Johann Wilhelm Ritter: Physik im Wirkungsfeld der deutschen Romantik [Reprint 2013 ed.] 9783110843248, 9783110038156


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German Pages 149 [152] Year 1973

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Table of contents :
I. Einleitung
II. Metamorphosen eines romantischen Physikers
1. Das Zentralphänomen
2. Experimente im Spannungsfeld der Romantik
3. Ganzheit durch Elektrizität und Entdeckungen für Paris
4. München: Bilanz und magischer Galvanismus
5. Die Sprache der Pflanzen und ein ›Nachlaß zu Lebzeiten‹
III. Aspekte einer romantischen Physik
1. Einheit durch Spiegelungen und Präfigurationen
2. Einheit durch Metamorphosen
3. Hieroglyphen einer Naturgeschichte des Bewußtseins
4. Die sinnliche Einheit der Welt
5. Perioden und magische Oszillationen
6. Schlußbemerkungen über eine Formel und eine Metapher
Bibliographie
Namen- und Sachregister
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Johann Wilhelm Ritter: Physik im Wirkungsfeld der deutschen Romantik [Reprint 2013 ed.]
 9783110843248, 9783110038156

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Walter D. Wetzels Johann Wilhelm Ritter

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer Neue Folge Herausgegeben von

Stefan Sonderegger 59 (183)

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1973

Johann Wilhelm Ritter: Physik im Wirkungsfeld der deutschen Romantik

von

Walter D. Wetzeis

W DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1973

Diese Arbeit wurde nodi unter der Mitherausgeberschaft von Hermann Kunisch angenommen

ISBN 3 11 003815 3 Library of Congress Catalog Card Number: 73-75493 © 1973 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J . Trübner · Veit & Comp., Berlin 30 · Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photo mechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Omnium-Druck, Berlin Printed in Germany

FÜR AGNES U N D AUGUST HEUSER

VORWORT Die folgende Arbeit beschäftigt sidi mit einem vorwiegend unliterarischen Aspekt der deutschen Romantik: der romantischen Naturwissenschaft. Sie will dabei zeigen, daß mit dem Terminus Romantik nicht nur eine Literaturperiode bezeichnet ist, sondern allgemein eine neue Art des Welt- und Selbstverständnisses, die auch und besonders einen neuen Typus des Naturwissenschaftlers prägte. Als Verkörperung der naturwissenschaftlichen Romantiker ist schon immer der Galvanist im Schlegelkreis, Johann Wilhelm Ritter, angesehen worden. Durch die Beschreibung des Werkes dieses romantischen Physikers par excellence soll im Folgenden ein konkretes Bild des phantasievollen Versuchs gegeben werden, Wissenschaft und Kunst, Physik und Poesie in einem einheitlichen Weltbild konvergieren zu lassen. In der naturwissenschaftlichen und literarischen Geschichtsschreibung ist die Verbindung der Empirie mit der Phantasie meist ungnädig aufgenommen worden, weil man die romantische Physik in hoffnungsloser Umstrickung, Vernebelung, Narkotisierung der spekulativen Naturphilosophie von der Art Schillings sah. Die Jahre um 1800 sind so für die Naturwissenschaften in Deutschland eine Episode unseligen Angedenkens, und die Geschichte des Physikers Ritter ist daher eine polemische Geschichte. Ihre Hauptstationen sollen hier kurz skizziert werden. Unter den naturwissenschaftlichen Kommentatoren greife idi als Beispiel Wilhelm Ostwald heraus, der in seinem Werk Elektrochemie (1896) die erste größere Darstellung der Ritterschen Forschungen auf den Gebieten des Galvanismus und der Chemie gegeben hat. Er beschreibt die Methode Ritters als ein Gemisch von Scharfsinn und Mystizismus, von exakter, in manchen Fällen vorbildlicher experimenteller Beobachtung und haltloser Spekulation. Wie Emil Du Bois-Reymond, der schon früher Ritters Experimente und Theorien über die Elektrophysiologie der Sinne in seinem Buch Untersuchungen über thierische Elektricität (1848/49) ausführlich referiert und diskutiert hatte, sieht Ostwald den verderblichen Einfluß der Naturphilosophie vor allem im Stil Ritters. In dem Gestrüpp der oft heillos verwickelten Satzkonstruktionen, in dem anspruchsvoll abstrakten, dabei häufig mystifizierenden Vokabular findet er jedoch so viele und wertvolle Einzelbeobachtungen, daß Ritter schließlich aus diesen Untersuchungen als der Begründer der Elektrochemie hervorgeht. Alle Darstellungen kommen darin überein, daß man von dem Wissenschaftler Ritter nur bis etwa 1804 sprechen kann, weil mit seiner Übersied-

Vili

Vorwort

lung nadi München der latente Mystizismus überhand genommen habe, und nach dem chemischen und physiologischen dort der magische Galvanismus endgültig ausgebrochen sei. Daß diese Entwicklungslinie aber im romantischen Programm durchaus konsequent ist, und die empirische Wissenschaft sich in der magischen erfüllen sollte, wird in dieser Arbeit u. a. gezeigt werden. Ich habe deshalb auch nicht versucht, die wirklichen und möglichen Resultate dieser romantischen Physik von den offensichtlichen Irrtümern zu trennen, sondern sie alle im Zusammenhang mit Themen und Methoden beschrieben, die für diese eigentümliche Form von Naturwissenschaft charakteristisch sind. Die Literaturgeschichte ist besonders in R. Hayms Die romantische Schule (i. Aufl. 1870) mit Ritter in ein hartes Gericht gegangen. Hayms Kritik dieses phantasievollen Physikers, dessen sporadischer Scharfsinn sich immer bald in zerfließenden, aufgeweichten Gedanken auflöse, der halbverstandene Brocken der idealistischen Philosophie mit etwas Physik oder Chemie überzogen habe, gipfelt in der Bemerkung, in Ritter hätten die Romantiker den Mystiker schlechthin, den Jakob Böhme des achtzehnten Jahrhunderts leibhaftig unter sich gehabt. Die in manchen psychologischen Einzelheiten wahrscheinlich nicht unzutreffende Charakteristik Hayms übersieht aber, daß diese Physik tatsächlich eine Reihe bemerkenswerter Entdeckungen zuwege gebracht hat. Vor allem versieht sie sich jedoch in der Methode dieses Forschers. Ritter verfährt fast nie so, wie Haym es darstellt. Er überzieht nicht naturphilosophische >Erkenntnisse< mit etwas Physik oder Chemie, sondern überzieht allenfalls physikalische und chemische Erkenntnisse mit Naturphilosophie, und zwar manchmal so erfolgreich, daß der Tatsachenkern nahezu unkenntlich wird Gegen die Attacke Hayms unternimmt dann W. Olshausen in seiner Dissertation Friedrich v. Hardenbergs (Novalis) Beziehungen zur Naturwissenschaft seiner Zeit (1905) eine Ehrenrettung Ritters. In seinem Eifer, den verläßlichen und erfolgreichen Naturwissenschaftler, den informiertesten Berater Novalis' in Sachen Galvanismus zu schildern, versucht er gelegentlich, auch zweifelhafte Methoden und unzweifelhaft falsche Ergebnisse Ritters zu verteidigen. Im Ganzen entsteht jedoch hier ein wesentlich zutreffenderes Bild als es Haym gezeichnet hatte. Die systematische Erforschung der Lebensumstände und besonders der Experimente mit Wünschelrute und Pendel, die die magische Endphase der Ritterschen Physik charakterisieren, ist den zahlreichen Arbeiten Carl v. Klinckowstroems zu danken, die in verschiedenen Zeitschriften im wesentlichen zwischen 1908 und 1926 erschienen. Ihnen folgte 1933 ein Aufsatz von Hans Schimank über »Johann Wilhelm Ritter, der Begründer der wissenschaftlichen Elektrochemie« in den Abhandlungen u. Berichten des Deutschen Museums. Hier werden sowohl die Beziehungen Ritters zu Kreis der Jenaer

Vorwort

IX

Romantiker, wie audi die Hauptthemen und Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschungen ausgezeichnet zusammengefaßt. Zwei Dissertationen sind über Ritter erschienen: Wolfgang Hartwig, Physik als Kunst (1955) und Dorothee Hüfimeier, Johann Wilhelm Ritter (1776 bis 1810) und sein Beitrag zur Physiologie seiner Zeit (1961). Die erste Arbeit bringt eine Darstellung der naturphilosophischen Gedanken Ritters, wobei sich Hartwig im wesentlichen auf die Fragmente und die Rede »Die Physik als Kunst«, die Ritter 1806 vor der Münchener Akademie gehalten hat, stützt. Die Dissertation von D. Hüffmeier, die ich bei meiner Beschreibung der elektrophysiologisdien Experimente Ritters benutzt habe, bringt eine wertvolle Systematisierung und Charakterisierung der Physiologie Ritters unter modernen Gesichtspunkten. In den letzten Jahren sind mehrere Arbeiten erschienen, die wertvolle Beiträge zur Ritter- und Romantikforschung, soweit es sich um naturwissenschaftliche Aspekte handelt, darstellen. Fr. Klemm und A. Hermann veröffentlichten 1966 die Briefsammlung Briefe eines romantischen Physikers, die eine Reihe von bisher unveröffentlichten Briefen Ritters an G. H. Schubert und Karl von Hardenberg enthält. Auch durch die Kommentare und eine Bibliographie der Arbeiten über Ritter ist diese Sammlung wichtig für die Forschung. Arnim Hermann hat außerdem in der Reihe Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften eine sehr kenntnisreich kommentierte Auswahl aus den naturwissenschaftlichen Schriften von Ritter unter dem Titel Die Begründung der Elektrochemie und Entdeckung der ultravioletten Strahlen (1968), die auch eine kurze Biographie Ritters enthält, veröffentlicht. Zusammen mit diesen beiden Publikationen zu Ritter bieten ferner die Dissertationen von Helmut Schanze Romantik und Aufklärung (1966) und Peter Kapitza Die frühromantische Theorie der Mischung: Über den Zusammenhang von romantischer Dichtungstheorie und zeitgenössischer Chemie (1968) ausgezeichnete Analysen zu dem allgemeineren Thema der rationalen, naturwissenschaftlichen Komponente in der deutschen Frühromantik. Die vorliegende Arbeit, die 1968 vom Department of Germanic Languages and Literatures an der Princeton University als Dissertation akzeptiert worden ist, verwendet sowohl die naturwissenschaftlichen, wie die quasi literarischen Produktionen Ritters. Sie stützt sich daher auf alle von ihm veröffentlichten Werke, seine Aufsätze in verschiedenen wissenschaftlichen Zeitschriften (soweit sie mir erreichbar waren), seine veröffentlichten und einige bisher unveröffentlichte Briefe, die einzusehen ich Gelegenheit hatte. Dem SchillerNationalmuseum in Marbach, der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek in München, den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten : Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar, dem Literaturarchiv der deutschen Akademie der Wissenschaften und der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, beide in Berlin, danke ich für die Erlaubnis, die Sammlungen zu benutzen.

χ

Vorwort

Mein besonderer Dank gilt Theodore Ziolkowski, auf dessen Anregung und Unterricht diese Arbeit zurückgeht. Für die finanzielle Unterstützung des Druckes bin ich dem Research Institute der University of Texas at Austin verpflichtet. Für die Schriften Ritters und einige andere, häufig zitierte Werke habe idi eine Reihe von Abkürzungen im Text verwendet: Werke

Ritters

B:

Beweis, daß ein beständiger Galvanismos Thierreich begleite. Weimar, 1798.

den Lebensproceß

in dem

D:

4. Diarium (3. Band der in der Bayerischen Staatsbibliothek befindlichen Handschriftensammlung von Ritter: Ritteriana.)

Bt 1,2: Bey träge zur näheren Kenntnis des Galvanismus und der Resultate seiner Untersuchung. Bd. 1 (I. u. II.). Jena, 1800. Bd. 1 (III. u. IV.). Bd. 2 (I. u. II.). Jena, 1802. Bd. 2 (III. u. IV.). Jena, 1805. E:

Das elektrische System der Körper. Ein Versuch. Leipzig, 1805.

A x — 3 : Physisch-Chemische Abhandlungen ι — 3 . Leipzig, 1806.

in chronologischer

Folge.

Bde.

K:

Die Physik als Kunst: Ein Versuch, die Tendenz der Physik aus ihrer Geschichte zu deuten. München, 1806. (Akademierede, gehalten am 28. März 1806.)

S:

Der Siderismus. Bd. I, 1. Stück. Hrsg. von J . W . R i t t e r . Tübingen, 1808. (Einzige Nummer dieser von Ritter gegründeten Zeitschrift.)

F i — 2 : Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers. Ein Taschenbuch für Freunde der Natur. I. u. II. Bdch. Heidelberg. 1810. (Ritter als Herausgeber, in Wirklichkeit Verfasser.) Ührige

Abkürzungen

Hd.:

Briefe Ritter an H . C. Oersted in: Correspondance de H. C. Oersted avec divers savants. Ed. von M. C. Harding. Bd. 2. Copenhagen, 1920.

Sch.:

Schellings Werke, hrsg. von Manfred Schröter. 6 Hauptbände und 6 Ergänzungsbände. München, 1958. (Neudruck der Ausgabe von

Schi.:

Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hrsg. von Ernst Behler, u. a. München, Paderborn, Wien. Bd. 2. 1967; Bd. 18, 1963.

N i — 3 : Novalis Schriften, hrsg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel. 2. Aufl. Bde. ι — 3 . Stuttgart, i960—68.

INHALT I. Einleitung

ι

II. Metamorphosen eines romantischen Physikers /. 2. j. 4.

Das Zentralphänomen Experimente im Spannungsfeld der Romantik Ganzheit durch Elektrizität und Entdeckungen für Paris München: Bilanz und magischer Galvanismus Die Sprache der Pflanzen und ein >Nachiaβ zu Lebzeiten
Weltseele< gleichkam. Deshalb wird Ritter auch bald von Schelling zu den prominentesten Vertretern der neuen naturphilosophischen Richtung gezählt (vgl. Sch., ι . Erg., 381). In der T a t bemerkt man dann auch bei Schelling von der Weltseele an, wie der Galvanismus, selbst seine triadische Grundfigur, in die Naturphilosophie eindringt, und zwar so offensichtlich von den Ritterschen Ergebnissen inspiriert, daß dieser öffentlich von geistigem Plagiat spricht. Steffens berichtet darüber in seiner Autobiographie Was ich erlebte,1" und Karoline Herder schreibt noch am 28. März 1803 an Georg Müller über Schelling: »Ueberdem macht er sich aus litterarischen Diebstahl auch nichts, u. giebt für seine Erfindung aus, was ihm andre erzehlt und vertraut haben. So hat ers einem gewissen Ritter in Jena, der ein großer Chemiker u. Physiker ist, gemacht — seine gefundenen Resultate die er ihm vertraute, hat er als die seinigen, aber freilich auf eine ganz verkehrte Weise, angebracht«. 11 Schelling scheint tatsächlich erst 1798 überhaupt den Galvanismus kennengelernt zu haben. 18 Darüber hinaus kann es bei der schon erwähnten Assimilationsfähigkeit Schellings als sehr wahrscheinlich gelten, daß er sich u. a. auch Fakten und Gedankengänge aus den Schriften Ritters zu eigen machte. U m gekehrt ist Ritter sich des bedeutenden Einflusses der Werke Schellings auf seine Arbeiten auch bewußt. In einem A k t geistiger Selbstverteidigung vermeidet er es deshalb bald, die Neuerscheinungen seines Konkurrenten audi nur zu lesen. Er schreibt darüber einmal an seinen Freund, den dänischen Physiker Oersted: »Ich habe ihn aber meines Eigenen Besten wegen bis jetzt ignoriert, d. h. nicht gelesen. . . . Kurz, ich mag Schelling nicht eher lesen, bis ich es kritisch vermag, . . . « (Hd., 119). Obwohl dieses Ignorieren wörtlich so nicht stimmen kann, denn an mindestens einer Stelle zitiert Ritter aus einem Werk Schellings, 13 ist hinreichend deutlich, daß das intensive, beabsichtigte 10

11 12

13

H . Steffens, Was ich erlebte. Hrsg. von W . A . Koch. München, o. J. vgl. S. 7 $ — 7 7 . Die beinahe groteske Uniformiertheit Steffens' bezüglich der Verdienste Ritters in der Physik geht aus seiner Bemerkung hervor, Ritters Hauptverdienst habe darin bestanden, Froschschenkel als Elektroskope zu benutzen (vgl. S. 77). Dagegen ist die Schilderung des Ritterschen Charakters sicher zutreffend. Karoline Herder, hrsg. von W . Dobbek. Weimar, 1963. S. 213. V g l . dazu bei Fuhrmans den Brief von Schelling an Pfaff vom 6. M ä r z 1798 (S. 119 f.) und die Anmerkung, in der aus den Lebenserinnerungen von Chr. Heinrich Pfaff. Kiel, 1854 zitiert wird. Pfaff w a r einer der führenden Vertreter der nichtromantischen Physik und hat auch mit Ritter verschiedentlich in Verbindung gestanden. In den Abhandlungen I ist ein Schreiben Ritters an A l e x , von Humboldt abgedruckt, in dem es heißt, » . . . aus >dieser absoluten Identität des Geistes in uns und der N a t u r außer unsSymphilosophieren< in Jena bereits manchem Beteiligten übermächtig zu werden drohte. Und weil sich hier das Problem der gegenseitigen Beeinflussung der in der romantischen Bewegung Vereinigten demonstrieren läßt, sei nodi ein weiteres, diese Lage charakterisierendes Beispiel angeführt. Als Achim von Arnim während seiner Englandreise auf die Zeit zurückblickt, in der er im Gedankenaustausch mit dem Schlegelkreis, besonders aber Schelling und Ritter stand, schreibt er unter dem 24. Dez. 1803 an Cl. Brentano: »Ith konnte fast nichts denken in der Physik, was nicht zu gleicher Zeit Ritter, Schelling oder andre bekannt machten; ja viele Arbeiten habe ich zerrissen, weil sie mir zuvorkamen«. 14 Arnim und Ritter sehen die eigene schöpferische Potenz in Gefahr. Es kann also gar kein Zweifel daran bestehen, daß der Einfluß der Romantiker aufeinander beträchtlich war. Daher wird auch klar, wie hoffnungslos es wäre, in jedem Einzelfall Prioritäten feststellen und ihrer Übernahme durch andere nachgehen zu wollen. Offensichtlich sind dieselben oder doch sehr ähnliche Ideen gleichzeitig aus demselben Grundimpuls und denselben faktischen Stimulantien entstanden. Sei haben miteinander reagiert und erst dadurch so etwas wie eine einheitliche Bewegung hervorgebracht, die dann der Philosophie, der Naturwissenschaft und der Dichtung ein neues unverwechselbares Gesicht gab. An dem Unternehmen, der zeitgenössischen Naturwissenschaft eine romantische P h y siognomie, zugleich den Philosophen und Poeten das faktische Fundament f ü r ihren Traum vom organischen A l l zu geben, ist Ritter maßgeblich beteiligt, und besonders sein entes Werk w a r ein epochenmachender Beitrag dazu. Die Richtung, in die ihn seine nächsten Arbeiten führen würden, hatte Ritter bereits am Ende seines Beweises angegeben: den Galvanismus auch in der anorganischen Natur nachzuweisen. Um sich auf diese Untersuchung vorzubereiten, arbeitet er sich zunächst durch die seit Galvanis Entdeckung erschienene Literatur, vor allem aus Italien und Frankreich. In einem Brief an den Verleger seines ersten Buchs, F. J . Bertuch, bietet er Übersetzungen der Schriften verschiedener französischer Galvanisten an »nebst Anmerkungen u. Zusätzen mit Rücksicht auf Physiologie, Physik u. Chemie«. E r preist seine eigenen Beiträge als völlig neuentdeckte »polarisch entgegengesetzte Zustände der Erregbarkeit«, als »polarisch entgegengesetzte Krankheiten« und ein »allgemeines Schema der Heilung Jeder Krankheit«. Und als wäre es damit noch nicht genug, will er das Ganze nur als die Einleitung zu einem größeren Werk verstanden wissen: »(— über die Dreyheit in der Natur, oder der Galvanismus ein allgemeines Naturgesetz —)«. 1 5 Bertuch geht aber auf den Vorschlag solcher Veröffentlichungen nicht ein, und das angekündigte größere 14

18

Achim von Arnim und die ihm nahestanden, hrsg. von Reinh. Steig und Herrn. Grimm. Stuttgart, 1894—1904. Bd. I, S. 104. Unveröffentlichter Brief von Ritter an F. J. Bertudi vom 11. Februar, 1799. Goethe und Schiller-Ardiiv, Weimar.

2.6

Metamorphosen eines romantischen Physikers

Werk erscheint audi nie. Bemerkenswert ist, wie selbstsicher Ritter bereits geworden ist, wie bereitwillig und ehrgeizig er seinen eigenen >Winken< gefolgt ist, und wie fruchtbar inzwischen die Keime des naturphilosophischen Polaritätsdenkens geworden sind. Ritter hat audi keine Bedenken mehr, die Triplizitätsbedingung des Galvanismus für die Voraussetzung jeder Aktion in der Natur zu erklären und auf diese Weise den Galvanismus zum allgemeinen Naturgesetz zu erheben. Die Anzeichen für seinen Drang, den zögernden Fortgang im Experimentellen durch kühne Spekulationen zu überholen, mehren sich denn auch in seiner zweiten Schrift Beweis, daß die galvanische Action oder der Galvanismus auch in der anorganischen Natur möglich und wirklich sey, veröffentlicht als zweites Stüdk einer Aufsatzsammlung, in der Ritter seine Arbeiten zum Galvanismus in den folgenden Jahren zusammenf a ß t . " Audi diese Abhandlung geht auf einen Vortrag zurück, den er unter einem ähnlichen Titel im Frühjahr 1799 vor der Naturforschenden Gesellschaft zu Jena gehalten hatte. Dem gleichen Forum präsentiert, mit einem Titel, der jeden an die Formulierung seines ersten Vortrags erinnern mußte, demonstrierte diese Rede augenfällig den Zusammenhang der Themen. Zunächst fällt hier auf, daß die Ausführungen zur Methode des wissenschaftlichen Arbeitens, immer wieder gegen das Hypothesenbilden polemisierend, nodi umfangreicher sind als in seiner ersten Schrift. Manchmal gelingt Ritter ein prägnantes Paradox, wie: »Reine Erfahrung ist der einzige erlaubte Kunstgriff zur Erlangung reiner Theorie,...« (Bt 1, I, 1 2 1 ) . Oft kommt es zu umsdiweifigen Darstellungen, die man aber trotzdem nicht ohne Interesse liest, weil man durch alle Abwehr des angeblichen Irrtums die intime Kenntnis des bereits Infizierten oder doch Versuchten spürt. Es heißt z . B . : »Es ist ein eben nicht seltenes Phänomen, daß wir mit Wahrheiten, die wir aus anderen bloß ableiteten, glaubten wir audi mit bester Zuversicht, überall dabey mit idealisdier Strenge verfahren zu seyn, mit einer gewissen Schüchternheit, gleichsam als stünden wir doch nicht so ganz für sie, umgehen, so lange es uns, wenn das überhaupt ihre Natur erlaubt, noch nicht gelungen ist, sie in unmittelbare Wahrnehmung zu bringen, und uns den recht eigentlichen Beweis derselben durch sie selbst zu geben, kurz, wir ziehen überall das a posteriori dem a priori vor, und lassen dem letzten nicht ungern oft dann erst volle Gerechtigkeit wiederfahren, nachdem wir uns in den Besitz des ersteren gesetzt haben« (Bt 1, I, 238 f.). Dieses Zitat kann zugleich als Kostprobe für Ritters Stil dienen, den nidit nur Schiller bereits gerügt hatte und der sich nur selten — im direkten brieflichen Bekenntnis oder einer herzhaften literarischen Attacke — zu Prägnanz und Eleganz erhebt. Versuchsweise und mit der eben noch kritisierten deduktiven Methode kokettierend, versichert er dem Leser: »Es würde leicht seyn, durch bloßes 18

In Beiträge, Bd. I, (1. u. 2. Stück). Jena, 1800.

