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German Pages 543 [544] Year 2001
Frühe Neuzeit Band 62 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Jörg Jochen Berns, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt
Gabor Tüskes
Johannes Nädasi Europäische Verbindungen der geistlichen Erzählliteratur Ungarns im 17. Jahrhundert
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2001
Gedruckt mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung
Übersetzt mit Unterstützung der Soros-Stiftung Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tüskts, Gäbor: Johannes Nädasi: europäische Verbindungen der geistlichen Erzählliteratur Ungarns im 17. Jahrhundert / Gäbor Tüskes. - Tübingen: Niemeyer, 2001 (Frühe Neuzeit; Bd. 62) ISBN 3-484-36562-5
ISSN 0934-5531
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Buchbinderei Heinr. Koch, Tübingen
Inhalt Vorwort
Teil I: Geistliche Erzählprosa, jesuitische Meditation, Exemplum 1. Geistliche Erzählliteratur im 17. Jahrhundert als Forschungsaufgabe Forschungslage Definitionsversuche Zielsetzung 2. Jesuitische Meditationsliteratur im 16./17. Jahrhundert Die Exercitia spiritualia und die Meditation Die Entfaltung der jesuitischen Meditation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Neue spirituelle Bestrebungen um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert Entfaltung und Differenzierung Popularisierungstendenzen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts . . . Die ungarische Entwicklung 3. Das Exemplum in der katholischen geistlichen Literatur des 16./17. Jahrhunderts Das Exempel in der Rhetorik Neuausgaben der mittelalterlichen Beispielsammlungen Exempelkatechismen Apologetische und moralische Beispielsammlungen Buchtypen der marianischen Erzählliteratur Beispielmaterial der kirchenhistorischen Werke Traktat- und Predigtliteratur Streitschriften Dissertationen Publikationen in Kalenderform Handbücher und Geschenkbücher der Kongregationen
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Inhalt
Teil II: Leben und Werk von Johannes Nädasi
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1. Laufbahn Studienjahre, Vorbereitung (1614-1643) Lehr-und Missionstätigkeit in Ungarn (1644-1651) Rom (1651-1669) Wien (1669-1679)
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2. Inhaltliche, strukturelle und gattungsspezifische Züge der Werke Meditationssammlungen nach dem Kalenderprinzip: Jahr Meditationssammlungen nach Kalenderprinzip: Monat, Woche, Tag Thematische Meditations- und Gebetssammlungen, Traktate Ordensgeschichtliche Werke und Meditationssammlungen mit jesuitischen Bezügen Nur dem Titel nach bekannte Werke Nädasi zugeschriebene Werke
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3. Entstehungs- und Publikationsverhältnisse Rahmentexte als Quellen der Entstehungs- und Publikationsgeschichte Sachverzeichnis als Inventionshilfe Motivation und Programm des Autors im Spiegel der Vorworte und Widmungen Widmungswesen, Mäzene Räumliche und zeitliche Verbreitung der Erstauflagen Die Rolle der Marianischen Kongregationen als primäres Lesepublikum
158 168 173 183 186 193 193 201 208 215 220 222
4. Quellen und Quellengebrauch Quellentypen und Zitierweise Historische Schichten des Quellenmaterials Das Quellenmaterial im Kontext der Werke
227 228 231 247
5. Exempelgebrauch, narrative Eigentümlichkeiten Definition, Typologie Inhaltsanalyse der Exempel eines Werkes Narrative Themen, Typen und Motive Inhaltliche Züge der Textüberlieferung Funktionen
259 259 262 271 282 285
6. Sprache, Stil, rhetorische Mittel Traditionen der Jesuitenrhetorik
292 292
Inhalt Formale Eigentümlichkeiten eines ungarischen Werkes Das Problem der Zweisprachigkeit und der ungarische Prosastil Nädasis Rhetorik der lateinischen Werke Textvarianten »Schriftliche Folklore«
VII 302 306 313 322 334
Teil III: Wirkungsgeschichte: Faktoren und Ablauf der Popularisierung
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1. Herausgabe, Verbreitung Das Problem der selbständigen Editionen Räumliche und zeitliche Verbreitung der Ausgaben Mäzene Drucker, Verleger Die Rolle der Bücherstiftung »Güldenes Almosen«
343 343 349 355 357 362
2. Übersetzungen in Nationalsprachen Sprachliche Verteilung der Editionen Übersetzer Übersetzungen im deutschen Sprachgebiet Die Übersetzung von Tamäs Jäszberenyi
369 370 373 382 388
3. Illustrationen als Faktor der Wirkungsgeschichte Typen und Meister der Titelkupfer Das Verhältnis von Wort und Bild im Kontext der Werke Bild und Text auf den Titelkupfern Gebrauchszusammenhänge
395 397 402 435 437
4. Gebrauch: Das Lesepublikum Nädasis Die Register als Gebrauchshilfen Handschriftliche Auszüge, Abschriften Die Werke als Quellen der geistlichen Gattungen Büchereintragungen der Inhaber und Leser Das Zeugnis der historischen und der modernen Bibliothekskataloge
440 441 444 446 462
Zusammenfassung
480
471
VIII
Inhalt
Anhang
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Abkürzungen Werk- und Ausgabenverzeichnis
495 498
Personenregister
523
Vorwort Dieses Buch ist eine auf gattungsgeschichtlicher Grundlage erarbeitete und durch eine wirkungsgeschichtliche Untersuchung ergänzte Autorenmonographie. Sein Gegenstand ist das Werk von Johannes Nädasi, eines produktiven und europaweit gelesenen Autors der moralischen Meditationsliteratur im 17. Jahrhundert. Literatur- und kulturhistorisch ist das Thema vor allem interessant, weil im Werk von Nädasi die kleinepischen Elemente, die Gebrauchsformen und Verbreitungsprozesse der geistlichen Erzählprosa überwiegen. Die Gebrauchsformen spielten eine bedeutende, im einzelnen jedoch wenig bekannte Rolle in der Entstehung und Entwicklung der weltlichen Kunstprosa des Barock. Sie beförderten den literarischen Austausch zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten und trugen zur Differenzierung wie zum Ausgleich der Kultur, der Bewußtseins- und Verhaltensformen bei. Für die monographische Aufarbeitung spricht vor allem die Möglichkeit, anhand des Lebenswerks eines vielgelesenen Autors Weiterleben, Wandel und Wirkungsgeschichte der antiken, mittelalterlichen und humanistischen Quellen und Gattungen zu untersuchen und die Beziehungen unter den bislang getrennt behandelten literarischen Traditionen und Gattungen sowie die internationalen Wechselwirkungen herauszuarbeiten. Eine vergleichende Untersuchung der zum größeren Teil lateinischen, zum kleineren Teil ungarischen Texte kann die Integration des neulateinischen Schrifttums des 17. Jahrhunderts in die Literaturgeschichte vorantreiben; sie rückt jene bisher kaum erforschten Fragen ins Licht, die die Beziehungen zwischen neulateinischer und nationalsprachlicher Literatur, zwischen »geistlicher« und »weltlicher« Kultur, zwischen Literatur und Ideologie aufwerfen. Die Untersuchung wurde durch eine Bibliographie der handschriftlichen und gedruckten Werke von Nädasi und ihrer Ausgaben ergänzt. Für die vielfältige Hilfe, die mir während der Arbeit zuteil wurde, möchte ich auch an dieser Stelle danken. Professor Wolfgang Brückner hat mich auf das Thema aufmerksam gemacht und meine Forschungen von den ersten Anfängen bis zum Ende verfolgt. Mein besonderer Dank gilt Tibor Klaniczay und Andor Tarnai: sie haben mich auf diese Forschungslücke aufmerksam gemacht und meine Arbeit, solange sie konnten, unterstützt und mit Aufmerksamkeit verfolgt. Lajos Hopp und Ferenc Birö möchte ich für die stetige Ermutigung und ihre Ratschläge danken. Katalin Péter, Istvân Bitskey und Istvan Kilian danke ich für die Kritik an der Arbeit, die sie im Qualifika-
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Vorwort
tionsverfahren an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften als Opponenten vorgetragen haben. Beim Sammeln des Quellenmaterials haben mir die Mitarbeiter der einheimischen und ausländischen Bibliotheken und Archive weit über die Mitteilung von Daten hinausgehend Hilfe erwiesen. Von ihnen sei Läszlo Lukäcs, der mir bei der Orientierung im jesuitischen Quellenmaterial in Rom behilflich war, auch namentlich genannt. Èva Knapp danke ich dafür, daß sie mich bei der Arbeit selbstlos unterstützt hat. Meine Forschungen wurden gefördert durch ein Stipendium der Alexander von Humboldt Stiftung, Bonn, durch das ich am Germanistischen Institut der Universität Würzburg arbeiten konnte, später vom Orszägos Tlidomänyos Kutatäsi Alap (Zentraler Fonds für Wissenschaftliche Forschungen), Budapest, sowie vom Institut für Literaturwissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Ihnen allen möchte ich herzlich danken. Für die Aufnahme des Buches in die Schriftenreihe Frühe Neuzeit habe ich Professor Klaus Garber und Professor Wilhelm Kühlmann herzlich zu danken. Für eine erste sprachliche Betreuung des Textes danke ich Professor Paul Richard Blum, Mönchengladbach, für die sorgfältige stilistische Redigierung des Manuskriptes bin ich Professor Dieter Breuer, Aachen, dankbar. Für einen Druckkostenbeitrag bin ich der Alexander von Humboldt Stiftung dankbar. Schließlich danke ich dem Max Niemeyer Verlag für die gute Zusammenarbeit.
Teil I: Geistliche Erzählprosa, jesuitische Meditation, Exemplum
1. Geistliche Erzählliteratur im 17. Jahrhundert als Forschungsaufgabe Die geistliche Erzählliteratur im 17. Jahrhundert stellt ein kaum erschlossenes, literaturgeschichtlich nur wenig attraktives, kulturhistorisch jedoch wichtiges Gebiet innerhalb der Barockliteratur dar.1 Das Schaffen der bedeutendsten Autoren ist zwar einigermaßen bekannt, aber keine literarische Epoche kann nur durch ihre Hauptwerke charakterisiert werden. Alle Epochen der Literatur haben ihre zweit- und drittrangige Schicht, und zu jeder Epoche gehört auch die Wirkungsgeschichte ihrer Werke.2 Es gibt keinen Zweifel, daß ohne die Kenntnis der tatsächlichen literarischen Produktion, der gesellschaftlichen und kulturellen Umgebung und der Rahmenbedingungen des literarischen Lebens der Rhythmus der literarischen Entwicklung, ihre herausragenden und weniger bedeutenden Momente in keiner Epoche beschrieben werden können. Neben den Werken, deren literarischer Wert unbestreitbar ist, dürfen auch subliterarische und halbliterarische Texte nicht vernachlässigt werden, die zwar den seit der Aufklärung geltenden Bedingungen des Literarischen im engeren Sinne nicht in jeder Hinsicht entsprechen, als Quellen oder Träger des Denkens und Verhaltens jedoch in einer engen Beziehung zur Literatur stehen. Daraus folgt aber, daß die sogenannten Gebrauchsformen der Literatur, an die man zum Teil mit anderen Mitteln herangehen muß, die aber letzten Endes ebenfalls nur mit literaturgeschichtlichen Kategorien erforscht werden können, zum Gebiet der Literaturgeschichte gehören.3
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Imre Bân: A magyar barokk pröza vâltozatai [Varianten der ung. Barockprosa]. In: Ders.: Eszmék és stflusok. Budapest 1976, 186 -202. - In der deutschen Übersetzung der ungarischen Titel in den Anmerkungen wurden folgende Abkürzungen verwendet: Jh. = Jahrhundert, Lit. = Literatur, U. = Ungarn, ung. = ungarisch. Hans Robert Jauss: Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt/M. 1970,168. Vgl. z. B. Péter Dâvidhâzi: »Isten mäsodszülöttje.« A magyar Shakespeare-kultusz természetrajza [Der Kult von Shakespeare in U.]. Budapest 1989. Roméo Arbour: L'ère baroque en France. Répertoire chronologique des éditions de textes littéraires. I-IV. 1585-1643. Genève 1977-1985. Hier: I, VII-IX. - Gottfried Felix Merkel: Deutsche Erbauungsliteratur. Jahrbuch für Internationale Germanistik 1971, Heft 3/1, 30-41. Hier: 40.
4 Forschungslage Der Begriff »geistliche Erzählliteratur« bezeichnet die Gesamtheit der Prosawerke geistlichen Ursprungs, die für die breiteren Schichten bestimmt sind und erzählerische Mittel, epische Kurzformen, in kleinerer oder größerer Menge verwenden. Für ihre literaturgeschichtliche Untersuchung spricht vor allem die Tatsache, daß in der Entstehung der Kunstprosa des 16. bis 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle jenen Kurzformen zufiel, die überwiegend kirchlichen Verwendungszwecken dienten und ohne deren Kenntnis die Kunstprosa des Humanismus und des Barock nicht zu verstehen ist. Nach den neueren Forschungen zur Entstehung der ungarischen Kunstprosa werden die epischen Einlagen, diese »Inseln der Kunstprosa« in den geistlichen Texten des 16. Jahrhunderts als Keime der schöngeistigen Literatur betrachtet. 4 Von den kleinepischen Formen ist die Anekdote am bekanntesten. 5 Diese und auch größere Erzählformen wurden in der theologischen und der historischen Fachliteratur am gründlichsten erforscht.6 Weniger Beachtung fand die religiöse Exempelliteratur. In der ungarischen Forschung sind lediglich die Exempel in den ungarischsprachigen Kodizes des 16. Jahrhunderts sowie in den Predigten des 16. bis 18. Jahrhunderts näher erforscht worden, 7 4
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Istvân Nemeskürty: A magyar szépproza szûletése. Tanulmâny [Die Geburt der ung. Kunstprosa]. Budapest 1963. - Vilmos Gyenis: A reneszânsz szépproza néhâny sajâtossâga. A kisepikai elemek funkciôja [Einige Züge der Kunstprosa in der Renaissance: Die Funktion der kleinepischen Elemente], Helikon 17 (1971), 411-427. Hier: 420-421. - Vgl. Hanke Stroszeck: Pointe und poetische Dominante. Deutsche Kurzprosa im 16. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1970. - Kleinstformen der Literatur. Hg. Walter Haug - Burghart Wachinger. Tübingen 1995. Vilmos Gyenis: A XVIII. szâzad anekdotâjârôl [Über die Anekdote des 18. Jh.s]. In: Irodalom és felvilâgosodâs. Tanulmânyok. Hg. Jözsef Szauder - Andor Tarnai. Budapest 1974, 715-732. - Ders.: Emlékirat és anekdota [Memoire und Anekdote], ItK 74 (1979), 305-321. - Kelemen Mikes: Törökorszägi levelek és misszilis levelek [Briefe aus der Türkei]. Hg. Lajos Hopp. Budapest 1966. - Bâlint Csüry: Bod Péter Szent Hilâriusânak forrâsa [Die Quelle des Hl. Hilarius von Péter Bod]. Erdélyi Irodalmi Szemle 1928, 99-116. - Péter Bod: Szent Hilarius [Hl. Hilarius], Hg. Emil Hargittay. Budapest 1987. - Jözsef Hermânyi Dienes: Nagyenyedi Demokritus [Demokrit von Nagyenyed], Hg. Tibor Klaniczay. Budapest 1960. - Vilmos Gyenis: Hermânyi Dienes Jözsef (1699-1763) [Jözsef Hermânyi Dienes]. Hg. Margit S. Sârdi. Budapest 1991. - Hermânyi Dienes Jözsef szépprôzai munkâi [Die Kunstprosa von Jözsef Hermânyi Dienes]. Hg. Margit Sârdi S. Budapest 1992. Jânos Könyi: A mindenkor nevetö Demokritus [Der immer lachende Demokrit]. Hg. Ferenc Birö. Budapest 1981. Zsolt Beöthy: A szépprôzai elbeszélés a régi magyar irodalomban. I—II [Die Prosaerzählung in der alten ung. Lit.]. Budapest 1886-1887. - Istvân Nemeskürty: Heltai Ponciânusa és a magyar reneszânsz szörakoztatö pröza [Der Poncianus von Heltai und die ung. Renaissanceprosa]. ItK 76 (1972), 555-579. - Antal Pirnât: Fabula és histöria [Fabel und Historie], ItK 88 (1984), 137-148. Istvân Bitskey: Humanista erudiciö és barokk vilâgkép. Pâzmâny Péter prédikâciôi [Humanistische Erudition und barockes Weltbild: Die Predigten von Péter Pâzmâny]. Budapest 1979. - Istvân Nemeskürty: Bornemisza Péter kisértései [Die Ver-
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während die epischen Formen in anderen Prosagattungen kaum berücksichtigt wurden. Den bisherigen Untersuchungen geht es um den Wandel der mittelalterlichen Textformen, die Entwicklung der neueren Kunstprosa und die Funktion der kleinepischen Elemente in diesem Prozeß. Die Herkunft der kleinepischen Formen, ihre Anpassung an die weltliche Kunstprosa und ihre Rolle in der Fortentwicklung der literarischen Gattungen sowie die Beziehungen zwischen den lateinischen und ungarischsprachigen Texten sind bisher größtenteils unerforscht geblieben. Die geistliche Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, die sich erzählender Texte bediente, kennt eine Reihe von neuen Autorenintentionen, Buchtypen, Entwicklungstendenzen und Gebrauchszusammenhängen. Ihre Untersuchung kann einen Beitrag zur genaueren Kenntnis der Entwicklung der weltlichen Kunstprosa, im besonderen der Gattungen der Kleinepik, leisten. Der traditionelle Charakter der geistlichen Literatur des Barock ist ein Topos der Literaturgeschichte, weniger bekannt hingegen sind die Versuche, die spätmittelalterlichen Formen mit den humanistischen zu vereinigen, die Formen, Gattungen und Vermittlungswege ihres Weiterlebens.8 Hier hat sich vor allem der Paradigmenwechsel in der Erforschung des literarischen Barock als günstig erwiesen, der mit dem Beginn der 70er Jahre einsetzte und in dessen Verlauf das ästhetisch-formale Paradigma durch literatursoziologische, kommunikationsstrukturelle und funktionale Herangehensweisen mit entsprechender Ausweitung des Textbegriffs und Einbeziehung gerade auch der geistlichen Gebrauchsliteratur abgelöst wurden. Ideologiekritische, rhetorikgeschichtliche, komparatistische und wirkungsgeschichtliche Aspekte traten in den Vordergrund, die sog. Hintergrundforschungen haben an Bedeutung gewonnen.9 Diese neuen Herangehensweisen bieten eine gute Möglichkeit für die Untersuchung der Strukturen literarischer Produktion, Rezeption und Kommunikation, des geschichtlich und gesellschaftlich Bedingten in der Literatur sowie der Transformationsprozesse in der literarischen Tradierung.10
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suchungen von Péter Bornemisza], Budapest 1984. - Magyar nyelvü halotti beszédek a XVII. szazadból [Ung. Leichenpredigten aus dem 17. Jh.], Hg. Gabor Kecskeméti. Einleitung Gâbor Kecskeméti und Hajnalka Novâky. Budapest 1988. Richard Newald: Die deutsche Literatur vom Späthumanismus zur Empfindsamkeit. München 1960,417. - Wolfgang Harms: Rezeption des Mittelalters im Barock. In: Deutsche Barockliteratur und europäische Kultur. Hg. Martin Bircher und Eberhard Mannack. Hamburg 1977, 23-52. Hans Robert Jauss: Paradigmenwechsel in der Literaturwissenschaft. Linguistische Berichte 3 (1969), 44-56. - Ders.: Irodalomtôrténet mint az irodalomtudomâny provokaciója [Lit.geschichte als Provokation der Lit.wissenschaft]. Helikon 26 (1980), 8-39. - Hans-Harald Müller: Barockforschung: Ideologie und Methode. Ein Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte 1870-1930. Darmstadt 1973. Hans Gerd Rötzer: Schwerpunkte der neueren Barockforschung. IASL 3 (1978), 167-179. René Wellek: Zur methodischen Aporie einer Rezeptionsgeschichte. In: Ge-
6 Die literaturgeschichtliche Forschung unserer Tage hat die geistliche Literatur des Barock und die Gattungen der Gebrauchsliteratur innerhalb dieser wieder in ihre Rechte gesetzt, eine Neudefinierung des »literarischen« Status der geistlichen Literatur ist im Gange.11 Daß die Beachtung der literarischen Gebrauchsformen in der rhetorikgeschichtlichen Forschung unerläßlich ist, braucht nicht besonders betont zu werden, da ein bedeutender Teil der Barockautoren gerade hier seine Begabung zeigen wollte. Selbst die bedeutendsten unter ihnen haben sich auf diesem Gebiet betätigt.12 Nach dem Ende der Herrschaft früherer Vorstellungen von der Autonomie poetischer Formen wissen wir heute, daß die Epoche der frühen Neuzeit die Unterscheidung einer »Gebrauchsliteratur« nicht gekannt hat: Zwischen den poetischen und den Gebrauchsformen gab es enge Verflechtungen, und zwischen den »literarischen« bzw. den Gebrauchs- oder wissenschaftlichen Texten ist nur schwer eine Grenze zu ziehen. Seit in der Literaturgeschichte die Untersuchung der den poetischen Formen zugrundeliegenden pragmatischen Zusammenhänge im Vordergrund steht, konnte sich die Auffassung etablieren, daß die pragmatischen Sprachhandlungen ein Quellgebiet der poetischen Formen darstellen.13 Predigt, Schauspiel, lyrische und epische Poesie zählen zu den relativ gut erforschten Gebieten der geistlichen Gebrauchsliteratur, die Untersuchung anderer Themen hingegen ist nicht weiter als bis zur Begriffsklärung vorgedrungen, die Erörterung gattungstheoretischer Fragen hat gerade erst angefangen. Eine konsequente Untersuchung des direkten Einflusses der Gebrauchsprosa auf die Poesie blieb bis jetzt aus, über die Voraussetzungen der im 18. Jahrhundert zunehmend volkssprachigen moralischen, didaktischen und Meditationsliteratur, über die Beziehungen zwischen geistlicher und
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schichte - Ereignis und Erzählung. Hg. Reinhart Koseleck und Wolf-Dieter Stempel. München 1973,515-517. - Der literarische Barockbegrift Hg. Wilfried Barner. Darmstadt 1975. Wolfgang Harms: Der Übergang zur Neuzeit und die Wirkung von Traditionen. Eröffnungsansprache des Präsidenten der Joachim Jungius-Gesellschaften der Wissenschaften. In: Der Übergang zur Neuzeit und die Wirkung von Tradition. Göttingen 1978, 7-14. Hier: 11-12. - Dieter Breuer: Deutsche Nationalliteratur und katholischer Kulturkreis. In: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Akten des I. Internationalen Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit. Hg. Klaus Garber. Tübingen 1989,701-715. - Ders.: Das Ärgernis der katholischen Literatur. Zur Geschichte einer Ausgrenzung. In: Europäische Barockrezeption. Hg. Klaus Garber. Wiesbaden 1991, 455-463. - Franz M. Eybl: »P. Abrahams und Kochems Wust.« Zur Ausgrenzung der populären geistlichen Literatur in der Aufklärung. In: ebd. 239-248. - Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Hg. Richard Alewyn. Köln - Berlin 21966. Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970, 78-80. Karlheinz Stierle: Geschichte als Exemplum - Exemplum als Geschichte. Zur Pragmatik und Poetik narrativer Texte. In: Geschichte - Ereignis und Erzählung (wie Anm. 10.) 347-375. Hier: 361.
7 weltlicher Erzählung wissen wir sehr wenig.14 Andererseits wird die Bedeutung der überwiegend lateinisch verfaßten stoizistischen, aszetischen und moralisierenden Literatur des 17. Jahrhunderts für die weitere Entwicklung schon dadurch bestätigt, daß »innerhalb der auch in Druck veröffentlichten ungarischen Literatur« auch noch in den Jahren zwischen 1750 und 1780 »die moralischen Meditationen überwogen« und die ungarische Literatur der Aufklärung ohne die moralische Literatur der sich verweltlichenden geistlichen Intelligenz schwer zu verstehen ist.15 In der früheren Forschung wurde die lateinische Literatur im Ungarn des 17. Jahrhunderts im Verhältnis zur humanistischen Literatur lange Zeit nicht entsprechend gewürdigt, obwohl in jener Zeit die lateinischsprachige Literatur eng mit der volkssprachigen zusammenlebte und der Entwicklungsgrad der letzteren entscheidend von der lateinischen Literatur und ihrer antiken und mittelalterlichen Voraussetzungen abhing und an neulateinische Schöpfungen anknüpfte.16 Parallel dazu setzte eine Umwertung der älteren evolutionistischen Auffassung von Literaturgeschichte ein; die bisherige Hierarchie der ästhetischen Normen wurde in Frage gestellt.17 Man erkannte immer mehr, daß die geistliche Literatur des Barock mehr als nur Gebrauchsartikel oder eine technische Vermittlerin ist und keine der volkssprachigen Literaturen ohne Rücksicht auf die lateinischen Texte und die internationalen Zusammenhänge angemessen zu verstehen ist. Dadurch wurde der Weg frei zur Erschließung der verschiedenen »marginalen« Gattungen und Publikationstypen der geistlichen Barockliteratur, die zum Gebrauch durch breitere Schichten bestimmt waren. Von herausragender Bedeutung für unser Thema ist, daß die Literaturgeschichte mit der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit auf den Gebieten der Gattungen, der epischen Handlung, 14
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Zsolt Alszeghy: Faludi Nemes ember-ének magyar rokonai [Ung. Parallele des »Edelmann's« von Faludi], It 32 (1943), 68-80. Ferenc Birö: A fiatal Bessenyei és irôbarâtai [Der junge Bessenyei und seine Schriftstellerfreunde]. Budapest 1976,5. - Ders.: A felvilâgosodâs korânak magyar irodalma [Ung. Lit. der Aufklärung]. Budapest 1994, 29-35. Lâszlô Szôrényi: Hunok és jezsuitâk. Fejezetek a magyarorszâgi latin hôsepika történetébôl [Hunnen und Jesuiten: Kapitel aus der Geschichte der lateinischen Heldenepik in U.]. Budapest 1993. - Andor Tamai: Lateinische Lyrik in Ungarn im 16-17. Jahrhundert. Acta Litteraria 1984,233-242. - Ders.: Latinsâg és magyarnyelvuség a régi magyar irodalomban [Latinität und ung. Sprache in der alten ung. Lit.]. In: A magyar nyelv és kultüra a Düna vôlgyében. 1. Kapcsolatok és kölcsönhatäsok a 18-19. szâzad fordulöjän. Hg. Jözsef Jankovics, Lâszlô Kösa, Judit Nyerges, Wolfram Seidler. Budapest-Wien 1989,256-261. - Römai szerzök 17. szâzadi magyar forditâsai [Ung. Übersetzungen von römischen Autoren aus dem 17. Jh.], Hg. Gâbor Kecskeméti. Budapest 1993. Günter Hess: Deutsche Nationalliteratur und oberdeutsche Provinz. Zu Geschichte und Grenzen eines Vorurteiles. JbfV 8 (1985), 7 - 30. - Vgl. Birö: A felvilâgosodâs (wie Anm. 15.) 7-22.
8 der Beziehungen zwischen Autor und Leser sowie des Verhältnisses zwischen Literatur und gesellschaftlich-kulturellen Strukturen begonnen hat.18 Das Verhältnis der ungarischen Literaturgeschichte zur Mündlichkeit wurde in der jüngeren Vergangenheit eine Zeit lang von dem prinzipiellen Standpunkt bestimmt, wonach die Ergebnisse der Mündlichkeit im 16. Jahrhundert in die Literatur eingegangen sind; mit den Worten: »von da an aber war die mündliche Dichtung kein organischer und unentbehrlicher Teil der literarischen Entwicklung mehr, und aus diesem Grund können wir von der Behandlung des Folklorematerials absehen, - wobei wir die auch später oft produktive Wechselwirkung zwischen Literatur und Folklore natürlich berücksichtigen müssen.«19 Unter Folklore versteht man die Kultur der illiteraten Schichten eines Volkes; ihre Erforschung ist Gegenstand der Folkloristik. Der Anspruch, daß »Literaturwissenschaft und Folkloristik einander unterstützen und so die Wirklichkeit möglichst klar widerspiegeln sollen«,20 wurde bereits in den späten 60er Jahren formuliert, und heute gilt als anerkannt, daß »eine Literaturtheorie, die das Material der Folklore auch im späteren 19. und 20. Jahrhundert berücksichtigt, besser ihren Zweck erfüllen kann«21 und »daß die Literaturgeschichte sich mehr als bisher auf die Ergebnisse der Folklore stützen muß«.22 Ohne die Kenntnis der literaturgeschichtlichen Zusammenhänge lassen sich die historischen Schichten der Folklore nicht durchleuchten, auf der anderen Seite können viele Erscheinungen der Literatur ohne die Erkenntnisse der vergleichenden Folkloristik nicht oder nur lückenhaft interpretiert werden. 18
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Lajos Katona: Az összehasonlito irodalomtôrténet föladatai [Aufgaben der vergleichenden Lit.geschieh te]. Budapesti Szemle 1900, 161-175. - Max Wehrli: Formen mittelalterlicher Erzählung. Aufsätze. Zürich-Freiburg i.Br. 1969. - Walter J. Ong: Orality and Literacy. The Technologizing of the Word. London-New York 1982. Paul Zumthor: Introduction à la poésie orale. Paris 1983. A magyar irodalom tôrténete 1600-ig [Geschichte der ung. Lit. bis 1600], Hg. Tîbor Klaniczay. Budapest 1964, 6. Béla Varjas: Irodalom és folklór hatârmezsgyéjén. (Vâzlat énekes epikânk életrajzâhoz) [An der Grenze zwischen Lit. und Folklore: Skizze zur Geschichte der gesungenen Epik in U.]. Helikon 1967, 27 -40. Hier: 40. Domokos Kosâry: Muvelôdés a XVIII. szâzadi Magyarorszâgon [Bildung in U. im 18. Jh.], Budapest 1980, 61. - Vgl. Andor Tarnai: Kosâry Domokos: Muvelôdés a XVIII. szâzadi Magyarorszâgon. Bp. 1980. Akadémiai K. 7581. [Rezension des vorigen Werkes], ItK 86 (1982), 363-370. Irodalom és folklór [Lit. und Folklore], Helikon 13 (1967), 1. (Themenheft) Bevezetés, 1. - Tekla Dömötör: Szâjhagyomâny és irâsbeliség a kôzépkori epikâban Magyarorszâgon [Mündliche Überlieferung und Schriftlichkeit in der mittelalterlichen Epik in U.]. In: Eszmetôrténeti tanulmânyok a magyar kozépkorról. Hg. György Székely. Budapest 1984,147-157. - Béla Varjas: Kôzépkori orâlis epikânk szerzöirôl [Über die Autoren der oralen Epik in U.]. In: ebd. 159-164. - Vilmos Voigt: A kôzépkori magyar epika néprajzi tâvlatai [Volkskundliche Perspektiven der mittelalterlichen Epik in U.]. In: ebd. 165-180. - Andor Tarnai: Szóbeliség és irâsbeliség a kôzépkori Magyarorszâgon [Mündlichkeit und Schriftlichkeit in U. im Mittelalter]. Korunk 1990, 492-499.
9 Unter dem Aspekt des Verhältnisses zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit wurde bisher die Gattung Erzählung von der Literaturgeschichte am häufigsten untersucht.23 Auch innerhalb der historischen Folkloristik bildet die Erzählforschung einen sich dynamisch entwickelnden Zweig; die Erforschung der Erzählliteratur des 16. bis 18. Jahrhunderts zählt zu den fruchtbaren Feldern der Zusammenarbeit zwischen vergleichender Literaturgeschichte und internationaler Folkloristik. Einer der Vorteile des in der Folkloristik vollzogenen Sichtwechsels besteht darin, daß nach den dichotomen Modellen, die auf der Differenzierung zwischen Volkskultur und Elitenkultur, zwischen volkstümlicher und Gelehrtenliteratur basierten, die Aufmerksamkeit der Forschung sich den Wechselwirkungen, Vermittlungsprozessen und Beziehungen zwischen mündlicher Kultur, volkstümlich-schriftlicher Literatur und Gelehrtenliteratur sowie den Übergangsprodukten zwischen Literatur und Folklore zugewandt hat.24 Parallel dazu wurde der Einfluß der Literatur auf die mündliche Tradition aufgewertet, man hat dem in der mündlichen Überlieferung weiterlebenden Legendenmaterial in Prosa mehr Beachtung geschenkt, und in der Interpretation der Folkloretexte traten die Beziehungen zwischen Literatur und mündlicher Überlieferung, die historischen Kommunikationsverhältnisse gegenüber der historisch-geographischen Methode in den Vordergrund.25 Es bedarf keines besonderen Beweises, daß die geistlichen Autoren eine wichtige Rolle bei der Entstehung und internationalen Verbreitung jenes aus Erzählungen und anderen Textformen bestehenden Materials gespielt haben, das seit der Aufklärung einen Gegenstand der volkskundlichen Forschungen darstellt.26 Die historische Erzählfor23
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Erzählforschung. 1 - 3 . Theorien, Modelle und Methoden der Narrativik. Mit einer Auswahlbibliographie zur Erzählforschung. Hg. Wolfgang Haubrichts. Göttingen 1976-1978. - Ong: (wie Anm. 18.) 139. Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981. Hg. Ludger Grenzmann - Karl Stackmann. Stuttgart 1984. - Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland. Hg. Wolfgang Brückner - Peter Bickle - Dieter Breuer. Wiesbaden 1985. - Lise Andries - Hans-Jürgen Lüsebrink: Etat présent des recherches et perspectives. XVIII siècle 18 (1986), 7-22. Hier: 8. (Themenheft: Littératures populaires.) Elfriede Moser-Rath: Volksfrömmigkeit im Spiegel der Barockpredigt. ZfV 65 (1969), 196-206. - Dies.: Gedanken zur historischen Erzählforschung. ZfV 69 (1973), 61-81. - Dies.: Die Fabel als rhetorisches Element in der katholischen Predigt. In: Die Fabel. Theorie, Geschichte und Rezeption einer Gattung. Hg. P. Hasubek. Berlin 1982, 59-75. - Dies.: »Lustige Gesellschaft«. Schwank und Witz des 17. und 18. Jahrhunderts in kultur- und sozialgeschichtlichem Kontext. Stuttgart 1984. - Dies.: Kleine Schriften zur populären Literatur des Barock. Hg. Ulrich Marzolph - Ingrid Tomkowiak. Göttingen 1994. - Ildikö Kriza: A legendaballada. Epikai-lirai alkotâsok az irodalom és a folklor hatârân [Die Legendenballade: Episch-lyrische Werke an der Grenze zwischen Lit. und Folklore]. Budapest 1982. Vgl. Tekla Dömötör: Kriza Ildikö: A legendaballada [Rezension des vorigen Werkes], It 1983, 975-979. Dietz-Rüdiger Moser: Die Tannhäuser-Legende. Eine Studie über Intentionalität
10 schung mißt eine besonders hohe Bedeutung der moralischen und hagiographischen Literatur jesuitischen Ursprungs bei, die zum einen unmittelbar für den Gebrauch durch das Laienpublikum bestimmt war, zum anderen als Quellenmaterial eine wichtige Vermittlungsrolle zu den Predigten erfüllte.27 Vom Ende des 16. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts ist die massenhafte Produktion religiöser Literatur eine gesamteuropäische Erscheinung, deren Bedeutung in der frühneuzeitlichen Geschichte, parallel zur intensiveren Beschäftigung mit den mittleren und unteren Schichten der Nationalkulturen, auch von der historischen, kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Forschung erkannt wurde.28 Die sozialgeschichtliche Analyse dieser Literatur beleuchtet nicht nur den Alltag des literarischen Lebens, die Beziehungen zwischen der Literatur und den verschiedenen gesellschaftlichen und kulturellen Institutionen, sondern ermöglicht uns, die Untersuchungen über die historische und gesellschaftliche Schichtung der Bildung sowie über die Geschichte des Buches und des Lesens mit den literaturgeschichtlichen Zielsetzungen im engeren Sinne zu verknüpfen.29 Mit der Beantwortung der Fragen nach Herstellung, Vermittlung und Rezeption schafft die Literaturgeschichte in diesem Zusammenhang die Grundlagen, auf denen die vielfältige gesellschaftliche und kulturelle Rolle der religiösen Literatur geklärt werden kann. Die früheren Forschungen zur Devotions- und Meditationsliteratur im Ungarn des 16. bis 18. Jahrhunderts haben gezeigt, daß die Veröffentlichungen auf diesem Gebiet vorwiegend Übersetzungen sind. Entsprechend der europäischen Praxis gelangten selbst die volkssprachigen Werke oft über ihre lateinischen Fassungen und/oder Übersetzungen aus anderen Volkssprachen ins Land.30 Besonders im deutschen Sprachgebiet sind zahlreiche Überset-
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und Rezeption katechetischer Volkserzählungen zum Buss-Sakrament. BerlinNew York 1977,13. Elfriede Moser-Rath: Predigt und Volksüberlieferung. In: Internationaler Kongress der Volkserzählungsforscher in Kiel und Kopenhagen 1959. Vorträge und Referate. Hg. Kurt Ranke. Berlin 1961, 206-213. Hier: 207-208. - Vgl. Hubertus Rauscher: Die Barockpredigten des Jesuitenpaters Wolfgang Rauscher. Diss. Phil. München 1973. - Marianne Kendler: P. Jacob Schmid S. J. Ein bairischer Hagiograph des 18. Jahrhunderts. München 1974. Rolf Reichardt: »Histoires des mentalités«. Eine neue Dimension der Sozialgeschichte am Beispiel des französischen Ancien Régime. IASL3 (1978), 130-166. Stadt - Schule - Universität - Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. Vorlagen und Diskussionen eines Barock-Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1974 in Wolfenbüttel. Hg. Albrecht Schöne. München 1976. Jenö Koltay-Kastner: XVII. és XVIII. szâzadi olaszböl forditott vallâsos müveink [Aus dem Italienischen übersetzte geistliche Lit. im 17. und 18. Jh.]. EPhK 51 (1927), 24 - 31. - Andor Tarnai: Lateinische Übersetzungen französischen Schrifttums im Ungarn des 18. Jahrhunderts. In: Acta conventus neo-latini Amstelodamensis. München 1979, 976-982. - Istvän Bitskey: Lépes Bâlint és az olasz »seicento« stflus [Bâlint Lépes und der italienische »seicento«-Stil]. In: Klaniczay-emlékkônyv. Tanulmânyok Klaniczay Tibor emlékezetére. Hg. Jözsef Jankovics. Budapest 1994, 334-343. - Imre Vörös: Hazai francia-magyar forditâsirodalmunk a
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zungen aus dem Lateinischen entstanden, die dann zum Teil als Grundlage für Übersetzungen ins Ungarische dienten.31 Die Werke der spanisch-italienischen Mystik und Aszetik des Barock kamen z. B. teilweise durch deutsche Vermittlung nach Ungarn.32 Direkte Übersetzungen sind aber nur eine Form der internationalen Literaturbeziehungen. Seit den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts sind immer mehr selbständige oder zum Teil selbständige Werke entstanden, die eine wichtige Rolle in der Vermittlung des internationalen Erzählmaterials, der verschiedenen Stilrichtungen, Ideen und Ideensysteme gespielt haben. Hier liegt die Erklärung dafür, daß das ungarische Material im Hinblick auf die Gattungs-, Inhalts-, Kompositions- und Stilmerkmale gleichermaßen seine europäischen Parallelen und Vorbilder hat. Die Unterschiede lassen sich durch die lokalen historischen und gesellschaftlichen Umstände erklären. Die ungarischen Varianten der Gattungen und Publikationstypen erfüllten dann ihrerseits oft eine Vermittlungsrolle zu den entsprechenden Gattungen und Publikationstypen der benachbarten Völker, der Tschechen, Polen, Slowaken und Kroaten. Hieraus wiederum folgt, daß man neben der inneren, autochtonen Entwicklung der geistlichen Literatur Ungarns und den internationalen Einflüssen auf sie auch die Frage untersuchen muß, ob und welche Werke ungarischer Provenienz Eingang in das gesamteuropäische literarische und religiöse Bewußtsein gefunden haben. Den umfangreichen, bisher nur teilweise untersuchten Textkorpora der verschiedenen Ordensliteraturen kommt heute eine immer wichtigere Rolle bei der Rekonstruktion der literarischen und kulturellen Prozesse zu. Vor allem der moralischen und Meditationsliteratur der Jesuiten wird eine überragende Stellung zugeschrieben. In der älteren Forschung wird meist als Tatsache behandelt, daß die jesuitische Literatur in ihrer Ganzheit dem gesellschaftlichen Engagement, der Erziehung und der ideologischen Mission verpflichtet war und dadurch die Entwicklung der schöngeistigen Literatur in erheblichem Maße gehemmt habe. Die Erschließung neuer Quellen führte jedoch zu einer allmählichen Umwertung der historischen Rolle der Jesuiten in den politischen Auseinandersetzungen der ungarischen Stände wie in der
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korai felvilägosodäs idöszakäban [Ung. Übersetzungen aus dem Französischen in der Frühaufklärung]. Kandidaturdissertation. Budapest 1978. Tivadar Huenemann: XVI. es XVII. szäzadi irodalmunk nemet eredetü müvei. I III [Aus dem Deutschen übersetzte literarische Werke im 16. und 17. Jh.]. ItK 32 (1922), 63 - 92, 33 (1923), 22-33,143-156. Jözsef Turöczi-Trostler: Kereszteny Seneca. Fejezetek a kesei humanizmus euröpai 6s magyarorszägi törteneteböl [Christlicher Seneca: Kapitel aus der Geschichte des Späthumanismus in Europa und in U.]. In: Ders.: Magyar irodalom - vilägirodalom. Tanulmänyok. II. Budapest 1961, 156 - 218. Hier: 164. - Vgl. Georg Schreiber: Deutschland und Spanien. Volkskundliche und kulturgeschichtliche Beziehungen. Zusammenhänge abendländischer und ibero-amerikanischer Sakralkultur. Düsseldorf 1936, 357-364.
12 Entwicklung der Geschichtsauffassung. 3 3 Ihre kultur- 34 und kunsthistorische Bedeutung wurde in neues Licht gerückt, 3 5 das Bild von der Rolle des Ordens in der Entwicklung der literarischen Bildung wurde differenzierter. 3 6 D e m n a c h kommt d e m Erziehungs- und Literaturprogramm der Jesuiten, das am E n d e des 16. Jahrhunderts im Geist der lateinisch-humanistischen Bildung festgelegt wurde und der jesuitischen Latinität eine vorbildhafte, geschmacksprägende Wirkung zu; die führende Rolle der jesuitischen Intelligenz in Ungarn läßt sich bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verfolgen. 3 7 Zur Reorganisation des religiösen Lebens haben die Jesuiten die neuen literarischen Bestrebungen, wie Argutia-Poetik und Emblematik, nach Ungarn verpflanzt. Ihr Beitrag zur geistlichen Literatur des Barock ist nicht weniger bedeutend als der zur bildenden Kunst. D i e hochadelige Literatur des Barock hat sich besonders viel von dem Textmaterial, dem Geist und den Tendenzen der Jesuitenliteratur angeeignet. Heute wissen wir, daß die 33
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Wolfgang Reinhard: Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters. Archiv für Reformationsgeschichte 68 (1977), 226-252. - Les Jésuites parmi les hommes aux XVI e et XVII e siècles. Actes du colloque de Clermont-Ferrand (avril 1985). Publiés par G. et G. Demerson, B. Dompnier et A. Regond. Clermont-Ferrand 1987. - Ladislaus Lukâcs: Monumenta antiquae Hungariae. I-IV. Romae 1969-1987. - Ders.: A független magyar jezsuita rendtartomâny kérdése és az osztrâk abszolutizmus (1649-1773) [Die Frage der unabhängigen ung. Jesuitenprovinz und der österreichische Absolutismus]. Szeged 1989. Mon. paed. - Arno Seifert: Der jesuitische Bildungskanon im Lichte zeitgenössischer Kritik. Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 47 (1984), 43-75. - Ilona Pavercsik: A kassai könyvek ütja a nyomdatöl az olvasöig [Der Weg der Bücher von Kaschau vom Drucker zum Leser]. Budapest 1992. Géza Galavics: A györi barokk mûvészet kezdetei [Die Anfänge der Barockkunst in Raab]. Ars Hungarica 1 (1973), 97-126. - Ders.: Késôreneszânsz és korabarokk [Spätrenaissance und Frühbarock]. In: Mûvészettôrténet - tudomânytôrténet. Hg. Nora Aradi. Budapest 1973,41-90. - Ders.: Hagyomâny és aktualitâs a magyarorszâgi barokk muvészetben - XVII. szàzad. (A barokk képzômuvészeti tematika helyi elemei) [Tradition und Aktualität in der ung. Barockkunst - 17. Jh.: Lokale Elemente in der Thematik der Kunst]. In: Magyarorszâgi reneszânsz és barokk. Hg. Géza Galavics. Budapest 1975, 231-277. - Richard Bösel: Jesuitenarchitektur in Italien (1540-1773). Teil I: Die Baudenkmäler der Römischen und der Neapolitanischen Ordensprovinz. Bd. 1 - 2 . Wien 1986. Lâszlo Szôrényi: A jezsuitâk és a honfoglalâsi epika fordulata [Die Jesuiten und die Wende in der Epik über die ung. Landnahme]. In: Irodalom és felvilâgosodâs (wie Anm. 5), Budapest 1974, 567 -645. - Ders.: Hunok és jezsuitâk (wie Anm. 16). Staud - Jezsuita iskoladrâmâk (Ismert szerzök) [Jesuitendramen: Bekannte Autoren]. Hg. Zsoltné Alszeghy - Katalin Czibula - Imre Varga. Budapest 1992. Astrid Jahreiss: Grammatiken und Orthographielehren aus dem Jesuitenorden. Eine Untersuchung zur Normierung der deutschen Schriftsprache in Unterrichtswerken des 18. Jahrhunderts. Heidelberg 1990. Andor Tarnai: Egy tibetinek âlcâzott laikus erkölcstan a XVIII. szâzadi magyar irodalomban [Eine als tibetisch verkleidete Sittenlehre für Laien in der ung. Lit. des 18. Jh.s], ItK62 (1958), 177-186. - Ders.: Pax Aulae. ItK72 (1968), 273-283. Hier: 278.
