Kant zu Geschichte, Kultur und Recht: Hrsg. von Wolfgang Bock [1 ed.] 9783428533688, 9783428133680

Kants philosophische Begründung der Geschichts-, Kultur- und Rechtsphilosophie ist seit eh und je hoch umstritten. Werne

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German Pages 314 Year 2015

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Kant zu Geschichte, Kultur und Recht: Hrsg. von Wolfgang Bock [1 ed.]
 9783428533688, 9783428133680

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Philosophische Schriften Band 90

WERNER FLACH

Kant zu Geschichte, Kultur und Recht

Herausgegeben von

Wolfgang Bock

Duncker & Humblot · Berlin

WERNER FLACH

Kant zu Geschichte, Kultur und Recht

Philosophische Schriften Band 90

WERNER FLACH

Kant zu Geschichte, Kultur und Recht Herausgegeben von

Wolfgang Bock

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0935-6053 ISBN 978-3-428-13368-0 (Print) ISBN 978-3-428-53368-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83368-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Philosophie von Immanuel Kant wie die von Werner Flach fragt nach der Möglichkeit und den Bedingungen von Erkenntnis: Wissenschaft als hervorragendes Beispiel für Erkenntnis beruht ebenso wie andere Formen der Erkenntnis notwendig auf methodischen und damit philosophischen Grundannahmen (Prinzipien). Sie hat sich an ihnen auszuweisen. Wissenschaftliche Urteile über untersuchte Sachverhalte setzen Prozesse des Forschens und des Erkennens seitens des oder der beteiligten Subjekte voraus. Ein wissenschaftlicher Prozess gelingt, wenn er in methodisch zu begründender und begründeter Weise durchgeführt wird. Fehlt es daran und lässt sich dieser Mangel nicht heilen, so verlieren zufällig richtige Forschungsergebnisse erheblich an Bedeutung. Die Methodenlehre der Wissenschaft wie die Methodiken der Einzelwissenschaften gründen letzten Endes in der philosophischen Disziplin der Erkenntnislehre.1 Insoweit besteht – mit Ausnahme der Lehren vom Ende jeder „Subjektsphilosophie“ oder von der Nutzlosigkeit der als „alteuropäisch“ bezeichneten Philosophie – weitgehend Übereinstimmung. Auf den ersten Blick scheint dieser Feststellung die plurale Konkurrenz und ein teils wildes Gegen-, Neben- und Miteinander wissenschaftlicher Ansätze nicht zuletzt in den Kultur- oder Sozialwissenschaften entgegenzustehen. Diese Modelle zeichnet ein Rückgang auf philosophisch je anders begründete Methodiken oder auf Kombinationen derartiger Methodiken aus, teils gepaart mit durchaus unterschiedlichen politischen Orientierungen auch innerhalb eines Ansatzes. Dem Rückgriff auf den logischen Empirismus (Gottlob Frege, Alfred North Whitehead, Bertrand Russell, Rudolf Carnap, Wolfgang Stegmüller)2 und auf die sprachanalytische Philosophie (Ludwig Wittgenstein, Alfred Jules Ayer) steht der zuvorderst von der Erlangener Schule entwickelte Konstruktivismus gegenüber. Er will über die an einer allgemeinen Logik orientierte wissenschaftssprachliche Nachkonstruktion der jeweiligen wissenschaftlichen

___________ 1

Grundlegend: Werner Flach, Grundzüge der Erkenntnislehre. Erkenntniskritik, Logik, Methodologie, Würzburg 1994. 2 Ein substantieller Überblick bei Werner Flach, Thesen zum Begriff der Wissenschaftstheorie, Bonn 1979, S. 10–20. Karl R. Popper und Victor Kraft unterschieden sich dadurch von der Grundtendenz des Wiener und des Berliner Kreises, dass sie sich stärker an Kant (Karl R. Popper) oder am Neukantianismus (Victor Kraft) orientieren.

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Vorwort

Aussage deren Gültigkeit überprüfen.3 Alle drei Modelle gehen zwar auf eine ursprünglich von kantischen Grundsätzen geprägte Philosophie zurück – als Bindeglieder sind nicht zuletzt Gottlob Frege und Bruno Bauch hervorzuheben –, haben sich aber an je unterschiedlichen Punkten und in je verschiedenem Ausmaß von ihr getrennt, ohne die vom kantischen Ansatz gebotenen produktiven Möglichkeiten in vollem Umfange auszuschöpfen. Dem stehen Modelle entgegen, die sich durch eine modifizierende Aufnahme des Marxismus auszeichnen, sei es in Form der Frankfurter Schule (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno) und ihrer Fortsetzer (Jürgen Habermas, Axel Honneth) oder in Gestalt des Strukturalismus (Claude Lévi-Strauss, Louis Althusser), des Poststrukturalismus (Michel Foucault, Gilles Deleuze, Jacques Derrida), des Feminismus (Judith Butler), des Postkolonialismus (Frantz Fanon, Edward Said) oder der Cultural Studies (z.B. Giorgio Agamben). Zudem beruhen als „postmarxistisch“ bezeichnete Richtungen einerseits auf philosophischen Grundelementen des Marxismus, beziehen andererseits aber auch sich sehr von ihnen unterscheidende Ansätze mit ein. Dabei werden beispielsweise in romanischen Ländern von Carl Schmitt stammende Denkfiguren als „linke Theorie“ klassifiziert – entgegen deren Rezeption im deutschen und teils auch im angloamerikanischen Raum. Moderne Aufnahmen des Marxismus zeichnen sich dadurch aus, dass sie über seine ursprünglichen philosophischen Grundlagen (Hegel, Feuerbach) hinausgehende Ergänzungen aus anderen philosophischen Entwürfen problemlos zulassen. Das gilt zum Beispiel für die Ergänzung durch eine über Schopenhauer auf eine subjektivistische Fichte-Interpretation rückführbare4, von Nietzsche inspirierte Philosophie5 oder durch eine sich an Heidegger anlehnende Philosophie, die von Hans-Georg Gadamer in einer spezifisch hermeneutischen Richtung angereichert worden ist6. Eine Ergänzung in diesem Sinne kann auch mittels einer Sartre-, Strukturalismus- oder Poststrukturalismus-Rezeption geschehen. Der Marxismus erweist sich so trotz seines ___________ 3 Vertreten u.a. durch Paul Lorenzen, Wilhelm Kamlah, Kuno Lorenz, Friedrich Kambartel, Jürgen Mittelstraß, Peter Janich, Carl Friedrich Gethmann, Oswald Schwemmer, Christian Thiel. Vgl. auch Jürgen Mittelstraß (Hg.), Der Konstruktivismus in der Philosophie im Ausgang von Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen, Paderborn 2008. 4 Vgl. zum Verhältnis zwischen Fichte, Helmholtz und Schopenhauer die knappen Hinweise von Herbert Hörz, A. Schopenhauer und H. Helmholtz. Bermerkungen zu einer alten Kontroverse zwischen Philosophie und Naturwissenschaften, Berlin 1994. 5 Zur Aufnahme der Philosophie Nietzsches in Frankreich und zu ihrem Reimport nach Deutschland – auch mittels der politischen Strömungen von 1968: Heinz Wismann, Penser entre les langues, Paris 2012, S. 103–153. 6 Das Gegenmodell zu Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik [1961], Tübingen 61990, bildet Emilio Betti, Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften, Tübingen 1967; zur Gesamtproblematik auch Brigitte Flach/Werner Flach, Zur Grundlegung der Wissenschaft von der Literatur, Bonn 1967, S. 10, 36 f. und öfter.

Vorwort

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vielfältigen praktisch-politischen Scheiterns als theoretisch nahezu unbegrenzt wandelbar, was besonders die zum „Mehr-Generationen-Projekt“ mutierte Frankfurter Schule und das von Jürgen Habermas entworfene Theoriegebäude mit seinen Umbauten und Erweiterungen zeigen. Jürgen Habermas nimmt jedoch – insbesondere durch die Rezeption von Fichte, Max Weber und Charles Sanders Peirce – auch auf Kant und den Neukantianismus verweisende Elemente in sein Modell auf, wodurch marxistische Motive zurücktreten. Eine deutsche Besonderheit ist die von Niklas Luhmann für den Bereich der Sozialwissenschaften entworfene bzw. weiterentwickelte Systemtheorie; ihr analytischer Anspruch scheitert nicht zuletzt an willkürlichen Grenzziehungen zwischen als eigenständig vorgestellten Systemen. Beobachter weisen auf philosophische Parallelen zwischen diesem systemtheoretischen Ansatz und dem Hegelschen Systemdenken hin.7 Nun lassen sich geistes-, kultur- oder sozialwissenschaftliche Erkenntnisse in verschiedene philosophische Mäntel (Terminologien) kleiden und in der Regel auch in ihnen denken. Aber erst die Anerkennung eines philosophischen Wahrheits- und Letztbegründungsanspruchs eröffnet den Weg zur rational notwendigen Untersuchung der Instrumente und Wege der Erkenntnis. Ausgehend von den Leistungen Kants bei der Bestimmung dessen, was Erkenntnis ist, was sie möglich macht und was ihre Grenzen sind, eröffnet die Philosophie von Werner Flach neue Wege im Sinne eines sich selbst aufklärenden Verständnisses Kants.8 Eine aktuelle, ihre Zeit und damit die Perspektiven sowie Ziele menschlicher Geschichte und Kultur erfassende Philosophie kann und muss sich nicht nur positiv auf Kant stützen; es obliegt ihr auch, die grundlegenden, in seinem systematischen Modell angelegten, offenen Möglichkeiten produktiv weiterzuentwickeln. Das zeichnet die folgenden, hier zum Teil erstmals veröffentlichten und im Übrigen vollständig durchgesehenen Aufsätze aus: Sie zeigen neue Perspektiven der Philosophie Immanuel Kants und weisen zugleich auf weiterführende wissenschaftstheoretische Forschungen von Werner Flach. Erstens untersucht Flach systematische Grundelemente Kants auf ihre Schlüssigkeit, auf ihre Kompatibilität untereinander und auf die Möglichkeiten ihres Zusammenwirkens. Angesichts der grundlegend neuen Gesamtproblematik, die Kant entdeckte und über etwa 40 Jahre fortschreitend und intensiv erforschte, überrascht es wenig, dass Flach einige (von Kant für erforderlich ___________ 7 Gerhard Wagner, Am Ende der systemtheoretischen Soziologie. Niklas Luhmann und die Dialektik, Zeitschrift für Soziologie 23 (1994), S. 275–291; krit. Sebastian Brandl, Reflexion – Identität – Geist: Hegel als (Post-)Luhmannscher Denker?, München 2010. 8 Vgl. Werner Flach, Grundzüge der Erkenntnislehre. Erkenntniskritik, Logik, Methodologie, a.a.O.; ders., Die Idee der Transzendentalphilosophie. Immanuel Kant, Würzburg 2002.

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Vorwort

gehaltene) Grundannahmen oder Hilfskonstruktionen – ohne Schaden für Kants Absichten und Leistungen im Übrigen – aufgibt oder sie durch andere, besser mit den Kantischen Absichten und Zielen zu vereinbarende Konstruktionen ersetzt.9 Zweitens zeigt Werner Flach, dass Kant – entgegen der landläufigen Auffassung – eine auf die kritische Erfassung der Tatsachen der menschlichen Kultur zielende Lehre von der Geschichte entworfen hat und dass sie wissenschaftlich fruchtbar zu machen ist.10 Den Nachweis führt Werner Flach anhand der entsprechenden Kantischen Schriften. Es verwundert nicht, dass sich dabei Freiheit als der zentrale Maßstab menschlichen Handelns im Bereich der Geschichte sowie der Kultur und nicht zuletzt des Rechts erweist. Zwar mag dieser Maßstab oft nicht leicht anzulegen sein: Wendet man ihn zum Beispiel auf Rechtsordnungen an, so lässt sich zwar feststellen, dass die Rechtsordnungen Englands oder der USA im Verhältnis zu der Deutschlands andere Mechanismen zur Bestimmung der Räume rechtlich erlaubten und verbotenen Handelns einsetzen. Angesichts einer Vielzahl unterschiedlicher ins Spiel kommender und wirksamer Faktoren ist ein wertender Vergleich unter dem Aspekt gesicherter oder zu sichernder Freiheit in der Regel schwer, aber nicht unmöglich. Die Fruchtbarkeit dieses Maßstabes wird aber sofort deutlich, wenn man die genannten Rechtsordnungen mit der russischen oder der chinesischen Rechtsordnung vergleicht. Privilegierungen von politischer, wirtschaftlicher oder gar religiöser Machtausübung widersprechen dem Maßstab gleicher Freiheit ganz offensichtlich. Drittens erweist Werner Flach, an welchen Punkten Autoren und Strömungen des Neukantianismus ohne Not grundlegende Einsichten Kants zugunsten weniger überzeugender philosophischer Lösungen preisgaben, indem sie diese Einsichten verkannten und deren Vorteile unbeachtet ließen. Gegenüber den angeführten Wissenschaftsmodellen, die sich, sofern sie nicht der philosophischen Anstrengung gänzlich den Rücken kehren, grundlegend auf eine mathematische Logik, einen logifizierenden sprachlichen Nachvollzug wissenschaftlichen Denkens oder auf eine vom Marxismus präformierte Geschichtsphilosophie stützen, besitzt die von Werner Flach aktualisierte und zugleich als aktuell erwiesene Philosophie Kants den großen Vorteil, sowohl die Methoden und Methodiken als auch notwendige inhaltliche Grundannahmen der einzelnen Wissenschaften erklären zu können. Das Zustandekommen wissenschaftlicher Urteile über natürliche wie über geschichtliche, von Menschen geschaffene Tatsachen ist zu erklären, ohne dass Abstriche von ___________ 9

Vgl. die in diesem Band enthaltenen Aufsätze: S. 15 ff., 27 ff. Vgl. insbesondere die in diesem Band enthaltenen Aufsätze: S. 159 ff., 169 ff., 181 ff., 193 ff. und 251 ff. 10

Vorwort

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den gedanklichen Leistungen der menschlichen Subjekte einerseits, von der Problematik der sinnlichen Erfassung der dabei zu berücksichtigenden Phänomene und ihrer Verschiedenheit andererseits oder von der gegenseitigen Inbezugnahme beider gemacht werden. Vielmehr wird die Freiheit des Denkens, der menschlichen Urteilsbildung und die Unabgeschlossenheit wissenschaftlichen Forschens ebenso bewahrt wie der Wahrheitsanspruch der Erkenntnis. Vielfacher Dank gilt Brigitte und Werner Flach: Brigitte Flach hat mit zahlreichen Hinweisen und Anmerkungen zur Schlüssigkeit und Verständlichkeit der Gedanken, aber auch zur präzisen Zitation beigetragen. Werner Flach ist mit Geduld, Humor und Verständnis auf Fragen und Vorschläge eingegangen, sodass die gemeinsame Arbeit Gewinn brachte und Freude bereitete. Ohne die genaue und überaus aufmerksame Arbeit von Anke Muno am Layout und an der Formatierung der Texte wäre dieser Band nicht zustande gekommen: Autor und Herausgeber danken herzlich dafür. Eine an diesem Buch indirekt beteiligte Person ist zu nennen: Der in Paris lebende und lehrende Philosoph und Altphilologe Heinz Wismann hat dem Herausgeber den Weg zum Denken von Immanuel Kant und Werner Flach eröffnet. Dieser Band ist auch Zeugnis einer 24 Jahre überspannenden philosophischen Zusammenarbeit. Frankfurt am Main/Berlin

Wolfgang Bock

Inhaltsverzeichnis Transzendentalphilosophie und Kritik. Zur Bestimmung des Verhältnisses der Titelbegriffe der Kantischen Philosophie .......................................................

1

Die kantische Hypothek ..............................................................................................

15

Die theoretische Weltbetrachtung und die Disziplinierung der Vernunft ...................

27

Kants Lehre von der Gesetzmäßigkeit der Empirie. Zur Argumentation der Kantischen Schematismuslehre ......................................................................

35

Das Problem der transzendentalen Deduktion: seine Exposition in der Kritik der reinen Vernunft und seine Wiederaufnahme im Neukantianismus der Südwestdeutschen Schule ...............................................................................

47

Das Kategorienkonzept der kritischen Philosophie Kants und seine Revision in der Erkenntnislehre des Marburger Neukantianismus ......................................

59

Wissenschaftstheorie als Transzendentalphilosophie .................................................

93

Kritizistische oder dialektische Methode? Analyse und Bewertung .......................... 105 Kants sogenannte Reziprozitäts- oder Analytizitätsthese, seine Lehre vom Faktum der Vernunft und sein Geschichtsbegriff ......................................... 119 Carl Leonhard Reinholds Aufnahme der Kantischen Faktumlehre in der Grundlegung der praktischen Philosophie und sein Freiheitsbegriff ......... 131 Fichtes voluntativ-egologischer Begriff von Kultur und Geschichte als Revision der empiriologischen Ausrichtung der Kantischen Grundlegung des Geschichtsbegriffes .................................................................. 137 Kants Empiriologie ..................................................................................................... 143 Zu Kants geschichtsphilosophischem „Chiliasmus“ ................................................... 159 Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie ............................................................. 169 Kants Geschichtsphilosophie ...................................................................................... 181 Kants Geschichtsphilosophie im Widerstreit .............................................................. 193 Zu Kants Lehre vom sensus communis aestheticus .................................................... 209 Zu Kants Lehre von der symbolischen Darstellung .................................................... 217 Schillers Aufnahme des Kantischen Kulturbegriffes in den Briefen über die ästhetische Erziehung ..................................................................................... 231

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Inhaltsverzeichnis

Zur geltungstheoretischen Grundlegung der Gartenkunst .......................................... 237 Erreichung und Errichtung. Über die empiriologische Orientierung der Kantischen Geschichtsphilosophie ................................................................. 243 Kants Begriff der Kultur und das Selbstverständnis des Neukantianismus als Kulturphilosophie ............................................................................................ 251 Kant zur Gründung von Recht und Rechtswissenschaft ............................................. 267 Angeborenes Recht und erworbene Rechte, Vollbürger und Halbbürger ............................................................................................................ 281 Schriftenverzeichnis Werner Flach ............................................................................. 289 Personenregister .......................................................................................................... 299

Transzendentalphilosophie und Kritik Zur Bestimmung des Verhältnisses der Titelbegriffe der Kantischen Philosophie Wenn wir die neuartige Philosophie Kants, die Lehre, die sowohl nach dem Urteil Kants wie nach dem sogenannten Urteil der Geschichte die kopernikanische Wende der Philosophie darstellt, beim Namen zu nennen haben, so bieten sich zwei Titelbegriffe an: der Titelbegriff „Transzendentalphilosophie“ und der Titelbegriff „Kritik“. Beide gehen auf Kant selbst zurück. Beide werden unter Berufung auf Kant als Titel für dessen Philosophie gebraucht. Das ist zweifellos einwandfrei. Doch sind die Unterschiede, die Kant macht, nicht zu übersehen. Vor allem ist nicht zu übersehen, dass Kant für den Titel seiner drei Hauptwerke nicht den Begriff „Transzendentalphilosophie“, sondern den Begriff „Kritik“ wählt. Die Untersuchungen der Kantischen Hauptwerke sind, wie Kant zu wiederholten Malen hervorhebt1, Untersuchungen, denen der Titel „Kritik“ zukommt. Sie sind „Kritik der reinen Vernunft“, „Kritik der praktischen Vernunft“, „Kritik der Urteilskraft“, kurz: „kritische Philosophie“2. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass die „Kritik“, die da gemeint ist, „transzendentale Kritik“3 ist, ist diese Wahl Kants auffällig. Sie kann nicht zufällig sein. Wenn sie aber nicht zufällig ist, so soll sie offenbar – was ja von der Funktion des Titels her ohnehin naheliegt – den beherrschenden Anspruch und die grundsätzliche Orientierung der Kantischen Philosophie zum Ausdruck bringen und damit selbstverständlich auch auf den Gesichtspunkt aufmerksam machen, der für die Erarbeitung des Wahrheitsgehaltes der Hauptwerke Kants maßgebend ist. Es ist klar, dass wir in Anbetracht dessen nicht umhin können, das Studium der Kantischen Philosophie damit anzufangen, dass wir den authentischen Sinn ___________ 1 Vgl. besonders: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur ersten Auflage (A XII), Vorrede zur zweiten Auflage (B XXII f.), Einleitung VII (B 24 ff.), Architektonik der reinen Vernunft (B 786 ff.); Kritik der Urteilskraft, Vorrede zur ersten Auflage (AA V, S. 167); Prolegomena, Vorrede (AA IV, S. 255 ff.); Fortschritte der Metaphysik (AA XX, S. 272); Reflexion Nr. 4455; Briefe an Marcus Herz vom 21.02.1772 (AA X, S. 132) und von 1773 (AA X, S. 145). 2 Prolegomena, AA IV, S. 383. 3 Kritik der reinen Vernunft, B 26, B 353.

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Transzendentalphilosophie und Kritik

des Titelbegriffes „Kritik“ zu gewinnen suchen. Und es ist weiterhin klar, dass dieser Aufgabe nur in der Bestimmung des Verhältnisses der beiden Titelbegriffe der Kantischen Philosophie nachzukommen ist. Die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Titelbegriffe „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ bildet somit das sachlich erste Stück und die entscheidende Leistung des Studiums der Kantischen Philosophie. Nur durch die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Titelbegriffe „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ vermögen wir uns dessen zu versichern, worin die nach der Meinung Kants und seiner Epigonen revolutionäre „Denkungsart“4 der Kantischen Philosophie ihrem präzisen Verstande nach besteht. Nur durch die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Titelbegriffe „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ eröffnet sich die Chance, den Sinn der Kantischen Lehre adäquat zu erfassen und so ihren Wahrheitsgehalt zu erarbeiten. – Es ist das Vorhaben der folgenden Untersuchung, die geforderte Bestimmung des Verhältnisses der beiden Titelbegriffe der Kantischen Philosophie zu liefern. Die Durchführung dieses Vorhabens muss sich auf die Analyse der betonten und insofern maßgeblichen Stellungnahme Kants zur Bestimmung des Verhältnisses der Titelbegriffe seiner Philosophie konzentrieren. Diese Stellungnahme liegt in den Ausführungen zur „Idee und Einteilung einer besonderen Wissenschaft unter dem Namen der Kritik der reinen Vernunft“, also in den Ausführungen des Abschnittes VII der „Einleitung“ der Kritik der reinen Vernunft5 vor. In der Analyse dieser Ausführungen Kants und nach Maßgabe der in jener Analyse zu gewinnenden bzw. gewonnenen Einsichten ist die volle (explizite wie implizite) Bestimmtheit des einen und des anderen Titelbegriffes der Philosophie Kants und im Verein damit die Bestimmung des Verhältnisses jener Titelbegriffe zueinander zu erarbeiten. Der Abschnitt VII der „Einleitung“ der Kritik der reinen Vernunft zieht die Summe der ganzen „Einleitung“6. Diese Summe besteht in der Einsicht, dass ___________ 4 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B XVI und XVIII, sowie den Brief an Marcus Herz von 1781 (AA X, S. 269). 5 B 24–30. 6 Vgl. B 24: „Aus diesem allem ergibt sich nun ...“ – Man kann die Wendung „Aus diesem allem ergibt sich nun ...“ auch als Bezugnahme auf die einzelnen Stücke der in Abschnitt VI der „Einleitung“ dargelegten „Allgemeinen Aufgabe der reinen Vernunft“ auffassen. Rein sachlich bedeutet das kein Abgehen von der im Text gegebenen Interpretation der Wendung. Denn die Feststellung und Darlegung der „Allgemeinen Aufgabe der reinen Vernunft“ ist ihrerseits bereits das zwangsläufige Resultat der vorausgehenden Erörterungen. Diese Erörterungen der Abschnitte I bis V der „Einleitung“ behandeln von der vorläufigen Kennzeichnung und Exposition der Frage der apriorischen Erkenntnis (Abschnitt I) über den Hinweis auf die Feststellbarkeit der Apriorität von Erkenntnis und die Demonstration der tatsächlichen Existenz apriorischer Erkenntnis sowie die Ankündigung der strengen Beweisbarkeit apriorischer Erkenntnis (Abschnitt 1I), die Darlegung der Aufgaben und des Geschäftes der (reinen) Vernunft sowie der ange-

Transzendentalphilosophie und Kritik

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die Vernunft das „Vermögen“ ist, „welches die Prinzipien der Erkenntnis a priori an die Hand gibt“7, und dass die reine Vernunft „die Prinzipien, etwas schlechthin a priori zu erkennen, enthält“8 welches die Prinzipien der Synthesis a priori sind9, so dass die „Auflösung“ der allgemeinen (und eigentlichen) Aufgabe der reinen Vernunft eine Analyse erfordert, die sich auf die gesamte Erkenntnis a priori erstrecken muss und die in ihrem entscheidenden Stücke die Sicherstellung der Prinzipien der Synthesis a priori erreichen muss10. Zu dieser Analyse stellt Kant fest: Sie ist ausgezeichnete Erkenntnis. Mit Rücksicht auf ihre Auszeichnung, die darin besteht, dass sie sich (in apriorischer Erkenntnis) „mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll“11, beschäftigt, ist sie transzendentale Erkenntnis zu nennen12. Damit ist der Terminus „transzendental“ eingeführt und in seinem begrifflichen Sinn unmissverständlich bezeichnet. Der begriffliche Sinn des Terminus „transzendental“ betrifft eine Erkenntnis, und zwar eine ausgezeichnete Erkenntnis, nämlich diejenige Erkenntnis (a priori), die die „Erkenntnisart von Gegenständen“, das ist die Synthesis, ihrer apriorischen Möglichkeit nach thematisiert und begreift, und zwar ohne Ausnahme13. Worum es im Begriff der transzendentalen Erkenntnis geht, das ist also dies, dass es eine Erkenntnis gibt und geben muss, die die apriorische Möglichkeit der Synthesis und damit den Geltungswert und Geltungsgrund der Erkenntnis a priori zu beurteilen vermag14, und zwar a priori zu beurteilen vermag. Das überaus Bedeutsame daran ist dies, dass die die Erkenntnis a priori beurteilende (in der Rücksicht auf ihre apriorische Möglichkeit beurteilende) transzendentale Erkenntnis selbst apriori___________ sichts dieses Geschäftes und dieser Aufgaben sich ergebenden (transzendentalen) Frage (Abschnitt III), die Analyse der Grundlagen der ganzen Endabsicht der spekulativen Erkenntnis a priori (Abschnitt IV) bis zum Nachweis des Enthaltenseins jener Grundlagen in „allen theoretischen Wissenschaften der Vernunft“ (Abschnitt V), das Artikulationsgefüge der allgemeinen (und eigentlichen) Aufgabe der reinen Vernunft, die Kant in die Frage kleidet: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ (B 19) und in deren Auflösung über die Möglichkeit des reinen Vernunftgebrauches überhaupt und damit u.a. auch über „die Möglichkeit des reinen Vernunftgebrauches in Gründung und Ausführung aller Wissenschaften, die eine theoretische Erkenntnis a priori von Gegenständen enthalten“ (B 20), also der reinen Mathematik, der reinen Naturwissenschaft und auch der Metaphysik, entschieden wird. 7 B 24; AA V, S. 167. 8 B 24. Vgl. auch die Definition der Vernunfterkenntnis als Erkenntnis aus Prinzipien, AA IX, S. 22. 9 Vgl. die Erklärung dessen, was „schlechthin“ ein Prinzip heißt, B 357 f. 10 Vgl. B 27 f.; vgl. auch AA IV, S. 275 ff. 11 Vgl. B 27 f.; vgl. auch AA IV, S. 275 ff. 12 Vgl. B 25. 13 Vgl. zu diesem Sinn von „transzendental“ auch B 80 und 81 sowie AA IV, S. 293 und S. 373 (Anmerkung). 14 Vgl. A XVI.

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sche Erkenntnis ist und sein muss15, so dass sie notwendig in die Zuständigkeit ihrer selbst einbezogen ist, so dass sie als Erkenntnis zu verstehen ist, die in und mit der Thematisierung und dem Begreifen der Synthesis überhaupt und deren apriorischer Möglichkeit zuvörderst sich selbst thematisiert und begreift und damit etabliert, die, mit anderen Worten, die Funktion der Letztbegründung einschließt. Transzendentale Erkenntnis ist letztbegründende Erkenntnis. Der transzendentale Gedanke ist der Letztbegründungsgedanke. Aus diesem im Begriff der transzendentalen Erkenntnis vorgestellten Sachverhalt heraus erwächst nun die Kantische Unterscheidung zwischen „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“. Sie ist eine Unterscheidung, die das betrifft, was „transzendentale Erkenntnis“ heißen darf, und sie ist eine Unterscheidung innerhalb dessen, was „transzendentale Erkenntnis“ heißen darf. Das geht schon daraus hervor, dass beide Unterscheidungsglieder mit dem Begriff der transzendentalen Erkenntnis verknüpft sind, dass die Unterscheidung selbst die nachdrückliche Bindung der beiden Titelbegriffe an den Begriff der transzendentalen Erkenntnis darstellt16. Der Titelbegriff „Transzendentalphilosophie“ ist unmittelbar mit dem Begriff der transzendentalen Erkenntnis verbunden; der Titelbegriff „Kritik („Kritik der reinen Vernunft“) ist durch seine Unterscheidung von dem Titelbegriff „Transzendentalphilosophie“ mit dem Begriff der transzendentalen Erkenntnis verbunden17. Unter der „Transzendentalphilosophie“, so legt Kant dar, ist das System aller transzendentalen „Begriffe“18, und das heißt der „Inbegriff derjenigen Prinzipien“ zu verstehen, „nach denen alle reinen Erkenntnisse a priori können erworben und wirklich zustandegebracht werden“19, der also das Organon „aller (rei___________ 15 Dass die transzendentale Erkenntnis selbst Erkenntnis a priori ist und sein muss, ist B 25 nicht ausdrücklich gemacht. Der ganze Gedankengang der „Einleitung“ – vgl. hierzu schon Abschnitt III – lässt aber keinen Zweifel daran, und die Definition des Begriffes der transzendentalen Erkenntnis auf Seite B 80 macht den Sachverhalt auch ausdrücklich. 16 Der Titelbegriff „Transzendentalphilosophie“ führt den Hinweis auf die fragliche Bindung mit im Namen; der Titelbegriff „Kritik“ führt den Hinweis auf die fragliche Bindung in seiner näheren Bestimmung: die Kritik ist transzendentale Kritik (so B 26, B 740, B 811; AA V, S. 286). 17 Kants Einführung der Unterscheidung von „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ schließt insofern eine gewisse Prävalenz des Titelbegriffes „Transzendentalphilosophie“ ein, er ist der begriffslogisch umfassendere. Wie sich später zeigen wird, ist darin auf die innere Artikulation der transzendentalen Erkenntnis Rücksicht genommen. Vgl. unten S. 11. Wir nehmen jene Prävalenz zum Anlass, mit der Betrachtung des Titelbegriffes „Transzendentalphilosophie“ zu beginnen. 18 B 25. 19 B 25 f. Mit Rücksicht darauf nennt Kant die Transzendentalphilosophie in verkürzender Redeweise auch einfach „das System aller Prinzipien der reinen Vernunft“. Vgl. B 27 u.ö.

Transzendentalphilosophie und Kritik

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nen) Erkenntnisse a priori“20 bildet und nach dem somit „das vollständige System der Philosophie der reinen Vernunft21 ... sowohl analytisch als synthetisch“ abzufassen ist22. An diesem Konzept der Transzendentalphilosophie hat Kant trotz mitunter wechselnder Akzentuierung seiner inneren und äußeren Bezüge durchgehend festgehalten23, so dass sich sagen lässt: Der eine, unveränderte ___________ 20

B 25, 26. Vgl. auch die Charakterisierung der transzendentalen Logik als einer Logik, „welche bloß die Regeln des reinen Denkens eines Gegenstandes“ enthält (B 80). 21 Oder, wie Kant auch und wiederum in verkürzender Redeweise sagt: „das System der reinen Vernunft“. Vgl. B 25. 22 Vgl. B 26. Kant spricht an dieser Stelle, an der der bestimmte Begriff des Systems der Philosophie noch dahinsteht, nur davon, dass das vollständige System der Philosophie der reinen Vernunft „dargestellt werden könnte“. Der Potentialis ist sachlich belanglos; er soll lediglich zum Ausdruck bringen, was nach vollzogener Leistung an weiteren Leistungen in den Bereich des Leistbaren rückt. 23 Vgl. besonders die Belegstellen aus der „Transzendentalen Logik“, B 73, 80, 81, 90 f., 92, in denen der Transzendentalphilosophie die Erforschung der Möglichkeit der Anschauungen und Begriffe a priori durch apriorische Erkenntnis bzw. die Bestimmung des Ursprunges, des Umfanges und der objektiven Gültigkeit der Erkenntnis, „dadurch wir Gegenstände völlig a priori denken“ (B 81) zugesprochen wird, aus der „Transzendentalen Dialektik“, B 505, 508, in denen der Transzendentalphilosophie zugesprochen wird, die durch die Begriffe a priori ausgelösten Fragen gegenständlicher Erkenntnis zu beantworten, aus der „Transzendentalen Methodenlehre“, B 761, 873, in denen es von der Transzendentalphilosophie heißt, dass sie die Möglichkeit jeglicher Erkenntnis a priori durch die Erforschung des Systems „aller Begriffe und Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen“, aufzuweisen hat, die Belegstelle aus Prolegomena, § 5 (AA IV, S. 279 f.), in der der Transzendentalphilosophie die „vollständige Auflösung“ der Frage: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ zugeschrieben wird, die Belegstelle aus der Kritik der Urteilskraft, AA V, S. 289, in der die Frage: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ das „allgemeine Problem“ der Transzendentalphilosophie genannt wird, die Belegstelle aus der Grundlegung der Metaphysik der Sitten, AA IV, S. 390, in der die Transzendentalphilosophie die Lehre vom „reinen Denken“, das ist das Denken, „wodurch Gegenstände völlig a priori erkannt werden“, genannt wird, die Belegstelle aus der Schrift gegen Eberhard, Über eine Entdeckung ..., AA VIII, S. 244, in der es von der Transzendentalphilosophie heißt, dass sie den Ursprung der Erkenntnis a priori von Gegenständen zu erforschen hat, die Belegstellen aus den Fortschritten der Metaphysik, AA XX, S. 260, 272, 275, in denen die Transzendentalphilosophie die „Lehre von der Möglichkeit aller Erkenntnisse a priori überhaupt“ genannt wird. Von den Reflexionen ist besonders die Reflexion Nr. 5130 zu nennen, in der die Transzendentalphilosophie die „Wissenschaft von der Möglichkeit einer synthetischen Erkenntnis a priori“ genannt wird. Aus der Kritik der praktischen Vernunft stehen keine Belegstellen zur Verfügung. Sie steht damit in einer Reihe mit den (späteren) doktrinalen Schriften Kants. In diesen Schriften ist der Titelbegriff „Transzendentalphilosophie“ fast gänzlich durch den Begriff „Philosophie“ oder „reine Philosophie“ verdrängt. Das ist eine Folge der „Transzendentalen Methodenlehre“ der Kritik der reinen Vernunft. Diese „Bestimmung der formalen Bedingungen eines vollständigen Systems der reinen Vernunft“ (B 735), das heißt der Artikulation des Letztbegründungsgedankens, führt nämlich in ihrem Endergebnis zu einer Verschmelzung von transzendentalphilosophischem Konzept und Bestimmtheit der (reinen) Philosophie als solcher, die dabei freilich mit internen (und leider nicht immer eindeutig festgehaltenen) Distinktionen angereichert wird (vgl. B 877). Dem Begriff der Metaphysik (der Metaphysik im

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Sinn, den Kant in dem Titelbegriff „Transzendentalphilosophie“ nach Bestimmung wie Gebrauch denkt, ist derjenige einer Wissenschaft, die die Begriffe der Prinzipien des Denkens (die Begriffe der Prinzipien der Synthesis a priori und die aus diesen Prinzipienbegriffen abgeleiteten Prinzipienbegriffe)24 in systematischer Vollständigkeit enthält (eruiert und bestimmt)25 und die es dabei mit der Wahrheit zur Gewissheit zu bringen vermag, die also den Geltungswert und Geltungsrang schlechthin einer jeden Erkenntnis a priori, sie selbst, die reine Erkenntnis a priori kat' exochen, nicht ausgenommen, sicherzustellen vermag, die, prägnant formuliert, die Prinzipientheorie des Denkens, die Wissenschaft der Letztbegründung, ist. Der Sinn des Titelbegriffes „Kritik“ ist ebenfalls durch den Begriff der transzendentalen Erkenntnis bedingt. Auch die „Kritik“ ist Wissenschaft durch transzendentale Erkenntnis, auch in der Wissenschaft, die die „Kritik“ ist, liegt transzendentale Erkenntnis vor. Aber das ist nicht der volle Sinn des Titelbegriffes „Kritik“. Es kommt hinzu, dass die „Kritik“ unbeschadet dessen, dass sie transzendentale Erkenntnis ist, von der „Transzendentalphilosophie“, die ebenfalls transzendentale Erkenntnis ist, unterschieden ist26. In dieser Unterscheidung liegt die Auszeichnung der „Kritik“. Um die Klarstellung dieser Auszeichnung ist Kant denn auch nachdrücklich bemüht (während er dem trans___________ weiteren und im engeren Verstande; vgl. B 869 f.) fällt dabei die Rolle des Katalysators zu. 24 Alles reine Erkenntnisse a priori! B 28 ist die völlige Reinheit der Erkenntnisse a priori ausdrücklich zur Bedingung ihrer Zugehörigkeit zur Transzendentalphilosophie gemacht. Wenn die Transzendentalphilosophie demzufolge als „eine Weltweisheit der reinen bloß spekulativen Vernunft“ (B 29) aufzufassen ist, so hat das zwar seine Konsequenzen für die Auszeichnung der Transzendentalphilosophie (vgl. B 29, 829 u. 829 Anm. 1). Es wäre jedoch falsch, diese Auszeichnung als eine Einschränkung des Begriffes der Transzendentalphilosophie aufzufassen. Weil der Gedanke der Prinzipientheorie des Denkens, der Gedanke der Letztbegründung, für eine jede philosophische Disziplin den artikulierenden Grundgedanken abgibt, erstreckt sich die Transzendentalphilosophie in systematischer Vollständigkeit durch alle philosophischen Disziplinen hindurch. Kant demonstriert dies selbst in eindrucksvoller Weise an seiner Entfaltung des Systems der Transzendentalphilosophie in die Metaphysik der Natur einerseits, die Metaphysik der Sitten andererseits (vgl. B 869; Kritik der Urteilskraft, AA V, S. 171 ff.; Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Vorrede, AA IV, S. 469 f. u. 472; Metaphysik der Sitten, Vorreden zum ersten und zum zweiten Teil, AA VI, S. 205 und 375; Briefe an Marcus Herz vom 21.02.1772 und von 1773, AA X, S. 131 f. und 145. 25 Vgl. B 27; daneben A 82; Prolegomena § 39, AA IV, S. 322 ff. 26 Dieser Sachverhalt der Bestimmung durch Unterscheidung macht die gelegentliche Gleichsetzung von „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ (vgl. z.B. AA XX, S. 272; Reflexion Nr. 4455) verständlich. Diese Gleichsetzung ist nämlich mit Rücksicht auf die primäre Bestimmung der „Kritik“ als transzendentaler Erkenntnis sehr wohl erlaubt. Nicht bzw. nur in bestimmten Zusammenhängen erlaubt ist allerdings die Vernachlässigung der spezifischen Rücksichtnahme, die in dieser Gleichsetzung vorliegt. Vgl. unten S. 12 f.

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zendentalen Charakter der „Kritik“ keine eigene Erörterung zuteil werden lässt, wohl deshalb, weil er offensichtlich ist). Ihr dienen zahlreiche (und keineswegs auf den Abschnitt VII der „Einleitung“ der Kritik der reinen Vernunft beschränkte) Aussagen, deren präziser Sinn allerdings nicht selten nur schwer zu fassen ist, so dass sich der offensichtliche transzendentale Sinn des Titelbegriffes „Kritik“ nur durch eine möglichst detaillierte Erörterung der Kantischen Ausführungen zur Bestimmung und Einschätzung der „Kritik“ präzisieren lässt. Nach dem, was im Abschnitt VII der „Einleitung“ der Kritik der reinen Vernunft zur sachlichen Bestimmung der „Kritik“ („Kritik der reinen Vernunft“, „transzendentalen Kritik“) ausgeführt ist, liegt die Auszeichnung der „Kritik“ darin, dass sie die sachlich anfängliche27 Thematik der transzendentalen Erkenntnis aufwirft und behandelt. Was in dieser Thematik zur Diskussion steht, das ist die „Bedenklichkeit ..., welche bei der Synthesis angetroffen wird“28, und das sind „die Prinzipien der Synthesis a priori“29. Die „Bedenklichkeit ..., welche bei der Synthesis angetroffen wird“, das ist das Problem der Geltung gegenständlichen Sinnes. Die „Prinzipien der Synthesis a priori“, das sind die schlechthin grundlegenden Prinzipien, die das Denken als Denken aufbauen und die insofern gegenständlichen Sinn ermöglichen, die – wie Kant sagt – die „reine Vernunft“ ausmachen30. Beide Bestimmungen zusammengenommen ergeben, dass die Thematik der „Kritik“ („Kritik der reinen Vernunft“, „transzendentalen Kritik“) die Thematik der Frage nach der Geltung gegenständlichen Sinnes betrifft, und zwar in ihrem radikalen Verstande, als die Prinzipienfrage des Denkens. Die Geltungsfrage als Prinzipienfrage verstanden, das aber ist der Gedanke der Letztbegründung (gegenständlichen Sinnes). Wenn also Kant der „Kritik“ die angegebene Thematik zuweist, so begreift er die „Kritik“ offensichtlich als die Wissenschaft vom Letztbegründungsgedanken als solchen selbst. Die „Kritik“ ist die Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst. Das heißt sie thematisiert und expliziert den Letztbegründungsgedanken als solchen selbst und nur den Letztbegründungsgedanken als solchen selbst. Da damit aber die methodische Disposition der transzendentalen Erkenntnis zur Diskussion steht, nennt Kant die „Kritik“ mit Fug einen „Traktat von der Methode“31 oder eine „Me___________ 27

Vgl. die Wendung B 25: „für den Anfang“. B 28. – Kants Formulierung lässt es zu, die Stelle auch so zu lesen, dass es heißt: die „Kritik“ ist um der Synthesis willen da. Indessen, wenn die „Kritik“ um der Synthesis willen da ist, so ist sie deshalb um der Synthesis willen da, weil bei der Synthesis eine der Erklärung bedürftige Bedenklichkeit angetroffen wird, nämlich diejenige der Möglichkeit der Synthesis a priori. Das, was die „Kritik“ zu erklären hat, ist also ganz eindeutig die „Bedenklichkeit ...“. 29 B 25. 30 Vgl. B 24, A XIV. 31 B XXII. 28

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thodenlehre“32. Die „Kritik“ ist transzendentale Erkenntnis, die sich selbst auszuweisen sucht, die vor allem darum bemüht ist, klarzustellen, wie und wodurch sie sich etabliert, und zwar als Wissenschaft, und wie und wodurch sie sich zu vollbringen vermag, und zwar wiederum als Wissenschaft33. Mit dieser sachlichen Bestimmung der „Kritik“ verbindet sich nun die Einschätzung der „Kritik“. Nach dem, was in Abschnitt VII der „Einleitung“ der Kritik der reinen Vernunft zur Einschätzung der „Kritik“ („Kritik der reinen Vernunft“, „transzendentalen Kritik“) ausgeführt ist, ist die „Kritik“ einmal „die Propädeutik zum System der reinen Vernunft“34, ein andermal die „Vorbereitung womöglich zu einem Organon, und wenn dieses nicht gelingen sollte, wenigstens zu einem Kanon“ aller Erkenntnisse a priori35. Die beiden Aussagen sind zusammenzunehmen. Zusammengenommen ergeben sie, dass die „Kritik“ die „Vorbereitung“ zur Transzendentalphilosophie und dadurch und damit zugleich die „Propädeutik“ zum System der Philosophie der reinen Vernunft ist. Die „Kritik“ ist in einem „Vorbereitung“ zur Transzendentalphilosophie und „Propädeutik“ zum System der Philosophie der reinen Vernunft36. Sie ist insofern alles andere als „Doktrin“ („objektive Leh___________ 32

B 108. Dieser Bestimmung der „Kritik“ („Kritik der reinen Vernunft“, „transzendentalen Kritik“) entsprechen sämtliche weiteren Kantischen Auslassungen zur sachlichen Bestimmung der „Kritik“. Denn: Ob die „Kritik“ die „Wissenschaft der bloßen Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen“ (B 25) genannt wird, oder ob in ihr der „Probierstein des Wertes oder Unwertes aller Erkenntnisse a priori“ (B 26) gesehen wird – beide Aussagen gehören noch dem Abschnitt VII der „Einleitung“ an –, oder ob sie als der „Gerichtshof“ apostrophiert wird, der „dazu gesetzt [ist], die Rechtsame der Vernunft überhaupt nach den Grundsätzen ihrer ersten Institution zu bestimmen und zu beurteilen“ (B 779), oder ob sie als die Instanz bezeichnet wird, „die die Vernunft selbst nach ihrem ganzen Vermögen und Tauglichkeit zu reinen Erkenntnissen a priori“ (B 789), das heißt „in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie unabhängig von aller Erfahrung streben mag“ (A XII), „der Schätzung zu unterwerfen“ hat (B 789), die also die „Möglichkeit und Grenzen derselben (= der Vernunft; Vf.) überhaupt“ festlegt (AA V, S. 167; vgl. AA IV, S. 365), oder ob sie als Theorie verstanden wird, die „zuletzt notwendig zur Wissenschaft“ führt (B 22), das soll heißen, die „die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung sowohl der Quellen als des Umfanges und der Grenzen derselben; alles aber aus Prinzipien“ (A XII) trifft, oder ob sie von jeder „Doktrin“ dadurch abgehoben wird, dass sie „kein Gebiet in Ansehung der Objekte“ hat (AA V, S. 176) – dem Sinne nach handelt es sich in jedem Falle darum, sie als das Geschäft der Selbsterkenntnis der Vernunft, wie es A XI ebenso prägnant wie treffend und gleichsinnig mit A XIV heißt, zu kennzeichnen. 34 B 25. 35 B 26. 36 In den Ausführungen des dritten Hauptstückes der „Transzendentalen Methodenlehre“ der Kritik der reinen Vernunft, der „Architektonik der reinen Vernunft“, wird dies vollends deutlich. Dort wird die „Kritik“ nämlich in Übereinstimmung mit B 25 und B 26 (vgl. den Text) ausdrücklich als die „Propädeutik (Vorübung)“ der „Philosophie der reinen Vernunft“, das heißt als die Disziplin gekennzeichnet, „welche das Vermögen der 33

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re“)37. Sie ist Wissenschaft, die einer jeden „Doktrin“, das System der Transzendentalphilosophie nicht ausgenommen,38 notwendig vorhergeht39. Darin ___________ Vernunft in Ansehung aller reinen Erkenntnis a priori untersucht“ (B 869; übereinstimmend B 878) und welche dem „System der reinen Vernunft (Wissenschaft)“, das ist „die ganze ... philosophische Erkenntnis aus reiner Vernunft im systematischen Zusammenhange“ (B 869), vorausgeht. Vgl. auch den ersten Satz des Abschnittes III der „Einleitung“ der Kritik der Urteilskraft (AA V, S. 176), sowie den Beginn der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft (AA XX, S. 195). Das systematische Ganze der philosophischen Erkenntnis aus reiner Vernunft wird im Zusammenhange von B 869 „Metaphysik“ genannt (vgl. B 869). Dieser Gebrauch von „Metaphysik“ ist bei Kant zwar nicht allgemein üblich, aber doch auch nicht selten. Er liegt in all den Texten vor, in denen die „Kritik“ durch ihr Verhältnis zur Metaphysik – es ist dasjenige der Grundlegung – bestimmt wird, wie in der obigen Stelle oder wie in der „Vorrede“ zur ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, in der der „Kritik“ „die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt“ (A XII) zugeschrieben wird, oder wie in der „Vorrede“ zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, in der es heißt, dass die „Kritik“ „den ganzen Vorriß zu einem System der Metaphysik verzeichnen kann und soll“ (B XXIII), in der es ferner heißt, dass „systematische Metaphysik“ „nach Maßgabe der Kritik der reinen Vernunft“ abgefasst werden muss (B XXXI), in der es schließlich heißt, dass die „Kritik“ „die notwendige vorläufige Veranstaltung zur Beförderung einer gründlichen Metaphysik als Wissenschaft“ ist (B XXXVI), nämlich die Veranstaltung, die den Plan zum „System der Metaphysik“ vorschreibt (B XXXVI), oder wie in den Prolegomena, in denen das Verhältnis von „Kritik“ und Metaphysik ganz im Sinne von B XXXVI dargelegt wird (vgl. besonders die „Auflösung der allgemeinen Frage der Prolegomenen“, AA IV, S. 365 ff.; aber auch AA IV, S. 261, 377, 382), oder wie in den Fortschritten der Metaphysik, in denen ausgeführt wird, dass die „Kritik“ „die Gründung einer Metaphysik“ zu ihrem Zwecke hat (AA XX, S. 272), oder wie in der „Vorrede“ der Kritik der Urteilskraft und in dem Brief an Moses Mendelssohn vom 16.08.1783, in der bzw. dem Kant davon spricht, dass die „Kritik“ nur damit umgehe, den „Boden“ zum Gebäude der Metaphysik zu untersuchen (AA V, S. 168 und AA X, S. 344) – gleichsinnig damit die Bemerkung von der „Metaphysik von der Metaphysik“ im Brief an Marcus Herz von 1781 (nach dem 11. Mai), AA X, S. 269. – Steht für das systematische Ganze der philosophischen Erkenntnis aus reiner Vernunft einfach der Begriff der Philosophie – das ist der Fall in der Kritik der Urteilskraft –, so nennt Kant die „Kritik“ ebenso einfach „die Propädeutik aller Philosophie“ (AA V, S. 194). 37 B 25, 26 u.ö.; vgl. auch AA XX, S. 242; AA V, S. 176. – Zum Begriff der „Doktrin“ vgl. unten S. 12 und AA V, S. 194; AA XX, S. 201. 38 Vgl. B 26, 869; AA XX, S. 195, 239, 241 f.; AA V, S. 176. 39 Darum das Präfix (Attribut) der Kantischen Kennwörter zur Einschätzung der „Kritik“! Die Kennwörter „Propädeutik“, „Vorübung“, „Vorbereitung“, „notwendige vorläufige Veranstaltung“ bezeichnen durch ihr Präfix (Attribut) – in stark didaktischer Wendung – die sachliche Priorität der Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst vor der Wissenschaft der Letztbegründung als dem System der Letztbegründung. In der Stelle AA XX, S. 260 ist die Aussage enthalten, dass die Transzendentalphilosophie die „Propädeutik“ der Metaphysik sei. Diese Aussage erklärt sich durch die in den Fortschritten der Metaphysik übliche Gleichsetzung von „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ (vgl. AA XX, S. 272) und den damit einhergehenden Gebrauch des weiteren Metaphysikbegriffes. Dennoch ist sie nicht glücklich zu nennen.

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liegt, dass die „Kritik“ in keiner Weise (durch eine andere Wissenschaft) fundierte, sondern fundierende, die schlechthin fundierende Wissenschaft ist. Die „Kritik“ ist die schlechthin fundierende Wissenschaft, weil sie die denkbar radikale (= gleichermaßen universale wie fundamentale) Problematik bewältigt, nämlich die Problematik der Vergewisserung seiner selbst des Denkens, sofern es das Prinzip seiner selbst ist (= die Problematik der transzendentalen Erkenntnis). Das besagt nun aber wiederum nichts anderes als dies, dass die „Kritik“ die Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst und nur des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst ist. Es ist also festzuhalten, dass die Kantischen Ausführungen zur Einschätzung der „Kritik“, gleich jenen zur sachlichen Bestimmung der „Kritik“, die „Kritik“ als die Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst und nur des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst vorstellen. Ihrer sachlichen Bestimmung wie ihrer Einschätzung nach ist die „Kritik“ die Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst und nur des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst. – Mit dieser Feststellung ist auch der Sinn des Titelbegriffes „Kritik“ dargelegt. Die Erörterung bzw. Darlegung des Verhältnisses der beiden Titelbegriffe der neuartigen Philosophie Kants fasst die Bestimmungen zum Sinn des einen und des anderen der beiden Titelbegriffe zusammen und bringt sie zugleich auf ihren letztgültigen Begriff. Kants Bestimmung des Verhältnisses, in dem die Begriffe „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ zueinander stehen, liegt in zwei verschiedenen Aussagen des Abschnittes VII der „Einleitung“ der Kritik der reinen Vernunft vor. (Die eine dieser Aussagen ist ausdrücklich als Folgerung gekennzeichnet!) Es handelt sich um die Aussagen: „Die Transzendental-Philosophie ist die Idee40 einer Wissenschaft, wozu die Kritik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch, das ist aus Prinzipien entwerfen soll, mit völliger Gewährleistung der Vollständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Gebäude ausmachen. Sie ist das System aller Prinzipien der reinen Vernunft. Daß diese Kritik nicht schon selbst Transzendental-Philosophie heißt, beruhet lediglich darauf, daß sie, um ein vollständig System zu sein, auch eine ausführliche Analysis der ganzen menschlichen Erkenntnis a priori enthalten müßte41.“ Und: „Zur Kritik der reinen Vernunft gehört demnach alles, was die Transzendental-Philosophie ___________ 40

Diese Wendung ist, genau genommen, inkorrekt. Sie erklärt sich wohl als Relikt der Formulierung der ersten Auflage. Dort heißt es nämlich: „Die Transzendental-Philosophie ist hier nur eine Idee, wozu ...“ (A 13). In der zweiten Auflage ist „hier nur eine“ gestrichen. Damit hätte aber auch der Ausdruck „Idee“ gestrichen werden müssen; denn das „hier“ bedeutet: in der Kritik der reinen Vernunft. 41 B 27.

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ausmacht, und sie ist die vollständige Idee der Transzendental-Philosophie, aber diese Wissenschaft noch nicht selbst, weil sie in der Analysis nur so weit geht, als es zur vollständigen Beurteilung der synthetischen Erkenntnis a priori erforderlich ist42.“ Es ist offensichtlich, dass diese Bestimmung des Verhältnisses von „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ voll und ganz dem Sinn der Titelbegriffe der Kantischen Philosophie entspricht. Zwei Disziplinen, die so bestimmt sind, wie die „Transzendentalphilosophie“ einerseits, nämlich als die Prinzipientheorie des Denkens, als die Wissenschaft der Letztbegründung (eines jeden möglichen gegenständlichen Sinnes), und zwar in ihrer systematischen Totalität, und die „Kritik“ andererseits, nämlich als die Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst und nur des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst, können zueinander nur in der (komplexen) Beziehung der Grundlegung stehen, die zugleich interne Gliederung ist. Es handelt sich um die Grundlegung der „Transzendentalphilosophie“ durch die „Kritik“, und es handelt sich um die interne Gliederung der „Transzendentalphilosophie“ in „Kritik“ und „System“. Die „Kritik“ liefert die Grundlegung der „Transzendentalphilosophie“, weil sie den Letztbegründungsgedanken als solchen selbst thematisiert und begreift, und zwar sowohl in seiner Fundamentalität wie in seiner Universalität. Durch ihren Begriff vom Letztbegründungsgedanken als solchen selbst, dessen Fundamentalität und Universalität, ist die „Kritik“ dazu berufen, die Grundlagen und den Bau der „Transzendentalphilosophie“ zu entwerfen und zu garantieren; durch ihren Begriff vom Letztbegründungsgedanken als solchen selbst, dessen Fundamentalität und Universalität, gehört der „Kritik“ alles zu, „was die Transzendentalphilosophie ausmacht“; durch ihren Begriff vom Letztbegründungsgedanken bildet die „Kritik“ „die vollständige Idee der Transzendentalphilosophie“43. ___________ 42

B 28; vgl. auch B 107 ff. Die „Idee“ bestimmt Kant als den (in der Vernunft selbst gegründeten, B 862) „Vernunftbegriff von der Form eines Ganzen, sofern durch denselben der Umfang des Mannigfaltigen sowohl, als die Stelle der Teile untereinander a priori bestimmt wird“ (B 860). Entsprechend ist die Idee der Philosophie „das Urbild der Beurteilung aller Versuche zu philosophieren“ (B 866), genau gesagt, die der Verständigung der Philosophie mit sich selbst über sich selbst immanente Bestimmtheit (der Philosophie). – Dieser Sinn des Begriffes der Idee ist auch für die Bestimmung der „Kritik“ als „Idee der Transzendentalphilosophie“ in Anspruch zu nehmen. Konsequenterweise ist die „Kritik“ für die Transzendentalphilosophie das, was in deren Verständigung mit sich selbst über sich selbst an Bestimmtheit liegt, was also deren Grundlegung ausmacht. Das aber stimmt völlig mit der Aussage zusammen, dass die „Kritik“ die Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst ist. Dadurch dass die Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst den Letztbegründungsgedanken konzipiert und expliziert, begründet sie die Wissenschaft der Letztbegründung, verschafft sie dieser ihre Grundlegung. Die Grundlegung der Wissenschaft der Letztbegründung ist deren Idee. 43

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Wenn die „Kritik“ trotzdem nicht die „Transzendentalphilosophie“ als solche selbst ist, so liegt das daran, dass die „Transzendentalphilosophie“, als die Prinzipientheorie des Denkens, die Wissenschaft der Letztbegründung, über die exklusive Thematik ihrer Grundlegung (und ihres Selbstverständnisses), der Thematik des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst und nur des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst, hinausreicht. Die Prinzipientheorie des Denkens, die Wissenschaft der Letztbegründung, ist zwar auf die Konzeption und Explikation des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst angewiesen; aber sie ist auf diese nicht beschränkt, sie muss die volle systematische Entfaltung der an den Letztbegründungsgedanken geknüpften (durch den Letztbegründungsgedanken legitimierten) Begründungsthemen aufnehmen, sie muss am Leitfaden des Letztbegründungsgedankens die systematische Begründung der Erkenntnis liefern. Insofern ist sie „objektive Lehre“, systematische „Doktrin“, die systematische „Doktrin“ der Begründung der Erkenntnis, Sachphilosophie. Insofern ist sie aber auch abhängige Lehre, nämlich Lehre, die von der Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst und nur des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst abhängig ist, die die Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst und nur des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst als ihren Leitfaden einschließen muss. Daraus erwächst die interne Artikulation der Transzendentalphilosophie. Die Transzendentalphilosophie, die Prinzipientheorie des Denkens, die Wissenschaft der Letztbegründung, schließt notwendig die „Kritik“, die Wissenschaft des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst und nur des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst ein. Sie schließt notwendig die „Kritik“ ein, weil sie das, was sie ist, nämlich die ebenso umfassende wie lückenlose Behandlung der Begründungsthematik der Erkenntnis, nur dadurch ist bzw. zu sein vermag, dass sie primär die Konzeption und Explikation des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst ist. Der Sinn der entwickelten Bestimmung ist klar und unmissverständlich: Beide Titelbegriffe der Kantischen Philosophie sind auf die transzendentale Erkenntis bezogen, bezeichnen die Wissenschaft in transzendentaler Erkenntnis, das heißt die Prinzipientheorie des Denkens, die Wissenschaft der Letztbegründung. Aber sie bezeichnen die Prinzipientheorie des Denkens, die Wissenschaft der Letztbegründung, in verschiedenen Rücksichten (bzw. Stücken). Der Titelbegriff „Kritik“ bezeichnet die Prinzipientheorie des Denkens, die Wissenschaft der Letztbegründung, insofern und insoweit, als sie Entwurf, als sie Idee ist, das soll heißen, als sie die Konzeption und Explikation des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst ausmacht; der Titelbegriff „Transzendentalphilosophie“ bezeichnet die Prinzipientheorie des Denkens, die Wissenschaft ___________ Sie ist deren Idee, weil sie die Bestimmtheit sicherstellt, nach Maßgabe derer die Wissenschaft der Letztbegründung allererst aufzubauen ist.

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der Letztbegründung, insofern und insoweit, als sie System ist, das soll heißen, als sie die konsequente Entfaltung der Letztbegründungsthematik ausmacht. Hiermit aber ist gesagt, dass sich die beiden Begriffe ergänzen. Sie stehen zueinander im Verhältnis der Komplementarität als zugleich symmetrischer und asymmetrischer Relation44. Und dieses ihr Verhältnis entspricht genau dem Verhältnis der beiden wissenschaftlichen Disziplinen, deren Titel sie abgeben. Die Untersuchung zur Bestimmung des Verhältnisses der beiden Titelbegriffe „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ führt somit zu dem Ergebnis, dass die Philosophie Kants zwar in allen ihren Stücken Wissenschaft der Letztbegründung, Prinzipientheorie des Denkens, ist, dass sie das aber nicht einfachhin und unterschiedslos ist. Die Philosophie Kants ist Wissenschaft der Letztbegründung, Prinzipientheorie des Denkens, in der doppelten Hinsicht der Grundlegung dieser Wissenschaft und der Durchführung dieser Wissenschaft. Die erstere Hinsicht bestimmt das Kantische Hauptanliegen. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Kant als Titel seiner Hauptwerke den Begriff „Kritik ...“ und nicht den Begriff „Transzendentalphilosophie“ wählt. Die Untersuchungen dieser Werke sind der Hauptsache nach der pünktlichen Konzeption und Explikation des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst gewidmet. Dadurch und dadurch allein sind sie auch zur Einheit einer Gedankenentwicklung verbunden. In allem anderen sind sie systematischen Sonderaufgaben verpflichtet. Hiermit ist ausgesagt, worin der Ertrag der Bestimmung des Verhältnisses der Titelbegriffe der Kantischen Philosophie liegt. Er liegt in der Erkenntnis, ___________ 44

Diese Bestimmung des Verhältnisses der Titelbegriffe „Transzendentalphilosophie“ und „Kritik“ ist nicht nur diejenige, die die Kritik der reinen Vernunft beherrscht, sie ist auch diejenige, die den Ausführungen der Kritik der praktischen Vernunft zugrunde liegt – die diesbezüglichen Auslassungen der Kritik der praktischen Vernunft zeichnen sich allerdings nicht durch besondere Präzision aus; das liegt einerseits daran, dass Kant die auf die Erweiterung der „Kritik“ zielenden Gedankengänge und die der Grundlegung der Ethik dienenden Gedankengänge (anstatt sie säuberlich zu trennen) im Begriff der Freiheit verbindet; das liegt andererseits daran, dass Kant mittlerweile die Begriffe „Transzendentalphilosophie“ und „Philosophie“ synonym gebraucht, ohne das ausdrücklich zu machen; doch kennt auch die Kritik der praktischen Vernunft den Unterschied von „Kritik“ und „System“ bzw. von „System der Kritik“ und „System der Wissenschaft“ im Sinne von System der Transzendentalphilosophie (vgl. AA V, S. 8); doch wird auch die Kritik der praktischen Vernunft „Vorübung“ genannt (vgl. AA V, S. 161) – und diejenige, die in der Kritik der Urteilskraft vorliegt – vgl. die Gegenüberstellung von „Kritik“ und „System“ bzw. „Kritik“ und „Doktrin“, AA V, S. 167 f., 170, 176, 179, 194; ebenso die Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft: AA XX, S. 195, 201 f., 205, 207, 241, 242, 246, 248. Die erste Bezugnahme auf diese Bestimmung finden wir übrigens bereits im Brief an Marcus Herz von 1773, und zwar mit der Transzendentalphilosophie, Kritik und Metaphysik in Beziehung bringenden Anspielung auf den Versuch, „eine ganz neue Wissenschaft der Idee nach zu entwerfen und sie zugleich völlig auszuführen“ (AA X, S. 144 f.), und eine solche Bezugnahme ist wohl auch aus der etwas konfusen Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre vom 7. August 1799 (AA XII, S. 370 f.) herauszulesen.

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dass es für die zuverlässige Erarbeitung des Wahrheitsgehaltes der Hauptwerke der Kantischen Philosophie unerlässlich ist, diese Werke in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Konzeption und Explikation des Letztbegründungsgedankens als solchen selbst zu begreifen.

Die kantische Hypothek Auf dem Theoriegebäude der Philosophie ruht eine Hypothek, die ihr Kant mit seiner kritischen Philosophie beschert hat. Gerade der kritische Charakter dieser Philosophie ist der Grund hierfür. Die Kritik, der Kant die Vernunft unterzieht, hat nämlich nicht nur zur revolutionären Befreiung der Philosophie von den Fesseln der überkommenen Metaphysik geführt; sie hat der Vernunft und hiermit der Philosophie (der Transzendentalphilosophie) auch Belastungen aufgebürdet, die diese nicht von sich zu schütteln vermag und von denen sie nach Kant auch nicht zu befreien ist. Man kann die Entwicklung des Kantischen Kritizismus, man kann dessen Nachfolgegeschichte aus welcher Perspektive auch immer betrachten, sie bestätigen Kants Überzeugung. Es ist der Philosophie in all den Ausprägungen, die sie mit Kant und seit Kant erfahren hat, nicht gelungen, genau das abzutragen, was ich ob der argumentativen Verantwortung, die der kritischen Philosophie Kants zufällt, die kantische Hypothek der Philosophie nennen möchte. Was ist unter dieser kantischen Hypothek zu verstehen, was macht sie aus? Die Verfolgung dieser Frage verlangt, auf mehrere der zentralen Lehrstücke der Kantischen Philosophie einzugehen. Sie kann überhaupt nur erfolgreich sein, wenn sie die Verbindung der theoretischen und der praktischen Philosophie gebührend berücksichtigt und wenn sie zuletzt sogar auf die Relation der Endaussage der Ästhetik Kants zu dieser Verbindung stößt. Doch hat sie gewiss bei der theoretischen Kritik anzusetzen. In dieser begründet sich die Argumentation, aus welcher die Hypothek sich aufbaut. Die fragliche Argumentation betrifft die Geltungswertigkeit gewisser Fragestellungen. Es handelt sich um die Fragestellungen, die nach Kant unabweisbare Fragestellungen sind, die aber dessen ungeachtet höchst vorsichtig zu beurteilende, genauerhin: dem Objektivitätsnachweis entzogene Fragestellungen sind. Weil sie nicht strikt abzuwehren sind, sondern weil sie in ihrer Unabweisbarkeit respektiert werden müssen,1 konfrontieren sie die kritizistische Beurteilung, die eine vom certistischen Impetus getragene Beurteilung ist, einer spezifischen Schwierigkeit. Es ist die Schwierigkeit, Objektivität und Subjektivität in ein Verhältnis zu bringen, dadurch eine Legitimation möglich ist, die nicht ___________ 1 Die Versuche, sie nicht zu respektieren, gibt es freilich auch. Doch disqualifizieren sich diese Versuche allesamt dadurch, dass sie einer platten Problemverleugnung das Wort reden.

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Geltungssicherung in dem Verstande der Sicherung der Erkenntnis ist, sondern die den faktischen Ansatz von erkenntnisjenseitigen Sachen legitim erscheinen lässt. Kant sieht diese Schwierigkeit dadurch gegeben, dass es nicht nur die Tatsachen der Erkenntnis gibt, dass es auch Meinungs- und Glaubenssachen gibt. Er unterscheidet diese denn auch auf das genaueste2. Die Unterscheidung ist eine Sortierung. Es wird nach Objektivität und Subjektivität sortiert. Den Tatsachen der Erkenntnis kommt gemäß dieser Sortierung unbestreitbar die Geltungswertigkeit der Objektivität zu. Den Meinungs- und Glaubenssachen kommt diese Geltungswertigkeit gerade nicht zu. Sie sind von der Geltungswertigkeit der Subjektivität. Kant gibt für diese Differenzierung selbstverständlich auch das Kriterium an. Es ist der Wirklichkeitsbezug, genauer: es ist das Vorliegen eines Wirklichkeitsbezuges, der respektive das die Differenz begründet. Nach Kant steht der Wirklichkeitsbezug für die Tatsachen der Erkenntnis ob des Erfahrungsgrundsatzes der Wirklichkeit außer jeder Frage. Dieser sichert ihnen ihre Objektivität. Für die Meinungs- und Glaubenssachen kann dieser Grundsatz nicht in Ansatz gebracht werden. Er ist für diese nicht konstitutiv. Deshalb ergibt sich in Bezug auf sie der Fragepunkt ihrer Legitimation. Sie sind ihrer Konstitution nach nicht eo ipso objektiv. Mehr noch, sie sind auch in sich nicht über einen Leisten zu schlagen. Kants Meinung nach ist ein sehr gewichtiger Unterschied zu beachten. Es gibt Sachen, die sind ohne jeden Wirklichkeitsbezug. In keiner Weise ist ihnen ein auch nur irgendwie gearteter Wirklichkeitsbezug zuzudenken. Es gibt aber auch Sachen, die sind ohne die theoretische Geltungslegitimation, weisen aber dennoch einen Wirklichkeitsbezug auf. Das macht sie zu den interessanten Sachen. Denn auf Grund dessen tut sich der Weg aus der Schwierigkeit auf. Kant ist der Meinung: Während die ersteren Sachen überhaupt keine Verknüpfung mit der Wahrheit bekommen können, womit sie aus der geltungstheoretischen Letztbegründung ausgeschlossen sind – Letztbegründung ist nämlich für Kant zuletzt Wahrheitsbegründung – weisen die letzteren Sachen die Eigentümlichkeit auf, wenn auch nicht Erkenntnisgegenstand sein zu können, so doch mit Erkenntnisgegenständen in Verbindung gebracht werden zu können und insofern „eine Verknüpfung mit der Wahrheit“ zu haben3. Sie sind eben dieser Verknüpfung wegen sehr wohl noch unter die scibilia zu rechnen4. Und genau dies eröffnet den Ausweg aus der Schwierigkeit. Das heißt: Der Wirklichkeitsbezug, sein Vorliegen ist der Ausweg aus der Schwierigkeit. Er ist dies insofern, als er es ist, der die Gruppe der Meinungsund Glaubenssachen in zwei Gruppen spaltet: Er sorgt dafür, dass die Mei___________ 2

Vgl. besonders: Kritik der Urteilskraft § 91, AA V, S. 457. Kritik der reinen Vernunft B 850. 4 Vgl. Kritik der Urteilskraft § 91, AA V, S. 467/8. 3

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nungs- und Glaubenssachen sich in die Gruppe der credibilia strictissime und in die Gruppe der nicht strictissime subjektiven, sondern in sehr eigentümlicher Hinsicht subjektiven wie objektiven Sachen spaltet, was bedeutet, dass die letzteren in sehr spezifischer Weise als scibilia zu betrachten sind. Sie stehen in einer gewissen Relation zu den Erkenntnisgegenständen. Das ist Kants Lagebeschreibung. Selbstverständlich hat Kant bei seiner Lagebeschreibung genauestens die Sachen im Blick, um die es geht. Es sind die Sachen, die die Vernunftideen spiegeln. Sie repräsentieren die Gegenstände, von denen es keine theoretische Geltungslegitimation und somit keine mit der Geltungswertigkeit der Objektivität ausgestattete Erkenntnis gibt. Erkenntnisbegründung, Wahrheitssicherung sind hinsichtlich ihrer eine Illusion. Welches sind die Gegenstände, die Kant im Blick hat? Es sind die Gegenstände, die in den Vorstellungen von Gott, der Freiheit, der Unsterblichkeit der Seele vorgestellt werden. Diese Vorstellungen entbehren nach Kant der Sicherung ihrer Wahrheit.5 Die durch die angesprochene Spaltung bedingte Differenzierung ist jedoch nicht zu übersehen. Die Vorstellung von der Freiheit nimmt innerhalb jener Vorstellungen eine Sonderstellung ein. Sie betrifft nach Kant genau einen solchen Gegenstand, der seiner Erkenntnisjenseitigkeit ungeachtet unter die scibilia zu rechnen ist. Die Freiheit ist zudem der einzige von den erkenntnisjenseitigen Gegenständen, der unter die scibilia zu rechnen ist. Er zieht deshalb das besondere Interesse auf sich; er steht im Fokus der Schwierigkeit wie ihrer Auflösung. Seine Besonderheit ist deshalb das Thema. Die Besonderheit der Freiheit, so betont Kant nun immer wieder und mit Nachdruck, rückt diese in einer Weise neben die und zu den Gegenständen der Erfahrung, dass sie ihrer Unterschiedenheit ungeachtet mit der Erfahrung verbunden ist. Die Welt des Menschen sieht so aus, lehrt Kant, dass der Mensch nicht nur die Natur kennt, er kennt auch das Andere der Natur, das Andere der Natur, das mit der Wirklichkeit der Natur verträglich ist, das aber doch von einer anderen Wirklichkeit ist, der sozusagen indirekten Wirklichkeit rein der Vernunft. Es gibt über die Natur hinaus die intelligibele Welt, die Welt der intelligibelen Gegenstände, der Noumena im Unterschied zu den Phänomena. Auf das Ganze gesehen ist die Welt sowohl phänomenal wie noumenal. Die Phänomena sind das Reich des seiner Konstitutivität nach auf Anschauung an___________ 5 Es geht um die letztliche Sicherung ihrer Wahrheit. Dies ist insofern bedeutsam, als ihnen nach Kant eben sehr wohl die Denkbarkeit, das ist die reine Vernunftbestimmtheit, und hiermit Notwendigkeit im Sinne der Bezogenheit auf die Unbedingtheit zukommt. Der Lapsus besteht in dem Mangel des prinzipiengerechten Gebrauchs der Bedingungen der Erfahrung. So kommen Vorstellungen von erfahrungsjenseitigem, das ist in seiner Bestimmtheit die Bedingungstotalität umfassenden Unbedingten zustande. Es handelt sich also um einen Prinzipationslapsus. Pointiert formuliert, besteht auch die Prinzipienfunktion der Vernunft in ihrem empirischen Gebrauch.

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gewiesenen Verstandes. Die Noumena sind ein Reich jenseits der Phänomena. An ihm hat der Mensch lediglich als Vernunftwesen teil. Er hat an ihm teil, ohne aufzuhören, erfahrbares und sich selbst erfahrendes Wesen zu sein. Er erfährt sich als Naturwesen und er weiß sich als noumenales Wesen. Das eine schließt das andere nicht aus. Mit dieser Lehre von der einen komplexen Welt des Menschen mutet Kant uns einiges zu. Er mutet uns nicht nur zu, dass die Welt als in der Differenz bestehend zu denken ist; er mutet uns auch zu, dass diese Differenz als theoretische zu nehmen ist, als eine also, die, wie er in seiner Lagebeschreibung darlegt, teils objektiv qualifiziert, teils voll und ganz oder zumindest auch subjektiv qualifiziert ist. Das ist wohlgemerkt eine theoretische Qualifikation. In der einen wie in der anderen Hinsicht handelt es sich um eine theoretische Aussage. Die Welt ist in Distinktheit theoretisch qualifizierte und darin differenzierte Welt. Der Mensch lebt in dieser Welt. Er lebt in dieser Welt in der Einheit eines unmittelbaren unterscheidenden Wissens: Wissen der Natur, Wissen der Freiheit. Für die Beurteilung dieser Kantischen Lehre von der einen komplexen Welt des Menschen ist es nun höchst bedeutsam, dass das Wissen der Freiheit für Kant in einer bestimmten Zirkularität die Verbindlichkeit des Sittengesetzes beinhaltet. Der Angelpunkt der Kantischen Lehre ist deshalb auch das punctum saliens dieser Lehre. Denn mit ihm begründet sich die Überzeugung, dass die Freiheit im Verständnis des in seiner Welt lebenden Menschen für dessen Leben ein in theoretischer wie in praktischer Hinsicht konstitutiver Sachverhalt ist. Nicht zu den Tatsachen der Erkenntnis gehörend, ist sie doch ein theoretisch wie praktisch fundamentaler Sachverhalt. Theoretisch wird eine nichttheoretische Fundierung hergestellt, und die besteht in der Verbindlichkeit des Sittengesetzes. Das ist eine ganz besondere Fundierungslage. Sie bedingt die höchst intrikate Aufgabe, der Freiheit selbst als solcher die theoretisch fundamentale Bestimmtheit zu sichern. Die Freiheit in der Bestimmtheit, wie sie im Kontext der Qualifizierung und Differenzierung der Welt gedacht wird, muss durch theoretische Bestimmtheit, und zwar durch theoretisch fundamentale Bestimmtheit ausgezeichnet sein. Es kommt nicht nur auf die Vereinbarkeit mit den erfahrungswissenschaftlichen Bestimmungen an, es kommt darauf an, dass die Bestimmung der Freiheit mit den Erfahrungsbestimmungen fundamentaliter zusammenstimmt. Kant hat sich dieser Aufgabe gestellt. Die Ausgestaltung seiner Freiheitslehre, speziell sein Unternehmen, den Freiheitsbegriff sowohl theoretisch als auch praktisch prinzipientheoretisch zu fassen, ist das Dokument hierfür. Und: Die theoretische Gründung ist bei diesem Unternehmen vorrangig. Sie legt den Boden, auf dem die praktische allererst zu erfolgen vermag.

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So entwickelt Kant die Lehre von der vorrangigen theoretischen Absicherung der Freiheit. In ihr ist die Hypothek plaziert. Der Inhalt dieser Lehre geht nämlich nicht wesentlich über Kants Lagebeschreibung hinaus. Kant argumentiert: Zweierlei ist ausgemacht. Es ist ausgemacht, dass es bei den erfahrungsjenseitigen Gegenständen um Gegenstände der Vernunftideen zu tun ist. Es ist ausgemacht, die Freiheit ist dennoch zu den scibilia zu rechnen. Sie ist das Noumenon, das den Bestimmungen der Erfahrungswelt nicht widerstreitet, das mit diesen vielmehr zusammenstimmt, und zwar zusammenstimmt, weil jene Bestimmungen Bestimmungen von Gegenständen trans- und nicht erfahrungswissenschaftlicher Art methodisch induzieren. Sie induzieren diese aus ihrer eigenen prinzipiellen Bestimmtheit heraus. Diese eigene prinzipielle Bestimmtheit der Bestimmungen der Erfahrungswelt ist ihre kategoriale Bestimmtheit. Diese bedingt das Zusammenstimmen der Bestimmung der Freiheit mit den Bestimmungen der Erfahrungswelt. Sie bedingt dies über die Kategorie der Kausalität. Sie bedingt dies insofern als der Freiheit die Verursachungsspontaneität zugedacht wird. In der Verursachungsspontaneität ist die Bestimmtheit der Noumenalität mit der Bestimmtheit des Ursache-Wirkungs-Zusammenhanges vereinigt. Die Verursachungsspontaneität ist die Vereinigung dieser beiden Bestimmtheiten. Sie sind in ihr untrennbar. Der Punkt ist somit, dass die prinzipientheoretische Absicherung der Freiheitsvorstellung primär, d.h in theoretischer Rücksicht, in der Kategorialisierung erfolgt. Freiheit ist theoretisch gesehen Kausalität. Im lebensweltlichen Urteil des Menschen ist sie als solche präsent. Das bedeutet, der Ausweg aus der Schwierigkeit, die sich für Kant mit dem Ansatz erkenntnisjenseitiger Sachen verbindet, wird von ihm in der Kategorialisierung einer jener Sachen gesehen. Das Urteil des Menschen, der sein Leben bewältigt, gründet in der theoretischen Prinzipienlehre, der Lehre von den Kategorien, und gründet von dieser her eine praktische Prinzipienlehre. Die Freiheit, die im lebensweltlichen Urteil des Menschen als noumenal und als erfahrbar begriffen wird, ist eine eigene Tatsache. Sie ist die Tatsache, die die Welt der Noumena und die Welt der Phänomena verbindet. Sie gehört zur Welt der Noumena und sie gehört zur Welt der Erscheinungen. Sie gehört zu beiden Welten, ohne voll und ganz an deren Bestimmtheit teilzuhaben. Sie gehört zur Welt der Noumena lediglich als kategoriale Bedingung, und sie gehört zur Welt der Erscheinungen lediglich als die ungleichartige, nämlich intelligibele Bedingung einer dynamischen Reihe „sinnlicher Bedingungen“6, das heißt sie hat an dieser teil nur über die durch sie verursachten Wirkungen. Die Wirkungen und nur die Wirkungen legen ihre Erscheinungsbestimmtheit frei. Sie sind die Tatsachen der besonderen Art. Die völlig eigene Bestimmtheit dieser Tatsachen ist die der spontanen Verursachung. Diese ist nach Kant notwendig zweckgerichtet. Es geht also um sponta___________ 6

Kritik der reinen Vernunft B 558 f.

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ne zweckgerichtete Verursachung. Als solche und nur als solche ist, wie Kant auch zutreffend lehrt, die Freiheit bewusst. Diese Lehre von der theoretischen Absicherung der Freiheitsvorstellung ist ziemlich problembeladen. Kant ist sich der Problematik auch sehr bewusst. Die strikte Trennung zweier Bestimmtheitsrücksichten mit der Kategorialisierung ohne Anschauungsbestimmtheit türmt ein riesiges Problem auf. Kant gibt im Bewusstsein dieses Problems dem Begriff der Tatsache die bemerkenswerte erweiterte Bestimmung des § 91 der Kritik der Urteilskraft7. Nach der zielt die Idee der Freiheit auf Tatsachen. Die Textpassage lautet: „Gegenstände für Begriffe, deren objective Realität (es sei durch reine Vernunft, oder durch Erfahrung und im ersteren Falle aus theoretischen oder praktischen Datis derselben, in allen Fällen aber vermittelst einer ihnen correspondirenden Anschauung) bewiesen werden kann, sind (res facti) Thatsachen. … Was aber sehr merkwürdig ist, so findet sich sogar eine Vernunftidee (die an sich keiner Darstellung in der Anschauung, mithin auch keines theoretischen Beweises ihrer Möglichkeit fähig ist) unter den Thatsachen; und das ist die Idee der Freiheit, deren Realität als einer besonderen Art von Causalität (von welcher der Begriff in theoretischem Betracht überschwenglich sein würde) sich durch praktische Gesetze der reinen Vernunft und diesen gemäß in wirklichen Handlungen, mithin in der Erfahrung darthun läßt.“ Dazu gibt es die Anmerkung: „Ich erweitere hier, wie mich dünkt, mit Recht, den Begriff einer Thatsache über die gewöhnliche Bedeutung dieses Worts. Denn es ist nicht nöthig, ja nicht einmal thunlich, diesen Ausdruck bloß auf die wirkliche Erfahrung einzuschränken, wenn von dem Verhältnisse der Dinge zu unseren Erkenntnißvermögen die Rede ist, da eine bloß mögliche Erfahrung schon hinreichend ist, um von ihnen bloß als Gegenständen einer bestimmten Erkenntnißart zu reden.“ Man muss feststellen, dass diese Erweiterung des Tatsachenbegriffes wenn auch nicht direkt, so doch indirekt und, wie die Kantische Formulierung offenkundig macht, eingestandenermaßen auch eine des Erfahrungsbegriffes ist, und zwar eine solche, die den Möglichkeitsbeweis ausschließt, aber doch die Möglichkeit festhält, und man muss sich konsequenterweise fragen, was bedeutet diese Erweiterung. Hierbei ist zum ersten festzustellen, Kant anerkennt, dass seine Konzeption der komplexen Welt, in der wir leben, nicht ohne die Integration der unter der certistischen Legitimationsrücksicht notwendig in Ansatz zu bringenden, mit ihrem Ansatz aber wenn auch nicht zu trennenden, so doch unterschiedenen Gegenstandsbereiche der Erfahrung und des Intelligibelen auskommt. Das ist eine echte Hypothek. Denn das bedeutet geltungstheoretisch, Möglichkeit ohne prinzipientheoretische Deduktion, was genau genommen der Verzicht auf die geltungstheoretische Argumentation ist; das bedeutet ___________ 7

AA V, S. 468.

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mit dem wegen der Referenz auf das subjektive Urteil unumgänglichen Blick auf den Menschen: das Leben in zwei Gegenstandsbereichen. Zum zweiten ist festzustellen, Kant anerkennt, dass die fragliche Integration ohne den vermögenstheoretischen Hintergrund nicht gelingt. Das liegt daran, dass der Wirklichkeitsbezug das punctum saliens der Argumentation ausmacht und dass die Erweiterung des Begriffes der Tatsache (und der Erfahrung) davon abhängt, dass von dem Verhältnis der Dinge zu unseren Erkenntnisvermögen und somit von „der eigenthümlichen Beschaffenheit derselben“8, von deren Natur, von einem „dem menschlichen Geschlechte unnachläßlich anhängenden Grunde“9, seiner, wie das die verschiedenen Formulierungen deutlich machen, kognitiven (bewusstseinsmäßigen) Verfasstheit ausgegangen wird. Das ist wiederum eine echte Hypothek. Es liegt also eine doppelte Hypothek vor. Diese doppelte Hypothek wiegt schwer. Man muss angesichts ihrer nicht weniger als bei der Erfahrung an den Grundsatz der Wirklichkeit denken und sich fragen, ob dieser Grundsatz in der fraglichen Erweiterung des Tatsachenbegriffes nicht eine argumentative Verwendung findet, die die Haltbarkeit der Kantischen Freiheitslehre in Zweifel zieht. Denn es ist schwerlich in Abrede zu stellen, dass in die dargelegte Argumentation eine ontologische Referenz einfließt. Der Begriff der Erfahrung und mit diesem selbstverständlich auch das Begriffspaar Anschauung und Begriff (Kategorie) und über den Wirklichkeitsbezug nicht weniger der Begriff der Freiheit werden zu Begriffen mit der Konstitutivität des Verstandes wie der Regulativität der Vernunft zuwider laufenden und somit geltungsdeduktiv destruktivem ontologischen Verweisungsgehalt. Wegen des vermögenstheoretischen Hintergrundes lässt sich dieser Gehalt auch nicht eliminieren. Denn das Vermögen wird ja ausdrücklich als Habitus, als ontische Beschaffenheit (des Menschen) aufgefasst. Eine derartige argumentative Situation ist unter certistischem Gesichtspunkt kontraproduktiv. Knüpft sie doch die Sicherung des Bewusstseins der Freiheit an selbst Sicherungsbedürftiges, theoretisch Sicherungsbedürftiges, eine lediglich ihrer unbegreiflichen Notwendigkeit nach begreiflichen ontische Verfasstheit. Dass die Verweisung mit der Rücksicht auf die Praxis zu tun hat, ändert daran nichts. Denn die Praxis steht ihrer Wirklichkeit nach in Frage. Freiheit ist das „Dasein in der intelligibelen Welt“ und als solche etwas Wirkliches, dessen Wirklichkeit allerdings nicht weiter zu erklären ist10. Demzufolge ist zu konstatieren: Soll die Lehre von der komplexen Welt, in der wir leben, ohne ontologische Referenz und somit geltungs- und prinzipientheoretisch einwandfrei sein, so muss sie ohne den Noumenalisierungsgedanken auskommen. Die Lehre ___________ 8

AA V, S. 402. AA V, S. 401. 10 AA V, S. 46. 9

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von der Freiheit kann bei certistischem Impetus, das ist geltungs- und prinzipientheoretisch, keine Lehre von der Noumenalität des Menschen sein. Gerade weil der Aspekt der Wirklichkeit der Freiheit unverzichtbar ist, muss die Freiheitskonzeption, soll sie in sich geltungs- und prinzipientheoretisch stringent sein, auf die Noumenalitätsvorstellung bzw. auf die mit dieser verbundene Zweisphärenvorstellung verzichten können. Sie muss, wie Kant selbst das durchblicken lässt,11 rein praktische Bestimmung sein. Diese rein praktische Bestimmung respektiert die Endlichkeit des Menschen und zeigt, dass er in dieser intentional agierendes und hierbei die Offenheit der Kausalreihe zwecktätig nutzendes Subjekt ist. Sie ist darin rein geltungs- und prinzipientheoretisch argumentierend der doppelten Hypothek, die Kant mit seiner Lehre vom intelligibelen Gegenstand und der Freiheit als eines solchen der Transzendentalphilosohie aufgebürdet hat, strikt gegenläufig. Sie begründet die Weltvorstellung der einen Welt des Menschen, der im Zuge der Wahrnehmung seiner Interessen u.a. auch auf jene nach Kant unabweisbaren Fragen ohne Wahrheitsbezug stößt. Das sind zwangsläufig Fragen, in deren Verfolgung man nicht die Letztbegründung finden kann. Das sind aber sehr wohl Fragen, denen eine sehr spezifische Legitimation zu verschaffen ist. Es handelt sich jeweils um eine Legitimation, die letztlich der theoretischen Geltungsreflexion verdankt ist und die nichts weniger als die restringierende Fundierungsfunktion dieser Reflexion unter Beweis stellt. Entsprechend formiert sich die Weltvorstellung des Menschen als die Vorstellung von der einen Welt, die nicht in verschiedene und dazu noch heterogene Gegenstandsbereiche zerfällt, so dass der Mensch in unterschiedlichen Gegenstandsbereichen lebte, sondern deren Verfassung die bestimmte Natur des Menschen einschließt, die aber keineswegs aus der Natur des Menschen als solcher erklärbar ist, sondern die im Gegenteil die diese und mit dieser die Naturbestimmtheit überhaupt terminierende sinnstiftende Selbstgestaltung des Menschen zum Subjekt, die Geltungsqualifikation seiner Interessen beinhaltet. Dieser Legitimationssachverhalt ist von Kant in gewisser Weise schon in seiner Auffassung von der ästhetischen Reflexion demonstriert. Denn gerade angesichts der ästhetischen Reflexion geht es nicht um einen Gegenstand, sondern es geht um den spezifisch ästhetischen Werksinn. Dieser Sinn wird von Kant gefasst als die symbolische Darstellung reiner Gedanken. Symbolische Darstellung ist Veranschaulichung. Sie stellt den Gedanken als Bild vor die Augen. Sie tut darin dessen eigene Realität dar. Sie tut diese dar vermittelst einer Analogie, nach einer Analogie. Kant meint mit dieser Formel, die symbolische Darstellung überträgt die „Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direct ___________ 11

Kritik der reinen Vernunft, B 830 ff.

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correspondiren kann“12, setzt also solche Begriffe (und nicht Gegenstände) in eine Beziehung zu Erfahrungsbestimmungen, deren Erfahrungscharakter nicht gesichert und überhaupt nicht zu sichern ist, der also erfahrungstheoretisch in Abrede zu stellen ist, und macht sie so zu Begriffen, die der Erfahrungswelt integriert sind, ohne selbst Erfahrungsbegriffe zu sein und die insofern die Welt, in der wir leben, immer auch eine aus der naturalen Bestimmtheit heraus in Zwecktätigkeit sich bildende und deshalb mit dieser im Einklang befindliche künstliche Welt sein lassen. Es zeigt sich mithin: Die eine Welt als immer auch künstliche, das ist in Interessenwahrnehmung, nach Wertgesichtspunkten, kantisch gesprochen, über die Zweckmäßigkeit hinaus in Zwecktätigkeit gestaltete, wir, die in ihr Lebenden, in der aus der Natur und speziell unserer eigenen Natur heraus sich aufbauenden künstlichen Rolle, diese beiden Elemente machen den Punkt der Legitimation aus.13 Genau der Sachverhalt ist geltungs- und prinzipientheoretisch zu sichern. Es ist der Sachverhalt der Welt der Kultur, der geschichtlichen Welt. Ausschließlich in dem Verstande der Welt der Kultur, der geschichtlichen Welt können wir von unserer Welt als der Welt, in der wir leben und die wir uns theoretisch, wie praktisch, wie ästhetisch, oder wie auch immer erschließen, erschlossen bzw. gestaltet haben, reden. Kant hat zu dieser Vorstellung mit seiner geltungs- und prinzipientheoretischen Grundlegung des Geschichtsbegriffes, nach der dieser „die Entwicklung der Freiheit aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen“14 und hiermit die Terminierung der Natur betrifft, einen gewichtigen Beitrag geliefert. Leider hat er nicht so recht durchschaut, in welcher Rücksicht das Herauswachsen aus der Natur zugleich die Terminierung der Natur ausmacht. Er hat mit anderen Worten nicht durchschaut, dass da ein Selbstgestaltungsprozess vorliegt, der Prozess der geltungsreferenten Selbstgestaltung des Menschen zum Subjekt. Er konnte dies nicht, weil sein Subjektsbegriff eine vermögenstheoretische Fracht mit sich schleppt. Der Vermögensbegriff verleitet Kant dazu, seine Formulierung verrät es, im fraglichen Argumentationskontext statt an die geltungsfunktionale Selbstgestaltung an eine vorgegebene (ontische) Beschaffenheit zu denken und ___________ 12

AA V, S. 352 f. Fichte wird dieser Punkt zur Angel seiner Argumentation. Wieder und wieder betont er ihn. Ich verweise auf die prägnante Formulierung aus der Einleitung, Johann Gottlieb Fichte, Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik (1800), in: ders., Sämtliche Werke, hg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. 3, Berlin 1845, S. 393–513 (S. 398) = Johann Gottlieb Fichte, Ausgewählte Werke in sechs Bänden, hg. von Fritz Medicus, Bd. III, Leipzig 1910, S. 428: „Alles Gute, dessen der Mensch teilhaftig werden soll, muß durch seine eigene Kunst, zufolge der Wissenschaft, hervorgebracht werden: dies ist seine Bestimmung. Die Natur gibt ihm […] die Möglichkeit [voraus], Kunst anzuwenden.“ 14 AA VIII, S. 109. 13

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dementsprechend Gegenstände zu unterscheiden, und so mit dieser Unterscheidung das auf Grund dieser vertrackte Problem von deren Einheit sich einzuhandeln. Auf Grund dessen ist auch sein gewichtiger Beitrag zur Transzendentalphilosophie als Kulturphilosophie seiner Vorzüge ungeachtet der Beeinträchtigung durch die doppelte ontologisch-vermögenstheoretische Hypothek, die ich offen zu legen versucht habe, ausgesetzt geblieben. Die nachkantische Geltungs- und Prinzipienlehre muss sie vermeiden. Konsequenterweise wird sie der Freiheitsidee eine andere Stelle zuweisen als die, die sie im Kantischen Lehrgebäude einnimmt. Die Freiheitsidee ist entgegen der bloß negativen theoretischen Absicherung bei Kant in strikt geltungs- und prinzipientheoretischer Posititvität und hiermit fern aller Gegenstandsqualifizierung und -differenzierung zu sichern. Ich habe zu zeigen versucht, dass sie unter die Zurechnungskomponenten gehört und dass sie die komplementär zur Verantwortung, der konstitutiven Zurechnungskomponente, stehende universal-regulative Komponente der Zurechnung ausmacht.15 Sie ist universal-regulatives Geltungsprinzip der kulturellen, der geschichtlichen Welt. Demgemäß ist der Mensch als zweckgerichtet handelnde und hierbei in ihrer Naturalität in die Kausalreihe determinierend eingreifende Person aufzufassen. Die Handlungen der handelnden Person sind qua theoretisch zwecktätig gesteuertes Weltverhalten der Person zuzurechnendes und insofern u.a. unter dem Gesichtspunkt der Sittlichkeit objektiv zu beurteilendes Verhalten.16 In Bezug auf sie gibt es nur die eine Welt, die eine Welt, die die Welt unserer Interessen und deren Wahrnehmung ist. Die Geltungssicherung ist der unverzichtbare certistische Bestandteil dieser Interessenwahrnehmung. Sie hat ihren Endpunkt in der Kulmination des geltungsreflexiven Bildungsprozesses. Dieser kulminiert in der Eruierung dessen, was Geltungsqualifikation überhaupt ist und sein kann und sein muss. Hierbei stellt sich u.a. auch heraus, dass und wie es eine theoretisch nicht entscheidbare und dennoch unabweisbare Frage geben kann. Es kann sie geben und es gibt sie in der Rücksicht der grundlegungstheoretischen Grenzmarkierung. Jede Grenzmarkierung, so auch die grundlegungstheoretische, hat ihre zwei Seiten. Die eine Seite der grundlegungstheoretischen Grenzmarkierung ist die Erfahrungsseite, die andere ist die der dem Erfahrungscorpus geltungskonstitutiv wie geltungsregulativ nicht integrierbaren, aber gemäß methodisch induzierter Fragen analogisch bildbaren Vorstellungen. Hinsichtlich ihrer gibt es in certistischer Sicht, scharf formuliert, nur das Wort. Aber nicht nur der im besten Sinne wortverliebte Martin Walser ist davon überzeugt: „Es macht nichts aus, daß es ___________ 15

Vgl. Werner Flach, Grundzüge der Ideenlehre, Würzburg 1997, S. 81 f. In dieser Beurteilung sind die empirischen Habitualitäten (des Menschen), die laut Kant auch bei der geltungstheoretischen Begründungsargumentation nicht zu leugnen sind, keine diese Argumentation beeinträchtigenden Faktoren. Die „unvermeidlichen Einschränkungen des Menschen“ (AA VI, S. 7 Anm.) lenken geradezu den Blick auf die Notwendigkeit der geltungstheoretischen Begründung. 16

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für etwas nichts gibt als das Wort“.17 Im Wort, mittels des Wortes primär, gestalten wir die Welt zu unserer spezifisch menschlichen Welt. Die Sprache ist deshalb auch das Element dieser Welt. Sie ist das Basisphänomen der Kultur. Kant hat den Sachverhalt in seinem Begriff des symbolischen Anthropomorphismus18 angesprochen.

___________ 17 18

Martin Walser, Die Verwaltung des Nichts, Reinbek bei Hamburg 2004, S. 140. AA IV, S. 357.

Die theoretische Weltbetrachtung und die Disziplinierung der Vernunft* Kants philosophiegeschichtliche Stellung wird in einer der Hauptrücksichten in der Abwertung, ja Annihilation der traditionellen Metaphysik gesehen. Bisweilen wird diese sogar zum zentralen Anliegen Kants erklärt. Freilich schwingt hierbei der vordergründigen Aussage entgegen häufig genug das Urteil mit, das Kantische Anliegen sei selbst metaphysisch motiviert. Es wird unterstellt, dass Kants kritische Philosophie zuletzt doch die Entwicklung einer eigenen Lehre von Vernunfterkenntnis sei. Man meint, eine solche Lehre müsse Kant zum Motiv haben, weil er doch anerkenne, dass die seiner Ansicht nach in hohem Maße skandalträchtigen Fragen respektive Themen der traditionellen Weltauffassung gleichwohl als unabweisbare, der Vernunft eigentümliche Fragen respektive Themen einzuschätzen sind1. Und man findet es so nur zu verständlich, dass die Transzendentale Dialektik der Kritik der reinen Vernunft von vielen Interpreten mehr oder weniger als die Hauptsache der Vernunftkritik aufgefasst wird. Sie sei die Hauptsache in dem Verstande, dass der sachliche Zusammenhang nicht der der Komplementierung der Gesetzgebung ist: die Gesetzgebung der Vernunft ist Komplementum der Gesetzgebung des Verstandes, sondern der der Erreichung eines Zieles: die Gesetzgebung der Vernunft ist das Ziel, zu dem über die Gesetzgebung des Verstandes zu gelangen ist. Entgegen der durch die Rede vom Alleszermalmer transportierten Vorstellung sind in dieser Auslegung die materialen Gehalte der Dialektik durchaus ernst zu nehmende, dem Argumentationszusammenhang der Kritik der reinen Vernunft in___________ * Zum Standard der Aufnahme des Kantbuches des Verfassers gehört die Ansicht von der Vernachlässigung der Ausführungen Kants zur Vernunftdialektik. Die Ansicht trifft zu. Der Grund für den Umgang mit den Dialektikerörterungen sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Der Grund ist im Kantbuch angegeben. Weil sich seine Triftigkeit aber offensichtlich nicht so recht erschlossen hat, ist die nachdrückliche Darlegung erforderlich. Die vorliegende Abhandlung liefert diese Darlegung. Sie stellt insofern eine direkte Ergänzung jenes Werkes dar. 1 Es versteht sich von selbst, dass Kants Berichte über den Antrieb zur Kritik der reinen Vernunft, insbesondere der Brief an Garve vom 21. September 1798, zur Stütze herangezogen werden. Bei der Berufung auf diese Kantischen Hinweise sollte jedoch nicht übersehen werden, dass Kant mit diesen Hinweisen mehr auf eine Veranlassung als auf ein systematisches Programm zielt. Und zudem sollte nicht übergangen werden, dass in dezidierter Weise nur auf die Antinomien Bezug genommen wird sowie darauf, dass diese unmissverständlich als der zu behebende scheinbare Widerspruch der Vernunft mit ihr selbst beurteilt werden.

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tegrale Gehalte. Sie sind alles andere als irrelevant. Es kommt womöglich nur auf ihre Neufassung an. Der Neufassung müsste es gelingen, ihren tieferen transzendentalphilosophischen Gehalt zu entbergen. Die Rede vom Alleszermalmer bedient zweifellos ein Klischee. Die Frage ist allerdings, transportiert die Vorstellung von der quasi tiefengehaltlichen, letztlich doch auf eine Anerkennung der Metaphysik hinauslaufenden Vernunftlehre nicht auch ein Klischee. Diese Frage muss aus Kants Diskurslage entschieden werden. Und zwar aus der, die speziell die Einschätzung der Vernunft betrifft2. In diesem Punkte sollte es meines Erachtens keine Unsicherheit geben. Kant sah sich in einen Diskurs um die theoretische Weltbetrachtung verwickelt. Sein Anliegen war es, der theoretischen Weltbetrachtung die Solidität zu verschaffen, die dem neuzeitlichen Begriff der Wissenschaft entspricht. Weltbetrachtung muss seiner Ansicht nach fern aller scholastischen Argumentationskunst (deren Spuren zu Kants Zeiten im philosophischen Lehrbetrieb zweifellos noch zu spüren waren) und ohne jede Inanspruchnahme eines sogenannten höheren Standpunktes die methodische Erforschung der Welt sein. Der Diskurs unterliegt der Designation der Methode. Kant ist in aller Rigorosität dieser Meinung. Nicht also nur weil er sich gegen tradierte skandalträchtige Vorstellungen wenden zu müssen meint, hat er sich gegen die in seinen Worten arroganten Ansprüche der Metaphysik wie auch gegen die der Selbstbefriedigung dienende Skepsis gewandt, es sind in der Hauptsache sachlich-systematische Gründe, die ihn gegen das eine wie das andere Stellung beziehen lassen. Sie liegen tief. Sie haben zu tun mit der konsequenten Ausrichtung jeglichen Diskurses am transzendentalen Gedanken. Dieser Gedanke ist der Gedanke der Letztbegründung welchen gegenständlichen Sinnes auch immer3. Gerade die theoretische Weltbetrachtung muss sich dieser verschreiben. Sie ist ihre allbeherrschende Obligation. Kant legt dieser Lage entsprechend den größten Wert darauf klarzustellen, dass diese Obligation nicht nur bei den Themen greift, die die Weltbetrachtung ___________ 2 In Bezug auf diese ist sie denn auch von Interesse. Verrät sie doch sehr viel bezüglich einer bestimmten Kontinuität im Denken Kants. Was die Einschätzung der Vernunftleistungen betrifft, ist Kant über seine ganze schriftstellerische Tätigkeit hinweg kritisch. Schon der sogenannte vorkritische Kant sieht sich in diesem Punkte zur größten Vorsicht genötigt. Nichts belegt dies besser als die über Jahrzehnte hinweg erfolgende Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen rational-theologischen Ansichten (Argumenten). Kant fand sie in jeder seiner diesbezüglichen Stellungnahmen mit reichlichen Schwierigkeiten behaftet. Die Diskurslage der Transzendentalphilosophie (der kritischen Philosophie Kants) repräsentiert somit den endlich erreichten Endpunkt eines langwährenden Diskurses. Die zurückhaltende Einschätzung ist nun erkenntnistheoretisch abgestützt. 3 Vgl. Werner Flach, Die Idee der Transzendentalphilosophie. Immanuel Kant, Würzburg 2002.

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Empirie sein lassen, sondern dass sie auch und nicht weniger bei den Themen greift, die die Weltbetrachtung über die Empirie in einem bestimmten Sinne hinaustreiben, die sie zu einer alle Empirie sozusagen übersteigenden, das Ganze der Welt in den Blick nehmenden, die „Weisheit“ dieser Betrachtung begründenden Erörterung machen. Indem sie die theoretische Weltbetrachtung in dieser erweiterten, sehr die Situierung des Betrachters selbst in der Welt, das ist: des Menschen, berührenden Weise betrifft, wirkt sich die Obligation nach Kant als eine Disziplinierung der Vernunft aus. Das heißt: Sie sorgt dafür, dass die das große Ganze der Erfahrung in die Bestimmungsperspektive rückenden Diskurse, die diesen eigentümlichen Fragestellungen, der methodischen Fundierung verpflichtet bleiben und somit ungeachtet der Erweiterung der Fragestellung die Sicherheit der Wissenschaft als Bezugspunkt festhalten. Dazu gehört es u.a. auch, dass es hinsichtlich bestimmter4 Fragen keine entscheidbare Auseinandersetzung gibt und geben kann. Die Weltbetrachtung, die wissenschaftliche Erkenntnis sein will bzw. sein können soll, kann keine Fragen gelten lassen, in denen etwas erfragt wird, das den Gesetzen der materiellen Natur grundsätzlich entzogen sein soll und von dem deshalb unter Ignorierung dieser Gesetze positiv oder negativ behauptende Aussagen gemacht werden könnten, wegen der Loslösung von der Empirie im Falle der Widerspruchslosigkeit am Ende gar mit dem Anspruch apodiktischer Gewissheit. Solche Fragen haben nichts mit möglicher Erfahrung und nichts mit weitergehender menschlicher Einsicht zu tun. Sie haben mit diesen nichts zu tun, weil sie je eine durch die Bestimmungssystematik nicht gedeckte Diskursperspektive evozieren. Sie sind nicht Fragen, die eindeutig sind. Sie heben die Mehrdeutigkeit auf den Schild. Sie legen den Gang des Diskurses auf ein grundsätzliches „sowohl als auch“ und/oder auf ein grundsätzliches „weder noch“ und/oder auf ein grundsätzliches „zwar aber“ fest. Ihre Beziehung zum Bestimmungscorpus ist unbestimmt. Eine derartige Festlegung, eine derartige Lösung vom Bestimmungscorpus verrät die unzureichende methodische Fundierung. Auf Grund dessen sind sie abzuweisende Fragen. Kant stellt in aller Entschiedenheit fest, die durch sie heraufbeschworene Polemik ist müßig. Keine Rechtfertigung für sie ist denkbar. Eine Polemik der reinen Vernunft ist methodologisch betrachtet genau genommen Unfug. Sie kann unmöglich ein Dokument der Wahrheit zeitigen. Wenn sie denn vorliegt, ist sie der untrügliche Index der Verunreinigung der Vernunft mit ihr selbst. In ihr sind Themen transportiert, die aus methodisch dezidiert nur im Sinne ihrer Abwehr induzierten Fragen erwachsen, die skandalträchtiger, spekulativer (= herkömmlich metaphysischer) Natur sind. Die herkömmliche metaphysische Spekulation ist demgemäß vernunftunangemessen. Sie ist in keinen positiven grundlegungstheoretischen Zusammenhang zu bringen. Sie ist in keinen positiven grundle___________ 4

Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 767 ff.

