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German Pages 573 [574] Year 2012
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 275 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Christoph Wendelstein
Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin Zugleich ein Beitrag zur Koordination von Vertrag und Delikt auf der Ebene des europäischen Kollisionsrechts
Mohr Siebeck
Christoph Wendelstein, geboren 1982; Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten in Tübingen und Passau; 2012 Promotion; 2010–2012 Rechtsreferendariat am LG Stuttgart; seit 2011 geprüfter wissenschaftlicher Mitarbeiter an der juristischen Fakultät der Universität Tübingen.
e-ISBN 978-3-16-152192-8 ISBN 978-3-16-152011-2 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb. de abrufbar. © 2012 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Im Gedenken an meinen Großvater Otto Leonhardt
Vorwort Die Arbeit wurde im Sommersemester 2012 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem Lehrer und Doktorvater Herrn Professor Dr. Dennis Solomon, LL.M. (Berkeley). Er hat mich nicht nur in das weite Feld des Internationalen Privatrechts und des Internationalen Zivilverfahrensrechts eingeführt, sondern mir auch die für diese Arbeit notwendigen gedanklichen Freiräume gelassen. Durch seine kritische Art hat er mich vor argumentative Herausforderungen gestellt und so die Arbeit in erheblichem Maße gefördert. Darüber hinaus hatte er während der Erstellung der Arbeit stets ein offenes Ohr und half mir mit kompetentem Rat. Besonderer Dank gebührt auch Herrn Professor Dr. Wolfgang Hau für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard) für die Aufnahme der Dissertation in die Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts. Großer Dank gebührt darüber hinaus Frau Anika Burkhardt, die mir stets als kritische Gesprächspartnerin zur Verfügung stand und mir durch ihre konstruktive Kritik half, meine Ideen weiterzuentwickeln und so zum Gelingen der Arbeit beitrug. Danken möchte ich ferner Herrn Simon Müller für sein engagiertes Lektorat und seine wertvollen Hinweise. Christoph Wendelstein
Inhaltsübersicht Einleitung ................................................................................................ 1 § 1 Begriff, Vorteil und Anwendungsbereich der Telemedizin .................. 1 § 2 Untersuchungsgegenstand .................................................................... 4 § 3 Gang der Untersuchung ........................................................................ 6
Kapitel 1: Typologisierung telemedizinischer Erscheinungsformen ............................................................................. 8 § 1 Telekonsil/Telekonferenz ..................................................................... 8 § 2 Teleexpertise ........................................................................................ 9 § 3 Telepräsenz/Telechirurgie .................................................................. 10 § 4 Teleassistenz ...................................................................................... 10
Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen ................................................................. 12 § 1 Rechtliche Bestimmungen im deutschen Sachrecht ............................ 12 § 2 Approbationsvorbehalt/Arztvorbehalt ................................................ 13 § 3 Telemedizin und das Fernbehandlungsverbot ..................................... 24 § 4 Telemedizin und Datenschutz ............................................................ 32
Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen im deutschen Sachrecht unter rechtsvergleichender Würdigung einzelner Aspekte im angloamerikanischen Rechtskreis .............................. 56 § 1 Rechtliche Beziehungen im Rahmen der Telemedizin ....................... 57 § 2 Vergütungsfragen ............................................................................... 67 § 3 Haftungsfragen der Telemedizin ........................................................ 78
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Inhaltsübersicht
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen bei grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen ..................... 122 § 1 Quellen des Kollisionsrechts ............................................................ 122 § 2 Qualifikation der auftretenden Rechtsfragen .................................... 134 § 3 Vertragsstatut ................................................................................... 200 § 4 Deliktsstatut ..................................................................................... 303 § 5 Approbationsstatut ........................................................................... 359 § 6 Wettbewerbsstatut ............................................................................ 379 § 7 Vollmachts-/Vertretungsstatut ......................................................... 384 § 8 Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag ....................................... 414
Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen ............................................................... 434 § 1 Grundlagen des internationalen Zuständigkeitsrechts ...................... 434 § 2 Einzelne Gerichtsstände ................................................................... 437
Kapitel 6: Abschließende Betrachtung ......................................... 499 § 1 Wesentliche Ergebnisse ................................................................... 499 § 2 Neue Herausforderungen ................................................................. 503
Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht ........................................................................................ IX Inhaltsverzeichnis .................................................................................... XI Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ XXX
Einleitung ................................................................................................ 1 § 1 Begriff, Vorteil und Anwendungsbereich der Telemedizin .................... 1 § 2 Untersuchungsgegenstand ................................................................... 4 § 3 Gang der Untersuchung ....................................................................... 6
Kapitel 1: Typologisierung telemedizinischer Erscheinungsformen ............................................................................. 8 § 1 Telekonsil/Telekonferenz ...................................................................... 8 § 2 Teleexpertise ........................................................................................ 9 § 3 Telepräsenz/Telechirurgie .................................................................. 10 § 4 Teleassistenz ...................................................................................... 10
Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen ..................................................... 12 § 1 Rechtliche Bestimmungen im deutschen Sachrecht ............................ 12 A. Allgemeine Regelungen ...................................................................... 12 B. Standesrechtliche Regelungen ............................................................. 12
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§ 2 Approbationsvorbehalt/Arztvorbehalt ................................................ 13 A. Deutsches Approbationserfordernis .................................................... 13 I. Grundlagen ...................................................................................... 13 II. Sachlicher Anwendungsbereich des Approbationserfordernisses .... 14 1. Begriff der Heilkunde ................................................................. 14 2. Subjektive Eindruckstheorie des BGH ........................................ 16 3. Auffassung des BVerfG/BVerwG ............................................... 16 4. Auseinandersetzung mit den dargestellten Meinungen ................ 17 a) Probleme der Eindruckstheorie ............................................... 17 b) Restriktives Verständnis des Heilkundebegriffs ..................... 18 5. Anwendung auf die Telemedizin ................................................. 18 a) Merkmal der medizinischen Fachkenntnisse........................... 19 b) Merkmal einer immanenten nennenswerten Gesundheitsgefahr .................................................................................. 20 aa) Teleassistenz .................................................................... 20 bb) Telepräsenz ...................................................................... 20 cc) Teleexpertise .................................................................... 20 dd) Telekonsil ........................................................................ 21 6. Zwischenergebnis ....................................................................... 22 III. Räumlicher Anwendungsbereich der BÄO .................................... 22 B. Rechtsvergleichender Blick ................................................................. 23 I. Ärztliche Berufserlaubnis im französischen Sachrecht ..................... 23 II. Ärztliche Berufserlaubnis im US-amerikanischen Sachrecht .......... 23 III. Europäische Perspektive ................................................................ 24 § 3 Telemedizin und das Fernbehandlungsverbot .................................... 24 A. Fernbehandlungsverbot ....................................................................... 25 I. Öffentlich-rechtliches Fernbehandlungsverbot ................................. 25 1. Regelungen der MBO-Ä ............................................................. 25 2. Regelungen des BMV-Ä ............................................................. 26 3. Regelungen der RÖV .................................................................. 26 II. Privatrechtliches Fernbehandlungsverbot ....................................... 27 B. Zwischenergebnis ................................................................................ 28 C. Sinn und Zweck des Fernbehandlungsverbots und des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung ................................................. 28 D. Schlussfolgerungen für die Typen der Telemedizin ............................ 28 I. Telekonsil ........................................................................................ 28 II. Teleexpertise .................................................................................. 29 III. Telepräsenz ................................................................................... 30 IV. Teleassistenz ................................................................................. 31
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§ 4 Telemedizin und Datenschutz ............................................................. 32 A. Vertraulichkeit von Patientendaten ..................................................... 33 B. Vertraulichkeit von Patientendaten aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht ................................................................................... 34 I. Voraussetzungen für die Vereinbarkeit eines Datenaustauschs mit der ärztlichen Schweigepflicht ...................................................... 35 1. Telemediziner zählt nicht zum „Kreis der Wissenden“ ............... 36 2. Einwilligung des Patienten in die Geheimnisoffenbarung ........... 37 3. Mutmaßliche Einwilligung des Patienten in die Geheimnisoffenbarung .................................................................... 39 II. Zwischenergebnis ........................................................................... 40 C. Sicherstellung der Vertraulichkeit von Patientendaten aufgrund spezieller Datenschutzbestimmungen .................................................. 41 I. Datenerhebung, -verarbeitung, -nutzung und -übermittlung ............. 43 1. Einwilligung des Patienten in die Datenverarbeitung .................. 43 2. Gesetzliche Grundlagen für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Patientendaten ............................................................ 45 a) Erhebung von Patientendaten ................................................. 45 b) Verarbeitung und Nutzung von Patientendaten ....................... 45 II. Datensicherheit im Rahmen der Telemedizin .................................. 46 1. Prinzip der Datensparsamkeit und der Datenvermeidung ............ 46 2. Maßnahmen zur Wahrung der Datensicherheit ............................ 47 III. Besondere Vorgaben für grenzüberschreitende Datenübermittlung ............................................................................... 48 1. Datenübermittlung innerhalb der EU ........................................... 49 2. Datenübermittlung an Stellen in Drittstaaten ............................... 49 a) Regelung des § 4b Abs. 2 S. 2 BDSG ..................................... 49 b) Ausnahme nach § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BDSG ........................ 50 c) Ausnahme nach § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG ........................ 50 d) Ausnahme nach § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG ........................ 51 e) Ausnahme nach § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BDSG ........................ 53 f) Schaffung eines angemessenen Datenschutzniveaus ............... 54 D. Ergebnis .............................................................................................. 54
Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen im deutschen Sachrecht unter rechtsvergleichender Würdigung einzelner Aspekte im angloamerikanischen Rechtskreis .............................. 56 § 1 Rechtliche Beziehungen im Rahmen der Telemedizin ......................... 57 A. Rechtliche Beziehungen im Rahmen einer ambulanten Behandlung ... 57
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I. Behandlung durch einen niedergelassenen Arzt ............................... 58 1. Vertragsbeziehung zwischen Primärarzt und Patient ................... 58 2. Vertragsbeziehung zwischen Patient und Telemediziner ............. 58 a) Direkter Kontakt zwischen Patient und Telemediziner ........... 58 b) Kein direkter Kontakt zwischen Patient und Telemediziner ... 59 II. Behandlung in einer Krankenhausambulanz ................................... 61 1. Vertragsbeziehung zwischen Primärarzt und Patient ................... 61 2. Vertragsbeziehung zwischen Telemediziner und Patient ............. 62 B. Rechtliche Beziehung im Rahmen stationärer Behandlungen .............. 62 I. Rechtsbeziehung zwischen Patient und Krankenhausträger beziehungsweise zwischen Patient und Krankenhausarzt .................... 62 1. Totaler Krankenhausaufnahmevertrag ......................................... 62 2. Gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag ................................. 63 3. Totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag ...... 63 II. Rechtsbeziehungen zwischen Patient und Telemediziner ................ 64 1. Vertragsbeziehungen im Rahmen eines totalen Krankenhausaufnahmevertrags ....................................................... 64 2. Vertragsbeziehungen im Rahmen eines gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrags ....................................................... 65 3. Vertragsbeziehungen im Rahmen eines Krankenhausaufnahmevertrags mit Wahlleistungsabrede/Arztzusatzvertrag .......................................... 65 C. Geschäftsführung ohne Auftrag ........................................................... 66 § 2 Vergütungsfragen............................................................................... 67 A. Vergütungsregelungen im ambulanten Bereich ................................... 67 I. Abrechnung gegenüber Selbstzahlern beziehungsweise Privatpatienten .................................................................................... 67 1. Zulässigkeit der Unterschreitung des Einfachsatzes der GOÄ aus gebührenrechtlicher Sicht ......................................................... 68 a) Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 GOÄ .......................................... 68 b) Sinn und Zweck der Gebührenregelung .................................. 69 c) Verfassungskonformes Verständnis der Gebührenregelung .... 70 2. Grenze der Zulässigkeit aufgrund des Wettbewerbsrechts .......... 71 II. Abrechnung gegenüber gesetzlich Versicherten.............................. 72 B. Vergütungsregelungen im stationären Bereich .................................... 73 I. Abrechnung gegenüber Selbstzahlern beziehungsweise Privatpatienten .................................................................................... 73 1. Grundlagen ................................................................................. 73 2. Vergütungskonstellationen bei telemedizinische Behandlungen ................................................................................. 74 II. Abrechnung gegenüber gesetzlich Versicherten.............................. 74
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C. Vergütungsregelungen im Bereich der telemedizinischen Nothilfe ..... 75 I. Vergütung nach deutschem Sachrecht .............................................. 75 II. Vergütung im angloamerikanischen Rechtskreis ............................. 75 1. Situation in England .................................................................... 76 2. Situation in den USA .................................................................. 77 3. Zusammenfassung der Rechtslage im common law .................... 78 § 3 Haftungsfragen der Telemedizin ........................................................ 78 A. Grundzüge der deutschen Arzt- und Krankenhaushaftung ................... 78 I. Haftung für eigenes Verschulden ..................................................... 79 1. Vertragliche Haftung – Haftung aus einer „Sonderverbindung“ ............................................................... 79 a) Behandlungsfehler .................................................................. 79 b) Aufklärungsfehler .................................................................. 81 2. Deliktische Haftung .................................................................... 83 a) Behandlungs- und Aufklärungsfehler ..................................... 83 b) Aufklärungspflichtverletzung als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts .............................................. 84 aa) Historische Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Selbstbestimmungsrechts ............... 85 bb) Anwendung auf die ärztliche Aufklärungspflichtverletzung .................................................................... 88 (1) Folgen einer Betonung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ......................................................... 88 (2) Probleme aus einer übermäßigen Betonung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ..................................... 89 (3) Folgen für die Behandlung allgemeiner Persönlichkeitsverletzungen .............................................. 90 (4) Folgen für die Behandlung von Aufklärungspflichtverletzungen als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ..................................... 90 II. Einstandspflicht für das Fehlverhalten Dritter und der sogenannte Vertrauensgrundsatz ......................................................... 91 1. Haftung für den Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen ............... 91 a) Haftung für den Erfüllungsgehilfen ........................................ 91 b) Haftung für den Verrichtungsgehilfen .................................... 93 2. Vertrauensgrundsatz .................................................................... 93 a) Grundlagen ............................................................................. 93 b) Verdeutlichung an einem Beispielsfall ................................... 96 B. Probleme bei der Haftungsverteilung im Rahmen der Telemedizin ..... 99 I. Haftung des Primärbehandlers und des Telemediziners für eigenes Verschulden ............................................................................ 99
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II. Haftung des Primärbehandlers und des Telemediziners für fremdes Verschulden ........................................................................... 99 III. Haftungsverteilung bei Einschaltung eines Telemediziners im Rahmen stationärer Behandlungen .................................................... 102 C. Keine eigenständige Bedeutung der vertraglichen Haftung des Arztes im Vergleich zu dessen deliktischer Einstandspflicht ........... 102 D. Arzthaftung als ius cogens ................................................................ 108 E. Haftung des Primärarztes und des Telemediziners aufgrund eines Verstoßes gegen die Vertraulichkeit von Patientendaten ................... 109 I. § 7 BDSG, Art. 23 DSRL ............................................................... 110 II. §§ 280 ff. BGB ............................................................................. 111 III. § 823 Abs. 1 BGB ....................................................................... 111 IV. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 203 StGB ...................... 112 F. Rechtsvergleichender Blick in den angloamerikanischen Rechtskreis ............................................................................................ 113 I. Medical Malpractice in den USA ................................................... 114 1. Arzt-Patienten-Beziehung im Rahmen der Telemedizin ............ 116 a) Treffen zwischen Patient und Telearzt .................................. 117 b) Untersuchung des Patienten durch den Telearzt ................... 117 c) Einblick des Telearztes in die Krankenakte des Patienten .... 118 d) Kenntnis des Telemediziners vom Namen des Patienten ...... 118 e) Entgeltliches oder unentgeltliches Tätigwerden des Telemediziners ......................................................................... 118 f) Schlussfolgerung für das Vorhandensein einer TelearztPatienten-Beziehung ................................................................. 118 2. Sorgfaltsstandard im Bereich der Telemedizin .......................... 118 II. Medical Malpractice in England ................................................... 119 III. Keine eigenständige Bedeutung der vertraglichen Haftung des Arztes gegenüber dessen deliktischer Einstandspflicht ...................... 121
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen bei grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen ..................... 122 § 1 Quellen des Kollisionsrechts ............................................................ 122 A. Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) ............ 122 B. Europäisches Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ) ........................ 123 C. Rom I-Verordnung ............................................................................ 123 D. Rom II-Verordnung ........................................................................... 124 E. Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie............................. 124 I. Anwendungsbereich des TMG beziehungsweise der ECRL ........... 125
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1. Merkmal der Telemedien bzw. der Dienste der Informationsgesellschaft ............................................................... 125 a) Telemedizinanwendungen als Nutzung von Telemediendiensten .................................................................. 126 b) Telemedizinanwendungen auf Internetplattformen ............... 127 aa) Aussage und Reichweite des Art. 8 Abs. 1 ECRL .......... 128 bb) Online-Absatz von Dienstleistungen ist kein Dienst der Informationsgesellschaft ................................................ 128 cc) Begrenzung aufgrund des Merkmals der „Geschäftsmäßigkeit“ .......................................................... 129 (1) Merkmal der „Geschäftsmäßigkeit“ ........................... 129 (2) Anwendung auf die Telemedizin ................................ 130 dd) Begrenzung durch das Merkmal des „koordinierten Bereichs“.............................................................................. 130 (1) Merkmal des „koordinierten Bereichs“ ...................... 130 (2) Anwendung auf die Telemedizin ................................ 131 ee) Begrenzung aufgrund eines Vergleichs mit den Regelungen der Rom II-Verordnung .................................... 132 ff) Herkunftslandprinzip der ECRL und die europäische Dienstleistungsfreiheit ......................................................... 133 gg) Begrenzung hinsichtlich Verbraucherverträgen.............. 133 II. Schlussfolgerung für telemedizinische Anwendungen .................. 133 § 2 Qualifikation der auftretenden Rechtsfragen ................................... 134 A. Bislang herrschende Qualifikationsmethode und deren Folgen ......... 135 B. Qualifikationsmethode unter Geltung von Rom I und Rom II und deren Folgen ................................................................................... 136 I. Verdeutlichung anhand des sogenannten Bündelungsmodells ........ 137 II. Durchführbarkeit einer funktionalen Qualifikation trotz des gemeineuropäischen Kontexts ........................................................... 139 III. Folgen der autonomen, funktionalen Qualifikation für die Behandlung von Anspruchskonkurrenzen im internationalen Privatrecht ......................................................................................... 141 C. Qualifikation der Telearzthaftung...................................................... 142 I. Grenze zwischen Vertrag und Delikt im EU-Kollisionsrecht ......... 142 1. Unterscheidung zwischen Vertrag und Delikt durch den EuGH und deren Grundlagen ........................................................ 143 2. Rückschlüsse aus der Funktion von Vertrag und Delikt auf der Ebene des Sachrechts .............................................................. 149 a) Vertrag als Mittel des Güteraustauschs ................................. 149 b) Ökonomischer Vertragsbegriff ............................................. 151
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c) Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Vertragskonzeptionen ............................................................... 152 3. Funktionaler kollisionsrechtlicher Vertragsbegriff .................... 155 a) Funktionaler Vergleich von Rom I und II im Allgemeinen ... 155 b) Verifizierung durch funktionale Betrachtung des Statuts der culpa in contrahendo........................................................... 162 4. Zwischenergebnis ..................................................................... 165 II. Argumente für eine vertragliche Qualifikation der Telearzthaftung ................................................................................. 166 III. Deliktische Qualifikation der Telearzthaftung wegen Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität des Patienten ........ 167 1. Schutz des Integritätsinteresses ................................................. 167 a) Deliktischer Ursprung der vertraglichen Pflicht zur Behandlung lege artis ............................................................... 168 b) Folgen für die vertragliche Haftung des Telemediziners ...... 170 c) Argumente aus der Systematik der §§ 280 ff. BGB .............. 172 2. Abgrenzung von Vertrag und Delikt anhand des funktionalen Vertragsbegriffs ............................................................................ 174 3. Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des EuGH und des BGH ....................................................................................... 183 4. Vereinbarkeit mit der Existenz der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II .............................................................. 192 5. Zusammenfassung ..................................................................... 194 IV. Vertraglich zu qualifizierende Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner ................................................... 194 D. Qualifikation des Vergütungsanspruchs des Telemediziners ............. 200 E. Qualifikation der Primäransprüche des Patienten .............................. 200 § 3 Vertragsstatut .................................................................................. 200 A. Subjektive Anknüpfung .................................................................... 201 I. Ausdrückliche Rechtswahl ............................................................. 201 II. Stillschweigende Rechtswahl ........................................................ 201 III. Grenzen der Parteiautonomie aufgrund von Art. 3 Abs. 3 Rom I ........................................................................... 202 1. Rechtswahlgrenze im Verhältnis zwischen Patient und Telemediziner ............................................................................... 203 2. Rechtswahlgrenze im Verhältnis zwischen Patient und Primärarzt ..................................................................................... 203 IV. Grenzen der Parteiautonomie aufgrund von Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I .................................................................... 205 1. Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I ....................................... 206 a) Persönlicher Anwendungsbereich ......................................... 206
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aa) Patient als Verbraucher .................................................. 206 bb) Telemediziner als Unternehmer ..................................... 210 b) Sachlicher Anwendungsbereich ............................................ 211 aa) Auslegung der „ausschließlichen Erbringung“ in Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I ...................................................... 212 (1) Virtuelle Reise des Patienten ...................................... 213 (2) Anwendung des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I in Fällen, in denen der Patient im Verbraucherstaat verweilt ........... 214 bb) Schlussfolgerung für den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I im Rahmen von Telemedizinverträgen .............................................................................. 215 c) Situativer Anwendungsbereich von Art. 6 Rom I ................. 217 aa) „Ausübung“ der beruflich-gewerblichen Telemedizintätigkeit im Verbraucherstaat ............................ 218 bb) „Ausrichtung“ der Telemedizintätigkeit auf den Verbraucherstaat .................................................................. 221 (1) Auffassung der Kommission und Entstehungsgeschichte des Kriteriums „Ausrichten“ .......................... 222 (2) Weite Auffassung des Ausrichtungsbegriffs ............... 224 (3) Enge Auffassung des Ausrichtungsbegriffs ................ 224 (4) Rechtsvergleichender Blick in das USZuständigkeitsrecht .......................................................... 225 α) Due process-Klausel des 5. bzw. 14. Verfassungszusatzes .............................................. 225 β) Einzelfallprüfung .................................................... 226 γ) „Purposeful availment“ als erster Prüfungsschritt ... 228 (5) Stellungnahme............................................................ 231 α) Kritik an der Auffassung der Kommission und der weiten Auffassung ....................................................... 231 β) Wertende Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Telemediziner .............................................. 232 (6) Sonderprobleme bei der Anwendung von Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I im Rahmen von Telemedizinanwendungen ............................................... 235 α) Möglichkeit einer „Ausrichtung“ trotz ärztlichen Werbeverbots .............................................................. 235 β) Kriterien zur Feststellung einer „Ausrichtung“ ....... 236 2. Rechtsfolgen des Art. 6 Rom I .................................................. 237 B. Objektive Anknüpfung ...................................................................... 238 I. Neuregelung des Art. 4 Rom I ........................................................ 238 II. Anknüpfung grenzüberschreitender Telemedizinverträge ............. 239
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1. Behandlungsort ist nicht (Zweig-)Niederlassung des Telemediziners .............................................................................. 240 2. Regelanknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I ..................... 240 a) Rechtfertigung der Regelanknüpfung durch die Lehre von der charakteristischen Leistung .......................................... 242 aa) Soziologische Erwägungen ............................................. 242 bb) Neuere Rechtfertigungsversuche .................................... 243 (1) Recht der juristisch komplexeren Leistung ................ 244 (2) Recht der stärker betroffenen Partei ........................... 244 (3) Rechtfertigung aufgrund des Uniformitätsgedankens . 245 b) Stellungnahme ...................................................................... 245 III. Ausweichklausel des Art 4 Abs. 3 Rom I .................................... 246 1. Ausweichklausel im internationalen (Tele-)Arztrecht ............... 247 a) Ausweichklausel im Rahmen des internationalen Arztrechts ................................................................................. 247 b) Ausweichklausel im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinverträge ................................................................. 248 2. Kritik an den Meinungen und Erarbeitung eines eigenen Lösungsvorschlags ........................................................................ 249 a) Keine zwingende Anknüpfung an den Niederlassungsort des Telemediziners ................................................................... 250 aa) Kollisionsrechtliche Ungleichbehandlung als Folge ....... 250 bb) Verkehrung von Ursache und Wirkung .......................... 252 cc) Keine ausschließliche Erbringung der telemedizinischen Leistung im Niederlassungsstaat des Telemediziners ........... 252 dd) Zusammenfassung.......................................................... 253 b) Auseinandersetzung mit den vertretenen Auffassungen ....... 253 aa) Keine Anknüpfung an den Behandlungsort .................... 253 (1) Zulassung als ungeeignetes Differenzierungsmerkmal ........................................................................... 254 (2) Argumente gegen eine Abweichung von der Regelanknüpfung ............................................................. 254 α.) Trägheitsprinzip des Kollisionsrechts .................... 255 β.) Korrektur des Vertragsstatuts als Folge einer fehlerhaften kollisionsrechtlichen Qualifikation der Telearzthaftung ........................................................... 256 γ.) Unbeachtlichkeit der Erwartungen von Patient und Telemediziner ............................................................. 258 (3) Schlussfolgerung ........................................................ 260 bb) Keine akzessorische Anknüpfung an das für den Vertrag zwischen Patient und Primärbehandler geltende Vertragsstatut ....................................................................... 261
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(1) Kein enger wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Behandlungsvertrag und Telemedizinvertrag ................... 262 (2) Parteienidentität zum Hauptvertrag ............................ 264 IV. Besonderheiten bei Verbraucherverträgen aufgrund von Art. 6 Abs. 1 Rom I ........................................................................... 265 C. Reichweite des Vertragsstatuts .......................................................... 266 D. Keine kollisionrechtliche „Sonderbehandlung“ von ärztlichen Gebührenregelungen .......................................................................... 267 I. Rechtsnatur der Gebührenregelungen der GOÄ ............................. 267 II. Begriff, Funktion und Voraussetzungen von Eingriffsnormen ...... 270 1. Herrschender Ansatz zur Bestimmung von Eingriffsnormen ..... 271 2. Kritik an dem herrschenden Verständnis von sogenannten Eingriffsnormen ............................................................................ 273 a) Erfordernis einer Einordnung in eines von zwei voneinander getrennten und unterschiedlich arbeitenden Kollisionsrechtssystemen ......................................................... 273 b) Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Interessen als ungeeignetes Leerkriterium ................................ 275 c) Verdeutlichung anhand der Gebührenregelungen der GOÄ .. 276 aa) Patientenschützende Funktion ........................................ 276 bb) Marktregulierende Funktion ........................................... 277 d) Schlussfolgerung .................................................................. 280 3. Alternatives Verständnis der Funktionsweise sogenannter Eingriffsnormen ............................................................................ 280 a) Kritik an der Methodik der herrschenden Meinung .............. 280 b) Schlussfolgerungen für die Funktion des Art. 9 Rom I ......... 282 c) Vorteile der hier vertretenen Auffassung .............................. 283 4. Kollisionsrechtliche Interessenlage im Rahmen der Regelungen der GOÄ ....................................................................................... 285 a) Kollisionsrechtliche Interessen des einzelnen Patienten ....... 286 b) Kollisionsrechtliche Interessen der Patientenschaft beziehungsweise der Allgemeinheit .......................................... 287 c) Kollisionsrechtliche Interessen der jeweiligen Solidargemeinschaft ................................................................. 289 aa) Vergleich mit der gesetzlichen Regelung für gesetzlich Versicherte ........................................................................... 290 bb) Vergleich mit der EU-Regelung ..................................... 292 (1) Kostentragung bei ambulanten Behandlungen ............ 293 (2) Kostentragung bei Krankenhaus- und Spezialbehandlungen ....................................................... 293 (3) Umfang der Kostentragungspflicht, Art. 7 Abs. 4 PatientenRL .......................................................... 295
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cc) Wertungsübertragung ..................................................... 295 d) Keine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung aufgrund der kollisionsrechtlichen Interessen von Mitwettbewerbern ........... 297 5. Zwischenergebnis ..................................................................... 297 6. Vereinbarkeit mit Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL ..................... 298 a) Problemlage.......................................................................... 298 b) Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL gilt nur im Rahmen von Präsenzbehandlungen ............................................................... 299 c) Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL hat keinen kollisionsrechtlichen Gehalt .................................................................... 301 7. Ergebnis .................................................................................... 302 § 4 Deliktsstatut ..................................................................................... 303 A. Kollisionsrecht nach Rom II ............................................................. 303 I. Rechtswahl nach Art. 14 Rom II .................................................... 303 1. Voraussetzungen einer wirksamen Rechtswahl nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses ......................................... 304 2. Voraussetzungen einer wirksamen Rechtswahl vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses ............................................... 304 3. Schranken der Rechtswahl ........................................................ 307 II. Objektive Anknüpfung.................................................................. 307 1. Grundregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II ........................................ 307 2. Regelung des Art. 4 Abs. 2 Rom II ........................................... 310 3. Regelung des Art. 4 Abs. 3 Rom II ........................................... 312 a) Vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an den bestehenden Telemedizinvertrag ........................................ 312 b) Konsequenzen einer vertragsakzessorischen Anknüpfung .... 314 c) Versuche zur Rechtfertigung dieser Konsequenzen .............. 315 d) Auseinandersetzung mit den Rechtfertigungsversuchen ....... 317 aa) Fehlerhafte Grundannahme aufgrund einer Qualifikation nach der lex fori ............................................. 317 bb) Rechtsunsicherheiten als Folge ...................................... 320 cc) Drohende Wertungswidersprüche ................................... 322 dd) Keine Rechtfertigung durch die Parteiinteressen und die Parteierwartungen .......................................................... 326 ee) Verhältnis zwischen akzessorischer Anknüpfung und Rechtswahl ........................................................................... 326 (1) Argumente für die durch die vertragsakzessorische Anknüpfung ermöglichte Umgehungsmöglichkeit des Art. 14 Abs. 1 lit. b) Rom II ............................................ 326
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(2) Argumente gegen die durch die vertragsakzessorische Anknüpfung ermöglichte Umgehungsmöglichkeit des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II .............................................. 328 ff) Prinzip der ultima ratio.................................................... 332 e) Schlussfolgerungen für die Anwendung des Art. 4 Abs. 3 Rom II ................................................................. 335 f) Vorteile der hier vertretenen Sichtweise ............................... 338 g) Keine vertragsakzessorische Anknüpfung an den Vertrag zwischen Telemediziner und Primärarzt oder den Behandlungsvertrag zwischen Patient und Primärarzt .............. 340 III. Geltungsbereich des Deliktsstatuts .............................................. 341 1. Allgemeiner Anwendungsbereichs, Art. 15 Rom II ................... 341 2. Sonderfall Verhaltensnormen, Art. 17 Rom II ........................... 342 B. Kollisionsrecht der Persönlichkeitsverletzungen ............................... 345 I. Kollisionsrechtliche Behandlung des § 7 BDSG ............................ 345 II. Kollisionsrechtliche Behandlung von Ansprüchen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach dem EGBGB .... 347 1. Rechtswahl nach Art. 42 EGBGB ............................................. 348 2. Objektive Anknüpfung .............................................................. 348 a) Grundregel des Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB ......................... 348 aa) Rechtswidrige Datenverarbeitung durch den Telemediziner ................................................................ 348 bb) Rechtswidrige Datenverarbeitung durch den Primärarzt 350 b) Bestimmungsrecht nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB bei Distanzdelikten ......................................................................... 350 c) Sonderregel des Art. 40 Abs. 2 EGBGB ............................... 353 d) Ausweichklausel des Art. 41 EGBGB .................................. 354 aa) Vertragsakzessorische Anknüpfung im Verhältnis zwischen Patient und Telemediziner .................................... 355 bb) Vertragsakzessorische Anknüpfung im Verhältnis zwischen Patient und Primärarzt .......................................... 356 3. Rück- und Weiterverweisung .................................................... 357 aa) Fallgruppen des Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB .................... 357 bb) Fallgruppe des Art. 4 Abs. 2 EGBGB ............................ 359 § 5 Approbationsstatut ........................................................................... 359 A. Anwendungsbereich öffentlich-rechtlicher Regelungen und der Territorialgrundsatz ........................................................................... 360 B. Kollisionsrechtliche Behandlung des Approbationserfordernisses..... 361 I. Beschränkung des Anwendungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf den Handlungsort ........................................................................ 362
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II. Beschränkung des Anwendungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf Ärzte mit Niederlassung oder Zweigniederlassung in Deutschland ................................................................................... 363 III. Beschränkung des Anwendungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf Heilbehandlungen, bei denen sich der Patient im Zeitpunkt der Heilbehandlung physisch in Deutschland befindet ............................................................................................. 364 IV. Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lösungsansätzen ..... 365 1. Kollisionsrechtliche Interessenlage ........................................... 365 a) Interessen des Patienten ........................................................ 365 b) Interessen des Telemediziners .............................................. 366 c) Interessen der Allgemeinheit ................................................ 366 d) Interessen der deutschen Ärzteschaft .................................... 366 e) Interessen des Primärarztes .................................................. 367 2. Herausarbeitung der Element-Kollisionsnorm des Approbationserfordernisses ........................................................... 368 a) Beschränkung des Approbationsvorbehalts auf den Handlungsort in Deutschland .................................................... 368 b) Beschränkung des Approbationsvorbehalts auf den Telearzt mit Sitz oder Niederlassung in Deutschland ............... 371 c) Beschränkung des Approbationsvorbehalts auf Heilbehandlungen, bei denen sich der Patient physisch in Deutschland befindet ................................................................ 372 3. Allseitiger Ausbau – das Approbationsstatut ............................. 374 V. Vereinbarkeit der Elementkollisionsnorm mit der europäischen Dienstleistungsfreiheit ....................................................................... 374 1. Europäische Dienstleistungsfreiheit .......................................... 374 2. Entfallen des Approbationserfordernisses aufgrund § 10b BÄO beziehungsweise Art. 6 lit. a Richtlinie 2005/36/EG .. 376 3. Kein Verstoß gegen die europäische Dienstleistungsfreiheit ..... 378 VI. Ergebnis ...................................................................................... 379 § 6 Wettbewerbsstatut ............................................................................ 379 A. Untersuchungsgegenstand ................................................................. 379 B. Kollisionsrechtliche Behandlung von außervertraglichen Schuldverhältnissen aus unlauterem Wettbewerb .............................. 380 I. Regelung des Art. 6 Rom II ........................................................... 380 II. Anwendung auf die Telemedizin .................................................. 381 § 7 Vollmachts-/Vertretungsstatut .......................................................... 384
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A. Meinungsstand zur kollisionsrechtlichen Behandlung der Vollmacht .................................................................................... 384 B. Rechtsbeziehungen bei Vertretergeschäften im Rahmen von Telemedizinverträgen ........................................................................ 386 C. Kollisionsrechtliche Interessen der Beteiligten .................................. 387 D. Unselbstständige Anknüpfung ........................................................... 387 I. Akzessorische Anknüpfung an das Statut des Innenverhältnisses... 388 II. Akzessorische Anknüpfung an das Statut des Hauptgeschäftes ..... 388 1. Vorteile der hauptgeschäftsakzessorischen Anknüpfung der Vollmacht ..................................................................................... 389 2. Nachteile der hauptgeschäftsakzessorischen Anknüpfung der Vollmacht ............................................................................... 389 E. Selbstständige Anknüpfung der Vollmacht ........................................ 392 I. Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Vertreters ... 392 1. Argumente für die Anknüpfung am beruflichen Niederlassungsort in Fällen kaufmännischer Vertretung .......................... 393 2. Primärarzt als Gelegenheitsvertreter ......................................... 395 II. Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Patienten ... 396 1. Argumente für eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Patienten ......................................................... 396 2. Argumente gegen eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Patienten ......................................................... 397 III. Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht ........................ 399 1. Argumente für eine Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht ..................................................................................... 399 2. Lokalisierung des Gebrauchsortes bei Distanzgeschäften ......... 401 a) Ausgangslage nach der bislang herrschenden Meinung ........ 401 b) Alternativer Lösungsvorschlag ............................................. 401 c) Auseinandersetzung mit den Argumenten der herrschenden Meinung und Untersuchung des alternativen Lösungsvorschlags ................................................................... 402 aa) Kollisionrechtliche Interessenlage im Rahmen des Art. 13 Rom I ....................................................................... 403 bb) Übertragung der Erkenntnisse auf die Lokalisierung des Gebrauchsortes der Vollmacht bei Distanzgeschäften .... 405 cc) Unzulässigkeit der Wertungsübertragung aufgrund einer divergierenden kollisionsrechtlichen Grundentscheidung..... 405 (1) Verdrängung der kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten bei Distanzgeschäften ....................................... 406 (2) Verdrängung der kollisionsrechtlichen Interessen des Primärarztes bei Distanzgeschäften ................................. 409
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(3) Korrektur der Anknüpfung bei Kenntnis beziehungsweise fahrlässiger Unkenntnis des Telemediziners vom Auslandsbezug der Vollmacht ........ 410 F. Reichweite des Vollmachtsstatuts ...................................................... 412 § 8 Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag ....................................... 414 A. Geltungsbereich des Statuts der Geschäftsführung ohne Auftrag ...... 416 B. Subjektive Anknüpfung ..................................................................... 416 C. Objektive Anknüpfung ...................................................................... 417 I. Anknüpfungssystem des Art. 11 Rom II......................................... 417 II. Bestimmung des Statuts der Geschäftsführung ohne Auftrag bei telemedizinischen Anwendungen ...................................................... 417 1. Vertragsakzessorische Anknüpfung .......................................... 417 2. Deliktsakzessorische Anknüpfung ............................................ 418 3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt .................................... 420 4. Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II in den verbleibenden Fällen ............................................................................................ 421 a) Anknüpfung an den Erfolgsort ............................................. 421 b) Anknüpfung an den Handlungsort ........................................ 422 aa) „Belohnung“ des altruistisch handelnden Telemediziners auf kollisionsrechtlicher Ebene durch Anknüpfung an den Handlungsort ........................................................................ 422 (1) Deutsches Verständnis der Geschäftsführung ohne Auftrag ............................................................................ 423 (2) Verständnis der Geschäftsführung ohne Auftrag im angloamerikanischen Recht ............................................. 424 (3) Schlussfolgerung für die kollisionsrechtliche Behandlung der Geschäftsführung ohne Auftrag ............. 424 bb) Wahrung des funktionalen Zusammenhangs zwischen Hilfeleistungsverpflichtung und Entschädigung ................... 426 cc) Vergleichbarkeit mit der hinter dem hypothetischen Vertragsstatut stehenden kollisionsrechtlichen Interessenlage ...................................................................... 429 c) Keine drohenden Wertungswidersprüche ............................. 430 D. Zusammenfassung ............................................................................. 432
Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen ............................................................... 434 § 1 Grundlagen des internationalen Zuständigkeitsrechts ..................... 434
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A. Quellen des internationalen Zuständigkeitsrechts .............................. 434 I. EuGVO .......................................................................................... 434 II. ZPO .............................................................................................. 435 B. Anwendungsbereich der EuGVO....................................................... 435 I. Sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 1 EuGVO ..................... 435 II. Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich der EuGVO ............. 436 § 2 Einzelne Gerichtsstände ................................................................... 437 A. Allgemeiner Gerichtsstand ................................................................ 437 I. Art. 2 Abs. 1 EuGVO ..................................................................... 437 1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen des Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat ................................................................... 438 a) Zuständigkeitsvoraussetzungen liegen im Zeitpunkt der Entscheidung vor ...................................................................... 438 b) Zuständigkeitsvoraussetzungen liegen im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vor, bestanden aber im Zeitpunkt der Klageeinreichung ...................................................................... 439 2. Örtliche Zuständigkeit ............................................................... 439 II. §§ 12, 13 ZPO ............................................................................... 440 B. Besondere Gerichtsstände ................................................................. 440 I. Sondergerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes .................. 441 1. Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO .... 441 a) Abgrenzung zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung .. 441 aa) Qualifikation der Vergütungsansprüche des Telearztes und Leistungsansprüche des Patienten ................................. 441 bb) Qualifikation der Telearzthaftung wegen Körper- oder Gesundheitsschädigung ........................................................ 442 b) Konkretisierung des Erfüllungsortes für Telemedizinverträge .................................................................................... 445 aa) Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO ............................................... 445 bb) Vertragliche Vereinbarung ............................................. 447 2. Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO ..................... 449 a) Qualifikation der Sammelbegriffe der ZPO .......................... 449 aa) Herrschende Qualifikationsmethode und deren Folgen... 449 bb) Funktionale autonome Qualifikation .............................. 450 (1) Historische Überlegungen .......................................... 450 (2) Widersprüche bei einer Qualifikation anhand der materiellen lex fori .......................................................... 455 (3) Verdeutlichung anhand der Rechtsfigur der culpa in contrahendo ..................................................................... 456 (4) Deliktische Fallgruppen der positiven Vertragsverletzung ........................................................................ 456
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(5) Konstruktion einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs ....................................................... 459 (6) Abschließende Stellungnahme und Ergebnis .............. 459 b) Lokalisierung des Erfüllungsortes ........................................ 461 II. Sondergerichtsstand der unerlaubten Handlung ............................ 464 1. Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO ................................... 464 2. Gerichtsstand nach § 32 ZPO .................................................... 465 III. Sondergerichtsstand für Verbrauchersachen, Art. 15–17 EuGVO ............................................................................ 466 1. Anwendungsvoraussetzungen ................................................... 466 a) Persönlicher Anwendungsbereich ......................................... 466 b) Sachlicher Anwendungsbereich ............................................ 466 c) Situativer Anwendungsbereich ............................................. 467 2. Rechtsfolgen des Art. 16 in Verbindung mit Art. 15 EuGVO ... 468 3. Rechtsfolgen des Art. 17 EuGVO ............................................. 468 IV. Sondergerichtstand des Vermögens nach § 23 ZPO .................... 469 1. Sinn und Zweck des Vermögensgerichtsstandes ....................... 469 2. Voraussetzungen für die Eröffnung des Vermögensgerichtsstandes .............................................................................. 470 a) Vermögen in Deutschland .................................................... 470 b) Kriterium des hinreichenden Inlandsbezugs ......................... 472 3. Anwendung auf die internationale Zuständigkeit bei Klagen aus grenzüberschreitenden Telemedizinverträgen ......................... 473 V. Gerichtliche Prüfungspflicht ......................................................... 474 1. Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen ............................... 475 2. Argumente gegen die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen ...................................................................................... 476 a) Prozessökonomie .................................................................. 476 b) Beklagter bedarf keines Schutzes ......................................... 477 c) Doppelrelevanz ist nicht feststellbar ..................................... 478 d) Begriffsidentität in Zulässigkeit und Begründetheit ist nicht zwingend ......................................................................... 481 e) Zusammenfassung ................................................................ 482 3. Anforderungen an den Klägervortrag zur Eröffnung einer Zuständigkeit ................................................................................ 482 VI. Sachzusammenhang als Zuständigkeitsgrund .............................. 484 1. Situation nach hier vertretener Auffassung ............................... 484 2. Situation nach herrschender Auffassung im Rahmen der ZPO .. 485 a) Streitstand ............................................................................ 486 aa) Meinungsstand im Rahmen des Anwendungsbereichs der EuGVO .......................................................................... 486 bb) Meinungsstand im Anwendungsbereich der ZPO ........... 487
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XXIX
b) Konstruktion einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs als Folge einer Qualifikation nach der materiellen lex fori ....... 488 aa) Prozessökonomie ............................................................ 489 bb) Dogmatischer Bruch mit dem prozessualen Streitgegenstandsbegriff der ZPO ........................................ 491 cc) Argumente aus § 17 Abs. 2 S. 1 GVG ............................ 493 dd) Besonderheiten bei internationalen Rechtsstreitigkeiten ........................................................................ 494 c) Stellungnahme ...................................................................... 494 VII. Zusammenfassung der Ergebnisse zur internationalen Zuständigkeit ..................................................................................... 497 1. Im Anwendungsbereich der EuGVO ......................................... 497 2. Im Anwendungsbereich der ZPO .............................................. 498
Kapitel 6: Abschließende Betrachtung ......................................... 499 § 1 Wesentliche Ergebnisse .................................................................... 499 § 2 Neue Herausforderungen ................................................................. 503 Literaturverzeichnis ............................................................................... 505 Sachverzeichnis ..................................................................................... 539
Abkürzungsverzeichnis AcP AEUV a.F. Am. J.L. & Med. Annals Health L. Anwbl. AnwKommBGB AuA Ärzte-ZV BÄO BDSG BGHZ BKK BMV-Ä bspw. BPflV BSGE Cal.L.Rev. CF DB Dgvr Dir.UE DMW DuD EGV EuGVO
EuZW Ethik Med EWiR FamRZ GesR ggf. ggü. GKV GOÄ GOZ
Archiv für civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung American Journal of Law and Medicine Annals of Health Law Anwaltsblatt Anwaltskommentar BGB Arbeit und Arbeitsrecht Zulassungsverordnung für Vertragsärzte Bundesärzteordnung Bundesdatenschutzgesetz Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Die Betriebskrankenkasse Bundesmantelvertrag-Ärzte beispielsweise Bundespflegesatzverordnung Entscheidungen des Bundessozialgerichts California Law Review Computer-Fachwissen Der Betrieb Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Il Diritto dell’Unione Europea Deutsche Medizinische Wochenschrift Datenschutz und Datensicherheit EG-Vertrag Verordnung 44/2001/EG über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Ethik in der Medizin Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Zeitschrift für Gesundheitsrecht gegebenenfalls gegenüber gesetzliche Krankenversicherung Gebührenordnung für Ärzte Gebührenordnung für Zahnärzte
Abkürzungsverzeichnis Gruchot Hrsg. HeilprG HOAI Hous.J.Health L. & Pol’y Hous.J.Int’l L. HWG HWS ICLQ i.E. Ind. Int’l & Comp. L. Rev. Int. J.L. & Inform. Technology IPR IPRspr. ITRB i.V.m. IZPR IZVR JBL J. Health Care L. & Pol’y J.L. & Health J. Legal Med. jurisPR-BGHZivilR jurisPR-ITR JR J Robotic Surg KHEntgG KHG Law and Legal Research Paper Lit. LugÜ
LMCLQ MBO-Ä MedR MJ M.L.Rev. m.w.N. m.z.N.
XXXI
Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts Herausgeber Heilpraktikergesetz Honorarordnung für Architekten und Ingenieure Houston Journal of Health Law & Policy Houston Journal of International Law Heilmittelwerbegesetz Halswirbelsäule The International and Comparative Law Quarterly im Ergebnis Indiana International and Comparative Law Review International Journal of Law and Information Technology Internationales Privatrecht Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts Der IT-Rechts-Berater in Verbindung mit Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht Juristische Blätter Journal of Health Care Law and Policy Journal of Health and Law Journal of Legal Medicine Juris PraxisReport BGH Zivilrecht Juris PraxisReport IT-Recht Juristische Rundschau Journal of Robotic Surgery Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen Krankenhausfinanzierungsgesetz Emory University School of Law, Public Law and Legal Theory Research Paper Series Literatur Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen) Lloyd's Maritime and Commercial Law Quarterly Musterberufsordnung für deutsche Ärztinnen und Ärzte Medizinrecht Maastricht Journal of European and Comparative Law Michigan Law Review mit weiteren Nachweisen mit zahlreichen Nachweisen
XXXII N.D.L.Rev NILR NJW Notfall Rettungsmed NZS ÖBl. OGH O.J.L.S. RabelsZ RDV Rev. crit. dr. int. priv. Rev. Litig. Riv. dir. int. priv. Rn. RöV Rspr. RVG S.D.N.Y. SGB V SGB VII SJZ WRP ZEuP ZESAR ZfA ZfRV ZRechtsmed ZRP ZVersWiss ZaeFQ
Abkürzungsverzeichnis North Dakota Law Review Netherlands International Law Review Neue Juristische Wochenschrift Zeitschrift Notfall & Rettungsmedizin Neue Zeitschrift für Sozialrecht Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Oberster Gerichtshof der Republik Österreich Oxford Journal of Legal Studies Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Datenverarbeitung Revue de droit international privé et de droit pénal international Review of Litigation Rivista di diritto internazionale privato e processuale Randnummer Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen Rechtsprechung Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Southern District of New York Sozialgesetzbuch Nr. 5 Sozialgesetzbuch Nr. 7 Schweizerische Juristen-Zeitung Wettbewerb in Recht und Praxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Rechtsmedizin Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen
Einleitung Einleitung
§ 1 Begriff, Vorteil und Anwendungsbereich der Telemedizin § 1 Begriff, Vorteil und Anwendungsbereich der Telemedizin
Immer häufiger stößt man im Bereich des Gesundheitswesens auf den Begriff der Telemedizin. Darunter wird der Einsatz von Kommunikationsund Informationstechnologien im Gesundheitswesen zwischen Teilnehmern, die sich an räumlich unterschiedlichen Orten befinden, verstanden.1 Die Telemedizin umfasst also jeden Gebrauch von Telematikanwendungen2 zur Überwindung räumlicher und zeitlicher Distanzen innerhalb der Erbringung medizinischer Dienstleistungen. Eine Beschränkung auf einen Arzt oder Patienten als Kommunikationspartner findet nicht statt. Vielmehr können beispielsweise auch Apotheker, Krankenkassen, Produkthersteller, Behörden und Selbsthilfegruppen Erbringer oder Nutzer telemedizinischer Leistungen sein. Im Folgenden wird der Begriff der Telemedizin jedoch dahingehend verengt, dass er ausschließlich die Verwendung von Kommunikations- und/oder Informationstechnologien zwischen Ärzten oder zwischen Arzt und Patient erfasst. Der Einsatz der Telemedizin ist in vielerlei Hinsicht vorteilhaft: Der Wunsch nach kosteneffizientem Arbeiten ist aufgrund der rasant ansteigenden Kosten im Gesundheitswesen3, in der Ärzteschaft, aber auch in den Krankenhäusern und Kliniken immer stärker geworden, so dass kostensenkende Telemedizinanwendungen4 und die damit verbundene Effizienzstei-
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Field, Telemedicine, S. 16; Dierks in Dierks/Feussner/Wienke S. 3; Dietel/Hufnagl, ZaeFQ 95 (2001), 596, 596; Steffen in FS Stoll, 71, 74; Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 177; Tillmanns, Persönliche Leistungserbringungspflicht, S. 30; Schütze/Kamler, DMW 2007, 453, 453; Daly, 9 Annals Health L. 73, 75 f. 2 Der Begriff Telematik ist ein Kunstwort und beschreibt den kombinierten Einsatz von TELEkommunikationstechnologien und der InforMATIK. 3 So wurden im Jahr 2008 in Deutschland rund 263 Milliarden für Gesundheitsleistungen ausgegeben (Im Jahr 2007 waren es noch 253 Milliarden Euro; 2006 noch 245 Milliarden Euro; 2003 noch 239 Milliarden Euro; 1993 noch 163 Milliarden Euro) vgl. hierzu www.destatis.de. 4 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Nut-
2
Einleitung
gerung den Wegweiser in die Zukunft darstellen.5 Insbesondere die digitale Bildübertragung vermeidet eine teure Verlegung des Patienten in Spezialkliniken und ermöglicht es, teure Gerätschaften über große Distanzen, ja sogar über Landesgrenzen hinweg, zu teilen und damit besser auszulasten. Darüber hinaus verhindert die Telemedizin personelle Doppelbesetzungen aus verwaltungstechnischen und organisatorischen Gründen6, indem sie es beispielsweise ermöglicht, dass ein Telearzt aus einer Zentrale heraus Patienten an unterschiedlichen, weltweiten Standorten überwacht, betreut oder behandelt. Ein weiterer gewichtiger Vorteil der Telemedizin besteht darin, dass sie Ärzte mit Patienten verbindet, die in abgelegenen Gegenden ohne ausreichende medizinische Infrastruktur, etwa in den nördlichen und südlichen Polarregionen oder in der Mitte des australischen Kontinents, leben.7 Ferner sind Einrichtungen des Gesundheitswesen durch telemedizinische Anwendungen in der Lage, Spitzenbelastungen zu bewältigen, einen Rundum-die-Uhr-Dienst anzubieten und Wartezeiten zu verkürzen.8 Aufgrund dieser Vorzüge und der rasanten technischen Weiterentwicklung in den letzten 20 Jahren in den Bereichen der Telekommunikation und der Datenverbindung wuchs auch der Einsatzbereich telemedizinischer Anwendungen kontinuierlich an.9 Insbesondere die Möglichkeiten zur
zen der Telemedizin für Patienten, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft vom 04.11.2008, KOM (2008) 689 endg., S. 6. 5 Goetz/Semritzki, DuD 2006, 133,135 u. 137. 6 Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197, 197; vgl. auch Daly, 9 Annals Health L. 73, 83–85. 7 Vgl. hierzu Daly, 9 Annals Health L. 73, 80–83. 8 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Nutzen der Telemedizin für Patienten, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft vom 04.11.2008, KOM (2008) 689 endg., S. 6. 9 Die geschichtliche Entwicklung der Telemedizin reicht bis in die 60er Jahre zurück: Bereits 1964 wurden durch das Nebraska Psychiatric Institute in Omaha mehrere Projekte zur psychiatrischen Behandlung von Patienten im fast 200 km entfernten Norfolk State Hospital mit Hilfe einer interaktiven Bild- und Tonübertragung ins Leben gerufen. Diese Projekte wurden jedoch aufgrund der damit verbundenen unrentablen Kosten und der damals technisch noch sehr langsamen Datenverbindungen bald wieder eingestellt. Einen ersten Durchbruch erlebte die Telemedizin Mitte der 70er Jahre, als die NASA mittels Satellitenverbindungen die Lebensfunktionen ihrer Astronauten überwachte (vgl. Frost, Gesundheitstelematik, S. 46). Parallel hierzu entwickelten sich weitere Projekte für Expeditionen in die Polarregionen und für Boots- und Bohrinselbesatzungen. Einen echten Erfolg errang die Telemedizin jedoch erst Mitte der 80er Jahre, als es aufgrund der fortgeschrittenen globalen Vernetzung und der höheren Datendurchsatzraten innerhalb der Datennetze möglich war, auch datenintensive Anwendungsformen auf dem Markt zu etablieren. Insbesondere in Ländern mit geringer Populationsdichte und räumlich großen Distanzen wurden immer häufiger Echtzeit-Video-Konferenzen auf den Gebieten der
§ 1 Begriff, Vorteil und Anwendungsbereich der Telemedizin
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schnellen Übertragung großer Datenmengen erschließen weitere Einsatzfelder für telemedizinische Anwendungen. Die räumliche und zeitliche Trennung zwischen den Beteiligten stellt heute – aus technischer Sicht – kein entscheidendes Hindernis für eine diagnostische Zusammenarbeit mehr dar.10 Sowohl die digitale Übersendung von Bildern und LiveVideoschaltungen als auch die Fernsteuerung von Operationsgeräten mittels vernetzten PCs sind technisch realisierbar und werden bereits eingesetzt.11 Im Laufe der technischen Weiterentwicklung wird sich auch die Patientenschaft an Telemedizinapplikationen gewöhnen, so dass heute noch „fremd“ und unbehaglich wirkende Erscheinungsformen in den nächsten Jahren in allen Facetten des medizinischen Alltags Einzug halten werden.12 Schon gegenwärtig ist festzustellen, dass sich in einigen medizinischen Fachbereichen IT-Lösungen zur Kommunikation und zum Datenaustausch durchgesetzt haben. So sind in der Teleradiologie, -pathologie und -dermatologie die zahlreichen, bereits fest installierten Systeme ein Teil des medizinischen Alltags und nicht mehr wegzudenken13: Beispielsweise verbindet ein ATM-basiertes14 Telepathologiesystem die Pathologieabteilung Berlin-Mitte mit der des Campus Berlin-Wedding sowie der onkologischen Chirurgie in Berlin-Buch.15 Durch diese Vernetzung ist es möglich, dass Pathologen und Chirurgen aller drei Standorte das Gewebepräparat bereits beim Zuschnitt unter dem Mikroskop in Echtzeit betrachten und ihre Diagnose auf dieser Grundlage gemeinsam stellen können. Auch vergleichbar arbeitende, weltweit zugängliche „second-opinion“-Systeme etablieren sich mittlerweile.16
Dermatologie, Radiologie, Kardiologie und Psychiatrie durchgeführt, um schnell und kostenoptimiert Informationen auszutauschen (bspw. in Norwegen im Rahmen des Programms „Access to health care services“). 10 Dietel/Hufnagl, ZaeFQ 95 (2001) 596, 596 f. 11 Daly, 9 Annals Health L., 73, 78. 12 Vgl. Dietel/Hufnagl, ZaeFQ 95 (2001) 596, 596; Deutsches Ärzteblatt, Jg. 98, Heft 39 vom 28.09.2001. 13 In der Teleradiologie etwa die Projekte BERMED, KARMEDIN, MEDICUS II; in der Telepathologie bspw. das Projekt HISTKOM. 14 Asynchronous Transfer Mode (ATM) ist eine sehr zuverlässige und schnelle Technik der Datenübertragung. Der Datenverkehr wird in kleine Pakete – auch Zellen oder Slots genannt – mit fester Länge codiert und über asynchrones Zeitmultiplexing übertragen. 15 Dietel/Hufnagl, Telepathologie – eine diagnostische Perspektive im nächsten Jahrhundert, S. 1 f.; dies., ZaeFQ 95 (2001), 597, 597 f. 16 Als Beispiele seien das UICC (International Union Against Cancer) und das TPCC (Telepathology Consultation Center) genannt (Diese sind weltweit über das Internet unter http://www.uicc.org erreichbar). Diese Projekte stellen die Verbindung zwischen dem
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Einleitung
Trotz der geschilderten Vorzüge und ihrer bereits vorangeschrittenen Entwicklung birgt die Telemedizin aber auch Gefahren.17 So gilt es trotz des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel und der damit eröffneten Möglichkeit zur grenzüberschreitenden Erbringung medizinischer Dienstleistungen den medizinischen Standard zu sichern und die Übermittlung der medizinischen Daten hinreichend zu schützen, damit der Behandelte nicht zum „gläsernen Patienten“ wird. Darüber hinaus muss im Schadensfall, aber auch schon im Vorfeld eines solchen, eine für alle Beteiligten vorhersehbare und praktikable Haftungssituation bestehen. Die Bewältigung dieser Aufgaben wird umso komplexer, je weiter die Internationalisierung im Gesundheitswesen voranschreitet. Im Zuge der Globalisierung und Ausgliederung einzelner Fachbereiche ins Ausland werden vermehrt auch ausländische Teleärzte an inländischen Behandlungen von Patienten partizipieren oder solche sogar selbst via Telematikanwendungen mehr oder weniger eigenständig übernehmen. Aber auch deutsche Teleärzte werden vermehrt in irgendeiner Form an im Ausland stattfindenden Behandlungen teilnehmen.
§ 2 Untersuchungsgegenstand § 2 Untersuchungsgegenstand
Der Einsatz moderner Kommunikationsmöglichkeiten ermöglicht es dem Telearzt, einen unter Umständen mehrere tausend Kilometer entfernten Patienten über Landesgrenzen hinweg zu behandeln oder an einer dort stattfindenden Behandlung durch einen Primärarzt teilzunehmen. Dass bei derartigen grenzüberschreitenden Distanzbehandlungen komplexe, ja teilweise sogar neuartige Rechtsfragen des Kollisionsrechts auftreten, verwundert nicht. Schwierig gestaltet sich aber auch die rechtliche Würdigung in den jeweiligen Sachrechten, da sich sowohl Rechtsfragen der Telematik als auch solche der medizinischen Behandlung stellen.18 Darüber hinaus
anfragenden Pathologen und einem weltweiten Expertennetz her, wodurch es Pathologen schnell und kostengünstig ermöglicht wird, eine Zweitmeinung international anerkannter Experten einzuholen. Ein ähnliches Projekt gibt es auch in den USA am Armed Forces Institute of Pathology in Washington D.C., vgl. http://www.afip.org/consultation/; zuletzt abgerufen am 15.03.2011. 17 Vgl. hierzu Schlungbaum, ZaeFQ 95 (2001), 667, 667 ff. 18 So bestehen im deutschen Sachrecht etwa erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Vereinbarkeit von telemedizinischen Behandlungen mit dem Fernbehandlungsverbot beziehungsweise mit dem Gebot der persönlichen Leistungserbringung durch den behandelnden Arzt; vgl. dazu etwa Link, Telemedizinische Anwendungen, S. 51–59; sowie Burger in Dierks/Feussner/Wienke, S. 119–132; auch im französischen Sachrecht stellt
§ 2 Untersuchungsgegenstand
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sind bei telemedizinischen Anwendungen neben dem vor Ort befindlichen Primärarzt und dem Patienten regelmäßig noch Dritte – namentlich der Telemediziner – beteiligt, so dass überwiegend Mehrpersonenverhältnisse bestehen, deren rechtliche Beurteilung traditionell durch besondere Komplexität geprägt ist. Überschreitet ein deutscher Arzt via Telemedizinanwendung Staatsgrenzen und behandelt einen im Ausland befindlichen Patienten oder erbringt ein ausländischer Telearzt seine medizinischen Dienste gegenüber einem in Deutschland befindlichen Patienten, stellt sich zunächst die Frage, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen eine solche grenzüberschreitende Erbringung telemedizinischer Dienste rechtlich zulässig ist. Die Unzulässigkeit könnte zum einen aus besonderen Vorschriften über den ärztlichen Beruf zum anderen aber auch aus datenschutzrechtlichen Vorgaben resultieren. Bei der Beantwortung dieser Rechtsfragen stellt sich freilich sogleich die Folgefrage, nach welcher Rechtsordnung die rechtliche Zulässigkeit überhaupt zu beurteilen ist. Gelangt die Heimatrechtsordnung des Telemediziners oder diejenige des Zielstaates für den jeweiligen Aspekt zur Anwendung? Neben diesen Zulässigkeitsfragen stellt sich ferner die Frage, welche der beteiligten Rechtsordnungen für Vergütungsfragen zur Anwendung berufen wird. In diesem Kontext ist ferner von Interesse, ob der grenzüberschreitend tätige Telemediziner etwaige besondere Vergütungsvorschriften des Zielstaates einzuhalten hat. Zur Risikoeinschätzung ist darüber hinaus von Interesse, nach welcher Sachrechtsordnung sich die Haftung des Telemediziners richtet, wenn der Patient durch sein Verhalten einen Schaden erleidet. Neben diesen Fragen des Kollisionsrechts stellen sich auch zahlreiche Fragen des internationalen Zivilprozessrechts, insbesondere des internationalen Zuständigkeitsrechts. In welchem Staat beziehungsweise vor welchem Gericht können Patient und Telemediziner ihre jeweiligen Ansprüche gerichtlich geltend machen? Diesen Fragen wird im Rahmen dieser Arbeit nachgegangen.19 Besondere Aktualität erlangt die Untersuchung dadurch, dass das internationale Privatrecht (IPR) auf dem Gebiet des Schuldrechts seit kurzem überwie-
sich diese Frage; vgl. dazu Link, Telemedizinische Anwendungen, S. 33–40 m.z.N. aus der rechtswissenschaftlichen Literatur. 19 Hierdurch wird ein großer Teil der von der Kommision der euopäischen Gemeinschaften in ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Nutzen der Telemedizin für Patienten, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft vom 04.11.2008, KOM (2008) 689 endg., S. 10 aufgeworfenen Rechtsfragen untersucht und somit ein Beitrag zur Rechtsklarheit geleistet.
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Einleitung
gend in europäischen Verordnungen, namentlich in der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) und der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) kodifiziert ist.20 Die folgende Untersuchung hat somit auch das Ziel, die Frage zu klären, ob die bisherige, freilich bei weitem nicht abschließend diskutierte Sichtweise der kollisionsrechtlichen Behandlung grenzüberschreitender Telearzttätigkeit mit den Neuregelungen in Rom I und Rom II im Einklang steht, oder ob sich die kollisionsrechtlichen Anknüpfungen grundlegend geändert haben.
§ 3 Gang der Untersuchung § 3 Gang der Untersuchung
Zur Klärung dieser Fragen wird zunächst im 1. Teil dieser Arbeit eine Typologie der vielseitigen telemedizinischen Anwendungsformen erarbeitet, anhand derer die weitere Untersuchung erfolgen wird. Im Anschluss daran wird im 2. Teil der rechtliche Rahmen der Telemedizin in Deutschland kurz skizziert, um festzustellen, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen grenzüberschreitende Telemedizinanwendungen nach nationalem Verständnis überhaupt zulässig sind. Hierdurch wird zugleich ein Teil derjenigen Sachrechtsvorschriften herausgearbeitet, deren kollisionsrechtliche Behandlung es zu untersuchen gilt. Im 3. Teil werden sodann die für den Bereich der Telearzthaftung und der Vergütung telemedizinischer Leistungen wichtigen Regelungen des deutschen Sachrechts dargestellt. Dabei wird der Umstand, dass bei grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen nicht nur deutsches Sachrecht mit seinen Wertungen, sondern auch ein anderes der weltweiten Sachrechte zur Anwendung berufen werden kann, nicht aus dem Auge verloren, so dass einzelne, wichtige Aspekte der Telemedizin rechtsvergleichend dargestellt werden. Die rechtsvergleichende Untersuchung konzentriert sich dabei auf diejenigen ausländischen Regelungen, insbesondere des angloamerikanischen Rechtskreises, die ein besonderes, vom deutschen Verständnis abweichendes kollisionsrechtliches Interesse des Patienten oder des Telemediziners oder eine besondere Abwägung dieser Interessen implizieren können.21 Durch diese Herangehensweise werden zugleich dieje-
20 Abl. EU L 177 vom 04.07.2008, S. 6–16 und Abl. EU L 199 vom 31.07.2007, S. 40–49. 21 Die juristische Methodenlehre ist sich heute darüber einig, dass den Regelungszwecken des materiellen Rechts Bedeutung für die kollisionsrechtliche Frage nach dem zur Anwendung berufenen Recht zukommt, wenngleich sich die kollisionsrechtliche An-
§ 3 Gang der Untersuchung
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nigen Sachrechtsvorschriften herausgearbeitet, deren kollisionsrechtliche Behandlung es im Anschluss zu untersuchen gilt. Der 4. Teil der Untersuchung bildet den eigentlichen Kern der Arbeit. In diesem wird die kollisionsrechtliche Behandlung der aufgeworfenen Rechtsfragen untersucht. Besondere Bedeutung wird dabei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung der Telearzthaftung, der Vergütungsfragen und der ärztlichen Berufserlaubnis zugemessen. Aufgrund der im Bereich des Kollisionsrechts feststellbaren Europäisierung werden auch in diesem Teil der Untersuchung rechtsvergleichende Überlegungen angestellt. Soweit Parallelen zu nicht europäischem Kollisionsrecht bestehen, werden diese aufgezeigt, untersucht und für die Untersuchung fruchtbar gemacht. Abgeschlossen wird die Arbeit mit dem 5. Teil, in dem eine Untersuchung des internationalen Zuständigkeitsrechts erfolgen wird. Dabei wird vor allem der Frage nachgegangen, in welchem Staat beziehungsweise vor welchem Gericht der Patient, der Telemediziner oder auch der Primärarzt seine jeweils denkbaren Ansprüche gerichtlich gelten machen kann.
knüpfung nicht unmittelbar aus dem Zweck der Sachnorm ableiten lässt. Dem mit der Sachnorm verfolgten Zweck kommt eine Orientierungsfunktion bei der Feststellung der für die kollisionsrechtliche Verweisung maßgeblichen kollisionsrechtlichen Interessen zu, da diese durch das Sachrecht impliziert werden. Siehe dazu Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 98–102; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 467, 474 ff.
Kapitel 1
Typologisierung telemedizinischer Erscheinungsformen Typologisierung telemedizinischer Erscheinungsformen
Die Erscheinungsformen der Telemedizin sind äußerst vielseitig. Bei nahezu allen Phänotypen tritt neben dem „vor Ort“ behandelnden Arzt (Primärbehandler oder Primärarzt) ein zusätzlicher Arzt unter Nutzung von Telematikanwendungen (Telemediziner) in Erscheinung.1 Im Folgenden wird zunächst eine Typologie telemedizinischer Anwendungen erstellt, die als Grundlage für die nachfolgende Untersuchung dienen wird. Eine Systematisierung ist dabei in materieller, funktionaler oder institutioneller Hinsicht möglich. Eine materielle Systematisierung nach dem Inhalt der ärztlichen Tätigkeit (z.B. Teleteaching, -diagnose und therapie) oder eine institutionelle Systematisierung nach den einschlägigen medizinischen Fachgebieten (z.B. Telepathologie, Teleradiologie, Teleradioonkologie, Telekardiologie, Teledermatologie und Telechirurgie) ist jedoch aus juristischer Sicht wenig zweckmäßig, da aus ihnen kein einheitliches Einsatzbild des Telemediziners während der Behandlung resultiert.2 Die Einteilung in funktionaler Hinsicht, nach der Art des Behandlungsbeitrags des Telemediziners, vermeidet dieses Problem.
§ 1 Telekonsil/Telekonferenz § 1 Telekonsil/Telekonferenz
Bei einem Telekonsil wird ein Telemediziner via Telematikanwendung herangezogen, um sich zu einer bereits gestellten Diagnose oder einem bereits erstellten Behandlungsplan des Primärbehandlers zu äußern oder einen weiteren Therapievorschlag zu machen.3 Der Begriff des Konsils leitet sich aus dem lateinischen Wort consilium ab, das soviel wie Rat oder Beratung bedeutet. Teilweise wird hierunter nur die Konsultation eines Arztes gleicher Fachrichtung verstanden4, während andere auch Konsulta-
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Eine Ausnahme hiervon stellt lediglich die Teleassistenz dar, die sogleich unter Kapitel 1:§ 4 behandelt wird. 2 Eine gemischte Systematisierung findet sich bspw. bei Pielach, Haftungsfragen, S. 22 ff. 3 Vgl. Tillmanns, Persönliche Leistungserbringungspflicht, S. 46. 4 Rieger, Lexikon des Arztrechts, Rn. 982; Link, Telemedizin, S. 18.
§ 2 Teleexpertise
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tionen fachfremder Kollegen unter diesen Begriff fassen.5 Im Rahmen dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass die Begriffe des Konsils/der Konsultation, die als Synonym gebraucht werden, nur die Beratung zwischen Ärzten der gleichen Fachrichtung erfasst. Werden mehrere Telemediziner als Konsiliarii herangezogen, spricht man von einer Telekonferenz.6 Im Fall eines Telekonsils werden folglich sämtliche medizinischen Entscheidungen und Handlungen allein durch den Primärbehandler getroffen, da er aufgrund der gleichen Fachrichtung die Behandlung überblicken, die Diagnose beziehungsweise den Behandlungsvorschlag des Telemediziners einschätzen und auf dieser Grundlage selbständig eine Entscheidung treffen kann. In jedem Fall bleibt der Primärbehandler also „Herr über die ärztliche Behandlung“. Die Telekonsultation stellt somit letztlich die Einholung einer für den Primärbehandler überprüfbaren Sekundärmeinung dar, wobei die für die Erstellung des Zweitgutachtens erforderlichen Informationen mittels Telekommunikationsmedien übersandt werden. Hierdurch soll eine fachlich fundierte, von mehreren Ärzten stammende Diagnose und damit eine effektivere Behandlung des Patienten erreicht werden.7
§ 2 Teleexpertise § 2 Teleexpertise
Im Rahmen einer Teleexpertise wird ein Telemediziner zu einer bestehenden Behandlung hinzugezogen. Jedoch handelt es sich bei dem Telemediziner um einen Experten mit einer anderen Fachrichtung als der Primärbehandler, so dass er diesem durch besonderes Fachwissen überlegen ist. Nach der Übermittlung der erforderlichen Patienten- beziehungsweise Krankheitsinformationen mittels eines Telekommunikationsmediums stellt er eine Diagnose oder unterbreitet einen Therapievorschlag. Beides ist durch den behandelnden Primärmediziner grundsätzlich nicht vollumfänglich überprüfbar, da ihm das dafür notwendige Fachwissen fehlt. Der Telemediziner bestimmt die Behandlung folglich maßgeblich mit, ist jedoch zur eigentlichen Ausführung beziehungsweise Umsetzung auf den vor Ort
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Ulsenheimer/Erlinger in Dierks/Feussner/Wienke, S. 68; Pielach, Haftungsfragen, S.22; Gaidzik, GesR 2003, 229, 231; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 15 Rn. 100; Ratzel/Luxenburger in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 19 Rn. 12. 6 Dierks in Dierks/Feussner/Wienke, Rechtsfragen der Telemedizin, S. 7; Gaidzik, GesR 2003, 229, 231. 7 Pielach, Haftungsfragen, S. 22.
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Kapitel 1: Typologisierung telemedizinischer Erscheinungsformen
befindlichen Primärbehandler angewiesen. Der Primärbehandler ist also nicht mehr alleiniger „Herr über die Behandlung“.
§ 3 Telepräsenz/Telechirurgie § 3 Telepräsenz/Telechirurgie
Die Telepräsenz ist eine Erscheinungsform der Telemedizin, bei welcher der Telemediziner in der Lage ist, aktiv und unmittelbar auf die Behandlung des Patienten einzuwirken. Zur Unterstützung bedient er sich jedoch eines Arztes oder eines Ärzteteams am Ort der Behandlung. Beispielsweise dirigiert er die Handlungen des Arztes vor Ort, während er die Operation per Video- und Audioübertragung verfolgt. Unter den Begriff der Telepräsenz fällt auch die Telechirurgie, eine besondere Form der Teleroboteroperation, bei der ein räumlich getrennter Arzt einen Operationsroboter via Datenleitung fernsteuert. Die Telepräsenz ist die weitreichendste und derzeit wohl auch noch ungebräuchlichste Form der Telemedizin. Dennoch kommt sie zu Testzwecken bereits zum Einsatz.8
§ 4 Teleassistenz § 4 Teleassistenz
Im Rahmen einer Teleassistenz tritt der Telemediziner nicht zusätzlich zu einem Primärarzt in Erscheinung, sondern ist vielmehr der alleinbehandelnde Telearzt, der den Patienten aus der Ferne behandelt. Die Teleassistenz ist daher ein Sonderfall der klassischen ärztlichen Heilbehandlung. Ein solches schlichtes Zweipersonenverhältnis entsteht beispielsweise, wenn sich der Patient zur Kommunikation mit einem Arzt des Internets oder des Telefons bedient. Derartige virtuelle Kontakte findet sich insbesondere im Bereich der Psychotherapie, weil diese hauptsächlich auf Wortbehandlung beruht und viele psychisch Kranke die Anonymität des Internets schätzen.9 Der insoweit etwas verwirrende aber gebräuchliche Begriff „Teleassistenz“ erklärt sich aus der Historie der Telemedizin: mittels Teleassistenzsystemen wurden durch die NASA die Vitalfunktionen ihrer Astronauten überwacht, so dass der Arzt am Boden der Weltraumcrew bei der Erledi-
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So wurde bspw. bereits im Jahr 2001 einer 68-jährigen Straßburgerin die Gallenblase durch einen Chirurgen in New York mittels des ferngesteuerten Teleoperationsroboters „Zeus“ entfernt; vgl. Deutsches Ärzteblatt, 2001, A 2465. 9 Kern, MedR 2001, 495, 495.
§ 4 Teleassistenz
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gung ihrer Aufgaben assistierte.10 Der Telearzt assistiert also nicht einem Fachkollegen, sondern dem Patienten bei dessen Eigenbehandlung. Ein Anwendungsbereich der Teleassistenz ist neben der schon erwähnten Fernbetreuung psychisch kranker Personen durch einen Telepsychologen auch die Überwachung von Vitalfunktionen älterer Patienten durch den Hausarzt oder spezielle Überwachungszentren.11
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Vgl. Frost, Gesundheitstelematik, S. 46. Vgl. dazu exemplarisch das Zydacrons BETAVISTA video care System. Informationen hierzu finden sich unter http://www.zydacron.com; zuletzt abgerufen am 15.03.2011. 11
Kapitel 2
Zulässigkeitsvoraussetzungen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
Im Folgenden wird zunächst der rechtliche Rahmen der Telemedizin in Deutschland, unter rechtsvergleichender Würdigung einzelner Aspekte, skizziert. Anhand dieses Rahmens wird sodann untersucht, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen grenzüberschreitende Telemedizinanwendungen nach deutschem Sachrecht zulässig sind. Hierdurch werden diejenigen sachrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften des deutschen Rechts herausgearbeitet und identifiziert, deren kollisionsrechtliche Behandlung es später zu untersuchen gilt.
§ 1 Rechtliche Bestimmungen im deutschen Sachrecht § 1 Rechtliche Bestimmungen im deutschen Sachrecht
Rechtliche Regelungen über Heilbehandlungen finden sich in Deutschland sowohl in den gesetzlichen Regelungen des Medizinrechts als auch in standesrechtlichen Vorschriften der deutschen Ärzteschaft. A. Allgemeine Regelungen Für die Telemedizin wurde bislang kein umfassender spezialgesetzlicher Rahmen im Sinne eines „Telemedizingesetzes“ geschaffen.1 Die Ärzte, sonstige Drittanbieter, aber auch die Patienten müssen daher mit den allgemeinen Rechtsinstrumentarien des Medizinrechts, also insbesondere den Regelungen des BGB, des StGB aber auch den datenschutzrechtlichen Vorgaben des BDSG zurechtkommen. B. Standesrechtliche Regelungen Die Regelungen über den Arztberuf, über die Ausbildung, die Approbation bis hin zum Ausscheiden aus der ärztlichen Tätigkeit finden sich verstreut 1
Lediglich im Teilbereich der Teleradiologie wurden Sondervorschriften über deren Zulässigkeit in § 3 Abs. 4 RöV erlassen. Danach darf eine Genehmigung zum Betrieb einer Röntgeneinrichtung zur Teleradiologie nur unter strengen Anforderungen erteilt werden; vgl. Schütze/Filler/Peuker/Kroll, DMW 2004, 1937.
§ 2 Approbationsvorbehalt/Arztvorbehalt
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in einer Vielzahl von Bundes- und Landesgesetzen. Ursache dieser Zersplitterung ist die zwischen Bund und Ländern aufgespaltete Rechtssetzungskompetenz.2 Verstärkt wird diese Rechtszersplitterung durch die zahlreichen Satzungen der jeweiligen (Landes-)Berufskammern.3 Die weitere Untersuchung wird anhand der – durch die Bundesärztekammer erlassenen – Musterberufsordnung für deutsche Ärztinnen und Ärzte des Bundes (MBO-Ä) erfolgen, deren Regelungen weitestgehend durch die einzelnen Berufsordnungen der Landesärztekammern übernommen wurden.4
§ 2 Approbationsvorbehalt/Arztvorbehalt § 2 Approbationsvorbehalt/Arztvorbehalt
A. Deutsches Approbationserfordernis I. Grundlagen Nach deutschem Verständnis dient der Arzt, wie die Regelung des § 1 BÄO zum Ausdruck bringt, der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Allgemeinheit. Um das gewichtige Schutzgut der Volksgesundheit umfangreich zu gewährleisten, wird die gesamte Heilkunde zahlreichen Restriktionen unterstellt. So ist die Ausübung der Heilkunde unter der Bezeichnung „Arzt“ nach § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 5 BÄO nur nach einer erfolgreichen Approbation zulässig, damit ein medizinischer
2
Der Bund hat von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG Gebrauch gemacht und die Bundesärzteordnung, welche die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe regelt, erlassen. Die einzelnen Bundesländer regeln in ihren jeweiligen Kammer-/Heilberufsgesetzen die Berufausübung und die Weiterbildung der Ärzteschaft (Engelmann, MedR 2002, 561, 561). Darüber hinaus sehen die Kammer-/Heilberufsgesetze die Errichtung der Landesärztekammern vor und statuieren für diese die Befugnis zum Erlass von Berufsordnungen (Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 36; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 12 Rn. 2.). Durch diese Ausübungsvorschriften werden die Ärzte nur intern gebunden. Ein vor staatlichen Gerichten einklagbares Recht kann aus ihnen nicht erwachsen. Vielmehr wird die Nichteinhaltung der in ihr enthaltenen Vorschriften allein durch die ärztliche Berufsgerichtsbarkeit überprüft und gegebenenfalls sanktioniert. Trotz dieses „Defizits“ ist jeder Arzt standesrechtlich an sie gebunden (Ratzel, Ärztliches Standesrecht, S. 10.), so dass sie in der Rechtspraxis von erheblicher Bedeutung sind. 3 Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung, § 1 Rz. 4. 4 Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung, Einleitung Rz. 3; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 12 Rn. 4.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
Mindeststandard gesichert wird.5 Im Folgenden wird untersucht, ob auch der national tätige Telemediziner diesem Approbationsvorbehalt unterfällt. Die Approbation ist die staatliche Erlaubnis zur Ausübung eines akademischen Heilberufes (als Arzt, Zahnarzt, Apotheker, nicht-ärztlicher Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut und Tierarzt).6 Die Ausübung des Heilberufes ohne Approbation ist nach § 5 HeilprG mit Geldstrafe oder einer bis zu einem Jahr andauernden Freiheitsstrafe strafbewehrt. Erst aufgrund des Verwaltungsakts „Approbation“ ist eine Person dazu berechtigt, eigenverantwortlich Patienten zu behandeln.7 Die Verfassungsmäßigkeit dieser Zugangsbeschränkung zum Heilberuf wurde durch das BVerfG bestätigt.8 Das Approbationserfordernis wird nach § 2 Abs. 1 BÄO ausgelöst, wenn der ärztliche Beruf im Geltungsbereich der BÄO ausgeübt wird. Es stellt sich daher die Frage, ob telemedizinische Anwendungen in den sachlichen und räumlichen Anwendungsbereich der BÄO fallen. II. Sachlicher Anwendungsbereich des Approbationserfordernisses Der sachliche Anwendungsbereich der BÄO und damit des Approbationserfordernisses ist eröffnet, wenn es sich bei der Tätigkeit des Telemediziners um eine „Ausübung des ärztlichen Berufes“ handelt. Gemäß § 2 Abs. 5 BÄO wird in Ausübung des ärztlichen Berufes gehandelt, wenn unter der Bezeichnung Arzt eine „Ausübung der Heilkunde“ erfolgt. Um in den sachlichen Anwendungsbereich der BÄO zu fallen, müsste die Telemedizin folglich eine Sonderform der Heilkunde darstellen und dürfte nicht nur eine besondere Form des Datenaustauschs zwischen Ärzten beziehungsweise zwischen Ärzten und Dritten darstellen. Nur dann wären die Approbationsvorschriften der BÄO im Rahmen telemedizinischer Anwendungen zu beachten. 1. Begriff der Heilkunde Der Begriff der „Heilkunde“ umfasst „alle Eingriffe und therapeutischen Maßnahmen, die am oder im Körper eines Menschen vorgenommen werden, um physische oder psychische Krankheiten, Leiden, Körperschäden,
5
Güntert/Wanner/Brauer/Stobrawa, Approbationsordnung, S. 7; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 25; Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 8 Rn. 1; Pitz, Medizinpersonal, S. 55. 6 Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 12 Rn. 20. 7 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 26; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 12 Rn. 21. 8 Vgl. BVerfGE 78, 155, 165 ff.
§ 2 Approbationsvorbehalt/Arztvorbehalt
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körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern“.9 Ein solches Verständnis ergibt sich auch aus § 28 Abs. 1 SGB V, wonach der Begriff der ärztlichen Behandlung alle Maßnahmen umfasst, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind. Die ärztliche Kunst umfasst dabei die sorgfältige Anamnese, Untersuchung, Befunderhebung, Diagnose sowie die Indikationsstellung.10 Weiter definiert der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 HeilprG die Ausübung der Heilkunde als „jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden am Menschen“, was gleichfalls für ein derartiges Verständnis des Heilkundebegriffs der BÄO spricht, wenngleich sich eine unmittelbare Übernahme jener Definition aus dem HeilprG in die BÄO verbietet.11 Durch die Legaldefinition des Heilkundebegriffs in § 1 Abs. 2 HeilprG wollte der Gesetzgeber erreichen, dass in allen Bereichen ein einheitliches und sicheres Verständnis des Begriffs der „Ausübung der Heilkunde“ existiert. Dies ist ihm jedoch nicht gelungen.12 Vielmehr wird das Merkmal der „Ausübung der Heilkunde“ in Rechtsprechung13 und Literatur14 unterschiedlich verstanden und ausgelegt. Kritisiert wird dabei insbesondere, dass die verwendete Definition einerseits zu eng, andererseits aber auch zu weit sei, um eine für die Praxis brauchbare Abgrenzung zwischen freier und – insbesondere nach dem Regelwerk der BÄO – restringierter Heilbehandlung zu ermöglichen.15 Im Grenzbereich stellt sich regelmäßig die Frage, welche diagnostischen oder therapeutischen Handlungen den Restriktionen nun unterliegen und welche nicht.16
9 Dünisch/Bachmann, HeilprG, § 1 Rn. 6.2; Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 52 Rn. 1; Rieger, Lexikon des Arztrechts, Rn. 802. 10 Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 44 Rn. 2 m.w.N. 11 Näher hierzu Narr/Hess, Ärztliches Berufsrecht, Rn. 9 f. 12 Bockelmann, NJW 1966, 1145, 1145 spricht von einer „völligen Aushöhlung des HeilprG“; Dünisch/Bachmann, HeilprG, § 1 Rn. 6.3. 13 Vgl. BVerwGE 23, 140, 140 ff.; 35, 308, 308 ff.; 66, 367, 367 ff.; BGH, MedR 1999, 462, 462 ff.; NJW 1972, 1132, 1132 f.; OLG Bremen, MDR 1957, 310, 310 ff.; OVG Koblenz, MedR 1990, 283, 283 ff.; OVG Münster, NVwZ-RR 1992, 137, 137 ff. 14 Vgl. Schulte/Waechter, MedR 2000, 78, 78 ff.; Homburg, MDR 1994, 339, 339 ff.; Bockelmann, NJW 1966, 1145, 1145 ff.; Wolf, MedR 1989, 57, 57 ff.; Wegener, MedR 1990, 250, 250 ff.; Pitz, Medizinpersonal, S. 62 ff. 15 Bockelmann, NJW 1966, 1145, 1146; Wolf, MedR 1989, 57, 57. 16 Schulte/Waechter, MedR 2000, 78, 78.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
2. Subjektive Eindruckstheorie des BGH Die Legaldefinition des § 1 Abs. 2 HeilprG hat vor allem durch die strafrechtliche Rechtsprechung des BGH eine nicht unerhebliche Ausdehnung erfahren. Nach dieser soll es für das Vorliegen der Heilkunde bereits genügen, wenn beim Patienten der Eindruck erweckt wird, ihm werde Heilung oder Erleichterung zuteil.17 Dieses weite Verständnis sei erforderlich, um den Einzelnen und das gesamte Volk vor „Kurpfuschern“ zu schützen.18 Jedoch ist der BGH bei zivilrechtlichen Fragestellungen, etwa im Rahmen der Beurteilung, ob ein Vertrag aufgrund des § 134 BGB nichtig ist, von dieser Sichtweise abgewichen. Danach sollen nur noch solche Tätigkeiten von dem Heilkundebegriff erfasst werden, die objektiv eine ärztliche Fachkenntnis voraussetzen.19 3. Auffassung des BVerfG/BVerwG Das BVerwG hatte sich im Rahmen des sogenannten Augenoptikerurteils mit der Auslegung des Begriffs der Heilkunde zu beschäftigen.20 Dabei stellte es fest, dass der Heilkundebegriff einerseits zu eng, andererseits aber auch zu weit sei. Im Hinblick auf das Grundrecht aus Art. 12 GG sei der Begriff verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass er nur solche Tätigkeiten erfasst, die eine „ärztliche beziehungsweise medizinische Fachkenntnis“ voraussetzen, sei es im Hinblick auf das Ziel, die Art oder die Methode der Tätigkeit.21 Darüber hinaus sei für eine Annahme einer „Ausübung der Heilkunde“ erforderlich, dass aus der Behandlung nennenswerte gesundheitliche Schädigungen des Patienten resultieren können.22 Die Möglichkeit einer nennenswerten Gesundheitsschädigung sei dabei aufgrund einer generalisierenden und typisierenden Betrachtung festzustellen, da das HeilprG abstrakt alle Tätigkeiten erfasse, ohne die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen.23 So ist beispielsweise abstrakt zu hinterfragen, ob einer Sehschärfenbestimmung
17
BGHSt 8, 237, 238 f.; BGH, NJW 1978, 599, 599. Beispiele aus der Praxis finden sich bei Oepen, ZRechtsmed 1980, 249, 250. 19 BGH, NJW 1987, 2928, 2929. 20 BVerwG, NJW 1966, 1187, 1187 ff.; vgl. auch BVerwG, NJW 1966, 418, 418 ff. 21 BVerwG, NJW 1966, 1187, 1188; NJW 1984, 1414. 22 BVerwG, NJW 1973, 579, 579; NJW 1994, 3024, 3026. 23 BVerwG NJW 1973, 579, 579; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.08.2000 – 13 A 4790/97. 18
§ 2 Approbationsvorbehalt/Arztvorbehalt
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durch einen Augenoptiker oder einer chiropraktischen Behandlung eine nennenswerte Gesundheitsgefahr innewohnt oder nicht.24 Aus dieser Sichtweise resultiert an sich ein äußerst restriktives Verständnis des Begriffs der „Ausübung der Heilkunde“, welches vom BVerwG jedoch keinesfalls stringent durchgehalten wird. Vielmehr wird der Begriff wieder ausgedehnt, indem er auch Tätigkeiten erfassen soll, die an sich keine ärztliche Fachkenntnis verlangen und für den Patienten unschädlich sind, soweit aus ihnen eine mittelbare Gefährdung dergestalt resultiert, dass eine fachgerechte Behandlung verzögert oder verhindert wird.25 Welche Anforderungen an eine derartige mittelbare Gefährdung zu stellen sind, hat das BVerfG in einem Beschluss konkretisiert: Im Hinblick auf Art. 12 GG sei eine solch mittelbare Gefährdung nur dann ausreichend, wenn sie „hinlänglich wahrscheinlich“ ist.26 4. Auseinandersetzung mit den dargestellten Meinungen a) Probleme der Eindruckstheorie Gegen die subjektive Eindruckstheorie bestehen erhebliche Bedenken. Ob eine bestimmte Tätigkeit objektiv als „Ausübung der Heilkunde“ zu qualifizieren ist, darf nicht von dem laienhaften Verständnis beziehungsweise der subjektiven Empfindung des jeweiligen Patienten abhängig gemacht werden.27 Andernfalls bestünde die Gefahr, eine Ausübung der Heilkunde in Bereichen anzunehmen, in denen weder der konkrete Patient noch die Allgemeinheit eines Schutzes durch den Gesetzgeber bedürfen. Deutlich wird dies an folgenden plakativen Beispielen28: Bei einem Verständnis, wie es die subjektive Eindruckstheorie postuliert, bedürfte jeder Pfarrer einer staatlichen Erlaubnis, da er aus Sicht des Hilfesuchenden seine Leiden und Nöte lindert. Gleiches würde für den Autor eines medizinischen Fachbuches gelten, da auch dieser den Eindruck erweckt, er wolle Krankheiten und Leiden einer unbestimmten Anzahl von Personen bekämpfen. Ein derart extensives Verständnis wäre weder mit dem Schutzzweck des Erlaubnisvorbehalts noch mit der Eigenverantwortlichkeit des Bürgers vereinbar.
24 Vgl. dazu BVerwGE 23, 140 ff. (Sehschärfenbestimmung); BVerwGE 35, 308 ff. (chiropraktische Behandlung). 25 BVerfG, NJW 2000, 2736, 2736; BVerwG, NJW 1966, 1187, 1189; NJW 1994, 3024, 3026. 26 BVerfG, NJW 2000, 2736, 2736. 27 Wegener, MedR 1990, 250, 250; Schulte/Waechter, MedR 2000, 78, 80. 28 Beispiele nach Wegener, MedR 1990, 250, 250.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
b) Restriktives Verständnis des Heilkundebegriffs Vielmehr gilt es, den Heilkundebegriff gerade im Hinblick auf Art. 12 GG verfassungskonform und damit restriktiv auszulegen. Erfasst werden durch ihn nur solche Tätigkeiten, die nach allgemeinem Verständnis eine ärztliche beziehungsweise medizinische Fachkenntnis erfordern.29 Eine weitere Verengung des Anwendungsbereichs ergibt sich darüber hinaus aus dem Schutzzweck des Erlaubnisvorbehalts. Dieser Schutzzweck liegt darin, den Einzelnen und das gesamte Volk vor Scharlatanen und Kurpfuschern zu schützen, indem die Bürger vor „falschen Ärzten“, also Leuten, die sich der ärztlichen Kunst bedienen ohne Arzt oder Heilpraktiker zu sein, geschützt werden. Berücksichtigt man dies, so ist eine Anwendung der Schutznormen und damit auch des Approbationsvorbehalts nur dort gerechtfertigt, wo der Tätigkeit die Gefahr einer nennenswerten Gesundheitsschädigung der Allgemeinheit oder jedenfalls eines einzelnen Patienten immanent ist.30 Fehlt es hingegen an einer solchen Gefahr, ist ein Eingriff in Art. 12 GG nicht mehr durch das verfassungsrechtliche Ziel der Volksgesundheit oder des Schutzes des einzelnen Patienten gedeckt, da keiner dieser Grundrechtsträger zu irgendeinem Zeitpunkt gefährdet oder gar tatsächlich betroffen ist. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund vermag auch der Verweis auf die Volksgesundheit – wie sie der BGH zur Rechtfertigung seiner Eindruckstheorie verwendet31 – eine subjektive Erweiterung des Heilkundebegriffs nicht zu rechtfertigen.32 Eine Ausübung der Heilkunde kann vor diesem Hintergrund nur angenommen werden, wenn die jeweilige Tätigkeit nach allgemeinem Verständnis zum einen ärztliche beziehungsweise medizinische Fachkenntnis erfordert und ihr zum anderen die abstrakte Gefahr einer nennenswerten Gesundheitsschädigung der Allgemeinheit oder eines einzelnen Patienten immanent ist. 5. Anwendung auf die Telemedizin Nachdem nunmehr feststeht, was unter dem Begriff der Ausübung der Heilkunde zu verstehen ist und welche Voraussetzungen zur Bejahung dieses Merkmals erfüllt sein müssen, wird im Folgenden untersucht, welche
29
Homburg, MDR 1994, 339, 340; Wegener, MedR 1990, 250, 252; Schulte/Waechter, MedR 2000, 78, 80; Wolf, MedR 1989, 57, 58 f.; Dünisch/Bachmann, HeilprG, § 1 Rn. 6.4. 30 Bockelmann, NJW 1966, 1145, 1151. 31 Vgl. BGH, NJW 1981, 2008, 2009. 32 Wegener, MedR 1990, 250, 251; Schulte/Waechter, MedR 2000, 78, 80.
§ 2 Approbationsvorbehalt/Arztvorbehalt
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Formen der Telemedizin eine „Ausübung der Heilkunde“ darstellen und daher den Restriktionen der Heilberufe unterfallen. a) Merkmal der medizinischen Fachkenntnisse Die Telemedizin wird je nach Erscheinungsform eingesetzt, um Krankheiten zu diagnostizieren, eine Sekundärmeinung einzuholen, Menschen aus der Ferne zu beraten beziehungsweise anzuweisen oder um einen Patienten unmittelbar zu behandeln.33 Allen Typen der Telemedizinanwendungen ist somit gemeinsam, dass sie einen gewissen Grad an medizinischem Fachwissen erfordern.34 Eine gegenteilige Auffassung findet sich jedoch in der Rechtsprechung hinsichtlich der Teleradiologie35: Diese stelle „keine selbständige Behandlung oder Beratung dar, sondern nur ein Element, ein Hilfsmittel der Diagnose, dessen Aussagekraft zudem nicht von dem Eindruck einer persönlichen Untersuchung des Patienten bestimmt“ werde.36 Zu diesem Ergebnis kommt das erkennende Gericht, indem es im Rahmen der Bewertung lediglich auf die Bedienung der Gerätetechnik abstellt.37 Diese Sichtweise vermag jedoch nicht zu überzeugen, da sich eine teleradiologische Leistung gerade nicht in der Bedienung der Gerätetechnik erschöpft. Vielmehr umfasst sie auch die Indikationsstellung beziehungsweise deren Überprüfung hinsichtlich der Auswahl des besten Verfahrens, der Anleitung und Überwachung von weiteren Ergänzungsschritten aufgrund des Befundes während der Untersuchung, die Befunderhebung beziehungsweise Befundauswertung und die Mitteilung an den Primärarzt bis zur abschließenden Dokumentation der gesamten Untersuchung mit Auswahl der je nach Fragestellung und Befund notwendigen Bilder und deren Archivierung mittels der geeigneten Speichermedien.38 Folglich setzt auch die Teleradiologie ärztliche Fachkenntnisse beim Teleradiologen voraus. Allein die bloße Substitution der traditionellen „vor Ort“-Behandlung durch telemedizinische Behandlungsmethoden – gleich welcher Form – vermag das Erfordernis ärztlichen Fachwissens des Telemediziners nicht zu negieren. Dies entspricht sowohl der Patientenerwartung als auch dem Patienteninteresse, da der Patient andernfalls im Rahmen telemedizinischer
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Vgl. hierzu oben 0. Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 38. 35 Unter Teleradiologie ist jeder Vorgang, bei dem radiologisches Bildmaterial über eine Telekommunikationseinrichtung an einen entfernten Ort übertragen wird, zu verstehen. 36 OVG Rheinland-Pfalz, MedR 2003, 352, 354. 37 OVG Rheinland-Pfalz, MedR 2003, 352, 354. 38 Cramer/Henkel, MedR 1998, 559, 564. 34
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
Behandlungen schlechter gestellt wäre als im Rahmen einer konventionellen Behandlung.39 b) Merkmal einer immanenten nennenswerten Gesundheitsgefahr Deutlich schwieriger gestaltet sich hingegen die Bejahung des Merkmals einer „immanenten nennenswerten Gesundheitsgefahr“ für den Patienten oder die Allgemeinheit. Die dabei auftretenden Probleme resultieren aus der Vielschichtigkeit der telemedizinischen Anwendungsformen. Je nach Anwendungstypus nimmt der Telemediziner eine unterschiedliche Rolle bei der Behandlung des Patienten ein, so dass es erforderlich ist, dieses Merkmal für jede Anwendungsform getrennt zu untersuchen. aa) Teleassistenz Bei Teleassistenzen hält allein der Telemediziner die gesamte Behandlung in seinen eigenen Händen. Er ist alleiniger Entscheidungsträger und führt die Behandlung selbständig durch. Seine Stellung ist folglich mit derjenigen eines alleinbehandelnden Arztes identisch, so dass der Teleassistenz stets das Risiko einer nennenswerten Gesundheitsgefahr immanent ist. bb) Telepräsenz Auch im Rahmen der Telepräsenz/-chirurgie schlagen die Handlungen des Telemediziners unmittelbar auf die Behandlung durch, da der Telemediziner diese lenkt, sie sogar selbstständig vornimmt. Dem Primärbehandler vor Ort kommt lediglich eine unterstützende Funktion innerhalb der Behandlung des Patienten durch den Telemediziner zu, weshalb auch Telepräsenzen eine nennenswerte Gesundheitsgefahr für den Patienten immanent ist. cc) Teleexpertise Im Rahmen einer Teleexpertise ist der Telemediziner dem primär Behandelnden aufgrund von besonderem Fachwissen überlegen. Der Primärbehandler ist folglich nicht in der Lage, die Diagnose oder den Therapievorschlag des Telemediziners vollumfänglich zu überprüfen. Vielmehr wird der Primärbehandler regelmäßig auf das Fachurteil des Telemediziners vertrauen und dieses deshalb unmittelbar in seine Behandlung übernehmen
39
Vgl. die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Nutzen der Telemedizin für Patienten, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft vom 04.11.2008, KOM (2008) 689 endg., S. 12.
§ 2 Approbationsvorbehalt/Arztvorbehalt
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und umsetzen. In der Folge schlägt der Behandlungsbeitrag des Telemediziners unmittelbar auf die Behandlung des Patienten durch den Primärbehandler durch. Auch der Teleexpertise ist folglich die Gefahr einer nennenswerten Gesundheitsschädigung des Patienten immanent. dd) Telekonsil Bezweifelbar ist die Bejahung des Merkmals eines „immanenten Risikos einer nennenswerten Gesundheitsgefährdung“ allenfalls im Bereich des Telekonsils. Bei dieser Anwendungsform gibt der Primärbehandler, als konsultierender Arzt, die Verantwortung für die medizinische Behandlung und damit auch für das Patientenwohl zu keinem Zeitpunkt vollständig aus seinen Händen. Vielmehr kann er aufgrund seiner eigenen fachlichen Fähigkeiten die Behandlung überblicken und die Diagnosen und Behandlungsvorschläge des Telemediziners beurteilen. Folglich obliegt ihm auch die richtige fachliche Beurteilung des durch den Telemediziner erstellten Behandlungsvorschlags. Er ist derjenige, der die Qualifikation des Telemediziners, dessen Diagnose und die vorgeschlagene Behandlungsform aufgrund eigenen Fachwissens auszuwerten und zu beurteilen hat. Im Anschluss hieran bildet er sich auf Grundlage seiner eigenen Fachkenntnisse, die gegebenenfalls um die Meinung des Telekonsiliarius ergänzt wurde, sein eigenes Urteil über die Diagnose und die Behandlung. Gemäß § 30 Abs. 2 MBO-Ä ist es dem Primärbehandler dabei standesrechtlich untersagt mit Nichtärzten zusammenzuwirken. Hierdurch könnte sowohl den Interessen des einzelnen Patienten als auch denjenigen der Allgemeinheit hinreichend Rechnung getragen worden sein, so dass im Bereich des Telekonsils vom Telemediziner kein Risiko nennenswerter Gesundheitsgefahren ausgehen würde. Diese Überlegungen und die Tatsache, dass die eigentliche Behandlung „vor Ort“ allein durch den Primärbehandler durchgeführt wird, dem Telemediziner also nur eine unterstützende Rolle zukommt, sprechen auf den ersten Blick gegen die Annahme eines „immanenten Risikos nennenswerter Gesundheitsgefahren“ im Rahmen eines Telekonsils. Dennoch würde ein solches Verständnis der Finalität der konsiliarischen Tätigkeit des Telemediziners für die Behandlung durch den Primärarzt nicht hinreichend Rechnung tragen.40 Eine Finalität und damit auch ein immanentes Gesundheitsgefährdungsrisiko besteht bereits deshalb, weil der Telekonsiliarius einen „nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Diagnose- und Therapieentscheidung“ der Primärbehandlers ausübt.41 Auch
40 41
Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 40. Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 40.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
wenn der Primärbehandler aufgrund seiner eigenen Fachkenntnis nicht blind auf den Ratschlag, die Diagnose oder den Behandlungsvorschlag des Telemediziners vertrauen muss und darf, übt der Telemediziner dennoch einen erheblichen Einfluss auf die Behandlungsentscheidung des Primärbehandlers aus, da er ja gerade aufgrund gewisser Unsicherheiten auf der Seite des Primärbehandlers durch diesen hinzugezogen wurde.42 Die Tätigkeit eines Telekonsiliarius stellt somit eine Ausübung der Heilkunde dar, so dass auch er den Restriktionen der Heilberufe unterliegt.43 6. Zwischenergebnis Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass alle Formen der telemedizinischen Behandlung eine Ausübung der Heilkunde darstellen und daher in den sachlichen Anwendungsbereich des Approbationserfordernisses nach § 2 Abs. 1 BÄO fallen. III. Räumlicher Anwendungsbereich der BÄO Der Anwendungsbereich des Approbationserfordernisses ist jedoch nicht nur in sachlicher, sondern auch in räumlicher Hinsicht beschränkt. So erfasst es nach § 2 Abs. 1 BÄO nur eine Ausübung der Heilkunde, die im Geltungsbereich der BÄO erfolgt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich sowohl der Telemediziner als auch der Patient im Zeitpunkt der Behandlung physisch in Deutschland befinden, so dass der Telemediziner jedenfalls in derartigen Sachverhaltskonstellationen einer Approbation als Arzt bedarf. Fraglich ist hingegen, ob die Heilkunde auch dann im Geltungsbereich der BÄO ausgeübt wird, wenn ein deutscher Telemediziner vom Inland aus an der Behandlung eines im Ausland befindlichen Patienten teilnimmt oder wenn ein ausländischer Telemediziner einen in Deutschland befindlichen Patienten grenzüberschreitend behandelt. Die Frage, ob der Approbationsvorbehalt des § 2 Abs. 1 BÄO in beiden oder zumindest in einer dieser Konstellationen zur Anwendung berufen wird, ist eine Frage des Kollisionsrechts, da es darum geht festzustellen, welches in der Sache anwendbare materielle Recht anzuwenden ist. Besonders deutlich wird diese Sichtweise wenn ein deutscher Telemediziner vom Inland aus einen im Ausland befindlichen Patienten behandelt. Hat der deutsche Telemediziner in dieser
42 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 40; vgl. zur vergleichbaren Problematik, ob der Primärbehandler haftungsrechtlich für Fehler des Konsiliarius einzustehen hat, auch OLG Hamm, MedR 1999, 35, 35; Ulsenheimer/Erlinger in Dierks/Feussner/Wienke, S. 72. 43 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 38–40.
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Konstellation den deutschen, den etwaigen ausländischen oder gar beide Approbationsvorbehalte einzuhalten? Diese Fragen des Kollisionsrechts werden später noch ausführlich untersucht.44 B. Rechtsvergleichender Blick I. Ärztliche Berufserlaubnis im französischen Sachrecht Auch das französische Sachrecht kennt einen mit dem deutschen Approbationserfordernis vergleichbaren ärztlichen Berufserlaubnisvorbehalt. Nach französischem Verständnis dürfen sogenannte actes médicaux grundsätzlich nur durch einen Arzt vorgenommen werden.45 Telemedizinische Anwendungen werden in Frankreich, wie auch in Art. 32 des Gesetzes Nr. 2004–81046 zum Ausdruck kommt, als ein solcher acte médical qualifiziert.47 Folglich bedarf der in Frankreich handelnde Telemediziner einer ärztlichen Ausbildung, die von der zuständigen staatlichen Organisation anerkannt ist.48 Besitzt der Telemediziner keine solche Ausbildung und behandelt er dennoch einen Patienten, so erfüllt er den Straftatbestand eines „exercice illégal de la médicine“ (Article L 4161–5 Code de la santé publique). Dieser ist mit zwei Jahren Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe von 30.000 Euro strafbewehrt. II. Ärztliche Berufserlaubnis im US-amerikanischen Sachrecht Auch in den USA darf die Heilkunde durch einen Arzt nur ausgeübt werden, wenn er die dafür erforderliche physician license besitzt.49 Dieser Arztvorbehalt gilt auch für Telemediziner.50 Dabei ist zu beachten, dass sich die Arztlizenz immer nur auf das Hoheitsgebiet des Bundesstaates, für den sie erteilt wurde, erstreckt, da gemäß der US-Verfassung (10th amendment) den Einzelstaaten die Gesetzgebungskompetenz (authority) für die Bereiche des Gesundheitswesens, der Ausübung der Heilkunde, des Berufsrechts und der Wohlfahrt seiner Bürger zugewiesen ist.
44
Vgl. hierzu unten Kapitel 1:§ 5. Auby/Esper in Auby, Droit médical et hospitalier, fasc. 1, Nr. 7; Link, TelemedizinAnwendungen, S. 22. 46 Loi n° 2004–810 du 13 août 2004 relative à l’assurance maladie, J.O. vom 17 août 2004, S. 14598. 47 Vgl. dazu Link, Telemedizin-Anwendungen, S. 23 m.w.N aus der französischen Literatur. 48 Vgl. Art. L 4111–1 Code de la Santé Publique. 49 Vgl. Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 9. 50 Caryl, 12 J.L. & Health, 173, 184; Rannefeld, 19 J.L. & Health, 75, 92 f. jeweils m.z.N. 45
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
III. Europäische Perspektive Insgesamt kann festgestellt werden, dass in allen europäischen Staaten die Ausübung des ärztlichen Berufs an strenge Zulassungsvoraussetzungen geknüpft ist. Dies zeigt bereits deutlich Anhang V zur Berufsanerkennungsrichtlinie51 unter 5.1.1. In diesem sind die einzelnen mitgliedstaatlichen Ausbildungsnachweise für die ärztliche Grundausbildung aufgeführt, die erforderlich sind, um die jeweilige nationale Berufserlaubnis zu erhalten. Da der ärztlichen Behandlung via Telemedizinanwendung dieselben Gefahren immanent sind wie einer traditionellen Heilbehandlung, kann ferner angenommen werden, dass der Beruf des Telemediziners in allen EUStaaten unter dem Vorbehalt einer staatlichen Erlaubnis steht.52
§ 3 Telemedizin und das Fernbehandlungsverbot § 3 Telemedizin und das Fernbehandlungsverbot
Allen Formen der telemedizinischen Anwendung ist gemeinsam, dass der Telemediziner von einem entfernten Ort aus tätig wird und dass der – gegebenenfalls vor Ort tätige Primärbehandler – nicht mehr alleiniger Herr über die Patientenbehandlung ist. Damit sind sowohl der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung als auch das Verbot der Fernbehandlung durch telemedizinische Anwendungen betroffen53: Behandelt ein deutscher Telemediziner einen im Ausland befindlichen Patienten mittels Telemedizin, stellt sich die Frage, ob hierin ein Verstoß gegen das Fernbehandlungsverbot zu sehen ist. Im Fall, dass ein deutscher Primärarzt einen ausländischen Telemediziner mittels Telemedizinanwendung an der Behandlung eines in Deutschland befindlichen Patienten teilnehmen lässt, stellt sich hingegen die Frage, ob diese Vorgehensweise mit dem Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung vereinbar ist. Hierin zeigt sich, dass
51
Richtlinie 2005/36/EG vom 30.09.2005, Amtsblatt der EU L 255 S. 22–142. Dafür spricht auch, dass die Europäische Kommission in ihrer an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Nutzen der Telemedizin für Patienten, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft (KOM 2008, 689 vom 04.11.2008), klarstellt: „Die Richtlinie 2005/36/EG legt für eine Reihe reglementierter Berufe fest, welche Berufsqualifikationen gemeinschaftsweit anerkannt werden. Die Anerkennung der Berufsqualifikationen durch den Aufnahmemitgliedstaat ermöglicht der begünstigten Person, in diesem Mitgliedstaat denselben Beruf wie den, für den sie in ihrem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen und unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben“. 53 Steffen in FS Stoll, S. 75 f.; Tillmanns, Persönliche Leistungserbringungspflicht, S. 57. 52
§ 3 Telemedizin und das Fernbehandlungsverbot
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diese beiden Grundsätze miteinander verflochten sind54, so dass bei der Untersuchung von einem der beiden Grundsätze der jeweils andere Grundsatz zu berücksichtigen ist. Telemedizinische Behandlungen wären jedenfalls dann unzulässig, wenn sie stets gegen das Fernbehandlungsverbot verstießen. Dies wäre der Fall, wenn Fernbehandlungen absolut verboten wären. Im Folgenden wird daher zunächst untersucht, ob ein solches absolutes Fernbehandlungsverbot im deutschen Sachrecht besteht. A. Fernbehandlungsverbot I. Öffentlich-rechtliches Fernbehandlungsverbot 1. Regelungen der MBO-Ä Das standesrechtliche, öffentlich-rechtliche Fernbehandlungsverbot des § 7 Abs. 3 MBO-Ä verbietet es Ärztinnen und Ärzten eine individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch eine Beratung, ausschließlich brieflich, in Zeitungen, Zeitschriften oder über Kommunikationsmedien und Computerkommunikationsnetze durchzuführen. Eine Fernbehandlung liegt vor, wenn der Kranke oder für ihn ein Dritter dem Arzt, der die Krankheit erkennen oder behandeln soll, Angaben über die Krankheit insbesondere Symptome oder Befunde übermittelt und dieser, ohne den Kranken gesehen oder die Möglichkeit einer Untersuchung gehabt zu haben, entweder die Diagnose stellt und/oder einen Behandlungsvorschlag unterbreitet.55 Diese Definition der Fernbehandlung deckt sich mit derjenigen in § 9 HWG, wonach „die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht“ eine Fernbehandlung darstellt. Auf den ersten Blick ist es dem Telemediziner daher nach § 7 Abs. 3 MBO-Ä standesrechtlich untersagt einen Patienten per Kommunikationsmedien oder Computerkommunikationsnetze zu behandeln. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass § 7 Abs. 3 MBO-Ä nur eine „ausschließliche“ Fernbehandlung verbietet, weshalb sich ein absolutes Fernbehand-
54 Vgl. Laufs/Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 52 Rn. 16, wonach der Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung das Fernbehandlungsverbot entspricht. 55 Lippert in Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung, § 7 Rn. 8; Link, Telemedizin, S. 52; ähnlich Rieger, Lexikon des Arztrechts, Rn. 621.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
lungsverbot aus § 7 Abs. 3 MBO-Ä nicht ableiten lässt.56 Was das konkret bedeutet, wird sogleich noch Gegenstand der Untersuchung sein. 2. Regelungen des BMV-Ä Neben den bereits genannten Vorschriften gelten in Deutschland weitere Vorschriften, die sich direkt oder zumindest mittelbar mit dem ärztlichen Fernbehandlungsverbot beschäftigen und ebenfalls gegen die Annahme eines absoluten Fernbehandlungsverbotes sprechen. So ist beispielsweise nach § 15 Abs. 1 S. 1 BMV-Ä jeder Vertragsarzt verpflichtet, die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich auszuüben. Nach § 15 Abs. 2 BMV-Ä dürfen Verordnungen nur ausgestellt werden, wenn der Vertragsarzt „sich persönlich von dem Krankheitszustand des Patienten überzeugt hat oder wenn ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Hiervon darf nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden“. Auch diese Vorschrift sagt jedoch nichts darüber aus, ob zwischen Arzt und Patient eine räumliche Nähe bestehen muss. Vielmehr reicht es aus, dass sich der Vertragsarzt persönlich vom Gesundheitszustand des Patienten überzeugt hat. Auch den Regelungen des BMV-Ä lässt sich folglich kein absolutes Fernbehandlungsverbot entnehmen. 3. Regelungen der RÖV Eine weitere Vorschrift, die gegen die Annahme eines generellen Fernbehandlungsverbots bei telemedizinischen Anwendungen spricht, ist § 3 Abs. 4 RÖV, wonach eine teleradiologische Behandlung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Diese „Regelung soll einerseits durch den Einsatz moderner Kommunikationstechniken dem Patienten einen unnötigen Transport in ein anderes Krankenhaus ersparen, aber andererseits zum Schutz des Patienten sicher gewährleisten, dass er von ausreichend fachkundigem Personal versorgt wird und dass die zur Datenübertragung genutzten Einrichtungen nicht zu Verfälschungen der übertragenen Bilder führen. Das jetzt vorgeschlagene Regelungsmodell sieht vor, dass der Arzt mit Fachkunde im Strahlenschutz, der nicht am Ort der Untersuchung anwesend ist, mittels Telekommunikation nach eingehender Beratung mit einem Arzt vor Ort, der über Kenntnisse im Strahlenschutz verfügt, die rechtfertigende Indikation stellt, den Befund feststellt und die Verantwortung für die gesamte Anwendung trägt“.57
56
Steffen in FS Stoll, 71, 77; Tillmanns, Persönliche Leistungserbringungspflicht, S. 74. 57 Bundesministeriums für Umwelt (BMU), Hintergrundpapier zur Novelle der Röntgenverordnung, Stand 11.7.2001, S. 4.
§ 3 Telemedizin und das Fernbehandlungsverbot
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II. Privatrechtliches Fernbehandlungsverbot Ein absolutes Fernbehandlungsverbot kann sich aber nicht nur aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften, sondern vielmehr auch aus zivilrechtlichen Vorschriften ergeben. Diese würden bei grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen freilich nur dann zur Anwendung gelangen, wenn sie durch das internationale Privatrecht zur Anwendung berufen wären. Eine Norm, die eine Fernbehandlung eines Patienten direkt verbietet, existiert im deutschen Zivilrecht nicht. Ein absolutes Verbot der Fernbehandlung läge aber faktisch vor, wenn die Fernbehandlung eine haftungsauslösende Sorgfaltspflichtverletzung des Arztes darstellen würde. Dies wäre der Fall, wenn sie ausnahmslos nicht dem medizinischen Standard entsprechen würde.58 Dies wird von Teilen der Literatur mit Verweis auf die Rechtsprechung des BGH vertreten.59 Der BGH hatte sich in den Jahren 1955 und 1979 mit der Frage der zivilrechtlichen Zulässigkeit von Ferndiagnosen zu beschäftigen.60 Dabei ging der BGH jedoch mit keinem Wort explizit auf einen Verstoß gegen ein Fernbehandlungsverbot ein. Vielmehr stellte er zu Begründung einer Sorgfaltspflichtverletzung auf Folgendes ab: „Es gehört zu den Aufgaben des Arztes, sich von den Leiden des Patienten ein eigenes Bild zu machen, dabei die Angaben Dritter [...] nicht ungeprüft zu übernehmen und wichtige Befunde selbst zu erheben. Dazu ist, wenn der Patient nicht selbst in die Sprechstunde kommen kann, ein Hausbesuch jedenfalls dann erforderlich, wenn es sich um eine schwere Krankheit handelt“.61 Nach Auffassung des BGH ist der Arzt aufgrund seiner Sorgfaltspflichten gegenüber dem Patienten im Fall des Verdachts einer schweren Erkrankung folglich verpflichtet, den Patienten persönlich zu untersuchen. Ein apodiktisches Fernbehandlungsverbot lässt sich aus dieser Rechtsprechung jedoch nicht entnehmen. Dies zeigt sich auch an den Formulierungen des BGH, nach denen eine Fernbehandlung nur „selten“62 oder „in den seltensten Fällen“63 zulässig sei. Auch ein zivilrechtliches absolutes Fernbehandlungsverbot existiert daher nicht.
58 Auf die Fragen der Arzthaftung wird noch ausführlich einzugehen sein, vgl. dazu unten Kapitel 1:§ 3. 59 Rieger, Lexikon des Arztrechts, Rn. 623. 60 BGH, NJW 1955, 718 ff.; NJW 1979, 1248 ff. 61 BGH, NJW 1979, 1248, 1249. 62 BGH, NJW 1955, 718, 719. 63 BGH, NJW 1979, 1248, 1249.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
B. Zwischenergebnis Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass im deutschen Sachrecht weder ein absolutes Fernbehandlungsverbot noch ein absolutes Gebot der persönlichen Leistungserbringung existiert.64 Damit ist jedoch noch nicht festgestellt, ob alle telemedizinischen Anwendungen mit dem Fernbehandlungsverbot beziehungsweise dem korrespondierenden Gebot der persönlichen Leistungserbringung vereinbar sind. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie mit dem Schutzzweck des Fernbehandlungsverbots im Einklang stünden. Um dies untersuchen zu können, ist es daher zunächst erforderlich, den Sinn und Zweck des Fernbehandlungsverbotes zu bestimmen. Erst nach dieser Bestimmung kann anhand der entwickelten Typologie untersucht werden, ob die einzelnen telemedizinischen Anwendungsformen mit diesem Schutzzweck vereinbar sind. C. Sinn und Zweck des Fernbehandlungsverbots und des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung Das Verbot einer Fernbehandlung und folglich auch das damit korrespondierende Gebot der persönlichen Leistungserbringung verfolgt den Zweck die durch das Fehlen der persönlichen Untersuchung mögliche Einbuße an Behandlungsqualität und Sicherheit zu vermeiden.65 Der Patient soll im Vergleich mit einer traditionellen Behandlung unter physischer Präsenz von Arzt und Patient keine schlechtere Behandlung erfahren, weil sein Arzt ihn aus der Ferne behandelt.66 Eine telemedizinische Behandlung ist daher nur zulässig, wenn trotz des Einsatzes der Telemedizin der medizinische Standard einer traditionellen Behandlung gewahrt bleibt. Ob dies auf die einzelnen Erscheinungsformen telemedizinischer Anwendungen zutrifft, wird im Folgenden untersucht. D. Schlussfolgerungen für die Typen der Telemedizin I.Telekonsil Die Telemedizin dient in den Fällen des Telekonsils der Einholung einer second opinion, während die eigentliche Untersuchung und Behandlung des Patienten weiterhin durch den vom Patienten bestimmten und ausge-
64
Vgl. zur vergleichbaren Rechtslage in Frankreich Link, Telemedizin, S. 33–34 m.z.N. aus der französischen, rechtswissenschaftlichen Literatur. 65 Link, Telemedizin, S. 53; Ulsenheimer/Erlinger in Dierks/Feussner/Wienke, S. 69 Fn. 8; 66 Link, Telemedizin, S. 53; Kern in Dierks/Feussner/Wienke, S. 55; Ulsenheimer/ Heinemann, MedR 1999, 197, 198.
§ 3 Telemedizin und das Fernbehandlungsverbot
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suchten, vor Ort befindlichen Primärarzt erfolgt. Der Schutz des Patienten wird durch die Hinzuziehung eines Telemediziners nicht vermindert. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung oder das Fernbehandlungsverbot ist folglich nicht ersichtlich. Für die standesrechtliche Zulässigkeit von Telekonsilen spricht darüber hinaus, dass keine zusätzliche Gefahr im Vergleich zu einer traditionellen Behandlung durch Senkung des medizinischen Standards entsteht. Vielmehr kann aus einem Telekonsil nur eine Qualitätssteigerung der medizinischen Behandlung resultieren, da der Primärbehandler lediglich um das für ihn überprüfbare Wissen des Telemediziners reicher wird.67 Fälle des Telekonsils stellen folglich keine unzulässige Fernbehandlung sondern eine zulässige Ferndiagnostik dar.68 II.Teleexpertise Die Teleexpertise ist nur zulässig, wenn es sowohl dem Telemediziner als auch dem Primärarzt möglich ist, den gleichen medizinischen Standard wie bei einer Behandlung vor Ort sicherzustellen. Dies erscheint insbesondere im Bereich der Teleradiologie möglich, wenn das CT-Bild dem ärztlichen Standard entsprechend durch geschultes Personal erstellt und dann über eine Datenleitung an den Teleexperten zur Diagnose übermittelt wird. Auch im Bereich der Telepathologie bestehen keine Bedenken, wenn der Telemediziner mittels eines ferngesteuerten Mikroskops die Gewebeuntersuchung selbst vornimmt. Eine Untersuchung des Patienten vor Ort durch den Telemediziner ist jedenfalls in diesen Fällen entbehrlich. Ob in anderen Ausprägungen der Teleexpertise ein Verstoß gegen das Fernbehandlungsverbot und/oder den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung zu sehen ist, bleibt eine Frage des Einzelfalls. Als Kriterium ist jedoch immer ein Vergleich mit der Qualität einer traditionellen Behandlung vorzunehmen. Für grenzüberschreitende Teleexpertisen bedeutet dies, dass der deutsche Primärarzt, der einen ausländischen Teleexperten hinzuzieht, und der deutsche Teleexperte, der bei einer Behandlung im Ausland via Datenleitung mitwirkt, regelmäßig nicht gegen deutsches Standesrecht verstoßen. Dies gilt jedenfalls in den am häufigsten vorkommenden Fällen der Teleradiologie und Telepathologie.
67 OVG Rheinland-Pfalz, MedR 2003, 352, 354; Kern in Dierks/Feussner/Wienke, S. 57; Link, Telemedizin, S. 54. 68 Heyers/Heyers, MDR 2001, 918, 921; Link, Telemedizin, S. 54; Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197, 198; Kern in Dierks/Feussner/Wienke, S. 57; Schütze/Kamler, DMW 2007, 453, 453.
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III.Telepräsenz Da der Telemediziner in Fällen der Telepräsenz entweder einen Operationsroboter via Datenleitung steuert oder einen vor Ort befindlichen Kollegen dirigiert, während er das Behandlungsgeschehen audio-visuell via Livestream verfolgt, hält er, selbst wenn andere Ärzte vor Ort sind, den Behandlungsverlauf in seinen eigenen Händen, so dass er nicht gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung verstößt. Jedoch wird überwiegend vertreten, dass der deutsche Telemediziner gegen das Fernbehandlungsverbot verstößt, wenn es weder dem Telemediziner noch einem voll ausgebildeten Operationsteam im Notfall möglich sei, vor Ort auf traditionelle Weise die Behandlungsleistung des Teleexperten zu übernehmen.69 Eine solche Beschränkung erscheint jedoch nur dann geboten, wenn der Telepräsenz die Gefahr einer Senkung des medizinischen Standards immanent ist, da nur dann der Schutzzweck des Fernbehandlungsverbotes berührt wäre. Bereits heute werden viele chirurgische Eingriffe mithilfe von Operationsrobotern durchgeführt. Hierdurch ist es dem Operateur beispielsweise möglich, filigranste Schnitte zu setzen, da der Roboter das natürliche Zittern der Hand mittels eines sogenannten Tremorfilters ausgleicht. Exemplarisch sei auf die roboterassistierte laparoskopische Cholecystektomie und Fundoplicatio mittels des Da-Vinci-Systems hingewiesen.70 Auch Fräsarbeiten zur Implementierung künstlicher Gelenke werden häufig vollautomatisch durch spezielle Operationsroboter vorgenommen. Die Steuerung solcher Robotersysteme wird dabei meist aus einem Nachbarzimmer vorgenommen. Derartige Verfahren werden allgemein als gesetzlich und standesrechtlich zulässig angesehen, da der Chirurg oder ein vor Ort tätiges OP-Team im Falle einer Störung in der Lage ist, die Behandlung auf konventionelle Art zu übernehmen.71 Technisch stellt die Auslagerung der Steuereinheit heute keine Herausforderung mehr dar, so dass der Informations- und Aktionsumfang des Telemediziners derselbe ist wie der des im Operationssaal oder in einem Nebenraum agierenden Chirurgen.72 Eine Unterschreitung des medizinischen Standards und ein damit einhergehender Verstoß gegen das Fernbehandlungsverbot könnte daher im
69
Hennies, ArztR 2001, 64, 67; Heyers/Heyers, MDR 2001, 918, 922; Ulsenheimer/ Heinemann, MedR 1999, 197, 198; Kern in Dierks/Feussner/Wienke, S. 57; Schütze/Kamler, DMW 2007, 453, 453. 70 Vgl. dazu Hanisch/Markus/Gutt/Schmandra/Encke, Der Chirurg 2001, 286–288; Matthews, J Robotic Surg 2009, 35–39. 71 Vgl. BGHZ, 168, 103, 105 f.; OLG Dresden, Urt. v. 13.09.2007 – 4 U 601/06 = MedR 2008, 430, 430 (Kurzwiedergabe); Link, Telemedizin, S. 55 f. 72 Vgl. nur Deutsches Ärzteblatt, 1998, A 2465.
§ 3 Telemedizin und das Fernbehandlungsverbot
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Rahmen von Telepräsenzen nur aus zusätzlichen Gefahren, die nicht durch die Auslagerung der Steuereinheit entstehen, resultieren. Ein eventueller Aussetzer im Datenfluss zwischen Steuereinheit und Roboter kann jedoch nicht der entscheidende Ansatzpunkt für ein Fernbehandlungsverbot darstellen, da das Problem eines Ausfalls des Operationsroboters ja gerade auch bei einem konventionellen Einsatz im Operationssaal besteht.73 Im Rahmen der Telepräsenz kommt jedoch erschwerend hinzu, dass vor Ort möglicherweise keine oder jedenfalls nicht hinreichend geschulte Personen mehr anwesend sind, welche die Behandlung oder Operation des Patienten auf konventionelle Weise zu Ende führen oder zumindest die notwendigen (Rettungs-)Maßnahmen einleiten könnten. Allein hieraus resultiert das im Vergleich mit robotergestützen Operationen „vor Ort“ zusätzliche Risiko von Telepräsenz-Anwendungen. Ob dies zu einem Verstoß gegen das Fernbehandlungsverbot führt, muss folglich danach entschieden werden, ob während der Telepräsenz noch andere hinreichend ausgebildete Ärzte vor Ort sind oder nicht. Sind hinreichend ausgebildete Ärzte oder OP-Personal vor Ort74, stellt die Telepräsenz keine unzulässige Fernbehandlung durch den Telemediziner dar, da in diesem Fall kein zusätzliches Risiko aus der Telepräsenz im Vergleich zu einer Vor-OrtBehandlung resultiert. Steht eine solche „Einsatztruppe“ hingegen nicht bereit, wird man von einem Verstoß gegen das Fernbehandlungsverbot ausgehen müssen. In diesen Fällen kann erst dann, wenn das Ausfallrisiko und das Handlungsspektrum des vollautomatischen Operationsroboters mit dem eines vor Ort tätigen Chirurgen oder sogar dem eines OP-Teams vergleichbar ist, davon ausgegangen werden, dass die Telepräsenz den medizinischen Facharztstandard nicht unterschreitet und daher nicht gegen das Fernbehandlungsverbot verstößt. Davon kann aber derzeit noch keine Rede sein, da die Roboter und die zur Steuerung verwendeten Datennetze noch lange nicht so zuverlässig sind wie ein menschlicher Operateur. Ferner ist auch das Handlungsspektrum derzeitiger Operationsroboter noch sehr viel enger als dasjenige eines vor Ort befindlichen Arztes oder Ärzteteams, so dass allein aus diesem Grund ein Einsatzteam vor Ort zu verlangen ist. IV.Teleassistenz In den Fällen der Teleassistenz ist der Telemediziner der Alleinbehandelnde, der den Patienten aus der Ferne behandelt, ohne diesen persönlich ge73
A.A. Link, Telemedizin, S. 56 der lediglich auf die Vergleichbarkeit der Zuverlässigkeit der Roboter abstellt. 74 Als Zeitfenster für ein Eingreifen werden von Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197, 198 zehn Minuten genannt.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
sehen oder gar untersucht zu haben. Eine solche Form der Behandlung kann den medizinischen Standard nicht einhalten, da kein Arzt vor Ort ist, der sich mit allen seinen Sinnen ein Bild von dem Patienten machen kann. Fälle der Teleassistenz verstoßen daher gegen das Fernbehandlungsverbot und sind folglich unzulässig.75
§ 4 Telemedizin und Datenschutz § 4 Telemedizin und Datenschutz
Jede Form der Telemedizin setzt zwingend einen Austausch von Patientendaten voraus. Dieser erfolgt, je nach Typus der Telemedizin, entweder zwischen Primärbehandler und Telemediziner, wenn etwa ein CT-Bild durch den Primärbehandler an den Telemediziner übersandt wird, oder, in Fällen der Teleassistenz, zwischen Patient und Telemediziner, wenn diese beispielsweise mittels einer Videokonferenz direkt miteinander kommunizieren. Gemeinsam ist allen Anwendungsformen, dass die Daten mittels Informations- und Telekommunikationstechnologien übertragen werden. Eine herausragende Stellung unter diesen nimmt dabei das Internet ein, da es eine schnelle Übermittlung großer Datenmengen an eine Vielzahl von weltweiten Standorten ermöglicht. Die medizinische Versorgung beziehungsweise die gezielte Behandlung des Patienten ist umso effektiver, je mehr Patientendaten dem Telemediziner zur Verfügung stehen, da er sich bei höherer Informationsdichte ein besseres Gesamtbild über den Gesundheits- und Allgemeinzustand des Patienten machen kann. Für die Teleärzte ist es daher wünschenswert, auf einen möglichst umfangreichen Pool von Patienteninformationen zurückgreifen zu können. Diesem Wunsch steht das Interesse des Patienten, dass auf seine Personen- und Gesundheitsdaten nicht in unbegrenztem Umfang zugegriffen werden kann, diametral entgegen. Er möchte nicht zum „gläsernen Patienten“ werden, sondern selbst darüber entscheiden, wer und in welchem Umfang von seinen Gesundheitsdaten Kenntnis erlangt. Diese widerstreitenden Interessen der Beteiligten verdeutlichen, dass Telemedizin und Datenschutz naturgemäß in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen. Im Folgenden wird untersucht, wie dieses Spannungsverhältnis interessengerecht aufzulösen ist. Die Beantwortung dieser Frage ist aus zweierlei Gründen von Interesse: Sollte die Untersuchung ergeben, dass eine grenzüberschreitende Übermittlung medizinischer Daten faktisch ausgeschlos-
75 Schütze/Kamler, DMW 2007, 453, 453; Kern, MedR 2001, 495, 496; ders., in Dierks/Feussner/Wienke, S. 58; Pielach, Haftungsfragen, S. 44; Link, Telemedizin, S. 56.
§ 4 Telemedizin und Datenschutz
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sen ist, würde daraus resultieren, dass grenzüberschreitende Telemedizinanwendungen in der Rechtspraxis gar nicht oder zumindest nur sehr selten auftreten werden. Ferner ist die Untersuchung von Interesse, weil dem Patienten aus einer unzulässigen Datenverarbeitung Schadensersatzansprüche gegen den Primärarzt oder Telemediziner erwachsen könnten, deren kollisionsrechtliche Behandlung dann zu untersuchen wäre. Die nachfolgende Untersuchung dient damit insbesondere auch der Identifikation derjenigen Ansprüche, deren kollisionsrechtliche Behandlung im weiteren Untersuchungsverlauf zu behandeln ist. A. Vertraulichkeit von Patientendaten Das Vertrauen zwischen (Primär-)Arzt und Patient ist für den Behandlungsprozess essentiell. Zentrale Grundlage dieses Vertrauens ist die ärztliche Schweigepflicht: Der Patient soll seinem Arzt alle seine Probleme und Nöte mitteilen können, ohne befürchten zu müssen, dass diese an Dritte und die Öffentlichkeit geraten oder sogar Grundlage möglicher Sanktionen werden.76 Schon der Eid des Hippokrates statuierte daher eine ärztliche Verschwiegenheitsverpflichtung77, während in heutiger Zeit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als Hüter der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Schutz der Vertraulichkeit medizinischer Informationen annimmt.78 Der deutsche Staat genügt dieser Verpflichtung, indem er die ärztliche Schweigepflicht beziehungsweise eine Verletzung derselben gleich mehrfach normiert respektive sanktioniert: Eine ausdrückliche Normierung findet sich im ärztlichen Standesrecht in § 9 MBO-Ä. Ferner ist die Schweigepflicht als zivilrechtliche Nebenpflicht des Behandlungsvertrages anerkannt.79 Ein Verstoß gegen sie kann darüber hinaus eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedeuten, für die der Arzt haftungsrechtlich nach § 823 Abs. 1 BGB einzustehen hat.80 Darüber hinaus wird sie als so zentrales Element der ärztlichen Berufsausübung gesehen, dass ein Verstoß gegen sie in § 203 StGB, 76 BVerfG, NJW 1972, 1123, 1124; Mand, MedR 2003, 393, 395; Heyers/Heyers, MDR 2001, 1209, 1209. 77 Die entscheidende Passage lautet: „Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren“. 78 Vgl. EGMR, Urt. v. 25.2.1997, Z. gegen Finnland, Rec. 1997-I, passim. = EGMR, ÖJZ 1998, 152 ff. 79 Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 2 Rn. 48; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IX Rn. 6 m.w.N. 80 Frewer/Säfken, Ethik Med, 2003, 15, 15; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IX Rn. 9 m.w.N.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
welcher ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellt81, sanktioniert ist. Weiter sind Ärzte auch verantwortliche Stellen im Sinne des dritten Abschnitts des BDSG, so dass sie den dortigen datenschutzrechtlichen Restriktionen unterliegen.82 Sowohl das öffentlich-rechtliche ärztliche Berufsrecht, das Zivilrecht, das Strafrecht, als auch das Datenschutzrecht enthalten folglich informationsrechtliche Regelungen, die miteinander verzahnt sind. B. Vertraulichkeit von Patientendaten aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht Der Austausch von Patientendaten stellt kein neues Problem der Telemedizin dar. Vielmehr erfolgt auch im Rahmen einer traditionellen Behandlung ein Informationsaustausch zwischen mehreren an einer Behandlung beteiligten Ärzten. So übersendet beispielsweise ein Arzt auch im Rahmen traditioneller Behandlungen Informationen an einen Kollegen, wenn er den Patienten an diesen überweist. Sowohl bei telemedizinischen als auch bei traditionellen Behandlungen stellt sich daher die Frage, ob dieser Austausch von Patienteninformationen unter Ärzten einen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht darstellen kann. Die Bejahung dieser Frage ergibt sich bereits aus § 203 StGB und § 9 MBO-Ä, die eine Geheimnisoffenbarung eines Arztes auch dann unter Strafe stellt, wenn sie gegenüber einem anderen Arzt erfolgt. Diese Regelungen sind auch sinnvoll und verfassungsrechtlich geboten, da nur so ein effektiver Schutz der Patienteninteressen sichergestellt werden kann. Der Patient hat das verfassungsrechtlich gesicherte Recht, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, wann und in welchen Grenzen persönliche Lebenssachverhalte durch einen Arzt oder das Pflegepersonal gegenüber Dritten offenbart werden dürfen. Dieses Patienteninteresse besteht auch gegenüber anderen Ärzten. Die ärztliche Schweigepflicht bewirkt folglich eine Art von Datenschutz im Hinblick auf Patienteninformationen, da sie die Zulässigkeit des Datenaustauschs reglementiert.83 Zu untersuchen ist daher, unter welchen Voraussetzungen der Datenaustausch zwischen einem deutschen Primärarzt und einem in- und ausländi-
81
BGH, NJW 1968, 2288, 2290 f. (zur Vorgängerregelung des § 203 StGB); OLG Köln, Beschl. v. 07.11.2005 – 7U 101/05, Juris Rn. 3 = GesR 2006, 93–95; OLG Frankfurt, Urt. v. 26.10.2001 – 2 U 61/01, Juris Rn. 3; OLG Brandenburg, Urt. v. 21.06.2000 – 1 U 16/99, Juris Rn. 48; AG Köln, MedR 1995, 503, 504; OLG Hamm, MedR 1995, 328, 328; Heyers/Heyers, MDR 2001, 1209, 1210; Kullmann, MedR 2001, 343, 345; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 634. 82 Von Lewinski, MedR 2004, 95, 95. 83 Heyers/Heyers, MDR 2001, 1209, 1212.
§ 4 Telemedizin und Datenschutz
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schen Telemediziner mit der ärztlichen Schweigepflicht vereinbar ist und ob beziehungsweise gegebenenfalls inwieweit in solchen Fällen dieses Ergebnis durch besondere datenschutzrechtliche Vorgaben modifiziert wird. I. Voraussetzungen für die Vereinbarkeit eines Datenaustauschs mit der ärztlichen Schweigepflicht Die detaillierteste Regelung zur ärztlichen Schweigepflicht enthält § 203 StGB, da diese Vorschrift aufgrund ihrer Strafandrohung dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz gerecht werden muss. Daher erfolgt die Untersuchung, unter welchen Voraussetzungen ein Datenaustausch zwischen einem deutschen Primärarzt und einem ausländischen Telemediziner mit der ärztlichen Schweigepflicht vereinbar ist, zunächst anhand dieser Vorschrift.84 Sodann wird zu untersuchen sein welche Modifikationen des Datenschutzstandards sich aus den Vorschriften des BDSG ergeben. Nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB sind Ärzte und damit auch der deutsche Primärarzt taugliche Täter der Geheimnisoffenbarung. Die Tat begeht, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das dem Täter in einer der in § 203 Abs. 1 Nr. 1–6 StGB genannten Eigenschaften anvertraut oder sonst bekanntgeworden ist. Geheimnisse sind solche personenbezogene Tatsachen, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und an deren Geheimhaltung derjenige, dessen Sphäre sie entstammen (sogenannter Geheimnisträger), ein von seinem Standpunkt aus sachlich begründetes Interesse hat oder bei eigener Kenntnis der Tatsachen haben würde.85 Dabei kann es sich um Tatsachen jeglicher Art handeln, sofern sie die Möglichkeit eröffnen, die Identität des Patienten zu ermitteln.86 Fremd ist ein Geheimnis, wenn es zumindest auch eine andere Person betrifft.87 Als fremde Geheimnisse sind daher insbesondere die Daten über die Identität des Patienten, die Tatsache und den Grund der Behandlung, die Anamnese, die
84
Nach § 3 StGB gilt das deutsche Strafrecht für sämtliche Straftaten, die im Inland begangen wurden und somit auch für Verstöße eines inländischen Primärarztes gegen § 203 StGB. 85 Cierniak in MüKo-StGB, § 203 StGB Rn. 3; Kargl in NK-StGB, § 203 StGB Rn. 6; Kühl in Lackner/Kühl, StGB § 203 StGB Rn. 14; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 67 m.w.N.; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, § 203 StGB Rn. 5; Joecks, StGB, § 203 StGB Rn. 2; Schünemann in LK-StGB, § 203 StGB Rn. 19; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 322. 86 Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 67 m.w.N. 87 Joecks, StGB, § 203 StGB Rn. 5.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
Untersuchungsbefunde, die Diagnose, der Gesundheitszustand, die Therapie, das Transportziel und die Behandlungsdokumentation anzusehen.88 Offenbart wird ein Geheimnis, wenn es in irgendeiner Weise an einen Dritten gelangt.89 Dabei reicht es bereits aus, wenn das Geheimnis zumindest aus den Begleitumständen erkennbar wird.90 Zudem kommt es nicht darauf an, ob der Dritte selbst einer Schweigepflicht unterliegt.91 Weiter muss das Geheimnis dem Arzt in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden sein. Es muss also ein innerer Zusammenhang zwischen der Kenntniserlangung und der Berufsausübung bestehen.92 Subsumiert man den klassischen Telemedizin-Fall unter die Tatbestandsmerkmale des § 203 StGB, würde ein Geheimnis durch den deutschen Primärarzt offenbart, wenn er Informationen über einen seiner Patienten und dessen Gesundheitszustand an einen in- oder ausländischen Telekollegen übermittelt, die einen Rückschluss auf den Patienten zulassen. 1. Telemediziner zählt nicht zum „Kreis der Wissenden“ Etwas anderes könnte gelten, wenn der ausländische Telemediziner, obwohl er nicht eigentlicher Adressat des Anvertrauens ist, noch an dem Vertrauensverhältnis zwischen Primärarzt und Patient partizipieren würde. In diesen Fällen soll die Geheimnisoffenbarung durch den Primärarzt nach herrschender Auffassung bereits keine tatbestandliche Offenbarung im Sinne des § 203 Abs. 1 StGB darstellen, da die partizipierende Person zum „Kreis der Wissenden“ zu zählen sei.93 Ein derartiges Verständnis soll sich aus § 203 Abs. 3 S. 2 StGB ergeben, da nach dieser Norm berufsmäßige
88 Lissel, Der Gynäkologe 2006, 556, 558; Schlund, JR 1977, 265, 265; Pielach, Haftungsfragen, S. 177; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IX Rn. 12. 89 Schünemann in LK-StGB, § 203 StGB Rn. 41. 90 Kargl in NK-StGB, § 203 StGB Rn. 19; Tag in Dölling/Duttge/Rössner, StGB, § 203 StGB Rn. 44. 91 Kargl in NK-StGB, § 203 Rn. 19; Cierniak, MüKo-StGB, § 203 StGB Rn. 49; Schlund, JR 1977, 265, 267; Heyers/Heyers, MDR 2001, 1209, 1210. 92 Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IX Rn. 12. 93 BGH, NJW 1995, 2915, 2916; Schünemann in LK-StGB, § 203 StGB Rn. 43; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, § 203 StGB Rn. 19a; Cierniak, MüKoStGB, § 203 StGB Rn. 49; Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; Ulsenheimer in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 70 Rn. 9; a.A. Schlund, JR 1977, 265, 267, der in diesen Fällen zumindest ein stillschweigendes Einverständnis des Patienten annimmt.
§ 4 Telemedizin und Datenschutz
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Gehilfen des Arztes diesem gleichzustellen sind94 und die Konstruktion einer Einwilligung des Patienten in diesen Fällen gekünstelt erscheine.95 Zum „Kreis der Wissenden“ können jedenfalls nur solche Personen gezählt werden, die typischerweise an der Behandlung mitwirken und mit deren Einschaltung der Patient von vornherein rechnet.96 Dies ist beispielsweise bei einem engen, abgrenzbaren Behandlungsgeschehen der Fall, das im Rahmen von Behandlungen durch ein Krankenhausteam oder in einer Gemeinschaftspraxis vorkommen kann. Ein solches Verständnis des Kreises der Wissenden entspricht auch dem ärztlichen Standesrecht, welches in § 9 Abs. 4 MBO-Ä vorsieht, dass gleichzeitig oder nacheinander behandelnde Ärzte von der Schweigepflicht befreit sind, soweit ein Einverständnis vorliegt. Von einem solchen abgrenzbaren Behandlungsgeschehen kann aber jedenfalls dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn ein außerhalb des Krankenhauses tätiger Telemediziner hinzugezogen wird97, da Patienten beim Aufsuchen eines Arztes oder eines Krankenhauses (noch) nicht damit rechnen, dass im Rahmen der Behandlung externe Telemediziner hinzugezogen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Klinik- oder Praxisbetrieb derart ausgestaltet ist, dass bestimmte Befundungen stets durch einen externen Telemediziner durchgeführt werden.98 Ein externer Telemediziner kann daher (jedenfalls derzeit) nicht zum „Kreis der Wissenden“ gezählt werden, so dass der Primärbehandler dem Telemediziner ein Geheimnis offenbart, wenn dieser nicht schon ausnahmsweise anderweitig von den übermittelten Informationen Kenntnis erlangt hat. Dies gilt erst recht, wenn der Primärarzt das Geheimnis grenzüberschreitend einem ausländischen Telearzt offenbart, da der Patient hiermit nicht rechnen muss. 2. Einwilligung des Patienten in die Geheimnisoffenbarung Die tatbestandliche Geheimnisoffenbarung durch einen Primärarzt gegenüber einem in- oder ausländischen Telemediziner erfolgt unbefugt und damit rechtswidrig, sofern er nicht aufgrund einer wirksamen Einwilligung des Patienten oder aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift zur Geheimnis-
94
BGH, NJW 1995, 2915, 2916. Schmidt, Arzt im Strafrecht, S. 36; ob dies tatsächlich der Fall ist, ist zweifelhaft, wenngleich hierauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. 96 Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; Fischer, StGB, § 203 StGB Rn. 30b; vgl. auch Schlund in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 75 Rn. 15. 97 Dochow, Telemedizin, S. 34; Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197, 202; Heyers/Heyers, MDR 2001, 1209, 1210; vgl. auch Link, Telemedizin, S. 49. 98 Heyers/Heyers, MDR 2001, 1209, 1210; zu denken ist in diesen Fällen jedoch an eine mutmaßliche Einwilligung, vgl. dazu unten Kapitel 1:§ 4B.I.3. 95
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
preisgabe befugt war.99 Eine vergleichbare Regelung sieht das ärztliche Standesrecht in § 9 Abs. 2 MBO-Ä vor. Die Einwilligung des Patienten in Form einer Schweigepflichtentbindungserklärung kann sich nur auf konkrete Geheimnisse beziehen, bei einer Mehrzahl einzelner Tatsachen auf solche, die in einem inhaltlichen Zusammenhang zueinander stehen.100 Weiter gilt es zu beachten, dass ein sogenannter informed consent als Grundlage einer Schweigepflichtentbindungserklärung erforderlich ist.101 Hieraus ergibt sich, dass nur der Patient oder sein Vertreter, der im Einzelfall Kenntnis darüber besitzt, an wen welche Informationen zu welchem Zweck und durch wen übermittelt werden – nach entsprechender vorheriger Informationserteilung durch den Primärarzt –, eine wirksame Einwilligungserklärung abgegeben kann.102 Unter diesen Voraussetzungen kann die Einwilligung sowohl ausdrücklich als auch konkludent erklärt werden und ist an keine besondere Form gebunden.103 Dies gilt im Rahmen des § 203 StGB selbst dann, wenn besondere allgemeine oder bereichsspezifische Regelungen wie Datenschutznormen die Schriftform als Regelfall oder auch zwingend vorschreiben.104 Bei der Annahme einer stillschweigenden Einwilligung ist jedoch Zurückhaltung geboten, da andernfalls das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung in unzulässiger Art und Weise ausgehöhlt würde.105 Insbesondere darf die Annahme einer stillschweigenden Einwilligung nicht dazu führen, dass die Last des Arztes, die Zustimmung des Patienten einzuholen, ohne weiteres in eine Obliegenheit des Patienten umschlägt, einer eventuellen Geheimnisoffenbarung zu widersprechen, um den Eindruck eines stillschweigenden Einwilligung zu vermeiden.106 Gleichwohl liegt die Annahme einer konkludenten Einwilligung
99
Nach Teilen der Literatur schließt die Einwilligung bereits den Tatbestand aus, vgl. Fischer, StGB, § 203 StGB Rn. 31 m.w.N.; während die wohl herrschenden Teile der Literatur und Rspr. in der Einwilligung einen Rechtfertigungsgrund sehen; vgl. zum Streitstand mit zahlreichen Nachweisen Schünemann in LK-StGB, § 203 StGB Rn. 92, 119; Roxin, Strafrecht AT I, § 13. 100 Fischer, StGB, § 203 StGB Rn. 32. 101 Egger, VersR 2007, 905, 908; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, § 203 StGB Rn. 24; Schünemann in LK-StGB, § 203 StGB Rn. 104. 102 Kühl in Lackner/Kühl, StGB, § 203 StGB, Rn. 18; Simitis in Simitis, BDSG, § 4a Rn. 77; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IX Rn. 18. 103 Dierks/Nitz/Grau, Gesundheitstelematik, S. 138 f.; Schünemann in LK-StGB, § 203 StGB Rn. 106; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IX Rn. 18 f. 104 Ciarniak in MüKo-StGB, § 203 StGB Rn. 60; Fischer, StGB, § 203 StGB Rn. 33. 105 Ciarniak in MüKo-StGB, § 203 StGB Rn. 60. 106 BGHZ 116, 268, 274; BGH, NJW 1992, 2348, 2349; Taupitz, VersR 1991, 1213, 1216 f., 1221; Ciarniak in MüKo-StGB, § 203 StGB Rn. 61.
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nahe, wenn der Patient durch den Primärarzt an den Telemediziner verwiesen wird und dieser für seinen Behandlungsbeitrag bestimmter Informationen bedarf.107 Dasselbe gilt, wenn der Patient im Vorfeld des Übermittlungsvorgangs zwischen deutschem Primärarzt und in- oder ausländischen Telemediziner Kenntnis erlangt und diesen Vorgang nach außen wahrnehmbar billigt.108 Die bloß interne Hinzuziehung eines Telemediziners wird hingegen nicht von einer stillschweigenden Einwilligung des Patienten gedeckt sein109, da der Patient nicht damit rechnet und auch nicht damit rechnen muss, dass im Laufe der Behandlung für den Arzt Fragen auftreten, die nur durch interne Hinzuziehung eines Telemediziners geklärt werden können. 3. Mutmaßliche Einwilligung des Patienten in die Geheimnisoffenbarung Hat der Patient beziehungsweise sein Vertreter sein Einverständnis zur Geheimnisoffenbarung nicht erklärt oder kann dieses mangels Einwilligungsfähigkeit des Patienten nicht wirksam erklärt werden110, stellt sich
107
Vgl. BGH, NJW 1983, 350, 351; OLG Hamm, MedR 1995, 328, 329. Berg, MedR 2004, 211, 214; Dierks/Nitz/Grau, Gesundheitstelematik, S. 141. 109 Vgl. zur insoweit vergleichbaren Situation bei der Hinzuziehung traditioneller Konsiliarärzte: Langkeit, NStZ 1994, 6, 7; Schlund, JR 1977, 265, 267; Ciarniak in MüKo-StGB, § 203 StGB Rn. 62; Schünemann in LK-StGB, § 203 StGB Rn. 107; a.A. wohl Kühl in Lackner/Kühl, StGB, § 203 StGB Rn. 18; wohl auch Dierks/Nitz/Grau, Gesundheitstelematik, S. 48. 110 Eine Einwilligung des Patienten ist nur wirksam, sofern er im Einwilligungszeitpunkt einwilligungsfähig war. Erforderlich ist dafür die von Geschäftsfähigkeit und bestimmten Altersgrenzen unabhängige, tatsächliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten (Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, § 203 StGB Rn. 24). Der Patient muss folglich die Fähigkeit zur Erkenntnis von Sachverhalten und Kausalverläufen besitzen und aufgrund dieser Erkenntnisse freiwillig und willensgetragen der Geheimnisoffenbarung zustimmen. Bei volljährigen Patienten kann diese Fähigkeit, von ins Gewicht fallenden psychischen Störungen oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung abgesehen, im Allgemeinen ohne weiteres angenommen werden. Ab wann es einem Patienten an seiner natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt, ist eine Frage des Einzelfalls, so dass eine pauschale Beantwortung nicht möglich ist. Fehlt es dem Patienten an der Einwilligungsfähigkeit so kann die Einwilligung, in dem durch das Recht und die Pflicht zur Vermögens- beziehungsweise Personensorge gesteckten Rahmen, von seinem gesetzlichen Vertreter erteilt werden (BGHZ 12, 379; Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, Vorbem. zu §§ 32 ff. StGB Rn. 41). Bei Minderjährigen sind die gesetzlichen Vertreter grundsätzlich die Eltern als Inhaber der die Vertretung umfassenden elterlichen Sorge, wobei beide Elternteile das Kind regelmäßig gemeinschaftlich vertreten, § 1629 Abs. 1 S. 1, 2 BGB. Steht der Minderjährige ausnahmsweise nicht unter der elterlicher Sorge, sind die Eltern nicht zu dessen Vertretung berechtigt oder ist sein Familienstand nicht zu ermitteln, so ist gesetzlicher Vertreter der zu bestellende Vormund, §§ 1773, 1793 BGB. Bei einwilligungs- oder entschei108
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
die Frage, ob in derartigen Fällen die Geheimnisoffenbarung durch den deutschen Primärarzt gegenüber dem ausländischen Telemediziners mittels der Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt sein kann. Jedenfalls in den Fällen, in denen der Patient befragt werden kann, darf nicht auf diese Rechtsfigur zurückgegriffen werden, da anderenfalls das Recht des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung unzureichend berücksichtigt würde.111 Auch im Übrigen darf auf die Konstruktion der mutmaßlichen Einwilligung im Rahmen der Geheimnisoffenbarung nur in seltenen Ausnahmekonstellationen zurückgegriffen werden, da hierzu erforderlich ist, dass das Interesse des Patienten an der Geheimnisoffenbarung offensichtlich ist.112 Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn eine Befragung des Patienten nicht möglich ist, etwa weil dieser nicht ansprechbar ist. Vielmehr wurde dies bislang – soweit ersichtlich – nur in wenigen Ausnahmesituationen, etwa der Benachrichtigung naher Angehörigen nach dem Tod des Patienten, angenommen.113 Jedenfalls darf bei Fehlen einer konkludenten Einwilligung nicht aus dem bloßen „wohlverstandenen Interesse“ des Patienten eine mutmaßliche Einwilligung abgeleitet werden. Die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung zur Offenbarung von Geheimnissen des Primärarztes gegenüber einem Telemediziner scheidet daher ganz überwiegend aus. II. Zwischenergebnis Bereits die ärztliche Schweigepflicht bewirkt einen erheblichen Schutz von Patientendaten, da die Hinzuziehung eines Telemediziners durch einen deutschen Primärarzt aufgrund des damit verbunden Datenaustauschs regelmäßig nur zulässig ist, wenn der Patient in diese ausdrücklich oder konkludent einwilligt. Ohne eine solche Einwilligung verbleibt dem Primärarzt nur die Möglichkeit, die an den Telemediziner übermittelten Informationen derart auszuwählen oder zu „anonymisieren“, dass der Telemediziner keine Rückschlüsse auf die Identität des Patienten ziehen
dungsunfähigen Volljährigen, ist gesetzlicher Vertreter der für den fraglichen Aufgabenbereich durch das Vormundschaftsgericht zu bestellende Betreuer, §§ 1896, 1902 BGB. 111 BGHZ 115, 123, 126; 122, 115, 120; Fischer, StGB, § 203 StGB Rn. 36; Langkeit, NStZ 1994, 6, 7.; Schünemann in LK-StGB, § 203 StGB Rn. 130; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IX Rn. 19. 112 Tag in Dölling/Duttge/Rössner, StGB, § 203 StGB Rn. 47; Fischer, StGB, § 203 StGB Rn. 36. 113 Vgl. dazu BGH, NJW 1983, 2627, 2627 ff.; Fischer, StGB, § 203 StGB Rn. 36; Schünemann in LK-StGB, § 203 StGB Rn. 130; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IX Rn. 19.
§ 4 Telemedizin und Datenschutz
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kann.114 Macht der Primärarzt von einer dieser Möglichkeiten Gebrauch, verlieren die Informationen ihren Geheimnischarakter, da der Personenbezug der Tatsache verloren geht. Folglich können derartige Tatsachen kein Geheimnis im Sinne des § 203 Abs. 1 StGB mehr darstellen und unterliegen daher nicht mehr der ärztlichen Schweigepflicht.115 Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen eine solche Anonymisierung nicht möglich ist. Veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel der Übermittlung eines Röntgenbildes des Patientenschädels oder einem CT-Bildes des Kopfes. Auf solchen sind die Gesichtszüge des Patienten erkennbar, so dass eine Identifikation des Patienten möglich ist und eine Anonymisierung bereits deshalb praktisch ausscheidet. C. Sicherstellung der Vertraulichkeit von Patientendaten aufgrund spezieller Datenschutzbestimmungen Der Datenschutz dient der Absicherung der informationellen Selbstbestimmung. Diese ist Grundlage der Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsentfaltung. Jedes Individuum und damit auch der Patient kann sich nur dann frei entwickeln und entfalten, wenn es in der Lage ist, sein Selbstbild in seiner Umwelt durch selektive Informationsweitergabe zu entwerfen.116 Ausgangspunkt des deutschen Datenschutzrechts ist das Volkszählungsurteil des BVerfG.117 In diesem wurde aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, welches aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG resultiert, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt. Der Schutzbereich dieses Grundrechtes erfasst das Recht jedes Einzelnen, selbst über die Preisgabe von Daten, den Inhalt von Informationen und die Identität des Kommunikationspartners zu bestimmen.118 In welchen Fällen ein Eingriff in diesen Schutzbereich zulässig ist, ergibt sich seitdem aus einer Vielzahl von gesetzlichen Regelungen, wobei im Rahmen der Telemedizin insbesondere die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) von Interesse sind. Dieses wurde im Jahr 2001 zur Umsetzung der EU-Datenschutzrichtlinie119 (DSRL) novelliert. Aus
114 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die datenschutzrechtliche Schwestervorschrift des § 3 Abs. 7 BDSG. 115 Vgl. Kühl in Lackner/Kühl, StGB, § 203 StGB Rn. 14; Eichelbrönner, Grenzen der Schweigepflicht, S. 67 jeweils m.w.N. 116 Vgl. dazu Roßnagel in Roßnagel, Datenschutzrecht, Einleitung Rn. 1 ff., insb. Rn. 4 f. 117 BVerfGE 65, 1 ff. 118 BVerfGE 65, 1, 42 ff.; Taeger, Datenverkehr und Datenschutz, S. 18 f. 119 Richtlinie 95/46/EG vom 24.10.1995.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
der Existenz dieser Richtlinie ergibt sich, dass in den EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich ein vergleichbares Datenschutzniveau herrscht. Zwar findet das deutsche BDSG aufgrund seiner speziellen Kollisionsnorm in § 1 Abs. 5 S. 1, 2 BDSG keine Anwendung, wenn ein ausländischer Telemediziner oder Primärarzt in einem Mitgliedstaat mit deutschen Patientendaten arbeitet; hierdurch wird der Datenschutzstandard jedoch nicht auf ein unerträgliches Maß reduziert: Aufgrund der EU-Datenschutzrichtlinie, die in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurde, gelten für den – aus deutscher Sicht ausländischen – Telemediziner oder Primärarzt mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat dieselben oder zumindest vergleichbare datenschutzrechtlichen Bestimmungen120, wenn er mit Patientendaten arbeitet oder solche Daten an einen deutschen Telemediziner oder Primärarzt übermittelt. Die folgende Untersuchung wird folglich nicht nur aufzeigen, welche Datenschutzbestimmungen ein deutscher Primärarzt zu beachten hat, wenn er Patientendaten an einen – aus seiner Sicht – ausländischen Telemediziner mit Sitz in einem Dritt- oder Mitgliedstaat übersendet. Vielmehr gelten diese Voraussetzungen auch für einen Primärarzt aus einem EUMitgliedstaat, der einen deutschen Telemediziner oder einen Telemediziner in einem anderen Mitglied- oder Drittstaat in seine Behandlung einbindet und daher Patientendaten grenzüberschreitend übermittelt. Ferner darf nicht übersehen werden, dass auch der deutsche Telemediziner Patientendaten an den – aus seiner Sicht ausländischen – Primärarzt übermittelt, wenn er an einer Behandlung eines Patienten im Ausland partizipiert und seine Leistung ins Ausland erbringt. Das BDSG unterscheidet entsprechend den Vorgaben der DSRL zwischen unterschiedlichen Arten von Daten. Die durch Anamnese, Befunderhebung, Diagnose oder Therapieanweisung für Patienten gewonnenen Daten enthalten Informationen über das Krankheitsbild und die übrigen für die Behandlung relevanten Fakten aus dem Leben des Patienten und stellen folglich „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten natürlichen Person“ im Sinne des Art. 2 lit. a DSRL, § 3 Abs. 1 BDSG und somit personenbezogene Daten dar. Da diese Daten auch Angaben über die Gesundheit des Patienten beinhalten, sind sie darüber hinaus als eine „besondere Art personenbezogener Daten“ im Sinne des Art. 8 Abs. 1 DSRL, § 3 Abs. 1, Abs. 9 BDSG zu qualifizieren.121 In
120
Vgl. etwa zur datenschutzrechtlichen Situation in Frankreich: Link, Telemedizin, S. 63–76. 121 Weisser/Bauer, MedR 2005, 339, 341; siehe dazu EGMR, Urt. v. 17.07.2008 gegen Finnland (Individualbeschwerde Nr. 20511/03), Rn. 38; darauf weist auch der europäische Datenschutzbeauftragte in seinem Entwurf einer Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der
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Folge dieser Qualifikationen unterfallen diese Daten den Regelungen des BDSG sowie denjenigen der nahezu gleichlautenden Bestimmungen der Landesdatenschutzgesetze.122 I. Datenerhebung, -verarbeitung, -nutzung und -übermittlung Nach der Grundregel des Art. 7 lit. a DSRL, § 4 Abs. 1 BDSG ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch den Primärarzt beziehungsweise den Telemediziner grundsätzlich nur zulässig, wenn sie durch eine Einwilligung des Patienten legitimiert wurde, durch eine spezialgesetzliche Regelung zugelassen ist oder aufgrund einer einschlägigen Regelung des BDSG erlaubt ist. Jeder Umgangstypus ist dabei getrennt zu betrachten, so dass aus einer Legitimation zur Datenerhebung nicht geschlossen werden kann, dass auch eine Erlaubnis zur Übertragung vorliegt.123 Die im Rahmen der Telemedizin entscheidende Übermittlung zwischen Primärarzt und Telemediziner ist nach Art. 2 lit. b DSRL, § 3 Abs. 4 BDSG eine Unterform der Verarbeitung. 1. Einwilligung des Patienten in die Datenverarbeitung Der Einwilligung des Patienten kommt – wie im Bereich der ärztlichen Schweigepflicht – auch im Rahmen der Regelungen der DSRL beziehungsweise des BDSG eine Schlüsselrolle zu. Als Ausdruck der informationellen Selbstbestimmung hat der Patient durch seine Einwilligung stets die Möglichkeit, jeden Typus des Datenumgangs zu legitimieren. Dies gilt unabhängig davon, von wem und wo dieser Datenumgang vorgenommen wird. Die Einwilligung des Patienten stellt also den „Königsweg“ im Rahmen des Datenschutzes dar.124 Eine Einwilligung ist die vorherige Einverständniserklärung mit dem jeweiligen Umgangstypus.125 Sie ist nur wirksam, wenn sie in „Kenntnis
Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vom 06.06.2009 hin (2009/C 128/03), vgl. Abl. EU 2009/C 128/22 unter Nr. 14–19. 122 Die in den Landesdatenschutzgesetzen enthaltenen Regelungen gelten nur für die öffentlichen Stellen des jeweiligen Bundeslandes. Im Medizinbereich sind dies insbesondere Universitätskliniken oder Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Die Regelungen stimmen weitestgehend mit denen des BDSG überein, so dass auf die einzelnen Landesregelungen hier nicht näher eingegangen wird. 123 Mand, MedR 2003, 393, 396. 124 Weisser/Bauer, MedR 2005, 339, 345. 125 Simitis in Simitis, BDSG, § 4a BDSG Rn. 27 ff.; Holznagel/Sonntag in Roßnagel, Datenschutzrecht, 4.8 Rn. 19.
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der Sachlage“ erfolgt.126 Als Wissensgrundlage für die Einwilligung ist somit erforderlich, dass der Patient insbesondere über Umfang, Risiken und Alternativen der beabsichtigten Speicherung und Weitergabe seiner Daten informiert wurde und auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung hingewiesen wurde.127 Der Primärbehandler hat dem Patienten somit sämtliche wesentliche Fakten der Datenverarbeitung mitzuteilen, damit dieser in der Lage ist, den Datenverarbeitungsvorgang vollumfänglich zu beurteilen. Dem Patienten sind daher unaufgefordert der konkrete Zweck der spezifischen Verarbeitung, der Name und die Anschrift der verarbeitenden Stellen – also insbesondere die Auslandsadresse des Telemediziners, die geplante Übermittlung der Daten an Dritte inklusive der damit verbundenen Verarbeitungsbedingungen und Risiken sowie der Umfang der zu übermittelnden Daten128 – mitzuteilen. Weiter muss die Einwilligung dem durch § 4a Abs. 1 BDSG statuierten Schriftformerfordernis genügen und sich nach § 4a Abs. 3 BDSG ausdrücklich auf die besonderen personenbezogenen Daten beziehen. Die Annahme einer konkludenten oder gar mutmaßlichen Einwilligung scheidet daher im Rahmen des Datenschutzrechts aus.129 Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung, insbesondere der Einwilligungsfähigkeit des Patienten, kann auf die Ausführungen, die im Rahmen der Untersuchung der ärztlichen Schweigepflicht nach § 203 StGB gemacht wurden, verwiesen werden.130
126
Die Regelung des § 4a Abs. 1 BDSG ist insoweit unklar; besser zum Ausdruck kommt dieses Erfordernis in Art. 2 lit. h) DSRL. 127 § 4a Abs. 1 S. 2 BDSG; dazu ausführlich Holznagel/Sonntag in Roßnagel, Datenschutzrecht, 4.8 Rn. 44 ff. 128 Holznagel/Sonntag in Roßnagel, Datenschutzrecht, 4.8 Rn. 45; Simitis in Simitis, BDSG, § 4a BDSG Rn. 70. 129 Simitis in Simitis, BDSG, § 4a BDSG Rn. 78; siehe auch Entwurf einer Stellungnahme des europäischen Datenschutzbeauftragten zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vom 06.06.2009 (2009/C 128/03), vgl. C 128/20 unter Nr. 18. Hierin liegt der Hauptunterschied zu der Einwilligung im Rahmen der ärztlichen Schweigepflicht (§ 203 Abs. 1 StGB), vgl. dazu oben Kapitel 2, § 4, B. 130 Vgl. oben Kapitel 2, § 4, B, I; vgl. auch Art. 2 lit. h) DSRL, wonach unter der Einwilligung der betroffenen Person „jede Willensbekundung, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt und mit der die betroffene Person akzeptiert, daß personenbezogene Daten, die sie betreffen, verarbeitet werden“, zu verstehen ist.
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2. Gesetzliche Grundlagen für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Patientendaten a) Erhebung von Patientendaten Eine spezielle gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Patientendaten findet sich in Art. 8 Abs. 3 DSRL beziehungsweise § 28 Abs. 7 S. 1 BDSG. Gemäß diesen Vorschriften ist die Erhebung von Gesundheitsdaten durch den Primärarzt zulässig, wenn dies zum Zweck der Gesundheitsvorsorge, der medizinischen Diagnostik, der Gesundheitsversorgung, der Behandlung oder für die Verwaltung von Gesundheitsdiensten erforderlich ist und die Verarbeitung der Daten durch ärztliches Personal oder durch sonstiges Personen erfolgt, die einer entsprechenden Schweigepflicht unterliegen. In diesen Fällen ist es nicht erforderlich, dass der Patient in die Erhebung seiner Daten durch den Primärbehandler einwilligt.131 Weiter ist es für eine sinnvolle Behandlung unabdinglich, dass die Anamnese, die Diagnose etc. dokumentiert werden, so dass in der Regel von einer Erforderlichkeit der Datenerhebung auszugehen ist. Der Primärbehandler kann folglich regelmäßig ohne schriftliche Einwilligung des Patienten besondere personenbezogene Daten erheben.132 b) Verarbeitung und Nutzung von Patientendaten Die Datenverarbeitung und -nutzung – und damit auch die Übermittlung – von besonderen personenbezogenen Daten zu dem soeben genannten Zweck richtet sich gemäß § 28 Abs. 7 S. 2 BDSG nach den Geheimhaltungsvorschriften, die für ärztliches Personal oder sonstige Personen, die einer entsprechenden Geheimhaltungspflicht unterstehen, gelten. Das BDSG enthält diesbezüglich keine eigenen Regelungen, sondern verweist auf außerhalb des Gesetzes angeordnete Geheimhaltungsverpflichtungen.133 Für die Übermittlung von besonderen personenbezogenen Daten im Rahmen von Telemedizinanwendungen greift nach § 28 Abs. 7 S. 2 BDSG folglich insbesondere die Regelung des § 203 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB, ohne 131
Pielach, Haftungsfragen, S. 191; Gola/Schomerus, BDSG, § 28 BDSG Rn. 75, 80. Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 173. 133 Heyers/Heyers, MDR 2001, 1210, 1214. Dies verkennt eine wenig vertretene Literaturmeinung, wenn sie die Auffassung vertritt, dass die Datenübermittlung zwischen Primärarzt und Telekonsiliarius dann nicht der schriftlichen Einwilligung des Patienten bedarf, wenn das Telekonsil zur medizinischen Diagnostik oder zur Behandlung erforderlich ist (Dierks/Nitz/Grau, Gesundheitstelematik, S. 46). Die Erforderlichkeit ist nur im Rahmen der Datenerhebung relevant, wie bereits der Wortlaut des § 28 Abs. 7 BDSG deutlich zeigt, da sich das Kriterium der Erforderlichkeit nur in Satz 1 der Vorschrift findet. Eine Erforderlichkeitsprüfung findet im Rahmen der Verarbeitung und Nutzung von Patientendaten daher nicht statt. 132
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dass dabei zu prüfen wäre, ob eine telemedizinische Maßnahme erforderlich ist oder nicht.134 Dieser regelt, wenn auch nicht positiv, wann eine Übermittlung erlaubt ist – aus einem Umkehrschluss zu dem Verbot der Geheimnisoffenbarung kann geschlossen werden, wann eine Datenübermittlung von Primärbehandler an den Telemediziner als zulässig anzusehen ist. Dies ist der Fall, wenn der Patient ausdrücklich, konkludent oder ausnahmsweise mutmaßlich in eine Datenübermittlung eingewilligt hat. Das Schriftformerfordernis des § 4a Abs. 1 BDSG und das Erfordernis der Ausdrücklichkeit nach § 4a Abs. 3 BDSG greifen insoweit nicht ein.135 Hinsichtlich der Voraussetzungen, die an eine wirksame Einwilligung des Patienten zu stellen sind, kann daher vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zur ärztlichen Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB verwiesen werden.136 II. Datensicherheit im Rahmen der Telemedizin Die soeben dargestellten allgemeinen datenschutzrechtlichen Anforderungen werden ergänzt durch das in § 3a BDSG statuierte Prinzip der Datensparsamkeit beziehungsweise der Datenvermeidung und durch die in § 9 BDSG genannten Maßnahmen zur Datensicherheit. 1. Prinzip der Datensparsamkeit und der Datenvermeidung Nach dem Prinzip der Datensparsamkeit und Datenvermeidung gilt es, die Datenmenge hinsichtlich personenbezogener Daten zu reduzieren und so weit wie möglich zu anonymisieren oder zu pseudonymisieren. Die Anonymisierung ist nach § 3 Abs. 6 BDSG das Verändern personenbezogener Daten in der Art, dass die Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden können. Nach § 3 Abs. 6a BDSG ist unter einer Pseudonymisierung das Ersetzen des Namens und anderer Identifikationsmerkmale durch ein Kennzeichen zu dem Zweck, die Bestimmung des Patienten auszuschließen oder wesentlich zu erschweren, zu verstehen. Danach hat der Primärarzt zunächst die Pflicht, möglichst wenige Patientendaten zu erheben. Darüber hinaus darf er aber auch nur diejenigen Daten an den Telemediziner weiterleiten, die dieser für seinen Behand-
134
Berg, MedR 2004, 411, 414. Berg, MedR 2004, 411, 414; Dierks/Nitz/Grau, Gesundheitstelematik, S. 47; Link, Telemedizin, S. 86; vgl. auch die in Kapitel 2 Fn. 104 genannten. 136 Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 4, B, I, 2. 135
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lungsbeitrag benötigt. Ferner sind die übermittelten Daten, soweit möglich, zu anonymisieren oder pseudonymisieren. Eine Pseudonymisierung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Daten zwar weiterhin individualisierbar sein sollen, obwohl der konkrete Patient gerade keine Rolle spielt. Gerade in Bereichen der Telekonsultation und der -expertise wird daher häufig eine Pseudonymisierung der zu übermittelnden Daten möglich und daher zu fordern sein.137 Durch die Aufhebung des Personenbezugs durch Anonymisierung oder Pseudonymisierung der Patientendaten entfällt der Schutzbedarf des Patienten, so dass die datenschutzrechtlichen Regelungen keine Anwendung mehr finden. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Zuordnung der übermittelten Daten zu einem Patienten auch tatsächlich ausgeschlossen ist. Dies ist nicht der Fall, wenn durch eine Kombination der übermittelten Daten mit solchen, die dem Empfänger bereits zur Verfügung stehen, ein Patientenbezug hergestellt werden kann.138 2. Maßnahmen zur Wahrung der Datensicherheit Nach § 9 BDSG sind sowohl der Primärarzt als auch der Telemediziner verpflichtet, diejenigen technischen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um die Ausführung der Vorschriften des BDSG zu gewährleisten. Gemäß der Anlage zu § 9 BDSG sind dies insbesondere Maßnahmen zur Zutritts-, Zugangs-, Zugriffs-, Weitergabe-, Eingabe-, Auftrags- und Verfügbarkeitskontrolle. Erforderlich sind solche Maßnahmen nach § 9 Abs. 1 S. 2 BDSG, wenn ihr Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck steht. Bei Patientendaten handelt es sich um besonders sensible Daten, wie die Einordnung des Gesetzgebers als personenbezogene Daten besonderer Art zeigt. Deshalb darf eine Nutzung dieser Daten nur dann erfolgen, wenn die Sicherheitsmaßnahmen auch tatsächlich getroffen wurden. Diese müssen gewährleisten, dass die Patientendaten vor einem Zugriff durch Dritte geschützt sind, dass feststellbar ist, von wem die Daten stammen und dass die Datenintegrität erhalten bleibt. Datenintegrität bedeutet dabei, dass die Daten zutreffend das wiedergeben, was der für ihre Richtigkeit verantwortliche Verfasser eingegeben hat.139 Der Primärarzt hat folglich sicherzustellen, dass die Daten auf dem Weg zum Telemediziner nicht verfälscht werden. Hierzu bietet es sich an, die Daten zu verschlüsseln und mit einer Absenderkennung zu versehen. Die 137
Dierks/Nitz/Grau, Gesundheitstelematik, S. 44 Dammann in Simitis, § 3 BDSG Rn. 20 ff.; vgl. zur insoweit vergleichbaren Problematik im Rahmen des § 203 StGB auch oben Kapitel 2, § 4, B, I. 139 Heyers/Heyers, MDR 2001, 1209, 1211. 138
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wohl sinnvollste Methode hierzu stellt die Verwendung einer digitalen Signatur dar140, da hierdurch zum einen die Daten vor einem unbefugten Zugriff durch Dritte geschützt werden und zum anderen der Absender der Daten verhältnismäßig sicher bestimmt werden kann. Sowohl der Datenintegrität als auch der Authentizität der Daten wird folglich durch die Verwendung digitaler Signaturen hinreichend Rechnung getragen. Einzelheiten zu diesem Signaturverfahren hat der deutsche Gesetzgeber im Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (SigG) geregelt, dessen Begründung gerade auf die sensiblen medizinischen Daten Bezug nimmt. Erforderlich ist aber auch, dass Primärbehandler und Telemediziner das jeweilige Endgerät gegen einen unbefugten Zugriff schützen.141 Weiter hat der Primärbehandler sicherzustellen, dass die Daten einem bestimmten Patienten zugeordnet werden können. Dies kann er dadurch erreichen, dass er die Daten entsprechend kennzeichnet oder programmtechnisch mit einem Datensatz des Patienten verknüpft. Die jeweilige Kennzeichnungsform muss dabei auch sicherstellen, dass in Fällen der Anonymisierung und Pseudonymisierung eine zweifelsfreie Zuordnung zum Patienten erfolgen kann. III. Besondere Vorgaben für grenzüberschreitende Datenübermittlung Die bisherige Untersuchung hat sich auf die Feststellung beschränkt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Übermittlung von Patientendaten durch den Primärbehandler an den Telemediziner zulässig ist. Nicht untersucht wurde bislang, ob aus dem grenzüberschreitenden Charakter des Datentransfers zusätzliche Zulässigkeitsvoraussetzungen resultieren. Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen. Die Anforderungen an eine zulässige Datenübermittlung, die aus der ärztlichen Schweigepflicht resultieren, differenzieren nicht danach, ob sich der Telemediziner als Datenempfänger im Ausland befindet, die Daten mithin grenzüberschreitend transferiert werden oder nicht. Anders verhält es sich hingegen bei den datenschutzrechtlichen Vorgaben des BDSG. Dieses enthält in den §§ 4b und 4c BDSG spezielle Regelungen über die Zulässigkeit grenzüberschreitender Datenübermittlung. Dabei wird zwischen einer Datenübermittlung in Staaten mit einem angemessenen und solchen mit einem unangemessenen Datenschutzniveau unterschieden. Staaten mit einem angemessenen Schutzniveau sind nach § 4b Abs. 1 Nr. 1 und 2 BDSG zunächst diejenigen der EU und des EWR. Dies erklärt
140 141
Dierks/Nitz/Grau, Gesundheitstelematik, S. 48. Dierks/Nitz/Grau, Gesundheitstelematik, S. 48.
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sich daraus, dass das Datenschutzniveau dort gleichwertig ist, weil diese Staaten in Umsetzung der DSRL vergleichbare datenschutzrechtliche Regelungen getroffen haben. Den Daten droht daher – bei abstrakter Betrachtung – im Empfängerstaat keine unsachgemäßere Behandlung als im Entsendestaat, so dass es nicht erforderlich ist, den Datentransfer in diese Staaten besonders einzuschränken. Die übrigen Drittstaaten gewährleisten hingegen im Grundsatz kein ausreichendes und damit aus europäischer Sicht kein angemessenes Datenschutzniveau. 1. Datenübermittlung innerhalb der EU Aus der Regelung des § 4b Abs. 1 BDSG ergibt sich, dass die grenzüberschreitende Datenübermittlung an Stellen in der EU beziehungsweise dem EWR nur eine Variation der inländischen Übermittlung darstellt.142 Erlaubt ist ein grenzüberschreitender Datentransfer in Mitgliedstaaten folglich, wenn er durch eine Einwilligung des Patienten gedeckt ist.143 § 4b Abs. 1 BDSG verweist zudem auf § 28 BDSG. Eine grenzüberschreitende Datenübermittlung von Patientendaten durch den Primärarzt an den Telemediziner ist daher auch unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 7 S. 2 BDSG möglich. Im Ergebnis sind daher, wie bei einem inländischen Datentransfer, nur die Voraussetzungen der Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht zu erfüllen.144 Eine konkludente, nicht der Schriftform genügende, Einwilligung des Patienten reicht folglich aus. 2. Datenübermittlung an Stellen in Drittstaaten a) Regelung des § 4b Abs. 2 S. 2 BDSG Komplexer stellt sich die Situation hingegen dar, wenn die Datenübermittlung an einen Telemediziner in einem Drittstaat erfolgen soll. Nach Art. 25 Abs. 1 DSRL, § 4b Abs. 2 S. 2 BDSG darf eine Datenübermittlung insoweit nur erfolgen, wenn beim Telemediziner als Empfangsstelle ein angemessenes Datenschutzniveau herrscht oder die zusätzlichen Voraussetzungen der Art. 26 Abs. 1 lit. a DSRL, § 4c BDSG eingehalten werden. Ein angemessenes Datenschutzniveau an der Empfangsstelle würde jedenfalls dann herrschen, wenn für den ausländischen Telemediziner die Vorschriften des BDSG gelten würden, wenn er mit deutschen Patientendaten arbeitet. Dies ist jedoch nach der speziellen Kollisionsnorm des § 1 Abs. 5 S. 2 BDSG, die zur Umsetzung des in Art. 4 DSRL verankerten 142
Weisser/Bauer, MedR 2005, 339, 343; vgl. auch Erwägungsgrund 56 zur DSRL. Schierbaum, CF 2002, 23, 24; Lange, AuA 2006, 712, 712; Callens, European Journal of Health Law, 2002, 93, 105. 144 Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 4, C. 143
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Sitzprinzips erlassen wurde, regelmäßig nicht der Fall, da der ausländische Telemediziner als verantwortliche Stelle nicht in einem Mitgliedstaat niedergelassen ist und auch nicht in Deutschland Patientendaten erhebt, verarbeitet oder nutzt. Da die Regelungen des BDSG für den Telemediziner aus einem Drittstaat somit nicht gelten, kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass bei ihm ein angemessenes Datenschutzniveau im Sinne des Art. 25 Abs. 1 DSRL, § 4b Abs. 2 S. 2 BDSG herrscht. Ein angemessenes Datenschutzniveau liegt nach § 4b Abs. 2 S. 2 BDSG, Art. 25 Abs. 1 DSRL aber auch dann vor, wenn sich der Telemediziner in einem Staat aufhält, dessen Datenschutzstandard von der Europäischen Kommission als gleichwertig angesehen wird.145 Nach deren Ansicht haben jedoch bislang nur wenige Länder ein vergleichbares Datenschutzniveau, nämlich die Schweiz, Guernsey, Argentinien, Kanada, Jersey und die Isle of Man.146 In allen anderen Drittstaaten, insbesondere auch den USA, wird das Datenschutzinteresse des Einzelnen hingegen im Grundsatz nicht in adäquater Weise gewährleistet.147 Eine Übermittlung von Patientendaten in diese Drittstaaten ist daher nur unter den Voraussetzungen des Art. 26 Abs. 1 lit. a DSRL, § 4c BDSG zulässig. b) Ausnahme nach § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BDSG Nach Art. 26 Abs. 1 lit. a DSRL, § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BDSG dürfen Daten übermittelt werden, sofern dieser Vorgang von einer Einwilligung des Patienten gedeckt ist. Die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung des Patienten richten sich dabei nach § 4a BDSG. Die Einwilligung muss also insbesondere schriftlich und ausdrücklich vorliegen; eine konkludente Einwilligung ist folglich nicht möglich.148 Ferner muss der Patient über das Datenschutzniveau im Empfängerstaat informiert werden.149 c) Ausnahme nach § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG Im Rahmen der Übermittlung von Patientendaten bei grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen kommt aber auch die Ausnahme nach Art. 26 Abs. 1 lit. b DSRL, § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG in Betracht. Danach ist die Übermittlung in einen Drittstaat ohne entsprechendes Datenschutzniveau zulässig, wenn „die Übermittlung für die Erfüllung eines
145
Lange, AuA 2006, 712, 712; Lejeune, ITRB 2005, 94, 94. Vgl. http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/thridcountries/index_de.htm#cou ntries; zuletzt abgerufen am 16.03.11. 147 Lejeune, ITRB 2005, 94, 94. 148 Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 4, C, I, 1. 149 Gola/Schomerus, BDSG, § 4c BDSG Rn. 5 m.w.N. 146
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Vertrages zwischen dem Betroffenen und der verantwortlichen Stelle oder zur Durchführung von vorvertraglichen Maßnahmen, die auf Veranlassung des Betroffenen getroffen worden sind, erforderlich ist“. Verantwortliche Stelle ist dabei gemäß Art. 2 lit. d DSRL, § 4b Abs. 5 BDSG der Primärbehandler, da er die Daten übermittelt. Eine Datenübermittlung an den Telemediziner in einen Drittstaat ist folglich zulässig, sofern die Erfüllung des Vertrags zwischen Patient und Primärbehandler dies erfordert. Dazu muss der Behandlungsvertrag zwischen dem Patienten und dem Primärarzt ausdrücklich die Einschaltung eines in einem Drittstaat befindlichen Telemediziners vorsehen, da es sich nur dann um eine eindeutig auf einen Drittstaat bezogene Vereinbarung handelt.150 Nur unter diesen Voraussetzungen ist es im Hinblick auf das verfassungsrechtlich garantierte informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten gerechtfertigt, die Datenübermittlung für zulässig zu erachten. In derartigen Fällen weiß der Patient zum einen, dass seine Daten ins Drittausland übermittelt werden, zum anderen strebt der Patient in derartigen Fällen selbst eine Leistung des Telemediziners an, die nur dann durch den Telemediziner erfüllt werden kann, wenn ihm die erforderlichen Daten zur Verfügung stehen. Unter diesen Voraussetzungen ist es gerechtfertigt das Datenschutzniveau im Empfängerland außer Betracht zu lassen.151 Zwar ist zuzugeben, dass diese Betrachtungsweise im Ergebnis quasi die Annahme einer konkludenten – und damit dem Ausdrücklichkeits- und Schriftformerfordernis des § 4a BDSG nicht genügenden – Einwilligung bewirkt; dies erscheint aufgrund der obigen Überlegungen jedoch hinnehmbar. Dafür spricht auch die Wertung des § 4c Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 BDSG, der die Datenübermittlung ins Drittausland bei vorvertraglichen Maßnahmen regelt. Diese sind ausweislich des Wortlauts zulässig, soweit sie auf Veranlassung des betroffenen Patienten vorgenommen werden. Veranlasst ist eine Übermittlung, wenn der Patient aktiv mitgewirkt hat. Auch hier verlangt das BDSG also nur, dass der Patient die Übermittlung seiner Daten jedenfalls konkludent legitimiert hat. d) Ausnahme nach § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG Weiter gilt es zu untersuchen, ob nicht auch aufgrund der Ausnahme der Art. 26 Abs. 1 lit. c DSRL, § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG eine Datenübertragung ins Drittausland zulässig sein kann. Nach diesen Vorschriften ist eine Datenübermittlung in einen Drittstaat zulässig, wenn sie „zum Ab-
150 Vgl. Simitis in Simitis, BDSG, § 4c BDSG Rn. 13; Ellger, Datenschutz, S. 201; Bergmann, Grenzüberschreitender Datenschutz, S. 85; Lejeune, ITRB 2005, 94, 95. 151 Simitis in Simitis, BDSG, § 4c BDSG Rn. 13.