Das Zentralphänomen

27

Raisonnement, immer aber dodi streng genug« (Bt 1, I, 209), das Entscheidende nachzuweisen, und man könne das, w o r a u f er jetzt hinauswolle, auch aus seinem Grundgesetz des Galvanismus ableiten, aber mit einem experimentellen Nachweis seiner These glaube er doch, ihre Gültigkeit überzeugender demonstrieren zu können. M a n solle ihn also entschuldigen, wenn er nicht deduziere (vgl. Bt 1, I, 212). Es ist deutlich: Ritter hat inzwischen auch K a n t kennengelernt. Er hat gelesen, daß es eine reine, eigentliche, apodiktische Naturwissenschaft neben der angewandten, uneigentlichen, empirischen gibt. 1 7 Schon diese Bezeichnungen lassen keinen Z w e i f e l , welcher nach K a n t der V o r r a n g zukommt, und f ü r Kants Nachfolger Fichte und Schelling ist die apodiktische Naturerkenntnis vollends die einzig diskutable. D e r Experimentator Ritter hat bereits ein schlechtes Gewissen und zögert daher nicht länger, auf seine spekulativen und deduktiven Möglichkeiten hinzuweisen. Allerdings geschieht das vorläufig immer noch in Einschüben, die sorgfältig v o m induktiven G a n g der Beweisführung getrennt sind oder im unverbindlichen K o n junktiv gehalten werden. D a s Hauptthema der Arbeit ist im Titel genannt: galvanische Wirkungen in Ketten z u zeigen, die nur aus anorganischen K ö r p e r n bestehen. Der G a l vanismus w a r historisch und prinzipiell mit der Vorstellung verbunden, daß dabei stets ein organisches Präparat beteiligt sein mußte. A n dem Zucken des Froschschenkels erst w a r abzulesen, ob eine galvanische A k t i o n stattfand oder nicht. G a l v a n i hatte das organische Präparat sogar für den Ursprung der Reizerscheinung gehalten, und v o n daher w a r es zu der Hypothese eines besonderen galvanischen Fluidums, der sogenannten >tierischen E l e k t r i z i t ä t gekommen. V o l t a dagegen wollte in den Konvulsionen des Froschschenkels nur den Reflex einer A k t i o n sehen, die durch die Berührung verschiedener Leiter hervorgerufen wurde. Für ihn w a r das organische Präparat lediglich ein Instrument, ein Elektroskop. D e r jahrelange Streit zwischen G a l v a n i und V o l t a , f ü r und gegen eine biologische Elektrizität, hielt das Jahrzehnt v o r 1800 in A t e m und ist seither oft dargestellt worden. 1 8 Relevant f ü r Ritters Position ist hier nur die Tatsache, daß beide Kontrahenten mit einem orga17

18

Vgl. Kant, Vorrrede zu »Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft« in: Immanuel Kant's Sämmtliche Werke, hrsg. von G . Hartenstein. 4. Bd. Leipzig, 1867. S. 3J7—368. D a ß Ritter tatsächlich K a n t studiert haben muß, geht aus dem Schreiben an Alex. v. Humboldt hervor (siehe Anm. 13), in dem er sich kritisch über Kants Zirkelschlüsse und die Annahme äußert, daß Attraktions- und Repulsionskraft die »höchsten Principien eines künftigen, wahren Natursystems seien«. (AI, S. 51 f.) Einen ausgezeichneten Überblick geben z. B. die beiden Aufsätze von K . E. Rothsdiuh in: Sudhoff s Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften »Alexander von Humboldt und die Physiologie seiner Zeit«, Bd. 43 (19J9). S. 9 7 — 1 1 3 und »Von der Idee bis zum Nachweis der tierischen Elektrizität«,

Bd. 44, (1960). S. 25—44.

28

Metamorphosen eines romantischen Physikers

nisdien Präparat arbeiteten; ihr Streit ging über die Funktion dieses Präparates. Ritters Vorhaben, rein anorganische Ketten zu konstruieren, konnte daher v o n entscheidender Wichtigkeit sein. Statt der Reaktion des Froschschenkels findet er in seinen anorganischen Ketten diemische Prozesse, die das Wirken des Galvanismus anzeigen. Seine auch wissenschaftlich wahrscheinlich bedeutsamste Leistung ist es, den Galvanismus diemisch interpretiert z u haben, und er wird damit zum Begründer der Elektrochemie. 1 * D e r Prozeß, auf den sidi Ritters chemische Untersuchungen zum Galvanismus konzentrieren, ist die O x y d a t i o n der Metalle. D a ß es gerade der Sauerstoff w a r , die >Lebensluftunbelebter< N a t u r gesprochen hat. K e i n Wunder, daß Ritter versichert, mit dem Galvanismus habe der Mensch »den Schlüssel zum Eingang in das Innere der N a t u r « (Bt 1, I, 282). U n d was er hier über das Tierreich und die tote N a t u r gesagt habe, daß müsse sich audi f ü r die Pflanzenwelt zeigen lassen: » . . . auch das Pflanzenreich w i r d sich v o n der Sphäre des G a l vanismus nicht ausschließen. A l l e Galvanische Action w i r d identisch erscheinen« (Bt i , I, 283). Es ist nicht das einzigste Zeichen für die innere Folgerichtigkeit seiner äußerlich oft chaotischen Existenz, daß Ritter den Nachweis f ü r solche elektrische Reizerscheinungen bei Pflanzen als die letzte große wissenschaftliche Arbeit seines Lebens selbst führt. ,l)

Vgl. dazu: Wilhelm Ostwald, Elektrochemie: Ihre Geschichte und Lehre. Leipzig, 1896. Stichwort Ritter im Index. Ebenfalls: Hans Sdiimank, »Johann Wilhelm Ritter, der Begründer der wissenschaftlichen Elektrochemie« in: Abhandlungen u. Berichte des Deutschen Museums, Jg. 5 (1933). S. 175—203.

Experimente im Spannungsfeld der Romantik

Erst diese zweite Abhandlung erfüllt die romantische Sehnsucht von der Allbelebtheit der Natur, vom großen Organismus, in dem selbst das menschliche Bewußtsein nur die komplexeste Variation eines Grundprinzips darstellt, das in allen anderen Bereichen der N a t u r auch anzutreffen ist. Jetzt tritt Ritter auch den in Jena sich versammelnden Romantikern persönlich nahe; er lernt Novalis, F. Schlegel kennen, und Schlegel scheint ihn dann später auch bei Goethe eingeführt zu haben.

2. Experimente

im Spannungsfeld

der

Romantik

Jetzt beginnt audi R i t t e n ausgedehnte publizistische Tätigkeit in verschiedenen wissenschaftlichen Zeitschriften. 80 Ritter, der formal nodi immer und auf Jahre hinaus nur Student an der Jenaer Universität ist, macht sidi dadurch in Deutschland, aber audi in Italien, Frankreich und England einen Namen. Andererseits ist er in seinen Beiträgen ein unermüdlicher Propagandist f ü r ausländische Arbeiten auf dem Gebiet des Galvanismus, besonders der Veröffentlichungen von Volta. Die Publizierung der Beiträge bringt Ritter auch die Bekanntschaft und Freundschaft mit dem Verleger C. F. Frommann, der dem Autodidakten ein geistiger Vater -wird. Die bisher unveröffentlichten Briefe Ritters an Frommann legen dafür Zeugnis ab. Im Rückblick auf die Jahre in Jena und Weimar schreibt er später an seinen Verleger: »Als Kind trat idi ein in die Welt der Wissenschaft, wohl einem Findling zu vergleichen. Sie waren der Vater, der sich meiner annahm, unter seiner Sorgfalt ward das Kind zum Knaben«. 21 Diese Bemerkungen haben auch einen ganz pragmatischen Sinn. Frommann war f ü r Ritter oft die letzte und häufig in Anspruch genommene Hilfe in seinen chronischen Geldverlegenheiten. Nicht nur f ü r die Briefe an diesen Verleger, sondern überhaupt f ü r einen großen Teil der Rittersdien Korrespondenz gilt die Feststellung, daß kein Thema so häufig Veranlassung und Hauptinhalt ist, wie die Bitte um finanzielle Unterstützung (den Galvanismus vielleicht ausgenommen). Jahre später noch beschreibt Schelling das ruinöse Verhältnis Ritters zum Geld in einem Brief an Cotta: »Da Sie midi wegen Ritter fragen, so muß ich sagen, daß er in den Metallversudien genauer ist, als im Metall Gebrauch im gemeinen Leben. Rathsam ist immer, sich mit ihm auf keine Vorschüsse etc. einzulassen. Dieß als Freund, und nadi gemachten Erfahrungen«!" Solche >Erfahrungen< hatten M

Eine nahezu vollständige Liste von Ritters Veröffentlichungen in Zeitschriften

gibt das Biographisch-Literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exakten 81

a

Wissenschaften, hrsg. von J. C . Poggendorff. Bd. II. Leipzig, 1863, S. 651—653. Unveröffentlichter Brief Ritters an Frommann vom 4. O k t . 1804. Goethe-SdiillerArchiv. Weimar. Brief von Schelling an Cotta vom Î J . N O V . 1807 in: Schelling und Cotta Briefwechsel 180J—/S49. Stuttgart, 1965. S. 23.



Metamorphosen eines romantischen Physikers

fast alle Bekannten aus Jena gemacht, und die finanziellen Probleme begleiten nicht nur ständig Ritters exzentrische Lebensweise in Jena, sie sind audi für sein trostloses Sterben in München entscheidend. Der Kontakt zu den jungen Intellektuellen, die Karoline Schlegel im Winter 1799/1800 in Jena an ihrem Mittagstisch versammelt, ist für Ritter keineswegs ohne Spannung. In gesellschaftlichen Formen, besonders aber an Bildung sind ihm die Schlegels, Schelling, Tieck und Steffens weit überlegen. Sie erkennen aber das vielversprechende Talent, und F. Schlegel nimmt sich des Autodidakten aus Schlesien besonders an. Wie später in der nur oberflächlich verschlüsselten Autobiographie Ritters zu lesen ist, müssen die pädagogischen Bemühungen Schlegels sehr ehrgeizig und strapaziös gewesen sein (vgl. F ι , X X I ) . Unwiderstehlich von dem geistigen Spannungsfeld der Romantiker und Naturphilosophen angezogen, gleichzeitig stimuliert und überfordert, schwankt Ritter zwischen der begeisterten Teilnahme an den romantischen »Saturnalien« und Perioden radikaler Zurückgezogenheit von der Welt, in denen er sein Zimmer oft wochenlang nicht verläßt. Dann stürzt er sich in seine Arbeit, experimentiert tage- und nächtelang, macht auch an sich selbst elektrophysiologische Versuche mit einer Rücksichtslosigkeit, wie sie zum Teil bis heute nie mehr wiederholt worden ist.2* Tritt er nach solchen Klausuren intensiver Arbeit wieder in die Welt, so geschieht auch das oft mit der gleichen Maßlosigkeit. Brentano, sonst nicht immer der verläßlidiste Zeuge, spricht doch wohl als Kenner der Verhältnisse, wenn er anläßlich des Todes des gemeinsamen Freundes August Winkelmann auch Ritters Lebensstil wie folgt charakterisiert: »Er (Winkelmann) hat sich audi eigentlich nicht durch Liederlichkeit geschwächt, . . . , sondern durch sein altes, Ritter nachgebildetes, ungewöhnliches Leben: langes Arbeiten, für einige Tage, Hungern, dann Schlafen, Trinken, Fressen für den Folgenden, Verliebttun, Verzweifeln, eine künstliche Empfindungsmanege; dazwischen Kränkung in Wahrheit, . . .«.24 Seine spärlichen Einkünfte aus Publikationen und gelegentliche Geschenke gibt Ritter ebenso unbedenklich für seine Experimente, wie für seine Exzesse aus, so daß er bald überall verschuldet ist. Audi darüber weiß Brentano zu berichten: »In einem Jahre hat er 1900 Taler zu Novalis Zeiten so zusammen gebracht, verzehrt, und sie sind sämtlich geschenkt worden. Dabei hat er es bis zu einem Hemde gebracht, das er gewöhnlich 6 Wochen trägt und dann keins, bis es gewaschen ist, und seine Lüderlichkeit geht so weit, daß er nun beinah alle Zähne verloren hat. . . . O Savigny, über das

23

Siehe hierzu die Dissertation v o n Dorothee H ü f f m e i e r : »Johann Wilhelm Ritter ( 1 7 7 6 — 1 8 1 0 ) und sein Beitrag zur Physiologie seiner Zeit.« Masdi. gesdir. Diss. Münster, 1 9 6 1 . Beschreibung der sinnesphysiologischen Versuche, S . 5 2 ff.

24

Brief von C l . Brentano an A r n i m von 30. Juli 1 8 0 6 in: R . Steig, B d . I, S. 1 7 2 .

Experimente im Spannungsfeld der Romantik

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Genie«!2® Das ist die Zeit, in der Dorothea Schlegel von ihrer »Kirche« schwärmt, in der F. Schlegel seine Kanzone »An Ritter« dichtet und seinen Bruder mehrmals drängt, den jungen Physiker, der an Gelehrsamkeit und kritischem Überblick Schelling und Steffens übertreffe, förmlich zur Teilnahme an seinem Journal einzuladen. 1 ' Obwohl Ritter natürlich Feuer und Flamme dafür ist, kommt es wahrscheinlich deshalb nie zu einer Mitarbeit an irgendeiner der romantischen Zeitschriften, weil August Wilhelm Schlegel aus größerer Distanz und ruhigerem Temperament die künstlerischen, besonders die stilistischen Fähigkeiten Ritters objektiver einsdiätzte als sein Bruder. Inzwischen war in der wissenschaftlichen Welt eine Entdeckung bekannt geworden, die der Forschung über den Galvanismus und die Elektrizität neuen Auftrieb gab: die galvanische Batterie von Volta. Audi Ritter hatte bereits in seinem ersten Buch den Gedanken geäußert, daß für galvanische Ketten ein additives Prinzip gelten müsse. Aber erst Volta baute eine Reihe von Ketten hintereinander und steigerte so durch einfache Addition Spannung und Stromstärke des Ganzen: Es beginnt die Periode des >Batterisierens< mit der Voltaschen Säule. Die diemischen Effekte des Galvanismus, die Reaktionen organischer Präparate und menschlicher Organe waren jetzt viel leichter und überzeugender zu demonstrieren. Alle Ergebnisse aus früheren Versuchen bestätigen sidi glänzend, und wenn es vor der Voltaschen Säule ein immerhin gewagter Entwurf war, den Organismus als ein System galvanischer Ketten aufzufassen, so war jetzt in der Säule selbst der Prototyp eines solchen Systems gefunden. Ritter zögert auch nicht, seine alte These in dem neuen Vokabular zu formulieren. Es heißt nun, jedes Tier sei ein geschlossenes physikalisches Ganzes, »eine geschlossene Galvanische Batterie unendlicher Glieder« (Bt. ι , IV, 241). Mit der Voltasdien Säule konnte nun auch ein Problem gelöst werden, das seit Galvanis Entdeckung diskutiert worden war: das Verhältnis von Galvanismus und Elektrizität. Bis zu Galvani war nur eine Art von Elektrizität bekannt, die Reibungs- oder wie sie audi genannt wurde, Masdiinenelektrizität. Ein geriebener Glasstab wurde elektrisch, d. h. die vorher sich neutralisierenden Ladungen wurden getrennt, und man konnte so von dieser Elektrizität als einer Erscheinung sprechen, bei der sich etwas Positives und etwas Negatives polar gegenüberstanden. Lichtenberg hatte die positive und negative Elektrizität in seinen Figuren sichtbar gemacht.

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28

Brief von Brentano an Savigny vom 24. Juni 1803 in: Das unsterbliche Leben. Unbekannte Briefe von Clemens Brentano. Hrsg. von Wilh. Scheiberg und Fr. Fuchs. Jena, 1939, S. 314. Brief von F. Schlegel an A. W. Schlegel vom 25. Aug. 1800 und vom 4. Sept. 1800, in: Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, hrsg. von O. F. Walzel. Berlin, 1890. S. 434 und S. 438.

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Metamorphosen eines romantischen Physikers

Ob der Galvanismus überhaupt ein elektrisches Phänomen dieser Art war, stand keineswegs fest. Voltas Interpretation des Galvanismus als eines reinen Kontaktphänomens legte natürlich die Identität mit der Reibungselektrizität nahe, die ja auch ein solches Kontaktphänomen ist. Die Argumente der Gegenpartei, zu der auch Alexander von Humboldt gehörte, liefen auf die beiden Einwände hinaus: a) Es schien einige Stoffe zu geben, die wohl Elektrizität leiteten, in einer galvanischen Kette aber Isolatoren waren. b) Der Galvanismus schien keine Polaritätserscheinung zu sein. Weil es im ersten Fall um die Einheit aller Naturkräfte, im zweiten um den dualistischen Urmechanismus aller Naturprozesse ging, ist das lebhafte Interesse besonders auch der romantisch-naturphilosophischen Wissenschaftler verständlich. Die beiden Einwände konnten mit den einfachen galvanischen Ketten wegen der schwachen Ströme nicht überzeugend widerlegt werden. Erst bei der Voltaschen Säule zeigte sich, daß die angeblichen Isolatoren nur relative hohe elektrische Widerstände darstellten, und die zwischen dem positiven und negativen Pol einer Säule herrschende Spannung konnte jetzt genau so wie bei der >Maschinenelektrizität< durch den elektrischen Funken demonstriert werden. Ritter publiziert nicht nur die Veröffentlichungen Voltas in seinen Beiträgen, sondern unterstützt dessen Argumente durch eine Fülle eigener Experimente, die alle auf die triumphierende Gleichung zulaufen: Galvanismus = Elektrizität. Damit war das Wesen des Galvanismus bestimmt, ein Schritt, vor dem sich Ritter bis dahin gehütet hatte. Von nun an erst werden beide Namen synonym gebraucht, ein Umstand, den man ζ. B. beachten muß, wenn man in den Fragmenten von Novalis beide Begriffe noch getrennt findet. Daneben gelingt Ritter die Entdeckung, die auf rein physikalischen Gebiet als sein wahrscheinlich wichtigster Beitrag anzusehen ist: Am 22. Februar 1801 um 12:30, wie er stolz in seinem Tagebuch festhält, findet er jenseits des sichtbaren Violett eine neue Art von Licht im Sonnenspektrum, die ultravioletten Strahlen (vgl. D, i n ) . Die Entstehungsgeschichte dieser Entdeckung läßt sich in seinem 4. Diarium gut verfolgen und ist deshalb interessant, weil sich hier an einem konkreten Fall nachweisen läßt, wie das berüchtigte Polaritäts- und Analogiedenken der romantischen Naturphilosophie zu einer wesentlichen wissenschaftlichen Entdeckung führte.27 27

Gewöhnlich w i r d unterstellt, daß die Naturphilosophie sich nur hemmend auf die Entwicklung der Naturwissenschaften in Deutschland ausgewirkt habe. S o schreibt D . Hüffmeier in ihrer Dissertation ζ . B., daß die deutsche medizinische Forschung um etwa 20 J a h r e zurückgeblieben sei, allerdings nicht durch Ritter, den sie eindeutig im L a g e r der Empiriker sieht. ( V g l . S. 2 und S. 7 3 fi.) A u f die Tatsache, daß die Naturphilosophie auch fördernd auf die Wissenschaft eingewirkt hat,

Experimente im Spannungsfeld der Romantik

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Zunächst wird über das sichtbare Spektrum spekuliert, und Ritter versucht, in der Spektralzerlegung einen Differenzierungsprozeß zu sehen, durdi den das Lidit zwischen den beiden Enden des Spetrums, Rot und Violett, polarisch ausgespannt wird. Rot und Violett sind Lichtpole, und Grün, das in der Mitte liegt, könnte der Äquator des Lichtes sein. Die Analogie zum Erdmagnetismus wird also durchgespielt. Der Galvanismus, nun als eine Polaritätserscheinung gesichert, geht ebenfalls in seine Spekulation ein. Die Brücke zwischen Licht und Galvanismus ist natürlich der elektrische Funke. Analogie und Augenschein fordern also, daß das Licht ein polarisches Phänomen ist. Dann kommt ein neues Moment in die Überlegungen hinein, die vorläufig meistens im Konjunktiv oder als Frage formuliert werden: Ritter hat von der Entdeckung der ultraroten Strahlen durch Herschel erfahren. Das Spektrum hatte sidi auf einer Seite erweitert, die Balance war gestört. Dem neuen, unsichtbaren Pol des Lichtes jenseits des Roten mußte ein anderer jenseits des Violetten entsprechen oder man mußte das ganze Polaritätskonzept aufgeben. Ritter ist dazu aber offensichtlich nicht bereit. Er versichert sidi im Gegenteil noch einmal ausdrücklich der Bedeutung des allgemeinen Dualismus der Natur, indem er Tabellen bekannter Polaritäten zusammenstellt: Hydrogen + Elektrizität Oxygen — Elektrizität

Südmagnetismus Nordmagnetismus

Violett Rot

Alkali Säure

Kalt Warm

(vgl. D, n o ) Herschel hatte seine ultraroten Strahlen durch ihren Wärmeeffekt nachgewiesen, ein Verfahren, daß offensichtlich für den vermuteten Gegensatz nicht anzuwenden war. Dagegen lag nahe, über die Gedankenbrüdce Licht—Galvanismus—Chemismus einen chemischen Nachweis zu versuchen. Das Ergebnis dieser Überlegungen, die sich analogisierend und von der Grundvorstellung eines Dualismus in jedem Naturphänomen ausgehend, von Seite 90 bis i n des Tagebuches weitertasten, ist schließlich das entscheidende Experiment, das die ultravioletten Strahlen in der chemischen Veränderung von Silberchlorid nachweist. Wendungen, wie >kaltes Licht< oder >dunkles Licht< haben jetzt eine reale Basis. Ritter teilt seine optischen Neuigkeiten sofort an allem, was mit Licht und Farben zu tun hat, Goethes verzeichnet zwischen dem 23. Februar Besudie Ritters, bei denen auch experimentiert

88

Goethe mit, dessen Interesse bekannt war. Das Tagebuch und 3. April 1801 mehrere wird. 28 An Schiller schreibt

machen dagegen audi F. Klemm und A. Hermann in eines romantischen Physikers. Johann Wilhelm Ritter bert und an Karl von Hardenberg. München, 1966 S.9. Vgl. die Eintragungen in Goethes Tagebuch, Weimarer S. 7 — I i .

der BriefSammlung: Briefe an Gotthilf Heinrich Schuaufmerksam. Vgl. Anm. 2, Ausgabe, III. Abt., 3. Bd.,

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Metamorphosen eines romantischen Physikers

Goethe, Ritter habe seine Gedanken wieder auf die Farbenlehre gelenkt," eine Bemerkung, aus der hervorgeht, was ihn dabei eigentlich und wieder einmal provozierte: die von ihm so oft schon bestrittene Zerlegung des Lichtes in die Spektralfarben. Ritter hatten ihm die Arbeit Herschels, die natürlich von der Newtonschen Spektralzerlegung ausging, zugeschickt. Als Goethe sie mit einem Antwortschreiben wieder zurücksendet, geht er auf die eigentlidie Entdeckung kaum ein. Er zweifelt sogar daran, daß Herschel wirklich neue Strahlen gefunden habe. Umso mehr polemisiert er gegen die Grundidee der Zerlegbarkeit des Lichts: Farbe müsse durchaus gegen das Licht als ein »Minus« angesehen werden, »immerfort soll das Helle aus Dunkelm zusammengesetzt seyn«, schreibt er bewegt und ruft schließlich nicht ohne Pathos aus: » . . . und aus diesen Finsternissen soll das Licht zusammengesetzt seyn«!S0 Goethe weiß, daß er hier mit einem Gleidigesinnten spridit. Ritter war einer der wenigen Wissenschaftler, die Goethes Farbenlehre gegen Newton unterstützen, wie er auch der einzige prominente Chemiker gewesen zu sein scheint, der Wasser für unzerlegbar hielt. Licht und Wasser waren allerdings für den, der Jakob Böhme und Schelling kannte, Stoffe besonderer Art. Alte und wieder zu Ehren gekommene Vorstellungen von den Elementen spielten hier mit. Von dieser Zeit schreibt Dorothea Schlegel an Clemens Brentano, Ritter habe den ganzen Winter »über sich selbst gesessen«, er sei krank, mißmutig und der Welt überdrüssig gewesen.81 Zwei Ereignisse sdiließen diese Periode, die er später einmal seine »Erlösungsgeschichte« nennt (F ι, X X X ) , ab bzw. markieren den Beginn einer neuen: der Tod von Novalis und das Freundschaftsverhältnis zu Herder. Über seinen intensiven und strapaziösen Experimenten — das 4. Diarium verzeichnet z. B. auf Seite 77, daß er zu Selbstversuchen vom j. Januar, 10 Uhr abends bis zum 9. Januar, 2 Uhr nachmittags »in der Batterie« gewesen sei — hat Ritter die Verbindung zu Novalis verloren. Als er sich am Ende seiner »Erlösunggeschichte«, in die vier Herzöge, ein Famulus, ein Buchhändler, ein geheimer Rat, ein Numismatikus, ein Schornsteinfeger, ein Historikus, ein Knabe, Voltas Säule, eine diemisierende Französin und noch viele andere verflochten gewesen seien,88 dem Freund

29

Brief von Goethe an Schiller vom j. April, 1801. Muncker, Bd. IV, S. 73.

80

Brief von Goethe an Ritter vom 7. März 1801. Von Ritter mit eigenen Anmerkungen in Gehlens Journal, Bd. 6 (1808), S. 719—728 veröffentlicht. Dies scheint der einzige vollständig erhaltene Brief aus der Korrespondenz an Ritter zu sein.

81

Dorothea Schlegel an Cl. Brentano am 13. März 1801, in: J. M. Raich, Bd. I, S. 21.

58

Seine »Erlösungsgeschidite« beschreibt Ritter in der Autobiographie, die den größten Teil der Einleitung in die Fragmentensammlung, Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers, i.Bddi. Heidelberg, 1810, ausmacht. Vgl. FI, S. X X X .

Experimente im Spannungsfeld der Romantik

35

wieder zuwenden will, ist dieser gestorben, und Ritter versucht, das mit Novalis Verlorene bei Herder wiederzufinden. E r beschreibt diese genaue Entsprechung in seiner Autobiographie, in der er den Besuch Novalis' so eindringlich geschildert hatte, mit der Wendung: maßen der Gegenbesuch bey Novalis

» . . . es wurde gewisser-

. . . « (F i , X X X I ) . Mit Herder als Inter-

preten studiert Ritter die Älteste Urkunde

und Teile der Ideen, und von nun

an wird die historische Perspektive in Ritters Werken sichtbar.

