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German Pages 491 [492] Year 1967
WALTHER REHM DER TODESGEDANKE IN DER DEUTSCHEN DICHTUNG
„Das Wesen der Geschichte ist die Wandlung." Jacob
Burckhardt
„Die Dichtet· sind die einzigen, die über den Tod, den Preis
des Lebens,
etwas sagen
dürfen. " Hugo von
Hofmannsthal
WALTHER REHM
Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik
ZWEITE AUFLAGE
MAX N I E M E Y E R V E R L A G T Ü B I N G E N 1967
Diesem reprografischen Nachdruck wurde die Ausgabe Halle an der Saale 1928 zugrunde gelegt ( = Deutsche Vierteljahrsschrift f ü r Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Buchreihe, 14. Band)
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1967 Alle Rechte vorbehalten · Printed in Germany Druck: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Einband von Heinr. Koch, Tübingen
INHALTSÜBERSICHT Seite
Vorwort
VII
Einleitung
1
I. Kapitel: Die altgermanische Zeit
11
II. Kapitel: Die Grundlagen des christlichen Todesgedankens
20
III. Kapitel: Das Hochmittelalter
34
IV. Kapitel: Das Spätmittelalter
73
V. Kapitel: Der Ackermann aus Böhmen
115
VI. Kapitel: Das 16. Jahrhundert
138
VII. Kapitel: Das Jahrhundert des Barock
189
VIII. Kapitel: Die Aufklärung IX. Kapitel: Empfindsamkeit und Sturm und Drang X. Kapitel:
Die Klassik
XI. Kapitel: Die Romantik
244 . . . .
280 328 368
Schluß
457
Namenverzeichnis
474
VORWORT
D
ie Schrift bedarf einiger persönlicher Bemerkungen. Sie ist herausgewachsen aus einer Arbeit über das religiöse Problem im 17. Jahrhundert, für die der Verfasser schon seit 1922 Stoff sammelte. Bei der systematischen Beschäftigung mit jenen Dingen trat die Bedeutung des Todes innerhalb dieser Frage hervor, und es stand fest, das religiöse Problem an Hand der Todesbetrachtung des 17. Jahrhunderts zu entwickeln. Doch bald machte sich ein Zurückgehen notwendig, wie eben bei jeder geschichtlichen Forschung, und so wuchs die Arbeit über ihre anfänglichen Grenzen hinaus, und der Schwerpunkt verschob sich völlig. Schließlich war es nur noch möglich, den Gesamtzusammenhang darzustellen. Und daher kommt es dieser Arbeit auf die durchgehende Linie an ; dann aber sucht sie, innerhalb eines geistigen und zeitlichen Raumes, nach dem Typischen und Konstanten, nach dem, was alle Zeugnisse miteinander verbindet und sie zum Ausdruck eines Gesamtlebensgefühls erhebt. Das Individuelle tritt hier notwendig zurück, und die Darlegung der einzelnen Brechungen, Wandlungen und Beeinflussungen bleibt besonderen Untersuchungen vorbehalten. Freilich muß man sich dessen immer bewußt sein, daß da, wo es sich um das Erlebnis einer so elementaren Macht handelt, wo es wirklich um den inneren Erlebnisausdruck geht, die Frage nach Abhängigkeiten und Beeinflussungen, seien sie auch noch so feiner Art, einen tieferen Sinn zu verlieren droht. Da die Arbeit im Einzelnen das Allgemeine erkennen will und gewissermaßen den geistesgeschichtlichen „Idealtyp" eines Seelenraums zu umreißen sucht, hebt sie diese Seelenräume gegeneinander ab und setzt die Grenzen scharf, läßt sie nicht fließend; der Verfasser ist sich aber bewußt, daß für diesmal
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Vorwort
die besonderen geistesgeschichtlichen Übergänge und Zwischenräume in den Hintergrund treten müssen; doch ist die Arbeit bemüht, diese Problematik an den jeweiligen Stellen wenigstens sichtbar zu machen. Man könnte, von einer anderen Seite her, sagen, eine solche Arbeit wie die nachfolgende gewinne, über die gefühlsgeschichtlichen und problemhistorischen Ergebnisse hinaus, erst dann ihren eigentlich dichtungsgeschichtlichen Sinn, wenn sie nachweisen könne, wie weit ein irgendwie geartetes Todesgefühl und Todesbewußtsein auch die Art des dichterischen Wesensausdruckes und der dichterischen Form selbst bestimme. Doch will es scheinen, als ob sich hier, außer einem Selbstverständlichen und Allgemeinsten, nämlich dem Hinweis auf die jeweilige weltanschauliche Grund- und Gesamthaltung, keine tragfähigen Ergebnisse erzielen lassen. Ungers und Strichs Arbeiten sind als Grundlagen und Anregungen hier vor allem dankbar zu nennen. Während .der Korrektur sind noch einige wichtige Bücher erschienen, auf die nur noch anmerkungsweise Bezug genommen werden konnte. So Walther Strichs Werk „Der irrationale Mensch" und dann besonders Groethuysens „Entstehung der bürgerlichen Welt- und Lebensanschauung in Frankreich", dessen hochbedeutende Ausführungen namentlich die Geschichte des Todesgedankens im 17. und 18. Jahrhundert beleuchten und unser VII. und VIII. Kapitel ergänzen und vertiefen helfen. Erst zu spät wurde dem Verfasser das bereits 1925 erschienene Buch von H. Friedmann über àie „Welt der Formen" bekannt. Aus ihm seien folgende Sätze angeführt: „Wie könnte lebendige Form, Schönheit und Jugend ewig währen und dauern, da doch erst der dunkle Hintergrund alles Lebens, der Tod, die Schönheit schön und die Jugend jung macht ? Der Tod beschützt und rettet das Individuum, indem er es hinwegnimmt, nicht minder als die Gattung, da er sie erhält. Das Lebendige ist schön, weil es stirbt, um wesentlich zu werden und eine Form." „Der Tod selbst vollendet die Form". Mag schon dies die allgemeine Grundrichtung der nachfolgenden Arbeit andeuten, so noch mehr — geradezu als Leitwort — der Schluß von Dacqués Werk „Urwelt, Sage und Menschheit": „Was der Tod je war und was in den höchsten Geistern aus ihm wurde — das gibt
Vorwort
IX
vielleicht eine Antwort auf die Frage nach dem Hinschreiten der Menschheit zu ihrem verheißenen Ziel." Der aufrichtige Dank des Verfassers gilt den Herausgebern dieser Buchreihe, besonders Herrn Professor Dr. Kluckhohn, der der Arbeit rege Anteilnahme entgegegengebracht hat; er gilt weiter der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und dem Verleger, die die Drucklegung dieser Arbeit überhaupt ermöglichten. München, im August 1928 W. R.
EINLEITUNG „Der Gleichnischarakter des Lebens tat sich ja immer erst am Rande des Vergänglichen auf: erst Todnähe macht ein Leben durchsichtig, das ist: gleichnishaft. " E. Bertram
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lato sagt im 'Phaedon': Das Leben des Philosophen sei eine ständige Betrachtung desTodes, und Cicero nimmt diesen platonischen Gedanken auf: „ T o t a philosophorum vita est commentatio mortis." Diese Uberzeugung hat sich durch zwei Jahrtausende hin erhalten. Schopenhauer bekennt : „ D e r Tod ist der eigentliche inspirierende Genius oder der Musaget der Philosophie. Schwerlich sogar würde, auch ohne den Tod, philosophiert werden." Und Thomas Mann f ü g t hinzu: „ E s würde schwerlich gedichtet werden auf Erden ohne den T o d . "
Der Tod gehört zu d e n Erscheinungen des menschlichen Lebens, ohne die jenes in seiner bestimmten Form gar nicht zu denken ist. Das Gefühl des Todes beherrscht die Menschheit und prägt ihr Gesicht, prägt aber vor allem das Persönlichste, in dem sich der Mensch offenbart, die Kunst. Doch seltsam: es scheint, als ob erst die jüngste Zeit wieder ein lebendiges und tiefes Verständnis für die symbolische Bedeutung des Todes im Leben wie in der Kunst habe, als ob man erst jetzt wieder erfasse, daß der Mensch, wenn er vom Tode spricht und es ihm ernst ist, sein Innerstes gibt, daß er dem Tod gegenüber zunächst im geistigen, nicht im leiblichen Sinne sein wahres und tiefes Wesen erweist; daß also die Dichtung, wo sie vom Tode redet, am tiefsten in das Geheimnis des Menschen hinein sehen l ä ß t ; daß man hier in allem und jedem in den Mittelpunkt kommt und den Menschen ganz zu erfassen lernt. Von der Stellung eines Menschen zum Tode aus lassen sich alle seine übrigen Beziehungen zum Ganzen der Welterscheinung und den übrigen großen Daseinsaugenblicken voll ergreifen. Dilthey hat einen Satz geschrieben,
Einleitung
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der heute wieder lebendigen Widerhall findet: „Das Verhältnis, welches am tiefsten und allgemeinsten das Gefühl unseres Daseins bestimmt, ist das des Lebens zum Tode; denn die Begrenzung unserer Existenz durch den Tod ist immer entscheidend für unser Verständnis und unsere Schätzung des Lebens." Allmählich haben auch andere diese Bedeutung des Todes für das Leben und dann besonders für die Dichtung und damit für die tiefere Erfassung künstlerischer Werke nachdrücklich betont: vor allem Simmel in seiner Rembrandt-Studie. Seine Ausführungen über den Tod und dessen Verhältnis zur Kunst gehören wohl zum Tiefsten überhaupt, was darüber geäußert, werden kann. Und Bertrams Satz aus seiner Kleistrede mag so in symbolischem Sinn als Leitwort stehen : schon vorher hatte gerade er in seinem Nietzsche-Buch und in dem Aufsatz über Lichtenberg auf das Todesproblem hingewiesen : „Nichts ist ja eine solche Goldprobe auf den innersten Gehalt an Romantik wie das Verhältnis zum Tode." Damit wird vom allgemein Menschlichen schon auf das geschichtlich Besondere gedeutet, und in seiner Gegenüberstellung von Klassik und Romantik hat auch Strich in dem geschichtlich Besonderen solchen Todbegreifens wiederum das Allgemeine erfaßt und das Einzelne zum Sinnbild erhoben1). An Dilthey anknüpfend, hat dann zum erstenmal Unger systematisch das Problem des Todes und seiner dichterischen und weltanschaulichen Formung an drei Gestalten, denen diese Frage gleichsam in idealtypischer Deutlichkeit zum Mittelpunkt 1
) W. D i l t h e y , Das Erlebnis und die Dichtung, Leipzig 1919, S. 230. — G. S i m m e l , Rembrandt, Leipzig 1919, S. 89—100; vgl. ders. : Zur Metaphysik des Todes, Logos I (1910), S. 57—70; Lebensanschauung, München 1918, 3. Kapitel, S. 99—153: Tod und Unsterblichkeit; Fragmente und Aufsätze, München 1923, S. 77. — E. B e r t r a m , H. v. Kleist, Bonn 1925, S. 12; d e r s . : Nietzsche, Berlin 1922, S. 245, 265f. ; 274, 303. D e r s . : Lichtenberg und Stifter, Bonn 1919, S. 41. — Fr. S t r i c h , Deutsche Klassik und Romantik, München 1924, S. 123—130; d e r s . : Renaissance und Reformation, Vierteljahrsschrift I (1923), S. 5 8 2 - 6 1 2 ; bes. S. 594: die Stellung der Menschen zum Tode gebe seine geistesgeschichtliche Stellung mit ganz besonderer Deutlichkeit wieder, (jetzt abgedruckt in: Dichtimg und Zivilisation, München 1928, S. 25—57; S. 38). Vgl. auch B. C r o c e , Ariost, Shakespeare, Corneille, deutsch von J. v. Schlosser, Wien 1922, S. 379: „Immer haben bei Corneille die auf den Tod sich beziehenden Worte den echtesten Klang und tiefsten Widerhall.''
Einleitung
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wurde, erforscht, an Herder, Novalis und Kleist. Er ist es auch, der in einer methodischen Betrachtung nachdrücklich die Blicke auf die Spiegelung dieses Urproblems in der Dichtung weist und ihre Deutung und Darstellung verlangt1). Die folgende Arbeit möchte ein Beitrag zur Geschichte des Todesgedankens in der Dichtung sein und darüber hinaus auch ein wenig zur Erfassung der einzelnen Menschen dienen. Einige methodische Überlegungen seien vorangeschickt. Dichtung ist hier überall im Sinne Diltheys, aber auch Burckhardts als Lebensdeutung aufgefaßt2); Dichtung wird „Organ des Lebensverständnisses", sie bringt die Fragen des Daseins, die Metaphysik des Lebens und des Todes in eine Form und wird so Ausdruck des Lebensgefühls, wird Symbol. Sie deutet auch den Tod und sein Erlebnis und erweist, wie ein Mensch oder eine ganze Zeit den Tod fühlen und erleben. Denn jede Zeit muß sich mit diesem Problem auseinandersetzen, wenn sie wirklich zu einer wahren Lebensansicht durchdringen will: so prägt das Bewußtsein des Todes tief das des Lebens. Es gibt aber nun nicht nur ein Lebensgefühl, d. h. einen letzten Grund, auf den sich alles bezieht, aus dem alles zu erklären ist, der selbst aber jenseits aller Bewußtheit liegt, man kann auch ebenso von dem Todesgefühl einer Zeit und eines Menschen sprechen. Jeder, der mit diesem großen Moment des Daseins ernstlich ringt, wird ein solches Todesgefühl besitzen; nur — damit rührt man schon an ein Tieferes — kann dieses Todesgefühl ganz im Lebensgefühl x ) R u d o l f U n g e r , Literaturgeschichte als Problemgeschichte, Berlin 1924, S. 22ff. D e r s . : Herder, Novalis und Kleist. Studien über die Entwicklung des Todesproblems im Denken und Dichten vom Sturm und Drang zur Romantik, Frankfurt 1922. Dazu die -wichtige Besprechung von Chr. J a n e n t z k y in der Deutschen Literaturzeitung 45 (1924), Sp. 791 — 796. Tod als das Gegebene, „der doch nicht Ende sein darf, nicht Widerspruch und Feind des Lebens, sondern Durchgang, Vollendung, Erlösung, Tor einer Existenz, die der taghellen Bewußtheit entrückt ist, Schwelle des tiefsten, intensivsten Lebens, letzter Entgrenzung, dionysischer Ekstase". 2 ) Dazu R. U n g e r , Weltanschauung und Dichtung, Zürich 1917, S. 48ff.; 57, 66; d e r s . : Literaturgeschichte als Problemgeschichte a. a. 0 . , S . , 8 f f . und: Literaturgeschichte als Geistesgeschichte, Vierteljahrsschrift IV (1926), S. 177—192. Zu Burckhardt vgl. meinen Aufsatz: Jacob Burckhardt und das Dichterische, Euphorion 28 (1927); S. 8 5 - 1 0 7 ; bes. S. 88f.; 104ff.
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Einleitung
aufgehen, wenn das Bewußtsein des Lebens für den Menschen oder für eine ganze Zeit das Höchste ist. Aber umgekehrt kann das Todesgefühl auch eben dies sein, was an Stelle des Lebensgefühls völlig beherrschend sich offenbart und dies ganz in sich aufnimmt ; so daß also das Lebensgefühl einer Zeit zum Todesgefühl wird und gleichsam aus dem Gegenteil zu fassen ist. Denn das ist die andere Grundlage dieser Arbeit : der Glaube nämlich an letztlich zwei Arten von Menschen, die immer wiederkehren, an zwei Möglichkeiten der Lebensform und der Lebenshaltung, des Lebensgefühls also und daher auch der Lebensdeutung und der Todesdeutung. Es sind Gegensätze, die gerade durch ihre Spannung im Innersten verbunden sind, so wie Leben den Tod braucht, wie das Eine immer das Andere verlangt, durch dies Andere bedingt ist und unsichtbar auch gestimmt wird. Es kommt nicht darauf an, diese Stilarten des Lebens, Denkens und Fühlens nun zu benennen; genug daß sie da sind, daß man sie erkennt, daß sie sich in der Dichtung offenbaren. Man darf sie nicht aneinander messen, um Werturteile zu fällen, sie sind in ihrer Lebensform unmittelbar zu Gott, in sich selbst und durch sich selbst; aus welchen Gründen und warum, das entzieht sich der Erfahrung und Erkenntnis, das ruht schließlich im Unerforschlichen und darum zu Verehrenden. Leichter ist zu sehen, warum und mit welchem Sinn, wenn man aufs Ganze geht, diese Formen abwechseln; man kann einen dynamischen Rhythmus der als Spannung und Entspannung begriffenen Polaritäten ablesen, und es scheint, daß, wenn die eine Art sich erfüllt hat, nun auch die andere nach der Erfüllung ihrer Möglichkeiten drängt 1 ). Doch dies bleibt immer der Grund: die Einheit von Leben und Tod. So hat Goethe einmal sehr tief, als er von Winckelmanns !) Dazu einige Stützen; neben Fr. Strich grundlegend für das Gesamtproblem nun das bedeutende Werk von W . S t r i c h , Der irrationale Mensch, Berlin 1928. J. P e t e r s e n , Literaturgeschichte als Wissenschaft, Heidelberg 1914, S. 55ff. ; ders. : Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik, Leipzig 1926, S. 29 ff. ; 63 ff. ; H. B r i n k m a n n , Deutsche Vierteljahrsschrift I I (1924), S. 726ff.; W. P i n d e r , Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas, Frankfürt 1926, S. 481ff.; 107f.; 118f.; bes. aber S. 141ff.; zwei dauernde Pole als Grundmöglichkeiten seelischen Verhaltens, 147, 162. Vgl. zur Kritik E. R o t h a c k e r , Logik und Systematik der Geisteswissenschaften, München 1927, S. I66f.
Einleitung
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Tod sprach, bemerkt: „Sein frühzeitiger Tod schärfte die Aufmerksamkeit auf den Wert seines Lebens." Leben und Tod hängen unsichtbar zusammen. Mögen auch die Einzelnen diese Einheit nicht erkennen, nicht glauben, sie ist vorhanden: Tod gehört ebenso zum Wesen und Begriff des Lebens wie Leben zum Begriff des Todes. Das Eine erfüllt sich immer nur durch das Andere, durch sein Gegenteil. „Ohne den Tod wüßten wir nicht, daß wir leben", sagt Karl von Eckartshausen. Der Tod bleibt stets der gleich hohe, rätselhafte und unwandelbare: aber den einen, so hat Simmel gewiesen, wohnt der Tod von vornherein im Leben ein, und die tiefe Lebensaufgabe ist hier, nun den eigenen Tod als Frucht zu reifen. Den anderen aber erscheint der Tod als eine ihrem Innern unverbundene, gewalttätige und dem Leben fremde Macht, die den Menschen plötzlich überfällt1). So sehen die Menschen den Zustand von zwei Seiten her, von der ewigen Tagseite, wo der Tod immer im Leben verschlungen und von der ewigen Nachtseite her, wo das Leben im Tod verschlungen ist. J. J. Bachofen, einer der wenigen vor Rohde, der die Bedeutung des Todesgedankens in der antiken Welt erkannt hat und ihrem religiösen Todessymbol nachgegangen ist, spricht einmal von den Völkern — er meint die Lykier —, bei denen besonders eine „Hingabe an die düstere Seite des Daseins" sich offenbart, die den Todesgedanken vor allen anderen denken und „ein für die Todesseite alles Lebens vorzugsweise entwickeltes 1
) Für dio philosophische Seite sei verwiesen auf die Arbeiten von S i m m e l , dann auf H. S c h o l z , Der Unsterblichkeitsgedanke als philosophisches Prohlem, Berlin 1920, Kap. 1, S. 7 —33: Zur Metaphysik des Todes. K. J a s p e r s , Psychologie der Weltanschauungen, Berlin 1922 2 , S. 2 5 9 - 2 7 0 ; M. M a e t e r l i n c k , Vom Tode, Jena 1913, S. 1 — 15; K. L. S c h l e i c h , Das Problem des Todes, Berlin 1920. G. v. M u t i u s , Der Tod als Schlüssel zum dritten Reich, Preuß. Jb. 183 (1921) S. 2 1 - 4 0 M. S c h e l e r , Die Ideo des Todes und des Fortlebens, Leipzig 1914; Zur B o n s e n , Zwischen Leben und Tod. Zur Psychologie der letzten Stunde, Düsseldorf 1927. Auch F. K. F e i g e l , Tod und Unsterblichkeit im Geistesleben der Menschheit, Essen 1926. Daß die moderne Lebensphilosophie seit Nietzsche und Bergson auch die Bedeutung des Todes, die tiefinnere Einheit von Leben und Tod herausarbeitet, darauf sei nur hingewiesen. Wie die Gegenseite das aufnimmt, dafür sind die Ausführungen von H. R i c k e r t , Philosophie des Lebens, Tübingen 1920 deutlicher und typischer Beleg. H. F r i e d m a n n , Die Welt der Formen, Berlin 1925, S. 496.
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Einleitung
Gefühl besitzen" 1 ). Und Fichte deutet am Anfang der 7. Rede an die deutsche Nation auf eine Lebensansicht, die notwendig an den Tod als das Ursprüngliche und Letzte, den Grundquell aller Dinge und mit ihnen des Lebens glaube. Fichte wandte sich gegen solchen Glauben an den Tod und nannte ihn in diesem besonderen, zweckbestimmten Fall, in dem Augenblick der tiefen Not und im Gegensatz zu einem ursprünglich lebendigen Volke Ausländerei, Es war das romantisch-irrationale Verhältnis zum Tode, das er damit traf, jene „Sympathie mit dem Tode", jene „aristokratische Todesverbundenheit", gegen die auch Thomas Mann kämpft. Es ist nicht so, daß solche seelische Haltung nicht auch das Leben hinter dem Tode gesehen hätte; im Gegenteil, gerade Zeiten tiefen Vergänglichkeitsgefühls, immanenten Todesbewußtseins sehnen sich nach diesem anderen höheren, absoluten Leben, und d a r u m ersehnen und reifen sie auch den Tod als den Erlöser zum Wesentlichen. Ihr Todeswille ist im letzten doch ein Lebenswille, ein Wille zur Erhöhung und Lebenssteigerung, zur Erfüllung und Verwirklichung ihres Wesens, dessen, was ihnen als Höchstes vorschwebt : nur daß hier eben Entselbstung, Selbstaufgabe zur notwendigen inneren Form der Selbstverwirklichung wird. Aber bei den Lebenskräftigen und Diesseitigen, die den Tod als das unverbundene Wesen an sich heranzwingen und sich anverwandeln, ist der Tod darum Wesenssteigerung, weil er das Leben im Diesseits tiefer und fester verstehen lehrt, weil hier der Mensch gegen die lebensfeindliche, gewalttätige Macht zu kämpfen hat, sich bewähren und ganz das werden muß, was er werden soll: Persönlichkeit, die ihm der Tod streitig machen will. Selbst Verwirklichung ist 1 ) J. J. B a c h o f e n , Das lykische Volk, ed. M. Schröter, Leipzig 1924, S. 31 — 34, 36, 65, 83. Oknos der Seilflechter (aus der Gräbersymbolik), München 1923, S. 86; 84, 86, 94f. ; 100. Mutterrecht, Stuttgart 1861, S. 4, 121, 215, 221, 276 u. ö. Einltg. S. I X , X V , X V I I . — Die Unsterblichkeitslehre der orphischen Theologie auf den Grabmälern des Altertums, Basel 1867, S. 10, 12f.; 14. — Vgl. C. A. B e r n o u l l i , Bachofen als Religionsforscher, Leipzig 1924, S. 16ff. ; 47ff. ; ders. : J. J. Bachofen und das Natursymbol, Basel 1924, S. 3, 98f., 218, 297ff.; 517, 554. A. B ä u m l e r , Einltg. zu: Mythus vom Orient und Okzident, München 1926, S. 187f.; 200, 203ff., 212f.; 225, 231, 254, 280. Vgl. auch E. H o w a l d , Der Kampf um Creuzers Symbolik, Tübingen 1926. Interessant die Ausführungen von Th. M a n n , Pariser Rechenschaft, Berlin 1926, S. 58 ff.
Einleitung
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hier Behauptung und Gestaltung der Persönlichkeit, und auch da entzündet sich am Tode die Lebenskraft, auch da formt der Tod das Leben, aber im anderen Sinne, so wie es Luther meint, wenn er sagt, der Tod sei geschaffen, daß man den Glauben wetze und immer vollkömmlicher werde. Hier wird überall der Tod nicht Gabe, sondern Aufgabe und Prüfstein. Aber hier und dort ist in vergeistigtem Sinne Tod der Kunstgriff, viel Leben zu haben, in beiden wächst aus dem Tod das Leben und offenbart sich die schicksalsmäßige, metaphysische Einheit von Leben und Tod. Das ist eben das Höchste für alle Zeiten, mögen sie von noch so verschieden geartetem Lebensgefühl durchwaltet sein, den Tod als ein Irdisches zu überwinden und sich zum Ewigen und Unsichtbaren zu erheben, das Leben auch im Tode zu sehen. Denn der Todesgedanke ist zugleich der Gedanke des Lebens, und wo der Mensch vom Tod spricht, da spricht er auch immer unbewußt vom Leben, da schwingt auch das Lebensbewußtsein mit. In diesem Sinne bedeutet das Todesproblem letztlich den Kampf um das Humanitätsideal im tiefsten und weitesten Sinne dieses Worts, Humanität als jene geistig-sittliche Haltung, die das Ganze des Seins, Leben u n d Tod in sich aufgenommen hat. Mit dem Menschen aber wandelt sich sein Humanitätsideal, sein Lebensbegriff und also auch sein Todesbild. Denn das ist die dritte Uberzeugung, auf der sich diese Arbeit aufbaut, die Anschauung Burckhardts: „ D a s Wesen der Geschichte ist die Wandlung". Der Kern des Menschen bleibt immer derselbe, der Geist hat Wandelbarkeit, aber nicht Vergänglichkeit und Entwicklung. Geschichte ist Gestaltwandel des Menschen und erst recht in diesem besonderen Fall des Todesgedankens. Bewahrt sei die durchgehende Hauptmelodie einer Zeit, die das Wesen dieser Zeit geeignet ist zu offenbaren. Denn es muß gelingen, in allen einzelnen Zeugnissen das Gemeinsame, die „Problemeinheit" zu finden und zu deuten, weil alle aus einem gemeinsamen Lebensgrund herausgewachsen sind. Es ist, als ob sich viele einzelne Stimmen zum Chor zusammenschließen; jede Stimme hat nur Wert innerhalb dieser Gesamtheit, empfängt Sinn und Leben aus der Gesamtheit und hilft diese wieder verstärken. Die Einzelnen sind Vertreter eines Ganzen, und so sei auch ausdrücklich betont: wenn im Folgenden über die Grenzen
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Einleitung
des literarischen Deutschland hinausgegriffen wird, wenn auch über die Grenzen der Dichtung in das Gebiet der Philosophie und der Kunst die Blicke geworfen werden, dann nur darum, um das schon Gewonnene zu bestätigen und zu festiger, um den Chor gleichsam zu verstärken und so das Wesen der Zeit schärfer zu erfassen. Mit Absicht beschränkt sich diese Arbeit auf den Todesgedanken und berührt nur dort auch die Frage der Unsterblichkeit und der Wiedergeburt 1 ), wo die Richtung einer Zeit dahin drängt. Man hat der Geschichte des Todesgedankens nicht allzuviel Beachtung gewidmet, während Totenritus und Totenkult seit jeher von Religionswissenschaft und Volkskunde genau durchforscht wurden 2 ). Nur die klassische *) Es gibt keine große und ausführliche geschichtliche Darstellung des Unsterblichkeitsproblems in der Philosophie (auch nicht des Todesproblems). L. S c h n e i d e r , Die Unsterblichkeitsidee im Glauben und in der Philosophie der Völker, Regensburg 1870, ist eine sehr stoffreiche, aber kritiklose Kompilation. Dafür die knappe, gedankenscharfe Schrift von C. S t a n g e , Die Unsterblichkeit der Seele, Gütersloh 1925, systematisch und historisch zugleich. Auch C. C l e m e n , Das Leben nach dem Tode im Glauben der Menschheit, Leipzig 1920, doch mehr religionswissenschaftlich eingestellt. — Als erster Überblick dient E i s l e r , Wörterbuch der philosophischen Begriffe I I P , Leipzig 1910, Tod S. 1511-1513, Unsterblichkeit S. 1584 bis 1593. Die Einzelliteratur an den entsprechenden Stellen: bes. Kap. 3, S. 71, Anm. 1. 2 ) H. N a u m a n n , Primitive Gemeinschaftskultur, Jena 1921, S. 18—60 Primitiver Totenglaube. D e r s . : Prolegomena über vergleichende Volkskunde und Religionsgeschichte, Jb. für historische Volkskunde I (1925), S. 1 9 - 3 7 ; bes. S. 23f.; 28, 32. Daß der Tod wirklich eine zentrale Stellung im primitiven Gemeinschaftsglauben einnimmt, erhellt auch aus F. S c h e r k e , Über das Verhalten der Primitiven zum Tode, Langensalza 1923. Vgl. auch C l e m e n a. a. O., H. K e e s , Totenglaube und Jenseitsvorstellung im alten Ägypten, Leipzig 1926; J . S c h e f t e l o w i t z , Der Seelen- und Unsterblichkeitsglaube im Alten Testament, Archiv f. Religionswissenschaft 19, S. 220 bis 232. Weiter aus der großen Literatur nur noch C. C l e m e n , Der gemeinindogermanische Totenkult, Neue Jahrbücher I I (1926) S. 19 bis 26. Für Deutschland außer G r i m m , Mythologie, S. 700 — 713 und Nachtrag S. 252—256 noch O. S c h n e b e l , Der Tod in deutscher Sage und Dichtung, Berlin 1876 (belanglos), K. F r e y b e , Das Memento mori in deutscher Sitte usw., Gotha 1909 (im Stoff berührt sich vorliegende Arbeit öfters mit diesem Buch), E. S a m t e r , Geburt, Hochzeit und Tod, Leipzig 1911; F r . L ü e r s , Sitte und Brauch im
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Altertumswissenschaft beschäftigt sich seit Lessing und Herder mit dem antiken Todesgedanken, und nach Bachofen hat besonders Rohde Dichtung und Philosophie bedeutend in den Umkreis seiner Forschung über die Todes- und Jenseitsvorstellung der Griechen einbezogen1). Es liegt in der Natur der Sache, daß die früheren Jahrhunderte viel mehr allein aus den Dichtungen hergeben müssen, weil dort noch keine persönlichen Zeugnisse als Quellen fließen, wie seit dem 18. Jahrhundert. Die theoretische Einheit von Leben, Lebensideal und Lebenswerk wird in der älteren Zeit überhaupt nicht und in der Neuzeit auch nur bei den wenigsten Dichtern zu finden sein, vielleicht nur bei Kleist, Hölderlin und der Günderode und in gewissem Sinn noch bei Novalis, vielleicht auch bei Schiller; nur bei ihnen wird diese Einheitlichkeit mit allerdings symbolischer Klarheit sichtbar. Für die Übrigen aber läßt sich die Aufweisung dieser Einheit wohl nie erreichen, und hier in der Darlegung des geschichtlichen Verlaufs fällt auch die Forderung fort, man müsse unterscheiden zwischen Typen des persönlichen Verhaltens und der künstlerischen Gestaltung des Todesproblems2). Wieder ist das vielleicht nur bei den schon Obengenannten möglich. In all den verschiedenen Stimmen und Zeugnissen der Jahrhunderte wird man vielleicht eine geheimnisvolle Eintönigkeit vernehmen: sie ist begründet in der Erscheinung des Todes, der immer derselbe und ewige bleibt, zu dem die Menschen sich schließlich auf immer den gleichen Bahnen bewegen. Diese tiefste Gleichförmigkeit des Denkens und Fühlens hat etwas sehr Großartiges und Eindrucksvolles, denn sie ist nur symbolisches Bild der hehren Menschenleben, München 1926, S. 69 — 161. Auch H. S i u t s , Jenseitsmotive im deutschen Volksmärchen, Leipzig 1911. E. R o h d e , Psyche, Tübingen 1925, dort die weitere Literatur; ebenso bei O. W a s e r , Artikel 'Thanatos' in Roschers Myth. Lexikon, Sp. 481 — 527. Erwähnt seien nur W. F. O t t o , Die Manen, Berlin 1923, A. D i e t e r i c h , Nekya, Leipzig 19132, S. 19ff.; 63ff., das schöne Büchlein von Joh. G e f f c k e n , Stimmen der Griechen am Grabe, Hamburg 1898, und nun noch die geistreichen Hypothesen von B ä u m l e r a. a. O., S. 30ff.; 58f., 68, 78ff.; 84, 87. Außerdem das überblickende Kapitel 'Unsterblichkeitsglaube' bei L. F r i e d l ä n d e r , Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms. 10. Aufl. III, S. 3 0 1 - 3 3 0 ; Leipzig 1923. 2 ) Unger, Literaturgeschichte als Problemgeschichte, S. 24f.
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Einleitung
und rätselhaften Gestalt, die dunkel und groß hinter allem Leben aufwächst, jener Majestät des Todes,
die sich im Antlitz der
Toten offenbart, erschütternder und tiefer als in jedem Gedanken, in jeder Dichtung 1 ). ') Man sehe die wundervollen Publikationen: R i c h a r d L a n g e r , Totenmasken, Leipzig 1927; E r n s t B e n k a r d , Das ewige Antlitz, Frankfurt 1927. — Α. E . B r i n c k m a n n , Spätwerke großer Meister, Frankfurt 1925, berührt sich mit dem Todesproblem. Zu nennen sind noch R. K r a u ß , Deutsche Trostbriefe, Stuttgart 1919, I l s e L i n d e n , Der letzte Brief, Berlin 1919, und mit mehr feuilletonistischem Charakter P a u l W i e g l e r , Die große Liebe. Wie sie starben, Berlin 1927.
I. K a p i t e l
DIE ALTGERMANISCHE ZEIT „Heldenruhm bleibt uns, Ob auch heute wir sterben: Niemand sieht den Abend, Wenn die Norne sprach." (Hamdirlied)
eldisch ist die Lebensanschauung der Germanen, heldisch ihre Lebensgesinnung und -führung, und heldisch ist auch ihr Tod. So bekunden es wenigstens die Zeugnisse früh- und gesamtgermanischen Lebens, vor allem jenes Denkmal, das wie kein anderes trotz aller Überdeckungen durch seine Altertümlichkeit und rauhe Lebendigkeit Vorstellung und Bild des Frühgermanentums gibt, — die Edda. Sie muß als Ersatz dienen für die verloren gegangenen Lieder und Schriften, die unmittelbar hätten Kunde geben können von südgermanischem Wesen : nordgermanische und im Spiegelbild auch südgermanische Art leben in der Edda, so daß diese zusammen mit den isländischen Sagas — wenigstens im Großen und Ganzen — auch als Verkörperung des Altgermanischen gilt, sofern man darunter keinen zeitlichen, sondern einen Kulturbegriff versteht 1 ). Das Grundgesetz altgermanischer Lebensstimmung ist tragisch : das eherne Schicksal, versinnbildlicht durch die Nornen, bestimmt Dasein und Tod des Einzelnen. Die Nornen, „sie setzten Satzung, Der Menschensöhne Leben sie lenkten, Das Los der Krieger". Gegen den allwaltenden unabänderlichen Spruch der Nornen kann keiner an: „Doch niemand wendet der Norne Spruch" heißt es in Hildibrands Sterbelied. Einzig die dunkle letzte Macht weiß der Germane, aber nichts weiß er vom letzten Sinn und Wert seines Lebens, seines Todes: als ein Starres, Gesetztes nimmt er
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) A. H e u s l e r , Die altgermanische Dichtung, Berlin 1924, S. 5.
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beides hin. Auch über die Götter waltet das Schicksal, wie die Menschen beugen auch sie sich dem Spruch der Nomen. „Und nur ein Wissen gibt es vom Leben: das ist der Tod. Zu ihm führt am Ende das Schicksal1)." So ist im Tiefsten frühgermanisches Lebensgefühl ein Todesgefühl : tragisch-heroische Grundstimmung herrscht in den altgermanischen Heldenliedern. Das Leben ist ein bewußter und unentwegter Gang in den Tod. Von früh an lebt im Helden der Tod als sein lebendig gefühltes, sicheres Geschick, das alles fügt; oft liest man: ihm war der Tod bestimmt. Dies Todesgefühl von Geburt an kommt nirgends stärker und einfach erhabener zum Ausdruck als im alten Hamdirlied. „Tod ist uns bestimmt, wir sterben in der Ferne." Aber nicht plötzlich und unvorhergesehen tritt dem Leben der Tod gegenüber, sondern als ein vertrauter, aber deshalb nicht weniger bitterer, feindlicher Gegner, als eine Macht, mit der man sich einmal zwanghaft auseinandersetzen muß — durch die willentliche Tat, nicht durch Nachdenken. Denn die Erhebung des Todes als eines tief einschneidenden Geschehnisses ins Philosophische bleibt altgermanischer Betrachtung fremd; etwas Jenseitig-Metaphysisches sieht man wohl im Tod; aber da er als das fest und unverrückbar Gegebene erscheint, hat es keinen Sinn, ihn zu deuten. Ein herber Schicksalsglaube also eignet der germanischen Weltanschauung; aber er bindet und lähmt nicht, sondern steigert das Lebensgefühl, er spornt an; es bleibt nur, sich das Schicksal heldisch zu gestalten, indem man es auf sich nimmt. Den schicksalsmäßig verhängten Zwangtod suchen die Recken in einen Freitod zu verwandeln, der einzig als Abschluß ihrem Leben zukommt : sie wollen 1
) G. E h r i s m a n n , Geschichte der deutschen Literatur I, München 1918, S. 11, 396; H e u s l e r , a. a. O. S. 147, 156ff. ; 163 und R. P e t s c h , Die tragische Grundstimmung des altgermanischen Heldenlieds in: Bïaune-Festschrift 1920, S. 36—46. H. N a u m a n n , Frühgermanentum, München 1926, S. 1 7 - 1 9 . Weiteres zur allgemeinen Charakteristik bei H e u s l e r , Altgermanische Sittenlehre und Lebensweisheit (in: Germanische Wiedererstehung, Heidelberg 1926, S. 156—204), bes. S. 193ff. D e r s . Von germanischer und deutscher Art. Ztschr. f. Deutschkunde 1925, S. 750ff. Ders. Altgerm. Religion (1913, Kult. d. Geg.), S. 263f. S. S i n g e r , Stil und Weltanschauung der altgerm. Poesie. Walzel-Festschrift 1924, S. 9—21; bes. 18f. H. de B o o r , Germanische und christliche Religiosität, Zeitwende 1926, II, S. 252 — 266, bes. S. 264.
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— im Christlichen ist ähnliches zu beobachten — den Tod als Feind vernichten und besiegen, indem sie ihn geradezu aufsuchen, bei jeder Gelegenheit herbeizwingen, um ihm so zuvorzukommen. Man trotzt dem Tode, wenn man ihm denn schon nicht entrinnen kann, und sucht Herr über ihn zu werden, indem man .sich in ihn stürzt. Für germanische Weltauffassung ist der Tod in letzter Hinsicht eine Frage der Tapferkeit, eine Frage heldischer Gesinnung und Lebensgestaltung. Heldentum ist erhöhtes Leben, Heldentod ist erhöhter Tod ; im Tode sieht der Germane den entscheidenden Augenblick des Lebens. Im Tode — da man ihn sucht — zeigt erst der Held seine herrlichsten Kräfte, im Todeskampf erst erweist der Starke sein tiefstes Wesen und vollendet es zu reifem Heldentum. Er reckt sich hoch auf, steigt über sich selbst hinaus, und durch solche Selbstbehauptung und Selbsterhebung im Gefühl einer bis ins letzte erhöhten sittlichen und körperlichen Anstrengung wird dem Tod die Macht genommen, wird der Zwangtod zum Freitod, und das ist Gewähr auf Kriegerehre und Heldenruhm. Denn der Ruhm, der Nachruhm, der unsterbliches Andenken sichert, ist die übermäßige Triebkraft, die zusammen mit dem Schicksalsglauben zu solch heldischer Todesgestaltung und Todesüberwindung führt. „Eins weiß ich, das ewig lebt: des Toten Tatenruhm." So schließt die Hávamál, und ähnlich klingt es im Hamdirlied und in dem von Bjarki, auch im Beowulf. Auf solche tathafte Todesauffassung und Todesverachtung wirkt die germanische Jenseitsvorstellung dann nur noch verstärkend ein. Sie ist ausgesprochen kriegerisch und fließt aus dem heldischen Selbstgefühl : „Das Heldentum, das diese Erde mit seinem Ruhm erfüllte, soll nicht untergehen; es ist zu wertvoll für sich selbst und für die Welt; darum muß es aufbewahrt bleiben bis zum rühm- und folgenreichsten aller Kämpfe, — dem großen Kampf der Götter um Sein und Nichtsein1)." Nur wer todestrotzig und heldenhaft im Kampf fällt, den führen die Walküren nach Walhall, jener herrlichen, vielhunderttorigen Götterhalle und Himmelsburg Odins, die sich allmählich in der Vorstellung der Nordgermanen besonders !) G. N e c k e l , Walhall, Dortmund 1913, S. 68; vgl. bes. S. 27 bis 37, 65 —74 Unsterblichkeit. Dazu auch F. K a u f f m a n n , Über den germanischen Schicksalsglauben, Ztschr. f. d. Ph. 50 (1926), S. 361-408.