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gungstheoretischen Zusammenhang zu bringen, weil sie in der Prinzipation der Bestimmung nicht angelegt ist. Sie ist mit anderen Worten für Kant ohne jede prinzipientheoretische Stimulation. Dieser Umstand der mangelnden prinzipientheoretischen Stimulation der herkömmlichen metaphysischen Spekulation ist von erheblichem Gewicht für die Interessenlage der Vernunft. Denn den Rechtsamen ihrer selbst gemäß kann für die Vernunft nur von Interesse sein, was prinzipientheoretisch stimuliert ist. Was nicht prinzipientheoretisch stimuliert ist, ist nicht zu den Interessen der Vernunft zu rechnen. Genauer: Es ist lediglich oder allenfalls ein Interesse der von ihr selbst verunreinigten Vernunft, das heißt der Vernunft in unkritischer Attitüde, ohne Klarheit über ihre grundlegungstheoretische Stelle respektive Funktion. Die positive grundlegungstheoretische Stelle respektive Funktion der Vernunft ist die Etablierung der Erfahrung als Sachzusammenhang. Die Vernunft verfügt, wie Kant sagt, ganz eigentümlich über das Systematische der Erkenntnis. Sie verfügt darüber durch den empirischen Gebrauch der regulativen Prinzipien. Diese prinzipiieren darin die Verstandesbestimmung als kontextuale Bestimmung. Nur was sich als solche Bestimmung erweist, ist dem Interesse der Vernunft per fas zuzurechnende Bestimmung. Sie ist, wie sich gezeigt hat, aus methodisch induzierten Fragen erwachsende Bestimmung. Man muss unterstellen, dass es die aufgedeckte prinzipientheoretische Einsicht ist, die Kants Vorgehen bezüglich der transzendentalen Dialektik bestimmt. Für Kant steht fest, dass die Letztbegründungsobligation bei all den in der Transzendentalen Dialektik abgehandelten Fragen greift. Kant scheint es aber auch offenkundig, dass jene Fragen methodisch induzierte Fragen sind. Sie sind in ganz bestimmter Perspektive methodisch induzierte Fragen. Sie sind von der Bestimmung der Natur ihrer Ganzheit nach her induzierte Fragen. Sie fragen, ob das Ganze der Erscheinungen in Bezug auf diese das Unbedingte zu ihrer Bedingtheit hergibt. Das macht sie zu zu diskutierenden, zu in ihrer Stellung zur Letztbegründungsobligation zu diskutierenden Fragen. Folgerichtig ist auch ihre Behandlung, der Versuch ihrer Beantwortung, eine unabweisbare Aufgabe. So darf die transzendentale Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft nicht übergangen werden. Sie ist ein notwendiger Bestandteil der Kritik der reinen Vernunft. Die Frage kann somit nur sein, mit welchem Gewinn sie notwendiger Bestandteil der Kritik der reinen Vernunft ist. Aus Kants Argumentation geht hervor, sie ist dies in der ganz bestimmten Rücksicht der kritischen Offenlegung der Grenzen der theoretischen Weltbetrachtung. Die theoretische Weltbetrachtung stößt an Grenzen. Sie stößt notwendig an diese Grenzen. Es sind Grenzen, die sie im Zusammenhang ihrer Legitimation selbst aufdeckt und die sie daher auch nur als Grenzen akzeptieren kann. Sie kann sie nicht in ihren Bestim-

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mungskontext integrieren. Insofern haben sie auch keine Funktion für die Erfahrungsgrundlegung als solche. Es handelt sich rein um mit der Erkenntnisgrundlegung einhergehende Grenzbestimmung. Das wiederum beinhaltet, die Beurteilung jener Fragen ist eine eigene Angelegenheit. Sie ist nicht dem transzendentalen Gedanken als solchen selbst zugehörig. Sie liefert schon gar keinen Beitrag zur Fixierung dieses Gedankens. Aber sie hat doch mit dem transzendentalen Gedanken zu tun. Sie ist ein Korollar dieses Gedankens. Ihre Bewältigung setzt nämlich die Kenntnis des transzendentalen Gedankens voraus. Sie ist an dessen Problem-, dessen Methodenund dessen Argumentationsgehalt ausgerichtet. Anhand dieses dreifachen Gehaltes des transzendentalen Gedankens, sozusagen diesem konfrontiert, entbirgt sich der dialektische Charakter der Fragen respektive Themen, die die mit ihr selbst verunreinigte Vernunft umtreiben. Die Bedeutung des transzendentalen Gedankens besteht auch darin, dass an ihm dies offenkundig wird. Weil diese Bedeutung des transzendentalen Gedankens nicht übersehen werden darf, und nach dem Dargelegten nur dieser Bedeutung wegen, ist die Transzendentale Dialektik notwendig ein Lehrstück der Kritik der reinen Vernunft. Das, was die Entlarvung des dialektischen Charakters besagter Fragen und Themen ausmacht, gehört in die Kritik der reinen Vernunft, und es gehört genau an die Stelle, an der es in der Kritik der reinen Vernunft diskutiert wird. Es ist die Stelle, an der von der Konstitutionsthematik her das Thema der Grundlegung der Methode sich eröffnet. Das grundlegungstheoretische Thema der Methode ist für Kant verflochten mit dem Thema des Mangels der methodischen Fundierung polemischer Diskurse auf der Ebene der dem Verstande entfremdeten Vernunft. Es schält sich als der Ertrag der Einsicht in die Unfruchtbarkeit jener Diskurse heraus. Dem wiederum ist die auf den ersten Blick etwas eigenartige Einordnung dieses Themas als Anhang zur Transzendentalen Dialektik verdankt. Weil dem aber so ist, weil nicht der Hauptteil, sondern der Anhang zur Transzendentalen Dialektik deren eigentlichen Ertrag bereitstellt, drängt sich zu guter Letzt die Einsicht auf, dass der fragliche Anhang als der Text zu bewerten ist, der für die Fixierung des Gehaltes des transzendentalen Gedankens herangezogen werden muss. Er ist der Text, in dem der transzendentale Gedanke im Punkte der regulativen Prinzipation abgehandelt wird. Dieser Punkt ist der Punkt, der im transzendentalen Gedanken zu dem Punkt der konstitutiven Prinzipation hinzukommt und der so den Gehalt dieses Gedankens allererst komplett macht. Zur Konstitution der Erkenntnis kommt die Regulation der Erkenntnis hinzu. In einer Lehre, die die Grundlegung der Erkenntnis soll aufzeigen können, muss das eine wie das andere zur Sprache kommen. Kant hat dem Rechnung getragen.

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Rücksichtlich dessen ist so ohne Zweifel festzustellen, dass die Transzendentale Dialektik gewichtig zu nehmen ist. Die Gesetzgebung der Vernunft, die in dieser zur Sprache kommt, ist mit unverzichtbare Gesetzgebung der Erkenntnis. Aber es kommt eben auf diese Gesetzgebung und nicht auf die materialen dialektischen Gehalte an, auf die psychologischen, kosmologischen, theologischen Aussagen. Diese sind interessant lediglich in ihrer kritischen Beurteilung, eben als paralogistisch, antinomisch und dogmatisch. Diese paralogistischen, antinomischen und dogmatischen Aussagen spielen keine genuin transzendentalphilosophische (= geltungs- und prinzipientheoretische) Rolle. Ihnen eine solche Rolle abgewinnen zu wollen, sie gar für die Fassung des transzendentalen Gedankens von Bedeutung zu finden, ist abwegig. Der Kantische Hinweis auf die Müßigkeit jeglicher Polemik der reinen Vernunft stößt den genau Lesenden darauf. Die das eine wie das andere der zu beobachtenden Klischees vermeidende Einschätzung der Transzendentalen Dialektik ist sonach mit Kant nicht nur möglich, sondern sogar angezeigt. Sie stimmt mit der Kantischen Aussage überein, dass es in der Kritik der reinen Vernunft um die Idee der Transzendentalphilosophie, die zuverlässige Fassung des transzendentalen Gedankens als solchen selbst, gehe. Sie wird Kant gerecht und sie wird insbesondere dem Verständnis gerecht, das Kant von seiner originalen Philosophie hat: dass es sich um eine Neubestimmung der Philosophie handele und dass bei dieser Neubestimmung der Philosophie die Themen der rationalen (= spekulativen) Psychologie, Kosmologie und Theologie aus dem positiven Bestimmungscorpus der Philosophie auszugliedern sind. Sie sind Themen, die die theoretische Weltbetrachtung allenfalls als Grenzthemen kennt und kennen darf. Als solche fällt ihnen genau die Rolle zu, die ihnen von Kant zugebilligt wird. Sie markieren die Grenze der theoretischen Weltbetrachtung. Hiermit erfüllen sie zweierlei. Zum einen und ersten bestätigen sie, dass die theoretische Weltbetrachtung von der Geltungsqualifikation der Erfahrung ist. Zum anderen und zweiten zeigen sie an, dass es auch das Andere der theoretischen Weltbetrachtung gibt, rein bestimmungstheoretisch nicht zu qualifizierende Gedankengebäude. Das heißt: Die theoretische Weltbetrachtung nährt aus Gründen der von ihr selbst verantworteten Grenzziehung ihrer selbst den Gedanken des ganz Anderen ihrer selbst, den Gedanken des ganz Anderen der Erfahrung. Sie kommt nicht umhin, neben den Phänomena Noumena zuzulassen. Zugleich aber, und zwar mit eben derselben Notwendigkeit, kommt sie nicht umhin, den Noumena jegliche positive Geltungsqualifikation abzusprechen. Sie sind gemessen an der Erfahrung lediglich von rein negativer Bedeutung. Sie zu erörtern, zählt somit auch nicht zur Eruierung der Idee der Transzendentalphilosophie. Ausgenommen von diesem Dictum ist lediglich die Freiheit. Sie steht mit ihrer herausgehobenen (von den anderen Vernunftideen unterschiedenen) Bestimmtheit für Kant dafür, dass die Welt, in der der Mensch lebt, ihren noumenalen Bereich hat. Freilich geht

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es bei dem Wissen um diesen Bereich zuletzt ebenfalls um die fragliche Grenzmarkierung. Das Noumenale ist das Nicht-Theoretische, das NichtWissenschaftliche, das Praktisch-Tatsächliche, das das kulturelle, das geschichtliche Geschehen Ausmachende. Kant hat sehr genau gewusst (und dargelegt), dass es dieses nur geben kann, wenn es durch die Phänomena zugelassen wird, ja mit einer gewissen Vernunftnotwendigkeit ausgestattet ist. Das kulturelle, das geschichtliche Geschehen ist immer auch ein scibilium, ein scibilium eigener Art allerdings.

Kants Lehre von der Gesetzmäßigkeit der Empirie Zur Argumentation der Kantischen Schematismuslehre Unter den Interpreten der Kritik der reinen Vernunft besteht Übereinkunft, dass das Schematismuskapitel der Kritik der reinen Vernunft einen wesentlichen Bestandteil der Argumentation der Transzendentalen Analytik beinhaltet. Schon vom Aufbau dieser Argumentation her ist nicht zu übersehen, dass diese Argumentation ohne das Lehrstück vom transzendentalen Schema nicht an ihr Ziel kommen kann. Dennoch wird dieses Lehrstück von den Interpreten nicht vergleichbar eingehend behandelt wie die im Argumentationsgang vorausgehende transzendentale Deduktion. Der Grund hierfür ist die vermeintliche Undurchsichtigkeit der Kantischen Ausführungen. Die Interpreten vermissen die stringente Argumentation. Statt dessen werde eine Vielzahl von Hinweisen gegeben. Diese fügen sich keineswegs, so meint man, zu einer einheitlichen, friktionslos in den Argumentationsgang einzufügenden, also bündigen und insofern als systematisch zu würdigenden Aussage. Die Verständigung, die zu erzielen gesucht und erzielt wird, betrifft dementsprechend kaum mehr denn dies, den Fortgang von der Analytik der reinen Verstandesbegriffe zu der der Grundsätze einleuchtend zu machen. Man ist sich darin einig, dieser Fortgang verlangt die konstitutive Überbrückung der Differenz von Denken und Anschauung aus der Perspektive der in der transzendentalen Deduktion dargetanen objektiven Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe. Der Brückenschlag wird von Kant in der Lehre von der transzendentalen Zeitbestimmung vollzogen. So legt man diese zumeist in dem ziemlich vordergründigen Verstande der „Konzeption einer strukturellen Korrespondenz von Sinnlichkeit und Verstand“ aus. Erst kürzlich wieder ist Peter Baumanns in seinem als durchgehenden Kommentar zu den Hauptkapiteln der Kritik der reinen Vernunft sich verstehenden Kantbuch1 so vorgegangen. Doch nimmt Baumanns nicht nur diese Position ein. Indem er meint, in der Auslegung werde offensichtlich, es geschieht in Kants Lehre nichts anderes als die Ersetzung der „theologisch fundierten Doktrin der prästabilisierten Harmonie“2, mindert er diese auch noch zum bloßen Substitut eines überkommenen metaphysischen Lehrstückes herab. Ich kann hierin keine sys___________ 1 Peter Baumanns, Kants Philosophie der Erkenntnis. Durchgehender Kommentar zu den Hauptkapiteln der „Kritik der reinen Vernunft“, Würzburg 1997, S. 555. 2 Ebd. Vgl. auch a.a.O., S. 546, 549, wo die Schematisierung selbst direkt als prästabilisierte Harmonie angesprochen wird.

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tematische Auslegung und Würdigung des Textes des Schematismuskapitels der Kritik der reinen Vernunft sehen. Ich kann hierin nur eine mit konstitutionstheoretischem Anspruch auftretende übereinstimmungstheoretische Herangehensweise an den Kantischen Text sehen. Wenn Baumanns urteilt, dass die „transzendentallogische Zeitbestimmung eine ursprüngliche Übereinstimmung zwischen dem Denken und der empirischen Gegebenheit“ begründe, dass es um das „Übereinstimmen-Können a priori empirischer Gedanken und Gegenstände aufgrund der Verbundenheit des Denkens überhaupt und des Gegenstandes überhaupt … als Prägung der Anschauungsart durch die Denkart“ gehe3, so beschreibt er diese Herangehensweise geradezu selbst. Daran ändert auch wenig, dass Baumanns weiter ausführt, von Kant werde somit „die mittelbare Applikation von Verstandesstruktur auf sinnlich-empirische Gegebenheit im kategorialen Bestimmen der Zeit als universeller Gegebenheitsart“4 diskutiert, und dass er meint, Kant werfe hiermit das Thema der kategorialen Prädikation qua einfache und allgemeine Gesetzgebung und gesetzliche Unterwerfung, und zwar einschließlich des Gefälles von reiner und empirischer Gesetzlichkeit, und dementsprechend „die hierarchische Ordnung der Fälle“5 auf. Denn selbst mit dieser Präzisierung schöpft er Kants Schematismuslehre nicht annähernd aus. Auch eine derartige Präzisierung überwindet nicht die These von der bloßen Neuauflage der altbekannten Harmoniedoktrin. Statt dem Auslegungsgesichtspunkt Gewicht zu verschaffen, dass Kant von der Kategorienlehre bis zur Lehre von den Verstandesgrundsätzen hin, in dem Stück also, das ihm transzendentale Deduktion der Urteilskraft ist, konsequent auf die Aufdeckung der Etablierung des Sachverhaltes der notwendigen Gesetzmäßigkeit der Naturerkenntnis hinarbeitet und hierbei auch zeigt, was mit dieser erreicht ist, bleibt die Urteilskraft in der Baumanns’schen Einschätzung in Übereinstimmung mit den formallogischen Übereinstimmungsinsinuationen, die bei oberflächlicher Lektüre aus dem Kantischen Text herauszulesen sind, auf die Funktion der „quantitätsbegrifflichen logischen Bearbeitung des Gegebenen der Empfindung“6, die die anschauungsgesicherte Homogenität eben dieses Gegebenen voraussetzen muss7, beschränkt. Diese äußerst unbefriedigende Interpretationslage muss umso mehr beeindrucken, als Henry E. Allison vierzehn Jahre vor dem Erscheinen des Baumanns’schen Kantbuches bereits eine Auslegung der Kantischen Schematismuslehre vorgelegt hat8, die dem geforderten Auslegungsgesichtspunkt verdankt ist. Baumanns geht auf sie nicht ein. Mag sein, dass er sie nicht zur ___________ 3

A.a.O., S. 531. A.a.O., S. 528. 5 A.a.O., S. 528 f. 6 A.a.O., S. 554. 7 Ebd. 8 Henry E. Allison, Kant’s Transcendental Idealism. An Interpretation and Defense, New Haven/London 1983, S. 173 ff. 4

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Kenntnis genommen hat. Mag sein, dass er sie nicht überzeugend findet. Wenn das Letztere der Fall sein sollte, so kann das meines Erachtens nur daran liegen, dass auch Allison’s sorgfältige Diskussion der Kantischen Schematismuslehre in der systematischen Würdigung nicht erschöpfend ist. Sie lässt die von ihr selbst vorbereitete systematische Exhaustion der Lehre vom Schematismus der reinen Verstandesbegriffe vermissen. Die folgenden Ausführungen sind von der Absicht geleitet, dieses Stück dem von Allison Geleisteten hinzuzufügen.

*** Die Schematismuslehre ist transzendentale Doktrin der Urteilskraft. Diese handelt in jener „von der sinnlichen Bedingung ... unter welcher reine Verstandesbegriffe allein gebraucht werden können“9. Unter dieser Bedingung gebraucht, das steht für Kant nach dem Ergebnis der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe fest, fließen aus den reinen Verstandesbegriffen die synthetischen Urteile a priori her, die allen übrigen Erkenntnissen a priori zum Grunde liegen, die als Grundsätze schlechthin der Gegenstandserkenntnis fungieren10. Das bedeutet, dass in diesem Gebrauch die auf ihrer Funktion der unbedingten Gegenstandsbestimmung beruhende objektive Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe ihre Fundierung der bedingten Gegenstandsbestimmung unter Beweis stellt. Objektive Gültigkeit ist objektive Realität. So sie sicher ist, ist sicher, dass nicht nur überhaupt Gegenstandsbestimmung, sondern dass konkrete Gegenstandsbestimmung, diese oder jene Erfahrung, vorliegt. Die Aussagen über etwas sind Aussagen über konkrete Erfahrungsgegenstände. Sie fassen die Natur in der Weise und in dem Maße, in der, in dem sie überhaupt bestimmbar ist, als einen offenen Bereich von distinkten Gegenständen. Sehr zurecht spricht Kant vom „empirischen“ und vom „realen“ Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe. Die Schematismusüberlegungen sind danach, das kann am Anfang dieser Diskussion festgehalten werden, Überlegungen, welche die Überlegungen zur objektiven Gültigkeit der Kategorien prolongieren und zuspitzen. Die Zuspitzungsdirektive steht hierbei fest. Es ist die Bedingung einzusehen, die die erfahrungskonstitutive Zulänglichkeit der Verstandesbegriffe garantiert. Näherhin ist einzusehen, dass diese Zulänglichkeit der Verstandesbegriffe „unabhän___________ 9

Kritik der reinen Vernunft, B 175. Ebd. Man kann rein sprachlich das „a priori“ dem Herfließen oder den „Bedingungen“ zuordnen. Das begründet indessen keine Differenz in der Sache. Denn aus Bedingungen a priori kann nur etwas a priori herfließen. Ich meine jedoch, der Akzent des Kantischen Gedankenganges liegt auf der Apriorität der Derivation. Kant legt Wert darauf, die allen übrigen Erkenntnissen a priori zum Grunde liegenden Urteile sind selbst a priori etablierte Urteile. 10

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gig von den besonderen Umständen der Erfahrung“11, wie sie ist, sich sehr wohl bis auf die besondere Erfahrung erstreckt. Das kann nur heißen, es ist zu durchschauen, wie es dazu kommt, dass die reinen Verstandesbegriffe sich dadurch auszeichnen, an den besonderen Erfahrungsaussagen die Funktion auszumachen, unter sie, die reinen Verstandesbegriffe, zu subsumieren zu sein, besser: aus ihnen oder von ihnen her zu rechtfertigen oder gerechtfertigt zu sein und somit die Qualifikation des unmittelbaren Wirklichkeitskonnexes mit der der objektiven Gültigkeit zu der der objektiven Realität zu verbinden. Kant sieht in diesem Umstand, näherhin darin, dass es sich um eine Funktion der reinen Verstandesbegriffe handelt, die diese an den Erfahrungsaussagen und nur an diesen auszuüben vermögen, die Notwendigkeit, der Referenz der reinen Verstandesbegriffe zur Sinnlichkeit eine sinnliche Bedingung immanent sein zu lassen, und spricht deshalb ausdrücklich von einer sinnlichen Bedingung der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf die Sinnlichkeit. Eine derartige Bedingungslage ist sehr gewichtig zu nehmen. Es ist unbedingt zu klären, was Kant hiermit klarstellen will. Ich meine, was er hiermit klarstellen will, geht daraus hervor, was Kant einleitend bezüglich der Urteilskraft ausführt. Darin bringt er nämlich vor, dass auf Sinnlichkeit notwendig bezogen zu sein für den reinen Verstandesbegriff bedeutet, nicht nur überhaupt auf Sinnlichkeit bezogen zu sein, sondern in eben diesem Bezug Bestimmung konkretisierend bezogen zu sein. Seine Bestimmtheit vereinzelt sich. Die kategoriale Bestimmtheit ist nicht nur als generelle Bestimmtheit zu betrachten, sie ist auch, und zwar aus sich heraus, als zur Vereinzelung (der Bestimmtheit) führende Bestimmtheit zu begreifen. Es gibt zu ihr den Fall, die Fälle. Sie macht das möglich. Sie bestimmt sich den Fall, die Fälle. Wie dieser Sachverhalt zu denken sei, ist der Fragepunkt. Doch dies zu können, ist nicht das, worauf es Kant wirklich ankommt. Kant kommt es auf anderes an. Gezielt setzt er die Sachlage, die in der transzendentalen Doktrin der Urteilskraft zur Debatte steht, von „allen anderen Wissenschaften“12 ab. Die für den Schematismus charakteristische Subsumtion differiert von der alle anderen Wissenschaften charakterisierenden (formal)logischen Subsumtion dadurch, dass sie alles andere als Klasseninklusionen spiegelt. Ihr ist eigentümlich, dass sie Heterogenes in ein Verhältnis bringt. Die Begründung der vereinzelten, bedingten Gegenstandsbestimmtheit durch die generelle, unbedingte Gegenstandsbestimmtheit bezieht Heterogenes aufeinander, vermittelt es miteinander, wie Kant sagt. Es werden vermittelt – in der Begrifflichkeit Kants – die reine Intellektualität der Kategorie und die anschauliche Mannigfaltigkeit des (inneren) Sinnes. Sie werden vermittelt in einer bestimm___________ 11 12

Kritik der reinen Vernunft, B 173. Kritik der reinen Vernunft, B 177.

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ten Vorstellung. Diese Vorstellung ist eben deshalb, das heißt qua solche Vermittlung, prämissen- und regeltauglich, und zwar beides zugleich. Und sie ist hierbei alles andere als empirisch, sondern sie ist rein, das heißt sie ist begrifflich-apriorische, doch nicht kategoriale Vorstellung, sondern ein „Drittes“. Als solches Drittes steht sie, Kant legt darauf den größten Wert, „einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit“ und macht „die Anwendung der ersteren auf die letztere möglich“13. Weitere Bestimmungen des Sachverhaltes schließen sich an diese Charakteristik an. Sie sind alle zur Kenntnis zu nehmen, soll er in seiner vollen Bestimmtheit gefasst werden. Zuerst lässt Kant es sich in diesen weiteren Bestimmungen angelegen sein hervorzuheben, dass die fragliche Vermittlung der Synthesis zuzurechnen ist. Es ist die Synthesis qua Synthesis der Einbildungskraft, die die Vermittlung herbeiführt. Sie verbindet die auf der Einheit der Apperzeption beruhende Einheit der Synthesis mit der einzelnen Anschauung und stellt so „Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit“14 her. Diese Einheit ist nichts anderes als die identische Gegenstandsreferenz der Sinneswahrnehmungen. Und diese ergibt nach Kant die eine (= zusammenhängende) Wahrnehmung in und bei der Vielfalt der Sinneseindrücke. Qua eine Wahrnehmung aber sind die Wahrnehmungen der Vielfalt der Sinneseindrücke ungeachtet begrifflich vereinnahmt. Sie sind das, wodurch dem „Begriff sein Bild“15 verschafft wird. Dieses dem Begriff sein Bild verschaffende Verfahren, das bezüglich des reinen Verstandesbegriffes vielmehr ein Verfahren der Herstellung eines Bestimmungsschemas ist, ist Kant das, wohinein die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe ausläuft. Es ist deshalb im § 24 auch schon einmal das Thema. Es wird dort als „figürliche Synthesis“ gekennzeichnet. Hiermit wird zum Ausdruck gebracht, dass es mit der transzendentalen Apperzeption zusammenhängt, dass es aber gleichzeitig seiner Bestimmungsfunktionalität nach von deren Funktionalität abzugrenzen ist, dass es auf die Sinnlichkeit referiert, dass es die Konstitutionsebene der Konstitution von bestimmter Anschauung ausmacht16. Im sechsten und siebten Absatz des Schematismuskapitels17 lässt sich Kant die Abgrenzung dieser Konstitutionsebene wieder angelegen sein. Diesmal verstärkt er jedoch die Perspektive der Etablierung des „sinnlichen Begriffes“. Mit dieser Verstärkung der fraglichen Perspektive gibt er nicht nur zu verstehen, ___________ 13

Ebd. Kritik der reinen Vernunft, B 179. Vgl. auch B 151 ff. 15 Kritik der reinen Vernunft, B 179 f. 16 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B 154. 17 Kritik der reinen Vernunft, B 179 ff. 14

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dass die im § 24 in der Rücksicht der kategorialen Konstitution der Erkenntnis allgemein behandelte Lehre von der Einbildungskraft im Schematismuskapitel unter der Zielsetzung der detaillierten Aufklärung des auf objektive Realität zielenden Gebrauches des reinen Verstandesbegriffes fortgesetzt wird, sondern mit dieser Verstärkung der fraglichen Perspektive gibt Kant auch und vor allem zu verstehen, dass die Bestimmungskonstitution im Sinne der Konstitution objektiver Realität nur erfolgreich sein kann, wenn in ihr der Sinn seiner Form (namentlich der Zeit) nach a priori bestimmt wird18. Dies erfordert klarzustellen, dass die vermittelnde Konstitution im Bereich des Apriorischen bleibt, dass die Konstitutionsfunktion, um die es geht, wie Kant es ausdrückt, „keine einzelne Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit zur Absicht hat“19 oder, in anderer Wendung, dass „unseren sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zum Grunde liegen“20, dass also „Schema der Kategorie“ nicht als „Bild eines Gegenstandes“ missverstanden werden darf. Zwar haben beide übereinstimmend etwas mit der Frage nach der objektiven Realität der Erkenntnis zu tun. Aber die Art und Weise der Gegenstandsreferenz ist doch sehr different. Während im Schema (dem transzendentalen selbstverständlich) sich die objektive Realität der Kategorie, die Funktionalität konkreter Gegenstandsbestimmung, dartut, in der Weise, dass „eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe“21 zu finden ist, tut sich im Bild nur die Realität des empirischen Begriffes dar. Und das ist alles andere als regelgeleitete Qualifikation, das ist lediglich Qualifikation durch das Beispiel22. Die ist dem Begriffe nie völlig kongruent und bedarf deshalb stets der vermittelnden Qualifikation des Schemas. Durch diese hängen die Bilder in einem Begriff zusammen. Die Beispiele sind Beispiele für gegenständliche Bestimmtheit, der, und das ist hierbei ganz besonders mitzudenken, bestimmungslogisch die Unbestimmtheit korreliert. Insofern kann das Beispiel auch nur auf den empirischen Begriff referieren. Ja mehr noch, es kann auch auf den empirischen Begriff nur in seiner Kontingenz referieren. Dagegen referiert das Schema auf den Begriff im Punkte seiner apriorischen (allgemeinen und notwendigen), seiner kategorialen, das ist die Gegenstandsqualifikation fundierenden, Bestimmtheit23. ___________ 18

Vgl. auch die vorausweisende Aussage B 152. Kritik der reinen Vernunft, B 179. 20 Kritik der reinen Vernunft, B 180. 21 Ebd. 22 Vgl. hierzu Kritik der reinen Vernunft, B 181 und AA V, S. 351. 23 Die illustrierenden Ausführungen des Absatzes sieben des Schematismuskapitels sind meines Erachtens eher irritierend als verständnisfördernd. Allein so viel lässt sich sagen: Die die Sache behauptenden Aussagen: „das Schema ... bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft in Ansehung reiner Gestalten im Raume“ – hier ist also vom Raum, nicht von der Zeit die Rede! – und: das Schema der Einbildungskraft ist „ei19

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Auf der Basis dieser Einsicht wird nun Kants Bestimmung des Schematismus der reinen Verstandesbegriffe als transzendentale Zeitbestimmung durchsichtig. Denn nun steht außer Zweifel, dass das vermittelnde Dritte, welches das Schema ist, die durch und durch konstitutive Funktionalität ausmachen muss, die der konkreten Gegenstandsbestimmung, welche der empirische Begriff ausmacht, in und bei ihrer logischen Kontingenz die allgemeine, formale und reine – dies die Formulierungen Kants – Fundiertheit sichert. In der Bestimmung des konkreten Gegenstandes, dem empirischen Begriff, sind Bestimmtheit und Unbestimmtheit wie Unbedingtheit und Bedingtheit vereinigt. Das Vehikel der Vereinigung ist die transzendentale Zeitbestimmung. In ihr liegt konkrete Bestimmung vor. Sie ist reine Synthesis wie unmittelbares Geben des Gegenstandes. Sie ist beides in einem. Diese so zu verstehende Bestimmung folgt der kategorialen Bestimmtheitsregel, die ihrerseits der Einheit der Apperzeption gemäß ist bzw. sein muss, und verschafft sich so ihren bestimmten wie unbestimmten, teils bestimmten, teils unbestimmten jeweiligen Gegenstand. Mehr in Kants Worten: Nach Maßgabe der Bestimmtheitsregel wird das, was im inneren Sinn „unmittelbar als ... wirklich vorgestellt“ wird24, als distinkter sowie als distinkter und distinkter zu machender Gegenstand gefasst. Da nun aber zu dem, was im inneren Sinn unmittelbar als wirklich vorgestellt wird, für Kant unterschiedslos alle Erscheinungen zählen, stehen diese folgerichtig direkt oder indirekt „nothwendigerweise in Verhältnissen der Zeit“25. Diese repräsentieren somit allesamt die Determination des in Unbestimmtheit ___________ ne Regel der Bestimmung unserer Anschauung gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe“ (beide B 180), sind insofern eindeutig, als sie unzweifelhaft auf die figürliche Synthesis zielen. Allerdings drückt sich Kant hier nicht differenziert genug aus. B 171 ist er genauer. Da heißt es in differenzierter Bestimmung: „der Verstand überhaupt [ist das] Vermögen der Regeln“, die Urteilskraft ist „das Vermögen unter Regeln zu subsumiren, das ist zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae leges) steht, oder nicht“. Schon darin ist klargestellt, dass das Schema als vermittelnde Vorstellung eine doppelte Referenz aufweist: einmal die zur Kategorie, einmal die zur Sinnlichkeit. Nur insofern als es qua vermittelnde Vorstellung mit der Kategorie übereinkommt, kann es ohne Differenzierung Regel genannt werden. Die zweite Referenz, die Gleichartigkeit mit der Sinnlichkeit, verbietet es. Hierin liegt auch der Grund, weshalb es abwegig ist, im Schema einfach die prädikative Verwendung der Kategorie zu sehen. Dieser abwegigen Sicht hat Kant mit seiner einleitenden Aussage, dass die allgemeine Logik keine Vorschriften für die Urteilskraft enthält und enthalten kann (B 171) ja auch entschieden vorzubeugen gesucht. – Der Exeget wünschte sich selbstverständlich die ebenso entschiedene Absage an das gegensinnige Missverständnis. Sie ist indes in Kants Text nicht formuliert. Sie ist nur in der Sachaussage zu bemerken. So kann auch, und zwar immer wieder, versucht werden, die an die Formulierung B 103 erinnernde Formel von der „blinden, obgleich unentbehrlichen Function der Seele“ oder die von der „verborgenen Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele“ (B 180) zum Angelpunkt der Auslegung der Kantischen Schematismusargumentation zu machen. 24 Kritik der reinen Vernunft, B 51. 25 Ebd.

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Gegebenen zu dem in Bestimmtheit Gegebenen. Etwas ist in Bestimmtheit gegeben. Es ist keine große Frage, was mit dieser Aussage gemeint ist. Zum Ersten können wir festhalten, mit dem „etwas“ ist der jeweilige Erfahrungsgegenstand gemeint. Kant verfolgt in seiner Schematismuslehre konsequent das durchgängige Thema der Kritik der reinen Vernunft, das Thema der Gegenständlichkeit der Erkenntnis. Es ist in der Schematismuslehre bis zur Behandlung des Problems der Konstitution der konkreten Gegenstandsbestimmung vorangetrieben. Deren Eigentümlichkeit steht zur Debatte. Und diese wird von Kant in den Grenzen seiner Begrifflichkeit genau bezeichnet. Die von Kant eingestandenermaßen denkbar knapp dargelegte Argumentation von der transzendentalen Zeitbestimmung insistiert nämlich darauf, und das ist das Zweite und Entscheidende, das festzuhalten ist, dass konkrete Gegenstandsbestimmung durchaus in nichts anderem bestehen kann als darin, dass Kontingentes zur kategorial fundierten, und das ist immer einer Bestimmungsfunktion gemäßen, Einheit gebracht wird. Für diesen Sachverhalt ist auch nach Kantischer Begrifflichkeit der Begriff der Gesetzmäßigkeit der Empirie angebracht. Kant benutzt diesen Begriff im Schematismuskapitel nicht. Aber aus seinen Überlegungen zur Funktion der theoretischen Urteilskraft wissen wir, dass er ihm der Sache nach zur Verfügung steht. Deshalb wollen wir ihn hier auch ausdrücklich einführen und konstatieren, dass die Lehre vom Schematismus der reinen Verstandesbegriffe den Sachverhalt der der reinen Verstandesgesetzlichkeit untergeordneten Gesetzmäßigkeit der Empirie entwickelt. Die konkrete, logisch kontingente Gegenstandsbestimmung ist gesetzmäßige Bestimmung. Sie hat darin ihren definierten empirischen Charakter. Das Besondere und gegenüber der vorgängigen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe Weiterführende an der auf die Gesetzmäßigkeit der Empirie führenden Schematisierung der Kategorie ist die präzise Fixierung des Verhältnisses von Unbedingtheit und Bestimmtheit der je besonderen Gegenstandsvorstellung auf der einen Seite und deren Bedingtheit und Unbestimmtheit auf der anderen Seite. Kant hat sehr deutlich gesehen, dass das nicht voneinander zu trennende konstitutive Aspekte der konkreten Gegenstandsbestimmung sind und dass ihre Untrennbarkeit das verlangt, was er einmal26 „bildende Synthesis“ nennt. Die bildende Synthesis formt über der Apprehension einer Erscheinung den Erfahrungsbegriff des fraglichen Gegenstandes27. Das heißt: Die vereinzelten, sukzedierenden Apprehensionen stehen unter dem Einheitsbezug des einen bestimmten Gegenstandes. Die Verhältnisse der Wahrnehmungen, for___________ 26 27

Kritik der reinen Vernunft, B 271. Ebd.

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muliert Kant B 269, werden a priori ausgedrückt. Wenn Kant lehrt, dass dieses apriorische Ausdrücken unter der Bedingung der Konzeptualisierung der Zeit möglich ist, so trifft er genau das, was uns mittlerweile völlig geläufig ist, den Sachverhalt, dass Wahrnehmungen interpolative Bestimmungen sind. Vereinzelt, wie sie sind, referieren sie doch auf eine funktional definierte Einheit. Diese Einheit, die wir gemeinhin als Kurve, das heißt als nach definierten Parametern, darunter immer auch der Zeitparameter als Parameter der unabhängigen Variablen, zu begreifende Funktion, exponieren, ist die synthetische Einheit, von der Kant im Schematismus der reinen Verstandesbegriffe handelt. Sie ist die synthetische Einheit, „in der allein Gegenstände empirisch können erkannt werden“.28 Die Quintessenz der Kantischen Schematismuslehre besteht demnach in der Lehre, dass Gegenstände empirisch nur in wahrnehmungsgestützten gesetzmäßigen Aussagen erkannt werden können. Es geht um die Funktionsgleichungen, in denen die Wahrnehmungen interpolativ zusammengefasst werden. Das ist konstitutiverweise so. Weil es konstitutiverweise so ist, kennt die Erfahrungserkenntnis sichere Grundsätze. Diese machen die Erfahrung möglich. Die Ermöglichung ist freilich nicht Ermöglichung in dem Verstande logischer Ableitung. Die Ermöglichungsfunktion, die den Verstandesgrundsätzen eigentümlich ist, ist Ermöglichung in dem Verstande der Begründung in transzendentalen Wahrheiten. Diese transzendentalen Wahrheiten, die sicheren Grundsätze, sind deshalb auch Erkenntnisse ganz eigener Art. Sie sind apriorische, mit apodiktischer Gewissheit in Ansatz zu bringende und in Ansatz gebrachte Erkenntnisse. Das ist eine transzendentale Qualifikation. Sie beinhaltet deshalb mitnichten, dass jene Erkenntnisse an sich selbst auch a priori erkannt wären. Ganz im Gegenteil, sie sind ihrer apodiktischen Gewissheit ungeachtet Erkenntnisse, die „an sich selbst ... (direkt) a priori gar nicht einmal erkannt werden können“29. Sie haben der naiven Vorstellung der Vorgängigkeit entgegen das, was sie möglich machen, die Erfahrung, die empirische, gesetzmäßige Erkenntnis des jeweiligen, konkreten Gegenstandes, zum „Beweisgrund“30. Darin liegt, die konstitutive gesetzmäßige Verfasstheit der Empirie ist nicht nur das Vehikel der zuverlässigen Bestimmung der Natur, ihrer je verschiedenen Gegenstände, sie ist auch das, worin sich die Grundsätze eben jener Bestimmung entdecken lassen. Die Grundsätze der Empirie werden nicht vorneweg aufgestellt. Sie sind alles andere als Dogmen. Sie sind nicht einmal Lehrsätze. Sie sind eben Grundsätze, das ist die in der gesetzmäßigen wahrnehmungsgestützten Bestimmung des Gegenstandes zu entdeckenden, objektiv gültigen, die Gegenstandsbestim___________ 28

Kritik der reinen Vernunft, B 269. Kritik der reinen Vernunft, B 765. 30 Ebd. 29

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mung in ihrer Konkretion begründenden Prinzipien jeglicher Gegenstandsbestimmung. Wenn man sie im Anschluss an Kants resümierende Formulierungen B 185 semantische Prinzipien der Gegenstandsbestimmung nennen will, so ist das wohl vertretbar. Man darf hierbei nur nicht vergessen, dass es sich um konstitutive und nicht um regulative Prinzipien handelt. Es handelt sich um die Prinzipien der Semantik der Gesetzmäßigkeit der Empirie. Und die ist die von Funktionsgleichungen mit der Zeit als Parameter der unabhängigen Variablen.

*** Mehrere bezeichnende Lehrstücke der theoretischen Philosophie Kants sind nach dieser Quintessenz der Kantischen Schematismuslehre sehr gut zu verstehen. Zum Ersten ist sehr gut Kants Empirievorstellung zu verstehen. Empirie ist für Kant die Erarbeitung je spezifischer Gesetzmäßigkeiten von Naturbestimmtheit. Sie erfolgt durchweg in der Überführung von Wahrnehmungsurteilen in Erfahrungsurteile. Diese Überführung ist jedoch alles andere als eine Metabasis. Sie deckt lediglich auf, worin das Bathos, das die Erfahrung ist, seine Fruchtbarkeit hat. Sie besteht darin, dass das Erfahrungsurteil ob seiner Gesetzmäßigkeit die seine Gegenständlichkeit konstituierenden Geltungsgründe auszuweisen vermag. Diese sind zu eruieren. Wie sich gezeigt hat, sind sie in den Erfahrungsurteilen selbst zu ergründen. Sie vermögen in den Erfahrungsurteilen ergründet zu werden, weil diese konstitutiverweise gesetzmäßige Gegenstandsbestimmungen sind. Die gesetzmäßigen Bestimmungen sind als Bestimmungen rücksichtlich ihrer Allgemeinheit zu ordnen. Das ist der Grund, weshalb die Gliederung der gesetzmäßigen Bestimmungen für Kant überhaupt kein Problem mit sich bringt. Er kann wie selbstverständlich lehren, die Empirie ist ein Bereich hierarchisch gegliederter Aussagen. Die Hierarchie funktioniert nach dem Verhältnis des Besonderen und des Allgemeinen. Es gibt die Aussagen jeweils allgemeinerer und jeweils speziellerer Gesetzmäßigkeit. Und alle ordnen sich den Verstandesgrundsätzen unter. Das ist das Zweite, was angesichts der Quintessenz der Kantischen Schematismuslehre sehr gut zu verstehen ist. Das Dritte ist, wie schon angedeutet, dass die Hierarchie von empirischer Signifikanz ist. Oder anders gesagt, sie definiert sich durchweg als die Wahrnehmung integrierende Dimension. Das heißt: Es gibt das in der Hierarchie schlechthin Untergeordnete; es gibt das in der Hierarchie schlechthin Übergeordnete; es gibt Zwischenglieder der Hierarchie. Alles ist wahrnehmungsbezogen. Das hierarchisch schlechthin Untergeordnete, das also, das sich in der Fundierung als das schlechthin Aufruhende definiert, ist das je spezifische, direkt wahrnehmungsgestützte Gesetz. Das dimensionale Gegenstück ist der reine Verstandesgrundsatz. Dazwischen liegt der Bereich der Aussagen, die Kant der

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differenzierenden Grundlegung zurechnet. Es sind im Unterschied zu den reinen Verstandesgrundsätzen, die durchgehend begründend sind, die in spezifizierender Funktion, materialer Bestimmung, begründenden Aussagen. Sie auszuzeichnen, nennt Kant sie in seinem kritisch gereinigten Verstande metaphysische Aussagen. Sie fixieren die die objektive Realität dieser ganzen Wissenschaft garantierenden Anfangsgründe der Wissenschaft von der Natur (unter der Kant den ganzen Wissenschaftsbereich der exakten Naturwissenschaften versteht). Sie machen insofern deren reinen Teil aus. Auf dem baut der je empirische auf. Das ist nun das Vierte, das anhand der Quintessenz der Kantischen Schematismuslehre gut zu verstehen ist. Angesichts des mit der Anwendung der Kategorien auf Erscheinungen vorliegenden Konstitutionszusammenhanges kann, ja muss Kant die transzendentalphilosophische Fundierungsklimax: Kritik-SystemMetaphysik-Empirie als völlig einleuchtend betrachten. Sie ergibt sich aus den konstitutiven Beziehungen. Der Schematismus ist nicht nur ein wesentlicher Teil derselben. Er ist auch der Teil derselben, an dem die Zusammenhangsordnung jener Beziehungen in voller Bestimmtheit zutage tritt.

Das Problem der transzendentalen Deduktion: seine Exposition in der Kritik der reinen Vernunft und seine Wiederaufnahme im Neukantianismus der Südwestdeutschen Schule Die ,Transzendentale Ästhetik‘ der Kritik der reinen Vernunft behandelt die Erkenntnis, soweit sie Vorstellung von einem unbestimmten Gegenstand ist. In ihrem Ergebnis erklärt sie, was eine anschauliche Vorstellung ist bzw. was alles zu einer anschaulichen Vorstellung gehört. Die ,Transzendentale Logik‘ der Kritik der reinen Vernunft behandelt die Erkenntnis, soweit sie die Vorstellung von einem bestimmten Gegenstand ist. In ihrem Ergebnis erklärt sie, was eine begriffliche Vorstellung ist, bzw. was alles zu einer begrifflichen Vorstellung von einem Gegenstand gehört, was an Bedingungen für diese Vorstellung in Rechnung zu stellen ist, was diese Vorstellung möglich macht, das heißt wie ihre Konstitution zu denken ist. Im Ersten Buch der Ersten Abteilung der ‚Transzendentalen Logik‘, der ,Analytik der Begriffe‘, geht es dementsprechend um die Konstituentien begrifflicher Gegenstandsvorstellung und deren konstitutive Funktion. Die konstitutive Funktion dieser Konstituentien, der Kategorien oder reinen Verstandesbegriffe, zu begreifen, ist das endliche Ziel der Erklärung. Die Erklärung mit diesem Ziel ist nach Kant bekanntlich transzendentale Deduktion. Transzendentale Deduktion ist sie, weil sie den Rechtsgrund der Konstitutivität der eine begriffliche Gegenstandsvorstellung, das heißt bestimmten gegenständlichen Sinn, ermöglichenden reinen Verstandesbegriffe, das ist die „objective Realität“ der reinen Verstandesbegriffe, dartut. Auf „Sinn“ und „Bedeutung“ der reinen Verstandesbegriffe einerseits, den „Gebrauch“ der reinen Verstandesbegriffe andererseits sich beziehend, handelt sie von der „Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können“ (A 85; B 117). Deshalb ist sie, wie Kant durch die Unterscheidung des Ersten und des Zweiten Hauptstückes der ,Analytik der Begriffe‘ klarstellt und in der Auflage B der Kritik der reinen Vernunft dann auch terminologisch herausstellt, eine doppelte, nämlich zum einen metaphysische Deduktion, zum anderen transzendentale Deduktion im engeren Verstande. Als metaphysische Deduktion genügt sie der transzendentallogischen Aufgabe, den Ursprung der reinen Verstandesbegriffe „durch ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Functionen des Denkens“ (B 159) darzutun. „Sinn“ und „Bedeutung“ der reinen Verstandesbegriffe sind an die

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allgemeinen logischen Funktionen der Verknüpfung, der Synthesis, gebunden, sind Synthesisfunktionen. Auf Grund dieser Synthesisfunktionen, dies das Ergebnis dieser Deduktion, lässt sich das Mannigfaltige der Anschauung, lassen sich die Anschauungsdaten, in den Verhältnissen ordnen, die Raum und Zeit, als Formen der Anschauung, vorgeben. Als transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe im engeren Verstande genügt die transzendentale Deduktion dagegen der transzendentallogischen Aufgabe zu erklären, wie die reinen Verstandesbegriffe in der Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung auf Gegenstände sich beziehen und damit „Principien der Möglichkeit der Erfahrung“ (B 168) sein können. Diese Aufgabe stellt sich mit dem bestimmten Problem, das gerade die Ermittlung des Rechtsgrundes von „Sinn“ und „Bedeutung“ der reinen Verstandesbegriffe zurücklässt, dem Problem, wie durch die logischen Funktionen der Einheit in Urteilen eine begriffliche Gegenstandsvorstellung, bestimmter gegenständlicher Sinn, sich begründen soll können. Unser Anliegen ist es, dieses Problem, welches das zentrale Problem der Kritik der reinen Vernunft ausmacht, einmal mehr zu beleuchten und seine Wiederaufnahme im Neukantianismus mit der Exposition in Beziehung zu setzen, die ihm Kant selbst gegeben hat. Aus Gründen der Beschränkung richten wir unsere Aufmerksamkeit dabei nicht auf den Neukantianismus im ganzen, sondern allein auf die Südwestdeutsche Schule des Neukantianismus und innerhalb dieser wiederum auf Bruno Bauch, der die bedeutendste Kant-Interpretation innerhalb der Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus, vielleicht sogar innerhalb des Neukantianismus überhaupt geliefert hat1 und der nicht zufällig zugleich einer der herausragenden Systematiker innerhalb der Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus und des Neukantianismus überhaupt gewesen ist.

I. Wie nicht anders zu erwarten, geht Kant im Rahmen seiner Ausführungen zur transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe im engeren Verstande auf das Problem ein, das in dieser Deduktion zur Diskussion steht. Wir haben darum in den Ausführungen des Ersten Abschnittes des Zweiten Hauptstückes der ,Analytik der Begriffe‘, die im Übrigen von Kant im großen und ganzen unverändert2 aus der Auflage A in die Auflage B übernommen worden ___________ 1 Bruno Bauch, Immanuel Kant. 1917, Berlin/Leipzig 31923 (= Geschichte der Philosophie, Bd. 7). 2 Die Veränderungen betreffen lediglich den letzten Absatz der Auflage A. Statt seiner stehen drei Absätze im § 14 der Auflage B.

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sind, was nach Kants Meinung auf die Ausgereiftheit der Herausarbeitung des Problems hinweist, die Ausführungen vorliegen, die wir für die hauptsächlichen Ausführungen zum Problem der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe im engeren Verstande und zu den Anforderungen, die das Problem in Bezug auf seine Lösung stellt, zu halten haben. Ihre Aussage wiederzugeben, ist das erste Stück unseres Unternehmens. Aus den das Begriffswort „Deduktion“ klarstellenden Eingangsüberlegungen des Abschnittes bzw. des § 13 in der Ausgabe B geht klar hervor, dass die transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe mit dem Aufweis bzw. Nachweis des „Rechtsgrundes“ befasst ist, „dadurch die Befugniß“ des „Gebrauchs“ der reinen Verstandesbegriffe bei der Erkenntnis eines bestimmten Gegenstandes „deutlich“ wird (A 85; B 117). Ebenso klar ist das Problem, das sich hiermit stellt. Es kommt darauf an, in zureichender Weise zu erklären3, mit welchem Recht, das ist aus welcher bestimmungslogischen Notwendigkeit heraus, die reinen Verstandesbegriffe zur Bestimmung des Gegenstandes der Erkenntnis unerlässlich sind, das heißt in jeder gegenständlichen Bestimmung als konstitutive Momente, als die Konstituentien der objektiven Gültigkeit dieser Bestimmung enthalten sind. Kant spricht dies in der Weise aus, dass er sagt: Es steht die „objective Realität“ (A 84; B 117) der reinen Verstandesbegriffe in Frage. Die transzendentallogische Legitimationsfrage, die Frage quid iuris, ist damit eine Geltungsfrage. Sie zielt auf die geltungsbegründende Funktion der reinen Verstandesbegriffe. Sie unterstellt deren geltungsbegründende Funktion bei der Bestimmung eines Gegenstandes, dieses oder jenes Gegenstandes, eines welchen auch immer, und sie erfragt, woraus diese geltungsbegründende, diese den Begriff a priori auf einen Gegenstand beziehende Funktion erwächst. Wie Kant mit Nachdruck hervorhebt, ist dies ein Fragegesichtspunkt, der von dem nach dem Faktum des Erwerbes einer Erkenntnis (durch Erfahrung und Reflexion über diese Erfahrung, A 85; B 117) völlig unterschieden ist, der die apriorische Gegenstandsbeziehung der Gegenstandsbestimmung und nicht „die Gelegenheitsursachen [der] Erzeugung“ (A 86; B 118) der Gegenstandsbestimmung in Frage zieht. Die apriorische Gegenstandsbeziehung der Gegenstandsbestimmung ist das Problem der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. Wenn diese geltungsbegründende Funktion haben, dann nur in apriorischer Gegenstandsbeziehung. Da diese apriorische Gegenstandsbeziehung nicht unmittelbare, anschauliche Gegenstandsbeziehung, sondern lediglich das reine Denken eines Gegenstandes ist, präzisiert sich das Problem weiter zu der Frage, wie etwas, das nicht un___________ 3

Weil es sich um das Erfordernis einer zureichenden Erklärung handelt, haben wir es mit einer Deduktion und nicht mit einer Erörterung zu tun.

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mittelbare Gegenstandsbeziehung ist, gleichwohl jeglicher Gegenstandsbestimmung als deren geltungsbegründendes Konstituens immanent ist (sein kann und sein muss). Die Einsicht, die gefordert ist, ist damit die Einsicht in das, was einem Gegenstand überhaupt als Bestimmung zuzudenken ist, damit er als bestimmter Gegenstand begriffen wird. Begriffliche Gegenstandsvorstellung ist im Punkte ihrer Geltungsgründe als reine Gegenstandsbestimmung zu begreifen. Reine Gegenstandsbestimmung ist, wenn auch ohne „unmittelbare Evidenz“ (A 87; B 120), so doch von strikter Notwendigkeit.4 Die Aufklärung dieser strikten Notwendigkeit oder vielmehr der Bedingungen, denen diese strikte Notwendigkeit die Gegenstandsbestimmung unterwirft, beseitigt die Blindheit bei dem Bemühen, die Möglichkeit der Erfahrung als begrifflicher Gegenstandsvorstellung einzusehen. Kant weiß um die gewaltige Schwierigkeit, die dabei zu überwinden ist. Deshalb geht er auf diese Schwierigkeit eigens ein. In wenigen, aber aufschlussreichen Überlegungen verweist er darauf, dass die strikte Notwendigkeit der begrifflichen Gegenstandsbestimmung in der Verbindung von Apriorität und objektiver Gültigkeit besteht und dass diese Verbindung nur möglich ist, wenn zum einen die Anschauungsformen Raum und Zeit als Verhältnisse oder vielmehr als Prinzipien von Verhältnissen zu begreifen sind, in denen das Mannigfaltige der Anschauung geordnet werden kann, was damit gleichbedeutend ist, dass durch die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit die Geltungsrelevanz der Empfindungen, der Sinnesdaten, garantiert wird, während zum anderen die reinen Verstandesbegriffe die Prinzipien der Ordnung in den Verhältnissen des Raumes und der Zeit, das heißt die Ordnungsfunktionen der Ord___________ 4

Die Gegenüberstellung von unmittelbarer Evidenz und strikter Notwendigkeit lässt es selbstverständlich erscheinen, dass Kant das Problem der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe auch auf Raum und Zeit als „Formen der Sinnlichkeit“ (A 85; B 118) übergreifen sieht. Die reinen Verstandesbegriffe und die Anschauungsformen sind wohl unterschieden; aber ihre geltungsbegründende Funktion bewährt sich übereinstimmend gegenüber dem Problem der apriorischen Gegenstandsbeziehung. Die apriorische Gegenstandsbeziehung gehört bei den reinen wie bei den anderen zur Formalität. Es ist dies auch der Grund, weshalb die ,Transzendentale Ästhetik‘ der Kritik der reinen Vernunft nicht deren ganze Anschauungslehre ausmacht. Die Anschauungslehre der Kritik der reinen Vernunft vollendet sich erst in der ,Transzendentalen Analytik‘. Sie ist mehr als bloß „Erörterung“; sie ist letztlich auch Deduktion, und zwar in dem Verstande, dass sie in die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe verwickelt ist. Vgl. Rudolf Zocher, Kants transzendentale Deduktion der Kategorien, Zeitschrift für philosophische Forschung Bd. VIII, 1954, S. 167 f. Zochers zutreffende Einschätzung dieser Zusammenfassung der reinen Verstandesbegriffe und der Anschauungsformen durch Kant bei der Diskussion des Problems der transzendentalen Deduktion wird auch durch die Ausführungen des § 26 der Auflage B, insbesondere durch die Anmerkung 1 auf B 160 gestützt.

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nung in den Verhältnissen des Raumes und der Zeit selbst sind. Damit lehrt Kant: Das Problem der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe ist ein lösbares Problem einzig und allein unter der Bedingung, dass Bestimmtheit und Unbestimmtheit des Gegenstandes dem Anschein entgegen nicht voneinander abzulösen sind, dass die Unbestimmtheit des Gegenstandes dem Anschein entgegen nicht nur der Bedingung unterliegt, dass es Prinzipien von Verhältnissen gibt, in denen Mannigfaltiges geordnet werden kann, die Prinzipien des Raumes und der Zeit, sondern auch der, dass es Prinzipien der Ordnung selbst, die reinen Verstandesbegriffe, gibt, und dass die Bestimmtheit der Vorstellung des Gegenstandes nicht nur Ordnung in Ordnungsfunktionen und gemäß einem Ordnungsprinzip, sondern eben auch Ordnung in Verhältnissen ist, in denen geordnet werden kann. Kant illustriert dies anhand der Ursache-Wirkung-Bestimmung. Diese bzw. eine solche Bestimmung zieht ihre Notwendigkeit daraus, dass sie in einer reinen Synthesisfunktion, einem reinen Verstandesbegriff gründet und Sinnesdaten betrifft. Den rein das Problem entwickelnden Ausführungen (A 84–92; § 13 der Auflage B) schließt Kant Überlegungen dazu an, wie denn das Problem zu lösen sei (A 92–95; § 14 der Auflage B). Wenn wir diese Überlegungen der Untersuchung unterziehen, so zeigt sich, dass Kant in ihnen auf die Bedingungen abhebt, unter denen Erkenntnis sich konstituiert. Zur Erkenntnis gehört erstens die Anschauung. In ihr ist der Gegenstand gegeben, das ist in seiner Unbestimmtheit konstituiert. Dass es dabei nicht bleibt, liegt am Denken oder dem Begriff. In ihm ist der Gegenstand gedacht, das ist in Entsprechung zu der Unbestimmtheit, in der er sich anschaulich konstituiert, als Bestimmungsaufgabe begriffen. Sofern der Gegenstand dadurch etwas ist, das zu bestimmen, teils bestimmt, teils unbestimmt ist, stellt die Form des Denkens jene Bedingung der Erkenntnis dar, „ohne deren Voraussetzung nichts als Object der Erfahrung möglich ist“ (A 93; B 126). Darin liegt: Die Erfahrungserkenntnis muss die sinnlich-anschaulichen Daten den reinen Verstandesbegriffen gemäß in einem Bewusstsein vereinigen, zu einem gegliederten Wissensgehalt verbinden, auf den Begriff bringen und begrifflich ordnen. Kurz: Die Erkenntnis ist ein Bestimmungsproblem. So ergibt sich: Die Lösung des Problems der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, des Problems der Erklärung ihrer „objectiven Realität“, muss den Weg einer Diskussion der Erkenntnis qua Bestimmungsproblem nehmen. Es ist darum das Prinzip der transzendentalen Deduktion aller reinenVerstandesbegriffe, diese als Bedingungen dafür aufzuweisen, dass jegliche Erfahrung (Kants „mögliche Erfahrung“ von A 94; B 127) qua Erfahrung den Gegenstand als Bestimmungsproblem begreift. Vom konkreten Gegenstand gibt es ein (zutreffendes oder unzutreffendes) Wissen nur, insofern und insoweit Be-

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stimmung vorliegt, mit allem, was dazu gehört, der Synthesis der Apprehension in der Anschauung (Einheit der Anschauung), der Synthesis der Reproduktion in der Einbildung (Einheit des Begriffes), der Synthesis der Rekognition im Begriffe (Einheit der Kategorie = der Regel der Bestimmung). Kant war sich dessen voll bewusst. Deshalb hat er sich in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft um eine weitere Präzisierung der Formulierung seiner Aussage bezüglich des Schlüssels zur Lösung des Problems der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe bemüht. Das Ergebnis dieser Bemühung hat einen der prägnantesten Texte der Kritik der reinen Vernunft gezeitigt, die berühmte Erklärung der Kategorien von B 128: Die Kategorien „sind Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Functionen zu Urtheilen als bestimmt angesehen wird“. Diese Erklärung macht mit allem nur wünschenswerten Nachdruck klar, dass die Kategorien Bestimmungsfunktionen, Funktionen der Ordnung des Mannigfaltigen der Anschauung in der Beziehung auf einen bestimmten Gegenstand, sind. Sie sind „Functionen zu urtheilen, so fern das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung in Ansehung ihrer bestimmt ist“, wie es B 143 heißt. Solche Funktionen sind genau das, was das Mannigfaltige der Anschauung, die Daten zu einer möglichen Erkenntnis, überhaupt in eine Ordnung bringt. Sofern sie dies sind, sind sie für alle gegenständliche Bestimmung grundlegend. Die Kategorien sind als die schlechthin fundamentalen Begriffe jeder gegenständlichen Bestimmung zu begreifen. Sie garantieren der gegenständlichen Bestimmung ihre die Bedingung ihrer Möglichkeit ausmachende Gegenstandsbeziehung, ihre prinzipielle Geltungsreferenz. Dem Mannigfaltigen der Anschauung fällt dagegen in der gegenständlichen Bestimmung die Rolle zu, den zu bestimmenden unbestimmten Gegenstand zu repräsentieren. Es vertritt die Unbestimmtheit des Gegenstandes relativ zu dessen Bestimmtheit. Das heißt: Die ganze Geltungsrelevanz des Mannigfaltigen der Anschauung besteht darin, dass es kategorial geordnet werden kann, wird oder ist. B 143 heißt es denn auch ganz im Sinne dieser Fassung der Erkenntnisrelevanz des Mannigfaltigen der Anschauung, dass auch das „Mannigfaltige in einer gegebenen Anschauung nothwendig unter Kategorien“ steht.

II. Die Nachzeichnung der Wiederaufnahme des Problems der transzendentalen Deduktion im Neukantianismus ist durch eine unverkennbare Perspektivierung gekennzeichnet. Sie erfolgt weitgehend in einer Perspektive, die den Marburger

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Neukantianismus in den Vordergrund rückt. Das ist verständlich. Steht doch das erste der großen Kant-Werke Hermann Cohens5 prägend am Anfang des Neukantianismus6 und stellen doch die Kant-Werke Hermann Cohens7 die meist beachtete Aneignung der Kantischen Philosophie innerhalb des Neukantianismus dar; hat doch Paul Natorp durch die zu Hermann Cohens 70. Geburtstag vorgelegte Schrift über „Kant und die Marburger Schule“8 die Marburger Schule des Neukantianismus in ein besonders enges Verhältnis zu Kant gerückt; hat doch schließlich Ernst Cassirer eine große Kant-Ausgabe veranstaltet9 und dieser eine weit verbreitete Kant-Darstellung hinzugefügt.10 Dennoch ist diese Perspektivierung nicht ganz korrekt. Die tatsächliche Lage ist die, dass der südwestdeutsche Neukantianismus so gut wie der Marburger das Problem der transzendentalen Deduktion wiederaufgenommen und bei der systematischen Ausbildung der eigenen Philosophie in Rechnung gestellt hat. Nur ist dies etwas im Schatten der Marburger Kantaneignung und -fortführung geschehen und somit sozusagen weniger augenfällig gewesen. Wenden wir uns Bruno Bauch zu! Ihm ist, wie gesagt, die bedeutsamste Kant-Interpretation der Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus und vielleicht sogar des Neukantianismus überhaupt verdankt.11 Bruno Bauch ist aber auch herausragender Systematiker. Die theoretische Philosophie der Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus hat bei ihm eine über die Erkenntnistheorie, die Logik, die Methodologie und die Ontologie bzw. Wirklichkeits___________ 5

Hermann Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, 1871; Berlin 21885; Berlin 31918. Vgl. Helmut Holzhey, in: Werner Flach/Helmut Holzhey (Hg.), Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus, Hildesheim 1980, S. 15; desgleichen Werner Flach, 1. c. S. 34. 7 Außer Kants Theorie der Erfahrung umfassen sie: Kants Begründung der Ethik nebst ihren Anwendungen auf Recht, Religion und Geschichte (1877; Berlin 21910) und Kants Begründung der Ästhetik (Berlin 1889). 8 Paul Natorp, Kant und die Marburger Schule, Kant-Studien Bd. 17, 1912, S. 193– 221; wiederabgedruckt in: Werner Flach/Helmut Holzhey (Hg.), Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus, Hildesheim 1980, S. 197–225. 9 Immanuel Kants Werke, hg. von Ernst Cassirer, Berlin 1912–22. 10 Ernst Cassirer, Kants Leben und Lehre, Berlin 1918 (= Immanuel Kants Werke, hg. von E. Cassirer, Bd. XI). 11 Auf Seiten der Marburger hat man zweifellos eine Vorstellung davon gehabt. Denn es ist gewiss nicht zufällig, dass Paul Natorp selbst, zu jener Zeit schon das alleinige Haupt der Marburger Schule, sich veranlasst gesehen hat, dem Bauch’schen Kant-Buch eine eingehende und umfangreiche Besprechung zu widmen, und dass diese Besprechung als eine der gewichtigsten Äußerungen Paul Natorps zur Philosophie Kants einzuschätzen ist. Vgl. Paul Natorp, Bruno Bauchs ,Immanuel Kant‘ und die Fortbildung des Systems des Kritischen Idealismus, in: Kant-Studien Bd. 22, 1918, S. 426–59. Im Nachtrag der 3. Auflage seines Kant-Werkes nimmt Bruno Bauch seinerseits Stellung zu Paul Natorps Rezension. Vgl. Bruno Bauch, Immanuel Kant, Berlin/Leipzig 31923, S. 468 ff. 6

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lehre hinwegreichende Ausgestaltung erfahren, die konsequent geltungstheoretisch ausgerichtet ist und die sehr weit trägt.12 Sehen wir uns zunächst die in Bruno Bauchs Kant-Auslegung vollzogene Aneignung des Problems der transzendentalen Deduktion an! Bruno Bauchs diesbezügliche Ausführungen13 nötigen uns zu folgendem Urteil: (a) Bruno Bauchs Ausführungen zum Problem der transzendentalen Deduktion sind zwar kurz bemessen; aber das darf nicht über ihre Eindringlichkeit hinwegtäuschen. Das Bemühen um die präzise Erfassung des Problems der transzendentalen Deduktion ist unverkennbar. Jede relevante Aussage Kants wird berücksichtigt, und der Kontext aller dieser Aussagen wird dezidiert herausgearbeitet. (b) Bruno Bauch konzentriert seine Interpretation ganz auf das zur Frage nach der objektiven Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe zugespitzte Problem der transzendentalen Deduktion. Das heißt, er untersucht das Problem der transzendentalen Deduktion der Kategorien in dem engeren Verstande der Beziehung der reinen Verstandesbegriffe auf den Gegenstand, wie Bruno Bauch sich ausdrückt. Die Beziehung auf den Gegenstand ist der Punkt, um den es in der Meinung Bruno Bauchs Kant geht. Bruno Bauch hat damit völlig recht. Wie wir gesehen haben, besteht für Kant die objektive Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe in ihrer Beziehung auf den Gegenstand. Bruno Bauch bemerkt auch richtig, dass die reinen Verstandesbegriffe in ihrer Beziehung auf den Gegenstand, die apriorische Beziehung, Beziehung bloß der Form des Denkens nach ist, den Gegenstand in strikter Notwendigkeit bestimmen, das heißt, dass sie die Ordnung definieren, welcher gemäß das Mannigfaltige der Anschauung in den Verhältnissen des Raumes und der Zeit „in Ansehung einer der logischen Functionen zu Urtheilen“ (B 128) zu ordnen ist. (c) Entsprechend beurteilt Bruno Bauch das Problem der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe als das Problem, das die Erkenntnis als Bestimmungsproblem zu diskutieren aufgibt. Das ist wiederum voll zutreffend. (d) Zutreffend ist auch die Einsicht, zu der sich Bruno Bauch auf Grund dieser Beurteilung des Problems genötigt sieht, die Einsicht, dass in Bezug auf die objektive Realität der reinen Verstandesbegriffe Form und Inhalt (der Erkenntnis) nicht in einem exkludierenden, sondern in einem inkludierenden Verhältnis aufeinander bezogen sind. Das ist ein in allen Stücken positives Urteil. Da Bruno Bauch seine systematische Position nicht zuletzt, wie das Erscheinungsdatum seiner systematischen

___________ 12 Vgl. Werner Flach, in: Werner Flach/Helmut Holzhey (Hg.), Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus, Hildesheim 1980, S. 53. 13 Vgl. Bruno Bauch, Immanuel Kant, Berlin/Leipzig 31923 (= Geschichte der Philosophie, Bd. 7), S. 202 ff.

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Hauptwerke14 lehrt, in der Folge und als Frucht seiner Kantstudien gebildet hat, liegt die Vermutung nahe, Bruno Bauchs Aneignung des Problems der transzendentalen Deduktion bestimmt auch seine eigene Problemstellung innerhalb der theoretischen Philosophie. Diese Vermutung trifft die Sachlage. Bruno Bauchs Ansatz in der theoretischen Philosophie ist zwar direkt durch seine Schulzugehörigkeit und durch die Auseinandersetzung mit seinem Lehrer Heinrich Rickert, dazu noch durch weitere nachkantische Lehren beeinflusst.15 Aber er ist auch, wenn auch mehr indirekt, durch das Kantische Problem der transzendentalen Deduktion beeinflusst. In der (skizzierten) Aneignung durch Bruno Bauch bestimmt dieses Problem das systematische Profil der Bauch’schen Erkenntnislehre. Dieses lässt sich kurz so beschreiben: Der Gegenstand der Erkenntnis wie die Erkenntnis des Gegenstandes formieren sich in der durch die Strukturformen der Wahrheit, letztlich die „Grundstrukturform der Wahrheit“,16 das Urteil, geregelten Bestimmung. Diese Bestimmung ist, wie bei ihrer Referenz zum Problem der transzendentalen Deduktion nicht anders zu erwarten, hochkomplex. Bruno Bauch sucht ihrer Komplexität in seiner differenzierten geltungstheoretischen Bestimmungslehre gerecht zu werden. Diese Lehre setzt in genauer Übereinstimmung mit dem Problem der transzendentalen Deduktion, so wie Bruno Bauch es sich angeeignet hat, dabei an, das Urteil als Funktion der Gegenstandsbestimmung zu begreifen.17 Das Urteil ist nach Bruno Bauch Funktion der Gegenstandsbestimmung. Als solche vom Urteilen, der durch sie geregelten subjektiven Gegenstandsbemächtigung, sauber geschiedene Funktion ermöglicht das Urteil, die Bestimmtheit einer Sache zu denken, und das heißt für Bruno Bauch wie für Kant, auf den Begriff zu bringen. Kants Exposition und Bruno Bauchs Aneignung des Problems der transzendentalen Deduktion lassen keinen Zweifel daran, dass auch dieses weitere Stück der Bruno Bauch’schen Bestimmungslehre einen Punkt des Problems der transzendentalen Deduktion aufnimmt. Es ist genau der Punkt, der dem Urteil als Bestimmungsfunktion die Kategorie verbindet. Bruno Bauch sucht diesen Punkt des Problems durch seine doppelte Lehre von der Kategorie als Bestimmung der Gegenständlichkeit der Gegenstände und der Kategorialisierung des ___________ 14

Vgl. Bruno Bauch, Wahrheit, Wert und Wirklichkeit, Leipzig 1923; ders., Die Idee, Leipzig 1926. 15 Vgl. Werner Flach in: Werner Flach/Helmut Holzhey (Hg.), Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus, Hildesheim 1980, S. 53. 16 Vgl. Bruno Bauch, Wahrheit, Wert und Wirklichkeit, Leipzig 1923, S. 162. 17 Vg. a.a.O., S. 136 ff.

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Mannigfaltigen der Empfindungsinhalte gerecht zu werden.18 Wie er selbst betont, geht es ihm dabei um die Bewältigung derselben Aufgabe, die auch Kant durch seine Problemstellung zu bewältigen aufgegeben war, nämlich um die Bewältigung der Aufgabe, „dem empirischen Materiale seinen Geltungsanspruch [...] zu sichern“.19 Die Lösung sieht aber dennoch anders aus als die Kantische. Das kann nur bedeuten, dass die Möglichkeit der Lösung des Problems im fraglichen Punkte von Bruno Bauch abweichend von Kant beurteilt wird, und das ist letztlich damit gleichbedeutend, dass das Problem der transzendentalen Deduktion in der Entfaltung der Bestimmungslehre Bruno Bauchs eine systematische Modifikation erfährt. Mit seiner Kategorienlehre vollzieht Bruno Bauch eine systematische Modifikation des Problems der transzendentalen Deduktion. Dies belegen insbesondere die Bruno Bauch’schen Überlegungen zum System der Kategorien. Sie schließen sich, wie Bruno Bauch ausdrücklich bemerkt,20 den diesbezüglichen Überlegungen Paul Natorps an. Diese aber stehen im Zentrum der „notwendigen Korrekturen an der Lehre Kants“,21 die die Marburger Neukantianer, Paul Natorp voran, vorgenommen haben und die nicht nur das Problemlösungsangebot, sondern auch schon die Problemstellung selbst der transzendentalen Deduktion betreffen. Bruno Bauchs Bestimmungslehre ist also von ihrer Entfaltung zu einer Kategorienlehre bzw. der Kategorialisierung des Mannigfaltigen der Empfindung ab Lehre, die das Kantische Problem der transzendentalen Deduktion modifiziert. Wir finden dies in ihren weiteren Stücken bestätigt. Sowohl die Lehre vom Begriff,22 als dem Zusammenhang von Kategorien, als der gegenständlichen Ordnung kategorialer Gehalte, als auch die Lehre von der Idee, als dem durch systematische Affinität und Kontinuität ausgezeichneten Zusammenhang der Begriffe, als dem offenen, aber ganzheitlichen Ordnungssystem der Bestimmung, das zu erfassen für das endliche erkennende Subjekt und sein subjektives Begreifen eine unendliche Aufgabe darstellt,23 folgen der veränderten Problemstellung. Diese veränderte Problemstellung ist die der Konkreszenz der allgemeinen Bestimmung zur konkreten Bestimmung des je besonderen Gegenstandes. Sie bedingt, dass die Bestimmungslehre sich zu einer geltungstheoreti___________ 18

Vgl. a.a.O., S. 192 ff. Vgl. a.a.O., S. 204. 20 Vgl. a.a.O., S. 209. 21 Vgl. Paul Natorp, Kant und die Marburger Schule, in: Kant-Studien Bd. 17, 1912, S. 196; abgedr. in: Werner Flach/Helmut Holzhey (Hg.), Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus, Hildesheim 1980, S. 197–221. 22 Vgl. Bruno Bauch, Wahrheit, Wert und Wirklichkeit, Leipzig 1923, S. 212 ff. 23 Vgl. ders., Die Idee, Leipzig 1926, S. 125 ff. 19

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schen Lehre von der Konkreszenz des gegenständlich-allgemeinen Sinnes zu gegenständlich-konkretem Sinne wandelt. Mit diesem Wandel der Bestimmungslehre nimmt Bruno Bauch die für ihn spezifische Akzentuierung der neukantianischen Gnoseologie vor. Diese wird darin zu einer prospektiven, sämtliche Geltungsaspekte der Erkenntnis berücksichtigenden und zusammenschließenden Lehre von der Begründung der Erkenntnis,24 zu einer Lehre, die, wenn es an dieser Stelle auch nicht mehr ausgeführt werden kann25, so sei es doch wenigstens gesagt, ganz der von allen Neukantianern, den Südwestdeutschen wie den Marburgern, geteilten, von Wilhelm Windelband formulierten Devise folgt: „Kant verstehen, heißt über ihn hinausgehen“.26

___________ 24

Vgl. Werner Flach in: Werner Flach/Helmut Holzhey (Hg.), Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus, Hildesheim 1980, S. 54 ff. 25 Vgl. dazu auch den nachfolgenden Beitrag S. 59–91. 26 Vgl. Wilhelm Windelband, Präludien. Aufsätze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte, 2 Bde., Tübingen 71924, S. IV und VI.

Das Kategorienkonzept der kritischen Philosophie Kants und seine Revision in der Erkenntnislehre des Marburger Neukantianismus Den Gang der Wissenschaft determinierende Konzepte üben den Zwang aus, in der Durchführung des wissenschaftlichen Diskurses wieder und wieder beifällig oder abweisend zu ihnen Stellung nehmen zu müssen. In keiner Wissenschaft gilt dies mehr und nachdrücklicher als in der Philosophie. Der philosophische Diskurs ist in weitem Umfang eine Stellungnahme zu den Gedanken der Klassiker der Philosophie. Die Stellungnahme ist ohne den Kommentar nicht möglich. Aber der Kommentar verlangt selbst das erneute Bedenken des Bedachten1. Dieses kontinuiert so von Bedenken zu Bedenken. Es ist als einzelnes wie in seiner Wechselbezogenheit betrachtet dem Lauf einer Geschichte eingebettet. Im Laufe dieser Geschichte erhält und wandelt es sich. Die Verbindung von Aufbewahrung und Wandel führt in die Revision. Der philosophische Diskurs betreibt dieses Geschäft. Er ist zu einem guten Teil das Geschäft der Revision des einmal Gedachten. Die in den Diskurs Eintretenden müssen deshalb immer auch die Revision des einmal Gedachten aufarbeiten. Angesichts bedeutender und schwer zu durchdringender Gedanken ist das (wiederum) keine leichte Aufgabe. Das die Diskursteilnehmer erwartende Geschäft fällt also doppelt schwer. Kants kritische Philosophie zwingt die Philosophen in eine solche Situation. Sie zwingt sie, die kritischen Gedanken und ihre Revision durch die Nachfolger, Kritiker oder Erneuerer, aufzuarbeiten und gegeneinanderzustellen. In der folgenden Abhandlung ist diesem Zwang nachgegeben, bei doppelt eingeschränkter Zielsetzung: Es sollen lediglich das Kantische Kategorienkonzept und die Revision dieses Konzeptes in der Erkenntnislehre des Marburger Neu___________ 1

Herbert James Paton stellt in seiner Abhandlung Formal and transcendental logic (Kant-Studien Bd. 49, 1957/58, S. 245–263) S. 246 fest: „The primary aim of a commentator is ... to understand an author and to help others to a like understanding. But to understand an author is ... to re-think that philosophy – to try to see things from the author’s point of view and to look at them through his eyes. In the case of a difficult writer like Kant this can be done, so far as it can be done at all, only by a most assiduous study of the letter; but this by itself is relatively useless, unless accompanied by a power to re-think the philosophy as a whole.“ Klaus Hartmann, dem diese Abhandlung gewidmet ist, hat in diesem Sinne gehandelt: On taking the transcendental turn (Review of Metaphysics Vol. XX, 1966, S. 223–249).

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kantianismus gegeneinandergestellt werden, dies zudem in der für diesen Beitrag gebotenen Kürze. Ich meine, es wird hierdurch deutlich werden, dass die kritische Philosophie Kants primär weniger der Erneuerung und der Fortführung als allererst des vollen Verständnisses bedarf. Die Revision des einmal Gedachten ist nämlich nicht eo ipso Fortschritt; sie kann wie den Fortschritt auch den Verlust an Einsicht ausmachen; sie kann auf den falschen Weg führen2.

I. Das kritische Kategorienkonzept Kants Die Lehre von der Kategorie bzw. den Kategorien ist ein Lehrstück der kritischen Philosophie Kants. Sie gehört in die transzendentale Logik der Kritik der reinen Vernunft. Sie ist das vorrangige Lehrstück dieser Logik. Sie ist das Lehrstück der transzendentalen Logik, mit dem Kant die Antwort auf die transzendentale Hauptfrage auf die Bahn bringt. Es kann daher gar nicht anders denn vom Programm der transzendentalen Logik her verstanden werden. Deshalb ist bei der Untersuchung des kritischen Kategorienkonzeptes zuerst das Programm der transzendentalen Logik in die Erinnerung zu rufen. Halten wir uns daran, so müssen wir uns zunächst einmal mit dem kritischen Logikbegriff beschäftigen. Der kritische Logikbegriff wird von Kant in der ‚Einleitung‘ zur ‚Transzendentalen Logik‘ der Kritik der reinen Vernunft entwickelt. Seine Entwicklung beginnt nicht zufällig mit der erneuten Vorstellung des für die Aufklärung der Möglichkeit der Erkenntnis relevanten Bezugssystems (B 74 f.). Es sind in Rechnung zu stellen die Sinnlichkeit auf der einen Seite, der Verstand auf der anderen Seite. Sie sind die Vermögen, auf die wir Menschen uns bei der Erkenntnis stützen und allein stützen können. Beide sind darum als „Grundquellen des Gemüthes“ (= unserer Vorstellungsfähigkeit) anzuerkennen. Beide liefern ihren Beitrag zur Erkenntnis. Der der Sinnlichkeit ist die Anschauung; der des Verstandes ist der Begriff. Es handelt sich um sehr differente Beiträge. Kant kennzeichnet ihre Differenz durch die Begriffe der Rezeptivität und der Spontaneität. Kraft der Rezeptivität der Sinnlichkeit ist uns der Gegenstand (in Unbestimmtheit) gegeben; kraft der Spontaneität des Verstandes wird der Gegenstand (in seiner Bestimmtheit) gedacht. Doch begegnen sich Anschauung und Begriff bei aller Differenz auch. Sie begegnen sich darin, dass sie beide übereinstimmend unter die Differenz der Reinheit und der Empirizität fallen und dass sie in ihrer Reinheit übereinstimmend die Form der Erkenntnis, apriorische Bedingungen der Erkenntnis, betreffen, während sie in ihrer Empirizität übereinstimmend die Materie der Erkenntnis, deren aposteriorische Bedingt___________ 2 Vgl. hierzu Dieter Henrichs Ausführungen zu dem Geschäft der Kommentierung und der Lage der Kant-Forschung in: ders., Identität und Objektivität. Eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion, Heidelberg 1976, S. 9 ff.

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heit, betreffen. Auch das ist bei der Aufklärung der Möglichkeit der Erkenntnis in Rechnung zu stellen. Diese Aufklärung, so ist also schlicht und einfach zu konstatieren, ist durchgehend einem eigentümlichen Doppelaspekt unterworfen. Jeder einschlägige Begriff gibt ihn zwangsläufig, mit der ihm eigentümlichen Verweisung, wieder. Der Logikbegriff ist ein solcher einschlägiger Begriff. Er verweist darauf, dass die Aufklärung der Möglichkeit der Erkenntnis den Themabereich des Verstandes, und zwar qua Gegenstück zur Sinnlichkeit, des Begriffes, und zwar qua Gegenstück zur Anschauung, der Spontaneität, und zwar qua Gegenstück zur Rezeptivität, und des bestimmten Gegenstandes, und zwar qua Gegenstück zum unbestimmten Gegenstand, aufzunehmen und zu behandeln hat. Die präzise Gegenüberstellung. dessen, was Kant allgemeine reine Logik, B 170 auch formale Logik nennt, einerseits und dessen, was er transzendentale Logik nennt, andererseits ist der erste Schritt, der nach Kant in dieser Angelegenheit zu vollziehen ist. Diese Gegenüberstellung wird überwiegend so verstanden, dass Kant das Logikkonzept der transzendentalen Logik gegen das überkommene der formalen Logik ausspiele3. Das ist jedoch ein Fehlverständnis4. Diese Gegenüberstellung dient Kant zu einem ganz anderen Zwecke als dem Ausspielen eines Logikkonzeptes gegen ein anderes. Sie dient ihm dazu, den Aufweis der Bahn zu liefern, der die Behandlung des aufzunehmenden Themenbereiches zu folgen hat. Diese Bahn ist für Kant nämlich allererst in den Blick zu bringen. Die formale Logik versagt in diesem Punkte. Sie versagt auf Grund dessen, was man ihren Vorzug nennen muss, das man aber ob dieses Versagens zugleich als „Eingeschränktheit“ (B IX) begreifen muss. Es ist ihre Abstraktion von allem Inhalt der Erkenntnis und der Verschiedenheit der Gegenstände derselben, ihre Ausrichtung auf die „bloße Form des Denkens“ (B 79, 102, 170, 172 f.). Durch diese Ausrichtung gewinnt sie all die Vorzüge, die sie eine „demonstrirte Doctrin“ (B 78) sein lassen; aber zusammen hiermit verliert sie das Thema des Gegenstandsbezuges des Denkens. Mit dem Verlust dieses Themas sind ihr die Regeln, die sie eruiert, notwendig nichts als die Regeln der bloßen Form des Denkens überhaupt, die Gesetze des Denkens überhaupt in Ansehung des Formalen seines Gebrauchs (B 77–79). Die logische Form wird als Leerstelle für die Erfüllung durch möglichen Inhalt, das ist durch konkreten gegenständlichen Sinn, verstanden, ohne dass eine mehr denn technische Auskunft darüber erteilt und zu erteilen ist, welcher Sinn mit der Rede von der Leerstelle für und deren Erfüllung zu verbinden ist. Dabei kommt es gerade ___________ 3

Vgl. z.B. aus jüngerer Zeit Gerold Prauss, Zum Wahrheitsproblem bei Kant, KantStudien, Bd. 60, 1969, S. 166–182, wieder abgedruckt in: ders. (Hg.), Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln, Köln 1973, S. 73–89. 4 Vgl. hierzu die Richtigstellung, die Hans Wagner zu Prauss’ Interpretation veröffentlicht hat: Hans Wagner, Zu Kants Auffassung bezüglich des Verhältnisses zwischen Formal- und Transzendentallogik, Kant-Studien; Bd. 68, 1977, S. 71–76.

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auf diesen Sinn an. Wird er erfragt, so wird zwangsläufig eine Logik konzipiert, die über die formale Logik hinausreicht, die das Thema des Gegenstandsbezuges des Denkens als solches aufnimmt, für die die logischen Formen „die Regeln des reinen Denkens eines Gegenstandes“ (B 79) sind und die insofern gerade nicht von allem Inhalt abstrahiert, sondern die davon handelt, dass das Denken einen Inhalt hat und haben muss, soll von Erkenntnis die Rede sein können, und wie es ihn haben kann. Transzendentale Logik – so muss diese Logik nach Kant heißen; denn der Begriff des Transzendentalen begreift genau das, was dieses Logikkonzept von dem der formalen Logik unterscheidet5 – ist Theorie der Gegenstandsbezogenheit des Denkens, das ist jene Theorie, die allein mit den Begriffen und den diesen Begriffen immanenten Prinzipien der Beziehung des Denkens auf den Gegenstand (der Erkenntnis) befasst ist, die zum Problem macht, was die formale Logik ausklammert, in der Weise ausklammert, dass sie es zur selbstverständlichen, unthematischen Voraussetzung macht6, die kognitive Relation, die kognitive Relation als dem Denken, dem Denken seiner Eigenbestimmtheit nach zuzurechnende und insofern erfahrungsunabhängige, apriorische Bedingungen der Gegenstandsbestimmung involvierende Relation, und die so „den Ursprung, den Umfang und die objective Gültigkeit“ (B 81) der apriorischen Erkenntnis und, soweit diese für jede Erkenntnis fundamental ist, der Erkenntnis überhaupt zu bestimmen in der Lage ist. Eine solche Logik legt nicht die nur negativen, sondern die positiven Bedingungen der Wahrheit dar. Sie ist „Logik der Wahrheit“ (B 87), wie Kant verkürzend, aber ihre prinzipientheoretische, auf die Darlegung des „transzendentalen Inhaltes“ (B 105) der reinen Verstandesbegriffe zielende Ausrichtung meinend, sagt. Ihr Ziel ist es, die Prinzipien dessen an der Vorstellung des Objektes zu eruieren, das „zur Bestimmung des Gegenstandes (zum Erkenntnisse) dient oder gebraucht werden kann“7, das ist objektive Gültigkeit garantiert, die Prinzipien der objektiven Gültigkeit der Gegenstandsbestimmung, die Geltungsgründe des gegenständlichen Sinnes. Gemäß dieser Zielsetzung muss sie in der Gegenstandsbestimmung die „Handlungen des reinen Denkens“ (B 81) am Werk sehen, muss sie die Gegenstandsbestimmung als die analytisch zu ermittelnde – deshalb ist die transzendentale Logik transzendentale Analytik – ___________ 5 Vgl. die „Anmerkung“ B 80. Kant sagt von ihr nicht ohne Bedacht, dass sie „ihren Einfluß auf alle nachfolgenden Betrachtungen erstreckt“ und dass man sie „wohl vor Augen haben muß“. 6 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Rainer Stuhlmann-Laeisz, übrigens auch gegen Prauss. Vgl. Rainer Stuhlmann-Laeisz, Kants Logik. Eine Interpretation auf der Grundlage von Vorlesungen, veröffentlichten Werken und Nachlass, Berlin/New York 1976, S. 53 u. 115 f. 7 Vgl. V, S. 188 f. Mit Ausnahme der Kritik der reinen Vernunft, die nach der zweiten Originalauflage (Auflage B) zitiert wird, werden die Schriften Kants nach der Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften zitiert, durch Angabe von Band und Seitenzahl. Ich habe mich im Übrigen auf exemplarische Nachweise beschränkt.

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notwendige und allgemeine funktionale Qualifikation eines jeden Begriffes von einem Gegenstande begreifen, als das, das diesem Begriff seine Geltungswertigkeit begründet. Die durchgängige Bestimmtheit dieser differenzierten funktionalen Qualifikation ist die Ordnung verschiedener Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen, die Synthesis (B 93 u. 103). Deren Struktur ist also erfragt. Es ist die Struktur des Urteils. Denn die repräsentiert nichts als die „Functionen der Einheit unter unsern Vorstellungen“ (B 94). Für Kant ist die Lage so völlig klar: Die präzise Wiedergabe der Struktur des Urteils, das heißt die Erfassung und Explikation der verschiedenen Momente dieser Struktur, kommt der Durchdringung der prinzipientheoretisch verstandenen durchgängigen Bestimmtheit der Gegenstandsbestimmung gleich. Der Verstand überhaupt kann „als ein Vermögen zu Urtheilen vorgestellt werden“ (B 94). Sein für die Logik der Wahrheit unverzichtbarer prinzipientheoretischer Begriff ist durch die transzendentallogische Strukturanalyse des Urteils sicherzustellen. Oder mit anderen Worten: Die transzendentallogische Strukturanalyse des Urteils stellt das Prinzip für die Eruierung der spezifischen Begriffe der Logik der Wahrheit bereit, das ist jener Begriffe, die „aus dem Verstande als absoluter Einheit rein und unvermischt entspringen“ („und daher selbst nach einem Begriffe oder Idee unter sich zusammenhängen müssen“, wie Kant B 928 sogleich hinzufügt), die die Qualifikation eines „Stammbegriffes“ (B 27 u.ö.) der Erkenntnis für sich in Anspruch nehmen dürfen, die die „reine Erkenntnis“ ausmachen. Sie setzt die Logik der Wahrheit als prinzipientheoretische Logik ins Werk. Das ist schon an den operativen Begriffen, die Kant wählt, deutlich abzulesen. Es sind die Begriffe der metaphysischen und der transzendentalen Deduktion. Beide Begriffe verdeutlichen hinreichend präzise die Einschätzung, Abgrenzung und sachliche Abfolge der transzendentallogischen Überlegungen, die in der prinzipientheoretischen Logik der Wahrheit anzustellen sind. Einzuschätzen sind sie übereinstimmend als Deduktion. Denn als Überlegungen, die auf die transzendentallogische Frage nach dem Rechtsgrunde von gegenständlichem Sinn Auskunft geben, müssen sie in zureichender Weise erklären, wie sich die Gegenständlichkeit des gegenständlichen Sinnes konstituiert. In zwei zu unterscheidende, aufeinanderfolgende Überlegungsreihen gliedern sie sich, weil die fragliche Erklärung zum einen den „Sinn“ und die „Bedeutung“, andererseits den „Gebrauch“ der die Gegenständlichkeit des gegenständlichen Sinnes konstituierenden Konstituentien, der reinen Verstandesbegriffe (Kategorien), betrifft (B 116 f.9), wobei ihnen ihr „Sinn“ und ihre „Bedeutung“ aus ihrem Ursprung, dem Verstand, zukommt, ihr „Gebrauch“ sich dadurch be___________ 8 9

Vgl. auch IV, S. 323. Vgl. auch IV, S. 324.

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stimmt, dass sie ihr Gegenstück, die Anschauung, haben, dass sie die Bestimmtheit des Gegenstandes in Anbetracht seiner Unbestimmtheit zu garantieren haben. In Übereinstimmung hiermit heißt es von der metaphysischen Deduktion, dass sie die reinen Verstandesbegriffe in „ihrem Geburtsorte“ aufsucht (B 90) und dass sie deren „Ursprung“ dartut, dass sie diesen in deren „völlige[r] Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Functionen des Denkens“ (B 159) findet, so dass der „transzendentale Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe“, dies der Titel für die metaphysische Deduktion B 92, in den „Functionen der Einheit in den Urtheilen“ (B 94) zu finden ist. In Übereinstimmung hiermit heißt es von der transzendentalen Deduktion, dass sie in zureichender Weise erklärt, wie die reinen Verstandesbegriffe dadurch, dass sie das Mannigfaltige der Anschauung synthetisieren, sich auf Gegenstände beziehen (B 117), dass sie die reinen Verstandesbegriffe „als Erkenntnisse a priori von Gegenständen einer Anschauung überhaupt“ darstellt (B 159), das ist darstellt als etwas, das zu „Principien der Möglichkeit der Erfahrung“ (B 168) zu gebrauchen ist. In Übereinstimmung hiermit wird die metaphysische Deduktion als transzendentale Erwägung der logischen Form (B 386), als transzendentallogische Überlegung zum transzendentalen Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe (B 91/92), der transzendentalen vorgeordnet und konsequenterweise im ersten Hauptstück der Analytik der Begriffe behandelt, während die transzendentale Deduktion den Behandlungsgegenstand des zweiten Hauptstückes der Analytik der Begriffe ausmacht10. ___________ 10 Die präzisen Angaben Kants haben nicht verhindern können, dass bezüglich Einschätzung, Abgrenzung und Verhältnisbestimmung von metaphysischer und transzendentaler Deduktion in der Kant-Forschung der Dissens herrscht. Von den Anfängen der Kantauslegung an bis in die Gegenwart hinein stehen sich die einander zum Teil direkt widerstreitenden Ansichten gegenüber. Wenn von der angesichts Kants eindeutiger Hinweise B 116 f. schwer verständlichen Unsicherheit bezüglich der Einschätzung der Deduktionsmethodik als solcher einmal abgesehen wird (vgl. hierzu z.B. die Diskussion zur Beweisstruktur der transzendentalen Deduktion in Burkhard Tuschling (Hg.), Probleme der ‚Kritik der reinen Vernunft‘. Kant-Tagung Marburg 1981, Berlin/New York 1984 und darin insbesondere die Ausführungen Dieter Henrichs S. 84 ff.), lassen sich in etwa die folgenden Ansichten auseinanderhalten: (1) Metaphysische und transzendentale Deduktion sind bei Kant nicht eigentlich gegeneinander abgegrenzt. Diese Ansicht geht mit der einher, die meint, in Kants kritischem Logikbegriff werde die transzendentale Logik gegen die formale Logik ausgespielt. Sie findet sich vor allem bei den Neukantianern vertreten. In der Gegenwart ist sie in unterschiedlicher Akzentuierung in den Positionen z.B. Harold Robert Smart’s, Two Views of Kant and Formal Logic, in: Philosophy and Phenomenological Research Vol. XVI, 1955, S. 155–171, Robert Paul Wolff’s, Kant’s Theory of Mental Activity, Cambridge, Mass. 1963, S. 60 u. 61 ff., Gerold Prauss’ (vgl. die in Anm. 3 genannte Arbeit) und Johannes Heinrichs’, Die Logik der Vernunftkritik. Kants Kategorienlehre in ihrer aktuellen Bedeutung, Tübingen 1986 enthalten. (2) Metaphysische und transzendentale Deduktion sind für Kant strikt getrennt, doch im kritischen Logikbegriff in der Weise der Erledigung zweier Aufgaben, einer vorgängigen und einer nachfolgenden, einander zugeordnet. Die Erledigung der vorgängigen, die die Erledigung der nachfolgenden determiniert, ist formallogischer Natur; die

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Rein argumentativ ist die Sache noch deutlicher. Rein argumentativ ist nämlich die Qualifikation zum Stammbegriff der Erkenntnis als nichts anderes denn als die „völlige Zusammentreffung“ von „Sinn“ und „Bedeutung“ eines solchen Begriffes mit dem, was in der Strukturanalyse des Urteils sich herausstellt, mit der Funktionalität der Bestimmung, vorgeführt. Stammbegriff der Erkenntnis zu sein ist gleich Bestimmung möglich sein zu lassen. Formallogisch beinhaltet das, dass der Verstand von einem solchen Stammbegriff wie vom Begriff überhaupt „keinen andern Gebrauch machen [kann], als daß er dadurch urtheilt“ (B 9311); transzendentallogisch beinhaltet das, dass der Gegenstand als be___________ Erledigung der nachfolgenden ist transzendentallogischer Natur. Vertreter dieser Ansicht in der Gegenwart sind z.B. Herbert James Paton (vgl. die in Anm. 1 genannte Abhandlung, insbesondere S. 255) und Lorenz Krüger (Wollte Kant die Vollständigkeit seiner Urteilstafel beweisen?, Kant-Studien Bd. 59, 1968, S. 333–356). (3) Metaphysische und transzendentale Deduktion sind für Kant strikt getrennte, doch im kritischen Logikbegriff im Sinne des notwendigen Fortganges von der anfänglichen zur abschließenden Bearbeitung des Themas einander zugeordnete Lehrstücke. Diese Ansicht wird in der Gegenwart z.B. von Rainer Stuhlmann-Laeisz vertreten (vgl. S. 19 ff. des in Anm. 6 genannten Werkes). Sie ist, allerdings ohne die Negativ-positiv-Kontrastierung, die bei Stuhlmann-Laeisz durchschimmert, auch in Hans Wagners Auffassung des Verhältnisses von Formallogik und Transzendentallogik (vgl. die in Anm. 4 genannte Arbeit sowie die Ausführungen in Burkhard Tuschling (Hg.), Probleme der ,Kritik der reinen Vernunft‘, S. 39 ff.) und in Rolf-Peter Horstmanns Einschätzung der metaphysischen Deduktion (Die metaphysische Deduktion in Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, in: Burkhard Tuschling (Hg.), a.a.O., S. 15–33) enthalten. Ihr hat erstmals Klaus Reich Gehör verschafft (Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel, Berlin 1932, 21948). (4) Metaphysische und transzendentale Deduktion sind einer übergreifenden ontologischen Motivation untergeordnet. Diese Motivation bestimmt auch ihr Verhältnis zueinander. Es ist eher das der Assimilation der Urteilslogik an die ontologische Begrifflichkeit als das der Ableitung der ontologischen Begrifflichkeit aus der Urteilslogik. Diese Ansicht zeichnet z.B. die einschlägigen Forschungen Gottfried Martins (Immanuel Kant. Ontologie und Wissenschaftstheorie, Berlin 41969, insbesondere S. 90 ff.) und Heinz Heimsoeths (Zur Herkunft und Entwicklung von Kants Kategorientafel, in: Heinz Heimsoeth, Studien zur Philosophie Immanuel Kants II. Methodenbegriffe der Erfahrungswissenschaften und Gegensätzlichkeiten spekulativer Weltkonzeption, Bonn 1970, S. 109–132 (= KantStudien Ergänzungsheft 100) aus. (5) Metaphysische und transzendentale Deduktion sind nicht sauber voneinander zu trennen. Die Argumente der einen sind mit Argumenten der anderen verschmolzen. Diese Ansicht wird gegenwärtig etwa von Malte Hossenfelder (Kants Konstitutionstheorie und die transzendentale Deduktion, Berlin 1978) und Frank Obergfell (Begriff und Gegenstand bei Kant. Eine phänomenologische Untersuchung zum Schematismus der empirischen und mathematischen Begriffe und der reinen Verstandesbegriffe in der „Kritik der reinen Vernunft“, Würzburg 1985, insbesondere S. 129) vertreten. – Diesen Ansichten gegenüber ist der Erörterung der operativen Begriffe der Logik der Wahrheit zu entnehmen, dass der gemäß dem kritischen Grundlegungsgedanken, der Idee der Letztbegründung, begriffene, also kritisch begründete logische Formgedanke den Ansatzpunkt der Durchdringung des Themas der Bestimmung bildet. Vgl. hierzu die Ausführungen im Text. 11 Frank Obergfell (Begriff und Gegenstand bei Kant, S. 109) hat richtig erkannt, dass diese Wendung keine Bezugnahme auf die traditionelle Urteilslehre ist, wonach das Urteil Verhältnis von Begriffen ist, sondern dass diese einen „tieferen Sinn“ habe. Lei-

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stimmter Gegenstand vorgestellt ist und allein vorgestellt werden kann gemäß den Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen, in der Struktur des Urteils. Diese macht die Bestimmtheit des Denkens aus, dadurch dieses auf den Gegenstand bezogen ist, dadurch dieser dem Denken notwendig etwas Bestimmtes ist und dementsprechend als Maßstab begriffen werden muss, als der Maßstab der Gültigkeit der Vorstellung, die wir von ihm haben, die wir uns von ihm machen. Sie ist insofern in aller Strenge als die Eigenbestimmtheit des Denkens, das heißt als die Bestimmtheit zu betrachten, die das Denken Denken sein lässt, die für seine Eigentümlichkeit, etwas als etwas vorzustellen, einsteht. Kants prinzipientheoretische Logik der Wahrheit schafft es so, den Formbegriff der formalen Logik, speziell der Urteilslogik, aus seiner Ungegenständlichkeit zu befreien und zum Zentralbegriff für die Bedingungen der Erkenntnisqualifikation des Wissens zu machen. Die Ineinssetzung von Eigenbestimmtheit des Denkens und Urteilsstruktur schiebt dieser die schlechthin konstitutive Rolle für die Erkenntnis zu. Die Modifikationen des Urteils repräsentieren den Bestand an primärer Konstitutivität bezüglich der Erkenntnis12. Von diesen her ist in Konsequenz die Konstitution der Erkenntnis aufzuschließen. Es kommt darauf an zu durchschauen, dass und wie in diesen Strukturen Bestimmung sich begründet. In dieser Zuspitzung stellt das Programm der als prinzipientheoretische Logik der Wahrheit sich etablierenden transzendentalen Logik das Programm der ___________ der hat er ihren transzendentallogischen Gehalt nicht adäquat herauszuarbeiten vermocht (vgl. a.a.O., S. 110 ff.). 12 Kants Bemühen um eine kritische Neudefinition des Urteils innerhalb der transzendentalen Logik hat darum weniger mit der Abgrenzung von formaler und transzendentaler Logik zu tun, wie z.B. Stuhlmann-Laeisz (Kants Logik, S. 58 f.) mit vielen anderen meint, als vielmehr mit der in der berühmten Anmerkung zum § 16 der Kritik der reinen Vernunft auch direkt angesprochenen rückhaltlosen Integration des Formbegriffes der formalen Logik in den kritischen Gedanken der Letztbegründung eines jeden möglichen gegenständlichen Sinnes. Jules Vuillemin meint wohl dasselbe, wenn er darlegt, dass Kant nur aus vom Gedanken der Kritik her zu rechtfertigender Argumentation die Autonomie der formalen Logik lehre (vgl. Jules Vuillemin, Reflexionen über Kants Logik, in: Kant-Studien, Bd. 52, 1960/61, S. 311). Insofern er jedoch zugleich der Meinung ist, dass Kant diese Position nur eingenommen habe, weil er den Einfluss der Methoden der transzendentalen Philosophie auf die Logik „nicht tiefreichend genug“ (a.a.O., S. 334) zur Geltung gebracht habe, läuft seine Auslegung der unseren gleichwohl entgegen. In Übereinstimmung mit der gängigen Vorstellung von der Abhängigkeit der formalen Logik von der transzendentalen besteht sie darauf, dass der Formbegriff der formalen Logik dem der Kategorienlehre unterzuordnen sei, dass somit zwischen Urteil und Kategorie kein Verhältnis spiele, das mit dem Titel „Leitfaden der Entdeckung“ zu belegen sei. – Zur Festlegung der Kritik der reinen Vernunft auf den Gedanken der Letztbegründung eines jeden gegenständlichen Sinnes vgl. Werner Flach, Transzendentalphilosophie und Kritik. Zur Bestimmung des Verhältnisses der Titelbegriffe der Kantischen Philosophie, in: Wilhelm Arnold/Hermann Zeltner (Hg.), Tradition und Kritik. Festschrift für Rudolf Zocher, Stuttgart-Bad Canstatt 1967, S. 69–83.

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kritischen Kategorienlehre dar. Die Überlegung ist so weit, deren hauptsächliche und entscheidende Aussagen verstehen zu können. Die wurzelhafte Aussage der kritischen Kategorienlehre besteht, in aller Kürze formuliert, darin, dass die dank der primären Konstitutivität des Urteils sich vollziehende Konstitution von Bestimmung der das Bewusstsein von etwas als Selbstbewusstsein verstehen lehrenden durchgängigen Durchsetzung von Bewusstseinseinheit, bis hin zur Bewusstseinseinheit im Verstande der Einheit des Bewusstseins überhaupt, gegenüber der Zustandsmannigfaltigkeit von Bewusstsein, bis hin zur Mannigfaltigkeit schlechthin, gleich ist. Hiermit wird das Spannungsverhältnis von bestimmter und unbestimmter Vorstellung des Gegenstandes überbrückt. Die Brücke stellt die formale Artikulation der Gegenstandsvorstellung in den zu bestimmenden, den bestimmbaren, den bestimmenden, den bestimmten Begriff dar. Durch diese formale Artikulation des zu bestimmenden, des bestimmbaren, des bestimmenden, des bestimmten Begriffes ist die Korrelation von Einheit und Mannigfaltigkeit operationalisiert. Sie ist dahingehend operationalisiert, dass es sich bei ihr um Ordnung in Verhältnissen handelt. Für die Verhältnisse, in denen geordnet werden kann und die Kant unter den Titel der Anschauung bringt, sind die Prinzipien anzugeben; für die Ordnung als solche, die Kant unter den Titel des Denkens bringt, ebenfalls. Die ersteren sind nach Kant die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit; die letzteren sind nach Kant die reinen Verstandesbegriffe (Kategorien). Diese sind also, präzise gesagt, Ordnungsoperatoren. Sie sind die das Bezugssystem von zu bestimmendem, bestimmbarem, bestimmendem und bestimmtem Begriff nach seinen verschiedenen Aspekten definierenden Operatoren der Ordnung der in den Verhältnissen des Raumes und der Zeit vorliegenden Daten, die konstitutiven Bestimmungsoperatoren, die prinzipiellen Bestimmungskonstituentien13. Es sind Unzulänglichkeiten genug bezüglich der Kantischen Darstellung der kritischen Kategorienlehre zu beklagen. Bezüglich dieser wurzelhaften Aussage lassen die Kantischen Formulierungen jedoch kaum etwas zu wünschen übrig. In aller Bestimmtheit heißt es: „Dieselbe Function, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urtheile Einheit giebt, die giebt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt“ (B 105). Und: „Derselbe Verstand [...] und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Be___________ 13 B 145 z.B. heißt es darum: „Sie sind nur Regeln für einen Verstand, dessen ganzes Vermögen im Denken besteht, d.i. in der Handlung, die Synthesis des Mannigfaltigen, welches ihm anderweitig in der Anschauung gegeben worden, zur Einheit der Apperzeption zu bringen, der also für sich gar nichts erkennt, sondern nur den Stoff zum Erkenntnis, die Anschauung, die ihm durchs Object gegeben werden muß, verbindet und ordnet.“ Vgl. auch den ganzen § 20 und B 186 f.

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griffen vermittelst der analytischen Einheit die logische Form eines Urtheils zu Stande brachte, bringt auch vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt“ (B 105), das heißt eine (rein) apriorische Gegenstandsbestimmung. Die Kategorien „sind Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Functionen zu Urtheilen als bestimmt angesehen wird“ (B 12814). Sie tun nichts, „als blos einer Anschauung die Art überhaupt zu bestimmen, wie sie zu Urtheilen dienen kann“15. Aus der wurzelhaften Aussage ergeben sich die weiteren wesentlichen Aussagen. Die kritische Kategorienlehre konzentriert sich dementsprechend auf Aussagen, die geeignet erscheinen, das Thema der Gegenstandsbestimmung als Konstitutionsthema auszuschöpfen. Sie müssen die Gesamtheit der Bestimmungsstücke vorstellen, die den Verstand als reinen, bei dem Mannigfaltigen der Anschauung etwas, „das ist ein Object derselben“ (B 106), denkenden Verstand kennzeichnet. Sie müssen die Konstitution möglichen gegenständlichen Sinnes vollständig zeichnen. Für Kant ist dabei ausschlaggebend zu durchschauen, durch welche Punkte der Argumentation diese Zeichnung, wenn sie vollständig werden soll, geführt werden muss. Geht es doch um die sichere Kenntnis der „Principien zu einem System“ der dem Gedanken der Letztbegründung eines jeden gegenständlichen Sinnes verpflichteten fundierenden Wissenschaft, der „transzendentalen Philosophie“, wie es Kant im § 39 der Prolegomena16 formuliert. Die Behandlung dieses Punktes hat die kritische Kategorienlehre zu jener Tafellehre werden lassen, als die sie bekannt geworden ist, deren tiefere Aufgabe, nämlich die, die sichere Kenntnis der Prinzipien zu einem System der dem Gedanken der Letztbegründung eines jeden möglichen gegenständlichen Sinnes verpflichteten Wissenschaft bereitzustellen, bislang jedoch nur unzureichend erfasst worden ist. Die Herausbildung einer gewissen Distanz zur kritischen Kategorienlehre erscheint so unvermeidlich. Seit den Anfängen der Kantrezeption ist dies denn auch immer wieder zu beobachten. Meines Erachtens ist der Mangel jedoch nicht so sehr bei der kritischen Kategorienlehre als bei deren Rezipienten zu ___________ 14

Vgl. auch B 143 (den vorletzten Satz des § 20) und B 378 sowie den Bericht Prolegomena § 39, insbesondere IV, S. 323 f. 15 IV, S. 300. 16 IV, S. 324. Vgl. hierzu die noch immer maßgebliche Arbeit von Klaus Reich (Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel) sowie die neueren Arbeiten von Hans Lenk (Kritik der logischen Konstanten. Philosophische Begründungen der Urteilsformen vom Idealismus bis zur Gegenwart, Berlin 1968, S. 5 ff.), Lorenz Krüger (vgl. die in Anm. 10 genannte Arbeit), Johannes Heinrichs (vgl. die in Anm. 10 genannte Arbeit, S. 40 ff.) und Rainer Stuhlmann-Laeisz (Kants Thesen über sein Kategoriensystem und ihre Beweise, in: Kant-Studien Bd. 78, 1987, S. 5–24).