13 soziale Schichtung der katholischen geistlichen Barockliteratur wesentlich differenzierter als in jener früheren Vorstellung war, derzufolge diese Literatur, von den bürgerlichen Leserschichten nicht unabhängig, in zwei große Kategorien zerfiel: in eine im Rahmen der höfischen Literatur, vorwiegend auf dem Boden jesuitischer Bildung entstandene, und in eine mehr volkstümliche, die sich hauptsächlich aus franziskanischer Schulung nährte. 38 Nur wenig wissen wir hingegen über die Integration der traditionellen erzählerischen und sonstigen Gattungen in die moralische und Meditationsliteratur der Jesuiten sowie darüber, ob diese Literatur die Entwicklung der weltlichen Prosa beeinflußt hat und wenn ja, wie und in welchem Maße.
Definitionsversuche Die vorliegende Untersuchung erfordert einen im Grunde genommen deskriptiven Literaturbegriff, der offen ist gegenüber der ganzen literarischen Produktion des 17. Jahrhunderts und der mit ihr in ständiger Wechselwirkung stehenden Mündlichkeit sowie den Ergebnissen der historisch-folkloristischen Erzählforschung. Dieser »poststrukturalistische«, auf den Ergebnissen der diskurstheoretischen Forschungen beruhende Literaturbegriff betont den Prozeß der literarischen Kommunikation und setzt die Unterscheidung zwischen »Literarischem« und »Nichtliterarischem« außer Kraft. 39 Er untersucht das Verhältnis zwischen der Literatur und den traditionell als nichtliterarisch betrachteten Grenzgattungen, ihre Typologie, die mündlichen und bildlichen Formen des »Literarischen« und bevorzugt die funktionale Auffassung der Literatur als einer gesellschaftlichen Institution. 40 Diese Auffassung steht in Einklang mit dem Literaturverständnis des 17. Jahrhunderts, in dem 38
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A magyar irodalom torténete 1600-tól 1772-ig [Geschichte der ung. Lit. von 1600 bis 1772]. Hg. Tibor Klaniczay. Budapest 1964,215. - Vgl. Èva Knapp: Irodalomkinälat és muvel6dési program a barokk kori tärsulati kiadvänyokban [Lit.angebot und Bildungsprogramm in den Bruderschaftspublikationen der Barockzeit], MKsz 109 (1993), 3 - 3 6 . Hier: 2 9 - 3 0 . Tzvetan Todorov: The Notion of Literature. New Literary History 5 (Autumn 1973), 1, 5 - 1 6 . - Helmut Hauptmeier - Siegfried J. Schmidt: Einführung in die empirische Literaturwissenschaft. Braunschweig-Wiesbaden 1985. - Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Hg. Jürgen Fohrmann - Harro Müller. Frankfurt/M. 1988. Vgl. Ferenc Odorics: Uj paradigma-e az empirikus irodalomtudomäny [Stellt die empirische Lit.wissenschaft ein neues Pardigma dar]? Helikon 35 (1989), 4 - 2 2 . József Szili: Az irodalomfogalmak rendszere [Das System der Lit.begriffe], Budapest 1993,184-185. - György Kälmän C : Beszédaktus-elmélet és irodalomelmélet. Bevezetö és bibliogräfia [Sprechakttheorie und Lit.theorie: Einführung und Bibliographie], Helikon 29 (1983), 128-151. Tzvetan Todorov: Les genres du discours. Paris 1978. - Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Hg. Jürgen Fohrmann und Harro Müller. Frankfurt/M. 1988. Robert Escarpit: Irodalom és tärsadalom [Lit. und Gesellschaft], Helikon 17 (1971), 15-22.
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sich Wissenschaft und schöngeistige Literatur in modernem Sinne immer wieder mischen und die Volkssprache sowie autonome literarische Äußerungen noch entbehrliche Komponenten sind. In diesem Begriff der Literatur sind, entsprechend der damaligen literarischen Produktion, die historischen und geographischen Werke, Episteln, Epitaphien, Beispielsammlungen und Mirakeltexte ebenso enthalten wie etwa die Produkte der Pamphlet-, Legenden-, Predigt- und Emblemliteratur, die Inschriften der Votivbilder, die moralischen und Meditationswerke oder die Kirchenlieder.41 Eine nähere Bestimmung der literaturgeschichtlichen Stellung der geistlichen Barockliteratur wurde lange Zeit dadurch erschwert, daß eine Gattungstypologie der geistlichen Literatur, die Beschreibung der sekundären Gattungen und die Erschließung des Beziehungssystems zwischen den Gattungen fehlten. Geschichte und Theorie der geistlichen Gattungen sind ungeklärt; wir wissen nicht, welche von den hier angesiedelten Werken eine Rolle in der Entwicklung der Literatur gespielt haben, und auch die Beziehungen der geistlichen Gattungen zur Kultur der unteren Schichten der Gesellschaft blieben bis jetzt zum großen Teil ebenfalls im Dunkeln. In den letzten Jahrzehnten nahm jedoch das Interesse für die den breiteren Schichten zugedachten Grenzgattungen und Publikationstypen in der geistlichen Literatur des 17./ 18. Jahrhunderts erheblich zu.42 Infolge der allgemeinen Krise der traditionellen Gattungstheorien und der ästhetischen Wertung verloren die als universell anerkannten gattungstheoretischen Idealtypen und Klassifikationssysteme allmählich an Gültigkeit, neue gattungstheoretische und kommunikationsgeschichtliche Perspektiven traten hervor.43 Inzwischen haben sich, wie gezeigt,
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Vö. Hans Pörnbacher: Literatur und Theater von 1550-1800. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. 2: Das alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Hg. Max Spindler. München 1969, 848-883. Tibor Klaniczay: Régi magyar irodalom és folklór [Alte ung. Lit. und Folklore]. It 38 (1949), 205-215. - Vilmos Voigt: A folklorisztika és a modern irodalomtudomány kapcsolatai [Die Beziehungen der Folkloristik zu der modernen Lit.wissenschaft]. In: Irodalomtudomány. Tanulmányok a XX. századi irodalomtudomány irányzatairól. Hg. Lajos Nyirö. Budapest 1970, 539-569. - A megváltozott hagyomány. Folklór, irodalom, müvelodés a XVIII. században [Die veränderte Tradition: Folklore, Lit. und Bildung im 18. Jh.]. Hg. Lajos Hopp, Imola Küllös, Vilmos Voigt. Budapest 1988. - A mai nemzetközi folklorisztika [Die internationale Folkloristik heute]. Helikon 36 (1990), 1. (Themenheft) - Kozkoltészet, népi kultúra a XVI-XVII. században [Gemeinschaftsdichtung und Volkskultur im 16./17. Jh.], ItK 96 (1992), 5 - 6 . (Themenheft) - Vilmos Voigt: A komparativ folklorisztika ma [Die vergleichende Folkloristik heute]. Literatura 19 (1993), 218-224. Werner Welzig, Vom Nutzen der geistlichen Rede. Beobachtungen zu den Funktionshinweisen eines literarischen Genres. IASL 4 (1979), 1-23. - Predigt und soziale Wirklichkeit. Hg. Werner Welzig. Daphnis 10 (1981), 1. (Themenheft) - Katalog gedruckter deutschsprachiger katholischer Predigtsammlungen. I—II. Hg. Werner Welzig. Wien 1984-1987. - Vgl. Dan Ben-Amos, Do We Need Ideal lypes (in Folklore)? An Address to Lauri Honko. liirku 1992. (NIF Papers No. 2) 21-22.
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die Umrisse einer neuen Gattungsdefinition und -theorie abgezeichnet, die hier weiterverfolgt werden sollen. Im Gegensatz zur klassischen, aus der antiken Tradition stammenden normativen Poetik definiert die moderne, induktiv-deskriptive Poetik die literarischen Gattungen nicht als ideale Urformen, sondern als pragmatische Ordnungsbegriffe für die Vielfalt der real existierenden Texte, die voneinander weder formal noch inhaltlich unabhängig sind, sich immer auf andere Texte beziehen, aus ihnen entstehen und sich von ihnen abgrenzen.44 Im Sinne dieser Definition sind die Gattungen Mitteilungsvarianten oder Kommunikationssysteme, die sich unter bestimmten historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen aktualisieren 45 Nach den Erkenntnissen der pragmatischen texttheoretischen und der neueren rhetorischen Forschungen »sind die Strukturen der literarischen Gattungen funktionelle Varianten der Struktur der sprachlichen Kommunikation«.46 Ihre grundlegende Eigentümlichkeit folgt aus der Funktion der Texte und der Mitteilung: sie organisiert die Struktur der Gattungen, sie bestimmt das Verhältnis der Bedeutung der Texte zu der anderer Texten. Die wichtigste Aufgabe der empirischen Gattungsforschung besteht darin, diese Bedeutung und das hinter ihr versteckte Regelsystem ausfindig zu machen, die Formsprache zu erschließen, die funktionale Verteilung der Texte, ihre gegenseitige Koordination, die Formen und Funktionen der Aktualisierung sowie Formen und Bedingungen der Rezeption zu klären. Statt einer Verallgemeinerung der bestehenden gattungstheoretischen Terminologien müssen die Gattungsbezeichnungen der untersuchten Epoche mehr als bisher berücksichtigt werden, die Ergebnisse müssen mit den gattungsbezogenen Kommentaren der Benutzer dieser Formen in Einklang gebracht werden, schließlich müssen anstelle der Konstruktion und Anwendung von »zivilisierten« Gattungen und idealen Gattungskategorien die »realen« (empirischen, partikularen) Gattungen beschrieben werden. Nicht mehr eine oder mehrere Gattungen bilden den Gegenstand der Forschung, sondern ein bestimmtes Ausdrucksgebiet in seiner Ganzheit. Das Ziel der Forschung besteht nicht in einer isolierten Untersuchung der ähn44
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Fritz Peter Knapp: Mittelalterliche Erzählgattungen im Lichte scholastischer Poetik. In: Exempel und Exempelsammlungen. Hg. Walter Haug - Burghart Wachinger. Tübingen 1991, 1-22. Hier: 1. Lauri Honko: Gattungsprobleme. In: EM 5,744-769. Hier: 761-763. - Vgl. Mihail Bahtyin: A beszed müfajai [Die Gattungen der Sprache]. In: Tanulmänyok az irodalomtudomäny köreböl. Hg. Zoltän Kanyö - Istvän Siklaki. Budapest 1988, 246282. Tsefania Skwarczynska: A genolögia egy felreismert alapproblemäja [Ein missverstandenes Grundproblem der Genologie]. Helikon 19 (1973), 1, 52-64. Hier: 5 8 59. - Marie-Laure Ryan: Toward a competence theory of genre. Poetics 8 (1979), 3, 307-337. Hier: 311-312. - Vgl. Dieter Breuer: Einführung in die pragmatische Texttheorie. München 1974. - Heinrich F. Plett: Zur Systematik, Pragmatik und Ästhetik der >ElocutioOur Way of Proceeding?< Leiden-New YorkKöln 1996. - The Reckoned Expense. Edmund Campion and the Early English Jesuits. Essyas in Celebration of the First Centenary of Campion Hall, Oxford (1896-1996). Ed. Thomas M. McCoog. Woodbridge 1996. Ebd. 120-123. Ebd. 514-515, 351-358. S. Anm. 86. ARSI Austr. 29. Cat. primus p. 103. f. 140r. no. 15. - Austr. 28. Cat. primus p. 110. f. 65r. no. 19.
121 Entsendung in die chinesische Mission. 9 3 U m seine Bitte zu begründen, zählte er im ersten Brief zehn Argumente auf, im zweiten bot er zehn Verpflichtungen an. D i e Argumente und Verpflichtungen sind für sein D e n k e n gleichermaßen typisch, darum lohnt es sich, sie zu zitieren. D i e Argumente sind kurz: 1. Seine Absicht sei von Gott; 2. Er habe sie lange Zeit gründlich überlegt; 3. Er sei ohne eigene Bitte nach R o m geschickt geworden und sei mit Pater Trinckel zu diesem Entschluß gekommen; 4. Mit Ungarn verbinde ihn nichts; 5. Im Gespräch mit Gott und Maria spüre er, daß dies der Wille Gottes sei, 6. Für die ungarische Mission spüre er keine Berufung; 7. Seine Sehnsucht sei seit langer Zeit unverändert; 8. Während des Messelesens habe er das Wort Christi gehört, das seine Absicht gestärkt habe (das ist zugleich ein Hinweis auf die Vision des Hl. Ignatius von La Storta); 9. Er glaube, daß er für die Mission prädestiniert sei; 10. Er beruft sich auf seine frühere Bitte und auf ihre Ablehnung, sowie auf die Mission eines »Ungarn von Buda« vor dreihundert Jahren in China. Nádasi wies damit vermutlich auf die legendenhafte Geschichte von Máté Eskandeli hin, den die jesuitische Hagiographie seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts zu den Vorgängern des Hl. Franz Xaver in der Missionstätigkeit zählte. 9 4
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ARSI Rom. 117. 309r-311r. Die Auflösung des Hinweises verdanke ich Läszlö Szörenyi. - Die Geschichte des Mate Eskandeli, der in Buda (Ofen) geboren war, später mehrere Jahre lang als Eremit auf dem Berg Sion lebte und anschließend in Indien und China missionierte, wo er zuletzt umgebracht wurde, wird unseres Wissens nach in der wiederholt aufgelegten und übersetzten Franz-Xaver-Biographie des Joannes Lucena zum ersten Mal vorgetragen (De vita S. Francisci Xaverii, 1. Ausgabe Lissabon 1600, lib. 10, cap. 24.); Pierre du Jarric bringt sie in seiner Geschichte der Indienmissionen unter Berufung auf Lucena (Thesaurus rerum Indiarum, tom. II, Coloniae 1615, 672673.). Mit Verweisen auf die beiden Quellen steht die Geschichte in den Annales von Melchior Inchofer bei dem Jahr 1009 (Ausgabe 1797, tom. I, vol. III, 366-367). In seinem Werk Hebdomada SS. Ignatii et Xaverii (Coloniae 1668) weist Nädasi wiederholt auf die Franz-Xaver-Biographie von Lucena hin, und da Inchofers Werk 1641 als fertiges Manuskript vorlag, konnte Nädasi, wie sein weiter unten beschriebener Brief vom 18. Januar 1659 bestätigt, sowohl den Autor als auch sein Werk bereits während seines ersten Romaufenthalts kennenlernen. Die Geschichte von Mate Eskandeli findet sich nicht nur in der hagiographischen Literatur der Jesuiten, sie wird auch in der von Andreas Eggerer verfaßten Geschichte des Paulinerordens, hier nach Lucena und Jarric, erzählt (Fragmen panis corvi protoeremitici, Viennae 1663, 58-59.). Gabor Hevenesi nahm die Erzählung in seine Zusammenstellung über die Heiligen und Seligen Ungarns ebenfalls auf, und zwar mit der vollständigen Auflistung der früheren Quellen (Ungariae sanctitatis indicia, Tyrnaviae 1692, 148-149.). Neben ihm sollte noch György Pray erwähnt werden, der in seiner handschriftlichen Quellensammlung anhand einer 1399 verfaßten päpstlichen Urkunde zur Bewilligung der Pilgerfahrten ins Heilige Land auf die Geschichte eingeht. Pray kritisiert Inchofer und kommt nach dem Vergleich der verschiedenen Quellen und Zeitangaben zum Schluß, daß die Erzählung eher auf die Zeit von König Sigismund als auf die von Stephan dem Hl. zu datieren sei. Es zeugt für die Kontinuität des jesuitischen Interesses für die ungarische Urgeschichte, wenn Pray bemerkt: Eskandeli dürfte an den Grenzen Chinas nach der ungarischen Sprache Kundigen oder
122 Die Verpflichtungen, die Nädasi im Interesse seiner Entsendung in die Mission im zweiten Brief anbietet, sind die folgenden: 1. Er faste acht Tage lang; 2. Vor der Seereise faste er am vierten Tag der Woche, am sechsten Tag lebe er bei Wasser und Brot, samstags halte er ein Vollfasten; 3. Er schlafe oft auf bloßem Brett, wie auch in diesem Jahr; 4. Er lese hundert Messen für die armen Seelen; 5. Er bete tausend Rosenkränze; 6. Er lese fünfzig Messen für die Toten nach der Intention des Generals; 7. Er wallfahre als Bettler nach Loreto; 8. Samstags faste er und bete soviele Rosenkränze wie nur möglich; 9. Für Ungarn lese er sein ganzes Leben lang monatlich mindestens eine Messe; 10. Er bitte um die Meinung des Generals und verspreche Gehorsam. Eine schriftliche Antwort des Generals ist unbekannt, sie war aber aller Wahrscheinlichkeit nach wieder negativ. Nädasi mußte den Gedanken endgültig aufgeben; der Missionsplan nach Übersee kam im Laufe seines weiteren Lebens nicht mehr vor. Rektor des Collegium Romanum war in den Jahren 1640-1642 Giovanni Stefano Menocchio, der mehrere exegetische Schriften verfaßte; Studienpräfekt war bis 1642 Joannes de Alvarado, in den Jahren 1642-1643 Antonius Mangili, Kommentator von Aristoteles und Thomas v. Aquin. Die scholastische Theologie wurde in diesen Jahren von Antonius Casiglio, Joannes Fioravanti und Alexander Gottifredi, die Theologia moralis von Vincentius Aranea und Ludovicus Leti,95 die Metaphysik von Pietro Sforza Pallavicino96 unterrichtet. Gottifredi wurde 1652 zum General gewählt, und er war es, der Nädasi später, 1651, nach Rom holte. Unter den Theologieprofessoren gab es keine herausragenden Persönlichkeiten, alle vertraten die traditionelle Richtung des Suärez. Zu den feierlichen Ereignissen im Leben des Kollegs zählten unter anderem der Besuch von Papst Urban VIII. aus Anlaß des Zentenariums der Gesellschaft am 8. August 1640 sowie eine öffentliche Disputation in Logik, die vom Verwandten des Kardinals Rospigliosi, Girolamo Rospigliosi, am 5. September 1641 vor 75 Prälaten abgehalten wurde.97 Vor Beendung des Theologiestudiums, vermutlich nach dem dritten Jahr, wurde Nädasi zum Priester geweiht. Nach dem Abschluß seiner Studien in Rom, wahrscheinlich 1642, verteidigte er die vorgeschriebenen Thesen in ei-
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nach Ungarn (»Hungarica linguae gnaros, seu Hungaros«) gesucht haben, was die Vorstellungen über die Herkunft der Hunnen bestätige (»de Hunnorum origine confirmât«). EK Coll. Pray, Tom. I. 80r-80/a/r. - Vgl. Istvân Vâsâry: A jezsuita Cseles Mârton és a Julianus-jelentés. (A Magna Hungaria- és a Jugria-kérdés tôrténetéhez) [Der Jesuit Mârton Cseles und der Julianus-Bericht: Zur Geschichte der Magna Hungaria- und der Jugria-Frage]. In: Kôzépkori kütföink kritikus kérdései. Hg. Jânos Horvâth - György Székely. Budapest 1974, 261-275. - Istvân Vâsâry: Az ôstôrténész Pray [Der Urgeschichtler Pray]. ItK 83(1979), 287 -292. Villoslada: (wie Anm. 4.) 222, 322 - 336. Vgl. Villoslada: (wie Anm. 4.) 224 - 225. Ebd. 269, 275 -276.
123 ner öffentlichen Disputation erfolgreich. 98 Von Rom ging er wieder nach Leoben, wo er 1643 das dritte Probationsjahr mit den vorgeschriebenen dreißigtägigen Exerzitien, den beiden täglichen Meditationen, dem Lesen des Breviers und geistlicher Lektüren absolvierte. 99 Das wichtigste Ziel dieser Periode bestand in der Vertiefung in den Geist des Ordens durch das Studium der Ordensstatuten, der Exercitia spiritualia und der Bibel sowie in der Selbstbildung. Rektor in Leoben war nach wie vor Matthias Kolnik, Instruktor des Tertiorats Stephanus Eder, der zugleich zu den Beichtvätern des Kollegs gehörte. Im Tertiorat studierten insgesamt 27 Jesuiten, unter ihnen der bereits erwähnte Adamus Aboedt sowie mehrere ungarische Ordensmitglieder, z.B. Ferenc Topos, Jänos Väsärhelyi, Mihäly Ujväry und Miklös Dombay. 100
Lehr- und Missionstätigkeit in Ungarn (1644-1651) Nach Abschluß seiner Studien kehrte Nädasi 1644 aus Leoben in seine Heimatstadt Nagyszombat zurück. Er wohnte im Kolleg und begann seine siebenjährige Lehr- und Seelsorgetätigkeit. Als Kanzler stand zu dieser Zeit Märton Palkovich der Universität vor, Dekan der theologischen Fakultät war der Olmützer Professor Joannes Weyer. Nädasi unterrichtete zuerst Poetik und Logik, außerdem war er lateinischer Prediger und Dekan der Fakultät der Humaniora (decanus linguarum) sowie Aufseher der Studenten in den Pausen zwischen den Vorlesungen (praefectus atrii). 101 Von seinen Kollegen an der theologischen Fakultät sollte aus dieser Zeit Gäspär Filz erwähnt werden, der 1644-1645 Professor der Kasuistik war und später auf dem Gebiet der Literatur für Seelsorger eine bedeutende Tätigkeit entfaltete. 102 Unter den Schülern von Nädasi tauchen in diesen Jahren mehrere Mitglieder der Magnatenfamilie Esterhäzy auf: Gäspär, Mihäly, Laszlö und Zsigmond. 103 1645 ist er Professor der Logik 104 und darf mit Sondererlaubnis auch als Präzeptor tätig sein: Dem einige Jahre später im Kampf gegen die Türken gefallenen Laszlö Esterhäzy gibt er Privatunterricht in Philosophie. 105 Im selben Jahr schrieb Nädasi das Elogium zur Begräbnisfeier des am 11. September verstorbenen Palatins (d.h. des Stellvertreters des Königs von Un98 99 100 101 102 103 104
105
FKP Ms. 118.D.10.1 la. - Vgl. Öry: (wie 1/2, Anm. 34.) 127-128. ARSI Austr. 125.1. 1643: p. 9 (30v). - Vgl. Öry: (wie 1/2, Anm. 34.) 140-142. Cat. pers. Prov. Austr. III 68. ARSI Austr. 28. Cat. primus p. 110. £ 65r. no. 19. - Austr. 125. I. 1644: p. 17 (52r). Hermann - Artner: (wie Anm. 67.) 60. Matricula Universitatis (wie Anm. 18.) 48-49. ARSI Austr. 125.1. 1645: p. 9 (74v). - Vgl. Karl A. F. Fischer: Die Kaschauer und lyrnauer Jesuiten-Universitäten im 17. und 18. Jh. Namenslisten der Professoren. Ungarn-Jahrbuch 15 (1987), 117-185. Hier: 150. FKP Ms. 118.D.10.1 la.
124 garn) Nikolaus Esterhäzy, bei der Nädasis bereits erwähnter Kollege und Ordensbruder Istvän Keresztes die Leichenrede hielt.106 Läszlö Revay zeichnete in seinem Tagebuch auf, daß beim Tod des Palatins neben Tamäs Jäszberenyi und dem Pfarrer von Nagyhöfläny auch Nädasi anwesend war.107 All das weist darauf hin, daß Nädasi neben Mätyäs Hajnal, György Forrö, Istvän Keresztes, Istvän Kolosväry und György Dobronoki, dem einstigen Sekretär Päzmänys, zur engsten geistlichen Umgebung des Palatins gehörte.108 Die Begräbnisfeier fand am 11. November in der Jesuitenkirche von Nagyszombat statt. Die Totenmesse wurde von Jänos Telegdi, Erzbischof von Kalocsa, gelesen, das Elogium Nädasis über Leben und Taten des Verstorbenen wurde nach der Messe vor dem Katafalk verlesen. Laut Zeugnis seiner Oberen waren Nädasis geistige Fähigkeiten zu dieser Zeit »besser als mittelmäßig«, seine Urteilskraft gut, seine Kenntnisse »kaum reif«, seine Erfahrungen »noch nicht groß«, sein wissenschaftlicher Fortschritt »besser als mittelmäßig«, seine Natur cholerisch-sanguinisch. Er wurde für den Unterricht der Humaniora und in den höheren Klassen, für das Amt des Predigers, sowie zu gegebener Zeit für die Oberenlaufbahn als geeignet befunden. 109 In dieser Periode war er vier Jahre lang ununterbrochen ungarischer Prediger, sowie für kürzere Zeit Professor der Kasuistik, Hauskonsultor und Bibliothekar.110 Im Leben des Kollegs von Nagyszombat sind nach den Litterae annuae in den Jahren zwischen 1644 und 1646 mehrere entscheidende Ereignisse eingetreten, die als Hintergrund für die Tätigkeit Nädasis dienen können. Am 1. April 1644 ließ György Räköczi, Fürst von Siebenbürgen, den Unterricht im Kolleg unterbrechen und die Studenten wegschicken. Einige Professoren gingen nach Trencsen, wo sie predigten und Missionen durchführten. Der Unterricht und das Bruderschaftsleben wurden erst im November fortgesetzt. Am 28. Mai 1645 brach das Heer Räköczis mit den schwedischen Truppen in die Stadt ein. Die Jesuiten baten den Fürsten um Schutz, den er ihnen versprach. Die Zahl der Kollegbewohner änderte sich in dieser Zeit wegen des Kriegszustandes und der Pest ständig. 1646 zählte das Kolleg mehr als dreihundert Bewohner, weil die Ordenshäuser der Jesuiten in Türöc und Sellye infolge des schwedischen Einfalls im Jahr zuvor aufgelöst wurden. Die Litterae annuae verzeichnen zudem die Aufführung eines Schuldramas und 106
107
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109 110
Istvän Keresztes: Oratio funebris in exequiis [...] Nicolai Eszterhäzy. Viennae 1645. RMK III 1648. - Vgl. Hermann - Artner: (wie Arnn. 67.) 57. Jänos Eszterhäzy: Az Eszterhäzy csaläd és oldalägainak leiräsähoz tartozó oklevéltar [Urkundensammlung zur Beschreibung der Familie Eszterhäzy und ihrer Seitenlinien], Budapest 1901,198. Emma Ivänyi: Esterhäzy Pal. In: Päl Esterhäzy: Mars Hungaricus. Hg. Emma Ivänyi. Budapest 1989, 429-463. Hier: 432. ARSI Austr. 29. Cat. secundus p. 91. f. 47r. no. 19. ARSI Austr. 28. Cat. primus p. 192. f. 245r. no. 11.
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Abb. 1. Brief von Johannes Nädasi an Ädäm Batthyäny vom 9. 9.1646. MOL Könnender Archiv des fürstlichen Zweiges der Familie Batthyäny, P 1314, Missiles, Nr. 32929.
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313 Abb. 2. Die vier Gelübde von Johannes Nädasi vom 31. 7.1648. (Detail) A R S I Germ. 13. 313.
127 über hundert Bekehrungen. Die beiden Studentenkongregationen und die Erwachsenenkongregation wirkten erfolgreich. 111 Von 1646 an war Nädasi vier Jahre lang als sog. Hofmissionar (missionarius aulicus) tätig: 112 1646-1647 nahm er an der Esterhäzy-Mission von Forchtenstein, 113 1647-1648 an der Mission von Szendrö teil. 114 Aus Forchtenstein schrieb er am 9. September 1646 an Adam Batthyäny, Hauptkapitän Transdanubiens, und als Beilage zum Brief schickte er Batthyäny, seiner Gemahlin und ihren vier Kindern sechs »spanyor keresztet« (spanische oder sog. Caravaca-Kreuze) als Geschenk. 115 Dazu schrieb er: »Iiiyen ajandekkal illik hogy kedveskedgyem Nagysägodnak, mert a minemö az a ki adgya, afelenek kel az adomänynak-is lenni.« [Es ziemt sich, Euer Gnaden mit solchem Geschenk aufzuwarten, denn das Geschenk sollte sein wie die Person, die es gibt.] Die guten Wünsche am Schluß des Briefes deuten auf Batthyänys militärische und politische Rolle hin: »Adgya Isten, hogy Nagysägod Magyarorszägnak ennyi kereszteben es nyavalyäjäban nagy vigasztaläsära legyen.« [Gebe Gott, daß Euer Gnaden Ungarn in so viel Leiden und Not zum Trost werde.] Vor ihm hatte von 1621-1643 unter anderem Mätyäs Hajnal in der Mission Esterhäzy gewirkt, dessen Meditations- und Gebetssammlung ihm vermutlich bekannt war. 116 Als Mitglied der Mission Esterhäzy wohnte er am Hof der Esterhäzys. Zu seinen Aufgaben gehörten die Seelsorge der Familie und des Gesindes, der Unterricht und die Erziehung sowie die Bekehrung auf den Gütern der Familie. Seine enge Beziehung zu Läszlö Esterhäzy ist durch drei Briefe aus dem Jahre 1647 belegt. Am Aschermittwoch (6. März) teilt er Esterhäzy mit, am selben Tag werde im Jesuitenkolleg (aller Wahrscheinlichkeit nach in dem von Pozsony) um fünf Uhr ein Miserere, eine deutsche Predigt und »neminemö representatio scenica« [eine kleine szenische Aufführung] stattfinden. 117 Er schreibe das, damit sie die Devotio quadragesimalis gemeinsam beginnen könnten. Laut Nachschrift hat Nädasi die Herren Orsi und Wem sowie den ganzen Hof zur Andacht eingeladen. Im Brief vom ersten Sonntag der Fastenzeit benachrichtigt Nädasi Esterhäzy darüber, daß »Groff Martinez Uramnak meg adgyäk ma tiz öra täiban az aureum vellust ot fen a värban« [Graf Martinez heute um zehn Uhr das Goldene Vlies oben in der Burg verliehen wird]. 118 Darum erachte er es für 111 112 113 114 115
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ARSI Austr. 139. 1644: 228-231, 1645: 327 -332, 1646: 433 - 4 3 7 . ARSI Austr. 125.1. 1646: p. 19 (99r). - Austr. 29. Cat. primus p. 103. f. 140r. no. 15. ARSI Austr. 125.1. 1647: p. 19 (115r). ARSI Austr. 125.1. 1648: p. 34 (140v). MOL Könnender Archiv der herzoglichen Linie der Familie Batthyäny, P1314 Missiles Nr. 32929. - Die Kenntnis der im ungarischen Staatsarchiv aufbewahrten Briefe Nädasis verdanke ich Istvän Fazekas. Cat. pers. Prov. Austr. II 445. MOL P 124, Nr. 837. MOL P 124, Nr. 838.
128 gut, die gemeinsame Andacht in der Kapelle des Kollegs zu halten. Zugleich bemerkt er, daß »8 örakor nemet predikatio szokott lenni a szentegyhäzban« [in der Kirche um 8 Uhr gewöhnlich eine deutsche Predigt gehalten wird]. Besonders interessant ist die Nachschrift, in der Nädasi verspricht: »Valami nagy emblemäs avagy inkäb kepes könyveket-is mutatok Nagysägodnak« [Ich werde Euer Gnaden auch bestimmte große Bücher mit Emblemen oder eher Bildern zeigen.] Die Versetzung aus der Mission Esterhäzy in die von Szendrö bedeutete zugleich, daß Nädasi den Unterricht von Läszlö Esterhäzy beenden mußte. Esterhäzy war damit nicht zufrieden, und in einem Brief bat er den General, Nädasi nicht von ihm trennen zu wollen, und wenn das dennoch notwendig sei, möge ihm der General jemanden als Ersatz schicken.119 Am 6. Juni schrieb Nädasi aus der Residenz von Szendrö einen langen Brief an Esterhäzy.120 Der lateinisch verfaßte Brief aus der Endphase des Dreißigjährigen Krieges berichtet sowohl über lokale Ereignisse als auch über solche von überregionaler Bedeutung. Der Grundton des Briefes ist durch das Nebeneinander von Neuigkeiten und persönlichen Hinweisen bestimmt, die hier kurz zusammengefaßt werden sollen. So erfahren wir zum Beispiel, daß Ferenc Wesselenyi am Tag des Briefes in das Amt des Generals eingesetzt wurde und Läszlö Csäky, der spätere Landesrichter, im benachbarten Szädvär weilt. Bei der Inauguration waren die Vertreter der Komitate und Städte, der Bischof von Värad, Läszlö Hosszüthöty, Imre Mosdossy und andere anwesend. Zu den Nachrichten vom Reichstag meint er, viele würden vielerlei sagen, Sicheres jedoch könne man nicht wissen. Er berichtet davon, daß Istvän Kohäry sich mit der älteren Tochter von Imre Balassa verlobt habe, und Ferenc Wesselenyi aus dem Schloß Fülek zur säurehaltigen Quelle gezogen sei. Dazu bemerkt er: Angeblich würde man, wenn man für irgendeine Krankheit Wasser aus der Quelle schöpft, sofort geheilt sein, er glaube das aber nicht ganz (»plane non credo«). Am 4. Mai sei jemand vom Felsen von Muräny gestürzt, ohne sich etwas zu brechen, jetzt liege er jedoch im Sterben. Als sie unlängst von Balog nach Szendrö gereist seien, berichtet Nädasi, habe man ununterbrochen das Donnern der Geschütze gehört. Wesselenyi habe die Türken angreifen wollen und bereits seine Soldaten aufgestellt, der Türke habe sich jedoch nicht auf den Kampf eingelassen. Mit dem Jahr 1648 wurde die erste Periode in der Ordenslaufbahn Nädasis abgeschlossen: Am 31. Juli 1648 legte er im Kapitel von Szepes, in der Allerheiligenkapelle der Jesuitenresidenz, feierlich die vier Gelübde ab.121 1649 lebte Nädasi als Missionar auch weiterhin in der Residenz von Szendrö, die mit der zum Kolleg von Ungvär gehörenden Residenz von Kassa verbun119 120 121
ARSI Austr. 5. II. 1040. MOL P 124, Nr. 839. ARSI Germ. 13. 313-314. - Hist. Soc. 147. 112v.
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den war. Während das Zentrum der sog. Mission Esterhäzy in der Burg Forchtenstein lag,122 war das Zentrum der Mission von Szendrö in der dortigen Jesuitenresidenz. Ein Teil der hier angesiedelten Jesuiten wohnte ständig im Schloß Muräny, Ferenc Wesselenyi wollte nämlich die Bewohner seiner Besitztümer zum katholischen Glauben bekehren. 1648 z. B. wurden an die fünfzig Personen bekehrt, mehrere wurden verurteilt, andere kehrten nach der Vertreibung zurück und bekannten sich zum katholischen Glauben. 1649 verzeichnete man in Szendrö mehrere Bekehrungen unter den Deutschen, die Jesuiten verteilten Almosen, die Messen brachten 160 rheinische Gulden an Einnahmen. 123 1650 befand sich Nädasi wieder in Nagyszombat, wo er sich um zahlreiche Aufgaben kümmerte: er war an der Universität Professor für Kasuistik, Dekan der Fakultät der Humaniora, akademischer Prediger und in der Fastenzeit Freitagsprediger, Konsultor, Beichtvater, Chronist, Gesundheitsbeauftragter (praefectus sanitatis), Korrektor des Vorlesers (cörrector lectoris) am ersten Tisch.124 Es ist anzunehmen, daß er als Kasuist bei der Vermittlung der pastoralen Kenntnisse, ähnlich wie die anderen Professoren, den Standpunkt des Probabilismus vertrat. 125 Seine Lehrtätigkeit war auch jetzt nicht ungestört: wegen der Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges, des Schwedeneinfalls in Nord-Ungarn, der Pest und anderer Ursachen war die philosophische Fakultät der Universität in dieser Periode nur mit Unterbrechungen in Betrieb, die Tätigkeit der theologischen Fakultät wurde fast gänzlich eingestellt. Die Professoren unterrichteten nur die Studenten im Jesuitenkolleg.126 . Nach den Annuae litterae wohnten 1650 22 Priester und 6 studierende Ordensmitglieder im Kolleg, die an der Universität unterrichteten und in der Kirche Katechesen und Exerzitien in verschiedenen Sprachen hielten. Der Belebung des geistlichen Lebens dienten die vierzigstündige Anbetung des Altarssakraments, der Ablaß zum Jubeljahr sowie die Morgenkatechese in lateinischer Sprache für die Studenten der Universität, danach in der Muttersprache für das Volk. An den Festtagen Mariä und der Ordensheiligen sowie an Freitagen in der Fastenzeit wurden Andachten in ungarischer Sprache gehalten und Gebete in Ungarisch, Deutsch und Slowakisch gesprochen. Von den Lutheranern und Kalvinisten bekehrten sich insgesamt 79 Personen zum katholischen Glauben. Außerhalb der Stadt wurde eine Kapelle zur Verehrung der Heiligen Kosmas und Damian errichtet, in der Kapelle der Stadtkirche nahm die Verehrung der Schmerzhaften Mutter zu. Der Verfasser der Annuae litterae berichtet ausführlich über die Tätigkeit der Kongregationen: 122 123 124 125 126
ARSI Austr. 140. 1647: 71v-72r. ARSI Austr. 140. 1648: 151v, 1650: 232r. ARSI Austr. 125.1. 1650: p. 25 (175r). - FKP Ms. 118.J.la. p. 36. Vgl. Hermann - Artner: (wie Anm. 67.) 29. Vgl. Hermann - Artner: (wie Anm. 67.) 15.
130 regelmäßig wurden Bilder der Monatsheiligen verteilt, Messen für die Toten, Sterbenden und die armen Seelen gelesen, die Sodalitätsfeste gefeiert, Bruderschaftskatechesen und -besprechungen abgehalten, die Sakramente empfangen, lügenden geübt, Almosen verteilt, Buße getan (Flagellation, Tragen des Ciliciums), gefastet, Maria, Josef und der Erzengel Michael verehrt sowie Rosenkränze verteilt. Die größere Studentenkongregation, die von der Heimsuchung Mariä, stand mit der größeren akademischen Kongregation in Wien in Verbindung. 127 Rektor der Universität war 1651 Märton Palkovich, Professor der Kasuistik Tamäs Jäszberenyi, das Amt des Dekans der philosophischen Fakultät übernahm Ferenc Topos. 128 Nädasi hatte jetzt weniger Aufgaben zu erfüllen: er war Professor für Kontroverse, lateinischer und ungarischer Prediger der Kirche, Präses der Congregatio maior und Gesundheitsbeauftragter. 129 Zu seinen apologetischen Vorträgen konnte er den Kalauz [Führer] von Päzmäny zu Rate ziehen, in dem er ausgezeichnetes Illustrationsmaterial fand. 130 Nach der Beurteilung seiner Oberen waren seine geistigen Fähigkeiten, Urteilskraft, Klugheit, Erfahrungen und sein wissenschaftlicher Fortschritt in gleicher Weise gut, seine Natur nunmehr melancholisch, seine Begabung für die Predigt wurde besonders hervorgehoben. 131 Im gleichen Jahr erfolgte eine entscheidende Wende in seiner Laufbahn. Nach dem Tod des Generals Franciscus Piccolomini bat Alexander Gottifredi, Provinzial der Römischen Provinz und seit 31. Januar 1652 Ordensgeneral, am 8. Juli 1651 brieflich den Vizeprovinzial Georg Turkovich, Nädasi im Herbst nach Rom zu schicken; er schrieb: »Obwohl ich keinen Zweifel daran habe, daß er in der Provinz fruchtbringend arbeiten würde, aber hier [nämlich in Rom] braucht das Gemeinwohl seine Arbeit noch mehr«. 132 Auf die Wichtigkeit der Berufung nach Rom aufgrund seiner bisherigen literarischen Tätigkeit weist die Tatsache hin, daß Gottifredi im September desselben Jahres noch in drei weiteren Briefen auf das Thema zurückkam. In seinem Schreiben vom 9. September an den früheren Provinzial Georg Tiirkovich bekräftigte er seinen Entschluß und erwähnte gewisse Schwierigkeiten (»difficultates motas«), über die er seinem Nachfolger ausführlich schreiben werde. 133 In seinem vom selben Tag datierten Brief an den österreichischen Provinzial Zacharias Trinckel drängt er, Nädasi endlich reisen zu lassen, da dessen Arbeit in Rom zum Ansehen der Gesellschaft notwendig 127 128 129
130 131 132 133
ARSI Austr. 140. 221r-223v. Matricula Universitatis (wie Anm. 18.) 70. ARSI Austr. 124a. 1651: p. 26 (57). - Austr. 29. Cat. primus p. 103. £ 140r. no. 15. FKP Ms. 118.J.la. p. 26 (93v). - Vgl. Fischer: (wie Anm. 104.) 151. Vgl. Hermann - Artner: (wie Anm. 67.) 29. ARSI Austr. 29. Cat. secundus p. 84. £ 230v. no. 15. ARSI Austr. 6. 96r. ARSI Austr. 6. 102r.
131 sei (»cuius operam hic ad societatis honorem necessariam«). Gottifredi weist darauf hin, daß der Entschluß mit dem Wissen und Einverständnis der Ordensassistenten gefaßt wurde, die Nádasi für die ihm zugedachte Aufgabe für geeignet hielten. 134 Im Brief an Georg Turkovich vom 22. September bestätigt Gottifredi die Entsendung Nádasis nach Rom und betont noch einmal, daß seine Arbeit sowohl für die Gesellschaft als auch besonders für die Provinz ehrenvoll und notwendig sei (»eius enim opera ... apprime necessaria est ac Societati ipsique adeo provinciae vestrae honorífica«). 135 All dies zeigt, daß Name und Tätigkeit Nádasis zu dieser Zeit bereits über die Österreichische Provinz hinaus bekannt waren, und daß man ihm eine Aufgabe zudachte, die mit der Missionstätigkeit der ganzen Gesellschaft im Zusammenhang stand. Damit endete die zweite Periode im Leben Nádasis, die als Vorbereitung für die schriftstellerische Laufbahn anzusehen ist. Er war siebenunddreißig Jahre alt.
Rom (1651-1669) Nädasi kam im September 1651 in Rom an. 136 Damit begann der fast zwanzigjährige Abschnitt seines Lebens, zugleich seine längste und fruchtbarste Schaffensperiode. Er gab über dreißig Bände heraus, wobei er das Spektrum seines Schaffens erweiterte: neben erbaulichen und Meditationsschriften im engeren Sinne stehen Schriften zur Geschichte der Gesellschaft Jesu. Für die gesamte Zeit waren äußere Ereignislosigkeit und intensive schriftstellerische Arbeit charakteristisch. Während seiner römischen Jahre erlebte er noch zwei weiterer Generäle der Gesellschaft Jesu. Nach dem fünfzigtägigen Ordensgeneralat Gottifredis übernahm von 1652 bis 1664 Goswin Nickel als erster deutscher General, von 1664 bis 1681 Joannes Paulus Oliva die Ordensleitung.137 Nickels Name ist eng mit der niederrheinischen Tätigkeit der Jesuiten verbunden: sein Wirken als Professor, Rektor und Provinzial fiel in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges; er spielte eine wichtige Rolle beim Ausbau des Kölner, Aachener und Düsseldorfer Kollegs. Als Liebhaber der Kunst beauftragte er 1658 Federico Zuccari, über dem Hauptaltar der Kirche des Collegium Romanum ein Wandgemälde mit der Darstellung der Madonna dell'Annunziata zu malen, die als Madonna della Prima Primaria, d.h. als die Mariendarstellung
134 135 136 137
Ebd. ARSI Austr. 6. 103r. ARSI Austr. 125. I. 1653: p. 20. f. 183v. Andräs Gyenis: A jezsuita rend generälisai. Eletrajzi es rendtörteneti väzlatok [Die Generäle des Jesuitenordens: Biographische und ordensgeschichtliche Skizzen], Budapest 1935, 3 1 - 3 6 . - Vgl. Koch: (wie Anm.2.) 1292-1293, 1323-1324.
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i'-iZZMííreí«-Biographiensammlungen, das Geschichtskompendium, die Zitatensammlung und den Tugendspiegel, ferner die Apophtegmata- und Anekdotenkompilationen. Die beliebteste Form Nádasis, etwa drei Viertel seiner Werke, ist die Meditationssammlung, die mehrere Gattungen in sich vereinigte und meist als Geschenkbuch der Kongregationen diente. Die Meditationssammlung stellt im Werk Nádasis einen Sammelbegriff zur Bezeichnung der durch die bewußte Mischung verschiedener Gattungen zustandegebrachten, anthologieähnlich zusammengestellten Textkompilationen dar, deren wichtigste Gattung und deren primäre, durch den Leser zu verwirklichende religiöse Handlung die Meditation ist. Die Meditation stellt jenen Gattungsrahmen dar, auf den Nádasi meist schon im Werktitel aufmerksam macht und der in den einzelnen Texten die vielfältigsten Formen annimmt. Bei Nádasi können wir erst von den Anfängen einer Trennung der verschiedenen Gattungen sprechen, so daß das betrachtende Gebet, die geistliche Lektüre, die Gewissensprüfung, die geistliche Übung und die Betrachtung in Versen gleichermaßen zum Spannungsfeld der Meditation gehören. Darüber hinaus hat er noch eine Reihe von weiteren Typen der Meditation angewandt bzw. selbst solche geschaffen. Die Meditation stellt sich dar als eine über eine beschränkte Selbständigkeit verfügende Gattung, die die Texte anderer Gattungen, so vor allem die verschiedenen Typen des Gebets und die Erzählung, sich einverleibt bzw. in sich integriert. Die Erzählung, die Historie und ihre Erscheinungsformen bilden bei Nádasi einen bestimmenden Bestandteil der Meditation. Wie im speziellen Typ der Exempelpredigt die Geschichten zum zentralen Element der Predigt werden, so beruhen die sog. Exempelmeditationen von Nádasi vor allem auf den verschiedenen Varianten des Beispiels und den kleinepischen Elementen. Die wichtigste Funktion der narrativen Texte, Verweise und Commemorationes in den Meditationssammlungen besteht neben der Unterhaltung, dem Erregen der Aufmerksamkeit darin, Meditationsmodelle zu bieten und die abstrakten Inhalte für die in theologischen Fragen weniger bewanderten weltlichen Leser begreifbar zu machen. Diese zentrale Stellung der Erzählung als textstrukturierender Einheit ist eine Eigentümlichkeit, die es uns ermöglicht, die Typen des frühneuzeitlichen Exempels, die gattungsgeschichtlichen und Vermittlungsprozesse in der geistlichen Literatur des 17. Jahrhunderts zu studieren. Mompelgart 1671. Vgl. Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 16 (1994).