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mit der großen speer- und schildgeschmückten Halle der Schlachttoten verschmilzt. Dort zieht der „Waffentote" als Gast ein, wird von Odin empfangen und aufgenommen in die auserwählte Schar der Einherier, der Odinshelden, die ursprünglich nur die zu Göttern erhöhten, von Odin stammenden heldischen Fürsten und himmlischen Genossen bedeuten. Ewige Freude und heldenhafte Betätigung winken dort dem Helden: so ist ihm der Tod Eingang zu einem heldisch gesteigerten Leben, das der Macht der Nomen enthoben ist bis zu Ragnarok, der Götterdämmerung. Dann ist auch er der endgültigen Vernichtung verfallen: einen zweiten Heldentod stirbt er. Die schon vom christlichen Glauben beeinflußte Voluspá freilich verheißt auch hier dann wieder Auferstehung und Erneuerung der ganzen Welt. Die germanische Heldendichtung singt vom Leid des Lebens, das nicht erdrückt, sondern erhebt, das „erhaben" macht; denn es ist „Durchbruch zu neuem, höherem Werte". Sie berichtet in den Totenklagen, die Jordanes und der Beowulf erwähnen, von kampferfülltem Leben, von solcher Todesgesinnung, die das Leben krönt, vom Freitod des Helden: Rache oder heldisches Sterben, Todesszenen, darin gipfeln die meisten Lieder dieser Herrenkunst1). Und dabei handelt es sich nicht um Schuld oder Nichtschuld des Einzelnen, der zugrunde geht; es gibt keine tragische Schuld im Sinne einer moralischen Weltordnung. Nicht aus der Betrachtung und Abwertung der Todeserwägungen — sie fehlen fast ganz — muß und kann man das Todesgefühl, die tragische Lebensstimmung des altgermanischen Heldentums ergründen, sondern aus der Tat heraus, aus der „Stellung" im wahrsten Sinne des Wortes, die der Einzelne zum Tode einnimmt. Diese Menschen reden nicht, — sie tun. Ihr Tod selbst offenbart ihr Todesgefühl, gerade im Gegensatz zu späteren Zeiten, deren Todesgefühl nicht aus der Tat, sondern aus dem Wort zu erfassen ist. Denn mehr als je gibt im Frühgermanentum das Leben Anlaß zu gewaltsamem Ende. „Es sind Menschen, deren Wille eine ungeheure Macht ist. Ihr Ich ist wie ein Granitblock: man kann ihn zerspalten oder zerschmettern, aber nicht biegen. Der Inhalt der Dichtung ist nun, wie diese harten Willen zusammenstoßen, wie sie bei dem Stoße Funken sprühen und einander zer») Hausier a. a. O., S. 156ff.
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schmettern durch ihre Schwere. Es sind Menschen, denen wenig daran liegt, das Leben zu erhalten, die sich aber gewisse Ziele gesteckt haben und alles daran wagen wollen, die Linie innezuhalten, die sie sich vorgezeichnet haben. Deshalb kommt es zu Zusammenstößen, wenn diese Lebenslinien einander schneiden; ein jeder ist unerbittlich in seinem Anspruch, die eigne Absicht durchzuführen; davon abzusehen oder zur Seite zu weichen, ist für diese Menschen undenkbar. Deshalb muß der Zusammenstoß erfolgen, und der Bruch, den der Anspruch eines jeden erleidet, ist unheilbar1)." Im Kampf wird die Sache ausgetragen, einer muß weichen oder beide : im Tode. Das verlangt kriegerisches Ehrgefühl und der Heldenstil mit seiner „rechtwinkligen Wucht". Todestrotz, Todeswille und Todesentschlossenheit leben in den Helden, und da sie nun seit langem um ihren heldischen Tod als dem einzig gemäßen Ende ihres Lebens wissen, da sie gleichsam in ihrem Leben den „Todesweg" bewußt und willentlich geschritten sind, so ertragen sie den Tod auch lachend. Immer wieder wird als höchster Ruhm des Helden hervorgehoben, lachend und hochhochgemut habe er den Tod ertragen. Ragnars Sterbelied schließt so; und die beiden Atlilieder, das alte und das grönländische, deren Inhalt am Dunkelsten von Schicksal und Todesgewißheit überschattet ist, berichten von Högni, wie er den Tod ertrug. „Da lachte Högni Als zum Herzen sie schnitten Dem kühnen Kampfbaum"; und „lachend erwart ich's: Du wirst fest mich finden". Gunnar schlägt im Schlangenhof hochgemut mit der Hand die Harfe, todverachtend. Im Bjarkilied heißt es: „Hinsank nun Hrolf Der Hochgemute, Frodis Enkel, Mit fröhlichem Lächeln." „Den Todesstreich lachend Der Tapfere empfing." „Das soll im Volk Sage künden, Daß lachend Half Aus dem Leben schied." Denn sie wissen im Todeskampf: „Heut Abend sind wir Odins Gäste 2 )." Der Tod, aber auch Walhalla und edler Nachruhm sind ihnen sicher. Man sieht, Höhepunkt des heldischen Lebens ist hier der Tod als besiegelnde Tat. In dieser hat man den Geist der Zeit; durch sie deutet sich auch zugleich das Leben, und man erkennt, welchen Wert man ihm zumaß. 1
) A. Olrik, Nordisches Geistesleben, deutsch von W. Ranisch, Heidelberg 1908, S. 46. 2 ) Edda I, Heldendichtung. Übertragen von F. Genzmer, Jena 1920, S. 46, 78, 181, 183f., 197, 216; Hagbardlied bei Olrik, S. 178ff.
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Wie es in der altnordischen und altenglischen Heldendichtung (Finnsburglied) steht, so auch in den spärlichen Resten deutscher Heldenlieder: auch hier wird man vergeblich nach lehrhaften Erwägungen über Tod und Sterben suchen; auch hier lebt das Todesgefühl sichtbar und stark in den tragisch erfüllten Geschehnissen selbst mit ihrer schicksalhaft herben Größe und läßt keinen Zweifel über die Lebensstimmung der Menschen, die da handelnd auftreten. Nur muß man sich eines stets bewußt halten : in diesen Zeugnissen heldischer Großtaten darf man nicht das Lebensgefühl der Zeit suchen, aus der die letzterhaltenen Fassungen dieser Lieder stammen; sie sagen nur beschränkt aus über das Lebensgefühl dieses Raumes, mag auch die Lebenshaltung im Äußerlichsten sich darin widerspiegeln. Vor allem gilt dies für das Nibelungenlied: die höfische Verfeinerung, die „neuhöfische Zartheit" der hochmittelalterlichen Stauferzeit, die „ritterliche Verklärung der Reckenwelt", die der letzte Dichter erstrebte, können im tiefsten Grunde nichts an dem innersten seelischen Kern der Sage und des Liedes, an dem großartigen Völkerwanderungsstil mit seiner heldisch-gegenchristlichen Gesinnung ändern. Das gilt schon vom Hildebrandslied: hier ist die höfische Verfeinerung, die Verchristlichung noch nicht so weit vorgeschritten. Wenn auch keine rein heidnische Anschauung, so lebt doch ganz unverkennbar darin heidnisch-heldische, rauhe, urtümliche Lebensstimmung von durchaus germanischem Gepräge. Daß der Christengott der „waltant got" genannt wird, will wenig besagen: es ist eine belanglose Äußerlichkeit, wie später noch oft in der deutschen Heldendichtung. „Altheldische Kraft", leidvolles tragisches Geschehen, germanisch-pessimistischer Schicksalsglaube leben im Lied, und wenn ungenannt, dann um so stärker zwischen den Zeilen. Unerbittliches Geschick waltet : im bitteren, notvollen Schwertgang wird der Vater den Sohn töten ; Todverachtung und Todwille, aber auch heldische Ehrliebe beseelen beide im trotzigen Zweikampf. Das Nibelungenlied, die Nibelungennot, atmet im zweiten Teil, den gleichen heldischen Geist: auch hier endet der Todeswille, der den Zwangtod zum Freitod erhebt, das Ganze. Man spürt wohl in manchen Zügen die allgemeine Erweichung des Tragischen gegenüber den ältesten Stufen altgermanischer Dichtung ; es fehlen nicht lyrisch - pathetische Augenblicke,
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empfindsame Stimmungen, wie sie sich schon in den altnordischen Rückblick- und Sterbeliedern und den altenglischen Elegien, auch im Beowulf, finden 1 ). Trotzdem weht einen gerade in den letzten Szenen noch die „Eisesluft" der Völkerwanderung an. In den rund 2400 Strophen des ganzen Liedes steht keine einzige Betrachtung über den Tod: und trotzdem lebt in ihnen Todesgefühl von größter Eindringlichkeit. Der zweite Teil, das Burgundenlied mit dem Vernichtungskampf, zeugt davon: sie alle, die an Etzels Hof fahren, wissen, wie die Helden des eddischen Lieds, daß sie den Todesweg reiten; sie sind in grimmigem Mut zum Ende entschlossen, nachdem Hagen es gesagt hat: „Wir enkomen nimmer widere in der Burgonden lant." Die Szene mit dem Schiff erhärtet es: „Hagene ez sluoc zu stucken und warf ez an die fluot." Im Atlilied ließ dieser Zug noch unmittelbarer den grimmigen Todestrotz spüren. Am Schluß der 35. aventiure — die Erzählung ist schon mitten drinnen im tosenden Kampf — sagt der Dichter : „ich waene des, daz hete der tôt ûf si gesworn". Sie sind todgeweiht, die Helden fühlen es selbst: „wir müesen doch ersterben", sprach dô Gîselher. — „uns enscheidet niemen von ritterlicher wer" (2106, 1). Sie haben den Tod gekürt. „Hie belîbet niemen wan der doh sterben sol 2 )." Das ist die Stimmung des heldischen Todeskampfes, der „Zug zum Unbedingten". Grimm ist der Tod: das ist der ständige Beiname in den Volksepen; oder der bittere, bitterliche, scharfe, schwertgrimme; darin erschöpft sich das in Worte tretende Verhältnis zum Tod. Aber es besagt alles und allein an solchen Beinamen, aus einer Onomasiologie des Todes, läßt sich die Geschichte des Todesgefühls einer Zeit und deren Stellung zum Tode ablesen : hier ist es ein heldisches, kämpferisches, trotziges Verhältnis. All die edlen Burgunden „habent den tôt an der hant", und im Vernichtungskampf tun sie sich „einander den grimmen tôt". Dieser Zeit und *) H e u s l e r , Altgerm. Dichtung, S. 174ff. — Auch G . E h r i s m a n n , Zum germanischen Frühchristentum PBB. 35 (1909), S. 230ff. Die Zeugnisse, die J. Grimm in der Mythologie I 4 (Berlin 1875), S. 120, 700 als Belege für die heidnische, altgermanische Auffassung des Sterbens als eines Heimkehrens zum Vater sammelt, stammen alle aus christlich beeinflußten und von Priestern verfaßten Dichtungen (Caedmon, Beowulf). *) Str. 2132, 3. Dazu F. V o g t , Französischer und deutscher Nationalgeist usw., Marburg 1922, S. 8ff.; 17.
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noch dem ganzen Mittelalter ist der Tod eine Macht, eine lebendig gedachte, mythische Gestalt, der Herr Tod, dem man wirklich gegenübertritt : ,,dô rang er mit dem tôde: unlange tet er daz, want des tôdes wâfen ie ze sère sneit." (998, 2.) Der Tod kommt zum Recken, ihm „nähte der tôt." So heißt es auch (2224, 3): „Der Tôt der suochte sère dà sin gesinde was." und (2226,1): „Der Tôt uns sêreroubet, sprach Gîselher daz kint." Man hat das Christliche im Nibelungenlied ausführlich gesammelt und geordnet: aber es bleibt zumeist ohne Tiefe, dem innersten Gehalt unverbunden und beschränkt sich auf das Formelhaft-Alltägliche; christliche Gesinnung erfüllt im Tiefsten nicht das Lied. „Grundheidnisch" mutete es Goethe an. Verschiedene deutliche Stufen der Weltanschauung, der Gesittung, der Ethik hat man im Nibelungenlied herausgeschält: Heldenstil aus der Völkerwanderungszeit und Ritterstil aus der Stauferzeit schichten sich, und Rüedeger steht so seiner ganzen geistig-sittlichen Haltung nach auf der Stufe christlich-höfischer Ritterethik. In ihrer vorbildhaft typischen Geschlossenheit darf man diese Gestalt als eine Ausnahme betrachten. Die Verchristlichung bleibt sonst oberflächig, das Christentum des Nibelungenlieds ist eine Äußerlichkeit, eine „Anstandsform". Nichts von Gottesfurcht, von Lebensangst. „Wenige der Nationalepen sind so gleichgültig gegen den Glauben wie die Nibelungen." „Keiner der Helden stirbt mit einem Aufblick zur Gottheit, einem Gedanken an sein Seelenheil1)." Germanische Kriegerethik schaut überall unter christlichem Gewände hervor. Nirgends kommt das heidnisch-germanische Lebensgefühl stärker zur Geltung als bei Wolf hart. Der junge, kampfkühne Degen, von Giselher erschlagen, ruft sterbend, man solle nicht um ihn klagen : „daz ist âne nôt. vor eines küneges handen lig' ich hie hêrlîchen tôt 2 )." A. H e u s l e r , Nibelungensage und Nibelungenlied. Dortmund 1923*, S. 124ff. ; weiter S. 118ff.; 136, 138. — F. N e u m a n n , Schichten der Ethik im Nibelungenlied, Mogk-Festschrift, Halle 1924, S. 1 1 9 - 1 4 5 . G . N e c k e l , Christliche Kriegerethik. Z. f. d. A. 58 (1921), S. 233—238. Die äußeren christlichen Elemente im Nibelungenlied sammelt Α. E. S c h ö n b a c h , Das Christentum in der altdeutschen Heldendichtung, Graz 1897, S. 69ff. 2 ) Str. 2302. Man kann gegen die Verwendung gerade dieser Stelle methodische Bedenken erheben, denn sie stammt, wie die ganze
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Der herrliche Tod im Kampf, der die Heldenehre bewahrt und ruhmvolles Gedenken sichert, das ist der höchste Augenblick des germanischen Recken, das ist seine Todverklärung. Altgermanische Ethik wandelt sich den Tod an, der vom tragisch unabwendbaren Geschick gesetzt ist; ja, das ganze Leben des Helden zielt geradezu auf den Tod als würdigen Schluß hin; die Frage des Todes wird zur Frage des Lebens überhaupt. Denn hier geht es ums Ganze : nur durch den Tod kann der kühn trotzende Held er selbst werden und zur Vollendung kommen. So macht er aus seinem Schicksal die Tat. Am Tod entspannen sich die Kräfte. Der Tod wird harter, läuternder Prüfstein, er verklärt, verherrlicht das Heldentum, bringt Selbstverwirklichung und Selbstdauer über das Ende hinaus. Wille zum Tod und zum Ruhm verschmelzen ineinander. Aus dem Tod wächst Lebenserhöhung, und solch erhabenes Gefühl will ja auch das Heldenlied bei seinen Zuhörern erreichen. Die altgermanische Heldendichtung ist ein einziger Hochgesang auf den siegenden Untergang ; dazu „gehört eine Stimmung, ernst, von dunklen Ahnungen durchzittert, doch nicht in Trauer ergeben, sondern von Bewunderung der Heldengröße gestrafft"1). Das ist der Kern: heldisches Hochgefühl, Lebenserhöhung durch heldischen Freitod. Wolfhartepisode, vom letzten höfischen Dichter (um 1200), ist also, um mit Ξ . N a u m a n n zu reden, jüngere Erfindung im Heldenroman; eine „Figur jüngster Schicht", sagt H e u s l e r (S. 144, 211ff.; 215, 275). Aber sie ist altes Sagengut, denn die Thidrekssaga kennt sie, H e u s l e r S. 160. Das schließt aber nun nicht aus, daß dieser letzte Dichter, so sehr er sonst die Verfeinerung bringt, Geist, Ton und Stimmung des alten Heldenstils getroffen hat. Heusler charakterisiert ihn S. lOOff. und hebt als sein Persönlichstes hervor die „SeelenVerwandtschaft mit der Heldensage". „Deren tiefste Saite fand in ihm einen Widerhall . . . " Auch N a u m a n n legt nun, wie V o g t a. a. O. und Fr. P a n z e r (Deutsche Heldensage und deutsche Art, 1925, S. 69) den Finger auf diese Verse, die ganz im Geiste alter Gesinnung gedichtet sind. Ztschr. f. Deutschkunde 1927, S. 17; ebd. 1926, S. 2 2 - 3 4 . H e u s l e r , Altgerm. Dichtung, S. 158.
II. K a p i t e l
DIE GRUNDLAGEN DES CHRISTLICHEN TODESGEDANKENS Omnino nihil tempus vitae huiusquam cursas ad mortem. Augustinus
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m über Sinn und Wesen hochmittelalterlicher Todesanschauung und hochmittelalterlichen Todesgefühls etwas aussagen zu können, ist es notwendig, in kurzen Zügen wenigstens den Grundlagen dieses Todesgedankens nachzugehen. Sie ruhen in der Bibel, vor allem im Neuen Testament. Die Todesauffassung, die mit dem Christentum in Erscheinung tritt, ist zutiefst bedingt durch den Opfertod Christi und seine Erlösung der Menschheit, durch eine neue Unsterblichkeitslehre, durch eine Abschätzung und Verneinung der Welt. Seit alters war der Tod den Menschen ein furchtbares Rätsel; und dort, wo der Eigensinn des Lebens nicht nur bedroht, sondern vernichtet ist, wo nun auch das Leben zur Frage und zum Rätsel wird, — dort vertieft sich nur noch sein Geheimnis, sein Schatten wächst noch an: denn der Gedanke des Lebens und der des Todes hängen voneinander ab, bedingen sich wechselseitig und bilden eine unlösliche Einheit. Im Christentum tritt der Tod in neue metaphysische Beleuchtung : er wird — zunächst und ideal — Eingang und Vermittler zu dem durch Christi Opfertod gesicherten ewigen Leben, zur Seligkeit ; zugleich aber — darin ruht das Neue, unheimlich Erschütternde und ganz Unantike — ist der Tod in gleicher Stärke Eingang zum Entgegengesetzten, zur ewigen Verdammnis, zur Hölle. Die Zweiheit, das Doppelgesicht des Todes wird zum ersten Mal deutlich. „Der Tod ist der Sünde Sold": das ist unverrückbare Uberzeugung erst seit dem Christentum, seit Paulus und Augustin.
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Im Alten Testament kann man kaum etwas anführen, das diese richterliche Bedeutung des Todes erhärten würde; den Tod als Folge der Sünde erfaßt zu haben, ist das Werk des Paulus: er bestimmt für ein Jahrtausend grundlegend den Todesgedanken der Menschheit in seiner ganzen Grausamkeit. Rom. 5, 12 steht das wichtige, auf Adam sich beziehende Wort: „Propterea sicut per unum hominem peccatum in hunc mundum intravit, et p e r p e c c a t u m m o r s , et ita in omnes homines mors pertransiit, in quo omnes peccaverunt." Und Rom. 6, 23: „Stipendia enim peccati: Mors; gratia autem Dei: Vita aeterna, in Christo Jesu Domino nostro." So werden Tod und Sünde in engsten Zusammenhang gebracht, aber gleichermaßen auch durch den Opfertod Christi wieder aufgehoben 1 ). Denn die Erlösung vom Tod ist abhängig von der Sündenerlösung : diese ist die Bedingung. Die Sünde also ist in ihrer Nachwirkung gewaltig betont, und Augustinus, selbst von einem fast übermächtigen Sündengefühl gepeinigt und getrieben, verschärft dann schroff diese tiefe Bedeutung der Sünde ; er eigentlich verleiht dem an sich schon furchtbaren Begriff der Erbsünde, der völligen Unfähigkeit des Menschen zum Guten, — bei Tertullian, Hilarius und Ambrosius taucht er schon auf, — das Gepräge des Grausamen und Niederschmetternden. Bei solch enger Verbindung von Sünde und Tod und nun auch von Erbsünde und Erbtod mußte die Vorstellung des Todes mit seiner Strafbedeutung ebenfalls zum unheimlich Lastenden aufwachsen. Diese moraltheologische und metaphysische Ausdeutung und Aus-, gestaltung des vonPaulus gef ormtenTodesgedankens ist so im letzten ein Werk Augustins, des Mannes, der im Bruch zweier Zeitalter steht, an der Schwelle von Antike und Mittelalter und der nun, fast sinnbildlich, das heitere Todesbild des Altertums durch ein düsteres im Bewußtsein der Menschheit verdrängt. Er vor allem gibt dem Todesproblem die feste dogmatische Form, die für die späteren Zeiten verbindlich ist, bis hin zu Thomas von Aquino; aber auch dieser bringt nur unwesentliche Änderungen, nur feinere Unterscheidungen, nichts grundlegend Neues, auch er kann die Härte dieses Todesgedankens nicht mildern. In der Schrift 'De Civitate Dei', im 13. Buch, legt Augustin den Grund; er knüpft an Paulus an: der Tod ist der Sünde Sold. 1 ) Vgl. jetzt nachträglich J. F r e u n d o r f e r , Erbsünde und Tod beim Apostel Paulus, Münster 1927, S. 18ff.; 139ff.
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Die Gründlagen des christlichen Todesgedankens
Seiner Natur nach war der Mensch dazu befähigt, nicht sterben zu können (posse non mori): ein G n a d e n g e s c h e n k Gottes, das ewige Unsterblichkeit in sich schloß, wurde ihm damit zuteil. Durch die Dazwischenkunft der Sünde aber, seit Adams Fall, ist die Menschheit dieser Gnade verlustig gegangen: unbedingte Sterblichkeit ist ihr gewiß (non posse non mori). Mit der Erbsünde verschlingt sich der Erbtod, die Todesverfallenheit unlöslich : von beiden kann der sündige Mensch nur durch Christus erlöst werden. Aber der Tod naht dem Menschen nicht als Naturgesetz, wie das etwa der Pelagianismus behauptet, — der leibliche Tod sei die physisch natürliche Folge des menschlichen Wesens überhaupt, — sondern einzig und allein als göttlich geordnete Strafe für die Sünde des Ungehorsams : und zwar der Tod in beiden Gestalten, als mors corporalis und mors aeterna. Augustinus — und darin folgt ihm die ganze abendländische Kirche, auch die protestantische — unterscheidet vier Arten des Todes, die alle richterliches Gepräge an sich tragen: zunächst den Tod des Leibes (mors corporis), dann den Tod der Seele (mors animae), wenn diese nach dem leiblichen Tod als zeitliche Strafe sich von Gott trennt (XIII, 2). Diese beiden Todesstrafen treffen auch die Gerechten, die iusti; ihnen aber bietet der Tod Gelegenheit zum Verdienst, er wird ihnen Eingang zum ewigen Leben: „Tantam Deus fidei praestitit gratiam, ut mors, quam vitae constat esse contrariam, instrumentum fieret, per quod t r a n s i r e t u r ad v i t a m " (XIII, 4) 1 ). Ihnen wird die Erlösung durch den Gottessohn zuteil; im ewigen Leben vereinigen sich wiederum der sterbliche Leib mit der nur zeitlich Gott entrückten Seele. Die dritte und vierte Todesart aber eignet allein den Ungerechten ; die dritte ist der ewige Tod (mors aeterna), 1
) Die schon bei Augustin und namentlich beim Pseudo-Aeropagiten vorhandene Ansicht, daß auch die materia informis Anteil habe am Schönen und daß das Böse, das Übel von Gott zugelassen sei, um die Schönheit des Guten heller erstrahlen zu lassen, wird nach Andeutungen bei Augustin ausdrücklich auch auf die Erscheinung des Todes angewendet, besonders von Dionysius dem Karthäuser: „mors in quantum est instrumentum virtutis, pertinet ad decorem . . . Mors vero peccatorum quamvis sit pessima eis, bona tarnen et pulchra est ad declarationem divinae iustitiae." De venustate mundi et pulchritudine Dei, Art. V i l i , I X ; Opera omnia torn. 34 (1907), S. 233ff. Vgl. auch M. G r a b m a n n , Des Ulrich Engelberti von Straßburg Abhandlung De pulchro, München 1926, S. 51 — 54.
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der dem Sünder im jüngsten Gericht verhängt wird; ewige Höllenpein, welche die mit dem Leib wiedervereinigte Seele als ewige Strafe erdulden muß; es ist der qualvolle Aufenthalt im Inferno, den sich das ganze Mittelalter mit den grausigsten Farben ausmalte. Solcher Tod bedroht am Schrecklichsten mit ewiger Vernichtung das Heil der Seele, und vor ewigem Tod die Seele zu bewahren, darin gipfeln inbrünstig all die leidenschaftlichen und demutsvoll verzweifelten Bitten der geängstigten Gemüter; durch diese Gefahr wird besonders das mittelalterliche Todesgefühl im Innersten bestimmt. Es ist das jener Tod, von dem schon die Apokalypse spricht: δεύτερος θάνατος. „Et infernus et mors missi sunt in stagnum ignis; haec est mors secunda" (Αρ. 20, 14) und „Beatus et sanctus, qui habet partem in resurrectione prima; in hic secunda mors non habet potestatem" (Ap. 20, 6; vgl. 2, 11; 21, 8). Gott hat, wie Augustin XIII, 12 ausdrücklich betont, den Menschen alle drei Arten des Todes angedroht. Als vierte Todesart schließlich kennt Augustin den geistlichen Tod : die völlige Scheidung der Seele von Gott schon vor dem leiblichen Tod ; auch sie hat die ewige Pein zur Folge. Vom summum bonum, wie es Augustin versteht, von der Gottschau, der visio Dei, sind diese unglücklichen Seelen ausgeschlossen ; von der amor Dei haben sie sich abgewendet zur amor sui. Im 14. Buch schildert sodann Augustin, wie die Herrschaft des Todes sich über die ganze Welt ausdehnt. Durch den Sündenfall entstehen im Menschengeschlecht die beiden Staaten, die civitas coelestis (Dei) und die civitas terrena (mundi). Die einen leben „secundum carnem", die anderen „secundum spiritum". „Tam grande peccatum, ut in deterius eo natura mutaretur humana, etiam in posteros obligatione peccati et mortis necessitate transmissa. Mortis autem regnum in homines usque adeo dominatum est, ut omnes in secundam quoque mortem, cuius nullus est finis, poena debita praecipites ageret, nisi inde quosdam indebita Dei gratia liberaret" (XIV, l) 1 ). Augustinus (Corp. script, eccl. lat. 40), I, L. XIII, 2, 3 — 15; 40, II, L. XIV, I. — Dazu Κ. H o l l , Augustine innere Entwicklung, Berlin 1923, S. 19ff., 23, 24ff.; 38, 45. R. R e i t z e n s t e i n , Augustin als antiker und mittelalterlicher Mensch in: Vorträge d. Bibl. Warburg II, 1924, S. 28—56; bes. S. 36. Zum Dogmatischen H a r n a c k , Dogmengeschichte I 539, 563; II, I37ff.; 146££.; 471, 480; III212ff. (Augustin 343 A. 3).
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Dieses Tod- und Sündensystem baut Augustinus seiner Kulturethik ein, die nun die Grundlage für den gewaltigen Bau der mittelalterlichen christlichen Ethik bildet, den Thomas von Aquino errichtet. Eingehend untersucht dieser in der Summa theologiae „utrum mors et alii corporales defectus sint effectue peccati" und stellt die Gegensätze wie immer ausgleichend fest, sie seien nicht „effectue", sondern „poena". Die Strafbedeutung des Todes also wird betont und muß betont werden. „Mors, et omnes defectus corporales conséquentes, sunt quaedam poenae originalis peccati. Etquamvis huiusmodi defectus non sint intenti a peccant, sunt tarnen ordinati secundum iustitiam Dei punientis1)." In verschiedenen Konzilien, zuletzt im Tridentinum, war dann gegenüber den Pelagianern ausdrücklich der Lehrsatz aufgestellt worden: „Mors corporis poena peccati est" 2 ). Das war die eigentlich dogmatisch-katechetische, jüngere Reihe, die sich durch die ganze Patrologie und Scholastik hinzieht. Neben diese tritt eine andere geistige, viel ältere Reihe, die sich zunächst unmittelbar mit dem Sinn des Todes beschäftigt und ihn als ein Naturgegebenes hinnimmt. Sie bringt zum Ausdruck das alle Zeiten und Menschen erfüllende Empfinden von der Vergänglichkeit, der T o d h a f t i g k e i t des Irdischen und Menschlichen ; in ihr kann man das eigentliche Todesgefühl einzelner Zeiten und Menschen spürbar erfassen; von hier aus dringt man tiefer. Diese Reihe wird lebendig überall dort, wo Menschen bangen, auch in der Antike, die noch nicht im Tode die Strafe sah. Aber erst dann, als die griechische Antike überreif wird, taucht auch „unter dem Volke Homers der lebensfeindliche Gedanke" auf, da drängt sich auch dem grüblerisch-zweifelnden griechischen Geiste die ewige Frage auf, und zuerst spricht sie bezeichnend Euripides aus : „Wer weiß denn, ob das Leben nicht ein Sterben ist, und, was wir sterben nennen, drunten Leben heißt." Und Plato ist es ja dann, der das durch die ganze Spätantike, durch das ganze Mittelalter ') Summa II, 1; Quaest. 85 art. 5f. Vgl. H a r n a c k a. a. O. J I I , 641 Anm. — Für das Einzelne die Übersicht bei L. S c h ü t z , ThomasLexikon, Paderborn 1895 2 , S. 492ff. Auch Freundörffer a. a. O., S. 153ff. 2 ) H a r n a c k a. a. O. III, 183, Konzil von 418 und S. 713ff. Tridentinum; Freundorfer a. a. O., S. 106ff. — Aus der Patrologie die reiche Stellenlese, die Migne im 3. Indexband (220) Sp. 197 — 200 gibt: Mortis natura, causae et effectue.
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hin hallende Wort sagt: das Ziel des wahren Philosophen sei zu sterben, abzusterben innerlich allem Körperlich-Sinnlichen, die göttliche Seele hier schon aus ihren unwürdigen Fesseln, von dem Leibe, von der Zeit geistig zu befreien und zu trennen — wie wirklicher Tod ja Trennung der Seele vom Leibe ist — , schon hier nur auf die ewigen Dinge zu sinnen und das Höhere im Menschen herauszubilden. Das Leben des Philosophen sei ein Reifwerden zum Tode: „Reifsein ist alles" 1 ). Neben das augustinische Wort „Verus philosophus est amator Dei" tritt im Mittelalter mächtig gebietend und ergänzend das platonisch-ciceronische „Tota philosophorum vita est commentatio mortis". Nur daß das Mittelalter, allen voran Augustin, das Sym>) E. R o h d e , Psyche 1894, S. 1. Weiteres über den Tod in der Antike ebd. S. 274, 326, 419, 423ff. ; 491, 540ff.; Euripides, 579ff. Plato, 611, 618, 619, 623, 681, 684, 689. Als Stellenlese ist immer noch nützlich E. v. L a s a u l x , De mortis dominatu in veteres, München 1835. Vgl. auch das vorliegender Darstellung zunächststehende Heft von J o h . G e f f c k e n , Stimmen der Griechen am Grabe, Hamburg 1893, bes. S. 14ff.; 41. D e r s . , Religiöse Strömungen im 1. J a h r h . nach Christi, Gütersloh 1922, S. 79f. Dann noch J . B u r c k h a r d t , Konstantin, Leipzig 1924, S. 152ff. ; bes. S. 201ff. über die Unsterblichkeit und ihre Mysterien in der Spätantike. Ders. Griech. Kulturgeschichte II, 373ff. über den antiken Pessimismus, den auch H. D i e l s , Berlin 1921, behandelt. Außerdem F r i e d l ä n d e r a. a. O. III, 303ff.; 328ff. und W. N e s t l e , Neue Jb. 47 (1921), S. 8 1 - 9 7 . - Eine bruchstückhaft erhaltene Schrift des Philodemus, Schüler Epikurs, über den Tod gab G. M e k l e r in den Sitzber. d. Wiener Akad. Phil. Hist. Kl. 110 (1886), S. 305—354 heraus. — Über die mystischen Züge der antiken Todesspekulation vgl. K. J o ë l , Der Ursprung der Naturphilosophie aus dem Geiste der Mystik, Basel 1903, S. 40, 45, 89 ff. (Einheit von Leben und Tod), über Plotinos und die von ihm ausgehende Reihe s. H. F. M ü l l e r , Plotinos über die Unsterblichkeit, Hermes NF. 7 (1919), S. 177—187 (zu Ennead. IV, 7) und neuerdings H. D ö r r i e s , Zur Geschichte der Mystik. Erigena und der Neuplatonismus, Tübingen 1925, S. 30ff.; 46ff. Materie, 51 f. Tod als Befreiung von der Materie S. 91, 99, 105, 121f. Manches auch bei A. D i e t e r i c h , Eine Mithrasliturgie, Leizig 19102, S. 157 — 179 über Tod und Wiedergeburt in den Geheimkulten. — Genannt seien allgemein K. H e i n e m a n n , Thanatos in Poesie und Kunst der Griechen, Diss. München 1913, bes. S. 34ff. ; K. K i e f e r , Körperlicher Schmerz und Tod auf der attischen Bühne, Heidelberg 1909 und H. B l ü m n e r , Die Darstellung des Sterbens in der griechischen Kunst. Ilbergs N. J b . 37 (1916), S. 1 - 2 0 .
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bolische dieser platonischen Forderung allmählich verflüchtigt und nun in jenseitig-lebensfeindlicher Einstellung den körperlichen, wirklichen Tod meint, nicht den philosophischen als den Übergang in die innerste Betrachtung der Wahrheit, wie es Plotin, Porphyrius und später noch Scotus Erigena fassen: auch die Philosophie steht im theologisch - dogmatischen Dienst des memento mori. Das Gefühl der Todhaftigkeit schwillt gerade im Christentum zu gewaltiger Höhe an. Die Allgewalt des Todes, besonders hier wird sie tief empfunden, und ebenso stark die Vergänglichkeit des Irdischen. Schon das alte Testament tönt davon: „Quis est homo, qui vivet, et non videbit mortem?" (Psal. 88, 49). Das ist die bange und unheimlich hoheitsvolle Frage, die immer wieder düster, mahnend, strafend, vernichtend, siegend erschallt. Und dann „Omnia, quae de terra sunt, in terra convertentur" (Ecclus. 40,11). Und zum dritten: memento mori; die Stunde des Todes ist ungewiß. „Nescit homo finem suum; . . . sic capiuntur homines in tempore malo, cum eis extemplo supervenerit" (Eccl. 9, 12). Der Tod schont niemand, er macht alle gleich : „moritur doctus similiter ut indoctus" (Eccl. 2, 16). Alles ist vergänglich: „cuncta subjacent vanitati et omnia pergunt ad unum locum; de terra facta sunt, et in terram pariter revertuntur" (Eccl. 3,19f.). Diese Sprüche stammen alle aus der jüdischen Weisheitslehre; immer wieder klingen sie nach1), und das Neue Testament nimmt sie auf und gibt ihnen durch seine furchtbare Todesspekulation eine noch schwerere Wucht. „Novissima autem inimica destruetur mors; omnia enim subjecit sub pedibus eius cum autem dicat: Omnia subjecta sunt ei; sine dubio praeter eum, qui subjecit ei omnia" (1. Kor. 15, 26f.). Das Mittelalter faßt diese ganze Todesstimmung zusammen in der großartigen Antiphona de morte: „Media vita in morte sumus." Das Todesgefühl wird jetzt den Menschen, die aufs Jenseits !) Vgl. noch E c c l u s . 8, 8; 14, 12, 19, 20; 41, 3, 5, 20. Jes. 40, 6; Job. 80, 23; Psal. 48, 11, 18. Dazu A. S c h u l z , Der Sinn des Todes im Alten Testament, Braunsberg 1919, S. 7 - 4 1 ; bes. S. 28ff. ; 30ff. ; 35 ; L. Dürr, Die Wertung des Lebens im Alten Testament und im antiken Orient, Braunsberg 1926, S. 1 — 43, bes. S. 30—36 über den euphemistischen Gebrauch; G. Quell, Die Auffassung des Todes in Israel, Leipzig 1925, bes. S. 35ff.
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ihr Denken, Sinnen und Trachten richten, lebenformend. Ist das Leben wirklich ein Leben, ist es nicht in Wahrheit ein fortwährender Tod ? Weithin sichtbar und allen Zeiten vernehmlich stellt Augustinus nach Euripides diese Frage. Morituri sind die Menschen, — solche, die sterben werden, — Todgeweihte. „An vita mortalium mors potius quam vita dicenda sit" ist die Uberschrift des 10. Kapitels im XIII. Buch „De civitate Dei." Da und im 11. Kapitel liest man: „ . . . Omnino nihil . . . tempus vitae huius quam cursus ad m o r t e m " und die Menschen „non erunt . . . ante mortem adque post mortem, sed semper in morte ; ac per hoc numquam viventes, numquam mortui, sed sine fine morientes"; sie sind immerdar und ohne Ende Sterbende, und gleich im 6. Kapitel des ersten Buchs seiner „Confessiones" spricht er vom sterbenden Leben und vom lebenden Tod. Und dieses Gleichnis tönt immer wieder in den Betrachtungen der Kirchenväter 1 ). — Aus solchen Quellen fließt die christliche Todesanschauung des Mittelalters. Wo der Sinn des Lebens nicht in diesem selbst, sondern nur in seiner Zielung und Hinordnung aufs Jenseits lag, in der Heilsgewinnung, im Weg zu Gott, in der visio beatifica, mußte und durfte auch der Tod nicht nur „finis", sondern auch „transitus" sein, Eingang zu dem ganz Anderen, Uberirdischen, zur ewigen, ruhenden Gottschau. Trotzdem das Christentum gerade das alte heitere Bild des Todes durch ein furchtbares verdrängt hatte, will die christliche Ethik und Frömmigkeit auch wieder dem Tod sein Grauen und seinen Schrecken nehmen und seine Herrschaft über die Seele brechen. Denn der sündige, kreatürliche, aber gläubige Mensch, der seine Hoffnung auf die überirdische Gnade setzt, wird vom Tode durch die Auferstehung und das jüngste Gericht und zugleich von der Todesfurcht erlöst, da er weiß, daß der Tod ihm nur zeitliches, nicht ewiges Übel bringt. „Et omnis, qui vivit et credit in me, non morietur in aeternum" (Joh. 11, 26). Dem Leben der Gläubigen kann der Tod nichts anhaben, Christus hat den letzten Feind zerstört: die Seele ist unsterblich. Der jubelnde Auferstehungsglaube übertönt die Schrecken des Todes; der Tod ist vernichtet, besiegt. Stärker, hinreißender noch als im x
) Vgl. M i g n e 220, Index, Sp. 200ff. Vita potius umbra vitae quam vita. Gregor: Migne 75, Sp. 425.
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Abendland erfüllt in der Liturgie der christlichen Ostkirche diese frohe Osterbotschaft die Gemüter1). Es gibt ein festgeordnetes, letztlich auf Gregor den Großen zurückgehendes mittelalterliches Weltbild, das nur mit überlieferungsmäßig gebundenen, unverrückbaren weltanschaulichen Gegebenheiten rechnet und den mittelalterlichen Todesgedanken formen hilft. Alles ist darin bestimmt durch ein großes, metaphysisches Geschehen und Werden, durch eine Dreiheit, durch ein Drama der Menschheitsgeschichte : Paradies, Erdenleben, himmlische Seligkeit, — Einheit mit Gott, Abfall von Gott durch die Sünde, und dann schließlich Rückkehr und Wiedervereinigung mit Gott, dem „summum bonum". Durch den Sündenfall kommt der große Dualismus in alles Weltgeschehen, jene unheimliche Spannung zwischen Diesseits und Jenseits: Gott und die Welt stehen sich gegenüber, Gottesstaat und Weltstaat, civitas Dei und civitas mundi, das Gute und das Böse. Und darum strebt nun der seiner göttlichen Geborgenheit entrissene und beraubte Mensch wieder zurück aus dem Reich der Welt, des Satans, zum ewigen Reich, aus der Verdammnis zur Seligkeit, aus der Gottferne hin zur Gottnähe, zur „fruitio Dei" und „visio beatifica", er sucht sich von den Banden der Selbstliebe, der Weltliebe, der „amor sui", zu lösen, um in der Gottliebe, der „amor Dei", aufzugehen. Das Erdendasein ist nur ein vorläufiges, es ist eine mit dem Sehnen nach der Erlösung von der Sünde verbundene, läuternde Prüfungsstrafe und Vorbereitungszeit, eine Askese; die Erde eine Verdammnis, ein Jammertal, das Leben ein Pilgrimsstand, eine peregrinatio ad Deum, eine Wallfahrt nach dem ewigen Vaterland; Heimweh nach der verlorenen himmlischen Heimat erfüllt die gläubigen Gemüter2). Diese Jenseitigkeit der christlichen Lebens1
) Ν. v. A r s e n i e w , Ostkirche und Mystik, München 1925, S. 1 — 30. — Zum Unsterblichkeitsgedanken s. H o l l , Augustin a. a. O. S. 17 ff. und D i l t h e y , Einleitung in die Geisteswissenechaften, Berlin 1883, S. 396—401. W. G ö t z m a n n , Die Unsterblichkeitsbeweise in der Väterzeit und Scholastik bis zum Ende des 13.. Jhd. Karlsruhe 1927, S. 80—104. Vgl. auch W. H e i n z e l m a n n , Augustine Lehre vond. Unsterblichkeit u. der Immaterialität der Seele. Diss. Jena 1874. A. v. H a r n a c k , Die Terminologie der Wiedergeburt, Berlin 1918. 2 ) G. E h r i s m a n n , Das himmlische Heimweh PBB. 35 (1909), S. 218 — 230, mit Beispielen aus frühchristl. Literatur; hier auch der Nachweis von platonischen und plotinischen Einflüssen, die sich in
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haltung kommt nun im Religiösen, so wie der Neuplatonismus im Philosophischen, zur Umwertung der Werte und der Tod gewinnt eine neue Stellung: das Leben wird zum Tod und der Tod z u m L e b e n , zum Eingang indas ewige Leben, und da der Tod jene Vermittlung übt und dem Leben im Diesseits ein Ziel setzt, den Gottsehnenden und -liebenden zum summum bonum, zur visio Dei, zur endlichen und ewigen Vereinigung, wenn nicht sogleich, so doch in absehbarer Zeit, führen wird, da er Einlaß gibt zu dem allem Diesseitigen durchaus Entgegengesetzten, so wird, — gerade frühchristlicher Zeit mit ihren Märtyrern, — der Tod zum freudig ersehnten Gut, zum majestätischem Heiligtum der Seele. Nun kann Cyprian in seiner erhabenen Trostschrift. 'De mortalitate* den Tod als Quelle der Wohltaten und Schule der christlichen Tugenden, als Hingang zum Ewigen preisen. Nun kann Julianus rufen: „Amplectamur diem mortis qui nos paradiso restituii et regno" und erwägen: „Si nulla esset mortis vel parva molestia, non esset tam magna martyrum gloria." Nun kann Dionysius Areopagita gegen die falschen Ansichten vom Tode sprechen und vom Sterbenden berichten, der, am Ziel seines Kampfes angelangt, von heiliger Wonne erfüllt ist und sich auf den Weg begibt, der zur heiligen Wiedererstehung führt. Und Gregor von Nyssa sagt, der Tod sei den Heiligen Ursache von Freude und Festlichkeit, und bei Bernhard von Clairvaux heißt es: „Mortem preciosam tria faciunt : quies a labore, gaudium de novitate, securitas de aeternitate'.' 1 ). Jetzt schreibt Ambrosius ein Buch 'De b o n o mortis', das in der Schilderung der ewigen Glückseligkeit ausklingt Augustin vereinigen und von Gregor zum dreiaktigen Drama zusammengenommen werden. Ergänzungen aus der ma. Zeit bringt R. G ü n t h e r , Die Bilder des Genter und Isenheimer Altars I, Leipzig 1923, S. 41 f: Peregrini sancti; S. 63ff: Wallfahrt nach dem Vaterland. *) C y p r i a n , De mortalitate, Migne 4, Sp. 603 — 624. J u l i a n u s , Migne 96,470,472; Gregor v. N y s s a , Migne 46, 848; D i o n y s i u s , Bibl. d. Kirchenväter2(1911) S. 190ff.; 193ff.; B e r n h a r d , Migne 183,687; 182, 240 . . . exitus vitae, introitus melioris . . . ; R u p e r t v. D e u t z , De meditatione mortis, Migne 170, Sp. 357 — 390. A m b r o s i u s : Migne 14, 659—696; bes. Cap. 4, 8, 12. E p h r a e m der S y r e r , Bibl. d. Kirchenväter, Kempten 1870, I, S. 63—70. Betrachtungen über den Tod. — Weiteres bei M i g n e 220, Sp. 204ff. — H a r n a c k a. a. O. II, 471. — Allgemeines bei E. P e t e r s , Quellen und Charaktere der Paradiesesvorstellungen in der deutschen Dichtung bis zum 12. Jhd. Breslau 1916.
