Kleine deutsche Sprachlehre [Reprint 2019 ed.] 9783111543826, 9783111175720


206 84 3MB

German Pages 58 [60] Year 1947

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Einleitung
Sprachgeschichte — Wortgeschichte
Das Wort
Das Hauptwort
Das Geschlechtswort
Das Eigenschaftswort
Das Fürwort
Das Zahlwort
Das Zeitwort
Das Umstandswort
Das Verhältniswort
Das Bindewort
Das Ausrufwort
Der Saß
Die Redeweise
Die Rechtschreibung
Die Zeichensetzung
Schlußwort
Inhalt
Recommend Papers

Kleine deutsche Sprachlehre [Reprint 2019 ed.]
 9783111543826, 9783111175720

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

KOELWEL I SPRACHLEHRE

KLEINE DEUTSCHE SPRACHLEHRE Von E D U A R D KOELWEL

B E R L I N 1947

VERLAG

WALTER

DE

GRUYTER

& CO.

vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung" — Georg "Reimer — Kafl J. Trübner — Veit & Comp.

Archiv Nr. 34 70 « Druck: Achilles u. Schwuler«, Berlin SW61, Tempelhofer Ufer 17

Zu dem Wenigen, das uns der unselige Krieg nicht geraubt hat, gehört unsre Muttersprache. Was uns bewegt, was uns verstimmt und müde macht und dann wieder mit Hoffnung erhebt und zu aufbauender Gestaltung treibt, vermögen wir immer noch mit dem deutschen Wort auszudrücken. Vielleicht empfinden wir jetzt deutlicher als je zuvor, daß die Sprache mehr ist als ein Verständigungsmittel f ü r den Alltag, daß sie Zuflucht aus vielem Leid, Brücke zu höherem Streben sein kann. Und weil sie solch wertvolle Möglichkeiten in sich birgt, wollen wir sie als ein kostbares Gut nicht gefährden und leichtsinnig verzetteln, sondern schätzen und pflegen. Daß unsere Ausdrucksweise während des Krieges und in den Jahren zuvor Schaden erlitten hat, manches Rohe aufnahm und mancher Oberflächlichkeit und Schluderei willig Einlaß gewährte, mag betrüblich sein, braucht uns aber nicht mit Sorge zu erfüllen, sobald wir nur den Willen zur Besserung haben und uns selbst einer guten Rede- und Schreibweise befleißigen. Es erscheint dabei wichtig, sich auch ein •wenig mit den Sprachgesetzen zu beschäftigen und über Ursprung und Bau von Wort und Satz zu sprechen. Eines der Merkmale der deutschen Sprache ist ihre Lebendigkeit. Daran mögen wir uns erinnern, wenn wir jetzt, da wir ihren Gesetzen nachgehen und Regeln nennen, uns so lebendig wie möglich mitzuteilen versuchen.

1*

Sprachgeschichte — Wortgeschichte Jedem, der nur ein wenig über die Sprache nachdenkt, wird sich die Frage aufdrängen: Woher kommt wohl die deutsche Sprache?, wie weit können wir sie zurückverfolgen, und wie haben die Formen gelautet, die uns überliefert sind? Eine eigentliche Schrift hatten unsre Ur-Urahnen, die Germanen, noch nicht. Alte Zeichen, in Stein gegraben — man kann sie die ältesten Runen nennen —, mochten den Weg andeuten. Aus germanischen Lehnwörtern in fremden Sprachen und den germanischen Eigennamen, denen wir in der römischen und griechischen Geschichte begegnen, mußte man sich, mühselig genug, ein Mosaik des Urgermanischen zusammensetzen. Nun werden Sie zunächst fragen: „Was sind Lehnwörter?" Das Wort sagt es: Wörter, die aus einer andern Sprache entlehnt wurden. Sie dürfen aber Lehnwort nicht mit Fremdwort verwechseln. Dieses zeigt noch deutlich die Formen der fremden Sprache, der es entnommen ist; das Lehnwort aber wirkt in Gestalt und Biegung wie ein deutsches Wort und ist im Laufe der langen Zeit, seit der es Heimatrecht in der deutschen Sprache genießt, auch zu einem deutschen Wort geworden. Fenestra = Fenster, murus = Mauer, tegula = Ziegel, camera = Gewölbe, Vorratskammer, cella = Keller, Zelle, porta = Pforte, calx = Kalk — die Wörter kommen aus dem Lateinischen. Die alten Lateiner, also die Römer, haben sie den Germanen gebracht; dies will besagen: sie haben ihnen die Sachen gebracht und mit den Sachen die nennenden Wörter. Und was folgern wir daraus? Die Römer haben die Germanen den Steinbau gelehrt. Vinum = Wein, vinitor = Winzer; auch den Weinbau haben wir von den Römern übernommen — und den Gartenbau: pirum = Birne, prunum = Pflaume, cerasus = Kirsche, persicum = Pfirsich, Cucurbita = Kürbis, lactuea = Lattich. Sie haben uns außerdem das Befestigungswesen gelehrt und den Straßenbau: strata = Straße, milia = Meile, palus = Pfahl, vallum = Wall, Verschanzung. Und die Wörter moneta = Münze, geprägtes Geld, pondo = Pfund, saccus = Sack, Geld , Getreidesack, corbis = Korb, was lassen sie erkennen? Die Begriffe des Handels wurden uns über die Alpen zugetragen. Und Händler brachten die Ware (acetum = Essig, piper = Pfeffer) auf Lasttieren: asinus = Esel, mulus = Maultier. 5

Aber wie uns fremde Völker Sache und Wort zuführten, so haben auch die Germanen andern Völkern die Dinge und mit den Dingen die Bezeichnungen gebracht, so z. B. den Finnen: Spange, Ring, Gold, also eine reichere Lebensführung, neben Sachen der Schiffahrt, der Viehzucht und der Bewaffnung. Die Finnen entlehnten von den Germanen auch das Wort R n n e. Runen spielten im Bereich der Zauberei eine große Rolle. So erhielt finnisch r u n o die Bedeutung von „Gedicht" und „Zauberlied". Runen! Bei unsern Ur-Urahnen wurden Zeichen in buchene Stäbe geschnitten. Die Priester streuten die Stäbe aus und lasen sie wieder auf. Aus der Reihenfolge weissagten sie den gläubigen Lauschern die Zukunft, deuteten das Schicksal, Gedeihen und Verderb von Stamm, Familie, Vieh. In diesen zwei Wörtern B u c h e n s t ä b e — a u f l e s e n erkennen Sie Form und Ursinn unsrer heutigen Wörter: B u c h s t a b e — lesen. Uraltes Wort ist Gedicht. Es gab ein Zeitwort g a I a n , das „singen" bedeutete und das uns in N a c h t i g a l l erhalten blieb. „Sängerin der Nacht", so hieß die Nachtigall in alter Zeit. Der „Freund", gotisch f r i j o n d s , ist „der Liebende", der „Feind", gotisch f i j a n d s , ist der „Hassende". Wörter haben ihre Geschichte wie Menschen. Der Diener wird zam Herrn, der Reiche wird arm. Der M a r s c h a l l war einmal ein Pferdeknecht. Das erste Wortglied weist auf das althochdeutsche m a r h a „Mähre, Pferd", das zweite auf das althochdeutsche e c a 1 c (h) „Knecht" hin. Der Pferdeknecht stieg über den „Aufseher des fürstliehen Gesindes auf Reisen und Heereszügen" steil empor zur Marschallwürde. Der S c h e l m schwang sich von der Bedeutung A a s , S e u c h e über T o d e s w ü r d i g e r , S c h i n d e r , A b d e c k e r und S c h a r f r i c h t e r aufwärts zum scherzhaften Menschen, der durch seine Possen erheitert. Andre Wörter mußten ein starkes Absinken erdulden: r u c h l o s bedeutete einst u n b e k ü m m e r t , s o r g l o s ; im Althochdeutschen hatte a l b e r n den Sinn von w a h r h a f t i g . Wörter starben; aber nichts, das jemals wurde, will ganz verlöschen. Ihr Kern lebt fort in Weiterbildungen: m a l m = S t a u b in „zermalmen"; m e i n = f a l s c h in „Meineid"; b o l t = k ü h n in „Raufbold", „Kobold"; d e o = K n e c h t in „Demut"; m u n t = S « h u t z in „Vormund". Wie anschaulich hielten sich aus unsrer Sprache verschwundene Wörter in den deutschen Familiennamen, die ein altes Gewerbe be6

zeichnen! So bedeuten P a g e n s t e c h e r = Roßschlächter (vom mittelhochdeutschen page = Pferd), B a r d e n k e w e r = W a f f e n s c h m i e d (der die Barten — Beile haut), H o d l e r = F u h r m a n n (Hödel = die Decke, die über den Wagen gespannt wurde), F e c h n e r = K ü r s c h n e r (von Feh-Pelzwerk), P f o t e n h a u e r = Z i m m e r m a n n (der Pfetten = Balken zuhaut). Aber sehen Sie nun: Ganz absichtslos bin ich von den Lehnwörtern über die Runen zu andern alten Wörtern und ihrer Formwandlung — und manchmal auch Sinnwandlung — hinübergeglitten. Und ich wollte doch zuerst über die Anfänge unsrer Muttersprache sprechen. Es ist ja so, daß Wörter mit ihren vielfältigen Formen und Deutungen zum Verweilen, zum Umspinnen und Weiterspinnen locken und verführen, und daß man bei ihnen wörtlich vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Doch nun will ich wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren. Aus Lehnwörtern — habe ich gesagt — aus deutschen Lehnwörtern in fremden Sprachen läßt sich das Bild der versunkenen germanischen Sprache, der Sprache unsrer Urväter, zum Teil rekonstruieren, d. h. in seiner ursprünglichen Gestalt wiederherstellen. Für dieses Urgermanische nun nehmen wir einen Zeitraum an, der sich von 2000 vor Christi Geburt bis in die ersten Jahrhunderte unsrer Zeitrechnung erstreckt. Aber erst vom vierten Jahrhundert an haben wir einen Sprachbeleg, die Bibelübersetzung des gotischen Bischofs Wulfila, von der uns wesentliche Teile erhalten blieben. „Atta unsar, thu in himinam, veihnai namo thein . . .", so beginnt das gotische Vaterunser. Wir vermögen daran Klang und Gestalt unsrer heutigen Wörter wiederzuerkennen. Doch feierlicher erscheinen sie uns, volltönender. Wir bewundern allein in dieser einen Zeile den Reichtum und die Mannigfaltigkeit der Vokale. Das Urgermanische teilt sich in die drei Hauptgruppen: das Ostgermanische (Gotisch), das Nordgermanische (Nordisch, Skandinavisch) und das Westgermanische (Urdeutsch). Die Völkerwanderung trug unsrer Sprache neues Fremdes zu und formte manches Alte um. Aber ich will bei den einzelnen Entwicklungsphasen nicht länger verweilen. Es mag uns hier zu wissen genügen, daß damals die romanischen Sprachen entstanden sind, daß das Ostgermanische erlischt und sich nun aus dem Westgermanischen Englisch und Deutsch in gesonderter Richtung entwickeln. Vom 5. bis zum 7. Jahrhundert trennt sich das Hochdeutsche vom Niederdeutschen. Im schönen Schrifttum wird vom 8. Jahrhundert an das Hochdeutsche führend.