3. Entstehungs- und Publikationsverhältnisse Die inhaltliche, strukturelle und Gattungsanalyse der Werke hat unter anderem gezeigt, daß Entstehungs- und Publikationsgeschichte nicht voneinander zu trennen sind. Die Entstehungsgeschichte setzt sich nach dem Erscheinen der Erstausgaben oft fort, wobei neue Werke unter Verwendung der früheren zustande kommen. In diesem Kapitel werden die Erstausgaben der Werke im Hinblick auf den Entstehungs- und Publikationsprozeß untersucht. Als Erstausgabe gilt die früheste, bibliographisch bzw. exemplarmäßig erfaßbare Ausgabe der Werke, unabhängig von den späteren Erscheinungsformen. Rahmentexte als Quellen der Entstehungsund Publikationsgeschichte Da die Handschriften der gedruckten Werke Nädasis nicht erhalten sind, fehlt eine wichtige Quelle der Entstehungsgeschichte. Die zur Zeit bekannten fünf Handschriften sind Reinschriften nach den Manuskripten von im Druck nicht erschienener Werke bzw. Aufzeichnungen anderer Personen, die auf den Herstellungsprozeß und die Arbeitsmethode des Verfassers nur indirekt hinweisen. Daher müssen wir uns der anderen Hauptquelle der Entstehungs- und Publikationsgeschichte, den Drucken selbst und innerhalb dieser vor allem den sog. Rahmentexten zuwenden. Die wichtigsten Bestandteile der Rahmenkomposition sind das Titelblatt, die Titelblattillustration, das Motto, die Vorrede, die Widmung, das Inhaltsverzeichnis und der Index sowie die Autorenerklärung und das Imprimatur. Diese Texte, in denen meist Angaben zur Entstehung und Publikation zu finden sind, beleuchten das Beziehungssystem zwischen Autor, Verleger, Mäzen und Leser, die Umstände der Entstehung, die Absichten des Autors, seine literaturtheoretischen Vorstellungen, seine literarischen und sonstigen Ziele, die erhoffte Wirkung und das angezielte Publikum, wobei sie sowohl zur Kontaktherstellung zwischen Autor und Leser als auch zum Schutz des Werkes beitragen und über den Einfluß des potentiellen Lesers auf die Präsentation der Bücher informieren.1 1
Vgl. Wolfgang Harms: Daniel Wilhelm Trillers Auffassung von der Fabel im Titelblatt und in Rahmentexten seiner »Neuen aesopischen Fabeln« von 1740. In: Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. Christel Meier - Uwe Ruberg. Wiesbaden 1980, 732-749. Hier: 732.
194 Die Titelgebung von Nädasi ist sowohl zeit- als auch gattungstypisch.2 Ihre wichtigsten Merkmale sind die Anschaulichkeit und die Einheitlichkeit, ihre Funktion besteht darin, einen ersten Hinweis auf das Werk zu liefern, darauf einzustimmen und die Neugierde des Lesers zu wecken. Mit Ausnahme der ordensgeschichtlichen Arbeiten sind die Titel meist Doppeltitel, die in verschiedenen Varianten und mit gelegentlichen Ergänzungen erscheinen. Das typische Titelblatt setzt sich aus sechs Teilen zusammen, deren Reihenfolge streng festgelegt ist. Häufig besteht der Titel aus einem einzigen, mehrfach zusammengesetzten Satz, manchmal ist er in mehrere selbständige Sätze gegliedert. Die Teile sind die folgenden: 1. Kurzer allegorischer oder metaphorischer Titel in zwei bis drei Wörtern, der sowohl die Gattung als auch das zentrale Thema des Werkes angibt. 2. Hinweis auf Gliederung und Nutzen des Werkes, der zugleich über die Verwendungsweisen und -möglichkeiten aufklärt. 3. Nennung des Autors samt seiner Ordenszugehörigkeit. Dieser fügt Nädasi gegen Ende seines Lebens, darin Nationalbewußtsein und Selbstschätzung bezeugend, manchmal einen Hinweis auf seine Nationalität und seinen Geburtsort hinzu. Die Namensbezeichnung ist oft nur wenig »sichtbar«: die Person des Autors wird erst am Ende des Titels genannt oder geht aus anderen Teilen des Werkes hervor. Einige Arbeiten sind ohne Nennung des Autors erschienen, so daß der Anonymisierungsprozeß bereits zu Nädasis Lebzeiten einsetzte. 4. Benennung der Adressaten, der primären Benutzer des Werkes. Diese sind meist bestimmte Marianische Sodalitäten oder die Sodales Mariä im allgemeinen. Ausnahmsweise werden auch einige bedeutende Kongregationsmitglieder namentlich aufgeführt. 5. Benennung des Mäzens mit der Aufzählung seiner Ränge und Titel. Teile 4 und 5 erscheinen oft in umgekehrter Reihenfolge. 6. Impressum. Die nach 1650 erschienenen Werke weisen auf dem Titelblatt fast immer auf die Ordenserlaubnis zur Veröffentlichung hin. Unter den gelegentlichen Ergänzungen sollte erwähnt werden, daß meist dem 2. Teil ein weiterer ausführlicher Hinweis auf die kleineren Texteinheiten, die Gattung und die Vortragsweise des Werkes sowie auf andere Rahmentexte, vor allem auf das Register, angeschlossen wird. Gelegentlich macht der Titel darauf aufmerksam, daß die Erstveröffentlichung des Werkes mit dem Jubiläumsjahr der Gesellschaft Jesu oder mit einem runden Jubeljahr zusammenfällt, und ausnahmsweise kann auch das Motto auf dem Titelblatt gedruckt werden. Im Titel der ordensgeschichtlichen Werke wird meistens der jeweils erfaßte Zeit-
2
Vgl. Johann Baptist Schneyer: Wesenszüge des Barock in den Titeln seiner Predigtbücher. Münchner Theologische Zeitschrift 19 (1968), 295-310.
195 abschnitt bezeichnet und der General des Ordens während dieser Zeit genannt. Die Titel der Andachtswerke können als weitere Ergänzungselemente Zitate mit dem Hinweis auf die Gebrauchsweise sowie die Benennung der benutzten Quellen enthalten. Die nächste wichtige, obwohl nicht regelmäßige Komponente der Rahmentexte ist das Motto. Dem ganzen Werk vorangestellte, hervorgehobene Zitate finden sich nahezu in der Hälfte der Werke. Oft übernehmen im Vorrede- oder Widmungstext integrierte Zitate die Funktion des Mottos. Das Motto in engerem Sinne steht auf dem Titelblatt oder auf dem Verso des Titelblattes, gelegentlich am Ende der Widmung oder der Vorrede, in einigen Fällen zwischen den verschiedenen Teilen eines Werkes. Die wichtigsten Funktionen des Mottos bestehen in der Anrede des Lesers sowie in der Verstärkung der Beziehung zwischen Titel und Werk. Mit dem Namen seines Verfassers oder mit seiner Quelle liefert das Motto den Schlüssel zum ganzen Werk, sein Text ist die Quintessenz des Werkes und vermittelt zugleich ein Bekenntnis des Autors. Die Quelle des Mottos gibt Nádasi jeweils genau an. Die Motti sind zum Teil biblische oder Bibelkommentaren entnommene Zitate, zum Teil stammen sie von geistlichen Autoren. Manchmal stehen zwei verschiedene Motti statt eines einzigen am Anfang des Werkes. Die Bibelzitate sind meist dem Buch der Psalmen bzw. den Evangelien entnommen. Nach der Widmung zum Annus meditationum coráis I. (1659) z. B. wird Vers 15 des 18. Psalms als Motto zitiert: »Et erunt, ut complaceant eloquia oris mei; et meditatio cordis mei in conspectu tuo Semper«. Das Zitat ist zugleich die Quelle des Werktitels. Das Motto »Annos aeternos in mente habui« zum Annus coelestis (1648), ein Abschnitt aus dem 6. Vers des 76. Psalms, steht ebenfalls in engem Zusammenhang mit dem Titel des Werkes. Als Motto zu den Dies et hebdómada S. Josepho sacra (1664) wählte Nádasi den 21. Vers des 104. Psalms: »Constituit eum Dominum domus suae, et principem omnis possessionis suae«. Hier wird, entsprechend der typologischen Bibelauslegung, die auf den alttestamentlichen Joseph bezogene Aussage auf den Ziehvater Christi projiziert. Den Hebdomada virtutum S. Ignatii (1674) wurde die Frage Jesu »Quid [enim] prodest homini, si mundum universum lucretur, animae vero suae detrimentum patiatur?« aus dem Evangelium nach Matthäus (16,26) vorangestellt, die mit einer zentralen Idee der ignatianischen Spiritualität, mit der Notwendigkeit der Entsagung in Einklang steht. Das Motto zum Annus Joannis (1664) vergegenwärtigt die Namensgebungsszene Johannes des Täufers aus dem Evangelium nach Lukas (1,63): »[Et] Postulans pugillarem scripsit, dicens: Joannes est nomen ejus«, gleichzeitig weist es unmittelbar auf Titel und Thema des Werkes hin. Das dem Evangelium nach Matthäus (7,21) entnommene Motto »Qui facit voluntatem Patris mei, qui in coeüs est, ipse intrabit in Regnum coelorum« zum Cor amoris dei (1675) betont den zentralen Gedanken des Werkes, die auch im Titel genannte Idee
196 der concordia und conformitas. Das Motto des zur Umkehr drängenden Aurum ignitum (1673) ist eine energische Aufforderung zur Wahl aus der Apokalypse (3,16, 18): »Quia tepidus es; [...] incipiam te evomere ex ore meo. [...] Suadeo tibi emere a me aurum ignitum«, die zugleich die Quelle des Titels verrät. Unter den als Motto verwendeten Bibelkommentaren findet man z. B. die Bemerkung »Calamum tuum tinge Spiritu Dei vivi: ut quod scribis, Aeternum sit«, mit dem Ambrosius den 26. Vers des 7. Kapitels im Evangelium nach Lukas kommentierte. Das Motto steht auf dem Titelblatt des Annus amoris Dei (1678) und läßt sich als eine Grundidee nicht nur des zweiten Sammelwerks, sondern der ganzen schriftstellerischen Wirksamkeit Nädasis, als Mahnung des Verfassers sowohl an sich selbst als auch an den Leser zu verstehen. Das Motto »Omnipotens Deus ipse creat in Sanctorum cordibus amorem; et ipse ex amantibus cordibus suscipit precem« zur Collis thuris (1675) stammt aus der 8. Homilie des Gregorius zum Buch Ezechiel und weist auf die gemeinsame Quelle für die beiden Hauptthemen des Werkes, für das der Liebe und des Gebetes, hin. Andere Quellen für die Motti bei Nädasi sind der Kommentar des Augustin zum 4. Psalm (Annua eremus 1678) und sein Werk De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum (Mensis II. divini amoris 1663). Das Motto vor Punctum honoris aeterni (1675) geht auf zwei Quellen zurück: auf die 264 (265). Epistel von Augustin bzw. auf die Revelationes der Hl. Brigitte zurück. Der Maria mater agonizantium (1640) ist ein Zitat von Bonaventura vorangestellt, das die Verehrung Mariä betont. Es kann kein Zufall sein, daß die Motti zu den Pretiosae occupationes morientium (1657) und zum Diurnum quotidianae virtutis (1659) beide auf dem Titelblatt stehen. Das erste ist ein Zitat aus der Biographie von Aloysius Gonzaga, in dem das Wort »pretiosarum« direkt auf den Titel hinweist. Das zweite ist der Anfangsvers aus der dem Hl. Kasimir zugeschriebenen bekannten Hymne. Es bestätigt noch einmal die im Titel formulierte Aufforderung zur täglichen Verehrung Mariä. Aufgrund der aufgeführten Beispiele zeichnet sich die Mottowahl Nädasis durch folgende Merkmale aus: 1. Das Motto steht mit dem Titel in engem Zusammenhang, in mehreren Fällen liefert es die unmittelbare Quelle. 2. Entsprechend der typologischen Denkweise stellt es Beziehungen zwischen verschiedenen Personen, Ereignissen oder Erscheinungen her. 3. Es betont den zentralen Gedanken des Werkes. 4. Es verbindet Titel und Thema des Werkes sinnbildlich. 5. Es mahnt bzw. fordert den Autor und/oder den Leser zu einer bestimmten Handlung auf, die der grundlegenden Zielsetzung des Werkes entspricht. Ein wiederkehrender Bestandteil der Rahmentexte ist die Erklärung des Autors, die sog. protestatio. In der Regel steht sie vor dem Werk, auf dem
197
Verso des Titelblattes, in einigen Fällen am Ende des Werkes, nach dem Index, eventuell auf der letzten gedruckten Seite. Meist wird sie durch den Namen des Autors und durch das Datum ergänzt. Die protestatio kommt hauptsächlich in Werken vor, die sich mit Heiligen bzw. Jesuiten befassen. Ihr Text weist den gleichen Inhalt in verschiedenen Varianten auf. Die Erklärung besagt im wesentlichen, daß der Verfasser sein Werk in jeder Hinsicht dem Dekret des Papstes Urban VIII. vom 13. März 1625 unterstellt, das am 5. Juni 1631 neu herausgegeben und bestätigt wurde; die Werke sollen in seinem Geiste gelesen werden. Das Dekret, das als Reaktion auf die Kritik der Reformation an der Bilder- und Reliquienverehrung entstand, bietet eine ausführliche und mit Bedingungen verbundene Regelung für die öffentliche Verehrung der als wundertätig erachteten, vom Heiligen Stuhl jedoch nicht bestätigten Bilder sowie der irdischen Überreste nicht kanonisierter Personen, erlaubt die individuelle Verehrung und überläßt sie dem Gewissen der Gläubigen. Die Gültigkeit der Bestimmungen erstreckt sich auch auf die Bücher über diese Bilder und Personen.3 Die Publikation der Erklärung war also zum einen Bedingung für das Erscheinen der Bücher, sie diente ihrem Schutz und ihrer autoritativen Bestätigung. Zum anderen machte sie die Leser darauf aufmerksam, daß sie in der Frage nach der Glaubhaftigkeit des Vorgetragenen selbst entscheiden müssen. Die protestatio entsprach nicht nur einer kirchlichen Vorschrift, sie sprach zugleich den Leser an, stellte ihn vor Entscheidung, integrierte ihn sozusagen in den Text und beeinflußte sogar seine mögliche Reaktion. Die Veröffentlichung von Büchern war außer der protestatio noch an eine andere rechtliche Bedingung gebunden: an das offizielle kirchliche Imprimatur. Der Text des Imprimatur wurde, entsprechend dem zeitgenössischen Brauch, ebenfalls meist mitgedruckt, manchmal sogar vor der protestatio. In anderen Fällen wird das Imprimatur in einem kurzen Vermerk auf dem Titelblatt festgehalten. Das Imprimatur wurde vom zuständigen Ordensoberen, meist vom Provinzial bzw. vom offiziellen Buchzensor, nach Lesen des Manuskriptes erteilt. Der Text eines gedruckten Imprimatur teilt in stereotyper Weise mit, daß die Druckerlaubnis aufgrund der Ermächtigung durch den General erfolgt und das Werk gedruckt werden darf. In einem Werk steht meist nur ein Imprimatur. Eine Ausnahme bildet das zweite Sammelwerk Annus amoris Dei (1678), in dem zwei, sowie die posthume Schrift Vita et mores praedestinatorum (1681), in der insgesamt vier Druckerlaubnisse enthalten sind. Das erste, vom 14. Dezember 1675 datierte Imprimatur im Sammelwerk bezieht sich auf den »Aeternitas magna cogitatio« betitelten, zum 3
Bullarium diplomatum et privilegiorum Sanctorum Romanorum Pontificum. Tomus XIII-XIV. Augustae Taurinorum 1868, XIII308-310, XIV 436-440. - Vgl. Urbani VIII. Pont. O. M. Decreta servanda in canonizatione et beatificatione sanctorum. Roma 1642.
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ersten Mal hier veröffentlichten Teil der Arbeit. Die zweite, vom 12. April 1678 datierte Erlaubnis hingegen bezieht sich auf das ganze Werk und nennt den Titel in einer von der endgültigen Fassung abweichenden Form, als Annus divini amoris. Die je zwei Approbationen im posthumen Werk aus den Jahren 1677 und 1678 beziehen sich auf den längeren ersten und den kürzeren zweiten Teil, auf die signa 1 - 2 7 und 28-34. Nädasi stellte also zuerst nur einen Teil des ganzen Werkes fertig, besorgte dazu die Erlaubnis, arbeitete dann weiter und reichte nun auch den zweiten Teil zur Begutachtung ein. Das Imprimatur zur Annua eremus (1678) ist vom 19. November 1675 datiert, das Manuskript lag also bereits drei Jahre vor der Veröffentlichung fertig vor. Hier sollten die aus den Jahren 1656-1662 erhaltenen Zensorenberichte erwähnt werden, die gegenüber den gedruckten Approbationen einen früheren Zustand festhalten und sowohl im Hinblick auf die Entstehungs- als auch auf die Publikationsgeschichte aufschlußreich sind. Der Zensorbericht zu den 1661 erschienenen Annales Mariani Societatis Iesu ist vom 12. Dezember 1657 in Rom datiert, zu diesem Zeitpunkt lag also eine Version des Werkes abgeschlossen vor.4 Die drei Zensoren, Martinus Leytanus, Franciscus Bunellus und Franciscus Le Roy erteilen nach Lesen des Werkes die Erlaubnis zur Veröffentlichung, machen aber zwei Bemerkungen: 1. Die Übernahmen aus anderen Werken soll Nädasi genauer hervorheben, und er soll die Belegstellen genau angeben, 2. er soll ein Verzeichnis der zitierten Quellen zusammenstellen. Nädasi dürfte die Mahnung ernst genommen und am Manuskript weiter gearbeitet haben, denn im veröffentlichten Werk sind sowohl die Marginalglossen als auch das Quellenverzeichnis zu finden. Daraus geht zugleich hervor, daß Text und Apparat in diesem Fall nicht zur gleichen Zeit entstanden sind und ein Teil der Randbemerkungen erst nachträglich dem Manuskript beigefügt wurde. Der Zensorbericht vom 4. Juli 1656 zu den 1658 erschienenen Heroes et victimae charitatis beurteilt die Arbeit als veröffentlichungswürdig.5 Der Teil über die nach 1640 verstorbenen Jesuiten ist seiner Ansicht nach besonders wertvoll, der Teil ab 1646 hingegen, also gerade das von Nädasi Verfaßte sollte wegen der vielen Einzelangaben zur Gegenwart weggelassen werden. Die Meinung des Zensors wurde von der Ordensführung allem Anschein nach revidiert, da im veröffentlichten Werk auch der Teil nach 1646 zu finden ist. Aus dem Jahre 1659 ist der Zensorenbericht der Jesuiten Joannes Almeida und Franciscus Aguadi über die Elogien erhalten geblieben.6 Demnach wollte Nädasi diese den Annuae litterae der betreffenden Provinzen beifügen. Die beiden Elogien erschienen durch zwei weitere ergänzt unter 4 5 6
ARSI Cens. 663. vol. 4. 121r-v. ARSI Cens. 661. vol. 2. 220r-v. ARSI Cens. 663. vol. 4. 253r-v.
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dem Titel Auctarium, unserer Vermutung nach erst 1678. Die drei Zensoren erteilen die Erlaubnis zum Druck »ad hominum nostrorum spiritualem aedificationem«, allerdings mit der Bemerkung, daß die im Elogium Almeidas als prodigiosa beurteilten Einzelheiten, falls die Elogien auch für Personen außerhalb des Ordens zugänglich gemacht würden, von der Kurie erneut überprüft werden sollten. Aufgrund dieser Bemerkung läßt es sich nicht entscheiden, ob die vermutete Verzögerung der Veröffentlichung durch die tatsächlich durchgeführte Überprüfung und die eventuelle Überarbeitung des Manuskriptes oder dadurch bedingt war, daß Nädasi das Werk um zwei neue Elogien erweitert hatte. Die Approbationen der ungedruckt gebliebenen Annuae litterae von 1655 und 1656 sind vom 6. Mai und vom 19. November 1661 datiert.7 Die beiden, von fünf bzw. vier Zensoren unterschriebenen Zensurvermerke erwähnen keinerlei Schwierigkeiten, so daß unsere frühere Vermutung über den Grund der NichtVeröffentlichung nach wie vor aufrecht erhalten werden kann. Der vom 4. März 1661 datierte Zensorenbericht über den Annus dierurn illustrium erteilt nicht nur das Imprimatur, sondern drängt sogar zur Veröffentlichung des Werkes.8 Auf dem Titelblatt ist die Jahreszahl 1657 zu lesen, die gedruckte Approbation des Generals ist vom 1. September 1657 datiert. Im Werk sind keine anderen Zeitangaben über die Drucklegung zu finden. Das Buch konnte offensichtlich erst nach dem Datum des Zensorenberichts, frühestens im Jahre 1661 gedruckt werden. Der Bericht trägt zugleich zur Klärung jenes dunklen Hinweises auf die mit der Druckerei enstandenen Schwierigkeiten bei, den wir im Zusammenhang mit dem Werk bereits oben zitierten, und der sich demzufolge auf die Verzögerung der Druckarbeiten bezog. Der Zensorenbericht zum Annus dierum memorabilium, laut Impressum 1665 erschienen, hatte bereits am 6. Februar 1661 die Druckerlaubnis erteilt, und zwar mit der Bemerkung, die im Werk enthaltenen »domestica exempla« könnten die Ordensbrüder auf jeder Stufe in der Vervollkommnung der Tilgenden unterstützen.9 Zum ersten und zweiten Teil des 1662 und 1663 veröffentlichten Annus dierum memorabilium wurden zwischen dem 14. Juli und dem 26. Oktober 1662 insgesamt fünf Gutachten, zum Teil von verschiedenen Zensoren, erstellt.10 Alle fünf bewilligen die Drucklegung und unterstützen die Veröffentlichung durch Wendungen wie »utiliter lucem videbunt«, »me valde commendo« oder »pro publica utilitate«. Die Mehrzahl der handschriftlichen Zensorenberichte über die Erstveröffentlichung der Werke ist aus den römischen Jahren Nädasis erhalten und 7 8 9 10
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Abb. 4. S. 391. des Annus dierum illustrium Societatis Iesu (Roma 1657) mit handschriftlichen Ergänzungen des Autors. ÖNB + 43.M.97.
201 bezieht sich auf Texte, die sich unmittelbar mit der Geschichte des Ordens oder mit seinen Mitgliedern befassen. Aus den Berichten geht hervor, daß manchmal mehrere Jahre zwischen der Entstehung, der Fertigstellung der Manuskripte und dem Erscheinen der Werke vergangen sind. Aus den Berichten kann man in einigen Fällen auf den früheren oder späteren Abschluß der Arbeit gegenüber den Datumsangaben der Rahmentexte, also auf einen kürzeren oder längeren Entstehungsprozeß schließen. Manchmal überarbeitete Nädasi das Manuskript aufgrund der Kritik, in anderen Fällen ließ er die Bemerkungen unbeachtet. Die Daten der Berichte modifizieren in einigen Fällen den im Impressum angegebenen Zeitpunkt der Veröffentlichung, bei anderen Werken hingegen überrascht gerade die Schnelligkeit der Drucklegung. Für zwei Werke, für den Annus dierum illustrium (1657)11 und die Annales Mariani Societatis Iesu (1661)12 konnten die Autorenexemplare identifiziert werden, die zahlreiche autographe Einträge von Nädasi enthalten. Diese sind nicht nur durch Abweichungen vom Originalmanuskript bedingte Korrekturen, sondern stellen längere Ergänzungen, Nachträge dar. Hinzu kommt, daß auf dem Titelblatt der Annales Mariani vor dem Namen des Verfassers der folgende autographe Eintrag steht: »et pro secunda hac editione aucti«. All das deutet darauf hin, daß Nädasi nach der Veröffentlichung an beiden Werken weiter arbeitete und für das eine Werk eine zweite Auflage plante, die aber nicht zustande kam. Der Entstehungsprozeß wurde also mit der Veröffentlichung auch in diesen Fällen nicht abgeschlossen.
Sachverzeichnis als Inventionshilfe Mit dem in den Werken an letzter Stelle stehenden Bestandteil der Rahmenkomposition, dem Register, müssen wir uns etwas eingehender beschäftigen. Nädasi stattete die Mehrzahl seiner Werke mit Verzeichnissen aus, und in manchen seiner Bücher sind Verzeichnisse von vier verschiedenen Typen zu finden. Die Verzeichnisse geben in erster Linie Aufschluß über den Gebrauch der Werke, ein Teil von ihnen liefert darüber hinaus wertvolle Auskünfte über einige Eigenheiten der Arbeitsmethode Nädasis. Die »Praxis indicis« in den Annales Mariani (1661) z.B. listet die im Werk chronologisch angeordneten Geschichten in thematischer Gruppierung nach dem Kalenderprinzip auf und weist damit nicht nur auf eine weitere Verwendungsmöglichkeit des Buches, sondern auch auf eine potenzielle Neuordnung des Quellenmaterials hin.
11 12
ÖNB +43.M. 97. ÖNB +43.X. 32.
202 Unter dem Aspekt der Entstehungsgeschichte ist das Sachverzeichnis (Index rerum) der wertvollste Indextyp. Nach dem Zeugnis der Sachverzeichnisse zur mittelalterlichen und barocken Predigtliteratur kam die Anordnung des gesammelten Materials in der alphabetischen Folge von Stichwörtern und seine Ergänzung durch weitere Indizes anderen Autoren beim Materialsammeln zugute und erleichterte die praktische, von der theologisch-wissenschaftlichen Methode in engerem Sinne abweichende Verwendung.13 Die Anzahl der mit den einzelnen Stichwörtern verknüpften Verweise zeigt die Häufigkeit des Vorkommens des jeweiligen Themas, darüber hinaus läßt das System der Sachregister, die Lemmatisierung der Stichwörter und die Art der Hervorhebung auf das ursprüngliche Stichwörtersystem des gesammelten Materials und gegebenenfalls auf die Verwendung von Sachregistern anderer Werke schließen.14 Die Frage, wer die Indizes zu den Werken Nädasis zusammenstellte, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Die Mehrzahl der Indizes zu den Erstdrucken wurde vermutlich von ihm selbst angefertigt. Darauf deutet hin, daß Nädasi oft bereits auf dem Titelblatt auf den Index verweist15 und in den Vorreden zu den Annuae litterae 1650 (1658)16 und den Annales Mariani (1661)17 auch im einzelnen auf die Verzeichnisse eingeht. Demnach wurde Nädasi die Zusammenstellung des Registers zu den Annuae litterae von 1650 zusammen mit anderen Vorschlägen am Anfang der Arbeit empfohlen. In Fällen, in denen der Index nicht auf die Seitenzahlen, sondern auf kleinere Kompositionseinheiten des Werkes hinweist, ist die Indexerstellung mit hoher Wahrscheinlichkeit Nädasi zuzuschreiben. Die Indizes zum ersten Sammelwerk stammen mit Sicherheit nicht von Nädasi, da im Text des Typographus lectori der folgende Vermerk zu lesen ist: »in finem duplici eos Indice opera et labor cujusdam Societatis Iesu Sacerdotis locupletavit«.18 Der Index 13
14
15 16 17 18
Richard H. Rouse - Mary A. Rouse: Statim invenire - Schools, Preachers and New Attitudes to the Page. In: Renaissance and Renewal in the Twelfth Century. Ed. Robert L. Benson - Giles Constable. Oxford 1982, 201-225. - Ildikö Bärczi: Ars compilandi. A kerdes megoldatlansäga [Die Ungelöstheit des Problems], In: Toposzok es exemplumok (wie 1/3, Anm. 51.) 99-115. Franz M. Eybl: Gebrauchsfunktionen barocker Predigtliteratur. Studien zur katholischen Predigtsammlung am Beispiel lateinischer und deutscher Übersetzungen des Pierre de Besse. Wien 1982. Annuae literae 1651, (1658). A2/b. ++2/b. Annus hebdomadarum coelestium 1663, a2. - In einem Exemplar des Werkes in der Ungarischen Nationalbibliothek (RMK III 2212/2.) wurde im oben zitierten Teil das Wort »cujusdam« von zeitgenössischer Hand durchgestrichen und durch den Vermerk »P. Joannis Jahoda.« ersetzt. Zur literarischen Tätigkeit des mährischen Jesuiten, der das Register zusammenstellte, vgl. Sommervogel IV 726-727; Anna Fechtnerovä: Rectores Collegiorum Societatis Iesu in Bohemia, Moravia ac Silesia usque ad annum MDCCLXXIII iacentum. Pars I. Pragae 1993,155-156.
203 zum zweiten Sammelwerk Annus amoris Dei (1678) verweist auf die Serienzahlen der fortlaufend numerierten Texte, wobei zu den ersten zwei Teilen sowie zum mitgedruckten Annua eremus eigene Indizes mit fortlaufender Paginierung gehören. Demzufolge wurden diese Register vermutlich von Nädasi selbst zusammengestellt. Die alphabetische Anordnung der Indizes verbreitete sich im Laufe des 17. Jahrhunderts allgemein, ihre Herstellungstechnik entwickelte sich parallel zur Entfaltung der loci-Idee rasch.19 Die Anordnung und Erschließung des gesammelten Quellenmaterials nach Sachgruppen galt als gängige Methode. Jeremias Drexel widmet in seiner Aurifodina (1636) der Frage der zu den Exzerpten zu erstellenden Indizes eine eigene Erörterung. 20 Demnach sollten die alphabetischen Register der Lemmata, Adversarien und Historien möglichst in einem Band, aber voneinander getrennt angeordnet werden. Dasselbe Stichwort könne in allen drei Indizes verwendet werden. Jeder solle selbst zu seinem Material den Index erstellen, dürfe aber dazu andere Indizes als Vorbilder benutzen. Laut Drexel soll man vor allem auf die Aufnahme von Historien in den Index achten. Jede Geschichte müsse einen Titel aus mehreren Wörtern erhalten, und zwar so, daß das erste Wort des Titels das wichtigste Charakteristikum der Geschichte angibt. Die Geschichten müssten in der alphabetischen Folge der ersten, zum Stichwort erhobenen Wörter der Titel angeordnet werden. Die Stichwörter der Indizes seien so zu wählen, daß man mit ihrer Hilfe die verschiedenen Texte und Themenkreise leicht ins Gedächtnis rufen kann. Die Exzerpte sakralen und profanen Inhalts, bemerkt Drexel, dürften gemeinsam aufgelistet werden, da man die gesuchten Geschichten aufgrund des Registers leicht auswählen könne. Die Wirkung der von Drexel beschriebenen Lese-, Exzerpierungs- und Indexerstellungspraxis über den Jesuitenorden hinaus wird dadurch belegt, daß z. B. die nach Stichwörtern angelegte Miscellanea-Bibliographie von Johann Georg Schiele (Bibliotheca enucleata, Ulm 1679) in der Vorrede Drexels Aurifodina als Inspirationsquelle nennt. 21 Anhand der in den Index aufgenommenen bzw. nicht aufgenommenen Stichwörter kann man darauf schließen, wie selbständig der Indexersteller gearbeitet hat und welche Sachverzeichnisse von Werken anderer Gattung er als Muster benutzt hat. Die Verzeichnisse von Nädasi verraten relativ wenig individuelle Invention, daher haben wir nach Verzeichnissen, die als Modelle zu ihnen dienen konnten, gesucht. Daß die Vorbilder weder in den Indizes der spätmittelalterlichen moralisch-theologischen Summen, Predigthilfen und Exempelsammlungen, noch in den Stichwörtersystemen der gedruckten 19 20 21
Archer Taylor: General Subject Indexes Since 1548. Philadelphia 1966, 91, 174. Drexel: Aurifodina (wie 1/3, Anm. 42.) 123-125,143-150, 167-171,182-191. Für das lange Nachleben der Drexelschen Tradition unter den Jesuiten zeugt z. B. Ignatius Weitenauer: De modo legendi et excerpendi libri II. Augustae Vindelicorum 1775.
204 Bibliothekskataloge und thematischen Bibliographien des 16./17. Jahrhunderts oder in denen der nach den Katalogen der Frankfurter Buchmesse kompilierten Bibliographien gesucht werden müssen, war klar.22 Das Registersystem im bibliographischen Wörterbuch Roberto Bellarminos, das zu den frühen und einflußreichen Modellen der jesuitischen Sachverzeichnistradition zählt, wurde ebenfalls nach grundlegend anderen Prinzipien erstellt.23 Das gleiche gilt für das Sachverzeichnis in Antonio Possevinos umfassender Wissenschaftslehre.24 Die von der bibliographischen Tradition abweichende Synthese von Sebastian Izquierdo erschien erst 1659, und ihr Stichwörtersystem weist ganz andere Eigenheiten als das von Nádasi auf.25 Nádasis Vorbild konnten wir schließlich in dem 1635 getrennt herausgegebenen Index generalis zu jenem Institutum ausfindig machen, das die grundlegenden Texte des Jesuitenordens in mehreren Bänden enthält.26 Beim Vergleich der Indizes haben wir nicht etwa die Stichwörter nach künstlichen Kategorien zusammengestellt, sondern die Sachverzeichnisse der verschiedenen Werke und die einzelnen Stichwörter miteinander verglichen. In den vor 1648 erschienenen Werken Nádasis sind keine Verzeichnisse zu finden. Die Indizes in den zwischen 1648 und 1657 erschienenen und mit Sachverzeichnissen ausgestatteten Werken sind relativ kurz,27 ab 1658 wird jedoch das Stichwörtervokabular wesentlich erweitert,28 den Indizes kommt eine größere Bedeutung zu. Zwischen 1648 und 1657 verweisen die Verzeichnisse ausnahmslos auf die Seitenzahlen, ab 1658 hingegen geben sie meist die Serienzahl der Kompositionseinheiten oder der Texte im Werk an, und Nádasi macht darauf am Anfang der Indizes jeweils besonders aufmerksam. Der hierarchische Aufbau des Index generalis entspricht genau den von Drexel beschriebenen Prinzipien. Vergleicht man die Stichwörter im Index mit den in Nádasis Werken, kann man beobachten, daß Nádasi die Mehrzahl seiner Stichwörter dort entliehen hat, er hat also bei der Erstellung seines Stichwörtersystems und seiner Indizes ein bereits fertiges System übernommen und entsprechend den eigenen Bedürfnissen erweitert. Zum Vergleich wurden die Stichwörter mit dem Anfangsbuchstaben S ausgewählt. Die Veränderungen in ihrer Zusammenstellung, die Streichungen und Ergänzungen 22 23 24 25 26 27
28
Taylor: (wie Anm. 19.) 40-123. De scriptoribus ecclesiasticis. Roma 1613. Antonio Possevino: Bibliotheca selecta de ratione studiorum. I—II. Roma 1593. Sebastian Izquierdo: Pharus scientiarum. I—II. Lyons 1659. Index generalis in omnes libros Instituti Societatis Iesu. Antverpiae 1635. Annus Marianus 1648. - Annus crucifixi 1650. - Annus SSS. Trinitatis 1650. Annus dierum illustrium 1657. - De imitatione Dei I—III. 1657. - Mortes illustres 1657. Annuae literae 1650. 1658. - Annuae literae 1651. 1658. - Annuae literae 1652. o.J. - Annales Mariani 1661. - Punctum honoris aeterni 1671. - Möns myrrhae 1675. - Collis thuris 1675. - Cor amoris Dei 1675. - Aeternitas magna cogitatio In: Annus amoris Dei 1678. - Annua eremus 1679.
205 gegenüber den Stichwörtern des zum Vorbild gewählten Indexes veranschaulichen gut die kontinuierliche Erweiterung der Sachverzeichnisse in den zu verschiedenen Zeitpunkten entstandenen Werken. (S. Tabelle) Die Verzeichnisse sind einander sowohl hinsichtlich der Anordnung der Stichwörter als auch des Stichwörtervokabulars ähnlich. Nädasi verwendet keine Synonyme für denselben Begriff, die Stichwörter fügen sich in dasselbe System. Das legt die Vermutung nahe, daß er die Quellen der Historien nach alphabetisch geordneten Stichwörtern in einem einheitlichen System aufbewahrte und dieses System ständig erweiterte. Eine Möglichkeit für die Erweiterung bestand darin, das neue Material bereits bestehenden Stichwörtern zuzuordnen. Häufte sich unter einem bestimmten Stichwort bereits viel Material auf, fügte Nädasi dem Stichwort differenzierende Ausdrücke hinzu und schuf somit Unterteilungen. Die andere Möglichkeit der Erweiterung bestand darin, neue Stichwörter in das System einzufügen. Dieses System von Stichwörtern diente nicht nur der Aufbewahrung und Handhabung des Quellenmaterials, sondern bot mit der Zeit auch die Möglichkeit, neue Werke direkt auf seiner Grundlage zusammenzustellen. Das läßt sich nach der um 1658 erfolgten bedeutenden Erweiterung des Stichwörtervokabulars und nach der Einführung des auf die Kompositionseinheiten der Werke verweisenden Verzeichnissystems erfassen. Nädasi dürfte in seiner Arbeit um diese Zeit folgendermaßen vorgegangen sein: Mit Hilfe der Stichwörter wählte er die zum Konzept des geplanten Werkes passenden Texte aus dem vorhandenen Quellenmaterial aus, und während der Zusammenstellung trug er die Stelle der Texte auch in den nach und nach erstellten Index zum neuen Werk ein. Vergleicht man die Auslegungen der gleichen Stichwörter in den verschiedenen Kontexten miteinander, so geht daraus hervor, daß Nädasi auch das benutzte Zitatenmaterial in einem ähnlichen thematischen System aufbewahrte. Oft kann man beobachten, daß er denselben Verweis mehrmals verwendet bzw. zur Bestätigung einer Behauptung oder zur Erörterung eines Stichwortes dieselben Zitate, eventuell mit modifiziertem Text und nicht selten in der gleichen Anordnung, aufführt. 29 Er schöpfte also das Material seiner Werke aus den gleichen Quellen und erweiterte sein Quellenmaterial ständig. Während der Umgestaltung und Neuverwendung wendete er die allgemeinen Regeln des Kompilierens an.
29
Beispiele für das Vorkommen des gleichen Zitats in verschiedenen Kontexten innerhalb eines Werkes: Gen. 22,6: Möns myrrhae 1675. 7, Nr. 222. - Judith 8,6: ebd. 84, Nr. 217. - Prov. 3,12: ebd. 76, Nr. 261. - Eccl. 12,12: ebd. 228, Nr. 236. - Franciscus Arias: De la mortificación, p. I. c. 4.: ebd. 4, Nr. 238. - Augustinus: De civitate Dei lib. 10. c. 6.: ebd. 62, Nr. 263.
206 Index generalis, 1635
Annus Marianus, 1648
Annus SSS. Trinitatis, 1650
Sabbatum Sacerdotes Sacra Sacramenta Sacristía Sacrum Saeculum Sanìtas Sancii Saraceni Scelus Scholae Scholastici nostri Scholastici externi Scholia Scientiae Scribere Scriptiones Scriptura Sacra Scrupuli Secretarius, Secretaria Secretum Sedes Sedere Seminarium Senex, Senectus Sensus, Sensualitas September Sepultura, Sepulchrum Servire Severitas Sigillum Signum Silentium Simonia Simplicitas Sinae Societas Socius Sodalitas Solicitudo Somnus Spes Spiritus, Spiritualia Status Stipendium Studium Suavitas Subditus Subminister Subordinatio Subsidium Substantialia Substitutus Suffragium Sumptus Superbia Superintendens Superior Superpelliceum Syndicus
Sabbatum Salve Regina Scapularis Sodalitij privilegia Societatis Iesu Mater est B. V. Sodai. B. V. laus
Sagitta serpens Sancti Sanctorum montes Sanguine Credo scriptum Scorpiones serpentes Sennex innocens Septem montes OO. SS. Signaculum SS. Trin. Silentij ars Sol cum tribus radiis Somnus sanctus Sophiae filiae oblatae SSS. Irin. Sors beata Speculum SSS. Trin. Superbus Illusus Superstitio Surge a tenebris
207 Annuae literae 1650, 1658
Annales Mariani, 1661
Annua eremus, 1678
Sabbatum Sacramenta Sancii Sanguinis profluvium Scrupuli Serpens Societas Socij mali Sodalis Sodai. Somnus B. Stanislaus Suavitas Supers titio Supplicium Sutor medicus
Sabbato ... Sacella illi dicare in Sacello illius crebro Sacra de illa celebrare Sacro se per illam parare post Sacrum litanias illius recitare Salutis tuae Sanctos... Sanguinem suum illi dedicare Sanitati suae illam praeficere in Scenam dare beneficia ante Scholas illam salutare post Scholas quoque Scholasticos... Scholasticas... in Scholis de illa loqui Scholas illi dedicare Scribenda, et scripta Scribere de B. V. pro Scriptionibus ... Scrupulos... Seminaria Sertum Servum Silentio ... Societatam ... Socios... Sodalium coetus Solitudine ... Spectra ... Spiritualem Patrem ... Spiritum in eius festis renovare B. Stanislaum cum illa colere Stationes illi engere Studia tua illi dedicare Supererogationis operibus illam colere Superiores bonos ... Supplicationes ... Supplicem libellum ad illam destinare
Sabbatum sacerdoti Sacerdotis ... mors ... Sacrificium Missae Sacrilegia Confessio Sacrificium Abrahae Sagitta amoris Salvali potes ... Sancii... Sanguis ... Sanguineae lachrymae Sartago inferni Scapulares servi Scientia vana Scintilla daemonis Sciolus damnatus Scrupuli Seductores Segnis animus Sepulchra Septem modi amandi Deum Seraphini ... Serio Sermo scintilla Serpentes ad Ubera Serviendum Deo Servi flagellati Silentium ... Societati Iesu vexillum Socij Sodalis B. V. Sodalitatus leges Sodalibus monita Soles tres Solitudo ... Somnium ... Specus mentis Speculum mortis Spina B. Ritae Spinarum corona Spinea corona ... Spinarum campus Spinae ... Spiritualis communio Spiritus Sanctus Sta lapsu aliorum Stellae ... Sudor ... Superbi... Superbia... Superiores S. Thais
208 Motivation und Programm des Autors im Spiegel der Vorworte und Widmungen Unter den Rahmentexten beziehen sich die Vorrede und die Widmung unmittelbar auf die Dreiheit Autor - Werk - Leser. Sie sind als Quellen für die Entstehungs- und Publikationsgeschichte der Werke besonders aufschlußreich. Obwohl sie zwei verschiedene Gattungen darstellen, erscheinen sie bei Nädasi nicht immer voneinander getrennt. Unter Berücksichtigung der Erstausgaben enthalten die Werke in der Mehrzahl nur Widmungen, zum kleineren Teil sowohl Vorreden als auch Widmungen, während nur einige Bücher ausschließlich mit Vorreden ausgestattet sind. Innerhalb eines Werkes findet man jeweils nur eine Vorrede und/oder eine Widmung. Der Autor der Vorrede ist immer mit dem Autor des Werkes identisch, während der Autor der Widmung auch der Mäzen, die Kongregation oder der Rektor der Kongregation sein kann, der das Werk geschenkt wurde. Fehlt die Vorrede, enthält die Widmung all jene Motive, die sonst die Vorrede auszeichnen. In einigen Fällen schrieb Nädasi zur stark bearbeiteten Neuausgabe eines Werkes eine neue Vorrede und Widmung,30 er zog die Widmung (dedicatio) und die Vorrede (proloquium) zusammen,31 die Begrüßung des Lesers wurde von der Druckerei an den Schluß des Werkes gesetzt,32 der Autor verabschiedet sich am Ende des Werkes, sozusagen als Gegenstück zur Vorrede, vom Leser,33 er macht ergänzende Bemerkungen zum Gebrauch34 oder zur Edition35 des Werkes. Die Tatsache der Widmung wird in einigen Fällen nur auf dem Titelblatt festgehalten, in der Regel steht jedoch ein eigener Widmungstext vor dem Werk. Die Adressaten der Vorrede sind meist der Leser bzw. die Marianischen Sodales und die Jesuiten, der Adressat der Widmung ist der Mäzen, der manchmal keine Person, sondern eine Kongregation ist. In einigen Fällen treten eine oder mehrere übernatürliche Personen als Widmungsadressaten auf. Der Umfang der Vorreden und Widmungen variiert zwischen 1 bis 3 Seiten, manchmal sind sie auch länger. Die Texte sind ausnahmslos in Prosa verfaßt. Eine wichtige Rolle kommt in ihnen den Autoritätsverweisen zu. Die Vorreden und die auch als Vorreden fungierenden Widmungen weisen die gemeinsame Eigenheit auf, daß sie über die Werbung um Aufmerksamkeit des Lesers und die Rechtfertigung hinaus die Zielsetzung des Autors 30 31 32 33 34 35
Annus coelestis 1667. Annus SSS. Trinitatis 1650, )(3/a-)(12/b. Annua eremus 1678, 163. Annus Marianus 1648, 250-251. Annus amoris Dei 1678, 505. - Annus coelestis 1667, 556. Maria aeternitatis 1645, 187-188. In RMKT XVII/7, 624. wurde der Text des Postskripts zusammen mit der Vorrede von Nädasi und der Widmung von Fabian Kerti abgedruckt.
209 sowie Entstehung, Inhalt, Aufbau und Gebrauchsweise des Werkes festhalten und dadurch die Etappen in der schriftstellerischen Entwicklung Nädasis kennzeichnen. Sie rufen den Leser zum Gebrauch des Werkes auf und suchen ihn über den geistlichen Nutzen, die utilitas, zu überzeugen. Die utilitas ist die gemeinsame und zentrale ethische Kategorie der Vorreden und Widmungen, sie zeugt für das Übergewicht der didaktischen Absicht gegenüber den Bemerkungen zu formal-stilistischen Fragen. Im folgenden werden die den Vorreden und Widmungen gemeinsamen Motive dargestellt. Die an Jesuiten gerichtete Widmung der Annales Mariani (1661) informiert in zwölf Punkten darüber, aus welchen Gründen der Autor das Lesen des Werkes empfiehlt:36 weil 1. das Werk historische Angaben über die Verehrung Mariä enthält, 2. die Geschichten in späteren Werken zu verwenden und in Reden eingebaut werden können, 3. die Beispiele zum Dienst am Guten erziehen und zur Marienverehrung anregen, 4. die Tilgenden stärken, 5. den Weg zu Gott ebnen, 6. viele Menschen das Gute lehren können, 7. zur Erkennung der Sünden anregen, 8. die Pietät stärken, 9. die Aneignung der prudentia erleichtern, 10. die Gottesfurcht vertiefen, 11. unterhalten, 12. die Verehrung Mariä mit Hilfe der jährlich veröffentlichten Exempel ständig zu erhöhen ist. Die neue Vorrede des Autors zur erweiterten (»Hic liber, ä me auctus, ac reconcinnatus«) Ausgabe von 1667 des Annus coelestis, die mehrere Motive aus der Dedikation der Erstausgabe 1648 verwendet, informiert laut Untertitel »De usu Anni coelestis, et meditatione«.37 In der Einleitung weist Nädasi auf die Kalenderstruktur sowie darauf hin, daß er den täglichen Gebrauch für ratsam hält. Er erwähnt, daß »Hungaria, nobilis Mariae familia olim dicta« ist und daß die Ungarn alle Monate nach Maria und den Heiligen benannt haben. Bei der täglichen Verehrung der Heiligen beruft er sich auf die Jesuiten Alonso Rodrfguez und Cosmas Alemannius als seine Vorgänger, als Inspirationsquelle der Titelgebung nennt er den Traktat Caelum Beatorum (1635) von Jeremias Drexel. Nädasi nennt drei Verwendungsmöglichkeiten des Werkes: 1. Einfaches Lesen der für den jeweiligen Tag bestimmten Stücke. 2. Verwendung nach den in den Exercitia spiritualia beschriebenen drei Gebetsweisen, man kann also nach der ersten Weise über die lügenden der Heiligen nachdenken, nach der zweiten Weise über die einzelnen Wörter der vorgeschriebenen Fürbitten meditieren und nach der dritten Weise schließlich die Fürbitten nach dem Rhythmus des Atmens sprechen. 3. Vom Lesen des täglichen Abschnittes (memoria) ausgehend kann man die systematische ignatianische Betrachtung mit Hilfe der compositio loci, des intellectus und des colloquium verrichten.