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suchen. Denn was soll an dieser Lehre schon mangelhaft sein, wenn sie auf die Eigenbestimmtheit des Denkens Bezug nimmt und wenn sie mit der Einsicht ernst macht, dass in der Eigenbestimmtheit des Denkens die Möglichkeit der Gegenstandsbestimmung zu suchen ist! Müssen dann nicht die Funktionen, in denen die Gegenstandsbestimmung ihre prinzipielle Ermöglichung hat, in der Eigenbestimmtheit des Denkens, seiner Formalität, und damit im Felde der der Methodik letzter Begründung integrierten formalen Logik entdeckt werden! Muss diese Entdeckungsarbeit nicht so erschöpfend sein wie die Logik erschöpfend ist! Zielen der Vorteil und die Verbindlichkeit, von denen Kant B 92 spricht, auf etwas anderes als die systematische Qualifikation der reinen Verstandesbegriffe! Ist die Regel, „nach welcher jedem reinen Verstandesbegriff seine Stelle und allen insgesammt ihre Vollständigkeit a priori bestimmt werden kann“ (B 9217), etwas anderes als Regel der systematischen Qualifikation! Lässt sich diese systematische Qualifikation nicht durch eine Tafel zur Darstellung bringen! Ist dies nicht etwas ganz anderes als ein dem Prinzip der formallogischen Ableitung und deren Vollständigkeit folgender Beweisgang18! Punkt um Punkt ist zuzugeben, dass es sich um „eine ganz klare und genugthuende Deduction“19, das heißt den Gedanken der Letztbegründung der Erkenntnis seiner systembildenden Kraft nach unter Beweis stellende Überlegung bezüglich dessen handelt, was angesichts dieses Gedankens zuerst und vor allem zu begreifen ist, dass Erkenntnis nur ein Wissen sein kann, das ein Objekt hat und dem eben dieses Objekt Zubestimmendes, Bestimmbares, teils Bestimmtes, teils Unbestimmtes ist, womit eine jede Bestimmung eben diese Bestimmungsaspekte aufweist. Für Kant ist dieses Objekt die Natur, die Natur in formaler Bedeutung, im Vergleich zu der jeder Begriff der Natur in materieller Bedeutung den Inbegriff der in unsere Erfahrung eingegangenen Gegenstände meint20. Auf den Begriff der Natur in formaler Bedeutung führt darum auch die die systembildende Kraft des Gedankens der Letztbegründung eines jeden mögli___________ 17

Kann, nicht wird! Darum, Kants Tafellehre eine Interpretation angedeihen zu lassen, die sie nicht oder zumindest nicht grundsätzlich der schwerwiegenden Unterlassungen oder inneren Widersprüche zeihen muss, haben sich auf unterschiedliche Weise auch schon die meisten der in Anm. 10 genannten Forscher bemüht. Nur ist keiner von ihnen wirklich zu der Erkenntnis vorgedrungen, dass bei der These (Kants), der Eigenbestimmtheit des Denkens ist die Ermöglichung der Gegenstandsbestimmung zuzurechnen, die Frage der Korrektheit der Tafel, im besonderen die ihrer Vollständigkeit, eine innerlogische Frage ist, womit Kants Vollständigkeitsüberlegungen von der Beurteilungslage derer, die von der modernen Logik provoziert werden, nicht allzu weit entfernt sind. 19 Kant, AA IV, S. 474. 20 Vgl. etwa B 165, den Beginn der ‚Vorrede‘ der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft (IV, S. 467) sowie Prolegomena § 36 (IV, S. 318). 18

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chen gegenständlichen Sinnes unter Beweis stellende Überlegung. Die „ganz klare und genugthuende Deduction“, die vollständige Zeichnung der Konstitution gegenständlichen Sinnes, erschöpft sich keineswegs in der Besetzung der (ursprünglichen) Tafel21, sie ist ebenso eine Angelegenheit der Stufung der Tafel. Die Stufung der Tafel steht für die Zeichnung der Fundierungslinie, die von den logischen Funktionen in Urteilen bis zum Begriff der Natur in formaler Bedeutung reicht. Wenn man so will, kann man von der primären Stufe der Urteilstafel, von der sekundären Stufe der Kategorientafel, von der tertiären Stufe der Tafel der Grundsätze reden. Auf der ersten Stufe, wir haben es schon berührt, geht es um die rein logische Eigenbestimmtheit des Denkens, die logischen Funktionen in Urteilen. Auf der zweiten Stufe geht es um die logische Ordnung des logisch betrachtet Kontingenten, des Mannigfaltigen der Anschauung. Auf der dritten Stufe geht es darum, wie die die logische Notwendigkeit und die logische Kontingenz ihrer Aussagen gleicherweise und gleichermaßen bei sich führende wissenschaftliche Erkenntnis sich begründet. Das Verhältnis der ersten Stufe zur zweiten ist entsprechend das der „Anwendung“ der bloßen Urteilsformen auf Anschauungen: Die logischen Funktionen in Urteilen, die bloßen Urteilsformen, sind als Operatoren zu gebrauchen, gemäß welchen das Mannigfaltige der Anschauung geordnet werden kann. Sie sind Bestimmungsfunktionen22. Das Verhältnis der zweiten Stufe zur dritten ist entsprechend das der Schematisierung. Die Ordnungsoperatoren realisieren und restringieren sich in dieser Schematisierung zu den notwendigen wie zureichenden Bestimmungsfunktoren der spezifisch menschlichen Erkenntnis und geben auf Grund dessen zuletzt das „Schema [...] zur Vollständigkeit eines metaphysischen Systems“23 der menschlichen Erkenntnis ab. Dadurch sind fundierenderweise das Thema und die Themen der dem Menschen möglichen Erkenntnis festgelegt. Dadurch ist ferner festgelegt, wie dieses Thema und diese Themen wissenschaftlich zu ___________ 21 Wie schon betont ist die Angelegenheit der Besetzung der Tafel eine innerlogische Angelegenheit. Sie ist in dem Sinn eine innerlogische Angelegenheit als der Urteilslogik und allein dieser die Aufgabe zufällt, die Eigenbestimmtheit des Denkens zu definieren. Die Qualität dieser Definition ist für Kant forschungsabhängig. Sie unterscheidet sich also nicht von anderen philosophischen Definitionen. Es ist somit zumindest überzogen, Kant zu unterstellen, er hätte in Bezug auf diese Definition eine forschungsreferente Modifikation ausgeschlossen wissen wollen. 22 Unter Bezugnahme auf Kants Auslassungen über die „reale Definition“ B 300 und B 304 sowie der Unterscheidung von „bloß formalem“ und „realem Gebrauch“ des Verstandes B 355 könnte man die beiden Wendungen als formale und als reale Definition der Kategorie gegenüberstellen. Die beiden Wendungen besagen nicht einfach dasselbe. Sie machen vielmehr auf den – in dieser Abhandlung übergangenen – Doppelaspekt des Aufstufungsverhältnisses als solchen aufmerksam. Sie sind also mit Kants Auslassungen über die „Realdefinition“ einer Kategorie B 300 u. B 304 sowie seiner Unterscheidung von „bloß formalem“ und „realem Gebrauch“ des Verstandes B 355 zusammenzubringen und dementsprechend als Formal- und als Realdefinition der Kategorie zu lesen. 23 IV, S. 473.

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behandeln, das heißt in der den sicheren Gang der Wissenschaft nehmenden Bestimmungsarbeit zu bewältigen sind. Das Thema der dem Menschen möglichen Erkenntnis ist das der Natur überhaupt. Die Themen der dem Menschen möglichen Erkenntnis betreffen notwendig eine besondere Natur. Das Thema der Natur überhaupt ist in den sicheren Gang einer Wissenschaft nehmender Bestimmungsarbeit zu bewältigen, weil es bei ihm um nichts anderes als um „die Gesetzmäßigkeit in Verknüpfungen der Erscheinungen“24 geht und weil diese mit jener apriorischen Ordnung identisch ist, die in der Beziehung der reinen Verstandesbegriffe auf die der Endlichkeit des Menschen allein gemäße sinnliche Anschauung (des inneren und des äußeren Sinnes) erwächst25, als primäre, anfängliche Objektbestimmung und somit als das, das „allen unseren Erkenntnissen objective Realität gibt“ (B 195), das Erfahrung, wie Kant die mit objektiver Realität ausgestatteten Erkenntnisse nennt, überhaupt ermöglicht, das erfahrungskonstituierend ist. Die vielfältigen Themen der besonderen Natur sind zu bewältigen, weil jedes dieser Themen Thema über dem der Natur überhaupt ist und dies dazu zwingt, in der anfänglichen erfahrungskonstituierenden Objektbestimmung den Bestimmungsgrund für die ein solches entfaltende konkrete Bestimmungsarbeit zu sehen. Aus den reinen Verstandesbegriffen erwachsen durch ihre Verbindung „mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder ___________ 24

IV, S. 318. Die Einbindung der konstitutiven Funktion der Kategorien in diese darf nach Kant nicht außer Betracht bleiben, weil die Kategorien gegenstandsbestimmend für uns Menschen nur in Beziehung auf unsere Anschauung sind, so wenig es hierfür auch eine logische Notwendigkeit gibt. Das wird im § 23 der Kritik der reinen Vernunft ausgeführt. Bewiesen im Sinne der transzendentalen Deduktion der Kategorien ist hierdurch die logische Kontingenz der Gegenstandsbestimmung. Für diese ist nämlich ausschlaggebend, dass das Anschauungsmannigfaltige „unmittelbar als wirklich ... vorgestellt wird“ (B 147). Unsere sinnliche Anschauung erfüllt diese Bedingung durch die Bindung an die Empfindung. Kant lässt somit keinen Zweifel daran, dass von der Funktionalität der Kategorien her die Anschauung nicht auf die menschliche Sinnlichkeit eingeschränkt sein müsste. „Die reinen Verstandesbegriffe ... erstrecken sich auf Gegenstände der Anschauung überhaupt, sie mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht, wenn sie nur sinnlich ... ist“ (B 148). Doch besteht er darauf, der Umstand, dass wir Sinnlichkeit nicht notwendig als unsere Sinnlichkeit verstehen müssen und dass somit die Kategorien von ihrer Funktionalität her nicht notwendig auf unsere Sinnlichkeit bezogen betrachtet werden müssen, ist insofern belanglos, als die Annahme nicht-menschlicher Sinnlichkeit, so berechtigt sie ist, von uns nicht „in unmittelbarer Wirklichkeit“ in Ansatz gebracht zu werden vermag. Sie „hilft uns ... zu nichts“ (B 148). Für uns kann nur die „Anwendung“ der Kategorien auf unsere „sinnliche und empirische Anschauung“ denselben konkreten „Sinn und Bedeutung verschaffen“ (B 149). Wie Kant im § 24 der Kritik der reinen Vernunft ausführt, lässt sich so das Problem der Kategoriengemäßheit der Bestimmung der „Gegenstände der uns möglichen Anschauung“ (B 152) bewältigen. Zu dieser gebrauchsrestriktiven Anlage der transzendentalen Deduktion der Kategorien vgl. besonders Rudolf Zocher, Kants transzendentale Deduktion der Kategorien, in: Zeitschrift für philosophische Forschung VIII (1954), S. 161–194. 25

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auch unter einander“ (B 108) Begriffe apriori sekundärer Objektbestimmung26. Diese decken die Bestimmung des Gegenstandes, „wie er nach datis der Anschauung (der reinen sowohl, als empirischen) vorgestellt werden muß“27, das ist die die Konstruktion einschließende gesetzmäßige Verbindung empirischer, den Gegenstand in der Einheit einer Anschauung gebenden (B 144) Vorstellungen, ab. So konstituiert sich in ihnen genau die exakte, dem Gedanken der logischen Notwendigkeit wie dem Gedanken der logischen Kontingenz Rechnung tragende28 Erkenntnis der Natur, die in der wohlfundierten besonderen Naturwissenschaft zu finden ist. Deren Konstitution (Grundlegung) ist somit das, worauf die kritische Kategorienlehre letztlich führt. In der eigentümlichen Methode der Transzendentalphilosophie, die nach Kant in der Kritik der reinen Vernunft nicht eigentlich zur Sprache kommt29, auf die aber B 811 z.B. dennoch kurz eingegangen wird, führt die Kategorienlehre den Nachweis, dass schon die Vorstellung eines (beliebigen) Objektes der Erfahrung nicht möglich wäre, konstituierte sich nicht in den kategorialen Begriffen (den Prädikabilien und zuletzt den Prädikamenten) synthetische und apriorische Bestimmung, das ist Bestimmung, die die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstandsbeziehung einschließt, die die Gegenstandsbeziehung zu einer Angelegenheit ihrer Prädikation, ihrer ganz konkreten und ihrer ganz allgemeinen und schlechthin notwendigen Prädikation macht. Man muss darum das eigentliche Anliegen der kritischen Kategorienlehre darin sehen, die Gegenstände der Erfahrung als Gegenstände begrifflicher Bestimmung nachzuweisen und hiermit nachzuweisen, dass eben diese Anschauung ordnende (B 145) und insofern der anschaulichen Vorstellung von einem bestimmten Gegenstand zugrundeliegende Bestimmung die Erfahrung zur Gesetzeserkenntnis macht, zur Gesetzeserkenntnis im Verstande der Erkenntnis der notwendigen Gesetzmäßigkeit aller Erscheinungen der Natur und zur Gesetzeserkenntnis im Verstande der Erkenntnis der besonderen, die Erscheinungen der Natur in ihrer empirischen Vereinzeltheit betreffenden, „nicht vollständig abgeleitet[en]“ (B 165), also als erfahrungsbedingt zu betrachtenden Geset-

___________ 26 Dass es sich bei diesen von Kant zwecks Unterscheidung von den Kategorien Prädikabilien genannten apriorischen Begriffen um Begriffe sekundärer Objektbestimmung handelt, geht schon daraus hervor, dass ihre Ableitung nicht schlicht als Verbindung der Kategorien untereinander, sondern ebenso als Verbindung der Kategorien mit den modis der reinen Sinnlichkeit verstanden wird. Für Kant gehört die Behandlung dieser Begriffe denn auch in die umfassende Kategorienlehre. Sie sind die abgeleiteten Begriffe zu den Kategorien. 27 IV, S. 473. 28 B 765; IV, S. 469. 29 Vgl. z.B. B 766.

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ze30. Gesetzeserkenntnis zu sein, und zwar so differenziert, wie dargelegt, ist der konstitutive Rahmen der wissenschaftlichen Erfahrung. So fixiert die kritische Kategorienlehre über ihr Kategorienkonzept für die wissenschaftliche Erfahrung überhaupt und jede wissenschaftliche Erfahrung den konstitutiven Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens ist wissenschaftliche Erfahrung im kritischen Verstande möglich, das heißt sie ist, obwohl relativ, wohlgegründet.

II. Das neokritische Kategorienkonzept des Marburger Neukantianismus Man muss bei dieser Lage jede wie auch immer geartete Auseinandersetzung mit der kritischen Kategorienlehre der Kritik der reinen Vernunft daraufhin ansehen, ob sie die hiermit dem Kategorienkonzept beigemessene Rolle festgehalten oder verändert wissen will. Nur wenn sie diese nicht von vorneherein verändert wissen will, kann sie zu der Erwartung Anlass geben, dass in ihr wirklich zu Kant Stellung genommen wird, dass die Kategorienlehre der kritischen Philosophie wahrhaft bedacht und so für die Fortentwicklung des philosophischen Gedankens fruchtbar gemacht ist. Dem Neukantianismus gegenüber ist man sofort geneigt zu bescheinigen, dass er diese Bedingung erfüllt. Das philosophie-historische Urteil über den Neukantianismus spiegelt es. So gut wie durchweg wird darinnen festgestellt, dass der Neukantianismus so entschieden wie keine andere nachkantische Philosophie das Kategorienkonzept der kritischen Philosophie aufgegriffen und in den Mittelpunkt seiner Bemühungen gestellt habe31. Die betonte Wiederaufnahme der transzendentalen Grundfrage und die nachdrückliche Bekräftigung der Kantischen Lehre von der Grundlegung der Erkenntnis in der reinen Erkenntnis lassen nichts anderes erwarten. Legen sie doch die philosophische Grundlegungsanstrengung auf die Ausarbeitung einer mit der kritischen Möglichkeitsfrage verwobenen Kategorienlehre fest. Und muss eine solche Kategorienlehre nicht dem kritischen Kategorienkonzept Kants folgen? Muss sie nicht wenigstens dessen Kerngedanken sich zu eigen machen? Doch die besagte Neigung mag zur Vernachlässigung der gebotenen Vorsicht verleiten. Das kri___________ 30 Vgl. den Gedankengang des § 26 der Kritik der reinen Vernunft sowie die entsprechenden Ausführungen Prolegomena §§ 14–17, 36, Kritik der Urteilskraft § 77. 31 Vgl. z.B. Hans-Michael Baumgartner, Artikel „Kategorie IV“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel/Stuttgart 1976, Sp. 745 ff. u. ders., Artikel „Kategorie“, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. II, München 1973, S. 769 f.; Heinz-Ludwig Ollig, Der Neukantianismus, Stuttgart 1979, S. 111 ff., wo Baumgartners Ausführungen schlicht wiederholt sind.

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tische Kategorienkonzept der Kritik der reinen Vernunft ist durch die Wiederaufnahme der transzendentalen Hauptfrage und durch die nachdrückliche Bekräftigung der Kantischen Lehre von der Grundlegung der Erkenntnis nicht vor Umdeutungen gefeit. Es kann auch anders denn als in der aufgezeigten Weise verstanden werden. So ist das Urteil über die Aufnahme des kritischen Kategorienkonzeptes in der Erkenntnislehre des Neukantianismus keineswegs so sicher, wie die Historiker der Philosophie meinen. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Auseinandersetzung mit der kritischen Kategorienlehre der Kritik der reinen Vernunft innerhalb des Neukantianismus nicht von vornherein auf eine veränderte Rolle des Kategorienkonzeptes zielt. Die philosophie-historische Reflexion muss diese Möglichkeit in Rechnung stellen. Sie muss sie umsomehr in Rechnung stellen, als einer der Hauptvertreter des Neukantianismus, Paul Natorp, in der die Sicht, in der zumindest die Marburger Schule desselben sich zu Kant sah, programmatisch zur Darstellung bringenden Schrift Kant und die Marburger Schule ausdrücklich darauf verwiesen hat, dass die Überlegungen zum Kategorienbegriff und zum System der Kategorien im Zentrum der „notwendigen Korrekturen an der Lehre Kants“ stehen32. Wo dergleichen so hervorgekehrt wird, ist auch ein verändertes Verständnis der Rolle des Kategorienkonzeptes nicht ausgeschlossen. Es ist also die Überprüfung der Kategorienkonzepte vorzunehmen, die sich innerhalb der Erkenntnislehre des Neukantianismus durchgesetzt haben. Wie eingangs bemerkt, erfolgt diese in dieser Abhandlung lediglich bezüglich des Konzeptes, das die Lehre des Marburger Neukantianismus bestimmt. Obwohl ein schuleinheitliches Konzept, umfasst es schulinterne Abwandlungen. Hermann Cohens Kategorienkonzept, um mit der Skizzierung und Überprüfung des Kategorienkonzeptes zu beginnen, das der Begründer der Marburger Schule des Neukantianismus ausgearbeitet hat, ist durch die Vorstellung der Logik der reinen Erkenntnis programmiert. Diese Logikvorstellung steht zwar wie Kants Logikvorstellung unter dem Leitgedanken der Letztbegründung eines jeden möglichen gegenständlichen Sinnes; aber gleichwohl ist sie nicht einfach die Kopie der Kantischen Logikvorstellung. Sie sucht der Ursprünglichkeit des Denkens radikaler denn die Kantische Logikvorstellung Rechnung zu tragen. Sie intendiert, die Grundlegung der wissenschaftlichen Erkenntnis auf das Denken zu beschränken. Sie beansprucht, das Denken als den alleinigen Bestand an Konstitutivität ausweisen zu können. Sie will die Logik als Logik des Ursprungs verstanden wissen. Die reine Erkenntnis ist dementsprechend als die Grundlegung von Erkenntnis hinzunehmen. In ihr wird die Erkenntnis begrün___________ 32

Paul Natorp, Kant und die Marburger Schule, in: Kant-Studien, Bd. XVII, 1912, S. 196; 209 f. abgedr. in: Werner Flach/Helmut Holzhey (Hg.), Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus, Hildesheim 1980. Zu Natorps Kantauffassung vgl. Helmut Holzhey, Zu Natorps Kantauffassung, in: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses Mainz 4.–8. April 1981, Teil 1.2, Bonn 1981, S. 982–995.

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det nicht in dem Verstande, dass das Denken daran mitwirkte, sondern in dem Verstande, dass das Denken seine Eigenbestimmtheit als die volle und ganze Ermöglichung der Gegenstandsbestimmung reflektiert. Das Denken entdeckt mit anderen Worten seine Funktionalität und seine Struktur als das, das die prinzipielle Qualifikation zur Erkenntnis bedingt. Diese sind infolgedessen als das zu begreifen, das die Prinzipien der „Erzeugung“ der Erkenntnis hergibt. Die Erkenntnis „erzeugt“ sich im Urteil, im Urteil, das primär Urteil der Denkgesetze (mit dem Ursprung als „Denkgesetz der Denkgesetze“33) und sekundär Urteil der systematischen Bestimmung (mit der Kategorie System „als des Systems der Wahrheit“34) ist und das eben dadurch die Erkenntnis von ihrem „natürlichen Anfang“ bis zu ihrem „natürlichen Ende“35 durchwaltet, sie auf die notwendige Geltungsdifferenz und hiermit auf die Wissenschaftlichkeit festlegend, darin die Rechtsame ihrer Grundlagen beglaubigend. Cohen hat deshalb auch keine Schwierigkeiten, die transzendentallogische Grundlegungsaufgabe auf das Faktum der Wissenschaften bezogen sein zu lassen. Die Beglaubigung der durchgehenden Prinzipienbestimmtheit der Erkenntnis findet gegenüber faktischer wissenschaftlicher Erkenntnis statt36. Diese ist der Bezugspunkt der Beglaubigung. Das zu Beglaubigende muss in ihr zu entdecken sein. Ihre Probleme und deren Behandlung weisen auf es hin37. Wenn man dieses Logikprogramm analysiert38, kommt man nicht umhin festzustellen, dass gemäß diesem Logikprogramm als Stammbegriff der Erkenntnis notwendig nur ein solcher Begriff in Frage kommt, der in welcher Kontextualität auch immer für die systematische Einheit der Wissenschaften einzustehen vermag. Das ist auch die Cohen’sche Meinung bezüglich der Kategorien. Die Kategorien sind für ihn die in der Reflexion der Eigenbestimmtheit des Denkens zu Bewusstsein gebrachten Prinzipien der problemgerechten Gegenstandsbestimmung. Cohen hat hierfür leider nur bildliche Ausdrücke zur Verfügung. Er spricht davon, dass die Kategorien „die Grundformen, die Grundrichtungen, die Grundzüge [seien], in denen das Urteil sich vollzieht“39, ___________ 33

Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, Hildesheim/New York 41977, S. 119. 34 A.a.O., S. 397. 35 A.a.O., S. 398. 36 Vgl. hierzu Werner Flach, Einleitung zu Hermann Cohen, Das Prinzip der Infinitesimalmethode und seine Geschichte. Ein Kapitel zur Grundlegung der Erkenntniskritik, Frankfurt a.M., S. 20 f. 37 Für Cohens Logik der reinen Erkenntnis als Logik des Ursprungs ist besonders auf die in Anm. 33 genannte Schrift Cohens hinzuweisen. 38 Die beste und erste wirklich adäquate Analyse des Cohen’schen Logikprogrammes und seiner Durchführung hat Helmut Holzhey geliefert. Vgl. Helmut Holzhey, Cohen und Natorp, Bd. 1: Ursprung und Einheit, Basel/Stuttgart 1986. Für ihren detaillierten Nachvollzug sei deshalb auf Holzheys Ausführungen verwiesen. 39 Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, S. 47.

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dass sie „die Betätigungsweisen des Urteils“40 seien, dass sie in Bezug auf das Problem das „besondere Recht des Urteils“41, das ist die für das jeweilige Problem unverzichtbaren Voraussetzungen in Ansatz bringen42. Gleichwohl lassen diese, um eine weitere Wendung Cohens aufzunehmen, die „Befugnis“, „Kompetenz zum Begriff“ (zum gegenstandsbestimmenden Begriff) nur umschreibenden Ausdrücke sehr genau die Akzentuierung des Cohen’schen Kategorienkonzeptes erkennen. Indem Cohen der Kategorie die Befugnis oder Kompetenz zum gegenstandsbestimmenden Begriff, bezüglich des Problems, zuspricht, bringt er diese mit der Methodik der Erkenntnis in Verbindung. Er bringt sie mit dieser derart in Verbindung, dass die Kategorie der Methodik ihre Souveränität sichert. Für die souveräne Methodik der Bestimmung ist der Gegenstand „das Korrelat des Verstandes“. Das heißt: Das reine Denken erlangt durch die Kategorie „seinen reinen Inhalt“. Die Kategorie etabliert den fundierten Begriff des Gegenstandes. Die Erfahrung objektiviert sich über sie zum Gegenstand der (wissenschaftlichen) Erfahrung43. Die Objektivierung ist dabei alles andere als dogmatisch. Sie ist kritisch. Die Kritik ist ihr insofern immanent, als „der Inhalt auf der Zusammenwirkung und Durchdringung der Kategorien beruht“44. Daraus ergeben sich „Kompetenzkonflikte“45, und die sind in der kritischen Reflexion auszutragen46. Der Austrag dieser Konflikte begründet den Fortschritt der Wissenschaft als Fortschritt der Forschung, der primär ein „Fortschritt der reinen Erkenntnis“ ist47. In diesem Fortschritt offenbart sich die Sachlichkeit der Kategorien. Die Kategorien sind die grundlegenden Momente der Sachlichkeit der Erkenntnis. Als solchen ist ihnen die doppelte, wechselseitige Tendenz zu Hypothese und Empfindung eigentümlich48. Es ist unschwer zu durchschauen, dass Cohen mit dieser Tendenz die methodische Funktionalität der reduktiven Erfahrung anspricht49. Sofern dem aber ___________ 40

A.a.O., S. 47. A.a.O., S. 213. 42 In Übereinstimmung hiermit bringt Cohen die Bestimmung des Verhältnisses von Urteil und Kategorie auf die einfache Formel: „Die Direktion zwischen Kategorie und Urteil ist eine wechselseitige. Die Kategorie ist das Ziel des Urteils, und das Urteil ist der Weg der Kategorie.“ A.a.O., S. 52. 43 Vgl. besonders a.a.O., S. 319 f., wo sich auch die Zitate finden. 44 A.a.O., S. 235. 45 A.a.O., S. 403. 46 A.a.O., S. 428 ff. 47 A.a.O., S. 396 ff. 48 Von der Tendenz zur Empfindung spricht Cohen a.a.O., S. 259 u. 437 selbst. Die Tendenz zur Hypothese ist in den Ausführungen Cohens a.a.O., S. 429 ff. jedoch nicht weniger angesprochen. Nicht ausdrücklich angesprochen, aber dennoch klar ersichtlich ist ebenfalls, dass es sich um korrelative Tendenzen handelt. 49 A.a.O., S. 519 ff. Trotz des bedenklichen Gebrauchs des Konstruktionsbegriffes durch Cohen in diesem Zusammenhange ist es falsch zu behaupten, Cohen sei vom 41

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so ist, ist letztlich festzustellen, dass die Cohen’sche Kategorienlehre den (bis in die konkrete Textgestalt der Logik der reinen Erkenntnis hinein sich auswirkenden) Versuch darstellt, eine Logik der Bestimmung zu etablieren, in der die formale Logik des Urteils und die materiale Logik der Forschung mit Bezug auf die Fundierung einander vollkommen integriert sind. Geltungskonstitution und Geltungsregulation sind in der Objektivierung verschmolzen50. Paul Natorp hat dies bei seiner Analyse der Cohen’schen Kategorienlehre sehr genau erkannt51. Und er hat daraus seine Lehre gezogen. Sie beinhaltet erstens, dass Denken überhaupt Bestimmen ist52. Sie beinhaltet zweitens, dass Ursprung und Empfindung gleicherweise und gleichermaßen eine Forderung an den „Grundakt des Bestimmens“53 sind. Dieser genügt qua „Akt synthetischer Einheit, d.h. als Grundkorrelation von Sonderung und Vereinigung“54, unter___________ „kantischen Konstruieren von Erkenntnissen apriori in der Mathematik unversehens auf die Konstruktion von Erfahrung überhaupt übergesprungen“, wie das Klaus Christian Köhnke (Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus, Frankfurt a.M. 1986, S. 276) tut. Vgl. hierzu bereits Ernst Cassirer, Hermann Cohen und die Erneuerung der kantischen Philosophie, in: Kant-Studien, Bd. XVII, 1912, S. 258 u. für Cassirer selbst: Philosophie der symbolischen Formen, Bd. III: Phänomenologie der Erkenntnis, Berlin 1929, S. 493. 50 Wolfgang Marx (Transzendentale Logik als Wissenschaftstheorie. Systematischkritische Untersuchungen zur philosophischen Grundlegungsproblematik in Cohens ‚Logik der reinen Erkenntnis‘, Frankfurt a.M. 1977; Konstruktive und kritische Kategorienfunktion. Cohens Umbildung des Kantischen Transzendentalismus zur Forschungslogik, in: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses Mainz 4.–8. April 1981, Teil 1.2, Bonn 1981, S. 1011–1015) hat denn auch den Versuch unternommen, Cohens Logik der reinen Erkenntnis als eine Wissenschaftstheorie zu verstehen, in der „die abstrakten Voraussetzungen des Denkens mit Beziehung auf den Bereich der Wissenschaften als dem konkreten Horizont der Bewährung der Voraussetzungen“ (a.a.O. S. 10) entwickelt werden. Marx’ Darlegungen demonstrieren jedoch auch, dass man bei einem solchen Unternehmen Gefahr läuft, die Kategorienlehre Cohens in Richtung auf eine Reflexionstopologie zu verschieben. 51 Vgl. insbesondere Paul Natorp, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften, Leipzig/Berlin 21921 sowie die in Helmut Holzhey, Cohen und Natorp, Bd. II abgedr. Quellentexte I u. II. Helmut Holzheys Feststellungen bezüglich der Bedenken Natorps gegenüber Cohens Argumentation a.a.O., Bd. I, passim, auf die hiermit ausdrücklich verwiesen sei, zielen in dieselbe Richtung wie die Feststellung im Text. Zu den Gemeinsamkeiten und Differenzen der Lehren Cohens und Natorps vgl. auch Wolfgang Marx, Die philosophische Entwicklung Paul Natorps im Hinblick auf das System Hermann Cohens, in: Zeitschrift für philosophische Forschung XVIII (1964), S. 486– 500. 52 Paul Natorp, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften, a.a.O., S. 38 ff. u. Paul Natorp, Philosophie. Ihr Problem und ihre Probleme, Göttingen 41929, S. 46 f. 53 Paul Natorp, Die logischen Grundlagen, a.a.O., S. 44 und ders., Philosophie, a.a.O., S. 46 f. 54 Paul Natorp, Die logischen Grundlagen, a.a.O., S. 44 und ders., Philosophie, a.a.O., S. 46, Cohens Formulierung (Logik der reinen Erkenntnis, S. 62) aufnehmend.

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schiedslos der einen wie der anderen Forderung, dadurch dass er gedanklichen Zusammenhang herstellt. Sie beinhaltet drittens, dass der Unterschied der einen und der anderen Forderung lediglich der des „Bezugs zum Zentrum“ und des „Bezugs zur Peripherie“ ist55. Da diese nur in ihrer Wechselbeziehung verständlich sind, kommt als letztes diese bzw. das, was für diese einzusetzen ist, hinzu. Es ist die Methode. Das Denken, das Bestimmen ist und das als Bestimmen Synthesis, Sonderung und Vereinigung, die Sonderung in der Vereinigung, die Vereinigung in der Sonderung ist, ist Methode. Die Methode, das ist Natorps Meinung, ist das, was in der Kategorienlehre interessieren muss. Rein logische Überlegungen haben da keinen Platz. Sie sind für Natorp ohne prinzipientheoretische Valenz. Prinzipientheoretische Valenz haben nur solche der „Logik des Gegenstandes“56, für die Natorp auch den Namen der „Theoretik“ einführt57. Und das sind Überlegungen der „Wissenschaft von der Methode“58. Dieser vierfache Inhalt ist unmissverständlich. Natorp meint, dass es ein Irrtum sei, Geltungskonstitutivität und Geltungsregulativität auseinanderhalten und zugleich verschmelzen zu wollen. Die Schwierigkeiten dieses Cohen’schen Vorhabens, besser: seine Sicht dieser Schwierigkeiten, haben ihn zu dem radikalen Unterfangen veranlasst, die Geltungskonstitutivität zur Geltungsregulativität hin zu verschieben und so aus zweien eines zu machen59. Der Ort der Vereinigung und Vereinheitlichung ist ihm der Begriff der Methode. Dieser Begriff deckt bei Natorp nicht nur die dynamische Charakterisierung der Erkenntnis ab, er führt auch die Geltungskonstitutivität in die Geltungsregulativität über, dadurch dass die Bestimmungsrelation als solche als die Erkenntnisdynamik involvierende Relation begriffen wird. Das ist jedoch höchst fragwürdig. Denn die Bestimmungsrelation als solche involviert nicht schon die Dynamikcharakteristik. Damit diese vorliege, muss man die Bestimmung schon als Prozess auffassen. Der durch die Synthesis geforderte Denkzusammenhang darf nur als prozessualer Zusammenhang in Frage kommen. Er muss Zusammenhang des ___________ 55

Paul Natorp, Die logischen Grundlagen, a.a.O., S. 29. Paul Natorp, Philosophie, a.a.O., S. 38. 57 A.a.O., S. 39. 58 A.a. O., S. 38. 59 Nicolai Hartmann (Aufbau der realen Welt, Berlin 31964, S. 239–242) hat dies wohl als erster bemängelt. Seither ist wiederholt darauf hingewiesen worden, jüngst erst wieder von Gabriele Mückenhausen (Wissenschaftstheorie und Kulturprogressismus. Studien zur Philosophie Paul Natorps, Bonn 1986, besonders S. 40 ff.). Doch ist die von Natorp vorgenommene Verschiebung nie wirklich präzise herausgearbeitet worden. Nicolai Hartmann urteilt von seiner eigenen fundamentalontologischen Position her, völlig ignorierend, dass diese mehr Natorps Argumentation folgt als dass sie sich gegen diese wendet. Gabriele Mückenhausen beurteilt die fragliche Verschiebung unter dem Einfluss der Ansichten Gerd Wolandts (vgl. dessen ‚Vorwort‘ zu der Arbeit Mückenhausens, a.a.O., S. V ff.) eher als eine Überbetonung des Momentes der Regulativität in der ursprünglichen Synthesis des Denkens. 56

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Fortgangs der Bestimmung sein, des Fortgangs der Bestimmung durch ihre Bestimmungen hindurch. Dies aber ist genau die Eigentümlichkeit des seiner immanenten Bedingungsreihe folgenden Bestimmens. Für dieses ist die Dynamik charakteristisch. Natorp argumentiert in diesem Sinne. Er nimmt, um es prägnant zu sagen, die Bestimmung ganz selbstverständlich als Bestimmen und den Zusammenhang der Bestimmung ganz selbstverständlich als Prozess des Bestimmens. Der „ursprüngliche Prozeß des Bestimmens“ stellt ihm den „vertieften Sinn der ‚synthetischen‘ Natur der Erkenntnis“ vor Augen60. Indem er dies tut, entscheidet er sich für einen uniformen Prinzipienbegriff. Die Funktionalität der Bestimmung ist gemäß diesem uniformen Prinzipienbegriff nicht eigentlich mit der Struktur des Urteils, sondern vielmehr mit dem Denkkontinuum verknüpft. Sie ist in der Dynamik der Erkenntnis zu entdecken. Diese gibt deshalb zwangsläufig die alleinige Fundierungsperspektive her. Das Interesse an der Fundierung der Erkenntnis ist ausschließlich auf deren Prozessbestimmtheit gerichtet61. Diese gilt es in ihrer Ursprünglichkeit zu untersuchen. Natorp rückt die Ursprünglichkeit dabei nicht anders als Cohen sehr nahe an die Spontaneität heran. Deswegen vermutlich findet er sich sogar dazu bereit, vom „Denken als Schaffen“62 oder vom Denken als „schaffender Erkenntnis“63 zu reden, womit der Verdacht aufkommen muss, in seiner Argumentation habe sich der ursprünglichen Prozessbestimmtheit der Erkenntnis und deren kategorialer Entfaltung64 die faktische Bestimmungsarbeit untergeschoben. Dieser Verdacht lässt sich zurückweisen. Doch die Uniformierung des Prinzipienbegriffes lässt sich nicht wegdiskutieren. Die auf den „ursprünglichen Prozeß des Bestimmens“ und die „Seiten oder Richtungen“, die er in sich vereinigt65, setzende Uniformierung des Prinzipienbegriffs stellt die Pointe des Natorp’schen Kategorienkonzeptes dar. Die „logischen Grundfunktionen“ sind ihm die im Urakte des Denkens (Grundakt der Erkenntnis/des Erkennens) beschlossen liegenden, Urteil und Begriff durch Entfaltung der Urbeziehung der Bestimmung allererst aufbauenden methodischen Prinzipien. Die konstitutive Apriorität ist zugunsten der regulativen unterdrückt66. ___________ 60

Paul Natorp, Philosophie, a.a.O., S. 46. A.a.O., S. 48. 62 Ebd. 63 Paul Natorp, Kant und die Marburger Schule, S. 200. 64 Zum Gebrauch des Terminus „Kategorie“ durch Natorp vgl. Helmut Holzhey, Cohen und Natorp, S. 115. 65 Paul Natorp, Philosophie, a.a.O., S. 51. 66 Die Bedenklichkeit dieser Unterdrückung muss Natorp zunehmend bewusst geworden sein. Denn sonst hätte er nicht nachträglich den Versuch unternommen, ihr wenigstens die Gewaltsamkeit zu nehmen. Der wichtigste Beleg hierfür ist die Unterscheidung der „Logik der Struktur“ von der „Logik der Funktion“ in dem von Helmut Holzhey herausgegebenen Nachlassmanuskript Allgemeine Logik (vgl. Werner Flach/Helmut 61

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Es liegt auf der Hand, dass die Kategorienlehre, die in diesem Kategorienkonzept gründet, auf ein Organon der Wissenschaften hin ausgerichtet ist. In ihr ist die wissenschaftliche Erfahrung als methodische Aufgabe angesehen. In ihr ist die Zuverlässigkeit der wissenschaftlichen Erfahrung völlig an die Entwicklung ihrer methodischen Grundlagen gebunden. In ihr ist dementsprechend die Wissenschaftsgrundlegung als die Notwendigkeit der Aufstellung eines Modells der Entwicklung der methodischen Grundlagen der Wissenschaften begriffen. Diese ist ihr das alleinige Erfordernis. Seine Erfüllung wird ganz dem Denken aufgebürdet. Darum muss dieses in Progressivität als das kontinuierende System der Setzung von Methoden, das offene System der Kategorien, sich reflektieren. Dieses vollbringend setzt es den Sinn von Sein67. Der Sinnbegriff ist auch der Bezugsbegriff der Kategorienlehre Ernst Cassirers68. Doch übernimmt Cassirer nicht die Reinheitslehre der älteren Marburger. So ändert sich der Status des Kategorienbegriffes. Zwar zielt der Kategorienbegriff auch bei Cassirer wie bei Cohen und Natorp auf die Bestimmungsfunktion – gerade Cassirer hat dies immer wieder betont69 –; aber die Bestimmungsfunktion ist für Cassirer nicht schlechthin rein, sondern sie ist notwendig symbolisch vermittelt und deshalb auch nur in dieser Vermittlung zugänglich. ___________ Holzhey [Hg.], Logik und Erkenntnistheorie im Neukantianismus, S. 226–269, insbesondere 230 ff. und 232 ff.), in der in einer auf die Differenz von Konstitutivität und Regulativität anspielenden Weise die Kategorien als Bedingungen des möglichen Bestandes der Gegenständlichkeit von den Wegen, auf welchen sie, „diesen Bedingungen gemäß, in der Erkenntnis darzulegen ist“ (a.a.O., S. 237) abgehoben werden. Weil dieser in der 1958 von Natorps Sohn Hans Natorp aus dem Nachlass herausgegebenen Philosophischen Systematik (Hamburg 1958) zu einer mehrdimensionalen Kategorienlehre ausgebaute, mit den Modalkategorien als den in der Reflexion auf den Ursprung sich entdeckenden und den Progress der kategorialen Organisation der Bestimmung definierenden Grundkategorien (vgl. hierzu Ernst Cassirer, Paul Natorp, in: Kant-Studien, Bd. XXX, 1925, S. 291 ff.), Versuch innerhalb der schulinternen Diskussion nicht bestimmend geworden ist und weil er auch nicht eine tiefgreifende Selbstkorrektur Natorps darstellt – denn auch in dieser Abschwächung der fraglichen Unterdrückung begründen die Kategorien noch die Zielsetzung, die den Gang der Bestimmung dirigiert –, lasse ich ihn unbeachtet. 67 Die auf Natorp selbst zurückgehende Kennzeichnung des „Panmethodismus“ ist innerhalb und außerhalb der Schule voll akzeptiert worden. Innerhalb und außerhalb der Schule hat man jedoch auch sehr genau registriert, dass Natorp in seiner Spätphilosophie den Sinn von Sein nicht mehr nur in den Wissenschaften, sondern in der gesamten geistigen Welt sich bewahrheiten sah. Ernst Cassirer sieht Natorps Altersphilosophie sogar in Übereinstimmung mit seinen eigenen Bemühungen um eine Philosophie der symbolischen Formen (vgl. Ernst Cassirer, Paul Natorp, in: Kant-Studien, Bd. XXX, S. 296 f.). 68 Vgl. a.a.O., S. 290 und 296 f. oder etwa Philosophie der symbolischen Formen, Bd. I, 1. Teil, Die Sprache, Berlin 1923, S. 44, Bd. III, 3. Teil, Phänomenologie der Erkenntnis, Berlin 1929, S. 14 und 109. 69 Vgl. Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, Berlin 1910 für die Frühzeit, Philosophie der symbolischen Formen für die Spätzeit (z.B. Bd. I, S. 11 und 24, Bd. III, S. 367ff.).

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Sie ist, wie das bei der grundlegenden Rolle, die dieser Begriff in der Philosophie Cassirers spielt, nicht anders sein kann, symbolische Form. Das heißt: Im Kategorienkonzept Cassirers ist eine Vorstellung von Funktion entwickelt, die die Geltungsqualifikation von Wissen zu gegenständlichem Sinn mit dessen Darstellung bzw. mit der Sinnerfüllung von Sinnlichem verbindet. Diese Vorstellung bleibt innerhalb der allgemeinen Schuldoktrin, insofern sie beinhaltet, dass die Kategorie Sinn- und hiermit Geltungsprinzip ist; sie transzendiert das sowohl von Cohen als auch von Natorp Gelehrte, insofern sie beinhaltet, dass die Kategorie zugleich und in einem mit der Geltungsqualifikation auf die Zeichengebung sich erstreckt. Sie ist Prinzip der Geltungs- und der Zeichenbestimmtheit70. Indem sie das eine bedingt, bedingt sie das andere. Geltung und Bedeutung sind untrennbar verbunden. Oder besser gesagt: gegenständlicher Sinn ist Sinnliches, das etwas bedeutet (und keineswegs bloß anzeigt71). Die Kategorien sind also Bedeutungsdirektiven. Deshalb modifizieren sie sich auch mit der Wahrnehmungsintention. Sie werden, mit den Worten Kants, den Modifikationen des Zustandes des Subjektes gerecht. Auf Grund dieser Variation erklärt sich ihre Abwandlung der Gegenstandsbestimmung. Die Gegenstandsbestimmung ist nicht etwas, das auf der einen theoretischen Ebene sich abspielt. Sie spielt sich auf verschiedenen Abwandlungsebenen ab – Cassirer unterscheidet vor allem die Ausdrucks-, die Anschauungs- und die Begriffsebene. Dementsprechend ergibt sie verschiedene, freilich miteinander in Verbindung zu bringende Bedeutungswelten (die mythische Welt, die Welt der Kunst, die Welt der Religion, die Welt der Wissenschaft). Die Kategorienlehre muss alle diese Bedeutungswelten analysieren. Sie ist darum sehr viel reicher als die Cohen’sche Logik der reinen Erkenntnis und auch die Natorp’sche Theoretik. Sie ist Theorie sämtlicher Bedeutungswelten. Sie erlangt so die Potenz einer umfassenden Geltungstheorie der Kultur. Ihr diese Potenz zu verschaffen, war offensichtlich Cassirers Anliegen. Seine Kategorienlehre darf darum mit gutem Grunde als eine solche hingestellt werden, die die Grenzen, die der Kategorienlehre von Cohen und vom frühen Natorp gezogen sind, übersteigt. Mit der Grenzerweiterung verbindet sich dabei eine bemerkenswerte Akzentuierung. Sie besteht darin, dass Cassirer lehrt, über die Lehre von der Sprache als universeller Objektivationsform, die verschiedenen Bedeutungswelten sind allesamt mehr oder weniger Sprachwelten72. Ihre Abwandlung ist anhand der Bedeutungsvielfalt der Sprache zu verfolgen. ___________ 70

Vgl. z.B. Philosophie der symbolischen Formen, Bd. I, S. 18 f. sowie Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Oxford 1956, S. 201 ff. 71 Vgl. Philosophie der symbolischen Formen, Bd. III, S. 377 sowie Carl H. Hamburg, Ernst Cassirers Philosophiebegriff, in: Paul Arthur Schilpp (Hg.), Ernst Cassirer, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1966, S. 33 ff. 72 Vgl. z.B. Philosophie der symbolischen Formen, Bd. III, S. 138. Dazu Thomas Göller, Ernst Cassirers kritische Sprachphilosophie, Würzburg 1986, S. 47 ff.

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Die Kategorienlehre muss sich darum primär als Kritik der Sprache verstehen. Sie ist die um die Eruierung der mannigfachen Bedeutungsfunktionen der Sprache bemühte Kritik der Sprache (von der Alltagssprache an bis zur Wissenschaftssprache hin). Die Originalität dieser Kategorienlehre ist gewiss in deren sprachkritischer Akzentuierung zu suchen. Durch diese gelingt ihr nämlich etwas, das der Kategorienlehre im Verstande Cohens und Natorps nicht gelingen kann und auch gar nicht gelingen soll, die Einbeziehung des nicht wissenschaftlichen und sogar des nicht diskursiven Denkens in die Analyse. Die Kategorienlehre hat es nicht mehr nur mit der Beglaubigung dessen zu tun, was in der Wissenschaft als Problem der Bestimmung zu entdecken ist; sie hat es auch mit der Beglaubigung dessen zu tun, was sich jenseits der Wissenschaften als Problem der Bestimmung entbirgt. Sie hat diese wissenschaftstheoretische und diese kulturtheoretische Aufgabe in sprachkritischer Zusammenschau zu erledigen. Nichts von den orthodoxen Marburger Lehren wird widerrufen – Cassirer kann ohne weiteres daran festhalten, dass die Gegenständlichkeit möglichen Sinnes der Fragepunkt der transzendentalen Fragestellung ist, dass die Wissenschaft das unentbehrliche Korrelat der transzendentalen Methodik ist, dass am Faktum der Wissenschaft anzusetzen ist, dass die methodische Besinnung auf die Voraussetzungen der Erkenntnis, die Durchleuchtung der Organisation der Naturerkenntnis auf ihre Prinzipien hin, die Angelegenheit der Kategorienlehre ist, dass ihr Ziel die Reduktion des Seins auf Geltung ist73 –; aber sehr wohl wird dies alles in die umfassende Bedeutungs- bzw. sprachkritische Dimension eingeordnet. Die Kategorien sind vom alltagssprachlichen, „natürlichen“ Weltbegriff an bis hin zu dessen Überwindung im wissenschaftlichen Weltbegriff grundlegend. Die Differenzen in der Grundlegung lassen sich durch die transzendentallogische Kritik der Sprache, das heißt die Freilegung der jeder Sprache immanenten Erkenntnisart und der diese fixierenden Bestimmungsfunktionen markieren. Sie lassen sich so auch systematisch ordnen. Ein System der Kategorien wird darum die verschiedenen Kategorien durch ihre verschiedenen Grundlegungsmodi hindurch verfolgen. Cassirer hat dies in seiner Philosophie der symbolischen Formen für die seiner Meinung nach den natürlichen Weltbegriff wie die übrigen Weltbegriffe bis hin zum wissenschaftlichen Weltbegriff dominierenden Kategorien des Raumes und der Zeit, der Zahl, der Kausalität, des Dinges und der Eigenschaft versucht74. ___________ 73 Ernst Cassirer, Hermann Cohen und die Erneuerung der Kantischen Philosophie, in: Kant-Studien, Bd. XVII, S. 252 ff. für die Frühzeit, ders., Die Philosophie der symbolischen Formen (insbesondere Bd. III, S. 20 ff.) für die Spätzeit. 74 Philosophie der symbolischen Formen, Bd. I, S. 27 ff. und Bd. II, S. 78 ff. und Bd. III, S. 137 ff. Eine knappe Darstellung des Gedankengangs gibt Karl Neumann, Ernst Cassirer: Das Symbol, in: Josef Speck (Hg.), Grundprobleme der großen Philoso-

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Die Klarheit darüber, was er hiermit faktisch vollzogen hat, hat Cassirer nicht gefehlt. Denn wenn er auch darauf insistiert, dass auch die Philosophie der symbolischen Formen und hiermit die in ihr beschlossen liegende Kategorienlehre in kritischer Arbeit von den Arten der Objektivierung handelt, dass es also in kategorialanalytischer Referenz um die sachliche Grundlegung der verschiedenen Weltbegriffe geht75, so räumt er doch ein, dass es nicht bei dem Selbstverständnis der Kategorienlehre von der Wissenschaft von der Methode bleibt, sondern dass das Selbstverständnis der Kategorienlehre weiter gemodelt wird76. In Anspielung auf Cassirers eigene Bekundungen lässt sich sagen, es ist in einem sozusagen weiteren Schritt der Entfernung vom Cohen’schen Ausgangspunkt phänomenologisch gemodelt. Die Kategorienlehre ist nach den Interessen einer „Phänomenologie der Erkenntnis“, der Erkenntnis in dem weiten und umfassenden Verstande der „verschiedenen ‚Dimensionen‘ des Erfassens, des Verstehens, des Denkens der Phänomene“ gemodelt77. Statt der funktionalen Differenzierung interessiert in erster Linie die Bereichsdifferenzierung. An die Stelle des funktional abgehobenen ist der funktional einheitliche, mit dem die ursprüngliche Bildung eines Sinngebildes einschließlich der dieser innewohnenden Energie interpretierenden Formungsbegriff zusammengeworfene ___________ phen. Philosophie der Gegenwart II, Göttingen 21981, S. 102–145 (vgl. besonders S. 109 ff.). 75 Vgl. Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, a.a.O. (Anm. 70), S. 209. 76 Zu den Punkten der Vereinbarkeit der Cassirer’schen Lehre mit den Grundprinzipien des Neukantianismus einerseits, ihrer Abweichung andererseits vgl. besonders William Henry Werkmeister, Cassirers Verhältnis zur neukantischen Philosophie, in: Paul Arthur Schilpp (Hg.), Ernst Cassirer, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1966, S. 532–565 und Fritz Kaufmann, Das Verhältnis der Philosophie Cassirers zum Neukantianismus und zur Phänomenologie, a.a.O., S. 566–612. Werkmeister vergleicht die Auffassung von der Gegenstandsbestimmung bei Cassirer einerseits, Cohen und Natorp andererseits, die Auffassung Cassirers von Raum und Zeit und die Natorps, Cassirers Kausalitätsauffassung und die Natorps und findet, dass Cassirers Vorstellungen von den Grundlagen der exakten Naturwissenschaften nur in einem sehr eingeschränkten Sinne über den orthodoxen Neukantianismus hinausgehen. Nur mit seinem Vorhaben, die Thematik der Geltungsbegründung so zu fassen, dass sie auch die Grundlagen der Geisteswissenschaften betreffe, weiche er entschieden von der methodenkritischen Position des Neukantianismus ab. Kaufmann geht die hauptsächlichen Themenbereiche der Cassirer’schen Philosophie durch und stellt fest, dass die Position, die Cassirer einnimmt, im Vergleich zu den Positionen Cohens und Natorps als Abschwächung der Vorstellung vom Primat der Methode bei gleichzeitiger Aufnahme einer Tendenz zu morphologischen Überlegungen zu begreifen ist. Darin sieht er eine gewisse Annäherung an die Phänomenologie. Während Werkmeister zu verstehen gibt, dass Cassirer hiermit viele Fragen offen lässt (vgl. die Schlussausführungen Werkmeisters), sind andere geneigt, Cassirer hiermit den Weg des prinzipientheoretischen Fortschrittes betreten zu sehen. Vgl. z.B. Gerd Wolandt, Cassirers Symbolbegriff und die Grundlegungsproblematik der Geisteswissenschaften, in: Zeitschrift für philosophische Forschung XVIII (1964), S. 614–626. 77 Vgl. Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, a.a.O. (Anm. 70), S. 209.

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Kategorienbegriff gesetzt. Dieser Kategorienbegriff ist zumindest ebenso mit der Zuordnung „gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welche allein ihr Verhältnis untereinander richtig bestimmt werden kann“78, also mit der transzendentalen Topik79, wie mit der Begründung der Gegenständlichkeit unserer Vorstellungen, also der transzendentalen Logik, befasst. Denn eben der mit jener Formung angesprochene Formbegriff, der, wie Cassirer nicht müde wird zu betonen, mit dem Begriff des Stoffes ein unauflösliches Begriffspaar bildet, ist nach der von den Marburgern unwidersprochen gelassenen Ansicht Kants der transzendentalen Topik zugehörender Reflexionsbegriff80. Cassirer ist nicht der einzige, der im Zuge des von Natorp eingeleiteten Prozesses der Entfernung vom Cohen’schen Verständnis der Kategorienlehre auch über Natorps Verständnis derselben hinausgetrieben worden ist. Nicolai Hartmann erging es ebenso. Nur hat Hartmann einen anderen Weg eingeschlagen als Cassirer. Das verlangt, dass auch seine Modelung des Verständnisses der Kategorienlehre zur Kenntnis genommen wird. Nicolai Hartmann hat ein Kategorienkonzept entwickelt, das die Kategorienlehre ontologisch modelt, das die Kategorienlehre in die Ontologie einordnet, zum Kernstück der Ontologie macht. Unter einer Kategorie ist nach diesem Konzept eine Funktion zu verstehen, in welcher sich eine allseitig bestimmte, im Fragen in ihrer Bestimmtheit gegeben vorausgesetzte, von Hartmann deshalb Konkretum genannte Sache aufbaut81. Die Sache ist ihren überindividuellen Zügen nach genau das, wozu sie kategorial determiniert ist, und die Kategorie erschöpft sich völlig im Bedingen dieses oder jenes allgemeinen und notwendigen Zuges der Sache. Darin liegt zum einen, dass der Begriff der Kategorie funktional das Verhältnis von Bedingung und Bedingtem, Prinzip und Prinzipiatum abdeckt. Darin liegt zum anderen, dass der Begriff der Kategorie das Verhältnis von Bestimmungsfaktor und Bestimmungsganzem abdeckt. Darin liegt zum dritten, dass der Begriff der Kategorie den faktorenanalytischen Aufschluss eines Bestandes auf seine unselbständigen Momente hin abdeckt. Mit ___________ 78

Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B 316. Wenn neuerdings Johannes Heinrichs (Die Logik der Vernunftkritik. Kants Kategorienlehre, Tübingen 1986, besonders S. 93) für eine Interpretation der Kantischen Kategorien als Reflexionsbegriffe und der Kantischen Kategoriensystematik als ein System von Reflexionsstufen eintritt, so folgt er also in gewisser Weise Cassirer. Freilich geht er viel weiter als Cassirer und freilich geht seine vermeintliche Fortbildung des Kategorienbegriffes schon auf eine Fehlauffassung des Kantischen Handlungsfunktionsbegriffes sowie des Kantischen Bewußtseinsbegriffes zurück (vgl. a.a.O. S. 50 ff.). 80 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B 322 ff. 81 Nicolai Hartmann, Aufbau der realen Welt. Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre, Meisenheim/Glan 21949, S. 41 ff.; Wie ist kritische Ontologie überhaupt möglich?, in: Kleine Schriften, Bd. III, Berlin 1958, S. 295. 79

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dem letzten Punkt ist der die Disposition der Hartmann’schen Kategorienlehre bestimmende Gedanke angesprochen. Er besagt, Kategorien sind nur an einem Bestehenden, Faktisch-Individuellen, das ist Seienden, zu entdecken bzw. zu ermitteln82. Sie sind eines der möglichen Themen, die beim Zugriff des realseienden Subjektes (des Menschen) auf das realseiende Objekt aufkommen, sehr spät übrigens. Deshalb sind sie für Hartmann Thema der Philosophie; denn die Philosophie hat es im Hartmann’schen Verständnis von Philosophie mit dem der ratio cognoscendi nach Späteren, dem nicht im ersten, positiv bestimmenden, sondern dem allein in sekundärem, analytischen Zugriff Erkennbaren zu tun, mag es auch der ratio essendi nach das Frühere sein. Mit dem zweiten Punkt ist die Ordnung angesprochen, auf die das Hartmann’sche Kategorienkonzept zielt. Es ist die Ordnung der Faktoren eines Bestimmungsganzen. Im Verbunde, das heißt in komprehensiver Einheit und nicht als einzelne, bauen die Kategorien das Konkretum auf. Das kategorial Einfache ist deshalb nach Hartmann notwendig ein Abstraktum. Das Konkretum ist dagegen, und zwar mit Notwendigkeit, kategorial komplex. Mit dem ersten der genannten Punkte ist der Funktionsbegriff angesprochen, der das Hartmann’sche Kategorienkonzept beherrscht. Er meint die Funktion der ausschließlichen Fundierungsbeziehung. Die Kategorie ist Funktion in dem Sinne, dass sich in ihr das Konkrete aufbaut, präziser: dass sie darin aufgeht, einen bestimmten Zug des Konkreten zu prinzipiieren. Deshalb ist die Kategorie nach Hartmann als Prinzipium zum Konkretum zu betrachten. Die Kategorienbegriffe sind Begriffe von Prinzipien, und Prinzipien sind abstrakte Züge von Konkretem, die durch die (nachkommende) Analyse der positiven Bestimmung desselben zu fixieren sind. Dabei sind die ontologischen Vorgaben zu beachten83. Sie bestehen im wesentlichen darin, dass ausnahmslos Seinsverhältnisse zur Diskussion stehen84 und dass auch die Erkenntnis selbst ein Seinsverhältnis ist85, das sekundäre Realverhältnis zwischen dem realseienden Subjekt und dem realseienden Objekt. Auf Grund dessen geht alle Kategorienfixierung von der Bestimmung von Realseiendem aus. Die Sphäre des realen Seins ist die primäre Seinssphäre. Schon das ideale Sein, die zweite Sphäre primären Seins nach Hartmann, kann in Bezug auf die Kategorienfixierung nicht dieselbe Stelle einnehmen wie das reale Sein. Denn so sehr das ideale Sein als eine eigene Seinsweise zu reklamieren ist, so wenig ist es doch vom realen Sein abgelöst86. Es ist dem realen Sein integriert, und zwar als das Allgemeine (wie Zeitlose und Unveränderliche), das ___________ 82

Vgl. Aufbau der realen Welt, S. 78. Grundlegung der Ontologie, Meisenheim/Glan 31948, S. 33. 84 A.a.O., S. 52 ff. 85 A.a.O., S. 19. 86 A.a.O., S. 281. 83

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das Individuelle (wie Zeitliche und Prozessuale) „durchwaltet“87. Noch viel weniger sind die Sphären unvollständigen Seins, die sekundären Seinssphären, geeignet, den Ansatzpunkt der Kategorienfixierung zu bilden. Sie sind modal nachgeordnete und insofern bei der Kategorienfixierung überhaupt erst in Bestimmtheit sich ausgliedernde Sphären. Das lenkt den Blick auf die dem Hartmann’schen Kategorienkonzept immanente Systematik. Es ist die Systematik einer mehrdimensionalen Ordnung der Kategorien88. Das soll heißen: Es gibt unter den Kategorien Beziehungen (weil sie von den basalen und universalen, in der ontologischen Beurteilung grundlegenden bis zu den aufruhenden und speziellen, in der ontologischen Beurteilung spezifizierenden reichen, wählt Hartmann zu ihrer Kennzeichnung den Begriff der Schicht), die bestimmte gesetzmäßige Verhältnisse (Hartmann hat sie kategoriale Gesetze genannt) zu erkennen geben89, und diese überschneiden sich mit der Gliederung nach den Sphären des Seins so, dass die Folge der Schichten in den verschiedenen Sphären wiederkehrt. Dadurch ist jedes Konkretum seinem Aufbau nach gemäß übereinstimmenden Parametern einzuordnen90. Das Resultat ist der ebenso umfassende wie differenzierte Begriff der Welt. Dass sie diesen Begriff liefere, und zwar in schlichter, wenn auch durch komplexe kategoriale Verhältnisse bedingter, also eben jenem Weltbegriff beziehungsreich einzuordnender analysierender Erkenntnis, ist die Bestimmung, die Hartmann der Kategorienlehre zudenkt91. Nicht die an der Eigenbestimmtheit des Denkens orientierte Aufdeckung der Funktionen gegenständlicher Bestimmung, sondern die das wissenschaftliche wie außerwissenschaftliche Material so umfassend und detailliert wie nur irgend möglich verwertende Einschätzung der an der gegenständlichen Bestimmung in ihrer Gesamtheit zu entdeckenden erklärungsrelevanten Züge ist die Aufgabe. Der lückenlose Beziehungszusammenhang dieser Züge verleiht dem Bild der Welt, das wir uns über den Weg der Erkenntnis verschaffen, die Beglaubigung der Angemessenheit. Der Weg der Erkenntnis darf dabei freilich selbst kein eigenständiges Problem abgeben. Deshalb besteht Hartmann entschieden darauf, dass die Erkenntnis ein Seinsverhältnis ist und dass dieses Verhältnis nur nach seiner Spezifität zu befragen ist. Seine Antwort ist das Lehrstück von der partiellen Identität der Erkenntnis- und der Seinskategorien92. Mit dieser Antwort lehrt Hartmann, dass ___________ 87

A.a.O., S. 267 ff. und 312 ff. Aufbau der realen Welt, S. 200 f. 89 A.a.O., S. 412 ff. 90 A.a.O., S. 575. 91 Wie ist kritische Ontologie überhaupt möglich? (1924), in: Kleine Schriften, Bd. III, S. 268–283. 92 Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, Berlin 41949, S. 350, 364 ff., 562 ff. 88

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die Spezifikation von Seinskategorien zu Erkenntniskategorien diese sozusagen denaturiert. Ihre Prinzipienfunktion wird durch andere Bedingtheiten des Erkennens beeinträchtigt. Werden diese als kategoriale Bedingtheiten betrachtet, so ist ein Widerstreit der Prinzipien oder Defekt der Prinzipienfunktion in Rechnung zu stellen. Werden sie nicht als kategoriale Bedingtheiten betrachtet, so wird letztlich zumindest in Sachen der Erkenntnis die zufällige Bedingtheit zur letzten Instanz. Zurückhaltend geurteilt bedeutet dies, dem Kategorienbegriff wird die Rolle der Leugnung der (eigenen) gnoseologischen Problematik zugeschoben.

III. Die vergleichende Würdigung des kritischen und des neokritischen Kategorienkonzeptes Der vergleichende Blick auf die Überlegungen, die Kant einerseits, die Marburger Schule des Neukantianismus andererseits dem Kategorienbegriff gewidmet haben, lässt sicher erscheinen: Kant ging es um die Lösung des Problems, worin gegenständliche Bestimmung, die ja notwendig Prädikation ist, sofern sie eben Prädikation ist, ihre Grundlagen hat und haben kann. Der Weg, der ihm diese Frage beantwortbar erscheinen ließ, ist der der sorgfältigen Analyse der Bestimmungsfunktion als solcher. Auf diesem Wege, so seine Einsicht, ist nämlich eines zu klären, der funktionale Rahmen, innerhalb dessen gegenständlicher Bestimmung ihre Gegenständlichkeit zu begründen ist. Mit der erschöpfenden Nachzeichnung dieses konstitutiven Rahmens gegenständlicher Bestimmung sind die Bedingungslinien gezogen, denen gemäß sich überhaupt mögliche geltungsvalente Bestimmung zu konstituieren vermag. Mehr ist nicht zu eruieren; mehr ist aber auch nicht erfragt. Das Kategorienkonzept zielt nach Kant in seinem Lehrgehalt auf nichts als auf das Ziehen jener Bedingungslinien, denen gemäß sich überhaupt mögliche geltungsvalente Bestimmung zu konstituieren vermag. Die Kategorien sind konstitutive Bestimmungsfunktionen. Als solche sind sie auf die Anschauung bezogen. Ihre Konstitutivität erfüllt sich in der Ordnung des Anschauungsmannigfaltigen. In dieser stellt sich für die gegenständliche Bestimmung das Bestimmungssubstrat her. Gegenständliche Bestimmung kann deshalb nur in der Konzeption von Begriffen gründen, die mit den Kategorien als apriorische Bedingungen zusammenstimmen bzw. aus ihnen abgeleitet betrachtet werden müssen. Sie bedarf der metaphysischen Anfangsgründe. Der vergleichende Blick auf die einander gegenübergestellten Überlegungen lässt weiter auch sicher erscheinen: Soweit der Problemansatz in Frage steht, wahrt das Kategorienkonzept der Marburger Neukantianer ohne Zweifel die problemgeschichtliche Kontinuität zum Kategorienkonzept der kritischen Philosophie Kants. Unverändert besteht die zu lösende Aufgabe nämlich darin, die Geltungsgrundlagen der begrifflichen Bestimmung der Gegenstände der positiven Erkenntnis (durch transzendentale

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Deduktion) zu beglaubigen. Die Abweichung kann also nur im Problemlösungsangebot liegen. Sie muss die Funktion betreffen, die den Kategorien in jener Beglaubigung durch transzendentale Deduktion zuerkannt wird. So ist es. Die philosophiegeschichtliche Tatsache, die der vergleichende Blick auf die Überlegungen, die Kant einerseits, die Marburger Schule des Neukantianismus andererseits dem Kategorienbegriff gewidmet haben, zutage fördert, ist die zunehmende Entfernung der Marburger Neukantianer vom originären kritischen Kategorienkonzept im Punkte der Funktion, die den Kategorien zuzuerkennen ist. Mit Cohens einschlägiger Lehre anfangend, in denen Natorps und Cassirers sich fortsetzend, in der Hartmanns endend, rücken die Marburger von der eindeutigen Kantischen Vorstellung von der Kategorie als konstitutiver Bestimmungsfunktion ab. Cohen, so hat sich gezeigt, vollzieht den ersten Schritt mit der Verschmelzung von Geltungskonstitution und Geltungsregulation in der Funktionalität der Kategorien. Durch diesen Schritt will er Apriorität und Progression der Erkenntnis auf einen Nenner bringen. Natorp, der dies erkennt, erkennt zugleich, dass dies zu den vielen Spurwechseln in Cohens Argumentation führt. Er versucht, die Cohen’sche Argumentation so zu verändern, dass der Zwang, sich auf mehrere (wechselnde) Argumentationsspuren einlassen zu müssen, verschwindet. Seine Reparatur besteht darin, dass er die Bestimmung durch und durch als eine methodische Angelegenheit begreift. Die Funktionalität der Kategorie wird dadurch auf den Begriff der Methode ausgerichtet. In dieser Ausrichtung geht die Rücksicht auf die Konstitutivität unter; die Rücksicht auf die Regulativität ist die allbeherrschende Rücksicht. Ohne Zweifel ist hiermit wieder die Eindeutigkeit des Bezugs hergestellt. Aber es ist auch die Transformation vollzogen, die zu vollziehen Cohen nicht gewagt hat. Die Kategorie ist entschieden und ausschließlich als regulative Bestimmungsfunktion begriffen. Cassirer wie Hartmann stehen mit ihren Überlegungen ganz auf dem Boden dieser Transformation. Cassirer versucht deshalb genau genommen nicht mehr, als den Methodenbegriff in Richtung auf eine transzendentale Topologie zu erweitern. Mehr historisch als systematisch interessiert, macht er sich dabei nur wenig Gedanken über die Konsequenzen dieser Erweiterung für den Begriff der Bestimmungsfunktion. Die reflexionstopologische Wendung des Kategorienbegriffes wirkt sich deshalb bei ihm nur für die Systematik, nicht für das Verständnis der Funktionalität der Kategorien selbst aus. Dieses wird durch den inflationistischen Gebrauch des Form- bzw. Formungsbegriffs entsprechend anpassungsfähig gehalten. Die verändert beurteilte Funktionalität der Kategorien wird nicht eigens erörtert. Das ist bei Nicolai Hartmann anders. Er legt den größten Wert auf die veränderte Beurteilung der Funktionalität der Kategorie. Sieht er doch in dieser einen wesentlichen Punkt seiner Befreiung von der Schulposition. Doch er täuscht sich darin, wie sehr er in und bei seiner veränderten Beurteilung der Funktionalität der Kategorie wie mit seiner Kategorienlehre überhaupt noch dem Natorp’schen Panme-

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thodismus verhaftet ist. Hartmann fasst Natorps Methoden lediglich als Seinsprinzipien auf. Hiermit vollzieht er zwar den entschiedenen Schritt zur Ontologisierung des Kategorienkonzeptes. Aber dieser Schritt ist letztlich doch nur ein Schritt der Umfirmierung des Natorp’schen Unternehmens. Denn mit Natorps „Zweieinigkeit von Sein und Sinn“, der Ausrichtung der Bestimmung auf das „Daß und Was“ des X der Erkenntnis, ist genauso das Seiende in seinem Seinsaufbau angesprochen wie in Hartmanns Kategorienbegriff. Nur bleibt es bei Natorp dabei, dass die Kategorien den Sinn von Sein aufschließende Bestimmungsfunktionen sind. Hartmann muss sich hiergegen aussprechen, weil er auf Grund seines phänomenalistisch-realistischen Erkenntnisbegriffes Sinn nur als sekundäres Seinsphänomen und in Übereinstimmung hiermit Bestimmung nur als (spezielles) prinzipientheoretisches Determinationsproblem begreift. Wogegen er sich nicht stellen muss, ist die Natorps Konzept immanente Analysevorstellung. Sie wird von Hartmann beinahe unverändert übernommen. Nur wird die am Faktum bzw. am Fieri der wissenschaftlichen Erkenntnis ansetzende Methodenanalyse in einer Art von Enttranszendentalisierung zur am Phänomen (dem Konkretum) ansetzenden Prinzipienanalyse uminterpretiert. Der Gewinn, den Hartmann so erzielt, ist eine gewisse methodologische Neutralisierung seiner kategorientheoretischen Überlegungen. Unter dem Schutze dieser Neutralisierung hat Hartmann das Feld bestellt, zu dem Natorp durch sein Kategorienkonzept den Zugang eröffnet hat. Für eine kurze Phase der Philosophiegeschichte hat dieses Hartmann’sche Unternehmen den Schein der Zukunftsträchtigkeit verbreiten können93. Mittlerweile ist einsichtig, dass ihm keine andauernde Wirkungsgeschichte vergönnt sein kann. Das größte Interesse verdient es durch die Tatsache, dass an ihm, das heißt an den zahlreichen Ungereimtheiten, in die es hineinführt bzw. mit denen es behaftet ist, so recht die Fehlorientierung des Kategorienkonzeptes des Marburger Neukantianismus ersichtlich wird. Hartmanns Kategorienlehre hat weniger mit der Abkehr vom Marburger Kategorienkonzept zu tun als damit, dieses seiner revisionistischen Tendenz nach auszureizen94. Was Cassirer für einen begrenzten Bereich95 und in anderer Weise unternommen hat, hat Hartmann für die ganze Systematik der Kategorienlehre versucht. Darum ist seine Position als die Position zu betrach___________ 93 Vgl. Joseph Klein, Nicolai Hartmann und die Marburger Schule, in: Heinz Heimsoeth/Robert Heiß (Hg.), Nicolai Hartmann. Der Denker und sein Werk, Göttingen 1952, S. 105 f. Zur Beziehung des Hartmann’schen Kategorienkonzeptes zu den verschiedenen Traditionen der Kategorienlehre vgl. Heinz Heimsoeth, Zur Geschichte der Kategorienlehre, a.a.O., S. 144–172. 94 In diesem Sinne ist auch Joseph Kleins Aussage auf S. 124 der in der vorausgehenden Anm. zitierten Schrift zu verstehen. Sie ist umso bemerkenswerter als Klein ansonsten nicht müde wird, Hartmanns Abkehr von den Positionen der Marburger herauszustreichen. 95 Gemessen an der Hartmann’schen Systematik handelt Cassirer nur vom geistigen Sein.

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ten, mit der das Kategorienkonzept des Marburger Neukantianismus endet. Sie ist das sachliche und zeitliche Ende des Marburger Kategorienkonzeptes. Es handelt sich zudem um das Ende in dem genauen Verstande dieses Wortes. Es ist schließlich ein zwangsläufiges Ende. Der kritische Kategorienbegriff muss der Destruktion anheimfallen, wenn daran gerüttelt wird, dass er die konstitutive Bestimmungsfunktion meint. Das hat Cohen getan, indem er die Kategorie als zugleich konstitutives und regulatives Bestimmungsprinzip zu denken versuchte; das hat Natorp auf die Spitze getrieben, indem er an die Stelle der Konstitutivität die Regulativität setzte; das haben Cassirer und Hartmann getan, indem sie die Möglichkeiten der Weiterbildung, welche die Natorp’sche Transformation des Kategorienbegriffes bot, weidlich nutzten. Die aufgezeigte philosophiegeschichtliche Tatsache96 wäre nicht so interessant, resultierte sie nicht aus der Absicht, die Grundgedanken Kants, speziell dessen Kategorienkonzept, besser als dieser selbst zu erfassen, und hätte sie nicht wesentlich dazu beigetragen, der jüngeren Diskussion um die Geltungsbegründung der Erkenntnis die Hypothek eines Fehlverständnisses der so beachtenswerten Kantischen Argumentation zu bescheren. Erst dadurch nämlich, dass die neokritische Position mit ihrem vereinnehmenden Anspruch das kritische Kategorienkonzept so anders zu würdigen nötigte als es in adäquater Auslegung zu würdigen ist, hat sich innerhalb der wissenschaftsphilosophischen Bemühungen der Folgezeit die Ignoranz breitgemacht, die diese gegenüber der Kantischen Lehre von der Grundlegung der Erfahrungswissenschaften kennzeichnet. Mehr noch: Es lässt sich nicht bestreiten, dass die neokritische Revision des kritischen Kategorienkonzeptes in gewisser Weise sogar den Impulsgeber für die weitere Verschiebung des Kategorienproblems in der nachfolgenden Wissenschaftsphilosophie abgegeben hat. In dieser ist dementsprechend das Bewusstsein der Notwendigkeit der Trennung von konstitutiver und regu___________ 96 Um einiges vorteilhafter und auch weniger schuleinheitlich stellt sich die Lage für den südwestdeutschen Neukantianismus dar. Vgl. Hans-Michael Baumgartner, Artikel „Kategorie IV“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel/Stuttgart 1976, Sp. 748 ff. und wieder Baumgartner folgend Heinz-Ludwig Ollig, Der Neukantianismus, Stuttgart 1979, S. 113 ff. Manche Südwestdeutsche, z.B. Bruno Bauch, haben sich allerdings auch stark dem Kategorienkonzept der Marburger angenähert. Vgl. hierzu Werner Flach, Das Problem der transzendentalen Deduktion: seine Exposition in der Kritik der reinen Vernunft und seine Wiederaufnahme im Neukantianismus der Südwestdeutschen Schule, in: Akten des 5. Internationalen Kant-Kongresses Mainz 4.–8. April 1981, Teil 1.2, Bonn 1981, S. 980 f. Von dem von den Schulbindungen befreiten sogenannten jüngeren Neukantianismus gilt dasselbe. Hönigswald, auf den in diesem Zusammenhang in erster Linie zu verweisen ist, macht dies auch ausdrücklich (vgl. etwa Richard Hönigswald, Die Grundlagen der Allgemeinen Methodenlehre, I. Teil, hg. von Hariolf Oberer, Bonn 1969, S. 96). Hönigswald selbst huldigt dabei einer nicht weniger panmethodologistischen Position als Natorp. Unterzieht er doch selbst die logischen Grundprinzipien noch einer methodologischen Interpretation (vgl. etwa a.a.O., II. Teil, hg. von Hariolf Oberer, Bonn 1970, S. 202 f. – für das Identitätsprinzip).

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lativer Prinzipienfunktion bzw. das Bewusstsein ihrer Trennung und ihrer Beziehung aufeinander, das für die Kantische Lehre so zentral ist und wodurch diese so vorteilhaft ist, so gut wie völlig verdrängt97. Die Konsequenz ist wieder eine philosophiegeschichtliche Tatsache: Die jüngere Wissenschaftsphilosophie stellt sich als die fortwährende Anstrengung dar, einer aktuellen grundlegungstheoretischen Schwierigkeit zu entgehen und dabei doch nur eine andere heraufzubeschwören (wobei diese häufig genug der Rückkehr zu einer alten gleichkommt). In Anbetracht dessen ist zu guter Letzt, so absonderlich das klingt, festzustellen, zu einem guten Teil liegen die Wurzeln hierfür, dass die einschlägigen wissenschaftsphilosophischen Anstrengungen, die, wie man heutzutage zu sagen pflegt, gegenüber dem vom Marburger Neukantianismus etablierten wissenschaftsphilosophischen, insonderheit kategorientheoretischen, Paradigma ein neues bzw. neue durchgesetzt haben, sich dem Kantischen gegenüber ignorant zeigen, beim Marburger Neukantianismus selbst. Dieser hat nicht das Kantische, sondern ein erheblich revidiertes Kategorienkonzept als das recht verstandene kritische Kategorienkonzept ausgegeben. Die dieses Paradigma ablehnenden Wissenschaftsphilosophen haben mit ihrer Distanzierung vom neokritischen Kategorienkonzept das kritische abgeschrieben, meist ohne es überhaupt so weit zur Kenntnis genommen zu haben, dass sie es eigenständig hätten beurteilen können. Die Entwicklung nahm ihren Gang. Mir scheint, mittlerweile ist sie an dem Punkt angelangt, an dem der Ruf „Zurück zu Kant“ erneut zu erheben ist.

___________ 97 Unter den Ausnahmen, die es auch da gibt, wäre zuerst die Aprioritätenlehre Hans Wagners zu nennen (vgl. ders., Über den Begriff des Idealismus und die Stufen der theoretischen Apriorität, in: Philosophia Naturalis, Bd. II, 1952, S. 178–199, und ders., Philosophie und Reflexion, München/Basel 1959, S. 138 ff., 160 ff., 194 ff.). In dieser ist mittels des Lehrstückes von der sekundär-konstitutiven Apriorität versucht, der eigenen Prinzipienfunktion der Kategorien gerecht zu werden. Diese Lehre kommt hiermit allerdings nicht umhin, den „Problempunkt eines Logischen von nicht formaler Art“ einzuräumen (vgl. Hans Wagner, Ein blinder Fleck im Empirismus und ein Einfall Kants, in: ders. (Hg.), Sinnlichkeit und Verstand in der deutschen und in der französischen Philosophie von Descartes bis Hegel, Bonn 1976, S. 151 und 163), womit die Eindeutigkeit des Begriffes des Logischen beeinträchtigt wird (vgl. die vorstehenden Ausführungen S. 66 und S. 66 Anm. 12).

Wissenschaftstheorie als Transzendentalphilosophie Es ist gewiss keine Neuigkeit oder eine besonders beachtenswerte Einsicht, wenn darauf hingewiesen wird, dass die Wissenschaftstheorie unter den Disziplinen der Philosophie zu denen zählt, die relativ spät erst sich etabliert haben. Zwar waren immer schon Themen in der philosophischen Diskussion, die uns Heutigen ganz selbstverständlich als wissenschaftstheoretische Themen erscheinen; aber zu der philosophiesystematischen Konsequenz der Ausgliederung einer eigenen Disziplin hat dieser Umstand bis in das 20. Jahrhundert hinein nicht geführt. Erst als epistemogene Interessen mit den gnoseologischen sich verbanden, darf man konstatieren, stellte sich die Tendenz zur Verselbständigung ein. Wie allgemein bekannt ist, war sie sehr erfolgreich. Die Überzeugung von der Selbständigkeit der wissenschaftstheoretischen Fragestellungen und ihrer Behandlung ist in der Gegenwart philosophisches Gemeingut. Der Weg, auf dem dieser Tatbestand sich herauskristallisierte, bestimmt verständlicherweise auch die Vorstellung, die vom Konjunkturmotor der Wissenschaftstheorie herrscht. Er wird weitgehend als epistemogen eingeschätzt. Selbst dezidiert einzelwissenschaftliche Probleme werden für die Organisation der Wissenschaftstheorie relevant erachtet und dementsprechend auch für deren Einrichtung herangezogen. Ja, die Hochkonjunktur, die die Wissenschaftstheorie in der Philosophie der letzten Jahrzehnte erlebt hat, geht weitgehend darauf zurück, dass sie in epistemogener Weise eingerichtet worden ist. Dieser verbreiteten Meinung gegenüber möchte ich die Auffassung vertreten, dass sie weder historisch noch systematisch adäquat ist. Sowohl die sorgfältige historische wie auch die eingehende systematische Untersuchung ergeben eine doch einigermaßen andere Sicht der Sache. Wenn wir uns der Untersuchung der geschichtlichen Genese der wissenschaftstheoretischen Thematik widmen, so müssen wir bei genauer Betrachtung weit in die Geschichte der Philosophie zurückgehen. Ich will nun nicht bei Platons Frage nach dem, was Wissenschaft sei, anfangen; aber ich muss doch auf den Empirismus verweisen. Ihm, insbesondere David Hume, müssen wir das Verdienst bescheinigen, dass die zentralen Stücke seiner Lehre darauf zielen, das spezifische Anforderungsprofil zu zeichnen, dem eine Doktrin genügen muss, die Wissenschaftstheorie sein will oder soll sein können. Dieses Anforderungsprofil lässt sich in wenigen Worten kennzeichnen. Hierbei kann ohne die Gefahr der Verfälschung sogar das Vokabular der gegenwärtigen Fachsprache benutzt werden. Es geht um so etwas wie empirische Signifikanz und es

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geht um so etwas wie Objektivität der Aussagen über das, das unsere Umwelt ist, die aber eben nicht nur unsere Umwelt, sondern darüber hinaus die Welt, im Ganzen oder in Stücken, ausmacht, und es geht um die Vereinbarung des einen und des anderen; es geht um transerlebnismäßige Sicherheit respektive Sicherbarkeit dieser Aussagen. Es ist nun die in den Lehrbüchern der Philosophiehistorie verbreitete Ansicht: In dieser Rücksicht ist ebenso gut Descartes zu nennen. Insbesondere seine „Regulae“ seien in dieser Rücksicht zu beachten. Das trifft zu. Doch lohnt es sich nicht sehr, auf Descartes einzugehen, und es lohnt sich auch nicht sehr, bei Feststellungen über den Empirismus, Hume im besonderen, zu verweilen. Es lohnt sich nicht, weil, wie ich meine, es offensichtlich ist, dass weder der Empirismus noch Descartes es schafften, der Herausforderung gerecht zu werden, die das, wie nochmals betont sei, insbesondere von Hume herausgearbeitete Anforderungsprofil darstellte und darstellt. Der erste, dem eine derartige Leistung zuzuerkennen ist, ist Immanuel Kant. Hiermit sind wir bei der philosophiehistorischen These, die in dieser Abhandlung vertreten werden soll. Kant ist meines Erachtens der erste, der rücksichtlich des spezifischen Anforderungsprofiles, das die wissenschaftstheoretische Thematik darstellt, ein in der Hauptsache tragfähiges Angebot gemacht hat. Man kann sich denken, dass das mit seiner Konzeption der Philosophie als Transzendentalphilosophie zu tun hat. Davon gleich. Zunächst ist darauf aufmerksam zu machen, dass Kant mit diesem Angebot kein Glück beschieden war. Schon seine unmittelbaren Anhänger und nicht weniger seine großen idealistischen Nachfolger haben dieses Angebot nicht angemessen zu würdigen vermocht. Ja, sie haben es nicht einmal richtig als solches erfasst. Sie haben zu seinem Vergessen beigetragen. Die wissenschaftstheoretische Thematik hat sich dementsprechend nicht als transzendentalphilosophische Thematik dargestellt. Die Philosophie der nachkantischen Periode bis hin in die Mitte des 19. Jahrhunderts war ohne jedes wissenschaftstheoretische Renommee. Von ihren Lehrmeinungen möglichst keine Notiz zu nehmen, ist mit ein Bestandteil der unter der Designation erfahrungsmäßiger Methodik fortschreitenden Herausbildung der Einzelwissenschaften in jener Zeit. Wissenschaftstheoretisches Renommee gewann die Philosophie erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es waren neben den sogenannten Positivisten insbesondere die Forscher des Neukantianismus, denen dies verdankt ist. Sie haben sich auf Kants transzendentalphilosophische Neuorientierung der Philosophie zurückbesonnen und haben Kants zentrale Positionen, ihrer Meinung nach verbessernd, gezielt mit der Frage der Grundlegung der verschiedenen Wissenschaften verknüpft und so etwas wie eine wissenschaftstheoretische Programmatik aufgebaut. Die nachfolgende Entwicklung ist nicht zu beschreiben. Sie ist als rezentes Geschehen bekannt. Sie ist eine Sache der Konkurrenz und des Fortgetriebenwerdens. In dieser Entwicklung spielt die Frage der Distanz zu und/oder des Anschlusses an Kant, freilich selten genug zu oder an das,

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das man dezidierterweise als dessen wissenschaftstheoretische Vorstellungen bezeichnen kann, immer wieder einmal eine Rolle. So kann man heutzutage konstatieren: Auch wenn die Entwicklung sich nicht mit Kant vollzog, so spielen Kantische Überlegungen in der jüngst zurückliegenden wissenschaftstheoretischen Programmatik doch eine gewisse Rolle. Sie bilden sozusagen die oder wenigstens eine Schubkraft der modernen Wissenschaftstheorie.1 Insbesondere die durchgehende Legitimationsorientierung, die die Kantische Transzendentalphilosophie auszeichnet, zeichnet auch die Wissenschaftstheorie aus. Sie ist metaphysikkritische, rechtfertigungsorientierte Lehre. Sie stellt das wissenschaftliche Wissen auf den Prüfstand. Viele ihrer Vertreter beurteilen sie deshalb als Metatheorie zu den mehr oder weniger reflexionsfreien Theorien der positiven Wissenschaften. Doch das ist nicht alles, was wir an Kantischem Gedankengut in der Wissenschaftstheorie wiederfinden. Genauso belangvoll wie die rechtfertigungstheoretische und metaphysikkritische Orientierung ist die Aufnahme der grundlegenden Parameter der Problemaufnahme und der Problembehandlung, die Kants kritischem Konzept eigentümlich sind. Es ist kein wissenschaftstheoretisches Thema denkbar, bei dem nicht das Spannungsverhältnis von so etwas wie einer rezeptiven Basis und so etwas wie der logischen Ordnung des Aussagegehaltes der die Sachverhalte von Natur und Welt überhaupt begreifenden Aussagen mitschwingt, besser: den hintergründigen Diskussionsrahmen abgibt. Nach dem Gesagten dürfte klar sein, dass mit dieser Aussage nicht gesagt sein soll, dass es in der modernen Wissenschaftstheorie einen direkten Anschluss an Lehrgehalte der Kantischen Philosophie gibt. Es ist vielmehr so, dass dem genannten transzendentalphilosophischen Diskussionsrahmen nicht zu entkommen ist, und zwar auch dann nicht, wenn man, wie nicht wenige der gegenwärtig den Ton angebenden Wissenschaftstheoretiker, der Meinung ist, dass das von Kant angebotene Modell zur Bearbeitung der wissenschaftstheoretischen Problematik schon auf Grund seiner Zeitbedingtheit – Wissenschaft sei in der Sicht Kants ja auf die Mathematik und die Newton’sche Physik beschränkt – nicht eigentlich tragfähig sein kann. Mit dieser Aussage vom Kantischen Modell der Erfahrungserklärung, das heißt der Analyse der Erfahrung daraufhin, den Rang der Wissenschaft zu gewinnen respektive zu haben, als hintergründigem Diskussionsrahmen jeder wissenschaftstheoretischen Diskussion wechselt die Überlegung auf die Seite der ___________ 1 Vgl. Werner Flach, Der Kritizismus als Triebkraft der Entwicklung des modernen Empirismus. Rezension von Karl Raimund Popper, Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, Tübingen 1979, Philosophische Rundschau 28 (1981), S. 84–100, sowie ders., Karl Poppers wissenschaftsphilosophische Intention, in: Paul HoyningenHuene/Gertrude Hirsch (Hg.), Wozu Wissenschaftsphilosophie? Positionen und Fragen zur gegenwärtigen Wissenschaftsphilosophie, Berlin/New York 1988, S. 139–148.

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systematischen Sicht der Sache hinüber. Denn wenn die Lageeinschätzung zutrifft, dass die gegenwärtige wissenschaftstheoretische Diskussion diesen Kantischen Hintergrund hat, der angesprochen ist, und wenn zugleich dies zutrifft, dass sie zumindest unter einer partiellen Unkenntnis der Kantischen Argumentationsstränge leidet, so muss unterstellt werden, dass die gründlichere Kenntnis der Kantischen Argumente und ihrer Abfolge – bis in ihre wissenschaftstheoretischen Verästelungen hinein – zu dem sicheren systematischen Stand verhelfen wird, den die gegenwärtige Wissenschaftstheorie, wie ihre fortwährenden Divergenzen und Revisionen beweisen, noch immer vermissen lässt. Also, auch wenn dies in der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie nicht eingeräumt wird, darf davon ausgegangen werden, dass die gründlichere Berücksichtigung bestimmter Kantischer Gedankengänge systematisch überlegene Einsichten erlauben wird. Entsprechend dieser systematischen These ist den folgenden Ausführungen die doppelte Aufgabe gestellt, zum ersten die systematische Position der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie zusammenzufassen und zum zweiten aufzuzeigen, was zwecks vorteilhafter Behandlung der wissenschaftstheoretischen Thematik mit Kant in die wissenschaftstheoretische Diskussion zurückzuholen oder einzubringen ist. Kurz zusammengefasst lässt sich die Position der modernen Wissenschaftstheorie als eine Position kennzeichnen, die eine bestimmte Vorstellung von der Qualifikation von Wissen zu Erkenntnis sowie der einhergehenden oder nachkommenden Reflexion dieser Qualifikation bietet, wobei die Reflexion der Qualifikation selbst wieder den reflektierten Qualifikationskriterien unterliegt. Die Identität der Qualifikationskriterien soll hierbei dafür einstehen, dass keine eigene Reflexionsthematik und somit -aufstufung entsteht. Es ist nur eine Erweiterung in der Darstellung vonnöten. Man spricht deshalb gerne von der Erweiterung der Sprache zu einer Sprache über die Qualifikation. Es wird also eine Qualifikation zur Darstellung gebracht, die Wissen Erkenntnisrelevanz sichert. Das verlangt nach der Überzeugung der modernen Wissenschaftstheorie, die einzelnen Qualifikationsfaktoren zu benennen und in ihrer Funktionalität zu durchschauen. Die moderne Wissenschaftstheorie ist in diesem Punkte wenig originell. Sie kann es auch nicht sein. Denn da es nach wie vor darum geht, dem erlebnisinitiierten Wissen gleichwohl die transerlebnismäßige Sicherheit zu garantieren, ist nicht darum herumzukommen, die fragliche Qualifikation als das komplexe Zusammenspiel der in diesen beiden Rücksichten angesprochenen höchst problembeladenen Faktoren zu begreifen. Das heißt: Es ist zu begreifen, dass und wie Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit, Unbestimmtheit und Bestimmtheit, Vereinzeltheit und Allgemeinheit, Elementarität und Relationalität, Kontingenz und Konsistenz, Evidenz und Geltungs-

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bewährung zusammenspielen. Keines der durch diese Korrespondenzpaare markierten Probleme darf unbewältigt bleiben. Die Überlegungen, die in der modernen Wissenschaftstheorie angestellt werden, zielen denn auch ausnahmslos auf die Bewältigung dieser Probleme. Sie sind bestrebt, eine Lehre vom fraglosen Ausgangswissen und eine mit dieser zusammenstimmende Ansicht von aus diesem zu derivierenden Wissen zu entwickeln. Sie suchen hinter das Verhältnis von Unbestimmtheit und Bestimmtheit in den verschiedensten Ansichten von der Bestimmbarkeit zu kommen. Sie widmen sich dem Verhältnis von Vereinzeltheit und Allgemeinheit in den Lehrstücken der Klassen-, Mengen- und Reihenbildung. Sie suchen des Problems des Verhältnisses von Elementarität und Relationalität dadurch Herr zu werden, dass sie Korrespondenz- und Interpretationsregeln aufstellen. Sie suchen das Problem von Kontingenz und Konsistenz mittels der Lehre von der Axiomatisierung zu meistern. Sie traktieren das Problem des Verhältnisses von Evidenz und Geltungsbewährung in den verschiedenen Bewährungstheorien. Wie sehr diesen Anstrengungen der Erfolg vergönnt ist, entscheidet über die Tragfähigkeit der modernen Wissenschaftstheorie. Mit Tragfähigkeit ist hierbei die Leistung gemeint, allen Wissenschaften und jeder einzelnen Sachwissenschaft das gesicherte Selbstverständnis zu verschaffen. Dieser Aufgabe muss die Wissenschaftstheorie gerecht werden. Das Urteil, das diese Tragfähigkeitsvorstellung zum Maßstab erhebt, ergibt nun: Die moderne Wissenschaftstheorie, vom Positivismus bis zur sogenannten analytischen Wissenschaftstheorie, schafft mit ihren Aussagen zur Qualifikation von Wissen zu wissenschaftlichem Wissen genau dies, den Wissenschaften unterschiedslos ihre Szientität aufzuhellen. Hiermit ist gemeint: Es ist anhand der charakteristischen Lehrstücke der modernen Wissenschaftstheorie ersichtlich, dass die durchgängige Wissenschaftlichkeit des Wissens an die Übernahme einer Begründungs- und Überprüfungsobligation geknüpft ist. Es ist ersichtlich, dass die Begründung und die Überprüfung die Relativität des Wissens nicht aufheben, dass sie vielmehr dafür sorgen können und auch sorgen, das Wissen in seiner Relativität als objektiv auszuweisen. Es ist ferner ersichtlich, dass Objektivität strukturell bedingt ist und dass somit Objektivität und Fallibilität und mit dieser die Subjektivität sehr wohl miteinander zu vereinbaren sind. Es ist schließlich ersichtlich, dass die Verbindung von Objektivität und Fallibilität die eigene Dynamik des wissenschaftlichen Wissens hervorbringt. Im Blick auf die Fachwissenschaften ist hiermit aber eben nur Gemeinsames erhellt. Über die gemeinsamen Züge der Szientität hinaus ergibt sich kaum etwas. Die Spezifität der Fachwissenschaften bzw. deren Legitimation wird nicht aufgeklärt. Die moderne Wissenschaftstheorie, so heißt das, stellt sich in diesem Punkte als ziemlich, wenn nicht völlig inkompetent heraus. Hierfür gibt es selbstverständlich einen Grund. Der Grund liegt darin, dass in all jenen Bemü-

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hungen der modernen Wissenschaftstheorie die Verengung der Problemlösungsstrategie auf die logische (Re)Konstruktion kardinal ist. Wenn es bei all den in der Wissenschaftstheorie anstehenden Problemlösungen letztlich um die logische (Re)Konstruktion des in den einzelnen Wissenschaften vorliegenden Sachwissens geht, kann der rücksichtlich der Fachspezifikation der einzelnen Wissenschaften ausschlaggebende Punkt, wie diese zu ihren je besonderen Sach- und Methodenkonzepten kommen und überhaupt kommen können, nur durch eine logische Maßnahme angegangen werden. Er muss sich auf etwas logisch zu Bewältigendes reduzieren. Logisch aber ist die Fachspezifikation nichts anderes als Prädikatendistribution. Das heißt, rein logisch ist im Punkte der Fachspezifikation über die Einführung jeweils grundlegender Prädikate respektive Prädikatenklassen nicht hinauszukommen. Zum Selbstverständnis der je einzelnen Wissenschaft und insbesondere der Sicherheit dieses Selbstverständnisses trägt dies nun allerdings kaum etwas bei. Es wird lediglich der evidenten Sachlage Rechnung getragen, dass die einzelnen Wissenschaften zumindest im Kern mit durchaus eigener Begrifflichkeit operieren und dass sie, wenn sie Begriffe aus anderen Wissenschaften übernehmen, was ja gang und gäbe ist, diese auf diese eigene Begrifflichkeit hin fokussieren. Es wird nichts bezüglich der Art und Weise der Herausbildung der eigenen Begrifflichkeit oder kurz: bezüglich der spezifischen Begriffsbildung der einzelnen Wissenschaft eruiert. Aus einer solchen Eruierung dessen, was mit der spezifischen Begriffsbildung der einzelnen Wissenschaft vorliegt, allein aber kann die je einzelne Wissenschaft für sich einen Nutzen ziehen, kann sie bezüglich ihres Selbstverständnisses die Sicherheit gewinnen, die sie braucht, um, mit Kant zu reden, ihren sicheren Gang zu nehmen. Es wird an dieser Stelle nicht zufällig der Name Kants herangezogen. Es geschieht, weil sich zeigen lässt, dass der systematischen Beschränktheit der modernen Wissenschaftstheorie zu entkommen ist, wenn einem Lehrstück der Kantischen Transzendentalphilosophie die gehörige Beachtung geschenkt wird und dieses Lehrstück systematisch genutzt wird. Wir sind also beim zweiten Stück dessen angekommen, das darzulegen im systematischen Teil unserer Ausführungen wir uns vorgenommen haben. Durch den Ansatz bei dem Kantischen Lehrstück der Differenz von konstitutivem und regulativem Apriori – dies ist das Lehrstück – erfährt nun auch der Titel der Abhandlung: Wissenschaftstheorie als Transzendentalphilosophie, seine Berechtigung. Diese Differenz fällt nämlich ganz in den Rahmen dessen, was Kant unter Transzendentalphilosophie versteht, die Untersuchung der Geltungsgründe unserer Erkenntnisart von Gegenständen. Wie stellt sich die Kantische Konzeption dar? Es darf davon ausgegangen werden: Die Geltungswertigkeit der gegenstandsbestimmenden Aussage ist die durchgängige Frage in der theoretischen Philosophie Kants. Sie ist, wie Kant

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schon in der Einleitung der ‚Kritik der reinen Vernunft‘ darlegt, eine solche, die anhand der Aufklärung ihrer Grundlegung zu entscheiden ist. Diese Ansicht bedingt unausweichlich eine Aprioritätenlehre. Sie ist über die ganze ‚Kritik der reinen Vernunft‘ hin ausgeführt. Sie ist von Kant ausgeführt in der Weise einer Lehre von den Anschauungsformen (Raum und Zeit), von den Verstandesbegriffen (Kategorien) und den Vernunftbegriffen (Ideen). In der Kürze, in der sie hier zusammengefasst werden muss, besagt sie, dass die je konkrete Gegenstandsbestimmung nach den Aspekten der Bestimmungsbedürftigkeit, der Bestimmbarkeit und der Bestimmtheit sowie der Unbestimmtheit des Gegenstandes zu erörtern ist. Für jeden dieser unabweisbaren Aspekte ist die apriorische Bedingtheit aufzusuchen. Für die Bestimmungsbedürftigkeit findet sie Kant in den Anschauungsformen bzw. darin, dass diese ein ungeordnetes, aber möglicher Ordnung nicht unzugängliches Mannigfaltiges bedingen. Insofern gibt es mögliche Daten zu einer Erkenntnis. Die Datenfixierung und die Ordnung der Daten geht auf die Kategorien zurück. Diese stehen für die Bestimmbarkeit und die Bestimmtheit überhaupt ein. Konkrete Gegenstandsbestimmung, Erfahrung in der Terminologie Kants, konstituiert sich als kategoriale Ordnung fixer Daten zu einer Erkenntnis. Sie vollzieht sich nach Kant insofern in logischer Kontingenz über einem formalen Gegenstandsbegriff, der den Gegenstand überhaupt meint und somit die konstitutiv-apriorische Basis für alle Gegenstandsbestimmung abgibt. Das veranlasst Kant, natura formaliter spectata und natura materialiter spectata strikt gegenüberzustellen, Gesetzlichkeit und Gesetzmäßigkeit, so heißt das, als grundlegend zu betrachten. Sie stehen vor aller Suche nach Gesetzen fest. Diese Vorstellung ist nun aber noch nicht die komplette Vorstellung, die Kant von der konkreten Gegenstandsbestimmung entwickelt. Seine Vorstellung von der konkreten Gegenstandsbestimmung muss ja noch dem Aspekt der Unbestimmtheit der Bestimmung bei aller Bestimmtheit gerecht werden. Dieser Notwendigkeit folgt Kant dadurch, dass er lehrt, die Vorstellung von der konstitutiv-apriorischen Basis der Gegenstandsbestimmung ist zu ergänzen durch die Vorstellung von den regulativ-apriorischen Bedingungen (den Ideen). Diese Bedingungen stehen dafür ein, dass über der konstitutiv-apriorischen Basis komplementär zu dieser, das heißt in logischer Kontingenz, aber dennoch geregelt, die Gegenstandsbestimmung ihren konkreten Gang nimmt. Diese Prinzipien sind deshalb für Kant auch nicht mehr Prinzipien des Verstandes, sondern Prinzipien der Vernunft, und sie sind Prinzipien für die Urteilskraft. Sie regulieren das Wissen in dem Verstande, dass sie seine Sachlichkeit organisieren. Mit dieser Vorstellung ist Kant bei der wissenschaftstheoretischen Weiterung seiner Aprioritätenlehre angelangt. Ohne dass er diese als solche eigens kenntlich macht, installiert er sie doch in aller Entschiedenheit. Denn er insistiert darauf: Die konstitutiv-apriorische Fundierungsfunktion der Kategorien ermöglicht lediglich die Begründung der allgemeinen gesetzlichen Ordnung der

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möglichen Daten zu einer Erkenntnis. Durch bloße Kategorien den Erscheinungen apriori Gesetze vorzuschreiben, formuliert er2, führt lediglich – und dieses lediglich betont er – auf Gesetze, auf denen eine Natur überhaupt als Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit beruht. Von den Gesetzen überhaupt, die apriori belehren, was Erfahrung überhaupt ist und was als ein Gegenstand derselben Erkenntnis werden kann, sind die besonderen Gesetze zu unterscheiden, die empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen. Diese können zwar den konstitutiv-apriorischen Rahmen nicht sprengen, sie stehen unter den Gesetzen überhaupt, wie Kant sagt; aber sie sind aus diesen auch nicht vollständig ableitbar. Sie sind eben anderen, zu den konstitutiven Prinzipien komplementären Prinzipien verdankt, den regulativen Prinzipien, den Prinzipien der Organisation der Gegenstandsbestimmung (in Bestimmtheit und Unbestimmtheit). Ihre komplementäre Eigenständigkeit sieht Kant, wie er in der Einleitung seiner Logikvorlesung3 ausdrücklich ausführt, darin begründet, dass sie die Art und Weise betreffen, wie ein gewisses Objekt vollständig zu erkennen sei, und dass sie aus der Natur der Wissenschaft selbst hergenommen werden müssen. Entschiedener könnte Wissenschaftstheorie als Transzendentalphilosophie nicht konzipiert werden. Die Wissenschaftstheorie hat ihre Notwendigkeit in einem Thema der transzendentalen Grundlegung der Erkenntnis. Dieses zwangsläufige Thema ist das der Spezifikation der Erfahrung sowie der Homogenität und Kontinuität derselben bei aller Spezifikation. Weil dieses ein Thema aus transzendentalem Grunde ist, ist die Wissenschaftstheorie letztendlich transzendentalphilosophischer Natur. Alle essentials der Wissenschaftstheorie ergeben sich aus dieser ihrer transzendentalphilosophischen Natur. Kant hat sie fast alle bereits angegeben. So hat Kant bereits unmissverständlich auf den hierarchischen Aufbau des Wissens hingewiesen, das Wissen von der Natur in materialer Betrachtung ist, der bestimmten, logisch gesehen kontingenten Erfahrung. Dank seiner teilen alle Wissenschaften das Szientifische an unserer Erkenntnis überhaupt, wie Kant4 ausführt. Und das beinhaltet für Kant, sie sind auf Gesetzmäßigkeiten, sowohl auf übergeordnete als auch auf untergeordnete Gesetzmäßigkeiten zielende Aussagen. Aber, und auch das hat Kant gezeigt, das ist nicht das eigentlich Interessante an ihnen und für sie, das ist nur die notwendige Bedingung; das Interessante an ihnen und für sie ist der Sachzusammenhang ihrer Bestimmungen, dies, dass das Erfahrungswissen, wie Kant5 ausführt, Erscheinungen in der Welt betrifft ___________ 2

Kritik der reinen Vernunft, B 165. AA IX, S. 19. 4 Kritik der reinen Vernunft, B 860. 5 Kritik der reinen Vernunft, B 494. 3

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und betreffen kann, das heißt dass es ein Wissen ist, das einem Kontext zugehört, und zwar dem Kontext dessen, was wir von der Natur wissen, wie Kant6 sagt, was wir jeweils wissen, muss man hinzufügen, und was somit auch ohne eine innere Dynamik gar nicht vorstellbar ist. Die daseienden Dinge dieser Welt werden in den Wissenschaften bestimmt in der konkreten Zufälligkeit ihrer Erscheinung und hierbei gerade in gesetzlicher Notwendigkeit. Die Aussagen der Wissenschaften, auch das ist zum dritten nach Kants Überlegungen begründeter Weise dargelegt, repräsentieren also stets den Stand der Nachforschung. Sie treffen ihre Bestimmungen entsprechend dem Kontext des jeweiligen Sachzusammenhanges. Sie binden hierbei die methodisch angestellte Beobachtung und die nomologische Erklärung derart zusammen, dass der eine Sachzusammenhang entsteht, in den alles, was die einzelne Wissenschaft für sich reklamiert respektive reklamieren darf, eingestellt ist oder wird. Jede Wissenschaft ist sachsystematisches Wissen. Und vor allem ist noch eines von Kant unmissverständlich gemacht: Die grundlegenden Erklärungen oder, wie Kant es nennen würde, die Grundsätze einer Wissenschaft, jene Bestimmungen, denen wir Voraussetzungscharakter zuerkennen, sind ihrer Apodiktizität ungeachtet nicht etwas in absoluter Gewissheit Erkanntes. Sie sind Grundlagen, die, wie es Kant7 formuliert, an sich selbst, also direkt a priori gar nicht erkannt werden können. Sie haben, wie Kant ausdrücklich lehrt, das, was sie möglich machen, die konkrete Gegenstandsbestimmung (die sachzusammenhangsimmanente gesetzmäßige Bestimmung des je konkreten Gegenstandes) zum Beweisgrund. Dies die Formulierung Kants. Kant will hiermit klarstellen, dass die methodische Organisation der fachlichen Bestimmung nicht nur das Vehikel ihrer Zuverlässigkeit ist, sondern dass sie auch das ist, über das sich die fachlichen Grundsätze eben dieser Bestimmung entdecken lassen. Es gibt nach der transzendentalphilosophischen Konzeption der Wissenschaftstheorie keine fachlichen Grundsätze, die sich der konkreten Bestimmung in der Weise vorordnen ließen, dass sie vorneweg aufgestellt werden könnten oder gar müssten. Wäre dem so, so müssten die Fachwissenschaften mit Dogmen arbeiten. Sie müssten sich auf diese sogar stützen. Die moderne Wissenschaftstheorie kann den Eindruck solcher Dogmatik nicht völlig ausräumen. Auch wenn sie nur von Axiomen und Lehrsätzen spricht, ist häufig genug die Dogmatisierung kaschiert im Spiel. Die in transzendentaler Grundlegung legitimierten Grundsätze sind dagegen etwas anderes. Sie sind die semantischen Prinzipien der Gegenstandsbestimmung. Oder besser gesagt: Sie sind die Prinzipien der Semantik der die methodische Beobachtung und die ge___________ 6 7

Kritik der reinen Vernunft, B 505. Kritik der reinen Vernunft, B 765.