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schluss oder zur Erfüllung eines Vertrags erforderlich ist, der im Interesse des Betroffenen von der verantwortlichen Stelle mit einem Dritten geschlossen wurde oder geschlossen werden soll“. Im Gegensatz zur Ausnahme nach Art. 26 Abs. 1 lit. b DSRL, § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG ist es also nicht erforderlich, dass der Patient unmittelbarer Vertragspartner ist; der Vertrag muss aber in seinem Interesse liegen. Die Absichten, welche der Gesetzgeber mit dieser Ausnahme verfolgt, sind nur schwer nachvollziehbar.152 Eine direkte Entsprechung findet diese Ausnahme weder im allgemeinen Erlaubniskatalog des § 28 BDSG noch in Art. 7 DSRL.153 Eine Übereinstimmung mit diesen Regelungen ist jedoch erforderlich, da andernfalls die Regelung des § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG durch den gleichfalls zu erfüllenden § 28 BDSG stets ausgeschlossen würde.154 Die Regelung des § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG kann allenfalls als Spezialfall der in § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG verankerten allgemeinen Interessensabwägungsklausel verstanden werden.155 Danach ist eine Datenübermittlung zulässig soweit sie zur Wahrung berechtigter Interessen des Telemediziners erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Patienten an dem Ausschluss der Übermittlung überwiegt. Wenn eine Datenübermittlung zulässig ist, sobald die Interessen des Telemediziners diejenigen des Patienten überwiegen, muss dies erst recht der Fall sein, wenn die Interessen des Patienten mit denen des Telemediziners übereinstimmen.156 Gerade dies ist durch den Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG geregelt worden. Erforderlich ist also, dass sowohl der Telemediziner als auch der Patient ein Interesse an der Datenübermittlung durch den Primärarzt haben. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn die Mitwirkung des Telemediziners an der Behandlung des Patienten unbedingt erforderlich ist und der Patient deshalb ein offensichtliches Interesse an der Datenübermittlung durch den Primärbehandler hat. Dies wird regelmäßig nur dann der Fall sein, wenn die Behandlung durch den Primärarzt nur unter Hinzuziehung eines ausländischen Telearztes erfolgen kann, was freilich in der Realität nur sehr selten der Fall sein wird. In Abgrenzung zu § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BDSG, auf den sogleich näher eingegangen wird, muss es ausreichen, dass die Behandlung 152
So auch schon Schierbaum, CF 2002, 23, 27. Simitis in Simitis, BDSG, § 4c BDSG Rn. 17; Draf, Übermittlung personenbezogener Daten, S. 114. 154 Draf, Übermittlung personenbezogener Daten, S. 114. 155 Engel, Richtlinie 95/46/EG, S. 180; Draf, Übermittlung personenbezogener Daten, S. 114. 156 Draf, Übermittlung personenbezogener Daten, S. 114; wohl auch Simitis in Simitis, BDSG, § 4c BDSG Rn. 17. 153
§ 4 Telemedizin und Datenschutz
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nicht ohne Hinzuziehung eines ausländischen Telearztes erfolgen kann. Lebenswichtige Interessen des Patienten müssen aber nicht betroffen sein. Zu denken wäre etwa an den Fall, dass während einer laufenden Operation eine pathologische Untersuchung erforderlich wird, ohne welche die Operation nicht endgültig beendet werden könnte. Ist kein Pathologe vor Ort beziehungsweise im Behandlungsstaat erreichbar, wird man wohl vom Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG ausgehen müssen. Für diese restriktive Auslegung des § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG spricht neben diesen Erwägungen auch, dass es sich bei Gesundheitsdaten, wie durch Art. 8 Abs. 1 DSRL beziehungsweise § 3 Abs. 9 BDSG zum Ausdruck kommt, um äußerst sensible Daten handelt. Der Patient hat folglich ein großes Interesse daran, dass diese Daten auch im Anschluss an die Übermittlung am Empfangsort durch datenschutzrechtliche Vorgaben hinreichend gesichert sind. Gerade dies ist in Drittstaaten im Grundsatz jedoch nicht gewährleistet. e) Ausnahme nach § 4c Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BDSG Eine weitere Ausnahme vom grundsätzlich bestehenden Übermittlungsverbot in Drittstaaten stellt Art. 26 Abs. 1 lit. e DSRL, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BDSG dar. Danach ist eine Übermittlung von Patientendaten in einen Drittstaat zulässig, wenn die Übermittlung für die Wahrung lebenswichtiger Interessen des Patienten erforderlich ist. Auch dieser Ausnahmetatbestand ist äußerst restriktiv zu handhaben.157 Es werden – wie im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung158 – nur Fälle erfasst, in denen das Rechtsgut Leben auf dem Spiel steht und in denen keine Einwilligung des Patienten eingeholt werden kann.159 Für ein derartiges Verständnis spricht insbesondere die Entstehungsgeschichte der EGDatenschutzrichtlinie in deren Verlauf zur Begründung dieser Ausnahme „schwere medizinische Fälle“ angeführt wurden.160 Die Relevanz dieser Ausnahme im Rahmen der grenzüberschreitenden Telemedizin dürfte äußerst gering sein.161
157
Simitis in Simitis, BDSG, § 4c BDSG Rn. 22; Draf, Übermittlung personenbezogener Daten, S. 114. 158 Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 4, B, I, 3. 159 Engel, Richtlinie 95/46/EG, S. 183; Simitis in Simitis, BDSG, § 4c BDSG Rn. 22. 160 Vgl. den geänderten Vorschlag der Kommission v. 15.10.1992, EU DS, EG-KOM SYN 287, Kommentare zu Art. 7 und Art. 26 zitiert nach Simitis in Simitis, BDSG, § 4c Rn. 22. 161 Link, Telemedizin, S. 86.
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Kapitel 2: Zulässigkeitsvoraussetzungen internationaler Telemedizin
f) Schaffung eines angemessenen Datenschutzniveaus Sofern keine besondere Ausnahme nach Art. 26 Abs. 1 DSRL, § 4 Abs. 1 S. 1 BDSG greift, kann der Primärbehandler den Anforderungen des Datenschutzes an eine Übermittlung in einen Drittstaat nur dadurch gerecht werden, dass er ausreichende Garantien für eine angemessene Behandlung der Daten im Empfängerstaat anbietet, Art. 26 Abs. 2 DSRL beziehungsweise § 4c Abs. 2 S. 1 BDSG. Solche Garantien können insbesondere in Vertragswerken oder in Unternehmensregelungen enthalten sein. Diese müssen nach Art. 26 Abs. 2 DSRL, § 4c Abs. 2 S. 1 BDSG im Regelfall durch die zuständige Aufsichtsbehörde genehmigt werden. Es gibt jedoch Gestaltungsmöglichkeiten, bei denen eine solche Genehmigung entbehrlich ist. Solche stellen insbesondere die von der Europäischen Kommission entwickelten Standardvertragsklauseln162 und die speziell für die Datenübermittlung in die USA entwickelten Safe Harbor Privacy Principles163 dar. Werden diese im Verhältnis zwischen Primärarzt und Telemediziner genutzt, hat der Primärarzt für einen ausreichenden Datenschutz im Drittland gesorgt, so dass es keiner Genehmigung durch die zuständige Aufsichtsbehörde mehr bedarf.164 Vielmehr ist diese Behörde in derartigen Fällen nur noch über die Datenübermittlung zu informieren, da Folge der unveränderten Nutzung der Standardvertragswerke oder der Unterwerfung des Telemediziners unter die Safe-Harbour-Rule ist, dass das Datenschutzniveau beim Telemediziner als angemessen im Sinne des Art 26 Abs. 2 DSRL, § 4b Abs. 2 S. 2 BDSG gilt, so dass eine Übermittlung der Patientendaten an diesen unter den gleichen Voraussetzungen165 wie eine Übermittlung an einen Telemediziner in einem Mitgliedstaat oder einem Staat des EWR zulässig ist. D. Ergebnis Die Untersuchung hat ergeben, dass aufgrund datenschutzrechtlicher Regelungen zu fordern ist, dass der Primärarzt an den Telemediziner nur anonymisierte oder pseudonymisierte Patientendaten übermittelt, sofern dies für eine telemedizinische Behandlung ausreicht.166 Tut er dies, so verlieren
162
Abrufbar unter http://ec.europa.eu/justice/policies/privacy/modelcontracts/index _en.htm; zuletzt abgerufen am 16.03.11. 163 http://ita.doc.gov/td/ecom/shprin.html; zuletzt abgerufen am 15.03.11. 164 Simitis in Simitis, BDSG, § 4c BDSG Rn. 51; Lange, AuA 2006, 712, 713; Gola/Schomerus, BDSG, § 4c BDSG Rn. 14. 165 Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 4, C, I. 166 So auch der europäische Datenschutzbeauftragte in seinem Entwurf einer Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates
§ 4 Telemedizin und Datenschutz
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diese Daten sowohl ihren Personenbezug im Sinne des Art. 2 lit. a DSRL, § 3 Abs. 1 BDSG als auch ihren Geheimnischarakter im Sinne des § 203 StGB, so dass sie im Anschluss an die Anonymisierung beziehungsweise Pseudonymisierung weder den datenschutzrechtlichen Vorgaben noch der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Ist eine Anonymisierung oder Pseudonymisierung hingegen nicht möglich oder nicht erfolgt, richtet sich die Datenübermittlung zwischen Primärarzt und Telemediziner ausschließlich nach den Vorgaben der ärztlichen Schweigepflicht, sofern die Übermittlung in einen Mitgliedstaat der EU oder des EWR erfolgt. In der Folge ist sie regelmäßig nur dann zulässig, wenn der Patient in diese wirksam eingewilligt hat. Die Einwilligung ist dabei formfrei möglich und kann konkludent erfolgen. Erfolgt die Übermittlung hingegen in einen Drittstaat, so ist danach zu differenzieren, ob das Datenschutzniveau in diesem Staat als angemessen anzusehen ist oder nicht. Ist es angemessen oder gilt jedenfalls das Datenschutzniveau beim Telemediziner aufgrund der Nutzung eines Standardvertrages oder seiner Unterwerfung unter die Safe Harbor Privacy Principles als angemessen, so richtet sich die Übermittlung von Patienteninformationen nach den Regeln, die für eine Übermittlung ins Inland, einem Mitgliedstaat der EU oder einem Staat des EWR gelten. Sie ist folglich regelmäßig nur aufgrund einer unter Umständen konkludenten Einwilligung des Patienten zulässig. Besteht hingegen im Drittstaat beziehungsweise beim Telemediziner kein angemessenes Schutzniveau, ist zu prüfen, ob einer der in Art. 26 Abs. 1 DSRL, § 4c Abs. 1 S. 1 BDSG geregelten Ausnahmetatbestände greift. Dies wird meist nicht der Fall sein. In der Folge ist in diesen Fällen die Übermittlung von Patientendaten durch den Primärbehandler an den Telemediziner meist nur zulässig, wenn der Patient in diese schriftlich und ausdrücklich eingewilligt hat.
über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vom 06.06.2009 (2009/C 128/03), vgl. C 128/20 unter Nr. 33.
Kapitel 3
Vergütungs- und Haftungsfragen im deutschen Sachrecht unter rechtsvergleichender Würdigung einzelner Aspekte im angloamerikanischen Rechtskreis Vergütungs- und Haftungsfragen
Man ist sich heute darüber einig, dass den Regelungszwecken des materiellen Rechts Bedeutung für die kollisionsrechtliche Frage nach dem zur Anwendung berufenen Recht zukommt, wenngleich sich die kollisionsrechtliche Anknüpfung nicht unmittelbar aus dem Zweck der Sachnorm ableiten lässt.1 Dem mit der Sachnorm verfolgten Zweck kommt aber eine Orientierungsfunktion bei der Feststellung der für die kollisionsrechtliche Verweisung maßgeblichen kollisionsrechtlichen Interessen zu, da diese durch das Sachrecht impliziert werden. Bei grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen kann nicht nur das deutsche Sachrecht mit seinen Wertungen, sondern auch ein anderes der weltweiten Sachrechte zur Anwendung berufen werden. Aus diesem Grund werden im Folgenden die einzelnen Vergütungs- und Haftungsaspekte der Telemedizin rechtsvergleichend dargestellt. Den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bildet dabei das deutsche Sachrecht. Die sich anschließende, rechtsvergleichende Darstellung konzentriert sich auf diejenigen sachrechtlichen Regelungen des angloamerikanischen Rechtskreises, die ein besonderes, vom deutschen Verständnis abweichendes, kollisionsrechtliches Interesse des Patienten oder des Telemediziners oder eine besondere Abwägung dieser Interessen implizieren können. Durch den rechtsvergleichenden Blick in den angloamerikanischen Rechtskreis wird zudem die Relevanz von kollisionsrechtlichen Fragestellungen deutlich, da er zeigen wird, dass die potentiell berufenen Sachrechtsordnungen keinesfalls immer identische Lösungen für bestimmte Rechtsfragen bereit halten. Auch wird er zeigen, dass sich das angloamerikanische common law, im Vergleich mit dem deutschen Sachrecht, teilweise anderer Rechtsinstitute bedient, um bestimmte Rechtsergebnisse zu erreichen.
1
Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 98–102; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 467, 474 ff.
§ 1 Rechtliche Beziehungen im Rahmen der Telemedizin
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§ 1 Rechtliche Beziehungen im Rahmen der Telemedizin § 1 Rechtliche Beziehungen im Rahmen der Telemedizin
Die Beantwortung von Vergütungs- und Haftungsfragen, insbesondere die Haftung für Dritte, hängt im deutschen Sachrecht stark davon ab, ob und bejahendenfalls welche Art von rechtlichen Beziehungen zwischen den an einer telemedizinischen Anwendung beteiligten Personen besteht. Aufgrund der Wichtigkeit dieses Umstands, wird dieser quasi „vor die Klammer“ gezogen und vorab untersucht. Der Patient, der Primärarzt und der Telemediziner stehen zueinander regelmäßig in einem Dreiecksverhältnis. Daher können im Rahmen telemedizinischer Anwendungen Rechtsbeziehungen sowohl zwischen Patient und Primärbehandler, zwischen Patient und Telemediziner als auch zwischen Primärbehandler und Telemediziner bestehen. Zusätzliche Komplexität resultiert daraus, dass sich der Patient für eine stationäre Behandlung in eine Gesundheitseinrichtung, insbesondere in ein Krankenhaus oder eine Klinik begeben kann. Je nachdem, ob der Patient mit einem niedergelassenen Arzt oder mit einer Gesundheitseinrichtung kontrahiert, ist zwischen einem sogenannten Arztvertrag und einem Klinikvertrag/ Krankenhausvertrag zu unterscheiden. Bei solchen Verträgen handelt es sich fast ausschließlich um solche des Privatrechts, auch wenn sich der Behandlungsträger öffentlich-rechtlich konstituiert hat.2 A. Rechtliche Beziehungen im Rahmen einer ambulanten Behandlung Unter einer ambulanten Behandlung ist jede Heilbehandlung, die von einem niedergelassenen Arzt in seiner Praxis, im Krankenhaus oder in der Wohnung des Patienten vorgenommen wird, zu verstehen, sofern der Patient dabei nicht zumindest partiell in das Versorgungssystem des Krankenhauses eingegliedert wird.3
2
Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, S. 2; Pflüger, VersR 1999, 1070, 1072; Reiling, MedR 1995, 443, 445; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 9; etwas anderes kann einzig in Fällen der Zwangsbehandlung, der Behandlung durch einen Amtsarzt und der Behandlung von Soldaten durch den Truppenarzt im Rahmen der gesetzlichen Heilfürsorge gelten. Auf diese Sondersituationen wird hier jedoch nicht weiter eingegangen. 3 Reiling, MedR 1995, 443, 446. Im Einzelfall können sich durchaus schwierige Abgrenzungsfragen ergeben, vgl. dazu OLG Düsseldorf, VersR 1992, 493, 493 f.; Reiling, MedR 1995, 443, 446 f.; Genzel, MedR 1995, 1, 3.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
I. Behandlung durch einen niedergelassenen Arzt 1. Vertragsbeziehung zwischen Primärarzt und Patient Entschließt sich ein Patient zu einer ambulanten Behandlung durch einen niedergelassenen Arzt, so schließt er mit diesem im Grundsatz einen Arztvertrag ab.4 Bei diesem handelt es sich meist um ein Rechtsverhältnis des Privatrechts, selbst wenn er bei den sozialversicherten Patienten, die rund 90 % der Behandelten darstellen, in zahlreiche öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen eingebettet ist.5 Der Vertragsschluss erfolgt meist konkludent, indem sich der Patient in Behandlung begibt und der Arzt diese übernimmt.6 Die Rechtsnatur des Arztvertrages ist bis heute nicht unumstritten. Regelmäßig handelt es sich bei dem Vertrag nach ganz herrschender Auffassung jedoch um einen Dienstvertrag, da der Arzt dem Patienten nicht den Heilerfolg, sondern lediglich die fachgerechte Bemühung um Heilung schuldet.7 2. Vertragsbeziehung zwischen Patient und Telemediziner a) Direkter Kontakt zwischen Patient und Telemediziner Ein direkter Kontakt zwischen Patient und Telemediziner besteht insbesondere im Rahmen der Teleassistenz. In diesen Fällen kommt zwischen Patient und Telemediziner regelmäßig ein Arztvertrag nach den Regeln über Angebot und Annahme unter Abwesenden zustande.8
4
Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 76. Pflüger, VersR 1999, 1070, 1072; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, S. 2; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 4. 6 Hart, Jura 2000, 14, 15; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 2; Pflüger, VersR 1999, 1070, 1072. 7 BGHZ 97, 273, 276; OLG Düsseldorf, VersR 2005, 1737, 1737; Rieger, Lexikon des Arztrechts, Rn. 213; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 1, 2; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 113; Kaiser in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 12 Rn. 4; Luckey in Spickhoff, Arzthaftungsrecht, 49, 54; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel III Rn. 26; Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 13; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 2; Riegger, Historische Entwicklung der Arzthaftung, S. 19; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 99; Medicus/Lorenz, SR I, Rn. 121; Martis/WinkhartMartis, Arzthaftungsrecht, Rn. A 401; Ratzel/Luxenburger in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 19 Rn. 13; Neuefeind, Arzthaftungsrecht, S. 16; kritisch Richardi in Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrecht, S. 689; Hart, Jura 2000, 14, 15; Pflüger, VersR 1999, 1070, 1072; Schütze/Kamler, DMW 2007, 453, 453; vgl. dazu insgesamt ausführlich Mückl, Vertragsbruch, S. 127–130. 8 Vgl. BGHZ 142, 126, 133 ff.; Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 9; Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 37. 5
§ 1 Rechtliche Beziehungen im Rahmen der Telemedizin
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b) Kein direkter Kontakt zwischen Patient und Telemediziner Besteht zwischen Patient und Telemediziner kein direkter Kontakt, kann ein Vertrag zwischen ihnen nur nach den Regelungen über die Stellvertretung zustande kommen.9 Der Primärbehandler fungiert in diesen Fällen beim Abschluss des Telemedizinvertrages gegenüber dem Telemediziner als Vertreter des Patienten. Für einen wirksamen Vertragsschluss ist neben einem Handeln im fremden Namen die rechtsgeschäftliche Vollmacht hierzu notwendig, §§ 164 Abs. 1, 167 Abs. 1 BGB. Der Primärbehandler müsste zunächst im fremden Namen tätig geworden sein. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Primärarzt den Telemediziner lediglich intern hinzuzieht und folglich nicht offenlegt, dass er im Namen des Patienten tätig wird. Eine solche interne Konsultation findet häufig in Fällen statt, in denen der Primärbehandler eine Behandlung übernimmt, obwohl er für eine solche nicht alle notwendigen Fachkenntnisse besitzt.10 In Ermangelung eines Handelns in fremdem Namen kommt es in diesen Fällen nicht zu einem Vertragsschluss zwischen Telemediziner und Patient11; vielmehr kann ein Vertragsverhältnis in der Form eines Raterteilungsvertrags12 nur zwischen Primärarzt und Telekonsiliarius bestehen.13 Hierfür sind jedoch konkrete Anhaltspunkte erforderlich.14 Tritt der Primärarzt im Namen des Patienten auf, muss er für eine wirksame Vertretung eine Vollmacht zum Abschluss eines Arztvertrages im Namen des Patienten mit dem Telemediziner besitzen. Diese ist konkludent jedenfalls dann durch den Patienten erteilt worden, wenn er gewünscht hat, dass ein Telemediziner eingeschaltet wird.15 Schwieriger gestaltet sich die rechtliche Beurteilung, wenn der Primärbehandler einen Telemediziner im Namen des Patienten hinzuzieht ohne dass der Patient einen dahingehenden Wunsch geäußert hat. Diese Situation ist derjenigen
9
Vgl. BGHZ 142, 126, 133 ff.; Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 38; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel III Rn. 3; Griebau in Ratzel/Luxenburger, Medizinrecht, § 9 Rn. 28; Stegers in FS ARGE Medizinrecht, 249, 252. 10 Ulsenheimer/Erlinger in Dierks/Feussner/Wienke, S. 70; vgl. auch Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 42. 11 Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 103. 12 Bei Entgeltlichkeit finden die §§ 611 ff. BGB Anwendung, während bei Unentgeltlichkeit auf die §§ 662 ff. BGB zurückzugreifen ist. 13 Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 103; Neufeind, Arzthaftungsrecht, S. 16. 14 Insbesondere muss der hinzuziehende Primärarzt zu erkennen geben, dass er von dem hinzugezogenen Telemediziner einen rechtsverbindlichen Rat wünscht; vgl. dazu Schmid, Arzthaftpflichtprozess, S. 62. 15 Vgl. BGH, NJW 1992,2962, 2962 f.; BGHZ 142, 126, 133 ff.; OLG Karlsruhe, VersR 1999, 718, 719; Hoppe, MedR 1998, 462, 463; Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197, 199; Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 37.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
bei einer Hinzuziehung eines Konsiliarius im Rahmen einer traditionellen Behandlung sehr ähnlich, so dass die im Rahmen der Konsiliarbehandlung entwickelten Kriterien auch im Rahmen der Telemedizin herangezogen werden können, sofern der Telemediziner nicht direkt eingreift oder das Handlungsgeschehen dominiert.16 Ob eine vertragliche Beziehung zwischen Patient und Telemediziner im Wege der Vertretung zustande kommt, hängt somit maßgeblich davon ab, ob der Primärarzt die Zustimmung des Patienten zur Hinzuziehung eines Telemediziners eingeholt hat.17 Wann von einer derartigen Zustimmung des Patienten auszugehen ist, wird in der Literatur nicht einheitlich beurteilt: Zum einen wird vertreten, dass bereits im Zulassen einer Hinzuziehung eines Telemediziners eine Zustimmung zu sehen sei18, während andere der Auffassung sind, dass dies einer Vollmachtfiktion gleichkäme, wodurch § 164 BGB überdehnt werde.19 Letztendlich bleibt es eine Frage des Einzelfalls, wann von einer gegebenenfalls konkludenten Vollmachtserteilung durch den Patienten ausgegangen werden kann. Bei der dabei erforderlichen Abwägung ist jedoch sorgsam darauf zu achten, dass dem Patienten kein Vertrag mit dem Telemediziner „untergeschoben“ wird. Eine wirksame Stellvertretung scheidet daher jedenfalls dann aus, wenn der Patient mit der Hinzuziehung eines Telemediziners nicht rechnen musste.20 Eine konkludente Vollmachtserteilung wird hingegen beispielsweise darin zu sehen sein, dass sich ein Patient eine Gewebeprobe entnehmen lässt, um diese durch einen Telemediziner untersuchen zu lassen.21 Wird der Telemediziner durch einen vollmachtlosen Primärarzt im Namen des Patienten beauftragt, kommt zunächst kein Behandlungsvertrag zwischen Patient und Telemediziner zustande. Vielmehr handelt der Primärbehandler dann als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Der Vertrag zwischen Telemediziner und Patient ist folglich zunächst schwebend unwirksam und wird gemäß § 177 Abs. 1 BGB nur dann wirksam, wenn er durch den Patienten genehmigt wird. Eine solche Genehmigung kann konkludent erfolgen, wovon beispielsweise auszugehen ist, wenn der Patient eine Rechnung des Telemediziners bekommt und dieser nicht widerspricht oder wenn er auf anderem Weg von dem Tätigwerden des Telemediziners Kenntnis erlangt und dieses widerspruchslos hinnimmt. Wird eine Geneh16
Ulsenheimer/Erlinger in Dierks/Feussner/Wienke, S. 69. Hoppe, MedR 1998, 462, 463; Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 38, 179. 18 Rieger, Lexikon des Arztrechts, Rn. 218. 19 Heyers/Heyers, MDR 2001, 918, 923; Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197, 199. 20 Ulsenheimer/Erlinger in Dierks/Feussner/Wienke, S. 70; Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197, 199; Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 179. 21 Ähnlich BGH, VersR 1999, 1241, 1243. 17
§ 1 Rechtliche Beziehungen im Rahmen der Telemedizin
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migung des Patienten hingegen weder ausdrücklich noch konkludent erteilt, können Vertragsbeziehungen nur im Verhältnis zwischen Primärbehandler und Telemediziner in Form eines Raterteilungsvertrags bestehen, wenn der Primärarzt in eigenem Namen gegenüber dem Telemediziner aufgetreten ist.22 II. Behandlung in einer Krankenhausambulanz 1. Vertragsbeziehung zwischen Primärarzt und Patient Die ambulante Behandlung in einer Krankenhausambulanz bildet die Nahtstelle zwischen ambulanter und stationärer Krankenhausversorgung. Gleiches gilt für eine ambulante Behandlung in sogenannten medizinischen Versorgungszentren, soweit an diesen ein Krankenhaus beteiligt ist.23 Ob in derartigen Fällen ein Arzt- oder ein Klinikvertrag zustande kommt, ist letzten Endes eine Frage des Einzelfalls. Die vorzufindenden Unsicherheiten bei der Abgrenzung von Arzt- und Klinikvertrag resultieren daraus, dass die ambulante Versorgung von Kassenpatienten an sich nicht Aufgabe des Krankenhausträgers ist. Fallen sie dennoch im Krankenhaus an, sind die gemäß §§ 95, 116 SGB V zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung „ermächtigten“ Krankenhausärzte aber zur Behandlung befugt. Wählt der Patient in diesen Fällen die ambulante Behandlung durch einen Krankenhausarzt, tritt er zu diesem in eine vertragliche Beziehung. Dies gilt selbst dann, wenn die Überweisung auf das Krankenhaus lautet.24 Die Befugnis zur ambulanten Behandlung kann aber auch einem medizinischen Versorgungszentrum oder einem Krankenhaus selbst erteilt sein. Eine solche Ermächtigung besteht insbesondere in Notfällen, aber auch in Fällen einer Unterversorgung nach § 116a SGB V, einer vor- oder nachstationären Behandlung nach § 115a SGB V, einer ambulanten Operation auf Grundlage des Katalogs des § 115b SGB V oder sonstigen „Institutsambulanzen“ nach den § 117 SGB V (Hochschulambulanzen), § 118 SGB V (psychiatrische Institutsambulanzen) und § 119 SGB V (sozialpädiatische Zentren) sowie einer Zulassung nach dem Katalog des § 116b SBG V. In diesen Fällen tritt der Patient daher regelmäßig nur mit dem Krankenhausträger und nicht mit dem jeweils behandelnden Arzt in vertragliche Beziehungen.25
22 Vgl. Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 15 Rn. 102; Ratzel/Luxenburger in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 19 Rn. 16 f. 23 Grundlage einer solchen Behandlung ist der insoweit novellierte § 95 SGB-V. 24 BGHZ 120, 376, 382. 25 BGH, NJW 1993, 784, 785.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
2. Vertragsbeziehung zwischen Telemediziner und Patient Ob es bei der Hinzuziehung eines Telemediziners im Rahmen einer Behandlung in einer Krankenhausambulanz zu einem selbständigen Vertragsverhältnis zwischen Patient und Telemediziner kommt, ist nach den selben Kriterien wie bei der ambulanten Behandlung durch einen niedergelassenen Primärarzt zu ermitteln. Es kommt somit insbesondere darauf an, ob Patient und Telemediziner in persönlichen Kontakt getreten sind und ob der Patient einer Hinzuziehung eines Telemediziner in seinem Namen ausdrücklich oder zumindest konkludent zugestimmt hat.26 B. Rechtliche Beziehung im Rahmen stationärer Behandlungen I. Rechtsbeziehung zwischen Patient und Krankenhausträger beziehungsweise zwischen Patient und Krankenhausarzt Begibt sich der Patient für eine stationäre Behandlung in ein Krankenhaus, so schließt er mit dem Krankenhausträger einen zivilrechtlichen Behandlungsvertrag27, selbst dann wenn der Krankenhausträger öffentlichrechtlich konstituiert ist. 1. Totaler Krankenhausaufnahmevertrag Der Normalfall28 ist ein sogenannter totaler Krankenhausaufnahmevertrag, der neben der Unterbringung und Verpflegung auch die Pflege und die medizinische Behandlung29 umfasst, die unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Anstalt im Einzelfall nach Art und Schwere der Erkrankung für die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Betreuung des Patienten erforderlich ist, § 2 Abs. 1 und 2 BPflV. Alleiniger Vertragspartner des Patienten ist im Rahmen eines totalen Krankenhausaufnahmevertrags der Krankenhausträger.30
26
Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 1, A, I, 1. BGH, NJW 2000, 3429, 3431. 28 BGH, MedR 2010, 787, 788. 29 Eine Ausnahme hiervon stellt die Dialyse dar, vgl. § 2 Abs. 2 BPflV. 30 BGH, NJW 2000, 2741, 2742; OLG Brandenburg, MedR 2004, 226, 228; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 85; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 106; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 10; Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 183; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 20; Büsken/Klüglich, VersR 1994, 1141, 1141; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, Rn. K 133; Reiling, MedR 1995, 443, 447. 27
§ 1 Rechtliche Beziehungen im Rahmen der Telemedizin
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2. Gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag Beim gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag schuldet der Krankenhausträger die Unterbringung, die Pflege, die Erbringung untergeordneter medizinischer Leistungen sowie das zur Verfügung stellen medizinischen Personals, während die Erbringung der eigentlichen Behandlung einem Arzt obliegt.31 Klassischer Fall eines gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrags ist der sogenannte Belegarztvertrag nach den §§ 2 Abs. 1 S. 2, 23 BPflV, §§ 2 Abs. 1 S. 2, 18 KHEntgG, der die stationäre Behandlung durch einen Belegarzt regelt.32 Belegärzte sind nicht im Krankenhaus angestellte Vertragsärzte, die berechtigt sind ihre Patienten im Krankenhaus unter Inanspruchnahme der hierfür bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel stationär oder teilstationär zu behandeln, ohne hierfür vom Krankenhaus eine Vergütung zu erhalten, § 18 Abs. 1 KHEntgG. Dem Krankenhaus obliegt lediglich die Pflicht die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Diese Zweiteilung kommt rechtlich darin zum Ausdruck, dass zwei getrennte Verträge mit dem Patient geschlossen werden. Vertragsparteien des Patienten sind einerseits der Krankenhausträger und andererseits der behandelnde (Beleg-)Arzt.33 Beide Verträge sind voneinander unabhängig und verpflichten zu unterschiedlichen Leistungen: aus dem Belegarztvertrag schuldet der Belegarzt die ärztliche Behandlung.34 Der Krankenhausträger schuldet aus seinem Vertrag die sonstigen stationären Leistungen wie insbesondere die Pflege, die Versorgung, die Unterbringung und die Verpflegung.35 3. Totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag Darüber hinaus kann der Patient im Rahmen eines totalen Krankenhausaufnahmevertrages zusätzliche Leistungen des Krankenhauses in Anspruch
31
BGHZ 95, 63, 65; Mehringer, Anfängeroperation, S. 43; Bergmann/Kienzle, Krankenhaushaftung, Rn. 9; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, Rn. K 177 und K 180; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, S. 12; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 85; Büsken/Klüglich, VersR 1994, 1141, 1142; Nebendahl in FS ARGE Medizinrecht, 237, 237; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 13; Neuefeind, Arzthaftungsrecht, S. 76 f.; Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 184 f. 32 Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel III Rn. 9; Martis/WinkhartMartis, Arzthaftungsrecht, Rn. K 181. 33 Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel III Rn. 9; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 90; Mehringer, Anfängeroperation, S. 43; Büsken/Klüglich, VersR 1994, 1141, 1142; Nebendahl in FS ARGE Medizinrecht, 237, 237. 34 Reiling, MedR 1995, 443, 453. 35 Reiling, MedR 1995, 443, 453.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
nehmen. Macht er von dieser Wahlmöglichkeit Gebrauch, spricht man von einem totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag.36 Durch den Arztzusatzvertrag sollen entweder besondere Leistungspflichten eines Arztes begründet oder eine persönlich zu erbringende Leistung eines leitenden Arztes sichergestellt werden.37 Rechtlich kommt dies darin zum Ausdruck, dass zwei getrennte Verträge zwischen Patient und Krankenhausträger einerseits und zwischen Patient und leitendem (Chef-)Arzt andererseits bestehen. Sowohl Krankenhausträger als auch der leitende Arzt sind in dieser Konstellation aufgrund eines eigenen Vertrags zur Erbringung der ärztlichen Behandlung verpflichtet.38 II. Rechtsbeziehungen zwischen Patient und Telemediziner Wird im Rahmen einer stationären Behandlung ein Telemediziner hinzugezogen, stellt sich die Frage, ob es auch zwischen Telemediziner und Patient zu einem Vertragsschluss kommt. Dies ist maßgeblich davon abhängig, welcher Klinikvertragstypus der stationären Behandlung zugrunde liegt. 1. Vertragsbeziehungen im Rahmen eines totalen Krankenhausaufnahmevertrags Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 BPflV gehören im Rahmen des totalen Krankenhausaufnahmevertrags alle Leistungen Dritter zu den allgemeinen Leistungen des Krankenhauses. Werden in diesem Fall Leistungen eines Telemediziners in Anspruch genommen, sind diese folglich grundsätzlich als Leistung des Krankenhauses anzusehen.39 Zwischen Telemediziner und Patient entsteht daher regelmäßig kein eigenständiges Vertragsverhältnis.40 Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Leistung des Telemediziners nicht mehr als allgemeine Krankenhausleistung angesehen werden kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die eingeforderte teleme-
36
Bergmann/Kienzle, Krankenhaushaftung, Rn. 7; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel III Rn. 10; Neuefeind, Arzthaftungsrecht, S. 78; Koller, Ärztliche Kooperationsformen, S. 184; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, Rn. K 155. 37 Bergmann/Kienzle, Krankenhaushaftung, Rn. 14; Neufeind, Arzthaftungsrecht, S. 78. 38 BGHZ 95, 63, 67; Miebach/Patt, NJW 2000, 3377, 3377; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 12; Bergmann/Kienzle, Krankenhaushaftung, Rn. 14; Mehringer, Anfängeroperation, S. 44 f. 39 Vgl. OLG Stuttgart, VersR 1992, 55, 56 f. 40 OLG Karlsruhe, VersR 1999, 718, 719; Link, Telemedizin, S. 116; Ulsenheimer/Erlinger in Dierks/Feussner/Wienke, S. 71; Hoppe, MedR 1998, 462, 463; Rieger, Lexikon des Arztrechts, Rn. 984.
§ 1 Rechtliche Beziehungen im Rahmen der Telemedizin
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dizinische Leistung bei interessengerechter Auslegung des totalen Krankenhausaufnahmevertrags nicht als Vertragsverpflichtung des Krankenhausträgers erscheint. Ein Beispiel hierfür wäre etwa die zahnmedizinische Versorgung eines Appendizitis-Patienten durch einen Telezahnchirurgen.41 In derartigen Fällen richtet sich der Vertragsschluss zwischen Patient und Telemediziner vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen. Es ist folglich danach zu differenzieren, ob zwischen Patient und Telemediziner ein direkter Kontakt bestand. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen42 verwiesen werden. 2. Vertragsbeziehungen im Rahmen eines gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrags Wird in dieser Situation ein Telemediziner eingeschaltet, beurteilt sich der Vertragsschluss zwischen Telemediziner und Patient nach den Grundsätzen, die oben im Rahmen ambulanter Behandlungen entwickelt wurden.43 3. Vertragsbeziehungen im Rahmen eines Krankenhausaufnahmevertrags mit Wahlleistungsabrede/Arztzusatzvertrag Denkbar ist auch, dass die Behandlung durch den Telemediziner als Wahlleistung im Sinne des § 22 BPflV angeboten wird. Nimmt der Patient dieses Angebot in Anspruch, entsteht ein Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag. Das bedeutet, dass der gewählte Telemediziner regelmäßig neben dem Krankenhausträger Vertragsschuldner der teleärztlichen Leistung wird.44 Der Pflichtenkreis des Krankenhausträgers entspricht dennoch weiterhin dem eines totalen Krankenhausaufnahmevertrages.45 In diesen Fällen ist aber zusätzlich ein Vertragsschluss zwischen Patient, gegebenenfalls vertreten durch den Primärbehandler, und dem Telemediziner denkbar. Unter welchen Voraussetzungen ein solcher Vertrag geschlossen wird, richtet sich dabei nach den obigen Ausführungen.46 In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass der Arztzusatzvertrag zwar mündlich und konkludent geschlossen werden kann47, dieser jedoch gemäß § 139 BGB unwirksam ist, wenn die Wahlleistungsabrede selbst nicht
41
Vgl. Reiling, MedR 1995, 443, 447. Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 1, A, I, 2. 43 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 1, A, I. 44 Vgl. BGHZ 95, 63, 67. 45 Genzel in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 93 Rn. 7; Pielach, Haftungsfragen, S. 62. 46 Vgl. oben Kapitel 3, § 1, A, I, 2. 47 Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 11. 42
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
wirksam zustande gekommen ist.48 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Wahlleistungsabrede nicht in der nach § 17 Abs. 2 S. 1 KHEntgG erforderlichen Schriftform getroffen wurde. Grund für diese Gesamtnichtigkeit ist, dass der totale Krankenhausaufnahmevertrag und der Arztzusatzvertrag eine rechtliche Einheit darstellen und beide Vereinbarungen miteinander „stehen und fallen“.49 C. Geschäftsführung ohne Auftrag Kommt es aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht zu einem Vertragsschluss zwischen Patient und Primärarzt/Krankenhausträger beziehungsweise zwischen Patient und Telemediziner, ist an eine quasivertragliche Beziehung des Patienten zu diesen zu denken. Eine solche kann im Einzelfall durch die Geschäftsführung ohne Auftrag begründet werden. Ein Vertragsschluss kommt nicht in Betracht, wenn der Patient beispielsweise bewusstlos ist oder wenn er zumindest nur beschränkt geschäftsfähig ist, da derartige Personen nach §§ 104 ff. BGB keine wirksamen Willenserklärungen abgeben können.50 In diesen Fällen besteht jedoch durch die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag regelmäßig ein vertragsähnliches Schuldverhältnis zwischen Patient und Primärarzt.51 Aus diesem ist der Primärarzt nach ganz herrschender Meinung gemäß den §§ 683 S. 1, 677 in Verbindung mit § 1853 BGB analog zur Forderung seiner üblichen Vergütung berechtigt.52 Quasi im Gegenzug entfällt nach wohl herrschender Auffassung die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB, so dass der Primärarzt den üblichen Verschuldensmaßstäben unterliegt.53
48
Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, Rn. K 156. BGHZ 138, 91, 98; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 1348, 1350; Miebach/Patt, NJW 2000, 3377, 3377; 50 Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 40 Rn. 6 ff. 51 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 100; Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 40 Rn. 12; Roth, NJW 2006, 2814, 2815; Jakob, GoA, S. 97. 52 Bolsinger, Arzthaftung, S. 31; Jakob, GoA, S. 97 f. 53 OLG München, NJW 2006, 1883, 1885; Roth, NJW 2006, 2814, 2815; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 62, 106; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 100; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 50; Mansel in Jauernig, BGB, § 680 BGB Rn. 1; Sprau in Palandt, BGB, § 680 BGB Rn. 1; Bergmann in Staudinger (2006), § 680 BGB Rn. 15 a.A. Ehrmann in Erman, BGB, § 680 BGB Rn. 2; Seiler in MüKo, § 680 BGB Rn. 6. 49
§ 2 Vergütungsfragen
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§ 2 Vergütungsfragen § 2 Vergütungsfragen
Sämtlichen Mitgliedstaaten der EU ist ein rein marktwirtschaftlich organisiertes Gesundheitssystem fremd.54 Der Gesundheitsmarkt in den Mitgliedstaaten ist in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität einer staatlichen Regulation unterworfen. Hierdurch kommt es zu einem Eingriff in die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 28 ff., Art. 56 ff. AEUV), der auch medizinische Dienstleistungen unterfallen. In Deutschland finden sich regulative Vorschriften sowohl für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als auch bei privatärztlicher Leistungserbringung. A. Vergütungsregelungen im ambulanten Bereich I. Abrechnung gegenüber Selbstzahlern beziehungsweise Privatpatienten Die Abrechnungsgrundlagen für die Leistungserbringung des Arztes gegenüber Selbstzahlern, in der Regel also gegenüber Privatpatienten oder Beihilfeberechtigten55, findet sich in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Diese stellt als staatliche Gebührenordnung ein eigenständiges Bewertungs- und Preissystem für ärztliche Leistungen dar. Die darin enthaltenen Bestimmungen regeln die Höhe der Vergütung, die der Patient dem Arzt aufgrund eines mit ihm geschlossenen Dienstvertrages schuldet. Diese Honorarregelungen erfassen nach § 1 GOÄ grundsätzlich alle Heilberufe und können vertraglich nicht abbedungen werden.56 Nach § 1 Abs. 2 GOÄ kann ein Arzt eine Vergütung nach Maßgabe der GOÄ nur verlangen, wenn die erbrachte Leistung notwendig war und lege artis erbracht wurde. Daraus ergibt sich, dass im Rahmen einer privatärztlichen Behandlung eine freie, nur den Gesetzen der freien Marktwirtschaft unterworfene Aushandlung der ärztlichen Vergütung nicht erlaubt ist.57 Vielmehr wird dem Arzt zwingend ein Gebührenrahmen vorgeschrieben, innerhalb dessen er nach billigem Ermessen aufgrund bestimmter Kriterien
54 Spoerr/Uwer, MedR 2003, 668, 669; Hess in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 2 Rn. 1; König/Beer, ZESAR 2002, 54, 54. 55 Weiter gilt die Gebührenordnung für Ärzte auch als Abrechnungsgrundlage für gesetzlich Krankenversicherte, die gemäß § 13 SGB-V anstelle von Sachleistung Kostenerstattung wählen. Auch gelangt sie im Rahmen von Leistungen, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen enthalten sind, zur Anwendung. Bei diesen Fallkonstellationen handelt es sich aber um unwahrscheinliche und selten vorkommende Ausnahmekonstellationen, so dass hierauf nicht näher eingegangen wird. 56 BVerfG, NJW 1992, 737, 737; BSG, Urt. v. 27.03.2007 – B 1 KR 25/06 R = NZS 2008, 147–150; LSG Berlin, Urt. v. 19.05.2004 – L 9 KR 51/03. 57 Spoerr/Uwer, MedR 2003, 668, 670.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
die Gebühr für seine erbrachte Vertragsleistung festlegen kann. Zwar ist es nach § 2 Abs. 1 S. 1 GOÄ den Ärzten gestattet, durch eine Honorarvereinbarung mit dem Patienten eine von der GOÄ abweichende Gebührenhöhe festzulegen, dies ist jedoch nur in eingeschränktem Umfang möglich. Zum einen kann nur die Gebührenhöhe, nicht hingegen die Punktzahl oder der wert vereinbart werden und zum anderen muss die vereinbarte Forderung nach § 12 Abs. 1 S. 1 MBO-Ä angemessen sein.58 Unzulässig sind daher jedenfalls Pauschal-, Zeit- oder Erfolgshonorare. Fraglich ist hingegen, ob auch eine Unterschreitung des Einfachsatzes unzulässig ist. 1. Zulässigkeit der Unterschreitung des Einfachsatzes der GOÄ aus gebührenrechtlicher Sicht Die Frage, ob eine Unterschreitung des Einfachsatzes zulässig ist oder nicht, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet.59 a) Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 1 GOÄ In § 2 Abs. 1 S. 1 GOÄ heißt es, dass „durch Vereinbarung [...] eine von dieser Verordnung abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden“ kann. Nach dem Wortlaut ist folglich auch die Vereinbarung einer die Regelsätze unterschreitenden Gebühr zulässig. Weiter hat der Verordnungsgeber die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung an die Einhaltung gewisser Voraussetzungen geknüpft. So ist nach § 2 Abs. 2 GOÄ eine Honorarvereinbarung nur wirksam, wenn sie im Einzelfall zwischen Arzt und Zahlungspflichtigem vor Erbringung der Leistung des Arztes in einem Schriftstück getroffen wurde, das „neben der Nummer und der Bezeichnung der Leistung, dem Steigerungssatz und dem vereinbarten Betrag“ auch die Feststellung enthält, dass eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet ist. Auch darf die Honorarvereinbarung keine weiteren Abreden enthalten und der Arzt muss dem Zahlungspflichtigen einen Abdruck der Vereinbarung aushändigen. Allein die gewählte Formulierung „Steigerungssatz“ zeigt, dass der Verordnungsgeber jedenfalls primär nicht
58 BR-Drucks. 295/82, S. 2; vgl. dazu auch Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Kapitel III Rn. 44. 59 Die Zulässigkeit einer Unterschreitung bejahend: KG Berlin, Urt. v. 31.08.2007 – 5 W 253/07 (zur vergleichbaren Regelung der GOZ); Andreas, ArztR 2001, 228, 228 f.; Pflüger, MedR 2003, 276, 277; Till, DMW 1982, 1249, 1250; Habenstroh, VersR 2000, 538, 544; Müller, IPrax 2003, 436, 440; Pflüger, MedR 2003, 276, 277; Edenfeld in Erman, § 612 BGB Rn. 14; verneinend: Dahm, MedR 1994, 13, 14 f.; Kamps/Kiesecker, MedR 2000, 72, 73; Griebau in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 10 Rn. 109.
§ 2 Vergütungsfragen
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davon ausgegangen ist, dass der Gebührenrahmen auch unterschritten werden könnte. Vielmehr ging es ihm ersichtlich darum, stark überhöhte Gebühren für die Erbringung ärztlicher Leistungen zu verhindern und zum Schutz des Patienten in jedem Fall für eine klare Erkennbarkeit der Abweichung von den Regelsätzen der Gebührenordnung zu sorgen.60 Auch dadurch, dass der Verordnungsgeber vorschreibt, dass in der Honorarvereinbarung die Feststellung „enthalten sein muß“, dass eine Erstattung der Vergütung möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet ist, kommt die hier vertretene Auffassung zum Ausdruck. Andernfalls wäre die gewählte Formulierung „muß“ nicht verständlich, da Gebührenunterschreitungen naturgemäß keinen Steigerungssatz besitzen. 61 Eine Unterschreitung des vorgegebenen Gebührenrahmens nach unten ist folglich nach dem Wortlaut nicht Regelungsgegenstand der GOÄ und kann daher durch diese auch nicht ausgeschlossen sein. b) Sinn und Zweck der Gebührenregelung In Ermangelung einer eindeutigen Regelung ist die Frage, ob eine Unterschreitung des Gebührenrahmens zulässig ist, nach dem Sinn und Zweck der Gebührenregelung zu beantworten. Nach § 2 Abs. 1 S. 3 GOÄ darf eine Notfall- oder akute Schmerzbehandlung nicht von einer Honorarvereinbarung abhängig gemacht werden. Hierin kommt der allgemeine Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, den Patienten vor zu hohen Gebühren und einer daraus resultierenden finanziellen Überforderung schützen zu wollen. Seine Krankheit oder Notsituation soll nicht zur unverhältnismäßigen Kostenerhöhung durch die Ärzteschaft ausgenutzt werden können. Dieser Schutzzweck wird nicht berührt, wenn der Regelgebührenrahmen unterschritten wird, da der Patient hierdurch besser gestellt wird, als es der Verordnungsgeber an sich festgelegt hat. Aus dem Sinn und Zweck der Gebührenordnung ergibt sich demnach, dass eine Unterschreitung des Gebührenrahmens grundsätzlich zulässig ist.62 Etwas anderes gilt auch nicht hinsichtlich Leistungen nach den Abschnitten A, E, M und O der GOÄ. § 2 Abs. 3 GOÄ bestimmt insbesondere, dass für Leistungen des Abschnitts M der GOÄ, also für Laboruntersuchungen, eine abweichende Vereinbarung der Gebührenhöhe generell unzulässig ist. Dennoch erscheint auch in diesem Bereich eine Unterschreitung des Gebührenrahmens durch eine Honorarvereinbarung keineswegs 60
KG Berlin, NJW-RR 2008, 910, 912; Ries, Arztrecht, S. 12 f.; Hess/Hübner in Wenzel, Medizinrecht, Kapitel 11 Rn. 22. 61 Dahm, MedR 1994, 13, 15. 62 KG Berlin, NJW-RR 2008, 910–912; Till, DMW 1982, 1249, 1250.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
ausgeschlossen, wenngleich dies prima facie nach dem Wortlaut der Fall zu sein scheint. Vielmehr verbietet § 2 Abs. 3 GOÄ nur die Vereinbarung einer über dem Gebührenrahmen für Laboruntersuchungen liegenden Vergütung.63 Dies ergibt sich aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 2 Abs. 3 GOÄ: c) Verfassungskonformes Verständnis der Gebührenregelung Eine Einschränkung der durch die Art. 2 und 12 GG verfassungsrechtlich geschützten Vertrags- und Berufsausübungsfreiheit des Arztes, in deren Schutzbereich auch die Vergütung fällt, darf nur aufgrund vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls erfolgen.64 Solche vernünftigen Erwägungen sind im Schutz der Patienten vor preislicher Überteuerung zu sehen.65 Liegt die Gebühr des Arztes jedoch unterhalb des Gebührenrahmens, werden diese Interessen der Allgemeinheit nicht berührt, so dass ein Eingriff in die Grundrechte des jeweiligen Arztes nicht mehr verhältnismäßig und somit nicht mehr gerechtfertigt wäre. Ein vernünftiges Interesse des Allgemeinwohls, das den Eingriff in die Vertrags- und Berufsausübungsfreiheit des Arztes rechtfertigen würde, kann auch nicht darin gesehen werden, dass durch die Zulassung von „Schleuderpreisen“ die Qualität der Behandlung negativ beeinträchtigt wird. Zunächst einmal bleibt offen, ob der Preis einer Behandlung überhaupt irgendeinen Einfluss auf die Qualität der ärztlichen Behandlung hat. Zweifel an einem derartigen Zusammenhang bestehen insbesondere deshalb, weil die Qualität der ärztlichen Behandlung erfahrungsgemäß selbst dann von Arzt zu Arzt schwankt, wenn diese dieselbe Vergütung für ihre Behandlung erlangen. Ferner kann der Arzt nach § 1 Abs. 2 GOÄ eine Vergütung nur verlangen, wenn er seine Leistung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erbracht hat. Folglich sind Ärzte unabhängig von der Höhe der Vergütung verpflichtet, den ärztlichen Standard einzuhalten, was auch in § 2 MBO-Ä zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus wird die Qualität ärztlicher Heilbehandlungen hinreichend durch den Approbationsvor-
63
OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.02.1985 – 4 U 214/84 zitiert nach Dahm, MedR 1994 13, 14; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 11.12.1986 – ZB 3/84 zitiert nach Dahm, MedR 1994 13, 14; KG Berlin, NJW-RR 2008, 910–912 (zur vergleichbaren Regelung in der GOZ); Pflüger, MedR 2003, 276, 277; Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 82 Rn. 9; Edenfeld in Erman, § 612 BGB Rn. 16; Andreas, ArztR 2001, 228, 228 f.; Spickhoff, NJW 2004, 1710, 1712; vgl. auch § 12 Abs. 1 MBO-Ä; a.A. Dahm, MedR 1994, 13, 14 f.; Kamps/Kiesecker, MedR 2000, 72, 73; Griebau in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 10 Rn. 109. 64 Vgl. BVerfGE 53, 135, 143 f.; 58, 283, 290. 65 Vgl. BVerfG, NJW 1992, 737, 737; vgl. dazu auch BR-Drucks. 295/82.
§ 2 Vergütungsfragen
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behalt gesichert. Insgesamt wird man daher ein Allgemeininteresse an der Verhinderung von Schleuderpreisen aus Gründen der Qualitätssicherung wohl verneinen müssen. Jedenfalls wäre dieses Interesse nicht stark genug, um den Eingriff in die Vertrags- und Berufsausübungsfreiheit des Arztes zu rechtfertigen. Zusammenfassend ergibt sich demnach sowohl aus dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck als auch aus dem verfassungsrechtlichen Hintergrund, dass eine Unterschreitung des Regelgebührensatzes der GOÄ zulässig ist. Vereinfacht und faustregelartig ausgedrückt besteht die Funktion der GOÄ darin, den Vergütungsanspruch des Arztes nach oben hin zu begrenzen, wenngleich hierfür keine starre Deckelungsgrenze gezogen wird. Eine Unterschreitung des Gebührenrahmens ist hingegen aus gebührenrechtlicher Sicht zulässig. 2. Grenze der Zulässigkeit aufgrund des Wettbewerbsrechts Die Vorschriften der GOÄ stellen Preisvorschriften zum Schutze der Verbraucher und damit auch Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG dar.66 Verstöße gegen die GOÄ sind daher grundsätzlich nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG wettbewerbsrechtlich unzulässig. Wie dargestellt enthalten die Gebührenregelungen jedoch hinsichtlich einer Unterschreitung des GOÄ-Einfachsatzes kein Verbot, so dass eine Unterschreitung dieses Satzes nicht automatisch einen wettbewerbsrechtlichen Verstoß bedeutet. Ein wettbewerbsrechtlicher Verstoß liegt aber vor, wenn ein Arzt Pauschal-, Zeit- oder Erfolgshonorare mit dem Patienten vereinbart, da derartige Honorarvereinbarungen nach der GOÄ generell unzulässig sind.67 Eine wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit eines Arztes kann nach den §§ 3, 4 Nr. 10 UWG aber auch dann vorliegen, wenn er seine Leistungen dauerhaft zu Preisen unterhalb seiner eigenen Selbstkosten anbietet.68 Zwar ist eine Preisunterbietung grundsätzlich ein erlaubtes, ja sogar erwünschtes, Mittel im Wettbewerb, da es ohne Preiskampf gar keinen funktionierenden Wettbewerb gäbe. Dennoch kann sie ausnahmsweise unlauter sein, wenn der angebotene Preis nicht kostendeckend ist und die Unterbietung geeignet ist und in gezielter Weise dazu eingesetzt wird, einen oder mehrere Mitbewerber vom Markt zu verdrängen.69 Hinsichtlich der Ärzteschaft wird das Gebot der Lauterkeit der Gebührenabrechnung ausdrück-
66
KG Berlin, NJW-RR 2008, 910, 912 (zur vergleichbaren Regelung in der GOZ); Von Walter, Rechtsbruch, S. 220. 67 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 2, A, I. 68 Pflüger, MedR 2003, 276, 278. 69 BGH, GRUR 1990, 685, 686; GRUR 1990, 687, 688; Köhler in Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rn. 10.189.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
lich auch in § 12 MBO-Ä genannt. Zwar kann sich eine partielle Selbstkostenunterschreitung unter Umständen aufgrund einer Mischkalkulation insgesamt als profitabel erweisen, dennoch besitzt sie Indizcharakter für eine Marktverdrängungsabsicht, die ihrerseits einen sittenwidrigen Behinderungswettbewerb indiziert, sofern sie dauerhaft und systematisch vorgenommen wird.70 Auf den ersten Blick spricht das Tatbestandsmerkmal „gezielt“ zwar dafür, dass der Handelnde mit subjektiver Behinderungsabsicht gehandelt haben muss. Im Hinblick auf den Schutzzweck des UWG kann eine solche subjektive Komponente aber nicht überzeugen71: Für die durch das UWG geschützten Mitbewerber und Verbraucher macht es gerade keinen Unterschied, ob der Handelnde Kenntnis von den unlauterkeitsbegründenden Umständen hatte oder welche Absichten dieser verfolgte. Vielmehr treten die Auswirkungen einer unlauteren Wettbewerbshandlung unabhängig von diesen subjektiven Komponenten zu Tage. Aus dem Gesagten resultiert, dass eine Unterschreitung des Regelsatzes der GOÄ im Grundsatz nicht nur gebührenrechtlich, sondern auch lauterkeitsrechtlich grundsätzlich zulässig ist. Etwas anderes kann jedoch im Einzelfall gelten, wenn die Unterschreitung dauerhaft zu einem Angebot unterhalb der eigenen Selbstkosten führt. II. Abrechnung gegenüber gesetzlich Versicherten Ist der Telearzt in das deutsche gesetzliche Krankenversicherungssystem durch seine Zulassung als Vertragsarzt eingebunden, kann er die Behandlung von deutschen Kassenpatienten stets nur nach den in diesem Bereich geltenden Vorschriften abrechnen.72 Gleiches gilt für Leistungen des Krankenhausträgers.73 Ein im Ausland ansässiger Arzt oder Krankenhausträger kann jedoch regelmäßig nicht in Deutschland als Vertragsarzt zugelassen sein, weil er die Anforderungen der Zulassungsverordnung nicht erfüllt. Insbesondere ist er nicht in der Lage „am Vertragsarztsitz seine Sprechstunde zu halten“ und „seine Wohnung so zu wählen, daß er für die ärztliche Versorgung der Versicherten an seinem Vertragsarztsitz zur Verfügung steht“.74 Auf die
70 BGH, GRUR 1990, 865, 865; Pflüger, MedR 2003, 276, 278; Köhler in Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 4 UWG Rn. 10.192. 71 BGH, GRUR 2007, 136, 136; Steinbeck, GRUR 2008, 848, 850. 72 Dazu ausführlich Hess/Hübner/Clemens in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 11 Rn. 204 ff. 73 Dazu ausführlich Rehborn in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 29 Rn. 272. 74 Vgl. nur § 24 Abs. 2 Ärzte-ZV; ausführlich hierzu Hess in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 2 Rn. 284 ff.
§ 2 Vergütungsfragen
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Vergütungsregelungen der kassenärztlichen Gemeinschaft für telemedizinische Anwendungen wird hier daher nicht näher eingegangen. Fordert ein deutscher gesetzlich versicherter Patient die telemedizinische Behandlung durch einen ausländischen Telearzt, tritt er diesem als sogenannter Selbstzahler gegenüber. Die Abrechnung der telemedizinischen Leistung richtet sich folglich nach den Vorschriften der GOÄ.75 B. Vergütungsregelungen im stationären Bereich I. Abrechnung gegenüber Selbstzahlern beziehungsweise Privatpatienten 1. Grundlagen Auch im Rahmen von voll- oder teilstationären Leistungen ist die Vergütung der Krankenhausleistungen staatlich reglementiert. Nach § 17b KHG besteht für die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen grundsätzlich ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalisiertes Vergütungssystem. Die Selbstverwaltungsorgane des deutschen Gesundheitswesens entschieden sich für ein Fallpauschalensystem auf der Grundlage der australischen Diagnosis Related Groups (DRG). Dieses DRGVergütungssystem löst das bisherige Mischsystem der BPflV nunmehr in beinahe allen Bereichen ab.76 Im DRG-System wird jeder stationäre Behandlungsfall einer Fallgruppe, also einer DRG, zugeordnet. Im sogenannten Fallpauschalenkatalog, werden verschiedene Diagnosen zu einer relativ überschaubaren Anzahl von Abrechnungspositionen zusammengefasst. Der durch die Behandlung tatsächlich bestehende ökonomische Aufwand innerhalb einer Fallgruppe soll bei dieser Zusammenfassung möglichst vergleichbar sein. Für die Abrechnung wird jeder Fallgruppe eine Bewertungsrelation zugeordnet, welche auf einen Referenzfall mit der Bewertungsrelation 1 bezogen wird. Alle anderen Fallgruppen werden im Verhältnis dazu bewertet. In ihrer Bedeutung entsprechen die einzelnen Bewertungsrelationen der Punktzahl, die für die Vergütung der ärztlichen Leistung nach der GOÄ im ambulanten Bereich durch niedergelassene Ärzte entscheidend ist. Ferner wird der Bewertungsrelation 1 ein landesweit gültiger Kostenwert, der sogenannte Basisfallwert oder die sogenannte Basisrate, zugeordnet. Dieser Wert ent-
75
Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 2, A, I. Das bisherige Vergütungssystem der BPflV gilt ausweislich des § 1 Abs. 1 BPflV nur noch für gesetzlich- und privatversicherte Leistungsempfänger, unabhängig von ihrer Herkunft oder Nationalität, sofern das Krankenhaus beziehungsweise die Krankenhausabteilung nicht nach § 17b Abs. 1 S. 1 Hs. 2 KHG in das DRG-Vergütungssystem einbezogen ist. Dies ist nur noch bei Krankenhäusern und Krankenhausabteilungen für Psychiatrie, Psychosomatik psychotherapeutische Medizin der Fall. 76
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
spricht dem Punktwert der GOÄ im Bereich der niedergelassenen Ärzte. Die Höhe der Vergütung ergibt sich aus einer Multiplikation der Bewertungsrelation der jeweiligen Fallgruppe mit dem Basisfallwert. Es ist jedoch zu beachten, dass vor- und nachstationäre Behandlungen im Sinne des § 115a Abs. 1 SGB V nicht vom DRG-Abrechnungssystem erfasst werden, da dieses nur für stationäre Behandlungen gilt. Gleiches gilt hinsichtlich Leistungen, die durch einen Belegarzt erbracht werden, da diese keine Leistungen des Krankenhausträgers darstellen.77 Für die Vergütung wahlärztlicher Leistungen gelten nach § 17 Abs. 3 S. 7 KHEntG vielmehr umfassend die Vergütungsregelungen der GOÄ. 2. Vergütungskonstellationen bei telemedizinischen Behandlungen Für telemedizinische Behandlungen, die im Rahmen einer stationären Behandlung erfolgen, bedeutet dies, dass der Telemediziner dann einen Vergütungsanspruch gegen den Patienten besitzt, wenn er mit diesem einen Behandlungsvertrag geschlossen hat. Dies ist maßgeblich davon abhängig, welche Form von Krankenhausaufnahmevertrag er mit dem Krankenhausträger vereinbart hat.78 Besteht ein Vertrag zwischen Telemediziner und Patient, ist der Telemediziner für seine Abrechnung umfassend an die Vergütungsregelungen der GOÄ gebunden, so dass auch bei telemedizinischen Behandlungen, die im Rahmen einer stationären Behandlung des Patienten erfolgen, keine Pauschal-, Zeit- oder Erfolgshonorare vereinbart werden können. Hinsichtlich der weiteren Einschränkungen der Privatautonomie, die sich aus den Vergütungsvorschriften der GOÄ ergeben, sei wiederum nach oben verwiesen.79 II. Abrechnung gegenüber gesetzlich Versicherten Die Vorschriften des DRG gelten auch für die Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten. Allerdings wäre ein ausländischer Telearzt nur dann zur Behandlung von deutschen Kassenpatienten befugt, wenn er in das deutsche gesetzliche Krankenversicherungssystem durch seine Zulassung als Vertragsarzt eingebunden wäre. Ein im Ausland ansässiger Arzt oder Krankenhausträger kann jedoch regelmäßig nicht in Deutschland als Vertragsarzt zugelassen sein80, so dass auf die Vergütungsregelungen der kassenärztlichen Gemeinschaft für telemedizinische Anwendungen hier nicht näher eingegangen wird. Fordert ein deutscher gesetzlich versicherter
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Quaas in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 12 Rn. 110. Siehe dazu oben Kapitel 3, § 1, B. 79 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 2, A, I. 80 Vgl. dazu oben Kapitel 3 Fn. 74. 78
§ 2 Vergütungsfragen
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Patient, der sich in stationärer Behandlung in einem deutschen Krankenhaus befindet, die telemedizinische Behandlung durch einen ausländischen Telearzt, tritt er diesem als sogenannter Selbstzahler gegenüber. Die Abrechnung der telemedizinischen Leistung richtet sich folglich wiederum nach den soeben dargestellten Grundsätzen. C. Vergütungsregelungen im Bereich der telemedizinischen Nothilfe I. Vergütung nach deutschem Sachrecht In Fällen, in denen ein Vertragsschluss zwischen Patient und Telemediziner aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausscheidet, wie dies häufig in Nothilfesituationen der Fall ist, existiert zwischen Patient und Telemediziner regelmäßig ein vertragsähnliches Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag.81 Aus diesem ist der Telemediziner nach den §§ 683 S. 1, 677 in Verbindung mit § 1835 BGB analog zur Liquidation seiner üblichen Vergütung berechtigt.82 II. Vergütung im angloamerikanischen Rechtskreis Dem common law ist ein selbständiges Schuldverhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio) im Grundsatz fremd83, da die Besorgung fremder Angelegenheiten ohne dahingehenden Auftrag als eine weitgehende Beschneidung fremder Autonomie betrachtet wird. Diese Sichtweise steht ganz in der Tradition des angelsächsischen Individualismus, wonach dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen eine überragende Bedeutung zuzumessen ist. Niemandem soll die Möglichkeit eröffnet werden, sich durch sein Handeln zum Gläubiger eines anderen machen zu können.84 Auch soll niemandem eine Wohltat gegen seinen Willen aufgedrängt werden können.85 Dem entspricht die im Grundsatz ablehnende Haltung der Gerichte, ein auch noch so gut gemeintes, aber doch unbestelltes
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Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 100; Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 40 Rn. 12; Roth, NJW 2006, 2814, 2815; Jakob, GoA, S. 97. 82 Bolsinger, Arzthaftung, S. 31; Jakob, GoA, S. 97 f.; vgl. dazu auch schon oben Kapitel 1:§ 1C. 83 Grundlegend sind die Entscheidungen Falcke v. Scottish Imperial Insurance Co (1886), 34 Ch.D. 234 (C.A.); Re Cleadon Trust, Limited (1938) 4 All ER 518 (C.A.) bestätigt in: Crantrave Ltd v. Lloyds Bank plc (2000) 3 WLR 877 (C.A.); Von Bar in FS Lorenz, 441, 441; Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsgleich, Band I, Kapitel 2 Rn. 307; Stoljar in Von Caemmerer/Schlechtriem, IECL, 17–54; Schneiderhahn, QuasiContract, S. 145. 84 Vgl. zu diesem Grundsatz Dagan, M.L.Rev. 1999, 1152, 1153 f. 85 Bezeichnenderweise enthält das common law regelmäßig auch keine dem deutschen § 323c StGB vergleichbare Hilfeleistungspflicht; vgl. dazu Jones, Restitution, 155 f.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
Handeln im fremden Rechtskreis durch Schadloshaltung des Handelnden oder gar Vergütung des „Eindringlings“ zu honorieren. „The general principle is, beyond all question, that work and labour done or money expended by one, and to preserve or benefit the property of another do not according to English law create any lien upon the property saved or benefited, nor, even if standing alone, create any obligation to repay the expenditure“.86 Diese Haltung zeigt sich deutlich auch darin, dass der auftragslose Geschäftsführer oft abfällig als „officious meddler“ bezeichnet wird. Dennoch zeigen sowohl das englische als auch das US-amerikanische common law die Tendenz, von dem soeben skizzierten Grundsatz abzuweichen. 1. Situation in England So eröffnet in England das Teilrechtsgebiet der restitution mit der Rechtsfigur des quantum meruit die Möglichkeit, in engen Ausnahmefällen eine Vergütung des auftragslosen Geschäftsführers zu begründen. Mit Hilfe dieses Rechtsinstituts wird ein Vergütungsanspruch des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn begründet, wenn (1.) der Geschäftsherr die erbrachte Leistung freiwillig akzeptiert hat und wenn er (2.) wusste oder hätte wissen müssen, dass der Geschäftsführer für seine Leistung ein Vergütung erwartete.87 Viele auf quantum meruit gestützte Klagen erfolgen im Zusammenhang mit nicht zum Abschluss gelangten Verträgen88, also in Konstellationen, in der eine Reihe von kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, wie beispielsweise das deutsche Sachrecht, statt auf das Bereicherungsrecht auf das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag zurückgreifen.89 In neuerer Zeit wird in der englischen rechtswissenschaftlichen Literatur vermehrt diskutiert, ob ein Vergütungsanspruch aus quantum meruit nicht auch, unter bestimmten Voraussetzungen, gewährt werden soll, wenn der Geschäftsführer in einer Notfallsituation tätig geworden ist, um einen anderen zu retten.90 So gehen die genannten Autoren davon aus, dass der
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Falcke v Scottish Imperial Insurance Co (1886), 34 Ch.D. 234, 248 f. (C.A.). Vgl. William Lacey Ltd. v. Davis, (1957) 1 W.L.R. 932; Von Bar in FS Lorenz, 441, 458 m.w.N. 88 Vgl. Craven-Ellis v. Canons Ltd. (1936) 2 K.B. 403; William Lacey Ltd. v. Davis, (1957) 1 W.L.R. 932; ferner Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsgleich, Band I, Kapitel 2 Rn. 510 m.w.N. 89 Vgl. dazu statt vieler Bergmann in Staudinger (2006), Vorbem. zu §§ 677 ff. BGB Rn. 81, 329 ff.. m.z.N.; siehe in diesem Zusammenhang auch Wollschläger, Geschäftsführung ohne Auftrag, S. 311–318. 90 So Goff/Jones, Restitution, S. 473–476; Virgo, Principles of Restitution, S. 311; vgl. dazu auch Jones, Restitution, S. 155 ff., insb. S. 163; Rose, O.J.L.S. 1989, 167, 87
§ 2 Vergütungsfragen
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Geschäftsführer für seine vernünftige Geschäftsführung in Notsituationen zu vergüten ist, obwohl der Geschäftsherr die Dienstleistung nicht frei akzeptiert hat.91 Dies soll selbst dann gelten, wenn die Geschäftsführung am Ende ergebnislos blieb. Für die Telemedizin würde dies bedeuten, dass der in Notfällen altruistisch helfende Telemediziner einen Vergütungsanspruch gegen den Patienten aus Bereicherungsrecht, genauer aus quantum meruit, besitzt. 2. Situation in den USA In den USA ist der in England erwogene Vergütungsanspruch des Arztes in Fällen der Notbehandlung bereits gerichtlich zugesprochen worden. Grundlegend ist insoweit die Entscheidung Cotnam v. Wisdom aus dem Jahr 1907.92 Der Supreme Court von Arkansas entschied folgenden Fall: Herr Harrison zog sich bei einem Sturz aus einer Straßenbahn schwere Verletzungen zu, in deren Folge er das Bewusstsein verlor. In diesem Zustand wurde er von einem Arzt operiert. Obgleich die Operation erfolgreich verlief, verstarb Herr Harrison. Der Arzt begehrt Vergütung für seine Operation. Der Supreme Court von Arkansas sprach dem Arzt einen solchen Vergütungsanspruch aufgrund eines implied-in-law contract zu.93 Die Annahme eines implied contract wird allgemein als probates Mittel betrachtet, um einen Vergütungsanspruch des „good samaritan“ zu begründen.94 So hat sich in den USA heute, im Anschluss an Cotnam v. Wisdom, die Meinung durchgesetzt, dass professionelle Helfer95, insbesondere auch Ärzte und Kliniken, für Nothilfemaßnahmen zu vergüten sind.96
200 f.; vgl. dazu auch Bergmann in Staudinger (2006), Vorbem. zu §§ 677 ff. BGB Rn. 81. 91 Eine entsprechende englische Gerichtsentscheidung existiert bislang (noch) nicht; Vgl. in diesem Kontext aber Lamb v. Bunce (1815) 105 ER 836; Simmons v. Wilmot (1800) 170 ER 549; Tomlinson v. Bentall (1826) 108 ER 738. 92 Cotnam v. Wisdom 83 Ark. 601, 104 S.W. 164, Supreme Court, Arkansas (1907); vgl. dazu auch Hamilton/Rau/Weintraub, Contracts, S. 103 ff. 93 Vgl. dazu auch Ross, Cal.L.Rev. 1986, 85, 99; ein Vergütungsanspruch wird auch angenommen in Sceva v. True, 53 N.H. 627, Supreme Judicial Court, New Hampshire (1873); Boyd v. Sappington, 4 Watts 247, Supreme Court, Pennsylvania (1835); Starrett v. Miley 79 III App. 658, 1898 WL 2827, Appellate Court, Illinois (1898). 94 Vgl. Dagan, M.L.Rev. 1999, 1152, 1163. 95 Siehe dazu Ross, Cal.L.Rev. 1986, 85, 99 ff. 96 Culbertson, Medical Men, S. 91; Woodward, Quasi-Contracts, S. 314 f.; Ross, Cal.L.Rev. 1986, 85, 98; Dagan, M.L.Rev. 1999, 1152, 1186 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Rspr. und Lit. in Fn. 128.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
3. Zusammenfassung der Rechtslage im common law Zusammenfassend kann dem common law im Rahmen medizinischer Nothilfen jedenfalls die Tendenz entnommen werden, dass die Vergütung des auftragslosen, altruistisch handelnden Arztes gegenüber dem Schutz des Patienten vor unerwünschter Einmischung in seine Rechtsgüter in den Vordergrund rückt, wenngleich zur Erreichung dieses Zwecks nicht – wie in Deutschland – die Rechtsfigur der negotiorum gestio genutzt wird. Wohl auch aufgrund dieser Erkenntnis sieht die Study Group on a European Civil Code in Art. 3:102 PEL Ben. Int. vor, dass der Geschäftsführer gegen den Geschäftsherrn einen Anspruch auf Vergütung, welche für die Besorgung der Angelegenheiten, die im Rahmen seines Berufes oder Gewerbes erfolgte, angemessen ist, hat.
§ 3 Haftungsfragen der Telemedizin § 3 Haftungsfragen der Telemedizin
A. Grundzüge der deutschen Arzt- und Krankenhaushaftung Dem deutschen privatrechtlichen Haftungsrecht liegt das Verschuldensprinzip zugrunde. Danach ist ein Schaden grundsätzlich nur dann zu ersetzen, wenn er schuldhaft verursacht wurde. Dies setzt voraus, dass zurechenbar eine Verhaltenspflicht verletzt wurde und hieraus ein Schaden entstanden ist. Dabei differenziert das deutsche Sachrecht zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Verhaltenspflichten. Auf der einen Seite stehen spezielle Verhaltenspflichten, die aus einer Sonderverbindung resultieren und daher nur zwischen den Personen dieser Sonderverbindung bestehen. Auf der anderen Seite finden sich die allgemeinen, deliktischen, im Verhältnis zu allen Individuen bestehenden Verhaltenspflichten.97 Aus dieser Differenzierung ergibt sich die sogenannte Zweigleisigkeit des deutschen Haftungsrechts. Eine Haftung des Arztes oder des Krankenhausträgers für eine Gesundheitsschädigung des Patienten oder eine fehlerhafte Patientenaufklärung kann sich aufgrund dieser Zweigleisigkeit sowohl aus einer Vertragspflichtverletzung als auch aus einer unerlaubten Handlung ergeben.98 Vertragliche und deliktische Anspruchsgrundlagen sind im deutschen Sachrecht nach dem Grundsatz der Anspruchskonkurrenz nebeneinander an-
97 Vgl. dazu Wagner in MüKo, Vor § 823 BGB Rn. 1; Grunewald, BR, § 32 Rn. 1; speziell zur Arzthaftung Katzenmeier, Arzthaftung, S. 80 f. 98 Pflüger, VersR 1999, 1070, 1071; Reiling, MedR 1995, 443, 443; Schwall/Itzel, MedR 2001, 565, 565; Bolsinger, Arzthaftung, S. 65 ff. und 92 ff; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 79 f.; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 7.
§ 3 Haftungsfragen der Telemedizin
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wendbar.99 Unterschiede der beiden Anspruchsgrundlagen ergeben sich zumindest theoretisch hinsichtlich beweisrechtlicher Fragen, der Haftungsvoraussetzungen für reine Vermögensschäden und entfallenen Unterhaltsansprüchen (§ 844 BGB), der Privilegierung von Amtsärzten (§ 839 BGB) sowie der Haftungsvoraussetzungen für das Fehlverhalten Dritter (§ 278 BGB einerseits, § 831 BGB andererseits). In der Rechtspraxis ist die Zweigleisigkeit der (Tele-)Arzthaftung jedoch von weitaus geringerem Gewicht als es auf den ersten Blick den Anschein hat, da die Rechtsprechung seit jeher versucht, die Haftungssituation auf beiden Gebieten identisch zu gestalten.100 I. Haftung für eigenes Verschulden 1. Vertragliche Haftung – Haftung aus einer „Sonderverbindung“ Eine Sonderverbindung zwischen Patient und Arzt resultiert in den meisten Fällen aus einem Vertrag, seltener auch aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag – zu denken ist insbesondere an die Nothilfefälle –, die als außervertragliches Schuldverhältnis ebenfalls eine Sonderverbindung zwischen dem Arzt und dem Patienten begründet.101 Aus beiden Sonderverbindungen schuldet der Arzt dem Patienten eine Behandlung lege artis. Diese umfasst Prophylaxe, Diagnose, Aufklärung, Therapie und Nachsorge.102 Verletzt der Primärarzt im Rahmen der Behandlung eine vertragliche Sorgfaltspflicht schuldhaft im Sinne des § 276 BGB103, haftet er dem Patienten aufgrund § 280 BGB nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB für den daraus kausal entstanden Schaden.104 a) Behandlungsfehler Eine zu vertretende Pflichtverletzung liegt insbesondere vor, wenn dem Arzt ein Behandlungsfehler unterläuft. Ein solcher liegt vor, wenn die Behandlung nicht nach dem von Berufs wegen gebotenen Sorgfaltsmaßstab
99
Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 56; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 81; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 60. 100 Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 82; Riegger, Historische Entwicklung der Arzthaftung, S. 20; Hierauf wird noch näher einzugehen sein, vgl. dazu unten Kapitel 1:§ 3C. 101 BT-Drucks. 14/6040, S. 135; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 48. 102 Hart, Jura 2000, 64, 64; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 157. 103 Dieser Haftungsmaßstab gilt nach h.M. auch in Fällen der GoA, vgl. dazu oben Kapitel 3, § 1, C. 104 Hart, Jura 2000, 64, 64; Roth, NJW 2006, 2814, 2815.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
vorgenommen wird.105 Mit anderen Worten ist die Behandlung lege artis, also nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorzunehmen, die im Zeitpunkt der Behandlung gelten, wobei ein objektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist.106 Ein Behandlungsfehler liegt somit vor, wenn eine dem medizinischen Standard objektiv nicht entsprechende Prophylaxe, Diagnose, Therapie oder Nachsorge durch den Arzt erfolgt.107 Diagnosefehler werden von der Rechtsprechung – wegen des zugestandenen weiten Beurteilungsund Entscheidungsspielraums des Arztes108 – jedoch nur dann als Behandlungsfehler angesehen, wenn eine gravierende Fehldiagnose getroffen wurde109, wichtige Kontrollbefunde nicht erhoben wurden110, eine Überprüfung der Arbeitsdiagnose im Fortgang der Behandlung unterblieb oder aufgrund einer Fehldiagnose eine falsche Therapie erfolgt ist.111 Verletzt der Arzt diese Pflicht, so hat er für die daraus entstandenen Schäden nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB haftungsrechtlich einzustehen. Bei der daher erforderlichen Prüfung, ob der Patient eine Gesundheitsverletzung erlitten hat, nehmen die Rechtsprechung und die Literatur, entsprechend der klassischen Differenzhypothese zur Schadensermittlung, eine Differenzbetrachtung zwischen dem gesundheitlichen Zustand des Patienten vor der Heilbehandlung und demjenigen danach vor. Ergibt sich bei dieser Betrachtung eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes, liegt
105
Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 64; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 157; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 276; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 56; Ries, Arztrecht, S. 187; Hart, MedR 1996, 60, 68. 106 Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 277; Riegger, Historische Entwicklung der Arzthaftung, S. 19; Die Rekurrierung auf einen objektiven Maßstab findet seine Rechtfertigung in den Grundsätzen des zivilrechtlichen Vertrauensschutzes. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum Strafrecht, in dem ein individueller Sorgfaltsmaßstab gilt. 107 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 157; Ries, Arztrecht, S. 188 f.; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 55. 108 Vgl. dazu ausführlich Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 304–309. 109 BGH, NJW 1988, 1513, 1514 (Bei Beschwerden an Bein und Hüfte nach einer Kaiserschnittentbindung wurde zunächst die Diagnose „Lumbago“ – umgangssprachlich auch als Hexenschuss bezeichnet – getroffen, obwohl es sich richtigerweise um eine „Hüftgelenksentzündung“ handelte); NJW 2003, 2827, 2828 (Bruch eines Brustwirbels übersehen); Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 Rn. 82; weitere Nachweise bei Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 154 ff. 110 BGH, VersR 1994, 52, 53 (keine klinische Abklärung auf Infarkt, trotz erheblicher Schmerzen im HWS-Schulter-Armbereich); OLG Bamberg, VersR 1993, 1019, 1020 (keine Blutuntersuchung trotz Verdachts auf Malaria); weitere Nachweise bei Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 155 ff. 111 Siehe hierzu Hart, Jura 2000, 64, 64; Pielach, Haftungsfragen, S. 51 f.; Kaiser in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 12 Rn. 25–27.
§ 3 Haftungsfragen der Telemedizin
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eine Gesundheitsverletzung vor.112 Ist eine Gesundheitsverletzung festgestellt, sind alle damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen als Schaden anzusehen.113 b) Aufklärungsfehler Darüber hinaus trifft den Arzt auch die vertragliche Pflicht (mal als Hauptmal als Nebenpflicht115 beschrieben) eine Eingriffs- und Risikoaufklärung als Basis für die notwendige Einwilligung des Patienten vorzunehmen.116 Der Einwilligungsvorbehalt dient dem Schutz des verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts des Patienten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.117 Ihm soll es obliegen, über das „Ob“ und „Wie“ des Heileingriffs zu bestimmen, damit er nicht zum Objekt der ärztlichen Heilbehandlung degradiert wird.118 Vor dem Hintergrund des Verfassungsrechts ist es erforderlich, dass der Patient durch die ärztliche Aufklärung Wesen, Umfang und Risiko der Behandlung überblicken und das „Für und Wider“ in den Grundzügen verstehen kann.119 Nur unter diesen Voraussetzungen ist es ihm möglich, die Chancen und Risiken der angestrebten Behandlung gegeneinander abzuwägen und auf dieser Basis eine freie Entscheidung zu treffen. Nicht erforderlich ist, dass der Patient die volle Wahrheit über seinen Gesundheitszustand erfährt.120 Verletzt der 114
112 Heidelk, Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden, S. 67; Gödicke, MedR 2008, 405, 406. 113 Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 67 Rn. 2; Bolsinger, Arzthaftungsrecht, S. 51 f. 114 BGH, NJW 1984, 1807, 1808; NJW 1981, 2002, 2003; Von Hirsch/Stampehl in Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, Rn. 61. 115 BGH, NJW 2005, 1718, 1718; OLG Hamm, VersR 2006, 512, 513. 116 BGH, VersR 1984, 538, 539; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 167; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 249; Spindler/Rieckers, JuS 2004, 272, 275; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 40, 103; Griebau in Ratzel/Luxenburger, Medizinrecht, § 9 Rn. 34; Heckendorn, Haftung freier Berufe, Rn. 768; Ries, Arztrecht, S. 192. 117 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 248; Bolsinger, Arzthaftung, S. 51; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 40; Stegers in Ratajczak/Stegers, Risiko Aufklärung, S. 131; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 324. 118 Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 167. 119 OLG Brandenburg, Urt. v. 08.03.2007 – 12 U 186/06; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 248; Giesen, Jura 1981, 10, 17; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 167; Bolsinger, Arzthaftung, S. 33; Mertens in MüKo, § 823 BGB Rn. 423; Stegers in Ratajczak/Stegers, Risiko Aufklärung, S. 131. 120 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 248; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn, 101; a.A. Giesen, Jura 1981, 10, 19; ders., International Medical Malpractice Law, Rn. 602 f.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
Arzt seine vertragliche Pflicht zur Eingriffs- und Risikoaufklärung, ist er dem Patienten zum Schadensersatz nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB verpflichtet.121
121 Im Rahmen telemedizinischer Anwendungen stellt sich auf dieser Grundlage die Frage, ob der Patient über den Einsatz der Telemedizin aufzuklären ist. Jedenfalls in Fällen der Telepräsenz oder Teleassistenz ist dies zu verlangen, da der eigentliche Behandlungsbeitrag bei diesen telemedizinischen Erscheinungsformen durch den Telemediziner erbracht wird. Nur durch eine Aufklärung kann sichergestellt werden, dass der Patient von allen wesentlichen Tatsachen Kenntnis erlangt, die er für seine Einwilligung benötigt. In diesen Fällen muss die Aufklärung daher sowohl die Behandlung und die damit verbundenen Risiken als auch den Einsatz der Telemedizin umfassen (Link, Telemedizin, S. 46). Fraglich erscheint hingegen, ob es auch einer Aufklärung des Patienten über den Einsatz der Telemedizin bedarf, wenn der Telemediziner (nur) im Rahmen eines Telekonsils oder einer Teleexpertise durch den Primärbehandler hinzugezogen wird, da der Telemediziner in diesen Situationen nur zu einer bestehenden Behandlung hinzugezogen wird, während die eigentliche Behandlung in den Händen des Primärbehandlers verbleibt. In der Literatur wird diese Frage kontrovers diskutiert. Dieser Fragestellung kann und soll im Rahmen der hier untersuchungsgegenständlichen Fragestellung nicht in vollem Umfang nachgegangen werden. Folgendes sei hierzu jedoch angemerkt: Teilweise wird vertreten, dass in diesen Fällen keine Aufklärung über den Einsatz der Telemedizin erfolgen müsse (Pflüger, VersR 1999, 1070, 1073). Diese Ansicht stützt sich insbesondere darauf, dass diese Situation mit derjenigen vergleichbar sei, in der die Behandlung in einem Krankenhaus auf einen anderen Arzt übertragen werde, so dass in dieser Situation keine Aufklärung und Einwilligung des Patienten erforderlich sei (vgl. dazu BGHZ, 88, 248, 251 f.). Dieser Vergleich vermag jedoch meines Erachtens nicht zu überzeugen (kritisch auch Einbecker Empfehlungen, Nr. 13; Link, Telemedizin, S. 47; Heyers/Heyers, MDR 2001, 918, 923). Zum einen resultieren aus der Anwendung der Telemedizin weitere einsatzspezifische Gefahren, die einer herkömmlichen Behandlung durch einen anderen Arzt fremd sind. So kann es beispielsweise während der Datenübertragung zu Fehlern kommen. Würde also keine Aufklärung über den Einsatz von Telemedizin erfolgen, hätte der Patient keine vollständige Wissensgrundlage hinsichtlich der mit der Behandlung verbunden Risiken (dies erkennt auch Heyers/Heyers, MDR 2001, 918, 923). Er könnte mithin nicht überblicken worin er einwilligt. Allein deshalb ist der Patient auch in Fällen von Telekonsilen und Teleexpertisen über die Hinzuziehung eines Telemediziners aufzuklären. Dafür spricht darüber hinaus, dass die Telemedizin eine neue Behandlungsmethode darstellt, an die grundsätzlich höhere Anforderungen in Bezug auf die Aufklärung des Patienten zu stellen sind, da sich diese den neuen Methoden zumeist noch nicht bewusst sind (vgl. dazu nur OLG Oldenburg, VersR 1997, 491, 491). Hierin liegt meines Erachtens ein weiterer entscheidender Unterschied zu der Situation, in der die Behandlung in einem Krankenhaus auf einen anderen Arzt übertragen wird. Begibt sich ein Patient in ein Krankenhaus, rechnet er regelmäßig damit, dass an seiner Behandlung mehrer Ärzte beteiligt sein werden. Dagegen rechnet ein Patient nicht damit, dass an seiner Behandlung ein ihm fremder Telemediziner beteiligt wird.
§ 3 Haftungsfragen der Telemedizin
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2. Deliktische Haftung a) Behandlungs- und Aufklärungsfehler Nach der sogenannten Körperverletzungsdoktrin der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung stellt jeder medizinische Heileingriff eine tatbestandsmäßige Körper- und/oder Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar, selbst wenn er lege artis und erfolgreich vorgenommen wurde.122 Ärzte sind nach überwiegender Auffassung also „berufsmäßige Körperverletzer“.123 Gleiches gilt – jedenfalls nach der auch im Strafrecht ganz herrschenden Körperverletzungsdoktrin – für die vergleichbare strafrechtliche Regelung in § 223 Abs. 1 StGB und somit über § 823 Abs. 2 BGB auch für eine zivilrechtliche Haftung.124 Folge dieser Sichtweise ist, dass der Arzt dem Patienten haftet, sofern seine Gesundheitsverletzung nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt ist125, da durch die tatbestandliche Gesundheitsverletzung deren Rechtswidrigkeit indiziert wird.126 Lässt man besondere Rechtfertigungsgründe der Einfachheit einmal beiseite, entfällt die Rechtswidrigkeit nur dadurch, dass der Patient wirksam in die Heilbehandlung beziehungsweise die damit verbundene Gesundheitsverletzung eingewilligt hat. Die Einwilligung ist folglich im Rahmen der deliktischen Aufklärungshaftung auf der Rechtfertigungsebene zu prüfen.127 Im Rahmen dieser Prüfung gilt es zu beachten, dass die Einwilligung nur soweit wirksam ist, wie der Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst 122
BVerfG, NJW 1979, 1925, 1929; RGZ 68, 431, 433f.; 88, 433, 436; 163, 129, 137; BGH NJW 1956, 1106, 1107; BGHZ 29, 176, 180; BGH, NJW 1965, 1156, 1106; VersR 1972, 153, 154; NJW 1984, 1807, 1809; BGHZ 106, 391, 397 f.; Bolsinger, Arzthaftung, S. 32; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 167; Vogeler, MedR 2008, 697, 707; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 35, 52; Grams, GesR 2009, 69, 69. 123 Vgl. dazu statt vieler nur Hager in Staudinger (2009), § 823 I Rn. I 1–3; Geilen in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 410 jeweils m.z.N. aus Rspr. und Lit. 124 Dies wird von einem beachtlichen Teil der Literatur als unbillig erachtet, weshalb sie die sogenannte Persönlichkeitsrechtsdoktrin vertreten. Nach dieser ist in einem lege artis durchgeführten Heileingriff bereits tatbestandlich keine Körperverletzung zu sehen. Wird ein solcher jedoch ohne wirksame Einwilligung des Patienten durchgeführt, sei hierin eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten in Gestalt des Selbstbestimmungsrechts zu sehen (vgl. etwa Laufs, NJW 1974, 2025, 2028; Pielach, Haftungsfragen, S. 53 f.; Weyers/Mirtsching, JuS 1980, 317, 320; Esser/Weyers, SchudR II/2, § 55 I 1b; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 76 II 1g; Katzenmeier, ZRP 1997, 156, 160; ders., Arzthaftungsrecht, passim; Büttner in FS Geiß, 353, 355). 125 Die Körperverletzungsdoktrin ist mittlerweile in der Rspr. und der Literatur derart verfestigt, dass im Folgenden nicht weiter auf die Persönlichkeitsverletzungsdoktrin eingegangen wird. 126 Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 40. 127 Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 51; Müller, GesR 2004, 257, 261.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
tätig wird.128 Ferner schlagen Aufklärungsdefizite unmittelbar auf die Einwilligung des Patienten durch, sofern nicht hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Patient auch bei vollständiger Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (sogenannte hypothetische Einwilligung). Selbst wenn der Arzt lege artis eine Behandlung des Patienten vornimmt, bewirkt das Aufklärungsdefizit beziehungsweise die daraus resultierende Unwirksamkeit der Einwilligung folglich die Rechtswidrigkeit der durch den Heileingriff tatbestandlich verwirklichten Körperverletzung, so dass der Arzt für die aus der Behandlung resultierenden Gesundheitsschäden, welche mittels der Differenzhypothese ermittelt werden, nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB einzustehen hat. Über diesen „Umweg“ über die Rechtfertigungsebene hat ein Arzt also auch deliktisch für eine Aufklärungspflichtverletzung einzustehen. In jüngerer Zeit wird dieser „Umweg“ dadurch vermieden, dass eine Garantenstellung des Arztes gegenüber dem Patienten aus faktischer Übernahme angenommen wird, aus welcher der Arzt zur Behandlung lege artis und zur Aufklärung des Patienten verpflichtet ist.129 Ob diese Konstruktion überzeugt und ob und bejahendenfalls welche Auswirkungen dieser dogmatische Streit auf die kollisionsrechtliche Behandlung der (Tele-)Arzthaftung hat, wird später noch zu untersuchen sein. 130 An dieser Stelle ist die Feststellung ausreichend, dass Ärzte sowohl aus Vertrag als auch aus Delikt für Behandlungs- und Aufklärungsfehler einzustehen haben. b) Aufklärungspflichtverletzung als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Wie gezeigt, ist die eigenmächtige Behandlung des Patienten eine Körperverletzung und immer auch eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts, da sich der Arzt in diesen Situationen über den Willen des Patienten hinwegsetzt. Der aus dieser Verletzung des Selbstbestimmungsrechts resultierende Schaden ist aber grundsätzlich mit demjenigen Interesse, den die Verletzung des Körpers umfasst, deckungsgleich, so dass grundsätzlich nur
128 Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 51; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 162; Kaiser in Ratzel/Luxenburger, Medizinrecht, § 12 Rn. 120. 129 BGHZ 95, 63, 75; BGH, NJW 1985, 2749, 2750; 1989, 767, 768; 1990, 2929, 2930; 1991, 2960, 2060 f.; 2005, 1718, 1718; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 74; vgl. auch Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 59; Hager in Staudinger (2009), § 823 I Rn. I 6. 130 Vgl. dazu unten Kapitel 1:§ 2C.III.1.
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materielle Schäden, also solche die aus der Körperverletzung beziehungsweise Gesundheitsschädigung resultieren, zu ersetzen sind.131 Inwieweit dem Patienten darüber hinaus noch ein weiterer kompensationsfähiger, immaterieller Schaden zu ersetzen ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert.132 Anknüpfungspunkt für derartige Überlegungen ist der Umstand, dass der Patient dadurch, dass er nicht wirksam über seine Rechtsgüter Gesundheit und Körper disponieren konnte, in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung als Selbstbestimmungsrecht verletzt sein könnte.133 Die Problematik besteht insbesondere, wenn ein Arzt einen Patienten lege artis zwangsbehandelt und hieraus kein materieller Schaden entsteht. In derartigen Sachverhaltskonstellationen stellt sich in Ermangelung eines materiellen Schadens die Frage, ob der Arzt dem Patienten zum Ersatz eines immateriellen Schadens verpflichtet ist. Im Folgenden wird untersucht, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Arzt durch eine fehlerhafte oder nicht existente Aufklärung den Patienten in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt und welche Ansprüche dem Patienten aufgrund einer solchen Verletzung erwachsen können. aa) Historische Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Selbstbestimmungsrechts Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird in § 823 Abs. 1 BGB nicht ausdrücklich genannt. Dennoch bot das BGB von Anfang an die Möglichkeit, eine Schadenskompensation zu erlangen, wenn durch die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Vermögensschaden entstanden war.134 Dieser Schutz wird insbesondere durch die strafrechtlichen Ehrund Beleidigungsdelikte der §§ 185 ff. StGB vermittelt, die über § 823 Abs. 2 BGB in das zivilrechtliche Haftungssystem ausstrahlen. Auch über einzelne Normen wie § 824 BGB, § 826 BGB oder über spezialgesetzliche Normen wie § 14 UWG erfährt ein Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen gewissen Schutz. Allen diesen Fällen ist je131
Müller, GesR 2004, 257, 261. Bejahend: OLG Jena, VersR 1999, 586, 588; Hart in FS Heinrichs, 291, 315 f.; Bolsinger, Arzthaftungsrecht, S. 51 f.; Grams, GesR 2009, 69, 72; wohl auch Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 67 Rn. 2; verneinend: BGH, Beschluss v. 23.09.2003 – VI ZR 82/03; BGHZ 176, 342, 347; OLG Dresden, NJW 2004, 298, 299; OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 23.08.2004 – 1 U 18/04, Juris Rn. 36 = GesR 2004, 494– 496; OLG Koblenz, MedR 2004, 501, 502; OLG Brandenburg, Urt. v. 08.03.2007 – 12 U 186/06, Juris Rn. 18; LG Lübeck, Urt. v. 02.05.2006 – 12 O 276/05; Trebille, VersR 1999, 235, 236; Ries, Arztrecht, S. 193; Müller, GesR 2004, 257, 261. 133 Vgl. dazu Spickhoff in Soergel, BGB, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 101 m.w.N. 134 Ebert, Pönale Elemente, S. 482. 132
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doch gemeinsam, dass sie ausgleichsorientierte Schadensersatzansprüche darstellen.135 Eine pönales Element fehlt ihnen gänzlich, so dass stets zu fordern ist, dass dem Verletzten ein Vermögensschaden entstanden ist. Liegt kein Vermögensschaden beim Verletzten vor, stellte sich der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach den Regelungen des BGB ungleich bescheidener dar. Schlüsselfunktion kommt in diesem Zusammenhang § 253 BGB zu. Während nach § 253 Abs. 1 BGB bei Nichtvermögensschäden zwar uneingeschränkt Naturalrestitution verlangt werden kann, ist eine Geldentschädigung nur vorgesehen, sofern sie im Gesetz ausdrücklich geregelt ist. Danach war eine Geldentschädigung bei Inkrafttreten des BGB – lässt man einige Sondergesetze zum Immaterialgüterschutz der Einfachheit einmal außen vor – nach § 847 Abs. 1 BGB a.F. nur bei Körperverletzungen, Gesundheitsschädigungen und Freiheitsentziehungen, nach §§ 847 Abs. 2, 1300 BGB a.F. zum Schutz der „weiblichen Geschlechtsehre“ sowie im Rahmen von Strafverfahren wegen übler Nachrede und Verleumdung durch den Gesetzgeber vorgesehen. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, egal in welcher Ausprägung, bei dem es zu keinem Vermögensschaden kommt, war daher de lege lata im Grundsatz nicht finanziell sanktionierbar. Aufgrund dieser, keinesfalls unbewusst getroffenen136, Vorgaben des BGB-Gesetzgebers sah sich auch das Reichsgericht bis zuletzt daran gehindert, ein allgemeines Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anzuerkennen.137 Diese Rechtsprechung wurde erst durch den BGH geändert, der in dem berühmten „Herrenreiter“-Fall138 erstmals einen finanziellen Entschädigungsanspruch wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zusprach, obwohl kein Vermögensschaden beim Verletzten eingetreten war. Damit setzte er sich in offenen Widerspruch zu den Regelungen der §§ 253, 847 BGB a.F..139 Jedoch sah er sich aufgrund des Verfassungsrangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu einer Zusprechung einer Geldentschädigung gezwungen, da andernfalls eine Verletzung der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion bliebe, mit der Folge, dass der Rechtsschutz verkümmern würde.140 Der BGH stützte den Geldentschädigungsanspruch zunächst auf eine Analogie zu § 847 BGB a.F., indem er den Anwendungsbereich dieser Norm auf Freiheitsberaubungen 135
Ebert, Pönale Elemente, S. 482. Vgl. zu den Auseinandersetzungen während des Gesetzgebungsverfahren nur Mugdan, Materialien II, S. 1297. 137 RGZ 51, 369, 373 ff.; 69, 401, 403. 138 BGHZ 26, 346 ff. 139 Ebert, Pönale Elemente, S. 492. 140 BGHZ 128, 1, 15; vgl. auch Kullmann, MedR 2001, 343, 344. 136
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„im Geistigen“ ausdehnte. Dieser Auffassung folgten die anderen Senate des BGH in der Folgezeit jedoch nicht. Vielmehr verankerte insbesondere der sechste Senat das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ in § 823 Abs. 1 BGB.141 Eine endgültige Abkehr von der Analogie besiegelte letztendlich die „Caroline-Entscheidung“ des BGH, in der er klarstellte: „Bei einer Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich im eigentlichen Sinn nicht um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgeht [...] anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund“.142 Im Laufe der Jahre konkretisierte sich diese Rechtsprechung – Umfang und Voraussetzungen des Geldentschädigungsanspruchs wurden näher festgelegt. Danach ist eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur dann zu gewähren, „wenn den Schädiger der Vorwurf einer schweren Schuld trifft oder wenn es sich um eine objektiv erheblich ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts handelt“143 und dies nur dann, wenn keine anderweitige Ausgleichsmöglichkeit wie etwa Widerruf oder Richtigstellung besteht beziehungsweise eine solche nicht zur Genugtuung des Geschädigten ausreicht.144 In dieser Gestalt wurde der Geldentschädigungsanspruch im Jahr 1973 auch durch das BVerfG in der „Soraya“-Entscheidung legitimiert.145 Zur Vermeidung terminologischer Widersprüche zog es der BGH in der Folgezeit vor, ohne eine klare Differenzierung einen unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Falles „schwerwiegenden Eingriff“ in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu verlangen.146 Auch diese Vorgehensweise wurde durch das BVerfG in der „Heinrich-Böll“Entscheidung gebilligt. Nach dieser haben die Zivilgerichte „zu prüfen [...], ob angesichts der verfassungsrechtlichen Lage ein erheblich ins Gewicht fallender Eingriff oder schweres Verschulden, die als Voraussetzung
141
BGH, NJW 1965, 685, 686 („Soraya“); VersR 1974, 756, 757 („Rauschgifttod I“); VersR 1974, 758, 758 („Rauschgifttod II“); VersR 1975, 332, 333. 142 BGHZ 128, 1, 15. 143 BGHZ 35, 363, 369; BGH, VersR 1969, 349, 349. 144 BGHZ 39, 124, 134; Müller, VersR 2008, 1141, 1151. 145 BVerfGE 34, 269, 286. 146 BGH, VersR 1974, 756, 757; VersR 1974, 758, 758; VersR 1988, 405, 405; BGHZ 128, 1, 12.
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des Persönlichkeitsrechts angesehen werden, angenommen werden“ kann.147 Trotz dieser Konkretisierungsversuche ist es bis heute nicht gelungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in allen seinen Ausprägungen derart stark zu konturieren, dass alle Zweifelsfragen beseitigt wären. bb) Anwendung auf die ärztliche Aufklärungspflichtverletzung In Anwendung dieser Rechtsprechung auf die ärztliche Aufklärungspflichtverletzung stellt sich die Frage, ob dem Patienten allein aus der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Selbstbestimmungsrechts ein Anspruch auf Geldentschädigung erwächst.148 Die ablehnende Ansicht wird insbesondere damit begründet, dass sich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten stets auf die körperliche Integrität beziehe, da sich die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts im Wesentlichen nur in dem medizinischen Eingriff manifestiere.149 Allein aufgrund dieser Verknüpfung sei es gerechtfertigt, den Sanktionsgedanken auch in Bezug auf die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts aufzugeben, wenn festgestellt werden kann, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Heileingriff eingewilligt hätte.150 Jedenfalls sei die Persönlichkeitsrechtsverletzung in diesen Fällen nicht von hinreichendem Gewicht.151 Zudem wird eine „uferlose Haftung der Ärzte“ befürchtet.152 (1) Folgen einer Betonung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Würde man dem Patienten allein aufgrund der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf Geldentschädigung zusprechen, würde diesem eine erhebliche Sanktionierungsfunktion für die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten zukommen.153 Gleichzeitig würde von ihr ein echter Präventionseffekt ausgehen, der das Verhalten des Primärbehandlers für die Zukunft beeinflussen würde, weil eine fühlbare Geldzahlung den Verletzen erfahrungsgemäß stärker beeindrucken wird als ein bloßer Unterlassungsanspruch.154
147
BVerfG 54, 208, 222 f. Vgl. zum Streitstand Kapitel 3 Fn. 132. 149 OLG Dresden, NJW 2004, 298, 299; Trebille, VersR 1999, 235, 236. 150 Terbille, VersR 1999, 235, 236; OLG Dresden, NJW 2004, 298, 299. 151 BGH, Beschluss v. 23.09.2003 – VI ZR 82/03; OLG Dresden, NJW 2004, 298, 299; Terbille, VersR 1999. 235, 236. 152 BGHZ 176, 342, 347. 153 BGH, VersR 1967, 495, 496; OLG Jena, VersR 1999, 586, 588; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 342; Steffen, NJW 1997, 10. 154 BGH, VersR 1995, 305, 309; Müller, VersR 2008, 1141, 1151. 148
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(2) Probleme aus einer übermäßigen Betonung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Eine derartige finanzielle Sanktionierung ist aber nur unter bestimmten, verhältnismäßig engen Voraussetzungen gerechtfertigt, da andernfalls tatsächlich eine uferlose Haftung der Ärzte wegen Persönlichkeitsverletzungen drohen würde. Gerade hierin liegt das eigentliche Problem einer Haftung für allgemeine Persönlichkeitsrechtsverletzungen, die als reines Richterrecht – im Gegensatz zu den anderen sonstigen Rechten des § 823 Abs. 1 BGB – recht konturlos ist155, weshalb es auch als Rahmenrecht bezeichnet wird. Eine übermäßige haftungsrechtliche Betonung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts würde gerade im Rahmen des Arzthaftungsrechts zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen und hätte das Potential zur Haftungsausdehnung. Die Ursachen hierfür liegen in der grundsätzlichen Konzeption des § 823 Abs. 1 BGB: Dieser zählt enumerativ absolute Rechte auf, deren rechtswidrige, schuldhafte Verletzung zur Haftung hinsichtlich der daraus resultierenden Schäden führt. Jeder Verletzung dieser absoluten Rechte wohnt bei genauem Hinsehen auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen inne, da durch den Schutz dieser Rechtsgüter stets auch ein umfassender Entscheidungsraum über diese Güter mitgeschützt ist. Der durch § 823 Abs. 1 BGB vermittelte Schutz umfasst daher nicht nur die dort genannten Rechtsgüter, sondern auch die Dispositionsfreiheit über diese, so dass über die absoluten Rechte letztlich auch immer das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen (mit-)geschützt ist.156 Teilweise werden die in § 823 Abs. 1 BGB genannten absoluten Rechtsgüter daher auch als „besondere Persönlichkeitsrechte“ verstanden, so dass eine Verletzung dieser stets auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedeuten würde157, wenngleich die mit der Verletzung dieser Rechtsgüter verbundene Persönlichkeitsverletzung grundsätzlich bereits vollständig erfasst ist.158 Die hier im Rahmen der Arzthaftung untersuchungsgegenständliche Fragestellung, ob der Patient bei fehlerhaften oder nicht erfolgter Aufklärung durch den Arzt einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung seinen allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegen den Arzt hat, stellt sich bei genauerem Hinsehen folglich bei allen Verletzungen der in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten absoluten Rechtsgütern. Durch die Wahl des hinter diesen Rechtsgütern stehenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts als haftungsauslösendes Rechtsobjekt 155
Müller, VersR 2008, 1141, 1141. Schnorbus, JuS 1994, 830, 834. 157 Schnorbus, JuS 1994, 830, 834. 158 Beater in Soergel, § 823 BGB Anh. IV Rn. 13 f. 156
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wird stets die Möglichkeit einer Geldentschädigung eröffnet, obwohl kein materieller Schaden vorliegt. (3) Folgen für die Behandlung allgemeiner Persönlichkeitsverletzungen Um das Haftungssystem des BGB nicht zu verwässern, daraus resultierende Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die Haftungsvoraussetzungen und ein unzumutbares Haftungsrisiko zu vermeiden, ist der Zuspruch einer Geldentschädigung aufgrund einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht nur unter sehr engen Voraussetzungen gerechtfertigt. Dies hat auch die Rechtsprechung erkannt und die Haftung wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts daher an strenge Voraussetzungen geknüpft: Eine Haftung ist nur anzunehmen, wenn die Verletzung als schwer zu bewerten ist und keine anderweitigen Ausgleichsmöglichkeiten bestehen (sogenannter Subsidiaritätsgrundsatz). „Ob ein derart schwerer Eingriff in den Eigenwert der Persönlichkeit anzunehmen ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind besonders die Art sowie Schwere der zugefügten Beeinträchtigung und der Grad des Verschuldens auch Anlass und Beweggrund des Handelns zu berücksichtigen“.159 (4) Folgen für die Behandlung von Aufklärungspflichtverletzungen als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Für die ärztliche Haftung hinsichtlich fehlerhafter oder nicht erfolgter Aufklärung des Patienten ergibt sich daraus Folgendes: Zunächst gilt es festzuhalten, dass ein Unterlassungsanspruch dem Patienten meist nur wenig nutzen wird und ein Widerruf grundsätzlich nicht möglich ist. Der Grundsatz der Subsidiarität steht daher einem Geldentschädigungsanspruch wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht im Wege.160 Jedoch wird die Schwere der zugefügten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bei Aufklärungsfehlern regelmäßig nicht als ausreichend angesehen werden können, da es sich bei Aufklärungsfehlern meist um periphere Aufklärungsdefizite in Detailfragen handeln wird.161 Gewichtige Aufklärungsfehler werden nur ganz ausnahmsweise vorliegen. Zu denken ist insbesondere an Fälle, in denen der Arzt den Patienten gar nicht aufklärt oder ihn gar entgegen seines klaren Willens (zwangs-)behandelt.162 In
159
BGH, NJW 1971, 698, 700. Kullmann, MedR 2001, 343, 344. 161 OLG Dresden, NJW 2004, 298, 299. 162 Grams, GesR 2009, 69, 72. 160
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diesen Fällen verletzt der Arzt den Patienten besonders hartnäckig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weil das Schamgefühl berührt wird, der Eingriff ohne Einwilligung zu Peinlichkeiten führt und ein Gefühl des Ausgeliefertseins beim Patienten hervorruft. Der Patient ist nicht mehr Subjekt, sondern wird zum Objekt der Behandlung herabgestuft. Für diese Wertung spricht auch, dass den Arzt in derartigen Fällen ein erhöhtes Verschulden trifft, da er es bewusst in Kauf nimmt den Patienten in seinem Selbstbestimmungsrecht zu verletzen. Unter diesen engen Voraussetzungen ist der Arzt dem Patienten gegenüber verpflichtet, eine angemessene, von Art und Dauer der Persönlichkeitsrechtsverletzung unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände abhängige Geldentschädigung zu zahlen. II. Einstandspflicht für das Fehlverhalten Dritter und der sogenannte Vertrauensgrundsatz Die haftungsrechtliche Einstandspflicht des Arztes für ein Fehlverhalten eines Kollegen richtet sich im deutschen Sachrecht – wie sonst auch – nach § 278 BGB einerseits und nach § 831 BGB andererseits.163 1. Haftung für den Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen a) Haftung für den Erfüllungsgehilfen § 278 Abs. 1 BGB ordnet eine Haftung des Arztes für seine Erfüllungsgehilfen an, wenn diese in Ausführung einer Verbindlichkeit einen Schaden verursacht haben. § 278 BGB ist keine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern eine Zurechnungsnorm, die es ermöglicht, einem Arzt fremdes Verschulden als eigenes im Sinne des § 276 Abs. 1 BGB zuzurechnen.164 Trotz dieser Zurechnung bleibt folglich der für den Schuldner selbst geltende Haftungsmaßstab erhalten.165 Entscheidend ist, ob der Geschäftsherr, hätte er die Handlung selbst vorgenommen, haften würde.166 Im Gegensatz zu der „Schwestervorschrift“ im Deliktsrecht (§ 831 BGB) sieht § 278 BGB bei dieser Zurechnung keine Exkulpationsmöglichkeit vor. Bei der
163 Vgl. statt vieler nur Spickhoff in Soergel, BGB, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 37, 76; Link, Telemedizin, S. 187 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 376 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 103, 128 jeweils m.w.N. aus Rspr. und Lit. 164 Kupisch, JuS 1984, 250, 251; Larenz, SchuldR I, S. 277; Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 505. 165 RGZ 108, 221, 224; BGHZ 31, 358, 366; Decku, Zwischen Vertrag und Delikt, S.11; Kupisch, JuS 1983, 817, 821; Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 502; Schreiber, Jura 1987, 647, 650; Hirsch, Allgemeines SchuldR, Rn. 437. 166 BGHZ 31, 358, 267; Medicus/Lorenz, SR I, Rn. 392.
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Haftung nach § 278 BGB handelt es sich somit um eine Einstands- oder Garantiehaftung.167 Die Zurechnung gemäß § 278 BGB setzt voraus, dass sich ein Arzt „zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit“ einer Hilfsperson, etwa eines anderen Arztes, bedient. Zwischen Arzt und Patient muss also eine Sonderverbindung bestehen, aus der eine Verbindlichkeit resultiert.168 Als Sonderverbindung kommt dabei jedes gesetzliche oder vertragliche Schuldverhältnis in Betracht, sofern aus ihm eine Verbindlichkeit und damit verbundene spezielle Verhaltenspflichten des Arztes gegenüber dem Patienten resultieren.169 Eine solche Verbindlichkeit stellt auch die Fürsorgepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB dar.170 Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn erst aus der Schädigungshandlung ein (gesetzliches) Schuldverhältnis entsteht, da aus der Rechtspflicht „neminem laedere“ kein Schuldverhältnis resultiert. Erfüllungsgehilfe ist, wer „nach den rein tatsächlichen Vorgängen des gegebenen Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als Hilfsperson tätig wird“.171 Dabei spielen weder die rechtlichen Beziehungen zwischen Schuldner und Gehilfen, noch die Kenntnis des Erfüllungsgehilfen von seiner Gehilfenfunktion eine Rolle.172 Erforderlich ist aber, dass der Geschäftsherr die Hilfsperson willentlich eingesetzt hat.173 Im Gegensatz zu der „Schwestervorschrift“ des Deliktsrechts (§ 831 BGB) kommt es zudem nicht darauf an, dass der Erfüllungsgehilfe weisungsgebunden ist174, vielmehr kann Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 BGB auch ein Selbstständiger sein.175
167
Vgl. Schreiber, Jura 1987, 647, 647; Vieweg in Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, S. 427; vgl. zur Rechtfertigung Einstands- oder Garantiehaftung beziehungsweise der darin liegenden Durchbrechung des Schuldprinzips, Kupisch, JuS 1983, 817, 819 f.; Medicus/Lorenz, SR I, Rn. 378; Brox/Walker, Allgemeines SchuldR, § 20 Rn. 23. 168 Dies ergibt sich zudem auch aus der systematischen Stellung innerhalb des BGB, sowie aus den Worten „Schuldner“ und „Erfüllung“. 169 Siehe hierzu allgemein Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 504; Larenz, SchuldR I, S. 297; BGHZ 93, 278, 284; Alpmann in JurisPK-BGB, § 278 Rn. 3; Löwisch/Caspers in Staudinger (2009), § 278 Rn. 8, 11; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 7. 170 Medicus/Lorenz, SR I, Rn. 384; Vieweg in Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, S. 428. 171 BGHZ 13, 111, 113; Medicus/Lorenz, SR I, Rn. 385; Schreiber, Jura 1987, 647, 649. 172 BGHZ 62, 119, 124; Schreiber, Jura 1987, 647, 648; Kupisch, JuS 1983, 817, 820. 173 BGHZ 50, 32, 35; 62, 119, 124; 98, 330, 334; Schmidt-Kessel in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 278 Rn. 12. 174 Kropholler, § 278 Rn. 6; Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 505; BGHZ 13, 111, 113. 175 Hanau in MüKo, § 278, Rn. 14; Hirsch, Allgemeines SchuldR, Rn. 431a; Löwisch/Caspers in Staudinger (2009), § 278 Rn. 25.
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b) Haftung für den Verrichtungsgehilfen Die zentrale Haftungsnorm für Hilfspersonen im Deliktsrecht ist § 831 Abs. 1 BGB. Diese Regelung ordnet eine Haftung des Geschäftsherrn für einen Verrichtungsgehilfen an, wenn dieser im Rahmen seiner Verrichtung zumindest widerrechtlich einen Schaden verursacht hat und den Geschäftsherrn ein Verschulden hinsichtlich der Auswahl oder der Überwachung der Verrichtungsperson trifft.176 Sowohl dieses Verschulden als auch der Kausalzusammenhang zwischen diesem und der eingetretenen Schädigung werden dabei vermutet.177 Der Geschäftsherr hat jedoch nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB die Möglichkeit eine dieser beiden Vermutungen zu widerlegen. Nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB muss die den Schaden verursachende Person von dem Geschäftsherrn „zu einer Verrichtung bestellt“ worden sein. Folglich ist eine Person nur dann Verrichtungsgehilfe, wenn sie von den Weisungen des Geschäftsherrn abhängig ist und in die Organisationssphäre des Geschäftsherrn eingegliedert wurde.178 Dies sind insbesondere die Angestellten eines niedergelassenen Arztes oder der nachgeordnete ärztliche Dienst in einem Krankenhaus.179 2. Vertrauensgrundsatz a) Grundlagen Eng verwoben mit der Frage, ob ein Arzt für das Fehlverhalten eines Kollegen haftungsrechtlich einzustehen hat, ist die Frage, ob der hinzuziehende Arzt nicht aus eigenem Verschulden haftet, weil er ein Fehlverhalten des Kollegen nicht erkannt und in der Folge ungeprüft übernommen hat beziehungsweise weil er ein Fehlverhalten des Kollegen nicht verhindert hat. Derartige Fragen tauchen insbesondere im Rahmen von stationären Behandlungen auf, da die dortige Behandlung eines Patienten heute regel-
176 Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 275; Vieweg in Staudinger, Eckpfeiler des Zivilrechts, S. 428; Grunewald, BR, § 32 Rn. 14. 177 Medicus/Lorenz, SR II, Rn. 1348, 1350; Bei § 831 Abs. 1 BGB handelt es sich um eine Haftung für vermutetes Verschulden. 178 BGHZ, 45, 311, 313; 103, 298, 303; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 129; Eckert, Schuldrecht BT, Rn. 1715; Gursky, SchuldR BT, S. 222. 179 Katzenmeier, Arztrecht, S. 129, Sprau in Palandt, BGB, § 831 BGB Rn. 6 jeweils m.z.N.; siehe hierzu allgemein auch Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 635; Schiemann in Erman, § 831 Rn. 7; Spindler in Bamberger/Roth, § 831 Rn. 17.
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mäßig die Mitwirkung mehrerer Fachleute unterschiedlicher medizinischer Disziplinen erfordert.180 Behandeln Ärzte im Wege der sogenannten horizontalen Arbeitsteilung zusammen, gilt haftungsrechtlich eine Aufteilung nach Verantwortungsbereichen je nach Zuständigkeit der beteiligten medizinischen Fachärzte für den in der jeweiligen Behandlungsphase betroffenen Fachbereich (sogenanntes Haftungssplitting).181 Im allgemeinen darf also auf die fachliche Richtigkeit der zuarbeitenden Kollegen vertraut werden. Dies ergibt sich aus dem sogenannten Vertrauensgrundsatz. Dieser wurde zunächst für das Strafrecht entwickelt182 und gilt heute auch im Privatrecht im Rahmen horizontaler Arbeitsteilungen in der Medizin.183 Unter horizontaler Arbeitsteilung ist die Gesamtbehandlung eines Patienten, die in zeitlichem Zusammenhang durch Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen in Gleichberechtigung und Gleichstufigkeit durchgeführt wird, wie etwa die Zusammenarbeit von Chirurg und Anästhesist, zu verstehen.184 Keine Anwendung findet der Vertrauensgrundsatz hingegen, wenn Ärzte der gleichen Fachrichtung mit- oder nacheinander einen Patienten behandeln, da es in derartigen Konstellationen an dem geforderten Wissensgefälle zwischen den behandelnden Ärzten fehlt.185 In derartigen Fällen kann es daher sein, dass ein Arzt aus eigenem Verschulden haftet, weil er beispielsweise eine diagnostische Fehlinterpretation eines Kollegen nicht erkannt und folglich seiner Behandlung prüfungslos zugrunde legt.186
180
So muss beispielsweise ein Internist zur Abklärung eines Blinddarmdurchbruchs einen Chirurgen heranziehen, vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2004, 1563, 1563 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 381 m.w.N. 181 Hart in FS Laufs, 843, 851; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 765, 767. 182 Vgl. BGH, NJW 1980, 649, 650. 183 BGHZ 140, 309, 313; BGH, NJW 1989, 1536, 1538; VersR 1991, 694, 695; Wilhelm, Arbeitsteilung in der Medizin, S. 91; Mehringer, Anfängeroperation, S. 32; Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 101 Rn. 7; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 73; Nüßgen in RGRK-BGB, Anh. II zu § 823 BGB Rn. 218–220. 184 Wilhelm, Arbeitsteilung in der Medizin, S. 4 f., 92; Lebich, Haftung angestellter Ärzte, S. 121; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 381; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 768, 773; Kammerlohr, Behandlungsfehlerhaftung, S. 38; Stegers in FS ARGE Medizinrecht, 249, 257; Rupprecht, Haftung des niedergelassenen Arztes, S. 67; Mehringer, Anfängeroperation, S. 31 f. 185 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 381; Haager in Staudinger (2009), § 823 I, Rn. I 27. 186 So etwa im Fall des KG, GesR 2004, 136, 137 m.w.N. in dem ein Unfallarzt die fehlerhafte Analyse eines Röntgenbildes durch einen Kollegen seiner Behandlung ohne eigene Überprüfung der Aufnahmen zugrunde legt und daher eine Wirbelsäulenfraktur übersieht. Haftung des Unfallarztes aus § 823 Abs. 1 BGB für eigenes Verschulden.
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Greift der Vertrauensgrundsatz hingegen, weil es sich um einen Fall der horizontalen Arbeitsteilung handelt, dürfen sich gleichzeitig oder nacheinander behandelnde Ärzte im Interesse eines geordneten Ablaufs der Behandlung grundsätzlich auf die fehlerfreie Mitwirkung beziehungsweise die fehlerfreie Vorarbeit des jeweiligen fachfremden Kollegen verlassen, so dass eine Haftung für das Fehlverhalten des jeweils anderen Kollegen über den „Umweg“ der Annahme einer eigenen Pflichtverletzung ausgeschlossen ist.187 So kann einem Chirurgen beispielsweise nicht haftungsbegründend vorwerfen werden, dass er einen Behandlungsfehler durch den bei der Operation anwesenden Anästhesisten nicht erkannt beziehungsweise verhindert hat.188 Gleiches gilt für einen Radiologen, der einen Behandlungsfehler des behandelnden Internisten nicht erkennt und daher keine eigenen therapeutischen Maßnahmen ergreift.189 Auch der Radiologe, der bei einer an ihn zum Zweck einer Mammographie überwiesenen Patientin mit Verdacht auf Brustkrebs eine Ultraschalluntersuchung oder eine Probeexzision unterlässt, weil er darauf vertraut, dass der eigentlich behandelnde Frauenarzt eine solche weitergehende Untersuchung durchführen werde, wird in diesem Vertrauen geschützt und haftet folglich nicht aus eigenem Verschulden.190 Der Vertrauensgrundsatz gilt jedenfalls nur in Fällen, in denen der Sorgfaltspflichtverstoß ausschließlich einem Pflichten- und Aufgabenbereich zugeordnet werden kann. Für die daher notwendige Beurteilung, in welches Gebiet ein Sorgfaltspflichtverstoß fällt, ist eine genaue Abgrenzung der Arbeits- und Verantwortungsbereiche der an der Heilbehandlung beteiligten Fachdisziplinen notwendig. Hilfreich können in diesem Zusammenhang die medizinischen Kooperationsvereinbarungen191 sein.192 Eine genaue Zuordnung des Sorgfaltspflichtverstoßes in einen Pflichten-
187 BGH, NJW 1980, 649, 650; NJW 1991, 1539, 1539 f.; VersR 1991, 694, 695; NJW 1991, 1539, 1539; OLG Naumburg, VersR 2005, 1401, 1402; OLG Düsseldorf, VersR 1997, 1235, 1236; VersR 1993, 885, 886; VersR 2002, 1151, 1152 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 381; Neuefeind, Arzthaftungsrecht, S. 87 f.; Katzenmeier, MedR 2004, 34, 35; Hart in FS Laufs, 843, 851; Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 75; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 765; Mehringer, Anfängeroperation, S. 32; Nüßgen in RGRK-BGB, Anh. II zu § 823 BGB Rn. 219; Rupprecht, Haftung des niedergelassenen Arztes, S. 172; Jaeger, MedR 2008, 520, 521. 188 Vgl. BGH, VersR 1991, 694; OLG Düsseldorf, VersR 1993, 885; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 1151; OLG Naumburg, VersR 2005, 1401, 1401 ff. 189 Vgl. OLG Köln, Beschl. v. 08.03.2010 – 5 U 116/09. 190 Vgl. OLG Hamm, MedR 2005, 471–473. 191 Vgl. dazu exemplarisch die Kooperationsvereinbarung zwischen Anästhesisten und Chirurgen; abrufbar unter www.bda.de. 192 BGHZ 140, 309, 315; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 766 f.
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beziehungsweise Aufgabenbereich ist beispielsweise nicht möglich, wenn ein bestimmtes diagnostisches Verfahren weder dem Bereich des Primärarztes noch dem des hinzugezogenen fachfremden Arztes eindeutig zugeordnet werden kann.193 Ebenso ist beiden Ärzten eine Berufung auf den Vertrauensgrundsatz verwehrt, wenn sich der Schaden aus einer Kombination von beiderseitigen Pflichtverstößen ergibt, da Ärzte zur kollegialen Abstimmung beim Zusammenwirken verpflichtet sind.194 Aus dieser Zusammenwirkungsverpflichtung ergibt sich auch, dass sowohl der primärbehandelnde Arzt als auch der hinzugezogene Kollege offensichtlichen Zweifeln nachgehen müssen und nicht im Vertrauen auf den anderen Arzt die Zweifel auf sich beruhen lassen dürfen.195 Auch wenn offensichtliche Qualifikationsmängel oder Fehlleistungen erkennbar werden, gilt der Vertrauensgrundsatz folglich nicht.196 Kommt der jeweilige Arzt seiner Nachforschungspflicht in diesen Fällen nicht nach, haftet er aus eigenem Verschulden. b) Verdeutlichung an einem Beispielsfall Zur Verdeutlichung des Gesagten mag folgendes Beispiel dienen197: P wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, nachdem er während eines Fußballspiels infolge eines Fouls stürzte, einige Minuten bewusstlos war und da-
193 Vgl. dazu OLG Köln, NJW-RR 2003, 1031, 1031 f., wonach die Abklärung mittels eines CCT (Craniale Computertomographie) weder eindeutig dem Bereich des hinzugezogenen Neurologen noch dem des hinzuziehenden Chirurgen zugeordnet werden kann; vgl. auch OLG Koblenz, MedR 2007, 363, 363 f., wonach die Auswertung eines EKG (Elektrokardiogramm) sowohl durch den Anästhesisten als auch durch den Operateur erfolgen muss. 194 Vgl. BGHZ 140, 309, 315, wo die behandelte Patientin während einer Augenoperation Verbrennungen erlitt, nachdem es durch das Zusammentreffen von dem vom Operateur verwendeten Thermokauter (einem glühend heißen Instrument zur Blutstillung) mit dem vom Anästhesisten zur Narkose verwendeten kochkonzentrierten Sauerstoff zu einer Flammenentwicklung gekommen war; Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 101 Rn. 7; Hart in FS Laufs, 843, 852; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 782. 195 BGH, NJW 1991, 1539, 1539; OLG Naumburg, VersR 1998, 983, 984; OLG Köln, NJW-RR 2003, 1031, 1031 f.; OLG Jena, MedR 2008, 520, 521 f.; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, Rn. 125 f.; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 785; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 381; Wilhelm, Arbeitsteilung in der Medizin, S. 91 f.; Mehringer, Anfängeroperation, S. 32; Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 101 Rn. 9; Neufeind, Arzthaftungsrecht, S. 87; Katzenmeier, MedR 2004, 34, 35. 196 Katzenmeier, MedR 2004, 34, 35; Hart in FS Laufs, 843, 852; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 765, 785. 197 Beispiel nach OLG Köln, NJW-RR 2003, 1031–1032.
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bei unter Krampfanfällen litt. Unter der Arbeitsdiagnose comotio cerebri wurde er stationär in die Chirurgische Abteilung, deren Chefarzt der C ist, aufgenommen. Dieser veranlasst am Folgetag die konsiliarische Hinzuziehung des N, der niedergelassener Facharzt für Neurologie ist und bei dem P schon zuvor wegen eines depressiven Syndroms in Behandlung war. Das von ihm durchgeführte EEG ergab einen unauffälligen Befund; ein CCT wurde nicht erstellt. Rund 2 Jahre später wurde bei P nach einem vergleichbaren Vorfall ein gutartiger Gehirntumor (WHO Grad 2) diagnostiziert, der operativ entfernt wurde. P wirft C und N vor, dass sie bei der ersten Untersuchung fehlerhaft eine weitere diagnostische Abklärung durch ein CCT unterlassen hätten. C habe sich auch nicht ohne weiteres auf die Befunderhebung durch N verlassen dürfen. Wäre der Tumor damals schon erkannt und behandelt worden, würde er heute nicht unter dauerhaften gesundheitlichen Beschwerden leiden. Er habe Krampfanfälle mit Schwindelgefühlen und Konzentrationsschwäche und sei auf eine lebenslange Medikamenteneinnahme angewiesen. Es sei auch zu befürchten, dass der Tumor sich vergrößere und dann nicht mehr behandelt werden könne. Seinen Beruf als Energieanlagenelektroniker könne er nicht mehr ausüben. Ihm sei ein Verdienstausfall in Höhe von insgesamt 17.000 € entstanden. Das erkennende Gericht gelangte zu dem Ergebnis, dass sowohl C als auch N für die Schäden des P aufkommen müssen. Bei der Frage, ob C hafte, rechnete das Gericht dem C aber nicht das Fehlverhalten des N zu, sondern gelangte zu der Auffassung, dass ihm ein eigener Behandlungsfehler vorzuwerfen sei, weil er es unterlassen habe, bei unklarem Ergebnis der von N tatsächlich durchgeführten diagnostischen Maßnahmen ein CCT entweder selbst durchzuführen oder zu veranlassen.198 Durch die Annahme einer eigenen Pflichtverletzung durch Unterlassen wurde die Prüfung des § 278 BGB überflüssig. Zentrale Frage war vielmehr, ob der Vertrauensgrundsatz schützend eingreift. Hierzu führte das erkennende Gericht aus: „Auch bei Hinzuziehung eines Konsiliararztes bleibt die Verantwortung für den Patienten grundsätzlich beim behandelnden Arzt. Demgemäß wäre es, nachdem der [N] zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen war, Sache des [C] gewesen, entweder nochmals beim [N] nachzufragen und auf eine klare Diagnose zu drängen oder sich an einen anderen Facharzt zu wenden. Er hätte ein weiterführendes diagnostisches Konzept entwickeln müssen. Auch wenn es, wie [C] vorgetragen hat, eine Abrede mit [N] geben sollte, wonach dieser über die Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit eines CCT entscheidet, entlastet ihn das nicht. Abgesehen davon, dass [N] 198
OLG Köln, NJW-RR 2003, 1031, 1031.
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sich insoweit jedenfalls nicht ausdrücklich geäußert hatte, durfte [C] sich nicht alleine auf eine insoweit vereinbarte „Arbeitsteilung“ verlassen. Insoweit könnte der Vertrauensgrundsatz allenfalls dann gelten, wenn es um Gefahren geht, die ausschließlich dem fachlichen Aufgabenbereich eines Arztes zugeordnet sind [...]. Das war hier indes [...] nicht der Fall, da die Abklärung durch CCT sowohl Sache des behandelnden Chirurgen als auch des Neurologen war. Im übrigen kann der Vertrauensgrundsatz jedenfalls dann den behandelnden Arzt nicht entlasten, wenn der hinzugezogene Konsiliararzt keine eindeutige Diagnose treffen kann; die Arbeitsteilung darf [...] nicht dazu führen, dass eine Behandlerseite „blind“ wird und sich keine Gedanken mehr über eine weiterführende Diagnostik macht“.199 Insgesamt macht die Annahme einer eigenen Pflichtverletzung durch Unterlassen und die damit einhergehende Argumentation des erkennenden Gerichtes, die keine Ausnahme darstellt200, deutlich, dass die Einstandspflicht eines Arztes für ein Fehlverhalten des anderen Arztes in der Praxis weniger von den dogmatischen Vorgaben des § 278 BGB als von der Frage abhängt, ob der eine Arzt auf die fehlerfreie Mitwirkung des jeweils anderen Arztes vertrauen durfte. Die dabei gefundenen Ergebnisse ähneln freilich denjenigen, die man finden würde, wenn man § 278 BGB anwenden würde. Dies ist Folge der Tatsache, dass sowohl im Rahmen des § 278 BGB als auch im Rahmen des Vertrauensgrundsatzes eine Festlegung der Pflichtenkreise der beteiligten Ärzte zu erfolgen hat: Im Rahmen des § 278 BGB ist zu prüfen, ob ein mitbehandelnder oder hinzugezogener Arzt eine eigene Verbindlichkeit des mitbehandelnden oder hinzuziehenden Arztes erfüllt. Im Rahmen des Vertrauensgrundsatzes ist zu prüfen, ob der Sorgfaltspflichtverstoß ausschließlich einem Pflichten- und Aufgabenbereich zugeordnet werden kann. In beiden Bereichen wird zur Festlegung der Pflichtenkreise auf eine interessengerechte Auslegung des ArztPatienten-Verhältnisses unter Berücksichtigung der medizinischen Kooperationsvereinbarungen zurückgegriffen. Folge ist, dass dem Arzt, der sich auf den Vertrauensgrundsatz berufen kann, weil der Pflichtverstoß ausschließlich dem fremden Pflichten- und Aufgabenbereich zugeordnet werden kann, das fremde Fehlverhalten des anderen Arztes nicht über § 278 BGB zugerechnet werden kann, da der fremde Arzt nicht in Erfüllung einer Verbindlichkeit des ersten Arztes tätig wird. Greift der Vertrauensgrundsatz hingegen nicht, weil der „fremde“ Pflichtverstoß nicht eindeutig einem Pflichten- und Aufgabenbereich zugeordnet werden kann, so
199
OLG Köln, NJW-RR 2003, 1031, 1031. Vgl. etwa BGHZ 140, 309–319; OLG Jena, MedR 2008, 520–525; OLG Köln, VersR 2011, 81–83; dasselb., Urt. v. 31.01.2005 – 5 U 130/01; OLGR Düsseldorf 2004, 338–340; OLG Sachsen-Anhalt, VersR 1998, 938–984. 200
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wird der fremde Arzt in Erfüllung einer Verbindlichkeit des ersten Arztes tätig, sodass eine Zurechnung über § 278 BGB möglich ist. Natürlich bedarf es einer solchen Zurechnung nicht, da den hinzuziehenden Arzt auch eine „eigene“ Pflichtverletzung durch unterlassen treffen kann, wie obiges Beispiel gezeigt hat. B. Probleme bei der Haftungsverteilung im Rahmen der Telemedizin I. Haftung des Primärbehandlers und des Telemediziners für eigenes Verschulden Überträgt man die soeben dargestellten Grundzüge des deutschen Arzthaftungsrechts auf die Telemedizin, gelangt man zunächst zu der Erkenntnis, dass der Primärarzt und Telemediziner sowohl aus Vertrag als auch aus Delikt für eigene Aufklärungs- oder Behandlungsfehler einzustehen haben. Eine haftungsrechtliche Einstandspflicht dieser Personen für fremdes Fehlverhalten kann sich über den „Umweg“ der Annahme eigener Pflichtverletzungen durch Unterlassen ergeben, sofern nicht der sogenannte Vertrauensgrundsatz schützend eingreift. Gerade die Beantwortung der Frage, wann der Vertrauensgrundsatz im Rahmen (tele-)medizinischer Kooperationsformen eingreift, wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert.201 Aufgrund der nur untergeordneten Relevanz diese Frage für die hier untersuchungsgegenständlichen, kollisionsrechtlichen Problemstellungen, wird hierauf jedoch nicht weiter eingegangen. II. Haftung des Primärbehandlers und des Telemediziners für fremdes Verschulden Überaus komplex gestaltet sich ferner die Beantwortung der Frage, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen der Primärbehandler beziehungsweise der Telemediziner für ein haftungsbegründendes Fehlverhalten des jeweils anderen einzustehen hat, wenn sie einen Patienten gemeinsam behandeln. Sofern ein Vertrag oder mit der Geschäftsführung ohne Auftrag ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Primärarzt und Patient besteht,
201 Vgl. Wilhelm, Arbeitsteilung in der Medizin, passim; Rupprecht, Haftung des niedergelassenen Arztes, passim, der den Anwendungsbereich des Vertrauensgrundsatzes auch für Fälle eröffnen möchte, in denen der konsiliarisch hinzugezogene (Tele-) Arzt, mit gleicher Fachrichtung wie der hinzuziehende Arzt, „infolge der erworbenen speziellen Kenntnisse und Erfahrungen eine zweifelsfreie Vertrauensstellung in dem zu beurteilenden Fachgebiet, die mit guten Gründen auch von anderen Kollegen anerkannt ist“ besitzt (S. 172).
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kommt eine Zurechnung über § 278 BGB in Betracht. Besteht eine solche Sonderverbindung hingegen nicht, könnte eine Zurechnung nur über § 831 BGB erfolgen. Eine Zurechnung über § 831 BGB scheidet jedoch grundsätzlich aus, weil der Telemediziner beziehungsweise der Primärarzt nicht weisungsgebunden handelt, so dass eine Qualifikation des Telemediziners beziehungsweise des Primärarztes als Verrichtungsgehilfe des jeweils anderen nicht möglich ist.202 Für eine Zurechnung über § 278 BGB ist erforderlich, dass der Primärbehandler oder der Telemediziner sich des jeweils anderen zur Erfüllung einer ihm obliegenden eigenen Verbindlichkeit bedient. Der Umfang der geschuldeten Verbindlichkeit wird dabei durch den jeweiligen Vertrag mit dem Patienten festgelegt. Daraus ergibt sich, dass der Telemediziner nur dann als Erfüllungsgehilfe des Primärarztes qualifiziert werden kann, wenn er eine durch den Primärbehandler geschuldete Verbindlichkeit übernimmt. Gleiches gilt hinsichtlich der Qualifikation des Primärarztes als Erfüllungsgehilfe des Telemediziners. Auch diese erfordert, dass der Primärarzt eine vom Telemediziner geschuldete Verbindlichkeit übernimmt. Wann vor diesem Hintergrund von einer Erfüllungsgehilfeneigenschaft des Telemediziners beziehungsweise des Primärarztes auszugehen ist, ist nicht abschließend geklärt. Auch auf diese Fragen kann im Rahmen dieser Arbeit aufgrund ihrer untergeordneten Relevanz für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit jedoch nicht weiter eingegangen werden.203 202
Siehe zum Erfordernis der Weisungsgebundenheit nur BGHZ, 45, 311, 313; 103, 298, 303; Schraub in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 831 BGB Rn. 9. 203 Es sei an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen, dass es für die Qualifikation des Telemediziners oder des Primärarztes als Erfüllungsgehilfe des jeweils anderen unerheblich ist, ob zwischen Telemediziner und Patient bzw. zwischen Primärarzt und Patient ein eigenes Vertragsverhältnis besteht oder nicht (vgl. BGHZ 161, 255, 259; OLG Hamm, VersR 2006, 512, 513). Zwar findet sich insbesondere in der arzthaftungsrechtlichen Literatur die Auffassung, dass Erfüllungsgehilfe nicht derjenige sein könne, wer ausschließlich eine eigene Verpflichtung gegenüber dem Schuldner erbringt (vgl. Alpmann in JurisPK-BGB, § 278 Rn. 18; Jorzig in FS ARGE Medizinrecht, 191, 192; Ulsenheimer/Heinemann, MedR 1999, 197, 199; Steffen in FS Stoll, 71, 81; Schinnenburg, MedR 2000, 311, 315; Griebau in Ratzel/Luxenburger, Medizinrecht, § 9 Rn. 24; Schmid, Arzthaftpflichtprozess, S. 141; Kammerlohr, Behandlungsfehlerhaftung, S. 168 f.; Mehringer, Anfängeroperation, S. 126; wohl auch Bühler, MedR 2000, 323, 323; Hoppe, MedR 1998, 462, 462 f.) Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen. Vielmehr ist Erfüllungsgehilfe, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (BGHZ 13, 111, 113; 50, 35; 62; 119; 124; 98, 334; Heinrichs in Palandt, BGB, § 278 Rn. 7; Alpmann in JurisPK-BGB, § 278 Rn. 12; Westermann in Erman, § 278 Rn. 14 ff.; Schmidt-Kessel in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 278 Rn. 12). Aus welchem Grund sich die Hilfsperson dazu veranlasst sieht ist unerheblich (BGHZ 13, 111, 113 f.). Es kommt nicht einmal darauf an, ob die Hilfsperson weiß, dass sie eine
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fremde Verbindlichkeit erfüllt (BGHZ 13, 111, 113 f.; Löwisch/Caspers in Staudinger (2009), § 278 Rn. 14). Folglich ist es irrelevant, wenn die Hilfsperson ihre Tätigkeit entfaltet, um eine eigene Verbindlichkeit zu erfüllen (BGHZ 13, 111, 114; 62, 119, 124; 89, 263, 272 ff.; BGH, Urt. v. 22.10.1957 – VI ZR 231/56; NJW 1952, 217, 218; MedR 2005, 412, 413; OLG Hamm, VersR 2006, 512, 513; Heinrichs in Palandt, BGB, § 278 Rn. 7; Kupisch, JuS 1983, 817, 821; Nebendahl in FS ARGE Medizinrecht, 237, 242). Aufgrund dieser Überlegungen ist es nur wenig überraschend, dass der VI. Zivilsenat des BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 (BGHZ 161, 255, 259) explizit zum Ausdruck bringt, dass es auch im Bereich des Arzthaftungsrechts in Gestalt der Haftung des Krankenhausträgers für die Qualifikation einer Person als Erfüllungsgehilfe unerheblich ist, ob diese aufgrund einer eigenen Verpflichtung gegenüber dem Leistungsempfänger tätig wird. Für die Qualifikation des Telemediziners bzw. des Primärarztes als Erfüllungsgehilfe des jeweils anderen ist deshalb nach richtigem Verständnis zum einen entscheidend, zu welcher Leistung sich der Geschäftsherr vertraglich verpflichtet hatte, und zum anderen, ob diese Verpflichtung im Zeitpunkt des Behandlungsbeitrages des Erfüllungsgehilfen noch fortbestand. Die zweite Voraussetzung ist erfüllt, solange sich der Primärbehandler oder der Telemediziner nicht durch Totalüberweisung des Patienten an den jeweils anderen seiner Verpflichtung durch Beendigung des Arztvertrages vollständig entledigt hat (vgl. dazu Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 98 Rn. 15; Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 46 Rn. 14; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 103; Jaeger, MedR 2008, 520, 524; Steffen, MedR 2006, 75, 76; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Kapitel IV Rn. 4) Von einer solchen Totalüberweisung ist auszugehen, wenn die Überweisung nicht lediglich die Erbringung von Teilleistungen wie z.B. Laboruntersuchungen oder Gewebeuntersuchungen durch einen Pathologen zum Gegenstand hat (Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 46 Rn. 14; vgl. auch OLG Jena, MedR 2008, 520, 522). Nach der ersten Voraussetzung ist es notwendig, dass die Vertragspflichten des Primärarztes bzw. des Telemediziners durch eine nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung des jeweils zugrundeliegenden Vertrages nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln und genau festzustellen, da nur so untersucht werden kann, ob sich der Primärarzt bzw. der Telemediziner des jeweils anderen zur Erfüllung einer ihm ggü. dem Patienten obliegenden Pflicht bedient hat (vgl. BGHZ 109, 19, 22; 131, 136, 138; 152, 153, 156; 161, 255, 260; OLG Hamm, VersR 2006, 512, 512 f.; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 54). Da sowohl der Primärarzt als auch der Telemediziner gemäß § 613 BGB die Erbringung der geschuldeten Leistung in persona schulden, wird eine Auslegung des Vertrages regelmäßig ergeben, dass sie sich nur zu derjenigen Leistung verpflichtet haben, für die sie zugelassen sind und für die sie die nötige Fachkenntnis besitzen (vgl. BGHZ 142, 126, 131; BSGE 62, 224, 226 ff.; 78, 291, 291; BSG, MedR 1997, 132, 133). Regelmäßig werden den Primärarzt und den Telemediziner bereits aus diesem Grund nur Verpflichtungen aus ihrem Fachbereich treffen. Bestärkt wird dieses Ergebnis dadurch, dass sowohl der Primärarzt als auch der Telemediziner auch aufgrund der Heilberufs- und Kammergesetzen der zuständigen Bundesländer keine außerhalb seines Fachbereichs liegenden Verpflichtungen übernehmen darf (vgl. BGHZ 142, 126, 131; Neuefeind, Arzthaftungsrecht, S. 39). Dies ist jedoch keinesfalls zwingend. Vielmehr ist es durchaus denkbar, dass der Primärarzt bzw. der Telemediziner vertraglich eine Verpflichtung eingehen, die sie beispielsweise aufgrund fehlender Fachkenntnis oder fehlender technischer Einrichtungen in persona nicht erfüllen können. Die Annahme einer solchen Verpflichtung kann sich auch
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III. Haftungsverteilung bei Einschaltung eines Telemediziners im Rahmen stationärer Behandlungen Auch im Rahmen stationärer Behandlungen scheidet eine Zurechnung des Fehlverhaltens des Telemediziners an den Krankenhausträger oder den jeweils behandelnden Arzt über § 831 BGB bereits deshalb aus, weil der Telemediziner nicht weisungsgebunden für den Krankenhausträger beziehungsweise den behandelnden Arzt tätig wird.204 Weitaus komplexer gestaltet sich wiederum die Beantwortung der Frage, wann ein Krankenhausträger oder der jeweils behandelnde Krankenhausarzt für ein Fehlverhalten eines Telemediziners nach Maßgabe des § 278 BGB einzustehen hat. Neben den schon erörterten Unsicherheiten im Rahmen der Zurechnung über § 278 BGB gestaltet sich im Rahmen stationärer Behandlungen die Bestimmung des jeweiligen Vertragsschuldners und die jeweils geschuldeten Verbindlichkeiten aufgrund der unterschiedlichen Vertragstypen (totaler Krankenhausaufnahmevertrag, gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag, Krankenhausaufnahmevertrag mit Wahlleistungsabrede/Arztzusatzvertrag) schwierig. Auch auf diese Probleme wird aufgrund der nur untergeordneten Relevanz dieser Fragestellung für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit jedoch nicht näher eingegangen. C. Keine eigenständige Bedeutung der vertraglichen Haftung des Arztes im Vergleich zu dessen deliktischer Einstandspflicht Bislang wurde aufgezeigt, dass ein (Tele-)Arzt oder ein Krankenhausträger dem Patienten für Körper- oder Gesundheitsschäden, die aus einer nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgten Behandlung resultieren, sowohl aus Vertrag (§ 280 Abs. 1 BGB) als auch aus unerlaubter Handlung (insbesondere § 832 Abs. 1 BGB) haftet. Unterschiede der beiden Anspruchsgrundlagen ergeben sich theoretisch hinsichtlich beweisrechtlicher Fragen, der Haftungsvoraussetzungen für reine Vermögensschäden und entfallenen Unterhaltsansprüchen, der Privilegierung von Amtsärzten sowie der Haftungsvoraussetzungen für das Fehlverhalten Dritter. In der Rechtspraxis ist die Zweigleisigkeit der (Tele-)Arzthaftung jedoch von weitaus geringerem Gewicht als es auf den ersten Blick den Anschein hat, da die Rechtsprechung die Haftungssituation auf beiden Gebieten grund-
aus der Auslegung des Vertrages – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der zum Vertragsschluss führenden Umständen z.B. Werbung mit gewissen Leistungen) – ergeben (so explizit geschehen in BGHZ 161, 255, 260; OLG Hamm, VersR 2006, 512, 513; zu Unrecht kritisch Nebendahl in FS ARGE Medizinrecht, 237, 242.). 204 Vgl. OLG Stuttgart, MedR 1991, 143, 148; vgl. grundsätzlich hierzu auch die in Kapitel 3 Fn. 202 Genannten.
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sätzlich identisch gestaltet. Insbesondere ist der § 278 BGB aufgrund der Annahme eigner Pflichtverletzungen durch Unterlassen in Verbindung mit dem skizzierten Vertrauensgrundsatz und der Annahme eines Organisationsverschuldens im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB praktisch nicht von großer Bedeutung.205 „Nach § 276 BGB schuldet der Arzt dem Patienten vertraglich wie deliktisch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Diese bestimmt sich nach dem medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets. Der Arzt muß diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden“.206 Dies ist das Resultat der Annahme, dass der Arzt bereits allein aufgrund der faktischen Übernahme der Behandlung eine Garantenstellung gegenüber dem Patienten besitzt, aus der er zur Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst und zur Aufklärung des Patienten verpflichtet ist.207 „Maßgebend für die Begründung
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Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, A, II, 2. BGH, NJW 1999, 1778, 1778; vgl. auch BGH, NJW 1995, 776, 776; BGH, NJW 1987, 686, 686 ff.; BGHZ 95, 63, 75; BGH, NJW 1985, 2749, 2750; 1989, 767, 768; 1990, 2929, 2930; 1991, 2960, 2060 f.; 2005, 1718, 1718; Besonders deutlich OLG Karlsruhe, NJW-RR 2006, 458, 458 mit Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH (Beschl. v. 09.05.2006 – VI ZR 236/05): „Es ist allgemein anerkannt, dass die vertragliche Haftung des Arztes für Behandlungsfehler an die Verletzung von Verhaltenspflichten anknüpft, die in gleicher Weise und mit demselben Inhalt auf den Schutz der Gesundheit des Patienten bezogen sind wie die Pflichten, deren Verletzung zur deliktischen Arzthaftung führt, so dass die vertraglichen und deliktischen Verhaltenspflichten völlig übereinstimmen [...]. Die den Beklagten aus dem Behandlungsvertrag treffenden Sorgfaltsanforderungen und die ihm aufgrund seiner Garantenstellung für die übernommene Behandlungsaufgabe deliktisch obliegenden Sorgfaltspflichten waren somit identisch [...]. Der Beklagte schuldete dem Kläger vertraglich wie deliktisch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, die sich nach dem medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets bestimmt [...]. Mit der Verneinung der Verletzung deliktischer Behandlungspflichten steht zugleich fest, dass der Beklagte auch die ihm vertraglich obliegende Behandlungsaufgabe nicht verletzt hat, weil er den von ihm einzuhaltenden medizinischen Standard beachtet hat.“; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 74; vgl. auch Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 59; Hager in Staudinger (2009), § 823 I Rn. I 6.; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 82; Riegger, Historische Entwicklung der Arzthaftung, S. 20; Spickhoff in Soergel, BGB, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 56; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IV Rn. 6. 207 Grundlegend BGHSt 7, 211, 214; BGH, NJW 1979, 1248, 1249: „Eine Garantenstellung des Beklagten, die ihm eine besondere Obhutspflicht und Fürsorgepflicht für die Gesundheit des Ehemanns der Klägerin auferlegte, folgt im Streitfall schon daraus, daß er seine Behandlung tatsächlich übernommen hatte. Mit der Fallübernahme erweckt der Arzt bei dem Patienten in der Regel das Vertrauen, dieser werde ihm unter Einsatz seiner ärztlichen Kenntnisse und Fähigkeiten beistehen, ihn weiter behandeln und notfalls weitere Hilfsmaßnahmen, zu denen er selbst nicht in der Lage ist, in die Wege leiten, etwa die Überweisung an einen Facharzt oder in ein Krankenhaus [...]. Der Kranke verläßt sich 206
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
einer Garantenstellung ist allein die tatsächliche Übernahme des Pflichtenkreises, nicht (auch) das Bestehen einer entsprechenden vertraglichen Verpflichtung“.208 Deshalb hat der zur Versorgung eines Neugeborenen her-
auf diese Obhut und wird nicht mehr versuchen, anderweitig Hilfe zu erlangen. Die schuldhafte Verletzung dieser Garantenpflicht, die eine Körperverletzung oder den Tod des Patienten verursacht, führt zu einer Haftung des Arztes nach § 823 Abs 1 BGB für den daraus entstandenen Schaden.“; BGH, NJW 1980, 1905, 1908: „Der Arzt, der seinem Patienten zur Operation rät und ihn im Verlauf eines solchen Gespräches über Art und Umfang sowie mögliche Risiken dieser Operation aufklärt, übernimmt damit [...] einen Teil der ärztlichen Behandlung dieses Patienten. Das begründet – wie auch sonst die Übernahme einer ärztlichen Behandlung – seine Garantenstellung gegenüber dem sich ihm anvertrauenden Patienten; von ihm hat er nun unter Einsatz seines Wissens und seiner Fähigkeiten im Rahmen der ärztlichen Behandlung Gesundheitsgefahren abzuwenden“; BGH, NJW 1985, 2749, 2750: „Mit der Übernahme der ärztlichen Beratung und Betreuung der Klägerin [...] hat die Beklagte der Klägerin gegenüber eine Garantenstellung übernommen, insoweit auch deren körperliche Integrität und Befindlichkeit zu schützen. Deshalb hat sie [...] der Klägerin grundsätzlich nach §§ 823 Abs. 1, 847 BGB Ersatz des dieser entstanden immateriellen Schadens zu leisten“; BGH, NJW 1989, 767, 768: „Die ihn aus dem Behandlungsvertrag treffenden Sorgfaltsanforderungen und die ihm aufgrund seiner Garantenstellung für die übernommene Behandlungsaufgabe deliktisch obliegenden Sorgfaltspflichten waren insoweit identisch“; BGH, NJW 2005, 1718, 1718: „Die Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung ist in gleicher Weise Nebenpflicht des Behandlungsvertrags wie Ausfluß der Garantenstellung des Arztes“; BGH, MedR 2008, 289, 291: „Der Arzt, der seinem Patienten zur Operation rät und ihn über Art und Umfang sowie mögliche Risiken dieser Operation aufklärt, begründet dadurch eine Garantenstellung gegenüber dem sich ihm anvertrauenden Patienten [...]. Durch die Übernahme der ärztlichen Aufklärung vor der Operation ist er dafür verantwortlich, dass die Einwilligung des Patienten in die Operation wirksam ist.“; OLG Koblenz, VersR 2010, 480, 480: „Der Beklagte [...] kann lediglich deliktisch verantwortlich gemacht werden. Eine entsprechende Verantwortlichkeit erschließt sich ohne weiteres im Hinblick auf den Eingriff vom 15. Januar 2002; denn er war der operierende Arzt. Sie ist aber auch in Bezug auf die davor und danach liegenden Zeitabschnitte gegeben, weil er der Direktor der orthopädischen Abteilung war, in der der Kläger betreut wurde. Daraus erwuchs eine Garantenstellung, die ihn verpflichtete, persönlich oder durch Mitarbeiter eine adäquate medizinische Versorgung des Klägers zu gewährleisten“; OLG Frankfurt, MedR 2009, 532, 534: „Die Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung ist in gleicher Weise Nebenpflicht des Behandlungsvertrags wie Ausfluss der Garantenstellung des Arztes“; OLG München, Urt. v. 25.09.2008 – 1 U 3198/07 juris Rn. 25: „Die Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung ist in gleicher Weise Nebenpflicht des Behandlungsvertrages wie Ausfluss der Garantenstellung des Arztes“; vgl. auch LG Potsdam, Urt. v. 25.08.2008 – 96/07 juris Rn. 31= ZMGR 2009. 257–259; Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 53, 65, 70. 208 BGHSt 47, 224, 229; vgl. auch Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 34; Geilen in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 426; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IV Rn. 4; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Kapitel XI Rn. 17; ders., Arzthaftung, S. 80 f.; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 13; 53; Freund in MüKo, StGB, § 13 StGB Rn. 161; Weigend in LK-StGB, § 13 StGB
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beigerufene Facharzt für Pädiatrie, der zum Dienst eingeteilt ist und diesen angetreten hat, auch ohne vertragliche Verbindung zu Mutter und/oder Kind209 eine Garantenstellung gegenüber dem Neugeborenen aufgrund der weisungsgemäß übernommenen Behandlungsaufgabe „spätestens ab seinem Erscheinen im Kreißsaal“.210 Die Garantenstellung endet, wenn die Behandlung abgeschlossen ist oder wenn ein anderer Arzt die weitere Behandlung übernommen hat.211 Die Annahme einer solchen, unabhängig von einem Vertrag bestehenden Garantenpflicht des Arztes gegenüber seinem Patienten erscheint aufgrund mehrerer Überlegungen sach- und interessengerecht: Zunächst ist festzustellen, dass der Arzt bei dem Patienten durch die faktische Übernahme der Behandlung ein Vertrauen erweckt und sich daher widersprüchlich verhalten würde, wenn er entgegen des in ihn gesetzten Vertrauens den Patienten nicht nach dem ärztlichen Standard behandeln beziehungsweise aufklären würde.212 Ferner hat der Arzt aufgrund der faktischen Behandlungsübernahme die „Kontrollherrschaft“213 über die Behandlung beziehungsweise die körperliche und gesundheitliche Integrität seines Patienten. Er kann aufgrund seiner Nähebeziehung zum Patienten und der daraus resultierenden faktischen Zugriffsmöglichkeit auf dessen Rechtsgüter Körper, Gesundheit und Leben einwirken; er besteht also die geforderte „besondere“ Beziehung zu der drohenden Schädigung von Körper und Ge-
Rn. 34, 36; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 407; Stree/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, § 13 StGB Rn. 28 jeweils m.w.N. 209 In dem Fall hatte die Mutter, wie es in Deutschland der Regelfall ist, einen totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit dem Krankenhausträger geschlossen, so dass zwischen ihr und dem konkret behandelnden Arzt keine vertragliche Beziehung bestand. Vgl. dazu bereits oben Kapitel 1:§ 1B.II.1. 210 BGH, NJW 2000, 2741, 2742. Der Entscheidung lag folgender Fall zugrunde: Die Klägerin ist seit ihrer Geburt zerebral mehrfach behindert. Mit dem Vorwurf, Geburtshilfe und anschließende pädiatrische Versorgung seien fehlerhaft erfolgt, hat sie den Klinikträger und die an ihrer Geburt beteiligten Ärzte als Gesamtschuldner auf Schmerzensgeld und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz ihres materiellen Schadens in Anspruch genommen. Der Beklagte zu 5 war als Facharzt für Pädiatrie anwesend. Er ist jedoch nach der Geburt der Klägerin nicht zu ihrer Versorgung tätig geworden. 211 BGHSt 21, 50, 53 f.; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IV Rn. 4; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 416. 212 Vgl. BGH, NJW 1979, 1248, 1249; Tag, Körperverletzungstatbestand, S. 407 f.; Freund in MüKo, StGB, § 13 StGB Rn. 161; Weigend in LK-StGB, § 13 StGB Rn. 34 jeweils m.w.N.; vgl. auch Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, Rn. 1248, die den Grund für das Bestehen von deliktischen Pflichten zur korrekten Ausübung des Berufs darin sehen, dass der Empfänger auf die korrekte Ausübung vertraut. 213 Vgl. zu diesem Kriterium und dessen dogmatischer Begründung auf der Ebene des Strafrechts insbesondere Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 19–21.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
sundheit des Patienten.214 Trotz dieser gesteigerten Zugriffsmöglichkeit wird der Patient keine besonderen Schutzvorkehrungen gegen seinen Arzt treffen oder anderweitig Hilfe suchen, weil er diesem in besonderem Maß vertraut.215 Derjenige Arzt, der seine fachgerechte Hilfe zusagt und damit typischerweise das Vertrauen des Patienten und eventuell auch anderer hilfsbereiter Dritter in die Einhaltung der Zusage geweckt hat, hat in besonderer Weise dafür einzustehen, dass die versprochene Hilfe auch lege artis erbracht wird. Dass diese Zusage nicht mit dem Vertrag gleichgesetzt werden darf, sondern aus der faktischen Übernahme der Behandlung durch den Arzt resultiert, zeigt nachfolgende Überlegung: Leitet man eine Garantenstellung des Arztes aus der „Kontrollherrschaft“ des Arztes über den Grund des tatbestandlichen Erfolgs und aus dem daraus resultierende Vertrauendürfen des Patienten auf eine Behandlung beziehungsweise Aufklärung nach den Regeln der ärztlichen Kunst ab, kann es nur darauf ankommen dass der Arzt durch sein Handeln zurechenbar den Anschein erweckt hat, dass er sich um das Ausbleiben der Gefahren für den Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst kümmern werde.216 Ob es zu einem (zivilrechtlich wirksamen) Vertrag zwischen Patient und Arzt kam oder nicht, ist hingegen unerheblich; er kann nichtig, gekündigt oder anfechtbar sein.217 Selbst wenn ein Vertrag zwischen Täter und Opfer besteht, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass der Täter auch eine Garantenstellung bezüglich des Opfers inne hat.218 Offensichtlich ist es also nicht die privatrechtliche Verpflichtung, welche die Garantenstellung begründet. Die damit verbundene Ablösung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient von der vertraglichen Beziehung219, ist aufgrund praktischer Erwägungen und dem Prinzip der Fairness220 notwendig und sinnvoll: In der Rechtsrealität gibt es zahlreiche Konstellationen, in denen zwischen Arzt und Patient überhaupt keine vertraglichen Beziehungen bestehen. Neben den Fällen, in denen der Patient etwa aufgrund seines Alters, aufgrund von Bewusstlosigkeit oder geistiger Verwirrung keine Verträge schließen kann, ist insbesondere an Konstellationen sogenannter totaler
214
Vgl. dazu Weigend in LK-StGB, § 13 StGB Rn. 23. BGH, NJW 1979, 1248, 1249. 216 Weigend in LK-StGB, § 13 StGB Rn. 34. 217 Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 13; Freund in MüKo, StGB, § 13 StGB Rn. 161; Stree/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, § 13 StGB Rn. 28 m.w.N. 218 Vgl. etwa das von Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 13, 53 m.w.N. gemachte Beispiel, dass der Vertragspartner, der einen Dienst vertraglich versprochen hat, seinen Dienst erst gar nicht antritt und daher keine Garantenstellung gegenüber dem Opfer inne hat. 219 Vgl. dazu Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 4. 220 Vgl. dazu Weigend in LK-StGB, § 13 StGB Rn. 23. 215
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Krankenhausaufnahmeverträge zu denken, die den Regelfall der stationären Behandlung darstellen. Im Rahmen dieses Krankenhausvertragstypus besteht keine vertragliche Verbindung zwischen dem Patienten und dem behandelnden Arzt.221 Hierdurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Organisation der ärztlichen Hilfe gerade in Krankenhäusern nicht (unbedingt) personengebunden ist. Im Fall totaler Krankenhausaufnahmeverträge scheidet eine vertragliche Haftung des behandelnden Artes daher bereits in Ermangelung eines Vertrags aus. Dennoch erscheint es sach- und interessengerecht dem Patienten den selben medizinischen Behandlungsund Aufklärungsstandard zu gewähren, der ihm zustünde, wenn er mit dem behandelnden Arzt einen Vertrag geschlossen hätte.222 Andernfalls würden erhebliche und nicht zu rechtfertigende Haftungslücken bestehen. Diese würden in Anbetracht der betroffenen hohen Rechtsgüter Leib, Leben und Gesundheit umso schwerer wiegen. Gewichtiger erscheint jedoch eine andere Überlegung: Auch auf der Ebene des Strafrechts ist der Arzt aufgrund seiner Garantenstellung gegenüber dem Patienten verpflichtet, alles, nach Lage des Falles Sachgemäße und Erforderliche zu tun, um eine drohende Gefahr vom Kranken abzuwenden.223 Die daraus resultierenden Pflichten des Arztes strahlen über § 823 Abs. 2 BGB in das privatrechtliche Haftungsrecht ein. Es wäre daher widersprüchlich und im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung wenig sinnvoll im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB eine, unabhängig von einem Vertrag bestehende, Garantenpflicht des Arztes gegenüber dem Patienten mit den daraus resultierenden Behandlungs- und Aufklärungspflichten zu verneinen, obwohl sie über § 823 Abs. 2 BGB de facto doch bestünde. Entweder besteht nach der Sachrechtsordnung eine Garantenstellung mit den daraus resultierenden Pflichten oder nicht. Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Arzt, der eine Behandlung faktisch übernommen hat, dem Patienten den gleichen medizinischen Standard zu gewähren hat wie der Arzt, der mit dem Patienten einen Vertrag geschlossen hat. Da die vertraglichen und deliktischen Pflichten des Arztes gegenüber dem Patienten grundsätzlich identisch sind, kommt der vertraglichen Haftung des Arztes keine eigenständige Bedeutung gegen-
221
Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 1, B, II. Vgl. Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, S. 432, 435. 223 Vgl. dazu BGH, JR 1979, 429, 429; LG Potsdam, 2009, 257, 259; OLG Köln, Beschl. v. 21.07.1995 – Ss 328/95–100 juris Rn. 9; Stree/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, § 13 StGB Rn. 28a; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 34a; Geilen in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 426; Schmidt in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 14 Rn. 17; Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 70; Weigend in LK-StGB, § 13 StGB Rn. 36. 222
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über dessen deliktischer Einstandspflicht zu. Vielmehr erscheint die Vertragshaftung grundsätzlich als leerer Annex zur Deliktshaftung.224 D. Arzthaftung als ius cogens Im Grundsatz können der Patient und der Primärarzt beziehungsweise der Telemediziner den Inhalt ihres Vertrages frei gestalten. So können sie insbesondere die vertraglichen Hauptpflichten definieren. Fraglich ist hingegen, ob sie auch über die Haftung des Arztes frei disponieren, sie beschränken oder gar ausschließen können. § 309 Nr. 7a BGB regelt, dass im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen, unwirksam ist. Aufgrund dieser Regelung ist es weder dem Primärarzt noch dem Telemediziner möglich, sich durch Regelungen in AGB teilweise oder vollständig von ihrer Haftung freizuzeichnen. Da diese Regelung jedoch nur für AGB gilt, stellt sich sogleich die Frage, ob es dem Arzt und dem Patienten durch vertragliche Individualvereinbarung möglich ist, die Haftung des Arztes zu modifizieren oder gar auszuschließen. Sicher ist, dass es dem Arzt aufgrund der Regelung des § 276 Abs. 3 BGB nicht möglich ist, die Haftung auf irgendeine Form des Vorsatzes zu beschränken. Aber auch die Haftungsbeschränkung für fahrlässiges oder grobfahrlässiges Fehlverhalten ist regelmäßig aufgrund der §§ 138, 242 BGB ausgeschlossen. Zwar gehen die Rechtsprechung und Teile der Literatur von der Grundannahme aus, dass vertragliche Individualvereinbarungen sowohl die vertragliche als auch die deliktische Haftung des Arztes modifizieren oder ausschließen können225, allerdings sind aufgrund der Hilfsbedürftigkeit des kranken Patienten und der Eigenart des zwischen Patient und Arzt bestehenden Verhältnisses strikte Anforderungen an Inhalt und Form solcher Vertragsvereinbarungen zu stellen, so dass
224
Köhler in Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 281; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 83 f. 225 Vgl. dazu BGHZ 9, 295, 301, 306; vgl. auch OLG Stuttgart, NJW 1979, 2355, 2356; OLG Saarbrücken, NJW 1999, 871, 772; Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 97 Rn. 16; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 132; Deutsch, NJW 1983, 1351, 1353.
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jedenfalls die Annahme eines konkludenten Haftungsverzichts ausscheidet.226 Ferner sind Haftungsbeschränkungen ohne tragenden Grund sittenwidrig.227 An einem tragenden Grund fehlt es jedenfalls bei medizinisch indizierten Behandlungen, da solche Haftungsbeschränkungen dem Leitbild des Behandlungsvertrages widersprechen und die Risikoverteilung unzulässigerweise verändern würden.228 Bei medizinisch indizierten Behandlungen würde die Notsituation des Patienten ausgenutzt, so dass sein Plazet auch deswegen regelmäßig als sittenwidrig anzusehen wäre.229 Etwas anderes kann in engen Grenzen ausnahmsweise gelten, wenn die Behandlung nicht medizinisch indiziert ist, sondern beispielsweise nur der kosmetischen Veränderung dient.230 Auch in Fällen, in denen der Patient ausnahmsweise über besondere medizinische Fachkenntnisse verfügt, kann anderes gelten.231 Zusammenfassend ist dem deutschen Arzthaftungsrecht jedenfalls bei medizinisch indizierten Behandlungen grundsätzlich zwingender Charakter beizumessen. Das bedeutet, dass sowohl eine formularmäßige als auch eine individualvertragliche Haftungsbeschränkung grundsätzlich nicht möglich ist. E. Haftung des Primärarztes und des Telemediziners aufgrund eines Verstoßes gegen die Vertraulichkeit von Patientendaten Geht man einmal davon aus, dass auf die Haftung des Primärarztes oder des Telemediziners aufgrund eines Verstoßes gegen die Vertraulichkeit von Patientendaten deutsches Recht zur Anwendung berufen wird232, kommen zahlreiche Anspruchsgrundlagen in Betracht. Diese Anspruchsgrundlagenhäufung ergibt sich aus der dogmatischen Verankerung der Vertraulichkeit von Patientendaten in unterschiedlichen Rechtsbereichen. Sie ist zunächst in der ärztlichen Schweigepflicht verankert.233 Diese ist ihrerseits in dem Behandlungsvertrag, dem ärztlichen Standesrecht und
226
Vgl. OLG Saarbrücken, NJW 1999, 871, 871; Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 97 Rn. 16; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 132. 227 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 126. 228 OLG Stuttgart, NJW 1979, 2355, 2356; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 126. 229 Laufs in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 97 Rn. 16. 230 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 126. 231 OLG Saarbrücken, NJW 1999, 871, 872. 232 Ob und unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, wird noch ausführlich zu untersuchen sein. Vgl. dazu unten Kapitel 4, § 4, B. 233 Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 4, B.
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dem StGB verortet. Ergänzt wird dieser Schutz durch spezielle datenschutzrechtliche Regelungen, insbesondere solche des BDSG.234 Im Folgenden wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen eine oder mehrere dieser Schutzregelungen die Haftung eines der Beteiligten auslöst. I. § 7 BDSG, Art. 23 DSRL § 7 BDSG statuiert in Umsetzung des Art. 23 DSRL eine Schadensersatzpflicht des für den Datenschutz verantwortlichen Primärarztes oder Telemediziners235, wenn dem Patienten durch eine unzulässige oder unrichtige Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung seiner personenbezogenen Daten ein Schaden zugefügt wurde.236 Ein solcher kann beispielsweise im Verlust des Arbeitsplatzes bestehen. Die Rechtswidrigkeit der Maßnahme kann sich dabei nicht nur aus den Vorschriften des BDSG sondern auch aus jeder anderen datenschutzrechtlichen Vorschrift ergeben.237 Danach haftet sowohl der Primärarzt als auch der Telemediziner insbesondere für Schäden, die dem Patienten dadurch entstanden sind, dass unzulässigerweise238 Patientendaten an einen in- oder ausländischen Telemediziner beziehungsweise Primärarzt oder gar an unbeteiligte Dritte übermittelt wurden. Erforderlich ist, dass der Schaden auf die fehlerhafte Datenverarbeitung zurückzuführen ist und dass der rechtswidrige Umgang mit den Daten schuldhaft erfolgte.239 Zweiteres wird, ausweislich des Wortlauts des § 7 S. 2 BDSG, vermutet, so dass es dem jeweiligen Anspruchsgegner des Patienten obliegt, sich bezüglich dieser Tatbestandsvoraussetzung zu exkulpieren. Umstritten ist, ob nach § 7 BDSG auch immaterielle Schäden des Patienten ersatzfähig sind. Der Wortlaut der Vorschrift spricht allgemein und ohne weitere Präzisierung von Schadensersatz; gleiches gilt hinsichtlich des Art. 23 DSRL, dessen Umsetzung § 7 BDSG dient. Aus dem insoweit offenen Wortlaut entnehmen einige Literaturstimmen, dass mangels expliziter Einschränkung auch immaterielle Schäden ersatzpflichtig seien.240
234
Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 4, C. Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, E, I. 236 Gola/Schomerus, BDSG, § 7 BDSG Rn. 12; Simitis in Simitis, BDSG, § 7 BDSG Rn. 31 ff.; Wedde in Roßnagel, Datenschutzrecht, 4.4 Rn. 91. 237 Gola/Schomerus, BDSG, § 7 BDSG Rn. 5. 238 Vgl. zur Frage, wann dies der Fall ist oben Kapitel 2, § 4. 239 Gola/Schomerus, BDSG, § 7 BDSG Rn. 7 f. 240 Kopp, DuD 1993, 11, 14; Ehmann, CR 1999, 751, 752; Lütkemeier, DuD 1995, 597, 600; Dammann/Simitis, EG-Datenschutz RL, Art. 23 Nr. 5; Brühmann/Zerdick, CR 1994, 429, 435; Würmeling, NJW-CoR 1995, 111, 113. 235
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Andere vertreten hingegen die Auffassung, dass weder die DSRL noch das BDSG eine ausdrückliche Regelung für den immateriellen Schadensersatz enthält und ein solcher daher auch nicht von § 7 BDSG umfasst sei.241 Letztere Ansicht erscheint vorzugswürdig, da der Ersatz immaterieller Schäden im deutschen Privatrecht stets die Ausnahme darstellt. Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber in § 8 Abs. 2 BDSG für automatisierte Datenverarbeitungen durch öffentliche Stellen ausdrücklich den Ersatz immaterieller Schäden geregelt hat. Der Schadensersatz nach § 7 BDSG umfasst daher nicht den Ersatz immaterieller Schäden.242 II. §§ 280 ff. BGB Verletzt der Primärarzt oder der Telemediziner durch die Übermittlung von Patientendaten seine Schweigepflicht, kann dies eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB auslösen.243 Diese richtet sich nach den allgemeinen Haftungsvoraussetzungen. Die Pflichtverletzung muss schuldhaft begangen worden sein und der Schaden muss auf dieser beruhen. Im Rahmen der §§ 280 ff. BGB wird gemäß § 253 Abs. 2 BGB auch der immaterielle Schaden ersetzt, der dem Geschädigten aus einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung entsteht. Demgegenüber wir der immaterielle Schaden, der aus einer allgemeinen Persönlichkeitsverletzung resultiert, gerade nicht von § 253 Abs. 2 BGB erfasst.244 Der Primärarzt oder Telemediziner schuldet daher auch aus § 280 ff. BGB aufgrund eines Datenschutzverstoßes allenfalls den Ersatz des materiellen Schadens. III. § 823 Abs. 1 BGB Eine Haftung des Primärbehandlers oder des Telemediziners für einen Verstoß gegen die Vertraulichkeit von Patientendaten kann sich darüber hinaus aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben. Durch die unbefugte Weitergabe von Gesundheitsinformationen über den Patienten verletzt er dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht wird als „sonstiges Recht“ in
241 Born, Datenschutzverstöße, S. 84; Schneider, CR 1993, 35; Ehmann/Helfrich, EGDatenschutz RL, Art. 23 Rn. 27; Simitis in Simitis, BDSG, § 7 BDSG Rn. 32; Gola/Schomerus, BDSG, § 7 BDSG Rn. 12. 242 Die unzulässige Datenübermittlung kann darüber hinaus nach den §§ 43, 44 BDSG ein Bußgeld von bis zu 250.000 € nach sich ziehen. 243 Schlund in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 77 Rn. 2; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel III Rn. 35. 244 Ebert in Erman, § 253 BGB, Rn. 15; Schiemann in Staudinger (2005), § 253 Rn. 51.
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§ 823 Abs. 1 BGB geschützt. Dabei ist zu beachten, dass eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur dann zu einer Entschädigung in Geld führt, wenn sich der Eingriff als „schwerwiegend“ darstellt.245 Davon kann jedenfalls nicht ausgegangen werden, soweit ausschließlich „banale“ Daten wie beispielsweise der Name und die Adresse des Patienten weitergegeben werden.246 Die Situation kann sich jedoch anders darstellen, wenn der Primärbehandler oder Telemediziner personenbezogene Gesundheitsinformationen in unzulässiger Weise weitergibt, da diese den sensiblen Persönlichkeitsbereich des Patienten betreffen, so dass der Patient in seinem Selbstwert- und Achtungsgefühl betroffen sein kann. Hieraus ergibt sich zugleich, dass nicht bereits die Übermittlung aller Arten von Gesundheitsdaten eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung darstellt. Vielmehr ist danach zu differenzieren, welche Informationen übermittelt werden: Von einer schwerwiegenden Verletzung des Selbstbestimmungsrechts kann nicht ausgegangen werden, wenn der Primärbehandler oder der Telemediziner lediglich belanglose Verletzungen oder Diagnosen von Krankheiten alltäglicher Art mitteilt, die jeder Mensch in seinem Leben einmal erleidet. Beispiele für solche bedeutungslosen Gesundheitsdaten sind die etwa die Diagnose von Husten, Schnupfen, Mittelohrentzündung, Angina etc., da derartige Informationen nicht geeignet sind den Menschen in seiner äußeren Würde herabzusetzen.247 Etwas anderes muss jedoch gelten, wenn es sich bei den übermittelten Informationen um solche handelt, welche die Intimsphäre des Patienten betreffen.248 Solche Intimdiagnosen stellen insbesondere Diagnosen schwerer Psychosen249, Sexualstörungen, AIDS oder Hepatitis dar250, da diese dazu geeignet sind, den Patienten in seiner sozialen Geltung herabzusetzen. IV. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 203 StGB § 823 Abs. 2 BGB normiert einen Schadensersatzanspruch bei Verstoß gegen ein Schutzgesetz. § 203 StGB ist ein solches Schutzgesetz im Sinne
245
Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 3, § 3, A, I, 2, b). Born, Datenschutzverstöße, S. 75; Kullmann, MedR 2001, 343, 344. 247 BGHZ 24, 72, 81. 248 Beater in Soergel, Anh. IV zu § 823 BGB Rn. 43. 249 BGH, VersR 1989, 628, 628; a.A. wohl Kullmann, MedR 2001, 343, 345. 250 Wohl auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 635. 246
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des § 823 Abs. 2 BGB251, so dass die Verletzung der strafrechtlichen Geheimhaltungspflicht haftungsauslösend sein kann. Denkbare materielle Schäden sind beispielsweise Einkommenseinbußen oder der Verlust des Arbeitsplatzes. Immaterielle Schäden sind hingegen grundsätzlich nicht erstattungsfähig, es sei denn, dass ausnahmsweise der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Patienten besonders schwer wiegt.252 F. Rechtsvergleichender Blick in den angloamerikanischen Rechtskreis Das Arzthaftungsrecht des common law in England und den USA ist weitaus weniger stark von den vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten geprägt als das deutsche Recht, da Arzthaftungsansprüche im angloamerikanischen Rechtskreis weitestgehend aus tort, genauer aus negligence geltend gemacht werden.253 Zwar ist es grundsätzlich möglich, dass ein Patient gegen einen Arzt aus einem breach of contract vorgeht, diese Möglichkeit wird in der Rechtspraxis jedoch aus mehreren Gründen kaum genutzt. Zum einen kann der Patient aus breach of contract keine Ansprüche auf Schmerzensgeld erlangen zum anderen wird er sich die für ihn günstige Möglichkeit eines JuryProzesses, wenn er aus tort gegen den Arzt vorgeht, nicht nehmen lassen. Darüber hinaus spielt es auch im Rahmen der Haftung für Hilfspersonen nach der Doktrin der vicarious liability keine Rolle, ob der Patient aus Vertrag oder aus unerlaubter Handlung gegen den Arzt klagt. Im Detail unterscheiden sich das englische und das US-amerikanische common law jedoch nicht unerheblich, so dass die arzthaftungsrechtliche Situation in diesen beiden Sachrechtsordnungen im Folgenden getrennt voneinander skizziert wird.
251 BGH, NJW 1968, 2288, 2290 f. (zur Vorgängerregelung des § 203 StGB); OLG Köln, Beschl. v. 07.11.2005 – 7U 101/05, Juris Rn. 3 = GesR 2006, 93–95; OLG Frankfurt, Urt. v. 26.10.2001 – 2 U 61/01, Juris Rn. 3; OLG Brandenburg, Urt. v. 21.06.2000 – 1 U 16/99, Juris Rn. 48; AG Köln, MedR 1995, 503, 504 ; OLG Hamm, MedR 1995, 328, 328; Heyers/Heyers, MDR 2001, 1209, 1210; Kullmann, MedR 2001, 343, 345; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 634. 252 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 634; vgl. dazu auch schon oben Kapitel 3, § 3, A, I, 2, b). 253 Vgl. Regina v. Mid Glamorgan Family Health Services Authority, P.I.Q.R. 426, 487, Queen's Bench Division (1993); Billings v. Sisters of Mercy of Idaho, 389 P2d 224, 230, Supreme Court, Idaho (1964) „the gist of a [medical] malpractice action is negligence”; vgl. auch Grubb, Medical Law, Rn. 5.24.; Mohindra, Medical Law, S. 105; Morrison in Spickhoff, Cross Border Treatment, 87, 90 f.; Blackie in Fischer/Lilie, Ärztliche Verantwortung, S. 293 f.; Giesen, International Medical Malpractice, § 2 Rn. 8; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 83 f.; Fischer in Fischer/Lilie, Ärztliche Verantwortung, S. 6; Thumann, Reform der Arzthaftung, S. 5.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
I. Medical Malpractice in den USA Die medical malpractice doctrine stellt eine Mischung aus den Vertragsund Deliktstheorien dar. Sie erfordert, dass ein Arzt eine Fürsorgepflicht (duty of care) gegenüber einem Patienten verletzt. Eine solche Fürsorgepflicht kann das Resultat einer zwischen Arzt und Patient bestehenden Beziehung (physician-patient relationship) sein.254 Solch eine Beziehung kann sowohl aus einem ausdrücklich als auch aus einem konkludent geschlossenen Vertrag resultieren255, ist in diesen Fällen also vertraglicher Natur.256 Darüber hinaus besteht eine inhaltlich gleiche duty of care aber auch aufgrund der schlichten Übernahme der Behandlung257, da in dieser die Zusage des Arztes enthalten ist, dass er die Regeln der ärztlichen Kunst einhalten wird.258 Der Arzt schuldet dem Patienten also sowohl vertraglich 254
Kuszler, 25 Am.J.L. & Med. 297, 307; Rannefeld, 19 J.L. & Health 75, 80; Lennon, 7 J.Health Care L. & Pol’y 363, 364 f.; Morreim, 4 Hous. J. Health L. & Pol’y 1, 33; Blum, 24 J.Legal Med. 413, 424; 255 Caryl, 12 J.L. & Health 173, 194; Lennon, 7 J.Health Care L. & Pol’y 363, 364. 256 Dingle v. Belin, 749 A.2d 157, 164, Court of Appeals, Maryland (2000); „The relationship that spawns the malpractice claim is thus ordinarily a contractual one.“; Hoover v. Williamson, 203 A.2d 861, 862, Court of Appeals, Maryland (1964) „is allowed only where there is a relationship of doctor and patient as a result of a contract, express or implied, that the doctor will treat the patient with proper professional skill and the patient will pay for such treatment, and there has been a breach of professional duty to the patient.“; Glenn, 28 Wake Forest L. Rev. 747, 753; McCann, Yale J.L. & Tech. 3, unter I. B.; Lennon, 7 J. Health Care L. & Pol’y 363, 364 f.; Morreim, 4 Hous. J. Health L. & Pol’y 1, 33. 257 Vgl. Restatement (Second) of Torts, § 299A unter c. Undertaking: „In the ordinary case, the undertaking of one who renders services in the practice of a profession or trade is a matter of contract between the parties, and the terms of the undertaking are either stated expressly, or implied as a matter of understanding. The rule here stated does not, however, depend upon the existence of an enforceable contract between the parties. It applies equally where professional services are rendered gratuitously, as in the case of a physician treating a charity patient, or without any definite understanding, as in the case of one who renders services to a patient who is unconscious, in an emergency. The basis of the rule is the undertaking of the defendant, which may arise apart from contract“. 258 Smith v. Welch, 967 P.2d 727, 882 Supreme Court, Kansas (1998): „The duty of a physician [...] not to injure the person being examined is not affected by the fact that [...] no contractual relationship existed between the physician and the person being examined“; Kennedy v. Parrot, 90 S.E.2d 754, 757, Supreme Court, North Carolina (1956): „While the law of contracts is applied as between a patient and his physician or surgeon, when a person consults a physician or surgeon, seeking treatment for a physical ailment, real or apparent, and the physician or surgeon agrees to accept him as a patient, it does not create a contract in the sense that term is ordinarily used. Usually there is no specification or particularization as to what the physician shall do. The patient selects, and commits himself to the care of, the doctor because he is confident the doctor possesses the requisite skill and ability to treat and will treat his physical ailment and restore him to
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als auch deliktisch die Einhaltung der ärztlichen Sorgfaltspflichten, die von einem Arzt in seiner Position vernünftigerweise erwartet werden können.259 Verletzt der Arzt eine gegenüber dem Patienten bestehende Fürsorgepflicht unter Verletzung des ärztlichen Standards, hat er dem Patienten den hieraus kausal entstandenen Schaden zu ersetzen.260
normal good health. The physician, after diagnosing the ailment, prescribes the treatment or the medicine to be administered; but the patient is under no legal obligation to follow the physician's instructions. Thus it is apt and perhaps more exact to say it creates a status or relation rather than a contract“. (CJ Barnhill); Siehe dazu De Ville, Medical Malpractice in America, S. 156: „This observation is consistent with the modern tendency to view medical malpractice as a tort of negligence rather than a breach of contract. Twentieth-century legal theories define torts broadly as private civil wrongs that violate certain duties or responsibilities within a social context that condones certain behaviors and condemns others. The modern law of contract, by contrast, holds that the duty owed by the respective parties is theoretically agreed upon by the individuals involved in the contract“. Christie v. Callahan, 75 U.S.App.D.C. 133, 124 f.2d 825, Court of Appeals, Columbia (1941); Le Juene Road Hospital Inc. v. Watson, 171 So.2d 202, District Court of Appeal, Florida (1965); O’Neill v. Montefiore Hospital, 11 A.D.2d 132, 202 N.Y.S.2d 436, Supreme Court, New York (1960); Dobbs, Law of Torts, § 242 S. 631; Restatement (Second) of Torts, § 299A „Unless he represents that he has greater or less skill or knowledge, one who undertakes to render services in the practice of a profession or trade is required to exercise the skill and knowledge normally possessed by members of that profession or trade in good standing in similar communities“ und § 323 „One who undertakes, gratuitously or for consideration, to render services to another which he should recognize as necessary for the protection of the other's person or things, is subject to liability to the other for physical harm resulting from his failure to exercise reasonable care to perform his undertaking, if (a) his failure to exercise such care increases the risk of such harm, or (b) the harm is suffered because of the other's reliance upon the undertaking“; Prosser/Keeton, Law of Torts, § 56 S. 378 m.w.N. in Fn. 53; Furrow, Health Law, S. 57; King, Medical Malpractice, S. 6 f., 17 f. m.w.N.; Schädlich, TelemedizinAnwendungen, S. 67; Thumann, Reform der Arzthaftung, S. 6 m.w.N in Fn. 11; Long, The Physician and the Law, S. 1; vgl. Giesen, International Medical Malpractice, § 3 Rn. 13–19 m.w.N. 259 Hall v. Hillbun, 466 So.2d 856, 872, Supreme Court, Mississippi (1985): „The duty of care, as it thus emerges from considerations of reason and fairness, when applied to the facts of the world of medical science and practice, takes two forms: (a) a duty to render a quality of care consonant with the level of medical and practical knowledge the physician may reasonably be expected to possess and the medical judgment he may be expected to exercise, and (b) a duty based upon the adept use of such medical facilities, services, equipment and options as are reasonably available“; Restatement (Second) of Torts, § 299A „Unless he represents that he has greater or less skill or knowledge, one who undertakes to render services in the practice of a profession or trade is required to exercise the skill and knowledge normally possessed by members of that profession or trade in good standing in similar communities“. 260 Vgl. King, Medical Malpractice, S. 9; Granade, 73 N.D.L.Rev. 65, 65 f.; Lennon, 7 J. Health Care L. & Pol’y 363, 366; Morreim, 4 Hous. J. Health L. & Pol’y 1, 38.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
Die Arzthaftung im Rahmen telemedizinischer Anwendungen stellt für das US-Sachrecht in zweierlei Hinsicht eine Herausforderung dar. Erstens stellt sich die Frage, wann eine, die duty of care auslösende, hinreichend enge Beziehung zwischen Telemediziner und Patient besteht. Zweitens wird die Frage aufgeworfen, ob der Sorgfaltsstandard im Bereich der Telemedizin von demjenigen im Bereich der traditionellen Behandlung abweicht. 1. Arzt-Patienten-Beziehung im Rahmen der Telemedizin Bislang gibt es – soweit ersichtlich – keine gerichtlichen Entscheidungen darüber, wann bei telemedizinischen Anwendungen eine Arzt-PatientenBeziehung entsteht, aus der Fürsorgepflichten des Telemediziners gegenüber dem Patienten resultieren. Typischerweise entsteht jedoch keine Arzt-Patienten-Beziehung zwischen einem Patienten und einem durch den Primärarzt hinzugezogenen Arzt mit gleicher Fachrichtung wie der Primärarzt, wenn dieser seine medizinische Meinung über einen anonymen Patienten dem Primärarzt formlos mitteilt und hierfür keine Vergütung verlangt.261 Gleiches gilt, wenn es sich bei dem konsultierten Arzt um einen – aus Sicht des Primärarztes – fachfremden Experten handelt.262 Anerkannt ist ferner, dass durch ausschließliche telefonische Beratung eine Arzt-Patientenbeziehung resultieren kann, sofern sich zumindest aus den Umständen des Falls ergibt, dass der Arzt die Fürsorge für den Patienten übernehmen wollte.263
261
Reynolds v. Decatur Memorial Hospital, 660 N.E. 2d 235, 239, Appellate Court, Illinois (1996): „A consensual relationship can exist where other persons contact the physician on behalf of the patient, but this is not a case in which Fulbright was asked to provide a service for Kevin, conduct laboratory tests, or review test results. Fulbright did nothing more than answer an inquiry from a colleague. He was not contacted again and he charged no fee. A doctor who gives an informal opinion at the request of a treating physician does not owe a duty of care to the patient whose case was discussed“; Rainer v. Grossman, 31 Cal.3d 539, 107 Cal.Rptr. 469, Court of Appeal, California (1973): Ein Medizinprofessor hatte im Rahmen einer Konferenz nach Anhörung der Anamnese und Einsicht in die Röntgenaufnahmen des Patienten die Vornahme eines chirurgischen Eingriff für indiziert gehalten. Im nachhinein stellte sich die Operation als überflüssig heraus. Das Gericht verneinte eine duty of care im Verhältnis zwischen dem Medizinprofessor und dem Patienten; vgl. auch Lennon, 7 J.Health Care L. & Pol’y 363, 368; Granade, 73 N.D.L.Rev. 65, 69. 262 Corbet v. McKinney, 980 S.W.2d 166, 170 ff., Court of Appeals, Missouri (1998); Lennon, 7 J.Health Care L. & Pol’y 363, 369. 263 Vgl. Ricks v. Budge 91 Utah 307, 64 P.2d 208, 211 (1937); O’Neill v. Montefiore Hospital, 11 App.Div.2d 132, 135, 202 N.Y.S.2d 436, 439 f., Supreme Court, New York (1969).