36 37
+5a-++8/b. In der Ausgabe 1681 auf S. 11-17.
210 Ohne die übrigen Vorreden eingehend beschreiben zu wollen, können die vom Autor wiederholt betonten Ziele, die im wesentlichen mit den Hauptfunktionen der Werke identisch sind, folgendermaßen zusammengefaßt werden: 1. Erziehung der Seelen, um die Harmonie zwischen Mensch, Gott und Welt zu sichern. 2. Hilfeleistung in der Aneignung und Vervollkommnung der christlichen Tilgenden. 3. Förderung der verschiedenen Kultformen, des religiösen Eifers (z.B. die Gottesliebe) und der Pietät. 4. Angebot geistlicher Lektüre und Anregung zur Meditation. 5. Hilfe für die Vorbereitung auf einen guten Tod. 6. Förderung der Weisheit. 7. Erinnerung an die bedeutenden Mitglieder der Gesellschaft Jesu. 8. Unterhaltung, Delektion. Die nächste Motivgruppe der Vorreden bilden die Hinweise auf Enstehung und Stil der Werke sowie auf ihren wichtigsten Bestandteil, die Exempel. Prinzipiellen Bemerkungen zum Stil begegnet man in zwei Vorreden. In der Vorrede an den Leser zum Annus dierum memorabilium (1665) bemerkt Nädasi, er strebe nicht nach vornehmer Vortragsweise, sondern nach allgemein verständlicher klarer Formulierung: »Imitationi haec scribo, non admirationi, et pompae. Unde et stylus planus, modestus, ac facilis (et nonnunquam, prout fert occasio, fere asceticus, etiam pro capacitate tyronum) parabili quadam perspicuitate, citra magniloquentiae affectationem, ita breviter ac dilucide res narrat, ut apud aequos rei aestimatores, virtutes aliorum ostendat, non se ostentet; contentus intelligenter perlegi, non laudari.«38 Das Buch war also in erster Linie für die Jesuitennovizen bestimmt, sein Ziel bestand nicht so sehr im vornehmen sprachlichen Ausdruck, als viel mehr in der knappen und verständlichen Darstellung der lügenden. Das Programm des eben erwähnten stylus planus oder stylus ascetiscus bestimmt die Vorrede an den Leser in einem der letzten Werke Nädasis, in der Annua eremus (1678).39 Die ganze Vorrede ist nichts anderes, als eine Begründung der Ablehnung der »grammaticae vanitatis« mittels der Aufzählung von miteinander verflochtenen Autoritätsverweisen (Hervorhebungen im Original): »Unde rerum mihi cura fuit potius quam verborum. Ita me, ac Lectorem Sapientem, monet Sapientissimus Antistes S. Petrus Chrysologus dicens. Verborum flosculos non quaeramus. Violae, rosae, lilia, narcissus, grati flores; sed gratior panis. Seponenda est eloquentiae voluptas, quando scientiae deposcitur fortitudo.« Dann fährt er fort: »nec speret vile, ac ludicrum lucel-
38
39
e2a.
163.
211
lum Grammaticae vanitatis [...] sed tota sit in exhibitione spiritus solidae aeternitatis: neq; nugatoria mendicatione corroget delectationis Lectores.« Danach beruft er sich in einem einzigen Gedankenzug auf Chrysostomus, Lactantius, Hieronymus und Theodoretus. Das zeigt zugleich, daß entsprechend dem Brauch seiner Zeit auch Nädasi gerne Zitate aus antiken Autoren, den Kirchenvätern und den als Autoritäten geschätzten mittelalterlichen Autoren sowie Verweise auf sie von anderen übernahm und sie miteinander verknüpfte. Chrysostomus nennt jene, die blumige Wörter lieben, Auditores delectationis. Laut Raynaud sind in den heiligen Schriften sowohl die Eloquenz des Lactanz als auch der Prunk der Schrift kraftlos. Hieronymus meint, wer die Gnade der Seele sucht, muß die Herrlichkeit der Sprache verwerfen. Nach Theodoretus sind die äußeren Zierden der Wörter niederträchtig und verwerflich, da man die wertvollsten Schätze geheim halten müsse. Die, die das Wort Gottes maßlos traktieren, »insectatur commutantes gladium spiritus in lyram«, was nach Raynauds Ansicht wohl das allergemeinste Übel in der Kirche ist. Nach den Zitaten, die Nädasi aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgerissen zur Ablehnung der Eloquenz aufzählt, beschreibt er mit Hilfe weiterer Verweise die wichtigsten Merkmale des von ihm befolgten Stils. Das Kennzeichen der Begabung besteht nach Augustin darin, »in verbis verum amare, non verba«. Ambrosius sagt, die christliche Predigt bedürfe weder des Prunks noch des Kultes der Rede. Er zitiert Hieronymus: »Parum eloquens sum, quid ad te? Disertiorem lege.« Die Gedankenreihe wird mit einem Zitat aus der 5. Satire Juvenals abgeschlossen: »Non equidem hoc studeo, bullatis ut mihi nugis / Pagina turgescat.« Nädasi setzt also die Liebe zur Wahrheit und die Verständlichkeit eindeutig höher als die Eloquenz. Die Frage, inwiefern diese Ablehnung der Eloquenz ein Topos bzw. ein auch in der Praxis befolgtes stilistisches Programm ist, kann erst nach der Untersuchung der von Nädasi verwendeten rhetorischen Mitteln beantwortet werden. In der Vorrede zum Annus angelicus (1653) schreibt Nädasi, er möchte sein Ziel mit Hilfe der in die verschiedenen Übungen eingeflochtenen Exempel erreichen, ebenso wie Lipsius seine politischen Mahnungen in der Form von Fabeln und symbolischen Geschichten vorgetragen hat.40 Exempel, Historie und Fabel werden auch in anderen Werken mit dem »documentum« gleichgestellt.41 Die Beispiele sind dadurch, daß sie die Tilgenden immer wieder ins Gedächtnis rufen, 42 dem Erwecken des Wunsches nach ihnen und der Aneignung der lügenden förderlich,43 außerdem »varietas piae delectet.«44 40 41
42 43 44
a6/a-a7/a. So z.B. Lilia coelestia 1655, )(5a-)(6/b. - Vgl. »An non fabula hic tibi versa in historiam videtur...« Annua eremus 1678, cap. V, nr. 52, p. 11. Vgl. Anm. 21. Aula coelestis 1663, A2/a-A7/a. Annales Mariani 1661.
212 Mehrere Widmungen bieten eine Erklärung der Exempel. Der Dedikation zur Maria mater agonizantium (1640) zufolge z.B. belehren die Exempel,45 nach der zum Annus angelicus (1653) regen sie zur Nachfolge (imitatio) an.46 All diese Bemerkungen bestätigen den grundlegend doppelten, rhetorischen und moralisch-didaktischen Charakter der Beispielauffassung von Nädasi. Die Vorgehensweise bei der Zusammenstellung des Calendarium novum ad bene moriendum (1668) wird in der Vorrede, auf die Arbeitsmethode von Nädasi hinweisend, folgendermaßen zusammengefaßt: »Et ne causeris temporis angustias, quae longiores meditationes et preces saepe non permittunt, brevissime, quam potui, e sancti alicuius diei cujusvis gestis quid excerpsi, et commendationem ad ipsum Divum cum contritione adjunxi.«47 Die kurze Vorrede zum Aurum ignitum (1673) zählt die fünf Werke mit der gleichen Kalenderstruktur auf, die als Teile des zweiten Sammelwerks bereits früher fertiggestellt wurden.48 Laut der Vorrede zum Annus dierum memorabilium (1665) möchte der Autor kein Brevier von Biographien, keinen Heiligenkalender bieten, sondern eine Sammlung von auserlesenen, bemerkenswerten Tugenden und tugendhaften Geschichten (Exempeln), die zur Erbauung des Lesers beitragen könne. Zum Schluß weist er auf sein anderes Werk ähnlichen Charakters, auf die Zusammenstellung Diurnum quotidianae virtutis (1659) hin.49 Unter den in den Widmungen enthaltenen Hinweisen auf die Entstehung der Werke sollte erwähnt werden, daß Nädasi laut der Dedikation zu den Annuae litterae 1650 zur Betreuung der eingesandten annuae litterae und zur Herausgabe der dazu würdigen nach Rom geschickt wurde.50 In der Widmung zur Mensis II. divini amoris (1663) macht Nädasi erneut eine persönliche Bemerkung. Er beruft sich auf Aristoteles, dem zufolge die Kraft des Leibes bis zum 30.-35., die der Seele hingegen bis zum 49. Lebensjahr wächst. Er habe dieses Werk gerade in seinem 49. Lebensjahr geschrieben, und er habe sein ganzes Leben lang Maria, Christus und den Himmlischen sowie den Sodales und den Lesern dienen wollen.51 In der Widmung zu den Pretiosae occupationes morientium (1657) bemerkt er, er habe nicht gewollt, daß die dargebotenen Geschichten »in otioso archivi silentio latuissent« ein Hinweis auf die Absicht, die schwer zugänglichen Texte dem breiteren Publikum zu vermitteln.52 Laut Widmung zur Mensis III. divini amoris (1663) dachte Nädasi beim Schreiben des Werkes an die Fugalienfeste des antiken 45 46 47 48 49 50 51 52
A2/a-A3/b. a3/a-a5/b. A4v. )(l/b. el/a-e2/a. A2/a-A3/a. +2/a-+4/b. In der Ausgabe 1753 )(3/a-)(4/b.
213
Roms.53 Er habe das Ziel gehabt, die »sacra fugalia«, d. h. die Art und Weise zu zeigen, wie man die Sünde vertreiben und sich vor der Hölle retten könne. Eine auf den Titel bezogene allegorische Erklärung ist in der Vorrede zu den Lilia coelestia (1655) enthalten.54 Demnach sei die Lilie das Sinnbild der Reinheit, und die Sodalitäten würden, da ihr Hauptziel in der Reinheit der Tilgenden bestehe, blühenden Lilien ähneln. Als dritte gemeinsame Eigenheit enthalten die Vorreden und Widmungen Ratschläge zum Gebrauch der Werke und ihre gelegentliche Begründung. Diese Ratschläge lassen sich in drei Typen einteilen, von denen der erste im wesentlichen für alle Werke, der zweite und dritte vor allem für die mit Kalenderstruktur gültig sind: 1. Die Bücher soll man regelmäßig benutzen. 2. Wie oft soll man die Bücher benutzen. 3. Die Gebrauchsweise wird durch den Aufbau der Werke bestimmt. In der Vorrede zu den Aspirationes theologicae wird eigens betont, daß »Legendae sunt hae Aspirationes, non una omnes, aut multae, sed ut distinctae sunt in hebdomadas et dies, per intervalla, et particulatim, ne plus fatigent, quam prosint.«55 Ein wiederkehrendes Argument für die regelmäßige Benutzung lautet, niemand kenne die Stunde seines Todes.56 Die sonnabendliche Marienverehrung wird in der Dedikation zum Annus Marianus (1648) damit begründet, daß der Sonnabend seit Papst Urban II. (1088-1099) Maria geweiht ist.57 Die Widmung zum Annus tneditationum cordis III. (1663) bemerkt, zuerst solle man das tägliche Evangelium lesen, erst dann lohne es sich, mit Hilfe des Buches mit der Meditation beginnen: »Legendum prius est Evangelium, antequam Meditationes hae legantur.«58 Am Schluß der Ausgabe 1667 des Annus coelestis wird dem Leser empfohlen, er solle das im Buch dargebotene Material zu geistlichen Fürbitten oder geistlichen Gesprächen benutzen, weil beide der Vorbereitung auf den guten Tod förderlich seien.59 Die Mahnung an den Leser am Ende des Annus amoris Dei (1678) besagt: »Si cui libeat hoc Anno Amoris Dei uti etiam pro quotidianis per annum meditationibus; singula capita suis numeris distincta praebebunt copiosam materiam meditandi per totum annum.«60 Ein weiteres gemeinsames Charakteristikum der Vorreden und Widmungen schließt sich meist den Ratschlägen zum Gebrauch an, nämlich das stereotype Motiv der Aufforderung zum Lesen und Gebrauch des Werkes bzw. zur Nachahmung der in ihm enthaltenen Beispiele, wobei die Größe des daraus entstehenden geistlichen Nutzens betont wird. Die Aufforderung wird 53 3_g 54 55 56 57 58 59 60
)(5/a-)(6/b. A2r. Calendarium novum ad bene moriendum 1685, Al/a-A2/b. In Annus hebdomadarum coelestium (1663) auf S. 612-613. A3/b. Vgl. Anm. 17. Ebd.
214 manchmal mit dem Hinweis auf den Titel oder den zentralen Gedanken des Werkes verbunden, in anderen Fällen erscheint sie in metaphorischer Form. Diese Aufforderungen spiegeln eindeutig die primär didaktische Absicht des Autors, seine moralische Zielsetzung wider. Vor der weiteren Untersuchung der Widmungen soll kurz das Verhältnis zwischen den in den Vorreden und Widmungen formulierten Motivationen Nädasis, seinem in diesen enthaltenen Programm und der aus den Werken bisher ersichtlichen Verwirklichung dieses Programms in der Praxis beleuchtet werden. Von den inneren Motivationen seiner schriftstellerischen Tätigkeit konnten schon bei der Nachzeichnung des Lebenslaufs seine tiefe Frömmigkeit, seine spirituell-moralische Einstellung, seine aszetische Lebensweise und seine Neigung zur Einsamkeit beobachtet werden. Hinzu kamen der Einfluß der jesuitischen Erziehung, das Scheitern des Missionsplans, der Ordensauftrag, der Lesestoffbedarf der Sodalitäten und der offene Zugang zum reichen Quellenmaterial als wichtigste äußere Motivationen. Dieses Motivationssystem prägte also sein schriftstellerisches Programm, in dessen Mittelpunkt er die moralische Belehrung, die Erläuterung und Bekräftigung religiöser Wahrheiten sowie die Formulierung, Verbreitung und Förderung gesellschaftlicher Tätigkeits- und Verhaltensformen stellte. Für sein schriftstellerisches Bewußtsein zeugt, daß er einen Teil seiner Werke im voraus plante. Die primäre Absicht der moralischen Belehrung und die Unterhaltung als sekundäre Zielsetzung verbinden sich in den Exempeln am engsten miteinander. Die ideellen Grundlagen des Programms sind das Erweckungs- und geistliche Erneuerungskonzept der Exercitia spiritualia sowie die »ordinare-vitam«Auffassung des Ignatius von Loyola. Letzteres Ziel bestimmt nicht nur das Programm von Nädasi, sondern das umfassende Programm der jesuitischen Andachtsliteratur insgesamt: Aufforderung zur Neugestaltung des Alltags mit religiösen Mitteln. Wichtigstes Mittel ist die regelmäßige geistliche Lektüre, das betrachtende Lesen von Texten verschiedener Gattungen.61 Die lectio spiritualis stellt im 17./18. Jahrhundert einen festen Bestandteil in den Erklärungen christlichen Verhaltens dar,62 ihre Berücksichtigung ist bei der Interpretation der erbaulich-moralischen Literatur und der religiösen Lyrik gleichermaßen unerläßlich.63 Nädasi betont die Notwendigkeit der täglichen 61
62
63
Franz M. Eybl: Poesie und Meditation. Zur Vorredenpoetik des Bartholomäus Christelius. In: Oberdeutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Hg. Dieter Breuer - Wolfgang Brückner - Hans Pörnbacher. München 1984, 255-276. Hier: 270 -272. - Vgl. Bärbel Schwitzgebel: Noch nicht genug der Vorrede. Zur Vorrede volkssprachlicher Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1996. So z.B. Tobias Lohner: Instructissima Bibliotheca manualis concionatoria. Augsburg-Dillingen 1712 (1. Ausgabe: 1681), Bd. II. 156-157. (Lemma »Lectio spiritualis«.) Vgl. Martz: (wie 1/2, Anm. 6.) - Lewalski: (wie 1/2, Anm. 6.)
215 geistlichen Lektüre nicht nur in den Vorreden und Widmungen, sondern auch in den Texten der Werke selbst. Im Teil IV des Annus amoris Dei (1678) schreibt er z. B.: »[...] lectio spiritualis clavis est cordis [...] constituamus certam horam quotidie, qua in Lectione spirituali, loquenti nobis Deo aures faciles, et attentas cum omni amoris, ac reverentiae significatione praebeamus«.64 Der Leser fügt, entsprechend der Aufforderung durch den Autor und den im Text vorprogrammierten Reaktionen, seine eigenen Betrachtungen und Gebete zwischen die gelesenen Textstücke ein, sein Gebet und seine Meditation sind der ignatianischen Auffassung nach Atemzüge während des Lesens: »oratio, quae sit velut interspiratio lectionis«.65 Nädasi strebte also in erster Linie danach, mit Hilfe der Texte eine Meditation entstehen zu lassen, eine bestimmte Rezipientenrolle zu verwirklichen, deren letztgültiges Maß und Ziel die religöse Praxis ist. Der Text erhält durch die aktive Mitwirkung des in den Text integrierten Lesers seinen eigentlichen Sinn; das letzte Ziel besteht nicht im Lesen, sondern in der Ausführung des Gelesenen. Das zeigt zugleich die weitgehende Identität zwischen dem vom Orden festgelegten Programm und der verwirklichten schriftstellerischen Praxis.
Widmungswesen, Mäzene Außer den mit den Vorreden gemeinsamen Zügen enthalten die Widmungen mehrere spezifische Elemente. Im Mittelpunkt der Widmung steht die Person des Mäzens, Hinweise auf Werk und Autor kommen ergänzend hinzu. Während die Vorreden des Autors in den späteren Auflagen immer wieder abgedruckt werden, werden die Widmungen persönlichen Charakters, die auch repräsentative Funktionen erfüllen, mit wenigen Ausnahmen weggelassen. Die stärker als die Vorreden rhetorisierten Widmungen können unter dem Aspekt der Gattung untersucht werden, in diesem Fall stehen die formalen, stilistischen und rhetorischen Charakteristika, der Aufbau und die Topoi im Vordergrund. Die Anlässe und Adressaten der Widmungen liefern uns Informationen über das Verhältnis zwischen Autor und Mäzen, zwischen Werk und Publikum, ferner über den gesellschaftlichen Rang des Autors, den »Handelswert« der Widmungen und die Geschichte des Mäzenatentums. Die Widmungen stellen schließlich wichtige Quellen für die Biographie des Autors und des Mäzens, für die Entstehung, den Inhalt und Erfolg des Werkes dar, darüber hinaus enthalten sie kultur- und zeitgeschichtliche Informationen. Das von den Vorreden abweichende wichtigste Element der Widmungen ist die Begründung der Wahl des Adressaten und seiner öffentlichen Ehrung, 64 65
Annus amoris Dei 1678, 225. Ebd. 224.
216 der Tatsache der Dedikation also. Diese wird unmittelbar mit dem Lob des Mäzens verbunden, was unter Verwendung von Formeln, seltener in individueller Weise geschieht. An erster Stelle unter den benutzten Topoi steht das Lob des tugendhaften Lebens, der Pietät des Mäzens. Ein häufiges Motiv ist die Erwähnung der Vorfahren des Mäzens sowie seine Vorliebe und sein Beitrag zu jener Kultform, die im Mittelpunkt des jeweiligen Werkes steht. Das Lob der Familie wird in der Widmung zum Punctum honoris aeterni (1675) verbunden mit den Topoi der Ruhmestaten und der königlichen Auszeichnung, indem Nâdasi über die Begründung in der königlichen Urkunde berichtet, durch die dem Mäzen Bâlint Balassa II. den Grafentitel verliehen wurde.66 Die Widmung zum Theophilus Marianus (1664) an den Polen Adamus Sigismundus Tarlo begründet Nâdasi damit, daß dieser auf mütterlicher Linie mit Stanislaus Kostka verwandt sei.67 Ein beliebter Topos ist die Förderung der Wissenschaften, der Bildung, der Kirche, des Glaubens, der Jesuiten und der Sodalitäten. Das Lob der Weisheit und der Einsicht des Mäzens sowie die Erwähnung dessen, daß der Autor bereits früher eines seiner Werke ihm widmete, sind weitere wiederkehrende Motive der Widmungen. Mehrmals wird auf den hervorragenden Amtsvorgänger des Mäzens hingewiesen. György Szelepchényi z.B., der Mäzen von Möns myrrhae (1675), wird unter Berufung auf Péter Pâzmâny sowie auf die auserlesene Bibliothek von Szelepchényi gelobt. An derselben Stelle wird der Topos der Unsterblichkeit des Mäzens mit der Vorstellung von der Unsterblichkeit der geförderten Werke verknüpft: »Ego vero, qui haec ad Celsitudinem Tüam scripsi, scripsi ut per hunc montem myrrhae et collem thuris ad immortalitatem ascendens, utrumque hunc libellum immortalitate donares. Et fecisti.«68 Als weitere Topoi kommen das Lob der Kriegstugenden des Mäzens, der Vergleich mit berühmten Personen69 sowie die Nennung des himmlischen Patrons des Widmungsadressaten als Vorbild vor.70 In der Widmung zur Mensis II. divini amoris (1663) dankt Nâdasi dem Mäzen dafür, daß er der Dedikation des Werkes an die Hl. Jungfrau zustimmte.71 Die Widmung der Annales Mariani (1661) an György Lippay wird zunächst mit der Marienliebe des Erzbischofs und seiner den Jesuiten erwiesenen Unterstützung begründet, sodann aber damit, daß das Gebiet des Erzbistums »a S. Stephano Rege Dei Matri dicatus est« sowie daß Ungarn »familia Dei Matris [...] Dei Mater [...] Patrona Hungariae, ac Regina« ist.72 Das letzte Beispiel weist zugleich auf eine häufige Begründung des Widmungsanlasses hin, wonach die Wahl 66 67 68 69 70 71 72
)(2/a-)(4/b. Abgedruckt in: RMKT XVII/12, 755. +l/a-+2/b. (?)2/a-(?)4/b. Annus crucifixi 1650, )(2/a-)(5/a. Annus angelicus 1653, a3/a-a5/a +2/a-+4/b. +3/a-+4/b.
217
des Widmungsadressaten durch den Gegenstand des Werkes bestimmt wurde. Die Widmung des Annus Marianus (1648) an den Bischof von Väc (Waitzen), Jänos Püsky, begründet Nädasi damit, daß Püsky Präses der vier Universitätsfakultäten vereinigenden Marianischen Kongregation des Wiener Jesuitenkollegs sei. Weitere Gründe für Widmungen sind die persönliche Beziehung zwischen Autor und Mäzen73 sowie die gemeisamen Ziele und Interessen des Autors und des Mäzens.74 Es ist leicht einzusehen, warum häufige Motive für Widmungen zu Werken weltlicher Thematik, z.B. die Freundschaft und die Gastfreundschaft, die wohlwollende Unterstützung und das Angebot eines Amtes, in Nädasis Widmungen fehlen.75 Einer individuellen Lösung begegnet man in der neuen, an Christus, Maria, Joseph und die Himmlischen adressierten Widmung zur Ausgabe 1667 des Annus coelestis; hier werden die Motive auf dem illustrierten Titelblatt zur neuen Ausgabe erklärt.76 Ebenfalls einmalig ist, wenn der Autor nicht in der Widmung, sondern am Schluß des Werkes darüber informiert, daß der Mäzen während der Druckarbeiten verstorben ist, und den Leser bittet, für ihn zu beten. 77 Bereits dieser kurze Überblick hat gezeigt, daß die Widmungen Nädasis eng an die jesuitische, nach antiken rhetorischen Mustern und Briefmodellen entwickelte Tradition der Gattung anschließen. Die Rhetorik der Jesuiten ordnete die Dedikation der Gattung des Briefes zu und widmete den Topoi der Widmungsbegründung, der Entschuldigungen des Autors und der Überreichung des Werkes jeweils eigene Betrachtungen.78 Die Widmungen von Nädasi sind Lobreden, in denen der stereotype Gebrauch der den Wohltäter lobpreisenden und proömialen Topoi überwiegt. Die Dedikationen enthalten relativ wenig persönliche Züge, die wirkliche Motivation teilen sie nur selten mit, die Anlässe sind von der schriftstellerischen Tätigkeit meist unabhängig. Auf der anderen Seite kann man das Bestreben beobachten, die Topoi in diskreter Weise der jeweiligen Situation anzupassen und die Widmungen mit der Funktion der Werke zu verbinden. In sprachlicher Hinsicht sind die Widmungen verhältnismäßig zurückhaltend, Nädasi vermeidet selbstgefällige Häufungen von Stilfiguren. Damit weisen sie zum einen auf den Prozeß hin, wodurch die meist schwülstigen Widmungen der ersten Hälfte des 17. Jahr73 74 75
76 77 78
Vita et mores praedestinatorum 1681, (?)2/a-(?)4/a. Annales Mariani 1661, +3/a-+4/b. Karl Schottenloher: Die Widmungsvorrede im Buch des 16. Jahrhunderts. Münster 1953,175-177. Annus coelestis 1681, A3/a-A4/b. Vgl. Anm. 18. Gérard Pelletier: Reginae palatium eloquentiae. Paris 1641. Die benutzte Ausgabe: Mainz 1669, 783-784. - Vgl. Wolfgang Leiner: Der Widmungsbrief in der französischen Literatur (1580-1715). Heidelberg 1965, 304-305. - Welzig: Katalog (wie 1/ 1, Anm. 43.) I, 14. - Bitskey: Humanista erudíció (wie 1/1, Anm. 7.) 48-49. - Gulyás: (wie 1/1, Anm. 58.) 87-92.
218 hunderts von der Mitte des Jahrhunderts an allmählich durch Dedikationen abgelöst werden, deren Stil einfacher und deren Rhetorik in den Dienst des Zwecks gestellt ist. Zum anderen zeigt die hohe Zahl der Widmungen, daß Nädasi die Bedeutung der als religiöse Geste verstandenen finanziellen Förderung des Druckwerkes hochschätzte. Die Tatsache jedoch, daß seine Existenz vom Orden gesichert wurde, erübrigte von vornherein die Anfertigung von Widmungen, die die Gnade des Mäzens um jeden Preis gewinnen wollen und daher von Übertreibungen und Schmeicheleien strotzen. Während für die Publikation der ordensgeschichtlichen Werke in engerem Sinne, vor allem für die der Annuae litterae der Jesuitenorden sorgte, mußte Nädasi zur Veröffentlichung seiner meisten Werke den Gönner selbst finden. Die Mäzene der Erstausgaben sind uns aufgrund der Widmungen mit wenigen Ausnahmen namentlich bekannt. Diese Namensliste ist zum einen deswegen wichtig, weil sie auf die soziale Gruppe hinweist, die die Publikation der Werke mit ihrer finanziellen Unterstützung sicherte und damit zur Gewinnung des Publikums beitrug. Zum anderen spiegelt sie sozusagen in nuce die Widmungspolitik und das soziale Beziehungssystem von Nädasi sowie das primäre Lesepublikum seiner Werke wider.79 In die erste Gruppe gehören die Mitglieder der ungarischen hohen Geistlichkeit: Istvän Bartök, Adam Szalkovich, Joachim Luzsinszky (2 Werke), György Esterhäzy von Galäntha und Ferenc Lenärd Szegedi (alle Domherren von Esztergom), der letztere zugleich Pfarrer von Nagyszombat, später Bischof von Väc und Eger und Kanzler von Ungarn (3 Werke), Jänos Püsky, Bischof von Väc und Propst von Pozsony, Jänos Vanoviczi, Sekretär des Paulinerordens (3 Werke), sowie György Lippay (2 Werke) und György Szelepchenyi, beide Erzbischöfe von Esztergom. Den hohen Klerus außerhalb Ungarns vertreten Franciscus Maria Navarra, römischer Kardinal, und Philipp Friedrich, Bischof von Wien. Die dritte Gruppe bilden die Mitglieder der Gesellschaft Jesu: General Goswin Nickel (2 Werke), Joannes de Lugo, Theologieprofessor im Collegium Romanum und Titularkardinal, sowie die Jesuiten im allgemeinen. Die vierte Gruppe besteht aus den Vertretern des ungarischen Hochadels: Diese sind Ladislaus Esterhäzy und die Mitglieder der Familie Esterhäzy, Freiherr Ferenc Wesselenyi und seine Frau, Anna Maria Szechi (2 Werke), weiterhin der Vize-Judex Curiae Istvän Fönyi Aszalai, zugleich Mitglied der Kongregation Maria Heimsuchung von Nagyszombat, deren Präses Nädasi war, Jänos und György Lippay, Neffen des Erzbischofs György Lippay, Hofrat Graf Bälint Balassa, Gespan des Komitats Hont (2 Werke) sowie Zsigmond Ignäc Forgäch, Comes von Borsod. In die fünfte Gruppe gehören die nichtungarischen Hochadeligen und hochrangigen Hofbeamten: Joannes 79
Siehe die Chronologie der Erstausgaben der selbständigen Werke und der Sammelwerke im Anhang.
219 Thomas Casinedi, Kameralrat von Niederösterreich, zugleich Mitglied der Grazer Kongregation, die das Buch herausgibt und der vermutlich auch Nädasi beitrat, weiterhin Michael Thomas Koribonth, Herzog von Litauen, Palatin der russischen Territorien, Freiherr Joannes Wenceslaus Ignatius von Oppersdorf, Rektor der Universität von Ingolstadt und Präfekt der akademischen Kongregation, Adamus Sigismundus Tarlo, polnischer Adeliger, Ernest von Abensperg und Traun, österreichischer Hofrat, sowie Joannes Franciscus von Wrbna und Freudenthal, tschechischer Comes. Nädasi hat sie vermutlich in Rom bzw. Wien kennengelernt. Mäzene je einer Publikation waren die Kaiserinwitwe Eleonore sowie Kaiser Leopold I., die die Gruppe der weltlichen Fürsten vertreten. Die siebte und letzte Gruppe bilden jene Marianischen Kongregationen, die als Adressaten der Widmungen auftreten, ohne daß andere Mäzene des jeweiligen Werkes bekannt wären: so etwa die Marianische Kongregation des Wiener Profeßhauses (2 Werke), die Studenten des Jesuitenkonvikts von Antwerpen, die Kongregation Mariä Heimsuchung von Nagyszombat sowie die größere akademische Kongregation von Würzburg. In dieser Liste fällt der hohe Anteil der historischen Personen, unter ihnen der führenden kirchlichen Personen Ungarns sowie der Mitglieder des Hochadels auf. Die Mehrzahl von ihnen spielte in der Rekatholisierung Ungarns im 17. Jahrhundert eine wichtige Rolle, einige von ihnen sind auch sonst als Förderer von BuchVeröffentlichungen bekannt. Nädasi lernte sie auf den verschiedenen Stationen seines Lebens kennen, mit mehreren von ihnen stand er in persönlicher Beziehung: so z.B. mit György Lippay, zu dessen Bibliothek in Nagyszombat er Zugang hatte, 80 ferner mit György Szelepchenyi, der Nädasi, wie bereits erwähnt wurde, an seinem Sterbebett besuchte. Ferenc Lenärd Szegedi studierte von 1638 bis 1641 im Collegium Germanicum Hungaricum, und während dieser Zeit weilte auch Nädasi länger in Rom. 81 György Esterhäzy studierte von 1650 bis 1654 im Collegium Germanicum Hungaricum, dessen Beichtvater Nädasi zu dieser Zeit war. Das ihm gewidmete Buch erschien gerade im Jahr seiner Rückkehr aus Rom. 8 2 Ädäm Szalkovich war Präfekt von Päl Esterhäzy und später seines jüngeren Bruders Ferenc, ihn dürfte Nädasi in der Umgebung der Familie Esterhäzy kennengelernt haben. Die persönliche Beziehung zu Jänos Vanoviczi ist durch zwei Briefe Nädasis sowie seine eigenhändige Dedikation in einem Exemplar des ihm gewidmeten Werkes belegt. 83 Diese Namen zeugen zugleich dafür, daß Nädasi neben seinen europäischen Kontakten die ungarischen Beziehungen auch aus dem Ausland weiter pflegte. 80 81 82 83
Vitae praedestinatorum 1744,117. Veress: (wie II/l, Anm. 148.) 41. Eszterhäzy: Az Eszterhäzy csaläd (wie II/l, Anm. 107.) 251. Annus meditationum cordis 1659. Das Exemplar: E K RMK III 357. »In usum Fratris Joannis Vanoviczi Ordinis Sancti Pauli Primi eremitae Roma J. N.«
220 Eine andere beachtenswerte Gruppe der Widmungen stellen die Marianischen Kongregationen dar. Die Präsenz der Sodalitäten unter den Mäzenen der Erstausgaben weist neben der Rolle der Sodalitäten als Mäzene und Leser zum einen darauf hin, daß die reicheren Kongregationen die Veröffentlichung ihrer Drucke auch ohne Mäzene finanzieren konnten. Zum anderen zeigt sie die Bestrebung des Autors, zu den primären Lesern seiner Werke direkte Beziehungen zu knüpfen. Die obige Namensliste spiegelt zum einen die zu jener Zeit allgemeine Bestrebung der Autoren wider, den Mäzen unter Berücksichtigung der eigenen persönlichen Beziehungen möglichst nach seinem sozialen und kirchlichen Rang, seiner politischen Rolle oder finanziellen Lage auszuwählen. Auf der anderen Seite deutet sie den Prozeß an, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem Strukturwandel im literarischen Mäzenatentum und im Dedikationssystem führte: Die nahezu ausschließliche Rolle des Hochadels und der Geistlichen wurde nach und nach von den weltlichen Fürsten, den hohen Beamten und schließlich vom städtischen Bürgertum, in diesem Fall von der Mitgliedschaft der Marianischen Kongregationen übernommen.84
Räumliche und zeitliche Verbreitung der Erstauflagen Untersucht man die Umstände, unter denen die Erstausgaben, die beiden Sammelwerke und das eine posthume Werk erschienen sind, fällt die Kontinuität in der literarischen Produktion Nädasis auf.85 Nach der ersten, frühen Veröffentlichung aus dem Jahre 1637 gibt es von 1640 an kaum ein Jahr, in dem nicht ein Buch von ihm gedruckt wurde. Von 1640 bis zu seinem Tode arbeitete er, so kann man sagen, kontinuierlich und in schnellem Tempo und gab seine Werke regelmäßig heraus. Nach den Angaben der Impressen sind von 1637 bis 1651, bis zum Jahr seiner Ankunft in Rom, insgesamt 16 Bücher von ihm veröffentlicht worden. Von 1652 bis 1660 wurden 24, von 1661 bis 1670 14 und von 1671 bis 1681 schließlich 10 Erstausgaben von ihm gedruckt. Die meisten Bücher veröffentlichte er in der ersten Hälfte seiner römischen Jahre. Berücksichtigt man auch die zwischen dem Schreiben und dem Erscheinen liegende Zeit, dürfte er damals am intensivsten gearbeitet haben. Abgesehen davon übten jedoch die Abschnitte im Leben und Schaffen sowie die Ortsveränderungen keinen wesentlichen Einfluß auf seine schriftstellerische Aktivität aus. Die meisten Bücher pro Jahr kamen 1657 und 1663 (je 5 Werke), bzw. 1650, 1658 und 1674 (je 4 Werke) heraus. In dieser langen Periode gibt es nur wenige Jahre, in denen nicht ein einziges neues Werk von 84 85
Leiner: (wie Anm. 78.) 309-312. Zum weiteren siehe die Chronologie der Erstausgaben der selbständigen Werke und der Sammelwerke im Anhang.
221 ihm erschienen ist. Seine Produktivität zeigt bereits die statistische Rechnung, der zufolge zwischen 1637 und 1681 im Durchschnitt anderthalb Werke pro Jahr von ihm veröffentlicht wurden. Die Erscheinungsorte der Erstausgaben hängen mit den Aufenthaltsorten Nädasis eng zusammen. Bis 1651, bis zu seiner Berufung nach Rom also, sind das ungarische und österreichische Druckorte: Pozsony, Nagyszombat, Graz, Wien. Danach weitet sich der Kreis der Erscheinungsorte auf den großen Teil jener Länder aus, in denen das Wirken der Gesellschaft gesichert war. Außer in Rom erscheinen seine Bücher sowohl an niederländischen (Antwerpen) und deutschen (Köln, Dillingen, Würzburg, Ingolstadt) als auch an österreichischen (Wien, Graz), tschechischen (Prag), polnischen (Krakau) und ungarischen (Nagyszombat) Druckorten. Während der Wiener Jahre wird der Kreis der Erscheinungsorte wieder enger: Die Erstausgaben erscheinen jetzt mit Ausnahme eines Prager Druckes von unsicherem Erscheinungsjahr in Wien. Die wenigen Werke, die konkreten Sodalitäten gewidmet wurden, wurden meist am Sitz der jeweiligen Kongregation gedruckt. Die meisten Werke wurden in Wien, Rom und Prag gedruckt, eine größere Zahl von Werken erschien außerdem in Pozsony, Dillingen und Köln. Von insgesamt neun Werken kann man mit Sicherheit sagen, daß sie in einer ungarischen Druckerei gedruckt wurden. Die verhältnismäßig niedrige Zahl der an ungarischen Druckorten erschienenen Erstausgaben erklärt sich durch das geringe Angebot an einheimischen Druckereien und die langjährigen Auslandsaufenthalte des Autors. Die Erscheinungsorte sind ausnahmslos große europäische Städte und andere bedeutende Orte, an denen die Jesuiten Kollegien unterhielten. Diese Kollegien hatten meist enge Beziehungen zu einer oder zu mehreren der am Ort ansässigen Druckereien bzw. förderten selbst die Errichtung einer Druckerei. Dies erklärt, warum die Werke meist in Privatdruckereien, die mit den Jesuitenkollegien in langfristiger Beziehung standen, bzw. in den Druckereien der Kollegien gedruckt wurden. In der Zusammensetzung der Erscheinungsorte spielte also das internationale Beziehungssystem des Jesuitenordens, die geographische Verteilung seiner Kollegien eine bestimmende Rolle. Die Druckereien der Erstausgaben sind bei etwa zwei Drittel der Werke bekannt. 86 Wesentlich höher als die Zahl der in Druckereien der Jesuitenkollegien veröffentlichten Erstausgaben ist die der in Privatdruckereien erschienenen Publikationen. In den Druckereien der Jesuitenkollegien von Pozsony, Nagyszombat, Dillingen und Prag wurden insgesamt elf Werke Nädasis zum ersten Mal aufgelegt, alle anderen Erstausgaben mit bekanntem Druckort sind in verschiedenen Privatdruckereien erschienen. Von diesen brachte die römische Varesius-Druckerei die höchste Zahl von Erstausgaben Nädasis heraus: neun. Ihr folgen die Wiener Hofdruckerei von Matthäus Cosmero86
Zum weiteren s. das Verzeichnis der Werke.
222 vius mit sieben, Johann Jakob Kürners Druckerei mit fünf und die Universitätsdruckerei von Leopold Voigt mit vier Erstausgaben, während die anderen Privatdruckereien wie z. B. der Grazer Widmanstetter, der Antwerpener Cornelius Woons, der Ingolstädter Georg Haenlin und der Kölner Johann Busaeus nur mit einer oder mit zwei Erstausgaben vertreten sind. Aus dieser Verteilung der Erstausgaben geht hervor, daß die Aufgabe der Veröffentlichung vor allem die Druckereien der Jesuitenkollegien sowie jene angesehenen Druckereien übernahmen, die mit den Kollegien in engem Kontakt standen, ihre Aufträge regelmäßig ausführten und einen sicheren finanziellen Hintergrund aufweisen konnten. Nädasi stand mit den Druckereien vermutlich nur indirekt, über die Kollegien in der jeweiligen Stadt in Beziehung. In den Fällen jedoch, wo sein Aufenthaltsort mit dem Druckort zusammenfiel, kann man auch einen direkten Kontakt voraussetzen. Das wird durch die früher zitierte Meinungsverschiedenheit bestätigt, die zwischen der römischen Varesius-Druckerei und Nädasi um die Veröffentlichung des Annus dierum illustrium (1657) entstand. Abgesehen von diesem Fall jedoch scheint sein Verhältnis zu den Druckereien und Verlegern ungestört gewesen zu sein. Ein Hinweis darauf ist, daß in einigen Büchern ein Verzeichnis der Druckfehler zu finden ist sowie daß die im Anhang zum Seraphinus divini amoris veröffentlichte Bibliographie durch die Druckerei des Prager Kollegs unter Mitwirkung des Autors zusammengestellt wurde. Am Anfang des ersten Sammelwerkes Annus hebdomadarum coelestium (1663) steht ein eigener Vermerk der Druckerei, der kurz über den Inhalt der Zusammenstellung informiert und auf den Zusammenhang der Illustration auf dem Frontispiz des Buches mit dem Werk hinweist.
Die Rolle der Marianischen Kongregationen als primäres Lesepublikum Die in den Rahmentexten verstreuten Hinweise auf Leserschichten zeugen dafür, daß Nädasi ein mehrschichtiges, verschiedenen Bildungsebenen angehörendes Lesepublikum ins Auge faßte. Die Anreden in den Vorreden zu den Erstausgaben lauten meist »ad lectorem«, etwas seltener »ad quemcunque ex marianis sodalibus«, noch seltener wenden sie sich an die Mitglieder einer konkret genannten Marianischen Kongregation. Die Ansprache der Leser im weitesten Sinne, d. h. »aller«, die wirkliche Ausweitung des Lesepublikums, kann, da die überwiegende Mehrzahl der Werke lateinisch geschrieben wurde, nur als die Verknüpfung der humanistischen Tradition mit der immer breitere Schichten anzielenden seelsorglichen und literarischen Tradition der Jesuiten gewertet werden.87 Die primäre Leserschicht, die sich auf87
Vgl. Breuer: Oberdeutsche Erzählliteratur (wie 1/3, Anm. 7.) 207-209.
223 grund der Rahmentexte sowie der wichtigsten inhaltlichen und strukturellen Merkmale erfassen läßt, sind die Mitglieder der Marianischen Kongregationen. Hinzu kommen die Angehörigen der Societas Jesu, die geistliche Intelligenz insgesamt und die gebildeten weltlichen Leser mit Lateinkenntnissen. Die Ergebnisse der neueren Forschungen zeigen, daß im institutionellen Rahmen des Bildungssystems des 17./18. Jahrhunderts neben den Schulen, Druckereien und Bibliotheken bzw. mit ihnen teilweise zusammenhängend die religiösen Bruderschaften und innerhalb dieser in erster Linie die Sodalitäten berücksichtigt werden müssen.88 Abgesehen davon, daß die Marianischen Kongregationen das primäre Publikum für jene Kongregationsliteratur größtenteils jesuitischer Herkunft bildeten, zu der zum Teil auch die Schriften von Nädasi zu rechnen ist, spielten die Sodalitäten durch ihr Mäzenatentum und ihr gesellschaftliche Verflechtung eine wichtige Rolle in der Vermittlung der jesuitisch inspirierten Meditationsliteratur und der jesuitisch inspirierten religiösen Praxis an die breiteren Schichten. Die Sodalitäten erlebten im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts ihre erste Blüte, als nach der römischen Initiative von Joannes Leunis im Jahre 1563 in allen bedeutenderen, mit einem Gymnasium ausgestatteten Jesuitenkollegien ähnliche Organisationen ins Leben gerufen wurden.89 Mit der Entwicklung der Schulen gliederten sich die Studentenkongregationen schon bald nach Lebensaltern, und die Studenten blieben nach Beendung ihrer Studienzeit weiterhin Mitglieder. Parallel dazu wurden von 1586 an auch für die verschiedenen sozialen Gruppen der erwachsenen Stadtbevölkerung entsprechende Körperschaften gegründet. Unter der Leitung der Jesuiten entstanden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den größeren europäischen Städten jeweils eigene Kongregationen und andere religiöse Bruderschaften für Gymnasiasten und Universitätsstudenten, für Bürger, Handwerker, Gesellen, Soldaten, Kaufleute und in einigen Fällen sogar für die verschiedenen Nationalitäten. Um 1648 z. B. existierten in Aachen 8, in Augsburg 4, in Köln 9, in München 6 und in Wien 11 verschiedene Organisationen neben den Jesuitenkollegien. Nach den Schätzungen gehörten um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf dem Gebiet der deutschen Assistenz etwa eine Million, in den drei deutschen Ordensprovinzen an die vierhunderttausend Männer und Studenten einer Kongregation an. In den zwanzig Städten der süddeutschen Pro88
89
Wolfgang Brückner: Begriff und Theorie von Volkskultur für das 17. Jahrhundert. In: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert (wie 1/1, Anm. 24.) 3-21. Hier: 10. Knapp: Irodalomkinälat (1989) (wie 1/1, Anm. 38.) - Gäbor Tüskes - Eva Knapp: Literaturangebot und Bildungsprogram in den barockzeitlichen Bruderschaftspublikationen in Ungarn. IASL 17 (1992), 1-42. Josef Miller: Die Marianischen Kongregationen im 16. und 17. Jahrhundert. Ihr Wesen und ihr marianischer Charakter. Zeitschrift für katholische Theologie 58 (1934), 83-109. - Coreth: Die ersten Sodalitäten (wie II/l, Anm. 190.) - Koch: (wie lll\, Anm. 2.) 1018-1023. - In den erwähnten Bibliographien von Läszlö Polgär wird die gesamte Literatur systematisch mitgeteilt.
