Junghegelianische, Geschichtsphilosophie und Kunsttheorie [Reprint 2022 ed.] 9783112617281, 9783112617274


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German Pages 288 [311] Year 1979

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Junghegelianische, Geschichtsphilosophie und Kunsttheorie [Reprint 2022 ed.]
 9783112617281, 9783112617274

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Ingrid Pepperle

Junghegelianische Geschichtsphilosophie und Kunsttheorie

Literatur und Gesellschaft Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der D D R Zentralinstitut für Literaturgeschichte

Ingrid Pepperle

Junghegelianische Geschichtsphilosophie und Kunsttheorie

Akademie-Verlag • Berlin 1978

Redaktionelle Bearbeitung: Edda Bauer

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1978 Lizenznummer: 202- 100/177/78 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 5040 Bestellnummer: 753 331 4 (2150/57) • LSV 8025 Printed in GDR DDR 9 , - M

Inhalt

9

Einleitung Die Entwicklung des Junghegelianismus und Arnold Ruges Beitrag zw Herausbildung der philosophischen und politischen Theorien der Junghegelianer Die religionsphilosophischen Auseinandersetzungen während der letzten Lebensjahre Hegels

25 26

David Friedrich Strauß' „Das Leben Jesu" und die Spaltung der Hegeischen Schule

30

Die Gründung der „Hallischen Jahrbücher"

32

Die politischen und sozialen Wurzeln der junghegelianischen Bewegung

35

Der Leo-Hegelsche Streit und die ersten politischen Auseinandersetzungen

38

Das Auftreten Ludwig Feuerbachs und seine Beiträge in den „Hallischen Jahrbüchern" 1840/41

43

Das Manifest „Der Protestantismus und die Romantik" . .

47

Die erste offene Kritik an Preußen: Ruges und Echtermeyers Aufsatz „Karl Streckfuß und das Preußenthum" . .

49

Der Thronwechsel in Preußen und seine Folgen

51

Die weitere Ausarbeitung der politischen Auffassungen der Junghegelianer durch Rüge in seinen Beiträgen in den „Hallischen Jahrbüchern" 1840/41

54

Die Umbildung der Hegeischen Philosophie durch Rüge 1840/41 im Gefolge seiner Kritik an Preußen

58

Bruno Bauers „Philosophie des Selbstbewußtseins" . . . .

67

5

Die Radikalisierung und Spaltung der Bewegung unter dem Einfluß Bruno Bauers und Ludwig Feuerbachs 1841/42 Marx' und Ruges Bruch mit den Berliner „Freien" Ende 1842 Der Übergang der fortschrittlichen Junghegelianer zum Kommunismus und die Auflösung der Bewegung. Marx' Trennung von Rüge Robert Eduard Prutz' Stellung innerhalb des Junghegelianismus Prutz' Anschluß an die junghegelianische Bewegung und seine Zusammenarbeit mit Rüge an den „Hallischen" und „Deutschen Jahrbüchern" Die Mitarbeit an der „Rheinischen Zeitung" Weltanschauliche und politische Differenzen zwischen Prutz und Rüge nach 1843 Prutz' Entwicklung und seine Arbeiten zwischen 1843 und 1848 Die Würdigung der Hegeischen Philosophie Die Prutzsche Geschichtsphilosophie und die ihr eigentümliche Subjekt-Objekt-Dialektik Epocheneinteilung auf der Grundlage Prutzscher Geschichtsphilosophie und Bestimmung der religiösen, ästhetischen und politischen Periode in der neueren Geschichte . . . . Das Verhältnis der Prutzschen Epocheneinteilung zu anderen Periodisierungsversuchen im Vormärz Bedeutung und Grenzen der Prutschen Weltanschauung . . Ästhetische Grundfragen in der junghegelianischen Diskussion Kunstkritische Aktivitäten in der Nachfolge Hegels . . . Die Rolle der ästhetischen Problematik in den politischphilosophischen Auseinandersetzungen der Junghegelianer . Prinzipien Hegelscher Kunsttheorie Zeitgenössische Stellungnahmen zu Hegels „Ästhetik" . . . Die Junghegelianer und Hegels Ästhetik 6

75 81

88

109

109 112 113 115 117 118

122 127 129 133 134 140 142 146 149

Kunsttheoretische Konsequenzen aus der Freisetzung des Entwicklungsgedankens Die Konsequenzen der Kritik an Hegels Theorie vom „Ende der Kunst" als Substantialitätsverhältnis Das Komische als ästhetische Entsprechung zeitgemäßer Vorgänge

152 156 160

zur literarischen Tradition und zum zeitDie Junghegelianer genössischen literarischen Prozeß Das Verhältnis zur Literatur der frühbürgerlichen Revolution, des 18. Jahrhunderts und der „Kunstperiode" . . . . Die Auseinandersetzung mit der Romantik Die zeitgenössische Literatur im Urteil der Junghegelianer . Die Junghegelianer in ihrem Verhältnis zu Heine und Herwegh