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und den Tod ein Gut nennt, weil er „finis peccati" und „ad meliorem vitam transitus" ist, jener Tod, der nicht an sich schrecklich ist, sondern den erst unsere Furcht zu einem Schrecken macht, den man nicht fürchten, sondern erhoffen und wünschen soll. Hier überall spinnen sich die Fäden zu einem ausgesprochen mystisch-religiösen Toderlebnis an, das dann mit der spekulativmystischen Ausdeutung des Toderstrebens, der geistigen mortificatio und deificatio zusammengeht 1 ). Man muß die ungeheure Wirkung ermessen, die das Dogma von dem Tod als Sold der Sünde auf das Todbild des gesamten abendländischen Mittelalters und noch weiter darüber hinaus zunächst gehabt hat: dieser Satz ist grundstürzend, von einer unabsehbaren Tragweite, er allein gestaltet das ganze Weltbild der Antike um, nicht nur ihre Stellung zum Tode. Das Todgefühl der vorchristlichen Zeit mochte tief, ernst und schwer gewesen sein, man mochte sogar seit Plato den Wert des Diesseits zugunsten des Jenseits gemindert haben, so daß alles darauf zielte, im Tod ein Geschenk, eine Wohltat zu sehen, den Tod mit Gelassenheit zu erwarten, man mochte ihn auch als notwendiges furchtbares Übel hinnehmen: dann aber formte man dies in ein heiteres Bild, das Abwehr und darum Gestaltung dieses Unheimlichen, Schutz vor Verfinsterung der Lebensansicht sein sollte, so daß also in der apollinisch-heiteren Vorstellung der Antike vom Tode als einem Genius die Mächte des Dunkels gebannt waren. „Die Griechen waren oberflächlich aus Tiefe", sagt Nietzsche. Nun fällt plötzlich das unerhört Neue und Grausame ein, das schneidende Wort : Tod ist Sold für die Sünde der Menschen. Niemand hat diese Umwälzung empörter, kühner, fast nietzschisch scharf festgestellt als Lessing: es sei gewiß, „daß diejenige Religion, welche dem Menschen zuerst entdeckte, daß auch der natürliche Tod die Frucht und der Sold der Sünde sei, die Schrecken des Todes unendlich vermehren mußte . . . Den Tod für eine Strafe zu halten, das konnte ohne Offenbarung schlechterdings in keines Menschen Gedanken kommen, der nur seine Vernunft brauchte". 1 ) D ö r r i e s a. a. O. S. 52, 99 Anm. 2, 105, mors mystica bei Scotus Erigena : Migne 122, S. 926, pretiosus purgatissimarum animarum in intimam veritatis contemplationem, quae vere beatitudo est et aeternitas, transitus. Philosophischer Tod bei Porphyrius, D ö r r i e s a. a. O. S. 99 Anm. 2 (Sententiae, Leipzig 1907, Kap. 9).
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Jetzt erst wird im Sinne Nietzsches die „Furcht vor dem Tode" eine „europäische Krankheit" gegenüber den östlichen Völkern. Christentum ist mit seinem „Ressentiment gegen das Leben", mit seiner Lebensverneinung das Todesprinzip an sich für Nietzsche ; daher denn auch sein erbitterter, höhnischer Kampf, auch gegen die leugnerische Auslegung des Todes und der Zustände Sterbender durch die Kirche. „Der ganze Begriff des natürlichen Todes fehlt im Evangelium," heißt es im 'Antichrist'. 1 ) Jetzt ist ja das Furchtbare, das die Antike bannte, hervorgebrochen und ins Dämonisch-Ubergewaltige gesteigert und hat das Leben wahrlich zu einer Verdammnis gemacht: noch tiefer, schwärzer fällt der unheimliche Schatten des Todes auf das Leben. Die Todesspekulation ist dadurch in eine bestimmte, feste moraltheologische Richtung gewiesen und der Antike gegenüber eingeengt und verdüstert : das Dogma befiehlt, — die Kirche. Es entsteht ein ganz neues, düsteres, leidenschaftliches Todesempfinden, ein drückendes Strafbewußtsein, ein Schuld- und Sündengefühl; tiefe Furchen zieht dieser grausame Todesgedanke in das Antlitz der menschlichen Lebensstimmung und seiner Frömmigkeit. Die Stellung zum Tode wandelt sich : der Mensch ist der Angeklagte, er hat sich auch vor dem Tode zu verantworten; er hat sich ihn selbst gesetzt und leidet sein eigenes Werk 2 ). Erst das Christentum läßt den Menschen das Doppelgesicht des Todes in seiner ganzen gegensätzlichen Spannung erleben. Der Tod kehrt ihm die furchtbare Seite zu, und erst der Zerknirschte, der Gläubige darf auch die andere, versöhnliche schauen. Und hier muß man wieder die Kraft des religiösen Gefühls bewundern, die alles, auch das Schreckliche, sich anverwandeln kann. Man hat das Furchtbare am Tod zitternd erfahren, aber man will nun die andere, freundliche Seite sehen, man kehrt kühn um, und weil gerade durch das Schuldbewußtsein, durch den Tod das Leben verdüstert ist, und der Sinn des Lebens erst drüben, in der Rückkehr liegt, weil der Glaube
N i e t z s c h e : Taschenausgabe XI, 86; Antichrist Nr. 34; Fröhl. Wissenschaft Nr. 278 ; Menschliches II, 88. Vgl. auch unten den Schluß. 2 ) A u g u s t i n , Migne 45, Sp. 1112. „Homo sie conditus erat, ut non haberet moriendi necessitatela ; peccato autem sic mutatus est naturae status, ut hominem necesse est sic mori." H i e r o n y m u s , Migne 24, Sp. 884: „Dominus mortem non facit, sed peccatum." Vgl. auch B u r d a c h , Kommentar zum Ackermann S. i324.
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hoffen heißt, so wird der Tod, der dies todfinstere Leben tötet und endet, zum Leben und das Scheinleben in Wahrheit zum Tod. Doch das ist die Frucht harten Ringens, starken Glaubens, der Berge versetzt, und stets gibt es Zeiten im Christentum, wo bald mehr die eine, bald mehr die andere Todesseite sich den Menschen zukehrt.
Grundlage aber für das ganze Mittelalter,
für seinen Todesgedanken, bleibt
sein Todeserlebnis, sein Todesgefühl
diese Dreiheit: Tod Sold der Sünde, Tod Eingang
zur
ewigen Verdammnis, Tod Eingang zur ewigen Seligkeit. Nicht alle haben die Akzente
so gesetzt
wie Lessing
Nietzsche und wie Schiller in den 'Göttern Griechenlands'.
und
Freilich,
auch Novalis, auch der späte Hölderlin sahen in ihrer gewaltigen, spekulativ-dichterischen Geschichtsschau die „Scheidung der alten und neuen W e l t " , den Ubergang, die „Umschreitung" von der Antike zum Christentum als den Gegensatz von Licht und Dunkel, von Tag und Nacht. Aber sie werten anders, sie begrüßen freudig nach der schmerzhaft bewußten Helle die Nacht als „der Offenbarungen mächtiger Schoß".
Und Hölderlin singt: „Denn jetzt
erlosch der Sonne Tag, der königliche . . . und Freude war es von nun an zu wohnen in liebender Nacht und bewahren in einfältigen Augen unverwandt Abgründe der Weisheit 1 )."
Diese „Abgründe
der Weisheit" aber, diese „Offenbarungen", es sind Offenbarungen vom tieferen Sinn
des Todes,
es ist
die Enträtselung
dieses
mystischen Geheimnisses, das schwer auf der alten Welt lastete und das antike „Lustgelag mit Angst und Schmerz und Tränen unterbrach". Denn so sehr Novalis wie Hölderlin das Orientalische, das dunkel Dionysische und Leidvolle im hellenischen Lebensgefühl mit neuen romantischen,
gegenklassischen Augen
schaute,
—
das hohe mystische Rätsel des Todes sah er im Griechentum nicht gelöst; für ihn war die Art, mit der der antike
Mensch
„die grause L a r v e " verschönte, doch nur Todesverlegenheit und Novalis, Minori, S. 31 — ö l (sechsteHymne); I I I , 285. Hölderlin, Werke ed. Zinkernagel I, S. 358, 359 (aus der Pathmoshymne); vgl. auch S. 342; V, 325f. Auch Adam Müller, Phoebus I, 9 — 10, S. 8; s. Kap. 11. — Dazu R. S a m u e l , Die poetische Staats- und Geschichtsauffassung Fr. v. Hardenbergs, Frankfurt 1925, S. 182ff. L. v. P i g e n o t , Hölderlin, München 1923, S. 85ff.; 132ff.; 153ff.; J. P e t e r s e n , Das goldene Zeitalter bei den Romantikern, „ E r n t e " 1926, S. 144, 148; B ä u m l e r a. a. O. S. 231. H. F r i e d e m a n n , Die Götter Griechenlands. Diss. Berlin 1905, S. 7ff.; 21f.; 28.
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Todesfremdheit, es war eine Umgehung des Todes, die das Leben nicht in seiner dunklen Tiefe erahnen ließ, es war „Todesverachtung", aber nicht wahrhafte „Todesbesiegung", wie Adam Müller unterscheidet „Hier wußten selbst die Götter keinen Rat . . . Doch unenträtselt bleibt die ew'ge Nacht, Das ernste Zeichen einer fremden Macht." Christus aber, „uart rang er mit des alten Todes Schrecken. Schwer lag der Druck der alten Welt auf ihm". Er enträtselt den Tod als „der höhern Menschheit freudiges Beginnen": „Im Tode war das ew'ge Leben kund, Du bist der Tod und machst uns erst gesund." So ist es also das Christentum, jene Religion des Todes und der Wollust, die der Welt erst den Tod in seiner symbolisch-metaphysischen Bedeutung verkündet hat, aber in einem anderen Sinne, als es Lessing meinte, in jenem mystischen, der den Tod nur als Eingang zum ewigen, absoluten Leben ahnt und preist.
III. K a p i t e l
DAS HOCHMITTELALTER .. sorge et um dîn ende, daz dir dîn arbeit hie erhol, daz dort dia eêle ruowe dol." (Parziyal, 499, 28 f.)
S
tärker als je beherrscht im Mittelalter der Tod Denken, Wollen und Fühlen der Menschen; denn ganz ausschließlich steht die Frage um das Heil der Seele im Mittelpunkt jeder dogmatischen und weltanschaulichen Erwägung. Dahin zweckt und zielt alles, Scholastik und Dichtung stehen lediglich im Dienst des Gedankens, den irdischen Menschen zur Gewinnung des Seelenheils und des höchsten Gutes zu leiten. Der Tod aber steht am Tor zum Himmel und zur Hölle; er führt die Seele zum Heil, aber er gefährdet sie auch. Solches Doppelwesen prägt die besondere Eigenart des mittelalterlichen Todbildes. Religion ist im Mittelalter Lebensmacht, aber noch stärker ist es die Kirche: sie, die Hüterin des wahren Glaubens, herrscht über die Seelen und beeinflußt tief die Weltauffassung der Menschen, die damals im Gesamten ein geistiges Eigenleben noch nicht zu führen vermochten. Im 10., 11. und noch im 12. Jahrhundert, unter der Einwirkung der aus dem Westen stammenden kluniazensischen Erneuerungsbestrebungen, in frühmittelhochdeutscher Zeit also, steigert die Kirche den Gegensatz von Gott und Welt, von Gottferne und Gottnähe ins Seelenbelastende. Bang und ängstlich fühlt man die schier unüberspannbare metaphysische Zweiheit, die durch die Schuld des Menschen veranlaßt ist und seitdem immer noch vergrößert wird, fühlt man die furchtbare Strafbedeutung des Todes. Seiner tiefsten Kreatürlichkeit, seiner völligen Abhängigkeit von der göttlichen Gnade und von der Vermittlerin solcher Gnade, der Kirche, ist man sich damals besonders tief bewußt gewesen und diese Vermittlerin tat alles, jenes Bewußtsein noch zu steigern.
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Es ist zutiefst eine asketische, weltverneinende Stimmung und Haltung, die sich über die einmal gefügten, notwendigen Gegebenheiten der Welt hinwegsetzt und die mortificatio will: das Ideal einer Kaste, eines Standes, ein mönchisches Ideal, das eben nur vom Mönch erfüllt werden kann, aber nun allen aufgezwungen werden soll. Gerade die von Geistlichen verfaßte katechetische Dichtung des 11. und 12. Jahrhunderts wird mit der Notwendigkeit der geschichtlichen Idee zum Träger dieser weltfeindlichen, asketischen Stimmung. Ihr. gegenüber mutet die Weltbetrachtung Notkers des Großen, der desBoëthius' Tröstung der Philosophie eindeutscht und gleich diesem vom „vanitas vanitatum" durchdrungen ist, wie ein milder, versöhnlicher Verzicht, über dem noch etwas von der Heiterkeit antiker Todbetrachtung ruht. Und auch von Otfried, der doch schon aufgefordert hatte, die Gegenwart zu fliehen, um sich das Heil anzueignen, kann man wirklich sagen, er sei dem Tode gegenüber von hellenischer Gesinnungx). Das wird plötzlich anders, als die letzten Nachwirkungen der Antike erloschen sind. Das herbe, strenge und fanatische Wesen der kluniazensischen Reformbewegung reißt den Zwiespalt auf, sie zeigt erbarmungslos die Welt in ihrem Elend und den schönen menschlichen Leib, den antike Gesinnung verherrlichte, in seiner ganzen Schnödigkeit als „broeden laim". Ein gewaltiges „Memento mori" tönt gleichsam aus allen Werken dem Leser entgegen. „Sorge um deine Seele." Büß- und Zweckdichtung ist das, die unmittelbar auf die sündigen Herzen wirken soll : sie droht mit dem zweiten, ewigen Tode, auch in der bildlichen Darstellung, arbeitet mit dem Mittel der Abschreckung, verengert den ohnehin schon schmalen Umkreis, in dem sich der mittelalterliche Todesgedanke bewegt, ins KatechetischDogmatische und spitzt das Problem zu. Aber in dieser bewußt starren Einseitigkeit besitzt dieses Schrifttum eine fast unheimliche Stoßkraft mit der sie alles nur Irdische vernichtet. Mächtig setzt es mit dem frühmittelhochdeutschen „Memento mori" aus der Zeit um 1070 ein. ,,Nû denchent, wîb unde man, war ir sulint werdan.. . Ir wânint iemer hie lebin: ir muozintze jungest reda ergeben, ir sulent all ersterben." P. Th. H o f f m a n n , Der mittelalterliche Mensch, Gotha 1922, S. 194ff. ; 202ff. Zu Otfried vgl. A. S c h i r o k a u e r , Deutsche Vierteljahrsschrift IV (1826), S. 79.
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Denn irdische Güter nützen nichts. „Ja, dû vil ubeler mûndûs, wie betriugest du uns sus." Und dann die stets wiederkehrende Bitte um zeitige Erleuchtung, daß man das Heil der Seele rette. Denn das galt als Leitsatz und unumstößliche, schreckliche Wahrheit: „Mors peccatorum pessima", der Tod der Sünder, — derer, die sich vor dem Ende nicht mit Gott versöhnt haben, — ist der schlimmste, weil ein ewiger Tod ihnen sicher ist. Davor bewahre der Herr. Ein Gedicht aus dem 12. Jahrhundert „Von der Zukunft der Seele" schärft es ein: Satan „vuret si nider in die not. Solich ist der sunder tot, von dem stat gescriben da: Mors peccatorum pessima". 1 ) Die deutschen Predigten des 12., 13. und 14. Jahrhunderts, die sich mit Vorliebe in langen, bildkräftigen Erwägungen über die verschiedenen Arten des Todes, des Todes der Natur, der Sünde, der Gnade und der Hölle ergehen, beschwören stets wieder vor den zerknirschten Seelen ihrer Zuhörer die Schrecknisse des ewigen Todes, der den Sünder wie der Dieb in der Nacht überrascht. Der Tod der Hölle, „daz ist der aller wirst tôt und von dem sprîchet Herre David: Mors peccatorum pessima 2 )". x
) Deutsche Gedichte des 12. Jhds. ed. v. K r a u s , Halle 1894, V i l i , V. 60 ff. und Anm. S. 185. Memento mori bei M ü l l e n h o f S c h e r e r 3 , (1892) X X X b ; I, I f f ; VI, Iff. 2 ) Deutsche Predigten ed. F. K. G r i e s h a b e r , Stuttgart 1844, I, S. 109 — 114; S. 113. — Ähnliches bei A. E. S c h ö n b a c h , Altdeutsche Predigten I, S. 10, 377; Kommentar S. 395, 453. II, S. 22, 26, 96, 130; III, S. 11, 75, 76, 178, 266. Aus der Patrologie etwa für viele H o n o r i u s A u g u s t o d u n e n s i s , Elucidarium sive dialogue de summa totius christianae Theologia, II, 32, Migne 172, Sp. 1156. De morte: „Non enim subita morte moriuntur, qui se semper cogitant morituros . . . Quacumque enim morte moriantur, mala et subita morte moriuntur, qui in Domino non moriuntur, et qui nunquam cogitaverunt se morituros; et ideo semper mors peccatorum est pessima." R u p e r t ν. D e u t z , De meditatione mortis, Migne 170, Sp. 367 — 390; bes. Sp. 362 Meditatio mortis als Aufgabe des Weisen. Der mors corporalis, den alle erleiden müssen, befreit „a morte animae, quae actu quidem prior est, sed experimento secunda dicitur". Vgl. auch über die Arten des Todes: H e s l e r , Ev. Nie. Lit. Ver. 224, V. 4032ff. u. Anm. 254f. ; C a e s a r i u s v. H e i s t e r b a c h , Dial. Mir. Diet. X I I , Cap. 1 (u. 61): Quid sit mors, nach Isidors Ethym. XI, 29; Migne 82, Sp. 418: tria genera mortis . . . — acerba, immatura, naturalis. L u c i d a r i u s DT. 28, S. 59. A u g u s t i n , Migne 96, Sp. 462; 45, Sp. 1617. — Tod als Dieb: Quelle ist nach S c h ö n b a c h II, 195 H o n o r i u s , Migne 172, 1017ff. B e r n h a r d v. C l a i r v a u x , Migne 182, Sp. 240; Speculum
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Den Gedanken von dem grauenvollen Tod des Sünders macht dann Heinrich von Melk zum Mittelpunkt seiner mächtigen Bußgedichte. In ihnen atmet ein religiöses Gefühl, das ihn befähigt, kraftvolle und in ihrer eindringlichen Wucht und hohen ethischen Gesinnung einzigartige Klage und Mahnung zu erheben; auch er ist noch ganz erfüllt von dem strengen asketischen Geist der Kluniazenser und innerhalb des deutschen Schrifttums dessen sinnbildlicher Ausdruck. Er führt in die deutsche dichterische Todesbetrachtung ein ganz neues Motiv ein, vertieft dadurch von einer anderen Seite her das Problem und verschärft, dem Zeitgeist pflichtend, zugleich den großen und grellen Gegensatz von Leben und Tod noch weiter. Mit schauerlich scharfer Beobachtungsgabe malt Heinrich von Melk in seinem Gedicht „von des tôdes gehugde" voll grimmigen Hohns aus, wie grausig der Tod den ehemals so schönen blühenden Körper zerstört, so daß nicht einmal mehr die Frau des Toten oder seine Freunde mit ihm zu tun haben mögen. Durch die schreckenerregende Schilderung der physischen Auswirkungen des allmächtigen Todes soll der Eindruck seiner drohenden psychischen Wirkungen vorbereitet und vertieft werden.1). Noch Berthold von Regensburg und Seuse üben diesen Brauch 2 ). Der Sohn geht zum Grabe des Vaters und dieser erscheint ihm, von Würmern zerfressen, stinkend, ein häßlicher Wust, — ein Bild der jammervollen irdischen Vergänglichkeit. Solcher Anblick soll zur Selbsteinkehr, zur Reue bringen. „Er ist unsaelic, der des vergizzet" (686). Und nun beschwört der Vater den Sohn, rechtzeitig Buße zu tun, damit es diesem nicht ergehe wie ihm, der ewige Höllenqualen erleiden muß und darum sein Weltleben verdammt. Der ecclesiae altdeutsch ed. K e l l e , S. 143; Deutsqher Cato ed. Zarncke, S. 397; Wigalois 8033; vgl. auch G r i m m , Myth. Nachtrag S. 252. 1 ) H e i n r i c h v o n M e l k ed. R. Heinzel, Berlin 1867, von des tôdes gehugde V. 506ff.; vgl. auch Warnung (ed. Weber) V. 101 ff.; F r e i d a n k (ed. Bezzenberger) 22, 2; W e r n h e r s Marienleben: Driu liet von der maget ed. Feifalik, Wien 1860, V. 2287ff. — P e t r u s A l p h o n s i ed. Hilka, Heidelberg 1911, Nr. 32; vgl. auch Nr. 31, S. 48. 2 ) B e r t h o l d ed. Pfeiffer, Wien 1862, I, Nr. 32, S. 5 0 5 - 5 1 9 ; bes. S. 510; dazu S c h ö n b a c h , Sitz. d. Wiener Ak. 164 (1906), 1. Abh. S. 95—98. — Bd. II, S. 44—53. Von der Seele Siechtum. Weiteres bei R e i t h m e i e r , Bertholds Deutsche Theologie, München 1852, Kap. 13, § 1, S. 90; Kap. 20, § 9, S. 114; Kap. 70, § 1 und § 2, S. 491.
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ewige Tod, der zweite Tod wird ihn ereilen und niemals wird er Gott sehen. Denn das nahm der mittelalterliche Mensch als höchste und schwerste Strafe: von Gottes Antlitz verbannt zu werden; Gott nicht schauen zu dürfen war die Vernichtung der Erfüllung des Erdenstrebens, war der äußerste Gegensatz zur höchsten Wonne und Seligkeit, der visio beatifica, die den Frommen zuteil wird: „ir aller maiste wunne, daz ist gotes antlutze" (950). Wer solches weiß und erkennt, der wird nur als Gast diese Welt betrachten und zur Zeit bereuen, bevor der Tod ihn plötzlich ergreift, er wird, um mit einem milderen und auch späteren Prediger als Heinrich es ist zu reden, danach streben, den Tod der Gnade zu sterben : „der toetet den menschen an dem libe und niht an der sele : das ist swenne der mensch an uzren dingen der werlt tôt ist und daz er inwendigon an der sele got lebet." 1 ). Heinrichs Forderung aber ist schroff und hart und hat noch nichts von jener späteren mystischen Gesinnung. Nichts Irdisches, weil Vergängliches und darum Nichtiges, ist der Teilnahme würdig, „des tôdes gehugde" allein verbürgt das Seelenheil des mit schwerer Sünde beladenen Menschen. Der Todesgedanke löst sich in diesem gewaltigen Memento mori ganz auf in den der Vergänglichkeit und so dieser Zeitspanne überhaupt ; die schreckliche dunkle Seite des Todes hält Heinrich der entsetzten Welt vor, er sieht nur den rächenden Vernichter in ihm, aber auch nur den Vernichter des Lebens. Daß aber das Leben auch den Tod besiegt, nicht im metaphysischen, sondern rein im heilsdogmatischen Sinne, dieses Bewußtsein scheint jener Zeit völlig erloschen oder doch wenigstens in den Hintergrund gedrängt zu sein. Und man darf es fast als sinnbildlich nehmen, daß die Darstellung aus dem Regensburger Uta-Evangelium, die Vita und Mors am Fuße des Kreuzes gegenüber zeigt, und zwar Mors mit zerbrochener Lanze und Sichel und verhülltem Gesicht, noch aus früherer Zeit, aus dem Jahre 1002 stammt und daß bald danach auch jene Sequenz „Victimae paschali" entstanden ist, die den wunderbaren Kampf von Leben und Tod und den schließlichen Triumph des Lebens schildert: „Dux vitae mortuus regnat vivus." 2 ) Solchen Sieges1
) Grieshaber, a. a. O. I, S. 112; vgl. eine ähnliche Predigt bei S c h ö n b a c h a. a. O. I, S. 31. Quelle ist nach Schimbach S. 399 A m b r o s i u s , De bono mortis, cap. 8 (Migne 14, Sp. 532f.) und H o n o r i u s , Spec. eccl. Migne 172, Sp. 1081f. 2 ) Abb. bei G. S w a r z e n s k i , Regensburger Buchmalerei, Leipzig 1901, Tafel XIII, Anm. 30; dazu S. 92ff. Vgl. auch A. R e u t e r ,
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glauben spürt man hundert Jahre später nicht mehr, Bild und Sequenz finden keinen Widerhall, die asketische Richtung ist allmächtig geworden; es ist in diesem Zusammenhang geistesgeschichtlich außerordentlich bezeichnend, daß jetzt die Todesdarstellung unter diesem Einfluß sich wandelte, daß nun nicht mehr wie im ersten Jahrtausend vor allem der Sieg Christi über den Tod, der als erbärmlicher, machtloser, krüppelhafter Wicht erschien, in der Kunst gebildet wurde und daß nicht mehr in der Ikonographie die antike Gesinnung nachwirkte, die hier, gleichsam vergeistlicht, mit ihrem milden Todesbild christlicher Anschauung noch entgegenkam und diese die Verkörperung des Todes durch Skelett und Gebein meiden ließ. „Für den christlichen Künstler des ersten Jahrtausends hatte der Tod seine Schrecklichkeit verloren . . . Grausame Züge fehlen den Todesbildern dieser Zeit fast ganz, da der Christ den Tod nicht mehr fürchtete." Jetzt aber ist gleichsam der Tod der unüberwindliche Sieger — das spiegelt sich auch in der Art der bildlichen und wörtlichen Vorstellung, in der Ikonographie und Onomasiologie — und man sucht nun aus der anderen, asketischen Gesinnung heraus, sich Tod und Verwesung mit allen Schrecken möglichst realistisch vor Augen zu führen. Man steigert die Todesfurcht und bringt von nun ab immer wieder die Ohnmacht des Menschen vor dem allmächtigen und schonungslos dahinraffenden Würger zum Ausdruck. Schon das „carmen de contemptu mundi", das Hermann Contractus um 1045 in katechetischer Absicht niederschrieb, zielt in diese Richtung, und der nachmals weitverbreitete „Dialogus mortis cum homine" aus dem 12. Jahrhundert verschärft noch jene Tendenz 1 ). Das Versöhnliche, Friedliche im Tod zu weisen, lag den Absichten des Dichters und seines zumeist körperfeindlichen Jahrhunderts durchaus fern : strafen und dräuen wollte man, nicht milde lehren; man sieht nur das G r a b und die Verwesung. So konnte selbst weltlicher Stoff geistliches Beiträge zu einer Ikonographie des Todes. Diss. Straßburg 1913, S. 36ff. ; die cit. Stelle S. 44; vgl. auch S. 30, 33; die Sequenz bei C h e v a l i e r , Repert. hymnolog. Nr. 21505. !) H e r m a n n C o n t r a c t u s : Ζ. f. d. A. 13, S. 398 — 430; bes. V. 731ff. ; D i a l o g u s bei Dreves, Anal. hym. 33 (1899), S. 287ff.; ebenfalls aus dem 12. Jhd. der „Versus de morte et de divite". Beri. Sitzber. 1895, S. 1 2 8 - 1 3 7 ; vgl. auch H. W a l t h e r , Das Streitgedicht, München 1920, S. 81 ff. und nun G. B u c h h e i t , Der Totentanz, Leipzig 1926, S. 94ff.
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Gepräge erhalten und zur moralischen Nutzanwendung dienen: das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht mit seiner Ethik der Entsagung bezeugt es. Denn wie Caesar war auch Alexander diesen Zeiten ein memento mori, und keiner konnte besser die Wahrheit des Satzes bestätigen „vanitatum vanitas, et omnia vanitas" als gerade er, der dem ganzen Mittelalter stets als tragischste und lebendigste Verköperung aller irdischen Vergänglichkeit galt. Selbst dem größten Welteroberer und Weltherrscher bleibt nach seinem übermenschlichen Streben doch nur ein Grab von sieben Fuß Länge, so tönt die ernste Lehre am Ende des Gedichts, das hier die Anfangsstimmung wieder aufnimmt: „iz ist alliz ein îtelicheit, daz di sunne umbegeit" (24). Keiner weiß seinen Tod und die Stunde des Sterbens (6437ff.). „läzet alle giricheit und habet imer arbeit umbe daz himelrîche1)." Die Furcht vor den Schrecken des ewigen, des zweiten Todes verschmilzt sich ganz unauffällig und verständlich mit der Angst vor dem leiblichen Tod ; denn dem reuelosen Sünder wird ja der leibliche, ersteTod schon der sichere Eingang und Übergang zum ewigen Tod. Diese dogmatische und theologische Anschauung vom zweiten Tod hatte tief und nachhaltig alle Schichten der Laien ergriffen und war für die meisten überhaupt untrennbar von dem Gedanken an das Ende. Vier Dinge soll die Seele beherzigen, heißt es in dem mystischen Gedicht „Die Tochter Syon" des Lamprecht von Regensburg: Verzicht auf die Welt, Betrachtung des Leidens Christi, Betrachtung der himmlischen Freude, die in der visio beatifica beschlossen liegt, und Betrachtung des ewigen Todes, der ,,ân underlaz, ân endes zît in dem hellefiure gît". Und Berthold von Regensburg, der gewaltigste Prediger des 13. Jahrhunderts ruft : „Des lîbes tôt waere niht wider dem tôde der iemer wert . . . wan der sêle tôt sô gar griulich ist wider des lîbes tôt, wan der sêle tôt niemer mê ende genimt und ist aller toede wirste: mors pessima2)." A l e x a n d e r l i e d ed. Kinzel, V. 7276ff. ; 7282ff. Dazu B u r d a c h , Kommentar S. 269; E h r i s m a n n II, 1, S. 249ff. — Caesar als memento mori bei F. G u n d o l f , Caesar. Geschichte seines Ruhms, Berlin 1924, S. 7 5 - 7 7 . 2 ) L a m p r e c h t v. R e g e n s b u r g ed. Weinhold, 1880, V. 203ff.; 1803ff.; auch Lamprechts Sant Franzens Leben ebd. V. 248ff.; 651ff. ; 3200ff. — H a r t m a n n s Rede vom Glauben ed. v. d. Leyen,
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Quidquid agas, semper vigila pro morte secunda: Prima pavenda satis, magis tarnen illa secunda lehrt Egbert von Lüttich in seiner „Fecunda ratis" und ähnlich Hermann Contractus in seinem „Carmen de contemptu mundi". Daher denn auch die bangen Bitten an Maria, vor diesem größten Übel den sündigen Menschen durch ihre Fürbitte bei dem höchsten Richter zu bewahren, — auch bei den w e l t l i c h e n Dichtern; Wolfram, Walther, Rudolf von Ems und andere schärfen alle die Gefahr ein, die der Seele durch den ewigen Tod droht 1 ). Man sieht also, wie tief die geistliche Literatur auf die dogmatisch-katechetische Form des Todesgedankens in der weltlichen Sphäre hinüberwirkt. Trotz aller transzendierenden Strebung aber bildet sich doch innerhalb der weltlichen Literatur eine neue Weltansicht heraus, die freilich in ihrer Fassung des Todesgedankens von der geistlichen nicht durch einen Wesensunterschied, sondern nur durch einen Gradunterschied, durch eine andere, mildere Wertung des Lebens sich abhebt. Seit 1150 ungefähr spürt man ein Neues: das asketische Ideal verliert langsam an ausschließlicher Wirkung. Die darin enthaltenen überspannten Forderungen werden nicht mehr mit solcher Schärfe vorgetragen, sondern auf das Wesentliche zurückgesetzt ; die Sorge um das Seelenheil bleibt freilich stets noch im Mittelpunkt, nur glaubt man es auch auf einem minder fanatischen Wege zu erreichen. Eine andere geistige Haltung richtet sich auf, die im Weltlichen nicht V. 649ff. ; 2514ff. ; 2790ff.; H u g o v. L a n g e n s t e i n ed. Keller (Lit. Ver. 38), 137, 19ff. - B e r t h o l d a. a. O. I, S. 610. M E g b e r t ed. E. Voigt, Halle 1889, V. 889ff.; vgl. auch V. 561, 680, 725. H e r m a n n C o n t r a c t u s a. a. O. V. 811ff.; 1603ff.; 1647ff. Dazu J. W e r n e r , Lateinische Sprichwörter des Mittelalters, Heidelberg 1912, S. 20, 21, 23, 31, 33, 35, 59, 69, 77, 85. P e t r u s A l p h o n s i , Disciplina clericalis ed. Hilka, Heidelberg 1911, Nr. 31, 32. — W o l f r a m , Willehalm 3, 4ff.; W a l t h e r 78, 4 (ed. v. Kraus); R u d o l f v. E m s , Barlaam ed. Pfeiffer, Leipzig 1843, 83, 33ff.; 100, 5; 100, 13ff.; Weltchronik ed. Ehrismann DT. 20, V. 11079ff. ; dazu E h r i s m a n n , Studien über Rudolf v. Ems, Heidelberg 1919, S. 108. — F r e i d a n k 30, 19; 33, 16; 66, 7. Marner (ed. Strauch) XIV, 2, 29ff.; W i n s b e k e (ed. Leitzmann) 2, 5. W a r n u n g a. a. O. V. 515ff.; B u c h der R ü g e n , Z. f. d. A. 2, 56; V. 385ff.; H e s l e r DT. 8, V. 4 8 5 - 5 1 0 , V. 2744, 3914 u. ö. ; vgl. dazu H. de B o o r in der Ehrismann-Festschrift 1925, S. 131 ff., 135, 139. 142ff.
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nur das Schlechte, Vorläufige erblickt, sondern das leibhaft Weltliche läutern und verklären will. Nur auf den richtigen, von der „mäze" geleiteten Gebrauch des weltlichen Daseins und der weltlichen Güter, auf ihre Wertbetonung kommt es an. Das verschmähte und befeindete Diesseits stellt eine Aufgabe, die das Erdendasein als Materie erst erhöht und sinnvoll macht 1 ). Etwas wie ein ritterliches Humanitätsgefühl deutet sich allmählich an, freilich nur bei den Besten dieser Zeit, bei Wolfram etwa und Waither; auch dann ist es immer noch fest im Religiösen verhaftet, und man ahnt, wie eng der Todesgedanke mit dem der Humanität verbunden ist und immer mehr verbunden wird. Ein neuer gesellschaftlicher Stand, der ritterlich-höfische, herrscht, und der steht auf einer anderen, vielleicht nicht so hohen Stufe wie der geistliche, wenn es auf den Grad der inneren Beseligung, der Gottnähe ankommt, aber auf einer ebenso notwendigen; denn eine jede Stufe hat ihren eigenen sittlichen Wert und Sinn, und gerade der Ritter ist weit entfernt, diesen dem Mönch abzustreiten; nur lebt er in einer anderen geistigen Schicht, in der weltlichen, mit anderen Pflichten und Aufgaben. Das gemeinsame Ziel aber bleibt hier und dort die Erlangung des höchsten Gutes 2 ). Dies allerdings ist nun die hohe und schwere Aufgabe des höfisch-ritterlichen Tugendsystems: Gott und Welt zu vereinen, bei der Welt in Ehren zu stehen und doch Gottës Huld zu behalten, das „utile" und „honestum" in Einklang zu bringen mit dem „summum bonum", . . . „daz guot und weltlich ère und gotes. hulde mère zesamene in ein herze komen", wie es Waither sagt 3 ) Das war Weltwertung eines tiefen ritterlichen Sinnes, der nicht ') H. G ü n t e r , Der mittelalterliche Mensch, Histor. Jhb. 44 (1924), S. 1 — 18; bes. S. l l f . — Auch F. N e u m a n n , Hohe Minne, Ztschr. f. Deutschkunde 1925, S. 8 1 - 9 1 ; S. 81. Man bejaht die Welt mit einer Schambewegung. s ) Vgl. G. Müller, Gradualismus, Vier tel jahrsschrift II (1924), S. 6 8 1 - 7 2 0 ; bes. S. 694ff. 3 ) W a l t h e r ed. v. Kraus (Berlin 1923) 8, lOff.; vgl. ähnlich F r e i d a n k (ed. Bezzenberger 1872) 31, 18; 32, 17; 93, 12; S p e r v o g e l (MFr.3 1920) 20 u ; R u d o l f v. E m s bei E h r i s m a n n , Studien über R. v. Ems, Heidelberg 1919, S. 110. — Dazu allgemein E h r i s m a n n s bekannte Aufsätze Ζ. f. d. A. 49 und 56; Dante und Wolfram in der Voßler-Festschrift 1922, S. 1 7 4 - 1 8 3 .
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Spannung, sondern Ausgleich der ethischen Zweiheit von Welt und Gott wenigstens als Ziel erstrebte und irdische Glückseligkeit, irdisches Leben als Gnade und Gabe, als A u f g a b e Gottes zu nehmen suchte, mochte ihn auch die Erfahrung vom Trug der Welt daran irre werden lassen. Die erfüllte Pflicht, die erfüllte Arbeit: das soll schon auf Erden Gottesdienst sein und das Erdendasein heiligen. In Gottes Hulde ruht das Heil der Seele: das soll man sich immer gegenwärtig halten; diese Einsicht deutet das Leben und den Sinn des Lebensendes — den Tod. Wolframs Parzival klingt aus mit solchen Erwägungen, „swes leben sich sô verendet, daz got niht wirt gephendet der sêle durch slîbes schulde, und der doch der werlde hulde behalden kan mit werdekeit, daz ist ein nütziu arbeit." (827,19ff.) Wolframs hochmittelalterliche Laienfrömmigkeit erfaßt klar die wichtige Mittlerstellung des Todes zwischen Hier und Drüben, seine Bedeutung für die Gestaltung menschlichen Seins. Eine moralisch - ethische Aufgabe setzt sich die Dichtung der mittelhochdeutschen Zeit: sie will belehren, erziehen und das Leben unter idealtypische Vorbilder stellen. „Bezzerunge" der Hörer und Leser ist nachmals der Beruf der Dichter; sie wollen den Blick auf die ewigen und unvergänglichen Güter lenken. Um Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis, wie es Augustin gelehrt und Freidank z.B. ihm nachgesprochen hatte, mühen sie sich alle. So finden sich daher vielfach in den ritterlichen Epen didaktische Stellen, die allgemeine Weltweisheit und -erfahrung, sittliche und religiöse Bildung, höfisch-ethische Lebensansicht vermitteln wollen; sie vor allem werden wichtig für die Erkenntnis des geistigen Baues der Zeit, denn in ihnen spürt und sieht man, was den Strebenden wert und angelegentlich war: sie geben mittelalterliche Durchschnittsethik und bilden die communis opinio1). Hartmann von Aue besonders, in der ganzen Erscheinung vollkommener Ausdruck ritterlicher Laienkultur, nannte einen stark lehrhaften Zug schon sein Eigen ; er ist gegenüber Wolfram, Gottfried und Waither der sentenzenreichste mittelhochdeutsche Dichter und steht darum, x ) Darüber die grundsätzlichen Ausführungen von F. N e u m a n n , Scholastik und mhd. Dichtung, Ilbergs N. Jb. 49, 1922, S. 3 8 8 - 4 0 4 .
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im Allgemeinsten, der ausgesprochen lehrhaften Dichtung eines Freidank oder Thomasin von Circlaria näher. Gegenüber „Erec" und „Iwein" tritt in seinem „Gregorius" und im „Armen Heinrich" der christliche Dualismus von Diesseits und Jenseits, von Leib und Seele, von irdischem und ewigem Leben ungleich stärker hervor1). Hier gibt Hartmann sein ganzes Frömmigkeitsgefühl, und gerade im „Armen Heinrich" lebt mächtiger als sonst ein weltverneinender Zug, der nicht zuletzt freilich durch den Stoff bedingt ist. Die Mahnung, durch die superbia nicht die Huld Gottes zu verscherzen, und die Erinnerung an die Vergänglichkeit alles Irdischen, das ist der Gehalt und die Idee des Werkes, ez sprichet an einer stete dà „mêdiâ vîtâ in morte sûmus": daz bediutet sich alsus, daz wir in dem tôde sweben, sô wir aller beste waenen leben. (91 f.) Das Erlebnis des Todes bewegt sich immer in den gleichen Formen : man muß sich mit dem Tode abfinden, ihn in die Rechnung des Lebens einsetzen und bedenken, daß er im Heilsgeschehen auch gefahrvoll werden kann. wir hân niht gewisses mê wan hiute wol und morne wê und ie ze jungest der tôt. daz ist ein jaemerlîchiu nôt. ez enschirmet geburt noch guot, schoene, sterke, höher muot, ez enfrumet tugent noch ère für den tôt niht mère dann ungeburt und untugent. unser leben und unser jugent ist ein nebel unde ein stoup, unser staete bibent als ein loup. (713ff.) *) Th. L a n g e r , Dualismus in Weltanschauung und Sprache Hartmanns. Diss. Greifswald 1913; J. F i e b a c h , PBB. 44 (1919), S. 279 — 288. — W. W e i s e , Die Sentenz bei Hartmann, Diss. Marburg 1910, S. 93ff. Tod, wo allerdings die wichtigsten Stellen fehlen. — R. Galle, Die Personifikation in der mhd. Dichtung, Diss. Leipzig 1888 berücksichtigt die Gestalt des Todes überhaupt nicht.