7

Wir unterscheiden nun drei große Gebiete, in die wir die deutsche Sprache einteilen: Das

A l t h o c h d e u t s c h e . Seine Dauer reicht vom 8. bis ins 11. Jahrhundert.

Ein paar Belege aus der Dichtung will ich zur Veranschaulichung vermitteln: D a s W e s s o b r u n n e r G e b e t (nach einer Handschrift des 9. Jahrhunderts, übertragen von Hanna Roehr) „Das erfragt ich in der Welt als der Wunder größtes, Daß die Erde nicht war noch oben der Himmel, Noch Baum nicht wuchs, noch Berg nicht war, Noch irgendein Stern, noch die Sonne nicht schien, Noch der Mond nicht leuditete, noch die mächtige See. Als da kein Wesen nicht war an Enden und Wenden, Da war doch der eine allmächtige Gott!" Der

B l u t s e g e n (erste Strophe, aus den „Merseburger Zaubersprüchen", 10. Jahrh., übertragen von Hans Voß) „Tumb saß im Berge Mit tumbem Kind im Arme, Tumb hieß der Berg, Tumb hieß das Kind: Der heilige Tumb verstumme diese Wunde!"

Das

Mittelhochdeutsche,

von 1100 bis 1500.

Und aus dieser Zeit eiöen S p r u c h (12. Jahrh.) Lobe abends den Tag, Nach dem Tode die Frau, Nach dem Kampf die Klinge, Bist du drüben, das Eis, Nack dem Trunk das Äl, Den Freund nach der Fehde!" Aus der Reihe der Minnesänger (12. u. 13. Jahrh.) seien zwei Liederproben genannt: W a l t e r von der V o g e l w e i d e : „ 0 weh, all' meine Jahre, wo sind sie hingeeilt! Hab' ich geträumt, ich lebe? hab' ich auf Erden geweilt? Was ich gewähnt, es wäre, war es in Wahrheit da? Ich hab' im Schlaf gelegen, ich weiß nicht, was ich sah."

8

G o t t f r i e d von Neifen: „ R o t e r Mund, n u n lache, daß mein Sorgen schwinde, Roter Mund, nun lache, daß mein sehnend Leid vergeh! D a ß ich lache, mache, daß ich F r e u d e f i n d e ; Roter Mund, n u n lache, daß mein Herz in Lust besteh!" D a s N e u h o c h d e u t s c h e , von 1500 bis zur Gegenwart Aus H u t t e n s Lied: „Ich hab's gewagt": „Von Wahrheit ich will nimmer lan; Das soll mir bitten ab kein Mann. Auch s c h a f f t zu stillen mich kein Wehr, Kein Bann, kein Acht, wie fest und sehr Man mich dasait zu schrecken meint, Wiewohl mein' f r o m m e Mutter weint, Do ich die Sach' h ä t t ' fangen an. Gott wöll sie trösten! es m u ß gahn . . ." Aus Goethes „ P r o m e t h e u s " : „Ich dich e h r e n ? W o f ü r ? Hast du die Schmerzen gelindert J e des Beladenen? Hast du die T r ä n e n gestillet J e des Geängsteten? H a t nicht mich zum Manne geschmiedet Die allmächtige Zeit Und das ewige Schicksal, Meine H e r r n und deine?" Und zum Schluß aus H e r m a n n Hcsses „Die N a c h t " : „ K i n d e r sind wir, rasch macht die Sonne uns mtid, Die uns doch Ziel u n d heilige Z u k u n f t ist, Und aufs neue an jedem Abend Fallen wir klein in der Mutter Schoß, Lallen Namen der Kindheit, Tasten den Weg zu den Quellen zurück. Auch der einsame Sucher, Der den Flug zur Sonne sich vorgesetzt, Taumelt, auch er, um die Mitternacht Rückwärts seiner f e r n e n H e r k u n f t entgegen." Die wenigen P r o b e n mögen einen kleinen Begriff von der Aufwärtsentwicklung unsrer Sprache nach F o r m u n d Inhalt geben.- D e r Wortschatz ist umfassender geworden, der Ausdruck eigenwilliger, stärker, tiefer.

9

Das Wort Wortbildung,

Wortarten

Wörter! Wie an Schnüren aufgereiht, folgen sie sich in den Wörterbüchern, abecelich wohlgeordnet. Wir blättern; unser Blick gleitet, wir lesen dabei: bereit, bereits, Bereitsdiaft, Bereitwilligkeit, berennen, bereuen, Berg. — Halt! Greifen wir das eine Wort heraus: B e r g . Eine flüditige Vorstellung stellt sich ein: Hohes, Fels, Wald. Aber wir wollen beim Wort bleiben und die Vorstellung zunächst im Schattenhaften lassen. B e r g : ein kurzes Wort aus vier Buchstaben. Es steht für sich da ohne Zusammenhang, ist nicht mit andern Wörtern zu einem Satj gefügt. Aber ob es sonst keinen Zusammenhang hat — mit Ähnlichem, Verwandtem? Wir denken ein wenig darüber nach. Da ist zunächst — ja richtig, da rücken mit einmal die Verwandten an, einer nach dem andern. Bald ist es eine Familie, eine ziemlich große Familie. . . . Wir versuchen: Berg — bergen —. Berg, Eisberg, Feuerberg, Schloßberg, Tafelberg, Venusberg; Bergbau, Bergfried, Berggrün (Kupfergrün), Bergkette, Bergkristall, Bergmann, Bergpredigt, Bergspitje, Bergsteiger, Bergwachs (Erdharz), Bergwesen; bergrechtlich, bergsüchtig (grubenkrank), bergig, bergicht; Gebirge, gebirgig; herbergen, Herberge, Herbergsvate'r; Burg, Burgvogt, Burgwall; Bürger, Bürgerbrief, Bürgermeister, Bürgerschaft, Bürgerstand, Bürgertum, bürgerlich; bürgen, Bürge, Bürgschaft; horgen, Borg. Und nun sind sogleich auch die Vorstellungen da, eine Fülle Vorstellungen und — Zusammenhänge: D e r B e r g , in dem man sich b a r g , d i e B u r g , in der man sich b a r g , war Feste, bedeutete Sicherheit, Schuß. D e r B ü r g e r besagte ursprünglich: Burgbewohner, b ü r g e n heißt „Gewähr leisten" und b o r g e n besagt nichts anderes als „auf Bürgschaft geben, anvertrauen". Ein einziges Wort! Eine Familie, eine Sippe von Wörtern, die dieselbe Wurzel haben, demselben Kern entsprossen sind. Sprachlich ausgedrückt: Das Kernwort, das Wurzelwort ist Träger der Grundform und der Grundbedeutung, daraus die Ableitungen steigen und zweigen, die verschiedene Form und verschiedenen Sinn annehmen können.

10

Doch auf die Vorstellungen wollen wir n u n nicht näher eingehen. Wir sehen uns jetjt einmal die F o r m e n a n : b e r g ist Wurzel, S t a m m f o r m . U n d d a r u m gruppieren sidi die Vielgestaltigen der Sippe. Vorsilben gibt es da u n d Nachsilben verschiedener Gestalt. G e b i r g e , g e b i r g i g . Was b e d e u t e t dieses g e nun, das vor dem Wurzelwort b e r g s t e h t ? Sein Grundsinn ist Vollständigkeit, es drückt einen Sammelbegriff aus: G e b i r g e = Berge zusammen, G e s t r ü p p = Sträucher zusammengenommen. G e s t e i n t viele Steine, Steinarten. Da ist die Ableitungssilbe i g ; sie n e n n t Eigentümliches: mut—ig, lust—ig, gebirg—ig. A u d i s c h a f t k a n n eine Beschaffenheit nennen, einen Wesenszug, z. B. L e i d e n s c h a f t , aber auch — so wie es hier geschieht — eine Gesamtheit ausdrücken: B ü r g e r s c h a f t , t u m gibt teils einen Zustand an: R e i c h t u m , teils bezeichnet es die Art einer G r u p p e : V o l k s t u m , Bürgertum. Eine kleine Auswahl a n d r e r Präfixe oder Vorsilben soll hier nodi genannt w e r d e n : Bei Z e i t w ö r t e r n b e d e u t e t e n t = mit etwas beginnen: entknospen, entflammen; auch etwas ins Gegenteil wenden: enteignen, e n t t r ü m m e r n ; z e r = entzwei machen: zermalmen, zerstören. Sodann bezeichnet bei H a u p t w ö r t e r n u n d Eigenschaftswörtern m i ß etwas Verfehltes, Schlechtgeratenes: Mißernte, mißmutig; u n verneint den Grundb e g r i f f : Ungeduld, ungebührlich; u r weist auf den Ursprung, auf Längstvergangenes hin: Urzustand, urtümlich; k a n n aber auch steigernd wirken: Urviech (ein lustiger Kerl), urgemütlich. Wir wollen auch an die E n d u n g e n b a r , s a m u n d h a f t denken, b a r besagt zumeist: tragend, enthaltend, z. B. w u n d e r b a r , f r u c h t b a r ; s a m ähnelt bar, drückt aber auch eine Beschaffenheit aus: heilsam, ehrsam; h a f t gibt die A r t zu erkennen, z. B. b o s h a f t , schreckhaft. Bei H a u p t w ö r t e r n nennt die E n d u n g e r häufig den, der eine Tätigkeit ausübt: Schlosser, Seiler; die E n d u n g e i bezeichnet den W e r k p l a t z : Schlosserei, Seilerei — oder f a ß t zusammen: Malerei, Schriftstellerei. Bei den schon genannten Worten wie E i s b e r g , T a f e l b e r g , B e r g s p i t z e * B e r g w e s e n spricht m a n von einer Wortbildung durch Zusammensetjung von H a u p t w o r t mit H a u p t w o r t ; bei b e r g r e c h t l i c h , b e r g s ü c h t i g handelt es sich u m eine solche von H a u p t w o r t mit Eigenschaftswort. Natürlich k a n n audi u m g e k e h r t Eigenschaftswort mit H a u p t w o r t verbunden w e r d e n : K l e i n b ü r g e r — oder Eigenschaftswort mit Eigenschaftswort: kleinbürgerl i c h usw. Die kleine Betrachtung hat uns Einblick in die W e r k s t a t t der W ö r t e r gewährt. Sie hat uns zugleich gezeigt, daß man bei W ö r t e r n u n d Wortgruppen, die u n t e r e i n a n d e r verwandt sind, wie bei Lebewesen von Familie u n d Sippe sprechen kann. 11