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setzmäßige Erklärung zusammenspannenden Sachlichkeit der Fachwissenschaft. Diese Ausführungen zu den von Kant berührten wissenschaftstheoretischen Themen sollten einsichtig machen können, dass die transzendentalphilosophisehe Konzeption der Wissenschaftstheorie enorme Vorzüge gegenüber der gegenwärtig dominierenden logizistisch-empiristischen und in gewissen Teilen auch heuristisch-pragmatischen Konzeption der Wissenschaftstheorie in sich birgt. Es sind Vorzüge, die auf Grund der Ignoranz gegenüber der ganzen Breite und Tiefe der theoretischen Philosophie Kants zweihundert Jahre lang sozusagen ungenutzt geblieben sind. Es sind zudem Vorzüge, die es erlauben, die Wissenschaftstheorie sozusagen in einem Guss zu konzipieren. Es sind Vorzüge, die, was ich am allerwichtigsten finde, keine einzige Entwicklungsmöglichkeit verbauen. Ich bin überzeugt, die in der angegebenen Weise den Kantischen Vorgaben bzw. Anregungen folgende Anlage der Wissenschaftstheorie vermag jede einschlägige Innovation zu integrieren. Sie vermag noch eines. Sie vermag genau anzugeben, dass es zu ihren genuinen Themen die Anschlussthemen gibt, an welches Thema sich diese jeweils anschließen und in welcher systematischen Perspektive sie zu verfolgen sind. Es sei an einem Thema verdeutlicht. Es ist das Thema des Problems. Dieses Thema steht im Zentrum der wissenschaftstheoretisch grundlegenden Erörterungen. Ohne seine Klärung ist schon der Methodenbegriff nicht zu erhellen. Dieses Thema zieht unmittelbar nach sich das wissenschaftstheoretisch gar nicht relevante, dafür aber wissenschaftshistorisch ganz zentrale Thema des Problembewusstseins. Das lehrt etwas sehr zu Beachtendes: Wenn auf den Begriff des Problembewusstseins beim Aufbau des Lehrgebäudes der Wissenschaftstheorie gut und gerne verzichtet werden kann, wenn ohne diesen Begriff aber beim Aufbau einer Wissenschaftshistorie unmöglich zurechtzukommen ist, so sind die Anschlussthemen Themen, die über die Wissenschaftstheorie als Transzendentalphilosophie hinausführen. Hiermit sollte zuguterletzt auch einsichtig sein, dass es zur Wissenschaftstheorie als Transzendentalphilosophie die nichttranszendentalphilosophischen Ergänzungen gibt. Es ist ausdrücklich von Ergänzungen die Rede. Denn das beinhaltet unter anderem auch dies, dass man über die Anschlussthemen in die Wissenschaftstheorie nicht wirklich hineinkommen kann. Die moderne Wissenschaftstheorie leidet auch daran, dass sie in nicht wenigen ihrer Varianten genau dieses Unmögliche versucht. Deshalb nochmals: In der Rückkehr einerseits zu den genuinen Themen der Wissenschaftstheorie, in deren Ausbau andererseits besteht vor allem die Überlegenheit der Wissenschaftstheorie als Transzendentalphilosophie. Es ist die Überlegenheit der eigentlichen Bestimmung der Wissenschaft gegenüber der uneigentlichen. Diese Überlegenheit, ich fasse zusammen, liegt darin, dass sie das wissenschaftliche Wissen in umfassender geltungstheoretischer Begrün-

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dung als das begreifen lässt, das es ist, Wissen, das für sich zuverlässigerweise sein Sachkonzept reklamiert und das auf Grund dessen zwangsläufig auf ein Methodenkonzept aufbaut und dementsprechend über dieses Methodenkonzept zu fixieren und zu diskutieren ist, dies deshalb, weil in der Methodendiskussion letztendlich die Prinzipien seiner jeweiligen sachreferenten Geltungsdifferenz freigelegt werden, jedenfalls der Möglichkeit nach. Die Möglichkeit schon schafft das Vertrauen, das wir haben und, wie sich nun herausstellt, mit gutem Grunde haben können, ein Wissen auf Grund einer auf es bezogenen Methodendiskussion als das Wissen einer bestimmten Wissenschaft ausgliedern zu können. Dieses Wissen ist objektives Wissen und es ist spezifisches Wissen. Hiermit ist immer auch, wie nicht genug betont werden kann, gesagt, dass es Wissen ist, das in jeder Hinsicht seine eigenen Maßstäbe hat. Diese eigenen Maßstäbe werden auch Werte genannt. Das Sachwissen ist in dieser Sichtweise wertorientiertes Wissen. Man kann sich denken, dass das der Diskussion der Wertorientiertheit der Wissenschaften die Richtung gibt, dass Sachverhalte, die ihrer Methodik immanent sind, in Frage stehen. Methodikimmanente bzw. methodikinduzierte Werte sind das Thema. Die immer wieder einmal aufflammende Diskussion um die sogenannte Wertfreiheit der Wissenschaft kann also ganz klar nur auf die Abwehr der Integration methodikheterogener Werte abzielen. Die ihrer Methodik heterogenen Werte haben in einer Wissenschaft nichts zu suchen. Wohl aber sind die mit der Methodik der jeweiligen Wissenschaft für diese relevanten Werte zu reflektieren. Max Weber, der die sogenannte Wertfreiheitsdiskussion ursprünglich losgetreten hat, hat die Sache auch in dieser Weise gesehen. Bei seiner Beziehung zur Wertphilosophie der südwestdeutschen Neukantianer, der Heinrich Rickerts im Besonderen, liegt dies auch nahe. Für Rickert sind die Werte genau die Prinzipien, die die Semantik der Wissenschaften begründen, die er die Kulturwissenschaften nennt. Es stehen aber nicht nur die Kulturwissenschaften in Frage. In Frage steht jede Wissenschaft. Jede Wissenschaft verfügt über die ihrer Methodik immanenten oder durch ihre Methodik induzierten Maßstäbe. Sie sind das Richtmaß der Beurteilung ihres fachspezifischen Forschens. Es geht um die Reinheit der Wissenschaft.

Kritizistische oder dialektische Methode? Analyse und Bewertung Wenn einem die Aufgabe gestellt wird, der Frage: kritizistische oder dialektische Methode der Philosophie? nachzugehen und hierbei eine Analyse und Bewertung vorzunehmen, was zuletzt heißt, die eine wie die andere Methode in ihrer Relevanz für die Philosophie zu gewichten und beide gegeneinander abzuwägen, kommt man nicht umhin, sich einer mehrfachen philosophiehistorischen Erinnerung ausgesetzt zu sehen. Es ist die Erinnerung an Kant und Hegel; es ist die Erinnerung an all die Lehrgebäude, die nach Kant und Hegel kritizistisches oder dialektisches Denken für sich reklamiert haben. Es ist die Erinnerung vor allem an das, was uns als Kantrenaissance und als Hegelrenaissance, Neukantianismus und Neuhegelianismus in der Geschichte der Philosophie begegnet. Ich will dieser Erinnerung Rechnung tragen und meine Überlegungen in jeweils historischer Anknüpfung vorantreiben. Hiermit ist entschieden: Die anzustellenden Überlegungen nehmen ihren primären Orientierungspunkt an der Philosophie Kants. Sie gehen davon aus, dass in Kants Philosophie die originäre Formierung dessen vorliegt, was historisch fundiert die kritizistische Methode genannt werden kann. Diese Entscheidung ist also eine historisch begründete Entscheidung. Aber sie ist gleichwohl von mehr als historischer Relevanz. Sie ist dies aus dem einfachen Grunde, dass Kant am Ende der Kritik der reinen Vernunft zurecht feststellen kann, gemäß dem Ergebnis der Kritik der reinen Vernunft, das heißt wenn die Wissbegierde der menschlichen Vernunft von allen skandalträchtigen Behauptungen ferngehalten werden soll, wenn das Wissen somit seine Legitimation bei sich haben muss, ist nur der eine Weg des Wissens offen, der in der Kritik der reinen Vernunft aufgezeigt worden ist und den Kant schlicht den kritischen Weg oder den Weg des Kritizismus nennt.1 Der Weg, der für die Legitimation des Wissens allein offen steht, der der Sache angemessene und insofern unabdingbar von der Systematik der Wissenslegitimation her mit Relevanz ausgestattete Weg, die systematisch relevante Methode ist die kritische oder eben kritizistische Methode. Das historisch Primäre ist also auch das systematisch Relevante. Die Anknüpfung an Kants Kritizismus ist in der historischen wie in der systemati___________ 1

Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Riga 21787, B 884.

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Kritizistische oder dialektische Methode?

schen Sicht der Sache geboten. Die Überlegungen zur kritischen oder kritizistischen Methode stehen mit dieser Anknüpfung auf sicherem Boden. Hegels Lehre von der dialektischen Methode, nicht weniger die dialektische Organisation seiner Gedanken, ist vom Kantischen Kritizismus nicht unabhängig. Sie sind im Ausgang von diesem entwickelt worden. Insofern sind die Überlegungen, die die Frage nach der dialektischen Methode aufwerfen, in gleicher Weise einzuschätzen wie die Überlegungen zur kritizistischen Methode. Sie befinden sich auf sicherem Boden, wenn sie ihren Ausgang bei Hegels Lehre von der dialektischen Methode und seiner dialektischen Argumentation nehmen. Sie sind diesen historisch wie systematisch verpflichtet. Nun also zur kritizistischen Methode in ihrer Etablierung bei Kant. Die in diesem Punkt anzustellenden Überlegungen sind gar nicht anders durchzuführen, als dass sie sich auf die Bemühungen richten, in denen Kant die Antwort auf die Frage zu finden sucht, die die zentrale Frage seiner Philosophie ausmacht. Diese Frage ist die transzendentallogische Frage nach der Möglichkeit, und mit Möglichkeit meint Kant die Geltungsqualifikation, der Erkenntnis, genau: der synthetischen Urteile a priori. Es muss nicht umständlich ausgeführt werden, dass und warum diese Frage eine transzendentale und eine logische Frage ist. Sie ist eine transzendentale Frage, weil sie nicht auf die Bestimmung von Gegenständen zielt, sondern auf die Eruierung dessen, in dem die Bestimmung von Gegenständen, ja überhaupt die für die Gegenstandsbestimmung grundlegende Beziehung auf Gegenstände, die Gegenstandsbezogenheit, gründet, die Geltungsqualifikation des Wissens. Sie ist eine logische Frage, weil sie hierin Funktionen, in Kants Redeweise, Funktionen der Verknüpfung von Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) und das ist die Bestimmtheit des Verstandes selbst, erfragt. Es muss aber der Finger darauf gelegt werden, dass die Bemühungen, die die Auskunft bezüglich dessen erbringen, was die transzendentallogische Frage erfragt, selbstverständlich ihrerseits nur transzendentallogische Bemühungen sein können. Daran hängt nämlich, dass die Anknüpfung an Kant auch den gehörigen Ertrag erbringt. Denn insofern muss die methodische Charakteristik jener Bemühungen irgendwie im Programm der transzendentalen Logik enthalten sein. Sie kann also auch nur von diesem Programm her erarbeitet werden. So steht das Kantische Logikprogramm zur Debatte. Welch glücklicher Umstand! Denn sosehr Kant auch die Kritik der reinen Vernunft einen Traktat von der Methode nennt,2 sowenig ist in diesem Traktat ein unter einem direkt namengebenden Titel ausgegliederter oder wenigstens ausgliederbarer Text zur Charakteristik der kritischen respektive kritizistischen Methode enthalten. ___________ 2

Vgl. a.a.O., B 25, B 80, u.ö.

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Wenn Kants Logikprogramm kurz dargelegt werden soll, so ist zu sagen, dass es die Aufklärung der Möglichkeit der Erkenntnis als den Themenbereich des Verstandes, des Begriffes, der Spontaneität und des bestimmten Gegenstandes hinstellt. Diese Themen, zu denen es jeweils das thematische Gegenstück, nämlich die Sinnlichkeit, die Anschauung, die Rezeptivität und den unbestimmten Gegenstand gibt, sind in der Logik, die im Ausgang von der Urteilsthematik Analytik der Begriffe und der Grundsätze a priori der Erkenntnis und als solche Logik der Wahrheit3 ist, zu behandeln. Die Art und Weise der Behandlung ist das, was im Punkte der Methode in Frage steht. Und da stehen mit dem Analytikbegriff und dem Begriff der Logik der Wahrheit die entscheidenden Hinweise zur Verfügung. Von Analytik spricht Kant nämlich mit Rücksicht darauf, dass angesichts der Problematik der Möglichkeit der Erkenntnis, das ist der Geltungsqualifikation von Wissen, dreierlei vonnöten ist: die Analyse der Bestimmungsstruktur, die Analyse der Begründungsstruktur, die Analyse der Integration von Bestimmungs- und Begründungsstruktur im gegenständlichen Sinn. Das eine, wie das andere, wie das dritte muss geliefert werden. Nur indem sie geliefert werden, liegt das vor, das nach Kant Logik der Wahrheit heißen kann. Die allgemeine reine Logik, von Kant und seit Kant auch formale Logik genannt,4 liefert sie nicht. Ihr Formbegriff hindert sie daran. Kraft dieses Formbegriffes ist nur ein Status zu begründen, der die Argumentation „correct und mit sich selbst übereinstimmend“,5 systematisch macht, und somit die Wahrheit darauf beschränkt, dass der Verstand mit seinen eigenen allgemeinen Gesetzen übereinstimmt,6 die Begriffe klar und deutlich sind, die Spontaneität mit der Unabgeleitetheit gleichbedeutend ist, der bestimmte Gegenstand als ausgegliederter Gegenstand vorliegt. Das jeweilige thematische Gegenstück, genauer: dass die Bindung des Verstandes an sein Gegenstück, die Sinnlichkeit, mit zu seiner Bestimmtheit gehört, dass die Bindung des Begriffes an sein Gegenstück, die Anschauung, mit zu seiner Bestimmtheit gehört, dass die Bindung der Spontaneität an ihr Gegenstück, die Rezeptivität, mit zu ihrer Bestimmtheit gehört, dass die Bindung des bestimmten Gegenstandes an sein Gegenstück, den unbestimmten Gegenstand, mit zu seiner Bestimmtheit gehört, bleibt unbeachtet. Dies zu beachten, bringt die Behandlung des Themenbereiches Verstand, Begriff, Spontaneität, bestimmter Gegenstand auf die Bahn, die sie erfolgreich sein lässt. Der Erfolg besteht darin, dass die logische Form nicht mehr in einem technischen Verstande, als ___________ 3

Vgl. a.a.O., B 87. Vgl. a.a.O., B 170. 5 Immanuel Kant, Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen (1800), in: Kants gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, 29 Bde., Berlin/Leipzig 1902–2009, IX, S. 20. 6 Vgl. ebd. 4

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Leerstelle für die Erfüllung durch einen Inhalt, wie immer diese Erfüllung im einzelnen auch aussehen mag, gefasst wird, sondern dass die logische Form als Regel des reinen Denkens eines Gegenstandes, wie es in der Kritik der reinen Vernunft heißt,7 gefasst wird, das heißt als die Bedingung, die Funktion, kraft welcher das Denken einen Inhalt hat und haben muss, wie Kant sagt, kraft welcher das Gedachte, möchte ich sagen, geltungsvalenter und in seiner Geltungsvalenz geltungsdifferenter Sinn ist. Den Erfolg beschert die Methode. – So ist das Ergebnis unzweifelhaft dies, dass Kant mit seinem Logikprogramm die Methode der Geltungsreflexion ins Spiel bringt. Die Methode, die die Kritik trägt, ist die Methode der Geltungsreflexion. Reflektiert wird die Geltungsbestimmtheit des Gedankens (eines jeden Gedankens) und die Funktionalität, in der diese sich begründet. Mit dieser Geltungsreflexion wird etwas schlechthin Exklusives geleistet. Auch dessen ist sich Kant bewusst. Das Bewusstsein davon dokumentiert sich nicht zuletzt in Kants Titelbegriff der Kritik. Indem er seine Argumentation als Kritik, als Kritik der Vernunft, der reinen Vernunft, des Verstandes, der Urteilskraft auszeichnet und indem er mit Nachdruck darauf besteht, dass diese Auszeichnung eine Auszeichnung innerhalb der transzendentalen Erkenntnis ist, so dass die Kritik vor die Transzendentalphilosophie als Doktrin und System rückt, gibt er zu verstehen, dass jene Methode, die diese Argumentation trägt, als die Methode der geltungstheoretischen Letztbegründung einzuschätzen ist. Die Methode, gemäß welcher die kritische Argumentation sich aufbaut, die kritische Methode, der kritische Weg, wie Kant sagt, die kritizistische Methode, wie sie unter Anspielung auf die Rede vom Kritizismus genannt wird, ist geltungstheoretische und ist Letztbegründungsmethode.8 Fichte hat dies in aller Bestimmtheit gesehen und hat deshalb zu seiner dementsprechenden Ineinssetzung von Kritizismus und Philosophie angesetzt. Auch Hegel hat dies so gesehen. Im Unterschied zu Fichte, der nur Kants System im Detail verbessern und komplettieren zu müssen glaubte, ist er jedoch der Meinung, der Radikalität der Einschätzung ist bei Kant noch lange nicht Genüge getan. Das ist für ihn der Anlass, ans Werk zu gehen und dieses Werk als polemische Auseinandersetzung mit der Kantischen Argumentation, die er sehr richtig als reflexionsphilosophische begreift, zu betreiben. Wie sehr seine Inszenierung seiner Auseinandersetzung Kant-bezogen ist, geht jedoch nicht nur daraus hervor, dass sie gegen die Reflexionsphilosophie polemisiert, sondern auch und vor allem daraus, dass die Reflexionsphilosophie aufgehoben werden ___________ 7

Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., B 79. Vgl. Werner Flach, Transzendentalphilosophie und Kritik. Zur Bestimmung des Verhältnisses der Titelbegriffe der Kantischen Philosophie, in: Wilhelm Arnold/Hermann Zeltner (Hg.), Tradition und Kritik. Festschrift für Rudolf Zocher zum 80. Geburtstag, Stuttgart-Bad Cannstatt 1967, S. 69–83. 8

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soll, um diesen mittlerweile ziemlich abgenutzten Hegel’schen Terminus gleich zu gebrauchen. Die Aufhebung ist die Dialektik. Und die ist nicht anders als die Kritik oder der Kritizismus im Kern eine methodische Angelegenheit.9 Und wiederum nicht anders als bei Kant ist die Charakteristik dieser Angelegenheit Bestandteil des Hegel’schen Logikprogrammes, des Programmes der spekulativen Logik. Die Texte, in denen das Logikprogramm Hegels zur Darstellung kommt, sind zahlreich. Ich verweise auf die wichtigsten. Sie finden sich in der ‚Vorrede‘ und in der ‚Einleitung‘ der Phänomenologie des Geistes, in den beiden ‚Vorreden‘ und in der ‚Einleitung‘ sowie zu Beginn des ‚Dritten Buches‘ der Wissenschaft der Logik, in der ‚Einleitung‘ der Encyclopädie und in dem ‚Vorbegriff‘ der sogenannten Kleinen Logik in der Encyclopädie. Ich halte mich bei meinen Darlegungen vornehmlich an den letztgenannten Text. Denn er ist für die anzustellenden Überlegungen besonders aufschlussreich. Dient dieser „die dem Denken zur Objektivität gegebenen Stellungen“10 behandelnde Text nach Hegels ausdrücklicher Bekundung doch dazu, „die Bedeutung und den Standpunkt“ der spekulativen Logik „zu erläutern und herbeizuführen“11 – ein Standpunkt, von dem er nach dem Vorwort zur 1. Ausgabe der Encyclopädie meint, dass er den Standpunkt der „einzig wahrhaften, mit dem Inhalt identischen“ Methode ausmache –, und geschieht dies, wie schon gesagt, doch vornehmlich in der Weise der polemischen Auseinandersetzung mit dem Kantischen Logikprogramm, wobei das für unsere Überlegungen Ausschlaggebende dies ist, dass hiermit auch Methodenkonzept gegen Methodenkonzept gestellt wird. Mit der ersten – das ist sachlich und genetisch gemeint – Stellung des Gedankens zur Objektivität hat Hegel das Programm der intentio recta im Auge. Das Denken ist gemäß diesem Programm sozusagen selbstvergessen, selbstvergessen insofern als es seine Objektivität im Sein des seienden Gegenstandes findet. Die Denkbestimmungen werden „als die Grundbestimmungen der Dinge“ betrachtet. Das, was ist, soll „damit daß es gedacht wird, an sich erkannt sein“12. Das ist das Programm der vorkritischen Metaphysik. Es spielt in unseren Überlegungen keine Rolle. Höchst belangvoll dagegen ist das, was Hegel als die zweite Stellung des Gedankens zur Objektivität vorträgt und wie er diese Stellung würdigt. Denn darin ist – von einigen Bemerkungen zum Empiris___________ 9 Vgl. Werner Flach, Hegels dialektische Methode, in: Hegel-Studien, Beiheft 1, Bonn 1964, S. 55–64 und Werner Flach, Die dreifache Stellung des Denkens zur Objektivität und das Problem der spekulativen Logik, in: Dieter Henrich (Hg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978, S. 3–18. 10 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften, in: Sämtliche Werke, hg. von Georg Lasson, Bd. V, Leipzig 1911–1940, S. 58 f. 11 A.a.O., S. 59. 12 A.a.O., S. 60, § 28.

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mus abgesehen – das kritizistische Logikprogramm zu erkennen. Für dieses Programm, lehrt Hegel, ist kennzeichnend, dass die Objektivität des Gedankens in das Denken gesetzt ist. Das ist nach Hegel eine durchaus zu unterstützende Programmatik. Doch wirklich fruchtbar ist diese Programmatik, kann sie nur sein, wenn sie auch wirklich zu Ende gedacht wird. Das ist in Kants Transzendentalphilosophie indessen nicht der Fall. Deren Logikprogramm ist mit einer schwerwiegenden Inkonsequenz behaftet. Diese Inkonsequenz verhindert, dass die Bestimmtheit an ihm selbst des Denkens zureichend gedacht wird. Kants Logik der Wahrheit gelingt es nicht, die „Wahrheit als in sich konkrete Allgemeinheit“13 zu fassen und so dem Verhältnis des Allgemeinen und des Besonderen in der Bestimmung von etwas als etwas die Abstraktheit zu nehmen, so die Bestimmung des Gegenstandes als die Vermittlung von Bestimmung und Bestimmung aneinander zu begreifen, die Untersuchung der Wahrheit als die Untersuchung „über die Natur und den Wert der allen Inhalt verbindenden und bestimmenden Denkverhältnisse“ zu organisieren.14 Sämtliche dem Denken anheimgegebenen Bestimmungsfunktionen, die Funktionen der Einheit in den Urteilen, die Kategorien, die konstitutiven Verstandesgrundsätze, die regulativen Vernunftgrundsätze, die ganze Kantische Prinzipienlehre des Denkens verbleiben innerhalb der instrumentalisierenden Reflexion. Die Kantische Prinzipienlehre geht hiermit, meint Hegel, an der prinzipientheoretischen Grundeinsicht vorbei, dass das Erkennen nicht anders als erkennend untersucht werden kann15 – die sarkastische Formulierung vom Schwimmenlernenwollen, ohne ins Wasser zu gehen,16 ist ja wohlbekannt – und dass eben deswegen jede Einseitigkeit vermieden werden muss. „Für das Wahre [das ist die adäquate Bestimmung des Gegenstandes; Vf.] kann nur ein Inhalt erkannt werden, insofern er (...) sich mit sich selbst vermittelt, und so in eins Vermittlung und unmittelbare Beziehung auf sich selbst ist“, formuliert Hegel im § 74 der Encyclopädie.17 Die Dialektik ist die Natur des Denkens selbst, heißt es in § 11 der Encyclopädie.18 Die Differenz von zu bestimmendem Unbestimmten und bestimmbarem Bestimmten wird ständig aufgehoben. Der Punkt ist, was ist diesem Logikprogramm als Methodenkonzept inhärent. Ich meine, so gerafft die gegebene Darstellung des Hegel’schen Logikprogrammes auch ist, einsichtig ist doch dies: die Methode, die die Philosophie kennzeichnet, und zwar sehr wohl die Philosophie verstanden als Lehre von der Erkenntnis und der wahrheitsorientierten Kanonisierung der Erkenntnis, also ___________ 13

A.a.O., S. 87 f., 61. A.a.O., S. 8. 15 Vgl. a.a.O., S. 42, § 10. 16 Vgl. ebd. 17 A.a.O., S. 101, § 74. 18 Vgl. a.a.O., S. 43, § 11. 14

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soweit mit Kant übereinstimmend, ist die Bewegung, die Bestimmung und Bestimmung des Gegenstandes miteinander verbindet, die Bewegung des Begriffes, wie es Hegel prägnant formuliert. Das Entscheidende an dieser Bewegung ist ihre doppelte Dynamik: Sie ist Fortbestimmungsdynamik und sie ist Begründungsdynamik, und sie ist beides in einem und in einer Struktur. Das heißt: Mit jeder Bestimmung wird auch ein Schritt auf der Begründungsbahn vollzogen; mit jedem Schritt auf der Begründungsbahn wird auch ein Schritt auf der Bestimmungsbahn vollzogen. Insofern hierbei bestimmte Generalisierungs- und bestimmte Konkretisierungsebenen aufeinander bezogen sind oder werden, spricht Hegel von der Entwicklung der Totalität der eigentümlichen Bestimmungen und Gesetze des Denkens, die es sich selbst gibt,19 oder kurz: von der Selbstbestimmung oder Selbstgestaltung des Begriffes. Der Impetus dieser Selbstbestimmung oder Selbstgestaltung ist die bestimmte Negation. Sie organisiert die dialektische Triade von Bestimmungsthese, Bestimmungsantithese und Bestimmungssynthese. Das ist eine logische Operation. Sie gründet in der Konstitutivität des Prinzips des Widerspruches. Konstitutivität und Regulativität des Denkens sind somit nicht wie bei Kant getrennt, sondern zusammen gedacht. Das Zusammendenken beider ist für die Dialektik zentral. In diesem wächst ihr ihr methodischer Totalitätsanspruch zu. Angesichts dieses Totalitätsanspruches erkennt Hegel der Dialektik die überlegene transzendentallogische Kompetenz zu, die Hegel in der Auseinandersetzung mit Kants Transzendentalphilosophie durchweg einfordert. Es ist die Kompetenz, die im Zusammenfallen von Methode und systematischem Sachzwang besteht. Es ist angesichts dieser Lage nicht überraschend, dass im Zuge der Wiederbelebung der Kantischen Philosophie seit den Sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Bewegung sich herausbildet, der sogenannte Neukantianismus, die in der Folge der gründlicheren Rezeption und der tatsächlichen oder vermeintlichen Fortbildung des Kantischen Kritizismus, insbesondere des Logikprogrammes desselben und des diesem inhärenten Methodenkonzeptes, eine gewisse Prädestination zur Wiederaufnahme des Hegel’schen Logikprogrammes und der diesem inhärenten Methodenvorstellung zeigt. Es ist Wilhelm Windelband, eines der Schulhäupter des Neukantianismus, gewesen, der dies schon 1910 in seinem Aufsatz ‚Die Erneuerung des Hegelianismus‘ festgestellt hat.20 Andere, fast alle selbst Neukantianer, sind ihm darin gefolgt. Ich verweise auf Hermann Levys 1927 erschienenes Buch Die Hegel-Renaissance in der ___________ 19

Vgl. a.a.O., S. 52. Vgl. Wilhelm Windelband, Die Erneuerung des Hegelianismus, in: ders., Präludien, Bd. I, Leipzig 91924, S. 273–289, hier: S. 279. 20

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deutschen Philosophie mit besonderer Berücksichtigung des Neukantianismus21 und vor allem auf Richard Kroners einflussreiches Werk Von Kant bis Hegel22. Ich hebe Siegfried Marcks Werk Die Dialektik in der Philosophie der Gegenwart23 hervor. In diesem Werk sind die relevanten Positionen der transzendentalphilosophischen Fortbildung der Philosophie aus dem ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts schließlich unter den Gesichtspunkt einer kritischen Dialektik gerückt worden. Zum Ausdruck gebracht werden soll hiermit die Meinung, dass die kritizistische Sachdiskussion zwar nicht zur Dialektik der Hegel’schen Geistphilosophie, aber doch zur dialektischen Behandlung hin tendiere. Das kann nur heißen, dass mit den kritizistischen Sachverhalten auch die dialektische Methode ins Recht gesetzt sei. Das zweite Stück der Erinnerung, der wir uns bei der Frage nach der Alternative von kritizistischer und dialektischer Methode der Philosophie ausgesetzt sehen, präsentiert danach eine ziemlich komplizierte Sachlage. Wir haben wieder die Gegenpositionen, zumeist weniger entschieden gefasst, und wir haben die Situation, dass versucht wird, die kritizistische Position gegen die dialektische abzuwägen und mögliche Konvergenzen zu prüfen. Wir können das im Blick auf beide Hauptschulen des Neukantianismus feststellen. Bei der Südwestdeutschen Schule ist die fragliche Tendenz ausgebildeter als bei den Marburgern. Nirgends aber ist sie fassbarer als in Heinrich Rickerts Konzept der philosophischen Methode und der Auseinandersetzung, die Richard Kroner mit seinem Lehrer darüber geführt hat. Darum will ich mich im Folgenden auf dieses Rickertsche Konzept und Kroners kontroverse Einlassungen zu diesem beziehen.24 Rickert wie Kroner beurteilen die kritizistische Methode als geltungstheoretische Fundierungsmethode. Sie stimmen auch darin überein, dass die dialektische Methode im Punkte, geltungstheoretische Fundierungsmethodik zu sein, mit der kritizistischen Methode übereinkommt. Die Differenz betrifft einen anderen, aber für die geltungstheoretische Fundierung doch nicht unerheblichen Punkt, den Punkt der reflexionsanalytischen Zureichendheit. Verteidigt wird, wenn man so will, auf der einen Seite, bei Rickert, die Analytikvorstellung Kants, auf der anderen Seite, bei Kroner, die Unmittelbarkeit wie Mittelbarkeit ___________ 21 Vgl. Hermann Levy, Die Hegel-Renaissance in der deutschen Philosophie mit besonderer Berücksichtigung des Neukantianismus, Charlottenburg 1927. 22 Vgl. Richard Kroner, Von Kant bis Hegel, 2 Bde., Tübingen 1921/24, 21961. 23 Vgl. Siegfried Marck, Die Dialektik in der Philosophie der Gegenwart, 2 Halbbde., Tübingen 1921/1931. Vgl. ferner ders., Dialektisches Denken in der Gegenwart, in: Logos XV (1926), S. 21–46, hier: S. 39 ff. und ders., Kant und Hegel, Tübingen 1917. 24 Dass ich mich hierbei in Teilen wiederhole – vgl. Werner Flach, Kroner und der Weg von Kant bis Hegel, in: Zeitschrift für philosophische Forschung XII (1958), S. 554–579 sowie ders., Negation und Andersheit. Ein Beitrag zur Problematik der Letztimplikation, München 1959 –, dürfte wohl entschuldbar sein.

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vermittelnde und insofern die Reflexion selbst in sich einbeziehende Reflexionsstrategie Hegels, für die Kroner den Begriff der Heautologie einführt. Es darf als sicher gelten, dass er dies des Kontrastes zum Rickert’schen Begriff der Heterologie wegen tut. Aber diese Begriffswahl ist nicht nur deswegen interessant. Sie ist auch und vor allem interessant, weil sie eine Anlehnung an den der Kritik der reflektierenden Urteilskraft bei Kant zugehörigen Begriff der Heautonomie erkennen lässt und hierin wieder Übereinstimmung mit Hegel dokumentiert. Denn bekanntlich ist nach Hegels Urteil Kant in der Lehre von der reflektierenden Urteilskraft dem Konzept des konkreten Begriffes am nächsten gekommen. So stehen das Heterologiekonzept wie das Heautologiekonzept auf dem Boden der Kantischen Letztbegründungslehre. Das Heterologiekonzept insistiert hierbei darauf, dass die von Kant angebotene Methodik für diese Lehre, die Methodik der transzendentalen Analytik, die kritische oder transzendentale Methode, die angemessene Methodik ist. Als Geltungsdeduktion der Elemente und Prinzipien der Gegenstandsbestimmung ist sie für Rickert vollkommen zureichend. Es ist dies der Grund, weshalb Rickert seine Heterologie am Modell des rein theoretischen Gegenstandes überhaupt entwickelt. „Wie denken wir theoretisch, und was ist ein theoretisch gedachter Gegenstand?“ ist die Grundfrage Rickerts.25 Sie zielt auf das logische Minimum. Und das heißt, sie lenkt wie bei Kant die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe und -grundsätze den Blick auf die Elemente und Prinzipien der Gegenstandsbestimmung. Sie ist eine reflexionsanalytische Frage. Sie fixiert eine reflexionsanalytische Aufgabe und erledigt diese auch. Die Reflexionsanalytik fällt wie bei Kant dem Denken zu. Es ist dem Denken und nur ihm selbst anheimgegeben, sich seiner Bestimmtheit, die Geltungsbestimmtheit ist, zu vergewissern. Das besagt, das Denken ist seiner grundlegenden Bestimmtheit nach auf sich selbst bezogen. Es ist von selbstbezüglicher Bestimmtheit. Es ist dies qua Gegenstandsbestimmung. Es ist dies, differenzierter gesagt, rücksichtlich der Funktionalität, die seine Struktur bedingt. Diese Struktur, da stimmt Rickert mit Kant völlig überein, ist die des Urteilssubjektes und des Urteilsprädikates sowie der Beziehung derselben aufeinander. Das heterothetische Prinzip steht für diesen Ansatz. Und es steht mit der Bedingung des verbindenden ‚und‘ dafür, dass die Bestimmtheit des Gegenstandes überhaupt keine Aufhebungsfunktion einschließt. Diese ist wie bei Kant allein mit der Regulativität der Bestimmung verknüpft. Es wäre also völlig falsch, Rickerts heterologische Fundierungsauffassung so zu verstehen, dass Fundierung via Abstraktion gewonnen werden könnte. Das Modell des rein theoretischen Gegenstandes ist nichts als die reflexions___________ 25

Heinrich Rickert, System der Philosophie, Bd. I: Allgemeine Grundlegung der Philosophie, Tübingen 1921, S. 50.

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analytische Konstruktion der strukturalen Bezüge in der Bestimmung des Gegenstandes, wie abstrakt oder konkret diese Bestimmung auch sein mag. Gefasst werden so die Prinzipienmomente der Konstitution von Erkenntnis, der rein logische Ursprung, der in seiner Konstitutivität in allem Theoretischen und in aller Erkenntnis, gleich welcher Bestimmungsebene, das Qualifizierende, das reine Apriori, wie Kant sagen würde, ist. Dieses Apriori ist nun aber für Rickert ob seiner Durchgängigkeit auch das Qualifizierende schlechthin. Es ist für Rickert ausgeschlossen, dass die Reflexion außer ihm wäre. So gibt es denn für Rickert nicht die Differenz von Reflexion des gegenstandsbestimmenden Denkens und Reflexion dieser Reflexion. Die Reflexion ist für ihn durchweg Prinzipienlehre. Mit der Forderung, dass die Reflexion Reflexion des objektivierenden Denkens und Prinzipienlehre zu sein habe, und überzeugt davon, dass die Unumgänglichkeit dieser Forderung die spekulativ-logische Neuorientierung erzwinge, die Reflexion also in sich sich vermittle, wendet Kroner sich gegen die Heterologie. Das kann nur heißen, die offensichtlich irrige Auffassung der heterologischen Grundlegungsreflexion, dass sie die Eigenbestimmtheit des Denkens wieder als Bestimmtheit eines Gegenstandes thematisiere – genau das, was Hegel mit der bloßen Verstandesreflexion meint – spielt in dieser Gegenposition zur Heterologie die ausschlaggebende Rolle. Rickerts Modell des theoretischen Gegenstandes überhaupt wird als idealtypische Verallgemeinerung des objektivierenden Denkens und nicht als Konstitutionskonzept begriffen. Die Reflexion ist diese Verallgemeinerung. Sie ist so zwar kanonisierend; aber sie ist alles andere als Methode der Legitimitätssicherung. Soll sie das Niveau der Legitimitätssicherung erreichen, muss sie die idealtypische Verallgemeinerung ihrerseits reflektieren, und zwar daraufhin, dass und wie in dieser die Bedingungen der Geltungsqualifikation des objektivierenden Denkens nicht nur vorliegen, sondern auch als solche auszuweisen sind. Dergleichen Reflexion, die qua Reflexion selbst thematisch, kurz gesagt, selbstbewusst ist, ist die Vermittlung des Denkens an sich selbst – Hegels Anundfürsichsein des Denkens – und hiermit der Zusammenschluss allen Denkens zu einer stetigen Funktion. Kroner spricht direkt und ganz im Sinne der Hegel’schen Doktrin des Unendlichen vom unendlichen Denken. Und er meint, in diesem Denken ist der Gegensatz von Unmittelbarkeit und Vermittlung in der Gegenstandsbestimmung aufgehoben. Die Gegenstandsbeziehung ist ebenso unmittelbare wie mittelbare Gegenstandsbeziehung, und sie ist dies immer in einem. Das eine, unmittelbare Gegenstandsbeziehung, ist das Denken im Subjektsansatz; das andere, mittelbare Gegenstandsbeziehung, ist das Denken im Prädikatsansatz. Die seine Stetigkeit bedingende Vermittlungsfunktion ist darin zu fassen, dass mit dem Subjektsansatz nicht Unbestimmtheit schlechthin in Ansatz gebracht ist. Es ist relative Unbestimmtheit in Ansatz gebracht. Gleicherweise ist mit dem Prädikatsansatz nicht die Bestimmtheit schlechthin, sondern die relative Bestimmtheit in Ansatz ge-

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bracht. Auch sie dokumentiert die Stetigkeit der Bestimmungsfunktion. Denn insofern sie bestimmend nur ist, weil sie ihre eigene Bestimmtheit in der Bezogenheit auf andere Bestimmtheit hat, ist sie letztlich auf die Totalität aller möglichen Bestimmtheit bezogen. Dieser Bezug verrät sich in der Reihenstruktur der Bestimmung. Mit jeder Bestimmung sind offene Bestimmungs- und Begründungsreihen in Ansatz gebracht. Darin nun, so argumentiert Kroner weiter, dokumentiert sich so direkt wie nur möglich die dialektische Struktur der Geltungsreflexion. Sie verlangt, die Geltungsreflexion als die Bewegung des Begriffes aufzufassen. Die der Geltungsreflexion gestellte Aufgabe der Geltungssicherung jedweder Erkenntnis, deren letztliche Wahrheit, kann nur durch das Durchlaufen der von Bestimmung zu Bestimmung sich potenzierenden Bestimmungs- und Begründungsreihe garantiert werden. Die Reflexion ist in dem Verstande der Aufdeckung der jeder Bestimmung immanenten Beziehung auf die Totalität der Bestimmungen unendlich. An diesem Sachverhalt, hierfür meint Kroner die Argumente herbeigeschafft zu haben, scheitert die Heterologie. Diese ist zufolge ihrer dichotomischen Begrifflichkeit gehindert, die Reflexion als unendliche Bestimmungsanalyse zu fassen. Sie ist darauf eingeschränkt, die Prinzipienanalyse lediglich als die Eruierung des Einen und des Anderen, der Momente der Bestimmungsfunktion, zu begreifen. Die Aussage von der Korrelation dieser Momente ist ihre äußerste Aussage. Das heißt: Sie kann zwar zur Feststellung letztimplikativer Verhältnisse vordringen; aber sie kann diesen Verhältnissen keine Dynamik abgewinnen. Die Dynamik der Bestimmungsfunktion bleibt ihr verschlossen. Die letztbegründende Erkenntnis verlangt aber nicht weniger die reflexionsanalytische Durchdringung dieser Dynamik als die reflexionsanalytische Durchdringung der Letztimplikation als solcher. Wenn wir die Verbindung zur Kantischen Vernunftkritik und zur Hegel’schen spekulativen Logik herstellen, so urteilt Kroner hiermit, dass in der Heterologie wie in der Kantischen Vernunftkritik genau das abgelehnt wird, was in der Hegel’schen spekulativen Logik angestrebt wird, nämlich dies, „Analytik und Dialektik, Verstand und Vernunft innerlichst zu vereinen und beide aus der Idee ihrer Einheit zu begreifen“26. Ich will nicht darauf eingehen, dass das letztlich beinhaltet, dass Endlichkeit und Unendlichkeit der Erkenntnis zusammengehören und dass die Endlichkeit der Erkenntnis in diesem Verhältnis nicht wie in der Heterologie ein Glied der Proportion, sondern anders als die der Unendlichkeit eigene Selbstbegrenzung zu fassen ist; ich will auf das eingehen, worauf das Kronerzitat direkt aufmerksam macht, nämlich auf die Frage der Trennung und/oder der Vereinigung von transzendentaler Analytik und ___________ 26

Kroner, a.a.O. (Anm. 22), S. 141.

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transzendentaler Dialektik. Kant wie auch Rickert bestehen auf der Trennung von Analytik und Dialektik. Sie kann ihnen gar nicht strikt genug sein. Hegel und Kroner plädieren dagegen mit Nachdruck für die Vereinigung von Analytik und Dialektik. Sie ist ihnen für die Letztbegründung unabdingbar. Rücken wir diese Differenz unter den reflexionsanalytischen Gesichtspunkt, so ergibt sich gerade von der Kritik der reinen Vernunft, aber auch von der Rickert’schen Heterologie, insbesondere deren Scheidung von Denk- und Erkenntnisformen, her eine entschiedene prinzipientheoretische Positionsbestimmung. Kant wie Rickert sind der dezidierten Meinung, dass, was ihre Funktionalität betrifft, die Prinzipienfunktionen klar und deutlich in zwei Klassen zu trennen sind. Auf der einen Seite ist die Prinzipienfunktionalität der Konstitutivität festzustellen. Auf der anderen Seite ist die Prinzipienfunktionalität der Regulativität festzustellen. Die Prinzipien von der Funktionalität der Konstitutivität sind für die Gegenständlichkeit überhaupt des Denkens und der Erkenntnis verantwortlich. Sie sind somit rein logische Prinzipienfunktionen. Die Prinzipien von der Funktionalität der Regulativität sind für die Systematizität, die Homogenität, die Spezifikation, die Kontinuität des gegenständlichen Denkens, der Erkenntnis, verantwortlich. Sie sind dementsprechend als methodische Prinzipien einzuschätzen. Diese operieren über den logischen. Die logischen finden in ihnen ihre notwendige Ergänzung. Die Einheit der beiden Prinzipienfunktionen, füge ich hinzu, ist Einheit durch Komplementarität. Kant wie Rickert haben davon keinen bestimmten Begriff. Hegel wie Kroner registrieren diese Schwachstelle der kritischen respektive kritizistischen Position. Sie fordern den bestimmten Begriff der Einheit der Prinzipienfunktionen. Und sie finden ihn im Begriff der Aufhebung der Konstitutivität und der Regulativität ineinander. Und da diese Aufhebung reflexionsanalytisch nur als die Attitüde des bewussten Selbstbezuges gefasst zu werden vermag, kommt es zu dem Theorem der selbstbewussten Reflexion27. Die selbstbewusste Reflexion ist nicht nur kritisch, sie ist auch dialektisch, und, weil dialektisch, spekulativ. Spekulativ zu sein heißt hierbei, Organon der Selbstbegründung des Denkens und der Erkenntnis zu sein. Diese Potenz verschafft der Reflexion die uneingeschränkte und uneinschränkbare Begründungskompetenz. Viele, auch Hegel und Kroner, reden in Bezug auf diese von ihrer Absolutheit. Für die kritizistische Position ist solche Absolutheit ausgeschlossen. Sie kennt die Letztbegründung des Denkens und der Erkenntnis in der reinen Formalität des Denkens, in der geltungsreflexiven Eruierung der logischen Funktionen der Einheit der Bestimmung, die zugleich Einheit der Begründung ist. Sie kennt nicht die methodische Absolutheit. Sie bestreitet, dass die Gegenstandsbestimmung der Gang der Erfahrung des Bewusstseins zum Absoluten hin sei, ja überhaupt sein könne. Letztbegründung besagt für sie nicht Absolutheit. Im Gegenteil, für sie ist Letztbegründung respektive Letztbe___________ 27

Kroner, a.a.O. (Anm. 22), S. 144.

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gründetheit sehr wohl mit der Relativität der konkreten Gegenstandserkenntnis vereinbar. Diese Vereinbarkeit vermag sie allerdings nicht so recht plausibel zu machen. Diese Vereinbarkeit einsichtig zu machen, bedarf es des bestimmten Begriffes der Komplementarität von konstitutiver und regulativer Prinzipienfunktion. Der aber mangelt ihr.28 Im Marburger Kritizismus führt der Mangel anfänglich dazu, Konstitutivität und Regulativität zugleich zu unterscheiden und zu verwischen (in Cohens Ursprungslogik); später (in Natorps Panmethodismus) werden Konstitutivität und Regulativität schlicht kontaminiert. In Bezug auf den so sehr auf methodische Umsicht bedachten Rickert ist die Frage nicht ganz abzuweisen, ob ihm wenn nicht die Kontamination, so doch Vergleichbares unterlaufen ist. Ich denke an seine Benutzung des heterothetischen Prinzips zur Gliederung des Weltganzen, soweit diese über die Aussage der reflexiven Momenthaftigkeit letzter (= logische Unmittelbarkeit und Allheit verbindender) Bestimmtheiten hinausgeht, soweit also von der Vollendlichkeit her von ihm bestimmte Teile des Weltganzen (Seinsarten) in Ansatz gebracht werden. Es ist deshalb gewiss zutreffend, dass die über die Frage, kritizistische oder dialektische Methode geführte Auseinandersetzung zu keiner eindeutigen Entscheidung gelangt ist. Zugleich ist es nicht falsch zu sagen, dass nicht wenige, die in der Auseinandersetzung über kritizistische und dialektische Methode für die kritizistische Methodik sich stark gemacht haben, methodisch gesehen in die Dialektik abgeglitten sind oder dieser sich doch wenigstens angenähert haben. Genau das aber sollte vermieden werden. Es sollte darauf bestanden werden, dass Letztbegründetheit nicht Absolutheit ist, dass die Fundiertheit der Erkenntnis nicht ihre logische Kontingenz ausschließt, dass beides zu vereinbaren ist.

___________ 28

Zu diesem Begriff vgl. Werner Flach, Grundzüge der Erkenntnislehre. Erkenntniskritik, Logik, Methodologie, Würzburg 1994, S. 369 ff.

Kants sogenannte Reziprozitäts- oder Analytizitätsthese, seine Lehre vom Faktum der Vernunft und sein Geschichtsbegriff Kants Praxisgrundlegung evoziert zahlreiche Fragen. Das Missliche hierbei ist, dass gerade ihr kritischer Anspruch die Bedenklichkeit hervorruft. Im Urteil so gut wie aller Interpreten stürzt er die Auslegung in eine massive Schwierigkeit. Die fragliche Schwierigkeit besteht darin, dass, so die herrschende Meinung, es gänzlich unsicher ist, ob bzw. wie diese Grundlegung den Nachweis der Geltungsqualifikation der Praxis liefert. So bestimmt die Frage, ob und wenn ja in welcher Argumentation respektive Auslegung in Kants Texten der tragfähige Nachweis sittlicher Geltungsbestimmtheit vorliegt, nach wie vor die Diskussion. Diese tritt mehr oder weniger auf der Stelle. Ich bin der Meinung, das liegt an einer gewissen Engführung. Der Argumentationsrahmen ist zu erweitern. Geschieht dies, so lässt sich sehr wohl ein tragfähiger Nachweis der Geltungsbestimmtheit des Wollens in Kants Überlegungen zur praktischen Philosophie aufzeigen. Die folgenden Ausführungen sind diesem Vorhaben gewidmet. Der Titel der Abhandlung zeigt bereits an, wie der Argumentationsgang zu erweitern ist. Es ist die Einbeziehung des Kantischen Geschichtsbegriffes, seine Integration in den Argumentationszusammenhang, die zu einer stringenten Argumentation führt. Eingestandenermaßen wird hiermit ein Schritt über die von Kant ausdrücklich gemachte Position hinaus vollzogen. Aber ebenso ist einzuräumen, dass hiermit sowohl Kants zwiespältige Stellungnahme zum Nachweis der Geltungsbestimmtheit des Wollens zur Eindeutigkeit gebracht wird, als auch die Stringenz des Nachweises ersichtlich wird, und das unter Verwendung ausschließlich Kantischer Lehrstücke. Es ist also sehr wohl erlaubt, in den nachfolgenden Darlegungen den Beleg der Tragfähigkeit der Kantischen Geltungslehre hinsichtlich des Praktischen zu sehen. Was steht in Frage? Kant lehrt bekanntlich, dass die Philosophie die Geltungsqualifikation jeglichen Sinnes zum Thema hat. Deshalb ist sie zuerst Kritik. Qua Kritik liefert sie den Nachweis dieser Qualifikation. Den hat Kant in seiner ersten Kritik für die Theorie geliefert. Den will er in gleicher Weise für die Praxis liefern. Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und seine zweite Kritik, die Kritik der praktischen Vernunft, sind die Dokumente dieser Anstrengung. Wie eingangs erwähnt, herrscht in der Kant-Literatur die Meinung, dass Kants Unternehmen, den Nachweis der Geltungsqualifikation der Praxis zu liefern, nicht derselbe Erfolg bescheinigt werden kann wie seinem Unter-

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Kants sogenannte Reziprozitäts- oder Analytizitätsthese

nehmen des Geltungsnachweises der Theorie. Das kann nur Anlass sein, das Kantische Unternehmen einmal mehr der genauen Würdigung zu unterziehen. Und zwar steht dessen Anlage wie dessen Durchführung zur Überprüfung an. Wie also ist Kants Unternehmen, den Nachweis der Geltungsqualifikation der Praxis zu führen, angelegt und wie ist es durchgeführt? Angesichts dieser Frage gewinnt die Tatsache sofort Bedeutung, dass Kant dieses Unternehmen in zwei Anläufen zu bewältigen sucht, die sich merklich unterscheiden. Das spricht sehr dafür, dass die Argumentation einer nicht unerheblichen Verlegenheit ausgesetzt ist. Was ist hierfür verantwortlich zu machen? Sehen wir uns zuerst Kants Vorgehen in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten an. Kants Vorgehen in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ist in ganz bestimmter Weise angelegt. Wenn man dieses Vorgehen richtig einzuschätzen gedenkt, so ist selbstverständlich sehr genau zu berücksichtigen, wie es angelegt ist. Insbesondere ist die Zielsetzung zu berücksichtigen, der es unterworfen ist. Kant verweist ausdrücklich auf sie. In der ‚Vorrede‘ zur Grundlegung zur Metaphysik der Sitten stellt er in aller Bestimmtheit fest, dass er „nichts mehr“ liefern will „als die Aufsuchung und Festsetzung des obersten Princips der Moralität“1. Dementsprechend setzt Kants Überlegung ein. Als Aufsuchung muss sie zunächst Phänomenanalyse sein. Die sieht so aus: Wir haben uns in dieser Welt zurecht zu finden. Hierbei gestalten wir diese Welt. Wir bedienen uns dabei der Mittel, die in unserer Gewalt sind. Die Aufbietung von Mitteln, die in unserer Gewalt sind, ist als Wille zu begreifen. Sofern die Aufbietungsfunktion auf alle „Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind“2, ausgedehnt wird, fungiert der Wille als Unbedingtheitsquelle. Er bloß als solcher ist von absolutem Wert. Das ist nach Kant Vernunftbestimmtheit. Deshalb gibt es für ihn die letztlich eine Vernunft als praktisches Vermögen. Sie ist das die Unbedingtheitsfunktion repräsentierende Vermögen, sofern es um den Einfluss auf den Willen geht3. Einfluss auf den Willen im Modus der Unbedingtheit ist also der Charakter der praktischen Vernunft. Was sich hierbei gründet, ist für Kant der an sich selbst gute Wille. Die Frage ist, wie ist dieser an sich selbst gute Wille im einzelnen zu charakterisieren oder, anders formuliert, wie ist die „Idee von dem absoluten Werthe des bloßen Willens“4 zu explizieren. Die Frage ist schließlich, wie ist diese Idee zu beglaubigen. Das ist die Deduktionsfrage. In die Behandlung dieser Frage muss der Gedankengang also auslaufen. Wir sehen: Von der Aufnahme der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis bis zur Bestimmung des ___________ 1

AA IV, S. 392. A.a.O., S. 394. 3 A.a.O., S. 396. 4 A.a.O., S. 394. 2

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Prinzips derselben und der „Festsetzung“ des in dieser Bestimmung Gedachten ist alles erfasst, was einen Grundlegungsgang ausmacht. Er ist letztlich erfolgreich, wenn die Deduktion gelingt. Denn die Deduktion ist nichts weniger als der Nachweis der allgemeinen und notwendigen Gültigkeit des Prinzips, der Nachweis seiner apriorischen Gesetzesvalenz. So fokussiert Kant seine Abschlussüberlegung (im dritten Teil der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten) auf die Deduktion des Prinzips der Sittlichkeit, des Sittengesetzes. Kant räumt unumwunden ein, dass diese Deduktion des Sittengesetzes nicht dergleichen leisten kann wie die Deduktion der Verstandesgrundsätze. Sie ist anderer Art und sie muss anderer Art sein. Sie ist nicht Beglaubigung theoretischer Erkenntnis. Sie ist Beglaubigung von Anderem. Sie ist die Beglaubigung des moralischen Gefühls5. Und dieses verrät die Vernunftbestimmtheit von Handlung, wegen der (angeführten) Bestimmung des Willens die Vernunftbestimmtheit des Willens. Die Vernunftbestimmtheit des Willens ist somit der Punkt, der zur Entscheidung gebracht werden muss. Der Wille ist, wie bereits erwähnt, die Aufbietung von Mitteln, die in unserer Gewalt sind. Jede der Rücksichten, die in dieser Bestimmung angesprochen sind, hat mit Erfahrungsbestimmtheit zu tun. Kant geht dementsprechend davon aus, dass die Erfahrungsbestimmtheit der Welt als feste Größe in die Überlegung einzubeziehen ist. Die Vernunftbestimmtheit des Willens muss angesichts der Erfahrungsbestimmtheit der Welt der Fall sein. (Das besagt freilich nicht, dass sie der Erfahrungsbestimmtheit gleich sein muss. Sie teilt mit der Erfahrungsbestimmtheit lediglich die Zuordnung zum Gesetz. Vernünftigkeit gibt es für Kant nur in dieser Zuordnung.) In Kants Konzept von Welt bietet sich zur Bewältigung dessen nur die Chance, die Vernunftbestimmtheit des Willens im Kontext der Bestimmtheit der Freiheit zu begreifen. Wie nämlich die theoretische Kritik erbracht hat, ist die Freiheit genau das, das sowohl mit Unbedingtheit als auch mit Erfahrungsbestimmtheit zu tun hat. Sie ist das, worin die Erfahrungsbestimmtheit im direktesten Verstande dieses Wortes transgrediert ist. Diese ist transgrediert im Sinne reiner Vernunftbestimmtheit. Was sonst, so Kant, kann der Fall sein, als dass die Freiheit im Unterschied und in Ergänzung zu dem Verstande, in dem sie in der theoretischen Philosophie die Vernunftbestimmtheit vertritt, für Vernunftbestimmtheit steht. Sie steht für die Vernunftbestimmtheit, die im Unterschied und in Ergänzung zu dem von Kant rein negativ genannten Verstande, welchen die theoretische Philosophie zulässt und überhaupt zulassen kann, positiv verstanden bzw. zu verstehen ist. Darin ist sie verbunden mit dem Sittengesetz. Freiheit und Sittengesetz sind sachlich vereint. In dieser im „moralischen Gefühl“ sich dokumentierenden Vereinigung ist der prinzipientheoreti___________ 5

A.a.O., S. 460.

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sche Sachverhalt gegeben, dass das Sittengesetz für den Willen qua Aufbietung von Mitteln in der Erfahrungswelt, der Welt, in der wir leben, die Unbedingtheitsquelle hergibt. Unbestreitbar ist, dass die Stellungnahme Kants dem genügt, „was billigermaßen von einer Philosophie, die bis zur Grenze der menschlichen Vernunft in Principien strebt, gefordert werden kann“6. Unbezweifelbar ist aber auch: Diese Stellungnahme entscheidet den Punkt der Vernunftbestimmtheit des Willens in der Weise einer wechselseitigen Koppelung. Freiheit und Sittengesetz sind in der Weise aneinander gekettet, dass die Prinzipienfunktion des Sittengesetzes untrennbar mit dem positiven Verständnis von Freiheit verbunden ist. Für den freien Willen und nur für den freien Willen ist das Sittengesetz das schlechthin bestimmende Prinzip. Das macht die Freiheit und das Sittengesetz zu den untrennbaren Gliedern einer Konstitution. Die Freiheit hat selbst konstitutive Prinzipienvalenz. Ohne dass sie derart prinzipielle Bestimmtheit ist, ist die Konstitution des Sittengesetzes nicht gesichert und nicht zu sichern. Das Sittengesetz ist demnach ohne die Willensfreiheit im genauesten Verstande dieses Wortes wertlos. Die Freiheit des Willens in einem positiven Verstande ist ihrerseits aber nur ausgemacht in der Relation zum Sittengesetz. Darin liegt: Die eigene Geltungsqualifikation der Sittlichkeit ist nicht mehr als eine These, die der Beglaubigung des moralischen Gefühls dient. Die Moralität des moralischen Gefühls, seine Geltungsvalenz, ist in dieser These weder als notwendig noch als allgemein nachgewiesen; sie ist unterstellt. Die Kant-Interpreten haben diese Sachlage durchweg als misslich beurteilt. Sie konstatieren zutreffend, dass die Deduktion, die abverlangt ist, sich auf etwas stützt, das nichts ist als eine Behauptung. Es wird der theoretischen Nötigung gemäß eine Unbedingtheitsquelle gesucht. Und sie wird dadurch gefunden, dass ein Problem, das in der theoretischen Kritik erwächst und für das es dort nur den Nachweis der Erfahrungstranszendenz gibt, seiner Erfahrungstranszendenz nach positiv begriffen wird. Positiv zu begreifen ist es indes nur in der Verbindung mit dem Sittengesetz. Dessen Prinzipienbestimmtheit hängt somit an jener Wende. In bzw. mit dieser vollzieht sich die Ausgangslegitimation. Da nun aber die positive Wendung ihrerseits durch nichts anderes provoziert ist als dadurch, dem Einfluss auf den Willen in Anbetracht seiner Bedingtheit eine gesetzmäßige Verbindlichkeit zuerkennen zu können, besteht die Legitimation in nichts anderem als in der Inanspruchnahme einer zirkulären Differenz. Spezifische, nämlich moralische Verbindlichkeit, ist nicht hergeleitet. Sie ist behauptet. Zutreffend wird insofern resümiert: Die Argumentation betreffend die Vernunftbestimmtheit des Willens, die Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten vorträgt, ist keine Deduktion. Sie wird nur als eine solche ausgege___________ 6

A.a.O., S. 463.

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ben. In der Sache ist sie die Konstatierung eines analytischen Verhältnisses. Moralität und Freiheit verhalten sich reziprok zueinander. Jedem der beiden Glieder des Verhältnisses ist vom anderen her seine Unabdingbarkeit zu bescheinigen. Kant gesteht selbst „eine Art von Cirkel“7 ein. Freiheit und Gesetzgebung des Willens sind nach ihm eingestandenermaßen „Wechselbegriffe“, die höchstens dazu taugen, „um in logischer Absicht verschieden scheinende Vorstellungen von eben demselben Gegenstande auf einen einzigen Begriff … zu bringen“8. Es kommt also auf den Gegenstand, dessen Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit an. Der Gegenstand, den Kant im Auge hat, ist der Mensch, und zwar der Mensch als zugleich naturales und noumenales Wesen, genau: der Mensch in Bezug auf die Autonomie seines Handelns. „Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Autonomie“, sagt Kant9. Die Sachlage stellt sich nach all dem so dar, dass Kant gar nicht eine genuin praktische Argumentation vorträgt, sondern dass er einem Lehrstück der theoretischen Philosophie, seiner theoretisch begründeten Differenzierung der naturalen wie der noumenalen Bestimmtheit des Menschen, die praktische Akzentuierung zuteil werden lässt. Weil sich die noumenale Bestimmtheit des Menschen über den Begriff der Freiheit von dessen naturaler Bestimmtheit abheben lässt, ohne deshalb von dieser gelöst zu sein, welch letzteres allerdings in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten nicht thematisiert wird, ist die fragliche Akzentuierung im Begriff der Autonomie möglich. Das ist unter dem intendierten grundlegungstheoretischen Vorhaben insofern mehr als prekär, als der die Deduktion schlüssig machende eine und einzige Begriff dadurch nicht erreicht wird. Die Verschiedenheit der verschiedenen Vorstellungen von demselben Gegenstand wird im Begriff der Autonomie nicht als Schein entlarvt. Es wird nur aufgezeigt, dass die verschiedenen Vorstellungen in ihrer Verschiedenheit miteinander vereinbar sind. So kann genau genommen nicht von der intendierten eigenständigen Grundlegung gesprochen werden. Das Vorhaben erweist sich als obsolet. Es scheitert daran, dass der zu Grunde gelegte Gedanke ein unverrückbar theoretisch-kritischer Gedanke ist und dass eben dieser Gedanke, der Gedanke der zwei Welten oder besser: der zwei Aspekte des einen Gegenstandes, das aufzulösende Problem nicht löst, sondern lediglich beschreibt, als Problem fixiert. Freiheit ist nicht positiv bestimmt. Freiheit ist nur als etwas erwiesen, das positiv bestimmt nur gedacht werden kann, wenn es anders denn in theoretischer Bestimmtheit gedacht wird. Das ist und bleibt eine negative, die Verschiedenheit der verschiedenen Vorstellungen festhaltende Bestimmung. Und darüber hinaus ist sie mitnichten eine theoretisch eigenstän___________ 7 AA IV, S. 450. In der ‚Kritik der praktischen Vernunft‘ sieht er im Übrigen die Sachlage nicht anders. Vgl. AA V, S. 29. 8 AA IV, S. 450. 9 Ebd.

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dige Bestimmung. Sie ist zudem eine sehr abhängige Bestimmung. In dieser Stellung taugt sie keineswegs zur Grundlegung. Die Konsequenz, die im Übrigen nicht gar so sehr unkantisch ist, ist unvermeidbar: Der Konjunktiv in Kants Einschätzung der Deduktion des obersten Prinzips der Moralität10 muss, wie das beinahe durchgehend in der Einschätzung dieser Deduktion geschieht, in einen Indikativ verwandelt werden. Das unbedingte praktische Gesetz ist in der Argumentation der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten „seiner absoluten Nothwendigkeit nach nicht begreiflich“. Es kann in dieser Argumentation nicht begreiflich gemacht werden. Die Deduktion ist gescheitert. Ihr Scheitern ist darin begründet, dass sie letztlich auf eine theoretische Erkenntnis aufbaut, die lediglich die negative Bestimmung eines Gegenstandes liefert. Diese wird ohne theoretische Veranlassung positiv gewendet. Das ist unzulässig. Es ist wohl diese Einsicht gewesen, die Kant seinen zweiten Anlauf zum Nachweis der Geltungsqualifikation der Sittlichkeit hat unternehmen lassen. Dieser Anlauf ist dementsprechend auch anders angelegt als der erste und selbstverständlich auch anders durchgeführt. Die sehr anders geartete Anlage besteht darin, dass die Lehre von der Geltungsqualifikation der Praxis um ein völlig neues Lehrstück, das Lehrstück von dem (einzigen) Faktum der Vernunft gruppiert wird. Dieses Lehrstück bzw. seine Aussage stellt die Geltungsqualifikation der Praxis gänzlich anders dar als die aus der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten bekannte Darstellung. Zumindest scheint dies auf den ersten Blick so. Es ist also dieses Lehrstück und seine Rolle genauestens zur Kenntnis zu nehmen. Was behauptet Kant in diesem Lehrstück? Kant behauptet, die Geltungsqualifikation der Praxis ist eine Sache, die entgegen allem Anschein der der Theorie nicht wirklich parallel ist. Schon mit den ersten, den Titel der Schrift rechtfertigenden Sätzen der Kritik der praktischen Vernunft bemüßigt er sich, dies klarzustellen11. Die reine praktische Vernunft ist nicht anmaßend, wie die theoretische. Sie ist deshalb in Bezug auf ihre Reinheit nicht zu hinterfragen. Sie ist vielmehr in ihrer Reinheit zu respektieren. Denn sofern sie „als reine Vernunft wirklich praktisch ist, so beweiset sie ihre und ihrer Begriffe Realität durch die That“12. Sie demonstriert also mit anderen Worten ihre Geltungsbestimmtheit durch ein Faktum. In diesem Faktum legt sich die praktische Geltungsbestimmtheit sozusagen offen. Und sie legt sich offen als die Bestimmtheit eines

___________ 10

AA IV, S. 463. Sicher tut er dies, weil auch die Ausführungen der ‚Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‘ jenen Anschein hervorrufen. 12 AA V, S. 3. 11

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„übersinnlichen Gegenstande[s] der Kategorie der Causalität“13. Die in Frage stehende Offenlegung ist also der Geltungsnachweis. Es ist darum nicht umhin zu kommen auszubreiten, was die fragliche Offenlegung von Geltungsbestimmtheit in einem Faktum alles beinhaltet. Auffällig ist, Kant beruft sich bei seiner Behauptung mit Nachdruck wiederum auf die theoretische Differenz der phänomenalen und der noumenalen Bestimmtheit des Menschen. Es ist somit einzuräumen, Kant verfährt insoweit in seiner Argumentation in der Kritik der praktischen Vernunft nicht anders als in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Der Mensch ist der Referenzgegenstand. Er ist es wie in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Doch ist die Legitimationsfrage anders gestellt. Die Legitimationsfrage ist nun so gestellt, dass der Gegenstand der Bestimmung Mensch „nach der Beschaffenheit, mit der er wirklich ist“14 unter den Gesichtspunkt der Geltungsbestimmtheit (objektiven Realität) gerückt wird und hierbei die Beschaffenheit, mit der er wirklich ist, selbst als zureichender Ausweis der Geltungsbestimmtheit genommen wird, der praktischen. Anschließend lassen sich die Prinzipien der Möglichkeit und des Umfanges und die Grenzen der praktischen Vernunft „ohne besondere Beziehung auf die menschliche Natur angeben“15. Die Kritik der praktischen Vernunft eruiert somit nach Kant die Prinzipien a priori des Vermögens, das den Menschen als Vernunftwesen in Bezug nicht auf sein Erkenntnisvermögen, sondern in Bezug auf sein Leben, das heißt auf sein Handeln „nach Gesetzen des Begehrungsvermögens“16 charakterisiert, wobei das Begehrungsvermögen begriffen wird als „das Vermögen [eines Vernunftwesens], durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein“17, und sie bestimmt hierbei durchaus parallel zur theoretischen Kritik die Bedingungen, den Umfang und die Grenzen des Gebrauchs jener Prinzipien a priori18. Es geht also mit anderen Worten wiederum um den in theoretischer Rücksicht problematischen Begriff der Freiheit, nun aber in der Weise, „Gründe ausfindig [zu] machen …, daß diese Eigenschaft dem menschlichen Willen (und so auch dem Willen aller vernünftigen Wesen) in der That zukomme“19. Willensfreiheit muss faktisch vorliegen und dementsprechend nachweisbar sein, soll die Vernunft praktisch sein können. ___________ 13

A.a.O., S. 6. A.a.O., S. 8. 15 Ebd. 16 AA V, S. 9 Anm.; vgl. auch Kants Bestimmung von Leben AA VI, S. 211. 17 AA V, S. 9 Anm. 18 A.a.O., S. 12. 19 A.a.O., S. 15. 14

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An dieser Stelle richtet Kant die Argumentation nun neu aus. Dass die Willensfreiheit faktisch vorliegt, so argumentiert Kant nun, ist unleugbar20. Die erfahrungsmäßige Unerklärlichkeit dessen tut nichts zur Sache21. Es genügt vollkommen, dass das Handeln des Menschen unweigerlich von dem Bewusstsein begleitet ist, das steuernde Wollen, das heißt das, was das Quale der Aufbietung von Mitteln in der Erfahrungswelt ausmacht, ist „unabhängig von empirischen Bedingungen … durch die bloße Form des Gesetzes … bestimmt“, funktioniert also gemäß a priori bestimmten Maximen22. Darum spricht Kant auch davon, dass der fragliche Sachverhalt „gleichsam“ als oder durch ein Faktum der reinen Vernunft gegeben bzw. bewiesen sei23 und dass es sich um „das einzige Factum der reinen Vernunft“ handele24. Es steht außer Frage, dass hiermit das Sittengesetz als Prinzip a priori des Willens und hiermit als spezifisches Geltungsprinzip betrachtet wird. Es ist das a priori den Willen qualifizierende Vernunftprinzip. Es qualifiziert den freien Willen (die Willkür) als etwas, das, in Bestimmtheit gesagt, Zurechnung beinhaltet, und zwar in grundsätzlicher Weise. Die willkürlichen Handlungen des als Vernunftwesen betrachteten Menschen sind als wirkliche, das heißt in ihrer Erfahrungsbestimmtheit, sittlich relevante Handlungen. Wirklich, wie sie sind, sind sie nach Gesichtspunkten der sittlichen Geltungsdifferenz zu beurteilen. In dieser Beurteilung aber sind sie als etwas genommen, das nicht einfach Natur ist, sondern das eine eigene, die Naturbestimmtheit zwar in Rechnung stellende, aber dieser nicht gleiche Wirklichkeit ausmacht. Die Wirklichkeit, die sie ausmachen, ist die Wirklichkeit, die wir, die Menschen, in unserem Handeln selbst gestalten und die insofern Vernunftbestimmtheit aufweist. Die Wirklichkeit der Handlungen ist also mit anderen Worten in aller Bestimmtheit als Faktizität genommen. Und nur in der Konsequenz dessen, weil die Wirklichkeit der Handlungen als Faktizität und nicht als Naturalität genommen ist, weil die Handlungen als faktisches und nicht als naturales Geschehen begriffen oder vielmehr zu begreifen sind, ist die Sittlichkeit ein möglicher Qualifikationsgesichtspunkt. Das bedeutet, Kant installiert die Vorstellung einer Wirklichkeit, die den Boden für die weitergehende Beurteilung nach spezifischen Geltungsgesichtspunkten zulässig sein lässt. Und das ist eine Argumentation, die trägt. Denn so beinhaltet der Geltungsnachweis die Aussage, der oberste praktische Grundsatz, das von jedem Menschen als Vernunftwesen akzeptierte „oberste Gesetz seines Willens“, macht dem Menschen evident, dass er dabei ist, „aus der Vor___________ 20

A.a.O., S. 32. A.a.O., S. 43. 22 AA V, S. 31; VI, S. 213. 23 AA V, S. 47, 55, 91, 104. 24 A.a.O., S. 31. 21

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mundschaft der Natur in den Stand der Freiheit“25 überzugehen oder vielmehr dass er dahin übergegangen ist. Das Bewusstsein, dass ihm seine Handlungen zuzurechnen sind, dass er für diese die Verantwortung übernehmen muss, erweist es. Die Frage ist, wie kann er dies lehren. Die Antwort lautet: Er kann dies lehren, weil er in den Erörterungen der Kritik der praktischen Vernunft die der Thematik der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten eigene Einschränkung fallen lässt und mit Blick auf das systematische Ganze seiner Philosophie den grundlegungstheoretischen Horizont in der Weise erweitert, dass auch die Kultur, die Geschichte als eine zu fundierende und fundierte Weltbetrachtung in die gesamtgrundlegungstheoretische Erörterung einbezogen ist und dass gesehen wird, sie ist bei der Praxisgrundlegung von Relevanz26. Dadurch hat sich eine Verschiebung der Grundlegungskoordinaten vollzogen. Die Durchführung der Deduktion verläuft nach Maßgabe dieser Verschiebung. Die Zurechnung verweist nach dieser Positionserweiterung zwar noch immer auf einen eigenen Bestimmungsgrund. Sittliche Qualifikation ist eine eigene Geltungsqualifikation. Aber diese eigene Geltungsqualifikation wird nicht mehr abgehoben gesehen von der theoretischen Geltungsqualifikation, in der der Mensch als wirklich, als das bestimmt ist, das er wirklich ist. Sie wird gesehen als Qualifikation zu einem Lebendigen und hiermit Wirklichen, das nichtsdestoweniger integralerweise Vernunftwesen ist, ob seiner die Welt gestaltenden Lebensbewältigung seinem Bewusstsein nach sogar primär Vernunftwesen. Die Koordinatenverschiebung besteht darin, dass Kant nun der Ansicht ist, es ist die Natur selbst, die den Menschen in seiner Naturbestimmtheit dazu vorbereitet, dazu tauglich macht, „sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen und (unabhängig von der Natur in seiner Zweckbestimmung) die Natur den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt angemessen als Mittel zu gebrauchen“27, also dies oder jenes zu wollen. In dieser Operation, die qua Entwicklung von Naturanlagen nicht den Menschen als einzelnen, sondern den Menschen als Menschengeschlecht betrifft, also etwas Überindividuelles, in dem Verstande der Zweckmäßigkeit der Natur Allgemeines ist, begründet sich die „natürliche Menschenvernunft“28. Die erkennt den obersten praktischen Grundsatz „völlig a priori … für das oberste Gesetz seines [des Menschen] Willen“29. Die „Reinigkeit“ des Ursprungs des obersten Grundsatzes ist unabhängig von und vor ___________ 25

AA VIII, S. 115. Für die Jahre ab 1784 ist die verstärkte Arbeit an der Fundierung des Geschichtsbegriffes dokumentiert. 27 AA V, S. 431. 28 A.a.O., S. 91. 29 Ebd. 26

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aller wissenschaftlichen (= theoretischen) Erörterung „im Urtheile dieser gemeinen Vernunft“30 gegeben. Die Verschiebung der Koordinaten ist erheblich und sie ist komplex. Die zweckmäßige Entwicklung der Naturanlagen des Menschen verhilft diesem zu seiner „natürlichen Vernunft“. Und diese ist das Vermögen, den obersten praktischen Grundsatz diskursfrei zu fassen. Dieser ist deshalb gleichsam ein Faktum. Er ist das Faktum der Vernunft. Die Singularität desselben hat mit seiner Rolle zu tun. Die Rolle, die dieses Faktum spielt, ist nämlich eine solche in Verbindung mit dem Prozess der Kultivierung der „brutale[n] Freiheit“31. Das ist ein einheitlicher und durchgängiger Prozess, der die grundsätzliche Entwicklung der Menschheit ausmachende Prozess. Von der brutalen, das ist den Antagonismus einschließenden, Freiheit führt der Gang der Entwicklung, so Kants Argumentation, zur natürlichen, das ist der Entwicklung der Naturanlagen des Menschen(geschlechts) verdankten, Vernünftigkeit. Diese bildet den Quell der disziplinierten, das ist Faktizität wie sittliche Geltungsvalenz aufweisenden, und nicht nur aufweisenden, sondern auch verbindenden Freiheit. Da die Entwicklung der Naturanlagen des Menschen (mit der bürgerlichen Freiheit als Ergebnis) von Kant als das begriffen wird, was den prinzipientheoretischen Gehalt des Geschichtsbegriffes ausmacht, bedeutet dies, dass die Koordinatenverschiebung in der Argumentation des zweiten Anlaufes Kants bezüglich der Geltungsqualifikation der Praxis mit der Einbeziehung des Geschichtsbegriffes in die Argumentation zu tun hat. Kultiviert und zivilisiert, wie er ist, handelt der seine Welt, die kulturelle, die geschichtliche Welt gestaltende Mensch in bürgerlicher Freiheit. Dieses Handeln in bürgerlicher Freiheit inkludiert, dass der Mensch im Zuge seines Zurechtfindens in der Welt sich all das zurechnen lassen muss, was er tut. Indem er dieser Zurechnung unterliegt, indem eben dies zu seiner von Kant als durchgehende Disziplinierung verstandenen Qualifikation als solcher gehört, gehört es zu seiner Qualifikation, durch eine spezifische, praktische Verbindlichkeit ausgezeichnet zu sein. In dieser achtet er um seiner konstitutiven Subjektswürde willen das Sittengesetz. Nicht zuletzt deshalb spielt für Kant das Sittengesetz die bestimmte Rolle in Bezug auf die bürgerliche Gesellschaft, die es spielt. Die sehr eigene Beziehung der Grundlegung des Rechts zum Sittengesetz, die Kants Erörterungen der Metaphysik der Sitten erkennen lassen, ist die notwendige Folge32. Die letztliche Einsicht bezüglich der Differenz der beiden Anläufe Kants in Sachen Grundlegung der Praxis verweist uns somit auf einen Punkt, der schon in der Kritik der reinen Vernunft von Kant stets in Rechnung gestellt wird. Es ___________ 30

Ebd. AA VIII, S. 24. 32 Vgl. in diesem Bande ‚Kant zur Gründung von Recht und Rechtswissenschaft‘. 31

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ist der Punkt, dass das einzige Vernunftwesen, das wir kennen, der Mensch ist. Der Mensch, so wie wir ihn kennen, wie er wirklich ist, in seiner kulturellen, seiner geschichtlichen Existenz, ist demnach das, dem in der Grundlegung, jeder Grundlegung, das gerechtfertigte Selbstverständnis verschafft werden muss können. Was Kant mit der Veränderung seiner Argumentation in diese aufnimmt, ist die Berücksichtigung der geschichtlichen Wirklichkeit des Menschen. Von der aber kann nur in theoretisch wohlfundierter Weltbetrachtung die Rede sein. So bildet deren transzendental-empiriologische Fundierung33 genau die (unabdingbare) theoretische Abstützung der praktischen Geltungsbestimmtheit, die die Argumentation der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten vermissen lässt. Der letztliche Referenzpunkt der Grundlegung der Praxis qua Nachweis sittlicher Verbindlichkeit ist der in der Kultivierung und Zivilisierung auch moralische Mensch, das „inneren Rechtsprincipien“34 folgende Menschengeschlecht, der Mensch als Geschichtswesen. Das ist im ersten Anlauf noch nicht richtig ersichtlich geworden. Im zweiten ist es unverkennbar. Die Aufhängung der Argumentation am Begriff des Faktums der Vernunft ist der Index hierfür.

___________ 33 Vgl. in diesem Bande ‚Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie‘, ‚Erreichung und Errichtung‘, ‚Kants Begriff der Kultur und das Selbstverständnis des Neukantianismus als Kulturphilosophie‘. 34 AA VII, S. 88.

Carl Leonhard Reinholds Aufnahme der Kantischen Faktumlehre in der Grundlegung der praktischen Philosophie und sein Freiheitsbegriff In seiner Exposition der eigenen Geltungsqualifikation der Praxis zu Beginn der Kritik der praktischen Vernunft macht Kant unmissverständlich klar, dass die praktische Vernunft ihre objektive Realität, das ist ihre Geltungsqualifikation, „durch die That“1 beweise. Mit dieser Position ist die Legitimationsfrage der praktischen Philosophie an eine Vorstellung vom Menschen geknüpft, die diesen „nach der Beschaffenheit, mit der er wirklich ist“2, thematisiert. Die Beschaffenheit des Menschen, mit der er wirklich ist, muss somit den Ausweis der Geltungsbestimmtheit der Praxis des Menschen hergeben. Carl Leonhard Reinhold hat offenbar diese Kantische Lehre, die die Position der Kritik der praktischen Vernunft nicht nur ausmacht, sondern vor allem auch auszeichnet, auszeichnet auch gegenüber der der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, für seine einschlägigen Überlegungen, die jene Kantische Position fördern und verbreiten wollen, in besonderer Weise bestimmend werden lassen. Denn Grundaussage der Reinhold’schen Kant-Rezeption ist unverkennbar die Aussage: Die Tatsachen des Bewusstseins sind als die in ihren Wirkungen zu begreifenden und überhaupt nur begreiflichen „Grundvermögen des Gemüts“3 zu betrachten. Ihr Inbegriff macht das aus, was als Prädikat des Subjektes ausgesagt werden kann. Eines dieser Vermögen ist „der Wille und seine Freiheit, als das Vermögen der Seele, sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens zu bestimmen“4. Insofern ist das Subjekt der Sinnlichkeit, des Verstandes, der Vernunft, des Erkennens, Begehrens und Wollens als der Zustände des Bewusstseins (meist der Seele bei Reinhold) ein durch das Prädikat des Willens und seiner Freiheit Bestimmbares. Es wird ihm (oder ihr) mit der bekannten Wirkung von „Tatsachen, die in jedem menschlichen Bewußtsein vorkommen“5, beigelegt. „Zufolge dieser Tatsachen wird sie [die Seele, das Subjekt] in ___________ 1

AA V, S. 3. A.a.O., S. 12. 3 Carl Leonhard Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie (1790/92), hg. von Raymund Schmidt, Leipzig 1924, 2. Bd., S. 558. 4 A.a.O., S. 668 u.ö. 5 A.a.O., S. 559 und 560. 2

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Carl Leonhard Reinholds Aufnahme der Kantischen Faktumlehre

Rücksicht auf den Zustand des unwillkürlichen, sowohl des bloß instinktartigen als des durch Vernunft modifizierten Begehrens als ein bestimmbares, von Dingen außer ihr und den Gesetzen der Vernunft abhängiges, in Rücksicht auf den Zustand des Willens aber als ein selbstbestimmendes und insofern freies Subjekt gedacht.“6 In dieser Spezifikation ist die Verwertung der Praxisgrundlegung Kants durch Reinhold angelegt. In Übereinstimmung mit seinem allgemeinen Satz des Bewusstseins bemüht sich Reinhold, einen Begriff von Freiheit zu entwickeln, der eine Geltungsqualifikation betrifft und der die Geltungsqualifikation, die in ihm gedacht wird oder ist, in jeder Hinsicht als differente Geltungsqualifikation begreift. So begriffen, erfüllt der Freiheitsbegriff die der Geltungsqualifikation eigentümliche Grundlegungsfunktion, taugt er dazu, die Vorstellung von einem prinzipiierenden Grundvermögen zu explizieren. Angelpunkt der Überlegungen Reinholds ist die Frage, wie und wodurch dem Menschen „der Rang und die Würde einer Person“ sicher sein kann, wie bzw. wodurch wir „uns als Personen von denjenigen Dingen, die wir Sachen nennen und bezeichnen, durch den Namen der Personalität“ unterscheiden, das heißt „uns durch das Selbstbewußtsein bekanntes, durch Selbsttätigkeit im Handeln sich ankündigendes selbständiges Sein“ zuerkennen7. Reinhold antwortet auf diese Frage: „Nur durch das unabhängige Vermögen des sich selbst bestimmenden Willens allein, welcher den Trieb des Bedürfnisses zwar nicht verdrängen, aber doch nach einem Gesetz, dessen Ausübung er in seiner Gewalt hat, lenken kann, können und müssen wir uns als vernünftige Tiere, als Wesen, die nie als Sachen angesehen und gebraucht werden dürfen, als Personen denken.“8 Mit dieser Antwort wird der Wille nicht nur als das Vermögen der Person gedacht, „sich selbst zur wirklichen Befriedigung oder Nichtbefriedigung einer Forderung des eigennützigen Triebes zu bestimmen“9, mit dieser Antwort wird auch die durchgängige grundlegende Bestimmtheit des Begriffs ___________ 6

A.a.O., S. 558. A.a.O., S. 564. 8 A.a.O., S. 565. 9 A.a.O., S. 496. Die Bestimmung der von Reinhold in dieser Argumentation ins Spiel gebrachten Begriffe lautet: „Ich verstehe […] unter Wollen: Sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens, oder einer Forderung des eigennützigen Triebes bestimmen“. Begehren bedeutet „das Bestimmtwerden durch Vergnügen, oder durch Lust und Unlust überhaupt, die Forderung des eigennützigen Triebes“. Unter Handlungen einer Person, das heißt Handlungen, die im Willen ihren Grund haben und vernünftig, das heißt menschlich heißen können, versteht Reinhold die Handlungen, die „nicht durch die unwillkürliche Forderung, die nur allein Befriedigung, sondern durch die Willkür, welche Befriedigung oder Nichtbefriedigung zum Objekt hat“, bewirkt werden. Wird durch diese Handlungen ein eigennütziger Trieb befriedigt oder nicht, so geschieht dies nicht durch seine „Wirkung in der Person, sondern durch Handlung der Person“. Alle vorstehenden Zitate a.a.O., S. 484 f. 7

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der Freiheit10 herausgefordert. Nur in und mit dieser sind die Prämissen verfügbar, aus denen die differente Geltungsbestimmtheit des Handelns und hiermit die erste Bedingung der Moral und des Naturrechts sich deduzieren lässt, das heißt im gemeinen und gesunden Verstand zu schließen, inwiefern die Handlung, die sich im Selbstbewusstsein als Tatsache des freien Willens ankündigt, nicht nur wirklich, sondern auch möglich, als Konkretum prinzipieller Geltungsqualifikation begreiflich ist.11 Die freie Handlung hat ihren Geltungsgrund in der Freiheit. Diese ist „der letzte denkbare Grund jener Handlung“12. Sie ist mit anderen Worten prinzipielles Bestimmungsstück des Subjektes. Zur durchgängigen Bestimmtheit des Begriffs der Freiheit gehört nun nach Reinhold: Erstens, Freiheit begreift das Wollen in seinem Kern. Sie kennzeichnet dieses vor jeder weiteren Rücksicht unterschiedslos als Selbstbestimmung. Zweitens, insofern die Freiheit nur in der Selbstbestimmung des Wollens besteht, erweist sie sich als praktische Vernunft. Und zwar erweist sie sich als die „Selbsttätigkeit der praktischen Vernunft“13. Diese Selbsttätigkeit ist Gesetzgebung. Drittens, die Aufstellung des Gesetzes ist nicht schon die Selbstbestimmung im Vollsinne. Selbstbestimmung ist ja nicht Naturgesetzlichkeit. Sie besteht vielmehr darin, dass das Gesetz dem Willen Geltungsmaßstab ist. In dieser Rücksicht, dass das Gesetz für den Willen Geltungsmaßstab ist, ist mit der Gesetzgebung die Konkretion des Willens als Freiheit der Willkür begriffen. Der Wille ist frei bedeutet, dass unbeschadet dessen, dass die Gesetzgebung die Vernünftigkeit garantiert, also in diesem Verstande absolute Grundlegung ist, die Übung des Wollens nicht einfach Folge derselben ist, sondern etwas ist, das diese zum Maßstab hat und das gemessen an diesem Geltungsmaßstab positiv oder negativ geltungsdifferent ist. Sie genügt dem Gesetz oder sie verstößt gegen das Gesetz. In der einen wie in der anderen Rücksicht ist Freiheit das Prinzip. Deshalb sind, viertens, der reine und der unreine Wille auseinander zu halten, und es ist zu registrieren, dass diese Unterscheidung, die Unterscheidung des reinen und des unreinen Willens, eben in der Rücksicht auf das Verhältnis von prinzipieller und konkreter Bestimmtheit besteht. In der Rücksicht der prinzipiellen Bestimmtheit ist der Wille rein. Es steht einzig und allein seine apriorische Bestimmtheit, die Selbstbestimmung in dem Verstande der Gesetzgebung ist, in Frage. In der Rücksicht der konkreten Bestimmtheit ist der Wille unrein. Es steht seine faktische Bestimmtheit, die immer auch empirische Bestimmtheit ist, Bestimmtheit durch das apriorische Gesetz und durch das Naturgesetz des Begehrens, in dem Verhältnis der Maßstäblichkeit, in Frage. ___________ 10

A.a.O., S. 396. A.a.O., S. 511. 12 A.a.O., S. 510. 13 A.a.O., S. 499. 11

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So ist klar, der faktische oder, wie Reinhold sagt, empirische Wille, der seinem Freiheitscharakter nach Willkür ist, ist als solcher weder sittlich noch unsittlich. Er steht der einen wie der anderen Qualifikation offen. Die Differenz in der Qualifikation ist lediglich eine solche der Rücksicht. Die Rücksicht auf „die nur aposteriorisch bestimmbaren Forderungen des eigennützigen Triebes“14 qualifiziert ihn zum empirischen Willen. Dieser ist frei wie der reine Wille; aber seine Freiheit schließt die Geltungsdifferenz ein. Diese Sachlage macht die Praxis nun in der Tat zu einer Angelegenheit des Bewusstseins, zu einer Angelegenheit des „Bewußtseins seines Selbst des handelnden Wesens“15. Die Praxis ist eine geltungsdifferente Bewusstseinsangelegenheit. Die Freiheit zeigt sich in dem Bewusstsein, so oder so und hierbei sittlich oder unsittlich zu handeln (handeln zu können). Die in Willkür gefasste Maxime ist der Bestimmungsgrund der faktischen Handlung des Menschen. Dieser „Umstand ist die eigentliche Tatsache der Freiheit“16. In dieser Tatsache der Freiheit des Willens ist die Vernunft der Bestimmungsgrund der Willenshandlung; zu ihr gehört aber auch der Entschluss zu handeln (so oder so zu handeln), und nur über den ist die Freiheit in die Wirklichkeit des Menschen hineinwirkend. Wir sehen, die Schwierigkeit, die Kant mit dem Freiheitsbegriff hat und die ihn veranlasst, die Freiheit als Idee zu fassen und weiter trotz und bei ihrem Ideencharakter als Tatsache zu bestimmen17, ist bei Reinhold gemeistert. Sie ist gemeistert in der Weise, dass die Fokussierung auf die doppelte, sowohl theoretische als auch praktische, Vernunftreinheit bei der Thematik der Freiheit vermieden ist. Die Vorstellung zweier Welten oder Sphären spielt nicht die geringste Rolle. Das eigene Sein der Person ist rein bewusstseinsmäßiges Sein. Reinhold lehrt, belehrt durch die Schwierigkeit, die Kant mit dem Freiheitsbegriff hat: „Das Positive bei der Freiheit besteht in der Selbsttätigkeit der Person beim Wollen, einer ganz besonderen Selbsttätigkeit, die von der Selbsttätigkeit der Vernunft, oder durch Vernunft genau unterschieden werden muß“18, die, weil nicht rein, Selbsttätigkeit der Willkür ist. Die Handlung ist gerade als solche nicht grundlos. „Ihr Grund ist die Freiheit selbst. Aber diese ist auch der letzte denkbare Grund [der] Handlung. Sie ist die absolute, die erste Ursache [der] Handlung [...]“. Über sie lässt „sich nicht weiter hinausgehen [...], weil sie wirklich von keiner anderen abhängt. Fragen: Warum der freie Wille sich auf diese oder jene Art bestimmt habe, heißt fragen: Warum er frei ist? Vorausset___________ 14

A.a.O., S. 504. A.a.O., S. 506. 16 A.a.O., S. 588. 17 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 91 (= AA V, S. 467 f.). 18 Reinhold, a.a.O., S. 509. 15

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zen, er bedürfe eines von ihm selbst verschiedenen Grundes, heißt ihm seine Freiheit absprechen.“19 „Aus ihren Wirkungen, durch welche sie unter den Tatsachen des Bewusstseins vorkommt, ist mir die Freiheit völlig begreiflich.“20 Von Kants Lehre hebt sich diese Lehre in der entschiedenen Ausrichtung der Geltungsdeduktion auf den Nachweis der Freiheit als des entscheidenden Bestimmungsstückes des nicht nur durch reine Vernunft charakterisierten, sondern des ebenso natürlichen wie vernünftigen Wesens, der konkreten Person ab. Reinhold hat genau den Punkt zur Entscheidung gebracht, der bei Kant gemäß den Schlusssätzen der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (noch) ein offenes Problem der Geltungsdeduktion der Praxis ist. Er hat ihn in der Weise zur Entscheidung gebracht, dass er die Freiheit rein als praktisches und als regulatives Prinzip fasst. Dieses Prinzip bedingt nur den Maßstabsbezug; es ist nicht selbst Maßstab (Konstitutivum). Maßstab ist allein das Sittengesetz als solches, die reine Vernunft. Die Rede ist aber von der endlichen, der menschlichen Vernunft. Er ist sich dessen genau bewusst. Nicht ohne eine gewisse Zufriedenheit kehrt er dies in seinen vergleichenden Ausführungen zu den „Resultaten der Kantischen Philosophie“21 nachdrücklich hervor. Was er hierbei allerdings nicht zur Kenntnis nimmt bzw. nicht durchschaut, ist, dass Kants Faktumlehre in der Kritik der praktischen Vernunft eine wenn auch vergleichbare, so doch grundsätzlichere, den Gedanken der Aufklärung in seiner prinzipientheoretischen Rolle würdigenden und hiermit den Menschheitsgedanken dem Bewusstseinsgedanken vorordnende Lösung anpeilt. Die Bewusstseinsperspektive verdrängt bei Reinhold die Kulturalitätsperspektive. Bei Kant ist es zwar nicht genau umgekehrt, aber doch anders. Bei ihm ist die Kulturalitätsperspektive die Dominante. Und das ist weit sachgerechter. Denn nur in der Kulturalitätsperspektive ist der Mensch im Vollsinne mit der Beschaffenheit genommen, mit der er wirklich ist. Er ist dadurch als geschichtliches Wesen genommen. Die Wirklichkeit des Menschen ist nicht einfach Naturalität; sie ist auch nicht einfach Bewusstsein; sie ist Faktizität. Und Faktizität ist geltungsreferente Gestaltungs-, nicht einfach Geschehens- oder Bewusstseinswirklichkeit. Einfache Geschehenswirklichkeit ist die Natur. Einfache Bewusstseinswirklichkeit ist Zustand. In und bei aller Natur wie aller Zuständlichkeit gibt es die Wirklichkeit, die wir die Geschichte nennen und die die durch das Subjekt, von Subjekten gestaltete Wirklichkeit des Menschen, des Menschen nicht lediglich als Natur und als Bewusstsein, sondern als Subjekt in seiner Faktizität, das heißt als geltungsreferente Gestaltungswirklichkeit (Gestaltung seiner selbst und seiner Welt), ist. Kant hat die Rücksicht hierauf in seine mehrfache Thematisierung der Freiheit geführt, als theoretischer Sachverhalt und als praktischer, als kon___________ 19

A.a.O., S. 510. A.a.O., S. 511. 21 A.a.O., S. 512 ff. 20

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stitutives Prinzip und als regulatives. Hierbei verstrickt er sich in die von ihm selbst bezeichnete Schwierigkeit, der er durch seine Faktumlehre zu entgehen sucht. Bei bestimmter Auslegung muss man diesen Versuch auch gelungen finden. Reinhold gelingt diese Auslegung zumindest ein Stück, aber eben nur ein Stück weit. Der Geschichtlichkeitsgedanke, der bei adäquater Auslegung der Kantischen Faktumlehre in deren Zentrum steht und der den Aufklärungsbegriff den Sinnbegriff der Geschichte sein lässt, bleibt in seiner Auslegung unberücksichtigt.

Fichtes voluntativ-egologischer Begriff von Kultur und Geschichte als Revision der empiriologischen Ausrichtung der Kantischen Grundlegung des Geschichtsbegriffes Die Geschichte ist nach der Bestimmung, die Kant im Rahmen seiner umfassenden Kulturtheorie trifft, die Entwicklung der Freiheit aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen1 und hiermit jene Verfassung, in der „alle ursprünglichen Anlagen der Menschengattung entwickelt werden“.2 Fichte hat diese Kantische Bestimmung des Begriffs der Geschichte sehr genau aufgenommen. Aber er hat ihr in Übereinstimmung mit seiner Zentrierung des geltungstheoretischen Grundlegungsgedankens auf die Funktion der Ichvorstellung bzw. des Selbstbewusstseins die geradezu unausweichliche egologische Wendung gegeben. Es gehört nach ihm zur Bestimmung des Menschen, sich als Selbst und qua Selbst in der Geschichte entfaltend, in der Entfaltung seine grundlegende Spontaneität zeugend zu verstehen. So ist nicht umhin zu kommen, darin den Versuch zu sehen, Kants Bestimmung doch zu einem guten Stück zu revidieren, konkret: aus der rein geltungstheoretischen Fassung in die bewusstseinstheoretische Fassung des Selbstbewusstseins, des auf die Grundlegungsfunktion seiner Spontaneität pochenden Wesens Mensch zu überführen. Die folgenden Ausführungen sollen diesen Versuch nachzeichnen und sie sollen insbesondere bzw. zu guter Letzt die Motivation, die in diesem Versuch zum Ausdruck kommt, herausarbeiten. Das eine oder andere Licht dürfte hierbei auch auf Fichtes Grundlehre sowie auf Kants Freiheitslehre fallen. Fichte schließt bei seinen Grundlegungsüberlegungen – um Grundlegungsüberlegungen handelt es sich bei dem gewählten Thema – an jenen Aspekt der Kantischen Grundlegungslehre an, dem Kant mit seiner Lehre von der transzendentalen Apperzeption gerecht zu werden sucht. Das ist der Aspekt der Bestimmungskompetenz. Gemäß dieser Lehre besteht die Bestimmungskompetenz darin, dass die Affektion, in der das Mannigfaltige, das ist die Hyle der Bestimmung bereit gestellt ist, in der Apperzeption zur Einheit des bzw. eines Gegenstandes gebracht wird. Die Funktion, die da im Spiel ist, ist das Urteil. Im Urteil wird das affektiv verfügbare Mannigfaltige (der Anschauung) zur Bestimmungskonstante, das heißt zum Argument der Funktion der Gegenständ___________ 1

Immanuel Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, AA VIII, S. 109. Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, AA VIII, S. 28. 2

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lichkeit. Das bedeutet, im Urteil wird der Gegenstand erkannt, so oder so erkannt. Erkennend zu sein, heißt also urteilen. Das Urteil ist die Qualifikationsstruktur der Erkenntnis. Kraft dieser Qualifikationsstruktur ist das Bewusstsein Gegenstandsbewusstsein. Aber es ist auch, und zwar gleicherweise und gleichermaßen, Selbstbewusstsein, das ist das Bewusstsein des bzw. eines dem Gegenstand korrespondierenden Subjektes. Gegenstandsbewusstsein und Selbstbewusstsein oder das Bewusstsein seiner selbst als Subjekt des Erkennenden gehören also zusammen. Dieser Sachverhalt hat Kant zu seiner Formel vom „Ich denke“ veranlasst. Fichte nimmt diese Formel auf, wendet sie hierbei aber. Er ist darauf bedacht, die Subjektskomponente des Erkenntnisverhältnisses, das ist die Komponente des leistenden Grundes, als dessen einzige Fundierungskomponente herauszustellen. Kant hat ihm in dieser Richtung zu wenig getan. Er hat ihm vor allem die Konstitutivität dieser Komponente nicht radikal genug, nicht ausschließlich im Sinne der Apodiktizität gedacht. Deshalb macht er aus dem Ich denke, das meine Vorstellungen muss begleiten können, das Ich, dem alle meine Vorstellungen verdankt sind. Da das Kantische „Ich denke“ die Geltungsvereinzelung, das heißt die Rücksicht auf die Zuständlichkeit des Subjektes als konstitutives Moment mit einschließt, beinhaltet es die Aussage, dass den Modifikationen des Zustandes des Subjektes eine gewisse Erkenntnisrelevanz zukommt. Fichte argumentiert anders. Für ihn spielt die in Kants Gedanken gedachte Verbindung von Apodiktizität und Kontingenz keine Rolle. Fichte argumentiert vielmehr dahingehend, dass die Bestimmungskompetenz mit dem Selbstbewusstsein, dem Ich als solchem, und hiermit meint er: qua Apodiktizität, gleich sei. Diese Gleichsetzung erlaubt ihm zuletzt die keinerlei Bedingungsverhältnis einschließende Identifikation des Ich mit der Prinzipiensphäre. Das Ich ist der letzte Grund aller Geltung. Diese Funktion des letzten Grundes aller Geltung ist der Angelpunkt der ganzen Fichte’schen Philosophie. Deshalb nimmt das Ich auch in Fichtes Diskussion des Begriffs der Kultur diese Funktion ein. Das ist in allen diesbezüglichen Aussagen Fichtes offensichtlich. Die Registrierung all dieser Aussagen ergibt dementsprechend das einheitliche Bild der die Naturbestimmtheit des Menschen überformenden und hierbei zurückdrängenden Kulturbestimmtheit des Menschen, wobei in der Zurückdrängung der Naturbestimmtheit der Zweck zu sehen ist, der dem irdischen Leben des Menschen von der Vernunft aufgestellt ist.3 Dieser Zweck soll im Leben des Menschen erreicht werden. Und er ist erreichbar, weil und sofern ich (der Mensch) bin. Das Leben ist vernunftorientiert. Diese Vernunftorientiertheit dokumentiert sich in meinem Willen. Weil ___________ 3

Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen (1800), in: ders., Sämtliche Werke, hg. von Immanuel Hermann Fichte, Bd. 2, Berlin 1846, S. 165–319 (S. 278) = Johann Gottlieb Fichte, Ausgewählte Werke in sechs Bänden, hg. von Fritz Medicus, Bd. III, Leipzig 1910, S. 374. Nachfolgend werden alle Zitate in dieser Reihenfolge nachgewiesen.

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dieser mein und ganz mein ist, das Possessivverhältnis also keinerlei Bedingung einschließt, bin ich „Mitbürger des Reichs der Freiheit und der Vernunfttätigkeit durch sich selbst“4, das heißt nicht nur Bestandteil der sinnlichen, der natürlichen Welt, sondern auch Bestandteil der übersinnlichen, der rein vernünftigen Welt. Das Leben des Menschen „in der Reihe unseres Daseins“5 ist nicht völlig vergebens und unnütz, hat also einen Sinn, weil es sich wie ein Mittel zum Zweck eines künftigen Lebens verhält. Fichtes Kulturbegriff beinhaltet nach diesen Aussagen unverkennbar eine strikte Vernunftorientierung. Hergestellt wird diese über den Begriff des Willens. In diesem ist die Geltungsunbedingtheit des Ich in der Weise der Selbstgesetzlichkeit in die Kulturwelt integriert. Die Kulturwelt ist Welt, in der die Vernunft „selbsttätig“ ist. Die Integration gelingt dadurch, dass die Selbsttätigkeit der Vernunft in dem sich selbst Gesetz seienden, das ist dem reinen Willen gesehen wird. Fichtes diesbezügliche Festsetzungen lassen sich lückenlos aneinander reihen. Es heißt da: „Der Wille ist das lebendige Prinzip der Vernunft, ist selbst die Vernunft“. Die Vernunft ist für sich selbst tätig, und das heißt: „Der reine Wille, bloß als solcher, wirkt und herrscht“. Er schafft dadurch eine rein geistige Ordnung. In ihr zuhause zu sein, ist das Leben der unendlichen Vernunft. Gegen dieses ist alles andere Leben endliches Leben, „nicht die Vernunft selbst, sondern nur ein einzelnes unter mehreren Gliedern derselben“, „in einer sinnlichen Ordnung, das heißt in einer solchen, die ihm noch ein anderes Ziel, außer der reinen Vernunfttätigkeit, darstellt: einen materiellen Zweck, – zu befördern durch Werkzeuge und Kräfte, die zwar unter der unmittelbaren Botmäßigkeit des Willens stehen, deren Wirksamkeit aber auch noch durch ihre eigenen Naturgesetze bedingt ist“.6 Die Verbindung mit den Naturgesetzen bestimmt die Tat. So ergibt sich die durchaus mit Kants Position vergleichbare integrative Doppelung der rein geistigen und der sinnlichen Ordnung, wobei wegen der unmittelbaren Botmäßigkeit, die der Wille ausübt, die sinnliche Ordnung „nur eine Erscheinung für mich selbst und für diejenigen, die mit mir in dem gleichen Leben sich befinden“ ist, womit „Bedeutung, Zweckmäßigkeit und Wert“ dieses meines je eigenen, zuständlichen Lebens jener geistigen Ordnung verdankt sind und ich „sobald ich den Entschluß fasse, dem Vernunftgesetze zu gehorchen“, „unsterblich unvergänglich, ewig“ bin. „Ich ergreife durch jenen Entschluß die Ewigkeit, und streife das Leben im Staube und alle anderen sinnlichen Leben, die mir noch bevorstehen können, ab, und versetze mich hoch ___________ 4

A.a.O., S. 283 (= S. 379). A.a.O., S. 286 (= S. 382). 6 A.a.O., S. 288 f. (= S. 384 f.). 5

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über sie. Ich werde mir selbst zur einigen [einzigen] Quelle alles meines Seins und meiner Erscheinungen; und habe von nun an, unbedingt durch etwas außer mir, das Leben in mir selbst. Mein Wille, den ich selbst, und kein Fremder, in die Ordnung jener Welt füge, ist diese Quelle des wahren Lebens und der Ewigkeit.“7 „Mein Wille steht allein da, abgesondert von allem, was er nicht selbst ist, bloß durch sich, und für mich selbst seine Welt; nicht bloß daß er absolut Erstes sei, und daß es vor ihm kein anderes Glied gebe, das in ihn eingreife und ihn bestimme; sondern auch, daß aus ihm kein denkbares und begreifliches Zweites folge, und dadurch seine Wirksamkeit unter ein fremdes Gesetz falle“.8 „Daß das gesetzmäßige Wollen schlechthin um sein [seiner] selbst willen gefordert werde […] war [ist] das erste Glied meines Denkens. Daß diese Forderung vernunftmäßig, und die Quelle und Richtschnur alles anderen Vernunftmäßigen sei, daß sie nach nichts sich richte, alles Andere aber nach ihr sich richten und von ihr abhängig werden müsse […] war [ist] das zweite Glied meines Denkens. […] von diesen Gliedern aus kam ich zum Glauben an eine übersinnliche, ewige Welt.“9 Da dies alles nun aber nach der Ansicht Fichtes mir bekannt ist „nur als Tatsache in meinem Inneren“ und da es „auf keinem anderen Wege an mich gelangen“ kann10, vollzieht Fichte in der Lehre von der Kultur eine Wende, die man nur egologisch und evidenztheoretisch nennen kann. Indem ich „ich“ sage, verstehe ich mich rein als Vernunft, dem sinnlichen Leben und seinem Geschehen hoch überhoben und in diesem Verstande der Ewigkeit, einer in jeder Hinsicht letztfundierenden Unbedingtheit zugewendet und in dieser Zuwendung eine Freiheit für mich in Anspruch nehmend, die das Sinnliche geradezu „in Nichts verwandelt, in einen bloßen Wiederschein des allein bestehenden Unsinnlichen in sterbliche Augen“.11 Auf diesem Standpunkt ist das „Einige [Einzige], woran mir gelegen sein kann, […] der Fortgang der Vernunft und Sittlichkeit im Reiche der vernünftigen Wesen; und zwar lediglich um sein [seiner] selbst, um des Fortganges willen“12, im „Fortschreiten zum Vollkommenern in einer geraden Linie, die in die Unendlichkeit geht“13. In diese Vorstellung vom Fortschreiten zum Vollkommeneren in die Unendlichkeit ordnet sich die Vorstellung von der Kultur und der Geschichte ein. Wie schon gemäß der Wissenschaftslehre der Gang der Wissenschaft das Entscheidende ist, nämlich der Erweis dessen, was vorausgesetzt werden muss, so ist im ___________ 7

A.a.O., S. 289 (= S. 385). A.a.O., S. 290 (= S. 386). 9 A.a.O., S. 291 (= S. 387). 10 Ebd. 11 A.a.O., S. 308 (= S. 404). 12 A.a.O., S. 312 (= S. 408). 13 A.a.O., S. 317 (= S. 413). 8

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Punkte der Kultur deren Gang das Entscheidende. In diesem dokumentiert sich in der Endlichkeit deren Unendlichkeit. An jedem Punkt dieses Ganges ist das Ich unmittelbar bei sich selbst. Darin ist es frei. Aufgrund dieser Bestimmung der Freiheit lässßt sich nun der abschließende Argumentationsschritt vollziehen. Er besagt: In seiner Freiheit denkt das Ich denen, denen es auf diesem Gange begegnet, dieselbe Qualifikation zu, die es sich selbst zudenkt, betrachtet sie also als seinesgleichen und vermittelt sie mit sich selbst.14 Und: In der Rücksicht darauf, dass dies ein perpetuierendes Unternehmen ist, ergibt sich die Einheit der Geschichte. Die Geschichte ist „nichts anderes, als daß aus unserer treuen und unbefangenen Vollbringung der Pflicht in dieser Welt ein unsere [der Menschen; Vf.] Freiheit und Sittlichkeit förderndes Leben in alle Ewigkeit sich entwickeln werde.“15 Hiermit tritt das Motiv zutage, das Fichtes Überlegung beherrscht. Die Einführung des aus dem „ewigen Leben“ fließenden Pflichtbewusstseins in die Lebensführung ist das Motiv, das Fichte seine voluntativ-egologische Wendung des Kantischen Kultur- und Geschichtsbegriffes vollziehen lässt. Das nun aber ist kein Kantisches Motiv. Kants Motiv ist die fortgehende Disziplinierung der Lebensführung. Sie umfasst zuerst das Kultivieren, dann das Zivilisieren und zuletzt das Moralisieren und somit keineswegs nur das Pflichtbewusstsein. Mit der Fokussierung des Themas auf das aus dem „ewigen Leben“ fließende Pflichtbewusstsein ist somit die empiriologische Ausrichtung der Kantischen Grundlegung des Geschichtsbegriffes so gut wie aufgegeben. Es geht nicht mehr um eine transzendental-metaphysische Grundlegung einer empirischen Wissenschaft, der Wissenschaft, die den Menschen als das Subjekt in seiner Faktizität thematisiert und hiermit einen dem Begriff der Naturerfahrung nebenzuordnenden Begriff der Erfahrung entwirft, es geht um die erfahrungsirrelative Entwicklung der Freiheit, womit die Semantik des Begriffs der Freiheit der des Begriffes der Spontaneität zumindest angenähert wird. Zwangsläufig resultiert eine das Ich, speziell den Willen, intelligierende, die Faktizitätsthematik weitgehend ausblendende Thematik von Kultur und Geschichte. Der Sachverhalt ist ob dessen unzureichend behandelt. Kant ist auf dem besseren Weg. Seine Argumentation wahrt die geltungstheoretische Begründungsklimax. Es geht um die transzendental-metaphysische Definition von Kultur und Geschichte.

