Kategorien des Nomens: Schnittstellen und Ökonomie [Reprint 2013 ed.] 9783110918625, 9783484304581

The leitmotif of this study is economy, both at the linguistic and the analytic level. It explores the following subject

170 90 4MB

German Pages 172 [176] Year 2002

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
1. Einleitung: Funktionale Kategorien des Nomens
1.1. Ziele und Leitmotive der Arbeit
1.2. Theoretische Annahmen zu funktionalen morphologischen Kategorien
1.3. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Untersuchungen
2. Determination durch Affigierung: der postnominale definite Artikel der Balkansprachen
2.1. Einleitung
2.2. Der postnominale Artikel als Klitik der reinen Vernunft?
2.3. Syntaktische Analysen und ihre Probleme
2.4. Der angeblich klitische Balkan-Artikel: Wackernagel als Phantom
2.5. Der postnominale Artikel als Suffix: eine lexikalische Analyse
2.6. Der postnominale Artikel unter Koordination
2.7. Weitere Aspekte des postnominalen Artikels in der rumänischen DP
2.8. Zusätzliche Evidenz für die Selegierung von Nomen und Adjektiv als Eigenschaft von Affixen
2.9. Resümee
3. Die morphologische Lizensierung von Modifikatoren des Nomens: Evidenz für Argumenterweiterung
3.1. Einleitung
3.2. Morphologisch overte Lizensierung von Individuenargumenten
3.3. Zur semantischen Behandlung von Modifikation
3.4. Morphologische Evidenz für ARG: Die persische Ezafe-Konstruktion
3.5. Representation der Ezafe
3.6. Die Kurdische ‘(un)bestimmte Partikel’
3.7. Evidenz für morphologisch overtes ARG am Verb: Yukatekisch
3.8. Morphologische Evidenz für MOD
3.9. Typologische Überlegungen zu semantischer und morphologischer Flexibilität
3.10. Fazit
4. Numeruskongruenz und Ökonomie im ‘Sprachtyp Ungarisch’
4.1. Einleitung
4.2. Die Daten: Zwei Typen von DP-interner Kongruenz
4.3. Ist das Ausbleiben von Pluralmarkierungen ein Kongruenzproblem?
4.4. Zwei ‘konventionelle’ Ansätze und ihr Scheitern
4.5. Die Ökonomieanalyse
4.6. Idiosynkratische Fälle von Pluralkongruenz in ‘Typ-Ungarisch’-Sprachen
4.7. Weitere Evidenz für *PL(DP): Ökonomieconstraints und ihre Interaktion mit anderen Bedingungen
4.8. Resümee und Ausblick
5. Schluss
Literaturverzeichnis
Recommend Papers

Kategorien des Nomens: Schnittstellen und Ökonomie [Reprint 2013 ed.]
 9783110918625, 9783484304581

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Linguistische Arbeiten

458

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese

Albert

Ortmann

Kategorien des Nomens Schnittstellen und Ökonomie

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002

Meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ortmann, Albert: Kategorien des Nomens : Schnittstellen und Ökonomie / Albert Ortmann. - Tübingen : Niemeyer, 2002 (Linguistische Arbeiten ; 458) ISBN 3-484-30458-8

ISSN 0344-6727

D61 (0 Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen. Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck G m b H , Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nadele, Nehren

Vorwort

Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich Anfang 2000 an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eingereicht habe. An erster Stelle geht mein Dank an Dieter Wunderlich. Seine Betreuung bei der Verfassung der Arbeit kann ich nicht anders als ideal bezeichnen, denn er war immer für mich ansprechbar, wegweisend, herausfordernd und kritisch, im Detail ebenso wie im Gesamten, und wo nötig geduldig. Auch dem Zweitgutachter Jim Kilbury danke ich sowie Richard Wiese für die Möglichkeit, diese Dissertation in den 'Linguistischen Arbeiten' zu publizieren. Eine der äußeren Bedingungen, von der diese Arbeit, zumindest jedenfalls ihr Verfasser, entscheidend profitiert hat, ist die fachlich produktive und menschlich angenehme Atmosphäre am Düsseldorfer Seminar für Allgemeine Sprachwissenschaft und im Sonderforschungsbereich 282 „Theorie des Lexikons". Von den vielen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich mich während der Entstehung der Arbeit immer wieder austauschen konnte, möchte ich Birgit Gerlach, Ingrid Kaufmann, Martin Krämer, Alexandra Popescu, Carsten Steins und Barbara Stiebeis hervorheben, sowie Thomas Gamerschlag, dem ich viele wertvolle Tipps zur elektronischen Datenverarbeitung und so manche Tasse guten Kaffees verdanke. Um eine grössere Arbeit mit zwei, später drei Kindern im Windelalter fertigzustellen, braucht es auch ein funktionierendes privates Umfeld. Die Hauptperson darin ist Antje Ortmann, meine in allen Lebenslagen verlässliche Partnerin. Auch den Großeltern der Kinder, Sylvia Ortmann sowie Ursula und Gordon Schmidt, möchte ich für ihre Unterstützung danken. Im Übrigen ist das Erscheinen dieser Arbeit vom Erscheinen von Daria, dann von Brian und schließlich von Damaris erst so richtig gefördert worden. Gewidmet ist diese Arbeit meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters.

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Funktionale Kategorien des Nomens 1.1. Ziele und Leitmotive der Arbeit 1.2. Theoretische Annahmen zu funktionalen morphologischen Kategorien 1.3. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Untersuchungen 2. Determination durch Affigierung: der postnominale definite Artikel der Balkansprachen 2.1. Einleitung 2.2. Der postnominale Artikel als Klitik der reinen Vernunft? 2.3. Syntaktische Analysen und ihre Probleme 2.3.1. Theoretische Probleme 2.3.2. Empirische Probleme: der postnominale Artikel unter Koordination 2.4. Der angeblich klitische Balkan-Artikel: Wackernagel als Phantom 2.5. Der postnominale Artikel als Suffix: eine lexikalische Analyse 2.5.1. Lexikalische Repräsentationen 2.5.2. Syntaktische Konsequenzen 2.5.3. Semantische Kompositionalität des suffigierten Artikels 2.6. Der postnominale Artikel unter Koordination 2.6.1. Analyse der rumänischen und albanischen Koordinationsdaten 2.6.2. Analyse der bulgarischen Koordinationsdaten 2.7. Weitere Aspekte des postnominalen Artikels in der rumänischen DP 2.8. Zusätzliche Evidenz für die Selegierung von Nomen und Adjektiv als Eigenschaft von Affixen 2.9. Resümee 3. Die morphologische Lizensierung von Modifikatoren des Nomens: Evidenz für Argumenterweiterung 3.1. Einleitung 3.2. Morphologisch overte Lizensierung von Individuenargumenten 3.2.1. Morphologische Argumenterweiterungen am Verb 3.2.2. Morphologische Argumenterweiterungen am Nomen 3.3. Zur semantischen Behandlung von Modifikation 3.4. Morphologische Evidenz für ARG: Die persische Ezäfe-Konstruktion 3.4.1. Durch die Ezäfe lizensierte Possessorphrasen 3.4.2. Durch die Ezäfe lizensierte Modifikation 3.4.3. Rekursivität der Ezäfe 3.4.4. Ezäfe und (In)Definitheit 3.5. Repräsentation der Ezäfe 3.5.1. Syntaktische Lösung

1 1 3 5

8 8 9 12 13 14 16 25 25 27 31 33 34 37 41 45 47

49 49 50 50 52 53 56 57 58 62 64 65 66

vili 3.5.2. Lexikalische Lösung 3.6. Die Kurdische '(un)bestimmte Partikel' 3.6.1. Nominativkontexte 3.6.2. Akkusativkontexte 3.6.3. Das Kurdische als sprachhistorisches Übergangsszenario von MOD zu ARG 3.7. Evidenz für morphologisch overtes ARG am Verb: Yukatekisch 3.8. Morphologische Evidenz für MOD 3.8.1. MOD am attributiven Adjektiv 3.8.2. Die adnominale ¿e-Konstruktion des Mandarin-Chinesischen (nach Rubin 1994) 3.8.3. Die ife-Partikel des Rumänischen (nach Rubin 1994) 3.9. Typologische Überlegungen zu semantischer und morphologischer Flexibilität.. 3.9.1. Tagalog ng/na 3.9.2. Die palauanische Partikel al 3.9.3. Konsequenzen 3.10. Fazit 4. Numeruskongruenz und Ökonomie im 'Sprachtyp Ungarisch' 4.1. Einleitung 4.2. Die Daten: Zwei Typen von DP-interner Kongruenz 4.2.1. 'Typ Deutsch': mehrere overte Realisierungen von Pluralität 4.2.2. 'Typ Ungarisch': nur eine overte Realisierung von Pluralität 4.3. Ist das Ausbleiben von Pluralmarkierungen ein Kongruenzproblem? 4.3.1. Der Status des Pluralmarkers als phrasales Suffix 4.3.2. Ist der 'Kongruenztyp Ungarisch' mit einer speziellen Pluralsemantik erklärbar? 4.3.3. Fazit: Fragen für die Analyse 4.4. Zwei 'konventionelle' Ansätze und ihr Scheitern 4.4.1. Erster Lösungsversuch: Unterspezifikation 4.4.2. Zweiter Lösungsversuch: Selegierung einer Spezifikation durch syntaktischen Kopf 4.5. Die Ökonomieanalyse 4.5.1. Nomen und Adjektiv 4.5.2. Nomen mit Numeralia 4.5.3. Demonstrativum und DP 4.5.4. Subjekt-Verb-Kongruenz 4.6. Idiosynkratische Fälle von Pluralkongruenz in 'Typ-Ungarisch'-Sprachen 4.6.1. Die semantisch motivierte Verbkongruenz des Baskischen 4.6.2. Die Verbkongruenz des Kurdischen 4.6.3. DP-inteme Modifikatoren im Archi 4.6.4. DP-interne Modifikatoren im Finnischen

69 72 73 79 81 82 84 85 86 87 90 90 91 93 95 97 97 98 98 99 105 106 108 110 110 110 115 117 119 122 124 129 130 131 133 136 139

ix

4.7. Weitere Evidenz für *PL(DP): Ökonomieconstraints und ihre Interaktion mit anderen Bedingungen 4.7.1. Zur Rolle von ökonomieconstraints in der Theoriebildung 4.7.2. Weitere ökonomiegesteuerte Kongruenzphänomene 4.7.3. Ökonomie und Nichtkonfigurationalität 4.8. Resümee und Ausblick

140 141 142 152 154

5. Schluss

156

Literaturverzeichnis

159

1. Einleitung: Funktionale Kategorien des Nomens

1.1. Ziele und Leitmotive der Arbeit

Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, funktionale Kategorien, die am Nomen instantiierbar sind, nach denen also das Nomen flektiert werden kann, unter den folgenden Fragestellungen zu untersuchen: - Was sind die spezifischen Strategien, nach denen einzelne Sprachen Markierungen für die funktionalen Kategorien am Nomen vornehmen? - Wie lassen sich die an den jeweiligen Markierungsstrategien beteiligten morphologischen Stämme und Affixe möglichst redundanzfrei repräsentieren? - Wie sind die jeweiligen morphologischen Markierungsstrategien in das Spannungsfeld von semantischer Transparenz und Sprachökonomie einzuordnen? - Welche Rolle spielt die lexikalische Repräsentation bei der Darstellung der Interaktion der einzelnen Grammatikkomponenten (Semantik, Morphologie, Syntax, Phonologie)? Diese Fragestellungen sollen im Folgenden weiter ausgeführt werden. Ein zentraler Gesichtspunkt, unter dem die Arbeit steht, ist das Konzept der Ökonomie. Der Gedanke der Ökonomie bei der Beschreibung von sprachlichen (wie auch von anderen kognitiven) Phänomenen hat zwei Aspekte, die besonders deutlich bei Gärtner & Wilder (1999) herausgearbeitet sind. Unter dem einen Aspekt ist die Ökonomie ein wesentliches heuristisches Desiderat auf der Ebene der Darstellung. Im vorliegenden Fall betrifft dies in erster Linie eine möglichst redundanzfreie Repräsentation lexikalischer Einheiten. Insofern ist das Ziel meiner Untersuchungen eine explizite Darstellung der morphologischen Verhältnisse, die sich am Gedanken der ökonomischen Repräsentation orientiert. Als theoretischer Rahmen dient dabei die Minimalistische Morphologie (MM), wie sie in Wunderlich & Fabri (1996) und Wunderlich (1996a,b) entwickelt ist. Durch die Nutzung des merkmaltheoretischen Konzepts der Unterspezifikation und weniger, allgemeiner Beschränkungen beim Aufbau von Flexionsparadigmen strebt diese Theorie nach möglichst wenig aufwendigen Einträgen sowohl für lexikalische Stämme als auch für Flexionsaffixe. Der andere Aspekt von Ökonomie betrifft die Frage, inwieweit der Untersuchungsgegenstand selbst, also natürlichsprachliche morphologische Erscheinungen, ökonomisch sind oder auch nicht. Ein zweites Leitmotiv der einzelnen Untersuchungen ist deshalb das Spannungsfeld von Explizitheit bzw. semantischer Transparenz in der Morphologie auf der einen Seite sowie Sprachökonomie auf der anderen Seite. Dieses Spannungsfeld beschäftigt die linguistische Forschung schon seit Langem und kommt besonders deutlich in der Natürlichkeitsforschung zum Ausdruck; siehe dazu vor allem Wurzel (1984). Der Gedanke der Auswahl miteinander konkurrierender syntaktischer bzw. morphologischer Bildungen spielt dagegen im Minimalistischen Programm (Chomsky 1995) bzw. in der Minimalisti-

2 sehen Morphologie eine Rolle. Inzwischen bietet die Optimalitätstheorie (OT; McCarthy & Prince 1993, Prince & Smolensky 1993) einen handhabbaren Rahmen für eine formale Beschreibung grammatischer Strukturen als präferierten Kandidaten aus der Menge von konkurrierenden Kandidaten, jeweils nach Maßgabe einzelsprachlich unterschiedlich gewichteter Anforderungen. Beispielsweise widmet sich die Arbeit von Stiebeis (2000) dem Spannungsfeld von 'Expressivität' und morphologischer Ökonomie und benutzt dabei die Optimalitätstheorie zur Darstellung sprachspezifischer Linkingmuster durch jeweils unterschiedlich angeordnete Forderungen nach Expressivität des Systems auf der einen und Begrenzungen des morphologischen Inventars auf der anderen Seite. Eine weitere übergeordnete Fragestellung betrifft die grammatischen Schnittstellen. Bei den Phänomenen, die ich im Einzelnen untersuchen werde, ist die aus der Semantik zu gewinnende Information hinsichtlich Argumentstruktur und Merkmalspezifikation ebenso relevant wie die Konsequenzen der lexikalischen Information für die Syntax. Die Grundthese ist, dass morphologische Phänomene wie die hier betrachteten in ihrer Komplexität nicht erklärt werden können, indem die Beschreibung auf eine einzelne Strukturebene reduziert wird, etwa auf die Syntax (wie zum Teil in der jeweils diskutierten Literatur), oder aber auch nur auf die Morphologie selbst. Vielmehr ist vor allem die Semantik einzubeziehen, da die hier angesiedelte Information teilweise unabhängig von der einzelsprachlichen morphosyntaktischen Struktur anzunehmen ist und daher die Gefahr besteht, Information in redundanter Weise der Syntax zuzuschreiben. Vorgaben aus der Semantik für die Flexionsmorphologie ergeben sich insbesondere in zwei Bereichen. Zum einen ist die Argumentstruktur lexikalischer Köpfe im unmarkierten Falle aus der semantischen Dekomposition ableitbar. Dieser Gedanke ist zentral in der Lexikalischen Dekompositionsgrammatik (LDG; Wunderlich 1997a&b) und wird in der vorliegenden Arbeit vor allem bei der Darstellung von Argumenterweiterungsoperationen über dem Nomen eine Rolle spielen. Zum anderen korreliert die Spezifizierung von Flexionsmerkmalen, insbesondere von Kongruenzmerkmalen, aber auch von funktionalen Kategorien wie Definitheit, mit der Anwesenheit entsprechender Prädikate oder Operatoren in der semantischen Form. Auch hier ergeben sich defaultmäßige Entsprechungen, auf die ich im Zusammenhang mit den verschiedenen Typen von Pluralkonstruktionen eingehen werde. Neben der Schnittstelle der Morphologie zur Semantik spielt auch die Schnittstelle zur Phonologie eine Rolle. Dies betrifft nicht nur die besonders innerhalb der Lexikalischen Phonologie und der OT thematisierten bei der Wortbildung anzutreffenden phonologischen Prozesse, also die Morphophonologie. Vielmehr geht es bei einzelnen morphologischen Formativen auch um die Frage, ob sie sich aufgrund phonologischer (bzw. auch syntaktischer) Anforderungen mit ihrem Stamm verbinden, oder aufgrund ihrer morphologischen Selektionseigenschaften. Es handelt sich also um die Abgrenzung von Klitika und Affixen, die vor allem bei der Analyse der definiten Artikelformen der Balkansprachen eine Rolle spielen wird, aber auch bei der Repräsentation der persischen Ezäfe-Konstruktion im Spannungsfeld von Morphologie und Syntax sowie bei phrasalen Numerusmarkierungen. Schließlich ist die Morphologie-Syntax-Schnittstelle zu berücksichtigen. Hierbei steht in der Literatur häufig der Aspekt der Grenzziehung zwischen Morphologie und Syntax im Vordergrund, insbesondere die Frage, ob die Flexionsmorphologie mit den Prinzipien der

3 Syntax darzustellen ist, oder ob sie eigenen Prinzipien folgt. Den Annahmen der MM folgend vertrete ich die Position, dass die Flexionsmorphologie im Lexikon angesiedelt ist, somit anderen Prinzipien folgt als die Syntax, und dass die im Lexikon gebildeten Wortformen direkt in die Syntax projizieren ('early insertion') und dort nicht manipuliert werden können.

1.2. Theoretische Annahmen zu funktionalen morphologischen Kategorien

Funktionale Kategorien spielen bereits eine zentrale Rolle in der Syntaxforschung der letzten eineinhalb Jahrzehnte. Dabei werden häufig auch morphologische Phänomene bzw. Wortstrukturen durch syntaktische Bewegungen von funktionalen Kategorien beschrieben (vor allem bei Baker 1985 und Ouhalla 1991). Das einschlägige Konzept ist die Kopf-zuKopf-Bewegung, wobei lexikalische Stämme sukzessive an den jeweils nächsthöheren funktionalen Kopf bewegt werden. Dies setzt voraus, dass jede einzelne funktionale Kategorie als syntaktischer Kopf eine eigene Phrase projiziert - unabhängig davon, ob eine Kategorie tatsächlich syntaktisch (durch ein freies Morphem) oder aber morphologisch realisiert ist. In der MM sind funktionale Kategorien und ihre relative Ordnung ebenso zentral für den Strukturaufbau. Eine Grundannahme der MM ist, dass funktionale Kategorien durch eine universelle, im wesentlichen durch semantische und ontologische Kriterien (siehe dazu Wunderlich 1993) begründete Hierarchie geordnet sind. Die Hierarchie, die Wunderlich & Fabri (1996:247) für die funktionalen Kategorien des Verbs ansetzen, lautet folgendermaßen: (1) Hierarchie der funktionalen Kategorien des Verbs: C > person > number > gender > mood > tense > aspect > voice (> verb) Die ranghöchste Kategorie C umfasst Komplementierer oder für Frage- bzw. Imperativmodus spezifizierte Verbformen und projiziert auf eine CP in der Syntax. Die drei folgenden Kongruenzkategorien stellen einzelne Instanzen von AGR dar und spezifizieren strukturelle Argumente des Verbs, wie Subjekt oder Objekt. Der Beitrag von Modus, Tempus und Aspekt betrifft dagegen die Situation, auf die referiert wird. Diese Kategorien spezifizieren also das Situationsargument, während Diathesen ('voice') wie z.B. Passiv auf der Argumentstruktur des Verbs operieren. Die Funktion von Hierarchien über funktionalen grammatischen Kategorien besteht, in syntaktischen Ansätzen ebenso wie in der MM, in erster Linie darin, Voraussagen hinsichtlich der linearen Abfolge von Affixen, die diese Kategorien symbolisieren, zu treffen. Die Reihenfolge soll der Hierarchie folgen, wobei sprachspezifisch entweder Präfigierung oder Suffigierung oder beides vorliegen kann. Im ersten Fall ist die jeweils höchste Kategorie wortinitial, im zweiten Fall final. Dasselbe gilt auch für die Realisierung derselben Katego-

4 rien durch freie Morpheme in der Syntax, etwa durch Auxiliare. Nach Baker (1985) folgt diese Parallele von Morphologie und Syntax aus dem 'mirror principle'. Die MM unterscheidet sich von den syntaktischen Ansätzen zu funktionalen Kategorien darin, dass die einzelnen Kategorien nicht als in der Syntax zugrundeliegende Positionen angenommen werden, sondern je nach ihrer einzelsprachlichen Realisierung als freie oder gebundene Morpheme die betreffenden Merkmale entweder in der Syntax projizieren oder in die Wortstruktur einbringen. Die syntaktische Position einer komplexen Wortform, in der also neben dem Stamm eine oder mehrere funktionale Kategorien realisiert sind, ist durch das folgende Prinzip charakterisiert (Wunderlich & Fabri 1996: 271): (2) Syntactic Projection: A (possibly complex) word marks a syntactic projection by means of the category which heads it, and it c-selects a category in virtue of its lowest feature value. Die Begriffe 'head' bzw. 'lowest feature value' beziehen sich auf die jeweilige Position, die eine Kategorie in der in (1) wiedergegebenen Hierarchie einnimmt; die 'heading' Kategorie einer komplexen Wortform ist diejenige, die am höchsten angesiedelt ist. Als Beispiel für eine komplexe Kategorie, die entweder durch Affigierung oder durch irreguläre Flexion zustande kommt, und die syntaktische Kategorie, die sie projiziert, mag die Verbform lachtest dienen. Diese Wortform hat die morphologische Struktur [Agr [Tense [ v lach]-te]-st] und projiziert wegen des durch -st ausgedrückten Personmerkmals [+2] in der Syntax auf AGR (entspricht 'person' in (1)), enthält daneben auch die Spezifikation [+PRÄT], also eine Instanz der Kategorie 'tense', ohne dass diese Kategorie aber auf eine eigene Position in der Syntax projiziert. Analog dazu projiziert die flektierte Präposition im in der Syntax aufgrund ihrer höchsten Kategorie auf Ρ und enthält daneben auch die nicht projizierende Kategorie D. Da diese Kategorie D eine NP selegiert ('c-select'), gilt diese Selektionseigenschaft gemäß dem Prinzip Syntactic Projection auch für die komplexe Kategorie P+D. Die morphologische Kombinatorik funktionaler Kategorien wird also nicht durch syntaktische Bewegung dargestellt, sondern durch die Unifikation der durch die einzelnen Kategorien eingebrachten Merkmalspezifikationen im Lexikon, wovon für die syntaktische Projektion nur die höchste und die niedrigste beteiligte funktionale Kategorie relevant sind. Neben den Voraussagen zur linearen Abfolge ergibt sich aus der Hierarchie der funktionalen Kategorien nach den Vorstellungen der MM eine weitere wichtige Beschränkungen der Kombination von Kategorien, und zwar hinsichtlich der Möglichkeit ihrer Fusion: Nur solche Kategorien aus dem Inventar einer Sprache, die ein Segment auf der Hierarchie bilden, können fusionieren; dazwischen angesiedelte Kategorien können nicht anderweitig werden. Außerdem wird der Aufbau von Flexionsparadigmen über die Hierarchie gesteuert, was bei der Erfassung von Synkretismen eine Rolle spielt. Entsprechend den Annahmen der MM zur Verbmorphologie gehe ich für die funktionalen Kategorien des Nomens von der folgenden Hierarchie aus.

5 (3) Hierarchie der funktionalen Kategorien des Nomens: Dem > Def > AgrPossessor > Poss > Numerus > Genus (> Nomenstamm) Auch diese nominale Hierarchie ist in erster Linie semantisch-ontologisch motiviert. Genus ist normalerweise ein dem Nomen inhärentes Merkmal (ein Nomen 'ist' z.B. maskulin) und stellt daher die niedrigste funktionale Kategorie dar. Häufig wird dadurch das referentielle Nomenargument nach semantischen Eigenschaften wie Belebtheit oder Geschlecht spezifiziert. Auch die nächsthöhere Kategorie Numerus spezifiziert das referentielle Nomenargument, zumeist aber nach der instantiierbaren Eigenschaft der Individuierung als Einzelobjekt oder Aggregat (lexikalische Ausnahmen dazu bilden Singularia- und Pluraliatantum wie Glück bzw. Masern). Poss betrifft die Argumentstruktur des Nomens, indem es das referentielle Nomenargument in eine Relation zu einem Possessorindividuum stellt, während AgrPossessor das letztere morphologisch durch Person- oder Numeruskongruenz spezifiziert. Die Kategorie Def(initheit) bindet das referentielle Nomenargument und beinhaltet damit den logischen Typwechsel von einer Eigenschaft zu einem Individuum. Die damit verbundene Semantik betrifft weniger die Eigenschaften des referentiellen Arguments selbst als vielmehr seine situative Rolle in der Äußerung oder im Diskurs, was die hohe Position dieser Kategorie auf der Hierarchie begründet. Dementsprechend wird sie in den meisten Sprachen auch nicht als Affix, sondern als freies Morphem realisiert. Dies gilt noch stärker für Dem(onstrativ), das das Nomenargument deiktisch, also relativ zum Äußerungskontext, festlegt und sich nur selten (etwa im Bretonischen) morphologisch realisiert findet. Die Vorhaben dieser Arbeit, die im folgenden Abschnitt kurz umrissen werden, konzentrieren sich auf eine hohe, eine mittlere und eine niedrige Kategorie dieser Hierarchie: Definitheit, Argumenterweiterung (als generellere Variante von Poss) und Numerus.

