Marx selbst hinauszugehen.361 Die Darstellungslogik des Kapital wird von Bidet im Sinne einer dreistufigen Dialektik von erstens „Metastruktur"362 bzw. Voraussetzung, zweitens „Struktur" und drittens „Praktiken" interpretiert. Der Gegenstand des ersten Kapital-Abschnitts sei etwas Allgemeines, Abstraktes, eben die „Metastruktur". Diese „Metastruktur" bestehe „in einer Gesellschaft, die letztlich von Warenproduzenten gebildet wird, die sich in ihrem Warenaustausch gegenseitig als Freie, Gleiche und rationell Handelnde anerkennen."363 Indes werde die warenförmige „Metastruktur" letztlich durch die kapitalistische „Struk-

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Marx 27 [2000], S. 153ff.). Im Kontext der Berücksichtigung des Kritikcharakters der Marxschen Theorie untersucht Renault Kritikperspektiven bzw. Kritiktypen sowohl beim jungen wie auch beim reiferen Marx. Siehe ζ. B. Helmut Reichelt, Zur strukturalistischen Erneuerung des Marxismus, in: Marx-EngelsForschung heute 4, Frankfurt/M. 1992, S. 120ff. Die englische Übersetzung von Que faire du Capital? erschien unter dem Titel: Exploring Marx's Capital. Philosophical, Economic and Political Dimensions, Leiden/Niederlande 2007. Siehe Jacques Bidet, Die metastrukturale Rekonstruktion des Kapital, in: Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stiitzle, Frieder Otto Wolf (Hg.), Das Kapital neu lesen - Beiträge zur radikalen Philosophie, S. 146ff. Dieser Aufsatz fasst einige wichtige Gedanken aus Explication et reconstruction du „ Capital " zusammen. Zu seinem Zentralbegriff der „Metastruktur" hat sich Bidet auch schon in früheren Publikationen geäußert: Jacques Bidet, Für eine allgemeine Theorie der modernen Gesellschaft, in: Dialektik 1992/3, S. 67ff.; Jacques Bidet, Für eine metastrukturale Theorie der Moderne, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 39 (1991), S. 133Iff. Jacques Bidet, Die metastrukturale Rekonstruktion des Kapital, S. 147.

2 . 5 . ITALIEN, FRANKREICH UND WEITERE WESTEUROPÄISCHE LÄNDER

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tur" gesetzt und verallgemeinert. Der im Kapital vollzogene Übergang vom Geld zum Kapital wird von Bidet als Übergang von der „Metastruktur" zur „Struktur" aufgefasst. Die Ebene der „Struktur" umfasst die Klassenverhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft, von denen auf der Ebene der „Metastruktur" abgesehen wurde. Die „Struktur" wiederum werde durch „Praktiken" reproduziert, durch den Prozess der kapitalistischen Produktion. Bidet kritisiert in seinem Aufsatz von 2006 den Anfang der Marxschen Darstellung. Bidet fuhrt aus: „So plausibel mir dieser Anfang der Darstellung ist, kritisiere ich doch den ,einseitigen', weil ,unipolaren' Charakter, den er aufweist, obwohl doch eigentlich zwei Pole berücksichtigt werden müssten."364 Damit bezieht sich Bidet einerseits auf die „Marktform" und andererseits auf die „Form der Organisation". „Die ,Form der Organisation' besitzt einen gleichermaßen abstrakten und somit der weitergehenden Analyse vorausgesetzten Charakter wie die ,Marktform'. Es ist ganz befremdlich, dass Marx erst im Abschnitt IV des ersten Bandes des Kapital die Organisation entdeckt und sie unter dem Stichwort Cooperation' behandelt."365 Der Darstellungsanfang müsse erweitert werden, er solle beide Pole umfassen. Mit der Monographie Explication et reconstruction du „ Capital " von 2004 setzte Jacques Bidet also seine Kapital-Lektüre fort. Durch sein Werk von 2004 eröffnet Bidet einerseits die Perspektive auf eine Explikation, andererseits aber auch - darüber hinausgehend - auf eine Rekonstruktion.366 Hier legt Bidet seine Kritik an Marx dar, weil dieser zu Anfang von Das Kapital in einseitiger Art und Weise auf die Marktseite fokussiere und die der Organisation eher außer Acht gelassen habe. Bidet begnügt sich nicht mit einer Rekonstruktion im Sinne einer „Korrektur", sondern seine Rekonstruktion sieht vor allen Dingen eine „Erweiterung" vor. Das Kapital könne „only tackle the questions it presents on condition of being reconstructed on an expanded basis, according to the twin .poles' of the metastructure" - damit meint Bidet die Pole von Markt und Organisation - , „and its twin ,aspects', economic and legal-political."367 Eine wirklich breite Rezeption von Bidets Theoriebildung der letzten ca. zehn Jahre steht hierzulande noch aus. 2.5.3. Weitere westeuropäische Länder In Skandinavien ist vor allem eine dänische Theorieströmung als ein eigenständiger methodologischer Interpretationsansatz zur Marxschen Ökonomiekritik hervorzuheben, auch wenn sich diese Richtung in den 1970er Jahren vor dem Hintergrund der theoretischen Wirkung der westdeutschen Marx-Diskussion herausgebildet hat. Unter dem Einfluss der westdeutschen Neuen Marx-Lektüre entwickelte sich damals in Dänemark die Strömung der „Kapitallogik". Unter dem Einfluss der Dissertation von Reichelt (aber auch der Monographie Rosdolskys), sowie unter dem Eindruck der Grundrisse-Rezeptions364 365 366 367

Ebd., S. 149. Ebd., S. 149f. Siehe Jacques Bidet, Explication et reconstruction du „Capital", S. 149ff. Jacques Bidet, Exploring Marx's Capital, S. xxif. Dieses Zitat stammt aus einem Vorwort von 2006.

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2 . DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

welle der 1960er und 70er Jahre erarbeitete ζ. B. Hans-Joergen Schanz eine eigenständige theoretische Position. 3 6 8 Die „Kapitallogik" stand dem auch in der dänischen Marxismus-Debatte vorhandenen Anknüpfiingsversuch an Louis Althusser kritisch gegenüber. 369 Im Diskurs der „Kapitallogik" befanden sich (ähnlich wie in der westdeutschen Debatte um Hans-Georg Backhaus 3 7 0 u. a.) die Programmatik eines Rekonstruktionsvorhabens zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie sowie Ansätze einer form- bzw. fetischtheoretischen Marx-Lektüre im Vordergrund. Als größerer intellektueller Zusammenhang erlebte die „Kapitallogik" - trotz der bis in die jüngere Vergangenheit anhaltenden Beschäftigung dänischer Marx-Interpreten mit der Methode der Marxschen Ökonomiekritik und mit der Wertformproblematik - ab den 1980er Jahren ihren Niedergang. In Deutschland ist der Diskurs der dänischen „Kapitallogiker" trotz der thematischen Schnittstellen mit Teilen der westdeutschen Marx-Debatte und damit trotz inhaltlicher Anschlussfahigkeit kaum zur Kenntnis g e n o m m e n worden. 3 7 1 Indes rezipierte die spätere dänische „Kapitallogik" ihrerseits weitere Forschungsansätze aus dem Umkreis der westdeutschen N e u e n Marx-Lektüre, w i e etwa des deutsch-australischen Arbeitszusammenhangs „Projekt Sydney-Konstanz". 3 7 2

368 Siehe Hans-Joergen Schanz, Til rekonstruktion af kritikken af den politiske oekonomisk omfangslogiske status, Aarhus 1973. „Ein weiterer Vertreter dänischer Kapitallogik war" - neben Schanz „Anders Lundkvist, der wie Schanz sich eng an Reichelt anschließt", so Vesa Oittinen, Kapitallogik (II), in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 7/1, Hamburg 2008, Sp. 357. Siehe auch Anders Lundkvist, Introduktion til metoden i Kapitalen, Aarhus 1973. 369 Ein Einblick in die dänische Debatte um Althusser und die Kapitallogik lässt sich gewinnen aus: Lars-Henrik Schmidt, Filosofikritisk Rekonstruktion. Om Althusser og Kapitallogikken, Kopenhagen 1977. 370 Dessen frühe Arbeiten waren in der skandinavischen Diskussion relativ bekannt. 371 Immerhin erwähnte der ostdeutsche Philosoph Peter Ruben das oben genannte Buch von Schanz: Peter Ruben, Über Methodologie und Weltanschauung der Kapitallogik, in: Sozialistische Politik 42 (1977), S. 41. 372 Abschließend einige generelle Hinweise zur skandinavischen Marx-Beschäftigung. Zur MarxEdition in Dänemark siehe Gerd Caliesen, Über die Verbreitung der Werke von Marx und Engels in Dänemark, in: Marx-Engels-Jahrbuch 10, Berlin/Ost 1987, S. 339ff. Eine neuere dänische Studie zur Marxschen Ökonomiekritik ist in deutscher Sprache erschienen: Raymond Swing, Formale und generative Dialektik. Mit Marx über Marx hinaus, Kopenhagen 2006. Die Frage des Verhältnisses von Logischem und Historischem in der Kritik der politischen Ökonomie war in den 80er Jahren auch in Finnland präsent (siehe Veikko Pietilä, The Logical, the Historical and the Forms of Value - Once Again, in: Sakari Hänninen, Leena Paldan [Hg.], Rethinking Marxism, Berlin, New York, Bagnolet/Frankreich 1984, S. 62ff.). Seit 1997 existiert in Finnland eine „Marx-Gesellschaft" („Karl Marx-Seura") als wissenschaftliche Vereinigung. Das wohl bekannteste Werk der schwedischen Marx-Engels-Forschung, Motsatsernas Spei von Sven-Eric Liedman, erhielt nach der Erstveröffentlichung im Jahr 1977 in Skandinavien viel Aufmerksamkeit. Es existiert eine deutsche Kurzfassung: Sven-Eric Liedman, Das Spiel der Gegensätze. Friedrich Engels' Philosophie und die Wissenschaften des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/M. u. a. 1986. Liedman bezieht sich darin auch auf die Marasche Einleitung von 1857, die das berühmte „Methodenkapitel" enthält. Siehe ebd., S. 44ff. Auch ein norwegischer Autor geht auf die Marxsche Einleitung von 1857 ein: Joergen Sandemose, Totalitet og metode. Tre essays om Marx' hovedverk, Oslo 2007.

2.5. ITALIEN, FRANKREICH UND WEITERE WESTEUROPÄISCHE LÄNDER

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Eine Auseinandersetzung mit der Methode der Marxschen Ökonomiekritik fand in der Schweiz bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg statt.373 In der 1970 erschienenen Neuauflage von Otto Morfs Studie ist diese um einen Anhang zu den Grundrissen ergänzt, 374 die erst durch die Ostberliner Ausgabe von 1953 einem größeren Leserkreis außerhalb der Sowjetunion zugänglich geworden waren. Dort begreift er die Grundrisse obgleich er sich des vorläufigen und „experimentellen" Charakters dieses Rohentwurfs bewusst ist - als „methodologisch aufschlussreiche^] Bindeglied zwischen den Frühund Spätschriften" 375 von Marx. Morf thematisiert insbesondere den spezifischen Zusammenhang der Kategorien Kapital, Grundeigentum und Lohnarbeit, welche in den ersten drei Büchern des Marxschen 6-Bücher-Plans dargestellt werden sollten, die Morf fur die wichtigsten hält. In den 70er Jahren betrachtete Anton Fischer, ein weiterer MarxInterpret aus der Schweiz, die Marxsche Analyse der kapitalistischen Produktionsweise als eine Formanalyse. Fischer ging u. a. auf die von Marx theoretisierte Fetischismusproblematik ein und widmete der Marxschen Analyse der Wertform seine Aufmerksamkeit. 376 Ein schweizerischer Beitrag aus jüngerer Vergangenheit fokussiert auf einen Textabschnitt aus der Einleitung von 1857, welche der Arbeit an den Grundrissen vorausging. 377 Der inzwischen hierzulande zumindest in Fachkreisen bekannte schweizerische Kommentar zum Marxschen „Methodenkapitel" - Anfang der 90er Jahre vorgelegt von Judith Janoska, Martin Bondeli, Konrad Kindle und Marc Hofer - gehört generell zu den wichtigsten deutschsprachigen Beiträgen zur methodologischen Marx-Diskussion. M. E. handelt es sich bei diesem Standardwerk um die ambitionierteste Untersuchung des „Methodenkapitels" nicht nur in der deutschsprachigen, sondern in der gesamten internationalen Forschung. 378 Auf diesen historischen und systematischen Textkommentar wird in der vorliegenden Studie noch eingegangen.

373 Siehe Otto Morf, Geschichte und Dialektik in der politischen Ökonomie. Zum Verhältnis von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte bei Karl Marx, Frankfurt/M. 1970. Bis auf die für die Ausgabe von 1970 ergänzten Anhänge liegt diesem Buch die ursprüngliche Ausgabe von 1951 zugrunde. 374 Siehe ebd., S. 171ff. 375 Ebd., S. 221. 376 Siehe Anton M. Fischer, Der reale Schein und die Theorie des Kapitals bei Karl Marx, Zürich 1978. 377 Falls die Datierungen in MEGA2 II.l stimmen sollten. Einige Forschungen aus der Sowjetunion laufen hingegen darauf hinaus, dass Marx die Grundrisse bereits Jahresanfang 1857 begonnen habe. Siehe dazu Lyudmila L. Vasina, Russia and the Soviet Union [Dissemination and reception of the Grundrisse in the world], in: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx's Grundrisse, S. 207. 378 Siehe Judith Janoska, Martin Bondeli, Konrad Kindle, Marc Hofer, Das „Methodenkapitel" von Karl Marx. Ein historischer und systematischer Kommentar, Basel 1994. Bereits bei Otto Morf spielte die Untersuchung des Marxschen „Methodenkapitels" eine wichtige Rolle (Otto Morf, Geschichte und Dialektik in der politischen Ökonomie, S. 37ff.).

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Seit den 90er Jahren hat sich im Umkreis der griechischen Theoriezeitschrift Theseis eine beachtenswerte Forschungsaktivität zur Marxschen Ökonomiekritik entwickelt, die durch die Präsenz ihrer wichtigsten Repräsentanten in deutschen Publikationen dem Fachpublikum hierzulande zumindest teilweise bekannt sein dürfte. Jannis Milios, Dimitri Dimoulis und Georgios Economakis haben im Jahr 2002 ihre wichtigsten Arbeiten zusammengestellt und in Form einer Monographie dem internationalen Publikum zugänglich gemacht.379 Ein Teil der dort vorgelegten Ansätze ist von der Althusser-Schule sowie besonders von der Marx-Interpretation Michael Heinrichs beeinflusst. Die Marxsche Ökonomiekritik wird in der Interpretation der Griechen auf grundsätzliche Art und Weise von der politischen Ökonomie abgehoben. Marx habe das „theoretische Feld" der politischen Ökonomie transzendiert und „the formation of a new theoretical domain"380 geleistet sowie eine spezifisch monetäre Werttheorie entwickelt, bei welcher der innere Zusammenhang von Wert- und Geldtheorie im Mittelpunkt steht. Der Stellenwert des Geldes ist herauszustreichen: „The Marxian analysis does not [...] entail reproduction of the barter model", „since it holds that exchange is necessarily mediated by money. This amounts to a monetary theory of the capitalist economy (a monetary theory of value) since money is interpreted as an intrinsic and necessary element in capitalist economic relations."381 Milios versteht die Marxsche Arbeitswertlehre im Sinne einer monetären Werttheorie, die einen radikalen Bruch mit und eine radikale Kritik von David Ricardos Werttheorie impliziere. Jedoch gebe es - so argumentieren Milios et al. in ihrer Monographie - trotz des theoretisch grundsätzlichen Fortschritts über die klassische politische Ökonomie hinaus durchaus Ambivalenzen im Marxschen Werk. In Manuskripten aus dem Zeitraum von 1861-1865 sei Marx bei der Bearbeitung bestimmter theoretischer Probleme in einen ricardianischen werttheoretischen Ansatz zurückgefallen - in eine Art „sophisticated version of the Ricardian Political Economy of value as ,labour expended'". 382 Die theoretischen Schwachpunkte bei Marx dürfen den griechischen Autoren zufolge nicht ausgeblendet werden: „Every ,sanctifying' attitude towards Marx, presenting him as the inculpable master [...] practically blurs the scientific and heuristic kernel of Marx's analysis, as it identifies it with the Ricardian element, present in some of his elaborations."383 Im Zusammenhang mit der Marxschen Behandlung der Problematik der Trans-

379 Siehe John Milios, Dimitri Dimoulis, George Economakis, Karl Marx and the Classics. An Essay on Value, Crises and the Capitalist Mode of Production, Burlington/USA 2002. Ihre zentralen Thesen hinsichtlich des Marxschen Verhältnisses zur ökonomischen Klassik habe ich an anderer Stelle skizziert: Jan Hoff, Kritik der klassischen politischen Ökonomie. Zur Rezeption der werttheoretischen Ansätze ökonomischer Klassiker durch Karl Marx, Köln 2004, S. 115f. 380 John Milios, Dimitri Dimoulis, George Economakis, Karl Marx and the Classics, S. viii. 381 Ebd., S. 28. Zur monetären Werttheorie bei Marx siehe auch Jannis Milios, Die Marxsche Werttheorie und das Geld. Zur Verteidigung der These über den endogenen Charakter des Geldes, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Neue Aspekte von Marx' Kapitalismus-Kritik (= Beiträge zur MarxEngels-Forschung. Neue Folge 2004), Hamburg 2006, S. 101. 382 John Milios, Dimitri Dimoulis, George Economakis, Karl Marx and the Classics, S. ix. 383 Ebd., S. 208.

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formation von Werten in Produktionspreise sehen die Autoren eine kategoriale Konfusion. 3 8 4 A u c h die Marxsche Grundrententheorie wird v o n ihnen als defizitär betrachtet: „Marx's analysis on ground rent and especially the part of it on absolute ground rent is one o f the weakest points in his w h o l e economic work." 3 8 5 N e b e n der Darstellung der kategorialen Struktur v o n Ware, Geld und Kapital, einer gründlichen Auseinandersetzung mit der Problematik des Fetischismus 3 8 6 sowie mit Themen des dritten KapitalBandes wird v o n Milios et al. der krisentheoretischen Dimension der Kritik der politischen Ökonomie große Aufmerksamkeit gewidmet. Darauf wird in Teil 3 der vorliegenden Studie noch eingegangen. 3 8 7

2.6. Lateinamerika und Spanien 2.6.1. Lateinamerika In der Geschichte der lateinamerikanischen Diskussion zur Kritik der politischen Ökonomie sind Mexiko, Argentinien und Brasilien die wichtigsten Länder. 388 In Brasilien 3 8 9 hatte sich ab den späten 50er Jahren eine B e w e g u n g der Kapital-Lektüre entfaltet, an der j u n g e Intellektuelle w i e etwa der Philosoph José Artur Giannotti oder auch der 384 Siehe ebd., S. 119. 385 Ebd., S. 140. 386 Siehe ebd., S. 67ff. Siehe auch Dimitri Dimoulis, Jannis Milios, Werttheorie, Ideologie und Fetischismus, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx' Ökonomiekritik im Kapital (= Beiträge zur MarxEngels-Forschung. Neue Folge 1999), Hamburg 2000, S. 12ff. 387 Ein weiterer an Marx orientierter Theoretiker aus Griechenland, der - zumindest teilweise - intellektuelle Wurzeln in der westdeutschen Diskussion der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie hatte, war Kosmas Psychopedis. Der im Jahr 2004 verstorbene Denker stand dem bereits kurz vorgestellten internationalen „Open Marxism"-Projekt nahe und war in seinem Theorieverständnis von Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt beeinflusst. Siehe Kosmas Psychopedis, Das politische Element in der Darstellung dialektischer Kategorien, in: Joachim Bruhn, Manfred Dahlmann, Clemens Nachtmann (Hg.), Kritik der Politik. Johannes Agnoli zum 75. Geburtstag, Freiburg/Br. 2000, S. 59ff. Siehe auch Kosmas Psychopedis, Geschichte und Methode. Begründungstypen und Interpretationskriterien der Gesellschaftstheorie: Kant, Hegel, Marx und Weber, Frankfurt/M. 1984. Als wichtiger Protagonist der Marx-Interpretation aus Zypern kann Stavros Tombazos gelten. Siehe Stavros Tombazos, Le Temps dans l'Analyse économique. Les Catégories du Temps dans Le Capital, Paris 1994. 388 Ob Kuba ebenfalls in diese Reihe gehört, erscheint mir fraglich. Indes wird auf Kuba von der Philosophin Isabel Monal das Periodikum Marx ahora. Revista internacional herausgegeben, eine wissenschaftliche Zeitschrift zur Marx- und Marxismusforschung, die sich - wie schon der Zeitschriftentitel nahe legt - auf einen internationalen Autorenkreis stützt, darunter auch auf deutsche Forscher aus dem Umkreis des MEGA2-Projekts. 389 Mittlerweile liegt ein wichtiges Werk zahlreicher Autoren zur Geschichte marxistischer Politik und marxistischen Denkens in Brasilien vor, mit dem man sich einen Eindruck von der Bandbreite des brasilianischen Marxismus verschaffen kann: Historia do marxismo no Brasil, 6 Bd., Campinas 1995-2007.

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2 . DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

spätere Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso teilnahmen. Mit Blick auf die argentinische Marx-Rezeption der späten 50er Jahre ist auf Milciades Pena ( 1 9 3 3 - 1 9 6 5 ) hinzuweisen, der sich damals u. a. mit der Marxschen Entfremdungstheorie auseinandersetzte, wobei er sowohl den frühen wie auch den reifen Werkteil von Marx durch diese Theorie geprägt sah. 390 In Mexiko entwickelte sich besonders ab den 60er Jahren die Universidad Nacional Autonoma de Mexico (UNAM) zu einem der wichtigsten Zentren der an Marx orientierten Theoriebildung in ganz Lateinamerika.391 Andres Barreda berichtete in einem Forschungsüberblick von 1987, dass das Interesse, das es in Mexiko für das Marxsche Kapital bis dahin gegeben habe, „enorm" sei. 392 Die mexikanische Marxismus-Rezeption seit den späten 1960er Jahren wurde durch eine intellektuelle Konstellation mitbestimmt, innerhalb der ein für die marxistisch-philosophische Diskussion Mexikos maßgeblicher exil-spanischer Vertreter der vom Marxschen Frühwerk inspirierten Philosophie der Praxis - nämlich der bereits vorgestellte Adolfo Sanchez Vazquez393 - den lateinamerikanischen Vertretern der AlthusserSchule entgegenstand. 394 Das Kapital lesen war spätestens 1969 in Mexiko-City erschienen 395 und stieß dort, genauso wie das berühmte althusserianische „Lehrbuch" der Chilenin Marta Harnecker, schon bald auf großes Interesse und eine breite Rezeption. Sanchez Vazquez stand Althusser jedoch kritisch gegenüber. Ein weiterer wichtiger Teilnehmer der mexikanischen Marx-Debatte seit den 70er und 80er Jahren war und ist Bolivar Echeverría.396 Das Interesse des gebürtigen Ekuadorianers

390 Siehe Milciades Pena, Introducción al Pensamiento de Marx, Buenos Aires 2000. 391 Stefan Gandler berichtet, dass an der UNAM für den Studiengang Wirtschaftswissenschaft früher sieben Semester /TopitoZ-Lektüre obligatorisch gewesen seien. Siehe Stefan Gandler, Peripherer Marxismus, S. 78. 392 Siehe Andres Barreda, Entwicklung der Diskussion und Erforschung der Werke von Marx und Engels in Mexiko während der letzten drei Jahrzehnte, in: Internationale Marx-Engels-Forschung (Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF 12), S. 274. 393 Neben Sanchez Vazquez stammen zwei weitere bekannte Vertreter des lateinamerikanischen Marxismus ursprünglich aus Spanien. Erstens der 1992 verstorbene spanisch-mexikanische Theoretiker und Kapital-Übersetzer Wenceslao Roces. Wie Sanchez Vazquez lehrte er an der UNAM. Zu seiner Sicht auf das Kapital: Wenceslao Roces, La Filosofia de „El Capital". En el centenario de Marx, in: El Trimestre Economico 200 (1983), S. 1861ff.Zweitens der im selben Jahr verstorbene spanisch-venezolanische Philosoph Juan David Garcia Bacca. Zu diesem siehe Raúl FornetBetancourt, Ein anderer Marxismus?, S. 252ff. 394 Zur Althusser-Kritik des mexikanisch-spanischen Philosophen siehe Adolfo Sanchez Vazquez, Ciencia y revolución. El marxismo de Althusser, Madrid 1978. 395 In Havanna erschien es bereits 1966. 396 Siehe Stefan Gandler, Peripherer Marxismus, S. 200ff. Siehe auch Stefan Gandler, Verdinglichung und Ethos der kapitalistischen Moderne. Zur Lukacs-Rezeption in Lateinamerika, in: Frank Benseier, Werner Jung (Hg.), Lukacs 2000 (= Jahrbuch der Internationalen Georg-Lukacs-Gesellschaft), Bielefeld 2000, S. 95ff.; Stefan Gandler, Moderne und Kapitalismus aus Eurozentrismuskritischer Perspektive. Aktuelle Beiträge aus Mexiko zur Marxinterpretation, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geld - Kapital - Wert. Zum 150. Jahrestag der Niederschrift von Marx' ökonomischen

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Echeverría im Rahmen seiner Beschäftigung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie galt u. a. auch dem aus der Diskussion hierzulande hinreichend bekannten „Problem des Anfangs" der systematischen Darstellung der Marxschen Ökonomiekritik.397 Generell spielte und spielt in der lateinamerikanischen Diskussion von den 1970er Jahren bis heute die Diskussion des „Darstellungsanfangs" der Kritik der politischen Ökonomie eine wichtige Rolle - die diesbezügliche Interpretation von Enrique Dussel wird inzwischen international rezipiert (s. u.). Ein anderer lateinamerikanischer Wissenschaftler, Mario L. Robles Baez, kritisierte die „logisch-historische" Deutung der Marxschen Methode durch Friedrich Engels, die von der originär Marxschen Methode zu unterscheiden sei. Mit Blick auf das „Problems des Anfangs" sei der erste Abschnitt des ersten Kapital-Bandes keineswegs im Sinne des Konzepts der „einfachen Warenproduktion" als eines historischen Prius gegenüber der kapitalistischen Produktion zu verstehen.398 Obwohl Sanchez Vazquez das Schwergewicht seiner Forschung eher auf die Marxschen Frühschriften, Bolivar Echeverría das seiner Forschungstätigkeit hingegen großenteils - wenn auch nicht ausschließlich399 - auf das ökonomiekritische Spätwerk legte, stellten sich doch beide dem Althusserschen Argument von einem radikalen „Bruch" bzw. „Einschnitt" im Marxschen Werk entgegen und lehnten den Althusserianismus ab.400 Dennoch bleibt die bedeutende Rolle festzuhalten, die Althusser und seine chilenische Schülerin Harnecker in den späten 1960er und den 70er Jahren für die Entfaltung der kritisch-marxistischen Theoriediskussion in Lateinamerika spielten. Die Mexikanerin Fernanda Navarro beschreibt die damalige Situation folgendermaßen: „On pouvait se situer pour ou contre la position de l'auteur de Lire le Capital mais on ne pouvait pas l'ignorer. Au Mexique, comme dans la plupart des universités des métropoles comme

Manuskripten 1857/58 Grundrisse der Kritik der politischen Engels-Forschung. Neue Folge 2007), S. 28Iff.

Ökonomie (= Beiträge zur Marx-

397 Siehe Bolivar Echeverría, Comentario sobre el „Punto de Partida" de El Capital, in: Pedro Lopez Diaz u. a. (Hg.), El Capital. Teoria, estructura y metodo, Mexico City 1979, S. 29ff. „Bolivar Echeverría [...] ist der erste und fast der einzige Marxist, der die sehr reichhaltige marxistische Diskussion in Deutschland über die Kritik der Politischen Ökonomie wie auch den Nachlass aus der neuen MEGA intensiv zur Kenntnis genommen hat", so behauptete 1987 Andres Barreda, Entwicklung der Diskussion und Erforschung der Werke von Marx und Engels in Mexiko während der letzten drei Jahrzehnte, S. 278. Es kann ergänzt werden, dass seit den 80er Jahren Enrique Dussel im Hinblick auf die Kenntnisnahme der MEGA 2 und der sie begleitenden Forschungsliteratur viel geleistet hat. Neben Echeverría erwähnt Barreda den Theologen José Porfirio Miranda als einen Kenner der MEGA 2 innerhalb der mexikanischen Marxismus-Diskussion. (Siehe ebd.) Zu Porfirio Miranda siehe u. a. Alistair Kee, Marx and the Failure of Liberation Theology, London 1990, S. 203ff., 249ff., 27Iff. 398 Siehe Mario L. Robles Baez, La influencia del método „lógico-histórico" de Engels en las interpretaciones sobre el objeto de la sección primera del tomo I de El Capital de Marx: critica y propuesta, o. 0 . 2 0 0 0 , im Internet: http://www.iwgvt.org/files/00robles.rtf (letzter Zugriff: 5.3 2007). 399 Zu den Feuerbachthesen als Teil des Marxschen Frühwerks siehe Bolivar Echeverría, La revolución teórica comunista en Las Tesis sobre Feuerbach, in: Historia y Sociedad 6 (1975), S. 45ff. 400 Siehe Stefan Gandler, Peripherer Marxismus, S. 22 u. 214.

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Buenos Aires, Santiago, Sao Paulo, Rio, Lima, etc, Althusser a été étudié et enseigné de 1969 jusqu'à 1981 avec un trait commun dans tous les cas: la véhémence des discussions."401 Der nicht zur Althusser-Schule gehörige Marx-Interpret Rafael Echeverría (nicht zu verwechseln mit Bolivar Echeverría) leistete Ende der 70er Jahre eine Kritik an einem der wichtigsten methodologischen Texte von Marx, an der Einleitung aus dem Jahr 1857, welche u. a. das berühmte „Methodenkapitel" beinhaltet.402 Mit dem Interesse für die Marxsche Einleitung von 1857 stand Rafael Echeverría damals nicht allein, da sich auch der Gründer der wichtigen mexikanischen Theoriezeitschrift Dialéctica, der Philosoph Gabriel Vargas Lozano, in der ersten Ausgabe dieses Periodikums aus dem Jahr 1976 auf diesen Marxschen Schlüsseltext bezog.403 Der lateinamerikanische Philosoph Rafael Echeverría begibt sich in einen Gegensatz zu einem bedeutenden Teil der internationalen Diskussion, indem er die Einleitung von 1857 keineswegs als einen Text begreift, in dessen Licht die Methode des Kapital zu sehen ist, sondern ganz im Gegenteil als eine im höchsten Maße problematische Abhandlung, von der die Methode des Kapital scharf abgegrenzt werden muss. Echeverría untersucht zwar alle vier Abschnitte der Einleitung und nicht allein das „Methodenkapitel", aber dieses steht im Mittelpunkt seiner Kritik. Es sei wichtig „to challenge the supposed identity of the criteria of the Introduction with those of Capital, and thus to demonstrate the profoundly problematic character of the Introduction."404 Die Argumentation im „Methodenkapitel" beruhe auf dem Vorhandensein zweier unterschiedlicher Abstraktionsbegriffe. „If the population is criticised as a starting point because it is abstract, it is not possible to conclude that the analysis should be initiated from abstract and general definitions without a resulting introduction of a new and completely different concept of abstraction."405 Rafael Echeverría begreift die Einleitung als einen Text, in dem Marx eine Zwischenstellung zwischen einer auf Feuerbach und einer auf Hegel zurückgehenden Position eingenommen habe, allerdings „without being able to conciliate both epistemological perspectives."406 Die Bevölkerung werde von Marx zunächst als etwas Konkretes gefasst, 401

Fernanda Navarro, La réception en Amérique latine, in: Magazine littéraire 304 (1992), S. 55. Mit Althusser und dessen Marx-Lektüre hat sich u. a. der Argentinier Saiil Karsz auseinandergesetzt (Théorie et Politique: Louis Althusser. Avec quatre Textes inédits de Louis Althusser, Paris 1974, S. 25ff.). Ein Beispiel für die Auseinandersetzung lateinamerikanischer Autoren mit Althussers Theoriebildung liefert eine mexikanische Zeitschrift, die von der Escuela de Filosofía y Letras an der Universidad Autónoma de Puebla herausgegebene Dialéctica 3 (1977). Weitere Aufsätze aus späteren Ausgaben dieser Zeitschrift enthalten Informationen zur Althusser-Rezeption in Mexiko: Cesareo Morales, El althusserianismo en México, in: Dialéctica 14-15 (1983), S. 173fF.; Gabriel Vargas Lozano, Marxismo y filosofia hoy en Latinoamerica, in: Dialéctica 19 (1988), S. 63ff.

402 Siehe Rafael Echeverría, Critique of Marx's 1857 Introduction, in: Ali Rattansi (Hg.), Ideology, Method and Marx. Essays from Economy and Society, London, N e w York 1989, S. 242ff. 403 Siehe Gabriel Vargas Lozano, La introducción a la critica de la economia politica de 1857, in: Dialéctica 1 (1976), S. 29ff. 404 Rafael Echeverría, Critique of Marx's 1857 Introduction, S. 243. 405 Ebd., S.249f. 406 Ebd., S. 251.

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da sie im Feuerbachschen Sinne real sei. Schließlich werde sie aber doch als etwas Abstraktes begriffen, da sie gemäß des Hegeischen Paradigmas theoretisch unbestimmt sei. Die Marxsche Argumentation sei keineswegs unproblematisch: „The ambiguous presence of the concept of concrete totality in Marx's argument, clear in that of Hegel, impedes the distinction between the particular concrete and the concrete totality, as will be drawn later in his position, and this is the source of ambiguity in his argument."407 Für Echeverría ist offensichtlich, wie die spätere Marxsche Überwindung des „Feuerbachianischen Restes" in seinem methodologischen Denken zu begreifen ist: „It will be superseded not by a mere superposition of the Feuerbachian and the Hegelian epistemologica! standpoints, but by a critical and rectificatory appropriation of Hegel, which will produce an original Marxist distinction between the concrete and the abstract."408 Die Marxsche Argumentation im „Methodenkapitel" leidet Echeverría zufolge an der Abwesenheit einer angemessenen Unterscheidung zwischen dem konkreten Besonderen und der konkreten Totalität. Die Bestimmung der „einfachen" Kategorie sei bei Marx zunächst derjenigen der „abstrakten" Kategorie gleichgesetzt. Marx habe diese problematische Identifikation in späterer Zeit korrigiert, ebenso wie er in späterer Zeit die Korrektur seiner in der Einleitung zu findenden Reduktion des Konkreten auf die konkrete Totalität vorgenommen habe. Die Ware habe er dann als ein einfaches Konkretes bestimmt: „The commodity is concrete, but also a simple concrete. In distinction to the position assumed in the Introduction, the identity between the abstract and the simple is broken."409 Das Vorwort von Zur Kritik der politischen Ökonomie von 1859, das die ca. anderthalb Jahre ältere und gemäß Echeverría hochproblematische Einleitung habe ersetzen sollen, „establishes the need to ascend from the particular to the general, from the concrete unit to the concrete totality, via the necessary course of abstraction."410 In ein neues Entwicklungsstadium trat die lateinamerikanische Marx-Diskussion durch die Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie, die der argentinische Philosoph und Theologe Enrique Dussel in den Jahren 1985 bis 1990 in Gestalt einer Trilogie vorlegte. Diese drei Bände müssen als Ergebnis einer langjährigen intensiven Marx-Neurezeption betrachtet werden, die der Argentinier nach seiner Umsiedlung nach Mexiko in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre an der UNAM begonnen hatte. Wie Sanchez Vazquez ist auch Dussel nicht dem lateinamerikanischen Althusserianismus zuzurechnen. Dussels intellektueller und politischer Hintergrund besteht - wie in Teil 1 dieser Studie bereits ausgeführt wurde - darin, dass er als Vorreiter der Befreiungsethik gilt, die einen zentralen Beitrag zur lateinamerikanischen „Philosophie der Befreiung" darstellt, welche sich auf diesem Kontinent als Korrelat zur dortigen Befreiungstheologie seit den 1970er Jahren herausgebildet hat. Entscheidend für das Verständnis von Dussels Theorie und seiner Perspektive auf die Kritik der politischen Ökonomie ist die Tatsache, dass dieser befreiungsphilosophische bzw. befreiungsethische Hintergrund seiner 407 408 409 410

Ebd. Ebd. Ebd., S. 266. Ebd., S. 268.

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Auseinandersetzung mit Marx keineswegs äußerlich bleibt. Diese ist vor jenem politischtheoretischen Hintergrund zu begreifen. Bei der Trilogie handelt es sich um eine Serie von Kommentaren zu Marxschen Texten. Der erste Teil411 enthält einen Kommentar zu den Grundrissen,412 der zweite Teil413 ist Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859), vor allem aber dem Manuskript von 1861-1863 gewidmet, dessen bekanntester Teil die „Theorien über den Mehrwert" sind. Der abschließende Teil der Trilogie befasst sich mit den Marxschen Versuchen zum Kapital aus dem Zeitraum von 1863 bis kurz vor dessen Tod.414 Hier stehen der sog. dritte (1863-1865) und der sog. vierte (ab 1866) Kapital-Entwurf im Mittelpunkt von Dussels Aufmerksamkeit. Dussel betrachtet den theoretischen Einfluss Hegels auf Marx in den Grundrissen als bedeutend.415 Auch in noch späteren Marxschen Manuskripten sei der Hegelbezug präsent. Dussel geht davon aus, dass der Theoriebildung auch des - wie Dussel es ausdrückt - „letztendlichen" Marx ein hegelianisches Erbe immanent ist. Doch ist dies um einen ganz entscheidenden Aspekt zu ergänzen. Das Marxsche Denken unterscheidet sich nach Dussel dadurch fundamental von der Philosophie Hegels, als dass Marx als Denker der Exteriorität über ein an Hegel orientiertes Totalitätsdenken hinausgehe. Die Kategorie der Totalität wird in Dussels Marx-Interpretation auf das Kapital bezogen, dem Aspekt der „lebendigen Arbeit" ist hingegen die Kategorie der Exteriorität zugeordnet. An dem Punkt, wo die Kategorie der Exteriorität ins Blickfeld rückt, wird die Philosophie Schellings fur Dussel wichtig und sein Marx zu einem „Schellingianer" umgemodelt. Die „lebendige Arbeit", die mit der Subjektivität des Arbeiters verbunden ist, gilt Dussel als das Andere des Kapitals, als etwas, das der Totalität des Kapitals „äußerlich" ist, von ihm aber einverleibt wird. Das Marxsche Denken decke sich keineswegs mit einer Logik der Totalität, für die nach Dussel Hegel steht. Genau diese Logik der Totalität (im Sinne der Hegeischen Philosophie) wird von Dussel überwunden, und zwar mit seiner Perspektive auf die Exteriorität, wobei Dussel meint, sich auf Marx berufen zu können. Ein Kerngehalt der Dusselschen Marx-Lektüre besteht in seinem Versuch, unter Hinweis auf die schöpferische Kraft der „lebendigen Arbeit" als Quelle des Werts

411

Siehe Enrique Dussel, La Producción Teórica de Marx. Un Comentario a los „Grundrisse", Mexico 1985.

412 Zu den Grundrissen in spanischsprachigen Ländern siehe Pedro Ribas, Rafael Pia León: Cuba, Argentina, Spain and Mexico [Dissemination and reception of the Grundrisse in the world], in: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx's Grundrisse, S. 236ff. 413 Siehe Enrique Dussel, Hacia un Marx Desconocido. Un Comentario de los Manoscritos del 1861-63, Mexico 1988. Von diesem Werk existiert sowohl eine Ausgabe in italienischer wie auch in englischer Sprache: Enrique Dussel, Towards an Unknown Marx. A Commentary on the Manuscripts of 1861 - 1 8 6 3 , London 2001. 414 Siehe Enrique Dussel, El Último Marx ( 1 8 6 3 - 1 8 8 2 ) y la Liberación Latinoamericana, Mexico 1990. 415 Siehe Enrique Dussel, La Producción Teórica de Marx, S. 343.

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aus Marx einen „Schellingianer" zu machen.416 Hegel beginne in seiner Logik mit dem Sein selbst, so interpretiert Dussel. Für Schelling hingegen gebe es ein Prius des Seins, nämlich dessen schöpferische Quelle, die das Sein erst erschaffe. Dieses erschafft sich nicht selbst, sondern ist ein Konstitutum. Ebenso schaffe die „lebendige Arbeit" - als ein dem Kapital „äußerliches", zur Exteriorität gehöriges, aber dem Kapital einverleibtes Moment - nach Marx erst das Sein des Kapitals, nämlich den Wert. Der „lebendigen Arbeit", diesem zentralen Bezugspunkt Dussels, steht gemäß seiner Marx-Interpretation die „vergegenständlichte Arbeit" gegenüber. Die „distinción ,absoluta' y originaria' de toda la dialéctica de El Capital es la de .trabajo vivo' versus .trabajo objetivado' ",417 so schreibt Dussel in El Ultimo Marx. Die „lebendige Arbeit" ist Schöpferin des Mehrwerts. Der Wert erschafft nicht sich selbst, sondern ist ein Konstitutum. Hier lässt sich erahnen, welche Bedeutung (gemäß Dussel) nicht dem Hegeischen, sondern einem „Schellingschen" Element in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zukommt, das mit der Kategorie der Exteriorität zusammenhängt. Diese Thesen allein wären schon kontrovers genug, doch die Art und Weise, wie Dussel zu ihnen gelangt ist - d. h. sein eigener intellektueller Entwicklungsprozess - , verleiht seinem Ansatz noch mehr Brisanz. Dussel hatte nämlich zunächst, in den 1970er Jahren, eine nicht an Marx angelehnte Befreiungsphilosophie favorisiert. Zu diesem Zeitpunkt war die im Zuge seiner Rezeption des französischen Philosophen Emmanuel Lévinas (1905-1995) aufgenommene Kategorie der Exteriorität bereits zentral für Dussels Denkansatz. Hegel wie Marx begriff Dussel als Denker der „Logik der Totalität", wobei der argentinisch-mexikanische Theoretiker der mit den Namen Hegel und Marx verbundenen dialektischen Logik die „Analektik" im Sinne einer Art „Logik der Exteriorität" entgegenstellte. Die eigene Befreiungsphilosophie war (und ist) für Dussel ein Denken aus spezifisch lateinamerikanischer Perspektive, sozusagen ein Denken von der Peripherie aus. Und gerade hierbei kam der Kategorie der Exteriorität die Rolle des entscheidenden Bezugspunktes zu. Dies hieß für Dussel aber auch, dass sein befreiungsphilosophischer Ansatz nur als Alternative zu (oder noch zugespitzter formuliert: als Entgegensetzung gegen) Marx als Denker der „Logik der Totalität" möglich war. Nachdem aber Dussel in späterer Zeit die Marxsche Theorie intensiver als je zuvor rezipierte, begann sich sein Verhältnis zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu wandeln. Seit den späten 1970er und frühen 1980er Jahren beschritt Dussel gegenüber Marx den Weg von der Gegnerschaft zur Sympathie und stellte schließlich nicht mehr Analektik und Dialektik einander gegenüber, sondern begriff die Analektik als zentralen Bestandteil der spezifisch Marxschen Dialektik (im Sinne eines konstitutiven Merkmals und eines entscheidenden Unterschieds zur Philosophie Hegels). Einen zentralen Bezugspunkt

416 Wie man sich vorstellen kann, ist Dussels Schelling-Bezug in der internationalen Forschung auf Kritik gestoßen. Christopher Arthur schreibt in seiner Rezension der englischsprachigen Übersetzung von Dussels Kommentar zum sog. zweiten Kapital-Entwurf, dass „Schelling is ultimately unhelpful in solving problems present in Marx's theory." (Chris Arthur, Towards an Unknown Marx: A Commentary on the Manuskripts of 1861-3 [Rezension des Buchs von Enrique Dussel], in: Historical Materialism 11/2 [2003], S. 255.) 417 Enrique Dussel, El Último Marx ( 1863 - 1 8 8 2 ) , S. 420.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie sieht Dussel nunmehr in der Kategorie der Exteriorität. Der neue Blick auf Marx als eines Denkers der Exteriorität bedeutet, dass für und mit Dussel eine spezifisch lateinamerikanische Perspektive auf Marx möglich ist, ein an Marx anknüpfendes befreiungsphilosophisches Denken „von der Peripherie aus". 418 Enrique Dussels ausführliche Kommentarleistung zu den verschiedenen Marxschen Manuskripten zur Kritik der politischen Ökonomie ab 1857, bei der er übrigens die MEGA 2 -Edition sowie sowjetische und ostdeutsche Forschungsarbeiten berücksichtigt, ist - generell gesprochen - nicht zuletzt aufgrund der vom argentinisch-mexikanischen Interpreten aufgeworfenen methodologischen und epistemologischen Fragen hinsichtlich der Marxschen Ökonomiekritik von großer Bedeutung. Dussel differenziert im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der Kritik der politischen Ökonomie verschiedene Ebenen. Die Ebene der Produktion wird von ihm als eine Art „Tiefenebene" begriffen, die Ebene der Zirkulation als eine Art „Oberflächenebene". 419 Zudem stellt der Philosoph und Theologe den emphatischen Kritikbegriff von Marx heraus, bezieht sich auf die Fetischkritik und den spezifisch erkenntniskritischen Gehalt der Marxschen Ökonomiekritik. Dussel insistiert auf dem Doppelcharakter des Marxschen Kritikbegriffs: „Doble critica cumple Marx: no sólo critica de textos (de la economia politica clásica o vulgar capitalista); sino, y principalmente, critica de la realidad capitalista." 420 Der spezifisch wissenschaftliche Gehalt bestehe Marx zufolge u. a. darin, dass hinter die Oberflächenerscheinung zum Wesen selbst zurückgegangen wird. Im ersten Buch seiner Trilogie zieht Dussel das Fazit, Marx habe eine Ontologie des Kapitals entwickelt. Der Marxsche Diskurs sei gleichzeitig ökonomisch und philosophisch. Es handle sich um eine Ontologie der Ökonomie bzw. um eine ontologische Ökonomie. 421 Ein zentraler Stellenwert in Dussels Denken muss der Marxschen Fetischismustheorie zugeschrieben werden. 422 Damit steht er allerdings in der lateinamerikanischen Debatte keineswegs allein. Der argentinische Marx-Interpret Néstor Kohan beurteilt die Kritik des Fetischismus keineswegs als vorwissenschaftlich, sondern als Grundlage der Möglichkeit von „Wissenschaftlichkeit". Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie basiere auf der Kritik des Fetischismus dieser Disziplin. Die Marxsche Werttheorie stehe in einem inneren und unauflösbaren Zusammenhang mit der Fetischismustheorie.423 Die Wichtigkeit von Karl Marx' kritischer Theorie des Fetischismus betonte Kohan auch schon in einem früheren Werk.424 Auch in der Theoriebildung des in Mexiko lebenden

418 Die Grundzüge von Dussels Denken zeichnet detailliert nach: Raúl Fornet-Betancourt, Ein anderer Marxismus?, S. 272ff. 419 Siehe Enrique Dussel, El Último Marx (1863-1882), S. 408. 420 Enrique Dussel, Hacia un Marx Desconocido, S. 293. 421 Siehe Enrique Dussel, La Producción Teórica de Marx, S. 347f. 422 Enrique Dussel untersucht die Entwicklung des Marxschen Fetischismuskonzepts in den sog. vier A^p/ta/-Entwürfen: Enrique Dussel, Las metáforas teológicas de Marx, Navarro 1993, S. 59ff. 423 Siehe Néstor Kohan, El Capital. Historia y método, Havanna 2005. 424 Siehe Néstor Kohan, Marx en su (tercer) Mundo. Hacia un socialismo no colonizado, Buenos Aires 1998.

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und lehrenden Iren John Holloway stellt die Marasche Fetischismustheorie einen zentralen Bezugspunkt dar. Das Fetischismuskonzept sei von entscheidender Bedeutung im Rahmen der Marxschen Kritik der kapitalistischen Gesellschaft. Doch wurde, so argumentiert Holloway, die „für Marx so wichtige Kategorie des Fetischismus [...] in der Hauptströmung des Marxismus fast vollständig vergessen."425 Dieser (angeblichen) traditionellen Vernachlässigung stellt sich Holloways Ansatz entgegen. Zudem spielt die Fetischismustheorie eine wichtige Rolle in der Marx-Rezeption eines der bedeutendsten Befreiungstheologen Lateinamerikas, des aus Deutschland stammenden Franz Josef Hinkelammert.426 Bolivar Echeverría erachtete die Entschlüsselung des Fetischismus als wesentlich fur das Marxsche Kritikprogramm. Es muss festgestellt werden, dass gerade die Bedeutung der - von Althusser unterbewerteten - Marxschen Fetischismustheorie bzw. Fetischismuskritik seitens einer ganzen Reihe lateinamerikanischer bzw. in Lateinamerika lebender Autoren nachdrücklich betont wird und diese Theoretiker sich somit in einem wichtigen Punkt in eine Interpretationsrichtung bewegen, die Althusser entgegengesetzt ist. In der lateinamerikanischen Forschung der 80er und 90er Jahre wurden durchaus (vermeintliche) Ambivalenzen oder Defizite in der Marxschen Theoriebildung thematisiert. Mit dem Beitrag des Mexikaners Raul Rojas427 liegt seit Ende der 80er Jahre eine werkgeschichtliche Untersuchung der Marxschen Ökonomiekritik in deutscher Sprache vor, in der einerseits die Marxsche Auseinandersetzung mit seinen ökonomischen Quellen thematisiert wird, andererseits aber auch der Versuch stattfindet, eventuelle Marxsche Theoriedefizite auszuloten. Zentrale Thesen der Monographie sind u. a. die der Unvollendetheit der systematischen Marxschen Ökonomiekritik und der wissenschaftlichen Revolution, die Marx trotzdem geleistet habe. Insbesondere die Grundrententheorie sowie die Theorie des internationalen Handels und des Wechselkurses seien im Marxschen Werk unter inhaltlichem Gesichtspunkt problematisch bzw. überhaupt nicht hinreichend bearbeitet. Ein anderer Interpret des Denkers aus Trier, der mexikanische Philosoph A. Garcia de la Sienra, thematisiert u. a. vermeintliche werttheoretische Ambivalenzen bzw. Defizite in der Marxschen Theorie.428 Auf die facettenreiche neuere Marx-Rezeption brasilianischer Forscher soll hier nur punktuell eingegangen werden. Die brasilianische Auseinandersetzung mit Marx wurde wie die der spanischsprachigen Länder Lateinamerikas ebenfalls in Teilen vom Althusserianismus beeinflusst (wie in den spanischsprachigen Ländern spielte auch in Brasilien Marta Harnecker bei der Verbreitung dieser Theorierichtung eine beachtliche Rolle). Einen anderen Weg ging in den letzten Jahren Alfredo Saad-Filho, neben dem bereits erwähnten Michael Löwy wohl einer der international bekannteren brasilianischen Marx-

425 John Holloway, Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, S. 138. 426 Siehe Bruno Kern, Theologie im Horizont des Marxismus. Zur Geschichte der Marxismusrezeption in der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung, Mainz 1992, S. 186ff. 427 Siehe Raul Rojas, Das unvollendete Projekt. Zur Entstehungsgeschichte von Marx' Kapital, Hamburg 1989. 428 Siehe A. Garcia de la Sienra, The Logical Foundations of the Marxian Theory of Value, Dordrecht u. a. 1992.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Interpreten. Saad-Filho orientiert sich an methodologischen Überlegungen des sowjetischen Theoretikers Ewald Iljenkow, der zu den bekanntesten Philosophen und MarxForschern der „Tauwetter"-Periode gehörte.429 Im Zentrum von Saad-Filhos Marx-Interpretation steht insbesondere die Wertlehre. Mit Blick auf die marxistische Theoriediskussion unterscheidet Saad-Filho zwischen einer traditionellen „labour embodied"-Lesart der Marxschen Werttheorie und einer (teilweise von 1.1. Rubin beeinflussten) wertformtheoretischen Lesart der Werttheorie von Marx.430 Im Kontext der Frage nach der Globalisierung der Marx-Diskussion ist es von Relevanz, dass Saad-Filho zu denjenigen nicht-angelsächsischen Forschern gehört, die sich intensiv mit dem britischen „New Dialectic"-Ansatz (s. u.) beschäftigt haben.431 Wichtig für die Marx-Diskussion in Brasilien sind auch die Arbeiten des Philosophen Ruy Fausto, der sich in den 80er Jahren u. a. mit der Kategorie abstrakte Arbeit auseinandergesetzt hat.432 Eine neuere Arbeit von Fausto bezieht sich auf die Problematik der Dialektik, wobei er eine Klärung sowohl der Verbindungspunkte als auch der Unterschiede zwischen der Hegeischen und der Marxschen Dialektik anstrebt.433 Hiermt ist ein thematischer Anknüpfungspunkt an die internationale Theoriediskussion gegeben. Dass die methodologische Problematik in den 90er Jahren eine zentrale Rolle innerhalb der brasilianischen Auseinandersetzung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie spielte, lässt sich z. B. aus einer Kontroverse zwischen Francisco Teixeira434 und Hector Benoit435 ersehen. Zudem besteht eine thematische Parallele zwischen der deutschen und der brasilianischen Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik in der Untersuchung des kategorialen Zusammenhangs von Wert und Geld.436 Der brasilianische Marxforscher Claus Magno Germer weist in seinem Forschungsansatz zur Marxschen „Theorie des Geldes im Kapitalismus" auf die Notwendigkeit hin, im Sinne einer Kom-

429 Siehe Alfredo Saad-Filho, The Value ofMarx, London 2001. 430 Siehe ebd., S. 2Iff. 431 Siehe Alfredo Saad-Filho, Re-reading both Hegel and Marx. The „New Dialectics" and the Method of Capital, in: Revista de Economia Politica 17 (1997), S. 107ff. 432 Siehe Ruy Fausto, Marx: Logique et Politique. Recherches pour une reconstitution du sens de la dialectique, Paris 1986, S. 97ff. 433 Siehe Ruy Fausto, Dialética marxista, dialética hegeliana. A producao capitalista como circulacao simples, Sao Paulo 1997. 434 Siehe Francisco Teixeira, Pensando com Marx. Uma Leitura Crítico-Comentada de O Capital, Sao Paulo 1995; Francisco José Soares Teixeira, Sobre a critica dialética de O Capital·, urna anticritica, in: Critica marxista 8 (1999), S. 93ff. 435 Siehe Héctor Benoit, Sobre a critica (dialética) de O Capital, in: Critica marxista 3 (1996), S. 14ff.; Héctor Benoit, Pensando com (ou contra) Marx? Sobre o método dialético de O Capital, in: Critica marxista 8 (1999), S. 81ff. 436 Siehe Maria de Lourdes Rollemberg Mollo, A relacao entre moeda e valor em Marx, in: Revista de Economia Politica 42 (1991), S. 40ff. Siehe auch Leda Maria Paulani, Sobre dinheiro e valor: uma critica às posicoes de Brunhoff e Mollo, in: Revista de Economia Politica 55 (1994), S. 67ff

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bination von Geldtheorie und Kapitaltheorie über die Marasche Geldtheorie auf der Ebene der einfachen Zirkulation hinauszugehen.437 Ein auffallender thematischer Verbindungspunkt zwischen der Neuen Marx-Lektüre in Deutschland und der neueren brasilianischen Marx-Rezeption läßt sich bei einem Blick in die Zeitschrift Critica marxista438 ausmachen, die seit 1994 der theoretischen Debatte zur Kritik der politischen Ökonomie ein Forum bietet. Sowohl in Teilen der deutschen als auch in Teilen der brasilianischen Debatte ist die Einsicht vorhanden, dass es sich beim Marxschen Theorieprojekt nicht einfach nur um eine „alternative" politische Ökonomie handelt, sondern um eine Kritik der politischen Ökonomie, wobei der spezifische Kritikcharakter zu betonen ist. (In der Rezeptionsgeschichte - besonders in den „realsozialistischen" Ländern - ist das Marasche Projekt bisweilen nicht mit der Bezeichnung „Kritik der politischen Ökonomie", sondern mit Termini wie „Marasche politische Ökonomie", „Politische Ökonomie des Kapitalismus" oder „Politische Ökonomie der Arbeiterklasse" gefasst worden. Damit wurde der eigentümliche Kritikcharakter des Marxschen Unterfangens terminologisch nicht hinreichend berücksichtigt.) Die Marasche Kritik der politischen Ökonomie geht für den brasilianischen Interpreten Jorge Grespan439 weit über eine bloße Auseinandersetzung mit anderen Theorien hinaus. Der Aspekt der Kritik sei für das theoretische Unternehmen von Marx, für die Erarbeitung seiner Kapitalismustheorie, geradezu essentiell. Grespan stützt sich auf einen Marxschen Brief an Lassalle vom 22. Februar 1858, der verfasst wurde, als Marx an den Grundrissen saß: „Die Arbeit, um die es sich handelt, ist Kritik der ökonomischen Kategorien oder if you like, das System der bürgerlichen Ökonomie kritisch dargestellt. Es ist zugleich Darstellung des Systems und durch die Darstellung Kritik desselben." (MEW 29, S. 550) Gemäß Grespan handelt es sich beim Marxschen Denken keineswegs um zweierlei disparate Diskurse, wobei der eine die Darlegung der eigenen Theorie, der andere die Kritik bisheriger Ideen beinhalte, sondern diese Momente fallen (Grespan zufolge) ineins. Marx habe sich in spezifischer Art und Weise als „quasi-immanenter" Kritiker der politischen Ökonomie profilieren müssen, weil die politische Ökonomie innerhalb ihres theoretischen Horizonts ihre Grenzen nicht überwinden bzw. ihre Aporien nicht aufheben konnte.440

437 Siehe Claus Magno Germer, How capital rules money - Marx's theory of money in capitalism, o. O. 1997, im Internet: http://www.iwgvt.org/files/97germer.rtf (letzter Zugriff: 1.3.2007). Zu Germers Sicht auf das Marxsche „Methodenkapitel" von 1857 siehe Claus Magno Germer, The abstract/ concrete relation in the method of political economy, o. O. 2001, im Internet: http://www.iwgvt. org/files/01 germer.rtf (letzter Zugriff: 1.3.2007). 438 Diese brasilianische Zeitschrift ist nicht zu verwechseln mit der bereits erwähnten gleichnamigen Zeitschrift aus Italien. 439 Siehe Jorge Grespan, A Crise na Critica à Economia Politica, in: Critica marxista 10 (2000), S. 77ff.; Jorge Grespan, Marx, critico da teoria clàssica do valor, in: Critica marxista 12 (2001), S. 59ff.; Jorge Grespan, A Dialético do Avesso, in: Critica marxista 14 (2002), S. 21ff. 440 Zum Versuch einer anderen brasilianischen Autorin, Marx von der politischen Ökonomie und deren theoretischen Grenzen und Inkonsistenzen abzuheben siehe Leda Maria Paulani, A atualidade da critica da economia politica, in: Armando Boito Jr. u. a. (Hg.), A obra teórica de Marx, S. 247ff.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Zu den argentinischen Interpreten der in der Kritik der politischen Ökonomie enthaltenen Werttheorie zählt Rolando Astarita.441 Dessen Theoriebildung rückt den formtheoretischen Aspekt der Marxschen Ökonomiekritik in den Vordergrund. Astarita leistet eine u. a. auf den Unterschied von „sozialer Form" und „materialem Inhalt" bezogene Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie. Der argentinische Interpret weist ausdrücklich auf die Schwerverständlichkeit des Marxschen Darstellungsanfangs hin. Die Wertgegenständlichkeit wird von Astarita im Anschluss an Marx als spezifisch gesellschaftliche verstanden. Der Marxsche Formbegriff, der für Astarita von entscheidender Bedeutung ist, beziehe sich auf die spezifisch gesellschaftliche Dimension der Ware. Die „formas sociales ", so hält Astarita fest, „son distinguidas por Marx del contenido o sustancia material.2 Rolando Astarita besteht darauf, dass sich Marx nicht erst im Kontext seiner Mehrwerttheorie von der bürgerlichen politischen Ökonomie kritisch absetze, sondern bereits hinsichtlich der Werttheorie bestehe eine fundamentale Differenz zwischen Marx und Ricardo. Dabei behauptet Astarita, Marx habe mit seiner Werttheorie die Ricardosche Theorie im dialektischen Sinne aufgehoben, also gleichzeitig überwunden und bewahrt. Astarita verweist darauf, dass Marx den Engländer kritisierte, weil letzterer der Wertform nicht hinreichend Aufmerksamkeit entgegengebracht und den inneren Zusammenhang zwischen Wert und Wertform oder Tauschwert vernachlässigt habe. Das Geld - so kritisiert Astarita - wird von Ricardo auf ein bloßes Tauschmittel reduziert. Ricardo begreife das Geld nicht als „encarnación del valor" und stehe dem Sayschen Gesetz und der Quantitätstheorie des Geldes offen gegenüber.443 Die Marxsche Werttheorie, so argumentiert Rolando Astarita, „no es un mero ,desarrollo' de la teoria de Ricardo, sino esencialmente su critica,"444 Die Bedeutung, die Astarita der Marxschen Formtheorie zuerkennt, seine Sensibilität hinsichtlich der formtheoretischen Dimension der Kritik

441 Siehe Rolando Astarita, Valor, mercado mundial y globalizacion, Buenos Aires 2004. 442 Ebd., S. 63. 443 Die Marxsche Kritik an Ricardos Geldtheorie, die der Trierer vom Standpunkt der spezifischen Einheit seiner Wert- und Geldtheorie aus übt, wird in den Theorien über den Mehrwert deutlich formuliert: „Die Gestalt nun - die besondre Bestimmung der Arbeit, als Tauschwerth schaffend oder in Tauschwerthen sich darstellt - , den Charakter dieser Arbeit untersucht Ric. nicht. Er begreift daher nicht den Zusammenhang dieser Arbeit mit dem Geld oder, daß sie sich als Geld darstellen muß. Er begreift daher durchaus nicht den Zusammenhang zwischen der Bestimmung des Tauschwerths der Waare durch Arbeitszeit und der Notwendigkeit der Waaren zur Geldbildung fortzugehn. Daher seine falsche Geldtheorie." (MEGA 2 II.3.3, S. 816) An späteren Textstellen schreibt Marx: Das Geld werde von Ricardo als „bioser Vermittler des Productenaustauschs gefaßt, nicht als eine wesentliche und nothwendige Existenzform der Waare, die sich als Tauschwerth - allgemeine gesellschaftliche Arbeit - darstellen muß." (MEGA 2 II.3.3, S. 1124) Ricardo habe „die spezifische Form, worin die Arbeit Element des Werths ist, nicht gefaßt [...], namentlich nicht, daß die einzelne Arbeit sich als abstrakt allgemeine und in dieser Form als gesellschaftliche darstellen muß. Den Zusammenhang der Geldbildung mit dem Wesen des Werths und mit der Bestimmung dieses Werths durch Arbeitszeit hat er deshalb nicht begriffen." (MEGA 2 II.3.4, S. 1324) 444 Rolando Astarita, Valor, mercado mundial y globalizacion, S. 88.

2.6. LATEINAMERIKA UND SPANIEN

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der politischen Ökonomie läßt eine bemerkenswerte Analogie zu deutschen Lesarten erkennen, die der sog. Neuen Marx-Lektüre zugeordnet werden können. Eine weitere Interpretation der Marxschen Arbeitswerttheorie stammt von der gebürtigen Mexikanerin Begona Gutierrez de Dütsch. Ihre umfangreiche Studie wurde erst im Jahr 2005 publiziert, ist aber als Resultat eines langjährigen Forschungsprozesses anzusehen, der mindestens bis in die frühen 80er Jahre zurückreicht. Obwohl die Autorin, die in Frankfurt am Main promoviert hat, sich in thematischer und inhaltlicher Hinsicht in den Kontext der Frankfurter wert- und wertformtheoretischen Debatte um Hans-Georg Backhaus und andere Theoretiker eingliedern läßt,445 besteht unter inhaltlichem Gesichtspunkt dennoch ein entscheidender Schnittpunkt auch mit einem Teil der neueren lateinamerikanischen Kapital-Debatte. Gutierrez' Untersuchungsgegenstand ist der Anfang der Marxschen Darstellung in den unterschiedlichen Fassungen des ersten Kapital-Bandes (aber auch in Zur Kritik der politischen Ökonomie), insbesondere die Marxsche Wertformanalyse. Die von Marx geleistete Darstellung des „Kuriosums" des ökonomischen Fetischismus begreift die Mexikanerin als eine einzigartige und revolutionäre wissenschaftliche Entdeckung auf dem sozio-ökonomischen Gebiet. „Wenn etwas daran ist an Marx ' Darstellung der ökonomischen Kategorien sowie der damit eng verbundenen Fetischismuslehre", so schreibt Gutierrez, „und wenn diese zugleich als eine Art kritisches materialistisches Verfahren betrachtet werden kann, um die historische Spezifizität der kapitalistischen Gesellschaft gleichsam systemimmanent zu demonstrieren, so dürfte es sich dabei in der Tat um einen einzigartigen und revolutionären Ansatz hadeln. Denn es geht hierbei um den Status der ökonomischen Kategorien selbst; um ihre gleichsam verschleiernde Funktion in der bürgerlichen Gesellschaft und schließlich um ihre radikale Infragestellung und Demontage,"446 Gerade die Tatsache, dass die Fetischismusproblematik im Zentrum von Gutierrez' Sicht auf die Marxsche Ökonomiekritik steht, bindet ihre Interpretation nicht nur an den Frankfurter Marx-Diskurs, sondern macht sie zugleich für die lateinamerikanische Debatte anschlussfahig. Die Autorin besteht auf einer Spezifität des ökonomischen Fetischismus und steht eventuellen Versuchen, diesen „einzigartigen" gesellschaftlich-ökonomischen Aspekt auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu übetragen, durchaus kritisch gegenüber. Es handle sich um einen grundlegenden gesellschaftlichökonomischen „Sachverhalt" sui generis. Innerhalb der lateinamerikanischen Rezeption der Kritik der politischen Ökonomie findet durchaus eine Auseinandersetzung mit Interpretationsansätzen aus anderen Weltteilen statt, zugleich ist aber ihre Eigenständigkeit und theoretische Originalität zu betonen. In der neueren argentinischen Debatte im Anschluss an die Kritik der politischen 445 Egon Becker, schon seit den 70er Jahren ein Protagonist der Frankfurter Marx-Debatte, schreibt im Nachwort zu Gutierrez' Studie, dass es nach dieser Arbeit schwer sein dürfte, den „Frankfurter Wertform-Diskurs in den gewohnten Mustern weiter fortzusetzen. In diesem Sinne ist es ein abschließender Text. Danach kann nur noch etwas ganz anderes kommen", so Egon Becker, Nachwort, in: Begona Gutierrez de Dütsch, Facetten der Warenform. Zur Arbeitswerttheorie von Karl Marx, Hamburg 2005, S. 396. 446 Begona Gutierrez de Dütsch, Facetten der Warenform, S. xxiif.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Ökonomie spielt die Auseinandersetzung mit der Marx-Interpretation von Isaak Iljitsch Rubin eine gewisse Rolle. So liefert Juan Iñigo Carrera u. a. eine ausfuhrliche Beschäftigung mit diesem frühen sowjetischen Interpretationsansatz zur Marxschen Werttheorie.447 Aus der neueren argentinischen Diskussion ist weiterhin eine Studie von Axel Kicillof und Guido Starosta hervorgegangen, die sich kritisch auf Rubin bezieht.448 Eine weitere Arbeit von Starosta bezweckt, im Kontext der Interpretation der Marxschen Warentheorie zu Beginn des ersten Kapital-Bandes über einen Großteil der angelsächsischen Debatte zur dialektischen Darstellungsmethode bei Marx hinauszugehen.449 Starosta beanstandet, dass die entsprechenden Studien die besondere Rolle des Moments der Analyse (im Unterschied zum Moment der Synthese) innerhalb der Marxschen dialektischen Darstellung nicht hinreichend berücksichtigt hätten, überdies nicht die spezifische Form des analytischen Prozesses innerhalb des dialektischen Denkens.450 Starosta beansprucht, die entsprechenden Probleme anzugehen. Sein Forschungsbeitrag demonstriert die fortdauernde Auseinandersetzung lateinamerikanischer Marx-Interpreten mit dem Darstellungsanfang der Kritik der politischen Ökonomie.