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Hier hat man allgemeinste mittelalterliche Todesanschauung; es ist unter vielen anderen nur eine Stimme aus dem großen Chor. Wirn haben niht gewisses mê wan den tôt; daz tuot mir wê. ich weiz wol, daz der tôt geschiht, des tôdes zît enweiz ich niht. (177,15) So spricht der „sinnerîche Vrîgedanc" am Schluß seiner „Bescheidenheit". Was er da an allgemeingültigen Erwägungen bringt, das geht in keiner Weise über reine Tatsachenfeststellung, über moralische Zweckrichtung hinaus und berührt sich eng mit Hartmanns vorher erwähnten Versen. Ähnlich etwa umschreibt es Anselm von Canterbury : „Nihil certius morte, nihil hora mortis incertius. Cogitemus ergo, quam brevis sit vita nostra, quam lubrica via, quam certa mors et hora mortis incerta 1 )." Als formelhalte Wendung findet sich daher bei allen Epikern der Vers: ich weiz daz als minen tôt 2 ). Freidank lehrt weiter: Des Menschen Leben, „daz istarebeit, gewisser tôt ist ime bereit" (22, 8). Niemand kann dem Tod entrinnen, denn mitten im Leben droht überall der Tod, der weder Arm noch Reich verschont und als „ebenäre" alle Standesunterschiede ausgleicht. „Al diu werlt lôn empfât von gote, als sie gedienet hât" (2,12). Darum ziemt dem Menschen christliche Demut und Bescheidung. „Swaz got mit sînre geschepfede tuot, daz sol uns allez dunken guot" (6, 21). Das größte Übel aber, die Hauptsünde, ist die superbia, denn „höchvart ist der sêle tôt: ir pîn gât für alle nôt" (30, 10). Hochfahrt ziemt dem Menschen nicht, der Staub ist und zu Staub wird (175ff.). Immer wieder tönt diese Mahnung an die Vergänglichkeit und Irdischkeit alles Menschlichen. „Swer die hôhvart schiuhen wil, der sol dar an gedenken vil, waz er was und waz er sî. er sol auch gedenken dâ bî, waz ûz im werden sol" ruft T h o m a s i n von C i r c l a r i a in seinem „Wälschen Gast" (12041 ff.), in dem er beispielhaft ritterliche Tugend- und Morallehre ausbreitet. Auch ihm ist der Tod und seine Erscheinung Anlaß, den Menschen, den christlichen Ritter, auf das Jenseits Migne 158, 741; vgl. S c h ö n b a c h , Über Hartmann v. Aue, Graz 1894, S. 146ff. ; vgl. auch S. 45, 170. *) Z. B. I w e i n 3407, 4095; F l o r e 3756; L a n z e l e t 5881; bes. T r i s t a n 119, 5837, 9432, 10492, 14417, 17751, 19147 u. ö.
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zu lenken. Stets soll man des Todes gegenwärtig sein, sich auf ihn vorbereiten, seine Sünden bereuen und Beichte tun, „wan wir enwizzen wie nähe uns ist bereit der tôt zaller vrist" (8369f.). Man sehe sich vor, ,,ê denne der tôt kume ze der tiir" heißt es im „Renner" (23770). Hauptsache ist, daß man ein christliches Leben führe und Gott diene; denn ein jeder weiß „er muoz dà hin", er muß sterben (5385; 5462). So mahnt auch der „deutsche Cato" (395ff.). Und doch soll der tugendhafte Mann nicht den Tod zu sehr fürchten (5379ff.); denn der Reuige — das sagt auch Freidank (38, 5ff.) — kann ohne Furcht sterben; trotzdem ist dem Menschen, und nicht nur dem bösen, Todesfurcht angeboren. „Vor allen noeten ist ein nôt: swaz lebendic ist, daz fürht den tôt" (178, 6). Doch was hilft es ihm auch, meint Thomasin, des Todes Kraft zu fürchten, da er doch weiß, daß er sterben muß. Nur der Sündige muß die Fahrt fürchten, die er nach dem Tode fahren soll; dann wird ihm geschehen, wie er verdient hat: „wan er sol g e l t e n , daz im ist gegeben, swâ der man mac geieben, dâ mac er ouch sterben wol, tuot er daz er tuon sol"1). Den Teufel im Höllengrund sollen alle fürchten, nicht Tod und Siechtum, denn gerade durch den Tod gewinnt ja der Treffliche (5394) „Wä von sol ein guoter man fürhten daz er sterbe ? wan wizzet daz, daz im der tôt hilf et ûz vilgrôzer nôt" (5421). Der Gute betrachtet den Tod als Freund, „man vert umbe gar die vrist, die man in der werlde ist, aver man sol wizzen, swenne man stirbt, sô v e r t man heim denne"(5437f.). „Peregrinatio est vita, cum multum ambulaverit redeundum est", so sagt die lateinische Quelle, der hier Thomasin folgt, Wilhelm von Conches in seiner „Moralis 1
) T h o m a s i n ed. Rückert, 547¿ff. : zu dem Bilde des Lebens als eines geliehenen Gutes s. B u r d a c h , Kommentar S. 292, 411 (auch Parzival 269, 167). Quelle ist Wilhelm von Conches, der seinerseits wieder auf Seneca zurückgeht, nicht Hildebert von Les Mans; vgl. S c h ö n b a c h Z. f. d. A. 36 (1891), Anzeiger 17, S. 344; danach wäre auch Bur d a c h , Kommentar S. 219, 468 zu berichtigen, der dann wieder nachweist, daß ein jüngerer Auszug einer verschollenen Schrift Senecas „De remediis fortuitorum" hier zugrunde liegt, der im Mittelalter viel benutzt wurde, eben auch von Wilhelm von Conches in seiner „Moralis philosophia" Cap. V, De fortitudine. Auch Petrarca schöpft noch aus dieser Schrift. Vgl. auch S c h ö n b a c h , Die Anfänge des Minnesangs, Graz 1898, S. 40ff. und Z. f. d. A. 34 (1890), S. 5 5 - 7 5 .
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philosophia"1). Diese schöne, ergreifende Vorstellung, daß das Leben nur ein Pilgrimsstand, eine Wallfahrt sei, und der Tod der Eingang zum ewigen Vaterland, kehrt oft wieder: „Tu nos ab hac mortis valle Duc ad vitam recto calle Per eius suffragia 2 )." Aber letzlich ist es doch ein anderes Erlebnis, das den Todesgedanken überhaupt erst so zum Bewußtsein bringt, und schon bei Freidank und Thomasin spült man es ganz deutlich: nicht um seiner selbst, um seiner metaphysischen Bedeutung willen sinnt man über den Tod nach, sondern weil er am erschütterndsten und sichtbarsten die Vergänglichkeit des Irdischen verkörpert. Und so wird auch Selbsterkenntnis, um die sich die Zeit so heiß neben der Gotteserkenntnis bemühte, zur Erkenntnis dieser Vergänglichkeit und damit des Todes: der Mensch ist nichts als Staub und Asche. Jenes Erlebnis der leidvollen Endlichkeit steht darum all den Dichtern im Mittelpunkt : wie die Welt so wenig wahre Freude gibt, wie sie so falsch mit Trug und schließlich mit Tod treuen Dienst entgilt und — das war die bitterste Erfahrung, die wieder auf den dogmatischen Todesgedanken zurückwies — sogar den um das Seelenheil bringen will, der sich ihr ganz ergeben hat. Das war eine jähe Erkenntnis, doppelt schmerzhaft einer Zeit, die ritterliche Ehre, weltliches Geehrtsein, das „honestum", nicht nur um seiner selbst willen, sondern mehr noch als Dienst an Gott und als Bewährung des von ihm verliehenen Gutes zu adeln sich bemühte und durch solches Erlebnis immer wieder in rein asketisch-weltabwertende Stimmung zurückgeworfen werden konnte. Erst düstere Welterfahrung führt zur Todesbetrachtung: „Schaden macht klug", das bezeichnet wirklich durchaus das kindlich-ungebrochene Verhältnis dieser Zeit zum Tode; zweckhaft naiv werden alle großen Lebensangelegenheiten behandelt, und Strafe und Lohn spielen eine *) Migne 171, Sp. 1028; eine andere Version gibt Rückert a. a. O. S. 565. S. S c h ö n b a c h , Anfänge a. a. O. S. 35—77; bes. S. 39 — 46 über die Quellen. 2 ) G ü n t h e r , a. a. O. S. 53; B u r d a c h , Kommentar S. 291, 410; s. auch Fr. P f e i f f e r , Freie Forschung, Wien 1867, S. 244. — Bei G ü n t h e r S. 42—48 übrigens neues Material zur Vorstellung vom miles Christi.
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wichtige Rolle. Aus sehr selbstischen, nutzbestimmten Gründen also beschäftigt sich der sündige Mensch mit dem Tode, er schenkt ihm nur bange Beachtung, weil er ihm gefahrvolles Endglied in der Kette des Heilsgeschehens werden kann. Die Gedanken an Leben und Tod hängen eng zusammen, aber nur im Sinne eines gegenseitigen Zweckverhältnisses, nicht im Bewußtsein ihrer tieferen notwendigen Einheit. Die persönliche Stellung zum Tod deckt sich vollkommen mit der Gestaltung des Todesgedankens in der Dichtung. Wenn der tapfere Held im Kampf fällt, dann klagt der Dichter über den Trug der Welt, wie sie und alles Gute zerbrechlich seien, und er knüpft daran die Mahnung : also wende dich von dieser trügerischen Zeitlichkeit fort zu den bleibenden Dingen; richtig verstanden: bewahre dein Seelenheil. Einfacher kann man das Problem gar nicht fassen, und im Wesentlichen trifft diese Form auch mit der der geistlich-asketischen Betrachtung zusammen, nur mit einem Gradunterschied in der Betonung des Weltlichen und seines vorläufigen Wertes. Die ritterlichen Tugendlehrer, so sehr sie von dem ethischen Sinn der Lebenserfüllung im Diesseits künden, werden darum nicht müde, immer wieder an Vergänglichkeit und Tod zu erinnern: Wernher von Elmendorf in seiner „moralis philosophia", der Winsbeke, Thomasin oder Hugo von Trimberg im „Renner" : „diu oberste wîsheit ist : swer alle wege minnet got und rehte bedenket sînen tôt" 1 ). Wieder faßt Freidank diese Stimmung unübertrefflich packend in zwei Zeilen zusammen, leidvoll und sich bescheidend : „Der tôt daz ist ein hôchgezît, die uns diu werlt ze jungest gît" (178, 12). Denn ungetrübte Freude kommt nie auf: „Swie grôz der werlde fröude sì, dà ist doch todes vorhte bî" (32, 23). Gerade die Minnesänger empfinden diesen Gegensatz von Weltfreude und Todesleid, das Bewußtsein von der Hinfälligkeit alles Schönen doppelt tief. Süßkind von Trimberg erwägt düster : „swenne ich gedenke, waz ich war aid waz ich bin und waz ich werden muoz, sô ist all mîn fröude hin". Aber wenige mittelhochdeutsche Gedichte wohl sind so von der müden Stimmung des „Vanitas vanitatum !) Wernher Z. f. d. A. 4, 284ff. ; V. 792f. ; dazu Ehrismann, Z. f. d. A. 56, 144ff. und Schönbach ebd. 34, S. 66. - W i n s b e k e ed. Leitzmann 2, ib.; 3, β«..; 5,8. H u g o v. T r i m b e r g ed. Ehrismann 17968-17970.
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vanitas" erfüllt, von dem Willen, alles Weltliche zu lassen, wenn sich das Leben neigt, als einige Strophen des „von Kolmas". „Ditz leben ist unstête, als ir hât wol gesehen, wan ez erleschet der tôt als ein lieht." Unter dem Honig ist die Galle verborgen. Wohl dem, der um das ewige Leben wirbt, das nimmer zergeht; da allein ist Freude und Wonne; beizeiten soll man sorgen, daß wir Pilgrime das Land erreichen, darum sollen wir Unsere Frauen bitten. „Ditz leben smilzt als ein zin; es g â t an den â b e n t des libes; der morgen ist hin." Ergreifender kann man solche Todesstimmung, kann man das memento mori nicht fassen1). Keiner aber hat dem Gefühl, betrogen und getäuscht zu sein, schlimmen Dank für schweren und treuen Dienst empfangen zu haben, herber und hoheitsvoller Ausdruck verliehen als W a l t h e r von der Vogel weide, dessen ethisches Streben es doch gewesen war, Ehre und höchstes Gut in Einklang zu bringen, beidem mit ganzer Seele zu dienen, indem er der Welt diente. Dem greisen, alten Waither erwächst die bittere Erkenntnis und zugleich die Reue, daß er sein Leben für ein Zeitliches gelebt hat. In seiner Rückschau erzittern all diese klagenden Töne : „Welt, ich hân dînen lôn ersehen: swaz dû mir gist, daz nimest dû mir. wir scheiden alle blôz von dir. schäm dich, sol mir alsô geschehen" (67, 8). ,,Sô wê dir, weit, wie übel dû stêstl" Inder großen Elegie bricht dieses Gefühl mit packender Wucht durch: ,,0wê wie uns mit süezen dingen ist vergeben! ich sihe die gallen mitten in dem honege sweben: diu Welt ûzen schoene, wíz, grüen unde rôt, und innân swarzer varwe, vinster sam der tôt 2 )." Wie man sich die Frau Welt dachte, hat Konrad von Würzburg sinnbildhaft in seiner Erzählung „Der Werlte lôn" gezeigt. Die Welt, die so schnöd dankt und das Seelenheil bedroht, will Walther lassen. „Got gebe dir, frowe, guotenaht: ich wil ze h e r b e r g e v a r n " (101, 21). Man denkt an Thomasin: „sö vert man heim !) Minnesinger ed. v. d. H a g e n I, 298; II, 178; auch III, 326. Außerdem I, 340, II, 223, 258, III, 106. K o l m a s bei Bartsch, Liederdichter3, S. 32. Selbst der stets lustige A r c h i p o e t a klagt: „vanitaa est omne quod cernitur". (Ed. Manitius, München 1913, S. 18.) K. V o ß l e r , Peire Cardinal, München 1916, S. 74, 87. >) Walthera. a. O. 124, 35ff.; Freidanb 31, 1, 122, 37ff. Zu Walther 67, 10 vgl. Freidank 177, 1.
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denne". Doch damit erschöpft sich nicht Walthers Weltbetrachtung ; sie wird durch eine Gott- und Todbetrachtung vertieft und abgelöst : seine Gedichte zeigen, daß er dem Tod entgegengegangen ist, daß er weiß: wir sind mitten im Tode. „Sündic lîp vergezzen, dir sint diu jâr gemezzen: der t ô t hât uns b e s e z z e n die veigen âne wer" (77, 32). Erschüttert im Tiefsten geht ihm der wahre Wert auf, und er erkennt, was ihm nottut: „Ich was mit sehenden ougen blint und aller guoten sinne ein rint, swiech mîne missetât der weite hai. mach ê mich reine, ê mîn gebeine versenke sich in daz verlerne tal" (123, 35). Das ist die Wandlung, die Besinnung aufs Religiöse, der Eingang zu Gott. Kreuzzugsstimmung und die Begeisterung für ein Tatleben des miles christianus, der ganz im Dienste der christlichen Idee steht und um Gottes Sold kämpft, der durch weltliche Tapferkeit das bedrohte Seelenheil retten und geistliche Seligkeit erringen kann, erfüllten auch Waither. ,,Erloesen wir das grapl" Dieser Ruf mahnt zur Vorbereitung, zur Buße und zur inneren Umkehr. „Diz kurze leben verswindet, der tôt uns sündic vindet : swer sich ze gote gesindet, der mac der helle engân" (77, 4). So war es bei Hartmann, bei Heinrich von Rugge, bei Friedrich von Hausen, der, seinen Tod ahnend, dichtete: „Nieman weiz wie nähe im ist der tôt." Im Kreuzzugsleich spricht dieser tiefe Umschwung der Gemüter sich am deutlichsten aus. „got hât iu beide sêle und lip gegeben: gebt ime des lîbes tôt; daz wirt der sêle ein iemerleben", mahnt Albrecht von Johannsdorf1). Der christliche Dualismus ragt überall auf : Gottferne in diesem Weltleben bringt Höllenpein und tötet die Seele; schlimmer noch als dies ist die bewußte Abkehr von Gott, zu der Parzival gedrängt wird, ist dasZweifeln an Gott. Freidank und Wolfram, gleich im Anfang seines Gedichts, warnen davor und Walther spricht: „Swer sich von zwîvel kêret, der hât den geist bewart 2 )." 1
) MSFr. 94, 2iß.; Hausen 53, ssfl.; Rugge 99, im.; Hartmann 210, in. — Dazu H. Schneider, Heldendichtung usw. 1925, S. 395—398 Kreuzzugsdichtung und Reallexikon II, S. 134ff. und B r i n k m a n n , Deutsche Vierteljahraschr. III (1926). S. 629ff. 2 ) 77, 30; Freidank 66, 7 und der Eingang des Parzival; weitere Stimmen bei H. v. E i c k e n , Geschichte und System der ma. Weltanschauung, Stuttgart 1887, S. 321 — 323. — Zum Motiv ,,Der Welt Lohn": W a c k e r n a g e l , Z.f.d. A. 6 (1848), S. 151 —155undF. S a c h s e , Über Konrad v. Wiirzburgs Gedicht: Der Welt Lohn, Progr. Berlin
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Die persönliche Note in Walthers Erlebnis der Vergänglichkeit und des Todes kann man gar nicht verkennen; aber in diesem ganz Besonderen hat man doch zugleich das Allgemeine. Seine Wandlung von Weltfreude zu Weltleid, von Welterfahrung zu Todbetrachtung, ist zugleich die seiner ganzen Zeit; nur hat keiner sie so vor aller Welt mit dieser großartigen Eindringlichkeit dargelegt und dichterisch gestaltet. Leidvolles Welterleben spricht fast aus der ganzen mittelhochdeutschen Dichtung, die ja trotz aller freilich nur bedingten Weltbejahung im letzten immer fromm nach dem Unirdischen und Ewigen strebt und als höchste ethische Forderung, oft unbewußt, ausspricht, sich schon beizeiten, nicht erst im Augenblick des Todes auf das Scheiden von der Welt, das keinem erspart bleibt, vorzubereiten. Rudolf von Ems formt solche Mahnung besonders ernst und eindrucksvoll. Tiefes religiöses Gefühl durchströmt ihn und auch die andern, mag bei ihnen auch manchmal das „Memento mori" zur bloßen Formel erstarrt sein: aber die Formel mindestens bleibt bei Reimar von Zweter, beim Marner oder Helbling gewahrt1). Alle aber übertrifft an wahrhaft tiefer Laienfrömmigkeit und Gläubigkeit Wolfram von Eschenbach im „Parzival" und im „Willehalm". Seine einzelnen religiösen Anschauungen finden sich wohl im Einklang mit der allgemeinen Glaubenslehre, aber er erfüllt das starre Dogma mit wahrer, inniger Religiosität. Das Heil der Seele, das höchste Gut, die in Gott ruhende, gottschauende Gelassenheit, das Einssein mit ihm, dem „Altissimus", das ist Ziel und Inhalt seines Werkes. Wie Hartmann und später Heinrich von Freiberg, Ulrich von Eschenbach oder Johann von Würzburg, so stimmt wohl auch er hin und wieder in das oft formelhafte Klagen um die trügerische Welt ein, wenn einer seiner Ritter— z. B. Ither, gleich Gâwân ein miles 1857, bes. S. 20; Galle a. a. O., S. 88ff. Daß die Klagen über die Schnödigkeit der Welt schon auf den Schulen als Stoff zu poetischer Bearbeitung eingeübt werden, darüber vgl. H. Süßmilch. Die lat. Vagantenpoesie, Leipzig 1918, S. 19. E h r i s m a n n , Rudolf v. Ems a. a. O., S. lOöff. ; S. 113, besonders Barlaam und Josaphat im Gespräch des Einsiedlers mit dem Königssohn über den Tod 83, 33ff. — R e i m a r v. Z w e t e r ed. Roethe, 1887, Nr. 190, S. 505 mit Anm. S. 617. M a r n e r e d . Strauch XIV, 2, V. 17ff. ; XV, 105, V. 6ff. H e l b l i n g ed. Seemüller, 1886, IX, 47.
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materialis — im Kampf fällt 1 ). Aber wie überall, so ragt auch hier Wolfram, trotz aller mittelalterlichen Bindung, über seine Zeit hinaus und faßt die Sache tiefer. Er steht gleichsam auf einer höheren inneren Stufe ethischer Frömmigkeit und erhebt sich über das bloße Zweckverhältnis, in dem seine Zeitgenossen Leben und Tod verbunden sehen, und darum wird ihm auch der Tod nicht so wichtig. Die Gründe sind ersichtlich : „daz (leben) hete ich etswenne von gote" (Parz. 266,17), warum also das Klagen? „Wer naeme uns daz lebén? daz hât unsgotes kraft gegeben" (255,15). In seine Hand nimmt der Herr nur wieder zurück, was ihm doch gehört. So besitzt der Tod für Wolfram nicht die bewußt einschneidende, grausenerregende Macht, wie für manche seiner Zeit. Der Tod ist ihm nicht ein unumschränkter Herrscher, eine in sich und durch sich selbst ruhende Erscheinung, sondern ein von Gott abhängiges, zeitliches Übel, das der Mensch überwinden kann; er ist Durchgang, Eingang, und wenn der miles christianus, vor allem im „Willehalm", durch dieses Tor tritt, fühlt er sich so beseligt durch die Verheißung der Gottnähe, durch die strahlende Sonne des Glücks, die ihm die visio beatifica gewährt, daß ihm Graus und Schmerz des Todes aus dem Bewußtsein schwinden, ja, daß für ihn der Tod all das Erstarrende, Feindliche verliert, weil er Schwelle zum Ewigen ist. Er fühlt ihn gar nicht in Erwartung des Künftigen. Die christlichen Ritter, die im Kampf gegen die Heiden fallen, erwerben wohl „des lîbes tôt", doch auch „der sêle vrîde" (32,6); ihnen wird der „endelöse pris", der „endelöse solt", „gotes solt" zuteil (320, 16; 322, 4, 12 ; 363, 20). Das ist der Kreuzzugsgedanke; Kampf und Tod für den Glauben bringen das selige, heldenhafte „endelöse heil", der Märtyrerl ) H e i n r i c h v. F r e i b e r g ed. Bechetein V. 6406ff.; 6419; P a r z i v a l 475, i»; I w e i n 7161, 6625ff.; A l e x a n d e r l i e d ed. Toischer (Lit. Ver. 183) V. 777ff.; 18585ff.; vgl. auch 7783, 18604, 27250; J o h a n n v. W ü r z b u r g DT. 3, V. 18342, 19354, 19327ff. Dazu J. S c h w i e t e r i n g , Die Demutsformel mhd. Dichter, Berlin 1921, S. 83ff. über Totenklagen. L. H e i n e m a n n , Über Quellen, Entwicklung und Gestaltung der lyrischen Totenklage deutscher Dichter bis zum Ausgang der mhd. Zeit, Diss. Marburg 1923 und L. F. Clauß, Die Totenklagen der deutschen Minnesinger, Diss. Freiburg 1921, lagen nicht vor. Daß die mittelalterliche Totenklage letztlich auf die Lehren der römisch-mittelalterlichen Rhetorik und Stilistik zurückgeht, belegt E h r i s m a n n im Literaturblatt 49, 1928 S. 8f.
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tod erringt die Märtyrerkrone. Schon im althochdeutschen Ludwigslied lebt diese Glaubensstimmung, und dann wieder um 1130, anders als in der Quelle, dem mehr national-religiösen französischen Chanson de Roland, ganz christlich geistlich im Rolandslied des Pfaffen Konrad: er verehrt den miles christianus als Gottes heiligen Märtyrer und Blutzeugen, der durch den Tod als Lohn die himmlische Heimat, das Paradies erwirbt. Konrad wandelt das Nationalepos zur Märtyrerlegende, mönchischer Geist und mönchisches Vollkommenheitsideal durchwehen sein Werk; erst der mittelhochdeutsche Kreuzzugsleich und Wolframs „Willehalm" sprengen auch hier die engen Fesseln bloß asketischer Frömmigkeit. Irdischer Tod ist Eingang zum himmlischen Leben : diese Gewissheit erfüllt alle im Willehalm, läßt sie den Tod überwinden und der „sêle werdekeit" erwerben1). „Wol im, der dâ sô gestreit, daz sine sêle sigenunft emphienct saeleclîche ez dem ergienc. hurtâ, wie der markîs den beiden leben warp dâ pris, dieses kurzen lebens lobe und dem, daz uns hôch ist obe!" (420,12f.) Wolfram sieht weiter, als die um ihn herum, er läßt den Blick nicht auf dem Endlichen haften, sondern über dies Nahe, den Tod, hinweg, schweift er in die Ferne, in die Ewigkeit, wo den Gottversöhnten kein Tod umdroht und das Leben den Tod überwunden hat. Trotz solcher frohen Gesinnung kann man freilich auch bei Wolfram etwas vom tragischen Grundgefühl der Zeit, von ihrem Weiterleben spüren, — im Willehalm, wo es einmal durchbricht : „. . . jâmer ist unser urhap, mit jâmer kom wir in daz grap. ich enweiz wie jenez leben ergêt: alsus dises lebens orden stêt." (280,17f.). l
) 48, »»; 14, 8; Hausen a. a. O. 53, »S-, S. 67. E h r i s m a n n , Z. f. A. 49, S. 461; Literaturgeschichte II, 1 S. 262ff. - Aber Günter a. a. O. S. 12 weist auf eine Stelle der Vita Adalberti Cap. 30. SS. IV, 695: „Quid enim fortius, quid eo pulchrius, quam d u l e e m pro dulciseimo Jesu fundere vitara ?" Also dem sterbebereiten mittelalterlichen Märtyrer ist das Leben doch auch wieder süß.
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Und wie eine Wiederholung des gleichen Gedankens, der gleichen Stimmung klingt es, wenn Wirnt von Gravenberg, dieser selbstbewußteste aller mittelhochdeutschen Epiker, der in Konrad von Würzburgs Erzählung am Erschütterndsten das wahre Wesen der Welt, ihren Trug und Schein erkennen muß, — wenn gerade er seine Dichtung von „Wigalois" ausklingen läßt in die Verse: ,,owê der jaemerlîcher geschiht, daz diu werlt niht fröuden hât! ir hoehstes leben mit grimme stât: daz ist r i t e r s ordenI" Denen soll man nachstreben, „den got hie saelde hat gegeben und dort ein êwiclîchez leben" 1 ). Einzigartig aber steht in der mittelhochdeutschen Epik jene Szene aus Hartmanns „Erec" da, wo Enite, den scheinbar toten Erec im Arme haltend, fast leidenschaftliche Klage gegen Gott erhebt, und sich — auch das ist ungewöhnlich— das Leben nehmen will, „nach tôdes gelüsten". Mit wirklich grausigem Zynismus trägt sie sich und ihren jungen Leib dem fremden Manne an, zu dem sie plötzlich Liebe erfaßt hat: viel lieber Tôt, nû meine ich dich . . . nâch dîner minne ist mir sô nôt. nu geruoche mîn, vil reiner Tôt . . . ich gezim dir wol ze wîbe. ich han' ζ noch an dem lîbe beide schoene unde jugent, ich bin an der besten tugent . . . noch zaeme ich guotem manne. Und dann plötzlich der Umschlag der Stimmung und eine leidenschaftliche Anklage des Todes, die in der Zeit allein bleibt und erst wieder in des Ackermanns Gespräch mit dem Tod eine noch gewaltigere, zeitsymbolische Nachfolge findet. sì sprach: wê dir, vil übeler Tôt! daz dû verfluochet sistl wie manee bilde dû gist !) Wigalois ed. P f e i f f e r V. 29ff.; 11676ff. ; vgl. auch 763ff.; — Über die formelhaften Anrufe und Bitten um das ewige Leben und um Erlösung von Sünde und Tod am Eingang und Ende der mhd. Epen sehe man das Material bei R. B i t t e r , Die Einltg. der altd. Epen, Diss. Bonn 1908, S. 36ff. und K. I w a n d , Die Schlüsse der mhd. Epen, Berlin 1922, S. 17, 2 2 - 3 2 , 43ff.
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dîner unbescheidenheit I diu werlt doch wâr von dir seit, dû sîst mit valsche beladen. Es ist die ewig alte und neue Klage über die ungerechte, sinnlose Auswahl des Todes, der die Alten leben läßt und die Jungen zu sich ruft, jene Klage, die den Königssohn in einer auch von Caesarius bewahrten Erzählung ins Kloster treibt, und die Ulrich von Türheim in die treuherzigen Worte faßt : „Ich bin dem tôde gar gehaz, war umb tuot unser herre daz, daz er die vromen gar hin nimt und in der boesen niht gezimt? zwâre daz ist wunderlich. Ich von Türheim Uolrîch lieze tûsent boese sterben, ê einen vrûmen verderben". Freilich Gott selbst die Schuld zu geben, das wagt er nicht 1 ). Solch persönliche Ausbrüche mittelalterlichen Todesgefühls sind — bezeichnenderweise — sehr selten. Am Ende des Jahrhunderts gibt ihm, in anderer Art und Haltung freilich, Heinrich Frauenlob noch einmal Ausdruck. Er, der gelehrte !) H a r t m a n n , Erec 5739ff.; 5875ff.; 5895ff.; 5915ff.; 6042; 6111. C a e s a r i u s v. H e i s t e r b a c h , Libri VIII mirac. (ed. M e i s t e r ) II, Nr. 38; auch bei J . K l a p p e r , Erzählungen des Mittelalters, Breslau 1914, S. 384, Nr. 185. De filio principie exemplum. — R. L e i c h e r , Die Totenklage in der deutschen Epik, Breslau 1927, S. 99ff. findet nicht die richtigen Worte für Hartmann; mit „Preziosität" ist hier nichts auszurichten. — U l r i c h v o n T ü r h e i m e d . M a ß m a n n , V.3691ff.; übrigens auch Wigalois V. 7790f. — Über den Selbstmord im Mittelalter gibt S t r a u c h einige Notizen in seiner „Adelheid Langmann", Straßburg 1878, S. 1 1 7 - 1 1 8 (zu S. 44); er nennt Freidank 65, 8ff.; Flore 2422; Helbling V, 649; Thomas Summa 2, 2 quaest. 64a. 5. Die Selbstmörder leiden in der Hölle bei Dante. — Daß Adam und Eva den Menschen den Erbtod gebracht haben, diese namentlich durch Augustin allgemein gewordene Anschauung begegnet natürlich oft in der mhd. Dichtung. Erwähnt seien nur: F r e i d a n k 7, 4: Ich wiste gerne ein maere, daz Adâm unschuldic waere : wand er brâhte uns âne nôt von grôzer senfte in grimmen tôt. — W o l f r a m , Willehalm 218, 15ff. (Eva); vgl. A. S a t t l e r , Wolframs religiöse Anschauungen, Graz 1895, S. 56ff. ; sonst hier nichts über den Todesgedanken. — Satirisch-ironisch sagt es G o t t f r i e d v. S t r a ß b u r g mit Bezug auf die Evanatur aller Frauen V. 17945ff. ; vgl. auch 18166f. und 17929—17970 (Marold). Dazu U. S t ö c k l e , Die theologischen Ausdrücke und Wendungen im Tristan. Diss. Tübingen 1915, S. 20, 89ff. — L u t w i n , A d a m u . Eva (Lit. Ver. 153), V. 2832—2922; B a r t s c h , Erlösung V. 317f.; 569f.; 603ff.; 840ff.; H e s l e r DT. 8, V. 4 8 5 - 5 1 0 ; K r o l e w i t z , Vaterunser V. 4076ff.; 4886 und sonst noch oft.
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und mit seinem Wissen seltsam schwülstig und dunkel prunkende Meistersänger, mehr bürgerlich trotz allem denn höfisch gesinnt in seiner Moralphilosophie wie im Standesbewußtsein, dabei von mehr theologisch-katechetischem, lehrhaft-nüchternem Wissen als von eigentlicher herzlicher Frömmigkeit erfüllt, eine Ubergangsnatur, trägt auch gerade dort, wo er allgemein von Tod und Vergänglichkeit spricht, ein dogmatisches, ein schon meistersingerlich enges, kleines, aber um so selbstbewußteres Wesen zur Schau, das von der religiösen Ergriffenheit seiner Vorgänger seltsam absticht und in seinem scholastischen Einschlag besonders gut die geistliche Wurzel des Meistergesangs verdeutlicht2). Wie nüchtern verarbeitet er die alte Frage: „Ubi sunt qui ante nos in mundo fuere" zu einer langweilig trockenen Aufzählung berühmter Namen aus Sage und Geschichte mit dem formelhaften Schluß „waz half ir kunst unt wiser sin? der tôt der nam si dannoch hin, got selbe enmochte niht dem tôde entwichen." Man muß Jacopone da Todis „Cur mundus militât sub vana gloria" daneben halten, um zu sehen, zu welcher Größe sich solches Motiv erheben kann, oder Bernhard von Clairvaux's Verse aus den „Rhythmus de contemptu mundi 8 )". „Die ubi Salomon, olim tam nobilis vel ubi Samson est, Dux invicibilis". Frauenlobs Sprüche sind im Ethos und in der religiösen Gesinnung, in der äußerlichen Fragestellung und Beantwortung, *) W. S t a m m l e r , Die Wurzeln des Meistergesangs, D. Viertel jahrsschrift I (1923) S. 629-566. ») F r a u e n l o b ed. Ettmüller, 1843, Nr. 280, 281, S. 160f. Vgl. auch W a c k e r n a g e l II, Nr. 364 und H e r m a n n C o n t r a c t u s a. a. O. V. 767ff. — B e r n h a r d v. C l a i r v a u x wird mit ähnlichen Stellen über die Vergänglichkeit der Großen später öfters angeführt, ζ. B. zusammen mit Augustin in N i c o l a i P e r g a m e n i Dialogue creaturarum um 1350 (ed. Graesse, Lit. Ver. 148, S. 278), in Brun v o n S c h o n e b e c k e Hohem Lied (1276 vollendet; ed. Fischer, Lit. Ver. 198, V. 2666ff.), in den Gesta R o m a n o r u m (ed. Keller 1846, S. 97, Cap. 63); auch S c h ö n b a c h , Wiener Sitzungsberichte 156 (1907) S. 13. Eya du falsche weit, nach Migne 184, Sp. 485: Meditationes piissimae de cognitione humanae conditionis. Noch im 15. Jahrhundert zitiert A l b r e c h t v. E y b in seinem Ehebüchlein (ed. Herrmann S. 86) solche Stellen und bringt auch die paradigmatische Aufzählung geschichtlicher Personen. — Über dies traditionelle Element vgl. Burd a c h , Kommentar S. 263ff. und C. H. B e c k e r , Ubi sunt, qui ante nos, in der Kuhn-Festschrift 1916, S. 87 — 105; auch H u i z i n g a , Herbst des Mittelalters, München 1924, S. 182 f.
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im Gefühl für das Vergängliche im menschlichen Leben, weit getrennt von der ganzen religiösen und sittlichen Haltung, die etwa Wolfram oder Walther, der von Kolmas, ja auch der gelehrte Reimar von Zweter noch oder Rudolf von Ems zum Tode einnehmen. Das Zeitalter wandelt sich langsam, das moralische Element drängt (gegenüber dem ethisch-erziehenden des Hochmittelalters) immer stärker nach vorn; das macht sich besonders dort geltend, wo Frauenlob in einer neuen Art von persönlichem Geschick zu sagen sich bemüht, wo er etwa seinem eigenen Todesgefühl Ausdruck verleihen will. Er bereut seine Sünden und weiß, der Tod, „des lebens widerstrît", wird auch seiner nicht schonen, nichts wird ihm helfen: „min tugent, min kraft, mîn sinnen, daz ist nu allez gar verlorn". Auch seine Kunst kann ihn nicht schützen: „Swaz grôzer kunst in mînem herzen lît, des aht der tôt sô kleine." Diese Trauer um die Endlichkeit seiner Kunst leiht seinem Todesgedanken den persönlichen und fast rührenden Ausdruck, der noch gesteigert wird durch Frauenlobs Sorge, daß mit seinem Tod auch objektiv ethisches, ja göttliches Gut, Kunst und Meisterschaft, deren Träger und fördernder Gestalter er zu sein glaubt, unterzugehen droht, „diu muoz in mir verderben." Bedenkt man die eifervolle Auffassung seines Dichteramtes, der Kunst als eines ihm von Gott anvertrauten Gutes, das er in sinkender Zeit bewahrt und gegen alle abschätzigen Angriffe hochhält, so ermißt man erst den verantwortungsbewußten Ton dieser Klageverse, in denen die Angst um das zukünftige Geschick der Kunst schwingt. „Mîn schoene kunst, min singen muoz truoben in mîns herzen schrîn, ach got, an wen sols erben? si wil niht lenger bî mir sîn. got mir si gap unt von mir trip unt vüege mir mîn leben ze guotem heile" (284). Wo aber der Einzelne von der objektiv-trägerhaften Wichtigkeit seiner Person und seiner Aufgabe überzeugt ist, da raubt der Tod auch mehr, da darf stärkere Klage erhoben werden über die Todesgefahr, da wächst das in der göttlichen Aufgabe, im Amt und der Kunst gegründete Selbstbewußtsein ; und hier, wo der „name" so viel gilt, und so starker Wert auf die Ausfüllung der Lebensaufgabe gelegt wird, kann dann wohl auch der Gedanke und Wunsch auftauchen, im Gedächtnis der Nachwelt zu leben und so auch im Diesseits ewiges Leben, das Genanntwerden, den „Namen", im Falle des Dichters literarische Unsterblichkeit zu erlangen. Denn wer ent-
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sprechend dem „honestum" und „utile" lebt und Gottes Gebot hält, der lebt ewig, er sei tot oder lebendig. Wer aber untreu gegen Gott ist, der verfällt ewigem Tod, drüben und auch hier; er wird nicht mehr genannt, seinem „Nennen" wird man Gram. „Der tôt ist tôdes galle", das ist der bitterste Tod. Vergessen zu werden ohne Schuld und so im übertragenen Sinne dem „ewigen Tod" anheimzufallen — diese bildliche Vorstellung und Gleichsetzung, die Verweltlichung gleichsam des Gedankens vom ewigen Tod, birgt einen sehr gefährlichen Keim und ist eigentlich in Anbetracht der ungeheuren Angst dieser Zeit vor dem ewigen Tode eine sehr starke Profanierung, dessen sich Frauenlob wohl gar nicht so bewußt war1). Bei Petrarca begegnet diese Säkularisierung später wieder und hier ist sie dann wirklich Ausdruck eines gelockerten dogmatischen Bewußtseins. Die ganze unheimliche Frivolität solcher Verweltlichung aber, mitten im Hochmittelalter, stößt wahrhaft überraschend schon bei Gottfried von Straßburg — bei wem sonst ? — auf, und hier ist sie bewußt, nicht nur spielerischer Gebrauch, der auch schon auffallend wäre wie in einigen Versen eines anderen gründlichen Weltmenschen, des Archipoeta, und darum in dieser Zeit doppelt kühn und schrecklich2). Er überträgt religiöse Vorstellungen in weltlich-erotische, dort wo Brangaene dem Liebespaar das Geheimnis des Tranks kündet und wo Tristan auf die Worte, der Trank ist euer beider Tod, frevelhaft antwortet: „nu wait es got" sprach Tristan, ez waere tôt oder leben : ez hât mir sanfte vergeben. !) F r a u e n l o b Nr. 78, 79, 80, 243, 247, 289, 325, 330, 346, bes. 400, todesgalle; vgl. 38, 18), 446. — Untreue 123, 205, 207. — Vgl. dazu H. K i ß l i n g , Die Ethik Frauenlobs, Halle 1926, S. 19, 24, 31, 74; bes. S. 102ff. ; 145. L i i t c k e , Studien zur Philosophie der Meistersinger, Berlin 1911, S. 121 und J. Z i n g e r l e , Die deutschen Sprichwörter im Mittelalter, Wien 1864, S. 148—149; die Stellen aus Freidank 61, 9; Rumezlant MSH. III, 65 b und Klage V. 1896ff. — Das Problem der literarischen Unsterblichkeit ist selten: s. B u r d a c h , Reinmar d. Alte, Leipzig 1880, S. 31f. ; H. B r i n k m a n n , Vierteljahrsschrift I I (1924) S. 741; Neophil. IX, S. 203. - Zu Petrarca s. meinen Aufsatz in der Vierteljahrsschrift V (1927), S. 430—455. 2 ) Tristan (ed. M a r o l d ) V. 1 2 4 9 8 - 1 2 5 0 7 ; Archipoeta a. a. O. S. 26. Vgl. Fr. R a n k e , Tristan und Isold, München 1925, S. 204, 208. Eine andere Ansicht bei E h r i s m a n n , Literaturgeschichte II, 2, 1,
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ine weiz, wie jener werden sol : dirre tôt der tuot mir wol. solte diû wunneclîche Jsôt iemer alsus sin min tôt sô wolte ich gerne werben umbe ein êweclîchez sterben." Gottfried steht hier allein in seiner Zeit. Aber bei Frauenlob und mehr noch in allen anderen Zeugnissen wird eine durchgehende zeitcharakteristische Stimme laut. Fast aus jedem einzelnen bricht erschütternd die Angst und das Bangen um das Heil der Seele hervor, um die Zukunft nach dem Tode. Das ist der Umkreis, in den sich alle Aussagen über den Tod ordnen lassen; nur ein bestimmter Ausschnitt aus den reichen Erlebnismöglichkeiten des Todes stellt sich dar und das ist bezeichnend für den geistigen Bau des Zeitalters, für die innere Stufe der mittelalterlichen Seele. Es gibt hier etwas wie eine zwangsmäßige Erlebniseinheit, die irgendwie auch noch an den freiesten Menschen dieser Zeit haftet, an Wolfram oder selbst an Gottfried. Wie auf allen Gebieten mittelalterlicher Geistestätigkeit sieht man im Stil des Denkens und Fühlens ein Allgemeinverbindliches, Typisches, eine gemeinsame seelische Haltung. Es liegt etwas Objektives, Außerpersönliches, „eine außerseelische, sachliche Ordnung" in solcher Art, auch in der Todesbetrachtung1). Die Tatsache ist da, nach psychologischer Erklärung strebt man nicht, auch nicht über den Strafcharakter des Todes hinaus nach metaphysischer Deutung seines Sinnes; man bleibt innerhalb des kirchlichen Dogmas. Jeder ist in seiner Aussage über den Tod nur gleichtönende Stimme in dem großartigen, gewaltigen Chor, jeder spricht für den anderen und der andere hätte es ebenso geformt, jeder ist vorbildhaft, repräsentativtypisch darin. Wohl ist die Erschütterung zu spüren, die die Seele im Gedanken an den Tod ergreift, aber es ist Erschütterung der ganzen großen Masse, gemeinsame Erregung, es ist die gleiche S. 316. Zum ganzen jetzt auch Έ. N i c k e l , Studien zum Liebesproblem bei G. v. Str. Königsberg 1927, S. 14f. u. 76, auch über den Liebestod und die sich an Ovid anschließende minnesingerische Formel vom Tod aus Liebe, aus unerhörter Liebe; vgl. Vierteljahrsschrift V, S. 447 A. 1. — Über „mondane Züge" in Gottfrieds Religiosität N i c k e l S. 70ff; dazu auch die Erwägungen bei H u i z i n g a a. a. O. S. 215, 217 für das Spätmittelalter. ») G. Müller, Vier teljahrsschrift I (1923), S. 80; ebd. S. 63—90 über das Objektiv-Typische der ma. Erlebnisformen. Jetzt H. Brinkmann, Zu Wesen und Form ma. Dichtung, Halle 1928, S. 81ff.