Weitaus-

greifende, Ursprung und Entwicklung des Menschen, der Erde, der Wissenschaften verfolgende Theorien Ritters sind erst unter dem Eindruck der H e r derschen Schriften entstanden. 33 A n Savigny schreibt er: »Ich bin beym Ob. Consistor. Praesident Herder wie zu Hause. E r ist für mich eine reiche Quelle herrlicher Notizen für meine jetzigen Arbeiten . . .«.' 4 Ritter revanchiert sich, indem er Herder praktisch und theoretisch in die Geheimnisse des Galvanis-

33

34

Die vier Herzöge sind natürlich die für die Universität Jena verantwortlichen H ö f e ; der Buchhändler ist Frommann; der geheime R a t ist Goethe, der Historikus Majer, mit dem Ritter eine Zeit lang zusammen lebte, die chemisierende Französin ist Madame de Gachet, die eine Zeit lang Ritters Geliebte war. Sie gehörte zu den französischen Emigranten, die nach der Revolution Frankreich verlassen mußten. Ihre Geschichte ist deshalb interessant, weil sie die Verfasserin der Mémoires de Stephanie de Bourbon-Conti sein soll, die Goethe zu seiner Natürlichen Tochter verarbeitet hat. Man vergleiche dazu: K . A . Varnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften, Bd. I. Mannheim, 1837. S. 444 bis 455. V . E n s e berichtet über die erstaunlichen Fähigkeiten der Madame Gachet, zu denen eben auch eine überraschende Bildung auf chemischem Gebiet gehörte. Die Kenntnis über ihr Schicksal hat v. Ense von F. Schlegel, der ebenfalls mit ihr in intimer Verbindung stand, und auch Cl. Brentano schreibt Lobeshymnen über sie an seine Schwester Bettina, vor der Madame de Gachet galvanische Experimente macht. (Vgl. z. B. Konrad, Bd. I. S. 47 ff.) Über die anderen Personen hat Cl. Brentano folgende Vermutungen, die er in einem Brief an Savigny vom 13. März, 1 8 1 0 äußert: » . . . u n t e r dem Numismatiker meint er (Ritter) Leonhardis geschenkte Goldmünzen; ob ich der Knabe oder Buch, oder ich der Schornsteinfeger sein soll? —« Siehe: Schelberg-Fuchs, S. 434. Das gilt insbesondere von seiner Schrift Physik als Kunst, über die er am 1. April 1806 an Oersted schreibt: »Der Prolog m. Rede ist, wenn du willst, nichts als eine treue Übersetzung der Urkunde (Herders Älteste Urkunde des Menschengeschlechts), mit Rücksicht auf den Schluß von Kants Kritik der Urteilskraft, besonders wie ihn Baader in der Elementarphysiologie ausgedrückt.« In: Correspondance de H. C. Oersted avec divers Savants. Hrsg. von M. C. Harding. Bd. II. Copenhagen, 1920. Siehe S. 159. Einen ausführlichen Überblick und eine tiefgreifende Analyse der Herderschen Naturphilosophie, auch eine Diskussion seines Einflusses auf die Romantik und Ritter, gibt die umfassende Dissertation von H . B. Nisbeth: » J . G . H e r d e r and the Philosophy and History of Science.« 2 Bde. (Diss. University of Edinburgh). Edinburgh, 1965. Zitiert nach: »Drei Briefe von Johann Wilhelm Ritter« von Carl von Klinckowstroem, in: Der grundgescheute Antiquarius. Bd. I, 4. u. j . Heft. München, 1 9 2 1 . S. 125 (Brief vom 13. Juli 1801).

Metamorphosen eines romantischen Physikers

mus einweiht. Seinem Verleger Frommann berichtet er beispielsweise, audi bei Herder batterisiere er, und der alte Herr verstehe redit gut." Ritter zieht um diese Zeit, wie sich Karoline Schlegel ausdrückt, »ambulant« mit seiner Voltasdien Säule durchs Land," macht weitere elektrophysiologisdie Versuche, Experimente zur nach seiner Meinung nur angeblichen Zersetzbarkeit des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff, zur diemisdien Wirksamkeit des Magnetismus, über Zusammenhänge von galvanischen, optischen, chemischen und elektrischen Erscheinungen und veröffentlicht dies alles in verschiedenen Zeitschriften und in einer neuen Folge seiner Beiträge (Bt i, III u. IV; Bt 2, I u. II). Der Herzog von Gotha lädt ihn zu Experimenten an seinen Hof ein, und Ritter verbringt mehrere Wochen im Januar und Februar 1802 damit, der Hofgesellschaft galvanische Vorlesungen zu halten und die eigenen Forschungen weiterzutreiben. Inzwischen hat er auch die Bekanntschaft des dänischen Naturforschers Oersted gemacht, mit dem ihn von nun an eine lebenslange Freundschaft verbindet. Oersted ist es audi, der sich jetzt daran macht, seinen Mentor Ritter in der internationalen wissenschaftlichen Welt bekannt zu machen.

j. Ganzheit durò Elektrizität und Entdeckungen für Paris Schon 1801 war im Journal de Physique ein Bericht mit dem Titel »Notice des Phénomènes d'attraction et de répulsion, dépendant de la pile Galvanique, observés par M. Ritter, á Jena: Communiquée par le professeur Pfaff de Kiel« erschienen.'7 Hierin hatte Chr. Heinrich Pfaff, später ein kritischer, aber fairer Kommentator von Ritterschen Arbeiten, über Versuche berichtet, in denen die aus der traditionellen Elektrostatik bekannten Anziehungs- und Abstoßungskräfte auch im Galvanismus nachgewiesen worden waren. Es ging natürlich um die Identität von Galvanismus und Elektrizität, und Pfaff hatte diesen Punkt auch ausdrücklich erwähnt; es zeige sich also, »que les lois de l'électricité se retrouvent de même dans les phénomènes du galvanisme« (1J4). Aber erst Oersted gelang es, durch eine regelrechte Propagandakampagne für Ritter, die internationale Fachwelt, und die war um diese Zeit praktisch 36

Unveröffentlichter Brief Ritters an Frommann vom 14. April, 1801: »Ich habe da (bei Herder) batterisirt, wie nirgends. Er versteht recht gut.« Goethe und SdiillerArdiiv. Weimar. (Inzwischen veröffentlicht von E. Rehm. Siehe: Bibliographie.) " B r i e f von Caroline an A.W.Schlegel, 6. Juli 1801: »Im Anfange des Sommers zog er eigentlich ein wenig im Lande umher mit einer Voltaisdien Batterie ambulante oder Galvanische Artillerie volante, in Gotha besonders ließ er sie von dem Herzog spielen und sonstigen hohen Personen.« In: Caroline, Briefe aus der Frühromantik, nach Georg Waitz, vermehrt und hrsg. von Erich Schmidt, Bd. II. Leipzig, 1913. S. 186. 37 Journal de Physique, Bd. 53 (1801). S. i $ 2 — 1 5 5 .

Ganzheit durdi Elektrizität und Entdeckungen für Paris

37

identisch mit der französischen, aufhordien zu lassen. Als Korrespondent seines Freundes, denn Ritter beherrschte Französisch nidit in ausreichendem Maße, publiziert er im Journal de Physique in mehreren Aufsätzen einen Überblick über die. wichtigsten Arbeiten Ritters.®8 Die Artikelserie beginnt mit dem Neuesten, der Ladungssäule, d. h. einerArt zweiter Voltascher Säule, die ein Vorläufer der heutigen Batterien ist. Auch an dieser Entdeckung Ritters, die vielleicht sein bekanntester Beitrag zur physikalisdien Forschung ist, ließe sich demonstrieren, wie das naturphilosophische Denken nadi Analogien und im Polaritätsschema zu einem konkreten Fortschritt in der Wissenschaft führte." Das Aufsehen, das Oersteds Veröffentlichungen und Demonstrationen vor den Physikern des französischen Nationalinstituts erregte, muß beträditlidi gewesen sein, denn Ritter wird aufgefordert, sich um den von Napoleon gestifteten Galvanischen Preis zu bewerben. Oersted konnte zudem die Spannung, mit der man in Paris die Dinge verfolgte, noch dadurch steigern, daß er seinen Artikeln Ankündigungen weiterer, ganz neuer Entdeckungen beifügte, von denen ihm Ritter gerade brieflich Mitteilung gemacht habe. Hier handelte es sidi allerdings um zwei >Entdeckungentierischen Magnetismus< und zeigen im übrigen wieder ein, wenn nidit das Grundschema des romantisch-naturphilosophischen Denkens: zu jedem Phänomen ein analog gebautes Gegenphänomen zu suchen, das aber die Eigenschaften des ersten nicht wiederholt, sondern umkehrt; zu jeder Welt eine korrespondierende — hier verinnerlidite — Gegenwelt zu konstruieren. w

Journal de Physique, Bd. 57 (1803). S. 345—368 und S. 4 0 1 — 4 1 1 . Daß Ritter hier wahrscheinlich durch den Polaritätsbegriff der Naturphilosophen angeregt wurde, hat bereits W. Ostwald, der Verfasser der Elektroàemie vermutet. Siehe dazu: Wilhelm Ostwald, Abhandlungen und Vor träge. Leipzig, 1904. S. 378.

Metamorphosen eines romantischen Physikers



Charakteristisch für Ritters Verfahren in dem vorliegenden Fall ist, daß der Ausgangspunkt nidit mehr das Experiment ist, sondern die Spekulation in dem Gegensatzschema von Elektrizität und Magnetismus. Seine zweite >EntdeckungDie Kirche der GötterCampettiade< ist nach außen hin durch die Auflösung der Kommission Ende 1807 markiert, im wesentlichen aber auf die Kampagne zurückzuführen, die Gilbert in den Annalen der Physik gegen diesen höheren Galvanismus führt. Vor allem in den Bänden 26 und 27 (1807) werden die an anderer Stelle erschienenen Darstellungen der Pendelexperimente abgedruckt und von Gilbert jeweils mit einem kritischen Kommentar versehen." Die angeblich ohne mechanische Ursache beginnenden Schwingungen erklärt er als Folge von unwillkürlichen Bewegungen der Hand, die das Pendel hält. Darüber hinaus ist die Vorstellung, daß solche Experimente nur von besonders gesegneten Individuen erfolgreich wiederholt werden konnten, für den Wissenschaftler von vornherein undiskutabel. Die »Erklärung« mit der Gilbert seinen Feldzug gegen Ritter beginnt,'7 bringt einige überraschend beziehungsreiche Formulierungen und treffende Sarkasmen zu dem delikaten Verhältnis zwischen der romantischen Physik und den Methoden der »Professionistenzunft«, wie Ritter sie apostrophierte. Gilbert, dem seit den Arbeiten zu den Periodizitäten in der Natur schon nicht wohl bei den Publikationen des »poetisch-philosophischen«'8 Physikers Ritter gewesen ist, geht natürlich mit diesen neuen »Tändeleien aus der poetischen Physik«" hart ins Gericht. Bewußt oder nicht, jedenfalls in erstaunlicher Parallele zu der bekannten Wendung von Novalis, nennt er »Zahl, Maaß und Gewicht« die wahren »Zaubersstäbe des Physikers70 und schließt seine »Erklärung« mit dem Satz: »Sollten wir auch durch sie [die Pendelversuche] zu keiner Ansicht (neuen oder alten) electrisdier Kräfte gelangen, so werden doch Untersuchungen dieser Art für die Täuschungen durch die Sinne und

" a Baader, Sämtliche Werke, hrsg. F. Hoffmann, 15. Bd., S. 219. " Annalen der Physik, hrsg. von Ludwig Wilhelm Gilbert. In Bd. 26 (1807), S. 369 bis 449. Fortgesetzt in Bd. 27 (1807) S. 1—77. Gilbert gibt dann nodi einen Uberblick über diese Phänomene im 27. Band, S. ij8—220, und druckt am Sdiluß des Bandes nodi einen kritischen Bericht von W. Jungius ab, in dem dieser die erfolglosen Versuche des Ritter-Freundes Gehlen mit Pendeln beschreibt. Vgl. S. 221 bis 230.

•7 Annalen der Physik, Bd. 26, S. 381—399. 68 Annalen der Physik, Bd. 26, S. 394. " Annalen der Physik, Bd. 26, S. 396. 70 Annalen der Physik, Bd. 26, S. 394.

Die Sprache der Pflanzen und ein >Nachlaß zu Lebzeiten
Entdeckungen< zur Sprache kommen. Ritter überlebt zwar diese Kampagne und ist keineswegs von den Gegenargumenten überzeugt, aber sein wissenschaftlicher Ruf innerhalb und außerhalb Deutschlands ist schwer angeschlagen. Darüber kann audi nicht die spätere Einladung zu dem »déjeuner physique« hinwegtäuschen, das Schelling zwisdien Madame de Staël und Ritter arrangiert, und bei dem Ritters Autorität in Sachen der deutschen Naturwissenschaft für De l'Allemagne konsultiert wird.78 Als Wesentlichstes seines Ausflugs in den Okkultismus, zu dem neben dem Geschilderten audi seine Beschäftigung mit dem Somnambulismus gehört, ist festzuhalten: a) Es handelt sich nicht um eine zweite, ganz neue Periode in Ritters Forschungen, sondern es ist die konsequente Fortsetzung, sogar das eigentliche, bisher verborgene Ziel aller seiner Bemühungen auf dem Gebiet des Galvanismus. b) Ritter glaubt, daß sich die alte Sehnsucht der Romantiker, auch die unbelebten Körper der Erde zum Sprechen zu bringen, die Botschaft, die das fließende Wasser für den Menschen hat, zu verstehen und das in den Metallen versteckte Leben zu fühlen, kurz: daß sich der Traum, den Dialog zwisdien dem Menschen und der seit langem verstummten Natur wieder führen zu können, jetzt erfülle. c) Im Siderismus offenbart sich die Sternenverwandtschaft der Erscheinungen auf der Erde; das Universum wiederholt sich in einem von Menschen gestifteten, neuen Kosmos.

y Die Sprache der Pflanzen und ein >Nachlaß zu Lebzeiten< Nur durch die beschriebenen äußeren Umstände dazu gezwungen, gibt Ritter seine Arbeit an der siderischen Physik vorläufig auf. Er wendet sidi wieder der konventionelleren Wissenschaft zu. Humphry Davy hatte die Existenz von Metallen in den Stoffen nachgewiesen, die traditionell zu den Erden gezählt wurden, den Alkalien. Die Erden waren gerade die Stoffe, die man immer bei der Betrachtung des Galvanismus als Nichtleiter dieses Lebensfluidums hatte ausschließen müssen, sie waren gewissermaßen das Unlebendigste der sogenannten toten Natur. Die Vorstellung, daß mit den Metallen 71 72

Annalen der Physik, Bd. 26, S. 399. Die Einladung an Madame de Staël ist abgedruckt bei: Fuhrmanns, S. 397. Eindeutige Spuren Ritters in De l'Allemagne habe idi nidit entdecken können.

J4

Metamorphosen eines romantischen Physikers

audi die Möglichkeit von Galvanismus in den >Erden< gegeben war, elektrisierte natürlich Ritter. Er ist einer der ersten in Deutschland, der die Davy'schen Versuche erfolgreich wiederholt und damit glaubt, den Tod aus einem weiteren Bereich der Natur vertrieben zu haben.7® Entwürfe zu einer größeren Arbeit über den Zusammenhang von Elektrizität und Magnetismus entstehen, weitere elektrophysiologische Versuche an Fröschen werden der Akademie vorgetragen. 74 Angeregt durch eine Arbeit Oersteds über die Chladnischen Klangfiguren verfaßt Ritter eine Abhandlung über akustische und elektrische Schwingungen mit Spekulationen über Musik, Sprache und Schrift75 und kommt schließlich zu seiner letzten, großen, wissenschaflichen Arbeit: »Elektrische Versuche an der Mimosa pudica L, in Parallele mit gleichen Versuchen an Fröschen«. 76 Es ist dies die erste größere Abhandlung über die Elektrophysiologie der Pflanzen in Deutschland, und noch 1924 kann ein wissenschaftlicher Kommentator darüber nur sagen, Ritter habe schon 1809

75

Die beiden Vorträge, die Ritter über Davy's Versuche vor der Akademie hält, erschienen in: Denkschriften der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München. 1808. »Versuche und Bemerkungen bey Gelegenheit einer ersten Wiederholung von Davy's Versuchen über die Darstellung metallähnlidier Producte aus Kali und Natron durch den negativen Pol der Voltaischen Säule«, S. 179—200. Dann: »Fernere Versuche und Bemerkungen über Davy's metallähnliche Producte aus Alkalien; nebst einer Revision der Geschichte des Pyrophors und anderer Selbstzünder dafür, und der Zusammenstellung älterer Erfahrungen, welche ähnliche Producte auch für verschiedene Erden wahrscheinlich machen.« S. 201—256. Auszüge dieser Abhandlungen erschienen auch in: Journal für die Chemie, Physik und Mineralogie, hrsg. von Adolph Ferdinand Gehlen. Bd. 5 (1808). S. 302—318 und S. 439—482. F. H. Jacobi, inzwischen Präsident der Münchener Akademie, schickt seinem alten Freund Goethe einen Auszug aus den Rittersdien Arbeiten mit der Bemerkung: »Er wird gerade dir besondere Freude machen.« (Brief vom 19-/23. Februar, 1808.) In: Briefwechsel zwischen Goethe und F. H. Jacobi, hrsg. von Max Jacobi. Leipzig, 1846. S. 246. Goethe äußert sich jedodi in seinem Antwortschreiben nicht zu diesem Artikel, wohl aber zum Siderismus, eine Schrift, die er »höchst interessant und in mehr als einem Sinne fördernd« findet, »wenn man sie nicht academisch, sondern menschlich und wissenschaftlich (sie!) nimmt«. Vgl. S. 247 f. 74 »Neue Versuche über den Einfluß des Galvanismus auf die Erregbarkeit thierischer Nerven« in: Denkschriften (1808), S. 257—278. 75 Erschienen als »Anhang« in: Fragmente, 2.Bdch. S. 232 ff. 7 'In: Denkschriften (für die Jahre 1809/1810). München, 1 8 1 1 . S. 245—400. Die Abhandlung ist von R. L. Ruhland ediert, der auch einen Auszug davon veröffentlicht in: Journal für Chemie und Physik, hrsg. von J. S. C. Schweigger. Bd. I (1811). S. 409—446. In diesem Journal, das Gehlens Journal ablöste, erschienen auch die einzigen posthumen Veröffentlichungen aus hinterlassenen Papieren Ritters. Sie sind jedoch relativ unbedeutend. (Vgl. Bd. I, S. 2j2 ff., S. 400 ff.; Bd. II, S. 231 ff.; Bd. III, Beilage, S. 10 ff.)

Die Sprache der Pflanzen und ein >Nachlaß zu Lebzeiten«

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»die meisten wesentlichen Erscheinungen, die überhaupt bisher bei der Elektronastie beobachtet sind, festgestellt«.77 Man erinnert sich, daß Ritter bereits in seinem Beweis die Zuversicht geäußert hatte, audi das Pflanzenreich werde sidi dem Galvanismus nicht verschließen. In dieser letzten, neben dem Erstlingswerk besten wissenschaftlichen Arbeit, macht er die Probe aufs Exempel. Die verschiedenen Teile einer Mimose werden elektrisch gereizt, elektrisch geladen, und die Reaktionen der empfindlichen Mimosenblätter auf solche Polarisierungen beschrieben. Jedem Experiment mit der Mimose wird das entsprechende des tierischen Präparats direkt beigefügt, so daß eine, auch in der Darstellung auffällige Parallelität zwischen Pflanze und Tier sichtbar wird. Pflanzen und Tiere erscheinen als Geschöpfe, die sich spiegelbildlich entsprechen, und das in dem genauen Sinne einer umgekehrten Abbildung. Ritter formuliert sein Ergebnis in den Worten, man habe es bei den Mimosen mit »Thieren unter Pflanzengestalt«, bei den Fröschen mit »Pflanzen unter Thiergestalt« zu tun.78 Bemerkenswert daran ist wieder, daß eine alte naturphilosophische Vorstellung, die audi den Romantikern geläufig war, experimentell konkretisiert wird. Die oft beschworene Verwandtschaft aller Kreatur präsentiert Ritter in dieser Schrift durch genau alternierende Versuche, die diese Verwandtschaft in einem genau definierten Sinn augenfällig macht. Darüber hinaus gelingt es ihm, durch die Mimose eine Reaktion aus einem Naturbereidi zu erhalten, der immer als der stummste, dem Menschen entfernteste Bezirk der organischen Natur gegolten hatte. In einem gewissen Sinne, d. h. durch eine im System des Galvanismus deutbare Reaktion, sprachen die Pflanzen zum Menschen. Ritter schreibt daher auch, die Pflanzen seien gar nicht, wie man immer angenommen habe, in sich verschlossene Wesen; sie antworteten, wenn man sie richtig frage, und genau das habe er in seinen Versuchen getan.78 Nicht in seiner »Mimosa pudica«, wohl aber in einem Brief an Oersted, steht außerdem die verräterisch-charakteristische Bemerkung, daß die Mimose audi auf die bloße Nähe eines menschlichen Körpers reagiere, besonders, wenn man nodi nüchtern und »durchexaltiert« sei (vgl. Hd. 241). Und Ritter fährt fort: »Es wäre doch ganz außerordentlich schön, endlich nodi an Pflanzen die Hauptthatsadien des thier. Magnetismus objectiv machen zu können, u. fürwahr, wer eine Mim. pudica bey höchster Empfindlichkeit sah, wird das nicht für unmöglich halten« (Hd. 241). Man sieht, der Okkultismus ist keineswegs tot; es gibt noch immer höhere Kom77

78 78

Zitiert nach D. Hiiffmeiers Dissertation, S. 69. Sie bezieht sich dabei auf: K. Stern, Elektrophysiologie der Pflanzen. Monographien aus dem Gesamtgebiet der Physiologie der Pflanzen und Tiere. Berlin, 1924. Denkschriften der Akademie. München, 1 8 1 1 , S. 354. Des Freiherrn Carl Erenbert von Moll Mittheilungen aus seinem Briefwechsel. Bd. III. Augsburg, 1834. Vgl. S. 631.

Metamorphosen eines romantischen P h y s i k e r s

munikationsmöglidikeiten mit der Natur, und bei den Mimosen könnte man das Phänomen sogar objektiv demonstrieren. Neben den erwähnten wissenschaftlichen Arbeiten hat sich Ritter seit A n fang des Jahres 1809 daran gemacht, aus seinen Tagebüchern, von denen nur das bereits zitierte erhalten ist, und aus anderen Papieren eine Sammlung von Fragmenten zusammenzustellen, die dann unter den Titel: Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers, Ein Taschenbuch für Freunde der Natur erscheint. Es handelt sich um zwei Bänddien, die eine Autobiographie Ritters, dann 700 Fragmente und schließlich einen »Anhang« enthalten, der die bereits erwähnten Gedanken zur Akustik, zur Musik und Sprache bringt. Weil diese Fragmente neben der Rede Physik als Kunst so etwas wie das literarische Testament Ritters darstellen, weil es außerdem — um mit Richard Samuel zu sprechen — so etwas wie ein »Rätsel« dieser Fragmente gibt,80 verdient diese Sammlung besondere Beachtung. Das Rätsel, von dem R . Samuel spricht, ist die seit Heilborns Buch Novalis, der Romantiker in der Literatur über die Romantik herumgeisternde Frage, ob Ritter nicht Fragmente aus dem Nachlaß von Novalis in seine Sammlung eingearbeitet habe. Daraus würde dann das Problem entstehen, Novalisfragmente aus den Ritterschen Fragmenten herauszupräparieren, eine Aufgabe, vor der schon der Erfinder des Problems, Heilborn selbst, zurückschreckte. Aber Heilborn besteht nicht nur darauf, daß Ritter in seinen Fragmenten Material seines Freundes Novalis »mit eigenem Material und eigenen Einfällen verschmolzen« habe, er meint auch, daß man kaum irre, wenn man das Prosafragment aus den »Nachtgedanken«, das die Einleitung der Fragmente mitteile, Novalis zuschreibe. Er fährt fort: »Vielleicht kristallisieren sich aus solchen mannigfachen Stimmungsskizzen seine »Hymnen an die Nacht.«" Das Bruchstück einer Stimmungsskizze, auf das sich Heilborn hier bezieht, ist von Ritter in die Biographie am A n f a n g der Fragmente eingeschoben. Es soll, wie er mitteilt, im Sommer 1799 entstanden sein »an einem einsamen Platze der Saale vor Jena der Stadt gegenüber«, w o er »bis 1 Uhr in stiller Betrachtung« gesessen habe ( F i , X I I I ) . Der Text, in dem Heilborn den Ursprung der »Hymnen an die Nacht« vermutet, lautet: S o ist es endlich kühle, und mein Geist f ü h l t sich gestärkt. D a s heiße G e t ü m m e l des T a g e s hat sich gelegt, der Schlaf hat sie alle besänftiget. N u r ich allein ging dir v o l l H o f f n u n g entgegen, stille freundliche N a c h t , u n d du hast m i d i nicht getäuscht. D i r gab der Herrliche die Macht, der E r d e den Frieden z u geben, den sie sidi selbst nicht erlauben w o l l t e . U n d hätte sich alles gegen einander entzündet, 80

81

Richard Samuel, »Zur Geschichte des Nachlasses Friedrich v o n Hardenbergs«, i n : Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschafl, 2. Jg., 1958. S. 3 0 1 — 3 4 7 , bes. S. 338 ff. Samuel bedauert dort auch, d a ß es noch immer keine kritische A u s g a b e der R i t terschen F r a g m e n t e gebe. Siehe: S. 341. Heilborn, Novalis der Romantiker, S. 13J.