2.6.2. Spanien In Spanien scheint nach der zwischenzeitlichen „Marxismus-Welle" vor allem der 1970er Jahre das Interesse an Marx und am Marxismus zurückgegangen zu sein.451 Monserrat Galceran Huguet legte in den 1980er Jahren die Auffassung dar, dass die zeitgenössische Krise des spanischen Marxismus als eine Begleiterscheinung einer Krise des französischen und italienischen Marxismus zu interpretieren sei. Das an Marx orientierte Denken in Spanien war traditionell relativ stark von Einflüssen aus dem Ausland abhängig. Zwar nahm beispielsweise der spanische Philosoph José Maria Ripalda452 in den 1970er Jahren durchaus Arbeiten aus der an Marxscher Theorie orientierten Diskussion in Westdeutschland zur Kenntnis, doch ist anzunehmen, dass in der marxistischen

447 Siehe Juan Iñigo Carrera, El Capital: Razón Histórica, Sujeto Revolucionario y Conciencia, Buenos Aires 2004, S. 290ff. 448 Siehe Axel Kicillof, Guido Starosta, On materiality and social form: A political critique of Rubin's value-form theory, in: Historical Materialism 15/3 (2007), S. 9ff. Auch an einer werttheoretischen Strömung aus der Tradition des Autonomist Marxism üben Kicillof und Starosta Kritik. Siehe Axel Kicillof, Guido Starosta, Value Form and Class Struggle: A Critique of the Autonomist Theory of Value, in: Capital & Class 92 (2007), S. 13ff. 449 Siehe Guido Starosta, The Commodity-Form and the Dialectical Method: On the Structure of Marx's Exposition in Chapter 1 of Capital, in: Science & Society 72/3 (2008), S. 295ff. 450 Siehe ebd., S. 297. 451 Siehe Monserrat Galceran Huguet, Beschäftigung mit Marx und Engels in Spanien, S. 268. Zur früheren Marx-Rezeption in Spanien siehe Pedro Ribas (Hg.), Verbreitung und Rezeption der Werke von Marx und Engels in Spanien (= Schriften aus dem Karl-Marx-Haus 46), Trier 1994. 452 Siehe u. a. José Maria Ripalda, Notiz über die Grenzen der Dialektik, in: Das Argument 110 (1978), S. 529ff.; José Maria Ripalda, Marx, Hegel und die Philosophie. Kritik neuerer Untersuchungen, in: Das Argument 128 (1981), S. 533ff.

2 . 6 . LATEINAMERIKA UND SPANIEN

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Diskussion Spaniens der theoretische Einfluss ζ. B. aus Frankreich eher im Vordergrund stand. Besondere Bedeutung kam dem Althusserianismus zu. Im Jahr 1977 schrieb Luis Crespo: „Plus concrètement en Espagne, Althusser a facilité le travail de diffusion du marxisme comme théorie scientifique parmi les masses (tant militantes qu'estudiantines), de telle sorte que bien peu mettent en doute aujourd'hui la prise en compte du marxisme comme théorie de l'histoire (les multiples rééditions de l'oeuvre classique d'Althusser" - Crespo verweist u. a. auf Lire Le Capital und Pour Marx - „témoignent de ce fait)."453 In den 70er Jahren leistete der Theoretiker Albert Roies einen Beitrag dazu, das spanische Publikum mit dem Althusserianismus bekannt zu machen.454 Auch der Philosoph Gabriel Albiac beteiligte sich an der Rezeption Althussers. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die chilenische Althusser-Schülerin Marta Harnecker auf die spanische Marx-Debatte wirkte. Ein weiterer Theoretiker, César de Vicente Hernando, stellt mit Blick auf die spanische Auseinandersetzung mit Althusser besonders zwei Rezeptionsphasen heraus, von denen er die erste im Zeitraum bis 1979, die zweite ab 1992 ansiedelt. In der ersten Rezeptionsphase habe u. a. der epistemologischen Problematik große Aufmerksamkeit gegolten. Eine wichtige Rolle habe u. a. Lire Le Capital gespielt. Die Rezeption ab 1992 sei durch die weitere Erschließung von Althussers Gesamtwerk gekennzeichnet.455 Aus den 1970er/80er Jahren wären u. a. spanische Beiträge zur internationalen Rezeptionswelle der Marxschen Grundrisse zu erwähnen, die in den 70er Jahren auch Spanien erfasste,456 aber auch eine 1981 veröffentlichte Studie von Emilio Lamo de Espinosa, die sich u. a. mit der Marxschen Reifikationstheorie beschäftigte.457 Eine Arbeit von Felipe Martinez Marzoa aus dem Jahr 1983 gilt in der spanischen Diskussion als ein Standardwerk zur Kritik der politischen Ökonomie. Martinez Marzoa liest Das Kapital unter spezifisch philosophischem Gesichtspunkt.458 Eine thematische Ähnlichkeit mit den Kapital-Diskursen in anderen Ländern besteht in der großen Aufmerksamkeit, die in Martinez Marzoas Studie dem „Problem des Anfangs" in der Marxschen Darstellung gewidmet wird. In seiner Interpretation der Marxschen Warenanalyse fasst Martinez Marzoa die Frage nach dem Waresein der Ware bzw. nach ihrer spezifischen Seinsweise als Ware im Sinne einer ontologischen Fragestellung. Es gehe um die Analyse der Form, welche die Produkte in der modernen kapitalistischen Gesellschaft annehmen.459

453 Luis Crespo, Louis Althusser en Espagne (1966-1976), in: Dialectiques. Revue trimestrielle 15-16 (1977), S. 61. 454 Siehe Albert Roies, Lectura de Marx por Althusser, Barcelona 1974. 455 Siehe César de Vicente Hernando, Las lecturas de Althusser: la conflictiva recepción de su obra en Espana, in: ER. Revista de Filosofia 34-35 (2004-2005), S. 247ff. 456 Siehe ζ. Β. Gustavo Bueno Martinez, Sobre el significado de los „Grundrisse" en la interpretación del marxismo, in: Sistema 2 (1973), S. 15ff. 457 Siehe Emilio Lamo de Espinosa, La teoria de la cosificación: De Marx a la Escuela de Francfort, Madrid 1981. 458 Siehe Felipe Martinez Marzoa, La Filosofia de „El Capital" de Marx, Madrid 1983. 459 Siehe ebd., S. 34.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Die Warenanalyse sei Voraussetzung einer Theorie der kapitalistischen Produktionsweise. Diese Theorie müsse mit immanenter Notwendigkeit damit anfangen. Einen Überblick über das kritische ökonomische Denken in Spanien im Zeitraum von 1960 bis 1990 gibt Diego Guerrero,460 der jedoch - obwohl er sich in seiner eigenen Theoriebildung an der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie orientiert darauf Wert legt, dass die ökonomische Heterodoxie in Spanien nicht auf die Adepten von Marx reduziert werden dürfe. Dennoch nimmt die „marxianisch"-„marxistische" Strömung in Guerreros Überblicksdarstellung einen zentralen Platz ein. Dabei unterscheidet er allerdings grundsätzlich zwischen der „marxistischen" und der „marxianischen" Ökonomie. Während letztere theoretisch enger gefasst sei, sich thematisch enger an die Marxsche Theorie selbst anlehne, versuche die „marxistische" Ökonomie in stärkerem Maße den Brückenschlag zur sozialen und historischen Realität (z. B. im Sinne der Imperialismustheorie oder einer Theorie des Monopolkapitalismus). Nach Guerreros Auffassung überwiegt der Anteil der „marxistischen" Ökonomie gegenüber der „marxianischen". Gemäß Guerreros Schema wäre ein eigener Theoriebeitrag aus jüngster Vergangenheit eindeutig der „marxianischen" Ökonomie zuzuordnen, nämlich eine von Guerrero verfasste Zusammenfassung der drei Kapital-Bände.461

2.7. Die angelsächsische Welt Die angelsächsische Auseinandersetzung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie ab den 60er und insbesondere ab den 70er/80er Jahren stellt insofern eine neue Phase der dortigen Debatte dar, als stärker denn je zuvor die methodologische Problematik sowie der spezifisch „qualitative" Gehalt der Marxschen Ökonomiekritik in den Vordergrund traten. Zwar hatten ältere Denker wie Ronald Meek462 (1917-1978) bzw. Paul Sweezy463 (1910-2004) schon vor den 70er Jahren die Beschäftigung mit der Marxschen Methode bzw. mit der qualitativen Seite der Wertproblematik und mit der Fetischismustheorie bereits bis zu einem gewissen Grad antizipiert, doch intensivierte sich in der angelsächsischen Marx-Rezeption ab den 70er/80er Jahren die Forschung zu diesen Themenfeldern und erreichte z. T. eine neue, höhere Ebene der inhaltlichen Auseinandersetzung. Ein Problem war, dass bis in die 1970er Jahre hinein der Stand der Edition Marxscher Texte in englischer Sprache alles andere als zufriedenstellend war. So erschienen

460 Siehe Diego Guerrero, Historia del pensamiento económico heterodoxo, Madrid 1997, S. 160fF. 461 Siehe Diego Guerrero, Un resumen completo de El Capital de Marx, Madrid 2008. 462 Siehe Ronald Meek, Economics and Ideology and other Essays. Studies in the Development of Economic Thought, London 1967. 463 Siehe Paul Sweezy, Theorie der kapitalistischen Entwicklung. (Diese Arbeit stammt aus dem Jahr 1942.)

2 . 7 . DIE ANGELSÄCHSISCHE WELT

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die Grundrisse464 in vollständiger Ausgabe erstmals im Jahr 1973 auf englisch (übrigens ohne den in der ostdeutschen Ausgabe von 1953 angehängten Urtext von Zur Kritik der politischen Ökonomie), d. h. zu einem Zeitpunkt, als dieses Werk in beiden deutschen Staaten längst eine wichtige und weitverbreitete Diskussionsgrundlage bildete. Spätestens mit der vor einigen Jahren abgeschlossenen Edition der 50-bändigen Marx-Engels Collected Works465 ist der Missstand hinsichtlich der editorischen Situation zumindest teilweise Vergangenheit, auch wenn bei der wissenschaftlichen Arbeit kein Weg an der MEGA 2 vorbeiführt.466 Allerdings waren die Grundrisse auch schon vor 1973 der englischsprachigen Leserschaft insofern nicht unbekannt, als Martin Nicolaus bereits 1968 mit einem Aufsatz in der New Left Review dieses Werk in teilweise enthusiastischem Tonfall - „the Grundrisse blows the mind"467 - einem breiten Publikum vorgestellt hatte.468 Vor allem aber wurden Textausschnitte aus den Grundrissen bereits vor der Edition der vollständigen englischsprachigen Ausgabe übersetzt und veröffentlicht. Die beiden bekanntesten Beispiele sind hier zu nennen: Eric Hobsbawm war bereits 1964 auf die Grundrisse eingegangen 469 und hatte einen Textabschnitt dieses Werks herausgegeben.470 Im Jahr 1971 erschien eine von David McLellan herausgegebene Sammlung von Auszügen aus den Grundrissen471 K. Tribe veröffentlichte 1974 im Zuge der internationalen Rezeptionswelle der Grundrisse eine der frühen angelsächsischen Auseinandersetzungen mit diesem Marxschen

464 Detailliert zu den Grundrissen in der anglophonen Welt: Christopher J. Arthur, USA, Britain, Australia and Canada [Dissemination and reception of the Grundrisse in the world], in: Marcello Musto (Hg.), Karl Marx's Grundrisse, S. 249ff. 465 Siehe Lew Golman, Die Herausgabe der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels in englischer Sprache, S. 435ff. 466 Bisweilen übersetzen angelsächsische Marx-Interpreten eigenständig bestimmte Textstellen aus dem Oeuvre des Trierers, weil sie mit gängigen Übersetzungen in die englische Sprache nicht zufrieden sind. Als Beispiel für Probleme, die dabei entstehen können, kann eine in der Zeitschrift Historical Materialism verbreitete offensichtliche Unsinnsübersetzung aus dem Marxschen „Fetischkapitel" des ersten Kapital-Bandes angeführt werden. Jim Kincaid schlägt gegenüber der in der Penguin-Ausgabe des Kapital aufzufindenden Übersetzung der „theologischen Mucken" (von denen im „Fetischkapitel" die Rede ist) mit „theological niceties" vor, „Mucken" doch besser mit „small biting insects, e. g. mosquitoes, midges" (Jim Kincaid, A Critique of Value-Form Marxism, in: Historical Materialism 13/2 [2005], S. 102) zu übersetzen. Aber vielleicht ist dies doch nur der britische Humor... 467 Martin Nicolaus, The Unknown Marx, in: New Left Review 48 (1968), S. 59. 468 Im selben Jahr berichtete sogar das Times Literary Supplement über die Existenz der Grundrisse: Marx in Print [Nachdruck des Times Literary Supplement vom 9. Mai 1968], in: Monthly Review 20/5 (1968), S. 67f. 469 Siehe Eric Hobsbawm, Introduction, in: Karl Marx, Pre-Capitalist Economic Formations, London 1964, S. 9ff. 470 Siehe Karl Marx, Pre-Capitalist Economic Formations, in: Karl Marx, Pre-Capitalist Economic Formations, S. 67ff. 471 Siehe David McLellan, Marx's Grundrisse, London 1971.

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2 . DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Text, dessen Publikation unter den marxistischen Intellektuellen fur großes Aufsehen gesorgt hatte.472 Indes betonte Tribe die vermeintliche Inkohärenz und „labyrinthische Natur" dieses Marxschen Werkes und begriff die Grundrisse als ein Übergangsmanuskript (er spricht von der „transitional nature of the work"473). Die Gründung eines wichtigen Forums, in dessen Umkreis die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie diskutiert wurde, nämlich der Conference of Socialist Economists, erfolgte 1970 in Großbritannien.474 Die 1970er und 80er Jahre bildeten einen Wendepunkt für die angelsächsische Marx-Beschäftigung, nicht zuletzt auch weil einerseits die werkgeschichtliche Entwicklung der Marxschen Aufbaupläne und andererseits der spezifisch formtheoretische Ansatz von Marx stärker als zuvor beachtet wurden. Die Wertformanalyse entwickelte sich zu einem bedeutenden Referenzpunkt der werttheoretischen Marx-Rezeption. Bei der Etablierung der neuen Forschungsrichtung spielte ein Theorietransfer aus der deutschsprachigen Diskussion eine durchaus nicht unwichtige Rolle. 475 Auch Pour Marx und Lire Le Capital wurden in der angelsächsischen Welt rezipiert, übrigens von Eric Hobsbawm bereits im Jahr 1966.476 Die Althusser-Schule wurde in den angelsächsischen Ländern teilweise positiv aufgenommen. In diesem Zusammenhang ist neben dem britischen Althusserianismus insbesondere der 70er Jahre eine um Richard Wolff gruppierte, althusserianisch beeinflusste Strömung aus den USA

472 Dabei ist bemerkenswert, dass sich die angelsächsische Diskussion nicht allein auf den Grundrisse-Text selbst bezog, sondern auch auf die umfangreiche Einleitung durch den bereits erwähnten Martin Nicolaus. Siehe hierzu eine Kritik: Moishe Postone, Helmut Reinicke, On Nicolaus „Introduction" to the Grundrisse, in: Telos 22 (1974/75), S. 130ff. Siehe auch John Keane, Brian Singer, On Conceptual Archeology: A Reply to Postone and Reinicke, in: Telos 22 (1974/75), S. 148ff. 473 K. Tribe, Remarks on the Theoretical Significance of Marx's Grundrisse, in: in: Bob Jessop, Charlie Malcolm-Brown (Hg.), Karl Marx's Social and Political Thought. Critical Assessments, Bd. 1, New York, London 1990, S. 735. 474 Siehe Frederic S. Lee, Conference of Socialist Economists and the emergence of heterodox economics in post-war Britain, in: Capital & Class 75 (2001), S. 15ff. 475 Wichtig war u. a. die Herausgabe von Roman Rosdolskys Monographie zu den Grundrissen und zur Aufbauplan-Problematik (Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital". Der Rohentwurf des „Kapitals" 1857-1858, Frankfurt/M. 1968) in englischer Sprache, was 1977 erfolgte; ein kürzerer methodologischer Grundsatztext Rosdolskys (Roman Rosdolsky, Einige Bemerkungen über die Methode des Marxschen „Kapital" und ihre Bedeutung für die heutige Marxforschung, in: Walter Euchner, Alfred Schmidt [Hg.], Kritik der politischen Ökonomie heute. 100 Jahre Kapital, Frankfurt/M. 1968, S. 9-21) erschien bereits 1973 in englischer Sprache, und zwar für ein breites Publikum in der ersten Ausgabe der Zeitschrift New German Critique. HansGeorg Backhaus' für die westdeutsche Debatte zur Wertformtheorie grundlegender Text aus dem Jahr 1969 (Hans-Georg Backhaus, Zur Dialektik der Wertform, in: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik, S. 41-64) erschien 1980 in englischer Sprache. 476 Siehe Eric Hobsbawm, The Structure of Capital (1966), in: Eric Hobsbawm, Revolutionaries. Contemporary Essays, London 1973, S. 142fF.

2.7. DIE ANGELSÄCHSISCHE WELT

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zu nennen. 4 7 7 Zudem wurde die italienische Marx-Diskussion um della Volpe, Colletti u. a. in der angelsächsischen Welt zumindest teilweise rezipiert. 478 Weiterhin haben der werttheoretische Theorieansatz v o n 1.1. Rubin und die Arbeiten südasiatischer Forscher (Banaji und später Shamsavari) anregend auf den dortigen Marx-Diskurs gewirkt. Trotz des beachtlichen Theorietransfers aus dem Ausland dürfen die Versuche der 1970er Jahre, im englischen Sprachraum eine differenzierte und methodologisch orientierte Diskussion der Marxschen Theorie und insbesondere der Kritik der politischen Ökonomie zu begründen, nicht auf den Einfluss v o n außen reduziert werden. In den 60er und 70er Jahren ist die Frage nach der Marxschen Methode v o n angelsächsischen Interpreten der Kritik der politischen Ökonomie aufgeworfen worden und insbesondere auch eine Diskussion der Problematik des Fetischismus aufgekommen. 4 7 9 Seit den 1970er, 80er und 90er Jahren haben sich in der angelsächsischen Welt differenzierte Interpretationsansätze herausgebildet, die in einigen Fragestellungen - beispielsw e i s e die Marxsche Formtheorie, das Marasche Verhältnis zu Hegel, das theoretische Verhältnis v o n Marx und Engels, die Entwicklung der Aufbaupläne der Kritik der poli-

477 Siehe Richard D. Wolff, Die überdeterministische und klassentheoretische Kapital-Lektüre in den USA, in: Jan Hoff, Alexis Petrioli, Ingo Stützle, Frieder Otto Wolf (Hg.), Das Kapital neu lesen Beiträge zur radikalen Philosophie, S. 128ff. M. E. zählt die um Richard Wolff gruppierte „überdeterministische" ÄTap;ia/-Interpretation nicht zu den theoretisch fruchtbarsten Theorieströmungen der angelsächsischen Debatte. Z. B. kann die Art und Weise, wie Richard Wolff sich zum „Problem des Anfangs" hinsichtlich der Marxschen Darstellungslogik äußert, ohne polemische Zuspitzung als verfehlt bezeichnet werden: „Marx wird [von der überdeterministischen KapitalLektüre, der Wolff selbst zuzurechnen ist, Anm. v. J. H.] so interpretiert, dass er das Kapital mit einer Diskussion von Waren und Austausch hauptsächlich deshalb begonnen habe, weil seine Zeitgenossen dies für den Kern der ,Ökonomie' hielten [...]. Er war anderer Auffassung, wählte aber für sein Buch eine Strategie: Er begann mit dem Warentausch, um die Leser zu binden und diese dann schnell in den ersten Kapiteln von Kapital I zur Bestimmung der speziellen Art und Weise hinzufuhren, in der der Kapitalismus die Aneignung des Mehrprodukts organisiert. Die spezielle Interpretation der Arbeitswerttheorie ermöglichte ihm, schnell und leicht zur Mehrwerttheorie überzugehen", so ebd., S. 135. Generell zur Theorieströmung um Richard Wolff siehe auch Stephen Resnick, Richard Wolff, Un Marxisme made in USA: Marx au-dela d'Althusser [Interview], in: Actuel Marx 41 (2007), S. 168ff. 478 Jedoch verweist Gregory Elliott darauf, dass wichtige Werke der italienischen Marx- und Marxismus-Diskussion nach wie vor nicht in die englische Sprache übersetzt sind: Gregory Elliott, Nontraduttore, traditore? Notes on postwar European Marxisms in translation, in: Radical Philosophy 152 (2008), S. 34f. 479 Siehe u. a. J. Morris, Commodity Fetishism and the Value Concept: Some Contrasting Points of View, in: Science and Society 30/2 (1966), S. 206ff; Donald Clarke Hodges, The Method of Capital, in: Science and Society 31/4 (1967), S. 505ff; Donald Clarke Hodges, Marx's Concept of Value and Critique of Value Fetishism, in: Science and Society 34/3 (1970), S. 342ff.; N. Geras, Essence and Appearance: Aspects of Fetishism in Marx's Capital, in: Bob Jessop, Charlie Malcolm-Brown (Hg.), Karl Marx's Social and Political Thought. Critical Assessments, Bd. 4, New York, London 1990, S. 207ff. Ein Beispiel für die angelsächsische Auseinandersetzung mit der Marxschen Methode und der Fetischismusproblematik liefert zudem: Derek Sayer, Marx's Method. Ideology, Science and Critique in Capital, Sussex 1979.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

tischen Ökonomie, die sog. monetäre Werttheorie betreffend - der deutschsprachigen Diskussion der 1960er bis 90er Jahre ähneln. Der Grundrisse-YjaxamerAar Roman Rosdolskys, der u. a. die Problematik des Marxschen 6-Bücher-Plans und des Strukturbegriffs des „Kapital im allgemeinen" thematisierte, erschien 1977 in englischer Übersetzung und lieferte der angelsächsischen Marx-Debatte Diskussionsstoff.480 Als ein (westdeutscher Einfluss auf die „hegelianisch orientierte" englischsprachige Marx-Beschäftigung wird von John Rosenthal der Ansatz von Hans-Georg Backhaus genannt.481 Der Theorietransfer aus Deutschland lässt sich mit einem Hinweis auf das „Projekt Konstanz-Sydney" belegen. Hierbei handelt es sich um ein Kooperationsprojekt australischer (Michael Eldred, Marnie Hanion) und deutscher Forscher (Volkbert M. Roth, Lucia Kleiber), die eine ambitionierte Interpretationsrichtung innerhalb der angelsächsischen Debatte erarbeiteten. Das „Projekt Konstanz-Sydney" kann als ein wichtiger Ansatz zu einer Globalisierung der intensiven Beschäftigung mit der Marxschen Ökonomiekritik angesehen werden. Als in den 1970er Jahren Konstanz zu einem der Subzentren der deutschsprachigen Marx-Interpretation geworden war, bildete sich noch im selben Jahrzehnt eine Arbeitsgemeinschaft mit australischen Forschern heraus.482 Dabei war die formanalytische Marx-Lektüre des „Projekts Konstanz-Sydney", die der Wertformproblematik einen entscheidenden Stellenwert beimaß,483 von der westdeutschen Neuen Marx-Lektüre inspiriert, die sich in der BRD im Anschluss an Hans-Georg Backhaus u. a. herausgebildet hatte. Gerade mit Blick auf die Marxsche Wertformtheorie sei ein entscheidender Fortschritt des Trierers gegenüber der „labour embodied"-Arbeitswerttheorie der klassischen politischen Ökonomie zu konstatieren: „Marx's theory, however, constitutes a fundamental advance over classical and other embodied labour value theories in that it is able to grasp the peculiar characteristics of the form of value, namely, the commodity form and, most importantly, to develop money as a form of value. This aspect of Marx's theory 480 Kritisch gegenüber Rosdolsky argumentierte John Mepham, From the Grundrisse to Capital·. The Making of Marx's Method, in: John Mepham, David-Hillel Ruben (Hg.), Issues in Marxist Philosophy. Volume I: Dialectics and Method, Brighton 1979, S. 145ff. 481 „Many of the earliest English-language writings in this vein" - hiermit meint der Autor den neueren „Hegelmarxismus" - „bear the influence of the West German Hegel-Marx scholar Hans-Georg Backhaus", so John Rosenthal, The Myth of Dialectics. Reinterpreting the Marx-Hegel Relation, London, New York 1998, S. 225. „The revival of value-form readings of Marx in the Anglophone literature can be criticised for a too limited direct engagement with analogous work in German from the 1970s onwards", so behauptet hingegen Jim Kincaid, Debating the Hegel-Marx Connection: A Symposium on Christopher J. Arthur's The New Dialectic and Marx's „Capital". Editorial Introduction, in: Historical Materialism 13/2 (2005), S. 34. 482 Siehe Michael Eldred, Mamie Hanlon, Lucia Kleiber, Volkbert M. Roth, La forma-valore. Progetto di ricostruzione e completamento del frammento di sistema di Marx, Bari, Rom 1984, S. 26. 483 Mit Blick auf die Wertformproblematik ist zu konstatieren, dass das „Projekt Konstanz-Sydney" sich sowohl auf die Marxsche Wertformanalyse im engeren Sinne (d. h. im Sinne des dritten Unterabschnitts des ersten Kapitels des ersten Kapital-Bandes) bezog, als auch im Rahmen des Ansatzes einer „wertformanalytischen ATap/to/-Rekonstruktion" auf die auf späteren Darstellungsebenen des Kapital thematisierten ökonomischen Kategorien als Wertformen Bezug nahm.

2 . 7 . DIE ANGELSÄCHSISCHE WELT

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has generally been neglected."484 In der Betonung des Projekts einer Marx-,Rekonstruktion" gibt es eine offensichtliche Parallele zum emphatischen Rekonstruktionsansatz von Backhaus. Der Backhaussche Einfluss ist u. a. darin zu erkennen, dass für Michael Eldred in seiner Monographie von 1984 die Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie im Sinne einer Kritik prämonetärer Werttheorien eine Rolle spielt. Hinsichtlich des Kapital spricht Eldred von einer in der Marx-Diskussion verbreiteten „illusion of completeness".485 Sein eigenes Programm bestand in einer formanalytischen Rekonstruktion der Kritik der politischen Ökonomie sowie der thematischen Ausweitung des Marxschen Systems. Eldreds Projekt war das einer systematischen Theorie der „bourgeois form of society, which relates directly to Marx insofar as his writings on the critique of political economy form the indispensable theoretical raw material for a reconstructed capital-analysis. Marx's theory is the best in a long series of attempts to analyse capitalism. This reconstructed capital-analysis, in turn, serves as foundation for a theory of the surface of capitalist economy and of the bourgeois superstructure."486 Es geht Eldred letztlich um die Struktur des Gesamtsystems der bürgerlichen Gesellschaftsform. Insofern geht Eldreds Rekonstruktionsansatz hinsichtlich der Reichweite über den seiner Inspirationsquelle Backhaus hinaus. Allerdings steht Eldred mit der Ansicht über die Unvollendetheit des Marxschen Projekts nicht allein. In eine teilweise ähnliche Richtung weist im englischen Sprachraum auch eine Studie von Michael Lebowitz, der bei Marx das Fehlen des nach dem 6Bücher-Plan vorgesehenen Lohnarbeitsbuchs registriert.487 Begibt man sich zurück zu Eldred und den anderen Vertretern des „Projekts Konstanz-Sydney", so muss festgestellt werden, dass es entweder um dieses Projekt merklich ruhiger geworden ist oder es gegenwärtig überhaupt nicht mehr existiert. Indes ist ihr Ansatz von einem anderen Theorieprojekt rezipiert worden. Hierbei ging es u. a. um eine Untersuchung zur Bestimmung der Wirtschaftspolitik („determination of economic policy") in der kapitalistischen Gesellschaft.488 Im Rahmen ihres Projekts befürworten Geert Reuten und Michael Williams eine „value-form theoretic reconstruction of the abstract-labour theory of value", 489 die sie als eine Art Zusammenfügung zweier Theorieansätze (einerseits der „abstract-labour theory of value" sowie andererseits der „value-form analysis") auffassen, die sich (ihnen zufolge) in Konkurrenz zur bis in die 1960er Jahre hinein dominanten „labour-embodied theory of value" herausgebildet hätten. Damit stellen sich Geert

484 Michael Eldred, Marnie Hanion, Reconstructing Value-Form Analysis, in: Capital & Class 13 (1981), S. 24. 485 Michael Eldred, Critique of Competitive Freedom and the Bourgeois-democratic State. Outline of a Form-Analytic Extension of Marx's Uncompleted System, Kopenhagen 1984, S. ix. 486 Ebd, S. xif. 487 Siehe Michael Lebowitz, Beyond Capital: Marx's Political Economy of the Working Class, N e w York 1992. 488 Siehe Geert Reuten, Michael Williams, Value-Form and the State. The Tendencies of Accumulation and the Determination of Economic Policy in Capitalist Society, London 1989. 489 Ebd., S. 55.

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Reuten und Michael Williams in den Kontext eines seither stattgefundenen theoriegeschichtlichen Aufschwungs in der Auseinandersetzung mit der Marxschen Werttheorie. Innerhalb der deutschsprachigen Marx-Diskussion relativ gut bekannt ist eine in den 80er und frühen 90er Jahren entstandene umfangreiche Monographie des US-amerikanischen Historikers und Marx-Interpreten Moishe Postone,490 der mit seinem Denkansatz die kritische Theorie von Marx grundsätzlich von der marxistischen Theorietradition abheben will.491 Im Zentrum von Postones Deutung der Kritik der politischen Ökonomie steht eine Neuinterpretation des Marxschen Arbeitsbegriffs. Gemäß der Marxschen Analyse - so lautet die Interpretation des Chicagoer Historikers - konstituiert nicht etwa der Markt und das Privateigentum an Produktionsmitteln den Kern des Kapitalismus, sondern der Doppelcharakter der Arbeit. Entsprechend dem Doppelcharakter der Arbeit, d. h. der Differenzierung von abstrakter und konkreter Arbeit, fuhrt Postone eine Unterscheidung von abstrakter und konkreter Zeit ein.492 Wie in anderen Ländern, so bildet auch in der angelsächsischen Debatte das HegelMarx-Verhältnis einen wichtigen Diskussionspunkt, an dem sich die Geister scheiden. Es entstanden angelsächsische Forschungsarbeiten, in welchen der eventuelle Marxsche Bezug auf bestimmte Elemente der Hegeischen Philosophie untersucht bzw. diese als wertvolle Inspirationsquelle für die Kritik der politischen Ökonomie gedeutet wird. Norman Levine beispielsweise spürte einer Marxschen Rezeption der Hegeischen Wesenslogik nach, die ins Manuskript von 1861-1863 eingeflossen sei.493 Der Philosoph Scott Meikle, der nicht nur Marx- sondern daneben hauptsächlich Aristoteles-Forschung betreibt, sieht in Marx einen Erben der philosophischen Traditionslinie der essentialistischen Metaphysik, mit der Meikle die Philosophien von Aristoteles und Hegel assoziiert. „It is from the categories of essentialist metaphysics that Marx's characteristic conceptions of law, form and necessity" - die nach Meikle fur die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie eine zentrale Rolle spielen - „arise, and they are as different as chalk from cheese from the currently familiar conceptions, in use by many Marxists, which arise from empiricist or atomist metaphysics."494 Für den Philosophen Tom Rockmore entpuppt sich Marx letztendlich gar als „Hegelianer" 495 490 Da Postone an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main studiert hat, einem der Zentren der westdeutschen „neuen Marx-Lektüre" der 1970er und 80er Jahre, mag die Annahme durchaus plausibel sein, dass er von der dortigen Theoriediskussion beeinflusst wurde. Diese propagierte bekanntlich ähnlich wie Postone den Ansatz einer fundamentalen Neuinterpretation der Marxschen Theorie, und zwar mit - Postone gegenüber - durchaus ähnlichen Fragestellungen. 491

Siehe Moishe Postone, Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Marx, Freiburg/Br. 2003. Das Original in englischer Sprache erschien erstmals 1993.

492 Ein Beispiel für die deutsche Auseinandersetzung mit Postone liefert Falko Schmieder, Zur Kritik der Rezeption des Marxschen Fetischbegriffs, in: Marx-Engels-Jahrbuch 2005, Berlin 2006, insbesondere S. 125ff. 493 Siehe Norman Levine, Hegel and the 1 8 6 1 - 6 3 Manuscripts of Das Kapital, in: Rethinking Marxism 14/4 (2002), S. 47fr. 494 Scott Meikle, Essentialism in the Thought of Karl Marx, London 1985, S. viii. 495 Siehe Tom Rockmore, Marx after Marxism. The Philosophy of Karl Marx, Oxford 2002.

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Weitere Interpretationen zum Marxschen Verhältnis zu Hegel wurden in der Vergangenheit in der Zeitschrift Capital & Class publiziert. So untersucht Robert Fine (nicht zu verwechseln mit einem noch bekannteren angelsächsischen Marxforscher namens Ben Fine496) entgegen der Forschungstendenz, die darin besteht, vor allem die Wissenschaft der Logik als Marxschen Bezugspunkt in den Vordergrund zu stellen, das Verhältnis des Kapital zur Hegeischen Rechtsphilosophie.497 Ian Fraser vertritt eine „extreme" Parallelisierung von Marx und Hegel.498 Die Dialektikkonzeption beider Denker sei dieselbe, „one and the same, two of a kind." Fraser wendet sich kritisch gegen die Marxsche Hegelkritik, der bekanntlich die Annahme der (von Fraser geleugneten) wesentlichen Verschiedenheit der Dialektikkonzeptionen beider Denker zugrunde liegt. Christopher Arthur, der sich in den 70er Jahren mit der Marxschen Wertformtheorie beschäftigt hatte,499 vertritt in der aktuellen Diskussion den Ansatz einer „hegelianisierenden" Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie, nämlich die sog. „New Dialectic"-Richtung. Diese Theorieströmung fokussiert auf eine formtheoretische Lesart der Kritik der politischen Ökonomie und grenzt sich kritisch von der durch Friedrich Engels inspirierten historizistischen bzw. logisch-historischen Interpretation der Marxschen Methode ab, wobei insbesondere die Engelssche Deutung des Kapital-Anfangs als Darstellung einer vorkapitalistischen „einfachen Warenproduktion" als unhaltbar angesehen wird.500 (Hier existieren gewisse Übereinstimmungen mit deutschen Forschungsergebnissen.) Arthur erkennt in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie eine „systematische" Dialektik. Der „New Dialectic"-Ansatz501 Christopher Arthurs hat in der anglophonen Welt eine wichtige Kontroverse ausgelöst502 und wird zudem auch in der französischen, italienischen, deutschen und lateinamerikanischen Forschung beachtet.

496 Siehe Ben Fine, Alfredo Saad-Filho, Marx's Capital, London 2003. Hierbei handelt es sich um eine in der angelsächsischen Welt weit verbreitete Einführung ins Marxsche Hauptwerk. 497 Siehe Robert Fine, The Marx-Hegel Relationship: Revisionist Interpretations, in: Capital & Class 75 (2001), S. 71ff. 498 Siehe Ian Fraser, Two of a Kind: Hegel, Marx, Dialectic and Form, in: Capital & Class 61 (1997), S. 8Iff. 499 Siehe Chris Arthur, Dialectic of the Value-Form, in: Diane Elson (Hg.), Value. The Representation of Labour in Capitalism, London 1979, S. 67ff. 500 Siehe Christopher Arthur, Engels as Interpreter of Marx's Economics, in: Christopher Arthur (Hg.), Engels Today. A Centennary Appreciation, London, N e w York 1996, S. 173ff. Arthur richtet Kritik nicht nur gegen Engels, sondern auch gegen Ernest Mandel: Chris Arthur, Marx, Orthodoxy, Labour, Value, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx' Ökonomiekritik im Kapital (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1999), Hamburg 2000, S. 5f. 501 Siehe Christopher Arthur, The New Dialectic and Marx's Capital, Leiden u. a. 2002. Ein früheres einflussreiches Buch von Arthur rückt die Marxschen Manuskripte von 1844 ins Zentrum: Christopher Arthur, Dialectics of Labour: Marx and his Relation to Hegel, Oxford 1986. 502 Die Zeitschrift Historical Materialism hat einen Großteil der Ausgabe 13/2 der Debatte um The New Dialectic and Marx 's Capital gewidmet. Siehe Patrick Murray, The New Giants Staircase. A Contribution to a Symposium on Christopher Arthur's book The New Dialectic and Marx's Capital, in: Historical Materialism 13/2 (2005), S. 6 1 f f , sowie weitere Diskussionsbeiträge in dieser Ausgabe.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

Arthur befindet sich in einem kritischen Dialog mit einem konkurrierenden Ansatz, nämlich mit dem kanadischen Flügel der Schule von Kozo Uno, repräsentiert durch Robert Albritton.503 Eine ausfuhrlichere Auseinandersetzung mit Interpretationsansätzen von Christopher Arthur, Tony Smith und Patrick Murray folgt in Teil 3 dieser Studie. An dem sich spätestens seit Anfang der 90er Jahre entwickelnden angelsächsischen Diskussionszusammenhang um Christopher Arthur, Fred Moseley u. a. partizipiert auch der Niederländer Geert Reuten, der Überlegungen dazu liefert, wie eine theoretisch angemessene Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie erarbeitet werden könnte. Reuten geht es u. a. darum, dass eine Theorie des spezifisch gesellschaftlichen Werts entwickelt werden sollte, welche ohne die von ihm als irritierend empfundene „physical substanceembodiment"-Metaphorik auskommt. 504 Einen anderen Ansatz als Arthur verfolgt Berteli Oilman, einer der bekanntesten Marx- und Dialektik-Experten in den USA. Sein Standardwerk Dance of the Dialectic505 „brings together the best of my life's work on dialectics", 506 es ist sozusagen eine „Best of'-Ausgabe aus früheren Büchern und Aufsätzen. Wichtig ist dieses Werk u. a. deshalb, weil es eine Fragestellung widerspiegelt, die sich um die Reichweite der Marxschen dialektischen Methode dreht. Oilman richtet seine Kritik gegen eine Reihe von Autoren, deren Ansätze er der Rubrik „Systematic Dialectics" subsumiert. Hierbei handle es sich um eine Interpretationsrichtung der dialektischen Methode von Marx, die Oilman durch Christopher Arthur und Tony Smith sowie durch die Uno-Schüler Thomas Sekine und Robert Albritton repräsentiert sieht. Diese Interpretationsrichtung besitze folgende Charakteristika: Die Marxsche dialektische Methode werde auf eine „Darstellungsmethode" reduziert; diese Darstellungsmethode werde im ersten Band des Kapital verortet; eine entsprechende Logik habe Marx im Wesentlichen von Hegel übernommen. 507 Oilman behauptet, die Marxsche Darstellung im ersten Band des Kapital lasse

503 Siehe Chris Arthur, Dialectics and Deconstruction in Political Economy [Rezension des Buchs von Robert Albritton], in: Historical Materialism 10/1 (2002), S. 253. Siehe auch die Replik Albrittons, in der er versucht, wichtige Differenzen zwischen dem kanadischen Flügel der Uno-Schule und Christopher Arthur herauszuarbeiten: Robert Albritton, A Response to Chris Arthur, in: Historical Materialism 10/2 (2002), S. 207ff.; Albritton hat auch eine Kritik an Arthurs Buch The New Dialectic and Marx 's Capital formuliert: „It is my belief that his account gets stuck on two specific oppositions: the opposition between value and use-value and between capital and labour. It seems to me that a dialectical approach based on the work of Japanese political economists Uno and Sekine can deal with these oppositions in a much more effective way than does Arthur, a way that conceives Marx's theory of capital as a much more coherent dialectic, while, at the same time, presenting a potentially much more powerful way of theorising class struggle", so Robert Albritton, How Dialectics Runs Aground: The Antinomies of Arthur's Dialectic of Capital, in: Historical Materialism 13/2 (2005), S. 167. 504 Siehe Geert Reuten, The Difficult Labor of a Theory of Social Value: Metaphors and Systematic Dialectics at the Beginning of Marx's Capital, in: Fred Moseley (Hg.), Marx's Method in „Capital". A Reexamination, Atlantic Highlands/USA 1993, S. 89ff. 505 Siehe Berteli Oilman, Dance of the Dialectic. Steps in Marx's Method, Urbana/USA 2003. 506 Ebd., S. ix. 507 Siehe ebd., S. 182.

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sich nicht auf die tatsächlich dort vorhandene systematische Dialektik reduzieren. „Systematic Dialectics can only be understood as an misguided attempt to reduce Marx's varied strategies of presentation to a single one, albeit one that does play a major role in expounding the systematic nature of the capitalist mode of production in Capital I."508 Zudem lasse sich Marx' dialektische Methode nicht auf eine „Darstellungsmethode" reduzieren. Oilman favorisiert einen viel weiter gefassten Begriff der dialektischen Methode von Marx und hat hierbei eine ontologische Dimension sowie eine epistemologische Dimension genauso im Blick wie eine der „inquiry", eine Dimension der „intellectual reconstruction (or self-clarification)", weiterhin eine der Darstellung und schließlich noch eine Dimension der Praxis.

Ende der 1970er/Anfang der 80er Jahre entstand u. a. im Kontext der Rezeption von Gerald Cohens Rekonstruktionsversuch des historischen Materialismus509 die Strömung des sog. „analytischen Marxismus"510. Hierbei handelt es sich um eine genuin angelsächsische Denkrichtung. Zwar unterscheiden sich die Ansätze verschiedener unter diesem Begriff (der übrigens auch als Selbstbezeichnung verwendet wird) subsumierter Forscher ζ. T. erheblich,511 doch können Grundzüge benannt werden, die zumindest den Ansätzen zweier der bekanntesten Hauptvertreter dieser Forschungsrichtung - Jon Elster und John Roemer - gemeinsam sind. In erster Linie wäre hier die Ablehnung der Dialektik zu nennen. Entscheidend ist auch der positive Rückgriff auf methodologische Paradigmen der modernen Wirtschafts- und Sozialwissenschaft nicht-marxistischer Provenienz. Hierbei kommt dem methodologischen Individualismus eine zentrale Bedeu-

508 Ebd., S. 186. 509 Siehe Gerald A. Cohen, Karl Marx's Theory of History. A Defence, Oxford 2000. Die Erstausgabe stammt von 1978. 510 Siehe ζ. Β. Fabien Tarrit, A Brief History, Scope, and Peculiarities of „Analytical Marxism", in: Review of Radical Political Economics 38/4 (2006), S. 595ff. Siehe auch Torsten Niechoj, Analytischer Marxismus - eine rationale Wahl? Stand und Perspektive eines Forschungsprogramms, in: Olaf Gerlach, Stefan Kalmring, Andreas Nowak (Hg.), Mit Marx ins 21. Jahrhundert. Zur Aktualität der Kritik der Politischen Ökonomie, Hamburg 2003, S. 180ff. Insgesamt haben sich nur relativ wenige deutschsprachige Autoren mit dem analytischen Marxismus wirklich intensiv auseinandergesetzt, darunter auch: Klaus Müller, Analytischer Marxismus. Technischer Ausweg aus der theoretischen Krise?, in: Prokla 72 (1988), S. 39ff. 511 Auf die Heterogenität innerhalb des „analytischen Marxismus" macht auch ein vehementer Kritiker des „analytischen Marxismus" aufmerksam: Marcus Roberts, Analytical Marxism. A Critique, London 1996, S. 213. Zur Unterschiedlichkeit von Gerald Cohens „Funktionalismus" und Jon Elsters sowie John Roemers Individualismus siehe Alex Callinicos, Introduction au marxisme analytique, in: Jacques Bidet, Jacques Texier, Le marxisme analytique anglo-saxon (= Actuel Marx 7), Paris 1990, S. 15fF. Die theoretische Heterogenität des „analytischen Marxismus" erwähnen auch: Philippe Van Parijs, Analytischer Marxismus, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 1, Hamburg 1994, Sp. 204; Alex Callinicos, Contours of Anglo-Saxon Marxism, o. O. 2004, im Internet: http://www.psa.ac.uk/spgrp/marxism/online/callinicos.pdf (letzter Zugriff: 26. 11.2008), S. 5ff.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

tung zu. John Roemer spricht den von ihm behaupteten Sachverhalt ganz offen aus: „With respect to method, I think Marxian economics has much to learn from neoclassical economics."512 John Roemer bezog sich Anfang der 1980er Jahre positiv auf einen „microfoundations approach" in der Methodologie. „The microfoundations approach consists", so fuhrt Roemer aus, „in deriving the aggregate behavior of an economy as a consequence of the actions of individuals, who are postulated to behave in some specified way."513 Damit besitzt ein methodologischer Individualismus zentralen Stellenwert innerhalb von Roemers Denken. Den Hauptvertretern des „analytischen Marxismus" scheint es vor allem darum gegangen zu sein, durch die theoretische Strenge und Klarheit, die sie mit der formalen Logik sowie der Methodologie moderner nicht-marxistischer Sozialwissenschaft verbinden, sich von einer mit dem Erbe dialektischen Denkens „belasteten" marxistischen Theorietradition abzusetzen, die sie - gemäß ihres Ansatzes ganz folgerichtig - in die Nähe des Obskurantismus rücken. Dabei ist es durchaus bezeichnend, dass die (nach dem Zeitpunkt der regelmäßigen Zusammenkünfte benannte) „Septembergruppe", die als internes Diskussionsforum wichtiger Repräsentanten des „analytischen Marxismus" der 1980er Jahre diente, als zweiten Namen die Bezeichnung „Non-Bullshit Marxism Group" trug. Die methodologischen Ansätze „analytischer Marxisten" waren seitens der Vertreter marxistisch-dialektischen Denkens in der Regel genauso mit Ablehnung konfrontiert wie dies umgekehrt der Fall war. Jon Elster514 bezieht sich nicht nur kritisch auf die Dialektik, sondern lehnt auch die Arbeitswertlehre ab. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Elsters „analytischer Marxismus" keineswegs die einzige Strömung innerhalb der angelsächsischen Debatte war, welche die Arbeitswertlehre (in ihrer Marxschen Gestalt) beiseite stieß. Ähnlich geschah dies - wenn auch von anderen theoretischen Standpunkten aus - innerhalb der an den italienischen Ökonomen Piero Sraffa anbindenden neoricardianischen Theoriebildung, die in den 60er/70er Jahren in der angelsächsischen Welt auf Resonanz traf und z. T. auf die Tendenz hinauslief, die Marxsche Arbeitswertlehre beiseite zu schieben. Andere Theorierichtungen wiederum verteidigten die Marxsche Werttheorie mit Vehemenz. Elster selbst macht deutlich, dass mit seinem methodologischen Individualismus gemeint ist, dass „all social phenomena - their structure and their change - are in principle explicable in ways that only involve individuals - their properties, their goals, their beliefs and their actions."515 In einer Reaktion auf die Kritik, die an Marx orientierte Theoretiker an seiner (Elsters) Methodologie üben, schreibt Elster: „I regard methodological individualism as trivially true, worth stating only because triviality notwithstanding it was regularly violated by Marx."516 Wie auch John Roemer steht

512 John E. Roemer, „Rational Choice" Marxism: some issues of method and substance, in: John E. Roemer (Hg.), Analytical Marxism, Cambridge 1986, S. 191. 513 John E. Roemer, Analytical Foundations of Marxian Economic Theory, Cambridge 1981, S. 7. 514 Elster ist Norweger, aber er bewegt sich im Kontext eines spezifisch angelsächsischen Diskurses und wird hier daher der angelsächsischen Diskussion zugerechnet. 515 Jon Elster, Making Sense of Marx, Cambridge 1985, S. 5. 516 Jon Elster, Reply to Comments on Making Sense of Marx, in: Inquiry 29/1 (1986), S. 66f.

2.7. DIE ANGELSÄCHSISCHE WELT

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Elster der Spieltheorie offen gegenüber.517 Es stellt sich die Frage, was Elster eigentlich als „Marxisten" qualifizieren soll. Für ihn selbst scheint ein Kerngehalt des Marxschen Denkens in der Kritik an Ausbeutung und Entfremdung zu bestehen. An dieses Element des Marxschen Denkens beansprucht Elster anzuknüpfen - durchaus unter Berücksichtigung einer ethischen Dimension.518 Die Diskussion (ebenso wie die Ausbreitung) des „analytischen Marxismus" fand zu einem Großteil innerhalb des englischen Sprachraums statt. Thomas Mayer unterstützte den Ansatz „to gain the power of bourgeois social scientific methodology".519 Andere, ζ. Β. Michael Lebowitz, kritisierten den „analytischen Marxismus" mit Vehemenz: „not only is there not much of Marx left in Analytical Marxism, but its essential thrust [...] is a«ri-Marxist."520 Folglich sprach Lebowitz den Vertretern dieses Ansatzes auch in terminologischer Hinsicht den „Marxismus" ab. Lebowitz deutet an, dass der „analytische Marxismus" die Prämisse des methodologischen Individualismus noch nicht einmal begründe („unsupported premise"). Lebowitz schreibt mit kritischem Unterton: „It is not supported because it need not be: the power of Conventionalism in contemporary social science ensures that such a premise will be accepted as the common sense of scientific practice."521 In den letzten Jahren geriet die Kontroverse um den analytischen Marxismus in der angelsächsischen Marx- und Marxismus-Diskussion allerdings zunehmend in den Hintergrund.

Mittlerweile hat sich in der angelsächsischen Welt eine reichhaltige und differenzierte methodologische Marx-Diskussion entfaltet, die längst an Eigenständigkeit gewonnen hat. Wenn Fred Moseley im Jahre 2002 bemerkte, dass „the level of Marxian scholarship is higher today than ever before", 522 so gilt dieser Ausspruch fur die angelsächsische methodologische Diskussion der letzten Jahre ganz sicher. Dennoch wird von dem Italiener 517 „How should Marxist social analysis relate to bourgeois social science? The obvious answer is: retain and develop what is valuable, criticize and reject what is worthless. Marxist social science has followed the opposite course, however. By assimilating the principles of functionalist sociology, reinforced by the Hegelian tradition, Marxist social analysis has acquired an apparently powerful theory that in fact encourages lazy and frictionless thinking. By contrast, virtually all Marxists have rejected rational-choice theory in general and game theory in particular. Yet game theory is invaluable to any analysis of the historical process that centers on exploitation, struggle, alliances, and revolution", so Jon Elster, Marxism, Functionalism, and Game Theory, in: Theory and Society 11/4(1982), S. 453. 518 Es ist bemerkenswert, dass sich die drei bekanntesten Theoretiker, die gewöhnlich dem „analytischen Marxismus" zugerechnet werden - nämlich Elster, Roemer und Cohen - , inzwischen ethischsozialphilosophischen Debatten zugewandt haben. 519 Thomas Mayer, In Defense of Analytical Marxism, Science and Society 53 (1989), S. 439. 520 Michael Lebowitz, Is,.Analytical Marxism" Marxism?, in: Science and Society 52 (1988), S. 212. 521 Michael Lebowitz, Analytical Marxism and the Marxian theory of crisis, in: Cambridge Journal of Economics 18 (1994), S. 165. 522 Fred Moseley, The „Heart and Soul" of Marx's Critique of Capitalism: Exploitation or Social Form - or Both? A Reply to Patrick Murray, in: Rethinking Marxism 14/3 (2002), S. 128.

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Riccardo Bellofiore - in einem zusammen mit der Australierin Nicola Taylor für ein anglophones Publikum verfassten Text - auf Defizite der angelsächsischen Marx-Debatte hingewiesen: „The immaturity of Marxist research in this language", also in englischer Sprache, „can be measured by the fact that most of the new primary and secondary literature coming out from the MEGA 2 is almost unknown." Ein „testimony to the poor state of contemporary Marxian theory everywhere, but especially in the English-speaking world, is that after Rosdolsky's [...] classic book almost nothing is known of the following debates on Marx's method in Germany." 523 Dies gelte sowohl mit Blick auf eine „erste Welle" der deutschen Debatte, der u. a. Backhaus, Reichelt, Tuchscheerer und Alfred Schmidt zugerechnet werden, als auch in Hinblick auf eine „zweite Welle", die u. a. durch Jahn, Schwarz und Manfred Müller repräsentiert sei. Bellofiore liest der englischsprachigen Leserschaft die Leviten: „No informed discussion - either about the ,form' of value in relation to the , substance' of value or about Marx having abandoned the category of capital ,in general' - can be pursued very far without taking these works into account". 524 Allerdings darf Bellofiores Kritik - obwohl sie im Kern zumindest in Bezug auf eine jüngere Generation angelsächsischer Marx-Rezipienten teilweise richtig ist525 - ein kleines Stück weit relativiert werden. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass es zahlreiche Parallelen und damit durchaus mögliche Anknüpfungspunkte für eine gemeinsame Diskussion zwischen der deutschen und der angelsächsischen Forschung gibt bzw. gäbe. Dieser Punkt scheint mir noch wichtiger als die (gerechtfertigte) Bennenung von Rezeptionsversäumnissen zu sein. Ein Manko zumindest von einem Teil der angelsächsischen Diskussion der Kritik der politischen Ökonomie besteht darin, dass die MEGA 2 mit ihrer Berücksichtigung des Vollständigkeitsprinzips und der Textentwicklung teilweise noch immer nicht hinreichend zur Kenntnis genommen wird. Es gibt aber auch Beispiele für eine geradezu „enthusiastische" Rezeption der MEGA 2 , etwa ihre Bezeichnung als „Dead Sea Scrolls of Marxism" durch den US-Amerikaner Norman Levine. Die Marx-Engels Collected Works (abgekürzt MECW, die wichtigste und umfangreichste englischsprachige Marx-EngelsAusgabe) sind zwar auf der Grundlage der MEGA 2 und in Kooperation mit deren Herausgeberinstituten entstanden, 526 haben aber nicht die Editionsprinzipien der MEGA 2 übernommen. Allerdings wurden in der angelsächsischen Rezeption von Marx und Engels auch Texte bzw. Textfassungen zur Kenntnis genommen, die nicht in der MECW Aufnahme fanden. Mit Kevin Anderson ging bereits 1983 ein angelsächsischer Autor auf die von Karl Marx selbst redigierte französische Kapital-Ausgabe von 1872-75 ein und

523 Nicola Taylor, Riccardo Bellofiore, Marx's Capital /, the Constitution of Capital: General Introduction, in: Riccardo Bellofiore, Nicola Taylor (Hg.), The Constitution of Capital. Essays on Volume 1 of Marx's Capital, London 2004, S. 4. 524 Ebd. 525 Dass Teile der älteren angelsächsischen Forschergeneration sich sehr wohl mit der deutschsprachigen Debatte auseinandergesetzt haben, ist leicht nachzuweisen. Neben Vertretern des „Projekts Sydney-Konstanz" ist auch Norman Levine als Kenner der deutschsprachigen Forschung zu nennen. 526 Siehe Lew Golman, Die Herausgabe der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels in englischer Sprache, S. 435ff.

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leistete damit wertvolle Pionierarbeit.527 Denjenigen Marx-Interessierten, die ausschließlich die englische Sprache beherrschen, bleibt indes ein Teil wichtiger Marx-Texte bzw. Textfassungen verschlossen, nämlich diejenigen Texte oder Textfassungen, die weder in den 50-bändigen Marx-Engels-Collected Works Aufnahme gefunden haben, noch separat in englischer Übersetzung erschienen sind - ganz zu schweigen von der großenteils in japanischer, russischer und deutscher Sprache vorhandenen MEGA2-begleitenden Spezialliteratur. Betrachtet man die Geschichte der methodologisch-gesellschaftstheoretischen MarxDiskussion in den angelsächsischen Ländern in den letzten Jahrzehnten, so ist festzustellen, dass die einst über viele Jahre hinweg bestehenden Defizite durch Forschungen besonders in den 1970er bis 90er Jahren großenteils behoben werden konnten. Dies lag zum einen an der Rezeption von Tendenzen aus der nicht-angelsächsischen Forschung, zum anderen an der Herausbildung bedeutender „autochthoner" Diskurse. Die Vielzahl wissenschaftlicher Zeitschriften, die der an Marx orientierten Theoriebildung ein Forum geboten haben oder immer noch bieten, spielte eine große Rolle. (Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind zu nennen: Capital & Class, Science and Society, Historical Materialism, Rethinking Marxism, Critique, Studies in Marxism, Research in Political Economy, Review of Radical Political Economics, Thesis Eleven, New Left Review, Radical Philosophical Review.) An das innovative Potenzial der internationalen Forschung reicht die angelsächsische Marx-Rezeption mittlerweile heran, aber teilweise noch nicht an die Werkkenntnis (im Hinblick auf das Marxsche ökonomische bzw. ökonomiekritische Gesamtwerk) von Teilen der japanischen und deutschen Forschung. Es ist bezeichnend, dass innerhalb der großen Debatte zum Thema „Marx, Engels und der dritte Kapital-Band",528 die Mitte der 90er Jahre im Anschluss an die Edition des MEGA2-Bandes II.4.2 stattfand, die angelsächsische Forschung keineswegs die „erste Geige spielte" - gemeint ist eine wichtige Debatte im Anschluss an die erstmalige Edition des Marxschen Manuskripts zum dritten Band aus dem sog. Kapital-Entwurf von 1863 -1865 in der originalen Fassung (und nicht gemäß der Engelsschen Redaktion). Die angelsächsische Marx-Rezeption war und ist summa summarum nicht so eng an das sukzessive Fortschreiten der MEGA2-Edition und somit an die systematische Erschließung neuen und wichtigen Marxschen und Engelsschen Quellenmaterials ange-

527 Siehe Kevin Anderson, The „Unknown" Marx's Capital, Volume I: The French Edition of 1 8 7 2 7 5 , 1 0 0 Years Later, in: Review of Radical Political Economics 15/4 (1983), S. 71ff. 528 Siehe u. a. Diethard Behrens, Ein Kommentar zum MEGA 2 -Band II/4.2, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Engels' Drackfassung versus Marx' Manuskripte zum III. Buch des „Kapital" (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1995), Hamburg 1995, S. 5ff.; Rolf Hecker, „Das Kapital"-Seminar in Tokio, November 1994. Konferenzbericht, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Engels' Druckfassung versus Marx' Manuskripte zum III. Buch des „Kapital", S. 185ff.; Jürgen Jungnickel, Carl-Erich Vollgraf, Engels' Redaktionsunterlagen zu Marx' Manuskript von 1864/65, das 1894 als Band III des „Kapitals" erschien, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Engels' Druckfassung versus Marx' Manuskripte zum III. Buch des „Kapital", S. 27ff.; Carl-Erich Vollgraf, Jürgen Jungnickel, „Marx in Marx' Worten"? Zu Engels' Edition des Hauptmanuskripts zum dritten Buch des Kapital, in: MEGA-Studien 1994/2, Amsterdam 1995, S. 3ff.

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2. DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

bunden wie Teile der japanischen und deutschen Forschung. Daher mag der Eindruck entstehen, dass die angelsächsische Debatte zumindest in diesem Punkt weniger „aktuell" ist.

Kritischer Exkurs zu Perry Andersons In the Tracks of Historical Materialism Es wurde bereits zu Anfang dieser Studie auf Perry Andersons vielrezipierte Auseinandersetzung mit dem „Westlichen Marxismus" hingewiesen, den Anderson hauptsächlich in Frankreich, Mitteleuropa und Italien lokalisierte. Anderson erhoffte sich im Jahr 1976 nicht nur eine „produktive" Überwindung des „Westlichen Marxismus", sondern auch, dass die angelsächsische Welt in der zukünftigen Weiterentwicklung der marxistischen Theorie eine wichtige Rolle spielen würde - trotz des dort „vergleichsweise bescheidene[n] Entwicklungsstand^] der marxistischen Kultur".529 1 983 erschien eine kurze Nachfolgearbeit zu den sieben Jahre zuvor publizierten Considerations on Western Marxism, in der Perry Anderson andeutete, dass sich letztere Hoffnung bereits erfüllt habe.530 Mehr noch: Die „geographische Struktur" der marxistischen Theoriebildung habe sich seit den 70er Jahren fundamental geändert. „Today the predominant centres of intellectual production seem to lie in the English-speaking world, rather than in Germanic or Latin Europe, as it was the case in the inter-war and post-war periods respectively. That shift in locus represents an arresting historical change. Very much as I had felt might happen, the traditionally most backward zones of the capitalist world, in Marxist culture" - damit meint Anderson die angelsächsischen Länder - , „have suddenly become in many ways the most advanced."531 Allem Anschein nach läuft Andersons „geographische" Entwicklungsgeschichte des (damals) jüngeren marxistischen Denkens auf die Konstruktion einer internationalen Hierarchie hinaus. An die Spitze stellt der Brite seine Landsleute: „The traditional relationship between Britain and Continental Europe appears for the moment to have been effectively reversed - Marxist culture in the UK for the moment proving more productive and original than that of any mainland state."532 Die „Cousins" von der gegenüberliegenden Atlantikküste rangieren knapp darunter. In Nordamerika habe sich der entsprechende Wandel als „a more restricted but not dissimilar change"533 vollzogen. Die Deutschen lässt Anderson immerhin noch im soliden Mittelmaß stagnieren. Deutschland „saw neither a qualitative growth of Marxist culture of the Anglo-American type nor a precipitous fall-back of the Franco-Italian kind, but rather the consolidation of a traditionally strong production [,..]"534 Von nun an geht es gemäß Anderson - schon in die Niederungen der internationalen Theorielandschaft, nämlich zum „Latin Marxism" bzw. zur „Latin recession within the international map of

529 530 531 532 533 534

Perry Anderson, Über den westlichen Marxismus, S. 149. Siehe Perry Anderson, In the Tracks of Historical Materialism, Chicago, London 1983. Ebd., S. 24. Ebd., S. 25. Ebd. Ebd., S. 68.

2.7. DIE ANGELSÄCHSISCHE WELT

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contemporary Marxism." 535 Anderson behauptet: „At the very time when Marxism as a critical theory has been in unprecedented ascent in the English-speaking world, it has undergone a precipitous descent in the Latin societies where it was most powerful and productive in the post-war period. In France and Italy above all, the two leading homelands of a living historical materialism in the fifties and sixties, for anyone like myself who learnt much of their Marxism from these cultures, the massacre of ancestors has been impressive." 536 Doch auch hier gibt es subtile Nuancen. Die Franzosen trifft Andersons Verdikt im Grunde genommen noch schlimmer als die Italiener. Erstere seien besonders tief gesunken. Frankreich habe nämlich - so behauptet Anderson - nach dem Zweiten Weltkrieg „a cosmopolitan paramountcy in the general Marxist universe" 537 innegehabt. Die restlichen Weltregionen nimmt Anderson nicht oder wenig zur Kenntnis. Wenn er von „Latin Marxism" spricht, meint er nicht oder kaum die Lateinamerikaner, sondern die „Lateineuropäer". Wenn Anderson von Deutschland spricht, bezieht er sich auf die Bundesrepublik, denn die Marx-Beschäftigung in der DDR interessiert ihn allem Anschein nach nur wenig. Selbst die Marx-Interpretation in Japan ist in Andersons Weltkarte des marxistischen Denkens nicht verzeichnet. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die thematische Bandbreite des marxistischen Denkens, die Anderson im Blick hat, weit über die eigentliche Interpretation der Marxschen Ökonomiekritik (im engeren Sinne) hinausgeht. Doch bildet gerade die intensive Beschäftigung mit der Kritik der politischen Ökonomie, d. h. mit den von Marx überlieferten Texten zu diesem Problemkreis, ein entscheidendes Element des gesamten an Marx anknüpfenden Denkens überhaupt. Spitzt man jedenfalls den Blickwinkel auf die Auseinandersetzung mit der Marxschen Ökonomiekritik zu, so ergibt sich für die 80er Jahre ein anderes Bild. Was für eine Situation lag in den 1980er Jahren vor - also in dem Dezennium, in dem Perry Anderson seine Thesen aussprach? In diesem Jahrzehnt wurde das an die Marxsche Ökonomiekritik anknüpfende Denken gerade auch außerhalb der angelsächsischen Welt in verschiedene Richtungen positiv weiterentwickelt. In der lateinamerikanischen Debatte erarbeitete Enrique Dussel umfangreiche Kommentare zu den „vier ATa/?¿ta/-Entwürfen",538 die in der angelsächsischen Welt in dieser Form kein Pendant haben. In Japan entwickelte beispielsweise Tomonaga Tairako seinen reifikationstheoretischen Interpretationsansatz der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. In der Bundesrepublik Deutschland stagnierte die Entwicklung der Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik nicht, sondern bildete sich in produktiver Weise fort - hier kann an Interpreten wie Helmut Brentel und Dieter Wolf gedacht werden. Was geschah in dem Land, dessen marxistische Kultur von Anderson am meisten gescholten wird, in Frankreich? Die 80er Jahre waren von entscheidender Bedeutung für die Herausbildung der Kapital-Lektüre beispielsweise von Jacques Bidet, dessen wichtige Studie Que faire du „Capital"? von 1985 inzwischen auch in der angelsächsischen Welt auf großes Interesse 535 536 537 538

Ebd., S. 32. Ebd., S. 30. Ebd., S. 32. Dussels bekannte Trilogie wurde im Zeitraum 1985-1990 publiziert.