___________ 14 15

A.a.O., S. 299 (= S. 395). A.a.O., S. 302 (= S. 398).

Kants Empiriologie I. Naturteleologie als Wissenschaftstheorie Überblickt man die Texte, die den Lehrgehalt der philosophischen Disziplin der Wissenschaftstheorie – die in der gegenwärtigen Philosophie zweifellos als dominant zu bezeichnen ist – dokumentieren, so ist eine Feststellung nicht zu vermeiden: Die Aussagen, die da zu finden sind, legen die Philosophie unverkennbar auf eine bestimmte historische und systematische Sicht der Sache fest. In der historischen Sicht geht es nach wie vor um die erstmals von Hume in aller Bestimmtheit dargelegte Herausforderung; in historischer Sicht geht es um die Angebote, die gemacht wurden und gemacht werden, dieser Herausforderung zu begegnen. Kant war der erste, der ein tragfähiges Angebot gemacht hat. Seine Nachfolger wussten es nicht richtig und vor allem nicht angemessen zu würdigen. Die wissenschaftstheoretische Diskussion hat sich deshalb zunehmend in der Abkehr von Kants Lösungsversuch vollzogen. In unserem Jahrhundert ist sie sogar zunehmend unter Vernachlässigung des Kantischen Lösungsversuches abgelaufen. Erst neuerdings vermag dieser wieder mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das heißt freilich noch lange nicht, dass er in seiner ganzen Breite und vollen Tiefe rezipiert würde. Man nähert sich lediglich wieder mehr der Ansicht, dass das Wissen, das Erkenntnis sein soll oder soll sein können, Erkenntnis der Welt, in der wir leben, eine Qualifikation aufweisen muss, die nur, wie das Kant gesehen hat, als das Zusammenspiel zahlreicher Faktoren zu begreifen ist. Gegenstandsbezug und gegenständliche Bestimmung sind ohne die Kenntnisnahme ihrer begrifflich-diskursiven, sinnlichintuitiven, apriorischen, aposteriorischen, kategorialen und anschaulichen Faktoren nicht zu durchschauen. Wie die Zuordnung all dieser Faktoren, auf die es ja nach Kant letztlich ankommt, im einzelnen zu denken ist, bleibt weitgehend ungeklärt. Ja, die Auffassung ist weit verbreitet, die Nachzeichnung der Kantischen Gedanken führe auf alles andere als ein konsistentes Qualifikationskonzept von Erkenntnis1. Immerhin, auch wenn Kants Konzept so eingeschätzt wird, wird es systematisch gesehen doch für das genommen, das der wissenschaftstheoretischen ___________ 1 Vgl. z.B. Wolfgang Stegmüller, Gedanken über eine mögliche rationale Rekonstruktion von Kants Metaphysik der Erfahrung, in: ders., Aufsätze zu Kant und Wittgenstein, Darmstadt 1972, S. 1–61.

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Überlegung als Triebkraft ihrer Entwicklung immanent ist. Vor allem die legitimierende Intention, die dem Kantischen Konzept eigentümlich ist, gilt als für die Wissenschaftstheorie ausgemacht. Aber auch die grundlegenden Parameter der Problemaufnahme und -behandlung, die wir in Kants Konzept finden, sind für die wissenschaftstheoretische Diskussion bestimmend; es geht zumindest immer um so etwas wie die rezeptive Basis der Erkenntnis einerseits und ihre logische Ordnung andererseits. Fragezeichen sind freilich sofort zu setzen. Denn weder im Punkte der rezeptiven Basis noch im Punkte der logischen Ordnung herrscht Übereinstimmung, gibt es so etwas wie eine sich durchhaltende kantische Bearbeitung der Erkenntnisthematik. Noch viel weniger gibt es diese, wenn es um die Analyse der Qualifikationsfunktion im ganzen geht, wenn die Fundierung der wissenschaftlichen Erkenntnis (und der Wissenschaften darin eingeschlossen) zu modellieren ist. Nicht wenige der gegenwärtigen Wissenschaftstheoretiker meinen sogar, dass ein solches Modell von Kant nur bedingt gedacht werden konnte, da seine Zeitbedingtheit ihm hierbei enge Grenzen gezogen habe – Wissenschaft sei für ihn ja auf Mathematik und Newtonsche Physik eingeschränkt gewesen. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass die dargelegte Lageeinschätzung viel zu borniert ist. Sie leidet unter der zumindest partiellen Unkenntnis des Kantischen Gedankenganges. Der scheinbar so weit überholte Kantische Kritizismus macht noch immer das eigentlich Movens der Entwicklung der Wissenschaftstheorie aus. Es ist sogar so, dass die gründlichere Kenntnis des Kantischen Gedankenganges oder der Kantischen Gedankengänge eine bis ins einzelne gehende wissenschaftstheoretische Auslegung dieser Gedankengänge erlaubt bzw. verlangt, und das über einer grundlegenden erkenntniskritischen Auslegung, so dass diese die Wissenschaftstheorie in die Lage versetzt, ihrem gegenwärtigen Stand – der ja weithin durch die Positionen der Analytischen Wissenschaftstheorie determiniert ist – überlegene Einsichten zu gewinnen. Die folgenden Ausführungen werden also zweierlei zu leisten haben: Sie müssen zum einen die Ansichten der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie skizzieren; sie müssen zum anderen aufzeigen, dass und wie die gründlichere Berücksichtigung der einschlägigen Kantischen Überlegungen eine echte Chance für sie darstellt. Die gründliche Kenntnisnahme und Berücksichtigung des vollen Bestandes der wissenschaftstheoretischen Einsichten Kants verhilft der Wissenschaftstheorie zu fortgeschrittenen Bestimmungen ihres Themas; sie macht zugleich ersichtlich, dass und weshalb die Wissenschaftstheorie in ihrer nachkantischen Entwicklung bis in die jüngste Zeit hinein fortwährend wesentliche Stücke ihrer hauptsächlichen Aussagen revidieren musste. Das kritizistische Motiv war und ist in ihr virulent. Auch wenn sie das nicht sah oder nicht sehen wollte, war dem so; auch wenn sie es noch immer nicht so recht sieht oder sehen will, ist dem so.

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II. Der Gang der Wissenschaftstheorie Wie schon angedeutet, ist das, was man als die Ansichten der gegenwärtigen Wissenschaftstheorie bezeichnen kann, selbst etwas historisch Gewachsenes. Darauf, dass in der theoretischen Philosophie Kants der Anfang der wissenschaftstheoretischen Orientierung der Philosophie beschlossen liegt, wurde schon hingewiesen. In der auf das Wirken Kants folgenden Entwicklung der Philosophie erfuhr genau dies nicht die richtige Würdigung. So vollzieht sie sich als Abkehr von der in Kants Philosophie beschlossenen Orientierung. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Philosophie dementsprechend wissenschaftstheoretisch weitgehend diskreditiert. Die zunehmend sich herausbildenden (einzel)wissenschaftlichen Disziplinen haben von den philosophischen Lehrmeinungen so gut wie keine Notiz genommen. Eine Reihe junger, auf Kants Neuorientierung der Philosophie sich besinnender philosophischer Forscher hat diesen Zustand zu ändern versucht. Sie wollten dem Niedergang der Philosophie dadurch entgegenwirken, dass sie wohl im Sinne Kants, aber die explizite Lehre Kants in bestimmter Weise auslegend und sie überbietend, jedenfalls ihrer Meinung nach, seine allgemeine Erkenntniskritik gezielt mit der Frage der Grundlegung der verschiedenen Wissenschaften verknüpften und so die Transzendentalphilosophie zur Prinzipientheorie der Erkenntnis, von deren Prinzipien überhaupt bis zu deren je spezifischen Prinzipien, entwickelten. So bildete sich die im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts und im ersten Viertel dieses Jahrhunderts dominierende, in mehrere philosophische Schulen gegliederte philosophische Bewegung des Neukantianismus heraus. Dem Neukantianismus kommt das Verdienst zu, in der erklärten Nachfolge Kants der Philosophie das wissenschaftstheoretische Renommée verschafft zu haben, das sie noch heute hat. Die Anbindung der philosophischen Fragestellung an die Wissenschaften, deren Grundlegung und deren Aufbau, ist seither eine verbreitete Attitüde innerhalb der Philosophie. Sie ist keineswegs über einen Leisten zu schlagen, sondern sie ist eine Angelegenheit der Konkurrenz, das heißt Wissenschaftstheorie wird in dieser oder jener Grundhaltung getrieben. Etwa gleichzeitig mit dem Neukantianismus, sogar noch etwas früher, vollzog sich die Herausbildung des klassischen Positivismus, der innerhalb des deutschen Sprachraumes seinen Hauptvertreter in Ernst Mach hatte, und des Empiriokritizismus mit Richard Avenarius als Hauptvertreter. Hinzu kommt noch der Realismus, dessen Hauptvertreter innerhalb der deutschen Philosophie, Oskar Külpe, sich ebenfalls als Kantinterpret hervorgetan hat. Im angelsächsischen Sprachraum gewann die wissenschaftstheoretische Analyse ebenfalls stark an Boden. Kants Philosophie zählt hierbei zwar auch noch zu den veranlassenden Faktoren, aber sie ist da schon weit weniger an der Formierung der Probleme beteiligt als im deutschen Sprachraum.

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Das ist jedoch nicht so wichtig. Wichtig ist zuerst einmal: In der Auseinandersetzung all dieser Schulen und Richtungen baute sich so etwas wie eine wissenschaftstheoretische Programmatik auf, und es bildete sich die Wissenschaftstheorie als eigene philosophische Disziplin heraus. Bedeutsam ist ferner, dass Anschluss an und/oder Distanzierung von Kant als die entscheidende Weichenstellung zu betrachten sind. Der Positivismus, der Empiriokritizismus und der Realismus nehmen in der Diskussion eine Position ein, die den Anschluss an Kant zugleich mit einer nachdrücklichen Distanzierung von seiner Lehre vom synthetischen Apriori verbindet. Sie sind sensualistisch orientiert und verweigern sich dementsprechend dem Vorhaben, die Heterogenität innerhalb der Erkenntnisfaktoren auf etwas anderes als den Unterschied der Relation zwischen Elementen zurückzuführen; sie wollen eine einheitliche, die Einfachheit zum schlechthinnigen Ordnungsprinzip erhebende Vorstellung von Begrifflichkeit und Begriffsbildung durchsetzen. Der Neukantianismus hält dagegen. Nach ihm kommt es bei der wissenschaftlichen Erkenntnis auf mehr an als das, was im positivistischen, im empiriokritizistischen, im realistischen Konzept thematisch wird. Kant habe für das zu Thematisierende den Rahmen vorgezeichnet. Er habe insbesondere einsehbar gemacht, dass die Qualifikation von Wissen zur Erkenntnis eine Qualifikation ist, die Möglichkeitsbedingungen folgt, denen gemäß das Wissen unter dem Anspruch auf Geltung steht. Seine Transzendentalphilosophie ist Theorie der Geltung, der Geltungsbestimmtheit des wissenschaftlichen Wissens. Diese Geltungsbestimmtheit umfasst ebenso die logische wie die methodische Bestimmtheit des Wissens. Das Logische ist nichts als die Gesetzlichkeit des Denkens als solche; das Logische sind die reinen Denkformen. Das Methodische ist die die Gesetzlichkeit des Denkens respektierende Organisation des Denkens; das Methodische sind die Erkenntnisformen. Unter der Logik wird dementsprechend die Lehre von den Denkgesetzen oder den Denkformen verstanden. Unter der Methodologie wird die Lehre von der reinen Erkenntnis, von der über dem Modell des theoretischen Gegenstandes überhaupt sich aufbauenden Erkenntnis der Gegenstände verstanden. Es lässt sich nicht leugnen, dass der Neukantianismus hiermit in der Tat Kants Vorstellung von der „scientifischen Methode“2, die ja darauf insistiert, dass das wissenschaftliche Wissen systematisch und nach Grundsätzen erarbeitet werden muss, in die Diskussion zurückgeholt hat. Wissen, das für sich in Anspruch nehmen darf und muss, Bestimmung dieses oder jenes Gegenstandes unter der Bedingung der Geltungswertigkeit zu sein, ist logisch gegründetes (konsistentes) und methodisch organisiertes (sachangemessenes) Wissen, Wis___________ 2

Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 883. Zitiert nach der zweiten Ausgabe 1787 (AA III).

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sen dieser oder jener Methodik, Sachwissen. In ihm erfolgt eine Objektion, das heißt das (intentionale) Setzen eines Gegenstandes und die Bestimmung dieses Gegenstandes. Die Objektion beginnt mit der Aufnahme eines Problems; es wird mit dieser eine Bedingungsreihe akzeptiert; diese Bedingungsreihe ist gleich der Bestimmung; diese sukzediert und progrediert in der Reihe der Bestimmungen; Sukzession und Progression sind ebenso Differentiation wie Integration; es vollzieht sich also ein Prozess, der ein Progress ist, und im Progress erfolgen die Differentiation und die Integration von Bestimmungen. Eine Methode ist dementsprechend Prinzip der Bestimmung. Bei einem Problem ansetzend legt sie die Bestimmung konservativ oder innovativ auf einen das Problem zum Ausgangspunkt habenden bestimmten Prozess, einen bestimmten Progress, auf die bestimmte Differentiation und die bestimmte Integration von Bestimmungen fest. Es wurde gesagt, dass der Neukantianismus mit seinen Vorstellungen von Logik und Methodologie Kants Vorstellung von der szientifischen Methode in die Diskussion zurückgeholt habe. Es muss hinzugefügt werden, dass der Neukantianismus die Kantische Vorstellung von der szientifischen Methode hierbei auch merklich modifiziert hat. Für den geschichtlichen Gang der wissenschaftstheoretischen Diskussion ist dies ausschlaggebend geworden. Denn selbst der ausdrückliche Rückgriff auf Kant modelt sich so zum Ausgangspunkt der erneuten Abkehr von Kants Position. Ich habe das in meiner Abhandlung über Die Bedeutung des Neukantianismus für die Wissenschaftstheorie3 aufgezeigt. Ich will das kurz wiederholen4. Denn mit dieser neukantianischen Abkehr von Kant ist die Entwicklung eingeleitet worden, deren Ergebnis die neoempiristische und die analytische Wissenschaftstheorie überhaupt ist.

III. Die neukantianische Abkehr von Kant Die abträgliche Modifikation der Kantischen Vorstellung von der szientifischen Methode, die dem Neukantianismus anzulasten ist, hat ihren springenden Punkt darin, dass die Neukantianer glaubten, mit ihrer Aufdeckung der beschriebenen – und in der gegebenen Beschreibung gegenüber ihren eigenen Aussagen pointierten – Festlegungsfunktion die Kantische Kategorienlehre derart revidieren zu können und schließlich revidiert zu haben, dass diese nun keine Einschränkungen mehr aufweist. Die Kategorien und das System ihrer Derivate, so lehrt der Neukantianismus, sind das, das dem wissenschaftlichen Den___________ 3 In: Ernst Wolfgang Orth/Helmut Holzhey (Hg.), Neukantianismus. Perspektiven und Probleme, Würzburg 1994, S. 174–184. 4 Die Ausführungen beider Abhandlungen berühren und decken sich insofern stückweise.

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ken seine Erkenntnissouveränität verleiht. Das heißt: Durch die Kategorien und allein durch die Kategorien ist der Erkenntnis ihr Inhalt zu begründen. Vom Gegenstand lässt sich nur im Sinne der Bestimmungsaufgabe reden. Sie ergibt sich aus dem jeweiligen kategorialen Apriori. Dessen Spezifikation, Aufstufung und Verbindung mit anderen Kategorien bedingen den Gang der Erkenntnis. Dessen Dynamik besteht in nichts anderem als in der Bipolarität von modellierender apriorischer Form und irrationalem erlebten bzw. erlebbaren Material. Alles, worauf es ankommt, ist also die Methode. Paul Natorp, einer der führenden Neukantianer, hat selbst mit Nachdruck vom Panmethodismus dieser Lehre gesprochen. In der Erkenntnis und dementsprechend auch in der Analyse der Erkenntnis interessiert nur die Methode. Sie beherrscht die Bestimmungsarbeit, von der Sicherung des Gegenstandsbezuges bis zur letzten konkreten Gegenstandsbestimmung. Es ist eigentlich nur noch um eines zu tun. Kants so schwerwiegende und weitreichende Unterscheidung von konstitutiver und regulativer Prinzipienfunktion ist beseitigt; beide Prinzipienfunktionen sind kontaminiert. Die Geltungsqualifikation, die das Wissen zur Erkenntnis macht, ist in dieser Kontamination gedacht. Alle Fundierung von wissenschaftlichem Wissen ist auf die Erarbeitung des Systems der Kategorien verwiesen. Dieses System kann selbstverständlich nur ein offenes System sein. Denn wenn der Gang der Bestimmungen einmal das ist, was den entscheidenden Bezugspunkt abgibt, so ist die Offenheit der Bestimmungsreihe grundlegend für die Kategorien- bzw. Methodenderivation. Diese wird in der Wissenschaftstheorie konstruktiv aufgezeigt. Man sieht, auch der Neukantianismus entfernt sich von der Lehre Kants. Nur entfernt er sich sozusagen in anderer Richtung als Positivismus, Empiriokritizismus und Realismus. Er modelt die differenzierte, unterschiedliche Prinzipienfunktionen kennende Kantische Theorie der Erkenntnisqualifikation von Wissen zu der die Problematik der Geltungskonstitutivität und die Problematik der Geltungsregulativität verschmelzenden und verwischenden Lehre von der Kategorien- bzw. Methodenderivation, die Konstruktion ist. Dieses auf Konstruktion ausgerichtete Konzept von Wissenschaftstheorie ist in einer Weise transformierbar, die innerhalb der differenzierten und differenzierenden Konzeption Kants ausgeschlossen ist. Die Transformation ist, wie bekannt, auch nicht ausgeblieben. Sie liegt in dem Konzept von Wissenschaftstheorie vor, dessen Angelpunkt die Vorstellung von der Methodologie als logischer Rekonstruktion des wissenschaftlichen Wissens ausmacht, jener Vorstellung, die für die analytische Wissenschaftstheorie vom Neopositivismus bis hin zu ihren aktuellen Lehrmeinungen charakteristisch ist. Für diese Methodologievorstellung ist die Unterscheidung von konstitutiver und regulativer Prinzipienfunktion überhaupt kein Fragepunkt mehr. Nur die Reinheit der Konstruktion ist von Interesse. Dieses Interesse befriedigt ganz die funktionalistisch erweiterte Logik. Deren Formalismus macht, wenn die Differenz von konstitutiver

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und regulativer Prinzipienfunktion erst einmal ignoriert ist, die methodologische Aufgabe zu einer voll zu befriedigenden Angelegenheit. Methodenfragen sind als Fragen der logischen Rekonstruktion der positiv-wissenschaftlichen Erkenntnisse, der Aussagen und Aussagensysteme der positiven Wissenschaften, zu traktieren. Wenn es gelingt, die Aussagen und Aussagensysteme der positiven Wissenschaften dazu noch in Sprachen umzudeuten, so läuft das Ganze auf die bekannte logische Analyse der Sprache hinaus. Die linguistische Wende ist somit der Schlusspunkt der analytischen Transformation des Wissenschaftstheoriekonzeptes des Neukantianismus. Er markiert die gegenwärtige Forschungslage, die in der Beschränkung auf die Hauptsache kurz charakterisiert werden soll.

IV. Die analytische Wissenschaftstheorie und die Fundierung der Einzelwissenschaften Die Hauptsache an der Vorstellung der analytischen Wissenschaftstheorie im Hinblick auf die Erkenntnisqualifikation des Wissens ist darin zu sehen, dass das Problem im Sinne der Zuordnung der zwei Seiten einer Sache gefasst wird5. Auf der einen Seite verlangt die Erkenntnisqualifikation den unmittelbaren Konnex des Wissens mit dem Gegenstand. Das Wissen ist insofern unmittelbar und evident. Es ist aber weiterhin insofern auch partikulär, ja schlechthin vereinzelt und hat Element-, Material-, Datencharakter. Es ist Rezeption; es liefert der Erkenntnis ihre rezeptive Basis. Diese hat nichts mit Bestimmtheit, sondern allenfalls etwas mit Bestimmbarkeit zu tun. Darum verlangt die Erkenntnisqualifikation auf der anderen Seite etwas, das Bestimmtheit garantiert. Das ist nun freilich nichts mehr, dem Unmittelbarkeit des Gegenstandsbezuges und Evidenz zuzuerkennen wäre. Es ist vielmehr etwas, das mittelbar und generalisierend zu nennen ist, das generelle und notwendige Bezüge bedingt. Die Bestimmtheitsfaktoren der Erkenntnisqualifikation sind dementsprechend als funktionale, ordnungsstiftende Faktoren zu fassen. Das ist nach der Überzeugung der analytischen Wissenschaftstheorie genau das, was seit jeher im Begriff des Logischen gedacht wird. Und so ist nach der Lehre der analytischen Wissenschaftstheorie die zweite Seite der Erkenntnisqualifikation des Wissens mit dessen (formal)logischer Ordnung einerlei. Als die zwei Seiten der einen Sache sind rezeptive Basis und (formal)logische Ordnung des Wissens selbstverständlich als zwei Glieder des einen Verhältnisses miteinander verknüpft. Das bedeutet, dass die einzelnen Komponenten der beiden Qualifikationsfaktoren so aneinander geknüpft sein müssen, dass ___________ 5

Vgl. hierzu Werner Flach, Kritische Erwägungen zum Logikkonzept der analytischen Wissenschaftstheorie, in: Philosophisches Jahrbuch 87 (1980), S. 142–149.

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sie einander genau korrespondieren. Die Relationspaare sind wie die jeweilige Charakteristik ergibt: Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit oder Evidenz und Geltungsbewährung, Vereinzeltheit und Generalität oder Elementarität und Relationalität, Kontingenz und Konsistenz. Die mit diesen Relationspaaren angesprochene Problematik ist durchsichtig zu machen. Die Überlegungen der analytischen Wissenschaftstheorie gehen denn auch alle diese Aufgabe an. Sie sind bestrebt, eine Lehre vom problemlosen Ausgangswissen und eine hiermit zusammenstimmende Theorie der Geltungsbewährung des allgemeinen, des Gesetzeswissens zu entwickeln. Wir finden deshalb in allen ihren Varianten den Versuch gemacht, ein solches problemloses Ausgangswissen auszuzeichnen6; wir finden deshalb auch, und zwar wiederum in allen wechselnden Varianten, den Versuch gemacht, gegen dieses Ausgangswissen höherstufiges Wissen auszuzeichnen und zugleich dieses höherstufige Wissen auf das Ausgangswissen in dieser oder jener Form zurückzubeziehen7. Alle Varianten der analytischen Wissenschaftstheorie kommen ferner darin überein, die Vereinzeltheit und Elementarität über Korrespondenz-, Ableitungsund Interpretationsregeln mit der Allgemeinheit und der Notwendigkeit zu vereinbaren8. Konsequenterweise ist allen Varianten der analytischen Wissenschaftstheorie die Lehre von der logischen Rekonstruktion gemeinsam. Sie verbindet die Kontingenz und die Konsistenz des Wissens in der Weise, dass das Kontingente via Konstruktion von Geltungsbegründung inkludierenden Formeln in syntaktischer und semantischer Operation in einen stringenten Zusammenhang gebracht wird9. Diese drei eng miteinander verzahnten Anstrengungen bzw. Lehrstücke charakterisieren die analytische Wissenschaftstheorie in ihrem Kern. Sie sind darum für diese alle drei gleich wichtig und gleich entscheidend. Anhand ihrer lässt sich nun beurteilen, wie wenig die analytische Wissenschaftstheorie bietet, aus dem die Fachwissenschaften für sich einen Nutzen ziehen können. Es lässt sich vor allem auch beurteilen, wie sehr oder wie weit sie der Aufgabe gerecht wird, gerecht zu werden vermag, den Wissenschaften, jeder einzelnen Fachwissenschaft, ein gesichertes Selbstverständnis zu verschaffen. Im Blick auf die Fachwissenschaften ergibt sich das allgemeine Urteil: Die analytische Wissenschaftstheorie vermag mit ihren Aussagen zur Erkenntnis___________ 6 Carnaps ursprüngliche Lehre vom Eigenpsychischen, die Lehre von den Protokollsätzen, Poppers Lehre von den Konventionen und vieles andere gehören hierher. 7 Man denke etwa an Carnaps Aufbaukonzept, an die Zuordnung von Hypothese und Prüfsatz, an die verschiedenen Anläufe, die Theorie und die Intuition miteinander zu vereinbaren – meist mit Hilfe der Einführung von Übersetzungsregeln. 8 Wieder hat Carnap hierbei eine führende Rolle gespielt. 9 Gottlob Frege war in diesem Punkte der Ideengeber; Bertrand Russell u.a., darunter wieder Carnap, haben die doktrinale Arbeit vollbracht.

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qualifikation des Wissens den Fachwissenschaften die Kenntnis ihrer übereinstimmenden Szientität zu vermitteln. Es ist anhand dieser Aussagen ersichtlich, dass die durchgängige Wissenschaftlichkeit des Wissens an die Übernahme einer Begründungs- und Überprüfungsobligation geknüpft ist; es ist ersichtlich, dass die Begründung und die Überprüfung die Relativität des Wissens nicht aufheben, dass sie vielmehr dafür sorgen können und auch sorgen, das Wissen in seiner Relativität gleichwohl als objektiv auszuweisen; es ist ferner ersichtlich, dass Objektivität strukturell bedingt ist und dass somit Objektivität und Fallibilität sehr wohl miteinander zu vereinbaren sind; es ist schließlich ersichtlich, dass die Verbindung von Objektivität und Fallibilität die eigene Dynamik des wissenschaftlichen Wissens hervorbringt. Über diese gemeinsamen Züge der Szientität hinaus gibt das, was in der analytischen Wissenschaftstheorie zur Erkenntnisqualifikation des Wissens erarbeitet ist, für die Fachwissenschaften bzw. deren Legitimation nichts her. Es kann darüber hinaus nichts hergeben. Wenn einmal die Differenz von konstitutiver und regulativer Prinzipienfunktion ignoriert und somit die Methodenfrage zur Frage der logischen Rekonstruktion des wissenschaftlichen Wissens verengt ist, kann der Punkt, wie eine Fachwissenschaft zu ihrem je besonderen, das Fach begründenden Sach- und/ oder Methodenkonzept kommt und kommen kann, nur durch Einführung eines grundlegenden Prädikates bzw. einer grundlegenden Prädikatenklasse bewältigt werden. Besser gesagt: Dieser Punkt darf sich nicht mehr anders darstellen. Das Problem: Einzelwissenschaft ist das Problem einzelner (verschiedener) grundlegender Prädikate bzw. Prädikatenklassen. Hiermit ist die Überlegung so weit vorangekommen, dass sich herausstellt: Die Frage, was die Methodologie der analytischen Wissenschaftstheorie für das Selbstverständnis der Fachwissenschaft hergibt, ist die letztliche Bewährungsfrage dieser Methodologie. Zunächst einmal scheint es so, dass die These, dass das Problem der Fundierung einer Einzelwissenschaft das Problem ihres grundlegenden Prädikates bzw. ihrer grundlegenden Prädikatenklasse ist, die Sache sehr gut trifft. Gerade wenn man an eine Wissenschaft wie die Biologie denkt, kann doch nicht geleugnet werden, dass sie mit durchaus eigenen Begriffen operiert – in erster Linie wird hierbei an den des Lebens gedacht, aber auch an andere, wie etwa den des Organismus und ähnliche – und sich einer eigenen Art der Begriffsbildung befleißigt. Die andauernden Auseinandersetzungen um die Einordnung der Biologie, insbesondere die Frage ihrer möglichen Reduktion auf Physik und Chemie, kreisen ja unentwegt um diesen Punkt. Und selbst Kants Lehre von der Erkenntnisqualifikation des Wissens lässt sich, so scheint es, in diesem Punkt schwerlich gegen die Position der analytischen Wissenschaftstheorie in Stellung bringen. Denn auch Kant rekurriert bei seiner Einschätzung der biologischen Erkenntnis auf die Einführung eines eigenen fundierenden Begriffes, des Begriffes des Naturzweckes, und dies wegen der eigenen Begriffsbildung, die Begriffsbildung über die reflektierende Urteilskraft ist.

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Es zeigt sich, die Gegenüberstellung der Fundierungslehre der analytischen Wissenschaftstheorie und des vergleichbaren Lehrstückes der Kantischen Transzendentalphilosophie lässt sich durchaus so betreiben, dass die erstere die letztere für sich zu vereinnahmen vermag. Darum ist die Stelle, an der die Frage des Beitrages der Methodologie für das Selbstverständnis der je einzelnen Fachwissenschaft zur Bewährungsfrage für die Methodologie wird, zugleich die Stelle, an der der Kantische Gedankengang der Begründung von Erfahrung nicht mehr nur als konstitutionstheoretischer, das ist die Kategorien und ihre objektive Realität, die reinen Erfahrungsgrundsätze betreffender, sondern als methodologischer, die Grundlegung der je einzelnen Erfahrungswissenschaft betreffender zu diskutieren und zu würdigen ist. Dementsprechend sollen nun in wenigen Strichen die Hauptzüge der Kantischen Lehre von der Erkenntnisqualifikation gezeichnet werden. Daran anschließend kann erörtert werden, welches Angebot Kant in diesem Rahmen für die Legitimation einer Fachwissenschaft bereitstellen kann und bereitstellt und wie sehr dieses Angebot speziell die Legitimation der Biologie, die Kant mit seiner Lehre vom Naturzweck vorzüglich im Auge hatte, befördert.

V. Kants Lehre von der Erkenntnisqualifikation Kants Lehre von der Erkenntnisqualifikation des Wissens zielt direkt auf die je konkrete Gegenstandsbestimmung. Diese steht ihrer Geltungswertigkeit nach in Frage. Die Geltungswertigkeit der gegenstandsbestimmenden Aussage ist hierbei als strukturale Qualifikation gefasst. Kant lehrt: Die gegenstandsbestimmende Aussage ist urteilsstrukturiert. Die Struktur des Urteils bedingt die Geltungsdifferenz des Wissens. Aus ihr muss sich folgerichtig die ganze funktionale Differenzierung von Bestimmung herleiten. In Konsequenz vertritt Kant die Position, dass Bestimmung, Bestimmungsbedürftigkeit, Bestimmbarkeit, Bestimmtheit, aber auch Unbestimmtheit struktural oder formal zu fassen sind. Das führt zwangsläufig zu einer Aprioritätenlehre. Sie liegt in dem vor, was wir als die Kantische Lehre von den Anschauungsformen (Raum und Zeit) und den Verstandesbegriffen (Kategorien) kennen. Sie beinhaltet – in der kürzesten, zusammengedrängtesten Fassung, die vertretbar ist –, dass die je konkrete Gegenstandsbestimmung ihre Geltungswertigkeit aus apriorischen Bedingungen hat, die die Bestimmungsbedürftigkeit, Bestimmbarkeit und Bestimmtheit bei aller Unbestimmtheit bedingen. Es sind dies die für das unbestimmte Mannigfaltige einstehenden Anschauungsformen Raum und Zeit einerseits und die für Ordnung stehenden Kategorien andererseits. Wenn so je konkrete Gegenstandsbestimmung Herstellung der kategorialen Ordnung möglicher Daten zu einer Erkenntnis ist, so vollzieht sich nach Kant jede konkrete Gegenstandsbestimmung in logischer Kontingenz über einem formalen Gegenstandsbegriff des Gegen-

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standes überhaupt – Kant spricht von der natura formaliter spectata und der natura materialiter spectata. Das ist zunächst eine allgemein-gnoseologische These. Aber Kant interessiert nicht weniger die wissenschaftstheoretische Weiterung dieser These. Er sieht diese darin, dass die Kategorien in ihrer fundierenden Funktion eben auf die Fixierung der gesetzmäßigen Ordnung überhaupt der möglichen Daten zu einer Erkenntnis beschränkt sind. Ausdrücklich betont er: „Auf mehr Gesetze aber als die, auf denen eine Natur überhaupt als Gesetzmässigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit beruht, reicht auch das reine Verstandesvermögen nicht zu, durch bloße Kategorien den Erscheinungen a priori Gesetze vorzuschreiben.“ Etwas anderes sind Gesetze, die apriori belehren, was Erfahrung überhaupt ist und „was als ein Gegenstand derselben erkannt werden kann“, etwas anderes sind besondere Gesetze, die „empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen“. Diese müssen aufgrund der konstitutiven Verhältnisse zwar „unter jenen stehen“, aber sie können von jenen „nicht vollständig abgeleitet werden“10; sie sind anderen Prinzipien verdankt, die – sozusagen zu den konstitutiven Prinzipien hinzutretend – die Organisation des Wissens zu dem Sachwissen, das es ist, regulieren. Kant spricht deshalb von regulativen Prinzipien für die Urteilskraft. Mit diesen bzw. mit der Funktion, die ihnen von Kant zugedacht wird, sind wir bei der Thematik angelangt, um die sich Kants Lehre von der empirischen Methodik der Erkenntnis dreht.

VI. Kants Lehre von der empirischen Methodik Schon mit dem Auftauchen dieser Thematik steht fest, dass sie wie jede Thematik in Kants Kritizismus eine aus transzendentalem Grund ist. Dieser transzendentale Grund ist der der Spezifikation der Natur, der des nach dem Verhältnis des Allgemeinen und des Besonderen funktionierenden hierarchischen Aufbaus des Erkenntniszusammenhanges eben des Wissens, das Wissen von der Natur in materialer Betrachtung ist, der bestimmten, logisch gesehen kontingenten Erfahrung. Dank seiner ist der Erkenntniszusammenhang des kontingenten bestimmten Erfahrungswissens empirischer Zusammenhang, Sachzusammenhang. Das bedeutet, dass es in diesem Zusammenhang nicht mehr nur um das „Szientifische in unserer Erkenntnis überhaupt“ (KrV B 860) geht, sondern um mehr und weiteres, nämlich darum, dass das Erfahrungswissen auf „Erscheinungen in der Welt“ (KrV B 494) bezogen ist, dass es diese er___________ 10 Alle Zitate: Kritik der reinen Vernunft B 165; nachfolgend werden entsprechende Nachweise als KrV abgekürzt. Eine umfassende Exposition des Kantischen Erfahrungsbegriffes gibt Helmut Holzhey, Kants Erfahrungsbegriff. Quellengeschichtliche und bedeutungsanalytische Untersuchungen, Basel/Stuttgart 1970, vgl. besonders Teil III.

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klärt, und damit meint Kant, dass es diese in den Kontext dessen einordnet, „was wir von der Natur wissen“ (KrV B 505), jeweils wissen – darf, ja muss man mit Kant hinzufügen. Kant könnte sich kaum präziser äußern. Erklärung, wie sie die Empirie beherrscht, ist die Aufdeckung von Naturgesetzen, das sind Gesetze, „deren Gegenstand in irgend einer möglichen Erfahrung gegeben werden kann“11, das ist, sie ist Erkenntnis, die voll und ganz über der Funktionalität sich aufbaut, die Erfahrung überhaupt ermöglicht, die aber auf die daseienden Dinge abzielt und diese bestimmt, „wie sie als Gegenstände der Erfahrung im durchgängigen Zusammenhang der Erscheinungen müssen vorgestellt“ (KrV B 313 f.), also wahrgenommen und gesetzlich bestimmt werden können. Konstitutive Notwendigkeit und konkrete Zufälligkeit sind somit vereint. Zufällig zu sein, besagt hierbei nicht nur, logisch nicht ableitbar zu sein. Zufällig zu sein, besagt in der empiriologischen Verwendung Kants auch, dem jeweiligen Stand der Nachforschung anheimgegeben zu sein, Erklärung zu sein, die sich in den Kontext des jeweiligen Sachzusammenhanges einordnet. Ihr Prinzip ist es, sich von der Erfahrung als methodisch angestellter Beobachtung12 leiten zu lassen und den Gegenstand hinsichtlich dessen, was die Sache bzw. der Sachzusammenhang ist, als wohlorganisiertes, zweckmäßig hervorgebrachtes Produkt der Natur zu beurteilen. Mit der Wahl dieser Formulierung soll unterstrichen werden, dass Kant im Prinzip der empirischen Erklärung ein regulatives und nicht ein konstitutives Prinzip sieht, ein regulatives Prinzip der Vernunft für die Urteilskraft und nicht für den Verstand13, womit nach der Kantischen Prinzipienlehre die Urteilskraft auch als reflektierende und nicht als bestimmende zur Debatte steht14. Zweckmäßigkeit ist Gesetzlichkeit des Zufälligen.15 Dieses ist in seiner empirischen Bestimmtheit gesetzlich bestimmt, und seine gesetzliche Bestimmung ordnet es in einer wenn auch nicht konstitutiv-, so doch durchaus objektivnotwendig zu nennenden Weise einer Sache zu16, stellt es in den Sachzusammenhang ein und erklärt es so. Dies alles geschieht, wie schon betont, über der durch die Verstandesgrundsätze determinierten Naturvorstellung. Deshalb ist für Kant auch jede empirische Erklärung auf die Erklärung überhaupt der Natur zurückbezogen17, jene Erklärung, die der Vorstellung von der Natur überhaupt objektive Realität verleiht und die für Kant we___________ 11

AA IV, S. 459. Vgl. AA V, S. 376 und 386. 13 Vgl. a.a.O., S. 396 und 405. 14 A.a.O., S. 396 und 404. 15 A.a.O., S. 398 und 404. 16 Vgl. a.a.O., S. 388. 17 Vgl. a.a.O., S. 387 f. 12

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sentlich mechanistisch ist. Sie muss mit dieser zusammenstimmen; sie darf mit dieser nicht unvereinbar sein. Dies ist wohl die Veranlassung dafür, dass Kant lehrt, „ein Ding existiert als Naturzweck, wenn es von sich selbst ... Ursache und Wirkung ist“18. Es ist als das Naturprodukt, das es ist, eingebunden in den Naturprozess, so wie dieser nach allgemeinen und notwendigen Gesetzen abläuft, ein „organisirtes und sich selbst organisirendes Wesen“19. Alles in ihm muss „als organisirt betrachtet“ werden, und alles ist „auch in gewisser Beziehung auf das Ding selbst wiederum Organ“.20 Seine Erklärung stellt es als ein „Ganzes aus eigener Kausalität“21 hin. Das ist methodisch so. Das ist methodisch in dem „zwiefachen Sinne“ so, auf den Kant im § 64 der Kritik der Urteilskraft bei der Einführung des Begriffes des Naturzweckes hinweist22: einmal im Sinne der für den Naturbegriff grundlegenden „Naturgesetze der Materie“ und der diesen entsprechenden „mechanischen Erzeugungsart“23, einmal im Sinne der Beurteilung der mechanischen Erzeugung als gelenkt zur Erzeugung eines organisierten Ganzen24. Beides gehört notwendig zusammen. Erklärung ist letztlich immer Erklärung in bezug auf Naturgesetze der Materie; aber das heißt nicht notwendig, dass die Erklärung mittels Naturgesetzen der Materie die vollkommene Erklärung des Naturalen ausmacht. Sie kann in bestimmter Rücksicht unzureichend sein. Das ist im Punkte der Organisation eines Ganzen so. Dieses ist zureichend zu begreifen nur, wenn es als zweckmäßig beurteilt und dementsprechend nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit erklärt wird, und zwar in Übereinstimmung mit der Erklärung nach den allgemeinen und notwendigen Naturgesetzen der Materie. Es ist in Anbetracht dieser methodologischen Fixierung der empirischen Erklärung als Teleologie der Natur nur zu verständlich, dass Kant lehrt, dass die teleologische Beurteilungsart für die Naturwissenschaft eine eigene Klasse von Gegenständen definiert: „nach Naturgesetzen, die wir uns nur unter der Idee der Zwecke als Princip denken können, einzig und allein erklärbare und bloß auf diese Weise ihrer innern Form nach sogar auch nur innerlich erkennbare Gegenstände“25. Und es ist gleicherweise nur zu verständlich, dass Kant bei dieser Klasse von teleonomisch zu bestimmenden und bestimmten Gegenständen vor___________ 18

A.a.O., S. 370. A.a.O., S. 374. 20 A.a.O., S. 377. 21 A.a.O., S. 373. 22 Vgl. a.a.O., S. 370. 23 A.a.O., S. 408. 24 Vgl. a.a.O., S. 378: „Es ist also nur die Materie, sofern sie organisirt ist, welche den Begriff von ihr als einem Naturzwecke nothwendig bei sich führt [...]“. 25 A.a.O., S. 383. 19

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nehmlich an das denkt, was als Organismus ausgezeichnet wird, an die Gegenstände der Biologie also. Sie stellen für ihn den Prototyp des organisierten Wesens dar. Bei ihrer Bestimmung ist der kardinale Begriff der des Organs. In seiner Handhabung vor allem muss sich so die Methodologie des Zweckbegriffes bewähren. Die Kennzeichnung der Biologie als Wissenschaft des Lebendigen folgt aus dieser Methodologie. Sie geht dieser nicht voraus. Das ergibt sich schon aus der Begriffsbestimmung des Lebens, die Kant gibt. Leben in dem Verstande der Biologie ist für ihn „das Vermögen einer materiellen Substanz, sich zur Bewegung oder Ruhe als Veränderung ihres Zustandes zu bestimmen“26. Leben ist also für Kant eine Eigenschaft der Materie. Aber nicht der Materie als solcher. Die Materie als solche ist leblos. Wenn von Leben die Rede ist, so kann es nur darum gehen, dass eine Substanz oder Substanzen ein gegliedertes (organisiertes) Ganzes bilden, ein Ganzes, das nach der Menge seiner Einheiten durch eine nicht nur bewegende, sondern bildende Kraft, eine Kraft, die das Ganze den Materialien (= natürlichen Prozessen und Zuständen) mitteilt, bestimmt ist; denn nur so entsteht ein Organismus, ein nicht einfach aus Teilen, sondern eben aus Organen bestehendes und nur so existierendes, in der Dekomposition zugrundegehendes Ding27. Die Chancen, die die Kantische Empiriologie der Wissenschaftstheorie an die Hand gibt, dürften hiermit gerade einem von der Biologie her der Wissenschaftstheorie sich zuwendenden Forscher erkennbar sein. Kant hat der Wissenschaftstheorie der Biologie die Chance eröffnet, die dem Selbstverständnis der Biologie entsprechende Eigenständigkeit der Biologie – ihre Ausgliederung als wissenschaftliche Disziplin – zu sichern, und dies, ohne dass die Biologie hiermit in einen Gegensatz zu den physikalisch-chemischen Wissenschaften gebracht werden müsste. Mit ihrer Eigenständigkeit lässt sich auch ihre Verwandtschaft sichern. Die Biologie ist eine sehr bestimmt sich ausgliedernde Wissenschaft. Wissenschaftsgliederung ist überhaupt eine sehr bestimmte Angelegenheit. Wissenschaftsgliederung ist eben eine methodische Angelegenheit. Sie liegt in der Konsequenz der Methodenbestimmtheit der Erkenntnis. Kant hat das gesehen. Und er hat gesehen, dass die Methodenbestimmtheit der Erkenntnis eine höchst komplexe, nicht mit antagonistischen Vorstellungen zu ___________ 26

AA IV, S. 544. Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B 554 f. Die funktionale Potenz der Kantischen bildenden Kraft ist mit dieser Bestimmung übrigens nicht ausgeschöpft. Sie reicht weit über diese Bestimmung hinaus. Bei der entsprechenden Auslegung reicht sie sogar über das hinweg, was in der Gegenwart durch Plessners Lehre von der Positionalität des Lebendigen (vgl. besonders Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin/New York 1975) zur Sprache gebracht worden ist. Sie bezieht selbst die genetische Information ein. Vgl. hierzu neuerdings Bernward Grünewald, Teleonomie und reflektierende Urteilskraft, in: Alexander Riebel/Reinhard Hiltscher (Hg.), Wahrheit und Geltung. Festschrift für Werner Flach, Würzburg 1996, S. 63–84. 27

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bewältigende Aufgabe ist. Die Aufgabe ist, zu erkennen, was in einer Methodik alles an Methoden vereinbart und vereinbar ist, dass also in einer Methodik fortwährend Verschiedenes zusammenwächst, und dass das spezifizierende und isolierende Sachkonzept einer Wissenschaft nichts anderes ist als die Resultante dieses Zusammenwachsens verschiedener und möglicherweise sehr unterschiedlicher Methoden. Die Aufgabe ist ferner, zu erkennen, dass in diesem Zusammenwachsen eine Entwicklung sich vollzieht, innerhalb derer die Resultante jeweilige Resultante ist, so dass sie sich notwendig als Glied einer Reihe definiert. Die Wissenschaft macht als die Wissenschaft, die sie ist, eine Entwicklung durch.

Zu Kants geschichtsphilosophischem „Chiliasmus“ ! Die europäische Aufklärung wird von vielen als die Bewegung betrachtet, die das Geistesleben des Kontinents endgültig aus den mittelalterlichen, und das beinhaltet immer auch: den kirchlichen, Zwängen befreit habe. Gleichwohl macht sich eine gewisse Skepsis breit. Die Aufklärung wird als ein Projekt betrachtet, bezüglich dessen nicht nur das Scheitern einzugestehen ist, sondern das auch sozusagen zum Scheitern verurteilt war. Es war nach dieser Meinung zum Scheitern verurteilt, weil es ein gar zu optimistisches Menschenbild entworfen habe, weil es die Vorstellung genährt habe, die Befreiung aus den überkommenen Zwängen sei die Befreiung schlechthin. Es ließe sich das Zeitalter der Humanitas pur erwarten. Diese Skepsis nimmt auch den Aufklärer Kant nicht aus. Sie zieht vor allem dessen Geschichtsphilosophie auf den Prüfstand. Und das Ergebnis ist nicht gerade schmeichelhaft zu nennen. – Mit diesem Prüfergebnis bin ich beim Thema der Abhandlung. Es gibt speziell in Bezug auf die Kantische Geschichtsphilosophie einiges zurechtzurücken. Das weit verbreitete Urteil, Kants Geschichtsphilosophie, insbesondere seine Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, transportiere eine für die Aufklärung bezeichnende Utopie, ist ein Fehlurteil. Es trifft nicht zu, dass Kant entgegen der ansonsten auch von ihm anerkannten Offenheit des Geschichtsprozesses mit dieser Idee doch die Vorstellung von einem Geschichtsziel vertrete und dass er dieses ganz konkret in dem allgemeinen weltbürgerlichen Zustand sehe, der nach der Schlussbemerkung des Achten Satzes der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht „dereinst einmal zu Stande kommen werde“ 1. Und wenn die verbreitete Meinung die Position einnimmt, es sei auch ganz konsequent, wer eine Mutmaßung über den ersten Anfang der Geschichte „aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen“ 2 für zulässig erachte – Kant hat dieses Thema behandelt und darüber eine eigene Schrift verfasst –, muss ___________ ! Ergänzend zu dieser Abhandlung vgl. Werner Flach, „Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie“, in: Reinhard Hiltscher/André Georgi (Hg.), Perspektiven der Transzendentalphilosophie im Anschluß an die Philosophie Kants, Freiburg i.Br. 2002, S. 105–115, in diesem Band S. 169–179. 1 AA VIII, S. 28. 2 A.a.O., S. 109.

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auch die Mutmaßung über den Endzustand der Geschichte, „in welchem alle Keime, die die Natur in [die Menschengattung] legte, völlig können entwickelt und ihre Bestimmung hier auf Erden kann erfüllt werden“ 3, für zulässig erachten, so liegt sie nur noch deutlicher sichtbar neben der Sache. Denn die Lage ist doch die, dass beide Mutmaßungen, die von Kant in der Tat angestellt werden, angestellt werden in einem Kontext, der die sachliche Begründung für sich hat. Sie sind Teil der Bemühungen Kants um den Begriff der Geschichte. Sie gehören dem Kontext derselben an. Aus diesem Kontext heraus sind sie zu beurteilen. Und dann sind sie, wie gesagt, anders zu beurteilen als sie der gängigen Meinung nach einzuschätzen sind. Das direkt für die zweite und hiermit indirekt auch für die erste Mutmaßung zu zeigen, ist die Sache der folgenden Ausführungen. Die Geschichte ist für Kant die „Entwicklung der Freiheit aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen“ 4. Qua Entwicklung repräsentiert sie eine Tendenz, eine „höchste Absicht der Natur“, wie Kant sagt. 5 Diese besteht darin, den „weltbürgerlichen Zustand“ herzustellen. Dieser ist genau der Zustand, „worin alle ursprünglichen Anlagen der Menschengattung entwickelt werden“ 6. Kant spricht in Bezug auf diesen Zustand respektive seine Konzeption im Achten Satz der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht ausdrücklich von dem Chiliasmus, den die Philosophie haben könne. Das heißt: Kant räumt in Bezug auf jene Idee den Chiliasmus ein. Aber ebenso unmissverständlich besteht er darauf, dass dieser Chiliasmus, zu dessen Herbeiführung die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht beförderlich ist, „nichts weniger als schwärmerisch ist“ 7. Dieser Chiliasmus ist alles andere als utopisch. Auch mit dem Transport utopischer Ansichten hat er nichts zu tun. Hingegen hat er viel zu tun mit der Erfahrung. Denn die Erfahrung, und die Erfahrung allein, so die Ansicht Kants, kann dafür einstehen, dass jenes Entwicklungskonzept gerechtfertigt ist. „Es kommt darauf an, ob die Erfahrung etwas von einem solchen Gang der Naturabsicht entdecke“, heißt es bei Kant 8. Das Urteil über Kants Position muss somit derart ausfallen, dass Kant in seiner Geschichtsphilosophie von jeglicher Utopie weit entfernt ist. Er verfolgt eine empiriologische Intention. Die zitierte Inanspruchnahme der Erfahrung lässt ___________ 3

A.a.O., S. 30. A.a.O., S. 109. 5 A.a.O., S. 28. 6 Ebd. 7 A.a.O., S. 27; AA VII, S. 81. 8 AA VIII, S. 27. 4

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keine andere Einschätzung zu. Kant argumentiert empiriologisch. Die primäre Weichenstellung ist die der Empiriologie. 9 Gemäß dieser Weichenstellung befasst sich die Geschichtsphilosophie mit dem Thema, einen Zug zu vollziehen, der „auf den Flügeln der Einbildungskraft“ einem „durch Vernunft an Erfahrung geknüpften Leitfaden folgt“ 10, was in nüchternen Worten besagt, die Geschichtsphilosophie ist die auf Erfahrungsregulation zielende Etablierung des Begriffes der Geschichte und der historischen Begriffsbildung. Geschichte ist ein empiriologischer Begriff. Die Begriffe der Historie sind empirische Begriffe. Der empiriologische Begriff ist hierbei der fundierende Begriff. Die Begriffe der Historie sind die fundierten Begriffe. Sie haben den Begriff der Geschichte zum Leitfaden. Der Leitfaden ist Leitfaden für die methodische Entwicklung empirischer Begriffe. Diese empirischen Begriffe fassen das, welches „die Geschichte angibt“11, das heißt was in der Geschichtsschreibung an Material rekrutiert wird respektive zu rekrutieren ist, gemäß der Vorgabe des Begriffes der Geschichte. Vorgabe und Leitfaden werden von Kant genau angegeben. Die Vorgabe besteht in der Konzeption eines regelmäßigen Ganges, der im „Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Großen“ entdeckt werden könne, so dass „was an einzelnen Subjekten verwickelt und regellos in die Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortgehende, obgleich langsame Entwicklung der ursprünglichen Anlagen derselben werde erkannt werden können“ 12. Der Leitfaden, auf Grund dessen diese Vorgabe zustande kommt, ist der des Systems, genauer: der eines in der Urteilskraft gründenden und insofern nicht bloß logisch-formalen, sondern sachhaltigen, auf Empirie sich beziehenden, der Empirie zugrunde zu legenden Systems. Er ist rein methodischer Natur. Darum bezeichnet Kant ihn als einen solchen der Darstellung, der Darstellung des planlosen Aggregates menschlicher Handlungen im Großen 13. In dieser Darstellung wird das narrativ zu fassende und gefasste Geschehen in und bei all seiner Zufälligkeit als Kultivierung, Zivilisierung und Moralisierung und hiermit eben als Entwicklung der Freiheit des Menschen im Spiel derselben gedacht, ein nach Kant angesichts der Empirizität der Historie gewissermaßen apriorisches Unterfangen 14. Kant will mit dieser Leitfadenvorstellung denn auch nichts gegen die Empirizität der Historie vorbringen. Er will nur vorbringen, dass die Historie von der Geschichte nur reden kann, wenn sie einem methodischen Konzept folgt, das ___________ 9 Unter der Empiriologie verstehe ich die Wissenschaftstheorie der empirischen Wissenschaften. 10 AA VIII, S. 109 f. 11 A.a.O., S. 110. 12 A.a.O., S. 17. 13 A.a.O., S. 29. 14 A.a.O., S. 30.

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ihr „gewissermaßen einen Leitfaden a priori“ verschafft, das ihr den Begriff der Geschichte vorgibt und sie hiermit auf empirische Forschung verpflichtet. Der Chiliasmus der Philosophie der Geschichte ordnet sich dieser Sachlage ein. Die Feststellung ist somit schon einmal zu treffen: Die Lehre vom weltbürgerlichen Zustand, der „dereinst einmal zu Stande kommen werde“ 15, ist eine methodisch notwendige Lehre. Sie widerstreitet nicht der Erfahrung der Offenheit des Geschichtsprozesses. Sie definiert kein historisch fassbares Ziel. Sie ist Bestandteil des der Historie zu Grunde liegenden Gesichtspunktes der Einheit der geschichtlichen Entwicklung. Die geschichtliche Entwicklung muss als die Einheit der Entwicklung eines Ganzen genommen werden. Dieses Ganze hat qua Ganzes in der Entwicklung einen Anfang und ein Ende. Über dieses wie über jenen kann es keine empirische Aussage geben. Aber über dieses wie jenen ist die ganzheitsbezogene Mutmaßung unausweichlich. Sowohl die Mutmaßung über den Anfang der Menschengeschichte wie die Mutmaßung über den Endzustand der Menschengeschichte ist dementsprechend methodisch gerechtfertigt und methodisch überhaupt nicht zu vermeiden. Mit seiner Lehre vom weltbürgerlichen Zustand sucht Kant dieser methodischen Lage zu genügen. Diese Lehre ist ein Stück Methodologie der Geschichtswissenschaft. Als solches Stück Methodologie der Geschichtswissenschaft betrachtet, ist sie fern aller Utopie. Kant hat völlig recht, wenn er den Utopieverdacht abwehrt. Der Chiliasmus, den er der Philosophie zugesteht, ist keine Utopie. Das wird an der inhaltlichen Bestimmung des weltbürgerlichen Zustandes ebenso deutlich wie an der methodischen Stellung, die dieser Vorstellung zukommt. Diese inhaltliche Bestimmung sieht nämlich in keiner Weise so aus, dass sie die seherische Behauptung des Endes der Entwicklung des Menschen (der Menschen, der Menschheit) verkündet. Das liegt daran, dass Kant auch in seinen Überlegungen zur Steuerung der Entwicklung strikt empiriologisch argumentiert. Für Teleologie, die nicht Teleonomie wäre, ist da kein Platz. Die ganze Erörterung, so heißt das, ist teleonomische Weltbetrachtung. In dieser wird über den Bestimmungsgrund des als Wirkung dieses Bestimmungsgrundes zu seinem Dasein gekommenen Zufälligen in der Welt nachgedacht. Zu diesem Zufälligen gehört nicht zuletzt das spezifisch menschliche Geschehen und somit auch die Entwicklung, die sich in diesem vollzieht. Denn eben dieses Geschehen repräsentiert ja nichts anderes als „Dinge in der Welt“ 16. Im Nachdenken über dasselbe wird die spezifische Gesetzmäßigkeit des Zufälligen eruiert. Für Kant ist das die Bildung von Zweckbegriffen. Die Natur, darunter auch das menschliche Geschehen, ist unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu be___________ 15 16

A.a.O., S. 28. AA V, S. 416 f.

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urteilen. Geschieht dies, so ist es unausweichlich, in Bezug auf die Gesamtheit der Natur von einem Zweck der Natur zu reden. Von diesem Argumentationspunkt geht Kants Chiliasmusüberlegung aus. Kant argumentiert nämlich so: Liegt ein Zweck vor, so ist auch ein Mittel zu diesem Zweck in Ansatz zu bringen. Die Weltbetrachtung muss mit der ZweckMittel-Relation arbeiten. Und sie stellt immer wieder fest, dass die Betrachtung einer Erscheinung zweiseitig ist. Die Erscheinung ist einerseits als Zweck, sie ist andererseits als Mittel zu einem Zweck einzuschätzen. Auf das Ganze gesehen verbindet sich mit dieser Zweck-Mittel-Relation auch die Vorstellung von einem letzten Zweck. Es ist legitim, von einem letzten Zweck der Natur17 zu reden. Und diese Vorstellung ist auch mit konkretem Inhalt zu füllen. Sie trifft nämlich auf den Menschen zu, insofern dieser sich in seinem Handeln als der „betitelte Herr der Natur“ 18 erweist. Das heißt: Der Mensch versteht sich auf Zwecktätigkeit. In und bei aller Zweckmäßigkeit, in die er eingebunden ist, setzt er sich selbst Zwecke und agiert in diesem Sinne frei spielend. Das freie Spiel darf freilich nicht den Zwecken der Natur widerstreiten. Es darf auch nicht dem letzten Zweck der Natur widerstreiten. Es ist vielmehr so und muss so sein, dass die Natur in ihrer Zweckmäßigkeit es ist, die den Menschen in den Stand versetzt, dem freien Spiel der Zwecksetzung nachzugehen, „sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen und (unabhängig von der Natur in seiner Zweckbestimmung) die Natur den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt angemessen, als Mittel, zu gebrauchen“ 19. Der Natur ist insofern die Absicht auf einen Endzweck ihrer zu unterstellen. Und da dieser Endzweck eine gewisse Unabhängigkeit ihr gegenüber einschließt, kann es als letzter oder als höchster Zweck der Natur angesehen werden, sozusagen in ihrem Ziel an ihre Grenze zu gelangen, das Andere ihrer zu bewirken, konkret: die Tauglichkeit des Menschen zu einem durch Freiheit (freien, zwecksetzenden Willen) zu charakterisierenden Wesen, kurz: zu einem Vernunftwesen, zu bewirken, Kultur möglich zu machen. Der Mensch nutzt diese Möglichkeit. Er bringt in seiner Freiheit die Kultur hervor. Er ist darin vernünftig. Er ist darin in dem ganz bestimmten Sinne vernünftig, dass er sich von den Fesseln der Begierden in der Weise befreit, dass er diese Bestimmung der Tierheit in seinem Wollen „anzuziehen oder nachzulassen, zu verlängern oder zu verkürzen“ vermag, so wie es die Zwecke der Vernunft befördern 20. Es ist also unzweifelhaft so, dass nach Kants Argumentation in der Menschengeschichte nur eine Absicht der Natur zu entdecken ist. Und es ist ebenso ___________ 17

A.a.O., S. 425 ff. A.a.O., S. 431. 19 Ebd. 20 AA V, S. 432. 18

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unzweifelhaft so, dass diese Naturabsicht als Veränderung in dem Verstande der Entwicklung der Naturanlagen des Menschen zu definieren ist. Der Mensch hat hierin die Fährnisse des Lebens zu bewältigen. Er hat seine Not zu überwinden. Selbst die Not, in die er sich selbst bringt, hat er zu beheben. Sie ist erzeugt durch seine ungesellige Geselligkeit. Der Antagonismus der „brutalen Freiheit“ 21 ist seine schlimmste Not. Angesichts dessen kommt Kant nun zu der Überzeugung: „Die formale Bedingung, unter welcher die Natur [...] ihre Endabsicht allein erreichen kann, ist diejenige Verfassung im Verhältnisse der Menschen untereinander, wo dem Abbruche der einander wechselseitig widerstreitenden Freiheit gesetzmäßige Gewalt in einem Ganzen, welches bürgerliche Gesellschaft heißt, entgegengesetzt wird“ 22. Nur in ihr „kann die größte Entwicklung der Naturanlagen [des Menschen] geschehen“. 23 Nur über sie kann ein „weltbürgerliches Ganzes“ 24, kann ein „weltbürgerlicher Zustand“ 25 sich einstellen. Es ist eine formale Bedingung, und es ist eine formale Bedingung der Natur, die Bedingung einer ganzheitlichen Ordnung. Sie zwingt den Menschen in eine Rolle, die Kant „sehr künstlich“ nennt 26 und die dieser (= der Mensch) nur zu reflektieren vermag als die Rolle, eine Aufgabe auf sich nehmen zu müssen, deren vollkommene Auflösung unmöglich ist. Der Sachverhalt ist dementsprechend nur als Idee präsent und das Obligo wird als reines Annäherungsobligo begriffen. Wie weit die Entwicklung der Naturanlagen des Menschen wirklich vorankommt, ist eine offene Frage. Es ist völlig unkantisch, den weltbürgerlichen Zustand als einen vorherzusagenden zu betrachten. Er ist allein der definierte Vernünftigkeitszustand. Diesen Zustand muss man einem durch Vernünftigkeit bestimmten Wesen auch zurechnen können. Nichts liegt Kant ferner als die Geschichtsbetrachtung in der Wahrsagerattitüde. Wohl aber ist Kant der Meinung, die künstliche Rolle, in die der Mensch durch die Natur gezwungen ist, ist eine sehr bestimmte Rolle. Es ist die Rolle, sich kultivieren, zivilisieren und moralisieren zu müssen. Sich kultivierend, zivilisierend und moralisch bildend schafft es der Mensch, „aus der Rohigkeit eines bloß thierischen Geschöpfes in die Menschheit, aus dem Gängelwagen des Instincts zur Leitung der Vernunft, mit einem Worte, aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit“ überzugehen. 27 Er sieht sich mit anderen ___________ 21

AA VIII, S. 24. AA V, S. 432. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 AA VIII, S. 28. 26 A.a.O., S. 23 Anm. 27 A.a.O., S. 115. 22

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Worten dazu verbunden, sein Verhalten als Handeln zu begreifen, und das heißt als etwas zu begreifen, das er nach der berühmten Sentenz aus der Vorrede der Anthropologie selbst macht, machen kann und machen soll. Diese Verbundenheit registriert er als den „Bewegungsgrund, [den] besonderen Gesichtspunkt der Weltbetrachtung zu wählen“ 28, der in der Idee der Weltgeschichte vorliegt, jener Idee, nach der der Mensch (die Menschen, die Menschheit) auf einen Zustand zusteuern, in dem er bzw. sie in „vollendeter vernünftiger Absicht“ 29 handeln, und dies deshalb, weil „alle ursprünglichen Anlagen der Menschengattung entwickelt (sein) werden“ 30. Berechtigt ist dieser Gesichtspunkt, wie schon bemerkt, allerdings nur, wenn in der „Erfahrung etwas von einem solchen Gang der Naturabsicht“ zu entdecken ist 31. Kant ist der Meinung, dass die Erfahrung etwas dergleichen hergibt. Weniges schon reicht aus. Denn, so die Meinung Kants, „aus dem kleinen Theil, den die Menschheit in dieser Absicht zurückgelegt hat“, lässt sich „die Gestalt ihrer Bahn und das Verhältniß der Theile zum Ganzen bestimmen“32. Sie lassen sich so sicher bestimmen, wie der Lauf der Gestirne. Und das bedeutet, dass „mit Sicherheit erwartet werden kann“, im Gang der Geschichte werde dereinst der Zustand erreicht, in dem der verborgene Plan der Natur sich vollbringt, der Zustand, den Kant den weltbürgerlichen Zustand nennt und der der ganz und gar künstliche Zustand der „innerlich- und zu diesem Zwecke auch äußerlich-vollkommene[n] Staatsverfassung“ ist 33. 34 Weil er mit Sicherheit erwartet werden kann, sind die Menschen ihrer Natur nach in Ansehung desselben nicht gleichgültig. Sie sind zu jeder Zeit überzeugt, durch „eigene vernünftige Veranstaltung diesen für [ihre] Nachkommen so erfreulichen Zeitpunkt schneller herbeizuführen“ 35. Jede noch so schwache ___________ 28

A.a.O., S. 30. Ebd. 30 A.a.O., S. 28. 31 A.a.O., S. 27. 32 Ebd. 33 Ebd.; im Original gesperrt. 34 Wenn Thomas Kater (Politik, Recht, Geschichte. Zur Einheit der politischen Philosophie Kants, Würzburg 1999, S. 133 f.) mit Bezug auf die Einheit der politischen Philosophie Kants meint, gezeigt zu haben, dass die „Rechtslehre [...] als Folie, auf der die Geschichte eingezeichnet werden kann“, zu betrachten sei, so trifft er insofern gewiss einen Aspekt der Kantischen Geschichtsauffassung. Aber eben nur einen Aspekt. Und keineswegs den methodisch schlechthin fundierenden. Katers Feststellung trifft nur insoweit zu, als die Entwicklung der Freiheit des Menschen auch, und durchaus zentral, eine Rechtsangelegenheit ist. Sie ist aber nicht nur eine Rechtsangelegenheit. Es wird eher die Rechtsverfasstheit jener Entwicklung, die die Geschichte ist, eingezeichnet als die Geschichte der Rechtsverfasstheit. 35 AA VIII, S. 27. 29

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Spur der Annäherung an jenen Zustand ist ihnen wichtig. Dadurch befördern sie wenn nicht den Fortschritt, so doch die Erhaltung jenes Zweckes der Natur. Es bildet sich die bürgerliche Freiheit heraus und mit dieser „mit unterlaufendem Wahne und Grillen“ das große Ganze der Aufklärung. Dessen Verbreitung führt endlich zum weltbürgerlichen Zustand, der ein Zustand der Geltung des Weltbürgerrechtes ist. 36 Durch die Geltung dieses Rechtes ist „die vollkommene bürgerliche Vereinigung in der Menschengattung“ 37 sichergestellt. Grundsätzlich bedeutet dies, dass die Menschen sich als Glieder einer Gemeinschaft begegnen, in der jedes einzelne Glied gleichberechtigt ist. Kant gibt auch der Bestimmung dieses Weltbürgerrechtes die völlig unutopische empiriologische Note. Sie hat in dieser sogar ihre Distinktheit. Kants Argumentation sieht sehr verkürzt so aus: Rechtsallgemeinheit ist nur zu erreichen, wenn sich selbst und den Anderen die Würde gewahrt wird. Das schließt den Respekt vor der jeweiligen Andersheit ein. Und das ist von Kant ganz konkret gemeint. Man findet das konkret Gemeinte auch direkt ausgesagt. Der Sachverhalt, um den es geht, ist nämlich genau das, wovon der Dritte Definitivartikel zum Ewigen Frieden handelt. Das Weltbürgerrecht soll „auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein“38. Worauf es beim Weltbürgerrecht ankommt, so heißt das, ist allein dies, den Einzelnen so sehr dem allgemeinen Wohle verbunden zu machen, dass jeder Mensch in seiner Einzelheit angenommen wird. Jedem Menschen steht es zu, „sich zur Gesellschaft anzubieten“, so formuliert Kant. Und der einzige Rechtsgrund hierfür ist „der gemeinschaftliche Besitz der Oberfläche der Erde [durch die Menschen], auf der als Kugelfläche sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch nebeneinander dulden müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat, als der Andere“ 39. Welch’ aufgeklärter Standpunkt! Und wie notwendig ist es, diesen mehr und mehr und endlich ohne Ausnahme zu verbreiten. Das Projekt der Aufklärung ist keineswegs abgeschlossen. Es ist und bleibt die fortdauernde menschheitliche Aufgabe. Nach der gegebenen Darstellung der Kantischen Argumentation ist das völlig klar. Und das zeigt: Auch im Punkte der Grundlegung der Kulturund Geschichtswissenschaften bietet die Kantische Philosophie die tragfähige Argumentation.

___________ 36

A.a.O., S. 27 f. A.a.O., S. 29; im Original gesperrt. 38 A.a.O., S. 357. 39 A.a.O., S. 358. 37

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Abstract Kant’s concept of chiliasm is part of his research about history. More specifically, it is an aspect of the empiriological strategy which Kant pursues through this research. The aim of this strategy is to combine in methodological necessity experience and reason by way of cultivation, civilisation and moralisation, in order to obtain the general and fundamental dignity of human beings instituted as the „Weltbürgerrecht“, the only complete state of enlightment and as that by apriority the telos of history.

Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie Kants Empiriologie wird gemeinhin als sehr eingeschränkt beurteilt. Gemäß der vorherrschenden Meinung ist in seinem Denken voll ausgebildet nämlich nur die folgende Fundierungsthematik: a) theoretische Kritik – Metaphysik der Natur – exakte Wissenschaften; b) praktische Kritik – Metaphysik der Sitten – Rechts- und Tugendlehre. Die Kritik der Urteilskraft begründe zwar in der Naturteleologie auch noch eine Fundierung mit empiriologischer Zielsetzung; doch entziehe sich das hierbei strapazierte Fundierungskonzept der im Bereich des Theoretischen und im Bereich des Praktischen von Kant in Ansatz gebrachten Fundierungsabfolge von philosophischer Grundlehre (Kritik) – an diese anschließender philosophischer Prinzipienlehre (Transzendentalphilosophie als System und als Metaphysik) – positiver Sachlehre (empirischer Wissenschaft). Schließlich lasse sich nicht wegdiskutieren, dass für Kant die Teleologie ebenso kritische Lehre ist wie die Ästhetik. Das stimmt. Doch darf hierbei nicht übersehen werden, dass auch die Teleologie mit der Fundierungsthematik befasst ist. Sie ist mit der eigenen, auf die Urteilskraft bezogenen Fundierungsthematik befasst. Der pünktliche Nachvollzug dieses dritten fundierungsthematischen Lehrstückes der Kantischen Philosophie lohnt sich. Denn es stellt sich hierbei heraus, auch dieses Lehrstück umfasst Stücke der Kantischen Empiriologie. Die Lehre von den regulativen Prinzipien für die Urteilskraft beinhaltet empiriologische Überlegungen. Für die Naturteleologie habe ich dies in meiner Abhandlung Kants Empiriologie. Naturteleologie als Wissenschaftstheorie1 aufgezeigt. Die Meinung von der Eingeschränktheit der Kantischen Empiriologie ist hiermit nicht vom Tisch. In dieser Meinung macht sich nämlich nicht nur und auch nicht in erster Linie die ignorante und deshalb kaum diskutable Ansicht bemerkbar, der ganze, weite Bereich der Geschichtswissenschaften werde von der Kantischen Empiriologie überhaupt nicht erfasst, in dieser Meinung macht sich ebenso die ernst zu nehmende Ansicht bemerkbar, Kants Grundlegung der Geschichtswissenschaften sei als solche unhaltbar, weil sie nicht nur empiriologische, sondern ebensosehr alles andere als empiriologische, nämlich ontologische Argumente nutze. Kürzlich erst wieder hat Rudolf Lüthe diese Ansicht ___________ 1

Peter A. Schmid/Simone Zurbuchen (Hg.), Grenzen der kritischen Vernunft. Helmut Holzhey zum 60. Geburtstag, Basel 1997, S. 273–289, insbesondere 285 ff.

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durch seine Abhandlung Die Unterstellung von Vernunft in der Geschichte. Vorläufiger kritischer Versuch über einen Aspekt von Kants Geschichtsphilosophie2 gestützt. Lüthe legt dar: Zwar lasse sich in Bezug auf die Kantische Lehre von der Geschichte und der Historie die These vertreten, sie ziele auf eine empiriologische Grundlegung ab. Schließlich werde durch diese Lehre eine „Leitidee a priori“ der historischen Forschung etabliert. Diese Idee ist die Idee des Fortschritts. Und es werde auch begründet, dass und weshalb der Fortschrittsidee diese Rolle zuzudenken ist. Sie ist ihr zuzudenken, weil es den „verborgenen Plan der Natur“ gibt, im Gang der Geschichte die auf „den Gebrauch der Vernunft“ abzielenden „ursprünglichen Anlagen der menschlichen Gattung“ zu entwickeln.3 Doch gerade diese Begründung berge in sich die Schwierigkeit. Sie habe, versucht Lüthe darzulegen, mit der Schwierigkeit zu kämpfen, zwei Lesarten in sich zu vereinigen. Die eine ist die fundierungstheoretisch-transzendentale; die andere ist die ontologische. Und die liege darin, dass die Geschichtskonzeption den Fortschritt als Naturabsicht fasse. Hiermit sei, so Lüthes Erkenntnis, die ontologische Lesart so sehr Bestandteil der Kantischen Lehre wie die fundierungstheoretisch-transzendentale. Nur die fundierungstheoretisch-transzendentale aber sei einwandfrei. Die ontologische sei es nicht. Sie sei nämlich nicht geschichtsmetaphysikfrei durchzuhalten. Sie lebe von „der inhaltlichen Korrelation von Sinn, Vernunft und Fortschritt in der Geschichte“. Und diese Korrelation involviere ontologische Voraussetzungen. Da auf Grund jener Korrelation „ihrerseits allererst die wissenschaftspraktische Umsetzung der transzendentalphilosophischen Grundlegung historischer Forschung möglich“ sei, ruhe die ganze Lehre so auf unsicherem Boden.4 Wenn also bei Kant von einer Empiriologie der Geschichtswissenschaften die Rede sein kann, dann nur in der Erkenntnis, dass sie nicht wirklich trägt. Die Frage ist, muss man der gängigen Meinung und speziell der Lüthes folgen oder gibt Kants Teleologie nicht doch das Begründungsstück her, das Lüthe vermisst. Diese für die Einschätzung der Weite und der Tragfähigkeit der Kantischen Empiriologie bedeutsame Frage zu beantworten, das heißt das volle Begründungsspektrum der Kantischen Lehre von der Geschichte und der Historie aufzuzeigen und hiermit Kants Empiriologie in einem wichtigen Punkte durchsichtig zu machen, ist der Inhalt der nachfolgenden Ausführungen. Nach den das Thema aufbauenden Aussagen stehen zwei Texte im Vordergrund der Beachtung. Der eine ist der das Empiriologiekonzept Kants formulierende. Es ist der Text der Kritik der teleologischen Urteilskraft. Speziell, und ___________ 2

A.a.O., S. 243–256. Lüthe verweist auf Übereinstimmungen mit Äußerungen von Klaus Weyand, Kants Geschichtsphilosophie. Ihre Entwicklung und ihr Verhältnis zur Aufklärung, Köln 1964, S. 38. 3 A.a.O., S. 248. 4 A.a.O., S. 253 ff.

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das stellt die Verflechtung beider Texte her, sind die Textstellen zu beachten, in denen die Bestimmungen dargeboten werden, durch die der Zweckbegriff mit den selbst wieder aufeinander bezogenen Begriffen des Lebens und der Freiheit in Beziehung gebracht ist. Oder mit anderen Worten: es ist die Endzwecklehre der Kritik der Urteilskraft zu beachten. Der andere Text ist der, in welchem Kant seine Kultur- und Geschichtsphilosophie formuliert. Das ist der Text der Abhandlung Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht.5 Wenn von Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie gehandelt werden soll, ist davon auszugehen, dass das Thema Weltbetrachtung ist. Dieser Themenbegriff ist für Kant der Begriff der philosophischen und/oder empirischen Erörterung von Natur und Mensch nach Prinzipien der reflektierenden Urteilskraft und somit Erörterung in teleologischen Begriffen.6 Die „Erscheinungen in der Welt“,7 der Mensch eingeschlossen, werden, als zufällige, wie sie in der von der Erfahrungskonstitution peinlich zu unterscheidenden Erfahrungsregulation zu fassen sind, zu erklären und/oder zu verstehen gesucht. Das kann nur bedeuten, dass sie in einen sachlichen Zusammenhang einzuordnen sind und dass diese Einordnung immer auch Auskunft über den Bestimmungsgrund dieses als Wirkung eines Bestimmungsgrundes zu seinem Dasein gekommenen Zufälligen gibt. In der Kantischen Terminologie heißt dies, sie sind mit einem Zweck in Verbindung zu bringen. In der Zweckmäßigkeitsbeurteilung erfolgt die Einschränkung der Erklärung auf eine besondere Form der Gesetzmäßigkeit.8 Zeigt sich, dass die fragliche Erscheinung nicht oder nicht auch Mittel zu einem Zweck ist, so verbindet sich mit dieser die Vorstellung von einem letzten Zweck der Natur.9 Sie trifft auf den Menschen zu. Dieser ist der „betitelte Herr der Natur“.10 Auf den Menschen trifft aber auch noch das andere zu, dass er ___________ 5

AA VIII, S. 15–32. Weitere Texte hängen mit diesem thematisch zusammen, werden aber in dieser Abhandlung nicht ausdrücklich herangezogen. Sie haben nämlich mehr stützenden als die Argumentation tragenden Charakter. Ich will die fraglichen Texte aber doch nennen. Es sind die des Aufklärungsaufsatzes (AA VIII, S. 233–242), des Aufsatzes Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (AA VIII, S. 273–314), der Abhandlung Zum ewigen Frieden (AA VII, S. 341–386), des Aufsatzes Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (AA VII, S. 107–124). Berücksichtigt werden muss auch die Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (AA VII, S.117–334) und die auf deren Aussagen hinweisenden bzw. hinführenden Texte aus der Einleitung der Metaphysik der Sitten (AA VI, S. 214–218) sowie der Text des Zweiten Abschnittes aus Der Streit der Fakultäten (AA VII, S. 77–94), schließlich der Text des Ersten Stückes und der Ersten Abteilung des Dritten Stückes aus der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (AA VII, S. 17–54 und 95– 114). 6 Kritik der Urteilskraft, § 79 = AA VI, S. 416 f. 7 Kritik der reinen Vernunft, B 494. 8 AA V, S. 422. 9 AA V, S. 425 ff. 10 AA V, S. 431.

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sich auf die unbedingte Zweckbeziehung versteht. Das heißt, er setzt Zwecke, die er aus sich selbst heraus, unabhängig von der Natur, in diesem Verstande unbedingt, setzt. Freilich darf diese Zweckbeziehung nicht der widerstreiten, die die des letzten Zweckes der Natur ist. Darum ist der cruciale Punkt der den Menschen in den Blick nehmenden Weltbetrachtung der, dass der Mensch durch seine Naturbestimmtheit darauf vorbereitet, dazu tauglich ist, „sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen und (unabhängig von der Natur in seiner Zweckbestimmung) die Natur den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt angemessen, als Mittel, zu gebrauchen“ oder „was die Natur, in Absicht auf den Endzweck, der außer ihr liegt, ausrichten, und welches also als ihr letzter Zweck angesehen werden kann“.11 In Kants Terminologie ist das der Punkt der Kultur.12 Mit ihm ist der Mensch als das Naturwesen, das er ist, vernünftiges Wesen.13 Seine Vernünftigkeit besteht relativ zur Natur darin, dass er sich, genauerhin, seinen Willen, von den Fesseln der Begierden, „wodurch wir an gewisse Naturdinge geheftet“ sind, befreit und so in dem ganz bestimmten Verstande zu einem freien Willen macht, dass wir in der Lage sind, „die Bestimmung der Thierheit ... anzuziehen oder nachzulassen, zu verlängern oder zu verkürzen“14, in Übereinstimmung mit den Zwecken der Vernunft. In der Behandlung dieses crucialen Punktes entwickelt sich die Kantische Kultur- und Geschichtsphilosophie. Thema sind die Kultivierung, die Zivilisierung, die Moralisierung des Menschen und die daran hängende Ausgestaltung des Fortschrittsgedankens.15 Der Angelpunkt dieser Thematik ist die zweckmäßige Entwicklung der Naturanlagen des Menschen. Soweit dieser als solcher in Frage steht, ist die Kantische Lehre von der Weltbetrachtung des Menschen Kulturphilosophie (im Kantischen Verstande). Erst wenn die Thematik dieses Angelpunktes geklärt ist, kommt die geschichtsphilosophische Fragestellung in den Blick. Die Geschichtsphilosophie baut auf der Kulturphilosophie auf. Sie baut derart auf der Kulturphilosophie auf, dass sie die kulturphilosophische Argumentation zum Hebel für die Geschichtskonzeption macht. Die Argumentation der Kantischen Kulturphilosophie ist in mehreren Kantischen Schriften ausgearbeitet. Wir finden sie in den Schlussparagraphen der Anthropologie, im § 83 der Kritik der Urteilskraft und eben auch in den geschichtsphilosophischen Texten. Es geht in allen diesen Texten übereinstimmend um die zweckmäßige Entwicklung der Naturanlagen des Menschen. Die___________ 11

Ebd. Ebd. 13 AA V, S. 454 u.ö. 14 AA V, S. 432. 15 Deren Verhältnis ist eine eigene Sache. Sie wird von Kant nicht immer ganz gleich gedacht. Das spielt hier aber keine Rolle. Für die meisten Interpreten steht es aber im Vordergrund. 12

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se gehört zu der Vorstellung von der Naturalität des Menschen. Diese ist nämlich als nicht nur mechanische, sondern auch als kontingent-empirische Bestimmtheit sehr wohl gesetzmäßige Bestimmtheit. Sie ist die gesetzmäßige Bestimmtheit, die auf der mechanischen Bestimmtheit aufruhend den Menschen als ein „organisirtes und sich selbst organisirendes Wesen“16 erklärt und die insofern verlangt, das zufällige menschliche Geschehen als ein organisiertes Ganzes zu betrachten. Die Entwicklung von Naturanlagen ist also für Kant offensichtlich die Organisation eines Ganzen in Bezug auf das zufällige menschliche Geschehen. Die Frage ist, wie ist das empirisch, das heißt von den Fakten her, zu verstehen. Kant hat diese Frage mit seiner bekannten und so sehr, auch von Lüthe, als metaphysikbelastet eingeschätzten Lehre von der Naturabsicht oder dem geheimen Plan der Natur beantwortet. Der Inhalt dieser Lehre ist, in Anlehnung vor allem an die geschichtsphilosophischen Texte formuliert: Es ist der unvermeidliche Antagonismus des natürlichen menschlichen Geschehens, der Kampf um das Dasein, der auch die Sphäre des Menschen beherrscht, könnte man sagen, der die fragliche Entwicklung erzwingt. Seinen Naturanlagen nach – in den Ausführungen zum Charakter der menschlichen Gattung am Schluss der Anthropologie sowie in den §§ 5–7 des Zweiten Abschnitts des Streites der Fakultäten geht Kant detailliert auf diese Naturanlagen ein – ist der Mensch durch den später mit dem berühmten Schlagwort belegten Charakter17 gekennzeichnet, die Gefährnisse des Lebens zu bewältigen. In dieser tierischen Lebensbewältigung versetzen die Menschen sich einander unvermeidlich in Not. Die Menschen sind ungesellig in der Geselligkeit. Doch so unvermeidlich die Not ist, so unvermeidlich ist der Ausgang der Not. Das eine wie das andere hat seine empirisch-gesetzliche Notwendigkeit. Die „brutale Freiheit“18 birgt die causa zu ihrer Überwindung in sich. Die Überwindung ist die Entwicklung. Es ist also völlig klar: Wenn Kant lehrt, die Natur verfolgt in Bezug auf die Naturanlagen des Menschen eine Absicht, sie hat einen Plan bezüglich dieser Anlagen, sie braucht sie, so strapaziert er die ganz natürliche Tatsache der „Unvertragsamkeit der Menschen“,19 deren Antagonismus. In diesem findet er das Movens, dass der Mensch sich kultiviert. Wichtig ist hierbei, dass er nicht ___________ 16

AA V, S. 374. Der Charakter ist für Kant kausalgesetzliche Ursachenbestimmtheit und hiermit das, woraus sich Bestimmung „schon vorauserkennen läßt“ (AA VIII, S. 329), empirisch oder intelligibel. Wichtig daran ist, dass die Differenz zugleich eine Beziehung darstellt. Die empirische Bestimmtheit verweist darauf, dass es eine intelligible gibt; sie hat Zeichenfunktion. Die intelligible Bestimmtheit ist in Übereinstimmung mit der empirischen zu denken; ohne theoretisch zu fassen zu sein, kann sie von der empirischen her in Ansatz gebracht werden (vgl. Kritik der reinen Vernunft B 568 und 574 ff.). 18 AA VIII, S. 24. 19 Ebd. 17

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lehrt, der Antagonismus verschwindet in der Kultivierung. Der Antagonismus ist „unvermeidlich“.20 Er schwindet nicht. Der Mensch hört ja nicht auf, Tier (Naturwesen) zu sein. Seine Naturanlagen sind gerade zu entwickeln. Sie zu entwickeln, bedeutet: in und bei dem fraglichen Antagonismus den bürgerlichen Zustand zu erreichen und in den Stand der diesem eigentümlichen „Ruhe und Sicherheit“21 zu gelangen. Die Absicht, der Plan der Natur besteht somit genau darin, dass dem unvermeidlichen Antagonismus und der durch diesen bedingten Not „der unvermeidliche Ausgang der Noth“22 korrespondiert, und dass diese Korrespondenz ein empirisch-gesetzlicher Zusammenhang ist. Es ist also völlig verfehlt und deshalb nicht Kant-gerecht zu meinen, die Lehre von der Naturabsicht, vom Plan der Ausbildung der Naturanlagen beinhalte eine unbegründete und unbegründbare ontologische Unterstellung dergestalt, dass der Natur eine vernünftige Absicht zugeschrieben werde.23 Sie beinhaltet schlicht und einfach die handlungstheoretische Auswertung der Fakten des mit der Naturbestimmtheit des Menschen verbundenen Geschehens. Diese Auswertung ergibt zum ersten: Die Keime der Natur vollständig zu entwickeln, ist „abgedrungene Kunst“, wie es im Fünften und im Siebten Satz von der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht heißt. Der Mensch spielt eine künstliche Rolle.24 Und diese ist ihm von der Natur oktroyiert. Zum zweiten ergibt die fragliche Auswertung: Mit dem Oktroi der künstlichen Rolle des Menschen verbindet sich eine ganz bestimmte „Rechtfertigung der Natur“.25 Diese Rechtfertigung besteht darin, dass der Mensch gezwungen ist, sich zu disziplinieren. Die Natur vermittelt dem Menschen den Auftrag, „aus der Rohigkeit eines bloß tierischen Geschöpfes in die Menschheit, aus dem Gängelwagen des Instinktes zur Leitung der Vernunft, mit einem Wort: aus der Vor___________ 20

Ebd. Ebd. 22 Ebd. 23 Rudolf Lüthe, a.a.O., S. 254 f. Entgegen der Suggestion Lüthes gebraucht Kant den Ausdruck „vernünftige Naturabsicht“ im ganzen zur Diskussion stehenden Kontext nicht. Er ist überhaupt kein Kantischer Ausdruck. Kant spricht AA VIII, S. 22 und 28, lediglich von der „höchsten Absicht“ der Natur, AA VIII, S. 29 von der „Endabsicht“ der Natur. Die Idee, in der „Geschichte des menschlichen Geschlechtes ... eine vollendete vernünftige Absicht anzutreffen“ (AA VIII, S. 30) ist Teil der künstlichen Rolle, die der Mensch spielt. Sie ist eine methodische Angelegenheit. Ebenso unzulässig ist es, wie Michael Pauen, der ansonsten darauf insistiert, dass die Ausbildung der Naturanlagen des Menschen durch und durch eine Angelegenheit der Natur ist, davon zu reden, Kant unterstelle der Natur „einen regelrechten Willen“ zur Ausbildung der Naturanlagen des Menschen. Die Textstelle, auf die Pauen sich bezieht, gibt diese Rede nicht her. Vgl. Michael Pauen, Teleologie und Geschichte in der „Kritik der Urteilskraft“, in: Heiner F. Klemme/Bernd Ludwig/Michael Pauen/Werner Stark (Hg.), Aufklärung und Interpretation. Studien zur Kantischen Philosophie und ihrem Umkreis, Würzburg 1999, S. 210. 24 AA VIII, S. 24 Anm. 25 AA VIII, S. 30. 21

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mundschaft der Natur in den Stand der Freiheit überzugehen“,26 was soviel heißt wie, sein Verhalten als Handeln zu begreifen, das ist als etwas, das er selbst macht, machen kann und machen soll. Hiermit ist der Mensch rationabile. Zum dritten resultiert aus Kants handlungstheoretischer Auswertung der Fakten des mit der Naturbestimmtheit des Menschen verbundenen Geschehens der „Bewegungsgrund, einen besonderen Gesichtspunkt der Weltbetrachtung zu wählen“,27 nämlich den der Idee einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher, das ist in „vollendeter vernünftiger“, Absicht28. Mit diesem dritten, auf dem zweiten und dem ersten aufbauenden Ergebnis der handlungstheoretischen Auswertung der Fakten des mit der Naturbestimmtheit des Menschen verbundenen Geschehens ist Kant bei seinem geschichtsphilosophischen Argument angelangt. Er formuliert es im Neunten Satz von der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. In Bezug auf dieses Argument ist demnach bedeutsam, dass es ein Argument ist, das am Ende der kulturphilosophischen Argumentation steht und dass es ein Argument ist, das sich auf die Erfahrung bezieht und das die Erfahrung vor allem zu seiner Stütze heranzieht. Wenn man sich darauf einlässt, die Geschichte als ein Geschehen zu betrachten, bei dem ein verborgener Plan der Natur unterstellt werden darf, einen Zustand zu erreichen, in dem „alle ursprünglichen Anlagen der Menschengattung entwickelt werden“,29 kommt es zuallererst darauf an, ob bzw. dass „die Erfahrung etwas von einem solchen Gange der Naturabsicht entdecke“.30 Entdeckt die Erfahrung etwas dergleichen, so ist das ein fundiertes Unternehmen. Entdeckt sie nichts dergleichen, so entbehrt das Unternehmen jeder Chance der Fundierung. Die Aussage, dass etwas Weniges ausreiche, enthält das zweite Stück, woran die Etablierung der Idee einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht hängt. Mit dieser Aussage ist nämlich das Argument eingeführt, dass bei der Etablierung dieser Idee es sich darum handelt, aus der Bestimmung eines Bahnsegmentes die ganze Bahn zu bestimmen. Kant vergleicht das zu Leistende ausdrücklich mit der Leistung der astronomischen Bahnberechnung. Gleich der könne „man aus dem kleinen Theil, den die Menschheit in dieser Absicht [ihrer Entwicklung zum weltbürgerlichen Zustand; Vf.] zurückgelegt hat, ... die Gestalt ihrer Bahn und das Verhältniß der Theile zum Ganzen bestimmen“.31 ___________ 26

AA VIII, S. 115. AA VIII, S. 30. 28 Ebd. 29 AA VIII, S. 28. 30 AA VIII, S. 27. 31 Ebd. 27

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In diesem Argument kommen zwei Gedanken zum Tragen. Zum einen der Gedanke der Zweckmäßigkeit. Er sorgt für die erfahrungsmäßige Verankerung des Argumentes. Dann kommt der Gedanke der Kurvenbestimmtheit zum Tragen. Er sorgt für die Berechenbarkeit des Laufes der Geschichte. Kant spricht in diesem Zusammenhang gezielt von einem „Kreislauf“, auf dessen Wirklichkeit, des Wenigen, das man an Bestimmung seiner in Händen hat, ungeachtet, „zuverlässig genug“32 geschlossen werden könne. Die Entwicklung ist eine Entwicklung zur Aufklärung.33 Und da diese Entwicklung „mit Sicherheit erwartet werden kann“,34 ist auch die Überzeugung nicht von der Hand zu wiesen, „wir könnten durch unsere eigene vernünftige Veranstaltung diesen für unsere Nachkommen so erfreulichen Zeitpunkt schneller herbeiführen“.35 Es sind diese beiden Gedanken, die die Idee der Geschichte in weltbürgerlicher Absicht „doch wohl brauchbar“36 sein lassen, und zwar brauchbar in der Hinsicht, dass sie uns „zum Leitfaden“ dient, das „sonst planlose Aggregat menschlicher Handlungen wenigstens im Großen, als ein System darzustellen“.37 In dieser Spezifikation der Brauchbarkeit vollendet sich die Argumentation Kants. Wiederum haben wir es mit zwei Aussagen zu tun. Die eine Aussage betrifft den Leitfadencharakter der Idee der Geschichte in weltbürgerlicher Absicht oder, wie Kant verkürzend auch sagt, der „Idee einer Weltgeschichte“.38 Dieser Leitfaden ist ein Leitfaden, der der Geschichtsschreibung „gewissermaßen einen Leitfaden a priori“39 zur Verfügung stellt. Lüthe versteht diese Kantische Aussage dahingehend, dass die historische Forschung „ihrerseits einen Leitfaden a priori braucht, wenn sie nicht ... in einen blinden Positivismus versinken soll“.40 Und er glaubt folgern zu müssen, dass für Kant „der Leitfaden a priori eine Art Auswahlkriterium für die historisch bedeutsamen Fakten darstellt“.41 Das wiederum bedeutet für ihn, Kant meine, die Historie müsse durch Sinnhaftigkeit ausgezeichnet sein und dies ___________ 32 Ebd. Zu dem Wenigen, das zu fassen ist, lässt sich Kant inhaltlich im Streit der Fakultäten ein. Vgl. AA VII, S. 91 f. 33 Die Entwicklung kann vielgestaltig sein. Man ist deshalb keineswegs genötigt, der Kantischen Fortschrittsidee den Gedanken der Kontinuität der Entwicklung einzuverleiben, wie das in der Regel geschieht. 34 Ebd. 35 Ebd. 36 AA VIII, S. 29. 37 Ebd. 38 AA VIII, S. 30. 39 Ebd. 40 Rudolf Lüthe, a.a.O., S. 246. 41 Ebd.

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verlange, sie müsse „nach einer ,Idee‘ von geschichtlicher Entwicklung verfasst sein, in welcher formuliert ist, nicht wie die Geschichte tatsächlich verläuft, sondern wie sie verlaufen müßte, soll dieser Verlauf vernünftig genannt werden können“.42 Es gibt, konstatiert er abschließend, „demnach eine Korrelation zwischen der praktischen Absicht der Weltbürgerlichkeit einerseits und dem theoretischen Anliegen der Entdeckung vernünftiger Absichten in der Geschichte andererseits sowie schließlich der Frage, ob die Geschichte einen sinnbestimmten Verlauf nimmt: in Kants Denken gehören weltbürgerliche Absicht der Historie sowie Sinnhaftigkeit und Vernunft in der Geschichte notwendig zusammen“.43 Diese Korrelation birgt das Problem bzw. die Aufgabe in sich, „Sinn- und Vernunftstellung in Bezug auf die Geschichte überhaupt vernünftig zu begründen“44 begründen zu können. Und genau das ist „ganz fraglich“.45 Offensichtlicher kann man Kant nicht missverstehen. Denn was da für Lüthe im Zuge seiner Überlegungen einfach zu einem um die geschichtlichen Tatsachen unbekümmerten Leitfaden a priori wird, ist und bleibt für Kant gewissermaßen (!) ein Leitfaden a priori. Warum gewissermaßen? Warum Leitfaden a priori? Zunächst zur zweiten Frage. Sie ist einfach zu beantworten. Da es sich um die Konstruktion eines Kurvenverlaufes aus der Bestimmung eines Kurvensegmentes handelt, ist das nach Kant eindeutig eine apriorische Operationsanweisung. Diese apriorische Operationsanweisung zielt aber keineswegs auf die Ignorierung der geschichtlichen Tatsachen, sondern sie zielt darauf, angesichts der geschichtlichen Tatsachen zusätzlich zur „eigentlichen, bloß empirisch abgefaßten Historie“46 so etwas wie eine Weltgeschichte, die im ganzen eine Geschichte der Aufklärung ist, zu konzipieren, das heißt eine „philosophische Geschichte“, die das „Aggregat menschlicher Handlungen, wenigstens im Großen, als ein System“ darstellt, womit in und bei aller Zufälligkeit des geschichtlichen Geschehens eben dieses narrativ zu fassende und gefasste Geschehen als Kultivierung, Zivilisierung und Moralisierung und somit als „Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Großen“ 47 begreifbar wird. Die zweite Aussage, die in Kants Spezifikation der Brauchbarkeit der Idee der Weltgeschichte steckt, betrifft dies, dass die Bestimmung des Menschen nur in der Gattung zu erreichen ist. Kant ist sich sicher, dass die Narration des geschichtlichen Geschehens nur Zufälliges, Regelloses, ja Widersinniges darbie___________ 42

Ebd. Rudolf Lüthe, a.a.O., S. 246 f. 44 Ders., a.a.O., S. 247. 45 Ders., a.a.O., S. 256. 46 AA VIII, S. 30. 47 AA VIII, S. 17. AA VII, S. 79 f. heißt es mokant: Eine Geschichte a priori ist möglich, „wenn der Wahrsager die Begebenheiten selber macht und veranstaltet, die er zum voraus verkündigt“. 43

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tet. Darauf zu bauen, dass „bei Menschen und ihrem Spiel im Großen [eine] vernünftige eigene Absicht“48 vorausgesetzt werden könne, ist deshalb methodisch unerlaubt. Methodisch erlaubt, und zwar auf Grund des methodischen Prinzips der Zweckmäßigkeit, ist dagegen, „eine Naturabsicht in diesem widersinnigen Gange menschlicher Dinge entdecken“49 zu können. Dieses methodische Konzept kann sich wegen seines teleologischen Rückbezuges nun aber nicht auf die handelnden Menschen als einzelne individuell oder kollektiv agierende Subjekte beziehen; es kann sich nur auf die Menschen als Gattung, das ist in ihrer Gattungsbestimmtheit, beziehen. Darin liegt: Das Geschichtskonzept, das so fundiert ist, thematisiert Geschichte als Geschichte der menschlichen Gattung. Nicht weil Weltbürgerlichkeit eine praktische Bestimmtheit ist, ist Vernünftigkeit der Geschichte oder vielmehr der Vorstellung von der Geschichte als eines Systems zuzurechnen (prinzipientheoretisch begründet beizulegen), nein, weil und sofern auch die Geschichte als ein organisiertes und sich selbst organisierendes Ganzes betrachtet werden kann, ist Vernünftigkeit der Geschichte eigentümlich. Und nur so kann überhaupt von Geschichte im Singular geredet werden. Die Geschichte ist ein methodisch fundierter, aus der teleologischen Urteilskraft erwachsender Sachverhalt. Es ist der geschichtsphilosophischen Lehre Kants unangemessen, in dieser Aussage einen auch noch so versteckten Bezug auf eine ontologische Qualität finden zu wollen. Lüthes Vortrag gegen Kants Geschichtsphilosophie, dass diese letztlich „auf die ontologisch unterstellte vernünftige Naturabsicht“50 Bezug nehme und an deren Unbegründbarkeit scheitere, ist seinerseits das Dokument eines Scheiterns, des Scheiterns in der Exegese. Kants Fundierungskonzept bezüglich der Geschichte und der Historie ist sogar sehr erfolgreich. Trägt es doch dem Fundierungssachverhalt Rechnung, dass die „bloß empirisch abgefaßte Historie“, die ja nur Erscheinungen erzählt – denn nichts anderes sind die menschlichen Handlungen für Kant51 – sich überhaupt auf eine Geschichte beziehen kann. Es ist der mit den Naturanlagen des Menschen zu vereinbarende Sachverhalt der fortschreitenden Aufklärung, der der Narration der menschlichen ___________ 48

AA VIII, S. 18. Ebd. 50 Rudolf Lüthe, a.a.O., S. 255. Anders als Lüthe konstatiert Pauline Kleingeld in ihrer gründlichen Untersuchung der Geschichtsphilosophie Kants die rein prinzipientheoretische Begründung der Historie, allerdings ohne hierbei die empiriologische Akzentuierung des Fundierungszusammenhanges: kritischer Zweckbegriff, fundierende Prinzipienlehre, positive Sachlehre herauszuarbeiten. Für den bezeichneten Mangel ausschlaggebend ist, dass sie Kants Regulativitätsgedanken immer auch als Heuristik auffasst. Vgl. Pauline Kleingeld, Fortschritt und Vernunft: zur Geschichtsphilosophie Kants, Würzburg 1995. Den Kantischen Gedanken der Naturabsicht in der Geschichte verfehlt völlig die Auslegung Thomas Katers. Vgl. Thomas Kater, Politik, Recht, Geschichte. Zur Einheit der politischen Philosophie Kants, Würzburg 1999, S.170 ff. 51 AA VIII, S. 17. 49

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Handlungen die methodische Fundierung verschafft, ein einheitliches Ganzes wiederzugeben. Weil das Konzept in diesem Punkte das Konzept der Kulturbestimmtheit des Menschen ist, ist die Kantische Empiriologie der Geschichte und der Historie in sich gegliedert wie jedes der Kantischen Fundierungskonzepte. Es gibt die für die Prinzipienbestimmtheit einschlägigen Aussagen – diese sind innerhalb der Kantischen Lehre von der Geschichte und der Historie die Aussagen zur Kulturbestimmtheit des Menschen – und es gibt die für die methodische Auszeichnung der positiven Sachlehre einschlägigen Aussagen – diese sind innerhalb der Kantischen Lehre von der Geschichte und der Historie die Aussagen zur Narration, die sich in den Kantischen Texten darauf beschränken, dass in der Narration sehr wohl (begründeter Weise) ein Sinn zum Vorschein kommen kann. Der Sinn heißt Aufklärung.

Kants Geschichtsphilosophie Wenn man von der Thematik der Geschichte handelt, sollte man eines vorausschicken: Die Behandlung dieser Thematik ist nicht einheitlich. Es ist eine tiefe Zäsur in der Behandlung dieser Thematik festzustellen. Von der Antike an über das Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein ist sie mehr oder weniger narrativ-chronologisch bis narrativ-utopisch (in der Antike) oder narrativ-metaphysisch (im Mittelalter), bisweilen oder zu Teilen sogar religiös-eschatologisch oder religiös-messianisch orientiert. Gegenüber dieser älteren, Wissenschaft und Weltanschauung kontaminierenden Orientierung setzt sich im Fortschreiten der Neuzeit, setzt sich insbesondere im Zuge der aufklärerischen Säkularisierungstendenz eine neue Orientierung durch. Die Geschichtsthematik wird zunehmend als eine spezialwissenschaftlich zu bearbeitende Thematik begriffen. Es geht um den Sinn des Geschehens, auf das Menschen bzw. die Menschen Einfluss nehmen. Dadurch ist die Geschichte nun etwas, das zwar immer noch etwas mit dem Leben der Menschen oder von Menschen zu tun hat, das aber durchaus gemäß gewissen Parametern erörtert werden kann oder vielmehr zu erörtern ist. Es gibt nun so etwas wie ein fixes Regelsystem der Erörterung der Thematik. Dieses nimmt häufig, so etwa bei Locke, Vico, Herder, später wieder bei Hegel, in gewissem Sinne auch im Marxismus, die Gestalt einer Morphologie an. Dazwischen oder besser: daneben ist die Geschichtsphilosophie Kants positioniert. Sie ist anders ausgerichtet. Sie ist wissenschaftstheoretischen Charakters. Freilich ist sie Wissenschaftstheorie in dem Verstande, den Wissenschaftstheorie gemäß dem Grundgedanken der Kantischen Philosophie, dem transzendentalen Gedanken, hat und nur haben kann. Wissenschaftstheorie ist die Theorie, die innerhalb der Klimax der Begründung von Wissen die Legitimation positiver Wissenschaft aufdeckt. Hiermit ist die Überlegung dabei angelangt, den Status der Kantischen Geschichtsphilosophie anzugeben. Die Kantische Geschichtsphilosophie, das ist das, worüber wir uns, wenn wir von ihr handeln, vorneweg im Klaren sein müssen, ist mit der Legitimation einer positiven Wissenschaft befasst, eben der Wissenschaft von der Geschichte. Und das beinhaltet: Sie muss selbstverständlich und zuerst die intentionale Definition dieser Wissenschaft liefern; sie muss den Begründungszusammenhang aufzeigen, in dem der Begriff des Gegenstandes dieser Wissenschaft, der Begriff der Geschichte, steht. In anderen Worten kann ich sagen: Die Philosophie der Geschichte liefert nach Kant und hat nach Kant zu liefern die Berechtigung der Konzeption von Geschichte; sie stellt für

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diesen Begriff die Geltungsdeduktion bereit. In Kants Redeweise besagt dies: Die Philosophie der Geschichte handelt von metaphysischen Anfangsgründen; sie handelt von den metaphysischen Anfangsgründen der Geschichtswissenschaft – in den metaphysischen Anfangsgründen ist dem Geschichtsbegriff seine Grundlegung verschafft. Gleich zu Beginn seiner wichtigsten einschlägigen Schrift, der Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, stellt Kant das unmissverständlich klar. Und klar ist, derartige metaphysische Überlegungen haben nichts, aber auch nichts zu tun mit den narrativ-metaphysischen Überlegungen der alten Metaphysik. Sie betreffen ganz im Gegenteil die empirisch-methodische Organisation einer Wissenschaft, eben der Geschichtswissenschaft. In Bezug auf die Geschichtswissenschaft ist dementsprechend zu sagen: Kant sieht in ihr eine empirische Wissenschaft wie jede andere empirische Wissenschaft; er sieht in ihr eine eigene empirische Wissenschaft. Kant weist denn auch genau darauf hin, was sie zu der eigenen Wissenschaft macht, die sie ist. Indem wir die Kantischen Hinweise herausarbeiten, wird seine Argumentation greifbar. Die fraglichen Hinweise sind selbstverständlich in Kants Bestimmung von Geschichte enthalten. Diese Bestimmung lautet: Die Geschichte ist die „Entwicklung der Freiheit aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen“1. Der auffälligste und auch gewichtigste Hinweis in dieser Bestimmung liegt in den in ihr vorkommenden Begriffen. Dies sind nämlich sehr unterschiedliche Begriffe. Der Begriff der Freiheit ist ein Vernunftbegriff. Alle anderen Begriffe sind nach Kantischer Unterscheidung Verstandesbegriffe. Weiter ist zu bemerken, dass die nach Kant sehr unterschiedenen Begriffe ihrer Unterschiedenheit ungeachtet ein einheitliches Beziehungsgeflecht bilden. Die Bestimmung von Geschichte muss demnach eine höchst komplexe Sache betreffen. Man kann in diesem Sachverhalt nichts anderes als eine sehr bestimmte Pointe bemerken. Die Geschichte ist, darauf verweisen die in der Bestimmung enthaltenen Verstandesbegriffe, eine Weltbetrachtung oder, wenn man so will, der Inhalt einer Weltbetrachtung. Weltbetrachtung ist das Thema. Bei diesem Thema ist nach Kant ausgemacht, dass das, das da zur Bestimmung steht, als reales Geschehen und hiermit vor allem als natürlicher Vorgang in Rechnung zu stellen ist. Erkenntnis der Welt qua Erfahrung ist Erfassung von Naturalem. Nur wenn diese im Spiel oder zumindest auch im Spiel ist, kann von Erfahrung die Rede sein. Konsequenterweise ist der Gegenstand, um den es geht, als etwas gefasst, das den Naturgesetzen unterliegt, das naturgesetzliche Abläufe einschließt, das also auch als solches zu betrachten und dementsprechend zu ___________ 1

AA VIII, S. 109.