224 vinz waren um dieselbe Zeit ca. 4000 Studenten, 18000 verheiratete Handwerker, Kaufleute und Kleinbeamte sowie 36000 Personen höheren gesellschafltichen Ranges Mitglieder von Sodalitäten. In 37 Orten der ganzen süddeutschen Provinz wurden insgesamt an die hunderttausend Mitglieder gezählt. In Ungarn nahmen die Aktivitäten der Sodalitäten parallel zum Ausbau der Ordenshäuser und des Unterrichtssystems der Jesuiten nach 1630 stark zu.90 Die Kongregationen erhielten bedeutende Unterstützung von den Mitgliedern der Herrscherfamilien, z. B. von den Kaisern Ferdinand II. und Ferdinand III., König Ludwig XIII. sowie von den polnischen Königen Sigismund III. und Wladislaus IV. Den Sodalitäten durften auch vornehme Damen beitreten. Frauenkongregationen existierten unter anderem im Rheinland, in Westfalen, in Wien und München. Die Sodalitäten funktionierten in ganz Europa nach denselben Regeln und standen miteinander in Verbindung. Die Regeln setzten vor allem den Rahmen für tugendhaftes Verhalten und der Frömmigkeitspraxis fest. Die Mitglieder verrichteten individuelle lügend- und Andachtsübungen, nahmen an verschiedenen gemeinsamen religiösen Handlungen teil, besuchten die Zusammenkünfte der Organisation, übernahmen caritative Aufgaben und sollten den Glanz der kirchlichen Kultformen erhöhen. Sie förderten die bildende Kunst und das Kunstgewerbe, beteiligten sich aktiv an der Aufführung von Schuldramen und übten eine bedeutende Tätigkeit als Buchverleger und -distributoren aus.91 Ihre Tätigkeit erfüllte eine wichtige Funktion in der Regelung und Kontrolle des täglichen Lebenswandels und des geistlichen Lebens sowie bei der Verbesserung der Studienergebnisse. Die Mitglieder missionierten in ihrer eigenen Umgebung, und als weltliche Vermittler kirchlicher Reformbestrebungen trugen sie in bedeutendem Maße zur Rekatholisierung ihres Gebietes bei. Durch ihre funktionale Differenzierung und ständische Gliederung förderten sie neben dem Zusammenhalt der Gruppen die gesellschaftliche Mobilität und Umschichtung, in den rekatholisierten Gebieten spielten sie zudem bei der Herausbildung einer neuen, mehrheitlich katholischen städtischen Gesellschaft eine Rolle.92 Der Niedergang der 90
91
92
Gâbor Tûskés - Éva Knapp: Bruderschaften in Ungarn im 17. und 18. Jahrhundert. Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1992, 1-23. Ernst Staehelin: Der Jesuitenorden und die Schweiz. Geschichte ihrer Beziehungen in Vergangenheit und Gegenwart. Basel 1923, 34-38. Louis Châtellier: La congrégation académique de Molsheim et la société alsacienne à la fin du XVIII e siècle. Annuaire de la Société d'histoire et d'archéologie de Molsheim et environs 1980, 89-97. - Ders.: Tradition chrétienne et Renouveau Catholique dans le cadre de l'ancien diocèse de Strasbourg (1650-1770). Paris 1981, 186 -205, 479-483,527-530. - Ders.: Enquête sur la formation de la société catholique strasbourgeoise au XVIIIe siècle. Le cas de la congrégation des »bourgeois allemands«. Annuaire de la Société des amis du Vieux-Strasbourg 1982, 29-36. Ders.: A l'origine d'une société catholique. Le rôle des congrégations Mariales aux XVI e -XVIII e siècles. Histoire, Economie et Société 1984/2, 203-220. - Éva Knapp: Vallâsos tärsulatok, rekatolizâciô és târsadalmi âtalakulâs Kassân a XVII-
225 Kongregationen setzte in den verschiedenen Gebieten Europas mit erheblicher zeitlicher Verschiebung ein: Während es in Frankreich z.B. bereits in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts begann, läßt es sich in Ungarn erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts nachweisen. Durch ihre Tätigkeit als Förderer der Literatur, als Buchverleger und -distributoren vermittelten die Sodalitäten die Schriftlichkeit auch an Schichten, die sich zuvor in der Sphäre der Mündlichkeit bewegt hatten. Diese Tätigkeit verband sich eng mit dem Brauch, zu Neujahr, zu Ostern und zu anderen bedeutenden Anlässen, vor allem zur Beendung des Studiums oder eines Studienabschnittes Bücher zu schenken. Es kam vor, daß dieselbe Kongregation sogar mehrere Bücher in einem Jahr herausgeben ließ, was über eine lange Zeit hindurch zu einem ziemlich großen Bücherbedarf führte. Unter den Autoren der auf diese Weise veröffentlichten Werke findet man alle bedeutenden Vertreter der Jesuitenliteratur, wie z. B. Jeremias Drexel, Jakob Balde, Nicolas Caussin und Jakob Bidermann. Daneben wurden auch die Werke vieler namhafter antiker, mittelalterlicher und neuzeitlicher Autoren, z. B. Seneca, Thomas von Kempen und Franz von Sales, herausgegeben, nicht selten in der Form von Auswahlausgaben.93 Die Gattungen der von den bzw. an die Kongregationen geschenkten Bücher sind äußerst vielfältig, Heiligenviten, geistliche Übungen, Meditations- und Exempelsammlungen und geistliche Führer findet man unter ihnen ebenso wie auch theologische Abhandlungen, historische Chronologien und die Biographien namhafter Kongregationsmitglieder.94 In den Jesuitenkirchen Roms bildete sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts allgemein der Brauch heraus, im Rahmen der Predigten bei den zu Ehren Mariä gehaltenen Samstagsandachten verschiedene marianische Erzählungen der hauptsächlich aus Sodalen bestehenden Hörerschaft vorzutragen, die dann auch im Druck veröffentlicht wurden. Der Brauch und die Texte wurden auch in anderen Städten übernommen.95 Mit diesem kurzen Überblick über das Wirken der Sodalitäten soll die These begründet werden, daß die Literatur für die Marianischen Kongregationen zusammen mit einem bedeutenden Teil der geistlichen Literatur im 16./17. Jahrhundert sich nicht ohne weiteres dem schwer umgrenzbaren Begriffskreis der Kinder- und Jugend- bzw. Schulliteratur zuordnen läßt.96 Die
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94 95 96
XVIII. században [Bruderschaften, Rekatholisierung und gesellschaftlicher Wandel in Kaschau im 17./18. Jh.], Századok 129 (1995), 791-814. Philipp Anton Brück: Das Buchapostolat der Mainzer »Congregatio Maior Académica« im 18. Jahrhundert. Mainzer Zeitschrift 60-61 (1965-1966), 70-76. - Georg Kolb: Mitteilungen über das Wirken der PP. Jesuiten und der marianischen Kongregationen in Linz während des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit dem Überblick der Xenia oder Jahresandenken der Kongregation in Linz vom Jahre 1678-1783. Linz 1908. Knapp: Irodalomkínálat (wie 1/1, Anm. 38.) 7. Moser: Verkündigung (wie II/2, Anm. 16.) 83 - 84. Vgl. Theodor Brüggemann - Otto Brunken: Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur von 1570 bis 1750. Stuttgart 1991, 2 - 3 .
226 Mitgliedschaft der Kongregationen bildeten nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene, und zwar zu einem größeren Anteil als die Schüler und Studenten. Das Kinder- und das Jugendalter wurden in der Frühneuzeit nicht als selbständige Lebensphasen, sondern als Vorbereitungszeit auf das Erwachsenenalter und als Verwandschaftsverhältnis aufgefaßt. Dementsprechend bot die sog. Kinder- und Jugenliteratur keine an spezifische Lebensalter gebundene Verhaltensmuster, statt dessen vermittelte sie, oft bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, Rollen und Lebensumständen angepaßt, Muster des allgemein nachzuahmenden, beispielhaften Verhaltens. Die Kongregationsliteratur der Jesuiten kann man nur in dem Sinne dem Kreis der Kinder- und Jugendliteratur zuordnen, als sie grundlegend pädagogisch eingestellt ist, ihr primäres Ziel in der rhetorischen Erziehung und im religiös-moralischen Unterricht besteht.97 Sie kann aber nicht auf das Gebiet der schulischen Anwendung beschränkt werden, sie war nicht in erster Linie, sondern auch für Kinder bestimmt. Als ein Typ der Moral- und Weisheitsliteratur, der religiös ausgerichteten Moral- und Tügendlehren regte sie durch die Aufzählung von beispielhaften Taten, psychologisch ausgearbeiteten Lösungen und abschreckenden Beispielen zum Wetteifern und zur assoziativen Identifizierung an; sie bot konkrete Hilfe in den verschiedenen Situationen des Lebens. Es ist allein die »per exemplum«-Methode, die eine unmittelbare Beziehung zu jenen zeitgenössischen, hauptsächlich vom englischen Puritanismus inspirierten Exempelsammlungen herstellen kann, die in der Regel über Taten und Leben früh verstorbener frommer Kinder berichteten und deren Erzählstrukturen die Beispielgeschichten der Kinderliteratur des 18. Jahrhunderts indirekt beeinflußt haben.98
97 98
Ebd. 7. Ebd. 18.
4. Quellen und Quellengebrauch In allen Schriften von Nädasi fällt der Verwendung verschiedener Quellenmaterialien eine bestimmende Rolle zu. Die Quellenverweise und Zitate sind nicht bloß autoritativen Charakters, sie ergeben zu einem erheblichen Anteil den Grundstoff der Werke. Nädasi betrachtete die Quellen vor allem als Rohstoff zum (freien) Ausschöpfen und legte seine Gedanken mit Hilfe der übernommenen Texte dar. Daher scheint es unerläßlich, jenes Lese- und Bildungsmaterial zu erschließen, das ihm als Grundlage zu seinen Werken diente. Mit dem Sammeln des Materials begann er nach dem Zeugnis der frühen Werke bereits während der Studienzeit und führte es dann während der römischen Jahre fort. Der Kreis der benutzten Quellen weitete sich mit der Zeit ständig aus, ihre Zusammensetzung änderte sich. Nädasi ging über die Forderungen des jesuitischen Bildungssystems allmählich hinaus, so daß eine Diskrepanz zwischen den Vorschriften und der Praxis auch bei ihm zu beobachten ist, wie das z. B. durch das prinzipielle Verbot der Werke von Lipsius und ihre praktische Kenntnis bezeugt wird.1 Grundlegende Voraussetzungen der Produktivität und der umfassenden Quellenbenutzung waren die konsequente Anwendung der Exzerpiermethode sowie das Bereithalten des Materials in geordneter Form. Nädasi eignete sich beide Methoden bereits während der Studienjahre an und vervollständigte sie unaufhörlich. Die Hypothese eines »guten Gedächtnisses« läßt sich bei der Handhabung eines Quellenmaterials von solcher Quantität völlig ausschließen. Das nach Themenkreisen angeordnete Quellenmaterial bewahrte er, wie das im vorigen Kapitel gezeigt wurde, in Heften auf, die er mit Indizes ausstattete. Eine Bestandsaufnahme der Quellen ist durch die Belege und die Quellenverzeichnisse möglich. Nädasis Quellen wurden bis jetzt nicht untersucht, und auf eine Erschließung des ganzen Quellenmaterials muß bei der Unmenge der Belegstellen und dem häufigen Gebrauch von Abkürzungen auch diese Arbeit verzichten. Es wurden einige repräsentative Werke ausgewählt, um in einer möglichst umfassenden Analyse des in diesen verwendeten Quellenmaterials die einzelnen Quellengruppen aufzuschliessen und zu verglei1
Richard van Dülmen: Die Gesellschaft Jesu und der bayerische Späthumanismus. Ein Überblick. Mit dem Briefwechsel von J. Bidermann. Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 37 (1974), 358-415.
228 chen. Die Feststellung, daß das Werk von Nádasi in besonders hohem Maße auf seinen Quellen beruht, zeigt bereits die Notwendigkeit einer philologischen Quellenuntersuchung. Zunächst sollen die Bildungsschichten und Wissensgebiete beschrieben werden, dann soll die Analyse der Quellenbenutzung im Kontext der Werke folgen.
Quellentypen und Zitierweise Nádasis Quellen können in drei große Gruppen eingeordnet werden: 1. schriftliche Quellen, 2. mündliche Berichte, 3. persönliche Erfahrungen. Die schriftlichen Quellen lassen sich in Manuskripte und Drucke, die Drucke in primäre und sekundäre Quellen unterteilen. Innerhalb letzterer bilden die eigenen Werke Nádasis und die Florilegien jeweils verschiedene Gruppen. Oft führt er seine eigenen Werke in den Quellenverzeichnissen zu seinen Schriften auf, in anderen Fällen beruft er sich nur auf das Stichwort im Index zum eigenen Werk: »Vide Annal. Mar. S. J. in indice, v. Purgatorium« (Annus amoris Dei 1678, p. 141, Nr. 528)
Der Verweis auf das eigene Werk kann auch im Haupttext oder am Seitenrand stehen: »vide meum aurum ignitum« (Möns myrrhae 1675, Nr. 159) »Plura de illo, ac alii Sabbatinis praxibus videri possunt in Anno meo Mariano, seu in Anno Hebdomadarum Pragae edito.« (Annus amoris Dei 1678, p. 143, Nr. 537) »Scripsi alias latius, inter mortuales laudes Nicolai Eszterhasij laudatissimi Ungariae Pro-Regis ...« Am Blattrand: »In imagine Nie. Eszterhasi.« (Annua eremus 1678, p. 24, Nr. 110)
Ab und zu verweist Nádasi auf die Quellen seiner anderen Arbeiten. In den Annales Mariani (1658, Nr. 590) schreibt er z. B., beim Verfassen von Maria mater agonizantium habe er ein Mensis Marianus betiteltes (bis jetzt unidentifiziertes) Werk benutzt, in dem das Material auf die Monatstage verteilt gewesen sei. Es sei in Rom erschienen, in der Übersetzung von »P. F. S.« auch in italienischer Sprache. Die schriftlichen Quellen sind zu einem erheblichen Teil Manuskripte. Nádasi macht darauf in den Quellenverzeichnissen aufmerksam, in anderen Fällen weist er im Text darauf hin: »Legi in Archivo Romano inter ejus (d. h. Sancti Ignatii de Loyola) epístolas, eam quam anno 1549. 22. Febr. ad Gubernatorem Caesaraugustanum dedit ...« (Cor amoris Dei 1675, pp. 11-12)
Die einleitenden Ausdrücke audivi, dicitur, legitur können auch Topoi sein und müssen nicht unbedingt auf die Art und Weise der Vermittlung hinweisen. Die Formel quídam dixit drückt das bewußte Verschweigen der Quelle
229 aus. Bei Nädasi kommen diese selten und immer begründet vor und sind selbst in diesen Fällen nicht in sich, sondern im Kontext der aus den schriftlichen Zeugnissen gebildeten Reihe zu verstehen. Dem mündlichen Bericht als Quelle begegnet man in zwei Formen. Die eine wird verwendet, wenn Nädasi zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit den Erzähler mit Namen nennt und auch Ort und Zeit der Berichterstattung festhält: »Narravit mihi quantum memini ...« In der Fußnote dazu: »Tusculi P. Martinus Leytan. Revisor librorum pro Lusitania. circa annum 1656.« (Cor amoris Dei 1675, P- 46) »Ex ore illius quocum res gesta est habeo id quod narro.« Am Seitenrand: »P. Nie. Zucchi.« (Annales Mariani 1661, p. 398)
Die andere Möglichkeit besteht darin, auf die mündliche Überlieferung im allgemeinen hinzuweisen: »ut ajunt qui hominem norunt« (Annus Marianus 1648, pp. 153-154)
Die mündliche Erzählung ist in diesen Fällen sowohl Voraussetzung als auch Quelle der schriftlichen Aufzeichnung, und die Verweise belegen den unmittelbaren Einfluß der mündlichen Überlieferung auf das Schaffen von Nädasi. In einigen Fällen bezeichnet er die eigene Erfahrung als Quelle, bzw. folgt es aus der Natur des Erzählten, daß seine Quelle die persönliche Erfahrung ist: »Vidi Romae Xenodochium stultis plenum: sed non sine commiseratione.« (.Punctum honoris aeterni 1675, p. 64) »... De corde B. Ciarae de monte Falcone, quando legimus, Christi crucifixi instrumenta Ciarae cordi impressa [...] illud Ciarae (quod ego anno 1651. vidi)...« (ebd. pp. 19-20)
Wenn er hingegen ohne jeden Quellenverweis darüber berichtet, daß Nikolaus Esterhäzy der Hl. Jungfrau zum 15. Geburtstag seines Sohnes Ladislaus eine Krone geschenkt und seit der Geburt seines Sohnes den Rosenkranz gebetet habe, weist der Gebrauch des Verbes »nunciavit« darauf hin, daß seine eigene Erinnerung und Erfahrung als Quelle zur Erzählung diente (Annus amoris Dei 1678, p. 141, Nr. 526). Zur Bezeichnung der Quellen bediente sich Nädasi, entsprechend dem Brauch der Zeit, mehrerer Methoden. Eine Möglichkeit bestand darin, die Verweise in den Haupttext, meist an den Anfang oder an das Ende einer Erzählung, einzufügen: »[...] a' mint Szent Antonius irja 2. p. tit. 23.« [wie der Hl. Antonius 2. p. tit. 23. schreibt] (Maria aeternitatis 1645, p. 130)
Die zweite Möglichkeit ist, zu dem im Haupttext erwähnten Verfassernamen am Seitenrand den Verweis auf sein Werk hinzufügen: »[...] ait Gregorius [...]« Am Seitenrand: »16. Moral, c. 20.« (Annus amoris Dei 1678, p. 30, Nr. 156)
230 Als weitere Möglichkeit wurden sowohl der Verfasser als auch das Werk am Seitenrand genannt: »Stanihurstius de caelo c. 3. p. 312.« (ebd.)
Bei der vierten Variante wird im Haupttext die Tatsache des Quellenverweises mit einem Buchstaben bezeichnet und der Quellenbeleg als Fußnote mitgeteilt: »[...] teste Petro Chrysologo, (d) [...]« Unten: »Apud Chartagen. de desponsat. B. V. 1. 4. hom. 8. p. 296.« (Dies et hebdómada S. Josepho sacra 1680, p. 38)
Vor allem in den frühen sowie den andachtsthematischen Werken begegnet man der Lösung, daß Nádasi am Anfang oder am Ende des Werkes ein kurzes Quellenverzeichnis bringt, ohne im Werk selbst weitere Quellenverweise zu liefern (Jesu et Mariae cliens 1643, Annus dierum illustrium 1657, Annus dierum memorabilium 1665, Annus coelestis 1667). Diese Lösung wird weiterentwickelt, wenn außer dem Quellenverzeichnis weitere Hinweise entweder als Fußnoten (Diurnum quotidianae virtutis, 1659) oder als Randglossen {Annales Mariani, 1661) mitgeteilt werden. Das System der Quellenangaben wurde nach anfänglicher Großzügigkeit genauer, in den aufgrund der Verweise identifizierten Werken begegneten wir keinem einzigen Fall, in dem die angegebene Stelle nicht hätte identifiziert werden können. Die Benutzung von Florilegien, auf die wir später noch zurückkommen, ist selbstverständlich, Nádasi verwendete aber auch eine große Zahl von Originalwerken. Für die Verwendung von letzteren spricht die genaue Bezeichnung des Fundortes: »Jacobus Alvarez Tomo 2. vitae spirit. lib. 2. par. 2. c. 9.« (Möns myrrhae 1675, Nr. 228) »Augustinus: Tom. 9. de cantic nov. c. 3. in fin.« (ebd. Nr. 79) »Augustinus: Tom. 2. ep. 52. post medium.« (ebd. Nr. 79)
Ein ähnlicher Hinweis auf die Verwendung von Originalwerken als Quellen liegt vor, wenn Erscheinungsort und Erscheinungsjahr des zitierten Werkes oder auch die Seitenzahl des Zitates mitgeteilt werden: »Biblia, impress. Parisiis anno 1660.« (ebd. Nr. 208) »Missale Ambrosianum Mediolani anno 1640. recusum 3. Febr.« (ebd. Nr. 176) »Abbas Blosius: Institutionis spirit. c. 2. mihip. 412.« (ebd. Nr. 212)
Nádasi hat, wie bereits erwähnt, eine große Zahl von Originalmanuskripten benutzt, für die er oft auch den Fundort angibt: »epístola B. Petri Damiani ad Florentinos, e m.ss. Bibliothecae Rebdorfensis« (ebd. Nr. 72.) »in lecto a me manu Alphonsi Rodríguez [...] scripto chirographo« (ebd. Nr. 223.)
Die Quellenbezeichnung deutet in einigen Fällen darauf hin, daß Nádasi das Werk aus der Erinnerung oder nach einem ungenau aufgezeichneten Exzerpt zitiert:
231 »Suetonius in Nerone initio« (Annus amoris Dei 1678, p. 184, Nr. 741)
Letztes Beispiel macht uns zugleich darauf aufmerksam, daß die Verweise auf antike Autoren im allgemeinen weniger exakt sind wie etwa die Hinweise auf die Werke der Kirchenväter. Die Zitate aus zweiter Hand werden ebenso genau wie die nach Originalwerken belegt: »Richardus Victorinus apud Raynaudum ait«. Am Seitenrand: »In glossario ultimae editionis pagin. 429.« (ebd. R 184, Nr. 740) »Hugo Victorinus Apud Jac. Alvarez tomo 2.1.2. p. 2. c. 9. col. 566.« (Möns myrrhae 1675, Nr. 269) »Arias e B. Petro Damiano, de mortif. p. 1. c. 4. pag. 200.« (ebd. Nr. 247)
Die Quellenbezeichnung mit Hilfe des bloßen Namens zeugt ebenfalls für eine indirekte Bezugnahme. Nädasi bedient sich dieser Methode nur selten und will damit meist Aufmerksamkeit wecken. In einigen Fällen charakterisiert er den Verfasser der belegten Stelle bzw. weist darauf hin, wo das gebrachte Zitat in liturgischem Kontext benutzt wurde: »Maffeus elegans Indicarum rerum historicus lib. 2. prope init. pag. 31.« (ebd. Nr. 65) »Lessius [...] Vir exacte doctus, et communi opinione sanctus.« (Annus hebdomadarum coelestium 1663, p. 58) »S. Basilius: hom. 11. in hexaem. lect. 9. 15. Nov. die S. Leopoldi in Vienn. Eccl.« (ebd. Nr. 161)
Für eine kritische Behandlung und Interpretation der Quellen sind bei Nädasi nur wenige Beispiele zu finden. Nur die Bibelzitate werden in verschiedenen Übersetzungen gebracht. Neben den Vulgata zitiert er mehrmals aus dem Text der Biblia maxima (Paris 1660): »Frequens meditatio carnis afflictio est.« (Eccl. 12,12. Möns myrrhae 1675, Nr. 236) »Impedivi te per mortificationem quin peccares.« (Gen. 20,5-6. Ebd. Nr. 208)
Historische Schichten des Quellenmaterials Für die eingehende Quellenuntersuchung wurden drei Werke ausgewählt: die Ausgabe 1644 der zuerst 1640 erschienenen und 1658 auch ins Ungarische übersetzten Maria mater agonizantium, das 1645 veröffentlichte ungarischsprachige Werk Maria aetemitatis sowie der 1675 herausgegebene Möns myrrhae. Diese Auswahl wurde getroffen, um Werke aus verschiedenen Schaffensperioden Nädasis hinsichtlich ihres Quellenmaterials zu untersuchen und neben den lateinischen auch eine ungarischsprachige Schrift zu berücksichtigen. Im folgenden werden die Quellen der drei Bücher thematisch nach Gebieten des Wissensmaterials gruppiert untersucht, wobei der allmähliche Wandel des Quellenmaterials deutlich werden soll. Die Metho-
232 den der Quellenbehandlung werden getrennt von den Quellengruppen mittels Textvergleichen aufgrund des Quellengebrauchs in den Erzählungen dargestellt. Aus der Maria mater agonizantium wurden 80, aus der Maria aeternitatis 45 und aus dem Möns myrrhae 546 Quellenverweise identifiziert und ausgewertet. Während die Zahl der Quellenverweise in den ersten beiden Werken mit der Zahl der Exempel im Buch identisch ist, enthalten die 280 numerierten Texte im Möns myrrhae jeweils mehrere Quellenverweise. Die bibliographischen Angaben der Quellen liefern im übrigen weitere Informationen über Gattung und Publikationsumstände der benutzten Arbeiten. An erster Stelle unter den wichtigeren Quellengruppen steht die Bibel. Von den drei genannten Werken sind nur im Möns myrrhae Bibelzitate enthalten. Sie machen 20 Prozent aller Quellenverweise aus, sie werden mengenmäßig nur noch von Verweisen auf Jesuitenautoren und ihre Werke übertroffen. Das zeigt die wichtige Rolle der Bibelzitate in den Texten von Nädasi. Ihre Verwendung diente auch der Vertiefung der Bibelkenntnisse, zugleich widerlegt sie die allgemeine Ansicht über den »Antibiblizismus« der katholischen Kirche jener Zeit.2 Wenngleich Nädasi häufig Bibelzitate in seine Erzählungen und Betrachtungen einfügt, kann bei ihm von einem biblischen Stil nicht gesprochen werden. Aus den Büchern des Alten Testamentes zitiert er öfter als aus dem Neuen Testament (12 % bzw. 18 % aller Quellenverweise). Aus dem Alten Testament zitiert er das Buch der Psalmen, aus dem Neuen Testament die Paulusbriefe am häufigsten, außerdem des öfteren aus dem Buch der Apokalypse. Für die Tiefe der Bibelkenntnisse Nädasis zeugt, daß er neben den neuesten Kommentaren der Jesuiten und der ebenfalls von Jesuiten redigierten Biblia maxima (Paris 1660) auch ältere Kommentare zitiert. Die drei von Jesuiten verfaßten Kommentare, die er zitiert, sind die von Joannes Besson und Gregorius Ferrari zum Hohenlied {In Canticum Canticorum [...] commentarios, Tolosae 1646, bzw. In Canticum Canticorum commentarii, Mediolani 1657), sowie Octaviano de Tufos Erklärung zu Jesus Sirach (Commentaria in Ecclesiasticum, Lugduni 1628). Von den klassischen Kommentaren werden die Homilie des Gregor von Nyssa zum Hohenlied und zu Jesus Sirach, der Isaias-Kommentar des Hieronymus und die exegetischen Homilien des Chrysostomus zitiert. In anderen Werken benutzt Nädasi noch weitere Kommentare, so z. B. die Schriften von Cornelius a Lapide. Daraus geht zum einen hervor, daß seine Bibelkenntnisse keine besonderen Eigentümlichkeiten aufwiesen und der kirchlichen Praxis seiner Zeit entsprachen. Zum anderen zeigt es sein Interesse für die Fragen der Bibelauslegung, seinen Anspruch, neben den traditionellen Bibelkommentaren die Ergebnisse der zeitgenössischen, vor allem der jesuitischen Exegetik zu verwerten.
2
Vgl. Die Literatur des Barock. Hg. Hans Pörnbacher. München 1986, XXXVIII.
233 Verweise auf klassische Autoren finden sich von den drei Werken nur im Möns myrrhae. Sie machen 5 % aller Quellenverweise aus - das antike Bildungsmaterial nahm also einen verhältnismäßig bescheidenen Platz in den Werken von Nädasi ein. Dafür ist die Zusammensetzung der Namen vielfältig, neben Philosophen, Historikern, Geographen und Naturhistorikern kommen auch einige Dichter und Dramatiker vor. Neben den überwiegend lateinischen Autoren begegnet man auch einzelnen jüdischen, griechischen, griechisch schreibenden lateinischen sowie in Rom lebenden und schreibenden griechischen Autoren. Wenngleich die beiden frühen Werke keine Verweise auf antike Autoren enthalten, erwarb er seine Kenntnisse der lateinischen und griechischen Literatur mit ziemlich großer Sicherheit vor allem während seiner Studienjahre. Bei der weitgehenden jesuitischen Rezeption des antiken Stoizismus kann es nicht überraschen, daß Nädasi auf Seneca am häufigsten verweist. Neben den am häufigsten zitierten Briefen beruft er sich in einigen Fällen auf Senecas Dramen Medea und Hercules furens sowie auf seine Schrift De beneficiis. Von den anderen Vertretern der antiken Stoa zitiert er mehrmals aus den Moralia des Plutarch. Auffallend ist hier das Fehlen von Hinweisen auf die größte Autorität der Antike, auf Aristoteles. In anderen Werken finden sich jedoch Verweise auch auf ihn. Nädasi bringt zahlreiche Hinweise auf antike Geschichtsschreiber, mehrmals zitiert er z. B. aus Suetons De vita Caesarum und den Annales des Tacitus. Außerdem beruft er sich auf das Varia historia libri Xllll betitelte Werk von Claudius Aelianus, dessen lateinische Erstausgabe 1548 in Basel erschien, auf die beliebte Alexanderbiographie des Curtius Rufus, auf Livius' Ab urbe condita libri, auf die berühmte Exempelsammlung von Valerius Maximus (Factorum et dictorum memorabilium libri novem) und die Antiquitates Iudaicae des Flavius Josephus. Der Verweis auf Flavius Josephus bestätigt Istvän Bitskeys aufgrund der FlaviusJosephus-Verweise in den Predigten Päzmänys gemachte Beobachtung, wonach das vom jüdischen Geschichtsschreiber gebotene Bildungsmaterial im 16./17. Jahrhundert unabhängig von Konfessionsunterschieden aktualisiert wurde.3 Unter den römischen Autoren beruft sich Nädasi auf die Satiren Juvenals, auf die im Mittelalter wie im 16./17. Jahrhundert immer wieder zitierten Noctes Atticae des Aulus Gellius sowie bezeichnenderweise auf Ovids Remedia amoris. Die naturhistorisch-geographischen Enzyklopädien der Antike sind mehrmals durch die als grundlegend geltende Schrift des Plinius (Naturalis historiae libri XXXVII) vertreten, außerdem zitiert er aus der Itinerarium betitelten Zusammenstellung von Antonius Philosophus über die Marsch3
Bitskey: Humanista erudíció (wie 1/1, Anm. 7.) 68. - Vgl. István Borzsák: Az antikvitás XVI. századi képe. (Bornemisza-tanulmányok) [Das Bild der Antike: Bornemisza-Studien], Budapest 1960, 214.
234 routen des römischen Heeres. Von den kulturhistorischen Sammlungen gemischten Inhalts wird auf die Deipno-sophistarum libri XV des Athenaios verwiesen, die im 16. Jahrhundert mehrmals aufgelegt und teilweise auch ins Ungarische übersetzt wurden.4 Die unmittelbaren Quellen der antiken Geschichten und Zitate können infolge der unübersichtlichen Überlieferungsbeziehungen zwischen den einzelnen Beispielsammlungen meist nicht identifiziert werden. Neben den direkten Quellenkenntnissen Nädasis und dem Gebrauch der Kompendien, der »Super-Florilegien«,5 müssen auch der Einfluß des Schulunterrichts sowie die Wanderung der Zitate von Buch zu Buch berücksichtigt werden. Die antiken Quellenverweise bei Nädasi verraten keine herausragende klassische Bildung. Das Fehlen der byzantinischen Autoren, der griechischen Poesie sowie der antiken Autoritäten der verschiedenen Wissenschaftszweige ist, berücksichtigt man die allgemeine Praxis der Zeit, nicht besonders auffallend. Dieser Mangel läßt sich nur zum Teil durch die zeitgenössische Unterrichtspraxis der Jesuiten erklären, nach welcher die antiken Dichter und Philosophen nur als zweitrangige Autoritäten neben der Bibel und den Kirchenvätern, zur Bestätigung der christlichen Dogmen und der Morallehre zitiert und ausgewertet werden sollten. Das Wissensmaterial Nädasis im Kreis der antiken Kultur liegt etwas über dem Durchschnitt der Jesuitenautoren. Mit der außerordentlichen Bildung eines Päzmäny läßt es sich nicht vergleichen, dafür entspricht es im großen und ganzen z.B. der klassischen Bildung von Jeremias Drexel. Die Zitate bestätigen die Beobachtung, wonach die Benutzung antiken Wissensmaterials bei der Erörterung theologischer Themen nicht nur in der Gattung der Predigt, sondern auch in denen der persönlichen Andacht als allgemeiner Brauch betrachtet werden kann.6 Aus dem Gebiet der Patrologie in engerem Sinne zitiert Nädasi im Möns myrrhae 25 Autoren, die 18,3 % aller Verfasser entsprechen. Diese ist also die zweitgrößte Quellengruppe nach den Jesuitenautoren, sie ist im gleichen Verhältnis wie die nichtjesuitischen Verfasser des 16./17. Jahrhunderts vertreten. Auf die Dialogi des Gregorius Magnus wird bereits in Maria mater agonizantium, auf den Hl. Augustin in Maria aeternitatis verwiesen. Im Möns myrrhae sind der Hl. Augustin und Chrysostomus die am häufigsten (17bzw. 16mal) zitierten Kirchenväter, neben ihnen werden Tertullian (lOmal), Gregor von Nazianz und Gregor der Große (je 8mal) sowie der Hl. Ambrosius (6mal) und Leo der Große (5mal) zitiert. Von den grundlegenden Schriften des Hl. Augustin werden die Confessiones, De Civitate Dei, das Enchiridion de fide, spe et charitate sowie die Sermones de Sanctis aus den Sermones,
4 5
6
Vgl. Bitskey: (wie 1/1, Anni. 7.) 71, 182, Anm. 119. So z. B. Nicolaus Hanapus: Virtutum et vitiorum exempla. Basel 1555. - Florilegii magni, seu polyantheae floribus novissimus sparsae libri X X . Geni 1639. Vgl. Római szerzSk (wie VI, Anm. 16.) 599-600.
235 von seinen exegetischen Werken De Cantico novo, In Joannis Evangelium tractatus 124 und De Spiritu et Littera als Quellen benutzt. Von den moralischen Traktaten Augustins verweist Nädasi auf De Utilitate Jejunii tractatus unus sowie auf die Epistel. Auffallend ist, daß auf die polemischen Schriften des Kirchenvaters wie De moribus ecclesiae und De doctrina christiana überhaupt nicht Bezug genommen wird. Diese Verteilung der augustinischen Zitate wird durch die grundlegend moralische Ausrichtung von Nädasis Wirksamkeit sowie durch seine Absicht verständlich, Polemiken möglichst zu vermeiden. Istvän Bitskey wies im Zusammenhang mit den AugustinZitaten bei Päzmäny auf die »Parallele zwischen der Situtation der christlichen Apologetik des 4./5. Jahrhunderts und der katholischen Glaubensrechtfertigung am Anfang des 17. Jahrhunderts« hin.7 Diese Parallele scheint uns auch für die auf jede Polemik verzichtende Strömung innerhalb der im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts enstandenen jesuitischen Literatur gültig zu sein. Die zentrale Stellung der praktischen moraltheologischen Fragen sowie Nädasis Interesse für die Bibel erklärt die Verweise auf die exegetischen Homilien des Chrysostomus {In Epistolam ad Philippenses, Sermones in loca S. Scripturae, Expositio in Isaiam, Expositiones in Psalmos, In Evangelium Matthaei orationes 90) und auf die ethischen Werke Tertullians (Ad martyros, De Poenitentia, De Patientiä). Das gleiche gilt für die Werke von Gregor dem Großen (Moralia, Homiliae 40 in Evangelia, Epistolarum libri 14), Gregor von Nazianz (Orationes), Ambrosius (Orationes\ Enarrationes, Epistolae, Hexaemeron, De Lapsu virginis consecratae) und Leo dem Großen (Sermones). Von den seltener zitierten Autoren der Patristik sollen die Briefe, die Commentaria in Isaiam prophetam und die Vita S. Pauli Primi Eremitae des Hieronymus, die Scala Paradisi des Johannes Climacus sowie Maximos Confessors Schrift 400 Capita de caritate, die vom Jesuiten Petrus Lansellius 1615 zum ersten Mal herausgegeben wurde. Von den »kleineren« und »größeren« Kirchenvätern sind z.B. Basilius Magnus, Clemens von Alexandrien, Thascius Caecilius Cyprianus, Ephraem Syrus, Gregor von Nyssa, Macarius Magnus, Paulinus, Bischof von Nola, Prosper Aquitanus und Sulpitius Severus mit je zwei Verweisen vertreten, an anderen Stellen im Buch wird auf die Werke von Antonius Magnus, Eucherius, Theodoretus Cyrensis, Antiochus Monachus, Gregor von Tours und Isidor von Hispanien verwiesen. Neben den selbständigen Ausgaben (z.B. Gregor von Nyssa: Opera omnia, Paris 1615) schöpfte Nädasi die Mehrzahl der patristischen Zitate aus der erweiterten Kölner Ausgabe 1618 der Bibliotheca Patrum sowie aus der Vitae Patrum betitelten, grundlegenden Anthologie des Jesuiten Heribert Rosweyde (Antwerpen 1615). Ein Teil der Chrysostomus-Zitate weist auf zwei weitere Florilegien, auf das Antiquarium monasticum von Nebridius a Mündelheim (Vien7
Bitskey: (wie 1/1, Anm. 7.) 72.
236 nae 1650) und auf die Sammlungen von Kornelius Schulting (Ecclesiasticae disciplinae libri sex, Coloniae 1598; Bibliotheca ecclesiastica I-IV, Coloniae 1599) hin. Zusammenfassend kann man feststellen, daß Nädasi die altchristliche Literatur reichlich, jedoch mit Maß als Quelle benutzt. Die wichtigste Rolle der patristischen Zitate besteht bei ihm darin, die Aussage durch Autoritäten zu bestätigen und sich den Lesern anderer Konfessionen zu nähern. Im Interesse dieses Zieles stellt er die gemeinsame Grundlage statt der Polemik in den Vordergrund. Die Verweise auf mittelalterliche Quellen machen in der Maria mater agonizantium 16,2, in der Maria aeternitatis 31,1 und im Möns myrrhae 13% aller Zitate aus. Im späten Werk spielte also diese Quellengruppe eine geringere Rolle als in den frühen Werken, ihre Bedeutung blieb hinter den patristischen Quellen zurück. Mittelalterliche Autoren und Werke, auf die sich Nädasi in mehr als einem Werk, also regelmäßig beruft, sind: Bonaventura, Pelbärt von Temesvär, Thomas von Kempen, die Hl. Brigitte und das Speculum exemplorum. Der am häufigsten zitierte Autor jedoch ist Bernhard von Clairvaux, der im Möns myrrhae 24mal und damit öfter als alle anderen mittelalterlichen Autoren zitiert wird. Das ist insofern nicht überraschend, als die Schriften Bernhards zu den empfohlenen Lesestoffen der Jesuitennovizen gehörten. Am häufigsten beruft sich Nädasi auf die Predigten von Bernhard (Sermones de tempore, Sermones de Sanctis, Sermones de diversis, In Nativitate Domini Sermones tres, Sermo in Nativitate S. Joannis Baptistae, Sermones in Cantica), aus denen er nicht selten wörtlich zitiert, an anderen Stellen übernimmt er ganze Geschichten von ihm, wobei sein Stil von Bernhard kaum beeinflußt wird. Von den anderen Schriften Bernhards beruft sich Nädasi vor allem auf die Briefe und Traktate moraltheologischen Inhalts (Epistolae, Epistola seu Tractatus ad Fratres de Monte Dei, De consideratione, Liber de diligendo Deo). Auffallend ist, daß hinsichtlich ihrer Zahl die Verweise auf Thomas von Kempen an zweiter Stelle nach den Bernhard-Zitaten folgen und damit quantitativ selbst die Verweise auf Thomas von Aquin übertreffen. Das läßt sich dadurch erklären, daß Nädasi nicht so sehr nach einer theoretischen Beweisführung der theologischen Dogmen als viel mehr nach ihrer Darstellung mit Hilfe von Beispielen strebte. Zum anderen hätte das häufige Zitieren des Doctor Angelicus seinen Werken leicht eine polemische Richtung verleihen können, die er vermeiden wollte. Aus der theologischen Literatur vor Thomas von Aquin sind die relativ häufigen Verweise auf die Briefe (Epistolae) von Petrus Damiani zu nennen. Thomas von Kempen gehörte ähnlich wie Bernhard von Clairvaux zu den empfohlenen Lektüren der Jesuitennovizen. Für die Bedeutung seiner Wirkung zeugt, daß Nädasi neben De imitatione Christi aus mehreren Meditationsschriften (Opusculum de meditatione cordis, Meditatio de incarnatione
237 Christi) und für Mönche verfaßten Anweisungen (De disciplina monastica libellus, Sermones ad novicios, Liber de vitis discipulorum) des Thomas von Kempen zitiert. Diese Schriften standen ihm vermutlich in der vom Jesuiten Henricus Sommalius herausgegebenen Gesamtausgabe (Opera omnia, I—III. ed. 2. Antverpiae 1607) zur Verfügung. Den Einfluß der mittelalterlichen Franziskanermystik und Meditationsliteratur zeigen die Verweise auf Bonaventura (Meditationes vitae Christi, Stimulus divini amoris, De perfectione vitae ad sorores, Speculum disciplinae ad novitios, Sermones de tempore ac de sanctis, Psalterium B. Mariae Virginis). Das Interesse Nädasis für die Mystik bezeugen auch die Hinweise auf die Revelationes der Hl. Brigitte, auf den Paradisus animae von Albertus Magnus, auf Petrus Blesensis (Opera omnia, ed. P. Goussainville, Paris 1667), auf Lorenzo Giustinianis De incendio Divini Amoris sowie auf die Schriften von Johannes Justus Landsberg. Einen bedeutenden Platz in der Gruppe mittelalterlicher Quellen nehmen die Erzählquellen, vor allem die immer wieder aufgelegten Legenden- und Exempelsammlungen ein: das bereits erwähnte Speculum exemplorum, wahrscheinlich in einer der vom Jesuiten Johannes Major besorgten erweiterten Ausgaben, die Speculum-S&ne des Vincent de Beauvais (Opuscula, Basel 1481), die Legenda aurea des Jacobus de Voragine (Paris 1509) und die Illustrium miraculorum et historiarum memorabilium libri XII von Caesarius von Heisterbach (Coloniae 1596). Zu den Erzählquellen gehören außerdem die ordensgeschichtlichen Zusammenstellungen, z.B. die dominikanischen Ordensgeschichten von Albertus Castellanus und Antonius Pierozzi (Chronica brevis, Venetia 1504, bzw. Chronicorum opus, Lugduni 1587). Andere Geschichten schöpft Nädasi aus den hier einzuordnenden Werken der Predigtliteratur, vor allem aus dem Stellarium und Pomerium des Pelbärt von Temesvär, aus den Sermones des Bernhard von Siena sowie aus den Werken der mariologischen Literatur (Bernardinus de Bustis: Mariale, Milano 1493; Alanus de Rupe: De immensa et ineffabili dignitate et utilitate psalterii virginis Marie, Lubecae 1606). Unter den gelegentlich zitierten Werken können noch Robert Holcots mehrmals herausgegebener Traktat (Moralizationes historiarum liber unus, z. B. Basiliae 1586), die Collationes des Franziskus von Assisi und die Franziskanerregel von Franciscus de Paula (Regulae Fratrum et sororum, ac fidelium) erwähnt werden. Zusammenzufassend kann man feststellen, daß ein Teil des zitierten Quellenmaterials aus dem Mittelalter die Wirkung der geistlichen Lektüren der Jesuiten widerspiegelt. Im Gegensatz zu Jeremias Drexel8 z. B. fehlt die mittelalterliche Literatur weltlicher Thematik bei Nädasi völlig, und selbst auf die theologische Fachliteratur wird nur zurückhaltend Bezug genommen. Bedeutend ist hingegen der Einfluß der mittelalterlichen Meditationslitera-
8
Pörnbacher: (wie 1/1, Anm. 65.) 163-164.
238
tur und Mystik sowie die konsequente Verwendung von Erzählmaterial bietenden Quellen. Die zeitgenössische Literatur in weiterem Sinne teilen wir wegen der hohen Zahl der Jesuitenautoren in zwei Gruppen auf und wenden uns zuerst den nichtjesuitischen Quellen des 16./17. Jahrhunderts zu. Der Anteil der Verweise auf sie variiert in den drei Werken zwischen 11 und 15 Prozent und zeigt eine sinkende Tendenz. Innerhalb der zeitgenössischen Literatur werden auch italienische, spanische und deutsche Schriften neben den lateinischen zitiert.9 In mehr als einem Werk finden sich Verweise auf Laurentius Surius, der zu den am häufigsten zitierten Nichtjesuiten unter den zeitgenössischen Autoren gehört, sowie auf Joannes Trithemius und Lucas Wadding. Aus humanistischen Autoren zitiert Nädasi nur selten. Neben Trithemius, bei dem er sich unter anderem auf die Handschrift Miracula S. Annae beruft, begegnet man dem Mirakelbuch Diva Virgo Hallensis (Antverpiae 1616) von Lipsius. Zu derselben Gruppe gehört eine marianische Schrift jenes Johannes Spangenberg, der später evangelischer Prediger wurde. Neben den geistlichen Humanisten werden mehrere weltliche Autoren zitiert: aus den Gallica Jean Bfecans (Goropius) (Antverpiae 1580), aus Petrus Bulengers De pictura (Paris 1627), aus Martin Olais (Olaus) Compendium universae geographiae sowie aus dem Emblembuch Cardiomorphoseos von Francesco Pona (Veronae 1645), der auch den Argenis-Roman übersetzte. Ähnlich wie bei den mittelalterlichen Quellen, spielen die hagiographischen Sammlungen, die Biographien der Heiligen und Ordensstifter auch im neuzeitlichen Material eine wichtige Rolle: die in zahlreichen Ausgaben vorhandene Sammlung von Laurentius Surius (De probatis sanctorum historiis) und das an diese anschließende Kompendium von Zacharias Lippelo in der von Ribadeneyra besorgten Ausgabe (Vitae sanctorum selectissime ed. 2., Coloniae 1616) sowie das Compendium vitae et mortis b. Rosae de S. Maria von Antonius Gonzales (das 1668 auch italienisch erschien), die Vita S. Mechtildi von Benedictus Gononus, die Vita del P. D. Carlo Carafa von Petrus Gisolfus (Napoli 1667) und die von Franciscus Leonardus verfaßte Vita Joanni Leonardi (Roma 1651). Die andere große Gruppe der narrativen Quellen bilden die grundlegenden Werke der Kirchen- und Ordensgeschichte: die chronologisch aufgebauten Annales Ecclesiastici des Caesar Baronius (Coloniae 1614), die die Begriffe der delectatio und der utilitas im Konzept der Meditation vereinigen10 und das Baronius bis 1640 fortsetzende 9
10
So z.B.: »Calendaría. [...] Leonardi Mayr, Germ. [...] P. Felicis Girardi, Ital. et Francisci Marchesi, Ital.« Diurnum quotidianae virtutis 1659, A3. - »S. Gertrudis vita Italice, libris V. conscripta a Joanne Landsperigo.« Annus coelestis 1681, 19. »Petrus Sánchez: De Regno Dei Hispanice.« Mons myrrhae 1675, 224. sz. Christian Mouchel: Éloquence et méditation dans la première centurie des Annales Ecclésiastiques de Cesar Baronio (1588). Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 54 (1992), 81-110.