213

Anmerkungen

226

Personenregister

282

165 167 187 206

Einleitung Man muß vielmehr in die vierziger Jahre des Jahrhunderts zurückgehen, als in Deutschland unter den anschwellenden Wassern der ökonomischen Entwicklung ein stolzer Geistesbau in sich zusammenbrach und eine Fülle philosophischer Köpfe, von denen der unbedeutendste heute genügen -würde, die philosophischen Bedürfnisse sämmtlicher deutschen Hochschulen zu decken, nach neuen Schlüsseln suchte, das Welträthsel zu lösen. Franz Mehring (1894)

Wer an das recht abfällige Urteil denkt, das seinerzeit Johann Eduard Erdmann in der bisher ausführlichsten Darstellung der Geschichte der deutschen Philosophie unmittelbar nach dem Tode Hegels1 über die Junghegelianer fällte, und wer im Auge behält, daß noch Karl Löwith in seiner Monographie Von Hegel ZM Nietzsche von den junghegelianischen Manifesten, Programmen und Thesen als von „effektvollen Proklamationen" sprach, die kein gehaltvolles Ganzes darstellen und die „trotz ihres aufreizenden Tons einen faden Geschmack hinterlassen, weil sie mit dürftigen Mitteln maßlose Ansprüche stellen und Hegels begriffliche Dialektik zu einem rhetorischen Stilmittel breittreten"2, mag sich die Frage vorlegen, warum bürgerliche Ideologen den Junghegelianern seit geraumer Zeit ein ständig steigendes Interesse entgegenbringen, warum sich das Schrifttum über ihre Ideologie mehrt und ihre selten gewordenen Bücher, Zeitungen und Broschüren nachgedruckt werden. Die Beantwortung dieser Frage ist weniger kompliziert, als es zunächst scheinen mag. Es ist keineswegs außergewöhnlich, daß in der Geschichte der Ideologien aus einer veränderten Interessenlage heraus von Zeit zu Zeit Umwertungen erfolgen; das eigentliche Problem besteht allein darin, diese neuen Interessen deutlich werden zu lassen. Es gibt nur wenige ideologische Erscheinungen, die von der spätbürgerlichen Geschichtsschreibung über einen langen Zeitraum hinweg derart vernachlässigt wurden, wie der Junghegelianismus bzw. der Auflösungsprozeß der Hegeischen Philosophie nach 1830 überhaupt. Die Ursachen hierfür liegen auf der Hand: Das konservativ gewordene Bürgertum nach 1848 konnte kein Interesse mehr an einem politischen und geistigen Prozeß finden, der zweifellos zu den großen Perioden in der Geschichte des menschlichen Denkens gehört, die radikalsten und aufrechtesten bürgerlichen Demokraten hervor-

9

brachte, die Deutschland jemals besessen hat. So kam es, daß Erdmann 1866 in seinem recht verständnislosen, wenn auch an Materialkenntnis reichen Werk zwar forderte, andere mögen es besser machen, aber seinem Ruf niemand mehr folgte. Sicher gab es noch die Arbeiten von Theobald Ziegler über Friedrich David Strauß, einzelne Schriften zu Feuerbach, die Arbeiten von David Koigen, Zlocisti (über Moses Heß), Moog, später das ausführliche Werk von Rawidowicz über Feuerbach, verschiedene Untersuchungen aus einem Kreis von Theologen - u. a. von Ernst Barnikol - sowie einzelne Dissertationen und kleinere Beiträge zu speziellen Fragen. 3 Insgesamt aber fließt die Literatur spärlich, ganz abgesehen von Inhalt und Wertung, die dem Gegenstand in keiner Weise gerecht werden. Aus diesem Grunde halten sich auch die stereotypen Einschätzungen in den einschlägigen Philosophiegeschichtskompendien, in denen die Junghegelianer als Epigonen abgetan und vielmehr Darstellungen gegeben werden, die aufeinander, nicht aber auf Kenntnis der Quellen beruhen. Erst um die Zeit des zweiten Weltkrieges zeichnet sich eine gewisse Wende ab, und das eingangs genannte Buch von Karl Löwith mag dafür als Symptom gelten. Offenkundig unter dem Eindruck der großen gesellschaftlichen Erschütterungen, der sich abzeichnenden Ausbreitung des Sozialismus, der zunehmenden Einflußnahme des Marxismus, aber auch durch das Bekanntwerden der Frühschriften von Marx und Engels dämmerte es im bürgerlichen Bewußtsein, daß die Entstehungszeit des Marxismus auch unter anderen Gesichtspunkten nicht mehr in der alten Weise behandelt werden kann. Dafür gibt es mancherlei Anzeichen. So weist 1947 Carl Schmitt, einer der reaktionärsten, aber auch mitunter scharfsinnigen bürgerlichen Ideologen in der ihm eigenen Art die Bourgeoisie auf das Problem hin, wenn er schreibt: „Wer die Tiefen des europäischen Gedankenganges von 1830-48 kennt, ist auf das meiste vorbereitet, was heute in der ganzen Welt laut wird. Das Trümmerfeld der Selbstzersetzung deutscher Theologie und idealistischer Philosophie hat sich seit 1848 in ein Kraftfeld theognonischer und kosmognonischer Ansätze verwandelt. Was heute explodiert, wurde vor 1848 präpariert. Das Feuer, das heute brennt, wurde damals gelegt. Es gibt gewisse Uran-Bergwerke der Geistesgeschichte. Dazu gehören die Vorsokratiker, einige Kirchenväter und auch einige Schriften aus der Zeit vor 1848. Der arme Max gehört durchaus dazu." 4 Die Zeit des kalten Krieges schob zunächst noch primitive Formen 10