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Die Schlüsselfragen die ein US-Gericht zur Feststellung, ob eine ArztPatienten-Beziehung im Rahmen von traditionellen Behandlungen besteht oder nicht, stellt sind a.) ob sich der Patient und der Konsiliararzt getroffen haben; b.) ob der Konsiliararzt den Patienten jemals untersucht hat; c.) ob der Konsiliararzt Einblick in die Krankenakte des Patienten hatte; d.) ob der Konsiliararzt den Namen des Patienten kannte; und e.) ob die Konsiliartätigkeit entgeltlich oder unentgeltlich erfolgte.264 Wird eine oder gar mehrere dieser Fragen bejaht, liegt die Annahme einer Arzt-Patientenbeziehung zwischen Konsiliararzt und Patient nahe.265 a) Treffen zwischen Patient und Telearzt Die meisten der modernen Telemedizinanwendungen gestatten es dem Telemediziner mit dem Patienten per Videoübertragung in persönlichen Kontakt zu treten. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, ist der erste Faktor erfüllt, da es zur Erfüllung dieser Voraussetzung nicht auf einen physischen Kontakt zwischen Arzt und Patienten ankommt.266 b) Untersuchung des Patienten durch den Telearzt Ob dieser zweite Faktor durch telemedizinische Anwendungen erfüllt sein kann, ist fraglich, da der Begriff der Untersuchung im US-amerikanischen Recht nicht einheitlich verstanden wird. Teilweise verlangt die rechtswissenschaftliche Literatur zur Bejahung des Merkmals der Untersuchung, dass der Arzt den Patienten in persönlichem Kontakt untersucht.267 Andererseits finden sich auch zahlreiche gerichtliche Entscheidungen und Literaturstimmen nach denen der Umstand, dass der Konsiliararzt den Patienten nicht in direktem Kontakt untersucht hat, die Annahme einer ArztPatientenbeziehung zwischen Patient und Konsiliararzt nicht ausschließt.268 Demnach wird man davon ausgehen müssen, dass das Merkmal
264
Gulick 11 Ind. Int’l & Comp. L. Rev 183, 207 f.; Granade, 73 NDLR 65, 69. Granade, 73 N.D.L.Rev. 65, 69; Gulick 11 Ind. Int’l & Comp. L. Rev 183, 207 f. 266 Poe, 20 Rev. Litig. 681, 694; Gulick 11 Ind. Int’l & Comp. L. Rev 183, 209; Caryl, 12 J.L. & Health 173, 194; Kuszler, 25 Am.J.L. & Med. 297, 310; vgl. auch Ricks v. Budge, 91 Utah 307, 64 P.2d 208, 211, Supreme Court, Utah (1937). 267 Roberts v. Hunter, 426 S.E.2d 797, Supreme Court, South Carolina (1993). 268 St. John v. Pope, 901 S.W.2d 420, 424, Supreme Court, Texas (1995); Wheeler v. Yettie Kersting Memorial Hospital, 866 S.W.2d 32, Court of Appeals, Texas (1993); Dougherty v. Gifford, 826 S.W.2d 668, 674, Court of Appeals, Texas, (1992); Lopez v. Aziz 852 S.W.2d 303, 305, Court of Appeals of Texas, (1993); Lownsbury v. Stone, 762 N.E.2d 354, Supreme Court of Ohio, (2001); Poe, 20 Rev. Litig. 681, 694; Gulick 11 Ind. Int’l & Comp. L. Rev 183, 209; Caryl, 12 J.L. & Health 173, 194; Kuszler, 25 Am.J.L. & Med. 297, 310. 265
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
der Untersuchung des Patienten im Rahmen telemedizinischer Anwendungen erfüllt ist. c) Einblick des Telearztes in die Krankenakte des Patienten Einer der Hauptzwecke telemedizinischer Anwendungsformen ist, dass Patienteninformationen auf elektronischem Weg über unter Umständen extrem weite Distanzen übermittelt werden können. Bei jedem telemedizinischen Anwendungstypus werden dem Telemediziner jedenfalls die für ihn wesentlichen Informationen aus der Krankenakte des Patienten übermittelt. Der dritte Faktor ist somit bei telemedizinischen Anwendungen regelmäßig erfüllt.269 d) Kenntnis des Telemediziners vom Namen des Patienten Gerade im Fall von Video- und Audioübertragungen hat der Telemediziner die Chance, den Namen des Patienten in Erfahrung zu bringen. Aber auch aus der Patientenakte wird er meist den Namen des Patienten entnehmen können, so dass diese vierte Voraussetzung bei telemedizinischen Anwendungen häufig erfüllt sein wird. e) Entgeltliches oder unentgeltliches Tätigwerden des Telemediziners In der überwiegenden Anzahl der Fälle hat der US-amerikanische Telemediziner die Möglichkeit von dem Patienten oder seiner Medicare oder Medicaid Einrichtung eine Vergütung zu erlangen. Dies gilt, wie bereits dargestellt wurde, auch in Fällen medizinischer Nothilfe.270 Auch der fünfte und letzte Indikationsfaktor ist somit regelmäßig erfüllt. f) Schlussfolgerung für das Vorhandensein einer Telearzt-PatientenBeziehung Zusammenfassend ist es wahrscheinlich, dass in Fällen, in denen der Patient von der Einschaltung des Telemediziners Kenntnis hat, eine TelearztPatient-Beziehung entsteht. Aus dieser resultiert eine Fürsorgepflicht (duty of care) des Telemediziners gegenüber dem Patienten. 2. Sorgfaltsstandard im Bereich der Telemedizin Weitere Voraussetzung einer Haftung des Telemediziners gegenüber dem Patienten ist, dass er seine duty of care gegenüber dem Patienten auf sorg-
269 270
Gulick 11 Ind. Int’l & Comp. L. Rev 183, 208. Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 2, C, II.
§ 3 Haftungsfragen der Telemedizin
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faltswidrige Art und Weise verletzt. Dies ist der Fall, wenn der Telemediziner die Behandlung nicht nach dem standard of care erbringt. Historisch gingen die US-Gerichte davon aus, dass ein lokaler Standard einzuhalten sei.271 Mittlerweile ist jedoch gerade im Bereich der Haftung von Spezialisten ein klarer Trend hin zu einem einheitlichen, nationalen Standard erkennbar.272 II. Medical Malpractice in England Auch in England ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Patient den Ausgleich eines Personenschadens (personal injury) von einem Arzt verlangen kann, sowohl Gegenstand des Vertrags- als auch des Deliktsrechts. Für eine Haftung des Arztes ist erforderlich, dass dieser eine gegenüber dem Patienten bestehende Fürsorgepflicht (duty of care) unter Verletzung des ärztlichen Standards verletzt hat und dass dem Patienten hieraus ein Schaden entstanden ist.273 Eine duty of care resultiert nach englischem Verständnis nicht nur aus einem zwischen dem Patient und dem Arzt bestehenden Vertrag. Vielmehr geht man in England davon aus, dass diese Fürsorgepflicht des Arztes gegenüber dem Patienten, auch unabhängig von einem Vertrag, aus der faktischen Übernahme der medizinischen Behandlung, also aus einer Garantenstellung resultiert.274 Regelmäßig be-
271 Vgl. Robbins v. Footer, 553 f.2d 123, 127–128, Court of Appeals, Columbia (1977). 272 Kuszler, 25 Am.J.L. & Med. 297, 315; Poe, 20 Rev. Litig. 681, 964, f. 273 Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S.135 Rn. GB 62; Schulte in Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 133; McBride/Bagshaw, Tort Law, S. 64; Tettenborn in Clerk/Lindsell, Torts, Rn. 10–41; Grubb, Medical Law, Rn. 5.22; Stauch, The Law of Medical Negligence, S. 63 m.w.N. 274 Regina v. Mid Glamorgan Family Health Services Authority, P.I.Q.R. 426, 487, Queen's Bench Division (1993) „The relationship between physician and patient is one in which trust and confidence must be placed in the physician. The physician-patient relationship is a fiduciary relationship. Certain duties arise from that special relationship of trust and confidence between physician and patient.“; R v. Bateman, 19 Cr App R 8, Court of Criminal Appeal (1925) S. 12–13 „[i]f a person holds himself out as processing special skills and knowledge, and he is consulted, as processing such skills and knowledge, by or on behalf of a patient, he owes a duty to the patient to use due caution in undertaking the treatment. If he accepts the responsibility and undertakes the treatment and the patient submits to his direction and tratment accordingly, he owes a duty to the patient […]. No contractual relation is necessary, nor is it necesary that the service be rendered for reward (L. Hewart CJ). Gladwell v. Steggal, 5 Bing.N.C. 733 (1839); vgl. auch Grubb, Medical Law, Rn. 5.24.; Mohindra, Medical Law, S. 105; Tettenborn in Clerk/Lindsell, Torts, Rn. 10–41; Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 134 f. GB 59 f.; Stauch, The Law of Medical Negligence, S. 9; Giesen, International Medical Malpractice, § 2 Rn. 7.
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Kapitel 3: Vergütungs- und Haftungsfragen
steht zwischen dem englischen Patient und dem englischen Arzt nämlich gar kein Vertrag: Im Jahr 1948 wurde in England der National Health Service (NHS) eingeführt.275 Soweit medizinische Dienstleistungen im Rahmen der durch den NHS bereitgestellten staatlichen Gesundheitsfürsorge erbracht werden, muss der Patient für diese Leistungen keine Gegenleistung erbringen – die Zahlung von Steuern, wird nicht als „Gegenleistung“ akzeptiert – sodass es in Ermangelung einer consideration an einem Vertrag fehlt.276 Eine vertragliche Haftung kommt neben der deliktischen Haftung in Betracht, wenn die Behandlung auf privatärztlicher Basis erfolgt277, da ihr dann grundsätzlich ein Vertrag zwischen dem Patienten und dem Arzt sowie – sofern eine stationäre Behandlung erforderlich ist – zwischen dem Patienten und der Klinik zugrunde liegt.278 Insgesamt ist aber festzustellen, dass die vertragliche Arzthaftung im englischen Arzthaftungsrecht nur eine sehr geringe Bedeutung hat.279 Inhaltlich sind die deliktischen und die vertraglichen Pflichten des Arztes identisch280: Der Arzt schuldet nach Maßgabe des sogenannten BolamTests281, in dessen Auslegung durch das House of Lords in der Bolitho-
275 Zu einem Überblick über den sich daraus ergebenden spezifischen Hintergrund der Arzthaftung in England vgl. Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 115 ff. 276 Pfizer Corporation v. Ministry of Health (1965) AC 512, 535 f. (LJ. Reid), S. 544 f. (LJ. Evershed); S. 548 (LJ. Pearce), S. 553 f. (LJ. Upjohn), S. 571 (L. Wilberforce); Reynolds v. The Health First Medical Group (2000) Lloyd’s Rep. Med 240 (J. Simmons); vgl. dazu auch Giesen, International Medical Malpractice, § 3 Rn. 10; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 30 f. 277 Dies kommt jedoch sehr selten vor, da derzeit nur ca. 10 % der Bevölkerung Großbritanniens privatversichert sind. Vgl. Stauch, The Law of Medical Negligence, S. 10. 278 Vgl. dazu Morrison in Spickhoff, Cross Border Treatment, 87, 90; Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S.134 Rn. GB 59; Der Patient trifft für gewöhnlich getrennte Vereinbarungen sowohl mit dem Arzt (Behandlung und Nachsorge) als auch mit dem Krankenhaus (Bereitstellung der technischen Einrichtungen, des Operationssaals, des Krankenzimmers etc., sowie der Pflege und des Pflegepersonal), vgl. nur Grubb in Grubb (Hrsg.), Principles of Medical Law, § 5.12; vgl. auch Mückl, VersR 2007, 910, 910; Schulte in Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 128; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 32. 279 Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S.134 Rn. GB 57 f.; Vgl. auch Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 30. 280 Hotson v. East Berkshire Area Health Authority (1987) 2 WLR 287, 295 (J. Donaldson); Stauch, The Law of Medical Negligence, S. 10; Tettenborn in Clerk/Lindsell, Torts, Rn. 10–41; Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S.134 Rn. GB 60; Mückl, VersR 2007, 910, 910; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 34. 281 Bolam v. Friern Hospital Management Committee (1957) 1 WLR 582.
§ 3 Haftungsfragen der Telemedizin
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Entscheidung282, vertraglich wie deliktisch die Sorgfalt und Sachkunde eines vernünftigen Arztes (reasonable care and skill).283 Eine vertragliche Pflicht zur Einhaltung der ärztlichen Sorgfalt besteht, weil diese aufgrund Section 13 des Supply of Goods and Services Act aus dem Jahr 1982284 bestehende Verpflichtung kraft Gesetzes zu einem Bestandteil der vertraglichen Vereinbarung gemacht wird (implied in law term).285 III. Keine eigenständige Bedeutung der vertraglichen Haftung des Arztes gegenüber dessen deliktischer Einstandspflicht Der rechtvergleichende Blick in die Sachrechtsordnungen von England und den USA hat gezeigt, dass der Arzt dem Patienten in beiden Sachrechtsordnungen zur Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst verpflichtet ist. Wie im deutschen Sachrecht auch, ist der Arzt dem Patienten bereits aufgrund der faktischen Übernahme der Behandlung und nicht erst aufgrund eines mit diesem eventuell geschlossenen Behandlungsvertrages zur Behandlung lege artis verpflichtet. Da die Pflicht zur Behandlung und Aufklärung nach den Regeln der ärztlichen Kunst folglich unabhängig von einer vertraglichen Beziehung zwischen Arzt und Patient besteht, kommt der vertraglichen Haftung des Arztes im Vergleich mit dessen deliktischer Einstandspflicht im englischen und im US-amerikanischen Sachrecht keine eigenständige Bedeutung zu.286 Insoweit kann auf die diesbezüglichen Ausführungen zum deutschen Sachrecht entsprechend verwiesen werden.287
282 Bolitho v. City and Hackney Health Authority (1998) AC 232, 241 ff. (L. BrowneWilkinson). 283 Mückl, VersR 2007, 910, 910; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 34 f. 284 Abrufbar unter http://www.opsi.gov.uk/acts/acts1982/pdf/ukpga_19820029_en.pdf; zuletzt abgefufen am 02.02.2011. 285 Green v. Collyer-Bristow and Pointer QBD (1999) Lloyd’s Rep 798 (J. Brown); Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S.135 Rn. GB 60: „In addition to express promises, the law will imply certain terms into a contract für medical treatment. The significant implied term is that the doctor will exercise all reasonable care and skill in his treatment of the patient. This ist the same obligation as the one imposed on the doctor by the law of tort“; vgl. auch Mückl, Vertragsbruch, S. 102, 113 f.; vgl. zur Funktionsweise und Rechtfertigung sog. implied terms ausführlich Beatson/Burrows/Cartwright, Law of Contract, S. 151–165 sowie aus rechtsvergleichender Perspektive Grobecker, Implied Terms, S. 1 ff.; insb. S. 143–185. 286 Vgl. Köhler in Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 281; vgl. auch Giesen, International Medical Malpractice, § 2 Rn. 8 f. m.w.N. 287 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, C.
Kapitel 4
Kollisionsrechtliche Fragestellungen bei grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Die im 3. Teil dieser Arbeit aufgeworfenen und untersuchten Rechtsfragen sind alle äußerst interessant, können aber Anhand einer Analyse des einschlägigen Sachrechts beantwortet werden. Dies bringt uns zu der wirklich problematischen Frage, welche Sachrechtsordnung für die herausgearbeiteten Fragestellungen zur Anwendung berufen ist, wenn der Telemediziner grenzüberschreitend einen Patienten behandelt. Dieser Frage wird im 4. Teil dieser Arbeit nachgegangen. In der deutschen Rechtsprechung finden sich bislang nur wenige Entscheidungen, die sich mit der kollisionsrechtlichen Behandlung von grenzüberschreitenden Arzt- oder Klinikverträgen beschäftigen. Von den hier untersuchungsgegenständlichen grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen fehlt in der gerichtlichen Spruchpraxis bislang sogar jede Spur. Viele kollisionsrechtliche Fragestellungen, die sich im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Einsatz der Telemedizin stellen, sind also noch weitestgehend ungeklärt. Kollisionsrechtliche Probleme bestehen insbesondere im Zusammenhang mit der Telearzthaftung, welche, wie die Untersuchung der Sachrechte gezeigt hat, zum einen aus Vertrag zum anderen aber auch aus Delikt resultieren kann. Aber auch kollisionsrechtliche Fragen im Hinblick auf das deutsche Approbationserfordernis, die kollisionsrechtliche Behandlung von Gebührenregelungen, der Vertretung sowie der Vergütungsansprüche des Telemediziners sind näher zu untersuchen.
§ 1 Quellen des Kollisionsrechts § 1 Quellen des Kollisionsrechts
A. Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) Das deutsche Kollisionsrecht ist weitestgehend in den Art. 3 ff. EGBGB niedergelegt. Nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB genießen jedoch völkerrechtliche Vereinbarungen, soweit sie anwendbares Recht geworden sind, Vorrang.
§ 1 Quellen des Kollisionsrechts
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B. Europäisches Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ) Das EVÜ1 wurde von Deutschland zwar ratifiziert, jedoch legte Art. 1 Abs. 2 des deutschen Zustimmungsgesetzes fest, dass die Normen des EVÜ innerhalb der BRD keine unmittelbare Anwendung fanden. Vielmehr ging Deutschland einen besonderen Weg, indem es die Vorschriften des EVÜ in das EGBGB inkorporierte. Die Art. 27 bis 37 EGBGB entstammten mit Ausnahme des Art. 29a EGBGB dem EVÜ, wenngleich sich teilweise gewisse Abweichungen fanden. Sinn und Zweck des EVÜ war es insbesondere eine Rechtsvereinheitlichung innerhalb der EU-Vertragsstaaten zu erreichen. Um diesem Ziel auch in Deutschland Rechnung zu tragen, legt Art. 36 EGBGB fest, dass bei der Auslegung der aus dem EVÜ stammenden Normen deren staatsvertraglicher Ursprung zu berücksichtigen war. C. Rom I-Verordnung Inzwischen sind die Kollisionsregeln des EGBGB über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht durch die Rom I-Verordnung2 (Rom I) der EU ersetzt worden, die in den Mitgliedstaaten unmittelbar zur Anwendung gelangt. Das EVÜ wurde in Rom I überführt und bei dieser Gelegenheit zugleich überarbeitet.3 Die Überarbeitung erfolgte zwar bloß evolutionär aus dem EVÜ, dennoch enthält Rom I diverse – teilweise gravierende – Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage nach dem EGBGB beziehungsweise dem EVÜ.4 Diese resultieren insbesondere daraus, dass die Rom I-Verordnung das Ergebnis einer Jahrzehnte dauernden Diskussion ist. So förderte das Grünbuch5 insgesamt acht Möglichkeiten zu Tage, die durch weitere Lösungsvorschläge, im Anschluss an die wissenschaftliche Diskussion, ergänzt wurden. Mittlerweile scheint ein europäischer Konsens in Bezug auf die meisten Streitpunkte gefunden zu sein. Die Verordnung ist auf alle Verträge, die ab dem 17.12.2009 geschlossen werden, anzuwenden.6
1 Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980. 2 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I). 3 Fricke, VersR 2006, 745, 745. 4 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 22a; Mankowski, IHR 2008, 133, 133. 5 Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung, KOM (2002) 654 endg., vorgelegt am 14.01.2003. 6 Mauer/Stadler, RIW 2008, 544, 545.
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D. Rom II-Verordnung Die gleichen Ziele werden auch mit der Rom II-Verordnung7 (Rom II) verfolgt. Diese regelt das Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und gilt gemäß ihrem Art. 32 grundsätzlich ab dem 11.01.2009. E. Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie Das sogenannte Herkunftslandprinzip ist ein altes, in den letzten Jahren freilich zunehmend an Bedeutung gewinnendes europäisches Prinzip. Es ist sowohl rechtsdogmatisch als auch rechtspolitisch äußerst umstritten und auch nach Jahren der intensiven Diskussion innerhalb der rechtwissenschaftlichen Literatur in seiner Bedeutung noch immer schwierig zu erfassen. Das Herkunftslandprinzip ist unter anderem in Art. 3 der E-CommerceRichtlinie8 (ECRL) enthalten. Es soll die Anwendung der Prinzipien des EU-Binnenmarktes des Art. 26 AEUV und den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) im Rahmen von Diensten der Informationsgesellschaft sicherstellen.9 In Art. 3 Abs. 1 ECRL wird unter der Überschrift „Binnenmarkt“ für „die Dienste der Informationsgesellschaft“ auf das Recht am Niederlassungsort des Diensteanbieters abgestellt.10 In Deutschland wird diese Richtlinie durch das Telemediengesetz (TMG) vom 26.02.2007 umgesetzt.11 Das Herkunftslandprinzip findet sich darin in § 3 Abs. 1 TMG. Aus dieser Regelung ließe sich – je nach Verständnis des Herkunftslandprin-
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Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II). 8 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr") Amtsblatt Nr. L 178 vom 17.07.2000 S. 1–16. 9 Vgl. KOM (1998) 586, Kommentar zu Art. 3, Amtsblatt C 30/4 vom 23.12.1998; Martiny in MüKo, Anh. III zu Art. 9 Rom I Rn. 1. 10 Dort heißt es: „(1) Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen. (2) Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen. (3) Die Absätze 1 und 2 finden keine Anwendung auf die im Anhang genannten Bereiche.“ 11 Das TMG hat das frühere Teledienstgesetz (TDG) zum 01.03.2007 ersetzt.
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zips und seiner Konsequenzen12 – entnehmen, dass im Rahmen gemeinschaftsinterner Telemedizinanwendungen13 der Rückgriff auf das Kollisionsrecht der Rom I und II Verordnungen beziehungsweise des EGBGB versperrt ist14, oder dass die über diese Kollisionsregeln berufene lex causae auf der Ebene des Sachrechts zu korrigieren ist. 15 Dieser Streit wäre allerdings nur von Bedeutung, wenn die unterschiedlichen Telemedizintypen vollständig oder zumindest teilweise in den Anwendungsbereich der ECRL und damit auch des TMG fallen würden. I. Anwendungsbereich des TMG beziehungsweise der ECRL 1. Merkmal der Telemedien bzw. der Dienste der Informationsgesellschaft Nach § 3 Abs. 1 TMG erfasst das TMG und damit auch das dort niedergelegte Herkunftslandprinzip nur Diensteanbieter und deren Telemedien. Telemedizinische Anwendungen müssten also Telemedien im Sinne des § 3 Abs. 1 TMG darstellen, damit sie vom Anwendungsbereich überhaupt erfasst würden. Ferner müssten Telemediziner als Diensteanbieter im Sinne dieser Norm anzusehen sein. Telemedien im Sinne des § 3 Abs. 1 TMG sind elektronische Informations- und Kommunikationsdienste, die für eine individuelle Nutzung von kombinierbaren Daten (Zeichen, Bilder, Töne) bestimmt sind und denen eine Übermittlung mittels Telekommunikation zu Grunde liegt.16 Erfasst werden das Angebot zur Information oder Kommunikation, z.B. in Form von Telebanking, Datenaustausch, Waren- und Dienstleistungsangebote.17 Nicht erfasst wird hingegen die Nutzung solcher Angebote. So ist beispielsweise anerkannt, dass die bloße Internet-Telefonie keinen Telemedi-
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Vgl. zum umstrittenen Verständnis des Herkunftslandprinzips der E-CommerceRichtlinie statt vieler Martiny in MüKo, Anh. III zu Art. 9 Rom I Rn. 23–39; vgl. zum Verhältnis zwischen ECRL und Rom II auch Wüllrich, Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet, S. 354–358. 13 Das Herkunftslandprinzip gilt nur für die Diensteanbieter, die innerhalb der EU niedergelassen sind und innerhalb der EU ihre Dienste anbieten; vgl. Art. 3 Abs. 1 und 2 ECRL. An welchem Ort ein Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft als niedergelassen anzusehen ist, bestimmt Art. 2 lit. c) ECRL. 14 Aufgrund der Regelung des Art. 1 Abs. 4 ECRL bzw. Art. 1 Abs. 5 TMG dürfte diese Vorgehensweise aber kaum mit dem Gesetz in Einklang stehen. 15 Vgl. in Anwendung auf die Telemedizin hierzu Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 185–241, die das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht bei gemeinschaftsinternen Telemedizinapplikationen nach Maßgabe des Herkunftslandprinzips korrigieren möchte; vgl. dazu insbesondere S. 238–241. 16 Martiny in MüKo, Anh. III zu Art. 9 Rom I Rn. 8; Heckmann in JurisPK-Internetrecht, Kapitel 1.1 Rn. 53 m.w.N. 17 Martiny in MüKo, Anh. III zu Art. 9 Rom I Rn. 8.
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endienst darstellt, weil sie keinen Unterschied zur herkömmlichen leitungsgebundenen Telefonie aufweist.18 Gleiches muss für die Kommunikation per E-Mail gelten, da auch insoweit kein Unterschied zur traditionellen Briefkommunikation besteht, der keiner anderen rechtlichen Bewertung unterliegt.19 Hieraus resultiert, dass die Auswirkungen des Herkunftslandprinzips des TMG auf die Telemedizin von vornherein differenziert beurteilt werden müssen. a) Telemedizinanwendungen als Nutzung von Telemediendiensten Die Mehrzahl der telemedizinischen Anwendungen ist kein Telemediendienst, sondern vielmehr die Kommunikation selbst, da der Telemediziner selbst kein Angebot zur Information oder Kommunikation bereithält, sondern ein solches Angebot nutzt.20 Insbesondere wenn eine individuelle, determinierte Kommunikation zwischen einem Primärarzt und einem Telemediziner stattfindet, ist die Definition des Telemediums also nicht erfüllt. Nichts anderes gilt, wenn Primärarzt und Telemediziner miteinander patientenbezogen kommunizieren. In diesen Fällen wendet sich das TMG nicht an den Telemediziner, sondern vielmehr an denjenigen, der die Kommunikationsplattform für die Datenübermittlung bereitstellt und als Netzbetreiber oder Provider fungiert. Der Telemediziner hält in derartigen Fällen selbst keinen Telemediendienst bereit, sondern nutzt einen solchen, um mit dem Primärarzt oder dem Patienten zu kommunizieren. Folglich ist er nicht Diensteanbieter im Sinne des § 3 Abs. 1 TMG sondern Nutzer im Sinne des § 2 Nr. 3 TMG, so dass seine Tätigkeit nicht dem Herkunftslandprinzip der TMG unterfällt.21 Dies entspricht auch den Regelungen der ECRL, die gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 den freien Verkehr von „Diensten der Informationsgesellschaft“ sicherstellen will. Der Begriff der „Dienste der Informationsgesellschaft“ wird durch die ECRL nicht selbst definiert. Vielmehr nimmt Art. 2 lit. a ECRL auf die Begriffsbestimmung in Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 98/34/EG, neu gefasst durch Richtlinie 98/48/EG, Bezug. Diese definiert Dienste der Informationsgesellschaft zwar weit als „jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf ei-
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BT-Drucks. 16/3078 vom 23.10.2006, S. 13. Schauer, E-Commerce, S. 181, insb. Fn. 855; Lorenz, Anbieterkennzeichnung, S. 88 m.w.N in Fn. 234; vgl. auch BT-Drucks. 16/3078 vom 23.10.2006, S. 13. 20 Vgl. Dierks in Dierks/Feussner/Wienke, Rechtfragen der Telemedizin, S. 35 f.; Link, Telemedizinische Anwendungen, S. 79. 21 Vgl. dazu Erwägungsgrund Nr. 17 zur ECRL i.V.m. Anhang V Nr. 2 b) Spiegelstrich 2 der Richtlinie 98/34/EG vom 22.06.1998 in der Fassung nach der RL 98/48/EG vom 20.07.1998. 19
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nes Empfängers erbrachte Dienstleistung“. Trotzdem ist der sachliche Anwendungsbereich der ECRL erheblich eingeschränkt. Im Bereich der medizinischen Behandlung sind jedenfalls die Beratung per Telefon oder Telefax keine Dienste der Informationsgesellschaft, denn Anhang V zur Richtlinie 98/48/EG grenzt sämtliche Dienstleistungen über Telefon und Telefax ausdrücklich aus und wiederholt dies sogar spezifisch für medizinische Beratungen per Telefon oder Telefax. b) Telemedizinanwendungen auf Internetplattformen Das TMG und das dort verankerte Herkunftslandprinzip könnten allenfalls in Fällen, in denen der Telemediziner einem ärztlichen oder nichtärztlichen Publikum medizinische Dienstleistungen unter Einsatz einer Internetplattform anbietet, einschlägig sein. Denkbar wäre etwa, dass ein ausländischer Telearzt eine eigene Internetplattform beziehungsweise Homepage unterhält und auf dieser die Einholung einer second opinion anbietet.22 In diesen Fällen wäre denkbar, dass das Herkunftslandprinzip das Kollisionsrecht der Rom I und II Verordnungen und des EGBGB überlagert oder die jeweils berufene lex causae korrigiert. Die am Kommunikationsmedium ansetzende Definition hätte die – angesichts der überall zu beobachtenden wirtschaftlichen Konvergenz der Medien – merkwürdige Konsequenz, dass die telemedizinische Beratung über eine eigene Internetplattform in den sachlichen Anwendungsbereich der ECRL fiele, so dass für sie das Herkunftslandprinzip gelten würde, während für die Kommunikation per EMail, IP-Telefonie oder Video-Telefonie das Herkunftslandprinzip nicht gelten würde. Bei einer genaueren Untersuchung zeigt sich jedoch, dass auch der Online-Absatz von telemedizinischen Dienstleistungen über eine eigene Internetplattform nicht in den Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips der ECRL beziehungsweise des TMG fällt, da es sich nicht um „Telemedien“ im Sinne des § 3 Abs. 1 TMG beziehungsweise um „Dienste der Informationsgesellschaft“ im Sinne des Art. 3 Abs. 1 ECRL handelt. Dies ist das Resultat des Umstands, dass der Begriff der „kommerziellen Kommunikation“ (Art. 8 Abs. 1 ECRL) die „Dienste der Informationsgesell-
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Hierdurch ist auch erklärbar, warum die Telemedizin als Beispiel für einen Teledienst in der Begründung des Gesetzgebers zum TDG, dem Vorgänger des TMG, explizit genannt wurde; vgl. dazu BT-Drucks. 13/7385 vom 09.04.1997, S. 19; vgl. auch die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Nutzen der Telemedizin für Patienten, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft vom 04.11.2008, KOM (2008) 689 endgültig S. 11, wonach die Telemedizin unter geltendes EUSekundärrecht, insbesondere unter die E-Commerce-Richtlinie fällt.
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schaft“ im Sinne des Art. 3 Abs. 1 ECRL letztlich auf den Marketingbereich begrenzt. aa) Aussage und Reichweite des Art. 8 Abs. 1 ECRL Art. 8 Abs. 1 ECRL fordert die Mitgliedstaaten auf, sicherzustellen, „dass kommerzielle Kommunikationen, die Bestandteil eines von einem Angehörigen eines reglementierten Berufs angebotenen Dienstes der Informationsgesellschaft sind oder einen solchen Dienst darstellen“, also insbesondere auch solche der (Tele-)Ärzteschaft, gestattet sind, „soweit die berufsrechtlichen Regeln, insbesondere zur Wahrung von Unabhängigkeit, Würde und Ehre des Berufs, des Berufsgeheimnisses und eines lauteren Verhaltens gegenüber Kunden und Berufskollegen, eingehalten werden“. In erster Linie hatte man mit dieser Regelung die Online-Werbung reglementierter Berufe ins Auge gefasst.23 Zu den kommerziellen Kommunikationen zählen nach der Legaldefinition des Art. 2 lit. f ECRL „alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt“. Die Absatzförderung geht folglich über den Bereich der eigentlichen Werbung hinaus und erfasst alle Marketingmethoden, wie etwa Zugaben oder Rabatte.24 bb) Online-Absatz von Dienstleistungen ist kein Dienst der Informationsgesellschaft Fraglich ist indes, ob auch der eigentliche Online-Absatz von Dienstleistungen, also etwa die eigentliche telemedizinische Behandlung, zur kommerziellen Kommunikation zählt. Gegen diese Annahme spricht zunächst der systematische Zusammenhang innerhalb der Art. 6–8 ECRL, des Abschnitts 2 „Kommerzielle Kommunikationen“.25 Außerdem differenziert man, wenn man auf die Förderung des Absatzes abstellt, gerade zwischen der Absatzförderung einerseits und dem eigentlichen Absatz andererseits.26 Die Förderung erfüllt eine der eigentlichen telemedizinischen Dienstleistung vorgeschaltete oder begleitende Hilfsfunktion, die telemedizinische Dienstleistung ist die zu fördernde Hauptsache. Die telemedizinische Be-
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Spindler, MMR-Beilage 7/2000, 4, 16. Bodewig, GRUR Int. 2000, 475, 476; Gierschmann, DB 2000, 1315, 1317. 25 Mankowski, AnwBl 2001, 73, 79. 26 Mankowski, AnwBl 2001, 73, 79. 24
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handlung ist das Bezugsobjekt der Förderung, und kann folglich nicht Teil derselben sein. In dieselbe Richtung deutet auch der Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 ECRL. Dort ist die Rede von „kommerziellen Kommunikationen, die Bestandteil eines Dienstes der Informationsgesellschaft sind oder einen solchen Dienst darstellen“. Daraus ergibt sich eine grundsätzliche Differenzierung zwischen kommerziellen Kommunikationen einerseits und dem Erbringen von Diensten der Informationsgesellschaft andererseits. Die kommerzielle Kommunikation begrenzt die Dienste der Informationsgesellschaft also letztlich auf den Marketingbereich.27 Dafür spricht auch Erwägungsgrund Nr. 18 zur ECRL, wonach Tätigkeiten wie die Auslieferung von Waren als solche oder die Erbringung von Offline-Diensten nicht von der ECRL und damit auch nicht von ihrem Herkunftslandprinzip erfasst werden. Für die Frage, welche mitgliedstaatliche Sachrechtsordnung für die Telearzthaftung zur Anwendung berufen wird, darf es aber wertungsmäßig keine Rolle spielen, ob der Telearzt seine second opinion via Fax, E-Mail, IP-Telefonie, normaler Sprachtelefonie, Brief oder über eine Homepage übermittelt, da die kollisionsrechtliche Interessenlage bei diesen Versandmodalitäten identisch ist.28 Folge dieser Überlegungen ist, dass die eigentliche telemedizinische Leistung, gleich auf welchem Weg sie übermittelt wird, keine Telemedium im Sinne des § 3 Abs. 1 TMG beziehungsweise keinen „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne des Art. 3 ECRL darstellt, so dass der Telemediziner im Stadium der Leistungserbringung – ungeachtet des konkret verwendeten Kommunikationsmediums – bereits deshalb nicht dem Herkunftslandprinzip der ECRL beziehungsweise des TMG unterfällt.29 cc) Begrenzung aufgrund des Merkmals der „Geschäftsmäßigkeit“ (1) Merkmal der „Geschäftsmäßigkeit“ Unabhängig von diesen Überlegungen ist der Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips ausweislich des Wortlauts des § 3 Abs. 1 TMG durch das Merkmal der „Geschäftsmäßigkeit“ beschränkt. Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit erfordert, dass sich das Angebot oder die Erbringung
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Mankowski, AnwBl 2001, 73, 79. Vgl. Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 167. 29 Das identische Ergebnis erwägt auch Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 167, wenn er telemedizinischen Anwendungen im Wege der teleologischen Reduktion – freilich mit zurückhaltender Formulierung – vom Herkunftslandprinzip der ECRL bzw. dem TMG ausnehmen möchte. 28
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von Telemediendiensten an die Öffentlichkeit richtet.30 Erforderlich ist eine Außenwirkung.31 Somit scheiden Angebote von Telemediendiensten aus dem Anwendungsbereich der ECRL beziehungsweise des TMG und damit auch aus demjenigen des Herkunftslandprinzips aus, die nur innerhalb eines internen Netzes zugänglich sind. Gleiches gilt für passwortgeschützte, nicht öffentliche Angebote im Internet. Sofern lediglich eine Login-Seite eines bestimmten Angebots im Internet aufgerufen werden kann, ist die Nutzung des Angebots für die Öffentlichkeit ebenfalls ausgeschlossen, so dass es mangels Außenwirkung an einer Geschäftsmäßigkeit des Angebots beziehungsweise der Erbringung fehlt.32 (2) Anwendung auf die Telemedizin Ungeachtet der hier vertretenen Auffassung, dass telemedizinische Dienstleistungen, die der Telemediziner über eine eigene Website übermittelt, keine Telemedien beziehungsweise Dienste der Informationsgesellschaft darstellen, bedeutet dies, dass es jedenfalls fast immer an einer Geschäftsmäßigkeit dieses Angebots fehlen wird, da der Telemediziner seine Leistungen meist nur einem eingeschränkten Nutzerkreis, etwa registrierten Patienten oder Primärärzten nach Eingabe eines Nutzernamens und eines Passworts anbieten wird. Andernfalls wäre schon der notwendige Datenschutzstandard nicht gewahrt.33 In der Folge dieser Erwägungen unterliegen telemedizinische Angebote auf Internetplattformen in Ermangelung der Verwirklichung des Merkmals der Außenwirkung des Angebots und damit der Geschäftsmäßigkeit nicht dem Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie beziehungsweise des TMG. dd) Begrenzung durch das Merkmal des „koordinierten Bereichs“ (1) Merkmal des „koordinierten Bereichs“ Darüber hinaus erfolgt die genaue Festlegung des Anwendungsbereichs des Herkunftslandprinzips erst durch die Definition des Begriffs der Anforderungen in § 3 Abs. 1 TMG, welcher seinerseits durch den sogenann-
30 Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus der Entstehungsgeschichte der ECRL, die von einer Trennung zwischen Massen- und Individualkommunikation geprägt war; vgl. dazu Dorenkamp, Elektronischer Geschäftsverkehr, S. 156. 31 Lorenz, Anbieterkennzeichnung, S. 96. 32 Vgl. zum soeben gesagten statt vieler nur Lorenz, Anbieterkennzeichnung, S. 96 f. m.w.N. 33 Vgl. dazu schon oben S. 28 ff.
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ten „koordinierten Bereich“ der ECRL konkretisiert wird.34 Ausweislich des Art. 2 lit. h ECRL umfasst der koordinierte Bereich die Aufnahme und Ausübung der „online Tätigkeit“ sowie die Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters für seine Telemedien. Folglich versucht die ECRL den koordinierten Bereich anhand des Kriteriums der ausschließlichen online Erbringung der Leistung abzugrenzen.35 (2) Anwendung auf die Telemedizin Ungeachtet der bisherigen Überlegungen ist es demnach notwendig, darüber zu entscheiden, ob die telemedizinische Dienstleistung auf einer Internetplattform ausschließlich „online“ erbracht wird.36 Nur in diesem Fall könnte, wenn man nicht den bisherigen Ausführungen folgt, die Haftung des Telemediziners für eine fehlerhafte Dienstleistung mit einer daraus resultierenden Gesundheitsschädigung des Patienten überhaupt in den „koordinierten Bereich“ fallen, so dass sie in den Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips fallen könnte. Davon kann meines Erachtens nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei der telemedizinischen Dienstleistung, etwa der Erteilung einer second opinion, um eine „offline“ erbrachte Dienstleistung handelt, die nur mittels eines Telemediums übermittelt wird. Allein der unter Umständen bestehende Zusammenhang mit einem Telemediendienst reicht nicht aus, um zur Annahme einer „online“ Maßnahme zu gelangen.37 Jedenfalls muss die Behandlungsfehlerhaftung von vornherein aus dem Anwendungsbereich der ECRL beziehungsweise des TMG ausgenommen werden, da eine derartige Haftung nicht aus einem etwaigen Telemedium und dessen Gefahren, sondern aus einer fehlerhaften Behandlung und deren Gefahr einer Gesundheitsschädigung des Patienten resultiert. Dafür spricht ferner Art. 1 Abs. 3 ECRL nebst dem Erwägungsgrund 11, wonach die Richtlinie das durch Gemeinschaftsrechtsakte eingeführte Schutzniveau für öffentliche Gesundheit unberührt lassen soll. Gleichzeitig will Erwägungsgrund 10 zur ECRL ein hohes Schutzniveau für den Bereich der öffentlichen Gesundheit gewährleisten. Die ECRL strebt daher keine Harmonisierung in bereits anderweitig geregelten Bereichen – wie etwa dem Gesundheitsschutz – an.38 Eine uneingeschränkte Anwendung des Herkunftslandprinzips auf das
34 Vgl. Heckmann in JurisPK-Internetrecht, Kapitel 1.3 Rn. 20; Martiny in MüKo, Anh. III zu Rom I Rn. 10. 35 Hanika, BKK 2001, 118, 121; vgl. auch Erwägungsgrund 21 zur ECRL. 36 Vgl. zur Abgrenzung von online- und offline Aktivitäten Arndt/Köhler, EWS 2001, 102, 104 und Spindler, RabelsZ 66 (2002) 633, 646. 37 Vgl. Heckmann in JurisPK-Internetrecht, Kapitel 1.3 Rn. 21. 38 Hanika, MedR 2000, 205, 208.
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Gesundheitswesen kommt daher nicht in Betracht, da bezüglich der (Tele-)Arzthaftung keine ausreichende Harmonisierung nebst gleichwertigem Schutzniveau in den einzelnen Mitgliedstaten besteht.39 ee) Begrenzung aufgrund eines Vergleichs mit den Regelungen der Rom IIVerordnung Für eine solche Sichtweise streitet ferner ein Vergleich mit der Grundanknüpfung für außervertragliche Schuldverhältnisse wegen Körperverletzung des Art. 4 Abs. 1 Rom II. Indem der EU-Gesetzgeber für außervertragliche Schuldverhältnisse wegen Körper- und Gesundheitsverletzungen die Sachrechtsordnung am Erfolgsort des schädigenden Ereignisses zur Anwendung beruft, bringt er zum Ausdruck, dass er die kollisionsrechtliche Interessenlage bei Gesundheitsschädigungen zugunsten des Geschädigten auflösen möchte. Würde man außervertragliche Schuldverhältnisse wegen Gesundheitsschädigung dem Herkunftsland des Schädigers unterstellen, weil dieser über eine Internetplattform gehandelt hat, ließe sich dies allenfalls damit rechtfertigen, dass den Telemediziner durch eine derartige Anknüpfung eine geringere Informationslast träfe.40 Der Telemediziner könnte auf die Anwendung eines ihm bekannt oder jedenfalls recht einfach feststellbaren Sachrechts vertrauen. Bei dieser Argumentation wird jedoch übersehen, dass auch die Feststellung einer möglicherweise interessanteren, weil – aus Sicht des Telemediziners – materiell-rechtlich günstigeren lex causae am Erfolgsort des schädigenden Ereignisses nur durch eine kostenintensive und praktisch schwierige Beratung über das – aus Sicht des Telemediziners – ausländische Sachrecht realisiert werden kann.41
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Vgl. Hanika, MedR 2000, 205, 208; Ernst, WRP 2001, 893, 898. Vgl. etwa Roth in GS Lüderitz, 635, 639. 41 So auch Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 166 f.; gleiches würde im Übrigen auch dann gelten, wenn man die Regelungen der lex causae nur dann im Wege eines Günstigkeitsvergleiches zurücktreten lassen würde, wenn sie über die Anforderungen bzw. Standards des Herkunftslandes des Telemediziners hinausgehen, da der Telemediziner auch bei dieser Sichtweise bezüglich der bestehenden Haftungsrisiken nur dann Rechtssicherheit erlangen könnte, wenn er die in Rede stehenden Sachrechtsordnungen im Vorfeld, in der Rechtspraxis unter Einschaltung eines Anwalts, miteinander vergleicht. 40
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ff) Herkunftslandprinzip der ECRL und die europäische Dienstleistungsfreiheit Darüber hinaus würdigen die Vertreter42 einer Korrektur des auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts bei Gesundheitsverletzungen via telemedizinischer Internetplattformen nur unzureichend die kollisionsrechtliche Interessenlage, weil sie der Dienstleistungsfreiheit des Telemediziners übereilt den Vorrang gegenüber dem Grundrecht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit einräumen.43 Bei der Anknüpfung der außervertraglichen Schuldverhältnisse wegen Gesundheitsschädigung steht weniger das ob eines Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit im Raum, sondern vielmehr die Abwägungsfrage, wer begünstigt werden soll: der Telemediziner oder der Patient? Entscheidet die neue EU-Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 Rom I diese Frage zugunsten des Patienten, bringt der EU-Gesetzgeber zum Ausdruck, dass ein etwaiger Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit aufgrund der Interessen des Patienten jedenfalls gerechtfertigt ist. Folglich wäre es unsystematisch und widersprüchlich, mittels einer gegensätzlichen Wertentscheidung ein nachträgliches Korrekturerfordernis über das Herkunftslandprinzip der ECRL auszulösen44, zumal bei einer Übertragung der gleichen Informationen durch den Telemediziner per Post oder Telefon unstreitig die Regelung und damit auch die hinter dieser Kollisionsnorm stehenden Wertungen des Art. 4 Abs. 1 Rom I gelten würden. gg) Begrenzung hinsichtlich Verbraucherverträgen Abschließend ist darüber hinaus festzustellen, dass es sich bei Telemedizinverträgen – dies sei schon einmal vorweggenommen45 – regelmäßig um Verbraucherverträge handelt. Diese fallen ausweislich des § 3 Abs. 3 Nr. 2 TMG nicht in den Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips, so dass eine Korrektur hinsichtlich der Vorschriften für vertragliche Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge bereits deshalb ausscheidet.46 II. Schlussfolgerung für telemedizinische Anwendungen Aus diesen Überlegungen ergibt sich insgesamt, dass dem Herkunftslandprinzip der ECRL beziehungsweise seiner deutschen Umsetzung im TMG
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Vgl. Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 185–241, insbesondere S. 238–241. So auch Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 167. 44 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 167. 45 Hierauf wird noch ausführlich zurückzukommen sein; vgl. unten Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, a). 46 Insoweit zutreffend Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 209. 43
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im Rahmen telemedizinischer keine, jedenfalls keine relevante47, Bedeutung zukommt, so dass im Rahmen dieser Arbeit nicht näher auf dieses Prinzip eingegangen wird. Die Untersuchung der kollisionsrechtlichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Telemedizin wird folglich weitestgehend anhand der neuen EU-Kollisionsregeln der Rom I- und II-Verordnungen erfolgen. Dabei werden die bisherigen Lösungsmöglichkeiten nach den Vorschriften des EGBGB beziehungsweise des EVÜ jedoch nicht außer Acht gelassen. In Teilbereichen sind, wie noch zu zeigen sein wird, sogar noch Regelungen des EGBGB einschlägig.
§ 2 Qualifikation der auftretenden Rechtsfragen § 2 Qualifikation der auftretenden Rechtsfragen
Der rechtsvergleichende Teil hat gezeigt, dass bei der grenzüberschreitenden Telemedizin im Wesentlichen vier große Fragenkomplexe existieren, deren kollisionsrechtliche Behandlung es zu untersuchen gilt: Aus Sicht des Telemediziners und des Patienten ist erstens von essentieller Bedeutung nach welcher Rechtsordnung sich seine Vergütung richtet. Quasi spiegelbildlich ist aus Sicht des Patienten zweitens entscheidend, nach welcher Rechtsordnung sich seine Primäransprüche gegen den Telemediziner richten. Insbesondere im Schadensfall stellt sich drittens sowohl für den Telemediziner als auch für den Patienten die Frage, nach welcher Rechtsordnung sich etwaige Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner beurteilen. Freilich ist diese Frage auch unabhängig von einem Schadensfall von Interesse, da der Telemediziner andernfalls bestehende Haftungsrisiken nicht überblicken kann. Ferner hat die Darstellung der Sachrechte ergeben, dass der innerstaatlich tätige Telemediziner einer staatlichen Berufszulassung, etwa einer deutschen Approbation, bedarf. Im Rahmen von grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen stellt sich daher viertens die Frage, ob dieser Approbationsvorbehalt auch – aus deutscher Sicht – ausländische Telemediziner erfasst, sofern sie nach Deutschland hinein behandeln. Im Rahmen dieser Untersuchung wird freilich auch darauf einzugehen sein, ob ein deutscher Telemediziner, welcher „ins Aus-
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Bedeutung könnte das Herkunftslandprinzip der ECRL etwa erlangen, wenn der ausländische Telemediziner auf seiner Internetplattform, quasi im Vorfeld der eigentlichen telemedizinischen Dienstleistung, unter Verstoß gegen das Lauterkeitsrecht wirbt, indem er seine Dienste etwa unterhalb seiner Selbstkosten anbietet. Dabei handelt es sich jedoch im Kern nicht um ein telemedizinisches Problem, so dass im Rahmen dieser Arbeit auf eine nähere Erörterung dieser Problematik verzichtet wird. Vgl. zur Problematik etwa Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 150–156.
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land hinein“ behandelt, die dortigen Zulassungsvorbehalte, wie etwa die US-amerikanische physician license, zu beachten hat. Bevor diesen kollisionsrechtlichen Fragen näher nachgegangen werden kann, ist es zunächst erforderlich, diese einzelnen Rechtsfragen, anhand der beteiligten kollisionsrechtlichen Interessen, den in Rom I und Rom II enthaltenen Statuten zuzuordnen. Erst nach dieser Zuordnung können diejenigen kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten untersucht werden, welche für die kollisionsrechtliche Entscheidung, insbesondere im Rahmen von sogenannten Ausweichklauseln, von entscheidender Bedeutung sind. Im Folgenden wird daher zunächst untersucht, wie die einzelnen Rechtsfragen zu qualifizieren sind. Erst im Anschluss an diese Qualifikation kann untersucht werden, welche Ansprüche welcher Rechtsordnung unterstehen. A. Bislang herrschende Qualifikationsmethode und deren Folgen Im Anwendungsbereich des EGBGB ging die wohl herrschende deutsche Auffassung, wie die wohl überwiegende Meinung in den übrigen EU-Mitgliedstaaten auch48, im Grundsatz, der freilich nicht immer durchgehalten wurde, davon aus, dass eine Qualifikation nach der materiellen lex fori vorzunehmen sei.49 Dieses Verständnis geht im Grundsatz davon aus, dass die Systembegriffe, genauer die Anknüpfungsgegenstände des EGBGB, also beispielsweise die „unerlaubte Handlung“ (Art. 40 EGBGB), mit denen des deutschen BGB identisch sind. In der Folge dieses Verständnisses führte eine Anspruchskonkurrenz im materiellen Recht der lex fori auf kollisionsrechtlicher Ebene häufig zu einer Statutenkonkurrenz. 50 Gut verdeutlichen lässt sich dieses Phänomen anhand der Qualifikation der (Tele-)Arzthaftung, die bislang ohne genauere Prüfung oder gar Begründung zunächst dem Vertrags- und dem Deliktsstatut unterstellt wurde.51 Diese Statutenkonkurrenz wurde dann nach ganz überwiegender Meinung durch die Unterstellung des Deliktsstatuts unter das Statut des Tele48
Vgl. dazu die ausführliche Untersuchung bei Kadner Graziano, IPR, S. 439–445. Vgl. Kropholler, IPR, § 16 I, S. 121 f.; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 12 f.; vgl. dazu insgesamt Kegel/Schurig, IPR, § 7 III 2 a), S. 337 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus Rspr. und Literatur. Eine Ausnahme hiervon wurde allerdings im Rahmen des Kollisionsrechts für vertragliche Schuldverhältnisse gemacht, Art. 36 EGBGB. Dies verkennt Link, Telemedizin, S. 254. 50 Kadner Graziano, IPR, S. 442 f. 51 Siehe Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 202 ff., insb. 227–255; Link, Telemedizin, S. 269 ff., insb. 302 f.; Deutsch, MedR 2009, 576 ff.; Prütting in Spickhoff, Cross Border Treatment, 37, 46 ff., insb. 49 f., Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 113 ff., insb. 152 f.; Hoppe, MedR 1998, 462, 464 f.; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 247. 49
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medizinvertrages mittels des Rechtsinstruments der vertragsakzessorischen Anknüpfung freilich unter gewissen Umständen sogleich wieder aufgehoben, wenn zwischen Patient und Telemediziner ein Vertrag bestand.52 B. Qualifikationsmethode unter Geltung von Rom I und Rom II und deren Folgen Die Qualifikation von Rechtsfragen hängt im Anwendungsbereich von Rom I und II nicht davon ab, an welchen Stellen die beteiligten Sachrechte, sei es die lex causae oder die lex fori, den betroffenen Fragenkreis regeln. Vielmehr hat im Anwendungsbereich von Rom I und II die Qualifikation autonom von der jeweiligen Sachrechtsordnung zu erfolgen53, da beispielsweise die Systembegriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Handlung“ im europäischen Kollisionsrecht und die Systembegriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Handlung“, welche die Sachrechtsordnungen aufgliedern, nicht zwangsläufig identisch sind, stammen sie doch schon gar nicht von dem selben Gesetzgeber.54 Entscheidend für die Beantwortung der Qualifikationsfrage sind nicht die Systembegriffe der jeweiligen lex fori oder lex causae, sondern vielmehr der mit einer Rechtsnorm verfolgte Zweck mit den daraus implizierten kollisionsrechtlichen Interessen.55 Dies galt und gilt freilich auch schon im nationalen internationalen Privatrecht, wird dort aber häufig übersehen.56
52
Siehe Link, Telemedizin, 291 f.; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 160; Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 242 f.; Hoppe, MedR 1998, 462, 466 f.; Prütting in Spickhoff, Cross Border Treatment, 37, 49; Giesen in Spickhoff, Cross Border Treatment, 146, 162; Deutsch, MedR 2009, 576, 579; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 253–257. 53 Erwägungsgrund Nr. 11 zu Rom II; Dutta, IPrax 2009, 293, 293; Thorn in Palandt, BGB, Vorbemerkung zu Rom I Rn. 3; Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.86, 3.243, 4.06.; Martiny in MüKo, Vor Art. 1 Rom I Rn. 15; McLean/Beevers, Conflict of Laws, Rn. 14–012. 54 Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 215, 219 f. 55 Hierdurch wird die Interessenjurisprudenz in das IPR übernommen. Wie die materiellprivatrechtliche Gerechtigkeit (nach der Lehre der Interessenjurisprudenz) auf Feststellung, Bewertung und Abwägung von Interessen beruht, beruht auch die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit darauf, wenngleich es dabei um die Feststellung, Bewertung und Abwägung kollisionsrechtlicher Interessen geht; lesenswert in diesem Kontext Kegel in FS Lewald, 259 ff., insb. 261 ff. und Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 200– 230. 56 Vgl. dazu statt vieler nur Kegel/Schurig, IPR, § 7 III, S. 336–356 m.z.N. zum Streitstand und Ausführungen zur richtigen, autonomen Qualifikation.
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I. Verdeutlichung anhand des sogenannten Bündelungsmodells Die Maßgeblichkeit der kollisionsrechtlichen Interessenlage für die Beantwortung der Qualifikationsfrage, im nationalen wie europäischen Kollisionsrecht, lässt sich gut anhand des Bündelungsmodells57 veranschaulichen. Nach diesem Modell steht jeder Sachnorm gedanklich eine eigene Kollisionsnorm zur Seite, durch die sie zur Anwendung berufen werden kann. Die allseitigen, gegebenenfalls kodifizierten, Kollisionsnormen wie beispielsweise die Art. 3 ff. Rom I oder Art. 4 Rom II stellen lediglich eine Bündelung solcher rechtssatzbezogenen Element-Kollisionsnormen dar. Eine derartige Bündelung ist möglich und sinnvoll, wenn die kollisionsrechtlichen Interessen der jeweiligen Element-Kollisionsnormen im Wesentlichen identisch sind. In einem Bündel sind also solche ElementKollisionsnormen zusammengefasst, die als Resultat einer kollisionsrechtlichen Interessenabwägung denselben abstrakten Verweisungsbefehl enthalten. Ergibt die kollisionsrechtliche Interessenanalyse einer ElementKollisionsnorm hingegen eine von einem Bündel abweichende kollisionsrechtliche Interessenlage, so wird diese Norm nicht durch den Bündelverweis erfasst und es kommt zu einer einseitigen Anknüpfung aufgrund der in der Sachnorm versteckt enthaltenen Element-Kollisionsnorm oder aufgrund einer anderen geschriebenen Kollisionsnorm. Theoretischer Ausgangspunkt dieses Modells ist, dass der vermeintliche Systemgegensatz zwischen der – das moderne IPR prägenden und auf Savigny58 zurückgehenden – Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung vom Rechtsverhältnis beziehungsweise Sachverhalt her und der mit der früheren Statutentheorie in Verbindung zu bringenden Ermittlung des anwendbaren Rechts vom Gesetz her59, in Wahrheit nicht existiert.60 Der Unterschied besteht einzig in der Methodik, während inhaltlich beide Ansätze als zwei Seiten derselben Medaille erscheinen. Dies wurde bereits von Savigny erkannt und die „Verbindung der Rechtsregeln mit den Rechtsverhältnissen“ daher richtigerweise als eine Verbindung charakterisiert, die „von der einen Seite betrachtet, als Herrschaft der Regeln über die Verhältnisse, von der anderen Seite als Unterwerfung der Verhältnisse unter
57
Begründet von Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 89 ff. Von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, 27 f. 59 Vgl. dazu Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8, 9. 60 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 78 ff., 89 ff.; Roth, Int. Versicherungsrecht, S. 157 ff.; Wördemann, International zwingende Normen, S. 100 f.; a.A. Mankowski, DZWir 1996, 273, 274; ders., RIW 1993, 453, 460 f.; Schubert, RIW 1987, 729, 730. 58
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die Regeln“ erscheint.61 Es mach keinen Unterschied „ob man sagt, der Erbfall nach einem Österreicher ist nach österreichischem Erbrecht zu beurteilen oder österreichisches Erbrecht ist anzuwenden, wenn der Erblasser Österreicher war“.62 Wenn sich folgerichtig die Frage nach dem internationalen Anwendungsbereich einer bestimmten Sachnorm und die Frage nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses im savignyschen Sinn beziehungsweise dem auf einen bestimmten Lebenssachverhalt anwendbaren Recht nicht gegenseitig ausschließen, kann es auch nicht als systemfremd angesehen werden, wenn man zumindest gedanklich jeder Sachnorm eine in ihr enthaltene ElementKollisionsnorm zur Seite stellt und aufgrund der dieser zugrundeliegenden kollisionsrechtlichen Interessen einer eventuell schon bestehenden allseitigen Anknüpfungsnorm zuordnet.63 Diese Bündelung besteht dann sowohl auf vertikaler wie auch auf horizontaler Ebene: „Vertikal“ – weil auf den systematischen Zusammenhang bezogen64 – gebündelt sind in der allseitigen Kollisionsnorm die Verweisungen eines bestimmten zusammenhängenden Sachgebietes, also diejenigen die sich auf sachlich-systematisch zusammenhängende und die gleichen kollisionsrechtlichen Interessen implizierende Sachnormen jeweils einer Rechtsordnung beziehen.65 Durch diese vertikale Bündelung entsteht ein sogenanntes Statut. Die „horizontale“ Bündelung fasst hingegen diejenigen ElementKollisionsnormen zusammen, welche – bei gleicher abstrakter Anknüpfung – die entsprechenden Sachnormen in den verschiedenen Rechtsordnungen berufen.66 Erst durch die Horizontalbündelung wird eine Kollisionsnorm also allseitig. Vor diesem Hintergrund liegt die eigentliche Problematik der Qualifikation offen zu Tage67: Es geht darum, ob die einer bestimmten Sachnorm beistehende Element-Kollisionsnorm Bestandteil der einen oder anderen allseitigen Bündelung ist oder ob sie sogar außerhalb der bisher bestehen-
61
Von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, 1. Kegel/Schurig, IPR, § 6 II, S. 314. 63 Kegel/Schurig, IPR, § 6 II, S. 314; a.A. Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8, 9. 64 Vgl. dazu Kegel/Schurig, IPR, § 6 II, S. 315. 65 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 102; Wördemann, International zwingende Normen, S. 102. 66 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 105; Wördemann, International zwingende Normen, S. 102. 67 Siehe zum Folgenden Kegel/Schurig, IPR, § 7 III 3. b) bb) S. 298 f. 62
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den Bündelungen anzusiedeln ist.68 Zur Feststellung der Zugehörigkeit müssen die Bündelungen derjenigen allseitigen Kollisionsnormen, deren Anwendung „in Frage“ kommt, gedanklich wieder gelöst werden. Das bedeutet, dass dem Rechtsanwender die Bündelungskriterien des jeweiligen Statuts, nämlich die übereinstimmende Feststellung und Bewertung kollisionsrechtlicher Interessen, bewusst werden müssen, welche die Zusammenfassung bestimmter Element-Kollisionsnormen unter das selbe, allseitige Bündel durch den Gesetzgeber getragen haben. Hat man die maßgeblichen kollisionsrechtlichen Interessen identifiziert, bildet man für die zu qualifizierende Sachnorm probeweise eine Anknüpfung nach diesem Muster. Überzeugt eine solche Anknüpfung aufgrund ihrer Sach- und Interessengerechtigkeit, so wird die jeweilige ElementKollisionsnorm in die Bündelung einbezogen und damit das Rechtsgebilde als der allseitigen Kollisionsnorm des internationalen Privatrechts zugehörig qualifiziert. Zeigt die Probeanknüpfung hingegen, dass die kollisionsrechtlichen Interessen, welche durch die anzuknüpfende Sachnorm impliziert werden, nicht mit denjenigen, die als Bündelungskriterien der in Rede stehenden allseitigen Kollisionsnorm, übereinstimmen, findet eine Qualifikation des Rechtsgebildes als zu dem jeweiligen Statut gehörig nicht statt. Vielmehr gilt es dann eine andere allseitige Kollisionsnorm zu wählen und den Versuchsvorgang mittels Probeanknüpfung erneut vorzunehmen. Findet sich trotz solcher Wiederholungen kein allseitiges Bündel für die Anknüpfung der jeweiligen Sachrechtsnormen, so sind diese nicht einfach zu ignorieren, sondern vielmehr anhand ihrer eigenen ElementKollisionsnorm, die freilich erst aufgrund der besonderen kollisionsrechtlichen Interessenlage zu bilden ist, zu berufen. Die so gebildete einseitige Kollisionsnorm kann ihrerseits Kristallisierungspunkt für eine neue allseitige Kollisionsnorm sein. Auf diese Weise erhält das Kollisionsrechtssystem eine gewisse Offenheit, so dass eine Ausdifferenzierung des Kollisionsrechts möglich ist. II. Durchführbarkeit einer funktionalen Qualifikation trotz des gemeineuropäischen Kontexts Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, was die Qualifikation eigentlich ist und dass für sie nur die kollisionsrechtlichen Interessen maßgeblich sind. Dies kann oder soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die funktionale Qualifikation nicht vollkommen autark von sachrechtlichen
68 Auf die Frage, ob Element-Kollisionsnormen existieren, die außerhalb der bisherigen Bündelungen stehen, wird noch an anderer Stelle dieser Arbeit zurückzukommen sein.
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Regelungen durchgeführt werden kann. Vielmehr sind es gerade die einer Sachnorm zugrundeliegenden Interessen, welche die kollisionsrechtliche Interessenlage „implizieren“ beziehungsweise „ihren Schatten auf das Kollisionsrecht werfen“.69 In diesem Umstand liegt das Problem und zugleich die Herausforderung der funktionalen Qualifikation von unionrechtlichem Kollisionsrecht, da bislang kein europäisches Privatrecht existiert, welches seinen Schatten ins Kollisionsrecht werfen könnte. Welches sind dann aber die Sachnormen, welche die kollisionsrechtliche Interessenlage implizieren? Ist die funktionale Qualifikation in Ermangelung eines europäischen Privatrechts überhaupt durchführbar? Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass man zur Beantwortung der Qualifikationsfrage nicht immer auf die durch Sachnormen implizierten kollisionsrechtlichen Interessen abstellen muss, so dass sich das Problem, welches aus dem Fehlen eines europäischen Sachrechts resultiert, bereits von vornherein relativiert. Vielmehr kann man in einem ersten Schritt auf Historie, Wortlaut, Systematik, Zweck und Funktion der unionsrechtlichen Kollisionsregelungen, ergänzt um die Erwägungsgründe zu den europäischen Verordnungen, zurückgreifen.70 Durch ihren Aufbau aus Tatbestand und Rechtsfolge halten Kollisionsnormen, wie jede imperative Rechtsnorm, eine „Verhaltensanweisung“ (wende auf diesen Sachverhalt diese Rechtsordnung an) bereit. Hinter diesen „Verhaltensanweisungen“ verbergen sich Wertungen beziehungsweise Wertungsvorstellungen des europäischen Gesetzgebers. Die in Rom I und II kodifizierten Kollisionsnormen sind Rechtssätze, mit denen der EUGesetzgeber von den einen bestimmten Sachbereich materiell regelnden, weltweit vorhandenen Sachnormen diejenigen auswählt, deren Anwendung er im gegebenen Fall nach eigener rechtspolitischer Bewertung und Abwägung der kollisionsrechtlichen Interessenlage für am gerechtesten hält.71 Der europäische Gesetzgeber setzt durch seine Kollisionsrechtsstatute also eine bestimmte Abwägung von internationalprivatrechtlichen Partei-, Verkehrs- und Ordnungsinteressen72 um. Folglich können auch den in Rom I und II enthaltenen Kollisionsregelungen schon bestimmte grundlegende rechtspolitische Entscheidungen und Abwägungen kollisionsrechtlicher Interessenlagen entnommen werden. So ist beispielsweise Rom II
69
Siehe dazu Kegel/Schurig, IPR, § 7 III 3 b) bb) S. 298. Martiny in MüKo, Vor Art. 1 Rom I Rn. 15 ff.; so auch zur EuGVO EuGH, NJW 2009, 1865, 1865 f. 71 Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 95; Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 197. 72 Siehe Kegel/Schurig, IPR, § 2 II S. 117 ff. 70
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zumindest teilweise dem Prinzip gewidmet, das „Opfer“ kollisionsrechtlich zu privilegieren.73 Freilich kann nicht jede Form der kollisionsrechtlichen Interessenabwägung durch Auslegung der in Rom I und II enthaltenen Regelungen nebst ihrer Erwägungsgründe ermittelt werden. Vielmehr kommt man zur Beantwortung von Qualifikationsfragen in Fällen, in welchen (noch) kein „Interessenbewusstsein“ des EU-Gesetzgebers besteht, manchmal nicht umhin, auch kollisionsrechtliche Interessen zu berücksichtigen, die durch das Sachrecht impliziert werden. Wie bereits festgestellt wurde, gibt es zwar kein europäisches Privatrecht, welches mittelbar die Systembegriffe der Kollisionsrechtsverordnungen mitprägen könnte, doch kann zur Bestimmung der, die kollisionsrechtlichen Interessen implizierenden, sachrechtlichen Interessen eine rechtsvergleichende Betrachtung der Sachrechtsordnungen hilfreich sein. Auf diesem Weg können die sachrechtlichen Interessen ermittelt werden, welche die kollisionsrechtlichen Interessen implizieren ohne dass der einzelnen Sachrechtsordnung der lex fori oder der lex causae mit ihren (dogmatischen) „Eigenheiten“ übermäßige Bedeutung zukommt. Zusammenfassend ist die funktional-autonome Qualifikationsmethode auch im Rahmen des unionsrechtlichen Kollisionsrechts weiterhin der richtige Weg.74 Die grundlegende Methodik bleibt dabei dieselbe, wie nach der bisherigen „funktionellen Theorie“. III. Folgen der autonomen, funktionalen Qualifikation für die Behandlung von Anspruchskonkurrenzen im internationalen Privatrecht Bei der vom Sachrecht autonomen Qualifikation kann es vorkommen, dass – aus deutscher Sicht – vertragliche Ansprüche als deliktisch zu qualifizieren sind und daher dem Deliktsstatut nach Art. 4 Rom II unterstehen oder dass – nach deutschem Verständnis – deliktische Ansprüche nach dem Vertragsstatut nach Art. 3 ff. Rom I zu beurteilen sind. Eine Doppelqualifikation der Telearzthaftung als unerlaubte Handlung und Vertragsverletzung, und damit eine Zuordnung der Telearzthaftung zu dem Delikts- und dem Vertragsstatut, wie sie bislang unter Geltung des EGBGB überwiegend angenommen wurde75, wäre bei funktionalautonomer Qualifikation nur dann geboten, wenn die durch das materielle Haftungsrecht implizierte kollisionsrechtliche Interessenlage einer einheitlichen Anknüpfung nach dem Vertrags- oder dem Deliktsstatut entgegen73
Lehmann, Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 29. 74 Martiny in MüKo, Vor Art. 1 Rom I Rn. 15d m.w.N. 75 Siehe hierzu die in Kapitel 4 Fn. 51 Genannten.
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stünde. Eine Qualifikation der Telearzthaftung als ausschließlich vertraglich oder deliktisch ist folglich nicht schon alleine deshalb ausgeschlossen, weil sie auf der Ebene des Sachrechts sowohl aus Vertrag als auch aus unerlaubter Handlung, also aus zwei unterschiedlichen Rechtsinstituten, resultieren kann.76 Nachdem nunmehr die unterschiedlichen Qualifikationsmethoden und deren Konsequenzen für die Qualifikation fragmentarisch dargelegt wurden, wird im Folgenden untersucht, wie die im Rahmen der grenzüberschreitenden Telemedizin denkbaren Ansprüche unter Geltung von Rom I und Rom II im Einzelnen zu qualifizieren sind. C. Qualifikation der Telearzthaftung Von entscheidender Bedeutung ist im Bereich der grenzüberschreitenden Telemedizin die Frage, welcher Rechtsordnung die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, ob und unter welchen Voraussetzungen der Telemediziner für sein eigenes oder ein Fehlverhalten des Primärarztes welches zu einer Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität des Patienten führt, haftungsrechtlich einzustehen hat, weshalb diese Rechtsfrage hier als erstes qualifiziert wird. In Betracht kommt eine Qualifikation dieser Haftung des Telearztes als vertraglich und/oder deliktisch. Um dieser Qualifikationsfrage nachgehen zu können, müssen zunächst die Bündelungskriterien des Vertrags- und Deliktsstatuts, nämlich die übereinstimmende Feststellung und Bewertung kollisionsrechtlicher Interessen, herausgearbeitet werden. Erst wenn die maßgeblichen kollisionsrechtlichen Interessen festgestellt wurden, man also weiß, wo die Grenze zwischen Vertrag und Delikt im europäischen Kollisionsrecht überhaupt verläuft, kann durch probeweise Unterwerfung der Telearzthaftung unter das Vertragsstatut beziehungsweise Deliktsstatut überprüft werden, ob die jeweilige Anknüpfung aufgrund ihrer Sach- und Interessengerechtigkeit überzeugt, die Telearzthaftung also als vertraglich und/oder deliktisch zu qualifizieren ist. I. Grenze zwischen Vertrag und Delikt im EU-Kollisionsrecht Die Festlegung der Grenze zwischen Vertrag und Delikt im europäischen Kollisionsrecht hat autonom von vergleichbaren Grenzziehungen in den Sachrechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu erfolgen. Die Grenze verläuft also nicht zwangsläufig entlang der Grenze in einer oder gar mehreren nationalen Rechtsordnungen, die durch historische Zufälligkeiten bedingt
76
So im allgemeinen auch Schurig in FS Heldrich, 1021, 1030; Looschelders, Anpassung, S. 156.
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sein kann.77 Vielmehr gilt es, die Grenze zwischen Vertrag und Delikt anhand der unterschiedlichen Funktion dieser Rechtsinstitute autonom vom Sachrecht zu bestimmen. Aus der – bisher nicht näher festgestellten – unterschiedlichen Funktion von Vertrag und Delikt resultieren nämlich unterschiedliche kollisionsrechtliche Interessenlagen, die dazu führen, dass für vertragliche und deliktische Ansprüche überhaupt unterschiedliche Statute ausgebildet wurden.78 Im Folgenden wird daher zunächst abstrakt untersucht, welche Funktionen die Rechtsinstitute Vertrag und Delikt, bei EU-autonomem Verständnis, eigentlich besitzen. Diese Untersuchung gestaltet sich schwierig da weder die Rom I- noch die Rom II-Verordnung eine Definition des vertraglichen Schuldverhältnisses beziehungsweise der unerlaubten Handlung enthält. So heißt es in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I lediglich, dass die Verordnung für „vertragliche zivil- und handelsrechtliche Schuldverhältnisse, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweise“ gelte. Eine Definition der vertraglichen Schuldverhältnisse findet sich hingegen nicht.79 Auch die Erwägungsgründe zu Rom I und II helfen nicht recht weiter. Vielmehr teilt Erwägungsgrund Nr. 7 zu Rom I und Rom II nur mit, dass der materielle Anwendungsbereich von Rom I mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO) und der Rom II im Einklang stehen sollen. Da aber auch die EuGVO und die Rom IIVerordnung keine Definition eines Vertrages und/oder einer unerlaubten Handlung enthalten, hilft auch Erwägungsgrund Nr. 7 nicht sonderlich weiter. 1. Unterscheidung zwischen Vertrag und Delikt durch den EuGH und deren Grundlagen Der EuGH hat im Rahmen der Auslegung von Art. 5 Nr. 1 und 3 EuGVO, also im Rahmen der Abgrenzung von Vertrag und Delikt im europäischen Zuständigkeitsrecht, einen Vertragsbegriff entwickelt. Man könnte also auf die Idee kommen, diese Rechtsprechung für die Abgrenzung von Vertrag und Delikt auf kollisionsrechtlicher Ebene fruchtbar zu machen. Dem steht vordergründig jedoch entgegen, dass die EuGVO ganz andere Zwecke ver-
77
Vgl. Mankowski, IPrax 2003, 127, 133; siehe auch Generalanwalt Francis G. Jacobs, Schlussanträge in Rs. C-26/91 v. 08.04.1992, Slg. 1992, I-3977, I-3985 Nr. 26. 78 Vgl. dazu schon oben Kapitel 4, § 2, B. 79 Reiher, Vertragsbegriff, S. 22, 22–25; Martiny in MüKo, Art. 1 Rom I Rn. 7.
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folgt als die Rom I und II-Verordnungen80: Die EuGVO enthält Regelungen über die Zuständigkeit und Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen. Demgegenüber betreffen die Kollisionsnormen der Rom I und IIVerordnungen die Frage nach dem anwendbaren Recht. Während Rom I und II also der Verwirklichung der kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit dienen, versucht die EuGVO einen gerechten Ausgleich prozessualer Interessen zu erreichen.81 Dass der angemessene Ausgleich der kollisionsrechtlichen Interessen nicht immer zu identischen Ergebnissen führt wie der Ausgleich der sich widerstreitenden Interessen im Rahmen der Bestimmung des zuständigen Gerichts dürfte dabei einleuchten – sind doch schon die sich widerstreitenden Interessen nicht dieselben.82 Mit anderen Worten kann die Bestimmung des anwendbaren Rechts grundsätzlich nicht nach denselben Grundsätzen wie die Ermittlung des zuständigen Gerichts erfolgen. Jedoch haben wir es bei den Begriffen des „Vertrags“ bzw. „vertraglich“ einerseits und dem Begriff der „unerlaubten Handlung“ andererseits mit einer besonderen Situation zu tun, da sowohl die Rom I-Verordnung als auch die EuGVO diese Begriffe benutzen. Dies deutet stark darauf hin, dass der europäische Gesetzgeber mit diesen Begriffen auch Identisches meint.83 In diese Richtung deuten letztlich auch die schon erwähnten Erwägungsgründe Nr. 7 zu Rom I und II. Über diese Annahme des EUGesetzgebers wird man sich als Rechtsanwender nicht hinwegsetzen können. Auch ist festzustellen, dass ein einheitliches Verständnis der Begriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Handlung“ aus praktischer Sicht vorteilhaft ist. Es wäre ärgerlich und würde die praktische Arbeit mit der EuGVO, Rom I und II unnötig erschweren, wenn diesen Begriffen in den Verordnungen unterschiedliche Bedeutung zukommen würde. Auch die erhöhte Rechtsklarheit und die aus der Herausbildung eines einheitlichen Vertragsbegriffs resultierende Rechtsvereinheitlichung auf europäischer Ebene sprechen für
80
Vgl. dazu Reiher, Vertragsbegriff, S. 80–82; Nordmeier in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europ. Einfluss, Kap. 37 Rn. 8. 81 Vgl. dazu Kegel/Schurig, IPR, § 22 II, S. 1047 ff.; Pfeiffer, Prozessuale Gerechtigkeit, S. 109–117. 82 Lehmann, Der Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung – Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse, in Ferrari/Leible, Neues Int. Vertragsrecht, 17, 25; vgl. auch Reiher, Vertragsbegriff, S. 82; Wied, Zivilprozessuale Qualifikationsprobleme, S. 169. 83 Lehmann, Der Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung – Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse, in Ferrari/Leible, Neues Int. Vertragsrecht, 17, 26; Bitter, IPRax 2008, 96, 97; Leible, Rom I und Rom II, S. 43; Von Hein, IPRax 2010, 330, 337; vgl. auch Rusworth/Scott, LMCLQ 2008, 274, 299.
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einen Gleichlauf der Vertragsbegriffe.84 Die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Begriffe „Vertrag“ und „Delikt“ im Rahmen des Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVO kann daher auf die Begriffe „vertraglich“ und „unerlaubte“ Handlung in Art. 1 Abs. 1 Rom I beziehungsweise Art. 4 Rom II übertragen werden. Versucht man die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Begriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Handlung“ in Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVO auf die Rom I und II-Verordnung zu übertragen, stößt man freilich auf gewisse Schwierigkeiten. Diese resultieren insbesondere aus dem Umstand, dass der autonome Vertragsbegriff, den der EuGH bislang im Rahmen der Auslegung des Art. 5 Nr. 1 EuGVO entwickelt hat und dem eine entscheidende Funktion bei der Abgrenzung von Vertrag und unerlaubter Handlung zukommt, bislang eher verkümmert ausgebildet ist. So verlangt der EuGH als Voraussetzung für einen Vertrag eine „freiwillig eingegangene Verpflichtung“ der einen Partei gegenüber der anderen.85 An einem Vertrag fehlt es daher in Situationen „in der es an einer von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung fehlt“.86 Demgegenüber definiert der EuGH den Begriff „unerlaubte Handlung“ autonom und zwar in dem Sinn, dass er sich „auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVO anknüpfen"87. Die Grundlage für diese Art der Unterscheidung von vertraglicher und außervertraglicher Schadenshaftung bilden die willensbasierten Haftungstheorien.88 Nach diesen bindet ein Vertrag die Parteien, weil sie es wollen. Dies wurde bereits im Naturrecht anerkannt. Ausgehend von einem Weltbild, in dem es jedem Menschen freisteht, sich durch parteiautonome, freiwillige Willenserklärung selbst zu binden, leitete schon Grotius die Bindungswirkung eines vertraglichen Versprechens nicht aus gesetzlichen Normierungen von bestimmten Verhaltensweisen und ihrer sozialtypischen
84
Reiher, Vertragsbegriff, S. 61. EuGHE I 1992, 3990, 3994 Rn. 15; I 1998, 6534, 6542 Rn. 17; I 2002, 7383, 7393 Rn. 23; I 2004, 1546, 1555 Rn. 24; I 2005, 481–522 Nr. 26; Schack, IZVR, Rn. 292; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 9. 86 EuGHE I 1998, 6534, 6542 Rn. 17. 87 EuGH, NJW 1988, 3088, 3089; EuGHE I 1998, 6534, 6542 Rn. 22; I 2002, 6384, 6398 Rn. 33; I 2002, 8126, 8139 Rn. 36; I 2005, 499, 512 Rn. 29. 88 Als erster unterschied wohl schon Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, Kap. 5 Rn. 1131a zwischen vertraglicher und deliktischer Einstandspflicht, indem er den privatrchtlichen Verkehr in zwei Katergorien einteilte. In freiwillig eingegangene und unfreiwillig entstehende. Vgl. dazu die Ausführungen von Heckendorn, Haftung freier Berufe, Rn. 820 f. m.w.N. 85
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Bedeutung, sondern nur aus der freien Betätigung des Parteiwillens her.89 Dieses Verständnis überdauerte die Epoche der Aufklärung. Während dieser Zeit wurde der Mensch als intelligibles Wesen verstanden, das in der Lage ist, vernünftig – also unabhängig von sinnlichen oder triebhaften Einflüssen – zu denken und zu entscheiden. Als vernunftbegabtes Wesen handelt er nicht fremd- sondern selbstbestimmt und es ist ihm kraft seines freien Willens möglich, Verträge zu schließen, solange hierdurch niemand anderes geschädigt wird.90 Auf diesem Menschenbild bauen die modernen europäischen Privatrechtsordnungen auf. Hier hat jeder Mensch die Freiheit, seine Lebensverhältnisse in der Art und Weise zu ordnen, wie er es für richtig hält, solange er durch sein Handeln nicht die Selbstbestimmungsfreiheit anderer verletzt.91 Daraus ergibt sich das Prinzip der Vertragsfreiheit. Ob, mit wem und worüber jemand einen Vertrag schließt ist jedem selbst überlassen.92 Der Schuldvertrag ist Ausfluss der Rechtsmacht ein persönliches Recht durch Rechtsakt zu schaffen. Die Folge eines solchen Vertrages ist, dass das Versprechen des Schuldners zum „äußeren Hab und Gut“ des Gläubigers gehört und dieser daher im intelligiblen Besitz der Willkür des Schuldners ist, ihn zur Leistung zu bestimmen.93 Das durch den Vertrag erworbene subjektive Recht des Gläubigers ist also auf Erfüllung des Vertrags und damit auf Leistung des Geschuldeten gerichtet. Ist der Vertrag Ausfluss der Privatautonomie, gilt dies auch für Haftungsansprüche wegen Verletzung vertraglicher Ansprüche, da sie nur bestehen, weil die Parteien kraft ihrer selbstbestimmten Willkür einen Vertrag geschlossen haben. Den Gegenpol hierzu bildet die Haftung aus unerlaubter Handlung als eine vom Staat aufgezwungene Haftung94, die unabhängig vom Parteiwillen allein aufgrund autoritärer staatlicher Gesetze, welche die genauen Haftungsvoraussetzungen festlegen, mit Eintritt eines Schadensereignisses entsteht.95 Schädiger und Opfer braucht dabei rechtlich nichts weiter zu 89 Grotius, De iure belli ac pacis, 2. Buch, 11. Kapitel; Siehe dazu auch Immenhauser, Dogma von Vertrag und Delikt, S. 176. 90 Siehe dazu ausführlich Püls, Parteiautonomie, S. 26–42. 91 Flume, Rechtsgeschäft, S. 7 f.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 24 I, S. 316. 92 Kötz/Flessner, Europ. Vertragsrecht I, S. 6. 93 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 382, Orginalpaginierung A 96, 97 B 97; Unberath, Vertragsverletzung, S. 189. 94 Kerameus, Vertrag und Delikt, S. 1. 95 Dobbs, Law of Torts, § 3 S. 5: „[...] the fields of tort and contract are entirely distinct because contract duties are created by the promises of the parties, while tort duties are created by the courts and imposed as rules of law“; Prosser/Keeton, Law of Torts, § 92 S. 655 „Tort obligations are in general obligations that are imposed by law – apart from and independent of promise made and therefore apart from the manifested intention of the parties – to avoid injury to others”; vgl. auch Stein, Gruchot 28 (1884), 406, 415.
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verbinden als das Schadensereignis selbst.96 Der Sinn und Zweck der autoritären staatlichen Regelung, die in einem Spannungsverhältnis zur allgemeinen Handlungsfreiheit und damit auch der Parteiautonomie steht, ist darin zu sehen, dass sie „der Sicherung jener natürlichen Macht des Menschen über sich selbst gegen fremde Einmischung“ dient.97 Dem Deliktsrecht obliegt folglich insbesondere der Schutz der einer Person kraft ihrer Geburt oder der Rechtsordnung zugewiesenen Rechtsgüter als Grundlage ihrer freien, parteiautonomen Willensbildung.98 Das Deliktsrecht dient der Schaffung „der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“.99 Die Aussage des EuGH, dass es an einem Vertrag in einer Situation fehlt, „in der es an einer von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung fehlt“ steht zwar nicht im Widerspruch zum allgemeinen Vertragsbegriff, ist aus der Sicht der materiellen Rechtsordnungen und des Kollisionsrechts aber noch unterentwickelt. Es handelt sich nur um Mindestbedingungen, nicht um hinreichende Bedingungen für einen Vertrag.100 Verwunderlich ist dies freilich nicht: Art. 5 Nr. 1 EuGVO erlaubt einen zusätzlichen, besonderen Gerichtsstand neben dem allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten nach Art. 2 Abs. 1 EuGVO. Zwischen beiden Gerichtsständen kann der Kläger frei wählen. Liegt kein Vertrag vor und ist folglich kein Vertragsgerichtsstand eröffnet, bleibt dem Kläger in jedem Fall die Möglichkeit den Beklagten an seinem allgemeinen Gerichtsstand zu verklagen. Gleiches gilt entsprechend für den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVO. Auch
96 Von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, S. 2; Reiher, Vertragsbegriff, S. 97; Stein, Gruchot 28 (1884), 406, 426. 97 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts I, S. 336. 98 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts I, S. 336 f.; Peukert, Güterzuordnung, S. 248; Larenz/Canaris, SchuldR II/2, S. 350; Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 70 f.; wohl auch Katzenmeier, Arzthaftung, S. 153; Von Bar/Drobnig, Study on Property Law and Non-contractual Liability Law as they relate to Contract Law, Rn. 38 „Contract law is the basis for the increase of a party’s patrimony by receipt of money, goods or services, whereas tort law protects persons and the preservation of their patrimony. Both of these fields of law would be senseless without the other“; Auch die Verfasser des BGB sahen die Aufgabe des Deliktsrechts darin, „die Rechtskreise der Einzelnen, innerhalb deren sie ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, von einander abzugrenzen“, Mugdan, Materialien II, S. 1073 Rn. 2712; vgl. auch Tunc in International Encyclopedia of Comparative Law XI/1, Introduction, S. 14 f. Rn. 22; Spickhoff in Soergel, Vor § 823 BGB Rn. 29. 99 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 336, Orginalpaginierung A 33 B 33, 34. 100 Lehmann, Der Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung – Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse, in Ferrari/Leible, Neues Int. Vertragsrecht, 17, 26 f.
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wenn der EuGH gewisse Klagen nicht unter Art. 5 Nr. 1 oder Nr. 3 EuGVO subsumiert, können daraus folglich keine absoluten Rechtsschutzlücken resultieren, da dem Kläger immer die Möglichkeit verbleibt, den Beklagten an dessen Wohnsitz zu verklagen. Anders verhält es sich hingegen im Kollisionsrecht. Hier muss eine Entscheidung getroffen werden, welche Rechtsordnung zur Anwendung gelangt. Eine immer bestehende Auffangrechtsordnung, vergleichbar mit dem allgemeinen Gerichtsstand, besteht nicht. Die Interpretationen des Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVO durch den EuGH geben folglich die Mindestanforderungen an einen Vertrag vor, sind darüber hinaus aber für die Abgrenzung von Rom I und II wenig ergiebig.101 Mit dieser Feststellung ist freilich nicht gesagt, dass die Begriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Handlung“ in der EuGVO einerseits und den Rom I und II-Verordnungen andererseits notwendigerweise unterschiedlich zu verstehen wären. Vielmehr hatte der EuGH bislang, da es die parallele Verwendung dieser Begriffe in den zwei Sekundärrechtsakten Rom I und II nicht gab, nur noch keine Gelegenheit und keinen Anreiz über den europäischen Begriff des Vertrags beziehungsweise der unerlaubten Handlung zu entscheiden, sondern eben nur über bestimmte Fälle der Zuständigkeit nach dem Regelwerk der EuGVO. Seine bisherige Rechtsprechung ist daher überwiegend von prozessrechtlichen Aspekten geprägt. Die ihm übertragene Aufgabe der Auslegung des EVÜ, dem Vorgänger der Rom IVerordnung, erschien neben der Auslegung des EuGVÜ/der EuGVO durchaus als eigenständige Aufgabe. Dies hat sich mit Erlass der Rom I und II-Verordnungen geändert, da der EuGH nunmehr in der Pflicht ist, einen einheitlichen europäischen Vertragsbegriff zu bilden. Diese Überlegungen zeigen, dass bislang weder ein europäischer Vertragsbegriff noch ein europäischer Begriff der unerlaubten Handlung existiert. Zwar wurde gezeigt, das der EuGH durch seine Definition des Vertrags als eine „freiwillig eingegangene Verpflichtung“ der einen Partei gegenüber der anderen, zwar die Minimalvoraussetzungen eines Vertrags festgelegt hat, zugleich wurde aber auch festgestellt, dass diese Voraussetzungen nicht hinreichend sind um den kollisionsrechtlichen Vertragsbegriff ausreichend zu konturieren. Dennoch steht man bei der Bestimmung eines autonomen kollisionsrechtlichen Vertragsbegriffs nicht mit leeren Händen da, weil man zumindest die Minimalvoraussetzungen, nämlich das Erfordernis einer „freiwillig eingegangenen Verpflichtung“ kennt. Zweitens lassen sich aus der Funktion von Vertrag und Delikt auf der Ebene der Sachrechte und der daraus implizierten kollisionsrechtlichen Interessenla-
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Lehmann, Der Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung – Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse, in Ferrari/Leible, Neues Int. Vertragsrecht, 17, 27.
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ge gewisse Rückschlüsse ziehen. Drittens lassen sich aus dem Zweck, mit dem der Begriff des Vertrags in der Rom I-Verordnung verwendet wird, gewisse Anhaltspunkte für das ihr zugrunde liegende Vertragsverständnis ableiten.102 2. Rückschlüsse aus der Funktion von Vertrag und Delikt auf der Ebene des Sachrechts a) Vertrag als Mittel des Güteraustauschs Zweck eines Vertragsschlusses ist der irgendwie geartete Gütertransfer von einer Vertragspartei auf die jeweils andere.103 Dieser Transfer kann sich zeitgleich mit dem Vertragsschluss abspielen oder sich, wie häufig beispielsweise bei ärztlichen Behandlungsverträgen, über einen längen Zeitraum erstrecken. Dies zeigt, dass ein vertragliches Versprechen grundsätzlich zukunftsorientiert ist: Jeder Vertragspartner verspricht für die Zeit nach dem Vertragsschluss etwas zu tun oder zu unterlassen. Durch den Vertrag sollen Rechtspositionen oder Rechtsverhältnisse begründet, verändert oder modifiziert werden. Die Befugnis der Vertragsparteien, sich für ihr versprochenes Tun oder Unterlassen eigene Verhaltensregeln geben zu können, ist Ausfluss der Privatautonomie. Durch die Anerkennung der getroffenen Regelungen und deren Vervollständigung durch das Mittel der vertragsergänzenden Auslegung wird für den Zeitraum der Vertragsdurchführung ein vom Gesetz grundsätzlich unabhängiges und zwischen den Vertragsparteien verbindliches Regelwerk geschaffen, welches an der Verwirklichung des Äquivalenzinteresses, also dem Interesse eines Vertragspartners am Erhalt der vertraglich vereinbarten Primärleistung in der im Vertrag vereinbarten Form, ausgerichtet ist.104
102 Vgl. Lehmann, Der Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung – Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse, in Ferrari/Leible, Neues Int. Vertragsrecht, 17, 28. 103 Wendt, Ärztliche Dokumentation, S. 129; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 40 I, S. 598; Medicus/Lorenz, SR I, Rn. 117; Giesen, International Medical Malpractice, § 2 Rn. 8 m.w.N.; Von Bar/Drobnig, Study on Property Law and Non-contractual Liability Law as they relate to Contract Law, Rn. 38 „Contract law is the basis for the increase of a party’s patrimony by receipt of money, goods or services”.; vgl. insoweit auch Picker, JZ 1987, 1041, 1044 „Die eigentliche Vertragspflicht des Schuldners besteht in seiner Verpflichtung, den Rechtsgüterstand des Gläubigers aufzustocken“; Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 153; Unberath, Vertragsverletzung, S. 184. 104 Vgl. dazu Schlechtriem in BMJ, Gutachten II, 1591, 1608; aus europäischer Perspektive Schwartze, Europ. Sachmängelgewährleistung S. 63; Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 26 (nach rechtsvergleichender Betrachtung der Sachrechtsordnungen von Frankreich, Italien, England, den Niederlanden und Deutschland); Decku, Zwischen Vertrag und Delikt, S. 150 (nach rechtsvergleichender Betrachtung der
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Im Gegensatz hierzu hat das Deliktsrecht die Funktion einen status quo an Rechtsgütern, die einer Person durch die Rechtsordnung zugewiesen sind, gegenüber Jedermann und damit unabhängig von einem Vertrag zu schützen. Hierzu werden von den Rechtsordnungen umfassende Vorschriften bereitgestellt, die auf das Ziel des Integritätsschutzes ausgerichtet sind. Dem Deliktsrecht obliegt folglich der Schutz des Integritätsinteresses.105 Wird dieser Ist-Zustand durch die Verletzung von Rechtsgütern vermindert, greift die deliktische Haftung ein, um den ursprünglichen status quo wieder herzustellen. Der status quo bildet demnach einen Fixpunkt, an dem die Zusammensetzung der Gütergesamtheit des Geschädigten zu messen ist, so dass dem Deliktsrecht die „Zukunftsgerichtetheit“ eines Vertrages fehlt. Spiegelt man die aus dieser Funktionsverteilung zwischen Vertrag und Delikt resultierenden sachrechtlichen Interessen der Parteien auf die kollisionrechtliche Ebene, erhält man die dem Vertragsstatut einerseits und dem Deliktsstatut andererseits zugrundeliegende kollisionsrechtliche Interessenlage. Nach dieser Spiegelung weist das internationale Privatrecht dem Vertragsstatut die Aufgabe zu, das Äquivalenzinteresse, also das Interesse eines Vertragspartners am Erhalt der vertraglich vereinbarten Primärleistung in der im Vertrag vereinbarten Form, kollisionsrechtlich zu schützen, die durch eine Erklärung im rechtsgeschäftlichen Verkehr begründet wor-
Sachrechtsordnungen von England und Deutschland); Weir in International Encyclopedia of Comparative Law XI/2, Chapter 12, S. 5: „Contract is productive, tort law protective. In other words, tortfeasors are typically liable for making things worse, contractors for not making them better“; vgl. aus rechtsvergleichender Perspektive auch Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 40 I, S. 598; Giesen, International Medical Malpractice, § 2 Rn. 8; Stauch, The Law of Medical Negligence, S. 6; De Ville, Medical Malpractice in America, S. 156. 105 Vgl. dazu aus europäischer Perspektive Schwartze, Europ. Sachmängelgewährleistung S. 63 f.; auch Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 26 f. (nach rechtsvergleichender Betrachtung der Sachrechtsordnungen von Frankreich, Italien, England, den Niederlanden und Deutschland); ferner Von Bar/Drobnig, Study on Property Law and Non-contractual Liability Law as they relate to Contract Law, Rn. 38 „Contract law is the basis for the increase of a party’s patrimony by receipt of money, goods or services, whereas tort law protects persons and the preservation of their patrimony. Both of these fields of law would be senseless without the other“; Decku, Zwischen Vertrag und Delikt, S. 150 (nach rechtsvergleichender Betrachtung der Sachrechtsordnungen von England und Deutschland); Weir, International Encyclopedia of Comparative Law XI/2, Chapter 12, S. 5 „Contract is productive, tort law protective. In other words, tortfeasor are typically liable for making things worse, contractors for not making them better“; sowie Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 40 I, S. 598; Giesen, International Medical Malpractice, § 2 Rn. 8; Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 153; Schlechtriem in BMJ, Gutachten II, 1591, 1608; Stauch, The Law of Medical Negligence, S. 6; Medicus in FS Kern, 313, 327.
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den ist.106 Demgegenüber besitzt das Deliktsstatut die Aufgabe die Integritätsinteressen, also das Interesse einer Person an der Unversehrtheit ihrer durch eine Rechtsordnung im Zeitpunkt des Schadenseintritts schon zugewiesenen Rechtsgüter, auf kollisionsrechtlicher Ebene zu schützen.107 b) Ökonomischer Vertragsbegriff Freilich ist dies nicht die einzig denkbare Möglichkeit zur Ziehung einer Grenze zwischen Vertrags- und Deliktsstatut. Vielmehr wäre es auch denkbar, den Vertragsbegriff ökonomisch festzulegen und so potentiell zu einer anderen Abgrenzung zu gelangen.108 Nach diesem ökonomischen Verständnis soll es für die Abgrenzung von Vertrag und Delikt entscheidend sein, ob der jeweilige Schadensersatzanspruch aus einer zufälligen Begegnung oder aus einem planmäßigen, gezielten Kontakt mit der Möglichkeit zum (Selbst-)Schutz und zur Risikoverteilung durch Vereinbarung erwächst.109 Zu einer derartigen Abgrenzung gelangt man, wenn man den Vertrag als Ausdruck sozialer Kooperation, als planenden Mechanismus zur Stabilisierung unsicherer Erwartungen und zur Verringerung von Handlungskomplexität begreift und deshalb davon ausgeht, dass der vertragliche Bereich bereits eröffnet ist, wenn sich die Parteien kennen, in gezieltem Kontakt zueinander stehen und deshalb die betroffenen Interessen und Risiken durch vorangegangene Vereinbarung hätten regeln können.110 Folge einer solchen ökonomischen Sichtweise wäre, dass man einen wesentlich „weiteren“ Bereich des Vertragsrechts erhält. Würde man diesem ökonomischen Ansatz folgen und die daraus resultierenden Interessen der Parteien auf die kollisionsrechtliche Ebene spiegeln, würde man zu einer Qualifikation als Vertrag oder Delikt, je nach Art der verletzten
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Von Bar, IPR II, Rn. 556; Canaris in FS Larenz, 27, 109; bei autonomer funktionaler Qualifikation auch Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 172 und Bröcker, Differenzierte Regelbildung, S. 210; Brödeman/Wegen in Prütting/Wegen/ Weinreich, BGB, Art. 12 Rom I Rn. 34; Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 79; Stoll in FS Georgiades, 941, 958. 107 Vgl. Schurig in FS Heldrich, 1021, 1027; Brödeman/Wegen in Prütting/Wegen/ Weinreich, BGB, Art. 12 Rom I Rn. 34; Von Bar, IPR II, Rn. 556; Canaris in FS Larenz, 27, 109; Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 79; bei autonomer funktionaler Qualifikation auch Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 172 und Bröcker, Differenzierte Regelbildung, S. 210. 108 Vgl. Mankowski, IPRax 2003, 127, 131. 109 Mankowski, IPRax 2003, 127, 131. 110 Siehe dazu Mankowski, IPRax 2003, 127, 131. Dies soll nach Mankowski wohl auch dann gelten, wenn im konkrten Fall keine dahingehende Vereinbarung getroffen wurde. Anders ist der von ihm gewählte Konjunktiv nicht zu erklären.
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Pflicht, gelangen.111 Eine vertragliche Pflicht wäre verletzt, wenn sie transaktionsspezifisch ist. Demgegenüber wären Pflichten als außervertraglich und damit potentiell deliktisch einzuordnen, wenn sie als transaktionsunspezifisch anzusehen wären. „Die nicht transaktionsspezifischen Pflichten beziehen sich auf existierende Rechtsgüter neben dem prospektiven Leistungsinteresse“.112 c) Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Vertragskonzeptionen Die Abgrenzung von Vertrag und Delikt im europäischen internationalen Privatrecht hängt vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen davon ab, welcher Vertragskonzeption man folgt. Versteht man den Vertrag „eng“, als ein Instrument zur Güterbewegung und des Güteraustauschs zwischen den Vertragsparteien, so steht man einer vertraglichen Qualifikation von Ansprüchen aus Integritätsverletzungen naturgemäß eher skeptisch gegenüber, da die Güterbewegung mit Haftungsfragen belastet würde, die mit ihr im Grunde nichts zu tun haben. Versteht man den Vertrag hingegen aufgrund einer ökonomischen Sichtweise eher „weit“ als eine besondere Verbindung zwischen den Parteien, fällt die vertragliche Qualifikation von Schadensersatzansprüchen wegen Integritätsverletzungen leichter, da die Integritätsverletzung dann als „vertragsbegleitend“ erscheint. Auf der Ebene des Kollisionsrechts stellt sich somit die Frage, welche Vertragskonzeption mit der daraus resultierenden Abgrenzung von Vertrags- und Deliktsstatut besser dazu geeignet ist, die beiden Statute zuverlässig und angemessen voneinander abzugrenzen. Nur eine saubere Trennung von Vertrags- und Deliktsstatut kann die mit Rom I und Rom II erstrebte Rechtssicherheit und damit auch den inneren und äußeren Entscheidungseinklang gewährleisten.113
111 Vgl. Spahl, Die positive Forderungsverletzung im IPR, S. 101; vgl. auch Mankowski, IPRax 2003, 127, 134. 112 Mankowski, IPRax 2003, 127, 135. 113 Das Bedürfnis nach einer sauberen Trennung von vertraglichem und deliktischem Bereich erkennt auch der EuGH, wenngleich auf anderem Gebiet. Im Rahmen der internationalen Zuständigkeiten nach der EuGVO geht der EuGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Vertragsgerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO und der deliktische Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO in einem Alternativverhältnis zueinander stehen, sich also gegenseitig ausschließen; vgl. dazu Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.111; Stadler in FS Musielak, 569, 585; Gottwald, IPRax 1989, 272, 274; Mankowski, IPRax 2003, 127, 128; ders., in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 193; Uhl, Int. Zuständigkeit, S. 100 f.; Hertz, Jurisdiction in Contract and Tort, S. 79, 83; Leipold in FS Nemeth, 631, 637 f.; Hierauf wird noch ausführlich einzugehen sein, vgl. unten Kapitel 4, § 2, C, III, 3.
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Die enge Vertragskonzeption und die daraus resultierende Differenzierung nach der Art des verletzten Interesses hat den Vorteil, dass es ihr gelingt, das Vertrags- und Deliktsstatut meist zweifelsfrei und unproblematisch voneinander zu trennen. Bei einer sauberen Trennung von Äquivalenz- und Integritätsinteresse sind nur wenige Fallkonstellationen denkbar, die nicht eindeutig dem Vertrags- oder dem Deliktsstatut zugeordnet werden können. Gerade deshalb wird die Art des verletzten Interesses auch in anderen Rechtsbereichen mit internationalem Kontext genutzt, um den vertraglichen vom deliktischen Bereich abzugrenzen.114 Ganz anders stellt sich die Situation hingegen dar, wenn man den vertraglichen Bereich – dem deutschen Verständnis folgend – aufgrund einer ökonomischen Sichtweise „weit“ versteht und versucht den vertraglichen und deliktischen Bereich anhand der jeweils verletzten Pflicht voneinander abzugrenzen. Je nachdem, ob die Integritätsverletzung im Rahmen einer vertraglichen Sonderverbindung stattfindet oder nicht, wären aus der Integritätsverletzung resultierende Schadensersatzansprüche einmal als vertraglich, das andere mal als deliktisch zu qualifizieren. Deutlich wird dieses Manko bereits an dem verwendeten, unbestimmten Kriterium des „Transaktionsbezugs“. Wann liegt ein solcher nicht vor, obwohl die Parteien zueinander in einer vertraglichen Verbindung stehen? Die Antwort soll schlicht lauten: Die nicht transaktionsbezogenen Pflichten beziehen sich auf existierende Rechtsgüter neben dem prospektiven Leistungsinteresse.115 Derartige Interessen würden in einem Vertrag bestenfalls als Nebenpunkt berührt.116 Die Beteiligten stünden sich zwar nicht als völlig Fremde gegenüber, hätten aber keine eigene Veranlassung über den Schutz bestehender Rechtsgüter eigene Vereinbarungen zu treffen.117 Soweit so gut, aber was geschieht, wenn der Schutz bestehender Rechtsgüter gerade Inhalt des Vertrages ist? Wären die Parteien dann nicht doch ausnahmsweise dazu veranlasst gewesen über den Schutz ihrer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits bestehenden Rechtsgüter eine irgendwie geartete Absprache zu treffen? Deutlich wird diese Problematik gerade bei den hier untersuchungsgegenständlichen Telemedizinverträgen, wo die – freilich manchmal auch
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So beispielsweise bei der Frage, ob im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts Sachschäden aufgrund von Beschaffenheitsmängeln nach Deliktsrecht zu ersetzen sind oder ob die Anwendung des Deliktsrechts für derartige Schäden aufgrund der Regelungen des CISG ausgeschlossen ist; vgl. dazu Köhler, Haftung nach UN-Kaufrecht, S. 137 ff. und Herber in FS Schlechtriem, 207, 207 ff. jeweils mit zahlreichen Nachweisen zur herrschenden Meinung, die zur Beantwortung dieser Frage eine Unterscheidung zwischen der Verletzung von Äquivalenz- und Integritätsinteresse vornimmt. 115 Mankowski, IPRax 2003, 127, 135. 116 Mankowski, IPRax 2003, 127, 135. 117 Mankowski, IPRax 2003, 127, 135.
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nur mittelbare – Einwirkung auf bestehende Rechtsgüter des Patienten und damit auch deren Schutz notwendiger Bestandteil der vom Telemediziner geschuldeten Leistung ist. Kann man wirklich behaupten, dass Schadensersatzansprüche, die in derartigen Situationen daraus resultieren, dass der Patient in seinem Rechtsgut Gesundheit geschädigt wird, zumindest auch als vertraglich zu qualifizieren sind, weil zu erwarten ist, dass Patient und Arzt dazu veranlasst gewesen wären, über den Schutz der Gesundheit des Patienten eine irgendwie geartete Absprache zu treffen? Liese sich nicht vielmehr auch behaupten, dass der Schutz der Gesundheit des Patienten gerade unabhängig von irgendwelchen Verträgen gewährt werden sollte, so dass die Parteien gerade nicht veranlasst gewesen wären, dahingehende Absprachen zu treffen und daher die kollisionsrechtliche Interessenlage unabhängig von einer vertraglichen Verbindung zwischen Schädiger und Geschädigtem immer dieselbe wäre? Anders ausgedrückt: Kann von den Parteien erwartet werden, dass sie vertraglich das regeln, was sich bereits aus dem Gesetz unabhängig von einer parteiautonomen Vereinbarung ergibt? Diese offenbleibenden Fragen verdeutlichen, dass das Kriterium des Transaktionsbezugs mit der darin innewohnenden Fiktion einer Annahme oder Ablehnung einer Parteivereinbarung über den Schutz ihrer jeweiligen Rechtsgüter, nicht dazu geeignet ist, Zweifelsfälle sauber und eindeutig zu lösen. Diese Ausführungen können freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Situationen existieren in denen die Abgrenzung von Vertrag und Delikt auf der Ebene des Kollisionsrechts anhand des verletzten Interesses Schwierigkeiten bereitet.118 Probleme können insbesondere daraus resultieren, dass ein Vertrag nach seinem expliziten Inhalt als Leistungspflicht die Obhut über anvertraute Güter oder den Schutz sonstiger Integritätsinteressen des Vertragspartner zum Gegenstand haben kann. In derartigen Fällen ist der Integritätsschutz Teil der vertraglich geschuldeten Leistung und damit Teil des Äquivalenzinteresses, sodass eine saubere Abgrenzung nur möglich wäre, wenn man den Schwerpunkt auf einen der beiden Interessen legt. Zur Beantwortung der Frage, ob der Schwerpunkt in derartigen Konstellationen in der Enttäuschung von Äquivalenzinteressen oder in der Ver-
118 Dies erkennen auch Bröcker, Differenzierte Regelbildung, S. 210 und Hoffmann, Koordination von Vertrag und Delikt, S. 172 und ziehen daraus den Schluss, dass die autonome Qualifikation nicht dazu geeignet sei Vertrag und Delikt im Kollisionsrechts zu koordinieren. Anstatt sich nach einem weiteren, in diesen Zweifelsfällen geeigneteren, Differenzierungskriterium umzusehen möchte Bröcker, Differenzierte Regelbildung, S. 212 in diesen Fällen eine Qualifikation nach der lex causae vornehmen, während Hoffmann, Koordination von Vertrag und Delikt, S. 222 ff. die Konkurrenz von Vertrags und Deliktsstatut hinnimmt und die Lösung für daraus resultierende Abstimmungsprobleme in einer materiell-rechtlichen funktionalen Anpassung sieht.
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letzung von Integritätsinteressen liegt, wird im Folgenden ein funktionaler Vertragsbegriff entwickelt. 3. Funktionaler kollisionsrechtlicher Vertragsbegriff Bei funktionaler Betrachtung dient der Begriff des Vertrags zur Abgrenzung von Rom I und Rom II, denn alles was nicht vertraglich ist, ist außervertraglich und fällt damit grundsätzlich unter Rom II, sofern es nicht ausnahmsweise besonderen Verordnungen zugewiesen ist. Dem Vertragsbegriff kommt also entscheidende Bedeutung bei der Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Rom I und II zu.119 Folglich lässt sich vermuten, dass sich aus dem funktionalen Vergleich der Inhalte dieser beiden Verordnungen Rückschlüsse auf den Vertragsbegriff ziehen lassen. Hierzu ist ein vergleichender Blick auf die Inhalte von Rom I und II notwendig.120 a) Funktionaler Vergleich von Rom I und II im Allgemeinen Betrachtet man die Rom I-Verordnung, stellt man fest, dass in ihrem Mittelpunkt die Parteiautonomie steht.121 Selbst im Verbraucherkollisionsrecht ist eine Rechtswahl nicht ausgeschlossen, wie Art. 6 Abs. 2 Rom I zeigt. Parteiautonomie bedeutet – wie die Privatautonomie als ihr Gegenstück auf der Ebene des Sachrechts – die Möglichkeit zur privaten Selbstgestaltung. Sie ist hier wie dort nur dort angebracht, wo die Parteien ihre Verhältnisse selber regeln.122 Zwar kennt auch die Rom II-Verordnung die Möglichkeit einer Rechtswahl für außervertragliche Schuldverhältnisse. Diese Möglichkeit ist jedoch gemäß Art. 14 Abs. 1 Rom II grundsätzlich auf den Zeitraum nach Eintritt des Ereignisses, durch welches das außervertragliche Schuldverhältnis entstanden ist, beschränkt.123 Die Rechtswahl ist folglich nicht zent119
Besonders deutlich wird dies bei den Ausführungen von Plender/Wilderspin, European Private International Law of Obligations, Rn. 2–001–2–077 die unter der Überschrift „The Dividing Line Between Rome I and Rome II“ stehen. 120 Die folgende, funktionale Auslegung ist nicht neu. Vielmehr ähnelt sie der „funktionellen“ oder „teleologischen“ Qualifikation, die für das Sachrecht vertreten wird. Vgl. dazu nur Kegel/Schurig, IPR, S. 296–304. Auch der EuGH verwendet eine ähnliche Methode, wenn er zur Auslegung von Begriffe des Unionsrechts auf die „Zielsetzung“ und die „Systematik“ abstellt. Vgl. dazu nur EuGH, Slg. 1983, 987 Rn. 10. 121 Siehe dazu Art. 3 Rom I; Vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 11 zu Rom I, der die Rechtswahl als Eckstein des internationalen Vertragsrechts bezeichnet. 122 Lehmann, Der Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung – Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse, in Ferrari/Leible, Neues Int. Vertragsrecht, 17, 29; ähnlich Mankowski, IPRax 2003, 127, 131. 123 Eine Außnahme von diesem Grundsatz stellt Art. 14 Abs. 1 lit. b) Rom II dar, der es kommerziell tätigen Parteien unter gewissen, engen Voraussetzungen gestattet eine
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rales Element der Rom II-Verordnung.124 Deutlich wird dies auch durch die Regelungen des Art. 6 Abs. 4 und Art. 8 Abs. 3 Rom II, die eine Rechtswahl für außervertragliche Schuldverhältnisse aus unerlaubtem Wettbewerbsverhalten und solche aus Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums ausschließen. Haben die Parteien eine mögliche Rechtswahl nicht getroffen, stellt Art. 4 Rom I auf das Recht des Staates ab, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringen muss, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Hauptverwaltung hat. Anders entscheidet hingegen die Rom IIVerordnung: Sie verweist durch ihren Art. 4 Abs. 1 im Grundsatz auf das Recht des Staates in dem der Schaden eintritt oder einzutreten droht. So soll einerseits – wenig überraschend, weil Ziel aller Kollisionsregeln – eine sichere Bestimmung des anwendbaren Rechts ermöglicht werden und andererseits ein gerechter Ausgleich zwischen den kollisionsrechtlichen Interessen des Schädigers und denen des Geschädigten erreicht werden.125 Als Anknüpfungsalternativen wurden das Recht am Handlungsort und ein einseitiges Wahlrecht des Geschädigten vorgeschlagen. Die Anknüpfung an das Recht am Erfolgsort ist nach Auffassung der Kommission ein interessengerechter Kompromiss zwischen diesen beiden extremen Anknüpfungsalternativen.126 Mit der Regelung des Art. 4 Abs. 1 Rom II ist daher zumindest auch ein gewisser Grad an Opferschutz beabsichtigt. Besonders deutlich wird dieser Gedanke auch durch die in Art. 7 und Art. 6 Abs. 3 lit. b Rom II vorgesehene Möglichkeit einer einseitigen Rechtsbestimmung durch den Geschädigten. Bezüglich Sicherheits- und Verhaltensregeln ist hingegen das Recht am Ort des schädigenden Ereignisses gemäß Art. 17 Rom II faktisch zu berücksichtigen, damit der Deliktstäter die einschlägigen Sicherheits- und Verhaltensregeln voraussehen kann.
Rechtswahl für außervertragliche Ansprüche auch vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses zu vereinbaren. Dass es sich bei dieser Regelung um eine Ausnahme handelt, ergibt sich zum einen aus ihrem engen Anwendungsbereich und der Struktur der Rom IIVerordnung. Eine planende, vorausschauende Rechtswahl durch die Parteien ist bei außervertraglichen Schuldverhältnissen praktisch nur selten möglich und rechtlich weitgehend auch gar nicht gestattet. Vgl. dazu Lehmann, Der Anwendungsbereich der Rom IVerordnung – Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse, in Ferrari/Leible, Neues Int. Vertragsrecht, 17, 29. 124 Rusworth/Scott, LMCLQ 2008, 274, 300. 125 Vgl. den ursprünglichen Vorschlag der Kommision für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), KOM 2003 (427) endg., S. 13. 126 Ursprünglicher Vorschlag der Kommision für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), KOM 2003 (427) endg., S. 13.
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Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Das zentrale Element der Rom I-Verordnung ist die Anerkennung der Privatautonomie auf der Ebene des Sachrechts. Demgegenüber verfolgen die Kollisionsregeln der Rom II-Verordnung einen angemessenen Ausgleich der kollisionsrechtlichen Interessen von Täter und Opfer sowie die Voraussehbarkeit der anwendbaren Sicherheits- und Verhaltensregeln. Geht es schwerpunktmäßig um die Durchsetzung der erstgenannten Prinzipien, ist vom Vorliegen eines Vertrags auszugehen, sodass der Anwendungsbereich von Rom I eröffnet ist.127 Passen hingegen die letztgenannten Prinzipien, ist von einer vertraglichen Qualifikation abzusehen. Mit anderen Worten sollte eine vertragliche Qualifikation in Fällen, in denen es nicht um Ansprüche aus der Verletzung einer parteiautonom vereinbarten Verpflichtung geht, unterbleiben. Zur Überprüfung, ob Ansprüche aus der Verletzung einer aufgrund der Parteiautonomie getroffenen Vereinbarung resultieren oder unabhängig von einer solchen kraft Gesetzes bestehen, ist zu untersuchen, ob bei gleicher Faktizität der Ereignisse ohne freiwillig eingegangene Verpflichtung, also ohne privatautonome Abrede, keine Haftung bestehen würde.128 Nur
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Nordmeier in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europ. Einfluss, Kap. 37 Rn. 8; Lehmann, Der Anwendungsbereich der Rom I-Verordnung – Vertragsbegriff und vorvertragliche Rechtsverhältnisse, in Ferrari/Leible, Neues Int. Vertragsrecht, 17, 29 f. 128 Vgl. Jarvis v. Moy, Davis, Smith, Vandervell & Co., (1936) 1 K.B. 399, 405 „When the breach of duty alleged arises out of a liability independently of the personal obligation undertaken by the contract, it is tort, and it may be tort even though there happens to be a contract between the parties, if the duty in fact arises independently of the contract. Breach of contract occurs where that which is complained of is breach of duty arising out of the obligations undertaken by the contract“ (Greer LJ). Prosser/Keeton, Law of Torts, § 92 S. 656 „Tort obligations are in general obligations that are imposed by law on policy considerations to avoid some kind of loss to others. They are obligations imposed apart from and independent of promises made therefore apart from any manifested intention of parties to a contract or other bargaining transaction. Therfore, if the alleged obligation to do or not to do something that was breached could not have existed but for a manifested intent, then contract law should be the only theory upon which liability would be imposed“; Yeager v. Dunnavan, 176 P.2d 755, 757, Supreme Court, Washington (1946) „We think a good test to be used in determining whether a pleading sets up a case in contract or in tort may be stated as follows. When an act complained of is a breach of specific terms of the contract, without any reference to the legal duties imposed by law upon the relationship created thereby, the action is in contract, but where there is a contract for services which places the parties in such a relation to each other that, in attempting to perform the promised service, a duty imposed by law as a result of the contractual relationship between the parties is violated through an act which incidentally prevents the performance of the cont[r]act, then the gravamen of the action is a breach of the legal duty, and not of the contract itself, and in such case allegations of the latter are considered mere inducement, showing the relationship which furnishes the right
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
dann hat sich die kollisionsrechtliche Interessenlage der Beteiligten durch den Vertragsschluss verändert, sodass eine Zuordnung zum Kollisionsrechtssystem der Rom I-Verordnung überzeugt. Gelangt man im Rahmen dieser Prüfung hingegen zu dem Ergebnis, dass die Haftung in gleicher Gestalt auch unabhängig von der konkreten Parteiabrede besteht, ist diese Haftung dem Kollisionsrechtssystem der Rom II-Verordnung zuzuweisen, da bei funktionaler Betrachtung kein Grund existiert, der die unterschiedliche kollisionsrechtliche Behandlung derartiger Schadensersatzansprüche rechtfertigen würde.129 Es handelt sich dann ja gerade nicht um eine Situation in der gegenüber einer Person eine Pflicht verletzt wurde, die lediglich deshalb bestand, weil Schädiger und Geschädigter kraft ihres Willens zueinander in vertraglichen Beziehung standen.130 Vielmehr verletzt der Schädiger eine Pflicht, die ihm nicht aufgrund einer parteiautonom getroffenen Vereinbarung, sondern schon von Gesetzes wegen obliegt, wenngleich sich diese im vertraglichen Gewand präsentiert. Es geht nicht um die Anerkennung der Privatautonomie auf der Ebene des Kollisions-
of action for the tort, but not the basis of recovery for it, and in such cases the remedy is an action ex delicto.“; G.W. Construction Corporation v. Professional Service Industries, 70 Wash.App. 360, 364, 853 P.2d 484, 486, Court of Appeals, Washington (1993) „An action sounds in contract when the act complained of is a breach of a specific term of the contract, without reference to the legal duties imposed by law on that relationship“; Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 154; vgl. auch Unberath, Vertragsverletzung, S. 191, insb. Fn. 44; Schlosser, IPRax 1984, 65, 67. 129 Vgl. Kurt, Culpa in contrahendo, S. 78; Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 155. 130 Vgl. dazu Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.113 „Contractual liability may be defined as civil liability for a failure to perform an obligation that one person owes to another by virtue of an agreement entered into by the parties. Delictual liability may be defined as civil liability for a failure to perform an obligation which the law imposes independently of any agreement between the parties“ und Rn. 3.129; Prosser/Keeton, Law of Torts, § 92 S. 655 „Tort obligations are in general obligations that are imposed by law – apart from and independent of promise made and therefore apart from the manifested intention of the parties – to avoid injury to others”; Kaye, Civil Jurisdiction, S. 562: „Broadly speaking, tort is the term used by statute, courts and commentators, in the English and various other legal systems, in order to donate a species of civil liability imposed by law as opposed to beeing primarily derived from contract or trust, to which individual national laws apply certain common rules and attach common conequences” und S. 563: „Tort is the imposation of a civil liability of non-contractual nature arising out of a breach of a duty not to injure another, intentionally or otherwise.”; Winfield, Province of the Law of Tort, “Tortious liability arises from the breach of a duty primarly fixed by the law: such duty is towards persons generally and its breach is redressible by an action for unliquidated damages”; Spelsberg-Korspeter, S. 65, 134; Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 155; Schurig in FS Heldrich, 1021, 1027; Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt, S. 214; Schlosser, IPRax 1984, 65, 67; Bröcker, Differenzierte Regelbildung, S. 197; Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, S. 678.
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rechts, sondern um die Durchsetzung gesetzlicher Vorgaben zum Schutz des status quo der Vertragsparteien. Durch den Schutz des status quo soll die Grundlage dafür, dass die Parteien überhaupt ihren freien Willen bilden können, gesichert werden.131 Es geht in diesen Fällen also nicht um die Anerkennung und den Schutz einer bereits getroffenen parteiautonomen Vereinbarung, sondern um den Schutz der Rechtsgüter einer Person als Basis für ihre zukünftigen freiwilligen Willensentscheidungen. Handlungen, die eine, unabhängig von einer privatautonomen Vereinbarung bestehende, gesetzliche Pflicht verletzen, sind folglich dem Kollisionsrechtsregime der Rom II-Verordnung zuzuordnen und als Delikt zu qualifizieren.132 Für eine vertragliche Qualifikation und eine damit einhergehende Betonung der Privatautonomie auf der Ebene des Kollisionsrechts besteht kein Grund: Die Idee eines Vertrags auf der Ebene des Sachrechts ist, dass sich die Vertragsschließenden kraft ihres Willens zu einer Leistung verpflichten, die sie anderenfalls nicht zu erbringen hätten. Ziel ist, wie gezeigt wurde, ein irgendwie gearteter Gütertransfer von der einen 131
Vgl. dazu auch oben bei Fn. 98 des 4. Kapitels. Base Metal Trading Ltd. v. Shamurin [2004] EWCA Civ 1316 at para 28 „a contractual obligation is by its very nature one which is voluntarily assumed by agreement. Terms may be implied into that agreement, but that is because they are necessary to make what has been agreed work an so this does not undermine the fact that the agreement is consensual. There is nothing consensual about the imposition of a tortious or equitable duty of care. It arises from a voluntary assumption of responsibility, but that is a state of affairs which is not dependant on agreement” (L.J. Tuckey) zur Frage, ob eine vertragliche Verpflichtung im Sinne des EVÜ vorliegt; Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.129, 3.131 „Accordingly, at least if the claimant presents his case on this basis, the court may consider the possibility that the basis of an action arising against the background of a contract (or other pre-existing relationship) can be characterized in two (or more) different ways, with reference to the categories of obligation recognized by the Rome II Regulation, and that the defendant may, at the same time, owe overlapping "contractual" and "non-contractual" obligations to the claimant. Most obviously, the defendant’s conduct may be something for which he would have been legally responsible independently of any contract between the parties. [...] the fact that (a) the contract provided the occasion for the defendant’s acts or omissions, and (b) the same acts or omissions violate both the contractual and the statutory obligation should not prevent the court from recognizing the existence of a non-contractual (tortious) obligation alongside a contractual one. [...] however, it is submitted that the better view is that all claims based on the English tort of negligence should be characterized under the Rome II Regulation as "noncontractual obligation arising out of a tort/delict", falling within Art 4 unless another rule in Chapter II or III of the Regulation applies. The foundation of these claims, even when brought between contracting parties, should be identified as being not the voluntariness of the defendant’s conduct towards the claimant but his responsibility for careless conduct causing damage to the claimant“; vgl. auch Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 155 und Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 16 i.V.m. Rn. 74 am Anfang. 132
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Vertragspartei auf die jeweils andere. Hierzu erhält der Gläubiger aufgrund des Vertrags ein Forderungsrecht gegenüber dem Schuldner, wodurch das Äquivalenzinteresse des Gläubigers entsteht. Das Äquivalenzinteresse, welches hier auf einer ersten Stufe zur Abgrenzung von Vertrag und Delikt herangezogen wird, ist also letztlich Auswuchs der Privatautonomie, da sich die Parteien kraft ihres freien Willens zu einer Leistung verpflichten und damit das Äquivalenzinteresse begründen können. Bezüglich der vereinbarten Leistung und deren Erbringung gilt das vertraglich Vereinbarte, weil die Vertragsschließenden, ein jeder in Selbstbestimmung, vereinbart haben, dass es gelten soll.133 Erkennt man die zentrale Bedeutung der Privatautonomie beziehungsweise des freien Willens der Parteien für den Vertrag und die daraus resultierenden Pflichten auf der Ebene des Sachrechts, ist es nur folgerichtig ihr auch auf der Ebene des Kollisionsrechts diese Schlüsselrolle zukommen zu lassen.134 Existieren bestimmte Pflichten der Parteien hingegen nicht erst aufgrund des Vertrags, sondern bereits aufgrund einer gesetzlichen Anordnung und damit unabhängig von einer freiwilligen Vereinbarung durch die Parteien135, fällt die innere Rechtfertigung für eine Rechtswahlmöglichkeit, nämlich die Anerkennung der Privatautonomie auf kollisionsrechtlicher Ebene, teilweise weg. In der Folge wäre es in diesen Fällen verfehlt, wenn man die Parteiautonomie durch eine vertragliche Qualifikation übermäßig betonen würde. Dieser Art der Abgrenzung anhand der Funktion von Vertrag und Delikt kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sowohl die objektivierten Vertragsinhalte, also das standardisierte Vertragsprogramm der Parteien, als auch die deliktischen Verhaltenspflichten der Rechtsordnung entstammen und daher nicht trennbar sind. Richtig ist zwar, dass auch ein vertraglicher Schadenersatzanspruch wegen der Verletzung einer vertraglichen Pflicht regelmäßig nicht dem geschaffenen Vertragswerk, sondern einer gesetzlichen Regelung entstammt. Der entscheidende Unterschied besteht aber darin, dass diese standardisierten gesetzlichen Vertragspflichten nur dann gelten, wenn sie durch die Vertragsparteien kraft ihrer subjektiven Willenseinigung, also mittels eines Vertragsschlusses, „aktiviert“ worden sind. Gerade dieser Aktivierung durch Willensübereinkunft bedürfen die deliktische Pflichten nicht. Sie bestehen vielmehr unabhängig von irgendeiner besonderen Vereinbarung. 133
Flume, Rechtsgeschäft, S. 7; vgl. dazu auch schon oben Kapitel 4, § 2, C, I, 1. Martiny in MüKo, Art. 3 Rom I Rn. 8; Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 155. 135 Der Geltungsgrund der vertraglichen Haftung besteht dann nicht in einem Leistungsversprechen als Akt autonomer Selbstbindung der Parteien, sondern vielmehr – im Prinzip wie bei der deliktischen Haftung – auf einem willensunabhängigen Befehl des Gesetzes. Insoweit ist in diesen Fällen Picker, JZ 1987, 1041, 1044 zuzustimmen; vgl. auch Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 155. 134
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Auch die Erwägung, dass die Privatautonomie auf der kollisionsrechtlichen Ebene durch die Vornahme einer vertraglichen Qualifikation bereits dann zu schützen sei, wenn die durch den Schädiger konkret verletzte gesetzliche Pflicht nur deshalb besteht, weil er die Garantenstellung freiwillig übernommen hat136, vermag nicht zu überzeugen. Zunächst einmal findet sich für diese Sichtweise in der Rechtsprechung des EuGH keinerlei Anhaltspunkt. Wichtiger ist aber, dass wesentliches Element eines Vertrages eine beiderseitige Willensübereinkunft ist. Es kommt also darauf an dass eine der Parteien freiwillig eine Verpflichtung gegenüber der anderen Partei eingegangen ist und dies von der anderen Seite akzeptiert wurde. 137 Pflichten, die aus einer einseitigen freiwilligen Übernahme einer Garantenstellung resultieren, sind nicht Auswuchs der Privatautonomie, sondern bestehen kraft gesetzlicher Anordnung, sodass es verkehrt wäre die Privatautonomie auf der Ebene des Kollisionsrechts übermäßig zu betonen. Ein einzelner kann durch einseitiges privatautonomes Handeln grundsätzlich selbst zugunsten eines anderen kein Verpflichtungen begründen, da die eigene Privatautonomie ihre Grenzen gerade in der Privatautonomie des anderen findet. Der Grundsatz der Privatautonomie legitimiert kein Handeln in „Selbstherrlichkeit“ für andere.138 Daher bedarf ein Vertrag auch zwei übereinstimmender Willensakte.139 Dass eine freiwillige, einseitige Übernahme einer Garantenstellung nicht ausreicht um einen Vertrag im Sinne der Rom I-Verordnung anzunehmen, zeigt sich ferner auch darin, dass die primäre Anknüpfungsart, nämlich die Rechtswahl nach Art. 3 Rom I, in diesen Fällen kaum denkbar ist. Allein hierin zeigt sich, dass das Kollisionsrechtssystem der Rom I-Verordnung in diesen Fällen nicht recht passt. Würde man dennoch eine einseitige, freiwillige Übernahme einer Pflicht zur Annahme einer Vertrages im Sinne der Rom I-Verordnung ausreichen lassen, bestünde darüber hinaus die Gefahr, dass die Grenze zwischen dem Statut der auftragslosen Geschäftsführung gemäß Art. 11 Rom II und dem Vertragsstatut bis zur Unkenntlichkeit verwischt würde. Der Unterschied zwischen einer auftragslosen Geschäftsführung und einem Vertrag besteht doch insbesondere gerade darin, dass es bei der Geschäftsführung ohne Auftrag an einer Willensübereinkunft zwischen Geschäftsherr und Geschäftsführer fehlt. Überzeugender ist es 136
So Rusworth/Scott, LMCLQ 2008, 274, 300. Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, S. 678; Base Metal Trading Ltd. v. Shamurin [2004] EWCA Civ 1316 at para 28 „a contractual obligation is by its very nature one which is voluntarily assumed by agreement”. 138 Flume, Rechtsgeschäft, S. 7. 139 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 383, Orginalpaginierung AB 98: „Der Akt der vereinigten Willkür zweier Personen, wodurch das Seine überhaupt auf den anderen übergeht, ist der Vertrag“. 137
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daher Schadensersatzansprüche, die aus der Verletzung einer freiwillig übernommenen Garantenstellung resultieren, nach dem Kollisionsrechtssystem des Art. 4 Rom II anzuknüpfen. b) Verifizierung durch funktionale Betrachtung des Statuts der culpa in contrahendo Auch eine funktionale Betrachtung des Statuts der culpa in contrahendo, das in den mitgliedstaatlichen Sachrechten „auf der Grenze“ zwischen Vertrag und Delikt liegt140, spricht für diesen funktionalen Vertragsbegriff. Die Rom II-Verordnung enthält mit Art. 12 eine eigene Kollisionsnorm für Ansprüche aus culpa in contrahendo. Dies verdeutlicht zunächst einmal, dass der europäische Gesetzgeber die culpa in contrahendo, entgegen der Einordnung im deutschen Sachrecht, als außervertragliches Schuldverhältnis versteht, da die Rom II-Verordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen gilt. Freilich wird diese Einordnung durch die von Art. 12 Abs. 1 Rom II angeordnete Anknüpfung an das hypothetische Vertragsstatut in gewisser Weise wieder konterkariert, da der EU-Gesetzgeber hierdurch zum Ausdruck bringt, dass auch im vorvertraglichen Bereich Situationen existieren, in denen es interessengerecht erscheint die kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten so gegeneinander abzuwägen, als ob sie zueinander in einer vertraglichen Verbindung stünden. Dies gilt nach Erwägungsgrund 30 zu Rom II insbesondere dann, wenn Offenbarungspflichten verletzt wurden oder wenn Vertragsverhandlungen unredlicherweise abgebrochen wurden. Aufgrund dieses Erwägungsgrundes ist aber auch sicher, dass „in den Fällen, in denen einer Person während der Vertragsverhandlungen ein Personenschaden zugefügt wird, Artikel 4 oder andere einschlägige Bestimmungen dieser Verordnung zur Anwendung gelangen“ sollen. Der EUGesetzgeber geht also davon aus, dass für Ansprüche wegen Personenverletzungen das Kollisionsrechtsregime der Rom I-Verordnung nicht passt. Vielmehr hält er die Anwendung der Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II für stimmiger. Dies ist auch nicht sonderlich verwunderlich, da Ansprüche aus Personenverletzungen während einer contrahendo-Situation nur aus dem Gesetz und nicht aus einer privatautonom geschlossenen Vereinbarung resultieren können, da eine solche ja gerade (noch) fehlt. Vielmehr werden derartige Ansprüche allein zur Stärkung des allgemeinen deliktischen Schutzes durch Annahme vorvertraglicher Schutzpflichten konstruiert. Solche aus einem Gesetz und nicht aus einer Vereinbarung resultierenden
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Siehe dazu die rechtsvergleichende Darstellung bei Kurt, Culpa in contrahendo, S. 63–72.
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Schutzpflichten dienen allein der Verhinderung von körperlichen Integritätseinbußen, also dem Schutz der körperlichen Integrität. Funktional handelt es sich bei solchen Ansprüchen folglich um (Sonder-)Deliktsrecht.141 Die in Erwägungsgrund 30 mit Blick auf Personenschäden getroffene Aussage kann auf Eigentumsverletzungen verallgemeinert werden142, da insoweit die kollisionsrechtliche Interessenlage identisch ist. Schließlich resultieren auch Ansprüche wegen Eigentumsverletzungen in contrahendoSituationen nicht aus einer freiwillig getroffenen Vereinbarung, sondern aus einer gesetzlichen Anordnung. In derartigen Fällen geht es schwerpunktmäßig also nicht um die Anerkennung der Parteiautonomie, sondern um einen angemessenen Ausgleich der kollisionsrechtlichen Interessen von Schädiger und Geschädigtem sowie die Voraussehbarkeit der anwendbaren Sicherheits- und Verhaltensregeln, sodass die Kollisionsregeln der Rom IIVerordnung, genauer des Art. 4 Rom II, besser passen. Akzeptiert man diese Sichtweise des europäischen Gesetzgebers im vorvertraglichen Bereich, darf nach Vertragsschluss nichts anderes gelten, da sich durch den Vertragsschluss die Regelungen zum Schutz der körperlichen Integrität und des Eigentums der anderen Vertragspartei nicht verändern.143 Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Konstruktion und Rechtfertigung einer Haftung wegen Verletzung vertraglicher Schutzpflichten nach einer deutschen Literaturauffassung vor Augen führt. Nach diesem Verständnis ist es nicht der Vertrag, welcher die gesteigerte Schutzbedürftigkeit und Schutzwürdigkeit der Parteien hervorruft, sondern die damit einhergehende, schon vorher beginnende, außervertragliche „Sonderverbindung“ und die aus ihr resultierende gesteigerte Einwirkungsmöglichkeit einer der Parteien auf die Rechtsgüter, also beispielsweise Leib, Leben, Körper und Gesundheit der jeweils anderen Vertrags-
141 Kurt, Culpa in contrahendo, S. 78; Lüttringhaus, RIW 2008, 193, 197; Mankowski, IPRax 2003, 127, 134 f.; Leible in AnwK-BGB, Art. 32 EGBGB Rn. 25 f.; vgl. auch Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613, 639. 142 Lüttringhaus, RIW 2008, 193, 197; ähnlich auch Von Hein, VersR 2007, 440, 450; ders., GPR 2007, 54, 59; Wagner, IPRax 2008, 1, 13; Kurt, Culpa in contrahendo, S. 78; Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom II Rn. 11; Wied, Zivilprozessuale Qualifikation, S. 158. 143 Vgl. Dutta, IPRax 2009, 293, 296 f.; Wagner, IPRax 2008, 1, 13; Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 62, 79; vgl. auch Kurt, Culpa in contrahendo, S. 78 „Mithin werden alle Konstellationen, die die Beeinträchtigung des Integritätsinteresses gleich welcher Art kompensieren, von den Art. 4 ff. Rom II-VO erfasst“, wenngleich dieses Verständnis wohl zu weit ist, da auch die von Art. 12 Abs. 1 Rom II erfassten Offenlegungspflichten und den unlauteren Abbruch von Vertragsverhandlungen dem Schutz des bestehenden Vermögens und damit dem Schutz von Integritätsinteressen dienen; vgl. auch die Ausführungen von Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europ. Einfluss, Kap. 27 Rn. 41.
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partei.144 In diesem einheitlichen, gesetzlichen Schuldverhältnis sind die gesetzlichen, auf den Integritätsschutz gerichteten Schutzpflichten verortet, welche die vertragliche Haftung der schädigenden Partei auslösen. Es entsteht mit Aufnahme des geschäftlichen Kontaktes und verdichtet sich über mehrere Stufen (Beginn der Vertragsverhandlungen, Vertragsschluss, Eintritt in das Erfüllungsstadium). Da es unabhängig vom Willen der Parteien entsteht, ist es gesetzlicher Natur. Besonders bei dieser Sichtweise wird deutlich, dass die Pflichten zum Schutz von Personen und Eigentum vor Vertragsschluss mit denjenigen nach Vertragsschluss identisch sind. Erfolgt der Schutz dieser Rechtsgüter aber sowohl vor als auch nach dem Vertragsschluss nicht auf Basis des Vertrages und damit nicht auf Grundlage einer parteiautonom getroffenen Vereinbarung, sondern aufgrund eines gesetzlichen Schuldverhältnisses, so passen auch nach dem Vertragsschluss die Kollisionsregeln der Rom IVerordnung nicht. Vielmehr bleibt es dabei, dass derartige Ansprüche dem Kollisionsrechtsregime der Rom II-Verordnung, genauer deren Art. 4, zu unterstellen sind. Schließlich kann sich bei solchen Ansprüchen die kollisionsrechtliche Interessenlage nicht durch den Vertragsschluss ändern, da derartige Ansprüche ja gerade unabhängig von irgendeiner, freiwillig durch die Parteien getroffenen, Vereinbarung aufgrund einer gesetzlichen Anordnung bestehen. Folglich kann durch einen Vertragsschluss auch keine „Umqualifikation“ von deliktischen Ansprüchen aus Verletzung personen- oder eigentumsschützender Pflichten zu vertraglichen stattfinden. Etwas anderes lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der Vertragspartner durch den Vertragsschluss seine Rechtssphäre gegenüber dem anderen Vertragspartner öffnet und dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Integritätsverletzung erhöht.145 Zwar hat diese Sichtweise auf den ersten Blick einen gewissen Reiz, bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass es nicht der Vertrag ist der die Wahrscheinlichkeit einer Integritätsverletzung erhöht, sondern die schlichte faktische Einwirkungsmöglichkeit des einen Vertragspartners auf die Rechtsgüter des anderen Vertragspartners. Deutlich zeigt sich dies in Konstellationen, in denen ein Vertrag etwa aufgrund mangelnder Geschäftsfähigkeit eines oder beider Vertragsparteien nicht zu Stande kommt, dies aber von den Parteien nicht erkannt wird. Beginnen die Parteien in einer derartigen Konstellation mit der Durchführung des vermeintlichen Vertrags, ist die Wahrscheinlichkeit einer Integritäts-
144 Siehe Stoll, AcP 136 (1932), 257, 288; Canaris, JZ 1965, 475, 476; ders., in FS Larenz, 27, 88; Gerhardt, JuS 1970, 597, 598; wohl auch Medicus/Lorenz, SR I, Rn. 8, Rn. 507a. 145 So aber bspw. Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 289; Pick, Verkehrspflichten, S. 93.
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verletzung in gleicher Weise erhöht, wie wenn die Parteien tatsächlich einen wirksamen Vertrag geschlossen hätten. Dies zeigt deutlich, dass es nicht der Vertrag ist, der das Risiko einer Integritätsverletzung erhöht, sondern schlicht die faktische Nähe und die daraus resultierende einfachere Zugriffsmöglichkeit der einen Person auf die Rechtsgüter der anderen Person. Folglich ist die kollisionsrechtliche Interessenlage vor und nach Vertragsschluss in Bezug auf Verletzungen der körperlichen Integrität oder des Eigentums identisch, sodass auch nach Vertragsschluss Ansprüche, die daraus resultieren, dass eine Pflicht zum Schutz von Personen oder des Eigentums verletzt wird, als deliktisch zu qualifizieren sind.146 4. Zwischenergebnis Zusammenfassend bedeutet dies, dass im europäischen Kollisionsrecht in einem ersten Schritt die Unterscheidung zwischen dem Leistungsinteresse auf der einen und dem Bestandsschutzinteresse auf der anderen Seite für die Qualifikation eines Anspruchs als vertraglich oder deliktisch von Bedeutung ist. Gelangt man bei dieser Unterscheidung zu einem eindeutigen Ergebnis, so kann man es bei diesem Schritt belassen. Anderenfalls ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob es schwerpunktmäßig um die Anerkennung der Parteiautonomie und die Anwendung des Rechts der die vertragscharakteristischen Leistung erbringenden Partei geht. Ist dies der Fall, ist eine vertragliche Qualifikation vorzunehmen. Geht es hingegen um einen angemessenen Ausgleich der kollisionsrechtlichen Interessen von Täter und Opfer sowie die Voraussehbarkeit der anwendbaren Sicherheitsund Verhaltensregeln, erscheint eine deliktische Qualifikation sach- und interessengerecht. Für die Qualifikation der Telearzthaftung gilt es somit zunächst zu untersuchen, ob sie dem Schutz des Äquivalenz- oder des Integritätsinteresses des Patienten dient, oder ob gar Konstellationen denkbar sind, in denen sowohl das Leistungs- als auch Integritätsinteresse des Patienten geschützt wird. Sollte man dabei nicht zu einem eindeutigen Ergebnis gelangen, so wäre in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob es bei der Telearzthaftung schwerpunktmäßig um die Anerkennung und Durchsetzung der Privatautonomie und die Anwendung des Rechts der die vertragscharakteristischen Leistung erbringenden Partei geht oder ob es nicht vielmehr um den ange-
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Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 62, 79; vgl. auch Wagner, IPRax 2008, 1, 13; Kurt, Culpa in contrahendo, S. 78; Dutta, IPRax 2009, 293, 297; wohl auch Martiny in MüKo, Art. 1 Rom I Rn. 10; ferner Gebauer in Gebauer/Wiemann, Zivilrecht unter europ. Einfluss, Kap. 27 Rn. 41; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 18 (beide zur vergleichbaren Problematik im Rahmen der EuGVO bei der Abgrenzung zwischen Art. 5 Nr.1 und Art. 5 Nr. 3 EuGVO).
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messenen Ausgleich der kollisionsrechtlichen Interessen von Täter und Opfer sowie die Voraussehbarkeit der anwendbaren Sicherheits- und Verhaltensregeln geht. Die für den ersten Schritt notwendige Untersuchung gestaltet sich schwierig, da mit der telemedizinischen Leistung häufig – zumindest mittelbar – eine Verletzung des Integritätsinteresses des Patienten einhergeht. Darüber hinaus ist die Einordnung der Telearzthaftung als Teil der Berufshaftung in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgestaltet147, wodurch ihre europäisch-einheitliche Qualifikation zusätzlich erschwert wird.148 II. Argumente für eine vertragliche Qualifikation der Telearzthaftung Für eine Qualifikation der Telearzthaftung als vertraglich ließe sich anführen, dass der Telemedizinvertrag das Verhältnis zwischen Patient und Telemediziner derart prägt, dass Haftungsansprüche des Patienten gegen den Telemediziner, die im Rahmen einer vertraglichen Sonderverbindung auftreten, als vertraglich zu qualifizieren sind. Eine solche Prägung könnte sich daraus ergeben, dass der Telemedizinvertrag die rechtlichen Pflichten, insbesondere auch die Fürsorgepflichten des Telemediziners gegenüber dem Patienten, festlegt.
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So stellen Zepos/Christodoulou in International Encyclopedia of Comparative Law XI/1, Chapter 6, S. 4 als Quintessenz aus ihrer umfangreichen rechtsvergleichenden Untersuchung fest: „A closer examination of professional liability shows that, regardless of any systematic classification of responsibility in individual instances (in contract or in tort), liability is essentially founded on the professional’s conduct in a given situation falling short of standards expected by law. Professional liability is essentially responsibility for breach of a „legal duty of care“, regardless of whether such legal duty is contractual, statutory or otherwise. Thus even where a contract exists, this kind of liability is not strictly „contractual“ in the traditional narrow sense of the term, but one imposed independently by the law“. 148 Vielleicht ist gerade hierin der Grund zu sehen, warum in der neueren Literatur, die sich mit dem Kollisionsrecht von Rom I, II und der (Tele-) Arzthaftung beschäftigt, überhaupt nicht auf die Qualifikationsfrage eingegangen wird, sondern stillschweigend davon ausgegangen wird, dass auch im neuen EU-Kollisionsrecht die (Tele-) Arzthaftung „doppelt“ als vertraglich und deliktisch zu qualifizieren ist und folglich sowohl – zumindest zunächst – dem Vertrags- als auch dem Deliktsstatut untersteht.; siehe nur Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 202 ff.; insb. 227–255; Link, Telemedizin, S. 269 ff., insb. 302 f.; Deutsch, MedR 2009, 576 ff.; Prütting in Spickhoff, Cross Border Treatment, 37, 46 ff., insb. 49 f.; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 247. Im Rahmen der EuGVO wird neuerdings sogar eine ausschließlich vertragliche Qualifikation der Arzthaftung vertreten, vgl. Schack, IZVR, Rn. 293.
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Auch Erwägungen des Vertrauensschutzes ließen sich für eine vertragliche Qualifikation ins Feld führen.149 Der Patient, der sich vertrauensvoll in die Hände eines Telemediziners begibt und damit seine Sphäre öffnet, erhöhe das Risiko einer Verletzung seiner Rechtsgüter. Umgekehrt gewähre der Telearzt dieses Vertrauen, in dem er durch die Behandlungsübernahme den Rechtskreis des Patienten betrete. Zugunsten einer vertraglichen Qualifikation der Telearzthaftung ließe sich ferner anführen, dass der Integritätsschutz Teil der vertraglich geschuldeten Leistung und damit auch Teil des Äquivalenzinteresses ist.150 Aufgrund des Vertrages sei der Telemediziner gegenüber dem Patienten nämlich verpflichtet, seine Leistung, also die Behandlung und Aufklärung, nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu erbringen. Komme er diesen Pflichten nicht hinreichen nach, verletze er hierdurch eine vertragliche Leistungspflicht151 und damit das Äquivalenzinteresse des Patienten, so dass er den aus dieser Pflichtverletzung kausal resultierenden Schaden zu ersetzen habe. III. Deliktische Qualifikation der Telearzthaftung wegen Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität des Patienten Einer vertraglichen Qualifikation der Telearzthaftung wegen Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität des Patienten steht die Stoßrichtung der Telearzthaftung auf den Integritätsschutz des Patienten und die Abgrenzung von Vertrag und Delikt anhand des funktionalen Vertragsbegriffs entgegen. 1. Schutz des Integritätsinteresses Der Telearzt haftet dem Patienten meist – auf die Ausnahmen wird noch einzugehen sein152 – nur wegen der Verletzung dessen körperlicher und gesundheitlicher Integrität. Haftungsauslösend ist im Rahmen der Telearzthaftung regelmäßig nicht der Umstand, dass der Telearzt eine Leistungspflicht und damit das Äquivalenzinteresses des Patienten verletzt, sondern die Verletzung einer Pflicht zum Schutz der körperlichen Integrität des Patienten. Mit dieser These und der daraus resultierenden Qualifikation der Telearzthaftung als ausschließlich deliktisch, tut man sich in Deutschland
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Vgl. Pick, Verkehrspflichten, S. 82. Hierauf wird sogleich noch ausführlich zurückzukommen sein; vgl. dazu unten Kapitel 4, § 2, C, III, 1, a). 151 Seifert, Ärztlicher Behandlungsfehler, S. 22 f.; Hart in FS Schmidt, 131, 141 f. 152 Vgl. dazu unten Kapitel 4, § 2, C, IV. 150
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bislang jedoch bekanntermaßen schwer.153 Die Gründe hierfür sind schnell ausgemacht: Nach deutschem Verständnis haftet der Telearzt dem Patienten nicht nur auf deliktischer Basis nach § 823 Abs. 1 BGB, sondern auch aus § 280 Abs. 1 BGB, wenn er seine vertragliche Pflicht zur Behandlung lege artis nicht beachtet hat.154 Der Schutz des Integritätsinteresses erscheint somit als Teil der geschuldeten Vertragsleistung. Mit anderen Worten scheinen Patient und Telemediziner den Schutz der körperlichen und gesundheitlichen Integrität durch Abschluss des Telemedizinvertrages zum vertraglichen Leistungsgegenstand gemacht zu haben, so dass das ursprüngliche Integritätsinteresse an der Unversehrtheit des Gesundheitszustands durch Vertrag scheinbar in ein Äquivalenzinteresse formiert wurde. Auf den ersten Blick, ist folglich die Verletzung einer vertraglichen Leistungspflicht und damit die Enttäuschung beziehungsweise die Verletzung des Äquivalenzinteresses des Patienten für die Haftung des Telemediziners auslösend. Dies würde in der Tat dafür sprechen, die Haftung des Telearztes im Kollisionsrecht jedenfalls dann als vertraglich zu qualifizieren, wenn im Schädigungszeitpunkt zwischen Patient und Arzt ein Telemedizinvertrag bestand. a) Deliktischer Ursprung der vertraglichen Pflicht zur Behandlung lege artis Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass ein solches Qualifikationsergebnis verfehlt wäre, da die Telearzthaftung in Deutschland nur mittels eines „Kunstgriffs“ der Vertragshaftung unterstellt wurde, um Defizite des Deliktsrechts auszugleichen.155 Die vertragliche Haftung des Telemediziners ist „gekünstelt“, weil es bei ihr nicht um den vertragstypischen Schutz des Äquivalenzinteresses des Patienten, sondern um den Schutz seines Integritätsinteresses geht. Die vertragliche Haftung des Arztes resultiert nicht aus der Verletzung einer Leistungspflicht und damit auch nicht aus der Verletzung des Äquivalenzinteresses des Patienten, sondern aus der Verletzung einer vertraglichen Pflicht zum Schutz der körperlichen und gesundheitlichen Integrität des Patienten und damit aus der Verletzung von Integritätsinteressen. Die Gründe, warum dies in Deutschland leicht übersehen wird, liegen insbesondere darin verborgen, dass in der deut-
153 Siehe nur Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 202 ff., insb. 227–255; Link, Telemedizin, S. 269 ff., insb. 302 f.; Deutsch, MedR 2009, 576 ff.; Prütting in Spickhoff, Cross Border Treatment, 37, 46 ff., insb. 49 f., Schädlich, TelemedizinAnwendungen, S. 113 ff., insb. 152 f.; Hoppe, MedR 1998, 462, 464 f. 154 Vgl. ausführlich oben Kapitel 3, § 3, A und B. 155 Siehe dazu Staak/Uhlenbruck in FS Schewe, 142, 145 f.; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 135; Schlosser, IPRax 1984, 65, 67.
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schen Spruchpraxis und in der rechtswissenschaftlichen Literatur meist vorschnell auf die nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgende Behandlung des Arztes als das die Vertragshaftung auslösende Moment abgestellt wird, ohne sich den deliktischen und damit integritätsschützenden Ursprung dieser vertraglichen Pflicht vor Augen zu halten. Im materiell-rechtlichen Teil zum deutschen Arzthaftungsrecht aus unerlaubter Handlung wurde bereits aufgezeigt, dass eine ärztliche Heilbehandlung, die nach ganz herrschender Auffassung stets eine Körperverletzung und/oder eine Gesundheitsschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellt, immer dann rechtswidrig und damit haftungsauslösend ist, wenn der Telearzt den Patienten nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt, da die Einwilligung des Patienten nur soweit gültig ist, wie der Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst tätig wird.156 Dies lässt sich dahingehend positiveren, dass der Arzt aufgrund faktischer Übernahme eine Garantenstellung gegenüber dem Patienten besitzt, aus welcher er zur Behandlung lege artis und zur Aufklärung des Patienten verpflichtet ist.157 Durch die Annahme einer solchen deliktischen Verkehrspflicht158 zur Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst wird die in § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB verankerte „Körperverletzungsdoktrin“ überwunden und die deliktische Arzthaftung zu einer Haftung wegen Verstoßes gegen eine Verhaltenspflicht beziehungsweise zu einem erfolgsqualifizierten Unrechtstatbestand formiert.159 Das eigentliche deliktische Pflichtgebot, den Patienten nicht in seiner Gesundheit zu schädigen, wird auf diesem Weg auf eine Art von Leistungsakzent umgepolt, da der Arzt nun, allein aufgrund der faktischen Übernahme der Behandlung, die Pflicht hat, den Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln und aufzuklären. Die eigentliche Stoßrichtung der Haftung, nämlich der Integritätsschutz, ändert sich dadurch jedoch nicht.160 Vielmehr dient diese Umpolung gerade weiterhin dem Schutz der körperlichen und gesundheitlichen Integrität des Patienten, was spätestens darin zum Ausdruck kommt, dass der Telearzt dem Patienten nur dann haftet, wenn dem Patient durch die nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführten Behandlung
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Vgl. oben Kapitel 3, § 3, A, I, 2. Vgl. dazu bereits ausführlich oben Kapitel 3, § 3, C, insbesondere Fn. 207; Vgl. zur insoweit vergleichbaren Rechtslage in England und den USA bereits oben Kapitel 3, § 3, F. 158 Die Herausbildung von Verkehrspflichten ist im Wesentlichen das Ergebnis der Rezeption angloamerikanischen Gedankenguts, vor allem der Haftung aus negligence und der Lehre einer duty of care; vgl. dazu grundlegend Von Caemmerer in FS Deutscher Juristentag, 49, 71 ff. 159 Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 388. 160 Insoweit zutreffend Schmidt, MedR 2007, 693, 696. 157
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auch tatsächlich ein Gesundheitsschaden entstanden ist.161 Vereinfacht ausgedrückt hat der Patient trotz dieser, aus dem Deliktsrecht konstruierten Pflicht, nur dann einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung gegen den Telemediziner, wenn es ihm nach der Behandlung schlechter geht als zuvor. b) Folgen für die vertragliche Haftung des Telemediziners Überträgt man diese Konstruktion im Deliktsrecht und damit auch die Annahme einer gesetzlichen Pflicht zur Behandlung lege artis in den vertraglichen Bereich, obliegt dem Telearzt auf den ersten Blick eine vertragliche Leistungspflicht zur Behandlung lege artis.162 Durch eine derartige Transkription wird funktionelles Deliktsrecht, nämlich der leistungsunabhängige Schutz der körperlichen und gesundheitlichen Integrität als Basis allen parteiautonomen Handelns, in das Vertragsrecht hineinverlagert und so Vertrags- und Deliktsrecht vermengt.163 Führt man sich hingegen die soeben aufgezeigte Herkunft der Pflicht zur Behandlung lege artis aus dem Deliktsrecht vor Augen, erkennt man schnell, dass es sich um vertragliche Pflichten zum Schutz der körperlichen und gesundheitlichen Integrität und nicht um vertragliche Leistungspflichten handelt.164 Die vertragliche Pflicht zur Behandlung lege artis ist nur Reflex der Verpflichtung, den Patienten nicht in seiner Gesundheit zu schädigen, da der (Tele-)Arzt nur so sicher stellen kann, dass er eine etwaige Gesundheitsschädigung des Patienten nicht im Sinne des Sinne des § 276 BGB zu vertreten hat. Mit einer Leistungspflicht zur Behandlung lege artis hat dies freilich nichts zu tun. Durch die Implementierung der deliktischen Verkehrspflichten in den Telemedizinvertrag durch Annahme gleichlautender vertraglicher Schutzpflichten soll insbesondere die ungeliebte Exkulpationsmöglichkeit des
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Allgemeine Meinung, siehe dazu statt vieler nur Heidelk, Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden, S. 66–69 und Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 419 jeweils m.z.N. aus Rspr. und Lit. 162 Vgl. Seifert, Ärztlicher Behandlungsfehler, S. 22 f.; Hart in FS Schmidt, 131, 141 f.; Lorz, Arzthaftung bei Schönheitsoperationen, S. 161. 163 Vgl. Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 135. Zu welchen Problemen eine solche Vermengung führt zeigt sich insbesondere in der Diskussion um die Reichweite der Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB; vgl. dazu nur Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 176–180; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel XI Rn. 118– 129 jeweils m.z.N. und Darstellung des derzeitigen Streitstandes. 164 Dies erkennt auch das LG Münster, Urt. v. 05.07.2007 – 11 O 1046/06, das die vertragliche Haftung explizit auf die §§ 280, 241 Abs. 2 BGB stützt; vgl. auch Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IV Rn. 4 m.w.N.
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§ 831 BGB umgangen werden.165 Dies soll und wird hier nicht kritisiert, wenngleich die extensive Annahme von vertraglichen Schutzpflichten im Vergleich mit den europäischen Rechtsordnungen einen deutschen Sonderweg darstellt.166 Es ist aber festzustellen, dass sich durch diese Implementierung die Stoßrichtung der Arzthaftung auf den Integritätsschutz nicht ändert, wenngleich diese dann in „vertraglichem Gewand“ erscheint.167 Hinzu kommt, dass auch im vertraglichen Bereich die Haftung des Arztes grundsätzlich nicht daraus resultiert, dass der Arzt nicht lege artis behandelt, sondern vielmehr daraus, dass das ärztliche Handeln weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen zur Folge hat.168 Der Arzt schuldet aus dem Arztvertrag gerade nicht den Erfolg der Heilbehandlung, also die Heilung oder Besserung, sondern nur ein auf Heilung oder Besserung gerichtetes „Bemühen“, ein „Tätigwerden“. Zu bedenken ist nur, dass der Arzt vernünftigerweise nicht für den Erfolg der Behandlung oder den glücklichen Verlauf seines Eingriffs einstehen kann, da die mit der Heilbehandlung verbundenen Risiken regelmäßig überhaupt nicht zu übersehen und trotz aller Fortschritte auf dem Gebiet der Medizin grundsätzlich auch nicht voll beherrschbar sind.169 Gerade deshalb qualifiziert man den Arztvertrag im deutschen, wie auch in den anderen europäischen Sachrechten, nahezu einhellig als Dienstleistungs- und nicht als Werkvertrag.170 Im vertraglichen
165 Vgl. nur Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 135; Von Caemmerer in FS Deutscher Juristentag, 49, 56; Preuss, Vertragsbruch als Delikt, S. 21; Schütt, Deliktstyp und IPR, S. 112; Vgl. in diesem Kontext auch oben Kapitel 3, § 3, A, II. 166 Ranieri, Europ. Obligationenrecht, S. 1346; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 135. 167 Gödicke, MedR 2008, 405, 406. 168 Gödicke, MedR 2008, 405, 406; dies muss selbst Seifert, Ärztlicher Behandlungsfehler, S. 21 eingestehen, obwohl er eigentlich davon ausgeht, dass die Pflicht zur Behandlung lege artis vertragliche Hauptleistungspflicht ist. 169 Stoll, AcP 176 (1976), 145, 156. 170 Vgl. dazu für das deutsche Sachrecht BGHZ 97, 273, 276; OLG Düsseldorf, VersR 2005, 1737, 1737; Rieger, Lexikon des Arztrechts, Rn. 213; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 1, 2; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 113; Kaiser in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 12 Rn. 4; Luckey in Spickhoff, Arzthaftungsrecht, 49, 54; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel III Rn. 26; Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 13; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, Rn. 2; Riegger, Historische Entwicklung der Arzthaftung, S. 19; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 99; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, Rn. A 401; Ratzel/Luxenburger in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 19 Rn. 13; Neuefeind, Arzthaftungsrecht, S. 16; ebenso in Belgien, vgl. Dalq in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 82 Rn. B 39; den Niederlanden, vgl. Leenen/Gevers in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 429 Rn. NL 20; Dute in Fischer/Lilie, Ärztliche Verantwortung, S. 293 f.; in Italien, vgl. Hohnerlein in Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 89; Busnelli/Zana in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 388 Rn. I 59; in der Schweiz, vgl. Fell-
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Arzthaftungsrecht wegen Verletzung von Körper und Gesundheit geht es folglich nicht um die, die vertragliche Haftung kennzeichnende Verletzung eines Leistungsversprechen und damit einer Verletzung des Äquivalenzinteresses des Patienten, d.h. um die Enttäuschung von Heilungserwartungen, die der Arzt durch vertragliche Selbstbindung geweckt hat. Die Erfüllung einer solchen Erwartung ist vertraglich ja schon gar nicht geschuldet und daher auch haftungsrechtlich nicht geschützt. Andernfalls würde man auf der Ebene der Sekundäransprüche den Dienstleistungs- in einen Werkvertrag umdeuten. Der Vertrag zwischen Arzt und Patient begründet vielmehr ein Schutzpflichtverhältnis zur Sicherung des gesundheitlichen status quo des Patienten, das im Falle einer zu vertretenden Verletzung die Verpflichtung zum Ausgleich des beeinträchtigten Integritätsinteresses auslöst.171 Haftungsgrund ist nicht der Bruch des gegebenen Wortes, sondern der Verletzungserfolg in Form der Gesundheitsschädigung des Patienten.172 Die für § 280 Abs. 1 BGB erforderliche Pflichtverletzung liegt im Rahmen der Haftung des Telemediziners ganz überwiegend somit nicht in einer Schlechtleistung der vertraglich geschuldeten Leistung, sondern – wie bei der deliktischen Haftung auch – in dem Eingriff in die Rechtsgüter des Patienten173, also in der Verletzung einer auf den Integritätsschutz gerichteten vertraglichen Schutzpflicht. c) Argumente aus der Systematik der §§ 280 ff. BGB Die Stoßrichtung der vertraglichen Arzthaftung auf den Integritätsschutz des Patienten zeigt sich zudem darin, dass die Haftung des Arztes auch von denjenigen174, die – wie soeben gezeigt wurde – fehlerhaft davon ausgehen, dass die Pflicht den Patienten lege artis zu behandeln vertragliche
mann in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 19 Rn. 5; Hausherr in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 747 Rn. CH 37; in Österreich, vgl. Bernat in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 18 Rn. 19; auch in Frankreich qualifiziert man die Pflicht des Arztes nicht als „obligation de résultat“, sondern als „obligation de moyens“, vgl. dazu Fischer in Fischer/Lilie, Ärztliche Verantwortung, S. 8; Penneau in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 181 f. Rn. F 49 f.; Kaufmann in Köhler/Maydell, Arzthaftung, S. 61. 171 Vgl. Weber-Steinhaus, Ärztliche Berufshaftung, S. 6; Gödicke, MedR 2008, 405, 406. 172 BGH, NJW 1987, 705, 706; Stoll, AcP 176 (1976), 187; Park, System des Arzthaftungsrechts, S. 99; Otto in Staudinger (2009), § 280 Rn. F 48; Seifert, Ärztlicher Behandlungsfehler, S. 21; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 423. 173 So zu Recht auch Otto in Staudinger (2009), § 280 Rn. F 48. 174 Bspw. Seifert, Ärztlicher Behandlungsfehler, S. 22 f.; Hart in FS Schmidt, 131, 141 f.
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Hauptleistungspflicht ist, vertreten wird, dass die Haftung des Arztes aus § 280 Abs. 1 BGB und nicht aus § 280 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit den §§ 281 ff. BGB resultiert. Für die Abgrenzung zwischen dem Schadensersatz neben der Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB) und demjenigen statt der Leistung (§ 280 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit § 281 ff. BGB) ist nach ganz überwiegender Auffassung entscheidend, ob der durch die Pflichtverletzung entstandene Schadensposten durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung noch beseitigt werden kann oder nicht. In erstgenanntem Fall liegt ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach § 280 Abs. 1 und 3 BGB in Verbindung mit den §§ 281 ff. BGB vor, während in dem zweiten Fall ein Schadensersatzanspruch neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB anzunehmen ist.175 Diese Abgrenzung ist Folge der Tatsache, dass der Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1 und 3 BGB in Verbindung mit den §§ 281 ff. BGB nur das Leistungsinteresse und nicht das Integritätsinteresse umfasst176, welches vielmehr nur durch § 280 Abs. 1 BGB geschützt wird: Ist der Schaden durch die Verletzung des Integritätsinteresses entstanden, kann er durch Nacherfüllung nicht wieder beseitigt werden. Das aus dem Fristsetzungserfordernis des § 281 BGB entspringende Recht auf „zweite Andienung“ beziehungsweise die „Chance auf Vermeidung des Schadens“177 würde in diesen Fällen keinen Sinn machen. Ebenfalls sinnlos wäre die Prüfung, ob dem Gläubiger des Schadensersatzanspruches die ursprüngliche Leistung noch im Sinne des § 282 BGB zugemutet werden kann. Besonders deutlich wird dies gerade im Bereich des vertraglichen Arzthaftungsrechts: Ist der Patient durch den Arzt in seiner Gesundheit geschädigt worden, geht es ihm also nach der ärztlichen Behandlung schlechter als zuvor und ist dies auf einen Behandlungsfehler des Arztes zurückzuführen, kann dieser Schaden nicht mehr dadurch beseitigt werden, dass der Arzt noch einmal seine ursprünglich geschuldete Leistung erbringt. Vielmehr kann der aus der Gesundheitsverletzung resultierende Schaden – wenn überhaupt – nur dadurch beseitigt werden, dass der Arzt eine neue, von der ursprünglich geschuldeten Leistung divergierende neue Leistung erbringt. Dies sei an einem einfachen Beispiel verdeutlicht: Ein Patient sucht einen Arzt wegen eines Hautausschlages auf. Der behandelnde Arzt verschreibt ihm Medikament A, obwohl eigentlich die Gabe des Medika-
175 Vgl. Lorenz, NJW 2000, 2497, 2500; Medicus, JuS 2003, 521, 528; Grüneberg in Palandt, BGB, § 280 Rn. 18 m.w.N. 176 Otto in Staudinger (2009), § 280 BGB Rn. C 9; ähnlich Grüneberg in Palandt, BGB, § 280 BGB Rn. 18. 177 Vgl. dazu Lorenz, NJW 2000, 2497, 2500.
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ments B indiziert gewesen wäre. Infolge des Medikaments A erleidet der Patient eine Leberschädigung. Der Gesundheitsschaden des Patienten kann im Beispiel nicht dadurch beseitigt werden, dass der Arzt seine ursprüngliche Leistung, die Verabreichung des Medikaments B, erbringt. Vielmehr kann der aus der fehlerhaften Behandlung resultierende Schaden nur durch eine neue Leistung des Arztes, nämlich durch die Behandlung des Leberschadens, beseitigt werden. Das aus dem Fristsetzungserfordernis des § 281 Abs. 1 S. 1 BGB entspringende Recht auf zweite Andienung macht im Arzthaftungsrecht folglich regelmäßig keinen Sinn, da der Schaden aus einer Integritätsverletzung bereits immer endgültig und damit unabhängig von der ursprünglich geschuldeten Leistung des Arztes eingetreten ist. Die vorgenommene Zuordnung der vertraglichen Arzthaftung zu § 280 Abs. 1 BGB verdeutlicht daher, dass es bei der vertraglichen Arzthaftung, wie bei der deliktischen Arzthaftung auch, in Wahrheit um den Integritäts- und nicht den Äquivalenzschutz geht. Auch aus diesem Grund erscheint die vertragliche Arzthaftung als funktionales Deliktsrecht. 2. Abgrenzung von Vertrag und Delikt anhand des funktionalen Vertragsbegriffs Selbst wenn man die soeben erarbeitete Auffassung, dass auch die vertragliche Arzthaftung nur dem Schutz der Integritätsinteressen des Patienten dient, nicht teilt, sondern vielmehr davon ausgeht, dass Patient und (Tele-)Arzt den Integritätsschutz durch Vereinbarung zum Leistungsgegenstand des Arztvertrages gemacht haben und dadurch das Integritätsinteresse in ein Äquivalenzinteresse umgewandelt haben, gelangt man mittels des funktionalen Vertragsbegriff, der in solchen Zweifelsfällen eine Zuweisung zum Kollisionsrechtssystem der Rom I- oder Rom II-Verordnung übernimmt, ebenfalls zu einer ausschließlich deliktischen Qualifikation der Haftung des Telemediziners wegen einer Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität des Patienten. Nach dem funktionalen Vertragsbegriff wäre eine vertragliche Qualifikation der Arzthaftung wegen Körper- und Gesundheitsschäden nur überzeugend, wenn es bei ihr schwerpunktmäßig um die Anerkennung der Parteiautonomie auf der Ebene des Kollisionsrechts gehen würde. Ginge es hingegen schwerpunktmäßig um den angemessenen Ausgleich der kollisionsrechtlichen Interessen von Täter und Opfer sowie die Voraussehbarkeit der anwendbaren Sicherheits- und Verhaltensregeln, wäre eine deliktische Qualifikation vorzunehmen. Zur Überprüfung, ob Ansprüche aus der Verletzung einer aufgrund der Privatautonomie getroffenen Vereinbarung resultieren oder unabhängig von einer solchen kraft Gesetztes bestehen, ist
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zu untersuchen, ob bei gleicher Faktizität der Ereignisse ohne freiwillige Verpflichtung keine Haftung bestehen würde.178 Im rechtsvergleichenden Teil dieser Arbeit wurde gezeigt, dass der Arzt dem Patienten sowohl im englischen und US-amerikanischen als auch im deutschen Sachrecht auch dann für Gesundheitsschäden haftet, wenn er sich gegenüber diesem nicht durch parteiautonome Vereinbarung zur Behandlung verpflichtet hat. Die Haftung des Arztes gegenüber dem Patienten für Körper- und Gesundheitsschäden wird in diesen Sachrechtsordnungen insbesondere aus einer Garantenstellung des Arztes abgeleitet.179 Gleiches gilt auch für die Sachrechte anderer EU-Staaten. Auch in diesen Sachrechtsordnungen kann festgestellt werden, dass die Verletzung einer vertraglichen Pflicht des Arztes gegenüber dem Patienten bei dessen Haftungsbegründung als leerer Annex zur deliktischen Einstandspflicht ohne selbstständige Bedeutung erscheint.180 Darüber hinaus ist festzustellen, dass es in beinahe allen Fallkonstellationen der Arzthaftung wegen Körper- oder Gesundheitsschädigungen nicht um eine durch privatautonom getroffene Abrede vorgenommene Risikoverteilung, sondern um eine solche, die durch die – vom Parteiwillen unabhängige – Auferlegung gesetzlicher Pflichten entsteht, geht.181 Besonders deutlich zeigt sich dies im eng-
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Siehe dazu insgesamt oben Kapitel 4, § 2, C, I, 3. Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, A, I, 2, a) und § 3, F. 180 Köhler in Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 281 als Schlussfolgerung aus einer rechtsvergleichenden Untersuchung der Arzthaftung in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, Polen, Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen, aber auch der USA und Russland; vgl. zur Lage in Dänemark Fischer in Spickhoff, Cross Border Treatment, 100, 104 ff.; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 84; vgl. zur Rechtslage in England auch schon oben Kapitel 3, § 3, F, II; eine Sonderrolle nimmt insoweit das französische Sachrecht ein, nach dem das Bestehen eines Vertragsverhältnisses bei der Begründung der ärztlichen Haftung eine entscheidende Rolle spielt. Allerdings ist auch dem französischen Sachrecht eine Haftung des Arztes aus Delikt nicht unbekannt, vielmehr wird in Fällen, in denen kein Vertrag zwischen Patient und Arzt besteht, weiterhin eine Haftung des Arztes aus Delikt angenommen; vgl. dazu Kaufmann in Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 62 und Link, Telemedizin, S. 153. 181 Vgl. Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, S. 431; Lorz, Arzthaftung bei Schönheitsoperationen, S. 84; Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 134 f. GB 60 „In addition to express promises, the law will imply certain terms into a contract for medical treatment. The significant implied term is that the doctor will exercise all reasonable care and skill in his treatment of the patient“; vgl. dazu auch Giesen, International Medical Malpractice, § 2 Rn. 7–49, der durch eine ausführliche rechtsvergleichende Untersuchung aufzeigt, dass man sich in den einzelnen Sachrechten darüber einig ist, dass vertragliche und deliktische Sorgfaltspflichten bei einer übernommenen Heilbehandlung grds. identisch sind; De Ville, Medical Malpractice in Amerika S. 156; Long, The Physician and the Law, S. 1: „When a physician accepts a 179
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lischen Recht. Dort obliegt dem Arzt die vertragliche Pflicht zur Einhaltung des ärztlichen Standards nicht aufgrund der eigentlichen Parteiabrede, sondern aufgrund einer gesetzlichen Anordnung, die mittels der Rechtsfigur der implied terms in law in den Vertrag übertragen werden.182 Deshalb können diese Pflichten grundsätzlich auch nicht durch Parteiabrede modifiziert werden183, was freilich, wie sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 4 Abs. 3 Rom I ergibt, für sich allein gesehen nicht ausreichen würde, eine ausschließlich deliktische Qualifikation der Arzthaftung anzunehmen. Folge ist, dass es zur Beantwortung der Frage nach der Haftung des Telemediziners bei gleicher Faktizität der Ereignisse unerheblich ist, ob zwischen Telemediziner und Patient ein Vertrag bestand oder nicht, da eine Gesundheitsschädigung des Patienten durch den Telemediziner nicht deshalb haftungsauslösend ist, weil ein Telemedizinvertrag bestand, sondern weil der Telemediziner hierdurch eine gesetzliche Pflicht verletzt. Nur so kann der gewünschte Mindestschutz der Rechtsgüter Leib, Leben und Gesundheit184 als Grundlage privatautonomer Entscheidungen hinreichend
patient [..] he is under an obligation which the law implies from the employment to exercise the ordinary degree of skill, care“. 182 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, F, II. 183 Vgl. dazu Hohnerlein in Köhler/Von Maydell, Arzthaftung, S. 88; Heckendorn, Haftung freier Berufe, Rn. 1209–1213; Hoffmann, Koordination von Vertrag und Delikt, S. 45–48; Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, S. 432; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 126 m.w.N.; King, Medical Malpractice, S. 289; vgl. dazu auch schon die Ausführungen zum deutschen Sachrecht oben Kapitel 3, § 3, D. 184 Vgl. Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, S. 431; Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 134 f. GB 60. Soweit die nationalen Haftungsordnungen auf den Schuldrechtskonzepten des 19. Jahrhunderts aufbauen, war ihre Ausgestaltung zunächst von der Vorstellung geprägt, dass das Vertragsrecht eine Vorrangposition gegenüber dem Deliktsrecht einnehmen sollte, um der Verwirklichung der individuellen bürgerlichen Freiheit, insbesondere der Verwirklichung des freien Willens und dem Erhalt der Handlungsfreiheit, mit anderen Worten der Parteiautonomie zu dienen. Das Deliktsrecht besaß lediglich die Funktion, diese Selbstverwirklichungsformen abzusichern, indem es durch staatliches Gesetz vor Verletzungen allgemeiner Verhaltensnormen, insbesondere vor Verletzungen von Leib und Leben, schützte und bei Verletzung einen Ausgleich durch Schadensersatz gewährte. Während des 20. Jahrhunderts trat der Schutz der Vertragsfreiheit durch das Deliktsrecht dann aber immer weiter in den Hintergrund und im Gegenzug dazu die Interessenverteilung und das Problem der ungleichen Verhandlungsstärke immer stärker in den Vordergrund (Siehe aus rechtshistorischer Perspektive hierzu Immenhauser, Dogma von Vertrag und Delikt, S. 393 ff.). Mit zunehmendem Einfluss von Gesetzesrecht auf das Vertragsrecht wurde die rechtfertigende Grundlage für die vertragliche Haftung von der Vertragsfreiheit und dem Willen der Parteien immer weiter auf das Gesetz verlagert (Siehe dazu Kegel, Vertrag und Delikt, S. 99). Diese Verlagerung kann als Ausdruck eines Solidaritätsprinzips betrachtet werden, welches der Vertragsfreiheit diametral gegenübersteht. Es handelt sich um eine Form des Mindestschutzes, der allen Beteiligten des Rechtsverkehrs – gleich ob
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gewahrt werden.185 Gerade durch diese Vertragsunabhängigkeit der Haftung unterscheidet sich die Haftung der Heilberufler von der Haftung der Angehörigen anderer Dienstleistungsberufe.186 So kann beispielsweise im Bereich der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe behauptet werden, dass die Pflicht zur Bereitstellung und Anwendung des Fachwissens erst durch den Vertragsschluss, genauer durch die freiwillig eingegangene Verpflichtung des Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer zur Bereitstellung dieses Wissens, begründet wird und überdies ein Austauschverhältnis zwischen Geld- und Dienstleistung bestehe187, weshalb die Haftung der Angehörigen dieser Berufsgruppen wegen Verletzung der Pflicht zur Anwendung besonderer Sach- und Fachkunde vertraglich zu qualifizieren sei.188 Ganz anders liegen die Dinge hingegen im Bereich der Arzthaftung: Der Telearzt haftet eben nicht, weil er mit dem Patient die Abrede getroffen hat, dass er diesen nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandeln werde, sondern weil er die Behandlung übernommen hat. Es handelt sich um eine Haftung aus faktischer Übernahme beziehungsweise der Annahme einer Garantenstellung.189 Die Pflicht zur Anwendung ärztlichen Fachwissens sie in vertraglicher Beziehung zueinander stehen oder nicht – Grenzen setzt und in den traditionellen Wirkungsbereich des Deliktsrechts fällt. Siehe zu dem Gesagten insgesamt Hoffmann, Koordination von Vertrag und Delikt, S. 24–26 m.w.N. 185 Vgl. Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, S. 431; Vgl. dazu auch oben bei Fn. 97 des 4. Kapitels. 186 Hirte, Berufshaftung, S. 91. 187 So Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 175. 188 Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 175; auf die Frage, ob diese Aussage in diesem Bereich richtig ist, wird hier nicht näher eingegangen. Selbst Leicht vertritt jedoch die Auffassung, dass es auch im Bereich der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe Pflichten gibt, die auf kollisionsrechtlicher Ebene deliktisch zu qualifizieren sind, obwohl sie nach deutschem Verständnis (auch) als vertragliche Pflichtverletzung verstanden werden. Zu denken ist etwa an Schadensersatzansprüche eines Mandanten, weil der Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer gegen seine Verschwiegenheitsverpflichtung verstoßen hat, vgl. Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 179 f. 189 Siehe nur die Ausführungen des BGH, NJW 1989, 767, 768: Der Arzt schuldet dem Patienten „sowohl vertraglich als auch deliktisch eine sachgerechte ärztliche Versorgung. Die ihn aus dem Behandlungsvertrag treffenden Sorgfaltsanforderungen und die ihm aufgrund seiner Garantenstellung für die übernommene Behandlungsaufgabe deliktisch obliegenden Sorgfaltspflichten waren insoweit identisch.“ Ähnlich schon das Reichsgericht, RGZ 88, 433, 434 f.: „Die allgemeine Rechtspflicht, niemanden körperlich zu verletzten, besteht immer und gegenüber jeder Person, gleichviel ob diese mittels Vertrags oder ohne Vertrag in den Handlungsbereich des Verletzers gekommen ist. Diese allgemeine Rechtspflicht kann dadurch nicht beseitigt werden, daß es ein Vertrag war, durch den die Möglichkeit der Einwirkung auf den Körper des anderen gegeben wurde. Auch der Vertragspartner bleibt immer der durch § 823 BGB Geschütze; er wird es sogar in noch stärkerem Grade, wenn der Vertrag den Verletzten sogar noch besonders, nämlich eben auch noch vertragsmäßig zur Fürsorge verpflichtet. Das allgemeine Verbot wider-
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rechtlicher Körperverletzung wird dadurch nur individualisiert und verstärkt, daß der Vertrag dem andern sogar noch ein vereinbartes Recht auf Fürsorge, also auf das Gegenteil jeder Körperverletzung gibt“. Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel IV Rn. 4; Ulsenheimer in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 140 Rn. 14; Kaiser in Ratzel/Luxenburger, Medizinrecht, § 12 Rn. 14; vgl. Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 13 Rn. 59 f.; Lorz, Arzthaftung bei Schönheitsoperationen, S. 84. Auch die Ausführungen von Zepos/Christodoulou in International Encyclopedia of Comparative Law XI/1, Chapter 6, S. 4 zeigen, dass es sich auch aus rechtsvergleichender Perspektive bei der Berufshaftung nicht um eine Haftung aus Vertrag handelt: „Professional liability is essentially responsibility for breach of a "legal duty of care", regardless of whether such legal duty is contractual, statutory or otherwise. Thus even where a contract exists, this kind of liability is not strictly "contractual" in the traditional narrow sense of the term, but one imposed independently by the law“; vgl. dazu auch zum englischen Recht: R v. Bateman, 19 Cr App R 8, Court of Criminal Appeal (1925) S. 12–13 „[i]f a person holds himself out as processing special skills and knowledge, and he is consulted, as processing such skills and knowledge, by or on behalf of a patient, he owes a duty to the patient to use due caution in undertaking the treatment. If he accepts the responsibility and undertakes the treatment and the patient submits to his direction and tratment accordingly, he owes a duty to the patient […]. No contractual relation is necessary, nor is it necesary that the service be rendered for reward (L. Hewart CJ). Regina v. Mid Glamorgan Family Health Services Authority, P.I.Q.R. 426, 487, Queen's Bench Division (1993) „The relationship between physician and patient is one in which trust and confidence must be placed in the physician. The physician-patient relationship is a fiduciary relationship. Certain duties arise from that special relationship of trust and confidence between physician and patient.“; Grubb, Medical Law, Rn. 5.24.; Mohindra, Medical Law, S. 105; Stauch, The Law of Medical Negligence, S. 9; vgl. dazu auch die Ausführungen zum englischen Arzthaftungsrecht oben Kapitel 3, § 3 F, II; vgl. zum US-amerikanischen Recht: Kennedy v. Parrot, 90 S.E.2d 754, 757, Supreme Court, North Carolina (1956): „Thus it is apt and perhaps more exact to say it creates a status or relation rather than a contract“ (CJ Barnhill); Siehe dazu De Ville, Medical Malpractice in America, S. 156: „This obseravtion in consistent with the modern tendency to view medical malpractice as a tort of negligence rather than a breach of contract. Twentieth-century legal theories define torts broadly as private civil wrongs that violate certain duties or responsibilities within a social context that condones certain behaviors and condemns others. The modern law of contract, by contrast, holds that the duty owed by the respective parties is theoretically agreed upon by the individuals involved in the contract“. Christie v. Callahan, 75 U.S.App.D.C. 133, 124 f.2d 825, Court of Appeals, Columbia (1941); Le Juene Road Hospital Inc. v. Watson, 171 So.2d 202, District Court of Appeal, Florida (1965); O’Neill v. Montefiore Hospital, 11 A.D.2d 132, 202 N.Y.S.2d 436, Supreme Court, New York (1960); Smith v. Welch, 967 P.2d 727, 882 Supreme Court, Kansas (1998): „The duty of a physician [...] not to injure the person being examined is not affected by the fact that [...] no contractual relationship existed between the physician and the person being examined“; Furrow, Health Law, S. 57: „ [..] obligations that the law imposes on physicians and other health care professionals“, vgl. auch S. 67; Dobbs, Law of Torts, § 242 S. 631; Restatement (Second) of Torts, § 299A „Unless he represents that he has greater or less skill or knowledge, one who undertakes to render services in the practice of a profession or trade is required to exercise the skill and knowledge normally possessed by members of that
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besteht also bereits aufgrund einer gesetzlichen Anordnung, nicht erst aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung. Folglich sind Schadensersatzansprüche des Patienten, die daraus resultieren, dass der Arzt gegen diese Pflicht vorwerfbar verstoßen und hierdurch kausal eine Gesundheitsschädigung des Patienten verursacht hat, als deliktisch zu qualifizieren.190 Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass erst der Vertrag, verstanden als Rechtsgebilde, Patient und Telemediziner einander näher bringt und somit conditio sine qua non für die eingetretene Gesundheitsschädigung ist.191 Bei genauem Hinsehen ist es nämlich gerade nicht das Rechtsgebilde Vertrag, der es dem Telemediziner ermöglicht in die körperliche oder gesundheitliche Integrität des Patienten einzugreifen, sondern die schlichte Tatsache, dass es dem Telemediziner faktisch möglich ist, auf die Rechtsgüter des Patienten einzuwirken. Conditio sine qua non für die eingetretene Gesundheitsschädigung ist nicht der Telemedizinvertrag, sondern nur eine tatsächliche Nähebeziehung von Patient und Telemediziner und die daraus resultierende Eingriffsmöglichkeit des Telemediziners auf die Rechtsgüter des Patienten.192 Eine solche bloß tatsächlich bestehende Zugriffsmöglichkeit reicht aber nicht aus um die integritätsschützenden
profession or trade in good standing in similar communities“ wobei unter dem Begriff „Undertaking“ nach Restatement (Second) of Torts, § 299A unter folgendes zu verstehen ist: „In the ordinary case, the undertaking of one who renders services in the practice of a profession or trade is a matter of contract between the parties, and the terms of the undertaking are either stated expressly, or implied as a matter of understanding. The rule here stated does not, however, depend upon the existence of an enforceable contract between the parties. It applies equally where professional services are rendered gratuitously, as in the case of a physician treating a charity patient, or without any definite understanding, as in the case of one who renders services to a patient who is unconscious, in an emergency. The basis of the rule is the undertaking of the defendant, which may arise apart from contract“; vgl. auch Restatement (Second) of Torts, § 323 „One who undertakes, gratuitously or for consideration, to render services to another which he should recognize as necessary for the protection of the other's person or things, is subject to liability to the other for physical harm resulting from his failure to exercise reasonable care to perform his undertaking, if (a) his failure to exercise such care increases the risk of such harm, or (b) the harm is suffered because of the other's reliance upon the undertaking“; Prosser/Keeton, Law of Torts, § 56 S. 378 m.w.N. in Fn. 53; King, Medical Malpractice, S. 6 f., 17 f. m.w.N.; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 67; Thumann, Reform der Arzthaftung, S. 6 m.w.N in Fn. 11; Long, The Physician and the Law, S. 1; vgl. dazu auch oben Kapitel 3, § 3, C und F. 190 Corte di Cassazione, Riv. dir. int. priv. 35 (1999) 966, 971 (zum LugÜ); Yeager v. Dunnavan, 176 P.2d 755, 758, Supreme Court, Washington (1946); Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 74. 191 Diese Begründung findet sich insbesondere in der französischen Rechtslehre; vgl. dazu Knetsch, Vertrags- und Deliktsrecht, S. 79. 192 Vgl. nur Canaris, JZ 1965, 475, 476.