Wir wollen noch weiter bei dem Wort bleiben, von dem wir ausgegangen sind, beim Worte B e r g und leiten nun über zu den Wortarten: 1. B e r g ist ein H a u p t w o r t oder D i n g w o r t ( S u b s t a n t i v ) . Man unterscheidet zwei Arten von Hauptwörtern: körperliche (konkrete) und nichtkörperliche, begriffliche (abstrakte). Berg ist ein wirklich vorhandenes Ding, B ü r g e r t u m ist -ein gedachtes Ding; B i i r - g e ist seiend, B ü r g s c h a f t ist als seiend gedacht. 2. d e r B e r g , d e r ist ein G e s c h l e c h t s w o r t (Artikel), und zwar das bestimmte Geschlechtswort. Die bestimmten Geschlechtswörter lauten: d e r , d i e , d a s . e i n B e r g , ein, e i n e , e i n sind die unbestimmten Geschlechtswörter; man kann e i n auch als abgeschwächtes Zahlwort auffassen. 3. der w u c h t i g e Berg, w u c h t i g ist ein E i g e n s c h a f t s w o r t oder B e i w o r t ( A d j e k t i v ) , das h o h e Gebirge, die d ü r f t i g e Herberge, der a l t e Bürgermeister, h o c h , d ü r f t i g , a l t sind Eigenschaftswörter. Bei einem Eigenschaftswort fragt man: wie beschaffen? 4. d i e s e r Berg, m e i n Berg, d u wuchtiger B e r g ! dieser, m e i n , d u sind F ü r w ö r t e r ( P r o n o m i n a ; die Einzahl lautet: P r o n o m e n ) . Man unterscheidet a) p e r s ö n l i c h e Fürwörter: ich, du, er, sie, es; b) b e s i t z a n z e i g e n d e : mein, dein, sein; c) h i n w e i s e n d e : dieser, diese, dieses; d) f r a g e n d e : wer?, was?; e) b e z ü g l i c h e : welcher, welche, welches und der, die das (bezüglich gebraucht); f) u n b e s t i m m t e : man, mancher, jemand, jeder. 5. d r e i Berge, d e r e r s t e Berg, e i n s , z w e i , d r e i ; der e r s t e , d e r z w e i t e , d e r d r i t t e sind Zahlwörter ( N u m e r a l i e n oder N u m e r a l i a ; die Einzahl heißt: N u m e r a l e ) , und zwar ist s w e i eine Grundzahl, d e r z w e i t e eine Ordnungszahl. 6. b e r g e n , b o r g e n sind Z e i t w ö r t e r oder T ä t i g k e i t s w ö r t e r ( V e r b e n oder V e r b a ; die Einzahl: V e r b oder V e r b u m). b e r g e n ist ein s t a r k e s Zeitwort; es wird folgendermaßen abgewandelt: er birgt, barg, bürge oder bärge, geborgen, birg! b o r g e n ist ein s c h w a c h e s Zeitwort; seine Stammformen lauten: er borgt, borgte, geborgt, borg(e)! 7. der Berg ist w u c h t i g ; der Berg d o r t ; m o r g e n besteigen wir den Berg, w u c h t i g , d o r t , m o r g e n sind U m a t a n d s -

12

W ö r t e r ( A d v e r b i e n oder A d v e r b i a ; die Einzahl lautet: A d y e r b oder A d v e r b i u m). Bei einem Umstandswort fragt man: wie?, wo?, wann?, warum?, und man unterscheidet danach: Umstandswörter der Weise, des Ortes, der Zeit, des Grundes. Nun könnte jemand einwenden: „Halt! Wie ist das? w u c h t i g wurde mir vorhin als Eigenschaftswort bezeichnet und nun als Umstandswort. Es kann doch nur das eine oder das andre sein." „Nein. Es kann beides sein. Und die Antwort habe ich schon mit dem Hinweis auf die verschiedene Fragestellung gegeben. Beim Eigenschaftswort frage ich: wie beschaffen?, was für ein?, beim Umstandswort: wie?, in welcher Weise? Das Eigenschaftswort ist biegbar (ein w u c h t i g e r Berg, w u c h t i g e Berge), das Umstandswort ist unbiegbar (der Berg ist w u c h t i g , die Berge sind w u c h t i g)." 8. ich gehe a n den Berg; ich raste a u f dem Berge; j e n s e i t (s) des Berges liegt die Stadt. In den Sägchen bezeichnen a n , a u f , j e n • s e i t (s) ein örtliches Verhältnis, in dem sich eine Person oder eine Sache befindet. Darum heißen solche Wörter V e r h ä l t n i s w ö r t e r ( P r ä p o s i t i o n e n ; die Einzahl P r ä p o s i t i o n lautet wörtlich übersetzt: V o r w o r t ) . Die Verhältnis- oder Vorwörter „regieren" verschiedene Fälle. 9. der Berggrat u n d die Bergspitze —; w e i l der Berg steil ist —-; a l s die Bergkuppe mit Schnee bedeckt war. u n d , w e i l , a l s sind B i n d e w ö r t e r ( K o n j u n k t i o n e n ) . Bindewörter verbinden Satzglieder oder bringen Sätze in Beziehung zueinander. 10. „ G l ü c k a u f ! , a h ! , g o t t l o b ! jetzt haben wir's geschafft", rief der Bergmann. Auch p s t ! , t s c h ! , s t i l l I — a u ! , o w e h ! , o j e m i n e ! nennt man A u s r u f - oder E m p f i n dungswörter (Interjektionen). Und damit haben wir die z e h n W o r t a r t e n aufgezählt. Dal

Hauptwort

Nun müssen wir uns ein wenig eingehender mit dem Hauptwort befassen. Ich werde mir dabei Mühe geben, Sie so wenig wie möglich mit grammatischen Ausdrücken zu „belasten". Das Notwendige jedoch muß von mir gesagt und von Ihnen gemerkt werden. Daß das G e s c h l e c h t ( G e n u s , Mehrzahl: G e n e r a ) dreifach ist, habe ich schon erwähnt. Wir unterscheiden: m ä n n l i c h ( M a s kulinum): der Mann; weiblich (Femininum): die F r a u ; s ä c h l i c h ( N e u t r u m ) : Nein! Nun sage ich nicht das Erwartete: d a 8 K i n d ; denn wenn K i n d auch, grammatisch gesehen,

13

ein Neutrum ist, so hat es doch ein natürliches Geschlecht, es ist entweder Bub oder Mädel, und drum sage ich als Beispielwort: das Buch. Noch stärker als bei K i n d widerspricht die Neutrum-Auffassung unserm natürlichen Empfinden bei dem Wort: d a s M ä d c h e n . Wenn Sie Ihren heutigen Tagesbeginn erzählend schildern, so sagen Sie wohl: „Heute früh fuhr ich mit der Linie 44. Mir gegenüber saß ein hübsches M ä d c h e n . E s war blond und trug eine blaue Mütze. Wie es kam, weiß ich nicht, aber wir lächelten uns einen Augenblick an, und ich überlegte mir rasch einen Grund, um mit i h r — nein, mit i h m — nein, doch mit i h r ins Gespräch zu kommen . . . " e s konnten Sie noch sagen, als das Wörtchen unmittelbar auf M ä d c h e n folgte, aber schon nach einer kurzen Zwischenbemerkung empfinden Sie die grammatische Geschlechtsbezeichnung als verquält und gebrauchen unwillkürlich den weiblichen Artikel. Ein Hauptwort kann in der E i n z a h l ( S i n g u l a r ) oder M e h r z a h l ( P l u r a l ) stehen: der Berg, die Berge; die Angst, die Ängste; das Bild, die Bilder. Es gibt Wörter, die keine Mehrzahl bilden, z. B. S c h n e e » S a n d , S t a u b ; F l e i ß , M u t , S t o l z , und es gibt andre ohne Einzahl, wie F a s t e n , F e r i e n , K o s t e n , M a s e r n . Daß G e s c h w i s t e r und E l t e r n nur in der Mehrzahl stehen können, ist selbstverständlich. Manchc Wörter haben in der Mehrzahl verschiedene Form und Bedeutung: Ding: D i n g e = Sachen, D i n g e r (junge D.) = junge Mädchen; Gesicht: G e s i c h t e = Erscheinungen, Visionen, G e s i c h t e r = Antlitze; Hahn: H ä h n e = Hühnervögel oder Drücker an Gewehren, H a h n e n (aber auch: Hähne) = Absperrvorrichtungen an Rohren oder Fässern; Horn: H o r n e r Hornsorten, H ö r n e r = Tierhörner, Trinkhörner — Nashorn bildet: N a s h o r n e und N a s h ö r n e r , Einhorn nur: E i n h ö r n e r —; Licht: L i c h t e = Kerzen, L i c h t e r n Flammen — Der J ä g e r spricht von Lichtern (Augen des Wildes) und der Maler von Glanzlichtern. Am Weihnachtsbaum erfreuen uns sowohl die Lichte wie die Lichter —; Ort: 0 r t e = Gegenden, Schusterwerkzeuge, ö r t e r = Punkte, Plätje, Dörfer; Wort: W o r t e = Aussprüche, geflügelte Worte, W ö r t e r = einzelne Satjteile, Vokabeln — Im Büchmann (Zitatensammlung) stehen W o r t e , im Duden (Wörterbuch) W ö r t e r . Die Mehrzahl von Sprichwort lautet S p r i c h w ö r t e r ; sie müßte logischerweise S p r i c h w o r t e heißen, denn es sind Sä^chen der Lebenserfahrung und keine einzelnen Wörter.

14

Neben den Mehrzahlformen Denkmäler, Gewänder, L ä n d e r , T ä l e r kennt die Dichtersprache a u c h : Denkmale, G e w ä n d e , L a n d e , T a l e . Diese F o r m e n hören sich feierlicher an, was zugleich aber auch besagt, daß sie n u r in gehobener R e d e angewandt werden d ü r f e n . Man k a n n also wohl von K a r t o f f e l l ä n d e r n , nicht aber von K a r t o f f e l l a n d e n sprechen. Sodann gibt es auch gleichlautende H a u p t w ö r t e r , die verschiedenes Geschlecht und verschiedene B e d e u t u n g haben. Ich nenne einige Beispiele. Achten Sie dabei gut auf die Mehrzahlformen: d e r Band, die B ä n d e (Einband, Buch), d a s Band, die B ä n d e (Fessel), d a s Band, die B ä n d e r (Stoffstreifen); d e r Bauer, die B a u e r n (Landmann), d e r und d a s Bauer, die B a u e r (Vogelkäfig); d e r B u n d , die B ü n d e (Vertrag), d a s Bund, die B u n d e {Gebinde); d e r Schild, die S c h i l d e (Schußwaffe), d a s Schild, die S c h i l d e r (Aushängetafel); d e r Verdienst, die V e r d i e n s t e (Lohn, Gewinn), d a s Ver« dienst, die V e r d i e n s t e (bedeutende Leistung). Besonders zu erwähnen sind: d i e E r k e n n t n i s (sicheres Wissen) u n d d a s E r k e n n t n i s (Rechtsurteil), b e i d e ' m i t der Mehrzahl: Erkenntnisse; d i e Ersparnis (Einsparung durch Minderverbrauch), d a s Ersparnis (erspartes Kapital), beide haben die Mehrzahl: Ersparnisse; d e r Gehalt, die G e h a l t e (Inhalt), d a s Gehalt, -die G e h a l t e u n d G e h ä l t e r (Sold, Lohn); d e r Moment (Augenblick), d a s Moment (Umstand, Gesichtspunkt), beide mit der Mehrzahl: Momente. T e i l (mit der Mehrzahl: Teile) k a n n männlich u n d sächlich sein. F r ü h e r war d a s Teil überwiegend, jetzt h e r r s c h t das männliche Geschlecht vor, n u r in E r b t e i l , D r i t t e l (Dritteil) u n d in den redensartlichen Wendungen i c h f ü r m e i n T e i l , n u n h a t e r s e i n T e i l w e g u n d d a m i t h a t e r d a s b e s t e T e i l e r w ä h l t ist die sächliche Anwendung geblieben. In Zusammensetzungen mit M u t schwankt das Geschlecht. So sind Anmut, Demut, Großmut, Langmut, Sanftmut, S c h w e r m u t weiblich, F r e i m u t , H o c h m u t , - Ü b e r m u t dagegen männlich, während K l e i n m u t männlich u n d weiblich geb r a u c h t werden k a n n . Sie sehen, wie b u n t und vielgestaltig es in u n s r e r Sprache „zugeht". Mag man ihr auch den Vorwurf machen, daß sie schwierig ist, „verdammt schwierig" sogar, eins m u ß man ihr zugestehen: langweilig ist sie nicht. Mädchen mit Sträußen mögen vor den Käfigen der S t r a u ß e stehen, die Sträuße um ihre Straußenweibchen auskämpfen. Der Schimmel k a n n sieb auf dem Marmeladeglas bilden oder als weißes P f e r d von