der Auseinandersetzungen mit dem Marxismus in den Vordergrund. Unterschwellig und parallel dazu aber entwickelte sich bereits eine flexiblere und anspruchsvollere Form, die im Laufe der Jahre immer mehr an Einfluß gewann und in deren Mittelpunkt der junge Marx stand. In diesem Zusammenhang fanden auch die Junghegelianer und die gesamte Periode zwischen 1830 und 1848 eine stets wachsende Beachtung. Die Literatur häufte sich, es setzte ein intensives Quellenstudium ein. Aber die sich abzeichnende Tendenz ist nun eine entgegengesetzte: Die Junghegelianer erscheinen nicht nur als diejenigen, die in engem Zusammenhang und als Ausdruck der sich entwickelnden bürgerlichen Oppositionsbewegung die revolutionären Konsequenzen der bürgerlichen Philosophie zogen, sondern als bedeutende Theoretiker der Entfremdung überhaupt, als Denker einer Zeitenwende, wobei einzelne Auffassungen so weit gehen, etwa in den Lehren Bruno Bauers eine Theorie der permanenten Revolution, eines permanenten Revolutionierens zu entdecken, deren emanzipatorischer Gehalt auch durch den Marxismus nicht abgegolten sei. In einer solchen Situation, die hier nicht weiter analysiert werden soll, ist es nicht nur angebracht, sondern notwendig, daß die Analyse der junghegelianischen Ideologie auch vom marxistischen Standpunkt aus verstärkt betrieben wird. Die Marxisten haben zwar in der Vergangenheit der Erforschung des deutschen Vormärz im allgemeinen und der junghegelianischen Ideologie im besonderen jederzeit Aufmerksamkeit geschenkt. Engels selbst war es, der mit Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie die erste prinzipielle Einschätzung der ideologischen Prozesse in dieser Zeit gab. Es sei auch erinnert an die hervorragende Tätigkeit Franz Mehrings5, an die gründlichen Quellenstudien des der Arbeiterbewegung nahestehenden Gustav Mayer6, an die frühe Arbeit von Georg Lukäcs Moses Heß und die Probleme der idealistischen Dialektik1 und an die grundlegenden Arbeiten Auguste Cornus, die im Zusammenhang mit der Untersuchung der Entstehung der Marxschen Lehre den junghegelianischen Auffassungen einen breiten Platz einräumen. 8 Dennoch ist derzeit die Lage - auch wenn wir noch verschiedene andere Arbeiten der letzten Jahre, wie z. B. den ersten Band der Geschichte der marxistisch-leninistischen Philosophie in Deutschland, die Biographien über Marx und Engels, die Geschichtsdarstellung von Karl Obermann usw. mit einbeziehen - so, daß eine selbständige zusammenfassende Darstellung der junghegelianischen Ideologie noch ebenso aussteht wie bestimmte Einzeluntersuchungen, 11

die sich speziellen Problemen dieser vielschichtigen ideologischen Bewegung widmen. Gerade solche speziellen Untersuchungen aber scheinen aus mehreren Gründen nötig: Sie sind erforderlich als Voraussetzung einer zusammenfassenden Darstellung; sie sind notwendig, um der Argumentation der bürgerlichen Ideologen wirkungsvoller entgegentreten zu können, die gegenwärtig mit immer differenzierteren und feiner werdenden Methoden die junghegelianischen Anschauungen in ihrem Sinne auszubeuten versuchen. Hinzu kommt, daß - da die junghegelianische Bewegung trotz ihrer Schranken und Schwächen unstreitig mit das Freisinnigste und Revolutionärste verkörpert, was jemals vom deutschen Bürgertum hervorgebracht wurde - ihre detaillierte Analyse ein wichtiger Beitrag zur Erforschung des nationalen kulturellen Erbes ist, eines Erbes, das unmittelbar auf die Entstehung des Marxismus einwirkte und so ein Bindeglied zwischen der klassischen deutschen bürgerlichen Philosophie und dem Marxismus darstellt. Wenn dem so ist, wie sind dann die Leistungen einzuschätzen, die aus dem Kreis um David Friedrich Strauß 9 , Arnold Rüge, Bruno und Edgar Bauer, Ludwig Feuerbach, Marx und Engels in den Jahren etwa zwischen 1835 und 1842/43 hervorgegangen sind? Es war wieder Friedrich Engels, der noch die entscheidenden Hinweise gab. Als Engels 1886 nach mehr als vierzig Jahren auf seine und Marxens „Sturm- und Drangperiode" zurückblickte und die unabgetragene Ehrenschuld empfand, die „volle Anerkennung des Einflusses, den vor allen andern nachhegelschen Philosophen Feuerbach"10 auf sie ausübte, herauszustellen, hat er in seiner Schrift Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie nicht nur in knapper Weise treffend die Entwicklung der junghegelianischen Bewegung skizziert, sondern auch gebührend ihre Leistungen gewürdigt. Engels ging davon aus, daß die deutsche Arbeiterbewegung die Erbin der klassischen deutschen Philosophie ist, daß die Lehren von Marx undenkbar sind ohne den Ideenreichtum und revolutionären Gehalt der Hegeischen Philosophie, daß es aber gerade der Anstrengungen der linken Hegelianer bedurfte, diesen Gehalt herauszuarbeiten und die wirklichen revolutionären Konsequenzen zu ziehen. Damit erhebt sich die Frage nach den theoretischen Problemen, um die es im Denken der linken Hegelianer ging. Eine systematische Antwort hierauf ist deshalb schwierig, weil der Junghegelianismus im wahrsten Sinne des Wortes eine B e w e g u n g ist, in der sich die Ansichten rasch, mitunter schon innerhalb von Monaten ändern, in 12