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2 . DIE FORTENTWICKLUNG DER MARX-DEBATTE

trifft. Insgesamt betrachtet kann von einem theoretischen Niedergang des französischen Marx-Diskurses in den 80er Jahren und danach nicht die Rede sein. Hingegen formierte sich als eine der bekanntesten Strömungen des angelsächsischen Marxismus der 80er Jahre der inzwischen weitgehend in der Versenkung verschwundene „analytische Marxismus", der summa summarum gerade unter methodologischem Gesichtspunkt als theoretischer Rückschritt betrachtet werden muss. Was von Andersons Schrift letztendlich bleibt, ist der ihr zugrunde liegende Anspruch, den eigenen, d. h. den angelsächsischen marxistischen Diskurs als innerhalb der internationalen Theoriedebatte geradezu bestimmend zu profilieren. Als Fazit bleibt zu konstatieren: In the Tracks of Historical Materialism kann unter inhaltlichem Gesichtspunkt nicht überzeugen.

3. Vertiefungen - Zentrale Diskurse innerhalb der deutschen und der internationalen Marx-Diskussion von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart

Bei den folgenden thematischen Vertiefungen spielen Ansätze zur Interpretation der Methode der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie eine besondere Rolle. Die rezeptionsgeschichtliche Beschäftigung mit der Marxschen Methode wird hier insofern betrachtet, als letztere auf den Gegenstand der Ökonomie bezogen ist. Trotz des äußerst problematischen Gehalts der methodologischen Auseinandersetzung, die Friedrich Engels in seiner bekannten Rezension der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie leistete, gehört ihm das Verdienst, im Jahre 1859 als einer der allerersten Interpreten auf die Bedeutung der „Herausarbeitung der Methode, die Marx's Kritik der politischen Ökonomie zum Grunde liegt" (MEGA2 II.2, S. 252), hingewiesen zu haben (allerdings unterliefen dem Marx-Freund in seiner Rezension Interpretationsfehler, die sich in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht geradezu fatal auswirkten). Obwohl also die methodologische Problematik bereits zu Lebzeiten des Trierers innerhalb der Marx-Rezeption diskutiert wurde (wovon neben der Rezension seines besten Freundes auch die dem Nachwort zur zweiten Ausgabe des ersten Kapital-Bandes beigegebene Übersicht [siehe MEGA2 II.6, S. 704ff.] zeugt), trat die methodologische Diskussion mit dem Aufkommen des sog. Westlichen Marxismus nach dem Ersten Weltkrieg in ein neues Stadium ein. Bei Georg Lukacs, in Geschichte und Klassenbewusstsein von 1923, rückte die Problematik der „Methode" ins Zentrum der Aufmerksamkeit.1 Wenn aber im Folgenden - mitunter - auf die Entwicklungsgeschichte der Debatte zur Methode der Marxschen Ökonomiekritik fokussiert wird, so zielt die Aufmerksamkeit auf unterschiedliche historische Versuche, die im Zusammenhang mit der Interpretation der Marxschen Methode gerade auch Aus1

Angenommen, so schreibt der ungarische Philosoph, die „neuere Forschung hätte die sachliche Unrichtigkeit sämtlicher einzelnen Aussagen von Marx einwandfrei nachgewiesen, so könnte jeder ernsthafte .orthodoxe' Marxist alle diese neuen Resultate bedingungslos anerkennen, sämtliche einzelnen Thesen von Marx verwerfen - ohne fur eine Minute seine marxistische Orthodoxie aufgeben zu müssen. Orthodoxer Marxismus bedeutet also nicht ein kritikloses Anerkennen der Resultate von Marx' Forschung, bedeutet nicht einen .Glauben' an diese oder jene These, nicht die Auslegung eines .heiligen' Buchs. Orthodoxie in Fragen des Marxismus bezieht sich vielmehr ausschließlich auf die Methode. Sie ist die wissenschaftliche Überzeugung, dass im dialektischen Marxismus die richtige Forschungsmethode gefunden wurde, dass diese Methode nur im Sinne ihrer Begründer ausgebaut, weitergeführt und vertieft werden kann. Dass aber alle Versuche, sie zu überwinden oder zu .verbessern' nur zur Verflachung, zur Trivialität, zum Eklektizismus geführt haben und dazu führen mussten", so Georg Lukacs, Was ist orthodoxer Marxismus?, in: Georg Lukacs, Geschichte und Klassenbewusstsein. Studien über marxistische Dialektik, Neuwied, Berlin/West 1971, S. 58f.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

sagen über den Marxschen Gegenstand treffen. Letztendlich steht hinter hier angesprochenen Ansätzen zur Erforschung der Marxschen Methode eine Reihe von theoretischen Versuchen, die im Anschluss an Marx auch an der Erforschung der kapitalistischen Produktionsweise, d. h. des Marxschen Gegenstands selbst mitarbeiten. Die Marxsche Auseinandersetzung mit seinem Gegenstand hatte die Erforschung und Darstellung des inneren Zusammenhangs der ökonomischen Kategorien und Verhältnisse sowie die Enthüllung des ökonomischen Bewegungsgesetzes der modernen bürgerlichen Gesellschaft zum Ziel. Generell ist an der Einsicht festzuhalten, dass die methodologische Diskussion der Marxschen Methode nicht zuletzt auch auf die „Sache selbst" abzielen muss, d. h. auf den Gegenstand, auf den sich die Marxsche Methode bezieht. Die Marxsche Methode kann einem angemessenen Methodenverständnis zufolge nicht nach willkürlichen Kriterien entstanden und äußerlich an den Gegenstand herangetragen sein, sondern muss dessen innerer Struktur selbst gewissermaßen entsprechen. Letztendlich rückt bei einem adäquaten methodologischen Marx-Rezeption über die Beschäftigung mit der Marxschen Methode auch dessen Gegenstand selbst in den Mittelpunkt. Die Problematik der Methode darf nicht von der Problematik des Gegenstands abgehoben werden. Der Zeitabschnitt von etwa 1980 bis heute ist durch die Herausbildung neuer Theorieströmungen in der internationalen Marx-Interpretation geprägt. Diese neue Phase ist von der in den 1950er bzw. 60er Jahren begonnenen vorhergehenden Periode und den ihr zuzuordnenden Theorieströmungen abzuheben. Insgesamt fand eine erneute Vertiefung des internationalen Marx-Diskurses statt. Wichtige Ergebnisse der theoriegeschichtlichen Entwicklung seit 1980 sind hier ausgewertet. Die folgenden Ausführungen beinhalten jedoch notwendigerweise zwei Stränge, die miteinander verwoben sind: Einerseits geht es in Gestalt von Vertiefungen zu dem im vorherigen Teil dieser Studie präsentierten Überblick über die Debatte darum, den Stand der internationalen Diskussion zur Marxschen Ökonomiekritik in Bezug auf einige wichtige Problematiken en detail zu erschließen.2 Insofern bezieht sich meine Darstellung auf rezeptionshistorische Entwicklungen vor dem Hintergrund der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Dabei ist es andererseits nicht zu vermeiden, ausfuhrlich auch auf die Marxschen Primärtexte selbst einzugehen, da diese den entscheidenden Bezugspunkt und Hintergrund der Debatte von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart darstellen. Davon kann hier keinesfalls abstrahiert werden. Dass diese beiden Stränge im Folgenden notwendigerweise immer wieder zueinander in Verbindung gesetzt werden müssen, ergibt sich aus der Sache selbst. Aber um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Es kann und soll in dieser Studie nicht darum gehen, die durch den Marxschen Ansatz selbst aufgeworfenen oder sich aus ihm ergebenden Probleme beispielsweise das vieldiskutierte Problem des Marxschen Verhältnisses zu Hegel - ein für allemal zu „lösen". Dieser Anspruch wird hier nicht gestellt.

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Indes können hier nicht alle Problemfelder von zentraler Bedeutung berücksichtigt werden.

3.1. GEGENSTANDSVERSTÄNDNIS UND WERTTHEORIE

201

3.1. Gegenstandsverständnis und Werttheorie 3.1.1. Zum Gegenstandsverständnis der Kritik der politischen Ökonomie Über den Gegenstand seiner Kritik der politischen Ökonomie gibt Marx im Vorwort zur Erstauflage des ersten Kapital-Bandes Auskunft: „Was ich in diesem Werk zu erforschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Produktions- und Verkehrverhältnisse". (MEGA2 II.5, S. 12) An einer späteren Textstelle formuliert er, es sei der „letzte Endzweck dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen". (MEGA2 II.5, S. 13f.) Zunächst einmal ist hinsichtlich der Terminologie festzustellen, dass Marx hier mit Blick auf seinen Gegenstand nicht den gegenwärtig gängigen Begriff „Kapitalismus" benutzt, obwohl dieser Terminus seinerzeit bereits existierte. Der japanische Forscher Sumio Shigeta argumentiert, dass es der internationalen Forschung noch nicht gelungen sei, eine endgültige Antwort auf die Frage zu finden, wer den Begriff „Kapitalismus" zuerst eingeführt hat. Zeitgenossen von Marx - so Shigeta weiter - benutzten diesen Terminus, aber in einer Bedeutung, die von der heutigen abweicht. Er habe noch nicht als Ausdruck „für das spezifische Wirtschaftssystem und die Gesellschaftsform der modernen Gesellschaft" 3 gedient. Bei Marx lasse sich zwar - vereinzelt - die Benutzung des Begriffs „Kapitalismus" nachweisen, jedoch bezeichne er den Gegenstandsbereich des Kapital in der Regel als „kapitalistische Produktionsweise". Dieser Terminus wiederum tritt (Shigeta zufolge) erst in den ab 1860 entstandenen Marxschen Manuskripten auf.4 Es ging Marx in der Arbeit an seinem Hauptwerk also darum, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen bürgerlichen Gesellschaft zu enthüllen und den inneren Zusammenhang der ökonomischen Kategorien und Verhältnisse innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise zu erforschen und in der Darstellung systematisch zu entwickeln. Die Marasche Formtheorie der Arbeit und seine Theorie der spezifischen ökonomischen Formbestimmtheit der Arbeitsprodukte innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise besitzen für die Kritik der politischen Ökonomie geradezu konstitutive Bedeutung. Marx bezieht sich auf die Verdopplung der Ware in Ware und Geld im valoren Austauschprozess. „Es ist nicht einfach der Austauschprozess als schlichter gesellschaftlicher Stoffwechsel', den Marx darstellt. Sondern es ist der Austauschprozess als ein gesellschaftlicher Stoffwechsel', bei dem - und dies ist eben wesentlich die Arbeitsprodukte Ware oder Geld sind, d. h. spezifische Formbestimmtheit annehmen bzw. besitzen. Dies entspricht einer bestimmten historischen Form der Gesellschaftlichkeit der Arbeiten."5 Die Marxsche Sensibilisierung für den entscheidenden Aspekt der Formbestimmtheit bildet ein Charakteristikum nicht nur der Marxschen Waren- und

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Sumio Shigeta, Zur Geschichte der Terminologie des „Kapitalismus" im 19. Jahrhundert, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Neue Aspekte von Marx' Kapitalismus-Kritik (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2004), Hamburg 2006, S. 89. Siehe ebd. Jan Hoff, Karl Marx und die „ricardianischen Sozialisten". Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Ökonomie, der Sozialphilosophie und des Sozialismus, Köln 2008, S. 91.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

Geldtheorie, sondern generell der Marxschen Theorie der kapitalistischen Produktionsweise auf allen Ebenen seiner Darstellung. Marx zufolge ist ein Schwachpunkt von ökonomischer Theoriebildung vor ihm gerade in der oftmals nicht hinreichenden Sensibilisierung von politischen Ökonomen für das Moment der Formbestimmtheit zu sehen. In den Grundrissen kritisiert Marx: „Wenn gesagt wird, daß das Capital ,angehäufte (realisirte) Arbeit (eigentlich vergegenständlichte Arbeit) ist, die als Mittel zu neuer Arbeit (Production) dient', so wird die einfache Materie des Capitals betrachtet, abgesehn von der Formbestimmung, ohne die es nicht Capital ist. Es heißt weiter nichts als Capital ist - Productionsinstrument [...]". (MEGA2 II.l.l, S. 179) Die wichtigste Studie zum Gegenstandsverständnis der Kritik der politischen Ökonomie im deutschen Sprachraum wurde von Helmut Brentel vorgelegt. Allerdings steht Brentels Ansatz in einem breiteren wissenschaftlichen Kontext, auf den zunächst eingegangen werden muss. Hierbei handelt es sich um die „Frankfurter" Strömung der Erforschung des Gegenstands- und Methodenverständnisses der Kritik der politischen Ökonomie, eine Forschungsrichtung, die zwar bisweilen en detail zu recht unterschiedlichen Resultaten gelangte, en gros aber von ähnlichen Fragestellungen ausgeht. Als ältere Vertreter dieser Richtung, welche die Forschungskontroversen innerhalb der deutschen „Marx-Gesellschaft" in großem Maße mitprägte, können insbesondere Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt gelten, eine „mittlere" Forschergeneration wird vor allem durch Helmut Brentel und Diethard Behrens repräsentiert, die Jüngere" u. a. von Nadja Rakowitz. Ein gemeinsamer Bezugspunkt dieser drei „Frankfurter" Forschergenerationen ist die kritische Absetzung ihrer Marx-Interpretation gegenüber der marxistischleninistischen Orthodoxie bzw. gegenüber Friedrich Engels' Verständnis der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie; weiterhin das Insistieren auf dem spezifischen Zusammenhang von Wert- und Geldtheorie bei Marx sowie die Erforschung des spezifischen Zusammenhangs der Sphäre der einfachen Zirkulation mit dem Kapital. Insbesondere hat der Forschungsansatz von Hans-Georg Backhaus zur spezifischen Einheit von Wertund Geldtheorie weit über den deutschen Sprachraum hinaus gewirkt, auch indirekt dadurch, dass ab den späten 1970er Jahren ein internationales Forschungsprojekt in Sidney und Konstanz einen von Backhaus inspirierten werttheoretischen Ansatz erarbeitete und einem internationalen Publikum zugänglich machte. In späterer Zeit trug das internationale „Open Marxism"-Projekt zur Verbreitung von Forschungsergebnissen von HansGeorg Backhaus und Helmut Reichelt in der anglophonen Welt bei. Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt werfen die Frage nach der spezifischen Seinsweise des Gegenstands der ökonomischen Wissenschaft auf. Bei den ökonomischen Kategorien handle es sich um eine „Realität sui generis" jenseits der Dualität von Subjektivem und Objektivem. Die ökonomischen Kategorien seien als „subjektiv-objektive" Formen bzw. als „objektive Gedankenformen" zu rekonstruieren. Backhaus zielt auf eine fundamentale Theorie des ökonomischen Gegenstands ab. Im Zentrum stehen hierbei nicht die Fragestellungen einer Ökonomie im Sinne einer primär „quantitativen" Wissenschaft, stattdessen geht es ihm in erster Linie um wesentlich „qualitative" Probleme. Für bestimmte spezifisch qualitative Fragestellungen, die es im Kontext eines adäquaten Gegenstandsverständnisses zu lösen gilt, sei die gegenwärtig vorherrschende Wirtschaftswissenschaft nicht hinreichend sensibilisiert. Im Zusammenhang mit seiner

3.1. GEGENSTANDS VERSTÄNDNIS UND WERTTHEORIE

203

Forschung zum Marxschen Gegenstandsverständnis geht es Hans-Georg Backhaus auch um die Rekonstruktion des Gehalts des Marxschen Kritikbegriffs,6 zudem um die Rekonstruktion der originären Marxschen Methode, die von Marx ab einem bestimmten Zeitpunkt während des werkgeschichtlichen Voranschreitens der Ausarbeitung seiner Kritik der politischen Ökonomie „versteckt" und somit in ihrer Spezifität unkenntlich gemacht worden sei.7 Der elaborierteste Ansatz der „Frankfurter" Rekonstruktion des Marxschen Gegenstandsverständnisses wurde in den 1980er Jahren erarbeitet und liegt in Gestalt einer Monographie Helmut Brentels vor.8 Nach Brentel besteht ein Charakteristikum der Kritik der politischen Ökonomie darin, dass Marx den eigentlichen Gegenstandsbereich der ökonomischen Wissenschaft ins Zentrum seiner Untersuchung gerückt habe: die ökonomisch-sozialen Objekte und Formen. Gemäß Helmut Brentel liegt die „entscheidende Kritikperspektive der Marxschen Gegenstandsauffassung [...] in ihrer Bedeutung als einer Form- und Feiischtheorie."9 In Brentels Lesart der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie koinzidiert im Werk des Trierers eine Formtheorie der Arbeit und des Wertes mit einer Theorie des „Fetischismus" ökonomischer Kategorien. Nach Brentel besitzt das Marxsche Verständnis ökonomisch-sozialer Gegenständlichkeit folgende Pointe: „Ökonomische Gegenständlichkeit als spezifisch soziale Form-Gegenständlichkeit kapitalistisch vergesellschafteter Arbeit weist Marx stets noch in ihrem Charakter als Fetisch-Gegenständlichkeit aus, als systematische Verdeckung und Verschleierung der wirklichen Vergesellschaftungsverhältnisse."10 Helmut Brentel differenziert hinsichtlich

6 Siehe Hans-Georg Backhaus, Über den Doppelsinn der Begriffe „Politische Ökonomie" und „Kritik" bei Marx und in der Frankfurter Schule, in: Stefan Dornuf, Reinhard Pitsch (Hg.), Wolfgang Harich zum Gedächtnis. Eine Gedenkschrift in zwei Bänden, Bd. 2, München 2000, S. lOff.; Hans-Georg Backhaus, Über den Begriff der Kritik im Marxschen Kapital und in der Kritischen Theorie, in: Joachim Bruhn (Hg.), Kritik der Politik. Johannes Agnoli zum 75. Geburtstag, Freiburg 2000, S. 13ff. Alfred Schmidt wies als einer der bedeutendsten Frankfurter Marx-Exegeten während der KapitalRezeptionswelle der späten 1960er Jahre auf die Zentralität des Marxschen Kritikbegriffs hin: Alfred Schmidt, Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie, in: Walter Euchner, Alfred Schmidt (Hg.), Kritik der politischen Ökonomie heute, S. 30ff. 7 Siehe Hans-Georg Backhaus, Über die Notwendigkeit einer Ent-Popularisierung des Marxschen Kapitals, in: Christoph Görg, Roland Roth (Hg.), Kein Staat zu machen. Zur Kritik der Sozialwissenschaften, Münster 1998, S. 349ff.; Hans-Georg Backhaus, Helmut Reichelt, Der politisch-ideologische Grundcharakter der Marx-Engels-Gesamtausgabe: eine Kritik an den Editionsrichtlinien der IMES, in: MEGA-Studien 1994/2, Amsterdam 1995, S. lOlff. Siehe hierzu auch zwei kritische Antworten: Michael Heinrich, Edition und Interpretation. Zu dem Artikel von Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt, „Der politisch-ideologische Grundcharakter der Marx-Engels-Gesamtausgabe", in: MEGA-Studien 1995/2, Amsterdam 1996, S. l l l f f ; Richard Speri, Eine gemeinsame Gesamtausgabe für Marx-Engels - politisch-ideologische Programmatik oder editorisches Erfordernis?, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx-Engels-Edition und biographische Forschung (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2000), Hamburg 2000, S. 55. 8 Siehe Helmut Brentel, Soziale Form und ökonomisches Objekt. 9 Ebd., S. 15. 10 Ebd.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

seiner Rezeption der Marxschen Formlehre grundsätzlich zwischen zwei Seiten des Formbegriffs. Der Frankfurter Marx-Interpret unterscheidet Form I und Form II; er legt dar: „Ökonomische Gegenständlichkeit als , Wertgegenständlichkeit' ist gesellschaftliche Form spezifisch soziale Form der Arbeit - in einem Doppelsinn: als Ding und als Verhältnis zugleich. Verhältnis: das der Gleichheit der Arbeiten als spezifisch soziale Form der Gesellschaftlichkeit der Arbeiten (Soziale Form I). Ding: zum einen, weil der Wert selbst Objektcharakter gewinnt und als fetischistische Natureigenschaft der Arbeitsprodukte in der bürgerlichen Gesellschaft erscheint (Form I); zum anderen, weil solcher Wert in einer Wertform, in der Naturalform einer anderen Ware als einer Äquivalentform eine Existenzform erlangen muss. (Soziale Form II)"11 Der Wert besitzt also wiederum eine Existenzform in Gestalt einer Wert-Form, womit auf Form II verwiesen ist. Gemäß Brentel begreift Marx sowohl den Wert wie auch die Wert-Form als spezifisch soziale Formen der gesellschaftlichen Arbeit. Alle Kategorien der bürgerlichen Ökonomie sind für Brentel als Formen der abstrakt-allgemeinen Arbeit zu dechiffrieren. Insgesamt muss der Ansatz Helmut Brentels als der bislang reflektierteste Versuch der westdeutschen Neuen Marx-Lektüre gelten, die Marxsche Einheit von Gegenstands-, Form- und Fetischtheorie zu explizieren. Es verwundert auch nicht weiter, dass in der Folge von und mit Bezug auf Helmut Brentels Monographie die Auseinandersetzung mit den von ihm bearbeiteten Problemfeldern fortgesetzt wurde.12 Hinsichtlich der frankophonen Diskussion muss ein umfangreiches Projekt der Ka/?/ta/-Neulektüre des ursprünglich aus Vietnam stammenden Forschers Tran Hai Hac als wichtiger Beitrag gelten.13 Im Anschluss an Tran Hai Hacs Studie kann (ähnlich wie bei Brentel) die Marxsche Einheit von Gegenstands- und Formtheorie in den Blick genommen werden. Bei seinem Versuch einer Neu- bzw. Wiederlektüre des Kapital entfaltet der Autor einen differenzierten werttheoretischen Ansatz in formtheoretischer Perspektive. Tran Hai Hac begreift die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie nicht einfach als eine „andere" politische Ökonomie, sondern betont gerade deren Kritikcharakter. Bei dieser Kritik der Wissenschaft der politischen Ökonomie ziele Marx kritisch auf deren Voraussetzungen. Die politische Ökonomie vor Marx, und zwar sowohl die „klassische" wie die „vulgäre", behandle die ökonomischen Kategorien als „natürlich Gegebenes", deren Dasein nicht weiter erklärungsbedürftig ist. Die Theoriebildung der politischen Ökonomie sieht Tran Hai Hac als im Fetischismus befangen. Ähnlich wie bei Helmut Brentel findet auch bei Tran Hai Hac eine Differenzierung des Formbegriffs statt. Tran Hai Hac unterscheidet den Wert als Form von der Form des Werts. Marx habe „deux

11 Ebd., S. 273. 12 Zur Rezeption von Brentels wegweisender Arbeit siehe u. a. Diethard Behrens, Erkenntnis und Ökonomiekritik, in: Diethard Behrens (Hg.), Gesellschaft und Erkenntnis. Zur materialistischen Erkenntnis- und Ökonomiekritik, Freiburg i. Br. 1993, S. 129ff. 13 Siehe Tran Hai Hac, Relire le Capital. Marx, critique de l'économie politique et objet de la critique de l'économie politique, 2 Bd., Lausanne 2003. Bereits 1992 veröffentlichte der Autor zusammen mit Pierre Salama eine Marx-Einfuhrung, deren Abschnitt zu Ware und Geld von Tran Hai Hac verfasst wurde und in mancher Hinsicht Elemente der Arbeit von 2003 antizipiert. Siehe Pierre Salama, Tran Hai Hac, Introduction à l'économie de Marx, Paris 1992, S. 7ff.

3.1. GEGENSTANDS VERSTÄNDNIS UND WERTTHEORIE

205

concepts fondamentaux de sa problématique" konstruiert, nämlich „ceux de la valeur comme forme et de la forme de la valeur". 14 Hinsichtlich ersterer Form zitiert Tran Hai Hac das Kapital·. Die politische Ökonomie „hat nun zwar, wenn auch unvollkommen Werth und Werthgröße analysirt und den in diesen Formen versteckten Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Werth und das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Werthgröße des Arbeitsprodukts darstellt?" (MEGA 2 II.6, S. 11 Of.) Es geht Tran Hai Hac um den Wert als die spezifische Form, welche die abstrakt allgemeine, gesellschaftliche Arbeit innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise annimmt. Im Hinblick auf die Form des Werts, d. h. die „Form" im zweiten Sinne, stellt Tran Hai Hac die Bedeutung der Marxschen Wertformanalyse heraus. Der Marx-Interpret weist überdies auf die fundamentale geldtheoretische Differenz zwischen Marx und Ricardo hin. Letzterer habe das Geld auf ein einfaches Zirkulationsmittel reduziert. Mit Blick auf Marx schreibt der Autor: „La critique de l'économie politique consistera pour Marx à montrer que le mode capitaliste de production implique non seulement la marchandise, mais encore la monnaie comme forme polaire des marchandises". 15 Tran Hai Hac insistiert auf der „strategischen Bedeutung" des ersten Abschnitts des ersten Kapital-Bandes für ein angemessenes Marx-Verständnis. Die Marxsche Fetischtheorie ist im Kontext seines Gegenstandsverständnisses von zentraler Bedeutung.16 Die Fetischtheorie spielt hierzulande fur die Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik eine hervorragende Rolle. Die große Aufmerksamkeit, die der Marxschen Fetischtheorie inzwischen zukommt, ist jedoch kein Spezifikum ausschließlich der deutschen Diskussion. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Interpretation der und die Anknüpfung an die Fetischtheorie von Marx u. a. bei Vertretern der lateinamerikanischen Diskussion von großer Relevanz ist, die nicht oder zumindest nicht in erster Linie von Althusser geprägt sind (Enrique Dussel, Bolivar Echeverría, Néstor Kohan). Spätestens seit den 90er Jahren befassen sich die Marx-Interpreten Jannis Milios und Dimitri Dimoulis aus dem Umkreis der griechischen Zeitschrift Theseis in ausführlicher Art und Weise mit der Fetischproblematik und halten die Fetischismustheorie für ein zentrales und positiv zu bewertendes Moment der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. 17 Dimoulis und Milios wenden sich auf jeden Fall gegen die Beschränkung der Fetischismusdiskussion auf das erste Kapitel des ersten Kapital-Bandes. Die Marasche Theorie des Kapitalfetischismus, der ein zentraler Stellenwert zukommt,

14 Tran Hai Hac, Relire le Capital, Bd. 1, S. 206. 15 Ebd., S. 98. 16 Da zwischen Fetischismus und Mystifikation differenziert werden kann, bleibt zu ergänzen, dass auch Marx' kritische Theorie der Mystifikation im Kontext des Marxschen Gegenstandsverständnisses von zentraler Bedeutung ist. 17 Siehe Dimitri Dimoulis, Jannis Milios, Werttheorie, Ideologie und Fetischismus, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Marx' Ökonomiekritik im Kapital (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1999), Hamburg 2000, S. 12ff.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

darf Milios/Dimoulis zufolge nicht unberücksichtigt bleiben. Einer entsprechenden verkürzten Interpretation, die es zu vermeiden gelte, sei Althusser verfallen gewesen.18 Im Kontext des Marxschen Gegenstandsverständnisses ist entscheidend, dass Marx auf der Historizität der kapitalistischen Produktionsweise und der entsprechenden ökonomischen Kategorien und Verhältnisse beharrt. Es darf zu Marx ergänzt werden: Auch die besondere Vergesellschaftungsweise der Arbeiten, die innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise herrscht, besitzt historisch-spezifischen Charakter. Dieser besonderen Vergesellschaftungsweise der Arbeiten entspricht die Warenform des Arbeitsprodukts. Letztere kam zwar auch schon zur Zeit mancher früherer Produktionsweisen vor, aber nur die bürgerliche Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der - in Marx' Worten ausgedrückt - „die Waarenform die allgemeine Form des Arbeitsprodukts, also auch das Verhältniß der Menschen zu einander als Waarenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältniß ist." (MEGA2 II.5, S. 636) Die Marasche Auffassung der Historizität der kapitalistischen Produktionsweise bildet also ein wesentliches Element des Gegenstandsverständnisses der Kritik der politischen Ökonomie. Dies ist keineswegs so trivial, wie es vor dem Hintergrund der in der MarxDebatte rezeptionsgeschichtlich tradierten Betonung der Historizität der kapitalistischen Produktionsweise auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn die Marxsche Herausstellung des historisch-spezifischen Charakters der kapitalistischen Produktionsweise ist ein wichtiges Unterscheidungskriterium gegenüber der Theoriebildung von politischen Ökonomen wie z. B. David Ricardo. Die kapitalistische Produktion ist für Marx keineswegs eine „ewige Naturform" gesellschaftlicher Produktion. In einer bekannten Fußnote im „Fetischkapitel" des ersten Kapital-Bandes sucht Marx den Grund fur die theoretische Vernachlässigung der Wertformproblematik durch bestimmte Ökonomen nicht allein in deren Fokussierung auf die Quantität des Werts. Er liege tiefer. „Die Werthform des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondere Art gesellschaftlicher Produktion und damit zugleich historisch charakterisirt wird. Versieht man sie daher für die ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion, so übersieht man notwendig auch das Specifische der Werthform, also der Waarenform, weiter entwickelt der Geldform, Kapitalform usw." (MEGA2 II.6, S. I l l ) Bereits einige Jahre früher hatte Marx gegen Ricardo im dogmenhistorischen Abschnitt des Warenkapitels von Zur Kritik der politischen Ökonomie den Kritikpunkt geltend gemacht, dass die „,Parallelogramme des Herrn Owen' [...] die einzige Gesellschaftsform" zu sein scheinen, „die er außer der bürgerlichen kannte." (MEGA2 II.2, S. 137) Für Marx war David Ricardo „umfangen" vom „bürgerlichen Horizont". Ricardo betrachte „die bürgerliche Form der Arbeit als die ewige Naturform der gesellschaftlichen Arbeit." 18 Siehe ebd., S. 34f. Dabei ist Milios keineswegs ein genereller Gegner von Althussers Marx-Interpretation. Althussers These vom radikalen Bruch des Trierers mit der klassischen politischen Ökonomie findet die Zustimmung von Milios, der trotz seiner Nähe zu Althusser über gewisse theoretische Schwachpunkte des Franzosen nicht hinwegsehen will. Siehe John Milios, Capital after Louis Althusser. Focusing on Value-Form Analysis, in: Maria Turchetto (Hg.), Rileggere II Capitale. La lezione di Louis Althusser, Mailand 2007, S. 11 Iff.

3 . 1 . GEGENSTANDSVERSTÄNDNIS UND WERTTHEORIE

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(MEGA2 II.2, S. 137) Die Marasche Kritik der politischen Ökonomie ist einem derartigen Ahistorismus geradezu entgegengesetzt. Michael Heinrich hat im Kontext seiner grundlegenden These19 von den beiden unterschiedlichen „theoretischen Feldern" - dem der politischen Ökonomie einerseits, dem der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie andererseits - nachzuweisen versucht, dass Marx zwar auch, aber nicht einzig und allein den Ahistorismus der politischen Ökonomie überwinde. Zusammen mit seiner Grundthese lieferte Heinrich in den 90er Jahren - in Verbindung mit seiner Rezeption und Neubestimmung von Althussers Konzept des „theoretischen Feldes" - auch einen Beitrag zur Interpretation des Marxschen Gegenstandsverständnisses. Einem (vermeintlichen) Grundzug Marxscher Theorie, der Überwindung von Individualismus und Anthropologismus, sowie des Ahistorismus, dazu noch der erkenntniskritischen Überwindung des Empirismus, kommt in Heinrichs Marx-Lesart ein fundamentaler Stellenwert zu. Nach Heinrich besitzen sowohl die ökonomische Klassik als auch die von Marx so gescholtene Vulgärökonomie ein gemeinsames „theoretisches Feld", d. h. sie teilen bestimmte (ihren eigentlichen Diskursen noch vorgelagerte) Grundansichten hinsichtlich ihres Gegenstands bzw. den Möglichkeiten, ihn theoretisch zu reproduzieren. Konstitutive Momente dieses „theoretische Feldes" der politischen Ökonomie sind für Heinrich Ahistorismus (die kapitalistische Produktion wird als ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion aufgefasst), Anthropologismus (die Unterstellung eines feststehenden „menschlichen Wesens" ist Bezugspunkt der Theoriebildung), Individualismus (die Individuen scheinen den gesellschaftlichen Zusammenhang unmittelbar zu konstituieren) und Empirismus (der gesellschaftliche Zusammenhang scheint unmittelbar transparent zu sein, „Wesen" und „Erscheinung" fallen ineins20). Heinrichs These des gemeinsamen „theoretischen Feldes" von ökonomischer Klassik und Vulgärökonomie bedeutet übrigens keineswegs, dass er alle Unterschiede zwischen der klassischen und der vulgären Ökonomie einebnet. Marx habe seinerseits mit diesem „theoretischen Feld" gebrochen, was ihm großenteils (aber nicht vollständig) gelungen sei. Marx habe aber keinen hinreichenden Begriff des von ihm überwundenen „theoretischen Feldes" besessen. Auch sei seitens Marx der Status der eigenen - wissenschaftlich revolutionären - Theorie nicht vollständig erfasst worden. Dies habe zu Ambivalenzen in der Marxschen Theorie geführt. Denkt man Heinrichs Ansatz weiter, so ließe sich der Bruch mit dem „theoretischen Feld" der politischen Ökonomie als Kerngehalt der Marxschen „wissenschaftlichen Revolution"

19 Siehe Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, S. 82 u. 310. 20 Für Marx ist es entscheidend, in seiner Kritik der politischen Ökonomie der Differenz von Wesen und Erscheinung Rechnung zu tragen. „Alle Wissenschaft wäre", so schreibt Marx im dritten Kapital-Band, „überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen." (MEGA 2 II.4.2, S. 721) In einem Brief von Marx an seinen Freund Ludwig Kugelmann aus dem Jahr 1868 findet sich die kritische Bemerkung, dass der Vulgärökonom glaube, „eine große Entdeckung zu machen, wenn er der Enthüllung des inneren Zusammenhangs gegenüber drauf pocht, dass die Sachen in der Erscheinung anders aussehn. In der Tat, er pocht drauf, dass er an dem Schein festhält und ihn als Letztes nimmt. Wozu dann überhaupt eine Wissenschaft?" (MEW 32, S. 553)

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

begreifen. Entscheidend ist, wie Heinrich den Begriff der wissenschaftlichen Revolution fasst: „Unter einer wissenschaftlichen Revolution wird nicht einfach der Übergang zu einem neuen Paradigma verstanden, sondern nur zu einem solchen Paradigma, das mit dem theoretischen Feld der bisherigen Paradigmen gebrochen hat." Dies bedeutet, dass es für eine wissenschaftliche Revolution keineswegs ausreiche, neue Fragen zu stellen; vielmehr müsse sich „der Gegenstandsbegriff der Wissenschaft, ihr Begriff von Wirklichkeit und damit zusammenhängend auch der Begriff der Wissenschaft selbst geändert haben."21 Allem Anschein nach wäre im Anschluss an Heinrich die theoretische Differenz zwischen den ökonomischen Klassikern und Karl Marx als noch größer und noch grundsätzlicher einzuschätzen, als Marx selbst dies tat. Nach Michael Heinrich verfugen die ökonomischen Klassiker - im Gegensatz zu Marx - nicht über die nicht-empirische Theorieebene, die zu einer hinreichenden theoretischen Durchdringung des Gegenstands der politischen Ökonomie notwendig ist. Allerdings existieren auch Interpretationen, die Heinrichs Ansicht, dass David Ricardo über keine nicht-empirische Theorieebene verfüge, zumindest der Tendenz nach zuwiderlaufen. So vertrat der tschechoslowakische Philosoph und Marxforscher Jindrich Zeleny bereits in den 1960er Jahren die Auffassung, in „der Ricardoschen Analyse des Kapitalismus" sei „eine Konzeption der wissenschaftlichen Erklärungsweise impliziert", die sich u. a. durch das Moment der Unterscheidung von Wesen und empirischer Oberfläche auszeichne.22 Dass die entsprechende Problematik innerhalb der deutschen MarxInterpretation bis dato nicht so intensiv diskutiert wird wie dies wünschenswert wäre, liegt u. a. an dem kaum nachvollziehbaren Unwillen zahlreicher Marx-Interessierter, sich eingehend mit Ricardos Hauptwerk Principles of Political Economy and Taxation auseinanderzusetzen.23 Ein weiterer Aspekt von Michael Heinrichs Interpretation des Marxschen Gegenstandsverständnisses bezieht sich auf das Moment der hohen Abstraktionsebene von Marx' Darstellung der kapitalistischen Produktionsweise. Die drei Bände des Kapital sind - Heinrich zufolge - als eine Darstellung der kapitalistischen Produktionsweise in ihrem „idealen Durchschnitt" zu charakterisieren. Damit ist der Gegenstandsbereich, auf den Marx sich bezieht, erheblich eingeschränkt. Es gehe Marx „um das, was den Kapitalismus zum Kapitalismus macht. Wenn wir davon sprechen, dass es sowohl im England des 19. Jahrhunderts als auch in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts Kapitalismus gibt, dann muss es hier etwas Gemeinsames geben, das die Verwendung dieses Begriffs erlaubt. Und genau auf dieses Gemeinsame, das wir in jedem entwickelten Kapitalismus antreffen, zielt die Marxsche Darstellung ab."24 Gerade aufgrund des hohen Abstraktionsniveaus der Marxschen Darstellung sei diese keineswegs auf die Verhältnisse des 19. Jahrhunderts beschränkt. Der von Marx thematisierte Gegenstand sei keineswegs veraltet.

21 22 23 24

Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, S. 25. Siehe Jindrich Zeleny, Die Wissenschaftslogik bei Marx und „Das Kapital", S. 23. Von diesem Vorwurf nehme ich Michael Heinrich aus. Michael Heinrich, Wie das Marxsche Kapital lesen?, S. 17.

3 . 1 . GEGENSTANDSVERSTÄNDNIS UND WERTTHEORIE

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3.1.2. Ein Blick auf die internationale Debatte zur Marxschen Werttheorie und insbesondere zu dessen Analyse der Wertform Selbstverständlich kann diese Debatte - gerade auch im Hinblick auf die verschiedenen Deutungen zur Wertformanalyse - hier nicht einmal ansatzweise in ihrer Ganzheit geschildert werden, denn die entsprechenden Deutungen sind Legion. Die Marxsche Wertformanalyse steht im Zentrum der Aufmerksamkeit von großen Teilen der internationalen Forschung zur Kritik der politischen Ökonomie. Daher kann hier nur schlaglichtartig auf einige wenige, aber besonders markante Interpretationsansätze zur Marxschen Wertund Wertformtheorie eingegangen werden, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet haben. Zunächst muss aber nochmals zu Marx selbst zurückgegangen werden, um den theoretischen Bezugspunkt der Debatte aufzuzeigen. Marx hatte in der Entstehungsgeschichte seiner Kritik der politischen Ökonomie keineswegs von Anfang an eine separate Analyse der Wertform geplant, so wie sie im Kapital (in jeweils unterschiedlichen Fassungen) vorliegt. Die Wertformanalyse des Kapital ist als das Ergebnis eines langwierigen wert- und geldtheoretischen Selbstverständigungs- und Ausarbeitungsprozesses zu begreifen. Die Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie25 von 1857/58 beginnen mit einer großangelegten Kritik des Proudhonismus. Zwar setzte sich Marx hier zunächst weniger mit Pierre-Joseph Proudhon selbst, sondern mit einer Schrift von dessen Anhänger Alfred Darimon auseinander, doch ist die gegen den Proudhonismus gerichtete Stoßrichtung der Kritik deutlich. In und ab den Grundrissen bemühte sich Marx mehr als je zuvor darum, sich ein adäquates Verständnis des spezifischen Zusammenhangs von Ware, Wert und Geld zu erarbeiten. Entsprechend konnte Marx seine ProudhonKritik in Zur Kritik der politischen Ökonomie folgendermaßen auf den Punkt bringen: „Herrn Proudhon [...] und seiner Schule blieb es vorbehalten, die Degradation des Geldes und die Himmelfahrt der Waare ernsthaft als Kern des Socialismus zu predigen und damit den Socialismus in ein elementarisches Mißverständnis über den nothwendigen Zusammenhang von Waare und Geld aufzulösen." (MEGA2 II.2, S. 157) Marx legte gegen Ende der 1850er Jahre - zuerst in den Grundrissen und im Urtext und schließlich in elaborierter Form in Zur Kritik - erstmals in wirklich umfassender Art und Weise seine Geldtheorie dar. Das Geld begriff er in Zur Kritik als unmittelbare Materiate der allgemeinen Arbeitszeit, d. h. der abstrakt-allgemeinen Arbeit als Substanz des Warenwerts. Im Gegensatz zu Marx war es weder Smith noch Ricardo gelungen, den inneren notwendigen Zusammenhang von Ware, Wert und Geld adäquat zu erforschen und darzustellen. Die spezifische Einheit von Wert- und Geldtheorie war fìir Marx von größter Bedeutung. Obwohl Marx in den Grundrissen geldtheoretische Mängel der klassischen politischen Ökonomie aufheben konnte, war Marx mit seiner geldtheoretischen Darstellung keineswegs gänzlich zufrieden. Und der Weg von den Grundrissen zu Zur Kritik der politischen Ökonomie gestaltete sich für Marx keineswegs einfach. Nachdem er einen 25 Zu den Grundrissen und ihrer Rezeption: Ingo Stützte, Marx' innerer Monolog. Vor 150 Jahren schrieb Karl Marx die „Grundrisse", in: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung 73 (2008), S. 113ff.

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zwischenzeitlichen Entwurf, den sog. Urtext, abgebrochen hatte, beschloss Marx, den Themenkreis seiner Arbeit zunächst auf die Waren-, Wert- und Geldtheorie einzuschränken. Die endgültige Fassung, Zur Kritik der politischen Ökonomie betitelt, erschien im Frühsommer 1859. Marx wagte sich gleich in seiner ersten veröffentlichten systematischen Schrift zur Kritik der politischen Ökonomie im Kontext der Darstellung seiner Geldtheorie an ein Themengebiet, das er selbst als ,,schwierigste[n], weil abstraktestefn] Teil der politischen Ökonomie" (MEW 29, S. 573) bezeichnete. In Zur Kritik der politischen Ökonomie betrachtete Marx zunächst die Ausgangskategorie, die Ware, nach ihren beiden gegensätzlichen Seiten Gebrauchswert und Tauschwert und analysierte diese beiden gegensätzlichen Bestimmungen. Zudem analysierte er die beiden gegensätzlichen Bestimmungen der Arbeit und identifizierte die im Tauschwert26 vergegenständlichte Arbeit als abstrakt-allgemeine bzw. gleiche gesellschaftliche Arbeit, während die im Gebrauchswert vergegenständlichte Arbeit konkrete und besondere Tätigkeit sei. An einer späteren Textstelle leitet Marx zum Austauschprozess über: „Bisher wurde die Waare unter doppeltem Gesichtspunkt betrachtet, als Gebrauchswerth und als Tauschwerth, jedes Mal einseitig. Als Waare jedoch ist sie unmittelbar Einheit von Gebrauchswerth und Tauschwerth; zugleich ist sie Waare nur in Beziehung auf die anderen Waaren. Die wirkliche Beziehung der Waaren aufeinander ist ihr Austauschproceß." (MEGA2 II.2, S. 119f.) In diesem Prozess müssten die Waren sowohl hinsichtlich ihrer Gebrauchswertseite als auch hinsichtlich ihrer Eigenschaft als Tauschwerte realisiert werden. Marx legte dar, dass die Waren, „um einander als Tauschwerthe zu erscheinen, neue Formbestimmtheit annehmen, zur Geldbildung fortgehen" (MEGA2 II.2, S. 128) müssen. Marx entwickelte eine monetäre Werttheorie, eine spezifische Einheit von Wert- und Geldtheorie. In seiner Schrift von 1859 schrieb Marx, die „Hauptschwierigkeit in der Analyse des Geldes" sei „überwunden, sobald sein Ursprung aus der Ware selbst begriffen ist". (MEGA 2 II.2, S. 139) Im Anschluss an die Entwicklung von Geld und Austauschprozess aus der Struktur der Ware erfolgt in Zur Kritik, wenn man von den dogmenhistorischen Exkursen absieht, die Marxsche Darstellung der Geldfunktionen. Zur Kritik der politischen Ökonomie endet vor dem nächsten kategorialen Übergang, der Verwandlung von Geld in Kapital; die entsprechende Fortsetzung der 1859 erschienenen Schrift befindet sich am Anfang des Manuskripts von 1861-1863. Während der Arbeit an diesem Manuskript gelangte Marx in seiner Auseinandersetzung u. a. mit Ricardo und Bailey zu einer erneuten werttheoretischen Selbstverständigung. Marx verhält sich in den Theorien über den Mehrwert kritisch zu Ricardos Ökonomie. Die spezifische Bestimmung der Arbeit, die sich im Tauschwert bzw. Wert darstellt - „den Charakter dieser Arbeit untersucht Ric. nicht. Er begreift daher nicht den Zusammenhang dieser Arbeit mit dem Geld oder, daß sie sich als Geld darstellen muß". (MEGA2 II.3.3, S. 816) Deshalb entgehe Ricardo der - es darf ergänzt werden: spezifisch notwendige - Zusammenhang zwischen der Wertbestimmung durch die Arbeitszeit 26 Es ist zu berücksichtigen, dass Marx in Zur Kritik zwischen dem Wert und dem Tauschwert (als seiner Erscheinungsform) noch nicht terminologisch genau differenziert, wie dies im Kapital geschieht.

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und der „Notwendigkeit der Waaren zur Geldbildung fortzugehn". Marx schließt an: „Daher seine falsche Geldtheorie." (MEGA2 II.3.3, S. 816) Später im Text merkt Marx erneut kritisch zu Ricardo an: „Den Zusammenhang der Geldbildung mit dem Wesen des Werths und mit der Bestimmung dieses Werths durch Arbeitszeit hat er [...] nicht begriffen." (MEGA2 II.3.4, S. 1324) Es könnte ergänzt werden, dass Marx im Kapital das Geld qua äußeres Wertmaß als notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren, nämlich der abstrakten Arbeit erfasst. Indem Marx den spezifischen notwendigen Zusammenhang der Wertsubstanz abstrakte Arbeit und des Werts selbst mit dem allgemeinen Äquivalent bzw. dem Geld darlegte, konnte er wert- und geldtheoretisch den Horizont der ökonomischen Klassik überwinden. Der Wertformanalyse kommt in diesem Kontext eine Schlüsselfunktion zu. In den 1860er Jahren vertiefte Marx seine wert- und geldtheoretischen Forschungen also weiter, obwohl er in Zur Kritik der politischen Ökonomie seine Wert- und Geldlehre auf der Abstraktionsebene der einfachen Zirkulation bereits publik gemacht hatte. Doch nach der Publikation wurde ihm klar, dass diese bereits veröffentlichte Fassung seiner Werttheorie nicht die endgültige sein konnte. Marx schrieb am 13. Oktober 1866 einen Brief an Ludwig Kugelmann, in dem er über den Anfang des ersten KapitalBandes Auskunft gab: „Ich habe es für nötig erachtet, in dem ersten Buch wieder ab ovo zu beginnen, d. h. meine bei Duncker erschienene Schrift in einem Kapitel über Ware und Geld zu resümieren. Ich hielt das für nötig, nicht nur der Vollständigkeit wegen, sondern weil selbst gute Köpfe die Sache nicht ganz richtig begriffen, also etwas Mangelhaftes an der ersten Darstellung sein musste, speziell an der Analyse der Ware." (MEW 31, S. 534, Herv. im Original) Dies verdeutlicht, dass Marx mit seiner diesbezüglichen Darstellung in Zur Kritik der politischen Ökonomie im Nachhinein nicht vollauf zufrieden war. Um den eigenen hohen Maßstäben gerecht zu werden, musste er eine neue Version der Warenanalyse publizieren. Die erste Ausgabe des ersten Kapital-Bandes erschien im Jahr 1867 mit zwei Textabschnitten zur Analyse der Wertform. Die erste Wertformanalyse bildete einen Bestandteil des Haupttextes, die zweite stellte eine als Anhang beigegebene, popularisierte und inhaltlich modifizierte Fassung dar.27 Allerdings zeigt die in den frühen 1870er Jahren stattgefundene Be- oder Überarbeitung der Wertformanalyse des Kapital, dass die Marxsche Bemühung um Verbesserung und - wie anhand des Manuskripts Ergänzungen und Veränderungen von Jahreswechsel 1871/72 deutlich wird - um Selbstverständigung keineswegs mit den beiden Fassungen der Wertformanalyse in der Erstausgabe des Kapital28 von 1867 (im Haupttext und im Anhang) beendet war.

27 Marx schrieb 1867 in einem Brief an Engels, er „habe 1. einen Anhang geschrieben, worin ich dieselbe Sache so einfach als möglich und so schulmeisterlich als möglich darstelle, und 2. nach Deinem Rat jeden Fortschrittssatz in §§ etc., mit eignen Überschriften eingeteilt. In der Vorrede sage ich dann dem ,nichtdialektischen ' Leser, dass er Seite x-y überschlagen und stattdessen den Anhang lesen soll." (MEW 31, S. 306) 28 Zu den verschiedenen Ausgaben des Kapital: Thomas Marxhausen, Kapital-Eàxûontn, risch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 7/1, Hamburg 2008, Sp. 136ff.

in: Histo-

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An dieser Stelle kann die Marx-Interpretation der Australierin Anitra Nelson kritisch hinterfragt werden. Die Autorin bemerkt zur Marxschen Wertformanalyse im Kapital, die von Marx von Ausgabe zu Ausgabe vorgenommenen Veränderungen seien auf stilistische Fragen, Klärungen usw. bezogen, weniger aber auf substanzielle Revisionen des Inhalts.29 Auf der Grundlage einer angemessenen Rezeption der in MEGA2 II.5 publizierten Erstausgabe des ersten Kapital-B&nàes, des dortigen Haupttextes einerseits und des wertformanalytischen Anhangs andererseits, sowie der in MEGA2 II.6 publizierten Zweitausgabe und des wichtigen Überarbeitungsmanuskripts von 1871/72, oder auch auf der Basis einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit der deutschsprachigen Forschung könnte Nelsons Auffassung nicht aufrechterhalten werden. In diesem Kontext genügt als kritischer Einwand gegen Nelson allein schon der Hinweis auf die inhaltlich bedeutsame Ersetzung der Form IV (mitsamt deren Umkehrung) der Erstausgabe durch die Geldform der Zweitausgabe des ersten Kapital-Bandes (sowie schon des Anhangs von 1867).30 Es ist insbesondere der spezifische Zusammenhang von Wertsubstanz, Wert und Wertform, der im Zentrum der Marxschen Werttheorie steht. „Das entscheidend Wichtige" war, so schreibt Marx in der Erstauflage des Kapital, „den inneren nothwendigen Zusammenhang zwischen Werthform, Weñhsubstanz und Werthgroße zu entdecken, d. h. ideell ausgedrückt, zu beweisen, dass die Werth/ôr/w aus dem Werthòegnj/f entspringt". (MEGA2 II.5, S. 43) Marx konnte sowohl die Wertsubstanz als auch die Wertform korrekt erfassen. Vor diesem Hintergrund ist das Marxsche Verdikt zu berücksichtigen, dass Ricardo - so interpretiert Marx in den Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der politischen Ökonomie " - keineswegs „die Substanz des Werts selbst erforscht oder begriffen" (MEW 19, S. 376) habe. Auf das Marxsche Urteil aus dem Fetischabschnitt des Warenkapitels des ersten Kapital-Bandes, dass Smith und Ricardo die Wertformproblematik vernachlässigt hätten, ist bereits hingewiesen worden. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Marx sowohl in seiner Lehre von der Wertsubstanz als auch in seiner Theorie der Wertform über David Ricardo - den bedeutendsten ökonomischen Klassiker - hinausging. Der spezifische Zusammenhang von Wertsubstanz und Wertform bei Karl Marx muss als ein wichtiger Bezugspunkt einer angemessenen Interpretation der Marxschen Werttheorie gelten. Da die Interpretation der Marxschen Wertformanalyse ein in der internationalen Forschung sehr stark bearbeitetes Themenfeld darstellt, kann - wie bereits angedeutet - nur auf einen kleinen Ausschnitt der Forschungsentwicklung eingegangen werden. Als besonders aktiv hat sich hinsichtlich dieses Themenfeldes die japanische Forschung er-

29 Siehe Anitra Nelson, Marx's Concept of Money. The God of Commodities, London, New York 1999, S. 161. 30 Allerdings sind beide Fassungen der Wertformanalyse aus der Kapital-Ausgabe von 1867 (aus Haupttext und Anhang) auch in englischer Sprache erschienen, in einer von Nelson benutzten Edition. Siehe Karl Marx, Value: Studies by Karl Marx, London 1976. Der wertformanalytische Anhang zur Kapital-Erstausgabe von 1867 (siehe MEGA 2 II.5, S. 626-649) wurde zudem von der Zeitschrift Capital & Class in englischer Übersetzung herausgebracht: Karl Marx, The Value-Form, in: Capital & Class 4 (1978), S. 135-150.

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wiesen. Bevor detailliert auf einen japanischen Ansatz aus den 80er Jahren eingegangen werden kann, muss zunächst ein Blick auf die Vorgeschichte der neueren Debatte geworfen werden, die mindestens bis in die späten 40er und die 50er Jahre zurückreicht. Eine in Japan breit rezipierte und mittlerweile auch im angelsächsischen Raum zur Kenntnis genommene Analyse der Wertform, die an Marx anknüpft und dennoch von dessen Wertformanalyse abweicht, ist wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von Kozo Uno vorgelegt worden. Uno weicht in seiner eigenen Konzeption einer Wertformanalyse in den Principles of Political Economy insofern von Marx ab, als er sich im Gegensatz zu letzterem nicht bemüht, die Wertformanalyse und das Auftreten der Warenbesitzer (für Marx ein Element der Darstellung des Austauschprozesses) im Sinne der Differenzierung zweier unterschiedlicher Darstellungsebenen systematisch zu trennen. Uno behandelt in seiner Darstellung die Warenbesitzer systematisch als ein Element der Wertformanalyse. Wenn die Leinwand sich in relativer Wertform, der Rock hingegen sich in Äquivalentform befindet, so bedeutet dies für Uno: „Of course, this value expression is a subjective evaluation on the part of the linen-owner; it has nothing to do with a similar value expression of the owner of the coat. In the former expression, the coat is nothing more than a value-reflecting object in the mind of the linen-owner. Because of this expression, however, the use-value of the coat, no matter what the subjective evaluation of its owner turns out to be, already embodies the value of linen. In other words, the owner of the coat can at any moment obtain twenty yards of linen for his coat, if he so desires. He is placed in the position, without so asking, of being able to purchase twenty yards of linen with his coat at a moment's notice, whereas the linen-owner who actually desires the coat and is willing to pay for it with linen is in no position actively to realise the exchange."31 Offensichtlich kommt den Warenbesitzern in der Marxschen sowie in Kozo Unos Wertformanalyse ein jeweils unterschiedlicher Stellenwert zu. Marx abstrahiert bei seiner Wertformanalyse systematisch von ihnen und ihren Handlungen, und kommt innerhalb seiner Wertformanalyse nur an einzelnen Stellen auf sie zu sprechen, z. B. an Stellen mit Erläuterungscharakter im popularisierten Anhang zur A^apz7a/-Erstauflage. (Siehe MEGA2 II.5, S. 628, 642f., 646) Ganz anders verhält es sich bei Uno, in dessen Wertformanalyse die Warenbesitzer eine systematische Rolle spielen. Dies gilt insbesondere für den Warenbesitzer, dessen Ware sich in relativer Wertform befindet. Entsprechend existiert in seinen Principles of Political Economy keine Entsprechung zur (mehr oder minder strikten) Marxschen Trennung von Wertformanalyse und Auftreten der Warenbesitzer im Sinne der Auseinanderhaltung zweier differenter Ebenen. Der britische ΚαρίίαΙ-ΙτΛ&νρκΧ Christopher Arthur übt folgende Kritik an Kozo Unos Wertformtheorie (die eigentlich eine Umarbeitung der Marxschen Analyse der Wertform darstellt): „Whereas Uno interprets the forms of value in the context of the process of exchange, I argue that we must entirely abstract from owners and their proposals in deriving the forms of value at the level of abstraction of Marx's first chapter: the stand-

31 Kozo Uno, Principles of Political Economy, S. 6.

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point of the owners is appropriate only when the real process of exchange is to be concretely addressed as it is in his second chapter."32 Arthurs Kritikpunkt an Uno, dass in der Analyse der Wertform von den Warenbesitzern abzusehen sei, ist indes nicht neu. In der japanischen Diskussion wurde er bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Samezo Kuruma gegen Uno vorgebracht (Arthur lässt jedoch Kuruma unerwähnt). Die unterschiedlichen Auffassungen, die Kozo Uno und Samezo Kuruma hinsichtlich der Wertformtheorie vertraten, bildeten die Grundlage zu einer der wichtigsten Kontroversen zu der an Marx anknüpfenden Werttheorie in der japanischen Nachkriegszeit. Meines Erachtens ist der entscheidende Punkt nicht etwa, dass Uno eine Fehlinterpretation von Marx liefern würde; bekanntlich war es - in seinen Principles of Political Economy - nicht Unos Anspruch, Marx einfach nur zu interpretieren. Sondern Uno wollte im Anschluss an den Marxschen Ansatz als eigenständiger Theoretiker eine Darstellung der „Sache selbst" liefern, in der die (angeblichen) Unvollkommenheiten der Marxschen Darstellung bereinigt sind. Uno weicht somit in seiner Darstellung der „Sache selbst" von Marx ab. Die systematische Bezugnahme auf die Warenbesitzer ist bei Marx ein Element der Darstellung des Austauschprozesses. Es erscheint mir fraglich, ob ein überzeugendes Argument dafür gefunden werden kann, dass die Marxsche weitgehende Auseinanderhaltung von Wertformanalyse und Auftreten der Warenbesitzer in der Darstellung aufgegeben werden sollte - so wie Uno dies tut. Die Wertform lässt sich jedenfalls ohne die systematische Bezugnahme auf die Warenbesitzer analysieren. Diese systematische Bezugnahme wird aber bei der Darstellung des Austauschprozesses notwendig. Durch die Behandlung von Wertformtheorie und Theorie des Austauschprozesses auf zwei disparaten Ebenen erscheint die Darstellung im Kapital als klar strukturiert. Auch Michael Heinrich zufolge liegen die Formanalyse und die Darstellung des Austauschprozesses, welche (nach Heinrich) die Darstellung der Handlungen der Warenbesitzer einschließt, bei Marx auf zwei verschiedenen Ebenen. Die Marxsche Einfügung der Geldform in die Wertformanalyse des Kapital, zu der es ab dem popularisierten Anhang der Erstauflage von 1867 kommt, wird von Heinrich letztlich kritisch bewertet, da in diesem Kontext die strikte Trennung beider Ebenen nicht aufrechterhalten sei.33 In diesem Kontext argumentiert Marx (gemäß Heinrich) durchaus mit den Handlungen der Warenbesitzer und verlässt die rein formanalytische Ebene. Dies wäre aber immer noch scharf von Unos wertformanalytischem Ansatz zu unterscheiden, bei dem die Warenbesitzer von der einfachen, einzelnen oder zufalligen Wertform an eine systematische Rolle spielen. Marx gestaltet in der ^apz'ta/-Erstauflage seinen Übergang zur Darstellung des Austauschprozesses folgendermaßen: „Die Waare ist unmittelbare Einheit von Gebrauchswerth und Tauschwerth, also zweier Entgegengesetzten. Sie ist daher ein unmittelbarer Widerspruch. Dieser Widerspruch muss sich entwickeln, sobald sie nicht wie bisher analytisch bald unter dem Gesichtspunkt des Gebrauchswerths, bald unter dem Gesichtspunkt des Tauschwerths betrachtet, sondern als ein Ganzes wirklich auf andere Waaren 32 Christopher J. Arthur, Money and exchange, in: Capital & Class 90 (2006), S. 33. 33 Siehe Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, S. 227f.

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bezogen wird. Die wirkliche Beziehung der Waaren aufeinander ist aber ihr Austauschprozess." (MEGA 2 II.5, S. 51) Hier wird ersichtlich, dass sich die nun folgende Darstellung bei Marx auf einer neuen Ebene befindet. Doch zurück zur japanischen Diskussion. Mit Blick auf die Interpretation der Anfangsteile des ersten Kapital-Bandes muss man sich vor Augen fuhren, dass die strikte Differenzierung der Marxschen Wertformanalyse von der Darstellung des Austauschprozesses nicht nur in der deutschsprachigen oder der italienischen Diskussion (u. a. bei Michael Heinrich, Dieter Wolf und Roberto Fineschi) eine zentrale Rolle spielt, sondern auch in Teilen der japanischen Debatte selbst. So war die strikte Unterscheidung dieser beiden Ebenen der Marxschen Darstellung für Samezo Kuruma im Hinblick auf die Rekonstruktion der Marxschen Geldtheorie von geradezu fundamentaler Bedeutung. Die japanische Diskussion hat - auch außerhalb der Uno-Schule - zahlreiche Forschungsbeiträge zum Problemkreis der Wert- und Geldtheorie hervorgebracht. Masao Oguro beschrieb Mitte der 1980er Jahre die intensive Forschungstätigkeit in seiner Heimat folgendermaßen: „In Japan hat die Wertformanalyse - besonders nach dem 2. Weltkrieg - sehr häufig zur Diskussion gestanden. Über 200 Bücher oder Artikel wurden nur darüber geschrieben. Seit etwa zehn Jahren wird dieses Problem erneut sehr viel diskutiert. Dadurch wird das Verständnis der Wertformanalyse in Japan noch vertieft." 34 In der japanischen Diskussion wurde bereits frühzeitig auch der spezifisch qualitative Gehalt der Marxschen Wertformanalyse berücksichtigt. Die spezifisch qualitative Problematik der Wertformanalyse stand auch im Blickpunkt der Forschung von Samezo Kuruma. 35 Dessen Interpretation zur Marxschen Wertformanalyse und zur Darstellung des Austauschprozesses, die er in einem 1957 erschienenen Buch vorstellte, übte auf die japanische Diskussion der ersten beiden Kapitel des Kapital (gemäß der zweiten Auflage von 1872/73) großen Einfluss aus, blieb aber in Deutschland (und gerade im Westteil dieses Landes) fast unbekannt. Dabei ging es Kuruma um den Zusammenhang von Wertformanalyse, Darstellung des Warenfetischismus und Darstellung des Austauschprozesses. Der Kuruma-Schüler Teinosuke Otani schreibt, dass Kuruma zu dem Schluss gekommen sei, dass gerade in folgendem „Satz Marx selbst kurz, aber klar sowohl den Inhalt als auch die Struktur der Geldbildungstheorie im ,Kapital' angedeutet" 36 habe: „Die Schwierigkeit liegt nicht darin zu begreifen, dass Geld Waare, sondern wie, warum, wodurch Waare Geld ist." (MEGA2 II.6, S. 81)

34 Masao Oguro, Zur theoretischen Bedeutung der „Wertform" im „Kapital" von Karl Marx, in: Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung 18, Halle/Saale 1986, S. 24. 35 Kuruma war zeitweise Direktor des Ohara-Instituts für Sozialforschung. Zudem war er zusammen mit anderen Wissenschaftlern (u. a. Teinosuke Otani) Herausgeber eines wichtigen Arbeitsmittels für Forscher, nämlich eines Marx-Lexikons, in dem jeweils zu einem bestimmten Themenkomplex die jeweiligen wichtigen Marxschen Textstellen zusammengetragen sind. Siehe Samezo Kuruma (Hg.), Marx-Lexikon zur politischen Ökonomie, 5 Bd., Vaduz 1977. Teinosuke Otani und Iichiro Sekine heben an Kuruma seine kritische Haltung gegenüber Kozo Uno hervor. Siehe Teinosuke Otani, Iichiro Sekine, Beschäftigung mit Marx und Engels in Japan, S. 248f. 36 Teinosuke Otani, Das Problem der Geldbildung und seine Lösung im „Kapital", in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 27, Berlin/Ost 1989, S. 177.