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Gefühlsäußerung in gleich gelenkten Bahnen. Innerhalb dieser festen Formen, dieses engen Umkreises wird nun aber auch der Tod mit ganz ungebrochener Stärke und Größe erlebt; das Erlebnis wird zusammengehalten und richtet sich auf einen Punkt, es zersplittert sich nicht und spaltet sich nicht auf, wenigstens nicht für die Gesamtheit. Wirklich ist der Tod der Zeit eine fast mythische Macht, der „Herr Tod", der Ehrerbietung verlangt. Grimm, bitter, sauer, übel, scharf, jach, arg, leid, gewiß heißt man ihn; Schwert, Spieß, Speer, Pfeil besitzt er, mit Angel, Strick, Netz und Seil sucht er den Menschen einzufangen, er jagt ihm nach wie ein Jäger, er schleicht herbei wie ein Dieb und führt sein Opfer an der Hand fort in sein Zimmer und Gemäuer. Freidank heißt ihn Bote Gottes, nennt ihn aber auch mit dem Teufel zusammen, Walther sieht ihn schwarz und Ulrich von Zazikhoven spricht einmal von einem Schild, auf dem „war der Tôt gemâlt vil grüsenliche 1 )". In all diesen Benennungen und Umschreibungen lebt sich das einfach-starke, kindliche Todempfinden der Zeit aus, das nach Verbildlichung des schreckhaften Verhältnisses von Leben und Tod, nach Gestaltwerdung strebt. Das Mittelalter, besonders das spätere, besitzt ein wirkliches „Bild" des Todes; denn es will den anschauen, der dem Menschen droht, will ihn nicht nur durch Denken erfassen. Die großen Mächte des Lebens verdichten sich dem Mittelalter zu Gestalten, Bildern, Symbolen und verflüchtigen sich nicht in abstrakte Begriffe. Darum kennt man auch keine philosophischspekulative Überlegung und Erwägung, die dem Sinn des Todes nachgeht und das Erlebnis verfeinert. Was man dafür halten könnte, das sind in Wirklichkeit moralisch-dogmatische Betrachtungen, die mit bewußt erzieherischen Absichten katechetisch x
) F r e i d a n k , 21, 5; 67, 9; W a l t h e r 124, 2; U l r i c h 2998; R u d o l f v. E m s nennt ihn einmal „gotes wizegaere". Vgl. dazu J. Grimm, Deutsche Mythologie a. a. O.* S. 700ff.; bes. S. 708 u. Nachtrag S. 252f. Auch W a c k e r n a g e l , Schriften I S. 307ff.; Mü 11er-Zarncke Mhd. Wörterbuch, III, S. 63—66; DWb. XI, Sp. 539 — 651. — Tod als Jäger: Germania 13, 104. Vgl. auch die Stelle bei C a e s a r i u s v. H e i s t e r b a c h , Dialogue XI, Nr. 61 (Strange II, S. 312) . . . quod mors in specie hominis cum falce in picturis repraesentatur. Dazu Έ. B e i t z , Caesarius v. Helsterbach u. die bild. Kunst, Augsburg 1926, S. 60. — Außerdem XI, 62, 63.
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wirken sollen; so sind etwa die Stellen bei Freidank, Thomasin, bei Walther und Hartmann zu verstehen. Tod erinnert an die Vergänglichkeit des „Honestum", mahnt zur Buße und Umkehr. Nicht aus freiem sittlichen Antrieb fließt der Todesgedanke, sondern letztlich aus sehr ungeistigen, zweckhaften Trieben; man beschäftigt sich mit ihm zunächst, weil er die weltlichen Güter nimmt und die Hinfälligkeit alles Irdischen verkörpert, und dann, weil er auch die geistlichen Güter, das Seelenheil rauben will : es gilt in doppelter Hinsicht auf der Hut zu sein. Nur in einer sehr bedingt ethischen Art also bestimmt der Tod die Lebensführung, und der Gedanke der Humanität verbindet sich nur schwer mit dem des Todes und eine Läuterung durch ihn bahnt sich nur langsam an. Der Tod an sich, losgelöst von allem Weltlichen und Zeitlichen, von allem Dogmatischen, rein als metaphysische Erscheinung, wird nicht zum Erlebnis, auch nicht zur Frage und konnte es auch nicht. Denn der Tod steht im Dienste des Dogmas, und im Fragen um den Tod bricht einzig das bange Wissenwollen um das Geschick der Seele durch. Darum verschärfte sich damals der Todesgedanke so gewaltig, weil der sündige Mensch, eingeschüchtert und abhängig von der Kirche, verzweiflungsvoll im Nahen des leiblichen Todes schon den Eiseshauch des ewigen, immerwährenden spürte, von dem er keine Erlösung mehr hoffen durfte. Stirbt der Arme Heinrich unversöhnt mit Gott als ein civis diaboli, und „ist ime diu sêle danne verlorn, sô waere er bezzer ungeborn". Im Wartburgkrieg steht die kurze, knappe Zusammenfassung : „Swenne der tanz ein ende hât, zwên reien sieht man vüeren: der eine in die êwekeit, der andre zuo der helle in iemer werndiu l e i t . . , 1 )" 1
) Armer Heinrich V. 607ff.; Wartburgkrieg ed. S i m r o c k (1858) Str. 40, S. 77 (Wolfram). — Man fühlt eich hier unmittelbar an die plastischen Darstellungen des jüngsten Gerichts in Portaltympanen erinnert, etwa Bamberg oder Freiburg u. ö. — Die Gleichsetzung von Tod und Satan, die dann besonders seit dem 15. Jhd. geläufig wird, begegnet schon in einer Miniatur um 1155, die bei B e i t z a. a. O. Nr. 28 abgebildet ist; dazu S. 88 u. 57; auf der Umschrift „Et Satanas mors est, cuius nequissima sors est. Denique quisquís eum sequitur, morietur in evum." Im Übrigen aber geht sie bis in die frühchristliche Zeit zurück, wo schon in den bildlichen Darstellungen der Höllenfahrt Christi Hölle, d. h. Teufel und Tod in e i n e Figur zusammengefaQt
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Die ewige Höllenpein malt sich ja gerade diese Zeit in wahrhaft gigantischen Maßen aus. Man darf hier auf Dantes „Inferno", auf der Schwester Mechtild von Magdeburg erhabene Höllensicht im „Fließenden Licht der Gottheit" weisen und auf die anderen mittelalterlichen Jenseitsvisionen, auf die Visio Philiberti mit ihrem erschütternden „Zu spät" und auf die Visio Tnugdali, die ja beide auch in deutscher Sprache vorlagen, überhaupt auf die mannigfachen lateinischen und deutschen Streitgedichte von Leib und Seele oder auf ein ähnlich gestimmtes Werk, auf das vielgelesene „Speculum universale" des V i n c e n z v o n B e a u v a i s aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, das enzyklopädisch geordnet das mittelalterliche Weltwissen nach der Transzendenz hin gerichtet zusammenfaßt ; der dritte Teil, das „speculum morale", von Vincenz selbst nicht mehr ausgearbeitet, der Jahrhundertwende wohl angehörig und zum größten Teil auf des Aquinaten Summa beruhend, handelt im zweiten Teil von den letzten Dingen und beginnt seine Schilderung der Höllenstrafen mit der Erwägung, „daß es für den Menschen und sein ewiges Heil von der allerhöchsten Wichtigkeit sei, den Tod stets vor Augen zu haben und durch die Betrachtung der Dinge nach dem Tode sein Gemüt sowohl in Furcht zu erhalten als anzueifern". Der Marner ruft: „sich über dich, waz wunne und ère dir ze himel ist bereit ; under dir besieh die iemer wernden nôt in der helle, schiuhe und fliueh den êweclîchen tôt." 1 ) sind: vgl. A. R e u t e r a. a. O. S. 14ff. ; 19, (Dominus conculcane mortem), 33f., 3öff., 37. Aus der frühchristlichen Literatur die Parallele in den Nisibenischen Hymnen Ephraem des Syrers, in denen Satan und Tod als Bundesgenossen auftreten: Bibliothek d. Kirchenväter, Kempten 1870, Ephraem II, S. 151 ff. ') Mechtild ed. G a l l M o r e l 3, 21; Visio Philiberti in der Verdeutschung Heinrichs v. Neustadt DT. 7, S. 455ff.; V. 299ff.; Visio Tnugdali ed. Wagner, 1882. K. R a a b , Über vier allegorische Motive, Leoben 1885, S. 19ff ; H. W a l t h e r , Das Streitgedicht, München 1920, S. 63 ff. — Vgl. auch Caesarius von Heisterbach, Diologus miraculorum Dist. VIII und X I I ; Libri VIII Miraculorum ed. A. M e i s t e r 1901, S. 201 ff. ; B e i t z a. a. O. S. 53ff., 56f. - Lucidarius DT. 28, S. 66ff. J. K l a p p e r , Esempla, Heidelberg 1911, Nr. 18, 20, 27, 28, 49. R. v. L i l i e n er o n , Über den Inhalt der allgemeinen Bildung im Zeitalter der Scholastik, München 1876, S. 23ff.; S. 43. — M a r n e r X I V , 2, 29ff., S. 103; auch I, 4, V. 4 0 f . ; X I V , 13, S. 124; XV, 19b, 16f. . . . ich ûf der vart bin, dar ich sol und ouch muoz und gerne wil."
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Ein Aufbäumen gegen den Tod und sein unerbittlich hartes Walten kennt diese Zeit nicht, es wäre zugleich ein Widerreden der göttlichen Weltordnung, des göttlichen Ratschlusses gewesen, und ,, Swer verzwîvelôt (an Gott), des sêle ist êweclîche tôt", sagt Freidank (66,7). Wenn aber Hartmann oder Ulrich von Türheim den Tod ob seiner Ungerechtigkeit und seines wahllosen Hinwegraffens, um seiner „schlechten" Auslese willen anklagen, so stehen sie allerdings darin allein, sind aber doch weit davon entfernt, Gott daraus einen Vorwurf zu machen. „Warumb tuot unser herre daz . . . zwâre daz ist wunderlich." Kein Zweifel liegt darin, sondern nur ein fassungsloses Staunen über die Unnahbarkeit Gottes, des „Altissimus". Wie das Todeserlebnis, das Todesproblem von dem Wissen und Bewußtsein des ewigen Todes überschattet wird, so auch das Todesgefühl dieser Zeit; aber nicht allein dadurch, sondern überhaupt von dem traurigen und lähmenden Bewußtsein der Vergänglichkeit und Zeitlichkeit alles Irdischen. „Daz wir in dem tôde sweben, sô wir allerbeste waenen leben", dieser Gedanke Hartmanns, dieses Gefühl schwingt, wenn es nicht ausdrücklich hervorbricht, doch in allen Äußerungen, die aufgezählt waren, unbewußt und dumpf mit. Das Gefühl, dem Tode geweiht zu sein, hat die Menschheit, wo sie fromm war, nicht losgelassen : morituri enim sumus omnes, schrieb Augustin. Der Gedanke also, daß das Leben ein Tod und der Tod erst der Anfang des Lebens sei — dieser eignet weniger Laienfrömmigkeit als geistlicher Dichtung und weltverneinender Askese, die zweckbewußt immer geneigt ist, Licht und Schalten unversöhnlich einander gegenüberzustellen. Augustin hatte ihn nicht zuerst, aber doch packend und literarisch wirksam ausgesprochen und dann wurde er immer wieder aufgenommen. Innozenz III. bekennt im 24. Kapitel des ersten Buches seines weitverbreiteten Traktates „De contemptu mundi": „Semper enim futura nascuntur, semper praesentia moriuntur, et quidquid est praeteritum; est mortuum totum. Morimur enim, dum v i v i m u s semper, et t u n c t a n t u m desinimus mori, cum desinimus vivere. Melius est ergo mori vitae, quam vivere morti ; quia nihil est vita mortalis, nisi mors vivens." Und dies Kapitel überschreibt der Papst „de vicinitate mortis", von der Nachbarschaft, der Gegenwärtigkeit
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des Todes1). Hier wird das Leben wirklich zum Totentanz und die gewaltigen Bußdichtungen Jacopone da Todis sind dann auch ganz von den düsteren Gedanken der Vergänglichkeit und Schnödigkeit aller weltlichen Ehre und Pracht erfüllt. Grab und Verwesung, nur das Leid der Welt wird hier erlebt und mit großartiger Leidenschaft, ja Inbrunst, abschreckend geschildert. „Cur mundus militât sub vana gloria" heißt das eine Gedicht und ein anderes „ 0 vita penosa", warum dies mühevolle Leben, um endlich von den Würmern zerfressen zu werden2). Auch hier muß man sich, wie beim Todesgedanken, der sehr ungeistigen Antriebe bewußt bleiben, die zum Streitruf der Weltverleugnung, des „Contemptus mundi" führten. Alle diese zahlreichen, seit dem 11. Jahrhundert auftauchenden Traktate, des Hermann Contractus und des Anselm von Canterburys Carmina de contemptu mundi, des Petrus Damiani „Apologeticum de contemptu saeculi", Hugo von St. Victors großartige Abhandlung „De vanitate mundi", vor allem der Traktat Innozenz' können sich nicht davon losmachen, „ein übermäßiges !) Migne 217, Sp. 713ff.; Augustin z. B. Migne 139, Sp. 1506, 1513. Andere Stimmen bei E i c k e n a. a. O. S. 314ff., wo auch S. 316f. einiges über die Todessehnsucht der Mönche; s. auch G r i m m , Mythologie 703 u. Nachtrag S. 253 und L e i c h e r a. a. O. § 20, S. 64; § 24, § 25, § 30. Ruf nach dem Tode als Formel bei der Totenklage (Rolandslied, Athis, Erec, Iwein, Willehalm); das ist noch keine eigentliche Todessehnsucht, aber schon eher im Armen Heinrich V. 1165ff. ; vgl. auch Baudouin ν. Canterbury, Migne 204, Sp. 513f. ; 515 mors = dilectio. *) Ausgewählte Gedichte des Jacopone d a Todi. Deutsch von C. S c h l ü t e r u n d W. S t o r c k , Münster 1864, S. 24ff. Dazu H . T h o d e , Franciscus von Assisi* Berlin 1904, S. 441ff.; 561ff.; 563 ff. über Cino da Pistoja und Cavalcanti mit der italienisch-antik bezeichnenden Frage, die vom Gefühl für den schönen Leib eingegeben ist: „Düsterer und finsterer Tod, — siehe, wohin führst Du und läßt Du sinken so viele schöne und würdige Geschöpfe." S. E. R o s e n t h a l , Giotto in der ma. Geistesentwicklung, Augsburg 1924, S. 149f. Weitere Stimmen bei R. W o l k a n , Über den Ursprung des Humanismus, Z. f. ö. G. 67 (1916) S. 241 — 268; bes. S. 244: B e n g i o v a n n i v o n M a n t u a , B e r n h a r d v. M o r l e s „Contemptus mundi", S. 253 der Hinweis auf H u g u e s d e M i r a m o r s ,,De miserüs humanis". Dazu noch H é l i n a n d s „Vers de la mort" ed. Wulff und Walberg, Paris 1905, S. 1—48, auf die schon Heinzel in der Einleitung S. VII seines Heinrich v. Melk hinweist, auch Kleine Schriften 1907, S. 205ff. ; weiter H u i z i n g a , a. a . O. S. 182ff.
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Gewicht auf die Schlechtigkeit des Materiellen zu legen . . . Es ist der kümmerlichste Teil der mittelalterlichen Sittenlehre: der Abscheu vor dem Menschen . . ," 1 ). Daß auch der Leib an sich und die Welt ein Göttliches sei, was man im 9. Jahrhundert noch wußte, das erahnt im Gesamten erst wieder die Renaissance. Erst hier spürt man dann ein neues Gefühl von der Würde des Menschen, von seiner Humanität. Solche Äußerungen, erfüllt von Weltverneinung und Jenseitshoffnung, stehen zwar nicht vereinzelt da, bleiben aber doch innerhalb eines bestimmten Umkreises, sind Ausdruck eines religiös gesteigerten asketischen, mönchischen Lebensideals, das den Gottesstaat will und den Weltstaat verdammt; aus ihm allein darf man nicht das Todesgefühl, das Weltgefühl, die Stellung einer Zeit zu den letzten metaphysischen Dingen ableiten. Erst im Zusammenhang mit dem, was Laienfrömmigkeit und weltliche Dichtung als Lebensideale wiederspiegeln, wird sich das Todbild umreißen und entwickeln lassen. Aber allerdings verdient es höchste Beachtung, daß ein so ausgesprochen mönchisch-geistiges Ideal, das dem Weltleben und den Erfordernissen des Diesseits so wenig Rechnung trug, lange Zeit hindurch, wenig verändert, zunächst auch Laienkreisen als Ideal vorschweben und dann später, als „ritterliche Humanität", auch das Diesseits zu adeln suchte, zum mindesten die Weltauffassung und -Schätzung des Lebens und das Todesgefühl der in der Welt Lebenden tief beeinflussen konnte. In einer ganz bestimmten Art also gehen kirchlich-geistliche und religiös-weltliche Todesauffassung in dieser Zeit zusammen und das Todesgefühl wurzelt in beiden. Wenn Dichtung Deutung des L e b e n s ist, dann ist sie auch Deutung des T o d e s : ein gemeinsames Lebensgefühl durchströmt sie und so notwendig auch als metaphysische Ergänzung ein gemeinsames T o d e s g e f ü h l , das herauswächst aus dem, was die Gesamtheit der Lebenden damals über den Tod dachte. Und für das Mittelalter, gemeinschaftsbildend und -lebend wie es ist, gilt das stärker noch als für alle anderen Zeiten. *) J. H u i z i n g a , a. a. O. S. 185f.; 298. — H e r m a n n Cont r a c t u s , Ζ. f. d. A. 13, 398ff.; A n s e l m , Migne 158, 701ff.; P e t r u s D a m i a n i , Migne 145, 261 — 201; ebd. ders. De fluxa mundi gloria et saeculi despectatione Sp. 807 — 820; H u g o v. St. V i c t o r , Migne 176, Sp. 7 0 4 - 7 4 0 ; auch Kleine Texte [1913] Nr. 123, S. 26f.
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Dieser Zeit war der Tod eine Macht1) von wuchtiger Größe und erschütternder Nachwirkung, vor allem entscheidend für das Heil der Seele, aber keine Macht, die plötzlich, unbekannt, schicksalhaft daherschreitet, sondern eine solche, um die und deren Kommen man von jeher weiß. In den Menschen lebt wirklich, wirkend und leitend, ein Gefühl des Todes, der Unentrinnbarkeit ; der Tod ist ihnen vertraut, nicht als Bruder und Freund, sondern als einer, ohne den sich das Leben auf dieser Welt gar nicht mehr denken läßt. Im Tod sieht man das Feste, Gegebene, Unverrückbare, ein „Reales". Tod wird nicht eigentlich zum „Problem"; und das Todesgefühl hat nicht das Weiche, Reflektierte, Verfeinerte, Verwickelte der späteren Zeit, es ist ein großes allgemeines, unpersönliches, überpersönliches Gefühl, kein persönliches, einmaliges; es ist ein Gemeinschaftsgefühl, so wie auch das Erlebnis des Todes ein Gemeinschaftserlebnis ist; erst seit Reformation und Renaissance gibt es ein P e r s ö n l i c h k e i t s e r l e b n i s auch des Todes. Auch eine Todessehnsucht empfindet in der Gesamtheit diese Zeit nicht, sondern hur Sehnsucht nach der himmlischen Heimat; der Blick schweift über den Tod hinaus in den himmlischen Glanz. Und es bleibt sehr vereinzelt, wenn im „Armen Heinrich" die reine Magd ausruft : „dä von sô sol ich disen tôt hân für eine süeze nôt nâch sus gewissem Ione (1165Í.)." Solches Verlangen nach dem Vaterland wird noch nicht zur mystischen Inbrunst mit ihrem heißen Sehnen nach dem Aufgehen in Gott, nach der unitio, es ist gehalten, fast objektiv. Das Dogmatische bestimmt das Jenseitsstreben; dort ist ewiges Seelenheil, ewige Ruhe; Wolfram drückt dieses Allgemeingefühl am geläutertsten aus: „Sorge um dín ende, dazdir din arbeit hie erhol, daz dort diu sêle ruowe dol." Das Hochmittelalter kennt keine Todbegeisterung, keine Todesleidenschaft um des Todes willen; denkt Schwester Mechtild von Magdeburg an den Tod, so freut sich ihre Seele gar kräftig wegen der Ausfahrt, daß ihr Leib dann in übermenschlicher „senftekeit" schwebt und ihre Sinne unaussprechliche Wunder beim Ausgang der Seele, wenn sie „ze hove" fährt, erblicken. Und x ) Vgl. auch G. M ü l l e r , Gradualismus a. a. O. S. 696 über die Realität des Todes, „die allerdings für das Mittelalter einen viel allgemeineren und wuchtigen Akzent trägt als für die Neuzeit. Das ist eine selbstverständliche Folge des Realismus". B r i n k m a n n , Deutsche Viertelj. III (1925) S. 629.
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nur um des ewigen Lebens willen bemerkt Caesarius von Heisterbach bei manchen Mönchen eine solche Sehnsucht nach dem Tode, daß es ihnen weh tat, wenn man ihnen von Besserung sprach. Hier betritt man dann schon mystischen Boden, und auch dort, wo Caesarius im 11. Buch seines „Dialogus miraculorum" zu den mahnenden Geschichten vom unseligen Ende vieler Menschen andre erbauliche Erzählungen vom seligen Ausgang gottbefriedeter Sterblicher fügt und im 12. Buch „De praemio mortuorum" spricht, spürt man das Wehen mönchisch-mystischen Geistes und die Macht der Legende, die den Tod mit den lichten Farben des Lebens schmückt und berichtet, wie aus Gräbern Blumen sprossen, aus dem Munde des Entschlafenen die Lilie wächst und wie die Gebeine der Heiligen süße himmlische Düfte, nicht Verwesung ausströmen1). Auch im Märtyrertod, im Kampf gegen die Ungläubigen, bleibt der Blick auf das summum bonum gerichtet, auf die „himelskröne", nach oben, über den Tod hinaus. Trotzdem lebt man auch im Diesseits, und gerade die treue Erfüllung der Lebensaufgabe birgt die Gewähr ewigen Friedens. In einem solchen Sinne ist das Diesseits dem Jenseits nicht entgegengesetzt, sondern auf dies stufenhaft hingeordnet. Man empfindet wohl das Leid des totbeschatteten Daseins, — „Swie grôz der werlde fröude sì, dà ist doch tôdes vorhte bî", sagt Freidank2), — aber man will die Kraft, die über das Irdische hinausträgt und dies überwindet. Auch das Hochmittelalter strebt zur Todüberwindung. Von der Wertschätzung der Welt hängt die Wertung und Betrachtung des Todes ab. Gottfried von Straßburg etwa und Offenbarungen ed. G a l l M o r e l l , Regensburg 1869, S. 356f. — E i c k e n a. a. O. S. 316f. nach Caesarius Horn. III, 87; Dial. Mir. Lib. XI, ed. S t r a n g e (Köln 1851) I I S. 2 6 6 - 3 1 4 ; Weiteres bei Caesarius, Libri VIII miraculorum ed. A. M e i s t e r (1901) I, Nr. 32, 43; II, 19, 23, 25, 30, 37, 49; III, 49, 58, 59, 62, 71 (Lilie), 79. Vgl. E. B e i t z , Caesarius v. H. und die bildende Kunst, Augsburg 1926, S. 35; S. 91 u. Abb. 38 zu Dial. XI, 1 u. Abb. 28 mit S. 88. 2 ) Freidank 32, 23; ebd. 178, 6; 179. Auch Hartmanns Büchlein II, 393 diu selbe angestlîche nôt, die er hât ûf den tôt, diu lât in selten werden frô. S p r ü c h e Str. 1, 6, 7; nun ist nicht gewissere mê danne der tôt, das nimmt mich wunder, daz ieman wirdet wolgemuot. Ähnlich bei W a c k e r n a g e l das geistliche Lied aus dem 13. Jhd. II, 190. Ganz ebenso sagt es später der Teichner und ein lateinisches Exemplum ; siehe Cap. 4.
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Wolfram von Eschenbach verkörpern hier zwei geistige Typen, der eine ist der Diesseitsmensch, der nur der Welt lebt und das jenseitig Göttliche in den Hintergrund drängt, und der andere, voll tiefster Frömmigkeit, strebt Gott und die Welt in sich zu versöhnen und sucht nach dem Ewigen. Gottfried betrachtet dieses Weltleben als eine schöne Gabe, sinnlich berauschend und begeisternd, Wolfram als eine A u f g a b e , die strengste Pflichterfüllung im Dienste des Höchsten und Selbstläuterung heischt und die Aufforderung in sich schließt, das ganz zu werden, was man sein soll1). G o t t f r i e d s Bekenntnis zur Welt hat in solcher Zeit nicht viel seinesgleichen. „dem lebene sì min leben ergeben, der werlt wil ich gewerldet wesen, mit ir verderben oder genesen." (V. 64ff.) Uber den Tod hat er nichts zu sagen; freilich muß man bedenken, daß er sein Werk nicht zu Ende führen und nicht mehr den Hingang seiner Helden erzählen konnte, wo sich ihm Gelegenheit geboten hätte, die Frage des Todes aufzuwerfen. Aber freilich, was er vom Tode hielt, läßt sich schon aus den wenigen angeführten Zeilen herauslesen; wer so unbedingt sich zur Welt schlug und die Welt genießen wollte, dem mochte wohl auch derTod nur einLächeln abnötigen ; und daß der Tod das Gewisseste sei, was dem Menschen zuteil würde, das deutet Gottfried des öfteren an: ich weiz es wârez als den tôt. In Gottfrieds Munde gewinnt solch abgegriffene Beteuerungsformel wieder ihren wahren tiefen Klang, und gerade bei ihm umschließt sie eine ganz lebendig erfaßte und ganz gelebte Weltanschauung, eine Weltanschauung, keine Todanschauung. Dieser freudige Weltbejaher lebte der Welt Freude, aber auch ihr Leid ganz ; ihn mochten die Klagen über den Tod, das ständige memento mori, kleinlich und schal bedünken : wer die Welt nimmt, muß sie ganz und rückhaltslos nehmen; und was bedeutet der Tod einem vollen Leben? Ausdrücklich will Gottfried ja auch das hervorgehoben wissen, „swaz guotes in der werlde geschiht". Der Gegensatz zu Wolfram könnte nicht größer und tiefer sein; auch er bejaht die Welt, aber aus ganz anderem 1
) Über den ethischen Unterschied von Wolfram und Gottfried E h r i s m a n n , Z. f. d. A. 56, S. 211ff.; auch G. Müller a. a. O. II (1024) S. 691.
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Ethos heraus, aus sittlichem, nicht schönheitlichem Sinne, aus Pflicht, nicht aus Genuß. „Läz, herre, mich niht übersehen, swaz mir saelden ist geschehen und endeldser wünne", ruft er im Eingang des Willehalm (1, 12). „Ich hân gelouphaften sin, daz ich din genanne bin, wîsheit ob allen listen, dû b i s t K r i s t , sô bin ich k r i s t e n " (1, 25). Solch freies, aufrichtiges, selbstbewußtes Bekenntnis zu G o t t steht gleich allein da wie Gottfrieds unbedingte Zusage an die Welt. Und wenn nun in diesem engeren Kreis auch Wolfram nichts Wesentliches über Tod und Ende zu sagen weiß, so darum, weil er den Tod in seinem ethischen, religiösen Bewußtsein ü b e r wunden h a t , wie ihn auch Gottfried überwunden hatte als welthafter Diesseitsmensch, der von jenseitiger Zielung nichts wissen wollte. Die Gründe von Wolframs Todüberwindung wurden gezeigt : für den tapferen Lebensstreiter konnte der Tod ohne jeden mystischen Gedanken Eingang in die helle Ewigkeit, in die Gottnähe der Wiederversöhnung sein. „Er trug den Zwiespalt im versöhnten Herzen, denn ihm war die Gottesgabe einer harmonischen Seele beschieden, jenes Lebensgefühl, das das Leid, Mensch sein zu müssen, schmerzlich empfindet und doch nicht irre wird an der ewigen Macht des Guten 1 )." Wenn Wolfram auch nicht den Tod wie mancher asketisch Gerichtete als Bruder, als Freund, im Sinne einer mystischen Weltbetrachtung empfand, so war er seiner Gottbetrachtung doch nur ein Nebensächliches, Zeitliches, — nicht Ende, sondern nur Durchgang, nur Werkzeug und Glied in der Kette des religiösen Heilsplanes. Wolfram wie Gottfried ragen durch solche Todbetrachtung weit über die Masse der religiös Denkenden hinaus; sie sind eigengeartete Persönlichkeiten, die wohl auf gleichem Grund stehen wie ihre Zeitgenossen, — Gottfried vielleicht weniger, — die aber kraft eigener Läuterung zu einer geistig vertieften Gott- und Weltbetrachtung, Gottbejahung und Weltbejahung gelangen. Gottfried bleibt in solch ausgesprochener, unbedingter Diesseitsstimmung in der Tat ein besonders gearteter Einzelfall, der wirlich kaum Allgemeines seiner Zeit in sich birgt 2 ). Wolfram dagegen ist im ^ E h r i s m a n n i n der Vosslerfestschrift 1922, S. 17ö;auch GRM. I (1909) S. 674. 2 ) B r i n k m a n n , Diesseitsstimmung im Mittelalter, Vierteljahrsschrift II (1924) S. 721 — 752, wo sie allerdings nur bei den clerici
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Religiösen geläuterte Gestaltwerdung eines Geistestypus, der in seiner grundhaften Anlage dem Hochmittelalter eignet ; er bringt ihn zur reinsten Entfaltung und verkörpert so lebendig in sich wirklich ein Allgemeines, das in den andern nur dumpf, unbewußt, keimhaft schlummert. Seine Todüberwindung also trägt wie seine ganze Stellung zum Tode — gleich seiner ganzen geistigen Erscheinung — in allem und jedem zeitsymbolischen Charakter, auch in ihren Grenzen. Es ist nirgends der Todestrotz, der Todeshaß in einer Zeit, welche die Todesfurcht erlebt hatte und nur das grausige Todbild zunächst sah, sondern ein Sichanlehnen an den Glauben, der von der Erlösung durch Christi Opfertod weiß. Neben der Gewißheit des Todes steht die des Heils. Freidank, der Tod und Todesfurcht kannte, weiß auch davon: „Nü fröu sich al die kristenheit ,daz Kristes tôt tôt' unsern tôt; sus sanfte komen wir ûzer nôt" 1 ). Aus dem religiösen Gefühl bei den Edelsten, aus dem Glauben an das allmächtige Dogma beim Durchschnitt, wächst die Todüberwindung, stets aber führt und leitet die Kirche als Vermittlerin des Göttlichen auf dem Heilspfad, richtet den Blick aller über den Tod hinweg fest auf das summum bonum und läßt den Strafcharakter des Todes in solcher Erhebung zu Gott und im Glauben an seine Gnade zurücktreten. Das Bewußtsein der Heilsgemeinschaft, der Zugehörigkeit zum corpus mysticum ist stark und allbeherrschend ; und nur in dieser Gemeinschaft überwindet das Mittelalter den Tod. Die Todüberwindung ist ebenso wie das Todeserlebnis eine Angelegenheit der Allgemeinheit, ein Gemeinschaftserlebnis; ein Persönlichkeitserlebnis kann und will es nicht sein, weil der Mensch sich nicht als Einzelheit erlebt und also auch den Tod nicht, und weil er als gläubiger Christ überhaupt nicht persönlich, unmittelbar, sondern nur mittelbar in der Einheit der katholischen Kirche vor Gott steht und sich zu verantworten hat. Darin vagantes nachgewiesen werden kann; jetzt auch Fr. Schürr, Das altfranzösische Epos, München 1926, Cap. 10 und B. S c h m e i d l e r , Antiasketische Äußerungen in Deutschland im 11. und beginnenden 12. Jahrh. Festschrift für W. Goetz, Leipzig 1927, S. 35—52. 9, 24; vgl. auch 21, B. Der tôt gebirt uns hin ze gote, swie er ouch sì ein scharpfer bote. — Marner a. a. O. XIV, 18b (S. 131) V. 9f. : Minne twanc der meide sun, daz er uns durch sîn leben dem tède gap durch rechte minne, daz er leben uns wolte geben. — Andere Stellen bei I w a n t a. a. O. S. 45, 46, 49.
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erweist sich die großartige Geschlossenheit des kirchlichen Dogmas und seine Macht, durch die es über die Gemüter herrscht, für die einzelnen Glieder denkt und handelt und auch überwindet. Die Gesamtheit siegt, nicht der Einzelne. Die Kirche bindet noch, und Gebundenheit des Erlebnisses wie der Frömmigkeit kennzeichnet sich auch in der mittelalterlichen Formung des Todesproblems. So wird Todüberwindung nicht in dem Maße zum angespannten Kampf wie später, weil auch diese letzten und höchsten Angelegenheiten schon in vorherbestimmten Lösungen ruhen, die die Kirche bewahrt und schenkt; Tod ist zwar immer Prüfstein, aber hier hat sich nicht der Einzelne zu bewähren und sein Wesen zu erweisen, sondern die Gesamtheit und für die hat es ja schon Christus getan. Um die Wechselbeziehung von Tod als Sündensold und Seelenheil — darum handelt es sich einzig im mittelalterlichen Todes- und Vergänglichkeitsgedanken und darum nur um einen Ausschnitt aus dem ganzen weiten Todesproblem. Vom dogmatisch-katechetischen, vom materiell-zweckhaften Standpunkt aus sieht man Leben und Tod, nicht von dem philosophischen; und die Philosophie selbst ist hier die Dienerin der Theologie. Hinter diesen Fragen des Todes und des Seelenheils tritt die der persönlichen Unsterblichkeit völlig zurück ; sie wird zudem der Zeit in der Gesamtheit noch nicht zum Problem, denn sie steht unerschütterlich fest. Thomas v. Aquino weist, nicht als erster, die von Averroes und seiner Schule erhobenen und auf einem verflachten Aristotelismus gestützten Angriffe gegen das Dogma eingehend zurück 1 ). Es ist nur allgemeine Anschauung, wenn 1
) Darüber H. R e u t e r , Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter Berlin 1877, Bd. II, S. 49, 169ff., 199; C. S t a n g e , Die Unsterblichkeit der Seele, Gütersloh 1925, S. 77ff.; Cl. B a u m k e r , Mittelalterlicher und Benaissance-Flatonismus, in der Festgabe für J. Schlecht, München 1917, S. 1 — 13; bes. S. 10; M. H o r t e n , Die philosophischen Probleme in der spekulativen Theologie des Islam, Bonn 1910, S. 147ff.; 194—201. — Allgemein führt in diese Fragen vorzüglich ein die Schrift über die Unsterblichkeit der Seele des D o m i n i c u s G u n d i s s a l i n u s , die G. B ü l o w in den Bäumkerschen Beiträgen herausgegeben und erläutert hat, II, 3, Münster 1897, S. 1 bis 38 Text; S. 108ff.; 140ff.; dazu J. E n d r e s , Philosoph. Jb. 12 (1899) S. 388ff. Vgl. auch M. K r e u t l e , Die Unsterblichkeitslehre in der Scholastik von Alkuin bis Thomas von Aquin. Diss. Fulda 1918; ders. Die Unsterblichkeitslehre in der Zeit nach Thomas
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Dante im Inferno den Unsterblichkeitsleugner Epikur und seine ganze Schule in einer Flammenstadt seine ketzerische Sünde abbüßen läßt; dort werden sie in glühenden Särgen gefoltert. Man glaubte an das ewige Leben durch Christi sühnenden Opfertod und man wußte, daß er die Todesmacht gebrochen habe. Diese Zeit hatte einen theologisch-ethischen, christlichen Lebensbegriff, eben den des ewigen Lebens, aber, wenigstens im allgemeinen, keinen metaphysisch-saekularen und wollte einen solchen auch nicht; sie besaß keine vom christlichen Dogma unabhängige Anschauung von der dauernden Unzerstörbarkeit des Lebens, das durch Vergehen immer zum Werden kommt 1 ). Das Hochmittelalter kannte durch Ciceros Vermittlung den einen Gedanken Piatos, daß das ganze Leben des Philosophen eine Betrachtung des Todes sei, μελέτη τοϋ θανάτου, und hat gemäß seiner geistig - religiösen Haltung diesen zunächst bildlich gemeinten Satz wörtlich genommen: „Prima philosophiae definitio meditatio mortis 2 );" Aber den anderen Gedanken, der auch im „Phaedon" bewahrt ist, daß aus allem Tod Leben erwachse, diese zweite, in solcher Form vom christlichen Standpunkt aus „weltlich" metaphysische Wahrheit erobert sich in der Gesamtheit erst die Renaissance. v. Aquin. Phil. Jb. d. Görresgesellschaft 40 (1927) S.40—66. W. Götzm a n n , Die Unsterblichkeitsbeweise in der Väterzeit und in der Scholastik bis zum Ende des 13. Jhds. Karleruhe 1927, S. 153ff., 229ff. 1 ) Man sehe die Schrift von M. G r a b m a n n , Die Idee des Lebens in der Theologie des hl. Thomas von Aquino, Faderborn 1922. 2 ) Migne 73, Sp. 297. — Das frühe Mittelalter kannte lediglich den Timaeus in der Übersetzung Ciceros; erst im 12. Jhd. vermittelt Henricus Aristippus von Catania (f 1162) die Kenntnis des Menon und Phaedon. Vgl. Überweg - Heinze - Baumgarten II io, S. 204; Rose, Hermes I, 373 ff. ; Grabmann, Geschichte der schol. Methode II, (1911), S. 76f.
IV. K a p i t e l
DAS SPÄTMITTELALTER Der meneoh ist ein ohnecht des todez. Gesta Bomanoram. Darambe eint alle uzgenge umb die widergenge. Tauler
as 14. und 15. Jahrhundert seien als eine große geistesgeschichtliche Einheit zusammengefaßt, so sehr sie auch untereinander verschiedenes Gepräge tragen, das 15. besonders an allen Orten von Neuem drängend erfüllt wird und Mittelalter sich von anbrechender und aufdämmernder Neuzeit scheidet. Zwar bröckelt alsbald ein Stein nach dem andern vom großen mittelalterlichen Bau ab, Risse und Zersetzungserscheinungen auch im allumfassenden, allempfänglichen Dogma zeigen sich, aber in dem besonderen Fall dieser Untersuchung bewegt das Denken um den Tod sich noch durchaus in den dogmatischen Bahnen und steht, abhängig und geleitet, unter kirchlicher Aufsicht. Immer noch wie zuvor, und wie bedingt auch noch später, ruht der Tod fest im katholischen Heilsgeschehen, unerschütterlicher Markstein am Pfad zum Heil, den der mittelalterliche Christ wandert. Erst allmählich lockert sich das Gefüge, bricht einmaliges persönliches Gefühl durch, vereinzelt schon um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert im Streitgespräch vom Ackermann und dem Tod ; aber dies wächst aus anderer seelischer Lage und aus neuer ethischer Weltbetrachtung heraus und ist in allem und jedem ein Vorläufer, ohne Nachfolge, der gerade durch seine Vereinzelung nur zu deutlicher Zeuge für die unerschütterliche Festigkeit und Gebundenheit des Toderlebnisses jener Zeit wird. Als symbolisch aber darf man dies erkennen : das Anschwellen der Zeugnisse und Stimmen, aus denen etwas über Toderlebnis, Todproblem und Todgefühl dieses geistigen und zeitlichen Raums, den man vor allem sich zu verlebendigen hat, zu lesen ist ; wie ein langsames allmähliches Anschwellen ist es, wie
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ein Rauschen, das immer stärker und stärker wird, wie ein Dröhnen, Jubeln, Klagen der aufs höchste erregten und religiös gesteigerten menschlichen Seele. Die Gründe liegen tief. Aus den Zeugnissen spricht eine beredte Sprache; man muß sie nur hören und deuten. Das literarhistorische Profil der beiden Jahrhunderte läßt sich außerordentlich schwer bestimmen; Einheitlichkeit wird niemand dort finden wollen; die mannigfachsten geistigen, kulturellen Strömungen und Einflüsse prägen die bunte Fülle schriftstellerischer Erzeugnisse dieser Epoche—denn von Dichtung darf man nur selten sprechen. Diese Uneinheitlichkeit, der gänzliche Mangel an Stil im weitesten Sinne, läßt sich nur als tiefster und bezeichnendster Ausdruck einer ebenso uneinheitlichen, stillosen Zeit fassen, wo alles in Gärung ist, wo Neues unvermittelt neben Altem steht und in einem Zeitwerk entgegengesetzte geistige Strebungen ihren Niederschlag finden und sich bekämpfen 1 ). In dem Maße, als diese Zeit und ihr Schrifttum schwierig und ästhetisch wenig erfreulich sich darbietet, birgt sie auch eine höchste Fülle anziehender, nicht nur literarhistorischer, sondern insgesamt geistesgeschichtlicher Fragen, die fast alle noch der Lösung harren. Eines aber kennzeichnet trotz der Verschiedenheit alle diese mannigfachen Zeugnisse der weltlichen und geistlichen Literatur und verleiht ihnen ein Gemeinsames: der allein didaktisch-erzieherische und daher unkünstlerische Zug. Tugend- und Sittenlehre, Mahnung wollen sie alle geben; dadurch wird in der ganzen Breite jeder Sinn für ästhetische Werte ausgeschaltet. Und zugleich ein Weiteres: das Ethische verengert sich zum Lehrhaft-Moralischen. Lehrgedichte kannte wohl schon das 13. Jahrhundert, aber nur vereinzelt; nun siegt das Lehrgedicht und die Lehrstrophe; didaktisch ist alles, und langsam, aber notwendig weicht das ritterliche Ethos einer bürgerlichen Moral. Das 14. Jahrhundert erhält zunächst seinen Zeitausdruck vorwiegend durch die Mystik; aber im 15. Jahrhundert erkennt man aus den literarischen Quellen vorwiegend ein bürgerliches Zeitalter. Auch für das Erlebnis des Todes wird diese Wandlung der seelischen und der soziologischen Struktur von Bedeutung. Enger, kleiner, dumpfer, bürgerlich, Neuerdings G. Müller, Das Zeitalter der Mystik. ZfdDk. 1928, S. 177—197 und seine aufschlußreiche „Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock" in Walzels Handbuch seit 1927. W. Stammler, ZfdPh. 53 (1928) S. 1 - 2 5 .