der zunächst nur einige Akzente anders gesetzt werden oder bestimmte Teilprobleme eine eigene Interpretation erfahren, dann aber der Prozeß der Theoriebildung in enger Verbindung mit den politischen Ereignissen, mit der Entfaltung der antifeudalen Opposition voranschreitet, Grundfragen erfaßt, letztlich bei der Auflösung des ganzen Hegeischen Systems endet und weil - auch das scheint uns eine bisher nicht genügend berücksichtigte, aber für das Verständnis des Junghegelianismus unabdingbare Voraussetzung zu sein - die Ansichten der einzelnen Vertreter mitunter beträchtlich voneinander abweichen und keineswegs so einheitlich sind, wie das gewöhnlich angenommen wird. Ist der Junghegelianismus daher eine politisch-ideologische Strömung von außerordentlicher Mannigfaltigkeit und Kompliziertheit, so lassen sich dennoch eine Reihe wesentlicher Probleme herausschälen! an denen sichtbar wird, in welcher Weise die linken Schüler Hegels1 dessen Lehren im revolutionären Sinne fortzubilden und fruchtbar zu machen versuchten. Welches sind diese Grundprobleme? Zu ihnen gehört die Auffassung der Dialektik als universeller Entwicklungslehre, die man von den Schranken des Hegeischen Systems zu befreien suchte und zunächst gegen die herrschende christliche Religion, dann aber gegen die bestehenden politischen Verhältnisse kehrte; die tiefgründigen religionsgeschichtlichen und religionskritischen Untersuchungen von Strauß, Bruno Bauer und Feuerbach, die bleibende Ergebnisse zeitigten und die - wie im Anfang bei Strauß ganz unverkennbar - an die Unterordnung der Religion unter die Philosophie bei Hegel anknüpften; das Problem der „Verwirklichung der Philosophie", der Begründung einer Philosophie der Tat, das Ringen um die Herstellung der Einheit von Theorie und Praxis, die Herausarbeitung der revolutionären und kritischen Rolle der Philosophie, wobei die Junghegelianer wieder von Hegel ausgingen, indem sie sich vor allem auf jene zahlreichen Stellen beriefen, in denen Hegel das Kritische, Vorausschauende und Vorwegnehmende der Philosophie betonte, während sie die berühmten Bemerkungen über das Hinterherkommen der Philosophie in der Einleitung zur Rechtsphilosophie demgegenüber entweder als Akkomodation bezeichneten bzw. gar nicht als Widerspruch dazu empfanden. Hierzu gehört auch die prinzipielle m a t e r i a l i s t i s c h e Kritik Feuerbachs am Hegeischen Idealismus, die nicht als Folgerung aus der Hegeischen Philosophie angesehen werden kann, die aber die Junghegelianer (mit Ausnahme von Marx) in ihrer grundsätzlichen welt13