15

einem Reiter getummelt werden. „Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht", obschon das Mädchen den Reif noch nicht am Finger trug. Geröstete Mandeln — u n d wären sie noch so süß — nütjen nichts gegen geschwollene Mandeln. Der H e r r R a t k a n n einen guten Rat erteilen, a b e r in der Mehrzahl klappt es nicht; denn die Räte können keine R ä t e , sondern nur Ratschläge geben. Dies mag nicht weiter verwunderlich sein, aber daß die Sprache dem doch bestimmt weiblichen W o r t e d i e M u t t e r aus reinem Spieltrieb eine männliche Wesfallendung gibt, ist m e r k w ü r d i g genug. Wie? Sie glauben das nicht? Bitte! Wir sagen „der Liebling der M u t t e r " , aber bei Umstellung „ M u t t e r s Liebling"; wir bilden „eines Nachts", wiewohl doch der Wesfall zu N a c h t nur „ d e r Nacht" lauten d ü r f t e . U n d w a r u m machen wir dies? Aus Laune gleicht man M u t t e r an V a t e r u n d N a c h t an T a g an: Vaters — Mutters, eines Tags — eines Nachts. Und da sind wir ja nun, ohne es sonderlich zu merken, zu den 4 F ä l l e n ( K a s u s , Mehrzahl Kasus) geraten, die es im Deutschen gibt. Wir nennen: den 1. F a l l oder W e r f a l l (Nominativ), den 2. F a l l oder W e s f a l l ( G e n i t i v ) , den 3. F a l l oder W e m f a l l ( D a t i v ) , den 4. F a l l oder W e n f a l l ( A k k u s a t i v ) . Bei den Fällen sprechen wir sogleich auch über Die

Biegung

(Deklination).

Man unterscheidet d r e i Biegeformen. Wir kennen bei den m ä n n l i c h e n H a u p t w ö r t e r n : 1. D i e s t a r k e B i e g u n g . Der Wesfall der Einzahl zeigt die E n d u n g e s oder s: des Astes, des Zweifels. D e r Wemfall der Mehrzahl endet auf n : den Ästen, den Zweifeln. 2. D i e s c h w a c h e B i e g u n g . Im Wesfall der Einzahl u n d d e n folgenden Fällen (Einzahl u n d Mehrzahl) lautet die Endung e n oder n : des Helden, des Schweden. 3. D i e g e m i s c h t e B i e g u n g . In der . Einzahl wird stark, in der Mehrzahl sdiwach gebogen: des Schmerzes, der Schmerzen. Bei den w e i b l i c h e n H a u p t w ö r t e r n bleiben die Fälle in der Einzahl u n v e r ä n d e r t , z. B. die Befugnis, der Befugnis; in der Mehrzahl werden sie zumeist schwach gebogen: die Sprachen, der Sprachen. Die s ä c h l i c h e n H a u p t w ö r t e r zeigen dieselben Merkmale wie die männlichen. Sie k ö n n e n stark gebogen werden: des Beiles, der Bücher oder gemischt: des Herzens, der Herzen. Die sächlichen Hauptw ö r t e r kennen keine schwache Biegung. Über manche A b s t u f u n g e n in den Biegearten könnte man noch sprechen, ich nehme aber an, daß Sie als Deutsche hier keine Fehler

16

machen. Hinzuweisen ist wohl lediglich auf B a n e r nnd N a c h b a r , die in der Einzahl stark und schwach, in der Mehrzahl schwach ge* bogen werden. Man bildet folglich d e s B a u e r s und d e s B a u e r n , d e s N a c h b a r s und d e s N a c h b a r n . Die Bauern (alte F o r m : gebure) waren die „zusammen Angesiedelten", und der N a c h b a r (der nachgebur) fällt folglich nicht nur nach der F o r m , sondern auch bedeutungsmäßig mit B a u e r zusammen. Das Wort B e a m t e r scheint eine eigenwillige Biegung zu fordern. Sobald man sich aber klar macht, daß d e r B e a m t e eigentlich d e r B e a m t e t e heißt, also genau genommen ein hauptwörtlich gebrauchtes Mittelwort (Partizip) ist, erklären sich die Formen. In der Einzahl lauten sie: der Beamte, des, dem, den Beamten — ein B e a m t e r , eines, einem, einen Beamten; in der Mehrzahl: die Beamten, der, den, die Beamten — Beamte, B e a m t e r , Beamten, B e a m t e . Es ergibt sich daraus: die tüchtigen Beamten und alle Beamten, aber: tüchtige Beamte und einige Beamte. Wie B e a m t e r Verwandter zu kennbar ist.

sind auch A b g e o r d n e t e r , Bekannter, behandeln, bei denen die Partizipform unver-

Der B e d i e n t e aber läßt wieder aufhorchen. Was soll die F o r m besagen? Hier stimmt doch etwas nicht. E r ist doch einer, der bedient, und nicht einer, der bedient wird, also ein B e d i e n e n d e r , und kein Bedienter. Doch hier klärt uns die ursprüngliche Bedeutung auf, sie lautet: ein Mann, der einem andern b e d i e n t ist. „Ach s o " , sagen wir, „der Bediente ist demnach ein B e d i e n s t e t e r . " Nun will ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf einige männliche Hauptwörter auf e lenken, und zwar auf die Wörter Friede, Funke, Gedanke, Glaube, Haufe, Name, Same, Schade, Wille. Diese haben auch eine Werfallform auf e n , so daß wir F r i e d e n neben F r i e d e , Gedanken neben Ged a n k e sagen können. Die Form auf e ist älter, sie erscheint auch klanglich schöner, und zu ihrem Gebrauch ist zu raten. Die genannten Wörter bilden den Wesfall der Einzahl auf e n s ; wir sprechen also von einer Stimme d e s G l a u b e n s oder einem Gebot d e s W i l l e n s . Nehmen wir uns nun den G e n i t i v vor! Hier muß ich meine Stimme erheben und Ihnen teils bittend, teils beschwörend zurufen: „Helfen Sie mit, daß der Wesfall nicht noch weiter stiefmütterlich behandelt und in des Wortes vollster Bedeutung totgeschwiegen wird!" Die Zeitungen und der Rundfunk wetteifern geradezu in einem merkwürdigen Ehrgeiz, dem Genitiv den Garaus zu machen. Da liest und hört man „des demokratischen Deutschland", „im Laufe des Sonn-

17

abend", „Verhaftung des SS-Oberst Dollmann", „der Wetterbericht des Rundfunk". Nein! Es heißt: des demokratischen Deutschlands, im Laufe des Sonnabends, Verhaftung des SS-Obersten Dollmann, der Wetterbericht des Rundfunks. Es heißt auch des Direktors Schmidt, des Präsident e n Meier, und des Redakteurs Schulze, und nicht: des Direktor, des Präsident, des Redakteur. Daß man dieses simple Genitiv-Gebot Menschen, denen das deutsche Wort zum Berufsinstrument gehört, ins Gedächtnis rufen muß, ist ein betrübliches Zeichen unsres Sprach Verfalls. Und noch eins! Zu biegen ist auch, was zwischen Anführungsstrichen steht: eine Veröffentlichung des „Tagesspiegels", ein Korrespondent des „Freien Bauers", der Verlag der „Täglichen Rundschau". Der Ansicht, daß durch die Genitivbildung der richtige Titel der genannten Zeitungen verfälscht werde, ist entgegenzuhalten: Niemand wird „ein Korrespondent des ,Der Freie Bauer'" sagen, dies wäre doch zu verquält. Und da ist es doch wohl eine Selbstverständlichkeit, daß wir uns auch beim guten Schreiben so natürlich ausdrücken wie in der guten Rede. Zu beachten ist die feine Unterscheidung: die Gedichte Augusts von Platen, aber: August von Platens Gedichte, sodann auch: der Tod des Kai'sers Friedrich Barbarossa, aber ohne Artikel- der Tod Kaiser Friedrich Barbarossas. Die Frage wird häufig gestellt: Heißt es A l e x a n d e r des *G r o ß e n oder A l e x a n d e r s d e s G r o . ß e n , W i l h e l m d e s E r o b e r e r s oder W i l h e l m s d e s E r o b e r e r s ? Wir wollen sie — da kriegerische Fürsten an Aktualität wesentlich eingebüßt haben — an sanfteren Beispielen beantworten; richtig ist: L u d w i g s des F r o m m e n , E d u a r d s des Bekenners. Es gilt als nicht gut, den Genitiv durch v o n zu umschreiben; nun sagen wir zwar: d i e E i n w o h n e r B e r l i n s , aber d i e E i n w o h n e r P a r i s ' hört sich merkwürdig an, denn das den Wesfall kennzeichnende Häkchen nach dem s wird ja beim Sprechen nicht gehört. Man muß daher bei Wörtern, die auf einen Zischlaut enden, die Umschreibung mit v o n gelten lassen und darf getrost d i e E i n w o h n e r v o n P a r i s sagen. Der akademische Titel D o k t o r wird nicht gebogen, also: die Privatsekretärin des Direktors Müller, aber: die Sprechstundenhilfe des Doktor Krause. „Regeln!", werden Sie nun einwenden, „spitzfindige- Regeln!" Ich kann aber nur auf die Tatsache hinweisen, daß der Sprachgebraudi solche Unterscheidungen herausgebildet hat und daß man die Regeln erst hintennach aufstellte. Ich betone: Das deutsche Volk formt seine IS