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Pflichten dem Deliktsrecht zu entreißen und sie dem Vertragsrecht zu überlassen.193 Dies erkennt letztlich auch die deutsche Dogmatik dadurch an, dass sie vertragliche Ansprüche des Patienten neben dessen deliktischen Ansprüchen gewährt. Die deliktische Qualifikation der Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner wegen Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität steht auch nicht im Widerspruch zu der Beobachtung, dass in dem Telemedizinvertrag regelmäßig die Einwilligung des Patienten in die Körper- und Gesundheitsverletzung enthalten ist. Bei der Einwilligung und dem Vertrag handelt es sich um zwei rechtlich selbstständige Rechtsinstitute, die im Fall des Arztvertrags nur häufig zeitgleich entstehen. Deutlich wird dies bereits daraus, dass es sich bei der Einwilligung nicht um eine annahmebedürftige rechtsgeschäftliche Erklärung des Patienten handelt. Vielmehr genügt es, wenn die Einwilligung in irgendeiner Weise nach außen hervorgetreten ist.194 Bei ihr geht es nach ganz herrschender Meinung nicht um eine rechtsgeschäftliche Bindung des Patienten, sondern um eine Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG, die nicht den zivilrechtlichen Regelungen unterliegt195; ganz abgesehen davon, dass höchstpersönliche Rechtsgüter vielfach gar nicht Gegenstand von Rechtsgeschäften sein können. Folgerichtig stellt § 228 StGB korrekterweise nicht auf die Sittenwidrigkeit der Einwilligung des Verletzten ab, sondern darauf, ob „die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt“. Es kommt für die Wirksamkeit einer Einwilligung etwa nicht auf die Geschäftsfähigkeit im Sinne des BGB, sondern auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit an196, was besagt, dass der Einwilligende genügend Urteilskraft besitzen muss, um „Wesen, Bedeutung und Tragweite“ des Eingriffs und seiner Durchführung zu überblicken und seinen Willen dieser Einsicht gemäß bilden zu können.197 Das schließt natürlich den Abschluss eines bindenden Vertrages
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Unberath, Vertragsverletzung, S. 191 f. Roxin, Strafrecht AT I, § 13 Rn. 71. 195 BGHZ 29, 33, 36; BayObLGSt 1968, 6, 9; OLG Celle, NJW 1964, 736; OLG Oldenburg, NJW 1966, 2132; OLG Schleswig, SchlHA 59, 154; vgl. schon RG 41, 88, 90; vgl. auch Paeffgen in NK-StGB, Vorbemerkungen zu §§ 32 ff. StGB Rn. 157, § 228 StGB Rn. 3, 13; Medicus/Lorenz, SR II, Rn. 1258. 196 BGHSt 4, 88, 90; 12, 379, 383; BGHZ 29, 33, 36; BGH, NJW 1972, 335, 337; BGHZ 105, 45, 47 ff.; Medicus/Lorenz, SR II, Rn. 1258; Amelung ZStW 104 (1992), 525, 526; Wagner in MüKo, § 823 BGB Rn 666; Neyen, Einwilligungsfähigkeit S. 7 ff.; Sprau in Palandt, BGB, § 823 BGB Rn 38; Paeffgen in NK-StGB, § 228 StGB Rn. 14. 197 BGHSt 4, 88, 90; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, § 34 IV 4; Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, Vor § 32 StGB Rn 39 f.; Paeffgen in NK- StGB, § 228 StGB Rn. 15. 194
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über die Erlaubnis eines fremden Eingriffs in die eigenen Individualrechtsgüter nicht aus. Beispielsweise kann der Eigentümer eines Baumes dem Nachbarn in einem Vertrag rechtsverbindlich gestatten diesen zu fällen.198 In diesem Vertrag steckt dann zwar die Einwilligung in die Rechtsgutsverletzung, so dass das vereinbarte Absägen des Baumes keine Sachbeschädigung darstellt. Aber der Vertrag geht in seinen Voraussetzungen und Wirkungen erheblich über das hinaus, was sich aus der bloßen Einwilligung ergeben würde.199 Ganz ähnlich ist es beim Abschluss eines Arztvertrages über die Operation eines rechten Beins. Selbstverständlich ist in diesem Vertrag die Einwilligung des Patienten enthalten, dass der Operateur in die körperliche Integrität des rechten Beines eingreifen darf, aber dieser Vertrag geht in seinen Voraussetzungen und Wirkungen wesentlich weiter. Beispielsweise ist der Operateur nur aufgrund dieses Vertrags verpflichtet den operativen Eingriff überhaupt vorzunehmen und der Patient hat den Arzt nur wegen des Vertrages zu vergüten. Arztvertrag und Einwilligung sind also keinesfalls identisch. Gerade im Arzthaftungsrecht sind deswegen viele Konstellationen denkbar in denen zwischen Patient und Arzt ein vertragliches Band besteht und die Einwilligung des Patienten in seine Gesundheitsverletzung dennoch unwirksam ist, weil der Patient durch den Arzt nicht hinreichend aufgeklärt worden ist.200 Die Einwilligung des Patienten ist nämlich zum einen nur soweit wirksam, wie der Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst tätig wird201, zum anderen schlagen Aufklärungsdefizite unmittelbar auf die Einwilligung des Patienten durch. Selbst wenn der Arzt lege artis eine Behandlung des Patienten vornimmt, bewirkt das Aufklärungsdefizit beziehungsweise die daraus resultierende Unwirksamkeit der Einwilligung folglich die Rechtswidrigkeit der durch den Heileingriff tatbestandlich verwirklichten Körperverletzung, so dass der Arzt für die aus der Behandlung kausal resultierenden Gesundheitsschäden einzustehen hat. Dabei ist es unerheblich, ob zwischen dem Arzt und dem Patienten ein Vertrag besteht oder nicht. Maßgeblich ist allein, inwieweit die Einwilligung des Patienten wirksam ist. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass die Frage, ob der Arzt dem Patienten für ein Fehlverhalten haftet, trotz des Umstandes, dass die Einwilligung des Patienten und der Vertragsschluss zwischen Patient und Telemediziner häufig gleichzeitig erfolgen, unabhängig davon zu beantworten ist, ob Patient und Telemediziner durch ei-
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Beispiel nach Roxin, Strafrecht AT I, § 13 Rn. 72. Roxin, Strafrecht AT I, § 13 Rn. 72. 200 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, A, I, 2,). 201 Spickhoff in Soergel, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 51; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 162; Kaiser in Ratzel/Luxenburger, Medizinrecht, § 12 Rn. 120. 199
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nen wirksamen Vertrag verbunden sind oder nicht. Die vertragliche Haftung des Arztes ist kein aliud gegenüber dessen deliktischer Haftung. Vielmehr ist sowohl für die vertragliche als auch die deliktische Haftung des Arztes die von dem Patienten rein faktisch in Anspruch genommene Expertenautorität des Arztes beziehungsweise dessen, aus faktischer Übernahme resultierende, Garantenstellung gegenüber dem Patienten maßgeblich.202 Diese Vertragsunabhängigkeit der Arzthaftung wegen Verletzung der körperlichen und gesundheitlichen Integrität des Patienten zeigt sich deutlich in Konstellationen in denen zwischen Arzt und Patient kein Vertrag besteht. Neben Fällen, in denen der Patient mangels Geschäftsfähigkeit keinen Vertrag schließen kann, ist im deutschen Sachrecht insbesondere an die Haftung des konkret behandelnden Arztes in Fällen sogenannter totaler Krankhausaufnahmeverträge, die im deutschen Krankenhausalltag die Regel darstellen, zu denken. In derartigen Fällen besteht ein Vertragsverhältnis nur zwischen dem Patienten und dem jeweiligen Krankenhausträger.203 Keine vertragliche Verbindung besteht hingegen zwischen dem Patienten und dem konkret behandelnden Arzt. In der Folge kann der Arzt dem Patienten nicht auf vertraglicher, sondern nur auf deliktischer Grundlage haften. Dennoch schuldet der Arzt dem Patienten als Basis seiner Einwilligung die gleiche Aufklärung sowie die gleiche Sorgfalt bei dessen Behandlung.204 Ähnlich stellt sich die Situation in England dar, wenn der Arzt medizinische Dienstleistungen im Rahmen der durch den NHS bereitgestellten staatlichen Gesundheitsfürsorge erbringt.205 Aufgrund dieser Vertragsunabhängigkeit der Arzthaftung wegen Körper- und Gesundheitsschäden haben Patient und Telemediziner kaum einen
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Vgl. dazu oben Kapitel 4 Fn. 189, sowie oben Kapitel 3, § 3, C und F, III; Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 82; Zepos/Christodoulou stellen in International Encyclopedia of Comparative Law XI/1, Chapter 6, S. 4 als Quintessenz aus ihrer umfangreichen rechtsvergleichenden Untersuchung fest: „A closer examination of professional liability shows that, regardless of any systematic classification of responsibility in individual instances (in contract or in tort), liability is essentially founded on the professional’s conduct in a given situation falling short of standards expected by law. Professional liability is essentially responsibility for breach of a „legal duty of care“, regardless of whether such legal duty is contractual, statutory or otherwise. Thus even where a contract exists, this kind of liability is not strictly „contractual“ in the traditional narrow sense of the term, but one imposed independently by the law“. 203 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 1, B, II, 1. 204 BGH, NJW 1985, 2749; 1989, 767; 1990, 2929; 1991, 2960; VersR 2000, 1107, 1107 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 81 f.; Laufs/Kern in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 93 Rn. 19, 22; Spickhoff in Soergel, BGB, Anh. I zu § 823 BGB Rn. 7; weitere Nachweise oben in Kapitel 3 Fn. 207. 205 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, F, II.
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Bereich, den sie durch parteiautonome Vereinbarung typischerweise regeln könnten.206 Die Privatautonomie spielt im Rahmen der Arzthaftung auf der Ebene der Sachrechte folglich keine oder jedenfalls nur eine ganz untergeordnete Rolle, so dass es auch auf der Ebene des Kollisionsrechts schwerpunktmäßig nicht um den Schutz der Parteiautonomie geht. Es wäre daher verfehlt die Parteiautonomie durch eine vertragliche Qualifikation der Arzthaftung wegen Gesundheitsschäden auf der Ebene des Kollisionsrechts übermäßig zu betonen. Vielmehr geht es um den gerechten und angemessenen Ausgleich der kollisionsrechtlichen Interessen von „Täter und Opfer“, so dass auch nach dem funktionalen Vertragsbegriff die Arzthaftung nicht in den Anwendungsbereich von Rom II, genauer denjenigen von Art. 4 Rom II, fallen sollte. 3. Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des EuGH und des BGH Auch die Ausführungen des EuGH zur Auslegung des Art. 5 Nr. 1 EuGVO einerseits und des Art. 5 Nr. 3 EuGVO andererseits sprechen nicht gegen eine ausschließliche deliktische Qualifikation der Haftung des Telemediziners wegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung. Der EuGH geht, wie bereits ausgeführt wurde, in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Vertragsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVO nur für „freiwillig eingegangene Verpflichtungen“ eröffnet ist.207 Daher greift er nicht in einer Situation, „in der es an einer von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung fehlt“.208 Demgegenüber eröffnet Art. 5 Nr. 3 EuGVO nur im Fall einer unerlaubten Handlung und somit nur, wenn mit der Klage „eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 anknüpft“ einen besonderen Gerichtsstand.209 Führt man diese beiden Definitionen zusammen, erhält man folgenden Begriff der unerlaubten Handlung: Der Begriff der „unerlaubten Handlung“ bezieht sich auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird, die nicht aus der Verletzung einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung resultiert. Hierdurch wird deutlich, dass der EuGH mit der gewählten Negativabgrenzung zum Ausdruck bringt, dass sich der Vertrags- und der Deliktsgerichtsstand, in Fällen in denen eine Schadenshaftung geltend gemacht
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Katzenmeier, Arzthaftung, S. 82. EuGHE I 1992, 3990, 3394 Rn. 15 ; I 1998, 6534, 6542 Rn. 17; I 2002, 7383, 7393 Rn. 23; I 2004, 1546, 1555 Rn. 24. 208 EuGHE I 1998, 6534, 6542 Rn. 17. 209 EuGH, NJW 1988, 3088, 3089 Nr. 17; EuGHE I 1998, 6534, 6542 Rn. 22; I 2002, 6384, 6398 Rn. 33; I 2002, 8126, 8139 Rn. 36; I 2005, 499, 512 Rn. 29. 207
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wird, gegenseitig ausschließen.210 Für eine Klage auf Schadenshaftung aus demselben Lebenssachverhalt kann folglich nicht der Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVO gleichzeitig eröffnet sein.211 Dem Bereich der unerlaubten Handlung wird das überlassen, was über den Vertrag hin210 Raiffeisen Zentralbank Österreich AG v. National Bank of Greece SA [1999] 1 Lloyd´s Rep. 408, 411: „But what is the relationship between Art. 5.1 and Art.5.3? It is common ground that there is no overlap between the two provisions. Either the claim relates to a contract or to tort. (Q.B.D., Tuckey J.); vgl. Burke v. Uvex Sports GmbH and Motorrad TAF GmbH [2005] I.L.Pr. 348, 353 (High Court of Ireland, Herbert J.); OGH, Beschl. v. 10.09.1998 – 2 Ob 208/98x: „Wie schon das Rekursgerichts zutreffend ausgeführt hat, macht die Klägerin Schadensersatz aus Vertrag geltend, was als vertraglicher Anspruch im Sinne des Art. 5 Nr. 1 LGVÜ anzusehen ist [...]. Der Gerichtsstand gemäß Art. 5 Nr. 3 LGVÜ kann somit im vorliegenden Fall nicht herangezogen werden [...]“; OGH, Beschl. v. 21.05.2007 – 8 ObA 68/06t = JBl 2007, 804, 804 f.: „Unabhängig von der Frage, ob nicht ohnehin hier eine den Gerichtsstand nach Art. 5 Z 3 LGVÜ ausschließende „vertragsartige“ Beziehung zwischen den Streitteilen besteht“; OGH, Urt. v. 29.01.2003 – 7 Ob 291/02y; OGH, Urt. v. 10.09.2003 – 7 Ob 189/03z; OGH, Urt. v. 28.09.2005 – 7 Ob 135/05m: Unter den Begriff der unerlaubten Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO „fallen auch Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden, die durch deliktische Handlungen [...] entstanden sind, sofern [...] zwischen Schädiger und Geschädigtem kein Vertragsverhältnis bestanden hat“; OGH, Urt. v. 18.08.2004 – 4 Ob 149/04x; OGH, Beschl. v. 28.06.2000 – 7 Ob 132/00p; OGH, Beschl. v. 14.09.2000 – 2 Ob 220/00t; OLG Nürnberg, Urt. v. 08.03.2006 – 8 U 2651/05: „Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ/LugÜ kann jedoch eine Zuständigkeit nicht begründen, wenn eine Haftung des Beklagten geltend gemacht wird, die an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ/LugÜ anknüpft, d.h. Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ/LugÜ ist gegenüber Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ/LugÜ nur subsidiär anzuwenden“; OLG Stuttgart, IPRax 1999, 103, 104; Generalanwalt Geelhoed, EuGH, 17.09.2002, Rs. C-334/00 (Tacconi/HWS Maschinenfabrik), Schlussanträge, 31.01.2002, Slg. 2002, I-7357, Rn. 41: „Der Begriff „unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist“ bezieht sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 anknüpfen. Damit steht fest, dass Artikel 5 Nummern 1 und 3 nicht gleichzeitig anwendbar sein können.“; Stadler in FS Musielak, 569, 585; Oberhammer in Dasser/Oberhammer, LugÜ, Art. 5 LugÜ Rn. 19, 126 m.w.N.; Gottwald, IPRax 1989, 272, 274; Mankowski, IPRax 2003, 127, 128; ders. in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 193; Uhl, Int. Zuständigkeit, S. 100 f.; Hertz, Jurisdiction in Contract and Tort, S. 79, 83; Leipold in FS Nemeth, 631, 637 f.; Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.111; Reiher, Vertragsbegriff, S. 65 Fn. 265; Stoll in FS Georgiades, 941, 958 Fn. 48; Stone, EU Private International Law, S. 89; Briggs, Conflict of Laws, S. 82; Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europ. Einfluss, Kap. 27 Rn. 40; Rusworth/Scott, LMCLQ 2008, 274, 299; Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, S. 251, S. 679 m.w.N.; Schmidt-Kessel, ZEuP 2004, 1019, 1026 ff. 211 Source Ltd. v. TUV Rheinland Holding AG, [1997] 3 WLR 365, 365 ff. Rn. 18: „a claim which may be brought under a contract or independently of a contract on the same facts, save that the contracts does not need to be established, is, in my judgment, excluded by the words ‘which are not related to a contract’ “.
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aus übrig bleibt. Insoweit lässt sich in dem Verständnis des EuGH ein gewisser romanistischer Einfluss feststellen, wonach die vertragliche Haftung eine Besonderheit gegenüber der allgemeinen deliktischen Haftung darstellt.212 Folglich kann für die Frage, ob der Telemediziner dem Patienten für einen erlittenen Körper- oder Gesundheitsschaden haftet, entweder der Gerichtsstand des Erfüllungsortes oder der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eröffnet sein. Sie kann entweder als Haftung aus Vertrag oder als eine Haftung aus unerlaubter Handlung qualifiziert werden. Daher ist es auch im Rahmen des europäischen Zuständigkeitsrechts notwendig, die Haftungsansprüche des Patienten gegenüber dem Telemediziner – unabhängig davon, ob sie durch die jeweilige lex fori oder lex causae als vertraglich und/oder deliktisch qualifiziert werden – entweder dem Vertragsoder dem Deliktsgerichtsstand zuzuordnen. Die erste Frage, die sich der Rechtsanwender bei dieser Zuordnung stellen muss, ist, ob das Ereignis nicht vertraglicher Natur ist.213 Dies führt zu dem vernünftigen Ergebnis, dass die Existenz eines Vertrages im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO, soweit das gegenseitige Verhältnis von Art. 5 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 EuGVO in Frage steht, den Geschädigten daran hindert, sich unter Anführung des gleichen Sachverhalts auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO zu stützen. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung wird so zum subsidiären Tatbestand, der nicht eingreift, solange die speziellere Vorschrift des Art. 5 Nr. 1 EuGVO Anwendung findet.214 Dem steht auch das Urteil des EuGH in der Sache Kalfelis215 nicht entgegen.216 Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Streit entstand zwischen dem Kläger Athanasios Kalfelis und dem Bankhaus Schröder, Münchmeyer, Hengst und Co. mit Sitz in Frankfurt am Main (Beklagte zu 1), dem Bankhaus Schröder, Münchmeyer, Hengst International SA, einer Tochtergesellschaft der Beklagten zu 1 mit Sitz in Luxem212
Kerameus, Vertrag und Delikt, S. 10. EuGHE I 2002, 8111, 8140 Rn. 37; Source Ltd. v. TUV Rheinland Holding AG [1997] 3 WLR 365, 371 (C.A., per Staughton L.J.) Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 193; Hess, Europäisches ZPR; § 6 Rn. 69; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 72. 214 OLG Nürnberg, Urt. v. 08.03.2006 – 8 U 2651/05; Kerameus, Vertrag und Delikt, S. 12. 215 EuGH, NJW 1988, 3088, 3088 ff. 216 Source Ltd. v. TUV Rheinland Holding AG, [1997] 3 WLR 365, 365 ff. Rn. 18 das sich ausdrücklich mit dem Urteil Kalfelis auseinandersetzt und trotzdem zu dem Ergebniss gelangt: „a claim which may be brought under a contract or independently of a contract on the same facts, save that the contracts does not need to be established, is, in my judgment, excluded by the words ‘which are not related to a contract’ in paragraph 17“ (Paragraph 17 bezieht sich auf die Rn. 17 des Kalfelis-Urteils). 213
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burg (Beklagte zu 2), und schließlich dem Prokuristen der Beklagten zu 1 Ernst Markgraf (Beklagter zu 3). Der Kläger schloss in der Zeit von März 1980 bis Juli 1981 durch Vermittlung des Beklagten zu 3 über die Beklagte zu 1 mit der Beklagten zu 2 Kassa- und Termingeschäfte in Silber ab und zahlte der Beklagten zu 2 dafür 344.868,52 DM. Die Termingeschäfte endeten jeweils mit Totalverlust. Der Kläger begehrt mit seiner Klage von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung von 463.019,08 DM nebst Zinsen. Er stützt seine Klage auf vertragliche Ansprüche wegen Verletzung von Aufklärungspflichten sowie auf unerlaubte Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB und § 826 BGB, weil die Beklagten ihn durch ihr Verhalten in sittenwidriger Weise geschädigt hätten. Überdies stützt er seine Klage auf ungerechtfertigte Bereicherung gemäß § 812 BGB, weil die Termingeschäfte in Silber als Börsentermingeschäfte nach zwingendem deutschen Recht unverbindlich gewesen seien und er deshalb seine als Einschüsse geleisteten Zahlungen zurückverlangen könne. Nachdem die Beklagte zu 2 in allen Instanzen das Fehlen der Zuständigkeit der deutschen Gerichte gerügt hatte, hatte der BGH beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof unter anderem die folgende Frage vorzulegen: „Eröffnet Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens für eine auf deliktische, vertragliche und Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gestützte Klage eine Annexzuständigkeit kraft Sachzusammenhangs auch für die nichtdeliktischen Klageansprüche?“ Der EuGH beantworte diese Frage dahingehend, „daß ein Gericht, das nach Artikel 5 Nr. 3 EuGVO für die Entscheidung über eine Klage unter einem auf deliktischer Grundlage beruhenden Gesichtspunkt zuständig ist, nicht auch zuständig ist, über diese Klage unter anderen, nichtdeliktischen Gesichtspunkten zu entscheiden“.217 Nicht entschieden hat der EuGH jedoch darüber, ob es sich bei den gegen die Beklagte zu 2 geltend gemachten Ansprüchen, die nach deutschem Verständnis aus Vertrag, ungerechtfertigter Bereicherung und Delikt resultieren können, um vertragliche Ansprüche oder um Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO oder des Art. 5 Nr. 3 EuGVO handelt.218 Der Entscheidung des EuGH kann folglich nicht entnommen werden, dass bei einem EU-autonomen Verständnis die Begriffe des „Vertrags“ und der „unerlaubten Handlung“ Schadensersatzansprüche existieren, die nach Wahl
217
EuGH, NJW 1988, 3088, 3089. Für die ungerechtfertigte Bereicherung erkennt dies auch Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 197; wohl auch Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVVO Rn. 206; a.A. Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel IVO Rn. 81 der zur Begründung seiner vertraglichen Qualifikation von bereicherungsrechtlichen Ansprüchen die Entscheidung des EuGH in der Sache Kalfelis heranzieht. 218
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des Klägers im Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVO geltend gemacht werden können. Würde man dies in die Kalfelis-Entscheidung hinein interpretieren, würde man dem EuGH unterstellen, dass er seine – durch die autonome Bestimmung der Begriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Handlung“ mittels Negativabgrenzung im gleichen Urteil gezogene – Trennlinie zwischen vertraglichem und deliktischem Bereich selbst konterkariert, da es dann doch Schadensersatzansprüche gäbe, die bei EUautonomem Verständnis vertraglicher und deliktischer Natur wären. Davon wird man wohl kaum ausgehen können. Wahrscheinlicher ist daher, dass die Entscheidung des EuGH in der Sache Kalfelis so zu verstehen ist, dass ein Gericht, das für die Entscheidung über einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO zuständig ist, nicht zuständig ist über diese Klage unter anderen, aus EU-autonomer Sicht nichtdeliktischen Gesichtspunkten, namentlich solchen aus einem Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO, zu entscheiden.219 Insoweit bringt die Aussage des EuGH – bezogen auf Schadensersatzansprüche – freilich auf den ersten Blick nichts neues, sondern stellt lediglich das klar, was er hinsichtlich Schadensersatzansprüchen bereits durch seine Negativabgrenzung zum Ausdruck bringt. Das Gericht, welches nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO für Schadensersatzansprüche des Klägers gegen einen Beklagten zuständig ist, darf nicht über konkurrierende vertragliche Schadensersatzansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten entscheiden, weil solche Ansprüche aus EU-autonomer Sicht nicht bestehen. Andernfalls wäre das Gericht schon nicht nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO sondern allenfalls aufgrund des Art. 5 Nr. 1 EuGVO zuständig. Auf den zweiten Blick kommt der Aussage des EuGH jedoch in bestimmten Fallkonstellationen, namentlich in solchen in denen ein Kläger von mehreren Beklagten gesamtschuldnerisch Schadensersatz begehrt, ein eigenständiger Aussagehalt zu. Zu denken ist etwa an Situationen in denen der Beklagte zu 1 aufgrund der Verletzung einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung haftet, während der Beklagte zu 2 nur aufgrund einer unerlaubten Handlung haftet, da zwischen ihm und dem Kläger keine vertragliche Beziehung im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO besteht. Erhebt der Kläger in einer derartigen Konstellation seine Klage gegen beide Beklagte am Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVO, besitzt das Gericht für die aus EU-autonomer Sicht vertraglichen Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 1 keine Kognitionsbefugnis, während es für die Klage gegen den Beklagten zu 2
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Zum gleichen Ergebnis gelangt auch Schmidt-Kessel, ZEuP 2004, 1019, 1028, der zwar der Auffassung ist, dass der EuGH in Kalfelis von einem Nebeneinader von Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVÜ ausgegangen sei, diese Rechtsprechung aber in dem Tacconi-Urteil (EuGHE I 2002, 7357 ff.) nunmehr aufgegeben habe.
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zuständig ist. Insoweit kommt der Aussage, „daß ein Gericht, das nach Art. 5 Nr. 3 des Übereinkommens für die Entscheidung über eine Klage unter einem auf deliktischer Grundlage beruhenden Gesichtspunkt zuständig ist, nicht auch zuständig ist, über diese Klage unter anderen, nichtdeliktischen Gesichtspunkten zu entscheiden“, ein eigener Aussagegehalt zu.220 Schließlich lag auch der Entscheidung Kalfelis die Situation zugrunde, dass ein Kläger Schadensersatzansprüche im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ gegen insgesamt drei Beklagte richtete, obwohl er nur zu der Beklagten zu 2 in einer vertraglichen Beziehung im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ/EuGVO stand. Die Beklagten zu 1 und 3 unterhielten keine freiwillig eingegangenen Verpflichtungen gegenüber dem Kläger, da sie nur als Vermittler der Beklagten zu 2 tätig wurden.221 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sich auch im Rahmen der EuGVO die Frage nach der vertraglichen oder deliktischen Qualifikation von Schadensersatzansprüchen des Patienten wegen Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität gegen den Telemediziner stellt. Entscheidend für die Annahme einer vertraglichen Haftung ist dabei, ob sich die Verpflichtung des Telearztes zum Ersatz des Schadens, der dem Patienten durch die fehlerhafte Behandlung entstanden ist, aus einer freiwillig eingegangen Verpflichtung oder aus einem Verstoß gegen Rechtsvorschriften ergibt. Es wurde bereits dargelegt, dass der Telemediziner nicht nur dann für Körper- oder Gesundheitsschäden des Patienten haftet, wenn er eine Pflicht verletzt, die ihm aufgrund des freiwillig mit dem Patienten abgeschlossenen Telemedizinvertrags oblag. Vielmehr hat die bisherige Untersuchung gezeigt, dass der Telemediziner bei der Verletzung einer Pflicht aus seiner Garantenstellung gegenüber dem Patienten, die im Rahmen von Telemedizinverträgen mit der – aus deutscher Sicht – vertraglichen Pflicht zur Behandlung lege artis identisch ist, auch dann für Körper- und Gesundheitsschäden des Patienten einzustehen hat, wenn er mit diesem nicht in vertraglicher Beziehung stand. Aus diesem Grund – dem Vorliegen ei-
220 Vgl. dazu EuGHE I 1998, 6534, 6549 Rn. 49 f.: „Der Gerichtshof hat dazu im Urteil Kalfelis weiter für Recht erkannt, daß ein Gericht, das nach Artikel 5 Nummer 3 des Übereinkommens für die Entscheidung über eine Klage unter einem auf deliktischer Grundlage beruhenden Gesichtspunkt zuständig ist, nicht auch zuständig ist, über diese Klage unter anderen, nichtdeliktischen Gesichtspunkten zu entscheiden. Daher können zwei im Rahmen einer einzigen Schadensersatzklage gegen verschiedene Beklagte gerichtete Klagebegehren, von denen das eine auf vertragliche, das andere auf deliktische Haftung gestützt wird, nicht als im Zusammenhang stehend angesehen werden“. 221 Vgl. den Vorlagebeschluss des BGH, Beschl. v. 27.04.1987 – II ZR 71/86 Juris Rn. 4 = RIW 1987, 623, 623; vgl. insoweit auch die Feststellungen der Vorinstanz OLG Frankfurt, NJW-RR 1986, 1377, 1377 f., insb. 1378 am Ende.
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nes haftungsauslösenden Verhaltens auch ohne Vertrag – ist die Haftung des Telemediziners als unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO einzuordnen. Aufgrund des festgestellten Alternativverhältnisses von Schadensersatzansprüchen aus Vertrag und solchen aus unerlaubter Handlung scheidet eine zusätzliche Qualifikation als vertraglich somit aus. Auch der BGH sieht in einer Entscheidung zur internationalen Zuständigkeit in einer Arzthaftungssache den Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ als eröffnet an.222 Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der in Deutschland wohnhafte Kläger begab sich in ein Kantonsspital in der Schweiz. Der beklagte Arzt diagnostizierte eine chronische Hepatitiserkrankung und empfahl eine Therapie mit zwei Medikamenten. Diese sollte sich der Kläger für sechs Monate bei wöchentlichen Kontrollen seines Hausarztes selbst verabreichen, davon eines durch Injektion mit einer Spritze, was im Rahmen einer Einweisung auch einmalig im Kantonsspital geschah. Daraufhin begab sich der Patient wieder nach Deutschland, wo er die medikamentöse Behandlung fortsetzte. Nach einiger Zeit brach der Kläger die Therapie ab. Er behauptet, die Einnahme der Medikamente habe zu schweren Nebenwirkungen geführt, über die er vom Beklagten nicht aufgeklärt worden sei, und verlangt deshalb – gestützt auf § 823 Abs. 1 BGB – Schmerzensgeld und Schadensersatz. Bei der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit übernahm der BGH richtigerweise die vom EuGH im Rahmen der EuGVO entwickelten autonomen Definitionen von Vertrag und unerlaubter Handlung: „Vielmehr sind die im LugÜ verwendeten Begriffe, die nach innerstaatlichem Recht der Vertragsstaaten eine unterschiedliche Bedeutung haben können, grundsätzlich autonom auszulegen [...]. Das gilt nach der Rechtsprechung des EuGH zum nahezu wortgleichen Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ auch für den Begriff „unerlaubte Handlung“, der sich nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht verstehen lässt. Indessen bezieht sich hiernach der Begriff der unerlaubten Handlung auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ anknüpfen, wobei der Begriff „Vertrag“ ebenfalls autonom zu verstehen ist und eine freiwillig gegenüber einer anderen Person eingegangene Verpflichtung meint [...]“.223 Da sich Vertrags- und Deliktsgerichtsstand nach hier vertretener Ansicht folglich auch im Anwendungsbereich des LugÜ gegenseitig ausschließen, ein und dieselbe Schadenshaftung also nicht vertraglich und deliktisch qualifiziert werden kann, hat der BGH durch seine Qualifikation
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BGHZ 176, 342–347. BGHZ 176, 342, 344.
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der Arzthaftung als unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 LugÜ eigentlich zu verstehen gegeben, dass der Schadensersatzanspruch des Patienten ausschließlich deliktischer Natur ist. Schließlich hatte der BGH im Rahmen der Untersuchung, ob der gerichtlich geltend gemachte Schadensersatzanspruch bei EU-autonomem Verständnis eine „unerlaubte Handlung“ darstellt, zu prüfen, ob es sich um eine Klage aus Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 LugÜ handelt. Jedoch kann aufgrund der Begründung des BGH nicht sicher davon ausgegangen werden, dass er eine ausschließlich deliktische Qualifikation vornehmen wollte. Vielmehr ging der BGH – entgegen der hier vertretenen Auffassung – unter Umständen davon aus, dass die Gerichtsstände nach Art. 5 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 LugÜ für dieselbe Schadenshaftung konkurrierend eröffnet sein können. Mit anderen Worten ging er eventuell davon aus, dass dieselbe Schadenshaftung des Arztes trotz EU-autonomem Verständnis vertraglicher und deliktischer Natur ist. Es bleiben jedoch gewisse Zweifel: Zur Begründung der Qualifikation als unerlaubte Handlung führte der BGH aus: „Der Kläger macht eine Schadenshaftung geltend, denn er verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Körperschadens, den er durch die ärztliche Behandlung des Beklagten erlitten habe, weil die von diesem verordneten Medikamente zu starken Nebenwirkungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hätten. Seine Klage knüpft schon deshalb nicht an einen Vertrag an, weil er nicht vorträgt, ob er einen Vertrag abgeschlossen hat und gegebenenfalls mit wem. Seine Klage knüpft vielmehr an eine unerlaubte Handlung an, weil er dem Beklagten eine Körperverletzung vorwirft (vgl. Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt, S. 214)“. 224 Betrachtet man die vom BGH zitierte Stelle, fällt zunächst auf, dass Lohse dort die Auffassung vertritt, dass eine autonome Qualifikation der Arzthaftung dazu führt, dass diese deliktisch einzuordnen ist, weil auf die allgemeine Sorgfaltspflicht, Körper und Gesundheit nicht zu verletzen, abzustellen ist.225 Dies spricht zunächst dafür, dass auch der BGH in seiner Entscheidung richtigerweise davon ausging, dass Haftungsansprüche eines Patienten gegen einen Arzt wegen Verletzung seines Körpers beziehungsweise seiner Gesundheit bei EU-autonomer Qualifikation ausschließlich als unerlaubte Handlung zu qualifizieren sind. Aber auch die Argumentation, dass eine unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 LugÜ immer dann vorliegt, wenn der Patient einen Schaden wegen der Verletzung seines Körpers geltend macht, spricht für diese Auffassung, da der BGH mit dieser Sichtweise deutlich macht, dass Verletzungen des Körpers auch dann
224
BGHZ 176, 342, 345. Vgl. Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt, S. 214, wenngleich er hieraus letztlich ableitet, dass eine Qualifikation lex causae vorzunehmen sei (S. 215). 225
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als unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 LugÜ anzusehen sind, wenn hierdurch zugleich vertragliche Obhuts- oder Schutzpflichten verletzt werden. Andernfalls gäbe schon die gewählte Formulieren „schon deshalb“ keinen Sinn. Allerdings kommen bei der Betrachtung der nachfolgenden Urteilspassage Zweifel auf, ob der BGH davon ausging, dass sich Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 LugÜ/EuGVO gegenseitig ausschließen, denn er führt aus: „Die Revision erkennt selbst, dass sich die Klage nicht auf Vertrag stützt, meint aber, allein die bestehende Möglichkeit einer Anspruchskonkurrenz begründe den Vorrang des Vertragsgerichtsstandes, auch wenn die Klage ausschließlich auf Delikt gestützt werde. Diese Auffassung findet indes in der Rechtsprechung des EuGH keine Stütze. [...] Soweit die Revision aus den Schlussanträgen des Generalanwalts in der Rechtssache Kalfelis [...] Gegenteiliges folgern will, kann dem nicht gefolgt werden. Der EuGH hat nicht in diesem Sinn entschieden, sondern den Deliktsgerichtsstand auch dann für gegeben erachtet, wenn konkurrierende vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden. Das muss erst recht gelten, wenn die Klage – wie im Streitfall – ausschließlich auf deliktische Ansprüche gestützt ist [...]. Die Revision sieht auch selbst, dass der EuGH in der Rechtssache Kalfelis von der Möglichkeit einer Zuständigkeitsspaltung für Ansprüche vertraglicher und außervertraglicher Art ausgegangen ist“.226 Diese Ausführungen sprechen dafür, dass der BGH davon ausgeht, dass die Gerichtsstände nach Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 für eine Schadenshaftung konkurrieren können, je nachdem ob der Kläger seine Klage auf Vertrag oder auf Delikt stützt. Allerdings passen diese Aussagen nicht so recht zu den direkt darauf folgenden Ausführungen: „Soweit sie [gemeint ist die Revision] gleichwohl meint, dass hierdurch im Falle der Anspruchskonkurrenz nur eine Annexkompetenz für vertragliche Ansprüche im Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 LugÜ verneint, aber nicht ausdrücklich zur Frage Stellung genommen werde, ob Art. 5 Nr. 3 von Art. 5 Nr. 1 LugÜ verdrängt werde, kann dem nicht gefolgt werden“.227 Dies kann wohl nur so verstanden werden, dass der BGH richtigerweise der Auffassung ist, dass der EuGH die Frage, ob der Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 durch Art. 5 Nr. 1 LugÜ/EuGVO verdrängt werde, beantwortet hat. Wie gezeigt hat der EuGH durch seine Negativdefinition der unerlaubten Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO nämlich zum Ausdruck gebracht, dass sich Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVO hinsichtlich der gleichen Schadenshaftung gegenseitig ausschließen. In der Folge sprechen diese Ausführen des BGH wiederum eher dafür, dass der BGH die Haftung des Arztes wegen rechtswidriger Verlet-
226 227
BGHZ 176, 342, 345 f. BGHZ 176, 342, 346.
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zung der körperlichen Integrität des Patienten ausschließlich als unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 LugÜ/EuGVO qualifizieren will228, wenngleich gewisse Zweifel bleiben. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Qualifikation von Haftungsansprüchen des Patienten gegen den Telemediziner aufgrund der Schädigung seiner Gesundheit beziehungsweise seines Körpers als ausschließlich deliktisch nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des EuGH steht. Auch ein Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH besteht nicht, da die untersuchte Entscheidung des BGH nicht eindeutig ist. 4. Vereinbarkeit mit der Existenz der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II Auf den ersten Blick spricht die Existenz der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II mit dem darin enthaltenen Regelbeispiel der vertragsakzessorischen Anknüpfung gegen die hier vertretene Auffassung, dass ein Schadensersatzanspruch entweder als vertraglich oder deliktisch zu qualifizieren ist. Prima facie bringt der europäische Gesetzgeber mit dieser Regelung zum Ausdruck, dass er davon ausgeht, dass vertragliche und deliktische Ansprüche auf der Ebene des Kollisionsrechts miteinander konkurrieren können. Auch die Ausführungen der Kommission, dass die vertragsakzessorische Anknüpfung „besonders für Mitgliedstaaten interessant [ist], deren Rechtssystem eine Kumulierung der vertraglichen und der außervertraglichen Haftung zulässt“229 streiten hierfür. Allerdings darf hieraus nicht geschlossen werden, dass die hier vertretene Einheitslösung, also die grundsätzlich einheitliche Qualifikation aller Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner wegen einer Körper- oder Gesundheitsschädigung als deliktisch, nicht mit dem Willen des EU-Gesetzgebers im Einklang steht: Die Kommission geht nämlich selbst davon aus, dass sich mit fortschreitender Qualifikation bestimmter Rechtsverhältnisse als vertraglich oder deliktisch durch den EuGH der Anwendungsbereich der vertragsakzessorischen Anknüpfung gemäß Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II immer weiter verengen wird. So liest man in der Stellungnahme der Kommission zur vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts: „In rechtstechnischer Hinsicht lassen sich damit [gemeint ist die vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II] – bis zu einer eigenständigen Begriffsbestimmung des Gerichtshofs – die Folgen relativieren, die sich aus dem Umstand ergeben, dass ein und dasselbe
228 In diesem Sinn interpretiert auch Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 16 die Entscheidung des BGH. 229 KOM (2003) 427 endg., S. 14.
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Rechtsverhältnis dem Vertragsrecht eines Mitgliedstaats und dem zivilen Haftungsrecht eines anderen unterliegen kann“.230 Die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II soll nach dem Willen der Kommission folglich nur in der „Übergangszeit“ bis der EuGH eine einheitliche Zuordnung bestimmter Rechtsverhältnisse zum Vertrags- oder Deliktsstatut vorgenommen hat die Möglichkeit eröffnen, dass ein schadensbegründendes Ereignis zwischen zwei Personen nur einer Rechtsordnung untersteht. Auslöser hierfür war die Befürchtung der Kommission, dass einzelne Gerichte der Mitgliedstaaten Schwierigkeiten haben werden bestimmte Ansprüche oder Rechtsverhältnisse als vertraglichen Anspruch im Sinne der Rom IVerordnung oder als einen Anspruch aus unerlaubter Handlung im Sinne von Art. 4 Rom II zu qualifizieren. Dass sie damit nicht ganz falsch lag, zeigen die Schwierigkeiten der Qualifikation von Schadensersatzansprüchen des Patienten gegen den (Tele-)Arzt wegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung.231 Aber auch allgemein wird in Deutschland über die Qualifikation von Ansprüchen aus positiver Forderungsverletzung wenig gesagt. Ausgehend von der sachrechtlichen Einordnung wird auf der Ebene des Kollisionsrechts nahezu einhellig eine vertragliche Qualifikation vertreten.232 Bestehen aus der gleichen Pflichtverletzung daneben auch deliktische Ansprüche, so werden diese auf der Ebene des Kollisionsrechts grundsätzlich kurzerhand deliktisch qualifiziert. Aus der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz auf der Ebene des Sachrechts entsteht so regelmäßig eine Statutenkonkurrenz auf der Ebene des Kollisionsrechts. Bei dieser von der Kommission befürchteten Vorgehensweise einzelner Gerichte der Mitgliedstaaten besteht daher die abstrakte Gefahr, dass auf eine Pflichtverletzung zwei unterschiedliche Rechtsordnungen zur Anwendung gelangen. Daher schuf die Kommission mit Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II eine flexible Möglichkeit damit die erkennenden Gerichte, bis zur Lösung der Qualifikationsschwierigkeiten durch den EuGH und der daraus unter Umständen resultierenden Doppelqualifikation gewisser Schadensersatzansprüche als vertraglich und deliktisch, im Einzelfall zur Anwendung einer einheitli-
230 KOM (2003) 427 endg., S. 14; die englische Fassung lautet: „On a more technical level, it means that the consequences of the fact that one and the same relationship may be covered by the law of contract in one Member State and the law of tort/delict in another can be mitigated, until such time as the Court of Justice comes up with its own autonomous response to the situation.“ 231 Vgl. dazu die in Kapitel 4 Fn. 51 Genannten. 232 Vgl. Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 88 f.; Geiben in jurisPK-BGB, Art. 12 Rom I Rn. 10, 12; Nordmeier in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europ. Einfluss, Art. 12 Rom I Rn. 106; Thorn in Palandt, BGB, Art. 12 Rom I Rn. 7; differenzierend Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 79; wohl auch Brödermann/Wegen/MörsdorfSchulte in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 12 Rom I Rn. 33, 34.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
chen Sachrechtsordnung gelangen können. Um die Rechtssicherheit nicht übermäßig zu gefährden ist die Abweichung von den Grundregeln des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 Rom II freilich nur möglich, wenn sich aus dem Vertragsverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem eine offensichtlich engere Verbindung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II ergibt. Der hier zur Abgrenzung von vertraglichen und deliktischen Haftungsansprüchen verwendete funktionale Vertragsbegriff liegt auf der Linie des EuGH zur Abgrenzung von Vertrag und Delikt im Rahmen der EuGVO. Die daraus resultierende Einheitslösung nimmt also die von der Kommission angesprochene Qualifikation des EuGH zumindest potentiell vorweg. Es wurde bereits gezeigt, dass unter dieser Prämisse für die vertragsakzessorische Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II auch nach der Auffassung der Kommission kein Raum verbleibt. In der Folge steht die hier vertretene Einheitslösung nicht im Widerspruch zu der „Übergangsregelung“ des Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II, sondern dient sogar der Verwirklichung des Willens des europäischen Gesetzgebers. 5. Zusammenfassung Die Untersuchung hat gezeigt, dass Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner, die aus der Verletzung der körperlichen- und gesundheitlichen Integrität des Patienten resultieren, auf kollisionsrechtlicher Ebene und im Rahmen der Gerichtsstände der EuGVO als Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung zu qualifizieren sind. Eine Doppelqualifikation derartiger Schadensersatzansprüche als vertraglich und deliktisch ist nach der hier vertretenen Einheitslösung nicht möglich. IV. Vertraglich zu qualifizierende Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner Freilich sind auch Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen es um vergleichbar „sichere“ und in der Folge mehr oder weniger „beherrschbare“ Leistungen des Telemediziners geht. In derartigen Fällen ist es denkbar, dass sich der Telearzt vertraglich nicht nur dazu verpflichtet überhaupt tätig zu werden, sondern sogar dazu einen vertraglich bestimmten Erfolg herbeizuführen oder eine Garantie für das Gelingen seiner Heilbehandlung abgibt. Zu denken ist zunächst an telemedizinische Schönheitsoperationen: Verpflichtet sich ein Teleoperateur ausdrücklich etwa dazu, eine Nase derart zu korrigieren, dass sie danach eine bestimmte Form hat, so ist die Annahme eines Werkvertrags oder einer vertraglichen Garantie denkbar.233
233
Vgl. dazu Lorz, Arzthaftung bei Schönheitsoperationen, S. 68–80, insb. S. 78–80; Die gleiche Auffassung findet sich auch in den USA: vgl. Hawkins v. Mc Gehe, 84 N.H.
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Der Teleschönheitschirurg schuldet vertraglich nicht mehr bloß ein „Bemühen“, sondern die „Erstellung“ der versprochenen Nase und somit einen Erfolg.234 Verletzt er diese Pflicht, indem er nicht die versprochene Nase erstellt, haftet er der Patientin, weil er den vertraglich geschuldeten Erfolg nicht herbeigeführt hat. Für Schäden die aus dieser Nichtherbeiführung des geschuldeten Erfolges resultieren – zu denken wäre etwa daran, dass eine Schauspielerin eine bestimmte Rolle nicht bekommt – hat der Telechirurg haftungsrechtlich einzustehen auch wenn er die Operation nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt hat. Ferner gibt es Behandlungsmethoden, die derart ausgereift und beherrschbar sind, dass sie einer umfassenden Kontrolle des Telemediziners unterliegen und – insbesondere bei bloß leichten Befindlichkeitsstörungen – normalerweise zur vollständigen Genesung des Patienten führen. Auch bei derartigen Sachverhaltskonstellationen kann die Annahme eines Werkvertrages oder einer vertraglichen Garantie gerechtfertigt sein, wenn die
114, 146 A. 641 (1929) und England: vgl. Kennedy in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 134 f. Rn. GB 59; auch in der französischen Rechtsprechung sind vergleichbare Tendenzen für den Bereich der kosmetischen Chirurgie, der Zahnprothetik und der Laboruntersuchungen erkennbar, vgl. Cass. Civ. 29.11.1920, S. 1921 I. 119; D. 1924 I. 103; Penneau in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 182 f. Rn. F 50– 53; ähnliche Überlegungen finden sich im Sachrecht Österreichs: vgl. OGH, JBl 1964, 515; Bernat in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 18 Rn. 19 für die Erstellung eines EKG oder eines Röntgenbildes; freilich können nicht alle Schönheitsoperationen, besonders nicht die medizinisch indizierten, ohne das Hinzutreten bestimmter Umstände stets als Werkvertrag qualifiziert werden, da sie naturgemäß mit gewissen Unsicherheiten behaftet sind. Vielmehr ist aus den Umständen des Einzelfalls heraus zu fragen, ob der (Tele-) Arzt „garantieren“ wollte, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Behandlung als völlig gefahrlos hingesellt wird (vgl. dazu Gödicke, MedR 2008, 405, 406; Schmidt, MedR 2007, 693, 697). Auch Laboruntersuchungen können jedenfalls dann nicht mehr als Werkverträge qualifiziert werden, wenn es sich um schwierige, in hohem Maße interpretationsbedürftige Befunderhebungen handelt (vgl. Penneau in Deutsch/Schreiber, Medical Responsibility, S. 182 f. Rn. F 50–53); vgl. hierzu aus rechtsvergleichender Perspektive insgesamt auch Fischer in Fischer/Lilie, Ärztliche Verantwortung, S. 8 f. 234 In der Rechtspraxis dürfte es nur sehr selten vorkommen, dass ein Schönheitschirurg den Eintritt eines bestimmten Erfolgs versprechen wird. Zum einen kommt dies nur dann in Betracht, wenn Patient und Telechirurg ausdrücklich eine dahingehende Vereinbarung treffen zum anderen sind die Gerichte bei der Annahme einer Erfolgszusicherung sehr zurückhaltend. Vgl. OLG Köln, VersR 1988, 1049, 1049 (Zusicherung einer wunderschönen geraden Nase wurde für zu allgemein erachtet) und OLG Hamburg, MDR 2006, 873, 873 (Aussage des Chirurgen, dass die Patientin nach der Bauchstraffung toll aussehen werde, wurde nicht als Erfolgszusicherung angesehen).
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Operation oder die konservative Behandlung als völlig gefahrlos hingestellt wird.235 Folge der Annahme eines vertraglich geschuldeten Erfolges ist, dass bereits aus dem Nichteinritt des geschuldeten Erfolgs Schadensersatzansprüche des Patienten resultieren können. Diese sind auf der Ebene des Kollisionsrechts ausschließlich vertraglich zu qualifizieren.236 Die in einem ersten Schritt vorzunehmende Unterscheidung, ob das Äquivalenz- oder das Integritätsinteresse des Patienten verletzt wurde, hilft hier freilich nicht recht weiter. Schließlich wird der Patient durch den Nichteintritt des vertraglich geschuldeten Erfolges regelmäßig sowohl in seiner körperlichen und gesundheitlichen Integrität als auch in seinem Äquivalenzinteresse verletzt. Deutlich wird dies in dem oben eingeführten Schönheitschirurgenbeispiel: Das Äquivalenzinteresse der Patientin ist verletzt, weil der vertraglich geschuldete Erfolg nicht eingetreten ist. Aber auch das Integritätsinteresse der Patientin ist verletzt, weil sich ihr körperlicher und gesundheitlicher status quo negativ verändert hat, da sie nun eine Nase hat, die sie eigentlich gar nicht wollte. Daher ist auf den funktionalen Vertragsbegriff zurückzugreifen und zu prüfen, ob die Haftung des Telechirurgen auch bestehen würde, wenn man den Vertrag wegdenkt. Dies ist nur dann der Fall, wenn er die Operation nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen hat. Man gelangt also zu folgender Differenzierung: Hat der Telechirurg die Regeln der ärztlichen Kunst eingehalten und ist der vertragliche Erfolg dennoch nicht eingetreten, sind etwaige Schadensersatzansprüche der Patientin nach dem Vertragsstatut anzuknüpfen. Eine gesetzliche Pflicht zu Erstellung der vereinbarten Nase besteht nicht. Folglich geht es in diesen Fällen im Schwerpunkt um den Schutz einer privatautonom getroffenen Vereinbarung auf kollisionsrechtlicher Ebene, sodass nach dem funktionalen Vertragsbegriff eine vertragliche Qualifikation und damit eine Zuordnung zum Kollisionsrechtsregime der Rom I-Verordnung überzeugt. Hat der Telechirurg hingegen nicht lege artis operiert und wurde der Patient hierdurch in seinem Körper oder seiner Gesundheit verletzt,
235 So neuerdings auch Gödicke, MedR 2008, 405, 406; Schmidt, MedR 2007, 693, 697; vgl. allgemein zur Vertragsfreiheit beim Arztvertrag auch Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrechts, Kapitel III Rn. 28; Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, § 39 Rn. 10 a.E. 236 Dass es sich bei derartigen Sachverhaltskonstellationen um Ausnahmekonstellationen handelt, wird schon daraus deutlich, dass der Arzt dem Patienten haftet, obwohl es dem Patienten bei einem Vergleich des Gesundheitszustandes vor und nach der ärztlichen Behandlung nicht zwingend schlechter gehen muss. Der Schaden kann dann bspw. darin liegen, dass der Patient einen anderen, teureren Arzt aufsuchen muss. Im deutschen Sachrecht würden sich die Erstattungspflicht derartiger Schäden nach den §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs 1 BGB beurteilen.
§ 2 Qualifikation der auftretenden Rechtsfragen
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beurteilen sich etwaige Schadensersatzansprüche der Patientin unabhängig davon, ob der vertraglich geschuldete Erfolg eingetreten ist oder nicht, nach der über Art. 4 Rom II berufenen Rechtsordnung. In derartigen Konstellationen geht es schwerpunktmäßig um einen gerechten Ausgleich der kollisionsrechtlichen Interessen von „Täter und Opfer“. Nicht im Vordergrund steht hingegen der Schutz der Privatautonomie, da die Pflicht den Patienten nicht in vorwerfbarer Art und Weise in seiner körperlichen- und gesundheitlichen Integrität zu schädigen unabhängig von jedem Vertrag bereits kraft Gesetzes besteht. In der Folge ist eine deliktische Qualifikation derartiger Ansprüche überzeugend. Darüber hinaus sind auch Sachverhaltskonstellationen denkbar in denen aus einem Geschehensablauf sowohl vertragliche als auch deliktische Haftungsansprüche des Patienten resultieren können. Allerdings handelt es sich nicht um eine echte Anspruchskonkurrenz sondern um ein bloßes Nebeneinander vertraglicher und deliktischer Haftungsansprüche. Dies kann gut an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Die Krankenschwester P begibt sich zum Zweck eines HIV-Tests zu dem niedergelassenen Arzt A und schließt mit ihm einen dahingehenden Vertrag. Die dafür notwendige Blutentnahme wird von A mit einer nicht sterilen Injektionsnadel vorgenommen, weshalb P eine schmerzhafte Infektion am rechten Arm erleidet. Darüber hinaus verwechselt A in seinem Labor die entnommen Blutprobe, sodass A der P fälschlicherweise mitteilt, dass diese mit dem HI-Virus infiziert sei. Infolgedessen darf P ihrer Arbeit im Krankenhaus nicht mehr nachgehen. Erst fünf Tage später erhält P nach weiteren Blutuntersuchungen durch den Arzt B die Auskunft, dass sie nicht mit dem HI-Virus infiziert sei. P begehrt von A Schadensersatz: 1. für die durch die Infektion erlittenen Schmerzen. 2. wegen des Verdienstausfalls den sie erlitten hat, weil sie ihrer Arbeit fünf Tage lang nicht nachgehen durfte. Bei den Schadensersatzansprüchen Nr. 1 handelt es sich nach hier vertretener Auffassung auf der Ebene des Kollisionsrechts um deliktische Ansprüche. Sie bestehen, weil der A die P unter Nichteinhaltung des ärztlichen Standards in ihrer Gesundheit geschädigt hat. P geht es aufgrund des vorwerfbaren Fehlverhaltens des A (Blutentnahme mit nicht steriler Injektionsnadel) nach der Behandlung gesundheitlich schlechter als vor der Behandlung. Die Pflicht zur Entnahme mit einer sterilen Infektionsnadel bestand nicht nur aufgrund des Vertrags zwischen P und A, sondern bereits aufgrund der faktischen Übernahme der Behandlung durch A mit der daraus resultierenden Garantenstellung und damit unabhängig von dem geschossenen Behandlungsvertrag. Es geht auf der Ebene des Kollisionsrechts also schwerpunktmäßig nicht um den Schutz der Privatautonomie, sondern um einen gerechten Interesseausgleich zwischen Täter und Opfer,
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
sodass eine vertragliche Qualifikation einer derartigen Schadenshaftung ausscheidet. Demgegenüber handelt es sich bei den Schadensersatzansprüchen gemäß Nr. 2 um vertraglich zu qualifizierende Schadensersatzansprüche. Anknüpfungspunkt für diesen Schadensposten ist nicht die Blutentnahme mittels einer kontaminierten Injektionsnadel, sondern die Verwechslung der Blutprobe im Labor. Aufgrund des daraus resultierenden Fehlbefunds durfte P ihrer Arbeit nicht nachgehen und erlitt hierdurch einen Verdienstausfallschaden.237 Für diese hat A nur einzustehen, weil er vertraglich die Pflicht zur fachgerechten, richtigen Analyse der richtigen Blutprobe übernommen hat. A schuldete also nicht nur die bloße Untersuchung der Blutprobe, verstanden als Tätigkeit, sondern auch deren zutreffende Analyse, da es sich bei Verträgen über die Untersuchung von Blutproben zum Zweck einer HIV-Infektion um Werkverträge handelt.238 Diese Verpflichtung hat A auf zu vertretende Art und Weise verletzt und ist daher zum Ersatz des Verdienstausfallschadens verpflichtet. Der Schadensersatzanspruch der P resultiert also nicht aus einer Verletzung der körperlichen und gesundheitlichen Integrität der P – ihr geht es ja vor und nach der Fehldiagnose körperlich gleich gut – sondern aus der Verletzung des Äquivalenzinteresses der P. Die Pflicht des A zur richtigen Analyse der Blutprobe besteht nur aufgrund der freiwillig eingegangen Verpflichtung und nicht schon aufgrund einer gesetzlichen Garantenstellung des A gegenüber der P. Denkt man den Vertrag weg, hätte P keinen Schadensersatzanspruch wegen ihres Verdienstausfalls gegen A. Auf der Ebene des Kollisionsrechts geht es folglich schwerpunktmäßig um den Schutz der Privatautonomie, sodass der Schadensersatzanspruch Nr. 2 ausschließlich als vertraglich zu qualifizieren ist. Darüber hinaus gibt es weitere Konstellationen in denen Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telearzt, ausschließlich vertraglich zu qualifizieren sind. Erfüllt der Telemediziner etwa seine vertraglich übernommene Pflicht zur Erstellung eines Gesundheitszeugnisses nicht innerhalb einer vereinbarten Frist und kann der Patient deshalb nicht mehr rechtzeitig eine Risikolebensversicherung abschließen, kommen Schadensersatzansprüche des Patienten oder dessen Erben gegen den Telemediziner in Betracht.239 Derartige Ansprüche sind auf der Ebene des Kollisions-
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Kompensationszahlungen durch eine etwaige Versicherung werden aus Vereinfachungsgründen bewusst außer acht gelassen. 238 Vgl. AG Köln, Urt. v. 19.11.08 – 141 C 3/08, juris Rn. 17; Sprau in Palandt, BGB, Einf. vor § 631 BGB Rn. 18; Peters/Jacoby in Staudinger (2008), Vorbem. zu §§ 631 ff. Rn. 34 m.w.N. 239 Vgl. BGH, NJW 2006, 687–688.
§ 2 Qualifikation der auftretenden Rechtsfragen
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rechts und im Rahmen der besonderen Gerichtsstände der EuGVO ausschließlich als vertraglich zu qualifizieren. Sie resultieren aus der Verletzung von Äquivalenzinteressen des Patienten und bestehen nur aufgrund der Verletzung einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung des Telearztes, sodass es schwerpunktmäßig um die Verwirklichung der Privatautonomie auf der Ebene des Kollisionsrechts geht. Gleiches gilt in Fällen in denen die Patientin mit dem Telechirurgen einen Sterilisationsvertrag240 schließt und diesem bei der Sterilisation ein Fehler unterläuft, weshalb die Patientin in der Folgezeit – entgegen ihrer eigentlichen Familienplanung – schwanger wird. In derartigen Fällen ist es möglich, dass die Patientin einen Schadensersatzanspruch gegen den Telearzt wegen der ungewollten Unterhaltsbelastung für ihr Kind hat.241 Derartige Schadensersatzansprüche sind auf der Ebene des Kollisionsrechts ausschließlich als vertraglich zu qualifizieren und folglich nach der über die Art. 3 ff. Rom I berufenen Sachrechtsordnung zu beurteilen. Dies ergibt sich daraus, dass derartige Ansprüche aus der Verletzung von nur aufgrund des Vertrages bestehenden Erwartungen der Patientin resultieren. Die Patientin hat nur aufgrund des Vertrages die berechtigte und insoweit rechtlich geschützte Erwartung, dass sie nach dem Eingriff nicht mehr schwanger werden kann.242 Der Anspruch besteht folglich nur, wenn zwischen der Patientin und dem Telearzt ein auf die Verhinderung der Zeugung eines Kindes und der damit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen der Eltern gerichteter Sterilisationsvertrag besteht.243 Auf kollisionsrechtlicher Ebene steht daher der Schutz der Privatautonomie von Patientin und Telemediziner im Vordergrund, sodass eine vertragliche Qualifikation überzeugt. In der Folge scheidet nach der hier vertretenen Einheitslösung eine deliktische Qualifikation derartiger Schadensersatzansprüche aus.
240 Der Vertragstypus des Sterilisationvertrags ist im deutschen Recht äußerst umstritten. Während die wohl herrschende Auffassung davon ausgeht, dass es sich um einen Dienstvertrag handelt, gehen andere von einem Werkvertrag aus. Vgl. zum Streitstand Peters/Jacoby in Staudinger (2008), Vorbem. zu §§ 631 ff. Rn. 34; Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, § 39, Rn. 37 jeweils m.w.N. Weitestgehend Einigkeit besteht jedoch darin, dass die Rechtsfolgen, welche die Rechtsprechung an eine missglückte Sterilisation knüpft, die Folgen einer werkvertraglichen Einstandspflicht sind. Vgl. auch dazu Uhlenbruck in Laufs/Uhlenbruck, § 39, Rn. 37 m.w.N. 241 Vgl. BGHZ 76, 249–258; 76, 259–273; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 61–65; Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel VII Rn. 14; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 442–447 jeweils m.w.N; vgl. dazu auch BVerfG, NJW 1998, 519–523. 242 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 444; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 64 f. 243 Vgl. BGH, NJW 2000, 1782, 1784, NJW 2005, 891, 892; NJW 2007, 989, 990; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 65.
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Freilich können daneben wiederum deliktisch zu qualifizierende Schadensersatzansprüche der Patientin wegen fehlerhafter Behandlung bestehen. Zu denken ist insbesondere an Schmerzensgeldansprüche der Patientin, für die bei der erfolglosen, nicht lege artis durchgeführten Sterilisation erlittenen Schmerzen oder für diejenigen Schmerzen die sie bei einer weiteren Sterilisation erleiden muss.244 D. Qualifikation des Vergütungsanspruchs des Telemediziners Weitaus einfacher gestaltet sich die Beantwortung der Frage, wie der Vergütungsanspruch des Telemediziners zu qualifizieren ist. Diese Frage betrifft ausschließlich das Äquivalenzinteresse des Telearztes und ist folglich, wie Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I zeigt, als vertraglich zu qualifizieren.245 E. Qualifikation der Primäransprüche des Patienten Auch die Qualifikation der Rechtsfrage, ob der Patient aufgrund des geschlossenen Vertrages von dem Telearzt verlangen kann, dass dieser ihn behandelt und somit ob ein Anspruch auf die vertragliche Leistung besteht, richtet sich unstreitig nach dem Vertragsstatut, Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I.246 Grund dafür ist wiederum, dass allein das Interesse des Patienten an einem Zuwachs und somit sein Äquivalenzinteresse berührt ist.
§ 3 Vertragsstatut § 3 Vertragsstatut
Die einschlägigen Normen zur Bestimmung des Vertragsstatuts finden sich in Art. 3 ff. Rom I. Wie nach den bisherigen Regelungen der Art. 27 ff. EGBGB ist auch nach Rom I eine Rechtswahl grundsätzlich vorrangig. Der damit verwirklichte Grundsatz der Rechtswahlfreiheit ist international anerkannt.247
244
Vgl. BGH, VersR 1980, 558, 558 f. Siehe hierzu statt vieler nur Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 50 ff.; Link, Telemedizin, S. 254. 246 Siehe hierzu statt vieler nur Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 50 ff.; Link, Telemedizin, S. 254. 247 Für die Schweiz vgl. Art. 116 Abs. 1 IPRG; für Kanada vgl. Castel, Canadian conflict of laws, Nr. 427, S. 544; für die am englischen Recht orientierten Provinzen und Castel, Droit international privé québécois, S. 498; für die in der französischen Rechtstradition stehende Provinz Quebec; für Australien Sykes/Pryles, Australian Private International Law, Kapitel 16, 2.1; für die USA vgl. Naumann, Regelungsbereich des UNKaufrechts, S. 23 f. 245
§ 3 Vertragsstatut
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A. Subjektive Anknüpfung I. Ausdrückliche Rechtswahl Im Rahmen der Telemedizin haben die Parteien grundsätzlich durch den Abschluss eines Rechtswahlvertrages die Möglichkeit, das auf den jeweiligen Telemedizinvertrag anwendbare Recht jederzeit frei festzulegen. Der Vertragsschluss und dessen Wirksamkeit beurteilt sich gemäß Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Rom I nach der potentiellen lex causae.248 Die Rechtswahl kann, wie bei anderen Verträgen auch, schriftlich, mündlich und in AGB249 vereinbart werden. Art. 3 Abs. 1 Rom I erlaubt eine vollkommen freie Rechtswahl, bei der es nicht Voraussetzung ist, dass das gewählte Recht einen objektiven Bezug zum Sachverhalt hat.250 Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 3 Abs. 3 Rom I, der ansonsten keinen Anwendungsbereich hätte.251 Ebenso wenig muss eine Partei ein anerkennenswertes Interesse an der Anwendung des gewählten Rechts besitzen.252 II. Stillschweigende Rechtswahl Eine Rechtswahl durch Patient und Telemediziner oder Patient und Primärarzt kann auch stillschweigend beziehungsweise konkludent erfolgen.253 Erforderlich ist aber, dass eine tatsächliche Willensübereinkunft der Parteien vorliegt, da es sich auch bei dieser Form der Rechtswahl um einen Rechtswahlvertrag handelt.254 Ob eine solche Übereinkunft vorliegt, ist durch Auslegung des Parteiverhaltens unter Berücksichtigung des Vertrages und der Begleitumstände zu ermitteln.255 Die konkludente Rechtswahl kann sowohl vor als auch nach Vertragsschluss geschehen. Nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I ist erforderlich, dass sich aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles „eindeutig“ ein Rechtswahlwille der Parteien ergibt. Bisher genügte es gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 1 EVÜ, wenn sich der Parteiwille mit „hinreichen248
Hierin unterscheidet sich das IPR der USA, das diese Frage nach der lex fori beurteilt; vgl. bspw. Glyptal, Inc. v. Engelhard Corp, 18 UCC Rep. Serv. 2nd 1059. 249 Dazu ausführlich Meyer-Sparenberg, RIW 1989, 347, 347 ff. 250 Rühl in FS Kropholler, 187, 192; Thorn in Palandt, BGB, Art. 3 Rom I Rn. 4; Mankowski, RIW 2003, 2, 4. 251 Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus einem Umkehrschluss aus Art. 5 Abs. 3 lit. a)-e) Rom I und Art. 7 Abs. 3 lit. a)-e) Rom I, da beide Vorschriften die wählbaren Rechtsordnungen für gewisse Situationen beschränken. 252 Mankowski, RIW 2003, 2, 4. 253 Rühl in FS Kropholler, 187, 197; Wagner, IPRax 2008, 377, 378 f. 254 Roth in FS Georgiades, 905, 909; Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 83. 255 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 32; Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 84.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
der Sicherheit“ aus den Vertragsbestimmungen oder den Umständen des Falles ergab. Der eindeutige Rechtswahlwille der Vertragsparteien kann sich auch aus bestimmten tatsächlichen Umständen ergeben. Diese Umstände fungieren dabei als Indizien, die auf einen Rechtswahlwillen der Parteien hindeuten.256 Da sich bezüglich dieser Indizumstände keine telemedizinspezifischen Probleme stellen, wird hierauf nicht näher eingegangen. Die Berücksichtigung eines bloß hypothetischen, nicht nach außen zum Ausdruck gelangten Willens ist dagegen ausgeschlossen.257 Die überkommene Lehre der Berücksichtigung des hypothetischen Parteiwillens258, wie sie teilweise noch vor Inkrafttreten des Art. 3 EVÜ beziehungsweise des Art. 27 EGBGB vertreten wurde259, darf auch nicht dadurch in Rom I transferiert werden, dass man sie in die stillschweigende Rechtwahl einbezieht.260 Fehlt es an solch eindeutigen Anhaltspunkten, ist das Vertragsstatut aufgrund einer objektiven Anknüpfung nach Art. 4 Rom I zu ermitteln.261 III. Grenzen der Parteiautonomie aufgrund von Art. 3 Abs. 3 Rom I Ausführlich zu untersuchen ist jedoch, ob die Parteiautonomie von Patient, Primärarzt und Telemediziner aufgrund der Regelung des Art. 3 Abs. 3 Rom I begrenzt ist. Liegen alle Sachverhaltselemente in einem Staat und haben die Parteien ausdrücklich oder konkludent vereinbart, dass das Recht eines anderen Staates gelten soll, umfasst diese Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 3 Rom I nicht die zwingenden Bestimmungen des ersten Staates. Insoweit behält Rom I das Modell einer eingeschränkten Rechtswahlmöglichkeit bei reinen Binnensachverhalten, wie sie bereits in Art. 3 Abs. 3 EVÜ beziehungsweise Art. 27 Abs. 3 EGBGB enthalten war, bei.262 Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 3 Rom I führt zu einem law mix, der aus den Bestimmungen
256
Roth in FS Georgiades, 906, 907. Ferrari in Ferrari, Int. VertrR, Art. 27 EGBGB Rn. 24; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 32; Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 84; Wagner, IPRax 2008, 377, 378; Looschelders, IPR, Art. 27 EGBGB Rn. 17. 258 Der hypothetische Parteiwille ist „das, was die Parteien gewollt hätten, wenn sie etwas gewollt hätten“; vgl. dazu Kegel/Schurig, IPR, § 18 I d), S. 658 f.; Rauscher, IPR, Rn. 1085. 259 Vgl. nur BGHZ 44, 183, 186; BGH, NJW 1996, 2569, 2569; OLG Hamburg, VersR 1979, 812, 812. 260 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 32; Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 84. 261 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 32. 262 Einsele, WM 2009, 289, 290; Mankowski, IHR 2008, 133, 134; Ahrens, Europ. und int. Wirtschaftsprivatrecht, Rn. 85. 257
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des gewählten Rechts und dem ius cogens des Staates besteht, zu dem der Sachverhalt die einzige Beziehung aufweist.263 1. Rechtswahlgrenze im Verhältnis zwischen Patient und Telemediziner Grenzüberschreitende Telemedizinanwendungen stellen niemals einen reinen Binnensachverhalt dar, da ein Sachverhaltselement, nämlich die Handlung des Telemediziners, zwingend im Ausland vorgenommen wird. Art. 3 Abs. 3 Rom I ist daher als Grenze der Parteiautonomie im Verhältnis zwischen Patient und Telemediziner nicht einschlägig.264 Zur Verdeutlichung mag folgendes Beispiel dienen. Ein deutscher Patient mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland lässt sich von einem US-amerikanischen Arzt in New York operieren. Im Rahmen dieser Operation wird der deutsche Hausarzt mittels Telemedizinanwendung zugeschaltet. Selbst in einem derartigen Fall können der Patient und der Telemediziner durch eine entsprechende Rechtswahl den Telemedizinvertrag vollständig einer beliebigen Rechtsordnung unterstellen. Ein Sachverhaltselement – die telemedizinische Behandlung – findet nämlich trotz des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts von Patient und Telemediziner im Ausland statt, sodass kein reiner Binnensachverhalt vorliegt. In der Folge greift die Rechtswahlgrenze des Art. 3 Abs. 3 Rom I im Verhältnis zwischen Patient und Telemediziner nicht ein. 2. Rechtswahlgrenze im Verhältnis zwischen Patient und Primärarzt Ein Anwendungsfeld von Art. 3 Abs. 3 Rom I ergibt sich auf den ersten Blick hingegen im Verhältnis zwischen Patient und Primärarzt, da es sich hierbei prima facie um einen reinen Binnensachverhalt handelt: alle objektiven Sachverhaltselemente dieses Verhältnisses liegen innerhalb eines Staates. In der Folge würde eine Rechtswahl von Patient und Primärarzt nicht die zwingenden Vorschriften des Staates, in dem die Behandlung erfolgt, erfassen. Auf den zweiten Blick ist jedoch zu erwägen, ob nicht aus der Verbindung zwischen Primärarztvertrag und dem internationalen Telemedizinvertrag ein hinreichender Auslandsbezug des Primärbehandlungsvertrages resultiert, so dass Art. 3 Abs. 3 Rom I auch im Verhältnis zwischen Patient und Primärarzt keinen Anwendungsbereich hätte. In der Literatur findet sich die Auffassung, dass auch ein enger rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang eines Inlandsgeschäfts mit einem Auslandsgeschäft er-
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Rühl in FS Kropholler, 187, 203. Pielach, Haftungsfragen, S. 204; Hoppe, MedR 1998, 462, 464; Link, Telemedizin, S. 271. 264
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laubt, die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 Rom I zu verneinen.265 Von einem solchen engen rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang von Primärarzt- und Telemedizinvertrag kann jedoch nicht ausgegangen werden, da dieser in der Regel durch einen gemeinsamen Zweck vermittelt wird.266 Die Verträge müssten so eng miteinander verbunden sein, dass sie ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit eindeutig verlieren. Dies ist bei Primärarzt- und Telemedizinverträgen jedoch nicht der Fall, da die primärärztliche und die telemedizinische Leistung wirtschaftlich unabhängig voneinander durch unterschiedliche Rechtssubjekte erbracht werden. Die primärärztliche Leistung bildet mit der Behandlung durch den Telemediziner kein „größeres Ganzes“. Ferner fällt bei einem Vergleich von Art. 3 Abs. 3 Rom I mit der Altregelung des Art. 3 Abs. 3 EVÜ auf, dass der in Rom I verwendete Wortlaut insoweit von demjenigen des EVÜ abweicht, als der Zusatz „sei sie durch die Vereinbarung der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichtes ergänzt oder nicht“ nicht mehr enthalten ist. Fraglich erscheint daher, ob die Annahme eines reinen Inlandsachverhalts im Verhältnis von Patient und Primärarzt ausgeschlossen ist, wenn sie durch eine ins Ausland weisende Gerichtsstandsvereinbarung einen gewissen Auslandsbezug hergestellt haben. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, ob Gerichtsstandsvereinbarungen in der Lage sind, einen Auslandssachverhalt zu begründen, so dass Art. 3 Abs. 3 Rom I nicht zur Anwendung gelangen würde. Gegen diese Auffassung spricht zunächst Erwägungsrund 15 zu Rom I, nach dem mit der Änderung des Wortlauts keine inhaltliche Änderung gegenüber Art. 3 Abs. 3 EVÜ beabsichtigt ist. Ferner stellt dieser Erwägungsgrund klar, dass Art. 3 Abs. 3 Rom I unabhängig davon angewandt werden soll, ob die Rechtswahl zusammen mit einer Gerichtsstandvereinbarung getroffen wurde oder nicht. Darüber hinaus wäre eine solche Annahme aber auch inhaltlich nicht überzeugend. Den Interessen von Patient und Primärarzt gebührt nur insoweit Vorrang, als sich die Anwendbarkeit des nationalen Rechts nicht von selbst versteht. Durch Art. 3 Abs. 3 Rom I soll sichergestellt werden, dass das Rechtswahlinteresse der Parteien, in Fällen, in denen der Sachverhalt nur mit einem Staat verbunden ist, es also an der Internationalität des Sachverhalts fehlt, gegenüber dem Geltungsanspruch des Einbettungsstatuts, also dem Recht des Staates zu dem der Sachverhalt die einzige Verbindung aufweist, nicht anerkannt wird.267 Andernfalls würde der national zwingende Charakter der Normen selbst ange-
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Von Hoffmann in Soergel, Art. 27 EGBGB Rn. 94 zur Vorgängerregelung. Vgl. Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 139. 267 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 727; ähnlich Martiny in MüKo, Art. 3 Rom I Rn. 92. 266
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zweifelt werden. Die Norm könnte dann zwar aufgrund des national zwingenden Charakters nicht abbedungen, aber durch eine Rechtswahl abgewählt werden. Hieraus ergibt sich, dass allein aus dem Bestehen einer ins Ausland weisenden Gerichtsstandvereinbarung keine hinreichende Internationalität begründet werden kann, da es andernfalls Patient und Telemediziner frei stünde, durch eine Kumulation von Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarung das ius cogens des Einbettungsstatuts abzuwählen. In der Folge wären Manipulationsversuchen „Tür und Tor“ geöffnet. Für ein solches Verständnis spricht auch, dass der für das materielle Recht relevante Sachverhalt auch im Fall einer Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich in einem Staat wurzelt.268 Aus diesen Gründen vermag eine internationale Gerichtsstandvereinbarung keinen Auslandssachverhalt zu begründen.269 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass Art. 3 Abs. 3 Rom I im Verhältnis von Patient und Primärarzt zur Anwendung gelangt. Daraus resultiert, dass es dem Patienten und dem Primärarzt bei einer in Deutschland stattfindenden Behandlung nicht möglich ist, durch eine Rechtswahl die Gebührenregelungen der GOÄ abzuwählen, da diese ius cogens darstellen.270 Selbst wenn Patient und Primärarzt ihren Behandlungsvertrag durch Rechtswahl einer aus deutscher Sicht ausländischen Rechtsordnung unterstellen, berührt dies nicht die Anwendbarkeit der GOÄ.271 IV. Grenzen der Parteiautonomie aufgrund von Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I Besonders im Hinblick auf den kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz enthält die Rom I-Verordnung zahlreiche Novellierungen. Bei diesen orientierte sich der Verordnungsgeber weitestgehend an Art. 15 EuGVO, um einen Gleichlauf zwischen den Anknüpfungstatbeständen der internationalen Zuständigkeit und dem anwendbaren Recht zu schaffen.272
268
Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 727; ähnlich Martiny in MüKo, Art. 3 Rom I Rn. 92. 269 Huber/Bach, IPRax 2005, 73, 75; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 727; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 279; Von Hein, ZVglRWiss 102 (2003), 528, 548; ders., VersR 2007, 440, 445; Martiny in MüKo, Art. 3 Rom I Rn. 92. 270 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 2. 271 Spoerr/Uwer, MedR 2003, 668, 672; ob es sich bei den Gebührenregelungen der GOÄ um öffentlich-rechtliche oder um privatrechtliche Vorschriften handelt, ist hierfür unerheblich, da Art. 3 Abs. 3 Rom I sowohl die Abwahl privatrechtlicher als auch öffentlich-rechtlicher Normen verhindert; vgl. hierzu Martiny in MüKo, Art. 3 Rom I Rn. 90; Hohloch in Erman, Art. 27 EGBGB Rn. 26; Brödemann/Wegen in Prütting/Wegen/ Weinreich, BGB, Art. 3 Rom I Rn. 25. 272 Mankowski, IPRax 2006, 101, 105; vgl. auch Erwägungsgrund 24 zu Rom I.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Eine Einschränkung der Parteiautonomie von Patient und Telemediziner könnte sich aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I ergeben. Danach ist eine Rechtswahl bei Verbraucherverträgen zwar grundsätzlich zulässig, jedoch nur insoweit, als dem Verbraucher nicht der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Aufenthaltslandes des Verbrauchers gewährt wird. Diese Beschränkung könnte für Telemedizinverträge aber nur dann eingreifen, wenn diese überhaupt in den Anwendungsbereich von Art. 6 Rom I fallen würden. 1. Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I a) Persönlicher Anwendungsbereich Art. 6 Rom I findet ausweislich des Wortlauts nur auf Verbraucherverträge, also auf Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, Anwendung. Zur Abgrenzung zwischen Unternehmer- und Verbrauchereigenschaft ist nach Art. 6 Abs. 1 Rom I darauf abzustellen, ob das konkrete Rechtsgeschäft dem privaten oder dem beruflichen beziehungsweise gewerblichen Bereich der betreffenden Person zuzuordnen ist. Wann der Patient als Verbraucher agiert, hängt folglich davon ab, ob der Zweck des jeweiligen Behandlungs- oder Telemedizinvertrags dem beruflichgewerblichen oder dem privaten Bereich des Patienten zuzurechnen ist. Der Zweck des Geschäfts ist dabei aus der Sicht des vermeintlichen Verbrauchers zu bestimmen, was jedoch dadurch relativiert wird, dass es auf die objektive Erkennbarkeit für den Telemediziner ankommt.273 aa) Patient als Verbraucher Medizinische Behandlungen sind beinahe ausnahmslos dem privaten Bereich zuzuordnen, so dass der Patient im Rahmen telemedizinischer Anwendungen regelmäßig als Verbraucher anzusehen ist.274 Es sind aber auch besondere Konstellationen denkbar, in denen die telemedizinische Behandlung sowohl beruflichen beziehungsweise gewerblichen als auch privaten Zwecken dient. So kann beispielsweise die Schön-
273
Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 10; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 29 EGBGB Rn. 10; Remien in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 6 Rom I Rn. 2, ex Art. 29 EGBGB Rn. 5; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 89. 274 Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 209; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 113; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 809; Spickhoff in FS Müller, 287, 298; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 116; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 129 f.
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heitsoperation eines Filmstars oder eines Fotomodells275, die Impfung eines Patienten anlässlich einer Auslandsdienstreise oder auch die Behandlung eines Berufs-Feuerwehrmanns, der sich im Einsatz verletzt hat, nicht eindeutig dem einen oder dem anderen Bereich zugeordnet werden. Die Bandbreite der in Betracht kommenden Lösungen ist weit276: So ist denkbar, dass (1.) schon der kleinste gewerbliche Anteil schadet; (2.) ein nicht ganz untergeordneter gewerblicher Anteil schadet277; (3.) ein nennenswerter gewerblicher Anteil schadet; (4.) der jeweilige Schwerpunkt entscheidet; (5.) ein nennenswerter privater Anteil nutzt; (6.) ein nicht ganz untergeordneter privater Anteil nutzt; (7) schon der kleinste private Anteil nutzt. Die „radikalen“ Alles-oder-Nichts Lösungen (1.) und (7.) vermögen nicht zu überzeugen: Nach ihnen wäre ein Vertrag entweder schon aufgrund des kleinsten gewerblichen Anteils dem kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz entzogen oder aber aufgrund eines minimalsten Privatzweckanteils diesem Schutz zu unterstellen. Zwar haben diese Lösungen den Reiz der Einfachheit und Berechenbarkeit; insbesondere müsste keine unter Umständen schwierige Abwägung mit den ihr immanenten Unsicherheiten erfolgen. Dafür vermögen sie materiell nicht zu überzeugen, da minimale Elemente aufgrund ihrer Unwesentlichkeit einen Vertrag weder positiv noch negativ prägen können. Unwesentliches kann nun mal nicht das Wesen eines Vertrages ausmachen. Die Argumentation, dass ein und dieselbe Person bei demselben Geschäft teilweise die generelle Vermutung einer typischen Unterlegenheit in Anspruch nehmen kann und teilweise nicht, darf das gefundene Ergebnis nicht beeinflussen, da es nicht auf die typischerweise vorliegende Unterlegenheit, sondern auf die Unterlegenheit im konkreten Einzelfall ankommt.278 Im Rahmen des europäischen internationalen Zuständigkeitsrechts, in dessen Rahmen sich aufgrund von Art. 15 EuGVO beziehungsweise Art. 13 EuGVÜ dieselbe Frage stellt, folgt der EuGH der (2.) Lösung, da er einerseits den Verbrauchergerichtsstand als zuständigkeitsrechtliche Ausnahmeregelung begreift, deren Anwendungsbereich eng zu ziehen sei und sich ein derartiges Verständnis bereits aus der gewählten Negativfor-
275 Vgl. hinsichtlich der spezifischen kollisionsrechtlichen Probleme, die bei kosmetischen Operationen eines deutschen Verbrauchers durch einen Schönheitschirurgen im Ausland auftreten die Untersuchung von Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, passim. 276 Vgl. dazu statt vieler nur Mankowski, IPRax 2005, 503, 504. 277 So etwa Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 87 f. 278 Mankowski, IPRax 2005, 503, 504; Hill, Cross-Border Consumer Contracts, Rn. 3.46.
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mulierung ergebe.279 Nach seiner Auffassung ist die Berufung auf den Verbrauchergerichtsstand ausgeschlossen, „es sei denn, der beruflichgewerbliche Zweck ist derart nebensächlich, dass er im Gesamtzusammenhang des betroffenen Geschäftes nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt, wobei die Tatsache, dass der nicht beruflich-gewerbliche Zweck überwiegt, ohne Bedeutung ist“.280 Demgegenüber geht der überwiegende Teil der Literatur davon aus, dass bei dual-use-Verträgen der Schwerpunkt der Nutzung des Kunden aus Sicht des Unternehmers maßgeblich sei, sofern die zum Schwerpunkt führenden Umstände objektiv erkennbar waren.281 Die bloße innere Willensrichtung des Vertragspartners soll also nicht genügen. Im Ergebnis erscheint die Schwerpunktbetrachtung der Literatur vorzugswürdig. Zunächst einmal ist sie intuitiv unmittelbar einleuchtend. Sie ist diejenige Lösung, die man aufgrund eines natürlichen Gerechtigkeitsempfindens vornehmen würde. Zudem kommt ihr ein genetischhistorisches Argument zugute. Im Rahmen des früheren Art. 5 EVÜ beziehungsweise des Art. 29 EGBGB wurde im Bericht von Giuliano/Lagarde ein privates Handeln dahingehend umschrieben, dass es „im Wesentlichen“ außerhalb der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit liegen müsse.282 Das wesentliche Element ist aber der Schwerpunkt. Was nicht Schwerpunkt ist, kann weder wesensprägend noch wesentlich sein.283 Dieses Argument zeigt zudem, dass der gewählten Negativformulierung der Verbraucherdefinition, entgegen dem EuGH, kein Hinweis auf eine restriktive Anwendung des Art. 6 Rom I entnommen werden kann. Vielmehr ist der Wortlaut insoweit offen und bringt keine eindeutige Tendenz zum Ausdruck.284 Über diese Erwägungen hinaus hat die Schwerpunktbetrachtung den Vorteil, dass man mit einer handhabbaren Kleiner-Größer-Abwägung operieren kann. Zuzugeben ist zwar, dass dabei unter Umständen Probleme bei
279
EuGH, IPRax 2005, 537, 540–542. EuGH, IPRax 2005, 537, 537; ihm folgend Gottschalk, RIW 2006, 576, 577. 281 Remien in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 6 Rom I Rn. 2, ex Art. 29 EGBGB Rn. 4; Mankowski, IPRax 2005, 503, 505, 509; Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 803; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 29 EGBGB Rn. 10; Von Hoffmann in Soergel, Art. 29 EGBGB Rn. 14; Hill, Cross-Border Consumer Contracts, Rn. 3.47; a.A. Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 87 f. 282 BT-Drucks. 10/503, 55. 283 Mankowski, IPRax 2005, 503, 505. 284 Lüderitz in FS Riesenfeld, 147, 156; Mankowski, IPRax 2005, 503, 505; Senff, Verbraucher im IZPR, S. 240; a.A. Hill, Cross-Border Consumer Contracts, Rn. 3.62, der auch in der Negativformulierung „nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“ ein Argument für die Auffassung des EuGH sieht. 280
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der Feststellung der Gewichte und Erkennbarkeit der Gewichte nach außen auftreten können. Dies ist jedoch ein Problem, das jeder Abwägungslösung immanent ist. Es besteht insbesondere ebenso bei der Auffassung des EuGH, da auch nach ihr der Umfang der privaten und der Umfang der gewerblichen Anteile so gut wie möglich festgestellt werden muss, um diese im Anschluss gegeneinander abwägen zu können. Insoweit hat die Lösung des EuGH zwar keine Nachteile, bietet aber eben auch keine Vorteile.285 Ein Nachteil der EuGH-Lösung besteht jedoch darin, dass die eigentliche Abwägung zwischen privater und beruflich-gewerblicher Zwecksetzung wesentlich schwieriger durchzuführen ist, da das ausschlaggebende Maß „ganz untergeordnet“ konturlos und sehr undeutlich ist und in der Folge dem Rechtsanwender einen erheblichen Wertungsspielraum lässt. Wie lange kann von einer ganz untergeordneten Rolle des beruflichgewerblichen Zwecks ausgegangen werden? Wie wäre beispielsweise ein Fall zu beurteilen in dem eine bereits seit langem erforderliche Schutzimpfung anlässlich einer Auslandsdienstreise vorgenommen wird? Ist der in diesen Fällen durch den Patienten verfolgte Gesundheitsschutz derart überwiegend, dass der beruflich-gewerbliche Zweck als ganz untergeordnet erscheint? Oder reicht er doch schon aus, um eine Verbrauchereigenschaft des Patienten zu verneinen? Einfacher gestaltet sich die Beantwortung dieser Frage, wenn man untersucht, ob der Schwerpunkt in einem privaten oder in einem beruflichgewerblichen Zweck liegt, da das „Eichmaß“ deutlicher ist. Der Gewichtungsvorgang, also der Vergleich zwischen den festgestellten Größen ist einfacher und zudem wertungsneutraler, da er mittels einer mathematischen Größer-Kleiner-Operation erfolgt. In dem oben eingeführten Impffall gelangt man so zu dem Ergebnis, dass der Schwerpunkt in einem privaten Zweck liegt: Derjenige, der sich anlässlich einer Auslandsreise impfen lässt, verfolgt damit das Ziel, in Zukunft nicht an einer bestimmten Krankheit zu leiden. Ihm kommt es im Wesentlichen darauf an, dass er sein Leben auch nach der Auslandsreise wie gewohnt fortführen kann. Freilich müsste er sich erst gar nicht impfen lassen, wenn er nicht geschäftlich ins Ausland reisen müsste. Der Schwerpunkt der Impfung liegt jedoch nicht darin, dass er die Reise durchführen kann, sondern dass er auch nach seiner Rückkehr sein gewohntes Leben fortsetzen kann. Dieses Beispiel zeigt, dass der Lösung des EuGH größere Unsicherheiten als der Schwerpunktbetrachtung innewohnen. Die in der Literatur vorgeschlagene Schwerpunktbetrachtung erscheint somit vorzugswürdig. Nach dieser Schwerpunktbetrachtung sind – freilich in der Praxis nur sehr selten vorkommende – telemedizinische Konstellationen denkbar, in 285
Mankowski, IPRax 2005, 503, 505.
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denen der persönliche Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I nicht eröffnet ist. Lässt sich beispielsweise ein weiblicher Hollywoodstar für die Rolle der Barbra Streisand die Nase operativ durch einen Telemediziner korrigieren, ergibt die Schwerpunktbetrachtung, dass der mit der Telechirurgie verfolgte beruflich-gewerbliche Zweck überwiegt, der persönliche Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I also nicht eröffnet ist286. Freilich kann nicht geleugnet werden, dass die Schwerpunktbestimmung im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten kann, wenn der zu beurteilende Einzelfall in einer sehr kleinen Grauzone um die 50/50 Verteilung herum liegt. Verfolgt ein Fußballprofi mit einer telechirurgischen Behandlung einer komplizierte Fraktur des rechten Beins überwiegend private oder überwiegend beruflichgewerbliche Zwecke? Meines Erachtens muss man in diesem Fall danach differenzieren, ob die Behandlung in erster Linie darauf abzielt, das Bein wieder für den normalen Alltag herzustellen oder ob mit ihr erreicht werden soll, dass der Patient wieder seinem Beruf nachgehen kann. In ersterem Fall würde der private Zweck überwiegen, während im zweiten Fall der beruflich-gewerbliche Zweck den Schwerpunkt bildet. Ist auch unter Zuhilfenahme derartiger Kriterien kein eindeutiger Schwerpunkt feststellbar, muss man im Rahmen telemedizinischer Behandlungen im Zweifel für den Verbraucher davon ausgehen, dass der private Zweck überwiegt, da medizinische Heileingriffe immer erhebliche Einflüsse auf den nichtberuflichen Alltag des Patienten mit sich bringen und das Rechtsgut Gesundheit das höchste Individualrechtsgut ist.287 bb) Telemediziner als Unternehmer Damit der persönliche Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I eröffnet ist, muss neben der Verbrauchereigenschaft des Patienten die Unternehmereigenschaft des Telemediziners gegeben sein. Der Telemediziner wird ausschließlich beruflich tätig, so dass er als Unternehmer zu qualifizieren ist, sofern er den Vertrag nicht ausnahmsweise einmal außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit abschließt.288 Folglich ist diese Voraussetzung bei Telemedizinverträgen fast immer erfüllt.
286 Im Ergebnis so auch Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 89 f. 287 Im Zweifel einen Verbrauchervertrag annehmend auch Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 29 EGBGB Rn. 10: a.A. wohl Senff, Verbraucher im IZPR, S. 240. 288 Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 7; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 29 EGBGB Rn. 10; Hoppe, MedR, 462, 464; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 116; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 127– 129; Eine Ausnahme hiervon wäre beispielsweise denkbar, wenn ein Telearzt einen Verwandten oder einen Kollegen aus Gefälligkeit telemedizinisch behandelt. Auf diese Son-
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Insgesamt kann festgehalten werden, dass Telemedizinverträge fast ausnahmslos in den persönlichen Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Rom I fallen. b) Sachlicher Anwendungsbereich Im Grundsatz werden von Art. 6 Rom I sämtliche Vertragstypen und damit auch Telemedizinverträge erfasst, solange auf einer Seite ein Verbraucher und auf der anderen Seite ein Unternehmer steht.289 Art. 6 Abs. 4 lit. a-e Rom I enthält jedoch diverse Ausnahmen von diesem Grundsatz.290 Im Rahmen telemedizinischer Anwendungen könnte insbesondere die Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I eingreifen, wonach Verträge über die Erbringung einer Dienstleistung nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes fallen, wenn „die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat“. Denkbar ist die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Art. 6 Rom I folglich jedenfalls nur dann, wenn sich der Patient im Zeitpunkt der telemedizinischen Behandlung physisch in dem Staat befunden hat, in dem er auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Begriff des „Erbringens“ wird in Rom I nicht näher definiert. Er findet jedoch gleichfalls in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO Verwendung, wo er den Erfüllungsort der Dienstleitung näher konkretisiert. Im Rahmen von grenzüberschreitenden Telekonsilen und Teleexpertisen wird der Telemediziner entweder als fachimmanenter Kollege oder als fachfremder Experte via Telekommunikationsmedium durch den primärbehandelnden Arzt herangezogen, um sich zu einer bereits erfolgten Diagnose zu äußern oder einen Therapievorschlag zu unterbreiten. Im Wesentlichen erstellt der Telemediziner in diesen Fällen an seinem Praxisort also eine Art Gutachten und übermittelt dieses via Telekommunikationsmedium an den Primärbehandler. Der Schwerpunkt seiner Dienstleistungstätigkeit liegt somit im Ausland. Der einzige Teil seiner Dienstleistungserbringung, der nicht ausschließlich im Ausland erfolgt, ist der Übermittlungserfolg in den Verbraucherstaat, sofern der Primärzart in dem Staat agiert, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Fraglich ist daher, ob
derkonstellationen, die in der Rechtspraxis kaum auftreten werden, wird hier jedoch nicht weiter eingegangen. 289 Solomon, Verbraucherverträge in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 96; Mankowski, IHR 2008, 133, 141; Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 13. 290 Die sachliche Rechtfertigung dieser Ausnahmen ist teils sehr zweifelhaft, siehe hierzu weiterführend Solomon, Verbraucherverträge in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 97 ff.
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dieser Umstand für die Verneinung des Merkmals der „ausschließlichen Erbringung“ ausreicht. Einfacher stellt sich die Situation auf den ersten Blick in Fällen von Telepräsenzen und Teleassistenzen dar, sofern sich der Patient zum Zeitpunkt solcher telemedizinischen Behandlungen physisch in dem Staat befunden hat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hier kann, jedenfalls auf den ersten Blick, nur schwer davon ausgegangen werden, dass die geschuldete Dienstleistung ausschließlich im Ausland erbracht wird, da sich der Patient in seinem Heimatstaat befindet und auch dort die Leistung des Telemediziners an seinem eigenen Körper erfährt. aa) Auslegung der „ausschließlichen Erbringung“ in Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I Ausführliche Auseinandersetzungen mit dem Merkmal der ausschließlichen Erbringung finden sich in der rechtswissenschaftlichen Literatur insbesondere für die Dienstleistungserbringung durch Anwälte und Anlageberater.291 In diesen Bereichen nimmt der Dienstleister häufig alle Leistungen, wie beispielsweise die Erstellung eines Gutachtens oder die Erstellung einer Anlageempfehlung und die dazu erforderlichen Recherchen, ausschließlich im Ausland vor und übermittelt lediglich die Ergebnisse seiner Arbeit ins Inland. Der Tätigkeitsschwerpunkt liegt somit wie bei Telekonsilen und Teleexpertisen im Ausland. Die Sachlagen sind insoweit vergleichbar, weshalb im Folgenden auch eine Auseinandersetzung mit den in diesen Bereichen vorgebrachten Argumenten erfolgt. Im Rahmen der Dienstleistungserbringung durch Anwälte und Anlageberater wird eine äußert restriktive Auslegung des Merkmals der „ausschließlichen Erbringung“ vertreten. Bereits die Verwirklichung des kleinsten Dienstleistungselements im Verbraucherstaat müsse eine Verneinung des Ausschlusses nach Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I nach sich ziehen.292 Dies ergebe sich zum einen aus dem „ausschließlich“, „exclusively“ im Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I und zum anderen aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift.293 Kerngedanke der Vorschrift sei, dass der Ver-
291
Siehe etwa Mankowski in Reithmann/Martiny, Rn. 1422 m.w.N. Berichterstattungen und Informationen seitens des Anwalts an den Verbraucher sollen insoweit aber unschädlich sein, vgl. dazu Mankowski in Reithmann/Martiny, Rn. 1422. Schädlich wären hingegen wohl bspw. die Prozessführung, die Betreibung eines Vollsreckbarerklärungsverfahrens oder die Eintreibung von Forderungen im Aufenthaltsland des Verbrauchers. 293 BGH, NJW 2003, 3486, 3486; OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.02.2007 – 17 U 39/06; Staudinger in Ferrari, Int. VertrR, Art. 29 EGBGB Rn. 18; Mankowski, Anwbl. 2001, 249, 252; ders., in Reithmann/Martiny, Rn. 1422; Schu, Int. J.L. & Inform. Technology 5 292
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braucher billigerweise jedenfalls dann nicht erwarten kann, dass das Recht an seinem gewöhnlichen Aufenthalt zur Anwendung gelangt, wenn er sich bewusst ins Ausland begibt und dort eine Dienstleistung empfängt.294 Diese Argumentation wird durch die vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Musterfälle des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I, namentlich dem Beherbergungsvertrag mit einem ausländischen Hotel und Unterrichtsverträgen (z.B. Sprach-, Ski- oder Segelkurse), sofern deren Erfüllung im Ausland erfolgt, gestützt.295 Das gemeinsame Charakteristikum dieser Musterfälle liegt darin, dass die Dienstleistung im persönlichen Kontakt mit dem Verbraucher erbracht wird und der Verbraucher hierzu aktiv seinen Aufenthaltsstaat verlässt.296 Im Rahmen der Telemedizin wird dieses Charakteristikum argumentativ dadurch aufgegriffen, dass Teile der Literatur feststellen, dass der Patient zu keinem Zeitpunkt seinen Aufenthaltsstaat verlässt, vielmehr dort verbleibt und auch dort behandelt wird, so dass Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I nicht einschlägig sein könne, da es sich bei dem Patienten nicht um einen aktiven Verbraucher handele.297 Diese Argumentation ist jedoch in zweierlei Hinsicht zu hinterfragen: Zum einen ließe sich argumentieren, dass sich der Verbraucher durch die Nutzung von Telekommunikationseinrichtungen virtuell ins Ausland bewegt zum anderen erscheint es möglich, dass Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I auch Fallkonstellationen erfasst, in denen der Verbraucher in seinem Aufenthaltsstaat verbleibt, die Dienstleistung also nicht in persönlichem Kontakt mit dem Verbraucher im Ausland erfolgt. (1) Virtuelle Reise des Patienten Die Ausnahme des Art. 6 Abs. 4 lit. a. Rom I könnte bei Telemedizinverträgen zur Anwendung gelangen, wenn man annehmen würde, dass der Patient durch seine Entscheidung für eine grenzüberschreitende telemedizinische Behandlung aktiv virtuell ins Ausland reist und ausschließlich dort die telemedizinische Leistung empfängt. 298 Dafür spricht, dass der Patient meist weiß, dass er international tätig wird und selbst den Kontakt zum gewählten Telemedizinanbieter herstellt oder über den Primärarzt herstellen lässt. Sein Vertrauen auf die Anwen-
(1997), 192, 218; Geisler, Engste Verbindung, S. 223; Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 19. 294 Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 17. 295 Vgl. zum EVÜ Giuliano/Lagarde, BT-Drucks. 10/503, S. 57. 296 Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203, 255. 297 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 121; Link, Telemedizin, S. 273. 298 Derartige Überlegungen finden sich insbesondere in den USA; vgl. statt vieler Darer, 3 Va. J.L. & Tech. 4, 22 m.w.N.
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dung des eigenen Rechts ist folglich gemindert. Dennoch ist eine solche Überlegung aus mehreren Gesichtspunkten abzulehnen. Zum einen verbleibt der Verbraucher physisch eindeutig am Behandlungsort, dient die telemedizinische Anwendung doch gerade dazu, eine Verlegung des Patienten zu vermeiden. Die Annahme einer virtuellen Reise würde folglich auf einer bloßen Fiktion beruhen, die gleichfalls in die andere Richtung gedreht werden könnte. Ebenso ließe sich fragen, ob es nicht der Telemediziner ist, der sich via Telemedizinanwendung virtuell ins Ausland begibt. Auch rechtspolitische Erwägungen sprechen gegen die Annahme, dass sich der Verbraucher durch die Nutzung moderner Telekommunikationseinrichtungen virtuell ins Ausland begeben hat, da ein wichtiger Bereich des Wirtschaftslebens alleine aufgrund neuer, technischer Möglichkeiten vom Verbraucherschutz ausgrenzt würde. Aus alledem ergibt sich, dass der Verbraucherpatient nicht virtuell ins Ausland reist, indem er moderne Telekommunikationseinrichtungen nutzt. (2) Anwendung des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I in Fällen, in denen der Patient im Verbraucherstaat verweilt Das Charakteristikum der Normalfälle (z.B. Beherbergungsvertrag, Unterrichtsvertrag etc.) des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I ist, dass die Dienstleistungserbringung in persönlichem Kontakt mit dem Verbraucher erfolgt und sich dieser aus seinem Verbraucherstaat herausbewegt hat.299 Wie soeben festgestellt, bewegt sich der Patient bei einer grenzüberschreitenden Telemedizin-Behandlung jedoch nicht aus seinem Heimatstaat heraus, so dass sich die Frage stellt, ob für den Ausschluss nach Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I dennoch ein Anwendungsraum verbleibt. Dies wäre nicht der Fall, wenn Art. 6 Abs. lit. a Rom I zwingend verlangen würde, dass die Dienstleistung in persönlichem Kontakt, also unter physischer Präsenz, mit dem Verbraucher im Ausland erfolgt. Einem derartigen Verständnis steht jedoch bereits der Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I entgegen, nach dem lediglich die Dienstleistung ausschließlich im Ausland erfolgen muss. Hinsichtlich des Aufenthaltsortes des Verbrauchers während der Dienstleistungserbringung schweigt die Vorschrift hingegen. Dem Wortlaut zufolge spielt es also keine Rolle, ob die Leistung in persönlichem Kontakt mit dem Verbraucher im Ausland erfolgt oder nicht. Dies erscheint auch sachgerecht, da nur durch ein derartiges Verständnis zu erklären ist, warum beispielsweise Rechtsanwaltsverträge über eine Prozessvertretung, die nach dem Parteiwillen ausschließ-
299
Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203, 255.
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lich im Ausland erfolgen soll, der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I unterfallen.300 Ein anderes Verständnis würde darüber hinaus auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechen. Durch die Regelung soll erreicht werden, dass ein Verbraucher, der sich wissentlich auf einen fremden Markt begeben hat, keinen weitergehenden Schutz erlangt, als er den anderen Verbrauchern dieses fremden Marktes zusteht.301 Dies muss auch gelten, wenn der Verbraucher nicht physisch ins Ausland gereist ist und in der Folge die Dienstleitung nicht in persönlichem Kontakt „vor Ort“ empfängt. Anderenfalls würde er in diesen Fällen gegenüber den inländischen Verbrauchern kollisionsrechtlich privilegiert. Allein aus dem physischen Verbleib des Verbrauchers in seinem Heimatstaat kann demnach nicht geschlossen werden, dass die Dienstleitung nicht ausschließlich im Ausland erbracht wurde. bb) Schlussfolgerung für den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I im Rahmen von Telemedizinverträgen Wendet man diese Erkenntnisse auf die Fälle grenzüberschreitender telemedizinischer Anwendungen an, kann allein aus dem Verbleib des Patienten in seinem Verbraucherstaat nicht geschlossen werden, dass die Dienstleistung des Telemediziners nicht ausschließlich im Ausland erfolgt ist. 302 Vielmehr stellt sich die Frage, wann eine hinreichend relevante Berührung zum Aufenthaltsstaat des Patienten vorliegt. Eine solche könnte in der Übermittlung der Ergebnisse beziehungsweise einer Behandlungsempfehlung vom Telemediziner an den Primärarzt oder den Patienten gesehen werden. Die Übermittlung an den Patienten oder dessen Primärarzt ist wesentlicher Bestandteil der mit dem Telemediziner vertraglich vereinbarten Dienstleistung. In der Folge weist der, aus Sicht des Patienten im Ausland liegende, tatsächliche Erbringungsort der telemedizinischen Leistung bestimmungsgemäß eine Berührung mit dem Aufenthaltsstaat des Verbrauchers auf, so dass die Dienstleistung nicht ausschließlich im Sinne des Art 6 Abs. 4 lit. a Rom I im Ausland erfolgt.303
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Siehe dazu Mankowski, Anwbl. 2001, 249, 252; ders., in Reithmann/Martiny, Rn. 2098; Sieg, Int. Anwaltshaftung, S. 197; Eisenberg, IPR der Anwaltshaftung, S. 53. 301 Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 17 m.w.N.; Solomon, Verbraucherverträge in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 103; Riesenhuber, Europ. Vertragsrecht, Rn. 170. 302 So aber Link, Telemedizin, S. 273; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 121. 303 Vgl. Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 19, der auf den tatsächlichen Erbringungsort der Leistung abstellt.
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Für ein aus dieser Sichtweise resultierendes restriktives Verständnis des Merkmals „ausschließlich“ spricht auch, dass nur so der nach Erwägungsgrund Nr. 24 zu Rom I gewünschte Gleichlauf zwischen materiellem Recht und internationaler Zuständigkeit bestmöglich erreicht werden kann, da Art. 15 EuGVO keine dem Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I vergleichbare Ausschlussklausel enthält. Vielmehr kann der Verbraucher nach Art. 16 Abs. 1, Abs. 2 EuGVO in den in Art. 15 EuGVO genannten Situationen stets an seinem Wohnsitz klagen und verklagt werden. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass bereits die Übermittlung der Diagnose oder des Behandlungsplans in den Verbraucherstaat ausreicht, um eine Anwendung des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I zu verneinen. Alle Typen grenzüberschreitender Telemedizinverträge fallen daher in den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I, sofern der Patient oder sein Primärarzt die telemedizinische Leistung tatsächlich in dem Staat, in dem der Patient seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, empfängt.304
304 So im Ergebnis auch Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 229, 213; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 121; Link, Telemedizin, S. 273. Zu weit geht Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 203– 227 wenn sie traditionelle Behandlungsverträge im Wege einer teleologischen Reduktion von der Ausnahmeklausel des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I ausnehmen möchte. Auf diesem Weg würde etwa ein deutscher Patient, der sich aufgrund einer Werbung eines englischen Schönheitschirurgien nach England begibt um sich dort operieren zu lassen gegenüber den englischen Patienten des englischen Schönheitschirurgien kollisionsrechtlich privilegiert. Er würde die Rechtsordnung seines gewöhnlichen Aufenthalts quasi im Rucksack mit nach England nehmen. Für diese Privilegierung besteht weder ein Grund noch eine Rechtfertigung. Aufgrund der nur untergeordneten Bedeutung für die hier relevanten grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen wird hierauf jedoch nicht näher eingegangen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Argumentation von Schwenzfeier letztlich darauf hinauslaufen würde, dass für Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I keinerlei Anwendungsbereich mehr verbliebe. Dies steht in offenem Widerspruch zur Existenz dieser Ausweichklausel. Wenig überzeugend sind insbesondere die Ausführungen von Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 225 f. zum Herkunftslandprinzip des sekundären Gemeinschaftsrechts sowie der Wertungsübertrag auf das EU-Kollisionsrecht. Richtig ist zwar, dass gegen die Statuierung des Herkunftslandprinzips im Rahmen von Gesundheitsdienstleistungen spricht, dass man dem Patienten grundsätzlich nicht aufbürden sollte sich in medizinischen Belangen mit fremden Rechtsordnungen insbesondere mit fremden Sorgfaltsanforderungen auseinanderzusetzen. Dies kann jedoch nur solange gelten, solange sich der Patient nicht aus freien Stücken aufgrund einer privatautonomen Entscheidung für eine Gesundheitsdienstleistung in einem anderen Staat entscheidet. Überschreitet der Patient die Grenzen seines Aufenthaltsstaats um im Ausland eine Dienstleistung zu empfangen, so darf er im Grundsatz nicht mehr auf die Anwendung der Rechtsordnung seines gewöhnlichen Aufenthalts vertrauen. Gerade hierin liegt die Rechtfertigung des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I. Warum dies bei medizinischen Dienstleistung anders sein soll, ist nicht ersichtlich. Der Grenz-
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c) Situativer Anwendungsbereich von Art. 6 Rom I Der Anwendungsbereich des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes nach Art. 6 Rom I ist nicht nur in persönlicher und sachlicher, sondern auch in situativer Hinsicht begrenzt, da eine kollisionsrechtliche Überprivilegierung des Verbrauchers vermieden werden soll. Ein Verbraucher, der im Ausland Waren einkauft oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, kann grundsätzlich nicht erwarten, dass ihn sein Heimatrecht auch dort schützt.305 Nur bei einer bestimmten räumlichen Verknüpfung sind Verbraucherverträge hinreichend eng mit dem Aufenthaltsstaat des Verbrauchers verbunden und rechtfertigen deshalb einen besonderen kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz.306 Eine solche hinreichende Verbindung soll nach dem Willen des Gesetzgebers in zwei Fällen bestehen. Nach Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I dann, wenn der Unternehmer „seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat“ und gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I in Fällen, in denen der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche „Tätigkeit auf irgend eine Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet“. Damit wird der situative Anwendungsbereich des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes demjenigen des europäischen Zivilverfahrensrechts nach Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO angeglichen307, um den erstrebten Gleichlauf von anwendbarem Recht und internationalem Zivilverfahrensrecht (IZVR) zu erreichen.308 Aus diesem Grund ist es nach Rom I nunmehr309 auch irrelevant, ob der Verbraucher die Abschlusshandlung in seinem Heimatstaat vorgenommen hat oder nicht. Alleinentscheidend ist vielmehr, dass es infolge einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Unternehmers zu einem Vertragsschluss zwischen diesem und dem Verbraucher kam.310 Erforderlich ist – anders als noch nach altem Recht – ein kausaler Zusammenhang zwischen der „Ausübung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I beziehungsweise der „Ausrichtung“ nach Art. 6 Abs. 1
übertritt und der Empfang der medizinischen Dienstleistung im Ausland entfaltet doch dieselbe Warnwirkung für den Patienten wie in den übrigen Fällen auch. 305 Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 29. 306 Solomon in Juristische Studiengesellschaft 2007/2008, S. 92. 307 Solomon in Juristische Studiengesellschaft 2007/2008, S. 92. 308 Siehe Erwägungsgrund 24 zu Rom I. 309 Eine solche Einschränkung war bislang in Art. 5 Abs. 2 EVÜ enthalten. 310 Erwägungsgrund 25 zu Rom I verlangt ausdrücklich, dass der Vertragsschluss mit dem Verbraucher auf die Tätigkeit des Unternehmers zurückzuführen ist („the contract is concluded as a result of such activities“); vgl. auch Solomon, Verbraucherverträge in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 102.
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lit. b Rom I und dem konkreten Verbrauchervertrag.311 Nicht ausreichend ist es deshalb, wenn eine Ausrichtung zwar besteht, der Patient jedoch ohne Kenntnis von dieser mit dem Telemediziner kontrahiert, da es dann an der Kausalität zwischen Ausrichtung und Vertragsschluss fehlt.312 Vielmehr ist erforderlich, dass der Patient in seinem Heimatstaat zum Vertragsschluss zumindest motiviert worden ist, auch wenn der eigentliche Vertragsschluss dann nicht in dem Wohnsitzstaat erfolgte.313 Von einer „Ausrichtung“ kann in Ermangelung des Kausalitätszusammenhangs auch dann nicht ausgegangen werden, wenn der Telemediziner erst aufgrund des Vertrags zum Zweck der Vertragserfüllung verpflichtet ist, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Patientenstaat zu entfalten.314 Vielmehr ist notwendig, dass die „Ausübung“ beziehungsweise die „Ausrichtung“ schon vor Vertragsschluss stattgefunden hat.315 Dies vorangestellt wird im Folgenden untersucht, unter welchen Voraussetzungen der Telemediziner aufgrund einer „Ausübung“ seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit im Verbraucherstaat oder einer „Ausrichtung“ einer solchen Tätigkeit auf den Verbraucherstaat trotz Rechtswahl mit dem Patienten zumindest die zwingenden Bestimmungen des Heimatstaates des Patienten beachten muss.316 aa) „Ausübung“ der beruflich-gewerblichen Telemedizintätigkeit im Verbraucherstaat Der Begriff der „Ausübung“ findet sich nicht nur in Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I, sondern auch in Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO. In keiner dieser Verordnungen wurde er jedoch durch den Gesetzgeber legaldefiniert. Die Aus-
311
Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 37; Mankowski, IHR 2008, 133, 142; Remien in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 6 Rom I Rn. 6; BGH, EuZW 2009, 26, 26 (für Art. 15 EuGVO). 312 Vgl. Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 627; Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 37; Mankowski, IHR 2008, 133, 142; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, Art. 15 EuGVO Rn. 8; Leible, EuZW 2009, 26, 28. 313 BGH, Beschl. v. 17.09.2008 – III ZR 71/08 = EuZW 2009, 26 ff.; OLG Karlsruhe, NJW 2008, 85, 86; Leible, EuZW 2009, 26, 28; Klinger, jurisPR-ITR 3/2009 Anm. 5 unter C; Mankowski, IHR 2008, 133, 142. 314 Vgl. BGH, NJW 2006, 1672, 1672; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, Art. 15 EuGVO Rn. 8. 315 Vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, Art. 15 EuGVO Rn. 8; Rauscher, IPR, Rn. 1892. 316 Freilich wird hiermit zugleich auch untersucht, unter welchen Voraussetzungen sich der Telemediziner auf die Anwendbarkeit des Sachrechts des Heimatstaates des Patienten einlassen muss, wenn er mit diesem keine Rechtswahl trifft, vgl. Art. 6 Abs. 1 Rom I. Hierauf wird später noch näher einzugehen sein, vgl. unten Kapitel 4, § 3, B, IV.
§ 3 Vertragsstatut
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legung des Begriffs durch Rechtsprechung und Literatur erfolgte bislang hauptsächlich im Rahmen des Art. 15 lit. c EuGVO. Dabei ging es insbesondere um die Abgrenzung zum Begriff der „Ausrichtung“, welcher ebenfalls in Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO verwendet wird. Die hierzu entwickelten Kriterien sind – soweit möglich – auch im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I beizubehalten, um den erstrebten Gleichlauf317 zwischen anwendbarem materiellen Recht und zuständigem Gericht nicht zu gefährden. Auch der gleiche Wortlaut und der systematische Zusammenhang zwischen Art. 6 Rom I und Art. 15 EuGVO sprechen für eine einheitliche Auslegung. Für eine „Ausübung“ der beruflichen und gewerblichen Tätigkeit im Verbraucherstaat ist erforderlich, dass der Unternehmer im Verbraucherstaat aktiv am Wirtschaftsleben teilnimmt.318 Nicht erforderlich ist hingegen, dass er dort eine (Zweig-)Niederlassung unterhält.319 Als Beispiele für ein aktives Tätigwerden des Unternehmers im Verbraucherstaat werden insbesondere die Dienstleistungserbringung vor Ort oder eine Warenpräsentation auf Messen im Verbraucherstaat genannt.320 Wie die bisherige Untersuchung im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I gezeigt hat, werden telemedizinische Behandlungen nicht „ausschließlich“ im Ausland erbracht.321 Im Umkehrschluss hierzu wird die Tätigkeit auch im Verbraucherstaat „ausgeübt“. Es ließe sich daher argumentieren, dass die telemedizinische Behandlung stets in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I fällt. Dies würde im Ergebnis jedoch bedeuten, dass entweder kein kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz bestünde, da der Ausschluss des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I eingreift oder dass jedenfalls das ius cogens des Verbraucherstaates durch Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I zur Anwendung berufen wäre. Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I und Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I stünden folglich zueinander in einem Verhältnis echter Alternativität. Dies vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr ist der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I anhand des Schutzzwecks der Norm unter Berücksichtigung der Wortlautgrenze zu ermitteln.
317
Siehe nur Erwägungsgrund Nr. 7 zu Rom I. Leible, IPrax 2006, 365, 369; Staudinger in Rauscher, EuZPR I, Art. 15 Brüssel IVO Rn. 12; Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 30. 319 Staudinger in Rauscher, EuZPR I, Art. 15 Brüssel I-VO Rn. 12; Leible, IPrax 2006, 365, 369. 320 Leible, IPrax 2006, 365, 369; Schrammen, Int. Gerichtszuständigkeit, S. 75; Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 30. 321 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, b). 318
220
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I möchte den Patienten als Verbraucher und damit potentiell schwächere Vertragspartei schützen.322 Infolge neuer Vermarktungstechniken kann der Patient unter Umständen nicht erkennen, dass auf die berufliche oder gewerbliche Vertragsleistung des Telemediziners fremdes Recht zur Anwendung gelangt, da er unter Umständen weder positiv weiß noch wissen kann, dass er es mit einem ausländischen Unternehmer zu tun hat. Dennoch darf der Patient nicht überprivilegiert werden, so dass eine Ausübung in dem Verbraucherstaat nicht schon dann angenommen werden darf, wenn der Telemediziner erst aufgrund des mit dem Patienten geschlossenen Vertrages eine Tätigkeit im Verbraucherstaat entfaltet.323 Vielmehr ist notwendig, dass der Telemediziner bereits vor dem Vertragsschluss mit dem Patient oder unabhängig von diesem eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzstaat ausgeübt hat.324 Andernfalls würde sinnwidrigerweise auf jeden Telemedizinvertrag stets das Heimatrecht des Patienten Anwendung finden und der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz würde überstrapaziert. Ein solches Verständnis wird auch durch den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I gestützt. Nach diesem ist erforderlich, dass der Unternehmer die „berufliche und gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und dass der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt“. Es ist also zu fordern, dass die Tätigkeit des Unternehmers bereits vor dem Vertragsschluss im Verbraucherstaat ausgeübt wurde, da andernfalls der Vertrag nicht in den Bereich dieser Tätigkeit fallen könnte.325 In Abgrenzung zu dem Begriff der „Ausrichtung“ in Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I ist unter dem Begriff der Ausübung die aktive Teilnahme des Unternehmens am Wirtschaftsleben im Verbraucherstaat zu verstehen.326 Für die Annahme einer Ausübung der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit durch den Telemediziner im Sinne Verbraucherstaat wäre erforderlich, dass er seine Dienstleistung vor Ort im Verbraucherstaat erbringt.327 Folglich gilt es die Frage, ob der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I bereits eröffnet ist, wenn der Telemediziner schon vor Vertragsschluss einen anderen Patienten im Verbraucherstaat telemedizinisch
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Siehe dazu KOM (1999) 348 endg., S. 17. Vgl. BGHZ 167, 83, 88 f.; Wendt, jurisPR-BGHZivilR 19/2006 Anm. 4 unter C. 324 Vgl. Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 113; Wendt, jurisPR-BGHZivilR 19/2006 Anm. 4 unter C. 325 Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 37; Mankowski, IHR 2008, 133, 142; ebenso für Art. 15 EuGVO BGH, EuZW 2009, 26, 26. 326 Leible, IPrax 2006, 365, 369; Staudinger in Rauscher, EuZPR I, Art. 15 Brüssel IVO Rn. 12; Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 30. 327 Vgl. Leible, IPRax 2006, 365, 369; Schrammen, Int. Gerichtszuständigkeit, S. 75; Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 30. 323
§ 3 Vertragsstatut
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behandelt hat, zu verneinen, da diese Behandlung regelmäßig nicht kausal für den Abschluss des Telemedizinvertrags gewesen sein wird. Ferner wird in der telemedizinischen Behandlung wohl so oder so keine Ausübung der gewerblichen Tätigkeit im Verbraucherstaat gesehen werden können, da die Behandlung durch den Telemediziner, rein physisch betrachtet, nicht im Verbraucherstaat erfolgt.328 Diese Betrachtungsweise ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I. Übt der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit unter physischer Präsenz im Verbraucherstaat aus, ist für den Verbraucher häufig nicht erkennbar, dass er mit einem Ausländer kontrahiert. Aus diesem Grund wird ihm in diesen Fällen der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz zugestanden. In den Fällen, in denen der Unternehmer jedoch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Verbraucherstaat nicht unter physischer Präsenz, sondern aus dem Ausland ausübt, fehlt es an diesem Erkennbarkeitsdefizit auf Seiten des Verbrauchers. In derartigen Fällen kann der Verbraucher erkennen, dass er es mit einem ausländischen Unternehmer zu tun hat. Zumindest wird er hierdurch gewarnt, sodass eine kollisionsrechtliche Privilegierung des Verbrauchers nicht mehr gerechtfertigt wäre. bb) „Ausrichtung“ der Telemedizintätigkeit auf den Verbraucherstaat Eine weitere Möglichkeit zur Eröffnung des situativen Anwendungsbereichs des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes stellt die „Ausrichtung“ nach Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I dar. Im Rahmen der Telemedizin ist es beispielsweise denkbar, dass der Telemediziner seine Dienstleistungen, etwa die Überprüfung von bereits gestellten Diagnosen oder die Erteilung einer second-opinion, auf aktiven oder passiven Webseiten329 anbietet oder dass er für seine Dienste in Printmedien oder ähnlichem wirbt. Neben diesen aus anderen Wirtschaftsbereichen bekannten Ausrichtungsmöglichkeiten könnte eine „Ausrichtung“ des Telemediziners auf den Verbraucherstaat des Patienten auch dadurch erfolgen, dass sich der Telemediziner in diesem Staat als Arzt zulässt oder eine vorübergehende Erlaubnis zur Berufsausübung nach § 10 BÄO einholt. Ob in diesen Vorgehensweisen eine Ausrichtung zu sehen ist, hängt maßgeblich davon ab, welche Anforderungen an das Kriterium der „Ausrichtung“ zu stellen sind.
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Siehe dazu etwa Simotta in Fasching/Konecny, EuGVO, Art. 15 EuGVO Rn. 54. Von einer aktiven Webseite ist auszugehen, wenn sie einen unmittelbaren Vertragsschluss mit dem Telemediziner zulässt. Passive Webseiten liegen hingegen vor, wenn sie lediglich informatorischen Charakter ohne direkte Kontrahierungsmöglichkeit aufweisen; vgl. hierzu BGH, IPRax 2009, 258, 258 f.; Leible, EuZW 2009, 26, 27. 329
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Der Begriff des „Ausrichtens“ findet sich nicht nur in Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I sondern ebenfalls in Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO. Er wird jedoch in keiner der Verordnungen durch den Gesetzgeber näher konkretisiert. Sinn der Übernahme dieses Kriteriums in Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I ist die Sicherstellung eines Gleichlaufs von IPR und IZPR, weshalb im Rahmen der Auslegung des Begriffs der Ausrichtung in Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I auf das Vorbild des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO zurückgegriffen werden kann.330 Der Gesetzgeber entschied sich für das Kriterium der Ausrichtung insbesondere mit Blick auf das Internet und den elektronischen Geschäftsverkehr.331 Was der Gesetzgeber mit der „Ausrichtung“ gemeint hat und wann von einer solchen auszugehen ist, wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur jedoch überaus kontrovers diskutiert. Sicher ist nur, dass der Begriff des Ausrichtens auch die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ noch ausdrücklich erwähnte konventionelle Werbung im Verbraucherstaat, wie beispielsweise durch Presseerzeugnisse, Radio, Fernsehen oder persönliche Angebote durch Vertreter erfasst, da man den situativen Anwendungsbereich nicht beschränken sondern ausdehnen wollte.332 (1) Auffassung der Kommission und Entstehungsgeschichte des Kriteriums „Ausrichten“ Das Verständnis der Kommission hinsichtlich der Auslegung des Merkmals der Ausrichtung ist nur vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte begreiflich, so dass diese kurz skizziert wird. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ waren zwei Voraussetzungen notwendig, um den Verbrauchergerichtstand auszulösen. Zunächst bedurfte es eines ausdrücklichen Angebots oder einer Werbung des Unternehmers im Verbraucherstaat bevor es zum Abschluss des Verbrauchervertrags kam. Weiter war erforderlich, dass der Verbraucher die zum Vertragsschluss notwendige Handlung im Verbraucherstaat vorgenommen hatte. Eine Werbung lag beispielsweise vor, wenn ein Inlandsvertreter im Namen des Unternehmers mit dem Ver-
330
Solomon in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 105; Rauscher, IPR, Rn. 1145a. 331 Kleinknecht, Verbraucherschützende Gerichtsstände, S. 105; Von Hein, IPrax 2006, 16, 18; KOM (1999) 348 endg., S. 17 f. 332 Staudinger in Rauscher, EuZPR I, Art. 15 Brüssel I-VO Rn. 13; OGH (Österreich), Urt. v. 28.02.2003 – Gz 7 Nc 4/03b; Kleinknecht, Verbraucherschützende Gerichtsstände, S. 105; Von Hein, IPrax 2006, 16, 29; Heß, IPrax 2000, 370, 372; Junker, RIW 2002, 569, 574; Micklitz/Roth, EuZW 2001, 325, 331; Øren, ICLQ 2003, 665, 678; Auer in Geimer/Schütze, IRV, 540 Rn. 48; Wernicke/Hoppe, MMR 2002, 643, 645; Junker, RIW 2002, 569, 574; Mankowski, IHR 2008, 133, 142; Teuber, Int. Zuständigkeit, S. 106 f.
§ 3 Vertragsstatut
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braucher kontrahierte. In derartigen Fällen fiel es leicht, den Vertragsschluss im Verbraucherstaat festzustellen. Bedenken seitens der Kommission bestanden jedoch dahingehend, ob diese Regelung ausreichte, um den Erfordernissen der ECRL gerecht zu werden. Die Kommission war der Auffassung, dass die Tatbestandsvoraussetzungen teilweise zu eng, andererseits aber auch zu weit seien.333 Darüber hinaus bezweifelte die Kommission, ob der Ort der Willenserklärung des Verbrauchers immer derart einfach feststellbar ist, wenn der Vertragsschluss mittels Telekommunikationseinrichtungen erfolgt.334 Aus diesen Gründen schlug die Kommission letztlich eine Reform des Art. 13 EuGVÜ vor. Dieser Vorschlag findet sich heute in unveränderter Form in Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass der Vorschlag der Kommission unumstritten war. Vielmehr wurden insbesondere Risiken für kleine Anbieter befürchtet. Vor allem der Wirtschafts- und Sozialausschuss sprach sich deshalb dafür aus, die alte Regelung des Art. 13 EuGVÜ beizubehalten.335 Auch im Rechtsausschuss stieß die unpräzise Formulierung des „Ausrichtens“ von Anfang an auf Widerstand.336 In Folge dieser Kritik schlug das Parlament die Einführung einer Legaldefinition vor, die wie folgt lauten sollte: „Das Ausrichten einer solchen Tätigkeit ist so zu verstehen, dass der Händler seine Tätigkeit gezielt und in erheblichem Maße auf diesen anderen Mitgliedstaat oder auf mehrere Länder einschließlich dieses Staates ausgerichtet hat. Bei der Feststellung, ob ein Händler seine Tätigkeit auf eine solche Weise ausgerichtet hat, berücksichtigen die Gerichte sämtliche Umstände des Falles, einschließlich eventueller Versuche des Händlers, sein Geschäftsgebaren gegen Rechtsgeschäfte mit Verbrauchern mit Wohnsitz in einem bestimmten Mitgliedstaat abzuschotten“.337 Dieser Vorschlag wurde offenkundig nicht in die EuGVO übernommen. Stattdessen versuchte die Kommission die Bedenken des Parlaments dadurch zu zerstreuen, dass das „Bestehen eines solchen Vertrags bereits ein deutlicher Hinweis darauf sei, dass der Händler seine Geschäftstätigkeit auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtet habe“.338 Worin dann aber noch der Sinn des Merkmals des Ausrichtens bestehen soll,
333
KOM (1999) 348 endg., S. 17 f. KOM (1999) 348 endg., S. 18. 335 ABl. EG Nr. C 117 v. 26.04.2000, S. 6 ff. 336 Bericht an den Ausschuss für Recht und Binnenmarkt v. 18.09.2000, A5– 0253/2000, S. 32. 337 ABl. EG Nr. C 146 v. 17.05.2001, S. 98. 338 KOM (2000) 689 endg., S. 6. 334
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
bleibt offen, da bei einem derartigen Verständnis das Bestehen eines Verbrauchervertrages eine Ausrichtung des Unternehmers implizieren würde. Schließlich gab die Kommission gemeinsam mit dem Rat eine Erklärung ab, welche eine interpretatorische Klarstellung des Merkmals der Ausrichtung bewirken sollte.339 Darin wird betont, dass eine Ausrichtung der Tätigkeit auf den Verbraucherstaat allein nicht ausreiche. Vielmehr sei erforderlich, dass im Rahmen dieser Tätigkeit auch ein Vertrag geschlossen werde.340 Die bloße Zugänglichkeit einer Website reiche hierfür nicht aus; vielmehr müsse diese Website auch den Vertragsschluss im Fernabsatz ermöglichen und der Vertragsschluss müsse auch tatsächlich im Fernabsatz erfolgt sein. Mit welchem Mittel dies geschehe, sei aber unerheblich. Auch der auf der Website verwendeten Sprache oder der Zahlungswährung käme keine Bedeutung zu. (2) Weite Auffassung des Ausrichtungsbegriffs Nach einem anderem, in der rechtswissenschaftlichen Diskussion, vertretenen Verständnis ist das Merkmal der Ausrichtung wesentlich weiter zu verstehen.341 Danach genügt bereits die schlichte Abrufbarkeit einer kommerziellen Website im Verbraucherstaat für eine Ausrichtung.342 Teilweise wird innerhalb dieser Auffassung aber angenommen, dass der Unternehmer durch sogenannte disclaimers eine Ausrichtung auf gewisse Staaten verhindern könne.343 Komme trotz dieses Ausschlusses ein Verbrauchervertrag zustande, habe der Unternehmer zu beweisen, dass dieser Vertrag als unplanmäßige Ausnahmeerscheinung anzusehen sei.344 (3) Enge Auffassung des Ausrichtungsbegriffs Andere Autoren bevorzugen ein enges Verständnis des Ausrichtungsbegriffs.345 Erforderlich sei, dass der Unternehmer zielgerichtet auf den Ver339 Erklärung des Kommission und des Rates zu den Artikeln 15 und 73 EuGVO v. Dezember 2000, IPRax 2001, 259, 261. 340 Vgl. insoweit auch den Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO und Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I. 341 Siehe zur „weiten“ Auffassung Reich/Gambogi Carvalho, VuR 2001, 269, 271 f.; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 331; Junker, RIW 2002, 569, 574; Mankowski in Internet und Recht, 191, 199. 342 Mankowski in Internet und Recht, 191, 199. 343 Reich/Gambogi Carvalho, VuR 2001, 269, 273; a.A. Mankowski in Internet und Recht, 191, 215. 344 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 331. 345 Koch/Maurer, WM 2002, 2443, 2453; Staudinger in Rauscher, EuZPR I, Art. 15 Brüssel I-VO Rn. 13; Von Hein, IPRax 2006, 16, 19; Gottwald in MüKo ZPO III, Art. 15 EuGVO Rn. 5; Geimer in Zöller, ZPO, Art. 17 EuGVO Rn. 21; Heß, IPRax 2000, 370,
§ 3 Vertragsstatut
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braucherstaat eingewirkt habe.346 Zwar sei – fälschlicherweise347 – keine Kausalität der Werbung für den Vertragsschluss des Verbrauchers erforderlich348; eine ganz individuelle, auf Einzelpersonen zugeschnittene Briefwerbung genüge dennoch nicht, da diese nicht im Verbraucherstaat, sondern nur bei einer einzelnen Person wirke.349 Kriterien zur Bestimmung der Zielrichtung einer Ausrichtung seien beispielsweise die Sprache und die Gestaltung des Angebots. Möchte der Unternehmer seine konventionelle Werbung auf ein bestimmtes Gebiet begrenzen, so müsse er den Werbeträger mit entsprechenden Hinweisen in der jeweiligen Landessprache des beworbenen Staates oder in Englisch versehen.350 Die enge Auffassung folgt somit im Wesentlichen dem Vorschlag des europäischen Parlaments. (4) Rechtsvergleichender Blick in das US-Zuständigkeitsrecht Mit Einführung des Merkmals des „Ausrichtens“ in Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I beziehungsweise Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO lehnte sich der EUGesetzgeber an das Zuständigkeitskriterium des „purposeful availment“ des US-amerikanischen Prozessrechts an.351 Um die Funktion dieses Zuständigkeitskriteriums verstehen zu können, ist es notwendig sich der Grundzüge des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts bewusst zu sein.
α) Due process-Klausel des 5. bzw. 14. Verfassungszusatzes Die internationale Zuständigkeit wird durch die US-Gerichte nach den selben Grundsätzen wie die zwischenstaatliche Zuständigkeit im Verhältnis
372; Wernicke/Hoppe, MMR 2002, 643, 646; Spindler, MMR 2000, 18, 24; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 236b; Droz/Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dr. int. priv., 2001, 601, 639; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 627. 346 Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 33; Koch/Maurer, WM 2002, 2443, 2453; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 15 EuGVO Rn. 23; Kleinknecht, Verbraucherschützende Gerichtsstände, S. 111. 347 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, c). 348 Geimer in Zöller, ZPO, Art. 17 EuGVO Rn. 21; Auer in Geimer/Schütze, IRV, 540 Rn. 51. 349 Auer in Geimer/Schütze, IRV, 540 Rn. 48; Schlosser, EuGVO, Art. 15 Rn. 8a. 350 Auer in Geimer/Schütze, IRV, 540 Rn. 48. 351 Gottwald in MüKo ZPO III, Art. 15 EuGVO Rn.3; Von Hein, IPrax 2006, 16, 18; Staudinger in Rauscher, EuZPR I, Art. 15 Brüssel I-VO Rn. 13; Buchner, EWS 2000, 147, 150; Herget, Internationale Zuständigkeit, S. 241; Freer, Law and Legal Research Paper No. 07–15, 1, 1.
226
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
der einzelnen Bundesstaaten zueinander bestimmt.352 Diese Grundsätze sind jedoch nicht in einer gemeinsamen Kodifikation niedergelegt. Zwar haben die meisten US-Bundesstaaten den Zuständigkeitsbereich ihrer Gerichte in sogenannten long-arm statutes normiert, überwiegend besitzen die darin enthaltenen Regelungen jedoch keinen eigenen Regelungsgehalt, sondern dehnen die Zuständigkeit der Gerichte bis an die verfassungsrechtliche Grenze des sogenannten due-process Gebots aus. Verständlich ist diese Vorgehensweise, weil der Supreme Court bereits im Jahr 1878 in der Entscheidung Pennoyer v. Neff353 festgestellt hat, dass die Inanspruchnahme gerichtlicher Zuständigkeit an der due-process Klausel der US-amerikanischen Verfassung zu messen ist. Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Komponente und der überwiegenden Ausgestaltung der bundesstaatlichen long-arm statutes als Generalklausel ist es für die Frage der Zuständigkeit entscheidend, ob die Annahme einer Gerichtspflichtigkeit des Beklagten in einem bestimmten Forum mit dem dueprocess Gebot vereinbar ist. Dieses gilt selbst in Fällen, in denen die Gerichtspflichtigkeit in einem long-arm statute ausnahmsweise detailliert geregelt ist, da nicht auszuschließen ist, dass die Zuständigkeit nach einem solchen long-arm statute über das verfassungsrechtlich zulässige Maß hinaus eröffnet wird. Es muss also stets geprüft werden, ob die Annahme einer Gerichtspflichtigkeit in einem bestimmten Forum mit dem due-process Gebot im Einklang steht.354
β) Einzelfallprüfung Über die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Annahme einer Gerichtspflichtigkeit mit dem due-process Gebot vereinbar ist, haben sich seit der Grundsatzentscheidung Pennoyer v. Neff355 die Ansichten, spätestens mit der Entscheidung International Shoe Co. v. Washington356, grundlegend geändert, da sich die Pennoyer-Rule unter den Verhältnisses des 20. Jahrhunderts als veraltet und zu eng erwies.357
352
Helicopteros Nactionales de Colombia, S.A. v. Hall, 466 U.S. 408, Supreme Court (1984); Asahi Metal Industry Co. v. Superior Court, 480 U.S. 102, Supreme Court (1947); Bettinger, GRUR Int. 1998, 660, 660. 353 95 U.S. 714, 733, Supreme Court (1878). 354 Bettinger, GRUR Int. 1998, 660, 661; Müller, Gerichtspflichtigkeit, S. 13; Borchers, NILR 2003, 401, 402. 355 95 U.S. 714, 733, Supreme Court (1878). 356 326 U.S. 310, Supreme Court (1945); Änderungstendenzen zeigten sich schon früher; vgl. bspw. Hess v. Pawloski, 274 U.S. 352, Supreme Court (1927). 357 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, § 3.10 S. 121.
§ 3 Vertragsstatut
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Während im Jahr 1878 die Gerichtspflichtigkeit einer Person noch streng von ihrer territorialen Anwesenheit abhängig gemacht wurde358, wendete sich der US-Supreme Court im Jahr 1945 in der Entscheidung International Shoe Co. v. Washington endgültig von diesem Ansatz ab und wählte einen neuen, flexibleren Ansatz. Nach dieser Entscheidung konnte nunmehr auch ein nicht im Forumstaat physisch präsenter Beklagte gerichtspflichtig sein, sofern das due-process Gebot gewahrt wird. Davon sei auszugehen, sofern der Beklagte gewisse „minimum contacts“ zum Forumstaat unterhält und die Durchführung des Verfahrens in diesem Forumstaat deshalb nicht im Widerspruch zu der traditionellen Vorstellung von Fairness und Gerechtigkeit steht.359 Wann die Annahme einer Gerichtspflichtigkeit noch als „fair“ und „reasonable“ anzusehen ist, ist im jeweils konkreten Einzelfall anhand der konkreten Tatsachen, die durch den Beklagten vorzubringen und zu beweisen sind360, festzustellen und kann deshalb nicht abstrakt festgelegt werden.361 Das US-amerikanische internationale Zuständigkeitsrecht folgt somit nicht einem abstrakten Regel-Ausnahme-Schema, wie man es von der EuGVO kennt, sondern trägt vielmehr dem Einzelfall stärker Rechnung. Dem so erreichten Vorteil der Einzelfallgerechtigkeit steht der Nachteil einer erheblichen Rechtsunsicherheit diametral entgegen, da es für die am Rechtsverkehr Beteiligten – nicht zuletzt aufgrund der Leerformeln „minimum contacts“, „fair play“ und „substantial justice“ – schwer vorhersehbar ist, an welchem Gerichtsstand sie gerichtspflichtig sind. Diesen Rechtsunsicherheiten versuchte der Supreme Court im Laufe der Zeit durch die Herausarbeitung gewisser Regeln entgegenzuwirken. Über die Jahre hat sich so ein zweiteiliger Test entwickelt, anhand dessen die Wahrung des due-process Gebots überprüft wird. Auf der ersten Stufe wird der „minimum contact“ anhand gewisser Kriterien überprüft, während auf zweiter Stufe kontrolliert wird, ob sich das
358
Vgl. dazu Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, § 3.10 und §§ 3.4–3.7. International Shoe Co. v. Washington 326 U.S. 310, Supreme Court (1945) „But now that the capias ad respondendum has given way to personal service of summons or other form of notice, due process requires only that in order to subject a defendant to a judgment in personam, if he be not present within the territory of the forum, he have certain minimum contacts with it such that the maintenance of the suit does not offend 'traditional notions of fair play and substantial justice“. 360 Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462, 485, Supreme Court (1985). 361 Kulko v. California Superior Court, 436 U.S. 84, 92, Supreme Court (1978) „Like any standard that requires a determination of 'reasonableness', the 'minimum contacts' test of International Shoe is not susceptible of mechanical application; rather the facts of each case must be weighed“; Böhm, Amerikanische Zivilprozessrecht, Rn. 244; Vgl. auch Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462, 485, Supreme Court (1985). 359
228
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Verfahren trotz der Annahme eines „minimum contact“ noch als „fair“ erweist.362
γ) „Purposeful availment“ als erster Prüfungsschritt Die erste Testfrage einer jeden US-Zuständigkeitsprüfung ist, ob der Beklagte im Forumstaat ziel- beziehungsweise zweckgerichtet gewisse Mindestkontakte begründet hat.363 Das leere Kriterium des „minimum contact“ wurde im Jahr 1958 durch den Supreme Court durch das Merkmal des „purposeful availment“ konkretisiert.364 Dabei ging er davon aus, dass das einfache „doing business“, das an anderer Stelle des US-amerikanischen Zuständigkeitsrechts zur Gerichtsstandsbegründung genügt, nicht ausreicht. Vielmehr sei erforderlich, dass der Beklagte absichtlich von dem Vorteil Gebrauch gemacht hat, in dem Forumstaat Geschäfte vorzunehmen.365 Allein die Erfüllung dieses Merkmals ist zur Bejahung eines „minimum contact“ aber nicht ausreichend. Vielmehr muss für den Beklagten vorhersehbar („foreseeability“) gewesen sein, dass er in dem Forumstaat gerichtspflichtig wird.366 Durch das Merkmal des „purposeful availment“ soll folglich sichergestellt werden, dass der „minimum contact“ des Beklagten zum Forumstaat nicht bloß versehentlich oder zufällig zustande kam, da andernfalls dem Verfassungsgebot des due-process nicht hinreichend Rechnung getragen würde.367 Ein „purposeful availment“ besteht beispielsweise zu dem Staat, in dem der Beklagte wissentlich seine Produkte vertrieben hat.368 Diese Regel gilt auch in Fällen, in denen es sich um einen Verbrauchervertrag handelt.369 Besonders im Bereich der Internetwerbung bereitet das Kriterium des „purposeful availment“ erhebliche Schwierigkeiten. Ausgangspunkt der
362
Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462, 476 f., Supreme Court (1985); Worldwide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S. 286, 291, Supreme Court (1980); Freer, Law and Legal Research Paper No. 07–15, 1, 1. 363 Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, § 3.10 S. 123. 364 Hanson v. Denckla, 357 U.S. 235 ff., Supreme Court (1958). 365 Hanson v. Denckla, 357 U.S. 235, 253, Supreme Court (1958) es ist notwendig „that there be some act by which the defendant purposefully avails itself of the privilege of conducting activities within the forum state“. 366 Shaffer v. Heitner, 433 U.S. 186, 197, Supreme Court (1977); Worldwide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S. 286, 297, Supreme Court (1980) ; Freer, Law and Legal Research Paper No. 07–15, 1, 3. 367 Freer, Law and Legal Research Paper No. 07–15, 1, 3. 368 Borches, NILR 2003, 401, 404. 369 Vgl. McGee v. International Life Insurance Co., 355 U.S. 220, Supreme Court (1957); Quill Corp. v. North Dakota, 504 U.S. 298, 312, Supreme Court (1992).
§ 3 Vertragsstatut
229
Überlegungen der US-amerikanischen Gerichte ist dabei die Unterscheidung zwischen aktiven und passiven Websites. Solange der Beklagte lediglich eine passive Website zum Abruf aus dem Forumstaat bereit hält, wird ein Gerichtsstand im Forumstaat von den amerikanischen Gerichten ganz überwiegend verneint.370 Begründet wird dies damit, dass es derartigen Websites an einer Ausrichtung auf den Forumstaat fehle, da der Beklagte nicht gezielt von einer Geschäftstätigkeit im Forumstaat profitieren wolle.371 Dementsprechend sei nur bei aktiven Websites von einer Ausrichtung auszugehen, so dass durch diese eine Gerichtspflichtigkeit aufgrund der „purposeful availment“ ausgelöst werde.372 Unübersehbar sind jedoch die Abgrenzungsschwierigkeiten, die aus diesem Verständnis resultieren. Probleme bereitet insbesondere die Grenzziehung zwischen aktiver und passiver Tätigkeit des Unternehmers. So ist etwa anerkannt, dass eine an sich passive Website ausnahmsweise eine Gerichtspflichtigkeit auslösen kann, wenn andere Umstände hinzutreten, die dafür sorgen, dass das Kriterium des „purposeful availment“ erfüllt wird. Dies soll beispielsweise dann der Fall sein, wenn der Beklagte auf seiner passiven Website, die er zu Werbezwecken nutzt, auf eine gebührenfreie Telefonnummer verweist373 oder wenn eine passive Website mit einer Anzeige in einer lokalen Tageszeitung kombiniert wird.374
370 Bensuan Restaurant Corp. v. King, 937 f.Supp. 295, 301, District Court, S.D. New York (1996); McDonough v. Fallon McElligot, 1996 U.S. Dist. LEXIS 15139, District Court for the Southern District of California (1996); Hearst Corp. v. Goldberger, 1997 U.S. Dist. LEXIS 2065, District Court, S.D. New York (1997); a.A. Maritz, Inc. v. CyberGold, Inc., 947 f.Supp. 1328, 1334, District Court, E.D. Missouri (1996) „While modern technology has made nationwide commercial transaction simpler and more feasible, even for small businesses, it must broaden correspondingly the permissible scope of jurisdiction exercisable by the courts“; Inset Systems Inc. v. Instruction Set Inc., 937 f.Supp 161, District Court, D. Connecticut (1996). 371 Cybersell Inc. v. Cybersell Inc., 130 f.3d 414, Court of Appeals, Ninth Circuit (1997); Weber v. Jolly Hotels, 977 f.Supp. 327, District Court, D. New Jersey (1997); Bensuan Restaurant Corp. v. King, 937 f.Supp. 295, 301 District Court, S.D. New York (1996); Hearst Corp. v. Goldberger, 1997 U.S. Dist. LEXIS 2065, District Court, S.D. New York (1997). 372 CompuServe, Inc. v. Patterson, 89 f.3d 1257, Court of Appeals, Sixth Circuit (1996); Playboy Enterprises, Inc. v. Chuckleberry Publishing, Inc., 939 f.Supp. 1032, District Court, S.D. New York (1996); Digital Equipment Corp. v. Altavista Technology Inc., 960 f.Supp. 456, District Court, D. Massachusetts (1997); Minnesota v. Granite Gate Resorts Inc., 568 NW.2d 715, Court of Appeals, Minnesota (1997). 373 Inset Systems Inc. v. Instruction Set Inc., 937 f.Supp. 161, District Court, D. Connecticut (1996). 374 Heroes Inc. v. Heroes Foundation, 958 f.Supp. 1, District Court, D. Columbia (1996).
230
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Ungeklärt ist bisher zudem die Frage, ob die so begründeten Klägergerichtsstände als ausschließliche Gerichte anzusehen sind, so dass es dem Unternehmer in diesen Fällen nicht möglich wäre in seinem Forum Klage zu erheben.375 Im Bereich von Verbrauchersachen findet sich in der USSupreme Court Entscheidung McGee v. International Life Ins. Co.376 ein Hinweis der darauf hindeuten könnte, dass in diesen Fällen eine ausschließliche Zuständigkeit des Verbraucherforums anzunehmen sei, eine Zuständigkeit des Gerichts im Unternehmerforum folglich nicht bestünde. In dieser Entscheidung argumentiert der US-Supreme Court, dass „when claims were small or moderate individual claimants frequently could not afford the cost of bringing an action in a foreign forum – thus in effect making the company judgment proof“. Diese Begründung besäße jedoch im Fall, dass der Unternehmer in seinem Forum Klage gegen den Verbraucher erhebt, das gleiche Gewicht.377 Auch dann müsste sich der Verbraucher unter womöglich hohem Kostenaufwand in einem fremden und eventuell weit entfernten Forum verteidigen, obwohl die Klageforderung regelmäßig recht klein sein dürfte. Folge dieser Überlegungen wäre, dass eine Zuständigkeit des Gerichts im Unternehmerforum zu verneinen wäre. Dieser Überlegung steht auch nicht die Entscheidung Burger King Corp. v. Rudzewicz378, entgegen. Zwar ließ es der US-Supreme Court in dieser Entscheidung zu, dass ein Franchisegeber seine lokalen Franchisenehmer in seinem Forum verklagte. Dabei handelte es sich zum einen jedoch nicht um einen Verbrauchervertrag, zum anderen ging es bei den klageweise geltend gemachten Franchiseentgelten um Millionen US-Dollar Beträge. Außerdem war das erkennende Gericht im Hinblick auf Verbraucherverträge vorsichtig und stellte selbst klar, dass es keine allgemeingültige Regel für Vertragsstreitigkeiten aufstellen möchte.379
375
Dass diese Frage im Speziellen und Verbraucherfragen im Allgemeinen im USamerikanischen Zuständigkeitsrecht eine eher untergeordnete Rolle einnehmen, erklärt sich insbesondere daraus, dass den Unternehmern beziehungsweise den Unternehmen nach US-Zuständigkeitsrecht ein wesentlich effektiverer Weg zur Bestimmung des zuständigen Gericht zur Verfügung steht. Nach dem Zuständigkeitsrecht der USA ist es nämlich, entgegen der Regelung des europäischen Zuständigkeitsrechts (Art. 15, 16 Abs. 2 EuGVO), auch in Verbrauchersachen möglich einen Gerichtsstand durch Parteivereinbarung festzulegen. Eine solche Vereinbarung kann sowohl durch AGB als auch durch Individualverträge erfolgen. Vgl. dazu Carnival Cruise Lines Inc. v. Shute, 499 U.S. 585, Supreme Court (1991); Stanley Computer Group LLC v. Hoosier Freelance Inc., 2002 U.S. Dist. Lexis 12071, District Court, Northern District of Texas (2002). 376 355 U.S. 220, Supreme Court (1957). 377 Borchers, NILR 2003, 401, 413. 378 471 U.S. 462, Supreme Court (1991). 379 Burger King Corp. v. Rudzewicz, 471 U.S. 462, 485 f., Supreme Court (1991).
§ 3 Vertragsstatut
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(5) Stellungnahme
α) Kritik an der Auffassung der Kommission und der weiten Auffassung Die Auffassung der Kommission sowie die weite Auffassung der Literatur überzeugen aus mehreren Gründen nicht. Würde man annehmen, dass bereits die Existenz eines Verbrauchervertrages ein deutlicher, kaum widerlegbarer Hinweis auf eine Ausrichtung des Unternehmers auf den Verbraucherstaat ist, könnte man im Ergebnis ganz auf das Merkmal der Ausrichtung verzichten. Selbst im Hinblick auf konventionelle Werbemaßnahmen wäre es dann nicht erforderlich, dass sich der Unternehmer gezielt auf den Verbraucherstaat ausrichtet. Vielmehr würde es bei Distanzgeschäften aller Art ausreichen, wenn der Verbraucher in irgendeiner Weise Kenntnis vom Angebot des Unternehmers erlangt hat.380 Ob dieses vom Unternehmer für ihn beziehungsweise den Verbraucherstaat bestimmt war oder nicht, wäre unerheblich. In der Folge wäre gewissermaßen jeder Telemedizinvertrag der Heimatrechtsordnung des Patienten zu unterstellen, jedenfalls wären die zwingenden Bestimmungen des Patientenstaates zu beachten. 381 Ein derartiges Verständnis des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes wäre zu weit und kann auch nicht mit der Überlegung gerechtfertigt werden, dass jede Art von Website oder konventionelle Werbung dazu bestimmt ist Verbraucher, im Fall der Telemedizin Patienten, zu akquirieren.382 Dies erkannte auch die Kommission im Zusammenhang mit Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO und erklärte daher, dass der Verbrauchergerichtsstand nicht ausgelöst werde, wenn der Verbraucher sich aufgrund der Website über die Möglichkeit eines Vertrages bewusst werde und diesen anschließend im Wohnsitzstaat des Unternehmers abschließe.383 Einfach ausgedrückt fordert sie also einen Vertragsschluss im Fernabsatz. Die mit einem solchen Verständnis einhergehende Verengung des Anwendungsbereichs wäre zwar ein Schritt in die richtige Richtung, vermag jedoch in dieser Form weder zu überzeugen, noch wäre sie ausreichend. Ausweislich des Wortlauts des Art. 6 Abs. 1 Rom I kommt es nach dem Willen des Gesetzgebers ja gerade nicht mehr darauf an, in welchem Staat der Patient seine Willenserklärung abgibt384; warum dieses Kriterium dennoch durch die „Hintertür“ weiterbestehen soll, ist unverständlich.
380 Øren, ICLQ 2003, 665, 680; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 59. 381 Vgl. Teuber, Int. Zuständigkeit, S. 102. 382 Vgl. Mankowski in Internet und Recht, 191, 199; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 59. 383 KOM (1999) 348 endg., S. 17 f. 384 Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 627.
232
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Legt man das Merkmal „Ausrichten“ nach seinem Wortlaut aus, stellt man fest, dass diesem Merkmal ein aktives Moment inne wohnt. Gleiches ergibt sich aus dem französischen Pendant „diriger“ und dem englischen „to direct“. Dieses Aktivmoment fordert ein zielgerichtetes385, absichtliches386, willentliches387 oder planmäßiges388 „unternehmerisches“ Handeln des Telemediziners. Für die Annahme eines solchen Aktivmoments streitet auch die durchgeführte Analyse der US-amerikanischen Rechtsprechung, die ebenfalls ein zielgerichtetes, planmäßiges Handeln des Unternehmers im Klägerstaat verlangt.389 Dieses Aktivmoment wird durch die weite Auffassung ohne Rechtfertigungsgrund völlig ignoriert. Dies lässt sich auch nicht mit der Aussage rechtfertigen, dass derjenige, „der die Chancen der unbegrenzten Reichweite genießt auch das damit verbundene Risiko zu tragen hat“390, da auch der Patient von der unbegrenzten Reichweite des Mediums Internet profitiert.391 Auch ihm ist es durch dessen Nutzung möglich für ihn günstigere Telemedizinverträge zu schließen und somit auf einen weltweiten „Fachwissenspool“ zurückzugreifen.
β) Wertende Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Telemediziner Aus diesen Gründen bedarf es eines anderen Einschränkungskriteriums. Sowohl die enge Auffassung in der Literatur als auch die USamerikanische Rechtsprechung sieht dieses in der Unterscheidung zwischen einem aktiven und einem passiven Unternehmer. Eine Ausrichtung des Telemediziners auf den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Patienten soll nur dann vorliegen, wenn er zielgerichtet auf den Patientenstaat eingewirkt hat, um sich dort einen neuen Absatzmarkt zu erschließen. Dieses Unterscheidungskriterium trägt jedenfalls dem Aktivmoment des „Ausrichtens“ hinreichend Rechnung. Wie der rechtsvergleichende Blick über den Atlantik jedoch gezeigt hat, lassen sich nicht alle Formen unternehmerischer Tätigkeiten zweifelsfrei dem einen oder dem anderen Bereich zuordnen. Vielmehr bestehen sowohl im Be-
385
Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 236b; Worldwide Volkswagen Corp. v. Woodson 444 U.S. 286, 297, Supreme Court (1980); Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, Art. 15 EuGVO Rn. 8. 386 Buchner, EWS 2000, 147, 150. 387 Wernicke/Hoppe, MMR 2002, 643, 646; Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 33. 388 Øren, ICLQ 2003, 665, 687. 389 Vgl. hierzu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, c), bb), (4). 390 Mankowski in Internet und Recht, 191, 199. 391 Vgl. Buchner, EWS 2000, 147, 152, 154, 156; Kleinknecht, Verbraucherschützende Gerichtsstände, S. 109 f.
§ 3 Vertragsstatut
233
reich des Internets als auch in demjenigen der traditionellen Werbung teilweise erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Gerade im Rahmen von Werbung durch Websites vermag die Unterscheidung zwischen aktiven und passiven Websites nicht immer recht weiterzuhelfen. Sicher ist allenfalls, dass alle aktiven beziehungsweise interaktiven Websites eine „Ausrichtung“ für alle Arten von Distanzgeschäften, die über sie geschlossen werden, darstellen.392 Es stellt sich jedoch sofort die Frage, auf welche Staaten sich diese Ausrichtung bezieht. Gerade die Beantwortung diese Frage bereitet im Internet erhebliche Schwierigkeiten, da Websites aufgrund ihres globalen Charakters potentiell aus allen Staaten abgerufen werden können. Aber kann hieraus geschlossen werden, dass alle aktiven Websites auf denen telemedizinische Leistungen beworben werden ausnahmslos auf alle Staaten ausgerichtet sind? Im Ergebnis muss diese Frage verneint werden, da andernfalls das in der Ausrichtung innewohnende Aktivmoment nicht hinreichend beachtet würde. Nach diesem ist es erforderlich, dass die Ausrichtung zielgerichtet und mit dem Willen des Telemediziners im Verbraucherstaat wirkt.393 Dieses subjektive Element kann nicht einfach aufgrund der Nutzung des globalen Mediums Internet angenommen werden, sondern muss im Einzelfall aus den Umständen des Falls positiv festgestellt werden. Indizcharakter kommt dabei insbesondere der auf der Homepage verwendeten Sprache oder der Bereithaltung bestimmter Formulare in der jeweiligen Landessprache zu.394 Der Annahme exorbitanter Zielrichtungen der Ausrichtung, die bei diesen Kriterien aus der Verwendung von „Weltsprachen“ wie Englisch oder Spanisch resultieren können, kann der Telemediziner nur dadurch vorbeugen, dass er durch die Verwendung entsprechender und dem Verbraucher erkennbarer disclaimer die Zielrichtung auf bestimmte Staaten beschränkt.395 Durch die Verwendung derartiger disclaimer wird der Wille des Telemediziners, sein Angebot auf bestimmte Länder zu be-
392
Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 33. Vgl. Auer in Geimer/Schütze, IRV, 540 Rn. 48; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 236b; Worldwide Volkswagen Corp. v. Woodson 444 U.S. 286, 297, Supreme Court (1980); Buchner, EWS 2000, 147, 150; Wernicke/Hoppe, MMR 2002, 643, 646; Øren, ICLQ 2003, 665, 687; Martiny in MüKo, Art. 6 Rom I Rn. 33. 394 OLG Dresden, IPrax 2006, 44, 46; LG München I, Urt. v. 18.07.2007 – 9 O 16842/06 = EWiR 2008, 245–246 (redaktioneller Leitsatz mit Anmerkung von Mankowski); Rauscher, IPR, Rn. 1140; a.A. Lurger in Leible, Bedeutung des IPR, 33, 41; Teuber, Int. Zuständigkeit, S. 107; Erklärung des Kommission und des Rates zu den Artikeln 15 und 73 EuGVO v. Dezember 2000, IPRax 2001, 259, 261. 395 Vgl. Rauscher, IPR, Rn. 1892; Herget, Internationale Zuständigkeit, S. 258; Lurger in Leible, Dedeutung des IPR, 33, 42; Teuber, Int. Zuständigkeit, S. 107; a.A. Mankowski, IPRax 2012, 144, 149. 393
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
grenzen, nach außen erkennbar. Erforderlich ist aber, dass sich der Telemediziner an die Begrenzung des situativen Anwendungsbereichs hält, also überprüft mit welchen Patienten er kontrahiert. Andernfalls würde er sich treuwidrig und widersprüchlich verhalten, da er einerseits nach außen zu erkennen gibt, dass er mit einer unbestimmten Anzahl von Verbrauchern aus bestimmten Staaten nicht kontrahieren möchte, andererseits dann aber doch Verträge mit solchen Verbrauchern abschließt. Folge eines solchen widersprüchlichen Verhaltens ist, dass der situative Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I trotz des disclaimers eröffnet ist, da es dem Telemediziner andernfalls möglich wäre, den situativen Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I einseitig zu beschränken ohne im Gegenzug wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Demgegenüber stellen passive Webseiten im Grundsatz keine Ausrichtung des Telemediziners auf einen oder mehrere Patientenstaaten dar, da diese bloße Abrufbarkeit nicht für die Bejahung der Aktivkomponente und damit einer Ausrichtung ausreicht.396 Fraglich ist jedoch, wie lange eine Website noch als passiv angesehen werden kann. Auch diese Frage kann nur mittels einer wertenden Qualifikation von Websites im Einzelfall beantwortet werden, so dass das Fehlen einer web-basierten Interaktionsmöglichkeit allein nicht ausschlaggebend ist.397 Vielmehr ist von einer aktiven Homepage und damit einer Ausrichtung auszugehen, wenn die Website im Hinblick auf den Patientenstaat mit einer konventionellen Werbemaßnahme in diesem Staat vergleichbar ist, da nicht einzusehen ist, warum onund offline Werbemedien unterschiedlich behandelt werden sollten.398 Deshalb ist einer an sich passiven Website (ausnahmsweise) eine Ausrichtung zu sehen, wenn sie zu einem Vertragsschluss per Telefon, E-Mail, Post, Fax oder anderer Kommunikationsmedien auffordert.399 Unter diesen Umständen sind auch passive Webseiten auf den Abschluss von Verträgen gerichtet. Wertungsmäßig macht es keinen Unterschied, ob der Unternehmer den Verbraucher mittels eines Briefes oder mittels einer Webseite zum
396
Borchers, NILR 2003, 401, 417 f. So auch Rauscher, IPR, Rn. 1892; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 331; Remien in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 6 Rom I Rn. 5. 398 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 331; Lurger in Leible, Bedeutung des IPR, 33, 41; Staudinger in Rauscher, EuZPR I, Art. 15 Brüssel I-VO Rn. 14; Nielsen in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 15 Brussels I Rn. 36; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 171; a.A. Teuber, Int. Zuständigkeit, S. 110 f. 399 Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 627; Staudinger in Rauscher, EuZPR I, Art. 15 Brüssel I-VO Rn. 14; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 59; Remien in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 6 Rom I Rn. 5; a.A. Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798, 1802. 397
§ 3 Vertragsstatut
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Vertragsschluss im Fernabsatz auffordert. Auch in derartigen Fallkonstellationen ist jedoch sorgsam darauf zu achten, dass das der Ausrichtung immanente Aktivmoment hinreichend Beachtung findet. Es ist stets zu prüfen, ob sich aus den Umständen des Einzelfalls positiv feststellen lässt, dass der Telemediziner seine gewerbliche Tätigkeit gerade auf den jeweiligen Patientenstaat ausgerichtet hat. Indizwirkungen kommen – wie im Rahmen aktiver Websites – insoweit der verwendeten Sprache oder dem Bereithalten bestimmter Formulare zu. Eine Einschränkung auf gewisse Staaten kann wiederum, unter den oben genannten Voraussetzungen, mittels bestimmter disclaimer erfolgen. (6) Sonderprobleme bei der Anwendung von Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I im Rahmen von Telemedizinanwendungen
α) Möglichkeit einer „Ausrichtung“ trotz ärztlichen Werbeverbots Eine „Ausrichtung“ durch Werbung kommt auch im Rahmen grenzüberschreitender telemedizinischer Anwendungen in Betracht. Zwar wenden Teile der Literatur hiergegen ein, dass ein deutscher Telemediziner dem standesrechtlichen Werbeverbot des § 27 MBO-Ä unterliege, weshalb keine „Ausrichtung“ durch Werbung erfolgen könne.400 Dies vermag jedoch aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen: Erstens ist durch das aufgrund des Territorialprinzips rein national wirkende Werbeverbot des § 27 MBO-Ä nicht sichergestellt, dass es jedem ausländischen Arzt in gleichem Umfang untersagt ist Werbung zu machen. So sind beispielsweise in den USA standesrechtliche Werbeverbote verfassungswidrig401, so dass ein US-Telemediziner beispielsweise im Internet frei für seine Dienste werben darf. Zum anderen ist es durchaus denkbar, dass sich ein Telearzt über ein bestehendes Werbeverbot hinwegsetzt. Zwar verletzt er hierdurch geltendes Standesrecht mit der Folge, dass er eine Geldbuße riskiert. Ferner verletzt er unter Umständen auch Regelungen des UWG.402 Dennoch ist in einem solchen Fall nicht einzusehen warum hierin keine „Ausrichtung“ zu sehen sein sollte. Auch die Überlegung, dass Werbung, die entgegen einem Werbeverbot vorgenommen wird, keine Ausrichtung begründen kann, führt zu keinem anderen Ergebnis: Für die Bejahung einer Ausrichtung darf es nicht auf die Zulässigkeit der Werbung, sondern nur auf deren tatsächliche Vornahme ankommen. Andernfalls würde derjenige Arzt, der sich einem bestehenden Werbeverbot widersetzt, kollisionsrechtlich gegenüber gesetzestreuen Kollegen privile-
400
Hoppe, MedR 1998, 462, 464; Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 193. Vgl. dazu Bates v. State Bar of Arizona, 433 U.S. 350, Supreme Court (1977). 402 In Betracht kommt insbesondere ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG. 401
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
giert, da er, ohne eine Ausrichtung befürchten zu müssen, einen Verbraucherstaat bewerben könnte. Insoweit würde der Schutzzweck des Art. 6 Rom I bei Gesetzesuntreuen paradoxerweise ins Gegenteil verkehrt. Darüber hinaus kann der Arzt selbst unter Geltung des § 27 Abs. 1 MBO-Ä zumindest indirekt werben, indem er sachlich über seine Berufstätigkeit informiert oder indem eine Klinik eine Website unterhält, auf der ein besonderer Service und besondere Formulare sowie Anamnesebögen in der Landessprache eines bestimmten Staates bereitgehalten werden.403 Auch im Anwendungsbereich des deutschen Werbeverbots kann der Arzt folglich – freilich nur innerhalb bestimmter Grenzen 404 – für seine Tätigkeit werben. Im Rahmen telemedizinischer Anwendungen ist es daher durchaus denkbar, dass eine „Ausrichtung“ durch Werbung erfolgt. 405
β) Kriterien zur Feststellung einer „Ausrichtung“ Auch im Rahmen grenzüberschreitender telemedizinischer Anwendungen kann demnach eine Ausrichtung der Tätigkeit auf den Verbraucherstaat durch den Telemediziner sowohl durch konventionelle Werbemaßnahmen als auch – unter den oben dargestellten Voraussetzungen – durch Websites geschehen.406 Schaltet der ausländische Telemediziner beispielsweise Zeitungsanzeigen oder wirbt er über Rundfunk und Fernsehen im Verbraucherstaat, ist hierin eine Ausrichtung zu sehen, weil sich der Telemediziner durch derartige Werbemaßnahmen zielgerichtet auf einen Verbrauchermarkt begibt, um sich den dortigen Markt zu erschließen. Besteht in diesen Fällen zwischen der Ausrichtung und dem Vertragsschluss mit dem Patienten ein Kausalzusammenhang, ist der situative Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I eröffnet.407 Aus der gleichen Überlegung ergibt sich ferner, dass allein in der Approbation oder die Einholung einer vorübergehenden Berufsausübungserlaubnis (§ 10 BÄO) des Telemediziners im Patientenstaat grundsätzlich keine Ausrichtung gesehen werden kann. Zum einen soll keine dieser Zulassungsformen aus objektivierter Sicht des Telemediziners eine zielgerichtete absatzfördernde Wirkung im Patientenstaat entfalten, vielmehr will er damit den gesetzlichen Regelungen im Patientenstaat gerecht wer-
403
So geschehen in einem Fall des LG München I, Urt. v. 18.07.2007 – 9 O 16842/06 = EWiR 2008, 245–246 (redaktioneller Leitsatz mit Anmerkung von Mankowski); siehe dazu auch Link, Telemedizin, S. 273 f. 404 Vgl. hinsichtlich der Grenzen BVerfG, MedR 2006, 107–108. 405 Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 117–119; Link, Telemedizin, S. 273 f. 406 LG München I, Urt. v. 18.07.2007 – 9 O 16842/06 = EWiR 2008, 245–246 (redaktioneller Leitsatz mit Anmerkung von Mankowski). 407 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, c).
§ 3 Vertragsstatut
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den. Natürlich wird ein Telemediziner sich nur dann die erforderlichen Genehmigungen einholen, wenn er in dem Patientenstaat tätig werden will. Dies alleine reicht jedoch noch nicht. Vielmehr ist erforderlich, dass der Telemediziner zielgerichtet auf den Patientenstaat eingewirkt hat, um sich dort einen neuen Absatzmarkt zu erschließen. Davon wird man allein aufgrund der Einholung von gewissen Genehmigungen noch nicht ausgehen können. Wichtiger und wohl in der Praxis auch entscheidender dürfte jedoch der Umstand sein, dass es überwiegend an einer Kausalität zwischen der Approbation beziehungsweise der vorübergehender Berufsausübungserlaubnis und dem Vertragsschluss mit dem Verbraucher fehlen wird, da der Patient – mangels öffentlich zugänglichem Register – meist keine Kenntnis von der jeweiligen Zulassungsform haben wird. Beide Zulassungsformen sind jedoch, wie eine Werbung in der Sprache des Patienten, das Bereithalten von bestimmten Vertragsschlussformularen oder Anamnesebögen, geeignet, eine Zielrichtung sonstiger Werbemaßnahmen zu statuieren. Wirbt daher ein Telemediziner mit seiner Approbation oder vorübergehenden Erlaubnis im Patientenstaat, ist von einer auf diesen Staat ausgerichteten Werbung auszugehen. Eine Ausrichtung des Telemediziners auf einen bestimmten Patientenstaat ist auch darin zu sehen, dass er sich eines im Patientenstaat niedergelassenen Arztes als Vertreter zum Abschluss von Telemedizinverträgen bedient.408 Denn auch hierdurch gibt der Telemediziner zu erkennen, dass er seine gewerbliche Tätigkeit auf den medizinischen Markt dieses Patientenstaates ausdehnen möchte. 2. Rechtsfolgen des Art. 6 Rom I Nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I ist eine Rechtswahl gemäß Art. 3 Rom I zwar weiterhin zulässig, diese darf jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Art. 6 Abs. 1 Rom I mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Daraus resultiert insbesondere, dass es dem Patienten und dem Telemediziner durch Rechtswahl nicht möglich ist, die Regelungen der GOÄ abzuwählen, da diese ius cogens darstellen.409 Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I führt in diesen Fällen also zu einem law mix, der aus den Bestimmungen des gewählten Rechts und dem ius cogens des Verbraucherstaates besteht: So richtet sich die Frage, ob der 408
Vgl. OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 46; LG München I, Urt. v. 18.07.2007 – 9 O 16842/06 = EWiR 2008, 245–246 (redaktioneller Leitsatz mit Anmerkung von Mankowski). 409 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, D.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Patient vertraglich dazu verpflichtet ist, den Telemediziner zu vergüten nach dem gewählten Recht, während die Berechnung der Vergütung nach den deutschen Gebührenvorschriften der GOÄ erfolgt. B. Objektive Anknüpfung I. Neuregelung des Art. 4 Rom I Ist die anwendbare Sachrechtsordnung nicht durch Rechtswahl bestimmt worden, da eine solche durch Patient und Telemediziner nicht erfolgt oder unwirksam ist, so ist die anwendbare Rechtsordnung subsidiär nach Art. 4 Rom I objektiv zu bestimmen, sofern nicht die verbraucherschützenden Sonderregeln des Art. 6 Abs. 1 Rom I eingreifen.410 Bislang enthielt Art. 4 Abs. 1 S. 1 EVÜ die auf Savigny zurückgehende Anknüpfungsgrundregel der „engsten Verbindung“411, welche durch die Vermutungsregeln des Art. 4 Abs. 2 bis 4 EVÜ und dabei insbesondere durch das Merkmal der „charakteristischen Leistung“ näher konkretisiert wurde. Diese Konkretisierung war notwendig, um das Kriterium der „engsten Verbindung“ für die Rechtsanwendungspraxis handhabbar zu gestalten, da der Rechtsanwender andernfalls Gefahr gelaufen wäre eine „Windfahne als Wegweiser“ in Händen zu halten.412 Dieses System wird durch die neue Regelung des Art. 4 Rom I nunmehr dahingehend modifiziert, dass acht spezielle Anknüpfungsregeln für unterschiedliche Vertragskategorien eingeführt werden, die letztlich jedoch fast ausschließlich eine gesetzliche Ausformung der Lehre von der charakteristischen Leistung darstellen, da sie den Vertrag an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der charakteristischen Leistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses413 anknüpfen.414 Für Verträge, die nicht diesem grundsätzlich starren – auf die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I wird noch einzugehen sein – Anknüpfungssystem unterfallen, gilt gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom I nach wie vor das Sachrecht des Staates, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung erbringt, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Im Unterschied zu der bisherigen Regelung des Art. 4 EVÜ enthält Art. 4 Rom I somit keine bloßen Vermutungen mehr. Vielmehr wird die anwendbare Rechtsordnung 410
Auf die verbraucherschützende Sonderregelung wird noch näher einzugehen sein; vgl. dazu unten Kapitel 4, § 3, B, IV. 411 Von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, 18, 28. 412 Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57, 72. 413 Vgl. hierzu Art. 19 Abs. 3 Rom I. 414 Mankowski, IPRax 2006, 101, 103; ders., IHR 2008, 133, 136; Martiny, ZeuP 2008, 79, 89; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 535; Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798, 1799; Einsele, WM 2009, 289, 291.
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zunächst starr und damit unflexibel festgelegt. Lässt man die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I einmal außen vor, so besteht eine Anknüpfungsflexibilität nunmehr nur noch im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 Rom I, also in Fällen, in denen weder eine Katalogregel des Art. 4 Abs. 1 Rom I greift, noch eine charakteristische Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I bestimmt werden kann. Unter diesen Voraussetzungen unterliegt der Vertrag weiterhin dem Recht des Staates, zu dem er die engste Verbindung aufweist.415 Festzuhalten ist, dass in der überwiegenden Anzahl der Fälle zukünftig grundsätzlich starre Anknüpfungsregeln gelten werden, wodurch insbesondere eine hohe Rechtsicherheit, durch Vorhersehbarkeit der lex causae, erreicht werden soll.416 II. Anknüpfung grenzüberschreitender Telemedizinverträge Bei Telemedizinverträgen handelt es sich um Dienstleistungsverträge.417 Diese unterliegen gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt respektive seine Hauptniederlassung (Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom I) hat. Danach gelangt auf den Telemedizinvertrag die Rechtsordnung des Staates zur Anwendung in dem der Telemediziner seine Praxis führt.418 Etwas anderes könnte sich jedoch aus Art. 19 Abs. 2 Rom I ergeben, wenn der Behandlungsort des Patienten, also der Ort, an dem sich der Patient im Zeitpunkt der telemedizinischen Behandlung physisch befindet, als (Zweig-)Niederlassung des Telemediziners anzusehen wäre. Unter dieser Annahme würde durch Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 Rom I nämlich die Rechtsordnung am Behandlungsort zur
415
Der Grundsatz der engsten Verbindung ist als maßgeblicher kollisionsrechtlicher Gesichtspunkt weitgehend anerkannt und findet in zahlreichen anderen Kodifikationen ein Ebenbild: so bspw. Art. 3112 CC von Quebec „most closely connected“; Art. 117 IPRG (Schweiz) „engster Zusammenhang“; auch im Kollisionsrecht der USA wird weitgehend auf die Leerformel der „most significant relationship“ abgestellt, vgl. Restatement (Second) § 188 (2). Darüber hinaus sorgt dieser Grundsatz, wie die bisherigen Erfahrungen gezeigt haben, in hohem Maße für Flexibilität. Art. 4 Abs. 4 Rom I dürfte in der Praxis jedoch kaum Anwendung finden, da die Mehrheit der auftretenden Fälle unter den Katalog des Art. 4 Abs. 1 Rom I oder zumindest unter Art. 4 Abs. 2 Rom I fallen werden. 416 Die Erhöhung der Rechtsicherheit ist gemäß Erwägungsgrund Nr. 16 zu Rom I ein erklärtes Ziel der neuen Regelungen. 417 Vgl. Ringe in jurisPK-BGB, Art. 4 Rom Rn. 76; Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 56. 418 Vgl. Magnus in Staudinger (2002), Art. 28 EGBGB, Rn. 248.
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Anwendung berufen, sofern diese Niederlassung für den Vertragsschluss oder für die Vertragserfüllung verantwortlich ist. 1. Behandlungsort ist nicht (Zweig-)Niederlassung des Telemediziners Eine Niederlassung liegt vor, wenn eine gefestigte Integration in das Wirtschaftsleben des Aufnahmestaates besteht. Dazu ist ein räumliches und persönliches Substrat von einer gewissen Dauer erforderlich.419 Ein solches wurde teilweise bereits angenommen, wenn sich ein deutscher Arzt zweimal pro Woche zu einer Sprechstunde in eine holländische Klinik begeben hat.420 Würde man dieser Auffassung im Bereich der Telemedizin folgen, könnten jedenfalls in Fällen von Telepräsenzen Niederlassungen am Behandlungsort vorliegen, wenn der Telemediziner in regelmäßigen Abständen Patienten des selben Staates behandelt.421 Dies allein würde jedoch nicht ausreichen, um zur Anwendung der Rechtsordnung am Niederlassungsort, also der Rechtsordnung des Patientenstaates, zu gelangen. Vielmehr müsste gemäß Art. 19 Abs. 2 Rom I diese Niederlassung auch für die Vertragserfüllung verantwortlich sein und der Vertrag müsste im Rahmen des Betriebs dieser Niederlassung geschlossen worden sein. Verantwortlichkeit ist dabei als Alleinverantwortlichkeit zu verstehen.422 Dieser Anforderung genügt kein grenzüberschreitender Telemedizintypus, da allen telemedizinischen Anwendungsformen gemeinsam ist, dass der Telearzt seine Vertragspflicht nicht ausschließlich am Behandlungsort erfüllt. Vielmehr handelt er stets an einem vom Behandlungsort abweichenden Ort. In der Folge bleibt es bei grenzüberschreitenden Telemedizinverträgen bei der Grundanknüpfung an die Hauptniederlassung nach Art. 19 Abs. 1 Rom I.423 2. Regelanknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I Telemedizinverträge unterliegen folglich gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I grundsätzlich dem Sachrecht des Staates, in dem der Telemediziner seinen gewöhnlichen Aufenthalt beziehungsweise seine Hauptniederlassung hat. Zum Verständnis dieser Regelanknüpfung und der daraus resultierenden kollisionsrechtlichen Privilegierung des Telemediziners bietet es sich an, 419
Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 51. Rochard, Freizügigkeit der Ärzte in der EG, S. 78. 421 Freilich ließe sich hiergegen einwenden, dass der Telearzt physisch in seinem Heimatstaat verbleibt. Dieser Überlegung wird hier jedoch nicht weiter nachgegangen, da sich die Problematik auf anderem Wege löst. 422 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 131; vgl. auch Martiny in MüKo, Art. 19 Rom I Rn. 15. 423 Link, Telemedizin, S. 279 f. 420
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die alte Regelung des Art. 4 EVÜ beziehungsweise die darin enthaltene Lehre von der charakteristischen Leistung ins Blickfeld zu rücken. Eine Definition des Begriffs der „charakteristischen Leistung“ war im EVÜ nicht enthalten. Lediglich im Bericht von Giuliano/Lagarde zum EVÜ findet sich eine negative Umschreibung. Nach dieser ist bei einem synallagmatischen Vertrag die Geldleistung niemals die vertragscharakteristische; vertragscharakteristisch ist vielmehr „die Leistung, für die die Zahlung geschuldet wird“.424 Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 2 EVÜ kam somit für grenzüberschreitende Telemedizinverträge zum Ergebnis, dass diese grundsätzlich der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt des Telemediziners unterliegen.425 Die Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I privilegiert – wie auch schon die frühere Regelung in Art. 4 EVÜ – somit grundsätzlich den Telemediziner gegenüber dem Patienten auf kollisionsrechtlicher Ebene, da dieser durch die Anknüpfung an das Umweltrecht des Telemediziners bezüglich vertraglicher Ansprüche bevorzugt wird. Er darf nach einer ihm vertrauten Rechtsordnung handeln, während sich der Patient einer ihm fremden Rechtsordnung zu unterwerfen hat.426 Diese kollisionsrechtliche Ungleichbehandlung bedarf einer dogmatischen wie auch inhaltlichen Rechtfertigung. Wie soeben gezeigt, stellt die Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I eine gesetzliche Festlegung der charakteristischen Leistung für Dienstverträge dar427, so dass sich auch in diesem Rahmen die Frage nach der inhaltlichen Rechtfertigung der Lehre von der charakteristischen Leistung stellt. Im Folgenden wird daher zunächst die Lehre der charakteristischen Leistung und deren Rechtfertigung dargestellt und untersucht, weil sich die Qualität der Rechtfertigung und damit auch der Regelanknüpfung nach Teilen der Literatur auf die Auslegung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I, auf die später noch ausführlich einzugehen sein wird, auswirken soll.428
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Giuliano/Lagarde, BT-Drucks. 10/503, 33, 52 f. Link, Telemedizin, S. 279 f.; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 130; Pielach, Haftungsfragen, S. 206. 426 Vgl. Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 52. 427 Siehr in Reichelt, Gemeinschaftsrecht und IPR, S. 72; Ferrari, Objektive Anknüpfung in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 72; Mankowski, IPRax 2006, 101, 103. 428 So postuliert bspw. Von der Seipen, Akzessorische Anknüpfung, S. 151 eine extensive Handhabung der Ausweichklausel, da die Anknüpfung an die charakteristische Leistung an einer „relativen Schwäche der sachlichen Aspekte“ leide. 425
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a) Rechtfertigung der Regelanknüpfung durch die Lehre von der charakteristischen Leistung Die Lehre von der charakteristischen Leistung geht auf den Schweizer Rechtsgelehrten Schnitzer zurück, der mit Hilfe des Kriteriums der charakteristischen Leistung versuchte, den weiten Begriff der engsten Verbindung zu konkretisieren.429 Sein Ansatz nutzte dabei die sogenannte Vertragstypenlehre430, nach der das auf einen Vertrag anwendbare Recht entsprechend der jeweiligen Eigenart des Vertrages zu bestimmen ist.431 Dieser Lehre liegt die Idee zugrunde, dass die Anknüpfung des Vertrages nicht aufgrund äußerer Faktoren, sondern vielmehr aufgrund der charakteristischen Eigenart des Vertrages selbst erfolgen soll.432 Charakteristisch sei die Leistung, die für eine bestimmte Gruppe von Verträgen typisch und wesentlich ist, so dass sie immer wieder der Regelung bedarf und nicht nur eine gelegentliche Situation für die Beteiligten ist.433 Vor diesem Hintergrund ging Schnitzer davon aus, dass nicht die Geldleistung, sondern die geschuldete Gegenleistung die vertragscharakteristische Leistung darstelle, da sich aus ihr ergebe, welcher Sozialsphäre ein Vertragsverhältnis zuzuordnen sei.434 Er war folglich der Auffassung, dass durch die Bestimmung der charakteristischen Leistung nicht nur die geographische Verortung des Vertrages erfolgt, sondern dass durch sie auch festgelegt wird, welcher sozio-ökonomischen Sphäre der Vertrag zuzuordnen ist.435 Diese Lehre wurde in der Folgezeit insbesondere von Vischer aufgenommen und weiterentwickelt.436 aa) Soziologische Erwägungen Sowohl Schnitzer als auch Vischer begründeten die Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung für die Anknüpfung insbesondere damit, dass diese Leistung die in Gesellschaft und Wirtschaft wichtigere Funktion ent-
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Schnitzer, RabelsZ 33 (1969), 17, 21. Diese ist auf die Florentiner Resolution des Institut de droit international von 1908 zurück zu führen. 431 Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 337; Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 50; Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 42; vgl. auch Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 147, 149. 432 Schnitzer, IPR II, S. 642, 644. 433 Schnitzer, IPR II, S. 642, 643. 434 Schnitzer, RabelsZ 33 (1969), 17, 23 f. 435 Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 44. 436 Vgl. dazu Vischer, Int. Vertragsrecht, S. 108 ff.; vgl. auch Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57, 77 f.; Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 49; Morse in Jacobs, Yearbook 1982, 107, 127. 430
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falte und zwar am Sitz ihres Erbringers, dessen Standesregeln sie auch unterworfen sei.437 Im Gegensatz zu dieser erscheine die monetäre Gegenleistung unspezifisch und austauschbar und sei folglich nicht in der Lage, dem Vertrag sein soziales Gepräge zu geben438, weil die Geldleistung zum Entgelt „par exellence“ geworden sei, weshalb ihr nichts charakteristisches mehr innewohne.439 Darüber hinaus könne die Geldleistung nicht als vertragscharakteristische Leistung angesehen werden, da sich aus ihr nicht ergebe, welcher Sozialsphäre ein Vertragsverhältnis zuzuordnen sei.440 Gegen diese Überlegungen lässt sich einwenden, dass nicht ersichtlich ist, warum der Sach- oder Dienstleistung eine höhere soziale oder volkswirtschaftliche Funktion zukommen soll als der Geldleistung.441 Ebenso wenig vermag dieser Ansatz zu begründen, warum dies im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anknüpfung und somit im Rahmen der Abwägung der kollisionsrechtlichen Interessen überhaupt Beachtung finden soll.442 Gegen das Standesregeln-Argument lässt sich zudem einwenden, dass aus diesem Kriterium – würde man es als unumstößlich anerkennen – eine kollisionsrechtliche Ungleichbehandlung resultieren würde. So würden charakteristische Leistungen, die eine öffentlich-rechtliche Einkleidung erfahren haben und aus der bestimmte Standes- und Verhaltensregeln resultieren, eine andere Beurteilung erfahren, als solche, die einer derartigen Reglementierung nicht unterliegen.443 bb) Neuere Rechtfertigungsversuche Den anderen in der Literatur angebotenen Rechtfertigungsgründen für die Lehre der charakteristischen Leistung ist gemeinsam, dass sie zu begründen versuchen, warum die eine Vertragspartei ein stärkeres Interesse an der kollisionsrechtlichen Bevorzugung hat als die jeweils andere Partei. Sie stellen somit nicht mehr auf das Wesen des Vertrages oder dessen funktionelle Beurteilung ab, sondern orientieren sich am kollisionsrechtlichen Partei- und Verkehrsinteresse und versuchen über das sogenannte
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Vischer, Internationales Vertragsrecht, S. 108; Schnitzer, IPR II, S. 645 f.; ders., RabelsZ 33 (1969), 17, 20 f. 438 Schnitzer, IPR II, S. 643; Vischer, Int. Vertragsrecht, S. 108. 439 Schnitzer, IPR II, S. 643. 440 Schnitzer, RabelsZ 33 (1969), 17, 23 f. 441 Morse in Jacobs, Yearbook 1982, 107, 128; Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 54; Kreuzer, IPR des Warenkaufs, S. 96 ff. 442 Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 54. 443 Siehe dazu Kegel/Schurig, IPR, § 18 I 1 d), S. 661; Schädlich, TelemedizinAnwendungen, S. 140.