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aber kleinbürgerlich, mutet das alles an; erst das Großbürgertum der Reformation erhebt sich zu weiteren Höhen. Doch auch in diesen kleinbürgerlichen Zeiten verliert die Mystik nicht an Einfluß, sie bleibt auch noch am Anfang des 15. Jahrhunderts die verinnerlichende gefühlshaltige Gegenströmung zu der allzu einseitig verstandesmäßigen Einstellung der Zeit. Zunächst das Todesproblem: man kann von einem solchen im philosophischen Sinne hier ebenso wenig wie im Hochmittelalter sprechen; der ganzen Zeit liegt nicht so sehr das selbständige, spekulative Denken und Aussinnen als vielmehr die katechetische, dogmatische Verdeutlichung und Ausgestaltung dieser unverrückbaren heilsrichterlichen Endgewalt. Aber in einem anderen, ganz elementaren Bezug wird der Tod diesen Jahrhunderten zu einer lebenbedrohenden Wirklichkeit, wie vorher und nachher nicht mehr: durch die schrecklichen Seuchen und das große Sterben im 14. Jahrhundert, das noch tief ins 15. Jahrhundert hineinwirkt, und das Problem völlig zu einem Grunderlebnis werden läßt. Wohl zeigte sich da der Tod, gerade in den Totentänzen, ganz in seiner Urgewalt, rein an sich, aber diese Zeit konnte und mochte nicht bei ihrer ständigen und steten Einordnung aller Erscheinungen in ein transzendentes Zwecksystem die Mächte des Lebens aus dieser ihrer Beziehung zum Ewigen nehmen und ihres Symbolwertes entkleiden. Vielmehr, sie steigerte diesen Symbolwert, und gerade durch solche lebenerschütternde Vorgänge wurden die Menschen tiefer noch in das Religiös-Dogmatische, in die Kirche hineingeschoben, umgekehrt aber wurde die weite Lebenswirklichkeit nur noch enger in dogmatische Fesseln geschlagen und der Tod ganz nur von den sündenzerknirschten Menschen als der Vollstrecker einer Jenseitsmacht genommen. Die Gewalt des Todes wächst ins Drückende und Lähmende. Es ist bezeichnend, daß das 15. Jahrhundert die ersten Verdeutschungen der alten Antiphona „Media vita in morte sumus" bringt. „En mitten in des Lebens zeyt sey wir mit tod umbfangen: Wen such wir, der uns hilfe geit, von dem wir huid erlangen." Dies „media vita" scheint um die Mitte des 14. Jahrhunderts eine neue tiefe Erlebnisquelle gewesen zu sein. Es erfüllt sich mit neuem Wahrheitsgehalt, denn hinter solchen Worten verbirgt sich
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nun die unheimliche Fülle des geschauten Todes, der wie ein Schnitter durch die Lande schreitet, gewaltig, grausam, unersättlich mähend — Pest und Seuche, der schwarze Tod, wüten überall. Man kann solch lebenerschütterndes, aufreizendes Geschehen und den damit verbundenen stetigen Anblick von Tod und öffentlichem Begräbnis nicht stark genug zur Erklärung anziehen für die ganz neue und heftige Gestaltung der Todesfrage, für das langsame Anschwellen der didaktischen Todeserwägung, die nun allenthalben unter dem Eindruck der allgemeinen Lebensunsicherheit in Wort und Bild einsetzt. Hier in diesen aufgewühlten Zeitläuften hat man einmal den lebendigsten Beweis, wie das nackte Erlebnis, das alle ergreift und bezwingt, die Frage um den Tod und die ganze Weltempfindung der Menschen durchfurcht. Von 1348—1350 wütete die Pest in Deutschland, besonders in den dicht bevölkerten engen Städten ganz gewaltig. Basel verlor 14000 Menschen, Paris 50000, Florenz 60000, Venedig gar 100000 Menschen in dieser kurzen Zeit. In Deutschland raffte die Pest unter den Minoriten allein 30000 Brüder hinweg und man hat berechtigten Grund, diese hohen Ziffern nicht als übertrieben anzusehen1). Solche gewaltigen physischen Erschütterungen bringen die schon ohnehin leicht erregbare spätmittelalterliche Menschenmasse in unheimliche Bewegung : das Teuflische, Niedrige wächst mit der Pest empor, erotische Ausschreitungen, Tanzwut und verzweifelt gesteigerte Lebensfreude dicht neben dem drohenden Abgrund, Geißlerfahrten, Kinderkreuzzüge, Judenverfolgungen durchrütteln die Gesamtheit, die Chroniken, nicht nur die Limburger, berichten über die verhängnisvollen Auswirkungen der großen Sterbeepidemien, die in nicht allzu kurzen Abständen, gleichsam rhythmisch, den mittelalterlichen Volkskörper wie im Fieber schütteln und das bange Tönen der Sterbeglocken nicht ruhen lassen. Der Tod bedroht jeden täglich und stündlich, wie ein Jäger ist er hinter seinem Wilde her: so sieht ihn Heinrich von Mügeln, der 27 Sprüche von dem großen Sterben nach den Pestjahren 1
) G. M a n s e r , Die Geisteskrisis des 14. Jahrhunderts. Freiburg 1916, S. 3Iff. — R. H o e n i g e r , Der schwarze Tod, Berlin 1882; Joh. N o h l , Der schwarze Tod. Eine Chronik der Pest, Potsdam 1924 mit aufschlußreichen Dokumenten; bes. Cap. 8—12. Vgl. auch E. D ö r i n g - H i r s c h , Tod und Jenseits im Spätmittelalter, Berlin 1927, S. 3ff., auf Grund der Städtechroniken.
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dichtet. Aber die dumpfen und fanatischen Lieder der Geißler vermitteln in ihrem eintönigen Rhythmus noch viel eindringlicher etwas von dieser aufgeregten und verzweifelten Todesstimmung aus der Jahrhundertmitte, die natürlich in solcher Seuche nur noch stärker ein strafrichterliches und seelenbedrohendes Verhängnis erblickt. Man suchte Gott durch Buße und Selbstkasteiung zu versöhnen. Nu hebend uf die uweren hend daz got daz groze sterben wend. Nu reggen uf die uweren arm und daz sich got über uns erbarm . . . Jesus durch dine wunde rot behött uns vor dem gehen totl Und mit solcher Bitte um Bewahrung steigen die todbangen Lieder auf zu Maria, der Himmelskönigin1). Der Boden ist auch in Deutschland bereit, die Wurzeln einer bildlichen Todesmythologie in sich aufzunehmen; der Typus der Totentänze wird nun von Frankreich übernommen, wo er einer durch die Pest religiös aufgewühlten und von der Geistlichkeit geförderten asketischen Stimmung entwachsen ist. Er wird Prediger und Warner vor dem jähen Tod, der den unbußfertigen Sünder plötzlich aus dem Leben reißt und der sofort zum ewigen Tod führt. Das bedeutet innerhalb der an sich schon eingeschnürten mittelalterlichen Todesauffassung eine fast unerträgliche Verengung und Zuspitzung des Todesgedankens, eine unheimliche Steigerung der Schrecken: hierin liegt der eigentliche Wandel gegenüber der vorhergehenden Zeit. Das „mors peccatorum pessima" wird noch verschärft. Es ist der zweite Tod, der nun noch furchtbarer mitten ins Leben hineingestellt ist, la morte seconda, dessen Folgen Dante im ersten Teil seines großen Weltgedichtes, welches symbolisch das Mysterium von Leben und Tod ergründen wollte, im „Inferno" mit 1
) Germania 13, 104; und S c h r o e r , Wiener Sitzungsberichte 55, 45Iff.; bes. S. 478; vgl. auch L i l i e n c r o n a. a. O. S. 32ff. — P. R u n g e , Lieder und Melodien der Geißler von 1349, Leipzig 1900, S. 37, 31; auch Wackernagel II, 502, 503 (ebd. Nr. 991—999 die Übertragungen von „Media vita"). Über die italienischen Geißlerlieder vgl. S c h n e e g a n s bei Runge S. 64ff. ; bes. S. 68. Hier mehr die objektiv grausige Schilderung des Todes und seiner Allgewalt.
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unheimlichen Farben vor den entsetzten Menschen darstellte. Die Frage des Seelenheils und der letzten, ewigen Dinge scheint den Menschen jetzt mit einer fast brutalen Härte gestellt, die die Furcht vor dem Tod nur noch vertieft. Der Mensch sieht sich sofort vor das nackte Entweder-Oder gestellt, gleichsam vor das jüngste Gericht, doch ohne die läuternde Vorbereitung, besonders noch, wenn man bedenkt, daß mitunter wegen der Ansteckungsgefahr ein Interdikt für die Sterbenden erlassen wurde, das sie ohne priesterlichen Beistand in Sünden dem Tod und damit den höllischen Strafen überantwortete. Vor allem die jetzt zu immer größerer Bedeutung anschwellende Volkspredigt, die namentlich durch die Bettelorden zu einem Werkzeug nachhaltiger Massenbeeinflussung ausgestaltet wurde und die auch die aus jenen Orden hervorwachsende Mystik zu ihren Zwecken benutzte, stellt den verängstigten Gemütern die Schrecken des jähen Todes und der Hölle eindringlichst vor. Gerade darin erweist sich am stärksten auch wieder der spätmittelalterliche Realismus, der schauen will, was ihm bevorsteht und ihn angeht, auch das Unschaubare, der sich darum auch bei geistigen Dingen an das körperlich Greifbare, Sichtbare hält und beim Tod sofort an die Verwesung denkt. Es ist außerordentlich bezeichnend, wenn berichtet wird, daß ein berühmter Prediger im Anfang des 14. Jahrhunderts der Menge zur nachhaltigeren, seelisch-sinnlichen Erschütterung zuerst die Pracht des Lebens zeigte und dann „horribilem imaginem mortis, cum diversis vermibus, cum bufone in capite et serpentibus in oculis, auribus et naribus" vorwies; und dies Bild der Endlichkeit und Verwesung trug in der rechten Hand ein Schriftband mit den Worten: „Quid ego sum, tu statim eris; quid ego superbis de tua pulchritudine, divitiis et potentiis: pulvis et cinis"1). Durch S c h ö n b a c h , Sitzungsberichte 156 (1907) S. 23. — Imago mortis als Warnung auch bei C a e s a r i u s , Dial. XI, 61, bei K l a p p e r , Exemple, Heidelberg 1911 Nr. 24 und G e s t a R o m a n o r u m Cap. 107 (ed. Oesterley). — H u i z i n g a a. a. O. S. 291ff. über den Realismus und das Visuelle, (darüber nun auch G. Müller im Handbuch a. a. O. S. 23, 31 ff. ; 33, 43, 52, 106), 296ff. über Dionysius, S. 181, 288 über die Bettelorden; S. 181, 190 über den ,,Kulturgedanken''. E. D ö r i n g - H i r s c h , a. a. O. S. 44. — „Mors impróvida" im Predigtmärlein: P f e i f f e r , Germania 3, S. 421. Nr. 11 aus dem 15. Jhd., K l a p p e r , a. a. O. Nr. 25 und d e r s e l b e , Erzählungen des Mittelalters,
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solche Darstellungen, die später nach der Erfindung des Drucks durch die Holzschnitte nur noch tiefer in die Allgemeinheit dringen, und dann eben durch die Predigt, also durch Bild und Wort, erreicht der Todesgedanke im Spätmittelalter ungeheure Verbreitung und Verallgemeinerung, die dem Hochmittelalter in solcher Ausdehnung doch durchaus fremd war und fremd sein mußte. Der Todesgedanke wird wirklich zu einem „großen Kulturgedanken". „Wehe denen, die in Todsünden sterben". Wer in der Welt bleibt und nicht auf das Jenseitige seine Sehnsucht richtet, der ist nicht vorbereitet auf das Ende, der verfällt dem zweiten Tod. „Weltliche girhait" ist ein Übel. „Dú welt ist ain val, und schriet Got und dú schrift âllù: fliehent! fliehent âllù bald von der welt, aid si erschleht úch zü dem ewigen todel alle die in diesem valle verendent, die mussent iemer buwen das hellesche rieh mit großer arbait"1). Heinrich von Melks Bußmahnung ersteht zu neuer Gegenwärtigkeit. Keiner unter deutschen Mystikern hat das Grauen des Todes, das den unvorbereiteten, unbußfertigen Sünder und Weltmenschen beim Sterben befällt, eindringlicher und wuchtiger geschildert als Seuse, der ritterlichste unter allen Mystikern, und der innigste, dichterischste. „Des todes stunde ward nie kein mensch uberhabt. Denn der hut unbereit ist, der mag morn vil unbereiter sein." Und so, als Ausfluß seines mystischen Toderlebens, liegt ihm daran, den Menschen zu zeigen „wie man soll lernen sterben", und „wie ein unbereiter tot geschaffen ist". Das 21. Kapitel des Büchleins der ewigen Weisheit bietet eine „ars moriendi", wurde als solche oft abgeschrieben und fand dann namentlich durch den Druck seit 1483 als Sterbebüchlein weiteste Verbreitung2). — Leiblich und geistlich stirbt man; des leiblichen Todes bedarf es keiner Lehre, er lehrt sich von selber, so er kommt, wohl aber des unvorbereiteten Breslau 1914, Nr. 13, 122, 124, 171, 178, 180. H. L e y s e r , Deutsche Predigten des 13. und 14. Jhds. 1838, S. 126, Nr. 30; S. 161. St. Georgner Prediger DT. 10, Nr. 53, S. 203; vgl. auch Nr. 39, S. 118, Z. 6ff. ; Ungewißheit des Todes ebd. S. 136, Z. 8ff. und 336, 19ff. Dazu nun O. S t e i g e r w a l d , Die transzendente Richtung im St. Georgener Prediger usw. Masch. Diss. Würzburg 1923, S. 16—20. 2 ) Seuse, Schriften ed. B i h l m e y e r , Stuttgart 1907, S. 279 — 287; vgl. auch St. Georgener Prediger a. a. O. Nr. 60, S. 174ff.
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Todes, der die große Menge hinwegrafft. Der Diener der ewigen Weisheit hört das grimme Schreien des „unbereiten sterblichen menschen", der den grimmen Tod und sein schlecht angewandtes Leben beklagt. „Wie hetti ich mich din noch so wenig versehen ! Nu bist du hindnan uf mich gevallen, du hast mich erilet." Er klagt, daß er sterben muß, er klagt, daß er u n v o r b e r e i t e t sterben muß. Denn er hat es nicht gelernt zu sterben. Nun ist er in die Falle des bitteren Todes gefallen, an der Angel des bitteren Todes hängt er; besser wäre ihm, seiner Mutter Leib wäre ihm sein Grab geworden, denn seine Reue kommt zu spät. Mit dantesker Bildkraft und ganz im Sinne der nach äußerster Verbildlichung drängenden mittelalterlichen Art malt Seuse die Schrecken des nahenden Todes: „Dû stunde ist kommen, owe, nun sih ich, daz es anders nit mag sin. Mir beginnent die hende töden, daz antlút bleichen, dú ougen vergan. Ach, des grimmen todes stôsse ringent mit dem armen herzen ! Ich beginne den atem vil tief sûchen, daz liecht diser weit beginnet mir ab vallen, ich beginne an ene welt sehen. Owe, got, wel ein anblik I Es samnent sich dú grúwlichen bilde der swarzen moren, dú heischen tier hein mich umbgeben; sú lùgent der armen sele, ob sie in mug werden . . . Mir tringet der kalte totsweis von angst dur den leib." Solch verzweifelnder Anblick des mit dem Tode ringenden Menschen erschüttert im tiefsten die Seele des Dieners. „Wafen, ich bin doch erschroken von disem anblike, daz mich wundert, daz mine sele bi dem libe ist". Er will sein Leben danach einrichten und bedenken, „waz grozer wisheit lig an vorhte und emziger betrahtunge des todes." Seuse bekennt sich zu dem memento mori: „Owe, end an alles ende, owe sterben, ob allem sterbenne alle stund sterben : und doch niemer mugen sterben." Und im geistlichen Lied, in den Geißlerliedern, in der Predigt, weniger stark in der didaktischen Spruchdichtung, überall ertönt die bange, angsterfüllte und dringliche Bitte: bewahr uns vor dem jähen Tod. Wie stark und erschütternd man die Zukunft und den plötzlichen zweiten Tod empfand, lehrt etwa das Zehnjungfrauenspiel, das am 4. Mai 1321 in Eisenach vor dem Landgrafen Friedrich aufgeführt wurde und nach dem Bericht eine so schreckliche Wirkung auf ihn ausübte. Theophilus und Frau Jutta werden in den mittelalterlichen Spielen auf Bitten der Maria, an die sie sich in der höchsten Seelennot wenden, in Gnaden aufgenommen und
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gewinnen das ewige Leben, ihre Seelen werden vor dem ewigen Höllenfeuer gerettet. Die fünf törichten Jungfrauen aber fallen ewiger Verdammnis anheim. Entsetzlich muß dem mittelalterlichen Menschen dieser jähe Schluß in die Ohren gegellt haben. „Waz man uns gutis tete, daz were gar vorlorn: der tot baz hülfe den ein selgerete, wi han vordinet Gotis zorn! Des si wi ewiclichen vorlorn 1" Die Gnade der Gottschau wird ihnen nicht zuteil. Man meint, das ausgehende Mittelalter habe sich in seinem „Theophilus" und der Frau Jutta zu solch unabwendbar tragischem Geschehen nicht mehr aufraffen können. Man hätte es nicht mehr ausgehalten — denn die späteren Zehnjungfrauenspiele, die episodenhaft manchem geistlichen Drama eingeschoben sind, erheben sich trotz des einmal festgelegten schrecklichen Ausgangs niemehr zu solch zerschmetternder Wucht und dringen nicht mehr wie ein Urschrei der verdammten Seele an des Hörers Ohr mit ihrer Mahnung, von Sünden abzulassen. Die ewige Verdammnis, der ewige Tod war in dem frühen Spiel in seiner ganzen Hoffnungslosigkeit gestaltet; und auch Theophilus und Frau Jutta entrinnen nur mit knapper Not diesem Verhängnis. Nur noch einige Streitgespräche zwischen dem Leib und der verdammten Seele mit ihrem „Zu spät" und besonders erschütternd das Rheinauer Parabelspiel vom jüngsten Tage, das aus dem Ende des 14. Jahrhunderts stammt, aber nur in einer Handschrift von 1467 überliefert ist, weisen das ganze Entsetzen des Heilsverlustes auf. In diesem wuchtigen und würdigen Spiel bittet Maria ihren Sohn und dann Gott vergeblich um die Seele der Verdammten; man hört ihr gellendes Schreien im ewigen Feuer, Christus aber schließt das Höllentor — wahrlich ein Eindruck von seltener Gewalt, ebenbürtig dem der Jungfrauenspiele . Spiel von den 10 Jungfrauen ed. B e c k e r s , (Breslau 1905), S. 9 6 - 1 2 4 ; bes. V. 43ff.; 185ff.; 523ff. Zur Tendenz vgl. Beckers S. 44. - Theophilus ed. P e t s c h , Heidelberg 1908, 1. Version V. 208ff.; 280ff. ; 304. — Über die ma. Zehnjungfrauenspiele O. F i s c h e r in Horrigs Archiv 125 (1910) S. 9 - 2 6 und J. B o l t e , Zfd Ph. 26 (1884) S. 71—77 (A. Seitz). Streitgespräche: Visio Philiberti (ed. Karajan, Frühlingsgaben Wien 1839, S. 85ff.), in der Übertragung H. v. Neustedts (DT. 7, S. 455ff.), in den mhd. Bearbeitungen, die Karajan a. a. O., B a r t s c h , Erlösung S. 311 — 331 (vgl. Einltg. S. LXVII), R i e g e r in der Germania 3, 396ff., beide aus der ersten Hälfte des 15. Jhd.,
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Die seelische Steigerung, aber auch die Verengung gegenüber dem Hochmittelalter wird sichtbar. Gerade in solch spannungsgeladener und gegensatzreicher Zeit gewinnt dann der Gedanke des „Contemptus mundi" wieder allseitige und tiefere Bedeutung. Die alten Traktate werden abgeschrieben und neue Übertragungen kommen hinzu 1 ). Der Teichner aus Österreich ist ganz von solcher pessimistisch-asketischen Lebensstimmung erfüllt er scheint völlig unter dem gewaltigen Eindruck der Pestjahre zu stehen ; er begreift nicht, wie man lachen kann, wo man sorgen soll, weil man doch stündlich sterben muß, ohne die Stunde des Todes zu wissen. „das macht mich an vreuden bloz. Swer niht trûren wel dâ bî, der ist rehter sinne hol." Der Teichner leidet an der Welt und ihrer Schnödigkeit und sieht nur die dunkle Seite an ihr: „Swer die weit ahten kunnt, der flüch ir, wirs dann einen hund." Der Mensch lebt mit Klagen und Schmerzen und scheidet mit betrübtem Herzen von der Welt, freudeleer 2 ). Ein größerer Gegensatz zur mystischen Todempfindung läßt sich gar nicht denken: denn hier sieht man nur die irdische Seite des Todes, sieht ihn vom Leben und der Welt aus, nicht von drüben wie die Mystiker, als Tröster und Endiger der Leiden. Die Aussicht nach drüben scheint überhaupt den Menschen verrannt zu sein. Hier ist weder Welt- noch Gottmitteilen, in der nd. Fassung im Nd. Jahrbuch 5, 21 — 45. Vgl. auch die nd. Sündenklage eines Verstorbenen Nd. Jb. II, 136, die 1500 zu Magdeburg gedruckte claghe der verdomeden seien und die nd. Verse über Todesfurcht in der Ztschr. f. lüb. Geschichte III, S. 76—90. — Das Rheinauer Spiel gab M o n e heraus: Schauspiele des Mittelalters, Karlsruhe 1846, I, S. 265—304. Vgl. auch E. K l i b a n s k y , Gerichtsszene u. Prozeßform, Berlin 1925, S. 27 — 35. ') Der Konstanzer Bischof Otto v. Hachberg schreibt sich im ersten Viertel des 15. Jhd. einen ,, Trac ta tus de contemptu mundi" aus Gregor, Petrarca (De remediis etc., von dem er eine Hs. besitzt), und Peter v. Blois zusammen: A. Werminghoff, Z. f. G. d. Oberrheins, X I I , 1897, S. 6. 13 A. 1. — Einen niederrheinischen „Contemptus mundi" aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts veröffentlicht E. S c h r ö d e r , Gött. Gel. Nachr. 1910, S. 335 —374 mit der lateinischen Quelle. Vgl. auch später Vintler. 2 ) K a r a j a n , Über Heinrich den Teichner, Denkschriften der Wiener Akademie, Bd. VI, 1855, S. 8 5 - 1 7 4 ; bes. S. 114ff. S. 117 Anm. 64, 65; S. 118 Anm. 71.
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freudigkeit. Man hat nicht die Empfindung von der beseligenden Gewißheit, daß den Menschen jenseits des Todes ein Glück erwarte; das Jenseits ist nicht das Vaterland, wie noch im Hochmittelalter und in der Mystik, sondern ein fremdes Land. Brant mahnt, man solle daran gedenken, daß hier kein Bleiben sei, weil wir allesamt von hinnen in ein „fremdes Land" fahren. Auch im geistlichen Lied und in der Mystik weiß man von der Untreue der Welt, von großem Weh in diesem Jammertal, von der bitteren Not des Todes. Heinrich von Laufenberg sagt so, aber er weiß doch auch von der Wonne des Jenseits und eines seiner Lieder spricht ergreifend von der Sehnsucht des Frommen nach der himmlischen Heimat. „Ich wölt daz ich do heime wer und aller weite trost enber. Ich mein do heim im himelrich do ich got schowet ewenclich . . . Dohein ist leben one tot und ganzi frôiden one not . . . Aide, welt! got gsegen dich, ich var do hin gen himelrich1). Aber das ist geistliches Todempfinden aus dem frühen 15. Jahrhundert. Man muß dabei eines berücksichtigen: das gewaltige, unheimliche Sterben wirkt wohl erschreckend, aber zugleich auch abstumpfend, es macht gleichgültig. Um den tieferen Sinn des Todes müht sich diese Zeit nicht, die von jener düsteren Macht, ohne zur Besinnung zu gelangen, überrannt wird. Sie hat genug zu tun, die schreckliche äußere Tatsache, die Realität des Todes, in sich aufzunehmen, die nächsten, mit ihr verknüpften drohenden Folgen zu ermessen und sich vor ihnen möglichst zu schützen. Einen anderen Ausweg gibt es nicht und wird es nie geben. Hier, aber auch überhaupt in der ganzen inneren verflachten, schematischen, oft geistlosen Art der spätscholastischen Spekulation, hat man wohl den Grund für das karge, enge, beinahe nichtssagende Wesen in den fast immer konventionellen und stereotypen Äußerungen über den Tod, die nicht mehr denken, sondern nur noch darstellen. Und solche gleichgültig flache, fatalistische Wackernagel II, Nr. 715; vgl. Nr. 719.
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Grundstimmung findet man in Frankreich und Italien ebenso wie in Deutschland1). Man wandelt hier wirklich in ausgetretenen Fußtapfen. Alle erwähnen sie den Tod ; sie kommen nicht um ihn herum; aber es ist wie ein pflichtmäßig schematisches Nennen und Aufzählen oft mit der alten Todesparadigmatik, als sei es so, daß es keinen Sinn habe davon zu reden, denn jeder weiß es doch schon. So ist es meistens in den trockenen Berichten über das Sterben in den Chroniken, ist es vor allem in den belehrenden Dichtungen, wo alles kleinlich und spießig und schon im Versklang kümmerlich erscheint. Boner,dem al s Dominikanermönch das „memento mori"und die Ausdeutung einer Begebenheit ins Geistliche geläufig sein konnte, begnügt sich in seinem berühmten Fabelbuch, dem „Edelstein", damit, in einem Abschnitt „von angedenkunge des todes" zu betonen, daß alles vergeht und alle weltliche Freude hinfällig ist, daß man stets an den Tod denken soll, um vor der Hölle bewahrt zu bleiben; der Tod mache keine Ausnahme, „allez daz ie geboren wart, das kumt uf des todes vart." Peter Suchenwirt aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts sagt : „der tod ez allez uberwind; nichts bleib dem menschen im tode als ein leinen tuch" und das sei ein großer Jammer, daß dem niemand entweichen könne. Nur die Frage der Vergänglichkeit, die stofflich-äußere Seite also wird ergriffen. Ethischer sprach da der Teichner; kurz H u i z i n g a a. a. O. S. 409, der hervorhebt, daß die Zeit keine neuen Gedanken kennt, sondern nur neue Form. Froissart z. B. sei vollkommener Typ des Geistes, der in Worten nicht denkt, sondern darstellt. „Er hat keine Gedanken, nur Vorstellungen von Tatsachen . . . Seine Betrachtungen sind von beispielloser Banalität: alles langweilt, nichts ist gewisser als der Tod, manchmal verliert man, manchmal gewinnt man auch." Vgl. auch L u d w i g K a r l , Die burgundische Dichtung und der Totentanz. Ztschr. f. rom. Phil. 45, (1925) S. 255 bis 281 über Villon, Deschamps, Chastellain; auch hier oft nur die Aufzählung: ubi sunt etc. S. 268ff. ; 276. Über das Flache, Ausgeleierte S. 269, 279. (Über diese Gruppe spricht auch H u i z i n g a S. 194ff.) — Für Italien vgl. die Bemerkung von A. v. Martin, Das Kulturbild des Quattrocento nach den Viten des Vespasiano da Bisticci (Festgabe für Finke, 1925, S. 316-355) S. 318 Anm. 8, auch E. Mehl, Die Weltanschauung des Giov. Villani, Leipzig 1927, S. l ö l f . — Zu den deutschen Chroniken : D ö r i n g - H i r s c h , S. 5. Von anderer Problemstellung her mein Aufsatz: Kulturverfall und spätmhd. Didaktik, Z. f. d. Ph. 52 (1927), S. 289-330; bes. 309ff.; 314ff. und Vierteljahrsschrift V, 1927, S. 445.
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und bündig, dabei etwas derb, faßt es der Kaufringer im Anschluß an Berthold v. Regensburg zusammen: Ir sûlt die gruntvest stätt machen Vor dem tod, das si nit krachen An dem end in söllicher mass1). Kein neuer Gedanke, keine Beseelung, kein höherer Aufschwung sondern durchschnittliche Äußerung. Einzig beim Teichner etwa spürt man ein persönliches Gefühl. Der Mann hat den Tod und seinen Sinn einmal innerhalb des katholischen Dogmas bitter erlebt. Es ist nicht das dumpfe Sich-Abfinden und Feststellen: dem Tod entgeht keiner, alle müssen sterben, auch die Großen, sondern innere Überlegung, daß ein jeder sich einmal mit diesen letzten Dingen auseinandersetzen muß. Er hat dem Tod ins Auge geschaut und erfüllt als einziger in diesem Zeitraum die alten Erlebnisformen auch mit neuem Gehalt. In ihm spürt man wahrhaft ethische Gesinnung: Leid und Trübsal sind willkommen, damit man Herr über sie werde, denn nur wer den Leib bezwingt, kommt in das Himmelreich. Aber selbst bei so eigenwilligen Persönlichkeiten wie Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein klingt der stumpfe Ton an. Und ganz platt sagt es Muskatblut am Anfang des 15. Jahrhunderts in einer herkömmlichen, belanglosen Art, nichts Gewisseres gäbe es als den Tod, man solle sich vorsehen und für das Seelenheil sorgen, irdisches Gut sei vergänglich. Das ist gerade so unpersönlich wie die spitzfindigen Spekulationen der Meistersinger über den Tod2). Geistliche, überlieferungsgemäße Weltdeutung herrscht hier, wenn Suchenwirt z. B. sich zum Satz aufschwingt, !) B o n e r ed. Pfeiffer, Leipzig 1844, S. 86, Z. 69ff.; ähnlich Nr. 87, S. 164; S. 27. — S u c h e n w i r t ed. A. Primisser, Wien 1828, S. 103, 142. - K a u f r i n g e r ed. Euling, Lit. Ver. 182, Nr. 16, V. 623ff.; 728ff. 2 ) M u s c a t b l u t ed. Groote, Köln 1852, Nr. 84, 85; Nr. 57, 58; auch Kolmarer Handschrift ed. Bartsch, Lit. Ver. 68, Nr. 87 ; außerdem S. 24, 47, 57. — F o l z , Meisterlieder DT. 12, S. 96; W a c k e r n a g e l II, Nr. 426 (Regenbogen), Nr. 531 (Suchensinn; bei E. P f l u g , Suchensinn nicht erwähnt). Dann der langweilige Meistergesang vom Tode bei Goedeke, Deutsche Dichtung im Mittelalter, Dresden 1871s, S. 263ff. mit einer ausführlichen historischen und sagenkundlichen Todesparadigmatik, die Bur d a c h im Kom. S. 265 beleuchtet; vgl. K a r l a. a. O. S. 268ff. ; 276.
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der Mensch sei schnöde Asche, oder wenn Vintler am Beginn des 15. Jahrhunderts in seinem Lehrgedicht, den Blumen der Tugend, dem bürgerlichen Gegenstück zu dem höfisch-ritterlichen Sittenkodex des Thomasin, auch nichts anderes zu sagen weiß, daß nichts Gewisseres sei als die Zeit des Todes und nichts Ungewisseres als die Zeit der Seligkeit1). Folgt hier Vintler allerdings seiner Quelle, der italienischen „Fiore di virtu", so gewinnt es dann tiefere Bedeutung, wenn er in dem Abschnitt von der Hoff art unabhängig Verse von der Vergänglichkeit alles Irdischen einfügt, von der großen Schnödigkeit des Menschen spricht und Papst Innozenz und Augustin anführt, die beide den Gedanken des „contemptus mundi" am eindringlichsten gestaltet hatten. Solchen Zusatz hält der österreichische Dichter für nötig; und man sollte meinen, der nordische Mensch um 1400 hätte tiefer, vielleicht auch unbewußter die Nichtigkeit der Welt empfunden, als der südliche um 1300 — denn aus dieser Zeit stammt die italienische Schrift des Thomaso Leoni —, er hätte sich noch mehr als sündiges Glied der „massa perditionis" im Sinne Augustine gefühlt. Selbst noch bei Sebastian Brant, der doch schon an der Schwelle zur neuen Zeit steht, findet man die Betrachtung : was hat es für einen Sinn sich ein prächtiges Begräbnis zu richten, das nütze doch nichts. „Mors peccatorum pessima." Was Brant in seinem „Narrenschiff", das kurz vor Torschluß noch einmal die ganze Summe mittelalterlicher Spruchweisheit und Welterfahrung zusammenfaßt, im 85. Abschnitt „Nit fursehen den dot" zu bringen hat, bietet zwar auch nichts Neues, aber Brant sagt das Alte wenigstens in neuer Art, scharf, bündig und verständig, mit einer wahren, aufrichtigen Sittlichkeit und dem Willen, allen zu geben und zu lehren, daß sie nicht Zeitliches für Ewiges achten. Betrogen werden wir, daß wir nicht beizeiten um den Tod sorgen, der doch unser nicht schont; wir wissen ihn, aber nicht seine Stunde : darum soll man sich auf den Tod rüsten. Allen lehrt der Tod den „dotsprung", „das eyn ussdringt kalt, grym, un weiss." „Dar umb eyn dor ist, wer all tag flücht, dem er nit entrynnen mag ») Vintler ed. J. Z i n g e r l e , Innsbruck 1874, V. 2000ff.; V. 4412: „es ist anöde ze fürhten den tot, wan ze sterben, oder chain ander n o t . "
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und meynt, wann er syn schellen schütt das jnn der dott dar umb säh nitt" 1 ). Denn keiner — das ist ein neuer Gedanke — fährt zu früh dahin, wo er ewiglich sein muß, und vielen ist der Tod auch ein Befreier aus dem Kerker und Führer in das „fremde Land" gewesen. Anders als das Glück, macht der Tod alles gleich, er ist der einzige Richter, der alle Dinge nach ihrem Wert belohnt; noch keiner hat ihm den Gehorsam verweigert, alle müssen sie auf seine Fahrt und nach seinem Reihen tanzen, Papst, Kaiser, König — hier spürt man den Einfluß der Totentanzgedichte. Gerade bei Brant kann man sehen, wie noch am Ausgang des 15. Jahrhunderts völlig der mittelalterliche Symbolismus herrscht, wie alle Welt- und Lebensfragen vom religiösen Standpunkt, von der Sorge um das Seelenheil aus beurteilt werden. Durchaus also fügt sich Brants Todesspekulation in den kirchlichen Rahmen ein; eine Todeserfahrung ohne den kirchlichen Hintergrund und ohne die übermäßig starke und einseitige Betonung des Materiell-Vergänglichen liegt ganz außer dem Bereich des Vorstellbaren oder auch nur Erwünschten. Es ruht trotz aller tiefen Erschütterung etwas Unpersönliches in dem ganzen Verhältnis dieser Zeit zum Tod. Deutlich sieht man das schon am Äußeren, an der Bezeichnung des Todes : das Hochmittelalter umschrieb ihn noch, legte ihm Attribute bei, jetzt begnügt man sich einfach damit, ihn den „Tot" und „herr dot" zu nennen. Es ist, als ob scheue Zurückhaltung daran hindre, den mächtigen „Herren Tod" näher zu betrachten. Irgendein Streben nach Individualisierung macht sich nicht geltend, selbst nicht in den Totentänzen : gerade an ihnen kann man sehen, *) Brant, Narrenschiff ed. Z a r n c k e , Leipzig 1864 Nr. 85 (Tod); außerdem Nr. 26, 29, 43, 47, 60, 64, 66, 83, 86ff., 92, 94 (Schluß), 99, 106. — Über lateinische Gedichte Brants vgl. Zarncke S. 153ff. „De peliculoso scacorum ludo." Es ist die beliebte bildliche Vorstellung vom Tode als Schachspieler, die z. B. auch bei Hermann v. Fritzlar (Pfeiffer I, 164), in den Gesta Romanorum Cap. 166 und der Pilger fahrt des träumenden Mönches auftaucht (DT. 25 V. 13415). Vgl. darüber W a c k e r n a g e l , Schriften I, S. 107—127; bes. S. 119, 126. (Schachspiel im Mittelalter.) — Zarncke S. 187 Nr. 59: Brants Gedicht von 1498: Materialis hominis tumultuariique militis ad mortem contemnentis iactatio; dazu P. W e b e r , Beiträge zu Dürers Weltanschauung, Straßburg 1900, S. 37ff.
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wie der Tod der Zeit als immer der Gleiche erscheint, als Typus, als Symbol, und auch darin tritt das Unpersönliche, Uberpersönliche hervor, daß die einzelnen, die in den Todesreihen gezwungen werden, zunächst, im oberdeutschen Totentanztext, keine Zwiesprache mit ihm halten, daß sie aneinander vorbeireden, als wäre der Tod ihnen innerlich fremd, als scheuten sie ihn anzureden. Wirklich fehlen dann auch in einem prosaischen niederdeutschen Totentanztext überhaupt die Antwortreden der einzelnen Menschen : nur der Tod redet, er herrscht allein, unerbittlich, gleichsam ohne Widerrede. Selbst wo es zu einem scheinbar wirklich erregten Zwiegespräch kommt, wie in den niederdeutschen Totentänzen, etwa dem Lübecker von 1 4 6 3 i s t es doch nur gesteigerter, dramatisch-bewegter Monolog mit der Klage um frühes Sterben; auch hier fehlt die Hinordnung und Bezugnahme auf ein wirklich innerliches Verhältnis zum Tode als dem Räuber des Lebens. Nicht daß er Räuber des Lebens ist, scheint hier das Wichtige, sondern Räuber des Seelenheils; nicht das Diesseitige, sondern das Jenseitige kümmert am stärksten. Nur sehr vereinzelt begegnet man einer Stimme, die sich gegen das grausame Geschick aufbäumt, die dem Tode Kampf ansagt in dem Sinn, wie es der Ackermann aus Böhmen bereits um 1400 getan hat; höchstens daß man in einigen Totentänzen um Aufschub zu bitten wagt, so im Lübecker oder in dem von Nikiaus Manuel; aber es ist nicht Auflehnung, sondern ein Sichbescheiden und Dareinergeben. Nur wieder eine niederdeutsche Streitrede zwischen dem Tod und dem Leben gestaltet wirklich eindringlich das Sträuben des Lebens gegen den Anspruch des Todes ; hier ist etwas wie Kampfansage, wenigstens in den ersten Wechselreden, die dann freilich im weiteren Verlauf zur Unterwerfung und Bindung führen, nicht aus der großen freien Gesinnung heraus, die ihr Schicksal zu ihrer Tat macht, sondern aus der Angst um das Seelenheil, aus kirch*) Der lateinische und rekonstruierte deutsche Totentanztext bei F e h s e , Z. f. d. Ph. 40, S. 90ff.; der niederdeutsche von 1463 bei W. S t a m m l e r , Mittelniederdeutsches Lesebuch, Hamburg 1921, S. 119—127 und S. 146f.; den erweiterten Lübecker Totentanz, der 1489 und 1496 gedruckt wurde, in 1686 Versen gab H. B a e t c k e im Lit. Ver. 127 heraus. — Der prosaische Totentanz aus dem Anfang des 16. Jhd. Nd. Jahrbuch 28, S. 2 6 - 3 1 ; im Jahrbuch 21, l l l f f . ein Totentanz von 1487.
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lichem Antrieb. Verschiedene mittelalterliche Streitgespräche zwischen Tod und Leben, die zumeist auf den alten „Dialogus mortis cum homine" zurückgehen, bieten hier das gleiche, geistesgeschichtlich typische Schauspiel1). Allerdings kann man, wie in diesem Streitgedicht, so im Allgemeinen insofern von einer Individualisierung in den Totentänzen sprechen, als nun überhaupt seit 1400 zum erstenmal der Todesgedanke nach Ausdruck sucht, nicht nur im Wort wie bisher, sondern noch eindringlicher im Bild. Bild und Wort gehen eng zusammen. Der spätmittelalterliche Drang zur Verbildlichung, zur sinnenhaften Gestaltung der Lebensmächte und der Erlebnisse schafft hier unablässig und verbindet sich mit dem realistischen Stil des Denkens und Sehens vor allem des 15. Jahrhunderts. Es ist, nur noch gesteigerter als im Mittelalter und mit neuer Darstellungsfreudigkeit, ein religiöser Realismus, der auch im Ubernatürlichen das Natürlich-Faßbare sehen will, der an Wunder und Visionen glaubt, und so auch an die zum Ubersinnlichen in Beziehung gesetzte wirkliche Gestalt des Todes. Zunächst als ein Reigen der Toten mit den Lebenden gedacht, wandelt sich der Totentanz allmählich in einen Tanz des Todes mit den Menschen, — freilich bezeichnenderweise erst in der Renaissance —, indem gleichsam aus der Masse der Toten d e r Tod als zusammenfassende mythische Gestalt emporwächst2). Aber auch hier hebt Nikiaus Manuel ed. B ä c h t o l d , 1878, S. 1 — 20; Dialogue créât, ed. Grösse, Lit. Ver. 148, Nr. 122; S. 277ff.; der nd. Text bei Stammler a. a. O. S. 116—118; weiter der oft abgeschriebene Dialogus Polycarpi cum morte (elm. 15181); über ihn z. B. P. J o a c h i m s e n , Hist. Viert. 1920-21, S. 461—462 und W a l t h e r a. a. O. S. 80ff. — Außerdem H. J a n t z e n , Geschichte des deutschen Streitgedichts im Mittelalter 1896, S. 13ff.; 66ff.; 60ff. W a c k e r n a g e l , Kirchenlied II, Nr. 426. Das „priamel vom tode", eine Rede zwischen Mensch und Tod bei G o e d e k e a. a. O. S. 976—977. *) Auf die Frage der Herkunft und Entwicklung kann hier nicht näher eingegangen werden. Έβ sei dafür verwiesen auf die jüngsten grundlegenden und zusammenfassenden Darstellungen von W. S t a m m l e r , Die Totentänze des Mittelalters, München 1922 und von G. B u c h h e i t , Der Totentanz, Leipzig 1926, die die gesamte Literatur verzeichnen. Dazu H u i z i n g a a. a. O. Kap. 11: Das Bild des Todes S. 181 — 198, E. B r e e d e , Studien zu den lat. u. deutschen Totentanztexten des 13.—15. Jhd. Masch. Dies. Greifewald 1925 u. D ö r i n g - H i r s c h a. a. O. S. 63ff.