anschaulichen Bedeutung zunächst noch gar nicht begriffen und deshalb z. B. die erste Auflage vom Wesen des Christentums als „Vollendung" der Hegeischen Philosophie betrachteten. Zu nennen sind schließlich die umfangreichen rechts- und staatsphilosophischen Erörterungen, die Kritik der konstitutionellen Monarchie oder, wie später bei Edgar Bauer - kurz vor seinem Abgleiten in den Anarchismus - in dem Buch Der Streit der Kritik mit Kirche und Staat, die ernstzunehmende Kritik des bürgerlich-parlamentarischen Repräsentationssystems überhaupt, aus der zum ersten Mal in Deutschland die Forderung einer u n m i t t e l b a r e n Demokratie abgeleitet wird. Alle diese Auffassungen, in denen sich die progressiven Momente junghegelianischen Denkens konzentrierten, trugen zur Herausbildung der revolutionären Philosophie des Marxismus bei. Jedoch ist damit noch nicht die gesamte Spannweite des junghegelianischen Philosophierens erfaßt: weder ihre ästhetischen und literaturtheoretischen Auffassungen (z. B. die revolutionäre gesellschaftliche Funktionsbestimmung der Kunst, die Forderung nach Volksverbundenheit der Literatur u. a.) noch jene Seite ihres Denkens, der unseres Erächtens zusammen mit dem Feuerbachschen Materialismus in dieser Zeit die größte Bedeutung zukommt: die Umbildung der Hegeischen Vergegenständlichungsdialektik. Als sich Marx 1844 in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten zum ersten Male ausführlich und unerbittlich kritisch mit Hegel und seinen ehemaligen junghegelianischen Freunden auseinandersetzte, hat er auch in aller Klarheit auf das nach seiner Meinung Positive der Hegeischen Philosophie hingewiesen. Deutlich erkennend, daß die A r b e i t , von der Hegel ausgeht, die „abstrakt geistige" ist, schrieb er: „Das Große an der Hegeischen Phänomenologie und ihrem Endresultate - der Dialektik der Negativität als dem bewegenden und erzeugenden Prinzip - ist also einmal, daß Hegel die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozeß faßt, die Vergegenständlichung als Entgegenständlichung, als Entäußerung und als Aufhebung dieser Entäußerung; daß er also das Wesen der A r b e i t faßt und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner e i g e n e n A r b e i t begreift."11 Auch von den Junghegelianern war die hervorragende Rolle der Arbeit in Hegels Vergegenständlichungsdialektik erkannt und den Interessen ihres bürgerlichen Emanzipationskampfes, den sie freilich mit dem Kampf um die Befreiung des Menschen überhaupt gleich14

setzten, dienstbar gemacht worden. Es war vor allem Bruno Bauer, der die Hegeische Lehre hierzu umbildete, indem er die „Philosophie des Selbstbewußtseins" entwickelte. Bauer ging davon aus, daß diese Ansicht bei Hegel eingebaut sei in sein objektiv-idealistisches System, in dem zwar alles darauf ankomme, „das Wahre nicht als S u b s t a n z , sondern ebenso sehr als S u b j e k t aufzufassen und auszudrücken"12, daß aber andererseits bei ihm das S e l b s t b e w u ß t s e i n doch stets das Selbstbewußtsein der Substanz sei, anders gewendet, daß bei Hegel diesem Selbsterzeugungsprozeß des Menschen der Weltgeist, Gott, zugrunde liegt, der sich in der Geschichte entwickelt, um im Menschen zum Bewußtsein seiner selbst zu gelangen; Hegel hatte ja diesen ketzerischen Gedanken direkt ausgesprochen: Gott weiß sich allein im Menschen. Bauer meinte, wenn dem so sei und alles darauf hinauslaufe, daß in der Geschichte des Menschengeistes sich zugleich der Weltgeist entwickele, dann könne man auf diesen Weltgeist verzichten, ohne etwas am rationellen Kern der eigentlichen Auffassung zu ändern. Folgerichtig verwarf Bruno Bauer, der zudem das Hegeische Verhältnis des Selbstbewußtseins zum absoluten Geist als Widerspruch empfand, 13 den Hegeischen Substanzbegriff, behauptete, daß das Ich allein die Allgemeinheit besitze, „welche scheinbar der Substanz zugeschrieben wurde" 14 , und es allein das menschliche Selbstbewußtsein sei, welches sich in der Geschichte entwickele und auf Grund der Dialektik von Entäußerung, Vergegenständlichung und Wiederaneignung sich zu immer größerem Reichtum emporarbeite. „Als ob nicht das Selbstbewußtsein", schrieb Bauer im Entdeckten Christentum, „indem es die Welt, den Unterschied setzt und in dem, was es hervorbringt, sich selbst hervorbringt, da es den Unterschied des Hervorgebrachten von ihm selbst wieder aufhebt, da es also nur im Hervorbringen und in der Bewegung es selber ist - - also ob es nicht in dieser Bewegung, die es selber ist, seinen Zweck hätte und sich selbst erst besäße!" 15 So war also für Bauer nunmehr das Selbstbewußtsein die „wahrhafte causa sui"16 und klar der Standpunkt ausgesprochen, daß für ihn „nur das Ich lebt, schafft, wirkt und alles ist"17. Man hat diese Umbildung der Hegeischen Philosophie durch Bruno Bauer 18 als eine gewisse Rückkehr zu Fichte charakterisiert. So wurde sie bereits von Marx und Engels in der Heiligen Familie und in der Deutseben Ideologie eingeschätzt, und auch ein so gründlicher Kenner der nachhegelianischen Philosophie wie Erdmann ist später zu dem gleichen Urteil gelangt. ^ Seither ist diese Auffassung unseres 15