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„Prinzip der geringsten Störung“ zu einer Rechtfertigung der kollisionsrechtlichen Ungleichbehandlung der Parteien zu gelangen.444 (1) Recht der juristisch komplexeren Leistung Nach einer Ansicht besitzt diejenige Partei ein höheres Rechtsanwendungsinteresse, die sich zur Erbringung der juristisch komplexeren Leistung verpflichtet hat.445 Diesem stärkeren Interesse müsse im Rahmen der objektiven Anknüpfung Rechnung getragen werden. Bezogen auf Telemedizinverträge ergäbe sich hieraus, dass auf die Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners abzustellen sei, da ihm die tatsächlich und juristisch komplexere Leistungspflicht obliege. Seine Leistungspflicht sei enger mit dem einschlägigen Recht verknüpft, so dass diese Rechtsordnung auf den gesamten Vertrag anzuwenden sei.446 Hiergegen wird teilweise eingewandt, dass es nicht entscheidend sein könne, welche Vertragspartei die juristisch komplexere Leistung zu erbringen hat, da im Streitfall beide Parteien gleichermaßen auf eine gesetzliche Regelung angewiesen sind.447 (2) Recht der stärker betroffenen Partei Am häufigsten wird vertreten, dass der berufsmäßige Erbringer durch den Vertrag existenziell stärker betroffen werde und daher kollisionsrechtlich zu bevorzugen sei.448 In der Regel falle die berufstypische Leistung mit der charakteristischen Leistung zusammen, sodass die Lehre von der charakteristischen Leistung deshalb zu einem sach- und interessengerechten Ausgleich der widerstreitenden kollisionsrechtlichen Interessen der Parteien führe.449 Dem wird teilweise entgegengehalten, dass diese Überlegung nur einen Regelfall berücksichtige, ohne jedoch eine tragfähige Grundlage für die generelle Anknüpfung an die charakteristische Leistung zu bieten.450 Gerade im internationalen Rechtsverkehr werde häufig auch der monetär Leis-
444
Siehe dazu Kegel/Schurig, IPR, § 18 I 1 d), S. 660. Vgl. Kegel/Schurig, IPR, § 18 I 1 d), S. 660 f.; Kropholler, IPR, § 52 III 2 a, S. 468. 446 Siehe etwa Kegel/Schurig, § 18 I 1 d), S. 660 f. 447 BGHZ 57, 72, 76; Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 148; Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 55; Lasok/Stone, Conflict of Laws in the EC, S. 363. 448 Kropholler, IPR, § 52 III 2 a, S. 468; Kegel/Schurig, § 18 I 1 d), S. 660 f.; Von Bar, IPR II, § 4 Rn. 506; Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 121. 449 Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 148. 450 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 47; Magnus in Staudinger (2002), Art. 28 EGBGB, Rn. 71; Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 56. 445
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tende im Rahmen seiner Berufsausübung tätig, weshalb das Kriterium der berufstypischen Leistung bereits deshalb ungeeignet sei.451 Gegen diese Argumentation spreche zudem, dass sie die regelmäßig wirtschaftlich stärkere Partei kollisionsrechtlich bevorzuge.452 Dieser Kritikpunkt sei zwar durch die Schutzregelungen für bestimmte Gruppen453 zu relativieren, dennoch erscheine es nicht sinnvoll, mit dieser Überlegung eine Grundregel zu rechtfertigen.454 (3) Rechtfertigung aufgrund des Uniformitätsgedankens Ein wesentlicher Vorteil der Anknüpfung an die charakteristische Leistung wird von einem Teil der rechtswissenschaftlichen Literatur darin gesehen, dass sie bewirkt, dass sämtliche Verträge des gewerbsmäßigen Erbringers grundsätzlich nach ein und demselben Recht beurteilt werden.455 Dieser Ansatz erinnert an die ökonomische Analyse des US-amerikanischen Rechts, nach der die Rechtsfindung durch die Rechtsnormen erfolgen soll, welche die Ressourcenverschwendung am ehesten vermeiden und deshalb am ehesten dazu geeignet sind, die Effizienz und daraus resultierend auch die Wohlfahrt zu steigern.456 Aus Effizienzgründen erscheine es daher sinnvoll, alle Verträge einer Person im Grundsatz der gleichen Rechtsordnung zu unterwerfen. Hiergegen wird vorgebracht, dass die objektive Anknüpfung nicht nur Massenverträge erfasse und bei Einzelverträgen das Argument der Rationalisierung erheblich an Gewicht verliere.457 Auch versage dieses Argument in Fällen, in denen der Geldleistende gleichfalls gewerblich tätig wird oder der Erbringer der charakteristischen Leistung ausnahmsweise einmal nicht im Rahmen seiner Berufsausübung leistet.458 b) Stellungnahme Wie die summarische Darstellung des Streitstandes gezeigt hat, gestaltet sich die Rechtfertigung der durch Art. 4 Abs. 1 Rom I umgesetzten Lehre von der charakteristischen Leistung schwierig. Dies liegt vor allem daran, dass Schnitzer keine Theorie entwickelte und diese im Anschluss an der Praxis maß. Vielmehr ging er von praktischen Beobachtungen aus und ver451
Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 339 f. Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57, 79. 453 So bspw. für Verbraucher (Art. 6 Rom I) und Arbeitnehmer (Art. 8 Rom I). 454 Vgl. Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 57. 455 Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 121; ders. in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 147. 456 Posner in Assmann/Kirchner/Schanze, S. 204 ff. 457 Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 58. 458 Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 58. 452
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suchte diese im Anschluss theoretisch zu untermauern. Statt dem deduktiven beschritt er folglich den induktiven Weg. Diese Vorgehensweise wurde von den einzelnen Vertretern in deren Argumentation fortgeführt, indem sie stets versuchten die Lehre durch neue Beobachtungen aus der Rechtswirklichkeit zu untermauern. Daraus ergibt sich, dass die soeben dargestellten Argumente keinesfalls zwingend im Sinne einer kohärenten Theorie sind. Dennoch legen sie nahe, dass eine andere Lösung jedenfalls schlechter wäre – führt doch die Lehre von der charakteristischen Leistung in der Praxis zu interessengerechten Ergebnissen, wie die Beobachtungen aus der Rechtswirklichkeit zeigen. Trotz der teilweise grundsätzlichen Bedenken ist das Abstellen auf die charakteristische Leistung der richtige Weg, den der Gesetzgeber mit Art. 4 Rom I – nicht zuletzt in Ermangelung einer vorzugswürdigen Alternative – weiter verfolgt.459 Ein Vorteil der Lehre von der charakteristischen Leistung besteht darin, dass aus ihr nur wenige bis gar keine Probleme in der Rechtsanwendung resultieren.460 Das Kriterium der charakteristischen Leistung vermag zudem für die Masse der Fälle eine der Eigenart des jeweiligen Vertrags angepasste und gleichwohl rechtssichere Anknüpfung zu bestimmen461, mit der Folge, dass Verträge eines Vertragstypus mit gleicher kollisionsrechtlicher Interessenlage grundsätzlich auch die gleiche kollisionsrechtliche Behandlung erfahren.462 Zusätzlich wird durch sie eine sichere Vorhersage der anwendbaren Rechtsordnung ermöglicht.463 Aus alledem resultiert letztlich ein erhebliches Maß an gewünschter Rechtssicherheit.464 III. Ausweichklausel des Art 4 Abs. 3 Rom I Die durch die Regelung des Art. 4 Abs. 1 Rom I erstrebte Rechtsicherheit wird jedoch nicht um jeden Preis erkauft. Rom I enthält in ihrer geltenden Fassung mit Art. 4 Abs. 3 eine spezielle Ausweichklausel.465 Diese ermöglicht es in Fällen des Art. 4 Abs. 1 oder 2 Rom I das Recht eines anderen 459
Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 60. Martiny in Leible, Grünbuch zu Rom I, S. 113; Martiny in Reithmann/Martiny Rn. 122; Hoppe, MedR 1998, 462, 465; Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 60 ff. 461 Martiny in Leible, Grünbuch zu Rom I, S. 113; Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 338. 462 Ferrari, Objektive Anknüpfung in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 66. 463 Vischer in FS Droz, 499, 500; Stadler, Jura 1997, 505, 510. 464 Vgl. Stadler, Jura 1997, 505, 510; Ferrari, Objektive Anknüpfung in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 66; Kropholler, IPR, § 52 III 2 a, S. 468. 465 Siehe zur Unterscheidung zwischen speziellen und allgemeinen Ausweichklauseln Kreuzer in FS Zajtay, 295, 296. 460
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Staates anzuwenden, soweit sich aus den Umständen des Einzelfalls ergibt, dass der Vertrag eine „offensichtlich engere Verbindung“ zu diesem Staat aufweist. Hierdurch soll die Möglichkeit eröffnet werden, im Einzelfall zu kollisionsrechtlich gerechten Ergebnissen zu gelangen, wenn das savignysche Prinzip der engsten Verbindung ausnahmsweise nicht durch die Lehre von der charakteristischen Leistung, mit der darin verkörperten Wertung und Abwägung der kollisionsrechtlichen Interessenlage durch den EUGesetzgeber, realisiert wird.466 Dies ist der Fall, wenn sich die kollisionsrechtliche Interessenlage im konkreten Fall offensichtlich so stark von derjenigen der „Normalfälle“, welche der Gesetzgeber bei der Schaffung des Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I vor Augen hatte, unterscheidet, dass eine andere Abwägung und Bewertung der kollisionsrechtlichen Interessen vorzunehmen ist, weil die ursprüngliche Wertung des Gesetzgebers nicht mehr sachgerecht erscheint.467 Ob dies im Rahmen von grenzüberschreitenden Telemedizinverträgen der Fall ist, wird im nachfolgenden Abschnitt untersucht. 1. Ausweichklausel im internationalen (Tele-)Arztrecht a) Ausweichklausel im Rahmen des internationalen Arztrechts Betrachtet man die in der rechtswissenschaftlichen Literatur geäußerten Meinungen über den Anwendungsbereich der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I im Rahmen des internationalen Arztrechts, stellt man fest, dass die überwiegende Auffassung davon ausgeht, dass es im Rahmen von Arztverträgen grundsätzlich bei der Regelanknüpfung verbleiben soll.468 Der Arztvertrag wäre folglich regelmäßig der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arztes zu unterstellen.469
466 Vgl. Kropholler, IPR § 52 III 4, S. 472; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 59; Von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rn. 97; Magnus in Staudinger (2002), Art. 28 EGBGB, Rn. 126; Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 90; Merschformann, Objektive Bestimmung des Vertragsstatuts, S. 188, 196; Geisler, Engste Verbindung, S. 86; Sprenger, Internationale Expertenhaftung, S. 203 f.; teilweise wird auch das Vertrauensprinzip als Grundlage der Ausweichklausel angesehen, vgl. dazu Gonzenbach, Akzessorische Anknüpfung, S. 12. 467 Vgl. Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 245, 247; unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, wird freilich noch Gegenstand der weiteren Untersuchung sein. 468 Hoppe, MedR 1998, 462, 465; Deutsch in FS Ferid, 117, 122; Mansel in FS Weitnauer, 33, 45; Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 228 ff.; Dierks, Integration von Telemedizin, S. 33; Bohle in Dierks/Feussner/Wienke, S. 85; Link, Telemedizin, 281 ff.; a.A. ohne eingehende Untersuchung Schütt, Deliktstyp und IPR, S. 177. 469 Schnitzer, RabelsZ 33 (1969), 17, 22; Mansel in FS Weitnauer, 33, 45 und 47; Deutsch in FS Ferid, 117, 122; Magnus in Staudinger (2002), Art. 28 EGBGB, Rn. 257; Von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB. Rn. 201.
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In der wissenschaftlichen Diskussion um den Anwendungsbereich der Ausweichklausel im internationalen Arzthaftungsrecht findet sich jedoch auch ein differenzierender Ansatz. Nach diesem soll danach unterschieden werden, ob der Arzt über eine Zulassung am Behandlungsort verfügt oder nicht. Nur im zweiten Fall schließt sich diese Literaturstimme der herrschenden Auffassung an und verneint eine Anwendung der Ausweichklausel, während er im ersten Fall über die Ausweichklausel zur Anwendung der Rechtsordnung am Behandlungsort gelangt.470 Gleiches soll nach Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur gelten, wenn die Behandlung außerhalb des Niederlassungsstaates des Arztes erfolgt.471 b) Ausweichklausel im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinverträge Nach überwiegender Auffassung wird im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinverträge die telemedizinische Behandlung ausschließlich am Niederlassungsort des Telemediziners erbracht, so dass für die Anwendung der Ausweichklausel nach Art. 4 Abs. 3 Rom I kaum Raum verbleibt. Telemedizinverträge seien folglich – wie Arztverträge im allgemeinen – stets der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners zu unterstellen.472 Diese Auffassung erfuhr in jüngerer Zeit jedoch Kritik. Nach dieser noch jungen Ansicht sei in Fällen, in denen die Telemedizin im Rahmen einer horizontalen Arbeitsteilung eingesetzt wird, also im Rahmen von Telekonsilen, Teleexpertisen und Telepräsenzen473, die Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I durch die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I dahingehend zu korrigieren, dass die Rechtsordnung am Behandlungsort, also dem Ort an dem sich der Patient im Zeitpunkt der Behandlung physisch befindet, zur Anwendung berufen wird.474 Anders sei hingegen zu verfahren, wenn die telemedizinische Behandlung ausschließlich in
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Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 230. Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 230; Deutsch in FS Ferid, 117, 131; Geisler, Engste Verbindung, S. 224; Von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB, Rn. 201; solche Fallkonstellationen sind denkbar, wenn ein Arzt eine Reisegruppe ins Ausland begleitet. Diese Fälle sollen hier jedoch bewusst ausgeklammert werden, da es unwahrscheinlich erscheint, dass in derartigen Fällen die Telemedizin eingesetzt wird. 472 Bohle in Dierks/Feussner/Wienke, S. 85; Link, Telemedizin, 281 ff.; Dierks, Integration von Telemedizin, S. 33; Martiny in Müko, Art. 4 Rom I Rn. 56; Barwig, Arztund Krankenhausträgerhaftung, S. 224 f.; Hoppe, MedR 1998, 462, 465. 473 Vgl. dazu oben 0. 474 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 144 f.; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 179; mit sehr vorsichtiger Formulierung auch Callens, European Journal of Health Law, 2002, 93, 98. 471
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direktem Kontakt zwischen Patient und Telemediziner erfolgt. In derartigen Fallkonstellationen soll es bei der Regelanknüpfung bleiben, so dass weiterhin die Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners zur Anwendung berufen wird.475 Eine dritte Meinung gelangt über Art. 4 Abs. 3 Rom I ausnahmsweise zur Anwendung der Rechtsordnung am Behandlungsort, wenn ein deutscher Telearzt mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland einen Patienten, der gleichfalls seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, vom Ausland aus behandelt.476 In allen anderen Fällen sei hingegen weiterhin Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I maßgeblich, so dass die Rechtsordnung des Staates, in welchem der Telemediziner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zur Anwendung berufen werde.477 2. Kritik an den Meinungen und Erarbeitung eines eigenen Lösungsvorschlags Wie gezeigt soll es nach der überwiegenden Literaturmeinung für grenzüberschreitende Telemedizinverträge aber auch für traditionelle grenzüberschreitende Behandlungen zu keiner Korrektur der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I kommen. Hauptargument hierfür, welches sich wie ein roter Faden durch die Literatur zieht, ist, dass der Telearzt den Standesregeln und den daraus resultierenden Verhaltenspflichten an diesem Ort unterliegt und somit nur durch eine Anknüpfung an diese Rechtsordnung eine Parallelisierung von Haftungs- und Standesregeln, mit den daraus resultierenden Verhaltenspflichten, bewirkt werden könne.478 Würde man dieses Argument als unumstößlich anerkennen, würde daraus in der Tat quasi zwingend eine mit der Regelanknüpfung übereinstimmende Anknüpfung an die Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners resultieren, da jede Abweichung von dieser Rechtsordnung über die Ausweichklausel den Gleichlauf von Haftungs- und Standesregeln zerstören würde. Für die Ausweichklausel bestünde im Rahmen der Telemedizin dann in der Tat kein Anwendungsraum.
475
Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 150. Pielach, Haftungsfragen, S. 207; In diesen Fällen gelangt man richtigerweise jedoch bereits über Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I zur Anwendung deutschen Sachrechts. Mit einer Korrektur über die Ausweichklausel hat dies eigentlich nichts zu tun. 477 Pielach, Haftungsfragen, S. 207 stellt hier fälschlicherweise nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Telemediziners, sondern auf die Behandlungsleistung ab, meint aber wohl das hier Gesagte. 478 Vgl. Deutsch in FS Ferid, 117, 122; Mansel in FS Weitnauer, 33, 45. 476
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Bevor näher untersucht wird, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang die Ausweichklausel zu einer Abweichung von der Regelanknüpfung führt, wird deshalb untersucht, ob dieses Gleichlaufargument derart überzeugend ist, dass eine Korrektur mittels der Ausweichklausel praktisch ausgeschlossen wäre. a) Keine zwingende Anknüpfung an den Niederlassungsort des Telemediziners Nicht bestritten werden kann, dass der Arzt meist an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort als Arzt zugelassen sein wird479, so dass zumindest auch diese Rechtsordnung für standesrechtliche Fragen und die damit verbundenen Verhaltenspflichten sowie für Fragen der Zulassung und der Anerkennung, aufgrund öffentlich-rechtlicher Regelungen, als Spezialist maßgeblich ist.480 Wohl auch deshalb betrachtet ein Teil der Literatur den Zulassungsort des Arztes sogar als ein geeignetes Differenzierungskriterium, um über die Ausweichklausel zu einer Abkehr von der Regelanknüpfung zu gelangen oder es bei dieser zu belassen.481 Aber kann daraus, dass die Zulassung und Anerkennung einer Person als Arzt aufgrund öffentlichrechtlicher Vorschriften am Niederlassungsort erfolgt ist, tatsächlich geschlossen werden, dass Verträge, welche diese Person im Anschluss an diese Legitimierung schließt, stets der Rechtsordnung am Zulassungsort zu unterstellen sind? Wäre eine Korrektur über die Ausweichklausel folglich nicht möglich, nur weil aus dieser Zulassung und dem örtlichen Standesrecht auch bestimmte Verhaltenspflichten erwachsen? aa) Kollisionsrechtliche Ungleichbehandlung als Folge Im Ergebnis sind diese Fragen zu verneinen, da die Tatsache, dass telemedizinische Dienstleistungen eine öffentlich-rechtliche Einkleidung erfahren haben, nicht entscheidend dafür sein kann, dass Telemedizinverträge dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telearztes zu unterstellen sind, eine Korrektur über die Ausweichklausel also nicht möglich ist.482 Entscheidend ist vielmehr, dass der Telemediziner die berufstypische Leistung erbringt und deswegen härter getroffen würde, wenn seine Berufstätigkeit verschiedenen Sachrechten unterläge, je nachdem welchen Patienten er
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Vgl. zum Zulassungserfordernis in den einzelnen Staaten oben Kapitel 2, § 2, A und B. 480 Mansel in FS Weitnauer, 33, 45; Deutsch in FS Ferid, 117, 122. 481 Vgl. die Auffassung von Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 228 ff. 482 Vgl. Kegel/Schurig, IPR, § 18 I 1 d), S. 661; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 140; Link, Telemedizin, S. 282.
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behandelt.483 Ob der Beruf oder die Berufsausübung am gewöhnlichen Aufenthaltsort desjenigen, der die berufliche Tätigkeit erbringt, besonderen öffentlich-rechtlichen Regelungen unterliegt, ist schon für die Regelanknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I unerheblich und daher auch kein Grund dafür eine Korrektur der Anknüpfung über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I abzulehnen. Dass dies von den oben genannten Autoren so vehement anders gesehen wird, lässt sich nur durch die Entstehungsgeschichte der Regelanknüpfung nach der Lehre von der charakteristischen Leistung, die auch Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I zugrunde liegt, erklären. Wie oben bereits ausführlich dargestellt484, ging Schnitzer, als Begründer dieser Lehre, davon aus, dass nicht die Geldleistung, sondern die geschuldete Gegenleistung die vertragscharakteristische Leistung darstelle, da sich aus ihr ergebe, welcher Sozialsphäre ein Vertragsverhältnis zuzuordnen sei. Danach sollen Dienstleistungsverträge dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Dienstleisters zu unterstellen sein, weil sie an diesem Ort ihrer sozialen Funktion nachkommen und auch den Standesregeln dieses Ortes unterworfen sind.485 Dies zeigt sich eindrucksvoll im Rahmen der grenzüberschreitenden Telemedizin, deren Erbringung durch eine Vielzahl berufsrechtlicher Vorschriften des Niederlassungsstaates des Telemediziners geregelt ist. Daher wurden gerade im Bereich der internationalen Arzthaftung die Argumentationsansätze von Schnitzer gerne übernommen486 und argumentativ dahingehend ergänzt, dass der Arzt auch den Verhaltenspflichten an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort unterworfen sei.487 So ergab sich die Ansicht, dass nur durch eine Anwendung des Rechts am Niederlassungsort eine Parallelisierung zwischen Haftung und Verhaltenspflichten realisiert werden könne.488 Ungeachtet der Tatsache, dass die Telearzthaftung im Kollisionsrecht regelmäßig ausschließlich deliktisch zu qualifizieren ist und sich die haftungsrelevanten Verhaltenspflichten des Arztes daher grundsätzlich nicht nach der über die Art. 3 ff. Rom I sondern nach der über Art. 4 Rom II berufenen Rechtsordnung richten489, vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen, da aus der Berücksichtigung dieses Kriteriums letztlich eine kollisionsrechtliche Ungleichbehandlung von Dienstleistungen resultieren würde. So wären charakteristische Leistungen, die eine öffentlich483
Vgl. Kegel/Schurig, IPR, § 18 I 1 d), S. 661. Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, B, II, 2. 485 Schnitzer, RabelsZ 33 (1969), 17, 22. 486 Vgl. Mansel in FS Weitnauer, 33, 47; Deutsch in FS Ferid, 117, 122. 487 Deutsch in FS Ferid, 117, 122; Mansel in FS Weitnauer, 33, 45. 488 Deutsch in FS Ferid, 117, 122; Mansel in FS Weitnauer, 33, 45. 489 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2. 484
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rechtliche Einkleidung erfahren haben, immer nach der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt desjenigen, der die charakteristische Leistung erbringt, zu beurteilen, während andere charakteristische Leistungen, die eine derartige Reglementierung nicht erfahren haben, unter Umständen aufgrund von Art. 4 Abs. 3 Rom I einer anderen Sachrechtsordnung unterliegen könnten.490 Darüber hinaus wird sich noch zeigen, soviel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen, dass das deutsche Approbationserfordernis als Eingriffsnorm zu qualifizieren ist.491 Es wird ausgelöst, wenn sich der Patient im Zeitpunkt der telemedizinischen Behandlung physisch in Deutschland befindet. Vor diesem Hintergrund ist das Argument, dass die Rechtsordnung des Niederlassungsstaats über die Zulassung und die Anerkennung des Telemediziners entschieden hat und deswegen – quasi zwingend – zur Anwendung berufen sei492, nicht haltbar, da diese Entscheidung zumindest auch durch die Sachrechtsordnung am Behandlungsort getroffen wird.493 bb) Verkehrung von Ursache und Wirkung Neben diesen Argumenten soll eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort auch deswegen notwendig sein, weil nur so eine Parallelisierung zwischen Haftung und Verhaltenspflichten erreicht werden könne.494 Dieses Argument verkennt, dass die Frage der Haftung des Arztes wegen Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität ausschließlich als deliktisch zu qualifizieren ist, so dass sich die Verhaltenspflichten nicht nach dem Vertragsstatut beurteilen. Ferner ist dieses Argument bei näherer Untersuchung wenig überzeugend, da es auf einer Verkehrung von Ursache und Wirkung beruht. Die haftungsauslösenden Verhaltenspflichten sind nämlich der anwendbaren Rechtsordnung zu entnehmen und nicht umgekehrt, so dass die Verhaltensnormen keinen Rückschluss auf die anwendbare lex causae zulassen.495 cc) Keine ausschließliche Erbringung der telemedizinischen Leistung im Niederlassungsstaat des Telemediziners Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung soll eine Korrektur der Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I über die Ausweichklausel des 490 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 140; siehe dazu auch Kegel/Schurig, IPR, § 18 I 1 d), S. 661. 491 Vgl. dazu unten Kapitel 4, § 5. 492 Deutsch in FS Ferid, 117, 122; Mansel in FS Weitnauer, 33, 45. 493 Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 166. 494 Deutsch in FS Ferid, 117, 122; Mansel in FS Weitnauer, 33, 45. 495 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 139.
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Art. 4 Abs. 3 Rom I ausgeschlossen sein, weil die Dienstleistung ausschließlich am Niederlassungsort des Telemediziners erbracht werde.496 Grenzüberschreitende telemedizinische Behandlungen werden jedoch nicht allein am ausländischen Niederlassungsort erbracht, wie die Ausführungen zur Auslegung des Merkmals der „ausschließlichen Erbringung“ in Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I bereits gezeigt haben.497 Etwas anderes kann auch in dem hier zu untersuchenden Zusammenhang nicht gelten, da es ansonsten zu erheblichen Wertungswidersprüchen kommen würde. dd) Zusammenfassung Somit gibt es keine Gründe dafür, grenzüberschreitende Telemedizinverträge der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners zu unterwerfen. Vielmehr können grenzüberschreitende Telemedizinverträge über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I grundsätzlich auch einer anderen Rechtsordnung als derjenigen am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners unterstellt werden. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Abweichung von der Regelanknüpfung vorzunehmen ist, ist damit freilich noch nicht geklärt. Dieser Frage wird im folgenden Abschnitt nachgegangen. b) Auseinandersetzung mit den vertretenen Auffassungen aa) Keine Anknüpfung an den Behandlungsort Vorteil einer Anknüpfung an den Behandlungsort wäre, dass viele Rechtsfragen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen einer einzigen Rechtsordnung unterworfen wären. Im Rahmen des klassischen internationalen Arzthaftungsrechts wird daher teilweise eine Anknüpfung an die Rechtsordnung am Behandlungsort jedenfalls in Fällen, in denen der Arzt an diesem Ort zugelassen ist, favorisiert.498 Zum gleichen Ergebnis gelangen Teile der Literatur auch für internationale Telemedizinfälle, wenngleich in diesem Zusammenhang auf das Differenzierungsmerkmal der Zulassung verzichtet wird.499 Gegen eine derartige Anknüpfung spricht, dass sie die Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I bei Telemedizinverträgen ins Gegenteil verkehrt, da man über die Ausweichklausel stets zur Anwendung der Rechtsordnung am Behandlungsort gelangen würde. Diese Abkehr von der Re496
Hoppe, MedR 1998, 462, 465. Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, b). 498 Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 230. 499 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 144; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 179. 497
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gelanknüpfung vermeidet diejenige Auffassung in der Literatur, welche die Zulassung des (Tele-)Arztes im Behandlungsstaat als Differenzierungsmerkmal nutzt.500 Bevor der Frage nachgegangen wird, ob eine Abkehr von der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I über Art. 4 Abs. 3 Rom I richtig ist, wird im Folgenden deshalb zunächst untersucht, ob die Zulassung des (Tele-)Arztes ein geeignetes Differenzierungskriterium darstellt. (1) Zulassung als ungeeignetes Differenzierungsmerkmal Die Nutzung der Zulassung als Differenzierungsmerkmal würde bewirken, dass derjenige Telemediziner kollisionsrechtlich privilegiert würde, der eine gegebenenfalls erforderliche Zulassung im Behandlungsstaat unterlässt, da auf den Telemedizinvertrag dann die Rechtsordnung an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort beziehungsweise seiner Niederlassung zur Anwendung berufen wäre.501 Mithin bliebe es dem Telemediziner durch Zulassung oder Nichtzulassung im Patientenstaat überlassen, das Vertragsstatut einseitig festzulegen. Dies kann nicht überzeugen. Zudem ist das Kriterium der Zulassung nicht geeignet, eine engere Verbindung zu einem anderen Staat zu begründen. Gerade dies verlangt jedoch Art. 4 Abs. 3 Rom I. Das Zulassungserfordernis wird ausgelöst, sobald einer telemedizinischen Behandlung das Risiko einer nennenswerten Gesundheitsgefahr für den Patienten immanent ist.502 Es deutet daher nicht auf einen bestimmten Staat, sondern auf eine bestimmte Gefährdungssituation des Patienten hin. Die Zulassung ist somit als Kriterium für eine offensichtlich engere Verbindung des Telemedizinvertrages im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Rom I zu einem anderen Staat ungeeignet.503 (2) Argumente gegen eine Abweichung von der Regelanknüpfung Nachdem nunmehr gezeigt wurde, dass eine Abweichung von der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I grundsätzlich möglich ist504 und dass die Zulassung des Telemediziners im Behandlungsstaat als Differenzierungsmerkmal ungeeignet ist, wird im folgenden Abschnitt nun der Frage nachgegangen, ob eine Abkehr von der Regelanknüpfung des Art. 4 500
Vgl. Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 230; vgl. auch schon oben Kapitel 4, § 3, B, III, 1. 501 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 140; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 171. 502 Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 2, A, II. 503 Im Ergebnis so auch Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 171; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 140. 504 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, B, III, 2, a).
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Abs. 1 lit. b Rom I über Art. 4 Abs. 3 Rom I bei Telemedizinverträgen sach- und interessengerecht ist.
α.) Trägheitsprinzip des Kollisionsrechts Gegen eine Korrektur der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I spricht zunächst, dass das kollisionsrechtliche Interesse des Telemediziners nach der Lehre von der charakteristischen Leistung dasjenige des Patienten nach Auffassung des normgebenden Gesetzgebers grundsätzlich überwiegt. Diese grundsätzliche Wertung des EU-Gesetzgebers muss im Rahmen der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I „überwunden“ werden. Im Interesse der durch Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I erreichten Rechtssicherheit darf man nicht immer bereits dann, wenn die tatsächliche Interessenkonstellation die kollisionsrechtliche Entscheidung nicht mehr so „trägt“ wie es sich der Gesetzgeber bei der Schaffung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I vorgestellt hat, von der durch diese Kollisionsnorm ausgesprochenen Verweisung abweichen und über Art. 4 Abs. 3 Rom I eine „passendere“ suchen.505 Vielmehr ist eine Abkehr von der Regelanknüpfung nur möglich, wenn die bei Telemedizinverträgen vorgefundene kollisionsrechtliche Interessenlage so erheblich von der durch den Gesetzgeber bei der Schaffung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I zugrunde gelegten, typischen kollisionsrechtlichen Interessenlage abweicht, dass ein Festhalten an der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Telemediziners trotz des im Interesse der Rechtssicherheit vorhandenen Kontinuitätsinteresses des potentiell beteiligten Rechtsverkehrs das Vertrauen in die europäischen Kollisionsregeln nachhaltig beeinträchtigen würde. Mit anderen Worten darf bei Telemedizinverträgen nur dann von der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I abgewichen werden, wenn das Interesse des potentiell beteiligten Rechtsverkehrs an der Kontinuität dieser Anknüpfung mit Rücksicht auf die konkreten Fallumstände der Telemedizin nicht schützenswert erscheint.506 Dieses sogenannte Trägheitsprinzip des Kollisions505
Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 201 f. Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 202, der insofern vom „Trägheitsprinzip“ im Kollisionsrecht spricht; aus dieser Sichtweise der Funktion der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I resultiert letztlich, dass es dieser Norm eigentlich nicht zur „Flexibilisierung“ des Kollisionsrechts bedarf. Wenn nämlich schon im Vergleich mit dem Kollisionsrecht deutlich detaillierter geregelte Sachrechte nicht auf die Argumentationsfigur der teleologischen Reduktion verzichten können, dann darf erst recht die erforderliche Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung des eine noch größere Zahl von Lücken aufweisenden Kollisionsrechts nicht an einer übertriebenen starren „Begriffsjurisprudenz“, also einer Bindung an den Gesetzeswortlaut, scheitern (siehe zur Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion im Sachrecht, Larenz, Methodenlehre, S. 391– 397). Soweit es erforderlich ist, kann der Richter auch ohne ausdrückliche gesetzliche 506
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rechts kommt auch im Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 Rom I, wenngleich nur unvollkommen, zum Ausdruck, da nur in Fällen einer „offensichtlich“ engeren Verbindung zu einem anderen Staat von der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom I abgewichen werden darf. Vor diesem Hintergrund ist es überaus zweifelhaft, ob aus dem Kooperationserfordernis von Telemediziner und Primärarzt tatsächlich eine „offensichtlich“ engere Verbindung zum Behandlungsstaat resultiert. Zunächst darf nicht übersehen werden, dass der Telemediziner seine vertraglich geschuldete Leistung regelmäßig allein von seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort aus erbringt. Durch den Einsatz der Telemedizin verlagert sich seine berufstypische Tätigkeit nicht ins Ausland, sondern erfolgt weiterhin von seinem Heimatland, aus seiner Sozialsphäre heraus. An diesem Ort erhält er die für die telemedizinische Leistung erforderlichen Patienten- und Anamnesedaten, wertet diese aus, konsultiert die notwendige Fachliteratur und trifft seine Entscheidung über die Diagnose und den weiteren Behandlungsverlauf. Der Schwerpunkt der vertraglich geschuldeten, telemedizinischen Leistung liegt folglich trotz des Kooperationserfordernisses am Niederlassungsort des Telemediziners.507 Jedenfalls ist das Kooperationserfordernis nicht dazu geeignet eine offensichtlich engere Verbindung zum Behandlungsstaat zu begründen. Vielmehr überwiegt trotz dieses Arguments das Interesse des potentiell beteiligten Rechtsverkehrs und des Telemediziners an der Kontinuität der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I, so dass eine Abweichung über Art. 4 Abs. 3 Rom I abzulehnen ist.
β.) Korrektur des Vertragsstatuts als Folge einer fehlerhaften kollisionsrechtlichen Qualifikation der Telearzthaftung Diejenigen, die eine Abkehr von der Regelanknüpfung hin zum Sachrecht des Behandlungsstaates postulieren, begründen dies insbesondere mit der Gefahr einer Entstehung von positiven oder negativen Haftungskonflikten beziehungsweise Normenwidersprüchen und der Zerreißung eines einheit-
Erlaubnis aufgrund der „Offenheit“ des Kollisionsrechts von den bestehenden Kollisionsnormen abweichen. Die Schaffung besonderer Ausweichklauseln, wie Art. 4 Abs. 3 Rom I, bringt deshalb keinen Vorteil, sondern birgt vielmehr die Gefahr, dass in der Rechtsanwendungspraxis häufiger als notwendig andere Anknüpfungen verwendet werden, als gesetzlich vorgesehen ist. Das beeinträchtigt nicht nur die Rechtssicherheit, sondern untergräbt auch die Autorität des Gesetzgebers. Vgl. zu dem Gesagten insgesamt Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 170–176; Kegel/Schurig, IPR, § 6 III, S. 316 ff.; Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, S. 118, 138. 507 Link, Telemedizin, S. 282; Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 224 f.
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lichen Lebenssachverhalts.508 Ferner sei bei grenzüberschreitender telemedizinischer Behandlung nicht mehr nur die Sozialsphäre am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners, sondern auch jene an dem Ort, an welchem sich der Patient im Zeitpunkt der Behandlung physisch befindet, betroffen.509 Dies ergebe sich daraus, das der Telemediziner nur eine Teilleistung im Rahmen der Gesamtbehandlung des Patienten erbringe und seine Tätigkeit mit dem – aus seiner Sicht – ausländischen Primärarzt abstimmen müsse. In der Folge erstarke der Behandlungsort zum „Kristallisationspunkt“ des abgestimmten ärztlichen Wirkens von Primärarzt und Telemediziner.510 Zudem wird mit dem Aspekt der Vorhersehbarkeit des zur Anwendung berufenen Sachrechts argumentiert. Kein Telemediziner sei gezwungen, grenzüberschreitend tätig zu werden. Wenn er sich jedoch dafür entscheidet und in der Kenntnis handelt, dass am Behandlungsort des Patienten noch ein Primärarzt tätig ist, müsse er auch mit der Anwendung fremden Rechts rechnen.511 Ob diese Überlegungen ausreichen, um eine offensichtlich engere Verbindung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Rom I der telemedizinischen Behandlung zum Behandlungsstaat zu begründen, ist überaus zweifelhaft. Zunächst darf nicht übersehen werden aus welcher Intention heraus für eine Anwendung des Sachrechts am Behandlungsort plädiert wird. Eine Berufung der Rechtsordnung am Behandlungsort wird insbesondere deshalb für sachgerecht erachtet, weil so regelmäßig erreicht werde, dass sich die Haftung des Telemediziners und diejenige des Primärarztes nach derselben Sachrechtsordnung richtet.512 Es ist zwar richtig, dass die kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners im Haftungsfall gegenüber denjenigen des Patienten zurücktreten, so dass es in der Tat sachgerecht erscheint, für die Beantwortung der Haftungsfrage des Telemediziners das Sachrecht am physischen Aufenthaltsort des Patienten im Zeitpunkt der telemedizinischen Behandlung zu berufen. Dies zeigt jedoch nur, dass das Vertragsstatut für Telemedizinhaftungsfälle nicht passt, weil die aus der Grundregel des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I resultierende kollisionsrechtliche Privilegierung des Telemediziners nicht interessengerecht ist. Dies verwundert auch nicht, da das Vertragsstatut doch gerade nicht dafür zuständig ist, die Rechtsordnung für Schadensersatzansprüche aus Körper- und Gesund-
508 Siehe etwa Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 144; Wagner, Dienstleistungshaftung, S. 179. 509 Vgl. Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 144. 510 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 144. 511 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 145. 512 Vgl. nur die Ausführungen von Wagner, Dienstleistungshaftung, S. 179 und diejenigen von Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 145.
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heitsverletzungen zu bestimmen.513 Dies ist vielmehr Aufgabe des Deliktsstatuts, weshalb über Art. 4 Rom II grundsätzlich die Rechtsordnung am Erfolgsort der unerlaubten Handlung, also meist des Ortes an dem sich der Patient im Zeitpunkt der telemedizinischen Behandlung physisch befindet, zur Anwendung berufen wird. Die Auffassung die das selbe Ergebnis über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I erzielen will, ist jedoch der falsche Weg um zur Anwendung der „richtigen“ Sachrechtsordnung zu gelangen. Das Bestreben nach Korrektur des Vertragsstatuts resultiert vielmehr nur aus der fehlerhaften kollisionsrechtlichen Qualifikation der Telearzthaftung und damit aus einer dogmatisch und methodisch falschen Vorgehensweise. Qualifiziert man die Telearzthaftung wie hier vorgeschlagen ausschließlich deliktisch und unterwirft sie folglich erst gar nicht der durch Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I berufenen Sachrechtsordnung, sondern derjenigen die durch Art. 4 Abs. 1 Rom II ihren Anwendungsbefehl erhält, gelangt man ohne Umwege oder Korrekturmaßnahmen für die Frage der Haftung des Telemediziners zur Anwendung der Rechtsordnung am Behandlungsort.
γ.) Unbeachtlichkeit der Erwartungen von Patient und Telemediziner Eine Korrektur der Regelanknüpfung zugunsten einer Anknüpfung an die Rechtsordnung des Behandlungsortes kann auch nicht damit begründet werden, dass diese den Erwartungen von Patient und Telemediziner entsprechen würde.514 Zunächst einmal ist bereits zweifelhaft, ob Patient und Telemediziner wirklich die Anwendung der Rechtsordnung des Behandlungsortes erwarten. Ferner stellt sich die Frage, ob derartige Erwartungen im Rahmen des Art. 4 Abs. 3 Rom I überhaupt zu berücksichtigen sind. Die Systematik des Anknüpfungssystems der Rom I Verordnung zeigt, dass zwischen subjektiven und objektiven Anknüpfungskriterien zu unterscheiden ist. Dies kommt bereits dadurch zum Ausdruck, dass nach Art. 4 Abs. 1 Rom I auf objektive Kriterien nur subsidiär zurückgegriffen werden darf. Art. 4 Abs. 3 Rom I findet aber nur im Rahmen der objektiven Bestimmung des Vertragsstatuts Anwendung, so dass es sowohl anknüpfungstechnisch als auch anknüpfungsmethodisch bedenklich erscheint, über die Ausweichklausel subjektive Parteierwartungen in die objektiven Bestimmung des Vertragsstatuts zu transferieren. Diese Sichtweise kommt auch in der Struktur des Art. 4 Abs. 1 Rom I zum Ausdruck, da der objektiven Anknüpfung des Telemedizinvertrages nur eine Rechtswahl
513
Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 4, § 2, C. Vgl. zu dieser Überlegung Dierks, Integration von Telemedizin, S. 33; Link, Telemedizin, S. 285. 514
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durch die Parteien vorgeht, während die bloßen Parteierwartungen nicht als vorrangiges Merkmal genannt werden. Trotz dieser systematischen Bedenken wird häufig die Auffassung vertreten, dass im Rahmen der Ausweichklausel auch subjektive Parteierwartungen zu berücksichtigen seien.515 Begründet wird dieses Verständnis insbesondere damit, dass die Berücksichtigung von Parteierwartungen hinsichtlich der Anwendbarkeit einer bestimmten Sachrechtsordnung gewissermaßen als Reflex der vorrangigen Parteiautonomie erscheine. Einige Vertreter dieser Auffassung nehmen im Interesse der Rechtssicherheit jedoch eine dahingehende Restriktion vor, dass nur „vernünftige“ oder „berechtigte“ Parteierwartungen zu berücksichtigen seien.516 In der rechtwissenschaftlichen Literatur findet sich aber auch die Gegenauffassung, nach der die Parteierwartungen im Rahmen der Beurteilung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I nur mit skeptischer Zurückhaltung517 oder gar nicht518 zu berücksichtigen seien. Für die Unbeachtlichkeit der Erwartungen von Patient und Telemediziner im Rahmen des Art. 4 Abs. 3 Rom I streitet, dass im Rahmen einer objektiven Anknüpfung auch nur objektive oder jedenfalls objektivierbare Kriterien Verwendung finden können.519 Objektiviert man die typischen Erwartungen von Patient und Telemediziner, werden diese aber bereits in der Regelanknüpfung nach der Lehre von der charakteristischen Leistung berücksichtigt und bestätigen diese folglich nur.520 Würde man die Parteierwartungen hingegen als subjektive Interessen und Erwartungen der Parteien im Einzelfall verstehen und als solche im Rahmen des Art. 4 Abs. 3 Rom I berücksichtigen, liefe man permanent Gefahr, dass der hypothetische Parteiwille in seiner subjektiven Ausprägung, die er durch das Reichsgericht gefunden hatte, durch die Ausweichklausel wiederauflebt.521 Diese Gefahr erkennen auch Teile der Literatur und verlangen daher, dass die Parteierwartungen „aus den im Zeitpunkt der Begründung des Rechtsverhältnisses gegebenen Umständen nachweisbar
515
Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 116; Gammillscheg, ZfA 1983, 307, 331; Junger, RabelsZ 46 (1982), 57, 72; Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 253 ff., insb. 262 f.; Schwander in FS Moser, 79, 87 f.; Schreiber, Ausweichklauseln, S. 253. 516 Kreuzer in FS Zajtay, 295, 328; Dietzi in FG Schweizer Juristentag 1973, 49, 61. 517 Knoepfler, Rev. crit. dr. int. priv. 1992, 484, 493; Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 109. 518 Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 93 f.; Von Hoffmann/ Thorn, § 10 Rn. 59. 519 Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 259; Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 109. 520 Vgl. Bucher in FS Meier-Hayoz, 45, 62; Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 109. 521 Zur verdeckten Fortführung von nationalem Altkollisionsrecht mithilfe der Ausweichklausel vgl. auch Mankowski, ZEuP 2002, 804, 819 f.
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sein und gerechtfertigt erscheinen“ müssen.522 Wie konkret diese Umstände sein müssen, bleibt diese Literaturstimme jedoch schuldig. Haben sich die Parteierwartungen aber in objektiven Umständen niedergeschlagen, stellt sich die Frage, warum nicht direkt auf diese abgestellt wird, sondern der „Umweg“ über die im Hintergrund stehenden Parteierwartungen gewählt wird.523 Als Kriterium für die Schwerpunktbestimmung im Rahmen des Art. 4 Abs. 3 Rom I ist die objektivierte Parteierwartung daher weitestgehend nutzlos und ungeeignet. Vielmehr überwiegt durch die Berücksichtigung von Parteierwartungen die Gefahr, dass der überkommene hypothetische Parteiwille durch die „Hintertür Ausweichklausel“ in die objektive Anknüpfung gelangt.524 Daneben ist zu befürchten, dass die Gerichte von einem derart unbestimmten leerformelartigen Anknüpfungskriterium extensiv Gebrauch machen würde, um zur heimischen lex fori zu gelangen.525 Gegen die Berücksichtigung von Erwartungen des Patienten und des Telemediziners spricht darüber hinaus, dass für sie kein praktisches Bedürfnis besteht, da Patient und Telemediziner gemäß Art. 3 Abs. 2 Rom I jederzeit die Möglichkeit haben auch noch nachträglich, beispielsweise während eines laufenden Prozesses, eine Rechtswahl zu vereinbaren und dadurch ihre Sachrechtserwartungen entsprechend umzusetzen. Aufgrund dieser Überlegungen sind die Parteierwartungen im Rahmen der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I nicht als Kriterium zu berücksichtigen und daher auch nicht geeignet eine Anknüpfung des Telemedizinvertrages an die Rechtsordnung am Behandlungsort über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I zu begründen. (3) Schlussfolgerung Aufgrund der soeben angestellten Überlegungen vermag eine Abweichung von der Regelanknüpfung über Art. 4 Abs. 3 Rom I an den Behandlungsort nicht zu überzeugen. Selbst wenn der Telemediziner am Behandlungsort zugelassen ist, resultiert hieraus keine offensichtlich enge Verbindung zum Behandlungsstaat, die eine Anknüpfung über Art. 4 Abs. 3 Rom I an diese Rechtsordnung verlangen würde.
522
Hirse, Ausweichklausel im IPR, S. 259. Merschformann, Objektive Bestimmung des Vertragsstatuts, S. 79. 524 Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 109; Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 93. 525 Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 93. 523
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bb) Keine akzessorische Anknüpfung an das für den Vertrag zwischen Patient und Primärbehandler geltende Vertragsstatut Die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I eröffnet auch die Möglichkeit einer vertragsakzessorischen Anknüpfung und somit grundsätzlich die Möglichkeit den Telemedizinvertrag akzessorisch an den Behandlungsvertrag zwischen Patient und Primärarzt anzuknüpfen.526 Die Regelanknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I bezieht sich zunächst nur auf einen einzelnen Vertrag. In gewissen Fällen gehört dieses einzelne Vertragsverhältnis jedoch in einen größeren Zusammenhang, aus dem eine andere kollisionsrechtliche Interessenlage der Beteiligten resultieren kann, als diejenige, die der Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I zugrunde liegt.527 Eine vertragsakzessorische Anknüpfung kommt in Fällen in Betracht, in denen ein Vertrag als von einem anderen Vertrag abhängig erscheint. Der abhängige Vertrag kann dann über die Ausweichklausel akzessorisch an die Rechtsordnung des beherrschenden Hauptvertrags angeknüpft werden.528 Der Vorteil einer akzessorischen Anknüpfung des Telemedizinvertrages an das Vertragsstatut des zwischen Primärbehandler und Patient regelmäßig bestehenden Vertrages würde darin bestehen, dass materiellrechtliche Widersprüche, mit daraus gegebenenfalls resultierenden positiven und negativen Normenkonflikten, vermieden würden.529 Ungeachtet der Tatsache, dass die Haftung des Telemediziners wegen einer Schädigung des Patienten in dessen körperlicher oder gesundheitlicher Integrität aufgrund der hier vertretenen ausschließlich deliktischen Qualifikation530 sowieso nicht dem Vertragsstatut unterliegt, so dass dieses Argument so oder so nicht sonderlich tragfähig ist, kommt eine akzessorische Anknüpfung nur dann in Betracht, wenn Verträge untereinander in einem derart engen inhaltlichen Zusammenhang stehen531, dass die kollisionsrechtliche Interessenlage offensichtlich von derjenigen, die der Regelung des Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I zugrunde liegt, abweicht. Dies ist der
526
Siehe nur Erwägungsgrund Nr. 20 zu Rom I; vgl. auch Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 252; Mankowski, IHR 2008, 133, 138; Brödermann/Wegen in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 4 Rom I Rn. 20, ex Art. 28 EGBGB Rn. 23. 527 Merschformann, Objektive Bestimmung des Vertragsstatuts, S. 231. 528 Von Bar, IPR II, § 4 Rn. 503 f.; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 62; Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 162 ff.; ders., in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 252; Magnus in Staudinger (2002), Art. 28 EGBGB, Rn. 134. 529 Vgl. Merschformann, Objektive Bestimmung des Vertragsstatuts, S. 232; Link, Telemedizin, S. 283; Jayme in FS Pleyer, 371, 377. 530 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C. 531 Siehe zum Erfordernis einer inhaltlichen Verbindung Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 162; ders., in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 253; Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 188; Jayme in FS Pleyer, 371, 377.
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Fall, wenn zwischen ihnen (1.) ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang besteht532, (2.) Parteiidentität zum Hauptvertrag vorliegt533 und (3.) eine Nähebeziehung des Vertrages zu einer anderen Rechtsordnung besteht, so dass eine einheitliche Anknüpfung erforderlich erscheint.534 (1) Kein enger wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Behandlungsvertrag und Telemedizinvertrag Ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Behandlungsvertrag und dem Telemedizinvertrag würde nur bei der Annahme, dass die telemedizinische Behandlung und die traditionelle „Vor-Ort-Behandlung“ eine wirtschaftliche Einheit darstellen, bestehen. Der wirtschaftliche Zusammenhang wird in der Regel durch einen gemeinsamen Zweck vermittelt.535 Wann von einer derartigen wirtschaftlichen Verflechtung auszugehen ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Nicht entscheidend ist jedenfalls, dass die Verträge in einer einheitlichen Urkunde zusammengefasst sind.536 Vielmehr muss sich aus den sonstigen objektiven Faktoren ergeben, dass die Verträge derart eng miteinander verbunden sind, dass sie ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit eindeutig verlieren.537 Je nach Telemedizintypus partizipiert der Telemediziner mit unterschiedlicher Intensität an der Behandlung durch den Primärarzt, so dass bei einigen Telemedizinverträgen ein Abhängigkeitsverhältnis eher bestehen könnte, als bei anderen. Dies sei anhand folgender Beispiele verdeutlicht: – Ein deutscher Patient, mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, sucht aufgrund einer krankhaften Gewebsveränderung die in Deutschland befindliche Praxis eines deutschen Pathologen auf. Der Pathologe vermutet nach sachgerechter pathologischer Untersuchung einer entnommenen Gewebeprobe, dass es sich nicht um Krebs handelt. Er ist sich jedoch nicht ganz sicher und sucht daher bei einem französischen Kollegen, mit gewöhnlichem Aufenthalt in Frankreich, Rat. Zu diesem Zweck übermittelt
532
Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 162; Mankowski, IPRax 2003, 464, 471; Merschformann, Objektive Bestimmung des Vertragsstatuts, S. 231; Von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB, Rn. 115. 533 Von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB, Rn. 116; Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 255; Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S. 188. 534 Von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rn. 117: Kreytenberg, Individuelle Schwerpunktbestimmung, S.188. 535 Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 139; Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 253; ders., in Reithmann/Martiny, Rn. 174. 536 Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 175; ders., in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 252, 256; Schnelle, Objektive Anknüpfung, S. 139; Magnus in Staudinger (2002), Art. 28 EGBGB Rn. 134; Von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rn. 115. 537 Merschformann, Objektive Bestimmung des Vertragsstatuts, S. 231.
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er ihm mehrere Schnittbilder via Datenleitung. Kurze Zeit später erhält er von dem französischen Kollegen ein Kurzgutachten, aus dem hervorgeht, dass es sich nicht um eine bösartige Gewebsveränderung handelt und sieht sich deshalb in seiner Meinung bestätigt. – Ein deutscher Patient, mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, wird aufgrund einer lebensbedrohlichen Herzklappenmissbildung in eine deutsche Klinik eingeliefert. Die dort befindlichen Chirurgen sehen sich jedoch außerstande die notwendige und lebensbedrohliche Operation selbst durchzuführen. Sie schlagen daher vor, diese durch einen spanischen Herzspezialisten durchführen zu lassen. Die Operation soll mithilfe eines Operationsroboters vorgenommen werden. Dessen Steuerung erfolgt über spezielle, besonders leistungsfähige Datenleitungen aus einer Klinik in Madrid, wo der spanische Herzspezialist an einem speziellen Operationsroboter die erforderlichen Steuerbefehle gibt. Die Ärzte im deutschen Operationssaal anästhesieren und assistieren lediglich. Diese Beispiele verdeutlichen, dass der Behandlungsbeitrag des Telemediziners von Fall zu Fall stark variiert. Die erste Konstellation stellt eine klassische Telekonsultation dar, in welcher der Telemediziner lediglich beratend tätig wird. Seine Meinung ist für die anschließende Diagnose oder Behandlung nicht allein ausschlaggebend, da sie vollumfänglich durch den fachgleichen Primärarzt überprüft werden kann. Ganz anders stellt sich hingegen der Behandlungsbeitrag des Telemediziners in der zweiten Fallkonstellation dar. Es handelt sich um einen Anwendungsfall der Telepräsenz in der Ausprägung der Telechirurgie. In diesen Fällen überwiegt der Behandlungsbeitrag des Telemediziners denjenigen der Ärzte „vor Ort“. Er übernimmt den wesentlichen Teil der Behandlung, während die eigentlichen Primärarzte nur assistieren. Je größer der Behandlungsbeitrag des Telemediziners ist, desto mehr verlagert sich der Behandlungsschwerpunkt vom Inland ins Ausland. Folglich verlagert sich auch der Erfüllungsort, verstanden im unjuristischtechnischen Sinn als Ort der Vertragsabwicklung, vom Behandlungsort in Richtung des Ortes, an dem sich der Telemediziner aufhält. Mit anderen Worten wird der sachliche Zusammenhang zwischen der Behandlung des Primärarztes und der telemedizinischen Behandlung umso geringer, je intensiver der Behandlungsbeitrag des Telemediziners ist. In Fällen der Teleexpertise und der Telepräsenz erbringt der Telearzt einen eigenständigen und wesentlichen Beitrag an der Behandlung. Er ist es, der aufgrund seines Fachwissens oder seiner speziellen Fähigkeiten zu der Behandlung hinzugezogen wird. Gerade deshalb bedarf der Telemediziner nach deutschem Sachrecht auch einer Zulassung im Behandlungsstaat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Telemediziner seinen Behandlungsbeitrag mit dem Primärbehandler abstimmen muss.
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Besonders deutlich wird dies in Fällen der Teleoperation, da hier der Teleoperateur die wesentliche Behandlungsleistung erbringt. Jedenfalls in diesen Fällen müsste man sich, im Falle der Annahme einer grundsätzlichen akzessorischen Anknüpfung, also erneut fragen, ob nicht doch eine offensichtlich engere Verbindung zum Aufenthalts-/Niederlassungsstaat des Telemediziners besteht. In der Folge bilden die Teleexpertise und die Telepräsenz keine wirtschaftliche Einheit mit der Behandlung durch den Primärarzt.538 Diskutieren ließe sich die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit allenfalls im Rahmen von Telekonsilen, da der Telearzt in diesen Fällen lediglich eine beratende Funktion übernimmt.539 Dennoch wird man auch in diesen Fällen keine wirtschaftliche Einheit annehmen können, da beide Leistungen wirtschaftlich unabhängig voneinander erbracht werden. Die Leistung des Primärarztes bildet mit der Behandlung durch den Telemediziner kein „größeres Ganzes“.540 (2) Parteienidentität zum Hauptvertrag Unabhängig von den bisherigen Überlegungen ist nach Teilen der Literatur eine akzessorische Anknüpfung von mehreren Verträgen nur dann zuzulassen, wenn die Verträge zwischen den gleichen Vertragsparteien abgeschlossen wurden oder wenn sich der Dritte der Geltung des Hauptvertrags unterworfen hat.541 Dem ist zuzustimmen, da andernfalls das kollisionsrechtliche Interesse des Dritten von vornherein unbeachtet bliebe.542 Die Voraussetzung der Parteiidentität dient somit der Beachtung des Verbots von Verträgen zu Lasten Dritter auf kollisionsrechtlicher Ebene.543 Auch steht einem anderen Verständnis das kollisionsrechtliche Vertrauensprinzip entgegen, da dem Telemediziner regelmäßig nicht bekannt ist, welcher Rechtsordnung der Behandlungsvertrag zwischen Primärarzt und Patient unterliegt. Würde man den Telemedizinvertrag akzessorisch an das Vertragsstatut des Behandlungsvertrags anknüpfen, könnte der Telemediziner nicht ermitteln welches Recht auf seinen Telemedizinvertrag anzuwenden
538
Ähnlich Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 179. Vgl. dazu oben Kapitel 1. 540 Ähnlich Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 179; Siehe zu diesem Erfordernis auch Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 253 m.w.N. 541 Grds. Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 255; Von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rn. 116; Michel, Akzessorische Anknüpfung, S. 47; Sprenger, Internationale Expertenhaftung, S. 170 f. 542 Siehe dazu Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 255. 543 Von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rn. 116; ähnlich Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 255. 539
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ist und liefe stets Gefahr, dass Patient und Primärarzt durch nachträgliche Rechtswahl das auf den Telemedizinvertrag anwendbare Sachrecht verändern. Das Erfordernis der Parteiidentität ergibt sich zudem auch aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 Rom II, der im Rahmen außervertraglicher Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung gleichfalls eine vertragsakzessorische Anknüpfung ermöglicht. Nach dieser Vorschrift kann sich eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat insbesondere aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis „zwischen den Parteien“ ergeben. Der europäische Gesetzgeber ging folglich davon aus, dass die Parteien des Rechtsverhältnisses mit denen der unerlaubten Handlung identisch sein müssen. Diese Überlegungen zeigen, dass nur für solche Verträge eine akzessorische Anknüpfung zuzulassen ist, die zwischen den gleichen Vertragsparteien abgeschlossen wurden oder bei denen sich Dritte der Geltung des Hauptvertrags unterworfen haben. Bei den hier untersuchungsgegenständlichen Vertragskonstellationen besteht jedoch keine solche Parteiidentität. Die Parteien des Behandlungsvertrages sind der Primärarzt und der Patient, während Patient und Telemediziner die Parteien des Telearztvertrages bilden. Eine akzessorische Anknüpfung des Telemedizinvertrages an den Behandlungsvertrag scheidet daher, ungeachtet der bisherigen Erwägungen zum wirtschaftlichen Zusammenhang von Primärarztvertrag und Telemedizinvertrag, jedenfalls in Ermangelung von Parteiidentität aus. IV. Besonderheiten bei Verbraucherverträgen aufgrund von Art. 6 Abs. 1 Rom I Gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom I findet auf Verbraucherverträge das Sachrecht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers Anwendung, sofern der Patient und der Telemediziner keine Rechtswahl vereinbart haben und die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 6 Rom I vorliegen. Dies ist der Fall, wenn der Vertrag mit dem Telemediziner in den sachlichen, räumlichen und situativen Anwendungsbereich der kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzvorschrift fällt. Diese Anwendungsvoraussetzungen wurden bereits im Rahmen der subjektiven Anknüpfung ausführlich untersucht, so dass hierauf verwiesen werden kann.544 Unter den obigen Voraussetzungen ist bei einer objektiven Bestimmung des Vertragsstatuts das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers zur Anwendung berufen.
544
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1.
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C. Reichweite des Vertragsstatuts Die Reichweite des Vertragsstatus wurde durch den Gesetzgeber in Art. 10 und 12 Rom I geregelt. Nach Art. 10 Abs. 1 Rom I ist für das Zustandekommen des Hauptvertrages grundsätzlich auf das Recht abzustellen, das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag wirksam wäre (sogenanntes hypothetisches oder präsumtives Vertragsstatut). Somit unterliegen Zustandekommen und Wirkung eines Telemedizinvertrages nach dem Prinzip des sogenannten einheitlichen Vertragsstatuts derselben Sachrechtsordnung, so dass Widersprüche und Anpassungsschwierigkeiten zwischen mehreren Statuten vermieden werden. Das Vertragsstatut gilt ferner für die Regeln über Angebot und Annahme. Dazu gehört auch die Frage, ob eine Person in eigenem oder im fremden Namen kontrahiert.545 Nach dem Vertragsstatut ist ferner zu beurteilen, ob Patient und Telemediziner einen Telemedizinvertrag abgeschlossen haben. Aber auch die Frage, welche Pflichten aus einem solchen Vertrag resultieren, insbesondere die Frage, ob der Patient den Telemediziner aufgrund eines Vertrags zu vergüten hat, unterliegen dem Vertragsstatut.546 Nach Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I richtet sich ferner die Erfüllung der mit dem Telemedizinvertrag eingegangenen Verpflichtungen nach dem Vertragsstatut. Es entscheidet insbesondere darüber, ob die telemedizinische Leistung auch durch Dritte erbracht werden darf.547 Wie sich aus der exemplarischen Aufzählung in Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I ergibt, beurteilen sich weiter auch die Voraussetzungen und die Wirkungen von Leistungsstörungen nach dem Vertragsstatut.548 Ebenso ist nach diesem zu beurteilen, wann eine Leistungsstörung, wie etwa die Nichterbringung der telemedizinischen Leistung oder die Nichtzahlung einer geschuldeten Vergütung, welche Rechtsbehelfe auslöst. Das Vertragsstatut umfasst ferner die Fragen wann Verzug eintritt, ob bestimmte Ansprüche ein Verschulden voraussetzen und wann ein Verhalten ursächlich für den Schaden ist.549
545
Martiny in Reithmann/Martiny, Rn. 213. Deutsch, MedR 2009, 576, 578. 547 Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 64; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 152; Brödermann/Wegen in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 12 Rom I Rn. 13. 548 Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 76 f.; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 32 EGBGB Rn. 7; Magnus in Staudinger (2002), BGB, Art. 32 EGBGB Rn. 44; Kropholler, IPR, § 52 I 3 b) (3). 549 BGHZ 50, 32, 35; Thorn in Palandt, BGB, Art. 12 Rom I Rn. 7; Magnus in Staudinger (2002), Art. 32 EGBGB Rn. 44; Spellenberg in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 78, 85 ff.; Brödermann/Wegen in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 12 Rom I Rn. 13; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 152; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 32 546
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Nicht vom Vertragsstatut umfasst ist hingegen die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Telemediziner für eine Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität des Patienten haftungsrechtlich einzustehen hat. Diese Frage unterliegt nach hier vertretener Auffassung einzig dem Deliktsstatut. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, inwieweit der Telemediziner oder der Primärarzt für eine Körper- oder Gesundheitsschädigung des Patienten durch den jeweils anderen haftungsrechtlich einzustehen hat.550 D. Keine kollisionrechtliche „Sonderbehandlung“ von ärztlichen Gebührenregelungen Die Abrechnung privatärztlicher Leistungen richtet sich in Deutschland, wie im Rahmen der Darstellung des materiellen Arztvergütungsrechts bereits dargestellt wurde, nach den Gebührenregelungen der GOÄ.551 Bei grenzüberschreitenden Telemedizinverträgen stellt sich daher die Frage, ob der ausländische Telemediziner diese Gebührenvorschriften zu beachten hat, wenn er einen physisch in Deutschland befindlichen Patienten telemedizinisch behandelt und hierfür eine Vergütung verlangt. In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, ob die Gebührenregelungen der GOÄ jedenfalls dann zur Anwendung berufen sind, wenn das für Vergütungsfragen zuständige Vertragsstatut deutsches Recht ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Vorschriften der GOÄ überhaupt vom Vertragsstatut der Art. 3 ff. Rom I erfasst werden. Dies wäre wiederum nur dann der Fall, wenn es sich bei den Gebührenvorschriften der GOÄ nicht um öffentlich-rechtliche Vorschriften handeln würde, da solche nicht von den Verweisungsbefehlen des Internationalen Privatrechts und damit auch nicht von denen der Art. 3 ff. Rom I erfasst werden. Bevor daher untersucht wird, ob die Gebührenregelungen der GOÄ auch dann für den Telemediziner maßgeblich sind, wenn auf seinen Vertrag mit dem deutschen Patienten nicht deutsches Recht zur Anwendung berufen wird, wird daher zunächst untersucht, ob es sich bei der GOÄ um öffentlichrechtliche Regelungen oder um solche des Privatrechts handelt. I. Rechtsnatur der Gebührenregelungen der GOÄ Gebührenregelungen für Freiberufler finden sich im deutschen Recht nicht nur in der GOÄ, sondern beispielsweise auch in der Honorarordnung für
EGBGB Rn. 7; Von Hoffmann in Soergel, Art. 32 EGBGB Rn. 32, 35, 36; Sprenger, Internationale Expertenhaftung, S. 123. 550 Vgl. dazu insgesamt oben Kapitel 4, § 2, C. 551 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 2.
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Architekten und Ingenieure (HOAI)552, weshalb auch die zu diesen Regelungen geäußerten Meinungen über die Rechtsnatur in die Untersuchung über die Rechtsnatur der GOÄ einbezogen werden können. Hinsichtlich der Gebührenvorschriften der HOAI ist der BGH zu dem Ergebnis gelangt, dass dieses Regelwerk „als öffentlich-rechtliche Verordnung kein Vertragsrecht [...] sondern zwingendes Preisrecht“553 beinhaltet. Folgerichtig unterliege die HOAI insgesamt nicht dem Vertragsstatut.554 Überträgt man diese Sichtweise auf die GOÄ, würde selbst die Wahl deutschen Sachrechts für den Vertrag zwischen Patient und einem ausländischen Telemediziner nach Art. 3 Abs. 1 Rom I die ärztlichen Gebührenregelungen nicht erfassen. Gleiches würde gelten, wenn man durch eine objektive Anknüpfung nach Art. 4 Rom I zur Anwendbarkeit deutschen Sachrechts gelangen würde. Die Gebührenvorschriften der GOÄ wären vielmehr nur dann anzuwenden, wenn sie durch ihre noch zu bildende Kollisionsnorm zur Anwendung berufen würden. Eine Qualifikation zwingenden Gebührenrechts und damit auch der GOÄ als öffentlich-rechtlicher Normenkomplex vermag jedoch nicht zu überzeugen. Zwar ist zuzugeben, dass die GOÄ in wesentlichen Teilbereichen zwingende Gebührenregelungen enthalten555, obwohl durchaus Möglichkeiten bestehen von den Gebührenregelungen durch Parteivereinbarung abzuweichen, weshalb man in diesem Zusammenhang auch nur von Dispositivtaxen (im Gegensatz zu sogenannten Zwangstaxen) spricht.556 Daraus resultiert jedoch keineswegs deren öffentlicher Charakter.557 Vielmehr gelangt man nach der modifizierten Subjektstheorie, die mehrheitlich zur Charakterisierung von Normen als öffentlich-rechtlich herangezogen wird558, zum Ergebnis, dass die ärztlichen Gebührenregelungen dem Privatrecht zuzuordnen sind. Nach dieser Theorie ist für eine öffentlichrechtliche Norm charakteristisch, dass einer der Normadressaten notwendigerweise der Staat oder einer seiner Funktionsträger ist. Unmittelbare
552
Gebührenregelungen finden sich im deutschen Recht ferner auch in der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ), im Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) und in der Gebührenverordnung für Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (StbGebV). 553 BGHZ 154, 110, 115. 554 BGHZ 154, 110, 115; Wenner, RIW 1998, 173, 176; Thode in Reithmann/Martiny, Rn. 1097. 555 Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel III Rn. 41. 556 Spickhoff, IPRax 2005, 125, 127. 557 Kilian/Müller, IPRax 2003, 436, 440; Spickhoff, IPRax 2005, 125, 127. 558 Vgl. dazu statt vieler nur Kopp/Schenke, § 40 VwGO Rn. 11; Sodan in Sodan/Ziekow, § 40 VwGO Rn. 299–305 mit jeweils zahlreichen Nachweisen aus Rspr. und Lit.
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Normadressaten der ärztlichen Gebührenordnungen sind jedoch einerseits die Ärzte und andererseits der jeweilige Patient und somit weder der Staat noch einer seiner Funktionsträger. Auch besteht zwischen den jeweiligen Vertragspartnern kein Über- oder Unterordnungsverhältnis im Sinne der Subordinationstheorie, welche von Teilen der Literatur und Rechtsprechung ebenfalls zur Abgrenzung des öffentlichen Rechts zum Privatrecht genutzt wird.559 Ferner werden Gebührenstreitigkeiten im Rahmen der genannten Freiberufe ausschließlich vor den ordentlichen Gerichten ausgetragen, was ebenfalls ein Indiz für die privatrechtliche Einordnung der Norm ist.560 Insgesamt besteht folglich weder ein Grund noch eine Rechtfertigung die Regelungen der GOÄ als öffentlich-rechtliche Vorschriften zu qualifizieren. Vielmehr handelt es sich bei diesen um Normen des Privatrechts561, so dass sie von den kollisionsrechtlichen Verweisungen der Art. 3 ff. Rom I erfasst werden. Sie sind demgemäß jedenfalls dann zur Anwendung berufen, wenn auf den Vertrag zwischen Patient und Telemediziner beziehungsweise Primärarzt und/oder Krankenhausträger aufgrund des Kollisionsrechts der Rom I Verordnung deutsches Sachrecht zur Anwendung gelangt.562 Ferner wurde schon gezeigt, dass die Gebührenregelungen der GOÄ aufgrund der Regelung des Art. 3 Abs. 3 Rom I bei reinen Inlandssachverhalten, wie sie im Verhältnis zwischen Patient und Primärarzt auftreten, rechtswahlfest sind.563 Darüber hinaus hat die bisherige Untersuchung ergeben, dass im Fall der objektiven Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom I auf den Vertrag zwischen Patient und ausländischem Telemediziner regelmäßig564 nicht deutsches Sachrecht sondern das Sachrecht am gewöhnlichen Aufenthalt des Telemediziners zur Anwendung berufen ist.565 Folglich stellt sich hinsichtlich grenzüberschreitender Telemedizinanwendun559
Vgl. statt vieler nur Sodan in Sodan/Ziekow, § 40 VwGO Rn. 293–298 mit zahlreichen Nachweisen aus Rspr. und Lit. 560 Vgl. dazu statt vieler nur BGHZ 177, 43, 43 ff.; BGH, NJW-RR 2003, 1639–1641; OLG Brandenburg, Urt. v. 03.06.2009 – 4 U 111/08; OLGR Köln 2009, 701–703; OLGR Frankfurt 2009, 631–632. 561 So auch Kamps/Kiesecker, MedR 2000, 72, 72; Spickhoff, IPRax 2005, 125, 127; Haberstroh, VersR 2000, 538, 538; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 230–234; vgl. auch OLG-Brandenburg, BauR 2002, 119– 123; Freitag in Reithmann/Martiny, Rn. 425 jeweils zur HOAI. 562 Spoerr/Uwer, MedR 2003, 668, 672; Spickhoff, IPRax 2005, 125, 127. 563 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, III. 564 Etwas anderes kann nur gelten, sofern der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz nach Art. 6 Abs. 1 Rom I eingreift, vgl. hierzu schon ausführlich oben Kapitel 4, § 3, B, IV. 565 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, B, II.
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gen die Frage, ob trotz der Geltung des ausländischen Vertragsstatuts die Gebührenvorschriften der GOÄ durch den ausländischen Telemediziner zu beachten sind, wenn er einen deutschen Privatpatienten oder Selbstzahler behandelt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich bei den Vorschriften der GOÄ um sogenannte Eingriffsnormen im Sinne des Art. 9 Rom I handeln würde. Dieser Frage wird im folgenden Abschnitt nachgegangen. II. Begriff, Funktion und Voraussetzungen von Eingriffsnormen Bislang fehlte es an einer gesetzlichen Definition des Begriffs der Eingriffsnormen, die auch als lois d’application immédiate oder norme di applicazione necessaria bekannt sind. Der Begriff geht zurück auf die Formulierung vom „eingreifenden Rechtssatz“ die Neumeyer in seiner mehrbändigen Abhandlung zum internationalen Verwaltungsrecht verwendet hat566 und umfasste nach seinem Verständnis zwingend anzuwendende Rechtsvorschriften zur Regelung privater Rechtsverhältnisse, die primär staatlichen Interessen dienen.567 Nach damaligem Verständnis diente das Privatrecht allein dem Ausgleich widerstreitender Interessen von Privatpersonen, so dass staatlich motivierte Normen für Neumeyer als „artfremde Eingriffe“ in Privatrechtsverhältnisse erschienen.568 Nunmehr wird der Begriff der Eingriffsnorm in Art. 9 Abs. 1 Rom I erstmals durch den Gesetzgeber definiert.569 Danach ist eine Eingriffsnorm „eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“. Provokant gesprochen stellen die Eingriffsnormen also das „trojanische Pferd des IPR“ 570 dar, da sie ohne Rücksicht auf eine Rechtswahl oder die engste Verbindung Anwendung finden571 und somit eine positive Durchsetzung nationaler Vorschriften ohne Rücksicht auf die Intensität des Auslandsbezugs des Sachverhalts bewirken.572
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Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht IV, S. 243 ff. Als Beispiel für derartige Rechtsnormen führte er steuerliche Bestimmungen an. 568 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht IV, S. 243. 569 Dabei griff er offensichtlich auf die Arblade Entscheidung des EuGHE I 1999, 8498, 8512 Rn. 30 zurück. 570 Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 104. 571 Kropholler, IPR, § 52 IX; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 228; Spickhoff, Jura 2007, 407, 408; Schnyder in FS Ansay, S. 390, 394. 572 BGHZ 165, 248, 256; Freitag in Reithmann/Martiny, Rn. 399. 567
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1. Herrschender Ansatz zur Bestimmung von Eingriffsnormen Welche Interessen eine derartige kollisionsrechtliche Sonderbehandlung rechtfertigen, wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur und der Rechtsprechung seit jeher kontrovers diskutiert. Im Rahmen dieser Diskussion stehen sich im Wesentlichen zwei große Lager gegenüber. Während die einen in traditioneller Weise nur solche Normen als Eingriffsnormen qualifizieren, die ein öffentliches Interesse gewährleisten wollen573, gehen andere weiter und verstehen unter Eingriffsnorm auch solche Vorschriften, die lediglich der Wahrung bestimmter widerstreitender Privatinteressen dienen.574 Art. 9 Rom I stellt nun klar, dass nur öffentliche Interessen eine Sonderanknüpfung bestimmter Normen rechtfertigen können, wobei jedoch nicht abschließend geregelt wird, welche Interessen dies sind. Insbesondere wird nicht festgelegt, ob auch der Verbraucherschutz, der nach überwiegendem Verständnis dem Bereich der Privatinteressen zuzuordnen ist, ein solches öffentliches Interesse darstellen kann.575 Der EUGesetzgeber übernimmt folglich jedenfalls nicht ausdrücklich das in der deutschen Literatur576 und Rechtsprechung577 bislang vorherrschende Verständnis des Begriffs der Eingriffsnormen. Entscheidendes Kriterium zur Qualifikation als Eingriffsnorm ist nach Auffassung des EU-Gesetzgebers die Indienststellung einer Norm für überwiegend öffentliche Ziele und Zwecke. Als Beispiele solcher öffentlicher Zweck- und Zielsetzungen werden in Art. 9 Abs. 1 Rom I exemplarisch die politische, soziale und wirtschaftliche Organisation des Staates genannt. Dies entspricht der bisher vorherrschenden Ansicht.578 Anerkannt ist auch, dass sowohl öffentlich-rechtliche wie auch privatrechtliche Vor-
573
EuGHE I 1999, 8498, 8512 Rn. 30; BGH IPRax 2006, 272, 274; BAG DB 1990, 1666, 1668; Martiny in MüKo, Art. 9 Rom I Rn. 13; Kropholler, IPR, § 3 II; Spickhoff, Jura, 2007, 407, 411; Junker, IPRax 2000, 65, 70; Ebke, IPRax 1998, 263, 269; Mankowski, RIW 1998, 287, 289; ders., IHR 2008, 133, 147; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 105, 107; Hohloch in Erman, Art. 34 EGBGB Rn. 12; Rauscher, IPR, Rn. 1204 f.; Staudinger in Ferrari, Int. VertrR, Art. 34 EGBGB Rn. 4 574 Roth, RIW 1994, 277; Fetsch, Eingriffnormen und EG-Vertrag, S. 41; Bitterich, RIW 2006, 262, 264; Heimann, Zwingender Verbraucherschutz, S. 87 f.; Freitag, IPRax 2009, 109, 112; Fischer in FS Großfeld, 277, 285. 575 Freitag, IPRax 2009, 109, 112; Mankowski, IHR 2008, 133, 147. 576 Kropholler, IPR, § 52 IX 1; Mankowski, IPRax 1994, 88, 95; Mankowski RIW 2006, 321, 326 ff.; Radke, ZVglRWiss 84 (1985), 325, 327 f.; Kothe, EuZW 1990, 150, 153; Schnyder in FS Ansay, S. 395, 401; Hohloch in Erman, Art. 34 EGBGB Rn. 12. 577 BGHZ 165, 248, 256; BGH IPRax 2006, 272, 274; BAG DB 1990, 1666, 1668. 578 Vgl. statt vieler BAGE 63, 17, 32; Kropholler, IPR 52 IX 1.
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schriften Eingriffsnormen darstellen können.579 Zu Recht wird dies damit begründet, dass es eher zufällig ist, ob eine national zwingende Bestimmung öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist.580 Weitere Voraussetzung für eine Qualifikation einer Rechtsnorm als Eingriffsnorm soll sein, dass die fragliche Norm gezielt auf ein in Bezug genommenes Privatrechtsverhältnis einwirkt, also zum Beispiel die Nichtigkeit von Verträgen nach sich zieht.581 Darüber hinaus müsse für die Anwendbarkeit von Eingriffsnormen ein gewisser Inlandsbezug bestehen582 und die Norm dürfe nicht zur Disposition der Vertragsparteien stehen.583 Die letztgenannte Voraussetzung ergibt sich nunmehr bereits aus dem Wortlaut des Art. 9 Rom I, der von „zwingenden Vorschriften“ also mindestens dem ius cogens spricht. Nach herrschendem Verständnis soll zur Qualifikation einer Norm als Eingriffsnorm folglich eine genaue Untersuchung der mit ihr verfolgten Interessen und Zielsetzungen erforderlich sein584, wobei die Intentionen des jeweiligen normgebenden Gesetzgebers maßgeblich sein soll.585 Lediglich ein Indiz für eine Eingriffsnorm könne die Flankierung der Norm durch strafrechtliche Sanktionen darstellen.586 Kann eine besondere öffentlich-rechtliche Zwecksetzung nicht zweifelsfrei festgestellt werden, müsse eine Qualifikation als Eingriffsnorm unterbleiben.587
579
EuGHE I 2000, 9325, 9333 Rn. 20 ff. BAGE 63, 17, 31; 71, 297, 317; Thorn, Eingriffsnormen in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 103; Freitag in Reithmann/Martiny, Rn. 400; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 228, 234; Hohloch in Erman, Art. 34 EGBGB Rn. 12; Heimann, Zwingender Verbraucherschutz, S. 77; Wördemann, International zwingende Normen, S. 85 f.; Zeppenfeld, Allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, S. 24; Staudinger in Ferrari, Int. VertrR, Art. 34 EGBGB Rn. 2. 580 Freitag in Reithmann/Martiny, Rn. 400; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 228; Thorn, Eingriffsnormen in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 103; Staudinger in Ferrari, Int. VertrR, Art. 34 EGBGB Rn. 2; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 105. 581 Benzenberg, Eingriffsnormen, S. 26; Heimann, Zwingender Verbraucherschutz, S. 77. 582 Kropholler, IPR, § 52 IX 1; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 42. 583 BAGE 63, 17, 30 f.; Spickhoff, Jura 2007, 407, 410; Lorenz, RIW 1987, 569, 578 f. 584 Schnyder in FS Ansay, S. 401; Spickhoff, Jura 2007, 407, 410 f.; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 107; Junker, IPRax 2000, 65, 70. 585 Magnus in Staudinger (2002), Art. 34 EGBGB Rn. 11; Junker, IPRax 2000, 65, 70. 586 Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 286, 296; Martiny in MüKo, Art. 9 Rom I Rn. 21; Benzenberg, Eingriffsnormen, S. 27; Schnyder in FS Ansay, S. 395. 587 BGH, IPRax 2006, 272, 274.
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2. Kritik an dem herrschenden Verständnis von sogenannten Eingriffsnormen a) Erfordernis einer Einordnung in eines von zwei voneinander getrennten und unterschiedlich arbeitenden Kollisionsrechtssystemen Ausgangspunkt der Überlegungen der herrschenden Meinung ist, dass öffentliche und private Interessen in einem echten Alternativverhältnis zueinander stehen, denn nur Normen, die das öffentliche Interesse betreffen, seien als Eingriffsnormen sonderanknüpfungsfähig.588 Dies ergebe sich schon aus der technischen Ausgestaltung der Sonderanknüpfungen des Art. 6 Rom I einerseits und des Art. 9 Rom I andererseits.589 So beruhe die Anknüpfung des internationalen Vertragsrechts nach den Art. 3 ff. Rom I erstens auf den Interessen der am Vertrag beteiligten Personen an der Durchführbarkeit ihres Vertrages und an Regeln zum angemessenen Zielausgleich, zweitens auf den Interessen des Privatrechtsverkehrs am Schutz von Drittinteressen und drittens auf Ordnungsinteressen, die auf Rechtssicherheit als Ziel ausgerichtet sind.590 Demgegenüber sollen Eingriffsnormen nach Art. 9 Rom I der Wahrung eines öffentlichen Interesses und damit nicht dem Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien, folglich privatrechtsfremden, von den Parteiinteressen gerade unabhängigen, staatlichen Zielen dienen.591 Diese Argumentation erinnert stark an die sogenannte „politische Schule“ des internationalen Privatrechts592, die – von den USA ausgehend – in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts vermehrt Einfluss auf die rechtswissenschaftliche Diskussion in Europa genommen hat und untrennbar mit den Namen Von Joerges und Wiethölter verbunden ist.593 Diese beobachteten eine Funktionsänderung des materiellen Privatrechts von einem die Freiheitsräume des einzelnen sichernden privaten Interessenschutzrecht hin zu einem wirtschafts- und sozialgestaltenden Privatrecht, das der Schaffung einer materiellen Gerechtigkeit verpflichtet ist. Diese Beobachtung übertrugen sie sodann auf das internationale Privatrecht und zogen den Schluss, dass diesem nicht die Aufgabe zukomme, einen Interessenausgleich der Privatpersonen zu bewirken, sondern „die Kollision der Interessen zweier oder mehrerer Staaten an der Durchsetzung 588
BGHZ 165, 248, 257; Einsele, WM 2009, 289, 295. Mankowski, RIW 1993, 453, 460; ders., DZWir 1996, 273, 275. 590 Mankowski, RIW 1993, 453, 461; Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 89 f. 591 Mankowski, RIW 1993, 453, 461. 592 Siehe zum Folgenden ausführlich Steindorf in MPI, Deutsche zivil- und kollisionsrechtliche Beiträge, 155, 157–160. 593 Vgl. Joerges, RabelsZ 36 (1972), 421, 421 ff.; ders., RabelsZ 43 (1979), 6, 6 ff.; Wiethölter, DVBl 1967, 465, 465 ff. 589
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ihrer Sozialordnung gegenüber Sachverhalten mit Auslandberührung“594 zu lösen. Daraus leiteten sie die Folge ab, dass die savignysche Fragestellung vom Sachverhalt her gänzlich zugunsten eines statuistischen Ansatzes aufzugeben sei595, bei dem die Entscheidung über die anwendbare Rechtsordnung stets aufgrund des regulativen Zwecks und der Funktion der jeweils kollidierenden Sachnormen zu treffen sei.596 Dieser Ansatz hat sich grundsätzlich nicht durchgesetzt, wie das im klassischen savignystischen Denkmuster verharrende Regelungswerk der Rom I Verordnung zeigt. Gleichwohl scheint diese Lehre im Rahmen der Diskussion um Eingriffsnormen ihre Spuren hinterlassen zu haben. Zwar will die herrschende Meinung dem savignyschen Ansatz folgend das internationale Privatrecht den allseitigen Kollisionsnormen überlassen; anderes soll jedoch dann gelten, wenn Normen oder ganze Normenkomplexe in besonderer Weise Staats- beziehungsweise öffentliche Interessen berühren. Derartige Normen sollen aufgrund ihres besonderen Zwecks und ihrer speziellen Funktion unabhängig von den allseitigen Kollisionsnormen zur Anwendung berufen sein. Im Rahmen der Eingriffsnormenproblematik wird von der herrschenden Meinung demnach auf das zurückgegriffen, was die „politische Schule“ allgemein behauptet hat. Ergebnis ist ein, neben dem allgemeinen kollisionsrechtlichen System stehendes, weiteres System597, das gemeinhin auch als internationales Wirtschaftsrecht oder Wirtschaftskollisionsrecht bekannt ist598 und in dem sich die Anwendbarkeit einer Rechtsordnung nicht abstrakt, vom Sachverhalt her gefragt, aus einer meist allseitigen Kollisionsnorm, sondern vielmehr aus dem gesetzlichen Sachrecht selbst ergeben soll.599 Will man zwei voneinander getrennte und unterschiedlich arbeitende Systeme nebeneinander etablieren, muss eine zweifelsfreie Abgrenzung beider Systeme möglich sein, da andernfalls erhebliche Rechtsunsicherheiten und damit verbunden auch Wertungswidersprüche auftreten würden. Zu dieser Grenzziehung bedient sich die herrschende Auffassung der besagten Unterscheidung zwischen der Regelung privater und öffentlicher
594
Rehbinder, JZ 1973, 151, 151; ähnlich Currie, Colum.L.Rev. 63 (1963), 1233,
1242. 595
Joerges, RabelsZ 36 (1972), 421, 467 f. Rehbinder, JZ 1973, 151, 155. 597 Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8, 9 f.; Kropholler, IPR, § 3 II 4.; Sonnenberger in FS Fikentscher, 283, 288. 598 Drobnig, RabelsZ 52 (1988), 1, 1; Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8, 8; Schubert, RIW 1987, 729, 729. 599 Schnyder in FS Ansay, 389, 394; Martiny in MüKo, Art. 9 Rom I Rn. 108. 596
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Interessen als materielle Zielsetzung der in Rede stehenden Norm.600 Diese Unterscheidung sei das Kriterium um eine Regelung ausschließlich dem einen oder dem anderen System zuzuweisen.601 b) Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Interessen als ungeeignetes Leerkriterium Gegen ein solches aus der Abgrenzung von privaten zu öffentlichen Interessen resultierendes Alternativverhältnis ließe sich bereits einwenden, dass gesetzliche Normen beinahe ausschließlich generelle und abstrakte Regelungen enthalten602, so dass sie immer das Verhalten einer unbestimmten Vielzahl von Personen beeinflussen. Folglich wird der Gesetzgeber regelmäßig für Kollektivbelange tätig, weshalb Gesetze immer auf Erwägungen des Allgemeinwohls beruhen und folglich immer im öffentlichen Interesse liegen.603 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass alles Recht der Ordnung menschlichen Zusammenlebens dient und damit auch den Schutz des Allgemeininteresses bezweckt.604 Die herrschende Auffassung versteht unter dem Begriff des öffentlichen Interesses aber etwas anderes. Entscheidend sei der mit der Regelung verfolgte Zweck des Gesetzes. Ist dieser staats- oder wirtschaftspolitisch motiviert605, enthält das Gesetz ordnungspolitische Regelungen606, dient es Gemeininteressen607, dem Gemeinwohl608, Kollektivbelangen609 oder dem Wohl des Staates610, bestehe hinsichtlich der Anwendung der Norm ein
600 Die von der herrschenden Meinung vorgenommene Abgrenzung anhand privater und öffentlicher Interessen als materielle Zielsetzung der in Rede stehenden Norm erinnert stark an die sog. Interessentheorie, die früher zur Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht genutzt wurde. Die Interessentheorie geht auf den römischen Juristen Ulpian zurück („Puplicum ius est, quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem“, Digesten I. 1, 1, 2). 601 Mankowski, RIW 1993, 453, 461. 602 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellen nur Einzelfall- und Maßnahmegesetze dar. 603 Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 136. 604 Vgl. Erichsen, Jura 1982, 537, 538 m.w.N. 605 Schnyder in FS Ansay, 389, 395; Magnus in Staudinger (2002), Art. 34 EGBGB Rn. 31; Martiny in FS Heldrich, 907, 914. 606 Schnyder in FS Ansay, 389, 395. 607 Sonnenberger, IPRax 2003, 107 ff.; Martiny in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 13; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 34 EGBGB Rn. 11. 608 Martiny in FS Heldrich, 907, 914. 609 Martiny in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 13. 610 Schnyder in FS Ansay, 389, 395; Martiny in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 13; Drobnig in FS Neumayer, 167, 178.
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öffentliches Interesse.611 Trotz dieser Erläuterungsversuche stellt sich die Frage, ob sich öffentliche und private Interessen wirklich derart deutlich voneinander trennen lassen, dass hierin ein entscheidendes Kriterium für die Zuweisung zu einem der beiden unterschiedlich funktionierenden Kollisionsrechtssysteme gesehen werden kann. Die bei dieser Differenzierung zwischen privaten und öffentlichen Interessen auftretenden Probleme werden anhand der hier untersuchungsgegenständlichen Gebührenregelungen der GOÄ verdeutlicht. c) Verdeutlichung anhand der Gebührenregelungen der GOÄ aa) Patientenschützende Funktion Mit den Gebührenregelungen der GOÄ soll zum einen im Interesse der Patientenschaft die Transparenz privatärztlicher Liquidationen erhöht werden612, zum anderen zielen diese aber auch auf eine angemessene, leistungsgerechte Vergütung der Ärzteschaft ab.613 Weiter soll durch die regelmäßige Begrenzung der Erstattungsansprüche der Ärzte auf die in der GOÄ vorgesehene Gebührenhöhe dem Informationsbedürfnis der privat krankenversicherten und/oder beihilfeberechtigten Patienten Rechnung getragen werden.614 Bei einem derartigen Verständnis dient die GOÄ folglich dem Schutz der Patienteninteressen. Die Patienten sollen in der Lage sein, die Höhe der Abrechnung zu überblicken und als Regelverbraucher davor geschützt werden eine unangemessen hohe Behandlungsvergütung entrichten zu müssen. Auf diese Weise leistet die Gebührenordnung folglich einen Beitrag zum Patienten- beziehungsweise Verbraucherschutz615 und dient damit den Interessen einer Vertragspartei. Diese Schutzintention kommt auch darin zum Ausdruck, dass nach § 2 Abs. 2 GOÄ eine Abweichung vom Regelsatz nur schriftlich vereinbart werden kann und dass eine solche Vereinbarung den Hinweis enthalten muss, dass „eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet ist“. Die Gebührenregelungen der GOÄ stellen also eine Art Sonderverbraucherschutzrecht dar.
611
Paefgen, ZEuP 2003, 266, 286; Martiny in MüKo, Art. 12 Rom I Rn. 13. BVerfG NJW 1992, 737, 737; BGH, NJW 2006, 1879, 1880 f.; Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel III Rn. 41; Kilian/Müller, IPRax 2003, 436, 439. 613 BGH, NJW 2006, 1879, 1880 f.; BR-Drucks. 295/82, S. 2, 9. 614 Kilian/Müller, IPRax 2003, 436, 439; BVerfG, NJW 1992, 737, 737. 615 BVerfG, NJW 1985, 2187, 2187; BGH, NJW 2006, 1879, 1880 f.; BGHZ 170, 252, 256; VG Düsseldorf, Urt. v. 16.04.2008 – 7 K 105/07; LG Rostock, Urt. v. 25.04.2008 – 1 S 264/07; AG Hamburg, Urt. v. 05.10.2005 – 6 C 375/04; Urt. v. 20.08.2003 – 6 C 453/00; BR-Drucks. 295/82, S. 2; Erbsen, MedR 2006, 424, 426. 612
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Diese Überlegungen würden nach herrschendem Verständnis dafür sprechen, die ärztlichen Gebührenvorschriften nicht als Eingriffsnormen zu qualifizieren, da sie lediglich den gerechten Ausgleich privater Interessen bezwecken. bb) Marktregulierende Funktion Es stellt sich jedoch die Frage, ob sich hierin die Funktion der GOÄ vollständig erschöpft. Dagegen spricht zunächst eine ökonomische Betrachtung. Durch Gebührenvorschriften wie die der GOÄ wird – wie durch jedes andere Verbraucherschutzrecht auch – in ein natürlich bestehendes Marktverhältnis eingegriffen, da der Patient als regelmäßig verhandlungsschwächere Partei insbesondere vor überhöhten Preisen geschützt wird und somit in seiner Souveränität gegenüber dem (Tele-)Arzt gestärkt wird. Ein solcher Eingriff ist erforderlich, da ein Markt – mit der im Gesundheitsbereich vorliegenden Marktsituation616 – langfristig nur dann funktions- und leistungsfähig bleibt, wenn er nicht aufgrund eines strukturellen Machtgefälles unter den einzelnen Marktteilnehmern zu einer einseitigen Bereicherung führt. Selbst der Eingriff in einen einzelnen Vertrag durch Regelung der Honorarhöhe bewirkt folglich einen Eingriff in die gesamte Marktordnung, dem mitunter auch – ein unter Umständen sogar gewünschter – Regulierungscharakter zukommen kann. Mit anderen Worten führt ein Eingriff in den „Mikrokosmos“ Vertrag zu einer Veränderung des makroökonomischen Marktverhältnisses. Diese ökonomischen Überlegungen verdeutlichen, dass Verbraucherschutz und Marktregulierung nicht, wie von der herrschenden Meinung behauptet, streng voneinander trennbar sind.617 Vielmehr zeigen sie, dass den Regelungen der GOÄ neben dem Verbraucherschutz auch eine marktregulierende Funktion zukommt, sie folglich eine Doppelfunktion besitzt. Die Gebührenvorschriften der GOÄ dienen eben nicht nur dem gerechten Ausgleich von Privatinteressen, sondern auch dem Ausgleich öffentlicher Interessen. Je nachdem in welcher Funktion man den Schwerpunkt sieht, gelangt man bei der Einordnung in eines der nach herrschender Meinung bestehenden Kollisionsrechtssysteme zu unterschiedlichen Ergebnissen: Einerseits kann es sich bei den Gebührenregelungen der GOÄ nicht um Eingriffsnormen handeln, da sie dem privaten Interessenausgleich dienen. Andererseits dienen sie dem Verbraucherschutz, einem aus dem Sozial-
616
Bei dieser handelt es sich weder um eine Monopol- noch um einen Oligopolsituati-
on. 617
Mankowski, RIW 2006, 321, 327; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 138; wohl auch Droste, Zwingende Bestimmung, S. 155 f.
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staatsprinzip des Art. 20 GG resultierenden Verfassungsauftrag618 und Gemeinschaftsziel der EU619 und bewirken eine Regulation des Marktes. Beides würde für eine Einordnung der GOÄ in das System des Wirtschaftskollisionsrechts sprechen, wie schon die unstreitige Qualifikation kartell- oder devisenrechtlicher Vorschriften als Eingriffsnormen zeigt.620 Ferner dient der Verbraucherschutz nicht nur dem Schutz einer einzelnen Vertragspartei, sondern soll der gesamten Gruppe der Verbraucherschaft eine gerechte Teilnahme am Wirtschaftsprozess ermöglichen.621 Er zielt also letztlich auf das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen marktwirtschaftlichen System ab.622 Dies Stoßrichtung zeigt sich auch in der Vorschrift des § 4 Nr. 11 UWG nach der eine unlautere Wettbewerbshandlung vorliegt, wenn gegen eine gesetzlichen Vorschrift, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, verstoßen wird. Solche marktverhaltensregelnden Vorschriften können insbesondere auch Verbraucherschutzvorschriften sein623, weil Verbraucher gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG als Marktteilnehmer anzusehen sind und daher nach § 1 UWG gleichfalls in den Schutzbereich des UWG fallen. Diese Überlegungen sprechen allesamt dafür, dass der Verbraucherschutz als rechtliche Institution Teil der Sozial- und Ordnungspolitik und damit auch Teil eines im öffentlichen Interesse stehenden Regelungsbereiches ist. Bereits vor diesem Hintergrund besteht der Verdacht, dass eine Grenzziehung zwischen Normen im öffentlichen und solchen im privaten Interesse jedenfalls nicht akkurat möglich ist. Man kann bestenfalls von einer typischen nicht jedoch von einer klassifikatorischen Unterscheidung zwischen lediglich öffentlichen und lediglich privaten Interessen ausgehen. Dies erkennen selbst die Vertreter der herrschenden Auffassung, wenn sie anführen dass Verbraucherschutzrecht auch Marktordnungsrecht ist, wenngleich dies keine Qualifikation als Eingriffsrecht rechtfertigen soll.624 618 Statt vieler nur Gröschner in Dreier, GG, Art. 20 GG (Sozialstaat) Rn. 40 f.; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 137. 619 Mankowski, IPRax 2005, 503, 506. 620 Vgl. Von Hoffmann in Soergel, Art. 34 EGBGB Rn. 134; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 34 EGBGB Rn. 11. 621 Stober in FS Lukes, 591, 594. 622 Roth in Schnyder/Heiss/Rudisch, Int. Verbraucherschutzrecht, 35, 44; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 138; Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 19; ähnliche Erwägungen finden sich auch bei Thorn, Eingriffsnormen in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 133. 623 Von Walter, Rechtsbruch, S. 94 f., 221. 624 Mankowski, RIW 2006, 321, 327; ders., DZWir 1996, 273, 276; Junker, IPRax 2000, 65, 70; Felke, RIW 2001, 30, 33; Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 108; Zeppenfeld, Allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, S. 27.
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Begründet wird dies damit, dass die Marktregulierung nur indirekt erfolge, indem ein gerechterer Interessenausgleich der am Vertrag beteiligten Privatpersonen angestrebt werde. Hierin erschöpfe sich der primäre Zweck des Verbraucherschutzes; auf das sogar gewünschte Nebenprodukt der Marktregulierung komme es nicht an.625 Folge dieses Verständnisses wäre, dass zur Feststellung, ob eine Norm dem Ausgleich von privaten oder öffentlichen Interessen dient, zunächst eine Bestimmung des primären Regelungszwecks notwendig wäre. Dass man bei dieser Bestimmung nicht zu eindeutigen Ergebnissen gelangt626 ist angesichts der Tatsache, dass sich die Hauptintention einer gesetzlichen Regelung häufig nicht klar bestimmen lässt, nicht sonderlich verwunderlich. Mit dieser Problematik hatte sich auch der BGH im Rahmen der Fragestellung, ob das deutsche Verbraucherkreditgesetz eine Eingriffsnorm darstellt oder nicht, auseinanderzusetzen.627 Im Rahmen der Untersuchung musste er sich mit der Frage befassen, ob mit dem Verbraucherkreditgesetz ein Gemeinwohlinteresse verfolgt wird, und führte hierzu aus: Nach seiner Zielsetzung dient das Verbraucherkreditgesetz „dem Schutz des einzelnen Verbrauchers vor einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Interessen sowie der Korrektur der strukturellen Ungleichgewichtslage gegenüber dem professionellen, in der Regel finanziell weit überlegenen Anbieter und damit dem Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien [...]. Dass daneben auch ein öffentliches Interesse an einem privatrechtlichen Verbraucherschutz mit dem Sozialstaatsprinzip, der Marktregulierungsfunktion von Verbrauchervertragsrecht oder dem Interesse an einem funktionierenden Binnenmarkt begründet werden kann, ändert nichts. Das Verbraucherkreditgesetz verfolgt dieses Interesse nämlich nicht. Vielmehr handelt es sich insoweit um eine bloße Nebenwirkung, wie sie mit vielen Gesetzen verbunden ist, die dem Schutz einer bestimmten Bevölkerungsgruppe dienen. Ein solcher reflexartiger Schutz öffentlicher Gemeinwohlinteressen reicht für eine Anwendung des § 34 EGBGB nicht aus“.628 Der BGH stellte also auf eine vermeintliche Hauptintention des Gesetzes ab und kam deshalb zum Ergebnis, dass das Verbraucherkreditgesetz keine Eingriffsnorm ist. Nach welchen Kriterien die notwendige Schwerpunktbestimmung aber vorgenommen wurde, blieb er schuldig. Dies ist 625
Mankowski, RIW 2006, 321, 327; Zeppenfeld, Allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, S. 30; Martiny in MüKo, Art. 9 Rom I Rn. 88. 626 Exemplarisch sei nur die Einordnung der Schutzvorschriften für den Wohnungsmieter erwähnt. So will Schubert, RIW 1987, 729, 731 diese nicht als Eingriffsnormen berücksichtigen, während Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, S. 94 f. trotz gleichen Ausgangspunktes zum gegenteiligen Ergebnis kommt. 627 BGHZ 165, 248–261. 628 BGHZ 165, 248, 257.
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auch nicht sonderlich verwunderlich, da eine Abgrenzung danach, ob der betreffende Rechtssatz primär oder überwiegend öffentliche oder private Interessen schützt kaum weiterhelfen kann, da eine Abgrenzung nach der „Quantität“ des Interessenschutzes praktisch kaum durchführbar ist, ja geradezu einer gewissen Beliebigkeit Tür und Tor öffnet. d) Schlussfolgerung Nach alledem erweist sich das Kriterium des öffentlichen Interesses als ungeeignetes Sachkriterium, um ein als sachgerecht empfundenes Ergebnis, durch Einordnung in eines der von der herrschenden Meinung behaupteten Kollisionsrechtssysteme, zu rechtfertigen, ohne aber selbst einen Maßstab für die Sachgerechtigkeit festzulegen.629 Zu Recht wird daher davor gewarnt, dass es im Laufe der Zeit zu einer vermehrten Unterstellung öffentlicher Zwecke kommen werde 630, um zur Anwendung der heimischen lex fori zu gelangen, da die Gerichte so die häufig als unliebsam empfundene Anwendung ausländischen Rechts „abwehren“ können. 3. Alternatives Verständnis der Funktionsweise sogenannter Eingriffsnormen a) Kritik an der Methodik der herrschenden Meinung Bereits der methodische Ansatz der herrschenden Auffassung überrascht, da keine Sachrechtsvorschriften existieren, die allein aufgrund ihres Gehalts an „sozialem Öl“ oder in ihnen enthaltenen, vermeintlich im öffentlichen Interesse stehenden, Regelungen selbstständig zur Anwendung gelangen.631 Sicher ist auch, dass sogenannte Eingriffsnormen nicht durch Art. 9 Rom I zur Anwendung berufen werden können, da dieser Artikel als
629 Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 140; Wördemann, International zwingende Normen, S. 91; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 228 f.; Looschelders, IPR, Art. 34 EGBGB Rn. 19; kritisch insoweit auch Hirse, Ausweichklausel im IPR, S.232 f.; nicht zuletzt wegen der aus ihr resultierenden Unschärfen wird die ulpiansche Interessentheorie, die der von der herrschenden Meinung vorgenommenen Abgrenzung anhand der materiellen Zielsetzung einer Regelung stark ähnelt (vgl. dazu schon Fn. 600 des 4. Kapitels), heute nach ganz einhelliger Meinung nicht mehr zur Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht genutzt, vgl. hierzu statt vieler Sodan in Sodan/Ziekow, § 40 VwGO Rn. 290–292 m.w.N. 630 Sonnenberger in FS Fikentscher, 283, 290; Schnyder in FS Ansay, 389, 391. 631 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 234; ders., in FS Jayme, 837, 840; ders. in Holl/Klinke, Int. Privat- und Wirtschaftsrecht, 55, 61; Kegel/Schurig, IPR, § 2 IV, S. 153; Roth, Int. Versicherungsvertragsrecht, S. 249 f.; Kahn in Lenel/Lewald, Abhandlungen zum IPR, S. 182 f., 187, 213 f., 221 f.
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Rechtsfolge keinen Verweisungsbefehl enthält.632 Aber woraus erhalten die sogenannten Eingriffsnormen nach herrschendem Verständnis dann ihren Anwendungsbefehl? Diese Frage fördert das Defizit des herrschenden Verständnisses von der Funktionsweise sogenannter Eingriffsnormen zu Tage. Eine Norm ist eben nur international zwingend, weil und wenn sie unabhängig vom kodifizierten allseitigen Kollisionsrechtssystem, insbesondere unabhängig vom Vertragsstatut, durch eine kollisionsrechtliche Entscheidung, sei sie normiert oder nicht, zur Anwendung berufen wird.633 Sie wird gerade nicht unabhängig vom Kollisionsrecht berufen, weil sie „international zwingend“ ist.634 Es kann eben nur sein, dass für bestimmte Sachrechtsnormen aufgrund der durch sie implizierten besonderen kollisionsrechtlichen Interessenlage eine andere, vom gewöhnlichen allseitigen Kollisionsrecht, abweichende Anknüpfung angemessen erscheint.635 Die Anwendung derartiger sogenannter Eingriffsnormen ergibt sich dabei aber nicht, wie von der herrschenden Meinung behauptet, aus der gesetzlichen Norm selbst, da es keine Normen gibt, die sich selbst zur Anwendung berufen können. Vielmehr enthalten alle Vorschriften und damit auch die sogenannten Eingriffsnormen – quasi auf atomarer Ebene – eigene Element-Kollisionsnormen die, sofern nicht durch den Gesetzgeber ausnahmsweise bereits abschließend geschehen636, durch den Rechtsanwender im Einzelfall herausgebildet werden müssen.637 Durch diese Element-Kollisions-norm kann die jeweilige sachrechtliche Regelung unabhängig von den normalen allseitigen Kollisionsregeln zur Anwendung berufen werden, so dass sie als immer anzuwendende Eingriffsnorm erscheint. Ein Rückgriff auf die Element-Kollisionsnorm ist immer dann notwendig, wenn eine Norm andere kollisionsrechtliche Interessen verfolgt als diejenigen, welche unter der allseitigen Bündelung der allgemeinen Kollisionsnormen zusammengefasst sind.638 In diesen Fällen ist es aufgrund der
632
Vgl. Schurig in FS Jayme, 837, 841; zutreffend insoweit auch Martiny in MüKo, Art. 9 Rom I Rn. 108. 633 Schurig in Holl/Klinke, Int. Privat- und Wirtschaftsrecht, 55, 63. 634 Schurig in FS Jayme, 837, 841. 635 Kahn in Lenel/Lewald, Abhandlungen zum IPR, S. 182 ff.; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 234; ders., in FS Jayme, 837, 840; ders., in Holl/Klinke, Int. Privat- und Wirtschaftsrecht, 55, 65; Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S. 26, 40 ff.; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 161; Roth, Int. Versicherungsvertragsrecht, S. 249 f.; Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht IV, S. 203 f., 228 f.; Hahn, Kollisionsnormen für Versicherungsverträge, S. 104 f. 636 Vgl. bspw. § 130 Abs. 2 GWB. 637 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 234. 638 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 234.
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veränderten kollisionsrechtlichen Interessenlage und, entgegen der herrschenden Auffassung, nicht aufgrund der hinter einer materiell-rechtlichen Norm stehenden Sachinteressen – wenngleich diese unter Umständen ein besonderes kollisionsrechtliches Anwendungsinteresse implizieren können639 – gerechtfertigt, die Norm aus ihrer Bündelung, also ihrem Statut, herauszubrechen und aufgrund ihrer eigenen Element-Kollisionsnorm anzuknüpfen und so gegebenenfalls zur Anwendung zu berufen. Dass die in Rede stehende Sachnorm ganz oder teilweise einen Bereich des öffentlichen Interesses regelt, kann nur Ausdruck für das Bestehen einer abweichenden kollisionsrechtlichen Interessenlage sein, ist aber keinesfalls notwendige Voraussetzung für eine Anknüpfung aufgrund der jeweiligen Element-Kollisionsnorm.640 b) Schlussfolgerungen für die Funktion des Art. 9 Rom I Vor diesem Hintergrund hat der Verordnungsgeber mit Art. 9 Rom I folglich nur festgestellt, dass es Normen gibt, die „ungeachtet des [...] auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden“ sind. Auf den ersten Blick mag er durch die Legaldefinition in Art. 9 Abs. 1 Rom I zwar materiellrechtliche Interessen umschreiben, die Voraussetzung für eine international zwingende Anwendung einer Sachnorm sein sollen. Dies ist jedoch bei genauerem Hinsehen nicht der Fall. Vielmehr nennt Art. 9 Rom I mit dem „öffentlichen Interesse“ nur exemplarisch eine Kategorie von Normen, bei denen eine von der unter der allseitigen Bündelung der allgemeinen Kollisionsnormen divergierende kollisionsrechtliche Interessenlage wahrscheinlich ist.641 Solche Normen werden nicht durch Art. 9 Rom I zur Anwendung berufen, da dieser Artikel keinen Verweisungsbefehl enthält642, sondern können gegebenenfalls durch ihre eigene ElementKollisionsnorm ihren kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl erhalten. Bei dieser Sichtweise beinhaltet Art. 9 Rom I nicht mehr als eine Art allgemeine Ausweichklausel im internationalen Vertragsrecht, die es dem Richter erlaubt, in geeigneten Ausnahmefällen neue Kollisionsnormen für bestimmte Sachvorschriften zu entwickeln, wenn diese zwar vom Wortlaut
639 Wördemann, International zwingende Normen, S. 97; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 233; ders., in FS Jayme, 837, 840; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 159 f. Hahn, Kollisionsnormen für Versicherungsverträge, 104 f.; Siehe dazu auch Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit im IPR, S. 33 ff. 640 Schurig in Holl/Klinke, Int. Privat- und Wirtschaftsrecht, 55, 65. 641 Vgl. Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 161; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 234. 642 Vgl. Schurig in FS Jayme, 837, 841; zutreffend insoweit auch Martiny in MüKo, Art. 9 Rom I Rn. 108.
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einer gesetzlichen allseitigen Kollisionsnorm erfasst werden, aufgrund ihrer divergierenden kollisionsrechtlichen Interessenlage aber nach einer abweichenden kollisionsrechtlichen Anknüpfung aufgrund ihrer ElementKollisionsnorm verlangen. Natürlich ist dabei Voraussetzung, dass nach der Wertung des Staates eigene, besondere kollisionsrechtliche Interessen berührt werden, da andernfalls die Sonderbehandlung willkürlich erscheinen würde. Nicht abschließend festgelegt wird hingegen, welche Interessen dies sein können und wie derartige Normen beschaffen sein müssen.643 Diese durch Art. 9 Rom I ausgesprochene Feststellung einer Abweichungsmöglichkeit ist an sich überflüssig, da die Korrektur allzu starrer Rechtsregeln durch den Richter eine entscheidende und unverzichtbare Voraussetzung für die Rechtssicherheit und daher wesentlicher Bestandteil jedes Rechtssystems ist, gleichgültig ob sie gesetzlich normiert ist oder nicht.644 Dennoch wird durch das Vorhandensein des Art. 9 Rom I ein solches Vorgehen durch den EU-Gesetzgeber legitimiert, da festgestellt wird, dass es nicht gegen die Verordnung verstößt und daher zulässig ist.645 Bei Art. 9 Rom I geht es also nicht um eine Sonderanknüpfung zwingenden Rechts, sondern um eine besondere richterliche Anknüpfung in Fällen, in denen die allgemeine Anknüpfung aufgrund einer abweichenden kollisionsrechtlichen Interessenlage versagt.646 Wird eine solche divergierende kollisionsrechtliche Interessenlage durch den Rechtsanwender festgestellt, kann die Norm nicht nur durch das Vertragsstatut sondern auch aufgrund ihrer Element-Kollisionsnorm zur Anwendung berufen werden.647 c) Vorteile der hier vertretenen Auffassung Diese Auffassung von der Funktionsweise sogenannter Eingriffsnormen steht zum einen auf dogmatisch festerem Boden als die Lehre eines zweiten kollisionsrechtlichen Systems von „selbstgerechten“ 648, sich selbst zur Anwendung berufenden Sachnormen, die letztlich auf einer falschen Beurteilung der kollisionsrechtlichen Funktionsweise beruht und nicht zuletzt 643
Dies erkennt auch Jayme, IPRax 2001, 190, 190 wenn er feststellt, dass es nicht um die Auslegung des Art. 7 Abs. 2 EVÜ beziehungsweise Art. 34 EGBGB gehen kann. 644 Kreuzer in FS Zajtay, 295, 315; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 160; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 341; ders., in Holl/Klinke, Int. Privatund Wirtschaftsrecht, 55, 64. 645 Vgl. Schurig in FS Jayme, 837, 841. 646 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 330; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 160; Wördemann, International zwingende Normen, S. 99. 647 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 233; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 159 f.; Hahn, Kollisionsnormen für Versicherungsverträge, S. 104 f.; Wördemann, International zwingende Normen, S. 97. 648 Vgl. zu diesem Begriff Kegel in GS Ehrenzweig, 51, 51 ff. insb. 69 ff.
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deshalb nicht zu begründen vermag, woher die „Eingriffsnormen“ ihren Anwendungsbefehl erhalten. Zum anderen vermag das herrschende Verständnis die Grenze zwischen den vermeintlich getrennten Systemen nicht akkurat zu ziehen, weil sich der materiell-rechtliche Charakter einer Sachnorm, die eine eigene Anknüpfung implizieren soll, im Voraus überhaupt nicht allgemein festlegen lässt.649 Für das hier favorisierte Verständnis spricht zudem, dass durch das notwendige Abstellen auf die kollisionsrechtlichen Interessen das homogene Gefüge des internationalen Privatrechts nicht künstlich durch die Annahme eines neben dem allseitigen Normalsystem stehenden Sondersystems zerrissen wird.650 Vielmehr kann weiterhin von einem einheitlich funktionierenden System mit zwei verschiedenen Sub-Systemen ausgegangen werden. Wichtiger erscheint jedoch, dass das internationale Privatrecht bei nach hier vertretener Auffassung seine Offenheit und Flexibilität beibehält, wodurch es dem Richter möglich wird, zu einer Verfeinerung und Ausdifferenzierung des bisherigen Anknüpfungssystems beizutragen. Gerade hierin liegt eines der wesentlichen Ziele der kollisionsrechtlichen Entwicklung.651 So ist es nach hier vertretener Auffassung möglich, auch im nicht oder jedenfalls nicht abschließend normierten Bereich des internationalen Privatrechts, ein differenziertes Anknüpfungssystem zu schaffen652 und damit einen Beitrag zur Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung des Kollisionsrechts zu leisten.653 Ein weiterer Vorteil einer Integration des Art. 9 Rom I und damit der Eingriffsnormen in die Funktionsweise des Kollisionsrechtssystems liegt darin, dass sich das Verhältnis der normalen Kollisionsregelungen, insbesondere des Art. 6 Rom I, zu den Eingriffsnormen nach Art. 9 Rom I zwanglos erklären lässt. Es ist nicht notwendig, Eingriffsnormen aufgrund ihres materiellen Regelungsgehalts in ein gesondertes dissonantes „Kollisionsrechtssystem“ zu zwängen, um im Einzelfall zu einer Abweichung von den Regelanknüpfungen nach den Art. 3 ff. Rom I zu gelangen, obwohl dem sachrechtlichen Regelungsgehalt einer Norm keine unmittelbare kollisionsrechtliche Bedeutung zukommt.654 Vielmehr stellt die Berufung von Eingriffsnormen aufgrund ihrer eigenen Element-Kollisionsnorm in649
A.A. Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 106 f. Wördemann, International zwingend Normen, S. 108. 651 Kegel in FS Lewald, 259, 259. 652 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 239 f.; ders., in FS Jayme, 387, 387 ff. 653 Wördemann, International zwingend Normen, S. 108; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, S. 162; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 239 f.; ders., in FS Jayme, 387, 387 ff. 654 Schurig in Holl/Klinke, Int. Privat- und Wirtschaftsrecht, 55, 65. 650
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soweit nichts anderes dar, als die richterliche Ausnahme von einer, in einer allseitigen Kollisionsnorm gebündelten, Verweisung aufgrund einer abweichenden kollisionsrechtlichen Interessenslage. Freilich darf der Richter im Interesse der Rechtssicherheit und des nationalen und internationalen Entscheidungseinklangs nicht völlig frei und willkürlich gewisse Normen aus dem jeweiligen Statut „herausbrechen“. Vor allzu freier richterlicher Willkür wird das kollisionsrechtliche System jedoch bereits durch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns geschützt, der in Art. 20 Abs. 3 GG verortet ist. Die Judikative als Teil der Staatsgewalt darf sich nicht grundlos über den ausdrücklich erklärten Willen des EU-Gesetzgebers hinwegsetzen (effet utile). Hinsichtlich der Abweichung von den bestehenden, zumeist allseitigen Kollisionsregeln aufgrund einer Element-Kollisionsnorm, bedeutet dies, dass sie dort an Grenzen stößt, wo sich das bereits bestehende Kollisionsrechtssystem als abschließendes Ergebnis einer kollisionsrechtlichen Interessenabwägung durch den europäischen Gesetzgebers erweist. 4. Kollisionsrechtliche Interessenlage im Rahmen der Regelungen der GOÄ Hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Behandlung der Gebührenvorschriften der GOÄ stellt sich nach der hier vertretenen Auffassung die Frage, ob die durch diese Vorschriften verfolgten Sachinteressen eine besondere kollisionsrechtliche Interessenslage impliziert, so dass diese, in Abweichung von den Art. 3 ff. Rom I, eine besondere Anknüpfung aufgrund einer eigenständigen Element-Kollisionsnorm im Einzelfall erfahren. Diese Frage wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur überaus kontrovers diskutiert.655 Zur Beantwortung dieser Frage gilt es zu untersuchen, ob die GOÄ als Normenkomplex oder jedenfalls einzelne Gebührenregelungen, wie Höchst- oder Mindestsätze, besondere kollisionsrechtliche Interessen implizieren, die nicht hinreichend im allseitigen Kollisionsrechtssystem der Art. 3 ff. Rom I berücksichtigt werden und es deshalb rechtfertigen diese Regelungen im konkreten Einzelfall aus den Bündelungen der Art. 3 ff. Rom I herauszubrechen, um sie nach ihrer eigenen, noch zu bildenden Element-Kollisionsnorm zur Anwendung zu berufen. Diese Frage stellt sich nur, wenn die entsprechenden Regelungen der GOÄ nicht bereits durch ihr Bündel nach den Art. 3 ff. Rom I zur Anwendung berufen sind, da andernfalls kein Bedürfnis zur richterlichen Korrektur besteht. Selbst
655
Bejahend: Spoerr/Uwer, MedR 2003, 668, 672 f.; verneinend: Kilian/Müller, IPRax 2003, 436, 440; Spickhoff, NJW 2004, 1710, 1712; ders., IPRax 2005, 125, 127.
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wenn man gewisse Regelungen der GOÄ als Eingriffsnormen ansieht, resultiert daraus, im Gegensatz zum bislang herrschenden Verständnis656, nicht, dass sie nicht mehr durch die Art. 3 ff. Rom I zur Anwendung berufen werden können. a) Kollisionsrechtliche Interessen des einzelnen Patienten Richterrecht – und nichts anderes sind Eingriffsnormen nach hier vertretener Auffassung – schließt Lücken und ist im Interesse der Rechtssicherheit daher dort verfehlt, wo der Gesetzgeber selbst abschließend tätig geworden ist.657 Dies ist der Fall, wenn die gesetzgebende Gewalt durch bestimmte Kollisionsregeln abschließend die Wertung zum Ausdruck gebracht hat, dass gewissen kollisionsrechtlichen Interessen nur unter bestimmten Umständen eine höhere oder niedrigere Anknüpfungsrelevanz zukommen sollen. Hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten, der in der Rechtspraxis fast ausschließlich als Verbraucher agieren wird658, gibt der Gesetzgeber durch Art. 6 Rom I zu erkennen, dass diese nur unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen zu einer Abweichung von der kollisionsrechtlichen Grundregel des Art. 4 Rom I, die den kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners grundsätzlich den Vorzug geben, führen soll. Nicht jeder Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer soll zwingend dem Aufenthaltsrecht des Verbrauchers unterstehen. Ein derart weitgehender kollisionsrechtlicher Schutz wäre auch verfehlt, da nicht einmal der Patient auf einen derart weitreichenden Schutz vertraut. Auf einen besonderen kollisionsrechtlichen Patientenschutz muss sich nach der gesetzgeberischen Wertung vielmehr nur derjenige Telearzt einlassen, der im Rahmen seiner geschäftlichen Tätigkeit die territorialen Grenzen seines Staates in irgendeiner Form überschritten hat und auf denjenigen des Verbrauchers ausgedehnt hat. Wann die Voraussetzungen dieser inhaltsleeren Formel erfüllt sind, ist freilich eine Rechts- beziehungsweise Wertungsfrage, die insbesondere auch rechtspolitischer Natur ist, wie sich bereits in der Diskussion um das Merkmal der „Ausrichtung“ gezeigt hat.659 Eine über Art. 6 Rom I hinausgehende Berücksichtigung der kollisionsrechtlichen Interessen der Patienten- beziehungsweise Verbrau-
656 Nach dem herrschenden Verständnis von der Funktionsweise der Eingriffsnormen können die Regelungen der GOÄ bei einer Qualifikation als Eingriffsnormen bei konsequenter Sichtweise nur über das zweite „Eingriffsnormenkollisionsrechtssystem“ berufen werden. 657 Vgl. dazu statt vieler Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 11 I, II und § 13. 658 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, a). 659 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, c).
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cherschaft durch Bildung einer, im Vergleich zum Anwendungsbereich des Art. 6 Rom I weitergehenden, Element-Kollisionsnorm zum Schutz des Patienten, wäre zwar grundsätzlich möglich, ist aber verfehlt, da andernfalls die soeben erläuterte, dem Art. 6 Rom I zugrundeliegende gesetzgeberische Abwägung zwischen den kollisionsrechtlichen Interessen der Patienten und denen der grenzüberschreitend agierenden Teleärzte, unterlaufen würde. In der Rechtswirklichkeit wird die Initiative zum Abschluss eines grenzüberschreitenden Telemedizinvertrages regelmäßig aus der Sphäre des Patienten oder des Primärarztes stammen, da sich bisher noch kein eigenes Berufsbild des grenzüberschreitenden Telemediziners herausgebildet hat. Geht die Initiative zum Vertragsschluss ausnahmsweise einmal vom Telemediziner aus, so wird hierin regelmäßig eine Ausrichtung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I zu sehen sein, so dass dann über Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom I unabhängig von irgendeiner Rechtswahl jedenfalls das zwingende Heimatrecht des Patienten zur Anwendung berufen wird.660 In der Folge gelangen auch die national zwingenden Gebührenregelungen der GOÄ zur Anwendung, so dass den besonderen kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten in diesen Fällen hinreichend Rechnung getragen wird. In allen anderen Fällen hat der Gesetzgeber durch seine Regelungen in Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I hingegen zum Ausdruck gebracht, dass die kollisionsrechtlichen Interessen des Telearztes diejenigen des Patienten überwiegen. Die kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten sind in diesen Fällen also nach der Wertung des Gesetzgebers nicht geeignet, eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung der Gebührenregelung der GOÄ aufgrund ihrer rechtssatzbezogenen Element-Kollisionsnorm zu rechtfertigen. Diese Wertungsentscheidung gilt es im Interesse der Rechtssicherheit und des inneren und äußeren Entscheidungseinklangs zu respektieren. b) Kollisionsrechtliche Interessen der Patientenschaft beziehungsweise der Allgemeinheit Entgegen einer Literaturmeinung661 kann auch aus der Überlegung, dass den Gebührenregelungen der GOÄ eine über den per se marktregulierend wirkenden Verbraucherschutz hinaus gehende Marktregulierungsfunktion zukomme, weil die GOÄ auch den Ausschluss eines ruinösen Preiswettbewerbs bezwecke, nicht geschlossen werden, dass die Gebührenregelun660
Die Fälle in denen ein Patient ausnahmsweise einmal nicht als Verbraucher anzusehen ist, spielen in der Praxis eine äußerst untergeordnete Rolle einnehmen; vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, a). 661 Spoerr/Uwer, MedR 2003, 668, 673.
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gen über Art. 9 Rom I eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung verdienen. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass ein aus einer solchen Funktion impliziertes Sachinteresse auch ein besonderes kollisionsrechtliches Anwendungsinteresse und damit eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung nach der Element-Kollisionsnorm implizieren kann. Ein vollständiger Wettbewerbsausschluss über den Preis und damit auch ein dahingehendes Sachinteresse der Allgemeinheit wäre aber nur dann gegeben, wenn die GOÄ Mindestvergütungen des Arztes verbindlich im Sinn eines ius cogens festlegen würde, was die Vertreter dieser Auffassung fälschlicherweise annehmen.662 Der insoweit geführte Vergleich zu den Regelungen des RVG oder der HOAI ist jedoch bereits im Ansatz unzutreffend, da diese, im Gegensatz zu den Gebührenregelungen der GOÄ663, für bestimmte Bereiche echte Mindestvergütungsvorschriften enthalten, so dass ihnen tatsächlich eine wettbewerbsausschließende Funktion zukommen kann. 664 Aber selbst bei Annahme einer solchen Funktion der GOÄ wäre zweifelhaft, ob der Schutz der Allgemeinheit vor einem ruinösem Preiswettbewerb wirklich ausreichen würde, um eine kollisionsrechtliche Interessenlage zu schaffen, die derart von derjenigen abweicht, die der Gesetzgeber bei der Schaffung der Art. 3 ff. Rom I vor Augen hatte, dass eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung der Gebührenregelungen der GOÄ aufgrund ihrer eigenen Element-Kollisionsnormen gerechtfertigt wäre. Eine solche kollisionsrechtliche Behandlung möchten Teile der Literatur wiederum aus einem Vergleich mit den Regelungen der HOAI, die überwiegend als Eingriffsnormen angesehen werden665, ableiten. Gegen einen Vergleich mit den Gebührenregelungen der HOAI spricht aber, dass sich deren Funktion – im Gegensatz zu den Gebührenregelung der GOÄ – nicht in der Verhinderung des Preiswettbewerbs unter den Architekten und Ingenieuren erschöpft. Vielmehr besitzen diese Regelungen darüber hinaus auch die Funktion einen übermäßigen Mietanstieg zu verhindern.666 Der Annahme einer solchen Sekundärfunktion liegt die Überlegung zugrunde, dass sich höhere Baupreise mittelbar auf den Mietzins durchschlagen, da der Vermieter – als Erbauer oder als Käufer der Immobilie – die höheren Baubeziehungsweise Erwerbskosten auf den Mieter abwälzen wird. Gerade hiervor soll die deutsche Mieterschaft geschützt werden. Der Schutz vor einem unangemessen Mietanstieg kann folglich nur erfüllt werden, soweit
662
Spoerr/Uwer, MedR 2003, 668, 673. Dazu ausführlich oben Kapitel 3, § 2, A. 664 Vgl. dazu Lenz, Preiswettbewerb, S. 162 ff. 665 Eine Darstellung des Streitstandes findet sich bei Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 37. 666 BGHZ 154, 110, 115. 663
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es sich um ein Bauwerk im Inland handelt.667 Deshalb ist auch die Belegenheit des Bauwerks im Inland derjenige Umstand, der den notwendigen Inlandsbezug herstellt. Zwar ließe sich der Vergleich ziehen, dass sich auch der Patient im Inland aufhält, ein hinreichender Inlandsbezug in diesen Fällen also bestehen würde. Entscheidender Unterschied ist aber, dass von den Regelgebühren der GOÄ nach oben abweichende Behandlungskosten nicht mittelbar auf ein – dem sozialen Mieterschutz vergleichbares – Gemeininteresse durchschlagen, so dass die Interessen der Allgemeinheit nicht vergleichbar stark betroffen sind wie im Rahmen der HOAI. Insbesondere kann ein solches Gemeinwohlinteresse auch nicht aus einer marktregulierenden Funktion der GOÄ für das gesamte Gesundheitswesen abgeleitet werden. Eine solche Marktregulierung wäre schon nicht sonderlich streng, da die Gebührensätze der GOÄ – wie die Regelung des § 2 Abs. 1 S. 1 GOÄ zeigt – nicht derart starr sind, dass von einer unverrückbaren Preisfixierung ausgegangen werden könnte.668 Aus diesen Erwägungen resultiert, dass durch die Gebührenregelungen der GOÄ die Interessen der Allgemeinheit jedenfalls nicht in einem solchen Maß betroffen sind, das erforderlich wäre, um ein Herausbrechen der Gebührenregelung der GOÄ aus dem Regelungssystem der Art. 3 ff. Rom I zu rechtfertigen. Folglich sind auch die kollisionsrechtlichen Interessen der Allgemeinheit nicht geeignet, eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung über Art. 9 Rom I zu legitimieren. c) Kollisionsrechtliche Interessen der jeweiligen Solidargemeinschaft Fraglich ist danach, ob die kollisionsrechtlichen Interessen der jeweiligen Solidargemeinschaft, also diejenigen der anderen Versicherungsnehmer derselben Krankenversicherung des Patienten, eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung der GOÄ-Regelungen rechtfertigen können. Das Interesse der jeweiligen Solidargemeinschaft geht dahin, dass sie durch die grenzüberschreitende Telemedizinanwendung nicht mit höheren Kosten belastet wird als durch eine vergleichbare inländische Behandlung entstehen würden. Andernfalls würde das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben und damit das finanzielle Gleichgewicht der privaten Krankenversicherung geschädigt. Aufgrund dieser Schädigung würden letztlich entweder die Versicherungsprämien ansteigen oder die Funktionalität des jeweiligen Versicherungssystems nachhaltig gestört, so dass es nicht mehr
667
BGHZ 154, 110, 115. Spickhoff, NJW 2004, 1710, 1712; Martiny in FS Heldrich, 908, 919; zur vergleichbaren Problematik in Rahmen der HOAI Magnus in Staudinger (2002), Art. 34 EGBGB Rn. 94. 668
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geeignet wäre, die vertraglich zugesicherten Versicherungsleistungen zu erbringen. In der Folge dieser Überlegungen ließe sich argumentieren, dass das kollisionsrechtliche Interesse der Solidargemeinschaft dahin geht, dass die Gebührenregelungen der GOÄ immer auch Leistungen eines ausländischen Telemediziners erfassen und daher auch für dessen Vergütungsansprüche die Vergütungshöchstgrenzen einzuhalten sind. Eine absolute, insbesondere der Parteiautonomie entzogene, Geltung der Gebührenregelungen kann aber nur erreicht werden, wenn man die Regelungen über die zulässigen Höchstgebühren als Eingriffsnormen qualifizieren würde und über ihre Element-Kollisionsnorm immer dann zur Anwendung berufen würde, wenn ein in Deutschland versicherter Patient vom Ausland aus telemedizinisch behandelt wird. Auch derartige Überlegungen sind aber nicht dazu geeignet eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung von GOÄ-Regelungen zu rechtfertigen. Vielmehr ist den soeben dargestellten Interessen der Versicherungsgemeinschaft auf anderem Weg Rechnung zu tragen: Beispielsweise ist denkbar, dass die jeweilige private Krankenversicherung in ihren Versicherungsbedingungen regelt, dass Behandlungskosten, die durch die (tele-)medizinische Behandlung eines ausländischen Arztes anfallen, nur in dem Umfang erstattet werden, als sie auch durch eine vergleichbare Inlandsbehandlung entstehen würden. Durch eine derartige Regelung kann erreicht werden, dass die Solidargemeinschaft nicht durch gegebenenfalls höhere Behandlungskosten im Ausland belastet wird. Einen vergleichbaren Weg ist der deutsche Gesetzgeber bereits hinsichtlich der Vergütung von Vertragsärzten gegangen. aa) Vergleich mit der gesetzlichen Regelung für gesetzlich Versicherte Die Vergütung der Vertragsärzte erfolgt in Deutschland durch die kassenärztlichen Vereinigungen. Mitglied der kassenärztlichen Vereinigungen werden die Vertragsärzte mit Zulassung. Die Zulassung erfolgt für den Ort der Niederlassung als Arzt, der sich auf deutschem Staatgebiet befinden muss. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Territorialitätsgrundsatz, da die kassenärztliche Vereinigung als Zwangskörperschaft des öffentlichen Rechts669 Hoheitsgewalt ausübt, die nicht auf staatsfremde Territorien erstreckt werden kann.670 Dies zeigt auch die Regelung der §§ 95 ff. SGB V in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Ärzte-ZV671, wonach die Zulassung für den
669
Vgl. dazu § 77 Abs. 3 und 5 SGB V. König/Beer, ZESAR 2002, 54, 54. 671 Zulassungsverordnung für Ärzte. 670
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Ort der Niederlassung (sogenannter Vertragsarztsitz) als Arzt erfolgt. Für dieses Verständnis streitet auch die Regelung des § 24 Abs. 2 Ärzte-ZV, wonach der Vertragsarzt am Vertragsarztsitz seine Sprechstunde halten muss und seine Wohnung so zu wählen hat, dass er für die ärztliche Versorgung der Versicherten an seinem Vertragsarztsitz zur Verfügung steht. Aus alledem resultiert, dass sich ein ausländischer (Tele-)Arzt, der keine Niederlassung in Deutschland besitzt, nicht in Deutschland als Kassenarzt zulassen kann. In der Folge dieses Umstands kann er für die Behandlung von gesetzlich Versicherten auch keine Vergütung von den deutschen Krankenkassen verlangen. Vielmehr wird er seine Vergütung direkt von dem als Selbstzahler auftretenden Patienten aufgrund eines mit diesem regelmäßig geschlossenen Vertrags verlangen. Es stellt sich somit wie im Rahmen von Privatversicherten die Frage, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe der gesetzlich versicherte Patient die dadurch entstandenen Kosten von seiner Krankenversicherung – als Solidargemeinschaft – ersetzt verlangen kann. Diese Kostenerstattung hat der Gesetzgeber in § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V geregelt und mit dieser Regelung zugleich die formalrechtliche Umsetzung der EuGH-Urteile Kohll672 und Decker673 und den ihnen nachfolgenden Fällen realisiert. Entsprechend den EuGHUrteilen wird dabei zwischen ambulanten Leistungen und Krankenhausleistungen unterschieden. Nach § 13 Abs. 4 SGB V hat der deutsche Kassenpatient bei traditionellen Behandlungsformen die Möglichkeit, Leistungen außerhalb des Krankenhauses in den anderen Mitgliedstaaten der EU nachzufragen. Der Kassenpatient kann in diesen Fällen von seiner Krankenkasse die Übernahme der Kosten auch dann verlangen, wenn kein medizinischer Notfall vorlag oder er sich die Behandlung nicht im Vorfeld durch die Krankenkasse hat genehmigen lassen. Allerdings kann der Patient nicht jeden Leistungserbringer im Ausland aufsuchen. Vielmehr stellt § 13 Abs. 4 S. 2 SGB V aus Gründen der Qualitätssicherung674 klar, dass der Patient nur dann Kostenerstattung verlangen kann, wenn der behandelnde ausländische Arzt in dem jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung zur Versorgung der Versicherten berechtigt ist oder wenn die Bedingungen für den Zugang oder die Ausübung des Berufes des Leistungserbringers, Gegenstand einer Richtlinie der EU gewesen sind. Auch die inländischen Leistungsvoraussetzungen gelten uneingeschränkt, damit der bestehende Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht durch Verlage-
672
EuGHE I 1998, 1935–1952 (Kohll). EuGHE I 1998, 1871–1887 (Decker). 674 Vgl. Zimmermann, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung, S. 122, 275 ff.; Ulmer in Wannagrat SGB, § 13 SGB-V Rn. 45. 673
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rung der Behandlung ins Ausland ausgeweitet werden kann.675 Unerheblich ist daher, ob in dem jeweiligen Mitgliedstaat weitergehende Leistungen gewährt werden.676 Dagegen werden ausländische Krankenhausleistungen innerhalb der EU nach § 13 Abs. 5 SGB V nur dann von der zuständigen Krankenkasse übernommen, wenn sie vorab durch die jeweilige Krankenkasse genehmigt wurden. Die Genehmigung darf dabei nur versagt werden, wenn die gleiche oder „eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung“ rechtzeitig bei einem inländischen Vertragspartner der jeweiligen Krankenkasse erfolgen könnte. Nach § 13 Abs. 4 S. 3 SGB V besteht der Kostenerstattungsanspruch sowohl bei ambulanten wie auch bei stationären Leistungen höchstens in der Höhe der Vergütung, welche die Krankenkasse bei der Erbringung der Leistung im Inland hätte tragen müssen.677 Die Krankenkassen und damit auch die hinter ihr stehende Solidargemeinschaft müssen also nicht befürchten, dass sie aufgrund einer ausländischen Inanspruchnahme mit höheren Kosten belastet werden.678 bb) Vergleich mit der EU-Regelung Vergleichbare Regelungen enthält auch die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vom 09.03.2011679 (PatientenRL), welche die Rechte von Patienten im Falle einer Auslandsbehandlung innerhalb der EU vereinheitlicht. Ziel dieser Richtlinie ist es auch „Klarheit über den Anspruch auf Kostenerstattung für die in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Gesundheitsversorgung“ zu schaffen.680
675
Siehe dazu EuGHE I 2001, 5509–5545; siehe auch Noftz in Hauck/Noftz, SGB, § 13 SGB-V Rn. 71. 676 Ulmer in Wannagrat SGB, § 13 SGB-V Rn. 44. 677 Diese Regelung geht zurück auf das in der Rechtsprechung des EuGH zum Ausdruck kommende Ursprungslandprinzip; vgl. EuGH, EuZW 1998, 345, 347; EuZW 2001, 464, 473; vgl. auch EuGHE I 2006, 4376–4428. 678 Allerdings hat die Krankenkasse nach Art. 13 Abs. 4 S. 6 SGB V die Möglichkeit die entstandenen Kosten voll zu übernehmen. Dies soll insbesondere dann möglich sein, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Technik entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. 679 Richtlinie 2011/24/EU, ABl. L 88 vom 04.04.2011, S. 45 ff. 680 KOM (2008) 414 endg., S. 5; Erwägungsgrund 27 zur Richtlinie Patienten-RL.
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(1) Kostentragung bei ambulanten Behandlungen Gemäß Art. 7 Abs. 1, Abs. 8 PatientenRL kann der Patient grundsätzlich die Erstattung der Kosten einer ambulanten Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat von seiner gesetzlichen Krankenversicherung verlangen, wenn der Patient auf diese Behandlung in seinem Versicherungsstaat einen Anspruch gehabt hätte. Dies gilt grundsätzlich selbst dann, wenn er sich die Auslandsbehandlung nicht vorab hat genehmigen lassen. Die Vorschaltung eines Genehmigungsverfahrens ist im ambulanten Bereich nach Art. 8 Abs. 2 lit. a sublit. ii, lit. b, lit c PatientenRL nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig. (2) Kostentragung bei Krankenhaus- und Spezialbehandlungen Nach Art. 8 Abs. 2 lit. a sublit. i PatientenRL ist von einer stationären Behandlung auszugehen, wenn die Behandlung eine Übernachtung des Patienten für mindestens eine Nacht erfordert. Für derartige Behandlungen etabliert Art. 8 Abs. 2 lit a sublit. i PatientenRL ein Sonderregime, wodurch die Mitgliedstaaten in der Lage sind, ein System der Vorabgenehmigung zu schaffen, wenn die Gesundheitsversorgungen vom Planungsbedarf in Zusammenhang mit dem Ziel, einen ausreichenden, ständigen Zugang zu einem ausgewogenen Angebot hochwertiger Versorgung im betreffenden Mitgliedstaat sicherzustellen, oder in Zusammenhang mit dem Wunsch, die Kosten zu begrenzen und nach Möglichkeit jede Verschwendung finanzieller, technischer oder personeller Ressourcen zu vermeiden, abhängig gemacht werden. Eine Vorabgenehmigung ist unter diesen Voraussetzungen nach Art. 8 Abs. 1 lit. a sublit. ii PatientenRL ferner bei sogenannten kostenintensiven Spezialbehandlungen zulässig. Die Liste von Spezialbehandlungen muss gemäß Art. 8 Abs. 2 PatientenRL der Kommission mitgeteilt werden. Nach Art. 8 Abs. 1 PatientenRL muss das System der Vorabgenehmigung auf das notwendige und angemessene Maß begrenzt werden und darf kein Mittel willkürlicher Diskriminierung und keine ungerechtfertigte Behinderung der Freizügigkeit der Patienten darstellen. Die Kommission ist der Auffassung, dass der aktuelle und künftige Umfang der grenzüberschreitend in Anspruch genommenen Krankenhausleistungen das Sozialversicherungssystem und/oder die Krankenhausplanung in den Mitgliedstaaten nicht gefährden wird681, so dass die Voraussetzungen für einen Regelungsvorbehalt regelmäßig nicht erfüllt sein dürften. 682 In der Tat werden traditionelle Krankenhausleistungen überwiegend im
681 682
KOM (2008) 414 endg., S. 19; Vgl. auch Erwägungsgrund 39 zur PatientenRL. Kingreen, ZESAR 2009, 109, 118.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
sozialen Umfeld des Patienten in Anspruch genommen, um den persönlichen Kontakt zur Familie, Freunden und Bekannten auch während des Genesungsprozesses aufrecht zu erhalten.683 Anders stellt sich jedoch die Lage bei der grenzüberschreitenden Telemedizin dar, da der Patient in seinem sozialen Umfeld verbleibt, obwohl ein oder mehrere ausländische Ärzte an der Behandlung mitwirken. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Vorabgenehmigung auch für Fälle eingeführt werden dürfte, in denen der ausländische Telemediziner im Rahmen einer stationären Inlandbehandlung im Versicherungsmitgliedstaat684 beteiligt wird. Dagegen spricht zunächst der Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 PatientenRL, wonach der Versicherungsmitgliedstaat ein „System der Vorabgenehmigung für die Kostenerstattung für eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung“ vorsehen kann. Eine „grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung“ ist nach Art. 3 lit. e PatientenRL „die Gesundheitsversorgung, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungsmitgliedstaat erbracht oder verschrieben wird“. Der europäische Gesetzgeber geht ausweislich dieses Wortlauts davon aus, dass die Behandlung einen einheitlichen Vorgang darstellt und nicht in einen telemedizinischen und einen traditionellen Bereich aufteilbar ist. Es ist für die Einführung eines Vorabgenehmigungsverfahren nach Art. 8 Abs. 2 lit a sublit. i PatientenRL also entscheidend, ob die Behandlung, die eine Übernachtung des Patienten für mindestens eine Nacht erfordert, in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungsmitgliedstaat erbracht wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn sich der Patient in einem anderen Mitgliedstaat in einem Krankenhaus über Nacht physisch befindet. Nicht ausreichend für die Einführung eines Vorabgenehmigungsverfahren ist es hingegen, wenn der ausländische Telearzt an der Behandlung eines in Deutschland versicherten, in Deutschland stationär aufgenommenen Patienten partizipiert. Würde man allein aus der Mitwirkung eines ausländischen Telemediziners an einer stationären Behandlung in Deutschland zulassen, dass eine Vorabgenehmigungsvorbehalt richtlinienkonform wäre, würde man zu dem absurden Ergebnis gelangen, dass die gesamten aus der stationären Behandlung resultierenden Kosten nur dann von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erstatten wären, wenn die Behandlung vorab genehmigt worden wäre. Ein solches Verständnis widerspräche zudem auch Sinn und Zweck der Vorabgenehmigung. Dieser besteht darin, dass eine Abwanderung der Patienten ins Ausland verhindert werden soll, damit die Tragfähigkeit der jeweiligen natio-
683 684
Erwägungsgrund 39 zur PatientenRL. Vgl. dazu Art. 3 lit. c PatientenRL.
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nalen Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme erhalten bleibt.685 Gerade die Gefahr der Abwanderung besteht jedoch in der dargestellten Sachverhaltskonstellation nicht, da der Patient ja im jeweiligen Mitgliedstaat verbleibt. (3) Umfang der Kostentragungspflicht, Art. 7 Abs. 4 PatientenRL Gemäß Art. 7 Abs. 4 PatientenRL erstattet oder bezahlt der Versicherungsmitgliedstaat „direkt die Kosten der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung bis zu den Höchstbeträgen, die er übernommen hätte, wenn die betreffende Gesundheitsdienstleistung in seinem Hoheitsgebiet erbracht worden wäre, wobei die Erstattung die Höhe der tatsächlichen durch die Gesundheitsversorgung entstandenen Kosten nicht überschreiten darf“. Nach der PatientenRL werden die Krankenkassen und damit auch die hinter ihr stehende Solidargemeinschaft aufgrund einer ausländischen Inanspruchnahme also nicht mit höheren Kosten belastet, damit das finanzielle Gleichgewicht der Systeme der Gesundheitsversorgung und der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt wird.686 cc) Wertungsübertragung Überträgt man diese Wertungen – wie es der europäische Gesetzgeber vorsieht687 – auf die Telemedizin, kommt man zu folgendem Ergebnis: Der deutsche Patient hat die Möglichkeit mittels Telemedizin einen mitgliedstaatlichen Arzt in Anspruch zu nehmen. Gegenüber diesem tritt er als Selbstzahler beziehungsweise Privatpatient auf, da er nicht in ein etwaiges gesetzliches Versicherungssystem des Mitgliedstaats eingebunden ist. Die durch die Behandlung entstandenen Kosten kann der Patient von seiner Krankenkasse grundsätzlich in dem Umfang ersetzt verlangen, die der zuständigen Krankenkasse durch dieselbe Leistung im Inland entstanden wäre. Sollten durch die ausländische Behandlung über diese Höchstgrenze hinausgehende Kosten entstehen, sind diese durch den Patienten gemäß Art. 7 Abs. 4 PatientenRL beziehungsweise § 13 Abs. 4 S. 3 SGB V selbst zu tragen. Hierdurch wird die Solidargemeinschaft vor höheren Behandlungskosten geschützt. Um diesen Schutz zu erreichen, wählte der Gesetzgeber nicht die Möglichkeit den ausländischen Arzt nach den in Deutschland geltenden Maßstäben zu vergüten, sondern nimmt vielmehr in Kauf,
685 KOM (2008) 414 endg., S. 19; Vgl. auch Erwägungsgründe 40 und 41 zur PatientenRL. 686 Vgl. Erwägungsgrund 27 zur PatientenRL. 687 KOM (2008) 414 endg., S. 23; vgl. auch Erwägungsgrund 26 zur PatientenRL und Art. 3 lit. d PatientenRL.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
dass der einzelne Patient bei grenzüberschreitenden Telemedizinbehandlungen unter Umständen die, im Vergleich zu einer reinen Inlandsbehandlung, höheren Behandlungskosten selbst tragen muss.688 Überträgt man diese Wertungen auf der Ebene des Sachrechts auf die Ebene des Kollisionsrechts, gelangt man zum Ergebnis, dass Regelungen über Höchstgebühren auch nicht aufgrund der kollisionsrechtlichen Interessen der Versicherungsgemeinschaft als Eingriffsnormen angesehen werden können. Vielmehr ist dem Interesse der Versicherungsgemeinschaft nicht mit höheren Auslandsgebühren belastet zu werden, nicht auf kollisionsrechtlicher sondern auf sachrechtlicher beziehungsweise vertraglicher Ebene Rechnung zu tragen, da andernfalls das kollisionsrechtliche Interesse des unmittelbar beteiligten, ausländischen Telemediziners an der Anwendung seines Rechts nicht hinreichend berücksichtigt würde. Der Telemediziner wird gerade auch im Hinblick auf seine Vergütung tätig und geht nicht davon aus, dass sich die Vergütungshöhe für seine berufsspezifische Tätigkeit nach einem ihm unbekannten, ausländischen Gebührenrecht richtet. Dieses wäre für ihn regelmäßig nur schwer und unter hohem Kostenaufwand feststellbar. Gerade deshalb privilegiert Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I den Telemediziner auf kollisionsrechtlicher Ebene. Weiter beruhen die Gebührenvorschriften der GOÄ und die darin enthaltenen Vergütungssätze auf einer Untersuchung des deutschen Behandlungsmarktes. Nur mittels einer sorgfältigen wirtschaftlichen Analyse kann sichergestellt werden, dass das verfolgte Ziel der Preistransparenz für den Patienten nicht zu ungerechtfertigten Belastungen der Ärzteschaft führt. Ziel einer solchen Analyse muss gerade auch sein, dass die Ärzteschaft trotz des Gebührenrechts noch eine angemessene Vergütung erhält. Aus diesem Grund wird der Punktwert, der als Berechnungsgrundlage dient, von Zeit zu Zeit überprüft und gegebenenfalls angepasst.689 Die GOÄ spiegelt also die mit einer Behandlung im deutschen Wirtschaftsraum verbundenen Kosten wider. Folglich ist der Regelsatz auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die mit einer Behandlung verbunden Ausgaben und Einnahmen, in Deutschland zugeschnitten und damit unter Umständen nicht geeignet die mit einer telemedizinischen Behandlung verbundenen Kosten eines ausländischen Telearztes abzudecken. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass der ausländische Telearzt eine weit über seinen Ausgaben liegende Gebühr und somit eine unangemessene hohe Vergütung
688
KOM (2008) 414 endg., S. 5. Im Jahr 1965: 10 Pfennig, im Jahr 1988: 11 Pfennig; seit 1996: 11,4 Pfennig beziehungsweise 5,24586 Cent. Zur Anpassung der GOÄ aufgrund der wirtschaftlichen Weiterentwicklung ausführlich Hess/Hübner in Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 11 Rn. 11 f. 689
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erhalten würde. Die kollisionsrechtlichen Interessen der jeweiligen Solidargemeinschaft können eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung der GOÄ-Regelungen folglich nicht rechtfertigen. d) Keine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung aufgrund der kollisionsrechtlichen Interessen von Mitwettbewerbern Überlegenswert ist weiter, ob nicht die kollisionsrechtlichen Interessen der Mitbewerber eine Sonderbehandlung der GOÄ-Regelungen aufgrund ihrer Element-Kollisionsnorm rechtfertigen können. Die deutsche Ärzteschaft ist daran interessiert, nicht durch ausländische „Billigmediziner“ vom Markt verdrängt zu werden. Diese Überlegung steht jedoch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Regelungen der GOÄ, sondern dient vielmehr der Verwirklichung von Interessen der Mitwettbewerber an der Lauterkeit des Wettbewerbs und ist daher dem internationalen Wettbewerbsrecht zuzuordnen. Für diesen Bereich existieren besondere kollisionsrechtliche Regelungen, auf die später noch einzugehen sein wird.690 Festzuhalten gilt, dass der Schutz des Wettbewerbs vor unlauterem Preiswettbewerb nicht aus den Vorschriften der GOÄ resultiert, so dass die damit verbundenen kollisionsrechtlichen Interessen der Wettbewerber im Rahmen der kollisionsrechtlichen Behandlung der GOÄ-Regelungen keine Berücksichtigung finden. 5. Zwischenergebnis Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass die in der GOÄ enthaltenen Regelungen nur über die allseitigen Kollisionsregeln der Art. 3 ff. Rom I zur Anwendung berufen werden können.691 Eine daneben grundsätzlich mögliche Berufung über eine in den Regelungen der GOÄ enthaltene Element-Kollisionsnorm findet nicht statt, da die kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten bereits durch die Art. 3 ff. Rom I abschließend gegeneinander abgewogen werden. Eine weitergehende Berufung der Gebührenregelungen der GOÄ ist daher weder notwendig noch wäre sie gerechtfertigt und ist deshalb, insbesondere auch mit Blick auf die Rechtssicherheit, abzulehnen.
690
Vgl. dazu unten Kapitel 4, § 6. Im Ergebnis so auch: Spickhoff, IPRax 2005, 125, 127; ders., NJW 2004, 1710, 1712; ders., in Bamberger/Roth, Art. 34 EGBGB Rn. 21; Kilian/Müller, IPRax 2003, 436, 440; Deutsch, MedR 2009, 576, 578; hinsichtlich der Gebührenvorschriften der HOAI auch Martiny in MüKo, Art. 4 Rom I Rn. 37. 691
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6. Vereinbarkeit mit Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL a) Problemlage Abschließend gilt es zu untersuchen, ob die hier vertretene kollisionsrechtliche Behandlung der Gebührenregelungen der GOÄ mit Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL vereinbar ist. Dort ist geregelt, dass die Mitgliedstaaten sicher zu stellen haben, „dass Gesundheitsdienstleister auf ihrem Hoheitsgebiet für die Behandlung von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten die gleiche Gebührenordnung zugrunde legen, wie sie für inländische Patienten in einer vergleichbaren medizinischen Situation gilt“. Dies ist nach der hier vertretenen Anknüpfung der Gebührenvorschriften der GOÄ grundsätzlich der Fall: Gemäß Art. 2 lit. q PatientenRL lässt die PatientenRL die Kollisionsregeln der Rom I- und II-Verordnung sowie sonstige Unionsvorschiften zum internationalen Privatrecht unberührt. Ferner gilt es festzuhalten, dass nach der hier vertretenen Anknüpfung der kollisionsrechtlichen Behandlung der Gebührenvorschriften der GOÄ sichergestellt ist, dass ein Arzt, der einen Patienten aus einem anderen Mitgliedstaat auf deutschem Hoheitsgebiet behandelt, die Gebührenvorschriften der GOÄ anwendet, da diese Gebührenregelungen in diesem Fall gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I zur Anwendung berufen sind. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Rom I, da bei traditionellen Behandlungen auf deutschem Hoheitsgebiet der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz aufgrund der Regelung des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I nicht eingreift, weil die ärztliche Behandlung und damit die dem Verbraucher geschuldete Dienstleistung ausschließlich in Deutschland erbracht wird. Behandelt ein Arzt einen Patienten in Deutschland, ist es diesen aufgrund von Art. 3 Abs. 3 Rom I nicht möglich die Gebührenregelungen der GOÄ abzuwählen, da diese national zwingendes Recht darstellen. Freilich hat die bisherige Untersuchung gezeigt, dass im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen aus dem kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz eine Anwendung der Gebührenvorschriften der GOÄ resultieren kann, wenn ein ausländischer Telemediziner einen in Deutschland befindlichen Patienten grenzüberschreitend behandelt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der ausländische Telemediziner auf den deutschen Verbraucherstaat ausgerichtet hat und der mit dem Verbraucherpatienten geschlossene Vertrag in den Bereich dieser Ausrichtungstätigkeit fällt. Unter diesen Voraussetzungen hat beispielsweise ein französischer Telemediziner, der einen deutschen Verbraucherpatienten, der sich während der telemedizinischen Behandlung in Deutschland befindet, grenzüberschreitend behandelt, die Gebührenvorschriften der GOÄ einzuhalten, da diese zur Anwendung berufen sind. Auch greift in Fällen der grenzüberschreitenden Telemedizin nach Deutschland „hinein“
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Art. 3 Abs. 3 Rom I nicht ein, weil nicht alle Sachverhaltselemente in Deutschland liegen. Patient und Telemediziner können daher, vorbehaltlich des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes, das anwendbare Gebührenrecht wählen. Auf den ersten Blick stehen die soeben skizzierten Anknüpfungen der Gebührenregelungen der GOÄ im Widerspruch zu Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL, da nach dieser Vorschrift die Mitgliedstaaten sicher zu stellen haben, „dass Gesundheitsdienstleister auf ihrem Hoheitsgebiet für die Behandlung von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten die gleiche Gebührenordnung zugrunde legen, wie sie für inländische Patienten in einer vergleichbaren medizinischen Situation gilt“. Bei genauerer Betrachtung dieser Vorschrift muss man sich aber zunächst die Frage stellen, in welchem Mitgliedstaat die telemedizinische Behandlung überhaupt erbracht wird. Diese Frage wird durch Art. 3 lit. d PatientenRL, der den Begriff „Behandlungsmitgliedstaat“ definiert, dahingehend beantwortet, dass im Fall der Telemedizin die Gesundheitsversorgung als in dem Staat erbracht gilt, in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist. In der Folge scheint Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL zu fordern, dass der französische Telemediziner aus obigem Beispiel die telemedizinische Behandlung des deutschen Patienten immer nach den französischen Gebührenvorschriften abrechnen kann, sodass die hier vertretene Anknüpfung der Gebührenvorschriften der GOÄ über das Vertragsstatut in bestimmten Fällen in der Tat gegen Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL verstoßen würde. b) Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL gilt nur im Rahmen von Präsenzbehandlungen Es bleiben jedoch erhebliche Zweifel gegen ein solches Verständnis des Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL. Zunächst einmal fällt auf, dass die PatientenRL selbst davon ausgeht, dass sie die Kollisionsregeln der Rom I und II Verordnung unberührt lässt, Art. 2 lit q PatientenRL. Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I regelt aber, dass das auf den Vertrag anzuwendende Recht insbesondere auch für die Erfüllung der durch den Telemedizinvertrag begründeten Verpflichtungen und damit auch für die Vergütung des Telemediziners und deren Höhe maßgeblich ist. Insoweit steht Art. 4 Abs. 4 PatientenRL, wenn man ihm kollisionsrechtlichen Gehalt zumessen würde692, in offener Konkurrenz und Widerspruch zu Rom I. Hingegen spricht bereits der Wortlaut gegen eine Anwendung des Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL auf Fälle grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen zwischen Mitgliedstaaten. Nach diesem haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, „dass
692
6, c).
Hierauf wird sogleich noch näher einzugehen sein, vgl. unten Kapitel 4, § 3, D, II,
300
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Gesundheitsdienstleister auf ihrem Hoheitsgebiet“ für die Behandlung von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten die gleiche Gebührenordnung zugrunde legen. Für die Anwendbarkeit des Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL ist nach dem Wortlaut also zu fordern, dass die Behandlung auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates stattgefunden hat. Auf dem Hoheitsgebiet kann die Behandlung aber nur erfolgen, wenn sich der Patient physisch auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates aufhält. Auch die englische und französische Sprachfassung sprechen für ein derartiges Verständnis: „Member States shall ensure that the healthcare providers on their territory apply the same scale of fees for healthcare for patients from other Member States, as for domestic patients in a comparable medical situation“; „Les États membres garantissent que les prestataires de soins de santé appliquent, sur leur territoire, aux patients d’autres États membres le même barème d’honoraires de soins de santé que pour des patients nationaux se trouvant dans une situation médicale comparable“.693 Dass die Begriffe „auf“, „on“ und „sur“ innerhalb der PatientenRL ihrem Wortsinn entsprechend nicht gleichbedeutend verwendet werden, zeigt sich bei einem Vergleich mit Art. 3 lit. d S. 2 PatientenRL wonach „[i]m Fall der Telemedizin [...] die Gesundheitsversorgung als in dem Mitgliedstaat erbracht [gilt], in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist“. Einen dementsprechenden Wortlaut enthalten auch die englische und französische Fassungen.694 Selbst innerhalb des Art. 4 PatientenRL findet sich die Formulierung „im Hoheitsgebiet“.695 Man wird daher nicht davon ausgehen können, dass die Begriffe „in“ und „auf“ dem Gebiet eines Mitgliedstaates Identisches meinen. Vielmehr meint die Formulierung „auf“ dem Hoheitsgebiet, dass die Behandlung unter physischer Präsenz des Patienten auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates stattfindet. In Fällen der grenzüberschreitenden Telemedizin findet die Regelung des Art. 4 Abs. 4 PatientenRL in Ermangelung einer physischen Präsenz des Patienten auf dem Gebiet des Mitgliedstaates folglich keine Anwendung, sodass die hier vertretene kollisionsrechtliche Behandlung der GOÄ auch nicht im Wiederspruch zu dieser Regelung stehen kann.
693
Die Hervorhebung durch Kursivsetzung erfolgte durch den Verfasser. Diese lauten: „In the case of telemedicine, healthcare is considered to be provided in the Member State where the healthcare provider is established“ beziehungsweise „Dans le cas de la télémédecine, les soins de santé sont considérés comme dispensés dans l’État membre où le prestataire de soins de santé est établi“ (Hervorhebung durch Kursivsetzung erfolgte durch den Verfasser). 695 Vgl. etwa Art. 4 Abs. 1 lit. d PatientenRL. 694
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c) Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL hat keinen kollisionsrechtlichen Gehalt Unabhängig von den bisherigen Überlegungen spricht gegen eine Anwendung des Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL auf grenzüberschreitende Telemedizinanwendungen ein rechtstechnisches Argument: Es ist nicht möglich ist, dass die Mitgliedstaaten auf der Ebene des Kollisionsrechts sicher stellen, „dass Gesundheitsdienstleister auf ihrem Hoheitsgebiet für die Behandlung von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten die gleiche Gebührenordnung zugrunde legen, wie sie für inländische Patienten in einer vergleichbaren medizinischen Situation gilt“, wenn man die telemedizinische Dienstleistung gemäß Art. 3 lit. d S. 2 PatientenRL im Mitgliedstaat, in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist, lokalisiert und gleichzeitig gemäß Art. 2 lit. q PatientenRL die Regelungen der Rom I-Verordnung unberührt lässt: Wie bereits gezeigt wurde handelt es sich bei den Vorschriften der GOÄ um Normen des Privatrechts, sodass sie über das internationale Privatrecht, genauer den Kollisionsnormen der Art. 3 ff. Rom I, zur Anwendung berufen werden. Daran kann auch Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL nichts ändern. Nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL sollen die Mitgliedstaaten sicher stellen, dass ihre Gesundheitsdienstleister auf ihrem Hoheitsgebiet für die Behandlung von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten die gleiche Gebührenordnung zugrunde legen, wie sie für inländische Patienten in einer vergleichbaren medizinischen Situation gilt. Hinsichtlich privatrechtlicher Ansprüche auf Vergütung aus einem vertraglichen Schuldverhältnis können die Mitgliedstaaten eine dahingehende kollisionsrechtliche Regelung aber nicht treffen, da in diesem Anwendungsbereich die europäischen Kollisionsregeln der Rom I-Verordnung einer nationalen kollisionsrechtlichen Regelung vorgehen. Dieser Vorrang der europäischen Kollisionsregeln ergibt sich daraus, dass die europäische Union seit dem Vertrag von Amsterdam, der am 1. Mai 1999 in Kraft getreten ist, auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts Rechtssetzungskompetenz besitzt, von der die Europäische Union mit Erlass der Rom I-Verordnung Gebrauch gemacht hat. Insoweit geht europäisches Recht dem nationalen Recht vor. Die dahingehende Regelung in Art. 3 Nr. 1 lit. b EGBGB ist daher nur deklaratorischer Natur.696 In der Folge dieses Umstandes ist es den Mietgliedstaaten mangels Rechtssetzungskompetenz nicht möglich Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL auf der Ebene des Kollisionsrechts umzusetzen. Sie können kollisionsrechtlich nicht dafür sorgen, dass die Gesundheitsdienstleister auf ihrem Hoheitsgebiet für die Behandlung von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten die gleiche Gebührenordnung zugrunde legen, wie sie für inländische Patien-
696
Vgl. dazu nur Sonnenberger in MüKo, Einl. IPR Rn. 126, Art. 3 EGBGB Rn. 2.
302
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ten in einer vergleichbaren medizinischen Situation gilt. Vor diesem Hintergrund wird man wohl nicht davon ausgehen können, dass der EUGesetzgeber bei Erlass des Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL davon ausging, dass dieser Regelung kollisionsrechtlicher Gehalt zukommt. In die gleiche Richtung deutet Art. 2 lit. q PatientenRL, wonach die Regelungen der Rom I-Verordnung durch die PatientenRL unberührt bleiben sollen. Geht man davon aus, dass Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL keinen kollisionsrechtlichen Charakter besitzt und dass die Gebührenvorschriften der GOÄ über das Vertragsstatut nach Art. 3 ff. Rom I zur Anwendung berufen werden, stellt sich freilich sogleich die Frage, welchen Regelungsgehalt Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL dann überhaupt noch besitzt. Art. 4 Abs. 4 PatientenRL verfolgt ausweislich seines Wortlauts den Zweck, dass die Behandlung von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten nach den gleichen Grundsätzen vergütet wird wie diejenige inländischer Patienten. Patienten aus anderen Mitgliedstaaten sollen nicht dadurch diskriminiert werden, dass sie für eine Behandlung mehr bezahlen müssen als ein inländischer Patient in einer vergleichbaren medizinischen Situation bezahlen müsste. Dies kommt insbesondere auch darin zum Ausdruck, dass nach Art. 4 Abs. 4 S. 2 PatientenRL der Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL „die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften unberührt [lässt], wonach Gesundheitsdienstleister ihre Gebühren selbst festsetzen können, sofern Patienten aus anderen Mitgliedstaaten durch die Preisgestaltung nicht diskriminiert werden“. Dies ist durch die Mitgliedstaaten auf der Ebene des Sachrechts dadurch sicher zu stellen, dass sie nicht etwa für in- und ausländische Patienten zwei inhaltlich unterschiedliche Gebührenordnungen erlassen. Dieser Zweck verbleibt Art. 4 Abs. 4 S. 1 PatientenRL auch nach hier vertretener Auffassung über die kollisionsrechtliche Behandlung der Gebührenvorschriften der GOÄ. Auch unter diesem Gesichtspunkt steht die hier vertretene kollisionsrechtliche Anknüpfung der Gebührenvorschriften der GOÄ also nicht im Widerspruch zu Art. 4 Abs. 1 S. 1 PatientenRL. 7. Ergebnis Die Untersuchung hat ergeben, dass die Gebührenvorschriften der GOÄ dann zur Anwendung berufen sind, wenn das Vertragsstatut deutsches Recht ist. Dies ist nach Maßgabe des Art. 3 Rom I insbesondere der Fall, wenn Patient und Telemediziner eine dahingehende Rechtwahl getroffen haben. Liegt eines solche nicht vor, stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Behandelt etwa ein französischer Telearzt grenzüberschreitend einen deutschen Patienten, der sich während der Behandlung physisch in Deutschland befindet, gelangen die Gebührenvorschriften der GOÄ grundsätzlich nicht zur Anwendung, da in einem solchen Fall über Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I grundsätzlich das französische Sachrecht und
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damit die dortigen Gebührenvorschriften, sofern solche vorhanden sind, zur Anwendung berufen werden. Etwas anderes kann sich nur aus dem kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz nach Maßgabe des Art. 6 Rom I ergeben. Hierzu ist jedoch insbesondere erforderlich, dass sich der Telearzt auf Deutschland ausgerichtet hat und dass diese Ausrichtung kausal für den zwischen Patient und Telemediziner geschlossene Telemedizinvertrag war.
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A. Kollisionsrecht nach Rom II Seit dem 11.1.2009 sind weite Teile des Kollisionsrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse europaweit einheitlich in der Rom II-Verordnung geregelt. Ziel der Vereinheitlichung ist insbesondere die Erhöhung der Rechtssicherheit und die damit verbundene Schaffung beziehungsweise Stärkung eines gemeinsamen Binnenmarkts.697 Gemäß Art. 24 Rom II handelt es sich bei allen durch diese Verordnung ausgesprochenen Verweisungen um Sachnormverweisungen. Ein Renvoi ist daher ausgeschlossen. I. Rechtswahl nach Art. 14 Rom II Auch im Kollisionsrecht der unerlaubten Handlung ist eine Rechtswahl der Parteien gegenüber einer objektiven Anknüpfung vorrangig698, wenngleich die Rechtswahl bei außervertraglichen Schuldverhältnissen naturgemäß eine weitaus geringere Rolle als bei vertraglichen Schuldverhältnissen spielt. In der dennoch zugestandenen Rechtswahlmöglichkeit kommt die Liberalität der europäischen Wirtschaftsordnung zum Ausdruck, welche die staatliche Einflussnahme zugunsten privatautonomer Regelungskompetenz zurückdrängt.699 Eine Rechtswahl kann vor oder nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses erfolgen.700 Je nach Zeitpunkt stellt die Verordnung jedoch unterschiedliche Anforderungen an eine Rechtswahl.
697
Buermeyer in FS Rauscher, 15, 15. Benecke, RIW 2003, 830, 835; Kühne in FS Deutsch 80, 817, 825. 699 Freitag/Leible, ZVglRWiss 99 (2000), 101, 103. 700 Anders war dies noch unter Geltung des Art. 42 EGBGB, der eine Rechtswahl nur für die Zeit nach der Entstehung des Schuldverhältnisses zuließ. 698
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
1. Voraussetzungen einer wirksamen Rechtswahl nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses Gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. a Rom II ist eine Rechtswahl nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses stets zulässig. Entscheidender Zeitpunkt ist, wie sich aus einem Vergleich mit Art. 4 Abs. 1 Rom II ergibt, nicht der Eintritt des Erfolgs der unerlaubten Handlung im Sinne einer Rechtsgutsverletzung, sondern der Zeitpunkt der deliktischen Handlung.701 Daher haben Patient und Telemediziner die Möglichkeit nach Vornahme der deliktischen Handlung durch den Telemediziner, also beispielsweise die fehlerhafte Behandlung oder Aufklärung, das auf die unerlaubte Handlung anwendbare Sachrecht zu wählen. Die Rechtswahl erfolgt dabei, wie im Kollisionsrecht der vertraglichen Schuldverhältnisse auch, durch Abschluss eines Rechtswahlvertrags durch die Parteien. Dieser kann ausweislich des Art. 14 Abs. 1 S. 2 Rom II auch im Rahmen außervertraglicher Schuldverhältnisse, ausdrücklich oder stillschweigend geschlossen werden.702 Der Rechtswahlvertrag unterliegt nach ganz herrschender Auffassung – entsprechend Art. 3 Abs. 5 Rom I – vollständig der potentiellen lex causae.703 Hinsichtlich der Anforderungen, die an eine ausdrückliche, respektive eine stillschweigende Rechtswahl zu stellen sind, kann daher auf die zur konkludenten Rechtswahl im Rahmen vertraglicher Schuldverhältnisse gemachten Ausführungen verwiesen werden.704 2. Voraussetzungen einer wirksamen Rechtswahl vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses Vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses ist eine Rechtswahl gemäß Art. 14 Abs. 2 lit. b Rom II nur zulässig, soweit die beteiligten Parteien eine kommerzielle Tätigkeit ausüben. Der Begriff der kommerziellen Tätigkeit ist ähnlich zu verstehen wie die Tätigkeit von Unternehmern in den materiell-rechtlichen Verbraucherschutzrichtlinien und umfasst daher alle Aktivitäten im Zusammenhang mit einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit.705 Eine Rechtswahl zwischen Patient und Telemediziner
701
Mankowski, IPRax 2010, 389, 399; Junker in MüKo, Art. 14 Rom II Rn. 18. Vgl. dazu auch Erwägungsgrund Nr. 31 zu Rom II. 703 Freitag/Leible, ZVglRWiss 99 (2000), 101, 107; Schaub in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 14 Rom II Rn. 3; Kadner-Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1, 13; Thorn in Palandt, BGB, Art. 14 Rom II Rn. 11 m.w.N. a.A. Junker in MüKo, Art. 14 Rom II Rn. 26. 704 Vgl. oben Kapitel 4, § 3, A, I und II. 705 Schaub in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 14 Rom II Rn. 4; Junker in MüKo, Art. 14 Rom II Rn. 23; Wagner, IPRax 2008, 1, 13; i.E. auch Leible, RIW 2008, 257, 260. 702
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vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses wird daher meist ausscheiden, da der Patient bei einer telemedizinischen Behandlung regelmäßig nicht kommerziell tätig ist. Jedoch sind auch Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen die telemedizinische Behandlung ausnahmsweise im Zusammenhang mit einer gewerblichen oder kommerziellen Tätigkeit erfolgt.706 In diesen Fällen ist eine antizipierte Rechtswahl im Rahmen des Deliktsstatuts durch den Telemediziner und den Patienten, ungeachtet der Tatsache, dass eine vorherige Rechtswahl im Rahmen außervertraglicher Schuldverhältnisse rechtspolitisch per se zweifelhaft ist707, möglich. Während Rom I in Art. 3 Abs. 2 S. 1 nur von „vereinbaren“ und in Art. 3 Abs. 5 nur von „Einigung der Parteien“ spricht, ist in Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II von einer „frei ausgehandelten“ Vereinbarung die Rede. Daraus zieht ein großer Teil der Literatur den Schluss, dass eine Rechtswahl in AGB ausgeschlossen ist708, während andere Teile der Auffassung sind, dass es kommerziell Tätigen möglich ist eine Rechtswahl in AGB zu vereinbaren.709 Der Wortlaut spricht klar für die Auffassung, dass die ex ante Rechtswahl nur dann ihre Wirkung entfaltet, wenn sie frei ausgehandelt wurde und folglich nicht das Diktat einer Partei ist.710 Hierdurch soll, wie Erwägungsgrund 31 S. 4 zeigt, der Schutz der schwächeren Partei gewährleistet werden. Dies ist Ausdruck der entsprechenden Gemeinschaftspolitik.711 Eine frei ausgehandelte Rechtswahlklausel ist grundsätzlich nicht gegeben, wenn sie in einem vorformulierten Vertragsentwurf oder in AGB einer Partei enthalten ist. Es ist zumindest zu fordern, dass sie im konkreten Einzelfall individuell ausgehandelt wurde, also zur ernsthaften Disposition der Parteien stand.712 Da sorgfältig ausgearbeitete Rechtswahlvereinbarungen in der Rechtspraxis meist nicht individuell ausgehandelt werden, sollte es genügen, vorformulierte Rechtswahlvereinbarungen von der anderen Partei gesondert abzeichnen zu lassen, um dem Erfordernis einer frei ausgehan-
706
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, a). Siehe dazu Rugullis, IPRax 2008, 319, 320 ff. 708 Leible, RIW 2008, 257, 260; Heiss/Loacker, JBL 2007, 613, 623; Schaub in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 14 Rom II Rn. 4; Von Hein, ZEuP 2009, 6, 29; Rugullis, IPRax 2008, 319, 322; Landbrecht, RIW 2010, 783, 785; Rusworth/Scott, LMCLQ 2008, 274, 293; Wurmnest in jurisPK-BGB, Art. 14 Rom II Rn. 11; Mankowski, IPRax 2010, 389, 400 m.w.N. in Fn. 151. 709 Wagner, IPRax 2008, 1, 14; Junker in MüKo, Art. 14 Rom II Rn. 36; Spickhoff in Bamberger/Roth, Anh. zu Art. 42 EGBGB Rn. 99. 710 Calvo Caravaca/Carrasoca González, Las obligaciones extracontractuales, S. 92 f. no. 62. 711 Bertoli, Dir.UE 2009, 231,240 f.; Mankowski, IPRax 2010, 389, 399. 712 Mankowski, IPRax 2010, 389, 400. 707
306
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
delten Vereinbarung genüge zu tun.713 Andernfalls würde die Rechtswahl ex ante entgegen der, durch Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II zum Ausdruck kommenden, Intention des europäischen Gesetzgebers entwertet. Sehen die Parteien in ihren jeweiligen AGB ausnahmsweise einmal übereinstimmend die Geltung einer bestimmten Rechtsordnung vor, ist der Schutzzweck der Einschränkung auf frei ausgehandelte Vereinbarungen nicht einschlägig, sodass kein Grund besteht, diese Rechtswahl für unwirksam zu erachten.714 Man mag die aus dem Erfordernis einer freien Aushandlung resultierenden Rechtswahlbeschränkungen als rechtspolitisch verfehlt und der Rechtspraxis nicht gerecht werdend ansehen.715 Über den, durch den Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II zum Ausdruck kommenden, Willen des europäischen Gesetzgebers wird man sich jedoch nicht hinwegsetzen können. Die in Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II gewählte Formulierung „frei ausgehandelte Vereinbarung“ lässt kaum Spielraum für die Zulassung einer Rechtswahl ex ante in AGB, da solche eben nicht frei ausgehandelt, sondern einseitig auferlegt werden. Fraglich ist jedoch, ob sich diese Entscheidung des EU-Gesetzgebers korrigieren lässt. Eine Gesetzesauslegung findet ihre Grenze zum einen im eindeutigen Wortlaut des Gesetzes zum anderen ist eine Auslegung, die der erkennbaren Vorstellung des Gesetzgebers widerspricht, unzulässig.716 Der Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II erfordert eindeutig eine „frei ausgehandelte“ Rechtswahlvereinbarung. Über diese Entscheidung darf man sich als Gesetzesanwender durch Gesetzesauslegung nicht hinwegsetzen.717 In Betracht kommt allenfalls eine den Anwendungsbereich der Vorschrift einschränkende Rechtsfortbildung. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es der Grundsatz der Gewaltenteilung verbietet, eigene rechtspolitische Erwägungen an die Stelle der gesetzgeberischen Überlegungen zu setzen. Auch die Rechtssicherheit gebietet es, dass eindeutige Entscheidungen des Gesetzgebers befolgt werden, auch wenn sie für fehlerhaft erachtet werden.718 Vorliegend müsste die Rechtswahl in nicht frei ausgehandelten AGB's entgegen des eindeutigen Gesetzeswortlaut zugelassen werden, um die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers zu korrigieren. So eine Vorgehensweise könnte nur unter sehr engen Voraussetzungen aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit
713
Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1, 8; ähnlich Mankowski, IPRax 2010, 389,
400. 714
Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1, 8. Vgl. insbesondere die Kritik von Wagner, IPRax 2008, 1, 14. 716 Zippelius, Methodenlehre, S. 61. 717 A.A. Junker in MüKo, Art. 14 Rom II Rn. 36, der den Zusatz „frei ausgehandelt“ als „Wortgeklingel ohne eigenständige Bedeutung“ bewertet. 718 Vgl. dazu Zippelius, Methodenlehre, S. 66, 82. 715
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legitimiert werden.719 Man mag die Entscheidung, die Rechtswahl ex ante in AGB's als rechtspolitisch verfehlt und unzweckmäßig betrachten. Man wird jedoch nicht behaupten können, dass hierdurch der internationale Rechtsverkehr von kommerziell Tätigen in unerträglichem Maße beeinträchtigt wird. Schließlich war vor Erlass der Rom II- Verordnung eine Rechtswahl ex ante für außervertragliche Schuldverhältnisse den meisten Kollisionsrechten fremd.720 Für eine Rechtsfortbildung contra legem besteht daher kein ausreichendes Bedürfnis. Nach geltendem Recht ist es daher hinzunehmen, dass eine Rechtswahl ex ante für außervertragliche Schuldverhältnisse in AGB's nicht möglich ist. 3. Schranken der Rechtswahl Art. 14 Abs. 2 Rom II sieht eine Rechtswahlbeschränkung bei reinen Inlandssachverhalten vor. Danach bleibt eine Rechtswahl zwar zulässig, sie vermag jedoch nicht die zwingenden Vorschriften des Staates, zu dem allein relevante Verbindungen bestehen, zu verdrängen. In diesen Fällen bewirkt eine Rechtswahl folglich einen „law mix“ aus gewähltem Recht und den zwingenden Vorschriften des Staates, zu dem die ausschließlich relevante Verbindung besteht.721 Eine vergleichbare Regelung ist in Art. 3 Abs. 3 Rom I enthalten. Dieser Schranke der Rechtswahl kommt jedoch im Rahmen der Telemedizin im Verhältnis zwischen Patient und Telemediziner keine Bedeutung zu, da bei der grenzüberschreitenden Telemedizin nicht alle Sachverhaltselemente in einem Staat liegen.722 II. Objektive Anknüpfung 1. Grundregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II Ist keine Rechtswahl erfolgt, ist das Deliktsstatut objektiv nach Art. 4 Rom II zu bestimmen. Dabei enthält Art. 4 Abs. 1 Rom II die Grundregel der lex loci damni, nach der auf einen Anspruch aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder die indirekten Schadensfolgen eingetreten sind. Nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers dient dies dem gerechten Interessenausgleich und entspricht einer modernen Konzeption der zivilrechtli-
719
Zippelius, Methodenlehre, S. 70, 84. Vgl. dazu nur die Analyse von Bertoli, Dir.UE 2009, 231,240 f. 721 Heiss/Loacker, JBL 2007, 613, 623. 722 Pielach, Haftungsfragen, S. 204; Hoppe, MedR 1998, 462, 464 zur Parallelregelung des Art. 3 Abs. 3 Rom I; vgl. dazu auch oben Kapitel 4, § 3, A, III, 1. 720
308
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
chen Haftung und der Entwicklung der Gefährdungshaftung.723 Der Ort des Schadenseintritts wird jedoch durch Art. 4 Rom II nicht näher festgelegt. Vielmehr findet sich nur in Erwägungsgrund Nr. 17 zu Rom II eine Negativdefinition, aus der sich ergibt, dass die Verordnung dem Erfolgsortprinzip folgt.724 Dem Handlungsort kommt, wie in Art. 4 Abs. 1 a.E. zum Ausdruck kommt, im Rahmen des Art. 4 Rom II folglich im Grundsatz keinerlei Bedeutung mehr zu. Unter Erfolgsort ist der Ort zu verstehen, an dem – nach deutscher Diktion – die Rechtsgutsverletzung eintritt.725 Folglich liegt er bei grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen an dem Ort, an dem die Rechtsgutsverletzung, also die Körper- beziehungsweise Gesundheitsverletzung des Patienten, eingetreten ist. Durch die Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom II wird folglich die Rechtsordnung des Staates berufen, in dem sich der Patient im Zeitpunkt der Körper- beziehungsweise Gesundheitsverletzung physisch befunden hat. Dies ist regelmäßig die Rechtsordnung des Heimatstaates des Patienten, so dass ihm die zur Anwendung berufenen materiellen Rechtsregeln bekannt sind oder jedenfalls leicht, gegebenenfalls unter rechtskundigem Rat, festgestellt werden können. Dies ist freilich dann nicht der Fall, wenn sich der Patient nicht in seinem Heimatstaat, sondern beispielsweise anlässlich eines Auslandsaufenthaltes, telemedizinisch behandeln lässt und im Rahmen dieser Behandlung einen Gesundheitsschaden erleidet. Die Bestimmung des Erfolgsortes kann jedoch Schwierigkeiten bereiten. Diese resultieren aus der in Art. 4 Abs. 1 Rom II angelegten Abgrenzung von Erst- und Folgeschäden. Lässt sich etwa ein Patient in England durch einen deutschen Telemediziner grenzüberschreitend behandeln und erleidet er aufgrund eines Fehlverhaltens des Telemediziners einen leichten Gesundheitsschaden etwa Kopfschmerzen und reist er dann weiter nach Frankreich, wo er so starke Kopfschmerzen bekommt, dass er sich in ein Krankenhaus begeben muss, so stellt sich die Frage wo der Erfolgsort zu lokalisieren ist. Die Anknüpfung ist in diesen Fällen umstritten: Manche sehen als „Schadeneintritt“ nur den Eintritt einer Rechtsgutsverletzung (hier: die Gesundheitsschädigung durch erstmalige Kopfschmerzen in England), sodass die Verschlimmerung des Gesundheitszustands in Frankreich für die Anknüpfung irrelevant ist. Die unerlaubte Handlung des Telemediziners wird unwandelbar mit dem Recht des „ersten Erfolgsortes“ ver-
723
Erwägungsgrund Nr. 16 zu Rom II. Benecke, RIW 2003, 830, 832 f.; Heiss/Loacker, JBL 2007, 613, 624; KOM (2003) 427 endg., S. 12; Buermeyer in FS Rauscher, 15, 19; Leible/Engel, EuZW 2004, 7, 10; kritisch zu dieser Anknüpfungsregel Kühne in FS Deutsch 80, 817, 821 f. 725 Leible/Engel, EuZW 2004, 7, 10; Buermeyer in FS Rauscher, 15, 19. 724
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knüpft.726 Andere bejahen in derartigen Fällen sich verstärkender Krankheitsbilder in unterschiedlichen Staat mehrere Orte des Schadenseintritts im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Rom II, sodass ein sogenanntes Streudelikt vorliegt.727 Im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit sollte grundsätzlich ein enges Verständnis des „Schadenseitritts“, welches sich am Eintritt der Rechtsgutsverletzung orientiert und Verschlechterungen des Gesundheitszustandes des Patienten bereits als weitere (indirekte) Schadensfolgen qualifiziert, gewählt werden.728 Im Beispielsfall bleibt es also bei der Anknüpfung an die Rechtsordnung von England, da hier das Rechtsgut Gesundheit erstmals verletzt wurde. Andernfalls stünde es dem Patienten durch Veränderung seines Aufenthaltsortes offen, die anwendbare Rechtsordnung einseitig festzulegen. Ein weiterer Ort des Schadenseintritts liegt auch dann nicht vor, wenn durch dieselbe unerlaubte Handlung, in einem anderen Staat die Verletzung eines anderen Rechtsgutes eintritt.729 Stirbt, um im obigen Beispiel zu bleiben, der Patient durch eine vom Telemediziner verursachte Hirnblutung im Krankenhaus in Frankreich, liegt auch in Bezug auf das Rechtsgut Leben der Ort des Schadenseintritt im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Rom II, also der Ort der erstmaligen Rechtsgutsverletzung, weiterhin in England. Dies ergibt sich aus den Gedanken, welche die Anknüpfung an den Erfolgsort tragen: Schutz des Opfers gegen das, was nach der Rechtsordnung, in der die Rechtsgutsverletzung eintritt, verboten ist; Duldenmüssen, was nach dieser Rechtsordnung erlaubt ist.730 Würde man Folgeschäden, die aus derselben unerlaubten Handlung resultieren, nur deswegen einer anderen Rechtsordnung unterstellen, weil diese in ein anderes Rechtsgut „weiterfressen“, so müsste man dieselbe unerlaubte Handlung nach zwei unterschiedlichen Sachrechtsordnungen bewerten. Wertungswidersprüche wären vorprogrammiert. Folglich sind sich langsam entwickelte Gesundheitsschäden an dem Ort eingetreten an dem sie erstmals in Erscheinung getreten sind beziehungsweise wo sie realistischerweise erstmals entdeckt werden konnten.731 Etwaige Schadensersatzan-
726
Kegel/Schurig, IPR, § 18 IV 1, a, bb, S. 730 f. Spickhoff in Bamberger/Roth, Anh. zu Art. 42 EGBGB Art. 4 Rom II Rn. 35. 728 Wurmnest in jurisPK-BGB, Art. 4 Rom II Rn. 13; Junker in MüKo, Art. 4 Rom II Rn. 30. 729 Vgl. EuGH, IPRax 1997, 331, 332 zur selben Problematik im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ/EuGVO; vgl. auch OLG Hamm, GesR 2009, 665, 665 zu § 32 ZPO; Von Hein, ZvglRWiss 102 (2003), 528, 543; vgl. ferner Schlosser, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 19; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 85; a.A. Junker in MüKo, Art. 4 Rom II Rn. 30. 730 Kegel/Schurig, IPR, § 18 IV 1, a, aa) und bb) S. 723 und 731. 731 Schlosser, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 19. 727
310
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
sprüche und Unterhaltsansprüche des Patienten beziehungsweise seiner Erben wegen der fahrlässigen Tötung des Patienten durch den Telemediziner beurteilen sich im Beispielsfall folglich nach der Rechtsordnung von England. 2. Regelung des Art. 4 Abs. 2 Rom II Von der soeben dargestellten Grundsatzanknüpfung ist jedoch in gewissen Fallkonstellationen abzuweichen. Nach Art. 4 Abs. 2 Rom II, wenn Patient und Telemediziner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben. In diesen Fällen ist die Rechtsordnung dieses Staates für die Beurteilung der unerlaubten Handlung anwendbar (lex domicilii communis). Damit kommt die Verordnung den typischen Interessen von Patient und Telemediziner an einer schnellen und unkomplizierten Abwicklung nach einer beiden Seiten bekannten Rechtsordnung entgegen.732 Darüber hinaus führt diese Regelung zu einem Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht, sofern von dem nach Art. 2 Abs. 1 EuGVO am gemeinsamen Aufenthaltsort der Streitparteien bestehenden Gerichtsstand Gebrauch gemacht wird.733 Hierdurch wird das Risiko materiellrechtlich falscher Entscheidungen erheblich gemindert, da das angerufene Gericht regelmäßig mit der anzuwendenden Rechtsordnung vertraut ist. Ferner hat diese Regelung den weiter Vorteil, dass sie in den Common Law-Staaten anerkannt ist.734 Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ wird durch Art. 23 Rom II konkretisiert, wenngleich er keine echte Legaldefinition enthält.735 Danach liegt der gewöhnliche Aufenthalt von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen an deren Hauptverwaltungssitz, Art. 23 Abs. 1 S. 1 Rom II. Etwas anderes gilt gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 2 Rom II jedoch, wenn das schadensbegründende Ereignis oder der Schaden aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einen sonstigen Niederlassung herrührt. In diesen Fällen ist deren Belegenheit ausschlaggebend. Wird eine natürliche Person im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit tätig und resultiert hieraus ein Schaden, ist gemäß Art. 23 Abs. 2 Rom II das Recht am Ort ihrer Hauptniederlassung maßgebend. Für die Telemedizin bedeutet dies, dass von der Grundregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II abzuweichen ist, wenn der Patient und der Telemediziner zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in 732
Leible/Engel, EuZW 2004, 7, 11; Junker in MüKo, Art. 4 Rom II Rn. 37. Buermeyer in FS Rauscher, 15, 21. 734 Vgl. Boys v. Chaplin [1971] A.C. 356, 356 ff. (House of Lords); siehe dazu McLean/Beevers, Conflict of Laws, Rn. 14–018, 14–020. 735 Siehe dazu Junker in MüKo, Art. 4 Rom II Rn. 40. 733
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311
dem selben Staat haben. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich ein behandelnder Arzt vorübergehend ins Ausland begeben hat und von dort aus eine bereits im Heimatstaat begonnene Behandlung telemedizinisch fortführt, in deren Folge es zu einem außervertraglichen Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung kommt. Gleiches gilt für Fälle, in denen sich der Patient vorübergehend, ohne dass sich sein gewöhnlicher Aufenthaltsort verändert, ins Ausland begibt und eine bereits laufende Behandlung mittels Telemedizinanwendungen fortgeführt wird. In derartigen Fällen ist nach Art. 4 Abs. 2 Rom II, in Abweichung von der Grundregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II, auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung, vorbehaltlich einer offensichtlich engeren Verbindung zu einem anderen Staat im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Rom II, das Recht am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort anwendbar. Eine Korrektur über Art. 4 Abs. 3 Rom II dahingehend, dass man zur Rechtsordnung, die gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II zur Anwendung berufen wäre, gelangt, ist nicht möglich. Dies ergibt sich zum einen aus der Formulierung des Art. 4 Abs. 2 Rom II „so unterliegt“ zum anderen aber auch aus der in Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II verwendeten Formulierung „offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen736 als dem in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Staat“.737 Das selbe Wortlautargument ergibt sich auch aus Erwägungsgrund Nr. 18 zu Rom II, wonach Art. 4 Abs. 3 Rom II als Ausweichklausel zu Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 Rom II betrachtet werden sollte, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat aufweist. Folglich wird man wohl nicht davon ausgehen können, dass es sich bei der insoweit eindeutigen Formulierung um ein Versehen des Gesetzgebers handelt. Demnach dient Art. 4 Abs. 3 Rom II nicht der internen Koordination zwischen Art. 4 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 Rom II, sondern ermöglicht, in Fällen einer offensichtlich engeren Verbindung, nur eine Abweichung von Art. 4 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 Rom II zugunsten einer anderen Rechtsordnung. Art. 4 Abs. 2 Rom II hat folglich immer Vorrang gegenüber Art. 4 Abs. 1 Rom II.738
736
Hervorhebung durch Verfasser. Vgl. dazu Fentiman in Ahern/Binchy, Rome II Regulation, 85, 89; Rusworth/Scott, LMCLQ 2008, 274, 281. 738 Rusworth/Scott, LMCLQ 2008, 274, 281; a.A. Staudinger in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europ. Einfluss, Art. 4 Rom II Rn. 27; Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, S. 804; auch Junker in MüKo, Art. 4 Rom II Rn. 59, Von Hein, ZEuP 2009, 6, 19, die selber erkennen, dass sie sich über den Wortlaut hinwegsetzen. 737
312
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
3. Regelung des Art. 4 Abs. 3 Rom II Art. 4 Abs. 3 Rom II enthält eine Ausweichklausel für Fälle, in denen sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als den in den Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom II bezeichneten Staaten aufweist. In diesen Fällen ist das Recht des Staates anzuwenden, zu dem die offensichtlich engere Verbindung besteht. Die Parallele zu Art. 4 Abs. 3 Rom I, der Ausweichweichklausel im Rahmen vertraglicher Schuldverhältnisse, ist evident. Beide Ausweichklauseln dienen letztlich der Verwirklichung des savignyschen Prinzips.739 Eine offensichtlich engere Verbindung kann sich, ausweislich des Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II, insbesondere aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ergeben, sofern es in enger Verbindung zu der betreffenden unerlaubten Handlung steht. Eine Anknüpfung über den Akzessorietätsgedanken ist in diesen Fällen also möglich, muss aber nicht aufgrund einer gesetzlichen Anordnung vorgenommen werden.740 Durch die Regelung des Art. 4 Abs. 3 Rom II soll insbesondere eine vertragsakzessorische Anknüpfung ermöglicht werden.741 a) Vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an den bestehenden Telemedizinvertrag Die vertragsakzessorische Bestimmung des Deliktsstatuts wird allgemein damit begründet, dass sie einen Gleichlauf zwischen vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen erreicht und so Friktionen im Grenzbereich zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen vermeidet.742 Gerade der Gesichtspunkt des Gleichlaufs wird im Rahmen der Telemedizin gerne aufgegriffen, um eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts über die Ausweichklausel zu begründen.743 Nur mit Hilfe dieser Kon739
Von Hein in FS Kropholler, 553, 564; Spickhoff, NJW 1999, 2209, 2210. Anders insoweit Art. 133 Abs. 3 IPRG (Schweiz) wonach der Rechtsanwender akzessorisch anzuknüpfen hat, sofern „durch eine unerlaubte Handlung ein zwischen Schädiger und Geschädigtem bestehendes Rechtsverhältnis verletzt“ wird. 741 Eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts war bereits vor der Regelung in Art. 4 Abs. 3 Rom II in vielen europäischen Rechtsordnungen anerkannt; vgl. § 15 IPRG Tschechien; § 15 IPRG Slowenien; Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB; Art. 133 Abs. 3 IPRG Schweiz; für die Niederlande vgl. Hoge Raad 16.12.1983, NJ 1985, No. 311. 742 Kadner Graziano, IPR, S. 401; Lück, Neuere Entwicklungen, S. 106 f.; Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 199–202; Stoll in FS Hay, 403, 404; Junker in MüKo, Art. 4 Rom II Rn. 51. 743 Siehe etwa Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 160; Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S.242 f., 252; Link, Telemedizin, S. 291 f.; Hoppe, MedR 740
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313
struktion könne sichergestellt werden, dass vertragliche und außervertragliche Ansprüche Telearzthaftungsansprüche der gleichen Rechtsordnung unterliegen. Die gleiche Argumentation findet sich auch bei der kollisionsrechtlichen Behandlung traditioneller Arzthaftungsfälle.744 Im Rahmen der Untersuchung wurde bereits gezeigt, dass die Haftung des Telearztes wegen einer Körper- oder Gesundheitsschädigung des Patienten aufgrund einer EU-autonomen, funktionalen Qualifikation ausschließlich nach der durch das Deliktsstatut berufenen Rechtsordnung zu beurteilen ist, auch wenn diese nach deutschem Verständnis aus einem Vertrag resultiert. Nur in besonderen Ausnahmekonstellationen, namentlich in solchen in denen der Telemediziner ausnahmsweise die Herbeiführung eines Erfolgs schuldet oder eine Garantie der Genesung übernommen hat, kann sich die Haftung des Telemediziners auch nach dem Vertragsstatut beurteilen.745 Allerdings ist auch in diesen Konstellationen eine eindeutige Zuordnung der Schadensposten des Patienten zum Vertrags- oder Deliktsstaut möglich: Diejenigen Haftungsansprüche beziehungsweise Schadensposten, die daraus entstehen dass es dem Patienten durch die Behandlung schlechter geht, also die Schadensposten aus einer Körper- oder Gesundheitsschädigung, sind als deliktisch zu qualifizieren. Demgegenüber sind diejenigen Haftungsansprüche beziehungsweise Schadensposten des Patienten, die daraus entstehen, dass der vom Telemediziner vertraglich geschuldete Erfolg nicht eingetreten ist, auf kollisionsrechtlicher Ebene als vertraglich zu qualifizieren. Das von der bislang herrschenden Meinung vorgetragene Hauptargument, dass nur mittels der vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts sichergestellt werden könne, dass auf die Frage der Telearzthaftung nur eine einzige Rechtsordnung zur Anwendung gelangt, besitzt deshalb schon von vornherein nur eine sehr geringe Überzeugungskraft. Dennoch darf auch nach hier vertretener Auffassung nicht übersehen werden, dass Rom II mit Art. 4 Abs. 3 eine Ausweichklausel bereit hält, über die ausdrücklich eine vertragsakzessorische Anknüpfung vorgenommen werden kann. Es gilt also durch eine wertende Betrachtung zu untersuchen, ob eine vertragsakzessorische Anknüpfung vorzunehmen ist. Eine
1998, 462, 466 f.; Prütting in Spickhoff, Cross Border Treatment, 37, 49; Giesen in Spickhoff, Cross Border Treatment, 146, 162; Deutsch, MedR 2009, 576, 579. 744 BGHZ 132, 105, 116 (obiter dictum); Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 41 EGBGB Rn. 18; Prütting in Spickhoff, Cross Border Treatment, 37, 49; Stumpf, MedR 1998, 546, 549 f.; Laufs/Kern in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 93 Rn. 20; Nagel, Organtransplantation, S. 180 f.; Spickhoff, NJW 2008, 1636, 1637; Thorn in Palandt, BGB, Art. 4 Rom II Rn. 11; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 811; a.A. Schütt, Deliktstyp und IPR, S. 176–178. 745 Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 4, § 2, C, IV.