Sprache, die „Regelmacher" zeichnen n u r auf u n d o r d n e n ein, aber auf die Gestaltung selbst h a b e n sie nicht m e h r u n d nicht weniger Einfluß •1* jeder a n d r e Deutsche auch. Auf den Genitiv folgt der Dativ. U n d n u n w a r t e ich schon auf die Frage: Wie ist's mit dem D a t i v - e ? Wird es gesegt oder weggelassen? Sagt m a n richtig: a u f d e m B a u m e , i m W a l d e , a m B a c h e oder a u f d e m B a u m , i m W a l d , a m B a c h ? Und ich a n t w o r t e : Nach G e f ü h l ! Männliche u n d sächliche W ö r t e r , die einen S t o f f , eine Wesensart oder ein Motiv bezeichnen, bilden den Wemfall ohne e: aus Holz, von Blech, mit Gas, zu F u ß , von Rang, aus H a ß . Es heißt also nicht b e i L i c h t e b e s e h e n , sondern b e i L i c h t , auch nicht z u F u ß e g e h e n , sondern z u F u ß . Dagegen ist das Dativ-e bei W ö r t e r n auf ein stimmhaftes b, d, g u n d auf s noch häufig zu h ö r e n : mit einem S i e b e , im B a d e , am T a g e , nach H a u s e . In Zusammensetzungen aber wird es aus klanglichen G r ü n d e n fast stets weggelassen: mit einem K a f f e e s i e b , im S o n n e n b a d , an einem F e i e r t a g , in unserm S o m m e r h a u s . Stellen wir ein Satjgefüge „In dem dichten Wald w u r d e es bald ganz finster" so um, daß das Wort W a l d ans Sagende k o m m t , so schreiben wir wahrscheinlich „Es wurde bald ganz finster in dem dichten Walde." Unser G e f ü h l veranlaßt uns, den Sag mit dem e melodisdi ausklingen zu lassen. Wie gesagt: Es gibt keine feste Regel. Sprechen Sie den Sag vor sich hin u n d lassen Sie sich in puncto Dativ-e von I h r e m rhythmischen Empfinden leiten! Über den Wenfall ist nichts Besonderes zu sagen, u n d wir k o m m e n nun zur Mehrzahl. Männliche u n d sächliche Maßangaben, bei denen Zahlwörter stehen, werden in der Mehrzahl nicht gebogen: in einer E n t f e r n u n g von 15 Kilometer, bei einer Breite von 2Vi Meter, in einer T i e f e von 5 F u ß . Man achte auch auf die handels- u n d umgangssprachlichen Mengebezeichnungen: 5 Glas (nicht: Gläser) Schnaps, nach dem Genuß • o n 3 Maß Bier war er schon b e t r u n k e n , er t r u g 2 P a a r (nicht: P a a r e ) Handschuhe übereinander. Auf einen sehr v e r b r e i t e t e n Biegungsfehler in der Mehrzahl will ich Sie noch a u f m e r k s a m machen. Sie hören in der Umgangssprache allgemein „aus aller H e r r e n L ä n d e r " , obwohl dieselben Leute, die diese Sprachlässigkeit begehen, bei Umstellung richtig „aus L ä n d e r n aller H e r r e n " sagen w ü r d e n . Ich b i t t e : Machen Sie den Fehler nicht mit, sondern weisen Sie andre auf die richtige Fügung „aus aller H e r r e n L ä n d e r n " hin.

19

Neben den M e h r z a h l f o r m e n B o g e n , L a d e n , L a g e r , sten, Magen, Generale m u ß man auch B ö g e n , Lä L ä g e r , K ä s t e n , M ä g e n , G e n e r ä l e gelten lassen. Wir dien zwar von G e t r e i d e l ä g e r n , sagen dagegen n u r Krankenlager. Die M e h r z a h l f o r m e n K r a g e n , W ä g e n K r a g e n , W a g e n ) sind mundartlich u n d im Hochdeutschen erlaubt.

Kaden, spredie (statt nicht

Über die M e h r z a h l f o r m e n zum W o r t e M a n n in Zusammensetjungen ist zu sagen, daß M ä n n e r u n d L e u t e nebeneinander bes t e h e n : Man k a n n von F a c h m ä n n e r n u n d von F a c h l e u t e n spredhen, von F u h r m ä n n e r n u n d F u h r l e u t e n , Schutzwährend als Mehrzahl von männern und S c h u t z l e u t e n , Landsmann nur L a n d s l e u t e gebräuchlich ist. Dienstm ä n n e r ist die Mehrzahl von D i e n s t m a n n = K o f f e r t r ä g e r , mit D i e n s t l e u t e n dagegen bezeichnet m a n die auf einem Gut in Dienst Stehenden. E h e m ä n n e r bezieht sich n u r auf die Männer, E h e l e u t e auf Mann u n d F r a u zusammengenommen. Wir spredien aber auch kernig von M a n n s l e u t e n u n d W e i b s l e u t e n . Sie sehen, wie vielgestaltig die Sprache f o r m t u n d bildet. Und f r a g t man nach dem G r u n d , w a r u m das eine Mal diese, ein andres Mal jene F o r m u n g bevorzugt wird, so k a n n m a n darauf nur e r w i d e r n : Im b u n t e n G a r t e n der Sprache wachsen die Bäume u n d Blumen nicht wie es der G ä r t n e r e r w a r t e t , sondern wie es der Spieltrieb der N a t u r will. In der Einleitung zum H a u p t w o r t habe ich schon über das

Geschlechtswort

gesprochen. Zu b e m e r k e n wäre wohl lediglich noch, daß die meisten Orts- u n d L ä n d e r n a m e n als sächlich zu betrachten sind: das zerstörte Berlin — das arme, aber hoffnungsvolle Deutschland. Wenige L ä n d e r n a m e n sind weiblich, z. B. die T ü r k e i , die Schweiz, die P f a l z , die K r i m , die Ukraine. Man d e n k e d a r a n bei Aufzählungen „. . . in Jugoslawien, Bulgarien, T ü r k e i , Griechenland . . ." ist falsch; es m u ß „. . . in Jugoslawien, Bulgarien, Griechenland und der Türk e i . . . " heißen. Das

Eigenschaftswort

Das Eigenschaftswort k a n n s t a r k u n d schwach gebogen werden. Ohne Geschlechtswort wird es s t a r k , mit Geschlechtswort s c h w a c h gebogen. Die Gelegenheit sei g e n ü g t , Beispiele f ü r Geschlechtswort u n d Eigenschaftswort zugleich zu geben: 20

Ol

m s - ** :3a *•» ei « J2 2 s p2 PQ 3 r a P tt o S » t> V V V o c a s :3 :S :3 :3 t* h hl hl 60 M) tu so

M

fl

3 60

Ci

•H 03 2 a o H ¿4 g fa M a

4) fa« «hi 4i *¡ ** .t: .t5 ** :« — S :a S m « S fa a « « V u a e a a :3 :3 :3 :3 h b h h 60 U) SD 60

V » V œ m o ® O O ® hl hl V « V li 2 "g Js

00

s a a en

tt

«M A

hi V h «

m « .a h «

e 6 u CO «® o O tí « ® o o h kl

a ^ oo O u o hl

m 4) -a

o

a ^

o o M ë Oí „•o-o.® 1 o ^ i r fc* o a N a M

JS o

a 4) hi a

a a I 2 « hi a

« IS j? CM H M « Q fl 0) 4) 4} V 4) M JS hi hi hi h (9 (S (í Q

« fl J? H-l fl h (c B fl V 4) U 4)

a fa fa fa ï » « :a 2 j® 5 m «

ij s :« S

« «a »S !S u a .9 .9 a :3 « "2 :3 hi £« f„ hi 60 Ml oí 60 . Ij P « t> . s « m .ïï T3 rö T3

a g g a S « " S _ "S g S ^

a » o 2 © fçj

a ï « * fa u ^J

a « £ 8 P o 2 a ©

« »a

00

S i S s-2 ! a « 2 ** 2

Cri

a ^ co ° O o h

SB a 3 SB 41

®

&j s s " 5 m a S .s -M « «C -g a -g M a 3 60 g « « d> O U na o c is a :3 :3 u O S M S g M t» a ea ai •3 H í 4i 4> CD 00 O O CS « a 4a> a)

e S a

a J les- S g» S*-» « 2m *• C/3 » a 4» H3 8

«

~ a 's 41 4) O a a a

5 « «2 «2 u ta a a 4) 4) 0)

« § § «

a I § a a § :S « s a WW a s S 4) S S -S "S a 2 a

a a

¿5 a 4> ^ s

.s » S .s T3

es es u «m « V V

cS .2 d Q a V «

21

D a r a u s ergibt sich, daß als Kennzeichen der schwachen Biegung der Buchstabe n anzusehen ist. Auf Wörter, die eine b e s t i m m t e Menge oder einen B e s i-t z bezeichnen, folgt die s c h w a c h e Form des Eigenschaftsworts: a l l e , sämtliche, solche, jene, diese, meine, seine, unsre, e u r e großen Erwartungen. Dagegen haben Wörter, die eine u n b e s t i m m t e Menge nenne«, die s t a r k e Form nach sich: w e n i g e , e i n z e l n e , m e h r e r e , v i e l e große Erwartungen. Gleich den Eigenschaftswörtern werden auch die Mittelwörter gebogen, z. B. der gekränkte, beleidigte, von sich eingenommene Philister; ein berüchtigter, mehrfach vorbestrafter, von vielen Gerichten gesuchter Gauner. Und nun zwischen die trocknen Regeln ein etwas persönlicherer Hinweis! Der brave Schreiber befleißigt sich einer gewissenhaften Ausdrucksweise. Er schreibt: der e d e l e Spender, das o f f e n e Wort, der f i n s t e r e Tyrann und was dergleichen Gemeinpläge mehr sind. Er schreibt auch: u n s e r e Mutter, e u e r e Kinder, a n d e r e Gedanken. Aber sprechen wir so? Bestimmt nicht. Wir sagen: der e d l e Spender, das o f f n e Wort, e u r e Kinder, a n d r e Gedanken. Und weil wir uns so natürlich ausdrücken, wollen wir auch so schreiben. Niemand fiele es ein, „im Dunkelen" zu sagen; nur die ängstlichen Schreiber pflegen das e und gebrauchen es wider ihr natürliches Empfinden. Auch b l u t ' g e r H o h n und h e i l ' g e r Z o r n ballen unsre Ausdrucksweise, während b l u t i g e r Hohn und h e i l i g e r Zorn schleppend wirken. Doch dies ist kein Gebot, sondern ein Hinweis! Die Hochsprache wird das e in Eigenschaftswörtern und Fürwörtern nicht entbehren wollen, und es ist ihr gutes Recht, e i n t e u e r e s W e i b und e i n e d e l e s H e r z zu sagen. Die Nachsilben i g , l i e h und i s c h der Eigenschaftswörter fordern ein näheres Eingehen. Betrachten wir zunächst i g und l i e h ! Sie sind bei Zeitbestimmungen begrifflich genau zu trennen, denn i g drückt eine Dauer, l i e h aber eine Wiederkehr aus. Es bedeutet also e i n s t ü n d i g : eine Stunde anhaltend, während e i n s t ü n d l i c h : alle Stunde wiederkehrend besagt. Eine d r e i m o n a t i g e Reise währt 3 Monate, eine d r e i m o n a t l i c h e Reise müßte alle drei Monate angetreten werden. Ein l a u n i g e r Mensch ist ein netter Gesellschafter, stets heiter und bei guter Laune, ein l a u n i s c h e r aber ist das gerade Gegenteil, wetterwendisch und oft mürrisch, fällt er sich und andern zur Last. Ein Mädchen, kennzeichnend w e i b l i c h in seinem Äußern und seinen Eigenschaften, gefällt uns gut; ein w e i b i s c h e s Wesen — meist auf