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beschreiben und zu erklären ist. Was also immer in Bezug auf die Geschichte vorgetragen wird, muss dem Rechnung tragen. Ist dem nicht so, so liegt keine entscheidbare Aussage vor. Das ist das Erste, dem das Augenmerk gelten muss. Das Zweite betrifft das Bestimmungsstück: Entwicklung der Freiheit. Freiheit ist, wie bemerkt, kein Verstandesbegriff. Das konfrontiert das Verständnis dieses Bestimmungsstückes sofort mit der Frage: Wie ist dieses Bestimmungsstück zu interpretieren? Was sagt es aus? Was kann es im Kontext der Definition überhaupt aussagen? Fest steht, es muss etwas aussagen über eine Erscheinung in der Welt. Fest steht auch, die fragliche Erscheinung ist unmöglich einfach Natur. Die ins Auge gefasste Aussage muss somit eine Aussage sein, die sozusagen ein Integral bildet. Hiermit ist die argumentative Weichenstellung, die Kants Überlegungen bestimmt, bezeichnet. Die generellen Grundlagen der Erkenntnis müssen nach dieser Weichenstellung die Möglichkeit einschließen, Erscheinungen in der Welt in Begriffen zu fassen, die Begriffe solcher integraler Bestimmung sind. In ihnen stehen ganz besondere scibilia zur Bestimmung. Nach den Kantischen Argumentationsparametern sind sie Begriffe der reflektierenden Urteilskraft. Die scibilia, die sie fassen, sind teleonomische Sachverhalte. Diese Sachverhalte sind nicht Sachverhalte, die ihren Bestimmungsgrund in der UrsacheWirkungs-Beziehung haben, sondern die ihren Bestimmungsgrund in der Zweckorientierung haben. Die Erscheinungen sind zweckbestimmt. Sie sind wesentlich durch ihre Zweckbestimmtheit charakterisiert. Ihre Beobachtung, Beschreibung und Erklärung hat in Zweckbestimmungen zu erfolgen. – Das ist das Ergebnis der Teleologiediskussion der Kritik der Urteilskraft. Kants Argumentation kommt in Gang, indem er feststellt, genau der Mensch oder die Menschen, seine respektive ihre Stellung in der Welt, hiermit selbstverständlich sein bzw. ihr Verhalten oder Handeln, sind zureichend nur in dieser spezifischen Beobachtung, Beschreibung und Erklärung aufzuschlüsseln. Alles was den Menschen über seine unbestreitbare naturgesetzliche (mechanistisch-organismische) Bestimmtheit hinaus ausmacht, ist in Zweckbegriffen zu fassen. Hiermit ist die vorrangige Weichenstellung, die Kants Überlegung bestimmt, gefasst. Die Erörterungen der Erscheinungen in der Welt, um die es geht, müssen Erörterungen in Begriffen sein, die Erfahrungsbegriffe sind und die den Begriffen von naturalem Geschehen nicht entgegenstehen, die mit diesen Begriffen zusammenstimmen müssen. Nach den Kantischen Argumentationsparametern heißt dies eben, sie sind Begriffe der Urteilskraft, allerdings nicht der bestimmenden, sondern der reflektierenden Urteilskraft; sie sind, wie bemerkt, teleologische, näherhin teleonomische Begriffe.

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Qua solche verweisen sie auf Differenzierung. Die Differenziertheit der Zweckbestimmung darf nicht übersehen werden. Zweckbestimmung bedeutet einmal Zweckbestimmung in dem Verstande, dass der Gegenstand der Bestimmung selbst als Zweck begriffen wird. Die Zweckbestimmung kann aber den Gegenstand der Bestimmung auch als Mittel zu einem Zweck nehmen. Beides ist möglich und beides wird geübt. Unsere Weltbetrachtung besteht sogar weitgehend in der Übung der einen wie der anderen Rücksicht. Es kann aber auch nur die eine Rücksicht genommen werden. Wird der Gegenstand der Bestimmung nur als Zweck und nicht auch als Mittel genommen, so ist er nach Kant Selbstzweck. Für diesen gilt, bezüglich seiner ist die für das naturale Geschehen essentielle Ursache-Wirkungs-Reihe abgeschnitten. Es liegt eine Relation ohne Iteration vor. Die Reihe hat einen Endzweck. Diese Positionsbestimmung ist so zu verstehen, dass die Begriffe, die in Frage kommen, auf eine Sache in einem konkreten Sachzusammenhang zielen, wobei in dem Sachzusammenhang nichts weniger als der Bestimmungsgrund der Sache, das ist des Geschehens, gesehen wird. In Kants Terminologie sind die in Frage stehenden Begriffe und die mittels ihrer formierten Aussagen, wie gesagt, zweckorientiert. Sie bringen ihren Gegenstand mit einem Zweck in Verbindung. Die in Frage stehenden Erscheinungen stellen sich als zweckbestimmt dar. Sie sind wesentlich durch ihre Zweckbestimmtheit charakterisiert. Ihre Beobachtung, Beschreibung und Erklärung hat über Zweckbestimmungen zu erfolgen. Das ist unbestreitbar. Unbestreitbar ist weiter, dass diese eine sehr differente Orientierung beinhalten müssen. Kants Argumentation nimmt den entsprechenden Fortgang. Sie nimmt ihren Fortgang, indem sie das Ergebnis der Teleologie-Diskussion der Kritik der Urteilskraft nutzt, dass die Zweckbestimmung eine Zweckbestimmung in dem Verstande sein kann, dass der Gegenstand der Bestimmung selbst als Zweck begriffen wird. Der Fokus der Argumentation ist nicht die der Zweckbestimmung eigentümliche doppelte Rücksicht. Es wird nur die eine Rücksicht genommen. So ist der Gegenstand der Bestimmung eo ipso Selbstzweck. Und weil hinsichtlich dessen gilt, dass die Ursache-Wirkungs-Reihe abgeschnitten ist, steht die kausale Beobachtung, Beschreibung und Erklärung nicht im Fokus der Bestimmung. Sie ist nicht der Orientierungspunkt. In dieser Auffassung von der Sache kommt die argumentative Funktion des Begriffs der Entwicklung in Verbindung mit dem Begriff der Freiheit zum Vorschein. Mit diesem Begriff ist die Zweckvorstellung, die für die Bestimmung von Geschichte relevant ist, mit der Naturalität qua Kausalität in Übereinstimmung gebracht. Die Übereinstimmung kommt dadurch zustande, dass die Zweckvorstellung eben die Möglichkeit einschließt, einen letzten Zweck der Natur zu konzipieren. Der Natur kann unbeschadet ihrer kausalen Verfassung ein letzter Zweck zugedacht werden. Und ein solcher ist auch zu entdecken. Er

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ist in den Phänomenen zu entdecken, denen gegenüber die Naturphänomene als Mittel einzustufen sind, die ihrerseits den Naturphänomenen gegenüber aber nicht Mittel sind und keinesfalls Mittel sein können, die somit diese Phänomene terminieren, die auch den Bereich dieser Phänomene terminieren. Der Schritt, mittels dessen das Problem in den Griff zu bekommen ist, ist vollzogen. Die Phänomene, die da angesprochen sind, die Erscheinungen in der Welt, die als letzter Zweck der Natur zu beurteilen sind, sind, wie bemerkt, die spezifisch menschlichen Phänomene. Der Mensch, heißt das, ist – wiewohl Natur – der Natur in einem bestimmten Sinne gegenüber. Er ist, wie Kant das prägnant ausdrückt, der „betitelte Herr der Natur“2. Der Natur ist ohne jede Beeinträchtigung derselben die Grenze gezogen, und diese Grenze ist der Mensch, der Mensch in seiner Spezifität. Der Geschichtsthematik ist ihr eigenes und eigentliches Diskussionsfeld eingerichtet. Die Argumentation bewegt sich fortan ausschließlich in diesem völlig eigenen Feld. Es besteht die begriffslogische Möglichkeit, von der Spezifität des Menschen her zu argumentieren, ohne dass hierbei die Homogenität der Erfahrung aufgegeben wird. Es geht weiterhin um Erfahrung; es geht um Erfahrung in Zweckbindung. Die ist von der Natur her gesehen Zweckmäßigkeit. Die ist von den Phänomenen her gesehen, die den Menschen als den betitelten Herrn der Natur ausweisen, etwas, das gegenüber der Zweckbindung in Zweckmäßigkeit unbedingt ist. Darin zeigt sich eine bestimmte Souveränität des Menschen. Der Mensch ist der Natur gegenüber souverän. Er setzt sich seine eigenen Zwecke. Er verfolgt diese auch. Genau in diesem Verstande der Souveränität der Natur gegenüber, der Zwecksetzung und Zweckverfolgung, ist der Mensch frei. Der Orientierungspunkt seines Verhaltens/Handelns sind nicht die wie auch immer kausalen Abläufe, es sind die Maximen, die er sich gibt. Für Kant ist das die Endzweckorientierung. Die Endzweckorientierung ist das Ausschlaggebende. Sie schöpft den Zweckbegriff bis in sein letztes Bestimmungsstück aus. Mit diesem Argumentationsschritt ist erreicht, worauf es ankommt. Erreicht ist, ich wiederhole es, die Einsicht, dass der Natur ohne jede Einschränkung, das heißt ohne jede Veränderung ihrer Fassung und ohne jede Minderung ihres Bereichs, die Grenze gezogen ist und dass diese Grenze der Mensch ist, der Mensch in seiner Spezifität. Diese Einsicht bildet den Angelpunkt der Diskussion. Von diesem her ist zu argumentieren. Und zwar ist von diesem her zu argumentieren, ohne dass hierbei die Homogenität der Erfahrungsbegrifflichkeit aufgegeben wird. Es geht weiterhin um Erfahrung; es geht um Erfahrung in Zweckbindung. Die ist von der Natur her gesehen Zweckmäßigkeit. Die ist von den Phänomenen her gesehen, die den Menschen als den betitelten Herrn der Natur ausweisen, etwas, das gegenüber der Zweckbindung in Zweckmäßigkeit ___________ 2

AA V, S. 431.

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unbedingt ist. Wie gesagt, besteht darin die Souveränität des Menschen. Der Mensch ist der Natur gegenüber souverän. Er setzt sich und verfolgt seine eigenen Zwecke. Der Orientierungspunkt seines Handelns sind die Maximen, die er sich gibt, nicht die wie auch immer kausalen Abläufe. Kant unterscheidet diese Orientierung von der natürlich bedingten Orientierung dadurch, dass er sie eben als Endzweckorientierung begreift. Das ist indessen nicht schon die ganze Einsicht. Die ganze Einsicht besteht darin, dass gesehen wird, die Zweckbestimmung ist in Bezug auf den Menschen nicht nur durchgängige Bestimmung, sie ist auch akzentuierende Bestimmung. Die Bestimmung, die Zweckmäßigkeit ist, ist auf die Zweckbestimmung, die Zwecksetzung ist, ausgerichtet. Sie ist auf diese insofern ausgerichtet, als das, was zweckmäßig ist, als Mittel zur Ermöglichung von NichtNaturalem (= Künstlichem) gebraucht werden kann. Umgekehrt ist die Zweckbestimmung, die Zwecksetzung ist, von der Zweckbestimmung, die Zweckmäßigkeit ist, nicht gelöst. Diese ist die conditio sine qua non der Zwecksetzung. Sie ist als die Bestimmtheit zu betrachten, die den Menschen dazu vorbereitet, dazu tauglich macht, also überhaupt in die Lage versetzt, „sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen und (unabhängig von der Natur in seiner Zweckbestimmung) die Natur den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt angemessen als Mittel zu gebrauchen“3. Der eine wie der andere Akzent ist gleich bedeutsam. Es kommt in diesen nämlich die unterschiedliche Konditionierung zum Vorschein, die im Spiele ist. Die übereinstimmende Zweckbestimmung von der Zwecksetzung respektive Zwecktätigkeit (Verfolgung des gesetzten Zweckes) her gesehen, ist die Konditionierung zu einem Gebrauch. Dieselbe Übereinstimmung von der Zweckmäßigkeit her gesehen ist die Konditionierung zu einer Fähigkeit, der Fähigkeit, die Natur als Mittel zu gebrauchen. Das darf nicht übersehen werden. Sofern die Fähigkeit zum Gebrauch dem Gebrauch nämlich sachlich vorgeordnet ist, ist in der bezeichneten unterschiedlichen Konditionierung zweifelsohne der Angelpunkt der ganzen Kantischen Argumentation zu sehen. Ohne die prädeterminierende Konditionierung „in Ansehung des Verhältnisses der Wirkungen zu ihren Ursachen innerhalb den Grenzen möglicher Erfahrung“4, kann es nach Kant keine fundierte Vorstellung von der Geschichte geben. Gehörte es mit anderen Worten nicht zur Konsequenz des geltungstheoretischen Zweckgedankens, jene doppelte differenzierende Konditionierung zur Fähigkeit zum Gebrauch und zum Gebrauch hervorzutreiben und wäre sie nicht wie dargestellt verteilt, so ließe sich für die Lehre von der Geschichte kein Fundament finden. Die Lehre, dass innerhalb der Grenzen möglicher Erfahrung noch etwas ande___________ 3 4

Ebd. AA VIII, S. 362.

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res als die bloße Natur, eben so etwas wie die Geschichte registriert wird, wäre haltlos. Nur auf Grund des dargelegten Sachverhaltes ist, in anderen Worten, die Vorstellung von geschichtlichem Geschehen möglicher fundierter Bestandteil unserer Erfahrung. Diese ist der Bestandteil der Erfahrung, in welchem wir den letzten Zweck der Natur erkennen. Sie ist der Bestandteil der Erfahrung, in dem die Natur ihre Termination erfährt. Sie ist der Bestandteil der Erfahrung, der in und mit dieser Termination das Transnaturale definiert. Sie ist der Bestandteil der Erfahrung, der die Menschengattung und das ganze mit dieser verbundene Geschehen in teleologischer Begrifflichkeit vorstellt, der das spezifisch Humane, die mit der Naturalität des Menschen konvenierende Vernünftigkeit desselben fasst. Der Mensch ist animal und er ist animal rationabile. Er vermag für sich einen Zweck zu setzen, diesen oder jenen Zweck zu verfolgen. Das ist der Punkt, um den es in der Geschichtsthematik geht. Die Geschichtsthematik hängt also am Gedanken der Freiheit. Diesem ist jenseits und vor seiner moralisch-praktischen Funktion die teleologische Funktion empiriologischer Qualifikation zugesprochen, und er wird in dieser Funktion in Anspruch genommen. Denn mit dem Gedanken der Freiheit, der Freiheit der Entscheidung, einen Zweck sich zu setzen und zu verfolgen, ist nichts anderes gedacht als dies, sich von den Fesseln und Begierden, „wodurch wir[,] an gewisse Naturdinge geheftet sind“5, zu lösen und sich so in dem bestimmten Verstande zu einem freien Willen zu machen, dass die Entscheidung beansprucht wird, die Bestimmung der Tierheit „anzuziehen oder nachzulassen, zu verlängern oder zu verkürzen, nachdem es die Zwecke der Vernunft erfordern“6. Der Mensch macht insoweit etwas aus sich. Und er macht aus sich, was er aus sich machen kann und was er aus sich machen soll. Das und allererst das ist die Vollbestimmung seiner Rolle. In dieser Vollbestimmung seiner Rolle, das ist Kant wichtig, sind die Naturanlagen des Menschen in ihrer unverkürzten Entwicklung in den Blick genommen. Das heißt: Es ist in den Blick genommen, dass der Mensch ein auf Naturbestimmtheit aufruhendes „organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen“7 ist. In dieser Sicht steht nun der ganze originäre Inhalt der Kantischen Definition von Geschichte vor Augen. Die Entwicklung, von der Kant spricht, ist in der Tat als Entwicklung der Freiheit aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen zu verstehen. Sie besteht in der dreifachen Endzweckausrichtung des menschlichen Geschehens, die in dessen Kultivierung, in dessen Zivilisierung und schließlich in dessen Moralisierung vorliegt und die durchgehend Disziplinierung ist. In dieser Ausrichtung erweist das menschliche Geschehen ___________ 5

AA V, S. 432. Ebd. 7 AA V, S. 374. 6

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sich in der Tat als ein organisiertes und, ganz wichtig, ein sich selbst organisierendes Geschehen.8 Die Organisation ist Disziplinierung. In ihr stellt sich ein Ganzes her. Es ist ein Ganzes, das in seiner Vielfalt wie „in Ansehung der Zeit“9 nicht zu übersehen ist, aber in jedem Faktum sich dokumentiert. In diesem Geschehen ist jeweils etwas Zustand, das heißt erreicht, und in diesem Geschehen wird jeweils etwas errichtet, das ist gestiftet. Das, das macht Kant unmissverständlich, ist in Anbetracht dessen als von der Natur herbeigeführtes, naturgestütztes, aber doch keineswegs natürliches, sondern künstliches, eine ganz spezifische Entwicklung markierendes Geschehen zu betrachten.10 Die Entwicklung vollzieht sich in Kultivierung, Zivilisierung und zuletzt in Moralisierung. Sie ist ein Endzweckoktroi. Kant formuliert: Die Geschichte ist die Entlassung „aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit“.11 Und sie ist „Menschenwerk“. – Die Argumentation ist an ihrem Ziel angelangt. Überblicken wir die ganze Argumentation, so ist zu sagen, die methodischen Gerechtsame, die Kant für die Geschichtsthematik in Anspruch nimmt, sind solche, die die Konzeption eines dem natürlichen Geschehen eigentümlichen Oktroi mit der Konzeption des freien, das Verhältnis von Bedingtheit und Unbedingtheit und somit eine Verhältnisbestimmung einschließenden konkreten Willens, der Willkür, zur Deckung bringen. Sie stellen insofern die Verbindung her zwischen der theoretischen Erfahrung, die in der Kritik der reinen Vernunft thematisch ist, und der Erfahrung, die Freiheitsgeschehen ist und die eines der Themen der Kritik der praktisch Vernunft und eines der Themen der Kritik der Urteilskraft ist. Das sind allesamt empiriologische Gerechtsame. Kants Geschichtsphilosophie ist Empiriologie. Sie ist Empiriologie in einem präzisen Verstande. Sie macht genau die gegenstandstheoretische Vorgabe, die für eine positive Wissenschaft unabdingbar ist. Sie macht die Vorgabe des Gegenstandes ‚Geschichte‘. Das Geschichtswissen hat mit dieser seinen Leitfaden. Der Leitfaden besagt: Es ist ein regelmäßiger Gang zu konzipieren, der im „Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Großen“ besteht, so dass „was an einzelnen Subjecten verwickelt und regellos in die Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortgehende, obgleich langsame Entwickelung der ursprünglichen Anlagen derselben werde erkannt werden können“.12 Der Leitfaden ist ein sachhaltiger, auf das reale Geschehen sich beziehender, hiermit eine Empirie (empirische Wissenschaft) begründender methodischer Leitfaden. Darum bezeichnet ihn Kant auch als einen solchen der Darstellung, der Dar___________ 8

Ebd. AA VII, S. 84. 10 AA VIII, S. 25 und 360. 11 A.a.O., S. 115. 12 A.a.O., S. 17. 9

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stellung des planlosen Aggregates menschlicher Handlungen im Großen.13 Das qualifiziert ihn in dem ganz bestimmten Verstande der Methode als apriorisch. Auf Grund seiner wird das narrativ zu fassende und gefasste Geschehen trotz und bei aller Zufälligkeit als ein in Disziplinierung erfolgendes Entwicklungsgeschehen gefasst. Die Disziplinierung ist zuerst Kultivierung, sie ist sodann Zivilisierung, sie ist zuletzt Moralisierung. Kant hat diesen Sachverhalt mit seiner berühmten, oft missverstandenen Lehre von der Naturabsicht oder dem verborgenen Plan der Natur in sein Erfahrungskonzept integriert. Dieses Konzept hat in sich seinen eigenen, der gesetzmäßigen Bewährung in den Naturwissenschaften parallelisierbaren Bewährungsaspekt. Wenn er also lehrt, die Natur verfolgt in Bezug auf die ursprünglichen Anlagen des Menschen einen Plan, eine Absicht, so geht es ihm um die Erklärung des menschlichen Geschehens qua über dem natürlichen Geschehen sich vollziehendes, mit einem eigenen Movens ausgestattetes Geschehen. Das Movens verrät sich zuerst in der „Unvertragsamkeit der Menschen“14. Es herrscht Antagonismus. Der zweite Blick nimmt die Auswirkung desselben wahr. Ihr Antagonismus versetzt die Menschen in eine sehr spezifische Not, und diese Not hat ihren ebenso spezifischen Ausgang. Die „brutale Freiheit“15 des Sich-behaupten-müssens und Sich-behauptens führt selbst zu ihrer Überwindung. Diese Überwindung führt in den bürgerlichen Zustand, zur bürgerlichen Gesellschaft, zu etwas Künstlichem also, von der Natur abgedrungen.16 Die Geschichte ist derartig Künstliches. In ihr geht der Mensch „aus der Rohigkeit eines bloß thierischen Geschöpfes in die Menschheit, aus dem Gängelwagen des Instincts zur Leitung der Vernunft, mit einem Worte, aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit“ über.17 Das Verhalten ist nicht längerhin die Durchsetzung der Lebensbelange des einzelnen Menschen und der Menschengattung, die „brutale Freiheit“ des Sich-behauptens der einzelnen Speziesmitglieder und hiermit der Spezies, sondern das zuzurechnende Handeln von Subjekten. Rücksichtlich dessen ist der Mensch als das animal rationabile zu begreifen, das gemäß seiner Gestaltungsobligation bisweilen auch wirklich animal rationale ist. Zu dessen Rationalität gehört es den „besonderen Gesichtspunkt der Weltbetrachtung zu wählen“18, gemäß welchem die Ereignisse, sofern sie vom Menschen beeinflusst sind, also die Welt des Menschen, nach einer Idee als ein ein___________ 13

A.a.O., S. 29. A.a.O., S. 24. 15 Ebd. 16 AA VIII, S. 22. 17 AA VII, S. 115. 18 AA VIII, S. 30. 14

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heitliches Ganzes zu begreifen sind, das in der Abfolge der Ereignisse einen Gang ausmacht, in welchem nicht nur Zweckmäßiges, sondern so etwas wie Fortschritt sich etabliert, Fortschritt in der Entwicklung der Naturanlagen des Menschen. Deren Entwicklungspotential wird sukzessiv ausgeschöpft, nämlich in der – pointiert ausgedrückt: eine Überhöhung darstellenden – Rationalisierung eben dieser Naturanlagen. Selbstverständlich muss von diesem Gang etwas erfahrungsmäßig aufzeigbar sein. Das ist der Fall, sagt Kant. Weniges reicht aus. Denn aus dem Wenigen schon lässt sich die generelle Tendenz konstruieren. Wie auf Grund der Bestimmtheit eines Bahnsegmentes die Bestimmtheit der ganzen Bahn zu ermitteln ist, lehrt Kant, ist das Wesen der Geschichte aus wenigem erfahrungsmäßig zur Verfügung Stehendem zu bestimmen. Unmissverständlich gibt er zu verstehen, woran er denkt. Es ist die Aufklärung. Es ist die Aufklärung nicht als Epoche, sondern als Entwicklungsphänomen. Der Gang der Geschichte ist fortschreitende Aufklärung. Kant ist entschieden dieser Meinung. Aufklärung als vernünftige Veranstaltung ist somit Kants Angebot für den methodischen Leitfaden der Etablierung von Geschichtsdenken. Weil dies freilich in Bezug auf die Absichten des einzelnen Menschen nicht garantiert ist und sein kann, bildet den Fokus des Geschichtsdenkens auch nicht das je einzelne Geschehen, sondern das „Spiel im Großen“, das heißt die Koordinaten, in die das einzelne Geschehen einzuordnen ist. Geschichtsdenken ist Denken in Ordnungskoordinaten. Darum ist der historische Genitiv als Koordinatenreferenz eine Notwendigkeit. In der letzten Ausreizung der Fokussierung ergibt das den Gesichtspunkt der Universalgeschichte. Kant spricht von der „Idee einer Weltgeschichte“.19 Auch diese Idee – weil von einer Idee die Rede ist, wird nur allzu leicht der empiriologische Charakter des Gedankens übersehen – ist ein empirisch-methodisch gegründetes Konzept. Die Vorstellung ‚Geschichte‘ ist somit in allen ihren Teilen genauso ein methodisch fundierter Sachverhalt wie die Vorstellung ‚Natur‘. Und wie der Sachverhalt ‚Natur‘ weist der Sachverhalt ‚Geschichte‘ seine einheitliche wie durchgängige Sinnbelastung auf. Der Sinn heißt fortschreitende Aufklärung. Diese Sinnzuweisung hat ihr eigenes Gewicht. Weil fortschreitende Aufklärung der Sinn der Geschichte ist, kommt unserem Verhalten oder Handeln Sinn zu. Es ist die Vorstellung ins Recht gesetzt, durch unser Verhalten oder Handeln in dieser Welt eine vollendete menschliche, das heißt bürgerliche Gesellschaft zu erreichen, die Idee der Menschheit wirklich werden zu lassen. Das Geschichtswissen kennt nur die eine menschliche Welt, die immer natürliche Welt wie Lebenswelt, das ist gegenüber der Natur künstliche, das ist gemachte, ___________ 19

Ebd.

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vom Menschen gestaltete, in der Gestaltung seiner selbst und als Gestaltung seiner selbst gestaltete Welt ist. Es sagt deshalb auch immer etwas über die Selbstgestaltungsqualifikation des Menschen aus. Das macht es zu dem so höchst bedeutsamen Wissen, das es ist, und das macht die Geschichtswissenschaft zu der unverzichtbaren Wissenschaft, die sie ist. Sie ist pünktliche Ermittlung der Selbstgestaltungsleistung des und der Menschen.

Kants Geschichtsphilosophie im Widerstreit In mehreren Abhandlungen aus den Jahren 2002–20071 habe ich die empiriologische Ausrichtung der Kantischen Geschichtsphilosophie herausgearbeitet. Da diese Ausrichtung der Kantischen Geschichtsphilosophie bislang gar zu sehr verkannt wenn nicht sogar übersehen wird, da die Kantexegeten im Blick auf Kants Vorstellung von der Geschichte nur zu schnell die praktische Philosophie Kants im Auge zu haben pflegen, ist der Widerstreit naheliegend. Er hat sich auch prompt eingestellt. Im Rahmen seines Versuches einer Prinzipientheorie der Geisteswissenschaften auf transzendentalphilosophischer Grundlage geht Bernward Grünewald2 u.a. auch auf meine Auslegung der fraglichen Schriften Kants zur Grundlegungsproblematik der Geschichtsphilosophie ein. Er geht hierbei zu der von mir getroffenen Einschätzung entschieden auf Distanz. Ja, er kommt zu dem Ergebnis, dass diese eine Unterstellung beinhalte, die dazu führe, das Fundierungsverhältnis der Kantischen Systematik umzukehren3, dass sie also als ein schief ansetzendes Unternehmen anzusehen sei. Es gehe Kant um etwas ganz anderes als Empiriologie, es gehe „um ein praktisches, moralisch-rechtliches Motiv“4. Dessen bedürften wir, um „uns (das Menschengeschlecht, W.F.) nicht an einem Sinn der Geschichte verzweifeln“ zu lassen5. Mit dieser Behauptung bewegt sich Grünewald in herkömmlichen Bahnen. Diese Bahnen sind durch die Kantische Unterscheidung von theoretischer und praktischer Philosophie vorgezeichnet. Sie sind durch die ganze Interpretationsgeschichte der Kantischen Philosophie hindurch nicht verlassen worden. Auch die Teleologieproblematik wird in diese Bahnen gezwängt. Die Differenziertheit dieser Problematik wird hierbei allerdings zu einem guten Teil eingeebnet. Christian Krijnen macht das in einer Anmerkung seiner Abhandlung über Teleology in Kant’s Philosophy of Culture and History: a Problem for the ___________ 1 Vgl. „Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie“, „Zu Kants geschichtsphilosophischem ‚Chiliasmus‘“ und „Erreichung und Errichtung“ auf S. 169–179, S. 159–167 und S. 243–249 dieses Bandes. 2 Bernward Grünewald, Geist – Kultur – Gesellschaft. Versuch einer Prinzipientheorie der Geisteswissenschaften auf transzendentalphilosophischer Grundlage, Berlin 2009. 3 A.a.O., S. 171. 4 Ebd. 5 Ebd.

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Architecture of Reason6 mit unüberbietbarer Direktheit offensichtlich. Mit Bezug auf Grünewalds Kritik und unter Herbeiziehung Otfried Höffes als weiteren Gewährsmann stellt er lapidar fest: „Kant’s philosophy of history is […] a contemplation in a practical perspective, in the perspective of morality and right“7. Klar: Wenn jeder Kantische Gedankengang nur unter der Direktive der Unterscheidung der beiden Bahnen der theoretischen und/oder der praktischen Philosophie zu beurteilen ist, muss die Argumentation, die Kant bezüglich der geltungstheoretischen Fundierung des Geschichtsbegriffes entwickelt, im Sinne des einen oder des anderen Unterscheidungsgliedes beurteilt werden. Die Argumentation unter die Direktive der theoretischen Philosophie zu bringen, erscheint Krijnen offensichtlich unmöglich. So muss sie der Direktive der praktischen Philosophie unterworfen sein. Die Plausibilität dieser Einordnung scheint auch unbestreitbar zu sein. Denn unbestreitbar ist, die Kantische Argumentation hat etwas mit dem Sachverhalt der Freiheit zu tun. Und dieser scheint dem ungenauen Blick auf Kant positiv nur der praktischen Legitimation zugänglich. So kann Krijnen meine Darlegung der Kantischen Argumentation in mehreren Punkten zustimmend referieren und sodann feststellen, dass es einer „more general characteristic“8 der Kantischen Grundlegung des Geschichtsbegriffes bedarf, einer, die das Problem der Einheit von Natur und Freiheit durch eine „moral teleology“9 plausibel mache, dass Kant das Agieren der Menschen primär als praktische und moralische Angelegenheit und nicht als eine solche des Funktionierens der bürgerlichen Gesellschaft begreife. Dass die Freiheit nach Kant, von Kant gerade im Zusammenhang der Teleologiediskussion hervorgehoben10, trotz und in ihrer Ideenbestimmtheit unter die scibilia zu rechnen ist, spielt keine Rolle. Es wird in dem zweibahnigen Herangehen an Kants Geschichtsphilosophie glatt übergangen. Vielleicht wird es überhaupt nicht wahrgenommen. Bei Krijnen muss das so sein. Denn er konstatiert schlicht und einfach: „a free will and a will under moral laws are for Kant the same“. Bei dieser Feststellung meint er sich auf die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten11 berufen zu können. Leider übersieht Krijnen hierbei, dass das von Kant stammende Zitat nur die reine Prinzipienbestimmtheit der Sittlichkeit und nicht die Freiheit der Willkür, den im Agieren der Menschen den Maximen ihrer freien Zwecke angemessenen Mittelgebrauch anspricht und dass er von dieser Willkür sagt, sie könne nur unter der Bedingung als ein moralisch-praktischer Sachver___________ 6 Christian Krijnen, Teleology in Kant’s Philosophy of Culture and History: a Problem for the Architecture of reason, in: Donald Loose (Hg.), The Sublime and Its Teleology. Kant – German Idealism – Phenomenology, Leiden/Boston 2011, S. 117. 7 A.a.O., S. 117 Anm. 4. 8 A.a.O., S. 122. 9 Ebd. 10 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 91, in: AA V, S. 467 f. 11 Für das nachfolgende Zitat: AA IV, S. 447.

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halt angesehen werden, dass „die Deduction des Begriffs der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft, mit ihr auch die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs“12 nicht nur die „absolute Notwendigkeit […] der Gesetze der Handlungen eines vernünftigen Wesens als eines solchen“13, das heißt eines rein durch Vernunft bestimmten Wesens, sondern auch eines naturalen wie vernünftigen, sogar nur vernunftfähigen und nicht eo ipso vernünftigen Wesens ergebe. Genau das ist nach Kant gemäß den Schlusssätzen der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten nicht der Fall. Insofern eröffnet Krijnens Position keine Perspektive der Auseinandersetzung jenseits der Ablehnung. Kants wie meine Ausführungen sind nicht genau genug zur Kenntnis genommen. Sie sind gemäß der vereinfachenden Systeminsinuation „theoretisch-praktisch“ aufgenommen. Das für Kants Systemarchitektur gewichtigste Argument ist somit überhaupt nicht berücksichtigt. Grünewalds Position von der Beförderung eines moralisch-rechtlichen Motivs verrät mehr Vorsicht. Aber auch sie trifft nicht die Sache. Sie trifft die Sache nicht, weil sie die Zweckmäßigkeit der Natur, in Bezug auf welche man nach Kants Ausführungen in § 83 der Kritik der Urteilskraft von deren letztem Zweck reden kann, ja muss – daher Kants Verweis auf den Gebrauch des Vorsehungsbegriffes –, mit dem für Kant übersinnlichen Sachverhalt eines transzendenten Grundes in Verbindung bringt. Die Naturabsicht ist Grünewald letztlich eine Absicht der Vorsehung und hinter dieser Vokabel verbirgt sich für Grünewald der Schöpfungsgedanke. Den soll Kant im Auge haben. Doch Grünewalds Kritik lebt nicht nur von seiner teleotheologischen Einstellung. Grünewald meint, handfeste Einwände vorbringen zu können. Allerdings sind sie so gewählt, dass sie der die teleotheologische Einstellung befriedigenden Strategie dienen. Welchen Argumenten also ist zu begegnen? Grünewalds übergeordnetes Argument richtet sich gegen die Auffassung vom transzendental-metaphysischen Charakter der Kantischen Argumentation.14 Diese Argumentation verfolge keine empiriologische Intention. Grünewald stört es bei dieser seiner Behauptung nicht, dass Kant am Eingang seiner speziellen geschichtsphilosophischen Betrachtungen15 ausdrücklich auf den metaphysischen Charakter seiner Überlegungen hinweist, womit nach seiner Neubestimmung des Metaphysikbegriffes selbstverständlich nur deren transzendental-metaphysischer Charakter gemeint sein kann. Man kann ja diesen Hinweis übergehen. Übergeht man ihn und lässt man außer Betracht, dass die Metaphysik der Sitten im Vergleich zur Metaphysik der Natur auch ihre eigene Argumentationsstrate___________ 12

Ebd. AA IV, S. 463. 14 Grünewald, a.a.O., S. 165 f. 15 AA VIII, S. 17. 13

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gie aufweist, lässt man weiter außer Betracht, dass Kant seine Kategorienlehre nur für die Metaphysik der Natur in Anspruch nimmt, so kann man volltönig vorbringen, eine Metaphysik der Kultur könne nicht vorliegen, weil die einschlägige Kantische Argumentation nicht dem „Schema […] zur Vollständigkeit eines metaphysischen Systems“16, also der Lehre von den Kategorien folge, wobei die argumentationsstrategisch reizvollste Beobachtung die ist, dass Grünewald Kants Aussage so kupiert, dass sie seiner Argumentationsstrategie gerecht wird. Grünewald unterdrückt nämlich den Fortgang des Kantischen Satzes einfach. Dass Kant in der von Grünewald bemühten Stelle von der „Vollständigkeit eines metaphysischen Systems, es sei der Natur überhaupt, oder der körperlichen Natur insbesondere“ spricht, darf natürlich keine Rolle spielen, wenn man nachweisen will, dass die Metaphysik der Kultur demselben Argumentationsschema folgen müsse wie die Metaphysik der Natur. Auf welchen Abwegen muss Kant sich bewegen, da doch eben schon die Argumentation seiner Metaphysik der Sitten nicht der kategorialen Exposition der Tafel der Kategorien folgt. Grünewald will und versucht eine solche Exposition in seiner transzendentalphilosophischen Grundlegung der Geisteswissenschaften. Welches Kant-Verständnis pflegt Grünewald! Sein übergeordnetes Argument unterfüttert Grünewald mit der Frage, ob aus der „empirischen Fundierung“ – man fragt sich, wie kommt Grünewald zu dieser Formel –, die nach Flach die teleologische Reflexion vorweisen kann, „schon auf den ‚empiriologischen Charakter der Geschichtsphilosophie‘ geschlossen werden darf, wenn unter ‚Empiriologie […] die Wissenschaftstheorie der Geschichte‘ zu verstehen ist“17. Zu dieser Frage sieht sich Grünewald genötigt, weil Kant in seiner Argumentation – wohlgemerkt in seiner geschichtsphilosophischen Argumentation – mehrere Begriffe von Natur benutze, aber nur ein bestimmter Naturbegriff in dieser Argumentation relevant sei, nämlich der teleologische, genauerhin der im Sinne der Lehre vom Endzweck der Natur. Richtig! Aber was bringt Grünewald zu der Unterstellung, dass die empiriologische Interpretation durch Kants mehrere Begriffe von Natur irritiert und daher abwegig sei? Es ist dazu festzustellen: Die empiriologische Interpretation der Kantischen Geschichtsphilosophie insistiert geradezu darauf, dass die Natur genau das garantiert, dass es so etwas geben kann wie den auf den objektiven Endzweck des menschlichen Geschlechtes gerichteten Weltenlauf. In diesem muss etwas erreicht werden bzw. sein, nämlich die Entwicklung der Naturanlagen des Menschen, damit etwas errichtet werden kann, etwas, das die Natur terminiert und insofern nicht mehr Natur, sondern Kultur ist. Das ist in der empiriologischen Interpretation der Kantischen Argumentation unzweifelhaft klargestellt. Und es ist weiter klargestellt, nur weil dem so ist, kann von Ge___________ 16 17

AA IV, S. 473. Grünewald, a.a.O., S. 166.

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schichte die Rede sein. Ein sehr bestimmtes Konditionierungsverhältnis bildet demnach den Nucleus der Grundlegung des Begriffs der Geschichte. Dieses Konditionierungsverhältnis redet Grünewald damit hinweg, dass er von der Absicht der Natur nur in Anführungszeichen spricht und dass er im Widerspruch zur Kantischen Aussage sich nicht damit zufrieden geben kann, die Beförderung der Naturabsicht als durchgehende Disziplinierung zu begreifen, das heißt als jene Veranstaltung, auf Grund derer so etwas wie Moralisieren überhaupt möglich ist. Die Kantische Disziplinierungsabfolge von Kultivieren, Zivilisieren und Moralisieren nimmt er einfach nicht zur Kenntnis. Wer will, dass die Beförderung der Naturabsicht schließlich als Absicht der Vorsehung sich herausstellt18, darf dieser Abfolge kein argumentatives Gewicht zuerkennen. Er will ja den Transzendenzbezug installieren. Und der ist nur zu installieren, wenn der Plan der Natur nicht auf die vollkommene bürgerliche Vereinigung der Menschengattung abzielt. Er will die Vorsehung ins Spiel bringen. Und er will vor allem diesen Ausdruck, in dem Kant lediglich ein übrigens kritisch zu behandelndes Benennungsproblem sieht, als Hinweis auf den „Endzweck des Daseins einer Welt, d.i. der Schöpfung selbst“19, verstanden wissen. So ist der Bezug auf die empirisch abgefasste Geschichte tatsächlich in den Bezug auf das höchste Gut, auf Gott – zwischen dem höchsten Gut und Gott besteht für Grünewald anscheinend kein Unterschied – verkehrt. Da der Kantische Text diesen Bezug nicht hergibt, erfordert der Einwand die Konzedierung des regulierenden (methodischen) Leitfadens, den der transzendental-metaphysische Begriff der Geschichte hergibt und kraft dessen die empirisch abgefasste Geschichte überhaupt erst im strengen Verstande Wissenschaft und nicht einfach Narratio, Chronik ist, bei sofortiger Einschränkung durch das „allerdings“, oder „jedoch“, oder „aber“. Mit Hilfe dieser Argumentationsoperatoren wird in Durchsetzung der teleotheologischen Argumentationsstrategie Punkt für Punkt die Umkehr vollzogen. So wird die Kantische Aussage, dass die Erfahrung nicht ausschließlich Naturerfahrung ist, dass Erfahrung auch noch einen anderen Sinn haben kann und hat, nämlich den Sinn Aufklärung, konterkariert. Wie vollkommen das bei Grünewald der Fall ist, zeigt seine völlige Ignoranz gegenüber dem Aufklärungsgedanken. Dieser spielt bei seinem Einwand gegen die empiriologische Interpretation der Kantischen Geschichtsphilosophie überhaupt keine Rolle. Die bürgerliche Gesellschaft ist somit keine conditio von Kultur; sie ist nur ein Aspekt der Kultur. Dabei vertritt der Aufklärungsgedanke für Kant die metaphysischen Anfangsgründe der Geschichtswissenschaft. Er steht im Zentrum der Geltungslegitimation der eigenen, die Naturerfahrung keineswegs konterkarierenden Erfahrung, die die Kultur ausmacht und die in den Geschichtswissenschaften – der methodischen Aufbereitung und Ordnung ___________ 18 19

A.a.O., S. 171. A.a.O., S. 169.

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der Naturerfahrung in den Naturwissenschaften vergleichbar – methodisch aufbereitet und geordnet wird. Als der geltungs- und prinzipientheoretisch legitimierte Sinnbegriff der Geschichte, der es, nicht zu vergessen, wesentlich mit der Subjektswürde des Menschen zu tun hat, und zwar soweit diese Faktum ist, erlaubt er uns, wie Kant sagt, eine vollendete vernünftige Absicht nicht nur in einer anderen Welt zu (er)hoffen. Das und das, wozu es führt, ist Grund, den Begriff der Aufklärung genau zur Kenntnis zu nehmen. Ich will deshalb im Folgenden die Aussage dieses Begriffes in aller Kürze wiedergeben sowie anschließend das ganze Gewicht dieser Aussage würdigen. Hierbei darf vorweggenommen werden: Die Aussage des Begriffes der Aufklärung kann unmöglich darauf zielen, einer geschichtlichen Epoche das Signum zu verpassen; sie zielt auf einen geltungs- und prinzipientheoretischen Sachverhalt. Es ist ein Sachverhalt, der den Menschen zentralerweise betrifft. Und zwar betrifft er den Menschen nicht nur in dem, was er ist, sondern ebenfalls und mehr noch in dem, was er sein sollte, was er sein soll. Er betrifft den Menschen in seiner Subjektivität, das ist als das, das unter allem, was zu dieser Welt zu zählen ist, seine eigene, von der Naturbestimmtheit sich abhebende, in sich gegründete Bestimmtheit hat. Das verleiht ihm das überragende Gewicht. Sehen wir uns also die Kantische Argumentation an! Nach Kant ist der zu diskutierende Sachverhalt der, dass das animal rationabile Mensch als animal rationale damit befasst ist, sich aus dem Gängelwagen der Natur zu befreien, das heißt die der animalischen Daseinsbewältigung eigentümliche brutale Freiheit in Selbstgestaltung gegen die bürgerliche Freiheit einzutauschen, zu seiner Geschichtlichkeit zu stehen, sich dementsprechend zu organisieren, die bürgerliche Gesellschaft zu etablieren bzw. zu verteidigen. Das ist eine perpetuierende Sache. Es ist nicht zuletzt deshalb eine perpetuierende Sache, weil die angesprochene Organisation nicht weniger, wenn auch in anderer Hinsicht, nämlich der der Geregeltheit nach Geltungsgründen, mit Friktionen behaftet ist als die natürliche Daseinsbewältigung. Es ist für jene Organisation, und dies eben wegen des Herauswachsens aus der natürlichen Daseinsbewältigung, wegen der sich aus der Natur der Menschen ergebenden Antagonismen unter ihnen, kennzeichnend, dass gewisse Menschen sich zu „Vormündern“ ihrer Mitmenschen aufwerfen, das heißt die „Oberaufsicht“ über ihre Mitmenschen sich anmaßen, diese also aus dem Gängelwagen der Natur in den Gängelwagen ihrer tatsächlichen oder zumeist angemassten Superiorität zu befördern und darin zu halten suchen.20 Es ist festzustellen, dass das auch gelingt, also immer auch gelungen ist. „Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der [so, W.F.] ihm beinahe zur [zweiten, W.F.] Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuar___________ 20

AA VIII, S. 35.

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beiten, […] den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werths und des Berufs jedes Menschen selbst zu denken“21, das heißt aufgeklärt zu sein. Denn aufgeklärt zu sein, heißt nichts anderes als eben dies zu denken, zu denken, dass dem Menschen ob der Geltungsreferenz seines je eigenen Selbstgestaltungsunternehmens eine ihn als solchen kennzeichnende, nicht zu eliminierende, geltungsprinzipiengegründete Qualifikation zukommt. Wie ist dies zu schaffen? Das ist Kants Frage. Seine Antwort ist: „Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“22 Der „öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muss jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen.“23 Diese Antwort nimmt den Menschen in der besonderen Weise als „Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft“24 in die Pflicht, als jemanden, der „zum eigentlichen Publicum, nämlich der Welt, spricht“25, der, wie Kant konstatiert, in diesem Sinne „Gelehrter“ ist, der, wie aus Kants weiteren Ausführungen hervorgeht, als der Geschichtlichkeit seiner und der Geschichte bewusst sich begreift, der hiermit auch einen Begriff davon hat, dass der Gang der Geschichte ein Gang der Aufklärung ist. Es gehört zur spezifisch menschlichen Qualifikation, eben der Geschichtlichkeit des Menschen, dass dem Menschen das Fortschreiten in der Aufklärung oder jedenfalls die Bemühung darum eigentümlich ist.26 Auf Aufklärung „Verzicht zu thun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten“.27 Jederzeit muss der Mensch, und zwar jeder Mensch, sich seines „eigenen Verstandes ohne Leitung eines Andern sicher und gut […] bedienen“.28 Er befreit sich so, und sei es auch nur „allmählig“, aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“29 und trägt zur Verbreitung des Geistes der Freiheit bei. Alle Bereiche des kulturellen Lebens, der des öffentlichen Lebens in erster Linie, profitieren davon. Sie profitieren davon in der Weise, dass die Rohigkeit des bzw. der Menschen nach und nach, Rückfälle nicht ausgeschlossen, schwindet. Es breitet sich eine „Sin___________ 21

A.a.O., S. 36. Ebd. 23 AA VIII, S. 37. 24 Ebd. 25 AA VIII, S. 38. 26 A.a.O., S. 39. 27 Ebd. 28 AA VIII, S. 40. 29 A.a.O., S. 35, 40, 41. 22

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nesart“ aus, gemäß welcher der Mensch „seiner Würde gemäß“30 agiert und genau deswegen auch von seinen Mitmenschen, und insbesondere auch und in erster Linie innerhalb der vom Menschen geschaffenen bürgerlichen Institutionen, „seiner Würde gemäß“ geachtet wird. Das Recht der Menschheit, und hiermit ist gemeint: sie als prinzipiengegründete umfassende Rationalität, wird in der Person respektiert, von dem Menschen selbst und den Anderen. Wenn man diese Darlegung des Sachverhalts durch Kant zur Kenntnis nimmt, so lernt man: Den Menschen seiner Würde gemäß zu achten und dieser gemäß agieren zu lassen sowie ihm dementsprechend zu begegnen, heißt seine Freiheit respektieren, seine Freiheit respektieren, weil der Grund dieser Freiheit begriffen ist. Der Grund der Freiheit ist eine Prinzipienfunktion. Sie ist von transzendentaler Valenz. Sie begründet eine Geltungsfunktionalität. Sie begründet die unumstößliche, essentielle Sinnbestimmtheit verratende Subjektität. Diese ist für den Kulturbegriff des Menschen ausschlaggebend. Sie qualifiziert den Menschen in Faktizität zum Subjekt. Nur in der Bezugnahme auf sie ist der Begriff des Menschen als Person überhaupt definit zu machen, sein Sinn zu erfassen. Entsprechend ist die Philosophie auch in der Behandlung der Kulturbestimmtheit, der Geschichtlichkeit des Menschen, des Menschen als Person, transzendental-metaphysische, das heißt auf die Erarbeitung der entsprechenden geltungstheoretischen Grundlagen zielende, die geltungsreferente Selbstgestaltung in den Blick nehmende Grundlegungslehre. Es steht zentralerweise die geltungs- und prinzipientheoretische Konnexion von Freiheit und Aufklärung zur Diskussion. Die Würdigung dieser Konnexion, als Subjektsqualifikation, das Subjekt verstanden nach seiner Faktizität, berührt ganz wesentlich den Menschheitsgedanken. Dieser nährt sich zu seinem Hauptstücke aus dieser. Da das so ist, ist es für ein geschichtswissenschaftliches Universale zu nehmen, jedes geschichtliche Geschehen, sei dieses umfassend und bedeutend oder sei es noch so partikular und wenig bedeutend, der Problemstellung zu konfrontieren, ob und inwieweit mit ihm sich die Erfahrung der Aufklärung verbindet. Nur unter der Bedingung derartiger Erfahrung haben wir es mit einem echten Menschheitsgeschehen zu tun. Diesem Geschehen ist die aufklärerische Tendenz eigentümlich. Antiaufklärerische Tendenzen müssen deshalb hellhörig machen. Sie sind Entmenschlichungstendenzen. Sie sind dies, weil sie Entsubjektivierungstendenzen sind. Solche Tendenzen sind nun gerade genug zu beobachten. Sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass mit ihnen eine Anmaßung verbunden ist. Die Anmaßung zielt auf Unterordnung, Nachfolge, Unselbständigkeit. Das ist das Bedenkliche. Denn diese Zielsetzung entspricht genau der angesprochenen Entmenschlichung. Sie ist ein Angriff auf die Subjektswürde des Menschen. Der Mensch ___________ 30

A.a.O., S. 41 f.

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soll, die Menschen sollen dieser Würde entkleidet werden. Dieser Würde entkleidet, beraubt, werden sie zum Spielball. Sie sind der jeweiligen partikularen Zielsetzung gemäß zu manipulieren. Die jeweilige partikulare Zielsetzung wird als superior hingestellt. Selbstverständlich darf die Behauptung der Superiorität der partikularen Zielsetzung nicht als solche offen zutage liegen. Sie ist deshalb in der Regel kaschiert. Das macht sie umso gefährlicher. Denn es gibt keinen überprüfbaren Ausweis der Legitimation der Zielsetzung. Die Legitimation ist zuerst und zumeist nichts als Anspruch, der Anspruch einer überlegenen, vielmals sogar für unantastbar erklärten Instanz. Diese Qualifikation, gerade die der Unantastbarkeit, lässt den entscheidenden Punkt hervorscheinen. Es ist der Punkt der Sinnbildung jenseits der autonomen Selbstgestaltung des Menschen. Dem Menschen wird suggeriert, dass seine Selbstgestaltung zum Subjekt der Bedingung jener überlegenen oder gar unantastbaren Instanz unterliegt. Diese Instanz ist zu respektieren, soll das je eigene Selbstgestaltungsunternehmen gelingen oder gar möglich sein. Die Möglichkeit und das Gelingen der Selbstgestaltung hängen insofern an der Anverwandlung des mit jener Sinnbildung vorgegebenen Sinnes. Dieser ist anzuverwandeln, kann aber auch nur anverwandelt werden, muss anverwandelt werden. Das Gelingen der Selbstgestaltung beginnt mit dem Anverwandeln seiner. Was geschieht hiermit? Der Mensch ist in eine ultimative Hörigkeit versetzt. Er ist hörig dem Unveränderlichen und Unantastbaren, der bestimmenden Macht seines Daseins. Von dieser her versteht er sich. Sie ist die Basis seiner Personalität. Alles, was in oder an dieser zum Vorschein kommt, hat in ihr seine Wurzel bzw. seinen Quell. Man kann sagen, sie ist der existentielle Nährboden allen Gedeihens von Menschsein; sie ist existentielles Absolutum. Diese Einschätzung wird auch stets eifrig zelebriert. Die Zelebration hat ihre mentale wie ihre ökonomisch-soziale Seite. Auf der mentalen Seite stellt die Tradition den gewichtigsten Aspekt dar. Auf der ökonomisch-sozialen (materiellen) Seite bildet die Organisation den gewichtigsten Aspekt. So sehen wir uns so gut wie immer der Rede von der jahrhundertealten Überlieferung und der von der Wirkungsgeschichte her favorisierten respektive zu favorisierenden Progression gegenüber. So sehen wir uns den Verbänden, Vereinigungen, Parteien, Religionsgemeinschaften und allem, was da noch in Frage kommt, gegenüber. In allem dokumentiert sich Macht (Leitungsmacht), Macht, die die Entsubjektivierung herbeizuführen suchen kann. Sie ist darin keineswegs immer schierer Zwang; sie ist Ideologie und Chancenvermittlung; sie ist Karriereangebot und Karrieregarantie; sie ist Statusverheißung und Statussicherung, etc. etc. Am sublimsten bzw. raffiniertesten sind religiöse Angebote der Gottgeschaffenheit und der Gottesebenbildlichkeit sowie einhergehende Heilsversprechen.

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Man muss nicht lange nachdenken, um zu eruieren, dass es ganz konkret um Horizonte unseres Lebens geht. Sie werden gezeichnet und wir werden vor sie hingestellt. Wir sollen die Wege zu ihnen gehen. Fremdbestimmt gehen wir sie. Dabei ist nur ein Gang der wirklich subjektangemessene Gang, der Gang der vollendeten bürgerlichen Gesellschaft, der Gang des Weltbürgers. Es ist eben der keineswegs einfache, sondern in freiheitlicher kultureller Vielfalt erfolgende Gang der Aufklärung. Das gezeichnete Gedankenpanorama lässt nur das entschiedene Resümee zu: Kants kritische Philosophie, die primär darum bemüht ist, einen Begriff von Erkenntnis zu erarbeiten, durch dessen Durchsetzung von den Wissenschaften und deren Gang jegliche problem-, methoden- und argumentationsreferente Naivität fernzuhalten sowie die problem-, methoden- und argumentationsreferente Sicherheit zu gewinnen und die insofern schon in ihrem anfänglichen Grundlegungsbemühen eine Angelegenheit der Aufklärung, der Aufklärung der Sicht der Welt ist, ist auch in Bezug auf die Geschichte und die Kultur ganz allgemein auf den geltungs- und prinzipientheoretischen Begriff der Aufklärung fokussiert. Es ist nicht darum herum zu kommen: Die Kultur und deren Gang, die Geschichte, sind über den sinngebenden Begriff der Aufklärung in die transzendental-metaphysische Grundlegung einbezogen. Sie erfahren über diesen Begriff ihre transzendentale Deduktion. Nur wenn dies erkannt und anerkannt wird, ist Kants Geschichtsphilosophie angemessen zu würdigen. Es schält sich die Pointe der Kantischen Geschichtsphilosophie heraus. Wenn Kant lehrt, die Geschichte ist die „Entwicklung der Freiheit aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen“31, will er auf zwei Punkte aufmerksam machen, die letztlich beide zusammen auf den Begriff der Aufklärung zielen. Der erste Punkt betrifft den Erfahrungsbezug. Die Geschichte – darauf verweisen die in der Bestimmung enthaltenen Erfahrungsbegriffe – ist Weltbetrachtung oder, wenn man so will, der Inhalt einer Weltbetrachtung. Weltbetrachtung ist das Thema. Bei diesem Thema ist ausgemacht, dass das, was da zur Bestimmung steht, als reales Geschehen und hiermit vor allem als natürlicher Vorgang in Rechnung zu stellen ist. Erkenntnis der Welt qua Erfahrung ist Erfassung von Naturalem. Nur wenn dieses im Spiel ist oder zumindest auch im Spiel ist, kann von Erfahrung die Rede sein. Konsequenterweise ist der Gegenstand, um den es geht, als etwas gefasst, das den Naturgesetzen unterliegt, das naturgesetzliche Abläufe einschließt, das also auch als solches zu betrachten und dementsprechend zu beschreiben ist. Was also auch immer in Bezug auf die Geschichte vorgetragen wird, muss dem Rechnung tragen. Ist dem nicht so, so liegt keine entscheidbare Aussage vor. ___________ 31

A.a.O., S. 109.

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Der zweite Punkt betrifft den Vernunftbezug in der Bestimmung der Geschichte. Er kommt in dem Bestimmungsstück „Entwickelung der Freiheit“ zur Sprache. Freiheit ist nach Kant kein Erfahrungs-, sondern ein Vernunftbegriff. Das konfrontiert die Auslegung dieses Bestimmungsstückes sofort der Frage: Was sagt es? Genau das, was es sagt, ist das, worauf es Kant ankommt. Die generellen Grundlagen der Erkenntnis müssen die Möglichkeit einschließen, Erscheinungen in der Welt in Begriffe zu fassen, die nicht oder nicht nur, nicht ausschließlich Erfahrungsbegriffe in dem Verstande der Begriffe der Natur respektive von Naturalem sind, die von anderer Begrifflichkeit sind. Es gibt solche Erscheinungen, die nur in solchen Begriffen adäquat zu fassen sind, lehrt Kant. Die in Frage stehenden Begriffe charakterisieren weithin unsere Lebenswelt. Ihre Besonderheit gründet darin, dass sie nicht Begriffe der bestimmenden, sondern Begriffe der reflektierenden Urteilskraft sind. Das nötigt zu der Aussage: Das Thema der Geschichte ist für Kant das Thema der Erörterung von Natur und Mensch, speziell des Menschen, des Menschen in seiner Besonderheit, in Begriffen der reflektierenden Urteilskraft. Was ist hiermit gesagt? Kant lässt keinen Zweifel aufkommen. Die Betrachtung der Erscheinung in der Welt, die der Mensch ist, erfolgt gemäß einer Zweckbestimmtheitsbeurteilung. Denn eben die Begriffe, die Begriffe der reflektierenden Urteilskraft sind, sind Begriffe, die die Erscheinung in der Welt als Erscheinung fassen, die einen Bestimmungsgrund hat und die ihr Dasein eben diesem Bestimmungsgrund und nicht (nur) naturgesetzlichen Gegebenheiten verdankt, die, wie man auch sagen kann, Wirkung eines Bestimmungsgrundes ist, die auf einen Zweck hin ausgerichtet ist. Hiermit ist die Erklärungsfunktion des Begriffs der Entwicklung in Verbindung mit dem der Freiheit klar. Durch diesen Begriff ist die Bestimmung von Geschichte mit der Zweckvorstellung in Verbindung gebracht, genau genommen an der Zweckvorstellung aufgehängt. Die Natur des Menschen ist zweckbestimmte Natur. Sie ist wesentlich, zentralerweise durch Zweckbestimmtheit charakterisiert. Diese Zweckbestimmtheit ist aufzuschlüsseln. Diese Aufgabe wird von Kant durch die weitere Aussage vorgenommen, dass die fragliche Zweckbestimmtheit in der Tendenz vorliegt, die „höchste Absicht der Natur“32 wirklich werden zu lassen. Diese Wirklichkeit ist der „weltbürgerliche Zustand“. In diesem werden „alle ursprünglichen Anlagen der Menschengattung entwickelt“33. Was da vorliegt, ist nur noch Zweck. Es ist nicht mehr wie bei der Zweckmäßigkeit Mittel wie Zweck, in der einen Rücksicht Mittel, in der anderen Rücksicht ___________ 32 33

A.a.O., S. 28. Ebd.

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Kants Geschichtsphilosophie im Widerstreit

Zweck. Es ist nicht mehr von dieser doppelseitigen Bestimmtheit. Es kann somit nur als letzter Zweck betrachtet werden. In dieser Aussage steckt ein aufzulösendes Problem: Die Entwicklung vollzieht sich als ein Geschehen, das immer auch Geschehen im Sinne von Naturbestimmtheit ist. Sie ist aber als die Tendenz zu einem letzten Zweck etwas, das durch die Vorstellung von naturalem Geschehen nicht voll gedeckt ist. Naturales Geschehen ist Ursache-Wirkungs-Zusammenhang und in Übereinstimmung hiermit Mittel wie Zweck und nicht letzter Zweck. Kant hat das Problem sehr genau gesehen. Und er löst es, indem er lehrt, der Begriff des letzten Zweckes der Natur ist eine Grenzbestimmung. Der letzte Zweck der Natur ist die Terminierung der Natur. Er ist nicht mehr Zweckbestimmtheit in dem Verstande der Zweckmäßigkeit, als Mittel-Zweck-Relation, sondern Zweckbestimmtheit im Verstande der Zwecksetzung und der Zwecktätigkeit. Dadurch erreicht Kant, dass die Spezifität des Menschen in homogener Begrifflichkeit, nämlich der der Zweckbestimmtheit, in Gegenstellung zur Natur zu bringen ist. Es gibt Zweckbestimmtheit und Zweckbestimmtheit, Zweckbestimmtheit der Natur, die Zweckmäßigkeit ist, und Zweckbestimmtheit des Menschen, des Menschen qua Spezifikum, die Zwecksetzung wie Zwecktätigkeit ist. Der Mensch ist in dieser seiner spezifischen Zweckbestimmtheit der Natur gegenüber souverän. Er ist, wie Kant sagt, der „betitelte Herr der Natur“. Als solcher setzt er seine eigenen Zwecke. Dazu ist er von der Natur sogar tauglich gemacht. Die Zwecktätigkeit ruht auf der Zweckmäßigkeit auf. Sie ist von der Mittel-Zweck-Relation nicht zu lösen. Sie verändert aber die Konditionierung. Hiermit ist der Vernunftbegriff der Freiheit in die Bestimmung integriert. Der Mensch ist das Naturwesen, das zugleich vernünftig ist bzw. zu sein vermag. Hierin ist er frei. Er vermag sein Verhalten respektive Handeln aus den Fesseln, durch die er der Natur verhaftet ist, in einer bestimmten Weise zu lösen, und so versetzt er sich in die Lage, „die Bestimmung der Thierheit [...] anzuziehen oder nachzulassen, zu verlängern oder zu verkürzen“34, sie so zwar nicht zu eliminieren, aber doch, und zwar sehr wohl, an den Zwecken der Vernunft zu orientieren, also frei zu sein. Nicht Naturzwecke, sondern frei gewählte Zwecke bestimmen das Tun und Lassen des Menschen. Das ist der Punkt. Von diesem Punkt her lässt sich die Kantische Definition von Geschichte ihrem ganzen Inhalt nach verstehen. Die Entwicklung, die Kant anspricht, ist nämlich in der Tat als Entwicklung der Freiheit aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen zu verstehen. Sie besteht in der dreifachen End___________ 34

AA V, S. 432.

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zweckausrichtung des menschlichen Geschehens, die in dessen Kultivierung, in dessen Zivilisierung und schließlich in dessen Moralisierung vorliegt. In dieser Ausrichtung erweist das menschliche Geschehen sich als ein organisiertes und, ganz wichtig, ein sich selbst organisierendes Geschehen35. Die Organisation ist durchweg Disziplinierung. In dieser stellt sich ein Ganzes her. Es ist ein Ganzes, das in seiner Vielfalt wie „in Ansehung der Zeit“36 nicht zu übersehen ist, aber in jedem Faktum sich dokumentiert. Insofern ist es individuelles wie Menschheitsgeschehen. Kant hat darin eine präzise Vorstellung. Und zwar ist er sich darüber im Klaren, dass diese Vorstellung Vorgabecharakter hat. Das Geschichtswissen beruht auf dieser Vorgabe des Begriffs der Geschichte. Es hat darin seinen Leitfaden. Der Leitfaden besagt: Es ist ein regelmäßiger Gang zu konstruieren, der im „Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Großen“ besteht, und dass, „was an einzelnen Subjecten verwickelt und regellos in die Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortschreitende, obgleich langsame Entwicklung der ursprünglichen Anlagen derselben werde erkannt werden können“.37 Der Leitfaden ist somit ein sachhaltiger, auf das reale Geschehen sich beziehender, hiermit eine Empirie (empirische Wissenschaft) begründender methodischer Leitfaden. Darum bezeichnet ihn Kant auch als einen solchen der Darstellung, der Darstellung des planlosen Aggregates menschlicher Handlungen im Großen.38 Das qualifiziert ihn in dem ganz bestimmten Verstande der Methode als apriorisch. Das narrativ zu fassende und gefasste Geschehen wird auf Grund seiner trotz und bei all seiner Zufälligkeit als ein in Disziplinierung erfolgendes Entwicklungsgeschehen gefasst. Die Disziplinierung ist zuerst Kultivierung, sie ist sodann Zivilisierung und sie ist zuletzt Moralisierung. Mit seiner berühmten, oft missverstandenen Lehre von dem verborgenen Plan der Natur hat Kant diesen Sachverhalt in seiner Erfahrungslehre verankert. Wenn er also lehrt, die Natur verfolgt in Bezug auf die ursprünglichen Anlagen des Menschen einen Plan, eine Absicht, so geht es ihm um die Erklärung eines empirischen Sachverhaltes, des Sachverhaltes, dass dem menschlichen Geschehen ein Movens eigentümlich ist und dass dieses Movens eben dieses Geschehen über das naturale Geschehen hinaushebt. Es ist auf den ersten Blick die „Unvertragsamkeit der Menschen“39, ihr Antagonismus. Es ist auf den zweiten Blick die Auswirkung desselben. Ihr Antagonismus versetzt die Menschen in eine sehr spezifische Not, und diese Not hat ihren spezifischen Ausgang. Dieser ___________ 35

A.a.O., S. 374. AA VII, S. 84. 37 AA VIII, S. 17. 38 A.a.O., S. 29. 39 A.a.O., S. 24. 36

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ist der bürgerliche Zustand, die bürgerliche Gesellschaft, etwas Künstliches also, von der Natur abgedrungen40. Die Geschichte betrifft somit den Menschen in seiner künstlichen Rolle. Die ist die Rolle, „aus der Rohigkeit eines bloß thierischen Geschöpfes in die Menschheit, aus dem Gängelwagen des Instincts zur Leitung der Vernunft, mit einem Worte, aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit“41 überzugehen. Das Verhalten ist nicht längerhin als Durchsetzung der Lebensbelange des einzelnen Menschen und der Menschengattung, als die „brutale Freiheit“42 des sich Behauptens der einzelnen Speziesmitglieder (und hiermit der Spezies), sondern als (zuzurechnendes) Handeln zu begreifen. Nach der berühmten Sentenz aus dem Vorwort zur Anthropologie heißt das, der Mensch hat seine Lebenswelt als etwas zu begreifen, das er selbst macht, machen kann und machen soll. Er selbst gestaltet sich zu dem animal rationabile, das er ist und das gemäß seiner Gestaltungsobligation bisweilen auch wirklich animal rationale ist. Zu dessen Rationalität gehört es, den „besonderen Gesichtspunkt der Weltbetrachtung zu wählen“43, gemäß welchem die Ereignisse, die bzw. sofern sie vom Menschen beeinflusst sind, also die Welt des Menschen, nach einer Idee als ein einheitliches Ganzes zu begreifen sind, das in der Abfolge der Ereignisse einen Gang ausmacht, in welchem nicht nur Zweckmäßiges, sondern so etwas wie Fortschritt sich etabliert, Fortschritt in der Entwicklung der Naturanlagen des Menschen. Deren Entwicklungspotential wird sukzessiv ausgeschöpft, in ihrer, wenn man das einmal so pointiert ausdrücken will, eine gewisse Denaturalisierung darstellenden Rationalisierung. Die gewisse Denaturalisierung ergibt die „Ruhe und Sicherheit“44 der bürgerlichen Gesellschaft. Selbstverständlich muss von diesem Gang etwas erfahrungsmäßig aufzeigbar sein. Das ist der Fall, sagt Kant. Weniges reicht aus. Denn aus dem Wenigen schon lässt sich die generelle Tendenz konstruieren. Wie auf Grund der Bestimmtheit eines Bahnsegmentes die Bestimmung der ganzen Bahn zu ermitteln ist, lehrt Kant, ist das Wesen der Geschichte aus dem wenigen erfahrungsmäßig zur Verfügung Stehenden zu bestimmen. Woran Kant hierbei denkt, macht er unmissverständlich. Es ist Aufklärung. Der Lauf der Geschichte ist Kant, auf das Ganze gesehen selbstverständlich, Aufklärung. Aufklärung als vernünftige Veranstaltung, ich komme darauf zurück, ist also Kants Angebot, wenn es darum geht, der Geschichte einen Sinn abzugewinnen. Von dieser Sinnkonzeption her ist über die bloße Narration hinauszukommen, ___________ 40

A.a.O., S. 22. A.a.O., S. 115. 42 A.a.O., S. 24. 43 A.a.O., S. 30. 44 A.a.O., S. 24. 41

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ist das Wissen um die Geschichte zur Wissenschaft zu befördern, zu einer empirischen Wissenschaft, zu einer Wissenschaft jenseits aller Chronik. Wir sehen: Kants Geschichtsphilosophie zielt auf einen Leitfaden, ein methodisches Regulativ, das Erfahrung konzipiert – deshalb nennt Kant den Leitfaden apriorisch –, die mit und neben der Konzeption von Erfahrung qua Erfahrung der Natur bestehen kann und besteht. Und nicht nur dies: Kants Geschichtsphilosophie ist Terminierung der Naturerfahrung und konveniert hierbei eben sogar mit der Naturerfahrung. Sie ist eine empirische Wissenschaft, aber nicht Naturwissenschaft. Deshalb ist sie der Lehre von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft nebenzuordnen. Sie ist Metaphysik der Geschichte, Metaphysik im Kantischen transzendentalphilosophischen Verstande, Lehre von den metaphysischen Anfangsgründen des Geschichtswissens, der Historie. Kant hat dies, wie erwähnt, selbst zu Beginn der Ideeabhandlung in einer ersten Anmerkung vermerkt. Ich nenne eine solche Lehre von den metaphysischen Anfangsgründen einer empirischen Wissenschaft Empiriologie. Kants Geschichtsphilosophie ist in diesem Verstande Empiriologie.

Zu Kants Lehre vom sensus communis aestheticus Kants Transzendentalphilosophie ist Geltungs- und Prinzipienlehre. Für eine solche Lehre ist es unverzichtbar, dass sie bezüglich eines jeden ein Geltungsproblem aufwerfenden Phänomens die prinzipientheoretische Begründungsaussage liefert. Kant ist der Meinung, dass dadurch Strukturen spezifischer Geltungsdifferenz aufgezeigt werden. Hierdurch bilden sich die Begriffe dessen heraus, was Kant in Übereinstimmung mit der Tradition, der er bei aller Originalität doch angehört, die Vermögen (Erkenntnisvermögen, Begehrungsvermögen, Geschmacksvermögen) nennt. Diese Vermögen spielen demnach eine systematisch zentrale Rolle im Denken Kants. Sie stehen jeweils für ein Problemgebiet geltungsdifferenter Strukturierung. In dieser Funktion lassen sie das an Bestimmtheit denken, was mit Kant das Subjekt zu nennen ist und das nichts anderes ist als die Geltungsqualifikation, die der Mensch in seinen Kulturleistungen zu erreichen vermag. Bekanntlich kennt Kant die drei systematisch zusammenhängenden Kulturleistungen der Theorie, der Moral oder Sittlichkeit und des Geschmacks. Entsprechend traktiert er das Subjekt als theoretisches Subjekt, als moralisches oder sittliches Subjekt und als ästhetisches Subjekt. Übereinstimmend geht es hierbei um eine je integrierende, nämlich allgemein transzendentale, sowie je spezifizierende, nämlich die Geltung differenzierende, in Konsequenz die phänomenale Welt regionalisierende funktionale Verfassung. Diese ist die des Urteils. Der Mensch urteilt theoretisch, praktisch, ästhetisch. Jede dieser drei Urteilsarten weist ihre Besonderheit auf. Die des ästhetischen Urteils sieht Kant darin, dass sich so etwas wie ein sensus communis ergibt, in der eigenen Funktionalität ästhetischer Geltung. Deshalb gestaltet sich die Lehre von der funktionalen Verfassung des Subjektes als eines ästhetischen, vom ästhetischen Urteil, zur Lehre vom sensus communis aestheticus. Sie bildet ob ihres systematischen Zusammenhanges eine der komplexesten Lehren der kritischen Philosophie. Dass sie ein Lehrstück der Kritik der Urteilskraft ausmacht, darf schon als Hinweis darauf betrachtet werden. Hiermit ist nämlich unmissverständlich angezeigt, dass sie die Prinzipation der Urteilskraft betrifft und dass sie somit das Verhältnis des Einzelnen zum Allgemeinen zum Thema hat. In der ‚Ersten Einleitung‘ der Kritik der Urteilskraft1 stellt Kant dies denn auch sogleich klar. ___________ 1

AA V, S. VII und VIII.

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Zu Kants Lehre vom sensus communis aestheticus

Zudem stellt er klar, dass dieses Verhältnis auch noch in der bestimmten Rücksicht nicht der Bestimmung des Gegenstandes, sondern der reflektierenden Beurteilung der Beziehung des Subjektes auf das Objekt oder, wie Kant es auch ausdrückt2, der bloß subjektiven Vorstellung des Objektes, welche „unmittelbar mit dem Gefühl der Lust verbunden ist“3, das Thema ist. Genau dieses Thema ist das des ästhetischen Urteils. In hinreichender, wenn auch nicht ganz zufriedenstellender Bestimmtheit gibt Kant die Aspekte dieses Themas an. Wenn mit der bloßen Auffassung (apprehensio) der Form eines Gegenstandes der Anschauung ohne Beziehung derselben auf einen Begriff zu einem bestimmten Erkenntniß Lust verbunden ist: so wird die Vorstellung dadurch nicht auf das Object, sondern lediglich auf das Subject bezogen; und die Lust kann nichts anders als die Angemessenheit desselben zu den Erkenntnißvermögen, die in der reflectirenden Urtheilskraft im Spiel sind, und sofern sie darin sind, also bloß eine subjective formale Zweckmäßigkeit des Objects ausdrücken. Denn jene Auffassung der Formen in die Einbildungskraft kann niemals geschehen, ohne daß die reflectirende Urtheilskraft, auch unabsichtlich, sie wenigstens mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen, vergliche. Wenn nun in dieser Vergleichung die Einbildungskraft (als Vermögen der Anschauungen a priori) zum Verstande (als Vermögen der Begriffe) durch eine gegebene Vorstellung unabsichtlich in Einstimmung versetzt und dadurch ein Gefühl der Lust erweckt wird, so muß der Gegenstand alsdann als zweckmäßig für die reflectirende Urtheilskraft angesehen werden. Ein solches Urtheil ist ein ästhetisches Urtheil über die Zweckmäßigkeit des Objects, welches sich auf keinem vorhandenen Begriffe vom Gegenstande gründet und keinen von ihm verschafft. Wessen Gegenstandes Form (nicht das Materielle seiner Vorstellung, als Empfindung) in der bloßen Reflexion über dieselbe (ohne Absicht auf einen von ihm zu erwerbenden Begriff) als der Grund einer Lust an der Vorstellung eines solches Objects beurtheilt wird: mit dessen Vorstellung wird diese Lust auch als nothwendig verbunden geurtheilt, folglich als nicht bloß für das Subject, welches diese Form auffaßt, sondern für jeden Urtheilenden überhaupt. Der Gegenstand heißt alsdann schön; und das Vermögen, durch eine solche Lust (folglich auch allgemeingültig) zu urtheilen, der Geschmack. Denn da der Grund der Lust bloß in der Form des Gegenstandes für die Reflexion überhaupt, mithin in keiner Empfindung des Gegenstandes und auch ohne Beziehung auf einen Begriff, der irgend eine Absicht enthielte, gesetzt wird: so ist es allein die Gesetzmäßigkeit im empirischen Gebrauche der Urtheilskraft überhaupt (Einheit der Einbildungskraft mit dem Verstande) in dem Subjecte, mit der die Vorstellung des Objects in der Reflexion, deren Bedingungen a priori allgemein gelten, zusammen stimmt; und da diese Zusammenstimmung des Gegenstandes mit den Vermögen des Subjects zufällig ist, so bewirkt sie die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit desselben in Ansehung der Erkenntnißvermögen des Subjects. Hier ist nun eine Lust, die wie alle Lust oder Unlust, welche nicht durch den Freiheitsbegriff (das ist durch die vorhergehende Bestimmung des oberen Begehrungsvermögens durch reine Vernunft) gewirkt wird, niemals aus Begriffen als mit der Vorstellung eines Gegenstandes nothwendig verbunden eingesehen werden kann, sondern jederzeit nur durch reflectirte Wahrnehmung als mit dieser verknüpft erkannt werden muß, folglich wie alle empirische Urtheile keine objective Nothwendigkeit

___________ 2 3

A.a.O., S. 188. A.a.O., S. 189.

Zu Kants Lehre vom sensus communis aestheticus

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ankündigen und auf Gültigkeit a priori Anspruch machen kann. Aber das Geschmacksurtheil macht auch nur Anspruch, wie jedes andere empirische Urtheil, für jedermann zu gelten, welches ungeachtet der inneren Zufälligkeit desselben immer möglich ist. Das Befremdende und Abweichende liegt nur darin: daß es nicht ein empirischer Begriff, sondern ein Gefühl der Lust (folglich gar kein Begriff) ist, welches doch durch das Geschmacksurtheil, gleich als ob es ein mit dem Erkennnisse des Objects verbundenes Prädicat wäre, jedermann zugemuthet und mit der Vorstellung desselben verknüpft werden soll. Ein einzelnes Erfahrungsurtheil, z.B. von dem, der in einem Bergkrystall einen beweglichen Tropfen Wasser wahrnimmt, verlangt mit Recht, daß ein jeder andere es eben so finden müsse, weil er dieses Urtheil nach den allgemeinen Bedingungen der bestimmenden Urtheilskraft unter den Gesetzen einer möglichen Erfahrung überhaupt gefällt hat. Eben so macht derjenige, welcher in der bloßen Reflexion über die Form eines Gegenstandes ohne Rücksicht auf einen Begriff Lust empfindet, obzwar dieses Urtheil empirisch und ein einzelnes Urtheil ist, mit Recht Anspruch auf Jedermanns Beistimmung: weil der Grund zu dieser Lust in der allgemeinen, obzwar subjectiven Bedingung der reflectirenden Urtheile, nämlich der zweckmäßigen Übereinstimmung eines Gegenstandes (er sei Product der Natur oder der Kunst) mit dem Verhältniß der Erkenntnißvermögen unter sich, die zu jedem empirischen Erkenntniß erfordert werden (der Einbildungskraft und des Verstandes), angetroffen wird. Die Lust ist also im Geschmacksurtheile zwar von einer empirischen Vorstellung abhängig und kann a priori mit keinem Begriffe verbunden werden (man kann a priori nicht bestimmen, welcher Gegenstand dem Geschmacke gemäß sein werde, oder nicht, man muß ihn versuchen); aber sie ist doch der Bestimmungsgrund dieses Urtheils nur dadurch, daß man sich bewußt ist, sie beruhe bloß auf der Reflexion und den allgemeinen, obwohl nur subjectiven, Bedingungen der Übereinstimmung derselben zum Erkenntniß der Objecte überhaupt, für welche die Form des Objects zweckmäßig ist.4

Der Fokus all dieser Aspekte ist der Geltungsmodus der allgemeinen begrifflosen, auf ein Gefühl der Lust zielenden Zumutung (der Zumutung gegenüber jedermann). Das ästhetische Urteil ist ein solches vom theoretischen wie vom praktischen Urteil gleichermaßen unterschiedenes, Einstimmung forderndes Zumutungs- oder Ansinnungsurteil. Als solches hat es entgegen der Verwendung des in diesem Kontext misszuverstehenden Ausdruckes „allgemeingültig“5 nicht die Wertigkeit der Allgemeingültigkeit, sondern vielmehr die der „Gemeingültigkeit“6. Im Bewusstsein schlägt sich diese Geltungswertigkeit der Gemeingültigkeit, des einhelligen Wohlgefallens, als „die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes, d.i. eines Beurtheilungsvermögens [nieder], welches in seiner Reflexion auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um gleichsam an die gesammte Menschenvernunft sein Urtheil zu halten [...]“7. Das heißt: Es geht um „exemplarische Gültigkeit“8. ___________ 4

A.a.O., S. 189–191. A.a.O., S. 190, Z. 21. 6 A.a.O., S. 214. 7 A.a.O., S. 293. 8 A.a.O., S. 239. 5

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Zu Kants Lehre vom sensus communis aestheticus

Das mit einer Vorstellung verbundene Gefühl wird als für deren Geltung exemplarisch und insofern obwohl selbst empirisch und vereinzelt als normativ, zur Einhelligkeit auffordernd betrachtet. Diese Betrachtungsart ist also der sensus communis aestheticus. Ungeachtet seiner „inneren Zufälligkeit“ wird beansprucht, dass das Urteil für jedermann gelte9. Die Frage ist, was will Kant mit dieser Einschätzung erreichen. Ich meine, das sollte auch anhand dieser knappen Entwicklung der Lehre vom sensus communis aestheticus klar werden. Kant will nicht nur einen eigenen, gegen den theoretisch-erfahrungswissenschaftlichen und den praktisch-moralischen Geltungsmodus abhebaren Geltungsmodus freilegen, er will auch sicherstellen, dass dieser eigene Geltungsmodus jene beiden anderen, zeitlich vorgängig abgehandelten und sachlich vorgängig abzuhandelnden Geltungsmodi nicht beeinträchtigt, ja er will, dass er mit jenen beiden verträglich ist und zusammenbestehen kann, dass er diese in gewisser Weise sogar zusammenbindet. Das Zusammenbinden des theoretisch-erfahrungswissenschaftlichen und des praktischmoralischen Geltungsmodus ist hierbei der entscheidende Punkt. Denn dieses sichert jenen spezifizierenden Interessen die ihnen mögliche Kultiviertheit. Im sensus communis aestheticus zusammengebunden sind die getrennten und gegeneinander abgehobenen und abzuhebenden Interessen kultivierte Interessen in dem Kantischen Verstande der zu ihrer fortgehenden Entwicklung gebrachten Naturanlagen des Menschen.10 „Kultiviert“ meint hierbei im Kantischen Verstande Zweckmäßigkeit ohne Zweck und das freie Spiel der Erkenntniskräfte, die Kommunikation in der Weise der auf die allgemeine Mitteilbarkeit des bei all dem vorliegenden Gemütszustandes der ästhetischen Lust zielenden Belebung (Stimulation) der Erkenntniskräfte11. In den Ausführungen der auf den sensus communis aestheticus-Paragraphen folgenden Paragraphen 41 und 42 wird davon auch direkt gehandelt. Die Stichwörter sind die der Verfeinerung und der Zivilisierung12 sowie das der Kultivierung des sittlichen Gefühls13 und schließlich das der schönen Seele.14 ___________ 9

A.a.O., S. 191. Es ist der Erwähnung wert, dass mit Rücksicht auf diesen Sachverhalt die Thematik des sensus communis ganz allgemein in vergleichbarer Stellung in die Thematik des Verhältnisses von Natur und geschichtlicher Welt und somit in die Erörterung der Frage der Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft, das ist von Recht und Staat als positiver Phänomene, hineinspielt. Auch das Vorhandensein positiven Rechts und empirischer Staatlichkeit ist Ausdruck von Kultiviertheit. 11 AA V, S. 296. 12 A.a.O., S. 297. 13 A.a.O., S. 299 f. 14 A.a.O., S. 300. Gerade dieses letzte Stichwort zeigt an, woher Schillers Lehre von der ästhetischen Erziehung des Menschen ihre Anregung bezogen hat. 10

Zu Kants Lehre vom sensus communis aestheticus

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Arbeitet man die durch diese Stichwörter angezeigten Gedanken heraus, so ergibt sich zuerst, dass die Steigerung des Raffinements in den gesellschaftlichen Verhältnissen des Menschen, des Umgangs der Menschen miteinander, insbesondere der wechselseitigen Mitteilung untereinander, ein wesentliches Element der Humanität ist. Diese zeigt hierdurch die Komponente eines übergreifenden Sentiments. Die Idee von der allgemeinen Mitteilbarkeit dieses Sentiments verleiht diesem einen unverzichtbaren wie unschätzbaren Wert. Es gründet sich ein zivilisatorischer Habitus. Dann aber ergibt sich, und das ist weit gewichtiger, dass ein „Übergang unseres Beurtheilungsvermögens von dem Sinnengenuß zum Sittengefühl“ zu endecken ist15, vorausgesetzt selbstverständlich, dass es gelingt, den Geschmack zu seiner „Reinigkeit“ heranzubilden und nicht „mit allen Neigungen und Leidenschaften … zusammenschmelzen“ zu lassen16. Es kristallisiert sich das heraus, was Kant kennzeichnet als „Analogie zwischen dem reinen Geschmacksurtheile, welches, ohne von irgend einem Interesse abzuhängen, ein Wohlgefallen fühlen läßt und es zugleich a priori als der Menschheit überhaupt anständig vorstellt, und dem moralischen Urtheile, welches eben dasselbe aus Begriffen thut, auch ohne deutliches, subtiles und vorsätzliches Nachdenken auf ein gleichmäßiges unmittelbares Interesse an dem Gegenstande des ersteren, so wie an dem des letzteren: nur daß jenes ein freies, dieses ein auf objective Gesetze gegründetes Interesse ist. Dazu kommt noch die Bewunderung der Natur, die sich an ihren schönen Producten als Kunst, nicht bloß durch Zufall, sondern gleichsam absichtlich, nach gesetzmäßiger Anordnung und als Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zeigt: welchen letzteren, da wir ihn äußerlich nirgend antreffen, wir natürlicher Weise in uns selbst und zwar in demjenigen, was den letzten Zweck unseres Daseins ausmacht, nämlich der moralischen Bestimmung, suchen“17. In Bezug auf diese Kristallisation kann Kant von der „schönen Seele“ reden.18 Am Ende kann also gesagt werden, der sensus communis aestheticus ist die Subjektsfunktion, worin den Interessen des Subjektes ihre letztliche Kultiviertheit zuwächst. Der Mensch, dem er Attitüde ist, dokumentiert, dass er ein exemplarischer Repräsentant der Kultiviertheit ist, dass ihm, präzise gesagt, in ___________ 15

AA V, S. 297. A.a.O., S. 298. 17 A.a.O., S. 301. 18 A.a.O., S. 300. Es gehört zur Besonderheit dieses Kantischen Lehrstückes, dass darin eine Gewichtung zwischen Naturschönheit und Kunstschönheit vorgenommen wird. Nur in der Schätzung des Naturschönen kann von der schönen Seele die Rede sein. Die Schätzung des Kunstschönen berechtigt nicht zur Rede von der schönen Seele. Das hat letztlich zu tun mit dem prinzipientheoretischen Hintergrund der Kantischen Ästhetik. Zu diesem Hintergrund gehört der Zweckmäßigkeitsgedanke. Es ist deshalb auch nicht zufällig, dass Ästhetik und Naturteleolgie in der ‚Kritik der Urteilskraft‘ vereinigt sind. 16

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Zu Kants Lehre vom sensus communis aestheticus

der, mit der Kultivierung das Gefühl der Lust zuwächst, dass mit anderen Worten in ihm die Vernunftinteressen, und zwar sämtliche, Erfüllung erfahren, dass er den Kulminationspunkt der Kultiviertheit erreicht hat. Worin, das ist allerdings noch die Frage, hat dieser Sachverhalt seine prinzipientheoretisch fassbare Konkretion. Auch auf diese Frage hat Kant die Antwort parat. Sie besteht in seiner Lehre vom Symbol bzw. von der symbolischen Darstellung19. In der symbolischen Darstellung, so lehrt Kant, wird geurteilt, indem versinnlicht wird. Selbst nicht Sinnliches, in Kantischer Terminologie Intelligibeles, wird sinnlich fassbar gemacht, und zwar auf eine „unbegränzte Art“, das heißt schöpferisch. Es ist die Einbildungskraft, die diese schöpferische Leistung vollbringt. Durch sie wird das, dessen Begriff sich nicht adäquat darstellen lässt, gleichwohl mit Attributen versehen und so „die Aussicht in ein unabsehliches Feld verwandter Vorstellungen eröffnet“, wird eine ästhetische Idee geboten bzw. aufgenommen. In dieser ist „auf unentwickelte Art“ etwas gedacht, das weit über das hinausgeht, was „sich in einem Begriffe, mithin in einen bestimmten Sprachausdruck zusammenfassen läßt“20. Die Versinnlichung, die da vollbracht wird, ist somit keine semiotische Angelegenheit, in Kants Redeweise, keine Angelegenheit der Charakterisierung. Sie hat es nicht damit zu tun, ein Zeichen für einen Begriff respektive Gegenstand zu finden. Sie veranschaulicht Gedanken. Sie bringt diese zur intuitiven Präsenz. Ohne auf eine Charakterisierung hinauszulaufen, tut sie deren Realität dar. Gemäß der Kantischen Terminologie ist das ihr konkreter Geltungsausweis, der spezifisch ästhetische Geltungsausweis. Von diesem ist also zu sagen, dass er so etwas wie eine Geltungsübertragung ausmacht. Es wird die Geltung der Reflexion über einen Gegenstand, der in der Anschauung gegeben ist (der empirischer Gegenstand ist), übertragen auf die Geltung der Reflexion über eine inexponible Vorstellung, das heißt auf die Reflexion eines Begriffes, dem keine Anschauung korrespondiert und womöglich überhaupt keine zu korrespondieren vermag. Es erfolgt eine subiectio sub adspectum, eine (symbolische) Hypotypose. Das ist der prinzipientheoretische Befund. Er bestätigt, dass dem sensus communis aestheticus die zentrale Rolle zufällt, die Kultivierung der Subjektsinteressen einheitlich zu repräsentieren. Dadurch, dass in ihm die aufgedeckte Geltungsübertragung vorliegt, steht er für den intuitiven Zugang zur Welt der theoretischen wie der praktischen Ideen, und zwar vor und neben der theoretisch-erfahrungswissenschaftlichen Reflexion und dem in deren Bildungsprozess erreichten Stand der Theorie wie vor und neben der praktischmoralischen Reflexion und dem in deren Bildungsprozess erreichten Stand der ___________ 19

Zu dieser vgl. in diesem Bande „Zu Kants Lehre von der symbolischen Darstellung“, S. 217–229. 20 Alle Zitate: AA V, S. 315.

Zu Kants Lehre vom sensus communis aestheticus

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Sittlichkeit. Die Möglichkeit dieses Zuganges ist nach Kant ein enormer, gar nicht zu überschätzender Vorzug. Mit ihm eröffnen sich nämlich genau die Perspektiven, die er im Auge hat, wenn er dem sensus communis aestheticus die Rolle zuschreibt, mit der in ihrer Kulmination erzielten Vereinigung der Interessen des Subjektes ein gewisses Lustgefühl zu vermitteln. Sie sind reich. Wie reich sie sind, lässt sich wohl am besten daran ermessen, dass Kant im Besonderen die Sprache ins Auge fasst. Sie ist weitgehend symbolische Darstellung. Das heißt: Kant erkennt der Sprache zu, in ihren Ausdrücken uns den Zugang zu den reinen Gedanken, zur Welt der Ideen zu eröffnen, nicht in Begriffen, sondern in „reflectirter Wahrnehmung“. Wir sind mit ihr längst kompetent, des Intelligibelen in uns ansichtig zu werden. Dessen Bereich ist uns in der Sprache in einem größeren oder geringeren Reichtum immer schon intuitiv erschlossen. Die Sprache ist insofern latent immer schon schöne Sprache. – Wie mit der Sprache verhält es sich mit vielen Hervorbringungen des menschlichen Geistes. Sie alle haben ihren latenten ästhetischen Akzent. Sie stellen darin fern aller logischen Deduktion ihre der Natur als Künstlichkeit gegenübertretende und hierin die Grenzen der Naturbestimmtheit in der Weise, dass der Subjektsbestimmtheit (des Menschen) das Wohlgefallen, das Gefühl der Lust integriert ist, dokumentierende Kultiviertheit unter Beweis. Die fragliche Dokumentation als solche oder, wenn man so will, das Beweisstück ist höchst konkret. Es ist die „schöne Seele“. Die „schöne Seele“ ist eine Geltungsqualifikation. Sie ist die Geltungsqualifikation, in der die Kultiviertheit des Menschen ihre umfassende exemplarische Repräsentation erfährt. Kant will dieses Beweisstück der „schönen Seele“ hoch, sehr hoch eingeschätzt wissen. Aber ebenso sicher ist, dass diese Kultiviertheit seiner Meinung nach weder den theoretisch-erfahrungswissenschaftlichen Certismus noch den praktisch-sittlichen Rigorismus überflüssig macht und machen kann. Seine restringierende Beurteilung der Kunst ist der beste Beleg hierfür. Weitere Belege lassen sich anführen. Ein besonders interessanter ist die auf ihren Kultuscharakter Bezug nehmende Beurteilung der Religion in Kants religionsphilosophischen Äußerungen.

Zu Kants Lehre von der symbolischen Darstellung Es ist bekannt, die Kantische Ästhetik hat, kaum dass sie publik geworden war, mächtigen Eindruck gemacht. Wie ebenfalls bekannt ist, sind die Vorstellungen der deutschen Klassik in hohem Maße durch eben diese Lehre beeinflusst. Schiller galt und gilt noch immer und mit gutem Grunde als Kantianer. Aber auch Goethe hat nach eigenem Eingeständnis1 für sein Denken viel von der ästhetischen Lehre der Kritik der Urteilskraft profitiert. Doch hat diese Wirkung der Kantischen Ästhetik nicht lange angehalten. Für die nachklassische Zeit gilt, dass die Kantische Ästhetik nur eine geringe Wirkung ausgeübt hat. Konkurrierende ästhetische Doktrinen, zu denken ist vor allem an die Lehren der Schlegel, Solgers und insbesondere Hegels, haben ihren Einfluss zurückgedrängt. Die Renaissance der Kantischen Philosophie im Neukantianismus hat nicht die Änderung gebracht, die man vermuten möchte. Wenn man die Sachlage genau beurteilt, so muss man eingestehen, dass die Rezeption und die Auswertung der Kantischen Ästhetik im Neukantianismus doch ziemlich unzureichend geblieben sind. Die Neukantianer waren an der Ästhetik Kants eben doch weniger der ästhetischen Probleme wegen als der transzendentalen Systematik wegen interessiert. Gerade Hermann Cohens dritte große Kantschrift, Kants Begründung der Ästhetik (1889), in der doch wahrhaft einiges für das Verständnis der Kantischen Ästhetik geleistet ist, muss zum Beleg für dieses Urteil genannt werden. Nach dem Abklingen des Neukantianismus ändert sich die Sachlage wiederum nur geringfügig. Bis in die jüngste Zeit hinein steht die Kritik der Urteilskraft als dritte Kritik im Vordergrund des Interesses. Peter Heintels Buch über Die Bedeutung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft für die transzendentale Systematik (1970) mag hierfür angeführt werden. Interessiert die Kritik der Urteilskraft nicht in ihrer Bedeutung für die transzendentale Systematik, so geht es um die „Neubesinnung auf die ästhetischen Grundprobleme“. Die Formulierung stammt von Karl Neumann, dessen von Überlegungen Ingeborg Heidemanns2 und Josef Königs3 beeinflusste Schrift über Gegen___________ 1

Vgl. besonders die kurze Schrift „Einwirkung der neueren Philosophie“, in: Johann Wolfgang von Goethe, Werke (Hamburger Ausgabe), Hamburg 121999, S. 27 f. 2 Der Begriff des Spieles und das ästhetische Weltbild in der Philosophie der Gegenwart, Berlin 1968. 3 Josef König, Der Begriff der Intuition, Halle 1926; ders., Die Natur der ästhetischen Wirkung, in: Klaus Ziegler (Hg.), Wesen und Wirklichkeit des Menschen. Festschrift für H. Plessner, Göttingen 1957, S. 283 ff.

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ständlichkeit und Existenzbedeutung des Schönen (1973) man als Beispiel für diese Forschungstendenz nennen könnte. Weil jedoch auch diese Forschungen die Detailuntersuchungen missen lassen, die sonst in der Kantforschung üblich sind, die die Gedankengänge der Kritik der reinen Vernunft und auch die der Kritik der praktischen Vernunft bis in ihre Feinstruktur hinein aufzuklären und so als bestimmtes Problemlösungsangebot bereitzustellen suchen – verwiesen sei nur auf die vielfältigen und wiederholten Untersuchungen zur Kategoriendeduktion und ihre Einbringung in die Diskussion zur Geltung empirischer Allgemeinaussagen –, ist das Urteil unausweichlich, dass die Wirkungsgeschichte der Kantischen Ästhetik erheblich von derjenigen der theoretischen Philosophie Kants und auch derjenigen der praktischen Philosophie Kants abweicht. Wir haben es somit mit einer Forschungslage zu tun, die, wie ich meine, zu beklagen ist. Sie ist meiner Meinung nach um so mehr zu beklagen, als Kants ästhetische Lehre in nicht wenigen ihrer Details Lehrstücke enthält, die als Problemlösungsangebot in aktuellen Problemlagen gewertet werden dürfen und müssen. Weil sie die Kantforschung vernachlässigt, das heißt: nicht oder nicht hinreichend würdigt, werden diese Lehrstücke bei der Problemlösung nicht genutzt, können sie nicht genutzt werden. Kants Lehre von der symbolischen Darstellung ist ein solches Lehrstück, dessen unzureichende Kenntnis uns um ein Angebot zur systematischen Problemlösung bringt. Von diesem Lehrstück der Kantischen Ästhetik gibt es bislang keine zureichende Würdigung. Es wird stets nur sehr unzureichend behandelt. Lediglich Friedrich Kaulbach geht in seiner Philosophie der Beschreibung überhaupt angemessen auf es ein4. Wir wollen dieses Lehrstück der Kantischen Ästhetik, das Kant für ein so zentrales Lehrstück hielt, dass er in seiner Selbstdarstellung der kritischen Philosophie in der 1. Abteilung der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik (1791) an ausgezeichneter Stelle, nämlich am Schluss und unter dem Titel „Von der Art, den reinen Verstandes- und Vernunftbegriffen objective Realität zu verschaffen“, ausdrücklich auf es verweist, zum Thema unserer folgenden Überlegungen machen. Nach unseren Untersuchungen hat sich nämlich gezeigt, dass dieses Lehrstück, so man es nur sorgfältig genug erfasst, ein Angebot an die Kunstwissenschaft ganz allgemein, die Literaturwissenschaft im besonderen ___________ 4

Vgl. Friedrich Kaulbach, Philosophie der Beschreibung, Köln/Graz 1968, S. 324 ff. Die folgenden Ausführungen schließen sich in einigen Stücken der Würdigung Kaulbachs an. In anderen weichen sie von derjenigen Kaulbachs ab. – Vermerkt sei, dass die einschlägigen Ausführungen Kaulbachs in seinem (früheren) Aufsatz „Schema, Bild und Modell nach den Voraussetzungen des Kantischen Denkens“ (vgl. Studium Generale, Jg. 18 [1965], S. 475) mit ihrer Verbindung des Symbol- und des Modellbegriffes Kants Lehre von der symbolischen Darstellung gerade nicht gerecht werden.

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einschließt, das dieser gerade in ihrer gegenwärtigen Lage nur dienlich sein kann. Wir meinen: In Kants Lehre von der symbolischen Darstellung ist eine Perspektive aufgezeigt, in der die Kunstwissenschaft, die Literaturwissenschaft insbesondere, die gegenwärtig durch eine Vielzahl neben- und auch gegeneinanderstehender methodischer Ansätze gekennzeichnet ist – ich nenne die Stichworte „werkimmanente Interpretation“ (Emil Staiger: Die Kunst der Interpretation, 1955; Wolfgang Kayser: Das sprachliche Kunstwerk, 1948), „literary criticism“ (René Wellek/Austin Warren: Theory of Literature, 1949), „literarische Wertung“ (Hans-Egon Hass: Das Problem der literarischen Wertung, 1959; Walter Müller-Seidel: Probleme der literarischen Wertung, 1965; Fritz Lockemann: Literaturwissenschaft und literarische Wertung, 1965; Jochen Schulte-Sasse: Literarische Wertung, 21976), „Strukturalismus“ (Jens Ihwe, Hg.: Literaturwissenschaft und Linguistik, 3 Bde., 1971 f.; Rolf Kloepfer: Poetik und Linguistik, 1975), „Textlinguistik und konkrete Dichtung“ (Siegfried J. Schmidt: Konkrete Dichtung, 1968; ders.: Literaturwissenschaft als argumentierende Wissenschaft, 1975), „Literatursoziologie“ (Hans Norbert Fügen, Hg.: Wege der Literatursoziologie, 1968; Hans Günther: Funktionsanalyse der Literatur, in: Jürgen Kolbe, Hg.: Neue Ansichten einer künftigen Germanistik, 1973), „ideologiekritische Literaturwissenschaft“ (Norbert Mecklenburg: Kritisches Interpretieren, 1972), „hermeneutisch-dialektische Literaturwissenschaft“ (Norbert Mecklenburg/Harro Müller-Michaelis: Erkenntnisinteresse und Literatur, 1974), „kritisch-rationale Literaturwissenschaft“ (Karl Eibl: Kritisch-rationale Literaturwissenschaft, 1976; Dieter Freundlieb: Zur Wissenschaftstheorie der Literaturwissenschaft, 1978), „kommunikationstheoretische, -ästhetische Literaturwissenschaft“ (Jürgen Landwehr: Text und Fiktion, 1975; Günter Waldmann: Kommunikationsästhetik, 1976), „Rezeptionsästhetik“ (Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation, 1970; Wolfgang Iser: Der implizite Leser, 1972) –, systematisch zu stabilisieren oder, wenn man so will, zu restabilisieren ist. Kants Lehre von der symbolischen Darstellung ist im § 59 der Kritik der Urteilskraft, das ist am Schluss der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft abgehandelt. Sie fußt somit auf der Auflösung der Antinomie des Geschmacks und damit auf einer komplexen vorgängigen Einsicht. Diese komplexe vorgängige Einsicht müssen wir also zunächst zu unserer Kenntnis bringen. Sie umfasst mehrere Hauptpunkte, die wir darlegen wollen. Erstens besagt sie, dass der Geschmack eine Angelegenheit „einer bloß reflectirenden ästhetischen Urtheilskraft“5 ist. Er hat also nichts mit der zur Gegenstandsbestimmung un___________ 5 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft (1793), in: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Kants gesammelte Schriften. Werke [nachfolgend: AA], Bd. V, Berlin 1913, S. 341 = B 238. Die folgenden Seitennachweise beziehen sich auf die Kritik der Urteilskraft. Das vorangestellte B verweist auf die zweite Auflage.

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erlässlichen bestimmenden Urteilskraft zu tun.6 Sie (die komplexe vorgängige Einsicht, auf der Kants Lehre von der symbolischen Darstellung aufbaut) besagt zweitens, dass „die ästhetische Urtheilskraft in Ansehung des Urtheils, ob etwas schön sei [...], selbst gesetzgebend ist“7. Damit besagt sie, drittens, dass „in Beurtheilung des Schönen der Natur und der Kunst“8 „das Richtmaß“9 der Schönheit im urteilenden Subjekt selbst liegt. Und damit ist, viertens, klar, dass für Schönheit nur ein subjektives Richtmaß, ein subjektives Prinzip zur Verfügung steht und stehen kann. Fünftens gilt, dieses subjektive Prinzip, auf Grund dessen das Geschmacksurteil „a priori Gültigkeit für jedermann fordert“10, ist das „Princip der Idealität der Zweckmäßigkeit im Schönen“11, der Zweckmäßigkeit ohne Vorstellung eines Zweckes. Dieses dem Geschmacksurteil zugrundeliegende, das Geschmacksurteil ermöglichende, subjektive und doch allgemeine Geltung bedingende Prinzip, demgemäß der letzte, durch das Intelligible der Natur des Subjektes gegebene Zweck darin besteht, sämtliche Erkenntnisvermögen des Subjektes im freien Spiel der Einbildungskraft „zusammenstimmend zu machen“12, begründet, sechstens, die spezifische Regulation des Ästhetischen. Sie ist Regulation der (lustvollen) Aufnahme der Natur und der Produktion der Kunst. Nicht als was das Objekt zu bestimmen und auch nicht, welchem bestimmten Zwecke es dient (deshalb Zweckmäßigkeit ohne Vorstellung eines Zweckes), sondern wie es mit Vergnügen aufzunehmen bzw. wie es lustvoll zu imaginieren ist, wird geregelt. Das sind, wie aus der Philosophiegeschichte bekannt ist, sehr bedeutsame und für die Ästhetik-Grundlegung entscheidende Gedanken. Was müssen wir für die Untersuchung der Lehre Kants von der symbolischen Darstellung aus ihnen entnehmen? Wir müssen aus ihnen entnehmen, dass Kant bei seiner Lehre von der symbolischen Darstellung davon ausgeht: eine ästhetische Vorstellung ist intuitive (nicht diskursive) Vorstellung. Sie ist intuitive Vorstellungsart, wie Kant sagt. Sie urteilt, indem sie versinnlicht. Die Lehre von der symboli___________ 6

Die Differenz von bestimmender und reflektierender Urteilskraft ist grundlegend für Kants Konstitutionslehre. Die bestimmende Urteilskraft subsumiert Besonderes unter das (gegebene) Allgemeine, letzthin unter das schlechthin Allgemeine der Verstandesgrundsätze respektive Kategorien. Die reflektierende Urteilskraft, die ästhetische, aber auch theoretisch-teleologische sein kann, subsumiert nicht. Sie geht vom Besonderen aus und führt dieses nach dem Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit, das sie sich selbst gibt und geben muss, auf das Allgemeine zurück bzw. ordnet es systematisch so, dass seine Ordnung eine Hierarchie ausmacht. Als ästhetische ist die Urteilskraft subjektiv und rein formal und unmittelbar auf das Gefühl der Lust oder Unlust bezogen. 7 AA V, S. 350 = B 252. 8 AA V, S. 351 = B 254. 9 AA V, S. 350 = B 252. 10 AA V, S. 351 = B 254. 11 AA V, S. 350 = B 252. 12 AA V, S. 344 = B 242 f.