Die Sprache der Pflanzen und ein >Nadilaß zu Lebzeiten«

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siehe, da kommst du, und löschest den Brand, daß er nicht um sich greife. Gern, Allgegenwärtiger! möcht' ich dich preißen dafür, aber du weißt die Schwäche des Sterblichen, und verkennest im Willen die That nicht. Ich trete vor dich mit reinem Gewissen, denn nichts hat mir den Tag getrübt; ich breite mein Leben aus vor dir, laß es dir gefallen, sieh' herab, und sey mir gnädig. Ernst war dein Antlitz zur Zeit des Tages, denn gütlich gab sich keiner zur Ruhe. Die Furcht vor dir hat sie zum Schweigen gebracht, und nun erst sind sie, wie sie dir gefallen. Jetzt darfst du auch dem Sünder lächeln, auf daß er's wisse, auch mit ihm habest du's gut gemeint. (F ι , X I I I f.) Es fällt schwer, hier die Handschrift von Novalis zu erkennen. Der Unterschied in stilistischer Qualität und Erlebnisintensität ist unübersehbar. Ritters Text gibt nur das für ein sentimentales Nachempfinden charakteristische Gefühlsklischee in leicht angehobener Tonlage, die sich dadurch für poetisch hält. Was die Fragmente selbst angeht, so gibt es allerdings einige Indizien, die eine Übernahme von Hardenbergsdiem Material als möglich erscheinen lassen. F. Schlegel schreibt am 6. April 1801 an seinen Bruder: »Auf den philosophischen und physikalischen Nachlaß mache ich nebst Ritter Anspruch«. 82 Ritter erhält auch tatsächlich einiges Material von Novalis' Bruder Karl von Hardenberg. Aus einem jetzt veröffentlichten Brief Ritters an den Bruder von Novalis geht ferner hervor, daß Ritter dieses Material auch in München noch hat. 83 Ob er es aber in seine Fragmente eingearbeitet hat, ist eine offene, vielleicht unbeantwortete Frage. In Anbetracht des romantischen Symphilosophierens könnte darüber hinaus ein Versuch, durch philologische Mittel Fragmente von Novalis aus der Ritterschen Sammlung herauszufiltern, zudem überflüssig sein. Auf der anderen Seite läßt sich in einem Falle Ritters Aussage, seine Fragmente stammten unter anderem aus seinen Tagebüchern, konkret belegen. In dem bereits zitierten 4. Diarium

gibt es 69 Fragmente, die den wissen-

schaftlichen Text zwischen den Seiten 1 4 6 — 1 5 3 unterbrechen.84 Eine Reihe 81 83

84

Siehe O. F. Walzel, S. 475. Vergleiche den Brief von Ritter an Karl von Hardenberg vom 5. August 1808, bei F. Klemm und A. Hermann, S. 46. Ritter schreibt: »Auch werde ich ihnen, da nodi vielerley, was des Druckes würdig ist, sich darunter befindet (nemlich eine Menge chemischer, physischer, physiologischer u. dichterischer Fragmente), alles was ich von ihm verwahre, mit der fahrenden Post zusenden, mit Ausnahme blos Eines Blattes, welches ich Ihnen nennen werde: des Brouillons von der Zueignung des Ofterdingen. Sie werden mir dies gern als Reliquie von dem Seeligen lassen.« Die Sendung ist allerdings nie abgeschickt worden. Wie sehr Ritter besonders die Fragmente von Novalis schätzte, geht aus einem Brief Brentanos an Savigny (etwa 14. Juni, 1803) hervor, in dem es heißt: » . . . N o v a l i s ' zweiter Band (die Fragmente enthaltend) ist seine größtes Kunstwerk.« Siehe: Scheiberg-Fuchs. S. 308 f. Diese merkwürdige Zusammenstellung von Fragmenten könnte es sein, auf die sich Goethes etwas rätselhafte Tagebucheintragung vom 24. Februar 1810, bezieht:

Metamorphosen eines romantisdien Physikers

dieser Fragmente wird später in die Sammlung aufgenommen. Außerdem erscheinen bereits im Jahre 1807 in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände unter dem Titel »Funken« 16 Fragmente Ritters, allerdings nicht unter seinem Namen, und Ritter berichtet später, daß er einem Freund einmal erlaubt habe, sie zu kopieren, daß er aber die Veröffentlichung im Morgenblatt ohne sein Wissen geschehen sei.85 Ganz sicher gibt es also konkrete Gründe, die für die Existenz von selbständigen Fragmentensammlungen Ritters sprechen. Die Annahme, Ritter habe den Nachlaß von Novalis verwendet, ersdieint nicht notwendig, kann aber auch nicht eigentlich widerlegt werden. Inhaltlich sind die Fragmente Ritters kaum zusammenfassend zu charakterisieren, denn sie befassen sich mit sehr verschiedenen Gebieten. Die Mehrzahl ist naturwissenschaftlicher Art, einige sind auch »bloz dem Scherz und Wiz gewidmet« (Hd. 228), absichtlich — so sagt Ritter — habe er audi »falsche Fragmente« stehen lassen (vgl. F i , X C V ) und von einigen meint er mit entwaffnender Offenheit: »Aber, manche Fragmente selbst wird man nicht verstehen. Mit mehrern ist es mir selbst so gegangen. Nicht, als ob Zusammenhang darin fehlt, sondern um des Gegenstandes, und der Höhe und Art seiner Ansicht wegen. Auch kamen Worte und Ausdrücke darin vor, die ich weder bei Gehler, noch Fischer, zu finden im Stande war. 86 Aber gleich vor- und nach her standen oft wieder verwandt, die vollkommen klar waren, und so dachte ich, müßten es ihm wohl auch jene in der Mitte gewesen seyn, und ich befände midi nur gerade nicht auf der Höhe der Prämissen, und in der sie von selbst herbeybringenden Stimmung des Gemüthes, auf und in welcher der Verfasser war, als er sie schrieb« ( F i , L X X X I X ) . Ritter wollte seine Fragmente zwischen Novalis und Lichtenberg sehen. Was immer das heißen mag — und idi vermute, daß er seine Aphorismen für poetischer als die Lichtenbergsdien, aber für wissenschaftlicher als die Fragmente von Novalis hielt — Ritter steht mit dieser literarischen Form in einer Tradition, die besonders seine Nachbarschaft zu romantischen Darstellungsformen nicht verleugnen kann. Es ist gewissermaßen so, als liefere er jetzt seinen verspäteten Beitrag zu den Fragmentensammlungen der Romantiker

85

ββ

»N. B. Ritter der sein Tagebuch supplirend verfälscht.« In: W A , III. Abt., Bd. LV, S. 98. Jedenfalls scheint es bereits um diese Zeit Gerüchte gegeben zu haben, daß die Rittersdien Fragmente eine dubiose Entstehungsgeschichte haben könnten. Siehe: Morgenblatt für gebildete Stünde. 1. Jg. (1807), Nr. 84. S. 335. Vgl. audi: Fragmente I, S. X C V f. J. S. T. Gehler, Physikalisches Wörterbuch oder Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bde. I—VI. Leipzig, 1786 bis 179$. Joh. Karl Fischer, Physikalisches Wörterbuch oder Erklärung der vornehmsten, zur Physik gehörenden Begriffe und Kunstwörter. 10 Theile und Register. Göttingen, 1798—1827.

Die Sprache der Pflanzen und ein >NachIaß zu Lebzeiten
Schlagweite< dieses Funkens, die das einzigste Meßphänomen der Elektrizität darstellte. Als nach der Voltaschen Säule auch der Galvanismus das elektrische Feuer< zeigte, als Franklin den Blitz als gigantische elektrische Entladung gedeutet hatte, war die universale Bedeutung dieser elektrischen Liditerscheinung offenbar. Von hier aus beginnen dann auch die ersten Spekulationen über die Verwandtschaft von Licht und Elektrizität. Bei Ritter, der den Gedanken Kants alle Naturkräfte seien nur Modifikationen einer einzigen, als einer der ersten empirischen Wissenschaftler wirklich ernst nimmt,31 wird diese Verwandtschaft natürlich zu einer Identität. Es stützen ihn allerdings hier nicht nur seine galvanischen und s

' Gehlens Journal, Bd. 3 (1807). »Betrachtungen über die Geschichte der Chemie.« S. 1 9 4 — 2 3 1 . Vgl. bes. S. 2 1 1 f. 30 Chemische Annalen. 1801, S. 47. 81 Die These, Ritter sei einer der ersten, sogar der erste naturwissenschaftliche Kantianer gewesen, vertritt L. Pearce Williams in seiner oben angeführten Faraday-Biographie. Dort heißt es mit Bezug auf die Einheit zweier anderer Kräfte: »The first application of Kant's ideas to a specific scientific problem was made by Johann Ritter. In 1798, two year before the invention of the voltaic pile, Ritter attempted to create an electrochemical theory in which the forces of electricity and chemical affinity were treated as identical.« p. 62.

Aspekte einer romantischen Physik

8$

optischen Experimente, mehr noch beflügelt ihn seine nach der Alleinheit strebende Phantasie. So wendet er sich der Untersuchung des elektrischen Funkens selbst zu und überrascht bald mit der Feststellung, schon in diesem Funken seien die Ansätze zu aller späteren Form zu finden; man habe es hier mit der Form aller Formen zu tun. Ritter schreibt: »Auf jeden Fall wäre zu erwarten, daß, wenn es durch irgendein Mittel gelingen könnte, den elektrischen Funken über den Augenblick seiner Erscheinung hinaus zu nähern Untersuchung festzuhalten, ihn gleichsam zu versteinern, oder sein Lichtgewebe in irgend etwas Nachgiebiges, was stehen bliebe, wenn er verschwunden wäre, in aller seiner Vollständigkeit abzudrücken, . . . , wir eine Art von Normal-Figur erhalten würden, auf welche alle organische wie anorganische Gestaltung, Bildung, und Gliederung . . . zurückführbar wäre.«32 Daß dieser Funke in seiner eindrucksvollsten, von der Natur selbst vorgeführten Gestalt, eine Struktur hat, zeigt sich für Ritter schon in der Zick-Zack-Form des Blitzes. Im Laboratorium müsse sich darüber hinaus eine innere Form des Funkens demonstrieren lassen, und Ritter hat auch schon Vermutungen darüber, wie diese Grundstruktur des galvanischen Blitzes beschaffen sein müsse. Am 8. Dez. i8oj schreibt er an Oersted, der Funke sei dreidimensional und er hoffe, »noch eine wahres Lichttetraeder an der Maschine darzustellen« (Hd, 145). Es handelt sich hier um eine der von alters her als vollkommen angesehenen Körper, der aus vier gleichseitigen Dreiecken zusammengesetzt ist. Diese Lichtfigur, aus der sidi nach Ritter alle übrigen Formen erst entwickeln, ist also die Kernstruktur der Natur, der Ausgangspunkt der unendlichen Metamorphose der Gestalten. Und sie geht dem Urstoff noch voraus; die Materie entsteht aus dem elektrischen Lichttetraeder. Deshalb kann Ritter in einem seiner Fragmente sagen: »Was sind alle Massen anders, als ein gefesseltes Licht! . . . Alle Weltkörper sind nichts als Lichtkonglomerate« (Fi, Nr. 266). Ganz ähnlich heißt es in den folgenden Fragmenten, alle Körper seien eigentlich nur elektrische Funken, und die höchste Tendenz des Galvanismi müsse es sein, z.B. alle Metalle »in Funken aufzulösen« (vgl. F 1, Nr. 3 1 1 ; 312). In der pragmatischeren Sphäre seiner experimentellen Untersuchungen meint Ritter dann auch aus dem schwefelartigen Geruch, der sich häufig bei elektrischen Entladungen einstellt, schließen zu können, hier werde durch Elektrizität tatsächlich Schwefel geschaffen: Materie durch den Galvanismi. So ungewöhnlich und modern dem heutigen Leser solche Überlegungen erscheinen mögen, so sind sie doch in einem allgemeineren Sinne der damaligen Naturwissenschaft keineswegs fremd. Man muß sich daran erinnern, daß nahezu alle Erscheinungen der Physik: Licht, Wärme, Elektrizität z. B. als eine besondere Art von Materie angesehen wurden. Es ist die nur allmählich sich überlebende Zeit der imponderablen Stoffe, die auch häufig M

Gehlens lournal. Bd. 7 (1808). Fußnote S. $8 f.

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Aspekte einer romantischen Physik

unter dem Terminus >Fluidum< des Lichts, der Wärme, der Elektrizität auftraten. In diesem allgemeinen Zusammenhang ist der Rittersche Gedanke einer Verbindung von Elektrizität und Materie an sich nidit auffällig, w o h l aber die Vorstellung, d a ß die Elektrizität an sich schon Struktur zeige und d a ß sich aus ihrer Grundfigur die Metamorphose aller Formung in der N a t u r herleite. Prinzipiell, wenn audi nicht in dieser Ausführlichkeit und natürlich ohne an einen konkreten Nachweis z u denken, hat auch N o v a l i s mit einem ähnlichen Gedanken gespielt, w e n n er sich f r a g t : »Könnten nicht die K r y s t a l l formen electrischen Ursprungs seyn?« ( N 3 , 561). Es ist allerdings nicht ganz klar, ob er hier an die Kristallisationen bei der Elektrolyse oder an eine geometrisch-regelmäßige, also kristallähnliche Struktur der Elektrizität denkt. D a s erste w ä r e n die bereits früher erwähnten Imitationsspiele der anorganischen N a t u r mit organischen Formen, die »prophetischen Hieroglyphen«, das zweite käme der Ritterschen Vorstellung v o n der elektrischen U r f i g u r nahe. Beide Interpretationsmöglichkeiten aber demonstrieren den hier entwickelten Leitgedanken, daß alle N a t u r f o r m e n als Produkte einer großen Metamorphose aus einem gemeinsamen A n f a n g zu verstehen sind. A u s dieser gemeinsamen Herkunft ist auch das »air de famille« z u erklären, das nadi N o v a l i s alle Dinge haben. U n d deshalb ist der »Zauberstab der Analogie«, v o n dem auch die romantische Naturwissenschaft Ritters sehr reichlichen, oft allzureichlichen Gebrauch macht, ein so angelegentlich empfohlenes und unbedenklich benutztes Instrument des romantischen Welterkennens. Goethe, der f ü r die Romantiker der Urheber dieser Metamorphoseidee ist, der sie aber selbst als z w a r »höchst ehrwürdig«, aber auch im selben A t e m zuge als »höchst gefährliche Gabe v o n oben« bezeichnet hat, 33 beschränkt seine Theorie v o n den Urphänomenen auf ganz bestimmte, klar umgrenzte Gattungen. Es gibt eine Metamorphose der Pflanzen, der Tiere, aber Goethe postulierte keine allgemeine Metamorphose, weil solche Hypothesen, w i e er an der oben angeführten Stelle bemerkt, »ins Formlose« führen, das Wissen zerstören, es auflösen könne. D i e Familienähnlichkeit, die man dann in der großen Ahnenreihe aller Geschöpfe zu erkennen glaubt, verwischt alle Unterschiede und reduziert den Reichtum der Gattungen und Einzelformen auf einige dürre, nichtssagend-abstrakte Gemeinsamkeiten. D i e Skepsis dessen, der sich auf seinen »realistischen Tic« etwas zugute hielt, mußte f ü r die nach der großen Reduktion, der umfassenden Synthese alles Wirklichen strebenden Romantiker wie ängstliche Pedanterie aussehen. Ritter jedenfalls hat solche Bedenken längst hinter sich gelassen oder nie gekannt, wenn er mit dem Enthusiasmus dessen, der sich seiner Sache, seiner Mission absolut sicher ist,

33

Goethe, »Probleme«. Hamb. Ausgabe. Bd. 13, S. 35.

Hieroglyphen einer Naturgeschichte des Bewußtseins

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seinem Freund Oersted am 2 1 . Februar 1802 verkündet: »Ich verstehe die Metamorphose der Pflanzen, der Tiere, des Menschen, der Erde, der Menschheit etc., wie Goethe noch sonst jemand nimmer mehr. Kurz: die Metamorphose alles Endlichen* (Hd, 19).

j. Hieroglyphen

einer Naturgeschichte des Bewußtseins

Es ist eine Szene von makabrer Ironie, in der Georg Büchner seinen Woyzeck zu dem Doktor sagen läßt: »Die Schwämme, Herr Doktor, da, da steckt's. Haben Sie schon gesehn, in was für Figuren die Schwämme auf dem Boden wachsen? Wer das lesen könnt!«' 4 Man würde Büchner kaum mit Novalis in einem Atemzuge nennen, und doch ist das Alphabet, das Woyzeck lesen möchte, dasselbe, das die Lehrlinge zu Sais bei Novalis lernen sollen. Trotzdem ist ein Unterschied in der Tonlage nicht zu überhören. Etwas Bedrohliches geht von den nicht ganz geheuren Runenzeichen aus, die die Schwämme auf dem Boden bilden, während die Signaturen auf »Flügeln, Eierschalen, in Wolken, im Schnee, in Kristallen und in Steinbildungen« ( N i , 79) eine viel frohere Botschaft zu bringen scheinen. Könnte der Mensch sie lesen — so will es Novalis verstanden wissen — so hätte er damit wieder in das verlorengegangene Paradies zurückgefunden. Aber: »Wer das lesen könnt!«, was die Schwämme zu sagen haben, der fände am Ende etwas über die Welt und sich selbst heraus, das seine schlimmsten Ahnungen übertreffen könnte — das scheint Büchner zumindest nicht ausschließen zu wollen. Das Konzept einer Hieroglyphenschrift in der Natur, eine für die Theorie und die Dichtung der Romantik zentrale Vorstellung, wird von den Philosophen, Dichtern und Naturwissenschaftlern dieser Zeit in verschiedener Bedeutung verwendet. Im allgemeinsten Fall, wie man es zum Beispiel bei Herder findet, ist damit der Ausdrucks- und Aussagecharakter aller Naturformen überhaupt gemeint. Danach sprechen alle Geschöpfe durch ihre Gestalt. Es gibt also eine als Sprache interpretierte allgemeine Physiognomie der Dinge. In diesem anthromorphistischen Entwurf der Natur sind Züge der humanistischen Bildungstradition nicht zu übersehen. Der Terminus >Budi der Natur< bezeichnet den Versuch, die Schöpfung als ein Sprach werk zu verstehen, das — ähnlich wie die ägyptischen Hieroglyphen — auf Entzifferung und Interpretation wartet. Daneben bezieht sich der Ausdruck Hieroglyphen aber audi auf bestimmte Figuren in der Natur, die den Beobachter an Schriftzeichen einer unbekannten Sprache erinnern, und darauf spielen Novalis und Büdiner an. In eigentümlichen Kristallisationen, Maserungen und Konturen scheint die Natur nach dieser Auffassung etwas sagen zu wollen, eine Bot84

Büchner, »Woyzeck«. In: Georg Bücher, Werke und Briefe. Fritz Bergemann. Insel Verlag. Wiesbaden, 1958. S. 159.

Gesamtausgabe.

Hg.

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Aspekte einer romantischen Physik

schaft hinterlassen zu haben an ein Geschlecht, das jedoch verlernt hat, diese Sprache zu lesen. Wenn es aber dem Menschen so vorkommt, als habe die N a t u r sich ihm gegenüber verschlüsselt, so ist das allerdings ein Irrtum. Was ihm als K r y p t o g r a p h i e erscheint, ist in Wirklichkeit das eigentliche, ursprüngliche Alphabet, in dem die Schöpfung buchstabiert wurde. Es ist eine Sprache, die v o n A n f a n g an und noch immer so offenbar ist, d a ß bei ihr das Zeichen und das Bezeichnete ein und dasselbe sind. U m dieses Uralphabet z u lesen, w i r d kein C o d e benötigt, der zwischen dem Schriftzeichen und dem damit Gemeinten vermittelt. D e r Hieroglyphen der N a t u r sind das, als was sie sich präsentieren; sie sind — um eine Formulierung v o n N o v a l i s zu benutzen — »Buchstaben a priori« (N3, 305). D a ß sie f ü r uns heute eine G e heimschrift sind, zeigt nur, d a ß w i r nicht mehr in der durch dieses A p r i o r i gekennzeichneten Gemeinschaft mit der N a t u r leben. N u r z w e i Möglichkeiten scheint es zu geben, den alten T e x t z u entziffern: sich durch die Poesie direkt, dann aber nur f ü r einige, entrückte Augenblicke in die ursprüngliche Intimität hineinzuträumen, oder sich auf dem langen, mühsamen W e g wissenschaftlicher Beschäftigung mit der N a t u r das vergessene Wissen Buchstabe für Buchstabe wieder anzueignen. U n d die ahnungsvollen Träume der Dichter schienen, so glaubten die Romantiker, v o n den Experimenten der Physiker bestätigt z u werden; das Dechiffrierwerk hatte in der Elektrizität und der Akustik viel versprechend begonnen. Georg Christoph Lichtenberg hatte 1777 zunächst durch einen Z u f a l l entdeckt, daß sich Staub auf positiv oder negativ aufgeladenen Harzflächen in eigentümlichen Figuren ordnete. Die elektrische Ladungsverteilung auf dem Isolator konnte so sichtbar gemacht werden. Die Lichtenbergschen Figuren demonstrierten z u m erstenmal, daß die mysteriöse Erscheinung Elektrizität so etwas w i e eine Struktur hatte, d a ß sie sich auf eine deutbare A r t optisch darstellen ließ. D i e N a t u r hatte sich in einem Bild artikuliert. D i e Elektrizität w a r aus der stummen A n o n y m i t ä t ihres bloßen Daseins herausgetreten und w a r Hieroglyphe geworden; sie hatte sich selbst ausgeschrieben. Wie sahen ihre Schriftzeichen aus? Lichtenberg beobachtete z w e i verschiedene A r t e n v o n Figuren, eine strahlenförmige und eine kreisförmige A r t . D i e erste zeigte »fast unzählige Sterne, Milchstraßen und größere Sonnen«, ss die zweite erinnerte mehr an organische, geschlossene Formen. D a s v o n Ritter so bezeichnete Zentralphänomen der N a t u r , die Elektrizität, schien in seinem Schriftbild einerseits die siderischen, andererseits die organischen Formen widerzuspiegeln, richtiger: hier w a r bereits der Formenreichtum des Universums und alles Lebens vorgebildet. W a s aus Elektrizität dann entstand, w a r hier im K e i m bereits angelegt, so daß alle Gestalt am Himmel und auf der Erde als eine unendliche Variation der elektrischen U r k o n f i g u -

M

G. Christoph Lichtenberg, »Uber eine neue Methode, die Natur und die Bewegung der elektrischen Materie zu erforschen.« Übers.von Herbert Pupke. In: Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaflen (Nr. 246). Leipzig, 1956. S. 21 f.