32

einen schlappen und eitlen Mann angewandt — genießt schwerlich unsre Sympathie. So gebrauchen wir auch k i n d l i c h im Sinne von unbeschwert, harmlos, während k i n d i s c h gleichbedeutend mit: einfältig, unverständig ist. Wir folgern daraus: Die Endung i s c h setjt herab, drückt etwas Minderwertiges aus — aber wohlgemerkt nur dann, wenn ihr Bildungen auf i g oder l i e h gegenüberstehen. Ein Eigenschaftswort ist steigerungsfähig. In manchen Lehrbüchern werden drei Steigerungen genannt: a l t , ä l t e r , a l t e s t. Dies ist unrichtig; denn man kann wohl von drei Vergleichsstufen, aber nur von zwei Steigerungsgraden sprechen, alt ist der Ausgangspunkt (Positiv), ä l t e r : die Höher- oder Mehrstufe, die 1. Steigerung (Komparativ), ä 11 e s t : die Höchst- oder Meiststufe, die 2. Steigerung (Superlativ). Die folgenden Eigenschaftswörter und Umstandswörter werden unregelmäßig gesteigert: g u t , besser, best; h o c h , höher, höchst; n a h e , näher, nächst; b a l d , eher, ehest; g e r n , lieber, liebst; v i e l , mehr, meist. Ihrem Sinne nach können nidit gesteigert werden: erst, letjt, einzig, mündlich, sprachlich, deutsch, himmelblau, scharlachrot u. ä. Bei der Steigerung muß ich Ihnen diesen wohlgemeinten Rat geben: Machen Sie von der Höchststufe recht sparsamen Gebrauch! Die Ausdrucksweise der Gegenwart neigt zu Schwulst und Übertreibungen, die Reklamephrase regiert. Vertrauen Sie dem, was Ihnen schlicht als g u t empfohlen wird und mißtrauen Sie dem „besten, schönsten, herrlichsten"! Ganz verdächtig sind die doppelten Steigerungen, wie g r ö ß t möglich s t , h ö c h s t wertig s t , b e s t gemeint e s t , die obendrein sinnlos sind; denn g e m e i n t läßt sich nicht zu gemeintest steigern. Erscheint Ihnen nun für eine besondere Sache der Positiv zu schwach, so können Sie ihn ja durch s e h r , a l l z u , ungemein und ähnliche Wörtchen verstärken oder durch Verbindung mit einem vorangese^ten Wort eindringlich höhen. Wie anschaulich wirken: e r z dumm, steinalt, urgemütlich, wunderhübsch. Man braucht hier auch nicht zimperlich zu sein und kann getrost ein s a u b l ö d oder s t i n k f a u l wagen. Eine merkwürdige Sache, die wieder auf die Laune und den Spieltrieb in unsrer Sprache hinweist: ä l t e r ist die Steigerung zu a l t , aber dem Sprachgebrauch beliebt es, einen als a l t e r n H e r r n zu kennzeichnen, der noch nicht so alt ist wie ein a l t e r , ein h ö h e r e r Stumpfsinn ist gelinder als ein h o h e r und eine b e s s e r e Partie 23

(Heirat) hat den Grad einer g u t e n noch keineswegs erreicht. Dies besagt mit andern W o r t e n : Hier steht die Höherstufe ihrem Sinne nach tiefer als der Ausgangspunkt. Beim Vergleichen ist auf folgendes zu achten: Ein s o löst ein w i e aus: Die Küche ist s o groß w i e die Diele. Auf einen Komparativ folgt a l s : Das Wohnzimmer ist g r ö ß e r a l s das Schlafzimmer. Also merke: Nach einer M e h r s t u f e d a r f n i e m a l s e i n w i e stehen! Bevor wir den Abschnitt „Eigenschaftswort" beschließen, soll noch ein R a t gegeben werden, der ins Stilistische hinübergreift: Seien Sie sparsam mit den Eigenschaftswörtern! Das Hauptwort verträgt wohl eins und schleppt es auch geduldig und willig eine Zeitlang mit — man läßt sich sogar einen „weißen Schimmel" und einen „großen R i e s e n " gefallen — aber zwei oder gar drei Eigenschaftswörter hintereinander, das ist zuviel •— des Guten? — nein, des Schlimmen. „Eine hübsdhe, zierliche, liebenswürdige Blondine" lesen wir und schütteln den Kopf. „Eine nette B l o n d i n e " sagt es knapper und besser. Also — e i n bezeichnendes Eigenschaftswort genügt, dieses soll anschaulich sein, darf aber nicht „gesucht" wirken, sondern hat sich dem Hauptwort als natürlicher Schmuck ungezwungen und selbstverständlich zuzugesellen; es mag ein Epitheton ornans ( = ein schmückendes Beiwort) im besten Sinne des Wortes sein. Das

Fürwort

Rechtschaffne Fürwörter sind: du, dein, dieser, jener, wer?, sich, man. Kanzlei-Fürwörter sind: derjenige, welcher; derselbe, ersterer, letjterer. Die meisten Gesetzestafeln räumen den Verboten den Hauptplatj ein und streifen das Erlaubte (oder gar Empfehlenswerte) kaum mit einem W o r t : Du sollst nicht ehebrechen! Rauchen verboten! Nicht in den Wagen spucken! Audi die Grammatiken raten selten zum Gebrauch bestimmter guter Wörter, sondern warnen vornehmlich vor den schlimmen.. Wir madien keine Ausnahme, bringen sogar mit einer gewissen behaglichen B r e i t e Zitate, die einen Fehler ahnungslos — dafür aber umso wirkungsvoller — herausstellen. „An den Universitäten sind Vorstudienkurse für Arbeiter- und Bauernkinder eingerichtet, in welchen dieselben die Universitätsreife erwerben können." „in w e l c h e n dies e l b e n " ? — nein — „in d e n e n d i e s e " . „Dr. Kramer gab über die vielseitigen Arbeitsgebiete des Ackerbaus einen umfassenden Überblick, in welchem derselbe ausführte . . . " Nein! „in d e m e r ausführte".

24

Dies besagt also: Im g u t e n Deutsch wird das bezügliche F ü r w o r t w e l c h e r , w e l c h e , w e l c h e s durch das relative d e r , die, d a s ersetjt. Wir lassen w e l c h e r h e u t z u t a g e n u r noch als Fragewort gelten: w e l c h e r ? , w e l c h e ? , w e l c h e s ? u n d als unbestimmtes F ü r w o r t im Sinne von e i n i g e , e t l i c h e , z. B. „ H a b e n Sie B e k a n n t e in F r a n k f u r t ? " „ J a , dort habe ich weiche." Schlimrüer als w e l c h e r ist d e r s e l b e . F ü r dieses gespreizt einherstolzierende F ü r w o r t k a n n stets das schlichte e r , s i e , e s gebraucht werden. Richtig ist d e r s e l b e n u r angewandt, wenn es d e r n ä m l i c h e b e d e u t e t . Ein Beispiel: „Ich lasse meine Schuhe beim alten Krause sohlen. D e r s e l b e versteht sein H a n d w e r k u n d arbeitet billig." Statt d e r s e l b e hat es „e r verstellt sein H a n d w e r k " zu heißen. Hingegen: „Ich lasse meine Schuhe beim alten Krause sohlen. E r ist d e r s e l b e Schuhmacher, der f r ü h e r an der Ecke der Lindenallee gewohnt h a t . " Hier ist d e r s e l b e e i n w a n d f r e i an Stelle von d e r n ä m l i c h e gebraucht. Als Kennzeichen eines schwülstigen Amtsstils ist vor allem d e r j e n i g e , w e l c h e r zu bezeichnen. „Derjenige, welcher seine Ablieferungspflicht noch nicht ordnungsgemäß e r f ü l l t hat . . ." Warum nicht k u r z und bündig. „W e r seine Ablieferungspflicht noch nicht ordnungsgemäß erfüllt hat . . ." Um die Häßlichkeit des Schwülsstils zu erkennen, braucht man nur nie sein Brot mit T r ä n e n aß . . in den Behördenstil zu ü b e r t r a g e n : „Derjenige, welcher nie sein Brot mit T r ä n e n aß, Derjenige, welcher nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saß . . ." Und n u n zu d e r e r s t e r e , d e r l e t z t e r e ! Diese törichten Steigerungen von e r s t u n d l e t z t , die selbst als Höchststeigerungen anzusehen sind, gehören auch zu den Schmerzenskindern der deutschen Ausdrucksweise. „E. T. A. H o f f m a n n und Edgar Allan Poe haben die phantastische unheimliche Erzählung in die L i t e r a t u r e i n g e f ü h r t ; d e r erstere ein Deutscher, J u r i s t , Musiker und Schriftsteller, der l e t z t e r e ein A m e r i k a n e r . . ." W a r u m nicht einfach: d e r e r s t e , d e r l e t z t e oder j e n e r , d i e s e r ? Aber manchen ist selbst d e r l e t z t e r e noch nicht kanzleimäßig genug, sie versteigen sich gar zu einem w e l c h l e t z t e r e r , u n d dies obendrein, wenn keine Verwechslungsmöglichkeit b e s t e h t : „Liselotte blinzelte ihrem B r u d e r zu, welch letjterer aber so tat, als b e m e r k e er das Zeichen nicht." Von e r s t e r e r kleiner Schritt.

und

letzterer

zum

Zahlwort

ist

nur

ein

25

Das

Zahlwort

Außer den bestimmten Zahlwörtern, den Grundzahlwörtern „ein J a h r hat 52 (zweiundfünfzig) Wochen" und den Ordnungszahlwörtern „Goethe wurde am 28. (achtundzwanzigsten) August geboren" sind noch die einen Zahlbegriff ganz allgemein angebenden Fürwörter: k e i n e , e i n i g e , e t l i c h e , m e h r e r e , v i e l e , s ä m t l i c h e , a l l e zu erwähnen, man könnte sie audi unbestimmte Zahlwörter nennen. Mit den Silben l e i , f a c h , h a l b , m a l , t .e 1 ( = Teil) kann man weitere Zahlwörter bilden: zweierlei, achtfach, dreieinhalb, fünfmal, Viertel. b e i d e sollte man nur dann gebraudien, wenn wirklich von einem P a a r die Rede ist, nicht aber, wenn z w e i von vielen der gleidien Art gemeint sind. „Beim Kartenspiel habe ich nur z w e i Mark gewonnen." Dagegen „Er hat b e i d e Hände verbrüht." Z w o statt z w e i i u sagen, hat nur im Fernsprechverkehr wegen der Klangähnlichkeit mit d-t e i seine Bereditigung. Vor dem abgegriffenen Modewort h u n d e r t p r o z e n t i g ist zu warnen. Seine Anwendung ist lediglich dann erlaubt, wenn es sich tatsächlich um genau einhundert Prozent handelt, z. B. „eine Gewinnsteigerung von 93 auf 100 °/o", nicht aber, wenn dafür v ö l l i g gesagt werden kann. „Der Tod seiner Lebensgefährtin hat ihn 100°/oig aus dem Gleise gebracht" — „Durch den schlechten Umgang ist der Junge 100°/oig verdorben worden." Das ist doch sdieußlidi zu lesen. Die Zahl ist in Ziffern zu schreiben, sobald es sidi um Rechnerisches handelt: Die Spesen betrugen 28 Märk 45. Ich bitte Sie, auch so zu schreiben, wie wir sprechen, und nicht etwa: RM 28,45, .welche Schreibung nur Sinn hat, wenn mehrere Posten zur Addition untereinandergesetjt werden. Wo nidit wirklidi gezählt wird, sind auch keine Ziffern anzuwenden. Eine Schreibung „vom 100. ins 1000. kommen" statt „vom Hundertsten inä Tausendste" würde sidi recht merkwürdig ausnehmen. Das

Zeitwort

S c h r e i b e n ist ein Z e i t w o r t , Man kann es auch ein T ä t i g k e i t s w o r t nennen, weil es eine Tätigkeit ausrlräckt. Sage ich e r s c h r i e b , e r w i r d s c h r e i b e n , so wird damit die Zeit bezeichnet, in der die Tätigkeit geschieht. Damit erklärt sich der Name: Zeitwort. Die Biegung der Hauptwörter, Eigenschaftswörter und Fürwörter heißt D e k l i n a t i o n , die der Zeitwörter K o n j u g a t - i o n ; f ü r k o n j u g i e r e n sagt man audh: a b w a n d e l n .