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schen Darstellung dient dazu, diese intuitive Vorstellungsart, diese Versinnlichung zu explizieren. Wir kommen also nun zu dieser Lehre von der symbolischen Darstellung selbst. Die Sache liegt so: Zunächst macht Kant in Übereinstimmung mit seiner Lehre von der Einbildungskraft, die das Vermögen der Darstellung ist13, klar, dass die Versinnlichung, die er im Auge hat, Darstellung ist. Selbst nicht Sinnliches wird sinnlich fassbar gemacht, wird, diesen Terminus weit genug gefasst, ins Bild gebracht, bildhaft ausgedrückt, vor die Augen gestellt. Kant bietet zur terminologischen Fixierung die Wendung „subiectio sub adspectum“, den griechischen Terminus der Hypotypose und den lateinischen Terminus der exhibitio auf14. Dass er mehrere Termini bemüht, lässt vermuten, dass man die Sache unterschiedlich akzentuieren kann15. Aber es gilt doch: Die genannten Termini sollen übereinstimmend dazu verhelfen, die Darstellung vom bloßen Charakterismus, das heißt: von der Bezeichnung des Begriffes durch das „begleitende sinnliche Zeichen“16 abzuheben. Diese Abhebung bringt schon den vollen Aufschluss. Während die bloßen Charakterismen „in subjectiver Absicht zum Mittel der Reproduction dienen“17, also ein semiotisches Problem aufwerfen, dient die Darstellung der über die semiotische Problematik hinausliegenden. Veranschaulichung. Veranschaulichung ist hier also kein Problem irgendeines Zeichens. Die Veranschaulichung, um die es Kant geht, veranschaulicht jeweils einen Gedanken. Sie unterlegt dem Gedanken sein Bild. Sie tut im Bild seine Realität dar. Einem Gedanken seine Realität dartun aber ist in Kantischer Terminologie das Unternehmen des Geltungsausweises des Gedankens. (Ganz im Sinne dieser Zuspitzung bringt Kant im ersten Satz des § 59 die geltungstheoretische Grundthese seiner Transzendentalphilosophie in Erinnerung: „Die Realität unserer Begriffe darzuthun, werden immer Anschauungen erfordert“18.) Wir müssen also festhalten: Die Darstellung, so wie sie Kant im § 59 der Kritik der Urteilskraft fasst, ist der spezifisch ästhetische, intuitive Geltungsausweis des (eines) Gedankens. Das ist der Darstellungsbegriff der Kantischen Lehre von der symbolischen Darstellung. ___________ 13

Vgl. AA V, S. 232 = B 54 f. AA V, S. 351 f. = B 255. 15 Vgl. die Lehre vom Bezeichnungsvermögen im § 38 der Anthropologie: AA, Berlin 1917, Bd. VII, S. 191 f. 16 AA V, S. 352 = B 255. 17 Ebd. = B 255 f. 18 AA V, S. 351 = B 254. 14

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Seine Klarstellung ist das erste Stück der Kantischen Lehre von der symbolischen Darstellung. Die Unterscheidung von schematischer und symbolischer Darstellung ist ihr zweites und, wie wir meinen, nicht weniger wichtiges, weil den Hauptgedanken dieser Lehre abrundendes Stück. Schauen wir uns also diese Unterscheidung an! Die Unterscheidung ist strikt alternativ: die Darstellung – das zielt auf die Darstellung in dem definierten Verstande des spezifisch ästhetischen, intuitiven Geltungsausweises eines Gedankens – ist entweder schematisch oder sie ist symbolisch. In der schematischen Darstellung wird „einem Begriffe, den der Verstand faßt, die correspondirende Anschauung a priori gegeben“19. Diese Vorstellung entspricht ganz der Position des SchematismusKapitels der Kritik der reinen Vernunft, wo es um den empirischen Gebrauch der reinen Verstandesbegriffe, um die Bedingung der Anwendbarkeit der Kategorien auf Erscheinungen geht: Ein im Begriff allgemein gedachter Gegenstand wird durch die Schematisierung des Verstandesbegriffes konkret bestimmbar. Völlig neuartig ist dagegen der Begriff der symbolischen Darstellung. Dieser Begriff gilt der Darstellung, „da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche [zu ergänzen: sinnliche Anschauung] untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urtheilskraft demjenigen, was sie im Schematisiren beobachtet, bloß analogisch ist, d.i. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach übereinkommt“20. Die bloße Erinnerung der systematischen Stellung der bei dieser Begriffsbestimmung benutzten Bestimmungsbegriffe innerhalb des Kantischen Argumentationssystemes, der Begriffe Verstand, Vernunft, Denken, Begriff, Anschauung, sinnliche Anschauung sowie ihrer Verknüpfung durch den Begriff der Urteilskraft, näherhin der reflektierenden Urteilskraft, macht offensichtlich, dass die vorgetragene Begriffsbestimmung die ästhetische Spezifikation des Darstellungsbegriffes beinhaltet. Doch es kommt auf die einzelnen Punkte an. Wir wollen diese darum herausstellen. Es handelt sich um fünf Punkte. Erstens, in der symbolischen Darstellung wird nicht ein Verstandesbegriff, sondern ein Vernunftbegriff veranschaulicht. Der Begriff ist in ihr nicht Moment der Gesetzgebung des Verstandes, sondern der Vernunft; er ist Idee. Darum kann ihm, zweitens, direkt überhaupt keine Anschauung angemessen sein. Kant führt das im vierten Absatz des § 59 mit hinreichender Deutlichkeit aus.21 Dabei ergibt sich, drittens: Während die schematische Darstellung direkte Darstellung eines ___________ 19

AA V, S. 351 = B 255. Ebd. 21 Nicht hinreichend sind die Ausführungen in der Selbstdarstellung der kritischen Philosophie in der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik (vgl. AA XX, S. 279 f.) und die im § 38 der Anthropologie (vgl. AA VII, S. 191 f.). 20

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Begriffes a priori ist, ist die symbolische Darstellung indirekte Darstellung eines Begriffes a priori. In der ersteren, in der schematischen Darstellung, ist die Geltung des Begriffes a priori demonstrativ dargetan. In der zweiten, der symbolischen Darstellung, ist sie „vermittelst einer Analogie“22, „nach einer Analogie“23 mit einer direkten Anschauung dargetan. Darum ist, viertens, das Symbol eine Vorstellung, die eine indirekte Darstellung eines Begriffes a priori, einer Idee, enthält. Es ist analogische Vorstellung. Diese analogische Vorstellung, die nicht wie die schematische in der Funktion der bestimmenden Urteilskraft, sondern in der Funktion der reflektierenden Urteilskraft gründet, ist, wie Kant sagt, die Verrichtung eines doppelten Geschäftes. Die Analogie etabliert sich in der Verrichtung dieses doppelten Geschäftes. Das doppelte Geschäft selbst, das ist der fünfte Punkt der Spezifikation der symbolischen Darstellung im § 59 der Kritik der Urteilskraft, besteht darin, dass ein Begriff mit einem Gegenstand einer sinnlichen Anschauung zusammen gebracht wird und dass dann die bloße Regel der Reflexion über jenen Gegenstand der Anschauung (resp. jene Anschauung) auf einen ganz anderen Gegenstand (resp. einen ganz anderen Begriff) angewendet wird24. Mit anderen, wiederum Kantischen Worten, die „Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung [wird] auf einen ganz anderen Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direct correspondiren kann“, übertragen25. So ist all unsere Erkenntnis von Gott, die mit den „Eigenschaften Verstand, Wille usw.“ arbeitet, bloß symbolisch26. So erzeugt die ästhetische Beurteilung, auch das ein Beispiel Kants, die symbolische Darstellung des „nach inneren Volksgesetzen“ beherrschten monarchischen Staates als eines beseelten Körpers, des despotisch beherrschten monarchischen Staates als einer Handmühle27; so erzeugt die ästhetische Beurteilung, dies das besonders eingängige Beispiel Kaulbachs28, die symbolische Darstellung der Gerechtigkeit als einer Wägung; so nennen wir „Gebäude oder Bäume majestätisch und prächtig, oder Gefilde lachend und fröhlich“, dies wieder Exempel Kants29. So viel zur Bestimmung des Begriffes der symbolischen Darstellung. Nun zu seiner Einschätzung. Der ästhetisch spezifizierte Darstellungsbegriff, der Begriff der symbolischen Darstellung, der, wie wiederholt sei, die Übertragung der Reflexion über ___________ 22

AA V, S. 352 = B 256. Ebd. = B 257. 24 Ebd. = B 256. 25 AA V, S. 352 f. = B 257. 26 AA V, S. 353 = B 257. 27 AA V, S. 352 = B 256. 28 Vgl. Friedrich Kaulbach, Philosophie der Beschreibung, Köln/Graz 1968, S. 326 f. 29 AA V, S. 354 = B 260. 23

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einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz anderen Gegenstand, besser: auf den Begriff eines ganz anderen (unanschaulichen) Gegenstandes betrifft, der die von der Anschauung eines Gegenstandes ausgehende Anwendung der Regel der Reflexion über diese Anschauung auf einen zu dieser Anschauung in der Distanz befindlichen und womöglich überhaupt mit keiner direkt korrespondierenden Anschauung zu versehenden Begriff begreift, dieser Begriff ist nun in der Sicht Kants ein besonders fruchtbarer Begriff. Und zwar ist er in der Sicht Kants so besonders fruchtbar, weil er das bedeutsame Phänomen der symbolischen Ausdrücke, insbesondere das der symbolischen Sprachausdrücke, erklärt. „Unsere Sprache ist voll“, so konstatiert Kant, „von dergleichen indirecten Darstellungen nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck nicht das eigentliche Schema für den Begriff, sondern bloß ein Symbol für die Reflexion enthält“30. Kant hat damit völlig recht. Die symbolische Darstellung bringt auch die Begriffe a priori, die nicht zu schematisieren sind, die Ideen, zur Anschauung, in indirekter Weise. Sie ermöglicht die Intuition, die intuitive Vorstellung der Ideen. Die Sprache ist voll von solcher Intuition, solcher intuitiven Vorstellung. Ich möchte aus bestimmtem Grunde, den wir bald einsehen werden, sagen: Die Sprache deckt sich mit dem Bereich der intuitiv-symbolischen Vorstellung. Sie repräsentiert in ihrer jeweiligen Ausbildung den Stand der intuitiv-symbolischen Vorstellung. Wir betonen: Es ist nach Kant stets ein Stand, der mit dem Stand der Erkenntnis in Wissenschaft und Praxis zusammenhängt, der diesen einerseits spiegelt, der diesen andererseits aber auch beeinflusst, der ihn mit gewissen Intuitionen durchsetzt oder besser: immer durchsetzt sein lässt. Kant verweist auf Beispiele aus der Sprache der Philosophie, auf die Wörter „Grund“, „Abhängen“, „Folgen“, „Substanz“, und auf die bereits erwähnte Vorstellung Gottes, die Gott mit den Eigenschaften des Verstandes, des Willens usw. ausstattet. Im Worte „Grund“ sieht er das Bild der Stütze, der Basis insinuiert. Das Wort „Abhängen“ insinuiert das Bild des Von-oben-gehaltenwerdens. Das Wort „Folgen“ insinuiert das Bild des Woraus-fließens, das Wort „Substanz“, das in diesem Falle nicht für Kants Kategorie der Substanz, sondern, wie Kant hervorhebt, für Substanz im Sinne Lockes, als Träger von Akzidentien steht, insinuiert das Bild des Trägers. Die Erkenntnis (Vorstellungsart) Gottes erfolgt in Analogie zu Weltwesen, uns Menschen. Wird die Analogie fallen gelassen, so fällt mit der Intuition jede Erkenntnis Gottes, auch die in praktischer Absicht, wie Kant ausdrücklich vermerkt, hin31. Wir gehen darauf nicht weiter ein. Denn wir glauben, wir können nach dem Gesagten bereits ermessen, dass Kant mit seinen Ausführungen begreifbar ma___________ 30 31

AA V, S. 352 = B 257. AA V, S. 353 = B 257 f.

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chen will: Die Sprache hat den Vorzug, einen intuitiven Zugang zum reinen theoretischen (= nicht empirischen) oder praktischen Gedanken zu eröffnen. Die Sprache eröffnet uns mit ihren Ausdrücken den Zugang zu den reinen Gedanken. Sie stellt uns einsichtige Bilder dieser rein im Denken als solchen beheimateten Gedanken zur Verfügung. Sie lässt uns teilhaben am Reich der reinen Gedanken, ohne dass wir damit auch schon der in Wissenschaft und Praxis organisierten theoretischen und praktischen Erkenntnis mächtig sind. Sie macht uns des Intelligiblen in uns ansichtig, oder besser: Sie verschafft uns die selbstverständliche Kompetenz, des Intelligiblen in uns ansichtig zu sein und stets von neuem und in veränderter Weise ansichtig werden zu können. Man kann das auch noch anders ausdrücken. Man kann sagen: Die Sprache schließt die Verständigung über unsere Intelligibilität ein. In ihr ist uns der Bereich unserer Intelligibilität in einer jeweils erreichten, durch einen gewissen größeren oder geringeren Reichtum ausgezeichneten Intuition erschlossen. Wir wollen diesen Gedanken an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Wir wollen statt dessen darauf zu sprechen kommen, dass dieser in Kants Lehre von der symbolischen Darstellung beschlossene und nunmehr skizzierte Gedanke eine Einschätzung der Sprache beinhaltet, deren Perspektive weit über die von der Aufgabenstellung einer Ästhetik-Grundlegung bestimmten Zielsetzung Kants hinaus tief in die Sprachphilosophie und, was uns noch bedeutsamer erscheint, in die Theorie der Literaturwissenschaft hineinweist. Denn wir haben es bei dieser Kantischen Einschätzung der Sprache mit einer Würdigung der Sprache zu tun, die unverkennbar ästhetischer, rein ästhetischer Natur ist und die in der ästhetischen Kritik wurzelnd die kritische, das heißt: ästhetische Maßstäbe anlegende Thematisierung der Sprache und damit der Literatur möglich sein lässt. Wir haben es, mit anderen Worten, mit einer Würdigung der Sprache zu tun, die fundamentalästhetisch abgesichert ist und die in ihrer fundamentalästhetischen Abgesichertheit so etwas wie Literaturkritik fundiert, Literaturkritik als der Name für die ästhetische Maßstäbe anlegende Untersuchung der Sprache genommen. Vor dem Hintergrund dieser Würdigung der Sprache ist Literaturkritik nämlich nichts anderes als die Durchsetzung der ästhetischen Maßstäbe bei der Untersuchung der Sprache. Sie etabliert sich mit der ästhetischen Beurteilung der Sprache. Sie insistiert darauf, dass die unter mehreren, auch positiv-wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilende Sprache, immer auch ästhetisch zu beurteilen, das heißt als faktisch oder potentiell schöne Sprache, als Sprache der Poesie, der schönen Literatur zu begreifen ist. Die Schönheit der Sprache ist eben nur in ästhetischer Fragestellung Thema. Kant verneint ausdrücklich, dass es eine (positive) Wissenschaft von der Kunst gebe. Das ist die Perspektive, die Kants Lehre von der symbolischen Darstellung eröffnet. Wir wollen nun noch die Frage erörtern, was diese Perspektive so in-

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teressant macht. Es sind mehrere Punkte. Wir glauben, sie sind bedeutsam genug, dass sie der Literaturwissenschaft zur Kenntnis gebracht werden. Zunächst ist in dieser Fundierungsperspektive ohne weiteres zu verstehen, dass es die eine und einheitliche, mit der Sprache als Literatur, schöner Literatur befasste eigentümliche, sowohl positive als ästhetische Fragestellungen umfassende wissenschaftliche Disziplin gibt, die wir kennen. Ihre spezifische Fragestellung verschafft ihr ihren spezifischen Gegenstand. Sie hebt sie nachdrücklich von der Linguistik ab. Linguistik und Literaturkritik sind zweierlei. Sie differieren dem Sach- und dem Methodenkonzept nach. Eine Beziehung zwischen beiden, wie natürlich auch zu anderen Disziplinen, hat statt. Aber sie ist auf das beschränkt, was wir die Überformung der Linguistik durch die Literaturkritik nennen können. Die Literaturwissenschaft bezieht linguistische Aussagen in ihre Aussagen ein. Aber diese erhalten dadurch literaturkritische Valenz; sie werden zu ästhetisch validierten oder validierbaren Aussagen. Die Linguistik ihrerseits und als solche ist dagegen ohne literaturkritische Referenz. Wir können also in der Sicht der Kantischen Lehre von der symbolischen Darstellung sehr wohl begreifen, dass die Literaturwissenschaft legitimerweise das ist, als was wir sie kennen, die mit der Sprache als Literatur, schöner Literatur befasste eigentümliche, sowohl positiv-wissenschaftlich als auch ästhetisch zu nennende Disziplin, die sich klar von der Linguistik und anderen Wissenschaften abgrenzt. Doch ist dies nur das erste, das wir aus Kants Lehre von der symbolischen Darstellung lernen können, das, das sich aufdrängt, wenn gefragt wird, was die Perspektive, die Kants ästhetische Einschätzung der Sprache eröffnet, interessant macht. Weiteres kommt hinzu, und es ist unseres Erachtens sogar bedeutsamer. Schon der nächste Punkt übertrifft den ersten erheblich an Bedeutung. Es ist der Punkt, der bei der Analyse der Kantischen Lehre von der symbolischen Darstellung meist allein beachtet wird und den Kant in der These vom Schönen als dem Symbol des Sittlichguten auch besonders herausstellt. Dieser Punkt betrifft die Verständigung über die Rolle, die das Schöne und damit natürlich auch die schöne Sprache, die Sprache der schönen Literatur, für die Erschließung des Intelligiblen in uns spielt. Als symbolische Darstellung ist die Sprache, die schöne Literatur, die Poesie, wie alles Schöne, befähigt, dem Gegenstand der Anschauung die Bestimmung nach intellektuellen Ideen, den Begriff, den nur die Vernunft zu denken vermag, in spezifisch ästhetischer Integration, durch analogische Übertragung der Form der Reflexion, zu integrieren und dabei dem Gemüt eine gewisse „Veredelung und Erhebung über die bloße Empfänglichkeit einer Lust durch Sinneseindrücke“32 zu verschaffen. ___________ 32

AA V, S. 353 = B 258.

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Das ist eine wahrhaft eindrucksvolle Fähigkeit. Sie erklärt vieles. Es sind lauter Funktionen, die wir bei Kant berücksichtigt finden. Sie erklärt, dass die Poesie die „Schaffung gleichsam einer andern Natur aus dem Stoffe, den ihr die wirkliche giebt“33, ist und sein kann. Sie erklärt, dass diese subjektiv geschaffene Wirklichkeit gefällt, gefällt „mit einem Anspruche auf jedes andern Beistimmung“34. Sie erklärt, dass die Dichtkunst in Ausdrücken, die keinen bestimmten Begriff bezeichnen, Ideen produziert und zum Ausdruck bringt, Ideen, die – man beachte! – vielfach mehr denken lassen (sagt Kant), als in bestimmten Begriffen zum Ausdruck zu bringen ist35. Sie erklärt so, dass die dichterische Sprache „subjective Gemüthsstimmung“ mitzuteilen gestattet und mitteilt36. Sie erklärt, dass der schönen Sprache „das belebende Princip im Gemüthe“, der Geist, innewohnt37. Sie erklärt schließlich und endlich – man beachte wiederum! –, dass in der Dichtkunst die Ideen des dauernden und allgemeinen Beifalls und der Nachfolge anderer sicher in „einer immer fortschreitenden Cultur“38 kontinuieren. Kurzum, in der Perspektive der symbolischen Darstellung klärt sich, dass die Dichtkunst in jeder nur denkbaren Weise auf das Intelligible „hinaussieht“39. Dichtkunst wäre nicht Dichtkunst, würde sie nicht diese Hinaussicht auf das Intelligible einschließen. Die Konsequenz, die sich daraus für die Literaturwissenschaft ergibt, ist bemerkenswert. Sie verdient gerade angesichts der seit langem andauernden methodischen Verunsicherung der Literaturwissenschaft festgehalten zu werden. Sie besagt ganz unmissverständlich: die Literaturwissenschaft qua Literaturkritik, das heißt: als ästhetische Beurteilungsgesichtspunkte einschließende Erforschung von Texten, muss den dichterischen Ausdruck als „Symbol für die Reflexion“40 nehmen. Sie kann in diesem nicht Regeln der Konstitution, sondern nur die Form der Reflexion entdecken. Darum kann ihre Hauptaufgabe nur darin bestehen, die Variablen und die Konstanten der analogischen Übertragung der Form der Reflexion zu ermitteln. Diese sind zu ermitteln, indem ein Raster des Hinaussehens auf das Intelligible entwickelt und auf das jeweilige dichterische Werk gelegt wird. Dieser Raster ist ein Muster der literaturkritischen Interpretation und Analyse. Er wird jeweils bei der literaturkritischen Interpretation und Analyse des (eines) literarischen Werkes benutzt. Er ist aber auch nur bei der literaturkritischen Interpretation und Analyse des literarischen ___________ 33

AA V, S. 314 = B 193. AA V, S. 353 = B 258. 35 AA V, S. 315 = B 195. 36 AA V, S. 317 = B 198. 37 AA V, S. 313, 317 = B 192, 198. 38 AA V, S. 319 = B 203. 39 AA V, S. 353 = B 258. 40 AA V, S. 352 = B 257. 34

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Werkes zu gewinnen. Darum vollzieht sich die Literaturwissenschaft qua Literaturkritik im fortlaufenden Wechselspiel von konkreter Interpretation und Analyse eines literarischen Werkes auf der einen Seite und Entwicklung eines Musters der Interpretation und Analyse von literarischen Werken in der Interpretation und Analyse einzelner Werke auf der anderen Seite. – Man könnte denken: Das nimmt sich bescheiden aus. Aber die Literaturwissenschaft hat gerade darin ihre methodische Sicherheit. Rückt man die in der Perspektive der Kantischen Lehre von der symbolischen Darstellung verstandene Literaturkritik ins Zentrum der Literaturwissenschaft, so gewinnt diese als Ganzes methodische Sicherheit; sie wird systematisch stabil. Wir kommen zum dritten und letzten Punkt, der die Perspektive der Kantischen Lehre von der symbolischen Darstellung so interessant macht. Kant widmet ihm nur knappe, mehr auf seine Bedeutung verweisende als seiner Behandlung dienende Bemerkungen. So bleibt er ziemlich verdeckt. Wegen dieser seiner Verdecktheit bei Kant hat er bislang auch keine Beachtung gefunden. Dabei ist er womöglich der bedeutsamste Punkt. Es ist der Punkt der Vorrangstellung der Dichtkunst, vielmehr des Grundes der Vorrangstellung der Dichtkunst. Die Dichtkunst hat nach Kant die Vorrangstellung unter den schönen Künsten. Im § 53 der Kritik der Urteilskraft wird dies ausgeführt. Es wird auch sonst gelegentlich erwähnt. Die Aussage ist immer die, dass die Dichtkunst die Kunst ist, „in welcher sich das Vermögen ästhetischer Ideen in seinem ganzen Maße zeigen kann“41. Der Grund hierfür ist nach Kant der, dass die Dichtkunst mehr als jede andere Kunst „zum Nachdenken“ anregt.42 Weshalb sie dies tut, weshalb sie, obwohl Spiel, „vom Verstande und zu dessen Geschäfte zweckmäßig gebraucht werden kann“43, führt Kant nicht weiter aus. Gleichwohl gibt es die Begründung hierfür. Sie ist Bestandteil der Kantischen Lehre von der symbolischen Darstellung. Zu suchen ist sie darin, dass die Sprache zu einem wesentlichen Teil aus symbolischen Hypotyposen besteht, dass also der Sprache schon als solcher selbst notwendig, in der Weise eines Momentes neben anderen44, (verdeckt oder offen) ästhetische Relevanz zukommt. Wir haben das zugespitzt formuliert, indem wir sagten: Die Sprache schließt die Verständigung über unsere Intelligibilität ein, in der jeweils erreichten, durch einen größeren oder geringeren Reichtum ausgezeichneten Intuition. Weil der Sprache diese Verständigungsfunktion eigentümlich ist, hat das Vermögen ästhetischer Ideen, hat die Einbildungskraft in der Dichtkunst leichtes Spiel: Es bzw. sie ___________ 41

AA V, S. 314 = B 194. AA V, S. 328 = B 218. 43 AA V, S. 327 = B 216. 44 Ein anderes Moment wäre z.B. die geschichtlich-gesellschaftliche Relevanz, und zwar in der Bedingtheit, die für die Normalsprache charakteristisch ist. 42

Zu Kants Lehre von der symbolischen Darstellung

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muss sich nur besagter Verständigungsfunktion der Sprache bedienen und diese Verständigungsfunktion rein zur Geltung bringen, damit Dichtkunst vorliege. Das ist die eine Seite der Sache. Die Sache hat aber noch eine andere Seite. Mit dem Verweis auf diese Seite wollen wir unsere Ausführungen beschließen. Ich gestehe, dass ich dabei Kants Gedanken über den Punkt hinaus verlängere, bis zu dem hin er ihn ausdrücklich verfolgt hat. Denn bei Kant klingt lediglich an, was in diesem abschließenden Verweis als das Allerbedeutsamste an der Perspektive der Kantischen Lehre von der symbolischen Darstellung herausgestellt wird. Die Sprache erstreckt sich kraft ihrer eigentümlichen ästhetischen Verständigungsfunktion in jede Kunst hinein. Es gibt, besser gesagt, die Sprachbezogenheit jeder Kunst. Diese Sprachbezogenheit jeder Kunst gründet darin, dass die Sprache, sofern wir sie eben sprechen, das heißt: wir kompetente Sprecher dieser Sprache sind, uns in intuitiver Vorstellung, „auf unentwickelte Art“45, intellektuelle Ideen präsentiert. Die intellektuellen Ideen, die im Kunstwerk (welcher Kunst auch immer) zur Darstellung kommen, sind uns durch die Sprache, deren kompetente Sprecher wir sind, immer schon vertraut, in der für die Normalsprache spezifischen, sowohl unentwickelten als auf isolierende Präsentation nicht ausgerichteten Art.

___________ 45

AA V, S. 315 = B 196.

Schillers Aufnahme des Kantischen Kulturbegriffes in den Briefen über die ästhetische Erziehung Gleich im Ersten Brief seiner Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen weist Schiller darauf hin, „daß es größtenteils Kantische Grundsätze sind, auf denen die nachfolgenden Behauptungen ruhen“1. Schiller stellt sich also seiner in den Kalliasbriefen geäußerten Vorbehalte gegen Kants Begriff des Schönen2 ungeachtet erklärtermaßen als Adept Kants hin. So ist es auch. Schiller folgt Kant im Grundsätzlichen. Mit bewundernswerter Klarheit hat er erfasst, worum es Kant in seiner kritischen Philosophie geht. Es geht um den Kulturbegriff des Menschen. Und es geht darum, dass diese Kulturbestimmtheit des Menschen lebende Gestaltung, das heißt Selbstgestaltung des Menschen zum Subjekt wie hierbei Gestaltung seiner Welt (zu einer lebenden = geschichtlichen Gestalt) ist. In dieser doppelten Gestaltungsleistung ist der bestimmte Begriff der Menschheit, das ist die Vollendung der Bildung der Natur des Menschen zu sehen. Schiller gewinnt von daher sein Thema. Sein Thema ist, dass dieser Sachverhalt einen, wie er das nennt, Konsumationsaspekt hat. Die Selbstgestaltung wie die Gestaltung seiner Welt des Menschen, seine Menschheit, wird in der Bewegung von der Endlichkeit zur Unendlichkeit hin, die in der Gestaltung notwendig vorliegt und die für Schiller eine andauernde Bewegung ist, in diesem Andauern zu einer Konsumationsangelegenheit. Es wird Vernunft konsumiert. Und diese „Konsumation seiner Menschheit“3 ist Schönheit.4 Schönheit ist demnach ein „Instrument der Kultur“.5 Und sie ist dies in der Weise des Spiels, des Spiels als der Hinwendung zu einer Vernunftbestimmtheit.6 Schillers Basissatz lautet dementsprechend: „[...] der Mensch spielt nur, wenn er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er ___________ 1 Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795), in: ders., Sämtliche Werke, 5. Bd., hg. von Gerhard Fricke/Herbert G. Göpfert, München 91993, S. 570–669 (S. 570). 2 Friedrich Schiller, Kallias oder über die Schönheit (1793), in: ders., Sämtliche Werke, 5. Bd., hg. von Gerhard Fricke/Herbert G. Göpfert, München 91993, S. 394–433 (S. 394 f.). 3 A.a.O. (Anm. 1), S. 615. 4 Ebd. 5 A.a.O., S. 616. 6 A.a.O., S. 616 und 617.

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Schillers Aufnahme des Kantischen Kulturbegriffes

spielt.“7 Im Spiel dokumentiert sich seine natürliche Vernunft. Schönheit ist insofern ein Vernunftbegriff. Sie lässt sich „als eine notwendige Bedingung der Menschheit aufzeigen“8. Sie hat es zu tun mit dem „Endzweck […], den die Vernunft in seiner [des Menschen] Persönlichkeit aufstellt“9. Dieser (der Mensch) setzt sich hierbei „sowohl physisch als moralisch in Freiheit“10, das heißt: in das „in sich selbst gegründete Sein“11. In diesem bringt er das Notwendige in sich zur Wirklichkeit und das Wirkliche außer ihm unter das Gesetz der Notwendigkeit.12 Gemeint ist hiermit: Dem empfangenden Vermögen werden die vielfältigen Berührungen mit der Welt verschafft; auf der Seite des Gefühls wird die Passivität auf das Höchste getrieben; dem bestimmenden Vermögen wird zugleich die höchste Unabhängigkeit von dem empfangenden erworben; die Aktivität der Vernunft wird aufs Höchste getrieben; in der Verbindung all dessen verbindet sich mit der „höchsten Fülle von Dasein die höchste Selbständigkeit und Freiheit“; anstatt an die Welt sich zu verlieren, wird diese mit der ganzen Unendlichkeit ihrer Erscheinungen in die Person gezogen und der Einheit ihrer Vernunft unterworfen. Das Spiel(en) ist ein Vernunfttrieb. Es ist der Trieb, in dem sich die Vereinigung zweier Triebe, die Verbindung zweier differenter Triebe vollzieht13, so dass die „Schönheit in der Idee“ nur ein unteilbar einziger, ein gleichgewichtiger Effekt ist, während die „Schönheit in der Erfahrung“ eine doppelte ist, ob der permanenten Austarierung des (Gleich)gewichtes nur eine doppelte sein kann, eine, die qua Effekt immer um das Gleichgewicht pendelt. In diesem Pendeln, das heißt in der Erfahrung, zeigt die Schönheit eine doppelte Ansicht respektive Ausbildung. Sie ist „energische“ und sie ist „schmelzende“ Schönheit. Nach dieser Bestimmung des Begriffs der Schönheit sieht Schiller die Chance gegeben, den Einfluss des Schönen und die ästhetische Kultur würdigen zu können. Vor dem Hintergrund des Begriffs der Schönheit versucht er mit anderen Worten den Weg zu zeichnen, „den die Natur in ästhetischer Hinsicht mit dem Menschen einschlägt“14, was so viel heißt wie: den Menschen in seiner Wirklichkeit, in seinen bestimmten Zuständen, die ja im Vergleich zur Idee (der Schönheit) endliche Bestimmtheit, Beschränktheit sind, anzuerkennen und zu

___________ 7

A.a.O., S. 618. A.a.O., S. 600. 9 A.a.O., S. 574. 10 A.a.O., S. 608 u. 613. 11 A.a.O., S. 601. 12 A.a.O., S. 604. 13 A.a.O., S. 615 ff. und 619. 14 A.a.O., S. 621. 8

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sehen, wie er in Anbetracht derselben zu der entschränkenden reinen ästhetischen Einheit sich zu erheben vermag.15 Die fragliche Würdigung, betont Schiller, ist eine transzendentalphilosophische Angelegenheit.16 Was er zeichnet, sind also transzendentalphilosophische Kenntnisse. Und diese Kenntnisse bestehen in der Hauptsache darin, dass der Mensch zunächst einmal naturales Wesen, Natur, ist und dass es weiter „seine Sache ist, die Menschheit zu behaupten, welche jene in ihm anlegte und eröffnete“.17 So ist es erlaubt, zwei entgegengesetzte Grundtriebe in Ansatz zu bringen, den sinnlichen Trieb und den vernünftigen, und den Zustand durch beide determiniert zu betrachten, so dass die Aufgabe der Behandlung des Problems darin besteht, die Gewichtung der einen und der anderen gegenseitigen Determination zu ergründen. Es ist hierbei unbedingt die Priorität des sinnlichen Triebes zu berücksichtigen. Es ist hierbei aber ebenso zu berücksichtigen, dass es um eine Entschränkung geht. Berücksichtigt man das eine und das andere, stellt Schiller fest, kommt die Gewichtung auf die Feststellung eines Überganges hinaus, eines Überganges, in dem „Sinnlichkeit und Vernunft zugleich tätig sind“18, sich also eine „mittlere Stimmung“ herstellt, eine Stimmung, die gemessen am Zustand sinnlicher Bestimmung einerseits, dem Zustand vernünftiger Bestimmung andererseits „freie Stimmung“ heißen kann, so dass der entsprechende Zustand als ein solcher der „realen und aktiven Bestimmbarkeit“ betrachtet werden muss.19 Das ist der ästhetische Zustand. Diesen Zustand der doppelten Bestimmbarkeit und Bestimmung sucht Schiller nun deutlich zu fassen (21. Brief). Er setzt hierbei konsequenterweise bei der Fassung von Bestimmbarkeit an. In aller Bestimmtheit führt er aus: „Das Gemüt ist bestimmbar, bloß insofern es überhaupt nicht bestimmt ist; es ist aber auch bestimmbar, insofern es nicht ausschließend bestimmt ist, d.h. bei seiner Bestimmung nicht beschränkt ist. Jenes ist bloße Bestimmungslosigkeit (es ist ohne Schranken, weil es ohne Realität ist); dieses ist die ästhetische Bestimmbarkeit (es hat keine Schranken, weil es alle Realität vereinigt)“. Die „ästhetische Verfassung“ ist dementsprechend „eine Negation aus innerer unendlicher Fülle“. Sie ist im genauen Gegensatz zur leeren Unendlichkeit „erfüllte Unendlichkeit“. Als diese erfüllte Unendlichkeit ist „das Schöne und die Stimmung, in die es unser Gemüt versetzt, in Rücksicht auf Erkenntnis und Ge___________ 15 Vgl. a.a.O., S. 626 f. Anm. 1: Schiller will hierin, worauf die Anmerkung hinweist, nichts weniger denn als den Philosophen zu beweisen, dass die (transzendentale) Deduktion eine Argumentation bereitstellt, die in ihrem Resultat die gemeine Empfindung nicht gegen sich hat. 16 A.a.O., S. 629. 17 A.a.O., S. 631. 18 A.a.O., S. 633. 19 A.a.O., S. 633.

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sinnung […] völlig indifferent“20. Es repräsentiert mit anderen Worten keine theoretische und keine praktische Bestimmtheit. Dafür ist aber etwas anderes gegeben: Es ist dem Menschen „von Natur wegen möglich gemacht […], aus sich selbst zu machen, was er will“; es ist ihm die Freiheit gegeben, „zu sein, was er sein soll“21, eine Freiheit, über die er weder in theoretischer noch in sittlicher Bestimmtheit verfügt. Diese Freiheit ist nach Schiller „die Schenkung der Menschheit“ – Schenkung, weil der Mensch sie „der Anlage nach schon vor jedem bestimmten Zustand, in den er kommen kann“, besitzt, sie aber dann mit jedem bestimmten Zustand, in den er kommt, verliert. Das Ästhetische allein zeichnet sich demnach dadurch aus, dass sich in ihm jene Schenkung vollzieht. Schiller resümiert: Die Schönheit macht uns die Menschheit möglich. Und sie hat „dieses ja mit unserer ursprünglichen Schöpferin, der Natur, gemein“. Diese wie jene erteilen uns „nichts weiter als das Vermögen zur Menschheit“. Die Ausübung dieses Vermögens ist unserer Willensanstrengung anheim gestellt. Schönheit kann also „unsre zweite Schöpferin“ genannt werden.22 Schiller vollzieht diese Schätzung ohne jeden Vorbehalt. Denn ihm hat der Gang der Deduktion deutlich gemacht: Im ästhetischen Zustand äußert sich unsere Menschheit „mit einer Reinheit und Integrität, als hätte sie von der Einwirkung äußerer Kräfte noch keinen Abbruch erfahren“.23 „Haben wir uns […] dem Genuß echter Schönheit dahingegeben, so sind wir in einem solchen Augenblick unsrer leidenden und tätigen Kräfte in gleichem Grad Meister, und mit gleicher Leichtigkeit werden wir uns zum Ernst und zum Spiele, zur Ruhe und zur Bewegung, zur Nachgiebigkeit und zum Widerstand, zum abstrakten Denken und zur Anschauung wenden.“24 „Diese hohe Gleichmütigkeit und Freiheit des Geistes, mit Kraft und Rüstigkeit verbunden, ist die Stimmung, in der uns ein echtes Kunstwerk entlassen soll“25, urteilt er, wobei er sich darüber im klaren ist, dass er bei diesem Urteil den Idealzustand im Auge hat. Wenn Schiller seine Untersuchung zum Abschluss bringend am Ende die Ansicht festhält: „Der Übergang von dem leidenden Zustande des Empfindens zu dem tätigen des Denkens und Wollens geschieht also nicht anders als durch einen mittleren Zustand ästhetischer Freiheit, und obgleich dieser Zustand an sich selbst weder für unsere Einsichten noch Gesinnungen etwas entscheidet, mithin unsern intellektuellen und moralischen Wert ganz und gar problematisch lässt, so ist er doch die notwendige Bedingung, unter welcher allein wir zu ei___________ 20

A.a.O., S. 634 f. A.a.O., S. 635. 22 A.a.O., S. 636. 23 A.a.O., S. 637. 24 A.a.O., S. 638. 25 Ebd. 21

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ner Einsicht und zu einer Gesinnung gelangen können. Mit einem Wort: es gibt keinen andern Weg, den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen, als daß man denselben zuvor ästhetisch macht“26, und weiter: „Durch die ästhetische Gemütsstimmung wird also die Selbsttätigkeit der Vernunft schon auf dem Felde der Sinnlichkeit eröffnet, die Macht der Empfindung schon innerhalb ihrer eigenen Grenzen gebrochen und der physische Mensch so weit veredelt, daß nunmehr der geistige sich nach Gesetzen der Freiheit aus demselben bloß zu entwickeln braucht“27, und nochmals: Soll der Mensch „fähig und fertig sein, aus dem engen Kreis der Naturzwecke sich zu Vernunftzwecken zu erheben, so muß er sich schon innerhalb der erstern für die letztern geübt und schon seine physische Bestimmung mit einer gewissen Freiheit der Geister, d.i. nach Gesetzen der Schönheit, ausgeführt haben“28, so lehrt er genau das, was Kant in der Kulmination seiner Ästhetik mit der Lehre von dem wahrhaft gebildeten Menschen, der „schönen Seele“, anspricht. Es ist die vollendete Kultiviertheit des Menschen. In dieser finden die verschiedenen Vernunftinteressen des Menschen, sämtliche, ihre sie vereinigende Erfüllung. In schöpferischer Einbildung erringt der Mensch den Zustand, in dem sich die Menschheit in ihrer Reinheit und Integrität exemplarisch zeigt. In diesem Zustand ist die Welt der Ideen real, real als ein Stück der Welt des Menschen. Diese ist immer auch eine künstliche, ideenerfüllte Welt. In den Worten Schillers: Der Mensch qua vollendet gebildeter, im Vollsinne kultivierter Mensch ist der nicht ausschließend von der Natur und der ebensowenig von der Vernunft bedingt beherrschte Mensch. In seinem Verhalten sind die beiden Gesetzgebungen, die Gesetzgebung der Natur und die Gesetzgebung der Vernunft, vollkommen unabhängig voneinander und dennoch vollkommen einig.29 Bleibt nur noch zu vermerken: Auch der Hinweis darauf, dass da die reflektierende Urteilskraft am Werk ist, fehlt in Schillers Feststellung nicht. „Die Schönheit ist […] das Werk der freien Betrachtung, und wir treten mit ihr in die Welt der Ideen – aber was wohl zu bemerken ist, ohne darum die sinnliche Welt zu verlassen“.30 Es geht um das Scheinen der Ideen, das „wesenlose Reich der Einbildungskraft“31. Um sich als Geist zu erweisen, muss der Mensch nicht der Materie entfliehen. Er ist in Gemeinschaft mit der Sinnlichkeit frei.32 Das ist das geltungsmodale Phänomen der Schönheit. Schönheit macht also in ei___________ 26

A.a.O., S. 641. A.a.O., S. 642. 28 A.a.O., S. 643. 29 A.a.O., S. 651. 30 A.a.O., S. 653. 31 A.a.O., S. 658 und 664. 32 A.a.O., S. 654 f. 27

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nem bestimmten Sinne frei, und zwar in Faktizität. Sie bringt in reflektierter Wahrnehmung (Kant) die Freiheit des Interesses zum Vorschein. Ohne es direkt anzusprechen, lehrt Schiller hiermit, die Schönheit gehört zur Wesensbestimmtheit des Subjektes in seiner Faktizität. Denn eben die Freiheit des Interesses macht genau die Kernbestimmtheit der Faktizität des Subjektes aus. In Rechnung gestellt, dass diese Kernbestimmtheit des Subjektes geltungssystemgründend ist, berührt Schiller somit mit seiner dargelegten Lehre den Angelpunkt jeder Kulturphilosophie, die geltungssystemgründende Rolle des Subjektes. Sie verbindet sich mit der Freiheit des Interesses, das sein Interesse ist. Kant hätte in dieser Lehre seine Position gewiss bestätigt gefunden. Es ist jedoch zu unterstellen, er hätte auch darauf verwiesen, dass mit jener Freiheit des Interesses das Gefühl der Lust verbunden ist. Dieses Moment der Geltungsmodalität der Schönheit findet bei Schiller keine separate Würdigung. Es ist bei Schiller in seinem Begriff der Freiheit mitbegriffen. Insofern ist seine transzendentalphilosophische Deduktion des Begriffs der Kultur zwar nicht weniger klar als die Kants, aber doch etwas weniger deutlich.

Zur geltungstheoretischen Grundlegung der Gartenkunst Der Park sei „eine mit Geist beseelte und durch Kunst exaltierte Natur, die […] nicht bloß den einfachen, sondern selbst den durch Kultur verwöhnten Menschen befriedigt und, indem sie den erstern zum Denken reizt, den letztern zur Empfindung zurückführt“. Als Schiller diesen Satz in seiner Besprechung des Cotta’schen Taschenkalender auf das Jahr 1795 für Natur- und Gartenfreunde niederschrieb, hatte er nicht nur die Beispiele der im 18. Jahrhundert zu großer Blüte gelangten Gartenkunst, insbesondere des Landschaftsgartens, vor Augen1, er hatte auch seinen ästhetischen Ankerplatz gefunden. Die Ästhetik Kants hatte ihn ihm gewiesen. Diesen Umstand möchte ich als Zeugnis dafür nehmen, dass bezüglich der Ästhetik der Gartengestaltung und überhaupt der kulturellen Bedeutung des Gartens die wohlbestimmte geltungstheoretische Grundlegung in Ansatz zu bringen und dementsprechend zu eruieren ist. Es ist mit anderen Worten so, dass die Gartengestaltung, wenn oder soweit sie denn Kunst ist oder sein soll, ihre geltungstheoretische Grundlegung hat bzw. haben muss. Diese geltungstheoretische Grundlegung stellt ein Teilproblem der Ideenlehre dar. Die grundlegenden Stücke der Handhabung dieses Problems finden sich nach wie vor in Kants kritischer Ästhetik. Im ersten Teil seiner Kritik der Urteilskraft hat er sie erarbeitet und dargelegt. Kants Leistung ist bislang nicht überboten. Deshalb gibt die Ästhetik der Kritik der Urteilskraft noch immer die Orientierung in der Arbeit an der geltungstheoretischen Grundlegung in Sachen der Ästhetik vor. Sie gibt sie auch in der Sache der geltungstheoretischen Grundlegung der Gartenkunst vor. Diese bildet nicht weniger als die anderen Künste ein Stück der Bestimmung des Menschen. Das Phänomen, dass so gut wie alle Kulturkreise Beispiele derselben aufzuweisen haben, ist der Beleg hierfür. Die Beispiele mögen noch so unterschieden sein, überein kommen sie in der Funktion, Kultur zu repräsentieren. Sie sind also als kulturelles, näherhin ästhetisches Konkretum aufzufassen. Sie sind im Übrigen immer als solches aufgefasst worden. Dabei ist die Auffassung selbst, und das bedeutet das heautonome Subjekt-Welt-Verhältnis, das da vorliegt, ohne Ausnahme mit ein Bestandteil der ästhetischen Qualifikation. Wir haben also davon auszugehen, dass ___________ 1 Friedrich Schiller, Über den Gartenkalender auf das Jahr 1795 (1797), in: ders., Sämtliche Werke, 5. Bd., hg. von Gerhard Fricke/Herbert G. Göpfert, München 91993, S. 884–891 (S. 890). Direkt hat Schiller die Anlage in Hohenheim im Blick.

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Zur geltungstheoretischen Grundlegung der Gartenkunst

schon die pure Phänomenanalyse auf die geltungstheoretische Qualifikation verweist. Die ästhetische Qualifikation ist geltungstheoretische Qualifikation. Kant hat das, wie gesagt, präzise gesehen. Und er hat die hiermit aufgegebene Reflexionsarbeit nachdrücklich aufgenommen. Seine Lehre vom ästhetischen Urteil, näherhin den Qualifikationsgesichtspunkten des ästhetischen Urteils, den ästhetischen Prinzipien mit anderen Worten, ist das Resultat dieser Reflexionsarbeit. Hiermit liegt die einzunehmende Position fest. Es sind in geltungsreflexiver Deduktion die konstitutiven und die regulativen Charakteristika der Gartenkunst herauszustellen. Ich nehme hierbei eine Argumentation auf, die im Ästhetikkapitel meiner Ideenlehre2 ausgebreitet ist und führe sie dahingehend weiter, dass die sehr speziellen gartenästhetischen Konstitutions- und Regulationsabläufe sichtbar werden. Wie weit das gelingt, muss die kritische Auseinandersetzung zeigen. Wenn von den konstitutiven wie den regulativen Charakteristika der Gartenkunst adäquat gehandelt werden soll, so muss zuerst Rechenschaft darüber abgelegt werden, dass die Authentizität dieser Kunst wie die aller Kunst zuerst und vor allem daran hängt, dass sie (nur) in einem Werk vorliegt. Der Garten ist ein Werk, und er ist ein sehr eigenes Werk. Er ist ein Werk, das die künstlerische Einbildung Inszenierung sein lässt. Gemäß einer bestimmten Dramaturgie wird natürlicher Weise Verfügbares, eine Landschaft, ein Gelände, Pflanzen und Vergleichbares, einer Einwirkung ausgesetzt, die die Naturalität dieses natürlicher Weise Verfügbaren zur Bühne der Authentizität der künstlerischen Einbildung werden lässt. So sind zwei wesentliche Faktoren im Spiel: die natürlichen Bedingungen und die Designationsbedingungen, die die gestalterische Realität der ästhetischen Einbildung ausmachen. Es liegt ein Verhältnis vor von Designierendem und Designiertem. Dieses Verhältnis ist kein einfaches Verhältnis. Denn das Designierte bringt in das Verhältnis Faktoren ein, die ihrerseits bedingend sind. Vor allem die geogenen und die biogenen Gegebenheiten wirken sich bedingend aus. Sie leiten die Designation in bestimmte Bahnen. Insofern sind sie selbst auch designierend. Sie machen die Designation zu einer Funktion, die mit ihnen rechnet und die insofern die strukturelle Flexibilität einschließt. Der Garten ist ein Werk von struktureller Flexibilität. Er ist unmöglich schlechthin stabil. Es kommt in ihm etwas intentionaliter Variables, sich wandelndes zur Darstellung. Mit der Variabilität verbindet sich sein spezifischer Reichtum an Gehalt. Es handelt sich also tatsächlich um „exaltierte Natur“, eben um eine Darstellung, die zur Bühne taugt, zur Bühne, auf der die Empfindung spielt oder auch, wie Schiller unter anderem meint, auf der Denk___________ 2

Werner Flach, Grundzüge der Ideenlehre. Die Themen der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt, der Kultur, Würzburg 1997, S. 107 ff.

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anreize gegeben werden und die so in dieser oder der anderen Rücksicht Sinnvorführung bietet, wobei diese Sinnvorführung den Wandel einschließt, so dass sie immer auch Entwurfscharakter hat. Wir haben es mit Sinn vorführender und hierbei immer auch Sinn entwerfender Darstellung zu tun. Das ist die dem Garten eigentümliche, den Vergleich mit der Darstellungsfunktion der anderen Künste ohne weiteres aushaltende Darstellungsfunktion. In dieser Darstellungsfunktion scheinen unverkennbar die ästhetischen Fundamentalwerte – so werden die ästhetischen Prinzipien rücksichtlich dessen genannt, dass sie Maßstäbe der Beurteilung des Faktums setzen; das Faktum ist kraft dieser Beurteilung Kulturgut – hervor. Sie lassen sich deshalb ohne Weiteres aus der Gartencharakteristik herauslesen. Da ist zum ersten der ästhetische Fundamentalwert des interesselosen Wohlgefallens. Der Garten ist als Ganzes wie in allen seinen Teilen sinnlich präsenter Sinn. Mit ihm verbindet sich mit anderen Worten ein genius. Die Vorstellung vom genius loci vermittelt genau diese Qualifikation. Sie vermittelt sie insbesondere dadurch, dass dem genius loci die Selbstgenügsamkeit zugeschrieben wird. Der Mensch beschwört diesen genius loci. Indem er ihn beschwört, integriert er diesen genius in die eigene Befindlichkeit. Dadurch ergibt sich im Genießen des Gartens eine heautonome Ganzheit. Das ist genau die Funktion, die dem interesselosen Wohlgefallen eigentümlich ist. In der Imagination stellt sich heautonome Ganzheit her. Die Schau ruht ganz und gar in sich selbst. Sie ist hierbei zugleich inspirierend. Die Inspiration, die sie leistet, garantiert Schönheit. Der Garten ist schön und das Erlebnis des Gartens vermittelt Schönheit. Mit der Schönheitsinspiration verbindet sich unmittelbar die subjektive Allgemeinheit des Schönheitserlebnisses. Sie kommt darin zum Vorschein, dass im Genießen des Gartens keine externen Bezüge hergestellt werden. Wer den Garten genießt, geht voll und ganz in diesem Genießen auf. Da dem so ist, vollzieht sich in diesem Genießen die Einbeziehung aller Umstände, gerade auch der nicht eliminierbaren, in die Schau. Sie werden ihrer Andersartigkeit ungeachtet Teil der heautonomen Ganzheit. Man kann von einer Szenerie sprechen. Da diese Funktion keine Ausnahme kennt, da sie aber andererseits keine logische Begründung liefert bzw. einschließt, ist sie eine Funktion von subjektiver Allgemeinheit. Die Allgemeinheit, die in diesem Verständnis subjektiv ist, inspiriert; sie argumentiert nicht. Insofern verbindet sich mit ihr nicht die Notwendigkeit des Argumentes. Die Notwendigkeit, die da vorliegt, ist alles andere als logische Notwendigkeit. Es ist die Notwendigkeit der Szenerie. Deshalb gehören subjektive Allgemeinheit und diese Notwendigkeit auch zusammen. Sie gehören zusammen in korollarer Verbindung. Die Schau ist konkret, vereinzelt, und sie ist Beistimmung veranlassend. Sie vereinigt das Interesse, die Interessen im

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Werk, in der Ausrichtung auf das Werk. Sie stellt eine sympathetische Beziehung her. Szenerie und Sympathetik sind untrennbar. Die Untrennbarkeit von Szenerie und Sympathetik lässt schon erahnen, dass das Werk, der Garten, eine Zweckmäßigkeit aufweist, die mit Kant Zweckmäßigkeit ohne Zweck genannt werden muss. Damit ist gemeint, der Garten organisiert sich in der Weise, dass seine Elemente zwar aufeinander referieren, dass dieses Referieren aber nicht die Organisation einer Ganzheit ist, die die differenzierende autopoietische Rollenverteilung kennt, sondern ganz anders die Ausbildung einer Abfolge (eben) von Szenen, die in der Zusammenschau der Szenerie die Ebene der Vereinzeltheit nicht hinter sich lässt, sondern die gerade in dieser Ebene verbleibt und die deshalb den Wechsel der Empfindung im Wechsel der Szenen ermöglicht bzw. bedingt. Szenen sind nicht Organe eines Organismus (eines durch das Zusammenwirken seiner Organe sich erhaltenden Ganzen), sie sind Elemente, die eine Abfolge implizieren und die in dieser Abfolge ihre gliedernde Funktion wahren, die mit anderen Worten den Wechsel bedingen und die gerade im Wechsel das Ganze bestehen lassen. Das Ganze ergibt sich aus dem Wechsel der Szenen. So erhebt sich die künstlerische Schau qua Sinnlichkeit über den Wahrnehmungsfluss, wird bildend, sinnbildend. In diesem Bilden (von Sinnbildern) besteht ihre Zweckmäßigkeit ohne Zweck. Mit ihr aktualisiert sich das reine Lustgefühl, das Sentiment, das der ästhetischen Einbildung eigentümlich ist. Mit der Ermittlung der vier Funktionen der heautonomen Ganzheit, der Szeneriebestimmtheit, der Sympathetik, des reinen Lustgefühls, des Sentiments, sind die Parameter des Koordinatensystems der Gartenkunst beisammen. Jeder dieser Titel vertritt einen Themenparameter der Ästhetik als materialer Wertlehre. Der Titel der heautonomen Ganzheit vertritt den Parameter der Konstitutivität, der konstitutiven Wertbestimmtheit; der Titel der Szenen- und Szeneriebestimmtheit in Verbindung mit dem Titel der Sympathetik vertritt den Parameter der universalen Regulativität, der universal-regulativen Wertbestimmtheit; der Titel des Sentiments vertritt den Parameter der speziellen und spezifischen Regulativität, der speziell und letztlich in Spezifizität regulativen Wertbestimmtheit. Es stellt sich heraus, dass der Garten qua Kunstwerk in Konstitutivität wie in universaler wie in spezieller und spezifischer Regulativität ersteht und besteht und dass diese Prinzipiengegründetheit seine ästhetische Qualifikation ausmacht. Der Garten steht für die in Prinzipiengegründetheit regionalisierende ästhetische Einbildung, die in dieser Gegründetheit Sinnlichkeit verfestigende Gestaltung ist, womit sich Sinn etabliert, so dass wir den Garten als allen Maßstäben der ästhetischen Qualifikation unterliegendes Sinngebilde betrachten müssen. In ihm sind die ästhetischen Werte (Prinzipien) in Derivation präsente Werte. Die ästhetischen Grundwerte bilden sich in ihrer Derivation zur Besonderheit dieser oder jener Qualifikation. Es ist die Qualifikation dieser oder jener Kunst. Die Gartenkunst ist eine der verschiedenen Künste. Sie reprä-

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sentiert eine der Weisen, in denen sich die ästhetische Imagination, die künstlerische Einbildung, artikuliert. Es ist die Artikulation von Geltungsqualifikation. Es ist so nicht schwer zu ermessen, dass die Gartenkunst wie jede Kunst unmittelbar die Themen der Ästhetik als materialer Wertlehre auf den Plan ruft. Die prinzipielle Kunstgeltung ist in allen Kunstwerken und somit in jedem Kunstwerk präsent. Das bringt es mit sich, dass die künstlerische Einbildung in jedem Kunstwerk, so auch in jedem in künstlerischer Imagination gestalteten Garten, ihre Befriedigung zu finden vermag und findet. Jeder Garten ist in diesem Verstande exemplarisch. Das macht ihn zu einem nicht zu überschätzenden Kulturgut3. Die Geschichte der Menschheit, wenn wir sie mit der Paradiesgeschichte beginnen lassen, bis in die Gegenwart beinhaltet ohne Unterlass die Arbeit an diesem Kulturgut. Insofern ist die Geschichte der Menschheit auch eine Geschichte der Gartenkunst. Nicht zuletzt die umfangreiche und breit angelegte Gartenliteratur belegt diese Sicht der menschheitlichen Entwicklung. In ihr kommt im Übrigen auch zur Sprache, dass gerade die Geltungsqualifikation des Gartens eine hohe Affinität zu anderer Geltungsqualifikation aufweist, nicht nur zu der der anderen Künste, sondern auch zu der der anderen Wertgebiete. Der Garten verbindet in und mit seiner eigenen Qualifikation über diese hinausreichend, in andere Wertgebiete hinüberreichend Geltungsqualifikation und Geltungsqualifikation. Er ist ein die Werteassoziation nährendes Kunstwerk. Seine werteassoziierende Leistung macht ihn zu einem der wichtigsten Referenzpunkte der ‚schönen Seele‘, das ist des allseitig gebildeten, kulturell gefestigten Menschen. Goethe hat es in den Wahlverwandtschaften eindrucksvoll demonstriert.

___________ 3 Nicht anders ist es mit der Landschaft bestellt. Auch sie ist ein nicht zu überschätzendes Kulturgut. Vgl. Werner Flach, Landschaft. Die Fundamente der Landschaftsvorstellung, in: Manfred Smuda (Hg.), Landschaft, Frankfurt am Main 1986, S. 11–28.

Erreichung und Errichtung Über die empiriologische Orientierung 1 der Kantischen Geschichtsphilosophie Ist eine Meinung erst einmal zum Standard geworden, hält sie sich hartnäckig. Die Beurteilung der Kantischen Empiriologie liefert hierfür ein gutes Beispiel. Sie wird als ziemlich beschränkt eingeschätzt. Insbesondere leide sie daran, dass sie die Geschichtswissenschaften überhaupt nicht als Wissenschaften in Betracht ziehe und dass sie insofern die Grundlegungsthematik dieser Wissenschaften nicht einschließe. Die „Kritik der historischen Vernunft“ bleibe ihr gegenüber ein Desiderat. Erst sehr viel später, beginnend mit der Arbeit Wilhelm Diltheys, der diese Formel prägte, werde damit begonnen, dieses Desiderat einzulösen2. Die Standardmeinung muss nicht zutreffen. Auch hierfür ist die Beurteilung der Kantischen Geschichtsphilosophie ein Beispiel. Sie geht in die Irre. Sie geht sogar in den Fällen noch in die Irre, in denen das Kantische Schrifttum zur Geschichtsphilosophie ausgiebig zur Kenntnis genommen wird. Die Frage ist: ___________ 1

Zu dieser Abhandlung vgl. auch Werner Flach, Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie, in: Reinhard Hiltscher/André Georgi (Hg.), Perspektiven der Transzendentalphilosophie: im Anschluß an die Philosophie Kants, Freiburg/München 2002, S. 105– 115, und ders., Zu Kants geschichtsphilosophischem „Chiliasmus“, in: Phänomenologische Forschungen 10 (2005), S. 167–174, sowie ders., Kants Begriff der Kultur und das Selbstverständnis des Neukantianismus als Kulturphilosophie, in: Marion Heinz/Christian Krijnen (Hg.), Kant im Neukantianismus: Fortschritt oder Rückschritt?, Würzburg 2007, S. 9–24. 2 Erst kürzlich wieder hat Karl-Henz Lembeck in der Einleitung seiner Ausgabe von Texten zur Geschichtsphilosophie geurteilt, Kant „begründet ... weder eine Logik noch eine Methodologie des historischen Erkennens“, und dies obwohl er um „das Problem eines zureichenden Geschichtsverständnisses“ bemüht sei (Karl-Heinz Lembeck, Geschichtsphilosophie, Freiburg/München 2000, S. 19). Das habe erst Dilthey nachgeholt. Wenn Logik in der Gegenüberstellung zur Methodologie Grundlegung heißen soll, dann ist dieses Urteil irreführend. Denn Kants Bemühen um ein zureichendes Geschichtsverständnis zielt gerade auf dessen Grundlegung. Wenn Logik etwas anderes heißen soll, dann müsste das Gemeinte zu Kants Bemühen in ein definiertes Verhältnis gesetzt werden. Auch für die Methodologie des historischen Erkennens hat Kant mit seiner Lehre von der Zuverlässigkeit der Geschichtsidee die tragfähige Grundlage geliefert. In dem Wenigen, das in der Erfahrung zu entdecken ist, lässt sich vergleichbar der Konstruktion eines Bahnverlaufes von der Bestimmung eines Bahnsegmentes her der Gang der Geschichte als ein sich selbst organisierendes Ganzes konzipieren.

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Erreichung und Errichtung

Woran liegt dies, was bedingt die Unangemessenheit der Einschätzung der Kantischen Geschichtsphilosophie? Meine Meinung ist, die Einschätzung geht in die Irre, weil sie nicht in dem erforderlichen Maße den strikt empiriologischen Charakter der Kantischen Geschichtsphilosophie berücksichtigt. Die Argumentation wird zu sehr als moralphilosophisch motiviert betrachtet. Selbst wenn deutlich gesehen wird, dass die doppelte Obligation der obligatio naturalis und der obligatio moralis strapaziert wird, wird doch unterschiedlich gewichtet. Der obligatio moralis wird als Zwecksetzungsobligation das größere Gewicht zugesprochen als der obligatio naturalis, die (lediglich) Zweckmäßigkeitsobligation ist. Der in Bezug genommene Kantische Text scheint auch gar keine andere Gewichtung zuzulassen. Denn schließlich legen die Kantischen Formulierungen, „die Natur will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte“3 und dass die Natur einen Wirkungsmechanismus anbiete, der „von der Vernunft zum Mittel gebraucht werden kann, dieser ihrem eigenen Zweck, der rechtlichen Vernunft, Raum zu machen“4 und hiermit das „Problem der Staatserrichtung“5 zu lösen, genau diese Gewichtung nahe. Wenigstens scheint dem auf den ersten Blick so. Die Frage ist, fasst der erste Blick die Kantische Aussage. Ich meine, dieser Frage nachzugehen, lohnt sich. Denn wenn man die Kantischen Formulierungen nur pünktlich genug liest, stellt sich heraus, dass die Aussage dem ersten Anschein entgegen doch eine andere ist. Es stellt sich heraus, dass die argumentative Gewichtung in der Einschätzung des Verhältnisses von obligatio naturalis und obligatio moralis anders vorzunehmen ist, als sie in Übereinstimmung mit dem ersten Anschein vorgenommen zu werden pflegt. Die beiden Obligationen korrespondieren nicht genau miteinander, sondern die obligatio moralis ist nur auf der Basis der obligatio naturalis möglich. In dieser muss etwas erreicht werden, angesichts dessen die moralische Obligation in der Welt des Menschen verfangen kann und dementsprechend nach Maßgabe ihrer etwas errichtet (gestiftet) werden kann, die bürgerliche Gesellschaft, der Staat, und alles, was mit diesen zusammenhängt. Das ist unverkennbar eine empiriologische Argumentationsstrategie und keine eigentlich moralphilosophische. Dass die Moralisierung hierbei den letzten Zweck beinhaltet, ändert hieran nichts. Sie ist das Schlussthema der Argumentation, nicht deren Angelpunkt. Kant hat es nicht versäumt, die Differenz deutlich anzuzeigen. Die Begriffe der Erreichung und der Errichtung (Stiftung) sind die Indizes. Den Unterschied respektive seine Indizes zu übersehen oder zu missachten, ist somit eine der Unpünktlichkeiten, die bei der Auslegung der Kantischen Geschichtsphilosophie tunlichst vermieden werden müssen. Leider ist sie gang und gäbe. Reinhard ___________ 3

Immanuel Kant, AA VIII, S. 367. A.a.O., S. 366 f. 5 A.a.O., S. 366. 4

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Brandt6 meint, bezogen auf eine Formulierung Kants in dem Aufsatz Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784)7 sogar, man sollte Erreichung als Errichtung lesen. Das ist schon nicht mehr Unpünktlichkeit der Auslegung, das ist Verschiebung der Argumentation in der Auslegung. Wenn es darum geht, den Gang der Argumentation in Kants Geschichtsphilosophie aufzudecken, so ist das erste Stück, worüber Zweifelsfreiheit herbeizuführen ist, die thematische Einordnung dieser Argumentation. Und da kann die Aussage nur lauten: Das Thema ist das der Weltbetrachtung. Die „Erscheinungen in der Welt“8 stehen zur Erörterung. Zufällig, wie sie sind, müssen sie durchschaubar werden. Durchschaubar sind sie nur auf Grund eines transzendentalen Prinzips. Dieses Prinzip muss ihre Zufälligkeit (zufällige Bestimmtheit) trotz und gerade bei ihrer Notwendigkeit als legitim erscheinen lassen. Das bedeutet für Kant, nicht konstitutiv-bestimmende, sondern regulativreflektierende Begrifflichkeit ist gefragt. Die Begriffsbildung folgt den Anforderungen der reflektierenden Urteilskraft. Die Erörterungen, die das Thema erfordert, sind Erörterungen in derartiger Begriffsbildung, sind Erörterungen in teleologischen Bestimmungen. Erörterungen in teleologischen Bestimmungen, das ist der Inhalt der Teleologiediskussion der „Kritik der Urteilskraft“, sind Erörterungen, die einen konkreten Sachzusammenhang organisieren und die im Zuge dieser Organisation immer auch Auskunft darüber geben, welches der Bestimmungsgrund des qua Zufälliges durch die Wirkung eines Bestimmungsgrundes in sein Dasein Gekommenen ist. In Kants Terminologie sind die entsprechenden Aussagen somit zweckorientiert. Sie bringen die Bestimmung ihres Gegenstandes notwendig mit einem Zweck in Verbindung. Die zufälligen Erscheinungen in der Welt stellen sich so als zweckmäßig dar. Sie sind wesentlich durch ihre Zweckmäßigkeit charakterisiert. Sie sind insofern über ihre Zweckmäßigkeit in einem spezifischen Verstande zu erklären, zu verstehen. Gerade der Mensch oder die Menschen, seine respektive ihre Stellung in der Welt (sein oder ihr Verhalten, sein oder ihr Handeln) sind in dieser spezifischen Erklärung aufzuschlüsseln. Die Aufschlüsselung erfolgt über die Zweck-MittelRelation. Eine Erscheinung ist demnach mit einem Zweck in Verbindung zu bringen, einmal insofern sie selbst Zweck ist, einmal aber auch insofern als sie Mittel zu einem Zweck ist. Sie kann also als beides genommen werden. Sie ___________ 6

Reinhard Brandt, Quem fata non ducunt, trahunt. Der Staat, die Staaten und der friedliche Handel, in: Klaus-Michael Kodalle (Hg.), Der Vernunftfrieden. Kants Entwurf im Widerstreit, Kritisches Jahrbuch der Philosophie 1 (1996), S. 72 Anm. 15. 7 AA VIII, S. 22, Zeile 6–8. 8 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 494, in: AA III, S. 324.

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kann aber auch nur als das eine genommen werden. Wird sie nur als Zweck und nicht auch als Mittel zu einem Zweck genommen, so ist sie Selbstzweck. Rücksichtlich der Bestimmtheit von Natur stellt sich mit diesem Selbstzweck freilich ein Problem. Bezogen auf den Punkt, dass die Erscheinung in der Welt, die Selbstzweck ist, nur durch die Wirkung eines Bestimmungsgrundes in die Welt gekommen ist, gehört auch diese Erscheinung zur Natur. Bezogen auf den Punkt, dass mit ihr die für das naturale Geschehen essentielle Ursache-Wirkungs-Reihe abgebrochen ist – die Relation schließt ja nicht mehr die Iteration ein –, ist sie kaum der Natur zuzuzählen. Kant löst dieses Dilemma dadurch auf, dass er lehrt, sie ist der Natur zuzuordnen, aber als deren letzter Zweck, und diesen hat die Natur sich gegenüber. Es gibt die Möglichkeit, einen letzten Zweck der Natur zu denken und diesen mit den Phänomenen zu identifizieren, denen gegenüber alle anderen als Mittel einzustufen sind, während sie allen anderen gegenüber nicht zum Mittel dienen. Das sind die spezifisch menschlichen Phänomene9. Sie sind im Sinne der Beurteilungsmöglichkeit des letzten Zweckes der Natur zu beurteilen. Die natürlichen Phänomene sind ihnen gegenüber Mittel. Können sie doch vom Menschen genutzt werden. Der Mensch lässt sich, wie Kant das prägnant ausdrückt, als der „betitelte Herr der Natur“10 betrachten. Es ist nun wichtig zu durchschauen, dass die Kantische Formulierung, dass der letzte Zweck der Natur außerhalb der Natur liege, nicht besagt, der letzte Zweck der Natur hat nichts mit der Natur zu tun. Worauf es Kant ankommt, ist dies, dass der Natur mit dieser Beurteilung ihre Grenze definiert wird und dass diese Grenze der Mensch ist, der Mensch in seiner Spezifität. Zum anderen liegt in dieser Beurteilungsmöglichkeit die bedeutsame Einsicht beschlossen, dass die Spezifität des Menschen in homogener Begrifflichkeit, nämlich der der Zweckbindung, in Gegenstellung zur Natur zu bringen ist. Qua betitelter Herr der Natur verhält der Mensch der Natur gegenüber sich souverän. Er setzt sich seine eigenen Zwecke. Diese Zweckbindung ist relativ zur Zweckbindung der Zweckmäßigkeit unbedingt. Sie repräsentiert eine bestimmte Freiheit von der Naturbestimmtheit, eine eigene Zweckbestimmung, Zweckbestimmung nach Maximen, die außerhalb der Natur liegen, weshalb es Kant angeraten sein lässt, diese Zweckbestimmung von der Bestimmung gemäß dem letzten Zweck der Natur als Endzweckbestimmung zu unterscheiden. Zweckbestimmung und Zweckbestimmung widerstreiten sich hierbei nicht. Die Zweckbestimmung, die Zwecksetzung ist, stimmt mit der Zweckbestimmung, die Zweckmäßigkeit ist, ihrer Unterschiedenheit ungeachtet zusammen. Sie stimmt mit dieser insofern zusammen, als sie gerade dies leistet, die zweckmäßige Bestimmung auf die ___________ 9

AA V, S. 426 f. A.a.O., S. 431.

10

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Endzweckbestimmung auszurichten. In Kants Begrifflichkeit, die Natur wird als etwas betrachtet, das als Mittel zur Ermöglichung von nicht naturaler Bestimmtheit gebraucht werden kann. Umgekehrt stimmt die Zweckbestimmung, die Zweckmäßigkeit ist, mit der Zwecksetzung insofern zusammen, als der Mensch qua Naturwesen durch seine Naturbestimmtheit darauf vorbereitet, dazu tauglich gemacht ist oder wird, „sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen und (unabhängig von der Natur in seiner Zweckbestimmung) die Natur den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt angemessen als Mittel zu gebrauchen“11. Das eine wie das andere ist gleich bedeutsam. Doch ist auf die jeweilige Konditionierung zu achten. Das Zusammenstimmen der Zweckmäßigkeit und der Zwecktätigkeit von der Zwecktätigkeit her gesehen, ist die Konditionierung zu einem Gebrauch. Dasselbe Zusammenstimmen von der Zweckmäßigkeit her gesehen ist die Konditionierung zu einer Fähigkeit, der Fähigkeit, die Natur als Mittel zu gebrauchen. Der Gebrauch hängt somit von der Fähigkeit, der Tauglichkeit zum Gebrauch ab. Diese muss unabhängig von allem Gebrauch vor allem Gebrauch hervorgebracht sein oder werden, soll der Gebrauch denkbar sein, soll also die Konditionierung durch den Gebrauch einsetzen. Das eine geht also dem anderen in der Konditionierung voran. Im Zusammenstimmen von Fähigkeit zum Gebrauch und Gebrauch ist die Fähigkeit zum Gebrauch das sachlich Primäre. Genau darin wird der entscheidende Punkt der den Menschen in den Blick nehmenden Weltbetrachtung gefasst. Der Angelpunkt der ganzen Kantischen Doktrin von der Geschichte ist diese prädeterminierende Konditionierung „in Ansehung des Verhältnisses der Wirkungen zu ihren Ursachen innerhalb den Grenzen möglicher Erfahrung“12. Ohne die diesen Sachverhalt fassende Vorstellung kann es nach Kant keine fundierte Lehre von der Geschichte geben. Genauer: Gehörte es nicht zur Konsequenz des geltungstheoretischen Prinzipiengedankens der Zweckmäßigkeit der Natur, die jenen Sachverhalt fassende Vorstellung hervorzutreiben, so ließe sich für die Lehre von der Geschichte kein Geltungsgrund finden. Oder nochmals anders, aber ebenfalls ganz in Übereinstimmung mit Kants Begrifflichkeit gesagt, der Begriff der Kultur müsste ohne die prinzipien- und geltungstheoretische Fundierung bleiben, die ihn zu dem Begriff macht, in dem der Grund dafür liegt, dass innerhalb der Grenzen möglicher Erfahrung auch noch etwas anderes als die bloße Natur, nämlich geschichtliches Geschehen, registriert wird. Die Kulturbestimmtheit unserer Welt zu registrieren, ist mit ein Bestandteil unserer Erfahrung. Es ist der Bestandteil unserer Erfahrung, in dem wir den letzten Zweck der Natur erkennen. Es handelt sich um Erkenntnis in teleologischen Begriffen und in An___________ 11 12

Ebd. AA VIII, S. 362.

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sehung der Menschengattung. In Ansehung derselben haben wir Ursache, der Natur einen Zweck beizulegen, der als deren Termination zu betrachten ist. Die Termination ist von der Art, dass sie zugleich das mögliche Transnaturale definiert, so dass feststeht, es gibt in der Weltbetrachtung auch das Transnaturale. Und: Das Transnaturale ist nur in teleologischer Begrifflichkeit und in Ansehung der Menschengattung zu denken. Das Transnaturale ist das Humanum, die mit seiner Naturbestimmtheit konvenierende Vernünftigkeit des Menschen. Die Vernünftigkeit des Menschen definiert sich denn auch ganz im Sinne dieser Konvenienz. Das aber heißt nichts anderes, als dass sie sich empiriologisch definiert. Der Mensch ist animal rationabile. Er vermag sich für einen Zweck zu entscheiden. Diese Fähigkeit, sich für einen Zweck zu entscheiden, ist sein Wille. Dieser Begriff hat also seine empiriologische Wurzel. Und er ist auch nicht aus dem empiriologischen Kontext zu lösen. Denn, was ihm zugedacht wird, ist dies, sich von den Fesseln der Begierden, „wodurch wir an gewisse Naturdinge geheftet sind“13 zu lösen und sich so in dem ganz bestimmten Verstande zu einem freien Willen zu machen, dass er entscheidet, die Bestimmung der Tierheit „anzuziehen oder nachzulassen, zu verlängern oder zu verkürzen, nachdem es die Zwecke der Vernunft erfordern“14. Der Mensch macht insoweit etwas aus sich. Er macht aus sich, was er aus sich machen kann und was er aus sich machen soll. Dass er sich in dieser Rolle findet, ist dem Willen der Natur, wie Kant sagt, verdankt. Es hat also mit den Naturanlagen des Menschen zu tun. Diese sind auf der mechanischen Naturbestimmtheit aufruhende gesetzmäßige Bestimmtheit, die den Menschen als „organisirtes und sich selbst organisirendes Wesen“15 kennzeichnet. Eben diese Kennzeichnung verlangt, dass das ganze mit diesem Wesen in Verbindung zu bringende Geschehen als organisiertes und sich selbst organisierendes Ganzes zu betrachten ist. Relativ zu diesem Ganzen befindet sich der Mensch in jenem Zustand, in welchem er etwas errichten (stiften) kann. Es ist, wie Kant unmissverständlich macht, ein von der Natur herbeigeführter, natürlich erreichter künstlicher Zustand16. Die Errichtung (Stiftung) ist ein in der Erreichung enthaltenes Oktroi17. Ohne dieses Oktroi ist die als Kultivierung, Disziplinierung und Zivilisierung zu interpretierende Entwicklung in der Gattungsgeschichte nicht zu denken. Wegen dieses Oktroi ist aber auch an diese Entwicklung zu denken. Zum empiriologischen Begriff des Menschen gehört die Vorstellung von der Entlassung „aus

___________ 13

AA V, S. 432. Ebd. 15 A.a.O., S. 374. 16 AA VIII, S. 25 und 360. 17 A.a.O., S. 25 sowie 365 u.ö. 14

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der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit“18 und von der Geschichte als „Menschenwerk“19. Doch ist dies auch die äußerste Vorstellung, die empiriologischen Gerechtsamen entspringt. Schon die Vorstellung vom Machen ganz allgemein bestimmt sich aus anderen Gerechtsamen. Von den jeweiligen Vorstellungen von der Errichtung eines Werkes gilt dies noch nachdrücklicher. Es sind die pragmatischen bis praktischen, letztlich alle geschichtlichen oder kulturellen, nach Kant besser: zivilisatorischen Leistungen betreffenden methodischen Gerechtsamen, die da in Frage stehen. Und die sind sauber von den theoretisch-empiriologischen getrennt. Eine Verwirrung in dem Verstande, dass die eine und die andere Vorstellung gegeneinander ausgespielt werden könnten, liegt in Kants Ausführungen nicht vor. Die Erreichung ist nicht Errichtung (Stiftung). Die Naturabsicht, auch als höchste, ist nicht vernünftige Absicht. Beide sind zwar aufeinander bezogen. Aber die Beziehung begründet nicht ihre Identität und nicht ihr Zusammenfallen. Ihre Beziehung aufeinander besteht lediglich darin, dass an eine vernünftige Absicht nur unter der Bedingung gedacht werden kann, dass es zur Erfahrung gehört, in der Organisation der Natur eine letzte Absicht zu bemerken und dass darin die Vorstellung eingeschlossen ist, das bürgerlichgesellschaftliche Agieren stellt die annäherungsweise Erreichung derselben dar. Diese methodische Lage ist nun aber der Punkt. Sie macht den besonderen Gesichtspunkt der Weltbetrachtung, aus dem heraus Kant die Geschichtserkenntnis entwickelt wissen will, zu einem empiriologischen Gesichtspunkt. Die Verkennung dessen bedingt, wie eingangs behauptet, die weit verbreitete Unangemessenheit der Einschätzung der kantischen Geschichtsphilosophie. Diese ist empiriologische Grundlegungslehre, wenn man so will, Metaphysik der historischen Wissenschaften. Als solche klärt sie über die Geltungsgründe des spezifisch menschlichen Geschehens auf. Sie klärt hierbei auch darüber auf, dass dieses notwendig Freiheitsgeschehen ist. Insofern verschafft sie der praktischen Philosophie ihre Grundlegungsrelevanz für die Wissenschaften vom handelnden Menschen. Diese hängt am Zweckbegriff.

___________ 18 19

A.a.O., S. 23 und 115. Ebd.

Kants Begriff der Kultur und das Selbstverständnis des Neukantianismus als Kulturphilosophie In seiner Abhandlung Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus erinnert Wilhelm Windelband daran, dass er in seiner Darstellung der Geschichte der neueren Philosophie für die von Paul Hinneberg herausgegebene Enzyklopädie Die Kultur der Gegenwart1 „das System des Kritizismus als eine umfassende Kulturphilosophie charakterisiert“ habe2 und dass er hiermit die Bedeutung des Ergebnisses der Kantischen Lehre für das Geistesleben seiner, Windelbands, Zeit gekennzeichnet habe. Das Ergebnis der kritischen Überlegungen Kants sieht er hierbei darin, dass diese durchweg den „Aufweis der Vernunftgründe für die großen Gebilde der Kultur“3 geliefert habe. Gleichsinnige Aussagen fast aller Neukantianer ließen sich anschließen. Wie insbesondere aus einer Rickert-Bemerkung hervorgeht,4 haben die Neukantianer erkannt, dass eine dezidiert ausgebildete Geltungs- und Prinzipientheorie, und die hat Kant zuvörderst gegenüber dem Problem der Erkenntnis erarbeitet, das Fundament aller Lehre von der Kultur abgibt. Dennoch haben die Neukantianer, das ist meine These, den Kantischen Begriff der Kultur keineswegs sachnah genug und somit völlig angemessen gewürdigt. Nicht zuletzt deshalb ist man auch heute noch genötigt, dem Vorurteil entgegentreten zu müssen, eine wirklich ausgrenzbare Lehre von der Kultur fände sich im Kantischen Oeuvre nicht. Wenn überhaupt von einer solchen die Rede sein könne, müsse man doch zugeben, dass Kants Aussage in diesem Punkte in Andeutungen sich erschöpfe. Ich bin da anderer Meinung. Ich bin der Meinung, dass mit dieser Behauptung aufzuräumen ist. Die Behauptung, Kant habe einseitig nur eine Grundlegung der Naturerkenntnis geliefert, trifft nicht die Sachlage. Kant hat ebenso eine Grundlegung der Kulturerkenntnis geliefert. Lediglich eine eigene Schrift mit einem diesbezüglichen Titel hat er nicht verfasst. Der Sache nach verhält es sich so, dass die Kulturphilosophie wie die ___________ 1

Bd. V, Berlin/Leipzig 1907. Wilhelm Windelband, Präludien, Bd. II, Tübingen 81921, S. 281. 3 Ebd. 4 In seinem zum zweihundertsten Geburtstag Kants erschienenen Buch ‚Kant als Philosoph der modernen Kultur‘ (Tübingen 1924) bemerkt Heinrich Rickert im Vorwort S. VII „wenn Kants neuer Begriff des Erkennens richtig ist“, könne man verstehen, dass „zum erstenmal eine Philosophie der modernen Kultur auf dem Boden des Kritizismus möglich wird“. 2

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Kants Begriff der Kultur

Philosophie der Natur und/oder die Philosophie der Sitten in eine Grundlegungsklimax eingebaut ist.5 Und zwar nimmt die Kulturphilosophie die Grundlegungsstellung der Metaphysik ein. Sie bildet, wenn die Pointe der Kantischen Lehre vorweggenommen werden darf, die Metaphysik der historischen Wissenschaften.6 Nach der Ankündigung der Pointe nun die Herausarbeitung des Gedankenganges. Zuerst ist zu sagen, welchem Stück der Kantischen Grundlegungsdiskussion der Kulturgedanke zugehörig ist. Es ist das Stück, das von den regulativen Prinzipien für die Urteilskraft handelt. Die Grundlegungsdiskussion, die die Bestimmung des Kulturbegriffes betrifft, setzt bei der Teleologie an. Und sie ist um die Möglichkeit der Weltbetrachtung besorgt. In dieser Beurteilung ist sie genötigt, den Zusammenhang, der zwischen dem Zweckbegriff und den ihrerseits miteinander in Zusammenhang zu bringenden Begriffen des Lebens und der Freiheit besteht, zu durchschauen. Weil sie dadurch auf die Frage des Endzweckes gestoßen wird, könnte man auch sagen, die Endzwecklehre der Kritik der Urteilskraft ist ihrer empiriologischen Grundlegungsaussage nach zu rezipieren. Und sie ist mit dem in Verbindung zu bringen, was von Kant als direkte Aussage zum Weltenlauf oder zur Geschichte der Menschen vorgebracht ist. Diese Aussage ergibt sich in erster Linie aus dem Text der Abhandlung Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht7 und aus den mit diesem Text eine thematische Einheit bildenden Texten aus dem Aufklärungsaufsatz Was ist Aufklärung?8, dem Aufsatz Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis9, der Abhandlung Zum ewigen Frieden10, dem Aufsatz Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte11, der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht12. Weiter sind ___________ 5 Ohne die Kultur als letzten Zweck der Natur in ihrer grundlegungstheoretischempiriologischen Bedeutung so recht zu würdigen, mehr der Vorstellung vom Grundlegungsprimat der praktischen Vernunft folgend, hat das schon Gerhard Funke in seinem Festvortrag zum 4. Internationalen Kant-Kongreß in Mainz 1974 getan. Vgl. Gerhard Funke, Kants Stichwort für unsere Aufgabe: Disziplinieren, Kultivieren, Zivilisieren, Moralisieren, in: ders. (Hg.), Akten des 4. Internationalen Kant-Kongresses Mainz 6.– 10. April 1974, Berlin 1974, Teil III, S. 1–25. 6 Wie schon angedeutet, ist zuzugeben, dass Kant weder den Titel der Metaphysik für diese Lehre reklamiert, noch dass er von den historischen Wissenschaften spricht. Abgesehen davon, dass es auf diese Namen nicht ankommt, ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Kant ausdrücklich davon spricht, die fraglichen Überlegungen in „metaphysischer Absicht“ anzustellen. Vgl. AA VIII, S. 17. 7 AA VIII, S. 15–32. 8 A.a.O., S. 33–42. 9 A.a.O., S. 273–314. 10 AA VII, S. 341–386. 11 AA VIII, S. 107–124. 12 AA VII, S. 117–334.

Kants Begriff der Kultur

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die auf die einschlägigen Aussagen der Anthropologie hinweisenden bzw. hinführenden Texte aus der Einleitung der Metaphysik der Sitten13, die Texte des Zweiten Abschnittes aus Der Streit der Fakultäten14 und der Ersten Abteilung des Dritten Stückes der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft15 zu berücksichtigen. Von den Nachlasstexten wäre die Pädagogik zu nennen.16 Weltbetrachtung ist also das Thema. Bei diesem Thema ist für Kant ausgemacht, dass die Welt als materielle, als Natur in Rechnung zu stellen ist und dass die Erkenntnis der Welt als solcher Erfahrung ist. Es gibt dementsprechend keine Möglichkeit, auch nur irgendein Weltstück so zu beurteilen, dass es den Naturgesetzen entzogen wäre. Was auch immer worüber auch immer als entscheidbare Aussage vorgetragen wird, muss dem Rechnung tragen. Die Grundlagen der Erkenntnis lassen Weltbegriffe nur als Erfahrungsbegriffe oder mit den Erfahrungsbegriffen zusammenstimmende Begriffe zu. Das Letztere ist der Punkt, an dem die Weiche hin zur Möglichkeit einer Kulturtheorie gestellt wird. Denn auf Grund dessen ist die Erörterung der „Erscheinungen in der Welt“17 in Begriffen möglich, die solche nicht der bestimmenden, sondern der reflektierenden Urteilskraft sind, die teleologische Begriffe sind18. Die Naturdinge wie der Mensch sind solche Erscheinungen. Sie werden in der teleologischen Begrifflichkeit zusätzlich zu der mechanistisch orientierten Begrifflichkeit und im Unterschied zu dieser erklärt, verstanden. Der prinzipientheoretische Unterschied zur mechanistischen Gesetzeserkenntnis ist der, dass sie nicht nur als zufällig, sondern auch als Organisation, als etwas, das ein Ganzes bildet, begriffen werden. Sie sind logisch gesehen etwas Kontingentes und Einmaliges. Das ist so zu verstehen, dass die einzelne Erscheinung in einen je bestimmten sachlichen Zusammenhang einzuordnen ist und dass zu dieser Einordnung immer auch die Auskunft über den Bestimmungsgrund des ja als Wirkung eines Bestimmungsgrundes19 zu seinem Dasein gekommenen Zufälligen gehört. Kant betrachtet die je einzelne Erscheinung insofern und insoweit als zweckbestimmt. Alles, was ihrem Dasein dienlich ist, ist zweckmäßig. Ihr Dasein selbst dokumentiert Zweckmäßigkeit. ___________ 13

AA VI, S. 214–218. AA VII, S. 77–94. 15 A.a.O., S. 17–54 und 95–114. 16 Ich benutze bei der vorliegenden Darstellung der Kantischen Aussage Ausführungen aus meiner Abhandlung ‚Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie‘, in: Reinhard Hiltscher/André Georgi (Hg.), Perspektiven der Transzendentalphilosophie im Anschluß an die Philosophie Kants, Freiburg/München 2002, S. 105–116. 17 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 494 = AA III, S. 324. 18 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 79 = AA V, S. 416 f. 19 In Kants Begriff des Bestimmungsgrundes sind determinatio und destinatio in dem Sinne vereinigt, dass die Organisation der einzelnen (in ihrer vereinzelten Bestimmtheit genommenen) Erscheinung zur Organisation einer Ganzheit angesprochen ist. 14

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Kants Begriff der Kultur

Die Zweckmäßigkeitsbeurteilung ist also eine Erklärung. Etwas wird über seine allgemeine und seine besondere naturgesetzliche Bestimmtheit hinaus als etwas erklärt, das einem bestimmten Zweck dient, das einen bestimmten Zweck darstellt. Das ist die Basis der weiterführenden Überlegung. Diese wird durch eine zusätzliche Vorstellung vorangetrieben. Es ist eine Vorstellung, die die Zweckmäßigkeitsbeurteilung allererst eröffnet. Sie hängt an der Mittel-Zweck-Relation. Das Zweckmäßige ist nämlich nicht nur Mittel zu einem Zweck; es ist auch selbst Zweck. Ja, sogar dies, selbst als Zweck und nicht als Mittel betrachtet zu werden, ist eine Denkmöglichkeit, und zwar eine mit der allgemeinen und der besonderen naturgesetzlichen Bestimmtheit vereinbare, ja von der letzteren her, wie gesagt, sogar erwachsende Denkmöglichkeit. Diese Denkmöglichkeit bildet für die weitere Argumentation den Antrieb. Ist nämlich von einer Erscheinung in der Welt zu behaupten, dass sie nicht oder nicht auch Mittel zu einem Zweck ist, so greift die Vorstellung von einem letzten Zweck der Natur Platz20. Die Vorstellung von einem letzten Zweck der Natur ist ein prinzipientheoretisch legitimer Gedanke. Und sie ist ein Gedanke, der auf den Menschen zutrifft. Dieser stellt sich nämlich als der „betitelte Herr der Natur“21 heraus. Kant ist gemäß dieser Formel der Meinung, dass der Mensch, und zwar der Mensch als Erscheinung in der Welt und insofern in Übereinstimmung mit den anderen Erfahrungsgegenständen bestimmt, gleichwohl mit einer Auszeichnung zu versehen ist. Diese Auszeichnung besteht darin, dass er der Zweckbeziehung Unbedingtheit zuzudenken vermag. Nicht in strikter Abhängigkeit von seiner Erfahrungsumgebung, sondern aus sich selbst heraus setzt er Zwecke. Die Zweckbestimmtheit wird gerade darin gesehen, dass der Mensch durch seine Naturbestimmtheit dahin gebracht ist, dazu tauglich ist, „sich selbst [...] Zwecke zu setzen und (unabhängig von der Natur in seiner Zweckbestimmung) die Natur den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt angemessen, als Mittel, zu gebrauchen“, womit sich dokumentiert, „was die Natur in Absicht auf den Endzweck, der außer ihr liegt, ausrichten und welches also als ihr letzter Zweck angesehen werden kann“22. Mit der Natur verbindet sich so die Kultur23. Es gibt das Naturwesen, das zugleich vernünftig ist bzw. vernünftig zu sein vermag24. Hierbei besteht die mit der Natur sich verbindende Vernünftigkeit darin, dass der Mensch sein ___________ 20

Vgl. AA V, S. 425 ff. A.a.O., S. 431. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 AA V, S. 454 u.ö. 21

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Wollen aus den Fesseln der Begierden, „wodurch er an gewisse Naturdinge geheftet“ ist, löst und so in dem höchst eigenen Verstande zu einem freien Willen macht, dass er in der Lage ist, „die Bestimmung der Thierheit anzuziehen oder nachzulassen, zu verlängern oder zu verkürzen“25, und dies orientiert an den Zwecken der Vernunft. Nicht Naturzwänge, sondern Willensentscheidungen, das sind Entscheidungen, die im Vergleich mit der Naturbestimmtheit des Menschen unbedingt sind, die an Maßstäben, die vom Menschen selbst gesetzt sind, sich orientieren und die insofern der Naturbestimmtheit, der Animalität des Menschen in gewisser Weise sogar entgegenstehen, sind der Punkt. In der Behandlung dieses Punktes bildet sich die Kantische Weltbetrachtung zu der Argumentation, die die Grundlegung der Theorie der Kultur oder, um es noch einmal so provokativ zu sagen, die Metaphysik der historischen Wissenschaften vollzieht. Die Diskussionspunkte dieser Grundlegung sind die Kultivierung, die Zivilisierung, die Moralisierung des Menschen. Diskussionspunkt ist auch der aus dem Zusammenhang dieser dreifachen Endzweckausrichtung des Menschen sich ergebende Fortschrittsgedanke. Im Kern geht es dabei um die zweckmäßige Entwicklung der Naturanlagen des Menschen. Dies ist der Argumentationsfaden. Man kann die Kantische Grundlegung der Theorie der Kultur nur durchschauen, wenn man diesen Argumentationsfaden klar vor Augen hat. Und weil Kant keine Metaphysischen Anfangsgründe der Kulturwissenschaften geschrieben hat, weil seine Argumente in den verschiedensten Zusammenhängen vorgebracht sind, ist es so wichtig, den Faden der Argumentation in der Hand zu halten, ihn also in seinen verschiedenen Stücken herauszupräparieren. Die folgenden Ausführungen sind dieser unumgänglichen Aufgabe gewidmet. Ist sie erfüllt, kann der Vergleich gewagt werden, kann, genauer gesagt, abgeschätzt werden, was von dem Kantischen Begriff der Kultur und Kants Grundlegung der Theorie der Kultur in die Selbsteinschätzung der neukantianischen Position als Theorie der Kultur eingegangen ist bzw. dort wiederzufinden ist. In all den einschlägigen Texten des Kantischen Oeuvre geht es um die zweckmäßige Entwicklung der Naturanlagen des Menschen. Wenn diese kantische Aussage diskutiert wird, so ist es, wie ausgeführt, entscheidend, dass gesehen wird, Kant ist der Meinung, der Mensch ist in seiner Animalität sowohl nach mechanischen Grundsätzen als auch nach Grundsätzen der kontingentempirischen Bestimmung zu bestimmen. In beiderlei Bestimmung (und auch in deren Verbindung) wird er als gesetzmäßig bestimmt betrachtet. Gleichwohl liegt ein gravierender Unterschied in der Bestimmung vor. Die auf der mechanischen Bestimmtheit aufruhende kontingent-empirische (teleonomische) Bestimmtheit des Menschen charakterisiert diesen nicht als bloßen Fall gesetzli___________ 25

A.a.O., S. 432. Wohlgemerkt: nicht zu eliminieren.

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cher Bestimmtheit, sondern, als „organisirtes und sich selbst organisirendes Wesen“26, als ein Ganzes. Das ist ausschlaggebend. Denn insofern ist auch das zufällige menschliche Geschehen als ein auf Ganzheit hin organisiertes und sich organisierendes Ereignis in der Welt zu betrachten. Und das trifft schon auf die Entwicklung der Naturanlagen des Menschen zu. Die Entwicklung der Naturanlagen des Menschen ist für Kant die Organisation eines Ganzen. Das Ganze bildet die Bestimmungseinheit des ganz und gar Zufälligen und in seiner Vielfalt wie „in Ansehung der Zeit“27 nicht zu überschauenden menschlichen Geschehens. Diese Aussage muss sich selbstverständlich an den Fakten bewähren lassen. Kant hat das sehr genau gesehen. Er hat deshalb auch das entsprechende Bewährungskonzept bereitgestellt. Es liegt in seiner berühmten Lehre von der Naturabsicht oder dem geheimen Plan der Natur vor. Der Inhalt dieser Lehre besagt: Das menschliche Geschehen ist ob seiner Natürlichkeit ein antagonistisches Geschehen. In ihm herrscht, wenn dieses Schlagwort erlaubt ist, der Kampf um’s Dasein. Es sind die Gefahren des menschlichen Lebens zu bewältigen. Diese Situation fordert die Fähigkeiten des Menschen heraus, sich zu behaupten, auch gegenüber seinen Mitmenschen. Er ist deshalb ungesellig in der Geselligkeit. Insofern befindet er sich ständig in Not. Die Not ist gattungsmäßig unvermeidlich. Doch so empirisch-gesetzlich, eben gattungsmäßig, die Not ist, so empirisch-gesetzlich ist der Ausgang der Not. Die „brutale Freiheit“28 des Sich-behauptens selbst birgt die causa ihrer Überwindung in sich. Die Überwindung ist die Entwicklung, die Kant im Auge hat. Sie führt zur Kultivierung des Menschen, in der Folge zur Zivilisierung und schließlich zur Moralisierung desselben, und das fortschreitend. Bei jedem Vergleich muss also feststehen: Wenn Kant lehrt, die Natur verfolgt in Bezug auf die Naturanlagen des Menschen eine Absicht, sie hat bezüglich dieser Anlagen einen Plan, sie braucht sie sozusagen, um einen Zweck zu erreichen, so strapaziert er nur eine ganz und gar empirische Einsicht, die Einsicht in die „Unvertragsamkeit der Menschen“29, deren Antagonismus. Dieser und nur dieser ist ihm das Movens, dass der Mensch sich kultiviert, in der Folge zivilisiert und schließlich moralisiert, fortschreitend. Die Movensvorstellung ist hierbei von Kant ganz genau genommen. Das heißt, dass das Movens als ein solches gedacht wird und gedacht werden muss, das in der Kultivierung nicht verschwindet. Der Antagonismus ist und bleibt Moment der Welt des Men___________ 26

AA V, S. 374. AA VII, S. 84. 28 AA VIII, S. 24. 29 Ebd. 27

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schen. Der Mensch hört ja auch in der Kultivierung etwa nicht auf, animal zu sein. Seine Naturanlagen sind gerade das, was zu entwickeln ist.30 Diese Behauptung ist der Angelpunkt der Kantischen Argumentation. Denn die Naturanlagen zu entwickeln bedeutet, den bürgerlichen Zustand zu erreichen, das heißr in den Stand der eigentümlichen „Ruhe und Sicherheit“31 zu gelangen, der diesen auszeichnet. Die Korrespondenz von unvermeidlichem Antagonismus und unvermeidlichem Ausgang der Not, die mit diesem gegeben ist, und deren empirischer Charakter ist also das, worauf Kant baut. Deshalb nennt er die Entwicklung, die mit der Kultivierung vorliegt, eine von der Natur „abgedrungene Kunst“32. Der Mensch spielt in dieser Entwicklung eine künstliche Rolle.33 Und diese ist ein Oktroi der Natur. Die Natur vermittelt dem Menschen den Auftrag, „aus der Rohigkeit eines bloß thierischen Geschöpfes in die Menschheit, aus dem Gängelwagen des Instincts zur Leitung der Vernunft, mit einem Worte, aus der Vormundschaft der Natur in den Stand der Freiheit“34 überzugehen. Das Verhalten ist als Handeln zu begreifen. Nach der berühmten Sentenz aus dem Vorwort der Anthropologie heißt das, der Mensch hat seine Lebenswelt als etwas zu begreifen, das er selbst macht, machen kann und machen soll. Er selbst gestaltet sich zu dem animal rationabile, das bisweilen auch animal rationale ist, als den ihn Kant sieht. Zu dessen Rationalität gehört es, dass es sich einen „Bewegungsgrund“ zu eigen macht, den „besonderen Gesichtspunkt der Weltbetrachtung zu wählen“35, gemäß welchem die Ereignisse, die bzw. sofern sie von den Menschen beeinflusst sind, nach einer Idee zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefügt erscheinen. Diese Idee ist die Idee einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher, das ist „vollendeter vernünftiger“ Absicht36. Kant ist die empirische Verankerung auch dieser Idee – weil von einer Idee die Rede ist, wird zu leicht ihr empiriologischer Charakter übersehen37 – sehr angelegen. Deshalb streicht er heraus: Wenn man der Meinung ist, die Geschichte ist als ein Geschehen zu betrachten, in welchem so etwas wie ein ver___________ 30 Nichts steht somit der Meinung, Kant habe eine Zweiweltenlehre vertreten, mehr entgegen als die Kantische Lehre vom geheimen Plan der Natur. Zur Weltbetrachtung gehört es nach Kant, den Menschen als Subjekt sowohl der Bestimmtheit der Naturalität wie der der Intelligibilität nach zu fassen. Sein Subjektsein besteht gerade darin, die eine wie die andere Bestimmtheit zu zeigen, und zwar in deren Untrennbarkeit. 31 AA VIII, S. 24. 32 A.a.O., S. 22 u.ö. 33 A.a.O., S. 23 Anm. 34 A.a.O., S. 115. 35 A.a.O., S. 30. 36 Ebd. 37 AA VII, S. 331 wird sie ausdrücklich als regulatives Prinzip bezeichnet.

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borgener Plan der Natur entdeckt werden kann, der Plan, in der Abfolge der Ereignisse einen Zustand zu erreichen, in welchem „alle ursprünglichen Anlagen der Menschengattung entwickelt werden“38, muss in der Erfahrung selbstverständlich etwas von einem solchen Gang der Natur(absicht) entdeckt werden39. Nur wenn die Erfahrung etwas bereitstellt, was mit jener Idee in einen Fundierungszusammenhang zu bringen ist, ist die Argumentation wirklich schlüssig. Schon sehr Weniges reicht aus, ist Kant sicher. Denn selbst wenn die Menschheit nur Weniges bezüglich der Entwicklung zum weltbürgerlichen Zustand aufzuweisen hat, ist „aus dem kleinen Theil [schon], den die Menschheit in dieser Absicht zurückgelegt hat [...] die Gestalt ihrer Bahn und das Verhältniß der Theile zum Ganzen [zu] bestimmen“40. Kant strapaziert also das Argument, aus der Bestimmung eines Bahnsegmentes die ganze Bahn bestimmen zu können. Ausdrücklich nimmt er Bezug auf die astronomische Bahnberechnung. Gleich der wird vorgegangen. Der Lauf der Geschichte ist also nach Kant sogar berechenbar. Er ist berechenbar wie ein Sternenlauf. Hiermit ist auch die Zuverlässigkeit der Geschichtsidee garantiert. Denn hiermit ist die Entwicklung zu betrachten als eine Entwicklung, die Bestimmtheit aufweist. Es ist die Bestimmtheit der Aufklärung. Kant ist der Meinung, Aufklärung kann mit Sicherheit erwartet werden. Und er folgert: Wenn sie mit Sicherheit erwartet werden kann, ist die Überzeugung wohlfundiert, „wir könnten durch unsere eigene vernünftige Veranstaltung diesen für unsere Nachkommen so erfreulichen Zeitpunkt schneller herbeiführen“41. Aufklärung als vernünftige Veranstaltung ist Kants Konzept. Kultur ist ihm genau das. Mit Schwärmerei hat das nichts zu tun. Es hat damit etwas zu tun, das „sonst planlose Aggregat menschlicher Handlungen wenigstens im Großen als ein System darzustellen“42. Das ist der Fundierungsleitfaden für die Historie. Die „Idee einer Weltgeschichte“, wie Kant verkürzend diesen (apriori___________ 38 AA VIII, S. 28. Zu diesen Anlagen lässt sich Kant detailliert aus in den Ausführungen zum Charakter der Menschengattung am Schluss der Anthropologie und in den §§ 5–7 des Zweiten Abschnittes des Streites der Fakultäten. – Kant misst mit dieser Ansicht dem Gedanken der Evolution die kulturtheoretische Berechtigung zu, die er verdient. Denn so sehr die Entwicklung Entwicklung von Anlagen ist, so sehr ist sie Entwicklung, die zur Kultivierung führt. Nicht die Weiterentwicklung von biotischen Fähigkeiten ist der ausschlaggebende Punkt, sondern der ausschlaggebende Punkt wird darin gesehen, dass die biotische Fitness den Aufbau des Ganzen, das die Gesellschaft ist und mit diesem die für diese charakteristische Ruhe und Sicherheit initiiert, so dass sie letztlich diesem Aufbau dienstbar und insofern relativ ist. 39 AA VIII, S. 27. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 AA VIII, S. 29.

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schen) Fundierungsleitfaden auch nennt43, verhilft dem Geschichtsdenken dazu, über die bloße Narration hinauszukommen. Das Geschichtsdenken wird dadurch Wissenschaft. Angesichts der vielfältigen, so oder so berichteten geschichtlichen Tatsachen erstellt es – der Konstruktion eines Kurvenverlaufes aus der Bestimmung eines Kurvensegmentes vergleichbar – das einheitliche Ganze der Geschichte, die somit letztendlich als Weltgeschichte konzipiert ist. In dieser Konzeption hat die Geschichte ihr philosophisches (methodologisch gefasstes methodisches) Fundament. Und dieses philosophische Fundament referiert auf die Gattungsbestimmtheit des Menschen. Nicht die eigene vernünftige Absicht der einzelnen Menschen bei ihrem Spiel im Großen, die immer wieder einmal verlustig gehen kann, ist der Bezugspunkt, der Bezugspunkt ist die menschliche Gattung qua letzter Zweck und hiermit Terminierung der Natur in dem Verstande des Anderen der Natur. Darin liegt: Kant setzt ganz auf die Fundierungsvorstellung theoretisch-metaphysischer Anfangsgründe. Sein Kulturbegriff ist nicht praktisch. Selbst angesichts dessen, dass Weltbürgerlichkeit eine praktische Bestimmtheit ist, ist Vernünftigkeit der Geschichte nur als Systemkonzeptualisierung zuzurechnen (prinzipientheoretisch begründet zuzumessen). Die prinzipientheoretische Zumessung beruht auf dem methodologischen (keineswegs formallogischen) Systembegriff der Organisation respektive Selbstorganisation eines Ganzen. Nur auf dieser Basis, diesem von der teleologischen Urteilskraft zu verantwortenden Sachverhalt, kann überhaupt von der Kultur und der Geschichte die Rede sein. Die Kultur und die Geschichte (im Singular) sind genauso methodisch fundierte Sachverhalte wie die Natur. Und wie die Natur weisen sie auch ihre einheitliche, durchgängige Sinnbelastung auf. Der Sinn heißt (fortschreitende) Aufklärung. Es leistet diese ein animalisches Wesen, das durch seine Naturbestimmtheit dazu bestimmt ist, eine künstliche (= vernünftige) Rolle zu spielen. Mit dieser Feststellung ist der Kantische Argumentationsfaden seinen verschiedenen Stücken nach herauspräpariert. Die Frage ist: Resultiert die Selbsteinschätzung der neukantianischen Lehre als Philosophie der Kultur daraus, dass sie einem direkt oder doch wenigstens annähernd deckungsgleichen Argumentationsfaden folgt? Die Antwort ist zwiespältig.44 Generell gilt: Die Behauptung der Neukantianer, die Philosophie Kants sei der theoretische Ausdruck des modernen Kulturbewusstseins45 ist nicht abwegig, vor allem wenn hiermit darauf Bezug genommen ist, dass Kant mit seiner ___________ 43

A.a.O., S. 30. Sie splittet sich im Übrigen auch nach den verschiedenen Schulen auf. Selbst wenn man nur die beiden Hauptschulen in Betracht zieht, sind im Detail beachtliche Unterschiede festzustellen. 45 Heinrich Rickert, Kant als Philosoph der modernen Kultur, Tübingen 1924, S. 139. 44

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kritischen Philosophie die geltungstheoretische Grundorientierung der Philosophie vollbracht hat, in welcher die grundlegungswissenschaftlichen Antworten auf die spezifischen Kulturprobleme überhaupt möglich geworden sind46. Die Selbsteinschätzung der Kantischen Philosophie als kritische Philosophie wird hierbei so verstanden, dass sie in und bei allem Insistieren auf theoretischer Letztbegründung doch auch die eigenen Gründe und die eigenen Begründungsstrukturen alles Nicht-Theoretischen aufdeckt. Das hat für die Philosophie, die universal sein will in ihrer Thematik, das Bestechende, dass das Atheoretische die prinzipiell gleiche prinzipientheoretische Würdigung erfährt wie das Theoretische. Und das ist für die Philosophie als umfassende Theorie der Kultur in der Tat ausschlaggebend. Diese Theorie muss sich nicht in Übergangs- oder Abwandlungskonstruktionen oder gar prinzipientheoretische Antagonismen verstricken. Es verrät Scharfsicht, dass die Neukantianer diese Sicht der Kantischen Philosophie sich erarbeitet haben. Doch diese Sicht ist, wie nicht genug betont werden kann, eine rein allgemein geltungs- und prinzipientheoretische. Sie wird dem kritischen Charakter der Kantischen Philosophie gerecht. Sie würdigt auch nachdrücklich die Prinzipiensystematik der kritischen Philosophie. Durchweg ist deren Bemühen um die Sicherung der Objektivität von Sinngebilden ins Auge gefasst. Die Marburger interpretieren dieses Bemühen hierbei rigoros konstruktiv-aprioristisch mit den Kulturfakten als Begründungsreferenten und der sinngebenden Idee als Begründungsprinzip47. Die Südwestdeutschen, insbesondere Rickert, nehmen es als ein wertphilosophisches Bemühen. Es gehe darum, die reinen, das ist die schlechthin konstitutiven und regulativen Urteile, Begriffe und Grundsätze jeglicher Sinnkonstitution oder die autonomen Werte und deren Anerkennung respektive Realisierung in Gütern herauszuarbeiten. Die Realisierung wird hierbei übereinstimmend als geschichtlicher Vorgang betrachtet. Von einer Bezugnahme auf Kants distinkten Kulturbegriff und der mit diesem vorliegenden speziellen transzendental-metaphysischen Theorie der Kultur ist darin jedoch lediglich das Selbstgestaltungsargument enthalten. Kultur ist eine Subjektsleistung. ___________ 46

A.a.O., S. 141. Wenn Ursula Renz, die eine ausführliche Untersuchung der Kulturphilosophie Cohens, Natorps und Cassirers vorgelegt hat, ausführt, dass für Cohen „kulturelle Gegebenheiten für sich genommen keine Geltung beanspruchen“, dennoch aber behauptet, „daß Momente von Vernünftigkeit in der Kultur verwurzelt“ sein sollen (Die Rationalität der Kultur, Hamburg 2002, S. 44 f.), so stiftet sie eher Verwirrung als dass sie Präzision erzielt. Worauf es Cohen ankommt, ist dies, dass mit dem Geltungsanspruch, der ein Faktum überhaupt zu einem Kulturfaktum macht, nicht Unbedingtheit beansprucht ist. – In ähnlicher Weise Verwirrung stiftende Analysen sind überhaupt für diese stark von Helmut Holzheys Cohen-Auslegung beeinflusste Untersuchung kennzeichnend. 47

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In allen seinen Vertretern insistiert der Neukantianismus darauf. Ziemlich unausgebildet ist die empiriologische Einbindung dieses Argumentes, die Kant so wichtig ist. Deshalb bekommt die empiriologisch-geschichtsphilosophische Komponente, die aus Kants Argumentation nicht wegzudenken ist, in der neukantianischen Kulturtheorie kein vergleichbar hohes Gewicht. Der besondere Gesichtspunkt der Weltbetrachtung, der nach Kant zu wählen ist und der ein geschichtsphilosophischer ist und der letztlich der Teleologie der reflektierenden Urteilskraft entwächst und der die fortschreitende Aufklärung zur distinkten Kulturbestimmtheit erklärt, ist kein Bestandteil der neukantianischen Selbsteinschätzung der Philosophie als in der Nachfolge Kants entwickelter Theorie der Kultur. Man muss geradezu sagen, den Neukantianern blieb dieses Kantische Theoriestück seiner Bedeutung nach verschlossen. Und dies obwohl einige von ihnen ihm in der Sache einigermaßen nahe gekommen sind. Am besten lässt sich das wohl an der Kanteinschätzung Wilhelm Windelbands zeigen. Windelband legt dar: „Für Kant [...] schränkt sich der Begriff der Wissenschaft auf die Naturforschung und speziell auf die mathematische Naturtheorie im Sinne Newtons ein. Das einzige Objekt seiner Kritik war in diesem Sinne die allgemeine Gesetzeswissenschaft [...]. Von einer Kritik der historischen Wissenschaften ist bei Kant keine Rede [...]“.48 Zutreffend an dieser Aussage ist, dass von einer Kritik der historischen Wissenschaften bei Kant keine Rede ist. Alles andere ist falsch. Denn die Fundierung der Geschichtswissenschaft ist bei Kant nach dem Dargelegten sehr wohl Thema. Es ist wie jede Fundierungsthematik einer positiven Wissenschaft ein Thema der transzendentalphilosophisch verstandenen Metaphysik. Die Sache liegt da nicht anders als bei der Fundierung der exakten Wissenschaften. Die metaphysischen Anfangsgründe der Wissenschaft sind jeweils gefragt. Sie sind u.a. die Prinzipien, die die Einrichtung einer sinnvollen, nämlich auf den Sinn Aufklärung festgelegten und dem dementsprechenden Fortschritt verpflichteten Theorie des menschheitlichen Ganzen regulieren. Hiermit sind Kant und die Neukantianer in der Sachposition einander sogar, wie schon bemerkt, einigermaßen nahe. Denn die Neukantianer, insbesondere die Südwestdeutschen und da wieder vor allem Windelband und Rickert, sehen in der anstehenden Prinzipienfunktion ebenfalls eine Regulation. Allerdings trennen sie nicht sauber Regulation und Konstitution. Das Geschichtsdenken ist bei ihnen nicht nur regulationstheoretisches, sondern regulationstheoretisches wie konstitutionstheoretisches Thema. Denn die Geschichte ist bei ihnen das Reich der Sinngebilde und der wertbelasteten Güter. Dieses hat zu seinen Prinzipien die sinngebenden Ideen bzw. die Werte. Deren Funktion und deren Eru___________ 48

Wilhelm Windelband, Geschichtsphilosophie. Eine Kriegsvorlesung, Kant-Studien Ergänzungsheft Nr. 38, Berlin 1916, S. 23.