Wissens kaum irgendwie bestritten worden. Allerdings sind bei einem Vergleich auch die erheblichen Unterschiede zwischen den Anschauungen Fichtes und Bauers zu berücksichtigen, denn bei einem solch radikalen Atheisten wie Bruno Bauer ist das Selbstbewußtsein wirklich nichts anderes als der menschliche Geist, und auch die Verwirklichung des Selbstbewußtseins stellt keinen transzendentalen Vorgang, sondern einen historischen Prozeß dar. Wichtiger jedoch als diese philosophiegeschichtlichen Vergleiche bzw. Zuordnungen ist die Rolle, die die Bauersche Lehre innerhalb der junghegelianischen Ideologie gespielt hat. Für die Junghegelianer, die alle - wenn auch mit gewissen Modifikationen - dieser Subjektivierung Hegelscher Anschauungen aus der Phänomenologie zustimmten, war sie der endlich gefundene Schlüssel zur Befreiung des Menschen. Ihrer Auffassung nach war damit unwiderleglich bewiesen, daß der M e n s c h S c h ö p f e r s e i n e r s e l b s t i s t und dasjenige, was ihm als Objektives, Äußerliches, Fremdes gegenübersteht, das ihn in der Geschichte bisher beherrscht hat, dem er sich als einem Gegebenen unterordnete, das ihm Schranken in seiner subjektiven Entwicklung auferlegte, nichts anderes ist als seine Entäußerung, sein ureigenstes Produkt. Mit der Erkenntnis aber, daß dies objektiv Gegenüberstehende (Moral, Religion, Verfassung, Staat) nur die eigene Schöpfung verkörpert, die keinen Selbstzweck hat und ein bloßes Mittel ist, um den Reichtum des Selbstbewußtseins herauszuarbeiten, müsse die Herrschaft des Produkts über den Produzenten aufhören, der Mensch frei und Autonomie, die Selbstbestimmung, die sein Wesen ausmacht, gerettet sein. Damit aber - glaubten die Junghegelianer - habe gleichzeitig ein Problem seine Lösung gefunden, das in der Tat das gesamte bürgerliche Denken von der Renaissance bis zur klassischen deutschen Philosophie beschäftigte. Daß hierin wirklich der Kern der junghegelianischen Denkweise zum Ausdruck kam, haben bereits die Zeitgenossen sehr deutlich erkannt. So schrieb Gustav Pfitzer am 12. September 1842 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung unter d.em Titel Die Deutschen Jahrbücher und die Autonomie: „Das Resultat - oder sollen und dürfen wir nicht sagen die Voraussetzung? - ihrer Philosophie ist die A u t o n o m i e des menschlichen Geistes in dem Sinn, daß er selbst der sich entfaltende, in der gesammten menschlichen Gattung sich verwirklichende lebendige göttliche Geist, daß die Menschheit Gott ist. Das Ziel der Philosophie ist, den menschlichen Geist in allem, nach der unphilosophischen Vorstellung ihm objectiv äußerlich 16

Gegenüberstehenden, sich selbst, sein eigenes Wesen, seine eigene Schöpfung zu erkennen, es so in sich zurückzunehmen, im Gedanken einerseits aufzuheben und zu vernichten, andererseits in seiner ideellen Wahrheit zu bestätigen".20 Gewiß kommt in dieser junghegelianischen Lehre ein tiefes humanistisches Anliegen zum Ausdruck, doch geht es um mehr: In ihr steckt ein rationeller Kern, eine objektiv bedeutende Erkenntnis, die auf die Entwicklung einer wissenschaftlichen Gesellschaftslehre außerordentlich positiv gewirkt hat. Dieser rationelle Kern findet sich in Momenten der Hegeischen Geschichtsdialektik, die Marx schon das Große an der Hegeischen Phänomenologie nannte, weil hier der Mensch als Produkt seiner eigenen Tätigkeit begriffen wird. Diese Hegeische Auffassungsweise haben die Junghegelianer zumindest insofern weiterentwickelt, als sie den „Selbsterzeugungsprozeß" vom objektiv idealistischen System Hegels lösten und radikal atheistisch faßten. Man kann die Leistung der Junghegelianer auch noch anders ausdrücken: Marx sprach in diesem Zusammenhang von der Hervorkehrung der „tätigen Seite", die der Idealismus - wobei er neben Fichte und Hegel ganz sicher auch die Junghegelianer im Auge hatte - im Unterschied zum bisherigen Materialismus entwickelte, bei dem „der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des O b j e k t s o d e r d e r A n s c h a u u n g gefaßt wird; nicht aber als s i n n l i c h m e n s c h l i c h e T ä t i g k e i t , P r a xis: nicht subjektiv".21 Die Junghegelianer waren diejenigen, die zum ersten Mal in aller Klarheit die Überzeugung aussprachen, daß d i e M e n s c h e n i h r e G e s c h i c h t e s e l b e r m a c h e n und daß alles, was dem Menschen i n d e r G e s c h i c h t e a l s o b j e k t i v G e g e b e n e s gegenübertritt, letztlich das Resultat seiner eigenen Tätigkeit ist. Diese Überzeugung hat auf die Herausbildung des Marxismus einen bedeutenden Einfluß ausgeübt, und Marx hat diese Leistung der Junghegelianer bei aller Kritik, die er an ihnen übte, stets anerkannt. So erinnerte er z. B. in den Grundrissen zur Kritik der Politischen Ökonomie, in denen er unter ganz anderen Voraussetzungen auf der Grundlage der materialistischen Geschichtsauffassung - die Entfremdung in der kapitalistischen Produktionsweise mit der Herrschaft des Produkts über den Produzenten konkret analysierte, an diese schon früh gewonnene Erkenntnis, wenn es dort ausdrücklich heißt, daß „die Erkennung der Produkte als seiner eigenen" eben doch „ e i n e n o r m e s B e w u ß t s e i n " sei. 22 Aber auch 2 Pepperle