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Nach Kuruma entspricht das „wie, warum, wodurch" des letzten Satzteils den jeweiligen Marxschen Textabschnitten. Dabei bestehe folgende Reihenfolge: „Marx analyzes the how of money in the theory of the value-form and the why of money in the theory of the fetish-character, whereas in the theory of the exchange process he examines the question of through what."31 Die frühzeitige intensive Beschäftigung japanischer Forscher mit der Wertformproblematik mag exemplarisch zeigen, wie weit tatsächlich die japanische Marx-Diskussion der Nachkriegszeit der westdeutschen Marx-Debatte jener Jahre voraus war. Letztere war erst ab Mitte oder Ende der 1960er Jahre für zentrale qualitative Aspekte der Wertformproblematik ausreichend sensibilisiert. Ein jüngerer Forschungsansatz stammt von Hachiro Masaki.38 Er interpretierte Mitte der 1980er Jahre als Ergebnis seines langjährigen Forschungsprozesses die Marxsche Lehre von der Wertform als durch einen Zusammenhang zweier logischer Verfahrensweisen geprägt, die einander ausschließen. Masaki zufolge besteht die weitverbreitete Interpretation der Marxschen Wertformanalyse darin, dass ihre wesentlichen Themen zum einen die Analyse der Wertformstruktur, zum anderen die Verfolgung der Wertformentwicklung seien. Der Wertbegriff sei dabei als vorausgesetzt gedacht. Nach Masaki wird unter der „Voraussetzung des Wertbegriffs als einer vorab bewiesenen Gegebenheit [...] immer eine mit sich selbst im Widerspruch stehende Logik an die Sache herangetragen, und man kann immer passendere Ausdrucksformen für den Wertbegriff - eine nach der anderen - vorlegen."39 Es werde die Auffassung vertreten, dass die Wertformentwicklung in der Entwicklung des Widerspruchs zwischen dem Begriff des Werts und seiner Existenzweise aufgehe. Doch wird - so könnte man, Masakis Gedanken folgend, hinzusetzen - ein entscheidender Gehalt der Wertformanalyse unterschlagen bzw. übersehen. Für die Wertformtheorie bei Marx ist Masaki zufolge das Nebeneinander zweier einander ausschließender methodischer Wege konstitutiv. Einerseits sei im Rahmen einer analytisch-genetischen Logik (Masaki selbst bezeichnet diesen Terminus als nicht ganz treffend) der Wert- und Substanzbegriff als bewiesene Gegebenheit vorausgesetzt. Im Kontext dieser Logik gehe es in der Wertformanalyse um die Erscheinungsformen, nicht mehr aber um die Konstitution dessen, was bereits vorausgesetzt ist - der Substanz des Werts. Hier sei ein substanziell begründetes Gleichheitsverhältnis der Ausgangspunkt. Anders gehe Marx im Kontext seiner „Logik der Warensprache" vor, wo die Leinwand als Subjekt sich selbst auf den Rock beziehe. Die entsprechende Marasche Argumentation stehe „diametral dem Standpunkt gegenüber, der den Wertbegriff und die Wertsubstanz in ihrer Abstraktheit und Gesellschaftlichkeit als Gegebenheiten

37 Samezo Kuruma, Marx's Theory of the Genesis of Money: How, Why and Through What is a Commodity Money?, Denver 2008, S 65f. Allgemein zu Kuruma, aber auch zu seiner Kontroverse mit Kozo Uno siehe E. Michael Schauerte, Samezo Kuruma's life as a Marxist Economist, in: Research in Political Economy 24 (2007), S. 28Iff. 38 Siehe Hachiro Masaki, Marxsche Wertformtheorie als notwendige Kombination zweier Methoden. Eine methodologische Reflexion, in: Osaka City University Economic Review 21 (1986), S. 19ff. (in deutscher Sprache). 39 Ebd., S. 28.

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voraussetzt und dann beginnt, die Entwicklung ihrer Erscheinungsformen zu verfolgen."40 Innerhalb der „Logik der Warensprache" wird die Konstitution des in der analytischgenetischen Logik als gegeben Vorausgesetzten thematisiert. Masaki will sagen, dass die in relativer Wertform befindliche Leinwand in ihrem Bezug auf das Äquivalent Rock erst zur Ware wird - „zugleich entsteht der Wert und die Trennung des Wertes von der Naturalform."41 In der „Logik der Warensprache" werden nicht mehr passive Waren gleichgesetzt, sondern es setze die in relativer Wertform befindliche Ware selbst (als Subjekt) das Gleichheitsverhältnis. Masaki scheint der Auffassung zu sein, im Kontext der analytisch-genetischen Methode sei die Unterschiedlichkeit der Rollen, die zwei gegenüberstehende Waren im Wertausdruck spielen - und von denen sich die eine in der relativen Wertform, die andere in der Äquivalentform befindet - , nicht adäquat zu erhalten. Warum ist - für Masaki - die Kombination dieser einander fremden Logiken innerhalb der Marxschen Wertformanalyse notwendig? Im Austauschverhältnis vollziehe sich „eine qualitative Gleichsetzung oder Abstraktion als Voraussetzung des Austausches. Aber die Grundlage dieser Gleichsetzung lässt sich allein durch die Logik der ,Warensprache' nicht selbst setzen. Diese Logik beinhaltet zwar die von den gegebenen Eigenschaften der Ware abstrahierende Wirkung, aber diese Wirkung geht nicht so weit, dass sie aus ihnen notwendigerweise die Arbeit auswählt und sie zur substanziellen Grundlage des Wertverhältnisses herausstellt." Deshalb habe Marx eine Darstellungsweise gewählt, in der notwendigerweise der „Logik der Warensprache" nicht allein, nicht ohne Kombination mit einer andersartigen Logik ihre entscheidende Rolle zukommt. „Zuerst musste er, und dies ist mit der Logik der ,Warensprache' offenbar nicht vereinbar, das substantiell begründete .Gleichheitsverhältnis' herausstellen [...] und dann, der Logik der ,Warensprache' folgend, die Struktur des Wertausdrucks oder die Abstraktion durch das Wertverhältnis als qualitative Gleichsetzung untersuchen."42 Auf die substantielle Grundlage könne nicht im Kontext der „Logik der Warensprache" gekommen werden, aber sei die substantielle Grundlage einmal vorausgesetzt - und dies erfolge eben durch die Kombination mit der anderen, fremden Methode - , so könne die substantielle Grundlage auch innerhalb der „Logik der Warensprache" angemessen abstrahiert werden. Der wohl bedeutendste Vertreter des von Hans-Georg Backhaus in den 60er Jahren angestoßenen Frankfurter Wertformtheorie-Diskurses war in den 80er Jahren Helmut Brentel, der davon ausging, dass Marx im Kontext seines Darstellungsgangs eine Kritik prämonetärer werttheoretischer Ansätze geleistet habe.43 Die Marxsche Wertformanalyse stellt sich gemäß Brentel gleich mehreren Aufgaben. In Brentels Interpretation der Marxschen Theorie der Wertform besteht deren Charakteristikum in einer eindeutigen direktionalen Ausrichtung - aber diesen Aspekt hatten andere Autoren bereits zuvor betont. Als besonders wichtig erscheint Brentel eine - ihm zufolge - durch die Wertformtheorie implizierte Konstitutionstheorie des Werts. Innerhalb der Waren-Beziehung 40 41 42 43

Ebd., S. 29. Ebd., S. 36. Ebd., S. 32. Siehe Helmut Brentel, Soziale Form und ökonomisches Objekt, S. 307.

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finde die Gleichsetzung der in den Waren enthaltenen Arbeiten als abstrakt allgemeine und gleiche gesellschaftliche Arbeiten statt. Brentel schreibt, dass die Pointe der Marxschen Konstitutionstheorie des Wertes darin besteht, dass „das Gesetztsein von Wert und Tauschwert, von Wertsubstanz und Wertform ineins des wirklichen Waren-Sezwgs"44 behauptet werde. Form und Substanz befinden sich in einem gleichursprünglichen Setzungsverhältnis. Zugleich entdeckt Brentel in der Marxschen Wertformanalyse eine Aporetik bloß „einfacher" Wert-Formen. „Während es in den ,einfachen' Wertformen zu einem wirklich allgemeinen Wertausdruck und damit zu einer wirklichen Wertkonstitution letztlich gar nicht kommen konnte - die zu unterstellende abstrakt-allgemeine Arbeit stets nur aporetisch gesetzt war - ist [...] mit der allgemeinen Äquivalentform [...] überhaupt erstmals die Wirklichkeits-Ebene der Wert-Form erreicht."45 Erst in Gestalt der allgemeinen Wertform entspreche die Wertform dem Wertbegriff. Darin stimmt Brentels Interpretation mit der Marxschen Theorie überein.46 In werttheoretischer Hinsicht erweist sich Brentel in gewissem Sinne als ein Nachfolger von Hans-Georg Backhaus, der in den 70er Jahren die Marxsche Werttheorie als Kritik prämonetärer Werttheorien interpretiert hatte. Parallel zur Erforschung der Marxschen Wert- und Geldtheorie stellt sich der internationalen Forschung die Frage nach der Einschätzung von ihrer Rezeption durch Friedrich Engels. Obwohl das „Problem des Anfangs" der Marxschen Darstellung keineswegs das einzige Themengebiet ist, hinsichtlich dessen ein genauer Blick auf die Engelssche Auseinandersetzung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie lohnt,47 so ist doch der Engelsschen Rezeption der Marxschen Lehre zu Ware und Geld sowohl in der deutschen als auch in der japanischen, lateinamerikanischen und angelsächsischen Forschung besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden. Diese Frage wurde vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Problematik diskutiert, ob Engels mit seiner „historischen" bzw. „logisch-historischen" Interpretation der Marxschen Methode und insbesondere mit seiner Lesart des Kapital-Anfangs als Darstellung einer historischen, vorkapitalistischen „einfachen Warenproduktion" der Marxschen Theorie gerecht wurde oder nicht. Nachdem u. a. Heinz-Dieter Kittsteiner und Hans-Georg Backhaus bereits in den 70er Jahren auf Aporien bzw. Mängel der Engelsschen Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik eingegangen waren und Backhaus seinen Leitgedanken 1995 zusammen mit 44 Ebd., S. 311. 45 Ebd., S. 318. 46 „Erst durch ihren allgemeinen Charakter entspricht die Werthform dem Werthbegriff." (MEGA2 II.5, S. 643) 47 Beispielsweise zu Engels' Sicht auf den ihm von Marx unvollendet zur Edition hinterlassenen dritten Kapital-Band siehe Carl-Erich Vollgraf, Engels' Kapitalismus-Bild und seine inhaltlichen Zusätze zum dritten Band des Kapital, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Neue Aspekte von Marx' Kapitalismus-Kritik (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2004), Hamburg 2006, S. 7ff. Michael Krätke setzt sich mit der Ansicht auseinander, dass Engels das Kapital „verfälscht" habe: Michael R. Krätke, Das Marx-Engels-Problem: Warum Engels das Marxsche Kapital nicht verfälscht hat, in: Marx-Engels-Jahrbuch 2006, Berlin 2007, S. 142ff. Eine kritische Auseinandersetzung mit Krätkes Aufsatz liefert: Ingo Elbe, Die Beharrlichkeit des „Engelsismus". Bemerkungen zum „MarxEngels-Problem", in: Marx-Engels-Jahrbuch 2007, Berlin 2008, S. 92ff.

3.1. GEGENSTANDSVERSTÄNDNIS UND WERTTHEORIE

219

Helmut Reichelt wieder aufgegriffen hatte, äußerte sich auch Christopher Arthur 1996 anlässlich des Hundertjahr-Gedenkens nach dem Tod von Friedrich Engels (1895) kritisch zu dessen Sicht auf die Marxsche Ökonomiekritik.48 Arthurs Auseinandersetzung mit der Engelsschen Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik stützt sich hauptsächlich auf die Rezension von Zur Kritik der politischen Ökonomie und auf Engels' Vor- und Nachwort zum dritten Kapital-Band. Der erste Text von Engels ist bekanntlich mit Blick auf die Konzeption der sog. logisch-historischen Lesart der Marxschen Ökonomiekritik von entscheidender Bedeutung,49 Vor- und Nachwort zum dritten Band hinsichtlich des Konzepts der „einfachen Warenproduktion". Arthur weist korrekterweise die Auffassung, dass Marx in den Anfangsteilen des ersten Kapital-Bandes auf eine historische, vorkapitalistische „einfache Warenproduktion" fokussiere - wie es Engels deutet - , zurück. Arthur schreibt: „The truth is that Marx never used the term ,simple commodity production ' in his life."50 Dabei weiß Arthur um den rezeptionshistorischen Einfluss der auf Engels zurückgehenden Interpretation. „Generations of students have been taught Marxist economics on the basis of a distinction between capitalist production and , simple commodity production'. Yet this approach descends from Engels, not Marx,"51 Christopher Arthur äußert sich auch zum Problem des Wertgesetzes. Für Arthur zählt nicht nur das textbezogene Argument, dass das Marxsche Objekt - vom Anfang der Darstellung an - die kapitalistische Produktionsweise ist. Er fuhrt auch einen weiteren Aspekt an, nämlich die These, dass innerhalb einer „einfachen Warenproduktion" gar kein Wertgesetz im Marxschen Sinne herrschen könne. „The law of value is not something lying at an origin, whether logical or historical; it is something that comes to be in the capitalist totality."52 Der Anfangspunkt des Kapital ist gemäß Arthur als „unausgereiftes" ab-

48 Siehe Christopher J. Arthur, Engels as Interpreter of Marx's Economics, in: Christopher J. Arthur (Hg.), Engels Today. A Centenary Appreciation, London, New York 1996, S. 173ff. Es ist zu bedenken, dass die Betonung bzw. Herausarbeitung von theoretischen Unterschieden zwischen Marx und Engels auch in der angelsächsischen Welt eine Tradition hat. In diesem Kontext können Arbeiten von Norman Levine - von dem sich Arthur indes kritisch absetzt - angeführt werden: Norman Levine, The Tragic Deception. Marx contra Engels, Santa Barbara 1975; Norman Levine, Dialogue within the Dialectic, London 1984; Norman Levine, Divergent Paths. Hegel in Marxism and Engelsism, Lanham 2006. 49 Ein Rätsel der Marxforschung besteht in der Frage, warum Marx gegen den Abdruck von Engels' Rezension - die, einem Großteil der Forschung zufolge, die Marxsche Methode nicht korrekt wiedergibt - nichts unternommen hat, obwohl „Das Volk" (d. h. das Organ, in dem die Rezension erschien) damals „faktisch von Marx geleitet" (MEGA2 II.2, S. 403) wurde. Ein sowjetischer MarxEngels-Forscher spekulierte einst darüber, ob Marx womöglich sogar Engels darum gebeten habe, „das Problem des Verhältnisses von Logischem und Historischem bei der ökonomischen Forschung in seiner Rezension speziell hervorzuheben", so Alexander Malysch, Friedrich Engels' Beitrag zur Ausarbeitung des Gegenstandes und der Methode der politischen Ökonomie, in: Friedrich Engels, 1820-1970. Referate - Diskussionen - Dokumente, Hannover 1971, S. 58. Die MEGA2-Editoren von 1980 gehen sogar davon aus, dass „Marx die Rezension redigiert hat." (MEGA2 II.2, S. 403) 50 Christopher J. Arthur, Engels as Interpreter of Marx's Economics, S. 190. (Herv. im Orig.) 51 Ebd. (Herv. im Orig.) 52 Ebd., S. 195. (Herv. im Orig.)

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

straktes Moment einer komplexen Totalität aufzufassen. „The exposition has to remedy the insufficiency of the starting point by showing how value, in its complete, finished form, does make good the promise of a law of value, by grounding it in the developed value forms - first money, then capital, then productive labour, finally circulation and accumulation of capital."53 Allerdings mutet an Arthurs Interpretation der Engelsschen Rezeption der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie seltsam an, dass ein zentraler Text der Engelsschen Rezeption, der sich u. a. auf Marx' Wert- und Geldtheorie bezieht, kaum berücksichtigt wird. Hierbei handelt es sich um den Engelsschen KapitalKonspekt aus dem Jahr 1868 (siehe MEW 16, S. 245ff.), dem die westdeutsche Forschung bereits in den 70er Jahren eine gewisse Aufmerksamkeit gewidmet hat. 3.1.3. Fazit Mit Forschungen zum eigentümlichen Gegenstandsverständnis der Kritik der politischen Ökonomie konnte seit den 1980er Jahren ein Stand der Debatte erarbeitet werden, hinter den künftige Interpretationsansätze nicht mehr zurückfallen dürfen. Natürlich haben neuere Forschungsansätze zu diesem Gebiet auch eine weit zurückreichende Vorgeschichte. Die Anfänge beispielsweise einer ambitionierten fetischismustheoretischen Lektüre der Marxschen Ökonomiekritik reichen nämlich mindestens bis in die 1920er Jahre zu Isaak Iljitsch Rubin zurück, der posthum (seit den 70er Jahren) zu einem „Klassiker" der internationalen Debatte geworden ist. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die internationale Tendenz zur Betonung der Marxschen Formtheorie und der Fetischtheorie weiter ausgebildet. Im Zusammenhang mit der Explikation des Marxschen Gegenstandsverständnisses müssen allerdings auch die hohe Abstraktionsebene seiner Darstellung der kapitalistischen Produktionsweise wie auch der Marxsche Nachweis der Historizität der kapitalistischen Produktionsweise berücksichtigt werden. In der hier vorliegenden Diskussion japanischer, deutscher und angelsächsischer Beiträge zur Interpretation bzw. Weiterentwicklung der Marxschen Werttheorie konnte nur auf einen winzigen Ausschnitt der umfangreichen werttheoretischen Debatte zur Kritik der politischen Ökonomie eingegangen werden. Dennoch können im Anschluss an hier präsentierte Ansätze einige unumgängliche Feststellungen getroffen werden. Es hat sich als notwendig erwiesen, den Darstellungsanfang von Marx von der Interpretation durch Friedrich Engels abzusetzen. Zudem gilt es, verschiedene Darstellungsebenen in der Marxschen Werttheorie klar voneinander zu differenzieren. Auch die Frage, ob sich Marx in seiner Wertformanalyse nicht mehrerer „Methoden" anstatt nur einer einzigen bedient, muss gestellt werden. Besondere Bedeutung kommt der beispielsweise bei Brentel angedeuteten Interpretation der Marxschen Werttheorie als „monetäre Werttheorie" zu. Mit Blick über die hier vorgestellten Ansätze hinaus auf das Ganze der internationalen ÄTap/ta/-Diskussion lässt sich die rezeptionshistorische Herausbildung einer bestimmten Interpretationstendenz feststellen. Diese besteht darin, dass speziell seit den 70er und

53 Ebd., S. 198f. (Herv. im Orig.)

3.2. DIE PROBLEMATIK VON FORSCHUNG UND DARSTELLUNG

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80er Jahren der spezifische kategoriale Zusammenhang von Ware, Wert und Geld im Anschluss an die Marasche Ökonomiekritik stark in den Vordergrund gerückt ist - in diesem Zusammenhang sind Forscher aus verschiedenen Weltgegenden zu nennen, beispielsweise Hans-Georg Backhaus und von ihm beeinflusste Marx-Interpreten aus Deutschland und Australien, Jannis Milios in Griechenland, Young Bin Hahn aus Südkorea, Tran Hai Hac in Frankreich. Auf internationaler Ebene hat sich eine an Marx anknüpfende Interpretationsströmung der „monetären Werttheorie" herausgebildet, deren „fraglose Mächtigkeit" (so Wolfgang Fritz Haug) inzwischen auch von Kritikern dieser Strömung (wie Haug selbst) anerkannt wird. Entscheidend ist, dass die Interpretationsströmung der „monetären Werttheorie" in ihrer rezeptionsgeschichtlichen Entwicklung in den generellen Kontext der weltweiten Entwicklung der formtheoretisch oder formkritisch bzw. der methodologisch-gesellschaftstheoretisch orientierten Kapital-Lektüre in den letzten Jahrzehnten eingebettet ist.

3.2. Die Problematik von Forschung und Darstellung in der Kritik der politischen Ökonomie 3.2.1. Ein „Mont Blanc" an Forschungsmaterial54 Hinsichtlich des Marxschen Methodenverständnisses ist seine Unterscheidung von Forschung und Darstellung zentral. Eine bekannte Kapital-Passage zu diesem Problemfeld befindet sich in dem 1873 verfassten Nachwort zur zweiten Ausgabe des ersten Bandes. Dort äußerte sich Marx folgendermaßen: „ A l l e r d i n g s muss sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiedenen Entwicklungsformen zu analysiren und deren inneres Band aufzuspüren." Erst nachdem dies geleistet sei, so fährt Marx fort, könne „die wirkliche Bewegung" entsprechend dargestellt werden. Gelinge dies und spiegle sich „das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehen, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun" (MEGA2 II.6, S. 709). Doch der Schein einer „Konstruktion a priori" trügt. Mit seinem methodologischen Hinweis holt Marx den Forschungsprozess aus dem Schatten der Darstellung hervor und weist ihn als ihre Voraussetzung aus. In der internationalen Diskussion ist diese Passage aus dem Marxschen Nachwort häufig zitiert oder kommentiert worden. Es ist bemerkenswert, dass einer der wichtigsten Vertreter der japanischen Marx-Diskussion der Nachkriegszeit, Samezo Kuruma, diese methodologische Passage aus dem Nachwort zur zweiten Ausgabe des ersten Kapital-Bandes im Hinblick auf den Marxschen Kommentar zu seiner Methode für bedeutsamer hielt als den bekannten Anfang des „Methodenkapitels" aus der Einleitung von 1857. 54 In diesem Unterkapitel wird nicht die rezeptionsgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Marxschen Forschungsprozess thematisiert, sondern es wird kurz auf diesen selbst eingegangen, da dies aufgrund seines Zusammenhangs mit der Marxschen Darstellung notwendig ist. Die Frage nach einer spezifischen Forschungsmethode von Marx und deren Charakteristika muss hier aber ausgespart bleiben.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

Was Marx mit der Forschung bezweckt, ist Erkenntnisgewinn hinsichtlich der inneren Struktur seines Gegenstandes, hinsichtlich des inneren Zusammenhangs der ökonomischen Kategorien und Verhältnisse. Erst wenn die innere Struktur und die Bewegungsgesetze der kapitalistischen Ökonomie hinreichend durchdrungen und erforscht sind, kann diese so dargestellt werden, dass sich das „Leben des Stoffs" ideell widerspiegelt. Forschung bedeutet für Marx u. a. die kritische Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie vor seiner Zeit ebenso wie mit der entsprechenden zeitgenössischen Literatur. Hierbei bemühte sich Marx, einen möglichst umfassenden Horizont ökonomischen Denkens kennen zu lernen und gedanklich zu durchdringen. Autoren aus dem Umfeld der MEGA2-Edition verweisen auf Marx' „Auswertung einer kaum zu überschauenden Literatur."55 Nicht nur exzerpierte Marx vom Beginn seiner ökonomischen Studien an bis kurz vor seinem Tod zahlreiche Ökonomen, die von ihm verschiedenen historischen Phasen und unterschiedlichen theoretischen Richtungen zugeordnet wurden. Marx war darum bemüht, der Internationalität der ökonomischen Theoriebildung gerecht zu werden und seinen Horizont diesbezüglich stetig zu erweitern. Natürlich galt sein Interesse in allererster Linie der britischen Entwicklung von William Petty über Locke und North bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein, dann zu James Steuart, bis hin zu Adam Smith und David Ricardo, dem Zenit bürgerlichen ökonomischen Denkens, schließlich zu der in verschiedene Richtungen weisenden Entwicklung nach Ricardo. Auch die französischsprachige Entwicklung von Boisguillebert über die Physiokraten um Francois Quesnay, schließlich über den „Vulgärökonomen" Jean-Baptiste Say und den von Marx geschätzten Sismondi zu dem von Marx vehement kritisierten Bastiat war für Marx von großer Bedeutung. Daneben widmete Marx aber auch ökonomischen Denkern aus zahlreichen anderen Ländern Aufmerksamkeit. Er fand Lob für den Amerikaner Benjamin Franklin und rezipierte Galiani, einen italienischen Ökonomen des 18. Jahrhunderts, er tadelte mit dem Ricardo-Feind Charles H. Carey das - so legt Marx nahe - amerikanische Pendant Bastiats, er äußerte sich zu spanischen Ansätzen ökonomischen Denkens und nahm mit zunehmendem Alter stärker ökonomische Literatur russischer Provenienz zur Kenntnis.56 Marx hat sich vermutlich erst nach seiner Niederlassung in Paris erstmals intensiv mit der Wissenschaft der politischen Ökonomie auseinandergesetzt.57 Im Laufe des

55 Rolf Hecker, Jürgen Jungnickel, Eike Kopf, Zu einigen Forschungs- und Editionsfragen des ersten Bandes des „Kapitals" in der MEGA, in: Prokla 84 (1991), S. 496. Zur Quellengrundlage von Marx siehe Alexander Syrow, Über die Herausbildung der Ansichten von Marx als Historiker der politischen Ökonomie. Die Erforschung der Quellengrundlage des „Kapitals", in: Beiträge zur MarxEngels-Forschung 27, Berlin/Ost 1989, S. 98ff. 56 Bei der Auswertung von ökonomischer Literatur kamen Marx seine beachtlichen fremdsprachlichen Fähigkeiten zugute. Siehe dazu Richard Speri, Die editorische Dokumentation von Übersetzungen in der Marx-Engels-Gesamtausgabe, in: Richard Speri, „Edition auf hohem Niveau". Zu den Grundsätzen der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) (= Wissenschaftliche Mitteilungen des Berliner Vereins zur Förderung der MEGA-Edition e. V., Heft 5), Hamburg 2005, S. 166. 57 Zu den Pariser Exzerptheften: Nelly Rumjanzewa, Zur Veröffentlichung der Pariser Hefte von Karl Marx im Band IV/2 der MEGA, in: Marx-Engels-Jahrbuch 3, Berlin/Ost 1980, S. 275ff.

3.2. DIE PROBLEMATIK VON FORSCHUNG UND DARSTELLUNG

223

Jahres 1844 studierte der spätere Autor des Kapital Werke von Jean-Baptiste Say, des polnischen Smith-Schülers Skarbek, des Ricardianers MacCulloch,58 des „Vulgärökonomen" Destutt de Tracy,59 des Ricardianers James Mill sowie die Schrift Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie von Friedrich Engels. Insbesondere rezipierte Marx die wichtigsten britischen Ökonomen des 18. und 19. Jahrhunderts, nämlich Adam Smith und David Ricardo. In diesem Jahr 1844 wurde auch Marx' erstes bedeutendes ökonomisch-philosophisches Werk verfasst, die Ökonomisch-philosophischen Manuskripte (diese Schrift wurde erst posthum, nämlich im Jahr 1932, veröffentlicht60). In den Jahren 1845 und 1846 erweiterte und vertiefte Marx in Brüssel - wie auch während einer gemeinsam mit Engels im Juli und August 1845 unternommenen Bibliothekenrecherche in England61 - seine Kenntnisse in ökonomischer Literatur. Es ging ihm u. a. darum, sich einen systematischen Überblick über die Geschichte der politischen Ökonomie als Ganzes zu verschaffen. Entsprechend widmete er einigen Werken, die sich mit der Geschichte dieser Wissenschaft befassen, seine Aufmerksamkeit. (Siehe u. a. MEGA2 IV.3, S. 389ff., 407ff., 413ff.) Allerspätestens in der gegen Pierre-Joseph Proudhon gerichteten Streitschrift Das Elend der Philosophie von 1847 hat sich Marx der theoretischen Position Ricardos dann weitgehend angenähert, ohne sie allerdings zu übernehmen.62 Allerdings war Marx immer noch weit von dem theoretischen Niveau entfernt, das er später im Zuge der Erarbeitung seiner „reifen" Kritik der politischen Ökonomie erreichen sollte. Durch seinen Wohnortwechsel nach London im Jahr 1849 erschlossen sich für Marx neue Möglichkeiten. „Das ungeheure Material für Geschichte der politischen Oekonomie, das im British Museum aufgehäuft ist, der günstige Standpunkt, den London für die Beobachtung der bürgerlichen Gesellschaft gewährt, endlich das neue Entwicklungsstadium, worin letztere mit der Entdeckung des kalifornischen und australischen Goldes

58 In späterer Zeit vertrat Marx die Ansicht, dass MacCulloch - gegen den Marx große Antipathie hegte - wie auch James Mill zum Niedergang der Ricardo-Schule beigetragen habe. 59 Den Begriff „Vulgärökonomie" verwendete Marx vermutlich erstmals im sog. „zweiten KapitalEntwurf ' von 1861-1863. 60 Das Erscheinen dieses bis dahin weitgehend unbekannten Quellenmaterials eröffnete einen neuen Blickwinkel auf den .jungen Marx" und löste eine „Erschütterung" des verbreiteten Marx-Bildes aus. Die Tatsache, dass bis in die 1960er Jahre hinein oft eher der , junge Marx" im Zentrum der westdeutschen Marx-Diskussion stand, ist u. a. als eine langfristige Auswirkung der Erstveröffentlichung von 1932 zu betrachten. Herbert Marcuse war einer der ersten Kommentatoren der Ökonomisch-philosophischen Manuskripte·. Herbert Marcuse, Neue Quellen zur Grundlegung des Historischen Materialismus, in: Herbert Marcuse, Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1969, S. 7ff. 61 Zu den Exzerpten von Sommer 1845 siehe Ljudmila Wassina, Zur Veröffentlichung der ManchesterHefte von Marx in der Vierten Abteilung der MEGA, in: Marx-Engels-Jahrbuch 11, Berlin/Ost 1989, S. 230ff. 62 Differenzen zwischen Marx und Ricardo versucht herauszuarbeiten: Takahisa Oishi, Ricardo's Value Theory Re-examined: Marx VS. Ricardo on Value, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Engels' Druckfassung versus Marx' Manuskripte zum III. Buch des „Kapital" (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1995), Hamburg 1995, S. 15Iff.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

einzutreten schien, bestimmten mich, ganz von vorn wieder anzufangen und mich durch das neue Material kritisch durchzuarbeiten." (MEGA 2 II.2, S. 102) Im Zeitraum von Spätsommer 1850 bis Dezember 1851 füllte Marx 18 Exzerpthefte mit Auszügen aus ökonomischen Arbeiten. Bis 1853 folgten sechs weitere Hefte. Diese 24 sog. „Londoner Hefte" 63 enthalten vor allem Exzerpte, die auf ökonomische Probleme im engeren Sinne abzielen, aber auch Exzerpte zu Themen, die über die Fachgrenzen der politischen Ökonomie im engeren Sinne hinausweisen. U. a. studierte Marx erneut gründlich Klassiker der politischen Ökonomie: James Steuart, Adam Smith und David Ricardo. Die Geldtheorie, mit der sich Marx 1850/51 intensiv beschäftigte, nimmt besonders in den ersten Londoner Heften einen wichtigen Stellenwert ein. Im Frühjahr 1851 bündelte er in einer Exzerptsammlung auf zweiter Bearbeitungsstufe (Bullion) geldtheoretische Exzerpte aus Paris, Brüssel, Manchester und London und kommentierte sie. Etwa gleichzeitig verfasste er seine erste selbständige theoretisch-ökonomische Arbeit seit Wiederaufnahme der systematischen Studien - die in der internationalen Marx-Debatte nur wenig bekannte Reflection.64 Summa summarum kann gesagt werden, dass Marx in dieser Zeit, in den frühen 1850er Jahren, sein ökonomisches Wissen enorm vertiefte und damit eine theoretische Basis schuf, ohne die Das Kapital in der vorliegenden Form nicht hätte geschrieben werden können. Es darf nicht übersehen werden, dass einige wichtige Marxschen Forschungsergebnisse bereits in den frühen 1850er Jahre antizipiert wurden. Dies gilt beispielsweise für die Marxsche Ablehnung der Quantitätstheorie des Geldes. Die frühen 1850er Jahre sind als eine Phase im Marxschen Schaffensprozess zu betrachten, die keinesfalls unterbewertet werden darf. Ein genauer Textvergleich zwischen Passagen in Bullion von 1851 sowie dem ersten Heft der Grundrisse von 1857 zeigt, dass Marx im Jahre 1857 geldtheoretisch teilweise an seine Bearbeitungen von 1851 anknüpfte. 65

63 Siehe Wolfgang Jahn, Die „Londoner Hefte 1850-1853" in der Entwicklung der politischen Ökonomie von Karl Marx, in: Internationale Marx-Engels-Forschung (= Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF 12), Frankfurt/M. 1987, S. 152ff.; Ljudmila Wassina, Die Ausarbeitung der Geldtheorie durch Karl Marx in den Londoner Heften (1850-1851), in: Marx-Engels-Jahrbuch 6, Berlin/Ost 1983, S. 148ff.; Wolfgang Jahn, Dieter Noske, Zu einigen Aspekten der Entwicklung der Marxschen Forschungsmethode der politischen Ökonomie in den Londoner Heften (1850-1853), in: Marx-Engels-Jahrbuch 6, Berlin/Ost 1983, S. 121ff. 64 Rolf Hecker, Internationale Marx/Engels-Forschung und -Edition. Ein Literaturbericht, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung 33 (1998), S. 8ff., berichtet zumindest jedoch von einer spanischsprachigen Übersetzung der Reflection. (Ebd., S. 15) Dieser Marx-Text ist auch in russischer Sprache editiert. Das Manuskript Reflection untersuchen: Witali S. Wygodski, Zum Manuskript „Reflection" von Karl Marx in Heft VII der Londoner Exzerpte, in: ...unsrer Partei einen Sieg erringen. Studien zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des „Kapitals" von Karl Marx, Berlin/Ost 1978, S. 80ff.; Fred Schräder, Restauration und Revolution. Die Vorarbeiten zum Kapital von Karl Marx in seinen Studienheften 1850-1858, S. 78ff.; Hella Christ, Marx' Smith-Rezeption in den Londoner Exzerptheften (1850-1853) und in den Manuskripten „Reflection" und „Bullion. Das vollendete Geldsystem", in: Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung 8, Halle 1979, S. 7ff. 65 Siehe Fred Schräder, Restauration und Revolution. Die Vorarbeiten zum Kapital von Karl Marx in seinen Studienheften 1850-1858, S. 120.

3.2. DIE PROBLEMATIK VON FORSCHUNG UND DARSTELLUNG

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Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass Forschung und Darstellung bei Marx bisweilen auch in einem ineinander überwachsenden und kaum oder nicht klar voneinander trennbaren Zusammenhang verliefen. Dies gilt besonders für Manuskripte aus der Marxschen Schaffensperiode ab 1857. So ist den Grundrissen und den Theorien über den Mehrwert anzumerken, dass der Text selbst noch phasenweise den Charakter eines Forschungsprozesses trägt, in dem Marx den Stoff immer wieder neu durchdenkt. Dies geschieht auch und gerade in der Auseinandersetzung mit politökonomischen Denkern. Vor dem Hintergrund der intensiven Marxschen Rezeption der politischen Ökonomie ist zu bemerken, dass es nicht oder zumindest nicht allein die beeindruckende quantitative Materialfulle war, die Marx in seiner Forschung bearbeitete, die ihm den Weg zur Erkenntnis der inneren Struktur der kapitalistischen Ökonomie bahnte; vielmehr spielten auch die spezifischen Fragestellungen, die Marx an das ihm in Gestalt dieser Wissenschaft gegebene Material herantrug, eine entscheidende Rolle dabei, dass er sich durch seine Auseinandersetzung mit der ökonomischen Wissenschaft hindurch einen umfassenden Erkenntnisstand hinsichtlich der inneren Struktur der kapitalistischen Ökonomie und des inneren Zusammenhangs der ökonomischen Kategorien erarbeiten konnte. In Bezug auf die Problematik seiner Darstellung schreibt Marx am 20. Februar 1866 an Engels, die Komposition, der Zusammenhang" sei „ein Triumph der deutschen Wissenschaft". (MEW 31, S. 183) Vermutlich sah Marx generell in der Art seiner Darstellung ein Spezifikum seiner eigenen Theoriebildüng, ein Moment, mit dem er sich gegenüber der politischen Ökonomie vor ihm absetzen konnte. Es sei auch daran erinnert, dass sich Marx in seiner Auseinandersetzung mit David Ricardo in den Theorien über den Mehrwert mit dessen Darstellung, dessen Darstellungsarchitektonik, äußert kritisch auseinandersetzte.66 Es geht Marx im Kapital um den spezifischen inneren Zusammenhang innerhalb einer Ganzheit von ökonomischen Kategorien, um deren spezifischen inneren Zusammenhang innerhalb eines auf bestimmte Art und Weise gegliederten und ganzheitlichen ökonomischen Systems. Diesen spezifischen inneren Zusammenhang innerhalb einer Ganzheit ökonomischer Kategorien wollte Marx im Kontext einer genetischen Entwicklung der Kategorien darstellungslogisch nachweisen. Entscheidend ist allerdings, dass der Prozess der Darstellung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie einen intensiven Forschungsprozess voraussetzte. Es muss indes festgehalten werden, dass zwar die systematische Darstellung der „reifen" Kritik der politischen Ökonomie erst ab 1857 entstand, also zu einem Zeitpunkt, als der Marxsche Forschungsprozess schon weit gediehen war. Doch darf daraus keineswegs geschlossen werden, dass die Jahre 1843/1844 bis 1857 als die Periode der Forschung und die anschließende Periode ab dem Grundrme-Manuskript als die der Darstellung bezeichnet werden könnte. Ab 1857 sind Forschung und Darstellung werkgeschichtlich eng miteinander verwoben, wobei keineswegs gesagt werden kann, dass die Forschung insgesamt zu sehr in den Hintergrund tritt. Neben systematischen ökonomiekritischen Manuskripten, in denen teilweise auch der 66 Siehe auch Thomas Marxhausen, Aspekte der Marxschen Analyse der „sonderbaren Architektonik" von Ricardos „Principles" im Manuskript 1861-1863, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 23, Berlin/Ost 1987, S. 97ff.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

Aspekt der Forschung vorhanden ist, führte Marx seine Exzerpte fort und sammelte in seiner forscherischen Tätigkeit einen „Mont Blanc" an Material, das er zu verarbeiten hatte. Ein großer Teil des Marxschen Exzerptmaterials aus der Zeit ab 1857 ist noch unveröffentlicht. Darunter befindet sich so außerordentlich wichtiges Material wie der Exzerptteil des Heftes VII, den Marx in den Jahren 1859-1863 für seine Forschungen benutzte, oder wie die acht Beihefte A bis H, mit denen Marx im Mai und Juni 1863 u. a. seinen Wissensstand zur historischen Herausbildungsperiode der politischen Ökonomie vertiefen konnte.67 Letztlich sind auch die Theorien über den Mehrwert - zumindest u. a. - als Dokument eines Forschungsprozesses zu begreifen. Auch nach 1863 folgten zahlreiche Exzerpte zu ökonomischen Fragen, u. a. zu den Themenfeldern Geldmarkt, Krise, Finanzwesen, Grundeigentum. Marx blieb auch in den 1870/80er Jahren ein aktiver Forscher. Noch relativ kurze Zeit vor seinem Tod befasste sich Marx beispielsweise mit Währungs-, Geld-, Bank- und Finanzfragen. Die Marxsche Forschungstätigkeit bestand nicht nur in der Rezeption der verschiedenen Theorien der politischen Ökonomie, sondern auch in der Aufnahme empirischen Materials und der Auswertung von Statistiken. Ein Aufsatz von Carl-Erich Vollgraf zeigt, wie wichtig Marx auch noch in der Spätphase seines Schaffensprozesses am Kapital die Arbeit mit empirischem und statistischem Material war.68 Nach Vollgraf rückten bei der Sammlung empirischen Materials immer mehr die USA ins Marxsche Blickfeld. Marx betonte in seinem späten Briefwechsel, das „interessanteste Feld für den Ökonomen" liege , jetzt zweifellos in den Vereinigten Staaten und vor allem" in der Periode von 1873 bis 1878, der „Periode der chronischen Krise. [...] Die Schwachköpfe in Europa, die glauben, Theoretiker wie ich und andere seien die Wurzel allen Übels, könnten eine heilsame Lehre aus der Lektüre der offiziellen Yankee-Berichte ziehen", (MEW 34, S. 359 u. 360) womit Marx auf das Material zur ökonomischen Entwicklung in den USA anspielt, mit dem er sich regelmäßig versorgen ließ. Die Marxsche Forschungstätigkeit dauerte bis kurz vor seinem Lebensende an. In seinen späten Lebensjahren war Marx immer noch darauf bedacht, für die Weiterarbeit am Kapital immense Mengen von Material zu sammeln. In den Jahren 1877-1879 beispielsweise, als Marx längst in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt war, fertigte er zehn Exzerpthefte zur Ökonomie an. Hierbei galt ein Hauptinteresse dem Bank- und Finanzwesen. Sie sind noch immer unveröffentlicht und werden voraussichtlich in MEGA2 IV.25 erscheinen. Noch mit über 50 Jahren erlernte Marx Russisch, um Fachliteratur in

67 Zum hier genannten Material siehe Manfred Müller, Die vorbereitenden Materialien für Marx' ökonomisches Manuskript von 1861 - 1 8 6 3 , in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 1, Berlin/Ost 1977, S. 95ff.; Artur Schnickmann, Marx' „Beihefte" von 1863, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 5, Berlin/Ost 1979, S. 99ff. Zur Marxschen Smith-Rezeption im Exzerptteil von Heft VII siehe Fred Schräder, Karl Marxens Smithkommentar von 1861/62 im Heft VII, in: International Review of Social History 28 (1983), S. 50ff. 68 Siehe Carl-Erich Vollgraf, Marx' Arbeit am dritten Buch des Kapital in den 1870/80er Jahren, in: Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition e. V. (Hg.), In Memoriam Wolfgang Jahn. Der ganze Marx. Alles Verfasste veröffentlichen, erforschen und den „ungeschriebenen" Marx rekonstruieren (= Wissenschaftliche Mitteilungen, Heft 1), Hamburg 2002, S. 33ff.

3.2. DIE PROBLEMATIK VON FORSCHUNG UND DARSTELLUNG

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dieser Sprache systematisch auswerten zu können. Über die in der Marxschen Privatbibliothek befindliche russischsprachige Fachliteratur gibt ein von Marx „Russisches in my bookstall" betiteltes Verzeichnis Auskunft, das er kurz vor seinem Lebensende anlegte. 3.2.2. Der Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten und das „Problem des Anfangs" 69 in der Marxschen Darstellung Die Marxsche Darstellungsmethode wird häufig im Sinne eines Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten gedeutet. In Bezug auf die methodologische Dimension der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie wird in der internationalen Marx-Diskussion oftmals auf einen im Sommer 1857 (d. h. gemäß der Datierungen in MEGA 2 II. 1 noch vor dem Beginn der Grundrisse) verfassten Marxschen Textabschnitt rekurriert, der u. a. einen Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten thematisiert. Hierbei handelt es sich um das berühmte „Methodenkapitel", das erst nach Marx' Lebzeiten veröffentlicht wurde. Marx beginnt die Argumentation folgendermaßen: „Wenn wir ein gegebnes Land politisch-ökonomisch betrachten, so beginnen wir mit seiner Bevölkerung, ihrer Verteilung in Klassen, Stadt, Land, See, den verschiednen Productionszweigen, Aus- und Einfuhr, jährlicher Production und Consumtion, Waarenpreissen etc." (MEGA 2 II. 1.1, S. 35) Marx fahrt fort: „Es scheint das Richtige zu sein, mit dem Realen und Konkreten, der wirklichen Voraussetzung zu beginnen, also z. B. in der Ökonomie mit der Bevölkerung, die die Grundlage und das Subjekt des ganzen gesellschaftlichen Produktionsakts ist." Bei näherer Betrachtung sei aber festzustellen, dass dieser Anfang nicht richtig ist. Die Bevölkerung sei eine Abstraktion, falls z. B. von den Klassen, aus denen sie besteht, abgesehen sei. „Diese Klassen sind wieder ein leeres Wort, wenn ich die Elemente nicht kenne, auf denen sie beruhn. Z. B. Lohnarbeit, Capital etc." Damit wiederum seien „Austausch, Theilung der Arbeit, Preisse etc." unterstellt. „Kapital z. B. ohne Lohnarbeit ist nichts, ohne Wert, Geld, Preis etc." Marx schreibt: „Finge ich also mit der Bevölkerung an, so wäre das eine chaotische Vorstellung des Ganzen" (MEGA 2 II. 1.1, S. 36). Durch nähere Bestimmung sei analytisch zu einfacheren Begriffen zu gelangen, von „dem vorgestellten Conkreten auf immer dünnere Abstracta, bis ich bei den einfachsten Bestimmungen angelangt wäre. Von da wäre nun die Reise wieder rückwärts anzutreten, bis ich endlich wieder bei der Bevölkerung anlangte, dießmal aber nicht als bei einer chaotischen Vorstellung eines Ganzen, sondern als einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen." (MEGA 2 II. 1.1, S. 36) Der Grundgedanke, der Marx allem Anschein nach vorschwebt, ist der eines Fortgangs vom Konkreten zum

69 Michael Krätke hat zurecht eine „Asymmetrie der Aufmerksamkeit" hinsichtlich des darstellungslogischen Anfangs bzw. des Schlusses der Marxschen Ökonomiekritik festgestellt. Während das „Problem des Anfangs" in der Marx-Interpretation zu einem vieldiskutierten Punkt wurde, ist die Frage des Schlusses vernachlässigt worden. Siehe Michael R. Krätke, „Hier bricht das Manuskript ab." (Engels) Hat das Kapital einen Schluss? Teil I, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Neue Texte, neue Fragen. Zur Kapital-Edition in der MEGA (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2001), Hamburg 2002, S. 8.

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Abstrakten und anschließend von dort aus wieder zum Konkreten, das nun allerdings anders bestimmt ist. Marx unternimmt eine Parallelisierung der beiden hier skizzierten „gedanklichen Wege" mit zwei dogmenhistorischen Strömungen. Der erste gedankliche Weg sei von der frühen politischen Ökonomie, den ökonomischen Denkern des 17. Jahrhunderts, beschritten worden. Diese fangen - nach Marx - mit dem lebendigen Ganzen, der Bevölkerung, der Nation, dem Staat, mehreren Staaten etc. an und enden damit, dass sie durch Analyse einige bestimmende abstrakte, allgemeine Beziehungen, wie Teilung der Arbeit, Geld, Wert etc. herausfinden. (Siehe MEGA2 II. 1.1, S. 36) Doch damit war - nach Marx die Entwicklung der ökonomischen Wissenschaft nicht zuende. Marx verweist auf eine spätere, darauffolgende Epoche ökonomischen Denkens, wenn er schreibt: „Sobald diese einzelnen Momente mehr oder weniger fixirt und abstrahirt waren, begannen die ökonomischen Systeme, die von den einfachen, wie Arbeit, Theilung der Arbeit, Bedürfnis, Tauschwerth, aufstiegen bis zum Staat, Austausch der Nationen, und Weltmarkt." Es folgt die Marxsche Einschätzung, dieses „letztre ist offenbar die wissenschaftlich richtige Methode." (MEGA2 II. 1.1, S. 36) Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Marx im Sommer 1857 glaubte, dieser zweite Weg - den er einer späteren historischen Epoche der ökonomischen Theorie zuordnete - sei im Kontext seiner eigenen Theorieentwicklung durchaus anknüpfungsfähig. Dieser zweite Weg setzt indes den ersten voraus. Marx setzt seine Ausführungen fort und schreibt, das Konkrete sei deshalb konkret, weil „es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und der Vorstellung ist. Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung verflüchtigt; im" zweiten Weg „fuhren die abstrakten Bestimmungen zur Reproduction des Concreten im Weg des Denkens." (MEGA2 II. 1.1, S. 36) Hegel habe das Wirkliche als Resultat des „sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden und aus sich selbst sich bewegenden Denkens" (ebd.) aufgefasst. Hingegen bedeutet für Marx die Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten die Aneignung des Konkreten durch das Denken bzw. die Reproduktion des Konkreten als ein geistig Konkretes. Dies sei nicht zu verwechseln mit dem realen Entstehungsprozess des Konkreten selbst. Das „Methodenkapitel" wurde in der internationalen Marxforschung der letzten Jahrzehnte durchaus kontrovers diskutiert. Allerdings ist es einer schweizerischen Arbeitsgruppe gelungen, mit einem (1994 publizierten) historischen und systematischen Kommentar zu diesem berühmten Marxschen Textabschnitt einen Forschungsstand zu erarbeiten, der für künftige Interpretationen einen wichtigen Bezugspunkt darstellen muss und hinter den diese nicht mehr zurückfallen dürfen. Eine zentrale Interpretationsprämisse von Judith Janoska, Martin Bondeli, Konrad Kindle und Marc Hofer hinsichtlich der von Marx im August 1857 niedergelegten methodologischen Überlegungen ist die Unterscheidung differenter Ebenen. So differenziert die Autorengruppe eine „Aneignungsebene" von der „Realebene" und von einer „historischen Reflexionsebene". Die ,Aneignungsebene" betrifft den theoretischen Erkenntnisprozess. Indes bestehe zwischen dieser Ebene und der „Realebene", die den realen

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Gegenstand selbst betrifft, keine widerspiegelungstheoretische Beziehung. Die „historische Reflexionsebene" bezieht sich auf die theoretische Verarbeitung des ökonomischen Gegenstandes in der Wissenschaftsgeschichte der politischen Ökonomie. Wie sieht die methodologische Deutung von Janoska/Bondeli/Kindle/Hofer en detail aus? Entsprechend der Unterscheidung einer „Realebene" von einer „Aneignungsebene" besitzt das „Konkrete" auf den jeweiligen Ebenen verschiedene Bedeutungen. Hinsichtlich der „Realebene" bezeichnen Begriffe wie „abstrakt" und „konkret" bzw. „Abstraktes" und „Konkretes" reale gesellschaftliche Daseinsformen. In Bezug auf die , Aneignungsebene" sei hingegen festzuhalten, dass die Termini „abstrakt" und „konkret" bzw. „Abstraktes" und „Konkretes" sich auf die jeweiligen Stadien der begrifflichen Aneignung des Gegenstands im Denken des Theoretikers beziehen.70 Gemäß des Marxschen „Methodenkapitels" führe der Gang des Erkenntnisprozesses vom Konkreten zum Abstrakten und anschließend vom Abstrakten zum Konkreten. Mit Blick auf die erste der unterschiedlichen Bedeutungen des „Konkreten", auf die sich die schweizerische Autorengruppe bezieht, ist das „Konkrete" der „Realebene" zugeordnet und als „Wirklichkeitssegment, als Gegenstand der Aneignung und Objekt der wissenschaftlichen Arbeit"71 gefasst. Dieses Konkrete ist eine wirkliche Voraussetzung, die außerhalb des Denkprozesses in ihrer Selbständigkeit bestehen bleibt. Das Real-Konkrete sei der Ausgangspunkt von Anschauung und Vorstellung. „Seine Aufnahme in das sinnliche Erkenntnisvermögen ,Vorstellung' liefert ein ,vorgestellte(s) Concrete(s)' [...], eine ,volle' [...], abwertend auch ,chaotische' [...] Vorstellung."72 Von diesem zweiten Konkreten - dem „Konkreten der Vorstellung" - ist über nähere Bestimmung zu den einfachsten Kategorien und dünnen Abstrakta zu gelangen. Ausgehend von diesem Punkt fuhrt anschließend der Gang des Erkenntnisprozesses zum Konkreten in einer dritten Bedeutung. Hierbei handelt es sich um ein Gedankenkonkretum im Sinne einer reichen, begriffenen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen.73 Bei diesem zweiten Weg hat man es - so ist im Anschluss an den schweizerischen Kommentar festzuhalten mit dem Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten zu tun. Die schweizerische Autorengruppe fuhrt mit Blick auf die dogmengeschichtliche Zuordnung der beiden methodischen Wege, die Marx im „Methodenkapitel" vornimmt, aus: „Unser Rekonstruktionsversuch ergibt, dass der dogmengeschichtliche Hintergrund die von Marx auf ihn projizierten methodologischen Ansätze recht gut abbildet. Petty und Steuart können als Vertreter des ,ersten', Smith und Ricardo als solche des ,zweiten Weges' betrachtet werden".74 Marx bezieht sich einerseits auf die Ökonomen des 17. Jahrhunderts, die mit dem „lebendigen Ganzen" anfingen und durch „Analyse einige bestimmende abstrakte, allgemeine Beziehungen [...] herausfinden" (MEGA2 II. 1.1, S. 36), sowie andererseits auf „die ökonomischen Systeme", die von den einfachen Bestim70 Siehe Judith Janoska, Martin Bondeli, Konrad Kindle, Marc Hofer, Das „Methodenkapitel" von Karl Marx, S. 54. 71 Ebd, S. 61. 72 Ebd., S. 62. 73 Siehe ebd., S. 62f. 74 Ebd., S. 108.

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mungen „aufstiegen bis zum Staat, Austausch der Nationen, und Weltmarkt" (MEGA2 II. 1.1, S. 36). Zum systematischen und historischen „Methodenkapitel"-Kommentar der schweizerischen Arbeitsgruppe ist resümierend festzustellen, dass es ihre theoretische Stärke ist, diesen wichtigen methodologischen Textabschnitt konsequent auf seinen erkenntnistheoretischen Gehalt hin zu analysieren und in seinen wissenschaftsgeschichtlichen und philosophiehistorischen Kontexten zu diskutieren. Das „Methodenkapitel" von Sommer 1857 stellt einen wichtigen Schritt im Kontext des Marxschen methodologischen Selbstverständigungsprozesses auf dem Weg zur Methode des Kapital dar, auch wenn damit noch nicht das letzte Wort über die im Kapital selbst vorliegende Methode gesprochen ist. Letztere ergab sich aus einem jahrelangen Konnex von Forschungsprozessen und Darstellungsversuchen. Im theoretischen Entwicklungsprozess von Marx bilden die im „Methodenkapitel" dargelegten methodologischen Ansichten keinen End-, sondern einen Übergangspunkt. Wichtige methodologische Überlegungen zum Problem der Darstellung präsentierte Marx 1862 im zweiten Teil der Theorien über den Mehrwert, wo er sich zur Methode David Ricardos äußert. Dieser gehe vom Prinzip der Wertbestimmung durch die Arbeitszeit aus und untersuche anschließend, ob „die übrigen ökonomischen Verhältnisse dieser Bestimmung des Werths widersprechen, oder wie weit sie dieselbe modificieren." (MEGA2 II.3.3, S. 816)75 Nach Marx wird sowohl die wissenschaftliche Notwendigkeit dieser Verfahrensweise in der Geschichte der politischen Ökonomie deutlich, jedoch auch ihre „wissenschaftliche Unzulänglichkeit, eine Unzulänglichkeit, die sich nicht nur in der Darstellungsart (formell) zeigt, sondern zu irrigen Resultaten fuhrt, weil sie n o t wendige Mittelglieder überspringt und in unmittelbarer Weise die Congruenz der ökonomischen Categorien unter einander nachzuweisen sucht." (MEGA2 II.3.3, S. 816) Ein entscheidender Punkt der Marxschen Methode besteht im Aspekt der Vermittlung der verschiedenen ökonomischen Kategorien zueinander. Diese sind bisweilen auf ganz unterschiedlichen Abstraktionsebenen anzusiedeln, was bei der Konzeption der Darstellung - Marx war sich dessen bewusst - zu berücksichtigen war. Entsprechend der zuletzt zitierten Textstelle aus den Theorien über den Mehrwert ist - Marx zufolge bei Ricardo ein gravierendes methodologisches Defizit festzustellen. Aber es ist bemerkenswert und typisch für die Marxsche Herangehensweise, dass er auf der historischen Berechtigung und Notwendigkeit der Methode Ricardos insistiert. Marx hatte

75 Zur Marxschen Rezeption von David Ricardos Werttheorie ist anzumerken, dass in der Forschung bisweilen die Angemessenheit der Marxschen Deutung in Zweifel gezogen wurde. Dies geschah namentlich mit Blick auf die Marxsche Auffassung, Ricardo beginne seine Darstellung mit der Darlegung seiner Arbeitswerttheorie, begehe dann aber in der weiteren Argumentation den Fehler, Arbeitswerte und Produktionspreise gleichzusetzen. Der neoricardianische Ökonom Ian Steedman weist die entsprechende Marxsche Ricardo-Kritik zurück. „Marx persistently misinterprets Ricardo's use of the term value to be his (Marx's) use and then accuses Ricardo of .mistakenly' identifying value and cost [bzw. Produktionspreis] - terms which for Ricardo were simply synonyms", so Ian Steedman, Marx on Ricardo, in: Ian Steedman, From Exploitation to Altruism, Oxford 1989, S. 55. Für Steedman entpuppt sich Ricardo letztendlich als Produktionspreistheoretiker. Auf diese wichtige Problematik kann hier nicht näher eingegangen werden.

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bei der Beurteilung der wissenschaftlichen Leistungen politischer Ökonomen nicht nur das Kriterium der Korrektheit ihrer Ansichten im Blick, sondern auch die jeweilige Rolle, die ihnen in der historischen Entwicklung dieser Wissenschaft zukam. Aus einer an die Marxsche Interpretation anschließenden Perspektive ließe sich die Deutung vorbringen, dass Ricardo im Kontext seiner Methode innerhalb der Geschichte ökonomischer Theoriebildung den vermeintlichen Smithschen Dualismus, dessen Schwanken zwischen einem „esoterischen" und einem „exoterischen" Theorieelement, beseitigen konnte. 76 Offenbare sich auf der einen Seite der wissenschaftsgeschichtliche Wert von Ricardos Methode, „so liegt auf der Hand andrerseits die wissenschaftliche Mangelhaftigkeit seines Verfahrens". (MEGA 2 II.3.3, S. 818) Marx hebt in seinem Gedankengang auf die (ihm zufolge) notwendig verkehrte und überaus sonderbare Werkarchitektonik des Engländers ab, die in einem engen Zusammenhang mit dessen Methode stehe.77 Ricardos Methode sei die der Konfrontation von ökonomischen Kategorien mit dem Grundprinzip der Wertbestimmung durch die Arbeitszeit. 78 Marx führt methodenkritisch aus: Im ersten Kapitel, dem Wertkapitel der Principles, seien „nicht nur Waaren unterstellt - und weiter ist nichts zu unterstellen, wenn der Werth als solcher betrachtet wird - sondern Arbeitslohn, Capital, Profit, allgemeine Profitrate selbst, [...] die verschiednen Formen des Capitals, wie sie aus dem Circulationsproceß hervorgehn und ebenso der Unterschied von ,natural and market price' [...]" (MEGA 2 II.3.3, S. 819) Ein ähnlicher Kritikpunkt gegen Ricardo ist auch im Marxschen Briefwechsel aufzufinden. In einem Brief an Ludwig Kugelmann von 1868 kritisiert Marx an Ricardo, es sei dessen Fehler, dass „er in seinem ersten Kapitel über den Wert alle möglichen Kategorien, die erst entwickelt werden sollen, als gegeben voraussetzt, um ihr Adäquatsein mit dem Wertgesetz nachzuweisen." (MEW 32, S. 553) Ricardos Ver-

76 Marx schreibt zu Smith, dieser bewege sich „mit grosser Naivität in einem fortwährenden Widerspruch. Auf der einen Seite verfolgt er den innren Zusammenhang der ökonomischen Categorien oder den verborgnen Bau des bürgerlichen ökonomischen Systems. Auf der andren stellt er daneben den Zusammenhang, wie er scheinbar in den Erscheinungen der Concurrenz gegeben ist und sich also dem unwissenschaftlichen Beobachter darstellt, ganz ebensogut wie dem in dem Proceß der bürgerlichen Production praktisch Befangenen und Interessirten." (MEGA2 II.3.3, S. 816) 77 „Die fehlerhafte Architektonik in dem theoretischen Teil" von Ricardos Principles of Political Economy and Taxation, d. h. in den ersten sechs dort vorliegenden Kapiteln, ist nach Marx „nicht zufällig, sondern gegeben durch die Untersuchungsweise Ricardo's selbst und die bestimmte Aufgabe, die er seiner Forschung gestellt hatte. Sie drückt das wissenschaftlich Ungenügende dieser Untersuchungsweise selbst aus." (MEGA2 II.3.3, S. 819) 78 „Das ganze Ricardosche Werk ist also enthalten in seinen ersten zwei Capiteln. In diesen werden die entwickelten bürgerlichen Productionsverhältnisse, also auch die entwickelten Categorien der politischen Oekonomie, confrontirt mit ihrem Prinzip, der Werthbestimmung, und zur Rechenschaft gezogen, wieweit sie ihm direkt entsprechen oder wie es sich mit den scheinbaren Abweichungen verhält, die sie in das Werthverhältnis der Waaren hereinbringen. Sie enthalten seine ganze Kritik der bisherigen politischen Oekonomie, das categorische Abbrechen mit dem durchgehenden Widerspruch A. Smiths in der esoterischen und exoterischen Betrachtungsweise, und liefern durch diese Kritik zugleich einige ganz neue und überraschende Resultate. Daher der hohe theoretische Genuß, den diese zwei ersten Kapitel gewähren [...]" (MEGA2 II.3.3, S. 820)

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fahrensweise führt dazu, ökonomische Kategorien, die eigentlich erst später entwickelt werden sollen, bereits relativ zu Anfang der Darstellung als gegeben zu unterstellen. Dass Marx in seiner eigenen Darstellung, d. h. innerhalb des Warenkapitels zu Anfang des ersten ATap/taZ-Bandes darauf achtete, ähnliche Probleme zu vermeiden, lässt sich aus einer Fußnote ersehen: „Der Leser muß aufmerken, dass hier nicht vom Lohn oder Werth die Rede ist, den der Arbeiter etwa für einen Arbeitstag erhält, sondern vom Waarenwerth, worin sich sein Arbeitstag vergegenständlicht. Die Kategorie des Arbeitslohns existirt überhaupt noch nicht auf dieser Stufe unsrer Darstellung." (MEGA2 II.6, S. 78) Marx wirft in den Theorien über den Mehrwert im Kontext der Rezeption von Ricardos Textteil zur Modifikation des Prinzips der Wertbestimmung durch die Arbeitsmenge dem englischen Wissenschaftler einen Mangel an Abstraktionskraft vor: „Alle Illustrationen Rie's dienen ihm nur dazu die Voraussetzung einer allgemeinen Profitrate einzuschmuggeln. Und dieß geschieht im ersten capitel ,Οη Value', während angeblich erst im 5t Capitel wages und im 6t Profite entwickelt werden. Wie aus der blosen Bestimmung des , Werths ' der Waaren ihr Mehrwerth, der Profit, und nun gar eine allgemeine Profitrate hervorgehn, bleibt Ricardo in Dunkel gehüllt. Das einzige, was er in obigen Illustrationen in fact nachweist, ist daß die Preisse der Waaren, soweit sie durch allgemeine Profitrate bestimmt sind, durchaus verschieden sind von den Werthen der Waaren. Und auf diesen Unterschied kömmt er, indem er die Profitrate unterstellt als law. Man sieht, wenn man ihm zu grosse Abstraction vorwirft, wäre der umgekehrte Vorwurf der berechtigte; Mangel an Abstractionskraft; Unfähigkeit bei den Werthen der Waaren die Profite zu vergessen, ein aus der Concurrenz ihm gegenübertretendes fact." (MEGA2 II.3.3, S. 840) Anhand seiner Beschäftigung mit dem Wertkapitel in Ricardos Hauptwerk Principles of Political Economy and Taxation wurde für Marx deutlich, wie ein angemessener Darstellungsanfang nicht auszusehen hat. Mit Blick auf das „Problem des Anfangs" in der Darstellung von Marx selbst ist die Frage zu stellen, wie das Anfangskapitel der Marxschen Darstellung betitelt sein sollte. Das erste Kapitel des Rohentwurfs von 1857/58 lautete „II.) Das Kapitel vom Geld" (MEGA2 II. 1.1, S. 49), wobei - so schreiben die Editoren der MEGA2-Ausgabe der Grundrisse (siehe MEGA2 II.l, S. 776) - die Überschrift im Nachhinein und die Nummerierung spätestens dann eingefügt worden sei, als Marx kurz vor Beendigung der Arbeit an diesem Manuskript einen Abschnitt „Wert" begann, der dem Kapitel vom Geld noch vorangestellt werden sollte. Rosdolsky bemerkte zum Problem des Marxschen Darstellungsanfangs, die Notwendigkeit der Korrektur einer „idealistischen Manier der Darstellung" habe Marx dazu bewogen, in der Schrift Zur Kritik der politischen Ökonomie (verfasst im Zeitraum November 1858 bis Januar 1859) die Ware als Ausgangspunkt seiner Darstellung zu wählen.79 Bei dieser These stützt sich Rosdolsky auf einen berühmten Passus aus dem ersten Heft der Grundrisse.80 Wann genau Marx sich 79 Siehe Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital", Bd. 1, S. 144. 80 Marx schreibt: „Es wird später nöthig sein, eh von dieser Frage abgebrochen wird, die idealistische Manier der Darstellung zu corrigiren, die den Schein hervorbringt als handle es sich nur um Begriffsbestimmungen und die Dialektik dieser Begriffe. Also vor allem die Phrase: das Product (oder Thätigkeit) wird Waare; die Waare Tauschwerth; der Tauschwerth Geld." (MEGA 2 II. 1.1, S. 85)

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entschloss, das erste Kapitel „Ware" statt „Wert" zu benennen, lässt sich nur schwer rekonstruieren. In einem der bekanntesten Marxschen Briefe aus der Zeit kurz vor der Beendigung des Rohentwurfs, dem Brief an Engels vom 2.4. 1858 (siehe MEW 29, S. 312ff.), geht Marx noch eindeutig davon aus, das erste Kapitel des Abschnitts „a) Das Kapital im Allgemeinen" mit „Wert" zu betiteln. Zwecks der erhofften Edition seines Werkes in Form aufeinanderfolgender Hefte im ersten Heft wäre auch das vom Wert handelnde Kapitel publiziert worden, dessen Version im Rohentwurf sehr früh abgebrochen worden bzw. fragmentarisch geblieben war - begann Marx im Juni 1858 mit der intensiven Durchsicht seiner eigenen Grundrisse und legte sich einen Index für alles Wichtige an, was dort auf den fur die Edition seines Werks zunächst zu bearbeitenden Themenbereich Bezug hatte. In dem in diesem Index zu den 7 Heften bzw. in der ersten Fassung dieses Index enthaltenen Aufbauplan, der vom , Anfang" bis zur Zirkulation des Kapitals reicht, geht Marx immer noch eindeutig vom Anfangskapitel „Wert" aus. (Siehe MEGA2 II.2, S. 3) In der zweiten Jahreshälfte 1858 - laut Angabe der MEGA2-Editoren im August begann Marx mit der Ausarbeitung des Urtextes von Zur Kritik der politischen Ökonomie, brach das Manuskript jedoch schon im Herbst desselben Jahres wieder ab. Von diesem zu Marxschen Lebzeiten unveröffentlichten Urtext blieben bekanntlich nur Bestandteile des Kapitels vom Geld sowie der Beginn des Kapitels vom Kapital erhalten. Die Behauptung der MEGA2-Editoren des Bandes II.2, dass Marx zwar ein Wertkapitel des Urtextes verfasst habe - als Anfangskapitel - , dieses aber verloren gegangen sei, lässt sich nicht verifizieren.81 Laut MEGA2-Editoren begann Marx seine Arbeit an der 1859 veröffentlichten Version von Zur Kritik der politischen Ökonomie im November 1858. (Siehe MEGA2 II.2, S. 370) Die Entscheidung, das Anfangskapitel des Werks nicht mit „Wert", sondern mit „Ware" zu betiteln, war spätestens Ende November 1858 gefallen. Dies lässt sich zumindest aus dem Briefwechsel erschließen, nämlich aus dem Brief an Engels vom 29.11.1858. (Siehe MEW 29, S. 372) Der Entschluss, ein Anfangskapitel mit dem Titel „Die Ware" zu konzipieren, scheint Marx auf jeden Fall erst nach der Beendigung seiner Arbeit an den Grundrissen aufgekommen zu sein. Die Ware ist auch die Ausgangskategorie des Kapital. Die Ware des Marxschen Darstellungsanfangs im Kapital ist einerseits ein Konkretum - ein „einfaches" Konkretes, wie man im Anschluss an Rafael Echeverría formulieren könnte - , zugleich aber andererseits aufgrund ihres zunächst noch unterbestimmten Formcharakters ein Abstraktes. Denn entscheidende Dimensionen ihrer Formbestimmtheit - ihr Dasein als kapitalistisch produzierte Ware, als Bestandteil eines Warenkapitals - müssen im Gang der Marxschen Darstellung erst noch eingeholt werden. In den Randglossen zu Adolph Wagners „Lehrbuch der Politischen Ökonomie", einer Arbeit, die als letzte ökonomiekritische Schrift von Marx gilt, erläuterte dieser sein 81 Sie stützen sich dabei auf die von Marx in seinem Text Referate zu meinen eignen Heften von Sommer 1861 verzeichnete zeitweilige Existenz eines Heftes C, (siehe MEGA2 II.2, S. 272) das zumindest als ganzes Heft - nicht überliefert ist. Ein direkter und eindeutiger Hinweis darauf, dass dieses Heft ein Wertkapitel des Urtextes enthalten habe, existiert indes nicht.