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ierung stehen im Zentrum des Themas. Das ist dadurch ein konstitutionstheoretisches Thema. Geht es doch primär um die sinnkonstituierenden Prinzipien. Deren Konstitutivität ist für die Begründung des spezifisch historischen Gegenstandes verantwortlich. Zugleich wird vom sinnkonstruktivistischen wie vom wertphilosophischen Standpunkt aus gelehrt: Die Eruierung der grundlegenden Sinngebungen bzw. der Werte kann nur über die Darlegung ihrer Realisierung in der einmaligen Entwicklung der Kultur erfolgen. Diese Meinung erzwingt die Vermengung mit dem regulationstheoretischen Thema. Da bei dieser Thematik die Einmaligkeit der Bestimmtheit zentral ist, muss der Faktenerfassung eine die Individualität in die Begriffsbildung einholende Methodik zur Verfügung stehen. Es gibt so das spezifische methodische Obligat. Ihm ist nur durch methodologische Forschung gerecht zu werden. Der besondere Gesichtspunkt der Weltbetrachtung, wenn diese Wendung noch gebraucht werden darf, ist der der individualisierenden Darstellung in von der generalisierenden Begriffsbildung sich unterscheidender, der Individualität des Geschehens gerecht werdender Begriffsbildung. Die Geschichtsphilosophie, das hat vor allem Heinrich Rickert mit Nachdruck herausgearbeitet,49 hat die Aufgabe, diesen Gesichtspunkt zu explizieren und seine wertphilosophische Verankerung darzutun. Ausdrücklich heißt es: „Weil der Gegenstand oder der Stoff der Geschichte als Kulturleben die sachliche Eigentümlichkeit hat, daß es sich dabei in der Hauptsache um sinnerfüllte Wirklichkeiten des Kulturlebens handelt, bedarf er zu seiner erschöpfenden Darstellung einer besonderen Methode, nämlich einer wertbeziehenden individualisierenden Begriffsbildung, welche von seinen sinngebenden Werten geleitet wird, während andererseits die sinnfreie Natur, das heißt alles, was ohne Rücksicht auf Wert und Sinn besteht, seinem Wesen nach in ein System allgemeiner Begriffe paßt und daher unter Absehen von jeder Wertbeziehung generalisierend zu erforschen ist.“50 Hiermit ist nicht wie bei Kant Konstitution und Regulation der Bestimmtheit getrennt. Die der sinngebenden Idee eigentümliche Bestimmtheit, die der wertbeziehenden Begriffsbildung immanente Wertgeleitetheit bringt gerade beide wieder ununterscheidbar zusammen. Das ist nicht kantisch. Wegen der Kontamination erübrigt sich auch die für die Kantische Lehre wesentliche Fundierungsklimax, in welcher dem Begriff und der Theorie der Kultur die epistemologische Fundierungsrolle der Metaphysik der historischen Wissenschaften zufällt. Der neukantianische Gesichtspunkt der Weltbetrachtung, zu verstehen als diese Sicht der Philosophie als Kulturphilosophie, kennt eine solche im Begriff der Aufklärung fokussierte Fundierungsklimax nicht. Die neukantianische Lehre verlangt einen anderen Aufbau der Fundierung. Ich wiederhole, es ist ein Aufbau, der ___________ 49 Vgl. Heinrich Rickert‚ Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung (1896/1902), Tübingen 51929; ders.‚ Die Probleme der Geschichtsphilosophie – Eine Einführung, Heidelberg 31924. 50 Die Probleme der Geschichtsphilosophie, a.a.O., S. 74.

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auf der äußerst bedenklichen Beseitigung der strikten Trennung von konstitutions- und regulationstheoretischer Thematik beruht. Deshalb kann Paul Natorp in Übereinstimmung mit Hermann Cohen den Begriff und die Zuständigkeit der Logik derart ausweiten, dass sie „nicht bloß die Theoretik, als Logik ,möglicher Erfahrung‘, sondern ebensowohl die Ethik, als Logik der Willensgestaltung, und sogar die Ästhetik, als Logik der reinen Kunstgestaltung“51 und diesen nachgeordnet sämtliche Wissenschaften fundiert, als Setzungen der unbedingten Vernunft und des bedingten Subjektes. Deshalb kann Heinrich Rickert, der im Übrigen in der Kritik der teleologischen Urteilskraft „den Ansatzpunkt für die Gedanken [findet], die eine im besten Sinne moderne Philosophie der Wissenschaften braucht“,52 die Fundierung der Geschichtswissenschaften als eine Frage spezifischer Begriffsbildung begreifen und zugleich als wertphilosophische Prinzipienlehre. Es muss ihn nicht stören, dass die Wertbeziehung in der Fragestellung der Prinzipien der Subjektswürde konstitutionstheoretisches, dass sie andererseits in der Fragestellung der Prinzipien der Begriffsbildung regulationstheoretisches Thema ist. Kant ist dergleichen Kontamination nicht unterlaufen. Er hat dementsprechend auch keine Schwierigkeit, metaphysische Anfangsgründe zu fixieren, für die Naturwissenschaften und die Geschichtswissenschaften. Sein Begriff der Kulturbestimmtheit bezieht sich auf die metaphysischen Anfangsgründe der historischen Wissenschaften und er macht diese im Begriff der Aufklärung dingfest. Dieser ist hiermit ein epistemologischer Fundierungsbegriff.53 Die Neukantianer haben dies nicht bemerkt. Sie sind so hinter Kant zurückgefallen. Sie haben keine der transzendentalphilosophischen Klimax entsprechende Kulturphilosophie entwickelt. Sie haben, wie gesagt, nicht einmal gesehen, dass eine solche bei Kant vorliegt. Ihre Überlegungen zur Philosophie als Kulturtheorie laufen auf nichts als auf die Herausstellung der Kulturbedeutung der Philosophie hinaus, besser: Sie sind auf derartige Überlegungen beschränkt. Kulturphilosophie ist gleichbedeutend mit der Durchsetzung des Gedankens der Vernünftigkeit in der geschichtlichen Wirklichkeit.54 ___________ 51 Paul Natorp, Kant und die Marburger Schule, Kant-Studien Bd. XVII, 1912, S. 216. 52 Heinrich Rickert, Kant als Philosoph der modernen Kultur, Tübingen 1924, S. 184. 53 Kant hebt sich durch diesen Aufklärungsbegriff von allen anderen sogenannten Aufklärern und darüber hinaus sämtlichen Geschichtsdenkern deutlich ab. Er ist überhaupt der einzige Theoretiker, der den Aufklärungsbegriff in die Transzendentalphilosophie integriert und diesen so zu einem dem Letztbegründungskontext zugehörigen Begriff macht. Der Unterschied ist klar: Jenseits der Kantischen Einordnung ist der Aufklärungsbegriff ein reiner Epochenbegriff. In Kants Einschätzung ist er in dezidierter (= regulativer) Weise Prinzipienbegriff. Er ist sogar Prinzipieninbegriff. Er ist nämlich der Begriff all dessen, das die Werteordnung, und in dieser inbegriffen, die den Menschen zum Subjekt der Geschichte machende Formierung der weltbürgerlichen Gesellschaft ausmacht. 54 Auch bei ihnen ist infolgedessen im Unterschied zu Kants Einschätzung desselben der Aufklärungsbegriff darauf beschränkt, ein reiner Epochenbegriff zu sein.

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Diese soll als von der Reinheit der Vernunft durchtränkt, Sinn verratend nahe gebracht werden, in allen systematisch zu entfaltenden Aspekten des Vernunftbegriffes. Die systematische Entfaltung des Vernunftbegriffes ist hierbei nicht nur von zentraler, sondern ebenso von grundlegender Funktion. Dass dem so ist, hat seinen zwingenden Grund. Er liegt in der kritisierten Kontamination von Geltungskonstitution und Geltungsregulation. Kontaminiert man diese, so muss nämlich die Grundlegung die Vielfalt der Geltungsthemen schon in sich schließen, und zwar in der Weise einer geschlossenen Ordnung. Betrifft doch die Geltungsregulation deren Organisation. So ist eine Konzeption der Philosophie als Theorie der Kultur zwangsläufig, die nichts als die Formel von der Einheit des Kulturbewusstseins bzw. die Vorstellung von einer allgemeinen, das Bewusstsein und das Gegebene konfrontierende Sinndeutungslehre bietet. Wir haben es mit einem Grundlegungsmonismus zu tun, der letztendlich über nivellierende Parallelisierungen nicht hinauskommt. Mit Ernst Cassirers Philosophie ist schließlich der Abstand zu Kants Lehre von der Kultur nochmals vergrößert. Indem in seiner Fragestellung der Fragegesichtspunkt von der Bestimmung der in der fraglichen Kontamination gedachten Geltungsfunktionen als solchen auf deren strukturelle Herausbildung im Leben der Menschen in charakteristischen Ausdrücken, konkret: Gebärden, Mimik, Gesten, in Darstellungen, konkret: Zeichen, Verbalisierungen und in Bedeutungen, konkret: Begriffen, Theorien verschoben ist, modelt sich die allgemeine konstitutive wie regulative Funktion zur symbolischen Form. Die Philosophie hat in dieser ihren Gegenstand. Die Theorie der Kultur kann sich als die allumfassende Philosophie der symbolischen Formen verstehen.55 Das Resümee des Vergleiches führt also auf die These, dass von den beiden Lehren die Kantische die weitaus fruchtbarere ist. Sie ist als die im Vergleich auf Distinktheit und nicht nur eine Einheitsformel bzw. allgemeine Sinnlehre führende Grundlegung der Theorie von der Kultur zu beurteilen. Ihre Fruchtbarkeit verdankt sie ihrer dezidiert geltungs- und prinzipientheoretischen Anlage. Auf Grund dessen ist die Kantische Lehre von der Kultur als die Leistung einzuschätzen, an der sich jede Philosophie der Kultur um ihrer Tragfähigkeit willen zu orientieren hat. Es besteht so in der Tat die begründete Veranlassung, Kant als den Initiator des Verständnisses der Philosophie als grundlegungswissenschaftlicher Kulturtheorie zu betrachten. Die Gründe sind in einer weit differenzierteren Argumentation zu finden als das der Neukantianismus gemeint ___________ 55

Wie sehr Cassirer hiermit der Marburger Linie der Sicht der Philosophie als Kulturphilosophie verpflichtet bleibt, geht aus der Bemerkung Cassirers gegen MarcWogau hervor, wonach seine Begriffslehre „sowohl genetisch als auch systematisch im Zentrum der Philosophie der symbolischen Formen steht und diese letztere streng genommen nichts anderes als eine Erweiterung und Vertiefung des Grundgedankens [seiner] Begriffslehre sein will“. Ernst Cassirer, Wesen und Wirkung des Symbolbegriffes, Darmstadt 1956, S. 223.

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hat. Es geht nicht nur um die allgemeine geltungs- und prinzipientheoretische Orientierung, die Kultur als Vernunftbestimmtheit und das Kulturbewusstsein als Vergewisserung der Vernunftbestimmtheit zu betrachten, sondern es geht darüber hinaus direkt um die transzendental-metaphysische Grundlegung der Kulturerkenntnis. Die Vermutung, dass die direkte sachliche Orientierung an Kants Lehre von der Kultur die Stellungnahme der Neukantianer hätte niveauvoller ausfallen lassen, ist berechtigt. Und weiter ist die Vermutung berechtigt, dass die der Kantischen Sache angemessenere Stellungnahme des Neukantianismus wohl verhindert hätte, dass andere philosophische Bewegungen Kants Lehre von der Kultur so leicht haben übergehen können. Die fundierungsarmen Versuche des Kulturverstehens, die in der Philosophie des 20. Jahrhunderts ziemlich verbreitet sind56 hätten diese zumindest nicht derart prägen können, wie dies geschehen ist.

___________ 56

Vgl. hierzu Thomas Göller, Kulturverstehen. Grundprobleme einer epistemologischen Theorie der Kulturalität und kulturellen Erkenntnis, Würzburg 2000, Teil II.

Kant zur Gründung von Recht und Rechtswissenschaft Kants Lehre zur Gründung von Recht und Rechtswissenschaft ist wie eh und je in der Diskussion. Die verschiedensten Ansichten werden vertreten. Sie alle kreisen um die Beziehungen, die innerhalb der praktischen Philosophie Kants zu beobachten sind. Der Zusammenhang der Kantischen Lehre von der Sittlichkeit und seiner Rechtslehre wird hierbei sehr unterschiedlich beurteilt. Von der Behauptung der direkten Derivation der einen (der Rechtslehre) von der anderen (der Sittenlehre) bis zur Behauptung der gänzlich unabhängigen Gründung der Rechtslehre reichen die Beurteilungen. Zugleich wird jeweils dem abweichenden Urteil die Unzulänglichkeit beschieden. Man muss sich fragen, wie es zu dieser sehr uneinheitlichen und weithin kontroversen Beurteilungslage kommt. Ich bin der Meinung, diese Beurteilungslage ist darauf zurückzuführen, dass der argumentative Rahmen für die Kantische Lehre zur Gründung von Recht und Rechtswissenschaft nicht angemessen gezogen ist. Er darf nicht auf den Praxisaspekt der Kantischen Freiheitslehre eingeschränkt sein. Er muss den wesentlichen Punkt einschließen, dass die Freiheitsidee unter die scibilia gerechnet werden muss und dass diese Idee insofern dadurch ausgezeichnet ist, in der Erfahrung, verstanden als die Beschreibung und Schätzung wirklicher Handlungen, sich dartun zu lassen.1 Bei gebührender Berücksichtigung dieses Punktes, der ja der Freiheitsidee eigentümlich ist (der nach Kant in Bezug auf keine weitere Vernunftidee festzustellen ist), das ist die These, erweisen sich die Kantischen Überlegungen zur Gründung von Recht und Rechtswissenschaft als völlig stringente, der Eigentümlichkeit dieser Gründung genauestens gerecht werdende Argumentation. Zudem stellt sich heraus, dass sie sich ganz in den Kontext der Überlegungen einordnen, die Kant im Zuge der Etablierung seiner allgemeinen Kulturtheorie respektive seiner Theorie der Geschichte angestellt hat. Sie sind wie jene empiriologisch orientierte Überlegungen. Die in den Jahren 2002 bis 2007 von mir veröffentlichten Untersuchungen zu Kants Kultur- respektive Geschichtsphilosophie2 haben bereits den Hinweis geliefert, dass es Kants Ansicht ist, die ___________ 1

AA V, S. 55 in Übereinstimmung mit AA V, S. 105. Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie, in: Reinhard Hiltscher/André Georgi (Hg.), Perspektiven der Transzendentalphilosophie im Anschluß an die Philosophie Kants, Freiburg/München 2002, S. 105–115; Zu Kants geschichtsphilosophischem ‚Chiliasmus‘, in: Karl-Heinz Lembeck/Karl Mertens/Ernst-Wolfgang Orth (Hg.), Phänomenologische Forschungen 2005, S. 167–174; Erreichung und Errichtung. Über die 2

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Rechtsverfasstheit der Welt des Menschen ist der Entwicklung eingezeichnet, die die Geschichte ausmacht3. Angesichts der nach wie vor überwiegend anders gelagerten Forschungslage erscheint es mir angebracht, die fragliche Einsicht ausführlicher darzulegen. Die nachfolgenden Ausführungen dienen dieser Absicht. Kants Begriff der Geschichte betrifft die „Entwickelung der Freiheit aus ihrer ursprünglichen Anlage in der Natur des Menschen“4. Ihrer Besonderheit nach stellt sich diese Entwicklung dar als die der höchsten oder letzten Absicht der Natur entsprechende Tendenz, den weltbürgerlichen Zustand, das ist jenen Zustand, „worin alle ursprünglichen Anlagen der Menschengattung entwickelt werden“5, zu gewinnen. Für Kant ist die Ausrichtung auf den weltbürgerlichen Zustand der wesentliche Zug jener Entwicklung. Deshalb ist die Frage seiner Gründung für Kant äußerst wichtig. Kant ist der Meinung, der Zug der Tendenz hin zum weltbürgerlichen Zustand ist dadurch von so entscheidender Bedeutung, dass er seine Verankerung in der Erfahrung hat. Dadurch dass sich in der Erfahrung „etwas von einem solchen Gange der Naturabsicht entdecke[n]“ lässt6, ist die fragliche Entwicklung in Ansatz zu bringen. Die Fragestellung, die auf die Geschichte zielt, ist somit eindeutig eine empiriologische Fragestellung. Der Geschichtsbegriff ist ein empiriologischer Begriff. Die Geschichtswissenschaft ist eine empirische Wissenschaft. Selbstverständlich muss der als integraler Bestandteil des Geschichtsbegriffes gedachte Begriff des weltbürgerlichen Zustandes somit ebenfalls ein empiriologischer, eine empirische Sache methodisch definierender Begriff sein. Die Frage ist, welche Sache hat Kant hierbei im Auge. Es geht bei dieser Frage um die Grundaussage, auf der Kants Argumentation aufbaut. Diese Aussage ist die, dass die Natur den Menschen mit jener Entwicklung, die die Geschichte ausmacht, in eine künstliche Rolle zwingt7 und dass er in dieser künstlichen Rolle Subjekt ist. Hiermit ist gemeint, dass der Mensch etwas aus sich macht, was er aus sich machen kann und was er aus sich ___________ empiriologische Orientierung der Kantischen Geschichtsphilosophie, in: Reinhard Hiltscher/Stefan Klingner/David Süß (Hg.), Die Vollendung der Transzendentalphilosophie in Kants „Kritik der Urteilskraft“, Berlin 2006, S. 183–189; Kants Begriff der Kultur und das Selbstverständnis des Neukantianismus als Kulturphilosophie, in: Marion Heinz/Christian Krijnen (Hg.), Kant im Neukantianismus. Fortschritt oder Rückschritt?, Würzburg 2007, S. 9–24. 3 Vgl. Flach, Zu Kants geschichtsphilosophischem „Chiliasmus“, a.a.O., S. 173, Anm. 2. 4 AA VIII, S. 109. 5 A.a.O., S. 28. 6 A.a.O., S. 27, vgl. auch AA VII, S. 88. 7 AA VIII, S. 23 Anm.

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machen soll. Einerseits geht es also um etwas, das seine Natur zulässt, das diese in ihrer zweckmäßigen Organisation sogar befördert. Andererseits geht es um etwas, wozu er sich über seine Naturbestimmtheit hinaus verbindet. So ist er damit befasst, seine Naturbestimmtheit zu terminieren und in diesem Terminieren eine Bestimmtheit herzustellen, in der er Subjekt ist und in der er weiter der in seiner Subjektsbestimmtheit eingeschlossenen Intersubjektivität entsprechend in seinem Agieren mit dem Agieren aller anderen Menschen übereinkommt, wobei dieses Übereinkommen eine empirisch feststellbare und so selbst eine empirische Angelegenheit ist. Es ist die empirische Angelegenheit der höchst persönlichen wie das menschheitliche Kollektiv verlangenden Selbstbestimmung, und das ist die Etablierung einer vom Gedanken der Gesetzlichkeit und der Gesetzmäßigkeit beherrschten Rechtsordnung einschließlich dessen, was diese alles impliziert, insbesondere den Staat und die Staatengemeinschaft. Diese Rollenbeschreibung, die, wie sich in der Entfaltung des Geschichtsbegriffes herausstellt, das Agieren des/der Menschen unter die Begriffe des Kultivierens, Zivilisierens wie Moralisierens bringt und so durchweg als ein Disziplinieren beschreibt, ist höchst intrikat. Die Intrikatheit hängt an der Aufnahme des Sollens in die Rollenbeschreibung. Wegen der Aufnahme des Sollens in die Rollenbeschreibung beschließt das fragliche Machen nämlich eine Aufgabe in sich, welche die Aktionen des Menschen, wie schon bemerkt, ebenso an eine allgemeine Gesetzlichkeit wie an eine konkrete Konsensdirektive bindet. Die Handlungsorientierung der Rollenbeschreibung gibt die Bindungsreferenten vor. Für die Bindung an eine allgemeine Gesetzlichkeit kommt innerhalb der Lehre Kants nur der kategorische Imperativ in Frage. Für die Bindung an eine konkrete Konsensdirektive kommt innerhalb der Lehre Kants nur die positive Gesetzgebung in Frage. Beides ist so miteinander in Beziehung gebracht. Und es ist verlangt, dass die Beziehung ihre spezifische Funktion durch das Gegenüber und Zusammen von Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit auf der einen Seite und Besonderheit, ja Einzelheit und Kontingenz auf der anderen Seite und somit als deren Nenner erfüllt. Man kann in diesem Nenner nur die Gemeingültigkeit jenseits der logischen Allgemeinheit und jenseits der Datenbesonderheit sehen. Diese funktionale Lage ist nach der Kantischen Prinzipienlehre nur in der Prinzipation der reflektierenden Urteilskraft gegeben. Sie und nur sie ermöglicht die Funktionalität der besonderen Art, zwar nicht objektive, aber doch subjektive, nicht logisch-apriorische, so doch in einer Art von Vermittlung regulativ (und insoweit in einer spezifischen Weise apriori) einende Geltung zu begründen. Das ist die prinzipientheoretische Vorgabe. Ob dieser prinzipientheoretischen Vorgabe ist nicht darum herumzukommen, in den Aussagen zur Lehre

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von der reflektierenden Urteilskraft in der Kritik der Urteilskraft eine Aussage beschlossen zu finden, die einen der Geschichte zugehörigen Sachverhalt betrifft, der genau so funktioniert, wie es die prinzipientheoretische Vorgabe verlangt und der mit der allgemeinen geschichtlichen Rollenbeschreibung einen speziellen Sachverhalt verbindet. Es ist der Sachverhalt der Gründung von Recht (und hiermit des Staates). Dieser Sachverhalt ist nicht, wie es in der Forschung bislang geschieht, schon mit der Berücksichtigung der Aussagen der praktischen Philosophie Kants zu erschöpfen. Der fragliche Sachverhalt umfasst auch eine Aussage aus dem Bereich der Kritik der Urteilskraft. Und diese Aussage ist sogar zentral. Ohne dass sie berücksichtigt wird, ist die Auslegung der Kantischen Darstellung der Gründung von Recht (und Staat) mangelhaft. Die Suche nach der unter den Aussagen der Kritik der Urteilskraft enthaltenen Aussage bezüglich der Kantischen Vorstellung der Gründung des Rechtes ist keine Angelegenheit, die es mit in die Augen Springendem zu tun hat. Diese Aussage ist von Kant nicht angezeigt. Man muss sie unter anderen Aussagen hervorholen. Die Aussagen, unter denen man sie hervorholen muss, sind die zum Geschmacksurteil. Sie sind die Aussagen, die von einem Prinzip handeln, das „nur als ein Gemeinsinn angesehen werden“ kann8. Dieses Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ist das, was in Frage steht. Es steht insofern in Frage, als es ungeachtet seiner ästhetischen Referenz und unabhängig von dieser „einen bestimmten praktischen Zweck zur Absicht“ hat9. Dieser nicht sittliche, wohl aber in einem sehr bestimmten Sinne praktische Zweck ist „die Billigung der Auflösung, die einer Aufgabe G[e]nüge thut“10. Dadurch begründet sich „Regelmäßigkeit, die sich als Zwang ankündigt“11. Die Prinzipation, die da vorliegt, besteht nicht darin, „daß jedermann mit unserem Urtheile übereinstimmen werde“, sondern sie besteht darin, dass jedermann „damit zusammenstimmen solle“12. Sie ist ihrem Charakter nach „eine bloße idealische Norm, unter deren Voraussetzung man ein Urtheil, welches mit ihr zusammenstimmte, und das in demselben ausgedrückte Wohlgefallen an einem Object für jedermann mit Recht zur Regel machen könnte: weil das Princip, zwar nur subjectiv, dennoch aber, für subjectiv-allgemein (eine jedermann nothwendige Idee) angenommen, was die Einhelligkeit verschiedener Urtheilenden betrifft, gleich einem objectiven allgemeine Beistimmung fordern könnte; wenn man nur sicher wäre, darunter richtig subsumirt zu haben“13. ___________ 8

AA V, S. 238. A.a.O., S. 243. 10 A.a.O., S. 242. 11 Ebd. 12 AA V, S. 239. 13 Ebd. 9

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Die Prinzipation läuft nach dieser Charakterisierung auf die Herleitung der Geltungswertigkeit von Fakten aus einem Gemeinsinnurteil hinaus. Das Geschmacksurteil ist nach Kants ausdrücklicher Bekundung nur ein Beispiel eines solchen in einem Gemeinsinn gründenden Urteils. Die Urteile, die in geschichtlichen Sachverhalten vorliegen, sind ebenso Urteile, die ihre Geltung aus einem Gemeinsinn beziehen. Sie betreffen nach Kant ein gemeinschaftliches Gefühl bezüglich eines Sollens. Dieses Gefühl vermittelt empirische Geltung, aber empirische Geltung, in welcher Vernunft sich dokumentiert. Die Gründung des Rechtes führt genau diesen Sachverhalt vor Augen. Die rechtstheoretischen und rechtshistorischen Überlegungen weisen uns immer wieder darauf hin: Positive Gesetzgebung und Rechtssetzung beruhen auf der Einheit eines Gemeinsinnes. Sie gründen in der, wie Kant meint, gefühlsmäßigen, jedenfalls nicht durch logisch stringenten Diskurs herbeigeführten Einung bezüglich eines Sollens, die der Gemeinsinn darstellt. Ihre Gültigkeit ist Gemeingültigkeit. Das Rechtsgesetz hat in dieser seine Auszeichnung. Weil sie alles andere als (logische) Allgemeingültigkeit ist, weil ihr der besagte Billigungscharakter eigentümlich ist, ist die Bewährung von Gesetz und Recht auch nicht ohne deren Auslegung möglich. Die ist ihrerseits keine Angelegenheit, die Allgemeingültigkeit beansprucht, beanspruchen darf, sondern die auf Konsens angelegt ist. Die Rechtswissenschaft und die Rechtspraxis besorgen diese Auslegung. Insofern geht die Gründung von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis mit der des Rechtes einher. Es ist also zu sagen: Wenn Kant diesen Terminus auch nicht benutzt, so kann in völliger Übereinstimmung mit dessen Lehre bezüglich der zu diskutierenden Sache doch vom sensus communis historicus geredet werden. Kant kennt der Sache nach den sensus communis historicus, und der hat etwas mit der Gründung des Rechtes und der Rechtswissenschaft zu tun. Er liefert auch ganz unabhängig von jeder ästhetischen Referenz dessen Deduktion. Sie ist nach ihm ohne jede Schwierigkeit zu führen. Sie folgt nämlich ganz der allgemeinen sensus-communis-Deduktion. Sie ist nicht anders als jede sensuscommunis-Deduktion „nur auf die subjectiven Bedingungen des Gebrauchs der Urtheilskraft überhaupt“ gerichtet, was heißt, es geht um „dasjenige Subjective, welches man in allen Menschen (als zum möglichen Erkenntnisse überhaupt erforderlich) voraussetzen kann“. Weil dem so ist, „muß die Übereinstimmung einer Vorstellung mit diesen Bedingungen der Urtheilskraft als für jedermann gültig a priori angenommen werden können“14. Das ist Kants Argumentation. Dementsprechend vertritt er die Meinung: „Unter dem sensus communis […] muß man die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes, d.i. eines Beurtheilungsvermögens verstehen, welches in seiner Refle___________ 14

AA V, S. 290.

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xion auf die Vorstellungsart jedes andern in Gedanken (a priori) Rücksicht nimmt, um gleichsam an die gesammte Menschenvernunft sein Urtheil zu halten [...]“15. Dieser sensus ist ob seiner Verbindung mit der Kultivierung wohletablierter und in und bei seiner Wohletabliertheit endlicher Sinn. Die Etabliertheit bzw. die mit dieser vorliegende Disziplinierung verschafft ihm die Geltungswertigkeit des mit dem Ansinnen auf Wohlgefallen vermittelbaren geschichtlichen Urteils. Dieses Urteil ist empirisches Urteil. Das Ansinnen auf Wohlgefallen bedingt nur seine spezifische Empirizität, die ausdrückliche oder unausdrückliche faktische Übereinkunft, die als solche, das heißt wegen der besagten Indifferenz, kein Gesellschaftsvertrag im Sinne Rousseaus, sondern die Ausbildung des Bürgerbewusstseins, die Errichtung der bürgerlichen Verfassung ist. Kant legt auf die Endlichkeit dieses Urteils den größten Wert. Deshalb bringt er sie auch noch besonders zum Ausdruck. Ausdrücklich spricht er von der Menschenvernunft. Der Mensch ist endlich. Auch die menschliche Vernunft ist endlich. Sie ist endliche, Kontingenzbedingungen involvierende, hierbei aber doch Einheit, Einheit durch (ausdrückliche oder unausdrückliche) Beistimmung stiftende Vernunft. Mit dieser Bestimmung stellt sich Kants Argumentation zum ersten voll und ganz auf den Boden seines aufklärerischen Geschichtsbegriffes und zum zweiten verschafft sie sich die Startposition für die Argumentation, um die es bei der Gründung von Recht und Rechtswissenschaft geht. Das ist schon angedeutet worden. Mit der aufgedeckten Bestimmung des sensus communis ist nämlich die argumentative Möglichkeit geschaffen, die Regelung der Willkür des Menschen als positive, in ihrer Positivität aber gleichwohl auf die unbedingte praktische Gesetzlichkeit in besonderer Weise bezogene gemeingültige Gesetzgebung zu fassen. Die Argumentation läuft so, dass der autonome Wille, der im kategorischen Imperativ als allgemeine und unbedingte Gesetzlichkeit sich darstellt, in der Vereinzeltheit des endlichen, bedingten Willens des jeweiligen Menschen als die Reflexion über den (all)gemeinen Standpunkt sich spiegelt, der „lediglich auf die formalen Eigenthümlichkeiten seiner [kontingenten; Vf.] Vorstellung oder seines [entsprechenden; Vf.] Vorstellungszustandes Acht hat“16, so dass sie sowohl zum „Selbstdenken“, wie zum „an der Stelle jedes andern denken“, wie zum „jederzeit mit sich selbst einstimmig denken“17 anregt. In diesen „Maximen des gemeinen Menschenverstandes“18 erfolgt die Verschmelzung aller „Neigungen und Leidenschaften, die in der Gesellschaft ___________ 15

A.a.O., S. 293. A.a.O., S. 294. 17 Ebd. 18 Ebd. 16

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ihre größte Mannigfaltigkeit und höchste Stufe erreichen“19. Sie ist derart erreicht, dass „die innere Naturanlage … auf den letzten Zweck der Menschheit, nämlich das Moralisch-Gute“ gerichtet ist, die disziplinierende Kultivierung des insoweit moralischen Gefühls statt hat20. Dass dieses statt habe, ist der Punkt, den Kant mit seiner Argumentation ansteuert. Kant will in seiner Argumentation darauf hinaus, dass die positive Gesetzgebung und Rechtssetzung in und bei ihrer Positivität als auf die unbedingte praktische Gesetzgebung zweckgerichtet bezogen, doch nicht von dieser deriviert zu fassen sind. In diesem Bezug haben sie als das geschichtliche Phänomen, das sie sind, ihre praktische Legitimität. Die wird reflektiert. Darin bildet der sensus communis historicus sich zum Rechtsbewusstsein und zur Rechtswissenschaft. Qua Rechtsbewusstsein beinhaltet der sensus communis historicus die Rechtsverfassung der Welt des Menschen. Qua Rechtswissenschaft und Rechtspraxis beinhaltet er die Überprüfung und theoretische Steuerung eben dieser Rechtsverfassung. In der Rechtsverfassung erfolgt die faktische Sicherung der Subjektswürde des Menschen. Der Mensch ist darin in Faktizität eines Stückes seiner Subjektswürde sicher – auf das Ganze gesehen selbstverständlich; denn die Geschichte kennt im Partikularen die Fehlentwicklung. Für die Überprüfung und theoretische Steuerung der Rechtsverfassung bedeutet dies, dass sie es mit der ihrerseits ebenfalls faktischen Justierung der faktischen Sicherung der Subjektswürde des Menschen zu tun hat. Diese ist ihr Sujet. Wenn dieses als das Ergebnis der Analyse der (verdeckten) Aussage der Kritik der Urteilskraft zur Gründung von Recht und Rechtswissenschaft festgehalten werden darf, so haben wir die Erkenntnis vor Augen, dass diese Aussage auf die der Konstitutivität der praktischen Vernunft Rechnung tragende regulative, näherhin empiriologische Gründung von Recht und Rechtswissenschaft zielt, und dass diese Gründung das Recht als geschichtliches Phänomen erscheinen lässt, als geschichtliches Phänomen, in dem in der Weise ihrer Komplementarität zur Regulativität mit dieser die Konstitutivität des Praktischen zum Vorschein kommt, so dass die Rechtslehre ebenso die Geschichtlichkeit wie die Sittlichkeit zum Grundlegungshorizont hat. Beides bestimmt ihre Grundlegung, sehr unterschiedlich freilich. Insofern genau das für die Argumentation stringenzsichernd ist, muss es in der Wissenschaft zum Tragen kommen, in der Kant den Grundlegungshorizont und die Grundlegung des Rechtes und der Rechtswissenschaft zeichnet. Die ist die „Metaphysik der Sitten“. Deren Untersuchungen, dahingehend belehrt uns die gewonnene Erkenntnis, sind ob der fraglichen Erkenntnis unausweichlich und auf das Engste mit einem Lehrstück der Kritik der Urteilskraft, ihrer Aus___________ 19 20

AA V, S. 298. A.a.O., S. 298 f.

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sage zur Gründung von Recht und Rechtswissenschaft, verbunden. Kant hat dies nicht eigens thematisiert. Doch kommt es an einer Stelle wenigstens, wenn auch nicht direkt, so doch indirekt zum Ausdruck21. Ausgemacht ist es für ihn also. So muss es auch fassbar sein. Dementsprechend ist die Aufgabe unverzichtbar, zu zeigen, dass die Ausführungen der Metaphysik der Sitten mit der Einsicht zusammenstimmen, ja die Einsicht einschließen, ohne diese Einsicht nicht, mit ihr aber zwingend sind, für die die Aussage der Kritik der Urteilskraft zur Gründung von Recht und Rechtswissenschaft plädiert. Unter der Bedingung, dass dies zu zeigen ist, ist Kants Diskussion der Gründung von Recht und Rechtswissenschaft über die ganze Argumentation hinweg derart stringent, dass sie die eindeutige Auslegung zulässt, und die ist die der empiriologischen Grundlegung. Es ist dies eine starke Behauptung. Da sie der bisherigen Exegese der Kantischen Rechtsphilosophie völlig fremd ist, ist der in Bezug auf diese Vorstellung zu findende Sachverhalt genauestens darzulegen. Vor allem ist darzulegen, dass er und nur er den Ausgangspunkt für die Bewältigung der anstehenden Aufgabe abgibt. Er gibt diesen insofern ab, als mit ihm die „wirklichen Handlungen“ in den Fokus der Erörterung gerückt sind und hiermit festgeschrieben ist, worauf es zuerst einmal ankommt: Es geht um geschichtliche Tatsachen. Die wirklichen Handlungen stehen als geschichtliche Tatsachen zur Diskussion. In diesen, das ist von Kants Geschichtsphilosophie her bekannt, liegt Naturbestimmtheit wie Vernunftbestimmtheit vor. Ihre Vernunftbestimmtheit in Verbindung mit der Naturbestimmtheit, das steht sodann fest, macht sie zu aus Freiheit, freier Willkür geborenen Fakten. Da mit der Freiheit für Kant auf Grund seiner Reziprozitätsthese konstitutiverweise der kategorische Imperativ im Spiele ist, sind sie nicht nur von theoretischer, sondern auch von praktischer Geltungsdifferenz. Ihrer theoretischen Geltungsdifferenz nach werden sie schlicht als Tatsachen genommen. Anders verhält es sich bezüglich ihrer praktischen Geltungsdifferenz. Ihrer praktischen Geltungsdifferenz nach geht es darum, dass sie gemessen am kategorischen Imperativ affirmativ oder ignorierend respektive abwehrend sind. Die in diesem vorliegende Obligation wird als solche zwar angenommen, aber es wird ihr dennoch nicht unbedingt genügt, sondern auch nicht genügt. ___________ 21

Die Stelle befindet sich in der ‚Vorrede‘ der ‚Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‘. An dieser Stelle verweist Kant darauf, dass die moralischen Gesetze „noch durch Erfahrung geschärfte Urtheilskraft erfordern, um theils zu unterscheiden, in welchen Fällen sie ihre Anwendung haben, theils ihnen Eingang in den Willen des Menschen und Nachdruck zur Ausübung zu verschaffen, da dieser, als selbst mit so viel Neigungen affizirt, der Idee einer praktischen reinen Vernunft zwar fähig, aber nicht so leicht vermögend ist, sie in seinem Lebenswandel in concreto wirksam zu machen“ (AA IV, S. 389). In der ‚Kritik der praktischen Vernunft‘ wird es unter dem Gesichtspunkt abgehandelt, wie die praktische Regel praktisches Gesetz sein kann, das ist „Nothwendigkeit in Ansehung des Daseins der Handlung bei sich führt“ (AA V, S. 67).

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Kants Argumentation gewinnt ihre empiriologische Stringenz nun dadurch, dass sie darauf insistiert, die fragliche Messung ist als Erfahrungsbefund zu nehmen. Als Erfahrungsbefund ist der gemessene Sachverhalt als „äußerlich“ bestimmt. Hiermit will Kant sagen, dass die Geltungsbemessung sich ausschließlich auf das tatsächliche Agieren bezieht. Das Subjekt der Handlung wird lediglich „nach der Freiheit seiner Willkür betrachtet“22. In dieser Betrachtung wird ihm zugeschrieben, dass es über die Verbindlichkeit des kategorischen Imperativs für sein Agieren selbst entscheidet. Es kann das Bestehen dieser Verbindlichkeit zwar nicht in Abrede stellen – sie ist ja für seine Subjektsbestimmtheit konstitutiv –; aber es kann diese Verbindlichkeit für seine Tat in Kraft oder auch außer Kraft setzen, und tut dies auch. Die Begründung hierfür ist der Fragepunkt. Er ist ohne weiteres zu bescheiden. Dem ist so, lautet der Bescheid, weil die Messung nicht konstitutiv, sondern regulativ ist. Die wirklichen Handlungen sind ob ihrer Geschichtlichkeit nicht nach der Maßgabe der Konstitutivität der Praxis, sondern nach der Maßgabe der Regulativität der Praxis zu beurteilen. Der Willkürgebrauch ist von der Bestimmtheit regulativer Praxis. Und diese Bestimmtheit regulativer Praxis ist der regulativen Naturbestimmtheit derart integriert, dass mit der theoretischen Geltungsbestimmtheit zugleich praktische Geltungsbestimmtheit ausgesagt wird. In Bestimmtheit ist in dieser Beurteilung das angesprochen, was die Qualität des Rechtes ausmacht. Rechtsqualität ist Beurteilungsqualität, und sie ist die Beurteilungsqualität, in der der Willkürgebrauch als Prinzipatum theoretischer wie praktischer Regulation gefasst wird.23 Deshalb definiert Kant das Recht auch als „äußere[s] und zwar praktische[s] Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können“24. Es ist „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“25. Seinem Gesetzescharakter nach ist es dementsprechend eine Handlungsanweisung, und zwar eine Handlungsanweisung rein formaler, nicht materialer Art. „Handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle, sondern die Vernunft sagt nur, daß ___________ 22

AA VI, S. 223, 214. Vgl. AA VII, S. 88: Natur und Freiheit können „nur nach inneren Rechtsprinzipien im Menschengeschlechte vereinigt“ sein. 24 AA VI, S. 230. 25 Ebd. 23

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sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von anderen auch thätlich eingeschränkt werden dürfe“, ist Kants Formulierung.26 Und er fügt ausdrücklich hinzu, in der Absicht zu lehren, „nur was Recht sei“, darf man das Rechtsgesetz nicht „als Triebfeder der Handlung vorstellig machen“27. Rechtskonformität ist ein Sachverhalt, der nicht auf die Triebfeder der Handlung bezogen ist. Die Handlung kann nur als (geschichtliches) Faktum genommen werden.28 Kants Position ist hiernach unmissverständlich. In ihr wird darauf bestanden, dass die Gründung von Recht und Rechtswissenschaft dem geschichtsspezifischen Umstand Rechnung trägt: Der Mensch hat sein Dasein zu bewältigen. Zu dieser Daseinsbewältigung gehört wesentlich die Bewältigung der Beziehungen der Menschen untereinander. Letztere ist nur zu schaffen in der dem Menschen von seiner Naturalität her zufallenden künstlichen Rolle.29 Die ist lediglich auf dem Wege der gegenseitigen Anerkennung als Willkürsubjekt wahrzunehmen. Denn diese und nur diese verbürgt die Ruhe und Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft. Diese ist dadurch rechtsgesetzlich organisierte Gesellschaft. Diese jedem das Seine bestimmende und sichernde und insofern als Konkretum betrachtete Gesellschaft funktioniert über die Einung des Willens ihrer Mitglieder. Die Einung ist Faktum. Sie besteht in der Dokumentation eines Gemeinsinnes. Die ist positiv. Positive Gesetzgebung und Rechtssetzung sind demnach in allen ihren Stücken gemeinsinnurteilgegründet. Ihre Gültigkeit ist Gemeingültigkeit. Es ist auch unverkennbar, dass Kant mit dieser Position genau die Aussage aufnimmt, die in der Kritik der Urteilskraft vertreten wird. Kant vertritt hier wie dort dieselbe Position. Er hat dazu seinen Grund. So sehr er nämlich der Meinung ist, dass „das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen“ eine Forderung ist, „die die Ethik an mich thut“30, so sehr ist er darum bemüht, die Grundlegung von Recht und Rechtswissenschaft nicht als praktische Philosophie im Sinne der Derivation vom kategorischen Imperativ zu entwickeln. Er will das Recht als der Geschichte angehöriges Konkretum, als geschichtliches Phänomen und nicht als Konkretion der Sittlichkeit verstanden wissen. Darum wählt er in seiner Rechtsdefinition gezielt die Formulierung „nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit“ und nicht die „unter“ oder „aus“ einem allgemeinen Gesetz der Freiheit. Der kategorische Imperativ steht als mit der Würde ___________ 26

AA VI, S. 231. Ebd. 28 Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Ebenso liegt auf der Hand, dass die Rechtspraxis sie keineswegs durchgehend respektiert. 29 Es ist der Bemerkung wert, dass Kant mit dieser Position voll und ganz den ihm noch gar nicht bekannten entwicklungsbiologischen Einsichten gerecht wird. Zugleich zieht er diesen ihre Grenzen. 30 AA VI, S. 231. 27

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des sittlichen Subjektes verbundene Forderung im Hintergrund; aber er verantwortet nicht die Regulation, in der das Recht und mit diesem die Rechtswissenschaft gründet. Die Regulation von Gesetzeskonformität setzt zwar die Konstitutivität der Sittlichkeit voraus – an dieser hängt ja zu einem Stück die Subjektswürde des Menschen; sie ist aber etwas anderes, eine andere Prinzipienfunktion, eben die Prinzipienfunktion, die auf die Legalität und nicht auf die Sittlichkeit als solche zielt. Legalität ist nicht Sittlichkeit. Sie ist es nicht der Entstehung und sie ist es auch nicht ihrer Geltungsvalenz nach. Sie ist von der eigenen Geltungsvalenz der Zwangsgeltung. Zum Recht gehört die Sanktion. Es gilt positiv. Es hat regulative, nicht konstitutive Valenz. Es ist letztendlich positive Gesetzgebung und Rechtssetzung einschließlich deren Durchsetzung. Kant kann allererst ob dieser Einsicht der Meinung sein, das Recht und mit diesem die Rechtswissenschaft ist seiner/ihrer Gründung nach keineswegs als sittliches Phänomen zu betrachten, aber es ist andererseits auch kein Phänomen, das die Sittlichkeit aushebeln könnte. Es steht nicht für Sittlichkeit; es hebt die Sittlichkeit aber auch nicht auf. Träfe das Erstere zu, so eignete ihm die Unbedingtheit des kategorischen Imperativs. Träfe das Letztere zu, so höbe es die Subjektswürde des Menschen auf (in dem Stück, in dem diese praktisch ist). Die regulative Gründung von Recht und Rechtswissenschaft läuft der Konstitutivität des Praktischen nicht zuwider; sie ist aber auch nicht ohne jede Beziehung zu dieser; sie ist deren Komplementum.31 ___________ 31 Zwei Punkte klären sich in diesem Zusammenhang. Zum Ersten wird klar, weshalb Kants Unterscheidung der Freiheit im inneren, im äußeren Willkürgebrauch nicht strikt dichotomisch ist. Während die juridische Gesetzmäßigkeit ausschließlich dem äußeren Willkürgebrauch zugeordnet ist, ist die moralische Gesetzmäßigkeit sowohl dem „äußern als innern Gebrauch der Willkür“ (AA VI, S. 214) zugeordnet. Das kann nur besagen, in der Gründung des Rechtes ist die Moralität in ganz bestimmter Weise im Spiel. Sie ist im Spiel in der Weise der Konstitutivität der Freiheit. Sie erstreckt sich aber nicht auf die Regulativität der Freiheit. Die Gesetze der Freiheit dürfen nicht durchweg als innere Bestimmungsgründe der freien Willkür betrachtet werden. Die konstitutive und die regulative Prinzipienfunktion der Freiheit sind auseinander zu halten. Und es ist sehr zu beachten, dass die konstitutive Prinzipienfunktion der Freiheit (der kategorische Imperativ schlechthin, im Singular) zur Gründung der Legalität nicht zureicht. Zu deren Gründung bedarf es auch und letztlich der regulativen Prinzipienfunktion der Freiheit (in Bezug auf welche Kant sich veranlasst sieht, und das macht die andere Prinzipienfunktion klar, den kategorischen Imperativ im Plural, in Modifikationen oder, sollte man sagen, Schematisierungen in Ansatz zu bringen) – Kant spricht mit einer gewissen Inkonsequenz von mehreren Prinzipien, wie von Formeln, wie von Arten der Vorstellung des Prinzips. Der zweite Punkt, der sich klärt, ist der: Es treffen weder diejenigen die in Kants Grundlegung der Rechtslehre vorliegende Argumentation, die meinen, Kant habe das Recht direkt aus dem Prinzip der Sittlichkeit deriviert, noch diejenigen, die meinen, Kants Argumentation sei nicht stringent und auch nicht stringent zu machen und deshalb müsse die Grundlegung der Rechtslehre in positiv(istisch)er Eigenständigkeit entwickelt werden, noch diejenigen, die meinen, Kant habe zwar die Abhängigkeit der Rechtslehre

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Die pünktliche Nachzeichnung der Kantischen Argumentation führt somit zu der in der These dargelegten Behauptung der Stringenz der Kantischen Rechtslehre und ihrer systematischen Einordnung. Denn was sonst wenn nicht die fragliche Komplementarität vermag dafür einzustehen, dass mit der Entwicklung der Naturanlagen des Menschen die Freiheit des äußerlichen Willkürgebrauches einhergeht. Und ist die Geschichte doch, wie bereits festgehalten, von Kant als „die Entwickelung der Freiheit aus ihren ursprünglichen Anlagen in der Natur des Menschen“32 begriffen. Als Frucht dieser Entwicklung und hiermit die regulative Funktion der Freiheit in der Erfahrung dokumentierend gibt es das Recht. Es ist darum auch ursprünglich „angeborenes“ Recht, wobei „angeboren“ nicht irgendeinem Nativismus das Wort redet, sondern besagt, dass die Befugnis einer faktischen (geschichtlich auftretenden) Instanz, irgendein Recht einzuräumen, aus der Einung des Willens der Menschen gezogen werden muss. Nicht weniger ist die Sanktion aus der Einung gezogen. Das Recht ist strikt. Als solchem darf ihm auch nicht die sittliche Prinzipienfunktion der Gerechtigkeit, sondern eben nur die „öffentliche Gerechtigkeit“33 zugedacht werden. Das heißt: Es ist ihm nur zuzudenken, dafür zu sorgen, dass den Menschen ihre Subjektswürde in Faktizität gewahrt ist, dass sie in diesem Verstande gleich seien, gleich behandelt werden. Die Einschränkungen, die es mit sich ___________ von der Freiheitslehre gelehrt, die Abhängigkeit aber nicht prinzipientheoretisch expliziert, noch diejenigen, die die Gleichursprünglichkeit der Sitten- und der Rechtslehre lehren. Die Lage ist die, dass beide Lehren zusammenhängen und dass die Lehre vom Zusammenhang beider Lehren sehr wohl ein Stück Prinzipientheorie ist. Der Zusammenhang beider Lehren stellt sich über den Geschichtsbegriff her. Er ist dadurch den metaphysischen Anfangsgründen der Kultur und der Kulturwissenschaften zugehörig. Diesen und nichts anderem ist die Konzeption der durchgehenden einenden (konsensorientierten) Rationalisierung der Naturanlagen des Menschen verdankt. Die Geschmacksund die Willensbildung sind solche Rationalisierungen. Schon Hegel, und dieser allen voran, hat diesen Punkt verkannt. Zwar hat er sehr genau gesehen, dass es in Kants Rechtsbegründung um die gegenseitige Anerkennung als Willkürsubjekt geht und dass dies nur in der Form der Überwindung von Naturbestimmtheit, der Gewinnung von Vernunftbestimmtheit sich vollziehen kann. Aber die empiriologische Deduktion dieses Sachverhaltes bei Kant hat er nicht durchschaut. Weil er sie nicht durchschaut hat, hat er eine ganz andere Deduktion gewählt. Nach ihm ist das Recht Ausdruck dessen, dass der Wille frei nur sein kann, wenn der Wille ganz im Sinne des dialektisch-spekulativen Begründungsgedankens letztlich nur in Bestimmungen des Selbst besteht. Entsprechend kulminiert Hegels Deduktion des Rechtes im Staat als der in sich reellen Totalität des Willens, und das ist der absolute Staat, ein Staat, der mit Kants Staatsvorstellung nur noch wenig, wenn überhaupt etwas zu tun hat. Mit Kants Gedankengang stimmt freilich auch nicht die (diskurstheoretische) Lehre überein, die die Grundlegung des Rechtes mehr oder weniger direkt mit der Etablierung der Demokratie zusammenbringt (vgl. besonders Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates, Frankfurt a.M. 1992). 32 AA VIII, S. 109. 33 AA VI, S. 306.

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bringt, dürfen deshalb auch nicht darüber hinausgehen, die Gleichbehandlung zu sichern. Die Einung verträgt sich nicht mit der Ungleichheit. Deshalb ist auch der bürgerliche Zustand, der Staat, als auf der Einung basierend zu betrachten. Ob seiner grundsätzlichen Verfasstheit nach oder in seiner jeweiligen Gesetzgebung ist er ein handlungsreferentes Einungsgebilde34. Auf Grund der Aussage der Kritik der Urteilskraft, die der Metaphysik der Sitten integral ist, ist dies voll verständlich. Nicht weniger verständlich ist, dass die „Errichtung einer vollkommenen bürgerlichen Verfassung“ und die Vorstellung „der öffentlichen Staatssicherheit“ aufs engste miteinander verknüpft sind35. Die Rechtswissenschaft hat dieser philosophischen Klarstellung Rechnung zu tragen. Sie muss sich dementsprechend organisieren. Das bedeutet, sie ist, was ihre Grundlegung betrifft, selbst Philosophie, Rechtsphilosophie. Sie hat ihre transzendental-metaphysischen Anfangsgründe, und sie kann sich nur ins Werk setzen, indem sie sich diese klar macht36. Wenn sie sich diese klar macht, wird sie die sittliche wie die geschichtliche Bestimmtheit des Menschen in ihrer Trennung voneinander und Zuordnung zueinander voraussetzen und ihren Argumentationsbogen von der Behandlung des ursprünglichen „angeborenen“ Rechtes bis zur Behandlung der mehrerlei „erworbenen“ Rechte spannen. Zu diesem Zwecke wird sie sich in Disziplinen gliedern. Es sind die Disziplinen, in denen die Rechtswissenschaft dem Betrachter entgegentritt. Ihrer Wissenschaftlichkeit nach ganz allgemein wie jede Wissenschaft organisiert, sind sie doch ihrer Sache wie ihrer Methodik nach ganz besondere Wissenschaften, eben Wissenschaften, die das Recht als ein eigenes, unverwechselbares, den Gedanken der Einung des Willens von Menschen, letztlich aller Menschen dokumentierendes Kulturphänomen behandeln.

___________ 34 Vgl. AA VIII, S. 297. In Ernst Pitz Verfassungslehre ist dieser Gedanke zur Grundlage derselben geworden. Vgl. Ernst Pitz, Verfassungslehre und Einführung in die deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Berlin 2006. 35 AA VIII, S. 24 u. 26. 36 Vgl. hierzu die Transzendentalität betreffend Hariolf Oberer, Praxisgeltung und Rechtsgeltung, in: Karl Bärthlein/Gerd Wolandt (Hg.), Lehrstücke der praktischen Philosophie und der Ästhetik, Basel/Stuttgart 1977, S. 87 f. Vgl. auch ders., Sittengesetz und Rechtsgesetze a priori, in: Hariolf Oberer (Hg.), Kant. Analysen – Probleme – Kritik, Bd. III, Würzburg 1997, S. 157–200. In der näheren Auslegung der Kantischen Gründung von Recht und Rechtswissenschaft vertritt Oberer freilich die derivationstheoretische Position, lediglich „durch den Prinzipiengegensatz ‚Innen – Außen‘“ (Praxisgeltung und Rechtsgeltung, a.a.O., S. 104) des Willkürgebrauchs – Oberer bezieht sich hierbei auf die keinesfalls trennscharfe (vgl. Anm. 31) Gliederung AA VI, S. 214 sowie 406 – strukturiert.

Angeborenes Recht und erworbene Rechte, Vollbürger und Halbbürger Wenn der Sachverhalt des Rechts thematisiert wird, so wird durchweg und gewiss auch zutreffend der Mensch als Referent in Ansatz gebracht. Das Recht hat etwas mit dem Menschen zu tun. Es ist deshalb nicht nur naheliegend, sondern sogar selbstverständlich, dass die Fassung des Referenzbegriffes des Menschen die Bestimmung des Rechtes beeinflusst. Die Lehre vom Recht ist als ein Stück Lehre vom Menschen zu verstehen. Jede Rechtsvorstellung offenbart eine bestimmte Auffassung vom Menschen. Die Auffassung vom Menschen ist keine einheitliche. So ist auch die Vorstellung vom Recht keine einheitliche. Es gibt die verschiedensten Rechtsauffassungen. Ihre Differenzierung ist Ausdruck dessen, was man als die wesentliche Bestimmung des Menschen betrachtet. Dessen Eigenheit steht im Fokus. Von dessen Eigenheit her ist zu begreifen, was das Recht ist. Hiermit ist die Überlegung auf die Frage nach dem Punkt in der Eigenheit des Menschen verwiesen, in welchem der Gedanke des Rechtes sich artikuliert. Es ist, genau gesagt, der Sachverhalt in der Bestimmtheit des Menschen zu ergründen, der die Bestimmtheit des Menschen eine exklusive Bestimmtheit gerade deshalb sein lässt, weil in ihr eben er, das ist der Gedanke des Rechts, sich artikuliert. Aus der Geschichte des Rechtsgedankens wissen wir, dass diese Ergründungsarbeit mehr strittig als übereinstimmend erledigt worden ist und wird. Dessen ungeachtet gibt es doch den Konvergenzpunkt. Er liegt im Begriff der Person vor. Nur insofern und insoweit der Mensch (auch) Person ist, ist das Recht ein Stück seiner Bestimmtheit. Der Begriff der Person ist hierbei keineswegs einheitlich gefasst. Das kann man jedoch beiseite lassen, da nicht in Frage zu stellen ist: In jeder Fassung des Begriffs der Person geht es um ein agierendes Individuum der Spezies homo sapiens, dem mit Bezug auf sein Agieren eine gewisse Rationalität zuerkannt wird. Zumindest wird ihm die Fähigkeit zuerkannt, dass es rational handele. Wie Kant und keineswegs nur er sagt, ist es Speziesbestimmtheit, animal rationabile zu sein. Jede Person ist animal rationabile. Hiermit steht sie unter Rationalitätsbezug. In dieser Bestimmtheit des animal rationabile, insbesondere des in dieser involvierten Rationalitätsbezuges, ist der Person die Funktion des Grundes ihres Agierens zugedacht. Diese Funktion kann stabil wie instabil auch immer sein;

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sie ist als solche nicht zu eliminieren. Auch die massivste Beeinflussung welcher Art auch immer, der sie unterliegt oder unterliegen mag, hebelt sie nicht aus. Sie ist definierendes Bestimmungsmerkmal. Dieser Umstand hat zur Konsequenz, dass der Person jede ihrer möglichen Handlungen zugerechnet wird und werden muss. Diese unausweichliche Zurechnung macht die Person rücksichtlich ihrer möglichen und wirklichen Handlungen zum Subjekt. Die Person ist Handlungssubjekt. Das hat seinerseits seine Folgen. Eine davon ist die Rechtsqualität. Qua Handlungssubjekt kommt der Person Rechtsqualität zu. Diese Rechtsqualität ist unantastbar und unveräußerlich. Sie ist insofern eine Würde verleihende Qualität. Die Wertstellung, die sie ausmacht, ist fundamental und unterschiedslos. Sie egalisiert. Das ist der Grund, dass sie in sämtlichen Vorstellungen von der Person enthalten ist. Es ist auch der Grund hierfür, dass sie in sämtlichen Vorstellungen von der Person mit deren bloßem Dasein verbunden wird. Die Frage des Erwerbs ist ausgeschlossen. Darum wird sie als angeboren begriffen. Alle Rechtsauffassungen ohne Ausnahme kennen diese quasi anthropologische, aber genau genommen keineswegs anthropologische, sondern lediglich durch den Ausschluss der Frage des Erwerbs der Rechtsqualität definierte Rechtsvorstellung. Wenn auch nicht immer derselbe Name gewählt wird, so ist doch immer derselbe Sachverhalt gemeint. Mit demselben Sachverhalt ist jedoch noch lange nicht dieselbe Einordnung des Sachverhaltes verbunden. Insbesondere die Einordnung rücksichtlich der Frage seiner Legitimation ist offen. Die Vielfalt der Rechtstheorien von der Antike bis in die Jetztzeit ist der Beleg hierfür. Die unterschiedlichsten Einordnungen, Legitimationsversuche sind festzustellen. Sie hängen wiederum sämtliche von dem jeweils präferierten Menschenbild ab. Je nach dem Bild vom Menschen, das man sich machte oder macht, wird diese oder jene Einordnung vorgenommen, sieht der Legitimationsversuch so oder so aus. Das ist nicht immer das Bild der der Zurechnung ihrer Handlung ausgesetzten verantwortlichen Person. Wenn es nicht dieses Bild der Person ist, so muss es das Bild eines Zustandes oder Vorganges sein. Wird der Zustand oder Vorgang als ein naturales Geschehen genommen, so führt das auf den Ausschluss aus der Diskussion. Naturales Geschehen kann nur die Verursachung qua gesetzmäßigen Ursache-Wirkungszusammenhang kennen. Wird der Zustand oder Vorgang aber als Indiz der Bestimmung des Menschen zu etwas genommen, so ist die Lage die, dass diese Vorstellung zu diskutieren ist. Mit ihrer Diskussionswürdigkeit steht allerdings auch fest, dass die Legitimations-, die Begründungsaufgabe nicht erübrigt ist. Der Zustand oder der Vorgang muss durch etwas hervorgerufen sein. Es muss Bestimmungsgründe für den Zustand oder Vorgang geben. Da diese nicht als Verursachung betrachtet werden dürfen – das würde ja wieder in die Naturalitätsvorstellung führen – wird die alternative Palette von

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Gründen angeboten, die Palette der Finalisierungsgründe. Die finale Bestimmtheit des Menschen ist da der relevante Punkt. So zentral er für die Vorstellung von der Person ist, so schwer ist er zu fassen. Insbesondere ist er nur schwer metaphysikfrei zu fassen. Die christliche Teleologie und Hegels Geistteleologie sind die gängigsten Beispiele. Zahlreiche weitere ließen sich anführen. Sie sind alle nicht gerade vorteilhaft. Die teleologische Betrachtungsweise ist dadurch jedoch keineswegs entwertet. Es wird vielmehr die Aufgabe klar: Es ist eine Argumentation zu finden, die weder eine die Naturteleologie noch eine die Theologie streifende Teleologie in Anspruch nimmt – im einen wie im anderen Fall befindet sich die Argumentation nämlich in den Fängen der Substanz und Subjekt zusammenwerfenden Metaphysik. Die Argumentation muss bei allem Respekt gegenüber der Naturbestimmtheit des Menschen auf den Sachverhalt der Terminierung derselben führen und dieser muss eben wegen jenes Respekts jegliche die Erfahrung übersteigende Bestimmung ausschließen. Das ist die Aufgabe, wie sie Kant gesehen hat. Seine Rechtslehre will genau dieser Aufgabe gerecht werden. Das gilt selbstverständlich zuerst und vor allem von seiner Lehre vom angeborenen Recht. Sie strapaziert genau die Argumentation, die die Naturbestimmtheit der Person in Rechnung stellt und die gleichwohl auf die Terminierung dieser Bestimmtheit führt und die darin keinen dem Leben der Person fremden außerweltlichen Faktor in Anspruch nimmt. Die fragliche Argumentation besteht auf etwas für die Daseinsbewältigung des Menschen höchst Kennzeichnendem. Sie besteht auf der Zentralität der willentlichen Einfriedung und hiermit Beherrschung der Naturbestimmtheit. Das ist eine kompromisslose Rationalitätsorientierung. Es empfiehlt sich, die Kantische Argumentation zur Kenntnis zu nehmen. Kants Argumentation ist erkennbar basaler Natur. Sie nimmt direkt den allgemeinen Begriff des Rechts in Anspruch. Und zwar nimmt sie diesen in dem Verstande der Aufklärung in Anspruch. Sie unterstellt das ganze Leben der Person der Direktive jener Beherrschung. Es stellt sich hiermit eine eigene teleologische Perspektive ein. Auch der der Daseinsbewältigung integrale wechselseitige Verkehr von Person und Person hat sich gemäß jener Beherrschung zu gestalten. Er ist hiermit die Organisation des Zusammenbestehens der Willkür von Person und Person. Die Idee der Einung des Willens (der Willkür) von Person und Person, letztlich aller, die da Person sind, die Idee der Menschheit, ist zu pflegen. Diese Idee ist zu pflegen und sie ist in der Wirklichkeit des Menschen zunehmend durchzusetzen. Die Konzeption der Idee der Menschheit und ihre zunehmende Durchsetzung in der Person des einzelnen Menschen wie in der Gesamtheit der Menschen ist (fortschreitende) Aufklärung. Wenn die Vorstellung vom angeborenen Recht sich aus diesem Anspruch speist, so kann dieses nur darin bestehen, dass der Willkür die Nötigung genommen wird oder vielmehr ist. Die Elimination des Nötigungscharakters der

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Angeborenes Recht und erworbene Rechte

Willkür begründet das ursprüngliche Recht, das „jedem Menschen kraft seiner Menschheit“ zusteht1 und das in nichts anderem besteht als in der Freiheit der Person als Rechtsprinzip und das die rechtliche Gleichheit von Person und Person, das heißt die Geltungsqualifikation der Person, „eigener Herr (sui iuris) zu sein, imgleichen die eines unbescholtenen Menschen (iusti), weil er vor allem rechtlichen Act keinem Unrecht gethan hat; endlich auch die Befugniß, das gegen andere zu thun, was an sich ihnen das Ihre nicht schmälert, wenn sie sich dessen nur nicht annehmen wollen; dergleichen ist ihnen bloß seine Gedanken mitzutheilen, ihnen etwas zu erzählen oder zu versprechen, es sei wahr und aufrichtig, oder unwahr und unaufrichtig (veriloquium aut falsiloquium), weil es bloß auf ihnen beruht, ob sie ihm glauben wollen oder nicht; – alle diese Befugnisse liegen schon im Princip der angebornen Freiheit und sind wirklich von ihr nicht (als Glieder der Eintheilung unter einem höheren Rechtsbegriff) unterschieden“2. Das angeborene Recht ist also Freiheitsqualifikation, Freiheitsqualifikation, die Faktum ist. Und diese Freiheitsqualifikation macht es zum uneliminierbaren Kennzeichen der Person, all die Befugnisse für sich zu reklamieren, die in der Billigung der Auflösung der Aufgabe bestehen, Person unter Personen zu sein und darin die Idee der Menschheit zu befördern. Konsequenterweise ist jede Regelung, die über die Respektierung dieser Qualifikation als solche hinausgeht, die sie respektierend sie der differenzierenden Würdigung unterwirft, erworbenes Recht. Dieses erworbene Recht steht nicht mehr für die Person in ihrer Qualifikation rein als solche, sondern es qualifiziert die Person nach der pluralen Differenz ihres Agierens. Es ist Recht rücksichtlich Pluralität und Differenz und kennt somit „das äußere Mein und Dein“. Es besteht in der dem Menschheitsgedanken verpflichteten Regelung der Pluralität und der Differenz des Agierens von Person und Person. Deshalb ist es aufruhendes, jeweils ermitteltes Recht. Es ist erworben. Zu seiner Ermittlung bedarf es einer Institution. Sie definiert den Erwerb. Das ist die Gesetzgebung, aber auch jede andere Rechtssetzung. Erworbene Rechte sind also auf institutioneller Rechtssetzung basierende Rechte. Sie sind in der Vergemeinschaftung des angeborenen Rechtes, der angeborenen (= ursprünglichen) Freiheit, durch Rechtssetzung, insbesondere Gesetzgebung entsprungenes Recht. Man kann sie als die Exekution jenes Rechtes betrachten. Das heißt, die erworbenen Rechte berücksichtigen die Kontingenzbedingungen zum angeborenen Recht. In diesem exekutiven Sinne haben sie ihre objektive Realität in der Erfahrung. Sie sind positives Recht. Als die Exekution des angeborenen Rechtes können sie dieses auch nicht einschränken; sie können dieses nur nach differenzierender Billigung spezifizieren. Das heißt, sie ___________ 1 2

AA VI, S. 237. AA VI, S. 238.

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können die Lösung der Aufgabe, die prinzipielle Qualifikation der angeborenen (= ursprünglichen) Freiheit als gemeinschaftliche, einende Qualifikation zu managen, in der Weise bewältigen, dass sie eben diese prinzipielle Qualifikation in eine Vielzahl nachgeordneter Rechtssetzungen, insbesondere in Gesetze überführen und somit erfahrungstauglich machen, was besagt, technisch handhabbar und darin insbesondere zwingend zu machen – die positive Rechtssetzung hat immer auch ihre technische Seite (in dem Verstande, in dem die Urteilskraft nach Kant technisch ist). In dieser technischen Rücksicht ist die Bewältigung der Aufgabe der Einung des Willens von Person und Person dafür verantwortlich, dass die erworbenen Rechte Rechte sind, die der möglichen Modifikation unterliegen und die darin auch unterscheidend, auch einschränkend sein können. Im Unterschied zum angeborenen Recht, das der unveräußerliche wie imprivative Besitz der Freiheit ist, stellen sie die jeweilige Handhabung der Freiheit dar. Die verlangt ihre die Einung der Willkür im einzelnen dokumentierenden Institutionen. Diese setzen, verteilen und garantieren die besonderen Rechte, verändern, vermehren, vermindern sie, setzen sie in diese oder jene Beziehung zueinander, etc. etc., bringen sie in eine Ordnung. Positives Recht ist Recht einer in Ausübung befindlichen Rechtsordnung. Eine in Ausübung befindliche Rechtsordnung ist notwendig eine sehr bestimmte, eine erfahrungsgesättigte Rechtsordnung. Das bedeutet, die Differenz von angeborenem Recht und erworbenen Rechten hat ihre erfahrungsmäßig nachweisbaren Konsequenzen. Eine davon, und zwar eine, die mit dem Sachverhalt der erworbenen Rechte direkt zusammenhängt, ist die, die Kant zwischen Vollbürger und Halbbürger unterscheiden lässt. Das angeborene Recht, hat sich gezeigt, ist das unveräußerliche und unantastbare Recht jedes Menschen. Die erworbenen Rechte, das steht ebenfalls fest, sind durch Rechtssetzung, eine positive Rechtsordnung eingeführte wie definierte Rechte. Ihr Erwerbscharakter kommt in ihrer Definition zum Ausdruck. Das besagt zum ersten, sie sind dem Menschen nicht eo ipso zuzudenkende Rechte; sie sind Rechte, die es nur gemäß einer bestimmten positiven Rechtsordnung gibt. Sie sind Rechte, die diese Rechtsordnung allererst festlegt. Das besagt zum zweiten, dass der Mensch, der diese Rechte nicht eo ipso besitzt, sie gleichwohl für sich zu reklamieren vermag. Er reklamiert sie für sich, indem er in die je bestimmte positive Rechtsordnung eintritt, nämlich dadurch, dass er, wie es heißt, die fragliche Rechtsordnung akzeptiert bzw. sich als einen Vertreter, um nicht zu sagen Verfechter dieser Rechtsordnung versteht. Man kann auch sagen, er respektiert die positiven Rechtssetzungen, die Gesetze der fraglichen Rechtsordnung. Hiermit gliedert er sich in das durch diese organisierte Gemeinwesen ein. Er ist Bürger des durch diese Rechtsordnung organisierten Gemeinwesens. In so gut wie allen rechtlich organisierten Gemeinwesen ist die fragliche Eingliederung deshalb auch ein Rechtsinstitut. Die sogenannte Volljährigkeit ist nichts anderes als dieses Rechtsinstitut.

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Angeborenes Recht und erworbene Rechte

Weil es zu Kants Zeiten dieses Rechtsinstitut noch nicht gab bzw. weil es noch nicht konkret herausgebildet, tradierte Einrichtung war, weil mit anderen Worten die konkreten Rechtsverhältnisse noch nicht auf dem uns selbstverständlichen Stand waren, sah Kant sich genötigt, das Verhältnis mittels gewisser Hilfsmittel zu konstruieren. Die Unterscheidung von Vollbürger und Halbbürger ist das Konstrukt, das er erarbeitet hat. Er hat sich hierbei durchaus nicht viel anders als durch das, was hinter der Argumentation von der Volljährigkeit steht, nämlich durch sozioökonomische Überlegungen leiten lassen.3 Diese Überlegungen mögen uns Heutige einigermaßen verwundern. Aber sie sind ihrer zeitbedingten Akzentuierung unbeschadet durchaus sachgerecht. Denn sie befinden sich gänzlich in Übereinstimmung mit dem Gedanken des Erwerbs eines Rechtes oder von Rechten. Sie machen auch keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Vollbürger und dem Halbbürger. Der Begriff des einen wie der des anderen ist auf den Begriff des Erwerbs eines Rechtes oder von Rechten bezogen. Der Unterschied besteht einzig und allein darin, dass der Vollbürger ein Recht oder Rechte (schon) erworben hat, während der Halbbürger sie nicht oder vielmehr noch nicht erworben hat. Der eine wie der andere Begriff ist also auf den Erwerb eines Rechtes oder von Rechten bezogen. Die Bürger sind darin so wenig unterschieden wie sie in Bezug auf den Gedanken des angeborenen Rechtes unterschieden sind. Der Punkt ist also der des Erwerbs eines Rechtes oder von Rechten. Kant meint, wie berührt, diesen Punkt dadurch aufklären zu können, dass soziale und ökonomische Errungenschaften nachzuweisen sind. Als Vollbürger qualifiziert sich der und nur der Bürger, der soziale und ökonomische Eigenständigkeit aufweist. Die hat er wie auch immer gewonnen, muss er fort und fort sich gewinnen, also konservieren, womöglich befestigen, etc. etc. Jeder Bürger kann sie gewinnen, kann also von der Halbbürgerschaft in die Vollbürgerschaft überwechseln (das Umgekehrte ist auch möglich). Das ist entscheidend. Denn mit dieser Wechselmöglichkeit ist zum einen und zuerst die Gleichheit der Bürger, ob Vollbürger oder Halbbürger, anerkannt. Zum anderen ist darauf Bezug genommen, dass die Vollbürgerschaft auf einer wie auch immer erbrachten Leistung beruht. Der Rechtserwerb beruht auf der Erbringung einer Leistung. Die Erwerbsleistung vermag grundsätzlich jeder Bürger zu erbringen. Erbringt er sie nicht, liegt das genauso in seiner Verantwortung wie die Erbringung der Leistung. An diesem Punkt beginnen nun womöglich die Differenzen zu Kant. Kants Texte legen sehr wohl die Lesart nahe, dass die Verantwortung zur Leistung sehr hoch zu gewichten ist. Sie ist der springende Punkt. Wir Heutigen gewichten anders. Nicht zuletzt das Rechtsinstitut der Volljährigkeit ist Ausdruck ___________ 3 Vgl. die Bestimmungen des BGB zur Volljährigkeit. – Im Übrigen gibt es neuerdings mit dem Erwerb der Staatsbürgerschaft auf Antrag ein Äquivalent zur Volljährigkeit. Es ist an ähnliche Bestimmungen gebunden.

Angeborenes Recht und erworbene Rechte

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dieser anderen Gewichtung. Es ist dies dadurch, dass es primär kalendarisch gefasst ist. Die sozialen und die ökonomischen Referenzen sind der kalendarischen total untergeordnet. Aber ist die Argumentationslage denn eine so andere? Sind die sozialen und die ökonomischen Referenzen nicht nur verschoben, verschoben auf die Vollbürger, die, die die sozial und ökonomisch Unabhängigen gegenüber den sozial und ökonomisch Abhängigen sind, auf die Eltern, Erziehungsberechtigten und wie die immer verstanden werden mögen? Es ist zweifellos so. Aber es ist dennoch ein Fortschritt. Der Fortschritt besteht darin, dass schlicht und einfach anerkannt und in Rechtssetzung umgesetzt ist, der Mensch ist ein Mängelwesen; er kommt vor allem als Mängelwesen in diese Welt; als dieses Mängelwesen kann er nur in die Gesellschaft physisch wie sozial und ökonomisch hineinwachsen. Dieses Hineinwachsen ist seine einzige Chance. Diese Chance muss ihm daher auch immer und fortwährend geboten werden. Selbst dem sogenannten Versager muss sie geboten bzw. belassen werden. Mit dem Rechtsinstitut der Volljährigkeit, der zudem und nicht weniger rechtsverbindlich die sogenannte Fürsorgepflicht vorausgeht4, liegt nichts anderes als die geforderte Rechtssetzung vor. Sie liegt in unserer gesamten Sozial- und Wirtschaftsordnung vor. Diese ist nichts anderes als ein Gefüge von Erwerbsrechten. Kant würde heute das nicht anders als wir sehen. Er hat nämlich sehr genau gewusst, dass die konkrete Rechtsordnung nicht nur Prinzipienverhältnisse, sondern auch und immer, das heißt prinzipienbedingt, geschichtliche Kontingenzen spiegelt. Es kann nicht anders sein. Zu den geschichtlichen Kontingenzen gehört der Wandel. Darum verpflichtet die Orientierung an Kants Argumentation nicht zum unsouveränen Nachvollzug seiner Argumentation. Der konkrete Blick auf den Menschen ist heute nicht mehr durch und durch derselbe wie der Kants.

___________ 4

Die Fürsorgepflicht zielt im Übrigen nicht nur auf den heranwachsenden Menschen; sie zielt auf alles, was die Welt des Menschen (soweit sie seiner Gestaltungsmacht unterliegt) ausmacht, also auch auf seine Umwelt, die Tiere, die Pflanzen, die Natur im Ganzen. Der Gedanke des Schutzes der Natur, das heißt der Natur ihre Chance zu lassen, ist bürgerliche Rechtssetzung.

Schriftenverzeichnis Werner Flach I. Monographien 1955

Die Gegenstands- und Aprioritätsproblematik bei H. Rickert, B. Bauch und Nic. Hartmann. Systematische Untersuchungen zur Grundlegungsthematik der reinen Geltungslogik, Würzburg (Dissertation), 322 Bl. [maschinenschriftlich].

1959

Negation und Andersheit. Ein Beitrag zum Problem der Letztimplikation, Studien aus dem Philosophischen Seminar I Würzburg, München/Basel: Ernst Reinhardt Verlag, 80 S.

1963

Zur Prinzipienlehre der Anschauung. Bd. 1: Das spekulative Grundproblem der Vereinzelung, Hamburg: Meiner Verlag, VIII/192 S.

1967

(zusammen mit Brigitte Flach:) Zur Grundlegung der Wissenschaft von der Literatur, Akademische Vorträge und Abhandlungen Heft 27, Bonn: Bouvier & Co. Verlag, 61 S.

1979

Thesen zum Begriff der Wissenschaftstheorie, Akademische Vorträge und Abhandlungen Heft 46, Bonn: Bouvier & Co. Verlag, 106 S.

1994

Grundzüge der Erkenntnislehre. Erkenntniskritik, Logik, Methodologie, Würzburg: Königshausen & Neumann, 773 S.

1997

Grundzüge der Ideenlehre. Die Themen der Selbstgestaltung des Menschen und seiner Welt, der Kultur, Würzburg: Königshausen & Neumann, 168 S.

2002

Die Idee der Transzendentalphilosophie. Immanuel Kant, Würzburg: Königshausen & Neumann, 197 S.

II. Herausgeberschaft 1968

Hermann Cohen, Das Prinzip der Infinitesimal-Methode und seine Geschichte. Ein Kapitel zur Grundlegung der Erkenntniskritik, [Theorie 1, hg. von Hans Blumenberg, Jürgen Habermas, Dieter Henrich, Jacob Taubes], Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 229 S.

1980

(zusammen mit Helmut Holzhey:) Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus. Eine Textauswahl, Seminar Textbücher Bd. 1, Hildesheim: Gerstenberg Verlag, 653 S.

290 1981

Schriftenverzeichnis Werner Flach (zusammen mit Karl Bärthlein:) Hans Wagner, Kritische Philosophie. Systematische und historische Abhandlungen, Würzburg: Königshausen & Neumann, 495 S.

III. Aufsätze 1958

Kroner und der Weg von Kant bis Hegel. Die systematischen Voraussetzungen der Kronerschen Kantkritik, Zeitschrift für philosophische Forschung 12, S. 554–579.

1961

Farbe und Form. Analytische Untersuchungen zum Geltungsproblem der Malerei, Zeitschrift für philosophische Forschung 15, S. 497–518.

1963

Die Geschichtlichkeit der Philosophie und der Problemcharakter des philosophischen Gegenstandes, Kant-Studien 54, S. 17–28.

1964

Fichte über Kritizismus und Dogmatismus, Zeitschrift für philosophische Forschung 18, S. 585–596.

1964

Hegels dialektische Methode, in: Hans Georg Gadamer (Hg.), Hegel-Studien. Beiheft 1: Heidelberger Hegel-Tage 1962, Bonn: Bouvier & Co. Verlag, S. 55– 64.

1965

Die Konditionalität des Geschichtlichen, Kant-Studien 56, S. 156–169.

1966

Objektivation und Designation. Ein Kapitel aus der Philosophie des Geistes, in: Dieter Henrich/Hans Wagner (Hg.), Subjektivität und Metaphysik (Festschrift für Wolfgang Cramer), Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, S. 92–108.

1967

Transzendentalphilosophie und Kritik. Zur Bestimmung der Titelbegriffe der Kantischen Philosophie, in: Wilhelm Arnold/Hermann Zeltner (Hg.), Tradition und Kritik (Festschrift für Rudolf Zocher), Stuttgart-Bad Cannstatt: Friedrich Frommann Verlag (Günther Holzboog), S. 69–83.

1968

Einleitung, in: Hermann Cohen, Das Prinzip der Infinitesimal-Methode und seine Geschichte. Ein Kapitel zur Grundlegung der Erkenntniskritik, hg. von Werner Flach, [Theorie 1, hg. von Hans Blumenberg, Jürgen Habermas, Dieter Henrich, Jacob Taubes], Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, S. 11–38.

1968

Die Lehre von den Strahlungsgesetzen und das philosophische Problem der wissenschaftstheoretischen Einschätzung der exakten Naturwissenschaft, KantStudien 59, S. 283–295.

1970

Die wissenschaftstheoretische Einschätzung der Selbstbiographie bei Dilthey, Archiv für Geschichte der Philosophie 52, S. 172–86.

1971

Logik und Semiotik. Zur Frage der logischen Legitimation des semiotischen Grundgedankens der formalistischen Logik, in: Rudolph Berlinger/Eugen Fink (Hg.), Philosophische Perspektiven. Ein Jahrbuch, Bd. 3, Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, S. 88–109.

Schriftenverzeichnis Werner Flach

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1971

Zur Kritik des Nicolai Hartmannschen Geistbegriffes, in: Hermann Krings u.a. (Hg.), Philosophisches Jahrbuch 78, S. 66–81.

1971

Hegels Bestimmung des Verhältnisses von Freiheit und Gleichheit, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 57, S. 549–557.

1972

Hugo Dinglers Kritik des Positivismus, in: Werner Beierwaltes/Wiebke Schrader (Hg.), Weltaspekte der Philosophie. Rudolf Berlinger zum 26. Oktober 1972, Amsterdam: Rodopi Verlag, S. 53–66.

1973

Anschauung, in: Hermann Krings/Hans-Michael Baumgartner/Christoph Wild (Hg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 1, München: Kösel Verlag, S. 99–109.

1974

Urteil, in: Hermann Krings/Hans-Michael Baumgartner/Christoph Wild (Hg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 3, München: Kösel Verlag, S. 1556–1571.

1974

Die generative linguistische Theorie und die Prinzipienlehre des Denkens, in: Josef Simon (Hg.), Aspekte und Probleme der Sprachphilosophie, Freiburg im Breisgau/München: Alber Verlag, S. 69–110.

1975

Hegels Auffassung von der Geschichte der Philosophie und die Dialektik, in: Wilhelm R. Bayer (Hg.), Hegel-Jahrbuch, Bd. 13, Köln: Pahl-Rugenstein, S. 444–451.

1976

Zum Vorbegriff der Kleinen Logik Hegels, in: Ute Guzzoni (Hg.), Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag, Hamburg: Meiner Verlag, S. 133–146.

1977

Die Objektivität der Erkenntnis, in: Gerhart Schmidt/Gerd Wolandt (Hg.), Die Aktualität der Transzendentalphilosophie. Hans Wagner zum 60. Geburtstag, Bonn: Herbert Grundmann, S. 7–20.

1978

Die dreifache Stellung des Denkens zur Objektivität und das Problem der spekulativen Logik, in: Dieter Henrich (Hg.), Hegel-Studien. Beiheft 18: Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion (Hegel-Tage Chantilly 1971), Bonn: Bouvier & Co.Verlag, S. 3–18.

1980

Die Südwestdeutsche Schule des Neukantianismus, in: Werner Flach/ Helmut Holzhey (Hg.), Erkenntnistheorie und Logik im Neukantianismus. Eine Textauswahl, Seminar Studientexte Heft 1, Hildesheim: Gerstenberg Verlag, S. 34– 61.

1980

Kritische Erwägungen zum Logikkonzept der analytischen Wissenschaftstheorie, in: Hermann Krings u.a. (Hg.), Philosophisches Jahrbuch 77, S. 142–149.

1981

Das Problem der transzendentalen Deduktion: seine Exposition in der Kritik der reinen Vernunft und seine Wiederaufnahme im Neukantianismus der südwestdeutschen Schule, in: Gerhard Funke (Hg.), Akten des 5. Internationalen KantKongresses (Mainz 1981), Teilband 1.2, Bonn: Bouvier & Co. Verlag, S. 971– 981. [wieder abgedruckt in: Heinz-Ludwig Ollig (Hg.), Materialien zur Neukan-

292

Schriftenverzeichnis Werner Flach tianismus- Diskussion, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1987, S. 150–162].

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Zu Kants Lehre von der symbolischen Darstellung, Kant-Studien 73, S. 452– 462.

1983

Methodenkritische Überlegungen zum Sachansatz der Psychologie, in: Günther Bittner (Hg.), Personale Psychologie. Beiträge zur Geschichte, Theorie und Therapie. Festschrift für Ludwig J. Pongratz, Göttingen: Verlag für Psychologie Dr. C. J. Hogrefe, S. 176–190.

1986

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1988

Karl Poppers wissenschaftsphilosophische Intention, in: Paul HoyningenHuene/Gertrude Hirsch (Hg.), Wozu Wissenschaftsphilosophie? Positionen und Fragen zur gegenwärtigen Wissenschaftsphilosophie, Berlin/New York: de Gruyter Verlag, S. 139–148.

1990

Das Kategorienkonzept der kritischen Philosophie Kants und seine Revision in der Erkenntnislehre des Marburger Neukantianismus, in: Dieter Koch/Klaus Bort (Hg.), Kategorie und Kategorialität. Historisch-systematische Untersuchungen zum Begriff der Kategorie im philosophischen Denken. Festschrift für Klaus Hartmann zum 65. Geburtstag, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 267–301.

1994

Die Bedeutung des Neukantianismus für die Wissenschaftstheorie, in: Ernst Wolfgang Orth/Helmut Holzhey (Hg.), Neukantianismus. Perspektiven und Probleme, Studien und Materialien zum Neukantianismus. Bd. 1, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 174–184.

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Richard Hönigswalds systemtheoretisches Methodologiekonzept, in: Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hg.), Erkennen – Monas – Sprache. Internationales Richard-Hönigswald-Symposion Kassel 1995, Studien und Materialien zum Neukantianismus. Bd. 9, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 71–84.

1997

Kants Empiriologie. Naturteleologie als Wissenschaftstheorie, in: Peter A. Schmid/Simone Zurbuchen (Hg.), Grenzen der kritischen Vernunft. Helmut Holzhey zum 60. Geburtstag, Basel: Schwabe & Co. AG Verlag, S. 273–289.

1997

La teoria dei principi della cultura di Wilhelm Windelband, in: Stefano Besoli/Luca Guidetti (Hg.), Conoscenza, valori e cultura. Orrizonti e problemi del neocriticismo, Quaderni di discipline filosofiche, Firenze: Vallecchi, S. 431– 446.

1998

Zur Frage der Begründetheit des gnoseologischen Anspruchs der biologischen Wahrnehmungslehre, in: Jean Beaufort/Peter Prechtl (Hg.), Rationalität und Prärationalität. Festschrift für Alfred Schöpf, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 47–61.

Schriftenverzeichnis Werner Flach

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2001

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2001

Hermann Cohens prinzipientheoretisches Logik-Konzept, in: Wolfgang Marx/Ernst Wolfgang Orth (Hg.), Hermann Cohen und die Erkenntnistheorie, Studien und Materialien zum Neukantianismus. Bd. 18, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 99–109.

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Kritizistische oder dialektische Methode?, in: Detlev Pätzold/Christian Krijnen (Hg.), Der Neukantianismus und das Erbe des deutschen Idealismus: die philosophische Methode, Studien und Materialien zum Neukantianismus. Bd. 19, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 9–20.

2002

Zu Kants Kultur- und Geschichtsphilosophie, in: Reinhard Hiltscher/André Georgi (Hg.), Perspektiven der Transzendentalphilosophie im Anschluß an die Philosophie Kants, Freiburg im Breisgau/München: Alber Verlag, S. 105–115.

2002

Zum wissenschaftstheoretischen Profil der Literaturwissenschaft, in: Martin Asiäin/Andreas Eckl/Rolf Helmrich/Hans-Joachim Pieper/ Christian Rother/Konrad Schüttauf/Elke Völmicke (Hg.), Der Grund, die Not und die Freude des Bewusstseins. Beiträge zum Internationalen Symposion in Venedig zu Ehren von Wolfgang Marx, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 137–156.

2002

Die Autonomie der Wissenschaft, in: Christian Bermes/Julia Jonas/Karl-Heinz Lembeck (Hg.), Die Stellung des Menschen in der Kultur. Festschrift für Ernst Wolfgang Orth zum 65. Geburtstag, Trierer Studien zur Kulturphilosophie. Paradigmen menschlicher Orientierung. Bd. 7, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 147–161.

2002

Subjekt und System, in: Hans-Dieter Klein (Hg.), Wiener Jahrbuch für Philosophie, Jg. XXXIV, S. 37–43.

2003

Hermann Cohens Grundlegungskonzept und sein monotheistischer Gottesbegriff. Ein Argumentationsprofil, in: Gianna Gigliotti/Irene Kajon/Andrea Poma (Hg.), Man and God in Herman Cohen’s Philosophy, Padua: CEDAM (Casa Editrice Dottore Antonio Milani), S. 41–50.

2003

Theodor Litts Grundlehre, in: IABLIS. Jahrbuch für europäische Prozesse, Heidelberg: Manutius Verlag, Jg. 2, S. 218–223.

2005

Zu Kants geschichtsphilosophischem ,Chiliasmus‘, in: Karl-Heinz Lembeck/Karl Mertens/Ernst Wolfgang Orth (Hg.), Phänomenologische Forschungen, Hamburg: Meiner Verlag, S. 167–174.

2005

Cohens ,Ursprungsdenken‘, in: Reinier W. Munk (Hg.), Cohen’s Critical Idealism, Amsterdam Studies in Jewish Thought Vol. 10, Dordrecht: Springer, S. 41–65.

2006

Wissenschaftstheorie als Transzendentalphilosophie, in: Wolfgang Bock (Hg.), Gesetz und Gesetzlichkeit in den Wissenschaften, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 107–117.

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2007

Thematik, Methodik und Systematik der Philosophie, in: Thomas Göller/Christian Krijnen (Hg.), Geltung und Begründung. Perspektiven der Philosophie Werner Flachs, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 115–150.

2007

Kants Begriff der Kultur und das Selbstverständnis des Neukantianismus als Kulturphilosophie, in: Heinz Marion/Christian Krijnen (Hg.), Kant im Neukantianismus: Fortschritt oder Rückschritt?, Studien und Materialien zum Neukantianismus. Bd. 23, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 9–24.

2009

Heinrich Rickerts Sinndeutungslehre und ihre prinzipientheoretische Fundierung, in: Pierfrancesco Fiorato (Hg.), Negation, Andersheit und Unendlichkeit im Neukantianismus, Studien und Materialien zum Neukantianismus. Bd. 26, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 107–124.

2009

Hermann Cohens systemtheoretische Subjektlehre, in: Gian Paolo Cammerota (Hg.), Unita della ragione e modi dell‘ esperienza. Hermann Cohen e il neokantismo. Atti del Convegno international di studi, Salerno 21.–23. Maggio 2007, Salerno: Rubbettino, S. 35–45.

2012

Zur Neubewertung des Neukantianismus, in: Christian Krijnen/ Andrzej J. Moras (Hg.), Marburg versus Südwestdeutschland, Studien und Materialien zum Neukantianismus. Bd. 28, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 9– 40.

2012

Negation und Vermittlung, in: Reinhard Hiltscher/Stefan Klingner (Hg.), Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 85–104.

2012

Begreifen und Begründen. Zur Einschätzung der „Phänomenologie des Geistes“, in: Michael Gerten (Hg.), Hegel und die Phänomenologie des Geistes. Neue Perspektiven und Interpretationsansätze, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 21–29.

2013

Philosophie der Geschichte und Philosophie der Historie. Heinrich Rickerts differenziertes Kulturwissenschaftskonzept, in: Christian Krijnen/Marc de Launay (Hg.), Der Begriff der Geschichte im Marburger und südwestdeutschen Neukantianismus, Studien und Materialien zum Neukantianismus. Bd. 31, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 59–67.

2014

Die geltungstheoretische Artikulation der Wissenschaftsphilosophie im Werk Bruno Bauchs, in: Christian Krijnen/Kurt Walter Zeidler (Hg.), Wissenschaftsphilosophie im Neukantianismus. Ansätze – Kontroversen – Wirkungen, Studien und Materialien zum Neukantianismus. Bd. 32, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 103–111.

2015

Gewissen, in: Stephan Schaede/Thorsten Moos (Hg.), Das Gewissen. Tübingen: Mohr-Siebeck, S. 3–8.

Schriftenverzeichnis Werner Flach

295

IV. Rezensionen 1959

Pfanzagl, J.: Die axiomatischen Grundlagen einer allgemeinen Theorie des Messens. Würzburg 1959, in: Psychologie und Praxis 1959, S. 332–333.

1961

Günther, Gotthard: Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. 1. Bd.: Die Idee und ihre philosophischen Voraussetzungen, Hamburg 1959, in: Philosophischer Literaturanzeiger, Bd. XIV, Heft 2, S. 53–62.

1963

Zocher, Rudolf: Kants Grundlehre. Ihr Sinn, ihre Problematik, ihre Aktualität. Erlangen 1961, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, Bd. XVII, Heft 3, S. 532–541.

1965

Schulz, Walter: Das Problem der absoluten Reflexion. Frankfurt a. M. 1963 und Bröcker,Walter: Formale, transzendentale und spekulative Logik. Frankfurt a.M. 1962, in: Hegel-Studien, Bd. 3, S. 404–406.

1966

Chiodi, Pietro: La Deduzione nell‘ Opera di Kant. Turin 1961, in: Philosophische Rundschau, 13. Jahrgang, Heft 3–4, S. 300–302.

1967

Stockhammer, Morris: Kant-Essays, Köln 1965. in: Philosophische Rundschau, 14. Jahrgang, Heft 4, S. 302–303.

1967

Schneider, Peter K.: Die wissenschaftsbegründende Funktion der Transzendentalphilosophie. Freiburg/München 1965, in: Philosophische Rundschau, 14. Jahrgang, Heft 4, S. 303–304.

1967

Rothacker, Erich: Philosophische Anthropologie. Bonn 1964, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung, Bd. 21, Heft 3, S. 447–449.

1968

Funke, Gerhard: Phänomenologie – Metaphysik oder Methode. Bonn 1966, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. I, Number 2, S. 151– 152.

1969

Betti, Emilio: Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften. Tübingen 1967, in: Philosophischer Literaturanzeiger, Bd. 22, Heft 1, S. 25–29.

1969

Bergmann, Samuel Hugo: The Philosophy of Solomon Maimon. Jerusalem 1967, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 51, Heft 3, S. 317.

1969

Al-Azm, Sadik J.: Kant’s Theory of Time. New York 1967, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 51, Heft 3, S. 318.

1969

Wolff, Robert Paul: Kant‘s Theory of Mental Activity. A Commentary on the Transcendental Analytic of the Critique of pure Reason. Cambridge, Mass. 1963, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 51, Heft 3, S. 318.

1969

Brelage, Manfred: Studien zur Transzendentalphilosophie. Berlin 1965, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 51, Heft 3, S. 320–326.

1970

Lehmann, Gerhard: Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants. Berlin 1969, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 52, Heft 1, S. 109–111.

296

Schriftenverzeichnis Werner Flach

1970

Ebbinghaus, Julius: Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden. Hildesheim 1968, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 52, Heft 1, S. 111–112.

1971

Heidegger, Martin: Der europäische Nihilismus. Pfullingen 1967, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. IV, Number 1, S. 9–10.

1971

Sass, Hans-Martin: Heidegger-Bibliographie. Meisenheim/Glan 1968, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. IV, Number 1, S. 42–43.

1972

Heintel, Peter: Die Bedeutung der Kritik der ästhetischen Urteilskraft für die transzendentale Systematik. Bonn 1970, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. V, Number 2, S. 142–143.

1973

Marx, Werner: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung ihrer Idee in ,Vorrede‘ und ,Einleitung‘. Frankfurt am Main 1971, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 55, Heft 1, S. 100–113.

1973

Heimsoeth, Heinz: Studien zur Philosophie Immanuel Kants. Band I: Metaphysische Ursprünge und ontologische Grundlagen. Band II: Methodenbegriffe der Erfahrungswissenschaften und Gegensätzlichkeiten spekulativer Weltkonzeption. Bonn 1970/1971, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. VI, Number 1, S. 25–27.

1973

Kaltenbrunner, Gerd-Klaus (Hg.): Hegel und die Folgen. Freiburg 1970, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. VI, Number 2, S. 220– 222.

1973

Barion, Jakob: Staat und Zentralismus. Bonn 1969, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Vol. LIX/2, S. 295–296.

1974

Kainz, Friedrich: Über die Sprachverführung des Denkens. Berlin 1972, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. VII, Number 2, S. 145– 146.

1975

Holzhey, Helmut: Kants Erfahrungsbegriff. Quellengeschichtliche und bedeutungsanalytische Untersuchungen. Basel/Stuttgart 1970, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 57, Heft 1, S. 87–88.

1976

Acham, Karl: Analytische Geschichtsphilosophie. Eine kritische Einführung. Freiburg 1974, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. IX, Number 2, S. 131–132.

1977

Teichner, Wilhelm: Rekonstruktion oder Reproduktion des Grundes. Die Begründung der Philosophie als Wissenschaft durch Kant und Reinhold. Bonn 1976, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 59, Heft 2, S. 223–225.

1977

Albrecht, Erhard: Sprache und Philosophie. Berlin 1975, in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 59, Heft 2, S. 231–237.

1978

Polonoff, Irving I.: Force, Cosmos, Monads and Other Themes of Kant’s Early Thought. Bonn 1973, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. XI, Number 2, S. 154.

Schriftenverzeichnis Werner Flach

297

1979

Gamp, Rainer: Die interkategoriale Relation und die dialektische Methode in der Philosophie Nicolai Hartmanns. Bonn 1973, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. XII, Number 1, S. 22–23.

1979

Neumann, Karl: Gegenständlichkeit und Existenzbedeutung des Schönen. Untersuchungen zu Kants ,Kritik der ästhetischen Urteilskraft‘. Bonn 1973, in: Philosophy and History (German Studies Section I), Vol. XII, Number 1, S. 37–38.

1980

Eine Renaissance in der Philosophie? Zur Neuausgabe der Werke Hermann Cohens, in: Neue Züricher Zeitung vom 18./19. Oktober 1980, Nr. 243 (Beilage Literatur und Kunst), S. 70.

1981

Der Kritizismus als Triebkraft der Entwicklung des modernen Empirismus (Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Tübingen 1979), in: Philosophische Rundschau 28, S. 84–100.

1981

Simon, Josef: Wahrheit als Freiheit. Zur Entwicklung der Wahrheitsfrage in der neueren Philosophie. Berlin/New York 1978, in: Philosophisches Jahrbuch 1981, S. 213–215.

1984

Günther, Gotthard: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik. Bd. I–III. Hamburg 1976/1979/1980, in: Philosophischer Literaturanzeiger Bd. 37, Heft 1, S. 33–35.

1987

Tuschling, Burkhard/Rischmüller, Marie: Kritik des Logischen Empirismus. Berlin 1983, in: Philosophische Rundschau, 34. Jahrgang, S. 154–156.

1998

Vernunftkritik am Leitfaden der Transzendentalien. Besprechung von Peter Baumanns: Kants Philosophie der Erkenntnis, in: Philosophische Rundschau, 45. Jahrgang, S. 220–227.

2011

Wagner, Hans: Religionsbriefe. Herausgegeben von Reinhold Aschenberg. Würzburg 2011, in: Philosophischer Literaturanzeiger, 64. Jahrgang, Heft 1, S. 44–51.

Personenregister (Die kursiv gesetzten Seitenzahlen verweisen auf Fußnoten.) Adorno, Theodor W. VI Agamben, Giorgio VI Allison, Henry E. 36f., 36 Althusser, Louis VI Avenarius, Richard 145 Ayer, Alfred Jules V Bauch, Bruno VI, 48, 48, 53–57, 53– 56, 90 Baumanns, Peter 35f., 35 Baumgartner, Hans-Michael 73, 90 Betti, Emilio VI Brandl, Sebastian VII Brandt, Reinhard 244f., 245 Butler, Judith VI Carnap, Rudolf V, 150 Cassirer, Ernst 53, 53, 77, 80–84, 80, 82–84, 88–90, 89, 260, 264, 264 Cohen, Hermann 53, 53, 74–76, 75f., 79–84, 88, 90, 117, 217, 260, 263 Deleuze, Gilles VI Derrida, Jacques VI Descartes, René 94 Dilthey, Wilhelm 243, 243 Eibl, Karl 219 Fanon, Frantz VI Feuerbach, Ludwig VI Fichte, Johann Gottlieb VIf., VI, 13, 23, 108, 137–141, 138 Flach, Brigitte VI, IX Flach, Werner V, Vf., VII–IX, VII, 28, 54f., 57, 66, 75, 90, 95, 108f., 112, 117, 147, 149, 159, 169, 193, 195f., 238, 241, 243, 253, 267f.

Foucault, Michel VI Frege, Gottlob Vf., 150 Freundlieb, Dieter 219 Fügen, Hans Norbert 219 Funke, Gerhard 252 Gadamer, Hans-Georg VI, VI Garve, Christian 27 Gethmann, Carl Friedrich VI Goethe, Johann Wolfgang von 217, 217, 241 Göller, Thomas 81, 265 Grünewald, Bernward 156, 193–197, 193, 195f. Günther, Hans 219 Habermas, Jürgen VIf., 278 Hamburg, Carl H. 81 Hartmann, Klaus 59 Hartmann, Nicolai 78, 84–86, 84, 88– 90, 89 Hass, Hans-Egon 219 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich VIf., 105f., 108–111, 109, 113f., 116, 181, 217, 278 Heidegger, Martin VI Heidemann, Ingeborg 217 Heimsoeth, Heinz 65, 89 Heinrich, Johannes 64, 68, 84 Heintel, Peter 217 Helmholtz, Hermann von VI Henrich, Dieter 60, 64 Herder, Johann Gottfried 181 Herz, Marcus 1, 6, 13 Hinneberg, Paul 251 Höffe, Otfried 194 Holzhey, Helmut 53, 74f., 79, 153, 260

300

Personenregister

Hönigswald, Richard 90 Honneth, Axel VI Horkheimer, Max VI Horstmann, Rolf-Peter 65 Hörz, Herbert VI Hossenfelder, Malte 65 Hume David 93f., 143 Ihwe, Jens 219 Iser, Wolfgang 219 Janich, Peter VI Jauß, Hans Robert 219 Kambartel, Friedrich VI Kamlah, Wilhelm VI Kater, Thomas 165, 178 Kaufmann, Fritz 83 Kaulbach, Friedrich 218, 218, 223, 223 Kayser, Wolfgang 219 Klein, Josef 89 Kleingeld, Pauline 178 Kloepfer, Rolf 219 Köhnke, Klaus Christian 77 König, Josef 217, 217 Kraft, Victor V Krijnen, Christian 193, 194, 195 Kroner, Richard 112–116, 112, 115f. Krüger, Lorenz 65, 68 Külpe, Oskar 145 Landwehr, Jürgen 219 Lembeck, Karl-Heinz 243 Lenk, Hans 68 Lévi-Strauss, Claude VI Levy, Hermann 111, 112 Locke, John 181 Lockemann, Fritz 219 Lorenz, Kuno VI Lorenzen, Paul VI Luhmann, Niklas VII, VII Lüthe, Rudolf 169f., 170, 174, 176–178 Mach, Ernst 145 Marc-Wogau, Konrad 264 Marck, Siegfried 112, 112

Martin, Gottfried 65 Marx, Karl VI–VIII Marx, Wolfgang 77 Mecklenburg, Norbert 219 Mittelstraß, Jürgen VI Mückenhausen, Gabriele 78 Müller-Michaelis, Harro 219 Müller-Seidel, Walter 219 Muno, Anke IX Natorp, Hans 80, 89 Natorp, Paul 53, 53, 56, 56, 74, 74, 77–82, 77–80, 83, 84, 88, 90, 90, 117, 148, 260, 263, 263 Neumann, Karl 82, 217 Nietzsche, Friedrich VI, VI Oberer, Hariolf 279 Obergfell, Frank 65 Ollig, Heinz-Ludwig 73, 90 Paton, Herbert James 59, 65 Pauen, Michael 174 Peirce, Charles Sanders VII Pitz, Ernst 279 Platon 93 Plessner, Helmuth 156 Popper, Karl Raimund V, 150 Prauss, Gerold 61f., 64 Reich, Klaus 65, 68 Reinhold, Carl Leonhard 131–136, 131f. Renz, Ursula 260 Rickert, Heinrich 55, 103, 112–114, 113, 116f., 251, 251, 259, 260–263, 262f. Russell, Bertrand V, 150 Sartre, Jean-Paul VI Schiller, Johann Christoph Friedrich von 217, 231–238, 231, 233, 237 Schlegel, Karl Wilhelm Friedrich von 217 Schmidt, Siegfried J. 219 Schmitt, Carl VI

Personenregister Schopenhauer, Arthur VI, VI Schulte-Sasse, Jochen 219 Schwemmer, Oswald VI Smart, Harold Robert 64 Solgers, Karl Wilhelm Ferdinand 217 Staiger, Emil 219 Stegmüller, Wolfgang V, 143 Stuhlmann-Laeisz, Rainer 62, 65f., 68 Thiel, Christian VI Tuschling, Burkhard 65 Vico, Giambattista 181 Vuillemin, Jules 66 Wagner, Gerhard VII Wagner, Hans 61, 65, 91

301

Waldmann, Günter 219 Walser, Martin 25 Warren, Austin 219 Weber, Max VII, 103 Wellek, René 219 Werkmeister, William Henry 83 Weyand, Klaus 170 Whitehead, Alfred North V Windelband, Wilhelm 57, 57, 111, 111, 251, 251, 261, 261 Wismann, Heinz VI, IX Wittgenstein, Ludwig V Wolandt, Gerd 78, 83 Wolff, Robert Paul 64 Zocher, Rudolf 50, 71