1.3. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Untersuchungen

Im Folgenden möchte ich einen Ausblick auf die drei inhaltlichen Schwerpunkte geben, anhand derer die in Abschnitt 1.1 genannten Fragestellungen verfolgt werden sollen. Jeder von ihnen repräsentiert eine bestimmte morphologische Kategorie des Nomens. Den ersten Schwerpunkt bildet die Realisierung der funktionalen Kategorie Definitheit. Während diese Kategorie in den meisten Sprachen wie beispielsweise auch im Deutschen syntaktisch, also durch ein freies Morphem, ausgedrückt wird, wählen einige Sprachen die morphologische Option, also eine Realisierung durch ein Affix. Dass die erste Option dabei die typologisch häufigere zu sein scheint, wurde im vorigen Abschnitt auf den hohen Rang der Definitheit in der Hierarchie der nominalen funktionalen Kategorien zurückgeführt. Ich möchte daher eine ausführliche Fallstudie der zweiten Option vorlegen, und habe dafür die postnominalen definiten Artikel in den Balkansprachen ausgewählt. Entsprechend den implikativen Anforderungen der Hierarchie werden die in diesen Sprachen etablierten

6 hierarchieniedrigeren Kategorien, nämlich Numerus und Genus, gegenüber der Definitheit näher zum Nomenstamm, und damit ebenfalls morphologisch gebunden, realisiert. Die Untersuchungen sollen zunächst den affixalen Status der Artikelformen belegen, was zwei Aspekte umfasst: Zum einen ist zu zeigen, dass es sich trotz des Auftretens sowohl an Nomen wie auch an Adjektiven um Suffixe und nicht um phrasale Klitika handelt. Zum anderen ist auf die Vorhersagen einer Analyse, nach der sich der postnominale Artikel in der Syntax durch Bewegung mit seinem Träger verbindet, einzugehen. Außerdem gehe ich entsprechend dem Leitmotiv der grammatischen Schnittstellen auf die semantische Komposition ein. Hierzu werde ich einen Vorschlag entwickeln, wie der Artikel trotz seiner morphologischen Gebundenheit als semantischer Funktor Skopus über die gesamte Nominalphrase erhält. Die lexikalische Repräsentation des definiten Artikels der Balkansprachen steht unter dem Aspekt einer redundanzfreien Beschreibung, also der Ökonomie auf der Ebene der Analyse. Der nächste inhaltliche Teil der Arbeit stellt eine Überleitung von der Flexion zur Argumentstruktur des Nomens dar. Er untersucht die Frage, inwieweit die Hinzunahme von Attributen für das Nomen morphologisch relevant ist, also durch die Markierung einer entsprechenden funktionalen Kategorie ähnlich lizensiert werden kann wie Possessorargumente. In zwei Fallstudien werden die Ezäfe-Konstruktion des Persischen und eine verwandte Konstruktion des Kurdischen analysiert als morphologische Evidenz für eine kompositionale Behandlung der Modifikation durch eine Argumenterweiterung des Nomens als Funktor über dem Modifikator. Dabei ist zunächst zu klären, ob bzw. warum es sich bei der Ezäfe um eine lexikalische Operation handelt und nicht um eine phrasale. Dies umfasst die Klärung des morphologischen Status des Ezäfe-Morphems; wie beim definiten Artikel der Balkansprachen spielt auch hier die Beobachtung eine Rolle, dass Suffigierung und nicht Klitisierung vorliegt. Entsprechend ist die Operation aufgrund ihres lexikalischen Charakters semantisch durch Funktionskomposition darzustellen. Schließlich wird untersucht, inwiefern einzelsprachlich auch für die umgekehrte Strategie, also die Erweiterung des Modifikators als Funktor über dem Nomen, Evidenz in Form von overter Morphologie vorliegt. Bei beiden overten Erweiterungsstrategien steht die Forderung nach semantischer Transparenz im Vordergrund: Die semantisch-logische Komposition soll so deutlich wie möglich sein, so dass hier eine morphologische Operation benutzt wird, die in anderen Sprachen 'eingespart* wird. Sprachen wie das Deutsche, in denen Modifikatoren ohne morphologische Lizensierung am Modifikans erlaubt sind, zeigen nämlich, dass die entsprechende semantische Komposition in den meisten Fällen auch ohne overte Markierungen erschließbar ist. In den untersuchten Sprachen ist also die Anforderung an morphologisch-semantische Explizitheit stärker gewichtet als die Sprachökonomie. Der Konflikt zwischen Explizitheit und Sprachökonomie steht auch im letzten inhaltlichen Teil der Arbeit im Vordergrund, der sich mit der Flexionskategorie Numerus beschäftigt. Dabei werden Sprachen ohne Mehrfachmarkierungen von Pluralität innerhalb der Nominalphrase (der 'Typ Ungarisch', im Unterschied zum 'Typ Deutsch') unter dem Aspekt untersucht, inwiefern ihr Kongruenzverhalten durch morphologische Ökonomie begründet ist, die stärker gewichtet ist als die Forderung nach semantischer Transparenz. Der Kern der Analyse besteht darin, die Kombinatorik als Konsequenz aus der Interaktion

7 der lexikalischen Spezifikationen der beteiligten Kategorien mit im Sinne der OT verletzbaren Beschränkungen zu beschreiben, wobei ein Constraint der Vermeidung morphologischen Aufwands eine besondere Rolle spielt. In diesem Zusammenhang gehe ich auch etwas allgemeiner auf die Rolle von Ökonomie bei der Kongruenzmorphologie ein. Durch die Annahme von Constraints als wesentlichen Bestandteilen der Universalgrammatik, deren einzelsprachliche Anordnung den Strukturaufbau steuert, können die Lexikoneinträge teilweise erheblich von Merkmaispezifikationen erleichtert werden. Insofern markiert dieser abschließende inhaltliche Teil der Arbeit den Übergang zu einer constraintbasierten Flexionstheorie, wie sie auch als Weiterentwicklung der MM beispielsweise in Lakämper & Wunderlich (1998) und Wunderlich (2001) vertreten wird.

2. Determination durch Affigierung: der postnominale definite Artikel der Balkansprachen

2.1. Einleitung1

Die Kategorie der Determination nimmt in der Hierarchie der funktionalen Kategorien des Nomens nach der deiktischen Kategorie der Demonstrativität den höchsten Platz ein (vgl. Kapitel 1.2). Dementsprechend wird die Determination in vielen Sprachen, so zum Beispiel auch im Deutschen, durch freie Morpheme, also durch eigene Wörter hergestellt. Andere Sprachen wiederum verfügen über eine artikuliertere Nomenmorphologie, so dass auch Definitheit als gebundenes Morphem realisiert wird. Dies ist der Fall im Rumänischen, Albanischen und Bulgarischen, die (ersteres einzig unter den romanischen, letzteres einzig unter den slawischen Sprachen) einen postnominalen und morphologisch nicht selbständigen definiten Artikel aufweisen. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht eine Analyse des postnominalen definiten Artikels des Rumänischen, Albanischen und Bulgarischen unter dem Aspekt, wo und wie er genau realisiert wird. Ich möchte zunächst zeigen, dass es sich hierbei im Gegensatz zur gängigen, insbesondere für das Rumänische vertretenen Auffassung in der Literatur - DobrovieSorin (1987), Grosu (1988), Börjars (1994), Giusti (1994), Harrison (1998), D'Hulst, Coene & Tasmowski (1999) - um ein Suffix handelt und nicht (i) um ein Klitikum, das sich (ii) in der Syntax durch Bewegung mit seiner Trägerkategorie verbindet, wie in den meisten der genannten Arbeiten vorgeschlagen wird. Diese beiden Konzepte, Klitikstatus und Bewegungsanalyse, sind zwar voneinander logisch unabhängig, haben aber gemeinsam, dass sie nicht lexikalisch sind, obwohl die Daten, wie ich zeigen möchte, eine konsequente lexikalische Behandlung erfordern. Insofern überlagern sich die beiden Konzepte in den meisten Einzelanalysen, und eine der Aufgaben dieses Kapitels ist, beide Aspekte genauer zu differenzieren (Abschnitt 2.3 bzw. 2.4). Das Ergebnis, dass in allen drei genannten Sprachen der definite Artikel den Status eines Affixes hat, ist vielleicht insofern etwas überraschend, als nach fast einhelliger Sicht in der Literatur (mit Ausnahme von Halpern 1995) hier ein Klitikum vorliegt. Nach der Anwendung einschlägiger Kriterien zur Ermittlung des Status des Artikels versuche ich in Abschnitt 2.5 eine 'ganzheitliche' Behandlung zu entwickeln: eine lexikali-

Dieses Kapitel hat wesentlich von der Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Alexandra Popescu profitiert, der ich nicht nur die meisten der hier benutzten Daten des Rumänischen verdanke, sondern auch viele Einsichten aus Diskussionen sowie den Zugang zu dieser Sprache generell. Weitere Ergebnisse unserer Kooperation sind die gemeinsamen Arbeiten Ortmann & Popescu (2000) und Ortmann & Popescu (2001). Mein Dank geht außerdem an Lilia Schilrcks-Grozeva für die Durchsicht und Ergänzung der bulgarischen Daten, sowie an Ana-Maria Barbu, Birgit Gerlach, Janet Grijzenhout, Ingrid Kaufmann und Chris Piñón für hilfreiche Diskussionen zu diesem Kapitel.

9 sehe Repräsentation für die Morphologie und Syntax des Artikels, die auch einen Vorschlag zu einer kompositionalen Semantik beinhaltet. Außerdem liefert die lexikalische Behandlung der Kombination von Artikel und Trägerkategorie innerhalb der Minimalistischen Morphologie (Wunderlich & Fabri 1996, Wunderlich 1996a&b) auch konkrete Vorgaben für die DP-Syntax der Balkansprachen. So hat die Selegierung sowohl von Nomen wie auch - als spezifische typologische Option - von Adjektiven durch den Artikel zur Folge, dass die AP nicht nur als Adjunkt an DP figurieren kann, sondern auch umgekehrt als Kopf der DP, wenn nämlich das mit dem Artikel suffigierte Adjektiv auf die D-Ebene projiziert. Im Hinblick auf das Leitmotiv der vorliegenden Arbeit, das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Explizitheit, steht die Behandlung des Artikels der Balkansprachen insbesondere unter dem Aspekt einer redundanzfreien Analyse, also der Ökonomie auf der Beschreibungsebene (oder 'Ökonomie I' im Sinne von Gärtner & Wilder 1999). Während im Verlauf dieser Arbeit auch noch die Ökonomie der Sprache selbst, also des Untersuchungsgegenstandes, eine wichtige Rolle spielen wird, steht hier eine redundanzfreie Beschreibung, also Ökonomie auf der Ebene der Analyse, im Vordergrund. Zum typologischen Hintergrund sei erwähnt, dass der areale Sprachtyp 'Balkan-Sprachbund' aus Bulgarisch/Mazedonisch, Rumänisch, Griechisch und Albanisch besteht; vgl. Comrie (1981). Er zeichnet sich insbesondere durch die folgenden Charakteristika aus: den Synkretismus von Dativ und Genitiv, die äußerst geringe Verwendung des Infinitivs, sowie eben (mit Ausnahme des Griechischen) den postnominalen Artikel.

2.2. Der postnominale Artikel als Klitik der reinen V e r n u n f t ?

Was die Kombination des Nomens mit dem attributiven Adjektiv angeht, kann das Letztere in der Nominalphrase der Balkansprachen sowohl postnominal wie auch pränominal auftreten. Der Unterschied im Gebrauch der pränominalen und der postnominalen Stellung des Adjektivs ist teilweise pragmatisch bzw. durch den jeweiligen Sprachstil bedingt. Für das Rumänische spielt auch die Unterscheidung restriktiv vs. appositiv eine Rolle, wobei die letztere Verwendung typischerweise pränominal konstruiert wird. Ist dabei die Nominalphrase durch den definiten Artikel gekennzeichnet, steht der Artikel im ersten Fall am Nomen, wie in (l-3a), im zweiten Fall am Adjektiv, wie in (l-3b). 2

2

Insofern ist der in der Literatur übliche Terminus 'postnominaler Artikel' genau genommen durch 'postnominaler bzw. postadjektivischer Artikel' zu ersetzen.

10 (1) Rumänisch: a. vin-ul

b. bun-ul vin gut-DEF.M Wein 'der gute Wein'

bun

Wein-DEF.M gut

'der gute Wein' (2) Bulgarisch: a. knig-a-ta Buch-F-DEF.F

b. nov-a-ta knig-a neu-F-DEF.F Buch-F 'das neue Buch'

nov-a neu-F

'das neue Buch' (3) Albanisch (Harrison 1998):3 a. mik-u mbramë

b. i

mbram-i

mik

friend-DEF.M MOD last

MOD last-DEF.M friend

'the last friend'

'the last friend'

Auf den ersten Blick scheint sich der definite Artikel der Balkansprachen aufgrund seiner linearen Position wie ein second position (oder Wackernagel-) Klitikum zu verhalten. Dieser Typ von Klitika zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass er grundsätzlich die zweite Position in seiner Domäne, in diesem Fall also der DP, besetzt. Betrachten wir zunächst ein Beispiel für ein unstrittiges Wackernagel-Klitikum, und zwar aus dem Serbo-Kroatischen (Daten von Jelena Krivokapic, persönliche Mitteilung):4 (4) Serbo-Kroatisch: a. cedri je stotinu ljudi vier KOP.PRÄS.3SG hundert Leute 'Vierhundert Leute sind gekommen.'

dosl-o komm-PRÄT.3SG.N

b. Petar se Petrovic vrati-o Petar SE Petrovic zurückkehr-PRÄT.3SG.M 'Petar Petrovic kehrte zurück.' c. mnogo je putera viel KOP.PRÄS.3SG Butter 'Auf dem Tisch ist viel Butter.'

3 4

na auf

stol-u Tisch-LOK

Einzelheiten der Artikelformen und der Glossierungen werden in Abschnitt 2.4 erläutert. Hinsichtlich der Positionierung des Auxiliars liegt einige Variation vor, die für den gegenwärtigen, rein illustrativen Zweck wenig relevant ist, aber dennoch nicht unterschlagen werden soll. Während beispielsweise in (4a) die Zweitposition des Auxiliars eher im kolloquialen Stil zu beobachten ist (vgl. formell: cetiri stotinu ljudi je dosl-o), ist sie in (4b) dem Standard vorbehalten (vg. kolloquial: Petar Petrovic se vrati-o). Auch zu (4c) existiert als Stellungsalternative mnogo putera je na stolu.

11 Sowohl die Kopula als auch die multifunktionale se-Partikel befinden sich in den Beispielen ungeachtet der Grenzen der syntaktischen Konstituenten jeweils an der zweiten Stelle ihrer Domäne; hier: des Satzes. Dies gilt nicht nur für (4c), wo das Klitikum innerhalb einer Nominalphrase realisiert ist, sondern auch für (4a) und (4b), wo sogar Positionierungen innerhalb eines komplexen Zahlwortes bzw. innerhalb eines Eigennamens vorliegen. Genau dieses Verhalten, also die Realisation nach dem ersten syntaktischen bzw. prosodischen Wort unabhängig von der internen Struktur, ist kennzeichnend für ein Wackernagelklitik. Auf den ersten Blick scheint sich nun der postnominale Artikel der Balkansprachen parallel zur serbokroatischen Kopula zu verhalten, also ebenfalls ein Wackernagelklitik zu sein, das an das erste Wort bzw. an die erste Phrase in der DP klitisiert wird. Dieser einfachen Sicht entsprechend wird der Artikel in der Literatur normalerweise als 'enklitisch' bezeichnet (z.B. Giusti 1994, Dimitrova-Vulchanova & Giusti 1998; Grosu 1988 und D'Hulst, Coene & Tasmowski 1999 für Rumänisch; Harrison 1998 für Albanisch, Zimmermann 1998 für Bulgarisch). Die Auffassung, wonach der Artikel ein Klitikum und kein Affix ist, findet aber gewöhnlich keine weitere Begründung; der klitische Status wird vorausgesetzt. Dezidiertere Ausführungen hierzu in der aktuellen theoretischen Literatur gibt es lediglich bei Halpern (1995) sowie bei Börjars (1994) und Harrison (1998); siehe dazu Abschnitt 2.4. Dass der Status des Artikels aber keineswegs von vornherein eindeutig ist, ergibt sich daraus, dass die durch den Begriff 'zweite Position' präsupponierte erste Position nicht einheitlich charakterisiert werden kann. Dabei kann es sich nämlich zum einen um ein einzelnes Wort, nämlich einen syntaktischen Kopf - das Nomen - handeln, zum anderen jedoch um eine Phrase, die AP. So findet sich in dem rumänischen Beispiel (5) statt eines einfachen Adjektivs eine komplexe Adjektivphrase hinter bzw. vor dem Nomen ((5a) vs. (5b-d)), wobei bei der pränominalen Variante der Artikel wiederum am Adjektiv steht. (5) a. lingvist-ul deosebit de inteligent linguist-DEF.M besonders MOD intelligent 'der besonders intelligente Linguist' b. deosebit de inteligent-ul besonders MOD intelligent-DEF.M 'der besonders intelligente Linguist'

lingvist Linguist

c. pe jumatate at&t de inteligent-ul lingvist PRÄP Hälfte soviel MOD intelligente-DEF.M Linguist 'der halb so intelligente Linguist' d. prea bun-ul vin zu gut-DEF.M Wein 'der zu gute Wein'

12 Diese Tatsache wird im Weiteren noch ausführlich behandelt werden, soll aber hier noch 'geschenkt' sein, also nicht a priori als Argument gegen eine Einordnung des Artikels als Klitikum benutzt werden. Ein echtes Problem bei der Einordnung des rumänischen Artikels als Wackernagel-Klitikum stellt jedoch die mit dem vorherigen Punkt verbundene Tatsache dar, dass die pränominale Adjektivphrase des Rumänischen immer kopffinal ist. Damit wird der Artikel, wenn er nicht am Nomen auftritt, phonologisch immer am Adjektiv selbst realisiert, vgl. (5b,d) mit den ungrammatischen Kombinationen *deosebit-ul de inteligent lingvist, *prea-ul bun vin. Der Artikel kann also nicht zum Beispiel an Adverbien wie prea oder deosebit stehen, das ja linear das erste Element der DP ist. Die Behauptung, es handele sich hier um eine phrasale Klitisierung, ist angesichts dieser Fakten zunächst ebensowenig verifizierbar oder falsifizierbar wie die gegenteilige Behauptung, der Artikel trete hier als Suffix an das Adjektiv. Ein Ziel dieses Kapitels ist es deshalb, den Status des Artikels anhand präziserer Kriterien zu bestimmen. Ich werde dafür argumentieren, dass der postnominale Artikel sowohl des Rumänischen als auch des Bulgarischen als auch des Albanischen trotz der scheinbar klitischen Eigenschaften - zweite Position in der DP, mehrere mögliche phonologische Trägerkategorien: Nomen und Adjektiv - ein Affix ist. Der Kriterienkatalog von Zwicky & Pullum (1983) wird hierbei eine wichtige Rolle spielen. Zunächst ist jedoch auf vorhandene Analysen einzugehen und zu zeigen, warum sie den Daten nicht gerecht werden.

2.3. Syntaktische Analysen und ihre Probleme

Gegenstand dieses Abschnitts ist zu belegen, inwiefern bisherige theoretische Behandlungen des postnominalen Artikels unzutreffend sind; insbesondere, warum eine Bewegungsanalyse empirisch und konzeptuell problematisch ist. Was die syntaktische Darstellung angeht, erfährt der Artikel in der aktuellen Literatur die folgende Behandlung: Das angenommene Wackernagel-Verhalten ist das Ergebnis einer von zwei verschiedenen Arten von Bewegung, die jeweils die D-Etage zum Ziel haben. Beim Auftreten des Artikels am Nomen, kommt der Artikel zu seiner Position durch Kopfzu-Kopf-Bewegung von N° zu D° (Dobrovie-Sorin 1987, Grosu 1988, Giusti 1994); dies zeigt die Struktur in (6a). Für den anderen Fall, das Auftreten des Artikels am Adjektiv, wird Bewegung der AP zu Spec,D angenommen, wie die Struktur in (6b) verdeutlicht.

13 (6) a.

b. DP

DP

Spe

Si

AP inteligent

inteligent N° lingvist

N' \ N° lingvist

Hinsichtlich der morphologischen bzw. phonologischen Verbindung des Adjektivs mit dem Artikel ist in (6b) zumindest Adjazenz hergestellt; siehe jedoch den nächsten Abschnitt. Zu erwähnen ist noch, dass D'Hulst, Coene & Tasmowski (1999) eine Aktualisierung dieser Analyse im Rahmen des Minimalistischen Programms bieten, dabei jedoch dieselben Grundannahmen verwenden. Ich möchte als Nächstes auf einige Aspekte von (6) im Detail eingehen.

2.3.1. Theoretische Probleme Den genannten syntaktischen Analysen ist das Problem gemeinsam, dass sie keine einheitliche Behandlung für den Artikel hinsichtlich der beiden Trägerkategorien bieten können. Vor dem Hintergrund der allgemein akzeptierten Annahmen syntaktischer Theoriebildung ergibt sich nämlich das folgende Dilemma. Es könnte angenommen werden, dass ebenso wie die AP auch das Nomen nach Spec,D wandern soll. Eine solche Annahme stünde aber, wie bereits Harrison (1998) feststellt, im Widerspruch zum Structure Preserving Principle, das besagt, dass Köpfe in Kopf-Positionen und Phrasen in Nicht-Kopf-Positionen landen müssen. Es scheint daher notwendig, die zwei verschiedenartigen Bewegungen wie in (6) anzunehmen, was allerdings jeweils zu unterschiedlichen Kombinationen von Klitikum und host führt: im Fall von Nomen liegt Kopf-zu-Kopf-Bewegung vor, im Fall von APs dagegen ist durch die Bewegung nach Spec,D noch keine Verbindung von Klitikum und host erzielt, sondern lediglich Adjazenz. Es ist also eine Art von 'affix hopping'-Regel erforderlich, was Grosu (1988) nolens-volens tatsächlich auch vorschlägt. Außerdem ergeben sich unter der unumgänglichen Annahme, dass sich die Adjektivphrase nach Spec,D bewegt, weitere konzeptuelle Probleme:5 - In neueren Ansätzen ist Bewegung nur dann lizensiert, wenn dadurch Merkmale des zu bewegenden Elements gecheckt werden, nicht jedoch 'altruistische' Bewegung, die aufgrund der Anforderungen anderer Elemente erfolgen würde. Diese Forderung, die als

5

Auf diese Probleme weist auch Harrison (1998:58ff) hin.

14 das Prinzip GREED in das Minimalist Program eingegangen ist (Chomsky 1995), scheint jedoch nicht mit der Bewegung der AP vereinbar. Letztere ist nämlich motiviert durch die Anforderung des Artikels nach einem host, und genau das wäre altruistisch, da es nicht der AP selbst 'nützen' würde. - Wenn die Kombination von Nomen bzw. Adjektiv mit Artikel jeweils durch einen anderen Typ von Bewegung dargestellt wird, ist unklar, warum die eine Bewegung die jeweils andere ausschließt. Mit anderen Worten, wie wird verhindert, dass sich zusätzlich zur AP (nach Spec,D) auch das Nomen bewegt (nach D°): (7) a. * deosebit de inteligent lingvist-ul besonders MOD intelligent Linguist-DEF.M b. [DP [API deosebit de inteligent] [NOJ + DO lingvist-ul] ... t¡... tj ] Eine Struktur wie in (7b) sollte nach der obigen Bewegungsanalyse erlaubt sein, führt aber zu einem ungrammatischen Resultat (vgl. (7a) mit (5a,b)) und wirft damit nicht nur ein konzeptuelles Problem auf (das wiederum aus der Ungleichbehandlung der beiden möglichen Träger des Artikels resultiert), sondern führt auch zu einer falschen empirischen Voraussage. Im Folgenden möchte ich zeigen, dass eine Bewegungsanalyse auch angesichts weiterer Fakten scheitern muss.

2.3.2. Empirische Probleme: der postnominale Artikel unter Koordination Bei einer Koordination von pränominalen Adjektiven wird der Artikel an jedem Adjektiv wiederholt. Dies ist in (8a) für Rumänisch und in (9) für Albanisch illustriert. 6 Dabei ist, wie aus der Ungrammatikalität von (8b,c) ersichtlich, der Artikel an beiden Konjunkten obligatorisch. 7 (8) Rumänisch: a. bun-ul §i inteligent-ul gut-DEF.M und intelligent-DEF.M 'der gute und intelligente Linguist'

6

7

lingvist Linguist

Anders sind die Verhältnisse dagegen im Bulgarischen; die Illustration und Analyse dazu folgt in 2.6.2. Der Koordinationstest wurde in Unkenntnis der Arbeit von Dimitrova-Vulchanova & Giusti (1998) entwickelt. Wie schon erwähnt, behandeln die Autorinnen nicht den genauen Status und die lexikalische Repräsentation des Balkan-Artikels. Sie weisen vielmehr mithilfe des Koordinationskriteriums ebenfalls auf die Problematik einer AP-zu-Spec,D-Bewegungsanalyse hin. Eine kritische Auseinandersetzung mit der von ihnen vorgeschlagenen alternativen Bewegungsanalyse findet sich im Zusammenhang mit der Analyse der bulgarischen Koordinationsdaten in 2.6.2.

15 b. *bun-ul fi inteligent gut-DEF.M und intelligent c. * bun gut

fi inteligent-ul und intelligent-DEF.M

lingvist Linguist lingvist Linguist

(9) Albanisch (Dimitrova-Vulchanova & Giusti 1998: 343): e gjor-a dhe e vogl-a vajzë MOD poor-DEF.F and MOD little-DEF.F girl 'the poor and little girl' Dasselbe Verhalten weisen rumänische Adjektive auf, die nicht overt durch eine Konjunktion koordiniert, sondern iterativ kombiniert werden: (10) a. bun-ul, inteligent-ul lingvist gut-DEF.M intelligent-DEF.M Linguist 'der gute, intelligente Linguist' b. * bun-ul, inteligent lingvist gut-DEF.M intelligent Linguist

c. * bun, gut

inteligent-ul intelligent-DEF.M

lingvist Linguist

Auch wenn zwei Nomen mit gleicher Referenz koordiniert werden, steht der Artikel an beiden Nomen, wie aus (11) hervorgeht. Dies ist ebenso obligatorisch wie bei der Koordination von Adjektiven. (11) a. cäntäre(-ul fi actor-ul popular Sänger-DEF.M und Schauspieler-DEF.M beliebt 'der beliebte Sänger und Schauspieler' b. linguist-ul fi clovn-ul Linguist-DEF.M und Clown-DEF.M 'der geschätzte Linguist und Clown' c. * linguist-ul Linguist-DEF.M

§i clovn und Clown

valoros geschätzt

d. * linguist fi clovn-ul Linguist und Clown-DEF.M

Eine Bewegungsanalyse macht nun für diese Koordinationsdaten genau die falsche Vorhersage. Wenn die gesamte AP in die Position zur Linken des Artikels wandern soll, hätte dies zur Folge, dass der Artikel nur einmal an die gesamte Koordinationsstruktur tritt, also nur am letzten Konjunkt realisiert wird, was dem ungrammatischen Beispiel (8c) entspräche. Ebensowenig ist die Grammatikalität von (lla,b) erfasst. Durch Bewegung einer Koordination zweier Nomen ergäbe sich die Struktur [ D o [N°+N°] D° ], die entgegen den Tatsachen nur ein Vorkommen des Artikels vorhersagt. Es ist nicht ersichtlich, wie nach

16 (6a) ein syntaktischer Kopf auf zwei Konjunkte distribuiert sein könnte. In Abschnitt 2.5 werde ich eine ausführliche lexikalische Analyse, die die genannten Aspekte berücksichtigt, entwickeln.