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die Anlage die Möglichkeit individuellen Verhaltens gleich wieder auf: nicht nur durch die äußere Gliederung, die zunächst allein den zu einem Typus verdichteten Vertreter jeglichen Standes bietet, vom Kaiser bis zum Bettler hinab — meistens sind es 24 Personen —, sondern mehr noch durch den im Ganzen lebenden Gedanken, daß vor dem Tod alle gleich sind, und so der Mensch schließlich nur noch als Mensch dasteht, nicht einmal mehr als Vertreter seines Standes. Aus dieser engen Körperschaft wird der Mensch herausgehoben und in die allumfassende der Menschheit hineingestellt. Jeder muß in des Todes Reihen treten trotz seiner Macht und seines Ansehens in der Welt. Dieser demokratische Zug des Todes und die dadurch bedingte demokratische Tendenz der Totentänze ist dann die soziologische Seite des Problems, die viel zu der ungeheuren Verbreitung und Anziehungskraft der Totentänze über das Religiös-Katechetische hinaus im Spätmittelalter mit seinen sozialen Aufregungen und Umschichtungen beigetragen hat. Von dieser außerreligiösen Bedeutsamkeit abgesehen, erlebt letzlich den Tod ein jeder gleich, weil es um das Gleiche geht, um das Zukünftige, das Seelenheil (nicht so sehr um das Leben). Das Mittelalter sieht (und konnte nicht anders) immer das Typische, Repräsentative und darum Einfache und Große. Seine Gebundenheit des Denkens und Erlebens ruft hier im Totentanz gewaltige, erhabene und durchschlagende Wirkungen hervor. Diese eintönige Gleichförmigkeit des Erlebnisses spiegelt sich wider in der Eintönigkeit der Verse, als ob dadurch das Gleichmachen des Todes auch klanglich herausgehoben werden sollte. Das Spätmittelalter offenbart wie nie wieder die Gleichheit aller Menschen vor dem Tode. Trotz allem, die Abstumpfung des Toderlebens greift immer weiter um sich, und es ist wie eine Ironie, daß besonders die Totentänze mit ihrem ständigen Memento mori und das geistliche Schauspiel, gerade das letzte im Zustand seiner allmählichen Verweltlichung um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts, diesem Umschwung Vorschub leisten. Aber „die ungebrochene Wucht der Objektivität, mit der den Menschen jener Zeit das Heilige gegenüberstand, machte es möglich, daß sie dieses profanierten, ohne es zu entweihen" 1 ). Das gilt auch von der zunächst als unirdisch *) R. G ü n t h e r , Das Martyrium des Einsiedlers von Mainz, Mainz 1925, S. 45; auch H u i z i n g a S. 205, 215f.
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empfundenen Gestalt des Todes ; man biedert sich mit ihm an, zieht seine Gestalt ins Menschliche, ins Bürgerliche, ja ins Lächerliche hinab und nimmt ihm schließlich doch nichts von seiner wuchtenden weltrichterlichen Bedeutung. Man schaut ihn sich näher an, treibt seinen Spott mit ihm wie mit dem Teufel und verbirgt dahinter doch seine Furcht. Es ist Galgenhumor, nicht das freie Lachen eines todüberwindenden Geschlechts. Schon in der Kolmarer Meistersingerhandschrift wird der Tod schlechtweg als Biedermann angeredet, und in den geistlichen Schauspielen sinkt er allmählich noch stärker als in den Totentänzen, freilich nur äußerlich. Auch der Tod unterliegt eben der langsamen Säkularisierung des mittelalterlichen Symbolismus, der allgemeinen Umwandlung zum Realismus, dem Trieb nach Anschauung auch des Unwirklichen, Überwirklichen. „Dieses Jahrhundert hatte in der Tat Himmel und Hölle irdisch gemacht : es lebte aus den Kräften beider, um sich zu überstehen." (Rilke)2). Tritt nun der Tod im Juttenspiel oder im Alsfelder Passionsspiel, übrigens zum erstenmal, auf die Bühne, so wendet er sich immer ans Publikum: wie im Totentanz, in den Streitgedichten oder im Spiegelbuch zeigt er sich als der Allgewaltige, Rücksichtslose, Unerbittliche; fast wie roher Hohn klingen seine Verse und er führt sich auf wie einer, der weiß, daß ihm doch niemand etwas anhaben kann. Er ist ein Großsprecher, der auf sein Recht pocht, protzig und breitspurig; gemein und grob, geschäftsmäßig wie ein Henker will er sein Werk tun und mit der Keule die Menschen erschlagen. Oft mutet er wie eine Figur aus den Fastnachtsspielen an 2 ). Das ausgehende Mittelalter ist derb und roh geworden und l
) Ges. Werke V, 258. — Allgemein H. Schrade, Über Symbol und Realismus in der Spätgotik, Vierteljahrsschrift V (1927) S. 78—105. s ) Schernbergs Spiel ed. S c h r ö d e r 1911, V. 911ff., V. l l l l f f . ; Alsielder Passionsspiel ed. F r o n i n g (Kürschner 14) V. 2115—2224; 2295ff. ; auch V. 616—620; 815. Quelle ist das Friedberger Fronleichnamspiel und weiter französische und englische Dramen, die den Tod auf der Bühne schon kannten: E. W. Z i m m e r m a n n , Das Alsfelder Passionsspiel. Diss. Göttingen 1909 S. 59f. und H. L e g b a n d , Die Alsfelder Dirigierrolle, Diss. Göttingen 1904, S. 53f. ; zu diesem Kreis E m i l Dreger, Über die dem Menschen feindlichen allegorischen Figuren auf der Moralitätenbühne Frankreichs, Dies. Göttingen 1904, S. 8ff., 17, 19, 25, 35f„ 64, 68ff. - Im F r e i b u r g e r P a s s i o n s s p i e l wird das Jüngste Gericht durch den Tod eröffnet:
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dabei doch kleinlich und verzwickt, duckerhaft, unfrei und ohne jeden Schwung, ohne Monumentalität auch in der Todesdarstellung : die Totentanzbilder erweisen das. Man muß die gleichzeitige deutsche Kunst, besonders die spätgotische oberdeutsche Malerei betrachten; hier hat man das Geschlecht im Bild: wie roh die Passion, wie niedrig gegriffen der Heiland. Erst eine neue Generation schreitet hinauf zu Menschen- und Passionsdarstellungen, die von einem neuen Gefühl für menschliche Würde und Größe, von freier und aufrechter Haltung beseelt sind. Es ist, als ob man in eine ganz andere Welt trete, so hat sich der seelische Zustand gewandelt. Immer noch steht der Tod als die endrichterliche Gewalt und als strafender Vollstrecker da und muß sein reines, metaphysisches Gesicht noch verhüllen ; seine ursprünglich ganz undogmatische Erscheinung ist völlig in die Banden des Dogmas geschlagen, und den strafrichterlichen Charakter erlebt diese Zeit noch stärker als die vorausgehende. Ein gewaltiges memento mori verkörpern Reim und Bild. Der moralisch abschreckende Gehalt und der kirchliche Charakter sind gar nicht zu verkennen ; die beiden Ermahnungen des Priesters am Anfang und Ende des Totentanzes sprechen es ja noch überdies aus. Zur ständigen Betrachtung des Todes, zur Einkehr und Buße will man führen; man predigt die sichere Allgewalt des Todes, seine Gerechtigkeit, die Vergänglichkeit des Irdischen und die Verweslichkeit. Denn man sieht ja nur die äußere Seite des Todes, die irdische, man will das Rohstoffliche, wie der Tod den Leib zerstört. Im „Spiegelbuch", einem moralischen Traktat aus dem 15. Jahrhundert, der in engem Zusammenhang mit der Art der Totentänze steht und die Bekehrung eines Sünders erzählt, spricht die Leiche einer schönen Jungfrau im Grabe und beschreibt genau ihr äußeres, schaudererregendes Aussehen, wie ein Glied nach dem andern in E. Martin, Ztschr. d. Gesellschaft zur Beförderung der Geschichte von Freiburg III (1873) S. 1 - 2 0 6 ; V. 2221-2232. — Z e r b s t e r P r o c e s s i o n : Ζ. f. d. Α. II, S. 295. Nach R e u s c h e l , Die deutschen Weltgerichtsspiele 1908, S. 145 hätte die Zunft der Gerber den Tod mit der Sense dargestellt. — Zum Ganzen nun auch D ö r i n g - H i r s c h a. a. O. S. 91 — 98; dort S. 93 Anm. 169 über die vier Todesgestalten im Neumarkter Passionsspiel : Mors optima für Christus, mors bona für den guten Schacher, mors mala für den unbußfertigen und mors pessima für Judas.
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Verwesung übergeht und menschliche Schönheit schwindet; auch hier dann die Mahnung : So wie ich werdet ihr alle. Das entspricht mittelalterlicher Anschauung mit ihrer Sucht nach dem Grellen und Aufreizenden und mit dem Willen zum Einfachen und Plastischen. Nur von dieser materiellsten Seite her gewinnt das Mittelalter überhaupt den Zugang zum Tode, nur unter solchem Gesichtswinkel vermag es zu sehen: das hat seinen tieferen Grund darin, weil das Volk immer mehr am Irdischen hängt und hier am meisten getroffen wird. Das Verständnis für Höheres und Zarteres, auch für die himmlische Seite des Todes fehlt, und ebenso jedes Gefühl für Übergänge: man kennt nur das Eine oder das Andere. Der Mensch sieht sich selbst im Toten, es erschüttert ihn, und aus den Gedichten und Bildern geht ihm die Erkenntnis auf, die schon Freidank geformt hatte: „daz ir da sît, daz wären wir, daz wir nu sin, daz werdet ir". Die Wandgemälde auf den Friedhöfen, die Vado - mori - Verse, aber vor allem in Wort und Bild der ganze weitverbreitete Legendenkreis von den drei Lebenden und den drei Toten sind Ausdruck solcher Vergänglichkeitsgesinnung und ebenso etwa die unheimlich realistische, aufwühlende, plastische, moralisch-predigthafte Vanitasgruppe aus dem 15. Jahrhundert in Wien, die ein junges blühendes Paar mit einer alten welken Frau, dazu noch als Akte, zusammenstellt1). Das war überall nur die irdische Todesseite: auch die Mystik sah diese, auch sie fühlte den Schauder und Schrecken, das Stoffliche im Todes- und Vergänglichkeitsbegriff; bei Seuse konnte man es sehen und Hermann von Fritzlar spricht vom Leib, der ein irdischer, böser Sack sei, Kot, Staub, Asche und Mist; alles müssen wir im Tode nackt und bloß zurücklassen, und nur ein Leichentuch bleibt 2 ) Aber dies Vergänglichkeitsgefühl wird nicht Quelle eines Weltpessimismus, sondern einer Weltverachtung, die in Todesliebe und Todüberwindung eingeht. Denn die Mystik !) Spiegelbuch ed. Rieger, Germania 16, S. 173 — 211; bes. S. 191ff.; hier tritt auch der Tod auf, seine Allmacht und Unerbittlichkeit betonend. — Vado-mori-Gedichte in Z. f. d. Ph. 42, S. 277ff. u. S. 426ff. — K ü n s t l e , Legende von den drei Lebenden und Toten, Freiburg 1908, S. 36ff.; dazu die Diss, von W. S t o r c k , Heidelberg 1910, S. 2 3 - 3 2 und Rep. f. K. 33, 493ff. — Die Wiener Vanitasgruppe behandelt J. v. S c h l o s s e r , Vanitas, Wien 1922. 2 ) Deutsche Mystiker ed. Pfeiffer I, 157.
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drang doch noch tiefer, sie erlebte auch die andere, die himmlische Seite des Todes und sah in ihm, wie schon Bernhard von Clairvaux, „exitus vitae, introitus melioris." Die Scheidung von Leib und Seele im fleischlichen Tode ist „nur ein suzzer durchgank zu dem ewigen leben von diesem werltlichen tode." Mystische Seeleneinstellung und Weltbetrachtung, mystische Gottschau vor allem will den Tod und die letzten Dinge nicht als Problem, sondern sie e r l e b t ihn, weil sie ihn im Tode Christi erleben will. Dahin geht ja das inbrünstige Streben— man denke an Seuse und Thomas a Kempis und später an Ignatius —, die Passion Christi sich bildhaft und leibhaft zu vergegenwärtigen und sich darein zu versenken, Christi Passio in der „compassio" nachzufühlen, mitzuJeiden, zunächst geistig, dann auch körperlich im Sinne der Askese, weil man Gottes Willen ganz zu dem seinen zu machen sucht. Und die lateinische Hymnendichtung eines Thomas von Celano und Jacopone da Todi ruft es auch im „Stabat mater": „fac ut portem Christi mortem, passionis fac consortem et piagas recolere". Christi Todesqualen am Kreuz, seinen Tod will die Mystik miterleben — „ferreus est qui non compatitur" ruft schon der Archipoeta — und dann seinen Todessieg und den Aufstieg zur himmlischen Seligkeit. Verinnerlichung des religiösen Lebens, Steigerung der passiven, religiösen Kraft und des Andachtgefühls ergänzen sich darin gegenseitig 1 ). Aber Mystik gestaltet nicht das Erlebnis, wie es das weltliche Todesempfinden in den Totentänzen tut, Mystik vergegenständlicht nicht den Tod, sondern ist stets mitten in ihm. Sie erlebt ihn tief, ganz, ungebrochen, sie *) Wie solches Mit-Leiden der Passion auch die bildende Kunst befruchtet und wie umgekehrt in der Betrachtung der Passion sich solche mystische Verinnerlichung bildet, entwickelt am deutschen Vesperbild ausgezeichnet W. P a s s a r g e , Das deutsche Vesperbild im Mittelalter, Köln 1924, S. Iii.·, 12ff. Vgl. auch L. Z o e p f l , Die Mystikerin Marg. Ebner, Leipzig 1914, S. 56ff. (Die Renaissance des Leidens Christi). — B a r t s c h , Die Erlösung a. a. O. S. 225—236 ; S. 235. G. Z a p p e r t , Über den Ausdruck geistigen Schmerzes im Mittelalter, Denkschriften d. Wiener Akademie, Phil.-Hist. Klasse, V, 1854, S. 7 3 - 1 3 6 ; S. 88f. (Marienklage S. 128ff.). Archipoeta ed. M a n i t i u s , München 1913, S. 19. — Auch die Passionsspiele wollen ja zum Mit-Leiden der Passion führen: deutlich ist das ausgesprochen im Alsfelder Spiel ed. F r o n i n g V. öff. Dazu jetzt W. S c h ü r m e y e r , Hieronymus Bosch, München 1923, S. 40ff. und H u i z i n g a S. 256ff.
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drängt sich in ihn hinein, an ihn heran, sucht ihn zu umfassen und nicht zu bekämpfen und kommt so zu jener Gefühlshaltung die dazu führt, „daz du nit allein one forht stast, mer daz du sin (des Todes) ouch beitest mit ganzer begirde dines herzen." Seuse schreibt im 6. Brief seines Briefbüchleins „ D e r es reht hinterdenket, so mag des menschen geburt in die eilend weit wol heißen ein tod von der not und erbeit, du im bereit ist, so mag aber der liplich tod wol heißen ein nuwú geburt von dez sweren libes abval, von dem frien ingang in die ewigen selikeit." In einer wundervollen Predigt des St. Georgener Predigers wird von „vierhande geburt" des Menschen gesprochen, von der leiblichen Geburt, der Taufe, der Reue und vom Tode. „ D i l Vierde geburt daz ist des säligen mentschen tot. dú geburt ist wunneklich und vrôlich und gar sicherlich, dú geburt hât ôch dri wunnenklich gesellen, der erst geselle daz ist Schönheit der sâlgen sele ane u n f l ä t i g k e i t . . . der ander geselle ist ewigú rûwe an a r b a i t . . . der drit geselle daz ist iemer wunneklichú vrôde ân trurkait . . . nu vrôwe dich, edlú sele, daz du wider bist komen zû dem von dem du geflossen b i s t ! " So wird aus der erstrebten Vernichtung, der mortificatio, im wahrsten Sinne die deificatio, die Gottwerdung. Dann ist der Tod das Leben und„min sterben sterket sich zu leben". In einer Predigt des „paradisus animae intelligentis", die Meister Ekkehart zugeschrieben wird, heißt es, derTod sei zwar bitterlich und sauer für den Sünder, „aber gudin ludin ist he gar frolich und suze, wan he inist nicht dan ein ubervart von deme tode zu demelebine.. - 1 )" Die Mystik gibt den Worten Augustine und anderer, daß erst mit dem Tode das Leben beginne, wieder einen tieferen jenseitigen Sinn, sie strebt schon zu Lebzeiten nach der inneren mortificatio und dem geistigen Tod : „ 0 wie gar edel und wie gar teuer ist sulcher tod, darinnen die leute anheben zu leben e denne sie sterben." Es ist mors mystica, jenes Ertötet- und Vernichtetwerden in Gott, von dem Ekkehart sagt: „ d a stirbet der geist alsterbende in dem wunder der gotheit 2 )." Seuse a. a. O. 379; Georgener Prediger a. a. O. Nr. 25, S. 63. — Paradisus ed. S t r a u c h , DT. 30, Nr. 16, S. 41; ebd. S. 87. η Pfeiffer II, 517; vgl. 425, 519, 536, 648 u. Fr. J o s t e s , Meister Eckhart und seine Jünger, Freiburg 1895, S. 93ff., 97. Dazu auch G r e t e L ü e r s , Die Sprache d. deutschen Mystik, München 1926, S. 88, 227, 265f. — D ö r i n g - H i r s c h a. a. O. S. 49ff.
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Die Mystik fühlt innerlich im leiblichen Tode die Stunde der Geburt und weiß, daß sich erst im Tode das geistliche Leben erfüllt. Das ist in dieser jähen Betonung neu und als Ausdruck eines ganz anderen Gefühls zu werten. Auch das Hochmittelalter sah im Tode vor allem den Ubergang, die Uberfahrt, den Durchgang und die Pforte zum ewigen Leben; aber eine mystische Gottbetrachtung, die die unitio und deificatio als den Sinn ihres Strebens betrachtet, mußte natürlich den Tod als völlige Vernichtung noch fieberhafter und erregter ersehnen und erleben. Solcher geistigen gottsuchenden Haltung und Seelenstimmung mußte dann der Todestag als „minnenclicher tag" und der Tod als Freund, als Bruder erscheinen, als ein seliger Erretter und Führer, als Erlöser der Seele aus ihrem Grab, dem engen „jemerlichen kerker". Das Todesgefühl geht ganz in dem Gottgefühl auf und hat nichts mehr Schreckliches. Todesverlangen ist hier nicht der qualvollleidenschaftliche Ruf nach dem Erlöser Tod, den die schmerzenreiche Gottesmutter, den toten Sohn auf dem Schoß, in der Marienklage ausstößt, Todessehnsucht ist hier nur Ausbruch eines Verlangens, in der Gottheit aufzugehen und abzusterben; Todessehnsucht, nicht um des Todes willen, sondern um dessen, was dahinter liegt und nur als höchstes Glück und tiefste Seligkeit geahnt wird: die unitio. So heißt es im Tößer Nonnenbuch von der Beli von Sure, der großen Minnerin, ihr Leben sei ein Streben und Sehnen gewesen „nach dem ainigen gût, das ir do die begirlich stund, in der sy mit im veraint solt werden, gewandlet wurdi in ain froid". Hier also erscheint der Tod als Krönung des gottförmigen Lebens, das sich bemüht, alle weltlichen Regungen im Sinne der mortificatio abzulegen: „wir sint der weit tot und sint verworfen und versmähet von allen den, die die weit, minnent". Wohl zum erstenmal in der deutschen Literatur drängt solche mystische Todesliebe in einem mittelhochdeutschen Gedicht aus der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert, in einem Lobgesang auf den Tod hervor. „Gotes lop hât maneges ruof, daz er den tôt ie geschuof. der tôt kan froude geben I der tôt sselget unser leben 1 . . . Swer sich der wârheit wol verstêt.
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der verstêt sich wol, daz uns der tôt ein lceser ist von maniger nôt . . . nu sullen wir got immer loben, daz er geschuof den lieben tôt und die milte im gebôt, daz er bœse und guot emphsehet und deheinen lîp versmsehet. Er kan liep von liebe scheiden, sô scheidet er ouch die leiden 1 )." Was hier keusch und fast zaghaft sich vernehmen läßt, was später wieder in Johann von Jenzensteins um 1392 verfaßten „Libellus de bono mortis", anknüpfend an des Ambrosius gleichnamige Schrift, in die Fesseln dogmatisch-asketischer Betrachtung geschlagen ist, bricht dann mit der hinreißenden Wucht des bildlich bewegten und sich wiederholend-abwandelnden Ausdrucks und mit innig stürmischer Empfindung wahrhaft überraschend hervor in einigen, sich zum Schluß hin steigernden Abschnitten des ganz von mystisch-jenseitigem Geiste erfüllten Lebens des heiligen Hieronymus, das Johann von Neumarkt aus einer aus dem 13. Jahrhundert stammenden Vorlage zwischen 1371 und 1375 ins Deutsche übertragen hat: ein drängendes Gebet an den Tod, den „vreidigen, vil suzzen", des „ewigen lebens pforte", nicht zu säumen, eine immer inständiger werdende Bitte, der aus dem ganzen 14. und 15. Jahrhundert nichts Ebenbürtiges zur Seite zu setzen ist, eine fiebernde Erwartung des „liebsten Tages", der aus der Hinfälligkeit des irdischen in die Sicherheit des ewigen Lebens geleitet und dem sterbenden Leben, der Ritterschaft und dem Pilgrimsstand ein Ende bereitet. Hoch schlagen hier die Wellen der mystischen Todesempfindung, der Todesliebe und Todessehnsucht um des ewigen und des wahrhaften Lebens, um der unitio willen: „ 0 du frolicher suzzer tod ! o wie er irret, der dich tod nennet : wann !) Z. f. d. Ph. 4, 316ff. ; V. 69ff. Vgl. Baudouin, Migne 204, Sp. 513, 515: mors-dilectio. — Die vorhergehenden Stellen : Tösaer Nonnenbuch ed. Vetter DT. 6, S. 42, 37 ff. u. Georgener Prediger a. a. O. Nr. 54, S. 214, Z. 7. Grab als Kerker: Seuse a. a. O. S. 379; „ergastulum" bei D ö r i n g - H i r s c h S. 32. — Marienklage: bei Mone a. a. O. I, S. 228; dazu Α. Ε. S c h ö n b a c h , Über die Marienklagen, Graz 1874, S. 3: Nr. VII. V i l i , X ; Planctus ante nescia S. 6f.: Nr. VII, VIII; S. 58f. mhd. Text.
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du gibest das ewige leben allen goteskindern ! . . . Kum, mein libe swester, mein libe freundinne, zeige mir meinen herren, zeige mir, den üb hat meine sele, zeige mir sein himelische wonunge . . . buzzer tod, mein einige ere, reich mir dein hant, zeuch mich nach dir, mein hertze ist bereit nach dir zu laufen in suzzikeit . . . Sich auf mich, suzzer tod . . . ledige mir mein sei aus gefenknusse dises leibes . . . Tod, übe swester, durch deine hant enphahe wir die frucht unser guten werk und mit deiner hilfe derkenne wir den gütlichen Ion, des wir hoffen . . . du bist swartz und dobei wol gestalt ; du bist schone und grozzer zirde ; sam honikseim smecket mir dein rede ; du bist zu vorchten und mag nimant widersten deinen kreften. Freudenreicher tod, hertzenlibe swester, furder dichl wes harrest d u ? . . . hilf mir das ich kume zu meinem herren und das ich sein antlitz frolich ansehen schulle in ewiclichen freuden . . . laz dich suiches suftzens meines gevangnusse erbarmen 1 . . . hilf mir in den heilsamen Weingarten meines herren . . . fure mich aus vinsternusse und schaten des todes in leben des ewigen lichtes ! zutrenne meine bant ! brich meine vessel 1 erleuchte meine blindikeitl enthalte meine krankeitl Erbarme dich, tod, libe swester, über mich eilenden weisen, der in lande und in schaten des todes sitzet ; laz mich f urbas mer nicht entslaff en in der sunden tod" 1 ). Eine tiefe innere religiöse Verwandtschaft verbindet dieses Todesempfinden etwa mit jenem Erleben des Todes, das dem heiligen Franziskus von Assissi zuteil wurde. Er, der alles in der 1
) A n t o n B e n e d i c t , Das Leben des hl. Hieronymus in der Übersetzung des Bischofs Johannes VII. von Olmütz, Prag 1880, bes. Kap. 67 — 70; S. 6 2 - 6 6 ; außerdem Kap. 16, 17, 18, 19, 37, 40, 41, 43, 59, 64, 65, 66, 79, 80, 92, 93, 110, 116, 117. Daß der Tod hier als „swester" angeredet wird, erklärt sich natürlich aus dem lat. mors. Sonst ist der Tod in Deutschland wörtlich und bildlich immer der Mann. Wenn D ö r i n g - H i r s c h a. a. O. S. 101 behauptet, in der auf französischer Vorlage beruhenden Pilgerfahrt des träumenden Mönches (DT. 25) sei der Tod als Weib mit der Sense vorgestellt, so beruht das auf Verwechslung ; die von ihm angeführten Stellen beziehen sich auf die Personifikation der Krankheit (V. 13768ff.). Tod als Weib nur bei Geiler, der hier unter dem Einfluß Gersons steht ; vgl. R o e d e r v . Diersburg, Komik u. Humor bei Geiler, Berlin 1921, S. 17, 46f. Über den „Libellus de bono mortis" vgl. G. V i e l h a b e r in d. Festschrift d. V. f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen, Prag 1902, S. 159-165.
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Natur, Menschen und Tiere als seine Bruder und Schwestern mit rührend inniger und doch so großer, heiter-fröhlicher Liebe umfing, er konnte den Tod nicht anders als „Bruder Tod" nennen, denn nicht darum allein liebte er ihn, weil er ihm ein Ende seines Lebens auf Erden bereitete, sondern mehr noch, weil auch der Tod in sein mystisches und heiligendes Allgefühl eingeschlossen war, auch er eine Schickung, eine Gabe Gottes und darum heilig gleich der ganzen Natur. Wie Franziskus in mystischer Hochzeit sich der edlen Frau, der Armut verband, so auch dem Tode, diesen beiden, von denen Dante gerade mit bezug auf Franziskus im Paradiese sagt, ihnen tue sonst des Wohlgefallens Pforte niemand auf (11,59). In dem hinreißend herrlichen Gebet, dem „cantico del sole" — „laudes creaturarum" heißt es auch — dankt er dem allmächtigen Schöpfer und lobt ihn samt allen seinen Kindern, der Schwester Sonne, dem Bruder Mond und dem Bruder Wind, dem Bruder Wasser und Feuer, der Mutter Erde; und zuletzt nun schwingt sich ein Lobgesang hinauf: „Gelobt seist Du mein Herr, durch unseren Bruder, den leiblichen Tod, und kein lebendiger Mensch entgeht ihm. Wehe denen, die in Todsünden sterben! Doch selig, wen du hältst in deinem heil'gen Willen. Ihm tut der zweite Tod kein Leides I" Für den Tod dankt er und durch den Tod wird der Herr gelobt. Und als er starb, da forderte er alle Geschöpfe, auch den Tod, auf, Gott zu preisen und rief : „Willkommen sei mein Bruder Tod 1 )!" Nicht umsonst ertönen die vielen innigen Bitten um ein seliges, gutes Ende, nicht umsonst sammelt Caesarius von Heisterbach die zahlreichen Berichte über das gottwohlgefällige Ende frommer Menschen, nicht umsonst schließen die vielen kurzen Lebensbeschreibungen mystischer Nonnen, wie sie vor allem die Nonnenbücher von Töß, von Engelthal und Katharinenthal und manche andere enthalten, mit dem immer wiederkehrenden Satz: ihnen ') H. T h o d e , Franciscus v. Assisi, Berlin 19042, s. S. 47, S. 58 eine Übertragung ; die obige nach K. V o ß l e r , Diegöttl. Komödie II, 1, Heidelberg 1908, S. 709ff.; Das „per" ist wohl zu übertragen mit „durch"; vgl. Thode S. 58 Anm. 2. Vgl. auch H. Sehr ade, Archiv f. Kulturgeschichte 17 (1927), S. 161.
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sei ein seliges, heiliges, ein schönes Ende, ein sanfter Tod zuteil geworden; manche vernahmen süßes Saitenspiel und himmlische Harmonien, und Ádelhaid von Igelstadt sagte, als sie starb: „Ich lig reht als in einem kulen taw 1 )." Solch mystisches Todempfinden beseelt auch Dante, wenn er seine Beatrice im Paradiso mit fast gleichen Worten sprechen läßt : „Wer sich beklagt, daß man hier muß sterben Um droben fortzuleben, der hat dort nicht Des ew'gen Taues Kühlung noch empfunden." Und gerade Beatrice ist es ja, die Dante schon in der vita nuova zu einem Gefühl emporläutert, das ihn den Tod fast als Freund empfinden läßt, der die Geliebte befriedet. „Io sono in pace." Als eine Ruheselige sieht er sie im Tod, als Verklärte, die Leben und Tod überwunden hat. So enthüllt sich ihm der Tod als Ubergang und Eingang, dessen Schrecken man überwinden kann, als göttliches Gnadengeschenk und die Todesstunde als Stunde des guten Schmerzes, die Gott uns neu vermählt 2 ). Todesliebe aber drängt schon in der Mystik ganz zum metaphorischen Gedanken des Liebestodes, des „sterben von minnen"; er ist in die geistliche Minnelyrik aus der weltlichen hinübergenommen und wird die Vergeistlichung jener Vorstellung der Minne als der „vil suëssen senften töterinne", von der Heinrich von Morungen spricht und die seit alters in der Minnelyrik auftaucht. Bei Mechtild von Magdeburg begegnet man dieser innerlich ergriffenen Metapher und oft gerade bei den mystisch gestimmten Nonnen, denen dann mitunter jene Metapher aus der rein geistigen Sphäre in die sinnlich körperliche überzustürmen droht. Und noch ein anderes ist zu erwähnen, was in die mystische und weltliche Todesvorstellung Einblick gewährt, jene anmutige und schöne Vorstellung, daß Christus mit seiner Braut, mit der gläubigen Seele, für die er den „Liebestod" stirbt, unter geistlichem Schalmeienklang den Reigen zur ewigen Seligkeit trete, vor allem deutlich in dem mittelhochdeutschen Gedicht von Christus 1
) Von der gnaden überlast ed. Schroer, Lit. Ver. 108, S. 18, Ζ. 20f. — Vgl. Caesarius a. a. O. lib. X I und bei K l a p p e r a. a. O. S. 468 im Register die vielen Stellen über seligen Tod. 2 ) Inferno 23, 79; 23, 76; 31, 129; s. H. H a t z f e l d , Dante und Tasso als religiöse Epiker, Deutsche Vierteljahrsschrift I (1923), S. 230 — 246; S. 236 u n d E . R o s e n t h a l , Giotto, Augsburg 1924, S. 154f.
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und der minnenden Seele. Schon die Mystik selbst uberträgt in der geistlichen Lyrik leise dies Bild auf den Tod, der die Christen zum Reigen zwingt und ihnen aufspielt und sie zum Grabe führt; auch hier wird der Tod zum Vortänzer 1 ). Übernimmt nun die weltliche Vorstellung das Bild, so verwischen sich bald die zarten Züge, der Sinn wandelt sich und der Gedanke bekommt etwas Dämonisches und Höhnisches. Aber in dieser ganzen lebhaften mystischen Toddurchdringung liegt schon zugleich ein Hinauswachsen über den Tod und seine Uberwindung beschlossen. Denn dem Mystiker ist dauernde Todesfurcht fremd : in Gott wird ja alles zu Leben, auch der Tod. Der Kreuzesbaum, an dem Christus hing, ist der Lebensbaum, das „lignum vitae" : in den Anblick dieses lebenden Baumes und Astes versenkt sich die mystische Seele, und sie konnte es auch im tatsächlichen Sinne : denn seit der Mitte des 13. Jahrhunderts taucht diese Gabelkreuzdarstellung in der bildenden Kunst auf und erweist als Andachtsbild die enge Verwandtschaft mit der mystischen Gesinnung, die durch Bonaventuras weitverbreiteten „Tractatus qui lignum vitae dicitur" aufs nachhaltigste beeinflußt wurde2). Hier schließt sich das Gefühl der Todüberwindung ganz ins Bildlich-Sinnliche ein. Meister Ekkehart, der eigentliche Philosoph unter den Mystikern, geht dagegen ganz ins Bilderlos-Geistige, wenn er vom siegenden Leben spricht. Es müsse ein gar kräftiges Leben sein, in dem tote Dinge lebendig werden, in dem selbst der Tod zum Leben wird . . . „Gote dem stirbet niht : allu ding werden lebende in im . . ." 8 ) Tauler, in *) Liebestod: s. L ü e r s a. a. O. S. 78 und 26öf. Nickel a. a. O. S. 14. — Tanz: Lüers S. 267 und S t a m m l e r a. a. O. 227; P. O. B a n z , Christus u. die minnende Seele, 1908, S. 64, 92, 98—100; A. O p p e l , Das Hohe Lied Salomonis und die deutsche religiöse Liebeslyrik, Berlin 1911, S. 34ff. 2 ) Vgl. darüber neben L ü e r s a. a. O. S. 94ff. die zusammenfassende Darstellung von J. B a u m , Gotische Bildwerke Schwabens, Augsburg 1921, S. 6 1 - 7 2 . bes. S. 66ff. und Fr. X. K r a u s , Geschichte d. christl. Kunst II, 1 (1897) S. 278ff. S. Seuse, Bihlmeyer S. 207ff., Mechtild S. 73. — Abbildungen: W i t t e , Z. f. christl. Kunst 1911, S. 260 (1304), 1921, S. 25 (von Anfang d. 14. Jhd.), ein andres um 1350 bei B e i t z a. a. O. Tafel 6, S. 103; B a u m a. a. O. Tafel 66 (um 1360), E. W i e s e , Cicerone 1922, S. 32ff. 3 ) P f e i f f e r ; II, 263 und bes. 602 eines tôdes sterben in minne und in bekanntnisse, der tôt ist edeler und werder denne alliu diu guoten were . . . diu selben dienent alleine disem tôde, wan in disem
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seiner Predigt von den dreierlei Geburten, schreibt das tiefe Wort : „Darumbe sint alle uzgenge umb die widergenge." Der Mensch geht aus und geht in Wahrheit in sich zu seinem Ursprung zurück, wie es Gott auch tut. Und so ist der Tod, kann man sagen, für die Mystik ein Ausgang, der nur geschieht um des Eingangs willen, er ist in Wirklichkeit Rückkehr zum ewigen Leben. Schwierig bleibt es, das, was man entsprechend dem Lebensgefühl Todesgefühl nennen möchte, klar zu bestimmen, besonders schwierig in einer Zeitspanne, der die geistesgeschichtliche Einheit an sich eigentlich fehlt. Im Zusammenhalt mit der vorausgehenden Epoche des Hochmittelalters erscheint diese Uneinheitlichkeit doppelt stark. Während die Mystik besonders dem 14. Jahrhundert in gewisser Art einen Stempel aufdrückt, verwischt sich im 15. Jahrhundert diese mystische Prägung allmählich. Nicht, daß die allgemein kirchlich-religiöse Stimmung fehle; im Gegenteil, sie wird der Mystik gegenüber sozusagen handgreiflicher und gröber, kompakter, aber die schon im 14. Jahrhundert vorhandene, freilich mehr noch untergründige Spannung zwischen Diesseits und Jenseits bricht deutlicher hervor und bringt nun etwas Zwiespältiges in das geistige Gesicht der Zeit. Spannung ist der eigentliche Charakter der weltlichen und religiösen Lebensäußerungen dieser Jahrhunderte. Und so unterscheidet sich denn auch das laienhaft weltliche Todesgefühl tief von dem der Mystik, das zwar als ein nicht hinwegzudenkendes geistiges Fluidum der ganzen Zeit erscheint, aber für die stärker sich ausprägende weltliche Haltung doch im letzten unverbindlich bleibt : denn es wächst aus der ureigensten persönlichen religiösen Erfahrung hervor, die den Tod als Gabe nimmt. Dazu ist die weltliche Haltung nicht fähig, aber sie hat auch nicht wie das Hochmittelalter die Kraft, den ethisch-verpflichtenden Charakter des Todes zu erkennen und ihn als Aufgabe zu fassen. Die Stellung ist unausgeglichen. Das Bewußtsein der Vergänglichkeit lebt in jenen Geschlechtern nachhaltiger denn sonst, aber es wird nun im Gegensatz zum mystischen Vergänglichkeitsempfinden die Quelle eines tiefen Pessimismus, einer „düsteren Grundstimmung". „Gegen Ende des Mittelalters ist der Grundton tôde entspringet daz ewige leben". Buch der göttl. Tröstung ed. S t r a u c h S. 16; Bede der Unterscheidung ed. D i e d e r i c h s . S. 39. — T a u l e r DT. 11, S. 9; vgl. S. 59, 314. — D ö r i n g - H i r s c h S. 49ff.
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des Lebens der bitterer Schwermut . . . Das 15. Jahrhundert ist eine Zeit starker Depression und gründlichen Pessimismus 1 )." Und dies um so stärker, als diese Zeit gegenüber den früheren Jahrhunderten ein tieferes und volleres Hineinschreiten und Hineinleben in die Welt bringt und eine Verschiebung von der ausschließlich theozentrisch und theonom geordneten Jenseitszielung zu einer mehr diesseits gerichteten Lebenshaltung bedeutet. Ein langsames Abbröckeln von der Einheit der mittelalterlichen Ordo, ein anderes Verhältnis zur Welt und zur Natur macht sich geltend. Die Menschen stehen jetzt fester und unbedingter auf dem Boden, sie sind weltverbundener2). Aber auch die soziale Verlagerung des Schwergewichtspunktes vom Ritterlich-Höfischen zum Bürgerlich-Städtischen und die allmähliche Herausbildung kapitalistischer Wirtschaftsformen innerhalb eines zu Reichtum und Wohlstand gelangenden Stadtbürgertums spielen hier mit und beeinflussen den Todesgedanken in einer Art, die dem Hochmittelalter noch wesentlich fremd war. Je heftiger und gieriger man sich ans Leben und an den Gütererwerb hängt, um so mehr steigt die Furcht vor dem Tode und den letzten Dingen, gerade auch beim Vertreter des Standes, der in der Hauptsache Träger der neuen Entwicklung ist, beim Kaufmann; er sieht sich immer noch innerlich gezwungen, den alten Vorwurf wucherischen Gebahrens, der im Hochmittelalter seine Tätigkeit kurzerhand traf, abzuwehren, er glaubt durch die ganze Art seiner Lebensführung und seines Lebenserwerbs, der völlig im Diesseitigen haftet, doppelt sein Seelenheil bedroht und ist außerdem noch durch die Unsicherheit der Lebensführung auf weiten Reisen besonders stark der Gefahr des jähen Todes ausgesetzt 3 ). Das laut anschwellende „memento mori", das allentJ
) H u i z i n g a a. a. O. S. 35, 37, 353, 438. ) Von der kunsthistorischen Seite her behandelt dies in auagezeichneten Ausführungen A. S t a n g e , Deutsche Kunst um 1400, München 1923, S. 62 — 93; bes. S. 73ff. — Den seelischen Wandel von der Spätgotik zum 16. Jahrhundert entwickelt fein A. O r i e n t e r , Der seelische Ausdruck in-der altdeutschen Malerei, München 1921; auch S c h m i t z , Deutsche Malerei, Burgers Handbuch III, 579ff. *) Darüber nun aufschlußreich D ö r i n g - H i r s c h a. a. O. S. Iff. „Materielle Grundlagen und seelische Voraussetzungen'wo gerade diese soziologischen Momente glücklich und ergänzend herausgearbeitet sind. 2
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halben in diesem Zeitraum zu spüren ist, darf nicht einseitig gedeutet werden : es ist nicht nur der Widerhall des großen Sterbens, sondern mindestens ebenso stark die selbstverständliche Gegenbewegung von kirchlicher Seite gegen die neue, ungehemmte Weltzugewandtheit. Die Totentänze lassen sich ja ganz unzweideutig aus geistlich gesinnten Kreisen herleiten und die. geistlichen Lieder, die Passionsspiele entspringen dem gleichen Gedanken. Sie sind der moralisierenden Haltung eines Heinrich von Melk in entscheidenden Zügen verwandt. Das Äußere der Welt wird stärker erlebt, so wird auch der Tod grausamer empfunden, und die Klagen um den Trug der Welt und die Bitternis des Todes, in denen sich schon die hochmittelalterlichen Spruchdichter ergingen, erhalten jetzt vertiefte Bedeutung : bei manchen ist noch ein ritterliches Element darin, und bezeichnend genug ertönen nun gerade bei den Nachfahren höfischen Rittertums, bei Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein, die beide um die Jahrhundertwende leben, solche Klagen wieder. (Selbst noch im Vergänglichkeitsgedanken des ritterbürtigen Seuse tönt diese ritterliche Stimmung nach.) Durch ihr Leben geht ein Riß, ein innerseelischer Bruch, und darum läutern sie sich in ihrer Dichtung niemals zu einer Harmonie empor. Wie entgilt die schnöde wandelbare Welt so schlecht dem, der sein ganzes Leben in ihren Dienst stellt: ein gläsernes Haus heißt sie Hugo, eitel, schwach, untreu nennt sie Oswald. Alt geworden und von schweren Schicksalsschlägen enttäuscht wenden sie nun ihren Blick reuig ins Jenseits und ergeben sich in das Unabänderliche; denn was bleibt ihnen als Gläubigen noch anderes als die göttliche Gnade und das Verdammen der Welt, das schon der Teichner angeraten hatte? Aus solcher Weltmüdigkeit fließt ihr Todesgefühl und die späte Einsicht, die Hugo so formt : es ist nichts anders daran, denn sterben, denn wir wohnen auf einer „wilden Heid". Ihn ängstigt, daß er um sein Sterben weiß, aber nicht um die Stunde; das ist der Weisheit letzter Schluß, einen anderen findet auch Oswald von Wolkenstein nicht. Ihn freilich peinigt mehr noch die Angst vor dem ewigen Tod und die Furcht vor der Verdammnis als Lohn für sein so ganz der Welt gelebtes Leben. An Frauenlob und Heinrich von Mügeln zurück aber erinnern die Verse, die vom Bewußtsein eines geradezu persönlichen Verfolgtseins durch den
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Tod erfüllt sind. Alles verliert an Bedeutung gegenüber dem Gedanken des Todes, „der mich nicht wil begeben, wo ich in der weit hin ker, und stelt mir nach dem leben, sein gieng mir nahent ser . . . guet frid ist im zerunnen, gar snell wait sein gevert, wär ich im niht entrunnen, er het mich lang v e r z e r t . . . noch hab ich kainen prief, das er mich sichern welle zeit, weil, minut noch quint; und ist mein zergeselle, got waiss, wie er mich vint 1 )". Die Spannung des Lebens im allgemeinen und besonders die zwischen Leben und Tod wächst gegenüber dem Hochmittel alter ins fast Unerträgliche. Dort herrschte die transzendente Hinordnung noch ungebrochen, jetzt, wo der Mensch selbständiger wird, verschärft sich der Gegensatz, wenn der jenseitige Wille so mit Macht ins Leben hineinbricht, wie im Tod und den Todesepidemien, die von der Volksseele und der Priesterschaft sofort als göttliche Strafe für freiere, gottlose Haltung empfunden werden und die dann durch Bittprozessionen und jene Greißlerfahrten gesühnt werden sollen. Der Gegensatz zwischen Höllenpein und ewiger Seligkeit wird in seiner ganzen Spannungsweite erlebt (und in der naiven Lust an solchen äußersten Gegensätzen auch ausgemalt), der Mensch wird hin- und hergerissen, er ist ohne jede seelische Ausgeglichenheit und im Verneinen seiner selbst stärker als im Bejahen ; dadurch erhält er etwas Unfreies gegenüber Welt und Gott, er fühlt sich unsicher— nicht umsonst wird gerade ») H u g o v. M o n t f o r t ed. Bartech (lit. Ver. 143, S. 36, 47, 108, 131, 162, 182, 194ff.; S. 149ff. Traum im Beinhaus. — O s w a l d ed. J . Schatz, Göttingen 1904», S. 220, 256ff.; 261, 301. - Se use a. a. O. S. 240 und auf seiner bekannten Zeichnung von Ausgang und Rückkehr der Kreatur zu Gott (abgebildet bei J . Bernhart, Die philosophische Mystik des Mittelaltere, München 1922, Titelbild und S. 242f.), das tanzende ritterliche Liebespaar, dem der Tod mit der Sense droht. — Brinkmann a. a. O. S. 173f.