239 Kompendium von Henricus Spondanus, Claudius Roberts Gallia Christiana, Lucas Waddings Annales Minorum (Lugduni 1628) und Opuscula S. Francisci cum commentariis (1623), die Salutiensis Annales Ordinis Minorum Capuccinorum von Zacharias Boverius (I—II, Lyon 1632-1639) und das von Tommaso Bozio verfaßte De Signis Ecclesiae. Unter den zeitgenössischen geistlichen Autoren begegnet man wieder auch Mystikern wie der Hl. Therese von Avila (Liber Fundationum, Coloniae 1627) und dem Hl. Franz von Sales (Epistolae). Autoren der mariologischen Literatur wie z. B. Hyacinthus Choquetius (Mariae Deiparae in Ordinem Praedicatorum, Antverpiae 1634) und Ippolito Marracci (Heroides Marianae) sind ebenfalls vertreten; die Bibliotheca Mariana (I—II, Roma 1648) des letzteren, die Biographien von Marienverehrern in alphabetischer Folge enthält, diente Nádasi mit ihren Geschichten nicht nur als Quelle, sondern auch als Modell für mehrere seiner Werke. In großer Zahl begegnet man schließlich den Autoren der aszetischen und moraltheologischen Literatur, wie z. B. dem häufig zitierten Ludovicus Blosius (Institutio spiritualis, Lovanii 1570) und Johannes de Ávila (Epistolae) sowie Ludovicus Granatensis (Dux peccatorum, Coloniae 1587), Giovanni Francesco Maria Materdona (L'utile spavento de peccatore) und Henri Maria Boudon (Deus solus, Evreux 1662), die mit je einem Werk vertreten sind. Die Gruppe der nichtjesuitischen zeitgenössischen Quellen wird durch die für den kirchlichen Gebrauch bestimmten, zum Teil mittelalterlichen Zusammenstellungen abgeschlossen (Breviarium Romanum, Martyrologium Gallicanum, Martyrologium Romanum, Missale Ambrosianum). Wendet man sich nun den jesuitischen Quellen zu, so läßt sich feststellen, daß in allen drei Werken der Anteil der Verweise auf Jesuitenautoren der höchste ist, wenngleich dieser Anteil eine sinkende Tendenz zeigt (40, 37,7 und 24%). Von den etwa sechzig Autoren seien hier nur die wichtigsten aufgezählt, mehrere von ihnen wurden bereits früher behandelt. An erster Stelle unter den regelmäßig zitierten jesuitischen Quellen steht das gedruckte und handschriftliche Material der Annuae Litterae. Zu dieser Gruppe gehören auch die Vitensammlung von Pedro de Ribadeneyra (Flos sanctorum, Madrid 1599) und seine Loyola-Biographie (Vita Ignatii Loiolae, Neapoli 1572), die Zusammenstellung von Girolamo Piatti (De bono status religiosi libri tres, Roma 1590) und Antonius de Balinghems Marienkalender (Ephemeris seu Calendarium SS. Virginis, Duaci 1629), von denen früher bereits die Rede war. Auf den ersten Blick überraschend ist im Möns myrrhae die hohe Zahl von Verweisen auf einen so aggressiv-polemischen Jesuitenautor wie Jakob Gretser, nur daß Nádasi nicht auf seine polemischen Schriften, sondern auf seine Historiensammlung hinweist (De spontanea Disciplinarum seu flagellorum Cruce libri tres, Ingolstadii 1606). Dasselbe Werk bringt Zitate in gleicher Zahl aus dem Handbuch von Jacobus Alvarez de Paz über das geistliche Leben (De vita spirituali, Lugduni 1608) und aus einem aszetischen Traktat Jeremias Drexels (Aloe, Monachii 1637).
240 Zu den öfter zitierten jesuitischen Autoren und Quellen gehören Francisco Anas, die Historiensammlung von Joannes Petrus Maffei (Historiarum Indicarum libri XVI, Florentine 1588) und seine Loyola-Biographie (De vita et moribus Ignatii Loiolae, Roma 1585), das Martyrologium von Théophile Raynaud {De Martyrio per pestem, Lugduni 1630) und seine Sammlung Candelabrum sanctum septillustre (Avenione 1645). Die beiden letztgenannten wurden nach dem Zeugnis der Quellenverweise nach der Sammelausgabe {Opera omnia, Lugduni 1665) zitiert. Erwähnt werden sollten außerdem innerhalb der aszetischen und Meditationsliteratur der Jesuiten: Juan Eusebio Nieremberg, der zu den produktivsten und erfolgreichsten theologisch-aszetischen Schriftstellern Spaniens im 17. Jahrhundert zählt11 und hier mit seinem Werk De la diferencia entre lo Temporal y Eterno (Madrid 1640) vertreten ist, das Exercitium perfectionis von Alonso Rodriguez (Duaci 1625), Adrien van Lyeres Schrift De imitatione Iesu patientis (Antverpiae 1655), Ignatius Balsamos De perfectione religiosa, et de vera rede orandi et meditandi methodo (Coloniae 1612), Petrus Pennequins Isagoge ad amorem divinum (Antverpiae 1661), Giovanni Rhos Atti di varie virtu (Milano 1643,1. lateinische Ausgabe Dilingae 1647), Philippe d'Outremans Paedagogus Christianus (Luxemburg 1629) sowie Schriften von Paul de Barry, Vincenzo Caraffa und Balthasar Chavasse. Verweise auf den Hl. Ignatius kommen nur in geringer Zahl vor, was insofern leicht verständlich ist, als das ignatianische Werk eine grundlegende Quelle für die Wirksamkeit Nädasis darstellt, die seine ganze Geistigkeit bestimmt. Von den eigenen Werken beruft sich Nâdasi im Möns myrrhae auf die Sammlungen Annus coelestis, Aurum ignitum, Annus meditationum cordis und Annus angelicus. Aus dem reichen hagiographischen Quellenmaterial der Jesuiten benutzt Nädasi die Bände der Acta Sanctorum (Antwerpen ab 1643) mehrmals. Die Mehrzahl der Werke in dieser Gruppe stellt nicht den historischen Aspekt in den Vordergrund; das gilt z. B. für Matthäus Raders Viridarium sanctorum (I—II, Augsburg 1604-1614) und Bavaria sancta (Monachii 1615) sowie Joannes Baptista Rossis Triumphus Divinae gratiae per B. Joannum Columbinum (Roma 1648) und die Libro del Reyno de Dios betitelte Sammlung von Pedro Sanchez (Madrid 1594). Ein Teil der »in-vita«-Zitate konnte nicht identifiziert werden, die Mehrzahl von diesen weist auf weitere, von Jesuiten und Nichtjesuiten verfaßte hagiographische Schriften hin, so etwa auf die Zusammenstellung Vitae sanctorum (Madrid 1594), die als humanistische »Korrektur« der hagiographischen Gattungen gilt. Zitate in großer Zahl bringt Nädasi aus den Erzählquellen der mariologischen Literatur, aus den marianischen Beispielsammlungen, Mirakelbüchern und den Zusammenstel11
Dietrich Briesemeister: Theologie und Ästhetik bei Juan Eusebio Nieremberg S. J. In: Die religiöse Literatur des 17. Jahrhunderts in der Romania. Hg. K.-H. Körner H. Mattauch. Wiesbaden 1981, 27-37.
241
lungen über die marianischen Gnadenbilder. Die bekannteren unter ihnen sind der Hortulus Beatae Mariae Virginis von Antoine d'Averoult (Coloniae 1616), die von Johannes Bourghesius verfaßte Schrift Societatis Jesu Mariae Deiparae Virginis Sacra (Duaci 1620), die Fasti Mariani von Andreas Brunner (I—II, Monachii 1630), Leonard Mayrs Mariae Stammen Buch in der Ausgabe Georg Stengels (Dillingen 1642), das Negotium saeculorum Maria von Petrus Courcier (Divione 1662), der Atlas Marianus von Wilhelm Gumppenberg (Ingolstadt 1657), die Vida miravillosa de la venerable virgen Donna Marina de Escobar von Luis de La Puente (Valladolid 1665, 1. lateinische Ausgabe Pragae 1672) sowie die Historia miraculorum B. Mariae Silvaducensis von Otho Zylius (Antwerpen 1632). Einen nicht unerheblichen Teil der Erzählungen entnahm Nädasi der historischen, autobiographischen,12 kirchen- und ordensgeschichtlichen Literatur der Jesuiten. Er beruft sich z. B. auf die Epitome Historiarum von Orazio Torsellini (Roma 1598), die Exempel für den Unterricht in einem niveauvollen Latein erzählt, allein zwischen 1620 und 1640 34 Auflagen erlebte und im katholischen Europa des 17. Jahrhunderts als »das« Geschichtslehrbuch galt.13 Unter den relativ wenigen jesuitischen Quellen mit ungarischen Bezügen müssen die Annales Ecclesiastici Regni Hungariae von Melchior Inchofer (Roma 1644) genannt werden. Zum Kreis der universalhistorischen Quellen gehört z. B. die Gestensammlung von Antonius Vasconcellos über die portugiesischen Herrscher (Anacephalaeoses, Antwerpen 1621). Die Zitate zur Geschichte des Jesuitenordens weisen auf den Überblick von Niccolo Orlandini (Historiae Societatis Iesu Prima Pars, Roma 1614), auf den von Anello Oliva zusammengestellten Katalog der peruanischen Jesuitenmärtyrer (Catalogo de algunos varones ilustres in santidad, Sevilla 1632) sowie auf die Rolle der Missionsberichte (Alphonsus Mendez: Litterae Aethiopicae, Mechliniae 1628) hin.14 Unter den Quellen begegnet man außerdem mehreren jesuitischen Emblemsammlungen und illustrierten Traktaten, wie z. B. Nicolas Caussins Electorum symbolorum (Paris 1618), Jeremias Drexels Nicetas (München 1624) und Placido Samperis Iconologia (Messina 1644). Die Poesie der Jesuiten wird von Jacob Wall mit einem eigenen Band vertreten (Carmina, Antwerpen 1656). Im Rahmen des jesuitischen Quellenmaterials müssen wir kurz auf das Problem der Entstehung der handschriftlichen Quellen und der Regelung 12
13
14
Lorenzo Gilardi: Autobiografie di gesuiti in Italia (1540-1640). AHSI 64 (1995), 3-38. Vgl. Uwe Neddermeyer: Das katholische Geschichtslehrbuch des 17. Jahrhunderts: Orazio Torsellinis »Epitome Historiarum«. Historisches Jahrbuch 108 (1988), 469483. Vgl. Michel Bidaux: Culture et découverte dans les Relations des Jésuites. XVII e siècle 1976, n° 112, 3-30.
242 der jesuitischen Schriftlichkeit eingehen. Wie bereits gezeigt wurde, setzte Nädasi während der römischen Jahre die Bearbeitung und Herausgabe der verschiedenen handschriftlichen Quellen zur Geschichte des Ordens fort, und er war es, der mit der großangelegten Ausschöpfung dieses Quellenmaterials unter andachtsliterarischem Aspekt begann. Im Zentralarchiv des Ordens wurde bereits zur Zeit Nädasis eine bedeutende Quellenmenge aufbewahrt. Die im Vergleich zu anderen Orden immense Quantität handschriftlichen Quellenmaterials bei den Jesuiten erklärt sich aus der zentralisierten Struktur der Gesellschaft Jesu sowie daraus, daß die Quellen von Anfang an bewußt gesammelt, fortgeführt und aufgearbeitet wurden, vor allem aber dadurch, daß Ignatius von Loyola der regelmäßigen Korrespondenz eine besondere Bedeutung beimaß und die Schriftlichkeit im Orden von Anfang an genau geregelt wurde. 15 Im Institutum wurden die sog. berichterstattenden Briefe, die die Ordensleitung über die täglichen Ereignisse informierten, von den sog. erbaulichen Briefen (litterae quadrimestres) unterschieden, die Trost spenden sollten. Von den letzteren wurden zwei Exemplare hergestellt: das Exemplar in der Sprache der Provinzen wurde in der jeweiligen Provinz, die lateinische Version in den übrigen Ordensprovinzen verbreitet. Über die Mitglieder der Ordenshäuser wurden vierteljährlich Personalkataloge mit kurzen Beschreibungen zusammengestellt. Mit der sog. formula scribendi, die auf der Generalkongregation von 1565 ausgearbeitet wurde, führte man eine neue Regelung ein. Demnach mußten die Briefe von nun an jährlich und ausschließlich auf Latein zusammengestellt werden (litterae annuae), und die berichterstattenden Briefe wurden ebenfalls in größeren Zeitabständen als bis dahin verfaßt. Aquaviva stellte 1580 genaue Vorschriften für Inhalt, Form und Zeitpunkt der an die Vorsteher und an die von ihnen zu schreibenden Briefe sowie für die Zusammenstellung der jährlichen und dreijährlichen Kataloge auf. Am 26. September 1596 verordnete er, die Geschichte des Ordens zu schreiben, und forderte dazu Material von den Provinzen an. Danach begann Nicolaus Orlandini mit der systematischen Bearbeitung und Herausgabe der Geschichte der Gesellschaft (1614), seine Arbeit wurde von Franciscus Sacchini fortgesetzt. Sacchini legte die Gründe für die Zusammenstellung der »historia selecta« in neun Punkten dar, wobei er das Erkennen der göttlichen Vorsehung an erster Stelle nannte. Ein weiteres Ziel seiner Arbeit bestehe darin, den Ordensbrüdern in schweren Zeiten eine Quelle der Hoffnung zu bieten. Das alles zeigt zugleich die Konzeption jesuitischer Geschichtsschreibung, die die unmittelbare Voraussetzung für das Schaffen Nädasis bildete. 15
Zum weiteren vgl. Institutum Societatis Iesu. Vol. I—III. Florentinae 1892-1893. Augustus Coemans: Introductio in Studium Instituti et annotationes in formulam Instituti. Ad usum nostrorum tantum. Bruxellis 1937. - Szilas: Quellen (wie II/l, Anm. 6.) 172-174.
243 General Vitelleschi ordnete 1620 das Schreiben und Sammeln von Elogien über die verstorbenen Jesuiten an. Am 19. August 1623 erließ Vitelleschi eine weitere Instruktion über die inhaltliche und formale Regelung der dem General einzusendenden Briefe und schriftlichen Berichte. Die Instruktion beschäftigt sich ausführlich mit den Elogien, die sorgfältig und sachlich verfaßt werden und von den Tilgenden nur in begründeten Fällen sprechen sollten. Vitelleschi regelte auch die Abfassung der Entlassungsberichte und der Annuae litterae. Demnach sollen die Gründe in den ersten genau genannt werden, in letzteren hingegen sollte nichts erwähnt werden, was unter das Beichtgeheimnis falle. Die »formula scribendi« blieb von dieser Zeit an bis zur Auflösung des Ordens im wesentlichen unverändert. Bereits aus diesem kurzen Überblick wird ersichtlich, welche große Menge vielfältigsten und zugleich nach einheitlichen Richtlinien hergestellten handschriftlichen Quellenmaterials im Zentralarchiv des Ordens zur Verfügung stand. Nach dem Zeugnis der Zitate schöpfte Nädasi regelmäßig aus den folgenden handschriftlichen Quellentypen:16 1. Briefe der Rektoren und Provinziale an die Generäle und Assistenten. 2. Litterae quadrimestres, Litterae annuae, die Sammlung »ex annuis« von Alegambe, Missionsberichte. 3. Historia Societatis: Handschriften Polancos, Orlandinis, Sacchinis und anderer Ordenshistoriker, die Sammlung Valtrinos aus Diarien und anderen Quellen aus der frühen Zeit der Gesellschaft.17 4. Historia Provinciarum et Collegiorum 5. Vitae: die Biographien bedeutender Ordensmänner, z.B. Valtrinos Vocazioni betitelte Sammlung mit Angaben über die Märtyrer und Heiligen der Gesellschaft,18 das Manuskript Defuncti peste 1556-1640 über die an der Pest verstorbenen Jesuiten.19 6. Elogien; die Biographien verstorbener Jesuiten, das Menologium von Jacobus Stratius u. a. Nädasi bediente sich also mit Ausnahme der Kataloge, der von den Generälen verfaßten Briefe sowie sonstiger administrativer Quellen all jener Quellentypen, die ihm zur Verfügung standen, und er hob sie aus dem offiziellen Schrifttum des Ordens in die Sphäre der Literatur.20 Die überwiegende Mehrzahl dieser Quellen hatte Erzählcharakter, das Stilisieren und schriftli16
17 18
19 20
Zu den handschriftlichen Quellenverweisen Nädasis vgl. Annales Mariani 1661, +2: Autores. - Annus coelestis 1681, 18-19: Catalogus Auctorum. - Annus dierum illustrium 1657, nach S. 420: Autores. - Annus dierum memorabilium 1665, e2: Auetores. ARSI Hist. Soc. 176-177. Annus dierum memorabilium 1665, e2. - ARSI Fondo Ges. Bd. 3 sowie ARSI Vitae 5,14. - Vgl. Öry: Päzmäny (wie 1/2, Anm. 34.) 110-111,162, Anm. 69. ARSI Vitae 148. Vgl. Szilas: (wie II/l, Anm. 6.) 174-176.
244 che Fixieren der aus der mündlichen Überlieferung entliehenen Historien spielte in ihnen eine große Rolle.21 Aus dem Überblick des zeitgenössischen Quellenmaterials geht das Übergewicht der jesuitischen Literatur und der verschiedenen narrativen Quellentypen klar hervor, wie auch die Tatsache, daß Nädasi weit über das Quellenmaterial zur Geschichte des Ordens hinausging. Die Heranziehung der humanistischen Literatur in engerem Sinne ist bescheidener, wenngleich sie nicht zu vernachlässigen ist, die polemische und theologische Literatur fehlt sowohl von katholischer als auch von protestantischer Seite völlig. Neben den Erzählquellen kann die Wirkung der verschiedenen aszetischen, mystischen, Moral- und Meditationsliteratur hervorgehoben werden. Erwähnt werden sollte außerdem die Benutzung von mehreren bedeutenden Werken aus der geistlichen Literatur des französischen Frühklassizismus, offensichtlich in lateinischen Übersetzungen. Am Ende des Überblicks muß noch einmal betont werden, daß nicht das Gesamtwerk, sondern nur drei Werke hinsichtlich des Quellenmaterials untersucht wurden. Stichprobenartige Vergleiche mit dem Quellenmaterial anderer Werke deuten darauf hin, daß die drei Werke richtig ausgewählt wurden und die ihnen entnommenen Proben repräsentativ genug sind, um einen Eindruck von der Bildung Nädasis zu vermitteln. Die folgende Tabelle zeigt die thematische Verteilung der Zitate in den drei Werken: Maria mater agonizantium 1640 (1644)
Maria aeternitatis 1645
1675
Zitate
Zitate
Zitate
absolut prozentual absolut Bibel Antike Autoren Patristik Mittelalter 16./17. Jahrhundert Jesuiten Andere, nicht identifizierte Autoren Insgesamt
_
_
-
-
Möns myrrhae
prozentual
absolut
prozentual
_
20% 5% 19% 13% 11% 24%
1 13 12 32
1,2% 16,2% 15% 40%
1 14 6 17
2,2% 31,1 % 13,3 % 37,7 %
110 29 104 71 61 128
22
27,5 %
7
15,5 %
43
8%
80
99,9%
45
99,8 %
546
100%
-
-
Die Zahlen spiegeln, wenngleich in begrenztem Maße, die zeitlichen Veränderungen in der Zusammensetzung des schriftlichen Quellenmaterials wider. 21
Vgl. Günter Hess: »Fracta Cithara« oder Die zerbrochene Laute. Zur Allegorisierung der Bekehrungsgeschichten Jacob Baldes im 18. Jahrhundert. In: Formen und Funktionen der Allegorie. Hg. Walter Haug. Stuttgart 1979, 605-631.
245 In den beiden frühen Werken fallen das völlige Fehlen von Verweisen auf die Bibel und auf antike Autoren sowie die minimale Präsenz patristischer Zitate auf. Die Mehrzahl des Quellenmaterials machen in beiden Werken die mittelalterlichen und Jesuitenautoren aus. Demgegenüber zeigt das Quellenmaterial im Möns myrrhae ein ausgeglicheneres Bild: neben dem nach wie vor bestehenden Übergewicht von Jesuiten sind hier die biblischen und patristischen Zitate zu einem beachtenswert hohen Anteil vertreten, und neben den mittelalterlichen Quellen sind auch das nichtjesuitische Quellenmaterial des 16./17. Jahrhunderts sowie die Verweise auf antike Autoren, die weltlichen Elemente, nicht vernachlässigt. Die Verhältnisse im Quellenmaterial des Möns myrrhae scheinen geeignet zu sein, unter Berücksichtigung der Gattungs- und Größenordnungsunterschiede mit der von Istvän Bitskey erstellten Statistik über das Quellenmaterial der Päzmänyschen Predigten verglichen zu werden.22 Diesem Vergleich werden allerdings dadurch Grenzen gesetzt, daß Istvän Bitskey das Quellenmaterial aller Predigten untersuchte und die Bibelzitate getrennt aufführte. Um dennoch einen Vergleich zu ermöglichen, wurden hier nicht nur die Zitate im Möns myrrhae, sondern die Gesamtzahlen der zitierten Autoren unter Ausklammerung der Bibelzitate berücksichtigt Pâzmâny Autoren absolut prozentuell Antike Autoren Patristik Mittelalter Humanisten (16./17. Jahrhundert) Jesuiten Protestanten Sonstige, nicht identifizierte Autoren Insgesamt
Nadasi Autoren absolut prozentuell
75 54 16 31 18 3 3
37,5 % 27% 8% 15,5 % 9% 1,5% 1,5%
15 25 13 25 45 14
10,2%
200
100%
137
100%
-
10,9% 18,3 % 9,5 % 18,3 % 32,8% -
Aus dem Vergleich wird ersichtlich, daß das Quellenmaterial Nädasis von der eine grundlegend klassische und humanistische Bildung widerspiegelnden Quellenbasis Päzmänys trotz der Entsprechungen bedeutend abweicht. Die meisten gemeinsamen Quellen wurden bei den antiken Autoren und auf dem Gebiet der Patristik gefunden (14 Autoren in der ersten, 19 in der zweiten Gruppe), was auf die ähnliche Grundausbildung zurückzuführen ist. Die bei beiden Autoren vorhandenen Hinweise auf einige der mittelalterlichen Autoritäten (Bernhard v. Clairvaux, Bonaventura, Bernhard v. Siena, Thomas v. Aquin) sowie auf bestimmte zeitgenössische Jesuiten (Drexel, Gretser, Loyola, Piatti) sind vermutlich zum größten Teil ebenfalls dadurch zu erklären. Wenn22
Bitskey: (wie 1/1. Anm. 7.) 100.
246 gleich der Anteil der mittelterlichen Quellen nahezu derselbe ist, unterscheidet sich ihre Zusammensetzung erheblich: Während Päzmäny die volkstümliche hagiographische und Predigtliteratur unberücksichtigt läßt, nimmt sie bei Nädasi einen wichtigen Platz ein. Dasselbe gilt für die nichtjesuitischen Quellen des 16./17. Jahrhunderts. Außer Blosius und Surius beruft sich Nädasi auf keinen einzigen der von Päzmäny zitierten Autoren - ein klarer Hinweis auf seine Entfernung von der humanistischen Tradition. Außer dem unterschiedlichen Anteil antiker und patristischer Autoren zeigt auch die Benutzung jesuitischer Quellen grundlegende Unterschiede: während Päzmäny aus den Werken von Jesuitenautoren nur selten zitiert, machen sie bei Nädasi nahezu ein Drittel des zitierten Quellenmaterials aus. Ein gemeinsamer Zug mit den Predigten Päzmänys ist die Ausklammerung der apologetischen Literatur und der polemischen Elemente. Aus alldem geht hervor, daß die im wesentlichen gemeinsame ideelle Grundlage, die augustinische Tradition, der Neostoizismus und die jesuitische Spiritualität zum Ausgangspunkt von zwei Gesamtwerken wurden, die auf stark unterschiedlichen Bildungselementen beruhten. Nädasi standen seit Beginn seines römischen Aufenthalts die besten kirchlichen Bibliotheken zur Verfügung. Einmal deutet er darauf hin, daß er bereits in Ungarn z. B. die Nagyszombater Bibliothek von Erzbischof Lippay benutzt habe. In Rom arbeitete er außer im Profeßhaus, d. h. der zentralen Bibliothek und dem Zentralarchiv des Ordens, in der Bibliotheca Vaticana,23 im Archiv des Olivetanerklosters Turris Speculorum (Torre de' Specchi);24 auch das Wiener Kolleg und das Profeßhaus waren mit guten Bibliotheken ausgestattet. Mit der Beschaffung von Büchern dürfte also Nädasi keine Schwierigkeiten gehabt haben. Er benutzte eine große Zahl vielfältigen Quellenmaterials, schöpfte jedoch seine Quellen aus einem relativ gut umgrenzbaren, nicht allzu weiten Kreis. Während die gelehrte Bildung des 17. Jahrhunderts zum überwiegenden Teil aus dem 16. Jahrhundert, aus der Synthese von Humanismus und Reformation bzw. Gegenreformation schöpft, liegt der Schwerpunkt des Quellenkorpus von Nädasi im hohen Anteil der mittelalterlichen und jesuitischen Erzählquellen, während die weltlichen Elemente schwach vertreten sind. In den übrigen Gruppen konzentrierte er sich ebenfalls auf Autoren und Werke, die erzählerische Elemente aufwiesen. Darin bestand seine primäre Quellengrundlage. Er ergänzte sie durch Autoritätsverweise und Zitate aus den anderen Quellentypen sowie durch der mündlichen Überlieferung entstammende Erzählungen. Unter den Quellenautoren bevorzugte er diejenigen, die selbst zur inhaltlichen oder stilistischen Verkürzung neigten: Kompilatoren und Florilegisten wie Valerius Maximus, Aulus Gellius und andere, die Vorbilder der gnomischen Rede wie z. B. Seneca und Hieronymus. Seine Kenntnisse der antiken Geschichte entnahm er sowohl 23 24
Maria aeternitatis 1645, 43 -45. Annus coelestis 1681, 18.
247 der römischen Historiographie als auch den Kompendien mit anekdotischem, leicht zu moralisierendem Material. Die Einseitigkeiten der Quellenbasis deuten zugleich darauf hin, daß man bei Nädasi mit einem Vorkommen von Themen mit ungarischen Bezügen bzw. von solchen, die in der älteren und neueren ungarischsprachigen Literatur bearbeitet wurden, nicht in dem Maße wie etwa bei Bornemisza, Päzmäny oder Taxonyi rechnen kann. Als weitere Eigentümlichkeit neben der weitgehenden Ausschöpfung der in der Historienüberlieferung liegenden literarischen Möglichkeiten, neben der breiten Gattungsskala der narrativen Quellen, erscheint bei ihm die konsequente Vernachlässigung der in den Quellentexten vorgefundenen ideellen Kontexte. Die den Quellen entliehenen Zitate und Geschichten bettet er in einen neuen Kontext ein und benutzt sie, bereits mit neuer Bedeutung ausgestattet, um seine eigenen Gedanken auszudrücken und zu bestätigen.
Das Quellenmaterial im Kontext der Werke Der Quellengebrauch, die Aussage und Funktion der Beispiele werden im folgenden anhand von ausgewählten Textbeispielen im Vergleich der ursprünglichen und der neuen Textzusammenhänge dargestellt. Die Art und Weise der Quellenbehandlung, die Frage also, was und wie von Nädasi aus den früheren Texten übernommen wurde, beleuchtet zum einen weitere Eigentümlichkeiten seiner Arbeitsmethode, zum anderen bietet sie eine Grundlage für die Untersuchung des Wandels der Textüberlieferung. Bei der Auswahl der Textbeispiele wurde vor allem auf die möglichst große Präsenz der verschiedenen Textbehandlungstechniken geachtet. Ein weiteres Kriterium bestand darin, sowohl lateinische als auch ungarische Texte in die Untersuchung einzubeziehen, die auf Quellen verschiedener Epochen und Gattungen zurückgehen. Abweichungen von den Quellen und Identitäten mit ihnen kommen durch die bewußte Absicht des Verfassers zustande, Änderungen geben Hinweise auf das Verhältnis des Autors zu seiner Quelle bzw. zu seinem eigenen Text. Für die Beurteilung der Veränderungen und Entsprechungen ist der alte und der neue Kontext der Texte von Wichtigkeit. In den Werken mit thematischem Schwerpunkt wird der Quellengebrauch in der Regel durch das zentrale Thema des jeweiligen Werkes bzw. der das Zitat aufnehmenden kleineren Texteinheit bestimmt, in anderen Fällen ist die Unterordnung unter die einheitliche Struktur das Entscheidende. Die narrativen Texte enthalten oft Hinweise auf eine oder mehrere Geschichten ähnlichen Inhalts, die jedoch nicht ausführlich erzählt werden. Es kommt wiederholt vor, daß Nädasi bei demselben Text auf zwei oder mehrere Quellen verweist und neben der direkten Quelle noch andere Belegstellen für den jeweiligen Text nennt.25 Relativ selten bedient er sich der Methode, zwei Geschichten, die 25
So z.B. Lilia coelestia 1655, 52-54.
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in der Quelle nacheinander stehen, zusammen, eventuell in umgekehrter Reihenfolge, zu übernehmen. 26 Als beliebte Lösung fügt er in die von ihm konstruierte Klausel der Geschichten einen Autoritätsverweis ein. Bei der Anwendung der Quellenbehandlungstechniken kann man vier Haupttypen unterscheiden, die an je einem Textbeispiel illustriert werden sollen. 1. Wortwörtliche Übernahme (Zitat). Im gewählten Beispiel wird vom Almosenverteilen eines Händlers namens Valentinus zu Weihnachten sowie von seiner Vision vor dem Tod berichtet. Nádasi bringt die Erzählung in Dies et hebdómada, Ferie VI. Der Abschnitt wird durch den Gedanken eingeleitet, man könne sich an den Hl. Joseph um einen guten Tod wenden. Als Quelle diente der 2. Sermon des Vincentius Ferrer für die Vigil des Weihnachtsfestes. Die Predigten von Vincentius Ferrer sind von 1474 bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in nahezu vierzig Ausgaben erschienen, wir haben eine Ausgabe von 1729 benutzt. Nádasi: Dies et hebdómada S. Josepho, Graecii 1680. 76-77.
Vincentius Ferrer: Festivale, Aug. Vindel. 1729. 27.
S. Vincentius Ferrerius unum pretiosaea S. Josephi diente obitae mortis exemplum narrat in haec verba: (Serm. in Vig. Nat. Dom. infine.)
Si vultis habere societatem (Jesu, Mariae, Josephi) vobiscum, faciatis, sicuti faciebat unus mercator Valentinus, qui quolibet anno in die Nativitatis invitabat unum pauperem senem, et aliquam mulierem habentem fìlium parvulum, qui repraesentabant sibi Virginem cum Filio, et Joseph: de quo fuit revelatum, quod in morte apparuerunt sibi Virgo cum Filio, et Joseph, dicentes: Quia recepisti nos in domo tua, ideo nos recipimus te in domo nostra. Sic S. Vincentius.
O benedicta societas. Item quam reverenter uterque Deum adorabat in utero Virginis incarnatum. Ideo si vultis habere societatem istam vobiscum, faciatis sicut faciebat unus mercator Valentinus, qui quolibet anno in die nativitatis invitabat unum pauperem senem et aliquam mulierem habentem filium parvulum, qui repraesentabant sibi Virginem cum filio et Joseph. De quo fuit revelatum, quod in morte apparerent illi Virgo cum filio et Joseph, dicentes, quia recepisti nos in domo tua, ideo nos recipimus te in domo nostra.
Der kurze einleitende Teil der Geschichte wird bei Nädasi einfach weggelassen, statt dessen bringt er eine Einleitung, in der er Inhalt und Quelle der Erzählung nennt. Damit stellt er die Beziehung zur vorangehenden Historie her, lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Nebenfigur der Geschichte, auf den Hl. Joseph, und sagt zugleich, daß er die Geschichte als Exempel mitteilt. Der Vortrag der Geschichte entspricht bis auf eine einzige Ergänzung wort26
So z.B. Annus Marianus 1648,104-105. sabb. XX. Zwei Geschichten nach Gregorius' Dialogorum libri quator, lib. 4. cap. 37., in umgekehrter Reihenfolge. - Maria agonizantium mater 1644,15-18. praxis II. nr. 6 - 7 . Zwei Geschichten nach Speculum exemplorum, Dist. V. nr. 59-60, in der gleichen Reihenfolge.
249 wörtlich dem der Quelle, es handelt sich also um ein Zitat aus der Predigt. Die einzige Ergänzung (Jesu, Mariae, Josephi) ist erläuternder Natur und betont die Einheit unter den Mitgliedern der Hl. Familie. Der letzte, die Morallehre zusammenfassende Satz der Geschichte wurde durch Kursivschrift hervorgehoben. Nädasi änderte am Text nichts, obwohl der Stil der Geschichte dem Predigtvortrag angepaßt ist und die direkte Anredeform der zweiten Person Plural benutzt wird (Si vultis habere [...] faciatis). Der Leser wird aber bereits in der Einleitung darauf aufmerksam gemacht (narrat in haec verba), und am Ende der Erzählung wird noch einmal betont, von wem der Text stammt. Das alles deutet darauf hin, daß die knappe Vortragsweise dem Ziel von Nädasi entsprach, er brauchte nur den Schwerpunkt der Erzählung mit subtilen Mitteln von der gemeinsamen Verehrung des Christkindes und Mariä durch Joseph auf die Josephverehrung des Händlers zu verschieben. Bei den Erzähltexten bedient sich Nädasi der wörtlichen Übernahme nur selten, bei den Autoritätsverweisen und kurzen Zitaten um so häufiger. 2. Kleinere inhaltliche, strukturelle und stilistische Änderungen. In der gewählten Geschichte wird die Seele eines verstorbenen Studenten von der Hl. Jungfrau im Bild einer Taube in den Himmel geführt. Nädasi bringt die Geschichte als 30. Zeugnis im X. Teil von Maria aeternitatis. Seine Quelle war das 99. Exempel in der VI. Distinctio des Speculum exemplorum. Nádasi: Maria aeternitatis, (Pozsony) 1645. 175-176.
Speculum exemplorum, Strassburg 1487. fol. 170/a.
Bunnában [In Bunna] - midön egy Isten-felö lélek látta vólna [ - als eine gottesfürchtige Seele sah]
In civitate bunnensi
hogy egy meg-hölt Deäk koporsöjänak fejenel [daß am oberen Ende des Sargs eines verstorbenen Studenten] ällana nagy fenyessegben a Boldog Szüz, [die Selige Jungfrau in großemGlanz stand] es hogy egy fejer galambocskät tenne be nagy edesdeden az ö Szüz kebelebe, [und mit großer Zärtlichkeit ein weißes Täublein an ihre jungfräuliche Brust legte] azt kérdette hogy kicsoda légyen.
quaedam inclusa erat habitans religiosa satis atque devota. Hec cum nocte quadam rivulis celle sue splendore immitti cernerei et diem esse putaret territa propter horas nondum dictas surrexit fenestram visus cymeterium aperuit et ecce iuxta caput sepulcri cuiusdam scolaris recenter illic sepulti
miri decoris feminam stare conspexit. viso corporis eius eandem lucem creverat Stabat etiam et columba nivea super tumulum quam illa cito rapies misit in sinum suum. Inclusa viso licet iam intelligeret quod est cum reverentia foret requisivit.
250 Ennek a Boldog Szüz igy felelt: En Kristus Annya vagyok, es ennek a Deäknak lelket jöttem el-vinni magammal: mert ez sok olvasäsi, es jo tanusägi miat bizonyära ollyan mint egy Martyr. [fragte er, wer sie sei. Die Selige Jungfrau antwortete ihm: Ich bin die Mutter Christi, und bin gekommen, um die Seele dieses Studenten mitzunehmen: weil dieser wegen des vielen Lesens und der guten Zeugnisse gewiß wie ein Märtyrer ist.] Valakik jöl elnek, es a tanuläsban szorgalmatosak, ha Istennek nagyobb dücsösegere tanulnak, nagy jutalmok leszen meny-orszägban [Jene, die richtig leben und im Lernen fleißig sind, wenn sie zum größeren Ruhm Gottes studieren, werden im Himmelreich hoch belohnt] Spec. dist. 6. Num. 99.
Cui illa. ego sum mater Christi et animam scolaris huius quia vere martyr est tollere veni. Revera scolares si innocenter vivunt et libenter discunt martyres sunt qui si postea artes doctas in caritate mane in dei servitio exercuerint magnam ex his mercedem prosequentur.
Laut der Einleitung zum Zeugnis muß man zum größeren Ruhm Gottes studieren. Nädasis inhaltliche Änderungen sind zum großen Teil Auslassungen, darüber hinaus modifiziert er die Bedeutung einzelner Wörter: - er nennt die Stadt, verzichtet jedoch auf die nähere Beschreibung des Schauplatzes (cymeterium); - er nennt die Tageszeit (nocte) nicht; - »sepulchrum« übersetzt er als »koporsö« [Sarg] und modifiziert damit den Inhalt, da die Quelle auf ein Grab auf dem Friedhof, d. h. auf eine Situation nach der Beerdigung hindeutet, der Sarg hingegen auf einen Zeitpunkt vor der Beerdigung. Der Grund für diese Änderung liegt vermutlich in der zeitgenössischen Vorstellung, wonach die Seele des Verstorbenen bereits mit dem Eintreten des Todes dem Körper entweicht; - er spricht nicht vom Erscheinen der weißen Taube über dem Grab (super tumulum). In struktureller Hinsicht folgt Nädasi seiner Quelle treu, stellenweise übersetzt er Wort für Wort. Er weicht vom Original ab, wenn er einen Textabschnitt (ez sok olvasäsi [...]) Maria in den Mund legt, den die Quelle im Schlußteil bringt. Das führt zu keinen wesentlichen strukturellen Änderungen, erleichtert aber das Verständnis des Textes, nämlich des Kausalzusammenhangs. Dem gleichen Zweck dienen die sprachlich-stilistischen Veränderungen bei Nädasi: - der Augenzeuge inclusa wird einfach als »Isten-felö lelek« [gottesfürchtige Seele] bezeichnet; - die in der Vision gesehene Person wird bereits am Anfang der Geschichte genannt, damit wird die Spannung der Erzählung reduziert;
251 - die Beschreibung Mariä wird ausgeschmückt (a Boldog Szüz [...] tenne be nagy edesdeden az ö Szüz kebelebe [die Selige Jungfrau mit großer Zärtlichkeit [...] an ihre jungfräuliche Brust legte]), parallel dazu werden Einzelheiten in bezug auf den Augenzeugen weggelassen, dadurch wird Maria über die anderen Figuren gestellt. Der Schluß der Geschichte wurde neugeschrieben, wobei die verallgemeinernde und modifizierende Absicht der beiden abschließenden Abschnitte in ähnliche Richtung zeigt. 3. Inhaltliche Erweiterung, bedeutende stilistische Umgestaltung mit selbständigem abschließendem Teil. Im Mittelpunkt der gewählten Stelle steht das »revocatus«-Motiv: ein vom Tode auferstandener Abt mahnt seine Ordensbrüder zum häufigen Beten des Ave-Maria. Der Text wird als 15. Zeugnis in Buch II, Teil III von Maria aeternitatis gebracht und geht auf den ersten Sermon im XII. Teil des von Bernardinus de Bustis verfaßten Mariale zurück. Nädasi: Maria aeternitatis, (Pozsony) 1645. 97 - 99.
Bernardinus de Bustis: Mariale, Milano 1493. fol. 365/a.
Hallyad, avagy olvassad, mit ir Bernardinus de Busto (Marialis p. 12. serm. 1.) Unde legitur et egy Szent eletö szerzetes Apätur felöl. Az a Szent ember,
minek utanna halottaiból fel-támadott vólna, és nagy álmélkodó csudálkozással kôrnyiilette állanának a kalastrombéli Páterek, és igen kérnék ôtett arra, hogy mondaná-meg mit látott akkor, a más világon, mikor halva fekütt; és mi modon kellenék oda készülnünk; hoszszu halgatás után, egy kis-rovid sommaban foglalván mind azt a mit a koporsóban, és a más világon tanult vòlt, eggyet fohaszkodék szive-szerént, és nagy fen szóval igy szólla. O! filii qui vult salvari, saepe salutet MARIAM. Oh! fiaim, a ki iidvòziilni akar, gyakorta koszôncse MARIAT. Hidta, hogy egyébképpen jámbor életôk azok a Paterek: azért csak ezt akarta nékiek mondani, és
quidam abbas mortuus postea resuscitatus
et a monacis suis interrogatus quid vidisset in alia vita:
respondit. O filii qui vult salvari saepe salutet mariam.
252 ennekem, s teneked-is, hogy ha üdvözülni akarunk, saepe, gyakran, minden öräban köszöncsük MARIAT, es üdvösseges halalunk-ert egy iidvöz legy MARIAT mondgyunk, a mint MARIAnak sok Jämbor fiai cselekszenek mind Magyarorszägban, mind Olasz mind Nemet-orszägban, es mäsut-is. [Höre oder lese, was Bernardinus de Busto schreibt über einen Mönch, einen Abt von heiligem Lebenswandel. Nachdem jener heilige Mensch vom Tode auferstanden war, und die Patres aus dem Kloster mit großer staunender Verwunderung um ihn standen und ihn sehr baten zu erzählen, was er, als er tot lag, im Jenseits gesehen hätte und wie man sich dorthin vorbereiten soll, faßte er nach langem Schweigen in einer ganz kurzen Summe all das zusammen, was er im Sarg und im Jenseits gelernt, seufzte einmal aus tiefem Herzen und sprach also mit lauter Stimme: O! filii qui vult salvari, saepe salutet MARIAM. Ach, meine Söhne, wer selig werden möchte, soll MARIA oft grüßen. Er wußte, daß jene Patres ansonsten frommen Lebenswandels sind: darum wollte er ihnen nur das sagen, und auch mir und dir, daß wir, wenn wir selig werden möchten, saepe, oft, in jeder Stunde MARIA grüßen und um unseren seligen Tod ein Ave Maria beten sollen, wie das viele fromme Söhne MARIÄ sowohl in Ungarn als auch in Italien, Deutschland und anderswo tun.]
Nach dem einleitenden Gedanken zum III. Teil des Buches soll man im Interesse eines seligen Todes bei jedem Stundenschlag das Ave Maria beten. In der Predigt von Bernardinus de Bustis steht die Geschichte unter den Exempeln über die Nutzen, die das Beten des Ave Maria bringt. Nädasi erweitert die Erzählung um einige neue inhaltliche Elemente, die jedoch den ursprünglichen Sinn des Textes nicht beeinflussen. Solche Erweiterungen sind, daß die Mönche um den auferstandenen Abt stehen und ihn bitten, ihnen zu erzählen, was er im Jenseits gesehen hat, damit sie sich vorbereiten können. Die Struktur der Erzählung wird von Nädasi nicht modifiziert, in der Einleitung spricht er aber den Leser an, nennt seine Quelle und schreibt, sozusagen die Geschichte in einen Rahmen einfassend, einen selbständigen Abschluß. Die sprachlich-stilistischen Änderungen sind vielfältig, durch sie wird der Text bedeutend erweitert und in eine Erzählung verwandelt. Nädasi strebt nach einem direkten Kontakt mit dem Leser, spricht ihn mehrfach an (Hallyad, avagy olvassad [Höre oder lese]) und bezieht die Geschichte auch auf sich selbst (ezt akarta nekiek mondani, es ennekem, s teneked-is [das wollte er ihnen sagen, und auch mir und dir]). Er liefert eine kurze Charakterisierung der Hauptfigur, erweitert den sprachlich reduzierten Zustand der Quelle und bietet dadurch die Möglichkeit, sich die Geschichte vorzustellen, sie mitzuerleben (nagy älmelkodö csudälkozässal [mit großer staunender Verwunderung]; eggyet fohäszkodek szive-szerent, es nagy fen szöval igy szölla [er seufzte einmal aus tiefem Herzen und sprach also mit lauter Stimme]). Damit werden die zwei kurzen Sätze der Quelle zu fünf, zum Teil mehrfach zusammengesetzten neben- und unterordnenden Sätzen erweitert.
253
Nädasi stattet die Geschichte mit einer inneren Entwicklung und einem Höhepunkt aus, indem er mit Hilfe der eingefügten Stellen die Antwort des Abtes hinausschiebt. Die Spannung des Textes und die Erwartung des Lesers werden durch den inhaltlichen Gegensatz vor dem Höhepunkt (hoszszu halgatäs utän, egy kis-rövid sommäban [nach langem Schweigen, in einer ganz kurzen Summe]) gesteigert. Der Antwort des Abtes wird Nachdruck gegeben, indem Nädasi den Text wörtlich nach der Quelle zitiert und das Zitat nach damaligem Brauch entsprechend übersetzt. Der selbständige Teil, der die Lehre aus der Geschichte formuliert, erweitert den Gültigkeitsradius und das Bezugsfeld des Gesagten ((ennekem, s teneked-is [auch mir und dir]; mind Olasz mind Nemetorszägban, es mäsutt-is [als auch in Italien, Deutschland und anderswo]), versichert dem Leser, daß die Mönche frommen Lebenswandels sind und ruft, indem er seine Absicht offen formuliert, zum oftmaligen Beten des Ave Maria im Interesse des seligen Sterbens auf. Die Regelmäßigkeit, mit der das empfohlene Gebet gesprochen werden soll, wird mit Hilfe des aus dem Latenischen übernommenen Ausdrucks, seiner Übersetzung sowie seiner konkreten Interpretation unterstrichen. Wenn der Name Mariä, der in der Quelle nur einmal vorkommt, fünfmal erwähnt und jedes Mal in Majuskeln geschrieben wird, bekräftigt das ebenfalls die Absicht des Autors. 4. Kürzung (Auslassung) mit der Verletzung des ursprünglichen Handlungsaufbaus, gelegentlich mit selbständigen Ergänzungen. Zur Darstellung dieses Typs wurde eine Geschichte aus dem XVII. Samstag des Annus Marianus gewählt, die als die Beichte des abgeschlagenen Kopfes bekannt und beliebt war. Nädasis Quelle war diesmal der 1. Articulus in Buch XII, Teil II des Stellariums von Pelbärt von Temesvär. Nädasi: Annus Marianus, Viennae 1648. 90-91.