314
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
wertende Betrachtung kann nur erfolgen, wenn man sich der Folgen einer vertragsakzessorischen Anknüpfung bewusst ist, da andernfalls keine Gewichtung oder gar Abwägung ihrer Vor- und Nachteile erfolgen kann. Bevor untersucht wird, ob eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an einen zwischen Telemediziner und Patient bestehenden Vertrag überzeugt, gilt es daher zunächst die Konsequenzen einer vertragsakzessorischen Anknüpfung herauszuarbeiten. b) Konsequenzen einer vertragsakzessorischen Anknüpfung Ist für den Telemedizinvertrag zwischen Patient und Telemediziner keine Rechtswahl erfolgt, wäre die Folge einer vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts, dass für außervertragliche Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung regelmäßig das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners zur Anwendung berufen wäre.746 Diese Rechtsordnung entspricht meist derjenigen am deliktischen Handlungsort, also dem Ort, an dem sich der Telemediziner bei Begehung der Tat befindet, so dass die akzessorische Anknüpfung letztlich eine Abkehr vom Erfolgsortprinzip des Art. 4 Abs. 1 Rom II bewirken würde. Die dem Art. 4 Rom I zugrunde liegende Lehre von der charakteristischen Leistung würde über die vertragsakzessorische Anknüpfung in das internationale Deliktsrecht transferiert und der Telemediziner würde durch die Anwendung „seiner“ Rechtsordnung auf seine unerlaubte Handlung kollisionsrechtlich bevorzugt, weil er die vertragscharakteristische Leistung erbringt.747 Eine vertragsakzessorische Anknüpfung eröffnet zudem über Art. 4 Abs. 3 Rom II auch für Verbraucherpatienten mittelbar die Möglichkeit einer Rechtswahl vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses, da Art. 3 beziehungsweise Art 6 Rom I – im Gegensatz zu Art. 14 Abs. 2 lit. b Rom II – für vertragliche Ansprüche keine Rechtswahlbeschränkung für Verbraucher vorsehen. Würde man deliktische Ansprüche eines Verbrauchers akzessorisch an ein durch ex ante Rechtswahl – zulässigerweise – bestimmtes Vertragsstatut anknüpfen, würde sich diese Rechtswahl mittelbar auch auf die deliktischen Ansprüche niederschlagen, obwohl eine Rechtswahl bezüglich solcher Ansprüche nach Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II eigentlich kommerziell Handelnden vorbehalten ist.748 Gerade die grenzüberschreitende Telemedizin verdeutlicht diese Problematik: Dem Telemediziner und dem Patienten ist es aufgrund des Art. 14 Abs. 1 lit. b
746
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, B. Vgl. Trutmann, IPR der Deliktsobligationen, S. 139 f. 748 Dies erkennt auch Von Hein in FS Kropholler, 553, 567. 747
§ 4 Deliktsstatut
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Rom II regelmäßig nicht möglich das auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung anwendbare Recht vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses zu wählen, da der Patient überwiegend keiner kommerziellen Tätigkeit nachgeht. Dennoch bestünde über den „Umweg“ der vertragsakzessorischen Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 Rom II an das Vertragsstatut des Telemedizinvertrages die Möglichkeit, dass eine solche ex ante Rechtswahl stattfindet. Zudem würde die vertragsakzessorische Anknüpfung an die Rechtsordnung des Telemedizinvertrages in Fällen, in denen der Patient ausnahmsweise kommerziell tätig wird, bewirken, dass weitere besondere Rechtswahlvoraussetzungen, die durch Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II geschaffen werden, umgangen würden. Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II legt fest, dass die Rechtswahl für außervertragliche Ansprüche frei ausgehandelt worden sein muss. Daraus zieht ein großer Teil der Literatur den Schluss, dass eine Rechtswahl in AGB grundsätzlich ausgeschlossen ist. Ein anderes Verständnis ist de lege lata wohl ausgeschlossen.749 In Fällen der vertragsakzessorischen Anknüpfung von Schuldverhältnissen an die Rechtsordnung des Telemedizinvertrages würde auch diese Restriktion umgangen, da die Rechtswahl nach Art. 3 Rom I eine derartige Einschränkung nicht kennt.750 c) Versuche zur Rechtfertigung dieser Konsequenzen Eine vertragsakzessorische Anknüpfung deliktischer Ansprüche und die daraus resultierenden Konsequenzen werden insbesondere damit begründet, dass sie erstens die Parteierwartungen bestmöglich berücksichtige, weil so die für den Vertrag getroffene Rechtswahl mittelbar auch die außervertraglichen Ansprüche erfasst751, dass sie zweitens Qualifikationsund Anpassungsprobleme vermeidet752, dass sie drittens einen Gleichlauf zwischen vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen erreicht und dass sie viertens Friktionen im Grenzbereich zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen vermeidet und dort eine angemessene Alternative
749
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 4, A, I, 2. Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A. 751 Freitag/Leible, ZVglRWiss 99 (2000), 101, 110 ff.; Von Walter, Konkurrenz vertraglicher und deliktischer Schadensersatznormen, S. 170 f.; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 41 EGBGB Rn. 14; Kadner Graziano, Europ. int. Deliktsrecht, S. 44. 752 Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 41 EGBGB Rn. 14; Kadner Graziano, Europ. int. Deliktsrecht, S. 43 f.; Von Walter, Konkurrenz vertraglicher und deliktischer Schadensersatznormen, S. 169 f.; sie auch Prütting in Spickhoff, Cross Border Treatment, 37, 49; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 257. 750
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
bietet, wo bei der Anwendung der Grundregel in besonderem Maße Zufälligkeiten drohen.753 In der Tat kann mithilfe der vertragsakzessorischen Bestimmung des Deliktsstatuts der innere und unter Umständen auch der äußere Entscheidungseinklang sichergestellt werden. Dies erscheint vor dem Hintergrund der bestehenden Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten auch sinnvoll: In den materiellen Rechtsordnungen der verschiedenen Staaten werden vertragliche und deliktische Ansprüche – wie im deutschen materiellen Recht – teilweise nebeneinander gewährt, teilweise verdrängt – wie im französischen Sachrecht – der eine Anspruch den jeweils anderen.754 Evident wird das Problem gerade im Bereich der Haftung für Körper- und Gesundheitsverletzungen im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen, weil hier vertragliche und deliktische Ansprüche auf der Ebene des Sachrechts häufig miteinander konkurrieren.755 Würde man vertragliche und deliktische Ansprüche jeweils nach einer eigenen Rechtsordnung beurteilen, könnte es zu einer Anspruchshäufung oder einem Anspruchsmangel mit den daraus resultierenden Anpassungsschwierigkeiten kommen.756 Außerdem würde in diesen Fällen die Frage aufgeworfen, welche Rechtsordnung darüber entscheidet, ob beide Ansprüche nebeneinander existieren oder der eine den jeweils anderen Anspruch ausschließt. Gerade diese Überlegungen verdeutlichen die grundsätzlichen Stärken einer vertragsakzessorischen Anknüpfung, genauer der daraus resultierenden Unterwerfung einer Rechtsfrage unter eine Rechtsordnung. Es ist anzunehmen, dass die so für vertragliche und deliktische gleichermaßen berufene Sachrechtsordnung einerseits die jeweils auftretenden materiellrechtlichen Unterschiede stärker berücksichtigt und andererseits die einzelnen Rechtsfolgen eher aufeinander abstimmt als bei einem nebeneinan-
753 Kadner Graziano, IPR, S. 401, der dabei inbesondere an Personenbeförderungsverträge denkt. Wo etwa ein Flugzeug abstürzt oder ein Zug entgleist sei mehr oder weniger zufällig; ferner Lück, Neuere Entwicklungen, S. 106 f.; Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 199–202; Stoll in FS Hay, 403, 404. 754 Vgl. Kadner Graziano, IPR, 437–439; ders., Europ. int. Deliktsrecht, S. 17, 116 ff. 755 Vgl. dazu die Untersuchung unterschiedlicher materiellen Sachrechte oben Kapitel 3, § 3. 756 Denkbar ist beispielsweise, dass die für eine unerlaubte Handlung berufene Rechtsordnung einen Anspruch des Patienten gegen den Telemediziner aus Delikt verneint, da sie einen solchen Schadensersatzanspruch nur dem vertraglichen Bereich zuweist, sofern ein Vertrag besteht. Wird in der gleichen Situation hinsichtlich vertraglicher Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telearzt eine Rechtsordnung zur Anwendung berufen, die Telearzthaftungsansprüche nur dem deliktischen Bereich zuordnet, käme es zu einer Situation des sogenannten Anspruchsmangels mit den entsprechenden Anpassungsschwierigkeiten, da dem Patienten dann keine Ansprüche gegen den Telearzt zustünden.
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der zweier unterschiedlicher Rechtsordnungen.757 Konstellationen von Anspruchshäufungen und Anspruchsmangel werden daher durch die vertragsakzessorische Anknüpfung und damit durch die Berufung nur einer Rechtsordnung für eine Rechtsfrage vermieden, so dass teilweise schwierige Anpassungsfragen erst gar nicht auftreten. d) Auseinandersetzung mit den Rechtfertigungsversuchen Trotz der soeben dargestellten Vorzüge der vertragsakzessorischen Anknüpfung ist die vertragsakzessorische Bestimmung des Deliktsstatuts nicht unumstritten. Insbesondere besteht bislang keine Einigkeit darüber, unter welchen Voraussetzungen eine solche vorzunehmen ist beziehungsweise wann eine solche zu unterbleiben hat. Auch stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die vertragsakzessorische Bestimmung des Deliktsstatuts tatsächlich der richtige Weg ist, um die auf sachrechtlicher Ebene bei Telemedizinanwendungen häufig anzutreffende Konkurrenz von Anspruchsgrundlagen auf der Ebene des Kollisionsrechts zu lösen. aa) Fehlerhafte Grundannahme aufgrund einer Qualifikation nach der lex fori Zunächst ist festzustellen, dass diejenigen, die eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts im Bereich der Telemedizin vornehmen, ohne Prüfung oder gar Begründung stillschweigend und – wie bereits gezeigt wurde758 – fälschlicherweise von der Annahme ausgehen, dass die Anspruchsgrundlagenkonkurrenz von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen des Patienten gegen den Telemediziner im deutschen Sachrecht auf kollisionsrechtlicher Ebene zu einer Konkurrenz von Delikts- und Vertragsstatut führt. In der Folge ist die herrschende Meinung mehr oder weniger dazu genötigt den Weg der vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts zu beschreiten, wenn sie erreichen will, dass nur eine einzige Rechtsordnung für die Telearzthaftung wegen Schädigung des Körpers und der Gesundheit des Patienten zur Anwendung berufen wird. Dieses Problem besteht nicht, wenn man der hier vertretenen „Einheitslösung“ folgt und die Haftung des Telearztes wegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung des Patienten, gleich ob sie nach deutschem Verständnis aus Vertrag, Delikt oder Geschäftsführung ohne Auftrag resultiert, ausschließlich deliktisch qualifiziert, da dann auf kollisionsrechtlicher Ebene das Problem einer Statutenkonkurrenz erst gar nicht auftritt. Dass die hier vertretene
757 Binder, RabelsZ (20) 1955, 401, 479; Von Walter, Konkurrenz vertraglicher und deliktischer Schadensersatznormen, S. 169. 758 Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 4, § 2.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Einheitslösung mit der Existenz des Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II vereinbar ist und auch dem Willen des europäischen Gesetzgebers entspricht, wurde bereits gezeigt.759 Ungeachtet dessen bleibt bei der vertragsakzessorischen Bestimmung des Deliktsstatuts zudem offen, warum nur das Vertragsstatut über das Deliktsstatut dominieren kann. Sind nicht auch Konstellationen denkbar, in denen die angenommene Statutenkonkurrenz gerade umgekehrt dadurch aufgehoben werden sollte, dass das Vertragsstatut deliktsakzessorisch angeknüpft wird? In der Tat schlägt dies ein Teil der Lehre für Fälle vor, in denen die Rechtsgüterintegrität primär durch allgemeine, gesetzliche Pflichten und somit durch das Deliktsrecht geschützt wird.760 Auch wird teilweise vorgeschlagen761 eine Ausnahme von der akzessorischen Anknüpfung dann zu machen, wenn der Schädiger vorsätzlich oder sittenwidrig handelt.762
759
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C, III, 4. Vgl. Kreuzer im MüKo, 3. Auflage, Art. 38 EGBGB Rn. 68; Spickhoff, IPRax 2000, 1, 2; Trutmann, IPR der Deliktsobligationen, S. 125. 761 Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 206; Looschelders, Anpassung, S. 330; Stoll, IPRax 1989, 89, 92. 762 Die darin zum Ausdruck kommende Wertung, dass in Fällen der vorsätzlichen oder sittenwidrigen Schädigung regelmäßig nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien deren Verhalten „prägt“, kann auch dem französischen Sachrecht entnommen werden, wo die vorsätzliche, sittenwidrige oder arglistige Begehung einer unerlaubten Handlung zu einer Ausnahme vom sogenannten principe de non-cumul des responsabilités délictuelle et contractuelle (non-cumul) führt, da die Vertragsverletzung dann den Charakter einer deliktischen Handlung annehme (vgl. Ferid/Sonnenberger, Franz. Zivilrecht II, Rn. 2 O 49 m.w.N. der Rechtsprechung und Literatur in Fn. 72; Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 206; Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt, S. 89 f.; Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, S. 136 f.): Nach dem Grundsatz des non-cumul schließt das Vorliegen eines Vertrages zwischen zwei Parteien prinzipiell die Anwendung des Deliktsrechts aus (vgl. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 621; Ferid/Sonnenberger, Franz. Zivilrecht II, Rn. 2 O 41 ff.; Link, Telemedizin, S. 152; Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 31.). Ein Geschädigter, der in einer vertraglichen Beziehung zum Schädiger steht, kann seine Schäden deshalb im Normalfall nicht nach Deliktsrecht verlangen, selbst wenn die deliktischen Haftungsvoraussetzungen eigentlich erfüllt sind (vgl. Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 18.). Auch das französische materielle Zivilrecht geht folglich davon aus, dass in Fällen einer vorsätzlichen, sittenwidrigen oder arglistigen Begehung eines Delikts nicht mehr das Vertragsverhältnis als prägend für die Beziehung zwischen Geschädigtem und Schädiger anzusehen ist. Eine ähnliche Wertung kennt auch das US-Arzthaftungsrecht: Wie bereits gezeigt wurde, stellt die Doktrin der medical malpractice eine Mischung von contract- und tort-law dar. Eine Haftung des Arztes aus tort, genauer aus medical malpractice, also einer Form der Fahrlässigkeitshaftung, wird ausgelöst, wenn er eine vertragliche oder gesetzliche duty of care verletzt hat. In Fällen, in denen der Telearzt sich auf eine besonders gravierende Art und Weise vor760
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Der in diesen Gegenausnahmen zum Ausdruck kommende Grundgedanke ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, hat aber mit einer akzessorischen Anknüpfung im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Vielmehr geht es bei Ansprüchen aus solch schwerwiegenden und besonders ver-
sätzlich falsch verhält, steht dem Patienten gegen den Telearzt darüber hinaus ein Anspruch aus einem tort of battery zu. Dieser Anspruch ist vollkommen unabhängig von einer irgendwie gearteten Beziehung oder gar einem Vertrag zwischen Patient und Telemediziner. Ein Anspruch aus tort of battery wird insbesondere dann gewährt, wenn ein Einverständnis des Patienten in eine Behandlung vollständig fehlt und der Mediziner die Behandlung dennoch vornimmt (vgl. zu der hier diskutierten Fallgruppe, aber auch für die übrigen Fälle, in denen ein Anspruch aus einem tort of battery gewährt wird, ausführlich Larsen/Muskus, 6A C.J.S. Assault § 10; Morreim, 4 Hous. J. Health L. & Pol'y 1, 53 ff.). Dies wurde beispielsweise in einem Fall angenommen indem eine schwangere Frau zwar mit dem behandelnden Arzt einen Vertrag geschlossen hatte, dieser ihr aber ohne ihr Wissen oder gar Einverständnis vorsätzlich ein Mittel zur Verhinderung einer Fehlgeburt verabreicht hatte, welches das Krebsrisiko des Fötus erhöhte (Sachverhalt von Mink v. Univ. of Chicago, 460 f. Supp. 713, 718 f., United States District Court, N.D. Illinois, Eastern Division (1978)). Das Gericht führte dazu aus: „The battery theory should be reserved for those circumstances when a doctor performs an operation to which the patient has not consented. When the patient gives permission to perform one type of treatment and the doctor performs another, the requisite element of deliberate intent to deviate from the consent given is present. However, when the patient consents to certain treatment and the doctor performs that treatment but an undisclosed inherent complication with a low probability occurs, no intentional deviation from the consent given appears; rather, the doctor in obtaining consent may have failed to meet his due care duty to disclose pertinent information. In that situation the action should be pleaded in negligence“ (Mink v. Univ. of Chicago, 460 f.Supp. 713, 717, United States District Court, N.D. Illinois, Eastern Division (1978)). Auch an anderer Stelle wird als die „fundamental distinction between assault and battery, on the one hand, and negligence such as would constitute malpractice, on the other“ angesehen, dass „the former is intentional and the latter unintentional“ (Hershey v. Peake, 115 Kan. 562, 223 P. 1113, 1114, Supreme Court, Kansas (1924); Shehee v. Aetna Cas. & Sur. Co., 122 f.Supp. 1, 6, United States District Court W. D. Louisiana (1954)). Auch das US-Recht geht somit davon aus, dass derjenige Arzt, der vorsätzlich eine unerlaubte Handlung gegenüber seinem Patienten verübt anders zu behandeln ist, als derjenige, der fahrlässig eine gegenüber diesem Patienten bestehende Fürsorgepflicht verletzt. Durch die Gewährung eines Anspruchs aus einem tort of battery in diesen Fällen wird deutlich, dass auch das common law in derartigen Fällen nicht mehr davon ausgeht, dass das Verhältnis zwischen Patient und Arzt durch die Arzt-Patienten-Beziehung und den daraus resultierenden duties of care geprägt wird. Die Annahme eines tort of battery hat für den Patienten gewisse Vorteile: Da der Patient im Rahmen eines Tort of battery nicht nachweisen muss, dass der Arzt eine duty of care verletzt hat, muss er im Rahmen der Kausalitätsprüfung auch nicht nachweisen, dass sein Schaden bei pflichtgemäßem Alternativverhalten des Arztes ausgeblieben wäre. Vielmehr genügt im Rahmen eines tort of battery der Nachweis, dass die vorsätzliche Schädigung ursächlich für den Schaden war, was jedoch vermutet wird. Dieser Kausalitätsnachweis ist daher bei einer Klage in battery regelmäßig wesentlich einfacher zu führen. (Vgl. dazu Dobbs, Law of Torts, § 166 S. 405, § 169 S. 411 und § 172 S. 418).
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werflichen Handlungen in Wahrheit nur darum, diese als dem Deliktsstatut zugehörig zu qualifizieren und nach dessen, für den Geschädigten im Vergleich mit dem Vertragsstatut günstigeren Kollisionsregeln, anzuknüpfen, obwohl sie im Sachrecht (auch) als vertraglich oder vertragsähnlich eingeordnet werden. Dass dies möglich, in Fällen in denen der Anspruch aus der Verletzung einer gesetzlichen, vom Parteiwillen unabhängigen, integritätsschützenden Pflicht resultiert sogar richtig ist, wurde schon im Rahmen der Qualifikation der Telearzthaftung gezeigt.763 bb) Rechtsunsicherheiten als Folge Die von den Vertretern der vertragsakzessorischen Anknüpfung postulierte Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der anwendbaren Rechtsordnung wird in Wahrheit nicht erreicht, da keine Einigkeit darüber besteht, unter welchen Voraussetzungen eine vertragsakzessorische Anknüpfung vorzunehmen ist. Sicher ist nur, dass die schlichte Existenz eines Vertrags zwischen Patient und Telemediziner dazu nicht ausreicht. Vielmehr müsse ein besonderer „enger“, „innerer“, „sachlicher“ Zusammenhang bestehen.764 Demgegenüber seien Delikte, die sich nur bei Gelegenheit einer Vertragserfüllung ereignet haben, nicht akzessorisch an das Vertragsstatut anzuknüpfen.765 Diese Konkretisierungsversuche sind jedoch allesamt nicht dazu geeignet, Zweifelsfälle zuverlässig und sicher zu lösen. Vielmehr sind die aus diesen Begriffen resultierenden Zweifelsfragen gravierender und zahlreicher als diejenigen, die man mit der akzessorischen Anknüpfung vermeiden möchte.766 Dies zeigt etwa folgender Fall: Ein Spediteur liefert aus dem Ausland einem Unternehmer Waren. Die Arbeiter des Spediteurs spionieren bei dieser Gelegenheit das Warenlager des Unternehmers aus, um einen nächtlichen Einbruch vorzubereiten. Einige gehen in diesem Fall davon aus, dass das Schadensereignis zwar auf dem durch den Transportvertrag begründeten „engen Verhältnis“ und der dadurch erhöhten Einwirkungsmöglichkeit beruht, jedoch nicht zu den typischen Risiken jenes Geschäftstyps gehört. Deswegen sei eine Unterstellung der deliktischen Ansprüche gegen den Spediteur aus einer Haftung für seine Mitarbeiter unter das Statut des Speditionsvertrages nicht gerechtfertigt.767 Andere wollen hingegen schon
763
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C, III. Vgl. zu den einzelnen Konkretisierungsversuchen Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 41 EGBGB Rn. 10–11. 765 Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 41 EGBGB Rn. 11. 766 Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, S. 135; Schurig in FS Heldrich, 1021, 1026; Lüderitz in Soergel, Art. 38 EGBGB Rn. 32 Fn. 38. 767 Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 41 EGBGB Rn. 11. 764
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akzessorisch anknüpfen, wenn die unerlaubte Handlung als interner Vorgang zwischen den Parteien anzusehen ist. Eine unerlaubte Handlung ist nach dieser Auffassung ein interner Vorgang, wenn sich eine Gefahr verwirklicht, „zu der sich der Verletzte schon vor der Verletzung in ein engeres Verhältnis begeben hat“.768 Danach müsste im Beispielsfall wohl eine vertragsakzessorische Anknüpfung vorgenommen werden, da der Unternehmer den Spediteur und dessen Arbeiter schon vor der Verletzungshandlung willentlich in seine Risikosphäre eingelassen hat. Eine wiederum andere Auffassung stellt folgende Regel auf: „Eine akzessorische Anknüpfung konkurrierender Deliktsansprüche ist [...] nur geboten, wenn das schädigende Ereignis auf der Verletzung einer besonderen Pflicht beruht, deren Erfüllung das zwischen Schädiger und Geschädigtem bestehende Rechtsverhältnis zum Gegenstand hat“.769 Diese Auffassung nimmt eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts also nur dann vor, wenn das besondere Rechtsverhältnis eine auf das verletzte Rechtsgut bezogene besondere Schutzpflicht vorsieht.770 Gerade die Abgrenzung von allgemeinen Verkehrspflichten und besonderen vertraglichen Schutzpflichten führt aber wieder zu den Qualifikationsproblemen, welche durch die akzessorische Anknüpfung eigentlich vermieden werden sollen.771 Ob nach dieser Auffassung im Beispielsfall eine akzessorische Anknüpfung vorzunehmen ist, bleibt offen. Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, ob nach der durch das Vertragsstatut zur Anwendung berufenen Sachrechtsordnung der Vertrag zwischen dem Spediteur und dem Unternehmer eine Pflicht zum Schutz vor Spionage enthält. Die auftretenden Unsicherheiten illustriert noch ein weiterer Beispielsfall: Eine Person lässt sich mit einem Taxi von München über die Schweiz nach Cannes in Frankreich und wieder zurück befördern und erleidet infolge eines verkehrswidrigen Verhaltens des Fahrers, welches zu einem Unfall in Frankreich führt, körperliche Verletzungen. Nach einer Literaturauffassung ist es in diesen Fällen sachgerecht die deliktischen Ansprüche des Passagiers mittels vertragsakzessorischer Anknüpfung dem deutschen Vertragsstatut zu unterstellen.772 Demgegenüber beurteilte der BGH die vertraglichen Ansprüche des Passagiers nach deutschem Recht, während er
768
Stoll in FS Kegel, 113, 138 f. Lorenz in von Caemmerer, Vorschläge und Gutachten, 97, 155. 770 So wohl auch Hohloch in Erman, Art. 41 EGBGB Rn. 11; Von Hinden, Persönlichkeitsverletzungen, S. 228 f; Koch, VersR 1999, 1453, 1458; Looschelders, VersR 1999, 1316, 1321. 771 Insoweit zutreffend von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 41 EGBGB Rn. 10. 772 Lorenz in von Caemmerer, Vorschläge und Gutachten, 97, 155; Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 41 EGBGB Rn. 15. 769
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
dessen deliktische Ansprüche nach französischem Recht beurteilte.773 Noch viel umstrittener wird die kollisionsrechtliche Behandlung des Deliktsstatuts, wenn der Schaden im Rahmen sogenannter Gefälligkeitsfahrten eintritt.774 Allein diese Beispielsfälle zeigen, dass es trotz aller Konkretisierungsversuche in Zweifelsfällen nicht möglich ist, eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts sicher und zweifelsfrei zu bejahen oder zu verneinen. cc) Drohende Wertungswidersprüche Ferner wird dem Statut der unerlaubten Handlungen über den Weg der vertragsakzessorischen Anknüpfung seine Autonomie genommen.775 Diesem Vorwurf liegt die Überlegung zugrunde, dass es sich bei deliktischen und vertraglichen Ansprüchen um jeweils selbstständige Haftungen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Haftungsumfängen handelt, auch wenn sie aus demselben Lebenssachverhalt resultieren.776 Diese unterschiedlichen materiellen Interessen implizieren unterschiedliche kollisionsrechtliche Interessen, weshalb hierfür durch den EU-Gesetzgeber auch zwei voneinander getrennte Statute, nämlich das Vertragsstatut einerseits und das Deliktsstatut andererseits, geschaffen wurden. Wer deliktisch haftet, hat eben nicht nur eine, aus einer parteiautonomen Vereinbarung resultierende, Pflicht verletzt, welche dem Schutz eines Äquivalenzinteresses dient und daher nur relativ gegenüber bestimmten Person besteht, sondern eine solche, welche auf den Schutz des Integritätsinteresses gerichtet ist und daher von Gesetzes wegen, unabhängig von einer parteiautonom getroffenen Vereinbarung, gegenüber jedermann zu beachten ist.777 Wäre dies nicht der Fall, käme aus Sicht des Kollisionsrechts bei funktionaler autonomer Qualifikation die Annahme eines Delikts auf kollisionsrechtlicher Ebene überhaupt nicht in Betracht.778 Warum dieser Unterschied in einem kollisionsrechtlichen Normalfall einer deliktischen Handlung, also in einem Fall, in dem kein Vertrag zwischen Schädiger und Geschädigtem besteht, eine Rolle spielen, aber im Falle des Zusammentreffens von ver-
773
BGH, VersR 1961, 518, 518 f. Vgl. dazu nur Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 41 EGBGB Rn. 25 mit guter Darstellung des Streitstands. 775 Diesen Vorwurf machen bspw. Bröcker, Differenzierte Regelbildung, S. 213; Von Bar, IPR II, Rn. 561; Schütt, Deliktstyp und IPR, S. 177. 776 Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 479. 777 Vgl. Spelsberg-Korspeter, Anspruchkonkurrenz, S. 65, 134; Schurig in FS Heldrich, 1021, 1027; Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 154 f. 778 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C. 774
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traglichen und deliktischen Ansprüchen keinerlei Beachtung mehr finden soll, ist unverständlich. Führt man sich vor Augen, dass im Deliktsstatut diejenigen Element-Kollisionsnormen gebündelt sind, denen im Wesentlichen eine identische kollisionsrechtliche Interessenlage zugrunde liegt und auch das Vertragsstatut solche Element-Kollisionsnormen zusammenfasst, denen eine weitestgehend gleiche kollisionsrechtliche Interessenlage zugrunde liegt, darf eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts nur dann vorgenommen werden, wenn die durch das Sachrecht angelegte kollisionsrechtliche Interessenlage des Deliktsstatuts im Wesentlichen mit denjenigen des Vertragsstatuts übereinstimmen. Ist dies aber der Fall, handelt es sich in Wahrheit gar nicht um eine dem Deliktsstatut zugeordnete Element-Kollisionsnorm, sondern um eine solche des Vertragsstatuts. Hierin zeigt sich deutlich, dass aus der Anspruchskonkurrenz im Sachrecht auf Ebene des Kollisionsrechts häufig eine Qualifikationsproblematik resultiert.779 Jedenfalls kann und darf es für die Zuweisung einer Haftungsnorm nebst ihrer Element-Kollisionsnorm zu einem Statut nicht entscheidend sein, ob sie im jeweiligen materiellen Recht mit einer anderen Sachnorm konkurriert oder nicht. Entscheidend ist einzig die durch die jeweilige Sachnorm implizierte kollisionsrechtliche Interessenlage. Stimmt diese im Wesentlichen mit derjenigen, die den Element-Kollisionsnormen zugrunde liegt, die im Deliktsstatut gebündelt wurden, überein, ist die jeweilige Sachnorm als deliktisch zu qualifizieren. Stimmt sie hingegen weitestgehend mit derjenigen, die den Element-Kollisionsnormen zugrunde liegt, die vom Vertragsstatut zusammengefasst sind, überein, ist sie vertraglich zu qualifizieren. Entscheidet man die methodisch auf erster Stufe stehende Qualifikationsfrage nicht, sondern knüpft das Deliktsstatut ohne sorgfältige Prüfung im Einzelfall quasi mechanisch vertragsakzessorisch an, muss es zwangsläufig zu Wertungswidersprüchen kommen, da hierdurch die hinter dem Vertragsstatut stehenden kollisionsrechtlichen Interessen und Wertungen auf das Deliktsstatut übertragen werden, obwohl das Deliktsstatut doch gerade andere kollisionsrechtliche Interessen berücksichtigt und auch eine andere Abwägung dieser Interessen vornimmt als das Vertragsstatut. Die vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts wird dann zweckentfremdet vorgenommen, damit die vorrangige Qualifikationsfrage nicht mehr beantwortet werden muss.
779
Vgl. Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 41 EGBGB Rn. 10; Schurig in FS Heldrich, 1021, 1027 insb. Fn. 27; ähnlich Looschelders, Anpassung, S. 157; Stoll, IPRax 1989, 89, 91; die Nähe von akzessorischer Anknüpfung und Qualifikation erkennt auch Sonnenberger in MüKo, Einl. IPR, Rn. 502 f.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Dass die vertragsakzessorische Anknüpfung deliktischer Ansprüche des Patienten im Bereich der (Tele-)Arzthaftung nicht überzeugt, zeigt sich zudem deutlich daran, dass dem Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Vertrages zwischen Patient und Telemediziner zur Beantwortung der Frage, ob der Telemediziner dem Patienten für ein Fehlverhalten haftet oder nicht, in den einzelnen Sachrechten letztlich keine entscheidende Bedeutung beigemessen wird.780 Es wäre auch merkwürdig, wenn man den vom (Tele-)Arzt zu gewährleistenden medizinischen Standard davon abhängig machen würde, ob er mit dem Patienten einen Vertrag geschlossen hat oder nicht. Gerade im Bereich der ärztlichen Haftung sind mannigfaltige Situationen denkbar, in denen ein Vertragsschluss zwischen Patient und (Tele-)Arzt scheitert, etwa weil der Patient infolge seiner Verletzungen oder seiner Krankheit nicht geschäftsfähig ist. Vor dem Hintergrund des besonders hohen Rangs der Rechtsgüter Leben, Leib und Gesundheit wäre es nicht zu rechtfertigen, die Haftung des Arztes je nach Art seiner rechtlichen Verbindung zum Patienten anders zu beurteilen. Die sachrechtlichen Interessen von Patient und Telearzt sind daher unabhängig von einem unter Umständen zwischen ihnen bestehenden Vertrag. Folglich verändert sich auch die implizierte kollisionsrechtliche Interessenlage von Patient und
780 Köhler in Köhler/von Maydell, Arzthaftung, S. 281 als Schlussfolgerung aus einer rechtsvergleichenden Untersuchung der Arzthaftung in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, den USA, Polen, Russland, Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen; auch Zepos/Christodoulou in International Encyclopedia of Comparative Law XI/1, Chapter 6, S. 4 stellt als Quintessenz aus seiner umfangreichen rechtsvergleichenden Untersuchung fest: „A closer examination of professional liability shows that, regardless of any systematic classification of responsibility in individual instances (in contract or in tort), liability is essentially founded on the professional’s conduct in a given situation falling short of standards expected by law. Professional liability is essentially responsibility for breach of a "legal duty of care", regardless of whether such legal duty is contractual, statutory or otherwise. Thus even where a contract exists, this kind of liability is not strictly "contractual" in the traditional narrow sense of the term, but one imposed independently by the law“; aus rechtsvergleichender Perspektive ferner Fischer/Lilie, Ärztliche Verantwortung, S. 5–7; eine Sonderrolle nimmt insoweit das französische Sachrecht ein, nach dem das Bestehen eines Vertragsverhältnisses bei der Begründung der ärztlichen Haftung aufgrund des non cumul Grundsatzes eine entscheidende Rolle spielt. Allerdings ist auch dem französischen Sachrecht eine Haftung des Arztes aus Delikt nicht unbekannt. So wird in Fällen, in denen kein Vertrag zwischen Patient und Arzt besteht, weiterhin eine Haftung des Arztes aus Delikt angenommen; zur Situation in Frankreich Kaufmann in Köhler/von Maydell, Arzthaftung, S. 62 und Link, Telemedizin, S. 153; vgl. auch Katzenmeier, Arzthaftungsrecht, S. 84; Kaiser in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 12 Rn. 1; Wenzel in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 2–3; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 160; vgl. dazu auch oben Kapitel 4 Fn. 189 sowie die Ausführungen zu Arzthaftung in England und den USA, oben Kapitel 3, § 3, F.
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Telemediziner nicht durch den Abschluss eines Telemedizinvertrages. Betrachtet man die kollisionsrechtliche Interessenlage als Spiegelbild der materiell-rechtlichen Interessenlage, verändert sie sich nur, wenn sich auch die sachrechtliche Interessenlage verändert. Bezogen auf die Haftung des Telemediziners wegen einer Gesundheitsschädigung des Patienten bedeutet dies, dass sich deren kollisionsrechtliche Interessenlage und damit potentiell auch deren kollisionsrechtliche Anknüpfung nur dann verändern würde, wenn sich Haftung des Telemediziners durch den Abschluss des Vertrages verändern würde. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall. Warum dennoch eine vertragsakzessorische Anknüpfung der dem Patienten zustehenden Ansprüche vorzunehmen sein soll, bleibt offen. Sichere Folge der vertragsakzessorischen Anknüpfung wäre jedoch, dass derjenige Patient, der mit dem Telemediziner in einer vertraglichen Verbindung steht, auf kollisionsrechtlicher Ebene eben für jenen Vertragsschluss dahingehend „sanktioniert“ würde, dass auf seine deliktischen Ansprüche nunmehr grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Telemediziners anzuwenden wäre. Auf der Ebene des Kollisionsrechts würde folglich die sachrechtliche Wertung, dass der Patient unabhängig von irgendwelchen vertraglichen Beziehungen zum Telearzt zu schützen ist, ins Gegenteil verkehrt. Dies vermag insbesondere aufgrund des verfassungsrechtlichen Rangs der Rechtsgüter Leib, Leben und Gesundheit kaum zu überzeugen. Vielmehr liegt gerade im absoluten Schutz dieser wichtigsten Rechtsgüter der Grund dafür, dass der Telearzt auf sachrechtlicher Ebene unabhängig von der Existenz eines Vertrags verpflichtet ist, dem Patienten eine Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst und eine hinreichende Aufklärung zukommen zu lassen, wenn er dessen Behandlung rein faktisch übernommen hat. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Patient immer eine gute Behandlung und eine hinreichende Aufklärung erfährt. Nur so kann sichergestellt werden, dass die körperliche und gesundheitliche Integrität des Patienten, als Basis seiner Privatautonomie bestmöglich geschützt wird. Um diese Ziele zu erreichen geht der Gesetzgeber sogar noch einen Schritt weiter und sanktioniert die schlechte Behandlung beziehungsweise die unzureichende Aufklärung des Patienten mit Mitteln des Strafrechts. Dies zeigt wie wichtig es dem Gesetzgeber ist, dass Patienten unabhängig von irgendwelchen vertraglichen Beziehungen zum Telearzt vor schlechten Behandlungen und einer unzureichenden Aufklärung geschützt werden. Würde man auf der Ebene des Kollisionsrechts dem Vertrag nun eine entscheidende Bedeutung für die Anknüpfung von Haftungsansprüchen des Patienten zukommen lassen, würde man die sachrechtliche Wertung, dass der Patient unabhängig von irgendwelchen vertraglichen Beziehungen zum Telearzt zu schützen ist, ins Gegenteil verkehren.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
dd) Keine Rechtfertigung durch die Parteiinteressen und die Parteierwartungen Eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktstatuts kann auch nicht mit der Überlegung, es liege im Interesse des Patienten und des Telemediziners, dass sie durch die Wahl des auf den Telemedizinvertrag anwendbaren Rechts mittelbar auch das anzuwendende Deliktsrecht bestimmen können, gerechtfertigt werden.781 Insbesondere lässt sich nicht argumentieren, dass Patient und Telemediziner die Schadensregulierung einheitlich einer einzigen Rechtsordnung unterstellt hätten, wenn sie sich der Möglichkeit bewusst gewesen wären.782 Wie sich Patient und Telemediziner in einem hypothetischen Fall verhalten hätten, ist nicht bekannt und kann nur vermutet werden. Auch stellt sich die Frage, warum der Telemediziner darauf vertrauen sollte, dass die kraft Gesetzes gegenüber jedermann bestehende Pflicht einen anderen nicht in seiner Gesundheit zu schädigen ausgerechnet gegenüber dem Patienten nicht so bestehen soll, nur weil er mit diesem kraft seiner Privatautonomie einen Vertrag geschlossen hat.783 Dient doch das Deliktsrecht auf der Ebene des Sachrecht gerade dazu den status quo der Rechtsgüter einer Person als Basis ihrer Privatautonomie zu sichern.784 ee) Verhältnis zwischen akzessorischer Anknüpfung und Rechtswahl Der europäische Gesetzgeber hat mit Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II nicht nur eine eingeschränkte Wahlmöglichkeit des anzuwendenden Deliktsrechts für Verbraucher statuiert, sondern zugleich einen, verglichen mit dem bisherigen Art. 41 EGBGB, weitaus restriktiveren Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 3 Rom II bewirkt. (1) Argumente für die durch die vertragsakzessorische Anknüpfung ermöglichte Umgehungsmöglichkeit des Art. 14 Abs. 1 lit. b) Rom II Zwar ließe sich zugunsten der durch die vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts eröffneten Umgehungsmöglichkeit des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II argumentieren, dass diese schon lange bekannt ist und schon früh darauf hingewiesen wurde, dass durch die akzessorische An-
781
Wie hier Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, S. 137; im Grundsatz a.A. Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601, 630 f.; ders., IPR, § 53 IV 4; Freitag/Leible, ZVglRWiss 99 (2000), 101, 110 ff.; Von Walter, Konkurrenz vertraglicher und deliktischer Schadensersatznormen, S. 170 f.; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 41 EGBGB Rn. 14.; Leible/Engel, EuZW 2004, 7, 11. 782 So aber Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 243. 783 Vgl. Schurig in FS Heldrich, 1021, 1030. 784 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C, I, 3, a).
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knüpfung nach Art. 41 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EGBGB die Regelung des Art. 42 EGBGB, wonach für das außervertragliche Schuldverhältnis jedenfalls prima facie785 nur eine nachträgliche Rechtswahl möglich ist, dahingehend modifiziert wird, dass eine Rechtswahl des Vertragsstatuts mittelbar auch eine vorherige Wahl des Deliktsstatus ermöglicht.786 Die Folgen der vertragsakzessorischen Anknüpfung für die Parteiautonomie im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse, insbesondere im Deliktsrecht seien dem europäischen Gesetzgeber daher keinesfalls unbekannt gewesen, so dass man aus der Regelung des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II keine Rückschlüsse auf den Anwendungsbereich der vertragsakzessorischen Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 Rom II ziehen könne. Zum anderen ließe sich argumentieren, dass der Regelung des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II auch bei einer vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts eine Funktion und Daseinsberechtigung verbleibt. So verhindert sie doch, dass der kommerziell tätige Telemediziner, als abstrakt stärkere und im Geschäftsverkehr gewandtere Vertragspartei, seine bessere Verhandlungsposition dazu ausnutzen kann, dem Patienten durch geschickte Rechtswahl seine vertraglichen und außervertraglichen Ansprüche zu entziehen. Zwar kann der Telemediziner seine starke Position dazu nutzen, eine ihm günstige Rechtswahl für das Vertragsstatut durchzusetzen, die dann aufgrund der akzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts mittelbar auch die Ansprüche aus unerlaubter Handlung erfasst. Was dem Telemediziner aber aufgrund der Regelung des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II verwehrt ist, ist, dass er eine ihm günstige Rechtsordnung für Verträge mit einer anderen ihm günstigen Rechtsordnung für außervertragliche, deliktische Ansprüche durch antizipierte Rechtswahl kumulativ zur Anwendung bringt. Ungeachtet dessen, dass eine solche Rechtswahl des Vertragsstatuts aufgrund des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes des Art. 6 Abs. 2 Rom I unter Umständen nur eine eingeschränkte Wirkung hätte, untersagt gerade Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II dieses Vorgehen. Dies erscheint vor dem Hintergrund einer rechtsvergleichenden Analyse materieller Rechtsordnungen auch nötig, da diese zeigt, dass die Abgrenzung und die Voraussetzungen von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen in den einzelnen materiellen Rechtsordnungen nicht einheitlich erfolgt.787 Sowohl bei der Bemessung des Haftungsumfangs als auch bei der Bemessung des
785
Ob trotz der Regelung des Art. 42 EGBGB eine antizipierte Wahl des Deliktsstatuts möglich ist oder nicht, wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert; vgl. hierzu Von Hein, RabelsZ 64 (2000) 595, 599 f. mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 33. 786 Siehe schon Lorenz in Von Caemmerer, Vorschläge und Gutachten, S. 133. 787 Vgl. dazu Stoll in FS Hay, 403, 404.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Schadensersatzes gibt es teilweise erhebliche Unterschiede. Beispielsweise ist der im Rahmen des Medizinhaftungsrechts so wichtige Ersatz von immateriellen Schäden in manchen Sachrechtsordnungen auf das Deliktsrecht beschränkt, während andere Rechtsordnungen immaterielle Schäden auch durch vertragliche Ansprüche ersetzen.788 Auch hinsichtlich der Haftung für Drittpersonen, insbesondere der Gehilfenhaftung, bestehen beträchtliche Differenzen.789 Zudem kann festgestellt werden, dass sich die Verjährungsfristen, Regelungen über die Beweislast und der Verschuldensmaßstab unterscheiden. Diese Aufzählung der unterschiedlichen rechtlichen Handhabe von vertraglichen und deliktischen Haftungsansprüchen in den verschiedenen, weltweiten Sachrechtsordnungen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, illustriert jedoch die Unterschiede von vertraglicher und deliktischer Haftung in den einzelnen materiellen Rechtsordnungen. Aufgrund dieser Vielzahl von Lösungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass für den Telemediziner eine bestimmte Kombination unterschiedlicher Rechtsordnungen für vertragliche und deliktische Ansprüche aus Haftungsgesichtspunkten besonders günstig wäre. Durch die Regelung des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II wird der Telemediziner daran gehindert diese Kombination dem Patienten vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses aufzudrängen. Dieser Zweck des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II würde auch in Fällen der vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatus fortbestehen, da die akzessorische Anknüpfung ja gerade bewirkt, dass für vertragliche und deliktische Ansprüche nicht zwei unterschiedliche, unter Umständen überhaupt nicht zueinander passende, Rechtsordnungen zur Anwendung berufen werden. Vielmehr ist zu erwarten, dass die so bestimmte einheitliche materielle Rechtsordnung eine homogene Lösung bereithält.790 (2) Argumente gegen die durch die vertragsakzessorische Anknüpfung ermöglichte Umgehungsmöglichkeit des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II Trotz dieser Überlegungen bestehen erhebliche Bedenken, ob der europäische Gesetzgeber davon ausging, dass sich hierin die Funktion des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II erschöpfen soll oder ob nicht vielmehr davon auszugehen ist, dass Art. 14 Rom II auch gewisse Schranken für die akzessorische Anknüpfung bereithält. Erwägungsgrund 31 zu Rom II macht deutlich, dass die antizipierte Rechtswahl bei außervertraglichen Schuldverhältnissen aus Gründen des 788
Hoffmann, Koordination des Vertrags- und DeliktsR, S. 28. Vgl. dazu Renner, Deliktische Haftung für Hilfspersonen, passim. 790 Binder, RabelsZ (20) 1955, 401, 479; Von Walter, Konkurrenz vertraglicher und deliktischer Schadensersatznormen, S. 169. 789
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Schutzes der schwächeren Partei auf kommerziell tätige Personen beschränkt wurde. Aus demselben Grund sollte nach dem Kommissionsvorschlag für eine Rom I-Verordnung im internationalen Verbrauchervertragsrecht eine Rechtswahl vollständig abgeschafft werden.791 Führt man sich vor Augen, dass diese Regelung erst in der nunmehr gültigen Fassung der Rom I-Verordnung vom 17. Juni 2008 aufgegeben wurde, besteht zunächst einmal der Verdacht, dass der europäische Gesetzgeber bei der Schaffung des Art. 4 Abs. 3 Rom II am 11. Juli 2007 die nun auftretende Problematik der Umgehung des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II nicht vor Augen hatte, da sie zu diesem Zeitpunkt nicht möglich war. Ferner liest man in der Begründung der Kommission: „Handelt es sich bei dem bestehenden Rechtsverhältnis jedoch um einen Verbraucher- oder Arbeitsvertrag und lässt dieser Vertrag eine Rechtswahl zugunsten eines anderen Rechts zu als des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers [...] darf die sekundäre Anknüpfung nicht dazu führen, dass der schwächeren Partei der Schutz entzogen wird, der andernfalls bestanden hätte“.792 Diese Ausführungen der Kommission verdeutlichen, dass der Patient als Verbraucher und damit strukturell schwächere Partei ein schutzwürdiges Interesse daran hat, dass der Umfang, in dem seine Rechtsgüter Leib und Leben durch das Deliktsrecht geschützt werden, nicht zur „Verhandlungsmasse“ gemacht und damit letztendlich dem strukturell stärkeren Telemediziner preisgegeben werden.793 Der EU-Gesetzgeber befürchtet offensichtlich, dass die Verbraucher nicht in der Lage sind, die Konsequenzen einer Rechtswahl ex ante hinreichend zu überblicken.794 Nach dem Willen der Europäischen Kommission wird man folglich davon ausgehen müssen, dass eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts ausscheidet, wenn diese dazu führen würde, dass eine Rechtswahl vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses gegenüber einem Verbraucher auch das Deliktsstatut mittelbar bestimmen würde795, 791 Vgl. Art. 5 Abs. 1 und 3 des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) vom 15. Dezember 2005 (KOM (2005) 650 endg.). 792 KOM (2003) 427 endg. S. 14. 793 Vgl. Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, S. 137. 794 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1, 22. 795 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1, 22; ders., Rev. crit. dr. int. priv. 97 (2008) 445, 464–467; wohl auch Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, S. 137; a.A. von Hein, RabelsZ 64 (2000) 595, 601; ders., RabelsZ 73 (2009) 461, 490 ders., ZEuP 2009, 6, 21, der davon ausgeht, dass die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers nur im Rahmen der bei Art. 4 Abs. 3 Rom II notwendigen Verhältnismäßigkeitsprüfung („kann“) zu berücksichtigen ist. Dabei geht er aber nicht – wie hier vorgeschlagen – davon aus, dass das Gericht dabei zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen müsse, dass eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts unterbleiben müsse.
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da die Gefahr, dass die Parteien die Konsequenzen einer ex ante Rechtswahl nicht hinreichend überblicken, noch deutlich größer ist, wenn die Parteien ein scheinbar nur für das Vertragsverhältnis geltendes Recht wählen und diese Wahl dann über die akzessorische Anknüpfung auf das Deliktsstatut ausgedehnt wird.796 In einer derartigen Konstellation ist die Gefahr, dass sich ein Verbraucher der Tragweite seiner Rechtswahl für deliktische Ansprüche nicht bewusst ist, noch deutlich größer als bei einer bewussten Wahl des Deliktsstatuts vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses. Eine systematische, am Sinn und Zweck des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II orientierte Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Rom II ergibt daher, dass die akzessorische Anknüpfung der Deliktsansprüche von Verbrauchern grundsätzlich in gleichem Umfang zu beschränken ist, in dem die Rechtswahl des Deliktsstatuts ausgeschlossen ist.797 Im Bereich der Telemedizin ist der Patient – wie bereits gezeigt wurde798 – regelmäßig als Verbraucher anzusehen, so dass eine Bestimmung des Deliktsstatuts über den Rechtsgedanken der Akzessorietät jedenfalls dann ausscheiden muss, wenn hierdurch bewirkt würde, dass eine nach Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II ausgeschlossene Rechtswahl des Deliktsstatuts vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses (mittelbar) ermöglicht würde. Es verbleiben jedoch Konstellationen in denen der Schutz des Verbrauchers keinen Ausschluss der akzessorischen Anknüpfung erfordert: Übt der Vertragspartner des Verbrauchers eine gewerbliche Tätigkeit in dem Mitgliedstaat aus, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder richtet er seine gewerbliche Aktivität in irgendeiner Weise auf diesen Staat aus und fällt der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit, finden gemäß Art. 6 Abs. 2 Rom I zusätzlich zu dem von den Parteien gewählten Vertragsrecht die zwingenden vertragsrechtlichen verbraucher796
Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1, 22. Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1, 22; Schaub in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 4 Rom II Rn. 9; Mankowski, IPRax 2010, 389, 402 schlägt neuerdings vor den Verbraucher als strukturell schwäre Partei dadurch zu schützen, dass man das Günstigkeitsprinzip des Art. 6 Abs. 2 Rom I auf die akzessorische Anknüpfung durchschlagen lässt. Dadurch kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschränkungen des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II umgangen werden, da Art. 6 Abs. 2 Rom I eben nur unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I und nicht schlechterdings bei jedem Verbrauchervertrag eingreift. Gerade dies wäre aber erforderlich, damit einem Verbraucher nicht der durch Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II vermittelte Schutz vor einer Rechtswahl ex ante durch eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts entzogen wird, da dieser Schutz unabhängig von einer „Ausrichtung“ oder „Ausübung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. a bzw. lit. b Rom I der unternehmerischen Tätigkeit auf oder im Verbraucherstaat besteht. Insofern erscheint die hier vorgeschlagene Lösung weiterhin vorzugswürdig. 798 Vgl. oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, a). 797
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schützenden Vorschriften des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers Anwendung. Für solche qualifizierten Verbraucherverträge besteht die von Art. 4 Abs. 3 Rom II geforderte „offensichtlich engere Verbindung“ nicht zu dem Staat, dessen Sachrecht von den Verbraucher und Unternehmer gewählt wurde, sondern zu dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers.799 Ansprüche aus unerlaubter Handlung, die in hinreichend enger Verbindung mit einem solchen qualifizierten Verbrauchervertrag stehen, können daher trotz der Regelung des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II grundsätzlich akzessorisch angeknüpft werden. Jedoch nicht vertragsakzessorisch an das gewählte Verbrauchervertragsstatut, sondern vielmehr an das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers, dem auch die zwingenden verbraucherschützenden vertragsrechtlichen Vorschriften zu entnehmen sind. Durch eine solche akzessorische Anknüpfung wird vermieden, dass ein und derselbe Sachverhalt unter Umständen nach drei unterschiedlichen Rechtsordnungen zu beurteilen ist: 800 Erstens nach demjenigen Recht, das grundsätzlich für die Vertragsbeziehung maßgeblich ist. Zweitens nach demjenigen Recht, welchem nach Art. 6 Abs. 2 Rom I die zwingenden verbraucherschützenden Vorschriften zu entnehmen sind, sowie unter Umständen nach einer dritten Sachrechtsordnung, die nach Art. 4 Abs. 1 oder Art. 4 Abs. 2 Rom II für außervertragliche Ansprüche maßgeblich ist. Ferner stellt sich die Frage, ob der Umstand, dass dem Verbraucherpatienten die Rechtswahl ex ante aufgrund von Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II untersagt ist, selbst dann Konsequenzen für die vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts hat, wenn das Vertragsstatut nicht durch Rechtswahl, sondern im Wege einer objektiven Anknüpfung zu bestimmen ist. Der Sinn und Zweck des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II besteht darin, dass dem Verbraucherpatienten der grundsätzlich opferfreundlichere Ansatz801 der Rom II-Verordnung erhalten bleibt. Würden seine Deliktsansprüche bei objektiver Ermittlung des Vertragsstatuts vertragsakzessorisch angeknüpft, würde wegen der den Telemediziner begünstigenden Regelung des Art. 4 Rom I praktisch genau dasjenige Ergebnis erreicht, welches eigentlich verhindert werden soll. Dies wäre nicht nur widersprüchlich sondern auch inkonsequent.802 Wie im Falle der Wahl des Vertragsstatuts, gilt dies nicht für qualifizierte Verbraucherverträge, die unter den in Art. 6 Abs. 2 Rom I genannten
799
Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1, 23. Vgl. dazu Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1, 23. 801 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C, I, 3, a) und Von Hein in FS Kropholler, 553, 566. 802 So auch Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1, 24; Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 4.93. 800
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Voraussetzungen zustande gekommen sind. Haben die Parteien das Vertragsstatut nicht durch Rechtswahl vereinbart, unterstehen solche Verträge gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom I dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers. In dieser Konstellation bestehen keine, sich aus Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II ergebenden, Bedenken, deliktische Ansprüche von Verbrauchern akzessorisch anzuknüpfen. Vertrags- wie Deliktsansprüche können so grundsätzlich einheitlich nach dem am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers geltenden Recht beurteilt werden. ff) Prinzip der ultima ratio Ein weiteres Argument gegen eine vertragsakzessorische Anknüpfung der deliktischen Ansprüche des Patienten ergibt sich aus den Vorschriften des internationalen Strafrechts, also dem Kollisionsrecht des StGB, in Verbindung mit dem Umstand, dass sich der Telearzt bei fahrlässiger Gesundheits- oder Körperschädigung des Patienten nicht nur zivilrechtlich haftbar sondern regelmäßig auch strafbar macht. In Betracht kommt insbesondere eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB (ggf. in Verbindung mit § 224 Abs. 1 StGB, § 226 Abs. 1 StGB), § 229 StGB.803 Stirbt der Patient infolge einer nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführten Behandlung, kommt sogar eine Strafbarkeit wegen Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, fahrlässiger Tötung und/oder Körperverletzung mit Todesfolge gemäß den §§ 211 Abs. 2, 212 Abs. 1, 216 Abs. 1, 222, 227 Abs. 1 StGB in Betracht.804 Alle genannten Tatbestände können auch durch ein Unterlassen begangen werden, sofern der Arzt gegenüber dem Patienten eine Garantenstellung inne hat.805 Dies ist, wie im Zivilrecht, der Fall, wenn der Arzt die Behandlung faktisch übernommen hat. Nicht erforderlich ist also eine wirksame vertragliche Beziehung zwischen Patient und Telemediziner, sondern allein der faktische Eintritt des Arztes in die Pflichtenstellung.806
803
Vgl. dazu Ulsenheimer in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 9–11; Geilen in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 409; Schmidt in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 14 Rn. 4, 62. 804 BGH, MedR 2008, 435, 435 ff.; vgl. insgesamt Ulsenheimer in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 140; Geilen in Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 409, 482–498 m.w.N aus Rechtsprechung und Literatur; Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 72 Rn. 4, 9, 14; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 479. 805 Vgl. Ulsenheimer in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 139 Rn. 16, § 140 Rn. 6; Schmidt in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 14 Rn. 15–18. 806 BGHSt 7, 211, 212; 47, 224, 229; Schmidt in Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, § 14 Rn. 16; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 34 m.w.N.; Geilen in Wenzel, Handbuch FA Medizinrecht, Kapitel 4 Rn. 426 m.w.N.
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Indem das deutsche Sachrecht – zumindest in der Ausprägung die es durch die Rechtsprechung erhalten hat807 – davon ausgeht, dass der (Tele-)Arzt sich durch eine fehlerhafte Behandlung/Aufklärung des Patienten strafbar machen kann, bringt es zum Ausdruck, dass die zivilrechtliche Haftungsfolge für eine gesundheitsschädigende Behandlung eines Patienten durch einen (Tele-)Arzt für sich alleine noch nicht ausreicht um den notwendigen Schutz der höchsten Rechtsgüter der Patienten (Leib, Leben und Gesundheit) hinreichend zu gewährleisten. Aus diesem Grund wird zur Erreichung dieses Ziels die zivilrechtliche Haftung der Ärzteschaft mit den Mitteln des Strafrechts flankiert. In dieser Feststellung erschöpft sich aber der Zusammenhang zwischen zivilrechtlicher Haftung des Arztes und dessen strafrechtlicher Verantwortlichkeit noch nicht: Vielmehr sind nach dem Prinzip der ultima ratio, der strafrechtlichen Ausprägung des allgemeinen, verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, Strafvorschriften nur dort erforderlich und damit auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wo dem deutschen Staat kein weniger belastendes Mittel für den Rechtsgüterschutz zur Verfügung steht.808 Daraus resultiert, dass das „scharfe Schwert“ des Strafrechts nur dann eingesetzt werden darf, wenn andere Mittel der sozialen Problemlösung versagen. Der Gesetzgeber muss also zunächst versuchen, die Ärzteschaft mit gegenüber dem Strafrecht milderen Mitteln, insbesondere mit denen des Zivilrechts, dazu anzuhalten, ihre in Deutschland befindlichen Patienten gut und nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln beziehungsweise hinreichend aufzuklären.809 Durch diese verfassungsrechtliche Komponente werden die genannten strafrechtlichen Vorschriften mit der zivilrechtlichen Haftung des Arztes für körperliche Schädigungen des Patienten verbunden. Die aufgeführten Straftatbestände sind gemäß § 3 StGB zur Anwendung berufen, wenn die Tat im Inland begangen wurde. Eine Tat ist nach dem in § 9 Abs. 1 StGB verankerten Ubiquitätsprinzip „an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte“. Folglich sind sie auch dann zur Anwendung berufen, wenn ein ausländischer Telemediziner einen in Deutschland befindlichen Patienten durch eine grenzüberschreitende telemedizinische Behandlung in seiner Gesundheit schädigt 807 RGSt 25, 375, 380; BGHZ 29, 46, 56 f.; BGHSt 11, 111, 112; Vgl. dazu insgesamt Ulsenheimer in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 138 Rn. 2–4; Loose, Strafrechtliche Grenzen ärztlicher Behandlung, S. 20 f. 808 Vgl. statt vieler nur BVerfGE 39, 1, 45, 47; Roxin, Strafrecht AT I, Rn. 98; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 18; Günther, JuS 1978, 8, 11 f.; Weber in Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 3 Rn. 19, 23. 809 Vgl. die in Kapitel 4 Fn. 808 Genannten.
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oder gar tötet, weil dann der tatbestandliche Erfolg der genannten Strafvorschriften, nämlich die Tötung einerseits oder die Körper- oder Gesundheitsschädigung andererseits, in Deutschland eintritt.810 Gleiches gilt gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II für die zivilrechtliche Haftung eines ausländischen Telemediziners, der einen in Deutschland befindlichen Patienten grenzüberschreitend behandelt und ihn dabei vorwerfbar in seiner Gesundheit oder gar seinem Leben schädigt. Somit unterliegen die zivilrechtliche Haftung als auch die strafrechtliche Beurteilung der gleichen Rechtsordnung. Eine unerlaubte Handlung des Telemediziners, nämlich der nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommene Heileingriff beziehungsweise die fehlerhafte Aufklärung des Patienten, werden sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich nach einer Rechtsordnung, nämlich der deutschen, bewertet. Wertungswidersprüche werden so bestmöglich vermieden; der verfassungsrechtliche Zusammenhang zwischen den strafrechtlichen Vorschriften und der zivilrechtlichen Haftung bleibt intakt. Anders würde sich die Situation hingegen darstellen, wenn man die zivilrechtliche Haftung des Arztes über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II vertragsakzessorisch anknüpfen würde, da sich die zivilrechtliche Haftung des Telemediziners dann grundsätzlich nach dessen Heimatrechtsordnung richten würde. In der Folge würde sich die zivilrechtliche Haftung des Telemediziners nach einer anderen Rechtsordnung beurteilen als dessen strafrechtliche Verantwortlichkeit. Wertungswidersprüche zwischen strafrechtlicher Verantwortlichkeit und zivilrechtlicher Haftung wären verstärkt möglich, da ein und dieselbe Handlung des Telemediziners durch zwei unterschiedliche Rechtsordnungen beurteilt würde. So wäre beispielsweise denkbar, dass der ausländische Telemediziner dem deutschen Patienten zwar zivilrechtlich nicht für einen entstandenen Gesundheitsschaden haftet, da die Behandlung von der Heimatrechtsordnung des Telemediziners als nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt angesehen wird oder weil diese Rechtsordnung eine Haftungsprivilegierung des Telemediziners annimmt. Gleichzeitig könnte sich der Telemediziner durch dieselbe Behandlung aber gemäß § 229 StGB strafbar gemacht haben. Man käme also zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass sich der Telemediziner zwar wegen Schädigung eines Patienten strafbar gemacht hat, aber dessen Schaden zivilrechtlich nicht zu ersetzen hat. Ferner würde der, aufgrund des Prinzips der ultima ratio bestehende, verfassungsrechtliche Zusammenhang zwischen zivilrechtlicher und strafrechtlicher Einstandspflicht des ausländischen Telemediziners zerrissen. Jedenfalls zeigt allein der Umstand, dass das deutsche Recht davon ausgeht, dass sich der Telearzt, der seinen Patienten nicht nach den Regeln der 810
Vgl. Böse in NK- StGB, § 9 Rn. 2, 10 m.w.N.
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ärztlichen Kunst behandelt oder diesen nicht hinreichend aufklärt, strafbar machen kann, dass man wohl kaum davon ausgehen kann, dass die zivilrechtliche Einstandspflicht des Telemediziners für Schäden, die der Patient aus einem solchen Fehlverhalten erleidet, aufgrund einer parteiautonomen Vereinbarung und damit aufgrund eines Vertrages bestehen. In der Folge kann der Telemedizinvertrag hinsichtlich Schadensersatzansprüchen aus einer Körper- oder Gesundheitsverletzung auch nicht in irgendeiner Form prägend sein. Somit ist der Telemedizinvertrag nicht dazu geeignet eine offensichtlich engere Verbindung zu dem Staat, dessen Rechtsordnung über das Vertragsstatut zur Anwendung berufen ist, zu begründen. Eine vertragsakzessorische Anknüpfung der Haftungsansprüche des Patienten wegen Körper- und Gesundheitsschädigung muss daher ausscheiden. e) Schlussfolgerungen für die Anwendung des Art. 4 Abs. 3 Rom II Die bisherige Untersuchung der Anwendung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II zur Begründung einer vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts hat ergeben, dass sie regelmäßig nicht notwendig ist, um die Haftung des Telemediziners wegen Schädigung der Gesundheit des Patienten nur einer Rechtsordnung zu unterstellen, da diese Haftung des Telemediziners ausschließlich dem Deliktsstatut untersteht, wenngleich das deutsche Sachrecht derartige Ansprüche auch aus Vertrag gewährt. Gerade der Umstand, dass durch die vertragsakzessorische Bestimmung des Deliktsstatuts nur eine Rechtsordnung für eine Rechtsfrage zur Anwendung gelangt, ist jedoch eines der Hauptargumente für eine vertragsakzessorische Bestimmung des Deliktsstatuts, so dass die vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts im Rahmen der Telemedizin bei der hier vertretenen, deliktischen Qualifikation der Telearzthaftung wegen Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität des Patienten von vornherein nur eine äußerst geringe Überzeugungskraft besitzt. Ferner hat sich gezeigt, dass die vertragsakzessorische Anknüpfung deliktischer Ansprüche des Patienten jedenfalls dann ausscheiden sollte, wenn der Patient als Verbraucher anzusehen ist und das Vertragsstatut durch Rechtswahl bestimmt worden ist, da andernfalls unerklärliche Wertungswidersprüche zwischen der akzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts und der Regelung des Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom II entstehen würden. Aber auch in Fällen, in denen der Patient ausnahmsweise einmal nicht als Verbraucher anzusehen ist, darf nicht mehr oder weniger mechanisch eine vertragsakzessorische Anknüpfung vorgenommen werden. Vielmehr muss im jeweiligen Einzelfall genau untersucht werden, ob eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts vorzunehmen ist, wobei der Richter – sofern die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Rom II vorliegen –
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von gesetzlichen Vorgaben befreit ist.811 Gegen eine Korrektur der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom II spricht dabei, dass in dieser Regelung zum Ausdruck kommt, dass der EU-Gesetzgeber die kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten in Haftungsfällen wegen Gesundheitsschädigungen grundsätzlich höher einstuft als diejenigen des Telemediziners. Diese grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers muss im Rahmen der Anwendung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II „überwunden“ werden. Im Interesse der aus Art. 4 Abs. 1 Rom I resultierenden Rechtssicherheit darf man nicht immer bereits dann, wenn die tatsächliche Interessenkonstellation die kollisionsrechtliche Entscheidung nicht mehr so „trägt“, wie es sich der Gesetzgeber bei der Schaffung der Kollisionsregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II vorgestellt hat, von der durch diese Kollisionsnorm ausgesprochenen Verweisung abweichen und über Art. 4 Abs. 3 Rom II eine „passendere“ suchen.812 Vielmehr ist eine Abweichung von Art. 4 Abs. 1 Rom II nur gerechtfertigt, wenn die bei Telemedizinverträgen vorgefundene kollisionsrechtliche Interessenlage so erheblich von der, durch den Gesetzgeber bei der Schaffung des Art. 4 Abs. 1 Rom II zugrunde gelegten, typischen kollisionsrechtlichen Interessenlage abweicht, dass ein Festhalten an der Anknüpfung an den Erfolgsort der schädigenden Handlung, trotz des – im Interesse der Rechtssicherheit – vorhandenen Kontinuitätsinteresses des potentiell beteiligten Rechtsverkehrs, das Vertrauen in das europäische Kollisionsrechtssystem nachhaltig beeinträchtigen würde. Mit anderen Worten darf von der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom II nur abgewichen werden, wenn das Interesse des potentiell beteiligten Rechtsverkehrs an der Kontinuität dieser Anknüpfung mit Rücksicht auf die konkreten Fallumstände der Telemedizin nicht schützenswert erscheint.813 Dieses sogenannte Trägheitsprinzip kommt, wenngleich unvollkommen, auch im Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 Rom II zum Ausdruck, wonach nur in Fällen einer „offensichtlich“ engeren Verbindung zu einem anderen Staat von der Regelanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom II abgewichen werden darf. Es stellt sich also die Frage, an welchen rechtspolitischen Maßstäben sich der Richter bei dieser Entscheidung zu orientieren hat. Wie bei jeder Abweichung von einer an sich bestehenden Anknüpfung sollte er aufgrund von Art. 20 Abs. 3 GG und im Interesse der Rechtssicherheit und des internationalen Entscheidungseinklangs von der Korrekturmöglichkeit des Art. 4 Abs. 3 Rom II nur dann Gebrauch machen, wenn die von der Norm
811
Auf die daraus resultierenden Rechtsunsicherheiten wurde schon hingewiesen. Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 201 f. 813 Vgl. dazu schon oben Kapitel 4, § 3, B, III, 2, b), aa), (2) insb. auch Kapitel 4 Fn. 506. 812
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vorausgesetzten Interessen in concreto so geschwunden sind, dass die Anknüpfung ihre innere Berechtigung verliert und das Ordnungsinteresse der Rechtsgemeinschaft an der Kontinuität der Anknüpfung mit Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls nicht mehr schützenswert erscheint.814 Nur unter diesen Voraussetzungen darf von einer an sich nach Art. 4 Abs. 1 oder 2 Rom II bestehenden Anknüpfung abgewichen und zu einer Anknüpfung nach dem Vertragsstatut oder einer neu zu bildenden Kollisionsnorm übergegangen werden.815 Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner wegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung aber gerade nicht vor, da der Telemediziner deshalb haftet, weil er eine gesetzliche Pflicht verletzt, die er gegenüber jedem, dessen Behandlung er faktisch übernommen hat, zu beachten hat und die nicht nur gegenüber demjenigen Patienten besteht, mit dem er kraft seiner Privatautonomie einen wirksamen Vertrag geschlossen hat. Andernfalls käme bei einer autonomen, funktionalen Qualifikation aus Sicht des europäischen Kollisionsrechts die Annahme eines Delikts ja schon gar nicht in Betracht.816 Die Anknüpfung über das Deliktsstatut verliert also auch dann nicht ihre innere Berechtigung, wenn der Telearzt mit dem Patienten durch Vertrag ausnahmsweise den Erfolg seiner telemedizinischen Behandlung vereinbart hat, so dass eine vertragsakzessorische Anknüpfung auch in diesen Fällen ausscheidet. In derartigen Ausnahmefällen ist die Haftung des Telemediziners, die daraus resultiert, dass der Telearzt das Integritätsinteresse verletzt hat, nach dem Deliktsstatut, welches nach Maßgabe der Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom II zu bestimmen ist, zu beurteilen, während sich die Haftung für den Schadensposten, der daraus resultiert, dass der Telearzt den vertraglich geschuldeten Erfolg nicht herbeigeführt hat, nach der über das Vertragsstatut berufenen Rechtsordnung richtet. Dies bedeutet freilich nicht, dass hierdurch zwangsläufig zwei unterschiedliche Sachrechte zur Anwendung berufen werden. Vielmehr ist es durchaus denkbar, dass sich aufgrund der Regelungen des Art. 4 Abs. 2 Rom II das Vertragsund das Deliktsstatut nach derselben Rechtsordnung beurteilen, wenn Patient und Telemediziner im Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem selben Staat haben und der Telearzt den Patienten von diesem Staat aus grenzüberschreitend behandelt.
814
Schurig in FS Heldrich, 1021, 1025; vgl. auch ders., Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 197–204; Spelsberg-Korspeter, Anspruchkonkurrenz, S. 133. 815 Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Funktionsweise von sogenannten Eingriffsnormen, oben Kapitel 4, § 3, D, II. 816 Vgl. Schurig in FS Heldrich, 1021, 1027; Lüderitz in Sörgel, Art. 38 EGBGB Rn. 32.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Zusammengefasst sprechen die besseren Gründe jedenfalls bei Telemedizinanwendungen – regelmäßig wohl aber auch im Allgemeinen – dafür, auf eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts zu verzichten. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass man auf der Ebene der Qualifikation sauber arbeitet und die konkrete Haftung nach ihrer Funktion dem Vertrags- oder dem Deliktsstatut zuordnet. Wo der Gesetzgeber eine vertragsakzessorische Anknüpfung nicht verbindlich angeordnet hat, hat das regelmäßig einen guten Grund. Gerade im Verhältnis zwischen Vertragsund Deliktsstatut setzen sich die Unterschiede in der sachrechtlichen Interessenlage auf der Ebene des Kollisionsrechts fort. Dieser Umstand steht einer, durch die vertragsakzessorische Bestimmung des Deliktsstatuts bewirkten, „Gleichschaltung“ beider Statute entgegen. Die Gründe, warum sich in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II dennoch eine dahingehende Regelung findet, wurden bereits dargestellt.817 f) Vorteile der hier vertretenen Sichtweise Die hier vertretene Sichtweise einer grundsätzlich deliktischen Qualifikation der Haftung des Telemediziners und die anschließende Verneinung einer vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts entspricht nicht nur dem Willen des europäischen Gesetzgebers818 sondern hat gegenüber der von der bislang herrschenden Meinung vertretenen Annahme einer Statutenkonkurrenz mit anschließender „Korrektur“ mittels einer vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts mehrere Vorteile. Trotz der Verneinung einer vertragsakzessorischen Anknüpfung wird die Haftung des Telemediziners für Körper- und Gesundheitsschäden nur nach einer einzigen Rechtsordnung, nämlich derjenigen des Deliktsstatuts, beurteilt. Konstellationen von Anspruchshäufungen oder Anspruchsmängeln mit den daraus resultierenden Anpassungsschwierigkeiten werden somit auf kollisionsrechtlicher Ebene bestmöglich vermieden. Dieses auch von der herrschenden Meinung anerkannte Ziel wird jedoch bei der hier vertretenen Sichtweise nicht um den Preis einer methodisch verfehlten, weil der Qualifikation nachrangigen Korrektur des Deliktsstatuts über Art. 4 Abs. 3 Rom II erreicht. Durch die strikte Trennung von vertraglichen und deliktischen Pflichten des Telemediziners nach ihrer Funktion erübrigt sich die Korrektur des Anknüpfungsergebnisses auf der Rechtsfolgenseite der Verweisungsnorm.819 Vielmehr wird der dogmatisch und methodisch vorgegebene Weg eingehalten, indem auf erster Stufe eine
817
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C, III, 4. Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C, III, 4. 819 So auch Von Bar, IPR II, Rn. 560; Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 194. 818
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autonome funktionale Qualifikation und erst dann die Prüfung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II durchgeführt wird.820 Diese Vorgehensweise ist nicht nur dogmatisch und methodisch richtig, sondern sorgt zugleich dafür, dass die Grenzziehung des europäischen Kollisionsrechts zwischen Vertrag und Delikt nicht zulasten der Rechtssicherheit und des internationalen Entscheidungseinklangs verschwimmt. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Vornahme einer vertragsakzessorischen Anknüpfung nicht mit der Intention des Deliktsrechts nach gleichberechtigter Berücksichtigung der Interessen von Schädiger und Geschädigtem harmonieren kann. Beruht die objektive Bestimmung des Vertragsstatuts doch gerade auf der Annahme, dass der Schuldner der charakteristischen Leistung kollisionsrechtlich zu privilegieren sei.821 Die von der herrschenden Meinung vorgenommene Qualifikation der Haftung des (Tele-)Arztes wegen einer Körper- und Gesundheitsschädigung des Patienten als vertraglich und deliktisch mit anschließender vertragsakzessorischer Anknüpfung des Deliktsstatuts ist darüber hinaus unehrlich. Ob man eine deliktische Haftung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Rom II „akzessorisch“ an das Vertragsstatut anknüpft oder ob man sie von vornherein dem Vertragsstatut zuschlägt, ist letztlich kaum mehr als eine façon de parler.822 Ferner gelingt es nur der hier gewählten Auffassung, den Patienten hinsichtlich seiner Ansprüche aus Gesundheits- und Körperverletzungen wirksam vor der Anwendung einer ihm meist unbekannten, ausländischen Rechtsordnung zu schützen. Auch vermag nur das hier vertretene Verständnis zu erreichen, dass der Schutz der körperlichen und gesundheitlichen Integrität des Patienten als Basis seiner Privatautonomie nicht über eine vertragsakzessorische Anknüpfung des Deliktsstatut und der somit – im Widerspruch zu Art. 14 Rom II – ermöglichten mittelbaren Rechtswahl zur „Verhandlungsmasse“ zwischen Patient und Telemediziner wird. Darüber hinaus hat das hier vertretene Verständnis den Vorteil, dass sich die Haftung des Primärarztes und diejenige des Telemediziners wegen derselben Integritätsverletzungen nach derselben Rechtsordnung, nämlich derjenigen am Erfolgsort, also regelmäßig dem Ort, an dem sich der Patienten während der telemedizinischen Behandlung physisch befand, beurteilt. Die Begründung einer gesamtschuldnerischen Haftung von Primärarzt und Telemediziner im Sachrecht wird somit bereits auf Kollisionsrechtsebene erleichtert. Dass dies ein entscheidender Vorteil ist, erkennen
820 Lüderitz in Soergel, Art. 38 EGBGB Rn. 32 Fn. 38 spricht daher zutreffend davon, dass der „Qualifikations-Teufel zur Hintertür“ wieder hereingelassen wird. 821 Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 195; Lüderitz in Soergel, Art. 38 EGBGB Rn. 32. 822 So auch Von Bar, IPR II, Rn. 560; Leicht, Qualifikation der Haftung, S. 195.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
auch einige Vertreter der Auffassung, dass die Haftung des Telemediziners sowohl als vertraglich als auch als deliktisch zu qualifizieren sei. Aus diesem Grund sind sie zum einen der Ansicht, dass das Vertragsstatut nicht nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I die Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt beruft, sondern dass über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I die Rechtsordnung am physischen Aufenthaltsort des Patienten während der telemedizinischen Behandlung zur Anwendung berufen sei823 und zum anderen das Deliktsstatut vertragsakzessorisch an diese Rechtsordnung anzuknüpfen sei.824 Sie gelangen also mittels einer Korrektur des Vertragsstatuts über die Ausweichklausel und der Annahme einer vertragsakzessorischen Anknüpfung letztlich ebenfalls zum Ergebnis, dass für die Frage der Haftung des Telemediziners nur die Rechtsordnung am physischen Aufenthaltsort während der telemedizinischen Behandlung zur Anwendung berufen ist. Das mittels einer „Doppelkorrektur“ erreichte Ergebnis ist zwar letztendlich richtig, dennoch vermag der gegangene Weg dogmatisch und methodisch nicht zu überzeugen. Ferner erhöht die Reihung von Anwendungen der Ausweichklauseln die Wahrscheinlichkeit, dass der internationale Entscheidungseinklang nicht gewahrt wird, weil die entscheidenden Richter zweimal hintereinander im Rahmen der Ausweichklauseln der Art. 4 Abs. 3 Rom I und Art. 4 Abs. 3 Rom II dieselbe Ermessensentscheidung treffen müssten, um zur Anwendung der gleichen Rechtsordnung zu gelangen. Jedenfalls zeigen die Bemühungen um eine Korrektur von Vertrags- und Deliktsstatut, dass die hier vertretene Anknüpfung der Telearzthaftung die kollisionsrechtlichen Interessen von Telemediziner und Patient bestmöglich gegeneinander abwägt und daher wertungsmäßig überzeugt. g) Keine vertragsakzessorische Anknüpfung an den Vertrag zwischen Telemediziner und Primärarzt oder den Behandlungsvertrag zwischen Patient und Primärarzt Im Rahmen der grenzüberschreitenden Telemedizin sind auch Fälle denkbar, in denen es zu keinem Vertragsschluss zwischen Patient und Telemediziner kommt. In diesen Fallkonstellationen stellt sich die Frage, ob über Art. 4 Abs. 3 Rom II eine vertragsakzessorische Anknüpfung an einen unter Umständen zwischen Telemediziner und Primärarzt beziehungsweise zwischen Telemediziner und Krankenhausträger geschlossenen Vertrag
823
Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 144 f.; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 179. 824 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 160; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 211 ff.
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vorzunehmen ist. Auch stellt sich die Frage, ob eine akzessorische Anknüpfung an das Vertragsstatut des Primärbehandlungsvertrags überzeugt. Dies wird von Teilen der Literatur mit der Begründung bejaht, dass die deliktische Handlung des Telemediziners in diesen Fällen nicht auf einer Zufallsbegegnung beruhe, sondern vielmehr auch in diesen Fällen vertraglich vermittelt sei.825 Diese Auffassung ist jedoch, ungeachtet der bisherigen Ausführungen, schon deshalb verfehlt, weil keine Parteiidentität zwischen dem akzessorisch anzuknüpfenden außervertraglichen Schuldverhältnis und dem Vertrag besteht. Dies ist jedoch Voraussetzung einer jeden vertragsakzessorischen Anknüpfung826, da andernfalls das kollisionsrechtliche Vertrauensprinzip nicht hinreichend gewahrt wird. Darüber hinaus ergibt sich das Erfordernis der Parteiidentität bereits aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 Rom II, wonach sich eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen Staat insbesondere aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis „zwischen den Parteien“ ergeben kann. Auch der europäische Gesetzgeber ging folglich davon aus, dass die Parteien des Rechtsverhältnisses mit denen der unerlaubten Handlung identisch sein müssen. In der Folge scheidet eine vertragsakzessorische Anknüpfung der Telearzthaftung an das Statut des Primärbehandlungsvertrags beziehungsweise an das Statut eines zwischen Telemediziner und Primärarzt bestehenden Vertrages bereits aus diesem Grund aus. III. Geltungsbereich des Deliktsstatuts 1. Allgemeiner Anwendungsbereichs, Art. 15 Rom II Der Geltungsbereich des Deliktsstatuts ist in Art. 15 Rom II durch den europäischen Gesetzgeber geregelt worden. Die darin aufgeführten Aspekte der Haftung sind jedoch nicht abschließend, wie die gewählte Formulierung „insbesondere“ verdeutlicht. Aufgrund der Regelung des Art. 15 lit. a Rom II beurteilt sich die Haftung des Telemediziners wegen einer Körperoder Gesundheitsschädigung des Patienten nach dem Deliktsstatut. Schädigt der Telemediziner den Patienten durch eine nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommene Behandlung in seinem Körper- oder seiner Gesundheit, sind nach der hier vertretenen Einheitslösung auch die auf der Ebene des Sachrechts konkurrierenden „vertraglichen“ Anspruchsgrundlagen (im deutschen Rechts also insbesondere § 280 Abs. 1 BGB) von dem Deliktsstatut erfasst.
825
Fischer in FS Laufs, 781, 782. Junker in MüKo, Art. 4 Rom II Rn. 50; Schraub in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 4 Rom II Rn. 9; Thorn in Palandt, BGB, Art. 4 Rom II Rn. 11. 826
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Aufgrund der Regelung des Art. 15 lit. b Rom II ist nach dem Deliktsstatut ferner zu beurteilen, ob vertragliche Haftungsbeschränkungen prinzipiell zulässig sind.827 Die materiell-rechtliche Wirksamkeit derartiger vertraglicher Absprachen, insbesondere ob diese wirksam zustande gekommen sind, richtet sich hingegen nach dem Vertragsstatut.828 Schließlich unterliegen dem Deliktsstatut auch die Gründe für einen Ausschluss oder eine gesetzliche Beschränkung der Haftung, so dass auch Einwendungen, Einreden sowie die Verjährung829 umfasst sind.830 Aus Art. 15 lit. a Rom II ergibt sich ferner, dass sowohl Tatbestandsvoraussetzungen als auch Rechtsfolgen einer unerlaubten Handlung durch das Deliktsstatut geregelt werden.831 Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Verschuldens- oder Gefährdungshaftung handelt.832 Zu den Tatbestandsvoraussetzungen zählen etwa der Kreis der geschützten Rechtsgüter, die Rechtswidrigkeit, die Kausalität, das Verschulden, die Deliktsfähigkeit und die Haftung für Dritte (vgl. Art. 15 lit. g Rom II), so dass das Deliktsstatut auch für die Frage zuständig ist, unter welchen Voraussetzungen der Telemediziner für ein Fehlverhalten des Primärarztes einzustehen hat.833 Unter den Rechtsfolgen sind auch, wie Art. 15 lit. a Rom II zeigt, die Schadensersatzart, der -umfang und die -höhe zu verstehen.834 2. Sonderfall Verhaltensnormen, Art. 17 Rom II Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob auch Verhaltensnormen, wie beispielsweise der gesetzliche, ärztliche Sorgfaltsmaßstab, vom Deliktsstatut umfasst sind oder ob diese der Rechtsordnung am jeweiligen Handlungsort zu entnehmen sind. Es kann nämlich sein, ja ist bei außereuropäischen Telemedizinanwendungen sogar wahrscheinlich, dass die Verhaltenspflichten des Deliktsstatuts nicht mit denjenigen am Handlungsort übereinstimmen. Sogar der Fall, dass die Verhaltenspflichten des Deliktsstatuts von dem Telemediziner ein Verhalten verlangen, das ihm die Rechtsordnung am Handlungsort untersagt, ist denkbar. Aber auch die spiegelbildliche Konstellation ist vorstellbar.
827
Vgl. zur Zulässigkeit von Freizeichnungsklauseln im deutschem Sachrecht oben Kapitel 3, § 3, D. 828 Junker in MüKo, Art. 15 Rom II Rn. 12; so auch schon Böcker, Differenzierte Regelbildung, S. 214. 829 Vgl. BGHZ 71, 175, 176 f.; Thorn in Palandt, BGB, Art. 15 Rom II Rn. 10. 830 Junker in MüKo, Art. 4 Rom II Rn. 60 i.V.m. Art. 15 Rom II Rn. 12. 831 Junker in MüKo, Art. 15 Rom II Rn. 7–14. 832 Junker in MüKo, Art. 15 Rom II Rn. 8. 833 Im deutschen Sachrecht bei hier vertretener Qualifikation §§ 278, 831 BGB. 834 Kropholler, IPR, § 53 IV 7.
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Nach bisher herrschender Meinung sollte in solchen Fällen, ohne dass es sich um eine Sonderanknüpfung handelt, eine Anpassung der Verhaltensnormen der lex causae an diejenigen am Handlungsort erfolgen.835 Klassisches Beispiel hierfür sind Ski- und Straßenverkehrsunfälle. Aber auch hinsichtlich der ärztlichen Aufklärungspflicht, die als Basis für die wirksame Einwilligung des Patienten dient, ist die Auffassung vertreten worden, dass sich diese selbst dann nach dem Recht des Behandlungsortes richtet, wenn die Haftung einem anderen Recht unterliegt.836 Dies soll auch im Rahmen der Telemedizin gelten.837 Neuerdings ist diese Frage, im Sinne der bisher herrschenden Meinung, in Art. 17 Rom II geregelt. Danach sind im Rahmen der Haftung des Telemediziners faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln am Handlungsort zu berücksichtigen. Art. 17 Rom II ist keine echte Kollisionsnorm, weshalb vielmehr weiterhin das nach den Kollisionsnormen bestimmte Recht gilt.838 Die örtlichen Verhaltens- und Sicherheitsvorschriften werden lediglich im Rahmen der sachrechtlichen Bewertung als Maßstab für verkehrsgerechtes Verhalten herangezogen.839 Gegen eine ausschließliche Beachtung der Verhaltensregeln am Ort der telemedizinischen Handlung spricht jedoch, dass die Tätigkeit des Telemediziners nicht auf den Ort der Handlung beschränkt ist. Vielmehr wirkt sich die Handlung eben gerade am Erfolgsort aus, so dass die dortigen Maßstäbe eingehalten werden müssen.840 Teleärztliche Sorgfaltspflichten sind insoweit nicht ortsgebunden, da der Telemediziner nicht gehindert ist, die gegebenenfalls höheren Maßstäbe am Behandlungsort zu erfüllen. Insoweit sind die Fälle der Telemedizin nicht mit solchen von Straßenverkehrsunfällen vergleichbar. In Letzteren ist man häufig gerade daran gehindert, die Sorgfaltspflichten des Deliktsstatuts zu erfüllen, da die Richtigkeit des einen Verhaltens gleichzeitig ein anderes ausschließt. Im Rah835
BGHZ 34, 222, 226; 57, 265, 267; 87, 95, 97 f.; 90, 294, 298; 119, 137, 140; BGH, JZ 1996, 153, 153 f.; OLG-Hamm, NJW-RR 2001, 1537, 1537; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 205; Fischer in FS Laufs, 781, 784; Von Hoffmann in Staudinger (2001), Vorbem. zu Art. 40 ff EGBGB Rn. 58. 836 Deutsch in FS Ferid, 117, 130 für Fälle in denen das Ortsrecht strengere Anforderungen aufstellt als das Deliktsstatut. 837 Hoppe, MedR 1998, 462, 466. 838 Junker in MüKo, Art. 17 Rom II Rn. 22; Thorn in Palandt, BGB, Art. 17 Rom II Rn. 2; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 258. 839 Thorn in Palandt, BGB, Art. 17 Rom II Rn. 2; Junker in MüKo, Art. 17 Rom II Rn. 22. 840 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 161; Siehe auch Thorn in Palandt, BGB, Art. 17 Rom II Rn. 3; Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 258.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
men der Telemedizin gibt es aber gerade keine dem Rechts-/Linksverkehr vergleichbare Regelung, die ein solches Ausschlussverhältnis begründen würde. Vielmehr geht es bei der grenzüberschreitenden Telemedizin darum, dass der allgemeine Sorgfaltsmaßstab für ärztliche Heilbehandlungen am Erfolgsort eingehalten wird. Würde man diesen zu den örtlichen Sicherheits- und Verhaltensregeln im Sinne des Art. 17 Rom II zählen und somit für eine faktische Berücksichtigung freigeben, bliebe für die durch Art. 4 Abs. 1 oder Abs. 2 zur Anwendung berufene Sachrechtsordnung zu wenig übrig.841 Weiter kann von dem Telemediziner verlangt werden, dass er die gegebenenfalls höheren allgemeinen Sorgfaltspflichten im Behandlungsstaat des Patienten erfüllt. Zwar kann nicht geleugnet werden, dass der Telemediziner sich im Hinblick auf die Existenz und den Umfang von allgemeinen Sorgfaltspflichten an den Regeln an seinem Niederlassungsort orientieren wird.842 Dies alleine genügt jedoch nicht, um eine ausschließliche Anwendung der Sorgfaltsverpflichtungen des Handlungsortes zu begründen, weil der grenzüberschreitend tätige Telemediziner gerade weiß, dass er einen Patienten in einem anderen Staat behandelt und hierdurch unter Umständen auch schädigt.843 Somit weiß er auch, dass er mit seiner Behandlung Personen trifft, die einer anderen Rechtsordnung entstammen. Der damit verbundene Nachforschungsaufwand ist dem Telemediziner auch zumutbar. Diese Überlegungen werden dadurch verstärkt, dass der Telemediziner, wie noch zu zeigen sein wird844, grundsätzlich einer Approbation im Behandlungsstaat bedarf und sich folglich den dort geltenden medizinischen Verhaltenspflichten zu unterwerfen hat. Zusammenfassend gilt es aus diesen Gründen festzuhalten, dass die telemedizinische Dienstleistung den Sicherheits- und Verhaltensvorschriften des Empfängerlandes genügen muss.845
841
Vgl. Junker in MüKo, Art. 17 Rom II Rn. 16. Deutsch FS Ferid, 117, 130. 843 Vgl. zum Erfordernis der Vorhersehbarkeit im Rahmen der bei Art. 17 Rom II notwendigen Angemessenheitsprüfung, Thorn in Palandt, BGB, Art. 17 Rom II Rn. 3; Wagner, IPRax 2008, 1, 5. 844 Vgl. dazu unten Kapitel 4, § 5. 845 Vgl. auch die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Nutzen der Telemedizin für Patienten, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft vom 04.11.2008, KOM (2008) 689 endg., S. 11; in diese Richtung auch Schwenzfeier, Kollisionsrechtliche Anknüpfung des Behandlungsverhältnisses, S. 261. 842
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B. Kollisionsrecht der Persönlichkeitsverletzungen In Art. 1 Abs. 2 Rom II sind eine Reihe von außervertraglichen Schuldverhältnissen genannt, die nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung fallen. Von Interesse ist im Rahmen der Telemedizin die Ausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom II, wonach außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht den Kollisionsregeln der Rom II unterfallen. Ansprüche aus einem außervertraglichen Schuldverhältnis aufgrund einer Verletzung der Intimsphäre und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind daher grundsätzlich weiterhin nach den Kollisionsregeln des jeweiligen nationalen internationalen Privatrechts (in Deutschland denen des EGBGB) anzuknüpfen.846 Folglich werden Ansprüche aufgrund unerlaubter Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten im Rahmen telemedizinischer Behandlungen auch bei EUautonomer Qualifikation grundsätzlich nach den Anknüpfungsregeln der Art. 40 f. EGBGB beurteilt, da diese – im deutschen Sachrecht insbesondere im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß § 823 Abs. 1 BGB – zivilrechtliche Persönlichkeitsverletzungen darstellen können.847 I. Kollisionsrechtliche Behandlung des § 7 BDSG Freilich sind, wie im Sachrechtsteil dieser Arbeit gezeigt wurde848, noch andere Anspruchsgrundlagen denkbar, aufgrund derer der Patient Ansprüche gegen den Primärarzt oder den Telemediziner haben kann, sofern dieser unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen personenbezogenen Daten verarbeitet. Zu denken ist im deutschen Sachrecht insbesondere an § 7 BDSG, in anderen Mitgliedstaaten an die jeweilige nationale Umsetzung des Art. 23 DSRL. Hinsichtlich dieser Anspruchsgrundlage ist fraglich, ob sie – wie teilweise in der rechtswissenschaftlichen Literatur angenommen wird849 – über das allgemeine Deliktsstatut der Art. 40 ff. EGBGB zur Anwendung berufen werden kann. Dagegen spricht, dass das BDSG mit § 1 Abs. 5 S. 1,
846
Thorn in Palandt, BGB, Art. 1 Rom II Rn. 15; Hohloch in Erman, Art. 40 EGBGB Rn. 53. 847 Vgl. statt vieler OLG Hamm, ZIP 1983, 552, 552 f.; NJW 1996, 131, 131 f.; Koch, RDV 1991, 105, 107; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 167; Jotzo, MMR 2009, 232, 233; Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 40 EGBGB Rn. 65 m.w.N. 848 Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 3, § 3, E. 849 Siehe Jotzo, MMR 2009, 232, 233.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
2 BDSG eine eigene, spezielle Kollisionsnormen enthält.850 Nach der Kollisionsnorm des § 1 Abs. 5 S. 1 BDSG sind die Regelungen des BDSG und damit auch § 7 BDSG nicht zur Anwendung berufen, sofern eine in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder einem anderen EWR-Vertragsstaat liegende verantwortliche Stelle personenbezogene Daten im Inland verarbeitet oder nutzt, es sei denn, dies erfolgt durch eine Niederlassung in Deutschland. Durch diese Regelung soll erreicht werden, dass sich ein international tätiges Unternehmen bei Aktivitäten innerhalb der EU beziehungsweise des EWR nicht mit vielen, gegebenenfalls unterschiedlichen nationalen Datenschutzgesetzen auseinandersetzen muss, sondern sein Handeln an seinem gewohnten Datenschutzrecht ausrichten kann. Eine solche Regelung erscheint sinnvoll, da die Datenschutzregeln innerhalb der EU und des EWR aufgrund der DSRL ähnlich sind und daher grundsätzlich das gleiche oder zumindest ein vergleichbares Datenschutzniveau gewährleisten.851 Nach der Kollisionsnorm des § 1 Abs. 5 S. 2 BDSG sind die Regelungen des BDSG und damit auch § 7 BDSG zwar zur Anwendung berufen, sofern eine verantwortliche Stelle, die nicht in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem anderen Vertragsstaat des EWR belegen ist, personenbezogene Daten verarbeitet oder nutzt. Dieser kollisionsrechtliche Anwendungsbefehl wird jedoch, ausweislich des Wortlauts des § 1 Abs. 5 S. 2 BDSG, nur dann ausgesprochen, wenn die Datenverarbeitung im Inland, also in Deutschland, erfolgt. Hinsichtlich der Fälle, in denen die Verarbeitung personenbezogenen Daten hingegen im Ausland erfolgt, spricht die Kollisionsregel des § 1 Abs. 5 S. 2 BDSG keinen Anwendungsbefehl für die datenschutzrechtlichen Regelungen des BDSG aus, so dass diese Regelungen in diesen Fällen nicht zur Anwendung berufen sind. Diese kollisionsrechtliche Entscheidung des Gesetzgebers darf nicht dadurch umgangen werden, dass § 7 BDSG nach den Kollisionsregeln des allgemeinen Deliktsstatuts der Art. 40 ff. EGBGB zur Anwendung berufen wird.852 Vielmehr muss man, will man sich nicht über den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen, davon ausgehen, dass § 7 BDSG nur dann zur Anwendung berufen wird, wenn auch die sonstigen Vorschriften des BDSG nach Maßgabe der speziellen Kollisionsregeln des § 1
850
Diese dienen der Umsetzung des Art. 4 und Art. 17 Abs. 3 2. Spiegelstrich DSRL; vgl. dazu ausführlich Dammann in Simitis, BDSG, § 1 BDSG Rn. 197–238. 851 Freilich hat diese Regelung für die gleichwohl zuständigen nationalen Aufsichtbehörden (§§ 1 Abs. 5 S. 5, 38 Abs. 1 S. 1) zur Folge, dass sie sich mit der Anwendung diverser nationaler Datenschutznormen der EU-Staaten auseinanderzusetzen haben. 852 A.A. Jotzo, MMR 2009, 232, 233.
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Abs. 5 S. 1, 2 BDSG zur Anwendung berufen sind.853 Dies kann jedoch, wie soeben gezeigt wurde, nur dann der Fall sein, wenn die Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten in Deutschland erfolgt, da es andernfalls an dem nötigen Inlandsbezug fehlt.854 Die speziellen Kollisionsregeln des § 1 Abs. 5 S. 1, 2 BDSG verdrängen in ihrem sachlichen Anwendungsbereich, also hinsichtlich aller Vorschriften des BDSG einschließlich des § 7 BDSG, die allgemeinen Kollisionsregeln des EGBGB im Wege der Spezialität.855 Freilich stellt sich bei hier vertretenen Sichtweise sogleich die Frage, wann Patientendaten durch den Telemediziner in Deutschland verarbeitet werden. Unter Verarbeitung ist nach § 3 Abs. 4 BDSG das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen personenbezogener Daten zu verstehen. Derartige Maßnahmen durch einen Telemediziner erfolgen im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen nach Deutschland regelmäßig ausschließlich im Ausland, so dass das BDSG nicht aufgrund von Veränderungen der Patientendaten in Deutschland zur Anwendung berufen ist. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn der Telemediziner die Datenverarbeitung in einem in Deutschland belegenden EDV-System durchführt.856 Die zivilrechtliche Zuordnung der EDV-Anlage ist dabei unerheblich. Es genügt, wenn der Telemediziner die Datenverarbeitung kontrolliert.857 II. Kollisionsrechtliche Behandlung von Ansprüchen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach dem EGBGB Wie bereits gezeigt wurde, kann bei einer besonders schwerwiegenden Verletzung des Datenschutzes der Patient in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen sein.858 Ist dies der Fall, ist im deutschen Sachrecht ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB denkbar. Ein solcher Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB gegen den Telemediziner oder den Primärarzt ist beispielsweise in Betracht zu ziehen, wenn auf datenschutzwidrige Art und Weise unrichtige oder ehrverletzende personenbezogene Daten an Dritte übermittelt wurden. Welche Rechtsordnung für die Beurtei-
853
Auch Dammann in Simitis, BDSG § 1 BDSG Rn. 216 geht davon aus, dass durch die Regelung des § 1 V 2 BDSG die allgemeinen Kollisionsregeln des IPR im Wege der Spezialität verdrängt werden. 854 Jandt, DuD 2008, 664, 668. 855 Jandt, DuD 2008, 664, 668; Dammann in Simitis, BDSG, § 1 BDSG Rn. 216. 856 Vgl. Dammann in Simitis, BDSG § 1 BDSG Rn. 220. 857 Vgl. Dammann in Simitis, BDSG, § 1 BDSG Rn. 220. 858 Vgl. dazu schon ausführlich oben Kapitel 3, § 3, E, III und IV.
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lung solcher Persönlichkeitsverletzungen zur Anwendung berufen ist, beurteilt sich nach den Kollisionsregeln der Art. 40 ff. EGBGB. 1. Rechtswahl nach Art. 42 EGBGB Nach dem Kollisionsrecht des EGBGB für außervertragliche Schuldverhältnisse aus Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist eine Rechtswahl nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses möglich und geht einer objektiven Bestimmung des Deliktsstatuts vor.859 Hinsichtlich der Voraussetzungen einer nachträglichen Rechtswahl kann, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, auf die oben zu Art. 14 Rom II erarbeiteten Voraussetzungen einer nachträglichen Rechtswahl verwiesen werden, da diese identisch sind.860 2. Objektive Anknüpfung a) Grundregel des Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB Ist eine Rechtswahl nicht erfolgt, ist das Deliktsstatut objektiv zu bestimmen. In Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist die Tatortregel als Grundanknüpfung normiert. Danach ist das Recht des Staates, in dem die unerlaubte Handlung begangen wurde, anzuwenden. Tatort ist dabei grundsätzlich der Handlungsort, wie sich bereits aus der Formulierung „in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat“ des Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB ergibt. aa) Rechtswidrige Datenverarbeitung durch den Telemediziner Daraus ergibt sich, dass außervertragliche Ansprüche des Patienten gegen den ausländischen Telemediziner aufgrund unerlaubter Datenverarbeitung und einer daraus resultierenden Persönlichkeitsrechtsverletzung nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB grundsätzlich der Rechtsordnung am Handlungsort unterliegen. Freilich stellt sich dabei die Frage, wo dieser Ort bei Datenschutzverletzungen zu lokalisieren ist. Diese Frage wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht einheitlich beurteilt. Einige lokalisieren den Handlungsort dort, wo die Daten tatsächlich verarbeitet werden.861 In der Folge würde der Handlungsort bei grenzüberschreitenden telemedizinischen Anwendungen im Ausland liegen, da der Telemediziner dort die Patientendaten nutzt und verarbeitet beziehungsweise von dort aus
859 Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 42 EGBGB Rn. 4; Wagner in AnwK-BGB, Art. 42 EGBGB Rn. 3. 860 Vgl. oben Kapitel 4, § 4, A, I. 861 Bergmann, Grenzüberschreitender Datenschutz, S. 245; Koch, RDV 1991, 105, 108 f.
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übermittelt. Diese Lokalisierung des Handlungsortes wird zwar dem natürlichen Handlungsbegriff gerecht, kann aber in der Rechtspraxis enorme Schwierigkeiten bereiten. Aufgrund der globalen Vernetzung und der Möglichkeit des schnellen Datenaustauschs in grenzüberschreitenden Datennetzen wie dem Internet gestaltet sich die Lokalisierung des entscheidenden Verarbeitungsvorgangs unter Umständen extrem schwierig, sofern sie praktisch überhaupt möglich ist.862 Deshalb halten es Teile der rechtswissenschaftlichen Literatur für sinnvoller, auf den Geschäftssitz des Datenverarbeiters als Haupthandlungsort abzustellen.863 Für die hier untersuchungsgegenständlichen Persönlichkeitsverletzungen im Rahmen von grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen gelangen die genannten Ansichten jedoch fast immer zu denselben Ergebnissen, da der Telemediziner meist in seiner Praxis beziehungsweise im Krankenhaus die ihm übersandten Patientendaten verarbeiten wird, so dass auf diesen Streit hier nicht näher eingegangen werden muss. Teile der rechtswissenschaftlichen Literatur gehen aber noch einen Schritt weiter indem sie sich vom Ubiquitätsprinzip des Art. 40 EGBGB abwenden und eine grundsätzliche Anknüpfung an den Wohnort des Patienten864 oder an den Geschäftssitz des Telemediziners865 postulieren. Einem derartigen Vorgehen steht nicht nur die Regelung des Art. 40 EGBGB entgegen, vielmehr besteht für eine solche Vorgehensweise auch weder ein Bedürfnis noch eine Rechtfertigung. Gemäß Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB beurteilen sich Persönlichkeitsrechtsverletzungen des Patienten durch den Telemediziner daher grundsätzlich nach dem Recht am Handlungsort. Den kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten an der Anwendung des Erfolgsortrechts ist durch die Möglichkeit der einseitigen Bestimmung des
862 Bothe/Kilian, Grenzüberschreitende Datenflüsse, S. 394; Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 40 EGBGB Rn. 69; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 169. 863 So auch Wochner, Persönlichkeitsschutz im grenzüberschreitenden Datenverkehr, S. 320 f.; Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 40 EGBGB Rn. 69; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 169; Link, Telemedizin, S. 294, 296; Jotzo, MMR 2009, 232, 233. 864 Vgl. etwa Bothe/Kilian, Grenzüberschreitende Datenflüsse, S. 394; Rigaux, Rev. crit. dr. int. priv. 1980, 443, 452, 462, 470 f; zur Bestimmung des auf die Beziehung zwischen Datenverwender und Geschädigtem anwendbaren Rechts stützt sich Rigaux auf die savignysche Methode, den Sitz eines Rechtsverhältnisses (siège du rapport de droit) zu ermitteln und danach das anwendbare Recht zu ermitteln. Weil der Datenschutz dazu bestimmt sei, die Privatsphäre (vie privée) des Geschädigten zu schützen, sei der Sitz dieses Rechtsverhältnisses dort zu lokalisieren, wo der Geschädigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. 865 Vgl. Hondius, NILR 30 (1983) 103, 120 f.
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Erfolgsortrechts nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB – auf das noch näher einzugehen sein wird866 – hinreichend Rechnung getragen. Ansprüche des Patienten gegen den Telemediziner aus Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht beziehungsweise aufgrund unzulässiger Datenverarbeitung unterliegen folglich grundsätzlich der Rechtsordnung am Handlungsort respektive dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Telemediziners, regelmäßig also der Rechtsordnung am – aus Sicht des Patienten – ausländischen Praxis- oder Klinikort des Telemediziners. bb) Rechtswidrige Datenverarbeitung durch den Primärarzt Aus dem bisher Gesagten ergibt sich ferner, dass Ansprüche des Patienten gegen den Primärarzt aus unerlaubter Datenerhebung, -nutzung oder verarbeitung nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB grundsätzlich anhand der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt des Primärarztes zu beurteilen sind. Begibt sich ein Patient zur Gesundheitsbehandlung in die Praxis eines deutschen Arztes und werden im Rahmen dieser Behandlung in unzulässiger Weise Daten an einen Telemediziner oder gar Dritte versandt, richten sich daraus resultierende Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Primärarzt daher grundsätzlich nach deutschem Sachrecht. b) Bestimmungsrecht nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB bei Distanzdelikten Bei dieser Anknüpfung bleibt es im Grundsatz auch dann, wenn der Deliktserfolg in einem anderen Staat eingetreten ist, es sich bei der unerlaubten Handlung also um ein sogenanntes Distanzdelikt handelt, es sei denn, der Geschädigte hat rechtzeitig von seinem, ihm nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB zustehenden Bestimmungsrecht Gebrauch gemacht. Durch dieses ist es ihm möglich, im Wege einer einseitigen Bestimmung festzulegen, dass statt des Rechts des Handlungsortes das Recht des Erfolgsortes angewandt wird.867 Für die Ansprüche wegen unrechtmäßiger Datenverarbeitung im Rahmen der Telemedizin bedeutet dies, dass der Patient die Möglichkeit hat, das Sachrecht an seinem gewöhnlichen Aufenthalt einseitig zu bestimmen.868 Zur Ausübung dieses Rechts hat er allerdings die zeitliche Grenze des Art. 40 Abs. 1 S. 3 EGBGB zu beachten. Nach dieser Vorschrift kann
866
Vgl. dazu unten Kapitel 4, § 4, B, II, 2, b). Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 29. 868 Vgl. Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 169; Jotzo, MMR 2009, 232, 233; Link, Telemedizin, S. 295; Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 40 EGBGB Rn. 69; für Persönlichkeitsverletzungen allgemein Von Hinden, Persönlichkeitsverletzungen, S. 168 ff., insb. 175–179. 867
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der Patient sein Bestimmungsrecht nur im ersten Rechtszug bis zum Ende des frühen ersten Termins oder dem Ende des schriftlichen Vorverfahrens ausüben.869 Macht ein Patient mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland von diesem Bestimmungsrecht Gebrauch, gelangt auf den Verstoß gegen Datenschutzrecht des ausländischen Telemediziners oder des deutschen Primärarztes deutsches Sachrecht und damit § 823 Abs. 1 BGB zur Anwendung. Dagegen wird teilweise vorgebracht, dass dies unzulässigerweise dazu führe, dass sich die Datenverarbeitung durch den Telemediziner an unterschiedlichen, unter Umständen zahllosen potentiell anwendbaren nationalen Sachrechtsordnungen ausrichten muss, da andernfalls Haftungsrisiken bestehen.870 Bei dieser Argumentationsweise werden jedoch zwei unterschiedliche Fragen nicht hinreichend sorgfältig voneinander getrennt: Hier geht es um die Ermittlung des Deliktsstatuts. Davon streng zu unterscheiden ist die Bestimmung des Anwendungsbereichs von bestimmten Datenschutzvorschriften, die den zulässigen Datenumgang beschränken. Diese Schutzvorschriften können zwar auch im Rahmen der deliktischen Haftung wegen Persönlichkeitsverletzungen im Zusammenhang mit Datenschutzverstößen von Bedeutung sein, etwa wenn es um die Frage geht, ob eine bestimmte Form der Datenverarbeitung rechtswidrig war. Dennoch sind sie kollisionsrechtlich selbstständig anzuknüpfen, da ein widerrechtlicher Datenumgang primär eine Persönlichkeitsverletzung, genauer eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, darstellt.871 In der Folge ist es zwar zutreffend, dass nationale, meist öffentlichrechtliche Datenschutzvorschriften nur am Ort der Datenverarbeitung gelten und folglich grundsätzlich auch nur dort zu beachten sind.872 Dies gilt aber nicht für aus einem Verstoß gegen derartige Datenschutzvorschriften resultierende schadensrechtliche Konsequenzen.873 Diese unterliegen dem Deliktsstatut des EGBGB und damit dem aus Art. 40 Abs. 1 EGBGB resultierenden Ubiquitäts- und Günstigkeitsprinzip. Freilich bedeutet dies, dass der Telemediziner zur Haftungsvermeidung die Datenschutzrechte aller Staaten zu beachten hat, in welchen der tatbestandsmäßige Erfolg einer Persönlichkeitsverletzung durch unzulässigen
869 Insoweit ergeben sich keine telemedizinspezifischen Besonderheiten, so dass diesem Aspekt nicht näher nachgegangen wird; vgl. dazu statt vieler Wagner in AnwKBGB, Art. 40 EGBGB Rn. 31. 870 Vgl. dazu Bergmann, Grenzüberschreitender Datenschutz, S. 239 ff., insb. S. 244 f. 871 Jotzo, MMR 2009, 232, 233. 872 Vgl. bspw. nur die Kollisionsregelung des § 1 V BDSG, die jedenfalls erfordert, dass die Datenerhebung, -nutzung oder -verarbeitung in Deutschland stattgefunden hat. 873 Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 40 EGBGB Rn. 69; Jotzo, MMR 2009, 232, 233; Koch, RDV 1991, 105, 109.
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Datenumgang potentiell eintreten kann, so dass im Ergebnis also das strengste in Betracht kommende Datenschutzrecht den Verhaltensmaßstab bestimmt.874 Dies ist jedoch eine Folge der in der gesetzlichen Ubiquitätsregel des Art. 40 EGBGB liegenden Begünstigung des Patienten und daher hinzunehmen.875 Aber auch aufgrund praktischer Erwägungen ist eine ausschließliche Anknüpfung an den Handlungsort der Datenverarbeitung abzulehnen. Durch die alternative Anknüpfung an den Erfolgsort nach Maßgabe des Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB ist es dem Telemediziner hinsichtlich Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Datenverarbeitung verwehrt, Abweichungen innerhalb der einzelnen nationalen Datenschutzgesetze gezielt auszunutzen, indem er die Datenverarbeitung oder gar seinen Geschäftssitz in einen Staat ohne – oder mit weniger strengen – Datenschutzvorschriften (sogenannte „data havens“) verlagert.876 Zwar bilden die Übermittlungsvorschriften der Datenschutzgesetze, insbesondere die behördliche Kontrolle grenzüberschreitender Datenflüsse, unter Umständen eine gewisse Sicherung gegen die Ausnutzung solcher „data havens“, weil sie die Übermittlung in solche Länder nicht zulassen. Die Erfolgsaussichten solcher Kontrollvorschriften beruhen jedoch in hohem Maß auf der Kooperationsbereitschaft des inländischen Primärarztes mit den Aufsichtsund Genehmigungsbehörden, da diese nach ihrer personellen und auch technischen Ausstattung nicht sicherstellen können, dass keine unzulässige Datenübermittlung ins Ausland stattfindet. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig sinnvoll, die Flucht in „data havens“ zusätzlich dadurch zu fördern, dass damit zusammenhängende Haftungsfragen ausschließlich nach der Rechtsordnung am Ort der Datenverarbeitung beurteilt werden. Vielmehr hat der Patient durch Anwendung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB stets die Möglichkeit, sich auf den eigenen Datenschutzstandard zu berufen. Insofern müssen wirtschaftliche Erwägungen des Telemediziners hinter dem Interesse des Patienten zurücktreten.877 Für den Patienten, dem unter Umständen die Kenntnis von der Verarbeitung seiner medizinischen Daten im Ausland fehlt, bleibt durch die Möglichkeit einer Anknüpfung an sein Wohnsitzrecht der Umfang der ihm zustehenden Rechte überschaubar und berechenbar. Freilich ist bei der sachrechtlichen Beurteilung des haftungsbegründenden Verhaltens des Telemediziners, trotz Anwendung des deutschen Deliktsrechts, die Verletzung oder Nichtverletzung des 874 Koch, RDV 1991, 105, 109; Bothe/Kilian, Grenzüberschreitende Datenflüsse, S. 394. 875 Vgl. Rigaux, Rev. crit. dr. int. priv. 1980, 443, 477; Bothe/Kilian, Grenzüberschreitende Datenflüsse, S. 394. 876 Vgl. Ellger, Datenschutz, 589; Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 40 EGBGB Rn. 69. 877 Vgl. Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 40 EGBGB Rn. 69.
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jeweiligen ausländischen Datenschutzgesetzte als Auslandssachverhalt zu berücksichtigen, soweit dies angemessen ist.878 c) Sonderregel des Art. 40 Abs. 2 EGBGB Art. 40 Abs. 2 EGBGB enthält mit der sogenannten Domizilregel, also der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, eine zweite Grundanknüpfung zur Bestimmung des Deliktsstatuts. Danach ist das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort anzuwenden, sofern sowohl Schädiger als auch Geschädigter im Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hatten. In diesen Fällen geht diese Anknüpfung der Grundanknüpfung nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB vor, ist also lex specialis. Da sie aber wie Art. 40 Abs. 1 EGBGB im Verhältnis zu Art. 41 EGBGB als Regelanknüpfung fungiert, ist sie auch gleichzeitig Grundanknüpfung. Mit der Sonderregel des Art. 40 Abs. 2 EGBGB wird der Tatsache Rechnung getragen, dass auch ein persönliches Kriterium wie der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt von Schädiger und Geschädigtem die engste Verbindung zwischen einer unerlaubten Handlung und einer bestimmten Rechtsordnung herstellen kann.879 In dem unwahrscheinlichen Fall, dass Patient und Telemediziner im Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses, also im Zeitpunkt der persönlichkeitsrechtsverletzenden Datenverarbeitung, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hatten – zu denken wäre beispielweise an den Fall, dass ein Hausarzt seinen Patienten während eines Urlaubs im Ausland via Telemedizin weiterbehandelt und dabei erlangte Patienteninformationen aus dem Ausland unerlaubterweise an Dritte übermittelt oder dass ein deutscher Arzt während seinem Auslandsurlaub aus Deutschland heraus von einem deutschen Primärarzt konsultiert wird und im Anschluss an diese Konsultation die erlangten, medizinischen Daten vom Ausland aus unzulässigerweise verarbeitet – wird also für das Rechtsverhältnis aus unerlaubter Handlung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung die Rechtsordnung des gemeinsamen Heimatstaates zur Anwendung berufen. Einen häufigen Anwendungsbereich erlangt die Sonderregelung des Art. 40 Abs. 2 EGBGB aber im Verhältnis zwischen Patient und Primärarzt. Diese werden ganz überwiegend einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben, so dass auf das deliktische Rechtsverhältnis zwischen Patient und Primärarzt aus Verletzung des Rechts auf informationel-
878 Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 169; Sonnenberger in FS Hendrich, 575, 582 f. 879 Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 52.
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le Selbstbestimmung regelmäßig die Rechtsordnung des gemeinsamen Heimatstaates zur Anwendung berufen ist. d) Ausweichklausel des Art. 41 EGBGB Art. 41 EGBGB enthält eine, mit der Regelung des Art. 4 Abs. 3 Rom II vergleichbare, Ausweichklausel, die eine von Art. 40 Abs. 1 und 2 EGBGB abweichende Anknüpfung ermöglicht, wenn der Sachverhalt nach den Umständen des Einzelfalls eine wesentlich engere Beziehung zu einer anderen Rechtsordnung als zu derjenigen aufweist, die nach der Regelung des Art. 40 Abs. 1 und 2 EGBGB anzuwenden wäre.880 Aus der Achtung der Parteiautonomie ergibt sich, dass eine nach Art. 42 EGBGB wirksam getroffene Rechtswahl nicht der Korrekturmöglichkeit des Art. 41 EGBGB offensteht.881 In Art. 41 Abs. 2 EGBGB finden sich zwei, weder zwingende noch abschließende, Fallgruppen, die zur Annahme einer wesentlich engeren Verbindung und damit zu einer Abweichung von Art. 40 EGBGB führen können. Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB nennt zunächst die akzessorische Anknüpfung an eine besondere rechtliche oder tatsächliche Beziehung zwischen den Beteiligten, die im Zusammenhang mit dem außervertraglichen Schuldverhältnis steht. Eine solche Rechtsbeziehung kann insbesondere ein zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten bestehender Vertrag darstellen. Damit eröffnet Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB die Möglichkeit einer vertragsakzessorischen Anknüpfung. Eine solche hat insbesondere den Vorteil, dass sie einen Gleichlauf zwischen vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen erreicht. Dies ist freilich nur dann der Fall, wenn man die Verweisung in diesen Fällen als Sachnorm- und nicht als Gesamtverweisung versteht. Nur unter dieser Prämisse würde sich das Renvoiverbot des internationalen Vertragsrechts (Art. 20 Rom I) auch auf die außervertraglichen Ansprüche erstrecken.882 Die Annahme einer Sachnormverweisung erscheint in den Fällen einer vertragsakzessorischen Anknüpfung vorzugswürdig. Würde man in diesen Fällen eine Gesamtverweisung annehmen, würde dies dem Sinn der Verweisung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB widersprechen, da die mit der vertragsakzessorischen An-
880
Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 41 EGBGB Rn. 1; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 41 EGBGB Rn. 8. 881 Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 41 EGBGB Rn. 3; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 41 EGBGB Rn. 1; Wagner in AnwK-BGB, Art. 41 EGBGB Rn. 3. 882 Von Hein, ZVglRWiss 99 (2000), 251, 274; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 41 EGBGB Rn. 14, 27; Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 431 f.; Looschelders, VersR 1999, 1316, 1324; Heldrich in Palandt, BGB, Art. 40 EGBGB Rn. 2; Huber, JA 2000, 67, 72; Hohloch in Erman, Art. 41 EGBGB Rn. 4.
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knüpfung bezweckte einheitlich materiell-rechtliche Beurteilung zusammenhängender Rechtsfragen nicht gewährleistet wäre.883 aa) Vertragsakzessorische Anknüpfung im Verhältnis zwischen Patient und Telemediziner Besteht zwischen einem Patienten und einem Telemediziner ein Vertragsverhältnis, eröffnet Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB die Möglichkeit einer vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts.884 Durch eine solche Anknüpfung würde der Patient regelmäßig in seinem Bestimmungsrecht nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB beschnitten, da dieses „leerläuft“, weil der Vertrag zwischen dem Patienten und dem Telemediziner bei objektiver Anknüpfung regelmäßig der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt des Telemediziners und damit am Ort der Datenverarbeitung unterliegen würde. Nun ließe sich argumentieren dies sei hinnehmbar, da der Patient durch den Abschluss des Telemedizinvertrages regelmäßig in die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten durch den Primärbehandler beziehungsweise Telemediziner eingewilligt haben wird, so dass ihm regelmäßig keine Ansprüche aus Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gegen den Telemediziner zustehen werden.885 Sonderlich überzeugend wäre diese Auffassung freilich nicht, weil die Schadensersatzpflicht des Telemediziners nicht deshalb eintritt, weil er eine aus dem Telemedizinvertrag resultierende Pflicht verletzt, sondern weil er seiner gesetzlich bestehenden Pflicht zur Wahrung des Patientenrechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht hinreichend nachgekommen ist. Gerade deshalb werden Ansprüche aus Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen einhellig als deliktisch qualifiziert.886 Ferner würde es dem Telemediziner durch die Annahme einer vertragsakzessorische Anknüpfung wieder möglich, sogenannte „data havens“ auszunutzen, weil er durch die Wahl seines gewöhnlichen Aufenthaltes mittelbar die einzuhaltenden Datenschutzvorschriften bestimmen könnte, indem er
883
Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 41 EGBGB Rn. 14 m.w.N. Vgl. zur Funktionsweise und Voraussetzungen von Ausweichklauseln oben Kapitel 4, § 4, A, II, 3. 885 Dass die Einwilligung und der Vertrag nicht gleichgesetzt werden können wurde bereits gezeigt, so dass auf diesen Umstand hier nicht mehr näher eingegangen wird. Vgl. dazu oben Kapitel 4 den Absatz nach Fn. 193. 886 Vgl. nur Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 40 EGBGB Rn. 65 ff; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 169; Jotzo, MMR 2009, 232, 233; vgl. zur Qualifikation von Persönlichkeitsverletzungen auch Kubis, Int. Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, S. 13–16. 884
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mit dem Patienten ein Vertragsverhältnis eingeht. Ferner würde aus einer akzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts in Fällen, in denen Patient und Telemediziner das auf den Telemedizinvertrag anwendbare Recht durch Rechtswahl festgelegt haben, eine Umgehung der Regelung des Art. 42 S. 1 EGBGB resultieren.887 Nach dieser Regelung ist eine Rechtswahl für außervertragliche Schuldverhältnisse nur nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses möglich, weil der Schutzcharakter des Deliktsrechts gewahrt werden soll.888 Diese gesetzliche Regelung darf nicht dadurch ausgehebelt werden, dass eine vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses für den Telemedizinvertrag getroffene Rechtswahl über den Weg der vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts mittelbar auch das deliktische Schuldverhältnis erfasst. Andernfalls könnte mittelbar der national zwingende datenschutzrechtliche Mindestschutz abbedungen werden.889 Im Ergebnis ist eine vertragsakzessorische Anknüpfung des deliktischen Schuldverhältnisses zwischen Patient und Telemediziner aus Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung an ein zwischen Patient und Telemediziner geltendes Vertragsstatut daher abzulehnen.890 bb) Vertragsakzessorische Anknüpfung im Verhältnis zwischen Patient und Primärarzt Aus den soeben angestellten Überlegungen ergibt sich zugleich, dass auch eine vertragsakzessorische Anknüpfung des deliktischen Schuldverhältnisses zwischen Patient und Primärarzt wegen Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung an ein zwischen Patient und Primärarzt geltendes Vertragsstatut abzulehnen ist.
887
Dies erkennt auch Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 42 EGBGB Rn. 19, zieht daraus jedoch nicht die hier vertretenen Schlüsse. 888 Vgl. BR-Drucks. 759/98 S. 33 = BT Drucks. 14/343 S. 14; Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 400 f. und die Ausführungen zur Parallelproblematik im Rahmen der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II, oben Kapitel 4, § 4, A, II, 3. 889 Die sachrechtlichen Vorschriften des BDSG können weder durch Verzicht noch durch Freizeichnungsvereinbarungen, sei es in einer Individualvereinbarung oder in AGB´s, abbedungen werden. Es handelt sich also um national zwingendes Recht (ius cogens). Vgl. hierzu statt vieler Simitis in Simitis, BDSG § 7 BDSG Rn. 46 f. m.w.N. 890 A.A. Link, Telemedizin, S. 296.
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3. Rück- und Weiterverweisung Für die Grundverweisung nach Art. 40 EGBGB gilt die allgemeine Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 und 2 EGBGB.891 Danach handelt es sich bei den durch Art. 40 EGBGB ausgesprochenen Verweisungen grundsätzlich um Gesamtnormverweisungen, so dass ein Renvoi zu beachten wäre. Etwas anderes gilt nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 a.E. EGBGB jedoch dann, wenn die Annahme einer Gesamtverweisung dem Sinn der Verweisung widersprechen würde. Eine weitere Ausnahme von der Gesamtverweisung besteht nach Art. 4 Abs. 2 EGBGB, wenn der Ersatzpflichtige und der Geschädigte das anwendbare Recht durch Rechtswahl bestimmt haben. aa) Fallgruppen des Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB Ob in Fällen des Bestimmungsrechts des Verletzten nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB eine Sachnormverweisung anzunehmen ist, da die Annahme einer Gesamtverweisung in diesen Fällen dem Sinn der Verweisung widerspricht, wird kontrovers diskutiert.892 Das Bestimmungsrecht des Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB ist keine einseitige Rechtswahl im engeren Sinn, sondern wirkt sich vielmehr nur im Rahmen der objektiven Anknüpfung aus, indem die Verweisung auf das Recht am Handlungsort durch diejenige auf das Recht am Erfolgsort ausgetauscht wird. Folglich beurteilt sich die Verweisung nicht nach Art. 4 Abs. 2 EGBGB, sondern nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB. Dies streitet eher für die Annahme einer Gesamtverweisung, da Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB als Regelfall eine Gesamtnormverweisung vorsieht.893 Andererseits müssen aber auch die kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten berücksichtigt werden. Sein Interesse geht dahin, dass das für ihn gegebenenfalls günstigere, ihm jedenfalls vertraute Sachrecht an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort zur Anwendung gelangt.894 Die durch den Gesetzgeber gewählte 891 Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 235; Hohloch in Erman, Art. 40 EGBGB Rn. 12; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 40 EGBGB Rn. 51. 892 Sachnormverweisung: Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 424; Von Hoffmann in Staudinger (2001), vor Art. 40 EGBGB Rn. 70; Timme, NJW 2000, 3258, 3259; Wagner in AnwK-BGB, Art. 40 EGBGB Rn. 9; Hohloch in Erman, Art. 40 EGBGB Rn. 13; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 237; Thorn in Palandt, BGB, Art. 40 EGBGB Rn. 2; Gesamtverweisung: Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 40 EGBGB Rn. 51; Dörner in FS Stoll, 491, 495 f.; Looschelders, VersR 1999, 1316, 1324; 893 So daher auch Dörner in FS Stoll, 491, 495; Looschelders, VersR 1999, 1316, 1324; Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 40 EGBGB Rn. 59; Wagner in AnwK-BGB, Art. 40 EGBGB Rn. 9. 894 Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 424 f.; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 237; a.A. Looschelders, VersR 1999, 1316, 1317, 1324 wonach das
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Technik der Modifikation der Tatortregel zielt darauf ab, die Anknüpfung praktikabel zu gestalten; die Position des Geschädigten soll dadurch aber keinesfalls geschwächt werden.895 Man könnte also auf die Idee kommen den insoweit bedeutsamen kollisionsrechtlichen Interessen des Geschädigten dadurch Rechnung zu tragen, dass man in der Ausübung des Optionsrechts des Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB eine Sachnormverweisung sieht, so dass ein Renvoi ausgeschlossen ist. Der Patient könnte in der Folge sicher sein, dass das Sachrecht am Erfolgsort zur Anwendung gelangt. Sonderlich überzeugend wäre dies aber nicht. Würde man die kollisionsrechtlichen Interessen des Geschädigten bei der kollisionsrechtlichen Verweisung besonders betonen wollen, würde man eine objektive Anknüpfung an den Erfolgsort der unerlaubten Handlung vornehmen. Bei dieser würde es sich aber um eine Gesamtverweisung handeln, da man sich andernfalls über die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für eine prinzipielle Annahme von Gesamtverweisungen896 hinwegsetzen würde. Der geschädigte Patient könnte also nicht sicher sein, dass das Sachrecht am Erfolgsort zur Anwendung gelangt. Vielmehr bestünde die Möglichkeit einer Rück- oder Weiterverweisung. Warum der geschädigte Patient besser gestellt werden sollte, weil ihm der deutsche Gesetzgeber ein Bestimmungsrecht zugunsten des Erfolgsortes einräumt, vermag nicht recht einzuleuchten. Es macht keinen Unterschied, ob zugunsten des Patienten bereits objektiv mittels einer Gesamtverweisung auf den Erfolgsort abgestellt wird oder ob dem Patienten ein Bestimmungsrecht zugunsten des Erfolgsortes eingeräumt wird. Folglich überzeugt es nicht, wenn man den Patienten in der zweiten Alternative, die darüber hinaus Ausdruck der Unentschlossenheit des Gesetzgebers ist897, dadurch privilegieren würde, dass man eine Sachnormverweisung annimmt. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung898 widerspricht die Annahme einer Gesamtverweisung auch in Fällen des Art. 40 Abs. 2 S. 1 EGBGB, also in Fällen in denen der Primärarzt beziehungsweise der Telemediziner und der Patient im Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben, nicht dem Sinn der Verweisung, so dass nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB von einer Gesamtverweisung auszugehen ist.899 Art. 40 Abs. 2 S. 1 EGBGB enthält
Optionsrecht des Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB nicht die Besserstellung des Geschädigten bezwecke, sondern nur eine Verlegenheitslösung darstelle. 895 Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 237. 896 Vgl. BT-Drucks. 14/343 S. 8. 897 Vgl. dazu Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 40 EGBGB Rn. 1, 59. 898 Huber, JA 2000, 67, 73; Von Hoffmann, IPRax 1996, 1, 7. 899 Hohloch in Erman, Art. 40 EGBGB Rn. 14; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 40 EGBGB Rn. 238; ders., JZ 2000, 477, 481 f.; Spickhoff in Bamberger/Roth,
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keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verweisung als Sachnormverweisung zu verstehen sei. Ob es sich um eine Sachnormverweisung oder um eine Gesamtverweisung handelt beurteilt sich also nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB. Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme einer Gesamtverweisung dem Sinn der Verweisung widersprechen würde, sind nicht ersichtlich. Vielmehr verfolgt Art. 40 Abs. 2 S. 1 – wie jede andere Kollisionsnorm – den Zweck, den räumlichen Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses zu bestimmen. Bei diesem „normalen“ Zweck hat sich der Gesetzgeber aber ausdrücklich für eine Gesamtnormverweisung entschieden, wie Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB zeigt. Diese Entscheidung gilt es im Interesse der Rechtssicherheit zu beachten. bb) Fallgruppe des Art. 4 Abs. 2 EGBGB Ausweislich des Art. 4 Abs. 2 EGBGB handelt es sich, wenn die Parteien von ihrer Rechtswahlmöglichkeit nach Art. 42 EGBGB wirksam Gebrauch gemacht haben, nicht um eine Gesamtverweisung sondern um eine Sachnormverweisung. Haben ein Patient und ein Primärarzt beziehungsweise ein Patient und ein Telemediziner von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, ist ein Renvoi folglich ausgeschlossen.
§ 5 Approbationsstatut § 5 Approbationsstatut
Wie bereits im Rahmen der Untersuchung der Sachrechte festgestellt wurde, bedarf der Telemediziner bei innerdeutschen Telemedizinanwendungen gemäß § 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 5 BÄO einer Approbation als Arzt.900 Durch die staatliche Überwachung des Zugangs zum Heilberuf soll insbesondere ein qualitativer Mindeststandard der medizinischen Versorgung sichergestellt werden. Ferner soll die Allgemeinheit durch den Approbationsvorbehalt vor „Kurpfuschern“ und „Scharlatanen“ geschützt werden. Fraglich erscheint jedoch, ob der deutsche Approbationsvorbehalt auch für den ausländischen Telemediziner gilt, so dass er eine deutsche Approbation benötigen würde, wenn er nach Deutschland „hinein“ behandelt. Bei den Vorschriften über die Approbation handelt es sich um öffentlich-rechtliche Normen.901 Folglich werden sie, unabhängig von der bereits dargestellten Diskussion über die rechtliche Behandlung von EingriffsArt. 40 EGBGB Rn. 51; Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 421; Looschelders, VersR 1999, 1316, 1324; Heldrich in Palandt, BGB, Art. 40 EGBGB Rn. 1. 900 Vgl. oben Kapitel 2, § 2. 901 Vgl. oben Kapitel 2, § 2, A, I.
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normen, nicht von den allseitigen Verweisungen des internationalen Privatrechts erfasst902, da das internationale Privatrecht in Fällen mit Auslandsberührung nur die Funktion hat, die anwendbare Privatrechtsordnung zu bestimmen.903 Der Geltungsbereich der Approbationsvorschriften ist daher durch Herausarbeitung der in den jeweiligen öffentlich-rechtlichen Vorschriften enthaltenen rechtssatzbezogenen Element-Kollisionsnorm zu bestimmen. Es geht darum, durch umfassende Feststellung und Bewertung aller, auf die eine oder andere Rechtsordnung hinführenden kollisionsrechtlichen Interessen, die auf den jeweiligen Sachverhalt anzuwendenden öffentlich-rechtlichen Sachnormen auszuwählen, oder umgekehrt jeder inoder ausländischen öffentlich-rechtlichen Sachnorm ihren internationalen Anwendungsbereich zuzuschreiben.904 Als Ergebnis dieser Untersuchung erhält man eine Kollisionsnorm, weil es um die Abgrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs einer öffentlich-rechtlichen Norm des deutschen Rechts gegenüber dem Geltungsbereich ausländischer Normen geht. Betrachtet man die Situation im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizin, stellt man fest, dass die wesentliche Tätigkeit des Telemediziners prima facie im Ausland erfolgt. Fraglich erscheint daher, ob es die kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten dennoch erfordern, dass auch für solche Auslandshandlungen das deutsche Approbationserfordernis zur Anwendung berufen wird. Dies wurde in früherer Zeit aufgrund des Territorialgrundsatzes bestritten. A. Anwendungsbereich öffentlich-rechtlicher Regelungen und der Territorialgrundsatz Der Territorialgrundsatz besagt bei strengem Verständnis, dass öffentlichrechtliche Vorschriften eines Staates keine Wirkung jenseits der Staatsgrenzen entfalten dürfen.905 Er wird insbesondere damit begründet, dass eine andere Sichtweise völkerrechtswidrig sei. Dies vermag in dieser Pau-
902
Benzenberg, Eingriffsnormen, S. 59; dies verkennt wohl Spickhoff in FS Müller, 287, 298 f., wenn er die Auffassung vertritt, dass der deutsche Approbationsvorbehalt wenn überhaupt über die Regelung des Art. 9 Rom I zur Anwendung berufen wäre (dies verneint er im Ergebnis). Freilich kommt dem Umstand, dass öffentlich-rechtliche Normen nach hier vertretener Auffassung nicht über Art. 9 Rom I zur Anwendung berufen werden können, keinerlei Bedeutung zu, da Art. 9 Rom I nach der hier vertretenen Sichtweise keine Kollisionsnorm ist, sondern nur klarstellt, dass gewisse Normen über ihre jeweilige Element-Kollisionsnorm zur Anwendung berufen sein können; vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 4, § 3, D, II. 903 Neumayer, Dgvr 1958, 35, 40; Lorenz, RIW 1987, 569, 583; vgl. auch Göthel, IPRax 2001, 411, 414. 904 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 155. 905 BVerwGE 75, 285, 296; BGHZ 31, 367, 371; 64, 183, 189; BGH, WM 1962, 601.
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schalität jedoch nicht zu überzeugen. Als einzige Schranke kann dem Völkerrecht nämlich entnommen werden, dass ein Staat Sachverhalte, zu denen er keinerlei Beziehung besitzt, nicht regeln darf.906 Aber selbst dieser Grundsatz erfährt durch das Prinzip der Universalität eine Ausnahme.907 Für das Territorialprinzip streitet zwar, dass der Staat nur innerhalb seines Hoheitsgebietes aufgrund seiner Souveränität das Recht zur verbindlichen Gesetzgebung besitzt.908 Darüber hinaus können auch nur auf diesem Gebiet die öffentlich-rechtlichen Regelungen zwangsweise durchgesetzt werden.909 Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass ein fremder Staat nicht dazu berechtigt wäre, deutschen Approbationsvorschriften auch in seinem Gebiet Geltung zu verschaffen. Nach heutigem Verständnis können öffentlich-rechtliche Vorschriften daher grundsätzlich auch außerhalb der Staatsgrenzen ihre Wirkung entfalten.910 Folglich ist es grundsätzlich auch denkbar, dass die Handlungen eines ausländischen Telemediziners, der grenzüberschreitend einen in Deutschland befindlichen Patienten behandelt, den deutschen Approbationsvorschriften unterstehen. B. Kollisionsrechtliche Behandlung des Approbationserfordernisses Die BÄO selbst trifft keine eindeutige Aussage über ihren internationalen Geltungsbereich. Vielmehr knüpfen die Restriktionen der BÄO, insbesondere auch das Approbationserfordernis nach § 2 Abs. 1 BÄO, allesamt an eine Heilbehandlung „im Geltungsbereich dieses Gesetzes“ an, ohne den Ort der Heilbehandlung näher zu konkretisieren. Findet die telemedizinische Heilbehandlung dort statt, wo der Telemediziner handelt, oder dort wo sich der Patient befindet, also an dem Ort wo die Handlung des Telemediziners ihren Erfolg zeigt? Der Geltungsbereich einer nationalen Regelung beschränkt sich grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet des Erlassstaates, so dass grundsätzlich nur Heilbehandlungen in Deutschland von dem Approbationsvorbehalt erfasst werden. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die dem Approbationserfordernis beistehende Element-Kollisionsnorm dieses auch für Handlungen außerhalb des Hoheitsgebietes berufen würde. Es gilt daher zu untersuchen, ob die dem Approbationsvorbehalt der § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 5 BÄO beistehende, rechtssatzbezogene Kollisionsnorm diesen auch in den Fällen zur Anwendung be-
906
Niedobitek, Recht grenzüberschreitender Verträge, S. 365 Fn. 210. Vgl. Grof, JBl. 1986, 209, 211. 908 Benzenberg, Eingriffsnormen, S. 51. 909 Heiz, Das fremde öffentliche Recht, S. 72. 910 Frank, RabelsZ 34 (1970), 56, 59; Vogel, Räumlicher Anwendungsbereich, S. 125 ff.; Heiz, Das fremde öffentliche Recht, S. 108 f.; Eitel, Überzonale Rechtsmacht, S. 17 ff. 907
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ruft, in denen der Telearzt vom Ausland aus grenzüberschreitend tätig wird.911 Wie diese Kollisionsnorm lautet, ist maßgeblich von den kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten abhängig. Diese sind wiederum von sachrechtlichen Beteiligteninteressen abhängig, da diese die kollisionsrechtlichen Interessen implizieren.912 Dass die abzuwägenden Interessen bei öffentlich-rechtlichem Sachrecht von anderer Art und Zusammensetzung sind als im internationalen Privatrecht, beeinflusst insoweit natürlich die Ergebnisse, die Methode bleibt jedoch dieselbe.913 I. Beschränkung des Anwendungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf den Handlungsort Ganz offensichtlich ging der Gesetzgeber bei Erlass des Approbationsvorbehalts von dem klassischen Fall aus, dass sich Patient und Mediziner im Zeitpunkt der Heilbehandlung im selben Staat befinden. Hieraus ließe sich der Schluss ziehen, dass nur der während der Heilbehandlung physisch in Deutschland anwesende Arzt einer Approbation bedarf. Die ElementKollisionsnorm des Approbationserfordernisses würde also lauten: Heilbehandlungen unterliegen dem Approbationserfordernis, wenn sich der Arzt während ihrer Erbringung in Deutschland aufhält. Eine solches Verständnis käme einer Beschränkung des Geltungsbereichs der BÄO auf den Handlungsort gleich. Ein grenzüberschreitend tätiger Telemediziner würde in der Folge nur dann einer deutschen Approbation bedürfen, wenn er die Heilbehandlung von Deutschland aus vornehmen würde. Behandelt hingegen ein ausländischer Telemediziner einen deutschen Patienten grenzüberschreitend, würde diese Heilbehandlung nicht vom Approbationserfordernis erfasst.914
911
Eine andere Möglichkeit wäre es den Ort der Heilbehandlung im Sinne des § 2 Abs. 1 BÄO sachgerecht zu bestimmen. Dies Vorgehensweise hätte aber den Nachteil, dass man nur eine einseitige Kollisionsnorm erhalten würde. Man wüsste zwar unter welchen Voraussetzungen ein ausländischer Telearzt das deutsche Approbationserfordernis zu beachten hätte, könnte aber nicht die Frage beantworten unter welchen Voraussetzungen ein deutscher Telarzt ein ausländisches Approbationserfordernis zu beachten hat, wenn er grenzüberschreitend tätig wird. Hierin liegt die Stärke der hier vorgeschagenen kollisonsrechtlichen Lösung. Hat man einmal die einseitige Element-Kollisonsnorm herausgearbeitet, kann man diese unter Umständen allseitig ausbauen. Durch die so erhaltene allseitige Kollisionsnorm lässt sich sodann auch bestimmen unter welchen Voraussetzungen ein deutscher Telearzt ausländische Approbationsvorschriften beachten muss, wenn er grenzüberschreitend tätig wird. 912 Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 234. 913 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 155 f. 914 So Spickhoff in FS Müller, 287, 298 f.
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Eine solche Beschränkung auf den Handlungsort wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur und der Rechtsprechung für die vergleichbare Konstellation im Rahmen des Rechtsberatungsgesetzes vertreten.915 Überträgt man diese Wertung auf die Telemedizin, wäre der Handlungsort der Ort, an dem sich der Telemediziner zum Zeitpunkt der Heilbehandlung befindet. Die Anwendbarkeit des Approbationsvorbehalts der BÄO wäre folglich davon abhängig, ob sich der Telemediziner im Zeitpunkt der Heilbehandlung in Deutschland befunden hat oder nicht. In Fällen grenzüberschreitender Telemedizin würde dies bedeuten, dass der ausländische Telemediziner, der einen in Deutschland befindlichen Patienten grenzüberschreitend behandelt, keiner deutschen Approbation bedarf, da er die telemedizinische Heilbehandlung nicht in Deutschland vornimmt. Warum allerdings allein auf den Handlungsort abzustellen sein soll, wird von keinem Vertreter dieser Auffassung näher begründet.916 II. Beschränkung des Anwendungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf Ärzte mit Niederlassung oder Zweigniederlassung in Deutschland Es ließe sich auch vertreten, dass die BÄO nur solche Tätigkeiten erfasst, die von einer Niederlassung oder Zweigniederlassung in der BRD aus erbracht werden.917 Die Element-Kollisionsnorm des Approbationserfordernisses würde also lauten: Heilbehandlungen unterliegen dem Approbationserfordernis, wenn sie von einer deutschen Niederlassung oder Zweigniederlassung aus erbracht werden. Eine Niederlassung liegt vor, wenn eine gefestigte Integration in das Wirtschaftsleben des Aufnahmestaates besteht. Dazu ist ein räumliches und persönliches Substrat von einer gewissen Dauer erforderlich.918 Dies wurde in der Vergangenheit bereits angenommen, wenn sich ein deutscher Arzt zweimal wöchentlich zu einer Sprechstunde in eine holländische Klinik begab.919 Selbst wenn man dies ausreichen lassen würde, würde der ausländische Telemediziner im Fall der grenzüberschreitenden Telemedizin seine Leistung aber nicht von dieser Niederlassung aus erbringen, so dass seine Tätigkeit nicht in den Geltungsbereich der BÄO fallen würde.
915 Rennen/Caliebe, RBerG, Art. 1 Rn. 5; LG München, IPRspr. 1964/65 Nr. 43; OLG Hamm, NJW-RR 2000, 509, 509. 916 Rennen/Caliebe, RBerG, Art. 1 Rn. 5 meint nur lapidar, es sei „nicht ersichtlich ..., dass die Anwendbarkeit der deutschen Rechtsordnung unverzichtbar sei“. 917 So noch BGH, MDR 1969, 568, 568 und OLG Stuttgart, MDR 1997, 285, 285; LG Dortmund, AnwBl 1999, 617, 618; Fischer in FS Laufs, 781, 790; sowie Armbrüster, RIW 2000, 583, 588 zum Anwendungsbereich des RBerG. 918 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 10 Rn. 51. 919 Rochard, Freizügigkeit der Ärzte in der EG, S. 78.
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Der aus dem Ausland tätige Telemediziner würde folglich auch nach dieser Auffassung keine deutsche Approbation benötigen. III. Beschränkung des Anwendungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf Heilbehandlungen, bei denen sich der Patient im Zeitpunkt der Heilbehandlung physisch in Deutschland befindet Eine weitere Lösung könnte darin bestehen, den Geltungsbereich des Approbationsvorbehalts auf solche Heilbehandlungen zu beschränken, bei denen sich der Patient physisch in Deutschland aufhält.920 Die ElementKollisionsnorm des Approbationserfordernisses würde dann lauten: Heilbehandlungen unterliegen dem Approbationserfordernis, wenn sich der Patient im Zeitpunkt der Behandlung physisch in Deutschland befindet, der Erfolg der Heilbehandlung also in Deutschland eintritt oder, im Falle eines Misserfolges, eintreten soll. Eine solche Lösung wird in den USA jedenfalls für interstate telemedicine für richtig erachtet. Auch in den USA darf die Heilkunde durch einen Arzt nur dann ausgeübt werden, wenn er die dafür erforderliche physician license besitzt. Eine solche Lizenz erstreckt sich immer nur auf das Hoheitsgebiet des Bundesstaates für den sie erteilt wurde. Dies resultiert daraus, dass gemäß der US-Verfassung (10th amendment) den Einzelstaaten die Gesetzgebungskompetenz für die Bereiche des Gesundheitswesens, der Ausübung der Heilkunde, des Berufsrechts und der Wohlfahrt seiner Bürger zugewiesen ist. Aufgrund des territorial beschränkten Geltungsbereichs der physician license stellt sich die Frage, ob der Telemediziner aus dem Bundesstaat X, der einen Patienten in dem Bundesstaat Y behandelt, einer Lizenz des Staates Y bedarf. In der US-amerikanischen Literatur wird diese Frage gerne mit einer Art von „Reisehypothese“ untersucht. Die Beantwortung der aufgeworfenen Frage gestaltet sich einfach, wenn man annimmt, dass der Patient auf elektronischen Weg zu dem Telemediziner reist921, da der Telemediziner dann nur in seinem Zulassungsstaat tätig wäre und folglich keine Lizenz des anderen Staates bedürfte. Diese Auffassung hat sich in den USA jedoch nicht durchgesetzt. Vielmehr hat sich die Meinung durchgesetzt, dass der Telemediziner aus dem Staat X einer Lizenz des Staates Y bedarf, wenn er einen Patienten in diesem Staat teleme-
920
So Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 139 f.; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 43 f.; Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 262 f.; jeweils zum Anwendungsbereich des RBerG/RDG: BGH, NJW 2007, 596, 598; OLG Stuttgart, AnwBl 2002, 368, 368; Knöfel, AnwBl 2007, 264, 264; Droste, Zwingende Bestimmung, S. 161; Martiny in MüKo, Art. 9 Rom I Rn. 97; Mankowski in Reithmann/Martiny, Rn. 1450. 921 So Darer, 3 Va. J.L. & Tech. 4, 22.
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dizinisch behandelt.922 Ob diese Sichtweise der Amerikaner auch bei internationalen Sachverhaltskonstellationen beibehalten wird, bleibt abzuwarten, ist jedoch mangels gegenteiliger Anzeichen923 durchaus wahrscheinlich. IV. Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lösungsansätzen Die Festlegung, wann das Zulassungserfordernis der BÄO im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinverträge zur Anwendung berufen wird, hat vor dem Hintergrund der widerstreitenden kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten zu erfolgen. Diese werden insbesondere durch die materiell-rechtlichen Interessen impliziert. Im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen sind daher die kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners, des Patienten, der Allgemeinheit und der Ärzteschaft vor Ort gegeneinander abzuwägen. 1. Kollisionsrechtliche Interessenlage a) Interessen des Patienten Der Patient ist insbesondere daran interessiert, dass der Telemediziner eine hinreichende Qualifikation zur jeweiligen Behandlung besitzt. Aus seiner Sicht muss sichergestellt sein, dass der Telearzt fachlich in der Lage ist, die ihm obliegenden Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Darüber hinaus hat der Patient aber gegebenenfalls auch ein Interesse daran, dass ein bestimmter Telemediziner schnell und unkompliziert an seiner Behandlung partizipieren oder diese gar übernehmen kann, wenn er sich hiervon eine höherwertige Heilbehandlung oder einen besseren beziehungsweise schnelleren Heilungserfolg verspricht. Diese unterschiedlichen Sachinteressen indizieren, dass auch die kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten nicht einheitlich sind. So kann das kollisionsrechtliche Interesse des Patienten einerseits dahin gehen, dass die Heilbehandlung jedenfalls dann dem Approbationserfordernis unterliegen soll, wenn sich der Patient in Deutschland aufhält, da nur so dem Interesse des Patienten an einem medizinischen Mindeststandard Rechnung getragen werden kann. Andererseits ist es auch denkbar, dass ein
922 Caryl, 12 J.L. & Health 173, 185; Barnes, 28 Hous. J. Int’l L. 491, 524 f.; Poe, 20 Rev. Litig. 681, 696; Alexander, 20 J.L. & Health 199, 225; vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung bei Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 16–34; sowie Telemedicine Licensure Report, S. 3 „Most state medical boards have taken the position that practice of medicine occurs in the state where the patient is located“. 923 Vgl. nur Barnes, 28 Hous. J. Int’l L. 491, 525, der im Anschluss an die Darstellung der interstate-Situation nur darauf hinweist, dass diese Frage bislang ungeklärt ist.
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Patient, welcher eine schnelle Heilbehandlung durch einen ausländischen Telemediziner wünscht, gerade kein Interesse daran hat, dass das Approbationserfordernis für diese Heilbehandlung gilt, da er andernfalls befürchten müsste, dass der ausländische Telemediziner diese Behandlung nicht übernehmen darf. b) Interessen des Telemediziners Die Interessen des Telemediziners zielen insbesondere darauf ab, dass er einfach und unkompliziert seinen „Handlungsradius“ auf Fremdstaaten erweitern kann. Aus seiner Sicht ist es daher zum einen wünschenswert, dass ohne großen Zeit- und Kostenaufwand festgestellt werden kann, welche Handlung welchem Berufsrecht unterliegt. Zum anderen wird sein Interesse dahin gehen, dass seine Heilbehandlung keinen – aus seiner Sicht – ausländischen Restriktionen unterliegt, da hierdurch seine durch die Telemedizin erlangte Erweiterung des Behandlungsmarktes wieder eingeschränkt würde. Das durch diese Sachinteressen implizierte kollisionsrechtliche Interesse des Telemediziners geht folglich dahin, dass das deutsche Approbationserfordernis nur dann zur Anwendung berufen wird, wenn die Heilbehandlung unter physischer Präsenz des Telearztes in Deutschland erfolgt. c) Interessen der Allgemeinheit Die deutsche Allgemeinheit ist daran interessiert, dass sie vor „Kurpfuschern“ geschützt wird, indem über den Approbationsvorbehalt ein medizinischer Mindeststandard statuiert wird. Darüber hinaus hat sie auch ein Interesse daran, dass die Funktionsfähigkeit des, im weltweiten Vergleich qualitativ hochwertigen, deutschen Gesundheitssystems erhalten bleibt. Diese Sachinteressen der Allgemeinheit implizieren das kollisionsrechtliche Allgemeininteresse, dass der deutsche Approbationsvorbehalt jede Heilbehandlung erfassen soll, bei der sich der Patient in Deutschland befindet, da nur so erreicht werden kann, dass die Allgemeinheit vor nach Deutschland hinein erbrachten – unter Umständen qualitativ schlechten – Heilbehandlungen geschützt wird. d) Interessen der deutschen Ärzteschaft Die deutschen Ärzte haben gleichfalls ein Interesse an der Funktionsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems. Diese ist aus ihrer Sicht dann gefährdet, wenn der „Ärztemarkt“ durch unqualifizierte Billig-Ärzte aus dem Ausland überschwemmt wird. Allein aufgrund dieser Wettbewerbserwägungen ist es aus Sicht der deutschen Ärzteschaft wünschenswert, dass alle
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Marktteilnehmer bei Heilbehandlungen den gleichen Restriktionen unterliegen, damit keine Wettbewerbsnachteile existieren. Aus der Sicht der deutschen Ärzte sollte der Approbationsvorbehalt also dann gelten, wenn der ausländische Telemediziner auf dem deutschen Markt tätig wird. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich der Patient im Zeitpunkt der Heilbehandlung physisch in Deutschland aufhält. e) Interessen des Primärarztes Der in Deutschland niedergelassene Primärarzt, der einen ausländischen Telemediziner hinzuziehen möchte, ist daran interessiert, dass diese Hinzuziehung möglichst unkompliziert erfolgen kann. Aus seiner Sicht ist es wünschenswert, dass es ohne großen Kosten-, Organisations- und Zeitaufwand möglich ist, einen ausländischen Telearzt beizuziehen. Unter diesen Vorgaben hätte ein Primärarzt, welcher einen schnelle Unterstützung durch einen ausländischen Telemediziner wünscht, folglich kein Interesse daran, dass das Approbationserfordernis für diese grenzüberschreitenden Heilbehandlung gilt, da andernfalls der Telemediziner die Unterstützung regelmäßig verweigern würde. Allerdings ist es einem in Deutschland niedergelassenen Primärarzt nach § 30 Abs. 2 MBO-Ä standesrechtlich untersagt, bei der Untersuchung oder Behandlung eines Patienten mit einem Nichtarzt zusammenzuarbeiten. Durch diese Regelung soll für den Patienten ein geschützter Bereich geschaffen werden, in dem er sich vor dem Einfluss nicht an seiner Betreuung und Behandlung orientierender Interessen geschützt fühlen soll.924 „[N]ichtärztliche Ratschläge von Personen ohne entsprechende Ausbildung sollen nicht durch die Kooperation mit approbierten Ärzten aufgewertet werden, um damit einer Steigerung ihrer Akzeptanz in den Augen des nicht fachkundigen Publikums entgegen zu wirken“.925 Dies schließt freilich nicht aus, dass sich ein Arzt mit einem Nichtarzt über eine Heilbehandlung berät, solange der ärztliche Ratschlage beziehungsweise die von ihm zu vertretende Therapie, Diagnostik und/oder Behandlung nicht gegen seinen Willen verfälscht wird. In der Folge geht das Interesse des Primärarztes dahin, dass möglichst viele ausländische Mediziner als Ärzte im Sinne des § 30 Abs. 2 MBO-Ä anzusehen sind, da er nur dann mit diesen zusammenarbeiten darf. Ärzte in diesem Sinn sind jedoch nur Personen, die eine deutsche Approbation oder eine vorübergehende Erlaubnis nach § 10 BÄO besitzen. Ausländische Mediziner werden sich aber nur dann um eine deutsche Approbation oder
924 925
Ratzel in Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung, § 30 MBO Rn. 1. Ratzel in Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung, § 30 MBO Rn. 1.
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eine vorübergehende Erlaubnis bemühen, wenn sie eine solche zur Behandlung von in Deutschland befindlichen Patienten benötigen. Aus diesen Überlegungen resultiert, dass der Primärarzt ein Interesse daran hat, dass das deutsche Approbationserfordernis nicht nur dann zur Anwendung berufen wird, wenn der Handlungsort der Heilbehandlung in Deutschland zu lokalisieren ist. Vielmehr ist es auch Sicht des Primärarztes wünschenswert, dass der Approbationsvorbehalt schon dann gilt, wenn der ausländische Telemediziner an der Behandlung eines in Deutschland befindlichen Patienten teilnimmt, also der Erfolgsort der Heilbehandlung in Deutschland zu lokalisieren ist, da es ihm andernfalls standesrechtlich untersagt wäre mit dem Telemediziner zusammenzuarbeiten. 2. Herausarbeitung der Element-Kollisionsnorm des Approbationserfordernisses Nachdem nunmehr die kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten festgestellt wurden, werden diese im Folgenden gegeneinander abgewogen, um die Element-Kollisionsnorm des deutschen Approbationsvorbehalts herauszuarbeiten. a) Beschränkung des Approbationsvorbehalts auf den Handlungsort in Deutschland Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf den Handlungsort würde dazu führen, dass der ausländische Telemediziner von ihrem Anwendungsbereich nicht erfasst wäre, da sein Behandlungsbeitrag im Ausland vorgenommen wird. Folglich müsste er keine deutsche Approbation besitzen, wodurch besonders seinen Interessen Rechnung getragen würde. Er könnte jederzeit auf einfache Art und Weise feststellen, ob er für eine bestimmte Tätigkeit einer Berufszulassung seines Heimatstaates bedarf oder nicht. Die dazu erforderlichen Recherchen und Rechtsberatungen könnten in einem Umfeld erfolgen, dem die fraglichen Regelungen bekannt sind, wodurch insbesondere dem Kosteninteresse des Telemediziners Rechnung getragen würde. Weiter würde eine Anknüpfung an den Handlungsort den „Behandlungsradius“ des ausländischen Telemediziners erheblich erweitern, da er ohne vorherige Anmeldung, Registrierung oder Prüfungsablegung in Deutschland telemedizinisch tätig werden könnte. Diese Überlegungen zeigen jedoch zugleich, dass eine solche kollisionsrechtliche Behandlung des Approbationserfordernisses nicht in der Lage ist, den Interessen des Patienten oder der Allgemeinheit hinreichend Rech-
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nung zu tragen.926 Durch die Beschränkung des internationalen Geltungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf Heilbehandlungen, bei denen der Handlungsort in Deutschland liegt, kann weder der Schutz der Allgemeinheit noch derjenige des jeweiligen individuellen Patienten hinreichend sichergestellt werden. Aus Sicht des Patienten führt eine Anknüpfung an den Handlungsort zu mehr oder weniger zufälligen Ergebnissen hinsichtlich der Sicherung des Qualitätsstandards durch das Erfordernis einer Approbation. Der ausländische Telemediziner würde eine solche oder ein entsprechendes Pendant nur dann benötigen, wenn die Rechtsordnung am ausländischen Handlungsort eine solche vorsieht. Der deutsche Approbationsvorbehalt würde nur dann eingreifen, wenn die Heilbehandlung unter physischer Präsenz des Telemediziners in Deutschland vorgenommen würde. Es sind daher Fallkonstellationen denkbar, in denen schlecht oder gar nicht ausgebildete Personen eine telemedizinische, grenzüberschreitende Behandlung an einem in Deutschland befindlichen Patienten vornehmen dürften. „Scharlatanen“ und „Kurpfuschern“ würden Tür und Tor geöffnet.927 Dieses Argument gewinnt dadurch an Gewicht, dass der Telemediziner regelmäßig keiner festen Infrastruktur bedarf, um seine Behandlung durchzuführen. Eine Anknüpfung an den Handlungsort führt daher unter Umständen zu einem schnellen Wechsel der einschlägigen Approbationsregelungen. In der Folge wäre die Rechtslage für den Patienten kaum noch zu überschauen. Auch die leichte Manipulationsmöglichkeit durch Verlegung des Handlungsortes in eine „approbationsfreundliche“ Rechtsordnung spricht gegen eine Anknüpfung an den Handlungsort, da der Telemediziner allein durch diese Verlagerung des Handlungsortes eine gegebenenfalls erforderliche Approbation umgehen könnte. Auch die Interessen eines in Deutschland niedergelassenen Primärarztes würden durch eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der BÄO auf den Handlungsort nicht hinreichend berücksichtigt. Dem Primärarzt wäre es bei einem derartigen Verständnis nämlich meist standesrechtlich untersagt einen ausländischen Telemediziner zu der Behandlung oder Untersuchung des Patienten hinzuzuziehen, da dieser – in Ermangelung einer Approbation oder vorübergehenden Erlaubnis im Sinne des § 10 BÄO – nicht als Arzt im Sinne des § 30 Abs. 2 MBO-Ä anzusehen wäre.928 Schwerwiegende Bedenken gegen eine Anknüpfung an den Handlungsort resultieren aber auch aus einem Vergleich mit den übrigen Kollisionsregeln des internationalen Privatrechts. Wie oben bereits untersucht wurde,
926
A.A. Spickhoff in FS Müller, 287, 298 f. Ähnlich Mankowski in Reithmann/Martiny, Rn. 1450 m.w.N. zum Anwendungsbereich des RDG. 928 Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 2, A, II, 5, b), dd). 927
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
ist das Merkmal der „ausschließlichen Erbringung“ in Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I restriktiv dahingehend auszulegen, dass bereits die kleinste Berührung zum Aufenthaltsstaat des Verbrauchers genügt, um dieses Merkmal zu verneinen.929 Hierdurch soll insbesondere ein wirkungsvoller Verbraucherschutz gewährleistet werden. Würde man den Anwendungsbereich des Approbationsvorbehalts, der gleichfalls den Patienten und damit überwiegend den Schutz eines strukturell Schwächeren bezweckt, auf den Handlungsort beschränken, würde man aber den kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners ein höheres Gewicht beimessen als denen des Patienten oder der Allgemeinheit. Der Patient, der regelmäßig als Verbraucher anzusehen ist, wäre nur durch das – ihm fremde – Approbationsrecht am Handlungsort des Telemediziners geschützt, sofern dieses überhaupt ein vergleichbares Zulassungserfordernis kennt. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf den Handlungsort widerspräche somit der grundsätzlichen Intention des europäischen Gesetzgebers, den Verbraucher unter gewissen Umständen gegenüber Unternehmern zu schützen. Überdies würde ein derartiges Verständnis aber auch zu Widersprüchen führen. Während man im Rahmen von Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I argumentiert, dass der Handlungsort aufgrund der Datenübermittlung ins Verbraucherland nicht ausschließlich im Ausland liegt, würde man im Rahmen der Frage nach einem Approbationserfordernis den Handlungsort ausschließlich im Ausland lokalisieren. Um Wertungs- und Argumentationswidersprüche zu vermeiden, könnte man allenfalls die Wertungen des Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I auf die Frage des Approbationserfordernisses übertragen. Hierdurch käme man jedoch – ungeachtet der methodischen Zweifel an einem solchen Vorgehen; schließlich handelt es sich bei dem Approbationserfordernis um öffentliches Recht, so dass sich die Frage stellt, ob Wertungen des EU-Gesetzgebers im internationalen Privatrecht überhaupt berücksichtigungsfähig sind – zu einem anderen Verständnis des Handlungsortes; dieser läge nunmehr nicht mehr ausschließlich im Ausland sondern ebenso im Behandlungsstaat. Im Ergebnis würde dies also dazu führen, dass Handlungs- und Erfolgsort miteinander gleichgesetzt werden. Dieser Umweg erscheint allzu konstruiert und daher wenig sinnvoll. Gegen die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Fälle, in denen der Handlungsort in Deutschland liegt, spricht aber auch, dass dadurch weder den Interessen der Allgemeinheit noch denjenigen der deutschen Ärzteschaft hinreichend Rechnung getragen würde. Es wäre zu befürchten, dass eine Vielzahl von unqualifizierten Ärzten mittels Telemedizinanwendungen auf den deutschen Gesundheitsmarkt drängen würden. Langfristig 929
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, b) aa).
§ 5 Approbationsstatut
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könnte dies bewirken, dass die Funktionsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems hinsichtlich der Qualität erheblich gefährdet wird. Auch wäre die inländische Ärzteschaft in ihren Wettbewerbschancen erheblich betroffen, weil sie weiterhin die Approbationskriterien erfüllen müssten, während ausländische Telekollegen dieselbe Behandlung via Telemedizin ohne diese Restriktionen und die daraus resultierenden Erfordernisse durchführen könnten. b) Beschränkung des Approbationsvorbehalts auf den Telearzt mit Sitz oder Niederlassung in Deutschland Auf den ersten Blick erscheint die Auffassung, den Approbationsvorbehalt auf Teleärzte mit Sitz oder Niederlassung in Deutschland zu beschränken, den Vorzug zu haben, dass es ihr gelingt, alle widerstreitenden Interessen der Beteiligten bestmöglich zu berücksichtigen. Der Telemediziner hätte die Möglichkeit seinen Handlungsradius einfach und ohne große Kosten zu erweitern, solange er keine Niederlassung in Deutschland begründet. Als Spiegelbild wäre die deutsche Ärzteschaft vor einer Überschwemmung durch ausländische (Tele-)Ärzte geschützt, da diese, sobald sie eine Niederlassung in Deutschland begründen, in den Anwendungsbereich des Approbationserfordernisses fallen würden. Bei regelmäßigen Behandlungen vom Ausland nach Deutschland hinein würde der ausländische Telemediziner also dem deutschen Approbationsvorbehalt unterliegen. Trotz dieser Vorzüge wäre eine telemedizinische Behandlung aus dem Ausland heraus aber solange ohne Beachtung des Approbationsvorbehalts möglich, solange hierdurch keine Niederlassung oder Zweigniederlassung in Deutschland begründet würde. Die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung wäre folglich bei einem derartigen Verständnis zwar minimiert, aber nicht vollständig ausgeschlossen. Weiter würden auch die kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten und der Allgemeinheit bei einem derartigen Verständnis nicht hinreichend gewahrt: Der Zulassungsvorbehalt wird insbesondere durch die Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt, den Einzelnen und die Allgemeinheit vor „Kurpfuschern“ zu schützen und die Funktionsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems nicht zu gefährden. Dieser Schutz würde aber durch eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des Approbationsvorbehalts auf Teleärzte mit Sitz oder Niederlassung in Deutschland nicht absolut erreicht, da der ausländische Telemediziner eben nicht bei allen Heilbehandlungen vom Ausland nach Deutschland hinein die Approbationsregeln zu beachten hätte.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
c) Beschränkung des Approbationsvorbehalts auf Heilbehandlungen, bei denen sich der Patient physisch in Deutschland befindet Für eine derartige Anknüpfung streitet zunächst der Schutz des Patienten. Aus seiner Sicht herrscht über die anzuwendenden approbationsrechtlichen Vorschriften zu jedem Zeitpunkt Klarheit, da er durch seinen Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Heilbehandlung die einschlägigen Approbationsregelungen festlegt. Hierin ist jedoch gleichzeitig auch das Defizit dieser Anknüpfung zu sehen, da für den Telemediziner unter Umständen nur schwer festzustellen ist, welche Rechtsordnung die für ihn geltenden Approbations- beziehungsweise Zulassungsvorschriften enthält. Selbst wenn er die richtige Sachrechtsordnung ausfindig macht, ist eine daraufhin erforderliche Rechtsfindung nur unter hohem Zeit- und Kostenaufwand möglich. Darüber hinaus ließe sich argumentieren, dass der Patient, der bewusst einen Telemediziner hinzuzieht oder zumindest durch den Primärarzt hinzuziehen lässt, auf seinen Schutz durch die Approbationsregelungen verzichtet oder eben gerade auf die ausländischen Approbationsregeln vertraut. Diese Überlegung vermag jedoch nicht zu überzeugen, da das objektive Schutzbedürfnis des Patienten, der sich in die Behandlung durch einen ausländischen Telemediziner begibt, keineswegs geringer ist als das eines Patienten, der sich auf traditionelle Weise im Inland behandeln lässt. Selbst wenn man dies anders sehen würde, würden durch eine derartige Überlegung die Interessen der Allgemeinheit an einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung und die dadurch implizierten kollisionsrechtlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt. Der Patient kann nun einmal nicht im Namen der Allgemeinheit wirksam auf den abstrakten Schutz, der durch den Approbationsvorbehalt vermittelt wird, verzichten, da ihm diesbezüglich bereits die notwendige Dispositionsbefugnis fehlt. Zwar bezweckt der Approbationsvorbehalt auch den Schutz des einzelnen Patienten, gleichsam wird aber auch das Interesse der Allgemeinheit an einem qualitativ hochwertigen deutschen Gesundheitssystem geschützt. Dieses Allgemeininteresse ist erst dann nicht mehr schützenswert, wenn die Behandlung ausschließlich im Ausland erfolgt, da es von einer derartigen Behandlung nicht mehr betroffen wird. Diese Wertung entspricht auch derjenigen des Gesetzgebers, wie sie in Art. 6 Abs. 4 lit a Rom I zum Ausdruck kommt, der gleichsam den Interessen der gesamten Verbraucherschaft und damit letztlich auch der Allgemeinheit Rechnung trägt. Erst wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, soll die Verbraucherschaft nicht mehr schützenswert sein.
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Weiter wird durch eine derartige Anknüpfung auch den Interessen der deutschen Ärzteschaft hinreichend Rechnung getragen, da durch sie jeder Arzt, der einen zum Zeitpunkt der Heilbehandlung in Deutschland befindlichen Patienten behandelt, den gleichen rechtlichen Restriktionen unterliegt. Insbesondere wird die deutsche Ärzteschaft durch eine Überschwemmung des Gesundheitsmarktes durch ausländische „Billig-Konkurrenten“ bewahrt, so dass Wettbewerbsverzerrungen bestmöglich vermieden werden.930 Auch den kollisionsrechtlichen Interessen des Primärarztes kann durch die kollisionsrechtliche Berufung des Approbationsvorbehalts in Fällen, in denen sich der Patient physisch in Deutschland aufhält, entsprochen werden. In der Folge dieser Anknüpfung müssen sich ausländische Teleärzte in Deutschland approbieren oder sich eine vorübergehende Erlaubnis nach § 10 BÄO beschaffen. Sowohl durch die Approbation als auch durch die vorübergehende Erlaubnis werden sie zu Ärzten im Sinne des § 30 MBO-Ä, so dass es dem deutschen Primärarzt standesrechtlich gestattet ist, mit diesen telemedizinisch zusammenzuarbeiten. In der Folge kann nur durch eine Berufung des Approbationsvorbehalts in Fällen, in denen der Patient im Zeitpunkt der telemedizinischen Behandlung physisch in Deutschland anwesend ist, den kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten, des Telemediziners, der deutschen Ärzteschaft, der Allgemeinheit und des Primärarztes bestmöglich Rechnung getragen werden. Die kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners haben insoweit zwar gegenüber diesen Interessen teilweise zurückzutreten, dies ist jedoch gerechtfertigt. Der Telemediziner ist derjenige, der seinen Handlungsradius über den Einsatz der Telemedizin erweitert, sich auf einen neuen, fremden Markt begibt und deshalb auch die mit dieser Erweiterung verbundenen Auflagen zu erfüllen hat.931 Aus alledem folgt, dass der ausländische Telearzt einer deutschen Approbation bedarf, wenn sich der Patient im Zeitpunkt der Heilbehandlung
930 Vgl. zu diesem Aspekt auch die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Nutzen der Telemedizin für Patienten, Gesundheitssysteme und die Gesellschaft vom 04.11.2008, KOM (2008) 689 endg., S. 12 „Grundsätzlich sollte bei der Einstufung einzelner telemedizinischer Dienste als medizinische Handlungen sichergestellt sein, dass diese den gleichen Anforderungen genügen wie nicht telemedizinische Leistungen [...]. Dieser Grundsatz stellt sicher, dass angemessen regulierte medizinische Dienste nicht durch weniger regulierte telemedizinische Dienste ersetzt werden und dass Anbieter derselben Dienste nicht unterschiedlich behandelt werden, was mit der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr nicht vereinbar wäre.“ 931 Ähnlich zum RDG Mankowski in Reithmann/Martiny, Rn. 1450 m.w.N.
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in Deutschland befindet.932 Die Element-Kollisionsnorm der § 2 Abs. 1 BÄO in Verbindung mit § 2 Abs. 5 BÄO lautet also: Diese Normen werden zur Anwendung berufen, wenn sich der Patient im Zeitpunkt der Behandlung physisch in Deutschland befindet, der Erfolg der Heilbehandlung also in Deutschland eintritt oder eintreten soll. 3. Allseitiger Ausbau – das Approbationsstatut Baut man die gefundene einseitige Element-Kollisionsnorm der deutschen Approbationsvorschriften allseitig aus, erhält man folgende Kollisionsnorm: Auf die Approbation oder Zulassungsbeschränkungen eines Telearztes finden die Sachvorschriften des Staates Anwendung in dem sich der Patient im Zeitpunkt der Behandlung befindet. Folglich bedarf etwa ein deutsche Telemediziner, der einen ausländischen Patienten behandelt nicht der deutschen Approbation, sondern der Berufserlaubnis des Empfängerstaates, sofern dieser eine solche vorsieht.933 V. Vereinbarkeit der Elementkollisionsnorm mit der europäischen Dienstleistungsfreiheit Das in § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 5 BÄO geregelte Approbationserfordernis erfasst nach dem Stand der bisherigen Untersuchung auch die grenzüberschreitende telemedizinische Heilbehandlung eines sich in Deutschland befindenden Patienten durch einen Telemediziner mit gewöhnlichem Aufenthalt oder Sitz in einem EU-Mitgliedstaat. Da solche Telemediziner bei telemedizinischen Anwendungen nach Deutschland „hinein“ folglich einer deutschen Approbation bedürfen, stellt sich die Frage, ob die hier vorgeschlagene Form der kollisionsrechtlichen Behandlung des Approbationsvorbehalts als Verstoß gegen die europäische Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) anzusehen ist. Um dieser Frage nachgehen zu können, wird im Folgenden zunächst die europäische Dienstleistungsfreiheit kurz skizziert. 1. Europäische Dienstleistungsfreiheit Dienstleistungen im Sinne des Art. 56 AEUV sind alle Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, Art. 57 AEUV. Medizinische Dienstleistungen und somit auch telemedizinische Dienste sind demnach als Dienstleitungen im Sinne des AEUV anzusehen.934 932
Im Ergebnis so auch die in Kapitel 4 Fn. 920 Genannten. So schon Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 44. 934 EuGHE I 2001, 5509, 5528 Rn. 53; I 1984, 377, Rn. 16; König/Beer, ZESAR 2002, 54, 55. 933
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Die Dienstleistungsfreiheit hat zwei unterschiedliche Anwendungsbereiche: Der erste dient der Beseitigung von Diskriminierungen mitgliedstaatlicher Ausländer. Eine unmittelbare Diskriminierung ist grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn gewisse Regelungen nur den ausländischen Telemediziner erfassen würden. Der Approbationsvorbehalt wird durch das hier vertretene, kollisionsrechtliche Verständnis gleichermaßen für inländische wie für ausländische (Tele-)Ärzte zur Anwendung berufen, so dass nicht von einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ausgegangen werden kann. Der EuGH hat die Dienstleistungsfreiheit jedoch mittlerweile zu einem eigenen Anspruch ausgebaut, welcher die Aufhebung aller Beschränkungen verlangt, selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische und für Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gelten, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.935 Damit findet die CassisFormel auch im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit Anwendung. Folglich darf eine Dienstleistung, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig erbracht wird, grundsätzlich auch in einem anderen Mitgliedstaat frei angeboten werden. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen solche Tätigkeiten nur durch solche Regelungen beschränkt werden, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und für alle im Hoheitsgebiet des Bestimmungsstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten, und zwar nur insoweit, als dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Rechtsvorschriften Rechnung getragen ist, denen der Leistungserbringer in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist.936 Diese vom EuGH entwickelten Grundsätze sind durch den europäischen Gesetzgeber in der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt und der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen aufgegriffen und kodifiziert worden. Hinsichtlich der Richtlinie 2006/123/EG ist jedoch zu beachten, dass sie gemäß ihres Art. 2 Abs. 2 lit. f keine Anwendung auf Gesundheitsdienstleistungen und damit auch nicht auf telemedizinische Heilbehandlungen findet. Die Vereinbarkeit der kollisionsrechtlichen Behandlung des Approbationserfordernisses mit der Dienstleistungsfreiheit ist daher anhand der Richtlinie 2005/36/EG zu untersuchen, die durch den deutschen Gesetzgeber für den Bereich der Ärzteschaft in § 10b BÄO umgesetzt wurde.937
935
EuGHE I 2004, 6617, 6629 f. Rn. 31 m.w.N. EuGH NJW 1987, 572, 574; EuGHE I 1991, 4221 ff. 937 Die Umsetzung erfolgte durch das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von 936
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2. Entfallen des Approbationserfordernisses aufgrund § 10b BÄO beziehungsweise Art. 6 lit. a Richtlinie 2005/36/EG Der europäische Gesetzgeber hat bei Erlass der Richtlinie, wie Art. 5 Abs. 2 Richtlinie 2005/36/EG zeigt, nur Fälle bedacht, in denen sich der Dienstleistungserbringer zur Erbringung seiner Leistung physisch in einen anderen Mitgliedstaat begibt. Die Richtlinie enthält somit keine explizite Regelung hinsichtlich grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen, da bei diesen der Telearzt physisch in seinem Heimatstaat verbleibt. Die Richtlinie 2005/36/EG dient jedoch der Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV. Von dieser werden indessen auch Fälle erfasst, in denen die Grenzüberschreitung nur durch die Dienstleistung erfolgt, ohne dass sich der Dienstleister physisch in einen anderen Mitgliedstaat bewegt.938 Auch wurde im Rahmen der Qualifikation der Approbationsvorschriften als Eingriffsnormen bereits gezeigt, dass es sachgerecht erscheint, den Telemediziner wie einen inländischen Arzt zu behandeln, so dass jedenfalls die in § 10b BÄO und der Richtlinie 2005/36/EG enthaltenen Wertungen auf grenzüberschreitende Telemedizinanwendungen übertragbar sind. Nach § 10 b Abs. 1 S. 1 BÄO ist es Ärzten anderer Mitgliedstaaten unter gewissen Voraussetzungen erlaubt, den ärztlichen Beruf in Deutschland vorübergehend und gelegentlich auszuüben. Der vorübergehende und gelegentliche Charakter einer Dienstleistungserbringung ist im Einzelfall anhand von Dauer, Häufigkeit, Wiederkehr und Kontinuität der Dienstleitung zu beurteilen, § 10 b Abs. 1 S. 2 BÄO, Art. 5 Abs. 2 S. 2 Richtlinie 2005/36/EG. Ursprünglich sah die Richtlinie eine 90-Tage-pro-JahrRegelung vor, die jedoch aufgrund von Einwänden seitens einzelner Mitgliedstaaten nicht mehr enthalten ist. Gleichwohl dürfte dieser Zeitgrenze im Einzelfall noch Indizcharakter zukommen.939 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH wird der vorübergehende Charakter jedenfalls nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der Dienstleister sich im „Aufnahmemitgliedstaat“ eine bestimmte Infrastruktur zulegt, soweit er diese zur Erbringung seiner Dienstleitung benötigt.940 Selbst wenn der ausländische Telemediziner also bestimmte Gerätschaften (beispielsweise einen speziellen Operationsroboter) im „Aufnahmemitgliedstaat“ bereithalten sollte, wäre dies für die Annahme eines vorübergehenden Charakters folglich unschädlich.
Berufsqualifikationen der Heilberufe (HeilbAnerkRUG)“ vom 02.12.2007, BGB. I S.2686. 938 Streinz, Europarecht, Rn. 888. 939 Haage, MedR 2008, 70, 72. 940 EuGHE I 1995, 4186, 4195 Rn. 27
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Im Falle grenzüberschreitender Telemedizinbehandlungen wird man, vor diesem Hintergrund, in aller Regel von einer bloß vorübergehenden und gelegentlichen Erbringung der Dienstleistung ausgehen müssen, da sich bisher kein eigenes Berufsbild eines international tätigen Telemediziners herausgebildet hat. Vielmehr wird die grenzüberschreitende Telemedizin beinahe ausschließlich ergänzend zu der normalen medizinischen Präsenzbehandlung genutzt. Dass die 90-tägige Zeitgrenze durch einen ausländischen Telemediziner überschritten wird, ist daher (derzeit) unwahrscheinlich. Dennoch ist der ausländische mitgliedstaatliche Telemediziner zur grenzüberschreitenden Telemedizinbehandlung von Patienten, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2005/36/EG, §§ 10 Abs. 1 S. 1, 10 b Abs. 2 BÄO nur berechtigt, sofern er den Arztberuf in seinem Mitgliedstaat rechtmäßig ausübt und über die erforderlichen Sprachkenntnisse des „Empfängermitgliedstaates“ verfügt. In diesen Fällen benötigt er ausweislich des § 10 b Abs. 1 BÄO, Art. 6 lit. a Richtlinie 2005/36/EG nicht der Zulassung beziehungsweise Approbation, der Eintragung oder der Mitgliedschaft bei einer Berufsorganisation, selbst wenn der Aufnahmemitgliedstaat solche Erfordernisse an die in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Berufsangehörigen stellt. Der ausländische Telemediziner muss jedoch vor seiner ersten Behandlung der zuständigen deutschen Behörde schriftlich Meldung über die Aufnahme der Dienstleistung erstatten, § 10 b Abs. 2 S. 1 BÄO, Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2005/36/EG. Diese Meldung ist einmal jährlich zu erneuern, wenn binnen des betreffenden Jahres weitere Behandlungen erfolgen sollen. Darüber hinaus ist sie auch dann zu erneuern, wenn sich wesentliche inhaltliche Änderungen ergeben. Im Rahmen dieser Meldung ist neben den Nachweisen der Staatsangehörigkeit und der Berufsqualifikation auch eine Bescheinigung darüber vorzulegen, dass der Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig als Arzt niedergelassen ist und ihm dort die Berufsausübung nicht, auch nicht nur vorübergehend, untersagt wurde, Art. 7 Abs. 1 lit. a)-c) Richtlinie 2005/36/EG, § 10 b Abs. 2 Nr. 1–3 BÄO. Diese Regelung zeigt, dass der europäische Gesetzgeber davon ausgeht, dass ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit des mitgliedstaatlichen Telemediziners durch ein Approbations- oder ein anderes Eintragungs- oder Mitgliedschaftserfordernis aufgrund von Erwägungen des Allgemeinwohls oder der Volksgesundheit nicht gerechtfertigt wäre, da alle mitgliedstaatlichen Arztausbildungsmodelle – und dementsprechend auch die Qualifikationen der Ärzte – als gleichwertig angesehen werden.941
941
Im Ergebnis so auch Link, Telemedizin, S. 245.