2.4. Der angeblich klitische Balkan-Artikel: Wackernagel als Phantom

In diesem Abschnitt möchte ich zeigen, warum eine Klassifizierung des postnominalen Artikels als second poíift'on-Klitikum, also als Wackernagelklitikum, unzutreffend ist. Was die Einordnung des Artikels als Klitikum angeht, kontrastiert Börjars (1994) die suffigierten Definitheitsmarkierung im Skandinavischen mit der der Balkansprachen, wobei sie erstere als Affixe ansieht und letztere de facto als Klitika. Sie konzediert dabei, es handle sich bei den Letzteren um "... a slightly idealized picture of this behaviour, especially with respect to Albanian and Romanian." (a.a.O.: 240). Ihre entscheidende Feststellung ist jedoch die folgende: "The tendency in these languages is, however, towards second position placement. In the terms introduced in [this article, AO], this means that in the Scandinavian languages DEF is not specified for HOST, whereas the Balkan DEFs are." (a.a.O.: 240). Dabei ist die Eigenschaft, einen HOST zu besitzen, definiert als die Positionierung hinsichtlich einer syntaktischen "category larger than the element to which it is phonologically attached" (a.a.O.: 231); hier also: die Nominalphrase. "[T]he basic principle of placement in all the relevant Balkan languages [also Bulgarisch/Mazedonisch, Albanisch und Rumänisch; A.O.] appears to refer to the second position." (a.a.O. 233). Börjars bezieht damit hinsichtlich des Status des Artikels eine Position, die über bloße Terminologie hinausgeht, in dem sie ein Kriterium nennt, nämlich das der Positionierung. Sie argumentiert dabei aber, wie sich zeigen wird, für Rumänisch, Albanisch und Bulgarisch insofern unzutreffend, als sie das Verhalten des Mazedonischen als gemeinsame Eigenschaft aller Balkansprachen ansieht. Hauptsächlich anhand desselben Kriteriums, der vermeintlich nicht vorhandenen Selegierung einer bestimmten Kategorie durch den Artikel, welche eine Folge der prosodischen Anforderung second position sein soll, entwickelt Harrison (1998) für Albanisch eine special c/ific-Analyse, auf die ich in diesem Abschnitt ebenfalls noch eingehen werde. Zur Illustration echter second pos/íion-Klitika wurde bereits in (4) das Serbo-Kroatische (das dem Balkansprachbund übrigens nicht zugerechnet wird und auch Uber keinen definiten Artikel verfügt) angeführt. Ich möchte nun die Betrachtung des Verhaltens des angeblich klitischen Status des definiten Artikels in den Balkansprachen mit dem Mazedonischen beginnen.

17 (12) Mazedonisch (Börjars 1994: 231,235): a. covek-ot b. dobr-iot covek man-DEF.M

good-DEF.M

'the man'

'the good man'

d. cetiri-te four-DEF.PL

stotini

lug'e

hundred people

man

c. dobr-iot

mal covek

good-DEF.M

little man

'the good little man'

e. * mnogu-ot very-DEF.M

golem

covek

big

man

'four hundred people' Im Mazedonischen tritt der Artikel an das erste prosodische Wort der Nominalphrase und ist nicht an eine bestimmte syntaktische Kategorie gebunden, ist also offensichtlich tatsächlich Wackernagel-klitisch. Nur so lässt sich die Tatsache verstehen, dass ein komplexes Zahlwort wie in (12d) durch den Artikel aufgespalten wird. Hinsichtlich der Klitisierungsmöglichkeiten verhält sich also das Mazedonische, das sich ansonsten nur unerheblich vom Bulgarischen unterscheidet, entsprechend seiner geographischen Verbreitung eher wie das Serbo-Kroatische (siehe auch Spencer 1992: 358ff). 8 Kontrastieren wir diese Verhältnisse zunächst mit denen im Rumänischen. In Abschnitt 2.2 wurde schon die strikt kopffinale Wortstellung innerhalb der rumänischen pränominalen Adjektivphrase erwähnt und die daraus resultierende Unmöglichkeit, aufgrund der Reihenfolge auf einen klitischen oder affixalen Status zu schließen. Deshalb sind für diese Sprache zunächst klarere Kriterien heranzuziehen bzw. zu eruieren. Dabei kann zuerst die im vorigen Abschnitt diskutierte Wiederholung des Artikels an jedem Konjunkt als ein entscheidendes Argument gegen die Klitikanalyse angesehen werden. Genau diese Wiederholung spricht vielmehr deutlich für einen Status als Affix, denn ein Klitikum mit Skopus über der gesamten Nominalphrase wäre nicht an jedem einzelnen der eingebetteten Konjunkte zu erwarten. Da Koordination die Kombination gleichartiger Kategorien impliziert, ist das identische Verhalten beider Konjunkte hinsichtlich des Auftretens des Artikels unmittelbar erfasst, wenn man bei der Kombination von Nomen oder Adjektiv mit Artikel von komplexen Wortformen anstatt von syntaktischen bzw. postlexikalischen Bildungen ausgeht. Eine genauere Analyse der Daten in (8) - (11) wird zwar erst in Abschnitt 2.5 entwickelt, dennoch können wir bereits den Schluss ziehen, dass es sich beim rumänischen definiten Artikel nicht um ein Klitikum, sondern um ein Suffix handelt. Für diese Einordnung führen Ortmann & Popescu (2000) noch ein weiteres Kriterium an, nämlich das der morphophonologischen Idiosynkrasien und Allomorphien, das hier kurz zusammengefasst werden soll. Ein entscheidender Unterschied zwischen Klitika und Affixen besteht nach Zwicky & Pullum (1983) darin, dass letztere in viel stärkerem Maße Idiosynkrasien aufweisen. Insbesondere sind sie durch morphophonologisch oder lexikalisch bedingte Allomorphe gekennzeichnet. Der rumänische Artikel weist nun einige solcher Idiosynkrasien auf, die ausgelöst sind durch die Kombination mit dem Stamm, mit

8

Allerdings bleiben die genauen Bedingungen für die Platzierung noch zu klären: Warum etwa findet sich der Artikel in (12d) nach dem ersten Bestandteil eines Numerais, aber in (12e) nicht nach einem Adverb?

18

dem er sich verbindet. Insbesondere liegt eine Sensitivität der Artikelallomorphe für den host vor, die von Klitika nicht zu erwarten ist. Wenn etwa ein maskuliner Stamm auf den Vokal e auslautet, erscheint anstelle der Artikelform -ul das Allomorph -le. Dagegen erhält ein diesem Nomen vorangestelltes Adjektiv wie in (13b) die ansonsten übliche Form -ul, so dass es sich um eine phonologisch (und nicht morphosyntaktisch) gesteuerte Allomorphie handelt. (13) a. frate-le încapafânat Bruder-DEF.M störrisch 'der störrischeBruder'

b. încapafânat-ul frate störrisch-DEF.M Bruder 'der störrischeBruder'

Daneben gibt es auch rein lexikalisch bedingte Allomorphe, etwa maskuline Nomen mit der Artikelform -a. Ein Beispiel ist die Form papa in (14a). Dass dabei nicht etwa eine reguläre feminine Form vorliegt, also eine Genuszuordnung von papä als feminin, ist daraus ersichtlich, dass auch ein diesem Nomen vorangestelltes Adjektiv wie in (14b) die übliche maskuline Form -ul erhält. (14) a. pap-a polonez Papst-DEF.M polnisch 'der polnische Papst'

b. polonez-ul papä polnisch-DEF.M Papst 'der polnische Papst'

c. ραξ-α lene§ Pascha-DEF.M faul 'der faule Pascha'

d. lene$-ul pa§ä faul-DEF.M Pascha 'der faule Pascha'

e. bade-a lenef Schafhirte-DEF.M faul 'der faule Schafhirte'

f. lene$-u bade faul-DEF.M Schafhirte 'der faule Schafhirte'

Es handelt sich also um ein sogenanntes 'Naturgeschlecht', ebenso wie bei den lateinischen Maskulina poeta, nauta, agricola. Insgesamt sprechen die in Ortmann & Popescu (2000) diskutierten stammbedingten Allomorphien also ebenfalls deutlich gegen eine Analyse des Artikels als Klitikum. Insbesondere die Sensitivität für den host in der Auswahl des Allomorphs wäre für Klitika unerwartet. 9 Die Schlussfolgerung aus der Auseinandersetzung mit der in der Literatur vertretenen Sicht muss daher lauten, dass es sich bei dem rumänischen definiten Artikel nicht um ein Klitikum, sondern um ein Affix handelt. Diese Charakterisierung macht nicht nur die Idio-

9

Auch unter einer syntaktischen Bewegungsanalyse zur Distribution des Artikels ist dieses Verhalten eher unerwartet, zumindest gibt es für diese Allomorphie keinerlei syntaktische Erklärungsmöglichkeit. Sie könnte allenfalls mithilfe von 'readjustment rules' analysiert werden, wie sie die Distributed Morphology (Halle & Marantz 1993) annimmt. Dies würde allerdings phonologische ad-hoc-Regeln erfordern.

19 synkrasien und Allomorphien von vornherein weniger problematisch, weil zu einer reinen Frage der lexikalischen Repräsentation, die ja solche Idiosynkrasien typischerweise enthält. Sie liefert außerdem eine einfache Erklärung für die Tatsache, dass der Artikel nur mit Adjektiven und Nomen kombiniert und ermöglicht die richtige Vorhersage hinsichtlich des Koordinationsverhaltens, also des obligatorisch wiederholten Vorkommens des Artikels, da Affixe grundsätzlich realisiert werden, wenn der von ihnen selegierte Kontext vorliegt. Als nächstes sollen für das Bulgarische geeignete Kriterien für eine nähere Überprüfung des Artikelstatus zur Anwendung kommen. Die Daten stammen von Lilia SchürcksGrozeva (persönliche Mitteilung) sowie aus Zimmermann (1998) und Harrison (1998). (15) Bulgarisch: a. knig-a-ta

mu

na

Ivo

Buch-F-DEF.F CL.DAT DAT Ivo

'Ivos Buch' b. nov-a-ta

mu

neu-F-DEF.F

knig-a

na

Ivo

CL.DAT B u c h - F DAT Ivo

'Ivos neues Buch ' nova canta

c. xubava-ta schön-DEF.F

CL.DAT neu

na

Ana

T a s c h e DAT A n a

'Anas schöne neue Tasche' d. mnogo sehr

gordij-at

mu

sus

stolz-DEF.M CL.DAT auf

svoi-te

detsa

prijatel na

Ivo

POSS-DEF.PL K i n d e r F r e u n d DAT I v o

'der auf seine Kinder sehr stolze Freund von Ivo' e. *mnogo-jat

vs.

sehr-DEF.N

mnogo-to

prijateli

viel-DEF.N Freund

'viele Freunde' f. moja-ta POSSISG-DEF.N

kniga Buch

'mein Buch'

g. tvoi-te hubavi novi canti POSS2SG-DEF schöne neue Taschen 'deine schönen und neuen Taschen'

h. tukasni-te hubavi stari curkvi DEM-DEF schöne alte Kirchen 'die schönen alte Kirchen hier' i. xubavi-te i novi canti schöne-DEF.F und neue Taschen 'die schönen und neuen Taschen'

j. xubavi-te, novi canti schöne-DEF.F neue Taschen 'die schönen neuen Taschen'

20 k. * cetiri-te stotin coveka vier-DEF hundert Leute

1. cetiri-stotin-te coveka vier-hundert-DEF Leute 'die vierhundert Leute'

(15a) und (15b) sind, wie bereits erwähnt, parallel zum Albanischen und Rumänischen. (15c) zeigt, dass bei Iteration von Adjektiven der Artikel nicht wiederholt wird, womit ein Kriterium, das auf einen Affixstatus schließen ließe, nicht erfüllt zu sein scheint; siehe dazu jedoch Abschnitt 2.6.2. Entscheidend ist, dass der Artikel nicht an die Phrase tritt, aber auch nicht an das erste Element, also das erste prosodische oder syntaktische Wort, und deshalb in keinem Fall als second pos/fton-Klitik zu analysieren ist. Dies geht aus (15d) hervor: In einer komplexen AP landet das Affix nicht an zweiter Position - wie von einer prosodischen Wackernagel-Analyse vorhergesagt würde - , auch nicht phrasenfinal - wie von einer Bewegung-nach-Spec-Analyse vorhergesagt würde - , sondern am Kopf der Phrase, also am Adjektiv. (15e) zeigt, dass die genaue Kategorisierung von mnogo entscheidend ist: als Adverb kann es den Artikel nicht tragen, wohl aber als adjektivisches Indefinitum. Dies stützt die hier vorgeschlagene Suffix-Lösung: Der Artikel tritt wie im Rumänischen lediglich an Nomen und Adjektive, mit dem Zusatz für das Bulgarische, dass hier minor categories wie Possessiva oder Indefinita von der Kategorie Adjektiv subsumiert sind und somit auch den Artikel tragen können (was in den Repräsentationen in 2.5.2 bzw. in Abschnitt 2.7 zu berücksichtigen sein wird). Dass also der Artikel auch an Possessivpronomen geht wie in (15f,g) (oder im Mazedonischen: moj-ot casovnik 'my-DEF watch') sowie an das Demonstrativum wie in (15h), spricht insofern nicht für den einen oder anderen Status des Artikels. Es wird aber noch im Zusammenhang mit den Ausführungen von Harrison über Albanisch eine Rolle spielen. Auch bei den Numeralia weist das Bulgarische - im Gegensatz zu Mazedonisch, vergleiche (12d) mit dem ungrammatischen Beispiel (15k) bzw. mit (151) - kein second positionVerhalten auf. Insofern findet sich im (Standard-)Bulgarischen kein Anhaltspunkt für ein echtes Wackernagel-Verhalten. Vielmehr sind die Fakten hinreichend durch den Status des Artikels erklärt: Als Suffix selegiert er eine [+N]-Kategorie, folglich tritt er stets an den Kopf einer AP oder NP. Außerdem weist auch der bulgarische Artikel - für Affixe typisch - idiosynkratisches morphophonologisches Verhalten auf, vgl. die folgenden Beispiele aus Harrison (1998: 46): (16) a. sudija-ta judge-DEF 'the judge'

b. dobri-ot sudija good-DEF.SG.M judge 'the good judge'

c. grek Greek 'Greek'

d. gdrk-ot Greek-DEF.SG.M 'the Greek'

Ebenso wie in (14b) für das Rumänische gezeigt, kombinieren bestimmte bulgarische Maskulina wie sudija mit der ansonsten femininen Artikelform. Außerdem findet sich der lexikalisch-phonologische Prozeß der Metathese bei der Suffigierung des Artikels, vgl. die Form gdrk- in (16d) anstelle des Stamms grek.

21 Betrachten wir schließlich das Albanische (Daten nach Harrison 1998: 54ff; Camaj 1984: 15ff; vgl. auch Dimitrova-Vulchanova & Giusti 1998). Der definite Artikel tritt in verschiedenen allomorphischen Formen auf, selbst bei gleicher Genus-/Numerusinformation. Bei den als MOD glossierten Elementen / bzw. e handelt es sich (nach Harrison a.a.O.: 51) um ein Präfix für eine große Klasse von Adjektiven ('articulated adjectives') "which is part of their lexical entry and shows agreement for number and case features". (Siehe dazu auch Camaj 1984: 44). Etymologisch liegen hier Artikelformen vor, die jedoch synchronisch keine Definitheit mehr herstellen. Vielmehr findet sich die Partikel auch vor anderen Modifikatoren als Adjektiven (vgl. Kapitel III zur Charakterisierung der Funktion solcher Elemente). Ihre Formvariation umfasst, neben den anderen Konkordanzmerkmalen Genus und Numerus, eine Unterscheidung, die traditionell als 'bestimmt' vs. 'unbestimmt' bezeichnet wird, die aber vor allem durch die Adjazenz mit dem Nomen gesteuert ist. (17) Albanisch (Harrison 1998): a. mik-u i mbramë

b. i

friend-DEF.M MOD last 'the last friend'

c. shumë mebukur-it very

mbram-i

mik

MOD last-DEF.M friend 'the last friend'

femijë

good-DEF.PL kids



nenës

of

mother

'(my) very good kids!' (mother to children)

d. më most

e

vogl-a

MOD

young-DEF.F of girls-DEF.GEN

e

vajza-ve

'the youngest of the girls'

e. Cil-in gur don? which-DEF stone want.2SG 'Which stone do you want?' f. banor-i

i

vs.

i

parë

inhabitant-DEF.M MOD first 'the first inhabitant'

h. zemr-at-celik, heart-DEF.PL-steel 'the steel hearted'

qytet-i

* cil gur-in don

par-i

banor

MOD first-DEF.M inhabitant 'the first inhabitant'

hero

city-DEF-hero 'the hero city'

vs.

kryeqytet-i head.city-DEF 'the capital city'

Der Artikel kann, parallel zum Rumänischen und Bulgarischen, an Nomen oder Adjektive treten (wobei die letztere Option im Albanischen allerdings auf bestimmte Sprechstile restringiert ist). Dies ist in (17a,b) illustriert, vgl. auch (17f,g). Bei komplexeren Adjektivphrasen steht der Artikel wieder am Kopf, vgl. (17c,d). Die Tatsache, dass auch hier nicht das erste syntaktische oder prosodische Wort den Artikel trägt, wirft für eine 'Wackerna-

22 gel'-Analyse wieder das Problem auf, wie die 'zweite Position' genau zu charakterisieren ist. Wie im Bulgarischen findet sich der Artikel auch an modifizierenden minor categories wie dem attributivischen Fragepronomen oder Ordinalzahlen, vgl. (17e-g). Der durch die Distribution innerhalb der AP schon naheliegende Verdacht auf einen Affixstatus des Artikels erhärtet sich durch die beiden unterschiedliche Typen von Komposition, die in (17h) vorliegen: Bei den weniger eng verbundenen, syntaxnäheren Komposita wie zemr-at-celik oder qytet-i hero tritt der Artikel am Erstglied auf, bei den enger verbundenen dagegen wortfinal: kryeqytet-i. Diese Unterscheidung korreliert mit der Tatsache, dass es sich im ersten Fall um linksköpfige Komposita handelt (die wie auch in romanischen Sprachen als syntaxnäher anzusehen sind, da sie die Struktur komplexer Nominalphrasen reflektieren), im letzteren Fall um rechtsköpfige Komposita, die dem Wortbildungsmuster von Suffixsprachen folgen. Der Split hinsichtlich der Position des Artikels folgt also aus der Charakterisierung als Suffix, derzufolge der Artikel als Flexiv immer am Kopf auftritt. Der Schluss, dass es sich auch beim albanischen postnominalen Artikel um ein Suffix handelt, wird weiter gestützt durch das in 3.2 illustrierte Koordinationsverhalten des Albanischen, das von Dimitrova-Vulchanova & Giusti (1998: 343) - dort jedoch zur Ermittlung einer geeigneten syntaktischen Repräsentation - angeführt wird. Beispiel (9), hier wiederholt als (18), belegt, dass der Artikel an beiden Konjunkten realisiert wird. (18) e ADJ

gjor-a

dhe e

vogl-a

vajzë

poor-DEF.F and ADJ little-DEF.F girl

'the poor and little girl'

Damit erfüllt der albanische definite Artikel auch hinsichtlich des Koordinationskriteriums die Suffixeigenschaft. Durch die Einstufung als Affix ist auch unmittelbar erklärt, warum sich der Artikel im Albansichen ebenso wie im Rumänischen und Bulgarischen immer am Kopf der definiten Adjektivphrase befindet: Affixe selegieren lexikalische Köpfe. Dagegen steht Harrison (1998) bei seiner Analyse des Albanischen vor dem Problem, dass second position sich linear teils auf das Wort bezieht, nämlich bei Nomen, teils aber, nämlich bei Adjektiven, auf die Phrase, vgl. (17c,d). (Er benötigt dafür eine zusätzliche Stipulation innerhalb einer OT-Analyse für die AP-finale Position, und zwar in Gestalt eines Constraints 'lntegrity(AP)', das LeftMost(DEF,NP) dominiert; a.a.O.: 67.) Hinsichtlich des Kriteriums der Idiosynkrasie und Stammallomorphie zeigt Harrison (1998: 47ff) sehr detailliert, inwiefern sich der Artikel im Albanischen phonologisch wie ein Affix verhält. Seine Form hängt teilweise von der Phonologie des Stammes ab. So steht bei maskulinen Singular-Stämmen nach hinteren Konsonanten sowie nach betontem Vokal das Allomorph -u, also zog-u 'the bird', krah-u 'the arm', ba'b-u 'the father', während sich ansonsten die Form -i findet. Parallel dazu alterniert der feminine Artikel zwischen -a und -ja, wobei letzteres an betonte Silben tritt. Umgekehrt kann auch die Oberflächenform des Nomens vom Artikel beeinflusst sein, etwa im Fall der Apokope bei femininen Stämmen wie motër 'sister' in motr-a, oder punë 'work' in pun-a. Innerhalb des von Harrison benutzten Rahmens der 'A-Morphous Morphology' (Anderson 1992) wird jedoch lexikalisch-phonologisches Affix-Verhalten genauso als Eigenschaft

23 von special clitics angesehen. Dementsprechend nimmt Harrison für die Interaktion mit dem Adjektiv bzw. dem Nomen (neben den ansonsten von ihm benutzten OT-Constraints) geordnete Regeln an wie Metathese (für Bulgarisch) oder 'stress shift', Apokope und 'vowel shift' (für Albanisch), die von der eigens stipulierten, in (19a) wiedergegebenen 'Clitic Placement Rule' gefüttert werden, so dass sich in (19b) für das bulgarische10 Nomen grek 'Grieche' die Form gdrk-ot wie in (18b) ergibt: (19) 'Clitic placement rule' (Harrison 1998: 69): a. [NP {PrWd} ] => [ NP {PrWd=D } ] b. [Np {prwd grak} ] => [NP { PrWd gerk=ot} ] Durch diese explizite Platzierungsregel wird der postnominale definite Artikel bei Harrison phonologisch als Affix behandelt, morphosyntaktisch jedoch als Klitikum. Dass ich mich dieser Analyse nicht anschließen möchte, hat außer den schon genannten Gründen noch den folgenden Hauptgrund." Kehren wir zurück zum entscheidenden Kriterium für eine Klitik-Analyse und auf das wesentliche Argument, auf das sich ihre Proponenten stützen: das Vorkommen des Artikels mit Adjektiv und Nomen, also mit mehr als einer einzigen Wortart und damit der scheinbaren Abhängigkeit von einer Position, nämlich der Erstposition, anstelle einer morphosyntaktischen Kategorie. Von allen genannten Autoren formuliert lediglich Harrison (1998: 54) diese Sicht explizit:12 "We have noted that DEF encliticizes to adjectives, nouns and Wh-expressions, exhibiting low selectivity with respect to the host. This allows us to hypothesize that DEF is not a word-level affix, but rather a special clitic. [...] Most striking is that DEF always appears after the first word or phrase in NP, in what we will characterize as 'second position'. The observed lack of selectivity as to the syntactic category of the host may thus result from the necessity of appearing in second position." Nun handelt es sich bei "high vs. low selectivity" tatsächlich um ein Kriterium aus dem Katalog von Zwicky & Pullum (1983). Allerdings lässt Harrison, ebenso wie die Autoren, die dieses Kriterium implizit zugrunde legen, außer Acht, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Reihe beliebig heterogener Kategorien handelt (was etwa bei einem Auftreten eines Elements an Adverbien, Auxiliaren, Präpositionen und Nomen der Fall wäre), sondern dass im Gegenteil Homogenität vorliegt. Hinsichtlich der vom Artikel selegierten Kategorie muss nämlich lediglich über Adjektive und Nomen generalisiert werden.13 Schließlich fragt das albani-

10

11

12

13

Eine entsprechende Repräsentation fUr ein albanisches Wort findet sich bei Harrison nicht; hier käme etwa motr=a 'die Schwester' als Resultat aus motër und =a in Frage. Auch Harrisons Argument, dass Definitheit eine Eigenschaft der ganzen Phrase ist, kann kein hinreichendes Kriterium sein. Vielmehr ist es eine verbreitete typologische Option, funktionale Kategorien, also semantische Operatoren wie auch Tempus und Modus am Verb, morphologisch zu realisieren (vgl. Kapitel 1.2). Die zitierte Formulierung schließt sich an die Betrachtung des Albanischen an, gilt aber nach Harrison ebenso für Rumänisch und Bulgarisch. Wie wir in Abschnitt 2.8 sehen werden, liegt dabei noch nicht einmal ein typologisch markiertes Verhalten vor.

24 sehe Pronomen cili/cila 'welches' ebenfalls nach Modifikatoren, und auch Ordinalzahlen sowie Possessiva können als adjektivisch angesehen werden. Zusammen mit dem Nomen ergibt also eine natürliche Klasse, für deren Generalisierung das Merkmal [+N] (bzw. [-art] in der in Wunderlich (1996c) eingeführten Merkmalstheorie, siehe dazu weiter unten) ausreichend ist. Tatsächlich spielt die Generalisierung durch [+N] auch bei Grosu (1988) und D'Hulst, Coene & Tasmowski (1999) eine Rolle, trotzdem aber hält offenbar einzig das Vorkommen mit den beiden subsumierten Kategorien, Adjektiv und Nomen, alle genannten Autoren (mit der bereits erwähnten Ausnahme von Halpern 1995) von einer Einordnung des postnominalen Artikels als Suffix ab. Wenn aber die Tatsache, dass der Artikel an Nomen und Adjektiv geht, tatsächlich aufgrund der "low selectivity with respect to the host" gegen den Status als Affix sprechen würde, dann müsste dies konsequenterweise zum Beispiel auch für die Konkordanz-Klassenpräfixe der Bantusprachen als hinreichendes Kriterium gelten, diese Marker als Klitika zu charakterisieren. Im Chichewa beispielsweise gibt es ein Paradigma, dessen Elemente traditionell als 'concordial' Präfixe bezeichnet werden und sich an Kardinalzahlen wie in (20b), am Relativsatzmarker -méné wie in (20c) und vor allem an Verben, z.B. als Subjektmarker in (20a), finden (Beispiele nach Watkins 1937 und Bresnan & Mchombo 1995): (20) 'concordial' Präfixe des Chichewa: a. li-kúgwa 5-fall 'it is falling' c. mí-páliro 4-arrow

b. zi-thúnzí zi-tâtu 8-picture 8-three 'three pictures'

i-méné

á-ma-ph-ér-á

4-REL

2-PRES-kill-APPL-lND 4-lion

mi-kângo

'the arrows w h i c h they kill lions with'

Wäre das Kriterium in der von Harrison benutzten Weise zwingend, müsste es sich auch bei den 'concordial'-Klassenpräfixen des Chichewa um einen "lack of selectivity" und mithin um Klitika handeln - was jedoch meines Wissens noch nirgendwo vorgeschlagen wurde. Unter der hier vertretenen Sicht stellt eine solche Argumentation die Sachlage geradezu auf den Kopf: Die Präfixe befinden sich an einer bestimmten Klasse von Kategorien, was als Folge ihrer lexikalischen Selektionseigenschaft zu beschreiben ist. Was den Fall des Chichewa angeht, findet sich für die 'concordial'-Präfixe in der Repräsentation in Ortmann (1999: 85) die Inputbeschränkung auf [+art]. (Wie in 2.5.1 noch ausgeführt wird, geht das Merkmal [±art] auf Wunderlich (1996c) zurück. [+art] entspricht der traditionellen Spezifikation [-N] und schließt damit Verben und Relativmarker ein.) 14 Akzeptiert man diese exemplarische Behandlung eines Affixes, das eine natürliche Klasse von Kategorien selegiert, so handelt es sich bei der hier kritisierten Einstufung des postnominalen Balkanartikels als second position- oder Wackernagel-Klitikum um ein Phantom als Folge einer

14

Zur Zugehörigkeit von Kardinalzahlen zu dieser Klasse sowie zu weiteren Einzelheiten siehe Ortmann (1999: 82-99).