Notus ille latronum antesignanus stellari] p. 2. lib. 12. a. 1. ubi piam quandam viduam una cum filiabus jejunantem vidit ac didicit eapropter id illas facere,
quod plurium experientia didicissent, absque sancta exomologesi illos e vita non discedere qui Sabbathinis jejunijs Deiparam coluissent,
Pelbartus de Themesvar: Stellarium, Basel, (1497-1500). fol. ccVII/b-ccVIII/ a. Nam refert Anshelmus in libro miraculorum. Et hoc idem narratur etiam in libro qui intitulatur scala celi. quod quidam fuit princeps latronum qui quodam sabbato cum venisset ad domum cuiusdam mulieris pauperis vidit ieiunantes filias mulieris et etiam ipsam mulierem et requisivit. Cur die sabbati ieiunarent At ilia respondit quiae didici inquit a quodam sancto viro predicante quod quicunque ieiunat ob devotionem beate marie in sabbatis merebitur confessionem facere in articulo mortis et non decedet sine gratia vere penitentie atque damnationem evadet. TUnc ille latro ait
254 vovit servavitque semper Sabbathinum jejunium.
Ajunt resectum postea supplìcio caput non nisi confessione obita obijsse,
gratiamque illam Sabbathinae illi devotioni acceptam retulisse.
Et ego voveo beate virgini quod quamdiu vixero diem sabbati ieiunabo quod cum fecisset continue. Accidit post multos annos ut iste latro caperet in scelere et sine dilatione decapitatus est. Ecce mirum ipsum caput praecisum cepit clamare continue et dicere: confessionem: confessionem: confessionem. Stupefacti homines quae aderant ad villam miserunt pro sacerdote. Qui veniens caput ipsum univit corpori et tunc latro ait: Hoc bonum ad reverentiam beate virginis inquit feci in vita ut ieiunarem sabbatis. Et dum facta de capitatione diaboli vellent rapere animam meam: affuit beata virgo quae animam meam non promisit exire de corpore meo quosque contritus sim piene confessus ut damnationem evadere valeam et sic confessis omnibus peccatis suis ac postulatis devote suffragi] s mortuus est. Porro homines hec videntes magnificaverunt deum et laudaverunt christi clementiam in beata maria virgine.
Plura narrantur similia. Pudeat nos non facere id quod latrones fecere honori MARIANO. Sed nemo se ideo vitijs insurgitet, Sabbathino jejunio quasi sacra anchora securas futuras in morte. Hoc enim irritât, exacerbai, exulcerat ipsam misericordiam DEI, et in furorem convertit. Nädasi verweist durch die Nennung des Werkes und durch die Angabe der strukturellen Einheit innerhalb des Bandes auf seine Quelle. Pelbärt nennt das Liber miraculorum von Anselmus als seine Quelle und weist auf weitere Belegstellen des Textes hin. Nädasi bringt zum 17. Samstag Geschichten, die den Nutzen des Fastens am Samstag bezeugen, während der entsprechende Abschnitt bei Pelbärt Exempel für die Anrufung Maria und ihre Rolle beim Erlangen der Seligkeit enthält. Die runde Erzählung der Quelle wird bei Nädasi erheblich gekürzt: Er läßt die zwei Schauplätze der Geschichte weg, mehrere Figuren, wie z. B. die bei der Enthauptung des Räubers Anwesenden und den Priester, der dem Haupt des Räubers die Beichte abnimmt, erwähnt er gar nicht. Eine ähnliche Funktion hat es, wenn er - abweichend von der Quelle - den heiligen Prediger, von dem in der Quelle die Witwe vom Fasten erfuhr, verallgemeinernd durch »plura« ersetzt.
255 Wesentlich reduziert wird der Inhalt im Vergleich zur Quelle, wenn Nädasi - den Hinweis auf die weitere Tätigkeit des Räubers; - die Umstände der Enthauptung des Räubers; - die Beichtszene mit den Dorfbewohnern und dem Priester; - die Reaktion der Anwesenden nach der Beichte und - das Schicksal der Seele des Räubers im Jenseits samt dem Eingreifen Mariä unerwähnt läßt. Dadurch wird der ursprüngliche Handlungszusammenhang, wenngleich die Reihenfolge der Textabschnitte unverändert bleibt, unterbrochen. Die starke Kürzung erklärt sich durch die Bekanntheit des Themas, worauf Nädasi bereits in der Einleitung hinweist und damit die Kürze sozusagen im voraus rechtfertigt. Der Schluß der Geschichte ist in der Quelle Bestandteil der Ereignisreihe, Nädasi fügte dagegen dem Text einen neuen Schluß, ein Zeugnis hinzu. Darin unterstreicht er noch einmal die Bekanntheit der Historie, betont die Nützlichkeit des Fastens am Samstag und mahnt zugleich, das Fasten könne die Sünde nicht aufheben, und die Vereinigung von beiden würde auch Gott erzürnen. Statt der zwei unterordnenden zusammengesetzten Sätze der ursprünglichen Erzählung besteht der Schluß aus vier einfachen erweiterten Sätzen, wodurch Spannung entsteht und das Ende einen stärkeren Akzent bekommt. In diesem Abschnitt verwendet Nädasi mehrere sinnverwandte Ausdrücke, wodurch die Aussage Nachdruck erhält. Die übrigen sprachlich-stilistischen Änderungen dienen teils der Kürzung und Verdichtung, teils nähern sie den Text dem zeitgenössischen Sprachgebrauch an: so steht z. B. statt princeps latronum latronum antesignanus, statt mulier pauper pia vidua. Durch den Verzicht auf die Dialogform und den persönlichen Ton wird die dramatische Kraft der Erzählung stark gemindert. Aus dem Textvergleich geht hervor, daß Nädasi die verschiedenen Kompilationstechniken meist parallel verwendet. Jeder Typ hat verschiedene Varianten, zwischen den Typen gibt es Überschneidungen und Übergangsformen. Diese Typen lassen sich sowohl in den ungarischen als auch in den lateinischen Werken nachweisen; in mehrerer Hinsicht entsprechen sie den Textgestaltungstechniken der spätmittelalterlichen Predigtliteratur.27 Die von Nädasi vorgenommenen Modifizierungen in Inhalt, Wortgebrauch, Aufbau und Stil sind äußerst vielfältig, ihre Anwendung, die Gestaltung und der Bedeutungsinhalt der Texte werden grundlegend vom neuen Kontext, von 27
Ildikö Bärczi: Ars compilandi - a szövegformäläs közepkori technikäja. Forräshasznälat, hivatkozäsi gyakorlat es tematikus szerkezet a kesöközepkori predikäciöirodalomban Laskai Osvät eletmüve alapjän [Mittelalterliche Technik der Textgestaltung: Quellengebrauch, Zitierpraxis und thematische Struktur in der spätmittelalterlichen Predigtlit. anhand des Werkes von Osvät Laskai]. Kandidaturdissertation. Budapest 1993.
256 der veränderten Interpretationssituation und der neuen Funktion bestimmt. Die Veränderungen deuten auf das Konzept des jeweiligen Werkes hin, was sowohl für die als Quelle benutzten Sammlungen als auch für die neuen Texte gilt. Die Neugestaltung erfolgt, ähnlich wie die Auswahl der Texte, entsprechend der aktuellen Zielsetzung, der Absicht des Autors nach genau beschreibbaren Regeln. Die Mehrzahl der Änderungen geht primär auf religiös-moralische Überlegungen zurück, wobei auch die ästhetischen Aspekte nicht vernachlässigt werden. Die Kommentare und Auslegungen des Verfassers spiegeln direkt die veränderte Funktion der Texte im neuen Kontext wider. Der Quellengebrauch Nädasis unterscheidet sich von der Praxis der geistlichen Schriftsteller seiner Zeit nicht grundlegend. Neben der Kontaminierung und Verdichtung der Quellen macht auch Nädasi oft von den Möglichkeiten der Umarbeitung, Ergänzung, Adaptation und der Neuinterpretation im Dienste des jeweiligen Zieles Gebrauch. Auf den Wunsch einer Anpassung an die weltlichen Leser deutet hin, daß Nädasi aus dem geistlichen Bildungsgut, wenngleich innerhalb des religiösen Weltbildes verbleibend, jene Elemente in den Vordergrund stellt, die auch für das Laieninteresse akzeptierbar und überzeugend sind. Er behandelt seine Quellen, das historische und ordensgeschichtliche Material mit einbegriffen, nicht auf historischphilologische, sondern auf literarische Weise. Auf den Sachzusammenhang und die Tatsachen achtet er im Rahmen der Aktualisierbarkeit, der Plausibilität. Nädasi hat viele seiner Quellen regelmäßig bearbeitet und in seine Schriften integriert. Die Texte behandelt er produktiv, modifiziert ihren Sinn in kreativer Weise. Die Mischung der verschiedenen Quellengruppen, die Kombination der profanen und geistlichen, der antiken und biblischen Quellen und ihre Vereinheitlichung mit rhetorischen Mitteln galt von der Patristik bis hin zum Barock als selbstverständlich. Hinter dieser Integrationsbestrebung, der konsequenten »Umideologisierung« des historischen wie des zeitgenössischen Materials verbargen sich bei Nädasi die typologische Auffassung der Geschichte, die Vorstellung über die gute Schöpfung und die ewige Wahrheit sowie die Absicht, den ideologischen Einfluß zu bewahren. Auch mit den Beispielen, die er aus früheren Zeiten schöpft, spricht er zu den Menschen seiner eigenen Zeit. Daß er auch mit sekundären Quellen gearbeitet hat, verschweigt er nicht, neben dem regelmäßigen Gebrauch der Kompendien und Register stützt er sich aber in erster Linie auf seine eigenen Exzerpte sowie auf die Kenntnis der zeitgenössischen geistlichen Literatur. Durch den Gebrauch von Handbüchern, durch das Integrieren von allgemein verbreiteten Texten sowie durch die bestimmende Geste der Übernahme kann das bearbeitete Bildungsmaterial nicht einfach als Kultur aus zweiter Hand eingestuft werden. Die Art der Zitierweise und die entscheidende Rolle der externen Quellen ist als Bestandteil des zur Zeit Nädasis allgemein geltenden Funktionalismus zu betrachten.28
257 Eine häufige Bestrebung von Nädasi ist es, die Texte aus den verschiedenen Quellen thematisch zu gruppieren, sie einem gemeinsamen Gedanken unterzuordnen und die Erzählungen mit Hilfe von rhetorischen Mitteln miteinander zu verbinden und in Beziehung zu setzen. Heterogene, verschiedenen Quellen entnommene Texte können somit unmittelbar nebeneinander auftreten; die interpretierende Reduktion dient der Verkettung ursprünglich unabhängiger Texte und der Herstellung neuer Sinnbezüge. Der in der Quelle eventuell getrennt behandelte Text verliert während der Bearbeitung seine Selbständigkeit, es vollzieht sich ein ästhetischer Ausgleich; der einzelne Text hat im neuen Kontext meist nur zusammen mit den anderen einen Sinn. Auffallend ist dabei die Umkehrbarkeit der Transformationsprozesse, wie die Umgestaltung von ursprünglich kurzen Geschichten zu abgerundeten Erzählungen bzw. die Reduktion von selbständigen Erzählungen zeigt. Bei den Änderungen berücksichtigt Nädasi die literarischen Möglichkeiten des jeweiligen Erzähltyps, er erkennt mit sicherem Gefühl die Elemente, die man nicht auslassen darf und weist manchmal auch auf die weitere Überlieferungsgeschichte des Textes jenseits der vorliegenden Quelle hin. Die Auslassungen können ein sehr hohes Maß erreichen, die Kürzungen können gegebenenfalls zur Reduktion der Quellentexte auf einen einzigen Satz oder auf eine einfache Erwähnung führen. Ein nur selten vernachlässigter Bestandteil der Erzählungen ist der Quellenverweis, der der Bekräftigung der Glaubwürdigkeit, der Untermauerung durch eine Autorität dient. Die Mitteilung der Quellenverweise im Haupttext deutet außerdem auf die pädagogischen Zielsetzungen des Autors hin. Nädasi informiert meist bereits im voraus über den wichtigsten Interpretationsrahmen einer Geschichte. Den Deutungsbereich des Textes in der Quelle modifiziert er mit verschiedenen Mitteln ständig, und im Schlußteil bietet er dem Leser weitere Anhaltspunkte. Die dermaßen zustande gebrachten Textvarianten fügen sich in einen umfassenden Überlieferungsprozeß, in dem der Text während der Reproduktion immer wieder seine Einmaligkeit verliert und gerade dadurch zur Festigung und Belebung der Tradition beiträgt. Nädasi ist ein Schriftsteller sammelnden Typs, der seine Werke zu einem erheblichen Teil aus vorgefundenen Elementen, aus fertigen Texten zustande bringt, die er nach spezifischen Aspekten aus der literarischen und historiographischen Überlieferung auswählt. Ein charakteristischer Zug seiner schriftstellerischen Methode ist eine Kompilationstechnik, die zur teilweisen Überschneidung und hochgradigen Variabilität der Inhalte und Textmaterialien in den Werken führt. Die individuelle schriftstellerische Leistung läßt 28
Giuseppe Cacciatore: Le fonti e i modi di documentazione. In: S. Alfonso M. de Ligouri: Opere Ascetiche. I. Roma 1960, 117-290. - Vgl. Walter Haug: Poetologische Universalien und Literaturgeschichte. In: Erzählforschung (wie 1/1, Anm. 20.) Bd. 2, 277 -296. - Franz M. Eybl: Abraham a Sancta Clara. Vom Prediger zum Schriftsteller. Tübingen 1992, 139-146.
258 sich außer in den eigenen Hymnen, Gebeten und Meditationen vor allem in der Auswahl der Texte verschiedener Gattungen, in ihrer Integrierung in neue Zusammenhänge, in ihrer Anordnung, Bearbeitung, Kommentierung und Anwendung, in der Erarbeitung der Struktur und der Rahmenkomposition erfassen; oft läßt sich das Streben nach einer neuen und anspruchsvolleren Formulierung als die der Quelle beobachten. Er assimiliert oder selektiert entsprechend seiner Zielsetzung, kürzt, erweitert, typisiert, emotionalisiert oder verpersönlicht, lokalisiert oder verallgemeinert die Texte, verdichtet sie oder übernimmt sie wörtlich, er kommentiert, interpretiert, dramatisiert, allegorisiert und modernisiert, damit stabilisiert und variiert er zugleich. Seine Erzählstrategie ist meist durch Neutralität und Zurückhaltung, durch den Respekt vor den Texten gekennzeichnet, doch wenn es das gesetzte Ziel erfordert, scheut er auch vor radikalen Eingriffen nicht zurück. Bei der Beurteilung der Originalität und der selbständigen schriftstellerischen Leistung muß berücksichtigt werden, daß diese extreme Intertextualität, der häufige Gebrauch von Textentlehnungen und Zitaten und ihre Verknüpfung in der geistlichen Literatur als allgemeine Praxis galt und die Werke nur allzu oft »Mosaiken von Gasttexten« darstellen.29 Nädasi operiert, wenn er Texte aus fremden Quellen sammelt und aus ihnen neue Werke zusammenstellt, ständig auch mit literarischen Mitteln, er achtet auf den Gebrauchswert der Texte und schuldet zugleich sowohl der Quelle als auch dem Leser Verantwortung. Diese drei Aspekte im Gleichgewicht zu halten, gelingt ihm nicht immer, die literarische Gestaltung bleibt oft hinter den beiden anderen Gesichtspunkten zurück. In anderen Fällen jedoch fällt der eigenen Invention eine größere und der Routinearbeit eine geringere Rolle zu, so daß individuell gestaltete, wirkungsvolle Erzählungen zustande kommen.
29
Sândor Lukâcsy: Pâzmâny forditöi elvei és gyakorlata [Übersetzungsprinzipien und -praxis von Pâzmâny], ItK94 (1990), 1-20. Hier: 11.
5. Exempelgebrauch, narrative Eigentümlichkeiten Die bisherige Analyse wies das Exempel neben der Meditation als das zentrale textorganisierende Element in den Werken Nädasis aus. In einem früheren Kapitel wurde das Exempel im Rahmen der geistlichen Literatur des 16./ 17. Jahrhunderts untersucht. Dort wurden neben den zeitspezifischen Zügen die mehrere Epochen übergreifenden Charakteristika des Exempels aufgezeigt. Bevor nun die narrativen Eigentümlichkeiten des Exempelgebrauchs bei Nädasi näher erörtert werden, soll mit Bezug auf das bisher Gesagte zunächst eine Definition versucht werden, die unserer Ansicht nach sowohl von der klassischen Philologie als auch von der Mediävistik und der frühneuzeitlichen Exempelforschung akzeptiert werden kann. Die gemeinsame Grundlage der antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Exempelauffassung besteht im statischen Begriff von Geschichte sowie in ihrer Deutung und Nutzbarmachung als Argument, als ein Mittel zur Erkundung der Gegenwart und der Zukunft. 1 Dementsprechend betrachten wir das Exempel auch in Nädasis Lebenswerk als einen mehrschichtigen Schlüsselbegriff, als ein Modell geschichtlichen Wissens.
Definition, Typologie Exempel ist, grob vereinfachend und aphoristisch, alles, was als Beispiel zur Darstellung von etwas anderem dient. Differenzierter: Exempel sind reale oder fingierte, aus dem ursprünglichen Textzusammenhang ad hoc herausgelöste Ereignisse der Vergangenheit, die in praktischer, theoretischer oder strategischer Absicht mit dem Ziel der Veranschaulichung und Bekräftigung, der Problemdarstellung und Problemlösung, der Reflexion oder Richtungsweisung, meist in der Form von Erzählungen (historiae) oder Erwähnungen (commemorationes) erscheinen.2 Dasselbe Exempel kann in verschiedenen Kontexten für mehrere Aufgaben verwendet werden, und jedes Exempel trägt zusätzliche Bedeutungselemente unterschiedlicher Wichtigkeit und Quantität gegenüber dem konkreten Zweck, der expliziten Lehre in sich. Die Entsprechung zwischen der ursprünglichen Bedeutung und der Autoren1 2
Vgl. Moos: Geschichte als Topik (wie 1/3, Anm. 25.) 7-13. Ebd. XI.
260 absieht kann geringfügig oder nur marginal sein, derselbe Text kann auch weniger evidente Bedeutungen neben den plausiblen Interpretationen (Funktionen) erhalten. In solchen Fällen entsteht eine Spannung zwischen der Autorenabsicht und dem Exempel, daher können die im Bewußtsein des Autors und des Lesers aktivierten Wissenselemente und Deutungen nur ungenau bestimmt werden.3 In der Auffassung von Nädasi trägt das Exempel, wie bereits gezeigt wurde, entsprechend der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Praxis einen doppelten Sinn: Es bedeutet zugleich das repräsentative Ereignis, die beispielhafte Person und den Bericht über sie. Die wichtigste Form, in der das Exempel vorgetragen wird, ist die Historie, ein zentraler erzähltechnischer und gattungstheoretischer Begriff, der auch die kurzen Erwähnungen der Exempelreihen, die Aufzählungen der positiv oder negativ gewerteten historischen Personen umfaßt. 4 Die Historienform kann sich mit dem Wandel der Einstellung zum einen mit dem Vortragsmuster des casus (der eine Frage aufwirft, ohne sie zu beantworten), zum anderen mit der mobilisierenden und aktuell verwendeten allegorischen Form des ainos sowie mit der autonomen Erzählung berühren. 5 Die verschiedenen Formen sind in den Werken mit wechselndem Anteil vertreten, die Grenzen zwischen ihnen sind oft verschwommen; sie werden durch die kommunikative Funktion, den pragmatischen Zusammenhang sowie den sprachlichen und außersprachlichen Kontext, d. h. den Gebrauch, bestimmt. Nur ein Teil der Exempel entspricht den allgemein anerkannten Grundkriterien der Erzählung: dem dreifachen Bedingungskomplex der Zeitlichkeit, der Präsenz einer die Zeit und den Gegenstand umfassenden Ereignissphäre sowie der Aktualisierung.6 Zum großen Teil sind die Exempel narrative Aussagen oder Sequenzen, die aus zwei aufeinander bezogenen Behauptungen nach verschiedenen Regeln gebildet werden, weiterhin komprimierte Zusammenfassungen und Erwähnungen von Geschichten, Personen oder Ereignissen ohne narrative Disposition und Expansion.7 Die Erfassung und Klassifizierung der Funktionen stellt für jede Typologisierung der Exempel eine grundlegende Schwierigkeit dar. Die Mehrheit der auf Exempel zurückgreifenden Autoren, unter ihnen auch Nädasi, typo3
4 5
6 7
Burghart Wachinger: Pietas vel misericordia. Exempelsammlungen des späten Mittelalters und ihr Umgang mit einer antiken Erzählung. In: Kleine Erzählformen im Mittelalter. Paderborner Colloquium 1987. Hg. Klaus Grubmüller - L. Peter Johnson - Hans-Hugo Steinhoff. Paderborn-München-Wien-Zürich 1988, 225238. Hier: 229-232. Moos: (wie 1/3, Anm. 25.) 144-153. Stierle: Geschichte als Exemplum (wie 1/1, Anm. 13.) 362-365. - Haug: (wie II/4, Anm. 28.) 281. - Vgl. Moos: (wie 1/3, Anm. 25.) 1 - 3 , 34. Lämmert: (wie 1/1, Anm. 49.) 243. Wolf-Dieter Stempel: Erzählung, Beschreibung und der historische Diskurs. In: Geschichte - Ereignis und Erzählung (wie 1/1, Anm. 10.) 325-346. Hier: 326-331.
261 logisiert die Exempel nicht. Die Typologisierang nach den Quellengebieten der Exempelthemen, d.h. die Feststellung des quantitativen Verhältnisses zwischen den Exempeln heidnisch-antiker, biblischer und christlicher Herkunft eignet sich nur zur allgemeinen Charakterisierung des Exempelgebrauchs eines bestimmten Autors, deren Wert jedoch durch die Verwendung von sekundären Quellen und die Praxis der mehrfachen Entlehnungen stark relativiert wird. In der Fachliteratur hat die Unterscheidung zwischen illustrativem und induktivem Exempel zum Teil Eingang gefunden, diese weist jedoch nur auf zwei Möglichkeiten des Gebrauchs hin.8 Die Relativität dieser Unterscheidung erweist sich schon dadurch, daß dasselbe Beispiel sowohl illustrativ als auch induktiv eingesetzt werden kann. Hinter dieser Unterscheidung liegt die Absicht einer künstlichen Beschränkung des Exempelbegriffs, obzwar diese praktisch unumgänglich ist. Außer Acht bleibt aber das epideiktische, illustrative Exempel sowie die elokutive, stilistische oder grammatische Exempelfigur der Gleichnisse, der Begriff wird auf das rhetorischargumentative, induktive Exempel beschränkt.9 In engerem Sinne steht der letzte Typ für die topische Funktion des Exempels, die Grenzen zwischen den zwei Typen lassen sich aber nicht immer eindeutig festlegen.10 Aus all dem folgt, daß die Typologisierung der Exempel unter erzählhistorischem Aspekt in engem Sinne ein praktisch aussichtsloses Unterfangen ist, nur die auch sonst bekannten Erzählmotive und -typen lassen sich definieren.11 Auch für das Exempel gilt, daß die einzig vertretbare Herangehensweise an die einfachen literarischen Formen die formale Methode, d.h. eine den Eigentümlichkeiten des jeweiligen Textkorpus entsprechende Systematisierung und die Ausarbeitung eines jeweils neuen Systems ist.12 Die charakteristischen Züge im Exempelgebrauch eines Autors und die textgestaltenden Funktionen des Exempels können unter verschiedenen Aspekten, grundsätzlich jedoch auf drei Wegen untersucht werden. Der erste Weg besteht in der Beschreibung der inneren und äußeren Charakteristika des Exempelmaterials. Zu den inneren Charakteristika zählen die Kausalverhältnisse, die Personen, Objekte und ihre Eigenschaften sowie die Art und der Grad der Handlungsaktivität. Die äußeren Charakteristika sind der Inhalt, das Zeitalter, die Authentizität und die Intensität der Handlung. Die zweite Möglichkeit besteht darin, die allgemeinen Merkmale des Exempelge8 9
10 11
12
Moos: (wie 1/3, Anm. 25.) 121. Daxelmüller: Exemplum und Fallbericht (wie 1/3, Anm. 107.) 155-157. - Ders.: Exemplum (wie 1/3, Anm. 126.) 632. - Vgl. Moos: (wie 1/3, Anm. 25.) 431. Moos: (wie 1/3, Anm. 25.) 434. Predigtmärlein der Barockzeit (wie 1/3, Anm. 8.) 45-69. - Vgl. Peter Brecht: Der Barockprediger Ignatius Ertl (1645-1713). Ein Beitrag zur Geschichte der süddeutschen Barockliteratur. Diss. Phil. München 1967. Wolfgang Kosack: Der Gattungsbegriff »Volkserzählung«. Fabula 12 (1971), 18-47. Hier: 21-22.
262 brauchs zu erkunden. Diese sind: Auswahl der Texte (Quellen), ihre Bearbeitung (Sprache, Stil, rhetorisches Inventar) sowie ihre Anwendung in engerem Sinne. Auf dem dritten Weg geht man der Erscheinungsform des Kontextes, dem Verhältnis der Texte zu ihrem Kontext nach. Hier werden der Inhalt, der Aufbau (die Morphologie) und die Autorenabsicht untersucht.13 Diese Untersuchungsaspekte lassen sich weiter differenzieren und hinsichtlich der Textebenen, der Funktionen, des Kontext und der Anwendungstechnik miteinander kombinieren. Zusammensetzung und Gebrauch der Quellen wurden im vorigen Kapitel dargestellt. In diesem Kapitel stehen die inhaltlichen und narrativen Eigentümlichkeiten des Exempelgebrauchs im Mittelpunkt. Die Fragen der Bearbeitung, der Sprache, des Stils und des benutzten rhetorischen Inventars werden im nächsten Kapitel erörtert. Im Hinblick auf die Menge des Textmaterials wurde zuerst ein einzelnes Werk eingehend analysiert, um dann die hieraus gewonnenen Erkenntnisse mit den am ganzen Korpus gemachten Beobachtungen zu vergleichen und jene durch diese zu ergänzen.
Inhaltsanalyse der Exempel eines Werkes In diesem und im nächsten Kapitel wurde die ungarische Schrift Maria aeternitatis beatae porta sancta (Pozsony 1645) zur Grundlage der eingehenden Analyse gewählt. Für diese Wahl spricht vor allem, daß die Exempel als Teile eines ausgeformten schriftstellerischen Instrumentariums eine wesentliche Rolle in dem Werk spielen. Nádasi fügte hier die Exempel in sogenannte Zeugnisse ein, diese stellen die primäre Umgebung, den unmittelbaren Kontext der narrativen Texte dar. Insgesamt sind im Werk 45 Exempel enthalten, wobei in jedem Zeugnis ein, zwei oder vier Exempel eingebettet sind. Jedes Exempel kommt nur einmal vor. Als erster Schritt der Inhaltsanalyse wurde der räumliche und zeitliche Rahmen der Exempel bestimmt. Hinweise auf Ort und Zeit des Ereignisses finden sich ungefähr in einem Drittel der Texte. In einigen Fällen sind nur das Land oder eine größere Region genannt, in anderen Fällen nennt Nádasi auch die Ortschaft. Italienische Städte oder Landschaften bilden den Schauplatz von vier Geschichten (Palermo: 2, Neapel u. Sizilien), England bzw. Canterbury kommen in je einem Text vor. Mit Bonn, Graz, Portugal, Spanien und der Wüste jenseits des Jordanflusses ist ebenfalls je ein Text verbunden. Ungarische Ortsnamen kommen als Schauplätze nicht vor. Bei anderen Exempeln erfährt man nur, daß »eine vornehme und reiche Stadt«, ein Nonnenbzw. ein Franziskanerkloster der Schauplatz des Geschehnisses sind.
13
Vgl. Beck: (wie 1/3, Anm. 133.)
263 Genaue Angaben über den Zeitpunkt der Ereignisse sind ebenfalls in etwa einem Drittel der Texte enthalten. Diese weisen bis auf eine Ausnahme auf das 16./17. Jahrhundert, somit auf Geschehnisse der Gegenwart oder der nahen Vergangenheit hin. Zwei Texte klären darüber auf, wann innerhalb des Jahres das Ereignis stattfand (Weihnachten bzw. Mariä Himmelfahrt). Fast ein weiteres Drittel der Texte bietet die Möglichkeit, das beschriebene Ereignis aufgrund der inhaltlichen Merkmale annähernd zu datieren. Hier ist das Verhältnis gerade umgekehrt: Den elf Ereignissen, die auf das Mittelalter zu datieren sind, stehen nur zwei Historien aus dem 16./17. Jahrhundert gegenüber. Die auf das 16./17. Jahrhundert datierten bzw. datierbaren, meist auf Jesuiten und Kongregationsmitglieder bezogenen Texte machen 31,1 % des ganzen Exempelmaterials aus. Die Mehrzahl der mittelalterlichen Texte und Geschehnisse fällt in die Periode vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, das neuzeitliche Material in das letzte Drittel des 16. und das erste Drittel des 17. Jahrhunderts. Zentrale Figur der Exempel ist in der überwiegenden Mehrzahl der Texte eine einzige Person, zwei Geschichten haben jeweils zwei Hauptfiguren. Die Hauptfiguren sind meist Männer, Jünglinge oder Knaben. Frauen oder Mädchen treten nur in einigen Fällen als Hauptfiguren auf. Mehr als die Hälfte der Texte enthält Hinweise auf die soziale Stellung der Hauptfigur. Demnach ist die Zahl der geistlichen Personen zweimal so hoch wie die der weltlichen. Unter den geistlichen Personen überwiegen die Ordensleute, innerhalb dieser die Jesuiten. Drei der weltlichen Hauptfiguren sind Sodales, je eine von ihnen ist Stadtrat, Soldat, adeliger Gelehrter. Das gesellschaftliche Spektrum der Handelnden ist also ziemlich eng, der Anteil der Personen von sekundärem gesellschaftlichen Rang (Frauen, Kinder, Witwen, alte Menschen, Soldaten usw.) ist hoch.14 Diese Rollenverteilung deutet darauf hin, daß Nädasi sein Buch vor allem der Jugend der Jesuitenschulen, den Sodales sowie den wohlhabenden Schichten des städtischen Bürgertums und des Adels zudachte.15 In 26 Fällen teilt Nädasi den Namen der Hauptfigur mit. Weibliche und männliche Heilige, ihre Angehörigen sowie Jesuiten werden immer mit Namen genannt. Außer ihnen lernt man noch einen bekannten Exempelhelden (Theophilus), einen Franziskanermönch, einen Inklusus, einen Priester heiligen Lebenswandels, einen Kardinal und weitere fünf Personen namentlich kennen. In einem Fall tritt die Hauptfigur (der hl. Dominikus) in zwei Exempeln hintereinander als Held auf. Bei all diesen Exempeln ist die genaue 14
15
Vgl. Ton Dekker: Wahre religiöse Geschichten in der niederländischen mündlichen und schriftlichen Tradition. Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 26 (1985/86), 9 3 107. Hier: 99. Dafür spricht neben dem Hinweis auf dem Titelblatt auch die Mahnung in einem Exempel, die den Leser warnt, nicht nur selbst zu beten, sondern auch für die Gebete seiner Diener zu sorgen (128-129. p.).
264 Orts-, Zeit- und Namensangabe ein wichtiges Element der Glaubwürdigkeit, zugleich bezeugt sie die Absicht des Autors, das Gesagte zu aktualisieren und zu veranschaulichen, fiktive und historische Realität miteinander zu verbinden. Untersucht man den Anteil der Tugenden und Sünden, hat die überwiegende Mehrheit der Hauptfiguren positive Eigenschaften. Sieben Hauptfiguren weisen sowohl positive als auch negative Eigenschaften auf, eindeutig negative Figuren gibt es insgesamt nur drei (drei Hauptfiguren sind neutral bzw. nicht bewertbar charakterisiert). Dementsprechend übersteigt die Zahl der positiven Eigenschaften, der lügenden der als Vorbilder hingestellten Hauptfiguren die der negativen Eigenschaften und Sünden um ein Mehrfaches. Eine weitere Eigentümlichkeit besteht darin, daß die dargestellten positiven und negativen Charakterzüge zum Teil Paare bilden. Unter den positiven Eigenschaften dominieren die religiösen, moralischen und geistlichen Charaktere (heilig, fromm, andächtig, demütig, reuevoll, vollkommen usw.) sowie jene, die mit den helfenden übernatürlichen Personen, dem religiösen Kult und den sonstigen religiösen Tätigkeiten im Zusammenhang stehen (... ist gottesfürchtig, liebt Maria, hilft der Kongregation, ist viel gepilgert usw.). Einige der übrigen positiven Eigenschaften (... ist ehrlich, klug, gelehrt, schön, liebt seine Verwandtschaft, ist berühmt, stammt aus königlichem Hause usw.) tragen an sich keine religiöse Bedeutung. In die erste Gruppe der verurteilten Eigenschaften gehören die negativen sittlichen Züge (hat unreine Gedanken, ist unsittlich, wird von den Lüsten des Fleisches regiert, ist »cifra« [aufgeputzt]). Die zweite Gruppe tadelt die Vernachlässigung der Andacht und der religiösen Aktivität (ist in seiner Andacht faul geworden, erfüllt seine Kongregationspflichten nicht usw.). Die dritte Gruppe wird von religiös formulierten, näher nicht beschriebenen negativen Qualifizierungen gebildet (ist verzweifelt, gottesleugnerisch, des Teufels, endgültig verdammt). Die meisten Helden von Nädasi sind Typen: sie überraschen nicht, handeln erwartungsgemäß und organisieren selbst den Erzählablauf. In mehr als der Hälfte aller Fälle entfaltet die Hauptfigur nur eine innere, geistliche Aktivität. Einer intensiveren äußeren Aktivität begegnet man nur in einem einzigen Text. In sieben Fällen läßt sich eine mittelstarke bzw. mäßige äußere Aktivität beobachten, in sechs Erzählungen vereinigt sich die äußere Aktivität mit einer inneren seelischen Tätigkeit. In vier Exempeln gibt es überhaupt keine Tätigkeiten, eine Hauptfigur entfaltet übernatürliche Aktivität, ein Fall schließlich läßt sich in dieser Hinsicht nicht auswerten. All das deutet darauf hin, daß Nädasi Hauptfiguren bevorzugte, die eine innere, geistliche Aktivität statt der äußeren Tätigkeitsformen entfalten: diese sind die typischen Vertreter christlichen Heldentums. Das System der lügenden und Sünden, die durch das Werk von Nädasi vermittelte Auffassung der äußeren und inneren Aktivität, entspricht im wesentlichen dem katholischen und inner-
265 halb von diesem dem jesuitischen Menschenbild sowie der analogen Geschichtsauffassung und Wirklichkeitsinterpretation des 17. Jahrhunderts. In der Mehrzahl der Texte treten auch Nebenfiguren neben dem Haupthelden auf. Die Zahl der Nebenfiguren ist meist eine oder zwei, in einigen Fällen gibt es auch drei oder sogar vier Nebenfiguren. In sieben Fällen treten weitere Akteure neben den Nebenfiguren auf, in acht Texten schließen sich die Hauptfiguren zu einer Gruppe zusammen. Geschichten mit mehreren Personen neben der Hauptfigur waren also Nädasi allem Anschein nach willkommen. Die Nebenfiguren sind zum Teil natürliche Personen oder Tiere, zum Teil übernatürliche Wesen, wobei die zweite Gruppe nahezu doppelt so stark wie die erste vertreten ist. Die natürlichen Personen gehören in der Regel der Umgebung der zentralen Figur an, in der Mehrzahl sind es Männer bzw. Geistliche. Unter den übernatürlichen Wesen ragt die Gestalt Mariä weit heraus. Außer ihr begegnet man Christus, den Engeln, verschiedenen Heiligen, den Seelen Verstorbener, den seligen Jungfrauen und dem Teufel in einem oder in mehreren Texten. In mehr als der Hälfte der Texte kommen neben den Haupt- und Nebenfiguren auch sog. bedeutsame Objekte vor, die eine Rolle im Handlungsablauf erfüllen. Die Mehrzahl dieser Gegenstände ist primär religiösen Charakters, einige jedoch sind einfache Gegenstände, die hier in religiösem Kontext auftreten. Unter den Objekten religiösen Charakters begegnet man einem Marienbild, einem Marienaltar und einem Kirchengebäude mehrmals, während der Rosenkranz und das Kruzifix je zweimal vorkommen. Das Buch zur Lobpreisung Mariä, das Weihwasser, die letzte Ölung, die Wachskerze, das Zilizium, die Zettel der Monatsheiligen, das Verzeichnis der nicht gebeichteten Sünden sowie das dem Teufel gegebene Handschreiben spielen in je einem Text als bedeutsame Gegenstände eine Rolle. Unter den Objekten des alltäglichen Lebens erhalten das Buch, das Wohnhaus, der Brunnen, der Kerker, der Sarg, das Seil, die Leiter, das Messer, das Taschentuch, die Blumen, die Rosen, der Rauch, das trockene Brot und Wasser sowie ein Teller Gurken eine besondere Bedeutung. Bis auf zwei Ausnahmen haben die Exempel eine narrative Struktur. Die erzählte Handlung, das Geschehen besteht in einigen Fällen aus einer einzigen Episode oder einem einzigen Motiv, am beliebtesten sind die durch die Verknüpfung von zwei bis drei Episoden bzw. Motiven komponierten Historien. Mehrmals begegnet man Texten mit vier bis sechs selbständigen Episoden bzw. Motiven, während mehr als sechs Episoden bzw. Motive innerhalb eines einzigen Exempels nur selten vorkommen. Diese Zahlen weisen zugleich auf die relative Intensität und Komplexität der jeweiligen Handlungen hin. Ungefähr die Hälfte der Texte erzählt eine Handlung von mittlerer Intensität bzw. Komplexität. Die andere Hälfte besteht zu ca. je fünfzig Prozent aus Texten, die Handlungen von hoher bzw. niedriger Intensität und Komplexität enthalten. Der Vortrag der Handlung ist innerhalb eines Exempels je-
266 weils zusammenhängend, die verschiedenen Episoden und Motive schließen sich einander unmittelbar an. Nädasis Argumentationstechnik, die Strukturierung der Texte weist das grundlegende Merkmal auf, daß der Übergang zwischen der Wirklichkeit und dem Übernatürlichen im Vortrag der Geschichte fließend ist, das zweite bildet einen integrierenden Bestandteil der ersten. Eine zentrale Bedeutung unter den handlungsbestimmenden Faktoren kommt der Wechselwirkung der irdischen und der übernatürlichen Sphäre zu. Als häufigste Lösung beginnt die Erzählung mit der Beschreibung einer positiven oder negativen irdischen Lebenslage. Darauf folgt, meist in Form eines übernatürlichen Einflusses, der äußere Eingriff, der die Umkehr, den günstigen Verlauf des weiteren irdischen Lebens, des Todes und des Schicksals im Jenseits bewirkt. Der erste Teil kann fehlen, die Geschichte setzt oft unmittelbar mit dem übernatürlichen Eingriff ein. In anderen Fällen wird der übernatürliche Eingriff weggelassen, statt dessen wird das tugendhafte irdische Leben mit dem guten Tod, dem positiven Schicksal im Diesseits oder im Jenseits belohnt. Gelegentlich kommen auch der Rückblick auf dem Sterbebett, die nachträgliche Erinnerung an die Ereignisse, die Ankündigung des übernatürlichen Eingriffs, der Bericht vom übernatürlichen Ursprung einer Andachtsform bzw. die übernatürliche Bestrafung eines negativen Handelns vor. Der Untersuchung der Autorenabsicht lag die These zugrunde, daß die primären und die sekundär eingebetteten Bedeutungsschichten, die unterund nebengeordneten Absichten ein komplexes System bilden. Das am Anfang der Zeugnisse formulierte Ziel kann meistens als die primäre Absicht des Autors betrachtet werden. Dieselbe primäre Absicht kann mit kleineren oder größeren Akzentverschiebungen in mehreren Zeugnissen vorkommen, in anderen Fällen hingegen fällt ihr nur eine untergeordnete Rolle zu. Parallel dazu dient dieselbe Geschichte meist mehreren Zielen, diese Ziele sind eng miteinander verknüpft und weisen verschiedene Beziehungen zueinander auf. Nädasi verfolgt grundlegend drei Zielsetzungen: 1. Regelung des irdischen Lebenswandels durch Anregung zu konkretem Handeln, 2. Verbreitung der verschiedenen Mittel, Vorstellungen und Andachtsformen zur Regelung des Lebenswandels, 3. Versprechen eines günstigen Schicksals nach dem Tode für den Leser. Von diesen drei Zielsetzungen wird meist die letzte betont und dabei die bewährte Argumentationstechnik angewandt: um die Seligkeit nach dem Tod zu erlangen, müssen die verschiedenen Andachtsformen geübt und die Lebensführung geändert werden. Dementsprechend ist jede Geschichte in irgendeiner Form mit dem Tod verbunden. Der Tod ist der Prüfstein der Reinheit und des Glaubens, Nädasi führt uns meist den beispielhaften, »schönen« Tod gläubiger oder bekehrter Personen vor. Aufgrund des Inhalts, der die Autorenabsicht unmittelbar ausdrückt, wurden die Exempel in sechs Gruppen unterteilt:
267 1. Die erste Gruppe bilden jene Texte, die mit den verschiedenen Gebeten und sonstigen Andachtsformen bzw. religiösen Handlungen (Altarssakrament, Wallfahrten, jährlich je eine Wachskerze zu Ehren Christi, Mariä und der hl. Anna) zusammenhängen (13). In manchen Geschichten wird die Bedeutung der Beichte, des Almosengebens und der päpstlichen Ablässe betont. Diese Exempel führen meist die positive Wirkung der regelmäßigen Religionspraxis und des Betens auf das Individuum und sein weiteres, vor allem auf sein jenseitiges Schicksal vor Augen. Die Ave-Maria- sowie die Rosenkranzerzählungen sind ein beliebter Exempeltyp der mittelalterlichen, spätmittelalterlichen und barocken Predigten und Beispielsammlungen.16 Einen besonderen Typ stellen die Eucharistieerzählungen dar, die sich infolge der theologischen Diskussionen um das Altarssakrament und die Kommunion (die Fragen der Realpräsenz, der häufigen und der ersten Kommunion) im 17. Jahrhundert in großer Zahl verbreiteten. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zählten die Jesuiten zu den frühesten Verbreitern der feierlichen Zeremonie der Erstkommunion.17 Nädasi gab einen eigenen Band mit erbaulichen Geschichten zum Thema des Altarssakraments heraus, die auf die Erstkommunion vorbereiten sollten. Diesem folgten dann zahlreiche ähnliche Zusammenstellungen.18 Eucharistieerzählungen finden sich außer in den Schriften der Jesuiten z.B. bei dem Kapuzinermönch Martin von Cochem in großer Zahl,19 die Erzählungen von Nädasi und Cochem würden eine vergleichende Studie verdienen. Bei Nädasi erscheint Maria als Vorbild der richtigen Kommunion, wobei den negativen und positiven Beispielen bzw. Sanktionen eine wichtige Rolle neben der Verwendung von Wundern zufällt. Die wichtigste Aufgabe dieser Erzählungen besteht in der Vermittlung und Stärkung der katholischen Auffassung vom Bereuen der Sünden, von der Buße sowie im Zurückdrängen der davon abweichenden Vorstellungen. 2. Eine besondere Gruppe stellen die Bekehrungsgeschichten dar, die die Notwendigkeit der Reue und der Umkehr des sündhaften oder nicht genug andächtigen Menschen in den Vordergrund stellen (8). In diese Gruppe gehören z. B. die Geschichten von der Reue und dem Tod eines jungen Mannes, der mehrfach gemordet hat, vom reuevollen Leben der Maria 16 17
18 19
T\ibach: Index (wie 1/3, Anm. 129.) 423-439. Robert Sauzet: Aux origines. In: La première Communion. Quatre siècles d'histoire. Sous la direction de Jean Delumeau. Paris 1987, 33-50. Hier: 40. - Eines der ersten Werke, die den Streit um die von den Jesuiten empfohlene häufige Kommunion auslösten, war das Buch von Antoine Arnauld: De la fréquente communion. Paris 1643. So z. B. Toussaint Bridoul: Escole de l'Eucharistie. Lille 1672. Seils: (wie II/l, Anm. 193.) 65 - 90. - Richard Sporrer: Literatur und Seelsorge. Die Eucharistiehistorien Martins von Cochem in sozialgeschichtlicher Perspektive. Diplomarbeit (masch.). Würzburg 1978. - Vgl. Istvân Sândor: Irodalmunk és az Eucharistia [Ung. Lit. und die Eucharistie], Katolikus Szemle 52 (1938), 267-279.
268 von Ägypten, von der an Selbstmord denkenden, durch eine Marienvision zur Beichte angeregten Frau sowie vom Menschen, der sich in seiner Versuchung an Maria und den Evangelisten Johannes wandte. In der letzteren kommt das Motiv des am Kreuz sich vom Frevler abwendenden Christus, an einer anderen Stelle das Motiv des inmitten der Reue sich entzweispaltenden Herzens vor. Die Bekehrungsgeschichten von Laien bieten innerhalb des conversio-Schemas eine gute Möglichkeit zur Darstellung geistlicher Prozesse, eigentlich können sie als reduzierte Varianten der Gattungen des geistlichen Tagebuches und der geistlichen Selbstbiographie betrachtet werden. Innere Vorgänge werden jedoch bei Nädasi selten beschrieben, statt dessen betont er die Notwendigkeit der Buße und die Möglichkeit übernatürlicher Eingriffe. Die Allegorisierung der Bekehrungsgeschichten ist ein beliebtes Mittel der katholischen Predigt und des jesuitischen Schuldramas, in den Exempeln der protestantischen Predigten kommt das Thema ebenfalls häufig vor.20 3. In den Geschichten der nächsten Gruppe steht Maria im Mittelpunkt (7). Dem Marienmotiv und den Formen der Marienverehrung begegnet man außerdem in ungefähr Hälfte der Historien. Diese Erzählungen betonen im allgemeinen die übernatürliche Hilfe Mariä (so rettet sie jemand vor dem Ertrinken im Brunnen) sowie die Wichtigkeit des Maria gewidmeten Lebens. Weitere marianische Motive sind der sich dem Marienbild zuwendende Leichnam, die Marienvision, oder Maria, die einem das Beten beibringt bzw. die Seele des Verstorbenen im Bild einer Taube in den Himmel trägt und dem Sterbenden den Himmel zeigt. Der Sterbende, der von Maria, Christus, den Heiligen und den Engeln besucht wird, der Maria umarmt, sowie der Tote, für dessen Seele Maria beim Jüngsten Gericht Fürsprache einlegt, sind weitere Motive, die den Todesgedanken mit Maria verbinden. An anderen Stellen erscheint Maria, um jemanden anzusprechen, auf die nicht gebeichteten Sünden aufmerksam zu machen oder den Teufel auszutreiben. 4. Der Marienkult ist eng mit den Gedanken des Tode.s, der Vorbereitung auf den Tod, der Möglichkeit, in den Himmel zu kommen sowie der armen Seelen verbunden, entsprechend dem Thema des Buches bilden beide das zentrale Motiv der Exempel (9). Beliebte Motive sind hier: der Tote ersteht auf, seine Seele erscheint den Lebenden, er berichtet von seinem Schicksal im Jenseits oder überbringt eine Botschaft (redivivus- und revocatus-Motiv); der Zeitpunkt des Todes wird von Maria angekündigt bzw. von einem sich ständig auf den Tod vorbereitenden Menschen vorausgesagt; das Fegefeuer; der hl. Dominikus steigt nach seinem Tod auf einer weißen Leiter in den Himmel empor. Der wohlriechende und der von den Engeln beweih20
Vgl. Hess: Fracta Cithara (wie II/4, Anm. 21.) - Elida Maria Szarota: Konversionen auf der Jesuitenbühne. Versuch einer Typologie. In: Festschrift für Richard Brinkmann. Tübingen 1981, 63-82.