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eigenes Vorgehen im ersten Band des Kapital. Besonders zum Problem des Anfangs ist diese Spätschrift aufschlussreich und verdeutlicht wichtige Aspekte des Marxschen Methodenverständnisses. Marx schreibt hier, dass er im Kapital nicht „Begriffe" und auch nicht den „Wertbegriff' zum Ausgangspunkt gewählt habe. Sondern wovon er ausgehe sei die „einfachste gesellschaftliche Form, worin sich das Arbeitsprodukt in der jetzigen Gesellschaft darstellt, und dies ist die ,Ware'." (MEW 19, S. 369) Er analysiere sie zunächst in ihrer Erscheinungsform. Es sei herauszufinden, dass sie einerseits in ihrer natürlichen Gestalt ein Gebrauchswert sei, andrerseits „Träger von Tauschwert, und unter diesem Gesichtspunkt selbst,Tauschwert'." (Ebd.) Durch die Analyse des letzteren Aspekts der Ware ergebe sich, dass der Tauschwert eine Erscheinungsform des Warenwerts sei - und dann, so sagt Marx, „gehe ich an die Analyse des letzteren." (MEW 19, S. 369) Marx macht deutlich, wie seine Methode nicht zu verstehen ist. „Ich teile also nicht den Wert in Gebrauchswert und Tauschwert als Gegensätze, worin sich das Abstrakte, ,der Wert', spaltet, sondern die konkrete gesellschaftliche Gestalt des Arbeitsprodukts"; die Ware „ist einerseits Gebrauchswert und andrerseits ,Wert', nicht Tauschwert, da die bloße Erscheinungsform nicht ihr eigner Inhalt ist." (Ebd.) Marx argumentiert zudem, dass in seiner Warenanalyse zu Anfang der Darstellung nicht allein auf den Doppelcharakter der Ware als Einheit von Gebrauchswert und Wert, sondern auch auf den Doppelcharakter der in ihr vergegenständlichten Arbeit hingewiesen wird. Im Hinblick auf das „Problem des Anfangs" der Marxschen Darstellung soll jetzt auf zwei bedeutende Forschungsbeiträge aus der Diskussion der 80er und 90er Jahre eingegangen werden. Im Zentrum von Gerhard Göhlers Habilitationsschrift aus dem Jahr 1980 über die Entwicklung der Marxschen Darstellungsstruktur innerhalb der jeweiligen Abschnitte über die Ware und den Austauschprozess steht die Frage nach dem Stellenwert der Dialektik in der Marxschen Darstellung. Göhler fokussiert in diesem Zusammenhang einerseits auf das erste Kapitel von Zur Kritik der politischen Ökonomie, andererseits auf die Textabschnitte zur Ware und zum Austauschprozess in den ersten beiden Kapital-Auflagen von 1867 bzw. 1872/73. Aus den unterschiedlichen Marxschen Ansätzen zu einer Darstellung, innerhalb der Geld und Austauschprozess von der Kategorie der Ware her entwickelt werden, lässt sich nach Göhler die Differenz zweier unterschiedlicher Typen von Dialektik herausarbeiten. In Zur Kritik der politischen Ökonomie sieht Göhler eine „emphatische Dialektik" am Werk. Entscheidend sei besonders die Marxsche Konzeption des Widerspruchs. Mit Blick auf die „emphatische Dialektik" gelte: Innerhalb des Argumentationszusammenhangs komme dem Widerspruch eine explikative Funktion zu, d. h. die Bewegung des Widerspruchs selbst sei die entscheidende Triebkraft innerhalb der kategorialen Entwicklung und des Darstellungsfortgangs. Allerdings scheitere in Zur Kritik die Durchführung der emphatischen Dialektik in der Entwicklung von Ware, Geld und Austauschprozess. „Das Scheitern einer umfassend angesetzten emphatischen Dialektik für die Entwicklung von Geld und Austauschprozess resultiert [...] daraus, dass Elemente zusammengenommen sind, die zwar sachlich zusammengehören, aber ebenso sachnotwendig getrennt entwickelt werden müssen". 82 82 Gerhard Göhler, Die Reduktion der Dialektik durch Marx. Strukturveränderungen der dialektischen Entwicklung in der Kritik der politischen Ökonomie, S. 166.

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Das allgemeine Äquivalent sei das Resultat der Wertformabfolge, hingegen sei der Austauschprozess als Resultat einer Widerspruchsentwicklung konzipiert. Würde nur letztere durchgeführt, so sei „das allgemeine Äquivalent nicht zu erbringen."83 Göhler fuhrt aus: „Weil die Wertform-Entwicklung in die Entwicklung des Austauschprozesses nicht voll integriert ist, kann um ihrer Aufrechterhaltung willen die Widerspruchsentwicklung des Austauschprozesses für seine relevanten Elemente nicht durchgängig und umfassend und somit im emphatischen Sinne nicht stringent durchgeführt werden."84 In den beiden ATa/7/ta/-Auflagen hingegen sei die Dialektik „reduziert". In diesem Kontext spricht Göhler von einer deskriptiven (im Gegensatz zur explikativen) Funktion des Widerspruchs. Hinsichtlich des Kapital führt Göhler aus, dass die „Schwierigkeiten des Zusammenhangs von Wertformen und Austauschprozess [...] aus der Hauptentwicklung herausgenommen und in einer gesonderten Behandlung des Austauschprozesses konzentriert"85 seien. Hinsichtlich des Marxschen Verhältnisses zu Hegel vermutet Göhler einen Einschnitt zwischen Zur Kritik der politischen Ökonomie und dem Kapital, wobei sich Marx von Hegel abgewendet habe (auch wenn sich Marx dessen Einfluss nie vollständig entzogen habe). Obwohl die Studie von Gerhard Göhler zu den Meilensteinen der deutschsprachigen methodologischen Marx-Diskussion gehört, ist sein Ansatz im Ausland in geringerem Maße rezipiert worden als beispielsweise derjenige von Hans-Georg Backhaus. In Deutschland allerdings gilt er als einer der wesentlichen Bezugspunkte der methodologischen Diskussion zur Kritik der politischen Ökonomie, wobei er einerseits (wie etwa seitens Christian Iber86 hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Wertform-Struktur und chiastischer Austauschstruktur) auf Zustimmung, andererseits auf Kritik stößt. Hierbei zielt die Kritik von Helmut Brentel u. a. auf Göhlers zentrale These von der „Reduktion der Dialektik durch Marx", der Brentel nicht folgen will. Die Kritik von Dieter Wolf zielt insbesondere auf Göhlers Verständnis des Widerspruchs bei Marx.87 Zur Diskussion des „Problems des Anfangs" der Kritik der politischen Ökonomie hat der argentinisch-mexikanische Philosoph und Theologe Enrique Dussel mit seinen Forschungen aus den 80er und 90er Jahren eine originelle These beigesteuert. In seiner Analyse des „Methodenkapitels" der Einleitung von 1857 betrachtet Dussel den Aufstieg vom Einfachen und Abstrakten zum geistig Konkreten, zum Komplexen, zur konkreten Totalität, als ein dialektisches Element.88 Die Struktur der Kategorien in der Kritik der politischen Ökonomie sei durch deren inneren Zusammenhang in der modernen kapitalistischen Gesellschaft vorgegeben. Dussel untersucht im ersten Buch seiner Trilogie auch

83 84 85 86

Ebd. Ebd. Ebd., S. 167. Iber hat eine am Institut für Philosophie der FU Berlin gehaltene Marx-Vorlesung in Buchform publiziert: Christian Iber, Grundzüge der Marxschen Kapitalismustheorie, Berlin 2005. 87 Zur kritischen Auseinandersetzung mit Göhler siehe Helmut Brentel, Soziale Form und ökonomisches Objekt, S. 347ff.; Dieter Wolf, Der dialektische Widerspruch im Kapital, S. 224. Auch Michael Heinrich kritisiert Göhler: Die Wissenschaft vom Wert, S. 228f. 88 Siehe Enrique Dussel, La Producción Teórica de Marx, S. 52.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

die Entwicklung der darstellungslogischen Konzeption des Trierers vom Planentwurf aus der Einleitung bis zum Index zu den 7 Heften89 von 1858.90 Wie bereits erwähnt, bezieht sich Dussel im zweiten Buch seiner Trilogie nicht allein auf das Manuskript von 1861-1863, mit dem Marx an seine Schrift Zur Kritik der politischen Ökonomie (die 1859 veröffentlicht worden war) anknüpfte, sondern auch auf Zur Kritik selbst. Obwohl Marx im Brief an Engels vom 2. April 1858 sowie im Index zu den 7 Heften noch davon ausgegangen sei, als Titel für den Anfangsteil „Wert" zu wählen, habe Marx bereits im Brief an Engels vom 13. Januar 1859 das Anfangskapitel mit „Ware" bezeichnet.91 (Hier wäre zu Dussels Forschungen zu ergänzen, dass auch ein bereits auf den 29. November 1858 datierter Marx-Brief an Engels vorliegt, in dem er das Anfangskapitel mit der Bezeichnung „Ware" betitelt. [Siehe MEW 29, S. 372]) Die Struktur des Urtextes von Zur Kritik der politischen Ökonomie, der vor der veröffentlichten Fassung von Zur Kritik in der zweiten Jahreshälfte 1858 entstand, sei bereits im Brief an Engels vom 2. April desselben Jahres antizipiert - Wert, Geld, Kapital.92 Nicht nur Zur Kritik, auch Das Kapital beginnt bekanntlich mit der Kategorie der Ware. Die einzelne Ware interpretiert Dussel als elementarisches Dasein des bürgerlichen Reichtums.93 Die Ware als Einheit von Gebrauchswert und Wert sei die Marxsche Ausgangskategorie.94 Der Wert wiederum wird vom Argentinier als das „grundlegende Sein" des Kapitals interpretiert. Doch es gibt auch einen weiteren Argumentationsstrang in Dussels Suche nach der Ausgangskategorie der Marxschen Ökonomiekritik. Die fundamentalste Gegenüberstellung, die Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie vornimmt, ist für Dussel weniger diejenige zwischen der konkret-nützlichen und der abstrakt-allgemeinen Arbeit oder diejenige zwischen Gebrauchswert und Wert. In der Kritik der politischen Ökonomie komme stattdessen in allererster Linie dem Gegenüber zwischen „lebendiger Arbeit" und „vergegenständlichter Arbeit" ein zentraler Stellenwert zu. Die „lebendige Arbeit" besitzt nach Dussel eine entscheidende Funktion: Der Argentinier vertritt die Auffassung, die „lebendige Arbeit" sei die dem Kapital äußerliche Quelle des Werts und des Mehrwerts. Diese Quelle werde jedoch dem Kapital subsumiert. Die Pointe von Enrique Dussels Marx-Interpretation besteht darin: Für ihn ist die Kategorie „lebendige Arbeit" der wirkliche Ausgangspunkt der dialektischen Darstellung. Für Dussel ist eigentlich die „lebendige Arbeit" ein Erstes innerhalb der Struktur der Kategorien, eben die allererste Kategorie.95 Der „lebendigen Arbeit" steht wiederum die „vergegenständlichte Arbeit" gegenüber, die somit ebenfalls für den Anfang der dialektischen Darstellung relevant ist. „The dialectical logical movement of Capital", so schreibt der lateinamerika-

89 90 91 92 93 94 95

Der Index ist so bezeichnet, weil das Grundrisse-Manuskript in sieben Heften enthalten ist. Siehe Enrique Dussel, La Producción Teórica de Marx, S. 61ff. Siehe Enrique Dussel, Hacia un Marx Desconocido, S. 27. Siehe Enrique Dussel, La Producción Teórica de Marx, S. 330. Siehe Enrique Dussel, Hacia un Marx Desconocido, S. 28. Siehe Enrique Dussel, La Producción Teórica de Marx, S. 322f. Siehe Enrique Dussel, El Último Marx ( 1863 - 1 8 8 2 ) , S. 421.

3 . 2 . DIE PROBLEMATIK VON FORSCHUNG UND DARSTELLUNG

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nische Philosoph und Theologe, „begins in the radical contradiction o f , living labor' and ,objectified labor' as capital."96 Allerdings stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, was mit dem Darstellungsanfang mit der Kategorie „Ware" ist, mit der der erste Band des Kapital unbestreitbar beginnt. Offensichtlich gibt es - Enrique Dussels Marx-Interpretation zufolge - zwei „Anfänge", die einen jeweils unterschiedlichen Stellenwert besitzen. Dussel führt in El Último Marx aus: „En efecto, el capitulo 1 sobre la mercancía y el dinero [...] fue necesario al comienzo para respetar un orden pedagógico o de la .exposición', pero lógicamente, por su esencia, se necesitaba comenzar por la contradicción absoluta entre ,dinero-trabajo vivo'." 97 Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf Dussels Argumentation zu werfen. Die Funktion der Marxschen Aufbaupläne zu seiner Kritik der politischen Ökonomie sieht der Argentinier darin, dass sie die „An-Ordnung" der ökonomischen Kategorien im Kontext der Entwicklung des Kapitalbegriffs problematisieren. Indes nimmt Enrique Dussel eine Differenzierung vor. Im Hinblick auf die „An-Ordnung der Untersuchung" - hierbei handle es sich um eine logische, auf das Wesen bezogene An-Ordnung - stehe das vierte Kapitel der zweiten bzw. das zweite Kapitel der ersten Auflage des ersten Kapital-Bandes am Anfang: also derjenige Marxsche Textteil, der die Verwandlung von Geld in Kapital beinhaltet. Im Hinblick auf die „An-Ordnung der Darstellung" indes sei das erste A¿jp/fa/-Kapitel der Anfang. Diese „An-Ordnung der Darstellung" wird von Dussel als „pädagogisch" verstanden. Der Sachverhalt, dass die Ware als erste Kategorie in Erscheinung trete, bedeutet nach Dussel nicht, dass sie auch in der auf das Wesen bezogenen „inneren" An-Ordnung der Kategorien den ersten Platz einnimmt. In der Tat ist fur Dussel die „lebendige Arbeit" ein zentraler kategorialer Bezugspunkt im Marxschen Werk. Sie sei Schöpferin allen Werts und allen Reichtums, die ökonomischen Kategorien wie der Wert, die Ware, das Geld usw. seien ihre „Modalitäten".98 Auch im Kontext von Dussels emphatischem Bezug auf den Kritikcharakter der Marxschen Theorie erkennt der Philosoph und Theologe der Kategorie „lebendige Arbeit" einen zentralen Stellenwert zu; insofern nämlich, als er die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie als vom Blickwinkel der „lebendigen Arbeit" aus erfolgend betrachtet.99 Im angelsächsischen Raum hat die Theoriebildung Dussels eine Kontroverse ausgelöst. Patrick Murray spricht mehrere Aspekte kritisch an.100 Ein Hauptkritikpunkt ist im Zusammenhang mit Murrays kritischer Sichtweise auf den sog. „ricardianischen Marxismus" zu sehen. Murray argumentiert, dass zwischen der Marxschen Theorie einer-

96 Enrique Dussel, The Four Drafts of Capital: Toward a N e w Interpretation of the Dialectical Thought of Marx, in: Rethinking Marxism 13/1 (2001), S. 20. 97 98 99 100

Enrique Dussel, El Último Marx ( 1 8 6 3 - 1 8 8 2 ) , S. 420. Siehe Enrique Dussel, Hacia un Marx Desconocido, S. 301. Siehe ebd., S. 293. Siehe Patrick Murray, The Trouble with Ricardian Marxism: Comments on „The Four Drafts of Capital: Toward a New Interpretation of the Dialectical Thought of Marx," by Enrique Dussel, in: Rethinking Marxism 14/3 (2002), S. 114ff.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

seits und einem „ricardianischen Marxismus" andererseits zu unterscheiden sei. Nur erstere, nicht aber letzterer theoretisiere die spezifische soziale Form der Arbeit innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise. Murray rechnet Dussel dem „ricardianischen Marxismus" zu. „The hallmark of Ricardian Marxism", so Murray, „is that it takes the theory of surplus-value to be the heart and soul of Marx's critique of capitalism." 101 Die Marxsche Darstellung der Sphäre der einfachen Zirkulation am Marxschen Darstellungsanfang werde von Dussel unterbewertet, ebenso die Problematik der spezifischen gesellschaftlichen Form. Dieser Kritikpunkt an Dussel hat in Bezug auf das Problem des Anfangs in der Marxschen Darstellung Relevanz, da in diesem Kontext die Frage nach dem Stellenwert der Marxschen Darstellung der Kategorien Ware und Geld also der Kategorien des ersten ÀTap/taZ-Abschnitts gemäß der Zweitauflage - gestellt werden kann. Eine Antwort auf Murrays Dussel-Kritik formulierte Fred Moseley.102 Er vertritt die Auffassung, dass „Herz und Seele" der Marxschen Kapitalismuskritik sowohl die Mehrwert- und Ausbeutungstheorie als auch seine eigentümliche Formtheorie umfassen. Moseley behauptet, dass die Kategorie der Ware als der logische Anfangspunkt im Hinblick auf die Marxsche Darstellung seiner Kapitalismustheorie anzusehen sei. Zudem argumentiert Moseley: „It should be noted that an important point of agreement between Murray and myself, and with Dussel as well, is that Capital is about capitalism from the very beginning - that is, from chapter 1 of volume l." 103 Hier wird einer Interpretation des Marxschen Darstellungsanfangs im Sinne einer vorkapitalistischen „einfachen Warenproduktion" eine Absage erteilt. 3.2.3. Das Verhältnis der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu Hegels Philosophie im Spiegel der internationalen Debatte Im Zusammenhang mit der internationalen Debatte über die Problematik der Marxschen Darstellung muss auf das in der wissenschaftlichen Forschung zur Methode der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie intensiv diskutierte Verhältnis von Marx zu Hegel näher eingegangen werden. Dabei steht das Verhältnis der „reifen" Ökonomiekritik von Marx zur Hegeischen Philosophie im Mittelpunkt, nicht aber die ausführliche HegelRezeption im Marxschen Frühwerk. Im dritten Teil dieser Arbeit wurde bereits mit der Deila Volpe-Schule und der Althusser-Schule auf zwei Interpretationsrichtungen eingegangen, für die mit Blick auf das Verhältnis des Trierers zu Hegel vor allem eine scharfe Abgrenzung beider Denker im

101 Ebd., S. 120. 102 Siehe Fred Moseley, The "Heart and Soul" of Marx's Critique of Capitalism: Exploitation or Social Form - or Both? A Reply to Patrick Murray, in: Rethinking Marxism 14/3 (2002), S. 122ff. Zu Moseleys Sicht auf Dussel siehe auch Fred Moseley, Introduction to „The Four Drafts of Capital: Towards a New Interpretation of the Dialectical Thought of Marx," By Enrique Drussel, in: Rethinking Marxism 13/1 (2001), S. Iff. 103 Fred Moseley, The „Heart and Soul" of Marx's Critique of Capitalism: Exploitation or Social Form - or Both? A Reply to Patrick Murray, S. 127.

3.2. DIE PROBLEMATIK VON FORSCHUNG UND DARSTELLUNG

239

Vordergrund stand. Zwar liegt nahe, dass der „Antihegelianismus" keine differentia specifica ausschließlich Althussers und Collettis darstellt, doch muss ergänzt werden, dass die Deila Volpe-Schule und die Althusser-Schule zumindest in Westeuropa an der Spitze der „antihegelianischen" Bewegung innerhalb des Marxismus standen. Gewisse Tendenzen, die einer eventuellen „Hegelianisierung" der Marxschen Theorie entgegenstanden, existierten u. a. auch im orthodoxen Marxismus sowjetischer bzw. osteuropäischer Prägung, im japanischen Marxismus sowie in Lateinamerika (vermittelt über die dortige Althusser-Rezeption). Mit Blick auf die 80er Jahre ist in diesem Zusammenhang der antihegelianisch ausgerichtete „analytische Marxismus" der angelsächsischen Welt zu nennen. Bereits in den 60er und 70er Jahren existierte in Teilen der Debatte aber auch eine von antihegelianischen Interpretationen abweichende Deutungsrichtung zum HegelMarx-Verhältnis, wie sie etwa im Kontext des positiven Hegelbezugs innerhalb der Marx-Interpretation von Hans-Jürgen Krahl zu finden war. So ist keineswegs davon auszugehen, dass mit Blick auf die 60er und 70er Jahre ein „Antihegelianismus" innerhalb der Marx-Debatte ohne weiteres generalisierbar ist. Mittlerweile hat sich der internationale Diskussionsstand weiterentwickelt. Hier sei an verschiedene Theorieansätze aus den 90er Jahren, u. a. an die bereits erwähnte Arbeit des Iraners Ali Shamsavari erinnert, der sich vom antihegelianischen Diskurs abgrenzt. In der angelsächsischen Welt hat sich etwa gleichzeitig ein „New Dialectic"-Ansatz herausgebildet, innerhalb dessen eine positive Neubestimmung des Hegel-Marx-Verhältnisses anvisiert wird. Doch ist der „Antihegelianismus" innerhalb der internationalen Marx-Debatte auch in jüngerer Zeit nicht verschwunden, wie anhand des Beispiels des Interpretationsansatzes von John Rosenthal gezeigt werden kann.

Das Verhältnis der Marxschen zur Hegeischen Methode lässt sich keinesfalls auf eine schlichte „Anwendung" oder „Übertragung" reduzieren. Die Komplexität des HegelMarx-Verhältnisses darf nicht unterschätzt werden. Marx setzte sich sowohl mit der Phänomenologie des Geistes, mit der Rechtsphilosophie, als auch mit der Logik Hegels der „kleinen" wie der „großen" - auseinander. Die Marxsche Hegel-Rezeption fand sowohl in unterschiedlichen theoretischen Kontexten statt, wie auch in verschiedenen werkgeschichtlichen Perioden seines theoretischen Schaffens. Marx nahm zu verschiedenen Zeitpunkten eine jeweils unterschiedliche Stellung zu Hegel ein. Die Marxschen Quellen, welche die kritische Auseinandersetzung mit Hegel dokumentieren, sind der internationalen Forschung im allgemeinen gut bekannt. Neben der Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie von 1843 und weiteren Schriften aus diesem Jahrzehnt ist in diesem Kontext auch das ökonomiekritische Spätwerk inklusive der Einleitung von 1857 und des Nachworts zur zweiten Ausgabe des ersten Kapital-Bandes sowie der Marxsche Briefwechsel erwähnenswert. Andere Quellen sind hingegen weniger bekannt. Hinsichtlich der Zeit nach 1857 ist neben den zahlreichen bekannteren Textstellen, an denen sich Marx mit der Philosophie Hegels auseinandersetzt, auch ein schwierig zu datierendes, aber wohl von Anfang der 1860er Jahre stammendes Marxsches Exzerpt aus der „kleinen Logik" der Enzyklopädie überliefert, das - ungeachtet des entsprechenden noch ausstehenden MEGA2-Bandes - bereits seit Jahrzehnten der wis-

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

senschaftlichen Öffentlichkeit vorliegt, jedoch selbst in Fachkreisen eher geringe Beachtung gefunden hat.104 Der tschechoslowakische Philosoph Jindrich Zeleny unterschied in den 1960er Jahren vier verschiedene Etappen der Marxschen Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels. Die erste erkennt er in der Marxschen Dissertation zur Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie von 1841, die zweite in der kritischen Rezeption von Hegels Rechtsphilosophie von 1843. Die dritte bzw. die vierte Etappe - die nach Zeleny besonders bedeutsam sind, da er die Periode von 1844 bis 1847 für die wichtigste und philosophisch reichste Rezeptionsperiode hält - wird von dem Tschechoslowaken an den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten bzw. die vierte Phase an der Deutschen Ideologie und am Elend der Philosophie festgemacht. Doch wie sind auf dieser Grundlage - gemäß Zeleny - die Marxschen Auseinandersetzungen mit Hegel einzuordnen, die in der Einleitung von 1857, in der „reifen" Ökonomiekritik ab 1857/58 und nicht zuletzt im Marxschen Briefwechsel aus seiner Londoner Zeit dokumentiert sind? Zeleny schreibt: „Die Frage, ob es in der weiteren gedanklichen Entwicklung von Marx im Verhältnis zur Hegeischen Philosophie zu solchen Veränderungen und Modifikationen kommt, die man als eine neue spezifische Etappe seiner kritischen Auseinandersetzung mit Hegel bezeichnen könnte, muss unserer Ansicht nach negativ beantwortet werden. Das Verhältnis von Marx zu Hegel bleibt dem Wesen der Sache nach so, wie es prinzipiell nach einer verhältnismäßig komplizierten Entwicklung auf der vierten Etappe der Marxschen Hegel-Rezeption, in der .Deutschen Ideologie' und im ,Elend der Philosophie', geklärt wurde."105 Andreas Arndt unterschied in den 1980er Jahren hinsichtlich der Marxschen Beschäftigung mit Hegel ab 1857 mehrere Phasen. In der Arbeit an der Einleitung von 1857 erkennt Arndt den Beginn einer Periode der intensiven Auseinandersetzung mit Hegel, der jedoch nach der Wiederaufnahme der Arbeit an Zur Kritik der politischen Ökonomie im Jahr 1861 - vorübergehend - ein „weitgehendes Schweigen" in Bezug auf Hegel gefolgt sei. Während der Arbeit am Manuskript von 1861-1863, genauer gesagt in den während des Jahres 1862 geschriebenen Theorien über den Mehrwert, erfolgte eine Auseinandersetzung von Marx mit der Methodenproblematik der bürgerlichen Ökonomie. Die Kategorie des Widerspruchs sei damals von Marx überdacht worden. Arndt schreibt: „Nach dem intensiven Experimentieren mit Hegel in der Phase der abschließenden Erforschung des systematischen Zusammenhangs der Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft und im ersten Darstellungsversuch (bis 1859), die Klarheit über den Grundriß des Systems der Kritik der politischen Ökonomie schaffen, konkretisiert sich das DialektikProgramm erst durch die Abklärung der Kategorie des Widerspruchs in der direkten Auseinandersetzung mit den Methoden der bürgerlichen Ökonomie."106 Im Zeitraum von 1865 bis 1868 sieht Arndt bei Marx eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit 104 Siehe Joseph O'Malley, Fred E. Schräder, Marx's Précis of Hegel's Doctrine on Being in the Minor Logic, in: International Review of Social History 22 (1977), S. 423ff. 105 Jindrich Zeleny, Die Wissenschaftslogik bei Marx und „Das Kapital", S. 279. 106 Andreas Arndt, Karl Marx. Versuch über den Zusammenhang seiner Gedanken, Bochum 1985, S. 230.

3 . 2 . DIE PROBLEMATIK VON FORSCHUNG UND DARSTELLUNG

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dem Dialektikproblem und der Hegeischen Philosophie. Anschließend, ab den späten 1860er Jahren bis zum Tod von Marx, sei diese Auseinandersetzung eher in den Hintergrund gerückt.107 Im Kontext der Frage nach dem theoretischen Verhältnis der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zum Denken Hegels gilt es, anhand eines kurzen Exkurses zu Hegels Beschäftigung mit der politischen Ökonomie auf den grundlegenden Unterschied zwischen einerseits dessen eigener und andererseits der Marxschen Auseinandersetzung mit dieser Wissenschaft hinzuweisen. Der kurze Exkurs zu Hegels Beschäftigung mit der Ökonomie ist auch aufgrund einer neuen Situation in der rezeptionsgeschichtlichen Debatte notwendig, die sich in den 1990er Jahren herauskristallisierte. In der angelsächsischen Diskussion des Hegel-Marx-Verhältnisses hat sich - so fuhren zumindest Ian Fraser und Tony Burns in ihrem historischen Überblick über die Debatte aus - eine Interpretationsströmung herausgebildet, die mit bisherigen Richtungen der Deutung dieses theoretischen Verhältnisses gebrochen hat. Die neue Richtung gehe einen ganz anderen Weg, und dieser - so kann ergänzt werden - fuhrt nicht so sehr über eine eigentümliche und neuartige Marx- als vielmehr über eine eigentümliche und neuartige Hegel-Interpretation. Um es auf den Punkt zu bringen: In diesem Kontext wird Hegel nicht als Idealist, sondern als Materialist interpretiert. Allerdings steht gemäß Fraser und Burns für diese Interpretationsrichtung nicht die Hegeische Metaphysik, sondern vielmehr Hegels ökonomisches, soziales und politisches Denken im Mittelpunkt. „In so far he is of significance for the history of Marxism, the true importance of Hegel, on this view, is to be found in his social and political thought, or in what is usually referred to as his Realphilosophie, rather than in his general philosophy or his metaphysics."108 Fraser und Burns schreiben später: „From this point of view, then, there is no need for Marxists to appropriate a modified, materialist version of Hegel's philosophical idealism into their own thought. For Marx's,materialism' can be derived directly from Hegel's own social thought without any such adaptation or modification."109 Dabei laute der „fundamental claim that is made by this new reading of the Hegel-Marx connection [...] that Hegel's dialectic and Marx's dialectic are one and the same".110 Wie immer man diesen Neuansatz der Interpretation des Hegel-MarxVerhältnisses und insbesondere des Hegeischen Denkens auch beurteilen mag, jedenfalls steht fest, dass vor dem Hintergrund der Existenz dieser neuen Interpretation keineswegs ausschließlich oder einseitig das Verhältnis der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zur Wissenschaft der Logik oder zur Phänomenologie des Geistes in den

107 In einer anderen Studie betont Arndt ein spezifisches Konzept gegenständlicher Vermittlung, das er bei Marx sieht: Andreas Arndt, Unmittelbarkeit (= Bibliothek dialektischer Grundbegriffe, Bd. 14), Bielefeld 2004, S. 37ff. Arndts jüngster Versuch zum Marxschen Verhältnis zur Hegeischen Dialektik: Andreas Arndt, Was ist Dialektik? Anmerkungen zu Kant, Hegel und Marx, in: Das Argument 274 (2008), S. 45ff. 108 Ian Fraser, Tony Burns, Introduction: An Historical Survey of the Hegel-Marx Connection, in: Ian Fraser, Tony Burns (Hg.), The Hegel-Marx Connection, London 2000, S. 21. 109 Ebd. 110 Ebd., S. 22.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

Vordergrund gestellt werden darf, sondern auch G. W. F. Hegels Auseinandersetzung mit ökonomischen und sozialen Fragen einige Aufmerksamkeit verdient. Hegels Beziehung zur Wissenschaft der politischen Ökonomie wird durchaus in der Hegel-Forschung diskutiert. Entscheidend ist, dass Hegel seinen Bezug auf die politische Ökonomie in seine Rechts- und Sozialphilosophie, genauer gesprochen, in seine entsprechende Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft einbaute. D. h. obwohl er die politische Ökonomie als selbständige Wissenschaft anerkannte, betrieb er selbst sie nicht als solche. Jürgen Kuczynski spricht von einer „,Philosophierung' der Ökonomie durch Hegel".111 Georg Ahrweiler sieht in Bezug auf die ökonomische Problematik bei Hegel „Dilettantismus" am Werk.112 Eine bekannte Äußerung, die der Philosoph zur „Staatsökonomie"113 getätigt hat, ist in § 189 der Grundlinien der Philosophie des Rechts überliefert. Die „Staatsökonomie" gilt Hegel als Wissenschaft, deren Entwicklung „das Interessante [zeigt], wie der Gedanke (s. Smith, Say, Ricardo) aus der unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst vor ihm liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den in ihr wirksamen und sie regierenden Verstand herausfindet."114 Dieser Paragraph und die Aneinanderreihung der Ökonomen Adam Smith, Jean-Baptiste Say und David Ricardo legt die Frage nach Hegels Rezeption dieser ökonomischen Denker nahe. Es ist anzunehmen, dass Hegel die Theorie des Schotten besser kannte als die der beiden anderen Ökonomen.115 Andreas Arndt vermutet bei Hegel allerdings auch hinsichtlich der Smith-Rezeption beträchtliche Lücken. An den weittheoretischen Ansätzen des Schotten und der Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert zeigte Hegel in den

111 Jürgen Kuczynski, Hegel und die politische Ökonomie - ein Brief von J. K. an Manfred Buhr, in: Manfred Buhr, Todor Iljitsch Oiserman (Hg.), Vom Mute des Erkennens. Beiträge zur Philosophie G W. F. Hegels, Frankfurt/M. 1981, S. 258. 112 Siehe Georg Ahrweiler, Hegels Gesellschaftslehre, Darmstadt u. Neuwied 1976, S. 101. 113 Im Hinblick auf Hegels Terminologie spricht Norbert Waszek von einer Wissenschaft, „die Hegel in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts [...] mit dem unüblichen Ausdruck ,Staatsökonomie', sonst aber auch, und zwar weitgehend synonym, als politische Ökonomie' und als .Nationalökonomie' bezeichnet", so Norbert Waszek, Hegels Lehre von der „bürgerlichen Gesellschaft" und die politische Ökonomie der schottischen Aufklärung, in: Dialektik 1995/3, S. 36. 114 G W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (= Hegel Werke, Bd. 7), Frankfurt/M. 1986, S. 346f. 115 Obwohl es keineswegs wahrscheinlich sei, so schreibt Norbert Waszek, dass „Hegel had a noticeable direct knowledge of Say and Ricardo - that is why there are no other references and no identifiable allusions to their writings - he knew of them, probably through the review journals, he perceived them as independent followers of Smith, and he thus appreciates - and one need not read more into the reference - that Say and Ricardo (along with Smith) were the acknowledged leaders of the subject", so Norbert Waszek, The Scottish Enlightenment and Hegel's Account of „Civil Society", Dordrecht u. a. 1988, S. 133. Nach Andreas Arndt hat Hegel den Engländer über Say kennengelernt. Im Hegeischen Nachlass befinde sich die Saysche Schrift Pricipes de l'économie politique par Dav. Ricardo von 1819. Siehe Andreas Arndt, Negativität und Widerspruch in Hegels Ökonomie. Voraussetzungen der Hegeischen Kritik der politischen Ökonomie in der Auseinandersetzung mit Fichte, in: Hegel-Jahrbuch 1988, Bochum 1988, S. 327.

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Grundlinien der Philosophie des Rechts kein Interesse.116 Eine wichtige Forschungsfrage bildet zudem die Hegeische Rezeption des ökonomischen Denkens James Steuarts.117 Georg Lukacs hatte Mitte des 20. Jahrhunderts mit seiner Studie über den jungen Hegel einem breiteren Publikum in Erinnerung gerufen, dass Hegel von Februar bis Mai 1799 einen glossierenden Kommentar zu Steuarts Inquiry into the Principles of Political Economy von 1767 angefertigt hatte.118 Da der Steuart-Kommentar selbst jedoch verloren gegangen ist und nur ein kurzer Bericht darüber in der Hegel-Biographie seines Schülers Rosenkranz als Quelle dienen kann, ist diesbezüglich vorgeschlagen worden, man solle sich, jeder Bemerkung enthalten, die sich auf bloße Spekulationen stützt."119 Ernst Erdös, der Hegel als „Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft"120 bezeichnet, sieht in ihm weder einen Anhänger von Adam Smith noch von James Steuart. Stattdessen sei die Eigenständigkeit von Hegels Standpunkt hervorzuheben. Andere Interpreten bestreiten, dass sich der Stuttgarter Philosoph überhaupt auf der Höhe der modernen politischen Ökonomie seiner Zeit - bzw. der damals modernen angelsächsischen Politökonomie - bewegt habe.121 Letztlich ist der fundamentale Unterschied zwischen dem Hegeischen und dem Marxschen Verhältnis zur Wissenschaft der politischen Ökonomie festzuhalten. Es ist offensichtlich, dass Hegel im Abschnitt zum „System der Bedürfnisse" in seiner Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft in den Grundlinien der Philosophie des Rechts u. a. zwar zur politischen Ökonomie bzw. zur „Staatsökonomie" Stellung bezog; doch seine Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft wird innerhalb seiner Rechtsphilosophie thematisiert, die als Bestandteil der Philosophie des objektiven Geistes wiederum Teil seines philosophischen Systems ist. Marx hingegen ging es um eine fundamentale Kritik und zugleich theoretische Revolutionierung der Wissenschaft der politischen Ökonomie, nicht bloß (wie bei Hegel) um die Integration von einigen in Auseinandersetzung mit ihr gewonnenen Erkenntnissen in ein philosophisches System. Entsprechend standen die ökonomischen Forschungen des Trierers, insbesondere seine Auseinandersetzungen mit der

116 Siehe Andreas Arndt, Negativität und Widerspruch in Hegels Ökonomie, S. 326. Es sei „zweifelhaft, ob Hegel überhaupt mehr als" nur das erste Kapitel im ersten Buch der Wealth of Nations „gelesen hat. Anders ist es kaum erklärlich, dass Hegel die Probleme der Lohnarbeit und des Kapitals sowie der Wertbestimmung durch Arbeit trotz seiner Bezugnahme auf Smith nicht sehen konnte", so ebd. 117 Siehe Paul Chamley, Les origines de la pensée économique de Hegel, in: Friedhelm Nicolin, Otto Pöggeler (Hg.), Hegel-Studien. Bd. 3, Bonn 1965, S. 225ff. 118 Siehe Georg Lukacs, Der junge Hegel und die Probleme der kapitalistischen Gesellschaft, Berlin/Ost 1954, S. 211. Siehe auch Manfred Riedel, Zwischen Tradition und Revolution. Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Stuttgart 1982, S. 120. 119 Keiji Sayama, Die Geburt der bürgerlichen Gesellschaft. Zur Entstehung von Hegels Sozialphilosophie, Berlin 2004, S. 22. 120 Ernst Erdös, Hegels politische Ökonomie im Verhältnis zu Sismondi, in: Hegel-Jahrbuch 1986, Bochum 1988, S. 76. 121 Siehe Andreas Arndt, Wolfgang Lefèvre, System und System-Kritik. Zur Logik der bürgerlichen Gesellschaft bei Hegel und Marx, in: Hegel-Jahrbuch 1986, Bochum 1988, S. llff.; Birger Priddat, Hegel als Ökonom, Berlin 1990.

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ökonomischen Wissenschaft, nicht nur in einem ganz anderen theoretisch-programmatischen Kontext, sondern waren auch unvergleichlich intensiver als diejenigen Hegels. Die Darstellung im Kapital setzt die volle theoretische Durchdringung des Marxschen Gegenstands voraus, d. h. auch des inneren Zusammenhangs der ökonomischen Kategorien und Verhältnisse. Dies wurde aber nur von Marx und nicht von Hegel geleistet. Bevor näher auf Teile der internationalen Diskussion zum Hegel-Marx-Verhältnis eingegangen wird, gilt es, kurz auf Text- und Briefstellen von Marx selbst hinzuweisen, anhand derer sein eigenes Verständnis hinsichtlich des theoretischen Verhältnisses zu Hegel erschließbar wird. Im berühmten Nachwort zur zweiten deutschen Ausgabe des ersten Kapital-Ji&riàQS schreibt Marx: „Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegeischen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil." Hegel verwandle den unter der Bezeichnung der Idee zu einem selbständigen Subjekt gemachten Denkprozess in den „Demiurg des Wirklichen", wobei letzteres nur seine äußere Erscheinung bilde. „Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle." Marx fährt fort: „Die mystifizierende Seite der Hegeischen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des ,Kapital' ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort fuhrt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als ,toten Hund'." Daher habe er, Marx, sich als Schüler Hegels bekannt. Er habe im Kapitel über die Werttheorie bisweilen mit der Hegeischen Ausdrucksweise kokettiert. „Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken." (MEGA 2 II.6, S. 709) Die Marasche Kritik richtete sich gegen die „Mystifikation" der Dialektik bzw. der Methode durch Hegel. Im Brief vom 16. Januar 1858, in dem Marx davon berichtete, dass ihm das Durchblättern der Hegeischen Logik in „der Methode des Bearbeitens [...] großen Dienst geleistet" habe, (MEW 29, S. 260) gab Marx über ein von ihm vermutlich niemals realisiertes Vorhaben Auskunft: „Wenn je wieder Zeit fur solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in 2 oder 3 Druckbogen das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen." (MEW 29, S. 260) Doch eine derartige Schrift ist von Marx nie publiziert worden und auch nicht im Nachlass auffindbar. In einem auf den 31. Mai 1858 datierten Brief äußerte sich Marx gegenüber Ferdinand Lassalle über die Hegelsche Dialektik, dass sie das letzte Wort aller Philosophie sei; doch sei es nötig, „sie von dem mystischen Schein, den sie bei Hegel hat, zu befreien." (MEW 29, S. 561) Gut ein Jahrzehnt später kommt Marx gegenüber Ludwig Kugelmann kritisch auf die „mystische Form" der Dialektik bei Hegel zu sprechen. Im Brief vom 6. März 1868 schrieb Marx, der Kapital-Rezensent Eugen Dühring wisse sehr wohl, dass „meine Entwicklungsmethode nicht die Hegeische ist, da ich Materialist, Hegel Idealist. Hegels Dialektik ist die Grundform aller Dialektik, aber nur nach Abstreifung ihrer mystischen Form, und

3.2. DIE PROBLEMATIK VON FORSCHUNG UND DARSTELLUNG

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dies gerade unterscheidet meine Methode." (MEW 32, S. 538) Wenig später, am 9. Mai 1868 teilte Marx gegenüber Joseph Dietzgen mit: „Wenn ich die ökonomische Last abgeschüttelt", so schrieb der Autor des Kapital, „werde ich eine ,Dialektik' schreiben. Die rechten Gesetze der Dialektik sind schon im Hegel enthalten; allerdings in mystischer Form. Es gilt diese Form abzustreifen." (MEW 32, S. 547) Der Autor des Kapital sah ein, dass sich die Methode der Darstellung, die den inneren Zusammenhang der kapitalistischen Ökonomie explizieren und entwickeln soll, aus deren eigentümlicher Struktur selbst ergeben muss. Statt der Erstellung einer „Konstruktion a priori" - wie es Marx im Nachwort zur zweiten Auflage des ersten KapitalBandes (1873) nennt - muss zunächst in einem langwierigen und detaillierten Forschungsprozess der „Gegenstand" in seiner spezifischen Struktur so durchdrungen werden, dass eine Explikation und Entwicklung seines inneren Zusammenhangs in der Darstellung hinreichend möglich wird. Für eine schlichte äußerliche „Übertragung" bzw. „Anwendung" der Hegeischen Logik bzw. Methode auf die Ökonomie war die Marxsche Herangehensweise zu differenziert. Bereits im Brief vom 1. Februar 1858 an Engels macht Marx darauf aufmerksam, wie mit der Hegeischen Logik gerade nicht zu verfahren ist. Dort schreibt Marx über Lassalle: „Ich sehe aus dieser einen Note, dass der Kerl vorhat, die politische Ökonomie hegelsch vorzutragen in seinem 2ten großen opus. Er wird zu seinem Schaden kennenlernen, dass es ein ganz andres Ding ist, durch Kritik eine Wissenschaft erst auf den Punkt zu bringen, um sie dialektisch darstellen zu können, oder ein abstraktes, fertiges System der Logik auf Ahnungen eben eines solchen Systems anzuwenden". (MEW 29, S. 275) Im Folgenden werden verschiedene Interpretationen zum Hegel-Marx-Verhältnis vorgestellt. Allerdings kann nur auf einen minimalen Ausschnitt der internationalen Debatte zum Hegel-Marx-Verhältnis eingegangen werden, da eine auch nur annähernd adäquate Übersicht über die Debatte nach 1980 den Umfang dieser Arbeit sprengen würde. Die folgende Darstellung konzentriert sich (bis auf den kurz vorzustellenden Interpretationsansatz Fred Schräders) auf Beiträge aus der angelsächsischen Diskussion, da in ihr die Interpretation des Hegel-Marx-Verhältnisses eine herausragende Rolle spielt. Im Jahr 1980 stellte Fred Schräder in einem grundlegenden Werk zu den Vorarbeiten zum Kapital im Zeitraum von 1850 bis 1858 die These auf, dass eine Marxsche Auskunft über sein Verhältnis zu Hegels Logik aus der Zeit der GnWnsse-Niederschrift er habe Hegels Logik wieder durchgeblättert, was ihm in der Methode des Bearbeitens großen Dienst geleistet habe (siehe MEW 29, S. 260) - beim Wort genommen werden sollte. „Keine bedeutende Hegelrezeption fand statt, kein Weltgeist demaskierte sich dabei als Kapital, noch musste eine Identität zwischen den Bewegungen eines Wesens und des Werts entschlüsselt werden."122 Eine Teilanalogie im Grundrisse-KayiXzl vom Geld mit bestimmten Aspekten der Hegeischen Logik - die Schräder konstatiert - ergebe sich aus bestimmten Parallelen zwischen Aspekten der Hegeischen Logik einerseits und dem von Marx an bestimmten Stellen benutzten Material andererseits. Was ist mit diesem „Material" gemeint? Nach Schräder ließe sich behaupten, dass sich - im Kon122 Fred Schräder, Restauration und Revolution. Die Vorarbeiten zum Kapital von Karl Marx in seinen Studienheften 1850-1858, S. 136.

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text der Marxschen Rezeption der Ökonomen Sismondi, Storch und Say - in den Grundrissen durchaus Entsprechungen zu Hegel ergaben, und zwar aufgrund von Parallelen zwischen bestimmten Aspekten der Hegeischen Logik und Aspekten der geld- bzw. kapitaltheoretischen Überlegungen der genannten Ökonomen. „Folgt man den Verweisen Marxens, dann stellt sich heraus, dass er sich an entscheidenden Stellen des Rohentwurfs auf Sismondi, Storch und Say nicht nur ökonomisch-sachlich, sondern auch begrifflich und selbst konzeptuell stützt, und zwar gerade in den Passagen, die sich mit der Hegeischen Logik decken."123 Inzwischen hat Schräder seine Forschungsergebnisse von 1980 neu überdacht. Ihm gemäß ist zu klären, ob, wann und wo sich Marx auf die Hegeische Logik, den Substanzbegriff Spinozas oder die Leibnizsche Relationslogik beziehe. Es gehe um wichtige Befunde zur Marxschen Arbeitsweise. Einerseits sei denkbar, dass Marx ganz eklektisch und pragmatisch vorgehe, dass er im Sinne unsystematischer und von der jeweils aktuellen Lektüre beeinflusster Improvisation arbeite, wobei „an dieser oder jener Stelle ein bestimmter Begriff eben besonders ,passt'." 124 In dieser Sichtweise erkennt Schräder eine Ähnlichkeit zu seiner eigenen Deutung von 1980. „Oder aber", so fährt er fort, „man geht davon aus, dass dieser Gebrauch doch nicht so unschuldig ist, sondern dass Marx vielmehr hinter dem Zitat auch eine Beziehung zum Zitierten herstellt. In beiden Fällen wäre nach dem Status der Begrifflichkeit zu fragen."125 Ein Aspekt von Schräders neuer Intervention zum Hegel-Marx-Verhältnis liegt darin, dass er eine Tendenz hinterfragt, die darin bestehe, dass in der Interpretation von Marx' Methode und von dessen Verhältnis zum Stuttgarter Philosophen regelmäßig die Wissenschaft der Logik oder auch die Rechtsphilosophie privilegiert werden (m. E. könnte in diesem Kontext - eventuell - die Phänomenologie des Geistes zu den von Schräder genannten Werken hinzugefügt werden). „Weitgehend unberücksichtigt bleiben andere Publikationen Hegels, die Marx mit Sicherheit gelesen hat. Dazu gehört [...] die Enzyklopädie, allerdings nicht bloß die ,kleine Logik' (§§ 19-244), sondern auch die Philosophie des objektiven Geistes (§§ 483-552), in der Hegel Logik und Gesellschaftstheorie in ein Gesamtsystem eingliedert."126 Schräder selbst gehört das Verdienst, bereits in den 1970er Jahren zusammen mit Joseph O'Malley durch die Edition eines Marxschen Exzerpts zu der in der Enzyklopädie enthaltenen „kleinen Logik" ein wenig mehr Aufmerksamkeit auf dieses Hegeische Werk und besonders dessen ansonsten eher wenig beachtete Rezeption durch Marx gelenkt zu haben. Vor gut drei Jahrzehnten schien es dem Marx-Interpreten Sean Sayers noch notwendig, gegenüber einem angelsächsischen Publikum darauf zu insistieren, dass Dialektik

123 Ebd., S. 134. 124 Fred Schräder, „By mere accident". Hegel - Marx, 1 8 5 7 - 1 8 6 1 , in: Hegel-Jahrbuch 2007, Berlin 2007, S. 177. Siehe auch Fred Schräder, „Methode" und „Logik": Zur Integration von (Wert-)Substanz und Rechtssystem bei Hegel ( 1 8 1 7 - 1 8 3 0 ) und Marx ( 1 8 5 7 - 1 8 6 1 ) , in: MEGA-Studien 1998/2, S. 87. 125 Fred Schräder, „By mere accident". Hegel - Marx, 1 8 5 7 - 1 8 6 1 , S. 177. 126 Ebd.

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kein bloßer Unsinn sei.127 Inzwischen hat sich innerhalb der angelsächsischen Marxforschung der für die Dialektik-Debatte bedeutsame Diskussionszirkel um Christopher Arthur, Tony Smith und andere Theoretiker immer mehr etabliert. Arthur erblickt allem Anschein nach gerade in der Bezugnahme auf die Hegeische Logik einen entscheidenden Schlüssel zu einer angemessenen Rekonstruktion der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Ein Meilenstein auf dem Weg der Hegel-Marx-Debatte innerhalb der angelsächsischen Marx-Rezeption war ein im Jahr 1993 von Fred Moseley herausgegebener Sammelband,128 aus dem hier drei Interpretationsansätze vorgestellt werden sollen. Bei der Überblicksdarstellung zur Marx-Diskussion angelsächsischer Provenienz wurde bereits auf den „hegelianisierenden" Interpretationsansatz Christopher Arthurs hingewiesen. Arthur geht davon aus, dass die Frage, wie die Marasche Kritik der politischen Ökonomie von seiner Aneignung der Hegeischen Logik profitiert habe, sehr ernst zu nehmen sei. Ähnlich wie in der westdeutschen Marx-Diskussion der 80er Jahre Helmut Brentel weist auch Arthur auf die Bedeutung der Formtheorie hin. „It is agreed by all intelligent Marxists that the question of social form is the key to the Marxian understanding of economic systems."129 Entsprechend schreibt Arthur: „Marxist theory needs a science of form." 130 Eine wichtige Unterscheidung, die Arthur trifft, ist diejenige zwischen systematischer und historischer Dialektik. „On the whole, Marx is trying to use the former, as I do [...]."131 An der Marxschen Darstellung bemängelt Arthur, dass der Trierer die Wertsubstanz abstrakte Arbeit zu früh einführe - dies lege manchen Lesern eine „embodied-labour theory of value" nahe (eben diese „embodied-labour theory of value" scheint ein Schreckgespenst bestimmter Formtheoretiker angelsächsischer Provenienz zu sein, das es in einer adäquaten Rekonstruktion der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zu verscheuchen gilt). Es kann in diesem Kontext gefragt werden, ob Arthur eventuell von der Uno-Schule beeinflusst worden sein könnte, die auch die Wertsubstanz abstrakte Arbeit bei Marx zu früh eingeführt sieht. Arthur schreibt in Bezug auf Hegels Logik: „I think that the relationship between Hegel's logic and the valueform is much closer than that of an external identification of its logical structure, or a methodologically motivated application of its norms of adequacy, or an expositional strategy that finds it convenient to move from simpler to more complex structures."132 127 „What then is dialectic? First of all one must see that it is not a mere absurdity, but a philosophy, a logic, a way of seeing the world", so Sean Sayers, On the Marxist Dialectic, in: Richard Norman, Sean Sayers (Hg.), Hegel, Marx and Dialectic. A Debate, Brighton 1980, S. 2. 128 Siehe Fred Moseley (Hg.), Marx's Method in „Capital". A Reexamination, Atlantic Highlands/ USA 1993. Vier Jahre später erschien ein Nachfolgeband mit großenteils identischem Autorenkreis: Fred Moseley, Martha Campbell (Hg.), N e w Investigations of Marx's Method, N e w Jersey 1997. Ein wichtiger Sammelband zur Marxschen Geldtheorie wurde ebenfalls von Moseley herausgegeben: Fred Moseley (Hg.), Marx's Theory of Money. Modern Appraisals, New York 2005. 129 Christopher Arthur, Hegel's Logic and Marx's Capital, in: Fred Moseley (Hg.), Marx's Method in „Capital", S. 70. 130 Ebd., S. 71. 131 Ebd., S. 86. 132 Ebd., S. 66.

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Es ist zu ergänzen, dass sich Arthur mit dem Terminus „value-form" in diesem Kontext nicht allein auf die Wertformanalyse im engeren Sinne bezieht, sondern auf ein System, welches die Momente Ware, Geld und Kapital einschließt. Christopher Arthur fährt fort: „I believe that in some sense the value-form and Hegel's logic are to be identified; we are not simply applying Hegel's logic to an independent content. It is not that the valueform happens to generate structures of a complexity mapped by Hegel in his logical categories; the forms are in effect of such abstract purity as to constitute a real incarnation in the world of the ideas of Hegel's logic." 133 Nach Arthur wirft ausgerechnet aber die Nähe zur Hegeischen Logik ein kritisches Licht auf den Marxschen Gegenstand. Hierbei habe man es mit einer von ihren Trägern systematisch entfremdeten verkehrten Realität zu tun, „an object that in its spriritualization of material interchange and practical activities into the heaven of pure forms virtually incarnates the Hegelian ,Idea'." 134 Die materielle Abstraktion (bzw. „Realabstraktion") des Austauschprozesses konstituiere eine spezifische Realität „reiner Formen". Dass gerade der spezifisch gesellschaftskritische Gehalt von Christopher Arthurs eigentümlichem Hegel-Bezug bedeutsam ist, wird auf der Grundlage einer Kontroverse Arthurs mit dem Marxforscher Tony Smith aus dem Jahr 2003 ersichtlich. Arthur schrieb, dass ein Unterschied zu Tony Smith darin liege, dass letzterer „criticises capitalism for failing to live up to the demands of Hegel's philosophy; whereas I think it is to be criticised precisely because it does so. I argue this is so because it is a system of selfmoving abstraction. Obviously, we must be reading Hegel very differently. I agree with the Marx of 1843, 1857 and 1872 that Hegel inverts the relation between thought and being. My innovation is to argue that capital is also an inverted reality with a parallel logic." 135 In einem Beitrag aus demselben Sammelband von 1993 versuchte der Philosoph Tony Smith zunächst, zwei unterschiedliche Typen dialektischer Theorie bei Hegel zu unterscheiden: „The first concerns the dialectics of history. Hegel believed that there is a logic of development underlying both world history and the history of art, religion, and philosophy. Dialectics was the term he used to refer to this logic of development." Ein zweiter Typus dialektischer Theorie sei davon abzusetzen. Der US-amerikanische Interpret fuhrt aus: „However, the second sort of dialectical theory, found in writings such as The Science of Logic and The Philosophy of Right, is our sole concern here. This may be termed systematic dialectics and is concerned with the ordering of categories from the simple and abstract to the complex and concrete. This ordering does not coincide with the order of events in history [,..]"136 Tony Smith hat insbesondere den

133 Ebd. 134 Ebd. 135 Christopher J. Arthur, Once more on the Homology Thesis: A Response to Smith's Reply, in: Historical Materialism 11/1 (2003), S. 195. Zur Auseinandersetzung von Arthur mit Tony Smith siehe auch Christopher J. Arthur, The Hegel-Marx Connection, in: Historical Materialism 11/1 (2003), S. 179ff. 136 Tony Smith, Marx's Capital and Hegelian Dialectical Logic, in: Fred Moseley (Hg.), Marx's Method in „Capital",-S. 15.

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zweiten Typus dialektischer Theorie bei Hegel im Blick. Smith bezieht sich auf die „systematische Dialektik". Der Marxforscher argumentiert, dass „Marx did indeed make use of a systematic dialectical method similiar to that found in Hegel".137 Bei Smith ist darin eine Ähnlichkeit mit den Ansichten Arthurs erkennbar, dass er die systematische Dialektik, auf die er sich bezieht, von einer „historischen" Dialektik abgrenzt. Die dialektische Logik in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie besteht fur Smith darin, dass systematisch von einer Abstraktionsebene zur nächsten fortgeschritten werde, und zwar auf der Grundlage einer „notwendigen Ableitung" einer kategorialen Ebene von einer anderen. Worin ist diese Notwendigkeit begründet? „The necessity of the derivation is materially grounded in the practice of social agents. Derivations are justified if and only if we can show that social agents operating within one social form would necessarily tend to act in a manner that leads to the introduction of a new social form."138 Tony Smith, obgleich zweifelsohne Repräsentant einer Art von „Systematic Dialectic"-Lektüre, erkennt im Kapital insgesamt sehr wohl ein komplexeres Werk. Er fuhrt aus: Das Kapital „includes many dimensions that cannot be reduced to the systematic progression of economic categories. [...] The systematic dialectical reading does not incorporate the whole of the book."139 Dennoch erfasse die „Systematic Dialectic"Lektiire den roten Faden des Kapital, die zugrunde liegende theoretische Architektonik. Tony Smith veröffentlichte zu Beginn der 90er Jahre eine Monographie, in der er Das Kapital im Sinne einer Theorie von ökonomischen Kategorien auffasste, die Marx in ihrem Verhältnis zueinander gemäß der von Hegel übernommenen dialektischen Logik strukturiert habe. Die von Marx angewandte dialektische Methode sei als systematischer kategorialer Fortgang zu begreifen. Bemerkenswert ist Tony Smiths Interpretationsansatz auch deshalb, weil er zu definieren versucht, welche Aspekte eine Theorie der Kategorien erfüllen muss „if it is to capture adequately the immanent unfolding of the subject matter."140 Erstens sei der theoretische Ausgangspunkt von entscheidender Bedeutung; als solcher sei die einfachste und abstrakteste Kategorie zu wählen, von der die übrigen Kategorien hergeleitet werden können. Zweitens soll ein linearer Fortgang in der Kategorienabfolge vorhanden sein, wobei der Übergang von einer Kategorie zur nächsten auf dem spezifischen Inhalt der jeweiligen Kategorien basieren müsse. Und drittens, „there is the question of the general categorialiontological framework used throughout the theory."141 In Bezug auf Marx fügt Smith hinzu: „When he defined the categories ,commodity', ,money', ,capital', and so on, he did so in terms of a specific categorial framework found in Hegel's Logic, one taken from the level of essence (Wesen)."142 Smith argumentiert, dass im Kapital, und zwar vom Anfang bis zum Ende, eine systematische dialektische Logik vorhanden sei, die keineswegs von methodologischer Ambiguität zeuge. Indes habe Marx - als Zugeständnis an die Leserschaft -

137 138 139 140 141 142

Ebd., S. 16. Ebd., S. 25. Ebd. Tony Smith, The Logic of Marx's Capital. Reply to Hegelian Criticisms, Albany/USA 1990, S. 45. Ebd., S. 46. Ebd.

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„the systematic nature of the theory" heruntergespielt und „the much more accessible historical components of the work"143 betont. Eine Alternative für Marx wäre gewesen, so führt Smith aus, Lenins berühmten Aphorismus zu antizipieren: „Man kann das .Kapital' von Marx und besonders das I. Kapitel nicht vollständig begreifen, ohne die ganze Logik von Hegel durchstudiert und begriffen zu haben. Folglich hat nach einem halben Jahrhundert nicht ein Marxist Marx begriffen! !"144 Im Anschluss an den US-amerikanischen Marxforscher Patrick Murray ließe sich eine Parallele zwischen der Logik des Wesens bei Hegel und der Marxschen Werttheorie behaupten. Murray bezieht sich auf das Problem von Wesen und Erscheinung. Nach Murray war Hegel der Ansicht, dass das Wesen erscheinen muss, genauer gesprochen: Hegel habe die Auffassung vertreten, dass „,the essence must appear as something other than itself ". Murray zufolge ist die Hegeische Logik des Wesens, „whereby the essence necessarily appears as something other than itself, [...] the pivotal conceptual resource funding Marx's theory of value - value necessarily appears as something other than itself, namely money (price) [...]"145 Murray betonte die Bedeutung der Marxschen Auseinandersetzung mit Hegel für die Kritik der politischen Ökonomie, wobei Marx sich die „conceptual resources that enabled him to overcome Ricardo's theories of value and capital" angeeignet habe. Der US-amerikanische Äapz'ta/-Interpret formuliert: „I argue that it is precisely the lessons learned from Hegel that make Capital great."146 Murray spricht sich gegen die Ansicht aus, dass Marx schlicht und einfach Ricardos Arbeitswertlehre übernommen habe - in diesem Punkt ist Murray sicherlich Recht zu geben. Marx habe sich im Zusammenhang mit seiner Wertformtheorie über das traditionelle Verständnis des Problems von Wesen und Erscheinung hinaus begeben, „which fails to show that essence (value) must appear (as money)."147 Eben dies konnte Marx klarlegen. Murray führt aus: „Once we recognize what value is, namely, an abstract, reflective, ,social ' objectivity, it is evident that it can have no immediate appearance,"148 Es könnte zu Murray ergänzt werden, dass die Eigentümlichkeit des Wertbegriffs selbst (falls dieser korrekt gefasst ist) eine Einheit von Wert- und Geldtheorie erforderlich macht. Der US-amerikanische Marx-Interpret führt wert- und geldtheoretisch aus: „Because it is an abstraction, a being of reflection, value cannot appear immediately; it must appear as something other than itself. Money proves to be the necessary form of value's appearance - and to be necessary for value's existence - yet money is not value."149 Im Anschluss an Murray wäre zu konstatieren, dass mit der Marxschen Ökonomiekritik der spezifische Zusammenhang der Kategorien abstrakte Arbeit, Wert und Geld korrekt

143 Ebd., S. 32. 144 W. I. Lenin, Konspekt zu Hegels „Wissenschaft der Logik", in: Lenin Werke, Bd. 38, Berlin/Ost 1962, S. 170. 145 Patrick Murray, The Necessity of Money: How Hegel Helped Marx Surpass Ricardo's Theory of Value, in: Fred Moseley (Hg.), Marx's Method in „Capital", S. 38. 146 Ebd., S. 37. 147 Ebd., S. 48. 148 Ebd., S. 52. 149 Ebd., S. 51.