25 verpassten Generalisierung hinsichtlich der Selektionseigenschaft des Artikels. Die vermeintliche Wackemagel-Position ergibt sich somit als Epiphänomen aus der Selegierung des Artikels. Der Gegenstand der folgenden Abschnitte ist daher, eine Analyse zu entwickeln, die dem Affixstatus des Artikels Rechnung trägt.

2.5. Der postnominale Artikel als Suffix: eine lexikalische Analyse

In den vorangehenden Abschnitten wurde ausführlich auf das lexikalische Verhalten der Balkanartikel hingewiesen. Ich werde nun eine lexikalische Repräsentation entwickeln, die den postnominalen Artikel als ein Suffix behandelt, das Adjektive und Nomen selegiert. Dadurch wird auch eine Repräsentation für das syntaktische Verhalten des Artikels ermöglicht, die gänzlich ohne Bewegung eines der beteiligten Elemente auskommt. Sowohl die alternative Wortstellung 'Nomen+Artikel - Adjektiv' neben 'Adjektiv+Artikel - Nomen' sowie die Koordinationsdaten in (8) bis (11) sollen durch die Analyse vorhergesagt werden.

2.5.1. Lexikalische Repräsentationen Die Grundbausteine der Analyse sind die Lexikoneinträge der Artikelformen, die im Folgenden im Format der Minimalistischen Morphologie (MM; Wunderlich & Fabri 1996, Wunderlich 1996a&b) repräsentiert sind, und zwar in (21) für das Bulgarische, in (22) für das Albanische und in (23) für das Rumänische (jeweils ohne die Berücksichtigung zusätzlicher Allomorphe). (21) Bulgarisch: -of. -ta: -to:

/ot/; /ta/; /to/;

[+min]; [+min]; [+min];

t+D] / [-art,+mask] [+D] / [-art,+fem] [+D] / [-art,+pl,-mask,-fem]

(22) Albanisch (Nominativformen): /i/; [+min]; -i: [+min]; /ja/; -(j)a: [+min]; /it/; -U)t: -të: /ta/; [+min];

[+D] [+D] art,+pl,-fem] [+D] [+D] / [-art,+pl,+fem]

(23) Rumänisch: -ul: /ul/; -a: /a/; -i: /j/; -le: /le/;

[+D] / [+D] / [+D] / [+D] /

[+min]; [+min]; [+min]; [+min];

[-art,-FC,-fem] [-art,-FC,+fem] [-art,-FC,+pl,-fem] [-art,-FC,+pl,+fem]

26 In den Repräsentationen ist zuerst die phonologische Information aufgeführt (die hier grob vereinfachend durch bloße Phonemketten dargestellt wird,15 dann zur Linken des Schrägstriches die Outputspezifikation des betreffenden Morphems, und zur Rechten des Schrägstriches die Inputinformation, die verhindern soll, dass die Affigierung in unzulässiger Weise generalisiert wird. So stellt die Inputspezifikation anhand des Merkmals [±art], für 'artikulierte Argumentstruktur', die kategoriale Selektion des Artikels sicher. Wie bereits erwähnt, unterscheidet das Merkmal ebenso wie das traditionelle Merkmal [±N] Nomen und Adjektive von Verben und Adpositionen, allerdings mit umgekehrten Werten. (Zur weiteren Motivation siehe Wunderlich 1996c. Anstelle des traditionellen, Verben und Adjektive zusammenfassenden [±V] benutzt Wunderlich das Merkmal [±dep(endent)]; es charakterisiert Adjektive und Adpositionen als referentiell abhängig gegenüber Nomen und Verben, die über ein eigenes referentielles Argument verfügen.), [-art] entspricht also extensional der Spezifikation [+N], indem es über Nomen und Adjektive generalisiert, wie aus der folgenden Darstellung hervorgeht: Ν art dep

A +

V + -

Ρ + +

Die vorliegende Analyse unterscheidet sich deutlich von der in der in den Abschnitten 2.3 und 2.4 kritisierten Literatur, in der ja die Tatsache, dass der Artikel an zwei statt an einer einzigen Kategorie realisiert werden kann, bereits als geringe kategoriale Selektivität gewertet wird und damit als ausreichende Evidenz für den Status als Klitikum. Hier dagegen wird die Tatsache, dass der Artikel an den zwei genannten Kategorien und nur an diesen zu finden ist, gerade durch Selektivität anhand eines Merkmals, [-art], das eine natürliche morphosyntaktische Klasse charakterisiert, erfasst.16 Als weitere Inputbeschränkung des Artikels ist die Kongruenzinformation erforderlich. So stellt [-fem] die Genusinformation 'maskulin' dar. In Verbindung mit einem Adjektivstamm wie tâmpit 'blöd' gibt es im Rumänischen entlang der Variation dieser Information also die vier Kombinationen tâmpit-ul [-fem,-pi], tâmpit-a [+fem,-pl], tâmpit-i-i [-fem,+pl], tâmpit-e-le [+fem,+pl]. Außerdem ist für Adjektive die Kombination der Artikelform mit der jeweils gegenteiligen Genus-/Numerusinformation ausgeschlossen, die bereits unabhängig von der Definitheitsinformation hinzugefügt sein kann, nämlich durch das Pluralsuffix. So ist im Fall von tâmpit-e 'blöd(fem.pl)' durch die Spezifikation der Artikelformen -i als [-fem] und -le als [+fem] sichergestellt, dass das Resultat der Affigierung tâmpit-e-le 15

Dies scheint für den gegenwärtigen Zweck höchstens in einer Hinsicht inadäquat: Das [1] in der maskulinen Form -ul des rumänischen Artikels erscheint silbenfinal nur in formellem Sprechstil und wird ansonsten nur in Resilbifizierungskontexten wie in profesoru.lui 'Professor-DEF.SG.MDAT' realisiert, weswegen es in einer präziseren phonologischen Repräsentation als 'floatierendes' (d.h. nicht fest assoziiertes) Segment zu kennzeichnen wäre.

16

Außerdem unterscheidet sich der Eintrag von dem des suffigierten Artikels der skandinavischen Sprachen, der lediglich an Nomen tritt und insofern noch spezifischere kategoriale Selektionseigenschaften aufweist; siehe dazu 2.5.2.

27 und nicht etwa *tâmpit-e-i lautet. Ebenso wird beim Nomen der entsprechende Wert mit der lexikalisch spezifizierten Genusinformation sowie mit der Numerusmarkierung, die bereits unabhängig von der Definitheitsinformation affigiert ist, gecheckt: -ul kann an baiat 'Junge(mask)', nicht jedoch an fata 'Mädchen(fem)' treten (denn bei ersterem liegt [-fem] zugrunde, bei letzterem [+fem]), und ebensowenig an profesori 'Professoren (mask. Plural)'. Aus Gründen, die in Abschnitt 2.7 erläutert werden, findet sich schließlich noch das Merkmal [-FC], für 'funktionale Kategorie', im Input der rumänischen Artikelformen. Was die Outputinformation des Artikels angeht, so besagt die Spezifikation [+min] explizit, dass es sich um ein gebundenes Morphem, also um ein Affix handelt und nicht um ein eigenes Wort oder Klitikum. Als Effekt erübrigt sich jede zusätzliche Aussage über die genaue Plazierung des Artikels, denn als Suffix tritt er grundsätzlich an die Kategorie(n), die er selegiert, in diesem Fall also Adjektive und Nomen. Das morphosyntaktische Merkmal [+D] in (21) - (23) legt die kategoriale Spezifikation der Affigierung als Determinierer fest. Eine mit dem Artikel affigierte Kategorie projiziert also als Kopf einer DP in die Syntax. Semantisch entspricht das Merkmal dem Definitheitsoperator, hier als D notiert, der ein (einstelliges) Prädikat nimmt und ein Individuum liefert: λΡ Dx [P(x)]. Zur Repräsentation der genauen Semantik des Definitheitsoperators wird gewöhnlich der i-Operator angesetzt, der sich durch die Bedingungen der Existenz und der Einzigkeit auszeichnet, worauf es hier jedoch nicht weiter ankommt.17

2.5.2. Syntaktische Konsequenzen Die in (21) - (23) vorgeschlagenen Lexikoneinträge ermöglichen eine einfache Repräsentation der DP-Syntax der Balkansprachen und der Verteilung des Artikels. Dies wird am Beispiel des Rumänischen entwickelt, ist aber mit nur geringfügigen Änderungen auf die beiden anderen Sprachen übertragbar. Zunächst sind drei grundsätzliche Fakten der Syntax des Rumänischen festzuhalten: (25) a. NPs sind kopfinitial. Damit sind Komplemente des Nomens nur zur Rechten von N° lizensiert. b. Pränominale APs sind strikt kopffinal. c. Adjunktion an die DP erfolgt rechts. Die Minimalistische Morphologie sieht vor, dass syntaktische Köpfe komplex sein können, in dem Sinne, dass sie sich lexikalisch aus mehreren funktionalen Kategorien zusammensetzen; siehe dazu Kapitel 1.2. Diese Annahme in Verbindung mit dem in (26) aufgeführten Prinzip Syntactic Projection führt dazu, dass ein solcher komplexer Kopf syntaktisch 'nach

17

Die allgemeine semantische Funktion des definiten Artikels ist die referentiellen Festlegung eines Individuums hinsichtlich Anaphorizität, beziehungsweise der Kennzeichnung als Funktionalbegriff (vgl. Löbner 1985).

28

oben' sein hierarchisch höchstes Element projiziert, also in unseren Fall D, während er die Komplemente seines hierarchieniedrigsten Elements, also hier Ν oder A, selegiert. (26) Wunderlich & Fabri (1996: 271): Syntactic Projection: A (possibly complex) word marks a syntactic projection by means of the category which heads it, and it c-selects a category in virtue of its lowest feature value. Dieses MM-Prinzip ist der einzige Zusatz, den die hier vorgeschlagene lexikalische Analyse benötigt. Dafür kann sie vollständig auf Bewegung verzichten sowie auf eine Behandlung des Artikels als special clitic. Eine solchermaßen komplexe Kategorie, die entweder durch Affigierung oder durch irreguläre Flexion zustande kommt, und die syntaktische Kategorie, die sie projiziert, lässt sich durch eine komplexe Verbform des Deutschen wie warfen illustrieren, warfen projiziert wegen des durch -en ausgedrückten Personkongruenzmerkmals [-1] auf AGR in der Syntax, enthält daneben auch die Tempusinformation [+PRÄT], und c-selegiert das, was der Stamm werf- als die hierarchieniedrigste beteiligte Kategorie selegiert, also ein direktes Objekt. Analog dazu projiziert die flektierte Präposition im auf P, selegiert aber durch die Artikelflexion eine NP. Was ich nun als Konsequenz aus den bisherigen Annahmen vorschlagen möchte, ist eine bewusst simple Konstituentenstruktur. Sie ist in einer theorieneutralen Syntax abgefasst und könnte auch in artikuliertere Ansätze wie HPSG übertragen werden. Worauf es wesentlich ankommt, ist (i) die lexikalische Kombination zu einem D-Element und damit die syntaktische Projektion auf DP und (ii) dass dies mit genau zwei Kategorien möglich ist, nämlich den beiden Instantiierungen von [-art]. Sowohl das Nomen als auch das Adjektiv sind damit im Falle einer Suffigierung mit dem definiten Artikel als Kopf der DP anzusehen. Für die Kombination des Nomens mit dem Artikel ergibt sich demnach die syntaktische Repräsentation in (27). Entsprechend der Annahme in (25a) finden sich Komplemente zur Rechten des Nomens (wie in teori-a lingvist-ul-ui convingätoare 'die überzeugende Theorie des Linguisten'18) in der hier als X"™1 bezeichneten Position, und auch APs werden gemäß (25c) rechts an die DP adjungiert.

18

Stilistisch unmarkiert ist hier die Abfolge teori-a convingätoare a lingvist-ul-ui, in der die Possessorphrase dem Adjektiv folgt. Ich gehe davon aus, dass diese Variante durch Extraposition des Possessors aus der Nomen-adjazenten Position abgeleitet ist.

29

AP

[N+D lingvist-ul] [N+Dteori-a]

Δ

lingvist-ul-ui

inteligent convingatoare

Für die Kombination des Artikels mit einem Adjektiv wie in (5b) ist zu berücksichtigen, dass der morphologischen Selegierung des Adjektivs durch den Artikel dessen syntaktische Selegierung einer NP gegenübersteht. Dies reflektiert die semantische Tatsache, dass nur ein Nomen über ein referentielles Argument verfügt, welches vom Artikel gebunden werden kann, so dass ein Adjektiv mit dem Nomen eine Modifikationsbeziehung eingehen muss, bevor der an ihm realisierte Artikel interpretiert werden kann (vgl. dazu die Diskussion der untenstehenden Beispiele in (29)). Die Konsequenz hieraus ist die syntaktische Struktur (28). Gradargumente des Adjektivs (DegP) werden gemäß der Annahme (25b) links vom adjektivischen Kopf realisiert (zur Behandlung der Partikel de, insbesondere zur Rechtfertigung der Konstituentenbildung mit dem Adverb, siehe Rubin 1994 sowie auch Kapitel 3.8.3). Die semantisch durch die komplexe AP modifizierte NP findet sich gemäß (25c) rechts von der Projektion des definitmarkierten Adjektivs, also dem Kopf der vollständigen DP. (28)

NP deosebit de [A+D inteligent-ul ] besonders MOD intelligent-DEF.M

lingvist Linguist

Zunächst bietet die Struktur (28) in Verbindung mit den Lexikoneinträgen in (23) eine Erklärung für die phrasenfinale Position des Artikels in Verbindung mit Adjektiven. Da pränominale Adjektivphrasen kopffinal sind, kann ein an das Adjektiv plaziertes Suffix zwangsläufig nur phrasenfinal auftreten. Dieses phrasenfinale Auftreten jedoch ist keine Eigenschaft des Artikels selbst, sondern eine epiphänomenale Konsequenz der in (25b) erwähnten syntaktischen Eigenschaft rumänischer APs (im Gegensatz etwa zu bulgarischen, vgl. (15d)).

30 Ungewohnt erscheint die Behandlung der NP als Komplement von [A+D]P und nicht direkt von D°, wie sonst bei DP-Analysen üblich. Dies resultiert jedoch daraus, dass die Projektion der DP-Ebene bereits erreicht ist, ohne dass die maximale Projektion des Adjektivs abgeschlossen ist. Die von D° eingebrachte syntaktische Forderung nach der Kategorie NP muss daher als weitere Subkategorisierungsinformation des Adjektivs geführt und an die dominierende Kategorie [A+D]P weitervererbt werden. (Formal lässt sich dies wohl am ehesten durch die Kombination der Subkat-Listen nach dem Vorbild der HPSG darstellen. Semantisch entspricht dem, dass der Artikel das externe Argument des Nomens und nicht das des Adjektivs referentiell bindet.) Insofern ist (28) das Ergebnis eines mismatchings, also einer fehlenden Übereinstimmung zwischen der morphologischen Selegierung durch den Artikel (hier: eines Adjektivs) sowie der syntaktischen und semantischen Selegierung (nämlich einer NP): Aufgrund seiner Affigierung mit dem D-Element ist der Modifikator der syntaktische Kopf der Konstruktion. Durch die Kombination der Selektionseigenschaft des Artikels mit denen des Adjektivs ist auch korrekt ausgeschlossen, dass an eine DP mit [A+D] als Kopf anstelle einer NP eine AP adjungiert wird. Die folgenden Beispiele sind nämlich nur dann akzeptabel, wenn eins der beiden Adjektive als nominalisiert verstanden wird, also gerade nicht auf die Kategorie A projiziert. Eine Kombination zweier echter Adjektive, wie sie in (29c) durch die Intensivierung beider Elemente verdeutlicht ist, ist dagegen ausgeschlossen. (29) a. foarte frumos-ul înfelept sehr schön-DEF.M klug.M 'der sehr schöne Kluge' c. * foarte sehr

frumos-ul foarte schön-DEF.M sehr

b. înfelept-ul foarte frumos klug-DEF.M sehr schön.M 'der sehr schöne Kluge' înfelept klug.M

Die Analyse erklärt auch die Tatsache, dass im Falle mehrerer Adjektive der Artikel nur am pränominalen, nicht jedoch am postnominalen Adjektiv auftritt: (30) bun-ul lingvist inteligent(*-ul) gut-DEF.M Linguist intelligent 'der gute, intelligente Linguist' Es gibt also keine Definitheitskonkordanz, sondern nur ein Vorkommen des Artikels. Dies ist bereits durch die semantische Behandlung als Definitheitsoperator (und nicht als lediglich morphosyntaktische Definitheitskennzeichnung) in der lexikalischen Repräsentation in (23) erfasst. Ferner projiziert ein definit-markiertes Adjektiv auf D, so dass mehrere definit-markierte (nichtkoordinierte) Elemente aus Phrasenstrukturgründen, genauer als nichtendozentrische Strukturen, ausgeschlossen sind. (31) ist ein Beispiel für eine in sich komplexe NP und erklärt, warum der definite Artikel nur am pränominalen und nicht am postnominalen Adjektiv realisiert wird.

31 (31)

DP

[A+D]P [A+D]°

NP NP

AP

I r A

bun-ul

lingvist

inteligent

Die vorgeschlagene Analyse ist von der der skandinavischen Sprachen abzugrenzen, die ja auch über eine suffixale Definitheitsmarkierung verfügen; vgl. das folgende norwegische Beispiel (Giusti 1994: 243): (32) den DET

gaml-a

mannen

old-INFLECTION

man.DET

'the old man'

In den skandinavischen Sprachen haben wir es mit der 'klassischen' DP-Struktur zu tun, also ausnahmslos mit der üblichen Selektion von NP durch D, sowie Adjunktion der AP an NP. Im Unterschied zu den Balkansprachen kann der suffigierte Artikel hier nämlich nur an Nomen treten, nicht an Adjektive, vgl. die Ungrammatikalität von * den gaml(a)en mann, * den mann gaml(a)en. Außerdem projiziert ein Nomen mit dem Definitheitsmarker syntaktisch keinesfalls bereits auf D, denn außer im Falle eines alleinigen Nomens ist ein zusätzlicher, morphologisch freier Artikel obligatorisch (Börjars 1994: 220), so dass auch * gamia mannen ungrammatisch ist. Insofern ist die D°-Position durch den freien Artikel besetzt, der eine NP selegiert; dies ist auch die Analyse von Giusti (1994). Der suffigierte Artikel des Skandinavischen drückt also ebenso wie das adjektivische Flexiv -a Definitheitskonkordanz aus, ähnlich der stark/schwach-Alternation im Deutschen. Als nächstes ist zu klären, wie sich für die angenommene Adjunktionsstruktur eine kompositionale semantische Interpretation ergibt, insbesondere wie der Skopus des Artikels auch die adjungierte AP bzw. die NP umfassen soll.

2.5.3. Semantische Kompositionalität des suffigierten Artikels Trotz der affixalen Realisierung ist der semantische Skopus des durch den Artikel eingebrachten Defmitheitsoperators die gesamte DP-Projektion. Formal lässt sich das, wie ich kurz zeigen möchte, durch die Operationen der Argumenterweiterung und der Funktionskomposition darstellen. Hinsichtlich der einzelnen Kategorien und ihrer logischer Typen setze ich die folgenden Schemata an:

32 (33) Nomen: λχ [N(x)] (0/1)

Adjektiv: Xy [A(y)] (0/1)

definiter Artikel: λΡ Dz [P(z)] 1/(0/1)

Zunächst müssen die beiden Prädikate über dem referentiellen Nomenargument, also das Nomen (bzw. die NP), und das adjungierte Adjektiv (bzw. die AP), Θ-unifiziert werden, im Sinne der in Higginbotham (1985) eingeführten Θ-Identifikation. Erst über dem resultierenden komplexen Prädikat appliziert die Definitheit. Die folgenden Schritte sind erforderlich, um jedem lokalen Baum eine semantische Interpretation zuzuweisen: (1.) ARG- bzw. MOD-Erweiterung im Sinne von Wunderlich (1997b), um ©-Unifikation kompositional darzustellen: (34) a. ARG: b. MOD:

λΡ -> XQ λχ [P(x) & Q(x)] XQ -> λΡ λχ [P(x) & Q(x)]

(0/1) -> (0/l)/(0/l) (0/1) -> (0/1)7(0/1)

Da diese Operationen der Gegenstand von Kapitel 3.3 sind, sei hier nur erläutert, dass für die formale Darstellung der Modifikation eine Argumenterweiterung entweder wie in (34a) am Nomen stattfinden muss, oder dass das Attribut wie in (34b) zum Funktor über dem Nomen erweitert wird. Die Prädikatsvariable Ρ steht für die Bedeutung des Kopfes, also des Nomens, und Q für die des modizierenden Adjektivs. (2.) Argumentvererbung durch Funktionskomposition: Bei der Applikation des Artikels auf das Nomen wird das (durch die Erweiterung ARG eingeführte) Argument des Nomens, also das durch das Adjektiv ausgedrückte Prädikat, vererbt. Es wird also erst gesättigt, nachdem der durch den Artikel ausgedrückte Definitheitsoperatot auf das Nomen angewandt wird. (Ebenso vererbt werden gegebenenfalls weitere Modifikatoren des Nomens, für die dann auch eine entsprechende Funktionskomposition stattgefunden haben muss.) Diese beiden Schritte lassen sich am Beispiel eines definit-markierten Nomens mit postnominalem Adjektiv (vgl. (l-3a)) durch die Repräsentation in (35a) veranschaulichen;19 in (35b) sind die Anwendungsschritte zur besseren Übersicht auf den jeweiligen logischen Typ reduziert. (35) a.

vin kniga mik XQ λχ [N(x) & Q(x)]

-ul •ta -u XP Dz [P(z)]

bun nova i mbrame λγ [A(y)]

Dz [N(z) & A(z)]

19

Ich verwende Ν und A als Prädikatskonstanten für die Bedeutung des Nomens bzw. Adjektivs.

33 b. (0/1)/(0/1)

1/(0/1)

(0/1)

1 Ganz analog hierzu verläuft die Komposition eines definit-markierten pränominalen Adjektivs mit dem Nomen (bun-ul vin, nova-ta kniga, i mbram-i mik, vgl. (l-3b)), mit dem einzigen Unterschied, dass hier vor der Applikation des Artikels auf das Adjektiv anstelle von ARG die MOD-Variante (34b) der Modifikationserweiterung in Kraft treten muss, so dass das Argument des Adjektivs, also das durch das Nomen ausgedrückte Prädikat, vererbt wird: (36) a.

bun nova i mbram λΡ λχ [Ρ(χ) & Α(χ)]

-ul -ta -i XQDz[Q(z)}

vin kniga mik Xy [N(y>]

λΡ Dz [P(z) & A Dz [N(z) & A(z)]

Die Konsequenz ist, dass die Modifikationserweiterung jeweils am syntaktischen Kopf stattfindet, unabhängig davon, ob er semantisch als Modifikans oder als Modifikator fungiert. Da bei intersektiver Modifikation Nomen und Adjektiv ihr externes Argument teilen, ist das Ergebnis beider Ableitungen äquivalent, nämlich Dz [N(z) & A(z)] (siehe dagegen die exemplarische Behandlung nicht-intersektiver Modifikation im folgenden Abschnitt). Vor dem soweit entwickelten morphologischen, syntaktischen und semantischen Hintergrund lassen sich als Nächstes weitere empirische Details des Balkan-Artikels analysieren.

2.6. Der postnominale Artikel unter Koordination

Mithilfe der oben vorgeschlagenen Repräsentationen sind die Koordinationsdaten des Rumänischen und des Albanischen unmittelbar erklärt, die sich, wie in (8) bis (11) gezeigt

34 wurde, durch die obligatorische Wiederholung des Artikels an beiden Konjunkten auszeichnen. Dagegen ist für das Bulgarische ein Zusatz nötig, der jedoch nicht den Status des Artikels betrifft, sondern die Koordinationssyntax.

2.6.1. Analyse der rumänischen und albanischen Koordinationsdaten Was das Rumänische und das Albanische angeht, wurde in (8) bzw. in (9), hier wiederholt als (37a) und (37b), illustriert, dass sich der Artikel an beiden Adjektiven einer Koordinationsstruktur findet. (37) a. Rumänisch:

b. Albanisch:

bun-ul inteligent-ul gut-DEF.M und intelligent-DEF.M 'der gute und intelligente Linguist'

lingvist Linguist

e gjor-a dhe e vogl-a vajzë MOD poor-DEF.F and MOD little-DEF.F girl 'the poor and little girl'

In einer Koordinationssyntax, die Konjunktionen wie und und oder als projizierende funktionale Kategorie begreift und somit binäre, endozentrische Strukturen ermöglicht, ergibt sich (38a) für koordinierte Adjektive bzw. (38b) für Nomen. (38) Koordinationsstruktur für definite Adjektive und Nomen: b.