17

prinzipiell hat Marx die wertvollen Einsichten der junghegelianischen Ideologie in seine Lehre aufgenommen. Das wird dort am deutlichsten, wo er die beiden obersten Grundsätze seiner Gesellschaftsauffassung formuliert: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen."23* Damit bietet sich Gelegenheit, auch auf die Kritik von Marx und Engels an den Junghegelianern einzugehen, zumal gerade durch diese bedeutendste zeitgenössische Auseinandersetzung das Eigentümliche der junghegelianischen Denkweise noch klarer hervortritt. Es sind vor allem drei Arbeiten, in denen Marx und Engels diese Auseinandersetzungen führen, um mit ihrem „ehemaligen philosophischen Gewissen" abzurechnen: die ökonomisch-philosophischen Manuskripte von Marx sowie die Gemeinschaftsarbeiten Die Heilige Familie und Die deutsche Ideologie. Faßt man das Wesentliche der in diesen Schriften vorgebrachten Einwände zusammen, so ergeben sich drei entscheidende Gesichtspunkte: 1. Marx und Engels machen den Junghegelianern - und in diesem Falle Hegel überhaupt - den Vorwurf, daß bei ihnen „der Mensch nur in der Gestalt des Geistes erscheint"24 und ein Attribut des Menschen, nämlich sein Selbstbewußtsein, mit dem Menschen gleichgesetzt wird. Für Marx und Engels ist dieser Standpunkt absolut unhaltbar. Sie gehen davon aus, daß der Mensch in Wahrheit ein sinnlich-materielles Wesen ist, das sich somit auch in seiner Tätigkeit m a t e r i e l l - g e g e n s t ä n d l i c h verhält. Aufschlußreich ist in dem Zusammenhang, daß dieser materialistische Einwand, den Marx und Engels damals nachweislich unter dem großen Einfluß Feuerbachs vortrugen, gleichzeitig auch verbunden ist mit einer Kritik an Feuerbach, der nach ihrer Ansicht den Menschen wiederum „nur als 'sinnlichen Gegenstand', nicht als 'sinnliche Tätigkeit' faßt" und darum nicht die revolutionäre Rolle der praktisch-kritischen Tätigkeit begreift.25 2. Da, die Junghegelianer auf Grund ihres Idealismus wirklich materiell-gegenständliche Tätigkeit nicht kannten, war auch das Produkt dieser Tätigkeit nicht das Produkt des wirklichen, mit natürlichen Wesenskräften ausgestatteten leiblichen Menschen, sondern der Gegenstand des entäußerten, vergegenständlichten Selbstbewußt• D i e mit einem Stern gekennzeichneten Ziffern verweisen auf Sachanmerkungen.

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seins, also ein geistiges Objekt. Für den konkreten Verlauf der Geschichte aber bedeutete dies, daß sich für die Junghegelianer die Verobjektivierung und Vergegenständlichung erschöpft in solchen Gebilden und Einrichtungen wie Religion, Kunst, Wissenschaft, Moral, Rechts- und Verfassungsordnungen sowie dem Staat, während dagegen die Riesensphäre der materiellen Produktion, das Wirtschaftsleben mit seinen wirklichen materiellen Schöpfungen, mit seinen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen gar nicht im Bereich des objektiv Gegenständlichen auftaucht und darum bei den Junghegelianern im Grunde nie ein Verständnis aufkommen konnte für materielle Interessen oder dafür, daß sich Klassenkämpfe aus diesen Interessen ergeben. Mit einem solchen Standpunkt aber - das war die Meinung von Marx - war der „Akt der Weltgeschichte" nicht zu begreifen. Glaubt „die kritische Kritik", heißt es deshalb in der Heiligen Familie, „in der Erkenntnis der geschichtlichen Wirklichkeit auch nur zum A n f a n g gekommen zu sein, solange sie das theoretische und praktische Verhalten des Menschen zur Natur, die Naturwissenschaft und die Industrie, a u s der geschichtlichen Bewegung ausschließt? Oder meint sie irgendeine Periode in der Tat schon erkannt zu haben, ohne z. B. die Industrie dieser Periode, die unmittelbare Produktionsweise des Lebens selbst, erkannt zu haben? Allerdings die spiritualistische, die t h e o l o g i s c h e kritische Kritik kennt nur - kennt wenigstens in ihrer Einbildung - die politischen, literarischen und theologischen Haupt- und Staatsaktionen der Geschichte. Wie sie das Denken von den Sinnen, die Seele vom Leibe, sich selbst von der Welt trennt, so trennt sie die Geschichte von der Naturwissenschaft und Industrie, so sieht sie nicht in der grobm a t e r i e 11 e n Produktion auf der Erde, sondern in der dunstigen Wolkenbildung am Himmel die Geburtsstätte der Geschichte."26 3. Der letzte Einwand beruht auf den vorangegangenen beiden kritischen Gesichtspunkten, ist aber bei weitem der wichtigste: Weil die Hegelianer wirkliche, materiell-gegenständliche Tätigkeit nicht kennen - macht Marx geltend - , ist ihnen auch das Geschaffene, die Gegenständlichkeit eigentlich nichts wirklich Selbständiges, Wesentliches, Objektives, zumindest aber wird von ihnen die Mächtigkeit dieser vom Menschen hervorgebrachten Objektivität unterschätzt und in ihrer Rückwirkung auf das Handeln der Menschen verkannt. Unter materialistischen Voraussetzungen dagegen liegen die Verhältnisse ganz anders und nimmt auch die Vergegenständlichungs2*