269 räucherte Leichnam sind weitere Motive aus dieser Gruppe. Sie alle zeigen die verschiedenen Möglichkeiten des Sterbens durch die Vorführung negativer und positiver Vorbilder auf. Die Beispiele sollen zum Streben nach dem guten Tod anregen, das zu den langlebigsten Motiven der christlichen Tradition gehört (topos de longue durée). 21 Der Kult der armen Seelen, seine Förderung durch die Jesuiten und seine verhaltensregelnde Rolle wurden bereits früher erörtert, Fegefeuerexempel kommen auch in anderen Werken Nädasis häufig vor.22 5. Eine Gruppe für sich bilden die Teufeberzählungen (4). Die auf dem Teufelspakt beruhende Theophilus-Geschichte kommt in mehreren Varianten vor, außerdem begegnet man den Motiven der Versuchung und des mit einem Buch beworfenen und aus dem Haus ausgetriebenen Teufels.23 Die Theophiluslegende bearbeitete Nâdasi mehrmals, die Nagyszombater Theophilus-Aufführung von 1637, die er selbst sehen konnte, erwähnt er im besonderen.24 Die sowohl durch das religiöse Schauspiel als auch durch Bilddarstellungen und Mirakelsammlungen verbreitete mittelalterliche Geschichte vom heiligen Sünder vermittelt die zentrale Botschaft, wonach keine Sünde so groß ist, daß sie nicht durch die Intervention Mariä vor Gott entschuldigt werden könnte. Nâdasi behandelt die Theophilus-Geschichte in mehreren Fällen als Marienmirakel, und das Motiv des Teufelspaktes dient dazu, die Macht der Gottesgnade und Mariä, die Vermittlerrolle Mariä zwischen Gott und Mensch zu veranschaulichen. Die hohe Zahl der Bearbeitungen in jesuitischen Schuldramen und sonst (Matthäus Rader, Georg Stengel usw.) weist darauf hin, daß das mit der zeitgenössischen Wirklichkeit eng verbundene Thema eine gute Möglichkeit zur Darstellung theologischer Grundsätze bot, zugleich eine den Ordensbestrebungen entsprechende Antwort auf die Verweltlichung der Epoche gab.25 6. In die letzte Gruppe gehören die als jesuitische Eigentümlichkeit zu betrachtenden Kongregationsexempel (4). Diese stellen den beispielhaften Lebenswandel bzw. die Pflichtversäumnisse von Kongregationsmitgliedern sowie die kurz vor ihrem Tod der Kongregation beitretenden und sie unterstützenden Personen in den Mittelpunkt. 21 22 23 24 25
Bergamasco: (wie 1/1, Anm. 54.) 1082-1085. Annus Marianus 1648, 23 - 2 8 . - Annua eremus 1678,141. nr. 706-708. TUbach 3572. Annales Mariani 1661, 410. nr. 849. Dülmen: (wie IVA, Anm. 1.) 379-380. - Fidel Rädle: Aus der Frühzeit des Jesuitentheaters. Zur Begleitung einer Edition lateinischer Ordensdramen. Daphnis 7 (1978), 403 -462. Hier: 456-462. - Ders.: D i e Theophilus-Spiele von München (1596) und Ingolstadt (1621). Zu einer Edition früher Jesuitendramen aus bayerischen Handschriften. In: Acta Conventus Neo-Latini Amstelodamensis. Proceedings of the Second International Congress of Neo-Latin Studies Amsterdam 1 9 24 August 1973. Ed. P. "IUynman - G. C. Kuiper - E. Kessler. München 1979, 8 8 6 897. Hier: 887.
270 Die genannten Gruppen lassen sich alle weiter differenzieren, und eine andere Gruppierung wäre ebenso denkbar. So können die auf Heiligenlegenden beruhenden Exempel (z. B. der hl. Dominikus, Theophilus, Brigitte, Maria von Ägypten) sowie die Märtyrergeschichten, die vom Schicksal standhafter, um ihren Glauben leidender Christen berichten, jeweils eine eigene Gruppe bilden. Die verschiedenen Themen sind eng miteinander verflochten, so daß dieselbe Geschichte sich oft zwei oder mehreren Gruppen zuordnen läßt. Die Exempel setzen sich in der Regel aus mehreren Motiven zusammen, wobei dieselben Motive in verschiedenen Funktionen auftreten können. Auf die Möglichkeit des unmittelbaren Kontaktes mit dem Übernatürlichen weisen die Motive der himmlischen Mahnung, der wunderbaren Rettung, des himmlischen Rates und der himmlischen Bitte hin. Weitere Erzählmotive im Werk sind die folgenden: Die Engel wischen dem, der nach der Arbeit die hl. Kommunion empfängt, die Schweißtropfen ab; der gut oder schlecht Betende spürt einen süßen Geschmack im Mund, seinem Mund entspringt eine Rose bzw. eine welke Blume. Erzählungen, die ein positives Ideal formulieren, zu seiner Nachfolge anregen und mit ihm trösten, überwiegen gegenüber Texten, die durch negative Beispiele vom sündigen, sittenlosen Leben abschrecken wollen und von Mahnungen und Verboten geprägt sind (z. B. man soll sich nicht auf sein Gewissen verlassen, man soll sich nicht sündenlos dünken, man soll sich vor unreinen Gedanken hüten, man soll nicht selbstsüchtig oder grausam sein). Die verschiedenen Motivationen sind oft unzertrennbar miteinander verflochten. Nädasi benutzt zwei Arten inhaltlicher Mittel, um seine Aussage zu betonen. Die eine Möglichkeit besteht in der Wiederholung der Themen in den Exempeln verschiedener Zeugnisse. Die andere liegt darin, innerhalb eines Zeugnisses zwei oder mehrere Geschichten an dasselbe Thema anzuknüpfen. Diese Exempelpaare und -reihen führen in der Regel die verschiedenen Qualitäten einer Tugend, Regel, Verhaltensweise oder eines Lasters mit dem Ziel vor, das Thema hervorzuheben und zu wiederholen, es im Gedächtnis einzuprägen. Die Reihen werden nach dem Prinzip der quantitativen oder qualitativen Steigerung, der Gegenüberstellung positiver und negativer Beispiele, der chronologischen Reihenfolge bzw. der Verbindung von Texten und Ereignissen aus verschiedenen Epochen zusammengestellt. Mehr als ein Exempel verwendet Nädasi in insgesamt acht Zeugnissen. Die zentralen Themen dieser Reihen entsprechen im wesentlichen den inhaltlichen Schwerpunkten des ganzen Werkes: sie betonen die Marienverehrung und ihre Formen, die Buße sowie den Geadnken der ewigen Seligkeit und der Verdammnis. Als sekundäre Autorenabsichten seien das Trostspenden sowie die Einteilung und Behandlung der Zeit genannt. Letztere erscheint zugleich als Ordnungsprinzip des ganzen Bandes. Nädasi betont immer wieder den Zeitpunkt (z.B. am Vorabend des Festes; zum Morgen-, Mittags- und Abendläuten;
271 zum Stundenschlag; mittwochs, freitags oder samstags) und die Häufigkeit (z. B. oft; täglich; mindestens jeden Sonnabend oder Sonntag; Monatsheilige), zu dem bzw. mit der die empfohlene Handlungsform verrichtet werden soll. Diese Hinweise kennzeichnen das Bestreben des Autors, die religiösen Handlungen in den Rahmen des Alltagslebens zu integrieren, zudem zeigen sie klar die disziplinierende Funktion der Exempel. Die Exempelforschung hat wiederholt auf die unterhaltende Absicht der Autoren hingewiesen. Nädasis Texte weisen ziemlich große Unterschiede hinsichtlich ihres relativen Unterhaltungswertes auf. Etwa die Hälfte der Exempel läßt sich als durchschnittlich unterhaltend beschreiben, der Rest läßt sich annährend zur Hälfte in Texte mit hohem und in Texte mit niedrigem Unterhaltungswert aufteilen. Von einem einzigen Text, vom ersten, kann man behaupten, daß sein Unterhaltungswert im Verhältnis zu den übrigen besonders hoch ist. Hier liegt das Ziel offensichtlich in der Mobilisierung der Aufmerksamkeit. Der Unterhaltungswert läßt sich ferner aufgrund der Gesamtheit der die Textgestaltung bestimmenden formalen Merkmale untersuchen. Die überwiegende Mehrzahl der Exempel ist in ihrem Ton feierlich, erhaben, und betont den positiven Ausgang, stellt das Erlangen einer optimistischen Lebensauffassung und eines solchen Zustandes dar. Die Zahl der Exempel dramatischen Charakters ist relativ gering, Exempel mit ausgesprochen tragischem Ausgang gibt es im Buch kaum. Texte überraschenden, humoristischen bzw. neutralen, deliberativen Charakters kommen ebenfalls nur sporadisch vor. Aus all dem geht hervor, daß die Unterhaltungsfunktion des Exempels grundlegend von der Autorenabsicht und dem Kontext des Exempels abhängt. Jede Verallgemeinerung, wie z. B., daß katholische Autoren ein größeres Gewicht als protestantische Prediger auf die Unterhaltungsfunktion der Exempel gelegt hätten, ist unbegründet. Die Frage muß bei jedem Autor im einzelnen untersucht werden.
Narrative Themen, Typen und Motive Die Exempel eines einzigen Werkes sind natürlich nicht dazu geeignet, Nädasis Gesamtwerk als erzählhistorische Quelle umfassend zu charakterisieren. Daher versuchen wir nun, die narrativen Themen und Motive aufgrund einer im größeren Kreis der Werke durchgeführten Materialsammlung zu untersuchen. Ohne eine stoffgeschichtliche Forschung durchführen zu wollen, soll hier nur darauf hingewiesen werden, daß die Werke auch als Quellen zur Wanderung der Texte, Themen und Motive fungieren können. Zum anderen legt die Sichtung der narrativen Themen nach Themenkreisen und Traditionsschichten nahe, die den einzelnen Themenkreisen zugehörigen Geschichten strukturell, funktional und inhaltlich eingehend zu analysieren; so kann das Bild des Autors, das aufgrund der benutzten Quellen über die Bil-
272 dung und das vermittelte Wissensgut gewonnen wurde, noch modifiziert werden. Ferner muß man sich vor Augen halten, daß die konventionellen Erzählmotive eine spezielle Bedeutung annehmen und daß im katechetischen Zusammenhang auch ursprünglich nicht religiös ausgerichtete Geschichten komplexe, meist traditionelle theologische Inhalte vermitteln. Ein bisher ungelöstes Problem der historischen Exempelforschung besteht im Ordnen des Materials. Eine der größten Schwierigkeiten dabei ist das zum Teil bis heute ungelöste Problem des Verhältnisses zwischen narrativem Motiv, Typ und den Varianten. Die andere Schwierigkeit entsteht daraus, daß die Heterogenität des Exempelmaterials mit den historischen, gattungstheoretischen, inhaltlichen, strukturellen, kontextuellen und funktionalen Aspekten kaum in Einklang zu bringen ist. Jede lypologisierung ist relativ, und eine Typologisierung erfüllt ihren Zweck am besten immer dann, wenn sie die Eigentümlichkeiten des konkreten Materials und der in ihm gespiegelten Lebensauffassung mit der größtmöglichen Genauigkeit erhellt. Unser Überblick der für Nádasi charakteristischen Themen und Motive geht vom Inhalt und den grundlegenden Traditionsschichten aus. In einigen Fällen wird zudem der Aufbau skizziert, und es wird auf die Funktion und den Textzusammenhang hingewiesen. Die erste große Gruppe der Exempel bilden die Geschichten über berühmte historische Persönlichkeiten der Antike und die Philosophenanekdoten. Der Kern des Exempels ist zum Teil ein historisches oder legendenhaftes Ereignis, wie etwa der Tod von Codrus26 und Sokrates,27 der Eid des Hippocrates,28 Anaxagoras beobachtet den Himmel,29 Xerxes weint30 und Themistocles lernt persisch,31 zum Teil ein besonderes Objekt, wie etwa das Grab des Anaxagoras32 und der Brief des Androcides an Alexander den Großen. 33 Manchmal wird das zentrale Strukturelement des Exempels durch die bedeutsamen Aussprüche namhafter Personen gebildet. Hierher gehört die Antwort des den Himmel beobachtenden Empedokles auf die Frage nach dem Sinn des Lebens (»Vernichte den Himmel, und ich höre auf zu existieren«),34 oder die Erklärung des Perikles, warum er zu seiner Hochzeit ein prachtvolles Kleid anlegte (»Damit die Schönheit von der Schönheit geleitet 26
27 28 29 30
31 32 33 34
Annus crucifixi 1650, 391-392. - "Illbach 1136. - Vgl. Borzsäk: Az antikvitäs (wie II/4, Anm. 3.) 395, Anm. 1. Annus eucharisticus 1651, 129-130. - Vgl. Borzsäk: (wie II/4, Anm. 3.) 260. Annus eucharisticus 1651, 134-135. Aurum ignitum 1673, 474, nr. 247. - Tubach 202. Annua eremus 1678, 113, nr. 576. - Hibach 5399. - Dömötör: A magyar (wie 1/3, Anm. 131.) 263. - Vgl. Borzsäk: (wie II/4, Anm. 3.) 225-226. - Vgl. Istvän Borzsäk: Der weinende Xerxes: zur Geschichte seines Ruhmes. Eos 56 (1966), 39-52. Annus eucharisticus 1651, 308-309. Annua eremus 1678, 23, nr. 107. Annus eucharisticus 1651, 298. Aurum ignitum 1673, 474-475, nr. 247.
273 werde«).35 Die mehrstufige Quellenüberlieferung führt häufig zum Namenwechsel, zur Verselbständigung der antiken Geschichten und Zitate. Die zweite Gruppe bilden die der antiken Mythologie entnommenen Exempel. Nádasi schöpfte sie in erster Linie aus der griechischen Mythologie. Solche Motive sind: Bellerophon wird wahnsinnig,36 der singende Phönix,37 die Felder Elysiums,38 der Mantel der Parzen,39 Sybille von Erythrai,40 die Schönheit Phaons und Pandoras,41 Alkyone,42 das Getränk der Circe,43 Tantalos durstet in der Unterwelt.44 Die Erzählungen aus der Antike werden meist knapp, in einer auf das Wesentliche reduzierten Form vorgetragen und durch eine eigentümliche, vom ursprünglichen Kontext meist unabhängige allegorisch-religiöse Deutung, durch ein analoges Beispiel aus der christlichen Tradition ergänzt. Dieses Verfahren soll hier durch die Interpretation der Geschichte vom Erlangen des goldenen Vließes bei Nádasi illustriert werden. Nach der bekannten Erzählung Ovids wurde der Hüter des goldenen Baumes, der drei Sprachen sprechende Dämon, von Medea eingeschläfert, Jason konnte somit das goldene Vließ gewinnen. Im Verständnis Nádasis symbolisieren die drei Sprachen die heilige Dreifaltigkeit, die im Gegensatz zu den drei Sprachen des Dämons in der Sprache des Herzens, des Mundes und der Freundschaft im Menschen erklingt.45 Nádasi verfährt auch in den übrigen antiken Beispielen ähnlich: Die Akteure und die ihnen zugewiesenen traditionellen Deutungen und Funktionen trennt er konsequent und zielbewußt voneinander und stellt sie in den Dienst jener religiös-moralischen Zielsetzung, die sich auch in allen anderen Beispielen äußert. In die dritte Gruppe gehören die biblischen und an biblische Themen anschließenden Exempel. Die alt- und neutestamentlichen Erzählungen erscheinen meist im Rahmen der traditionellen typologischen oder moralischen Auslegung. Beliebte alttestamentliche Themen von Nádasi sind die Geschichte Abrahams,46 Moses', Hiobs und Judiths. Aus dem Neuen Testament werden die Geschichte des Judas47 sowie die Umkehr und die Taten des Apostels Paulus mehrmals zitiert. Nádasi liebt auch die von biblischen Stoffen ausgehenden Exempel, die legendenhafte oder apokryphe Elemente 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
Annus eucharisticus 1651, 210. Ebd. 270-271. - Tubach 565. Cor amoris Dei 1675, 9-10, nr. 10. - Vgl. Dömötör 439. Annus eucharisticus 1651, 280-281. Ebd. 124-125. Ebd. 42-43. Ebd. 205-206. Annus SSS. Trinitatis 1650, 397-398. - Vgl. Dömötör 442. Annus eucharisticus 1651,13. - Vgl. Tbbach 5018. - Dömötör 104. Ebd. 9-10. - Dömötör 128. - Vgl. Borzsäk: (wie II/4, Anm. 3.) 221. Annus SSS. Trinitatis 1650, 256 -257. Annua eremus 1678, 83, nr. 417. - Dömötör 9. Ebd. 79-80, nr. 395. - Dömötör 43.
274 enthalten und über die wissenschaftliche Bibelinterpretation weit hinausweisen. So hält er z.B. die Legende über das Grab Adams fest, dieses habe am Ort der Kreuzigung bzw. an dem der Aufopferung Isaaks gestanden. 48 Beispiele, die Nädasi aus dem reichen Legendenmaterial über die Geburt Christi zitiert, sind: Bei seiner Geburt waren drei Sonnen am Himmel zu sehen; 49 die Quelle, in der Maria das Christkind in Ägypten badete, begießt einen Balsamgarten; 50 dort, wo Maria mit dem Christkind in Ägypten pilgerte, wollten die Ochsen von Samstag Mittag bis Montag Morgen nicht arbeiten. 51 Nach einer apokryphen Erzählung im Anschluß an die Kreuzigung wuchs an der Stelle, wo Christus am Ölberg geschwitzt hatte, ein Baum, auf dessen Blättern die folgenden Worte zu lesen waren: »O mors! Quam amara es!«52 Die letzten zwei Geschichten zeigen in anschaulicher Weise die primäre Rolle der legendenhaften biblischen Beispiele, der auf einzelne Episoden aus dem Leben Christi und Mariä hinweisenden epischen Einlagen: nämlich die Sanktionierung, die Affirmation einer bestimmten religiösen Vorstellung. Die größte Gruppe der Exempel kann zusammenfassend als die der Erzählungen christlicher Thematik bezeichnet werden. Diese Gruppe wurde in sechs Untergruppen aufgeteilt, die sich nach Themenkreisen weiter differenzieren lassen. Die Beispiele wurden gleichermaßen den bekannten wie den weniger bekannten Typen entnommen. 1. Legenden und Legendenmotive von Heiligen: Paphnutius bekehrt das sündige Weib Thais;53 dem hl. Nikolaus von Myra werden das Evangelium von einem Engel, das Bischofspallium von Maria gebracht; 54 Hubertus und der Hirsch; 55 Eustachius und die Legende vom Hirsch; 56 die Tränen der hl. Barbara verwandeln sich in Perlen. 57 Von den ungarischen Heiligen sind unter anderem der hl. Gerhard, die hl. Margarethe von Ungarn und die hl. Elisabeth mit ihren Legenden oder Episoden daraus in den Erzählungen Nädasis vertreten. 58 Außer den genannten könnten noch mehrere hundert Heilige aufgezählt werden, deren Legenden in der Form einer kurzen Reflexion zusammengefaßt, zitiert oder erwähnt werden. In Nädasis Verständnis sind die Heiligen in erster Linie nachahmungswürdige Vorbilder der vita chri48 49 50 51 52 53
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Ebd. 83, nr. 417. Ebd. 73, nr. 361. - Tubach 991. - Dömötör 299. Annus Marianus 1648, 83-84. Ebd. Annus crucifixi 1650, 241-242. Annua eremus 1678,104-105, nr. 519. - TUbach 3587. - Dömötör 323. - György: A magyar anekdota (wie 1/1, Anm. 78.) 229. Annus Marianus 1648, 188-189. Annus crucifixi 1650, 197-198. Ebd. 450-451. - TUbach 1920. Annua eremus 1678,154, nr. 754. - Vgl. Dömötör 400. Annus Marianus 1648, 19-22, 123-126, 216 -218.
275 stiana, himmlische Vermittler und Offenbarungen göttlicher Weisheit. Ihre Rolle besteht im Anregen zur admiratio und imitatio. Zahlreiche Erzählungen knüpfen sich an die konkreten Äußerungen der Heiligenverehrung, wobei die Märtyrer und die sich bekehrenden, sog. Heiligen Sünder zu den besonders beliebten Heiligentypen Nädasis gehören. An dieser Stelle sei erwähnt, daß die Verwendung patristischer und mittelalterlicher hagiographischer Topoi und Modelle in den Biographien geistlicher Personen, vor allem von Jesuiten, sowie in Geschichten über sie klar zu erkennen ist. Von den ungarischen Jesuiten können hier z. B. die Biographien der Kaschauer Märtyrer Jänos Leleszi, Istvän Pongräcz und Menyhert Grodec in diesem Zusammenhang genannt werden.59 Nädasi stellt die geistlichen Personen als Männer und Diener Gottes dar. Die kontinuierliche Präsenz des Gelehrten, des Aszeten, des Geduldigen, des Gutmütigen, des Märtyrers, des Sünders und vieler anderer hagiographischer Typen läßt sich bei ihm gut nachweisen.60 2. Die Gruppe der meist ausführlich zitierten Teufelserzählungen wurde bereits unter den Exempeln des früher analysierten Werkes erwähnt, hier sollen nur noch einige weitere Typen genannt werden. Der Teufel ohrfeigt den Mönch, der das Mysterium der Fleischwerdung nicht verehrt,61 er dient dem Advokaten im Bild eines Affen 62 oder erscheint in der Gestalt eines Raaben. 63 Ein Teil der Teufelserzählungen ist bei Nädasi mit konkreten Personen, Schauplätzen oder Zeitpunkten verbunden. So sagte etwa der Architekt aus Konstantinopel, Cyrus, als er seinen ganzen Besitz verloren hat und vom Teufel besessen wird, wie gut, daß er zu den Christen gehöre.64 Oder: 1555 wird eine Familie bereits seit hundert Jahren von Teufeln gepeinigt, als aus einem 13jährigen Kind auf den Rat eines Jesuiten hin im Namen des hl. Michael der Teufel ausgetrieben wird.65 In einer anderen Geschichte, die sich in Neapel im Jahre 1647 zugetragen haben soll, sitzt der Teufel vor der Beerdigung neben dem Sarg, wartet auf den Leib und sagt, Gott habe ihm außer der Seele des Verstorbenen auch diesen versprochen.66 3. Geschichten, in deren Mittelpunkt verschiedene wunderbare Ereignisse stehen, zitierte Nädasi besonders gern. Das Motiv des Wunders und des Wunderbaren sind in irgendeiner Form in den meisten Erzählungen vorhan59 60
61 62
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Annus dierum illustrium 1657, 78-81, 261-266, 269. Vgl. Bergamasco: (wie 1/1, Anm.54.) 1065-1067. - Maja Boskovic-Stulli: Kroatische Schwanke vom Pfarrer KujiS. Fabula 32 (1990), 10-18. Annua eremus 1678, 70, nr. 347. Annus angelicus 1653, hebd. XVII, nr. 1. In: Annus hebdomadarum coelestium 1663, 216. - Vgl. Illbach 1530-1532. - Eybl: Abraham a Santa Clara (wie 11/4, Anm. 28.) 140-141. Annua eremus 1678, 57, nr. 285; 60, nr. 2929. Cor amoris Dei 1675, 52-53, nr. 43. Annus SSS. Trinitatis 1650, 242- 243. - Vgl. Tbbach 287. - Dömötör 159. Annua eremus 1678, 119-120, nr. 604. - Dömötör 280.
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den. Die häufigsten Wundertypen sind: Geschenk, Belohnung des Himmels: z. B. der hl. Ildefons, Erzbischof von Toledo, erhält von der Muttergottes ein Kleid.67 Vision: z. B. Christus zeigt der hl. Gertrud seine Wunden, die sich in Blumen verwandeln;68 in der Vision der hl. Franziska von Rom strahlt aus den Wunden Christi ein Licht, das die Dreifaltigkeit, Maria und die Heiligen mit einer Glorie umfließt.69 Himmlische Hilfe: z.B. der Kranke wird auf wunderbare Weise geheilt; der Tote ersteht auf. z. B. eine fromme Frau wird von Gott auch ohne Herz auferweckt.70 Himmlische Strafe: z.B. ein Mann, der gegen den Rosenkranz redet, wird Samstag Nacht unerwartet vom Tod geholt;71 verschiedene Strafen für ein uneingelöstes Gelöbnis und die Verletzung des Gnadenbildes.72 Mahnung: die Seele des Verstorbenen weist den Lebenden zurecht.73 Sonstige Wundermotive sind: die brennende Kerze geht nicht aus;74 im Winter sprießen Blumen (z.B. aus dem Herzen eines früh Verstorbenen, der Buße getan hat).75 Das Blumenmotiv wird mit dem Motiv der wunderbaren Verwandlung in jener Erzählung verknüpft, in der anstelle des Leprakranken, den die Frau in das Bett ihres abwesenden Mannes gelegt hatte, der Ehemann bei seiner Rückkehr im tiefsten Winter Rosen findet.76 Eine Version des Typs »ein Her beginnt in menschlicher Sprache zu reden« teilt Nädasi unter Berufung auf Athanasius Kirchers Musurgia universalis (Roma 1650) mit. Kircher hat angeblich selbst die sprechende Nachtigall gesehen und gehört, die die Namen der Heiligen auf Italienisch aufzählte und dann den Satz »Ora pro nobis; nunc, Jesus Christus Crucifixus« sprach.77 In diesen Geschichten treten die Tiere als Werkzeuge Gottes auf. Eine besondere Gruppe unter den Erzählungen über wunderbare Ereignisse bilden solche, in deren Mittelpunkt ein lebendiger, sich bewegender Kultgegenstand, meist ein Kruzifix, ein Kreuz oder ein Marienbild steht. So bleibt z.B. der Kultgegenstand unversehrt; das Kruzifix strahlt Licht aus;78 der Gekreuzigte neigt den Kopf (Gualbertus);79 öffnet die Augen;80 schwitzt
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Annus Marianus 1648, 179-180. Annus SSS. Trinitatis 1650, 63-64. Ebd. 65-66. Punctum honoris 1675, 58, nr. 52. Annus Marianus 1648, 141. Ebd. 153-154. Annua eremus 1678, 62, nr. 306; 64, nr. 312. Annus Marianus 1648,126. Ebd. 95-99. - Vgl. lUbach 437, 2094. Annus crucifixi 1650, 138-139. Ebd. 438-439. - Zum Motiv der in menschlicher Sprache sprechenden Tauben in den Ursprungssagen antiker Wahrsagestätten vgl. Borzsäk: (wie II/4, Anm. 3.) 142143, 163. Ebd. 10-12. - TUbach 1383. Ebd. 397-398. - Illbach 1375. Ebd. 215; 389-390. - Vgl. Tubach 1378.
277 (sein Schweiß heilt den gebrochenen Arm der hl. Rosalia von Peru;81 das Marmorkruzifix des hl. Ignatius schwitzte am Fest des Heiligen);82 das Kruzifix spricht;83 das Marienbild singt.84 Das blutende Kruzifix verbindet sich mit dem Motiv der Verletzung und Bestrafung in der folgenden, nach Buda verlegten Erzählung.85 Zwei Männer würfelten, der eine spielte unter dem Namen des Teufels, der andere unter dem Christi. Als der erste alles verlor und sich über den Friedhof auf den Weg nach Hause machte, bewarf er das Kruzifix mit einem Stein, worauf es zu bluten begann. Ein Podagrakranker wurde im Traum geheilt und gemahnt, er soll auf den Friedhof gehen und den, der das Kruzifix verletzt habe, mit dem Messer töten. Dies geschah, und am nächsten Morgen fand man die Leiche und das verletzte Kruzifix. Nädasi teilt auch die Legende des sog. Caravacakreuzes mit, wonach dieses von einem Engel aus dem Himmel gebracht wurde.86 Unter dem Titel »Der arme Mensch ist das Bild des Kreuzes« wird im Index eine Geschichte aufgeführt, in der anstelle des ins Bett gelegten und zugedeckten armen Sterbenden das Bild des gekreuzigten Christus gefunden und dann in die Kirche übertragen wurde.87 Diese Erzählung wird bei Nädasi nach Cordoba verlegt. Das Bild des gekreuzigten Christus macht verschiedene abweisende Gebärden gegen den Sünder und unterstreicht damit die Größe des Frevels. So reißt der Gekreuzigte z.B., als in der Kirche für den aufgebahrten Toten gebetet wird, seine festgenagelten Hände vom Kreuz und hält sich die Ohren zu. Nach der Erklärung des Priesters, der das Gebet leitet, will sich Christus das Gebet für den Toten ebenso wenig anhören, weil auch der Verstorbene nicht auf das Wort Gottes gehört hatte.88 Die Geschichte betont demnach die Wichtigkeit, sich Predigten anzuhören und dem Wort Gottes zu folgen. In einer anderen Erzählung sieht der sündhafte Priester während der Messe, sooft er sich dem Volk zuwendet, das weinende Kruzifix vor sich.89 Vor dem Sünder, der die Fußwunde des gekreuzigten Christus küssen will, zieht dieser den Fuß weg.90 Das letzte Motiv taucht auch im Zusammenhang mit einem Marienbild auf: ein Sünder betet das Ave Maria, und das Christkind auf dem Marienbild vor ihm wird von Wunden bedeckt.91 81 82 83
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Annua eremus 1678, 134, nr. 670. Annus crucifixi 1650, 118-119. Ebd. 82-83. - Annua eremus 1678, 137, nr. 687, 690; 138, nr. 694. - Cor amoris Dei 1675, 220-221, nr. 214. Cor amoris Dei 1675,173-174, nr. 173. Annus crucifixi 1650, 291-292. - Vgl. lUbach 1373,1374, 1376,1377. Cor amoris Dei 1675, 43, nr. 36. Annua eremus 1678, 36, nr. 172. Annus crucifixi 1650, 147-148. - Das Motiv wird unter Berufung auf Gregorius und Prov. 28,9 erwähnt: Istvän Landovics: Novus succursus, az az üj segetseg [...]. II. Nagyszombat 1689, 31. Ebd. 189. Ebd. 356-367. Annus Marianus 1648, 99-103.
278 Die hohe Zahl der Wundergeschichten zeugt für den Mangel an rationaler Betrachtungsweise sowie für das Bestreben Nädasis, durch die Verknüpfung des Unglaublichen mit dem Glaubhaften Staunen zu erregen. Staunen zu erzeugen gehört auch zu den Mitteln des manieristischen Stils.92 Neben der offensichtlichen Absicht, auf den Leser zu wirken, wendet Nädasi das Wunder in verschiedenen Funktionen an: neben der Befriedigung des curiositas-Bedürfnisses die Hilfe, die Bestrafung, die Affirmation der Heiligkeit, die Bewährung, der Auftrag und das Beweisen. Annähernd die gleichen Funktionen lassen sich z.B. in den Erzählungen von Surius beobachten.93 All das weist darauf hin, daß Nädasis Auffassung vom Wunder auf eine frühere Epoche zurückgeht. 4. Bei der Untersuchung der Exempel im ausführlich analysierten Werk wurde bereits die Gruppe der an die verschiedenen religiösen Handlungen und theologischen Begriffe anschließenden Erzählungen unterschieden. Zahlenmäßig am stärksten sind die mit verschiedenen Gebeten, der Beichte und der Kommunion, der Eucharistie verbundenen Geschichten vertreten, dem letzten Thema widmete Nädasi ein eigenes Werk. Der Typ »Beichte des abgeschlagenen Kopfes« wurde bereits in anderem Zusammenhang erwähnt.94 Ein anderes Beispiel bietet das Motiv der blasphemischen Beichte (der verschwiegenen Sünde): Eine hoffertige Frau, die sonst viel Gutes getan hat, beichtet eine ihrer Sünden nicht und kommt darum in die Hölle.95 Das Laster des Geizes wird in einer Geschichte gerügt, in der ein Geizhals im Sterben liegt, das Viatikum empfangen will, doch vom Gold in seinem Mund gehindert wird, die Hostie hinunterzuschlucken, so daß er erstickt.96 Zur gleichen Gruppe gehören die verschiedenen Himmel-, Fegefeuerund Höllenerzählungen sowie die Engelgeschichten. Die letzteren faßte Nädasi auch in einem eigenen Werk zusammen. Ein Beispiel der Jenseitserzählungen ist die international verbreitete Geschichte über das aus drei Blättern bestehende Buch des Eremiten.97 Das Erscheinen einer armen Seele bestimmt die Handlung einer Erzählung mit ungarischen Bezügen, die Nädasi einem zeitgenössischen Druck über die kirchliche Untersuchung der Ge-
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Vgl. Imre Tegläsy: A nyelv- es irodalomelmelet kezdetei Magyarorszägon (Sylvester Jänostöl Zsämboky Jänosig) [Die Anfänge der Sprach- und Lit.theorie in U.: Von Jänos Sylvester bis Jänos Zsämboky]. Budapest 1988, 179-182. Hebenstreit - Wilfert: (wie 1/3, Anm. 56.) 221-229. Annus Marianus 1648, 90-91. - Tubach 466. - Rehermann: (wie 1/3, Anm. 34.) 155, nr. 24. - Dömötör 301. Punctum honoris 1675, 55-56, nr. 50. Annua eremus 1678, 61, nr. 299. Annus SSS. Trinitatis 1650,385. - Hibach 3037. - Dömötör 305. - Die Betrachtung der Exercitia spiritualia über die Hölle (1. Woche, 5. Übung) übte einen bedeutenden Einfluß auf die Höllenvorstellungen und -erzählungen des 16./17. Jahrhunderts aus. Vgl. EM 6,1178-1191.
279 schehnisse entnimmt und außergewöhnlich detailliert vorträgt:98 Demnach erschien die Seele des Preßburger Bürgers Joannes Clemens nach seinem Tod im Jahre 1641 mehrmals an verschiedenen Orten. Die Seele berichtete davon, daß er das Sühnegeld für einen vor langer Zeit begangenen und gebeichteten Mord nicht bezahlt habe, weswegen er sehr stark leide. Er bat seine Frau, das Sühnegeld zu bezahlen und noch weitere Opfer darzubringen. Er erschien auch bei der Pietà in der Kathedrale von Preßburg, wo er Maria eine Stola um den Hals, Christus ein Kruzifix in die rechte Armbeuge legte und eine Kerze in die Fußwunde stellte. Schließlich wurde seine Seele erlöst, er kam in der Gestalt einer weißen Taube in den Himmel und ist nicht mehr erschienen. Die an wunderbaren Elementen reiche Geschichte folgt genau der Darstellung der Quelle, zugleich zeigt sie die Rolle Nädasis in der Vermittlung örtlicher Erzählstoffe, die durch Lokalisierung allgemein verbreiteter Motive entstanden. Die Geschichten über den guten Tod, ein beliebter Topos der mittelalterlichen Hagiographie, wurden bereits früher erwähnt. Man findet sie in zahlreichen Varianten und mit weiteren Motiven verflochten. Sie wollen die Heiligkeit des Helden veranschaulichen, daneben besteht ihre wichtigste Funktion darin, die christliche Auffassung vom Tod, die Idee des beispielhaften Todes zu vermitteln. Mehrere Erzählungen stellen das Motiv des Fastens, oft mit dem Motiv des Gebetes verbunden, in den Mittelpunkt. Diese sollen die Wichtigkeit von Buße und Fürbitte aufzeigen. Zugleich deuten sie die Möglichkeit einer direkten Kontaktaufnahme mit dem Übernatürlichen an. Wie bereits erwähnt, beruft sich Nädasi gerne auf die sog. Bekehrungsgeschichten, die den katholischen Glauben als den einzigen Weg zur Seligkeit darstellen. Hier sollen nur zwei weitere Beispiele erwähnt werden. Das eine beruht auf dem Motiv der vorgetäuschten Umkehr: Ein zum Christentum konvertierter Jude aus Portugal weigert sich, nach christlicher Art zu leben." Im anderen wird die Umkehr um die Motive des unerfüllten Gelöbnisses und der himmlischen Strafe erweitert. Nädasi teilt die in Ungarn lokalisierte und durch die Benennung der Personen glaubhaft gemachte Erzählung nach Hörensagen mit:100 Andreas Völcsei, der Sekretär für polnische Angelegenheiten des Generals von Oberungarn Ferenc Wesselényi, badete an einem Samstag des Jahres 1630 im Fluß Raab, als er im Bein plötzlich einen Krampf 98
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Annus Marianus 1648,23 -28. - Die möglichen Quellen: Michael Kopchani: Narratio Rei Admirabilis ad Posonium gestae. Posonii 1643. - Ders.: Beschreibung einer wunderlichen That, die sich zu Pressburg hat zugetragen als einer Erscheinung der Seele des Hansen Clement. 1643. Abschrift. Pressburg, den 14. Febr. 1737. (Ms. 4. 35 lev.) EK Ab 22. - Vgl. Alexander M. Gaibl: Narratio rei admirabilis oder Beschreibung einer wunderlichen Tat, die sich vom 24. Juli 1641 bis 29. Juni 1642 in Pressburg zugetragen hat. Pozsony (1910). Annus amoris Dei 1678, 322, nr. 1279. Annus Marianus 1648,153-154.
280 verspürte und nur mit Hilfe seines Herren gerettet werden konnte. In der tödlichen Gefahr gelobte er, am nächsten Samstag zum katholischen Glauben zu konvertieren. Er schob aber sein Gelöbnis immer weiter hinaus, bis er eines Tages plötzlich schwer erkrankte. Am folgenden Samstag erinnerte er sich an sein Gelöbnis, bekannte seine Schuld und starb. Die dreimalige Erwähnung des Samstags erklärt, warum Nädasi die Geschichte in einem Kontext unterbrachte, der die Notwendigkeit der samstäglichen Marienverehrung betont. Unter den um theologische Begriffe angelegten Erzählungen begegnet man oft den Dreifaltigkeitsgeschichten, denen Nädasi ebenfalls ein eigenes Werk widmete. So erzählt er z.B. die auf das Mittelalter zurückgehende, international verbreitete und auch in der ungarischen protestantischen Literatur auftauchende Legende des über die Erklärung des Mysteriums der Dreifaltigkeit grübelnden hl. Augustinus und des Kindes, das das Wasser des Meeres mit einem Löffel ausschöpft.101 Eine andere Version derselben Geschichte teilt er in Anküpfung an Alanus ab Insulis mit, wobei er die Predigt von Päzmäny über die Dreifaltigkeit als Quelle nennt.102 Das Motiv der drei Edelsteine, ein beliebtes Symbol der Dreifaltigkeit, kommt in zwei Geschichten vor. Die eine erzählt vom König, der eines Nachts eine Feuerkugel vom Himmel herunterschweben sah, auch sah er einen Priester beim Meßopfer in der Kirche, bei dem drei Edelsteine auf der Patene erschienen, die durch ein goldenes Kreuz verbunden waren.103 In der anderen bringt ein Engel der hl. Ida im Traum die drei Edelsteine mit der Botschaft, durch die drei Edelsteine sei die Dreifaltigkeit zu ihr zu Besuch gekommen.104 Die Sonne mit drei Strahlen ist ein weiteres Symbol der Dreifaltigkeit: In Nädasis Exempel zeigt ein Strahl auf den Toten, worauf er aufersteht, der andere trifft einen Stein, der dadurch zerbricht, während der dritte Strahl einen schneebedeckten Gipfel beleuchtet, so daß der Schnee schmilzt.105 5. Das letzte Beispiel leitet bereits zur nächsten Gruppe über, zu der der Symbolerklärungen und emblematischen Auslegungen. Neben den drei Edelsteinen und der dreistrahligen Sonne kann unter anderem das Pelikanmotiv dieser Gruppe zugeordnet werden, das bei Nädasi Christus versinnbildlicht.106 Die Beschreibung des amicitia-Emblems teilt Nädasi unter dem Verweis »Apud Cyrillum Syntagmate. I.« mit, beruft sich also auf das be101
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Annus SSS. Trinitatis 1650,224-225. - Imbach 4986. - György: (wie 1/1, Anm. 78.) 221. - Dömötör 327. Annus SSS. Trinitatis 1650, 223. Péter Pâzmâny: A Romai Anyaszentegyhâz Szokasäböl Minden Vasarnapokra Es Egy-nehany Innepekre Rendelt Evangeliomokrul Predikacziok [Sonn- und Feiertagspredigten über die Evangelien], Pozsony 1636, 692. Annus SSS. Trinitatis 1650, 181-183. Ebd. 399. Ebd. 344- 345. Annua eremus 1678, 78-79, nr. 390.
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rühmte und mehrmals aufgelegte Werk des Lilius Gregorius Giraldus und fügt dann eine durch ein Bibelzitat ergänzte religiöse Auslegung hinzu.107 Die letzten Beispiele zeigen zugleich, daß die Symbolerklärungen manchmal für sich stehen, ohne zum Ausgangspunkt einer narrativen Struktur in engerem Sinne zu werden. 6. Der letzten Gruppe der Erzählungen christlicher Thematik werden die von profanen historischen Ereignissen ausgehenden legendenhaften Geschichten zugeordnet. In diese Gruppe gehören z. B. die international verbreitete Erzählung über die Kreuzvision des Kaisers Konstantin108 oder die über die Entthronung des byzantinischen Kaisers Phocas und seinen furchtbaren Tod, die Nädasi in ein Kapitel über das jüngste Gericht einfügte.109 Ein Pendant zur Vision Konstantins bietet die weniger bekannte Geschichte vom Traum des byzantinischen Kaisers Joannes Cantacuzenus. Vor der Schlacht gegen die Heiden sah der Kaiser zwei Jünglinge im Traum, auf deren Kleidern die Worte »Jesus Christus vincit« standen.110 Von den Erzählungen, die sich an Ereignisse der ungarischen Geschichte anknüpfen, sollen hier drei hervorgehoben werden. Johannes Hunyadi wurde nach der Schlacht bei Warna wegen seiner goldgeschmückten Kleidung von zwei Räubern im Wald überfallen. Hunyadi gab den Goldschmuck den Räubern, über das Kreuz an seinem Hals konnten sich jedoch die Räuber nicht einigen, der eine tötete den anderen und floh. Nach der der Erzählung beigegebenen Auslegung wurde das Leben von Hunyadi durch das Kreuz gerettet. Thuröczi und Bonfini bringen die Erzählung nach der sog. Zweiten Schlacht
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Annus hebdomadarum coelestium 1663,155. - Vgl. Lilius Gregorius Giraldus: De Deis Gentium Varia et multiplex historia. Basilae 1548 (weitere Ausgabe Lugduni 1565, Faksimileausgabe New York-London 1976). Die hier zitierte Ausgabe: Opera omnia T. I. Basilae 1580, syntagma I, p. 52. - Die amicitia-Beschreibung des Giraldus wird unter anderem von Nicolaus Caussinus in seinem De Symbolica Aegyptorum sapientia betiteltem Werk zitiert (Coloniae 1631, 68, nr. XI). - Jözsef TüröcziTrostler: Ének a barâtsâgrôl. Egy fejezet az euröpai humanizmus tôrténetébôl [Gesang über die Freundschaft: Ein Kapitel aus der Geschichte des europäischen Humanismus], Budapest 1937, 10-11, bringt die amicitia-Beschreibung von Giraldus als die Prosafassung desselben Themas, das Jânos Adam in seinem Gedicht Az igaz, jâmbor és tôkéletes barâtsâgrôl valö ének [Gesang über die wahre, fromme und vollkommene Freundschaft] (1599) behandelt. - Vgl. Kâroly Maroth: Amicitia. Szeged 1939, 4. - Zu Giraldus vgl. Franck L. Schoell: Les mythologistes Italiens de la Renaissance et la Poésie Elisabéthaine. In: ders.: Études sur l'humanisme continental en Angleterre à la fin de la Renaissance. Paris 1926, 21-41. - Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Hg. Arthur Henkel - Albrecht Schöne. Stuttgart 1967, Sp. 1568-1569. - Zum i y p des emblematischen Exempels vgl. Albrecht Schöne: Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. München 1968, 65-135.
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Annus hebdomadarum coelestium 1663, 526, nr. 3. - Hibach 1218. - Dömötör 140. Annua eremus 1678, 62-63, nr. 307. - Vgl. Boizsâk: (wie II/4, A r n 3.) 451, 517518. Annus crucifixi 1650, 454-455.
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282 auf dem Amselfeld (1448). Die Version von Nädasi steht der Erzählung Bonfinis nahe.111 Die zweite Geschichte bezieht sich auf die ungarische Landnahme. Nach der der Chronica Ungarorum entnommenen und von Nädasi mit der Dreifaltigkeit in Zusammenhang gebrachten Erzählung füllte Arpad, der Führer der Ungarn, als er die Güte des neu betretenen Landes sah, sein Horn mit Flußwasser und opferte es dem Himmel, wobei die Ungarn dreimal den Namen Gottes riefen. Inzwischen wurde der Name Gottes, führt Nädasi die Erzählung fort, korrumpiert, statt »Deus« werde er als »Dees« (d. h. >du bist wegdu fehlstwie ... schreibt^ >... schreibt^ >man schreibt über .. .höre oder lese, was ... schreibt«:]) in den Vordergrund. Die Belegformel bezieht sich manchmal nicht auf die Quelle, sondern auf das Exempel selbst oder auf einen Teil von ihm (»lätta a Tolosai püspök«, »azt szokta völt gyakran mondani«, »a mint Marianak fiai cselekszenek mind Magyarorszägban, mind Olasz mind Nemet-Orszägban, es mäsut-is« [>der Bischof von Toulouse sah ...... pflegte oft zu sagenwie das die Söhne Mariä sowohl in Ungarn als auch in Italien, Deutschland und anderswo tun