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3. Kein Verstoß gegen die europäische Dienstleistungsfreiheit Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die hier vorgenommene kollisionsrechtliche Behandlung von Approbations- beziehungsweise Zulassungserfordernissen einen ungerechtfertigten Eingriff in die europäische Dienstleistungsfreiheit darstellt. Dagegen ließe sich argumentieren, dass dadurch, dass etwa für die telemedizinische Behandlung eines im Zeitpunkt der Heilbehandlung in Deutschland befindlichen Patienten das deutsche Approbationserfordernis zur Anwendung berufen wird, in die Dienstleistungsfreiheit des mitgliedstaatlichen Telemediziners eingegriffen würde, da dieser jedenfalls anzeigepflichtig wäre. Gleiches würde etwa für einen deutschen Telemediziner gelten, der von Deutschland aus grenzüberschreitend einen Patienten in einem Mitgliedstaat behandelt, da er nach hier vertretener Auffassung eine vorübergehende Erlaubnis des Mitgliedstaats benötigen würde. Dieser Eingriff wäre nach der soeben erarbeiteten Wertung nicht gerechtfertigt, da keine rechtfertigenden Erwägungen des Allgemeinwohls oder der Volksgesundheit betroffen wären. Eine solche Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen. Jedenfalls die hier relevante kollisionsrechtliche Behandlung des Approbationserfordernisses reglementiert die Dienstleitungstätigkeit in keiner Weise und kann daher hinsichtlich der europäischen Dienstleistungsfreiheit auch keinen Eingriffscharakter besitzen.942 Regelmäßig haben Kollisionsregeln kein Potential zur Handelsbehinderung, weil sie ohne auf das sachrechtliche Ergebnis zu achten und daher grundfreiheitsneutral anzuwenden sind.943 Der Eingriffscharakter resultiert – jedenfalls im hier relevanten Kontext – vielmehr ausschließlich aus den durch das Kollisionsrecht berufenen Sachnormen der BÄO, so dass nur deren Inhalt gegen EGGrundrechte verstoßen kann. Ein solcher Verstoß wäre etwa anzunehmen, wenn man für mitgliedstaatliche Teleärzte verlangen würde, dass sie einer deutschen Approbation bedürfen, wenn sie Patienten, die sich im Behandlungszeitpunkt physisch in Deutschland befinden, telemedizinisch behandeln. Dies ist jedoch gerade regelmäßig nicht der Fall, wie die soeben erfolgte Untersuchung der deutschen Approbationsvorschriften insbesondere des § 10 b BOÄ gezeigt hat. Allein in der schriftlichen Meldung, die der ausländische Telemedizi-
942 Vgl. dazu Kampf, IPRax 2008, 101, 102; auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 435–444, insb. 441 m.z.N. aus der rechtwissenschaftlichen Lit. und aus der Rspr. des EuGH; auch Sonnenberger, ZVglRWiss, 95 (1996) 3, 22, 22 ff. m.w.N.; für eine der hier gefundenen Kollisionsnorm vergleichbare Anknüpfung auch Klinke in FS Hirsch, 101, 114 f.; vgl. insgesamt auch Klauer, Europäisches Kollisionsrecht, S. 107– 113 m.w.N 943 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 441.
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ner vor seiner ersten Behandlung der zuständigen deutschen Behörde nach § 10 b Abs. 2 S. 1 BÄO beziehungsweise Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2005/36/EG machen muss, kann kein ungerechtfertigter Eingriff in die europäische Dienstleistungsfreiheit gesehen werden, da sie zum einen nur einen Eingriff von sehr geringer Intensität darstellt und zum anderen aus Gründen der Bedarfsplanung und aus Gründen des Allgemeininteresses, namentlich des öffentlichen Gesundheitsschutzes, gerechtfertigt ist, so dass hierauf im Rahmen dieser kollisionsrechtlichen Untersuchung nicht näher einzugehen ist. VI. Ergebnis Als Ergebnis gilt es festzuhalten, dass ein Telemediziner unabhängig davon, ob er aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des EWR oder aus einem Drittstaat stammt, die Zulassungsvorschriften des Staates zu beachten hat in dem sich der Patient im Zeitpunkt der grenzüberschreitenden telemedizinischen Behandlung physisch befindet, da diese über das Kollisionsrecht zur Anwendung berufen werden. Die Kollisionsnorm für Approbations- beziehungsweise vergleichbare Zulassungsvorschriften für Ärzte lautet: Auf die Approbation oder Zulassungsbeschränkungen eines Telearztes finden die Sachvorschriften des Staates Anwendung in dem sich der Patient im Zeitpunkt der Behandlung befindet.
§ 6 Wettbewerbsstatut § 6 Wettbewerbsstatut
A. Untersuchungsgegenstand Die Leistung eines deutschen Telemediziners kann nach § 4 Nr. 10 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn er einzelne Leistungen dauerhaft und systematisch für eine Vergütung erbringt, die unterhalb seiner eigenen Selbstkosten liegt.944 Auch ist er über § 4 Nr. 10 UWG in Verbindung mit den Gebührenvorschriften der GOÄ daran gehindert Pauschal-, Zeit- oder Erfolgshonorare für seine Dienstleistung zu vereinbaren. Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob auch der ausländische Telemediziner aufgrund der genannten Vorschriften des deutschen Wettbewerbsrechts daran gehindert ist, unter seinen Selbstkosten Leistungen anzubieten, beziehungsweise ob er daran gehindert ist, Pauschal-, Zeit- oder Erfolgshonorare mit einem in Deutschland befindlichen Patienten zu vereinbaren. Beides wäre nur dann der Fall, wenn er die Regelungen des UWG beachten müsste, da sie durch das Kollisionsrecht zur Anwendung berufen 944
Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 2, A, I, 2.
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wären. Es stellt sich daher die Frage nach der kollisionsrechtlichen Behandlung von Regelungen über den unlauteren Wettbewerb. B. Kollisionsrechtliche Behandlung von außervertraglichen Schuldverhältnissen aus unlauterem Wettbewerb I. Regelung des Art. 6 Rom II Welches Sachrecht auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten anzuwenden ist, wird in Art. 6 Rom II durch den europäischen Gesetzgeber geregelt. Dabei enthält Art. 6 Abs. 1 Rom II die allgemeine Regelung, während Art. 6 Abs. 2 Rom II die spezielle kollisionsrechtliche Behandlung solcher Wettbewerbshandlungen regelt, die ausschließlich die Interessen eines bestimmten Mitbewerbers beeinträchtigen.945 Eine besondere Anknüpfung ist in diesen Fällen gerechtfertigt, da es derartigen Handlungen an der Marktbezogenheit und damit an der wettbewerbsspezifischen Besonderheit fehlt.946 Art. 6 Abs. 2 Rom II verweist in diesen Fällen daher auf die allgemeinen Regelungen des Art. 4 Rom II, so dass grundsätzlich das Recht am Erfolgsort der Verletzung gilt. Das Wettbewerbsverhalten eines ausländischen Telemediziners wird sich aber zumeist nicht gegen einen bestimmten Wettbewerber richten, so dass im Rahmen dieser Arbeit nur die Grundregel des Art. 6 Abs. 1 Rom II näher untersucht wird. Nach Art. 6 Abs. 1 Rom II ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden.947 Dies entsprach schon vor Erlass dieser Kollisionsnorm der in Deutschland, Österreich, Spanien, den Niederlanden und der Schweiz vorherrschenden Auffassung beziehungsweise der Gesetzeslage, nach welcher der Ort der wettbewerbsrechtlichen Interessenkollision maßgeblich ist.948 Art. 6 Abs. 1 Rom II präzisiert die Anknüpfung jedoch
945 Zu denken ist etwa an die Abwerbung von Arbeitnehmern, Werksspionage, Geheimnisverrat oder die Verleitung zum Vertragsbruch. 946 Von Hoffman/Thorn, IPR, § 11 Rn. 52; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1, 56. 947 Diese Regelung geht zurück auf den Ansatz von Troller zur kollisionsrechtlichen Behandlung des unlauteren Wettbewerbs, vgl. Troller, IPR des unlauteren Wettbewerbs, S. 127. 948 Zum bisherigen deutschen Recht: BGHZ 35, 329, 333 f.; 40, 391, 395 f.; BGH, GRUR 1971, 153, 154; GRUR 1977, 672, 673; GRUR 1982, 495, 497; GRUR 1988, 453, 454; BGHZ 113, 11, 15; GRUR 1998, 419, 420; GRUR 1998, 945, 946; GRUR 2004, 1035, 1036; Sack, WRP 2008, 845, 846; Benecke, RIW 2003, 830, 834; Handig, GRUR
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dahingehend, dass nicht nur der Ort der Interessenkollision der Wettbewerbsteilnehmer, sondern hinsichtlich verbraucherbezogener Unlauterkeit auch derjenige Ort maßgeblich ist, an dem die Interessen der Verbraucher beeinträchtigt werden.949 Bei marktbezogenen Wettbewerbshandlungen ist der Ort der wettbewerbsrechtlichen Interessenkollision der Marktort, an dem die Interessen der Beteiligten aufeinandertreffen.950 Dies ist regelmäßig dort der Fall, wo auf die Marktgegenseite eingewirkt wird.951 Im Regelfall des Nachfragewettbewerbs bestimmt daher der Sitz der Nachfrage den relevanten Markt.952 II. Anwendung auf die Telemedizin Für außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten, die im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizin nach Deutschland hinein entstehen, bedeutet dies, dass sie deutschem Lauterkeitsrecht unterliegen, da die Interessen der Wettbewerbsteilnehmer, also diejenigen von ausländischem Telemediziner, deutschen Primärärzten, deutschen Patienten sowie der deutschen Allgemeinheit, auf dem deutschen Markt aufeinandertreffen. Die Lauterkeit eines Wettbewerbsverhaltens des ausländischen Telemediziners, der an einer Behandlung in Deutschland mitwirkt oder eine solche gar selbst vornimmt, beurteilt sich folglich nach deutschem Sachrecht. Nach Art. 6 Abs. 4 Rom II ist eine Rechtswahl für die in den Regelungsbereich des Art. 6 Rom II fallenden Materien ausgeschlossen. Auch dies entspricht der bislang überwiegenden Meinung.953 Dieser Ausschluss wird Int. 2008, 24, 27; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1, 56; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 51; Kropholler, IPR, § 53 VI 1; Dethloff, Europ. Wettbewerbsrecht, S. 59 f.; Lindacher, WRP 1996, 645, 646; Koos, WRP 2006, 499, 506; Drexl in MüKo, IntWirtschR, IntUnlWettbR Rn. 2; Köhler in Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, Einl. zum UWG Rn. 5.6 m.w.N.; ebenso in Österreich: OGH, ÖBl. 1981, 71, 71; ÖBl. 2003, 133, 133; ZfRV 2004, 230, 232; vgl. auch § 48 II IPRG (Österreich); Spanien: Art. 4 Ley de Competencia Desleal (Ley 3/1991, B.O.E. N° 10 vom 11.01.1991; den Niederlanden: Art. 4 I WCOD (Wet Conflictenrecht Onrechtmatige Daad vom 11.04.2001, Staatsblad 2001, 190; der Schweiz: Art. 136 I IPRG (Schweiz). 949 Auch dies entspricht jedoch der bisherigen Auffassung der deutschen Rechtsprechung, vgl. nur: BGHZ 113, 11, 15; BGH, GRUR 1998, 419, 420; GRUR 1998, 945, 946; GRUR 2004, 1035. 950 Sack, WRP 2008, 845, 846; Kadner Graziano, Europ. int. Deliktsrecht, S. 92; Mankowski in MüKo, Lauterkeitsrecht, IntWettbR, Rn. 157. 951 BGHZ 113, 11, 15; BGH GRUR 1998, 419, 420; GRUR 1998, 945, 946; GRUR 2004, 1035, 1036; GRUR 2007, 245, 245; Sack, WRP 2008, 845, 847. 952 Lindacher, WRP 1996, 645, 646. 953 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1, 57.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
zurecht hauptsächlich damit begründet, dass es sowohl im Wettbewerbsrecht als auch im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen nicht nur um die Interessen der Beteiligten eines Rechtsstreits, sondern auch um diejenigen der übrigen Marktbeteiligten (Konkurrenten, Verbraucher) geht, weshalb die Verhaltens- und Haftungsregeln eines Marktes nicht zur Disposition der Parteien stehen.954 Für die grenzüberschreitende Telemedizin nach Deutschland hinein bedeutet dies, dass es dem Telemediziner und dem jeweiligen Patienten nicht möglich ist, das deutsche Lauterkeitsrechtsrecht abzuwählen. Die Wettbewerbshandlungen des ausländischen Telemediziners unterliegen folglich insbesondere § 4 Nr. 10 UWG, so dass er unlauter handelt, wenn er seine Leistungen dauerhaft zu Preisen unterhalb seiner eigenen Selbstkosten erbringt.955 Diese kollisionsrechtliche Entscheidung erscheint sinnvoll, weil zum einen am Ort der Interessenkollision der Wettbewerber unlauteres Wettbewerbsverhalten verhindert werden soll, und zum anderen, weil an diesem Ort das ebenfalls geschützte und daher kollisionsrechtlich zu beachtende Interesse der Allgemeinheit an einer Lauterkeit des Wettbewerbs berührt wird.956 Auch ist die Anwendung der Rechtsordnung am Marktort geboten, weil nur so Wettbewerbsverzerrungen auf der Ebene des Kollisionsrechts vermieden werden können. Andernfalls würde der im Wettbewerbsrecht anerkannte Grundsatz der Waffengleichheit unter den Marktteilnehmern empfindlich gestört, weil sie unterschiedlichen Wettbewerbsregelungen unterfallen würden, obwohl sie auf einem Markt agieren.957 Die kollisionsrechtliche Verweisung darf nicht dazu führen, dass das Verhalten eines ausländischen Telemediziners nach einer anderen Rechtsordnung beurteilt wird als das eines inländischen (Tele-)Arztes. Gerade dies wäre aber der Fall, wenn der ausländische Telemediziner seine Leistungen zu Preisen unterhalb seiner Selbstkosten anbieten könnte, obwohl dies einem in Deutschland befindlichen (Tele-)Arzt nicht möglich ist, da dessen Verhalten als unlauter anzusehen wäre.958 Deutlich komplexer gestaltet sich die Beantwortung der Frage, ob der ausländische Telemediziner aufgrund von § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung
954
Sack, WRP 2000, 269, 285; Reichert-Facilides in FS Hartmann, 205, 211 f.; Kropholler, IPR, § 53 VI, 1; Mankowski in MüKo, Lauterkeitsrecht, IntWettbR, Rn. 238. 955 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 2, A, I, 2. 956 BGHZ 113, 11, 15; BGH GRUR 1998, 419, 420; GRUR 1998, 945, 946; Sack, WRP 2008, 845, 847; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1, 56; Lindacher, WRP 1996, 645, 646; Mankowski in MüKo, Lauterkeitsrecht, IntWettbR, Rn. 136; vgl. auch Erwägungsgrund 21 zur Rom II. 957 Wagner, IPRax 2006, 372, 375, 380; Sack, WRP 2008, 845, 847; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1, 56. 958 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 2, A, I, 2.
§ 6 Wettbewerbsstatut
383
mit den Gebührenvorschriften der GOÄ daran gehindert ist Pauschal-, Zeit- oder Erfolgshonorare mit einem deutschen Patienten zu vereinbaren. Dies wäre der Fall, wenn die Gebührenregelungen der GOÄ über den Umweg des internationalen Lauterkeitsrechts – über das bereits untersuchte Maß hinaus959 – zur Anwendung berufen wären. Kollisionsrechtlich ist die Anknüpfung des in § 4 Nr. 11 UWG verankerten Rechtsbruchs zweistufig ausgestaltet.960 Auf der ersten Stufe ist nach Art. 6 Abs. 1 Rom II das anwendbare Wettbewerbsrecht zu ermitteln.961 Beurteilt das Wettbewerbsstatut das Außerachtlassen verbraucherschutzrechtlicher oder sonstiger nicht wettbewerbsrechtlicher Anforderungen als einen Wettbewerbsvorteil im Markt durch Rechtsbruch, wie es § 4 Nr. 11 UWG tut, wird hierdurch die Vorfrage nach den anwendbaren verbraucherschutzrechtlichen oder sonstigen nicht wettbewerbsrechtlichen Regeln aufgeworfen.962 Diese ist selbstständig nach den für die jeweils in Bezug genommenen Regelungen geltenden Kollisionsnormen zu beantworten, weil diese Regelungen außerhalb des Wettbewerbsrechts liegen und folglich nicht über das Wettbewerbsstatut zur Anwendung berufen werden können.963 Das Lauterkeitsrecht vermittelt ihnen nur eine zusätzliche Absicherung und Stärke, indem es weitere Sanktionsmöglichkeiten bei einem Verstoß eröffnet. Soweit das Wettbewerbsrecht mit seinen Sanktionen bei unlauterem Verhalten mittelbar die Maßstäbe anderer Rechtsgebiete, wie beispielsweise den Verbraucher beziehungsweise Patientenschutz sichert und sich insoweit „schutzzweckakzessorisch“ verhält, muss es sich konsequenterweise auch an der Anwendbarkeit dieser Normen ausrichten.964 Auf der zweiten Stufe ist daher zu untersuchen, ob die fragliche verbraucherschutzrechtliche oder sonstige nicht wettbewerbsrechtliche Regel, wegen der ein Wettbewerbsverstoß in Betracht kommen könnte, überhaupt zur
959
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, D. Sack, WRP 2008, 845, 850; Mankowski in MüKo, Lauterkeitsrecht, IntWettbR, Rn. 309; Hausmann/Obergfell in Fezer, UWG, Einl. I Rn. 331. 961 BGH, GRUR 2007, 245, 245; Mankowski in MüKo, Lauterkeitsrecht, IntWettbR, Rn. 309; Katzenberger, IPRax 1981, 7, 8; Sack, WRP 2008, 845, 850; Hausmann/Obergfell in Fezer, UWG, Einl. I Rn. 331. 962 OLG Hamm, RIW 2004, 943, 946; Mankowski in MüKo, Lauterkeitsrecht, IntWettbR, Rn. 309; ders., GRUR Int. 1999, 995, 1002; ders., MMR 2001, 251, 252 f.; Schricker, GRUR 1977, 646, 648; Bernhard GRUR Int. 1992, 366, 368; Sack, IPRax 1992, 24, 27. 963 OLG Hamm, RIW 2004, 943, 946; Mankowski in MüKo, Lauterkeitsrecht, IntWettbR, Rn. 310; ders., GRUR Int. 1999, 995, 1002; ders., MMR 2001, 251, 252 f.; Hausmann/Obergfell in Fezer, UWG, Einl. I Rn. 331. 964 Mankowski in MüKo, Lauterkeitsrecht, IntWettbR, Rn. 314. 960
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
Anwendung gelangt.965 Nur wenn dies der Fall ist, kann in der jeweiligen Wettbewerbshandlung ein Rechtsbruch gesehen werden. Allein die Ausnutzung eines Rechtsgefälles zum ausländischen Recht vermag regelmäßig nämlich keine Unlauterkeit der Wettbewerbshandlung zu begründen.966 Hinsichtlich der Regelungen der verbraucherschützenden Gebührenregelungen der GOÄ wurde bereits festgestellt, dass diese nur dann zur Anwendung berufen sind, wenn das Vertragsstatut deutsches Recht ist.967 Nur in diesen Fällen ist es dem ausländischen Telemediziner daher wettbewerbsrechtlich untersagt Pauschal-, Zeit- oder Erfolgshonorare mit einem deutschen Patienten zu vereinbaren.
§ 7 Vollmachts-/Vertretungsstatut § 7 Vollmachts-/Vertretungsstatut
Wie im Sachrechtsteil dieser Arbeit dargestellt, sind im Rahmen telemedizinischer Behandlungen mannigfaltige Vertragsschlusskonstellationen zwischen den Beteiligten denkbar.968 In vielen Fällen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen wird es nicht zu einem persönlichen Kontakt zwischen Patient und Telemediziner kommen. Vielmehr wird der Primärbehandler meist in Vertretung des Patienten den Telemedizinvertrag mit dem ausländischen Telemediziner schließen. Auch ist es denkbar, dass ein Primärarzt im eigenen Namen mit dem Telemediziner einen Vertrag schließt. Für eine wirksame Vertretung des Patienten durch den Telemediziner ist insbesondere erforderlich, dass der Primärarzt eine wirksame Vollmacht zum Abschluss solcher Verträge im Namen des Patienten besitzt. Bei grenzüberschreitenden telemedizinischen Vertretungsgeschäften stellt sich dabei die Frage, nach welcher Sachrechtsordnung die Wirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht zu beurteilen ist. Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen. A. Meinungsstand zur kollisionsrechtlichen Behandlung der Vollmacht Die kollisionsrechtliche Anknüpfung der Vollmacht ist sowohl im deutschen wie auch in den ausländischen Rechten äußerst umstritten. Dies
965
Sack, WRP 2008, 845, 850; Mankowski in MüKo, Lauterkeitsrecht, IntWettbR, Rn. 310; Hausmann/Obergfell in Fezer, UWG, Einl. I Rn. 331. 966 BGH, GRUR 1980, 858, 860 unter ausdrücklicher Aufgabe der Rechtsprechung von BGH, GRUR 1977, 672, 674; Hausmann/Obergfell in Fezer, UWG, Einl. I Rn. 333. 967 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, D. 968 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 1.
§ 7 Vollmachts-/Vertretungsstatut
385
verwundert, angesichts des Fehlens einer gesetzlichen Regelung969 und der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Anknüpfungsmöglichkeiten970, auch nicht. Die deutsche Rechtsprechung und wesentliche Teile der Literatur971 beurteilen die Vertretung grundsätzlich nach dem Recht des Wirkungslandes beziehungsweise des Gebrauchsortes, also der Rechtsordnung des Staates, in dem die Vollmacht gebraucht wurde und daher ihre Wirkung entfalten soll. Die Bestimmung des Wirkungs-/Gebrauchsortes wird dabei jedoch nicht einheitlich vorgenommen, sodass nicht von einer gesicherten, sondern allenfalls von einer unscharfen herrschenden Meinung gesprochen werden kann.972 Den übrigen Literaturstimmen lässt sich keine klare Linie entnehmen: Teilweise wird zur Beurteilung der Vertretung eine akzessorische Anknüpfung an das Hauptgeschäft vorgeschlagen973, während andere die Rechtsordnung am Niederlassungsort des Vertretenen für maßgeblich halten, wenngleich der Drittkontrahent zu schützen sei, der den Niederlassungsort nicht kennt.974 Wieder andere möchten die Rechtsordnung am Wirkungsort mit derjenigen am Niederlassungsort des Vertretenen derart kumulieren,
969
Nach Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I wird die Vollmacht nicht durch Rom I geregelt. Auch das EGBGB enthält keine Regelung über die kollisionsrechtliche Behandlung der Vollmacht. 970 Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807, 812 nennt insgesamt 8 verschiedene Anknüpfungsmöglichkeiten, nämlich (1) das Recht unter dem das Grundverhältnis steht, (2) das Domizilrecht des Prinzipals, (3) das Recht am Erteilungsort der Vollmacht, (4) das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Vertreters, (5) das Recht am Abschlussort des Hauptgeschäfts, (6) das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Drittkontrahenten, (7) das Recht des Landes, in dem die Vollmacht ihre Wirkung entfaltet, (8) das Recht des Hauptvertrages, also das Geschäftsstatut. 971 BGHZ 43, 21, 26; BGH, NJW 1982, 2733, 2733; BGHZ 147, 178, 185; OLG München, Urt. v. 10.12.2008 – 20 U 2798/08; grundlegend Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807, 807 ff., insb. 812 ff.; sowie ders., RabelsZ 7 (1933), 797, 797 ff.; Kropholler, IPR, § 41 I vor 1; ders., NJW 1965, 1641, 1645; Rauscher, IPR, Rn. 1046; Schäfer, RIW 1996, 189, 192 f.; Magnus in Staudinger (2002), Einl. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. A 13; Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 206 f.; Ficker, RabelsZ 24 (1959), 330, 330 ff.; Kayser, Vertretung ohne Vertretungsmacht, S. 24 ff.; Steding, ZVglRWiss 86 (1987), 25, 43 ff.; Mäsch in Bamberger/Roth, Anh. Art. 10 EGBGB Rn. 106; weitere Nachweise finden sich bei Spellenberg in MüKo, Vor. Art. 11 EGBGB Rn. 107 in Fn. 240 und 241. 972 Dies erkennen auch einige Literaturstimmen, vgl. etwa Spellenberg in MüKo, Vor. Art. 11 EGBGB Rn. 109 m.w.N. Hierauf wird noch ausführlich einzugehen sein, siehe hierzu unten Kapitel 4, § 7, E, III. 973 Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 271; ders., in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 145 ff. 974 Kegel/Schurig, IPR, § 17 V 2a, S. 620 ff.; Ebenroth, JZ 1983, 821, 824; Fischer, Verkehrsschutz, S. 296.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
dass die jeweils strengeren Vorschriften zu beachten sind.975 Nach wieder anderer Auffassung soll die Vollmacht grundsätzlich der Rechtsordnung am Niederlassungsort des Vertreters zu unterstellen sein. Ist ein solcher nicht feststellbar, so soll sich diejenige Partei auf das Recht des Niederlassungsortes der jeweils anderen Seite einstellen müssen, von der die Initiative zum Abschluss des Hauptgeschäftes ausging.976 Das geäußerte Meinungsspektrum ist zwar vielschichtig, dennoch lassen sich die vertretenen Auffassungen in zwei große „Lager“ aufteilen. Nach dem einen hat – im Anschluss an Rabel977 – eine selbstständige Anknüpfung der Vollmacht zu erfolgen, während das andere eine unselbstständige, akzessorische Anknüpfung bevorzugt. Nach einer kurzen Darstellung der Grundlagen, der Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten und deren kollisionsrechtlichen Interessen wird daher zunächst untersucht, ob die Vollmacht selbstständig oder unselbstständig anzuknüpfen ist. B. Rechtsbeziehungen bei Vertretergeschäften im Rahmen von Telemedizinverträgen Ausgangspunkt für die kollisionsrechtliche Behandlung der Vollmacht ist die Feststellung, dass bei Vertragsabschlüssen unter Einschaltung eines Vertreters eine Drei-Personen-Konstellation vorliegt, in der drei unterschiedliche Rechtsverhältnisse entstehen. Von entscheidender Bedeutung ist zunächst die Rechtsbeziehung zwischen dem potentiell Vertretenen (Prinzipal beziehungsweise Geschäftsherr) und dem kontrahierenden Dritten, also das Hauptgeschäft. Der wirksame Abschluss dieses Rechtsgeschäftes ist der originäre Zweck der Stellvertretung. Im Fall der grenzüberschreitenden Telemedizin ist das Hauptgeschäft der Telemedizinvertrag zwischen Patient und Telemediziner.978 Daneben bestehen zwei weitere Rechtsbeziehungen: eine zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter (Innenverhältnis)979 und eine weitere zwischen dem Vertreter und dem verhandelnden Dritten. Potentiell kann sich die Vollmacht in allen drei Rechtsbeziehungen auswirken: Im Außenverhältnis zwischen Patient und Telemediziner hängt von ihr die Wirksamkeit des Hauptgeschäftes ab. Aber auch im Verhältnis zwischen Primärarzt und Telemediziner spielt sie eine entscheidende Rolle, wenn es um die Haftung des Primärarztes als falsus procurator geht. Schließlich kommt der Voll-
975
Luther, RabelsZ 38 (1974), 421, 438. Klinke, RIW 1978, 642, 649 f. 977 Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807, 812 ff.; sowie ders., RabelsZ 7 (1933), 797, 797 ff. 978 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 1, A, I, 2 und II.2 sowie B, II. 979 Dabei handelt es sich regelmäßig um einen Auftrag oder einen Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen Patient und Primärarzt. 976
§ 7 Vollmachts-/Vertretungsstatut
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macht auch entscheidende Bedeutung im Innenverhältnis zwischen Primärarzt und Patient zu, wenn es beispielsweise um Regressfragen des Patienten gegen den Primärarzt geht. Zusammenfassend bildet die Vollmacht das Bindeglied, das die am Stellvertretungsdreieck Beteiligten miteinander verbindet. C. Kollisionsrechtliche Interessen der Beteiligten Für die kollisionsrechtliche Behandlung der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht sind, wie bei jeder anderen Anknüpfung auch, die kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten entscheidend, sodass diese untersucht und herausgearbeitet werden müssen. Bei telemedizinischen Vertretungskonstellationen hat – wie in jeder Vertretungskonstellation auch – jeder der Beteiligten eigene kollisionsrechtliche Interessen. Dem Telemediziner geht es in erster Linie darum festzustellen, ob er das gewünschte Hauptgeschäft mit dem Patienten, vertreten durch den Primärarzt, schließen kann. Sein kollisionsrechtliches Interesse geht folglich dahin, dass er schnell, sicher und möglichst kostengünstig herausfinden kann, welchem Recht die Vollmacht unterliegt und welchen Inhalt sie hat.980 Demgegenüber hat der Patient ein Interesse daran, nicht an solche Verträge gebunden zu werden, die zwar in seinem Namen aber ohne Vollmacht geschlossen wurden. Insbesondere hat er ein Interesse davor geschützt zu werden, dass die Vollmacht durch Manipulation des Anknüpfungsmerkmals erweitert wird.981 Auch der Primärarzt hat ein Interesse an einer klaren und schnellen Feststellbarkeit des Vollmachtsumfangs und damit auch deren kollisionsrechtlicher Behandlung, da er nur so das Risiko einer Haftung als falsus procurator überblicken kann.982 D. Unselbstständige Anknüpfung Eine unselbstständige Anknüpfung der Vollmacht des Primärarztes wäre zum einen an das Recht, dem das Grundverhältnis zwischen Patient und Primärarzt unterliegt, zum anderen an das Recht, dem das Hauptgeschäft, also der Telemedizinvertrag, unterliegt, denkbar. 980 Vgl. Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 740 f.; Verhagen, Agency, S. 107; Kurzynsky-Singer, Vollmachtstatut, S. 154; Magnus in Staudinger (2002), Einl. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. A 13; Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 207; Siehe dazu auch die Darstellung bei Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 110–112. 981 Schäfer, RIW 1996, 189, 190; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 740 f. 982 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 741; Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 260.
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I. Akzessorische Anknüpfung an das Statut des Innenverhältnisses Die akzessorische Anknüpfung an das Statut des Innenverhältnisses Anknüpfungsmöglichkeit wird in Deutschland heute nicht mehr vertreten983 und erscheint auch nicht sinnvoll, da sie die kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners überhaupt nicht berücksichtigt. Insbesondere wäre es dem Telemediziner regelmäßig nicht möglich, die für die Vollmacht einschlägige Rechtsordnung zu ermitteln, da er keinen Einblick und auch keinerlei Einblicksmöglichkeit in das zwischen Primärarzt und Patient bestehende Rechtsverhältnis besitzt.984 Besonderes Gewicht gewinnt dieses Argument dadurch, dass es Patient und Primärarzt im Grundsatz offen steht, das auf das Innenverhältnis anwendbare Recht durch Rechtswahl festzulegen. In einem solchen Fall könnte der Telemediziner nicht anhand objektiver Umstände feststellen, ob er wirksam mit dem Patienten kontrahieren kann oder nicht. Aber selbst wenn eine solche Rechtswahl nicht erfolgt, werden dem Telemediziner meist die objektiven Umstände, die für die Ermittlung der einschlägigen Rechtsordnung nötig sind, nicht bekannt sein, so dass er nicht beurteilen kann, nach welcher Rechtsordnung sich die vermeintliche Vollmacht des Primärarztes bestimmt. Eine unselbstständige Anknüpfung an das Innenverhältnis zwischen Patient und Primärarzt würde daher letztlich die Leichtigkeit des internationalen Dienstleistungsverkehrs gefährden, weshalb sie abzulehnen ist. II. Akzessorische Anknüpfung an das Statut des Hauptgeschäftes In der Literatur findet sich teilweise die Auffassung, dass die Vollmacht unselbstständig an das Statut des Hauptgeschäfts anzuknüpfen sei.985 Für die Telemedizin würde dies bedeuten, dass sich die Wirksamkeit der Vollmacht des Primärarztes nach dem Vertragsstatut des Telemedizinvertrages richtet. Eine solche Koppelung der Vollmacht an das Hauptgeschäft habe zu erfolgen, da die Vollmacht in einem engen inneren Zusammenhang mit dem Hauptgeschäft steht.986 Begründet wird dies damit, dass die Vollmacht erst durch die Tätigung des Hauptgeschäfts eine rechtsgeschäftliche Wirkung entfaltet und deshalb funktional nur auf dieses bezogen sei, dieses also nur vorbereitet.987 Dies zeige sich schon daran, dass das inter983
Siehe Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 49 und Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 741 f. jeweils m.z.N aus der deutschen und internationalen Literatur. 984 Verhagen, Agency, S. 108. 985 So etwa Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 271; ders., in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 145. 986 Spellenberg, Vertreterverträge in Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 153; ders., in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 149. 987 Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 148
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nationale Privatrecht große Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Geschäfts- und Vollmachtsstatut habe.988 Haben die Parteien des Hauptgeschäfts das Geschäftsstatut gewählt, sei eine einheitliche Anknüpfung schon deshalb angemessen, da sie auf dem erklärten Willen der Parteien beruhe.989 Aber auch wenn die Parteien keine Rechtswahl hinsichtlich des Geschäftsstatuts vereinbart haben, sei eine unselbständige Anknüpfung des Vollmachtsstatuts vorzugswürdig, da die objektive Anknüpfung des Hauptgeschäfts diejenige Rechtsordnung bestimmt, die sachlich und räumlich angemessen ist.990 1. Vorteile der hauptgeschäftsakzessorischen Anknüpfung der Vollmacht Für diese Auffassung streitet zunächst der enge Sachzusammenhang zwischen der Vollmacht des Primärarztes und dem zwischen Patient und Telemediziner gegebenenfalls zustande kommenden Telemedizinvertrag. In der Tat dient die Bevollmächtigung des Primärarztes durch den Patienten nur dem Abschluss des Telemedizinvertrags mit dem ausländischen Telemediziner. Weiter wird vorgebracht, dass durch die einheitliche Anwendung einer einzigen Rechtsordnung zum einen Rechtsunsicherheiten vermieden würden, zum anderen eine oft schwierige Abgrenzung zwischen Geschäfts- und Vollmachtsstatut nicht notwendig sei.991 Auch die im Anschluss an die kollisionsrechtliche Beurteilung notwendige Rechtsfindung würde durch die hauptvertragsakzessorische Anknüpfung erleichtert, da nur eine einzige Sachrechtsordnung ermittelt werden müsste. Die eigentliche Frage ist jedoch, ob durch die Koppelung der Vollmacht an das Statut des Telemedizinvertrags der kollisionsrechtliche Interessenkonflikt der Beteiligten richtig und interessengerecht gelöst wird und ob die genannten Vorteile der einheitlichen Anwendung des Geschäftsstatuts schwerer wiegen als deren Nachteile. 2. Nachteile der hauptgeschäftsakzessorischen Anknüpfung der Vollmacht Gegen eine hauptgeschäftsakzessorische Anknüpfung spricht zunächst, dass sich aus der Wahl des auf den Telemedizinvertrag anzuwenden Rechts regelmäßig nicht der Schluss ziehen lässt, dass Primärarzt und Telemediziner auch die Vollmacht diesem Recht unterstellen wollten.992 Ein
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Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 128, 146. Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 226. 990 Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 226. 991 Ebenroth, JZ 1983, 821, 823; Schäfer, RIW 1996, 189, 190; Fischer, Verkehrsschutz, S. 284. 992 Ebenroth, JZ 1983, 821, 822. 989
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
solcher Rückschluss darf nicht gezogen werden, da man auf der Ebene des Kollisionsrechts andernfalls Verträge zu Lasten Dritter zulassen würde: Primärarzt und Telemediziner hätten es in der Hand durch Abschluss eines Rechtswahlvertrags das auf das Verhältnis zwischen Patient und Telearzt anwendbare Recht zu beeinflussen. Aber auch unabhängig von diesem Argument kann nicht angenommen werden, dass Primärarzt und Telemediziner mit einer auf den Telemedizinvertrag gerichteten Rechtswahl über die Rechtsordnung der Vollmacht – als rechtliche Basis jeder Vertragsverhandlung – bestimmen wollen.993 Besonders deutlich wird dies in einem Fall, in dem der Telemedizinvertrag erst am Ende der Vertragsverhandlungen einer neutralen Rechtsordnung unterstellt wird, nach welcher der Primärarzt ex tunc ohne Vertretungsmacht agierte, so dass der Telemedizinvertrag nicht wirksam geschlossen werden könnte.994 In derartigen Fallkonstellationen tritt das eigentliche Defizit einer vertragsakzessorischen Anknüpfung der Vollmacht an das Hauptgeschäftsstatut offen zutage: Bis zum Abschluss des Telemedizinvertrages, genauer bis zur Festlegung der darauf anwendbaren Rechtsordnung, befindet sich die Vollmacht in einem kollisionsrechtlichen Vakuum.995 Das auf sie anwendbare Recht ist weder bestimmt noch bestimmbar. Dies kann auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass die Vertretung erst mit dem Vertretergeschäft rechtliche Wirkung erlange996, da dem Primärarzt bereits im Zeitpunkt der Bevollmächtigung seitens des Patienten eine rechtliche Kontrahierungsbefugnis eingeräumt wird, so dass die Vollmacht bereits vor dem eigentlichen Vertragsschluss eine gewisse Rechtswirkung besitzt.997 Darüber hinaus birgt das Verständnis der hauptgeschäftsakzessorischen Anknüpfung die Gefahr, dass der Primärarzt und der Telemediziner durch eine geschickte Rechtswahl des Hauptgeschäftsstatuts den Vollmachtsumfang zulasten des Patienten beeinflussen.998 Auch muss der Primärarzt gegen eine, den Vollmachtsumfang unter Umständen einschränkende, nachträgliche Rechtswahl der auf den Telemedizinvertrag anwendbaren Rechtsordnung durch den Patienten und den Telemediziner geschützt werden, da er andernfalls Gefahr laufen würde, einer für ihn unvorhersehbaren
993
Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 743 f. Vgl. Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 743 f. 995 Vgl. Verhagen, Agency, S. 120. 996 In diese Richtung aber die Gegenauffassung, vgl. Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 149 mit Verweis auf Rn. 29 ff. 997 Magnus in Staudinger (2002), Einl. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. A 11; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art 10 EGBGB Rn. 100. 998 Vgl. Schäfer, RIW 1996, 189, 190; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 743. 994
§ 7 Vollmachts-/Vertretungsstatut
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und daher unkalkulierbaren Haftung als falsus procurator ausgesetzt zu sein.999 Diese Probleme erkennen auch die Vertreter einer hauptgeschäftsakzessorischen Anknüpfung der Vollmacht und versuchen deshalb, diesen Gefahren mit dem Korrektiv der Zumutbarkeit der Rechtswahl für den Patienten zu begegnen.1000 Danach soll eine Rechtswahl von Primärarzt und Telemediziner für das Hauptgeschäft die Vollmacht ausnahmsweise nicht erfassen, wenn sie für den Patienten nicht vorhersehbar war und ihn unbillig benachteiligt.1001 Diese Korrektur vermag jedoch nicht zu überzeugen. Zum einen steht ihr das kollisionsrechtliche Interesse des Telemediziners diametral entgegen, da dieser regelmäßig nicht erkennen kann, ob eine bestimmte Rechtswahl für den Patienten noch billig und vorhersehbar erscheint oder nicht. Dennoch ginge diese Unsicherheit letztlich zu seinen Lasten, da er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht beurteilen kann, ob der Primärarzt Vertretungsmacht besitzt oder nicht. Zum anderen resultieren aus dem unbestimmten Korrektiv der Billigkeit und Vorhersehbarkeit erhebliche Rechtsunsicherheiten.1002 Zusätzliches Gewicht erlangt dieses Argument dadurch, dass sich die schwierige kollisionsrechtliche Frage stellt, nach welcher Rechtsordnung die Billigkeit beziehungsweise Vorhersehbarkeit zu beurteilen ist.1003 Aber auch in Fällen, in denen das auf den Telemedizinvertrag anwendbare Recht objektiv nach den Art. 4 ff. Rom I bestimmt wird, ergeben sich Schwierigkeiten. Wie oben ausführlich behandelt, gestaltet sich die objektive Bestimmung des Vertragsstatuts bei Telemedizinverträgen schwierig und keinesfalls eindeutig.1004 Unterstellt man die Vollmacht nun gleichfalls der objektiv ermittelten Rechtsordnung, schlagen diese Anknüpfungsschwierigkeiten mittelbar auf das Vollmachtsstatut durch. In der Folge bleibt für den Telemediziner die fundamentale Frage, ob er wirksam mit dem Patienten kontrahiert hat, offen, da es ihm kaum gelingen wird, die für die Vollmacht einschlägige Sachrechtsordnung zu ermitteln. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass die im Rahmen der objektiven Bestimmung des Vertragsstatuts vorzunehmende Schwerpunktermittlung des Vertrages auch den Schwerpunkt der Vollmacht bestimmt, da diese unter Umständen eine wesentlich engere Verbindung zu einer anderen Rechts-
999 Vgl. Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 743; Verhagen, Agency, S. 359; wohl auch Kurzynsky-Singer, Vollmachtsstatut, S. 178. 1000 Vgl. Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 238. 1001 Vgl. Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 238. 1002 Steding, ZVglRWiss 86 (1987), 25, 44; Schäfer, RIW 1996, 189, 190. 1003 Steding, ZVglRWiss 86 (1987), 25, 44. 1004 Siehe dazu oben Kapitel 4, § 3; insb. Kapitel 4,§ 3, B, III.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
ordnung besitzt.1005 Besonders deutlich wird dies etwa im folgenden Fall: A mit gewöhnlichem Aufenthalt in Frankreich schließt mit dem Deutschen B einen Kaufvertrag über die Lieferung von Werkzeugteilen. B lässt sich bei den Verhandlungen und dem sich daran anschließenden Vertragsschluss in den Schweizer Bergen durch V vertreten. Warum sollte sich in diesem Fall der Schwerpunkt der Vollmacht aus Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I beziehungsweise der dieser Norm zugrundeliegenden Lehre von der charakteristischen Leistung ergeben? Warum sollte B gegenüber A und V hinsichtlich der Vollmacht kollisionsrechtlich privilegiert werden, obwohl hinsichtlich der Vollmacht keiner der Rechtfertigungsgründe für die Lehre von der charakteristischen Leistung1006 passt? Dass die hauptgeschäftsakzessorische Anknüpfung der Vollmacht zu merkwürdigen, willkürlich anmutenden Ergebnissen gelangt, verwundert daher nicht sonderlich: Beauftragt beispielsweise eine englische Firma einen deutschen Agenten, in Deutschland sowohl Einkäufe wie auch Verkäufe mit deutschen Firmen zu tätigen, so wäre im ersten Fall deutsches Recht als Recht des Domizils des Drittkontrahenten und im zweiten Fall englisches Recht als Recht des Sitzes des Prinzipals anwendbar, obwohl das Tätigkeitsgebiet des Vertreters in beiden Fällen in Deutschland liegt. Aus diesen Überlegungen ergibt sich insgesamt, dass eine hauptgeschäftsakzessorische Anknüpfung der Vollmacht nicht überzeugt, da deren Nachteile gewichtiger sind als deren Vorteile. E. Selbstständige Anknüpfung der Vollmacht Nachdem nunmehr feststeht, dass die vorgeschlagenen unselbstständigen Anknüpfungsvarianten zur Bestimmung des Vollmachtsstatuts nicht überzeugen, wird im Folgenden untersucht, wie eine selbstständige Anknüpfung der Vollmacht zu erfolgen hat. I. Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Vertreters Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom I-E in der Entwurfsfassung vom 15.12.20051007 berief als Vollmachtsstatut im Grundsatz das Sachrecht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Vertreters im Zeitpunkt seines Handelns. Nach dem damaligen Art. 18 Rom I-E1008 lag der gewöhnliche Aufenthalt von Gesell-
1005
Magnus in Staudinger (2002), Einl. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. A 10; Schäfer, RIW 1996, 189, 190; a.A. Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 151, der die Auffassung vertritt, dass die Vollmacht keinen eigenen Schwerpunkt besitzt. 1006 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, B, II, 2, a). 1007 Diese Fassung wird im Folgenden als Rom I-E bezeichnet. 1008 Diesem entspricht der heutige Art. 19 Rom I.
§ 7 Vollmachts-/Vertretungsstatut
393
schaften, juristischen Personen und Vereinen am Ort der Hauptverwaltung beziehungsweise der vertragsbetreuenden Niederlassung. Handelt hingegen eine natürliche Person im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit, war nach Art. 18 Abs. 2 Rom I-E ihre berufliche Hauptniederlassung maßgebend. Auch die Rechtsprechung und Teile der deutschen Lehre waren schon früher der Auffassung, dass die Vollmacht für kaufmännische Vertreter mit eigener ständiger Geschäftsniederlassung, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit ein Unternehmen im Ausland vertreten, nach der Rechtsordnung am Ort der Niederlassung des Vertreters zu beurteilen sei.1009 Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom I-E sah eine solche Lösung nun aber auch für Fälle vor, in denen der Vertreter nicht kaufmännisch tätig wurde. Unter die Regelung wäre daher auch die Vollmacht des Primärbehandlers als Vertreter des Patienten gefallen. Fraglich erscheint, ob eine solche Anknüpfung sinnvoll wäre. Zur Klärung dieser Frage wird im Folgenden zunächst erörtert, ob und bejahendenfalls aus welchen Gründen eine Anknüpfung an die berufliche Niederlassung des kaufmännischen Vertreters überzeugend ist. Im Anschluss daran gilt es zu untersuchen, ob diese Überlegungen auch auf eine Stellvertretung übertragbar ist, bei welcher der Vertreter – wie im Rahmen der Telemedizin der Primärarzt – nicht kaufmännisch tätig wird. 1. Argumente für die Anknüpfung am beruflichen Niederlassungsort in Fällen kaufmännischer Vertretung Für die Anknüpfung an die geschäftliche Niederlassung des kaufmännischen Vertreters (Prokuristen, Handelsvertreter) soll sprechen, dass dieses Anknüpfungsmerkmal verhältnismäßig eindeutig, leicht feststellbar und bereits zu Verhandlungsbeginn bestimmbar ist.1010 Auch entfalte der Vertreter gerade an diesem Ort seine Tätigkeit im Rechtsverkehr, so dass der Anknüpfungspunkt einer Manipulation nur schwer zugänglich sei.1011 Weiter stelle diese Anknüpfung einen Kompromiss zwischen dem Heimatrecht des Vertretenen und dem seines Vertragspartners dar, die im Regelfall beiden Parteien gleichermaßen erkennbar ist.1012 Zuzugeben ist, dass der potentielle Drittkontrahent unmittelbar mit dem Vertreter verhandelt, so dass er regelmäßig aus der schriftlichen oder elektronischen Korrespondenz, Briefköpfen, den Visitenkarten etc. leicht Rückschlüsse auf den Niederlassungsort des Vertreters ziehen kann. Ande1009 BGH, NJW 1990, 3088, 3088; Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 5456 ff. m.z.N.; Kropholler, IPR, § 41 I 2. b). 1010 Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 2446. 1011 Verhagen, Agency, S. 111. 1012 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 748.
394
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
rerseits hat sich der Prinzipal seinen Vertreter ausgesucht, so dass auch diesem der Niederlassungsort regelmäßig bekannt ist. Folglich sind sowohl der potentielle Drittkontrahent als auch der Prinzipal meistens in der Lage, die für sie wichtige kollisionsrechtliche Frage der auf die Vollmacht anwendbaren Rechtsordnung zu klären. Dennoch stellt sich die Frage, ob diese Auffassung auch überzeugt, wenn der potentielle Drittkontrahent von der Niederlassung des Vertreters keine Kenntnis hat oder ob in diesen Fällen die auf die Vollmacht anwendbare Rechtsordnung für ihn nicht vielmehr als überraschend und daher unzumutbar erscheint.1013 Grundsätzlich hat der potentielle Drittkontrahent die Möglichkeit von der Niederlassung des kaufmännisch tätigen Vertreters Kenntnis zu erlangen. In Zweifelsfällen wird ihm bei Kaufleuten häufig ein Blick in das jeweilige Register helfen. Gegen die grundsätzliche Annahme einer Unzumutbarkeit spricht auch, dass in der Mehrheit der Fälle der Niederlassungsort des Vertreters mit dem Ort, an dem der potentielle Drittkontrahent tätig ist, übereinstimmen wird. Aus diesen Gründen ist eine Anknüpfung an den Niederlassungsort des Vertreters nur ausnahmsweise dann unzumutbar, wenn dieser Ort für den potentiellen Drittkontrahenten nicht erkennbar ist, da in einem solchen Fall die Interessen des potentiellen Drittkontrahenten nicht hinreichend gewahrt würden.1014 Deshalb enthielt Art. 7 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 und 2 Rom I-E Ausnahmefallgruppen, in denen von der Grundanknüpfung an den Niederlassungsort des Vertreters zugunsten der lex loci actus abzuweichen war. Diese Fallgruppen erfassten zwar die typischen Problemkonstellationen, in denen es zur Nichterkennbarkeit der ausländischen Vertreterniederlassung kommen kann, dennoch waren nicht alle Problemkonstellationen geregelt. Aus Gründen des Schutzes des potentiellen Drittkontrahenten muss aber auch in derartigen Problemfällen die lex loci actus gelten.1015 Da es sich dabei jedoch um Einzelfälle handelt, kann daraus nicht geschlossen werden, dass eine Anknüpfung an den Niederlassungsort per se abzulehnen ist.1016
1013
So Schäfer, RIW 1996, 189, 192; BGH, NJW 1990, 3088, 3088; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 751; Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 2446; Ruthig, Vollmacht und Rechtsschein, S. 156; Mäsch in Bamberger/Roth, Anh. Art. 10 EGBGB Rn. 103. 1015 BGH, NJW 1990, 3088, 3088; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 752; Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 207; Magnus in Staudinger (2002), Einl. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. A 24; Müller in Sandrock, Int. Vertragsgestaltung, S. 648. 1016 A.A. Schäfer, RIW 1996, 189, 192 und wohl auch Leible, IPRax 1998, 257, 263 die beide aus diesem Grund immer eine Anknüpfung der Vollmacht an das Recht des Staates, in dem die Vollmacht tatsächlich gebraucht wurde, vornehmen wollen; siehe auch Ebenroth, JZ 1983, 821, 823, 825 der aus dem selben Grund zu einer Anknüpfung der Vollmacht an das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Geschäftsherrn gelangt. 1014
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2. Primärarzt als Gelegenheitsvertreter Bei dem Primärarzt handelt es sich jedoch nicht um einen kaufmännischen Vertreter, sondern um einen sogenannten Gelegenheitsvertreter, also um eine Person, die gerade nicht geschäftsmäßig als Vertreter agiert. Deren Vollmacht wurde bislang nach herrschender Meinung nach der Rechtsordnung am Gebrauchsort1017 beurteilt, so dass eine Anknüpfung der Vollmacht eines Gelegenheitsvertreters an den Ort seiner Niederlassung, wie sie in Art. 7 Abs. 1 Rom I-E vorgesehen war, ein echtes und damit rechtfertigungsbedürftiges Novum darstellen würde. Auch der Patient ist kein Kaufmann. Während im Rahmen der kaufmännischen Vertretung davon ausgegangen werden kann, dass sich ein Kaufmann durch die Bevollmächtigung und Einschaltung eines Vertreters für einen bestimmten ausländischen Raum der dortigen Rechtsordnung unterwirft1018, gilt dies nicht für Personen, die sich nur gelegentlich vertreten lassen. Die schon dargestellten kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten1019 bleiben daher erhalten und werden nicht durch eine „Unterwerfung“ unter eine ausländische Rechtsordnung verdrängt. Bereits diese Überlegungen sprechen dafür, dass die Anknüpfung der Vollmacht an die Sachrechtsordnung der beruflichen Niederlassung bei Gelegenheitsvertretungen nicht überzeugt. Gegen die Beurteilung der Vollmacht eines Gelegenheitsvertreters nach der Rechtsordnung an seinem gewöhnlichen Aufenthalt spricht ferner, dass dieser Anknüpfungspunkt in Fällen von Gelegenheitsvertretungen keinen typischen Bezug zur wirtschaftlichen Tätigkeit des Vertreters aufweist. Dies zeigt sich deutlich auch in Fällen der Telemedizin, da die Haupttätigkeit des Primärarztes nicht darin besteht, Verträge im Namen des Patienten mit Telemedizinern zu schließen. Dass es durch den Einsatz der Telemedizin vermehrt dazu kommen wird, dass der Primärarzt im Namen des Patienten mit Telemedizinern kontrahiert, ändert am eigentlichen Berufsbild des Arztes nichts. Er wird nicht professioneller Vertreter, sondern bleibt im Wesentlichen Arzt. Gegen eine Beurteilung der Vollmacht nach der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt des Primärarztes spricht ferner, dass er als bloßer Gelegenheitsvertreter keine herausragende Funktion im internationalen Handel wahrnimmt, so dass auch die kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten nicht mit denen im Rahmen einer kaufmännischen Stellvertre-
1017
Dieser wird jedoch im einzelnen unterschiedlich definiert, vgl. dazu unten Kapitel 4, § 7, E, III. 1018 RGZ 38, 194, 196; Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 206. 1019 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 7, C.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
tung identisch sind. Die Niederlassung des Primärarztes ist nicht das erkennbare Zentrum der Vermittlungstätigkeit. Aus kollisionsrechtlicher Sicht erscheint dieser Ort in Ermangelung eines substantiierten Bezugs zur jeweiligen Stellvertretungssituation und in Ermangelung eines entsprechendes Registers, aus dem der gewöhnliche Aufenthalt des Primärarztes entnommen werden könnte, vielmehr zufällig und für den Telemediziner nur schwer ermittelbar.1020 Diese Überlegungen sprechen allesamt dafür, die Gelegenheitsvertretung nicht nach der Rechtsordnung am Niederlassungsort des Vertreters zu beurteilen. II. Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Patienten Bisweilen findet sich auch die Auffassung, dass die Vollmacht an die Rechtsordnung am gewöhnlichen, hilfsweise auch am schlichten Aufenthaltsort des Prinzipals anzuknüpfen sei.1021 Für die Vollmacht des Primärarztes würde dies im Rahmen der Telemedizin bedeuten, dass diese der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt des Patienten zu unterstellen wäre. Diese Auffassung käme den Interessen des Patienten am stärksten entgegen, da das ihm vertraute Umweltrecht zur Anwendung berufen würde. Gleichzeitig würden jedoch die spiegelbildlichen kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners an der Anwendung der Rechtsordnung an seinem gewöhnlichen Aufenthalt vollständig ignoriert. Dies könne allerdings – so wird argumentiert – durch eine analoge Anwendung des Art. 12 S. 1 EGBGB ausgeglichen werden, da über eine Analogie zu dieser Vorschrift unter Umständen das Recht am Gebrauchsort der Vollmacht zur Anwendung zu berufen sei, so dass der Telemediziner geschützt werde.1022 Nach einer anderen Spielart dieser Auffassung ist der Telemediziner dadurch zu schützen, dass für die Vollmacht das Recht am Gebrauchsort jedenfalls dann maßgeblich sei, wenn er den – aus seiner Sicht – ausländischen Aufenthaltsort des Patienten nicht kennt, wenngleich diese Kenntnis zunächst vermutet werden soll.1023
1020
Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 754; Klinke, RIW 1978, 642, 649. Kegel/Schurig, IPR, § 17 V 2. a), S. 621 f.; Ebenroth, JZ 1983, 821, 824. 1022 Kegel/Schurig, IPR, § 17 V 2 a), S. 621 f. 1023 Ebenroth, JZ 1983, 821, 824. 1021
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1. Argumente für eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Patienten Für eine Beurteilung der Vollmacht nach der Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt des Patienten streitet, dass diese Anknüpfung der Rechtsnatur der Vollmacht Rechnung trägt. Bei der Vollmachtserteilung handelt es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft, das einzig dem Geschäftsherrn obliegt. Durch die Berufung „seiner“ Rechtsordnung wird diesem Umstand und den dadurch implizierten kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten folglich maximal Rechnung getragen. 2. Argumente gegen eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Patienten Gegen eine derartige Vollmachtsanknüpfung ist jedoch einzuwenden, dass sie den bestehenden kollisionsrechtlichen Interessenkonflikt einseitig zugunsten des Patienten entscheidet.1024 Dies kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Patienten für den Telemediziner erkennbar oder – mittels moderner Kommunikationsmittel – jedenfalls erforschbar ist.1025 Gerade bei der Telemedizin ist der gewöhnliche Aufenthaltsort des Patienten dem Telemediziner häufig nicht bekannt oder jedenfalls nur unter erheblichem Aufwand erkennbar. Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass regelmäßig kein persönlicher Kontakt zwischen Patient und Telearzt besteht und zum anderen daraus, dass der gewöhnliche Aufenthaltsort des Patienten nicht mit dem Behandlungsort übereinstimmen muss. Darüber hinaus stünde die Annahme einer Nachforschungspflicht des Telemediziners im Widerspruch zum Zweck der Stellvertretung „to avoid constant recourse by third persons to the principal“.1026 Durch die Schaffung einer generellen Rückfragepflicht des Telemediziners würde letztlich die Geschäftstätigkeit des Patienten und damit der Abschluss des Telemedizinvertrages mit dem ausländischen Telemediziner erschwert, weil sie zur Absicherung auch vorzunehmen wäre, wenn der Primärarzt tatsächlich Vollmacht zum Abschluss eines Telemedizinvertrages besäße. Dieses Argument wiegt umso schwerer, da im Bereich der Medizin kein Patientenregister existiert, aus dem der gewöhnliche Aufenthalt des Patienten einfach entnommen werden kann; vielmehr dürfte
1024 1025
Berger, Statut der Vollmacht, S. 102. A.A. Basedow, RabelsZ 45 (1981), 196, 211; Luther, RabelsZ 38 (1974), 421,
437 f. 1026 Judge Learned Hand in Kidd v. Thomas A. Edison Inc.; 239 f. 405, 408, District Court, S.D. New York (1971); Spellenberg, Vertreterverträge Ferrari/Leible, Neues int. Vertragsrecht, S. 163.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
die Erforschung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Patienten für den Telemediziner – jedenfalls an Ort und Stelle – meist unmöglich sein.1027 Darüber hinaus greift der Schutz des Telemediziners über die subsidiäre Anknüpfung an den Gebrauchsort analog Art. 12 S. 1 EGBGB im Ergebnis nur dann, wenn der Telemediziner den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Patienten weder kannte noch hätte kennen müssen. Allein in der Notwendigkeit dieses subsidiären Notbehelfs, der teilweise sogar mittels einer Vermutung verstärkt wird1028, zeigt sich das Defizit der Grundanknüpfung.1029 Auch stellt sich die Frage, warum die kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten diejenigen des Telemediziners überhaupt überwiegen sollen: Schließlich weiß der Patient im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen allein aufgrund datenschutzrechtlicher Vorgaben1030 regelmäßig, dass der Primärarzt in einer anderen Rechtsordnung tätig wird. Folglich muss er auch mit der Anwendung eines – aus seiner Sicht – fremden Sachrechts jedenfalls nicht weniger rechnen als der Telemediziner.1031 Diese Bewertung der kollisionsrechtlichen Interessenlage ändert sich auch nicht in Fällen, in denen bei der Vollmachtserteilung noch nicht feststeht, in welchem Land der Primärarzt letztlich kontrahieren wird. Denn auch in derartigen Sachverhaltskonstellationen hat der Patient unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit, die Legitimation des Primärarztes zum Vertragsschluss in seinem Namen nach außen wirksam zu begrenzen. So ist es nach ganz herrschender Meinung möglich, dass der Patient deutsches Recht als Vollmachtsstatut – auch im Verhältnis zum Telemediziner – verbindlich wählen kann, wenn die Rechtswahl aus der Vollmachtsurkunde ersichtlich ist oder dem Telemediziner anderweitig mitgeteilt wurde.1032
1027
Vgl. Berger, Statut der Vollmacht, S. 102. Ebenroth, JZ 1983, 821, 824. 1029 Berger, Statut der Vollmacht, S. 103; Schäfer, RIW 1996, 189, 192. 1030 Vgl. dazu oben Kapitel 2, § 4. 1031 Fischer, Verkehrsschutz, S. 283. 1032 Müller, RIW 1979, 377, 383; Fischer, Verkehrsschutz, S. 283; Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 2345 f.; Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807, 835; Schäfer, RIW 1996, 189, 190 f.; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 95; Fischer, IPRax 2005, 269, 272; a.A. Kropholler, IPR, § 41 I 2 e); Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 95, die für die Wirksamkeit einer derartigen Rechtswahl eine ausdrückliche (so Kropholler) oder zumindest hinreichend sichere (so Spellenberg) Zustimmung des Drittkontrahenten verlangen; siehe auch Lüderitz in FS Coing, 305, 319, der eine Zustimmung des Dritten in den Fällen verlangt, in denen die Rechtswahl zu einem vom Personalstatut des Geschäftsherrn abweichenden Recht führen würde; siehe in diesem Kontext auch Art. 7 Abs. 3 Rom I-E. 1028
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Darüber hinaus setzt der Patient durch die Vollmachtserteilung das Risiko dafür, dass auf diese potentiell ein anderes Recht Anwendung findet. Er ist derjenige, der den Primärarzt losschickt, um in seinem Namen Verträge mit ausländischen Teleärzten zu schließen. Für dieses Risiko erhält er im Gegenzug eine Erweiterung seines Aktionsradius, so dass auch aus diesem Grund die Tragung der damit verbunden Risiken angemessen erscheint.1033 Dem lässt sich auch nicht entgegnen, dass auch der Telemediziner von dieser Erweiterung profitiert, sodass auch dieser die geschilderten Risiken zu tragen habe1034, da die Erweiterung des Geschäftsradius des Telemediziners bei objektiv-wertender Betrachtung nur eine mittelbare Folge, ein Reflex der Geschäftsradiuserweiterung durch den Patienten ist. Aus dem Gesagten resultiert, dass auch eine Beurteilung der Vollmacht nach der Rechtsordnung am Personalstatut des Patienten abzulehnen ist. III. Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht In Abweichung von der Grundanknüpfung an den gewöhnlichen Niederlassungsort nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom I-E sah der Kommissionsvorschlag den Gebrauchsort der Vollmacht gemäß Art. 7 Abs. 2 S. 2 Rom I-E immer dann als maßgeblich an, wenn der Vertreter entweder im Land des Prinzipals oder im Land des potentiellen Drittkontrahenten gehandelt hat. In der Mehrheit der in der Praxis vorkommenden Fälle wäre die Vollmacht also nach der Rechtsordnung am Gebrauchsort zu beurteilen gewesen.1035 Auch in Fällen der Telemedizin wäre die Vollmacht regelmäßig nach der Rechtsordnung am Gebrauchsort zu beurteilen gewesen, da der Primärbehandler und der Patient ihren gewöhnlichen Aufenthalt regelmäßig in demselben Staat haben. Vor diesem Hintergrund wird im folgenden Abschnitt untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Beurteilung der Vollmacht nach der Rechtsordnung des Gebrauchsortes sach- und interessengerecht ist. 1. Argumente für eine Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht Wesentlicher Vorteil einer Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht ist, dass hierdurch den Interessen des Telemediziners bestmöglich Rechnung getragen wird. Er soll in seinem Vertrauen auf die Geltung der-
1033
Pfister, Vollmacht und Stellvertretung, S. 105; Kropholler, NJW 1965, 1641, 1645; Fischer, Verkehrsschutz, S. 283; Kurzynsky-Singer, Vollmachtstatut, S. 155 f. 1034 So aber Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 226. 1035 Steding, ZVglRWiss 86 (1987), 25, 41.
400
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jenigen Stellvertretungsregeln geschützt werden, die an dem Ort gelten, an dem der Primärarzt die relevante Rechtshandlung vornimmt.1036 Für eine Anknüpfung am Gebrauchsort streitet ferner, dass dieser Ort aus der Perspektive des Telemediziners regelmäßig der einzige Anhaltspunkt ist, anhand dessen er Rückschlüsse auf die für die Vollmacht maßgebliche Sachrechtsordnung ziehen kann.1037 Regelmäßig wird der Gebrauchsort der Vollmacht auch mit dem Niederlassungsort des potentiellen Drittkontrahenten übereinstimmen, so dass sich die Rechtsfindung durch diesen schnell und einfach gestaltet, da sie in einem Umfeld stattfindet, welches mit den einschlägigen Rechtsregeln vertraut ist.1038 Der durch die Anknüpfung an den Gebrauchsort erreichte Vertrauensschutz des Telemediziners wird auch nicht durch die kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten verdrängt. Zwar bewirkt diese Anknüpfung, dass die kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten gegenüber denen des Telemediziners zurücktreten, dies erscheint jedoch sach- und interessengerecht, da der Patient den Primärarzt an den Gebrauchsort „entsendet“, so dass er in der Lage ist, die einschlägige Sachrechtsordnung zu ermitteln. Dass dies unter Umständen Schwierigkeiten bereitet, da es sich dabei um eine dem Patienten fremde Rechtsordnung handeln wird, ist diesem zumutbar, da er durch die Einschaltung des Vertreters seinen Handlungsradius erweitert und somit auch die damit verbundenen Lasten zu tragen hat.1039 Insoweit überwiegt der Schutz des Telemediziners die kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten. Für die Maßgeblichkeit des Rechts am Gebrauchsort streitet darüber hinaus, dass in Fällen, in denen sowohl Patient als auch Telemediziner einen Vertreter einschalten, beide Vollmachten der gleichen Rechtsordnung unterliegen, sofern es sich um ein Geschäft unter Anwesenden handelt. Freilich stellt sich bei dieser Sichtweise sogleich die Frage, wo der Gebrauchsort zu lokalisieren ist. Diese Frage stellt sich insbesondere, wenn der vom Patienten intendierte und der reale Gebrauchsort der Vollmacht auseinanderfallen. Auch in diesen Fällen überwiegt nach dem soeben Gesagten grundsätzlich der Schutz des Telemediziners die Interessen Patienten, so dass der tatsächliche Gebrauchsort jedenfalls dann maßgeblich sein
1036
BGHZ 43, 21, 26; 64, 183, 192; OLG Düsseldorf, IPRax 1996, 3424, 3425; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 757; Magnus in Staudinger (2002), Einl. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. A 21; Von Hoffmann/Thorn, § 7 Rn. 50–51. 1037 Vgl. Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 757. 1038 Besonders problematisch gestaltet sich die Bestimmung des Gebrauchsortes hingegen bei Distanzgeschäften; vgl. dazu sogleich unten Kapitel 4, § 7, E, III. 1039 Ebenroth, JZ 1983, 821, 823; Kropholler, NJW 1965, 1644, 1645; Pfister, Vollmacht und Stellvertretung, S. 105; Kayser, Vertretung ohne Vertretungsmacht, S. 29.
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muss, wenn der Telemediziner den bestimmungswidrigen Gebrauch der Vollmacht nicht kannte oder kennen musste.1040 2. Lokalisierung des Gebrauchsortes bei Distanzgeschäften Eine bislang nur spärlich diskutierte und komplexe Frage ist jedoch, wo der Gebrauchsort der Vollmacht bei Distanzgeschäften, wie sie im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen der Regelfall sind, zu lokalisieren ist. Dieser Frage wird im folgenden Abschnitt nachgegangen. a) Ausgangslage nach der bislang herrschenden Meinung Schließt der Primärarzt den Telemedizinvertrag im Namen des Patienten via Kommunikationseinrichtung vom Behandlungsort aus, ergibt sich für den Telemediziner das Problem, dass er hinsichtlich der Vollmacht überraschend mit einer ihm fremden unbekannten Rechtsordnung konfrontiert ist, da bei derartigen Distanzgeschäften der Gebrauchsort der Vollmacht nach überwiegender Meinung an dem Ort zu sehen sein soll, an dem der Vertreter seine Erklärung abgibt.1041 Allein entscheidend sei der Ort, an dem der Vertreter schreibt, telefoniert, telegrafiert oder die Erklärung in ein Computernetz eingibt; dem Ort an dem die Erklärung zugeht, soll hingegen keinerlei Bedeutung zukommen. Folge dieser Sichtweise wäre eine Konfrontation des Telemediziners mit einer ausländischen Rechtsordnung, so dass er das jeweilige Vertretungssachrecht regelmäßig nur sehr schwer ermitteln könnte. Sein kollisionsrechtliches Interesse an der Anwendung eines ihm vertrauten oder für ihn jedenfalls leicht zugänglichen Rechts würde in Fällen von Distanzgeschäften nicht beachtet. Der mit der An-
1040
Vgl. Mäsch in Bamberger/Roth, Anh. Art. 10 EGBGB Rn. 106; Rabel, RabelsZ 7 (1933), 797, 805; Hohloch in Erman, Art. 37 EGBGB Rn. 16; Kropholler, IPR, § 41 I 2 a); Kegel/Schurig, IPR, § 17 V 2 a), S. 621; Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 203. 1041 Vgl. Art. 13 Haager Stellvertretungsabkommen vom 16.06.1997; BGH, VersR 1968, 995, 995; OLG Frankfurt, RIW 1969, 415, 416 OLG Oldenburg, Urt. v. 13.06.2007 – 4 U 64/00; Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 5443; Lüderitz, JZ 1963, 169, 171; Müller in Sandrock, Int. Vertragsgestaltung, S. 649;; Kropholler, IPR, § 41 I 2 a.); Mäsch in Bamberger/Roth, Anh. Art. 10 EGBGB Rn. 106 f.; Luther, RabelsZ 38 (1974), 421, 425; Kayser, Vertretung ohne Vertretungsmacht, S. 71; Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 207; Berger, Statut der Vollmacht, S. 109; Doehner in AnwKBGB, Anh. zu Art. 32 EGBGB Rn. 3; zurückhaltend Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 98.
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knüpfung an den Gebrauchsort eigentlich verfolgte Zweck des Telemedizinerschutzes würde folglich bei Distanzgeschäften nicht erreicht.1042 b) Alternativer Lösungsvorschlag Eine Lösung dieser Problematik könnte darin bestehen, den Gebrauchsort an dem Ort zu lokalisieren, an dem die Erklärung des Primärarztes dem Telemediziner zugeht beziehungsweise von diesem zur Kenntnis genommen wird. Dadurch würde dem für die Anwendung des Rechts am Gebrauchsort entscheidenden Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes beziehungsweise des Schutzes des Telemediziners besser Rechnung getragen, da so regelmäßig die Rechtsordnung am Niederlassungsort des Telemediziners zur Anwendung gelangen würde. Jedenfalls wäre die zur Anwendung berufene Rechtsordnung für den Telemediziner erkennbar. c) Auseinandersetzung mit den Argumenten der herrschenden Meinung und Untersuchung des alternativen Lösungsvorschlags Hauptargument der herrschenden Meinung, den Gebrauchsort der Vollmacht bei Distanzgeschäften am Abgabeort zu lokalisieren, ist, dass der Telemediziner bei Distanzgeschäften nicht auf sein Umweltrecht vertrauen dürfe.1043 Sein Interesse an der Anwendung seines Umweltrechts verdiene keinen größeren Schutz als das entsprechende Interesse des Patienten. Vielmehr seien dem Telemediziner die oben genannten Schwierigkeiten zuzumuten, solange der Patient, vertreten durch den Primärarzt, aus seinem Rechtskreis heraus handelt, was bei Distanzgeschäften der Fall ist.1044 Es liege für den Telemediziner auf der Hand, dass der Patient diesem Staat angehört, so dass für ihn bei vernünftiger Überlegung kein Grund bestehe, auf die Anwendbarkeit seines Umweltrechts zu vertrauen. Ein kollisionsrechtlich relevantes „Vertrauendürfen“ müsse seine Rechtfertigung in einem besonderen Verhalten des Patienten finden, für die allein das grenzüberschreitende Handeln des Patientenvertreters wie beim Distanzgeschäft nicht genüge, da ein solches Vertrauen auf beiden Seiten des Vertrages vorliege.1045 Aus diesen Gründen dürfe der Telemediziner daher nicht darauf vertrauen, dass sich die Vollmacht nach seinem, ihm bekannten oder jedenfalls leicht feststellbaren, Recht beurteilt.
1042
Klinke, RIW 1978, 642, 647; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 758; Ruthig, Vollmacht und Rechtsschein, S. 50 f.; Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 205. 1043 Vgl. Fischer, Verkehrsschutz, S. 295. 1044 Vgl. Fischer, Verkehrsschutz, S. 295 mit Verweis auf S. 25. 1045 Vgl. Keller/Siehr, IPR, S. 348; vgl. Fischer, Verkehrsschutz, S. 25.
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Sowohl die Argumentationsstrukturen als auch die verwendeten Argumente erinnern stark an diejenigen, die im Rahmen des Verkehrsschutzes im Bereich des Art. 12 S. 1 EGBGB beziehungsweise der nun gültigen Parallelregelung in Art. 13 Rom I verwendet werden. Besonders deutlich wird dies dadurch, dass einige Autoren sogar auf die entsprechenden Kommentierungen beziehungsweise Untersuchungen verweisen.1046 Es stellt sich daher die Frage, ob eine solche Übernahme der Argumente zulässig ist oder ob im Rahmen der Vollmacht nicht ganz andere Aspekte zu beachten sind. Eine Anlehnung an Art. 13 Rom I wäre nur zulässig, wenn die der Regelung zugrundeliegende kollisionsrechtliche Interessenlage mit derjenigen bei der Vollmacht identisch wäre. aa) Kollisionrechtliche Interessenlage im Rahmen des Art. 13 Rom I Die Anknüpfung der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit ist gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom I nicht Regelungsgegenstand von Rom I. Daher gelangt weiterhin Art. 7 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung, so dass diese Aspekte weiterhin nach dem Heimatrecht des Betroffenen zu beurteilen sind. Dies hat zur Folge, dass die Wirksamkeit eines im Inland geschlossenen Geschäfts von Regelungen einer ausländischen Rechtsordnung abhängen kann, wenn eine der Vertragsparteien Ausländer ist. Ein inländischer Vertragspartner ist folglich dem Risiko ausgesetzt, dass das Rechtsgeschäft aufgrund fehlender Rechts-, Geschäfts- oder Handlungsfähigkeit des Vertragspartners nicht wirksam geschlossen werden kann. Dieses Risiko könnte er nur überblicken und einschätzen, wenn er die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nach der ausländischen, für ihn meist fremden, Rechtsordnung prüfen würde. Insbesondere im Bereich der Geschäfte des täglichen Lebens erscheint diese Nachforschungsobliegenheit hinsichtlich der häufig schwer überschaubaren kollisions- und materiellrechtlichen Rechtslage dem Vertragspartner jedoch nicht zumutbar.1047 Deshalb kann sich bei einem zwischen Personen, die sich in demselben Staat befinden, geschlossenen Vertrag eine natürliche Person, die nach dem Recht dieses Staates rechts-, geschäfts- oder handlungsfähig wäre, gemäß Art. 13 Rom-I nur dann auf ihre sich nach dem Recht eines anderen Staates ergebende Rechts-, Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit berufen, wenn die andere Vertragspartei bei Vertragsschluss diese Rechts-, Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte.
1046
Vgl. nur Fischer, Verkehrsschutz, S. 295 mit Verweis auf S. 25. Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 6242; ders., in Staudinger (2007), Art. 12 EGBGB Rn. 7; Mörsdorf-Schulte in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 12 EGBGB Rn. 1; Hohloch in Erman, Art. 12 EGBGB Rn. 1. 1047
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Die Anknüpfung an den Ort des Vertragsschlusses dient also der Vorhersehbarkeit der anwendbaren Rechtsordnung.1048 Eine weitere Rechtfertigungsmöglichkeit der Regelung des Art. 13 Rom I besteht darin, dass beide Parteien bewusst am Rechtsverkehr des Abschlussstaates teilnehmen und sich folglich dessen Rechtsordnung unterwerfen. Folglich ist dieses Recht auch räumlich am besten geeignet, über den Zugang zu diesem Rechtsverkehr und damit auch über den Ausgleich zwischen den Schutzinteressen der geschäftsunfähigen Partei und denen des Vertragspartners zu entscheiden.1049 Teile der Literatur sehen den Normzweck des Art. 13 Rom I hingegen darin, das Vertrauen der Parteien in die Geltung des Rechts am Abschlussort des Vertrages zu schützen.1050 Diese Überlegung vermag bei genauerer Betrachtung jedoch nicht zu überzeugen, da der Schutz des Art. 13 Rom I, ausweislich seines Wortlauts, bereits eingreift, wenn sich die Vertragsparteien beim Vertragsschluss im gleichen Land „befinden“. Nicht erforderlich ist also, dass sie sich in diesem Staat für eine gewisse Dauer aufhalten oder gar beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt1051 in diesem Staat haben.1052 Die Rechtsordnung am möglicherweise zufälligen und nur kurzweiligen gemeinsamen Aufenthaltsort ist den Parteien jedoch meist ebenso wenig geläufig, wie die am jeweils anderen Personalstatut, da eine Person einer bestimmten Sachrechtsordnung nicht deshalb nahe steht, weil sie am Abschlussort gilt, sondern weil sie dort lebt. Die Parteien vertrauen in Fällen, in denen der Abschlussort nicht mit ihrem gewöhnlichen Aufenthalt zusammenfällt, folglich nicht auf die Anwendung der Rechtsordnung am Abschlussort, da ihnen diese meist gar nicht bekannt ist. In der Folge kann dieses Vertrauen auch nicht geschützt werden.1053 Der Rechtfertigungsgrund des Art. 13 Rom I ist vor dem Hintergrund dieser Überlegungen also darin zu sehen, den Vertragsparteien eine für die Rechts- und Geschäftsfähigkeit des Vertragspartners zuständige Rechtsordnung an die Hand zu geben, die für beide Seiten verhältnismäßig einfach feststellbar ist und auf die sie sich folglich leichter einstellen kön-
1048
Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107, 130. Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107, 131 f. 1050 Thorn in Palandt, BGB, Art. 13 Rom I Rn. 2; Fischer, Verkehrsschutz, S. 26 ff. 1051 Dies verlangt hingegen Art. 10 II Rom I. 1052 Mörsdorf-Schulte in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 12 EGBGB Rn. 14; Mäsch in Bamberger/Roth, Art. 12 EGBGB Rn. 24; Hohloch in Erman, Art. 12 EGBGB Rn. 9; Hausmann in Staudinger (2007), Art. 12 EGBGB Rn. 50; a.A. Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107, 134 f; Fischer, Verkehrsschutz, S. 64 f., die insoweit eine teleologische Reduktion des Art. 13 Rom I vornehmen wollen. 1053 Hausmann in Staudinger (2007), Art. 12 EGBGB Rn. 50; Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 204. 1049
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nen.1054 Die leichtere Feststellbarkeit ergibt sich daraus, dass die zur Rechtsfindung erforderlichen Recherchen in einem Umfeld stattfinden können, welches die einschlägigen Rechtsregelungen kennt, so dass sowohl der mit der Rechtsfindung verbundene Zeit- als auch der Kostenaufwand möglichst gering ist. bb) Übertragung der Erkenntnisse auf die Lokalisierung des Gebrauchsortes der Vollmacht bei Distanzgeschäften Die soeben erfolgte Untersuchung hat gezeigt, dass die für die Regelung des Art. 13 Rom I ausschlaggebende Situation derjenigen im Rahmen der Lokalisierung des Gebrauchsortes der Vollmacht bei Distanzgeschäften – jedenfalls auf den ersten Blick – ähnelt. In beiden Situationen ist der Telemediziner mit dem Problem konfrontiert, dass er nicht erkennen kann, nach welcher Rechtsordnung eine für ihn erhebliche Rechtsfrage zu beurteilen ist: So vermag er im Fall des Art. 13 Rom I nicht zu erkennen, nach welchem Recht sich die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit des Patienten und damit letztlich die Gültigkeit des Telemedizinvertrages beurteilt, während er im Fall der Vollmacht nicht erkennen kann, welche Rechtsordnung für die Beurteilung der Vollmacht, einschlägig ist, so dass er ebenfalls die Wirksamkeit des Telemedizinvertragsschlusses nicht feststellen kann. Die erste Situation wird durch Art. 13 Rom I dahingehend geregelt, dass der Telemediziner nur dann in seinem Vertrauen auf die Anwendbarkeit des Umweltrechts des jeweiligen Staates schutzwürdig ist, wenn er sich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gemeinsam mit dem Patienten in demselben Staat befunden hat und die Geschäftsunfähigkeit des Patienten weder kannte noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grundlage für den Vertrauensschutz des Telemediziners im Rahmen der Rechts-, Geschäftund Handlungsfähigkeit ist nach Auffassung des Gesetzgebers folglich der gemeinsame physische Aufenthalt in demselben Staat zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Erklären lässt sich dieses Verständnis damit, dass für den jeweiligen Vertragspartner dann unter Umständen nicht erkennbar ist, dass er es mit einem Ausländer zu tun hat.1055 Gerade diese Gefahr besteht bei grenzüberschreitenden Distanzgeschäften nach Auffassung des Gesetz-
1054 Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107, 129 f.; Hausmann in Staudinger (2007), Art. 12 EGBGB Rn. 9. 1055 Keller/Siehr, IPR, S. 348.
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gebers aber nicht, weshalb in diesen Fällen die Schutzregelung des Art. 13 Rom I auch nicht eingreift.1056 cc) Unzulässigkeit der Wertungsübertragung aufgrund einer divergierenden kollisionsrechtlichen Grundentscheidung Würde man diese Wertungen zum Verkehrsschutz bei Rechts-, Geschäftsund Handlungsunfähigkeit unreflektiert auf die Lokalisierung des Gebrauchsortes der Vollmacht bei Distanzgeschäften übertragen, würde man zu dem Ergebnis gelangen, dass der Gebrauchsort bei Distanzgeschäften am Abgabeort zu lokalisieren ist, da der Telemediziner beziehungsweise der Verkehr bei Distanzgeschäften nicht schützenswert ist. Im Ergebnis vermag diese Übernahme der Wertungen, jedenfalls für den Bereich der grenzüberschreitenden Telemedizin, jedoch nicht zu überzeugen: Der Zweck des Art. 13 Rom I besteht darin, dem Telemediziner und dem Patienten eine für die Rechts-, Geschäfts-, und Handlungsfähigkeit des Vertragspartners zuständige Rechtsordnung an die Hand zu geben, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für beide einfacher festzustellen ist als das Heimatrecht des jeweiligen Vertragspartners und auf die sie sich folglich leichter einstellen können.1057 Bei grenzüberschreitenden Distanzgeschäften kann dieser Zweck jedoch nicht erreicht werden, da keine Rechtsordnung existiert, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für beide Seiten gleichermaßen einfach feststellbar ist, da der Vertragsschluss eben nicht in ein gemeinsames Umweltrecht eingebettet ist. Bei grenzüberschreitenden Distanzgeschäften besteht daher weder auf der Seite des Patienten noch auf derjenigen des Telemediziners, ein Interesse daran, dass eine für sie leicht feststellbare Rechtsordnung des gemeinsamen Aufenthaltsstaates zur Anwendung berufen wird. Vielmehr ist aus ihrer Sicht nur eine Rechtsordnung leicht ermittelbar oder bereits bekannt, nämlich diejenige des eigenen Heimatrechts. In der Folge geht sowohl das Interesse des Telemediziner als auch das des Patienten dahin, dass das jeweils eigene Umweltrecht zur Anwendung berufen wird. Welchem Interesse in dieser Pari-Situation der Vorzug einzuräumen ist, wurde durch den Gesetzgeber für den Bereich der Rechts-, Geschäfts-, und Handlungsfähigkeit durch Art. 7 Abs. 1 EGBGB geregelt – maßgeblich ist das jeweilige Heimatrecht.
1056 Wohl unstreitig, siehe nur Spellenberg in MüKo, Art. 13 Rom I Rn. 58 m.z.N.; auch Hausmann in Staudinger (2007), Art. 12 EGBGB Rn. 51; Fischer, Verkehrsschutz, S. 35 f.; Hohloch in Erman, Art. 12 EGBGB Rn. 9. 1057 Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107, 129 f.; Hausmann in Staudinger (2007), Art. 12 EGBGB Rn. 9.
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(1) Verdrängung der kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten bei Distanzgeschäften Erstaunlich ist, dass diese Wertungen sodann unreflektiert auf die Lokalisierung des Gebrauchsortes der Vollmacht bei grenzüberschreitenden Distanzgeschäften übertragen werden, indem auch für diesen Bereich argumentiert wird, dass das Interesse des Telemediziners an der Anwendung seines Umweltrechts keinen größeren Schutz verdiene als das Interesse des Patienten an der Anwendung seines Umweltrechts.1058 Für die Vollmacht existiert jedoch im Gegensatz zum Bereich der Rechts-, Geschäfts-, und Handlungsfähigkeit keine gesetzliche Kollisionsnorm, auf die rekurriert werden könnte. Vielmehr muss diese durch Abwägung der kollisionsrechtlichen Interessen erst gebildet werden. Im Rahmen dieser Abwägung gelangt die herrschende Auffassung zurecht zu einer Anknüpfung der Vollmacht an den tatsächlichen Gebrauchsort, weil sie die kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners beziehungsweise des Verkehrs schützen möchte. Er soll in seinem Vertrauen auf die Geltung derjenigen Stellvertretungsregeln geschützt werden, die an dem Ort gelten, an dem der Primärarzt die relevante Rechtshandlung vornimmt.1059 Dass der Patient hierdurch unter Umständen mit einer fremden Rechtsordnung konfrontiert wird, ist ihm zumutbar, da er durch die Einschaltung des Vertreters seinen Handlungsradius erweitert und somit auch die damit verbundenen Lasten zu tragen hat.1060 Warum trotz dieser Überlegungen bei Distanzgeschäften der Gebrauchsort am Abgabeort zu lokalisieren sein soll, ist unverständlich. Schließlich erweitert der Patient, welcher einen Vertreter einschaltet, der dann ein Distanzgeschäft vornimmt, seinen Handlungsradius in gleichem Maß wie derjenige Patient, der den Primärarzt als Vertreter losschickt, um mit dem Telemediziner ein Platzgeschäft vorzunehmen. Die Abwägung der kollisionsrechtlichen Interessen von Patient und Telemediziner, die bei Platzgeschäften eine Anknüpfung der Vollmacht an den Gebrauchsort bewirkt, muss folglich auch dazu führen, dass der Gebrauchsort bei Distanzgeschäften am Empfangsort zu lokalisieren ist. Wenn man sich im Grundsatz dafür entscheidet, den Telemediziner zu schützen, macht es keinen Unterschied, ob die Erklärung im Staat
1058
Vgl. Fischer, Verkehrsschutz, S. 295 mit Verweis auf S. 25. Vgl. BGHZ 43, 21, 26; 64, 183, 192; OLG Düsseldorf, IPRax 1996, 3424, 3425; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 757; Magnus in Staudinger (2002), Einl. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. A 21; Von Hoffmann/Thorn, § 7 Rn. 50–51. 1060 Vgl. Ebenroth, JZ 1983, 821, 823; Kropholler, NJW 1965, 1644, 1645; Pfister, Vollmacht und Stellvertretung, S. 105; Kayser, Vertretung ohne Vertretungsmacht, S. 29. 1059
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des Telemediziners oder aus einer anderen Rechtsordnung heraus abgegeben wurde.1061 Zwar wird insoweit von der herrschenden Meinung vorgebracht, dass der Unterschied darin zu sehen sei, dass das Handeln des Primärarztes vom Ausland her den Telemediziner warnen und ihn dazu veranlassen müsste, mit abweichenden Rechtsregeln zu rechnen.1062 Dies vermag jedoch nur in sehr begrenztem Umfang zu überzeugen. Gerade beim Einsatz modernen Kommunikationsmittel, wie sie im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen Verwendung finden, ist für den Telemediziner überwiegend nicht erkennbar, aus welcher Rechtsordnung heraus der Primärarzt handelt.1063 So kann der ausländische Telemediziner beispielsweise nicht erkennen, von welchem Ort aus der Primärarzt ein second opinion Ersuchen in eines der Expertennetze hochgeladen hat. Folglich kann der Telemediziner bei solchen Vertragsschlüssen regelmäßig auch nicht erkennen, dass es sich um ein Auslandsgeschäft handelt. Gleiches gilt für einen Vertragsschluss per E-Mail, da der Telemediziner aus dem Absender oder der Fußzeile nicht entnehmen kann, aus welcher Rechtsordnung heraus die E-Mail versandt wurde. Verwendet der Primärarzt eine gängige Sprache wie Englisch, kann der Telemediziner hierdurch nur schwerlich Rückschlüsse auf den Abgabeort ziehen. Selbst wenn der Primärarzt seine EMail in Deutsch verfasst, ist es keinesfalls sicher, ob die E-Mail von Deutschland aus verschickt wurde. Vielmehr ist es ebenso denkbar, dass der Primärarzt die E-Mail von der Schweiz oder von Österreich aus versandt hat. Die von der herrschenden Meinung angenommene Warnfunktion von Distanzgeschäften existiert insoweit im Rahmen der Telemedizin, bei der Verträge beinahe ausschließlich über moderne elektronische Kommunikationswege geschlossen werden, überwiegend nicht. Anders mag dies allenfalls bei Vertragsschlüssen via Telefon oder Brief sein. Bei diesen ließe sich in der Tat mit der herrschenden Meinung argumentieren, dass es sich dem Telemediziner, der die Vertretungsmacht des ausländischen Primärarztes prüfen will, aufdrängen muss, dass für dessen Vertragsschlussbefugnis nicht die Regeln des eigenen Staates, sondern diejenigen des fremden Staates gelten.1064 Der Unterschied zu Vertragsschlüssen via Internet oder E-Mail besteht dabei darin, dass es dem Telemediziner bei Vertragsschlüssen via Fernsprecher oder Brief möglich ist,
1061
Siehe dazu im Rahmen der Geschäftsfähigkeit Frankenstein, IPR I, S. 418. Vgl. Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 210; Von Bar, IPR II, Rn. 589. 1063 Dies erkennt auch Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 758; Verhagen, Agency, S. 110 f., 289. 1064 Von Bar, IPR II, Rn. 589; Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 210. 1062
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vom Auslandscharakter des Rechtsgeschäfts Kenntnis zu erlangen. So bewirkt etwa die fremde Sprache, sofern es keine „Allerweltssprache“ wie englisch oder amerikanisch ist, oder der ausländische Poststempel, dass der Telemediziner erkennen kann, dass es sich um ein Auslandsgeschäft handelt. Allenfalls bei diesen „traditionellen“ Abschlussmodalitäten besteht daher die von der herrschenden Meinung angenommene Warnfunktion. Aus den schon genannten Gründen kann daraus aber keinesfalls geschlossen werden, dass eine solche bei Distanzgeschäften stets bestünde. Vielmehr ist dies gerade nur dann der Fall, wenn aus dem gewählten Kommunikationsmedium der Abgabeort der Willenserklärung ersichtlich ist, was bei modernen Kommunikationsmitteln gerade nicht der Fall ist. Nach dem Gesagten sind die Interessen des Patienten nicht in der Lage, eine Lokalisierung des Gebrauchsortes am Abgabeort zu rechtfertigen, weil sie durch die Interessen des Telemediziners an der Geltung der Rechtsordnung am Empfangsort verdrängt werden. (2) Verdrängung der kollisionsrechtlichen Interessen des Primärarztes bei Distanzgeschäften Allenfalls könnten man überlegen, ob die kollisionsrechtlichen Interessen des Primärarztes geeignet sind, um im Rahmen der Abwägung der sich widerstreitenden kollisionsrechtlichen Interessen von Patient, Telemediziner und Primärarzt zu einer Anknüpfung an die Rechtsordnung am Abgabeort zu gelangen. Die Interessen des Primärarztes gehen dahin, dass sein Umweltrecht, also die Rechtsordnung seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes, zur Anwendung berufen wird, da ihm dieses am besten bekannt oder jedenfalls am einfachsten feststellbar ist, er also auch schnell und klar den Vollmachtsumfang feststellen und damit auch das Risiko einer Haftung als falsus procurator kalkulieren kann.1065 Ob hieraus jedoch geschlossen werden kann, dass bei Distanzgeschäften die Vollmacht der Rechtsordnung am Abgabeort zu unterstellen ist, ist sehr zweifelhaft. Dagegen spricht bereits, dass der Abgabeort keinesfalls mit dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Primärarztes übereinstimmen muss. Vielmehr sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Primärarzt die auf den Telemedizinvertrag gerichtete Willenserklärung im Namen des Patienten an einem Ort abgibt, der nicht mit seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort übereinstimmt. Gerade durch die Nutzung neuer Kommunikationsmittel wie mobiles E-Mailing und mobiles Internet, ist es dem Primärarzt möglich, auch von entlegenen Orten aus Verträge im Namen des Patienten mit
1065
Vgl. Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 741; Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht, S. 260.
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dem Telemediziner zu schließen. Warum die Sachrechtsordnung dieses Ortes dann dennoch für die Vollmacht maßgeblich sein soll, ist überaus zweifelhaft, da der Primärarzt meist keinerlei besondere Verbindung mit dieser Rechtsordnung besitzt. Warum sollte er dennoch auf die Anwendung dieser Rechtsordnung vertrauen? Gegen die Maßgeblichkeit der Sachrechtsordnung am Abgabeort aufgrund der kollisionsrechtlichen Interessen des Primärarztes spricht darüber hinaus, dass es dem Primärarzt meist möglich ist, sich an die rechtlichen Verhältnisse am Empfangsort anzupassen, da er diesen kennt oder zumindest erkennen kann.1066 So wird der Primärarzt den ausländischen Telemediziner in Fällen von Telekonsilen oder Teleexpertisen meist aufgrund dessen besonderer fachlicher Kompetenzen aussuchen, so dass ihm sowohl die Person des Telemediziners als auch dessen gewöhnlicher Aufenthalt oder dessen Niederlassung bekannt ist. In der Folge kennt er auch diejenigen Umstände, die zur Anwendung der Rechtsordnung am Empfangsort führen, wenn man den Gebrauchsort der Vollmacht bei Distanzgeschäften dort verortet. Nach alledem ist es dem Primärarzt regelmäßig leichter möglich, den Empfangsort der Willenserklärung auszumachen als dem Telemediziner den Abgabeort der Willenserklärung zu bestimmen. Auch dies spricht dafür, dass die kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners grundsätzlich diejenigen des Primärarztes überwiegen. (3) Korrektur der Anknüpfung bei Kenntnis beziehungsweise fahrlässiger Unkenntnis des Telemediziners vom Auslandsbezug der Vollmacht Fraglich ist indes, ob die soeben dargestellte Abwägung der kollisionsrechtlichen Interessen von Patient, Primärarzt und Telemediziner in allen denkbaren Fallkonstellationen dazu führt, dass die Vollmacht der Rechtsordnung am Gebrauchsort – der nach hier vertretener Auffassung am Empfangsort zu lokalisieren ist – untersteht. Nach hier vertretener Auffassung resultiert die Lokalisierung des Gebrauchsortes der Vollmacht am Empfangsort daraus, dass der Telemediziner beim Einsatz moderner Kommunikationsmittel grundsätzlich nicht erkennen kann, aus welcher Rechtsordnung heraus der Primärarzt handelt. Allein dieser Umstand rechtfertigt es, dass die kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners an der Anwendbarkeit der Rechtsordnung an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort diejenigen kollisionsrechtlichen Interessen von Patient und Primärarzt an der Anwendbarkeit ihres Heimatrechts überwiegen.
1066
Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 757.
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Hieraus ergibt sich zugleich, dass der Telemediziner nicht mehr schützenswert ist, wenn er erkannt hat oder hätte erkennen müssen, dass der Abgabeort der Willenserklärung im Ausland lag. In diesen Fällen muss das Vertretungshandeln des Primärarztes vom Ausland her den Telemediziner warnen und dazu veranlassen, mit abweichenden ausländischen Rechtsregeln zu rechnen. Insoweit besteht die Warnfunktion des grenzüberschreitenden Distanzgeschäfts, welche die herrschenden Meinung – wie dargestellt zu unrecht – immer annimmt, tatsächlich. Aufgrund dieser Warnfunktion darf der Telemediziner in diesen Fällen nicht mehr auf die Anwendbarkeit seines Umweltrechts vertrauen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen stellt sich insbesondere die Frage, wann der Telemediziner hätte erkennen müssen, dass der Abgabeort der zum Vertrag führenden Willenserklärung im Ausland lag. Will man in dieser Frage Klarheit gewinnen, muss man sich noch einmal den Grundgedanken der Anknüpfung der Vollmacht vor Augen führen. Dieser liegt darin, dass die kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners an der Anwendung seiner Rechtsordnung die entsprechenden kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten beziehungsweise des Primärarztes solange überwiegen, solange der Telemediziner nicht mit der Anwendung einer ausländischen Rechtsordnung auf die Vollmacht rechnen muss. Dies setzt voraus, dass der Telemediziner nicht erkennen konnte, dass es sich bei dem Vertretergeschäft um ein grenzüberschreitendes Distanzgeschäft handelt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Telemediziner aufgrund objektiver Umstände Rückschlüsse auf gerade diejenige Rechtsordnung ziehen konnte, aus der die fragliche Willenserklärung abgegeben wurde. Mit anderen Worten ist es nicht notwendig, dass den Telemediziner zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich derjenigen Umstände trifft, die auf den konkreten Abgabeort hinweisen. Vielmehr muss es bereits genügen, wenn für den Telemediziner objektiv erkennbar war, dass die relevante, vertragsbegründende Willenserklärung an irgendeinem Ort im Ausland abgegeben wurde, da er dann den grenzüberschreitenden Charakter des Distanzgeschäfts regelmäßig erkannt hat oder zumindest hätte erkennen müssen. In diesem Fall darf er nicht mehr ungesehen mit der Anwendbarkeit seiner Rechtsordnung rechnen, sondern muss sich nach dem auf die Vollmacht anwendbaren Recht erkundigen. Die hierfür erforderliche Recherchen sind ihm zumutbar, zumal der Abgabeort regelmäßig durch einfach Nachfrage beim Primärarzt ausfindig zu machen sein wird. Daraus ergibt sich, dass sich die Vollmacht des Primärarztes dann nach der Rechtsordnung am Abgabeort der Willenserklärung des Primärarztes beurteilt, wenn aus einer E-Mail des Primärarztes für den Telemediziner hervorgeht, dass sie aus dem Ausland und damit aus einer fremden Sachrechtsordnung stammt. Davon wird auszugehen sein, wenn aus der E-Mail
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die ausländische Adresse der Praxis des niedergelassenen Primärarztes oder des jeweilige Krankenhauses hervorgeht, da der Telemediziner in diesen Fällen davon ausgehen muss, dass der Primärarzt von diesem Ort aus seine Willenserklärung abgegeben hat. Aus Sicht des Telemediziners ist also erkennbar, dass es sich um ein grenzüberschreitendes Distanzgeschäft handelt. Insoweit wird er davor gewarnt, dass auf die Vollmacht unter Umständen ausländisches Recht zur Anwendung gelangt. Diese Warnwirkung kann auch bei der Verwendung von Expertenzentren im Internet bestehen, wenn diese in irgendeiner Form dokumentieren von welchem Ort aus die Anfrage gesendet wurde. So ist es beispielsweise auch bei Expertenportalen denkbar, dass der Primärarzt die Adresse seiner Praxis oder des Krankenhauses angibt. Allein die Verwendung einer ausländischen länderspezifischen E-MailTop-Level-Domain, wie .de, .fr. oder .uk, reicht als die Warnfunktion auslösender Umstand jedoch nicht aus, da viele der heute verwendeten länderspezifischen E-Mail-Top-Level-Domains rein zufälliger Natur sind und daher überwiegend nicht erkennen lassen aus welchem Land eine E-Mail versandt wurde. F. Reichweite des Vollmachtsstatuts Wird die Vollmacht – wie hier – selbstständig angeknüpft, so muss man den Anwendungsbereich des Vollmachts-/Vertretungsstatuts gegenüber dem Vertretergeschäft, also dem Geschäftsstatut abgrenzen. Das Geschäftsstatut erfasst nach Art. 10 Abs. 1 Rom I „das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrages“. Die Sonderanknüpfung der Vollmacht steht folglich in einem Spannungsverhältnis zu dieser Regelung, da die Wirksamkeit eines mittels Vertreters geschlossenen Vertrags auch davon abhängt, ob und in welchem Umfang Vollmacht bestanden hat.1067 Nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom I-E sollte das Vollmachtsstatut für das Verhältnis zwischen Patient und Telemediziner, das dadurch entsteht, dass der Primärarzt in Ausübung seiner Vertretungsmacht gehandelt hat, maßgeblich sein. Der gewählte Wortlaut erscheint unglücklich, da als Anknüpfungsgegenstand nicht der Hauptvertrag gemeint ist. Vielmehr sollte Regelungsinhalt sein, unter welchen Bedingungen die Handlungen des Vertreters den Geschäftsherrn binden können. Es ging also um die Voraussetzungen und Wirkungen der gewillkürten Stellvertretung.1068 Danach ergibt sich die Generallinie, dass das Vollmachtsstatut alle unmittelbaren Vollmachtsfragen von der Begründung über Inhalt und Wirkung bis zum Erlö-
1067 1068
Siehe dazu schon Schäfer, RIW 1996, 189, 192. Vgl. 12. Erwägungsgrund zum Rom I-E; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729, 791.
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schen der Vollmacht sowie ihre Auslegung umfasst, während dem Geschäftsstatut diejenigen Fragen zugewiesen sind, die sich mit der Stellvertretung beim Rechtsgeschäft, besonders ihrer Zulässigkeit, beschäftigen.1069 Unstreitig ist, dass die Frage, ob bei dem angestrebten Telemedizinvertrag überhaupt eine Stellvertretung zulässig ist, nach dem Statut des Telemedizinvertrags zu beantworten ist.1070 Demgegenüber sind dem Vollmachtsstatut alle Fragen zugewiesen, die sich darauf beziehen, ob der Primärarzt den Patienten aufgrund wirksamer, rechtsgeschäftlicher Vollmacht gegenüber dem Telemediziner verpflichten kann. So entscheidet das Vollmachtsstatut insbesondere darüber, ob die Vollmacht wirksam erteilt wurde1071, wem gegenüber sie als Innen- oder Außenvollmacht zu erteilen war und ob die Erteilung durch einseitige Willenserklärung oder nur aufgrund eines Vertrags erfolgen konnte.1072 Darüber hinaus richtet sich auch die Dauer der Vollmacht1073, ihre die Widerruflichkeit1074, die Zulässigkeit von Untervollmachten1075, von Selbstkontrahierungen und Doppelvertretun-
1069
RGZ 38, 196, 198; BGHZ 43, 21, 27; 64; 183, 192; Schäfer, RIW 1996, 189, 192; Magnus in Staudinger (2002), Einleitung zu Art. 27–37 EGBGB A38; Hohloch in Erman, Art. 37 EGBGB Anh. I Rn. 19; Kropholler, IPR, § 43 I 3.; Heldrich in Palandt, BGB, Anh. zu Art. 32 EGBGB Rn. 3; Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 1745. 1070 Vgl. Magnus in Staudinger (2002), Einleitung zu Art. 27–37 EGBGB A43; Mäsch in Bamberger/Roth, Art. 10 EGBGB Anh. Rn. 92; Schäfer, RIW 1996, 189, 192; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 103; Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 135 m.w.N. 1071 BGH, JZ 1963, 167, 168; BGHZ 64, 183, 192; BGH, IPRax 1983, 67, 68; NJW 1982, 2733. 2733; OLG Koblenz, RIW 1996, 151, 152; OLG Köln, NJW-RR 1996, 411, 411; Mäsch in Bamberger/Roth, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 88; Hohloch in Erman, Art. 37 EGBGB Anh. I Rn. 19; Kropholler, IPR, § 41 I 3.; Heldrich in Palandt, BGB, Anh. zu Art. 32 EGBGB Rn. 3; Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 5491; Magnus in Staudinger (2002), Einleitung zu Art. 27–37 EGBGB A39. 1072 Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 5492; Magnus in Staudinger (2002), Einleitung zu Art. 27–37 EGBGB A39; Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 Rn. 130; Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 215. 1073 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 102; Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 215; Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 Rn. 130. 1074 Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 Rn. 130; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 102; Magnus in Staudinger (2002), Einleitung zu Art. 27–37 EGBGB A52. 1075 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 102; Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 214; Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 5495; a.A. Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 Rn. 136.
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gen1076 sowie die Rechtsfolgen eines Vollmachtsmissbrauchs (Fehlen der Bindung, Genehmigungsmöglichkeiten)1077 nach dem Vollmachtsstatut. Äußerst umstritten ist die Frage, ob die Haftung des falsus procurator dem Geschäfts- oder dem Vollmachtsstatut zugewiesen ist.1078 Für eine Zuweisung dieser Frage zum Geschäftsstatut soll streiten, dass sie den engen Zusammenhang zwischen Vollmacht und den Folgen ihres Fehlens nicht kollisionsrechtlich zerreißt.1079 Auch spricht für sie, dass eine dahingehende Regelung in vielen Rechtsordnungen enthalten ist1080 oder jedenfalls der dort vorherrschenden Meinung entspricht1081, so dass dieses Verständnis den äußeren Entscheidungseinklang fördert. Letztlich handelt es sich bei dieser Frage jedoch um eine solche, deren Beantwortung keine telemedizinspezifischen Besonderheiten aufweist, so dass sie hier nicht abschließend untersucht und beantwortet werden kann.
§ 8 Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag § 8 Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag
Wie im Sachrechtsteil dieser Arbeit festgestellt wurde, können aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag zum einen Vergütungsansprüche des Telemediziners gegen den Patienten, zum anderen aber auch – zumindest nach deutschem Verständnis – Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner erwachsen.1082 Zu denken ist insoweit insbesondere an die sogenannten Nothilfefälle. 1076
Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 102; Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 5495; Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 215; Magnus in Staudinger (2002), Einleitung zu Art. 27–37 EGBGB A47. 1077 BGH, JZ 1963, 167, 169; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 102; Magnus in Staudinger (2002), Einleitung zu Art. 27–37 EGBGB A50. 1078 Für die h.M., dass diese Frage nach dem Geschäftsstatut zu beantworten ist: OLG Hamburg, VersR 1987, 1216, 1216; Magnus in Staudinger (2002), Einleitung zu Art. 27– 37 EGBGB A54; Fischer, Verkehrsschutz, 316 f.; ders., IPRax 1996, 335; Kropholler, IPR, § 41 I 3.); Heldrich in Palandt, BGB, Anh. zu Art. 32 EGBGB Rn. 3; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rn. 105; Steding, ZVglRWiss 86 (1987), 25, 47; Spellenberg in MüKo, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 141, 168 m.w.N. Für das Vollmachtsstatut plädieren: Von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201, 217 f.; Hohloch in Erman, Art. 37 Anh. I Rn. 19; Hausmann in Reithmann/Martiny, Rn. 2487. 1079 OLG Hamburg, VersR 1987, 1216, 1216. 1080 Für Argentinien, Frankreich, die Niederlande und Portugal gilt Art. 15 HStÜ; China: Art. 71 II Modell-IPRG; Estland: § 9 II IPRG; die Schweiz: Art. 126 IV IPRG; Korea: Art. 18 V Gukjesabeob; Quebec: Aert. 3116 Hs. 1 C.c.Q. Litauen: Art. 1.40 S. 2 C.k.p. 1081 Vgl. Österreich: OGH, Urt. v. 30.09.1987 – SZ 60/192; Spanien: Rueda Valdivia, S. 243, 283 f. jeweils m.w.N. 1082 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3.
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Nicht geklärt wurde hingegen bislang, ob auch Sachverhaltskonstellationen denkbar sind, in denen der Telemediziner die auftragslose Notgeschäftsführung telemedizinisch, grenzüberschreitend vornimmt. Folge einer solchen Geschäftsführung wäre, dass Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen würden, es sich also – in Anlehnung an die Terminologie des Kollisionsrechts der unerlaubten Handlungen – um eine auftragslose Notdistanzgeschäftsführung handeln würde. Entgegen einer in der Literatur getroffenen Aussage1083 sind derartige Geschäftsführungen zwar nur selten denkbar, aber nicht vollkommen ausgeschlossen.1084 Gerade im Bereich der Telemedizin sind, wie nachfolgende Beispiele zeigen werden, Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen der Telemediziner grenzüberschreitend eine auftragslose Notdistanzgeschäftsführung vornimmt: Bereits heute sind sogenannte automatische oder halbautomatische Defibrillatoren im Handel, die es medizinisch nicht bewanderten Laien aber auch medizinisch geschultem Personal ermöglichen, Wiederbelebungsmaßnahmen mittels Defibrillation durchzuführen.1085 Hierzu klebt der Ersthelfer lediglich die Defibrillatorelektroden auf den Brustkorb des Patienten. Sobald dies geschehen ist, analysiert eine Software im Defibrillator den Herzrhythmus des Patienten mittels eines Elektrokardiogramms (EKG) darauf, ob eine pluslose ventrikuläre Asystolie oder ein Kammerflimmern vorliegt und entscheidet je nach Ergebnis, ob eine Defibrillation sinnvoll ist oder nicht. Nur bei einem positiven Ergebnis wird die Schock-Funktion im Falle eines halbautomatischen Defibrillators durch die Software freigeschaltet und kann durch den Laienanwender ausgelöst werden. Bei sogenannten vollautomatischen Defibrillatoren wird die Entladung durch das Gerät, ohne Einwirkung von außen, selbstständig ausgelöst. Je nach Funktionsumfang unterstützen halbautomatische Defibrillatoren den Laienersthelfer beispielsweise durch optische oder akustische Anweisungen. Darüber hinaus sind bereits Defibrillatoren auf dem Markt, welche die EKGDaten über eine Telemedizinschnittstelle via Funk oder Mobiltelefon an einen Telemediziner übermitteln, damit dieser die Daten auswerten kann.1086 Ein weiterer technischer Schritt wäre, dass nicht nur die Software sondern auch der Telemediziner nach Feststellung einer pluslosen ventri-
1083
Von Hoffmann in von Caemmerer, Vorschläge und Gutachten, S. 88. Vgl. dazu Wandt, GoA im IPR, S. 160; Dutta, IPRax 2011, 134, 137. 1085 Solche Defibrillatoren finden sich bereits an zahlreichen viel besuchten Plätzen wie Flughäfen, Bahnhöfen oder besonderen Sehenswürdigkeiten, aber auch in zahlreichen Fitnessstudios; vgl. dazu insgesamt http://de.wikipedia.org/wiki/Defibrillator, zuletzt abgerufen am 11.04.2011. 1086 Vgl. dazu etwa das Produkt Fred® Tele der Firma Schiller. Produktinformationen sind auf der Homepage des Herstellers http://www.schiller.ch, zuletzt abgerufen am 06.10.2009, erhältlich. 1084
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kulären Asystolie oder eines Kammerflimmerns sondern auch der Telemediziner über die Telemedizinschnittstelle die Entladung freischalten kann oder diese gar selbst auslöst. Fehleinschätzungen oder Fehlfunktionen der Gerätesoftware könnten hierdurch korrigiert werden. Wertet der Telemediziner die EKG-Daten dabei in einem vom physischen Aufenthaltsort des Patienten abweichenden Staat aus und/oder nimmt er von einem solchen Staat aus die Freischaltung der Defibrillationsfunktion vor oder löst die Entladung sogar aus, so kommen Ansprüche aus auftragsloser Notdistanzgeschäftsführung in Betracht. Telemedizinische Distanznotgeschäftsführungen sind aber auch in weniger komplizierten Sachverhaltssituationen denkbar. So kommen sie insbesondere auch dann in Betracht, wenn ein Patient, der aufgrund seiner Verletzungen bereits am Unfallort in einen komatösen Zustand gefallen ist, zur Behandlung in das nächstliegende Klinikum verbracht wird und im Rahmen dieser Behandlung grenzüberschreitend ein Telemediziner, sei es als Telekonsiliar, Teleexperte oder Teleassistent, hinzugezogen wird. Auch in derartigen Konstellation muss zunächst ermittelt werden, welche Rechtsordnung für die denkbaren Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag zur Anwendung berufen ist. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Telemedizin sind folglich Fallkon-stellationen denkbar in denen die Frage auftritt, nach welcher Rechtsordnung Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu beurteilen sind. Bevor dieser Frage näher nachgegangen wird, soll vorab untersucht werden, welche Ansprüche überhaupt dem Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag unterliegen, also als Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu qualifizieren sind. A. Geltungsbereich des Statuts der Geschäftsführung ohne Auftrag Dem Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag unterliegen Vergütungsbeziehungsweise Aufwendungsersatzansprüche des Telemediziners.1087 Nicht erfasst werden vom Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag hingegen Haftungsansprüche des Patienten gegen den Telemediziner wegen einer Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität. Derartige Ansprüche sind nach hier vertretener Auffassung vielmehr, unabhängig von der deutschen Einordnung als Ansprüche aus Vertrag, Geschäftsführung ohne Auftrag oder Delikt, grundsätzlich als deliktisch zu qualifizieren und folglich einheitlich dem Deliktsstatut zu unterstellen.1088
1087 1088
Siehe dazu Spellenberg in MüKo, Art. 11 Rom II Rn. 10, 28. Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C.
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B. Subjektive Anknüpfung Auch im Bereich der Geschäftsführung ohne Auftrag gilt die Regelung des Art. 14 Rom II, so dass der Patient und der Telemediziner die Möglichkeit haben, die auf die Geschäftsführung ohne Auftrag anwendbare Rechtsordnung insbesondere durch eine nachträgliche Rechtswahl zu bestimmen. Eine solche Rechtswahl kann sowohl ausdrücklich als auch bei hinreichender Sicherheit konkludent erfolgen. Ist eine wirksame Rechtswahl getroffen worden, wird hierdurch die objektive Anknüpfung nach Maßgabe des Art. 11 Rom II verdrängt. Hinsichtlich der Voraussetzungen einer wirksamen Rechtswahl kann auf die oben gemachten Ausführungen verweisen werden.1089 C. Objektive Anknüpfung I. Anknüpfungssystem des Art. 11 Rom II Ist keine wirksame Rechtswahl erfolgt, richtet sich die Bestimmung des Statuts der Geschäftsführung ohne Auftrag nach der in Art. 11 Rom II enthaltenen dreistufigen Anknüpfungsleiter. Danach werden Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag primär akzessorisch angeknüpft. Stehen sie in einem engen Verhältnis mit einem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis aus Vertrag oder unerlaubter Handlung, sind Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach dem Recht zu beurteilen, das für diesen Vertrag oder die unerlaubte Handlung maßgeblich ist. Sekundär ist nach Art. 11 Abs. 2 Rom II die Rechtsordnung am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort anzuwenden, sofern der Geschäftsherr und der Geschäftsführer im Zeitpunkt der Geschäftsführung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben. Tertiär gilt nach Art. 11 Abs. 3 Rom II das Recht des Staates „in dem die Geschäftsführung erfolgt ist“. In Art. 11 Abs. 4 Rom II findet sich eine spezielle Ausweichklausel, nach der bei einer offensichtlich engeren Verbindung mit einem anderen Staat das Recht dieses Staates anzuwenden ist.1090 Auf den ersten Blick erscheinen die Unterschiede zwischen Art. 11 Rom II und der bisherigen Regelung in Art. 39 EGBGB groß zu sein. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich jedoch, dass die Neuregelung nur eine präzisierende Kodifikation der bisherigen Rechtslage darstellt.1091 Diejenigen Fälle, die bislang über die Ausweichklausel des Art. 41 Abs. 2 Nr. 1
1089
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 4, A, I. Vgl. zur Funktionsweise solcher Ausweichklauseln bereits Kapitel 4, § 3, B, III. 1091 Hohloch in Erman, Art. 39 EGBGB Rn. 10a; Fehrenbacher in Prütting/Wegen/ Weinreich, BGB, Art. 11 Rom II Rn. 1. 1090
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und 2 EGBGB gelöst wurden, sind nunmehr in Art. 11 Abs. 1 und 2 Rom II geregelt.1092 II. Bestimmung des Statuts der Geschäftsführung ohne Auftrag bei telemedizinischen Anwendungen 1. Vertragsakzessorische Anknüpfung Ist keine wirksame Rechtswahl erfolgt und besteht zwischen Telemediziner und Patient ein Telemedizinvertrag, sind die materiell-rechtlichen Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag aufgrund einer vertragsakzessorischen Anknüpfung dem Vertragsstatut zu entnehmen, da die Geschäftsführung durch den Telemediziner in engem Zusammenhang mit dieser vertraglichen Verbindung erfolgt, Art. 11 Abs. 1 Rom II. Eine solche vertragsakzessorische Anknüpfung erscheint sinnvoll, da die aus dem Telemedizinvertrag resultierende Vergütungspflicht und die vereinbarte Vergütungshöhe auch für etwaige Vergütungsansprüche aus einer auftragslosen Geschäftsführung der bestimmende Faktor ist. In der Folge dieses Umstandes ist die Geschäftsführung ohne Auftrag nach dem Recht zu behandeln, das den Telemedizinvertrag beherrscht.1093 Auch bewirkt eine vertragsakzessorische Anknüpfung, dass eine durch Patient und Telemediziner für den Telemedizinvertrag und die daraus resultierende Vergütungsverpflichtung getroffene Rechtswahl mittelbar auch die Vergütungsansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag erfasst, wodurch den Erwartungen von Patient und Telemediziner Rechnung getragen wird. Eine vertragsakzessorische Anknüpfung der Geschäftsführung ohne Auftrag kommt etwa in Betracht, wenn der Telemediziner aufgrund eines Notfalls während der Behandlung Maßnahmen ergreift, die er nicht aufgrund des Telemedizinvertrags schuldet. 2. Deliktsakzessorische Anknüpfung Begeht der Telemediziner durch die Geschäftsführung zugleich eine unerlaubte Handlung, stellt sich die Frage, ob die Geschäftsführung ohne Auftrag in diesen Fällen nach Art. 11 Abs. 1 Rom II deliktsakzessorisch anzuknüpfen ist. Nach der hier vertretenen Ansicht, wonach Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner wegen Verletzung seines Körpers und/oder seiner Gesundheit einheitlich als deliktisch zu qualifizieren sind und in der Folge ausschließlich dem Deliktsstatut unterstehen, besteht hin-
1092 1093
Wagner, IPRax 2008, 1, 12. Vgl. Habermann, GoA im IPR, S. 168.
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sichtlich der Haftungsfrage des Telemediziners auf kollisionsrechtlicher Ebene schon gar keine Konkurrenz zwischen dem Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag und dem Deliktsstatut. Eine akzessorische Anknüpfung erscheint daher von vornherein weder geboten noch möglich. Vielmehr scheidet eine solche bei der hier vertretenen Sichtweise schon deshalb aus, weil die dem Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag unterstellte Vergütungsfrage keinerlei enge Verbindung im Sinne des Art. 11 Abs. 1 Rom II zu einer unerlaubten Handlung des Telemediziners aufweist. Anders ist dies hingegen nach dem Verständnis der bislang herrschenden Auffassung, nach der die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen des Patienten gegen den Telemediziner auf materiell-rechtlicher Ebene, aufgrund einer kollisionsrechtlichen Doppelqualifikation, zu einer Konkurrenz von Deliktsstatut und dem Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag auf kollisionsrechtlicher Ebene führt. Unter dieser Prämisse stellt sich nämlich die Frage, ob diese Statutenkonkurrenz durch eine deliktsakzessorische Anknüpfung des Statuts der Geschäftsführung ohne Auftrag sogleich wieder zu beseitigen ist. Diese Vorgehensweise wäre bei grenzüberschreitenden telemedizinischen Nothilfen zweifelhaft, weil das deliktische Rechtsverhältnis und damit auch das Deliktsstatut zeitgleich mit dem Rechtsverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag und damit auch dem Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag entsteht, so dass sich die Frage stellt, ob dieses die Beziehung zwischen Patient und Telemediziner überhaupt derart prägen kann, dass das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag über Art. 11 Abs. 1 Rom II deliktsakzessorisch an das Statut der unerlaubten Handlung anzuknüpfen ist, oder ob nicht umgekehrt die Geschäftsführung ohne Auftrag die Patienten-Telemediziner Beziehung derart prägt, dass das Deliktsstatut akzessorisch an das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag anzuknüpfen ist.1094 Dass diese Situation nicht einstimmig entschieden wird verwundert nicht, weil schon nicht sicher ist, unter welchen Voraussetzungen eine deliktsakzessorische Anknüpfung überhaupt vorzunehmen ist.1095 So nimmt ein Teil der Literatur an, dass der Umstand, dass das Deliktsstatut und das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag zeitgleich entstehen, eine deliktsakzessorische Anknüpfung des Statuts der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht hindert.1096 Andere Teile der Literatur gehen hingegen davon 1094 Ob eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an das Statut der Geschäftsführung ohne Aufrag im Rahmen des europäischen Kollisionsrechts überhaupt noch möglich ist, wird von der Literatur teilweise bezweifelt. Vgl. dazu Fischer in FS Spellenberg, 151, 163. 1095 Vgl. dazu Schurig in FS Heldrich, 1021, 1026. 1096 Rauscher, IPR, Rn. 1392, 1369 f.; wohl auch Michel, Akzessorische Anknüpfung, S. 119.
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aus, dass in diesen Fällen zur Feststellung, welches Schuldverhältnis das anwendbare Recht vorgibt, untersucht werden muss, welches der zeitgleich entstehenden Rechtsverhältnisse beziehungsweise Statute die Beziehung zwischen Patient und Telemediziner prägt.1097 Regelmäßig sei dies die Geschäftsführung ohne Auftrag, da es sich bei ihr um ein, gegenüber der unerlaubten Handlung, spezielles gesetzliches Ausgleichsverhältnis handele.1098 Wieder andere Teile der Literatur sprechen sich dafür aus, dass eine deliktsakzessorische Anknüpfung nur dort möglich sein soll, wo die Geschäftsführung durch eine besondere gesetzliche Beziehung zwischen Patient und Telemediziner ausgelöst wird.1099 Danach wäre folglich erforderlich, dass das Rechtsverhältnis der unerlaubten Handlung im Zeitpunkt der Geschäftsführung schon bestand, da ihm andernfalls keine die Geschäftsführung auslösende Funktion zukommen kann. Im Fall der grenzüberschreitenden medizinischen Nothilfe würde eine deliktsakzessorische Anknüpfung des Statuts der Geschäftsführung ohne Auftrag nach diesem Ansatz folglich ausscheiden. In der soeben skizzierten Auseinandersetzung zeigt sich, wie auch schon im Bereich der vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts1100, zu welchen Problemen die Annahme, dass die im deutschen Recht bestehende Anspruchskonkurrenz von Schadensersatzansprüchen des Patienten gegen den Telearzt aus Geschäftsführung ohne Auftrag und Delikt auf kollisionsrechtlicher Ebene eine Statutenkonkurrenz bewirkt, führt. Wie auch schon im Rahmen der vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts muss die herrschende Auffassung darüber entscheiden, ob die Geschäftsführung ohne Auftrag oder das deliktische Verhältnis die Beziehung zwischen Patient und Telemediziner prägt. Welche Probleme dies bereitet, zeigt das soeben skizzierte Meinungsspektrum. Methodisch sauber und ohne größere Komplikationen löst sich das Problem hingegen nach der hier vertretenen Auffassung, dass Haftungsansprüche des Patienten wegen Körper- und Gesundheitsschäden gegen den Telemediziner aufgrund einer autonomen Qualifikation einheitlich dem Deliktsstatut zu unterstellen sind, gleich ob sie nach deutschem Verständnis aus Vertrag, Delikt oder Geschäftsführung ohne Auftrag resultieren, da bei dieser Sichtweise auf kollisionsrechtlicher Ebene erst gar keine Konkurrenz von dem Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag und dem Deliktsstatut auftritt, 1097
Von Hoffman/Thorn in Staudinger (2001), Art. 39 EGBGB Rn. 55. Michel, Akzessorische Anknüpfung, S. 119; Von Hoffman/Thorn in Staudinger (2001), Art. 39 EGBGB Rn. 55; Staudinger in Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europ. Einfluss, Kap. 38 Rn. 62. 1099 Lüderitz in Soergel, Anh. I zu Art. 38 EGBGB Rn. 5; Dickinson, The Rome II Regulation, 11.19. 1100 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 4, A, II, 3. 1098
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die dann mittels akzessorischer Anknüpfung wieder korrigiert werden müsste. Vielmehr ist die Haftungsfrage wegen Körper- und Gesundheitsschädigungen schon als Teil des Deliktsstatuts qualifiziert, so dass eine akzessorische Anknüpfung gar nicht in Betracht gezogen werden kann.1101 3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt Haben der Patient und der Telemediziner im Zeitpunkt des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt ausnahmsweise einmal in dem selben Staat und scheidet eine vertragsakzessorische Anknüpfung aus, so ist nach Art. 11 Abs. 2 Rom II auf die Geschäftsführung ohne Auftrag das Recht dieses Staates anzuwenden. Regelmäßig werden Patient und Telemediziner ihren gewöhnlichen Aufenthalt aber nicht in dem selben Staat haben, so dass die Regelung des Art. 11 Abs. 2 Rom II meist nicht einschlägig sein wird. 4. Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II in den verbleibenden Fällen In allen anderen Fällen beurteilt sich die Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß Art. 11 Abs. 3 Rom II nach der Rechtsordnung des Staates, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist. Eine rechtssubjektsbezogene Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn oder denjenigen des Geschäftsführers ist daher bereits nach dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 Rom II ausgeschlossen. Darüber hinaus erscheint die gewählte, handlungsbezogene Anknüpfung auch sinnvoller, weil die kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners und diejenigen des Patienten an der Anwendung ihres jeweiligen Umweltrechts im Bereich der Geschäftsführung ohne Auftrag grundsätzlich gleich schwer wiegen.1102 Schwierigkeiten entstehen jedoch dann, wenn Handlungs- und Erfolgsort der Geschäftsführung ohne Auftrag, wie im Rahmen der grenzüberschreitenden telemedizinischen Nothilfe, auseinanderfallen, es sich also um eine auftragslose Distanzgeschäftsführung handelt. Art. 11 Abs. 3 Rom II trifft keine eindeutige Aussage darüber, welcher dieser beiden Orte in diesen Fällen maßgeblich ist.1103
1101
Vgl. Schurig in FS Heldrich, 1021, 1023. Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 304; Habermann, GoA im IPR, S. 121; Fischer, IPRax 2002, 1, 11; Kropholler, IPR, § 53 III 1; Von Bar, IPR II, Rn. 724. 1103 Vgl. Fehrenbacher in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 11 Rom II Rn. 5; Spickhoff in FS Müller, 287, 300; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 732; a.A. Heiss/Loacker, JBl 2007, 613, 643, Junker in MüKo, Art. 11 Rom II Rn. 17; die der Formulierung „in dem die Geschäftführung erfolgt ist“ entnehmen wollen, dass die Rechtsordnung am Handlungsort zur Anwendung berufen werde. 1102
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a) Anknüpfung an den Erfolgsort Für eine Anknüpfung an den Erfolgsort soll zunächst streiten, dass dieser an vielen anderen Stellen der Rom II-Verordnung, insbesondere beim Deliktsstatut, maßgeblich ist.1104 Weiter würde durch die Anknüpfung an den Erfolgsort ein Gleichlauf mit möglicherweise konkurrierenden deliktischen Ansprüchen hergestellt.1105 Zudem würden dem Telemediziner die, bei einer Anknüpfung an den Handlungsort gegebenen, Manipulationsmöglichkeiten genommen.1106 Nach alledem sei eine Anknüpfung an den Erfolgsort sachgerecht.1107 b) Anknüpfung an den Handlungsort Gegen eine Anknüpfung an den Erfolgsort lässt sich zunächst einwenden, dass dieser für den Telemediziner unter Umständen nicht oder nur schwer erkennbar ist, weshalb er sich nicht auf die zur Anwendung berufene Sachrechtsordnung einstellen kann. Auch wird der Telemediziner häufig nicht damit rechnen, dass auf seine grenzüberschreitende Nothilfe ein fremdes Recht zur Anwendung gelangt. Sein kollisionsrechtliches Interesse geht deshalb dahin, dass das Recht an seinem Handlungsort zur Anwendung berufen wird. aa) „Belohnung“ des altruistisch handelnden Telemediziners auf kollisionsrechtlicher Ebene durch Anknüpfung an den Handlungsort Ob man in Konstellationen der auftragslosen Distanznothilfe eher auf den Handlungs- oder Erfolgsort abstellt, ist letztlich von der Bewertung bezie-
1104
Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 732; Leible/Engel, EuZW 2004, 7, 14; Spickhoff in FS Müller, 287, 299 f.; vgl. Hohloch in Erman, Art. 39 EGBGB Rn. 10a. 1105 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 732; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 304; Von Hoffmann/Thorn in Staudinger (2001), Art. 39 EGBGB Rn. 18. 1106 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 10; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 732; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 39 EGBGB Rn. 9; Kreuzer, RabelsZ (65) 2001, 283, 411; Thorn in Palandt, BGB, Anh. zu Art. 38–42 EGBGB, Art 12 Rom II Rn. 8; Habermann, GoA im IPR, S. 122 f.; Von Hoffmann/Thorn in Staudinger (2001), Art. 39 EGBGB Rn. 12. 1107 Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 195; Spickhoff in FS Müller, 287, 299 f.; Wagner, Dienstleistungsfreiheit, S. 237; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 732; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 304; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 11 Rn. 10; Junker in MüKo, 4. Auflage, Art. 39 EGBGB Rn. 9; Kreuzer, RabelsZ (65) 2001, 283, 411; Thorn in Palandt, BGB, Anh. zu Art. 38–42 EGBGB, Art 12 Rom II Rn. 8; Von Hoffmann/Thorn in Staudinger (2001), Art. 39 EGBGB Rn. 12; Fehrenbacher in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, Art. 11 Rom II Rn. 5; Backmann in jurisPK-BGB, Art. 11 Rom II Rn. 25.
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hungsweise der Abwägung der kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten abhängig. Diese werden auf allgemeiner Ebene auch davon beeinflusst, ob man bei der Geschäftsführung ohne Auftrag eher die Vergütung, also die „Belohnung“ des altruistisch handelnden Telemediziners oder den Schutz des Patienten vor unerwünschter Einmischung in seine Rechtssphäre in den Vordergrund rückt. Im ersten Fall wird man bei der Abwägung der sich widerstreitenden kollisionsrechtlichen Interessen von Telemediziner und Patient an der Anwendung „ihres“ Rechts zum Ergebnis gelangen, dass die Interessen des Telemediziners höher zu gewichten sind, da er derjenige ist, der durch die Anwendbarkeit des Rechts am Handlungsort, welches ihm regelmäßig bekannt sein wird, für seine altruistische auftragslose Geschäftsführung belohnt werden soll. Im zweitgenannten Fall wird man hingegen eher dazu neigen, die Rechtsordnung am Erfolgsort zur Anwendung zu berufen, da an diesem Ort in die Rechtsgüter des Patienten eingegriffen wird, so dass die Interessen des Patienten stärker betroffen sind.1108 (1) Deutsches Verständnis der Geschäftsführung ohne Auftrag Nach deutschem Verständnis wird es dem altruistisch handelnden Telemediziner gerade in Nothilfefällen über die Rechtsfigur der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag zum einen gestattet, in die Rechtsgüter des Patienten einzugreifen, zum anderen besitzt der Telemediziner in diesen Fällen nach herrschender Meinung einen Vergütungsanspruch gegen den Patienten.1109 Das deutsche Sachrecht rückt also die Belohnung des altruistisch Handelnden auftragslosen Geschäftsführers in den Vordergrund.1110 Ferner wird die Hilfsbereitschaft dadurch gefördert, dass der deutsche Gesetzgeber dem Geschäftsführer, der bei einem schweren Unglücksfall (gegenwärtige Lebensgefahr oder erhebliche gegenwärtige Gefahr für Körper oder Gesundheit) Hilfe leistet, durch die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a) SGB VII einen Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung zuspricht. Dies geschieht nicht zuletzt deshalb, weil der deutsche Gesetzgeber durch § 323c StGB jedermann und damit auch Ärzte zur Hilfe in Notfällen verpflichtet.1111 Die daraus resultierende Hilfeverpflichtung muss aufgrund des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
1108
Man ist sich heute einig, dass den Regelungszwecken eines bestimmten materiellen Rechts nicht jedwede Bedeutung abgesprochen werden kann, wenngleich sich die Anknüpfung nicht unmittelbar aus dem Zweck der Sachnorm ableiten lässt, sondern aus den durch die Sachrechtsregelung implizierten kollisionsrechtlichen Interessen zu ermitteln ist; vgl. dazu Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 99 ff.; 205, 284 ff. 1109 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 1, C. 1110 Degner, Probleme zum Quasikontrakt, S. 100–104, 222 f. 1111 Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp. Arztrecht, Kapitel IV Rn. 11.
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dadurch flankiert werden, dass dem Geschäftsführer im Falle der Hilfeleistung in Notsituationen unter bestimmten Voraussetzungen ein zivilrechtlicher Anspruch auf Vergütung zugesprochen wird, um dessen Hilfsbereitschaft in einer Notsituation zu fördern. Jedenfalls zeigen alle diese Regelungen, dass die deutsche Gesellschaft nach dem Verständnis des Gesetzgebers eine solche Gesellschaft sein soll, die für die Schäden ihrer „Samariter“ aufkommt und diese für ihre Hilfe unter bestimmten Voraussetzungen sogar monetär belohnt. (2) Verständnis der Geschäftsführung ohne Auftrag im angloamerikanischen Recht Auch dem angloamerikanischen common law kann im Rahmen medizinischer Nothilfen jedenfalls die Tendenz entnommen werden, die Vergütung des auftragslosen altruistisch handelnden Geschäftsführers gegenüber dem Schutz des Geschäftsherrn vor unerwünschter Einmischung in seine Rechtsgüter in den Vordergrund zu rücken.1112 Diese Tendenz, altruistische auftragslose Geschäftsführungen zu fördern, kommt auch darin zum Ausdruck, dass die meisten US-Bundesstaaten in sogenannten „Good Samaritian Statutes“ die Haftung von Ärzten, die in Notfällen Hilfe leisten, auf die ein oder andere Weise beschränken.1113
1112
Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 3, § 2, C. Vgl. etwa § 3000–a, § 3013 des New York Public Health Law, abrufbar unter http://public.leginfo.state.ny.us/menugetf.cgi?COMMONQUERY=LAWS unter PBH, zuletzt abgerufen am 07.02.2011; vgl. auch Revised Code of Washington (RCW), Title 4, Chapter 24, RCW Section 300, abrufbar unter http://apps.leg.wa.gov/rcw/default.aspx? cite=4.24.300, zuletzt abgerufen am 07.02.2011; Ferner Alabama: Section 6–5–332; Alaska: Section 09.65.090; Arkansas: A.C.A. § 17–95–101 ; Arizona: A.R.S. § 9– 500.02. ; California: Ann.Cal.Bus. & Prof.Code § 2395.; Connecticut: C.G.S.A. § 52– 557b.; Colorado: CRS title 13–21–108; Delaware: 16 Del.C. § 6801 (a); Florida: Section 178.13; Georgia: § 31–11–8; Hawaii: Sec. 663–1.5; Idaho: I.C. § 5–330; Illinois: 210 ILCS 50/; Indiana: IC 16–31–6–1; Iowa: I.C.A. § 613.17; Kansas: K.S.A. § 65–2891; Kentucky: KRS § 411.148; Louisiana: LSA-R.S. 37:1731; Massachusetts: 5–309; Maryland: Maryland Law 5–309; Maine: Title 14 164; Michigan: 333.20965; Minnesota: 604A.01; Mississippi: § 73–25–37.; Missouri: Section 190.092; Montana: 27–1–714; North Carolina: G.S. 90–21.16; North Dakota: § 20–9–4.1; Nebraska: 25–21,186; Nevada: (NRS) 41.500; New Hampshire: Section 508:12; New Mexico: 24–10–3; New Jersey: 2A:62A-1; Ohio: § 2305.23, § 4765.49; Oklahoma: Title 76 Torts Section 5, Title 76 Torts Section 5.1, Section 698.17, Title 76. Torts Section 5.4; Oregon: (ORS) 30.800; Pennsylvania: 42 Pa.C.S.A. § 8 332; Rhode Island: § 9–1–27.1; South Carolina: Section 15–1–310; South Dakota: § 20–9–4.1.; Tennessee: 63–6–218.; Texas: 6701d; Utah: 78– 11–22; Virginia: H.B. 2097; Vermont: SS 519; Washington DC: D.C. CODE 1981 § 2– 1344.; Wisconsin: 895.48; West Virginia: 55–7–15; Wyoming: 1–1–120. Eine Liste der einschlägigen „Good Samaritian“ Statutes mit entsprechender Verlinkung zu den bundes1113
§ 8 Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag
425
(3) Schlussfolgerung für die kollisionsrechtliche Behandlung der Geschäftsführung ohne Auftrag Würde man bei auftragsloser altruistischer Distanznotgeschäftsführung die Rechtsordnung am Erfolgsort zur Anwendung berufen, würde man die hinter Art. 4 Abs. 1 Rom II für unerlaubte Handlungen geltende kollisionsrechtliche Wertung auf die Geschäftsführung ohne Auftrag übertragen.1114 Gerade diese Übertragung überzeugt in Fällen der telemedizinischen Distanznotgeschäftsführung nicht, da diese bei wertender Betrachtung nicht als unerlaubter Eingriff in einen fremden Rechtskreis und damit nicht als unerlaubte Handlung erscheint.1115 Gerade deshalb werden nach hier vertretener Auffassung die Haftungsansprüche des Patienten gegen den Telemediziner einheitlich dem Deliktsstatut unterstellt, gleich ob sie nach deutscher Diktion aus Vertrag, Geschäftsführung ohne Auftrag oder eben unerlaubter Handlung resultieren. Ferner hat die bisherige Untersuchung gezeigt, dass die auftragslose Distanznotgeschäftsführung von vielen Sachrechtsordnungen sogar gewünscht wird, wie sich in der Annahme einer Vergütungspflicht für Nothilfemaßnahmen des Telemediziners und den häufig anzutreffenden Strafvorschriften der unterlassenen Hilfeleistung (beispielsweise § 323c StGB)1116 zeigt. Durch diese Regelungen soll die altruistische Nothilfeleistung begünstigt, ja sogar gefördert werden. Jedenfalls soll sie nicht behindert werden. Diesem Gesichtspunkt gilt es auch auf kollisionsrechtlicher Ebene Rechnung zu tragen, da andernfalls derjenige auftragslose Nothelfer, der sich pflichtgemäß verhält, auf kollisionsrechtlicher Ebene mit der Anwendung einer ihm fremden und unter Umständen nur schwer feststellstaatlichen Gesetzen findet sich bei http://www.rescueriders.org/liability.html, zuletzt abgerufen am 07.02.11; Vgl. dazu insgesamt King, Medical Malpractice, S. 296 f.; Dobbs, Law of Torts, § 252 S. 663–664 jeweils m.w.N. 1114 Deutlich wird dies bei Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 732; Leible/Engel, EuZW 2004, 7, 14; Hohloch in Erman, Art. 39 EGBGB Rn. 10a., wenn sie argumentieren, dass nur bei einer Anknüpfung an den Erfolgsort ein Gleichlauf von Delikts- und GoA-Statut erreicht werden könne. 1115 Vgl. Rauscher, IPR, Rn. 1376. 1116 Vergleichbare Regelungen bestehen in den meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen; vgl. etwa Frankreich: Article 223–6 Code pénal; vgl. auch die medizinbereichsspezifischen Regelungen in Art. R.4127–9, R.4127–205, R.4127–315 Code de la santé publique précise; Italien: Art. 539 Codice penale; Österreich: § 95 StGB; Schweiz: Art. 128 StGB; Niederlande: Art. 450 Wetboek van Strafrecht; Norwegen: Art. 387 Straffeloven; Dänemark: Art. 253 Straffeloven; Griechenland: Art. 307 of the Penikos Kodikas; Spanien: Art. 195 of the Código Penal Nuevo; Belgien: Art. 422bis Strafwetboek; Portugal: Art. 219 of the Código Penal; Luxemburg: Art. 410–1 Code Pénal; vgl. dazu ausführlich Smits, The good Samaritan, 3–7; Koller, Notfall Rettungsmed 2006, 667, 668; Rosenbaum, The myth of moral justice, S. 247 f.
426
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
baren Rechtsordnung am Erfolgsort „bestraft“ würde. 1117 Die auf sachrechtlicher Ebene feststellbare Förderung altruistischen Handelns, würde auf kollisionsrechtlicher Ebene paradoxerweise ins Gegenteil verkehrt, wenn der altruistisch Handelnde mit der Anwendung einer ihm fremden Rechtsordnung „bestraft“ würde. Um dies zu vermeiden, ist die im Rahmen der Telemedizin vorgefundene Patt-Situation zwischen den kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners an der Anwendung der Rechtsordnung am Handlungsort und den kollisionsrechtlichen Interessen des Patienten an der Berufung der Rechtsregeln des Erfolgsortes folglich dahingehend aufzulösen, dass den kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners an der Anwendung der Rechtsordnung am Handlungsort der Vorrang eingeräumt wird.1118 Das Risiko der Anwendung einer unbekannten Rechtsordnung ist vom Patienten zu tragen, da er von dem altruistischen Handeln des Telemediziners profitiert. bb) Wahrung des funktionalen Zusammenhangs zwischen Hilfeleistungsverpflichtung und Entschädigung Weiterer Vorteil eines solchen Verständnisses ist, dass diejenige Rechtsordnung, die dem Telemediziner unter Umständen durch strafrechtliche Vorschriften eine Hilfeleistungspflicht auferlegt, auch über die aus dieser Hilfeleistung entstehenden zivilrechtlichen Ansprüche des Telemediziners entscheidet. Dies ist von Bedeutung, da Strafnormen, die eine Hilfeleistungspflicht auferlegen und zivilrechtliche Entschädigungsnormen zueinander in einem funktionalen Zusammenhang stehen. Zunächst ist festzustellen, dass derartige Strafnormen auf der gleichen sozialethischen Pflicht beruhen, die auch die altruistische Notgeschäftsführung tragen.1119 Hierin erschöpft sich der
1117
Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 257; Fischer, IPRax 2002, 2, 13; Wandt, GoA im IPR, S. 158 f.; eine ähnliche Überlegung findet sich bei Stoll in FG Weitnauer, 411, 419 „Die Rechtsordnung darf demjenigen, der sich einer solchen Pflicht stellt, das pflichtgemäße Handeln nicht zum Nachteil gereichen lassen“, wenngleich dieses Argument im Rahmen der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen des Retters in Nothilfefällen nach materiellem deutschen Recht hervorgebracht wird. 1118 Barwig, Arzt- und Krankenhausträgerhaftung, S. 257; Degner, Probleme zum Quasikontrakt, S. 223; auch Fischer, IPRax 2002, 2, 11, 13; Schnitzer, SJZ 1980, 309, 314; Heiss/Loacker, JBl 2007, 613, 643; Lüderitz in Soergel, Anh. I zu Art. 38 EGBGB Rn. 6; Amstutz/Vogt/Wang in Honsell/Vogt/Schnyder/Berti, IPR, Art 117 IPRG Rn. 42; Schmid, GoA, S. 547; Holle, GoA, S. 164 vertreten in den hier im Interesse stehenden Fällen, allerdings meist ohne ausführliche Untersuchung oder Begründung, eine Berufung der Rechtsordnung am Handlungsort. 1119 Wittmann, Begriff und Funktion der GoA, S. 78; vgl. in diesem Zusammenhang auch Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, Kapitel VI Rn. 11.
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427
funktionale Zusammenhang jedoch nicht: Nach dem Prinzip der ultimaratio, der strafrechtlichen Ausprägung des allgemeinen verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sind Strafvorschriften nur dort erforderlich und damit auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wo dem Staat kein weniger belastendes Mittel für den Rechtsgüterschutz zur Verfügung steht.1120 Daraus resultiert, dass das Strafrecht nur dann eingesetzt werden darf, wenn andere Mittel der sozialen Problemlösung versagen. Der Gesetzgeber muss also zunächst versuchen, seine Bürger mit den gegenüber dem Strafrecht milderen Mitteln des Zivilrechts dazu anzuhalten, sich in Notsituationen gegenseitig zu helfen.1121 In Deutschland geschieht dies insbesondere durch die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB, aber auch durch die Annahme einer Vergütungspflicht bei professionellen Helfern und der Gewährung des eines Unfallversicherungsschutzes gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a) SGB VII bei Hilfeleistungen im Rahmen von schweren Unglücksfällen. Der Anspruch aus § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a) SGB VII gegen die gesetzliche Unfallversicherung unterliegt, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Vorschrift handelt, nicht dem Internationalen Privatrecht, sondern den Kollisionsregeln des Internationalen Sozialrechts. Nach der einschlägigen gesetzlichen Kollisionsregel des § 2 Abs. 3 SGB VII gilt die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 13 SGB VII auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Dies bedeutet beispielsweise, dass ein Arzt, der seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, auch dann gesetzlich unfallversichert ist, wenn er im Ausland bei einem schweren Unglücksfall Hilfe leistet.1122 Zwar gilt im deutschen Sozialversicherungsrecht grundsätzlich das Territorialitätsprinzip, jedoch gilt nach der sogenannten Ausstrahlungstheorie für Fälle der Nothilfe im Ausland, dass die Beziehung zur inländischen Sozialrechtsordnung bei lediglich vorübergehendem Auslandsaufenthalt erhalten bleibt. Erkennt man diesen funktionalen Zusammenhang zwischen strafrechtlicher Auferlegung einer Hilfeverpflichtung einerseits und der zivilrechtlichen Vergütungspflicht und der gesetzlichen Unfallversicherung andererseits, liegt die Vermutung nahe, dass diejenigen Staaten, die eine dem § 323c StGB vergleichbare Vorschrift kennen1123, eher dazu geneigt sein
1120
Vgl. statt vieler nur BVerfGE 39, 1, 45, 47; Roxin, Strafrecht AT I, Rn. 98; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rn. 18; Günther, JuS 1978, 8, 11 f.; Weber in Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 3 Rn. 19, 23. 1121 Vgl. die in Kapitel 4 Fn. 1120 genannten. 1122 Vgl. hierzu Eichenhofer, Int. Sozialrecht und IPR, S. 183 ff. 1123 Vgl. dazu Kapitel 4 Fn. 1116.
428
Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
werden, dem Nothelfer eine Vergütung zuzusprechen und ihn auch durch sozialrechtliche Vorschriften speziell zu schützen, als diejenigen, die keine vergleichbare strafrechtliche Hilfeverpflichtung kennen. Diese Beobachtungen auf der Ebene des Sachrechts implizieren auf kollisionsrechtlicher Ebene, dass derjenige Telemediziner, der aufgrund einer strafrechtlichen Norm zur Hilfeleistung verpflichtet ist, ein berechtigtes kollisionsrechtliches Interesse daran hat, dass hinsichtlich der Vergütungsfrage diejenige Rechtsordnung zur Anwendung gelangt, der auch die strafrechtliche Norm beziehungsweise die einschlägigen Normen des Sozialrechts entspringen, da andernfalls dieses funktionale Normgefüge durch das Kollisionsrecht zerstört würde. Auch diesem Aspekt trägt die hier vertretene Berufung der Rechtsordnung am Handlungsort Rechnung, da dieser Rechtsordnung zum einen die einschlägigen Strafnormen, zum anderen auch die zur Anwendung berufenen sozialrechtlichen Vorschriften entspringen: Leistet ein deutscher Telemediziner bei einem schweren Unglücksfall im Ausland durch eine Form der Telemedizin aus Deutschland heraus Hilfe, zeigen sich diese Vorzüge deutlich. Zum einen ist der Telemediziner in diesen Fällen nach Maßgabe des § 323c StGB zur Hilfeleistung verpflichtet.1124 Sozusagen im Gegenzug erhält der Telemediziner – im oben eingeführten Beispielsfall – gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a) SGB VII einen Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung und nach hier vertretener Auffassung über Art. 11 Abs. 3, 24 Rom II in Verbindung mit den §§ 677, 683, 670, 680 BGB in Verbindung mit § 1835 Abs. 3 BGB analog einen Vergütungsanspruch gegen den Patienten und eine Haftungsprivilegierung. Das zwischen diesen Normen bestehende funktionale Gefüge bleibt folglich in Fällen, in denen die Rechtsordnung des gewöhnlichen Aufenthalts des Telemediziners mit der-
1124 § 3 StGB beruft als Kollisionsnorm das deutsche Strafrecht und damit auch § 323c StGB für alle Taten, die im Inland begangen sind, zur Anwendung. Es stellt sich also die Frage, wann eine Tat im Inland begangen ist – wenn ihr tatbestandlicher Erfolg in Deutschland eingetreten ist und/oder wenn die tatbestandliche Handlung in Deutschland vorgenommen wurde. Diese Frage wird durch § 9 StGB dahingehen beantwortet, dass eine Tat an jedem Ort begangen ist, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte. Begehungsorte des echten Unterlassungsdelikts des § 323c StGB sind demnach alle Orte, an denen sich der Telemediziner während der Zeit seiner Handlungspflicht aufhält und handeln kann und die Orte, an die er sich begeben musste, um zu handeln. In der Folge ist § 323c StGB durch den Telemediziner immer dann zu beachten, wenn er von Deutschland aus einen Patienten grenzüberschreitend behandelt oder wenn er grenzüberschreitend hätte tätig werden müssen um einen Patienten in Deutschland zu behandeln. Vgl. dazu statt vieler Werle/Jeßberger in LK-StGB, § 9 StGB Rn. 19 f.; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, § 9 StGB Rn. 2; Wandt, GoA im IPR, S. 160 Fn. 240 jeweils m.w.N.
§ 8 Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag
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jenigen am Handlungsort übereinstimmt, was in der Rechtswirklichkeit immer der Fall sein wird, erhalten. Die aus diesem funktionalen Normgefüge resultierenden kollisionsrechtlichen Interessen des Telemediziners werden folglich durch die hier vertretene Auffassung einer Anknüpfung an den Handlungsort bestmöglich berücksichtigt. Ein anderes Verständnis des Art. 11 Abs. 3 Rom II kann auch nicht mit dem Argument begründet werden, dass die Handlung des Telemediziner final auf die Einwirkung auf einen fremden Rechtskreis ausgerichtet sei.1125 Wie oben im Rahmen der Diskussion zum richtigen Verständnis des Merkmals „ausrichten“ in Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rom I bereits ausführlich dargestellt wurde, setzt eine Ausrichtung ein zielgerichtetes, absichtliches, willentliches oder planmäßiges Handeln voraus. Gerade in Nothilfefällen wird es dem Telemediziner aufgrund des engen Zeitrahmens – schließlich ist schnelles Handeln geboten – nicht möglich sein festzustellen, in welchen Rechtskreis er mit seiner Handlung eingreift. In der Folge weiß der Telemediziner unter Umständen gar nicht, dass er grenzüberschreitend tätig wird, so dass von einer Ausrichtung in einen bestimmten Rechtskreis bereits wegen Fehlens der Willenskomponente nicht ausgegangen werden kann. Ferner ist der Telemediziner nach vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen zur medizinischen Hilfeleistung verpflichtet1126, da er sich andernfalls dem Risiko einer Strafbarkeit aussetzen würde. Von einer freiwilligen, willentlichen oder gar planmäßigen Ausrichtung auf einen bestimmten Rechtskreis kann daher in Fällen der (tele-)medizinischen Nothilfe nicht die Rede sein. Dies gilt meines Erachtens selbst dann, wenn der Telemediziner nicht durch bestimmte, nach dem internationalen Strafrecht1127 zur Anwendung berufene, strafrechtliche Normen wie dem § 323c StGB zu einer Hilfeleistung verpflichtet wird, da der Telemediziner überwiegend allein aufgrund des ärztlichen Standesrechts zur Hilfeleistung verpflichtet sein wird. Jedenfalls wird er sich aufgrund sittlich, moralischer Wertevorstellungen1128, ethischer Überlegungen1129, vielleicht sogar aufgrund des natürlichen Rechts1130, dazu „verpflichtet“ sehen, dem Patienten zu helfen.
1125
So aber Von Hoffmann in Staudinger (2001), Art. 39 EGBGB Rn. 12. Vgl. dazu Kapitel 4 Fn. 1116. 1127 Vgl. im deutschen Strafrecht nur die §§ 3, 9 Abs. 1, Abs. 2 StGB. 1128 Vgl. Stoll in FG Weitnauer, 411, 419; Jones, Restitution, S. 133. 1129 Insoweit sei nur an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erinnert, die in diesem Zusammenhang immer wieder Erwähnung findet; vgl. etwa Harzer, Tatbestandsmäßige Situation der unterlassenen Hilfeleistung, S. 35 m.z.N. 1130 So Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicem Juris Bavarici Criminalis, Erster Theil, 12. Kapitel, 1 Anm. a). 1126
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
cc) Vergleichbarkeit mit der hinter dem hypothetischen Vertragsstatut stehenden kollisionsrechtlichen Interessenlage Für eine Anknüpfung an den Handlungsort spricht bei auftragsloser Distanznotgeschäftsführung darüber hinaus, dass selbst wenn kein Vertrag zustande kommt, in jeder hypothetisch vorstellbaren Vertragsschlusskonstellation die objektive Vertragsanknüpfung nach der Art. 4 Rom I zugrundeliegenden Lehre von der charakteristischen Leistung auf den Sitz des Telemediziners verweisen würde. Die Lehre von der charakteristischen Leistung gilt natürlich zum einen nicht unmittelbar für die kollisionsrechtliche Behandlung der Geschäftsführung ohne Auftrag, zum anderen ist sie nur bedingt geeignet, eine Anknüpfung an den Handlungsort zu begründen, da sie eigentlich zu einer Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort dessen führt, der die vertragscharakteristische Leistung erbringt. Dennoch bietet sich diese Überlegung als Hilfserwägung an, um eine Anknüpfung bei auftragslosen Distanznotgeschäftsführungen an die Rechtsordnung des Handlungsortes im Rahmen der Telemedizin zu bestätigen, da der Handlungsort regelmäßig mit dem gewöhnlichen Aufenthaltsort übereinstimmen wird. Auch zieht der überwiegende Teil der rechtswissenschaftlichen Literatur in der Schweiz und auch die dortige Rechtsprechung diese Parallele zur kollisionsrechtlichen Behandlung des Auftrags.1131 Begründet wird dies insbesondere damit, dass der auftragslose Notgeschäftsführer derjenige sei, der die charakteristische Leistung erbringe, weshalb er nach der Lehre von der charakteristischen Leistung kollisionsrechtlich zu privilegieren sei. 1132 Andere rücken die Möglichkeit der einseitigen Genehmigung der Geschäftsführung ohne Auftrag durch den Geschäftsherrn, die einen vertraglichen Auftrag entstehen lässt, der dem Vertragsstatut unterliegt, zur Begründung in den Vordergrund.1133 Wenn der Geschäftsführer durch eine einseitige Genehmigung die Geschäftsführung ohne Auftrag in einen Auftrag umwandeln und damit zugleich dem Vertragsstatut unterstellen könne, so müsse die Geschäftsführung ohne Auftrag kollisionsrechtlich gleich behandelt werden wie der Auftrag.1134 Ob diese Argumentation überzeugt, kann an dieser Stelle nicht abschließend untersucht werden. Sie teigt jedoch, dass die Geschäftsführung ohne Auftrag in Nothilfefällen keine Nähe zum Deliktsstatut beziehungsweise der kollisionsrechtlichen Interessenlage bei unerlaubten Handlungen besitzt, so dass eine Übertragung der dort
1131
BGE 112 II 450, 453; Vischer, Int. Vertragsrecht, S. 122; Schnitzer, Handbuch IPR II, 716; Keller/Kren Kostkiewicz in Girsberger/Heini, IPRG, Art. 117 Rn. 121. 1132 Vischer, Int. Vertragsrecht, S. 122 Fn. 1; Keller/Kren Kostkiewicz in Girsberger/Heini, IPRG, Art. 117 Rn. 121. 1133 Schnitzer, Handbuch IPR II, 716. 1134 Vgl. dazu Wandt, GoA im IPR, S. 77 m.w.N.
§ 8 Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag
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getroffenen kollisionsrechtlichen Wertungen, also der besonderen Berücksichtigung der kollisionsrechtlichen Interessen des Opfers durch Berufung der Rechtsordnung am Erfolgsort, in diesen Fällen nicht sinnvoll erscheint. c) Keine drohenden Wertungswidersprüche Der hier vertretenen Lösung lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass sie den einheitlichen Regelungskomplex der Geschäftsführung ohne Auftrag zerreißen würde, sodass erhebliche Wertungswidersprüche drohen würden. Zwar führt die hier vertretene Anknüpfung der Schadenshaftung wegen Köper- und Gesundheitsschädigungen des Patienten über Art. 4 Rom I zur Anknüpfung an die Rechtsordnung des Erfolgsorts, während sich die gesetzlichen Vergütungsregelungen des Geschäftsführers nach der Rechtsordnung am Handlungsort richten. Folglich unterliegen bestimmte Aspekte der Geschäftsführung ohne Auftrag in der Tat verschiedenen Rechtsordnungen. Hieraus resultieren jedoch keine größeren Schwierigkeiten, da durch diese Anknüpfungswahl keine Rechtsfrage zwei verschiedenen Sachrechtsordnungen zu entnehmen ist. Insbesondere unterliegt die Frage, ob eine berechtigte oder eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegt nur einer Rechtsordnung, nämlich derjenigen des Statuts der Geschäftsführung ohne Auftrag. Für die Haftung des auftragslosen Geschäftsführers wegen Verletzung des Körpers- oder der Gesundheit des Geschäftsherrn spielt dies jedoch keine Rolle, da die Haftungsbeschränkung des Geschäftsführers gemäß § 680 BGB unabhängig von der Frage eingreift, ob die Übernahme der Geschäftsführung dem tatsächlichen oder zumindest dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprochen hat.1135 Würde eine andere Sachrechtsordnung die Frage einer Haftungsprivilegierung des Telemediziners davon abhängig machen, ob es sich um eine berechtigte oder unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag handelt, resultieren auch daraus keine gravierenden Schwierigkeiten. In einem solchen Fall ist es sachgerecht, wenn der Rechtsanwender die materiellrechtliche Vorfrage, ob der allgemeine Haftungsmaßstab aufgrund besonderer Vorschriften über die auftragslose Geschäftsführung modifiziert ist, selbständig anknüpft und folglich nach der über das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag berufenen Sachrechtsordnung, also der Rechtsordnung am Handlungsort des Telemediziners, beantwortet. In der Folge unterliegt die Frage der Berechtigung der Geschäftsführung nur der durch Art. 11 Rom II berufenen Sachrechtsordnung. Die Gefahr von Wertungs-
1135 Vgl. BGHZ 43, 188, 192 f.; Fehrenbacher in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 680 BGB Rn. 3; Sprau in Palandt, BGB, § 680 BGB Rn. 1; Bergmann in Staudinger, § 680 BGB Rn. 6.
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Kapitel 4: Kollisionsrechtliche Fragestellungen
widersprüchen besteht also nicht, da die Frage, ob es sich um eine berechtigte oder um eine unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag handelt, nur durch eine Rechtsordnung beantwortet wird. Einer solchen selbstständigen Anknüpfung der materiell-rechtlichen Vorfrage, ob es sich um eine berechtigte oder unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag handelt, steht auch Art. 15 lit. b Rom II nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist das nach den Kollisionsregeln der Rom II Verordnung anzuwendende Recht insbesondere maßgebend für die Haftungsausschlussgründe sowie jede Beschränkung oder Teilung der Haftung.1136 Art. 15 lit. b Rom II trifft jedoch keine Aussage darüber, ob etwaige Haftungsprivilegierungen des auftragslosen Geschäftsführers für Schädigungen des Geschäftsherrn dem durch Art. 4 Rom II oder dem durch Art. 11 Rom II berufenen Sachrecht zu entnehmen sind. Die hier vorgeschlagene Lösung kann also nicht im Widerspruch zu Art. 15 lit. b Rom II stehen. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass nach deutschem Verständnis die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB unabhängig davon eingreift, ob die Übernahme der Geschäftsführung durch den auftragslosen Geschäftsführer dem tatsächlichen oder zumindest dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprochen hat. In der Folge ist es nach deutschem Recht für die Beurteilung der Haftung eines Telemediziners, der in einem Notfall einen Patienten in dessen Gesundheit verletzt hat, unerheblich, ob die Übernahme der Behandlung durch den Telemediziner im Einklang mit dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten stand. Die Frage der Berechtigung der Geschäftsführung ohne Auftrag ist nach deutschem Verständnis nur im Rahmen der Untersuchung, ob der Telemediziner für seine auftragslose Geschäftsführung eine Vergütung vom Patienten verlangen kann, relevant. Diese Frage untersteht aber auch nach hier vertretener Auffassung nur dem Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag, sodass insoweit keine Wertungswidersprüche drohen. D. Zusammenfassung Die soeben vorgenommene Untersuchung hat gezeigt, dass Vergütungsansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen regelmäßig nach Art. 11 Abs. 3 Rom II der Rechtsordnung am Handlungsort der telemedizinischen Geschäftsfüh-
1136
Dies wurde durch die EG-Kommision (KOM (2003) 427 endg., S. 26) folgendermaßen konkretisiert: „Gemeint sind die haftungsausschließenden oder -beschränkenden Elemente. Ausschlussgründe sind unter anderem höhere Gewalt, Notstand, das Verschulden Dritter und das Verschulden des Geschädigten. Darunter fallen auch die Unzulässigkeit von Klagen zwischen Ehegatten und der Haftungsausschluss gegenüber bestimmten Personengruppen.“
§ 8 Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag
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rung, aus Sicht des Patienten also einer ausländischen Rechtsordnung, unterliegen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise in Fällen, in denen zwischen Patient und Telemediziner nach der über Art. 3 ff. Rom I zur Anwendung berufenen Rechtsordnung ein Vertragsverhältnis besteht. In diesen Fällen ist gemäß Art. 11 Abs. 1 Rom II das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag über eine vertragsakzessorische Anknüpfung zu bestimmen. In der Folge findet auf Vergütungsansprüche des Telemediziners aus Geschäftsführung ohne Auftrag, vorbehaltlich einer Rechtswahl, regelmäßig die Rechtsordnung am gewöhnlichen Aufenthalt des Telemediziners Anwendung.1137 Scheidet eine akzessorische Anknüpfung des Rechtsverhältnisses aus Geschäftsführung ohne Auftrag aus und haben Patient und Telemediziner ihren gewöhnlichen Aufenthalt ausnahmsweise einmal in demselben Staat, wird die Rechtsordnung dieses Staates zur Beurteilung der Vergütungsfrage zur Anwendung berufen.
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Zur Bestimmung des Vertragsstatuts siehe oben Kapitel 3, § 3.
Kapitel 5
Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
Bislang wurde festgestellt, welche Ansprüche im Verhältnis zwischen den an einer telemedizinischen Behandlung beteiligten Personen bestehen können. Weiter wurde untersucht, welche der zahlreichen Rechtsfragen welcher Rechtsordnung unterstehen. Nicht untersucht wurde hingegen bis zum jetzigen Zeitpunkt die Frage, in welchem Staat der Patient beziehungsweise der Telemediziner seine ihm unter Umständen zustehenden Ansprüche gegen den jeweils anderen gerichtlich geltend machen kann. Diese Frage ist Gegenstand des internationalen Zivilverfahrensrechts, genauer des Rechts der internationalen Zuständigkeit. Ihr wird im 5. Teil dieser Arbeit nachgegangen.
§ 1 Grundlagen des internationalen Zuständigkeitsrechts § 1 Grundlagen des internationalen Zuständigkeitsrechts
A. Quellen des internationalen Zuständigkeitsrechts Die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit finden sich nicht in einem einzigen Gesetz. Vielmehr besteht das internationale Zivilverfahrensrecht (IZVR) aus autonomem nationalem Recht, multi- und bilateralen Staatsverträgen und zunehmend auch aus europäischem Unionsrecht, das Vorrang vor den nationalen Regelungen genießt.1 Bei einem Nebeneinander von staatsvertraglicher und autonomer Regelung gelangt erstere als lex specialis zur Anwendung.2 I. EuGVO Zunächst ist die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVO) zu beachten. Diese Verordnung ist gemäß Art. 76 EuGVO für alle EU-
1 2
Pichler, Int. Zuständigkeit, Rn. 445. Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 8.
§ 1 Grundlagen des internationalen Zuständigkeitsrechts
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Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks am 01.03.2002 in Kraft getreten. Sie ist in allen Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Mit Inkrafttreten ersetzt sie das in den Mitgliedstaaten bislang geltende Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.09.1968 (EuGVÜ) in der Fassung des letzten Beitrittsübereinkommens. Mit Wirkung vom 27.04.2006 gilt die EuGVO nunmehr auch für Dänemark.3 II. ZPO Soweit weder die EuGVO noch andere Staatsverträge einschlägig sind, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach dem autonomen deutschen Zivilprozessrecht, das in der Zivilprozessordnung (ZPO) kodifiziert wurde. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorschriften der internationalen Zuständigkeit mit denen über die örtliche Zuständigkeit derart verwoben, dass die örtliche Zuständigkeit nach der ZPO die internationale Zuständigkeit indiziert.4 Von einer internationalen Zuständigkeit Deutschlands ist folglich immer dann auszugehen, wenn mindestens ein deutsches Gericht nach Maßgabe der Regelungen der ZPO örtlich zuständig ist.5 Die deutschen Vorschriften über den Gerichtsstand erfüllen also eine Doppelfunktion, da sie zum einen den Umfang der deutschen internationalen Zuständigkeit bestimmen und zum anderen die Rechtsprechungsaufgabe nach örtlichen Gesichtspunkten auf das jeweilige deutsche Gericht verteilen.6 B. Anwendungsbereich der EuGVO I. Sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 1 EuGVO Sachlich findet die EuGVO nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuGVO auf alle Zivilund Handelssachen ohne Rücksicht auf die Art der Gerichtsbarkeit Anwendung, sofern ihre Anwendung nicht nach Art. 1 Abs. 2 EuGVO ausge3
Beschluss des Rates vom 27.04.2006 über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (006/325/EG), ABl. EG 2006 Nr. L 120, S. 22. 4 BT-Drucks. 10/504, S. 89; Geimer, IZPR, Rn. 946. 5 BGH, IPRax 1985, 224; BGHZ 106, 300; Mansel in FS Jayme, 561, 565; Pichler, Int. Zuständigkeit, Rn. 946; Geimer, IZPR, Rn. 946; ders., in Zöller, ZPO, IZPR Rn. 37; Pohlmann, ZPR, § 5 Rn. 209; Hausmann in Staudinger (2002), Anhang II zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 5; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 75 f.; Mankowski, IPRax 1997, 173, 174. 6 Geimer, IZPR, Rn. 949; Coester-Waltjen, IPRax 1990, 26, 26; Pichler, Int. Zuständigkeit, Rn. 454; Mansel in FS Jayme, 561, 565.
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
schlossen sind. Dabei ist der Begriff der Zivilsache autonom auszulegen7 Der sachliche Anwendungsbereich ist daher sowohl für etwaige zivilrechtliche Ansprüche des Patienten gegen den ausländischen Telemediziner als auch für solche des ausländischen Telemediziners gegen den Patienten eröffnet. II. Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich der EuGVO Für die Eröffnung des räumlich-persönlichen Anwendungsbereichs der EuGVO ist erforderlich, dass ein hinreichender räumlicher Bezug zum Gebiet der EU besteht.8 Dieser wird bei Personen in der Regel durch deren Wohnsitz vermittelt, wie die Regelungen der Art. 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 EuGVO zeigen9; die Staatsangehörigkeit der Parteien spielt insoweit keine Rolle.10 Beklagte mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat können gemäß Art. 3 Abs. 1 EuGVO nur nach den Zuständigkeitsregeln der EuGVO verklagt werden, so dass insbesondere die teilweise exorbitanten Gerichtsstände einzelner Mitgliedstaaten aufgrund von Art. 3 Abs. 2 EuGVO in Verbindung mit Anhang I zur EuGVO nicht zur Begründung einer internationalen Zuständigkeit eingreifen. Gegenüber Beklagten, die ihren Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat haben, finden die Regelungen der EuGVO hingegen im Grundsatz keine Anwendung.11 Gegenüber solchen Beklagten kann folglich zur Begründung einer internationalen Zuständigkeit auf jene – in Anhang I zur EuGVO aufgeführten – exorbitanten Gerichtsstände des nationalen Rechts zurückgegriffen werden. Darüber hinaus erweitert Art. 4 Abs. 2 EuGVO den Kreis derjenigen Personen, die sich gegenüber einem Beklagten mit Wohnsitz in einem Drittstaat auf solche exorbitanten Gerichtsstände der jeweiligen nationalen Zuständigkeitsregelung berufen können, auf alle Einwohner des Forumstaats, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit.
7
EuGH, NJW 1977, 489, 490; IPRax 1981, 169, 173; NJW 1993, 2091, 2091; Hausmann in Staudinger (2002), Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 6. 8 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 203. 9 Hausmann in Staudinger (2002), Anh. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 11. 10 Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 28; Kropholler/Von Hein, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 9. 11 Eine Ausnahme hiervon bilden die Art. 22, 23 EuGVO, die bei dem Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit jedoch überwiegend keine Rolle spielen werden, so dass auf sie nicht näher eingegangen wird.
§ 2 Einzelne Gerichtsstände
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§ 2 Einzelne Gerichtsstände § 2 Einzelne Gerichtsstände
A. Allgemeiner Gerichtsstand I. Art. 2 Abs. 1 EuGVO Nach Art. 2 Abs. 1 EuGVO besteht der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten. Grundsatz des europäischen Zuständigkeitsrechts ist folglich die alte römische Regel „actor sequitur forum rei“.12 Danach haben Patient und Telemediziner, vorbehaltlich der Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands (Art. 23 EuGVO), die Möglichkeit, den jeweils anderen in dessen Wohnsitzstaat hinsichtlich aller Ansprüche, gleich aus welcher Anspruchsgrundlage sie resultieren, zu verklagen. Ob eine natürliche Person als Beklagter ihren Wohnsitz in einem bestimmten Mitgliedstaat hat, richtet sich gemäß Art. 59 Abs. 1 und 2 EuGVO nach dem Recht des Staates, in dem sich der behauptete Wohnsitz des Beklagten befinden soll. Art. 59 EuGVO bestimmt den Wohnsitz also nicht unmittelbar, sondern verweist als Kollisionsnorm mit Sachnormverweisung auf die jeweilige nationale Rechtsordnung.13 In der Folge kann der Patient beziehungsweise der Telemediziner, sofern es sich um eine natürliche Person handelt, mehrere Wohnsitze haben, da die potentiell berufenen Rechtsordnungen nicht alle dieselben Maßstäbe zur Beurteilung des Wohnsitzes verwenden. In solchen Fällen ist es ausreichend, wenn einer der so bestimmten Wohnsitze in einem EU-Mitgliedstaat liegt.14 Liegen beide Wohnsitze in einem Mitgliedstaat, hat der Telemediziner beziehungsweise der Patient die Wahl, in welchem Mitgliedstaat er seine Klage gegen den jeweils anderen erhebt.15 Bei juristischen Personen, wie sie beispielsweise Kliniken darstellen können, werden gemäß Art. 60 Abs. 1 EuGVO, in Anlehnung an Art. 54 AEUV, der satzungsmäßige Sitz und die Hauptverwaltung beziehungsweise die Hauptniederlassung von Gesellschaften und juristischen Personen dem Wohnsitz gleichgestellt. Die einzelnen Anknüpfungsmomente gelten alternativ, so dass bei einem Auseinanderfallen von satzungsmäßigem Sitz und der Hauptverwaltung einer Gesellschaft mehrere „Wohnsitze“ in un-
12
Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 217; Hausmann in Staudinger (2002), Anh. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 18; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 17; Kosmehl in FS Rauscher, 79, 81 f. 13 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 217; Hausmann in Staudinger (2002), Anh. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 19; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 327; Mankowski in Rauscher, EuZPR I, Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 2. 14 Hausmann in Staudinger (2002), Anh. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 18. 15 Mankowski in Rauscher, EuZPR I, Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 5.
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
terschiedlichen Mitgliedstaaten bestehen können.16 Auch in diesen Fällen hat der Patient die Wahl, in welchem dieser Mietgliedstaaten er Klage erheben möchte.17 1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen des Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat Nicht gesetzlich geregelt ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Wohnsitz des Patienten oder des Telemediziners beziehungsweise der Sitz von Gesellschaften oder juristischen Personen in einem Mitgliedstaat gegeben sein muss. Die EuGVO enthält diesbezüglich auch keinen Verweis auf die autonome Regelung des jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechts. Mangels Regelung erscheint es angebracht, diese Frage verordnungsautonom zu beantworten, da nur so eine einheitliche Anwendung der EuGVO in den verschiedenen Mitgliedstaaten sichergestellt werden kann.18 Es ist angemessen, auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung im Sinne des Art. 30 EuGVO abzustellen.19 Nur so ist es dem jeweiligen Kläger möglich, im Zeitpunkt der Klageerhebung festzustellen, ob die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen beim angerufenen Gericht vorliegen.20 Darüber hinaus wird bei einem derartigen Verständnis erreicht, dass die durch Art. 30 EuGVO gezogene Litispendenz-Linie nicht unnötigerweise verlassen wird. Es wäre widersprüchlich und sinnlos, für die Rechtshängigkeit einerseits und die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen andererseits zwei voneinander abweichende Zeitpunkte zu wählen. a) Zuständigkeitsvoraussetzungen liegen im Zeitpunkt der Entscheidung vor Liegen die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen, also etwa der Wohnsitz, zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht vor, ist die Klage des Patienten beziehungsweise des Telemediziners gegen den jeweils anderen dennoch für zulässig zu erachten, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der
16 Jayme/Kohler, IPRax 1999, 401, 406; Pichler, Int. Zuständigkeit, Rn. 457; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 218; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 327. 17 Vgl. Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 327. 18 Kropholler/Von Hein, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 12; a.A. Geimer in FS Schütze, 205, 208; ders., in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 2 EuGVO Rn. 137, der auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage nach dem jeweiligen autonomen Recht der lex fori abstellen will. 19 So auch Kropholler/Von Hein, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 15; Mankowski in Rauscher, EuZPR I, Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 3. 20 Mankowski in Rauscher, EuZPR I, Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 3; Kropholler/Von Hein, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 15.
§ 2 Einzelne Gerichtsstände
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Beklagte seinen Wohnsitz im mitgliedstaatlichen Gerichtstaat hat und damit auch die Zuständigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind.21 Unerheblich ist dabei, zu welchem Zeitpunkt die Zuständigkeitsvoraussetzungen eingetreten sind, da andernfalls eine Klage unter Umständen als unzulässig abgewiesen werden müsste, die im Anschluss sofort wieder beim demselben Gericht erhoben werden könnte.22 b) Zuständigkeitsvoraussetzungen liegen im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vor, bestanden aber im Zeitpunkt der Klageeinreichung Ist die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts einmal wirksam begründet, entfällt sie auch nicht dadurch, dass der jeweils beklagte Patient oder Telemediziner seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedoder gar Drittstaat verlegt. Insoweit gilt der Grundsatz der perpetuatio fori23, da nur so das gerechtfertigte Vertrauen des jeweiligen Klägers in die internationale Zuständigkeit des jeweiligen Staates geschützt werden kann. Andernfalls liefe der jeweilige Kläger Gefahr, dass ihm der beklagte Telemediziner oder Patient durch Verlegung seines Wohnsitzes den internationalen Gerichtsstand (wieder) entzieht.24 2. Örtliche Zuständigkeit Art. 2 Abs. 1 EuGVO regelt nur die internationale Zuständigkeit. Die örtliche Zuständigkeit des jeweiligen Gerichts obliegt hingegen weiterhin dem jeweiligen nationalen Gesetzgeber.25 Über Art. 2 Abs. 2 EuGVO hinausgehende Vorschriften bestehen insoweit nicht, so dass durch die Regelungen der EuGVO insbesondere nicht sichergestellt ist, dass ein Gerichtsstand immer an dem Ort eröffnet ist, an dem der Beklagte Patient oder Telemediziner seinen Wohnsitz hat. Bei Patienten oder Telemedizinern mit Wohnsitz in Deutschland ist dies jedoch der Fall, da sich im deutschen autonomen Prozessrecht in den §§ 12, 13 ZPO ebenfalls der Anknüpfungspunkt des Beklagtenwohnsitzes
21 Mankowski in Rauscher, EuZPR I, Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 2; Kropholler/Von Hein, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 13. 22 Mankowski in FS Heldrich, 867, 875; ders., in Rauscher, EuZPR I, Art. 2 Brüssel IVO Rn. 4a; Kropholler/Von Hein, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 13; Schack, IZVR, Rn. 451; a.A. Damrau in FS Bosch, 103, 116. 23 EuGHE I 2004, 1441, 1455 Rn. 37; Mankowski in Rauscher, EuZPR I, Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 4; Kropholler/Von Hein, EuZPR, vor Art. 2 Rn. 14; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 2 EuGVO Rn. 137. 24 Vgl. Mankowski in FS Heldrich, 867, 875; Schack, IZVR, Rn. 451. 25 Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 2 EuGVO Rn. 41; Mankowski in Rauscher, EuZPR I, Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 7.
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
findet. Derselbe Anknüpfungspunkt bestimmt also sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit. Für Vergütungsklagen des Telemediziners gegen einen Patienten mit Wohnsitz in Deutschland ist demzufolge das Gericht am Wohnsitz des Patienten zuständig. Auch für Schadensersatzklagen eines ausländischen Patienten gegen einen Telemediziner, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat, ist das Gericht an dessen Wohnsitz zuständig. II. §§ 12, 13 ZPO Auch dem deutschen Zuständigkeitsrecht liegt der Grundsatz des „actor sequitur forum rei“ zugrunde26, nachdem der beklagte Telemediziner beziehungsweise Patient grundsätzlich in dem Staat verklagt werden soll, in dem er seinen Wohnsitz respektive seinen Sitz hat, §§ 12, 13, 17 Abs. 1 ZPO. Dies gilt unabhängig von der gewählten Klageart, da die §§ 12 ff. ZPO sowohl für Leistungs- als auch für Feststellungs- und Gestaltungsklagen gelten.27 Ob der Patient oder Telemediziner einen Wohnsitz im Inland hat, richtet sich nach der lex fori unter Ausschluss des IPR, also nach den §§ 7 ff. BGB.28 Entscheidend ist nach § 7 Abs. 1 BGB demnach, ob sich der Patient oder der Telemediziner tatsächlich mit dem Willen, diesen zum ständigen Schwerpunkt des gesamten Lebensverhältnisses zu machen, im Inland niedergelassen hat, was nach § 7 Abs. 2 BGB auch für mehrere Orte zutreffen kann. Zur Bestimmung des Sitzes einer juristischen Person ist auf ihren statutarischen Sitz abzustellen; liegt dieser im Ausland, ist Deutschland nach § 17 Abs. 1 S. 2 ZPO dennoch international zuständig, wenn die Verwaltung im Inland geführt wird, der Ort der tatsächlichen Hauptverwaltung also in Deutschland liegt.29 B. Besondere Gerichtsstände Neben dem soeben untersuchten allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Telemediziners beziehungsweise des Patienten kennen sowohl die EuGVO als auch die deutsche ZPO besondere Gerichtsstände. Nur für den Fall, dass mindestens ein solcher eröffnet ist, kann der Telemediziner be-
26
Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 76. Geimer, IZPR, Rn. 1146. 28 BGH, FamRZ 1992, 794, 795; Kropholler, IPR, § 58 III 1 c); Geimer, IZPR, Rn. 1269; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 319. 29 Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 322; Geimer, IZPR, Rn. 1274; Kropholler, IPR, § 58 III 1 c). 27
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ziehungsweise der Patient außerhalb seines Wohnsitzstaates durch den jeweils anderen verklagt werden.30 I. Sondergerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsortes 1. Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO Art. 5 Nr. 1 EuGVO schafft einen besonderen Gerichtsstand am Erfüllungsort vertraglicher Ansprüche. Dieser Gerichtsstand im forum contractus hat gegenüber dem allgemeinen Gerichtsstand am Beklagtenwohnsitz den Vorteil, dass er unwandelbar ist und daher für erhöhte Rechtssicherheit sorgt.31 a) Abgrenzung zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes ist nach Art. 5 Nr. 1 lit. a) EuGVO eröffnet, wenn „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ den Verfahrensgegenstand bilden. Der EuGH geht dabei in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Begriffe „Vertrag“ beziehungsweise „Ansprüche aus einem Vertrag“ autonom zu bestimmen sind.32 Dies erscheint auch sinnvoll, da nur so eine einheitliche Auslegung dieses Systembegriffs in den einzelnen Mitgliedstaaten erzielt werden kann.33 Eine einheitliche Auslegung ist nicht nur für die Eingrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 5 Nr. 1 EuGVO, sondern auch für die Abgrenzung zu Art. 5 Nr. 3 EuGVO, der den besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung regelt, von essentieller Bedeutung. aa) Qualifikation der Vergütungsansprüche des Telearztes und Leistungsansprüche des Patienten Nach Auffassung des EuGH ist der Vertragsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVO nur für „freiwillig eingegangene Verpflichtungen“ eröffnet.34 Er greift daher nicht in einer Situation, „in der es an einer von einer Partei
30
Vgl. Art. 3 I EuGVO. Hausmann in Staudinger (2002), Anh. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 46; Schack, Erfüllungsort, Rn. 145 ff.; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 6. 32 EuGHE I 1983, 987, 1022 Rn. 10; I 1988, 1551, 1554 Rn. 11; I 1992, 3990, 3993 Rn. 10; I 1998, 6534, 6541 Rn. 15; I 2004, 1546, 1554 Rn. 22; Martiny in FS Geimer, 641, 644 f.; Hertz, Jurisdiction in Contract and Tort, S. 65 f. 33 Schack, IZVR, Rn. 291 f.; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 5; Kynker, Gerichtsstand am Erfüllungsort, S. 27. 34 EuGHE I 1992, 3990, 3994 Rn. 15; I 1998, 6534, 6542 Rn. 17; I 2002, 7383, 7393 Rn. 23; I 2004, 1546, 1555 Rn. 24; I 2005, 481–522 Nr. 26; Schack, IZVR, Rn. 293; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 9. 31
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
gegenüber einer anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung fehlt“.35 Von Art. 5 Nr. 1 EuGVO nicht erfasst werden daher Vergütungsansprüche des Telemediziners aus Geschäftsführung ohne Auftrag, da diese aus einem gesetzlichen und nicht aus einer einvernehmlich und freiwillig eingegangen Verpflichtung resultieren.36 Anders sieht dies bezüglich vertraglicher Vergütungsansprüche des Telemediziners aus. Diese sind als vertraglich zu qualifizieren, so dass der Telemediziner seinen vertraglichen Vergütungsanspruch im Gerichtsstand des Erfüllungsortes geltend machen kann. Auch die vertraglich übernommene Pflicht des Telemediziners, den Patienten zu behandeln, kann durch den Patienten im Vertragsgerichtsstand gerichtlich verfolgt werden. Dabei ist es unerheblich, ob es tatsächlich zu einem Vertragsschluss zwischen dem Patienten und dem Telemediziner gekommen ist37, oder ob das Zustandekommen des Vertrages zwischen Patient und Telemediziner streitig ist.38 bb) Qualifikation der Telearzthaftung wegen Körper- oder Gesundheitsschädigung Problematisch ist hingegen wiederum39, welche Schadensersatzansprüche des Patienten wegen Gesundheitsschädigung unter das Begriffspaar „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ zu subsumieren sind. Eine einheitliche Auslegung dieses Begriffspaars ist nicht nur für die Eingrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 5 Nr. 1 EuGVO, sondern auch für dessen Abgrenzung zu Art. 5 Nr. 3 EuGVO von essentieller Bedeutung: Art. 5 Nr. 3 EuGVO eröffnet für Ansprüche aus unerlaubter Handlung eine besondere internationale Zuständigkeit des Gerichts „des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“. Der EuGH favorisiert auch insoweit eine autonome Auslegung und versteht darunter
35
EuGHE I 1998, 6534, 6542 Rn. 17. Vgl. dazu OLG Düsseldorf, IPRax 1998, 210, 210; Hausmann in Staudinger (2002), Anh. zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 54; Stadler in Musielak, ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 4; dies. in FS Musielak, 569, 581; Gottwald in MüKo, ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 11; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 46; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 43; Simotta in Fasching/Konecny, EuGVO, Art. 5 EuGVO Rn. 76; a.A. Schlosser, IPRax 1984, 65, 66; Mumelter, Gerichtsstand des Erfüllungsortes, S. 77 f. 37 Vgl. EuGHE I 2002, 7383, 7393 f. Rn. 25; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 7; Schack, IZVR, Rn. 293. 38 EuGHE 1982, 825, 834 Rn. 7; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 8; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 22; Schack, IZVR, Rn. 294; Wolf, IPRax 1999, 82, 83; Lynker, Gerichtsstand am Erfüllungsort, S. 29 f. 39 Vgl. zur Parallelproblematik im Rahmen der kollisionsrechtlichen Qualifikation oben Kapitel 4, § 2. 36
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sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch den Ort, an dem die schädigende Handlung vorgenommen wurde.40 Bei telemedizinischen Distanzdelikten fallen Handlungs- und Erfolgsort auseinander. Der deliktische Gerichtsstand ist an beiden Orten eröffnet.41 Folge einer Qualifikation der Telearzthaftung als unerlaubte Handlung wäre daher, dass der Patient Schadensersatzansprüche wegen Gesundheitsschädigung sowohl an dem Ort, an dem die Gesundheitsschädigung eingetreten ist, als auch an dem Ort, an dem die deliktische Handlung durch den Telemediziner vorgenommen wurde, gerichtlich geltend machen könnte. Da der Gesundheitsschaden überwiegend im Heimatstaat des Patienten eintreten wird, würde Art. 5 Nr. 3 EuGVO einen Klägergerichtsstand begründen. Fraglich ist freilich, ob die Haftung des Telemediziners wegen Verletzung der körperlichen und gesundheitlichen Integrität eines Patienten als „unerlaubte Handlung“ im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO zu qualifizieren ist. Auch dieser Begriff ist nach Auffassung des EuGH als autonomer Begriff zu verstehen, „der sich auf alle Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen „Vertrag“ im Sinne von Artikel 5 Nr. 1 anknüpfen“.42 Mit dieser Negativabgrenzung des Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung gegenüber dem Vertragsgerichtsstand gibt der EuGH – wie bereits oben ausführlich dargestellt wurde43 – zu erkennen, dass sich der Vertrags- und der Deliktsgerichtsstand gegenseitig ausschließen.44 Damit tritt das eigentliche Problem offen zu Tage: Ansprüche aus Telearzthaftung können nach dem Gesagten entweder als vertraglich oder als deliktisch qualifiziert werden. Im ersteren Fall wären sie dem Gerichtstand nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO zu unterstellen, während sie im zweiten Fall dem
40
EuGHE III 1976, 1735, 1746 Rn. 15/19. Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 85. 42 EuGH, NJW 1988, 3088, 3089; EuGHE I 1998, 6534, 6542 Rn. 22; I 2002, 6384, 6398 Rn. 33; I 2002, 8126, 8139 Rn. 36; I 2005, 499, 512 Rn. 29. 43 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C, III, 3. 44 Generalanwalt Geelhoed, EuGH, 17.09.2002, Rs. C-334/00 (Tacconi/HWS Maschinenfabrik), Schlussanträge, 31.01.2002, Slg. 2002, I-7357, Rn. 41: „Der Begriff „unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist“ bezieht sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 anknüpfen. Damit steht fest, dass Artikel 5 Nummern 1 und 3 nicht gleichzeitig anwendbar sein können.“; Stadler in FS Musielak, 569, 585; Gottwald, IPRax 1989, 272, 274; Mankowski, IPRax 2003, 127, 128; ders., in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 193; Uhl, Int. Zuständigkeit, S. 100 f.; Hertz, Jurisdiction in Contract and Tort, S. 79, 83; Leipold in FS Nemeth, 631, 637 f.; Dickinson, The Rome II Regulation, Rn. 3.111; Reiher, Vertragsbegriff, S. 65 Fn. 265. 41
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Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO unterfallen würden. Auch im Rahmen des europäischen Zuständigkeitsrechts ist es folglich – wie im Rahmen der kollisionsrechtlichen Qualifikation – notwendig, die Telearzthaftung entweder dem Vertrags- oder dem Deliktsgerichtsstand zuzuordnen. Dazu ist, wie im Rahmen der autonomen Qualifikation im Kollisionsrecht, auf einer ersten Stufe darauf abzustellen, ob der jeweils klageweise geltend gemachte Anspruch aus der Verletzung des Äquivalenz- oder des Integritätsinteresses des Patienten resultiert. Gelangt man dabei nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, ist zu prüfen, ob die Haftung des Telearztes aus einer parteiautonomen Vereinbarung oder aus einer gesetzlichen Pflicht resultiert. Hierzu ist zu untersuchen, ob bei gleicher Faktizität der Ereignisse ohne freiwillig eingegangene Verpflichtung keine Haftung bestehen würde.45 Danach können im Vertragsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVO grundsätzlich nur Schadensersatzansprüche des Patienten geltend gemacht werden, die daraus resultieren, dass der Telearzt die von ihm vertraglich geschuldete Behandlung überhaupt nicht erbringt, also trotz vertraglicher Verpflichtung untätig bleibt. Zu denken wäre insoweit etwa an höhere Behandlungskosten, die dadurch entstehen, dass der Patient einen anderen Arzt konsultieren muss. Solche Ansprüche resultieren aus einer Verletzung des parteiautonom vereinbarten Äquivalenzinteresses des Patienten und sind daher bei EU-autonomer Sichtweise vertraglicher Natur.46 Demgegenüber sind die klassischen Fälle der Telearzthaftung, also solche in denen der Patient durch eine fehlerhafte Behandlung durch den Telemediziner in seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität verletzt wurde, bei EU-autonomer Sichtweise nicht als vertraglich sondern ausschließlich als deliktisch zu qualifizieren.47 Sie resultieren nicht aus der Verletzung einer freiwillig, kraft Parteiautonomie eingegangen Verpflichtung, sondern aus der Verletzung einer dem Telemediziner obliegenden gesetzlichen Pflicht.48 Haftungsbegründend ist nicht die Verletzung einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung des Telearztes gegenüber dem Patienten, sondern die Verletzung einer bereits aufgrund des Gesetzes bestehenden Pflicht, so dass die Haftung des Telearztes wegen Verletzung der körperlichen und gesundheitlichen Integrität des Patienten nicht als Ansprüche aus 45
Vgl. dazu und zum Folgenden ausführlich oben Kapitel 4, § 2. Gerade deshalb können sie im deutschen Sachrecht nur unter den Voraussetzungen der §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB geltend gemacht werden; vgl. hierzu Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 182. 47 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C. 48 Schlosser, IPRax 1984, 65, 67; Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt, S. 214 (beide zum EuGVÜ); Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 16; vgl. dazu auch oben Kapitel 4, § 2, C, III, 2. 46
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einem Vertrag qualifiziert werden können. In der Folge können derartige Ansprüche nach hier vertretener Sichtweise nicht am Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO, sondern nur an demjenigen der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO geltend gemacht werden.49 b) Konkretisierung des Erfüllungsortes für Telemedizinverträge Nachdem nunmehr feststeht, dass dem Vertragsgerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO im Rahmen von Klagen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden telemedizinischen Behandlungen gerade im Hinblick auf Vergütungsklagen des Telemediziners eine bedeutende Rolle zukommt, gilt es zu klären, wo der Erfüllungsort telemedizinischer Verträge zu lokalisieren ist. aa) Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO Nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO liegt der Erfüllungsort bei der Erbringung einer Dienstleistung an dem Ort in einem Mitgliedstaat, an dem die Dienstleistung nach dem Vertrag erbracht worden ist oder hätte erbracht werden müssen. Der Begriff der Dienstleitung ist insoweit verordnungsautonom mit Blick auf Art. 57 AEUV auszulegen50 und daher weit zu verstehen, so dass er sämtliche Verträge mit Freiberuflern, also auch Arzt- und Telemedizinverträge, erfasst.51 Im Gegensatz zur Regelung des Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVO verknüpft Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO den Gerichtsstand nicht mit dem Erfüllungsort der jeweils streitigen Verpflichtung, sondern einheitlich mit demjenigen der vertragscharakteristischen Leistung, sofern dieser in einem Mitgliedstaat liegt.52 Der so bestimmte Erfüllungsort gilt für sämtliche Ansprüche aus dem Telemedizinvertrag.53 Dies ist zwar nach dem Wortlaut der deut49 So im Ergebnis für die traditionelle Arzthaftung auch Corte di Cassazione, Riv. dir. int. priv. 35 (1999) 966, 971 (zum LugÜ); Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt, S. 214 (zum EuGVÜ); Schlosser, IPRax 1984, 65, 67 (zum EuGVÜ); Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 16, 74, 83 f.; Vgl. dazu auch ausführlich oben Kapitel 4, § 2, C. 50 EuGH, IPRax 2009, 509, 511; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 328; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 89; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 45, 49. 51 Vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 2008, 1597, 1598; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 50; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 90. 52 Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 51; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 21; Schack, IZVR, Rn. 306; Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 223a; Hau, IPRax 2000, 354, 358 f.; Linke/Hau, IZVR, Rn. 186. 53 Lynke, Gerichtsstand am Erfüllungsort, S. 63.