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erfasst werden kann. Patrick Murrays Marx-Deutung weist in eine ähnliche Richtung wie die Strömung, die in der deutschsprachigen Marx-Diskussion im Anschluss an die Forschungen von Hans-Georg Backhaus entstanden ist und als „monetäre Werttheorie" bezeichnet wird. Die Interpretationsversuche von Tony Smith und Patrick Murray zeigen u. a., dass sich innerhalb eines Teils der angelsächsischen Diskussion der Kritik der politischen Ökonomie mittlerweile ein positiver Bezug auf die Hegeische Philosophie etabliert hat. Nachdem Denker wie Louis Althusser (der insbesondere in den 70er Jahren im englischen Sprachraum breit rezipiert wurde) und Galvano della Volpe zwischen Marx und Hegel eine scharfe Trennungslinie gezogen und versucht hatten, Marx von Hegel zu distanzieren, scheint sich in der angelsächsischen Marx-Debatte der letzten Jahrzehnte eine ganz andersartige Interpretationstendenz immer stärker auszubilden. Diese Tendenz wiederum bleibt jedoch nicht ohne „antihegelianische Gegenwehr", fur die exemplarisch der folgende Interpretationsansatz steht. Von 1998 datiert eine weitere wichtige Arbeit angelsächsischer Provenienz, The Myth of Dialectics von John Rosenthal. Das Anliegen des Autors besteht darin, einen dritten Weg jenseits der Alternative von Hegelmarxismus und analytischem Marxismus zu suchen. Dabei beruft er sich positiv auf die Marasche Einheit von Wert-, Wertformund Geldtheorie. „Marx's so-called ,value-theory' is [...] from the outset a theory of money, and a theory of money, I am suggesting, in a unique sense which finds no exact parallel in either neoclassical economics or classical political economy."150 Auch sei es verfehlt, Marx in werttheoretischer Hinsicht als Ricardianer zu betrachten. In diesem Punkt kann Rosenthal zugestanden werden, dass er einen wesentlichen Aspekt der Marxschen Werttheorie richtig begriffen hat, der im angelsächsischen Raum (aber nicht nur dort) bisweilen übersehen wurde, nämlich dass eine grundsätzliche Unterschiedlichkeit von Marxscher und Ricardoscher Werttheorie existiert. Weiterhin behauptet Rosenthal, zwischen der Marxschen Wert- und Geldtheorie einerseits und der Hegeischen Darstellung des „Begriffs" andererseits existiere eine Analogie (wenn auch keine Homologie). Gemäß Marx sei Geld zu begreifen als „a real universal: a generality, viz. the common character of all commodities as ,exchange-values', which has acquired independent existence in the form of some determinate commodity or ,use- value'." 151 Zwischen der Hegeischen „Idee" und der „real form of economic value, viz. money", existiere ein „unmistakeable isomorphism."152 Dennoch bezieht Rosenthal eindeutig Stellung gegen Hegel und gegen eine „hegelianisierende" Marx-Lektüre. In Deutschland ist Rosenthals Buch auf heftige Kritik gestoßen. Der Philosoph Michael Quante warf dem Autor vor, dessen Behandlung der Frage der Beziehung von Marx zu Hegel finde nicht ohne eine Vermengung mit politischen „Frontstellungen" statt. 150 John Rosenthal, The Myth of Dialectics. Reinterpreting the Hegel-Marx-Relationship, London 1998; S. ix. In der englischsprachigen Debatte hat neben Rosenthals Monographie auch ein Aufsatz zum Hegel-Marx-Problem für Aufsehen gesorgt: John Rosenthal, The Escape from Hegel, in: Science and Society 63/3 (1999), S. 283ff. 151 John Rosenthal, The Myth of Dialectics, S. 139. 152 Ebd.

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„Wer geglaubt hätte, dieser leidige Zug der Marxforschung gehöre mittlerweile der Vergangenheit an, wird durch das Buch von John Rosenthal [...] eines Schlechteren belehrt." 153 Quante sieht in Rosenthals Monographie Hegel in die Ecke der politischen Rechten gerückt. Zudem sei Rosenthals Monographie von einer „vollständigen Unkenntnis" und von „vorurteilsbesetzter Verzerrung" 154 der Hegeischen Philosophie gekennzeichnet. Einer solchen Kritik kann indes entgegnet werden, dass an Rosenthals Interpretation der Marxschen Werttheorie in wichtigen Punkten durchaus angeknüpft werden kann. 3.2.4. Fazit Ein Grundmerkmal der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie bestand seit den 60er/70er Jahren darin, sowohl dem Marxschen Forschungsprozess, als auch seiner spezifischen Darstellung große Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Was die Marxsche Darstellung angeht, so erwiesen sich die Frage des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten und das Problem des Anfangs als zentrale Bezugspunkte der Marx-Rezeption. Diese Themen wurden bereits in den 1960er Jahren beachtet. Die Theoriebildung dazu bildet auch einen wichtigen Aspekt der rezeptionsgeschichtlichen Periode seit den 80er Jahren. Es bleibt an der Einsicht festzuhalten, dass die Marxsche Darstellungsform der spezifischen Struktur seines ökonomischen Gegenstands entsprechen muss. Mit Blick auf das für die Problematik der Darstellung relevante Verhältnis von Hegelscher und Marxscher Methode ist die Einsicht zu sichern, dass dieses Verhältnis keinesfalls auf eine simple äußerliche „Anwendung" oder „Übertragung" der Hegeischen Methode auf einen fremden „Gegenstand" zu reduzieren ist. Zudem gilt hinsichtlich der Interpretation des Hegel-Marx-Verhältnisses generell daran festzuhalten, dass in diesem Kontext nicht allein die Wissenschaft der Logik berücksichtigt werden sollte, sondern auch andere Texte des Stuttgarter Philosophen einbezogen werden müssen, mit denen Marx sich ebenfalls auseinandergesetzt hat. Insbesondere seit den 90er Jahren macht sich - entgegen der „antihegelianischen" Positionen Althussers und Collettis - eine Tendenz in der internationalen Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie bemerkbar, die der Hegeischen Philosophie offener bzw. positiver gegenübersteht. Bedingung einer produktiven zukünftigen Debatte zur Problematik der Marxschen „dialektischen Darstellung" scheint mir vor allem zu sein, dass die Dialektik-Frage in Beziehung zu den spezifisch Ökonomietheoretischen Problemen, die Marx in seiner Darstellung zu lösen versuchte, diskutiert wird. 155

153 Michael Quante, Zeit für Marx? Neuere Literatur zur Philosophie von Karl Marx, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 56 (2002), S. 453. 154 Ebd., S. 455. 155 Indes ist auch zu betonen, dass die Frage der Dialektik nicht einseitig auf die Darstellungsproblematik eingeschränkt werden darf. Gerade auch innerhalb des realen Gegenstands der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie existiert Dialektik.

3.3.

DER6-BÜCHER-PLAN

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3.3. Der 6-Bücher-Plan sowie das Konzept des „Kapital im allgemeinen" 3.3.1. Die Struktur der Kritik der politischen Ökonomie in sechs Büchern Ein wichtiger Aspekt der Marxschen Methode kam im Laufe der Arbeit an den Grundrissen auf: das Vorhaben, die innere Struktur und den ökonomischen Lebensprozess der modernen kapitalistischen Gesellschaft in einem systematisch gegliederten Werk von sechs Büchern darzustellen. Innerhalb dieses Marxschen 6-Bücher-Plans sollte das erste Buch vom Kapital, das zweite vom Grundeigentum, das dritte von der Lohnarbeit handeln. Diese ersten drei Bücher bilden insofern innerhalb des Marxschen 6-Bücher-Plans noch einmal eine Einheit für sich, als sie im Unterschied zu den drei darauffolgenden Büchern die ökonomischen Lebensbedingungen der drei großen Klassen der modernen bürgerlichen Gesellschaft thematisieren sollten. Die Bücher vier bzw. fünf sollten dem Staat bzw. dem auswärtigen Handel gewidmet sein, das sechste Buch sollte vom Weltmarkt handeln. Dieser 6-Bücher-Plan, den Marx u. a. im Brief an Lassalle vom 22. Februar 1858 sowie in seinem berühmten Brief an Engels vom 2. April desselben Jahres (siehe MEW 29, S. 312ff.) skizzierte, wurde von ihm aber niemals realisiert.156 Überdies legte Marx in seinem Brief vom 11. März 1858 an Lassalle dar, dass er keineswegs vorhabe, alle sechs Bücher in gleichem Maße auszuarbeiten. Stattdessen habe er vor, „in den 3 letzten mehr bloß die Grundstriche zu geben, während in den 3 ersten, die die eigentliche ökonomische Grundentwicklung enthalten, Ausführungen nicht überall zu vermeiden sind." (MEW 29, S. 554) Man darf vermuten, dass das Hauptgewicht auf den Büchern vom Kapital, vom Grundeigentum und von der Lohnarbeit liegen sollte. Die ersten drei Bücher innerhalb des 6-Bücher-Plans entsprechen der Klassenstruktur der kapitalistischen Produktionsweise. Allerdings ist die Bevölkerung der Gesellschaften, in welchen die kapitalistische Produktionsweise herrscht, nicht auf die drei Hauptklassen - die Kapitalistenklasse, die Arbeiterklasse und die Klasse der Grundeigentümer zu reduzieren. Dessen war sich Marx durchaus bewusst. In den Theorien über den Mehrwert wies er hin auf eine „beständige Vermehrung der zwischen workmen auf der einen Seite, Capitalist und landlord auf der andren Seite, in der Mitte stehenden und sich in stets größrem Umfang, großentheils von der Revenue direkt fed Mittelklassen", welche „als eine Last auf der working Unterlage lasten und die sociale Sicherheit und Macht der upper ten thousand vermehren". (MEGA 2 II.3.3, S. 1189) Marx vertrat die Perspektive, dass der Umfang „der classe moyenne wächst und das Proletariat (das arbeitende) einen immer verhältnißmässig kleinren Theil der Gesamtpopulation bildet". Dies ist nach Marx „in der That der Gang der Bourgeoisgesellschaft". (MEGA 2 II.3.2, S. 504).

156 Enrique Dussel hat geschrieben, dass sogar nur der zweiundsiebzigste (!) Teil des von Marx geplanten Projekts in von ihm selbst veröffentlichter Form vorliegt. Dem liegt folgende Rechnung zugrunde: Marx habe mit seinem Kapital-Band zum Produktionsprozess des Kapitals nur einem Teil von dreien innerhalb nur eines Abschnitts von vieren (die Abschnitte zu Konkurrenz, Kredit und Aktienkapital fallen heraus) innerhalb eines Buches von sechsen selbst veröffentlicht. Und drei mal vier mal sechs ergibt 72. Siehe Enrique Dussel, El Ultimo Marx (1863-1882), S. 410. Hier scheint eine Prise lateinamerikanischen Humors mit im Spiel zu sein ...

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3. VERTIEFUNGEN-ZENTRALE DISKURSE

Dennoch stehen in der Marxschen Untersuchung die drei Hauptklassen im Vordergrund. Trotz der Marxschen These von der „Vermehrung der Mittelklassen", die zwischen der Arbeiterklasse einerseits und der Kapitalistenklasse bzw. der Klasse der Grundeigentümer andererseits stehen, bilden letztere drei Klassen für Marx das Grundgerüst der modernen kapitalistischen Gesellschaft. Marx spricht im dritten Kapital-Band von den „3 Klassen, welche das ökonomische frame work der modernen Gesellschaft constituieren [...] - Lohnarbeiter, functionirender Capitalist, Grundeigenthümer". (MEGA2 II.4.2, S. 671) Es stellt sich die Frage nach dem Schicksal des 6-Bücher-Planes in der Entwicklungsgeschichte der Marxschen Ökonomiekritik. Wurde die ursprüngliche Marxsche Aufbauplan-Konzeption157 beibehalten, wurde sie Veränderungen unterworfen, wurde sie schließlich aufgegeben? Um derartige Fragen dreht sich seit Jahrzehnten ein großer Teil der internationalen Forschung zum Kapital. Dabei ist ein wissenschaftlicher Konsens nach wie vor in weiter Ferne. Gegen die These einer Aufgabe des 6-Bücher-Plans durch Marx könnte von Andersdenkenden eventuell das Argument geltend gemacht werden, dass Marx in späterer Zeit im ersten Band des Kapital auf eine unabhängig von dieser Schrift zu leistende Bearbeitung des Problemkreises der Lohnarbeit hinwies: „Der Arbeitslohn nimmt selbst wieder sehr mannigfaltige Formen an, ein Umstand, nicht erkennbar aus den ökonomischen Kompendien, die in ihrer brutalen Interessirtheit für den Stoff jeden Formunterschied vernachlässigen. Eine Darstellung aller dieser Formen gehört jedoch in die specielle Lehre von der Lohnarbeit, also nicht in dieß Werk. Dagegen sind die zwei herrschenden Grundformen hier kurz zu entwickeln." (MEGA2 II.6, S. 505) Ist diese „specielle Lehre von der Lohnarbeit" eine Entsprechung des vormals geplanten Lohnarbeitsbuchs? Fraglich ist in diesem Kontext, ob diese „Darstellung" noch im Rahmen der ursprünglichen 6-Bücher-Struktur und noch von Marx selbst geleistet werden sollte. Im Kontext der Grundrentenproblematik im dritten Kapital-Band unterscheidet Marx eine „selbstständige Behandlung des Grundeigenthums" (MEGA2 II.4.2, S. 668) von seinem eigenen theoretischen Ansatz im Kapital. Bedeutet dies, dass Marx nach Vollendung des Kapital plante, eine solche „selbständige Behandlung des Grundeigentums" zu leisten? Und wäre eine solche „selbständige Behandlung" in konzeptioneller Hinsicht dann eine Entsprechung des Buchs vom Grundeigentum? Eine wichtige Frage lautet, ob die Bücher zwei und drei der ursprünglichen Marxschen Konzeption durch die Hineinnahme eines Abschnitts zum Arbeitslohn in den ersten KapitalBand sowie durch die Integration eines Abschnitts zur Grundrente in den dritten KapitalBand obsolet wurden.158 Innerhalb des ursprünglichen 6-Bücher-Plans bzw. innerhalb der

157 Wenn hier vom 6-Bücher-Plan als der ursprünglichen Marxschen Aufbauplan-Konzeption ausgegangen wird, so ist damit von Aufbauplänen aus der Zeit vor 1858 abgesehen. 158 Es darf präzisiert werden: Ein Marxscher Textteil zum Arbeitslohn ist in der ersten Ausgabe des ersten Kapital-Bandes zwar schon vorhanden (siehe MEGA 2 II.5, S. 433-456), aber noch nicht als eigener Abschnitt wie ab der Zweitausgabe. Im Originalmanuskript des dritten Kapital-Bandes aus dem sog. Manuskript von 1 8 6 3 - 1 8 6 5 , das noch nicht wie in der Engelsschen Edition in sieben Abschnitte und 52 Kapitel gegliedert ist (siehe MEGA 2 11.15), sondern bloß in sieben Ka-

3.3. DER 6-BÜCHER-PLAN

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ursprünglich geplanten Gliederung des dortigen Kapitalbuchs waren derartige Hereinnahmen keineswegs vorgesehen. Um die Frage, ob und in welcher Gestalt Marx den 6-Bücher-Plan oder zumindest bestimmte Elemente desselben aufrechterhalten hat, dreht sich eine der interessantesten Kontroversen der Marxforschung. Zur Aufbauplan-Problematik des ökonomiekritischen Projekts von Marx wurde bereits in der Zwischenkriegszeit bzw. in der unmittelbaren Nachkriegszeit seitens Theoretikern wie Henryk Grossmann, Samezo Kuruma und Fritz Behrens geforscht. Einen wichtigen Anstoß erhielt die Diskussion durch die Monographie Roman Rosdolskys, die großenteils bereits in den 50er Jahren erarbeitet worden war, aber erst 1968 publiziert wurde. Diese Arbeit ist inzwischen in zahlreiche Sprachen übersetzt und selbst zu einem internationalen Klassiker geworden. Im Hinblick auf die ersten drei Bücher des sechsgliedrigen Ganzen schreibt Rosdolsky, dass die entsprechende Strukturierung, d. h. die geplante Aufteilung der Kategorien Kapital, Grundeigentum und Lohnarbeit in drei getrennte Bücher in eben dieser Aufeinanderfolge, keineswegs nach äußerlichen Gesichtspunkten erfolgte, sondern sich aus der „inneren Natur" der kapitalistischen Produktionsweise selbst ergeben habe, aus dem spezifischen Zusammenhang dieser Kategorien, welche der Klassenstruktur der bürgerlichen Gesellschaft entsprechen. Bei der Arbeit an den Grundrissen habe sich Marx genötigt gesehen, „ - um den Begriff des Kapitals rein herausarbeiten zu können - , nicht nur von der Kategorie des Grundeigentums, sondern auch von allen näheren Bestimmungen des Arbeitslohns abzusehen." 159 Rosdolsky unterscheidet hinsichtlich eines ihm gemäß in den Jahren 1864-65 vollzogenen Übergangs vom ursprünglichen zu einem neuartigen Plan zwischen den ersten drei und den letzten drei Büchern der Sechserstruktur. „Was die letzteren Bücher anbelangt" - das Staatsbuch, das Buch vom auswärtigen Handel sowie dasjenige, das vom Weltmarkt handelt - , „so legt unsere Übersicht den Schluss nahe, dass diese Bücher nie wirklich ,aufgegeben', das heißt, dass die in ihren Bereich fallenden Themata nie vollauf durch die zweite Struktur des Werkes assimiliert wurden, sondern im Grunde der ,etwaigen Fortsetzung' desselben vorbehalten blieben."160 Anders verhalte es sich mit dem Buch vom Grundeigentum und dem Lohnarbeitsbuch. „Diese mussten der neuen Struktur einverleibt werden; ohne die Behandlung der in ihren Bereich fallenden Fragen wäre das ,Kapital' als solches undenkbar gewesen!" 161 Gemäß der Planänderung, die sich ausschließlich auf die ursprünglich geplanten Bücher I bis III beziehe, habe Marx das einstige zweite Buch (das Buch vom Grundeigentum) dem III. Band des auf der Grundlage der neuartigen Konzeption entstandenen Werks einverleibt, während „der Stoff des dritten Buchs (von der Lohnarbeit) im vorletzten Abschnitt des I. Bandes Aufnahme fand." 162 Rosdolsky zufolge ließ der neue Strukturplan von Marx keinen Raum mehr fur die einst geplanten selbständigen Bücher II und III des

159 160 161 162

pitel, besitzt der Textteil über die Grundrente natürlich den Status eines Kapitels (statt den eines Abschnitts). Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital", S. 59. Ebd., S. 39. Ebd. Ebd., S. 76.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

sechsgliedrigen Planes von 1858. Rosdolskys Interpretation der Planproblematik regte die spätere internationale Forschung dazu an, seine Thesen zu hinterfiragen, zu modifizieren oder zu kritisieren. In seiner Monographie zur Strukturgeschichte des Marxschen Hauptwerks aus dem Jahr 1978 wandte sich Winfried Schwarz gegen die Auffassung, dass „Marx im Zusammenhang mit der Hereinnahme der Formen des Arbeitslohns, oder genauer [...] der Formverwandlung des Werts der Arbeitskraft", in den ersten Kapital-Band „das Buch von der Lohnarbeit vollständig aufgegeben habe".163 Keineswegs werde das ganze Lohnarbeitsbuch ad acta gelegt und in Das Kapital eingegliedert, sondern „aus dem ursprünglichen Themenbereich des Buchs vom Arbeitslohn", d. h. des Lohnarbeitsbuchs „befindet sich im ,Kapital' lediglich die Formverwandlung des Arbeitslohns",164 also nur ein Aspekt des ursprünglich für den Inhalt des Lohnarbeitsbuchs in Frage kommenden Materials. Angesichts der oben zitierten Marx-Stelle (siehe MEGA2 II.6, S. 505) könnte die Vermutung von Schwarz, dass im Kontext der neuen Konzeption nicht der Inhalt des gesamten Lohnarbeitsbuchs in Das Kapital integriert wurde, unter bestimmten Prämissen als angemessen erscheinen. Natürlich ist der Problematik der Struktur und der Reichweite des ökonomiekritischen Werks von Marx auch in der japanischen Forschung viel Aufmerksamkeit gewidmet worden. Bereits im Jahre 1930 hatte Samezo Kuruma im Kontext einer krisentheoretischen Untersuchung die Ansicht geäußert, dass Das Kapital im Prinzip dem ursprünglich vorgesehenen Abschnitt „Kapital im allgemeinen" innerhalb des Kapitalbuchs als dem ersten von sechs Büchern entspreche. Entsprechend ist für Kuruma das gesamte System der Kritik der politischen Ökonomie unvollendet geblieben.165 Obwohl in der japanischen Diskussion der Nachkriegszeit Interpretationen an Einfluss gewannen, die mit der These, das Kapital sei im Prinzip eine Ausarbeitung des ursprünglich vorgesehenen Abschnitts vom „Kapital im allgemeinen", nicht vereinbar waren, vertraten gemäß Iichiro Sekine und Teinosuke Otani einige Wissenschaftler in den 1970er und 80er Jahren immer noch ähnliche Deutungen.166 Seit den 1950er Jahren übte allerdings Kinzaburo Sato einen bedeutenden Einfluss auf die Diskussion aus. Sato ging in einer Schrift von 1954, in der er sich bereits viele Jahre vor der großen „westlichen" Grundrisse-Lektürewelle auf diesen Marxschen Rohentwurf von 1857/58 stützte, davon aus, dass Marx die Themenkreise von Lohnarbeit und Grundeigentum (wie auch die Themenkreise von Konkurrenz und Kredit) teilweise in die Theorie des Kapital eingegliedert habe. Dies geschah - Sato zufolge - in Gestalt einer jeweiligen „Aufteilung" dieser Themenkreise. Sie seien jeweils zum einen Teil ins Kapital eingegangen - dies betreffe jedoch nur die Grundbestimmungen - , zum anderen Teil aber seien sie jeweils darüber hinausgehenden Spezialuntersuchungen vorbehalten geblieben. In der Diskus-

163 Winfried Schwarz, Vom „Rohentwurf' zum „Kapital", S. 68. 164 Ebd., S. 72. 165 Siehe Makoto Itoh, The Basic Theory of Capitalism. The Forms and Substance of the Capitalist Economy, London 1988, S. 56; Teinosuke Otani, Iichiro Sekine, Beschäftigung mit Marx und Engels in Japan, S. 250. 166 Siehe ebd.

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sion der Nachkriegszeit vertrat der Marxforscher und Grundrisse-Übersetzer Kojiro Takagi (Iichiro Sekine und Teinosuke Otani zufolge) die Ansicht, dass Das Kapital gewissermaßen als eine Art Realisierung der drei ersten Bücher des sechsgliedrigen Bücherplanes anzusehen sei.167 Kiyoshi Matsui war 1970 der Auffassung, dass Marx zwischen den ersten drei Themen des 6-Bücher-Plans und den letzten dreien eine „Demarkationslinie" gezogen habe.168 M. E. liegt der japanische Marx-Interpret mit dieser Einschätzung grundsätzlich keineswegs falsch. Makoto Itoh setzte sich in den 80er Jahren aus der Sicht eines Uno-Schülers mit der Problematik der Darstellung auseinander. Der 6-Bücher-Plan besitzt aus der Perspektive der Uno-Schule kaum Relevanz für eine Weiterarbeit am Kapital. Kozo Unos Perspektive wird von seinem Schüler Itoh folgendermaßen wiedergegeben: „Uno did not discuss the plan problem in detail by following the formation of Marx's manuscripts from the Grundrisse, but treated it from the theoretically wider view of how to locate and complete Capital as the system of basic principles for all of Marxian economics."169 Im Anschluss an Itoh müssen die grundlegenden Theorien („basic theories") von Lohnarbeit und Grundeigentum innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise auf einer hohen Abstraktionsebene angesiedelt sein. Die von Itoh befürwortete Implikation der grundlegenden Theorien („basic theories") von Lohnarbeit, Konkurrenz der Kapitalien, Kredit, Aktienkapital und Grundeigentum in die theoretische Reichweite einer Theorie der „basic principles of political economy" im Sinne des Kapital schließt aber (Itoh zufolge) keineswegs die konkretere Untersuchung dieser Aspekte außerhalb der Abstraktionsebene des Kapital aus. Die Problematik des Marxschen 6-Bücher-Plans ist in den 80er Jahren auch in der angelsächsischen Welt thematisiert worden, namentlich in Allen Oakleys für den englischen Sprachraum bahnbrechender Studie zur Entstehungsgeschichte der Marxschen Ökonomiekritik. In dieser Studie wird den Marxschen Aufbauplänen viel Aufmerksamkeit gewidmet. Oakley hebt hervor, dass Das Kapital im Kontext seiner Quellen und seiner Werkgeschichte interpretiert werden müsse. Hinsichtlich des 6-Bücher-Plans seien in der Forschung drei große Argumentationsstränge zu unterscheiden. Erstens sei die Auffassung vertreten worden, dass die Marxsche Wahl des Titels Das Kapital. Zur Kritik der politischen Ökonomie im Hinblick auf die Problematik des 6-Bücher-Plans nicht von Bedeutung sei. Dieser Plan ist - dieser Ansicht gemäß - im Prinzip beibehalten worden. Die zweite Auffassung sei eine Modifikation der ersten: „The view taken is that Marx revised the original Six-Book project by absorbing the material intended for the second and third books on Landed Property and Wage-Labour under the rubric Capital."110 Bei dieser Argumentation sei die Sichtweise impliziert, dass Marx unter Beibehaltung der geplanten Bücher zum Staat, zum auswärtigen Handel und zum Weltmarkt

167 Siehe ebd. 168 Siehe Kiyoshi Matsui, Marx's Plan in the „Critique of Political Economy" and the Crisis in the World Market, in: The Kyoto University Economic Review 88 (1970), S. 33. 169 Makoto Itoh, The Basic Theory of Capitalism, S. 60. 170 Allen Oakley, The Making of Marx's Critical Theory. A Bibliographical Analysis, London 1983, S. 107.

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ein 4-Bücher-Projekt in Angriff genommen habe und Das Kapital wiederum nur als unvollendetes erstes Buch eines solchen umfassenden Werks anzusehen sei. Von dieser zweiten sei eine dritte Möglichkeit zu unterscheiden: „The third interpretation is that beyond the early 1860s, Marx's intention was to work out the four books of Capital only." 171 Allen Oakley beurteilt die Sachlage so, dass die Vertreter von keinem dieser drei Argumentationsstränge fur sich in Anspruch nehmen können, dass ihre jeweilige Position vollkommen abgesichert sei. Marxsche Verweise aus dem Kapital, die sich auf solche ökonomische Fragen beziehen, die innerhalb der Reichweite des Kapital nicht behandelt werden, interpretiert Oakley so, dass daraus keineswegs notwendigerweise folge, dass Marx eine Behandlung dieser Fragen im Rahmen einer 6-Bücher-Struktur geplant habe. 172 Die Marxsche Perspektive auf Das Kapital weist Oakley zufolge in die Richtung einer Interpretation dieses Werks im Sinne einer selbstabgeschlossenen Totalität. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass in einem Teil der sowjetischen Marx-Rezeption - nämlich seitens des Marxforschers Albert Kogan - nahe gelegt wurde, dass Marx der mit dem 6-Bücher-Plan zusammenhängenden methodologischen Grundidee verpflichtet geblieben sei. Kogan hatte bereits in den 1960er Jahren intensiv zur AufbauplanProblematik der Kritik der politischen Ökonomie geforscht. 1986 erschienen wesentliche Forschungsergebnisse zu dieser Frage in deutscher Sprache.173 Kogan schrieb, dass Marx mit dem 6-Bücher-Plan danach gestrebt habe, „eine wissenschaftliche Gliederung der allgemeinen Theorie des Kapitalismus zu geben." 174 Es geht Kogan um die Herausarbeitung einer grundlegenden methodologischen Idee von Marx, die Kogan zufolge in einer doppelten bzw. zweigeteilten Darstellung von Grundeigentum, Lohnarbeit, Staat, auswärtigem Handel und Weltmarkt besteht. Wie also sieht die Marxsche Methodologie gemäß Albert Kogan - aus? Diese Themen seien einerseits ins Kapital eingegangen, in die Darstellung des „Kapital im allgemeinen" - aber nur insoweit, wie diese Themen im Rahmen der Mehrwerttheorie bearbeitet werden mussten. Andererseits seien die darüber hinausgehenden „speziellen Lehren" von Grundeigentum, Lohnarbeit, Staat, auswärtigem Handel und Weltmarkt der Darstellung außerhalb des Kapital und im Anschluss an das Kapital vorbehalten geblieben. Die wohl erstaunlichste - und, wenn man so will: faszinierendste - Beschäftigung mit dem Marxschen 6-Bücher-Plan fand in den 80er Jahren im Umkreis der MEGA 2 -Arbeitsgruppe innerhalb der Sektion Marxismus-Leninismus der Martin Luther-Universität Halle/Saale statt, im Umkreis des Marxforschers Wolfgang Jahn. 175 Dieser stand auf dem Standpunkt, dass Marx den 6-Bücher-Plan zwar nicht zu verwirklichen vermocht,

171 Ebd. 172 Siehe ebd., S. 108. 173 Siehe Albert Kogan, Zur Frage der Methodologie des Planes der sechs Bücher von Karl Marx, in: Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung 20, Halle 1986, S. 56ff. 174 Ebd., S. 58f. 175 Siehe u. a.Ernst Theodor Mohl, Ein Reisebericht, in: Berliner Verein zur Förderung der MEGAEdition e. V. (Hg.), In Memoriam Wolfgang Jahn. Der ganze Marx. Alles Verfasste veröffentlichen, erforschen und den „ungeschriebenen" Marx rekonstruieren (= Wissenschaftliche Mitteilungen, Heft 1), Hamburg 2002, S. 13ff.

3.3. DER 6-BÜCHER-PLAN

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ihn aber dennoch niemals aufgegeben habe. Vor diesem Hintergrund setzte sich Jahn kritisch mit Rosdolsky auseinander. Dessen vermeintliche Fehlinterpretation habe damit eingesetzt, dass er den Gliederungsplan aus dem Jahr 1858 nur als einen apriorischen Arbeitsplan angesehen habe. „Dem Plan lag jedoch bereits die erste dialektische Bearbeitung eines riesigen Forschungsmaterials zugrunde, das Marx seit Beginn seiner ökonomischen Studien gesammelt hatte." Mit dem 6-Bücher-Plan hat Marx gemäß Jahns Ansicht „in einem ersten Analyseschritt" die grundsätzliche Strukturierung der kapitalistischen Produktionsweise in ihre zentralsten Momente geleistet. „Diese bildeten die Hauptabstraktionsstufen für die theoretische Darstellung der Totalität der objektiven kapitalistischen Produktionsweise, ihre Reproduktion als Gedankenkonkretum." Daraufhin kommt Jahn zur Pointe seines Gedankengangs: „Das Hauptkriterium für die Richtigkeit des ,6-Bücherplans' ist deshalb auch nicht, ob und wieweit Marx ihn tatsächlich realisierte, sondern ob er die Hauptseiten der Realität als theoretische Gliederung richtig erfasste."176 Diese Ansicht war es, welche die Herangehensweise der Gruppe um Jahn an den Marxschen sechsgliedrigen Bücherplan bestimmte und ihrem spektakulären Rekonstruktionsprojekt entsprach. Doch zunächst gilt es, Jahns Interpretation weiter zu verfolgen. Ihm zufolge hat Marx niemals den umfassenden Plan von 1858/59 für das Manuskript Zur Kritik der politischen Ökonomie aufgegeben.177 Dennoch hätten den Trierer neue Forschungsergebnisse, in erster Linie zum Buch vom Kapital, zu einschneidenden Modifikationen bewegt. „Aber die Grundgliederung des organischen Ganzen ist beibehalten worden, gleichgültig ob Marx später von ,Büchern', selbständigen Lehren' oder von ,Abschnitten' usw. sprach."178 Nach Jahn beabsichtigte Marx, die ersten drei Bücher systematisch auszuarbeiten, die drei darauffolgenden sollten von ihm nur skizzenhaft erarbeitet werden. Marx habe aber 1862 eingesehen, dass dieses Vorhaben über seine Kraft hinausgehen würde. Zu diesem Zeitpunkt habe Marx beschlossen, „seine ganze Kraft auch das Wichtigste, auf das Buch vom Kapital, zu konzentrieren."179 Auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten sei Marx während der Arbeit am Manuskript von 1861-1863 zu neuen Einsichten gelangt, welche die ursprüngliche 6-Bücher-Struktur betreffen. Marx habe erkannt, dass „Durchschnittsprofit, Zins, Grundrente usw. nicht aus der allgemeinen Kapitalanalyse ausgegrenzt werden dürfen. Wenn der allgemeine Kapitalbegriff als prozessierender, sich selbst verwertender Wert begriffen wird, dann ist er erst ,fertig' entwickelt, wenn auch die konkreten Formen des Mehrwerts in die Darstellung einbezogen sind."180 Nach 1863 habe Marx den ursprünglichen Gliederungsbegriff des „Kapital im allgemeinen" nicht mehr verwendet. „Die allgemeine Kapitalanalyse des Kapitalbuches wurde jetzt begrifflich als: der allgemeine Kapitalbegriff; die allgemeine Natur des

176 Wolfgang Jahn, Ist Das Kapital ein Torso? Über Sinn und Unsinn einer Rekonstruktion des „6Bücherplanes" von Karl Marx, in: Dialektik 1992/3, S. 128. 177 Hier ist das nach dem Maßstab des ursprünglichen Plans von 1858/59 unvollendet gebliebene Gesamtwerk Zur Kritik der politischen Ökonomie gemeint, nicht bloß das 1859 publizierte „erste Heft". 178 Wolfgang Jahn, Ist Das Kapital ein Torso?, S. 129. 179 Ebd. 180 Ebd., S. 13Of.

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Kapitals; das Kapital in seiner Kernstruktur u. ä. charakterisiert."181 In inhaltlicher Perspektive hat - so ließe sich im Anschluss an Jahn sagen - eine bedeutende konzeptionelle Erweiterung der allgemeinen Kapitalanalyse im Kapitalbuch stattgefunden. Mit dieser Änderung wurden „nur die abstrakt-allgemeinen Elemente übernommen, die zur Entwicklung des Mehrwertgesetzes im weiteren Sinne notwendig waren. Die systematische Entwicklung, auf einer höheren Konkretisierungsstufe im Rahmen der Struktur der fehlenden Abschnitte des Kapitalbuches und der Bücher 2 bis 6, blieb nach wie vor offen." 182 Die konzeptionelle Änderung bedeutet nach Jahn, dass Marx bestimmte zur Entwicklung des Mehrwertgesetzes im weiteren Sinne essentielle Themen, die dieser einst erst in den Büchern II und III behandeln wollte, in das Kapitalbuch integrierte. Doch damit habe Marx die Bücher II und III (und auch den sechsgliedrige Bücherplan insgesamt) keineswegs aufgegeben. Auf einer Arbeitstagung im Sommer 1991 legte Wolfgang Jahn dar: „Eine Rezeption der Marxschen ökonomischen Theorie, die auf das allgemeine Wesen des Kapitals beschränkt blieb, hatte für die auf Marx bezogene Theorie und Praxis negative Folgen."183 Aus der Perspektive der Marx-Interpretation seien Rekonstruktion und Erschließung der ökonomischen Theorie von Marx nicht abgeschlossen. Jahn führte weiter aus: „Die Beachtung des Besonderen und Einzelnen neben dem Allgemeinen und die Erschließung der auf ,Das Kapital' folgenden konkreteren Darstellungsstufen der ökonomischen Theorie können ein vertieftes Verständnis der ökonomischen Theorie von Marx wecken und wertvolle Denkanstöße für die ökonomische Analyse der Gegenwart bieten."184 Wolfgang Jahn stand mit einem grundlegenden Rekonstruktionsansatz keineswegs allein. Seine Arbeitsgruppe in Halle teilte die Ansicht, dass das Hauptkriterium für die Richtigkeit des 6-Bücher-Plans nicht die Frage der Realisierung oder Nichtrealisierung durch Marx sei, sondern seine Tauglichkeit zur theoretischen Gliederung der Realität der kapitalistischen Produktionsweise. Im Zusammenhang mit dieser Ansicht gedieh das ehrgeizige Projekt der Hallenser Gruppe um Wolfgang Jahn, den 6-Bücher-Plan inhaltlich zu rekonstruieren und den „unvollendeten" bzw. „ungeschriebenen" Marx zu „vollenden" bzw. zu „schreiben", sozusagen dessen geplantes sechsgliedriges Hauptwerk selbst weiterzuschreiben und fertigzustellen.185

181 Ebd., S. 131. 182 Ebd. 183 Wolfgang Jahn, Die Problemantinomie in der Entwicklung von Ware, Wert und Geld zwischen dem esoterischen und dem exoterischen Werk von Karl Marx und die Folgen, in: Marx-EngelsForschung heute 4, Frankfurt/M. 1992, S. 19. 184 Ebd. 185 Zur Hallenser Interpretation des 6-Bücher-Plans, die wesentlich durch Wolfgang Jahns Forschungen beeinflusst wurde: Ernst-Theodor Mohl, Zur Marx-Forschung in Halle, in: Naturwissenschaften und Produktivkräfte bei Marx und Engels (= Marx-Engels-Forschung heute 3), Frankfurt/M. 1991, S. 125f. Allerdings hatte der sozialdemokratische Theoretiker Fritz Sternberg bereits 1955 die Idee, dass am Marxschen 6-Bücher-Projekt weitergearbeitet werden müsse: „Was Marx nicht getan hat, muss der Marxismus tun. Es gilt, die Bände zu schreiben, die er nicht mehr geschrieben hat, und von ihnen aus das .Kapital' selbst neu zu schreiben...", so Fritz Sternberg, Marx und die

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Zwar gelang die geplante umfassende Rekonstruktion des unvollendeten Marxschen Hauptwerks nicht, doch wurden „zu allen relevanten Struktureinheiten dieses Werks Einzeluntersuchungen in Gestalt von Dissertationen"186 sowie von Artikeln in der von der Sektion Marxismus-Leninismus an der Martin Luther-Universität herausgegebenen Reihe Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung vorgelegt. Das Gros besonders des in Gestalt von (zumeist nicht in Buchform veröffentlichten) Dissertationen erarbeiteten Materials aus Halle/Saale ist von der nachfolgenden Forschergeneration bisher noch nicht intensiv aufgearbeitet worden. Es sei an die „mehr als vierzig Diplomarbeiten, mehr als vierzig Dissertationen A oder die mehr als zehn Dissertationen B"187 (d. h. Habilitationen) erinnert, die im Umkreis der Hallenser Marx-Forschungsgruppe bis zu deren „Abwicklung" nach der „Wende" entstanden sind. Ein Teil dieser Forschungsarbeiten betrifft primär Gliederungspunkte des 6-Bücher-Plans. Der Hallenser Genius loci harrt (trotz der Aufmerksamkeit, mit der die Forschungstätigkeit um Wolfgang Jahn auch im „Westen" bedacht wurde) nach wie vor einer systematischen Erschließung, welche die deutsche und internationale Marxforschung voranbringen könnte. Sicherlich gilt dies besonders hinsichtlich der Forschung zu denjenigen Themenkreisen, die Marx gemäß der ursprünglichen Konzeption in den Büchern zwei bis sechs sowie in den Abschnitten b bis d des ursprünglich konzipierten Kapitalbuchs (zu den jeweiligen Themenkreisen Konkurrenz, Kredit, Aktienkapital) bearbeiten wollte. Eine von Mitgliedern der Hallenser Arbeitsgruppe geplante gemeinsame Monographie, in welcher der Inhalt des 6-Bücher-Plans thematisiert werden und die ein Fazit der bisherigen Hallenser methodologischen Forschung ziehen sollte, konnte u. a. aufgrund der „Abwicklungen" im Anschluss an die Umbrüche von 1989/90 nicht realisiert werden. Diese ungeschriebene Monographie hätte „auf der Grundlage des Gesamtwerkes von Marx davon ausgehen" sollen, dass „der sechsgliedrige Aufbauplan als methodologischer Leitfaden für die Erforschung und Darstellung der politischen Ökonomie uneingeschränkt Gültigkeit behielt."188 Als in der unmittelbaren „Nach-Wende-Zeit" die methodologisch orientierte Forschung aus beiden Teilen Deutschlands eine intensive Diskussion miteinander aufnahm, war natürlich der Hallenser Rekonstruktionsversuch mit Blick auf den 6-Bücher-Plan ein zentrales Thema. In diesem Kontext wurden Probleme deutlich, mit denen sich die Arbeitsgruppe aus Halle/Saale konfrontiert sah. Ehrenfried Galander aus dem Kreis der Hallenser Gruppe sprach damals klar aus, dass „sich innerhalb unserer Gruppe zunehmende Differenzierungen zu dem Projekt ergeben, die unser ursprüngliches Anliegen hinfallig gemacht haben, nämlich eine Monographie dazu zu schreiben, d. h. es gibt Differenzierungen, die das einfach nicht mehr gestatten."189 (Übrigens war zwischenzeitlich

186 187 188 189

Gegenwart. Entwicklungstendenzen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, Köln 1955, S. 339. Wolfgang Jahn, Ist Das Kapital ein Torso?, S. 135. Ehrenfried Galander, Wolfgang Jahns Forschungen zum Sechs-Bände-Plan, in: Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition e. V. (Hg.), In Memoriam Wolfgang Jahn, S. 10. Ebd., S. 12. Ehrenfried Galander, [Mündlicher Beitrag zur Diskussionsrunde 4], in: Naturwissenschaften und Produktivkräfte bei Marx und Engels (= Marx-Engels-Forschung heute 3), S. 130.

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eine Konzeptionsänderung für das geplante Buch zur sechsgliedrigen Struktur erwogen worden, derzufolge es nicht in Gestalt einer gemeinsamen Monographie, sondern eher in Form eines Sammelbandes gestaltet werden sollte.) Die ebenfalls in das Vorhaben involvierte Ulrike Galander resümiert: „Unsere ursprüngliche Vorstellung", das „Prinzip des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten sowohl innerhalb des Aufbaus der sechs Bücher als auch innerhalb der einzelnen Bücher klassisch nachzuvollziehen, scheitert einfach an dem Inhalt. Dazu gibt es bei uns unterschiedliche Auffassungen, aber das ist meine Meinung."190 Dabei behauptete Ulrike Galander nicht, dass der 6-Bücher-Plan von Marx selbst aufgegeben wurde. Gunter Willing, ein Spezialist für das Staatsbuch innerhalb der Gruppe, verdeutlichte ein Problem, mit dem er sich konfrontiert sah: „Da reicht es eben nicht, wenn ich vom Abstrakten zum Konkreten aufsteige und versuche, die Kategorien logisch voneinander abzuleiten. Dann sind wirklich auch Brüche da. Zum Beispiel die Brüche zum Staatsbuch hin. Das kann ich nicht so ableiten."191 Zu ergänzen ist, dass diese Ansicht Willings vor dem Hintergrund seiner mehrjährigen intensiven Beschäftigung mit der Problematik des Staatsbuchs zu sehen ist. M. E. berührt Willing einen wichtigen Punkt, ist doch als eines der bedeutendsten inhaltlichen Probleme, denen sich ein ambitioniertes Rekonstruktionsprojekt im Sinne des Hallenser Vorhabens zu stellen hätte, die Frage nach möglichen und sinnvollen Vermittlungen innerhalb der Darstellung des organischen Ganzen in einer bestimmten logischen Abfolge zu nennen. Es war keineswegs allein die politische „Wende" als unvorhergesehenes äußeres Ereignis, die das Hallenser Projekt zunichte machte; offensichtlich erschienen bestimmte inhaltliche Probleme nicht überwindbar. Auch westdeutsche Forscher verwiesen in der Diskussion auf Probleme. So auch Winfried Schwarz. Er erinnerte an historische Veränderungen im Hinblick auf Fragen des Währungssystems und des internationalen Handels, die sich seit den Lebzeiten von Marx abgespielt haben. „Für mich bleibt dann immer noch ungelöst: Wie ist das zu denken, dass die innere Natur des Kapitals gleichgeblieben, dass das Kapital im Wesen unverändert geblieben ist, dass sich seine äußeren Erscheinungen aber sehr stark geändert haben? Sind die Veränderungen etwa in der Weltmarktsphäre lediglich ein Problem der ,Oberfläche', oder betreffen die Veränderungen auch die ,Kemstruktur' [...] des Kapitals selbst?"192 Es stelle sich die Frage, wie Identität und Veränderung in diesem Kontext zusammen zu denken seien. Insbesondere Michael Heinrich hinterfragte Wolfgang Jahns Interpretation der 6-Bücher-Problematik.193 Die Argumentation des westdeutschen Marx-Interpreten Heinrich

190 Ulrike Galander, [Mündlicher Beitrag zur Diskussionsrunde 4], in: Naturwissenschaften und Produktivkräfte bei Marx und Engels (= Marx-Engels-Forschung heute 3), S. 139. 191 Gunter Willing, [Mündlicher Beitrag zur Diskussionsrunde 4], in: Naturwissenschaften und Produktivkräfte bei Marx und Engels (= Marx-Engels-Forschung heute 3), S. 144. 192 Winfried Schwarz, [Mündlicher Beitrag zur Diskussionsrunde 4], in: Naturwissenschaften und Produktivkräfte bei Marx und Engels (= Marx-Engels-Forschung heute 3), S. 131. 193 Siehe Michael Heinrich, Der 6-Bücher-Plan und der Aufbau des Kapital. Diskontinuierliches in Marx' theoretischer Entwicklung, in: Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition e. V. (Hg.), In Memoriam Wolfgang Jahn, S. 92ff.

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läuft darauf hinaus, dass der 1858 konzipierte 6-Bücher-Plan in späterer Zeit von Marx fallen gelassen worden sei. Heinrich vertritt die These, dass infolge der Hereinnähme bestimmter Themen aus der Problematik des Grundeigentums bzw. aus der Problematik der Lohnarbeit in das Kapital eine Auftrennung der Darstellung von Kapital, Grundeigentum und Lohnarbeit in unterschiedliche Bücher unmöglich geworden sei. Heinrich konzediert, dass die drei Kapital-Bände unter inhaltlichen Gesichtspunkten nicht mit der ursprünglich geplanten Darstellung des Gesamtmaterials zu den Problemfeldern Kapital, Grundeigentum und Lohnarbeit in Gestalt der ersten drei Bücher des sechsgliedrigen Plans deckungsgleich seien. Letztere Darstellung hätte, falls sie realisiert worden wäre, umfassender sein müssen. Nach Heinrich ist indes „zu berücksichtigen, dass das, was im Kapital inhaltlich noch fehlt, sich jetzt auf einer ganz anderen Abstraktionsebene befindet, als die im ursprünglichen Plan vorgesehenen Abschnitte und Bücher."194 Die „speziellen Lehren", auf die Marx bei der Arbeit am Kapital verwiesen habe und die dort unberücksichtigt bleiben mussten, sind - so könnte man im Anschluss an Heinrich argumentieren - auf einer ganz anderen Ebene anzusiedeln als derjenigen, auf der Das Kapital als (wie Heinrich interpretiert) eine Darstellung der kapitalistischen Produktionsweise in ihrem „idealen Durchschnitt"195 lokalisiert ist. Nach Michael Heinrich stellten sich bei Marx Planentwürfe „erst im Laufe der Arbeit ein und drücken bestimmte Einsichten in die Strukturzusammenhänge der bürgerlichen Gesellschaft aus."196 Im Kontext der einstigen 6-Bücher-Struktur habe Marx geplant, in den drei ersten Büchern „die ökonomischen Lebensbedingungen der drei großen Klassen, worin die moderne bürgerliche Gesellschaft zerfallt", (MEGA2 II.2, S. 99) klarzulegen. Den berühmten Marx-Brief an Kugelmann vom 28. Dezember 1862 interpretiert Heinrich so, dass „Marx nur einen kleinen Teil seines 6-Bücher-Plans im Kapital realisieren wollte: den in Zur Kritik noch fehlenden Rest des ersten Abschnittes des ersten Buches."197 Die im ersten Kapital-Band angesprochene „specielle Lehre von der Lohnarbeit" (MEGA2 II.5, S. 449) sowie die im dritten Band erwähnte „selbstständige Behandlung des Grundeigenthums" (MEGA 2 II.4.2, S. 668), die eventuell später folgen sollten, charakterisiert Heinrich als Spezialuntersuchungen, welche nicht vergleichbar seien mit den einst geplanten Darstellungen im Rahmen der 6-Bücher-Struktur. Für das Kapital gelte: „Mit der Darstellung des Kampfes um die Grenzen des Arbeitstages, der 194 Ebd., S. 98. 195 An einer bekannten Textstelle des dritten Kapital-Bandes ist folgendermaßen vom „idealen Durchschnitt" die Rede: „In der Darstellung der Versachlichung der Productionsverhältnisse und ihrer Verselbständigung gegen die Productionsagenten selbst, gehen wir nicht ein auf die Art und Weise, wie die Zusammenhänge durch den Weltmarkt, seine Conjuncturen, die Bewegung der Marktpreisse, die Perioden des Credits, Cyclen der Industrie und des Handels, die verschiednen Epochen von Prosperity, Crise etc ihnen als übermächtige, sie willenlos beherrschende Naturgesetze und blinde Notwendigkeit erscheinen und sich als solche ihnen gegenüber geltend machen. Deswegen nicht, weil die wirkliche Bewegung der Konkurrenz etc ausserhalb unsers Plans liegt und wir nur die innere Organisation der capitalistischen Productionsweise, sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt, darzustellen haben." (MEGA 2 II.4.2, S. 852) 196 Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, S. 179. 197 Ebd., S. 180.

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Auswirkungen der Maschinerie auf die Arbeitsbedingungen, dem allgemeinen Gesetz der kapitalistischen Akkumulation und den Revenueformen Lohn und Rente," habe Marx die „ökonomischen Lebensbedingungen der drei großen Klassen" (MEGA2 II.2, S. 99), die „den Gegenstand der ersten drei Bücher bilden sollten, in ihren Grundlagen abgehandelt."198 Diese ökonomischen Lebensbedingungen seien derart eng mit den Gesetzen des Kapitals verbunden, dass eine getrennte Darstellung für Marx unmöglich gewesen sei. Das Objekt des Kapital bilde die - in Marxscher Terminologie ausgedrückt - „kapitalistischen Produktionsweise" bzw. das „ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaften". Innerhalb der angelsächsischen Diskussion hat Michael Lebowitz in einer vielbeachteten Arbeit199 auf das Fehlen des von Marx geplanten Lohnarbeitsbuchs hingewiesen. Ein jüngerer angelsächsischer Beitrag zur Frage der von Marx geplanten und trotzdem ungeschriebenen Bücher stammt von Christopher Arthur, der auf die ersten drei Bücher (gemäß der Marxschen Konzeption von 1858) fokussiert. Arthur steht positiv zum Gedanken eines eigenständigen Buchs zum Grundeigentum und eines eigenständigen Buchs von der Lohnarbeit, die vom Kapitalbuch getrennt sind, zugleich aber auf ihm beruhen. In diesem Kontext komme dem Kapitalbuch, also (gemäß Arthur) in der Tat dem Kapital, das größte Gewicht zu: „The central importance of capital, as against wage-labour and landed property, determines the status of the two unwritten books as complementary rather than equal to Capital."200 Arthur nimmt eine Einschätzung hinsichtlich der thematischen Reichweite des Kapital vor: „Capital studies wage-labour and landed property as they appear within capital; in some sense, they are expressions of capital, but there is a need for separate books on them as themselves, not just in relation to capital".201 Grundeigentum und Lohnarbeit stellen fur Arthur jeweils ein „Anderes" des Kapitals dar. Es existiere sehr wohl Raum für „two extra discourses in addition to a study of the form in which capital appropriates these ,others' of itself."202 Bereits vor der Entstehung des sechsgliedrigen Bücherplans, am Ende des „Methodenkapitels" der Einleitung von 1857, wo Marx eine frühere Konzeption des geplanten Werks entwarf, verwies er hinsichtlich des zweiten Gliederungspunktes auf „die Categories die die innre Gliederung der bürgerlichen Gesellschaft ausmachen und worauf die fundamentalen Klassen beruhn. Capital, Lohnarbeit, Grundeigenthum. Ihre Beziehung zu einander. Stadt und Land. Die 3 grossen gesellschaftlichen Klassen. Austausch zwischen denselben. Circulation. Creditwesen (private)." (MEGA2 II. 1.1, S. 43) Im berühmten Vorwort von Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859) legte Marx dann dar, dass er eine Untersuchung der „ökonomischen Lebensbedingungen der drei großen Klassen" (MEGA2 II.2, S. 99) der modernen bürgerlichen Gesellschaft plante. Es kann ergänzt werden, dass dafür die ersten drei der sechs geplanten Bücher vorgesehen waren. 198 Ebd., S. 191. 199 Siehe Michael Lebowitz, Beyond Capital: Marx's Political Economy of the Working Class, New York 1992. 200 Christopher J. Arthur, The Inner Totality of Capitalism, in: Historical Materialism 14/3 (2006), S. 110. 201 Ebd., S. 106. 202 Ebd., S. 98.

3.3.

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Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, in welcher Gestalt Marx trotz der Nichtrealisierung (bzw. Nichtvollendung) der ursprünglich geplanten ersten drei Bücher seine Klassentheorie entwickeln konnte. Michael Krätke bezog sich kurz nach der Jahrtausendwende auf das ihm zufolge sowohl innerhalb des Marxismus, als auch innerhalb der Kritik an Marx verbreitete Verdikt, dass Marx seine Klassentheorie nirgends explizit dargestellt habe. 203 Erst am Schluss des Darstellungsgangs, am Ende des dritten Kapital-Bandes hat nach Krätke die Darstellung der „3 Klassen, welche das ökonomische frame work der modernen Gesellschaft constituieren, zusammen und einander gegenüber - Lohnarbeiter, functionirender Capitalist, Grundeigenthümer" (MEGA 2 II.4.2, S. 671), ihren Ort. Marx habe an den Schluss der Darstellung positioniert, worauf Ricardo bereits anfangs zu sprechen komme, nämlich die dreigliedrige Klassenstruktur der bürgerlichen Gesellschaft. 204 Krätke argumentiert, dass bis in die 1870er Jahre „selbst für die hartnäckigsten Vulgärs unter den Ökonomen" es selbstverständlich gewesen sei, „von den drei großen Klassen zu reden, in die ,die Gesellschaft' ganz natürlich eingeteilt sei."205 In diesem Kontext nennt Krätke u. a. Jean-Baptiste Say, Thomas Robert Malthus, John Ramsay McCulloch und Nassau Senior. Eine zentrale These Krätkes lautet, dass Marx auf eine Kritik der „gängigen ,Klassentheorie' der Ökonomen, die eine Kritik des damals üblichen Begriffs ökonomischer Klassen einschloss",206 hinauswollte. Krätke weist auch auf die Marxschen Ansichten über die Zunahme der „Mittelklassen" (siehe MEGA 2 II.3.3, S. 1189) und die relative Abnahme des arbeitenden Proletariats an der Gesamtbevölkerung (siehe MEGA 2 II.3.2, S. 504) hin. Marx beziehe sich allerdings unpräzise auf die „Mittelklasse", er verstehe „darunter sowohl die Rentiers, die ,moneyed class' oder ,Klasse mit fixem Einkommen', die vorwiegend aus unproduktiven, nur konsumierenden, ,müßigen Kapitalisten' samt deren Anhang [...] besteht [...], als auch die kleinen Selbständigen, die als kleine Meister und kleine, selbstarbeitende Kapitalisten beständig in ,neuen Geschäftszweigen' auftreten und dort die Entwicklung des Kapitals und der kapitalistischen Produktion von

203 Siehe Michael Krätke, „Hier bricht das Manuskript ab." (Engels) Hat das Kapital einen Schluss? Teil II, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Klassen - Revolution - Demokratie. Zum 150. Jahrestag der Erstveröffentlichung von Marx' Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte (= Beiträge zur MarxEngels-Forschung. Neue Folge 2002), Hamburg 2003, S. 226. 204 Siehe ebd. In einem anderen Text schreibt Krätke: „Der letzte Abschnitt" des dritten KapitalBandes „endet mit einem Kapitel über ,Die Klassen', also mit dem, womit die klassischen Ökonomen wie Ricardo ganz selbstverständlich anfangen. Marx sah das anders. Klasse ist ein hochkomplexer Begriff, der erst auf der Grundlage der Analyse der kapitalistischen Produktionsweise entwickelt werden kann, ihr nicht voran zu stellen ist." (Michael Krätke, Marx - unser Zeitgenosse, o. O. 2008, im Internet: http://www.marxforschung.de/docs/081001kraetke.pdf, S. 15 [letzter Zugriff: 15.10.2008]). Ricardo bezieht sich gleich im ersten Absatz seines Vorworts zu den Principles of Political Economy and Taxation auf eine dreigliedrige Klassenstruktur der Gesellschaft. Siehe David Ricardo, Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, Marburg 1994, S. 1. 205 Michael Krätke, „Hier bricht das Manuskript ab." (Engels) Hat das Kapital einen Schluss? Teil II, S. 226f. 206 Ebd., S. 227.

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neuem beginnen."207 Die Kategorie der Klasse wird von Krätke weder ausschließlich dem unmittelbaren Produktionsprozess bzw. weder exklusiv der Zirkulationssphäre zugeordnet, noch sei sie allein eine Distributionskategorie oder ausschließlich eine Kategorie der Konsumtion; sondern „alles zugleich und im Zusammenhang."208 Die gängige Reduktion der Klassen auf ausschließliche Verteilungskategorien im Sinne von „Einkommensklassen" ziele an der Komplexität der Sache vorbei. Indes bleibt die Frage im Raum stehen, ob sich die Nichtrealisierung des 6-BücherPlans von 1858 nicht doch eventuell in problematischer Art und Weise auf die Marasche Klassentheorie ausgewirkt haben könnte. Dies würde dann wohl nicht zuletzt im Hinblick auf die Arbeiterklasse gelten, deren ökonomische Lebensbedingungen Marx ursprünglich im Buch von der Lohnarbeit thematisieren wollte. Ein Teil des umfassenden Themenbereichs, der im Lohnarbeitsbuch wohl behandelt worden wäre, konnte wahrscheinlich nicht ins Kapital aufgenommen werden; und Marx hat auch keine „spezielle Lehre von der Lohnarbeit" (so die bekannte Formulierung aus dem ersten Kapital-Band) hinterlassen. Vor diesem Hintergrund legt Michael Lebowitz tatsächlich mit seiner These von einem die Lohnarbeitsproblematik betreffenden Desiderat bei Marx den Finger in eine offene Wunde. 3.3.2. Die Problematik des „Kapital im allgemeinen" Für das Marxsche Darstellungsvorhaben entpuppte sich spätestens während der Arbeit an den Grundrissen die Differenzierung unterschiedlicher Abstraktionsebenen als ein Grundsatz von entscheidender Bedeutung. In diesem Kontext ist auch der Strukturbegriff des „Kapital im allgemeinen" zu sehen, der der „Konkurrenz der vielen Kapitalien" gegenübergestellt wurde. Hinter dieser Trennung steht die Marxsche Überlegung, dass sich die immanenten Gesetze des Kapitals nicht aus der Konkurrenz ergeben, sondern sich in dieser und durch diese bloß realisieren.209 Sie können keineswegs aus der Konkurrenz selbst erklärt werden. (Siehe MEGA2 II. 1.2, S. 625) Für die Darstellung und Explikation der kapitalistischen Produktionsweise erschien es Marx notwendig, zunächst die immanenten Gesetze des Kapitals unter Absehung von der Konkurrenz zu erschließen. Im Frühjahr 1858 plante Marx mit Blick auf das erste Buch innerhalb des 6-BücherPlans, das Kapitalbuch, dieses in vier Abschnitte zu unterteilen. Der erste Abschnitt sollte das „Kapital im allgemeinen" zum Gegenstand haben, der zweite die „Konkurrenz" oder die Aktion der vielen Kapitalien aufeinander. Als drittes war der Kreditabschnitt vorgesehen, als viertes schließlich der vom Aktienkapital. Der Abschnitt vom „Kapital im allgemeinen" sollte (abgesehen von den Textteilen über den Wert und das Geld) sowohl den Produktionsprozess des Kapitals als auch den Zirkulationsprozess des Kapitals 207 Ebd., S. 232. 208 Ebd., S. 235f. 209 Marx schrieb in den Grundrissen: „Die Concurrenz überhaupt, dieser wesentliche Locomotor der bürgerlichen Oeconomie, etablirt nicht ihre Gesetze, sondern ist deren Executor." (MEGA 2 II. 1.2, S. 448)

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beinhalten, zuletzt als weiteres Moment die „Einheit von beiden oder Kapital und Profit, Zins". (MEW 29, S. 554) Diese Einteilung ergibt sich zumindest, wenn man die Marxschen Briefe an Ferdinand Lassalle vom 11. März und an Friedrich Engels vom 2. April 1858 zusammen zugrunde legt. (Siehe MEW 29, S. 554 u. 312) Über die inhaltliche Bestimmung und die werkgeschichtliche Wirkungsdauer des Gliederungskonzepts des „Kapital im allgemeinen" innerhalb der Marxschen Ökonomiekritik gehen die Ansichten auseinander. Zudem stellt sich die Frage, ob dieses Strukturkonzept selbst während der Entwicklungsgeschichte der Marxschen Ökonomiekritik bestimmten inhaltlichen Veränderungen unterworfen war. Eine der bekanntesten Marxschen Charakterisierungen des „Kapital im allgemeinen" ist den Grundrissen zu entnehmen: ,J)as Capital im Allgemeinen, im Unterschied von den besondren Capitalien erscheint zwar 1) nur als eine Abstraction-, nicht eine willkürliche Abstraction, sondern eine Abstraction, die die differentia specifica des Capitals im Unterschied zu allen andren Formen des Reichthums auffaßt - oder Weisen, worin die Production (gesellschaftliche) sich entwickelt. Es sind dieß Bestimmungen, die jedem Capital als solchem gemein, oder jede bestimmte Summe von Werthen zum Capital machen. Und die Unterschiede innerhalb dieser Abstraction sind ebenso abstracte Besonderheiten, die jede Art Capital characterisiren, indem es ihre Position oder Negation ist (z. B. capital fixe oder capital circulant); 2) aber ist das Capital im Allgemeinen im Unterschied von den besondren reellen Capitalien selbst eine reelle Existenz." (MEGA2 II. 1.2, S. 359) Obwohl die werkgeschichtliche Frage der Planproblematik bereits in den 1920er Jahren in Deutschland vereinzelt bearbeitet wurde,210 entfaltete sich in der BRD erst im Anschluss an die berühmte Monographie von Roman Rosdolsky eine differenzierte Diskussion der Planproblematik, damit auch des Problems des „Kapital im allgemeinen". Es lässt sich sogar vermuten, dass Rosdolskys Arbeit ab den späten 60er Jahren bei vielen Marx-Interessierten überhaupt erst ein ausreichendes Problembewusstsein fur Fragen wie die des Zusammenhangs der verschiedenen Abstraktionsebenen in der Kritik der politischen Ökonomie schuf oder es zumindest erweiterte. Rosdolsky war der Auffassung, dass es sich bei der Marxschen Unterscheidung von „Kapital im allgemeinen" und der „Konkurrenz der vielen Kapitalien" um ein wichtiges Arbeitsmodell gehandelt habe. Die Darstellung im später entstandenen Kapital weise - wenn man alle drei Bände zugrunde legt - über das ursprüngliche Konzept des „Kapital im allgemeinen" hinaus. Das Kapital beschränke sich keineswegs ausschließlich auf Themen, die früher dem Abschnitt „Kapital im allgemeinen" zugeordnet waren, da Gesichtspunkte aus den Abschnitten „Konkurrenz der vielen Kapitalien", „Kreditwesen" und „Aktienkapital" Aufnahme in den dritten Band gefunden hätten.211 Nachfolgende Forscher knüpften teilweise kritisch an Rosdolsky an. Eine der ambitioniertesten Untersuchungen zum „Kapital im allgemeinen", die in der BRD entstanden, wurde in den 70er Jahren von Winfried Schwarz

210 Siehe Henryk Grossmann, Die Änderung des Aufbauplans des Marxschen „Kapital" und ihre Ursachen, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung 14 (1929), S. 305ÊF. 211 Siehe Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital", S. 76.

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vorgelegt.212 Wie die Arbeit von Rosdolsky wurde auch die Studie von Schwarz in der zeitgenössischen Marx-Debatte kontrovers diskutiert. Die Hauptthese von Schwarz hinsichtlich der entscheidenden Frage von Aufgabe oder Nicht-Aufgabe des „Kapital im allgemeinen"-Konzepts besteht darin, dass das Konzept des „Kapital im allgemeinen" zwar nach 1863 in der Marxschen Konzeption weiterhin existent sei, aber nicht mehr als „Hauptstrukturgesichtspunkt" innerhalb der Marxschen Entwicklung, sondern sozusagen unter der Dominanz eines neuen Strukturprinzips. Auf die Diskussion der „Kapital im allgemeinen"-Problematik in der DDR wirkte die sowjetische Forschung (insbesondere der 60er Jahre) zu den Planentwürfen zur Kritik der politischen Ökonomie inspirierend. In der Sowjetunion drängte Alexander Malysch darauf, dass Marx den Begriff „Kapital im allgemeinen" nur bis 1863 verwendet habe. Sein Landsmann Albert Kogan vertrat die Ansicht, dass dem Kapital immer noch die Konzeption des „Kapital im allgemeinen" zugrunde liege. Witali Wygodski, einer der bedeutendsten sowjetischen Marxforscher der 60er und 70er Jahre, nahm an, dass Marx den Strukturgesichtspunkt des „Kapital im allgemeinen" auch nach 1862 beibehalten habe. Mit der Zeit seien allerdings viele der eigentlich erst für spätere Teile des Gesamtwerkes vorgesehenen Probleme in die Darstellung des „Kapital im allgemeinen" eingeschlossen worden.213 Im Anschluss an Wygodskis These wird deutlich, dass die Frage nach der Beibehaltung des „Kapital im allgemeinen"-Konzepts um die Frage ergänzt werden muss, ob und wie sich die thematische Reichweite dieses Konzepts in der Entwicklungsgeschichte der Marxschen Ökonomiekritik verändert haben könnte, genauer gesagt, ob eine thematische „Ausweitung" dieses Konzepts vorliegt. In der DDR gingen Wolfgang Jahn und Roland Nietzold davon aus, dass das „Kapital im allgemeinen" nach 1863 nicht mehr als Gliederungspunkt des Kapital auftaucht und dass Marx „inhaltlich diesen Begriff in seiner strengen Fassung nicht mehr anwendet."214 Zur sowjetischen Beschäftigung mit der „Kapital im allgemeinen"-Problematik ist indes eine Präzisierung anzuführen. Albert Kogan vertrat hinsichtlich von Themenkreisen wie Konkurrenz und Kredit die Auffassung, dass Marx diese Themenkreise „zerschnitten" bzw. „zerteilt" habe. Sie seien doppelt darzustellen gewesen. Einerseits nämlich, insofern sie direkt auf die Mehrwerttheorie bezogen würden, seien sie innerhalb des Kapital und dabei auch innerhalb der Reichweite der Darstellung des „Kapital im allgemeinen" abzuhandeln gewesen. Im Hinblick auf Spezialuntersuchungen (d. h. spezielle Lehren) über diese Themen ist Kogan aber der Ansicht, dass diese wiederum aus dem Kapital und dem Gliederungspunkt „Kapital im allgemeinen" hinausfallen muss-

212 Siehe Winfried Schwarz, Vom „Rohentwurf ' zum „Kapital". Bereits einige Jahre zuvor hatte Schwarz Kritik an Rosdolsky geübt: Winfried Schwarz, Das „Kapital im allgemeinen" und die „Konkurrenz" im ökonomischen Werk von Karl Marx. Zu Rosdolskys Fehlinterpretation der Gliederung des „Kapital", in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 1, Frankfurt/M. 1974, S. 222ff. 213 Siehe Witali Solomonowitsch Wygodski, Die Geschichte einer großen Entdeckung. Über die Entstehung des Werkes „Das Kapital" von Karl Marx, Berlin/Ost 1967, S. 120. 214 Wolfgang Jahn, Roland Nietzold, Probleme der Entwicklung der Marxschen politischen Ökonomie im Zeitraum von 1850 bis 1863, in: Marx-Engels-Jahrbuch 1, Berlin/Ost 1978, S. 168.