26

Bei der Abwandlung unterscheidet man verschiedene Formen: 1. D i e P e r s o n e n f o r m . Wir haben drei Personen in der Einzähl: i c h g e b e , d u g i b s t , e r ( s i e , e s ) g i b t und drei in der Mehrzahl: w i r g e b e n , i h r g e b e t , s i e g e b e n . 2. D i e

Ausaageform

oder

Redeweise

a) d i e W i r k l i c h k e i t s f o r m ( I n d i k a t i v ) : ich gab, b) d i e M ö g l i c h k e i t s f o r m , Vorstellungsform ( K o n j u n k t i v ) : ich gäbe, c) d i e B e f e h l s f o r m ( I m p e r a t i v ) : gib! 3. D i e

Zeitform

a) Ge g e n w a r t 1. d i e G e g e n w a r t 2. d i e v o l l e n d e t e gegeben,

( P r ä s e n s ) : ich gebe, Gegenwart (Perfekt):

ich habe

b)

Vergangenheit 1. d i e V e r g a n g e n h e i t ( I m p e r f e k t ) : ich gab, 2. d i e v o l l e n d e t e V e r g a n g e n h e i t (Plusquamp e r f e k t ) : ich hatte gegeben,

c)

Zukunft 1. d i e Z u k u n f t ( F u t u r ) : ich werde geben, 2. d i e v o l l e n d e t e Z u k u n f t (2. F u t u r o d e r t u r u m e x a k t u m ) : ich werde gegeben haben.

Fu-

Es gibt sodann noch personenlose Formen: 1. D i e G r u n d f o r m ,

Nennform

2. D a s M i t t e l w o r t ( P a r t i z i p ) : geben (2. Mittelwort). Ich gebe, sie werden durch Hilfe von s e i n , gesetzte Zei

(Infinitiv):

geben,

gebend (1. Mittelwort),

ge-

i c h g a b nennt man e i n f a c h e Zeitformen; das Zeitwort selbst gebildet. Zeitformen, die man mit h a b e n und w e r d e n bildet, heißen z u s a m m e n t f o r m e n : ich habe gegeben, ich werde geben.

Weil s e i n , h a b e n und w e r d e n bei der Gestaltung der Zeitformen einspringen, also den Zeitwörtern Gehilfendienste leisten, führen sie den Namen H i l f s z e i t w ö r t e r . Außer den dreien kennt man noch die folgenden: w o l l e n , m ö g e n , k ö n n e n , dürfen, s o l l e n , m ü s s e n und l a s s e n . Dagegen ist b r a u c h e n kein Hilfszeitwort. Dies sei allen, besonders den Berlinern, nachdrücklich gesagt. Es heißt folglich „ E r braucht nicht z u k o m m e n " ; denn nur bei den Hilfszeitwörtern steht der Infinitiv ohne z u „ich will jetjt schlafen" — „du mußt nun gehen".

22

Wie ich Ihnen schon bei der Aufzählung der W o r t a r t e n sagte, unterscheidet man eine s t a r k e u n d eine s c h w a c h e Abwandlung. Bei der s t a r k e n v e r ä n d e r t sich der Stammvokal im I m p e r f e k t u n d im 2. P a r t i z i p : ringen, r a n g , gerungen, u n d dieses endigt auf e n ; bei der s c h w a c h e n bleibt der Stammvokal u n v e r ä n d e r t , das Imperf e k t endigt auf t e , das 2. P a r t i z i p auf t oder e t : lachen, lachte, gelacht; schmachten, schmachtete, geschmachtet. Sodann gibt es auch sogenannte ü n r e g e l m ä ß i g e Z e i t w ö r t e r , die den Ablaut wie die starken bilden, aber wie die schwachen endigen, z. B. nennen, nannte, genannt. Und n u n ist noch zu unterscheiden zwischen der T ä t i g k e i t s f o r m , dem A k t i v , eines Zeitworts „ich liebe" und der L e i d e f o r m , dem P a s s i v , „ich werde geliebt". E r w ä h n e n m u ß ich noch, daß es auch r ü c k b e z ü g l i c h e Z e i t w ö r t e r gibt — bei ihnen k e h r t die Tätigkeit zum U r h e b e r z u r ü d t — , z. B. i c h w a s c h e m i c h , f e r n e r auch u n p e r s ö n l i c h e : es blitjt, es hagelt, d. h. eine K r a f t , die n u r ganz unbestimmt mit „ e s " bezeichnet wird, blitjt oder hagelt. Poch damit halt! Jetjt habe ich genug aufgezählt; denn ich möchte ja gerade alles T a b e l l e n a r t i g c ' vermeiden, das Sie an die nüchternen Seiten einer Schulgrammatik e r i n n e r n kann. Vor allem beim Zeitwort lohnt es sich, vom Ä u ß e r n , Regelhaften zum K e r n vorzudringen, dieweil das Zeitwort das wichtigste Wort im Sage ist, von dem selbst das H a u p t w o r t trotj seines stolzen, etwas anmaßenden Namens in den Schatten gestellt wird. Das Zeitwort allein gestaltet, das H a u p t w o r t bezeichnet eine Erscheinung, gibt ihr einen Namen. Betrachten wir eins: d e r B a u m ! d e r Baum; gibt es den ü b e r h a u p t ? Es gibt eine Birke, eine Eiche, einen Ahorn. Da haben wir b e s t i m m t e Vorstellungen. Aber d e r B a u m ? Ganz vag sehen wir einen Stamm* Äste, Laub, doch es verdichtet sich, nicht. Aber n u n g r e i f e ich ein Zeitwort, f ü g e es hinzu: D e r B a u m r a u s c h t . Nun wird das W o r t zur Vorstellung, zur lebendigen Anschauung. Und wer hat dies vollbracht? Das Zeitwort, das Tätigkeitswort allein. Die B l ä t t e r bewegen sich im Wind, das Ohr glaubt ein Rauschen zu vernehmen. Das Zeitwort ist der Lebenspender eines Satjes. Und betrachten wir n u n wieder seine Gestalt! Die Gestalt dieser vielfältigsten W o r t a r t ist ein geschmeidig wechselndes Gebilde. Geschmeidig, aber nicht weichlich! Wie starr u n d u n g e f ü g e m u t e t uns dagegen das H a u p t w o r t (und auch das Eigenschaftswort) an: d e r H u n d , d e s H u n d e s ; die

28

H u n d e , d e n H u n d e n — der Stamm bleibt, nur die Endungen verändern sich ein wenig; d i e P r a u — die vier Einzahlfälle bleiben sich gleich, d i e F r a u e n — genau so ist's mit den Mehrzahlfällen. Wenn wir M a n n , M ä n n e r hören, sind wir geradezu erstaunt über den Umlaut. Da zeigt das starke Zeitwort ein anderes Gesicht. Betrachten wir w e r b e n ! Es konjugiert: w a r b , w ü r b e , g e w o r b e n , w i r b ! e , a , ü , o , i. Das ist schon ein bunter Wechsel. Und die Endungenr ich w e r b e , du w i r b s t , er w i r b t , wir w e r b e n , ihr w e r b t , sie werben. Schade ist es, jammerschade, daß sich so wenige Deutsche bewußt sindr Diese vokalreichen Formen verdienen Pflege. Gibt es von einem Zeitwort starke und schwache Formen, so wollen wir die starken gebrauchen; sie sind älter, gehaltvoller und schöner als die schwachen. Wir sagen also nicht z e i h t e , sondern z i e h (er zieh sie der Untreue), nicht s t i e b t e , sondern s t o b , nicht m e l k t e , sondern m o l k usw. Wobei wir aber folgendes beachten müssen: Manche Zeitwörter ändern mit der Form auch ihre Bedeutung, so s c h a f f e n : s c h a f f t e , ges c h a f f t e arbeiten, wirken, schuf, g e s c h a f f e n e hervorbringen, schöpferisch gestalten; s c h m e l z e n : s c h m e l z t e , g e s c h m e l z t e zum Schmelzen bringen, zerlassen, schmilzt, schmolz, g e s c h m o l z e n e flüssig werden; erschrecken: e r s c h r e c k t , e r s c h r e c k t e , e r s c h r e c k t = einen in Schreck versetjen, e r s c h r i c k t , e r s c h r a k , e r s c h r o c k e n e in Schreck geraten. Besonders stiefmütterlich wird die Konjunktivform des Imperfekts des starken Zeitworts behandelt, d. h. sie wird von der überwiegenden Mehrheit der Deutschen mit w ü r d e gebildet: e r w ü r d e t r a g e n , statt des vollmundigen t r ü g e , e r w ü r d e f l i e g e n , statt f l ö g e , e r w ü r d e g e w i n n e n , statt g e w ä n n e oder g e w ö n n e . Man hat einmal die Behauptung aufgestellt: Die Wesensart eines Menschen vermöge man auch an seinem Verhältnis zur Sprache zu erkennen, und zwar vor allem daran, welche Zeitwörter er aus der großen Herde auswähle und welcher ihrer Formen er sich bediene. Der E d l e erstrebe edles Wort und edle Form. Mhm! Wir buchen die Behauptung lediglich als Theorie; denn den vielen Millionen, die zu b a c k e n : b a c k t e , w ü r d e backen sagen, stehen wohl nur wenige Tausend gegenüber, die b u k , b ü k e bilden und diese Formen auch anwenden. Dazu gehört nämlich ein gewisser Bekennermut. Sehen doch manche eine Konjunktivform wie w ü s c h e (waschen würde) als eine gezierte Redeweise an und be-