[N+D]° [N+D]° [A+D]P [A+D]° Conj bun-ul fi e gjor-a dhe

[A+D]° inteligent-ul e vogl-a

Conj' Conj

lingvist vajzë

cäntäref-ul

[N+D]°

actor-ul

ÀP

popular

Die Wiederholung an beiden Konjunkten ist durch den Affixstatus vorhergesagt. Es ist nämlich eine definitorische Eigenschaft für Affixe, dass sie grundsätzlich im entsprechenden Kontext an die von ihnen selegierte Kategorie treten (vgl. das MM-Prinzip 'Specificity'), und nur gleich flektierte Elemente können koordiniert werden; vgl. der große und böse Wolf vs. *der große und bös- Wolf. Die syntaktische Voraussetzung ist dabei, dass gleichartige Kategorien koordiniert werden, so dass eine komplexe Kategorie [A+D] im

35 unmarkierten Fall nicht einfach mit A, sondern mit [A+D] koordiniert wird. Die Koordination von definit-markierten Nomen erklärt sich auf dieselbe Weise. Es ist zu beachten, dass (IIa), hier wiederholt als (39a), nur die Interpretation 'der beliebte (Sänger und Schauspieler)', nicht etwa 'der Sänger und beliebte Schauspieler' hat. Daher ist auch hier jedes Affix an beiden Konjunkten gefordert, vgl. mit Pauken und Trompeten vs. *mit Pauk- und Trompeten. (39) a. cäntäref-ul actor-ul popular Sänger-DEF.M und Schauspieler-DEF.M beliebt 'der beliebte Sänger und Schauspieler' b. bun-ul, inteligent-ul lingvist gut-DEF.M intelligent-DEF.M Linguist 'der gute, intelligente Linguist' Die konjunktionslose Iteration in (10), wiederholt als (39b), lässt sich auf dieselbe Weise erfassen, indem nämlich Koordination mit einer phonologisch leereren Konjunktion angenommen wird. Die Wiederholung des Artikels an jedem Adjektiv ist also für (10) bzw. (39b) ebenso durch (38a) erfasst wie für (8a) bzw. (39a). Wenn dagegen (als denkbare Alternative) rekursive Adjunktion angenommen würde, wäre nicht nur unklar, was woran adjungiert wäre. Evidenz gegen rekursive Adjunktion und für Koordination findet sich vor allem durch das Skopusverhalten von Adjektiven bei intensionaler Modifikation. Bei intensionaler Modifikation sind nämlich nicht mehrere pränominale Adjektive zugelassen. Vielmehr ist intensionale Modifikation eines Adjektivs durch ein anderes nur in postnominaler Position möglich, wie in (40a,b). (40) a. profesor-ul fost blond Professor-DEF.M früher blond der früher blonde Professor'

b. lingvist-ul pretins lene§ Linguist-DEF angeblich faul 'der angeblich faule Linguist'

c. *fost-ul, blond-ul profesor früher-DEF.M blond-DEF.M Professor (intendiert: 'der früher blonde Professor') d. *pretins-ul, lene$-ul lingvist angeblich-DEF faul-DEF Linguist (int.: 'der angeblich faule Linguist') e. * blond-ul, fost-ul profesor blond-DEF.M früher-DEF.M Professor (intendiert: 'der blonde frühere Professor')

36 f. * lene§-ul, pretins-ul lingvist faul-DEF angeblich-DEF Linguist (int.: 'der faule angebliche Linguist') g. blond-ul fast profesor blond-DEF.M früher Professor 'der blonde frühere Professor'

h. lene§-ul pretins lingvist faul-DEF angeblich Linguist 'der faule angebliche Linguist'

Dass intensionale Modifikation eines Adjektivs durch ein vorausgehendes in der pränominalen Konstruktion ausgeschlossen ist, zeigt (40c,d), das ansonsten völlig parallel zu (39b) ist. Von einer Adjunktionsstruktur - der einzigen Alternative zu einer Koordinationsstruktur - wäre zu erwarten, dass (40c,d) grammatisch sein sollte. Die rekursive Adjunktion von Adjektiven, also eine Struktur [AP [AP [N]]], würde nämlich fälschlicherweise vorhersagen, dass das erste Adjektiv aufgrund seiner strukturell höheren Position Skopus über das folgende haben kann (sowie dass beide auch Skopus über das Nomen haben können, was dann auch von (40e,f) zu erwarten wäre). Dies ist schließlich auch bei postnominaler Modifikation wie in (40a,b) der Fall. Eine 'flache' Koordinationsstruktur dagegen schließt intensionale Modifikation korrekt aus, da für kein Adjektiv die phrasenstrukturelle Voraussetzung erfüllt ist, dass es ein anderes aufgrund seiner höheren Position modifizieren könnte. Die Ungrammatikalität von (40c-f) ist also dadurch vorhergesagt, dass aufgrund des fehlenden Skopus des intensionalen Adjektivs keine Interpretation möglich ist. Dass für (40c-f) auch nicht die Lesart 'der blonde frühere Professor' erhältlich ist, erklärt sich aus der ungleichen Behandlung beider Konjunkte hinsichtlich ihrer Interpretation; eines würde intersektiv mit dem Nomen, eines als über dem Nomen operierend interpretiert. (Außerdem ist die Grammatikalität von (40g,h), in denen das intensionale Adjektiv keinen Artikel trägt, vorhergesagt: hier liegt keine Koordination vor, sondern eine Struktur wie in (31) — wenn auch mit umgekehrter Abfolge von Nomen und Modifikator in der NP - , woraus sich der Skopus über dem Nomen ergibt.) Dies wird umso deutlicher durch den Umstand, dass ein definit-markiertes intensionales Adjektiv auch in pränominaler Position sehr wohl möglich ist, wenn es nämlich seinen Skopus findet. Dieser kann dann durchaus auch ein weiteres Adjektiv umfassen; wesentlich ist nur, dass bei einer entsprechenden Lesart die gesamte Struktur Nomen-Adjektiv, also profesor blond bzw. linguist lene§ in (41), diesen Skopus ausmacht, was ich in der deutschen Übersetzung durch die flektierte adjektivische Form von früher bzw. angeblich wiedergebe: (41) a. fost-ul profesor blond früher-DEF.M Professor blond 'der frühere blonde Professor' oder'der blonde frühere Professor'

b. pretins-ul linguist leneç angeblich-DEF Linguist faul 'der angebliche faule Linguist' oder 'der faule angebliche Linguist'

Eine mögliche Interpretation von (41) bezeichnet eine Person, die nicht nur nicht mehr blond, sondern auch nicht mehr Professor ist; bzw. eine Person, die nicht nur nicht faul,

37 sondern auch nicht Linguist ist. Die durch die in (31) vorgeschlagene Syntax vorgegebenen Skopusverhältnisse ermöglichen hierfür die folgende Ableitung (wobei die Semantik von angeblich hier durch das Prädikat BEH. - "χ behauptet, dass y Q ist" - dargestellt ist): (42)

DP Dz 3x BEH.(x,[LING.(z)&FAUL(z)] [A+D]P

NP Xu[LING.(u)&FAUL(u)]

[A+D]

[pretins-ul] XQ Dz 3x BEH.(x,Q(z)) [pretins XQ Xy 3x BEH.(x,Q(y))

linguist

lene$

-ul] λΡ Dz P(z)

Bei der Suffigierung mit dem Artikel wird das Prädikatsargument, über dem angeblich operiert, zunächst vererbt und darauf von der Semantik der NP gesättigt. Die jeweils andere Lesart von (41), die (40g,h) entspricht und nach der die bezeichnete Person noch immer blond bzw. tatsächlich faul ist, wird dagegen ermöglicht, indem das entsprechende Adjektiv nicht an NP, sondern ebenfalls an die gesamte DP adjungiert wird, also eine höhere Position einnimmt, in der es nicht in den Skopus des intensionalen Modifikators fällt. Im Gegensatz zu (41) bezeichnet (40b) eine Person, die tatsächlich Linguist, aber nicht faul ist. Dieser Kontrast zeigt, dass intensionale Modifikation genau dann möglich ist, wenn eine entsprechende hierarchische Struktur vorliegt. Wenn in (39b) Adjunktion des einen Adjektivs an das andere vorläge, müsste es auch Skopus über das andere haben (bzw. Funktor sein können), intensionale Modifikation somit möglich sein. Die symmetrische Struktur von Koordination und der hierdurch vorausgesagte mögliche Skopus bei intensionaler Modifikation stützen also die Behandlung von konjunktionsloser Adjektiv-Iterierung als Koordination; die obligatorische Wiederholung des Artikels ist hinreichend erfasst. Insgesamt trifft die Suffixanalyse des definiten Artikels für das Koordinationsverhalten des Rumänischen und Albanischen also die richtige Voraussage.

2.6.2. Analyse der bulgarischen Koordinationsdaten Wendet man das bisher zur Stützung der Suffixanalyse benutzte Kriterium der Koordination auf das Bulgarische an, so stellt man fest (wie schon in (15i) angedeutet), dass in die-

38 ser Sprache der Artikel im Regelfall nicht an allen, sondern nur an einem Konjunkt auftritt.20 (43) a. xubavi-te i novi canti schöne-DEF-PL.F und neue Taschen 'die schönen und neuen Taschen' b. nova-ta i interesna kniga neu-DEF.F und interessant Buch 'das neue und interessante Buch' Die Verteilung des bulgarischen Artikels unter Koordination scheint nach der bisherigen Argumentation auf den ersten Blick eher gegen den Affixstatus zu sprechen. Aufgrund der in Abschnitt 2.4 besprochenen übrigen Eigenschaften, insbesondere der konsequenten Realisierung am Kopf, scheint dies aber keine gültige Schlussfolgerung zu sein. Vielmehr ist die Wiederholung des Artikels unter Koordination als eine hinreichende Bedingung für den Affixstatus anzusehen, jedoch nicht als eine notwendige Bedingung. Diese Sicht ist keinesfalls rein stipulativ, berücksichtigt man, dass es durchaus der Normalfall ist, dass die einzelnen Kriterien für Affix oder Klitikum bei einem bestimmten Element nicht alle übereinstimmen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass laut Halpern (1995: 156) die weiteren Konjunkte zumindest gelegentlich auch mit dem Artikel versehen werden. Ich möchte aber noch weitergehen und behaupten, dass das Koordinationskriterium keineswegs unerfüllt ist, sondern für das Bulgarische nicht einschlägig ist. Wie das Beispiel (43) zeigt, ist es nämlich jeweils das erste Konjunkt, das mit dem definiten Artikel versehen ist. Dies ist insofern bemerkenswert, als die theoretischen Alternativen, nämlich eine Analyse des bulgarischen Artikels als phrasales Suffix oder aber als das Resultat einer Bewegung der koordinierten AP nach Spec,D, die gegenteilige Voraussage treffen würden, nämlich das Auftreten am letzten Konjunkt; vgl. die Diskussion in 2.3.2. Es lässt sich daher argumentieren, dass das Auftreten eines Affixes an allen vs. nur am ersten Konjunkt von dem speziellen Konstruktionstyp abhängt, den die jeweilige Sprache für die Koordination benutzt. Die Frage ist dann, wodurch sich die Koordinationssyntax des Bulgarischen im Gegensatz zu der des Rumänischen und Albanischen auszeichnet. Hier greife ich einen Vorschlag von Dimitrova-Vulchanova & Giusti (1998) auf, der im Rahmen einer syntaktischen Analyse entwickelt wurde, und versuche ihre Einsichten in das bereits entwickelte Format zu übertragen, indem ich die mit ihrem Vorschlag verbundenen Probleme vermeide. In ihrer Analyse der Syntax der Nominalphrase der Balkansprachen behandeln Dimitrova-Vulchanova & Giusti die Realisierung des postnominalen Artikels als das Ergebnis eines 'feature checkings' innerhalb der funktionalen Projektion des Nomens bzw. des Adjektivs. Sie setzen dafür die Struktur in (44) an.

20

Hierauf weisen auch Haipen (1995) und Dimitrova-Vulchanova & Giusti (1998) hin.

39

mnogo very

goljamo[-to ], big-the

[DEF]

momee boy

foarte very

frumos[-ul], nice-the

[DEF]

bäiat boy

shumë very

e bukur-[a]¡ nice-the

[DEF]

vajzë girl

Entscheidend ist die Behandlung des Artikels als eine funktionale Kategorie, die mit dem Kopf der Phrase, also D°, gecheckt wird. Die Analyse beinhaltet also die Idee von Merkmalchecking als syntaktischer Bewegung: "[T]he features represented by the article(s) must ultimately be checked (via Spec,head agreement) against a functional head of the main N-D projection" (a.a.O.: 344); also in D°. Zunächst erfolgt das Checking des Adjektivs in seiner funktionalen Domäne F. Darauf wird die FP zum Checking des Merkmals [DEF] nach Spec.D hochbewegt. Was die Koordinationsdaten des Rumänischen und Albanischen betrifft, so nehmen Dimitrova-Vulchanova & Giusti konsequenterweise an, dass beide Konjunkte der Adjektivphrase einen funktionalen Überbau FP aufweisen, so dass jeweils A und F gecheckt werden, worauf die gesamte FP-Koordination nach Spec.D wandert. Um dagegen das Verhalten des Bulgarischen zu erfassen, schlagen die Autorinnen vor, dass lediglich das erste Konjunkt in die D-Etage bewegt wird und dort das [DEF]-Merkmal checkt. Hierbei soll es sich um eine aus der asymmetrischen, binären Koordinationsstruktur resultierende Option handeln:

40 (45) Koordinationsstruktur nach Dimitrova-Vulchanova & Giusti (1998: 344) DP S] D

AgrP

Conj

nova-ta neu-DEF.F

i und

FP2

interensa interessant

kniga Buch

Die Analyse von Dimitrova-Vulchanova & Giusti liefert zwar eine entscheidende Intuition zur Ungleichbehandlung der beiden Konjunkte hinsichtlich des Artikels, weist jedoch zumindest zwei gravierende Unstimmigkeiten auf. Zunächst ist unklar, welches Merkmal in der Projektion F gecheckt werden soll, wenn das Merkmal [DEF] erst auf der Ebene von D gecheckt wird. Es sieht eher so aus, als wäre die Bewegung nach D unabhängig von der Realisierung des Artikels unter FP erforderlich. Mit anderen Worten, wenn das vom Artikel repräsentierte Merkmal [DEF] ist, was wird dann auf der Ebene von FP gecheckt? Das andere Problem besteht darin, dass hier Bewegung von nur einem der Konjunkte angenommen wird. Dies würde bedeuten, dass Koordinationsstrukturen nicht generell als Inseln für Bewegung zu gelten hätten - eine Beschränkung, deren Annahme jedoch in der bisherigen Syntaxforschung, unabhängig von den jeweiligen spezifischen Vorstellungen über Subjazenz, geteilt wird, um Bildungen auszuschließen wie * Wen¡ hast du getroffen [t, und Maria]. Im hier vertretenen Rahmen scheint es jedoch eine Möglichkeit zu geben, die Vorteile des Vorschlags von Dimitrova-Vulchanova & Giusti trotzdem zu übernehmen. Diese Möglichkeit macht vom Konzept der komplexen funktionalen Köpfe Gebrauch und überträgt hierauf den Gedanken, dass sich das Bulgarische vom Rumänischen und Albanischen durch die Details der Koordination unterscheidet. Wie bereits in 2.5.2 ausgeführt, markiert ein mit dem Artikel suffigiertes Adjektiv wie nova-ta eine syntaktische Position, die A° instantiiert und gleichzeitig auf DP projiziert. Die Option, die das Bulgarische wählt, besteht nun darin, dass von dieser komplexen Kategorie [A+D] die höchste Kategorie, also D, einschlägig ist für die Projektion nach oben, während für die Koordination die hierarchieniedrigste Kategorie A einschlägig ist, so dass als weitere Konjunkte APs lizensiert sind. Die Besonderheit der bulgarischen Koordinationsstruktur besteht also in der kategorialen Ungleichheit der Projektion 'nach oben' und der Kombination innerhalb der Phrase. Die Motivation liegt möglicherweise in einer Ökonomieanforderung derart, dass identische

41 funktionale Information innerhalb einer Koordinationsstruktur nur einmal realisiert werden soll. Dagegen haben wir es im Rumänischen und Albanischen mit mehreren DP-Konjunkten zu tun, mit andern Worten, die entsprechende Kategorie muss von allen Konjunkten respektiert sein. Dies stellt vermutlich die unmarkierte Option für die Koordinationssyntax dar, denn hier ist kategoriale Uniformität gewahrt. Beide Strukturen sind in (46) kontrastiert, wobei die jeweils koordinierten Konstituenten fett hervorgehoben sind. (46) a. Rumänisch, Albanisch (= (38a) oben)

bun-ul e gjor-a

dhe

inteligent-ul e vogl-a

lingvist vajzë

b. Bulgarisch

nova-ta

interesna

kniga

Mein Vorschlag besteht also darin, dass im einen Fall DPs koordiniert werden, was die Realisierung des Artikels an jedem Konjunkt erfordert. Im anderen Fall werden dagegen APs koordiniert, wobei aufgrund des morphologischen Status des Artikels als Affix nicht die gesamte Koordinationsstruktur als Trägerkategorie fungieren kann, sondern der Artikel sich mit einem Konjunkt lexikalisch zu einer komplexen Kategorie verbindet. 21 Die Wiederholung des Artikels ist somit keine notwendige Bedingung für seinen Affixstatus, sondern dieses Kriterium ist nur einschlägig bei der Koordination der entsprechenden Kategorie, nämlich der DP, wie sie im Rumänischen und Albanischen, aber nicht im Bulgarischen vorliegt.

2.7. Weitere Aspekte des postnominalen Artikels in der rumänischen DP

Die Verteilung des rumänischen definiten Artikels weist einige Besonderheiten auf, die sich in den übrigen Balkansprachen nicht finden und die auch in der bisher zitierten Literatur thematisiert werden, so zum Beispiel die Interaktion mit Kategorien wie Demonstrati-

21

Der Umstand, dass der Artikel sich dabei stets mit dem ersten Konjunkt verbindet, erfordert streng genommen eine zusätzliche Stipulation. Hier ist ein typologisch motiviertes Alignment-Constraint nach dem Vorbild der Optimalitätstheorie denkbar, wonach die Definitheitsmarkierung in der DP soweit links wie möglich realisiert wird, etwa: ALIGN (Artikel,L,DP,L).

42 vum und Possessivum. Ich möchte nun zeigen, dass sich diese Phänomene durch geringe Zusatzannahmen erfassen lassen, die auch unabhängig vom aktuellen Ansatz benötigt werden. Zunächst möchte ich die Position und die Flexion des Demonstrativums sowie seine Kodistribution mit dem Artikel behandeln. Wie das Adjektiv kann auch das Demonstrativum im Rumänischen vor oder hinter dem Nomen stehen. (47) a. acest

lingvist (*-ul)

b. aceast-ä

lingvistä (*-a)

DEM.M Linguist.M(-DEF.F)

DEM.F

'dieser Linguist'

'diese Linguistin1

c. lingvist-ul linguist-DEF.M

'dieser Linguist'

acest-a DEM.M-ATTR

d. lingvist-a

Linguist.F(-DEF.F)

aceast-a

linguist-DEF.F DEM.F-ATTR

'diese Linguistin'

Der definite Artikel erscheint dabei am Nomen nur dann, wenn das Demonstrativum wie in (47c,d) folgt. Wenn das Demonstrativum wie in (47a,b) dem Nomen vorangeht, findet sich kein Artikel, weder am Nomen noch am Demonstrativum. Außerdem flektiert das pränominale Demonstrativum genauso wie das Adjektiv, also durch die Suffixe -0, -ä, -i, -e. Im Rahmen der vorgeschlagenen Analyse ist das Fehlen des Artikels in (47a,b) erwartet, da das Demonstrativum selbst (ebenso wie in anderen romanischen Sprachen und etwa auch im Deutschen 22 ) eine Instanz von D° ist - und nicht, wie von Giusti (1994) vorgeschlagen, in Spec,D positioniert ist, wobei Bewegung von Ν nach D durch einen 'doublyfilled DP filter' (in Analogie zum doubly-filled Comp filter) verhindert werden muss, um *acest lingvist-ul auszuschließen. Der Grund für die Behandlung als Kopf liegt darin, dass sich das Element semantisch parallel zum definiten Artikel verhält, also als Operator (mit einem deiktischen Zusatz gegenüber dem letzteren). Das Demonstrativum selegiert eine NP (nicht einfach ein Nomen, denn es ist im Unterschied zum Artikel kein Suffix). Scheinbar problematisch für diese Sicht ist auf den ersten Blick (47c,d): hier trägt das Nomen den Artikel, und auch das postnominal adjungierte Demonstrativ trägt ein Suffix. Es weist dabei aber nicht dieselbe Flexion wie das Nomen auf, wiederholt also nicht den Artikel, sondern flektiert - wie auch pränominal - im Stamm suppletiv (mask, acest vs. fem. aceast), und das Suffix ist ein invariantes -a. Die Invarianz dieses Suffixes spricht dafür, dass hierdurch eine Adjektivkategorie deriviert wird (in der Interlinearübersetzung als 'ATTR(ibut)' glossiert). 23 Durch diese Kategorisierung wird auch die in (48) illustrierte

22

23

Nicht jedoch zum Beispiel im Ungarischen, wo das Demonstrativum Kopf einer eigenen Projektion ist; siehe Kapitel 4.5.3. Dies ist auch der informelle Vorschlag von Börjars (1994: 246). Alternativ dazu könnte man bei der Derivation auch von einer Nominalisierung ausgehen. Das würde zwar erklären, dass nur diese Form des Demonstrativums elliptisch, also ohne Nomen, gebraucht werden kann, nicht jedoch, dass ihr nur ein Nomen und kein Adjektiv als Kopf der DP vorangehen kann (siehe (48)).

43 Beobachtung von Giusti (1994: 249) erfasst, wonach ein solchermaßen suffigiertes Demonstrativum nur einem Nomen und nicht einer AP folgen kann: (48) a. om-ul Mann-DF.M

aceast-a

bätrin

DEM.M-ATTR alt

b. * bätrin-ul alt-DF.M

acest-a

om

DEM.M-ATTR Mann

'dieser alte Mann' Giusti versucht die Ungrammatikalität von (48b) dadurch zu erklären, dass das Demonstrativum eine Spezifizierer-Position unterhalb von D besetzt (Spec.AgrP), so dass die Bewegung einer AP (hier: bätrin) über diese Spezifizierer-Position hinweg nach Spec.D, also in die initiale DP-Position, blockiert sein soll. Abgesehen von der Frage, ob Bewegung von Phrasen ähnlichen Lokalitäts- oder Minimalitätsbedingungen unterliegt wie Kopf-zu-KopfBewegung, scheidet eine solche Lösung deswegen aus, weil die pränominale Stellung der AP nicht durch Bewegung nach Spec.D zustande kommen kann, wie anhand der Koordinationsdaten in 2.3.2 gezeigt wurde. Dagegen ist die Ungrammatikalität von (48b) unmittelbar durch die hier vorgeschlagene Kategorisierung von acest-a als Adjektiv erklärt: Wie in allen anderen Fällen sind attributive Adjektive ausschließlich an NP bzw. DP zu adjungieren. Die Verteilung des Artikels in Kombination mit dem Demonstrativum ist also vollständig erfasst, wenn man mit Cornilescu (1992) annimmt, dass das letztere postnominal in einer adjektivischen Variante und daher auch in Adjektivposition auftritt (wörtlich nachempfunden: 'dieser Linguist' vs. 'Linguist diesiger'), während es pränominal als D° kategorisiert ist und somit Kopf einer definiten Phrase ist. Diese kategoriale Unterteilung reflektiert die Tatsache, dass der deiktische Gehalt des Demonstrativums normalerweise ein Referenzindividuum als eindeutig kennzeichnet und damit die Semantik des definiten Artikels bereits impliziert ist. Während die pränominale Variante diese beiden semantischen Konzepte enthält, hebt die postnominale offenbar nur auf die deiktische Komponente ab. Ebenfalls erklärbar ist, warum ausgerechnet die pränominale, also die D-Variante, und nicht die Adjektivvariante, dieselben Suffixe erhält wie sonst das Adjektiv. Es handelt sich bei diesen Suffixen eben, vergleichbar der starken Flexion des Deutschen, nicht um reine Adjektivsuffixe, sondern um Kongruenzsuffixe, die die strukturelle Relation von D und NP signalisieren. Was das Possessivpronomen und seine Kombinationsmöglichkeiten betrifft, kann der definite Artikel hieran nicht suffigiert werden; vielmehr selegiert er nur die lexikalischen Kategorien Nomen und Adjektiv. Zwei Stellungsmöglichkeiten lassen sich hinsichtlich des Possessivs beobachten. Wenn das Nomen wie in (49a) dem Adjektiv vorangeht, ist das Possessivum postnominal. Ein pränominales Auftreten ist dabei ausgeschlossen, sowohl mit als auch ohne suffigierten Artikel, vgl. (49b). (49) a. profesor-ul meu inteligent Professor-DEF.M mein intelligent 'mein intelligenter Professor'

b. *meu(-l) profesor inteligent mein(-DEF.M) Professor intelligent

44 Dagegen findet sich das Possessivpronomen pränominal, wenn ein Adjektiv in Erstposition auftritt: (50) inteligent-ul meu profesor intelligent-DEF.M mein Professor 'mein intelligenter Professor' Wenn nun das rumänische Possessiv wie in anderen Sprachen syntaktisch als Adjektiv zu klassifizieren wäre, wäre damit die ungrammatische Bildung * meul profesor inteligent in (49b) zumindest als eine Stellungsvariante vorausgesagt, analog zur bereits am Beispiel von (30) behandelten Kombination eines Nomens mit pränominalem und postnominalem Adjektiv, hier wiederholt als (51): (51) bun-ul lingvist inteligent gut-DEF.M Linguist intelligent 'der gute, intelligente Linguist' Gegen eine Klassifizierung des Possessivs als Adjektiv spricht jedoch, dass im Unterschied zum Albanischen und zum Bulgarischen (vgl. Abschnitt 2.4) der Artikel im Rumänischen auf die offenen Klassen, also die lexikalischen Kategorien, beschränkt ist. In diesen Zusammenhang gehört auch die Tatsache, dass bei Ordinalzahlen mit Ausnahme der Wörter für 'erster' und 'letzter' (vgl. (52a)) die Definitheit anders konstruiert wird als durch den Artikel: Sie werden durch das Suffix -lea aus Kardinalzahlen deriviert und erhalten als Definitheitsmarkierung die Artikelform al, die ansonsten in Possessivkontexten (un pantof al lingvist-ul-ui 'ein Schuh des Linguisten') 24 auftritt, vgl. (52b). (52) a. prim-ul / întîi-ul erst-DEF.M / erst-DEF.M 'die erste / letzte Etage' b. al

doi-lea

/ /

ultim-ul letzt-DEF.M

/ trei-lea

ART.MASC zwei-ORD.MASC /

etaj Etage

/ patru-lea

drei-ORD.MASC /

...

vier-ORD.MASC

etaj Etage

'die zweite / dritte / vierte ... Etage' Anders als in anderen Sprachen (vgl. Abschnitt 2.4 zum Albanischen) verhalten sich also die Ordinalzahlen und die Possessivpronomen des Rumänischen hinsichtlich ihrer Flexionseigenschaften nicht wie Adjektive. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung lässt sich die Ungrammatikalität von * meul profesor (inteligent) in(49b) formal dadurch erfassen, dass die Repräsentation des rumänischen Artikels (im Gegensatz zum bulgarischen und albanischen) eine zusätzliche Inputrestriktion auf lexikalische Kategorien enthält. Hier-

24

Die traditionelle Bezeichnung lautet daher auch 'Possessiv-Artikel'; siehe jedoch die Analyse als flektierende Präposition in Ortmann & Popescu (2001).