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dialektik einen völlig anderen Charakter an. Denn wird von der •wirklich materiell gegenständlichen Praxis ausgegangen oder diese auch nur in die Tätigkeit des Menschen einbezogen, dann muß auch anerkannt werden, daß durch diese Entäußerung menschlicher Wesenskräfte ein vom Menschen wirklich unabhängiger neuer Realitätsbereich entsteht, den man nicht einfach dadurch wieder los wird oder in seiner Rückwirkung auf den Menschen aufhebt, indem man ihn als Resultat menschlicher Tätigkeit nachweist. Marx ging im Gegenteil davon aus, daß diese vom Menschen in der Geschichte hervorgebrachte Welt, gewissermaßen seine zweite Natur, sich mit der ganzen Härte des Realen auf das Handeln der folgenden Generation legt, daß diese gegenständliche Welt - immer unter der Voraussetzung, daß die Menschen handeln - ihre „innere Logik", ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickelt, die der Mensch erkennen muß, soll diese Welt wirklich beherrscht werden. Auf Grund dieser Erkenntnis hat Marx die a l l g e m e i n e D i s k u s s i o n über die Entäußerungsund Vergegenständlichungsdialektik, über das Thema der Entfremdung gemieden und seine Forschungen darauf konzentriert, diese Gesetzmäßigkeiten aufzudecken. Das Ergebnis war der historische Materialismus mit der Darlegung der historischen Gesetzmäßigkeiten im allgemeinen und die Kapitalismusanalyse mit der Herausarbeitung der Gesetze der kapitalistischen Entwicklung im besonderen. Für die Junghegelianer war dagegen das Problem der Aufhebung der Entfremdung gelöst, sobald die jeweilige Erscheinung als eine Schöpfung des menschlichen Bewußtseins nachgewiesen war. In ihrer Literatur stößt man immer wieder darauf, auf welche unkomplizierte Weise sie das Problem auffaßten. So heißt es z. B. bei Edgar Bauer, der die Ideen seines Bruders in einer verständlicheren Form auszudrücken wußte und dessen Schrift Der Streit der Kritik mit Kirche und Staat als eine gute Einführung in die Gedankenwelt der Junghegelianer - wenn auch für ein recht spätes Stadium ihrer Entwicklung - bezeichnet werden kann: „Ich begreife eine Sache, indem ich sie auf ihre Quelle, den menschlichen Geist zurückführe: dadurch aber stelle ich diesen Geist als Herrscher hin, welcher seine Schöpfung auch ohne Bedenken einer höheren Einsicht aufopfern darf." 27 Aus dieser Art, die Entfremdung aufzuheben und die Selbstbestimmung des Menschen zu sichern, ergab sich auch die Funktion der „Kritik", die bei den Junghegelianern eine bedeutende Rolle spielte und über die Edgar Bauer schrieb: „Die Kritik also geht bei allen Gegenständen, an die sie sich macht, auf das menschliche Selbst20

bewußtsein, welches die Dinge geschaffen und welche sie demnach auch überwinden müsse, zurück." Und an anderer Stelle heißt es: „Aber der Kritiker will nicht bloß selber frei sein: er will auch frei machen: er will dem Menschen beweisen, wie sein starkes, stolzes Ich erhaben ist über alle Schranken, über alle Einrichtungen, die ihn fesseln wollen. Es ist recht eigentlich die Aufgabe der Kritik, von Allem, was unantastbar, was heilig, was göttlich sein will, d. h. von Allem, was seinen geschichtlichen, menschlichen Ursprung verläugnet, - diesen Schein der Göttlichkeit, der Heiligkeit herabzureißen, und es als eine Schöpfung des menschlichen Bewußtseins zu charakterisiren . . .'