29

spötteln den Sprecher. Aber nicht der ist zu belächeln — er spricht ja ein gutes, einwandfreies Deutsch — , sondern weit eher die würde-Sager, die in einer verwaschenen Umgangssprache daherreden. Selbst die mit i gekennzeichneten Befehlsformen etlicher starker Zeitwörter werden ihres besonderen Charakters entkleidet und falsch gebildet: B r e c h e die Spige nicht ab! — S p r e c h e doch deutlich! — V e r g e s s e nicht, den B r i e f einzuwerfen! — H e l f e doch der alten F r a u ! Nein, es h e i ß t : b r i c h ! , s p r i c h ! , v e r g i ß ! , h i l f ! Halt! Eins habe ich noch nicht erwähnt: Wir unterscheiden zielende (transitive) und n i c h t z i e l e n d e (intransi t i v e ) Zeitwörter. Da ihre Formen häufig vermischt werden, wollen wir einige Beispielwörter zur Veranschaulichung herausgreifen: h ä n g e n (zielend), ich h ä n g e den Hut an den Haken, h ä n g t e , habe g e h ä n g t ; h ä n g e n — die gute alte F o r m lautet: h a n g e n — (nichtzielend), der Hut h i n g am Haken, hat g e h a n g e n , löschen (zielend), er l ö s c h t das Licht, l ö s c h t e , hat gelöscht; löschen (ziellos), das Feuer e r l i s c h t , erlosch, ist erl o s c h e n . s c h w e l l e n (zielend), der Sturm s c h w e l l t die Segel, s c h w e l l t e , hat g e s s h w e l l t ; s c h w e l l e n (nichtzielend), das Wasser s c h w i l l t , s c h w o l l , ist (a n) g e s c h w o 11 e n. Manche Zeitwörter können mit h a b e n und s e i n verbunden werden, z. B . f o l g e n , im Sinne von g e h o r c h e n : ich h a b e meinem Vater aufs Wort g e f o l g t ; aber im Sinne von n a c h g e h e n : ich b i n ihm auf dem Fuße g e f o l g t . Zeitwörter, die eine Bewegung bezeichnen, verbindet man mit h a b e n , wenn man die Tätigkeit an sich nennen will, mit s e i n dagegen, wenn man Wirkung oder Ziel angibt, z. B . Ich h a b e 3 Stunden, geritten — Ich b i n nach Werder geritten. Sie h a t ohne Unterbrechung getanzt — Sie i s t mit ihrem P a r t n e r ins andre Zimmer getanzt. Nachtragen möchte ich noch: w e n d e n und s e n d e n können stark tind schwach abgewandelt werden. Achten Sie aber auf die Unterscheidungen: I c h h a b e m i c h u m g e w e n d e t oder (besser) u m g e w a n d t , aber nur: D e r S c h n e i d e r h a t d e n R o c k g e w e n d e t . I c h h a b e d i r d e n B r i e f g e s a n d t (und nicht: g e s e n d e t ) , dagegen: I m R u n d f u n k w i r d e i n H ö r s p i e l g e s e n d e t (aber nicht: g e s a n d t ) . „Ich habe ihn kommen s e h e n und bald darauf reden h ö r e n " „ S i e hat lachen m ü s s e n , es aber nicht wahrhaben w o l l e n " — .

30



Daß hier s e h e n gebräuchlicher ist als g e s e h e n , w o l l e n sich besser anhört als g e w o l l t , ist Ihnen, als Deutschen, selbstverständlich b e k a n n t ; trotjdem werden Sie sich vielleicht schon gefragt h a b e n : „ W a r u m setjt man in diesen u n d ähnlichen V e r b i n d u n g e n den Infinitiv s t a t t des 2. M i t t e l w o r t s ? " Darauf k a n n ich Ihnen e r l ä u t e r n d a n t w o r t e n : Es handelt sich hier um keine G r u n d f o r m (Infinitiv), sondern um eine alte N e b e n f o r m des 2. Mittelworts, die nicht auf t , sondern auf e n endigt. Sie wird bei einer Reihe von Hilfszeitwörtern u n d bei b r a u c h e n , lernen, h ö r e n , h e i ß e n , l a s s e n u. ä. angewandt. W u r d e die Leiche in die g e f ü h r t ? Da k a n n man ist man sich wohl einig, daß f ü h r t wurde. Nun und die

F a m i l i e n g r u f t ü b e r f ü h r t oder ü b e r verschiedene A n t w o r t e n hören. Dagegen der Heiratsschwindler des Betrug3 ü b e r Leiche? Sie w u r d e ü b e r g e f ü h r t .

Über die zusammengesetjten Z e i t w ö r t e r ist dies zu sagen: Liegt auf der ersten Silbe des Zeitworts d e r Ton, so wird das 2. P a r t i z i p mit g e gebildet und das Infinitiv-zu k o m m t zwischen die Zusammensetjung, z. B. zuschließen, zugeschlossen, zuzuschließen; liegt dagegen der T o n auf einer a n d e r n Silbe, so bleibt g e weg und z u tritt vor den Infinitiv, z. B. beschließen, beschlossen, zu beschließen. Vgl. auch: abkürzen, abgekürzt, a b z u k ü r z e n ; verkürzen, v e r k ü r z t , zu v e r k ü r z e n / durchdringen, die Nässe ist durch die Decke durchgedrungen, durchzudringen; durchdringen, von der Überzeugung durchdrungen (erfüllt), zu durchdringen / u n t e r b r e i t e n , er hat eine Decke u n t e r g e b r e i t e t , u n t e r z u b r e i t e n ; unterbreiten, er hat ein Gesuch u n t e r b r e i t e t (vorgelegt), zu u n t e r b r e i t e n . Nun gibt es aber auch Schwanklingen bei der Betonung. So k a n n man f r o h l o c k e n und f r o h locken, lieb k o s e n und l i e b kosen betonen und folglich frohlockt u n d frohgelockt, liebkost u n d liebgekost bilden. Wie sich die Sprache wandelt, d a f ü r k a n n ich Ihnen ein Beispiel an dem Zeitwort b e s c h e r e n geben; b e s c h e r e n heißt z u t e i l e n . Die G r a m m a t i k e n f o r d e r n (oder: f o r d e r t e n ) daher mit Recht, daß die" Person in den Dativ, die Sache in den Akkusativ zu se^en ist, also.: Ich beschere meinem Nichtchen eine P u p p e — Den K i n d e r n des Waisenhauses wurde am Heiligen Abend beschert. Nun neigt man seit einer Reihe von J a h r e n dazu, die Person in den Akkusativ zu setjen, indem man b e s c h e r e n an b e s c h e n k e n angleicht. Zuerst k o n n t e man die neue Fallanwendung nur vereinzelt hören und n u r in wenigen Zeitungen finden, dann griff sie aber immer mehr um sich, u n d Weihnacht 1946 heißt es ausschließlich e i n e n b e -

31

scheren. Ich zitiere: „Schüler bescheren ihre bedürftigen Geschwister" — „Auch in diesem J a h r e wurden in der kaufmännischen Berufsschule Pettenkoferstraße 400 Kinder beschert", sodann e i n e n m i t e t w a s b e s c h e r e n : „Die Heilsarmee besclicrt 600 bedürftige Kinder mit ausländischen Spenden" — „Die amerikanischen Besegungstruppen bescheren allein 14 000 Schulkinder ihres Sektors mit Obst, Süßigkeiten und Kleidungsstücken" usw. Ich behandle dieses Thema so ausführlich, um an einem Beispiel nicht nur eine Fallwandlung zu veranschaulichen, sondern um Ihnen auch zu zeigen, daß die deutsdie Sprache durch den Volksgebrauch und nicht durch eine Akademie von Fachgelehrten gemodelt wird. E i n e n b e s c h e r e n hat sich durchgeseiht; und die Grammatikmänner haben die Pflicht, dies zu verbuchen. Ich betone abschließend noch einmal: Das satjbewegende Wort ist das Zeitwort. „Die Mutter küßt das Kind". Madie ich nun aus dem Zeitwort „küssen" ein Hauptwort, so verliert der kleine Satj jegliche Bildhaftigk e i t : „Die Küssung des Kindes durch die Mutter". B r r ! Ist das scheußlich! Aber macht's der Behördenstil nicht ähnlich? „In Bälde wird eine Verordnung über die Errichtung einer Gesundheitsüberwachung der Geflügelzuchten . . ." Man ist versucht, ein wenig zu persiflieren: „An alle Inhaber von Devisen ergeht die Aufforderung, die Anmeldung derselben bis zum 15. ds. Mts. zu tätigen; im Falle der Nichtbefolgung tritt Bestrafung ein". Und man könnte doch klar und einfach sagen: „Wer bis 15. d. M. seine Devisen nicht anmeldet, wird bestraft". Aber wo blieben dann die ung-Wörter: Aufforderung, Anmeldung, Nichtbefolgung, Bes t r a f u n g ? Verordnung, Errichtung, Gesundheitsüberwachung, die blutleeren Hauptwörter klappern hölzern. Und ein einziges gutes Zeitwort, geschickt dazwischengesetjt, kennte selbst dem ung-Unfug Leben zuführen. Ich rufe Ihnen warnend zu: Verfallen Sie nicht der Hauptwörtersucht.f Pflegen Sie das Zeitwort! t i a n n wird Ihre Ausdrucksweise wendig und bewegt. Das

Umstandswort

Das Verwechselbare und häufig genug Verwechselte soll am Anfang stehen! F o r t heißt v o r w ä r t s , w e g bedeutet h i n w e g . Es ist daher richtig, von F o r t s e t z u n g und F o r t s c h r i t t zu sprechen; denn dabei handelt es sich um ein Weiter-, ein Vorwärtsführen. Eine Zu-

32

«ammensetjung F o r t f a l l ist dagegen falsch; es kann nnr einen W e g f a l l geben. Es heißt auch nicht f o r t s c h n e i d e n , f o r t w e r f e n , sondern allein w e g s c h n e i d e n , w e g w e r f e n . Bei h e r und h i n ist der Standpunkt des Sprechers maßgeblich. H e r - auf midi zu, h i n - von mir weg. K o m m h e r ! , h e r a u f ! , h e r ü b e r ! Geh h i n ! , h i n a u f ! , h i n ü b e r ! Gib mir das Messer h e r ! Leg das Messer auf den Tisch h i n ! H e r u m heißt r u n d u m , r u n d h e r u m (also in kreisförmiger Bewegung). Das Karussel dreht sich h e r u m (rundherum). U m h e r bedeutet: nach allen Richtungen. Man sagt folglich richtig: Er reist in der Welt umher, (bald hierhin, bald dorthin), nicht aber: Er reist herum; dies hieße nämlich: Seine Fahrt geht im Kreise. N a t u r g e m ä ß ist nicht gleichbedeutend mit n a t ü r l i c h , sondern läßt sich mit „gemäß der N a t u r " erklären. Man kann z. B. von naturgemäßer Behandlung von Pflanzenkulturen sprechen. Naturg e m ä ß darf also nicht im Sinne von s e l b s t v e r s t ä n d l i c h gebraucht werden; denn nur n a t ü r l i c h und s e l b s t v e r s t ä n d l i c h fallen in ihrer Bedeutung zusammen. Über die U m