45 für habe ich in der Repräsentation in (23) das Merkmal [-FC], für 'funktionale Kategorie', angesetzt. Wenn man annimmt, dass Elemente geschlossener Wortarten die Spezifikation [+FC] aufweisen, ist die Bildung von *meu-l ebenso wie die von *doi-lea-(u)l korrekt ausgeschlossen. Die Ungrammatikalität von * meu profesor (inteligent), also der Version von (49b) ohne Suffigierung des Artikels, ist dagegen dadurch erfasst, dass das Possessiv (im Gegensatz zum Demonstrativum) nicht inhärent définit ist und daher nicht von sich aus auf DP projiziert. Da es auch nicht den definiten Artikel aufnehmen kann, kann es generell nicht in D° auftreten. So erklärt sich der Kontrast zu Sprachen wie dem Deutschen, in denen ein Possessivpronomen in komplementärer Distribution mit einem definiten Artikel steht. Die beiden Stellungsvarianten, die postnominale in (49a) und die pränominale in (50), also N+D Poss A bzw. A+D Poss N, sind durch die Generalisierung charakterisiert, dass das Possessiv generell der Definitheitsmarkierung folgt. Ich nehme an, dass das Possessiv rechts an die DP profesor-ul adjungiert, ebenso wie dies bei APs der Fall ist. (Dabei ist eine zusätzliche Linearitätsbedingung in dem Sinne, dass Possessiva anderen Adjunkten vorausgehen, erforderlich). Es ergeben sich also die Strukturen [DP[DP[DP profesor-ul] meu] [AP inteligent]] bzw. [ D P [ [ A + D ] P [(A+D]P inteligent-ul] meu] [NPprofesor]]. Als ein weiterer häufig in der Literatur diskutierter Aspekt der rumänischen Nominalphrase ist schließlich die Kombination eines mit dem definiten Artikel suffigierten Nomens mit einer lexikalischen Possessorphrase zu nennen. Die Einzelheiten dieser Kombination werden ausführlich in Ortmann & Popescu (2001) behandelt. Dort wird, entgegen den syntaktischen Erklärungsversuchen der in 2.3.1 genannten Autoren, dafür argumentiert, dass die korrekte Beschreibung der Verteilung des Possessormarkers nur unter Rekurs auf die Phonologie möglich ist. Der Possessormarker al, a, ai, ale wird bei Adjazenz zum Definitheitssuffix nicht realisiert. Ortmann & Popescu erklären das Auslassen des Possessormarkers bei Adjazenz mit dem Artikel durch das phonologische Konzept der Haplologie.

2.8. Zusätzliche Evidenz für die Selegierung von Nomen und Adjektiv als Eigenschaft von Affixen

Gegen die vorgestellte Analyse könnte aus konzeptueller Sicht der folgende Einwand erhoben werden: Die Repräsentation eines Affixes, das an Nomen und Adjektive tritt, ist mit der Spezifikation [-art] (oder [+N]) weniger komplex als beispielsweise die von reinen Nomenaffixen, deren striktere Selektion eine zusätzliche Inputbeschränkung erfordert, nämlich [-art,-dep] (oder [+N,-V]). Dies legt die Erwartung nahe, die Option der Balkansprachen müsse den 'Normalfall' darstellen, also eher die Regel als die Ausnahme. Die Entgegnung auf diesen Einwand lautet schlicht, dass dies tatsächlich eine normale, also crosslinguistsich vollkommen übliche Option darstellt. Dafür soll einige exemplarische Evidenz gegeben werden, und zwar anhand von Sprachen, in denen weitere funktionale Kategorien

46 des Nomens, wie etwa Numerus oder Argumenterweiterung, ebenfalls genau an die beiden Kategorien Nomen und Adjektiv suffigiert werden. Ein Beispiel für die Selegierung dieser beiden Kategorien sind die Demonstrativa des Bretonischen, -mañ (proximal), -se und -hont (distal). Bezeichnenderweise ist hierfür in der Literatur ebenfalls die Bezeichnung 'phrasale Klitika' verbreitet. Dies reflektiert wiederum die Tatsache, dass das Demonstrativum an das Nomen tritt, oder aber, wenn zusätzlich ein Adjektiv im Spiel ist, an letzteres; siehe (53a-c) (Press 1986: 104f, 212). (53) a. an

den-mañ

b. an

dra-se

c. an

den

fall-se

ART man-DEM

ART thing-DEM

ART man evil-DEM

'this man'

'that thing'

'that evil man'

d. ar

mignon-se

da

Ber

ART friend-DEM PREP Per

'that friend of Per's' Die Verteilung in (53a-c) führt z.B. Stephens (1993: 386) zu der Ansicht, die Demonstrativa träten jeweils an das finale Element der Nominalphrase, seien insofern also "phrasal clitics". Entscheidend ist jedoch, dass sich die fraglichen Formative ebenso wie in den anderen hier genannten Sprachen an keiner anderen Kategorie als Nomen und Adjektiv finden. Dies wird augenscheinlich bei der Hinzunahme weiteren postnominalen Materials wie etwa Possessorphrasen in (53d). Das Auftreten des Demonstrativums am Nomen statt an der Possessorphrase spricht klar gegen den Status eines phrasenfinalen Klitikums nach dem Vorbild des englischen Genitiv-'5 und - auch wenn die genaue Verteilung der Affigierung an Nomen bzw. Adjektiv noch zu analysieren bleibt25 - für die affixale Eigenschaft der Selektion der Kategorie [-art]. Ein weiteres Beispiel ist das sogenannte Ezäfe-Suffix des Persischen. In dieser Sprache wird jeder einzelne postnominale Modifikator overt lizensiert, indem das Suffix -e am vorausgehenden Attribut erscheint, wie in (54) illustriert ist (Beispiele nach Amin-Madani & Lutz 1972). (54) a. sag-e sefid-e bozorg Hund-EZ weiß-EZ groß 'der große weiße Hund'

b. madar-e aziz-e mehraban-e man Mutter-EZ lieb-EZ freundlich-EZ mein 'meine liebe freundliche Mutter'

Ähnlich verhält sich die sogenannte bestimmte Partikel des Kurdischen. Eine ausführliche Analyse der entsprechenden Suffixe beider Sprachen ist Gegenstand der Abschnitte 5 und 6 von Kapitel 3. Entscheidend für den gegenwärtigen Punkt ist, dass dabei die Ezäfe-

25

Im Falle mehrerer Adjektive erhält nur das erste Adjektiv das Demonstrativum (Press 1986:204. Hier scheint also eine ähnliche Koordinationsstruktur vorzuliegen, wie sie in 6.2 für den bulgarischen Artikel vorgeschlagen wurde.

47 Markierung nur an Nomen und Adjektiven realisiert werden kann, nicht an anderen Modifikatoren wie Relativsätzen oder Präpositionalphrasen. Schließlich ist die Flexionsmorphologie in einer Vielzahl von Sprachen zu nennen. Das Lateinischen beispielsweise verwendet fast alle Flexionsklassen für mehrere nominale Kategorien. Und ähnlich wie im Fall des ungarischen Pluralsuffixes -Vk (siehe dazu Kapitel 4.2.21 und 4.5.1) finden sich im Abkhasischen, einer nordwestkaukasischen Sprache, bei der optionalen DP-internen Pluralkongruenz die distributiven Pluralsuffixe des Nomens, c°à für [+human] und -k°à für [-human], auch am Adjektiv (Hewitt 1989:44ff): (55) a. a-là(-k°à)

bz3ya-k°à

b. pat-f^-k'

a-jgab(-c°à)

harak-c°à

DEF-girl(-PL)

tall-PL

DEF-dog(-PL) good-PL

several

'the good dogs'

'several tall girls'

Den in diesem Abschnitt diskutierten Suffixen ist allen gemeinsam, dass sie 'theoretisch', das heißt aufgrund ihrer semantischen Funktion, auch entweder nur an Nomen treten könnten, oder aber neben Adjektiven auch an andere adnominale Modifikatoren wie beispielsweise an Relativsätze oder präpositionale Attribute; außerdem könnten sie auch wie echte phrasale Affixe an die gesamte Nominalphrase treten. Sie finden sich aber nur an den beiden erstgenannten Kategorien. Ob das Affix dabei an mehr als einem Element der DP auftritt, hängt von seiner Funktion ab: Kongruenzinformation, wie im Beispiel des abkhasischen Plurals, kann bzw. soll wiederholt werden, Definitheit dagegen in aller Regel nicht, da sie als Operator nicht mehrfach zur Anwendung kommen kann. Ebenso ist die EzäfeMarkierung ein Operator, der nur wiederholt wird, wenn noch ein weiterer Modifikator eingeführt werden soll. Angesichts dieser Befunde scheint eine Analyse, die nur aufgrund des Auftretens eines Artikels an Adjektiv und an Nomen auf einen Klitikstatus schließt, nicht nur eine kategoriale, sondern auch eine typologische Generalisierung zu verpassen. Dagegen ist diese Generalisierung durch die Inputcharakterisierung [-art] im Lexikoneintrag eines Affix, wie sie in 2.5.1 in den Repräsentationen für den Balkanartikel vorgeschlagen wurde, denkbar einfach erfasst.

2.9. Resümee

In diesem Kapitel sollte gezeigt werden, dass der postnominale definite Artikel in den Balkansprachen Rumänisch, Bulgarisch und Albanisch eine Behandlung als Affix erfordert, obwohl er sich auf den ersten Blick wie ein Wackernagel-Klitikum zu verhalten scheint und auch in der Literatur im Wesentlichen so eingestuft wird. Die vermeintliche second position wurde jedoch als Epiphänomen aus der lexikalischen Selegierung des Artikels und wenigen Grundannahmen zur Nominalphrasenstruktur dieser Sprachen erklärt. Die Frage nach einer lexikalischen oder syntaktischen Behandlung (durch Bewegung) konnte hierbei nicht nur nach Maßgabe theoretischer Präferenz, sondern aufgrund empiri-

48 scher Kriterien entschieden werden. Zunächst sprechen morphophonologische Eigenschaften für die lexikalische Analyse des Artikels: Er ist nicht nur phonologisch gebunden und hat phonologisch bedingte Allomorphe, sondern weist auch lexikalisch gesteuerte Idiosynkrasien auf, was von einem Klitikum nicht zu erwarten wäre. Entscheidend für den Affixstatus sind jedoch zwei weitere Eigenschaften: Zum einen die lexikalische Selegierung für die lexikalischen Kategorien Nomen und Adjektiv, keineswegs eine heterogene Menge von Kategorien, sondern die [+N]- bzw. [-art]-Kategorien - eine von der in der Literatur dominierenden Behandlung des postnominalen Artikels zumeist verpasste Generalisierung. Zum anderen ist das obligatorische wiederholte Vorkommen des rumänischen und albanischen Artikels bei der Koordination von Nomen oder Adjektiven ein entscheidendes Datum. Die Koordinationsdaten schließen insbesondere auch eine Bewegungsanalyse der AP in eine dem Artikel benachbarte Position aus, da das Vorkommen des Artikels am ersten Konjunkt auf diese Art fälschlicherweise ausgeschlossen würde. Hinsichtlich des Spannungsfelds zwischen Ökonomie und Explizitheit bedeutet die lexikalische Selegierung durch ein einzelnes Merkmal nicht nur eine geringere Komplexität des Lexikoneintrags des Balkan-Artikels im Vergleich mit anderen Sprachen, sondern ermöglicht im Zusammenhang mit der Wortstellung innerhalb der DP eine zusätzliche Möglichkeit der Informationsstrukturierung (pränominale Adjektive vor definitmarkiertem Nomen werden als appositiv verstanden). Dies ist jedoch andererseits mit einer zusätzlichen Komplexität verbunden, nämlich einem mismatching zwischen der möglichen morphologischen Kombinierung eines Adjektivs mit dem Artikel einerseits und der syntaktisch/semantischen Selegierung einer NP andererseits. Als Folge der ersteren Eigenschaft kann der Modifikator als syntaktischer Kopf figurieren, wobei eine semantische Operation erforderlich wird, um auch die letztere Eigenschaft zu erfüllen. Die vorgeschlagene MM-Repräsentation des rumänischen, bulgarischen und albanischen definiten Artikels steht insbesondere unter dem Aspekt einer redundanzfreien Analyse. Unter der hier vertretenen Auffassung von Morphologie kann nur die Betrachtung der Interaktion der verschiedenen Komponenten, also der Schnittstellen der Morphologie zur Syntax sowie zur Semantik und (in Ansätzen) zur Phonologie, zu einer angemessenen Analyse führen. Vor dem Hintergrund der Lexikoneinträge der Artikelformen wurde eine syntaktische Repräsentation vorgeschlagen, die gemäß dem MM-Konzept der komplexen funktionalen Köpfe von einer unmittelbaren Projektion der tatsächlich overt vorhandenen morphologischen Bildungen ausgeht. Die radikale Einfachheit einer solchen Syntax ist also eine notwendige Folge der lexikalischen Repräsentationen.

3. Die morphologische Lizensierung von Modifikatoren des Nomens: Evidenz für Argumenterweiterung

3.1. Einleitung1

Die Integration von Modifikatoren in die Struktur von Nominalphrasen ist ein häufig thematisiertes Problem, das sich nicht nur für eine prinzipienbasierte Syntax, sondern vor allem auch für eine kompositionale Semantik stellt. Die generelle Frage lautet dabei: Was ist in einer Modifikationsstruktur, in der weder der Modifikator das Modifikans fordert noch umgekehrt, als Funktor anzusehen und was als Argument? Gegenstand dieses Kapitels ist, das Thema aus morphologischer Perspektive zu untersuchen. Ich möchte zeigen, dass die morphologischen Befunde einigen Aufschluss auf diese Frage geben können. Wenn wir von der Unterscheidung von Argumenten und Modifikatoren ausgehen, der die syntaktische Unterscheidung zwischen Komplement und Adjunkt entspricht, dann haben wir gewisse Vorstellungen davon, wie die Morphologie Argumente lizensieren ('linken') kann, nämlich im Wesentlichen durch Kasus oder Kongruenz. Inwiefern aber können auch Nicht-Argumente, also Modifikatoren, morphosyntaktisch overt lizensiert sein? In vielen Sprachen, beispielsweise im Deutschen oder Englischen, findet sich gar keine derartige Lizensierung, sondern es gibt die Möglichkeit der freien Adjunktion. Als Kontrast möchte ich einige Fallstudien von overter morphologischer Lizensierung von Modifikatoren vorstellen. Die Analyse der Daten, die dabei entwickelt werden soll, findet vor dem Hintergrund der noch immer aktuellen theoretischen Diskussion statt, ob Modifikatoren als Funktoren über dem Modifikans zu behandeln sind, oder ob sie als Argumente (und syntaktisch dementsprechend als Komplemente) integriert werden können. Die grundsätzliche Fragestellung lautet daher: Wie sind Modifikatoren in die semantische Komposition als Funktor-Argument-Beziehung zu integrieren, und welchen Aufschluss kann die Morphologie darüber geben? Ich werde dafür argumentieren, dass die Strategie der Eingliederung von nicht-subkategorisierten Phrasen durch eine Erweiterung der Argumentstruktur des Kopfes sich nicht nur formalsemantisch auf die Behandlung der Modifikation als Argumenterweiterung (ARG) ausweiten lässt. Vielmehr sprechen auch morphologische Befunde dafür, dass dies eine wesentliche Modifikationsstrategie ist, neben der Erweite-

1

Eine erste mündliche Fassung dieses Kapitels wurde unter dem Titel "Persische Nomen nehmen nur geladene Gäste" auf der Tagung "Das Lexikon in der Grammatik: Symmetrien und Asymmetrien" anlässlich Dieter Wunderlichs 60. Geburtstag am 14.6.1997 vorgestellt, aktuellere Versionen in Düsseldorf (Sinn und Bedeutung 1999), Berlin (ZAS), Konstanz, Durham (Autumn 2000 LAGB Meeting) und Fresno (WECOL 2000). Ich danke den Auditorien dieser Anlässe, insbesondere Manfred Bierwisch, Joachim Crass, Klaus von Heusinger und Thomas Ede Zimmermann für hilfreiche Kommentare, sowie auch Ingrid Kaufmann, Martin Krämer und Barbara Stiebeis.

50 rung des Modifikators selbst (MOD). Beide Operationen zur kompositionalen Darstellung von Θ-Identifikation, ARG und MOD, die sonst als abstrakte Templates postuliert werden (Wunderlich 1997b), lassen sich also aus morphologischer Sicht rechtfertigen. Das Kapitel ist wie folgt aufgebaut: In Abschnitt 3.2 illustriere ich, wie die Hinzunahme einer nicht von der Basis eines Verbs oder Nomens subkategorisierten Nominalphrase morphologisch lizensiert werden kann. In Abschnitt 3.3 skizziere ich die semantischen Grundlagen der Integration von Modifikatoren in die Komposition. Darauf werden zuerst zwei Fallstudien von morphologischer Lizensierung von Modifikatoren am Nomen vorgestellt und analysiert, und zwar die Attributivkonstruktionen des Persischen (Abschnitte 3.4 und 3.5) und des Kurdischen (Abschnitt 3.6). In Abschnitt 3.7 folgt eine kurze Betrachtung der Argumenterweiterung an anderen Kategorien als dem Nomen. In Abschnitt 3.8 werden dann Fälle von Lizensierung am Modifikator selbst (Chinesisch, Rumänisch) besprochen, darauf in Abschnitt 3.9 solche Fälle, in denen die genaue Komposition nicht eindeutig zu ermitteln ist (Palauanisch, Tagalog). Die Darstellung wird durch typologische Überlegungen zur präferierten Realisierung durch Affixe beziehungsweise durch Partikel abgeschlossen.

3.2. Morphologisch overte Lizensierung von Individuenargumenten

Um zu klären, was als potentielle Evidenz für eine morphologische Lizensierung von Modifikatoren, insbesondere von Attributen zum Nomen, überhaupt in Frage kommt, wie also eine solche overte Lizensierung aussehen kann, betrachte ich anstelle von Modifikation zunächst die Einführung von zusätzlichen Individuenargumenten. Die Hinzunahme eines zusätzlichen Individuenarguments, also einer nicht-subkategorisierten Nominalphrase, wird nämlich in vielen Sprachen morphologisch markiert.

3.2.1. Morphologische Argumenterweiterungen am Verb Als erstes sind solche Operationen über dem Verb zu nennen, bei denen man, je nach semantischem und strukturellem Status des zusätzlichen Arguments, von morphologischem Benefaktiv, Applikativ, Affektiv oder Kausativ spricht. So wird im Beispiel (1) aus der Sprache Manam durch das Suffix -n ein Benefaktivargument eingeführt, das durch den Objektmarker -i?o realisiert ist. (1) Benefaktiv in Manam (Ozeanisch; Lichtenberk 1982: 266): M-pilai-n-i?o. 1 SG-play-BEN-2SG.OBJECT

Ί will play for (instead of) you.'

51 In vielen Bantusprachen kann ein obliques Objekt - im folgenden Beispiel ein Benefaktiv 'appliziert', also als direktes Objekt lizensiert werden: (2) Applikativ in Haya (Bantu; Hyman & Duranti 1982: 219): A-ka-cumb-iV ómwáán' ébitooke. 3sG-PAST-cook-APPL child bananas 'He cooked the child bananas.' Durch ein Affix am Verb wird also ein zusätzliches, nicht von der Bedeutung des Verbs vorgesehenes Argument lizensiert, in diesem Fall die NP ómwáán' durch das Suffix -il'. Dieses neu eingeführte Argument kann durch einen kanonischen Linker des Verbs angesprochen werden. Dass im vorliegenden Beispiel die Nominalphrase ómwáán' durch das Applikativsuffix -il' ihren Status als direktes Objekt erhält, zeigen einschlägige Tests wie Adjazenz, Passivierung und Ersetzbarkeit durch Objektklitika (siehe dazu Hyman & Duranti 1982: 220f). Während Benefaktiv und Applikativ direkte Objekte einführen, also jeweils das strukturell tiefste Argument, führt der Kausativ ein strukturell höchstes Argument, und damit ein neues Subjekt, ein. Baskisch ist eine Sprache mit morphologischem Kausativ, ausgedrückt durch das Suffix -eraz. (3a) zeigt ein transitives Basisverb und (3b) die Erweiterung um den 'Causer'. (3) Kausativ im Baskischen (Joppen & Wunderlich 1995: 145) a. Haurr-a-k zopa jan du. Kind-DEF-ERG

Suppe

ess.PERF

AUX.3OB.3SB

'Das Kind hat die Suppe gegessen.' b. Ama-k Mutter-ERG

haurr-a-ri

zopa

jan-eraz-i

Kind-DF-DAT S u p p e ess-KAUS-PERF

dio. AUX.3OBJ.3SGIOBJ.3SGSBJ

'Die Mutter hat das Kind die Suppe essen lassen.' Eine Sprache, die sowohl die Einführung eines tiefsten als auch die eines höchsten Arguments morphologisch markiert, ist das Yukatekische Maya. (4a) und (4c) zeigen jeweils intransitive Verben. Während in (4b) das Affektivsuffix -t ein internes Argument hinzufügt, lizensiert in (4d) das Kausativsuffix -5 ein semantisch höheres Argument, das dementsprechend als Subjekt auftritt (Krämer 1997: 60; siehe auch Krämer & Wunderlich 1999). (4) Affektiv und Kausativ im Yukatekischen Maya (Krämer 1997: 56f, 60) a. k=u=mtis b. k=u=m(is-t-ik AUX=3ERG=feg

AUX=3ERG=feg-AFFECT-IMPERF

'er/sie fegt'

'er/sie fegt es/etwas'

52 c. h-ah in=suku?n PRÄT=aufwach lERG=älterer Bruder 'mein älterer Bruder wachte auf d. t-in-wah-s-ah in=suku?n PRÄT=lERG=aufwach-KAUS-PERF 1 ERG=älterer-Bruder 'Ich weckte meinen älterer Bruder auf.' Nach den Analysen von Wunderlich (1997a), Joppen & Wunderlich (1995) und Wunderlich & Krämer (1999) wird das jeweils zusätzliche Argument über einen strukturellen Linker angesprochen, und zwar als Objekt (Applikativ, Benefaktiv, Affektiv), wenn es aufgrund der asymmetrischen Komposition der semantischen Form (SF) als tiefstes Argument eingebettet ist; beziehungsweise im Fall des Kausativs als Subjekt, da es als höchstes Argument in die SF eingeführt wird.

3.2.2. Morphologische Argumenterweiterungen am Nomen Die Strategie der Argumenterweiterung ist in gleicher Weise auch bei Nomen operativ und erfolgt auch hier j e nach Einzelsprache morphologisch overt oder nur abstrakt. Mit anderen Worten, auch eine adnominale Nominalphrase kann morphologisch lizensiert sein, und zwar durch die overte Etablierung der Relation POSS (Ortmann 1994). Dies lässt sich wieder am Beispiel des Yukatekischen illustrieren: 'Inalienable' Nomen lizensieren durch ihre Semantik als relationale Nomen unmittelbar die Hinzunahme eines Possessorarguments, vgl. (5a). Dagegen muss für ein Nomen mit nicht-inhärenter Possession bei der Realisierung eines Possessors die entsprechende Relation erst eingeführt werden, vgl. (5b) vs. (5c). (5) Yukatekisches Maya (Lehmann 1990): a. in la'ak b. le nah-o' lSG.PRON friend DEF house-distal 'my friend' 'the house'

c. in nah-il lSG.PRON house-POSS 'my house'

(6) Tsimshian (Penutian; Seiler 1983): anès-l gan branch-POSS

tree

'branch of a tree'

Das Nomen nah 'Haus' kann erst dann seinen Possessor nehmen, wenn es wie in (5c) durch das Suffix -il erweitert ist. Dieses Verhalten findet sich in zahlreichen weiteren Sprachen, wie etwa in Tsimshian, vgl. (6). Die Repräsentation, die für derartige Affixe zur Etablierung der Relation POSS in Ortmann (1994) vorgeschlagen wird, lautet wie in (7) für das Yukatekische -iL

53 (7) -il:

[+D.+POSS];

λΝ Xy Dx [N(x) & POSS(y,x)]

Das Suffix operiert auf einem einstelligen Nomenprädikat und liefert ein zweistelliges. Syntaktisch projiziert es eine DP ab. Ebenso wie beim Deutschen pränominalen Genitiv bewirkt -il eine definite Interpretation der Nominalphrase, daher der durch 'D' repräsentierte Definitheitsoperator. Die syntaktische Entsprechung der Relation POSS ist in das Inventar der funktionalen Kategorien (FK) über dem Nomen (siehe Kapitel 1.2) zu integrieren: (8) Hierarchie der FKs des Nomens: Dem > Def > AgrPossessor > Poss > Numerus > Genus > Nomenstamm In Ortmann (1994) wird vorgeschlagen, diese lexikalische Argumenterweiterung generell für die Kombination einstelliger Nomen mit einer Possessorphrase zu verwenden. Für Sprachen wie das Deutsche, in denen sich kein morphologischer Reflex findet, ist die Repräsentation in (7) als abstraktes Template postuliert (vgl. auch Barker (1995) für eine ausführlichere semantische Analyse). Das overte Vorkommen in einer Reihe unverwandter Sprachen wird dabei als Evidenz gewertet. Dies ist so auch für Verben anzunehmen, die ohne morphologische Benefaktiv- oder Affektivmarkierung ein entsprechendes strukturelles Argument hinzunehmen, im Deutschen beim dativischen Benefaktiv oder bei einem direkten Objekt wie in Dieser Schiedsrichter pfeift so bald nicht wieder den SC. Zu erwähnen ist jedoch, dass es am Nomen immer nur einen Typ von Erweiterung gibt, also keine Entsprechung zu der Vielfalt bei Verben, etwa dem Nebeneinander von Kausativ und Applikativ bzw. Affektiv. Diese Asymmetrie ist durch die reichere Argumentstruktur von Verben begründet, insbesondere dadurch, dass jedes zusätzliche Argument am Nomen tiefer als das referentielle Argument sein muss - anders als das Subjekt des Verbs, das nicht selbst das referentielle Argument ist und daher von einem Kausativsuffix 'verdrängt' werden kann. Dem entspricht, dass es bei Nomen nur einen Linker gibt (entweder Genitiv, Possessorkongruenz oder Adjazenz), während Verben mehrere Linker haben. Sowohl bei Verben als auch bei Nomen finden wir also eine potentiell morphologisch overt markierte Integration von zusätzlichen Argumenten. Für Sprachen, in denen für eine solche Integration kein Morphem vorgesehen ist, wie etwa bei der Realisierung eines Possessors im Deutschen, kann man annehmen, dass die Erweiterung abstrakt erfolgt, so dass die Semantik von (7) hier den Status eines Templates über der Argumentstruktur hat.