Hieroglyphen einer Naturgeschichte des Bewußtseins

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ration angesehen werden konnte. Die strahligen und die abgerundeten Figuren waren darüber hinaus Sinnbilder für den Grundrhythmus, in dem sich alle Entwicklung vollzog: die Phase des Öffnens, Sichausbreitens, gefolgt von der Phase des Schließens, Sammeins, Knospenbildens. Für Lichtenberg war die Tatsache, daß sich zwei so deutlich verschiedene Arten von elektrischen Figuren bildeten, der entscheidende Anstoß, in Zukunft nur noch von zwei verschiedenen Elektrizitäten zu sprechen. Die strahlenförmig-offenen Figuren waren das Schriftbild der positiven Elektrizität, die kreisförmig-geschlossenen die Hieroglyphe der negativen. Ritter, der ohnehin die Tendenz hat, die Erscheinungen der Natur wie die Bilder der Dichter beim Wort zu nehmen, beschließt daher, als Symbol für die positive und negative Elektrizität nicht mehr + E bzw. — E zu verwenden, sondern + E und Ο E. Er schreibt zur Begründung an Oersted am 16./17. August, i8oj: > + u. O sind Abreviaturen der Lichtenberg'sdien Figuren oder die Zeichen, die sich die Electricitäten selbst geben« (Hd, 122). Er reduziert also alle sternförmigen Figuren auf einen Prototyp, nämlich + , alle geschlossenen auf die Hieroglyphe O und will folglich als Zeichen für die elektrische Indifferenz die Kombination beider, nämlich ® gebrauchen. Und damit ist nicht nur die Handschrift der Natur in die Wissenschaft eingeführt, die authentische Hieroglyphe statt des willkürlichen Zeichens, sondern zugleich der Anschluß an das Alphabet des Menschen gefunden. Denn — so hat es Ritter bei Herder gefunden — der Kreis mit dem eingeschlossenen Kreuz ist auch ein altes ägyptisches Symbol." Daß Kreis und Kreuz auch als Einzelsymbole in alten Alphabeten vorkommen, ist für Ritter nur ein Zeichen mehr, daß man gerade in der Physik auf der richtigen Fährte ist, die »Ur- oder Naturschrift auf electrischem Wege« (Hd, 225) wiederzufinden oder doch wiederzusuchen. Die Sprache der goldenen Zeit des Menschengeschlechts war identisch mit der Sprache der Natur, und aus diesem uralten Alphabet stammten die auf ihre Grundformen zurückgeführten elektrischen Hieroglyphen. Man sieht, die romantische Suche nach der Ursprache der Menschheit, dem heiligen Idiom Sanskrit, hat hier ihre naturwissenschaftliche Parallele, und abenteuerliche Etymologien sind auch auf »elektrischem Wege« möglich. Wie wörtlich Ritter dabei den Kardinalpunkt der romantischen Hieroglyphentheorie nimmt, daß eben Zeichen und Bezeichnetes ein und dasselbe seien, geht aus seinem Plan hervor, die Lichtenbergschen Figuren umzukehren, d. h. aus der Figur die " Auf die Wahrscheinlichkeit der Übernahme dieses Symbols aus den Herderschen Darstellungen hat bereits W. Hartwig in seiner Dissertation aufmerksam gemacht (vgl. S. i n ) . Herder interprediert das Zeichen des vom Kreis umschlossenen Kreuzes auch als Symbol der doppelgeschlechtlichen Vereinigung, als Fruchtbarkeitshieroglyphe, von dem alles Leben seinen Ursprung nimmt. Die Verbindung zu der Rolle, die bei Ritter der Elektrizität zukommt, ist offensichtlich. Vgl. Herder: Älteste Urkunde des Menschengeschlechts. i . B d . In: Herders Sämmtliche Werke. Hg. von B. Suphan. Bd. 6. Berlin, 1883. S. 3 jo ff.

nie er wieder seine Glieder rühren, und kräftiger der Puls des Lebens seinem Innern schlagen?< Oder: — hat diese große Erde, die Du Natur nennst, nur für Dich den Tod erfahren, und sollst Du es seyn, der einst, nach langer Trennung, neu sich einigend mit ihr, ihr Wiedererwecker wird? — S7

se

Vgl. dazu: Handbuch zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik. 2. Aufl. Hrsg. von L. Darmstaedter. Berlin, 1908. S. 274 f. G. H. Schubert, Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Vgl. S. 156 f.

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. . . Soll eine Ganze Schöpfung werden, was bis dahin Du allein dir aufgegeben glaubtest: Mensch, und Du Sie Selbst« (K, 52). Bis auf den letzten Passus soll dies zur Dokumentation des vorher Beschriebenen dienen. Der letzte Satz, der allgemein die Verflochtenheit des Menschenschicksals mit dem der Erde andeutet, bedarf einer weiteren Erläuterung. Es war als ein Leitgedanke der Schellingsdien Philosophie dargestellt worden, daß die Grundverfassung der Natur eine geistige sei, mit der des Menschen also übereinstimmte. Für Schelling wie für Ritter ist auch nur deshalb eine Wissenschaft von der Natur möglich. Aber Ritter treibt die Identifizierung von Mensch und Natur weiter. Der Traum von der Vereinigung mit allem Organischen und Anorganischen konkretisiert sich bei ihm zu dem Bild eines mächtigen Körpers der Natur, mit dem der Mensch organisch verbunden ist. Er schlägt sich in der Vorstellung nieder, daß sich der Mensch in der Natur zum zweiten Male vorfinde, daß die Erde ihr ehrgeizigstes Geschöpf, ihre kunstvollste Leistung, zunächst einmal in der weniger integrierten Gestalt des Naturganzen verwirklicht habe. In einem Fragment heißt es, die Erde sei der physische Körper des Menschen. »Die Erde selbst ist Mensch. Erdbeschreibung, physische, chemische etc. wird Mensdienbesdireibung, Erdgeschichte — Menschengeschichte. Das physiologische Schema des Individuums ist das physiologische Schema der Erde. Die ganze Welt muß sich im Menschen en miniature wiederfinden. Seine Anatomie und die des Erdkörpers, und die des großen Menschenkörpers, sind Eine« (F2, Nr. 420). An einer anderen Stelle heißt es, man müsse die Natur so ansehen, »als wäre sie das bloße zweyte Innere von uns«. 3 ' Die hier benutzten Bilder sind keine bloßen Gleichnisse, keine Redeweisen; Ritter meint buchstäblich, daß Anatomie und Geologie als Analogstrukturen dasselbe sind. Der Mensch ist die Summe dessen, was an Erscheinungen auf der Erde jemals aufgetreten ist, er ist die Bilanz der Welt. Es gibt ihn zweimal: in die Naturphänomene verstreut und in einem Organismus versammelt. In der Terminologie F. Schlegels, der damit die Fichtesche Formulierung charakteristisch abwandelt, könnte man von einem Welt-Ich gegenüber dem Ich sprechen. Wenn die Schöpfungsgeschichte nun dadurch erfüllt wird, daß der »unbewußte Geist« der Natur zu vollen Bewußtsein, gleichzeitig das menschliche Individuum zu vollem Wissen geführt wird, dann muß am Ende diese Doppelheit verschwinden, Natur und Mensch müssen ununterscheidbar ineinander aufgehen. Damit gibt es schließlich, wie Ritter sich ausdrückte, »eine Ganze Schöpfung«, und der Mensch ist diese Schöpfung. Nichts anderes hatte die Kunst im Sinn, als die Ritter seine Physik verstanden wissen wollte. Es ist bereits dargestellt worden, warum es gerade die Wissenschaftsgeschichte, die Geschichte der Entdeckungen ist, die diesen Prozeß beschreibt. Für Ritter *· Denkschriften der Akademie,

S. 275.

Hieroglyphen einer Naturgeschichte des Bewußtseins

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sind im Grunde genommen die Begriffe von >bewußt werden< und >entdeckt werden< Synonyme. Innerhalb dieses allgemeinen Konzepts lohnt es sich jedoch, näher zu untersuchen, was die verschiedenen Entdeckungen der Physik und Chemie über das Verhältnis von Mensch und Natur konkret auszusagen haben. Wie zeigt sich im Feuer, im Magnetismus, in der Oxydation der Stoffe, bei der Elektrizität und dem Galvanismus die >Schicksalsgenossenschaft< des menschlichen und des Natur-Ich? Alle diese Erscheinungen, so meint Ritter, haben etwas Gemeinsames. In allen Fällen zeigt sich ein Grundschema, in dem sich eine ursprüngliche Einheit in die Polarität zweier Gegensätze aufgespalten hat, aber zugleich eine neue, höhere Einheit geschaffen wird. Am klarsten zeigt sich diese Struktur beim Galvanismus: Zwei Metalle polarisieren sich in einer Flüssigkeit, bilden aber eben dadurch eine neue Lebenseinheit, das galvanische Element. Dasselbe Schema gilt für den Verbrennungsprozeß, der ja nach Lavoisier in der Oxydation zu einer neuen, komplexeren Verbindung besteht, als es die Ausgangsstoffe waren. Und auch der Magnetismus ist ein Polarisationsphänomen um einer höheren Einheit willen, dem magnetischen Feld. Das immer wiederkehrende Schema ist also: a) Die ursprüngliche Einheit der Individuen b) Aufhebung dieser Einheit zu einer Polarität c) Als Produkt ergibt sich ein Phänomen, bei dem die Gegensätze in einer neuen Einheit aufgehoben sind. In der Geschichte der Physik und Chemie ist aber der Weg der Natur zum Bewußtsein nicht nur an der Anzahl der Entdeckungen und ihrem immer umfassender werdenden Bedeutungsbereich abzulesen, sondern auch an der wachsenden Deutlichkeit, mit der die beschriebene Struktur sichtbar wird. Nicht von ungefähr zeigt der Galvanismus, die letzte Enthüllung der Natur, das Schema mit einer Klarheit, daß Ritter die einfache galvanische Kette für den schlechthin exemplarischen Fall dieses dreitaktigen Naturrhythmus erklärt, für die Allegorie des Ganzen. (Vgl. Bt. 2, III, 331). Aber nicht nur das: Dieses Schema ist zugleich ein immer umfassender, immer klarer werdendes Sinnbild der Situation des Menschen. Was der Physiker hier entdeckt, ist seine eigene Geschichte. Es ist ein Abbild seines Paradieses, der Vertreibung und seiner Aufgabe, eine neue Einheit von Natur und Idi herbeizuführen. Von der Entdeckung des Feuers bis zu der des Galvanismus ist der Mensch im Grunde nur immer seinem eigenen Spiegelbild begegnet. Ritter drückt das mit den Worten aus, der Mensch begegne »im Bilde seines Eigenen Geschäfts Sich Selbst« (K, 32). Die Natur ist so in einem ganz konkreten Sinne sein zweites Ich, und die Physik liest letzten Endes nur die Chiffren der condition humaine. In dem Maße, wie diese Hieroglyphen sichtbar werden, kommt die Erde über sich selbst zur Reflexion — um eine

Aspekte einer romantischen Physik Formulierung Ritters zu verwenden, 4 0 erfüllt sich zugleich die Vollendung der Schöpfung durch den Menschen. In dem Zusammenhang und zum A b s d i l u ß dieses Kapitels läßt dann audi noch ein Problem diskutieren, über das unter den Interpreten Ritters eine Kontroverse besteht: die Frage des goldenen Zeitalters in seiner N a t u r p h i l o sophie.

In seinem Buch Natural

Science

in German

Romanticism

schreibt

G o d e - v o n Aesch: »According to Ritter there was no golden age in the past« (S. 118). Genau das aber hält W . H a r t w i g schon in der Einleitung seiner Dissertation f ü r ein Mißverständnis und interpretiert in den Abschnitten »Die Geschichte des Bewußtseins« (S. 43 ff.), »Das Bild des Menschen« (S. 53 ff.) und »Die Geschichte der Künste« (S. 70 ff.), die Philosophie Ritters in dem bekannten dreistufigen Schema der Romantiker, nach dem der Mensch in einer Zeit des Ausgesetztseins zwischen einem vergangenen und einem zukünftigen goldenen Zeitalter lebt. Nach meiner Meinung sind diese gegensätzlichen Auffassungen Resultate zweier verschiedener Gesichtspunkte. Es kommt darauf an, ob es um die Feststellung der dreistufigen Form oder und die inhaltliche Gleichbewertung des A n f a n g s - und des Endstadiums geht. Nach dem bisher Dargestellten läßt sich formal das Dreiphasenschema: Einheit — polare Trennung — Einheit bei Ritter v o n den großen Perioden der N a t u r - und Menschheitsgeschichte bis z u ihrem allegorischen A b b i l d in dem kleinsten physikalischen oder chemischen Experiment nachweisen. D i e triadische Periodizität ist ohne Z w e i f e l eines der wesentlichsten Denkschemata Ritters. Insofern unterscheidet er sich nicht v o n den anderen Romantikern. W e n n er allerdings das erste Glücksstadium der Menschheit beschreibt, so ist der Unterschied etwa z u N o v a l i s nicht z u übersehen. In der Rede heißt es darüber: »Die ältesten U r k u n d e n stimmen sämmtlich darin überein, daß auch der Mensch einst mit der Erde und der W e l t in einer Eintracht und Verbindung sich befunden habe, die, ihrer Innigkeit und Geschlossenheit nach, derjenigen nicht nachsteht, in die w i r jetzt erst gleichsam wieder zurückzukehren streben« ( K , 3 f.). Dies ist offensichtlich das romantische Grundmuster, aber Ritter fährt nun f o r t : »Laßt uns demohngeaditet aber den großen Unterschied, der zwischen beyden Statt hat, nicht verkennen. Dieselben Urkunden schildern uns jenen frühesten Stand des Menschen fast mit denselben Farben, die w i r noch gegenwärtig f ü r ein jedes andere Geschöpf, was doch so weit v o n uns entfernt ist, wählen würden« ( K , 4). M i t anderen Worten: D i e Glückseligkeit dieser ersten Zeit ist die selbstverständliche Eintracht, in der auch heute nodi Tiere und Pflanzen mit der N a t u r leben. Sie stellt einen Zustand dar, der deshalb nicht vollendet ist, weil er v o n sich selbst nichts w e i ß . Daher mußte er aufgehoben werden. N u r unter dem Gesichtspunkt der innigen V e r 40

Das Fragment Nr. 349 lautet: »Im Galvanismus kommt die Erde über sich selbst zur Reflexion. — «

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bundenheit aller Dinge sind Anfangs- und Endzustand gleichwertig, sonst übersteigt die Qualität des zukünftigen Glücks die nur friedliche Einträchtigkeit des vergangenen um eine wesentliche Potenz: Sie kann sich selbst empfinden. Daher ist auch die gegenwärtige Übergangsperiode von Ritter viel optimistischer gesehen als von Novalis. Es ist ein Weg hinauf, nicht zurück. Daß Atlantis unterging, war notwendig und dieser Umstand ist, der größeren Möglichkeiten wegen, keineswegs ein Grund zur Klage. Die sehnsüchtigen Elegien der Dichter finden den Physiker mit seinen alles versprechenden Entwürfen und Experimenten beschäftigt, das Alte durch das blendende Licht des zu schaffenden Neuen in den Schatten zu stellen. Einen solchen Optimismus teilt Novalis kaum, und sein Bild der goldenen Zeit der Vergangenheit kennt nicht nur die kreatürliche Eintracht unbewußter Natürlichkeit, sondern audi den Sänger, den Weisen, den Magier, den zu erreichen das Höchste ist, auf das auch die glorreichste Zukunft nur hoffen kann. Die lineare Aufwärtsbewegung, in der die Aufklärer die Menschheit begriffen sahen, und der zyklische Prozeß, in dem die Romantiker meistens die Geschichte zeichnen, scheinen sich bei Ritter — so könnte man die Bilder geometrisch kombinieren — zur Figur einer Spirale zu vereinigen. 41 Die entrückten Poeten und Sänger, die das versunkene Atlantis in den Dichtungen der Romantiker beschwören, sind allenfalls die träumenden Vettern der Physiker und Chemiker, die nach Ritter mit dem Eifer von Missionaren die Natur und damit den Menschen vorantreiben, auf daß sich beide, eines im andern, vollenden. 4. Die sinnliche Einheit der Welt Die bisherige Darstellung der Gedankenwelt Ritters versuchte die Geschlossenheit des Naturganzen, das organische Beziehungsgeflecht aller Glieder des romantischen Kosmos objekitv, d. h. von den äußeren Phänomenen ausgehend zu demonstrieren. Anatomie, Aufbau, Konturen dieses sich als Natur manifestierenden mystischen Körper des Menschen sollten vorgeführt werden. Die Untersuchung endete mit dem Konzept der doppelten Anwesenheit des Menschen in der Welt als Natur-Ich und als Subjekt-Ich und zeigte die Fluchtlinien einer Entwicklung, die in einem Zustand der Vollkommenheit beider konvergieren. In dem nun folgenden Abschnitt wird die Perspektive umgekehrt: Die Einheit der Welt, die sich vorher aus den Dingen und Er41

Allerdings muß erwähnt werden, daß audi Novalis, sicherlich aber F. Schlegel nicht an eine genaue Wiederholung des goldenen Zeitalters in der ursprünglichen Form glaubten. Trotzdem ist die Tendenz des »Immer nach Hause« unverkennbar nadi rückwärts gerichtet, und die Darstellung, die Novalis von der >ersten Welt< etwa im Ofterdingen und in seinem Aufsatz »Die Christenheit oder Europa« gibt, spiegelt nicht einfach einen vegetativen Glückszustand wieder.

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scheinungen ergab, soll jetzt vom Menschen aus, also subjektiv als sinnliche Einheit konstruiert werden. Es ist nach dem Bisherigen klar, daß die Kategorien >subjektiv< und >objektiv< in der romantischen Philosophie nur eine sehr relative Bedeutung haben. Die Natur auf der einen Seite und der Mensch auf der anderen sind eigentlich nur zwei verschiedene Worte für dieselbe Sache, zumindest für zwei sehr analoge Strukturen, die sich nur vorläufig nodi in unterscheidbaren Formen präsentieren. Mit diesem Vorbehalt wird hier von einem subjektiven, durch die Sinne des Menschen gestifteten Kontinuum der Außenwelt gesprochen. Der Ausgangspunkt für solche Vorstellungen ist auch hier — wie fast immer bei Ritter — konkret und buchstäblich, nämlich die bereits im ersten Teil dieser Arbeit erwähnten sinnesphysiologischen Experimente »jenes unermüdlichen Selbstbeobachters«.42 Diese Charakterisierung von Du Bois-Reymond gibt einen nur schwachen Begriff von der Radikalität der Ritterschen Selbstversuche an den verschiedenen Sinnesorganen und anderen Körperteilen, die Achim von Arnim zu der Bemerkung veranlaßte: »Ihm fehlt Ehrfurcht vor dem eigenen Körper«,43 die aber für Ritter nur Ausdruck der Entschlossenheit ist, durch eine Untersuchung des Menschenkörpers auf elektrische Reflexe hin Aufschluß über den Analogkörper der Natur zu erhalten. Die romantische These von der organischen Verbundenheit, der Entsprechung, ja der mystischen Identität von Mensch und Natur wird hier beim Wort genommen; die Physik des Menschen ist eine Physik der Natur. Deshalb mußten sich die Phänomene und Gesetzmäßigkeiten des Galvanismus, die man in anorganischen und organischen Ketten beobachtet hatte, im menschlichen Organismus nicht nur wiederfinden, sie mußte sich sogar deutlicher, geläuterter offenbaren, weil man mit der höchsten aller Naturformen experimentierte. Obwohl Ritter sinnesphysiologische Versuche auch mit einfachen galvanischen Ketten gemacht und in seinem ersten Buch auch beschrieben hat, stammen die hier darzustellenden Experimente aus der Zeit nach 1800, also nach der Erfindung der Voltaschen Säule. Diese lieferte viel höhere Ströme, 42

43

Die erste zusammenhängende Darstellung der Rittersdien Experimente und Theorien zur Elektrophysiologie, in der audi die Verdienste Ritters kritisch gewürdigt werden, gab: Emil Du Bois-Reymond, Untersuchungen über thierische Elektricität. 2 Bde. Berlin, 1848/49. Vor allem der i . B d . , S. 3 1 3 ff., bringt einen umfassenden Überblick mit einer tabellarischen Zusammenstellung der Hauptresultate der einzelnen Muskel- und Sinnesorganexperimente. Siehe dazu bes. S. 319, 342, 343, 344, 346, 356. Selbst eine Generation später werden hier einzelne Beobachtungen Ritters zur Reaktion von Sinnesorganen auf elektrische Ströme einfach wiedergegeben, weil niemand ähnlich rücksichtslose Selbstversuche gemacht hatte, die einen Vergleich erlaubt hätten. Dies trifft in einigen Fällen, wie in D . Hüffmeiers Dissertation bemerkt ist, nodi heute zu. Unveröffentlichtes Manuskript Arnims mit dem Titel: »Ritters Fragmente«; wahrscheinlich der Entwurf zu der Rezension Arnims in den Heidelb. Jahrb. (vgl. Anm. 92). N r . 104; U 3 : Goethe und Sdiiller-Ardiiv. Weimar.

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und die Ergebnisse waren entsprechend drastischer. Seine Versuchsanordnung war die, daß ein bestimmtes Organ dem positiven (Zink) bzw. negativen Pol (Silber oder Kupfer) einer solchen Säule ausgesetzt wurde. Die Beschreibung der Versuchsergebnisse liest sich zunächst wie ein Katalog von Empfindungen und Gegenempfindungen, die in genauem, beinahe pedantischem Schematismus die Grundkategorie aller romantischen Naturphilosophie, den Dualismus, immer aufs neue illustrieren. Wenn Ritter eine Hand in ein Gefäß mit Wasser taucht, das mit dem negativen Pol verbunden ist, wobei die andere auf gleiche Weise den Stromkreis zum positiven Batteriepol schließt, so charakterisiert er den elektrischen Schlag des einen Pols als stechend, beim anderen als drückend. Wird in dem Versuch der Puls auf der einen Seite kleiner und härter, dann hat Ritter auf der anderen Seite das Gefühl, er sei größer und weicher. Scheint sich beim Silberpol die Hand versteifen und zusammenziehen zu wollen, Kälte zu spüren, so tritt am Zinkpol genau das Entgegengesetzte auf: sie scheint beweglicher zu werden, sich ausdehnen zu wollen, wärmer zu sein. Macht Ritter diesen Versuch mit seiner Zunge, dann spürt er auf der einen Seite einen bitteren, alkalisdi-stedienden Geschmack, auf der anderen einen milden, sauren, stumpfen Geschmack. Bringt er seine Nase in den Stromkreis, dann läßt sich ein faulig-ammoniakalischer Geruch deutlich von einem säuerlichen unterscheiden; und wenn der eine Pol einen Drang zum Niesen verursacht, so hebt der andere jede Fähigkeit zu niesen auf. Setzt man die Augen der Elektrizität aus, indem man entweder den Silberpol oder Kupferpol mit dem Augapfel in Berührung bringt, so sieht man einen Blitz, der sich dann verdunkelt, rötlich ist, äußere Gegenstände deutlich erkennen läßt, und zwar vergrößert. Der gleiche Versuch am Zinkpol verursacht einen Blitz, der einen helleren als den gewöhnlichen Lichtzustand im Auge hinterläßt, bläulich ist und äußere Gegenstände nur undeutlich, dabei verkleinert, erkennen läßt. Das Allerseltsamste aber geschieht beim Ohr: Ritter behauptet, bereits ohne jede elektrische Einwirkung, beim einfachen Schlucken oder auch Klopfen an bestimmten Körperstellen höre er einen Ton, und zwar das einfach gestrichene gl Es gibt danach also so etwas wie einen körpereigenen Ton für den Menschen, dessen Frequenz genau festlegbar ist, den das Ohr tatsächlich vernehmen kann. In der Voltaschen Säule nun hört Ritter auf der einen Seite einen erhöhten Ton zwischen gis und T, auf der anderen einen herabgesetzten, und zwar fast genau f. Der erste Ton ist etwa ebensoviel höher als"g^ wie der zweite tiefer als der Normalton g" ist. ( V g l . A 2,

H

j)

Diese Resultate sind teils bestätigt, teils auch heute noch offene Fragen.44 Eine genaue Nachprüfung ist schon deshalb schwierig, weil unverkennbar ein 44

Eine detaillierte Darstellung der Versuchsbedingungen und eine Diskussion der Resultate Ritters bringt die bereits zitierte Diss, von D. Hiiffmeier, der die von mir gegebene Beschreibung einige systematische Anordnungen und Hinweise auf

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subjektives Moment in die Charakterisierung solcher Sinneseindrücke eingeht. Außerdem ist in vielen Fällen eine Wiederholung deshalb unterblieben, weil häufig die Reizschwelle für die Schmerzempfindung wesentlich unter der für die Empfindung des jeweiligen Sinneseindrucks liegt. Aber die Frage, ob bestimmte Resultate Ritters richtig oder falsch sind, ist in dieser Arbeit ohnehin — mit wenigen offensichtlichen Ausnahmen — offen geblieben. Für die Darstellung dieser, von der Romantik geprägten Naturwissenschaft ist eine Beurteilung unter den Kriterien des Zutreffenden oder Irrtümlichen irrelevant. So soll audi hier dieses Problem offen bleiben. Fassen wir das Charakteristische dieser Versuche zur Elektrophysiologie beim Mensdien zusammen: Ihr Hauptmerkmal ist offensichtlich die Tatsadie, daß hier das Polaritätsdenken der Romantik, das Empfinden in Polaritäten wahre Triumphe feiert. Ritter, der ähnliche Versuche auch mit verschiedenen Muskeln macht, der das dabei bestätigte Schema von Kontraktionen und Expansionen als Involution und Evolution, als den Grundrhythmus des Universums auf alle Erscheinungen überträgt, demonstriert ganz konkret und in unermüdlicher Variation, daß der menschliche Organismus wirklich bis in seine Muskeln und Nerven hinein nach dem dualistischen Prinzip aufgebaut ist, nach ihm funktioniert und reagiert. Die Polarität war nicht mehr nur ein metaphysisches Konzept, das als außerordentlich anspruchsvolle Hypothese auf Gültigkeit in allen Naturbereichen bestand, sie war jetzt eine im Mikrokosmos Mensch demonstrierbare Realität, ein Umstand, der ihre universale Bedeutung sicherte. Ritter verfolgt die polare Struktur der menschlichen Organe noch weiter. Er findet heraus, daß bei einer Vertauschung der beiden elektrischen Pole auch prompt die beschriebenen Empfindungen sich umkehren. Die Empfindungen durchlaufen bei einem solchen Umpolen alle Zwischengefühle und enden nach einem ausgeglichenen Indifferenzgefühl schließlich im anderen Extrem. Ebenso verkehren sich die Reaktionen in ihr Gegenteil, wenn man statt der Phänomene bei der Schließung des elektrischen Stromkreises die Öffnungsreflexe beobachtet. Jedes Organ erweist sich so als polarisierbar nach beiden Richtungen hin, und sein sogenannter Normalzustand ist eigentlich die nur nach außen durch eine prekäre Balance der Extreme erscheinende Neutralitätslage. Aber auch dieses alles beherrschende dualistische Einerseits-Andererseits ist noch nicht die ganze Antwort, die diese Experimente auf die Frage nach dem Reaktionsmechanismus der menschlichen Organe geben. Von Ritter stammt eine Beobachtung, die einer alten These über das eigentliche Wesen von Polaritäten eine reale Basis verschafft: der auch von Schelling und besonders von Novalis vertretenen Auffassung, daß die Gegensätze im Grunde eine moderne Gesichtspunkte der Physiologie verdankt. Vgl. bei D. Hüffmeier bes. S. 44 ff. und S. 52 ff.