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
schen Fassung nicht eindeutig, entspricht aber dem in der Entwurfsbegründung geäußerten Willen der Kommission.54 Durch Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO wird folglich eine Konzentration aller Vertragsansprüche bei einem Gericht erreicht.55 Mit dem Verweis des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO auf die Erbringung der Dienstleistung klingt das dem Kollisionsrecht der Rom I-Verordnung zugrundeliegende Prinzip der charakteristischen Leistung an.56 Gleichwohl gilt es zu beachten, dass Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO unmittelbar auf den Ort der Dienstleitungserbringung und nicht wie Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I auf den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Dienstleisters abstellt. Aus Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO ergibt sich folglich nicht zwingend ein Gerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners, nur weil dieser die vertragscharakteristische Leistung erbringt.57 Vielmehr gilt es den Erfüllungsort pragmatisch zu bestimmen. Bei Dienstleistungen ist dabei der Ort entscheidend, an dem der Dienstleister gemäß der vertraglichen Verpflichtung gehandelt hat oder hätte handeln müssen, nicht derjenige, an dem der Leistungserfolg eingetreten ist oder eintreten soll.58 Dies ergibt sich daraus, dass an diesem Ort regelmäßig der Schwerpunkt der Dienstleistung zu lokalisieren ist. Ferner hat diese Lokalisierung des Erfüllungsortes den Vorteil, dass das so ermittelte zuständige Gericht regelmäßig sein eigenes, ihm bekanntes materielles Recht anwendet, da über Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I für vertragliche Ansprüche grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Dienstleisters zur Anwendung berufen wird, sofern keine wirksame Rechtswahl durch die Parteien erfolgt ist oder besondere verbraucherschützende Vorschriften eingreifen.59 Auch der Gesichtspunkt der Beweisnähe streitet für eine derartige Lokalisierung, da auch bei einem Vergütungsstreit meist der Streit über die sach- und fachgerechte Dienstleistung im Vordergrund steht.60 Im Hinblick auf die grenzüberschreitende Telemedizin bedeutet dies, dass Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO einen Gerichtsstand für vertragliche Ansprüche am Handlungsort des Telemediziners eröffnet; nicht eröffnet ist ein Gerichtsstand hingegen am Erfolgsort der telemedizinischen Behandlung, also am physischen Aufenthaltsort des Patienten im Zeitpunkt der
54
KOM (1999) 348 endg., 1, 15. Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 328. 56 Von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 223a. 57 Vgl. Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 328; Linke/Hau, IZVR, Rn. 187. 58 Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 129; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 51; Schlosser, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 10b; vgl. auch Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 124. 59 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3. 60 Vgl. Linke/Hau, IZVR, Rn. 186. 55
§ 2 Einzelne Gerichtsstände
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Behandlung. Sowohl für Honorarklagen des Telemediziners als auch für vertragliche Ansprüche des Patienten gegen den Telemediziners ist daher – vorbehaltlich besonderer verbraucherschützender Zuständigkeitsregelungen – das Gericht am Handlungsort der telemedizinischen Behandlung, der meist mit dem Niederlassungsort des Telemediziners zusammenfallen wird, international zuständig. bb) Vertragliche Vereinbarung Wie sich aus der in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO gewählten Formulierung „sofern nichts anderes vereinbart worden ist“ ergibt, lässt der Gesetzgeber die Vereinbarung des Erfüllungsortes durch die Parteien bei Dienstleistungsverträgen ausdrücklich zu. Durch eine solche Erfüllungsortvereinbarung wird es dem Telemediziner und dem Patienten ermöglicht, unter Umständen bestehende Unsicherheiten über den maßgeblichen Erfüllungsort zu beseitigen. Im Ergebnis wirkt eine derartige Erfüllungsortvereinbarung wie eine Gerichtsstandsvereinbarung, weshalb sie das autonome deutsche Recht in Fällen der örtlichen Zuständigkeit durch § 29 Abs. 2 ZPO – wie eine Gerichtsstandvereinbarung nach § 38 ZPO auch – zum Schutz von Privatpersonen nur Kaufleuten gestattet. Eine vergleichbare Restriktion findet sich in der EuGVO jedoch nicht. Vielmehr genügt es nach der EuGVO, wenn die Erfüllungsortvereinbarung nach dem auf den jeweiligen Telemedizinvertrag anwendbaren Recht wirksam vorgenommen worden ist.61 Die Formerfordernisse des Art. 23 EuGVO müssen insoweit grundsätzlich nicht eingehalten werden.62 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die durch den Telemediziner und den Patienten getroffene Vereinbarung bei wertender Betrachtung keine „reale Erfüllungsortvereinbarung“ darstellt. Dies ist der Fall, wenn sie keinerlei Zusammenhang mit der Vertragswirklichkeit aufweist und damit letztlich nur der Vereinbarung eines Gerichtstandes dient. In diesen Fällen der sogenannten prozessualen oder abstrakten Erfüllungsortvereinbarung sind die Formvorschriften des Art. 23 EuGVO einzuhalten.63 Andernfalls würde die Regelung des Art. 23 EuGVO weitest-
61 Vgl. EuGHE I 1997, 932, 932 ff.; OLG Karlsruhe, RIW 1994, 1046, 1047; Kropholler, IPR, § 58 III 2 d); Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 51; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 23; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 44. 62 EuGHE 1980, 89, 96 f. Rn. 4; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 44; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 125; Kropholler, IPR, § 58 III 2 d); Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 35, 51. 63 EuGHE I 1997 I, 932, 944 Rn. 33; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 328; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 44a; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR,
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
gehend entwertet und Umgehungsversuchen würden „Tür und Tor“ geöffnet. Im Fall abstrakter Erfüllungsortvereinbarungen fehlt es gerade an der unmittelbaren Verbindung zwischen Vertrag und Rechtsstreit, die Art. 5 Nr. 1 EuGVO durch das Abstellen auf den Erfüllungsort fordert. Vielmehr fallen derartige Erfüllungsortvereinbarungen in den Anwendungsbereich des Art. 23 EuGVO, der gerade auf einen solchen unmittelbaren objektiven Zusammenhang verzichtet und deshalb gewisse Formerfordernisse vorsieht. Da Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO die Konzentration aller vertraglichen Ansprüche bei einem mitgliedstaatlichen Gericht verfolgt, sollte der Erfüllungsort nur insgesamt vereinbar sein, damit eine Erfüllungsortvereinbarung für einzelne Vertragspflichten nicht möglich ist.64 Im Hinblick auf die untersuchungsgegenständliche grenzüberschreitende Telemedizin bedeutet dies, dass es dem Telemediziner und dem Patienten grundsätzlich gestattet ist, den Erfüllungsort der Dienstleistung durch Vertrag zu vereinbaren, sofern das Vertragsstatut eine solche Vereinbarung für wirksam erachtet. Die Formvorschrift des Art. 23 EuGVO ist aber ausnahmsweise dann zu beachten, wenn sich die Erfüllungsortvereinbarung als abstrakt darstellt, wofür der jeweilige Kläger die Beweislast trägt.65 Davon wird auszugehen sein, wenn die Erfüllungsortvereinbarung materiell-rechtlich nicht ernst gemeint ist66, was regelmäßig dann der Fall sein wird, wenn als Erfüllungsort weder der Handlungs- noch der Erfolgsort der telemedizinischen Behandlung, also regelmäßig der gewöhnliche Aufenthaltsort des Telemediziners oder der des Patienten im Behandlungszeitpunkt, als Erfüllungsort vereinbart wird. Ein solch strenges Verständnis ist bei telemedizinischen Anwendungen gerechtfertigt, da die EuGVO mit Art. 23 eine offene und ehrliche Möglichkeit einer Gerichtsstandvereinbarung vorsieht, weshalb kein prozessualer Bedarf dafür besteht, dass über die abstrakte Erfüllungsortvereinbarung zusätzlich die Möglichkeit einer heimlichen Gerichtsstandvereinbarung eröffnet wird.67
Art. 5 EuGVO Rn. 126; Kropholler, IPR, § 58 III 2 d); Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 36; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 225a; Schack, IZVR, Rn. 312. 64 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 328. 65 EuGHE 1997, 932, 944 Rn. 17; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 36; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 24; Rauscher, ZZP 104 (1991), 271, 306 f.; a.A. Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 127, wonach die Beweislast beim Beklagten liegen soll. 66 Schack, IZVR, Rn. 312. 67 Ähnlich Schack, IZVR, Rn. 312.
§ 2 Einzelne Gerichtsstände
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2. Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO a) Qualifikation der Sammelbegriffe der ZPO aa) Herrschende Qualifikationsmethode und deren Folgen § 29 ZPO eröffnet eine internationale Zuständigkeit Deutschlands beziehungsweise der deutschen Gerichtsbarkeit68 für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis, sofern der Erfüllungsort der Vertragspflicht in Deutschland liegt. Ob ein Vertragsverhältnis im Sinne der Vorschrift vorliegt, bestimmt sich nach ganz herrschender Auffassung nach der materiellen lex fori.69 Unter Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis sind also nur Ansprüche aus schuldrechtlichen Vereinbarungen im Sinne des BGB zu verstehen, so dass Vergütungsansprüche des Telemediziners aus gesetzlichen Schuldverhältnissen, insbesondere solchen aus einer auftragslosen Geschäftsführung, nicht unter § 29 ZPO fallen.70 Nach herrschender Auffassung kann der Patient jedoch – entgegen der hier im Anwendungsbereich der EuGVO vertretenen Auffassung – Schadensersatzansprüche aus Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität auch im Vertragsgerichtsstand nach § 29 ZPO geltend machen.71 Dieser Unterschied resultiere daraus, dass auf der Ebene des deutschen Sachrechts derartige Haftungsansprüche nicht nur aus Vertrag (§ 280 Abs. 1 BGB) sondern auch aus Delikt (insbesondere § 823 Abs. 1 BGB) resultieren können. Es besteht also eine Anspruchgrundlagenkonkurrenz auf der Ebene des Sachrechts. Da die Qualifikation der Anspruchsgrundlagen nach der materiellen lex fori erfolgt, die Systembegriffe des BGB also maßgeblich für die Abgrenzung von § 29 ZPO und § 32 ZPO sind, resultiert nach herrschender Auffassung aus der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz auf der Ebene des Sachrechts eine Gerichts-
68
Vgl. dazu nur Geimer, IZPR, Rn. 844 f. BGHZ 132, 105, 108; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 83; Schack, IZVR, Rn. 291; Hausmann in Staudinger (2002), Anhang II zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 48; Kropholler in MPI, Handbuch IZVR I, Kap. III Rn. 80, 352; vgl. auch Patzina in MüKo, ZPO, § 32 ZPO Rn. 2; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 32 ZPO Rn. 17; Könning-Feil, Internationales Arzthaftungsrecht, S. 323; a.A. Spellenberg, ZZP 91 (1978) 38, 45; Geimer, IZPR, Rn. 1481 (beide Qualifikation nach der lex causae); Spickhoff, ZZP 109 (1996) 493, 509 (eine Art funktionale Qualifikation); vgl. auch Wied, Zivilprozessuale Qualifikationsprobleme, S. 231 (der im Grundsatz wohl von einer funktionalen Qualifiaktion ausgeht). 70 BGHZ 132, 105, 109; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 341; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 6. 71 Pielach, Haftungsfragen, S. 211; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 194 f.; Könning-Feil, Internationales Arzthaftungsrecht, S. 323; vgl. auch Prütting in Spickhoff, Cross Border Treatment, 37, 43. 69
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
standskonkurrenz auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts.72 Was im BGB Vertrag oder unerlaubte Handlung ist, bleibt nach ganz herrschender Meinung auch auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts Vertrag oder unerlaubte Handlung. bb) Funktionale autonome Qualifikation Sonderlich überzeugend ist die Qualifikation der Sammelbegriffe der ZPO – wie etwa „unerlaubte Handlung“ (§ 32 ZPO) oder „Vertragsverhältnis“ (§ 29 ZPO) – nach der lex fori, genauer unter Rekrutierung auf die gleichlautenden Systembegriffe des BGB, freilich nicht, da die Qualifikation einer Anspruchsgrundlage im Rahmen des Zuständigkeitsrechts nicht von der mitunter überkommenen und keinesfalls immer eindeutigen materiellrechtlichen Systematisierung des BGB abhängig sein sollte. Alleinentscheidend ist vielmehr – wie im Rahmen der kollisionsrechtlichen Qualifikation auch73 – die Funktion der jeweiligen Anspruchsgrundlage. (1) Historische Überlegungen Zunächst ist festzustellen, dass sich das deutsche materielle Sachrecht gerade im Bereich von Vertrag und Delikt insbesondere durch richterliche Rechtsfortbildung seit Schaffung der Gerichtsstände der §§ 29 und 32 ZPO erheblich gewandelt hat, wodurch auch die Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung zugunsten der vertraglichen Haftung immer weiter verschoben wurde. Würde man mehr oder weniger mechanisch nach der materiellen lex fori qualifizieren, würde man durch die Übernahme der Systembegriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Handlung“ des BGB in die §§ 29, 32 ZPO diese Entwicklung auf der Ebene des Sachrechts in das Zuständigkeitsrecht übertragen. In der Folge würde der vertragliche Gerichtsstand erheblich gegenüber dem deliktischen Gerichtsstand aufgewertet. Ob diese Aufwertung mit der Abwägung und Bewertung der zuständigkeitsrechtlichen Interessenlage, die § 29 ZPO zugrunde liegt, im Einklang steht, bliebe hingegen offen. Darüber hinaus ist per se zweifelhaft, ob die Sammelbegriffe „Vertragsverhältnis“ (§ 29 ZPO) und „unerlaubte Handlung“ (§ 32 ZPO) jemals mit den gleichlautenden Systembegriffen des BGB deckungsgleich waren, da das BGB und damit auch die darin enthaltenen Sammelbegriffe zeitlich erst nach der ZPO – beziehungsweise deren Vorgänger der CPO, welche
72 73
Vgl. dazu die in Kapitel 5 Fn. 69 Genannten. Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2.
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die selben Sammelbegriffe enthielt74 – geltendes Recht geworden ist.75 Gegen eine solche Identität spricht aber nicht nur der chronologische Ablauf, sondern insbesondere auch, dass die zuständigkeitsrechtlichen Sammelbegriffe der ZPO zwangsläufig über die materiell-rechtlichen Systembegriffe hinausgehen müssen, weil sie aufgrund ihrer Doppelfunktionalität nicht nur deutsche, sondern auch ausländische Rechtserscheinungen erfassen sollen.76 Jedes Mal, wenn etwa der Sammelbegriff der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) oder des Vertrags (§ 29 ZPO) zur Bezeichnung einer ausländischen Rechtfigur verwendet wird, wird dem jeweiligen Sammelbegriff eine neu Dimension hinzugefügt.77 Nach diesem Vorgang ist er folglich nicht mehr mit dem gleichlautenden Systembegriff des deutschen materiellen Sachrechts identisch. Dies gilt unabhängig davon, ob die fremde Rechtsfigur unserer besonders ähnlich ist oder nur noch gerade so unter den deutschen Sammelbegriff passt. Die Dimension verändert sich in beiden Fällen, einmal eben mehr und das andere mal eben weniger. Aus dieser Erweiterung resultiert sodann die Frage nach einer neuen Begrenzung der Sammelbegriffe. Die Systembegriffe des deutschen BGB sind nun freilich nicht mehr sonderlich hilfreich, da es um die Begrenzungen eines erweiterten Sammelbegriffs geht. Würde man dennoch nach der materiellen lex fori qualifizieren und davon ausgehen, dass die Sammelbegriffe auf der Ebene des internationalen Zuständigkeitsrechts mit den Systembegriffen des BGB deckungsgleich sind, wäre das Resultat eine Begriffsjurisprudenz alten Schlags.78
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Vgl. die Civilprozessordnung vom 30.01.1877 abgedruckt im deutschen Reichsgesetzblatt Band 1877, Nr. 6, Seite 83–243: § 29 CPO lautete: „Für Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Vertrags, auf Erfüllung oder Aufhebung eines solchen, sowie auf Entschädigung wegen Richterfüllung oder nicht gehöriger Erfüllung ist das Gericht des Orts zuständig, wo die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist.“ Schon § 32 CPO lautete wie der heutige § 32 ZPO: „Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirke die Handlung begangen ist“. Siehe dazu Schumann in Stein/Jonas, ZPO, 21. Auflage, § 32 ZPO Rn. 18; ferner Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO vor Rn. 1 und § 32 ZPO vor Rn. 1. 75 Das BGB in der Fassung vom 18.08.1896 trat am 01.01.1900 in Kraft, während die CPO in der Fassung vom 30.01.1877 am 01.10.1879 in Kraft trat. Vgl. zur Frage, ob zur Festellung des Wortsinns von Ausdrücken der ZPO auf das BGB rekurriert werden kann, allgemein Schumann in Stein/Jonas, ZPO, 20. Auflage, Einleitung Rn. 55. 76 Von dieser Doppelfunktionalität ging bereits der Gesetzgeber im Jahr 1874 aus. Vgl. die Begündung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung und des Einführungsgesetztes durch den Deutschen Reichstag, abgedruckt in in die gesammelten Materialen zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben, S. 156 f. 77 Siehe dazu Kegel/Schurig, IPR, § 7 III S. 338. 78 Schröder, Int. Zuständigkeit, S. 136.
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
Um nicht zu diesem ungewünschten Ergebnis zu gelangen, bietet es sich an, die Sammelbegriffe der ZPO durch eine funktionelle autonome Qualifikation zu begrenzen.79 „Autonom“ ist die Qualifikation, weil zur Auslegung der Sammelbegriffe der ZPO weder auf die Systembegriffe der materiellen lex fori noch auf diejenigen der materiellen lex causae zurückgegriffen wird. Vielmehr gilt es im Bereich der ZPO eigene funktionale Kriterien zu entwickeln, die eine Ab- und Begrenzung der Sammelbegriffe ermöglicht.80 Bei der Erarbeitung dieser Kriterien sollte es weniger eine Rolle spielen wo eine bestimmte Rechtsfolge in den einzelnen weltweiten Sachrechtssystemen eingeordnet wird. Entscheidend sollte vielmehr deren Inhalt und Funktion sein. „Wo eine Rechtsnorm im System eingeordnet wird, ist eine Frage der Praktikabilität, ist Ordnung, nicht Inhalt“.81 Ausschlaggebend ist aber, will man nicht in eine überkommene Begriffsjurisprudenz zurückfallen, der Inhalt und die Funktion einer Rechtsnorm. Die systematische Ordnung eines Sachrechtssystems kann ganz unterschiedlich ausfallen, mutet teilweise gar willkürlich an. Demgegenüber entsprechen sich die Lebensverhältnisse und die daraus resultierenden rechtlichen Probleme in der modernen Welt und werden im Ergebnis inhaltlich häufig ähnlich gelöst, wenngleich hierzu rechtskonstruktiv teilweise unterschiedliche Rechtsinstitute verwendet werden.82 Alleinentscheidend für die Qualifikation einer Anspruchsgrundlage ist also nicht die Systematik einer Rechtsordnung, sondern deren Inhalt und Funktion. Durch eine Qualifikation nach dem Inhalt und der Funktion können durch die Sammelbegriffe „Vertrag“ (§ 29 ZPO) oder „unerlaubte Handlung“ (§ 32 ZPO) auch Rechtsinstitute erfasst werden, die dem deutschen Sachrecht fremd sind, sofern deren Funktion derjenigen von Vertrag oder Delikt entspricht beziehungsweise hinreichend ähnelt. Die Sammelbegriffe „unerlaubte Handlung“ (§ 32 ZPO) und „Vertragsverhältnis“ (§ 29 ZPO) werden auf diesem Weg zu ordnenden Funktionsbegriffen. Weitaus wichtiger dürfte im Grenzbereich zwischen Vertrag und Delikt jedoch eine andere Überlegung sein: Ohne eine funktionelle beziehungsweise teleologische Qualifikation der Sammelbegriffe „Vertragsverhältnis“ und „unerlaubte Handlung“ in den §§ 29 und 32 ZPO besteht die Gefahr, dass aus der rechtskonstruktiven Lösung einer Sachproblematik im deutschen Sachrecht eine Subsumtion unter eine der genannten Zuständigkeitsregelungen
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Eine autonome Angleichung an die Maßstäbe der EuGVO wird auch von Mankowski, AR-Blattei SD 160.5.5 Rn. 386 erwogen; vgl. auch Schwarz, Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, S. 21 f. 80 Vgl. Schumann in Stein/Jonas, ZPO, 21. Auflage, § 32 ZPO Rn. 18. 81 Kegel/Schurig, IPR, § 7 III S. 343. 82 Kropholler, IPR, § 17 I, S. 126.
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resultiert, die eigentlich nicht recht passen mag. Dies ist die Folge der bereits ausführlich diskutierten Tatsache, dass es sich bei vertraglicher und deliktischer Haftung bei funktionaler, vom deutschen Sachrecht losgelöster Betrachtung um zwei vollkommen unterschiedliche Haftungsarten handelt.83 Auf den Punkt gebracht besteht eine vertragliche Schadensersatzpflicht, weil die Parteien eine irgendwie geartete Leistung kraft ihres freien Willens vereinbart hatten, die dann nicht oder nicht wie geschuldet erbracht wurde. Demgegenüber haftet der Schädiger dem Geschädigten auf deliktischer Grundlage, weil dies kraft autoritären Gesetzes, völlig unabhängig von irgendeiner parteiautonom getroffenen Vereinbarung zwischen Schädiger und Geschädigtem, angeordnet wurde. Es wurde schon gezeigt, dass diese Unterscheidung im System des BGB nicht strikt durchgehalten wird.84 Ob der deutsche Gesetzgeber bei Schaffung des BGB von einer grundsätzlich bestehenden Dichotomie von vertraglicher und deliktischer Haftung ausging, lässt sich an dieser Stelle nicht abschließend klären, ist aber aus historischer Sicht wahrscheinlich.85 Festzustellen ist jedenfalls, dass in der ursprünglichen Fassung des BGB die integritätsschützenden Pflichten im Rahmen der vertraglichen Haftung keine besondere Rolle spielten. Vielmehr enthielt das Leistungsstörungsrecht im wesentlichen nur detaillierte Regelungen über die Unmöglichkeit und den Verzug, sowie einige wenige Schadensersatzvorschriften im Besonderen Teil.86 Ein Anhaltspunkt dafür, dass der damalige Gesetzgeber wohl davon ausging, dass der Integritätsschutz auch im Rahmen von Verträgen dem Deliktsrecht obliegen sollte, zeigt die Regelung des § 618 Abs. 3 BGB. Nach dieser Vorschrift ist der Dienstberechtigte verpflichtet, gewisse Schutzmaßnahmen zugunsten des Lebens und der Gesundheit des Dienstverpflichteten zu ergreifen. Diese Pflichten sind vertraglicher Natur, doch zieht der Gesetzgeber den richtigen Schluss aus dem eigentlich deliktischen Charakter dieser Verpflichtung und erklärt die deliktsrechtlichen Vorschriften der §§ 842–846 BGB für anwendbar. Jedoch wurde der Bereich der vertraglichen Haftung bereits kurz nach Inkrafttreten des BGB immer weiter ausgedehnt. Dies geschah insbesondere durch die von Staub entwickelte Lehre der positiven Vertragsverletzung87, die Konstruktion vertraglicher Schutzpflichten durch die Rechtsprechung aus § 242 BGB heraus und durch 83
Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 4, § 2, C, I. Vgl. dazu bereits oben Kapitel 4, § 2, C, III, 1. 85 Vgl. dazu Würthwein, Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzung, passim, insb. S. 254–264; Immenhauser, Dogma von Vertrag und Delikt, passim., insb. S. 343– 368; vgl. auch die sehr ausführliche rechtshistorische Untersuchung von Heckendorn, Haftung freier Berufe, Rn. 807–871; siehe auch Spickhoff, ZZP 106 (1996) 493, 512. 86 Vgl. Unberath, Vertragsverletzung, S. 192. 87 Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, passim. 84
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
Rechtsfiguren wie dem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.88 Auf diesem Weg wurde im deutschen Sachrecht die bei funktionaler Betrachtung bestehende Dichotomie von vertraglicher und deliktischer Einstandspflicht immer stärker verwischt, indem der vertraglichen Haftung immer weitere Bereiche der deliktischen Haftung überlassen wurden.89 Die Gründe für derartige dogmatische Ausweichbewegungen waren überwiegend pragmatischer Natur.90 Diese Ausweitung der vertraglichen Haftung durch die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Konstruktionen der positiven Vertragsverletzung und der vertraglichen Schutzpflichten wurden mit der Kodifikation des § 280 BGB und des § 241 Abs. 2 BGB im Rahmen der Schuldrechtreform im Jahr 2002 gebilligt. Die Gerichtsstände der §§ 29 und 32 ZPO wurden dieser Entwicklung auf der Ebene des Sachrechts jedoch nicht angepasst. Vielmehr sind diese Gerichtsstände seit Erlass der CPO von 1877 in der Sache im Wesentlichen unverändert geblieben.91 Folge ist, dass – sofern man mehr oder weniger mechanisch die Sammelbegriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Handlung“ der ZPO anhand der Systembegriffe des BGB interpretiert – bestimmte vertragliche Schadensersatzansprüche, die bei funktionaler Betrachtung deliktischer Natur sind, nur im allgemeinen Gerichtsstand oder im Gerichtsstand des § 29 ZPO eingeklagt werden können, während eine Klage im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) in derartigen Konstellationen ausscheiden soll.92 Folge der Übernahme der Systembegriffe des BGB ist also, dass dem Kläger im Ergebnis der potentiell günstigere Gerichtsstand des § 32 ZPO verwehrt wird und ihm der nicht recht passende Vertragsgerichtsstand des § 29 ZPO gewährt wird: § 29 ZPO gleicht zugunsten des Klägers die Privilegierung des Beklagten (favor defensionis) durch dessen Wohnsitzgerichtsstand aus.93 Der Wohnsitz des beklagten Vertragspartners erscheint bezogen auf die vertraglichen Pflichten aus der 88 89
Spellenberg, ZZP 91 (1978) 38, 42. Vgl. dazu Unberath, Vertragsverletzung, S. 192; Spellenberg, ZZP 91 (1978) 38,
42. 90
Es ging insbesondere darum, die im Vergleich zu § 831 BGB wesentlich strengere Norm des § 278 BGB zur Anwendung zu bringen. Zudem sollten reine Vermögensschäden, die bekanntlich nicht über § 823 Abs. 1 BGB ersatzfähig sind, erstattungsfähig werden. Vgl. dazu Unberath, Vertragsverletzung, S. 192 mit Fn. 52; Larenz, SchuldR I, S. 106 f., 121 f.; Spickhoff, ZZP 109 (1996), 493, 512; Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, S. 304–306. Grunewald, BR, § 32 Rn. 2. 91 Vgl. Schwarz, Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, S. 1; Schack, Erfüllungsort, Rn. 158. 92 Vgl. statt vieler nur Vollkommer in Zöller, ZPO, § 29 ZPO, Rn. 6, 20; Heinrich in Musielak, ZPO, § 32 ZPO Rn. 9. 93 Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 29 ZPO Rn. 1; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 1; Schack, Erfüllungsort, Rn. 141.
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Sicht des Klägers häufig zufällig, sodass es für vertragliche Streitigkeiten einer zuständigkeitsrechtlichen Lokalisierung, welche die zuständigkeitsrechtlichen Interessen des Klägers hinreichend berücksichtigt, bedarf. Demgegenüber liegt § 32 ZPO zum einen die gesetzgeberische Erwägung zugrunde, dass im Gerichtsbezirk der unerlaubten Handlung die Aufklärung sachnäher und kostengünstiger durchgeführt werden kann, zum anderen soll dem Deliktsgläubiger durch die Eröffnung des Deliktsgerichtsstand die Prozessführung erleichtert werden.94 Dem Deliktgläubiger soll nicht – der Grundregel „actor sequitur forum rei“ entsprechend – zugemutet werden, am möglicherweise tatortfernen allgemeinen Gerichtsstand des Deliktsschuldners zu klagen.95 (2) Widersprüche bei einer Qualifikation anhand der materiellen lex fori Würde man einem Kläger aufgrund einer Qualifikation nach der materiellen lex fori für Schadensersatzansprüche, die nicht aus der Verletzung einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung, sondern aus der Verletzung einer gesetzlichen Pflicht resultieren, den Vertragsgerichtsstand und nicht den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eröffnen, so würde dies auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts zu unerklärbaren Widersprüchen führen: Während man dem Geschädigten auf der Ebene des deutschen Sachrechts aus pragmatischen Gründen unter die Arme greift und seinen – bei funktionaler Betrachtung – deliktischen Schutz durch Annahme vertraglicher Pflichten erweitert96, obwohl diese „Vertragspflichten“ nicht auf eine parteiautonome Vereinbarung, sondern auf eine gesetzliche autoritäre Anordnung zurückgehen, gewährt man ihm – entgegen der Intention auf der Ebene des Sachrechts – auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts einen ihn privilegierenden Gerichtsstand nicht. Darüber hinaus wird so ein unter Umständen sach- und beweisfernes Gericht für zuständig erklärt, welchem eine Beweisaufnahme nur schwer möglich ist.
94 Patzina in MüKo, ZPO, § 32 ZPO Rn. 1; Heinrich in Musielak, ZPO, § 32 ZPO Rn. 1; Volkommer in Zöller, ZPO, § 32 ZPO Rn. 1; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 32 ZPO Rn. 1; Schwarz, Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, S. 2 f., 4; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 32 ZPO Rn. 1; Schröder, Int. Zuständigkeit, S. 268; Spellenberg, ZZP 95 (1982) 17, 44; Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 13; Linke/Hau, IZVR, Rn. 207. 95 Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 32 ZPO Rn. 1; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 32 ZPO Rn. 1. 96 Vgl. dazu oben Kapitel 5 Fn. 90.
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(3) Verdeutlichung anhand der Rechtsfigur der culpa in contrahendo Das Gesagte kann gut am Beispiel der culpa in contrahendo verdeutlicht werden: In zahlreichen Fallkonstellationen wird die culpa in contrahendo konstruiert um den deliktischen Schutz zu erweitern.97 Trotz dieser Intention auf sachrechtlicher Ebene qualifiziert die ganz überwiegende Auffassung alle Fallgruppen der culpa in contrahendo, der Einordnung im deutschen Sachrecht entsprechend, als vertraglich im Sinne des § 29 ZPO.98 Nicht eröffnet sei hingegen der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO.99 Ein Kläger kann Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo daher nur im Vertragsgerichtsstand nach § 29 ZPO oder im allgemeinen Gerichtsstand geltend machen. Erkennt man aber an, dass die culpa in contrahendo auf der Ebene des Sachrechts in gewissen Fällen zur Ausdehnung des deliktischen Schutzes konstruiert wird, es sich bei dieser Fallgruppe der culpa in contrahendo also um funktionales Deliktsrecht handelt, besteht kein Grund, dem Kläger in diesen Fällen den Gerichtsstand nach § 29 ZPO zu eröffnen, ihm aber denjenigen des § 32 ZPO zu verwehren. Vielmehr wäre es in diesen Fällen sach- und interessengerecht ihm umgekehrt den Gerichtsstand nach § 32 ZPO zu eröffnen und ihm denjenigen des § 29 ZPO zu verwehren.100 Der Kläger käme auf diesem Weg in den Genuss des § 32 ZPO und das sach- und beweisnähere Gericht könnte über den geltend gemachten Anspruch entscheiden. (4) Deliktische Fallgruppen der positiven Vertragsverletzung Aber nicht nur in Fällen der culpa in contrahendo tritt die Problematik zu Tage. Vielmehr gibt es auch Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung, für die entgegen der ganz herrschenden Auffassung, nicht der Gerichtsstand des § 29 ZPO, sondern derjenige nach § 32 ZPO eröffnet sein sollte.101 Es handelt sich um diejenigen Fälle einer positiven Vertragsverletzung, in denen der Schädiger eine Pflicht verletzt, die ihm nicht erst aufgrund einer parteiautonomen Vereinbarung mit dem Geschädigten, sondern
97 Vgl. nur die Bananenschalenentscheidung des BGH, NJW 1962, 31–32; Larenz, SchuldR I, S. 121 f.; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 29 ZPO Rn. 5. 98 Vgl. nur Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 18; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 29 ZPO Rn. 5; Schack, Erfüllungsort, Rn. 154 jeweils m.w.N. 99 Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 29 ZPO Rn. 5; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 21; a.A. Spickhoff, ZZP 109 (1996), 493, 512 f. 100 In diese Richtung auch Spickhoff, ZZP 109 (1996) 493, 512 f., der dem Kläger freilich sowohl den Gerichtsstand des § 29 ZPO als auch denjenigen des § 32 ZPO eröffnen möchte. 101 Dies erwog bereits Spickhoff, ZZP 109 (1996) 493, 511; vgl. auch Wied, Zivilprozessuale Qualifikationsprobleme, S. 230; Spellenberg, ZZP 91 (1978) 38, 44.
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bereits aufgrund einer gesetzlichen Anordnung obliegt. Eine solche Pflicht stellt beispielsweise die Pflicht des Arztes zur Behandlung lege artis dar. Sie besteht unabhängig von einem unter Umständen geschlossenen Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient bereits aufgrund der Garantenstellung des Arztes gegenüber dem Patienten aus faktischer Übernahme der Behandlung.102 Die Pflicht zur Behandlung lege artis zielt auf den Schutz der körperlichen und gesundheitlichen Integrität des Opfers ab. Da sie unabhängig von einer irgendwie gearteten parteiautonomen Absprache zwischen Täter und Opfer besteht, ist sie nicht das Resultat einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung und damit nicht Auswuchs der Parteiautonomie, sondern Folge autoritären Gesetzesrechts. Bei der Haftung aus einer Verletzung dieser Pflicht handelt es sich folglich um funktionales Deliktsrecht, wenngleich sie aufgrund der Rechtsfigur der positiven Vertragsverletzung oder der Annahme vertraglicher Schutzpflichten auch in vertraglichem Gewand erscheinen kann.103 Die Folgen einer Qualifikation nach der materiellen lex fori für die Zuständigkeit in diesen Fällen seien an einem Telemedizinbeispiel verdeutlicht: Ein deutscher Patient mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland schließt mit einem US-amerikanischen Telearzt einen Telemedizinvertrag ab. Im Rahmen der grenzüberschreitenden telemedizinischen Behandlung nach Deutschland „hinein“ wird der Patient durch den Telemediziner in seinem Körper beziehungsweise seiner Gesundheit geschädigt, da der Telearzt die Regeln der ärztlichen Kunst nicht beachtet. Nach herrschender Auffassung eröffnet § 29 ZPO dem deutschen Patienten für seine Schadensersatzansprüche, die aus der Verletzung seiner körperlichen und gesundheitlichen Integrität resultieren, keine Zuständigkeit der deutschen Gerichte, da der Erfüllungsort der geschuldeten telemedizinischen Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst nicht in Deutschland liegt.104 Freilich ist dies nicht sonderlich schlimm, da dem Patienten nach herrschender Meinung noch die Möglichkeit bleibt in dem Gerichtsstand nach § 32 ZPO, der im gemachten Beispiel eine Zuständigkeit Deutschlands begründet105, zumindest aus seinen Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Telemediziner vorzugehen. Dennoch bleiben gewisse Zweifel an der Vorgehensweise der herrschenden Auffassung: Indem die herrschende Meinung die Sammelbegriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Hand102
Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, A, I, 2, a) und F sowie Kapitel 4, § 2, C, III, 2. Vgl. dazu ausführlich bereits oben Kapitel 4, § 2 insbesondere § 2, C, III. 104 Vgl. nur Könning-Feil, Arzthaftungsrecht, S. 323; Hoppe, MedR 1998, 462, 468; Dierks, Integration von Telemedizin, S. 31; Pielach, Haftungsfragen, S. 201 m.w.N. Vgl. hinsichtlich der Frage, wo der Erüllungsort zu lokalisieren ist und wie diese Lokalsierung rechtlich zu erfolgen hat unten Kapitel 5, § 2, B, I, 2, b). 105 Vgl. dazu ausführlich unten Kapitel 5, § 2, B, II, 2. 103
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lung“ in den §§ 29 und 32 ZPO anhand der Systembegriffe des BGB interpretiert, sorgt sie dafür, dass für die Haftung des Telemediziners wegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung je nach dem, ob der Patient seinen Anspruch auf Vertrag oder Delikt stützt, entweder der Gerichtsstand nach § 29 ZPO oder derjenige nach § 32 ZPO eröffnet ist.106 Aus der Konkurrenz von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen auf der Ebene des deutschen Sachrechts entsteht auf der Ebene des deutschen Zuständigkeitsrechts eine Konkurrenz von Vertrags- und Deliktsgerichtsstand. Diese Konkurrenz ist problematisch, da das Gericht des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung grundsätzlich nur hinsichtlich Ansprüchen aus unerlaubter Handlung im Sinne des § 32 ZPO kognitionsbefugt ist, während das Vertragsgericht nur bezüglich Ansprüchen aus einem Vertragsverhältnis im Sinne des § 29 ZPO zuständig ist. Ein und derselbe Lebenssachverhalt, nämlich die Schädigung des Patienten durch eine nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgende Behandlung, würde daher im Grundsatz von zwei unterschiedlichen Gerichten rechtlich beurteilt. Hierin liegt nicht nur eine unzulässige Aufspaltung des einheitlichen prozessualen Streitgegenstandes107, vielmehr sind auch unterschiedliche rechtliche Bewertungen denkbar, was der Rechtssicherheit nicht gerade zuträglich ist. Bei internationalen Rechtsstreitigkeiten tritt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Liegen die besonderen Gerichtsstände in zwei unterschiedlichen Staaten, muss der Kläger seine Ansprüche aufgrund unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen vor Gerichten in unterschiedlichen Staaten geltend machen, wenn er nicht auf den allgemeinen Gerichtsstand zurückgreifen will. Offen zu Tage tritt dieses Problem im Rahmen der Telemedizin, da weder der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) noch der allgemeine Gerichtsstand des Telemediziners in dem gleichen Staat eröffnet ist, wie derjenige der unerlaubten Handlung. Weil das internationale Privatrecht weitestgehend nur innerhalb der Europäischen Union aufeinander abgestimmt ist und das international zuständige Gericht regelmäßig nach dem Kollisionsrecht seiner lex fori bestimmt, welches Recht auf den jeweils nach der lex fori qualifizierten Anspruch zu Anwendung berufen wird, kann es folglich sein, dass auf den einheitlichen Lebenssachverhalt, nämlich die Schädigung des Patienten durch eine nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgende Behandlung, unterschiedliche Rechtsordnungen zur An-
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Vgl. BGH, MedR 2009, 282, 283 „seine Klage knüpft schon deshalb nicht an einen Vertrag an, weil er nicht vorträgt, ob er einen Vertrag abgeschlossen hat und ggf. mit wem.“; Schlosser, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 3a. 107 Windel, ZZP 111 (1998), 3, 14; Hoffmann, ZZP 107 (1994), 3, 9; Roth in FS Schumann, 355, 360; Banniza von Bazan, Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, S. 144 f.; vgl. dazu später unter Kapitel 5, § 2, B, VI, 2, b), bb).
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wendung gelangen – die Wahrscheinlichkeit widersprüchlicher Entscheidungen ist erhöht.108 Dies widerspricht jedoch dem allgemein anerkannten Interesse an einheitlichen und widerspruchsfreien Entscheidungen. (5) Konstruktion einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs Freilich nimmt die herrschende Auffassung dieses Ergebnis nicht hin, sondern korrigiert die von ihr durch eine Interpretation der zuständigkeitsrechtlichen Sammelbegriffe „Vertrag“ und „unerlaubte Handlung“ anhand der Systembegriffe des BGB provozierte Gerichtsstandskonkurrenz zumindest im nationalen Bereich mit der Konstruktion einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs.109 Folge dieser Korrektur ist, dass sowohl das Gericht des Vertragsgerichtsstands als auch das Gericht des Deliktsgerichtsstands über die jeweils konkurrierenden Anspruchsgrundlagen entscheiden darf. Qualifiziert man die Ansprüche eines Patienten gegen einen (Tele-)Arzt wegen der Verletzung seiner körperlichen und gesundheitlichen Integrität hingegen aufgrund einer funktionalen Betrachtungsweise, unabhängig davon, ob sie nach deutscher Diktion aus Vertrag oder unerlaubte Handlung resultieren, als deliktisch und eröffnet dem Patienten folgerichtig den Gerichtsstand nach § 32 ZPO für vertragliche und deliktische Anspruchsgrundlagen, kommt es erst gar nicht zu einer Gerichtsstandskonkurrenz. In der Folge bedarf es auch keiner Korrektur mittels der Konstruktion einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs mit den daraus resultierenden dogmatischen Schwierigkeiten und Folgeproblemen.110 (6) Abschließende Stellungnahme und Ergebnis Insgesamt erinnert die Vorgehensweise der herrschenden Meinung im Rahmen des Zuständigkeitsrechts sehr an diejenige der vorherrschenden Auffassung im Rahmen des Kollisionsrechts. Hier wie dort wird mehr oder weniger mechanisch nach den Vorstellungen beziehungsweise anhand der
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Banniza von Bazan, Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, S. 142; Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 94. 109 Vgl. BGHZ 153, 173, 178 ff.; Rimmelspacher, AcP 174 (1974), 509, 541 ff.; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 12 ZPO Rn. 20; ders., in FS Deutsch 70, 385, 399 f., 403; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 11; ders., in FS Schumann, 355, 370; Banniza von Bazan, Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, S. 143; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 36 Rn. 59; Hoffmann, ZZP 107 (1994), 3, 20; Baur in FS von Hippel, 1, 25; Wolf in FS Lindacher, 201, 211 f.; Geimer, IZPR, Rn. 1492, 1523; Linke, IZPR, Rn. 169; Schwab in FS Zeuner, 499, 509; wohl auch Kubis, Int. Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, S. 110 f.; ob dies auch im internationalen Kontext gelten sollte, wird später noch zu untersuchen sein, vgl. unten Kapitel 5, § 2, B, VI. 110 Vgl. hierzu ausführlich unten Kapitel 5, § 2, B, VI.
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Systembegriffe der materiellen lex fori qualifiziert, wenngleich im Bereich des Kollisionsrechts im Ausgangspunkt häufig eine autonome, funktionale Qualifikation vertreten wird. Die Folgen sind hier wie dort, dass es zu ungeliebten Konkurrenzen kommt: Auf der Ebene des Kollisionsrecht kommt es häufig zu einer Konkurrenz von Vertrags- und Deliktsstatut, während es auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts häufig zu einer Konkurrenz von Vertrags- und Deliktsgerichtsstand kommt. Auf beiden Ebenen sucht die herrschende Auffassung nach Korrekturmöglichkeiten. Auf der Ebene des Kollisionsrechts gelangt sie mittels einer vertragsakzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts über Art. 4 Abs. 3 Rom I zur Anwendung einer Rechtsordnung für einen Lebenssachverhalt. Auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts bedient sie sich der Konstruktion einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs und ermöglicht es so, dass ein Lebenssachverhalt vollumfänglich unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten und Anspruchsgrundlagen durch das Vertragsgericht oder das Gericht am Deliktsgerichtsstand beurteilt werden kann. Diese Schwierigkeiten und die damit verbundenen Rechtsunsicherheiten vermeidet die hier vertretene und auch tatsächlich vorgenommene autonome, funktionale Qualifikation mit der daraus resultierenden Einheitslösung. Alle Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den (Tele-)Arzt wegen Schädigung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität sind bei funktionaler Betrachtung deliktischer Natur. Unabhängig davon, ob sie nach deutschem Verständnis aus Vertrag oder Delikt resultieren. Folge ist, dass weder eine Konkurrenz von Vertrags- und Deliktsstatut, noch von Vertrags- und Deliktsgerichtsstand besteht. Eine Korrektur ist weder notwendig noch wäre sie gerechtfertigt. Aufgrund dieser Überlegungen erscheint es sachgerecht auch im Anwendungsbereich der ZPO eine autonome Qualifikation anhand der Funktion von Vertrag und Delikt vorzunehmen. Für eine Zuordnung zum Vertrags- beziehungsweise Deliktsgerichtsstand kann auf die bereits entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von Vertrag und Delikt auf der Ebene des Kollisionsrechts beziehungsweise im europäischen Zuständigkeitsrecht der EuGVO zurückgegriffen werden. Demzufolge können Vergütungsansprüche des Telemediziners gegenüber dem Patienten im allgemeinen Gerichtsstand und im besonderen Gerichtsstand des § 29 ZPO eingeklagt werden. Gleiches gilt für Leistungsansprüche des Patienten gegen den Telemediziner. Entstehen dem Patienten Schäden daraus, dass der Telemediziner seine vertraglich geschuldete Leistung nicht erbringt, können diese ebenfalls im Vertragsgerichtsstand geltend gemacht werden. Demgegenüber können Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner wegen einer Körper- oder Gesundheitsschädigung im allgemeinen
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Gerichtsstand und im besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO eingeklagt werden.111 b) Lokalisierung des Erfüllungsortes Wie bereits kurz aufgezeigt wurde, ist es im Rahmen des § 29 ZPO notwendig, den vertraglichen Erfüllungsort zu lokalisieren. Erst nach dieser Lokalisierung ist festgestellt, welches Gericht für Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis im Sinne des § 29 ZPO zuständig ist. Nach herrschender Auffassung wird der Erfüllungsort für Dienstleistungsverträge und damit auch für (Tele-)Arztverträge nicht durch die ZPO festgelegt. Vielmehr ist er nach herrschender Meinung für die jeweils konkret streitige Verpflichtung gesondert nach der lex causae112 zu bestimmen.113 Begründet wird die Bestimmung des Erfüllungsorts anhand der lex causae mit der Identität von Leistungs- und Erfüllungsort. Nur wenn man den Erfüllungsort dem Vertragsstatut entnehme, sei gewährleistet, dass wirklich nur dort geklagt werden könne, wo auch erfüllt werden müsse.114 Jedoch ist bereits die Annahme einer Identität von Leistungs- und Erfüllungsort zweifelhaft, wie bereits die Regelung des § 29 Abs. 2 ZPO
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Vgl. dazu insgesamt oben Kapitel 5, § 2, B, I, 1, a). Nach hier vertretener Auffassung würde, wenn man der herrschenden Meinung folgt und demzufolge Schadensersatzansprüche des Patienten gegen den Telemediziner wegen Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität dem § 29 ZPO zuweist, hinsichtlich der Pflicht zur Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst die einschlägige Sachrechtsordnung durch das Deliktsstatut gemäß Art. 4 Rom II zur Anwendung berufen. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Schadensersatzanspruch des Patienten wegen Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität nach deutscher Diktion aus Vertrag (§ 280 Abs. 1 BGB) und/oder unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1) ergibt, da derartige Ansprüche des Patienten gegen den Telemediziner immer als ausschließlich deliktisch zu qualifizieren sind. Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 4, § 2, C, III. 113 BAG, IPRax 2006, 254 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 342; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 195; Kropholler, IPR, § 58 III b); Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 83; Geimer, IZPR, Rn. 1482; Heinrich in Musielak, ZPO, § 29 ZPO Rn. 45; Patzina in MüKo, ZPO, § 29 ZPO, Rn. 104; Spellenberg, ZZP 91 (1978) 38, 45; Im Grundsatz auch Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 52, vgl. aber Rn. 54; Kropholler, IPR, § 58 III, S. 616; a.A. Schack, IZVR, Rn. 299 ff., insb. Rn. 301; ders., Erfüllungsort, Rn. 225 ff.; Sonnenberger in MüKo, Einl. zum IPR Rn. 440; vgl. auch Pfeiffer, Prozessuale Gerechtigkeit, S. 679; Rüßmann, IPRax 1996, 402, 403 f.; Schwenzer, IPRax 1989, 274, 276; die für das Prozessrecht einen, von dem deutschen materiellen Recht unabhängigen, eigenständigen Begriff des Erfüllungsortes bilden möchten. 114 Schröder, Int. Zuständigkeit, S. 325 und 326 in Fn. 1314; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 52. 112
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zeigt.115 Entscheidend gegen eine Bestimmung des Erfüllungsortes nach der lex causae spricht, dass diese Art der Bestimmung umständlich ist, weil sie die Zuständigkeitsentscheidung von unter Umständen schwer zu beantwortenden Vorfragen des Kollisionsrechts und des zur Anwendung berufenen eventuell ausländischen Sachrechts abhängig macht.116 Auf der anderen Seite streitet für die herrschende Auffassung die Rechtsprechung des EuGH außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO.117 Mindestens von gleichem Gewicht ist jedoch der Einwand, dass das über das Kollisionsrecht zur Anwendung berufene Sachrecht den Erfüllungsort im Hinblick auf andere Rechtsfolgen als die Begründung der Zuständigkeit bestimmen kann.118 Insgesamt sprechen die besseren Gründe daher dafür, den Erfüllungsort ebenso wie andere Zuständigkeitsmerkmale119 autonom vom Sachrecht der lex fori oder der lex causae, anhand der prozessspezifischen Interessen zu ermitteln.120 Im Rahmen dieser Ermittlung bietet es sich an, den durch Art. 5 Nr. 1 EuGVO gegenüber der Rechtslage nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ teilweise vollzogenen Konzeptionswandel im Rahmen des § 29 ZPO nachzubilden.121 In der Folge ist auch im Rahmen des § 29 ZPO für die Erbringung von Dienstleistungen in Anlehnung an Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO auf die tatsächliche Erbringung der charakteristischen Leistung abzustellen und damit ein einheitlicher Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten aus dem Dienstvertrag ohne Einschaltung des internationalen Privatrechts zu schaffen. Die Anlehnung an Art. 5 Nr. 1 EuGVO hat den Vorteil, dass das so für zuständig erklärte Gericht regelmäßig sein eigenes, ihm bekanntes Sachrecht anwenden kann, da über Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I für vertragliche Ansprüche grundsätzlich das
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Schack, Erfüllungsort, Rn. 225. Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 54; Schack, Erfüllungsort, Rn. 225; ders., IZVR, Rn. 301; vgl. dazu auch das Beispiel von Schack in FS Kegel 75, 505, 516 ff. 117 Vgl. EuGH, NJW 2000, 729, 729 ff.; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 29; vgl. ferner die Begründung des Kommissionsentwurfs, KOM 1999 (348) end., S. 15 „Zuständig ist in diesem Fall [gemeint sind die Fälle die nicht in den Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO fallen] das Gericht, auf das im Internationalen Privatrecht des angerufenen Staates als Gericht des Erfüllungsorts der betreffenden Verpflichtung verwiesen wird“. 118 Kropholler, IPR, § 58 III, S. 617; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 54; Oberhammer in Dasser/Oberhammer, LugÜ, Art. 5 LugÜ Rn. 47 und 24 ff. 119 So bspw. im Rahmen des § 13 ZPO bei der Bestimmung eines Inlandwohnsitzes oder im Rahmen des § 32 ZPO bei der Bestimmung des Handlungs- oder Erfolgsorts. Vgl. dazu insgesamt Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 54. 120 Schack, IZVR, Rn. 301; ders., Erfüllungsort, Rn. 227 f.; auch erwogen von Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 54. 121 Eine solche Nachbildung hat jüngst auch der BGH vorgenommen, vgl. BGH, WM 2011, 427–431. 116
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Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Dienstleisters zur Anwendung berufen wird, sofern keine wirksame Rechtswahl durch die Parteien erfolgt ist oder besondere verbraucherschützende Vorschriften eingreifen. Aus § 29 ZPO kann also – wie im Rahmen der Regelung des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO – eine internationale Zuständigkeit Deutschlands für sämtliche Streitigkeiten aus einem Telemedizinvertrag resultieren. Dies ist grundsätzlich jedoch nur dann der Fall, wenn ein Telemediziner seine Dienstleistung von Deutschland aus erbracht hat. § 29 Abs. 2 ZPO bestimmt den Rahmen, in dem die vertragliche Vereinbarung des Erfüllungsortes durch Telemediziner und Patient zuständigkeitsbegründend ist. Die Vorschrift dient, in Ergänzung des § 38 ZPO, der Verhinderung einer unzulässigen Prorogation. Auch die internationale Zuständigkeit kann grundsätzlich über eine Erfüllungsortvereinbarung begründet werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass § 29 Abs. 2 ZPO im Rahmen der internationalen Zuständigkeit nicht die durch § 269 Abs. 1 Alt. 1 BGB eröffnete Möglichkeit, den Erfüllungsort durch vertragliche Vereinbarung zu bestimmen, berührt. Folglich sind materiell-rechtlich ernst gemeinte Vereinbarungen zwischen Telemediziner und Patient über den Erfüllungsort einer vertraglichen Leistung auch im Prozessrecht zu beachten.122 Die Wirksamkeitsvoraussetzungen derartiger Vereinbarungen sind der auf den Telemedizinvertrag anwendbaren Sachrechtsordnung zu entnehmen.123 Im Hinblick auf die grenzüberschreitende Telemedizin bedeutet dies, dass § 29 ZPO – wie Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO – einen einheitlichen Gerichtsstand für vertragliche Ansprüche am Handlungsort des Telemediziners eröffnet. Nicht eröffnet ist ein Gerichtsstand hingegen am Erfolgsort der telemedizinischen Behandlung, also am physischen Aufenthaltsort des Patienten im Zeitpunkt der Behandlung. Sowohl für Honorarklagen des Telemediziners als auch für vertragliche Ansprüche des Patienten gegen den Telemediziners ist daher das Gericht am Handlungsort der telemedizinischen Behandlung, der meist mit dem Niederlassungsort des Telemediziners zusammenfallen wird, international zuständig.124
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Vollkommer in Zöller, ZPO, § 29 ZPO Rn. 26; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 34 f., 58; Patzina in MüKo, ZPO, § 29 ZPO Rn. 97; Heinrich in Musielak, ZPO, § 29 ZPO Rn. 42. 123 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3. 124 Zum selben Ergebnis würde im Übrigen auch die herrschende Meinung, die zum einen Schadensersatzansprüche des Patienten wegen Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität dem § 29 ZPO zuordnet und zum anderen den Erfüllungsort nach der lex causae bestimmt, für die Haftung des Telemediziners wegen Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität des Patienten gelangen, wenn die lex causae deutsches Sachrecht wäre (vgl. dazu oben Kapitel 5 Fn. 112), da bezogen auf die
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II. Sondergerichtsstand der unerlaubten Handlung 1. Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO Art. 5 Nr. 3 EuGVO regelt den Gerichtsstand für Deliktsklagen. Auch hier ist das Begriffspaar der „unerlaubten Handlung“ und der „Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichzustellen ist“ gemeinschaftsrechtlich verordnungsautonom zu bestimmen.125 Unter dem Begriff der unerlaubten Handlung ist jeder Schadensersatzanspruch zu verstehen, der nicht aus einem Vertrag – also einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung – hergeleitet wird.126 Bei EU-autonomer funktionaler Sichtweise stellen, wie bereits oben im Rahmen der kollisionsrechtlichen Qualifikation derartiger Haftungsansprüche ausführlich untersucht wurde127, alle Ansprüche des Patienten gegen den Telemediziner aufgrund einer Körper- oder Gesundheitsverletzung Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung dar. In der Folge kann der Patient derartige Ansprüche im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO geltend machen. Zuständig ist hiernach das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Darunter ist sowohl der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch derjenige, an dem die schädigende Handlung vorgenommen wurde, zu verstehen.128 Der Patient besitzt daher ein Wahlrecht zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort der unerlaubten Handlung des Telemediziners. Ein derartiges Verständnis überzeugt, da sich auch der deliktische Tatbestand aus Handlung und Erfolg zusammensetzt, so dass
Haftung des Telemediziners wegen einer Körper- oder Gesundheitsschädigung des Patienten aus § 280 Abs. 1 BGB der Leistungsort der Ort wäre, an dem der Telemediziner als Schuldner seine vertragliche Pflicht zur Behandlung lege artis vorzunehmen hat (vgl. Bittner in Staudinger (2009), BGB, § 269 BGB Rn. 2; Zöchling-Jud in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 269 BGB Rn. 2; Larenz, SchuldR I, S. 193). Davon zu unterscheiden ist der Ort, an dem der Leistungserfolg und damit auch die Erfüllungswirkung eintritt. Dies ergibt sich aus § 270 Abs. 1 und 4 BGB, wonach die Vorschriften über den Leistungsort unberührt bleiben, obwohl der Schuldner Geld auf seine Gefahr und Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnort zu übermitteln hat, vgl. dazu Larenz, SchuldR I, S. 193 f. 125 EuGH, NJW 1988, 3088, 3089; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 72; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 78; Mayr/Czernich, EuZPR, Rn. 152. 126 EuGHE I 1988, 5579, 5585 Rn. 18; I 1992, 2175, 2180 Rn. 16; I 1998, 6534, 6543 Rn. 22; I 2002, 6384, 6398 Rn. 33; I 2002, 7383, 7393 Rn. 21; I 2002, 8126, 8139 Rn. 36; Mayr/Czernich, EuZPR, Rn. 152. 127 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C. 128 EuGHE III 1976, 1735, 1746 Rn. 15/19; I 1995, 450, 459 f. Rn. 20; I 2002, 8126, 8141 Rn. 44; I 2004, 1441, 1452 Rn. 27; I 2004, 6022, 6029 f. Rn. 16; Schack, IZVR, Rn. 335; Coester-Waltjen in FS Schütze, 175, 177; Kosmehl in FS Rauscher, 79, 84 f.
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der Rechtsfrieden an beiden Orten gleichermaßen gestört wird.129 Eine grundsätzliche Bevorzugung einer der beiden Orte wäre – anders als im IPR – schon deshalb verfehlt, weil jeder der beiden Orte für die gerichtliche Beweiserhebung und die Prozessgestaltung in besonderer Weise geeignet sein kann.130 Hinsichtlich grenzüberschreitender Telemedizin bedeutet dies, dass der Patient bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung, also Haftungsansprüchen wegen Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität, wählen kann, ob er die Klage am – aus seiner Sicht – ausländischen Handlungsort oder am meist inländischen Erfolgsort, also in der Regel an seinem Wohnsitz, erheben möchte. 2. Gerichtsstand nach § 32 ZPO Auch die ZPO kennt einen besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung. In Fällen internationaler Rechtsstreitigkeiten erklärt § 32 ZPO die deutsche Gerichtsbarkeit für international zuständig, wenn eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 32 ZPO in Deutschland begangen wurde. Wie im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVO, wird auch hier dem Patienten die Möglichkeit eröffnet, seine Schadensersatzansprüche wegen Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität gegen den Telemediziner sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort der unerlaubten Handlung gerichtlich geltend zu machen.131 Aufgrund der hier vertretenen Auffassung, dass die Sammelbegriffe „unerlaubte Handlung“ (§ 32 ZPO) und „Vertragsverhältnis“ (§ 29 ZPO) nicht anhand der Systembegriffe des BGB auszufüllen, sondern funktional zu bestimmen sind132, werden von § 32 ZPO – wie im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVO – auch solche Ansprüche erfasst, die in der jeweils zur Anwendung berufenen Sachrechtsordnung aus Vertrag resultieren, sofern diese Ansprüche auch dann bestehen, wenn man den Vertrag wegdenkt. Dies resultiert daraus, dass derartige Ansprüche dann nicht Ausfluss einer parteiautonom getroffenen Vereinbarung sondern das Resultat autoritären Gesetzesrechts ist.
129
Schack, IZVR, Rn. 337; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 85. EuGHE III 1976, 1735, 1746 Rn. 15/19; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 85; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 82. 131 Siehe BGHZ 124, 237, 245 m.w.N. aus der Rspr. des BGH; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 32 ZPO Rn. 16; Patzina in MüKo, ZPO, § 32 ZPO Rn. 20; Heinrich in Musielak, ZPO, § 32 ZPO Rn. 15, 23; Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 50; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 32 Rn. 26; Kiethe, NJW 2003, 1294, 1295 f. 132 Vgl. dazu oben Kapitel 5, § 2, B, I, 2, a), bb). 130
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
III. Sondergerichtsstand für Verbrauchersachen, Art. 15–17 EuGVO Mit den Art. 15 bis 17 sieht die EuGVO für Verbraucherverträge gewisse Sonderbestimmungen vor. Die darin enthaltenen Regelungen bilden ein geschlossenes System, weshalb sich die Zuständigkeit ausschließlich nach dieser Regelung bestimmt, sofern die Anwendungsvoraussetzungen des Art. 15 EuGVO vorliegen.133 Ist der Anwendungsbereich des prozessualen Verbraucherschutzes eröffnet, richtet sich die internationale Zuständigkeit folglich ausschließlich nach dem 4. Abschnitt der EuGVO. Ein Rückgriff auf andere Zuständigkeitstatbestände ist grundsätzlich ausgeschlossen.134 1. Anwendungsvoraussetzungen a) Persönlicher Anwendungsbereich Art. 15 EuGVO findet, wie die kollisionsrechtliche Parallelvorschrift in Art. 6 Rom I, nur auf Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher Anwendung. Zur Abgrenzung zwischen Unternehmer- und Verbrauchereigenschaft ist darauf abzustellen, ob das Geschäft objektiv dem privaten oder dem beruflichen beziehungsweise gewerblichen Bereich der betreffenden Person zuzuordnen ist.135 Folglich ist diese Voraussetzung bei Telemedizinverträgen regelmäßig erfüllt, da die medizinische Behandlung ganz überwiegend dem privaten Bereich zuzuordnen ist.136 b) Sachlicher Anwendungsbereich Dienstleistungsverträge werden, wie alle nicht in Art. 15 Abs. 1 lit. a und b EuGVO genannten Verträge, von diesen Sonderbestimmungen jedoch nur unter den Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO erfasst. Die letztgenannte Regelung stellt gegenüber Art. 15 Abs. 1 lit. a und b EuGVO einen Auffangtatbestand dar, der bewirkt, dass alle Vertragstypen von Art. 15 EuGVO erfasst sein können.137
133
Mayr/Czernich, EuZPR, Rn. 170; Kropholler, IPR, § 58 III 5. Ein Vorbehalt besteht nach Art. 15 Abs. 1 S. 1 EuGVO lediglich zugunsten von Art. 4 und Art. 5 Nr. 5 EuGVO. Der so verwirklichte prozessuale Verbraucherschutz wird dadurch gestärkt, dass gemäß Art. 35 EuGVO die Verletzung der Zuständigkeitsvorschrift die Versagung der Anerkennung der Entscheidung in den anderen Mietgliedstaaten nach sich zieht. 135 Rösler/Siepmann, EuZW 2006, 76, 78, 79; Mayr/Czernich, EuZPR, Rn. 184; Micklitz/Rott, EuZW 2006, 325, 330. 136 Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, a). 137 Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 15 Rn. 20; Micklitz/Rott, EuZW 2006, 325, 330; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 54. 134
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c) Situativer Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich des prozessualen Verbraucherschutzes bei Telemedizinverträgen ist durch Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO in situativer Hinsicht begrenzt. Erforderlich ist danach, dass der Telemediziner „in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt“ oder dass er seine berufliche oder gewerbliche „auf irgendeinem Wege auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet“, sofern der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Damit ist der situative Anwendungsbereich des prozessualen Verbraucherschutzes mit demjenigen des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes nach Art. 6 Rom I beinahe138 identisch. Einziger Unterschied ist, dass der prozessuale Schutz des Patienten nicht schon dann eingreift, wenn die Tätigkeit des Telemediziners in irgendeinem Staat erfolgt ist oder wenn der Telemediziner seine Tätigkeit auf irgendeinen Staat ausgerichtet hat. Vielmehr ist erforderlich, dass die Tätigkeit des Telemediziners in einem Mitgliedstaat erfolgte oder dass der Telemediziner seine Tätigkeit auf einen Mitgliedstaat ausgerichtet hat. Für die Auslegung des Begriffspaars „Ausübung“ und „Ausrichtung“ ist dies jedoch irrelevant, sodass hinsichtlich der Anforderungen, die an eine „Ausübung“ der beruflich erbrachten, telemedizinischen Tätigkeit beziehungsweise an eine „Ausrichtung“ einer solchen Tätigkeit zu stellen sind, daher auf die obigen Ausführungen zum kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz nach Art. 6 Abs. 1 Rom I verwiesen werden kann.139 Insbesondere gilt es daher auch im Rahmen des prozessualen Verbraucherschutzes nach Art. 15 EuGVO zu beachten, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Ausrichtung der Tätigkeit und dem Vertragsschluss bestehen muss. Dass dieses Erfordernis auch im Rahmen der EuGVO besteht, ergibt sich insbesondere aus Erwägungsgrund Nr. 7 der Rom I Verordnung, nach dem die Bestimmungen der Rom I mit denjenigen der EuGVO im Einklang stehen sollen, um den erstrebten Gleichlauf zwischen IPR und IZVR nicht unnötig zu gefährden.140 Für grenzüberschreitende, telemedizinische Anwendungen bedeutet dies, dass eine „Ausrichtung“ der Tätigkeit auf den Verbraucherstaat durch den Telemediziner sowohl durch konventionelle Werbemaßnahmen, wie auch, unter den oben dargestellten Voraussetzungen141, durch aktive oder
138
Eine dem Art. 6 Abs. 4 lit. a) Rom I vergleichbare Regelung fehlt in Art. 15 EuGVO. Da diese Ausnahme jedoch bei grenzüberschreitender Telemedizin nicht eingreift (vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, b)), wird hierauf nicht näher eingegangen. 139 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, c), bb). 140 Vgl. Leible, EuZW 2009, 26, 28. 141 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, c), bb), (6).
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
passive Websites erfolgen kann.142 Allein aus der Tatsache, dass der ausländische Telemediziner eine deutsche Approbation oder eine vorübergehende Erlaubnis der telemedizinischen Tätigkeit nach § 10 BÄO inne hat, kann hingegen keine Ausrichtung resultieren, da diese Maßnahmen, aus Sicht des Telemediziners, keine zielgerichtete Wirkung im Patientenstaat entfalten sollen.143 Beide Zulassungsformen sind jedoch dazu geeignet, eine Zielrichtung sonstiger Werbemaßnahmen zu statuieren, sofern sie zu Werbezwecken verwendet werden. Wirbt ein Telemediziner also mit seiner deutschen Approbation oder einer ihm erteilten vorübergehenden Erlaubnis im Sinne des § 10 BÄO im Verbraucherstaat, ist von einer „Ausrichtung“ seiner Tätigkeit auf den deutschen Staat auszugehen. 2. Rechtsfolgen des Art. 16 in Verbindung mit Art. 15 EuGVO Sind sämtliche Voraussetzungen des Art. 15 EuGVO erfüllt, bestimmt sich die internationale sowie die örtliche Zuständigkeit, sofern keine Zuständigkeitsvereinbarung getroffen wurde, unbeschadet des Art. 4 und 5 Nr. 5 EuGVO nach Art. 16 EuGVO.144 Nach Art. 16 Abs. 1 EuGVO kann die Klage des Patienten gegen den Telemediziner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaates erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Telemediziner seinen Wohnsitz hat, oder vor dem Gericht des Ortes, an dem der Patient seinen Wohnsitz hat. Klagen des Telemediziners gegen den Patienten können nach Art. 16 Abs. 2 EuGVO hingegen nur am Wohnsitz des Verbrauchers erhoben werden. 3. Rechtsfolgen des Art. 17 EuGVO Auch im Anwendungsbereich des prozessualen Verbraucherschutzes nach Art. 15 EuGVO bleiben Gerichtsstandvereinbarungen zwischen Telemediziner und Patient gemäß Art. 17 EuGVO grundsätzlich zulässig. Dies gilt jedoch nur, sofern sie dem Patienten zusätzliche Gerichtsstände eröffnen und nach Entstehung der Streitigkeit getroffen werden oder wenn der Verbraucher und der Telemediziner ausnahmsweise ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben.145
142 Vgl. dazu LG München I, Urt. v. 18.07.2007 – 9 O 16842/06 = EWiR 2008, 245– 246 (redaktioneller Leitsatz mit Anmerkung von Mankowski). 143 Vgl. dazu ausführlich oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, c), bb), (5). 144 Vgl. Micklitz/Rott, EuZW 2006, 325, 331 f. 145 Vgl. Micklitz/Rott, EuZW 2006, 325, 332.
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IV. Sondergerichtstand des Vermögens nach § 23 ZPO § 23 S. 1 Alt. 1 ZPO eröffnet für vermögensrechtliche Streitigkeiten eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit, wenn der Beklagte im Inland Vermögen besitzt. Im Rahmen der EuGVO und des LugÜ ist dieser Gerichtsstand gemäß Art. 3 Abs. 2 EuGVO/LugÜ ausgeschlossen. Dies ist dadurch zu erklären, dass § 23 ZPO dem Kläger einen zu einfach zu erreichenden Gerichtsstand im Inland gegen den Beklagten mit Wohnsitz beziehungsweise Sitz im Ausland bereitstellt.146 Diese Sichtweise zeigt sich auch in der Abwehrhaltung vieler Staaten hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung von im Vermögensgerichtsstand erstrittenen Urteilen. Trotz dieser Bedenken findet § 23 ZPO außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVO beziehungsweise des LugÜ im Rahmen der internationalen Zuständigkeit Anwendung.147 Der im Ausland wohnende Beklagte ist nach herrschender Meinung in Deutschland nicht nur gerichtspflichtig für Prozesse, die im Zusammenhang mit dem Inlandsvermögen stehen, vielmehr erstreckt sich diese Gerichtspflichtigkeit auf alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten.148 1. Sinn und Zweck des Vermögensgerichtsstandes Begründet wird die Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit am Ort des Vermögens damit, dass sie die zuständigkeitsrechtliche Konsequenz der Universalität der Haftung des Schuldners sei.149 Ohne § 23 ZPO bestünde die Möglichkeit, dass ein Schuldner mit ausländischem Wohnsitz in Deutschland dem Vollstreckungszugriff seiner Gläubiger nicht zugängliches Vermögen ansammelt.150 Auch diene § 23 ZPO der Vermeidung meist mühseliger Auslandsprozesse.151 Das zweite Argument findet seine Grundlage bereits in den Materialen zum Vermögensgerichtsstand des § 24 CPO, der Vorgängernorm des heutigen § 23 ZPO. Darin heißt es: „Diese Vorschrift schützt die Gläubiger der im Ausland wohnenden oder sich im Inlande ohne Domizil herumtreibenden Schuldner und ist ein bewährter Satz
146
Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 335. Statt vieler nur Kropholler, IPR, § 58 III 7. 148 Heinrich in Musielak, ZPO, § 23 ZPO Rn. 4; Geimer, IZPR, Rn. 1346; vgl. dazu Schütze in FS Ishikawa, 2001, 493, 493 ff. m.w.N. und einer Zusammenfassung der bisherigen Diskussion. 149 Geimer, IZPR, Rn. 1358; Schütze, DWiR 1991, 239, 240. 150 Schütze, DWiR 1991, 239, 240; Hausmann in Staudinger (2002), Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 150. 151 Fischer, RIW 1990, 794, 794, 795; Schütze, DWiR 1991, 239, 240. 147
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
des preußischen Prozessrechts“.152 Aus dieser ratio legis ergibt sich auch, warum im Anwendungsbereich der EuGVO die Anwendung des § 23 ZPO überflüssig und deshalb auch ausgeschlossen ist. Die Notwendigkeit einer solchen Zuständigkeit entfällt nämlich, wenn der Gläubiger im Ausland eine dem deutschen Zivilprozess gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit vorfindet und das ausländische Urteil auch im Inland problemlos durchgesetzt und somit in inländisches Schuldnervermögen vollstreckt werden kann. Beide Voraussetzungen sind durch die Regelungen der EuGVO gewährleistet. 2. Voraussetzungen für die Eröffnung des Vermögensgerichtsstandes a) Vermögen in Deutschland Zur Eröffnung des Vermögensgerichtsstandes ist erforderlich, dass der Beklagte Vermögen in Deutschland besitzt. Nach herrschender Meinung genügt als Vermögen entsprechend dem juristischen Vermögensbegriff jeder Gegenstand mit einem noch so geringen Geldwert.153 Auch Forderungen reichen ausweislich des Wortlauts des § 23 Abs. 1 ZPO aus. Dies gelte selbst dann, wenn der Kläger nur behauptet, dass der Beklagte eine solche Forderung in Deutschland inne habe154 oder eine Aufrechnungslage bestünde.155 Nicht erforderlich sei hingegen, dass das Vermögen pfändbar ist, zur Befriedigung des eingeklagten Anspruchs ausreicht oder in einer angemessenen Relation zum Streitwert steht.156 Diese Auffassungen sind jedoch nicht ohne Kritik geblieben: So wird vertreten, dass die internationale Zuständigkeit aufgrund von § 23 ZPO zu verneinen sei, wenn die inländische Zwangsvollstreckung nicht zu einem Überschuss führe.157 Andere wollen den Vermögensgerichtsstand auf den Fall einschränken, dass der Wert des geltend gemachten Anspruchs den 152
Vgl. Hahn/Stegemann, Die gesammelten Materialien zur CPO II, Abt. 1, S. 154 zu § 24 zitiert nach Schütze, DWir 1991, 239, 240. 153 BGHZ 115, 90, 93; BGH, WM 1980, 410, 412; NJW 1990, 990, 992; WM 1991, 384, 386; NJW 1997, 325, 326; Patzina in MüKo, ZPO, § 23 ZPO Rn. 8; Hausmann in Staudinger (2002), Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 152; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, § 36 Rn. 5; Heinrich in Musielak, ZPO, § 23 ZPO Rn. 6; Vgl. zur Gegenansicht etwa Geimer, IZPR, Rn. 1371–1374e. 154 BGH, WM 1981, 1000, 1001. 155 OLG Düsseldorf, JR 1991, 467; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, § 36 Rn. 5; Vollkommer in Zöller, § 23 ZPO Rn. 8; Heinrich in Musielak, ZPO, § 23 ZPO Rn. 6; Patzina in MüKo, ZPO, § 23 ZPO Rn. 16. 156 BGHZ 115, 90, 93; BGH, WM 1980, 410, 412; NJW 1990, 990, 992; WM 1991, 384, 386; NJW 1997, 325, 326; Patzina in MüKo, ZPO, § 23 ZPO Rn. 8. 157 Roth in Stein/Jonas, § 23 ZPO Rn. 15; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 23 ZPO Rn. 7; Geimer, IZPR, Rn. 1373.
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Wert des im Gerichtsstaat belegenen Vermögens nicht unverhältnismäßig übersteigt158, wobei zur Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit teilweise wiederum das Kriterium des Überschusses in der Zwangsvollstreckung genutzt wird.159 Diese letztgenannten Auffassungen vermögen jedoch nicht zu überzeugen, weil die Gewährung eines Gerichtsstandes und die Voraussetzungen der internationalen Zuständigkeit nicht an die Erfolgsaussichten der Zwangsvollstreckung geknüpft werden können, da es sich bei dem Erkenntnis- und dem Vollstreckungsverfahren um zwei unterschiedliche Verfahren handelt.160 Zudem würden aus einem solchen Verständnis erhebliche Rechtsunsicherheiten resultieren, da gerade bei Forderungen die Vermögensbewertung häufig schwierig oder gar unmöglich ist.161 Darüber hinaus erscheint eine solche Restriktion des Vermögensgerichtsstands auch sachlich verfehlt, da das Zwangsvollstreckungsverfahren nichts mit dem Erkenntnisverfahren zu tun hat und deshalb strikt von diesem zu trennen ist.162 So ist es beispielsweise denkbar, dass nach Abschluss des Erkenntnisverfahrens Vermögensgegenstände des Beklagten ins Inland gelangen, auf die dann zugegriffen werden kann, so dass durchaus ein Interesse des Klägers an dem Erwerb eines inländischen Titels bestehen kann.163 Die zweite Gegenauffassung überzeugt schon deshalb nicht, weil es ihr – entgegen ihrer Intention – nicht gelingt, den Beklagtenschutz zu verbessern.164 Der Kläger könnte die Prozessabweisung vielmehr dadurch vermeiden, dass er nur einen Teilbetrag einklagt oder seinen Klageantrag teilweise zurücknimmt. Aus einem Prozess würden folglich mehrere, ohne dass hierdurch ein Schutz des Beklagten erreicht würde. Dieses „erzwungene“ Vorgehen würde jeglicher Prozessökonomie widersprechen.165 Auch würden sich kaum lösbare Schwierigkeiten ergeben, wenn mehrere Kläger aufgrund von Teilabtretungen denselben Beklagten vor unterschiedlichen deutschen Gerichten in Anspruch nehmen.166 Gegen die einschränkenden Auffassungen spricht allgemein auch, dass das Postulat, das inländische Vermögen müsse zur Befriedigung des Klägers ausreichen, für Feststellungs- und Gestaltungsklagen von vornherein
158
Vollkommer in Zöller, ZPO, § 23 ZPO Rn. 7. OLG Celle, IPRax 2001, 338, 338. 160 Patzina in MüKo, ZPO, § 23 ZPO Rn. 8. 161 Heinrich in Musielak, ZPO, § 23 ZPO Rn. 6; Patzina in MüKo, ZPO, § 23 ZPO Rn. 8. 162 Heinrich in Musielak, ZPO, § 23 ZPO Rn. 6. 163 Patzina in MüKo, ZPO, § 23 ZPO Rn. 8 164 Insoweit Geimer, IZPR, Rn. 1364. 165 Vgl. Geimer, IZPR, Rn. 1364. 166 Geimer, IZPR, Rn. 1364. 159
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nicht stimmig ist. Der Gerichtsstand des Vermögens umfasst aber auch derartige Klagen, so dass je nach Klageart einmal ein Gerichtsstand begründet würde, während bei der Wahl einer anderen Klageart ein solcher nicht bestünde. Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch Feststellungs- und Gestaltungsklagen in einem anderen Staat anerkannt werden können, nicht hinnehmbar.167 Zwar mag beiden Auffassungen zuzugeben sein, dass sie den Kläger vor gegebenenfalls unzweckmäßiger Prozessführung in Deutschland schützen, dies ist aber gerade nicht Aufgabe des Prozessrechts, so dass die Bedenken gegen diese restriktiven Auffassungen überwiegen. Im Ergebnis ist daher jeder Vermögensgegenstand, gleich welchen Wert er besitzt, für eine Begründung der internationalen Zuständigkeit ausreichend.168 b) Kriterium des hinreichenden Inlandsbezugs Aufgrund der anhaltenden Kritik169 an § 23 ZPO hat der BGH – im Anschluss an die Vorinstanz170 – dessen Anwendungsbereich auf Fälle mit hinreichendem Inlandsbezug des Rechtsstreits begrenzt171, um Missbrauchfällen entgegenzuwirken. Damit hat er sich der angloamerikanischen Konzeption von due process, einer Zuständigkeit bei reasonable connections und damit dem forum of non conveniens172, zumindest angenähert.173 Wann der erforderliche Inlandsbezug besteht, wurde durch den BGH bislang jedoch bedauerlicherweise nicht näher konkretisiert. Die Einführung eines solchen zusätzlichen ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals ist in der Literatur teilweise auf starke Kritik gestoßen.174 Insbesondere wird beanstandet, dass über das Merkmal des „hinreichenden Inlandsbezugs“ das dem deutschen Zuständigkeitsrecht unbekannte forum of non conveniens durch die Hintertür Eingang finden würde.
167
Geimer, IZPR, Rn. 1365. BGHZ 115, 90, 93; BGH, WM 1980, 410, 412; NJW 1990, 990, 992; WM 1991, 384, 386; NJW 1997, 325, 326; Patzina in MüKo, ZPO, § 23 ZPO Rn. 8; Geimer, IZPR, 1364. 169 Vgl. dazu die Zusammenfassung des Streitstandes durch Schütze in FS Ishikawa, 493 ff. 170 OLG Stuttgart, RIW 1990, 829, 830 f. 171 BGHZ 115, 90, 94. 172 Vgl. zur Konzeption des US-Zuständigkeitsrechts oben Kapitel 4, § 3, A, IV, 1, c), bb), (4). 173 Schütze, DWiR 1991, 239, 240; Fischer, RIW 1990, 794, 796. 174 Schütze, DWiR 1991, 239, 242 f; Fischer, RIW 1990, 794, 794 ff.; Geimer, IZPR, Rn. 1353 ff. 168
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Selbst wenn man einen hinreichenden Inlandsbezug fordert, liegt dieser jedenfalls dann vor, wenn der Beklagte aktiv am deutschen Geschäftsleben teilnimmt175 oder der Kläger einen inländischen Wohn- oder Geschäftssitz besitzt.176 Im Rahmen der hier untersuchungsgegenständlichen Telemedizin ist die erste Voraussetzung immer erfüllt, wenn der ausländische Telemediziner einen Patienten behandelt, der sich zum Zeitpunkt der Behandlung in Deutschland befindet. Auch die zweite Voraussetzung wird regelmäßig erfüllt sein, da in Deutschland regelmäßig nur Patienten Klage erheben werden, die auch einen Wohnsitz in Deutschland haben. Die Fallkonstellation, dass beispielsweise ein Patient mit Wohnsitz in den USA, der durch einen Telemediziner mit Sitz in Australien grenzüberschreitend aus Australien heraus in die USA hinein behandelt wurde, im Anschluss an die Behandlung gegen den Telemediziner in Deutschland klagen möchte, weil der Telearzt in Deutschland belegenes Vermögen besitzt, ist derart unwahrscheinlich, dass auf den Streit, ob zur Eröffnung des § 23 ZPO ein Inlandsbezug vorliegen muss oder nicht, hier nicht näher eingegangen wird. 3. Anwendung auf die internationale Zuständigkeit bei Klagen aus grenzüberschreitenden Telemedizinverträgen Im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Telemedizin stehende Streitigkeiten sind grundsätzlich vermögensrechtliche Streitigkeiten, da sowohl das Klagebegehren des Patienten als auch das des Telemediziners auf Geld oder geldwerte Güter abzielt.177 Dies bedeutet, dass Deutschland für vermögensrechtliche Streitigkeiten nach § 23 ZPO dann international zuständig ist, wenn der beklagte, ausländische Telemediziner beziehungsweise der beklagte Patient in Deutschland Vermögen besitzt. Regelmäßig wird der Patient, der sich in Deutschland vom Ausland aus telemedizinisch behandeln lässt, seinen Wohnsitz in Deutschland haben, so dass der ausländische Telemediziner bereits aufgrund des allgemeinen Gerichtsstands der §§ 12, 13 ZPO in Deutschland Klage erheben kann. Insoweit kommt § 23 ZPO im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen nur eine sehr untergeordnete Bedeutung zu.
175 BGH, WM 1991, 384, 384; Patzina in MüKo, ZPO, § 23 ZPO Rn. 15; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 336; Kleinstück, Due Process-Beschränkungen, S. 207 ff., 217; Hausmann in Staudinger, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 159. 176 BGH, NJW 1997, 324, 325; OLG Stuttgart, RIW 1990, 829, 831; Hausmann in Staudinger (2002), Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rn. 158; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 23 ZPO Rn. 13. 177 Vgl. dazu statt vieler nur Heinrich in Musielak, ZPO, § 23 Rn. 4.
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V. Gerichtliche Prüfungspflicht Welche Tatsachen in welchem Maß das jeweilige Gericht im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu prüfen hat, bestimmt sich nach der lex fori. Ist danach deutsches Recht anzuwenden, muss das jeweilige Gericht im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung im Grundsatz zunächst von Amts wegen auf der Grundlage des Klägervortrags prüfen, ob es überhaupt zuständig ist. 178 Der Deliktsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVO beziehungsweise § 32 ZPO ist also nicht eröffnet, wenn die Klage zwar in diesem Gerichtsstand erhoben wird, der Kläger aber nur Tatsachen vorträgt, die eine Vertragsverletzung rechtfertigen. Umgekehrt ist der Vertragsgerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO beziehungsweise § 29 ZPO nicht eröffnet, wenn der Kläger nicht schlüssig einen Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO beziehungsweise § 29 ZPO vorträgt.179 In einem solchen Fall hat sich das angerufene Gericht, in Ermangelung einer internationalen Verweisungsmöglichkeit, durch Prozessurteil für unzuständig zu erklären.180 Geheilt werden kann der Mangel der schlüssigen Begründung der internationalen Zuständigkeit nur durch eine rügelose Einlassung des Beklagten zur Hauptsache (Art. 24 EuGVO, § 39 ZPO).181 Rügt der Beklagte hingegen die internationale Zuständigkeit, muss das Gericht die Richtigkeit der tatsächlichen Behauptungen des Klägers – trotz eines eigentlich schlüssigen Zuständigkeitsvortrags durch den Kläger – grundsätzlich, notfalls durch Beweisaufnahme, prüfen.182 Die Beweislast liegt dabei prinzipiell beim Kläger.183
178
Würthwein, ZZP 106 (1993), 51, 59; Schumann in FS Nagel, 402, 417; Heinrich in Musielak, ZPO, § 1 Rn. 16; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 17. 179 Vgl. dazu Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 19. 180 Wöstmann in MüKo, ZPO, § 1 ZPO Rn. 30 f.; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 38; Heinrich in Musielak, ZPO, § 1 ZPO Rn. 23. 181 Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 21. 182 Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, vor § 12 ZPO Rn. 27; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 22; Wöstmann in MüKo, ZPO, § 1 ZPO Rn. 25. 183 Vgl. dazu ausführlich Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 21–23; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 1 ZPO Rn. 18; Heinrich in Musielak, ZPO, § 1 ZPO Rn. 16; Roth in Stein/Jonas, § 1 Rn. 22 f.; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, vor § 12 ZPO Rn. 27; Wöstmann in MüKo, ZPO, § 1 ZPO Rn. 25; Im Rahmen der Zulässigkeit zu beweisende Tatsachen können z.B. der Wohnsitz des Beklagten (§ 13 ZPO), der letzte Wohnsitz des Beklagten (§ 16 ZPO) oder das Vermögen des Beklagten im Gerichtsbezirk (§ 23 ZPO) sein.
§ 2 Einzelne Gerichtsstände
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1. Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen Aus der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen resultiert eine Ausnahme von der soeben skizzierten Schlüssigkeitstheorie.184 Nach ihr genügt es für die Annahme einer örtlichen oder internationalen Zuständigkeit185, dass der Kläger schlüssig die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen vorträgt, sofern diese zugleich die notwendigen Tatbestandsmerkmale des erhobenen Anspruchs ausfüllen.186 Dies gelte selbst dann, wenn der Beklagte dieses Vorbringen rügt. Eine Beweiserhebung hinsichtlich solcher Tatsachen durch das Gericht sei im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nicht erforderlich. Vielmehr werde die Richtigkeit der vorgetragenen zuständigkeitsbegründenden Tatsachen, die zugleich notwendige Tatbestandsmerkmale des erhobenen Anspruchs darstellen, im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung unterstellt.187 Erst im Rahmen der Begründetheit habe das Gericht den Klägervortrag gegebenenfalls durch Beweiserhebung auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen weicht, da sie beispielsweise eine unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO/ § 32 ZPO oder einen Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO/§ 29 ZPO als Zuständigkeitsvoraussetzung begreift, deren Prüfung aber auf den Klägervortrag beschränkt, von dem allgemeinen Grundsatz ab, dass zunächst von Amts wegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage zu prüfen sind und erst wenn die Zulässigkeit festgestellt wurde, auf die Prüfung der Begründetheit übergegangen werden darf.188 Diese Ausnahme soll gerechtfertigt sein, weil andernfalls die Zulässigkeitsprüfung mit einer Beweiserhebung über Tatsachen überfrachtet würde, obwohl über diese Tatsachen
184
Vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 22 f. m.w.N.; Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 21–23 m.z.N. aus Rspr. und Lit. insb. in Fn. 107. 185 Vgl. BGHZ 132, 105, 110, Schack, IZVR, Rn. 446; Heinrich in Musielak, ZPO, § 1 ZPO Rn. 20; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 28 m.z.N. in Fn. 47; a.A. Mankowski, IPRax 2006, 454, 458, 460; vgl. auch Linke/Hau, IZVR, Rn. 159; kritisch auch Weller, IPRax 2000, 202, 204. 186 Heinrich in Musielak, ZPO, § 1 Rn. 20; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, vor § 12 ZPO Rn. 28; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 12 Rn. 14; Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 3; Patzina in MüKo, ZPO, § 12 ZPO Rn. 56; Mankowski, IPRax 2006, 454, 454; Weller, IPRax 2000, 202, 203; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 24. 187 BGH, NJW 1964, 497, 498 m.z.N.; BGHZ 133, 240, 243; Heinrich in Musielak, ZPO, § 1 Rn. 20, § 12 Rn. 14; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 12 Rn. 14; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 Rn. 24 ff; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, vor § 12 ZPO Rn. 28; Mankowski, IPRax 2006, 454, 454; Weller, IPRax 2000, 202, 203; Patzina in MüKo, ZPO, § 12 ZPO Rn. 56. 188 Brehm in Stein/Jonas, ZPO, Vor § 1 ZPO Rn. 265–269; Würthwein, ZZP 106 (1993) 51, 59.
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auf der Ebene der Begründetheit so oder so notfalls durch Beweiserhebung zu entscheiden sei.189 Aus Gründen der Prozessökonomie sei es daher sinnvoll diese Tatsachen erst auf der Ebene der Begründetheit zu überprüfen.190 Selbst wenn sich im Rahmen der Begründetheitsprüfung herausstelle, dass der Klägervortrag unrichtig war oder jedenfalls den geltend gemachten Anspruch nicht begründet, da er beispielsweise nicht hinreichend bewiesen werden konnte, resultiere hieraus nicht etwa die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Vielmehr sei die Klage in diesen Fällen durch Sachurteil als unbegründet abzuweisen.191 Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen soll mitunter hauptsächlich dem Schutz des Beklagten dienen, da er für den Fall, dass sich die durch den Kläger vorgetragenen zuständigkeitsbegründenden Tatsachen als unwahr oder nicht beweisbar herausstellen, eine für ihn günstigere Abweisung der Klage durch rechtskraftfähiges Sachurteil als unbegründet erhält, während er bei einer bloßen Verneinung der Zuständigkeit durch Prozessurteil, aufgrund deren fehlender materieller Rechtskraft, erneut vor einem anderen Gericht verklagt werden könnte.192 2. Argumente gegen die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen a) Prozessökonomie Wie soeben gezeigt, werden für die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen auch prozessökonomische Überlegungen vorgebracht. Dies ist auf den ersten Blick auch einleuchtend, da man eine vorzunehmende Prüfung nach hinten verschiebt und so Doppelprüfungen vermeidet. Hierdurch soll das gerichtliche Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden.193 Auf den zweiten Blick streitet die Prozessökonomie jedoch für das Gegenteil. Handelt es sich wirklich um doppelrelevante Tatsachen, sind sie in jedem Fall auf der Ebene der Begründetheit, notfalls durch Beweiserhebung, zu überprüfen. Man verschiebt die Prüfung mittels der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen nur von der Zulässigkeits- in die Begründetheitsprüfung. Der zu überprüfende Tatsachenstoff bleibt folglich gleich. Aufge-
189
Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, vor § 12 ZPO Rn. 28; Mankowski, IPRax 2006, 454, 454 m.w.N. 190 Vgl. BGH, IPRax 1995, 101, 101 f. 191 Vollkommer in Zöller, ZPO, § 12 Rn. 14; Roth in FS Schumann, 355, 366; Wöstmann in MüKo, ZPO, § 1 ZPO Rn. 26. 192 Vgl. dazu Spellenberg, ZZP 95 (1982), 17, 37; Schumann in FS Nagel, 402, 421, 423; Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 31, 223; Pfeiffer, Prozessuale Gerechtigkeit, S. 604; Patzina in MüKo, ZPO, § 12 ZPO Rn. 56; Schröder, Int. Zuständigkeit, S. 265. 193 Vgl. nur BGH, IPRax 1995, 101, 101 f.; Wöstmann in MüKo, ZPO, § 1 ZPO Rn. 26.
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schoben ist nun mal nicht aufgehoben. Kommt man an einer Prüfung der Tatsachen aber nicht vorbei, kann man die Prüfung auch gleich auf der Ebene der Zulässigkeitsprüfung vornehmen.194 Jedenfalls würde der Prozess hierdurch nicht weniger ökonomisch. Gewichtiger dürfte jedoch ein anderer Gedanke sein. Lehnt man die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen ab, muss man zwar die angeblich doppelrelevanten Tatsachen im Rahmen der Zulässigkeit prüfen, dies hat aber den Vorteil, dass man eventuell gar nicht erst in die Begründetheitsprüfung eintreten muss. Vielmehr darf man in diese nur dann eintreten, wenn man zu dem Ergebnis gelangt, dass die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen auch tatsächlich vorliegen. In der Folge dieser Überlegungen wird der Prozessstoff kleiner, was der Prozessökonomie weitaus dienlicher ist als eine Verschiebung der Prüfung über die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen.195 b) Beklagter bedarf keines Schutzes Für die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen wird ferner vorgebracht, dass sie dem Beklagten schützt und ihm einen Vorteil bringe. Liegt die behauptete, vermeintlich doppelrelevante Tatsache vor, wird er durch ein zuständiges Gericht verurteilt.196 Liegt die behauptete Tatsache hingegen nicht zur Überzeugung des Gerichts vor, erhält er ein der Rechtskraft fähiges Sachurteil, weshalb es dem Kläger nicht mehr möglich ist, den Beklagten erneut vor einem anderen Gericht aufgrund der gleichen Sache zu verklagen.197 Der zweite Aspekt ist im europäischen Raum grundsätzlich richtig, sofern kein Anerkennungsversagungsgrund vorliegt. Generell hängt dieser Schutz des Beklagten jedoch von der Anerkennung des Sachurteils in dem jeweiligen Staat ab.198 Die Anerkennung kann mitunter jedoch gewisse Schwierigkeiten aufwerfen. Ferner ist dieser Aspekt des Beklagtenschutzes so oder so bereits von vornherein zu relativieren. Die Gefahr eines Zweitprozesses, nachdem der Kläger in einem Erstprozess nicht erfolgreich war, dürfte eher gering sein. Darüber hinaus ist abzusehen, dass einer der Hauptstreitigkeiten des Zweitprozesses darin bestehen wird, wie weit die Rechtskraft des Ersturteils reicht beziehungsweise inwieweit die Streitgegenstände der Erst- und Zweitklage tatsächlich identisch sind. Jedenfalls insoweit müsste sich der Beklagte in einem etwaigen Zweitprozess also trotz der Lehre von den 194
Mankowski, IPRax 2006, 454, 459. Vgl. dazu Mankowski, IPRax 2006, 454, 459. 196 Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 30. 197 Vgl. dazu oben Kapitel 5 bei Fn. 192. 198 Mankowski, IPRax 2006, 454, 457. 195
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
doppelrelevanten Tatsachen erneut verteidigen. In der Folge dieser Überlegungen sind die Vorteile, die der Beklagte durch die Erlangung eines Sachurteils hat, nicht sonderlich groß.199 Weitaus mehr Gewicht dürfte indes einem anderen Argument zukommen. Es besteht kein Grund dafür den Beklagten quasi zwanghaft zu schützen. Vielleicht hat er gar kein Interesse an einer Sachentscheidung, sondern wäre bereits mit einem abweisenden Prozessurteil zufrieden. Wenn der Beklagte ein Sachurteil will, steht ihm ein einfaches und probates Mittel zur Verfügung um dem Gericht den Eintritt in die Begründetheitsprüfung zu ermöglichen und so ein Sachurteil zu erlangen: Der Beklagte braucht nämlich nur darauf zu verzichten, die internationale Unzuständigkeit des Gerichts zu rügen.200 Sofern nicht ausnahmsweise ein von Amts wegen zu beachtender ausschließlicher Gerichtsstand entgegensteht, kann er auf diesem Weg die internationale Zuständigkeit des jeweiligen Gerichts begründen.201 In der Folge kann das jeweilige Gericht die Begründetheitsprüfung durchführen und der Beklagte bekommt ein der Rechtskraft fähiges Sachurteil. Rügt der Beklagte hingegen die internationale Unzuständigkeit, kommt hierin zum Ausdruck, dass er an der Erlangung eines Sachurteils nicht interessiert ist. Vielmehr möchte er dem Kläger die Rechtsdurchsetzung so schwer wie möglich machen. Ihm so viele Steine in den Weg legen, wie nur möglich. Wieso sollte man dem Beklagten diese Möglichkeit faktisch nehmen indem man die eigentlich durchzuführende Zuständigkeitsprüfung aufgrund der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen beschneidet? Hierfür besteht kein Grund, da der Beklagte im Zweifel selbst am besten weiß, was seine Interessen sind und wie er diese gewichten möchte.202 c) Doppelrelevanz ist nicht feststellbar Ferner bereitet die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen im Bereich der internationalen Zuständigkeit unüberwindbare Schwierigkeiten. Das Gericht kann im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung gar nicht bestimmen, ob es sich um eine doppelrelevante Tatsache handelt, da es auf dieser Prüfungsstufe die über das Kollisionsrecht zur Anwendung berufene Sachrechtsordnung noch gar nicht kennt. Folglich kann es nicht beurteilen, ob die jeweilige Tatsache, sowohl die Frage der Zulässigkeit der Klage als auch gleichzeitig deren Begründetheit betrifft. Es kann also nicht feststellen, ob es sich wirklich um doppelrelevante Tatsachen handelt, da solche 199
Mankowski, IPRax 2006, 454, 457. Mankowski, IPRax 2006, 454, 458. 201 Vgl. § 39 ZPO, Art. 24 EuGVO, Art. 18 LugÜ. 202 Mankowski, IPRax 2006, 454, 458. 200
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nur dann vorliegen, wenn die zuständigkeitsbegründende Tatsache in jedem Fall auf der Ebene der Begründetheit geprüft werden muss. 203 Einziger Ausweg wäre eine andere Definition der doppelrelevanten Tatsachen. So wird vereinzelt vorgeschlagen: Doppelrelevant sind nur die Tatsachen, die sowohl für die Zuständigkeitstatbestände als auch für die Verweisungsnorm des Internationalen Privatrechts entscheidend sind.204 Eine solche Sichtweise ist aber nicht mit der ganz herrschenden Definition von doppelrelevanten Tatsachen205, die zugleich auch die Rechtfertigung der Ausnahme von der Schlüssigkeitstheorie beinhaltet, vereinbar. Vielmehr muss die entscheidende Frage lauten: Ist bei einem Nichtvorliegen des behaupteten Erfolgsorts der unerlaubten Handlung die Klage notwendigerweise unbegründet? Andernfalls wäre nicht sichergestellt, dass die vermeintlich doppelrelevante Tatsache überhaupt an irgendeiner Stelle durch das Gericht überprüft wird. Dies ist jedoch bei Mankowskis Verständnis nicht gewährleistet. Gut verdeutlichen lässt sich dies an der Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II mit dem darin enthaltenen Anknüpfungspunkt des Erfolgsortes. Würde man der Auffassung von Mankowski folgen, handelt es sich bei der Tatsache, ob der Erfolg einer unerlaubten Handlung im Gerichtsbezirk des angerufenen Gerichts eingetreten ist, um eine doppelrelevante Tatsache, da sie nicht nur im Rahmen von Art. 5 Nr. 3 EuGVO beziehungsweise § 32 ZPO zu prüfen ist, sondern auch auf der Ebene der Begründetheit im Rahmen der Bestimmung des anwendbaren Rechts nach Maßgabe des Art. 4 Rom II. Dieses Verständnis vermag jedoch nicht zu überzeugen: Art. 4 Rom II ruft zwar im Grundsatz die Rechtsordnung des Staates zur Anwendung in dem der Erfolg der unerlaubten Handlung eingetreten ist. Ob der klageweise geltend gemachte Anspruch nach dieser Sachrechtsordnung begründet ist oder nicht, ist damit hingegen nicht entschieden.206 In der Folge kann und darf es sich bei der Tatsache wo der Erfolg der unerlaubten Handlung eingetreten ist, nicht um eine doppelrelevante Tatsache handeln.207 Andernfalls würde man der Lehre von den dop-
203
Vgl. nur Heinrich in Musielak, ZPO, § 1 ZPO Rn. 20; sowie die in Kapitel 5 Fn. 186 Genannten. 204 Mankowski, IPRax 2006, 454, 458; vgl. auch ders. in Rauscher, EuZPR, Vorbem. zu Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 8. 205 Vgl. dazu oben Kapitel 5 bei Fn. 186. 206 Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 52; zutreffend auch erkannt durch Weller, IPRax 2000, 202, 204. 207 Dies wird größenteils selbst von denjenigen, die die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen grundsätzlich gutheißen, anerkannt. Vgl. nur Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 25; ders., in FS Schumann, 355, 367; Heinrich in Musielak, ZPO, § 12 ZPO Rn. 14; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 32 ZPO Rn. 19; Schumann in FS Nagel, 402, 419; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, vor § 12 ZPO Rn. 28; Ost, Doppelrelevante Tat-
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pelrelevanten Tatsachen, selbst wenn man sie grundsätzlich befürworten würde, vollkommen den rechtfertigenden Boden entziehen: Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen dient, wenn überhaupt, dem Schutz des Beklagten. Er soll im Fall einer nichtbegründeten Klage eine rechtskräftiges abweisendes Sachurteil und nicht nur ein abweisendes Prozessurteil, welches nur eine beschränkte Rechtskraft besitzt208, erhalten.209 Mit der Berufung einer bestimmten Sachrechtsordnung durch das Kollisionsrecht ist jedoch noch nicht darüber entschieden, ob der geltend gemachte Anspruch materiell-rechtlich besteht oder nicht. Diese Entscheidung obliegt vielmehr einzig der zur Anwendung berufenen Sachrechtsordnung. Folglich kann die Wahl des Anknüpfungspunkts auf der Ebene des Kollisionsrechts für die Entscheidung, ob eine doppelrelevante Tatsache vorliegt oder nicht, nicht entscheidend sein. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die vermeintlich doppelrelevante Tatsache weder im Rahmen der Zulässigkeit noch im Rahmen der Begründetheit gerichtlich überprüft beziehungsweise festgestellt wird. Im Übrigen vermittelt § 32 ZPO eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sowohl in den Fällen, in denen der Handlung- als auch der Erfolgsort der durch den Kläger schlüssig vorgetragenen unerlaubten Handlung in Deutschland liegt. Im Rahmen des Art. 4 Rom II ist hingegen nur der Erfolgsort entscheidender Anknüpfungspunkt.210 In der Folge würde es sich nach dem Verständnis von Mankowski bei der zuständigkeitsbegründen Tatsache, dass der Erfolgsort in Deutschland liegt, um eine doppelrelevante Tatsache handeln, während es sich bei der Tatsache, dass der Handlungsort in Deutschland liegt, um eine einfachrelevante Tatsache handeln würde. Ein durch ein Distanzdelikt geschädigter Kläger, der eine unerlaubte Handlung in Deutschland vorträgt, und ein Kläger, der den Erfolg einer unerlaubten Handlung in Deutschland behauptet, würden also unterschiedlich behandelt. Dies vermag nicht zu überzeugen, da kein Grund dafür ersichtlich ist, diese beiden Kläger unterschiedlich zu behandeln, sind sie doch beide potentielles Opfer einer unerlaubten Handlung geworden. Auch bringt § 32 ZPO gerade zum Ausdruck, dass sowohl das Gericht am Handlungsort als auch dasjenige am Erfolgsort gleichermaßen
sachen, S. 36 f., 95 f.; Patzina in MüKo, ZPO, § 12 ZPO Rn. 56; Schwab in FS Zeuner, 499, 510; Mankowski, AR-Blattei, SD 160.5.5 Rn. 77; ders., IPRax 2006, 454, 458; Pfeiffer, Prozessuale Gerechtigkeit, S. 606; insoweit auch Würthwein, ZZP 106 (1993), 51, 64 f.: a.A. wohl Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 94 die verlangen, dass der Kläger schlüssig Tatsachen behauptet, aus denen sich das Vorliegen einer im Gerichtsbezirk begangenen unerlaubten Handlung ergibt. 208 Vgl. Würthwein, ZZP 106 (1993) 51, 70. 209 Vgl. dazu oben Kapitel 5, § 2, B, V, 1. 210 Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 4, A, II, 1.
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geeignet ist über den geltend gemachten Anspruch aus unerlaubter Handlung zu entscheiden. Warum man trotz dieser gesetzgeberischen Intention die Kläger unterschiedlich behandeln sollte bleibt offen. Es bleibt also dabei, dass die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen im Bereich der internationalen Zuständigkeit unüberwindbare Schwierigkeiten bereitet, da das Gericht im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht bestimmen kann, ob es sich um eine doppelrelevante Tatsache handelt oder nicht, weil es auf dieser Prüfungsstufe die über das Kollisionsrecht zur Anwendung berufene Sachrechtsordnung noch gar nicht kennt. d) Begriffsidentität in Zulässigkeit und Begründetheit ist nicht zwingend Eine weitere Schwäche der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen besteht darin, dass sie etwas voraussetzt, was häufig gar nicht besteht. Begriffe auf der Ebene der Zulässigkeit mögen zwar ihrem Wortlaut nach bestimmten Begriffen auf der Ebene des Sachrechts ähneln, im Detail müssen sie aber nicht übereinstimmen.211 Gerade aufgrund der hier vertretenen funktionalen Interpretation der Sammelbegriffe der ZPO beziehungsweise der EuGVO können sich im Detail Interpretationsunterschiede ergeben. So ist etwa der Begriff der „unerlaubten Handlung“ in Art. 5 Nr. 3 EuGVO beziehungsweise § 32 ZPO nicht deckungsgleich mit dem gleichlautenden Begriff im BGB. Gleiches gilt für den Begriff des Vertrags in Art. 5 Nr. 1 EuGVO beziehungsweise § 29 ZPO. Kann man aber Tatbeständen, die letztlich nicht deckungsgleich sind, Doppelrelevanz zusprechen? Kann man wirklich davon ausgehen, dass eine Tatsache auf der Ebene der Begründetheit wiederkehrt, wenn sie dort doch nur mit ähnlichem Sinngehalt (erneut) auftaucht? Verlangt die Bejahung einer Doppelrelevanz nicht vielmehr Begriffsidentität auf beiden Ebenen? Nach der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen kann die gerichtliche Prüfung, ob die durch den Kläger vorgetragenen Tatsachen einen Sammelbegriff der EuGVO beziehungsweise ZPO ausfüllen, im Rahmen der Zuständigkeit nur deshalb unterbleiben, weil die identische Prüfung im Rahmen der Begründetheit vorzunehmen ist. Handelt es sich aber auf der Ebene der Zuständigkeit und der Begründetheit trotz identischen Wortlauts gar nicht um deckungsgleiche Begriffe, ist auf der Ebene der Begründetheit auch keine identische Prüfung vorzunehmen. Würde man dennoch von doppelrelevanten Tatsachen ausgehen, müsste man die unangenehme Folgefrage, wie viele Abstriche zu machen sind, beantworten.212
211 Mankowski, IPRax 2006, 454, 459; vgl. hierzu auch ausführlich ders. in FS Heldrich, 867, 877–889; vgl. auch schon oben Kapitel 5, § 2, B, I, 2, a), bb). 212 Mankowski, IPRax 2006, 454, 459.
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e) Zusammenfassung Zusammenfassend überzeugt die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen jedenfalls im Bereich der internationalen Zuständigkeit nicht und sollte in diesem Bereich daher nicht zur Anwendung kommen. Vielmehr bleibt es auch bezüglich vermeintlicher doppelrelevanter Tatsachen bei der sogenannten Schlüssigkeitstheorie. Freilich muss man sogleich fragen, welchen Maßstab man an den Vortrag des Klägers anzulegen hat, damit das von ihm angerufene Gericht aufgrund der vorgetragenen Tatsachen zuständig ist. Dieser Frage soll nun nachgegangen werden. 3. Anforderungen an den Klägervortrag zur Eröffnung einer Zuständigkeit Das anzulegende Beweismaß darf zwar einerseits nicht zu hoch sein, da der Kläger sonst unter Umständen der Zugang zu den Gerichten, insbesondere zu denen der besonderen Gerichtsstände, versperrt oder jedenfalls erschwert würde. Andererseits dürfen auch die Interessen des Beklagten, nicht in einem fremden Forum aufgrund bloßer Behauptungen des Klägers streiten zu müssen, nicht vernachlässigt werden.213 Ein guter Kompromiss dieser wiederstreitenden Interessen besteht darin, den Gerichtsstand nicht nur wegen bloßer Behauptungen des Klägers zu eröffnen, sondern zu prüfen, ob der äußere Tatbestand des jeweiligen Gerichtsstands vorliegt.214 Der Kläger hat demnach die zuständigkeitsbegründenden Merkmale zunächst schlüssig zu behaupten. Rügt der Beklagte daraufhin die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, hat das Gericht zu prüfen, ob die vorgetragenen zuständigkeitsbegründeten Tatsachen den äußeren Tatbestand der Anknüpfungstatsachen ausfüllen. Für die hier untersuchungsgegenständlichen Telemedizin bedeutet dies: Der Patient, der seine Schadensersatzansprüche aus Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität durch einen grenzüberschreitend handelnden Telemediziner im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO oder § 32 ZPO geltend macht, muss, sofern der Telemediziner die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes rügt, beweisen, dass der Telearzt eine unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO/§ 32 ZPO im Gerichtsbezirk begangen hat oder dass der Erfolg einer solchen unerlaubten Handlung, also die Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität, im Gerichtsbezirk des angerufenen
213
Vgl. Geimer, WM 1986, 117, 119. Mankowski, AR-Blattei 160.5.5 Rn. 75; ders., IPRax 2006, 454, 458; ders. in Rauscher, EuZPR, Vorbem. zu Art. 2 Brüssel I-VO Rn. 9; ders., RIW 2005, 561, 570; Geimer, IZVR, Rn. 1526, 1826; Schlosser, EuZPR, Art. 26 EuGVO Rn. 1, Art. 5 EuGVO Rn. 4, Art. 5 EuGVO Rn. 18; ähnlich Trunk, IPRax 1998, 448, 450. 214
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Gerichts eingetreten ist. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass man zuerst wissen müsse, ob eine unerlaubte Handlung vorliegt, bevor man überprüfen könne wo diese zu lokalisieren sei215, da das Wo sich auch auf der Grundlage einer plausiblen Behauptung eines Ob feststellen lässt.216 Solange das Gericht weder davon überzeugt ist, dass der Beklagte in seinem Gerichtsbezirk eine unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO/§ 32 ZPO begangen hat, noch dass der Erfolg einer solchen Handlung in seinem Gerichtsbezirk eingetreten ist, muss es den Patienten auffordern, die notwendigen Beweise beizubringen.217 Werden diese Beweise nicht erbracht, ist die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen. Macht der Patient oder der Telemediziner hingegen vertragliche Ansprüche im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO beziehungsweise § 29 ZPO im Vertragsgerichtsstand nach den soeben genannten Vorschriften geltend, hat das Gericht im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu untersuchen, ob detaillierte Tatsachen vorliegen, die auf einen Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO/§ 29 ZPO hindeuten.218 Ob es tatsächlich zu einem Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO/§ 29 ZPO gekommen ist, gehört nicht mehr zur Zuständigkeitsprüfung, sondern ist erst im Rahmen der Begründetheit festzustellen. Art. 5 Nr. 1 EuGVO/§ 29 ZPO erfasst also auch solche Fälle, in denen darüber gestritten wird, ob ein Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO/§ 29 ZPO vorliegt oder nicht.219 Bezüglich § 29 ZPO resultiert dies bereits aus dem Wortlaut des § 29 ZPO, wonach der Vertragsgerichtsstand auch dann eröffnet ist, wenn über das „Bestehen“ eines Vertrages gestritten wird. Solange das Gericht noch nicht davon überzeugt ist, dass ein Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO/§ 29 ZPO vorliegt, muss es den klagenden Patienten oder Telemediziner wiederum auffordern, die notwendigen Beweise beizubringen. Gelingt der geforderte Nachweis nicht, ist die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen.
215
So aber Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 39. Mankowski, IPRax 2006, 454, 455. 217 Geimer, WM 1986, 117, 119. 218 Geimer, IZPR, Rn. 1826; ders., WM 1986, 117, 119; Schlosser, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 4; Leible in in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 22; in England verlangt man insoweit einen „good arguable case“, vgl. dazu Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, S. 226 f. und Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 209–211 jeweils m.w.N. 219 EuGH, Urt. v. 04.03.1982 – 38/81 unter Rn. 7; OLG Koblenz, RIW 2006, 311, 312; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 8; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 22; Schlosser, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 4. 216
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VI. Sachzusammenhang als Zuständigkeitsgrund Grundsätzlich ist es sowohl dem Patienten als auch dem Telemediziner möglich gegen den jeweils anderen im allgemeinen Gerichtsstand alle Ansprüche, gleich welcher Art, geltend zu machen. Anders sieht es jedoch hinsichtlich der besonderen Gerichtsstände des Erfüllungsortes und der unerlaubten Handlung aus. In diesen können nur solche Ansprüche geltend gemacht werden, die entweder als „unerlaubte Handlung“ im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO/§ 32 ZPO oder als Ansprüche aus einem „Vertrag“ im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO beziehungsweise aus einem „Vertragsverhältnis“ im Sinne des § 29 ZPO zu qualifizieren sind. Würde man es hierbei belassen, würden die besonderen, internationalen Gerichtsstände an Wert verlieren, da sie nur für einige von mehreren konnexen Ansprüchen beziehungsweise nur für einen Teil des Streitgegenstands eine internationale Zuständigkeit begründen könnten. Deutlich wird dies, wenn, wie im Fall einer telemedizinischen Fehlbehandlung, jedenfalls nach deutschem Verständnis, Schadensersatzansprüche des Patienten aufgrund einer Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt aus unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen, namentlich solchen aus Vertrag und Delikt, erwachsen können. In Fällen derartiger Anspruchgrundlagenkonkurrenz stellt sich nach herrschender Meinung die Frage, ob das international zuständige Gericht am deliktischen Erfolgsort auch über die konkurrierenden vertraglichen Ansprüche entscheiden darf. Gleichfalls wird die spiegelbildliche Frage, ob das zuständige Gericht am Erfüllungsort auch über konkurrierende deliktische Ansprüche entscheiden darf, aufgeworfen. Diese Fragen werden in der Literatur und Rechtsprechung teilweise unter dem Stichwort des Sachzusammenhangs teilweise auch unter dem der Annexkompetenz diskutiert. Einig ist man sich dabei nur darüber, dass weder die ZPO noch die EuGVO einen solchen allgemeinen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs kennen.220 Insbesondere eröffnet Art. 28 EuGVO keine gemeinsame Zuständigkeit für zusammenhängende Klagen, da er nur die Aussetzung des späteren Verfahrens ermöglicht.221 1. Situation nach hier vertretener Auffassung Freilich stellt sich die damit aufgeworfene Problematik nach hier vertretener Auffassung weder im Anwendungsbereich der EuGVO noch in demje-
220
Anders ist dies etwa in Griechenland (Art. 31 ZPO), Italien (Art. 3 Abs. 2 S. 2 IPRG i.V.m. Art. 31 ff., 40 C. prov. civ.) oder Belgien (Art. 9 IPRG i.V.m. Art. 566 C. jud.). 221 Schack, IZVR, Rn. 858.
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nigen der ZPO. Aufgrund der hier vertretenen und auch vorgenommenen autonomen Qualifikation der Telearzthaftung anhand ihrer Funktion gelangt man zu dem Ergebnis, dass auch die aus deutscher Sicht vertraglichen Schadensersatzansprüche des Patienten wegen Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität als „unerlaubte Handlung“ im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO beziehungsweise § 32 ZPO anzusehen sind. In der Folge existieren auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts grundsätzlich keine konkurrierenden Schadensersatzansprüche des Patienten aus einem „Vertrag“ im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO beziehungsweise aus einem „Vertragsverhältnis“ im Sinne des § 29 ZPO, so dass sich die von der herrschenden Meinung durch eine überkommene Qualifikation unter Zugrundelegung der Systembegriffe des BGB provozierte Frage nach einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs bei der hier vertretenen Sichtweise erübrigt.222 2. Situation nach herrschender Auffassung im Rahmen der ZPO Anders stellt sich die Situation hingegen im Anwendungsbereich der ZPO dar, wenn man der herrschenden Auffassung folgt. Durch die Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 32 ZPO einerseits und des § 29 ZPO andererseits nach der materiellen lex fori und der damit verbundenen Übernahme der Systembegriffe des BGB in das Zuständigkeitsrecht der ZPO kann der Patient seine Schadensersatzansprüche wegen einer Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität sowohl im besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes als auch in dem der unerlaubten Handlung klageweise geltend machen.223 Während der Gerichtsstand des Erfüllungsorts einem deutschen Patienten regelmäßig nicht die Möglichkeit eröffnet, seine „vertraglichen“ Schadensersatzansprüche wegen Verletzung seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität vor einem deutschen Gericht einzuklagen224, gewährt ihm § 32 ZPO diese Möglichkeit für die
222
Die Tatsache, dass sich die praktische Notwendigkeit einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs im Anwendungsbereich der EuGVO bei einer funktionalen autonomen Qualifikation relativiert, erkennen auch Gottwald, IPRax 1989, 272, 274; Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 507, 508 f., Schmidt-Kessel, ZEuP 2004, 1019, 1028; Spickhoff in FS Müller, 287, 296, wenngleich Spickhoff, der sich im Rahmen seiner Untersuchung mit der Arzthaftung beschäftigt, hieraus nicht die Rückschlüsse auf eine Qualifikation von Haftungsansprüchen des Patienten gegen den Telemediziner als unerlaubte Handlung zieht. Ähnlich auch schon Spickhoff, ZZP 109 (1996) 493, 515 f., der im deutschen Prozessrecht den Konnexitätsgerichtsstand für einen Teil der Fälle durch großzügige Qualifikation überflüssig machen will. 223 Vgl. nur Pielach, Haftungsfragen, S. 211; Schädlich, Telemedizin-Anwendungen, S. 194 f.; Könning-Feil, Internationales Arzthaftungsrecht, S. 323. 224 Vgl. dazu oben Kapitel 5, § 2, B, I, 2.
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auf der Ebene des Sachrechts konkurrierenden deliktischen Ansprüche.225 Im Anwendungsbereich der ZPO stellt sich folglich nach herrschender Auffassung die Frage, ob das international zuständige Gericht am deliktischen Erfolgsort auch über die konkurrierenden vertraglichen Ansprüche entscheiden darf. Auch diese spiegelbildliche Frage, ob das international zuständige Vertragsgericht über konkurrierende deliktische Ansprüche entscheiden darf, kann auftreten. Diese Fragen werden, wie nachfolgender Streitstand zeigt, überaus kontrovers diskutiert. a) Streitstand aa) Meinungsstand im Rahmen des Anwendungsbereichs der EuGVO In der Literatur zur EuGVO wird kontrovers diskutiert, ob am Gerichtsstand des Erfüllungsortes neben vertraglichen Schadensersatzansprüchen auch konkurrierende deliktische Ansprüche im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO eingeklagt werden können. Diese Frage wurde durch den EuGH bislang nicht beantwortet. Teile der Literatur bejahen eine solche Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs des Gerichtes am Erfüllungsort beziehungsweise im Verbrauchergerichtsstand226, während andere Teile eine solche ablehnen.227 Auch die spiegelbildliche Frage, ob dem über Art. 5 Nr. 3 EuGVO für deliktische Ansprüche zuständigen Gericht kraft Sachzusammenhangs eine Kompetenz zusteht, der zufolge es auch für konkurrierende vertragliche Schadensersatzansprüche kognitionsbefugt ist, wird kontrovers diskutiert.
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Vgl. dazu oben Kapitel 5, § 2, B, II, 2. Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 79; ders., IPR, § 58 III 3 c); Auer, Int. Zuständigkeit des Sachzusammenhangs, S. 163; Schlosser, EuZPR, vor Art. 5 EuGVO Rn. 2; Staudinger, ZEuP 2004, 762, 778 f.; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 59a; sich annähernd nun auch Schack, IZVR, Rn. 397; weitergehender, eine umfassende Zuständigkeit am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung befürwortend Geimer, IPRax 1986, 80, 82; ders., in Zöller, ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 10a; ders., in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 50, 222; Mumelter, Gerichtsstand des Erfüllungsortes, S. 83; Ganssauge, Int. Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 41; Mansel, IPRax 1989, 84, 85; Wolf, IPRax 1999, 82, 87; Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 526; Gottwald, IPRax 1989, 272, 273 f.; ders., MüKo, ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 12; Wipping, Gerichtsstand des Erfüllungsortes, S. 99. 227 Schack, Erfüllungsort, Rn. 317; ders., IZVR, Rn. 395 ff.; Looschelders, IPRax 2006, 14, 15 f.; Seibl, MedR 2008, 668, 668; Spickhoff, IPRax 2009, 128, 131 f.; Linke, IZPR, Rn. 169; Linke/Hau, IZVR, Rn. 207; wohl auch Stadler in Musielak, ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 5. 226
§ 2 Einzelne Gerichtsstände
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Nach der Rechtsprechung und dem wohl überwiegenden Teil der Literaturmeinung soll eine solche Kompetenz jedoch nicht bestehen.228 bb) Meinungsstand im Anwendungsbereich der ZPO Auch im Anwendungsbereich der ZPO wird die Frage der Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs nicht einheitlich beantwortet. Das dabei geäußerte Meinungsspektrum ist größer als das im Rahmen der EuGVO, da dieses Problem aufgrund der Doppelfunktion der Zuständigkeitsregelungen der ZPO229 sowohl im nationalen als auch im internationalen Zuständigkeitsrecht auftritt. Der BGH vertritt hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit nunmehr230 die Auffassung, dass das nach § 32 ZPO zuständige Gericht auch für konkurrierende vertragliche Ansprüche zuständig ist.231 Hinsichtlich derselben Frage im internationalen Zuständigkeitsrecht ist er hingegen weiterhin der Auffassung, dass § 32 ZPO keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit für konkurrierende vertragliche Schadensersatzansprüche begründet.232 Auch die Auffassungen in der rechtswissenschaftlichen Literatur sind geteilt. Einerseits wird nach wie vor die frühere Auffassung der Judikatur vertreten und eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs sowohl im internationalen als auch im nationalen Bereich abge-
228 Für die h.M.: BGH, RIW 2005, 307, 309; Schack, IZVR, Rn. 395; ders., Erfüllungsort, Rn. 317; Leible in Rauscher, EuZPR I, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 82; Kropholler/Von Hein, EuZPR, Art. 5 Rn. 79; ders., IPR, § 58 III 3. c); Pichler, Int. Zuständigkeit, Rn. 739; Staudinger, ZEuP 2004, 762, 777 f.; Looschelders, IPRax 2006, 14, 15; Schlosser, EuZPR, vor Art. 5 EuGVO Rn. 2; Stadler in Musielak, ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 5; Seibl, MedR 2008, 668, 668; Junker, Urheberrechtsverletzungen, S. 301; Kubis, Int. Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, S. 110; Spickhoff, IPRax 2009, 128, 131 f.; Schwarz, Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, S. 169; Linke, IZPR, Rn. 169; a.A.: Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 222; ders., IPRax 1986, 80, 82; ders., NJW 1988, 3089, 3090; ders., in Zöller, ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 34; ders., in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 5 EuGVO Rn. 222; Mansel, IPRax 1989, 84, 85; Wolf, IPRax 1999, 82, 87; Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 526; Simotta in Fasching/Konecny, EuGVO, Art. 5 EuGVO Rn. 294; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 67; Gottwald in MüKo, ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 12; Vgl. hinsichtlich der Aussagekraft von EuGH, NJW 1988, 3088, 3089 für die diese Problematik bereits oben Kapitel 4, § 2, C, III, 3. 229 Vgl. dazu oben Kapitel 5, § 1, A, II. 230 Die ältere höchstrichterliche Judikatur lehnte eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs ab; grundlegend ist insoweit RGZ 27, 385, 386 (vereinigte Senate); fortgeführt durch BGH, NJW 1986, 2436; 1971, 410 ff.; 1996, 1411, 1413; NJW 2002, 1426. 231 BGHZ 153, 173, 178 ff. 232 BGH, NJW 1974, 410, 411; BGHZ 132, 105, 111; a.A. OLG Stuttgart, NJWRR 2006, 1362, 1364.
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lehnt.233 Andererseits weist ein Teil der Literatur jedenfalls für die örtliche Zuständigkeit ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs hin.234 Für den internationalen Bereich wird eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs jedoch nur selten befürwortet235, wenngleich festzustellen ist, dass sich eine Vielzahl der Autoren nicht explizit mit der Frage einer internationalen Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs beschäftigt. b) Konstruktion einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs als Folge einer Qualifikation nach der materiellen lex fori Allein aus dem soeben aufgezeigten Streitstand wird deutlich, zu welchen Problemen die bislang herrschende Auffassung, dass die Sammelbegriffe der ZPO, insbesondere der Sammelbegriff der „unerlaubten Handlung“ in § 32 ZPO und derjenige des „Vertrags“ in § 29 ZPO, mittels der Systembegriffe des BGB auszufüllen seien, führt. Aus der Anspruchsgrundlagenkonkurrenz auf der Ebene des Sachrechts resultiert bei dieser Sichtweise mehr oder weniger zwingend eine Konkurrenz des Vertrags- und des Deliktsgerichtsstands auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts. Konkurrieren etwa deliktische und vertragliche Schadensersatzansprüche auf der Ebene des Sachrechts miteinander, was gerade für die Arzthaftung kennzeichnend ist236, führt dies dazu, dass auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO mit dem Vertragsgerichtsstand nach § 29 ZPO konkurriert.237 Während der Gerichtsstand des
233 Heinrich in Musielak, ZPO, § 12 ZPO Rn. 11; Patzina in MüKo, ZPO, § 12 ZPO, Rn. 50; Junker, Urheberrechtsverletzungen, S. 286; Jauernig, ZPR, § 12 II; Mankowski, IPRax 1997, 173, 177 f.; ders., JZ 2003, 689, 689 f.; Würthwein, ZZP 106 (1993), 51, 75 f., 78; Spickhoff, IPRax 2009, 128, 131 f.; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, § 32 ZPO Rn. 14; Schack, IZPR, Rn. 395 f. 234 Rimmelspacher, AcP 174 (1974), 509, 541 ff.; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 12 ZPO Rn. 20; ders., in FS Deutsch 70, 385, 399 f., 403; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 11; ders., in FS Schumann, 355, 370; Banniza von Bazan, Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, S. 143; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 36 Rn. 59; Hoffmann, ZZP 107 (1994), 3, 20; Baur in FS von Hippel, 1, 25; Wolf in FS Lindacher, 201, 211 f.; Geimer, IZPR, Rn. 1492, 1523; Linke, IZPR, Rn. 169; Schwab in FS Zeuner, 499, 509; wohl auch Kubis, Int. Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, S. 110 f. 235 Roth in FS Schumann, 355, 369 f.; ders., in Stein/Jonas, ZPO, § 1 ZPO Rn. 11; Geimer, IZPR, Rn. 1492, 1523; Banniza von Bazan, Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, S. 141, 142 ff.; begrenzt auf den internationalen Gerichtsstand des Erfüllungsortes Wolf in FS Lindacher, 201; 212 f. a.A. Vollkommer in Zöller, ZPO, § 12 ZPO Rn. 21; Würthwein, ZZP 106 (1993), 51, 75, 78; Gottwald, JZ 1997, 92, 93; Heinrich in Musielak, ZPO, § 32 ZPO Rn. 23. 236 Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3, insb. 3, F. 237 Vgl. dazu die Nachweise in Kapitel 5 Fn. 223.
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Erfüllungsorts einem deutschen Patienten regelmäßig nicht die Möglichkeit eröffnet, seine „vertraglichen“ Schadensersatzansprüche wegen Körperverletzung vor einem deutschen Gericht einzuklagen, gewährt ihm § 32 ZPO diese Möglichkeit für die auf der Ebene des Sachrechts konkurrierenden deliktischen Ansprüche. Da aber das Gericht im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nur über Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Sinne des § 32 ZPO entscheiden darf, hat der Patient keine Möglichkeit seine auf der Ebene des Sachrechts unter Umständen konkurrierenden vertraglichen Ansprüche in seinem Heimatstaat geltend zu machen. Vielmehr kann er diese grundsätzlich nur im Ausland gerichtlich geltend machen. Eine Ausdehnung der besonderen Gerichtsstände durch die Annahme einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs würde folglich dazu führen, dass die besonderen Gerichtsstände gegenüber dem allgemeinen Gerichtsstand aufgewertet würden. Umgekehrt ausgedrückt, würde der allgemeine Gerichtsstand gegenüber den besonderen Gerichtsständen abgewertet. Dies sei jedoch zum einen aufgrund von Überlegungen der Prozessökonomie und der Praktikabilität, zum anderen aber auch aufgrund dogmatischer Überlegungen, insbesondere aufgrund des prozessualen, zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs, gerechtfertigt. aa) Prozessökonomie Selbst diejenigen, die der Spaltungstheorie folgen – eine Zusammenhangszuständigkeit also verneinen – erkennen, dass die von ihnen in Kauf genommenen Ergebnisse dem Grundsatz der Prozessökonomie sowohl hinsichtlich der Parteien als auch der Gerichte zuwiderlaufen238: Die Spaltungstheorie belastet die Prozessparteien und damit mittelbar auch die Gerichte mit Mehrarbeit, da nach ihr die klagende Partei, wenn sie nicht auf den allgemeinen Gerichtsstand zurückgreifen will, unter Umständen zwei Gerichte in möglicherweise sogar zwei unterschiedlichen Staaten anrufen muss, wenn sie eine gerichtliche Entscheidung hinsichtlich aller denkbaren Anspruchsgrundlagen wünscht. Die Verdopplung des Rechtswegs bedeutet damit unter Umständen auch eine Vervielfachung des Instanzenwegs. Dies führt nicht nur zu einer Kostenvermehrung für die Streitparteien, sondern regelmäßig auch zu einer Verlängerung des Rechtsstreits. Die Spaltungstheorie bewirkt also, dass weder mit den Ressourcen der Parteien noch mit denen der Gerichte schonend umgegangen wird. Deutlich wird diese Problematik gerade im Fall der grenzüberschreitenden Telemedizin, in dem einem deutschen Patienten durch eine Fehlbe-
238
Vgl. nur Spickhoff, ZZP 109 (1996), 493, 506; vgl. dazu insgesamt Mankowski, IPRax 2006, 454, 459.
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handlung des Telemediziners nach deutschem Sachrecht sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche zustehen.239 Durch die Übernahme dieses Ergebnisses in die Zuständigkeitsvorschriften der ZPO ist dem klagenden Patienten durch § 32 ZPO häufig ein Klägergerichtsstand240, jedenfalls meist ein in Deutschland liegender Gerichtsstand, eröffnet.241 Für vertragliche Schadensersatzansprüche wird der Patient hingegen ins Ausland verwiesen, da weder der allgemeine Gerichtsstand noch der besondere Gerichtsstand nach § 29 ZPO eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet.242 In der Folge wird der deutsche Patient versuchen, seine Ansprüche aus unerlaubter Handlung vor dem ihm bekannten und räumlich näheren Gericht am Erfolgsort der unerlaubten Handlung geltend zu machen, da die damit verbundenen Kosten weitaus geringer sind als diejenigen, die durch eine Rechtsverfolgung im Ausland entstehen und der Patient beziehungsweise sein Rechtsbeistand die Gepflogenheiten und Sitten seines Heimatgerichts besser kennt.243 Will der Patient daneben aber auch seine – aus deutscher Sicht – vertraglichen Schadensersatzansprüche gerichtlich durchsetzen, bliebe ihm – sofern man die Sammelbegriffe der ZPO, der herrschenden Meinung folgend, anhand der Systembegriffe des BGB auslegt – nach der Spaltungstheorie nichts anderes übrig, als bezüglich dieser Ansprüche das zuständige ausländische Gericht anzurufen. Diese Situation lässt sich jedenfalls nicht mit den Interessen des Telemediziners rechtfertigen, da dieser von den prozessökonomischen Nachteilen in gleicher Weise betroffen ist wie der Patient.244 Der Telemediziner muss sich in Fällen derartiger Anspruchsgrundlagenkonkurrenzen so oder so – wenn auch nur bezüglich der aus deutscher Sicht deliktischen Haftungsansprüche – in einem „fremden“ Forum verteidigen, so dass die prozessualen Interessen des Telemediziners und des Patienten an einem einheitlichen Gerichtsstand in diesen Fällen als gleich stark anzusehen sind. 245 Ausschlaggebend für die Spaltungstheorie könnten daher allenfalls die
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Vgl. dazu oben Kapitel 3, § 3. Der Erfolgsort der unerlaubten Handlung stimmt mit dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Patienten überein, sofern er sich an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort behandeln lässt und sein Körper- oder Gesundheitsschaden unmittelbar eintritt. 241 Vgl. dazu oben Kapitel 5, § 2, B, II, 2. 242 Vgl. dazu oben Kapitel 5, § 2, B, I, 2. 243 Vgl. zu den Vorteilen einer Inlandsprozessführung gegenüber einer Auslandsprozessführung Mankowski, IPRax 2006, 454, 456 f. 244 Vgl. Roth in FS Schumann, 355, 358; Gottwald, JZ 1997, 92, 93; ders., IPRax 1989, 272, 273 f. 245 Windel, ZZP 111 (1998), 3, 14; Spellenberg, ZZP 95 (1982), 17, 44; Roth in FS Schumann, 355, 358; vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 36 Rn. 59. 240
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Gerichtsinteressen sein246, die jedoch im Hinblick auf den schonenden Umgang mit der Judikatur für eine Bejahung eines Gerichtsstandes kraft Sachzusammenhangs sprechen.247 bb) Dogmatischer Bruch mit dem prozessualen Streitgegenstandsbegriff der ZPO Die Spaltungstheorie steht darüber hinaus nicht auf festem prozessrechtsdogmatischem Boden. Vielmehr bewirkt sie eine unzulässige Aufspaltung des einheitlichen prozessualen Streitgegenstandes.248 Im deutschen Zivilprozessrecht hat sich ein prozessual orientierter, zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff durchgesetzt.249 Danach entscheidet das erkennende Gericht über den sich aus dem Antrag und dem von den Parteien vorgetragenen Lebenssachverhalt ergebenden prozessualen Anspruch. Mit der Klage wird also nicht ein bestimmter materiellrechtlicher Anspruch, also etwa Schadensersatzansprüche aus Vertrag oder unerlaubter Handlung im Sinne des BGB, geltend gemacht, vielmehr umfasst der Streitgegenstand alle Schadensersatzansprüche aus dem vorgetragenen Lebenssachverhalt unabhängig davon, ob sie aus einer oder mehreren materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen resultieren.250 Der Kläger braucht die einschlägige Anspruchsgrundlage weder zu kennen noch vorzutragen. Vielmehr entscheidet das Gericht nach dem Grundsatz iura novit curia darüber, ob aus dem vorgetragenen und bewiesenen Lebenssachverhalt der geltend gemachte Anspruch aufgrund irgendeines Rechtsgrunds besteht. Existieren mehrere Rechtsgründe für den geltend gemachten Anspruch, kann das Gericht einen beliebigen herausgreifen und nur aufgrund
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Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 586. So auch der BGHZ 153, 173, 178 hinsichtlich eines Gerichtsstands kraft Sachzusammenhangs bei der örtlichen Zuständigkeit. 248 Windel, ZZP 111 (1998), 3, 14; Hoffmann, ZZP 107 (1994), 3, 9; Roth in FS Schumann, 355, 360; Banniza von Bazan, Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, S. 144 f. 249 Roth in FS Schumann, 355, 359; Musielak in Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 69, 74; Vollkommer in Zöller, ZPO, Einleitung Rn. 63; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 110, 129; Becker-Eberhard in MüKo, ZPO, Vor §§ 253 ff. ZPO Rn. 32 m.w.N aus Rspr. und Lit. 250 BGHZ 117, 5, 5; 154, 342, 347; BGH, NJW 1999, 2118, 2119; Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 110, 128; Roth in FS Schumann, 355, 359; ders. in Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253 ZPO Rn. 11; Spellenberg, ZZP 95 (1982) 17, 45; Vollkommer in Zöllner, ZPO, Einleitung Rn. 82 f. m.z.N.; Larenz, Allgemeiner Teil des BR 7, § 14 IV S. 268; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 242 ff.; vgl. auch Becker-Eberhard in MüKo, ZPO, Vor §§ 253 ff. ZPO Rn. 39 und § 253 ZPO Rn. 72. 247
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dieses Rechtsgrunds seine Entscheidung fällen.251 Hierdurch findet der Prozess sein Ende, auch wenn das erkennende Urteil nur aufgrund einer von mehreren konkurrierenden Anspruchsgrundlagen ergeht. Nur die Klageabweisung setzt voraus, dass sich das Gericht mit allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen auseinandersetzt und diese allesamt ablehnt.252 Dem Kläger ist es nicht gestattet die Freiheit der Rechtsanwendung des Gerichts einzuschränken indem er entweder einen rechtlichen Gesichtspunkt von der gerichtlichen Beurteilung ausschließt, bestimmte Tatsachen nicht vorträgt oder sein Klagebegehren von vornherein auf einen bestimmten materiellen Anspruch begrenzt.253 Der Kläger hat also keine sogenannte Ausschaltungsbefugnis bezüglich bestimmter rechtlicher Aspekte. Eine solche Ausschaltungsbefugnis kann weder der Verhandlungs- noch der Dispositionsmaxime entnommen werden.254 In der Folge kann sowohl das Gericht im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO als auch dasjenige im Gerichtsstand der Erfüllungsortes nach § 29 ZPO über die gesamten aus dem Sachverhalt resultierenden materiellrechtlichen Ansprüche entscheiden.255 Würde man es zulassen, dass der Kläger vertragliche Ansprüche in dem einen Gerichtsstand und gleichzeitig, oder auch nur anschließend, die deliktischen Ansprüche in dem anderen Gerichtsstand geltend macht, würde dies eine Zerreißung des prozessualen Streitgegenstandes und damit eine unzulässige, weil auf identischem Streitgegenstand begründete, Verdoppelung der Prozesse bedeuten (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).256 Dies war zum Zeitpunkt der grundlegenden Entscheidung der vereinigten Zivilsenate des RG im Jahr 1891257, welcher sich der BGH bis heute im
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Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 244. Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 244 m.w.N. 253 Vgl. nur Roth in Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253 ZPO Rn. 66–69; Becker-Eberhard in MüKo, ZPO, Vor §§ 253 ff. ZPO Rn. 39; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 243. 254 Herrschende Meinung, vgl. nur Becker-Eberhard in MüKo, ZPO, Vor §§ 253 ff. ZPO Rn. 39; Vollkommer in Zöller, ZPO, Einleitung Rn. 84; Roth in Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253 ZPO Rn. 66 jeweils m.w.N. 255 Vollkommer in Zöller, ZPO, Einleitung Rn. 70; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 92 Rn. 10 Musielak in Musielak, ZPO, Einleitung Rn. 72, Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 29 ZPO Rn. 22; § 32 ZPO Rn. 16 jeweils m.w.N. 256 In der Sache zutreffend erkannt durch BGHZ 135, 140, 151; 153, 173, 176; wie hier Roth in FS Schumann, 355, 360 f.; vgl. auch Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 133 unter d); Becker-Eberhard in MüKo, ZPO, Vor §§ 253 ff. ZPO Rn. 40; dies erkennen teilweise auch Vertreter der Spaltungstheorie, wenngleich sie daraus nicht die Konsequenz ziehen, dass ihre Theorie nicht mit dem prozessualen Streitgegenstandsbegriff vereinbar ist; vgl. hierzu etwa Spickhoff, ZZP 109 (1996), 494, 506. 257 RGZ 27, 385, 385 ff. (vereinigte Senate). 252
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Rahmen der internationalen Zuständigkeit anschließt258, anders, da damals noch der materiell-rechtliche Streitgegenstandsbegriff galt.259 Nach diesem war der jeweils geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch für den prozessualen Streitgegenstand maßgeblich. Bei Klagen aus konkurrierenden vertraglichen und deliktischen Ansprüchen bestanden demnach zwei voneinander getrennte prozessuale Streitgegenstände. Es handelte sich um einen Fall der Klagehäufung. In der Folge musste das RG keinen dogmatischen Bruch zur Begründung der Spaltungstheorie in Kauf nehmen, da die Beschäftigung zweier Gerichte mit dem selben Lebenssachverhalt keine Zerreißung eines einheitlichen prozessualen Streitgegenstandes nach sich zog. Hierdurch kann der heute, jedenfalls im Bereich der internationalen Zuständigkeit auftretende, prozessdogmatische Bruch zwar historisch erklärt werden, gerechtfertigt ist er damit jedoch nicht. cc) Argumente aus § 17 Abs. 2 S. 1 GVG Die Annahme einer örtlichen Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs wird vom BGH und der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht so sehr mit dem Streitgegenstandsbegriff begründet, sondern überwiegend auf eine Analogie zu § 17 Abs. 2 S. 1 GVG gestützt.260 Mit dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, „dass das Interesse an einer möglichst schnellen und einfachen Beilegung des Rechtsstreits höher zu bewerten ist, als das Anliegen, das Bestehen von Rechten stets von demjenigen Gericht beantworten zu lassen, das zu der jeweiligen Rechtsmaterie die engsten Beziehungen hat“.261 Eine vergleichbare Interessenkollision zwischen Prozessökonomie und gleichwertigen Parteiinteressen bestehe auch hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit, so dass auch diese im Sinne der Prozessökonomie aufzulösen sei.262 Folge dieser Argumentation ist die Konzentration der Auseinandersetzung bei nur einem örtlichen Gericht.
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BGH, NJW 1974, 410, 411; Patzina in MüKo, ZPO, § 12 Rn. 42. Deshalb ist die Verneinung des RG der im Leitsatz gestellten Frage „Wird, wenn eine Klage aus einer unerlaubten Handlung in dem Gerichtsstand des § 32 CPO erhoben wird, das angerufene Gericht dadurch zuständig, auch über einen eventuell beigefügten anderen Klagegrund (Vertrag oder Quasikontrakt) zu entscheiden?“ heute eigentlich nur noch von historischem Interesse; vgl. dazu Roth in FS Schumann, 355, 359; insgesamt zur historischen Entwicklung des Streitgegenstandsbegriffs Roth in Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253 ZPO Rn. 6 ff; Lenze, Von der actio zum Streitgegenstand, passim; Hesselberger, Lehre vom Streitgegenstand, passim. 260 BGHZ 153, 173, 178; Kiethe NJW 2003, 1294, 1294 f.; Vollkommer in FS Deutsch 70, 385, 386 f.; ders., in Zöllner, ZPO, § 32 Rn. 20 m.w.N 261 BGHZ 153, 173, 178. 262 BGHZ 153, 173, 178; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 1 Rn. 10; Vollkommer in FS Deutsch 70, 385, 386 f. 259
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In der Literatur wird seit Erlass des § 17 Abs. 2 S. 1 GVG darüber gestritten, ob das darin für die Gerichtsbarkeit enthaltene Rechtsprinzip auf das Verhältnis der verschiedenen Gerichtsstände in analoger Anwendung übertragen werden kann.263 Unabhängig von der Entscheidung dieses Streits kann aus der Regelung des § 17 Abs. 2 S. 1 GVG jedenfalls die Wertung entnommen werden, dass der Gesetzgeber die Prozessökonomie gegenüber den Parteiinteressen immer stärker betont. Jedenfalls insoweit spricht auch § 17 Abs. 2 S. 1 GVG für die Annahme einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs, wenngleich nicht er, sondern der prozessuale Streitgegenstand ausschlaggebend ist. dd) Besonderheiten bei internationalen Rechtsstreitigkeiten Bei internationalen Rechtsstreitigkeiten werden die soeben genannten Probleme der Spaltungstheorie um weitere Schwierigkeiten ergänzt. So kann es sein, dass der Kläger seine Ansprüche aufgrund unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen vor Gerichten in unterschiedlichen Staaten geltend machen muss, wenn er nicht auf den allgemeinen Gerichtsstand zurückgreifen will. Offen zu Tage tritt dieses Problem im Rahmen der Telemedizin, da grundsätzlich weder der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) noch der allgemeine Gerichtsstand des Telemediziners in dem gleichen Staat eröffnet sind, wie derjenige der unerlaubten Handlung. Da das internationale Privatrecht weitestgehend nur innerhalb der Europäischen Union aufeinander abgestimmt ist und das international zuständige Gericht regelmäßig nach dem Kollisionsrecht seiner lex fori bestimmt, welches Recht auf den jeweils nach der lex fori qualifizierten Anspruch zu Anwendung berufen wird, kann es folglich sein, dass auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt unterschiedliche Rechtsordnungen zur Anwendung gelangen – die Wahrscheinlichkeit widersprüchlicher Entscheidungen wird erhöht.264 Dies widerspricht jedoch dem allgemein anerkannten Interesse an einheitlichen und widerspruchsfreien Entscheidungen. c) Stellungnahme Die soeben angestellten Überlegungen zeigen allesamt, dass es wünschenswert ist, dass ein aufgrund des Kompetenztatbestands des § 32 ZPO
263 Bejahend: Kiethe NJW 2003, 1294, 1294 f.; Vollkommer in FS Deutsch 70, 385, 386 f.; ders., in Zöllner, ZPO, § 32 Rn. 20 m.w.N; verneinend: Jauernig, ZPR, § 12 II; Schwab, Grundzüge ZPR, Rn. 117; Patzina in MüKo, ZPO, § 12 Rn. 50. 264 Banniza von Bazan, Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, S. 142; Ost, Doppelrelevante Tatsachen, S. 94.
§ 2 Einzelne Gerichtsstände
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international und örtlich zuständiges Gericht auch über solche Ansprüche entscheiden darf, die in der jeweils zur Anwendung berufenen Sachrechtsordnung mit dem klageweise geltend gemachten Anspruch aus unerlaubter Handlung konkurrieren. Dieses Ergebnis kann die bislang herrschende Auffassung, welche den Sammelbegriff der „unerlaubten Handlung“ (§ 32 ZPO) anhand der Systembegriffe des BGB auslegt, sodass Ansprüche, die im deutschen Sachrecht aus einem Vertrag resultieren nicht im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eingeklagt werden können, aber nur dadurch erreichen, dass sie eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs konstruiert. Nur so kann die eigentlich fehlende Kognitionsbefugnis des Gerichts am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auf vertragliche Ansprüche erweitert werden. Anders stellt sich die Situation hingegen dar, wenn man die Sammelbegriffe „unerlaubte Handlung“ (§ 32 ZPO) und „Vertrag“ (§ 29 ZPO), wie hier vorgeschlagen, funktional versteht und dem § 32 ZPO daher alle Schadensersatzansprüche zuordnet, die unabhängig von irgendeiner parteiautonom getroffenen Abrede zwischen Täter und Opfer bestehen, selbst wenn sie in der jeweils zur Anwendung berufenen Sachrechtsordnung zusätzlich auch aus Vertrag (etwa § 280 Abs. 1 BGB) bestehen.265 Bei einer derartigen Qualifikation auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts resultiert aus einer Anspruchsgrundlagenkonkurrenz auf der Ebene der anzuwendenden Sachrechtsordnung keine Gerichtsstandkonkurrenz auf der Ebene des Zuständigkeitsrechts. Vielmehr können derartigen Anspruchsgrundlagenkonkurrenzen dahingehend aufgelöst werden, dass alle konkurrierenden Anspruchsgrundlagen entweder dem Vertrags- oder dem Deliktsgerichtsstand zugeordnet werden. Die Folge ist, dass das Gericht am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, sobald dieser Gerichtsstand eröffnet ist, nicht nur über die deliktischen, sondern auch über die konkurrierenden vertraglichen Ansprüche entscheiden darf. Einer Erweiterung der Kognitionsbefugnis des Gerichts am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bedarf es zur Erreichung dieses Ergebnisses nicht. Vielmehr kann man es bei der eigentlich bestehenden Arbeitsweise der ZPO belassen. Das Gericht am Deliktsgerichtsstand besitzt weiterhin nur eine Kognitionsbefugnis für solche Ansprüche, die als „unerlaubte Handlung“ im Sinne des § 32 ZPO zu qualifizieren sind. Gleiches gilt für das Gericht am Vertragsgerichtsstand. Dieses ist nur für diejenigen Ansprüche zuständig, die aus einem „Vertragsverhältnis“ im Sinne des § 29 ZPO resultieren. Nur die hier vertretene Auffassung vermag folglich zu erklären, warum das Gericht am Vertragsgerichtsstand und das Gericht am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auch über die im zur Anwendung berufenen Sachrecht unter Umständen 265
Vgl. dazu oben Kapitel 4, § 2, C.
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Kapitel 5: Internationale Zuständigkeit bei Telemedizinanwendungen
jeweils konkurrierenden Schadensersatzansprüche entscheiden darf, obwohl die ZPO die Kognitionsbefugnis des Gerichts an diesen beiden Gerichtsständen eigentlich auf bestimmte Anspruchsarten, nämlich einmal auf „Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis“ (§ 29 ZPO) und einmal für „Klagen aus unerlaubter Handlung“ (§ 32 ZPO), beschränkt.266 Die hier vertretene Auffassung steht zu diesen gesetzlichen Vorgaben nicht im Widerspruch: Nach ihr ist eben nur denkbar, dass der Begriff der „unerlaubten Handlung“ (§ 32 ZPO) auch solche Anspruchsgrundlagen erfasst, die in der jeweils zur Anwendung berufenen Sachrechtsordnung als vertraglich eingeordnet werden, sofern die Funktion der jeweiligen Anspruchsgrundlage darin besteht, den Geschädigten, unabhängig von einer parteiautonomen Vereinbarung zwischen Täter und Opfer, aufgrund autoritären staatlichen Rechts zu schützen. Entsprechendes gilt für den Begriff des „Vertragsverhältnisses“ (§ 29 ZPO). Von ihm werden alle Ansprüche erfasst, die eine parteiautonome Vereinbarung zwischen den Parteien zur Voraussetzung haben. Ansprüche die nur dann bestehen können, wenn zwischen den Parteien eine freiwillig eingegangene Verpflichtung besteht, sind als dem § 29 ZPO zugehörig zu qualifizieren, auch wenn sie in der zur Anwendung berufenen Sachrechtsordnung als deliktisch angesehen werden.267 Anders stellt sich die Situation hingegen dar, wenn man die Sammelbegriffe der „unerlaubten Handlung“ und des „Vertragsverhältnisses“ nach Maßgabe der materiellen lex fori versteht. Dann stellt sich nämlich die Frage, warum das nach Maßgabe des § 32 ZPO oder § 29 ZPO zuständige Gericht auch über Ansprüche aus einem Vertragsverhältnis oder aus unerlaubter Handlung entscheiden können soll, obwohl die gesetzlichen Vorgaben gerade gegen eine solche Erweiterung der Kognitionsbefugnis sprechen. Zusammenfassend erscheint die hier vertretene funktionale Qualifikation der Sammelbegriffe der ZPO daher vorzugswürdig. Sie bewegt sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und kann ohne größere Schwierigkeiten erklären, warum das nach Maßgabe des § 32 ZPO oder § 29 ZPO zuständige Gericht auch über die im zur Anwendung berufenen Sachrecht jeweils konkurrierenden vertraglichen oder deliktischen Ansprüche entscheiden darf. Es bedarf keiner Konstruktion einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs, die im Ergebnis zwar wünschenswert ist, in ihrer dogmatischen Begründung aber auf tönernen Füßen steht.
266 Vgl. dazu Schumann in Stein/Jonas, ZPO, 21. Auflage, § 32 ZPO Rn. 17; BeckerEberhard in MüKo, ZPO, Vor §§ 253 ff. ZPO Rn. 40. 267 Vgl. zu dem Gesagten ausführlich oben Kapitel 4, § 2, C, I, insb. I, 3.
§ 2 Einzelne Gerichtsstände
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VII. Zusammenfassung der Ergebnisse zur internationalen Zuständigkeit Im Rahmen der grenzüberschreitenden Telemedizin sind eine Vielzahl von internationalen Gerichtständen denkbar. Sowohl der Patient als auch der Telemediziner haben die Möglichkeit, den jeweils anderen am allgemeinen Gerichtsstand am Beklagtenwohnsitz zu verklagen. An diesem Gerichtsstand können Ansprüche aus allen denkbaren Anspruchsgründen heraus geltend gemacht werden. Darüber hinaus haben sowohl der Patient als auch der Telemediziner unter bestimmten Umständen die Möglichkeit an bestimmten besonderen Gerichtsständen ihre Ansprüche klageweise geltend zu machen. 1. Im Anwendungsbereich der EuGVO Im Anwendungsbereich der EuGVO hat der Telemediziner grundsätzlich nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO die Möglichkeit am Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung, also dem Ort an dem der Telemediziner seine Leistung vorgenommen hat, seine Vergütungsansprüche gegen den Patienten klageweise geltend zu machen. Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht, sofern die besonderen Voraussetzungen des prozessualen Verbraucherschutzes nach Art. 15 EuGVO vorliegen, da der Patient dann ausschließlich an seinem Wohnsitz verklagt werden kann. Der Patient hat die Möglichkeit, den Telemediziner im Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO – aus seiner Sicht also im Ausland – hinsichtlich vertraglicher Ansprüche zu verklagen. Aufgrund der ausschließlichen Qualifikation von Schadensersatzansprüchen wegen Körper- oder Gesundheitsverletzung als unerlaubte Handlung, kann er diese freilich nicht in diesem Gerichtsstand geltend machen. Derartige Ansprüche sind vielmehr im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO gerichtlich geltend zu machen. Begeht ein ausländischer Telemediziner vom mitgliedstaatlichen Ausland aus gegenüber einem Patienten eine unerlaubte Handlung und tritt der Erfolg dieser Handlung in Deutschland ein, hat der Patient also die Möglichkeit in Deutschland, genauer am Gericht in dessen Gerichtsbezirk der tatbestandliche Erfolg der unerlaubten Handlung eingetreten ist, gegen den Telemediziner gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVO aus unerlaubter Handlung gerichtlich vorzugehen. Liegen die besonderen Voraussetzungen des Art. 15 EuGVO vor, hat der Verbraucherpatient aufgrund der Regelung des Art. 16 Abs. 1 EuGVO ferner die Möglichkeit, sämtliche Klagen gegen den Telemediziner vor dem Gericht des Staates zu erheben, in dem er seinen Wohnsitz hat.
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2. Im Anwendungsbereich der ZPO Im Anwendungsbereich der ZPO hat der Telemediziner nach § 29 ZPO die Möglichkeit, am Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung und somit am Wohnsitz des Patienten seine Vergütungsansprüche gegen den Patienten klageweise geltend zu machen. Der Patient hat nach § 32 ZPO die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche aus Verletzung seiner körperlichen und gesundheitlichen Integrität sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort dieser Handlung geltend zu machen. Der Erfolgsort liegt dabei in dem Gerichtsbezirk, in dem sich der Patient im Zeitpunkt der Behandlung befunden hat, sofern der Gesundheitsschaden sofort eingetreten ist. Aufgrund der aus § 32 ZPO resultierenden internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit hat der Patient daher häufig die Möglichkeit, in seinem Heimatstaat Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gegen den ausländischen Telemediziner geltend zu machen. Das hierfür zuständige Gericht besitzt aufgrund eines funktionalen Verständnisses des Sammelbegriffs der „unerlaubten Handlung“ (§ 32 ZPO) auch eine internationale Kognitionsbefugnis hinsichtlich konkurrierender vertraglicher Ansprüche des Patienten gegen den Telemediziner. Im Anwendungsbereich der ZPO besteht darüber hinaus sowohl für den Telemediziner als auch für den Patienten die Möglichkeit, Klage im sogenannten Vermögensgerichtsstand zu erheben, sofern die Voraussetzungen des § 23 ZPO erfüllt sind.
Kapitel 6
Abschließende Betrachtung Abschließende Betrachtung
§ 1 Wesentliche Ergebnisse § 1 Wesentliche Ergebnisse
Die Untersuchung hat ergeben, dass telemedizinische Anwendungen die Rechtswissenschaft auf einer Vielzahl von Gebieten vor neue Herausforderungen stellt. Gerade auf dem Gebiet des neuen europäischen Kollisionsrechts, aber auch im Bereich des internationalen Zuständigkeitsrechts stellen sich bei grenzüberschreitenden Telemedizinanwendungen eine Vielzahl von bislang nur wenig untersuchten Fragen. Die Untersuchung gelangte zu folgenden Ergebnissen: I. Der grenzüberschreitend tätige Telemediziner hat die Berufserlaubnispflichten des Zielstaates einzuhalten, da nur so der medizinische Standard im Zielstaat geschützt werden kann.1 II. Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer Übermittlung von personenbezogenen Patientendaten an einen ausländischen Telemediziner durch einen deutschen Primärarzt hängt davon ab, in welchem Staat sich der Telemediziner befindet: Innerhalb der EU und des EWR ist eine Übermittlung zulässig, wenn der Patient in diese eingewilligt hat. Die Einwilligung ist dabei formfrei möglich und kann konkludent erfolgen. Weiß der Patient, dass ein ausländischer Telemediziner an seiner Heilbehandlung partizipiert, ist von einer konkludenten Einwilligung des Patienten auszugehen.2 Erfolgt die Datenübermittlung hingegen in einen Drittstaat, ist diese regelmäßig nur aufgrund einer schriftlichen, ausdrücklichen Einwilligung des Patienten in den Übermittlungsvorgang der konkreten Gesundheitsdaten zulässig. Bei Datenübermittlungen eines Primärarztes an einen Telemediziner in einen Drittstaat ist somit erforderlich, dass der Primärarzt dem Patienten mitteilt, welche Gesundheitsinformationen in concreto an welchen Telemediziner – unter Nennung von dessen Name und Anschrift – übermittelt werden und dass der Patient in exakt diesen Übermittlungsvorgang schriftlich einwilligt.3 1
Vgl. oben Kapitel 4, § 5. Vgl. zum Gesagten oben Kapitel 2, § 4, C, III, 1. 3 Vgl. zum Gesagten oben Kapitel 2, § 4, C, III, 2. 2
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Kapitel 6: Abschließende Betrachtung
III. Die unberechtigte Weitergabe von Gesundheitsdaten des Patienten kann diesen unter Umständen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen. Aus dieser Verletzung können ihm Schadensersatzansprüche erwachsen.4 Ob dies der Fall ist, beurteilt sich grundsätzlich nach der Rechtsordnung des Staates, in dem der datenübermittelnde Primärarzt oder Telemediziner gehandelt hat. Allerdings hat der Patient die Möglichkeit, durch Ausübung seines Bestimmungsrechts (Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB) dafür zu sorgen, dass auf derartige Ansprüche das Sachrecht an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort zur Anwendung gelangt.5 IV. Die Haftung des Telearztes wegen Verletzung der körperlichen oder gesundheitlichen Integrität des Patienten ist aufgrund einer EU-autonomen Qualifikation ausschließlich als deliktisch zu qualifizieren und folglich nach den kollisionsrechtlichen Regelungen der Rom II-Verordnung, genauer deren Art. 4, zu beurteilen.6 Die im Rahmen des deutschen Arzthaftungsrechts vorgefundene Anspruchskonkurrenzsituation von vertraglichen und deliktischen Haftungsansprüchen führt auf der Ebene des Kollisionsrechts grundsätzlich nicht zu einer Konkurrenz von Vertrags- und Deliktsstatut, die im Wege einer akzessorischen Anknüpfung wieder beseitigt werden müsste. V. Hierdurch hat die Untersuchung zugleich gezeigt, dass den kollisionsrechtlichen Regelungen der Rom I-Verordnung im Rahmen grenzüberschreitender Telemedizinanwendungen eine weitaus geringere Rolle zukommt als bisher unter dem Regime des EGBGB angenommen wurde. Die Kollisionsregeln der Rom I-Verordnung besitzen grundsätzlich nur die Aufgabe darüber zu entscheiden, welche Sachrechtsordnung für die vertraglich geschuldete Vergütung des Telemediziners und die Haftung des Telemediziners wegen Nichtbehandlung zur Anwendung gelangt.7 Nach ihnen wird regelmäßig das Sachrecht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Telemediziners zur Anwendung berufen.8 VI. Ein nach Deutschland hinein agierender Telemediziner muss die besonderen Vergütungsvorschriften der GOÄ regelmäßig nicht einhalten, da diese nur dann zur Anwendung berufen werden, wenn das Vertragsstatut des Telemedizinvertrags deutsches Recht ist. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, soweit die kollisionsrechtlichen Verbraucher-
4
Vgl. Vgl. 6 Vgl. 7 Vgl. 8 Vgl. 5
oben Kapitel 3, § 3, E. zum Gesagten oben Kapitel 4, § 4, B. oben Kapitel 4, § 2, C. oben Kapitel 4, § 2, D und E. oben Kapitel 4, § 3.
§ 1 Wesentliche Ergebnisse
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schutznormen die Gebührenvorschriften der GOÄ ausnahmsweise zur Anwendung berufen.9 VII. Alle Punkte, die sich darauf beziehen, ob der Primärarzt den Patienten gegenüber dem Telemediziner infolge einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsbefugnis verpflichten kann, beurteilen sich nach der Sachrechtsordnung des Staates, in dem die Erklärung des Primärarztes dem Telemediziner zugeht beziehungsweise von diesem zur Kenntnis genommen wird. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise dann, wenn der ausländische Telemediziner trotz des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel erkannt hat oder hätte erkennen müssen, dass der Abgabeort der Willenserklärung des Primärarztes im Ausland lag.10 VIII. Wettbewerbshandlungen des ausländischen Telemediziners nach Deutschland hinein unterliegen den deutschen Vorschriften des deutschen Wettbewerbsrechts.11 Der ausländische Telemediziner handelt jedoch nicht bereits dann unlauter, wenn er den durch die Gebührenregelungen der GOÄ gesteckten Gebührenrahmen unterschreitet, sondern erst dann, wenn er seine Leistungen dauerhaft zu Preisen unterhalb seiner eigenen Selbstkosten erbringt.12 IX. Die Frage, ob der ausländische Telemediziner von seinem Patienten unabhängig von einem Vertrag eine Vergütung nach den Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag verlangen kann, wird grundsätzlich nach der Sachrechtsordnung des Handlungsortes der telemedizinischen, auftragslosen Leistung beurteilt. Handlungsort ist dabei der Ort, an dem der Telemediziner seinen Behandlungsbeitrag vorgenommen hat, nicht hingegen der Ort, an dem der Erfolg dieses Beitrags eingetreten ist.13 X. Sowohl der Patient als auch der Telemediziner haben die Möglichkeit den jeweils anderen an dessen allgemeinen Gerichtsstand zu verklagen.14 Darüber hinaus haben beide, unter bestimmten Voraussetzungen, die Möglichkeit, ihre Ansprüche in ihrem jeweiligen Heimatstaat gerichtlich geltend zu machen: 1. Im Anwendungsbereich der EuGVO resultiert diese Möglichkeit für den Telemediziner aus Art. 5 Nr. 1 EuGVO, sofern er seine vertragliche Leistung aus seinem Heimatstaat heraus erbracht hat.15 Dieser besondere
9
Vgl. zum Gesagten oben Kapitel 4, § 3, D. Vgl. zum Gesagten oben Kapitel 4, § 7. 11 Vgl. oben Kapitel 4, § 6. 12 Vgl. oben Kapitel 3, § 2, A, I, 2. 13 Vgl. zum Gesagten oben Kapitel 4, § 8. 14 Vgl. oben Kapitel 5, § 2, A. 15 Vgl. oben Kapitel 5, § 2, B, I, 1, a), aa) und 1, b). 10
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Kapitel 6: Abschließende Betrachtung
Gerichtsstand kann jedoch aufgrund besonderer Vorgaben des prozessualen Verbraucherschutzes ausgeschlossen sein.16 Begeht ein ausländischer Telemediziner vom mitgliedstaatlichen Ausland aus gegenüber einem Patienten eine unerlaubte Handlung, indem er den Patienten durch eine Fehlbehandlung in seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität schädigt und tritt der Erfolg dieser Handlung in Deutschland ein, hat der Patient die Möglichkeit, in Deutschland, genauer am Gericht in dessen Gerichtsbezirk der tatbestandliche Erfolg der unerlaubten Handlung eingetreten ist, gegen den Telemediziner gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVO aus unerlaubter Handlung gerichtlich vorzugehen.17 2. Auch im Anwendungsbereich der ZPO hat der Telemediziner die Möglichkeit seine Vergütungsansprüche in seinem Heimatstaat geltend zu machen. § 29 ZPO eröffnet die Möglichkeit, am Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung die Vergütungsansprüche gegen diesen klageweise geltend zu machen.18 Der Erfüllungsort ist wie im Bereich der EuGVO einheitlich dort zu lokalisieren wo der Telemediziner gehandelt hat. Dies gilt unabhängig davon, welche Sachrechtsordnung zur Lokalisierung des Erfüllungsortes zur Anwendung berufen ist.19 Der Patient hat nach § 32 ZPO die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung seiner körperlichen und gesundheitlichen Integrität sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort der schädigenden Handlung geltend zu machen. Der Erfolgsort liegt dabei in dem Gerichtsbezirk, in dem sich der Patient im Zeitpunkt der Behandlung befunden hat, sofern der Gesundheitsschaden sofort eingetreten ist. In der Folge kann ein deutscher Patient, der durch eine Fehlbehandlung eines ausländischen Telemediziners in seiner körperlichen oder gesundheitlichen Integrität geschädigt wurde, die aus dieser Schädigung resultierenden Schadensersatzansprüche vor deutschen Gerichten einklagen.20 Das nach § 32 ZPO zuständige Gericht ist aufgrund einer autonom-funktionalen Qualifikation dieser Haftung des Telemediziners auch hinsichtlich konkurrierender vertraglicher Schadensersatzansprüche des Patienten international kognitionsbefugt. Einer dogmatisch zweifelhaften Konstruktion einer Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs bedarf es nicht.21
16
Vgl. zum zuständigkeitsrechtlichen Verbraucherschutz oben Kapitel 5, § 2, B, III. Vgl. oben Kapitel 5, § 2, B, I, 1, a), bb) und II.1. 18 Vgl. oben Kapitel 5, § 2, B, I, 2. 19 Vgl. oben Kapitel 5, § 2, B, I, 2, b). 20 Vgl. zum Gesagten oben Kapitel 5, § 2, B, I, 2, a) und II, 2 21 Vgl. oben Kapitel 5, § 2, B, VI. 17
§ 2 Neue Herausforderungen
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§ 2 Neue Herausforderungen § 2 Neue Herausforderungen
Aufgrund der nunmehr erforderlichen EU-autonomen Qualifikation wird ein Teil der deutschen Rechtsinstitute nunmehr anderen Statuten zuzuordnen sein, als dies bisher unter dem Regime des EGBGB der Fall war. Das deutsche Zivilrecht kennt eine Vielzahl von „vertraglichen“ Ansprüchen, die bei genauem Hinsehen in der Grauzone zwischen Vertrag und Delikt anzusiedeln sind. Zu denken ist dabei etwa an die Haftung aus culpa in contrahendo, die Haftung wegen Verletzung vertraglicher Schutzpflichten, Teile der positiven Vertragsverletzung und die Haftung aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Derartige vertragliche Ansprüche werden im deutschen Sachrecht gerne konstruiert, um „Defizite“ des Deliktsrechts auszugleichen. Aus der Einordnung dieser Rechtsinstitute in den vertraglichen Bereich auf der Ebene des Sachrechts kann jedoch nicht ohne genauere Prüfung geschlossen werden, dass diese auch auf der Ebene des EU-Kollisionsrechts als vertraglich zu qualifizieren sind. Dies galt freilich auch schon für das autonome internationale Privatrecht, wurde dort aber häufig übersehen. Nunmehr ist durch eine genaue Analyse der betroffenen beziehungsweise verletzten Interessen zu prüfen, ob diese nicht vielmehr als deliktisch zu qualifizieren sind und daher Art. 4 Rom II unterliegen. Dass man bei dieser vorzunehmenden Analyse zu anderen Ergebnissen gelangt, als sie bisher im EGBGB erzielt wurden, erscheint – wie die hier vorgenommene Qualifikation der Arzthaftung wegen Verletzung der körperlichen und gesundheitlichen Integrität des Patienten als ausschließlich deliktisch zeigt – keinesfalls ausgeschlossen. Jedenfalls dürfen „alte“ Qualifikationsergebnisse, die überwiegend aus einer Qualifikation nach der lex fori resultieren, nicht unreflektiert in die neuen EU-Kollisionsnormen transponiert werden, da diese andernfalls, entgegen der eigentlichen Intention, nicht einheitlich angewendet würden. In der Folge würde die erstrebte Rechtsvereinheitlichung gerade nicht erreicht. Vielmehr würde, ungeachtet der Streitigkeiten, die im Anschluss an den an erster Stelle stehenden Qualifikationsvorgang existieren, ein und derselbe Lebenssachverhalt bereits aufgrund einer uneinheitlichen Qualifikation nicht mehr oder jedenfalls nur über unsichere Umwege – wie der Nutzung von Ausweichklauseln, die naturgemäß mit zahlreichen Unsicherheiten verbunden sind – demselben Sachrecht unterstellt.
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Verzeichnis der Fest- und Gedächtnisschriften FS Ansay FS ARGE Medizinrecht
FS Bosch
FS Coing
FS Deutscher Juristentag
FS Deutsch 70
FS Deutsch 80
Festschrift für Tuğrul Ansay zum 75. Geburtstag, hrsg. von Sibih Arkan und Aynur Yongalik, 2006, Alphen aan de Rijn Festschrift 10 Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein, hrsg. von Bernd Luxenburger, Rainer Beeretz, Franz-Josef Dahm, Paul Harneit, Rudolf Ratzel, Rita Schulz-Hillenbrand und Christoph Stegers, 2008, Bonn Festschrift für Friedrich Wilhelm Bosch zum 65. Geburtstag 2. Dezember 1976, hrsg. Von Walther J. Habscheid, Hans Friedhelm Gaul und Paul Mikat, 1976, Bielefeld Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart – Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag, Band II, hrsg. von Norbert Hörn in Verbindung mit Klaus Luig und Alfred Sollner, 1982, München Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860– 1960, Band II, hrsg. von Ernst von Caemmerer, Ernst Friesenhahn und Richard Lange, 1960, Karlsruhe Festschrift für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag, hrsg. von Hans-Jürgen Ahrens, Christian von Bar, Gerfried Fischer, Andreas Spickhoff und Jochen Taupitz, 1999, Köln, Berlin, Bonn, München Medizin und Haftung – Festschrift für Erwin Deutsch zum 80. Geburtstag, hrsg. von Hans-Jürgen Ahrens, Christian von Bar, Gerfried Fischer, Andreas Spickhoff und Jochen Taupitz, 2009, Heidelberg
Literaturverzeichnis FS Droz
GS Ehrenzweig FS Ferid
FS Fikentscher
FS Geiß
FS Georgiades
FS Großfeld FS Hartmann
FS Hay
FS Heinrichs
FS Heldrich
FS von Hippel FS Hirsch
FS Ishikawa
FS Jayme
535
E pluribus unum – Liber amicorum Georges A.L. Droz, hrsg. von Rodríguez Alegría Borrás, Andreas Bucher, Teun Struycken und Michel Verwilghen, 1996, The Hague/Boston/London Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, hrsg. von Erik Jayme und Gerhard Kegel, 1976, Karlsruhe, Heidelberg Konflikt und Ordnung – Festschrift für Murad Ferid zum 70. Geburtstag, hrsg. von Andreas Heldrich, Dieter Heinrich und Hans Jürgen Sonnenberger, 1978, München Festschrift für Wolfgang Fikentscher zum 70. Geburtstag, hrsg. von Bernhard Großfeld, Rolf Sack, Thomas M.J. Möllers, Josef Drexl und Andreas Heinemann, 1998, Tübingen Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag, hrsg. von Hans Erich Brandner, Horst Hagen und Rolf Stürner, 2000, Köln u.a. Festschrift für Apostolos Georgiades zum 70. Geburtstag, hrsg. von Michael Stathopoulos, Kostas Beys, Phillipos Doris und Ioannis Karakostas, 2006, München, Athen, Bern Festschrift für Bernhard Großfeld zum 65. Geburtstag, hrsg. von Ulrich Hübner und Werner F. Ebke, 1999, Heidelberg Wettbewerbsordnung im Spannungsfeld von Wirtschaftsund Rechtswissenschaft – Festschrift für Gunther Hartmann, hrsg. vom Forschungsinstitut für Wirtschafsverfassung und Wettbewerb e.V., 1976, Köln, Berlin, Bonn, München Balancing of Interests – Liber Amicorum Peter Hay zum 70. Geburtstag, hrsg. von Hans-Eric Rasmussen-Bonne, Richard Freer, Wolfgang Lüke und Wolfgang Weitnauer, 2005, Frankfurt a.M. Recht im Spannungsfeld von Theorie und Praxis – Festschrift für Helmut Heinrichs zum 70. Geburtstag, hrsg. von Andreas Heldrich, Peter Schlechtriem und Eike Schmidt, 1998, München Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, hrsg. von Stephan Lorenz, Alexander Trunk, Horst Eidenmüller, Christiane Wendehorst und Johannes Adolff, 2005, München Festschrift für Fritz von Hippel zum 70. Geburtstag, hrsg. von Josef Esser und Hans Thieme, 1967, Tübingen Festschrift für Günter Hirsch zum 65. Geburtstag, hrsg. von Gerda Müller, Eilert Osterloh und Torsten Stein, 2008, München Festschrift für Akira Ishikawa zum 70. Geburtstag am 27. November 2001, hrsg. von Gerhard Lücke, Takehiko Mikami und Hans Prütting, 2001, Berlin, New York Festschrift für Erik Jayme, Band I, hrsg. von Heinz- Peter Mansel, Thomas Pfeiffer, Herbert Kronke, Christian Kohler und Rainer Hausmann, 2004, München
536 FS Kegel
FS Kegel 75
FS Kern
FS Kissel
FS Kropholler
FS Larenz
FS Laufs
FS Lewald
FS Lindacher
FS Lorenz FS Lukes
FS Meier-Hayoz
FS Moser
FS Müller
FS Musielak
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Literaturverzeichnis FS Nagel
FS Németh FS Neumayer
FS Pleyer
FS Rauscher
FS Raue
FS Riesenfeld
FS Schewe
FS Schlechtriem FS Schmidt FS Schütze
FG Schweizer Juristentag
FS Stoll
FG Weitnauer
FS Weitnauer
FS Zeuner
537
Beiträge zum Internationalen Verfahrensrecht und zur Schiedsgerichtsbarkeit, Festschrift für Heinrich Nagel zum 75. Geburtstag, hrsg. von Walther J. Habscheid und Karl Heinz Schwab, 1987 Münster Magister artis boni et aequi – Studia in honorem Németh János, 2003, Budapest Festschrift für Karl H. Neumayer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Werner Barfuß, Bernard Dutoit, Hans Forkel, Ulrich Immenga, Ferenc Majoros, 1985, Baden-Baden Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, hrsg. von Paul Hofmann, Ulrich Meyer-Cording und Herbert Wiedemann, 1986, Köln, Berlin u.a. Liber Amicorum – Thomas Rauscher zum 50. Geburtstag, hrsg. von Guido Kosmehl uns Steffen Papst, 2005, LeipzigWeißenfels Festschrift für Peter Raue zum 65. Geburtstag, hrsg. von Rainer Jacobs, Hans-Jürgen Papier und Peter-Klaus Schuster, 2006, Köln, Berlin, u.a. Ius inter nationes – Festschrift für Stefan Riesenfeld aus Anlass seines 75. Geburtstages, hrsg. von Erik Jayme, Gerhard Kegel und Marcus Lutter, 1983, Heidelberg Medizinrecht – Psychopathologie – Rechtsmedizin – Festschrift für Günter Schewe, Hrsg. von Harald Schütz, HansJürgen Kaatsch und Holger Thomsen, 1991, Berlin, Heidelberg Festschrift für Peter Schlechtriem zum 70. Geburtstag, hrsg. von Ingeborg Schwenzer und Günter Hager, 2003, Tübingen Liber Amicorum Eike Schmidt zum 65. Geburtstag am 26.11.2004, hrsg. von Gert Brüggemeier, 2005, Heidelberg Wege zur Globalisierung des Rechts – Festschrift für Rolf A. Schütze zum 65. Geburtstag, hrsg. von Reinhold Geimer, 1999, München Festgabe zum Schweizerischen Juristentag, hrsg. von der juristischen Fakultät der Universität Basel, 1973, Basel, Stuttgart Festschrift für Hans Stoll zum 75. Geburtstag, hrsg. von Gerhard Hohloch, Rainer Frank, Peter Schlechtriem, 2001, Tübingen Privatautonomie, Eigentum und Verantwortung – Festgabe für Hermann Weitnauer zum 70. Geburtstag, hrsg. von Horst Ehmann, Wolfgang Hefermehl und Adolf Laufs, 1980, Berlin Einheit in der Vielfalt – Professor Dr. Hermann Weitnauer zum 75. Geburtstag, hrsg. durch das Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg, 1985, Heidelberg Festschrift für Albrecht Zeuner zum siebzigsten Geburtstag, hrsg von Karl August Bettermann, Manfred Löwisch, Hansjörg Otto und Karsten Schmidt, 1994, Tübingen
538 FS Zajtay
Literaturverzeichnis Festschrift für Imre Zajtay, hrsg. von Ronald H. Graveson, Karl Kreuzer, André Tunc, Konrad Zweigert, 1982, Tübingen
Sachregister Ärztliche Berufserlaubnis – im deutschen Sachrecht 13–24 – im französischen Sachrecht 23 – im US-amerikanischen Sachrecht 23 Ärztlichen Gebührenregelungen – kollisionsrechtliche Behandlung 267– 303 – Regelungen in der GOÄ 67–76 – im angloamerikanischen Rechtskreis 75–78 Ärztliche Schweigepflicht – aufgrund strafrechtlicher Vorgaben 34–40 – aufgrund spezieller Datenschutzbestimmungen 41–54 Allgemeines Persönlichkeitsrecht – Historische Entwicklung 85–88 – Statut des ~ 85–88 Anwendungsbereich – sachlicher ~ der EuGVO 435 f. – räumlich-persönlicher ~ der EuGVO 436 – internationaler ~ der Approbationsvorschriften 359–379 Approbationsstatut 359–379 Approbationsvorbehalt 13–24 Arzthaftung – deliktische Qualifikation der ~ 167– 194 – für Behandlungsfehler 79–81, 83 f. – für Aufklärungsfehler 81–84 – wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 84–91 – vertragliche 79–83 – deliktische 83–91 – in den USA 114–119 – in Großbritannien 119–121 – horizontale Arbeitsteilung 94 ff. – Einstandspflicht für Dritte 91–99 – Vertrauensgrundsatz 93–99
Auslegung der Systembegriffe der ZPO 487 f., 494–496 Ausweichklausel 246–265 Bündelungsmodell 137–139 Datenschutz 32–55 Datenübermittlung – innerhalb der EU 48–49 – an Stellen in Drittstaaten 49–54 Deliktsstatut – Rechtswahl 303–307 – objektive Anknüpfung 307–341 – Reichweite des ~ 341–345 Dienstleistungsfreiheit 374–379 Dienstvertrag 58, 67, 462 Dienst der Informationsgesellschaft 128 f. Doppelrelevante Tatsachen – Lehre von den ~ 475 f. – Argumente gegen die Lehre von den ~ 476–482 Doppelqualifikation 135–136, 141, 193 f. Due process-Klausel 225–226 Duty of care 114–116, 119–121 E-Commerce-Richtlinie 124–133 Eigenmächtige Heilbehandlung 84–91 Eingriffsnormen – Begriff, Funktion und Voraussetzungen von ~ 270–303 – Funktionsweise der ~ 280–285 Erfüllungsgehilfe 91–99 EuGVO – sachlicher Anwendungsbereich 435 f. – räumlich-persönlicher Anwendungsbereich 436 f. Fernbehandlungsverbot 25–32
540
Sachregister
Funktionaler Vergleich von Rom I und Rom II 155–162 Gebührenordnung für Ärzte 67–72, 73 f. Gerichtsstand – allgemeiner 437–440 – des Erfüllungsortes 441–464 – der unerlaubten Handlung 464 f. – in Verbrauchersachen 466–468 – des Vermögens 469–479 – Abgrenzung von Vertrags- und Deliktsgerichtsstand 441–445 Geschäftsführung ohne Auftrag – im Verhältnis zwischen Arzt und Patient 66 – Statut der ~ 414–433 – im Rechtskreis des common law 75– 78 Gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag 63 Grenzziehung zwischen Rom I und Rom II 142–166 Grenzziehung zwischen Vertrags- und Deliktsstatut 142–166 Grenzüberschreitende Datenübermittlung 48–54 Grenze zwischen Vertrag und Delikt im EU-Kollisionsrecht 142–166 Haftungsverteilung im Rahmen der Telemedizin 99–102 Haftung wegen Verletzung der Vertraulichkeit von Patientendaten 109–113 Heilkundebegriff 14–19 Herkunftslandprinzip der E-CommerceRichtlinie 124–134 Internationaler Anwendungsbereich der Approbationsvorschriften 359–379 Internationales Strafrecht 428 Kollisionrechtliche Behandlung der Approbationsvorschriften 359–379 Kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz – Anwendungsbereich des ~ 206–236 – Rechtsfolgen des ~ 237 f. Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen – Herkömmliche Begründung 475 f. – Ablehnung der ~ 476–482
Medical Malpractice – im US-amerikanischen Recht 114–119 – im englischen Recht 119–121 Negotiorum gestio vgl. Geschäftsführung ohne Auftrag Ökonomischer Vertragsbegriff 151 f. Patientenrichtlinie 298–302 Physician-patient relationship 116–118 Prinzip der ultima ratio 332–335 Prozessualer Streitgegenstandsbegriff 491–493 Purposeful availment 228–230 Qualifikation – Methode der ~ 135–142 – Grenzziehung zwischen Vertrags- und Deliktsstatut 142–166 – der Arzthaftung 142–200 – des Vergütungsanspruchs 200 – des Primärleistungsanspruchs 200 Räumlicher Anwendungsbereich der BÄO 22 Rechtswahl – ausdrückliche 201 – stillschweigende 201–202 – Grenzen der ~ 202–238 Renvoi 357–359 Sachzusammenhang als Zuständigkeitsgrund 484–494 Safe Harbor Privacy Principles 54 Statut der culpa in contrahendo 162–165 Telemedizin – Begriff 1 – Erscheinungsformen 8–11 – Haftungsfragen der ~ 78–121 – und Fernbehandlungsverbot 25–32 – Vorteile 1–4 Territorialgrundsatz 360 f. Totaler Krankenhausaufnahmevertrag 62 Totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag 63–64
Sachregister Unterlassene Hilfeleistung 75, 423, 425, 427–429 Vergütungsregelungen – im ambulanten Bereich 67–73 – im stationären Bereich 73–75 – im Bereich der Nothilfe 75–78 Verrichtungsgehilfe 91–99 Vertragsbeziehungen zwischen Arzt und Patient 57–66 Vertrag und Delikt 142–166 Vertragsstatut – subjektive Bestimmung 201–238 – objektive Bestimmung 238–266 – Reichweite des ~ 266 f.
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Vertragsakzessorische Anknüpfung 312–341 Vertretungs-/Vollmachtsstatut 384–414 Werkvertrag 171 f., 194 f. Wettbewerbsstatut 379–384 Zuständigkeit – internationale 434–498 – kraft Sachzusammenhangs 484–496 Zuständigkeitsrecht der USA 225–230