3.3. Zur semantischen Behandlung von Modifikation

Ich gehe von einer semantischen Unterscheidung von Argumenten und Modifikatoren aus; erstere ergeben sich im Gegensatz zu letzteren aufgrund der semantischen Form eines lexi-

54 kaiischen Kopfes. Dem entspricht syntaktisch die Unterscheidung Komplement versus Adjunkt. Was Argumente angeht, gibt es relativ detaillierte Beobachtungen und theoretische Vorstellungen darüber, wie sie zu lizensieren sind; nämlich im Wesentlichen durch sprachspezifische Optionen aus dem Linking-Inventar mit Kasus, Kongruenz und adjazenter Wortstellung. Die entsprechende Komposition lässt sich semantisch durch die Standardoperation der Funktionalen Applikation interpretieren. Was dagegen die Modifikation betrifft, habe ich bereits in der Einleitung zwei Fragen angesprochen: (1) Sind auch Modifikatoren zu lizensieren, und was für morphosyntaktische Kriterien gibt es dafür? (2) Wie sind sie in die semantische Struktur zu integrieren? Was die erste Frage betrifft, so wird in den gängigen Theorien der morphosyntaktische Aspekt von Lizensierung nicht thematisiert. Man geht von freier Adjunktion aus, wofür es entsprechende Schemata gibt wie die Chomsky-Adjunktion, oder innerhalb der HPSG die head-adjunct-structure. Hinsichtlich der zweiten Frage geht man gewöhnlich im Anschluss an Higginbotham (1985) von Θ-Rollen-Identifikation aus. Dies sei kurz anhand der Modifikation eines Nomens illustriert: Aus dem Nomen und dem Modifikator, z.B. einem attributiven Adjektiv, die so wie in (9a) semantisch nicht als Funktor-Argument-Beziehungen kombinierbar sind (d.h. durch Θ-Markierung oder Θ-Bindung), wollen wir, zumindest für intersektive Modifikation, die komplexe Prädikation (9b) bilden. (9) a. Xx [HAUS(x)] b.

Xy [ROT(y)]

Xz [HAUS(z) & ROT(z)]

Das Problem für die Kompositionalität dabei ist, dass die in (9b) resultierende Kombination keiner kategorialgrammatischen Operation mit einem der Ausdrücke in (9a) als Funktor und dem anderen als Argument entspricht. Das Kopfnomen und sein modifizierendes Attribut können also nicht ohne Weiteres als Funktor und Argument kombiniert werden. Hierzu muss erst eines der beiden Prädikate durch eine Typverschiebung in einen Funktor über das andere überführt werden. Beide Möglichkeiten sind in (10) dargestellt. Aus Gründen der Einfachheit gehe ich dabei von der semantischen Kombination von Nomen und Modifikator aus, nämlich der Konjunktion, wie sie etwa für restriktive Relativsätze oder Farbadjektive gerechtfertigt ist. Was nun die Komposition im Rahmen einer FunktorArgument-Beziehung angeht, findet entweder wie in (10a) am Nomen eine Argumenterweiterung statt, oder das Attribut wird wie in (10b) zum Funktor über dem Nomen. Die Prädikatsvariable Ρ steht für die Bedeutung des Kopfes, also des Nomens, und Q für die des Modifikators. (10) a. ARG:

λΡ XQ λζ [P(z) & Q(z)]

Effekt: z.B.

XQ λζ [HAUS(z) & Q(z)]

b. MOD:

XQ λΡ λζ [P(z) & Q(z)]

Effekt: z.B.

XP Xz [P(z) & ROT(z)]

Bei Wunderlich (1997b) heißt die erste Möglichkeit, wonach eine Argumenterweiterung am Nomen stattfindet, ARG (für argument extension). Die zweite, bei der der Modifikator

55 zum Funktor liber dem Nomen wird, heißt MOD (für modifier extension). Aus formallogischer Perspektive ist anzumerken, dass in einem erweiterten Lambda-Kalkiil die beiden Möglichkeiten äquivalent sind, das heißt, für die weitere Komposition spielt es keine Rolle, ob ein Template zunächst über den Modifikator oder über den Kopf abstrahiert. Dass ARG und MOD in dem hier benutzten Rahmen dennoch einen nicht-trivialen Unterschied aufweisen, ist ein Resultat der Annahme einer asymmetrischen SF, derart dass der Inhalt des linken Konjunkts eine Voraussetzung für den des rechten ist. In den Arbeiten von Bierwisch (z.B. Bierwisch 1988) ergibt sich dies aus einer asymmetrischen Variante der logischen Konjunktion, dargestellt durch den Junktor ':'. Dieser spezielle Konjunktionsoperator ist so definiert, dass das rechte Konjunkt, in diesem Fall der Modifikator, das linke Konjunkt spezifiziert in dem Sinne, dass auch unter Negation der gesamten Konstruktion noch die Bedeutung des Erstgliedes impliziert ist: Wenn etwas kein rotes Haus ist, kann es, bei neutraler Betonung, immer noch ein Haus sein, nicht jedoch etwas Rotes, was kein Haus ist. In der von Wunderlich (1997a) entwickelten Version der Zwei-Stufen-Semantik dagegen ist die asymmetrische SF-Komposition ein generelles Postulat, da die SF die Schnittstelle für die Argumentstruktur darstellt. Als solche soll sie asymmetrisch sein, da auch grammatische Rollen (genauer: die entsprechenden sprachspezifischen Linker) hierarchisch geordnet sind. Beispielsweise müssen Vorgaben für die Realisierung von mehreren Argumenten als Subjekt, direktes Objekt bzw. indirektes Objekt enthalten sein. Dies bedeutet, dass die Flexibilität des erweiterten Lambda-Kalküls in einer Linkingtheorie wie der Lexikalischen Dekompositions-Grammatik (LDG; Wunderlich 1997a&b) dahingehend als restringiert zu verstehen ist, dass die Reihenfolge der Lambda-Abstraktoren in der Argumentstruktur bedeutsam ist. Was die morphosyntaktisch sichtbaren Fakten angeht, erscheinen beide Möglichkeiten, ARG und MOD, zunächst rein stipulativ. Dennoch gehören beide Möglichkeiten zum Repertoire dessen, was in expliziten semantischen Analysen üblich ist. Aus formalsemantischer Perspektive befinden wir uns damit innerhalb der theoretischen Diskussion, ob Modifikatoren semantisch als Funktoren über dem lexikalischen Kopf (oder seiner Projektion) zu behandeln sind, oder ob sie als Argumente integriert werden können. Eine ausführliche Diskussion der formalen semantischen Eigenschaften, insbesondere der jeweiligen Vorund Nachteile, der beiden Strategien findet sich in Maienborn (1996: 63ff; 154ff). Ich möchte nur die wesentlichsten Unterschiede erwähnen, bevor ich den empirischen morphosyntaktischen Gehalt beider Strategien überprüfe. Die Strategie MOD, bei der der Modifikator als Funktor über dem Nomen aufgefasst wird, entspricht der montagueschen Lösung und wird beispielsweise von Zimmermann (1992: 225f) angenommen. Auch in der HPSG wird diese Strategie benutzt. Pollard & Sag (1994: 55ff) nehmen einen speziellen (DTRS-)Typ head-adjunct-structure an, der bewirkt, dass der CONTENT-Wert des Adjunkts, und nicht der des syntaktischen Kopfes, mit dem der Gesamtstruktur identisch ist. Den Effekt der Θ-Rollen-Unifikation erzielen sie durch die Vereinigung der Restriktionsmengen von Kopf und Adjunkt für das gemeinsame Argument.

56 Als formaler Nachteil2 dieser Strategie ist zu nennen, dass Modifikatoren syntaktisch in aller Regel nicht die Köpfe der resultierenden Modifikationsstruktur sind. Damit wäre die im unmarkierten Falle stets geltende Entsprechung von syntaktischem Kopf und semantischen Funktor durchbrochen. Hinzu kommt die fehlende Eindeutigkeit des logischen Typs des Modifikators, der an den jeweiligen Typ des Kopfes angepasst werden muss. Für die Möglichkeit ARG, bei der Modifikatoren als zusätzliche Argumente zum Nomen integriert werden, gibt Wunderlich (1997b), der davon ausgeht, dass UG generell beide Möglichkeiten bereitstellt, empirische Evidenz in Gestalt von komplexeren Prädikationen wie depiktiven Prädikaten (den Fisch roh essen), Präfix- und Partikelverben (die letzten Groschen verjubeln, den Kellner anschreien) sowie Resultativen (die Schuhe durchtanzen). Ich werde für diese Strategie in den folgenden Abschnitten weitere empirische Evidenz präsentieren, nicht jedoch auf der Grundlage von semantischen Kriterien, sondern von morphologischen Phänomenen bei der Modifikation von Nomen.

3.4. Morphologische Evidenz für ARG: Die persische Ezäfe-Konstruktion

Der Begriff 'Ezäfe' entstammt der arabischen Grammatiktradition (ysafat) und bedeutet 'Zusammenstellung', 'Zugesellung'. Das persische Ezäfe-Morphem (im Folgenden zumeist einfach 'die Ezäfe') lautet -e, bzw. -ye bei vokalisch auslautenden Nomen; gelegentlich wird es auch als y wiedergegeben. Es ist unbetont, wobei die Vokalqualität [e] wie etwa in englisch pet lautet. Die persischen Daten sind, soweit nicht anders angegeben, aus AminMadani & Lutz (1972) entnommen; eine weitere ausführliche Illustration findet sich in Mahootian (1997).3 Ich gebe zunächst eine Übersicht über die wichtigsten Aspekte und Kontexte der Ezäfe-Konstruktion, wofür dann im folgenden Abschnitt eine Analyse entwickelt werden soll.

2

3

Ich verwende an dieser Stelle bewusst die Redeweise von 'Nachteilen' der Strategien und suggeriere damit, es handele sich bei ARG und MOD lediglich um Optionen der Beschreibung. Es wird sich jedoch zeigen, dass dabei vielmehr zwei typologische Optionen vorliegen, so dass dieser Begriff letztlich im Sinne von Präferenzen oder verletzbaren Prinzipien zu interpretieren ist. Ich komme auf diesen Aspekt noch im Rahmen des Leitmotivs des Konflikts von Ökonomie und Explizitheit zurück. Die persischen Beispiele wurden zusätzlich überprüft und teilweise ergänzt von Sara Schajan, der ich dafür an dieser Stelle danken möchte.

57 3.4.1. Durch die Ezäfe lizensierte Possessorphrasen Als ein erster wichtiger Kontext der Ezäfe ist die Possessorkonstruktion zu nennen. Die Hinzunahme eines Possessors ist für eine nicht Ezäfe-suffigierte Form des Nomens, wie asb anstelle von asbe in (1 la), nicht möglich. 4 (11) a. asb-e pedar Pferd-EZ Vater 'Vaters Pferd'

b. esq-e mädar Liebe-EZ Mutter 'Mutterliebe'

c. buy-e gol Duft-EZ Blume 'Blumenduft'

Die Ezäfe, glossiert als 'EZ', fungiert in (11) als overte Etablierung der POSS-Relation in ähnlicher Weise wie in 3.2.2 für das Yukatekische gezeigt, also als eine weitere morphologische Instanz der in (7) repräsentierten Argumenterweiterung. 5 Hervorzuheben ist, dass es sich, trotz mancher lexikalisierter Gesamtbedeutung, und trotz der häufig anzutreffenden durchtrennenden Schreibweise, nicht generell um Komposita handelt (Amin-Madani & Lutz 1972: 56ff). Außerdem figurieren als Possessor in der Ezäfe-Konstruktion auch Nomen mit Determinatoren sowie Eigennamen, also potenziell auch Phrasen: (12) a. sag-e in mard Hund-EZ DEM Mann 'der Hund dieses Mannes'

b. asb-e Rostam Pferd-EZ Rostam 'Rostams Pferd1

Für den potentiellen Phrasenstatus spricht auch, dass der Possessor durch ein Personaloder Fragepronomen realisiert sein kann:

4

5

Die von mir benutzte Schreibweise, insbesondere die Abtrennung der Ezäfe durch den Bindestrich, reflektiert die morphologische Segmentierung. Die lateinische Umschrift für das Persische sieht hier keinen Bindestrich vor. Dagegen werden das Ezäfe-markierte Nomen und sein Attribut gelegentlich mit Bindestrich verbunden: nameye-madar, buye-gol, xadane-ketäb (so z.B. bei Amin-Madani & Lutz 1972), worauf ich jedoch, in Übereinstimmung mit Ghomeshi (1997), verzichte. Anders als in Sprachen wie dem Yukatekischen gibt es allerdings im Persischen keine morphologische Alienabilitätsunterscheidung, sondern auch relationale Nomen wie 'Vater', 'Gesicht', 'Arm' werden mit der Ezäfe konstruiert. In dieser Sprache gibt es also aus morphologischer Sicht nur zu etablierende Possession. Wie auch im Deutschen weisen damit sämtliche Nomen ein einheitliches morphosyntaktisches Verhalten hinsichtlich der Kombination mit dem Possessor auf. Wir müssen also für das Persische davon ausgehen, dass ein Argument selbst dann overt lizensiert werden muss, wenn es in der lexikalischen Semantik des Nomens schon vorgesehen ist. Dieses Verhalten weist bereits darauf hin, dass bei der Ezäfe-Konstruktion der Aspekt der morphologischen Explizitheit deutlich wichtiger ist als der der sprachlichen Ökonomie. Diese Gewichtung wird noch eine Rolle in Abschnitt 3.9 spielen.

58 (13) a. baq-e u Garten-EZ PR0N2SG 'dein Garten' d. ketäb-e man Buch-EZ PRONlSG 'mein Buch'

b. baq-e isan Garten-EZ PRON3SG 'sein/ihr Garten1

c. baq-e to Garten-EZ PRON3PL 'ihr Garten'

e. kar-e ma Arbeit-EZ PRONI PL 'unsere Arbeit'

f. xäney-e ke Haus-EZ wer 'wessen Haus'

Die Realisierung von pronominalen Possessoren erfolgt also völlig parallel zu der von Nomen. 6 Ebenso wie possedierte echte Nomen werden auch sogenannte Pseudo-Präpositionen, das sind aus relationalen Nomen grammatikalisierte Präpositionen (Amin-Madani & Lutz 1972: 193fï), mit der Ezäfe konstruiert: (14) a. zir-e miz unten-EZ Tisch 'unter dem Tisch'

b. ru-ye ràdio auf-EZ Radio 'auf dem Radio'

Das interne Argument einer Lokationsrelation wird hier also so wie ein Possessor realisiert.

3.4.2. Durch die Ezäfe lizensierte Modifikation Die Ezäfe lizensiert nicht nur Possessorargumente, sondern auch sämtliche Arten von Modifikatoren des Nomens. In (15) ist die Modifikation durch Adjektive illustriert: (15) a. mard-e pir Mann-EZ alt 'alter Mann' d. sag-e seßd Hund-EZ weiß 'weißer Hund'

b. mariz-e pir Kranker-EZ alt 'alter Kranker'

c. mähiy-e kucek Fisch-EZ klein 'kleiner Fisch'

e. gust-e xam Fleisch-EZ roh 'rohes Fleisch'

f. lebas-e garm Kleidung-EZ warm 'warme Kleidung'

Aufgrund der Parallele zur Possessorkonstruktion könnte man vermuten, dass auch adnominale Modifikatorkonstruktionen auf eine possessivische Konstruktion zurückzuführen

6

Als weitere Realisierungsmöglichkeit für pronominale Possessoren gibt es auch die Möglichkeit, dieselben Personmarkierungen, die auch zur Markierung des direkten Objekts am Verb benutzt werden, ohne Ezäfe-Suffix an das Nomen zu hängen: mädar-am 'meine Mutter', mädar-at 'deine Mutter' usw. (Amin-Madani & Lutz 1972: 157). Diese Marker fungieren also am Nomen als Possessivpronomen.

59 sind, wie etwa in den Bantusprachen, in denen es kaum genuine Adjektive gibt. Demnach wäre (15a) wörtlich nachzuempfinden als 'Mann von Alter'. Diese Möglichkeit möchte ich jedoch ausschließen, denn im Persischen handelt es sich eindeutig um genuine Adjektive, wie die Komparation mit den Suffixen -tar für Komparativ und -tarin für Superlativ zeigt (Amin-Madani & Lutz 1972: 119ff): bad badtar badtarin 'schlecht, -er, -est-'

(16) POSITIV: KOMPARATIV: SUPERLATIV:

(17) a. Tehrän

bozorg-tar

Teheran groß-KOMP

kam kamtar kamtarin 'wenig, -er, -st-'

az

Siräz

als

Schiras KOP3SG

javan javantar javantarin 'jung, jünger, -st-

ast.

Teheran ist größer als Schiras.' b. Otomobil-e Auto-EZ

tond-tar-i

mixäh-am.

schnell-KOMP-INDEF

möcht-LSG

'Ich möchte ein schnelleres Auto.' Damit können wir von der syntaktischen Kategorie Adjektiv ausgehen, also einer prototypischen Modifikatorkategorie. Zwei weitere Eigenschaften der persischen Morphologie sind noch zu erwähnen: Erstens folgt das Ezäfe-Suffix dem Pluralsuffix -hâ bzw. in der gehobenen Sprache für belebte Nomen -an, vgl. (18b,d). Zweitens ist das Adjektiv in diesem Fall gegenüber dem Singular unverändert, weist also keine Numeruskongruenz auf (siehe auch Kapitel 4.2.2.2). (18) a. gol-e zard Blume-EZ gelb 'die gelbe Blume' c. mard-e Mann-EZ

javan jung

'der j unge Mann'

b. gol-hä-ye zard Blume-PL-EZ gelb 'die gelben Blumen' d. mard-än-e Mann-PL-EZ

javan jung

'die j ungen Männer'

Übrigens werden Adjektive mit intensionalem Modifikationspotential ebenso konstruiert wie intersektiv modifizierende Adjektive; vgl. (15) und (18) mit (19): (19) a. moallem-e qabli Lehrer-EZ ehemalig 'ehemaliger Lehrer'

b. masale-ye ehtemäli Problem-EZ wahrscheinlich 'wahrscheinliches Problem'

Zwar gilt für intensionale Adjektive wie angeblich, ehemalig oder mutmaßlich, dass sie schon aufgrund ihrer lexikalischen Semantik Funktoren über dem Nomen sind. Damit han-

60 delt es sich nicht um intersektive Modifikation, sondern laut Higginbotham (1985: 565f) um Θ-Markierung ohne Θ-Identifikation. Es ist daher interessant, dass das Persische sie dennoch morphologisch so behandelt wie andere Adjektive. Die Motivation dürfte eine für die Grammatik präferierte homogene Behandlung syntaktischer Kategorien sein. Eine solche Homogenitätsforderung wäre also im Sinne von OT-Constraints höher angeordnet als die Isomorphic von Form und Bedeutung. Dieselbe Strategie wie für postnominale Adjektive benutzt das Persische auch für alle weiteren Fälle von Modifikation. 7 In (20) sind attributive Präpositionalphrasen illustriert und in (21) adverbiale Attribute. (20) a. telegräm-e be Rom Telegramm-EZ nach Rom Telegramm nach Rom' (21) a. kär-e hamise Arbeit-EZ immer 'Arbeit von immer'

b. larzidati-e az tars Zittern-EZ vor Angst 'Zittern vor Angst'

b. dar-e cap Tür-EZ links 'linke Tür'

c. dars-e

dirüz

Unterricht-EZ gestern 'Unterricht von gestern'

Auch Ordinalzahlen, die von Kardinalzahlen durch das Suffix -om deriviert werden, sind durch die Ezäfe lizensiert: (22) a. bace-ye avval Kind-EZ erst 'erstes Kind'

b. xiyäbän-e se-vv-om Straße-EZ drei-vv-ORD 'dritte Straße'

c. otomobil-e cahär-om Auto-EZ vier-ORD 'viertes Auto'

Kardinalzahlen sind dagegen, außer in der gehobenen Sprache (und damit genau umgekehrt zu Adjektiven), pränominal: (23) a. yek sib ein Apfel 'ein Apfel'

7

b. dah sib zehn Apfel 'zehn Äpfel'

c. cand sib einige Apfel 'einige Äpfel'

Das Persische hat daneben auch die Möglichkeit, Adjektive pränominal zu konstruieren. Dabei findet sich grundsätzlich keine Ezäfe: (i) a. nik mard b. pir zan gut Mann alt Frau 'guter Mann' 'alte Frau' Diese Verwendung ist aber auf die gehobene Sprache restringiert. Hinsichtlich der in diesem Kapitel verfolgten theoretischen Fragestellung nehme ich an, dass in dieser konservativeren Konstruktion im Unterschied zur Ezäfe-Konstruktion (vgl. die Repräsentation in Abschnitt 3.5), entweder ARG oder MOD als abstraktes Template operativ ist, in derselben Weise, wie dies entsprechend der Diskussion in Abschnitt 3.3 auch für das Deutsche anzunehmen ist.

61 Ordinalzahlen verhalten sich also im modernen Persischen im Gegensatz zu Kardinalzahlen wie andere Nomen-Attribute - ein Verhalten, das man in vielen Sprachen beobachtet, so auch im Deutschen, wo Ordinalzahlen, nicht aber Kardinalzahlen, adjektivisch flektiert werden, oder im Chichewa, wo nur die erstgenannten durch das für die Markierung von Attributen vorgesehene (daher 'qualifying' genannte) Set von adjektivischen Präfixen markiert sind (Ortmann 1999).8 Ganz analog werden auch Relativsätze lizensiert, wobei allerdings statt der sonst üblichen Form -e des Ezäfe-Suffixes die Form -i auftritt; vgl. (24), wobei ke im Persischen als Satzkomplementierer dient. (24) a. Opel-e

zard-i,

ke

Opel-EZ gelb-REL.EZ COMP

jelow-e-dar

ast,

male-män

ast.

vor-EZ-Tür

KOP3SG POSS-ISG KOP3SG

'Der gelbe Opel, der vor der Haustür steht, gehört mir.' b. Ketäb-i,

ke

Buch-REL.EZ COMP

ruy-e-mïz

bud,

kojä ast?

auf-EZ-Tisch

lag

wo

KOP3SG

'Wo ist das Buch, das auf dem Tisch lag?' Dies gilt jedoch nur für restriktive Relativsätze, die ja als echte Modifikatoren im Sinne der Einschränkung der Denotatsmenge aufzufassen sind. Dagegen werden appositive Relativsätze nicht über -i eingeführt: (25) Yax, ke vaznas az ab kam-tar ast, ruy-e-äb miistad. Eis COMP Gewicht als Wasser wenig-KOMP KOP3SG auf-EZ-Wasser schwimm 'Eis, dessen Gewicht ja geringer ist als das von Wasser, schwimmt auf dem Wasser.' In (25) findet sich also ebenso wenig eine overte Lizensierung wie bei sonstigen appositiven Konstruktionen: 9

8

9

Das Persische kennt außerdem eine ohne die Ezäfe konstruierte Derivation von Ordinalzahlen, wie in avval-in bace 'das erste Kind', cahär-om-in dar 'die vierte Tür', die wiederum pränominal ist. Hier scheint das im Vergleich zur postnominalen Konstruktion zusätzliche Suffix -in die Rolle der Lizensierung zu übernehmen (im Unterschied zu pränominalen Adjektiven, die ja ohne zusätzliche Markierung auskommen, aber in der modernen Sprache unüblich sind). Eine Ausnahme hierzu bilden appositiv benutzter Ortsnamen: (i) a. rud-e Karun b. Sahr-e Hamedan c. kuh-e Alborz FIUSS-EZ Karun Stadt-EZ Hamadan Berg-EZ Albors 'der Fluss Karum' 'die Stadt Hamadan' 'der Berg Albors' In Ermangelung einer expliziten Semantik der Apposition muss ich offen lassen, ob sich solche appositiven Strukturen grundsätzlich von anderen unterscheiden bzw. ob es sich hierbei auch um Modifikation handelt.

62 (26) a. Doktor, pesar-at, be man telefon Doktor Sohn-2SG zu PRONlsg Anruf 'Der Doktor, dein Sohn, rief mich an.'

kard. mach.PRÄT3SG

b. Käve,

barädar-am,

amad-e

ast.

Kave

Bruder-ISG

komm-PRÄT

KOP3SG

'Kawe, mein Bruder, ist gekommen.' Damit findet bei restriktiven Relativsätzen dieselbe Erweiterung statt wie bei anderen Attributen. Die spezielle phonologische Variante der Ezäfe, -i statt -e, möchte ich daher als konstruktionsspezifisches Allomorph ansehen. 10 Zusätzliche Bestätigung erfährt diese Sichtweise in Abschnitt 3.6 durch das Kurdische, wo die Lizensierung von Relativsätzen durch dieselbe Form erfolgt wie die aller anderen Modifikatoren zum Nomen.

3.4.3. Rekursivität der Ezäfe Wie schon einige der bisherigen Beispiele gezeigt haben, können auch mehrere Modifikatoren zu einem Nomen treten. Dabei wird jeder einzelne Modifikator overt lizensiert, indem die Ezäfe jeweils am vorausgehenden Attribut erscheint: (27) a. sag-e seßd-e bozorg Hund-EZ weiß-EZ groß 'der große weiße Hund' b. mädar-e

azïz-e

Mutter-EZ

mehrabän-e

man

lieb-EZ freundlich-EZ PRONISG

'meine liebe, freundliche Mutter' c. buy-e

xos-e

Duft-EZ angenehm-EZ

atr-e

Sorna

Parfum-EZ

PRON2PL

'der angenehme Duft Ihres Parfums' d. otomobil-e Auto-EZ

qaSang-e

arzän

schön-EZ

billig

'das schöne billige Auto'

10

Als weitere Eigenschaft von -i ist zu nennen, dass es unter bestimmten Bedingungen fehlen kann, etwa bei Eigennamen, oder wenn das Nomen bereits modifiziert ist (Amin-Madani & Lutz 1972: 404ff). In solchen Fällen wird der Referent offensichtlich als hinreichend spezifiziert bzw. als eindeutig identifiziert verstanden, so dass der Relativsatz als appositiv angesehen wird.