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paradoxe, eine dialektische Einheit bilden. Bei Ritter bleibt es nicht bei der Intuition, er will diese Dialektik konkret vorführen. E r stellt sich die Frage, wie sich der Sinneseindruck ändert, wenn man in den beschriebenen Versuchen die Stromstärke steigert. In den bisherigen Experimenten hatte sich jeweils gezeigt, daß ein Gegensatz in allen Sinnesorganen und damit Empfindungen des Menschen potentiell vorhanden ist, der vom Galvanismus zum Leben erweckt wird. Jetzt wird weitergefragt: Wohin führt die Potenzierung einer Empfindung? Als Beispiel beschreibt Ritter soldie >Extremisierung< einer Empfindung bei Versuchen mit seinen Augen. Wenn die Lichterscheinung zunächst ein R o t war, so wurde dieses R o t bei höherer Stromstärke einfach leuchtender, intensiver, wie man es auch erwartet hätte. Wurde der Strom noch weiter gesteigert, dann beobachtete er jedoch nicht etwa ein noch blendenderes Rot, sondern von einem bestimmten Punkt an einen plötzlichen Umschlag ins Gegenteil, in das andere Extrem des Farbenspektrums: das Licht wurde violett. Es handelt sich also nicht um eine quantitative, sondern qualitative Potenzierung in dem von Novalis beschriebenen Sinn. Extrem gesteigertes R o t ist nicht mehr rot, sondern violett. Man hat hier eine konkrete Erläuterung dessen, was in den Texten der Romantik die Aussage bedeutet, etwas sei dies, aber zugleich das Entgegengesetzte: K r a f t sei Gegenkraft, die Lust sei im Schmerz, der Tod im Leben, Asche sei Blütenstaub. Hier ist kein simples (und im Grunde unverständliches) Einerseits— Andererseits gemeint, diese logischen Paradoxien sagen: Denkt man ein Konzept zu Ende, steigert man eine Empfindung zum Extrem, treibt man irgendeine Erscheinung auf die Spitze — >übertreibt< man sie — dann schlägt sie in ihr Gegenteil um, und es zeigt sich in dieser Möglichkeit, daß die Gegensätze im Grunde eine Einheit waren, daß Polarität eigentlich Dialektik ist. Als Gedankenfigur betrachtet, erkennt man hierin die alte Zyklusvorstellung wieder; eine Erscheinung liegt auf der Fortsetzungslinie ihrer Gegenerscheinung. Ritter demonstriert eine ähnliche Art von >Extremisierung< nodi in einem anderen, tatsächlich extremen Selbstversudi. Nachdem er 1 5 — 2 0 Minuten lang mit weit offenen Augen in die Sonne gesehen hat und dann auf blaues Papier blickt, erscheint ihm dieses plötzlidi rot. E r berichtet, noch Tage nach diesem Versuch sei ihm die Lichtflamme, das Feuer im Herd im »schönsten Blau des brennenden Schwefels« erschienen (A 3, 260). Die Verkehrung des Farbphänomens in sein Gegenteil wird hier durch eine besondere Art von Steigerung, durch die Erschöpfung des Organs, die Ritter auch »Verstimmung« (A 3, 3 6 1 ) nennt, erzwungen. E r schreibt über diese Tortur des Auges, »man kann dasselbe erschöpfen, das jenseits liegende tritt neu hervor, und giebt überall das Umgekehrte, . . . « (A 3, 362). Und dieses auf dem Weg der >Extremisierung< gewonnene Gegenphänomen ist von einer höheren Qualität als das ursprünglich einfach polar gegenüberliegende: Wenn ζ. B. durdi die

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Steigerung der Stromstärke Rot schließlich in Violett umschlägt, so ist dieses Violett intensiver als normales Violett, wie es im Farbenspektrum ursprünglidi auftritt. Die sinnesphysiologischen Experimente Ritters demonstrieren also zunächst die Polarität des menschlichen Organismus; sie liefern dann eine Möglichkeit, diese Polarität als eine dialektische Einheit zu interpretieren, indem sie zeigen, daß ein Extrem als direkte, geradlinige Steigerung aus dem anderen folgt. Wie sehr Ritter sich hier im Vorstellungskreis und in den Artikulationsformen der Romantik bewegt, beweisen u. a. die zahlreichen, manchmal sogar in Listen zusammengestellten Polaritäten, die man etwa bei Novalis findet. Auch ihre sprachliche Koppelung zum Paradox ist in den Fragmentensammlungen der Romantiker weit verbreitet. Friedrich Schlegel hatte für diese Form des »Witzes« offenbar eine besondere Vorliebe, und von ihm stammt audi die deutlichste Auskunft über den dialektischen Prozeß des Umschlagens einer Erscheinung in ihr Gegenteil. Schlegel schreibt: »Jedes Entwickeln, jedes Wachsen und Steigen hat ein Ziel, ein Äußerstes, wo es entweder in seinen Anfang zurück, oder in sein Gegenteil überspringen muß« (Sdii. 12, 434). Schließlich zeichnet sidi in diesen Rittersdien Experimenten aber auch die Möglichkeit der Realisierung eines der ehrgeizigsten Träume der Romantik ab: die Sinnenwelt ihrer fraglosen Authentizität, ihrer unveränderlich-objektiven Gegebenheit zu berauben und sie damit bis zu einem gewissen Grade als willkürlich, also manipulierbar, romantisierbar erscheinen zu lassen. Die neuen Spiegelwelten, die durch die Verkehrung von Empfindungen in ihr Gegenteil in Erscheinung traten, waren neue Wirklichkeiten. Keineswegs handelte es sich dabei um Sinnestäuschungen. Wenn Ritter sagt, er spüre, wie seine Hand sich ausdehne oder bis beim anderen Pol zusammenziehe, so meint er nicht, er habe nur das Gefühl einer Expansion oder Kontraktion, sondern buchstäblich, daß die eine Hand anschwelle, die andere in dem Versuch schrumpfe. Die »Versetzungen« und »Verstimmungen« demonstrieren durchaus objektiv eine erste Möglidikeit, durch Polarisieren und qualitatives Potenzieren die Realität in dem von Novalis definierten Sinn zu romantisieren.45 Neben dieser Gedankenkette, die von der elektrischen Polarisierbarkeit der Sinnesorgane über die Demonstration der dialektischen Einheit der Gegensätze zu der Idee einer durch Steigerung erreichbaren Verkehrung der normalen Wirklichkeit in einen Gegenwelt führt, läßt sich noch ein zweiter Vor45

Die von Novalis gegebene Umschreibung lautet: »Romantisiren ist nichts als eine qualitative Potenzirung« (N2, 545). Allerdings ist das Umkehren der normalen Realität in eine Gegenwelt nur ein besonderer Fall der von Novalis angedeuteten und geforderten Romantisierung der Welt. Insofern ist auch die Hauptthese des Buches von Theodor Haering, Novalis als Philosoph. Stuttgart, 1954, nadi der die Dialektik die Denkform Novalis' schlechthin ist, eine Uberstrapazierung einer sonst zutreffenden Beobachtung.

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stellungsprozeß verfolgen, der von denselben sinnesphysiologischen Experimenten ausgeht. Wenn ausnahmslos alle Sinnesorgane auf diese Weise galvanisierbar sind, d. h. auf Galvanismus ansprechen, dann liegt der Gedanke nahe, daß nicht Licht, Schall, Geruchs- oder Geschmacksstoffe die ursprünglichen Sinnesreize sind, sondern eben die Elektrizität. Positive und negative Elektrizitäten scheinen auf die entsprechenden Pole der Sinnesorgane zu reagieren, sie scheinen »der universelle Reiz für alle Sinne« zu sein.4* Im Galvanismus — man erwartet es fast schon — ist der eigentliche »Sinnenstoff« (Bt. 2, I I I , 2 j 7) zu suchen, der alle Organe anregt, und die uns bekannten, von uns empfundenen verschiedenen Reizungen der fünf Sinne sind bereits Zerf allserscheinungen, denen eine ursprüngliche Einheit, der elektrisdie »Sinnenstoff« voraufging. Ritter schreibt: »Eine und dieselbe Kraft der Natur,

die Electricität, besdiäftigt alle inneren, dynamischen Sinne, und bringt in jedem das hervor, wovon alle übrigen Wahrnehmungen dieses Sinnes nur nähere Bestimmungen sind« (Bt. 2, III, 2J2). Man bemerkt hier zugleich, daß Ritter offenbar den elektrischen Ursinn als eine Art von innerem Organ auffaßt, und man hat sich vorzustellen, daß der Entwicklungsprozeß von diesem Elementarorgan zu den fünf Sinnesorganen nicht nur ein Aufteilungs-, sondern auch ein Veräußerungsprozeß war. Auch über die nähere Beschaffenheit dieses Einheitssinnes läßt sich etwas sagen, weil man die normalen Sinnesorgane auf das hin untersuchen kann, was allen gemeinsam ist. Nun demonstrieren aber besonders die Chladnischen Klangfiguren, daß es letzten Endes Schwingungen sind, Vibrationen, auf die das jeweilige Organ anspridit. Der Unterschied einer Schwingung, die als Ton empfunden wird, und einer, die als Licht erscheint, liegt nur in ihrer Frequenz, jedenfalls nach Ritter. Durch eine Steigerung der Schwingungszahl können also Töne in Licht übergehen. Die Vorstellung, auf die diese Theorie hinausläuft, ist die Idee eines großen Schwingungsspektrums, ähnlich dem des Lichtes, in dem die einzelnen Sinne auf einen bestimmten Bereich von Wellenlängen ansprechen. »Aller Sinnesempfindung liegt Oscillation zum Grunde. Licht ist der sichtbare Ton, Ton das hörbare Licht, Geruch der gerochene Ton, Geschmack der geschmeckte Geruch,« so formuliert es Ritter in einem Brief an Oersted (Hd. 40). Oder an einer anderen Stelle heißt es: »Dasselbe, was im Auge Farben erzeugt, im Ohr erzeugt es Töne — als wären die Farben stumme Töne, die Töne hingegen redende Farben —« (A 2, 124). Und als wollte er sich dagegen verwahren, hier nur gleichnishaft verstanden zu werden, fügt Ritter hinzu: »Das mag wohl so nur eine Redensart scheinen, aber es könnte mehr seyn, als man etwa denkt, glauben zu dürfen« (A 2, 124). Wie auf einer Klaviatur ist das Reich der ursprünglich und im Grunde genommen immer noch elektrischen Schwingungen auf die Oktaven der ein44

Neues allgemeines S. IJ4.

Journal

der Chemie.

Hrsg. von A. F. Gehlen. Bd. 6 (1806).

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zelnen Empfindungen verteilt, und jede Sinnesempfindung kann prinzipiell in jede andere verwandelt werden wegen dieser Wesensverwandtschaft. Daß eine solche Idee keineswegs auf Ritter beschränkt ist, geht z . B . aus einem unveröffentlichten Manuskript von Achim von Arnim hervor, das den Titel »Aphorismen zur Theorie des Lichts« trägt. Dort sagt Arnim: »Alle Physik läuft darauf hinaus, einen Sinn durdi den andern zu k o n s t r u i r e n . . . « . " Die Bemühungen, Sinnesempfindungen dadurch auswechselbar zu machen, daß man sie aus einem ursprünglichen, gemeinsamen »Sinnenstoff« hervorgehen läßt, werden von Bitter auf breiter experimenteller Front vorangetrieben, haben weitreichende Folgen f ü r die Wissenschaft und charakteristische Parallelen in der romantischen Kunst. Diese sollen nun skizziert werden. Die meisten der klassischen Disziplinen der Physik wie Optik, Akustik, Mechanik und Wärmelehre gehen von den entsprechenden Sinnesempfindungen aus. Deshalb bedeutet jede Reduktion oder Fusion in dem einen Bereich, daß auch in dem anderen die Erscheinungen ineinander aufgehen. Wenn alle Empfindungen letzten Endes auf Elektrizität zurückgehen, dann bestätigt das im Grunde nur eine früher sdion beschriebene Tendenz, daß nämlich alle Physik schließlich Galvanismus wird. Die Auswechselbarkeit der verschiedenen Sinneseindrücke hat nun zur Folge, daß audi zwischen den entsprechenden Disziplinen der Wissenschaft intime Wechselbeziehungen herrschen müssen. Beispiele dafür wurden auch bereits angeführt: galvanische und chemische Erscheinungen sind prinzipiell identisch f ü r Ritter. E r hat audi keinen Zweifel daran, daß Licht und Elektrizität im Grunde ein und dasselbe sind. A n einer Stelle wird etwa ausgeführt, Licht sei nichts anderes als freie Elektrizität, während es sich beim Auftreffen auf Grenzflächen, Kontaktstellen, teilweise in Elektrizität verwandle. 48 E r fragt sidi: »Kann man wohl Brennspiegel für Electricität erfinden?« (F i , N r . 3 1 ) »Werden Hohlspiegel die Ausflüsse riechender Substanzen concentriren? — Convexspiegel sie verbreiten, schwächen?« (F 1 , N r . 54) »Sollte es magnetische, electrisdie, Telescope geben können? — Spiegel f ü r Magnetismus, Electricität? — Linsen, Telescope und Spiegel f ü r alle Kräfte?« (F 1 , N r . 249) »Wird man wohl nicht audi f ü r den Schall noch >Gläser< erfinden können, die seine Strahlen zum Focus zusammenbrechen?« (F 1, N r . 2 5 1 ) »Giebt es ein Tonprisma? — Wie wird es konstruirt? — Welches ist sein Spectrum?« (F 1 , N r . 359) Was zunächst an diesen Kostproben einer bemerkenswert produktiven Einbildungskraft dem heutigen Leser auffällt, ist die manchmal überraschende Modernität dieses Fragens. Die hier ausgewählten Beispiele illustrieren, wie romantisches Analogiedenken oder phantasievolles Assoziieren in einigen Fällen tatsächlich die Fragen eines Jahrhunderts experimenteller Physik überholt. Die allen diesen oft frappierenden Spekulationen zugrunde liegende Denkoperation ist 47 48

Unveröffentlichtes Manuskript Nr. 95; U j . Goethe und Schiller-Archiv Weimar. Vgl. dazu Gehlens Journal. Bd. 6 (1808). S. 60.

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das freie Übertragen von Sdiemata aus einem Bereich der Physik in den anderen. Kategorien, Konzeptionen, das Instrumentarium der Optik oder Akustik werden ausgetauscht oder versuchsweise in die Elektrizität und den Magnetismus verpflanzt. Dabei kommen dann manchmal Formulierungen zustande, und zwar hier durchaus überzeugend entwickelt, die den photoelektrisdien Effekt oder das Prinzip des Elektronenmikroskops nicht als wirkliche Entdeckung, wohl aber als legitime Frage vorwegnehmen. Es handelt sich um ein vielleicht frühreifes, aber oft überraschend sicheres Gefühl für eine vielversprechende Frage, für einen fruchtbaren Denkansatz. Solche Intuition und dieser Einfallsreichtum wären ohne das für alles romantische Theoretisieren so charakteristische Kultivieren der freien Assoziation, des Analogisierens schwer verständlich. Legitimiert sah sich dieses Denkens, das alles mit allem in Beziehung zu setzen versuchte, durch den Glauben an die ursprüngliche und wesentliche Identität aller Erscheinungen. Und diese Überzeugung ist es auch, die Ritter in seinem Bemühen antreibt, die vorborgene Einheit aller physikalischen und chemischen Phänomene offenbar zu machen, die Fusion aller Disziplinen seiner Wissenschaft im Galvanismus, die Reduktion aller Empfindungen in einem elektrischen Ursinn zu suchen. Man erkennt nun bei diesem sinnesphysiologischen Konvergenzprozeß die Elemente einer Erlebnis- und Darstellungsart, die im Bereich der romantischen Dichtung ihre genaue Entsprechung hat: die Vereinigung von sinnlichen Erfahrungen und ihre künstlerische Vergegenwärtigung in den Sprachfiguren der Synästhesie. Es ist bekannt, wie verbreitet und charakteristisch diese Form in der romantischen Dichtung ist, und in den bereits zitierten Wendungen von den Farben als stummen Tönen, von Tönen als redenden Farben, dem Licht als hörbarem Ton, dem Geruch als gebrochenem Ton ist auch Ritters Hang zu dieser Sprachform dokumentiert. E r verfällt ganz natürlich und folgerichtig auf die Formulierungen, die seine dichtenden Freunde aus dem gleichen Impuls, wenn auch nicht aus denselben Überlegungen heraus benutzen. Dabei beschreibt er auch Erfahrungen, die nicht nur verschiedene Sinnesempfindungen kombinieren, sondern auch über den Bereich dieser Sinne hinausgehen. Als er die Musik diskutiert, meint er etwa, hier handele es sich nicht nur um etwas äußerlich Hörbares, Musik klinge im Innern des Menschen nach, hörbare Töne setzten sich in fühlbare fort. Für jeden Ton und Akkord gelte, daß »je mehr er sich dem Ideale seiner Reinheit nähert, desto weniger ist er mehr für das äußere hörende Ohr, desto mehr für das innere fühlende da« (A 2, 120). Die Vorstellung eines idealen Tones, eines gefühlten, nicht mehr gehörten Klanges führt ihn dann zu dem Satz: »So möchte ich wohl glauben, daß eine Musik möglich wäre, die man nicht hörte im gewöhnlichen Sinn, sondern die bloß genossen würde« (A 2 , 1 2 1 ) . Diese sublime Transzendierung des einfachen Hörens ist dabei ganz konkret gemeint, denn sie wird von Ritter im Zusammenhang mit einer ausführlichen Darstellung der Experi-

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mente zu seinem körpereigenen »Schluck- und Schlington« g" entwickelt. Deshalb kann er sagen: » . . . wir selbst sind die Saite, die, in Bewegung gesetzt, ihren eigenen Klang von innen, nach innen, die sich vernimmt« (A 2, 121). Der menschliche Organismus ist ein Resonanzboden für die ideale Musik, die man nur nodi empfindet. Das ganz allgemein der Musik im System der Ausdrucksformen in der Natur eine entscheidende Rolle von Ritter zugesprochen wird, wurde bereits in dem Abschnitt über die elektrischen und akustischen Hieroglyphen des Natur-Alphabets dargestellt. Ebenso hat das Hören in seinem System der Sinnesphysiologie eine besondere Stellung. Wenn auch letzten Endes der elektrische der eigentliche Ursinn des Menschen ist, wie die Elektrizität auch das Zentralphänomen der Natur ist, so tritt er doch nur als das Sdiwingungsspektrum aller anderen Sinne in Erscheinung. Dabei ist das akustische Sensorium des Menschen das Sinnesorgan, in dem sich dieser elektrische Sinn wie in einem Modell zeigt. Hier ist sein Wesen, die alles andere stimulierende Oszillation, am klarsten repräsentiert. Ritter fällt daher, auf seine Experimente gestützt, von seinen physikalischen Hypothesen enthusiasmiert, begeistert in den romantischen Preis auf die Musik mit der Stimme der Wissenschaft ein. Ein Fragment lautet: »Das Hören ist ein Sehen von innen, das innerst-innerste Bewußtseyn. — Der Gehörsinn ist unter allen Sinnen des Universums der höchste, größte, umfassendste, ja es ist der einzige allgemeine, der universelle Sinn. Es gilt keine Ansicht des Universums ganz und unbedingt, als die akustische — « (F 1, N r . 358). Solange der universale und ursprüngliche galvanische Sinn verborgen und nur zerfallen in die äußeren fünf Sinne erscheint, repräsentiert ihn der akustische, »das innerst-innerste Bewußtseyn«. In der Reduktion auf einen einheitlichen »Sinnesstoff«, in dem Bestreben, alle Sinne als austauschbar und kombinierbar erscheinen zu lassen, schließlich in der Vorstellung eines Sinnes, der die Essenz aller anderen repräsentiert zeigt sich nun eine gemeinsame Richtung des Denkens, ein philosophischer Generalnenner: die Einheit der Welt auch subjektiv durch die Einheit der Sinne zu garantieren. Es w a r einer der Kardinalpunkte der Kantischen Philosophie gewesen, daß alle Realität nur sinnliche Wirklichkeit bedeuten konnte, daß darüber hinaus schlechthin überhaupt nicht von Realität zu sprechen war. Und unter diesem letzten Gesichtspunkt gewinnen die Experimente Ritters zur Elektrophysiologie der Sinne erst ihr eigentliches Gewicht. Er ist sich auch durchaus bewußt, in welchem Bedeutungshorizont er seine Versuche an Seh- und Gehörnerven macht. Es heißt bei ihm an einer Stelle, alles Äußere komme zu uns nur in der Form von Nervenreizungen; Sinne und Nerven seien »das Band zwischen Körper und Geist, die Brücke vom Geist zur Materie, . . . « (Bt. 1 , 1 , 168). Daher ist die Physik der Nerven so wichtig, und er zitiert, » , , , >man habe nur die Physik der Sinne zu vollenden, und

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es werde zugleich mit ihr die Physik des Universums< vollendet seyn« (Bt. 1, III, 148).49 Es wird hier also der konkrete Versuch gemadit, von der Subjektseite, von der Seite des menschlichen Empfindungsmechanismus' aus, dieselbe einheitliche Weitsicht zu gewinnen, die sich aus der Untersuchung der äußeren Naturphänomene als Allorganismus ergeben hatte. Der allen anderen zugrunde liegende elektrische Sinn, die physikalische Spielart der Synästhesie, die Möglichkeit, normale Sinnenwelt durch Galvan i s m i in eine Umkehrwirklichkeit umzufunktionieren, alles dies sind Versuche in einer Richtung: die Welt als ein Empfindungskontinuum des Menschen sichtbar werden zu lassen. Auch das Gefühl, ja selbst das Denken sind Teile des allgemeinen Erregungs- und Reizspektrums, in das sich das Zentralphänomen der Natur und des menschlichen Organismus, die Elektrizität, auffächert, um die große und allgemeine Klaviatur zu bilden, nach deren Tonfrequenzen die gesamte Schöpfung widerklingt.

j. Perioden und magische Oszillationen Unter diesem Titel und nachdem im Vorstehenden die Szene dazu vorbereitet wurde, soll nun das Thema näher ausgeführt werden, das die Stelle markiert, an der Ritter beginnt, von der Tag- auf die Nachtseite der Naturwissenschaft überzuwechseln : seine Untersuchungen zur Periodizität der Natur. Die These von dem oszillatorischen Charakter der Sinnesempfindungen wurde bereits im letzten Abschnitt erwähnt; hier sollen dazu einige experimentelle Daten nachgeliefert, gleichzeitig das Gesamtphänomen der Schwingungen, charakteristischerweise auch »Pulsationen« genannt, dargestellt werden. Von Novalis stammt die etwas burschikose Sentenz: »Hat man den Rhythmus der Welt weg — so hat man auch die Welt weg« (N3, 309). Die saloppe Formulierung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Idee, der Welt als einem vibrierenden, pulsierenden Organismus zu begegnen, einem Körper, der atmet, lebt, eine der Grunderfahrungen der Romantiker darstellt. Man muß bei diesen Anschauungsformen ebenfalls im Auge behalten, daß derjenige, dem alle Naturprozesse periodisch ablaufen, nichts von einer linearen Weiterentwicklung halten kann und sich statt dessen der Vorstellungsfigur des Zyklischen verschreiben muß. Betrachtungen zu Perioden in 4

* E s ist mir nicht gelungen, die Herkunft des Zitats, das Ritter hier bringt, festzustellen. A d i i m von A r n i m hat ganz ähnlich in einem Manuskript formuliert, das den Titel hat: » Ü b e r Chemie als Naturwissenschaft«. Es könnte sich um den E n t w u r f einer mir nicht bekannten Veröffentlichung Arnims handeln, die Ritter gekannt haben würde. Bei A r n i m heißt es: » . . . es w i r d sich zeigen, daß die E i n heit der N a t u r einzig durch die Entwicklung der Sinneseinheit hervorwachsen könne.« Manuskript N r . 9 1 ; I J 3 . Goethe- und Schiller-Archiv. W e i m a r .