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ten. 215 Dieser Gedanke der doppelten Darstellung von Themen wie Konkurrenz und Kredit - einerseits zuerst im Rahmen der Behandlung der Mehrwerttheorie, andererseits später als relativ selbständige Fragen - ist gemäß Kogan eine Schlüsselidee der Manischen Methodologie. Die Auseinandersetzung mit der Frage des „Kapital im allgemeinen" blieb in späterer Zeit ein beachtenswerter Aspekt der sowjetischen Marxforschung. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre vertraten Michail Ternowski und Alexander Tschepurenko die Ansicht, dass Marx relativ bald einer engen Begrenztheit des „Kapital im allgemeinen"Konzepts in derjenigen Fassung, die er in den Grundrissen zunächst entworfen hatte, gewahr wurde. Ternowski und Tschepurenko meinen zwar nicht, dass Marx nach Vollendung der Grundrisse auf die Kategorie des „Kapital im allgemeinen" verzichtete, aber der spezifische Gehalt dieser Kategorie habe sich in der Folgezeit nach der ursprünglichen Bestimmung dieser Kategorie grundlegend verändert. Marx habe nämlich eingesehen, dass - anders als es gemäß des zunächst entworfenen „Kapital im allgemeinen"Konzepts der Fall gewesen sei - „ein allgemeiner Begriff des Kapitals jenseits der Wechselbeziehung zwischen den Einzelkapitalen nicht existieren" 216 könne. Marx habe begonnen, „sich allmählich von der Behandlung des ,Kapital im Allgemeinen' als eines Abstrakt-Allgemeinen, das neben den Einzelkapitalen existiert, abzuwenden. Allerdings zeigt sich diese Abkehr zunächst nur darin, dass das ,Kapital im Allgemeinen' als Abstraktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals aufgefasst wird" 217 - und zwar noch in den Grundrissen selbst. Auch in der französischen Rezeption der Kritik der politischen Ökonomie fand eine Auseinandersetzung mit der Aufbauplan-Problematik statt. In diesem Kontext wurde bereits auf eine Arbeit von Paul Boccara von Anfang der 60er Jahre hingewiesen. 1965 hatte sich der Althusser-Schüler Roger Establet in Lire Le Capital zur Planproblematik geäußert. 218 Ein späterer Beitrag französischer Herkunft, der sich z. T. auf die deutschsprachige Aufbauplan-Debatte um Rosdolsky, Schwarz und Manfred Müller bezieht, stammt aus den 80er Jahren. Neben dem Plan aus der Einleitung von 1857 widmet der Autor Marc Sagnol zunächst insbesondere der Frage der Planproblematik während der Arbeit am Grwncfrisse-Manuskript Aufmerksamkeit. Im Kontext der Planproblematik bei Marx muss die Frage nach der Kategorie „Kapital im allgemeinen" und ihrer even215 Zu Kogan siehe Winfried Schwarz, Vom „Rohentwurf' zum „Kapital", S. 276ff. Zur sowjetischen Debatte um die Planentwürfe zur Kritik der politischen Ökonomie siehe auch Manfred Müller, Zu einigen sowjetischen Forschungsergebnissen über die Entstehungsgeschichte des „Kapitals", in: Beiträge zur Geschichte der Marx/Engels-Forschung und -Edition in der Sowjetunion und der DDR, Berlin/Ost 1978, S. 117ff. 216 Michail Ternowski, Alexander Tschepurenko, „Grundrisse": Probleme des zweiten und dritten Bandes des „Kapitals" und das Schicksal des Begriffs des „Kapital im Allgemeinen", in: Internationale Marx-Engels-Forschung (Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF 12), Frankfurt/M. 1987, S. 182. 217 Ebd. 218 Siehe Roger Establet, Présentation du plan du Capital, in: Louis Althusser, Etienne Balibar, Jacques Rancière, Roger Establet, Pierre Macherey, Lire Le Capital, Paris 1965, S. 569fF. In der deutschen Ausgabe ist dieser Teil nicht enthalten.

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tuellen Fortexistenz in der Entstehungsgeschichte des Kapital gestellt werden. Im Kapital, so formuliert Sagnol seine These, „il n'y a pas [...] de passage du ,capital en general' aux ,capitaux dans leur pluralité', c'est-à-dire à la concurrence";219 indes werde die Kategorie des „Kapital im allgemeinen" im Zuge der Fortentwicklung von den Grundrissen zum Kapital keineswegs vollständig aufgegeben, sie erfahre jedoch eine wichtige Modifikation. Dies geschehe in Gestalt einer Ausweitung des Konzepts des „Kapital im allgemeinen". Sagnol schreibt: „En posant le travail salarié et la rente foncière comme deux déterminations du capital, Marx élargit son concept initial de , capital en général', lui faisant approcher la signification d'articulation interne, ou de structure interne de la société bourgeoise, laquelle ne devait etre posée qu'après l'étude des trois catégories fondamentales."220 Indes beschränkt sich gemäß Sagnol die Entwicklung zum Kapital hin nicht auf diesen Aspekt. Das Kapital sei generell durch eine Einschränkung des Gegenstandsbereichs gegenüber dem umfassenderen ursprünglichen Marxschen Theorievorhaben charakterisiert. Gemäß Michael Heinrichs221 Forschungen aus den 80er und 90er Jahren war der Strukturbegriff des „Kapital im allgemeinen" für das Marxsche Darstellungsvorhaben in den Jahren von der Arbeit an den Grundrissen bis 1863 entscheidend, wurde aber danach weder im Marxschen Briefwechsel noch in den Manuskripten verwendet. Dabei verschwindet nach Heinrich nicht allein der Terminus, sondern auch das dahinter stehende inhaltliche Gliederungskonzept. Es sei ersichtlich, dass im Kapital auch Themen behandelt werden, die die Konkurrenz der Kapitalien betreffen, den Kredit oder das Aktienkapital. Wirklich zentral für Heinrich ist der Aspekt, dass bei Marx die systematische Unterscheidung von „Kapital im allgemeinen" und „Konkurrenz der vielen Kapitalien" auf eine bestimmte Auffassung hinsichtlich des Strukturzusammenhangs der bürgerlichen Gesellschaft verweise. Dabei fasse Marx die Konkurrenz so auf, dass sie ihm als Erscheinungsform der dem Kapital „immanenten" Gesetze gilt. Diese können so gibt Heinrich die Marxsche Sicht wieder - nicht aus der Konkurrenz selbst erklärt werden. Die Differenzierung von „Kapital im allgemeinen" und „Konkurrenz der vielen Kapitalien" gilt Heinrich als der erste Marxsche Versuch, seine Ansicht kategorial zu fixieren, dass sich in der wirklichen Bewegung der einzelnen Kapitale die „Gesetze der inneren Natur des Kapitals" nur realisieren. Marx stelle zwei unterschiedliche Anforderungen an den Abschnitt des „Kapital im allgemeinen": Einerseits „soll dessen Inhalt auf einer bestimmten Abstraktionsstufe, der Abstraktion von der Konkurrenz (die sowohl die wirkliche Bewegung als auch alle Verhältnisse der vielen Kapitalien einschließt) dargestellt werden"; andererseits „soll die Darstellung einen bestimmten inhaltlichen Umfang haben, sie soll alle Bestimmungen umfassen, die in der Konkurrenz sichtbar werden."222 Allerdings habe sich die Unlösbarkeit des Problems ergeben, die beiden

219 Marc Sagnol, Des „Grundrisse" au „Capital". Sur la modification du plan du „Capital", in: La Pensée. Recherches Marxistes, Sciences, Société, Philosophie 228 (1982), S. 21. 220 Ebd., S. 25. 221 Siehe Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, S. 179ff. Siehe auch Michael Heinrich, Hegel, die „Grundrisse" und das „Kapital", in Prokla 65 (1986), S. 145ff. 222 Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, S. 185.

3.3.

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Anforderungen an die Darstellung des „Kapital im allgemeinen" zugleich zu erfüllen. Das Strukturkonzept des „Kapital im allgemeinen" wird für Heinrich in der Zeit nach 1863 durch die darstellungslogische Integration einerseits der Darstellung der Durchschnittsprofitrate, andererseits der Darstellung der Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals gesprengt. Allerdings ergibt sich dann die Frage, welches Strukturprinzip die nun freigewordene Stelle der strikten Differenzierung von „Kapital im allgemeinen" und „Konkurrenz" eingenommen hat. An die Stelle der vorherigen Konzeption von „Kapital im allgemeinen" einerseits und „Konkurrenz" andererseits sei, so argumentiert Heinrich, im Kapital „die Betrachtung von individuellem Kapital und Konstitution des gesellschaftlichen Gesamtkapitals auf den drei aufeinander aufbauenden Darstellungsebenen des unmittelbaren Produktionsprozesses, des Zirkulationsprozesses und des Gesamtprozesses"223 getreten. Michael Heinrich schlägt neuerdings vor, die werkgeschichtliche Entwicklung der Marxschen Ökonomiekritik so einzuteilen, dass zwei frühere Entwürfe zum Projekt Zur Kritik der politischen Ökonomie in sechs geplanten Büchern (nämlich die Grundrisse und das Manuskript von 1861-1863; hinzu kommt neben dem Urtext [von 1858] das 1859 publizierte Erste Heft von Zur Kritik, als dessen Fortsetzung das Manuskript von 1861-1863 gedacht war) von drei späteren Entwürfen zum Kapital-Projekt in vier geplanten Büchern (das sog. Manuskript von 1863-1865, die Marxschen Arbeiten am Kapital im Zeitraum von 1866-1871 und schließlich die Marxschen Arbeiten am Kapital plus entsprechende Zuarbeiten im Zeitraum von 1871 bis zum Tod des Denkers) zu differenzieren sind. So kommt man schließlich zu fünf Entwürfen, die sich auf zwei unterschiedliche Projekte verteilen.224 M. E. ist dieser Einteilungsvorschlag neuartig und stellt eine Alternative zur Viergliederung Enrique Dussels (s. o.) dar. Heinrich stellt seine These, dass das vormalige Strukturprinzip der Differenzierung von „Kapital im allgemeinen" und „Konkurrenz" von Marx ersetzt worden sei durch das spätere Strukturprinzip der Betrachtung des individuellen Kapitals einerseits und andererseits des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, derart in den Kontext seiner Überlegungen zur Werkgeschichte der Marxschen Ökonomiekritik, dass er erstgenanntes Strukturprinzip dem Projekt Zur Kritik der politischen Ökonomie zuordnet, das letztgenannte hingegen dem Kapital-?To]çkX.

Da Michael Heinrich eine Fassung seiner älteren Thesen noch in den 80er Jahren in englischer Sprache publiziert hat,225 ist seine Sicht auf die Problematik des „Kapital im allgemeinen" in der anglophonen Fachwelt bekannt. Allerdings ist Heinrich in den 90er Jahren dort auf zwei Kritiker gestoßen, die jeweils um eine alternative Interpretation bemüht waren. Dies ist in rezeptionshistorischer Hinsicht durchaus bemerkenswert, da die Problematik der Marxschen Aufbaupläne und der eigentümlichen Struktur der Kritik 223 Ebd., S. 193. 224 Siehe Michael Heinrich, Deconstructing „Capital": New Insights from Marx's Economic Manuscripts in MEGA (Summary), Berlin 2006, im Internet: http://www.oekonomiekritik.de/ 312Deconstructing Capital.htm (letzter Zugriff: 2.6.2007). 225 Siehe Michael Heinrich, „Capital in General" and the Structure of Marx's Capital, in: Capital & Class 38 (1989), S. 63ff.

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der politischen Ökonomie in der englischsprachigen Marx-Debatte - anders als beispielsweise in Japan, wo mit diesen Fragen schon weitaus früher eine intensive Auseinandersetzung stattfand - lange Zeit eher vernachlässigt worden war. (Wie in der deutschsprachigen Interpretation war es u. a. die Monographie von Rosdolsky bzw. deren englische Übersetzung aus dem Jahr 1977, die eine Diskussion dieser Problematik stimulierte.) Zunächst setzte sich Paul Burkett kritisch mit Heinrichs Ansichten auseinander.226 Burkett vertrat die Auffassung, dass bei der Arbeit am Kapital das Ordnungskonzept des „Kapital im allgemeinen" erhalten geblieben sei. Fred Moseley argumentiert in seiner Replik zu Heinrich,227 dass Marx bis in die endgültige Kapital-Fassung die Unterscheidung von „Kapital im allgemeinen" und „Konkurrenz" aufrechterhalten habe. Sowohl die Marxschen Theorien der Durchschnittsprofitrate und der Produktionspreise, als auch seine Theorien des Zinses, des merkantilen Profits und der Grundrente seien im Zusammenhang mit dieser Unterscheidung zu sehen. Auf Moseleys Interpretation soll im Folgenden etwas genauer eingegangen werden. Der Hauptsinn der Marxschen Konzepte von „Kapital im allgemeinen" und „Konkurrenz" besteht im Anschluss an Moseleys Deutung darin, dass zwischen der Mehrwertproduktion bzw. der Bestimmung der gesamtgesellschaftlichen Mehrwertquantität einerseits sowie andererseits der Mehrwertdistribution differenziert werden soll. Ersteres Moment sei der Abstraktionsebene des „Kapital im allgemeinen" zuzuordnen, letzteres Moment der Abstraktionsebene der „Konkurrenz". 228 Eine zentrale Prämisse bei Marx besteht für Moseley darin, dass „the total amount of surplus-value is determined prior to and independent of the division of this total amount into individual parts."229 Seine Unterscheidung zwischen einerseits Mehrwertproduktion und andererseits Mehrwertdistribution habe Marx dazu befähigt, theoretisch über David Ricardo hinauszugehen. Der Begriff des „Kapital im allgemeinen" beziehe sich auf das gesellschaftliche Gesamtkapital. Moseley, der sich (wie Burkett) auf Heinrichs englischsprachigen Aufsatz von 1989 bezieht, setzt sich mit dessen „Kapital im allgemeinen"-Definition auseinander; dieser Definition Heinrichs gemäß umfasse das „Kapital im allgemeinen" „all the common characteristics of individual capitals, including the average rate of profit, as opposed to only the most essential common characteristic (the production of surplusvalue)."230 Letztere Deutung mit Blick auf „the most essential common characteristic" bezieht sich auf Moseleys eigene Interpretation, in dessen Zentrum das Moment der Mehrwertproduktion steht.

226 Siehe Paul Burkett, Some Comments on „Capital in General" and the Structure of Marx's Capital, in: Capital & Class 44 (1991), S. 49ff. 227 Siehe Fred Moseley, Capital in General and Marx's Logical Method: A Response to Heinrich's Critique, in: Capital & Class 56 (1995), S. 15ff. 228 Siehe auch Fred Moseley, Kapital im Allgemeinen und Konkurrenz der vielen Kapitalien in der Theorie von Marx. Die quantitative Dimension, in: Marx-Engels-Jahrbuch 2006, Berlin 2007, S. 81ff. 229 Fred Moseley, Capital in General and Marx's Logical Method: A Response to Heinrich's Critique, S. 17. 230 Ebd., S. 24.

3.3. DER 6-BÜCHER-PLAN

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Hinsichtlich des Manuskripts von 1861 -1863 schreibt Moseley, „the impression one gets from studying this manuscript is one of Marx's increasing clarity"231 im Hinblick auf die Unterscheidung von „Kapital im allgemeinen" und „Konkurrenz" sowie die zentrale Bedeutung dieser Unterscheidung hinsichtlich von Themen, die später im dritten Kapital-Rand Aufnahme fanden. Moseley versucht zu beweisen, dass das Konzept des „Kapital im allgemeinen" auch nach 1863 in der Marxschen Theorie weiterexistiert habe, und zwar - so könnte man mit Blick auf die in eine etwas andere Richtung weisende Interpretation von Winfried Schwarz ergänzen - keineswegs als ein eher untergeordnetes, sondern als ein methodologisch geradezu zentrales und bestimmendes Element. Der erste Band des Kapital, der aus den Jahren 1866/67 stammt, ist gemäß Moseley durch die (seiner Auffassung gemäß) weiterhin gültige Marxsche Unterscheidung von „Kapital im allgemeinen" und „Konkurrenz" geprägt. Diese Unterscheidung „continued to provide the basic logical structure for the three volumes of Capital, and especially for Marx's theory of the avarage rate of profit and of the other specific forms of surplusvalue in Volume 3."232 Der dritte Kapital-Band befindet sich, so interpretiert Moseley, in erster Linie auf der Abstraktionsebene der „Konkurrenz". Die Mehrwertdistribution sei hier eine theoretische Hauptfrage. Der Südkoreaner Seung-Wan Han vertrat Mitte der 90er Jahre die Auffassung, dass der Begriff „Kapital im allgemeinen" nach Beendigung der Arbeit am Manuskript von 1861 — 1863 nicht mehr benutzt worden sei. Diese Ansicht scheint sich in Teilen der Marxforschung durchgesetzt zu haben. Der exakte Zeitpunkt der Aufgabe dieses Strukturbegriffs ist allerdings - Han zufolge - schwer festzulegen. Anscheinend habe ihn Marx praktisch bis zur Beendigung des sog. „zweiten Kapital-Entwurfs" beibehalten. Eine Hauptthese von Han lautet, dass bei Marx die Aufgabe des Terminus „Kapital im allgemeinen" als Strukturbegriff mit der vermeintlichen Revision des Prinzips einer bestimmten dialektischen Entwicklung im strengen Sinne einhergehe. Han schreibt: „Das ,Kapital im Allgemeinen' war eine Abstraktion, die aber als ein Anfang der dialektischen Entwicklung gesetzt wurde. In diesem Sinne war es ein Allgemeines, welches im Verlauf des dialektischen Entwicklungsprozesses seine immanenten Bestimmungen entfalten sollte."233 Am Schluss der Entwicklung hätten die Bestimmungen eine „reelle Existenz" erhalten sollen. Mit der Konstruktion des Begriffs des „Kapital im allgemeinen" habe Marx geplant, die Entwicklung des Kapitals zu einer Totalität darstellungslogisch aufzuzeigen, welche „die Voraussetzungen seiner Bildung im Laufe der dialektischen Entwicklung als seine Momente setzt."234 Aus dem „Kapital im allgemeinen" hätten alle ihm vermeintlich immanenten Bestimmungen entwickelt werden sollen. Dem „Kapital im allgemeinen" sei die Repulsion der Kapitalien voneinander schon inhärent, und diese entwickle sich fort zur Konkurrenz zwischen den reellen Kapitalien. Dies scheint nach Han ein Leitgedanke im Kontext des Marxschen Vorhabens einer dialekti-

231 Ebd., S. 33. 232 Ebd., S. 39f. 233 Seungwan Han, Marx in epistemischen Kontexten. Eine Dialektik der Philosophie und der positiven Wissenschaften, Frankfurt/M. 1995, S. 146. 234 Ebd., S. 129.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

sehen Entwicklung gewesen zu sein. Marx habe angenommen, dass aus dem „Kapital im allgemeinen" die Konkurrenz immanent entwickelt werden könnte und müsste. Wenn Marx den Versuchsbegriff des „Kapital im allgemeinen" und die damit verbundene Konzeption einer dialektischen Entwicklung im strengen Sinne fallengelassen habe, so muss natürlich gefragt werden, welche Darstellungsmethode sich durchgesetzt hat. Im Kontext der Änderung der Darstellungsmethode erhalte „die Strategie der Konkretisierung, die Marx beständig als ein anderes methodisches Prinzip weiter beibehält, eine andere Gestalt als zuvor. Sie ist kein Prozess der immanenten Entfaltung der Bestimmungen, wie dies mit dem Begriff,Kapital im Allgemeinen' konzipiert wurde, sondern ein Prozess der Einholung der,außer acht gelassenen ' Momente von außen her."235 Diejenigen Elemente, von denen auf den jeweils bisherigen Darstellungsebenen noch abstrahiert worden sei, würden peu à peu eingeführt. Die in der jeweils bisherigen Darstellung erarbeiteten Gesetze würden beständig ergänzt, berichtigt, modifiziert. Eine Untersuchung zu der Frage, nicht ob, sondern wann der Strukturbegriff des „Kapital im allgemeinen" von Marx aufgegeben wurde, ist in jüngerer Vergangenheit von einem japanischen Wissenschaftler vorgelegt worden. In der japanischen Forschung wurde die Problematik des „Kapital im allgemeinen" schon in einer frühen krisentheoretischen Arbeit von Samezo Kuruma, also schon einige Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg diskutiert. In der Nachkriegszeit wurde die Diskussion intensiver als zuvor geführt. Izumi Omura von der MEGA2-Arbeitsgruppe aus Sendai ist - im Gegensatz zur frühen Studie Kurumas von 1930 - nicht der Ansicht, dass das Kapital in seiner endgültigen Fassung noch dem Strukturkonzept des „Kapital im allgemeinen" verpflichtet sei. Dies steht für Omura fest, der streng zwischen dem „Kapital im allgemeinen"-System und dem späteren Kapital-System unterscheidet. Omura vertritt mit Blick auf die beiden bekannten, in Heft XVIII des Manuskripts 1861-1863 überlieferten Marxschen Planentwürfe (siehe MEGA2 II.3.5, S. 186Iff.) die Auffassung, hierbei handle es sich um die endgültigen Planentwürfe gemäß der „Kapital im allgemeinen"-Konzeption. Keineswegs aber seien diese Planentwürfe mit einer Neukonzeption nach der endgültigen inhaltlichen Aufgabe des „Kapital im allgemeinen"-Strukturkonzepts zusammenzubringen. Eine spätere Konzeption, die des Kapital, sei während der Arbeit am sog. Manuskript von 1863-1865 entstanden - und nicht etwa schon in früherer Zeit, während der Arbeit am Manuskript von 1861-1863. Omura argumentiert, dass Marx während der Niederschrift des sog. ÄTap/ta/-Manuskripts von 1863 -1865 die Analyse über drei Probleme, die zur Zeit der beiden Planentwürfe aus dem Manuskript von 1861 -1863 (siehe MEGA2 II.3.5, S. 1861 ff.) außerhalb der Konzeption des „Kapital im allgemeinen" gestanden hätten, in die Kapital-Bücher eingeschlossen habe - „d. h. den Arbeitslohn, die Konkurrenz (den Marktwert und den Marktpreis) und den Tauschwert der Naturalkräfte (den Bodenpreis und die Differentialrente) [..,]"236 Marx habe aber vorübergehend in der Tat 235 Ebd., S. 147. 236 Izumi Omura, Von Zur Kritik der politischen Ökonomie zum Kapital. Marx' konzeptionelle Überlegungen zum Kapital 1862 und 1863 bis 1865, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Neue Texte, neue Fragen. Zur Kapital-Edition in der MEGA (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2001), Hamburg 2002, S. 54.

3.3. DER 6-BÜCHER-PLAN

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beabsichtigt, einerseits eine Ausführung der beiden Planentwürfe aus Heft XVIII, andererseits danach eine Darstellung der Lehre von der Konkurrenz (Marktwert und Marktpreis), des Kreditwesens (fiktives Kapital), des Grundeigentums (Differentialrente und Bodenpreis) sowie der Lohnarbeit (Arbeitslohn) zu leisten. Die Neukonzeption, d. h. die Konzeption des Kapital, sei später an die Stelle dieses vorübergehenden Projekts getreten. Übrigens widerspricht die von Omura vertretene Ansicht der Auffassung der MEGA 2 Editoren des Bandes II.3.1., die behaupten, der neue Plan, der in Heft XVIII skizziert ist, antizipiere im wesentlichen bereits die Struktur des späteren Kapital, wobei mit diesem neuen Plan das Strukturprinzip der Trennung von „Kapital im allgemeinen" und „Konkurrenz" inhaltlich aufgegeben sei. (Siehe MEGA 2 II.3.1, S. 12*) Es ist zu hoffen, dass in Zukunft die (hierzulande längst an Intensität nachgelassene) Debatte um die „Kapital im allgemeinen"-Problematik ein vielberücksichtigtes Beschäftigungsfeld innerhalb der japanischen methodologischen Diskussion bleiben wird. 3.3.3. Fazit In einem Brief an Engels vom 31. Juli 1865 schrieb Marx: „Ich kann mich [...] nicht entschließen, irgend etwas wegzuschicken, bevor das Ganze vor mir liegt." (MEW 31, S. 132) Marx bezieht sich hier auf das Manuskript des Kapital. In diesem Brief heisst es weiter: „Whatever shortcomings they may have, das ist der Vorzug meiner Schriften, dass sie ein artistisches Ganzes sind, und das ist nur erreichbar mit meiner Weise, sie nie drucken zu lassen, bevor sie ganz vor mir liegen. Mit der Jacob Grimmschen Methode" - Marx meint hier die Publikation in sukzessiven Lieferungen - „ist dies unmöglich und geht überhaupt besser für Schriften, die kein dialektisch Gegliedertes sind." (MEW 31, S. 132) Als „artistisches Ganzes" und „dialektisch Gegliedertes" sind die drei Kapital- Bände auf jeden Fall aufzufassen, auch wenn man berücksichtigt, dass Marx zu seinen Lebzeiten den ersten Band nur separat (in drei unterschiedlichen Versionen) veröffentlichen konnte 237 und zum zweiten und dritten Band nur Manuskripte in Arbeitsoder Rohfassung hinterließ, die noch nicht zur Veröffentlichung gedacht waren. Im Kontext der hier skizzierten internationalen Forschungsdebatte um die „6-Bücher-Plan"und die „Kapital im allgemeinen"-Problematik ist allerdings die Frage zu stellen, ob man es bei den drei Kapital-Bänden als „artistisches Ganzes" wirklich mit dem Ganzen zu tun hat oder nur mit einem Ganzen, das selbst wieder einen Teil eines noch größeren Ganzen in Gestalt eines umfassenden und übergreifenden Werks zur Kritik der politischen Ökonomie bilden sollte. Zahlreiche Arbeiten haben in den letzten Jahrzehnten zur Erforschung der Strukturgeschichte des Marxschen Hauptwerks beigetragen, doch ist es bislang nicht gelungen, einen wissenschaftlichen Konsens hinsichtlich der Problematik

237 Zu bedenken ist auch, dass Engels kurz nach dem Tod des Freundes berichtete, Marx habe geplant, den ersten Band „großentheils umzuarbeiten, manche theoretischen Punkte schärfer zu fassen, neue einzufügen, das geschichtliche und statistische Material bis auf die neueste Zeit zu ergänzen." (MEGA211.10, S. 19) Der Krankheitszustand und die anstehende Arbeit am zweiten Band hätten Marx an diesem Vorhaben gehindert.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

„6-Bücher-Plan und .Kapital im allgemeinen' innerhalb der Marxschen Theorieentwicklung" herauszubilden.

3.4. Krisentheorie bei und nach Marx 3.4.1. Interpretationsansätze zur Marxschen Krisentheorie Aus der Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise selbst gehen notwendig ökonomische Krisen hervor. Nicht nur, dass im Anschluss an Marx ein krisenfreier Kapitalismus prinzipiell unmöglich ist, der kapitalistischen Produktionsweise ist - so kann ergänzt werden - eine eigentümliche Krisenhaftigkeit oder Krisenanfälligkeit immanent, die sie in diesem Punkt von allen anderen historischen Produktionsweisen grundsätzlich unterscheidet. Marx war keineswegs der einzige oder erste Krisentheoretiker, eine entsprechende Diskussion hatte sich bereits einige Jahrzehnte zuvor herausgebildet. In diesem Kontext wäre in erster Linie die zwischen Jean-Baptiste Say und David Ricardo einerseits sowie Thomas Robert Malthus und Simonde de Sismondi andererseits geführte sog. „general glut debate" bzw. „general glut controversy" über die Problematik einer allgemeinen Überfullung der Märkte zu nennen. Gestützt auf die These des fortwährenden Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage erklärte die eine Seite eine allgemeine Überfullung der Märkte fur unmöglich, während die andere Seite diese Ansicht in Zweifel zog.238 Mit Ricardo leugnete ausgerechnet der - in Marx' Einschätzung - Zenit der ökonomischen Klassik die Möglichkeit allgemeiner Überproduktion: „Produkte werden immer von Produkten oder von Diensten gekauft. Geld ist lediglich der Vermittler, durch den der Tausch bewerkstelligt wird. Es kann zuviel von einer bestimmten Ware produziert werden, von der dann ein solches Überangebot auf dem Markt vorhanden sein mag, dass das aufgewendete Kapital nicht zurückerstattet wird. Das kann jedoch nicht in bezug auf alle Waren der Fall sein."239 Mit Aspekten der „general glut debate" setzte sich Marx im Manuskript von 1861 -1863 eingehend auseinander. Im Anschluss an Marx' Stellungnahme zu Ricardo wäre zu überlegen, ob nicht zuletzt historische Gründe Ricardos krisentheoretische Defizite mitverursacht haben könnten.

238 In der marxistischen Diskussion wird auf den unterschiedlichen Hintergrund von Malthus und Sismondi verwiesen, die jedoch beide auf die Möglichkeit von allgemeinen Krisen hingewiesen hatten: „Bei Malthus wurde diese Tendenz zur Unterkonsumtion zu einer Apologetik fur die feudalen Landbesitzer, deren hoher Lebensstandart und zur Schau gestellter Konsum als willkommener Ausgleich zu der Tendenz der Kapitalisten gesehen wurde, zu viel zu sparen", so Anwar Shaikh, Eine Einführung in die Geschichte der Krisentheorien, in: Prokla 30 (1978), S. 12. „Im Gegensatz zum reaktionären Malthus war Sismondi ein Radikaler, den die Leiden der Bauern und Arbeiter unter dem Kapitalismus bedrückten. Zu seiner Zeit stand er an der Spitze des von Marx so genannten kleinbürgerlichen Sozialismus, der gegen die vom Kapitalismus verursachten Grausamkeiten und Zerstörungen kämpfte und diesen reformieren wollte, um diese Zustände zu beseitigen", so ebd. Als Sozialist im eigentlichen Sinne kann Sismondi indes nicht bezeichnet werden. 239 David Ricardo, Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, S. 247f.

3.4. KRISENTHEORIE BEI UND NACH MARX

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„Ric. selbst kannte eigentlich von Crisen nichts; von allgemeinen, aus dem Productionsproceß selbst hervorgehenden Weltmarkts Crisen." (MEGA2 II.3.3, S. 1120) Die im Zeitraum von 1800 bis 1815 stattgefiindenen Krisen habe Ricardo aus Getreidepreissteigerung infolge von Ernteausfallen erklären können, aus Papiergeldentwertung, aus der Auswirkung der Kontinentalsperre während des Kriegs gegen Napoleon. Marx weiter: „Die Crisen nach 1815 konnte er sich ebenfalls erklären, theils aus einem Mißjahr, von Getreidenoth, theils aus dem Fall der Kornpreisse, weil die Ursachen aufgehört hatten zu wirken, die nach seiner eignen Theorie während des Kriegs und der Absperrung Englands vom Continent die Getreidepreisse in die Höhe treiben mußten, theils aus dem Übergang vom Krieg zum Frieden und den daher entspringenden , sudden changes in the channels oftrade'." (MEGA2 II.3.3, S. 1120) Marx legt schließlich nahe, dass die einer späteren geschichtlichen Entwicklungsstufe angehörige Periodizität der Weltmarktkrisen, mit der die Nachfolger Ricardos konfrontiert seien, diesen Ökonomen die Leugnung der Tatsachen bzw. ihre Deutung als Zufälligkeiten verboten habe. Ein Charakteristikum der Marxschen Krisentheorie besteht darin, dass Marx auf der Grundlage des monetären Gehalts seiner Werttheorie den inneren Zusammenhang der Kategorien Wert, Ware und Geld mit der Möglichkeit ökonomischer Krisen nachweisen konnte. Der Aspekt der spezifischen Formbestimmtheit der Arbeitsprodukte innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise ist von entscheidender Bedeutung. Die spezifische Notwendigkeit der Verdopplung der Ware in Ware und Geld entspricht einer Eigentümlichkeit der sozialen Verhältnisse der Warenbesitzer, die darin besteht, dass sie ihre Arbeitsprodukte als Waren aufeinander beziehen. Die notwendige Verdopplung der Ware in Ware und Geld wiederum bedingt notwendigerweise eine Trennung von Verkauf und Kauf in zwei auseinanderfallende Akte eines Prozesses. Verkauf und Kauf besitzen ein Verhältais gleichzeitiger notwendiger Zusammengehörigkeit und wechselseitiger Selbständigkeit gegeneinander. Mit dem Auseinanderfallen in zwei getrennte Akte ist nach Marx auch schon die Möglichkeit der Krise gegeben. Mit der hier angesprochenen Möglichkeit ist aber noch nicht die Wirklichkeit der Krise vorhanden. Die Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit der Krise ist innerhalb der Marxschen Theorie von entscheidender Bedeutung. Die „reale Crisis", so spricht Marx in den Theorien über den Mehrwert aus, „kann nur aus der realen Bewegung der capitalistischen Production, Concurrenz und Credit, dargestellt werden", (MEGA2 II.3.3, S. 1133) d. h. erst auf einer ganz anderen Abstraktionsebene. Der Verweis auf die mit dem Geld eintretende Trennung von Kauf und Verkauf besitzt im krisentheoretischen Kontext bei Marx eine langjährige Kontinuität. Er tritt in Bullion. Das vollendete Geldsystem auf, in den Grundrissen, in Zur Kritik der politischen Ökonomie, in den Theorien über den Mehrwert, schließlich im Kapital. Mit dem Geld - so heißt es in Bullion, einer in der ersten Jahreshälfte 1851 entstandenen Exzerptsammlung auf zweiter Bearbeitungsstufe - zerfalle „der Akt des Austausches [...] in die voneinander unabhängigen Akte des Kaufs und Verkaufs [...] [Notwendige Folge des Geldes also das Auseinanderfallen dieser beiden Akte, [...] die [...] in Disharmonie, in Disproportion sein können. Mit dem Gelde also schon der Grund der Krisen gelegt." (MEGA2 IV.8, S. 4) In Zur Kritik der politischen Ökonomie schreibt Marx, die Trennung von Kauf und Verkauf im Austauschprozess sei die „allgemeine Form der Zerreißung" zusammengehöriger Momente „und ihrer Festsetzung gegen einander, mit einem

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3. VERTIEFUNGEN-ZENTRALE DISKURSE

Wort, die allgemeine Möglichkeit der Handelskrisen, jedoch nur weil der Gegensatz von Waare und Geld die abstrakte und allgemeine Form aller in der bürgerlichen Arbeit enthaltenen Gegensätze ist. Geldcirculation kann daher stattfinden ohne Krisen, aber Krisen können nicht stattfinden ohne Geldcirculation." (MEGA2 II.2, S. 165) In der deutschsprachigen Forschung wird dem Zusammenhang von Wert-, Geld- und Krisentheorie auf der Marxschen Darstellungsebene der einfachen Zirkulation spätestens seit den 1970er Jahren beträchtliche Aufmerksamkeit zuteil.240 Im zweiten Teil der Theorien über den Mehrwert fuhrt Marx das soeben zitierte Diktum Ricardos aus dem 21. Kapitel der Principles of Political Economy and Taxation an, demzufolge Produkte stets durch Produkte oder durch Dienste gekauft werden und Geld nur der Vermittler ist, wodurch der Austausch bewerkstelligt wird.241 Marx übt in diesem Zusammenhang Kritik. Ricardo verwandle Ware in bloßes Produkt, in bloßen Gebrauchswert, und den Warenaustausch in bloßen Tauschhandel von Produkten bzw. Gebrauchswerten. „Es wird nicht nur hinter die capitalistische Production, sondern sogar hinter die blose Waarenproduction zurückgegangen, und das verwickeltste Phänomen der capitalistischen Production - die Weltmarkts Krise - dadurch weggeleugnet, daß die erste Bedingung der capitalistischen Production - nämlich daß das Product Waare sein, sich daher als Geld darstellen und den Prozeß der Metamorphose durchmachen muß, weggeläugnet wird." (MEGA2 II.3.3, S. 1123f.) In der Rede von „services" anstatt von Lohnarbeit sei deren besondere Bestimmtheit sowie diejenige ihres Gebrauchs, der in der Produktion von Mehrwert bestehe, beiseite geschoben; und dadurch das besondere Verhältnis, durch das Ware und Geld in Kapital transformiert werden. „,Service' ist die Arbeit blos als Gebrauchswerth gefaßt (eine Nebensache in der capitalistischen Production), ganz wie in dem Wort,Produkt' das Wesen der Waare und der in ihr liegende Widerspruch unterdrückt wird." Das Geld sei bei Ricardo als schlichter Mittler des Produktenaustausche gedacht, und nicht „als eine wesentliche und nothwendige Existenzform der Waare, die sich als Tauschwerth - allgemeine gesellschaftliche Arbeit - darstellen muß. Indem durch die Verwandlung der Waare in blosen Gebrauchswerth (Product) das Wesen des Tauschwerths weg gestrichen wird, kann ebenso leicht das Geld als eine wesentliche und im Proceß der Metamorphose gegen die ursprüngliche Form der Waare selbstständige Gestalt derselben geleugnet werden, oder muß vielmehr geleugnet werden." (MEGA2 II.3.3, S. 1124) Die Krisen würden dadurch beiseite getan, dass die Formbestimmtheit des Produkts als Ware, die Verdopplung der Ware in Ware und Geld, das dementsprechende Auseinanderfallen von Kauf und Verkauf in zwei gegeneinander selbständige Akte, schließlich die „Beziehung zwischen Geld oder Ware zur Lohnarbeit vergessen oder geleugnet werden." (MEGA2 II.3.3, S. 1124) So würden die ersten Voraussetzungen der kapitalistischen Produktion übersehen. Es kann festgehalten werden, dass Marx in diesem Kontext die Fehlerhaftigkeit von Ricardos zumindest teilweise

240 Siehe z. B. Veit-Michael Bader et al., Krise und Kapitalismus bei Marx, Bd. 1, S. 138ff. Siehe auch Ernst Fahling, Die logische Struktur der Krisentheorie bei Karl Marx, München 1978, S. 51ff. 241 Siehe David Ricardo, Über die Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, S. 247. Zur Marxschen Kritik an Ricardos Auffassung zu Krisen siehe Gerhard Stapelfeldt, Der Liberalismus. Die Gesellschaftstheorien von Smith, Ricardo und Marx, Freiburg/Br. 2006, S. 43 Iff.

3.4. KRISENTHEORIE BEI UND NACH MARX

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„krisennegierendem" Ansatz klarzulegen versucht, und zwar vor dem Hintergrund, dass der Trierer die Mangelhaftigkeit von Ricardos Werttheorie und Geldtheorie durchschaut. Allerdings ist mit Marx darauf zu beharren, dass mit der prinzipiellen Trennung von Kauf und Verkauf in zwei gegeneinander selbständige Akte eines Prozesses wirklich nur die Möglichkeit der Krise gegeben ist. Zurück in die 1850er Jahre. Auch einige Jahre nach der Niederschrift von Bullion blieb die Problematik der ökonomischen Krise ein Bezugspunkt des Marxschen Denkens, und zwar nicht nur innerhalb seiner journalistischen Tätigkeit. So entstand gegen Mitte der 1850er Jahre Marxsches Exzerptmaterial zur Krisenproblematik. Marx trug in dieser Zeit frühere Exzerpte, in denen u. a. auf die Krisenproblematik Bezug genommen worden war, in einer Exzerptsammlung auf zweiter Bearbeitungsstufe zusammen. Hierbei handelt es sich um einen Text mit der Überschrift „Citate. Geldwesen. Creditsystem. Crisen", mit dessen Hilfe Marx seinen theoretischen Selbstverständigungsprozess im Hinblick auf diese Problemfelder vertiefte. Die Forschung hat in Gestalt einer Monographie von Fred Schräder bereits Einblick in dieses Material gewonnen.242 Berücksichtigt man den Aufbauplan gegen Ende des „Methodenkapitels" der Einleitung, so wird deutlich, dass Marx im Sommer 1857 innerhalb seiner Konzeption einer systematischen ökonomiekritischen Schrift bereits einen Platz für eine systematische Bearbeitung der Krisenproblematik gefunden zu haben glaubte. Marx war damals der Ansicht, dass erst an einer späten Stelle innerhalb der Darstellungslogik die Krisentheorie in systematischer Art und Weise anzugehen ist. Im „Methodenkapitel" der Einleitung von 1857 wird die Problematik von Weltmarkt und Krisen für den letzten Punkt der Darstellung vorgesehen. (Siehe MEGA2 II. 1.1, S. 43) Vielleicht begann Marx die Arbeit am GnWräse-Manuskript von 1857/58 unter dem Eindruck bzw. in der Erwartung einer herannahenden Krise. Es ist anzunehmen, dass diesbezüglich bei Marx auch politische Hoffnungen keimten. Bereits zu Beginn seiner Londoner Zeit, im Jahre 1850, hatte er einen Zusammenhang von ökonomischer Krise und politischer Revolution skizziert: „Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krisis. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese". (MEGA 2 1.10, S. 467) Dieser Zusammenhang - bzw. der Glaube daran - sollte sich vermutlich erst in späterer Zeit im Marxschen Denken auflösen, jedenfalls nach 1857. Doch zur Zeit des Beginns der Arbeit an den Grundrissen war Marx mit seiner Einsicht noch nicht so weit. In seinem Brief an Engels vom 18. Dezember 1857 berichtete Marx sowohl über seine Arbeit an den Grundrissen, als auch über seine Sammlung empirischen Materials zur Wirtschaftskrise: „Die Arbeit ist nämlich eine doppelte: 1. Ausarbeitung der Grundzüge der Ökonomie. (Es ist durchaus nötig für das Publikum au fond der Sache zu gehen und fur mich, individually, to get rid of this nightmare); 2. Die jetzige Crisis. Darüber - außer den Artikeln für die Tribune, führe ich bloß Buch, was aber bedeutend Zeit wegnimmt. Ich denke, dass wir about Frühling zusammen ein Pamphlet über die Geschichte machen, als Wiederankündigung beim deutschen Publico - dass wir wieder und noch da sind, always the same. Ich habe 3 große Bücher angelegt - England, Germany, France. Die 242 Siehe Fred Schräder, Restauration und Revolution. Die Vorarbeiten zum „Kapital" von Karl Marx in seinen Studienheften 1850-1858, Hildesheim 1980, S. 98ff.

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Geschichte über America liegt alles Material in der Tribune. Man kann das alles später zusammenstellen." (MEW 29, S. 232) Das entsprechende Exzerptmaterial ist in der MEGA2 noch nicht veröffentlicht und wird voraussichtlich im Band IV. 14 erscheinen. Dank der Forschungen von Klaus-Dieter Block und Rolf Hecker ist aber schon ein erster Einblick möglich. Sie berichten von drei im Rahmen der MEGA2 noch zu veröffentlichenden Marxschen „Krisenheften": dem Heft „1857. France", dem „Book of the Crisis of 1857." und dem Heft „The book of the commercial Crisis". Das erste Heft stelle „eine Materialsammlung dar, die Zeitungsausschnitte über den Verlauf der Krise von 1857 in Frankreich, Italien und Spanien enthält."243 Im „Book of the Crisis of 1857." seien u. a. Informationen zum Londoner Geldmarkt sowie über die Börsenentwicklung in „Hamburg, Northern Kingdom, Prussia, Austria (Germany)" verzeichnet. Das dritte Heft beinhalte Anmerkungen zur „Handelskrise von 1857 in England, USA, China, Indien, Ägypten und Australien."244 Es wird deutlich, dass Marx im Zuge der systematischen Erarbeitung empirischer Materialsammlungen die Wirtschaftskrise der Jahre 1857/58 als eine Krise von internationalem Ausmaß begriff und dem Krisenverlauf in unterschiedlichen Weltregionen seine Aufmerksamkeit schenkte. Tatsächlich hatte sich seit Herbst 1857 die von Marx sehnlichst erwartete Wirtschaftskrise rasch über verschiedene Länder und Kontinente hinweg ausgebreitet. In dieser Situation stellte sich Marx aber auch die Aufgabe, sein umfassendes theoretisches Werk zügig auszuarbeiten. Krisentheoretische Ausführungen oder Bemerkungen innerhalb der Grundrisse finden sich an mehreren Textstellen, allerdings ist in diesem Manuskript keine in sich abgeschlossene, einheitliche und wirklich ausgearbeitete Krisentheorie überliefert. In den Theorien über den Mehrwert innerhalb des Manuskripts von 1861 -1863 entwickelt Marx zwar ebenfalls keine in sich abgeschlossene Krisentheorie, widmet aber verschiedenen krisentheoretischen Überlegungen reichlich Raum. Marx argumentiert in den Theorien über den Mehrwert u. a., dass die kapitalistische Überproduktion durch das allgemeine Produktionsgesetz des Kapitals bedingt sei: „Die Ueberproduktion speziell hat das allgemeine Productionsgesetz des Capitals zur Bedingung, zu produciren im Maaß der Productivkräfte (d. h. der Möglichkeit mit gegebner Masse Capital größtmöglichste Masse Arbeit auszubeuten) ohne Rücksicht auf die vorhandnen Schranken des Markts, oder der zahlungsfähigen Bedürfnisse - und dieß durch beständige Erweiterung der Reproduction und Akkumulation, daher beständige Rückverwandlung von Revenue in Capital auszuführen, während andrerseits die Masse der Producenten auf das average Maaß von Bedürfhissen beschränkt bleibt, und der Anlage der capitalistischen Production nach beschränkt bleiben muß." (MEGA2 II.3.3, S. 1154f.) Des weiteren spielen krisentheoretische Überlegungen im Entwurf zum dritten Kapital-Band innerhalb des sog. Manu-

243 Klaus-Dieter Block, Rolf Hecker, Das „Book of the Crisis of 1857" von Karl Marx, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Studien zum Werk von Marx und Engels (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1991), Hamburg 1991, S. 95. 244 Ebd., S. 96. Zur theoretischen Verarbeitung der Krise von 1857/58 durch Marx siehe auch Jörg Goldberg, Die Beobachtung der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise von 1857/58 durch Marx und Engels und die Entwicklung der Krisentheorie, in: Internationale Marx-Engels-Forschung (= Marxistische Studien. Jahrbuch des IMSF 12), Frankfurt/M. 1987, S. 163ff.

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skripts von 1863 -1865 eine Rolle, etwa im dritten Kapitel gemäß der MEGA2 II.4.2Ausgabe - dem Kapitel zum Gesetz des tendenziellen Falls der allgemeinen Profitrate im Fortschritt der kapitalistischen Produktion. Hier stellt Marx u. a. überakkumulationstheoretische Überlegungen an. „Ueberproduction von Capital (= Plethora von Capital), nicht von einzelnen Waaren, (obgleich Ueberproduction von Capital stets Ueberproduction von Waaren einschließt) heißt doch weiter nichts als Ueberaccumulation von Capital." (MEGA2 II.4.2, S. 325) Auch in späterer Zeit war Marx die Krisenproblematik präsent und veranlasste ihn zur Materialaufnahme. Eine erneute krisentheoretische Exzerptphase ist auf die späten 1860er Jahre zu datieren, das entsprechende Material wird in der MEGA2 noch editiert. Ein Brief an Engels vom 31. Mai 1873 mag veranschaulichen, dass fur den Krisentheoretiker Marx die Arbeit mit statistischem Material weiterhin bedeutsam war: „Du kennst die Tabellen, worin Preise, Discountrate etc., etc. in ihrer Bewegung während des Jahrs etc. in auf- und absteigenden Zickzacks dargestellt sind. Ich habe verschiedene Mal versucht - zur Analyse der Krisen - diese ups and downs als unregelmäßige Kurven zu berechnen und geglaubt (ich glaube noch, dass es mit hinreichend gesichtetem Material möglich ist), daraus die Hauptgesetze der Krisen mathematisch zu bestimmen." (MEW 33, S. 82) In diesem Punkt hatte Marx auch die Diskussion mit einem Freund gesucht, dem Mathematiker Samuel Moore. Im Brief an seinen russischen Bekannten Danielson vom 10. April 1879 teilte Marx mit, (siehe MEW 34, S. 370f.) er hätte keinesfalls den zweiten Band des Kapital vor dem Zenit der zeitgenössischen englischen Industriekrise publizieren können. Diesmal seien die Krisenphänomene ganz eigenartig. Marx schrieb: „Man muss also den gegenwärtigen Verlauf beobachten, bis die Dinge ausgereift sind, dann erst kann man sie produktiv konsumieren', d. h . , theoretisch '." Es bleibt zu betonen, wie sehr Marx darauf bedacht war, neben seinen eher theoretisch-abstrakten Überlegungen zur Krisentheorie auch konkretes historisches und empirisches Material aufzuarbeiten. Michael Krätke berichtet, dass Marx eine „erstaunliche Menge von statistischem und dokumentarischem Material zur Krisen- und Konjukturgeschichte gesammelt"245 habe. In einem weiteren Aufsatz legt Krätke nahe, dass die Marasche Arbeit als Wirtschaftsjournalist der Forschung zur Erschließung seiner Beschäftigung mit ökonomischen Krisen wichtiges Quellenmaterial bereitstellt.246 Im Folgenden soll auf die internationale Forschungsdiskussion zur Krisentheorie bei und nach Marx eingegangen werden. Die marxistische Diskussion zur Krisentheorie, die von der Zwischenkriegszeit bis in die 70er Jahre stattfand und mit dem theoretischen Wirken von älteren Forschern wie Eugen Varga, Natalie Moszkowska, Henryk Gross-

245 Michael Krätke, Marx als Wirtschaftsjournalist, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Die Journalisten Marx und Engels (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2005), Hamburg 2006, S. 5. 246 Siehe Michael Krätke, Kapitalismus und Krisen. Geschichte und Theorie der zyklischen Krisen in Marx' ökonomischen Studien 1857/58, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geschichtserkenntnis und kritische Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1998), Hamburg 1999, S. 5ff. Ferner zur Marxschen Beschäftigung mit dem Krisenzyklus: Raul Rojas, Das unvollendete Projekt. Zur Entstehungsgeschichte von Marx' Kapital, S. 133ÍT.

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mann247, Samezo Kuruma und Paul Mattick verbunden war, bleibt in der vorliegenden Studie ausgespart; berücksichtigt werden hingegen internationale Forschungsbeiträge von jüngeren Generationen der an Marx orientierten Wissenschaftler. Mit Makoto Itoh hat einer der fuhrenden Vertreter der Uno-Schule eine krisentheoretische Studie erarbeitet, die 1980 einem internationalen Publikum vorgelegt wurde. Itoh vertrat die These einer Fortentwicklung der Marxschen Krisentheorie von den Grundrissen über die Theorien über den Mehrwert zum Kapital. Insgesamt habe Marx krisentheoretische Ansätze hinterlassen, die unterschiedlichen Theorietypen zugeordnet werden könnten: einerseits einer „excess commodity theory", andererseits einer „excess capital theory",248 wobei sich im Kontext der Fortentwicklung von den Grundrissen zum Kapital der theoretische Schwerpunkt erst im Kapital vom ersteren Typus in die Richtung des letzteren verschiebe. Soweit Itohs generelle These. Für bestimmte Textpassagen aus den Marxschen Grundrissen gelte, dass „economic crisis is almost equivalent, or leads directly, to the final collapse of capitalist production, basing himself on an excess commodity theory of an underconsumptionist type."249 In den Theorien über den Mehrwert werde die Marxsche „excess commodity theory of crisis" diversifiziert, indem zum unterkonsumtionstheoretischen ein disproportionstheoretischer Ansatz hinzukomme. Im Kapital komme ein neuer krisentheoretischer Typus zur Geltung, eine „excess capital theory", die auf die absolute Kapitalüberproduktion fokussiere. Dieser Typus liegt Itoh zufolge im Kapital aber immer noch unabgeschlossen vor. Generell gesprochen betrachtet die Uno-Schule die Krisentheorie als ein bedeutendes Arbeitsfeld ihres Theorieansatzes. Diese Tendenz nahm schon bei Kozo Uno selbst ihren Ausgang. Unos Krisentheorie fokussierte - laut Tomiichi Hoshino - auf zwei Problemfelder: Einerseits gehe es darum, den Grund der ökonomischen Krisen im Prozess der Kapitalakkumulation aufzuzeigen (dies geschehe im Rahmen der Profittheorie). Andererseits gehe es darum, die konkreten Mechanismen aufzuspüren, die als Erklärung für den Ausbruch von Krisen herangezogen werden können (dies geschehe im Rahmen der Kredittheorie).250 Uno habe die Krisenhaftigkeit einer „reinen" kapitalistischen Gesellschaft zu beweisen versucht, keineswegs aber im Sinne der Argumentation für eine Zusammenbruchstheorie. Wie Itoh unterscheidet Hoshino die „excess commodity theory" und die „excess capital theory" als zwei grundsätzlich verschiedene krisentheoretische

247 Henryk Grossmann vertrat 1929 die These, eine Zusammenbruchstheorie - die man aus dem Marxschen Werk rekonstruieren könne - bilde geradezu eine „tragende Säule im ökonomischen Gedankensystem von Karl Marx" (Henryk Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, S. v). In der jüngeren Forschung wird Marx hingegen kaum noch als „Zusammenbruchstheoretiker" im Sinne Grossmanns behandelt. 248 In der deutschen Übersetzung eines Textes von Itoh - Makoto Itoh, Die Entwicklung der Krisentheorie bei Marx, in: Prokla 22 (1976), S. 101-123 - werden die entsprechenden Termini mit „Theorie von der Überproduktion von Waren oder Überproduktionstheorie" bzw. „Überakkumulationstheorie" (ebd., S. 101) wiedergegeben. 249 Makoto Itoh, Value and Crisis. Essays on Marxian Economics in Japan, S. 96. 250 Siehe Tomiichi Hoshino, Unoist Approach to the Theory of Economic Crises, in: Robert Albritton, Thomas Sekine (Hg.), A Japanese Approach to Political Economy, S. 65.

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Typen, die im Marxschen Werk vorhanden seien. Kozo Uno selbst sei „the most forceful critic of the excess commodity theory"251 gewesen. Die wohl bekannteste neuere Studie angelsächsischer Provenienz, die auf die Interpretation der Marxschen Krisentheorie fokussiert, stammt aus den 90er Jahren.252 Wie zuvor Makoto Itoh und fast gleichzeitig Michael Heinrich berücksichtigt auch ihr Autor Simon Clarke die Entwicklungsgeschichte der Marxschen Krisentheorie im Kontext der verschiedenen Manuskripte zur Kritik der politischen Ökonomie. Die Krisentheorie spielt gemäß Clarke in der Marxschen Analyse im ersten Kapital-Band nur eine eher geringe Rolle, und auch in den beiden darauffolgenden Bänden nehme sie keinen hervorragenden Platz ein. Clarke hält als Pointe fest: Die Tendenz zur Krise ist innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise „pervasive, since the competitive regulation of capital accumulation is not achieved by the smooth anticipation of market adjustments by omniscient capitalists, but by the process of overaccumulation and crisis, as the tendency to overproduction runs into the barrier of the limited market."253 Clarke erkennt in der Marxschen Aufmerksamkeit fur eine der kapitalistischen Produktionsweise immanente Tendenz zur Krise ein Merkmal von dessen Theorie: „To insist that Marx had no theory of crisis is to insist that the focus of Marx's work is not the crisis as catastrophic event, but the inherent tendency to crisis that underlies the permanent instability of social existence under capitalism."254 Überakkumulation und Krise gehören für Clarke zur „Normalität" des kapitalistischen Akkumulationsprozesses. Bereits einige Jahre vor dem Erscheinen seines Buchs hatte Clarke in einem Aufsatz255 Thesen zur krisentheoretischen Diskussion innerhalb der an Marxscher Theorie orientierten Debatte vorgelegt. Clarkes Auffassung weist in die Richtung, dass eine theoretisch weiterführende Kritik unterkonsumtionstheoretischer Ansätze sich eher auf disproportionalitätstheoretische Überlegungen stützen soll, anstatt auf die Theorie des tendenziellen Falls der Profitrate zu bauen. Die Tendenz zur Überproduktion versteht er als der gesellschaftlichen Form der kapitalistischen Produktion immanent. Die Krise ist nach Clarke die Form, in der die dem Kapital immanenten Widersprüche an die Oberfläche treten. Clarke schreibt: „The Marxist theory of crisis is distinguished from bourgeois theories in the first instance in being concerned with the necessity of crisis [,..]"256 Allerdings sei die Theorie von der Notwendigkeit der Krisen nicht mit Vorstellungen von der Notwendigkeit eines Zusammenbruchs des Kapitalismus zusammenzubringen. In der deutschen Diskussion wies Michael Heinrich in den 90er Jahren darauf hin, dass Marx zwar sowohl in den Grundrissen, als auch im Manuskript von 1861-1863, als auch in der nach 1863 stattgefundenen Arbeit am Kapital krisentheoretische Probleme bearbeitete, jedoch keine fertige, zusammenhängend dargestellte und unter inhaltlichem

251 252 253 254 255

Ebd., S. 72. Siehe Simon Clarke, Marx's Theory of Crisis, London 1994, S. 247. Ebd., S. 279. Ebd., S. 280. Siehe Simon Clarke, The Marxist Theory of Overaccumulation and Crisis, in: Science & Society 54 ( 1 9 9 0 - 1 9 9 1 ) , S. 442ff. 256 Ebd., S. 442.

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Gesichtspunkt einheitliche Krisentheorie aus seiner Feder vorliege. Eine schlichte Zusammeniugung der verschiedenen „krisentheoretischen Passagen zu einer einzigen Theorie" scheint Heinrich „aufgrund der enormen inhaltlichen Unterschiede" 257 zum Scheitern verurteilt. Die Vorstellung von einer Marxschen Zusammenbruchstheorie kann sich nach Heinrich noch am ehesten auf die Grundrisse stützen. Marx richte in dieser Schrift seinen krisentheoretischen Blick besonders auf den Aspekt einer Unterkonsumtionsdynamik. Im Manuskript von 1861-1863 sieht Heinrich andere Aspekte im Vordergrund. So gehe es Marx in seinen krisentheoretischen Überlegungen um die Kritik an den Harmonievorstellungen bürgerlicher Ökonomen. Der topos der finalen Krise trete zugunsten der Auffassung der Krise als eines die kapitalistische Produktionsweise begleitenden Phänomens beiseite.258 Marx halte im Manuskript von 1861 - 1 8 6 3 noch partiell an einem unterkonsumtionstheoretischen Ansatz fest. In dem im sog. Manuskript von 1863-1865 enthaltenen Entwurf zum dritten Kapital-Band finde man sowohl „Vorgriffe auf eine Betrachtung des Zyklus als auch Ansätze zu einem nicht auf die zyklische Bewegung beschränkten, allgemeinen Krisenbegriff." 259 Michael Heinrich versucht in einem neueren Aufsatz, 260 auf der Grundlage des dritten Kapital-Bandes die Konstruktion eines krisentheoretischen Ansatzes zu leisten, der nicht vom - gemäß Heinrich von Marx nicht schlüssig bewiesenen - Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate abhängt. Heinrich schreibt, dass die unter der Berücksichtigung einer monetären Werttheorie interessanten Ansätze zur Krisentheorie gerade in solchen Überlegungen von Marx auffindbar seien, die nicht vom Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate abhängig sind. Heinrich argumentiert, dass die Mehrwertproduktion keine innere Grenze kennt. Dabei bestehe eine Tendenz zur beständigen Ausdehnung der Produktion und der Produktionsmöglichkeiten. Aber die Konsumtionskraft der Gesellschaft müsse als begrenzt erachtet werden und erlaube entsprechend nur in beschränkter Art und Weise die Realisation von Mehrwert. Der entsprechende Marxsche Denkansatz ist - nach Heinrich - nicht mit einer klassischen Unterkonsumtionstheorie gleichzusetzen, da Marx hier nicht nur auf eine durch geringe Lohnhöhe entstehende Nachfragelücke abziele, sondern auch auf die durch den , Akkumulationstrieb" begrenzte Konsumtion des Kapitals. Heinrich versucht, über Marx hinaus die Argumentation weiterzufuhren. U. a. könne sich die Tatsache auswirken, dass es dem Kapitalisten frei-

257 Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, S. 342. 258 Siehe ebd., S. 354. 259 Michael Heinrich, Gibt es eine Marxsche Krisentheorie? Die Entwicklung der Semantik von „Krise" in den verschiedenen Entwürfen zu einer Kritik der politischen Ökonomie, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Engels' Druckfassung versus Marx' Manuskripte zum III. Buch des „Kapital" (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1995), Hamburg 1995, S. 148. Etwas später setzte sich der südkoreanische Forscher Lee Jun Kim mit der Marxschen Krisentheorie auseinander und legte dabei auch eine ausführliche und detaillierte Kritik von Heinrichs Aufsatz aus dem Jahr 1995 vor: Lee Jun Kim, Krise der Theorie und Theorie der Krise, Frankfurt/M. u. a. 1998. Auf die verschiedenen Kritikpunkte an Heinrich kann hier nicht näher eingegangen werden. 260 Siehe Michael Heinrich, Monetäre Werttheorie. Geld und Krise bei Marx, in: Prokla 123 (2001), S. 151 ff.

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stehe, seine vorherigen Profite künftig in Gestalt von industriellem oder aber in Form von fiktivem Kapital zu akkumulieren. In diesem Kontext drängt die Konstellation von hohen Zinsen und geringen Profiterwartungen die Kapitalisten zu Akkumulation in Form von fiktivem Kapital, was die Spekulation anheize, in Bezug auf die Industrieproduktion aber zu einer „Nachfragelücke", d. h. zu mangelnder produktiver Konsumtion fuhren könne. Heinrich fuhrt aus: „Was auf der Ebene der einfachen Zirkulation als allgemeine Möglichkeit der Krise erschien, die Unterbrechung von W-G-W, um das Geld festzuhalten, nimmt bei Betrachtung des kapitalistischen Gesamtprozesses, der nicht allein durch Geld, sondern durch das Kreditsystem vermittelt ist, konkrete Gestalt an: Kapitalistisch produzierte Ware (Warenkapital) wird verkauft, nicht um mit dem erhaltenen Geldkapital erneut die Elemente des produktiven Kapitals [...] zu kaufen, sondern um es in eine der Formen des fiktiven Kapitals zu investieren."261 Die Folge seien unverkaufte Waren und Überkapazitäten auf Seiten des industriellen Kapitals, sowie auf Seiten des fiktiven Kapitals die Möglichkeit von vermehrter Spekulation und anschließendem Crash. Generell ist zu Michael Heinrichs Marx-Interpretation zu konstatieren, dass ihm gemäß die von Marx anvisierte Darstellung der kapitalistischen Produktionsweise in ihrem „idealen Durchschnitt" durchaus die Darstellung von dieser Produktionsweise inhärenten Kiisentendenzen beinhaltet, jedoch „kein allgemeines Krisenmodell, in das nur noch einige Parameter einzutragen wären."262 Eine Arbeitsgruppe aus dem Umkreis der griechischen Theoriezeitschrift Theseis ging um die Jahrtausendwende ebenfalls auf die Marxsche Krisentheorie ein. Nach Milios et al. ist eine ökonomische Krise als temporäre Destabilisierung des kapitalistischen Reproduktionsprozesses und zugleich als Triebkraft zum neuerlichen Erreichen ökonomischen Gleichgewichts zu denken. Die Krisen seien nicht als permanentes Phänomen der kapitalistischen Produktionsweise zu sehen. Der eher fragmentarische Charakter der Marxschen Krisentheorie könne teilweise dem Aspekt geschuldet sein, dass Marx sich im Kapital in erster Linie mit permanenten Strukturmerkmalen der kapitalistischen Produktionsweise, ihren Gesetzen, beschäftige; und erst in zweiter Linie mit Elementen, die sich auf einer anderen Ebene befinden, etwa den Krisen oder dem Konjunkturzyklus.263 Milios et al. sehen im Konzept der Kapitalüberproduktion einen wesentlichen Aspekt der Marxschen Krisentheorie. Das vermeintliche Schlüsselkonzept der krisentheoretischen Analyse von Marx, das Konzept der Kapitalüberproduktion, ist Milios zufolge im dritten Kapital-Band auf systematischere Art und Weise dargestellt als an anderen Stellen im Marxschen Œuvre.264 Nach Milios sind Krisen als konjunkturelle Überakkumulationen von Kapital zu betrachten - „als konjunkturelle Produktion von Waren (Produktionsmittel und Konsum-

261 Ebd, S. 172. 262 Ebd, S. 174. 263 Siehe John Milios, Dimitri Dimoulis, George Economakis, Karl Marx and the Classics. An Essay on Value, Crises and the Capitalist Mode of Production, S. 159. 264 Siehe Jannis Milios, Zur Darstellung von Marx' Krisentheorie im dritten Band des Kapital, in: Rolf Hecker u. a. (Hg.), Geschichtserkenntnis und kritische Ökonomie (= Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 1998), Hamburg 1999, S. 47.