63 In (27b) beispielsweise erscheint erst das Nomen mit Ezäfe-Suffix, dann ein Adjektiv, das seinerseits ein Ezäfe-Suffix trägt, darauf noch eines, das ebenso markiert ist, und schließlich ein Pronomen als Possessor (vgl. auch Wahrmund 1889: 29)." Auch das Relativsätze lizensierende Allomorph -i tritt im Falle einer bereits modifizierten Struktur an das vorausgehende Adjektiv, wie im obigen Beispiel (24a). Wir haben es also mit einer rekursiven Konstruktion zu tun, wie es von Modifikationsstrukturen zu erwarten ist. Dabei ist die Strategie jedoch nicht, das Lizensierungssuffix am Kopfnomen zu iterieren, um dann erst die einzelnen Modifikatoren zu realisieren, also '*(((HUND-EZ-EZ) WEIß) GROß)', sondern es wird jeweils eine vorhandene Modifikationsstruktur wiederum erweitert: ' ( ( ( H U N D ) - E Z WEIß)-EZ GROß). Dies bedeutet, dass die Ezäfe immer denselben logischen Typ instantiiert, nämlich 1, ist auch EXPRESSPLURALITY erfüllt; anders als im Fall von (39d) ist hier also eine Mehrzahligkeits-Interpretation trotz der Spezifikation [-pl] gewährleistet. Damit ist erfasst, dass im 'Typ Ungarisch' Numeralia grundsätzlich mit Singularnomen kombinieren. Formal führt die durch die Constraintanordnung erzwungene Auswahl der Singularform des Nomens (40a) für Nominalphrasen mit Numeral zu den Repräsentationen in (43).

123 (43) a. Ungarisch: b. Georgisch:

öt hajó: sami knut-i:

λζ < ρ1> [(SCHIFF(z) & AGGR(z) & CARD(z) = 5)] λ ζ < ρ | > [(KITTEN(z) & AGGR(z) & CARD(z)=3)]

Eine solche Spezifikation für Nominalphrasen mit Numeralia mag trotz der Singularmorphologie des Nomens auf den ersten Blick rein technisch erzwungen erscheinen. Sie ist jedoch nicht allein durch die korrekten Vorhersagen hinsichtlich des Kongruenzverhaltens gut motiviert: Zum einen muss die morphosyntaktische Spezifikation den semantischen Eigenschaften (hier: der Vielzahligkeit) nicht unbedingt entsprechen, was sich insbesondere auch an Kollektivbezeichnungen wie das Volk, die Gruppe, das Vieh zeigt (siehe Pollard & Sag (1994), Ortmann (1992) und Urbas (1992) für theoretische Behandlungen). Zum anderen ist es eine typische Eigenschaft von Numeralia, dass sie in vielen Sprachen ein spezielles Verhalten in Bezug auf ihre Kombinatorik und die dabei vorliegenden morphosyntaktischen Spezifikationen aufweisen. Besonders bekannt hierfür sind die Numeralia in den slawischen Sprachen. So kongruiert im Russischen das Zahlwort odin 'eins' mit dem Nomen grundsätzlich hinsichtlich Kasus, Numerus(!), Genus und Belebtheit. Dva 'zwei' weist Kongruenz bezüglich der beiden letzten Kategorien auf, wogegen tri 'drei' und cetyre 'vier' nur für Belebtheit sensitiv ist. Bei den Zahlen von fünf bis hundert fehlt auch dieses Kriterium, im Unterschied zu noch höheren Zahlen jedoch findet sich hier zumindest in den obliquen Kasus noch Kasuskonkordanz (siehe Corbett 1983: 224ff). Was das einzelsprachliche Verhalten eines einzelnen Numerais betrifft, so weist in Kombination mit dem Wort für 'fünf eine prädikative Phrase im Bulgarischen und Mazedonischen die Spezifikation [+pl] auf, im Russischen liegt freie Variation des Numeruswertes vor, während im Tschechischen und Slowenischen [-pl] obligatorisch ist (a.a.O.: 221f). Damit liegt in den slawischen Sprachen ein höchst idiosynkratisches Verhalten der Numeralia vor sowohl hinsichtlich der einzelnen Zahlwörter, als auch hinsichtlich der Spezifikation eines einzelnen Zahlworts in den verschiedenen Einzelsprachen. Es ist offensichtlich, dass solch idiosynkratisches Verhalten (das auch unterschiedliche kategoriale Spezifikationen im Sinne einer sukzessiven Abstufung von Adjektiv (odin) zu Nomen (million) erfordert) jeweils als Teil der Lexikoneinträge der einzelnen Numeralia zu lernen ist. Demgegenüber nimmt sich das spezielle Verhalten der Numeralia des T y p Ungarisch' bescheiden aus; sie kombinieren grundsätzlich mit einem [-pl]-Nomen. Halten wir also fest: Die hier entwickelte Analyse sieht sich nicht dem Köpfigkeitsdilemma der Selegierungsanalyse gegenüber, da die Spezifikation des Kopfes nicht durch das Numeral erzwungen ist, sondern durch die Anordnung des Constraints *PL(DP). Das Numeral hat also keinerlei Kopfeigenschaften, sondern kann als Modifikator behandelt werden. Damit ist im Einklang mit üblichen Annahmen zur Phrasenstruktur das Nomen der Kopf der NP (und der Artikel der Kopf der DP). Die Anordnung von *PL(DP) über MAX(PL) bewirkt somit die Numerusspezifikation [-pl] für alle Nominalphrasen mit Numeralia.

124 4.5.3. Demonstrativum und DP Entgegen dem bisher Gezeigten kennt die ungarische Nominalphrase genau eine Konstellation, in der es Pluralkongruenz gibt, und zwar bei der Hinzunahme eines Demonstrativpronomens. Die Demonstrativpronomen, ez bzw. ezek (proximal) und az bzw. azok (distal), haben nämlich eine Singular- und eine Pluralform, wovon die letztere in Verbindung mit einem Pluralnomen obligatorisch ist: (44) a. ez

a

DEM.SG DEF

hajó Schiff

'dieses Schiff c. az

a

DEM.SG DEF

b. ezek

a

hajó-k

DEM.PL DEF

Schiff-PL

'diese Schiffe' hajó Schiff

'jenes Schiff

d. azok

a

hajó-k

DEM.PL DEF

Schiff-PL

'jene Schiffe'

Auf den ersten Blick scheint diese Verteilung die bisherige Analyse des Ungarischen zu falsifizieren, die mehrfache Realisierungen von Plural in der DP ausschließt; zumindest scheint sie einen Zusatz zu erfordern. So wäre eine denkbare Revision, das Constraint *PL(DP) sprachspezifisch dahingehend zu parametrisieren, ob seine Domäne die gesamte DP oder nur die vom D-Element selegierte Konstituente, also die NP, sein soll. In Wirklichkeit jedoch ist keine solche Modifikation notwendig, *PL(DP) ist auch für das Ungarische in der bisherigen Formulierung einschlägig. Wie erklären sich also die Daten in (44)? Die ungarische Nominalphrase zeichnet sich, wie die vieler anderer Sprachen, dadurch aus, dass das Demonstrativum nicht etwa in komplementärer Distribution mit dem definiten Artikel steht (wie das im Deutschen der Fall ist), sondern dass letzterer obligatorisch dem Demonstrativum folgt: (45) a. * ez DEM

hajó Schiff

c. * az DEM.SG

hajó Schiff

b. * ezek DEM.PL

d. * azok DEM.PL

hajó-k Schiff-PL

hajó-k Schiff-PL

Diese Beobachtung belegt, dass die ungarische Nominalphrase nicht grundsätzlich mit der D-Projektion abgeschlossen ist, sondern über eine Projektionsstufe oberhalb der Kategorie D verfügt. Dies ist für die Syntax zu berücksichtigen. Szabolcsi (1994: 198) setzt die folgende syntaktische Struktur für die ungarische Nominalphrase an:

125 (46) Ungarische DP nach Szabolcsi (1994): DP SPEC

D' D

(N+I)P DP

(N+iy

Dabei lässt Szabolcsi keinen strukturellen Raum für das Demonstrativum (obwohl sie dessen mögliche Kookkurenzen mit Quantoren und anderen Elementen ausdrücklich erwähnt). Aufgrund der Kombination von Demonstrativum mit Dativ-Possessor wie in (47) und mit dem definiten Artikel wie in (44) muss jedoch angenommen werden, dass die ungarischen Nominalphrasen mit Demonstrativum eine reichere Struktur haben. (47) az DEF

egyetemistá-k-nak

ezek

a

Student-PL-DAT

DEM

DEF

problémá-i Problem-PL(POR3)

'Diese Probleme der Studenten' Das gleichzeitige Auftreten von Demonstrativum und Dativ-Possessor zeigt eindeutig, dass die Spezifiziererposition von D nicht alle Elemente links von D unterbringen kann. Ich schlage daher vor, dass die ungarische Nominalphrase nicht einfach eine Projektion von D ist, sondern über eine weitere, höhere Projektionsstufe verfügt, deren Kopf das Demonstrativum ist. Dabei nehme ich eine Kategorie Dem an, die als die höchste funktionale Kategorie der Nominalphrase anzusehen ist und die in Sprachen wie dem Deutschen, in denen Artikel und Demonstrativum komplementär verteilt sind, nicht instantiiert ist. (Wie in Kapitel 1.2 ausgeführt, lautet die entsprechende Hierarchie der syntaktisch funktionalen Kategorien Dem > D > AgrP(ossess)or > N.) Die semantische Funktion von Dem ist, den Referenten des externen Arguments des Nomens relativ zum Äußerungskontext festzulegen. Es liegt also nahe, in Erweiterung zu Szabolcsi die (zunächst noch vorläufige) Struktur in (48) für das Ungarische anzusetzen. AgrPor entspricht dabei Szabolcsis (N+I) und stellt die Projektion für das Possessor-Argument dar, das von der Kongruenzmorphologie des Nomens lizensiert wird.

126 (48) Ungarische DemP (provisorisch): DemP

AgrPorP SPEC

AgrPor' AgrPor 0

DP[NOM]

ezek ezek az egyetemistá-k-nak

az

NP

hajó-k problémá-k problémá-i

egyetemistá-k

ezek

Durch die drei Installierungen wird deutlich, dass eine Struktur wie (48) die Daten erfassen kann. Legt man also diese Syntax zugrunde (zumindest in dem hier essentiellen Aspekt, dass die Demonstrativ-Konstruktionen im Ungarischen Projektionen einer Kategorie Dem darstellen), ist die Kongruenz zwischen Demonstrativum und DP ohne jede weitere Annahme erfasst, da das Constraint *PL(DP) nur für die DP, nicht jedoch für die höhere syntaktische Domäne DemP gilt. Dies zeigt die Evaluation der in Frage kommenden Kandidaten: UNIFICATION

EXPRESS

*PL(DP)

PLURALITY

a. b. c. d.

# ez[ ] DEM

a hajó[-PI] DEF Schiff

ezek[+PI] a

hajó[-PI]

DEM.PL

Schiff

DEF

ezi ] a hajó-k[+PI] DEM DEF Schiff.PL ezek[+PI] a hajó-k[+PI] DEM.PL

DEF

MAX (PL) *

*!

*

*

*! *

*!

*

Schiff

In (49a) ist weder das Demonstrativum noch das Nomen für Plural markiert, was neben einer zweifachen Verletzung von MAX(PL) ZU einer fatalen Verletzung von EXPRESSPLURALITY führt. In (49b) haben Demonstrativum und Nomen unterschiedliche Spezifikationen, was eine UNIFICATION-Verletzung bedeutet. (49c) scheidet wiederum als Verletzung von MAX(PL) aus, da das Demonstrativum keine Pluralmarkierung aufweist. (Wie in 4.5.1 am Beispiel des Adjektivs ausgeführt, sind Kandidaten mit Unterspezifikation des nicht-

127 lexikalischen Kopfes ebenfalls zu berücksichtigen. Der im Tableau nicht eigens aufgeführte Kandidat mit einer negativen Numerusspezifikation von ez scheitert dagegen wie (49b) bereits an UNIFICATION.) Der gewinnende Kandidat (49d) weist lediglich eine Verletzung von *PL(DP) auf, da es auf der Ebene der DP nur eine Pluralspezifikation gibt; die andere [+pl]-Spezifikation tritt erst auf der Ebene der DemP auf. Dieses Vorgehen mag zunächst den Anschein einer Ad-hoc-Lösung haben: Wenn die ungarische Nominalphrase in letzter Instanz auf eine DemP projiziert, warum sollte sich dann die Ökonomie, und damit das Constraint *PL(DP), nur auf DP, nicht aber auf die gesamte DemP beziehen? Bei einer zweifachen Verletzung dieses Constraints würde schließlich (49c) als optimaler Kandidat ausgewiesen. Die Analyse verliert jedoch ihren stipulativen Charakter, wenn man auch Phrasen mit Postposition oder mit semantischem Kasus in die Analyse mit einbezieht. Diese erfordern nämlich eine Modifizierung der internen Struktur der DemP in (48). Die wesentliche Beobachtung ist, dass die Wiederholung einer overten Spezifikation auch bei der Markierung lokaler Relationen vorliegt (Kenesei, Vago & Fenyvesi 1998: 227f): (50) a. az alati a bicegö szék alati DEM unter DEF wacklig Stuhl unter 'unter diesem wackligen Stuhl' b. az

alati a DEM unter DEF 'unter dem Buch'

d. az-on

könyv Buch

alatt unter

c. eb-ben

a

DEM-INESSIV DEF

város-ban Stadt-iNESSiv

'in dieser Stadt' a

bicegö DEM-SUPERESSIV DEF wacklig 'auf diesem wackligen Stuhl'

szék-en Stuhl-SUPERESSIV

Die Kombination von Demonstrativum und Postposition bzw. lokalem Kasus in diesen Beispielen lassen eine Selegierung der DP durch Dem0, wie sie in (48) dargestellt ist, unplausibel erscheinen: Da Postpositionen die gesamte Nominalphrase als Argument nehmen, ist das zusätzliche Auftreten unmittelbar nach dem Demonstrativum in (50a,b), sozusagen 'inmitten' der Struktur, nicht erfasst. Ebenso wäre die Kasusmarkierung in (50c,d) nur einmal (am lexikalischen Kopf) zu erwarten. Die Daten lassen sich dagegen durch eine Appositionsstruktur erklären, die im Deutschen am ehesten nachzuvollziehen ist durch Konstruktionen wie 'unter jenem da, unter dem wackeligen Stuhl', oder 'dies von den Studenten, das Problem von ihnen'. Wir haben es also mit einer PP zu tun, deren Komplement zunächst nur aus dem Demonstrativum besteht, an die aber als Apposition eine PP (hier unterschieden durch 'PP2') in der Funktion der semantischen Konkretisierung mit einer DP als Komplement hinzutritt:

128 (51) Ungarische PP mit DemP-Komplement: PP.

alatt Übertragen auf die Struktur einer DemP, die nicht in eine PP eingebettet ist, erfordert die appositive Analyse für die Struktur (48) die folgende Modifizierung: (52) Ungarische DemP: DemP

AgrPorP

SPEC DP[DAT]

SPEC

I

DP[NOM]

az egyetemistá-k-nak

ezek ezek ezek

a az a

egyetemistá-k

AgrPor' AgrPor 0

NP

hajó-k problémá-k problémá-i

Die Struktur macht deutlich, dass zwischen Dem und DP keine Kopf-Komplement-Beziehung besteht, sondern ein Appositionsverhältnis. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass Information redundanterweise wiederholt werden muss. Das Vorgehen, wonach sich der Geltungsbereich des ökonomieconstraints *PL(DP) nur auf die DP und nicht auf die gesamte DemP erstreckt, ist also durch die interne Struktur der DemP motiviert. Damit erfasst die Evaluation in (49) die in (44) illustrierte Pluralkongruenz. Für die Verbkongruenz sind ebenfalls keinerlei Zusatzannahmen für Demonstrativa nötig, wie sich im folgenden Abschnitt zeigen wird.

129 4.5.4. Subjekt-Verb-Kongruenz Was die Kongruenz eines ein Demonstrativum enthaltenden Subjekts mit dem Verb angeht, so verläuft diese analog zu den Beispielen in Abschnitt 4.2.2.2: ein Subjekt mit Singular bei Demonstrativum und Nomen kombiniert mit einer Singular-Verbform wie in (53a,c), während Plural mit Plural kombiniert, wie in (53b): (53) a. Ez a nagynéni sört isz-ik DEM DEF Tante Bier trink-3SG 'Diese Tante trinkt Bier.' [-pl] [-pl] b. Ezek

a

nagynéni-k sört isz-nak DEM.PL DEF Tante-PL Bier trink-3PL 'Diese Tanten trinken Bier.' t+pl]

[+pl]

c. Ez az öt nagynéni sört isz-ik DEM DEF 5 Tante Bier trink-3SG 'Diese fünf Tanten trinken Bier.' [-pl] t-pl] Wir haben bereits gesehen, dass auch in Kombination mit einem 'gezählten' Subjekt, das ja in Abschnitt 4.5.2 formal als [-pl] analysiert wurde, das Verb Singular aufweist. Dies folgt aus den bisher eingeführten Constraints und ihrer Anordnung ohne Zusatzannahmen, da nur der Kandidat (54b), mit [-pl] am Verb, die Unifikation mit einem [-pl]-Subjekt respektiert. Letzteres ist bereits im Input entsprechend der Repräsentation in (43b) spezifiziert, da es in dieser Form für die Ebene der DP als der optimale Kandidat bewertet ist; bei der hier bewerteten Kombination auf Satzebene sättigt es die Argumentstelle des Verbs, die als λabstrahierte Variable dargestellt ist. (54) Georgisch: Input: (λχ ROLL(x)) (Dy < pl> [KITTEN(y) & CARD(y)=3])

a. b.

Santi

knut-i [-pl]

gorav-en[+pl]

three

kitten-NOM

roll-3PL

Sami

knut-i [-pl]

gorav-s[-pl]

three

kitten-NOM

roll-3SG

UNIFIC-

EXPRESS

*PL

MAX

ATION

PLURALITY

(DP)

(PL)

*! *

Während Kandidat (54a) aufgrund der unterschiedlichen Spezifikationen eine fatale Verletzung von UNIFICATION beinhaltet, verletzt Kandidat (54b) das Constraint MAX(PL) durch

130 die Singular-Morphologie des Verbs, wobei dieses Constraint aber tiefer angeordnet ist. Dieselbe Evaluation kann abschließend noch für das Ungarische gezeigt werden: (55) Ungarisch: (λχ [HAUS(x) & CARD(x)=4 & POSS(Pedro,x) & x=y] Innerhalb des hier vertretenen Constraint-basierten Ansatzes wird die Einführung des zusätzlichen Indexes erzwungen durch die Forderung nach semantisch gesteuerter Subjekt-

17

Mein Dank gilt Sandra Joppen-Hellwig, die mir diese Daten zur Verfügung gestellt hat. Es handelt sich dabei um Fragebogentests, die von ihr mit mehreren Muttersprachlerinnen durchgeführt wurden; dementsprechend beziehen sich die folgenden Aussagen auf den gipuskuanischen Dialekt.

132 Verb-Kongruenz, einer Konsequenz aus der Anordnung des Constraints MAX(PL) über einem Constraint, das verlangt, dass im unmarkiertem Fall die Merkmalskongruenz gemäß der overten morphologischen Spezifikationen, anstelle abstrakter, morphologisch nicht sichtbarer Spezifikationen, erfolgt. Dies ist nämlich nicht notwendigerweise durch das Constraint UNIFICATION verlangt, vgl. die Definition in (30). Das Constraint und seine relative Anordnung sind in (57) bzw. (58) formuliert. (58) FORMALAGR(EEMENT):

Die morphologisch overten Spezifikationen von in einer Kongruenzrelation stehenden Kategorien sind hinsichtlich der Kongruenzmerkmale Genus, Numerus und Person mit einander verträglich.

(59) Ranking für das Baskische: UNIFICATION, EXPRESSPLURALITY »

*PL(DP) »

MAX(PL) »

FORMALAGR

Während FORMALAGR in anderen Sprachen hoch angeordnet ist, ist es im Baskischen von MAX(PL) dominiert. Die Anordnung der anderen Constraints ist durch das ansonsten parallele Verhalten zu den übrigen Typ Ungarisch'-Sprachen motiviert. Das Ranking sagt voraus, dass bei Numeralkonstruktionen Pluralkongruenz am Verb gegenüber der formal geforderten Singularspezifikation präferiert ist: (60) Input: (λχ PERF (ABBRENN(x))(Dy [HAUS(y) & CARD(y)=4 & POSS(Pedro,y]) UNIF.

a. b. c. d. ""

Pedro-ren Pedro-ren Pedro-ren Pedro-ren

lau lau lau lau

etxe[-pi] erre da[-pl]. etxe[-pl] erre dira[+pl]. etxe[+pi] erre dira[-pl]. etxe[+p\] erre dira[+pl].

EXPR. PLUR.

*PL(DP)

MAX

FORMAL

(PL)

AGR

*! *! *!

* *

Die Kandidaten (60b) und (60c) scheiden als Verletzung von UNIFICATION aus, da Subjekt und Verb jeweils unterschiedliche Spezifikationen aufweisen. In (60a) trägt das Verb die Spezifikation [-pl], die der morphologischen Spezifikation des Subjekts entspricht; dadurch ist das Constraint MAX(PL) verletzt. Kandidat (60d) gewinnt daher, denn hier ist das Verb entsprechend der Semantik des Subjekts spezifiziert, aufgrund der in der Repräsentation (57) zusätzlich eingeführten Spezifikation [+pl] am Subjekt. Dadurch ist das Constraint FORMALAGR verletzt, das im Baskischen höher angeordnete MAX(PL) dagegen respektiert. UNIFICATION ist also unter der beschriebenen Einführung eines semantisch lizensierten Kongruenzindexes ebenfalls respektiert,18 ebenso EXPRESSPLURAUTY wegen der in der 18

Dass diese Annahme nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar notwendig ist, zeigen Pollard & Sag (1994). Im Rahmen ihrer Diskussion von semantisch basierter Kongruenz (a.a.O.:7 Iff ) weisen sie

133 Subjekt-DP enthaltenen Kardinalzahl. Das Constraint *PL(DP) ist für (60c,d) deswegen erfüllt, da es sich nicht um eine overte Realisierung, sondern um eine durch ein abstraktes Template eingeführte Spezifikation von [+pl] handelt. Vereinfacht ausgedrückt löst also ein Verbargument mit einem Numeral im Baskischen am Verb Pluralkongruenz aus, da es semantisch als ein Aggregat von Individuen individuiert wird. Die Tatsache, dass hier dialektale und auch idiolektale Variation vorliegt, spricht zumindest nicht gegen diese Analyse: Semantische Kongruenz (hier: die entsprechende Constraintanordnung) führt häufig, wie auch im Falle der oben erwähnten Kollektiva, zu Optionalität in der Grammatik.

4.6.2. Die Verbkongruenz des Kurdischen Im Kurdischen wird, wie schon in 4.2.2.2 erwähnt, bei der Subjekt-Verb-Kongruenz die Pluralmarkierung nur am Verb realisiert, nicht am Nomen: (61) a. Mirov Mann

hat.

b. Mirov(*-an)

komm.PRÄT.SG

Der Mann kam.' c. E

zarok

Mann(-PL)

hat-in. komm.PRÄT-3PL

'Die Männer kamen.'

dixwîn-in

DEM Kind lern-3PL 'Diese Kinder lernen.' Dieses Verhalten ist insofern ökonomiegesteuert, als in einer bestimmten Domäne (hier: dem Satz) nur eine Vielzahligkeitsmarkierung vorliegt. Dies ist aber nicht unmittelbar durch *PL(DP), das sich ja auf die DP bezieht, erfassbar. Das Kurdische stellt also gegenüber den übrigen Typ Ungarisch'-Sprachen den markierten Fall dar, und eine Zusatzannahme wird nötig. Offensichtlich ist die Anforderung nach ökonomischer Kongruenz im Kurdischen stärker als in anderen Sprachen, insofern als nur eine Pluralmarkierung sogar für eine Domäne außerhalb der DP ausreicht. Innerhalb des hier vertretenen Ansatz bedeutet das, dass das

darauf hin, dass auch Phänomene wie Referenztransfer und Kollektivbezeichnungen stets strikte Merkmalskongruenz verlangen, wenn sie einmal eine bestimmte Individuierung erfahren haben, entweder als Gruppe ([-pl]) oder als Gruppenmitglieder ([+pl]): (i) a. The faculty is voting itself a raise. c. * The faculty is voting themselves a raise. b. The faculty are voting themselves a raise. d. * The faculty are voting itself a raise. Die Ungrammatikalität von (ic,d), die jeweils aus der Kombination von [-pl] mit [+pl] resultiert, wäre unerklärt, wenn man das formale Konzept der Unifikation von Merkmalsindizes aufgeben würde.

134 einschlägige ökonomieconstraint sich auf die Domäne des Satzes bezieht anstatt nur auf die DP. Analog zur Definition (34) lautet dieses Constraint wie folgt: 19 (62) *PL(CLAUSE): Vermeide Realisierungen der Merkmaispezifikation [+pl] innerhalb des Satzes (CP). Aus optimalitätstheoretischer Sicht ist zunächst zu fragen, ob das Constraint *PL(CLAUSE) zusätzlich zum bisher verwendeten Constraint *PL(DP) eingeführt werden soll oder ob in der OT sprachspezifische Versionen von Constraints erlaubt sind. Unter den Grundannahmen, dass alle Constraints universal sein sollen und dass natürlich auch die kurdische DP bewertet werden soll, ist die erste Option die angemessenere. Was die Anordnung dieses zusätzlichen Constraints betrifft, so muss es mindestens so hoch angeordnet sein, dass es MAX(PL) dominiert, denn sonst würde in (61b) die Realisierung des Nomen-Pluralsuffix vorhergesagt. Ansonsten unterscheidet sich, aufgrund des analogen Verhaltens von Numeralkonstruktionen, das Ranking nicht von dem der übrigen T y p Ungarisch'-Sprachen und lautet damit: (63) Ranking für Kurdisch: UNIFICATION, EXPRESSPLURALITY »

*PL(DP), *PL(CLAUSE) »

MAX(PL)

Aus diesem Ranking ergibt sich die folgende Kandidatenevaluierung. (Ich nehme an, dass auf der Ebene der Bewertung von Sätzen das Nominalphrasen-relevante Constraint *PL(DP) nicht berücksichtigt wird und damit trivialerweise immer erfüllt ist, weswegen es im Tableau nicht aufgeführt ist.) (64) Input:

a.

(λχ PERF (KOMM(x) (Dy