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der Natur führen also direkt in das Zentrum des romantischen Denkens über Entwicklungsprozesse überhaupt. Periodische Wiederkehr auf einer höheren Ebene ist der romantische Gegenentwurf zum einfachen Weiter und Hinauf der Aufklärung; die Spirale gegenüber der Geraden ist das Bild dieses Denkens in Perioden, Atemzügen und Pulsschlägen. Das ist der größere Rahmen, das allgemeine und für die ganze Romantik typische Begriffsfeld, in dem Ritter den Wiederholungsprozessen in der Natur nachspürt. Die erste und zentrale Oszillation, die für alle anderen anorganischen und organischen Schwingungen den Takt bestimmt, liegt nach Ritter in den Sternen; es ist die Umlaufzeit der Erde um die Sonne, das Jahr von rund 365 Tagen. Der Maßzahl dieses astronomischen Grundtaktes in allen Prozessen auf der Erde nachzugehen, ist dann der Sinn der nun folgenden Periodenjagd Ritters. Er findet diesen Urtakt des Universums in Erscheinungen wieder, die zunächst überhaupt nichts mit astronomischen Rhythmen zu tun zu haben scheinen. Stellvertretend für die anorganische Natur auf diesem Planeten wendet Ritter sich natürlich seinem Zentralphänomen, dem Galvanismus zu. An der Voltaschen Säule bietet sich eine solche Untersuchung an, weil sich dort der Galvanismus am klarsten und kräftigsten zeigt. Pulsiert, atmet, lebt Voltas Batterie etwa? Erkennt man am Ende vielleicht sogar alte, wohlbekannte rhythmische Muster? Ritter mißt ihre Intensität zu verschiedenen Jahreszeiten und entdeckt, daß die elektrische Spannung im Winter ein Maximum, im Sommer ein Minimum hat. Er prüft die Intensitätsschwankungen während eines Tages von 24 Stunden und findet, daß es auch hier ein Maximum und ein Minimum gibt, daß die Voltasche Säule also eine Tagesperiode hat. Auch in kleineren Zeitabständen scheint die Spannung periodisch zu schwanken: Es gibt eine Teilperiode von Minuten, und das ist fast genau der 365. Teil von 24 Stunden. Ritter beobachtet eine weitere Unterperiode von m/s7 Sekunden, und das ist der 365. Teil von 3*'/24 Minuten. Und wenn man sich erinnert, daß auch die Voltasche Säule im Ohr einen bestimmten Ton erzeugte, dann hat man es hier mit einer elektrischen Oszillation zu tun, die in M/s7 Sekunden gerade 365 Schwingungen macht. Offensichtlich, so rechnet es Ritter in seinen Beiträgen, in den Abhandlungen, in Briefen an Oersted und Goethe vor,50 gehorcht der Galvanismus einem rhyth80

Es handelt sich um längere Abschnitte in den Beiträgen. Bd. 2 (III u. IV). Jena, 1805. S. 346 fr., um einen unveröffentlichten Brief Ritters an Goethe vom 27-/28. März, 1804 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Berlin). Ferner um die Briefe vom 20./22. Mai, 1803; 26. Dez., 1803, und 19. März 1804, an Oersted (Hd., 35 f., 4$ ff., j8 ff.) und schließlich um Passagen aus den Abhandlungen, Bd. 3; bes. S. 148 ff. Die Multiplikations- und Divisionsübungen, die Ritter in diesem Zusammenhang anstellt, sind übrigens charakteristisch für das Niveau der bei ihm verwendeten Mathematik. Seine mathematische Bildung scheint kaum über die vier Grundrechenarten hinauszugehen. Es wäre aber falsch, wenn man darin einen gerade für die romantische Art, Wissenschaft zu treiben, typischen

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mischen Muster, die Elektrizität pulsiert wirklich. Aber nicht nur das; die Perioden des Galvanismus wiederholen den Rhythmus, der den Takt des ganzen Universums angibt: die Periode der Erde. Das Teilverhältnis, das die Pulsschläge der Voltaschen Säule miteinander bilden, ist immer 1:365, die Proportion von Tag zu Jahr. Dieser gemeinsame Faktor aller elektrischen Oszillationen bindet die irdischen Prozesse an die eine Grundschwingung, den Umlauf der Erde um die Sonne. Ritter schreibt am 26-/27. März 1804 an Goethe, nachdem er seinem Gönner diese Resultate in allen Einzelheiten dargestellt hat: »Denn alles in der Natur scheint durch eine Kette verbunden, und die Voltaische Säule nur ein glückliches Glied aus ihr«. 51 Es ist deutlich: Nicht nur diese galvanische Batterie schwingt in einem planetarischen Takt, sondern sie ist Modell für alle anderen Prozesse auf der Erde. So versucht Ritter auch, die Periodizität von diemischen Reaktionen nachzuweisen und macht in dem oben zitierten Brief an Goethe darauf aufmerksam, daß sich im Flackern einer Kerze der oszillatorische Charakter des so weit verbreiteten Verbrennungsprozesses zeige. Selbst die Wünschelrute, die bei ihm eine Zeit lang die Voltasche Batterie aus der Favoritenstellung verdrängte, zeigt, wie Ritter am 6. Dez. 1806 aus Riva an Baader schreibt, 92—93 Schwingungen pro Minute, also eine Periode von 2/s Sekunden.82 Das ist fast genau die Säulenperiode von 24/s7 Sekunden, die vorher erwähnt wurde. Akustik, Optik, Elektrizität, Chemie und Magie offenbaren sich somit sämtlich als Oszillationen, die so aufeinander abgestimmt sind, daß stets der universale Grundtakt hörbar bleibt: der Jahresrhythmus der Erde. Neben ihrem Umlauf um die Sonne zeigt die Erde aber auch nodi andere, längere astronomische Perioden, von denen Ritter vermutet, daß auch sie sidi in der anorganisdien und organisdien Natur wiederholen, und sich der irdische Kosmos so wirklich als eine Spiegelung des ganzen Universums erweist. In den zitierten Aufsätzen und Briefen präsentiert Ritter Tabellen, in denen die Häufigkeitsverteilung von Polarlichtern, Meteoren, Gewittern zusammengestellt sind. Er findet Maxima solcher Ereignisse alle 9—10 Jahre und ist überzeugt, daß sich auch in der lebendigen Natur eines Tages ein solcher Rhythmus nachweisen lassen wird. Besonders aber hat es ihm die Nutationsperiode der Erdachse, eine im wesentlichen durch die Veränderung

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Mangel sähe. Einerseits teilen viele der zeitgenössischen Naturwissenschaftler, die der deutschen Romantik völlig fern standen, mit Ritter dieses Unvermögen. A n dererseits ist gerade das große Interesse und die Einsicht in die Prinzipien der zeitgenössischen Kombinatorik und Infinitesimalrechnung eines N o v a l i s bekannt. W e n i g bekannt scheint zu sein, daß auch Arnims naturwissenschaftliche Arbeiten wesentlich mehr Mathematik enthalten als alle Retterschen. D e r in A n m . j o angegebene Brief von Ritter an Goethe. Ritter an Baader am 6. Dez., 1 8 0 6 : » E s ist die nemliche Periode, die auch bei der V o l t . Säule vorkommt.« Siehe: H o f f m a n n , B d . 1 5 . S. 2 0 7 .

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der Mondbahn hervorgerufene Störung angetan. Diese >Mondperiode< von durchschnittlich i82/s Jahren ist nun gerade das Doppelte der Nordliditperiode, ein Umstand, der für Ritter natürlidi kein Zufall ist, sondern eine hochbedeutsamen Zusammenhang der beiden anzeigt. Weil nämlich für ihn alle Gravitationserscheinungen im Grunde magnetische Anziehungen sind, treten hier die Geheimnisse des Magnetismus und die des Mondes, dem von der Romantik hochfavorisierten Gestirn, in eine vielversprechende Beziehung. In der Tat hatte es mit dem Magnetismus und dem Mond eine besondere Bewandtnis für Ritter. Er schreibt einmal an Oersted: »Ueber den Magnetismus bin ich jetzt mehr im Dunkeln als je. Er scheint mir gerade zu einer andern Seite der Natur zu seyn, der Weg nach der Unterwelt« (Hd, 100). Karl von Hardenberg warnt er, bei Versuchen mit dem magnetischen Pendeln habe das Sonnenlicht die »allerstärksten Influenzen . . . Mondenlicbt aber wirkt selbst noch stärker als jenes«.53 Und bei einer Mondperiode von i82/s Jahren glaubt Ritter nun mit einiger Sicherheit bereits jetzt sagen zu können, daß dieser siderische Rhythmus gewiß seine bedeutenden, auch gefährlichen Spuren in der Menschenwelt hinterlasse. In einem Fragment läßt er sich vernehmen: »Die magnetischen Perioden sind die Krankheitsperioden der Erde und des besonderen Organismus« (F2, Nr. 382). An einer anderen Stelle kommt ihm der Gedanke, in diesem Zusammenhang einmal »Mortabilitätstabellen« zu studieren (Bt. 2, III/IV, 352). Er ist also offenbar sicher, daß die >magnetische< Mondperiode sich in einer drastischen Erhöhung der Sterblichkeit bemerkbar machen würde, wie auch eine Untersuchung der Häufigkeitsverteilung von Epidemien interessante Aufschlüsse über den Zusammenhang von kosmischen und irdischen Vorgängen geben könnte. Man erkennt ein bestimmtes Schema in diesen Spekulationen: Die größeren astronomischen Rhythmen haben nicht so sehr für den Einzelorganismus eine Bedeutung (mit einer später zu besprechenden Ausnahme), sondern spiegeln sich in gewissen Perioden, die den Ablauf der Geschichte der ganzen Art charakterisieren. Das Jahr, die Jahreszeiten, der Monat, der Tag und kleinere Unterteilungen bestimmen den Rhythmus des individuellen Lebens; die Großperioden hinterlassen ihre Spur in der Geschichte der Menschheit. Auf der Grundlage solcher direkten Reflexe astronomischer Periodizitäten in der Mensdiengeschichte wagt Ritter auch kühne und ganz konkrete Prophezeiungen. So macht er beispielsweise seinem Freund Oersted folgende Rechnung auf, in der vorausgesagt wird, wann der Galvanische Preis von Napoleon, um den sich Ritter vergeblich beworben hatte, verliehen werden würde. Es heißt in dem Brief vom 20. Mai, 1803:

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Ritter an Karl von Hardenberg am 22. April, 1807. Siehe: F. Klemm und A . Hermann, S. 37 f.

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»Nebenbey, daß Bonapartes großer galv. Preis nicht eher auf eine würdige A r t gewonnen werden kann, als in den Jahren 1818—22. I d i muß dir doch den Grund angeben. Wie alles auf Erden, so wird auch der Mensch vom Magnetism, u. mit diesem auch die Lage der Ecliptik regirt. Es liegt in der N a t u r der Sadie, daß in das Maximum der Schiefe der Ekliptik der allgem. Organismus hersdiend ist. Mit ihm also auch alle großen Entdeckungen, denn der Mensch macht s. nur, aus seinem besondern Organismus mehr in den allgemeinen gesetzt. Dies schlägt durdi alle Wissenschaften durch. So hast du denn audi in der Electricität: Jahre des Max. der Schiefe der Ekliptik 1745 i / j Erfindung der Kleist'sdien Flasche 174J (versdiiedene) 1764 „ „ Electrophor 1764 (Wilke) 1782 2/3 „ „ Condensator 1783 (Volta) 1801 1/3 „ „ Volt-Säule 1800 (Volta) D u wirst aber zugeben, daß mit jeder dieser Vorrichtungen in der Electr. Epoche wurde u. außer diesen keine zu setzen seyn. D u wirst also nidit eher auf eine neue Epoche, oder deren A n f a n g , als im Jahre 1819 2/3 oder 1820 zu rechnen haben. D i e erleben wir also wohl nodi" (Hd, 3jf).

Die Pointe dieser Prophetie gibt der Herausgeber dieser Briefsammlung, M. C . Harding, in einer Fußnote zum Text: »Ritter eut par hasard raison, car la découverte électromagnétique d'örsted se fit dans la première moité de 1820« (Hd, 36). Nicht in diesem Zusammenhang, wohl aber, um seine These von der Sternenverwandtschaft des Menschenlebens zu krönen, zieht Ritter sogar schließlich eine astronomische Periode heran, die sich auf den ersten Blick wirklich allen solchen Betrachtungen zu entziehen scheint: das sogenannte Platonische Jahr von 26 000 Erdjahren, die Umdrehungszeit der Erdachse um die Ekliptik. Er präsentiert dem verdutzten Leser folgende Divisionsaufgabe: 26 000 : 365 ist ungefähr 71 Jahre, die durchschnittliche Lebenserwartung des Menschen (vgl. Bt. 2, III/IV, 352 f.). Der Triumph, den Ritter hier wieder einmal glaubt feiern zu können, liegt natürlich in der ominösen Zahl 365, dem Teilverhältnis, das auch die Intensitätsschwankungen der elektrischen Säule beherrschte. U n d um zu zeigen, daß es sich nicht nur um eine leere Kalkulation handelt, argumentiert er, diese Periode des Menschenlebens müsse auch reziprok irgendwie wieder in der Astronomie vorkommen, nur fühle er sich da nicht kompetent. (Vgl. Bt. 2, III/IV, 353) Mit einem Seitenblick auf Novalis' Roman Heinrich von Ofterdingen könnte man sagen, daß hier der siderische Mensch nicht aus der Umarmung Mathildes und Heinrichs geboren wird, sondern eine A r t theoretischer Homunculus ist, der einem einfachen Rechenexempel entspringt. Trotzdem: Seine Geburt und sein T o d fallen in einen, langen Atemzug der Sterne. Novalis und Ritter bewegen sich in demselben Kreis von Vorstellungen. Der bisher dargestellte Gleichtakt, in dem die Schöpfung oszilliert, betraf im wesentlichen den astronomischen, den geschichtlichen und den anorganischen

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Bereich. Auf dem Wege zum Menschen, der wieder eine Welt f ü r sich darstellt, liegt natürlich nodi das Reich der organischen Formen: Pflanzen und Tiere. Es bedarf aber kaum einer Begründung, sondern eine aufzählende Feststellung genügt, um zu zeigen, daß die Umlaufperiode der Erde, das J a h r und seine natürlichen Unterteilungen, die Fundamentalrhythmen des pflanzlichen und tierischen Wachstums bilden. In den Jahresringen der Bäume hinterläßt die Grundschwingung der Erde nur ihre besonders deutlichen Spuren; der Wechsel der Jahreszeiten bestimmt den Entwicklungsprozeß der Pflanzen; der Tag ist durch den Wechsel von Schlaf und Wachen bei den Lebewesen markiert, und zwar nicht nur bei den Tieren, sondern auch bei Pflanzen. Ritter meint in diesem Zusammenhang, daß der sogenannte Pflanzenschlaf keinesfalls eine Erscheinung sein könne, die nur bei einigen, bisher beobachteten Exemplaren vorkomme, er müsse ein allgemein verbreitetes Phänomen sein, »denn specifische Wunder werden in der Natur nicht angetroffen, nur im allgemeinen mag sie ihre Größe zeigen«. 54 Bei der Abfolge der Jahreszeiten ergibt sich übrigens eine seltsame Schlußfolgerung, wenn man die anorganische mit der organischen Natur vergleicht. Die Voltasche Säule, die als Modellfall f ü r alle anorganischen Prozesse diente, hatte eine Intensitätsmaximum im Winter, ein Minimum im Sommer. Offensichtlich verlaufen die organischen Prozesse, obwohl sie dieselbe Periode haben, phasenversdioben, denn die Wachstumsintensität hat im Winter ihr Minimum, im Sommer ihr Maximum. Organismus und Anorganismus, so könnte man die Angaben Ritters interpretieren, schwingen also im Gegentakt, eine Folgerung, die er selbst zwar nidit zieht, die aber in sein so häufig benutztes Schema des Umkehrens, des Versetzens passen würde. Alles in der lebenden Natur folgt also ganz offensichtlich Rhythmen, die von den Bewegungen der Erde bestimmt werden, und wenn die vorher erwähnten kleineren Perioden der Voltaschen Säule noch nicht bei Pflanzen und Tieren entdeckt worden sind, so hat Ritter auch dafür eine Erklärung. E r meint: »Vom Menschen allein können wir sagen, sein Zeitgesetz sey noch dasselbe, wie das des Anorganismus, wie wohl es auch in ihm, sich unabhängig schon von dem letzteren übt« (Bt. 2, I I I / I V , 364). Das bedeutet, die Gesamtnatur wiederholt sich nur im Menschen noch wirklich genau; Pflanzen und Tiere sind bereits merklich aus dem Takt geraten, der den großen Bereich der nichtlebendigen Natur bestimmt. Im Mikrokosmos Mensdi findet sich als charakteristisches Teilverhältnis die Jahresperiode der Erde und setzt seinem Leben die Zeit von 7 1 Jahren. Das einzelne Jahr, die Jahreszeiten, Monat und Tag sind Zeitwechsel, die sein Leben regeln. Und beim Menschen als einzigem Lebewesen scheinen nun auch die Oszillationen der anorganischen Natur aufzutreten, die man bei der elektrischen Säule gemessen hatte und in der übrigen organischen Natur hatte vermissen müssen. Ritter meint, die M

Gehlens Journal. Bd. 6 (1808). S. 479.

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elektrischen Schwankungen von 3*'/24 Minuten entsprächen der Umlaufzeit des Blutes im menschlichen Körper, und die Teilperiode der Voltaschen Batterie von 24/>7 Sekunden käme im Pulsschlag des Menschen wieder vor. Im Menschen allein hat also die Erde noch einmal alles formuliert, was sie in der übrigen Natur zu sagen versucht hatte: »Zuletzt entstieg er ihrem Schooß . . . , er ist ihr jüngst gesprochenstes Wort« (Bt. 2, III/IV, 366). Deshalb entsprechen audi seine zeitlichen Rhythmen noch denen der Erde. Wenn aber so die Perioden des Universums und die Oszillationen der Elektrizität mit den Rhythmen des Menschenlebens zusammenfallen, dann wird es zuletzt nicht mehr möglich sein, zwischen Bild und Original, zwischen den Frequenzen in der Natur und ihrer Resonanz im menschlichen Organismus, jedenfalls was die Priorität angeht, zu unterscheiden. Dann läßt sich der Mensch >siderisch< nennen, aber auch die Natur ein anderer Menschenkörper. Jedes Oszillieren kann dann als das Pulsieren eines lebendigen Organismus nach der A r t des menschlichen interpretiert werden. U n d in diesem Auswechseln der Vokabeln, im Übergang vom Oszillations- zum Pulsationsphänomen, vollzieht sich auch im sprachlichen Ausdruck die Verlagerung der Interpretationsperspektive: Die Welt wechselt ihre Physiognomie vom Schwingungskontinuum zum pulsierenden Organismus, dessen Rhythmen mit denen des Menschen übereinstimmen. Sie sind daher kein monotones A u f und A b , kein leeres H i n und Her des Pendels eines großen Uhrwerks; die Voltasche Säule atmet, wenn ihre Intensität ansteigt oder schwächer wird, und die astronomischen Perioden der Erde sind die Herzschläge jenes Alltieres, das Ritter am Ende seiner ersten Arbeit beschworen hatte. Man erkennt hier die Vision der Natur als eines riesigen Organismus wieder, wie sie schon unter verschiedenen Aspekten dargestellt wurde. Dieser Naturkörper lebt nun wirklich, denn es hat sich gezeigt, daß sein H e r z tatsächlich schlägt, daß sein Puls meßbar ist. Dabei ist es die nun offenkundige Absicht der eigensinnigen Fahndungen Ritters nach Perioden in der Natur, die Verbundenheit aller dieser Oszillationen zu demonstrieren und zuletzt konkret zu dokumentieren, wie die Natur am Ende noch einmal alles zur >Abbreviatur< ihres Universums, dem Menschen, zusammenfaßt. Das zunächst verborgene, dann aber in dem Vokabelwechsel von der >Oszillation< zur >Pulsation< deutlich werdende Ziel w a r es aber immer, die organische Lebendigkeit aller Natur in den pochenden Rhythmen ihrer vielen, ineinander verflochtenen Perioden buchstäblich fühlbar zu machen. D i e abstrakte Version des Gedankens vom oszillatorischen Charakter des Lebendigen taucht dann auch in einem Fragment noch auf, in dem es heißt: »Die Rotation ist Grund aller Organisation, ohne sie keine. So organische wie anorganische Individualität um den Äquator größer, ausgebildeter. Je schneller die Rotation eines Planeten, desto mehr Organisation auf ihm, besonders

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bei beträchtlicher Größe. N u r auf rotierenden Weltkörpern kann individuelles Leben seyn« (F2, N r . $2j). Perioden kommen also nicht nur überall in der Natur vor, sie sind eine notwendige Bedingungen für das Leben überhaupt, und je schneller die Schwingungen sind, desto reicher entfalten sich die organischen Formen. Ritter hat natürlich die Üppigkeit der tropischen Vegetation im Sinn, also Breitengrade, deren Umlaufgeschwindigkeit größer ist als bei solchen, die mehr gegen die Pole der Erde hin liegen. Seine Idee, daß nur auf rotierenden Himmelskörpern individuelles Leben möglich sei, ist einer der interessantesten Einfalle dieser phantasievollen Physik der Oszillationen. Damit kehrt Ritter auch wieder in den Kreis jener Überlegungen zurück, die seine Theorien von der Geschichte enthielten. Die Spirale der Reflexion, die früher als das Bild beschrieben wurde, in dem die Menschengattung durch die Entdeckungen der Wissenschaften sich selbst begegnet, wird nun als eine Reihe von aufsteigenden, periodischen Kreisen auf die Lebenszyklen des menschlichen Individuums übertragen. Die Spirale des individuellen Lebens beginnt mit der biologischen Urperiode des Herzsdilags. Eine Reihe soldier Herzsdiläge ergibt die Umlaufperiode des Blutes. »Das Daseyn hat schon eine höhere Stufe erstiegen« (Bt. 2, I I I / I V , 260). Eine Kette solcher Pulssdiläge summiert sich zu einer neuen Lebenseinheit, dem Tag, dessen Kreise durch das Jahr geschlossen werden. »Endlich gehen in verschlungener Kette die Jahre vorüber, und mit 70, wenig darüber, ist der letzte Kreis — so weit beschrieben, als er dies überhaupt auf Erden werden soll. — Des irdischen Lebens innere Mannichfaltigkeit ist erschöpft, es hat sich ganz, in allen seinen Theilen gesehen und erkannt; der Zweck des leiblidien Daseyns ist erreicht, es tritt von einem Schauplatz ab, auf dem es, ferner zu verweilen, keine Ursache haben kann« (Bt. 2, III/IV, 260 f.). Die >Pulsationen< haben sich erschöpft; von der kleinsten Oszillation des Anorganismus bis zur Periode des Platonischen Jahres, dessen 365. Teil die Zeit des Menschenlebens war, hat sich die ganze Natur im Menschen wiederholt; er hat seine Kreise abgeschritten, sein Leben ist vollendet. Eine besondere, höhere Art von Schwingungen sind die magischen Oszillationen, die Caroline Schelling »joujous de Campetti« genannt hatte: die Bewegungen der Pendel und Balanciers. Wie im ersten Teil dieser Arbeit dargestellt wurde, traten diese Experimente an die Stelle der eigentlich geplanten öffentlichen Wünschelrutenvorführungen. Sie sollten zunächst demonstrieren, daß noch immer bestimmten, auserwählten Individuen der Gattung Mensch das gelingen konnte, was in alten, glücklichen Zeiten allen möglich gewesen war: mit Metallen und mit dem Wasser, aber auch ganz allgemein mit aller sogenannten toten Natur in Kommunikation zu treten. Die hier näher zu besprechenden Schwingungsversuche demonstrierten aber nodi mehr, wie sich zeigen wird. Sie bringen Erkenntnisse, in denen sich Phänomene, die für sidi

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längst bekannt waren, auf einer höheren Ebene als zwei Aspekte einer einheitlichen Erscheinung herausstellten: Polaritäten und Oszillationen. Schwingungen, so wird es sich jetzt ergeben, sind nichts als die äußeren Formen, die die in allen Körpern verborgene Polarität annimmt. Was geschah? Hielt man ein Pendel über den Nordpol eines Magneten, dann setzte es sich auf geheimnisvolle Weise in eine elliptische Bewegung, die dann mehr und mehr in eine Kreisbewegung überging, und zwar geschah die ganze Drehbewegung im Uhrzeigersinn. Der gleiche Versuch über dem Südpol eines Magneten ergab eine Schwingung im Gegenuhrzeigersinn. Polarität trat sichtbar in der Drehrichtung hervor. Und nachdem man auf diese Weise altbekannte oder schon immer postulierte Gegensätze wie Zink und Silber, Rot und Violett, positive und negative Elektrizität sich hatte offenbaren sehen, war der Appetit geweckt, mit Pendel oder Balancier die ganze Natur nach versteckten Polaritäten zu durchforschen. Im Uhrzeigersinn drehten sich die Pendel, die am besten an einem nassen Faden aufgehängt, von der angefeuchteten Hand frei gehalten wurden (wegen der besseren elektrischen Leitung) über: Zink und Zinn, bewegtem Wasser, dem roten Teil des Spektrums, dem oberen Ende einer Pflanze, dem spitzeren Ende eines Eies (nicht gekocht, d. h. getötet!), überhaupt dem stärker gekrümmten Ende jeder Frucht, dem Kopf von Tieren und Menschen, der hohlen Hand, der linken Seite des menschlichen Körpers bis zur Hüfte, über den Augen und dem Mund von Frauen, ihrem Geschlechtsteil. Umgekehrt, also im Gegenuhrzeigersinn drehten sie sich über: Kupfer und Silber, dem violetten Teil des Spektrums, dem unteren Ende einer Pflanze, dem stumpferen Ende eines Eies oder einer Frucht, der Fußsohle des Menschen, dem Rücken der Hand, der rechten Körperseite, männlichen Augen, Mündern und Genitalien. Natürlich kehrt sich alles, um wenn eine Frau diese Versudie macht, wenn statt der linken, die rechte Hand das Pendel hält, wenn man einatmet, statt ausatmet, wenn der Versuch mit geschlossenen, statt offenen Augen gemacht wird oder wenn man das Experiment nicht direkt, sondern durch einen Spiegel betrachtet. 55 Die Geladenen dieser Séancen können in Polaritäten schwelgen, von denen die Natur voll zu sein scheint, was man ohnehin schon immer behauptet hatte. Das »transzendentale 55

Ritter selbst hat diese Versuchsergebnisse nie veröffentlicht. W i e im ersten Teil dieser Arbeit erwähnt, fanden sie meist durch Briefe der Eingeweihten ihren W e g an die Öffentlichkeit. Die hier gegebene A u s w a h l stammt aus Briefen R i t ters an K a r l von Hardenberg v o m i . Febr., 1 8 0 7 , und 2 2 . A p r i l , 1 8 0 7 (F. K l e m m und A . Hermann, S. 28 ff. und 3 6 ff.) und einem ähnlichen an Oersted v o m 20. A p r i l , 1 8 0 7 (Hd., 1 9 2 ff.). D e r Brief an Hardenberg beschreibt Pendelexperimente, der Brief an Oersted solche mit dem Balancier. Dabei handelte es sich um ein von Ritter entworfenes Instrument, nämlich ein Metallstäbchen (meistens K u p f e r ) , das auf einem Finger balanciert wurde. E s führte keine vollen Kreisbewegungen aus, w o h l aber Drehungen von etwa 4 0 o — 4 j ° aus.