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tionsmittel) in solchen Quantitäten und Preisen",265 dass der Prozess der Kapitalakkumulation temporär behindert ist. Milios schreibt: „Die Krisen sind Produkt einer Verschmelzung aller Formen der Widersprüche, die einen Fall der Profitrate oder sogar eine Verhinderung des kapitalistischen Reproduktionsprozesses verursachen."266 Eine in jüngerer Vergangenheit von Birger Linde vorgelegte krisentheoretische Studie aus Dänemark267 berücksichtigt in der Interpretation der Marxschen Krisentheorie deren werkgeschichtliche Fortentwicklung. Linde verfolgt die Entwicklung der krisentheoretischen Auffassungen des Trierers von dessen früheren Ansätzen bis zum Kapital. In zwei wichtigen Aspekten stimmen Lindes Forschungsergebnisse mit dem Tenor von Teilen der internationalen wissenschaftlichen Marx-Diskussion überein. Zum einen bestreitet Linde die Existenz einer theoretisch konsistenten, einheitlichen Krisentheorie bei Marx. Stattdessen sieht er bei Marx mehrere krisentheoretische Ansätze, so dass sich ein heterogenes Gesamtbild ergibt. Zum anderen lehnt es Linde ab, sich unhinterfragt und unkritisch auf die Marxsche Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate zu stützen. Diese kritische Sichtweise, die Linde mit einigen japanischen und deutschen Forschern teilt, ist gegenüber der marxistischen Theorietradition durchaus heterodox. Zudem ist Lindes Differenzierung der verschiedenen krisentheoretischen Forschungen bei Marx entsprechend zweier unterschiedlicher Abstraktionsebenen erwähnenswert.268 Linde unterscheidet bei Marx eine abstrakt-allgemeine Theorieebene von der Ebene der Erforschung konkreter historischer Krisenprozesse. Birger Lindes Pointe besteht darin, dass eine ihm gemäß zwischen diesen beiden Abstraktionsebenen zu lokalisierende Ebene, eine Art „Zwischenebene" der Vermittlung der beiden zuvor genannten Ebenen, von Marx vernachlässigt worden sei. Darin besteht Linde zufolge ein Mangel der Marxschen Krisentheorie.

3.4.2. Einblick in die an Marx orientierte südkoreanische Krisendiskussion nach der Asienkrise von 1997 Hier gilt es, auf neuere Forschungsansätze südkoreanischer Provenienz aufmerksam zu machen. Der Zusammenhang von Geld bzw. Kredit und Krise war bereits in früherer Zeit ein Bezugspunkt der an Marx orientierten ökonomischen Forschung.269 Während oder nach der Asienkrise von 1997 (die Südkorea besonders hart traf) entstandene Ansätze südkoreanischer Wissenschaftler setzten dies auf ambitionierte Weise fort. Übri-

265 Ebd., S. 58. 266 Ebd., S. 59. 267 Siehe Birger Linde, De Store Kriser. Bd. 1: Kriseteori og kriser i 1800-tallet - Inspirationen fra Marx, Roskilde 2004. 268 Siehe ebd., S. 179f. 269 Beispielsweise betonte der Ökonom James Crotty in den 80er Jahren die Bedeutung von Geld und Kredit für eine adäquate marxistische Akkumulations- und Krisentheorie: James R. Crotty, The Centrality of Money, Credit and Financial Intermediation in Marx's Crisis Theory, in: Stephen Resnick, Richard Wolff (Hg.), Rethinking Marxism: Essays in the Honor of Harry Magdoff and Paul Sweezy, New York 1985, S. 45ff.

3.4. KRISENTHEORIE BEI UND NACH MARX

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gens scheint die Freie Universität Berlin ein Zentrum der südkoreanischen Krisentheorie gewesen zu sein, denn die drei hier vorgestellten Theoretiker haben an dieser Universität geforscht und auch promoviert. Zunächst wäre in diesem Kontext eine Studie von Dae-Won Park zu nennen. 270 Der Südkoreaner untersucht die krisentheoretischen Elemente bei Marx auf den jeweiligen Ebenen, auf denen die drei Kapital-Bände angesiedelt sind: erstens der Ebene des unmittelbaren Produktionsprozesses des Kapitals, zweitens der des Zirkulationsprozesses des Kapitals, drittens der Ebene des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktion. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass sich Park mit verschiedenen krisentheoretischen Interpretationsansätzen marxistischer Provenienz kritisch auseinandersetzt. Dies gilt für die Disproportionalitätstheorie, die Unterkonsumtionstheorie, den Profit-SqueezeAnsatz (bei dem es darum geht, dass die zunehmende Stärke der Arbeiterklasse im ökonomischen Klassenkampf die Profitrate drücken und somit in eine wirtschaftliche Krise führen könne) sowie die Theorie von Vertretern einer bestimmten Version der Überakkumulationstheorie. Park selbst stützt sich in seiner Rekonstruktion auf eine andere Form der Überakkumulationstheorie, in deren Mittelpunkt „Begründungen für den tendenziellen Fall der Profitrate infolge der Veränderungen in der organischen Zusammensetzung des Kapitals"271 stehen. Übrigens berücksichtigt Park nicht nur die Marxsche Unterscheidung der bloßen Möglichkeit von der Wirklichkeit der Krise; es darf ergänzt werden, dass nach Marx erstere (zumindest teilweise) schon im Zusammenhang mit der Sphäre der einfachen Warenzirkulation thematisiert werden kann, während die „reale Crisis" fur Marx „nur aus der realen Bewegung der capitalistischen Production, Conkurrenz und Credit, dargestellt werden" (MEGA 2 II.3.3, S. 1133) kann. Sondern es geht Park auch darum, den Konnex von Kredit- und Krisentheorie herauszustellen. Zwar sei die Marxsche Untersuchung zu Kredit, Zins und Finanzkrise eher fragmentarisch geblieben. Trotzdem könne man aus dem Marxschen Werk gewisse theoretische Einsichten herauskonzentrieren und die dort vorhandenen krisentheoretischen Ansätze bei Berücksichtigung der Kreditfunktion im kapitalistischen Akkumulationsprozess bereichern bzw. konkretisieren. Park fasst einen entscheidenden Gedanken zur Krisentheorie folgendermaßen zusammen: „Die wichtigste Einsicht ist, dass Kredit, obgleich essentiell für kapitalistische Entwicklung, das grundlegende Mittel ist, durch das Krisen in der ganzen kapitalistischen Ökonomie generalisiert werden. Kredit kann den Horizont der kapitalistischen Entwicklung erweitern, aber er kann nicht kapitalistische Widersprüche auflösen. Kredit treibt die kapitalistische Produktion kontinuierlich über ihre Grenzen, als Ergebnis Wirtschaftskrisen erzeugend." 272 Der südkoreanische Wissenschaftler Young Bin Hahn zielt in seiner Dissertation, mit der er an den insbesondere (wenn auch nicht ausschließlich) in der deutschsprachigen Marx-Diskussion verbreiteten Gedanken einer „monetären Werttheorie" bei Marx anknüpft,

270 Siehe Dae-Won Park, Struktur der Krisentheorie bei Karl Marx und kritische Analyse der verschiedenen Krisentheorien, Seoul 2002 (in deutscher Sprache). 271 Ebd., S. 68. 272 Ebd., S. 195.

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auf den Zusammenhang von Geld, Kredit und Krise.273 Trotz der großen theoretischen Unterschiede erblickt Hahn in der Propagierung einer „Nicht-Neutralität" des Geldes eine Gemeinsamkeit in den Ansätzen von Karl Marx und John Maynard Keynes. Anstatt die Kategorie des Geldes als ökonomietheoretisch irrelevanten Faktor beiseite zu schieben, „zeigten Marx und später Keynes in ihrer Geld- und Kredittheorie, dass Geld aufgrund seiner Rolle im Prozess der gesellschaftlichen Reproduktion in Marktverhältnissen keineswegs neutral ist."274 Die kapitalistische Produktion sei bei Marx und Keynes als instabil und ungleichgewichtig gedacht. Zwar habe Marx keine geschlossene Krisentheorie hinterlassen, aber er betonte (nach Hahn) „die Rolle von Geld und Kredit als wesentliches Moment des Akkumulationsprozesses und der Krise".275 Entscheidend sei u. a. die für die Geldwirtschaft charakteristische Möglichkeit der Krise durch das Auseinanderfallen von Verkauf und Kauf. Doch sei diese bloße Möglichkeit nicht mit der realen Krise zu identifizieren. Letztlich leitet Marx - so interpretiert der Südkoreaner - die Krise „aus den in der kapitalistischen Produktionsweise immanent existierenden Widersprüchen"276 ab. Mit dem Anspruch, einen Beitrag zur Entwicklung einer Epistemologie der monetären Krisentheorie zu leisten, sollte einige Jahre später ein Landsmann Hahns in die Diskussion um den Zusammenhang von Geld-, Kredit- und Krisentheorie eingreifen. Hierbei handelt es sich um den Philosophen No-Wan Kwack, der sich wesentlich um eine produktive Weiterentwicklung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie bemüht hat. Kwack verwehrte sich zunächst in einem Aufsatz dagegen, die Krisenmomente allein in der Produktion bzw. beim industriellen Kapital zu suchen, sondern lokalisierte sie „auf jeder Ebene des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und daher auf jeder Ebene des ,Kapital' ",277 Kwack zufolge zielte Karl Marx auf eine spezifische Krisenanfälligkeit des Kapitalismus. Der Südkoreaner zeigte insbesondere an den Marxschen Ansätzen zu einer monetären Krisentheorie Interesse. Kwack merkte an, dass Marx die Geld- bzw. die Kreditkrise unterschätzt habe, doch habe Marx „in diesem Zusammenhang einige Ansätze aufgezeigt, die noch weiterentwickelt werden müssen."278 No-Wan Kwack hat einen ambitionierten Beitrag zur theoretischen Fundierung einer an Marx anknüpfenden und zugleich über ihn hinausweisenden monetären Krisentheorie vorgelegt,279 wobei er sich teilweise - trotz bestimmter Kritikpunkte - an der Marx273 Siehe Young Bin Hahn, Die Geldtheorie von Marx und Keynes. Ein Vergleich in bezug auf den Krisenbegriff in der Geldwirtschaft (Dissertation), Berlin 1999, im Internet: http://www.diss.fuberlin.de/1999/26/index.html (letzter Zugriff: 29.9.2006). 274 Ebd., S. 6. 275 Ebd., S. 152. 276 Ebd., S. 161. 277 No-Wan Kwack, Marasche Ansätze zur monetären Krisentheorie und deren Epistemologie, in: Olaf Gerlach, Stefan Kalmring, Andreas Nowak (Hg.), Mit Marx ins 21. Jahrhundert. Zur Aktualität der Kritik der politischen Ökonomie, Hamburg 2003, S. 135. 278 Ebd., S. 142. 279 Siehe No-Wan Kwack, Zur Fundierung der monetären Krisentheorie. Marasche epistemologische Ambivalenzen der Finanzkrisentheorie - Ein Versuch der Weiterentwicklung (Dissertation), Berlin 2006, im Internet: http://www.diss.fu-berlin.de/2006/232/index.html (letzter Zugriff: 30.8.2006).

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Interpretation Michael Heinrichs orientiert. Die Epistemologie dieser monetären Krisentheorie schließe eine Kritik an den empiristischen und individualistischen Axiomen der neoliberalen ökonomischen Theorie ein. In seiner Marx-Interpretation geht es Kwack darum, die eigentümlichen theoretischen Grundlagen der krisentheoretischen Ansätze der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie herauszuschälen. Gemäß Kwack hat Marx einen Bruch mit dem „theoretischen Feld" der politischen Ökonomie und die Begründung eines neuen „theoretischen Feldes" geleistet; doch sei die Erarbeitung seiner Kritik der politischen Ökonomie nicht ohne theoretische Ambivalenzen verlaufen. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass sich No-Wan Kwack teilweise auf die MarxInterpretation Michael Heinrichs stützt. Der Zusammenhang des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ist - nach Kwack - nicht auf die Bewegung des Einzelkapitals zu reduzieren. „Und das bedeutet wiederum, dass das Begreifen des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs nicht auf die Sinneserfahrung des einzelnen Elements reduzierbar ist."280 Die Unterscheidung zwischen dem Begreifen des sozialen Zusammenhangs einerseits und der Sinneserfahrung hinsichtlich des Einzelelements andererseits ist nach Kwack im Hinblick auf die Marasche Methode zentral. Diese ziele auf die gesellschaftlichen Verhältnisse statt auf das Einzelkapital ab. „Dementsprechend konstituiert sich der theoretische Gegenstand bei Marx anders als in der klassischen und neoklassischen Ökonomie, anders als im Neoliberalismus und in der modernen Erkenntnistheorie, die zumeist die Uniformität des Einzelnen und Ganzen voraussetzen (Individualismus) und die Erkenntnis letztlich auf die Empirie bzw. Sinneserfahrung des Individuums reduzieren (Empirismus)."281 Marx habe zwei fundamentale Brüche mit der empiristischen Wissenschaft seiner Zeit vollzogen. Er habe das gesellschaftliche Verhältnis selbst zum Gegenstand der Wissenschaft gemacht und die Reduktion des gesellschaftlichen Ganzen auf die Summe der Einzelteile aufgegeben. Beides sei mit dem Empirismus inkompatibel. „Bei Marx muss das Einzelne oder das Besondere [...] aus dem Zusammenhang des Ganzen, i. e. dem Verhältnis des Ganzen erklärt werden. Das Einzelne oder das Besondere ist dabei fur die Untersuchung nur wichtig, wenn es auf die Dynamik des Ganzen wirkt."282 Der südkoreanische Marx-Interpret sieht durchaus auch Tendenzen bei Marx, die auf theoretische Defizite verweisen: Kwack weist kritisch gegenüber Marx auf dessen vermeintliche Tendenz in die Richtung einer Reduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals auf das industrielle Kapital hin; dementsprechend sei die ökonomische Krise auf das Industriekapital bzw. die industrielle Produktion reduziert worden.283 Eine Wiederbelebung der Theorie von Marx ist nach Kwack keine hinreichende Perspektive. „Vielmehr muss man sich mit ihm kritisch auseinandersetzen, damit eine Weiterentwicklung und Maximierung des" - von Marx - „neu begründeten theoretischen Felds sich ergeben"284 könne. 280 281 282 283 284

Ebd., Ebd. Ebd., Siehe Ebd.,

S. 74. S. 139. ebd., S. 5. S. 140.

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Kwacks Denkansatz zielt auf den Zusammenhang von Kredit, Spekulation und Krise. Dieser Zusammenhang sei von den traditionellen Richtungen marxistischer Krisentheorie (Unterkonsumtionstheorie, Überakkumulationstheorie, Zusammenbruchstheorie und Disproportionalitätstheorie) nicht hinreichend berücksichtigt worden. 285 Ein weiterer Aspekt von Kwacks Forschungsbeitrag besteht darin, dass er die im Kontext der Marxschen Überlegungen zum Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate angedachten krisentheoretischen Ansätze des Trierers als vorläufig und fragwürdig begreift. Eine systematische Krisentheorie liege im Kapital nicht vor. Die ökonomische Krise wird von Kwack als ein Prozess definiert, dessen plötzlicher Ausbruch - auf den auch schon Marx hingewiesen habe - ohne Kredit und Spekulation nicht erklärbar sei. Dabei müsse durch den kreditvermittelten Zusammenbruch der Spekulation das Kapital auf gesamtgesellschaftlicher Ebene Verluste erleiden. Kwack kommt zu folgendem Fazit: „Dass die kapitalistische Spekulation selber durch die Entwicklung des Kreditsystems ihren plötzlichen Zusammenbruch notwendig hervorruft, und dass die kapitalistische Akkumulation mitsamt der Entwicklung des Kreditsystems diese Spekulation fördert, macht die inhärente Krisenanfälligkeit des Kapitalismus aus." 286 Es versteht sich, dass jener „Zusammenbruch" nicht im Sinne einer traditionellen marxistischen „Zusammenbruchstheorie" aufzufassen ist.

Exkurs zu Weltmarkt und Krise Ein Spezifikum der kapitalistischen Produktionsweise besteht darin, dass Wirtschaftskrisen in der Regel aus einer der kapitalistischen Produktionsweise selbst immanenten ökonomischen Dynamik resultieren. Es ist ein weiteres Spezifikum der kapitalistischen Produktionsweise, dass diese aus der immanenten Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise selbst entspringenden Krisen in Gestalt von Weltmarktkrisen auftreten können. In den Theorien über den Mehrwert schreibt Marx, dass in den allgemeinen Weltmarktkrisen alle Widersprüche der kapitalistischen Produktion in kollektiver Form zum Eklat kommen. Marx stellte in pointierter Weise fest: „Die Weltmarktcrisen müssen als die reale Zusammenfassung und gewaltsame Ausgleichung aller Widersprüche der bürgerlichen Oekonomie gefaßt werden. Die einzelnen Momente, die sich also in diesen Crisen zusammenfassen, müssen also in jeder Sphäre der bürgerlichen Oekonomie hervortreten und entwickelt werden, und je weiter wir in ihr vordringen, müssen einerseits neue Bestimmungen dieses Widerstreits entwickelt, anderseits die abstracteren Formen desselben als wiederkehrend und enthalten in den konkreteren nachgewiesen werden." (MEGA 2 II.3.3, S. 1131) Die aus dem ökonomischen Prozess selbst entstehenden allgemeinen Weltmarktkrisen begreift Marx als ein historisches Novum, das erst ab einem bestimmten Entwicklungsstand der kapitalistischen Produktionsweise auftritt. Der Weltmarkt ist für Marx - wie er im dritten Kapital-Band darlegt - „die Basis der capitalistischen Productionsweise". (MEGA 2 II.4.2, S. 178) Schon 1857 ist in der Marx285 Siehe ebd., S. 168. 286 Ebd., S. 173.

3 . 4 . KRISENTHEORIE BEI UND NACH M A R X

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sehen Konzeption seines ökonomiekritischen Werks ein Zusammenhang von Weltmarkt und Krise angedeutet. In einem Planentwurf aus den Grundrissen (MEGA2 II. 1.1, S. 190), der noch vor den die Planentwürfe von Februar bis April 1858 enthaltenden Marxschen Briefen an Lassalle und Engels angefertigt wurde, kommt Marx u. a. auf die Themen der geplanten Werkteile zu Staat, Außenhandel und Weltmarkt zu sprechen (von drei Büchern - den drei letzten im Rahmen eines 6-Bücher-Plans - ist in diesem Kontext noch nicht die Rede). Der Weltmarktproblematik werden dabei von Marx u. a. die Krisen zugeordnet. In einem Brief an Engels vom 8. Oktober 1858 (siehe MEW 29, S. 360) definiert Marx die Herstellung des Weltmarktes - zumindest in seinen Grundzügen - , sowie der darauf basierenden Produktion als die historische Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft. Eine neuere Forschungsarbeit, die u. a. den Zusammenhang von Weltmarkt- und Krisentheorie bei Marx thematisiert, wurde von Christian Girschner vorgelegt, einem Anhänger der Marx-Interpretation Helmut Reichelts. Generell trage die Entwicklungsdynamik des kapitalistischen Weltmarkts für Marx einen „zwieschlächtigen, aber auch einen polarisierenden, diskontinuierlichen, rücksichtslosen, sozial wie technologisch umwälzenden bzw. sprunghaften, selbstzweckhaft expansiven und über ökonomische Krisen vermittelten Entwicklungs- und Zwangscharakter",287 über den die Produktionsagenten keine gemeinschaftliche bewusste Kontrolle ausüben. Nach Girschner wendet sich Marx mit dem Kritikpunkt gegen Ricardos Außenhandelstheorie, dass diese die Weltmarktkrisen prinzipiell nicht erklären könne. Marx deute in den Theorien über den Mehrwert darauf hin, dass nach Ricardo die kapitalistischen Weltmarktkrisen „theoretisch auch gar nicht als eine inhärente Notwendigkeit des modernen Kapitals wirklich auftreten dürften."288 Für Marx seien die immer wiederkehrenden kapitalistischen Weltmarktkrisen .Ausdruck von ökonomisch-objektiven und notwendigen, aber nicht von zufälligen und intentional begründbaren Widersprüchen des modernen Kapitals."289 Die kapitalistische Weltmarktkrise werde von Marx - hier bezieht sich Girschner auf die oben zitierte Textstelle aus den Theorien über den Mehrwert - als wirkliche Zusammenfassung und gewaltsame Ausgleichung der Widersprüche der kapitalistischen Ökonomie begriffen.

3.4.3. Fazit Als Fazit zur rezeptionshistorischen Entwicklung der Perspektive auf die Marxsche Krisentheorie kann festgehalten werden, dass diese von bedeutenden Interpreten weniger im Sinne einer einheitlichen, konsistenten und fertig ausgearbeiteten Theorie gedeutet wurde, sondern eher im Sinne der Existenz verschiedener Theorieansätze, die inhaltlich in unterschiedliche Richtungen weisen. Gerade für die Krisentheorie gilt, dass Marx ein „unvollendetes Projekt" hinterlassen hat, das nicht einfach nur der bloßen Interpretation, sondern ebenfalls der kreativen Weiterentwicklung bedarf. Zudem ist die Tendenz 287 Christian Girschner, Politische Ökonomie und Weltmarkt. Allgemeine Weltmarktdynamik in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, Köln 1999, S. 9. 288 Ebd., S. 169. 289 Ebd., S. 170.

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3. VERTIEFUNGEN - ZENTRALE DISKURSE

festzustellen, dass innerhalb der modernen marxistischen Krisentheorie der Zusammenhang von Geld- und Kredittheorie mit der Krisentheorie große Beachtung findet. Im Anschluss an die große Asienkrise von 1997 hat sich die Forschung zu diesem Zusammenhang weiterentwickelt. In einem krisentheoretischen Kontext kann m. E. der „monetären Werttheorie" durchaus eine Fundierungsfunktion zukommen, die Kategorie des Geldes wiederum ist als zentrales Moment der Krisentheorie zu begreifen. Durch die neuere Forschung wird aber zudem die Möglichkeit aufgezeigt, in der Krisentheorie innovativ über die bloße Interpretation der mehr oder minder fragmentarisch erarbeiteten krisentheoretischen Ansätze der Marxschen Ökonomiekritik hinauszugehen. Auf jeden Fall bleibt an der Einsicht festzuhalten, dass es die eigene Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise selbst ist, die deren charakteristische Krisenanfälligkeit bzw. Krisenhaftigkeit bedingt.

Zusammenfassung

Im Anschluss an den Überblick über die Entwicklung der Rezeption der Marxschen Ökonomiekritik in verschiedenen Weltregionen und an die thematischen Vertiefungen ergibt sich ein komplexes Geflecht internationaler Theoriebezüge, internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit, von Theorietransfer und in Einzelfällen sogar von theoretischer Schulenbildung über nationale und sprachliche Grenzen hinweg. Insgesamt ist festzuhalten, dass insbesondere in den 1960er/70er Jahren eine ebenso vielfältige wie fruchtbare Beschäftigung mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie in zahlreichen Ländern ungeahnten Auftrieb erhielt.1 Das in diesem Zusammenhang geweckte Interesse an der Marxschen Theorie hat zwar (insbesondere seit den 80er Jahren) an Intensität verloren, existiert aber in vielen Ländern bis heute. Die Herausbildung und Entfaltung eines fruchtbaren Theorietransfers über Sprach- und Landesgrenzen hinweg trat insbesondere ab den 60er und 70er Jahren in eine wichtige Phase. Indes konnten bestimmte Merkmale eines „theoretischen Provinzialismus" in der an der Marxschen Ökonomiekritik orientierten Theoriebildung in verschiedenen Ländern bis dato höchstens ansatzweise überwunden werden. In Westdeutschland entstand Mitte der 60er Jahre in Frankfurt/Main und etwas später in Westberlin eine intensive Diskussion der Kritik der politischen Ökonomie, innerhalb der ab den späten 60er Jahren auch Interpretationsansätze aus Ost- und Westeuropa berücksichtigt wurden, obwohl die durch Theoretiker wie Alfred Schmidt, Hans-Georg Backhaus, Helmut Reichelt, Hans-Jürgen Krahl, die Projektgruppe Entwicklung des Marxschen Systems u. a. geprägte westdeutsche Debatte dominierte. Ein entscheidender Anstoß für die methodologische Diskussion kam aus dem deutschsprachigen Exil, von Roman Rosdolsky, der aufgrund seines Todes 1967 nicht mehr persönlich an der Debatte teilnehmen konnte. Spätere Forschungen (Brentel, Behrens, Heinrich, Rakowitz) knüpften zumindest teilweise an die Marx-Lektüre von Backhaus und seinem Umfeld an. In jüngerer Vergangenheit fand die Auseinandersetzung mit der Althusser-Schule punktuell statt, die mit anderen Strömungen der Marx-Interpretation aus Westeuropa sowie mit entsprechenden Theorieansätzen aus Osteuropa ebenfalls in eher geringem Maße. Ähnliches gilt für die Ansätze aus der angelsächsischen Welt, aus Asien (inklusive Japan) und aus Lateinamerika. 1

Zur Vermeidung von Missverständnissen ist herauszustellen, dass ich zwar den bemerkenswerten theoretischen Fortschritt der internationalen Kapital-Debatte insbesondere ab den 60er Jahren betone, damit aber keineswegs die Verdienste von bedeutenden marxistischen Denkern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschmälert werden sollen.

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Die japanische Forschung seit dem Zweiten Weltkrieg bildete eine eigenständige, innovative und vielfaltige methodologische Debatte heraus, in der sich jedoch die Tendenz zur Schulenbildung besonders auswirkte. Dem Transfer japanischer Theorieströmungen und Ä'ap/iaMnterpretationen ins westliche Ausland blieben lange Zeit jedoch relativ enge Grenzen gesetzt, was aufgrund des beeindruckenden „theoretischen Reichtums" der japanischen Diskussion bedauernswert ist. Wichtige Denker wie Samezo Kuruma, Kinzaburo Sato oder Sekisuke Mita wurden im Westen - zumindest bis vor kurzem nur wenig rezipiert.2 Der marxistische Philosoph Shingo Shibata konstatierte vor mehr als drei Jahrzehnten, dass „in Europa der japanische Marxismus zu Unrecht sehr wenig bekannt ist".3 In den letzten Jahrzehnten hat sich insgesamt nicht viel daran geändert. Die starke Präsenz des japanisch-kanadischen Zweiges der Uno-Schule um Thomas Sekine sowie des Uno-Schülers Makoto Itoh vor allem innerhalb der angelsächsischen Diskussion scheint eher eine Ausnahme darzustellen. Das Denken von an Marx anknüpfenden japanischen Philosophen und Ökonomen wurde bzw. wird jedenfalls in China rezipiert. In diesem Zusammenhang ist u. a. auf Wataru Hiromatsu und Makoto Itoh hinzuweisen. In Südkorea war eine von der offiziellen antimarxistischen Indoktrination abweichende Auseinandersetzung mit der Theorie von Karl Marx lange Zeit entweder gar nicht oder nur im „Untergrund" möglich. Dies hat sich inzwischen geändert. Trotzdem hat das Interesse an der Marxschen Theorie inzwischen nachgelassen. Innerhalb der an der Marxschen Ökonomiekritik orientierten südkoreanischen Theoriebeschäftigung wurden u. a. europäische und japanische Denkrichtungen und Ansätze rezipiert. Während und nach der Asienkrise von 1997 beschäftigten sich an Marx orientierte südkoreanische Wissenschaftler mit dem Zusammenhang von Geld-, Kredit- und Krisentheorie. In der südkoreanischen Marx-Interpretation wurde auch die epistemologische Problematik bearbeitet. Forschungen aus der VR China konnten bisher kaum auf die internationale methodologische ATij/?/to/-Diskussion einwirken. In der ehemaligen Sowjetunion hatte sich bereits in den 20er Jahren um Isaak I. Rubin eine ambitionierte werttheoretische Diskussion entwickelt, die jedoch durch den Stalinismus beeinträchtigt wurde. In und nach der „Tauwetter"-Periode lebte die KapitalDiskussion neu auf und entwickelte schließlich einen gewissen Pluralismus, wie exemplarisch anhand der Debatten um Vladimir Schkredov bzw. um Igor Boldyrew sichtbar wird. Im Rahmen des MEGA 2 -Projekts und der begleitenden Forschung entwickelte sich eine enge Kooperation zwischen sowjetischen und ostdeutschen Wissenschaftlern. Während dem Einfluss von jenseits des „Eisernen Vorhangs" enge Grenzen gesetzt waren, entfalteten umgekehrt sowjetische, ostdeutsche und tschechoslowakische Arbeiten (von Witali Solomonowitsch Wygodski, 1.1. Rubin, Ewald Iljenkow, W. Tuchscheerer, J. Zeleny) im nichtsozialistischen Ausland beachtliche Wirkung. Besonders bedauerlich ist, dass die 2

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Vielleicht ändert sich dies schon bald, nicht zuletzt weil Forschungsergebnisse Kurumas dank der Übersetzungsleistung des US-Amerikaners Michael Schauerte nun auch in englischer Sprache zugänglich sind. Shingo Shibata, Revolution in der Philosophie. Der praktische Materialismus und seine Aufhebung, Hamburg 1977, S. 8.

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umfassenden Forschungen aus dem Umkreis des Hallenser „6-Bücher-Rekonstruktionsprojekts" in der „westlichen" internationalen Diskussion nicht ausreichend berücksichtigt werden. In Westeuropa bildeten Italien und Frankreich die wichtigsten theoretischen Zentren. Neben der eigenen Diskussion der Nachkriegszeit, die insbesondere mit den Ansätzen von Denkern wie Galvano della Volpe, Lucio Colletti, Claudio Napoleoni und Cesare Luporini verbunden war und im Vordergrund stand, wurden oder werden in Italien auch Theorieansätze aus Frankreich, Westdeutschland, Lateinamerika und den ehemaligen realsozialistischen Ländern rezipiert. Die Althusser-Schule entfaltete im Frankreich der 60er und 70er Jahre großen Einfluss - obgleich Althusser dort auch auf vehemente Kritik traf und wirkte sich zudem u. a. auf andere europäische Länder, Lateinamerika und die angelsächsische Welt aus. Von allen hier genannten Richtungen scheint der Althusserianismus die am ehesten wirklich globale Theorieströmung zu sein. In Griechenland erwies sich der Einfluss der westdeutschen Interpretation der Marxschen Werttheorie als „monetärer Werttheorie" wirksam, was sich anhand der Theoriebildungsprozesse aus dem Umkreis der griechischen Zeitschrift Theseis verdeutlichen lässt. Der dänische „Kapitallogik"-Diskurs entwickelte sich in den 70er Jahren unter dem Einfluss der westdeutschen Neuen Marx-Lektüre und in Abgrenzung vom Althusserianismus. Auch in Lateinamerika spielte in den 60er und 70er Jahren die Frage des pro oder contra hinsichtlich des dort relativ einflussreichen Althusserianismus eine wichtige Rolle. Seit Mitte der 80er Jahre besitzt Enrique Dussels „autochthoner" Theorieansatz große Bedeutung. Dussel bemüht sich aus der globalen „Peripherie" heraus um eine spezifisch lateinamerikanische Perspektive auf die Kritik der politischen Ökonomie. Auch seit den 90er Jahren entwickeln sich ambitionierte Ansätze. Sie sind auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie als einer kritischen Theorie des Fetischismus bezogen (Nestor Kohan), streichen den fundamentalen Kritikcharakter der Marxschen Theorie als einer Kritik der politischen Ökonomie heraus (Jorge Grespan) oder zielen auf die formtheoretische Dimension bei Marx ab (Rolando Astarita). Hinsichtlich der angelsächsischen Debatte ist festzuhalten, dass es ihr insbesondere seit den 70er und 80er Jahren zumindest punktuell gelang, zeitgenössische Ansätze internationaler Herkunft zu berücksichtigen. Aus der deutschsprachigen Forschung wurden der formtheoretische Ansatz von Backhaus und auch Rosdolskys wegweisende Untersuchung zur Aufbauplan-Problematik rezipiert. Wichtige Denkanstöße für die „hegelianisierende" Interpretationsrichtung der Marxschen Theorie lieferten die mit dem angelsächsischen Diskurs eng verbundenen südasiatischen Theoretiker Banaji und Shamsavari. In den 80er Jahren kam der Einfluss der Uno-Schule zum Tragen, insbesondere in Kanada. Auch anti-hegelianische Ansätze wurden rezipiert. Hierbei spielten Colletti und Althusser eine wichtige Rolle. In etwa gleichzeitig mit der verstärkten Rezeption verschiedener internationaler Ansätze intensivierte sich ab den 70er Jahren die „autochthone" methodologische Diskussion der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Doch im Zuge der Herausbildung eines spezifisch angelsächsischen (wenn auch in der angelsächsischen Welt höchst umstrittenen und m. E. theoretisch rückschrittlichen) Theorieprojekts in Gestalt des „analytischen Marxismus", der insbesondere in den 80er und frühen 90er Jahren seine Hoch-Zeit erlebte, sowie im Zuge der vor allem seit den 80er und 90er

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Jahren sich vollziehenden Herausbildung weitgehend eigenständiger „hegelianisierender" Theorieströmungen (des „New Dialectic"-Ansatzes und verwandter Richtungen) verstärkte sich in der angelsächsischen Marx-Debatte die Tendenz, sich zunehmend gegenüber Einflüssen von außen zu verschließen (auch wenn es gegenläufige Tendenzen gab und gibt, wie etwa die Resonanz, auf die Enrique Dussel, Jacques Bidet oder Alfredo Saad-Filho stoßen). Umgekehrt konnte der „analytische Marxismus" in der Marx-Debatte außerhalb der angelsächsischen Welt insgesamt nur relativ geringen Einfluss entfalten.

Im Rückblick auf die in dieser Studie untersuchten Denkansätze innerhalb der historischen Entwicklung der internationalen Marx-Debatte lassen sich einige Interpretationstendenzen benennen, die der Strömung der Neuen Marx-Lektüre zugeordnet werden können, welche sich - abgesehen von Antizipationen aus früherer Zeit - insbesondere seit den 1960er und 70er Jahren herausbildete. In diesem Kontext wurde eine grundlegende Erneuerung des an Marx orientierten Denkens geleistet. Der Marxsche Ansatz wurde stärker denn je als emphatische Kritik der politischen Ökonomie begriffen, d. h. nicht auf eine bloß „alternative" politische Ökonomie reduziert. Auch die ganz grundsätzliche Absetzung von Marx gegenüber den ökonomischen Klassikern und insbesondere gegenüber Ricardo spielte eine Rolle, wobei bisweilen aber auch die Frage nach möglichen Ambivalenzen in der Marxschen „wissenschaftlichen Revolution" gegenüber der klassischen politischen Ökonomie aufgeworfen wurde. Von essentieller Bedeutung war und ist die Tendenz zu einer deutlichen Höherbewertung der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie gegenüber bestimmten Diskursen des traditionellen Marxismus wie etwa der „Dialektik der Natur" oder einer bestimmten Form geschichtsdeterministischen Denkens. Zudem bildete sich mit der Fokussierung hauptsächlich auf den Marx der „reifen" Ökonomiekritik seiner Londoner Zeit eine Alternative zu einem primär auf die Marxschen Frühschriften gestützten Marx-Diskurs heraus. Im Zuge der Konzentration auf die Marxsche Ökonomiekritik kam es insbesondere ab den 60er und 70er Jahren zu einer Sensibilisierung fur die spezifisch „qualitative" Dimension der Kritik der politischen Ökonomie. Ein neu gewecktes Interesse betraf bzw. betrifft die Marxsche Formtheorie und die Fetisch- bzw. Mystifikationstheorie (die Marxsche Ökonomiekritik enthält eine umfassende „Entzauberung" der „verkehrten Welt" der Ökonomie), zudem seine Differenzierung verschiedener Abstraktions- und Darstellungsebenen in der Ökonomiekritik. Dementsprechend entfaltete sich in der internationalen Sekundärliteratur eine Diskussion der Aufbauplan-Problematik. Erkenntnistheoretische Fragestellungen wurden ebenfalls engagiert angegangen. Immer stärker setzte sich eine Lesart der Marxschen Werttheorie als einer monetären Werttheorie durch. Der spezifisch notwendige Zusammenhang von Ware, Wert und Geld rückte in den Vordergrund. Es entfaltete sich eine dezidiert formtheoretische bzw. formkritische Marx-Lesart. Zudem wurde in Teilen der Marx-Forschung die durch Friedrich Engels eingeleitete sog. „logisch-historische" Interpretation der Marxschen Darstellung der Ökonomiekritik überwunden. Es setzte sich die Einsicht durch, dass es sich beim Objekt des Darstellungsanfangs des ersten ATap?ta/-Bandes keineswegs um eine historische, vorkapitalistische

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„einfache Warenproduktion" handelt. Überdies spielte mit der Zeit die intensive Beschäftigung mit der Marxschen Wertformanalyse mehr und mehr eine herausragende Rolle innerhalb der Rezeption. In Westdeutschland beispielsweise war dies ab den 60er/70er Jahren der Fall, in Japan aber schon deutlich früher. Die Entstehung und weitere Entwicklung der theoriegeschichtlichen Strömung der Neuen Marx-Lektüre innerhalb der internationalen XopitaZ-Interpretation der letzten Jahrzehnte trug bzw. trägt zur Herausbildung eines angemessenen Marx-Bildes jenseits „populärer" Mythen und der fragwürdigen Alternative von Verdammung und Kanonisation bei. 4 Die Zeitspanne insbesondere seit den 60er Jahren kann als eine neue Epoche in der Entwicklung des an Marx anknüpfenden Denkens betrachtet werden, in der es gelang, ein durch den Stalinismus einst weitgehend blockiertes innovatives Theoriepotenzial freizusetzen. Von Bedeutung ist auch der Zusammenhang zwischen der Editionsgeschichte des Marxschen Werks und der geschichtlichen Entwicklung der Marx-Interpretation. Während sich eine primär am Marxschen Frühwerk orientierte und besonders in Westeuropa vorhandene Lesart der 50er und 60er Jahre u. a. auf die erstmals 1932 editierten Ökonomisch-philosophischen Manuskripte von Marx stützte,5 fiel in den 60er und 70er Jahren das wachsende Interesse am Marx der „reifen" Ökonomiekritik mit einer internationalen Editions- und Rezeptionswelle der erstmals 1939/41 veröffentlichten Grundrisse zusammen. Ein Teil der deutschsprachigen und japanischen Kapital-Debatte der 90er Jahre stand in einem engen Zusammenhang mit dem Voranschreiten der MEGA 2 -Edition, insbesondere mit der 1992/93 erfolgten Veröffentlichung des Marxschen Originalmanuskripts zum dritten Band aus dem sog. Kapital-Entwurf von 1863-1865.

Auf der Grundlage der vorliegenden Studie kann das innovative theoretische Potenzial vor Augen gefuhrt werden, das die Marx-Interpretation und die an der Marxschen Ökonomiekritik orientierte kritische Gesellschaftstheorie in den letzten Jahrzehnten in einer internationalen und beinahe globalen Dimension entfaltet hat. Trotz der weitgehenden Marginalisierung des Marxismus in politicis infolge der politischen Umbrüche von 1989/90 entwickelte sich die wissenschaftliche Marx-Rezeption auch seither auf produktive Art und Weise weiter. Der Marxismus im Sinne einer umfassenden „Weltanschauung" ist historisch überwunden. Doch der Marxsche Theorieansatz, den inneren Zusammenhang der ökonomischen Kategorien und Verhältnisse zu explizieren, und dabei mit einer

4

Die Tatsache, dass eine auf den Resultaten der Neuen Marx-Lektüre basierende populäre Einführung (siehe Michael Heinrich, Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, Stuttgart 2004), die den Ökonomiekritiker Marx vom „weltanschaulichen" Marxismus abgrenzt, mittlerweile größere Verbreitung gefunden hat, lässt hoffen, dass Aspekte eines derartigen neuen Marx-Bildes über Forscher· und Spezialistenkreise hinaus auch ins Bewusstsein eines breiteren Publikums eindringen.

5

Dies ist nicht so misszuverstehen, als ob in Westeuropa in den 50er Jahren der „reifen" Ökonomiekritik von Marx keinerlei wissenschaftliches Interesse gegolten hätte. Es bleibt zu berücksichtigen, dass westeuropäische Autoren auch schon in den 50er Jahren zur „reifen" Kritik der politischen Ökonomie publizierten, ζ. B. Maximilien Rubel in Frankreich oder Giulio Pietranera in Italien.

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kritischen Fetischismus- und Mystifikationstheorie eine „Entzauberung" der „verkehrten Welt" der Ökonomie zu leisten, ist für das Verständnis der „Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht", (MEGA2 II.5, S. 17) nach wie vor von Aktualität und theoretischer Bedeutung. Umso wichtiger ist es, der komplexen und (beinahe) globalen Geschichte seiner Interpretation in den letzten Jahrzehnten gewahr zu werden.

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Anhang: Eine kommentierte Auswahlbibliographie von Arbeiten, die aufgrund ihres Erscheinungstermins nicht mehr in dieser Studie berücksichtigt werden konnten: Cinzia Arruzza (Hg.), Pensare con Marx. Ripensare Marx, Rom 2008. In diesem Sammelband veröffentlichen u. a. wichtige Vertreter der neueren italienischen Marx-Debatte (z. B. Bellofiore, Finelli, Fineschi). Riccardo Bellofiore, Roberto Fineschi (Hg.), Re-reading Marx. New Perspectives after the Critical Edition, London, New York 2008. Ein internationaler Autorenkreis (Hecker, Fineschi, Heinrich, Arthur, Reuten u. a. m.) stellt neuere Forschungsbeiträge zur Marxschen Ökonomiekritik vor. Die MEGA2 wird ausdrücklich berücksichtigt. Jacques Bidet, Gérard Duménil, Altermarxisme. Un autre marxisme pour un autre monde, Paris 2007. Ein theoretischer Neuansatz, verfasst in emanzipatorischer Absicht, von zwei der bekanntesten Repräsentanten der französischen Marx- und Marxismus-Diskussion.

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Personenverzeichnis

Abendroth, Wolfgang 80 Adorno, Theodor W. 18, 36, 37, 70, 81-83 Achundov, G 127 Ahrweiler, Georg 242 Albiac, Gabriel 181 Albritton, Robert 106, 116, 117, 190 Altamira, César 75 Althusser, Louis 19,22, 24, 41-45,48, 59-61, 67, 75, 87,92, 118, 145,155-161,164, 166,168-171, 175, 181, 184, 205-207, 238, 239, 251,252, 269, 293, 295 Altvater, Elmar 89 Amadeo, Javier 22 Amin, Samir 65 Anderson, Kevin 194 Anderson, Perry 17-19,44, 45, 196-198 Antono va, Irina 136 Aricó, José 64 Aristoteles 188 Arndt, Andreas 240-243 Arthur, Christopher 15, 77, 173, 189, 190, 213, 214, 219, 220, 247-249, 264 Artous, Antoine 161 Astarita, Rolando 178, 295 Backhaus, Hans-Georg 15, 21,24, 37, 76, 81-86, 90, 94,118,119,124,133,134,154, 164, 167,179, 184,186,187, 194, 202, 203, 217,218, 221,235, 251, 293, 295 Badaloni, Nicola 149 Bader, Veit-Michael 89, 90 Bailey, Samuel 114,210 Balibar, Etienne 156,158 Banaji, Jairas 118,185,295 Barreda, Andres 168,169 Barshay, Andrew E. 54,104 Bastiat, Frédéric 222 Becker, Egon 179

Becker, Johann Philipp 62 Behrens, Diethard 202, 293 Behrens, Fritz 138,255 Bell, John R. 116,117 Bello, Waiden 72 Bellofiore, Riccardo 152, 194 Benoit, Hector 176 Bensaid, Daniel 76, 77 Berlusconi, Silvio 59 Bernstein, Gail Lee 98 Bidet, Jacques 21, 159, 161-163,197, 296 Bihr, Alain 161 Bischoff, Joachim 88,89 Bljumin, I. 29 Bloch, Ernst 17,21 Block, Klaus-Dieter 280 Boceara, Paul 159,269 von Böhm-Bawerk, Eugen 96 Boldyrew, Igor 127, 135, 136,294 Bolivar, Simon 77 Bondeli, Martin 165,228,229 Bonefeld, Werner 76 Brentano, Lujo 96,99 Brentel, Helmut 15, 92,197, 202-204, 217, 218, 220, 235, 247, 293 Brill, Hermann 83 de Brosses, Charles 151 de Brunhoff, Suzanne 160 Bubner, Rüdiger 90,91 Buckmiller, Michael 80 Burkett, Paul 272 Burns, Tony 241 Buzgalin, Alexander V. 71 Callinicos, Alex 76 Cardoso, Fernando Henrique 168 Carey, Henry Charles 222 Carrera, Juan Iñigo 180

340 Cassano, Franco 147 Castoriadis, Cornelius 41 Cerroni, Umberto 149 Chavez, Hugo 75, 77 Cheng, Enfu 123 Chesebro, James William 45 Chessin, N. 132,133 Chou, Li-Quan 67,68 Chruschtschow, Nikita 31 Chu, Choeng-Lip 124 Chung, Moon Gil 66 Clarke, Simon 115,283 Claussen, Detlev 37 Cleaver, Harry 61,62 Cohen, Gerald A. 191,193 Colletti, Lucio 39, 59, 60, 64, 118, 143-147, 152, 154, 185, 239, 252,295 Conert, Hansgeorg 57 Cornu, Auguste 155 Crespo, Luis 181 Crotty, James R. 286 Da, Li 32 Dal Pra, Mario 146 Danielson, Nikolai 281 Darimon, Alfred 209 Debord, Guy 41 Demir, Yakub 56 Denis, Henri 158 Deppe, Frank 35 Deqiang, Han 73 Destutt de Tracy, A. L. C. 223 Deutscher, Isaak 18 Dieterich, Heinz 74,75 Dietzgen, Joseph 245 Dimoulis, Dimitri 166, 205, 206 Dlubek, Rolf 130,137 Dobb, Maurice 99 Dognin, Paul-Dominique 160 Dozekal, Egbert 91 Dühring, Eugen 82,244 Duménil, Gérard 160 Dunayevskaya, Raya 46 Duncan, Colin Α. M. 116 Duncker, Franz 211 Dussel, Enrique 15, 21, 22,47, 63, 64, 74, 169, 171-174, 197, 205, 235-238, 253, 271, 295, 296

PERSONENVERZEICHNIS

Dutschke, Rudi 36 Echeverría, Bolivar 14,168-170, 175, 205 Echeverría, Rafael 170, 171, 233 Economakis, George (Georgios) 166 Elbe, Ingo 22-24, 87, 88,141, 161 Eldred, Michael 186,187 Elliott, Gregory 185 Elster, Jon 191-193 Establet, Roger 156,269 Fangtong, Liu 67 Fausto, Ruy 176 Fetscher, Iring 35, 83 Feuerbach, Ludwig 30,48, 145, 157, 169-171 Fichte, Johann Gottlieb 30 Fine, Ben 189 Fine, Robert 189 Finelli, Roberto 152 Fineschi, Roberto 151-153,215 Fischer, Anton M. 165 Fornet-Betancourt, Raúl 46 Franklin, Benjamin 92, 222 Fraser, Ian 189,241 Fukuda, Tokuzo 96 Fukumoto, Kazuo 19, 78, 97, 98 Fukuyama, Francis 70 Fukuzawa, Hiroomi 53 Fulda, Hans Friedrich 90 Furihata, Setsuo 49, 56 Gajano, Alberto 149, 150 Galander, Ehrenfried 261 Galander, Ulrike 139,262 Galceran Huguet, Monserrat 44,180 Galiani, Ferdinando 222 Gandler, Stefan 14, 48, 168 Garaudy, Roger 43,154 Garcia Bacca, Juan David 168 Germer, Claus Magno 176 Geymonat, Ludovico 143 Giannotti, José Artur 167 Girschner, Christian 291 Glucksmann, André 58 Godelier, Maurice 155 Göhler, Gerhard 84,91,92,234,235 Goldmann, Lucien 17,41 Golman, Lew 65

341

PERSONENVERZEICHNIS

Gramsci, Antonio 17, 18,23, 33,44,143 Grespan, Jorge 177,295 Grimm, Jacob 275 Grlic, Danko 56 Grossmann, Henryk 78, 80,255,282 Grünberg, Carl 126 Guerrero, Diego 182 Guevara, Ernesto (Che) 77 Gutierrez de Dütsch, Begona 179 Habermas, Jürgen 87 Hahn, Young Bin 124,221,287,288 Hai Hac, Tran 161,204, 205, 221 Haifeng, Yang 122, 123 Han, Seungwan 124,125, 151, 273 Hanion, Marnie 186 Hardt, Michael 61 Harich, Wolfgang 30 Harnecker, Marta 17, 75,168, 169, 175, 181 Hartmann, Klaus 38 Haug, Wolfgang Fritz 38, 39,48, 56, 65, 89, 95,221 Hayden, Tom 45 Hecker, Rolf 28, 99,100, 127, 132, 133, 135, 280 Hegel, G W. F. 11, 29-31, 38,41, 80, 85, 86, 90, 111, 113, 114,116, 118-120, 124, 125, 129,141-146, 148,149, 151, 152, 157-159, 170-173, 176, 185, 186, 188, 189, 200, 228, 235, 238-252 Heinrich, Michael 15,21,38,92-95,150,166, 207, 208, 214,215,262,263, 270-272, 283-285, 289, 293 Heller, Agnes 57,58 Henning, Christoph 14,15 Henry, Michel 160 Hinkelammert, Franz Josef 175 Hirata, Kiyoaki 51 Hiromatsu, Wataru 102,103,123, 145, 294 Hitler, Adolf 79 Hobsbawm, Eric 117,183, 184 Hofer, Marc 165,228,229 Hoff, Jan 87,166 Holloway, John 75, 76, 139,175 Holzkamp, Klaus 89 Horkheimer, Max 81-83, 126 Hoshino, Tomiichi 283 Hountondji, Paulin J. 65, 66

Hubmann, Gerald 151 Hyppolite, Jean 154 Iacono, Alfonso M. 150 Iber, Christian 84,235 Iljenkow, Ewald W. 129, 154, 176, 294 Iorio, Marco 14 Ishikura, Masao 111 Itoh, Makoto 96, 104, 115, 116,257, 282, 283, 294 Iwasaki, Chikatsugu 98,110 Iwata, Hiroshi 103, 109 Jahn, Wolfgang 87, 134, 138, 194,258-262, 268 Janoska, Judith 151, 165,228,229 Jay, Martin 144 Jeong, Seongjin 67 Jeong, Woon-Young 123 Joe, Hyeon-Soo 124 Kandel, J. P. 128 Kant, Immanuel 30,113, 114,146 Karatani, Kojin 113,114 Karsz, Saül 170 Katsiaficas, George 38,46 Kautsky, Karl 30 Kawakami, Hajime 17, 32, 78, 96-99 Kegler, Dietrich 71 Keynes, John Maynard 288 Kicillof, Axel 180 Kim, Kyung-Mi 124 Kim, LeeJun 124,284 Kim, Soo-Haeng 123 Kincaid, Jim 183,186 Kindle, Konrad 185,228 Kittsteiner, Heinz-Dieter 218 Kleiber, Lucia 186 Knight, Nick 32,33 Kobayashi, Toshiaki 102 Kofler, Leo 35 Kogan, Albert 135, 136,258, 268,269 Kohan, Néstor 174,205,295 Kolakowski, Leszek 17 Kolganov, Andrej I. 71 Korsch, Karl 17-19, 23, 36, 59, 80, 87, 98, 155 Kosik, Karel 141

342 Krahl, Hans-Jürgen 36-38, 239, 293 Krätke, Michael 20, 161, 218, 227, 265, 266, 281 Kuczynski, Jürgen 242 Kugelmann, Ludwig 207, 211, 231, 245, 263 Kundel, Erich 140 Kuroda, Kan'ichi 54, 109, 111 Kuruma, Samezo 17, 78, 99-101, 103, 104, 117,214-216,221, 255, 256, 274,282, 294 Kuschin, I. A. 31 Kushida, Tamizo 96-99 Kwack, No-Wan 124,158,288-290 La Grassa, Gianfranco 143 Lamo de Espinosa, Emilio 181 Lassalle, Fredinand 11, 177, 244, 245, 253, 267, 291 Lebowitz, Michael 187, 193,264,266 Lee, Chai-on 124 Lee, Seong-Paik 71 Lefèbvre, Henri 41 Lefebvre, Jean-Pierre 161 Leibniz, Gottfried Wilhelm 246 Lenin, W. I. 15, 16, 28, 43, 54, 55, 67, 68, 105,116, 121,122,250 Leontjew, Lew 127 Lessing, Gotthold Ephraim 244 Lévinas, Emmanuel 63 Levine, Norman 188, 194, 219 Lévy, Bernard-Henry 58 Lewis, John 43 Liedman, Sven-Eric 164 Likitkij somboon, Pichit 119, 120 Limoeiro-Cardoso, Miriam 60 Linde, Birger 286 Lippert, Wolfgang 32 Lippi, Marco 150 Litschev, Alexander 71 Locke, John 222 Löwy, Michael 22, 47, 76, 77, 175 Lukacs, Georg 17,18, 21, 23, 30, 36,44, 57, 58, 97, 98, 199, 243 Lundkvist, Anders 164 Luporini, Cesare 148, 149, 154, 295 Luxemburg, Rosa 77 MacCulloch, John Ramsay 223 Macherey, Pierre 156, 160

PERSONENVERZEICHNIS

Mac Lean, Brian 116 Malthus, Thomas Robert 265, 276 Malysch, Alexander I. 127, 219, 268 Mandel, Ernest 76,87,189 Markovic, Mihailo 56 Mariategui, José Carlos 46,47, 77 Marramao, Giacomo 39 Marcuse, Herbert 17,36,45,46,223 Markus, György 57, 58 Martinez Marzoa, Felipe 181 Marxhausen, Thomas 115,138,139 Masaki, Hachiro 216,217 Matsui, Kiyoshi 257 Mattick, Paul 46,282 Mauke, Michael 36 Mawatari, Shoken 106,116 Mayer, Thomas 193 Mazzone, Alessandro 150, 151 McCormack, Gavan 54 McLellan, David 183 Meek, Ronald 182 Meikle, Scott 188 Melcher, Dorothea 74 Mendelssohn, Moses 244 Mepham, John 186 Merker, Nicoiao 144 Merleau-Ponty, Maurice 17 Mészáros, István 74 Miki, Kiyoshi 100 Milios, John (Jannis) 27, 69, 166,167, 205, 206, 221,285, 286 Mill, James 223 Miskewitsch, Larissa 134 Mita, Sekisuke 110,294 Miyakawa, Akira 110, 112,114 Mizuta, Hiroshi 49 Mohl, Ernst Theodor 81,138 Monal, Isabel 167 Montano, Mario 144 Moore, Samuel 281 Morishima, Michio 103 Morris-Suzuki, Tessa 50, 97 Moseley, Fred 190,193,238, 247, 272,273 Moszkowska, Natalie 281 Mugnai, Massimo 150 Müller, Manfred 138,194, 269 Müller, Ulrich 157 Murray, Patrick 190, 237, 238, 250, 251

343

PERSONENVERZEICHNIS Musto, Marcello

146,151

Nagatani, Kiyoshi 100 Napoleon I. 277 Napoleoni, Claudio 147,154,295 Navarro, Fernanda 169 Naville, Pierre 155 Negri, Antonio (Toni) 61 Nelson, Anitra 212 Neuhaus, Manfred 151 Nicolaus, Martin 183,184 Nietzold, Roland 268 Niji, Yoshihiro 111 Nikolic, Milos 34,35 Nishida, Kitaro 100 North, Dudley 222 Noske, Dieter 138 Nowak, Leszek 142 Nunez Tenorio, José Rafael 74 Oakley, Allen 257,258 Oguro, Masao 215 Ohara, Magosaburo 98, 99, 103, 215 Oishi, Takahisa 113 Oittinen, Vesa 164 Okishio, Nobuo 103 Oilman, Berteil 190,191 O'Malley, Joseph 246 Omiya, Samanosuke 56 Omura, Izumi 101, 115,274, 275 Otani, Teinosuke 2 1 5 , 2 5 6 , 2 5 7 Palti, Elias José 19 Panzieri, Raniero 40 Park, Dae-Won 124,287 Park, Young-Ho 123 Paschukanis, Eugen 23, 24 Pena, Milciades 168 Petrioli, Alexis 86 Petrovic, Gajo 56, 57 Petty, William 222,229 Pietranera, Giulio 147, 148, 297 Ping, He 121 Pinochet, Augusto 75 Plechanow, G. W. 30 Porfirio Mirando, José 169 Postone, Moishe 188 Pozzoli, Claudio 40

Preve, Costanzo 144 Proudhon, Pierre-Joseph 209, 223 Psychopedis, Kosmas 167 Quante, Michael 251,252 Quesnay, Francois 112,222 Qiubai, Qu 32,33 Rakowitz, Nadja 94, 202, 293 Rancière, Jacques 24, 43, 156, 160 Reichelt, Helmut 15,21, 24, 38, 76, 82, 85, 86, 90, 94, 95, 154, 164, 194, 202,219, 291,293 Renault, Emmanuel 161, 162 Reuten, Geert 120, 187, 188, 190 Ricardo, David 113, 114, 138, 139,141,166, 178, 205,206, 208-212, 222-225,229-232, 242, 250, 251, 265, 272, 276-279, 291, 296 Ricci, Francois 160 Riedel, Dieter 94,95 Ripalda, José Maria 180 Rjazanov, David B. 125, 128 Robles Baez, Mario L. 169 Roces, Wenceslao 168 Rockmore, Tom 188 Rodin, Davor 142 Roemer, John E. 191-193 Roies, Albert 181 Rojas, Raul 147, 175 Rosdolsky, Roman 18, 79-81, 87, 91,154, 155, 163, 184, 186, 187, 194, 232,255, 256, 259,267-269, 272, 293, 295 Rosenberg, D. I. 128 Rosenkranz, Karl 243 Rosental, Mark M. 29, 31, 128 Rosenthal, John 186,239, 251,252 Rossi, Mario 144,148 Roth, Volkbert (Michael, Mike) 80, 186 Rovatti, Pier Aldo 149 Rubel, Maximilien 4 1 , 1 5 5 , 2 9 7 Ruben, Peter 164 Rubin, Isaak Iljitsch 23, 24, 31, 78, 79, 124, 126-128, 133, 153, 176,180, 185,220, 294 Saad-Filho, Alfredo 175,176, 296 Sacristán Luzon, Manuel 44 Sagnol, Marc 269,270 Sakisaka, Itsuro 50, 51, 100

344 Salama, Pierre 204 Salomon, David 33 Sanchez Vazquez, Adolfo 14, 17, 19,47,48, 168, 169, 171 Sartre, Jean-Paul 41,154 Sato, Kinzaburo 256,294 Say, Jean-Baptiste 178,222, 223, 242, 246, 265, 276 Sayers, Sean 246,247 Schaff, Adam 62,63 Schanz, Hans-Joergen 164 Schauerte, E. Michael 294 Schelling, F. W. 30, 172, 173 Schkredov, Vladimir Petrovic 132, 133, 135, 136, 294 Schmidt, Alfred 21, 35, 82, 84, 85,114, 141, 157,194,203,293 Schmieder, Falko 188 von Schmoller, Gustav 96 Schräder, Fred 9 1 , 9 2 , 2 4 5 , 2 4 6 , 2 7 9 Schwarz, Winfried 74, 91, 194, 256, 262, 267-269, 273 Schweier, Thomas Lutz 93 Sekine, Iichiro 215,256,257 Sekine, Thomas (Tomohiko) 53,101, 104, 106, 107, 109,115-117, 119, 190,294 Senior, Nassau 265 Sève, Lucien 60,159 Shaikh, Anwar 276 Shamsavari, Ali 118, 119, 185, 239, 295 Shaozhi, Su 2 0 , 6 8 , 6 9 , 7 3 Shibata, Shingo 294 Shigeta, Sumio 201 Siemek, Marek J. 142 Simonde de Sismondi, J. C. L. 222,246, 276 Siqi, Ai 32,33 Skarbek, F. 223 Smith, Adam 112,113, 209,212,222-224, 226, 229, 231,242, 243 Smith, Tony 190,247-251 Speri, Richard 140 Soldani, Franco 151 de Spinoza, Baruch 244,246 Sraffa, Piero 150, 192 Stalin, Josef 27-31, 51, 52, 54, 67, 69, 79, 109, 121, 122,128,133,136 Stapelfeldt, Gerhard 91, 92 Starosta, Guido 180

PERSONENVERZEICHNIS Steedman, Ian 118, 150, 230 Sten, Jan 30 Sternberg, Fritz 260 Steuart, James 222, 224, 229, 243 von Storch, Heinrich Friedrich 276 Stutje, Jan-Willem 76 Stützle, Ingo 86 Suzumura, Kotaro 99 Sweezy, Paul 46, 99,182 Tagai, Imre 142,143 Tairako, Tomonaga 72, 73, 112, 121,197 Takagi, Kojiro 257 Takano, Iwasaburo 99 Takenaga, Susumu 111,126 Taylor, Nicola 194 Teixeira, Francisco 176 Ternowski, Michail 269 Theunissen, Michael 90 Thompson, E. P. 17,44,45 Tian, Chenshan 33 Timpanaro, Sebastiano 143 Togliatti, Palmiro 39 Tombazos, Stavros 167 Tosaka, Jun 100 Tosel, André 21,22 Tribe, Κ. 183,184 Trofimow, P. S. 29 Tronti, Mario 40 Trotzki, Leo 19,77 Tschepurenko, Alexander 133, 135, 136,269 Tsuru, Shigeto 99 Tsushima, Tadayuki 51,52 Tuchscheerer, Walter 87, 137, 138, 154,194, 294 Uchida, Hiroshi 111,159 Uno, Kozo 17,19, 21, 52-56, 100-110, 115-117, 119, 120,124,190, 213-216, 247, 257,282,283, 294,295 Vadée, Michel 160 Varga, Eugen 281 Vargas Lozano, Gabriel 170 Veca, Salvatore 149 de Vicente Hernando, César 181 Vincent, Jean-Marie 161 Vollgraf, Carl-Erich 226

345

PERSONENVERZEICHNIS della Volpe, Galvano 19, 39,44, 59, 143-148, 152, 154, 185, 238, 2 3 9 , 2 5 1 , 2 9 5 Vranicki, Predrag 16, 17,20, 25, 56 Wagner, Adolph 96,157, 212, 233 Warnke, Carmilla 30 Wasjulin (Vazjulin), Wiktor A. 15, 129, 134 Waszek, Norbert 242 Weber, Max 142 Weiler, Paul 127 Williams, Michael 187,188 Willich, August 32 Willing, Gunter 262 Wippermann, Wolfgang 24 Wolf, Dieter 86, 92, 95,197, 215,235 Wolf, Frieder Otto 36, 86, 95 Wolff, Richard D. 184,185 Wolkogonow, D. 30

Woods, Alan 75 Wygodski (Vygodski), Witali Solomonowitsch 87,128, 129, 132, 135, 136, 153, 268, 294 Xiaoping, Deng 34, 67, 71, 77 Xiaoping, Wei 120 Yamada, Moritaro 49 Yamada, Toshio 101-103 Yamakawa, Hitoshi 49 Yaobang, Hu 69 Yibing, Zhang 123 Zapata, Emiliano 72 Zedong, Mao 20, 32-34, 67, 68, 73 Zeleny, Jindrich 44, 87,141,208, 240, 294 Zhang, Zhongpu 122 Zimmermann, Marion 139

Akademie Verlag Ingo Elbe

Marx im Westen Die neue Marx-Lektüre in der Bundesrepublik seit 1965 Politische Ideen, Band 21 2008. 644 S. - 170 χ 240 mm, Gb., € 49,80 ISBN 978-3-05-004470-5 Über Jahrzehnte beanspruchten die komplementären Diskurse des östlichen partei-, später staatsoffiziellen Marxismus sowie des westlichen Antikommunismus die nahezu uneingeschränkte Definitionsmacht über das, was gemeinhin als ,Marxsche Theorie' oder wissenschaftlicher Sozialismus' galt. Dagegen machte sich ab Mitte der 1960er Jahre eine neue Lektüre-Bewegung vor allem in der Bundesrepublik daran, die originellen wissenschaftlichen Gehalte des Marxschen Denkens zu entdecken. Der Rezeptionsschutt der vorangegangenen 100 Jahre sollte weggeräumt werden, um für die Rekonstruktion einer kritischen Gesellschaftstheorie mit einem innovativen Methoden- und Gegenstandsverständnis Platz zu schaffen. Das Buch vergegenwärtigt die Quellen, Geschichte und Resultate dieses neuen Diskussionskontexts. Drei Stränge der Debatte werden näher beleuchtet: die methodologische und werttheoretische Grundlagenforschung, die Staatsableitung sowie die Untersuchung der revolutionstheoretischen Implikationen der Kritik der politischen Ökonomie. Dabei wird gezeigt, dass in einem noch keineswegs abgeschlossenen Forschungsprozess die Umrisse einer bei Marx angelegten Theorie erkennbar werden, die wichtige Impulse zum Verständnis der modernen Reichtums- und Herrschaftsformen geben kann und in vielem geradezu das Gegenteil von dem zeigt, was man von Marx in marxistischen wie nicht-marxistischen Kreisen zu wissen glaubte.

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f Akademie Verlag Gerd Irrlitz

Rechtsordnung und Ethik der Solidarität Der Strafrechtler und Philosoph Arthur Baumgarten Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Gerd Irrlitz

Sonderband 22

Rechtsordnung und Ethik der Solidarität

2008. 410 S . - 1 7 0 x 2 4 0 mm,

Def Strafrechtler und Rechtsphilosoph Arthur Baumgarten (I884-1966)

(Sonderpreis für Abonnenten der

Festeinband, € 49,80 DZPhil € 44,80) ISBN 978-3-05-004550-4

Mit seinen philosophischen Schriften wurde Baumgarten, beeinflusst von James und Dewey, in den zwanziger und dreißiger Jahren des Akademie Verlag vergangenen Jahrhunderts ein Vordenker des sozialliberalen Pragmatismus in der deutschen Philosophie und nahm deren Hinwendung zur angloamerikanischen philosophischen Tradition um Jahrzehnte vorweg. Sonderband

1933 erklärte er, unterm NS-Regime nicht Rechtwissenschaft lehren zu können, und ging von Frankfurt in die Schweizer Emigration. Die Erfahrung von Faschismus und Krieg führte ihn in der Mitte der vierziger Jahre zu sozialistischen Uberzeugungen und Erwartungen und zur Marxschen sozialwissenschaftlichen Methode, so dass er, nach Frankfurt nicht zurückberufen, gleich anderen antifaschistischen Intellektuellen in die Ostzone und spätere DDR zog. Gerd Irrlitz behandelt die Hauptwerke und die marxistisch orientierten Texte Baumgartens - wie überhaupt die sozialliberale und die späte sozialistische Periode - nicht als Gegensätze, sondern als aufeinander bezogene und einander bedingende Konzepte, überzeugt, dass das Werk des Rechtsphilosophen unterm Erfordernis der Erneuerung des sozialen Liberalismus in der hochindustriellen Zivilisation neue Aktualität gewinnen kann.

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