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Triumvirat« Schelling-Baader-Ritter feiert sublime Triumphe. Nicht zuletzt ist es der Gegensatz der Geschlechter, der die Experimentatoren fasziniert, wie man an den mit besonderer Ausführlichkeit untersuchten Körperpolaritäten sieht. Nur ein Teil der von Ritter beschriebenen Versuche, die sich gelegentlich mit verdächtiger Sorgfalt der delikateren Partien des weiblichen Körpers annehmen, ist hier aufgeführt worden. Und wenn man den Sarkasmen des bereits früher einmal zitierten Berichterstatters Franz von Spaun Glauben sdienken kann, dann muß das Auspendeln von intimen Polaritäten manchmal leicht skandalöse Formen angenommen haben. Dieser nidit ganz unvoreingenommene Münchener Zeitgenosse weiß zu berichten: »Man hatte dem Lächerlichen ungeheure Blößen gegeben, und Versuche mit allen Theilen eines schönen weiblichen Körpers angestellt. Das Gelächter war bald so laut, daß die Regierung, um der Sache ein Ende zu machen, die Ernennung von Untersuchungs-Commissarien befahl«. 56 Für Ritter gab es hier jedodi nicht nur nichts zu lachen, die Resultate waren im Grunde nur Bestätigung des schon lange Gewußten und paßten sich außerdem der von ihm entwickelten Theorie der Elektrizitäten widerspruchslos an. Tatsächlich war in einer Kombination von Zink und Silber das erste Metall elektrisch positiv, das zweite elektrisch negativ, und hatte man nicht sdion die beiden Endfarben des sichtbaren Spektrums, Rot und Violett, als >Pole< des Lichtes aufzufassen gelernt? A n Oersted schreibt er daher: »Das Ganze ist doch nur ein electrischer Process« (Hd, 199). Und er skizziert in demselben Brief seinen physikalischen Erklärungsversuch dieser Erscheinungen mit dem Hinweis, der Balancier auf dem linken Mittelfinger von Campetti würde sich genau so bewegen, wenn man annähme, positive Elektrizität ströme in diesen Finger (Vgl. Hd, 199). Wenn also diese magischen Oszillationen bereits gesicherte Erkenntnisse richtig bestätigen, dann konnte man sich ihnen auch auf weiterführenden Wegen anvertrauen, und die polare Grundstruktur trat bei allen Körpern nun endlich zutage. Aber dies ist nur die erste Phase der Erkenntnisse, deren man hier teilhaftig wird. Die nächste Offenbarung stellt sich ein, wenn man die Form dieser geheimnisvollen Schwingungen betrachtet. Beobachtet man nämlich die Ausschläge des Balanciers — oder noch besser — das Rollen einer Metallkugel in einer feuchten, hohlen Hand, dann stellt man fest, daß hier nicht einfache Kreisbögen beschrieben werden, sondern dieser Kreisbewegung eine A u f - und Abbewegung überlagert ist, so daß Balancier oder Kugel zu taumeln scheinen. Man sieht, »daß der Balancier eigentlich mit beyden Polen gerade so Kreiße beschreiben möchte, wie auch die Pole der Erde am Himmel M

Franz von Spaun, Die Verschwörung gegen den gesunden S. 16. Das Motto dieser polemischen Sdirift heißt: »Sic affectantes coelestia regna Gigantas A d Styga nimbifero vindicis igne date.«

Menschenverstand.

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während der Nutation der Erde« (Hd, 204). Und eine Zinkkugel in der hohlen Hand »wälzt sich wirklich von selbst in dieser Hand fort, u. nutirt dabey zu gleidier Zeit. Was aber hast du doch hier zuletzt?« so fragt Ritter seinen Freund Oersted: »Die beyden Hauptbewegungen, die jedem im Universum rotirenden Körper zukommen: Rotation u. dabey Nutationl Es sind die himmlichen Bewegungen selbst, die hier, gleichsam nur im Kleinen, sich wiederholen« (Hd, 204)! Im Prinzip sind das bekannte Gedanken, aber die Akzente haben sich etwas verlagert. War es früher die Natur, die es so eingerichtet hatte, daß sich der Gesamtorganismus des Universums im Menschenkörper wiederfand, so ist es jetzt der Mensch selbst, der in einer bewußten Handlung diese verborgenen Korrespondenzen ans Licht bringt, dem die Kugel folgt, wie der Planet der Sonne. Schelling meldet daher auch an Hegel: »Es ist eine wirkliche Magie des menschlichen Wesens, kein Tier vermag sie auszuüben. Der Mensch bricht wirklich als Sonne unter den übrigen Wesen, die alle seine Planeten sind, hervor. — Es beginnt die Physica coelestis oder uranis nadi der bisherigen terrestris«.57 Das verräterische Wort »Magie« bezeichnet die Richtung, in der wir uns jetzt bewegen. Wir sind nicht mehr weit von dem magischen Idealismus Novalis', nach dem ja auch der Mensch in der Synchronie mit dem Rhythmus des Universums intensiv Gewolltes und deutlich Vorgestelltes in ein Phänomen der realen Außenwelt umsetzen kann. Ritter führt denn audi die Macht des Menschen über andere Körper nodi genauer aus. Im Siderismus entwickelt er den Gedanken, daß solche Rotationen und Nutationen Erscheinungsformen seien, in denen ein anorganischer Körper sich den Anschein von Leben gebe, und zwar nur dem Menschen gegenüber. Solche Imitationen von Planetenläufen sind in demselben Sinne »prophetische Hieroglyphen«, Ausdrucksversuche auf dem Wege zum eigentlidien Leben, wie es die anorganischen Kristallisationen in gewissen Salzlösungen waren. Ritter schreibt, der tote Körper nehme in solchen, den Sternen nachgebildeten Bewegungen, »den Schein des Lebens« an, er müsse hier »wie erlöst von seinen Banden wenigstens auf Augenblicke Wirkungen und Kräfte auf das Leben ä u ß e r n . . . , die höher sind, als die er gegen seines Gleidien übte . . . « (S, 1 j). Die Körper, die sonst nur einer medianischen Reaktion auf Druck oder Stoß fähig sind, zeigen dem Menschen gegenüber eben durch ihre Rotationen und Nutationen Ansätze zu einem auf ein Sinnzentrum hin gebauten Organismus. Jeder Körper werde in solchen Experimenten, so setzt Ritter es Karl von Hardenberg auseinander, »in Conflict mit dem vollendetsten Microcosmos, dem Menschen, selbst zu einer, um was immer für ein Centrum als Sonne laufenden u. sich drehenden Erde. . . . Hier weist der Mensch, Organism das erstemal, sidi als Lebensspender an der ganzen übrigen Natur. Er tritt unmittelbar dergleichen an alles ab, was ihn berührt, u. wo 17

Schelling an Hegel am 11. Jan., 1807. Siehe: Hoffmeister, 1. Briefband. S. 135.

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dann dieses sich nur bewegen kann, bewegt es sich wirklich, u. giebt, wo andere Darstellung nicht möglich, den eingenommenen Organismus als Planetismus (Siderismus), wieder.« Und er krönt seine Verkündigungen von der lebenerweckenden Kraft des Menschen, der die Körper durdi »Planetismus« antworten, wo ihnen der Organismus verwehrt ist, mit den Sätzen: »Der Punkt, den Archimedes forderte, ist gefunden. Wir werden die Erde wirklich bewegen«.BB Hier nun, so glaubt Ritter, geht der alte Traum von Novalis wirklich in Erfüllung. Hatte Novalis nicht gesagt: »Der physische Magus weiß die Natur zu beleben, und willkürlich, wie seinen Leib, zu behandeln« (N3, 297)? Und war nicht von Ritter bereits demonstriert worden, daß sich gerade im Körper des Menschen der Lauf der Sterne wiederholte? Das also hatte Novalis im Sinne gehabt, so versteht es Ritter: die Körper zu dem rotierenden, nutierenden Beinahe-Organismus zu bringen, der als innerer, organischer »Planetismus« bereits im Menschen verwirklicht war; nach dem Vorbild des einen das andere zu stiften. Der sogenannte magische Idealismus von Novalis hat zwar viele Aspekte und Bedeutungsstufen, darunter ist aber auch die ganz konkrete Vorstellung, durch intensives Wollen diese Welt materiell und sichtbar zu beeinflussen. Ritter meint wirklich, das Testament seines Freundes endlich zu vollstrecken, wenn er die Erde bewegen will, den Pendeln »befehlen« kann, »auch ohne unter ihnen befindliches Metall sich zu bewegen«. 5 " »Sie dürfen es nur ernstlich wollenso instruiert er den Bruder von Novalis. 80 Man bemerkt, hier geht es nicht mehr nur um eine, wie audi immer mysteriöse elektrische Reizung des Pendels durch Metalle, Körperteile etc., die Magie ist tatsächlich am Werk,

58

Ritter an K a r l v o n Hardenberg am 1. Febr., 1807. Siehe: F. K l e m m und A . H e r mann, S. 29 und S. 32.

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Derselbe Brief, S. 31.

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Derselbe Brief, S. 31. Es ist übrigens unverkennbar, daß Ritter in diesem und dem folgenden Brief v o m 22. April, 1807 ( F . K l e m m U . A . H e r m a n n , S. 36 ff.) ständig den Geist des verstorbenen N o v a l i s beschwört. Er beruft sich auf alte, gemeinsam gewonnene Erkenntnisse aus der Zeit in Jena. Er erkundigt sich, w o N o v a l i s sich über Baguette, Pendel, Elettrometria sotteranea ausgesprochen habe. Er, Ritter, könne sich z w a r nicht daran erinnern: »Und doch ist es unmöglich, daß er nicht bey ihnen besonders verweilte. W o findet man v o n ihm darüber, u. was wissen Sie, sein treuester Freund, weiter? — Vergessen Sie nicht, mir einige Antwort zu geben.* (S. 32) Ritter bemerkt in dem folgenden Brief, der ein Schreiben K a r l v . Hardenbergs beantwortet, in dem dieser anscheinend einige entsprechende Hinweise gegeben hatte: »Von N o v a l i s kenne ich einige Fragmente in seinen Papieren (die Ritter damals besaß), v o m Degendrehen, u. der Rotation als galvanischem Phänomen; dann die Stelle in seinen Schriften. Im G a n z e n möchte man mehr v o n ihm über diese Dinge wünschen, aber schon das Wenige giebt, d a ß er darinn zu Hause w a r ; . . . « (S. 41)

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wenn jetzt solche Bewegungen durch einen geistigen oder willensmäßigen A k t hervorgerufen werden können. Der Elektrismus erscheint in einer neuen Qualität: er ist ins Magische potenziert. Man ist hier tatsächlich im Zauberkreis derselben Macht, der es nach Novalis buchstäblich möglich ist, »die Sinnenwelt willkürlich zu gebraudien« (N2, 546). Allerdings — und auch dafür liefert dieser magische Elektrismus Ritters eine Illustration — ist dies eine Willkür, die im Rahmen der bestehenden Gesetze agiert. Die Bewegungen der Pendel sind keineswegs beliebig, sondern Abbildungen der Rotationsund Nutationsbewegungen der Erde im Universum. Der echte Magier tritt nicht aus dem Kreis des Natürlichen heraus, er zeigt sich im Nachvollzug der Gesetzmäßigkeiten der Natur. Diese Magie ist in den Worten von Novalis »Wahnsinn nadi Regeln« (N2, 547). Und um diese Regelhaftigkeit, förmlich die Objektivität solcher Phänomene zu beweisen, verfällt Ritter auf noch erstaunlichere Experimente. Diese demonstrieren nicht nur »wunderthätiges Denken« (N3, 466), sondern sogar wundertätige Mathematik und Geometrie. Campetti jongliert den Balancier auf dem linken Mittelfinger und berührt gleichzeitig mit dem rechten Mittelfinger eine Zinkplatte. Bei einmaliger Berührung schlägt das Kupferstäbchen in Gegenuhrzeigerrichtung aus; berührt er die Zinkplatte zweimal hintereinander, dann beobachtet man eine Drehung des Balanciere im Uhrzeigersinn und bei dreimaliger Berührung bleibt er unbewegt. Die Versuche werden unter lautem Abzählen der Berührungen fortgesetzt, und ein erstaunliches Zahlengesetz wird sichtbar. Der Balancier rührt sich nicht vom Fleck, wenn die Zinkplatte 3mal, émal, 1 ornai, 15mal, 2 i m a l , 26mal, ßömal, 4 j m a l , 5 j m a l berührt wird. »Was sagst du hierzu?« fragt Ritter seinen Freund Oersted und antwortet: »Es sind die TriangularzMen, bey denen der Baiane, steht« (Hd, 198). Mysteriöserweise scheint das magische Schwebestäbchen (mit einer kleinen Abweichung nur) auf die Struktur einer schon Phythagoras bekannten Zahlenfolge anzusprechen, deren Bildungsgesetz durch den mathematischen Ausdruck n ( n + i ) / i gegeben ist. Wenn darin η die Reihe der natürlichen Zahlen von 2 an durchläuft, ergibt sich tatsächlich eine Folge, die der entspricht, die den Stillstand des Balanciere begleitet, ja hervorruft. Deshalb spricht Ritter auch von der »physischen Qualität der Zahlen« (Hd, 197). Eine mathematische, und damit sicherlich die objektivste aller geistigen Gesetzlichkeiten, beeinflußt hier über das Medium Campetti einen Körper, bewegt ihn, bzw. bringt seine Bewegung zum Stillstand. Etwas, von dem auch Novalis geträumt hatte (wenn auch wahrscheinlich nicht ganz in dieser Form), konnte demonstriert werden: die magische Potenz der Mathematik. Und wenn man ähnliche Resultate auch mit dem Berühren regelmäßiger Vielecke erzielen konnte (vgl. H d , 194), so bestätigt dies nur einmal mehr die K r a f t des objektiv Geistigen, unmittelbar und sichtbar die Wirklichkeit zu verändern.

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Was Ritter also Oersted und an der ebenfalls zitierten Stelle besonders seinem Briefpartner Karl von Hardenberg, einem der prominentesten Jünger aus der Novalisgemeinde, mit missionarischem Eifer auseinandersetzen und verkünden will, ist also tatsächlich nichts Geringeres, als die frohe Botsdiaft, daß der von Novalis beschworene magische Idealismus Ereignis geworden sei. Die deutliche Nachfolgeschaft, in der sich Ritter hier, aber auch ganz allgemein sieht, wird überzeugend aus den folgenden Stellen klar, die aus einem früheren Brief an den Bruder von Novalis stammen. Dort antizipiert er die Epoche, die er dann wenig später mit seinem magischen Galvanismus anfangen sieht, als das Zeitalter, in dem eine mystische Wiedergeburt des Messias Novalis bevorstehe. Es heißt: »Es ist eine Nacht auf Erden nahe, die dem, der schlafen wird, am Morgen schwarzer Träume Erinnerungen hinterlassen wird. Ob sie lange anhalten werde? — Wenn die Sterne nicht betrügen, nicht sehr lange, . . . « Ritter fährt dann später fort, ein Held werde dann schlechtem Samen entsteigen, der die geschlossenen Augen des Glaubens wecken werde »u. mit Herrlichkeiten übersättigen, von denen dunkle Erinnerung bloß sagt, daß sie wiederkommen müssen, ohne von ihnen selbst Ahnung zu geben, . . . « Dieser chiliastische Ausbilde, in einer Tonart vorgetragen, die an alttestamentarische Prophezeihungen des Messias erinnern soll, kulminiert in der Aufforderung an die Eingeweihten, bereit zu sein, »wenn Novalis kommt«.'1 Weitere Ausführungen zu dem Thema: Novalis als zukünftiger Messias, seine Wiederkunft in ein Reich, das »Wunderwelt und Naturwelt/Geisterreich und wirkliche Welt« (N2, 548) zugleich ist, wären ein Kapitel in den Untersuchungen zum »Novalismus«, wie sie Leif Ludwig Albertsen vorgeschlagen hat.'2 Es ist offenbar, daß auch Ritter zu der Gemeinde gehört, die im Geiste von Novalis, wenn auch meistens in einer religiös-empfindsamen und dichterisch trivialisierenden Form, weiterzuarbeiten gedachte. Ritters Teil war es, 61

62

Es handelt sich hier um Auszüge aus einem Brief Ritters an Karl von Hardenberg vom 20. Aug., 1804. Die Stelle wurde auch deshalb relativ ausführlich wiedergegeben, weil sie in der gedruckten Fassung dieses Briefes in der Sammlung von F. Klemm und A . Hermann (S. 21 f.) irrtümlicherweise ausgelassen worden ist. Das Original, dem die zitierten Stellen entnommen sind, befindet sich in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Berlin. Leif Ludwig Albertsen, »Novalismus«. In: Germ.-Rom. Monatsschr. Bd. 1 7 (1967). S. 2 7 2 — 2 8 j. Dort definiert Albertsen »Novalismus« als die Dichtersdiule, die nach dem Tod von Novalis und in der Absicht entstand, die von ihm begonnene Tradition weiterzuführen. Albertsen charakterisiert die epigonal-empfindsame A n betung, mit der Sylvester (Georg Anton v. Hardenberg), Rostorf (Karl Gottlob Andreas v. Hardenberg) und Sophie Bernhardi u. a. das Andenken von Novalis, dem »Heiland der Frühromantik« (S. 272) feiern, als »parasitäre Poesie« (S. 274). Eine zwar nicht poetische, aber offensichtlich nicht weniger inbrünstige Hingabe an diesen »Heiland« und eine nicht weniger treue Nachfolgeschaft stellt Ritters magischer »Novalismus« dar.

Scblußbemerkungen über eine Formel und eine Metapher

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so wie er es sehen mußte, durch die Physik und in den magischen Kräften, die dem Menschen über die Natur gegeben zu sein schienen, diese zu einem Planetismus zu erwecken, der die Vorform eines nodi verhinderten Organismus aller Körper war. An seiner Stelle, mit seinen Mitteln versuchte Ritter, die Welt für die Wiederkunft Novalis' vorzubereiten.

6. Scblußbemerkungen über eine Formel und eine Metapher Thomas Mann beginnt seinen Aufsatz »Über Goethe's >Faustunendlidi< hebt die Vorstellung eines geschlossenen Organismus wieder auf. Paul Kluckhohn hat auf eine Stelle aufmerksam gemacht, an der die Rittersche Metapher erscheint. Dies scheint die einzige in der gesamten romantischen Literatur zu sein. In Achim von Arnims Drama »Halle und Jerusalem« heißt es im Akt III/3 in einem Monolog Cardenios: »Das Allthier Gott ernähret sich nur gut, wenn wir, die seine Eingeweidewürmer sind, das Unsere auch lustig zehren, und dann ganz ruhig schlafen, ihn nicht erwecken mit unsern Strebungen nach Licht, das uns nur blendet, mit unserm Drängen nach Vollendung, die uns doch nimmer werden kann.« (Für Arnim ganz erstaunliche Zeilen!) Vgl. den Hinweis bei: Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik. Halle, 1922. S. 619. Gode-von Aesch, S. 253.

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Aspekte einer romantischen Physik

Die konkrete und bestimmende Macht der Metaphern für Ritter, in denen das einmal als zureichend Empfundene in einem Bild evoziert ist, wird aus einer Stelle deutlich, die aus einem seiner Briefe an Oersted stammt. Man solle erkennen, so versichert er seinem Freund, »daß ich selbst Bilder nicht zu gebrauchen pflege, ohne die bitterste Wahrheit selbst, buchstäblich damit auszusprechen« (Hd, 168). Man könnte alle Kritik an der romantischen Art, Naturwissenschaft zu treiben, auf den einen Einwand reduzieren: diese poetischen Physiker hätten die Fakten in Bilder verwandelt, in den Bildern weitergedacht oder phantasiert, um dann die Produkte solcher Assoziationen wieder für Fakten auszugeben. Tatsächlich führt eine Physik, die wie Dichtung Realität in die Metapher hinaufromantisiert und dann die Welt ihrer Bilder buchstäblich nimmt in den eigentümlichen und für die Romantik allgemein charakteristischen Zustand der Ununterscheidbarkeit zwischen der Wirklichkeit der Bilder und der Bildlichkeit, d. h. Symbolik des Wirklichen. In diesem Schwebezustand hält sich auch die Zentralmetapher der Ritterschen Naturwissenschaft, das »All-Thier«. Es ist die Evokation der Vorstellung eines lebendigen Kosmos durch das Sprachbild. Von ihm ging seine organische Physik aus, und dieses Bild war die Interpretationsbasis aller Teilergebnisse, die sich im Verlauf der Konkretisierung dieser Metapher einstellten. In einem Fragment Heinrich von Kleists heißt es: »Man könnte die Menschen in zwei Klassen abteilen; in solche, die sich auf eine Metapher und 2) in solche, die sich auf eine Formel verstehn. Deren, die sich auf beides verstehn, sind zu wenige, sie machen keine Klasse aus.«70 Man würde das hier vorgelegte Bild einer romantischen Physik überzeichnen, zählte man Johann Wilhelm Ritter zu den wenigen, die sich auf die Formel und die Metapher verstehn. Aber er gehörte zu denen — und auch sie machen bis heute keine Klasse aus — die nach der Formel suchten und sich dabei von der Metapher tragen ließen im Vertrauen darauf, daß die poetische Intuition und die wissenschaftliche Induktion sie zu demselben Ziel führen würden.

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Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe. Hrsg. von Helmut Sembdner. Bd. 2. München, 1961. S. 338.

BIBLIOGRAPHIE Der Absdinitt A) des Literaturverzeichnisses stellt alle Werke Ritters zusammen, außerdem diejenigen seiner Zeitsdiriftenartikel, die in dieser Arbeit benutzt worden sind. (Eine nahezu vollständige Liste gibt Poggendorffs Biogr.-Literar. Handwörterbuch. Leipzig, 1863.) Im Abschnitt B) sind u. a. die von mir benutzten oder eingesehenen Arbeiten über Ritter und allgemeinere Darstellungen zur Romantik und Geschichte der Naturwissenschaften aufgeführt. (Einige weitere, mir nicht zugängliche Veröffentlichungen sind in der Bibliographie zu: F . K l e m m U.A.Hermann, Briefe eines romantischen Physikers. München, 1966, angegeben.) A) Ritter, Johann Wilhelm: Beweis, daß ein beständiger Galvanismus den Lebensproceß in dem Thierreich begleite. Weimar, 1798. —, Bey träge zur näheren Kenntnis des Galvanismus und der Resultate seiner Untersuchung. Bd. ι (I. u. II.). Jena, 1800. Bd. 1 (III. u. IV.); Bd. 2 (I. u. II.). Jena, 1802. Bd. 2 (III. u. IV.). Jena, i 8 o j . — , »Galvanische Versuche über die chemische Natur des Wassers«. In: Chemische Annalen, hg. Lorenz von Crell. 1. Stück. 1801. S. 41—63. — , »Vorrede« zu: Winterl, Jakob Joseph, Darstellung der vier Bestandtheile der anorganischen Natur. (Ubers, und umgearb. von Johann Schuster.) Jena, 1804. —, Das elektrische System der Körper. Ein Versuch. Leipzig, 1805. —, Die Physik als Kunst. Ein Versuch, die Tendenz der Physik aus ihrer Geschichte zu deuten. München, 1806 (Neudruck, hg. Carl von Klinckowstroem. Berlin, 1940). —, Physisch-Chemische Abhandlungen in chronologischer Folge. Bde. I, II, III. Leipzig, 1806. — , »Schreiben an J. B. van Möns, über verschiedene physikalisch-chemische Gegenstände«. In: Neues allgemeines Journal der Chemie, hg. A . F. Gehlen. Bd. 6 (1806). S. 1 4 1 — i 6 J .

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Fischer-Verlag.

Bibliographie —, »Uber Goethe's >Faust