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jetzt das Bild vom Lebens- und Glücksrad, das mitunter auch der Tod dreht1), so allgemein—, und er wird tiefer hineingeschoben in eine verängstete Gottesfurcht und in einen leidenschaftlichen Bußernst; die Menschen sind erschreckt, ihre aufbrechende Weltfreude wird erdrückt durch das Gefühl, aller Orten vom Bösen bedrängt zu sein; überall sehen sie Teufelswerk, das ihr Seelenheil mit Höllenstrafen bedroht. Nie wieder hat der Teufel im Volksleben eine solch große Rolle neben dem Tod gespielt. Der Mensch vermag nicht aus eigener Kraft zu denken und zu leben, überhaupt zum Heil zu gelangen, er braucht mehr denn sonst ein religiöses Hilfssystem, das ihn für alle Fälle des Lebens versichert und ihm Schutz angedeihen läßt. Der Heiligenkult ist das Zeichen solcher Seelenhaltung. Die Herrschaft der Kirche wächst an, weil sie dem Bedürfnis der verängstigten Seelen mit Mitteln entgegenkommt, weil sie überhaupt nun in den spätmittelalterlichen Städten ganz anders als früher die Massen der Gläubigen erreichen und diese durch die erst unter solchen Umständen gewaltig einsetzende seelsorgerische Tätigkeit der hauptsächlich von Bettelmönchen errichteten Stadtklöster beeinflussen und mit Bußmahnungen und Predigten einschüchtern und lenken konnte2). Und gerade in diesem Zusammenhang, in der Sorge um das Seelenheil, gegenüber dem Fegfeuer und dem größten aller Schrecken, dem Tode, bedarf es besonders ausgedehnter Anstrengungen und Sicherungen durch Gelübde, Stiftungen, Pfründen und vor allem durch Totenmessen, die vorab eine nie versiegende Geldquelle der Kirche und der Priester gerade in dieser Zeit wurden. Gegen den schimpflichen und räuberischen Mißbrauch, der damit hartherzig und wucherisch „Vom Papst und seiner Priesterschaft" getrieben wurde, richtete dann 1523 Nikiaus Manuel eine seiner schneidend scharfen und kühnen Reformationssatiren, „Die Totenfresser". — Zu Maria, der Gottesmutter, steigt die angstvoll klagende Bitte auf, sie möge in der letzten Stunde beistehen und ein unchristliches, unbußfertiges Ende abwenden, und auch Gott selbst fleht die Seele um Beistand und Bewahrung vor Hölle und A. D o r e n , Fortuna in Mittelalter und Renaissance. Vorträge der Bibliothek Warburg II (1924) S. 7 1 - 1 4 4 ; Tafel V Abb. 15, dazu Anm. 142. — Dort auch die weitere Literatur, besonders Weinhold und Wackernagel. s ) D ö r i n g - H i r s c h a. a. O. S. 14 und 40ff.
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jähem Tod an. „Gott, der Vater wohn' uns bei, so wir wollen sterben, mach uns von allen Sünden frei und laß uns nicht verderben." Oder „In Gottes Namen fahren wir" 1 ). Der Heiligenkult nimmt nun einen Umfang an, wie ihn das Hochmittelalter noch nicht kannte: er bedeutet eine weitere Bindung des Todesgedankens durch die Kirche, aber auch eine Veräußerlichung und Verdinglichung der Religion. St. Katharina, St. Ursula und St. Clara sind die Heiligen des „seligen Sterbens", und Christopherus wird der Heilige, der vor jähem Tode schützt. Dieser Kult verbreitete sich dann in der Folgezeit so sehr, daß Erasmus ζ. B. 1502 im „Enchiridion" gegen diesen Christophorusaberglauben zu Felde zog und auf die Gedankenlosigkeit und Hohlheit, in die diese Verehrung ausartete, hinwies. Schließlich laufe die Bitte um Bewahrung vor bösem Tod nur darauf hinaus, so lange wie möglich sündigen zu dürfen 2 ). Aber es gibt auch noch eine andere, zunächst innerlichere Art, sich gegen den Tod zu wehren. Weil er so plötzlich kommt, hat der Mensch das Bedürfnis nach bußfertiger Vorbereitung und den Wunsch, immer gerüstet zu sein. Schon Thomas a Kempis hatte in seiner seit 1424 in !) W a c k e r n a g e l I I , Nr. 682, 684, 1036, 1038, 1052, 1159, 1161, 1174; dann Nr. 227, 1292, 129ßff.; vgl. auch D ö r i n g - H i r s c h S. 55 bis 62 über das geistliche Lied. — Über die realen Sicherungen, Testamente etc. vgl. D ö r i n g - H i r s c h a. a. O. S. 12ff.; 27ff.; 32; Huizinga S. 220ff. — N i k i a u s M a n u e l , Die Totenfresser ed. F. Vetter, Leipzig 1923. *) Wer Tag um Tag den Christophorusbildern seine Verehrung bezeige, glaube, vor einem bösen Tod bewahrt zu sein. „ D u betest, daß der Tod dich nicht vorzeitig treffe, und bittest nicht viel mehr Gott, daß er dir bessere Gesinnung verleihe, damit der Tod, wo er auch immer an dich herantrete, dich nicht unvorbereitet finde. Du denkst nicht daran, deinen Lebenswandel zu ändern, und verlangst von Gott, daß er dich nicht sterben lasse. Was verlangst du demnach? Doch nur, daß du so lange wie möglich sündigen darfst." Nach E. B e i t z , Christopherus und d. christl. Ritter, Düsseldorf 1922, S. 20f. Ebenda auch der Hinweis auf die Stelle im „Lob der Narrheit" von dem beseligenden, aber törichten Aberglauben jener drolligen Käuze, die glaubten, sie seien an dem Tage vor dem Tode sicher, an dem sie ein Christophorusbild gesehen hätten. — Vgl. auch D ö r i n g - H i r s c h S. 12, Anm. 55, H u i z i n g a S. 228 und V. C. H a b i c h t , Maria. Oldenburg 1926, S. 28 treffend über den lamentativen Ton und die gleichförmigen Betteleien für das eigene Wohl und die eigene Seligkeit, „Kleinleuteton einer gedrückten Bürgerlichkeit".
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vielen Handschriften verbreiteten Erbauungsschrift „De imitatione Christi" im 23. Kapitel des I. Buches vom Sterben gelehrt und den selig gepriesen, der die Stunde des Todes immer vor Augen habe und sich täglich zum Sterben rüste. Man sucht das Sterben zu lernen: bezeichnenderweise treten erst seit dem 15. Jahrhundert in der populär-theologischen Literatur jene Sterbebüchlein auf, die auf eine 1408 verfaßte Schrift von Gerson zurückgehen und bald mit primitiven Holzschnitten geschmückt sind. Es ist geistesgeschichtlich bedeutsam, daß gerade die „Ars moriendi", die „Kunst fromm zu sterben", neben Totentanz, Apokalypse und Armenbibel zu den frühesten Druckerzeugnissen, den „Blockbüchern", gehört, wie denn überhaupt „die Bücher, deren Inhalt sich auf Tod, Sterben, Jenseits und die Vorbereitung darauf beziehen', einen großen Platz unter den Druckwerken des ausgehenden Mittelalters einnehmen." 1 ) Schon um 1460 wird zu Köln Johann Niders „Dispositorium moriendi" gedruckt, und von 1470 bis 1520, also bis zur Zeit der Reformation gewinnen dann diese Büchlein ihre weiteste Verbreitung. Durch Wort und Bild wollen sie die „ars moriendi" lehren und mit seelsorgerischer Hilfe zu einem willigen, guten, gottseligen Tod bringen, zur Überwindung der Versuchungen. Und wirklich ist es jetzt mehr denn je nötig, das Sterben zu lernen, wenn man an die fünf schweren Anfechtungen denkt, die in Gestalt von Teufeln den Menschen auf seinem Sterbelager hart bedrängen : es sind Unglaube, Verzweiflung über die eigenen Sünden, Ungeduld, Anhänglichkeit an die irdischen Güter und eitles Selbstbewußsein, die sich das Spätmittelalter ausgedacht hat und die nun den Sterbenden um sein Seelenheil betrügen wollen. Ein hartnäckiger Kampf wird von Teufeln und Engeln um die Seele ausgefochten, in dem schließlich die 1
) D ö r i n g - H i r s c h S. 42; Are-moriendi-Literatur ebd. S. 60—55. J. S c h a i r e r , Das religiöse Volksleben am Ausgang des Mittelaltere, Leipzig 1914 S. 98f. Außerdem F. F a l k , Die deutschen Sterbebüchlein, Köln 1890; Gereon S. 16ff.; Geiler S. löff.; Seuse 30ff.; Eyb. 64ff. aus dem Sittenspiegel (Ehebüchlein ed. H e r r m a n n S. 79ff., wo Petrarca, Cicero, Innocenz als Zeugen der Verg&nglichkeitsklage zitiert werden; S. 82). — W. H u t t i e r , Ars moriendi, Augsburg 1878 und H a s a c k , Der christl. Glaube d. deutschen Volkes am Schlüsse des Mittelalters, Regensburg 1868, S. 19, 158, 180, 201, 205ff., 367ff., 412, 465. Schon früher bei C a e s a r i u s die Erzählungen: Dial. X I , 5, 8, 10, 30 u. ö. B e i t z , a. a. O. S. 53.
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Engel den Sieg davontragen : sie führen nach dem „gut selig christenlich end" des Menschen die Seele zum Himmel. Auch die Mystik wollte den seligen Tod — das 21. Kapitel von Seuses Büchlein der ewigen Weisheit wird ja seit 1483 geradezu als Sterbebüchlein benutzt —, aber aus der Kraft ihres inneren Gottstrebens heraus, in der Liebe zu Christus, nicht durch priesterliche Hilfe wie jetzt. Dort war es ein inneres Reifwerden zum Tode, hier soll durch äußere Einwirkung dieser innere Vorgang erzielt werden. Dort ist der Tod der Freund, hier der Feind, der nur mit fremder Hilfe vertrieben werden kann. Die Sterbebüchlein erweisen das gesteigerte, aber unsicher gewordene kirchliche Gefühl am Jahrhundertende und auch das Unpersönliche und Unselbständige im Verhältnis zum Jenseits und zum Tode. Luther wollte, daß ein jeder allein sei im Tode und für sich stehe ; das war die Forderung eine neuen Zeit mit anderem Ethos und Pathos des Todesgefühls. Ein größerer Unterschied läßt sich gar nicht denken. Das Todesgefühl des ausgehenden Mittelalters ist nicht ethisch und verpflichtend wie früher, es ist wie sein Weltgefühl kreatürlicher und verzagter. Der Tod erscheint als ein Fremdes, Außenstehendes, Unverbundenes, mit dem man erst im letzten Augenblick zusammentrifft. Die Totentänze versinnbildlichen dies Hinaustreten des Todes aus dem Menschen: der Tod steht neben seinem Opfer. Die Immanenz des Todes im Leben und die tiefe Einsicht, daß das Wissen um den Tod das Leben erst erhöhe, fehlt diesem Zeitalter trotz allem „media in vita". Die Zeit hat über allem Vergänglichkeitsjammer und aller tiefen Bedrücktheit völlig das Bewußtsein verloren, daß der Tod nicht nur das Ende der Lebensfreude sei, sondern auch Eingang in das Jenseits; pur die erbarmungslose Allgewalt fühlt man, und diese verkörpern ja die Totentänze besonders eindrucksvoll. Nirgends kann man deutlicher die Gesinnung der Zeit erkennen, als etwa in den Reden, die der Tod im Streitgespräch des Johann von Saaz führt; er verkörpert geradezu symbolisch den spätmittelalterlichen Todesgedanken, der in der traurigen Überzeugung gipfelt, das Leben sei um des Sterbens willen. Und ein ähnlich düsteres Bild entwirft Petrarca in seinem „Secretum", wo er Augustinus reden läßt, den Vater des mittelalterlichen Todesgedankens, der mönchisch von Tod und Sterben spricht und realistisch den Verwesungsprozeß schildert ; auch hier ist der Weis-
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heit letzter Schluß : „tota philosophorum vita commentatio mortis est". Es gibt eine lateinische Erzählung, die freilich schon aus der Zeit des Caesarius von Heisterbach stammt, die jedoch später immer wieder berichtet und in den Gesta Romanorum aber auch als Predigtmärlein bewahrt wird. Sie beleuchtet erschütternd die düstere Stimmung dieser Jahrhunderte : denn sie erzählt von einem König, der nie lachte, weil er den Tod so fürchtete. Das quälte seine Umgebung, und als man ihn nach dem Grund frug, antwortete er mit dem furchtbaren Bilde : er lache nie, weil vier Lanzen gegen seinen Körper gerichtet seien, die ihn durchbohren würden, äußerte er ein Zeichen der Freude. Die erste Lanze sei das bittere Leiden Christi, die andere sei der Gedanke an den Tod, der die Seele vom Leib trenne, die dritte Lanze sei die Ungewißheit der Todesstunde und die Angst vor dem plötzlichen Tod, dem Tod in Sünden, und die habe ihm alle irdische Freude genommen, die vierte Lanze endlich sei die Furcht vor dem jüngsten Gericht 1 ). Uberall herrscht die irdische, allein rohstoffliche Todesseite, nur Bilder von Verwesung, Vergänglichkeit und Verdammnis verbindet die aufgeregte und nach grellen Eindrücken gierige Phantasie dieser Jahrhunderte mit dem Begriff des Todes 2 ). Zu einer Todesüberwindung in der Gesamtheit wie das Hochmittelalter im weltlichen und die Mystik im geistlichen Sinne, kämpft sich die Zeit nicht durch. Man rafft sich nicht auf aus der Bedrückung und nimmt nicht trotzig den Kampf mit dem Tode auf. Man leidet am Tod, aber besiegt ihn nicht, man dringt nicht über den Tod hinaus, sondern bleibt an ihm haften, anders als etwa der Mystiker Seuse, der wohl weiß, ,daz nieman den tod mag uberwinden ane ser', der ihn aber überwindet im Vertrauen auf 1
) Petrarca, Opp. Basil. 1554, I, 373—416; in „de remediia utriusque fortunae" ein Kapitel über den Tod; ebd. S. 232 — 254. — Die Erzählung bei J. K l a p p e r , Erzählungen des Mittelalters, Breslau 1914, Nr. 172, S. 363—365; dort auch die Nachweise: Caesarius, LibriVIII mirac.II, Nr. 41; G e s t a R o m a n o r u m ed. OesterleyNr. 143. Dazu: Als Predigtmärlein bei P f e i f f e r , Germania 3, Nr. 21, S. 425ff. Vgl. außerdem bei Klapper Nr. 11 (unvorgesehener Tod), 67, 181, 185 De filio principis. Vgl. auch T e i c h n e r , Karajan a. a. O. S. 117 Α. 64, 65. 2 ) S. auch Kolmar Hs. S. 417 „swaz leben ûf erden ie gewan, des hât der tôt grûslîch an sich gewant". Auch das Priamel vom Tode bei Goedeke a. a. O. S. 9 7 6 - 9 7 7 .
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die Barmherzigkeit und die Sühne durch Christi Wunden, die die Kraft verleihen, „daz du den tod dest bast mugest verahten". Man weiß sich noch nicht frei zu machen von der Angst vor den vier letzten Dingen und dem Jenseits, dessen Schrecken Lied, Drama, Predigt und Traktat immer wieder der aufgeregten, in Schuldund Sündenbewußtsein sich quälenden Menge durch Bild und Wort heilspädagogisch vergegenwärtigt 1 ). Die Ausmalung der Jenseitsfreuden trat dahinter verhältnismäßig stark zurück, vielleicht auch schon darum, weil sie schwerer zu geben war als die sehr reale Höllensphäre von Jammer, Elend, Wut, Entsetzen und Gemeinheit. In der Umwelt des Häßlichen und Henkermäßigen weilt ja der spätmittelalterliche Geist mit Vorliebe: Dichtung und bildende Kunst dieser „realitätserschütterten" Zeit sind mit ihrer Wirklichkeitsfreude an solchen Stellen gerade am schlagendsten 2 ). Die Menschen stehen wohl stärker in der Welt und sind darum todfeindlicher, aber diese Spannung gibt ihnen noch nicht die 1 ) Man denke an die immer wieder abgeschriebenen und dann auch gedruckten Teile aus dem „Speculum historíale" des Vincenz von Beauvais, a n den T r a k t a t De quattuor hominum novi sai mis Dionysius' desKarthäuaers, über denHuizinga S. 295ff. u. 354 berichtet, a n die Streitgespräche von Leib und Seele (z. B. Bartsch, Erlösung S. 328f.) und die oft damit verbundenen Jenseitsvisionen, wie die auf französischer Vorlage beruhende „Pilgerfahrt des träumenden Mönches" aus der ersten Hälfte des 15. J h d . (DT. 25; V. 3962 „ d o t ein wildes dier") oder wie die Jeneeitsfahrt des Ritters Tundalus ; eine deutsche Bearbeitung aus der Mitte des 15. J h d . teilt O. M a u ß e r in der Walhalla VI (1910) S. 2 0 0 - 2 6 1 mit. Die Teufels- u n d Höllenbilder des Bosch z. B. sind, wie W. S c h ü r m e y e r , Bosch, München 1923, S. 55f. nachweist, durch die Tundaluslegende beeinflußt. — Über diesen ganzen Vorstellungskreis handelt aufschlußreich H. D o l l m a y r , H. Bosch u n d die Darstellung der vier letzten Dinge in der niederländischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts. J a h r b . d. A. K. 1898, 19, S. 284 bis 343; bes. S. 322ff.; 332f.; 342. Auch D ö r i n g - H i r s c h a . - a . O. S. 9 9 - 1 0 3 . 2 ) Interessant die Unterscheidung bei H u i z i n g a S. 300 über die Möglichkeit der Darstellung des Freudigen und Häßlichen; auch O r i e n t e r a. a. O. S. 53—72. — Geistliches Lied und die ihm verwandte Mystik mit ihrem Bestreben, das Unsagbare zu sagen, weilen gerne in der Versinnlichung der geistigen Jenseitsfreuden u n d Himmelsvisionen, obwohl auch hier nicht die Verdeutlichung der Jenseitsschrecken fehlt ; es ist die Predigtgewohnheit, die dann in den Mystikertexten durchschlägt.
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Kraft und die sittliche Höhe, wie sie sich das 16. Jahrhundert errungen hatte, den Tod sich nun auch dienstbar zu machen, indem man ihn als Prüfstein nimmt. Wirklich unterdrückt hier der Tod — man sehe seine Reden im Ackermann — jeden Keim freien menschlichen Bewußtseins, und der Ackermann ist der einzige, der mannhaft sein Wesen verteidigt. Das Gefühl von der Würde des Menschen und von seiner Göttlichkeit fehlt der Zeit, weil sich der einzelne noch nicht bewußt als Persönlichkeit fühlt, sondern sich noch ganz mittelalterlich asketisch allein als ein Haufen Erde und Asche empfindet, selbst noch Sebastian Brant. Das Gebot der asketischen Selbstverachtung, also die Forderung und das Ideal einer streng mystischen Gotteshaitung, dann zunächst nur Gebot für Ordensleute und Mönche, wie es etwa das 15. Kapitel im mystischen Traktat „De adhaerendo Dei" des Johannes von Kastl (verfaßt um 1400) vorbildlich für diesen Kreis formt, beansprucht wieder, wie im 11. und 12. Jahrhundert, Allgemeingeltung und hindert die ethische Festigung und Selbständigkeit des Menschen : er kann sich noch nicht von einer gegenweltlichen Ethik lösen. Todes- und Humanitätsgedanke stehen hier nur in einem negativen Verhältnis. Der Mensch ist noch nicht überzeugt von seinem Eigenwert, von seinem Recht auf Leben, das ihm der Tod nehmen will, er kommt nicht los von der bloß materiellen, d. h. asketischen Auffassung der Welt. Uberall stellt sich nur das Unvollkommene der Welt den Augen dar, nicht ihr Göttliches, wie für Dante, der wohl wußte, daß das Irdische vergänglich und das Leben ein Laufen zum Tode sei, der sich aber doch das Bewußtsein des Ewigen in der Welt, im Glauben an Christi Todbesiegung, nicht verdüstern ließ1). Hier aber ist nun wirklich Verdüsterung, die dem Menschen den Ausblick ins Ewige tief umschattet, und nicht das Leben und die Divinità herrschen auf Erden, sondern wirklich der Tod. Trionfo della morte: Petrarca hatte das Symbol gegeben2). Der Tod siegt körperlich: das ist Naturgesetz und göttliche Bestimmung; aber hier siegt er auch geistig. Das große Sterben im 14. Jahrhundert ») Purg. 11, 100; 33, 64; Parad. 16, 59. *) W. W e i s b a c h , Trionfi, Berlin 1919, S. lOff.; 86ff.; 127 u. ö., ders. Rep. f. K. 26 (1903) S. 266—287 : Petrarca und die bildende Kunst, und P r i n c e d ' E s s l i n g et M ü n t z in ihrem großen Tafelwerk: Pétrarque, Paris 1901.
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wird zum Sinnbild noch für das 15. Jahrhundert. Der Mensch fühlt sich nicht als Meister des Todes, wie in der Reformation, sondern als sein Knecht. Das 92. Kapitel der „Gesta Romanorum" handelt von einem armen Menschen ; da steht es : „der mensch ist ein chnecht dez todez, ein gast der stat, ein hin geender wegmann oder läuffei, der mensch haist dez todez hant chnecht wenn er den henden dez todez nicht mag engen . . . waz er tût so eylt er nur zü dem tod und ζύ dem end 1 )". Das ist die Selbstwertung eines Geschlechts, dem — trotz Oster- und Auferstehungsspiel, trotz Predigt und Exempel — ganz der Glaube fehlt, daß Tod durch Leben völlig überwunden werden kann und durch Christus schon überwunden ist, daß Tod nicht nur zerstört, sondern auch zu Leben verwandelt, daß „die Verwesung selbst wieder vergeht und zu Erde und Blume wird 2 ". Im „Schatzbehalter" von 1491 ist ein merkwürdiges Bild zu sehen: Christus umfängt den Tod, eine skelettierte Leiche, deren Leib vorn geöffnet ist, drin kriechen Würmer und Schlangen — die übliche Todesdarstellung. Und der Text sagt dazu, es bedeute, daß Christus die Töedlichkeit an sich hat genommen ; der Tod widert sich und fleucht gleich vor dem Herren, und bedeutet, daß der Tod kein Recht zu ihm gehabt. Der Herr aber hat den Tod darum williglichen an sich gezogen, daß er ihn überwinden und töten wollte3). Dieses Symbol der Todüberwindung bleibt allein in der ganzen Zeit, es deutet schon voraus in jene Jahre nach der Jahrhundertwende, die aus neuer menschlich-sittlicher und religiöser Gesinnung zur geistigen Todbesiegung sich durchrang. Stellt man Hoch- und Spätmittelalter nebeneinander, so sieht man den großen Wandel im Todesgedanken. Es geht ein Bruch durch die Zeit: die Menschen fühlen allmählich dumpf das Neue l
) Gesta Romanorum ed. K e l l e r , Quedlinburg 1841, S. 139; vgl. auch S. 97 mit Zitaten aus Bernhard v. Clairvaux. — In der deutschen Übersetzung von 1489 (Augsburg) ist die Geschichte nicht enthalten. Bei O e s t e r l e y , Gesta Romanorum Kap. 114. — Aus den Geetis vgl. weiter Kap. 8, 31, 56, 67, bes. 97 (De morte, wie man dem ewigen Tod entgeht) u. Kap. 107 De memoria mortis (S. 440 imago est mors), Kap. 128, 129, 166 (Schach), 168, 171. ') H u i z i n g a a . a . O . S. 183. — Fredigt: z. B. L e y s e r a.a.O. S. 134 (freilich 14. Jhd.). Sehr zahlreich die Esempla, die sich auf Christi Opfertod beziehen: Kap. 43, 87, 92, 99, 115, 116, 134, 137, 162. ') Schatzbehalter 1491, Blatt 90b, Figur 45; Text Blatt 91a.
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und werden doch immer wieder in das Alte zurückgetrieben. Es gibt noch kein Persönlichkeitserlebnis in der Gesamtheit. Gott und Welt sind nicht mehr und noch nicht wieder in Einklang gesetzt, und der Tod erscheint nur als Strafe für das stärkere Weltleben: so ziehen sich die Furchen tiefer, und das Dogma vom Tod als Sündensold verhärtet sich zur Grausamkeit. Die dogmatische Fesselung des Todesgedankens enthüllt ihren tieferen Sinn und steht da mit der Gesetzmäßigkeit der historischen Idee. Aber der Totentanz allein hat schon ein Symbol in sich: daß der Tod als ein feindliches Wesen a u ß e r h a l b des Menschen stehe. Nun ist die Möglichkeit des Kampfes gegeben: jene Zeit konnte es noch nicht, sie hatte nicht den seelischen Aufschwung. Aber die Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod mußte kommen; daß sie schon mitten in dieser Zeit geschehen war, wußten die Menschen nicht. Schon um 1400 hatte der Ackermann den Kampf symbolisch aufgenommen. Schon hier war die Vormacht des Todes im Geistesleben erschüttert.
V. K a p i t e l
DER ACKERMANN AUS BÖHMEN „Ir sprechet, wie alle irdisch wesen und leben sullen ende nemen: so sprichet Plato und ander weissagen, das in allen sachen eines zeruttunge des andern geberunge sei und wie alle sache ani nrkunfte sint gebawet." Johann von Saaz
D
as mittelalterliche Lebensgefühl — das war schon aus allem zu ersehen — wurde allmählich durch ein anderes abgelöst; neue Welthaltung und Weltwertung werden vordringend, und der Todesgedanke und mit ihm der Humanitätsgedanke wandeln sich in neue Erlebnisformen. Nirgends erweist sich dieser Ubergang, diese neue religiöse und weltliche Bewußtseinseinstellung auch zu den letzten Dingen sinnbildlicher, eindrucksmächtiger, nirgends läßt sich das Alte und Neue im Wechsel, die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Welt, zwischen Askese und Weltbejahung deutlicher mit Händen greifen als in jenem ganz einzigartigen, überragenden Prosawerk aus dem Osten des deutschen Sprachgebietes, aus Böhmen, in jenem Streitgespräch, das „Der Ackermann aus Böhmen" mit dem Tode hält, der ihm sein Weib jäh geraubt hat. Um 1400 hat es wahrscheinlich Johannes von Saaz geschrieben; er war Notar im Saazer Lande, vielleicht ein gewisser Johann Pflug von Rabenstein, Humanist und Angehöriger des Kreises, der sich um den gelehrten Johann von Neumarkt, den Kanzler Karls IV., sammelte. Dieser hochgebildete und tatkräftige Mann wurde zum Vorkämpfer und Wegbereiter der neuen geistigen, künstlerischen, sittlichen und religiösen Strömungen, die von Italien her nach Norden drangen und in Böhmen eine erste verheißungsvolle Blüte humanistischer Kultur um 1400 hervorbrachten. In sprach- und geistesgeschichtlicher Hinsicht ragt das Streitgedicht des Johannes von Saaz wie ein Markstein an der Wende
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zweier Zeitalter, schon äußerlich— um 1400 verfaßt— steht es an der Schwelle eines neuen Jahrhunderts. Aber es bleibt innerlich und äußerlich einsam und vorläufig ohne ebenbürtige Nachfolge und ohne Verbindung mit dem übrigen deutschen Sprach- und Geistesgebiet, wie der ganze Frühhumanismus in Böhmen selbst, deren herrlichste und edelste Frucht der „Ackermann" ist. Das Werk eilt, wie dieser Frühhumanismus selbst, über weite geistige und zeitliche Strecken hin dem geistigen Vermögen seiner Zeit voraus 1 ); diese war in ihrer Gesamtheit noch nicht reif um den Wandel mitzuempfinden, den hier symbolsetzend eine geistige, räumlich und zeitlich begrenzte Gruppe hellsichtig und zukunftssicher vorerlebt hatte, — erst rund hundert Jahre später, in der Reformation, antworten gleiche Stimmen in Deutschland, wächst ein Geschlecht heran mit einer ähnlichen weltanschaulichen Haltung, die dem Ackermannsdichter im tiefsten sich verwandt fühlt. Dieses Denkmal ist wie ein Vorfeuer, wie ein Bote einer neuen Zeit, weit auf dem Vorposten draußen, vorläufig unbeachtet, kaum gekannt, wenig verstanden. In der Wandlungsgeschichte des Todesgedankens und des Todesbegriffes bildet das Gedicht einen tiefen Einschnitt, und hier vielleicht noch mehr als auf anderen Gebieten enthüllt sich das unerhört Neue und Uberwältigende, Staunenswürdige dieses kleinen Dialoges; es ist die erste Gestaltung des Todesgedankens aus neuzeitlichem Geist heraus, wie es die Totentänze aus mittelalterlichem sind ; mehr noch und über diese hinaus: es ist überhaupt die erste k ü n s t l e r i s c h e 1 ) Die verhältnismäßig starke handschriftliche Verbreitung (14Hss.) und die 17 Drucke innerhalb 125 Jahren sagen nichts dagegen ; die Handschriften stammen zumeist aus humanistischen Kreisen, also aus der gelehrten Oberschicht, die keine tiefere Verbindung mit dem Volk hat, und die frühen Drucke (1461ff., dann hauptsächlich 1474ff.) legen die Vermutung nahe, daß hier ein geistiges Dokument wie so oft nicht in dem Sinne gelesen und verstanden wird, in dem es gedacht ist, daß der innere neue Kern gar nicht in der Allgemeinheit erkannt worden ist. Die starke asketisch-materialistische Tendenz, gerade in den Reden des Todes, mag hier bild verfälschend und akzentverschiebend gewirkt haben. — Für die richtige Wertung des Streitgedichts in humanistischen Kreisen ist es bezeichnend, daß es des öfteren zusammen mit Übersetzungen der Renaissanceliteratur überliefert ist; vgl. B e r n t in der Einleitung der Ausgabe S. 2ff. u. B u r d a c h , Ref. Ren. S. 185. Geiler von Keisersberg predigte über das Streitgedicht, „dictamen rustici cuiusdam". Z a r n c k e , Brant S. 262.
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F o r m u n g des Todesgedankens in der deutschen Geistesgeschichte. Diese einzigartige Stellung rechtfertigt genugsam eine ausführliche Darstellung. Der Kampf, den im 14. und 15. Jahrhundert Altes und Neues hartnäckig im Allgemeinen miteinander ausfechten, im Besonderen der Kampf um den Todesgedanken, in dem das Alte sich vorläufig noch behauptet, — dieser Kampf erfüllt im Kleinen auch das Prosawerk und hier findet es im gewissen Sinne eine Schlichtung auf lange Zeit hinaus. Und dies eben macht den „Ackermann aus Böhmen" geistesgeschichtlich und problemgeschichtlich so bedeutend, daß sich hier gleichsam zwei Zeitalter, zwei Welt>· anschauungen, zwei geistige Haltungen einander gegenüberstehen und aufeinander stoßen. Das Werk wird sinnbildlicher Ausdruck jenes großen geistig-sittlichen Kampfes zwischen Weltverneinung und Weltbejahung, eines Ringens, das man einen „Krieg um Leben und Tod der Menschheit" genannt hat 1 ), das letztlich zu Humanismus und Reformation führt. So weist das Gedicht zurück auf den großen Hintergrund weltbewegender Vorgänge und Entscheidungen: es messen sich Mittelalter und Neuzeit. Das Neue im Todesgedanken herrscht aber nicht unangefochten, es muß sich wehren und festigen in einem sehr ernsten geistigen Kampf mit dem Alten, das den Gegner zu Fall bringen will; altes und neues Gedankengut halten sich die Wage; äußerlich zwar bleibt der Tod stets der Sieger, aber innerlich besiegt und überwindet der Ackermann den Tod, der ganz seine düstere, mittelalterliche Seite vorweist und mittelalterliche Weltanschauung *) R. W o l k a n , Z. f. ö. Gym. 1916, 67, S. 246. - Ein für allemal sei hier verwiesen auf die grundlegenden und bahnbrechenden Arbeiten von K o n r a d B u r d a c h , der zum erstenmal der Ackermannsdichtung ihre gebührende, geistesgeschichtlich überragende Stellung angewiesen hat. Besondere kommen in Betracht der Kommentar zu seiner und A. B e r n t e kritischer Ausgabe des „Ackermann aus Böhmen" (Vom Mittelalter zur Reformation III, 1, Berlin 1917) und Burdachs weitschichtiges Werk „Der Dichter des Ackermann aus Böhmen und seine Zeit (ebd. III, 2, 1. Hälfte Berlin 1926). Weiter seien genannt Burdachs Abhandlungen über „Reformation, Renaissance, Humanismus", Berlin 19262, S. 178ff. und „Deutsche Renaissance", Berlin 1918», S. 36ff. ; vorher: Vom Mittelalter zur Reformation, Halle 1893. — Vgl. nun auch D ö r i n g - H i r s c h a. a. O. S. 104—113, S t e i g e r w a l d a. a. O. und G. Müller a. a. O. 53ff.
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asketischster, weltfeindlichster Art in sich schließt. Man fühlt überall, auf welcher Seite der Dichter steht: er spricht zumeist aus dem Ackermann, der das neue Verhältnis zur Welt, zu Gott, zur Natur, zum Tod verkörpert. Das neue Welt- und Lebensgefühl zieht notwendig ein neues Todes- und Jenseitsgefühl nach sich. Dem Ackermann ist seine junge Frau im Kindbett im August 1400 gestorben und darum klagt nun der Witwer den Tod an in großem, tiefem und leidenschaftlichem Schmerz. Schon in der ganzen Anlage tritt symbolisch das Neue, Unerhörte dem Betrachter entgegen, und der Dichter spürt selbst die Kühnheit seines Beginnens: es ist ein altdeutsches Gerichtsverfahren, in das hier der Tod gefordert wird. Wo hatte man früher oder später auch nur gewagt, den Tod vor Gericht zu fordern? Und gleich setzt es machtvoll, schier unglaublich ein mit der haßerfüllten, empörten Anklage, wie man sie nicht wieder findet: „Grimmiger tilger aller leute, schedelicher echter aller Werlte, freissamer morder aller menschen, ir Tot, euch sei verfluchet 1 Got, ewer tirmer, hasse euch, unseiden merunge wone euch bei, ungeluck hause gewaltiglich zu euch: zumale geschant seit immerI" Dieses erste Kapitel ist eine fortgesetzte ungeheuerliche Verfluchung und Verwünschung des Todes, die im dritten Kapitel weitergeführt wird und im fünften einen Höhepunkt erreicht : „Ach on ende, wee on underlass, iameriges versinken, gefelle und ewiger fai sei euch Tot zu erbeigen gegeben ! Lastermeilig, schantgirig, wirdelos und grisgramig sterbet und in der helle erstinket! Got beraube euch ewer macht und lasse sie zu puluer zerstieben! One zil habet ein teufelisch wesen!" Dieser großartige Angriff, diese dauernde Schmähung gegen ein bislang Unnahbares ist ohnegleichen, und diesem Gefühl gibt der Geschmähte auch selbst deutlich immer wieder erstaunten und empörten Ausdruck. „Hort, hört, höret newe wunder! Grausam und u n g e h o r t e teidinge f e c h t e n uns an." Drohens, Fluchens sei er wohl gewohnt; aber der Kläger solle sagen, was ihm widerfahren sei, „darumb du uns so unzimlichen handelst, des wir vormals ungewonet sein . . . Wir wissen nicht, wes du uns so f r e v e l l i c h e n bezeihest." Und dann im 4. Kapitel wiederum: „ W u n d e r nimpt uns solicher u n g e h o r t e r a n f e c h t u n g e , die uns nie mere h a t begegent." Es ist, als habe der Dichter selbst gleichsam unbewußt das Außerordentliche, Unvergleichliche seines Beginnens gefühlt. Eine Ubersicht über die Namen, die der Acker-
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mann dem Tode beilegt, erhärtet nur, wie sehr sich hier alles vom Hochmittelalter und dem Spätmittelalter abhebt, wie anders, wie selbständig frei hier der Mensch dem Tod in die Wege tritt. Den bitteren, bitterlichen, grimmen, scharfen, sauern, den gewissen und jähen, den üblen höchstens hatte man ihn früher zu nennen gewagt, und die Zeit um 1400 sagt sonst ja nur „Herr Tod". In der Mystik hieß er der liebe und süße, der reine. Stets aber war man sich bewußt geblieben, daß man Abstand und Zurückhaltung wahren müsse. Und jetzt rückt der Ackermann dem Tod auf den Leib mit unerschöpflichen Beschimpfungen, als sei er ein Mensch und der übelste Verbrecher: Unverschämter bosewicht, unverschämter morder, böser lasterbalg, böser man, verderber, loser schandensack, böser tot, aller leute feint, greulicher tot, der g o t e s und unser aller feint ist, arger traurenmacher, rauber, dieb, steler, vernichter, Zerstörer, aller leute eebrecher, erzschalk, valscher, lugenhaftiger richter, und dann leiser: meder, vil vermugender herre und herre tot; aber ein andermal, im 15. Kapitel, sagt der Ackermann gar zu Gott, in seiner „ w u r k u n g e " sei „nicht greulichers, nicht scheußlichere, nicht schedelichers, nicht herbers, nicht ungerechtere dann der Tot!". Ein altdeutsches Gerichtsverfahren ist es, und der Kläger nennt den Tod in seiner Klageforderung einen „schedelichen echter aller werlte", einen gemeingefährlichen Verbrecher also, der sich aus dem Frieden in den Unfrieden gesetzt hat, in die Acht aller, und er beschwört damit ein Bild, eine Vorstellung, die am Ende eines von Pestseuchen durchtobten Jahrhunderts zu symbolischer Urkraft aufwächst: „Der Tod durch die Länder der Menschen und die ganze Schöpfung jagend als raubender, mordender Unhold ohne Erbarmen und Vernunft, geächtet von allen, was lebt, mit der unsühnbaren Acht, als das Haupt aller landschädlichen Leute, als der wahre noeivus mundi1)." Hier ist schon wortkünstlerisch geformt, was dann erst hundert Jahre später Dürer bildkünstlerisch gestalten kann, der Tod als König in jener großartig einfachen Zeichnung von 1505, in der der Tod als gekröntes Skelett x
) B u r d a c h , Kommentar S. 161f., 172. Burdach macht auch darauf aufmerksam, daß sich im Mittelalter mit dem Wort „schädlicher Mann" der Begriff des Gewohnheitsverbrechers verbindet; der Tod rückt also durch solche Benennung in noch viel schlimmere, dunklere Beleuchtung.
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mit der Sense in der Hand auf einem Klepper im Sturm daherreitet, beinah in apokalyptischer Gewalt. Aber der Ackermann bleibt im ganzen geistigen und zeitlichen Raum der einzige, der es wagt, dem Tod sein ungeheuerliches Tun vorzuhalten, ihn darum wie in einem Achtverfahren anzuklagen, — die anderen baten Gott und alle Heiligen um Beistand und fühlten in dem grausamen Walten des Todes nicht Unrecht, wie der Ackermann, sondern gerechte Strafe. Zwei Gestalten, und zwar zwei metaphysische, nicht mehr dogmatische, stehen sich gegenüber, — „der Tod" und „der Mensch"; denn der Ackermann ist nur stellvertretendes Symbol des neuen Menschen überhaupt. „Ich bins genant ein ackermann", er ist ein Sohn Adams, der seinen Acker pflügen mußte im Schweiße seines Angesichtes (1. Mos. 3,17—19), er ist der ringende, nach dem Hohen strebende Mensch, der durch den Sündenfall zu Sterblichkeit und Mühe verdammt wurde, in gewissem Sinne ist er der göttliche Urmensch überhaupt. Als solchen, als den ringenden Adamsmenschen, erkennt ihn ja auch höhnisch der Tod1). Dieser Ackermann spricht hier im Namen vieler; gleich das 1. Kapitel erhärtet das: „von mir und aller menneglich sei über euch ernstlich zeter geschrixen mit gewunden henden!" Der Tod sei Gott und aller Menschen Feind. Allerdings, hier klagt zunächst der Ackermann um einen persönlich erlittenen, einmaligen, ihm allein eigenen Schmerz, um ein i h m zugefügtes vermeintliches Unrecht. Aber in dieser Klage tönt die Klage einer Vielheit, es ist ein Schrei, „nur daß dieser Schrei an die große Gemeinde der ganzen Menschheit, ja an die Gesamtheit der ganzen Welt sich richtet und ein Gericht zusammenruft, in dem Gott der Richter und alle lebenden Wesen Schreihelfer und Mitkläger sein sollen". Das Einzelgeschick erhält hier sinnbildliche Uberbedeutung, und der Ackermann wächst auf zu einem „Repräsentanten der Menschheit", um einen Goetheschen Ausdruck zu gebrauchen. Und ganz ebenso ist nun dieses Klagverfahren über das Individuelle hinaus ein willensgewaltiges „universales Weltachtverfahren", in dem der Ackermann als öffentlicher, gesamtmenschlicher Ankläger auftritt, um die Sache der Menschheit, der Natur, mehr noch die Sache Gottes zu führen gegen den Erzfeind, den Urzerstörer. „Es spricht !) Kapitel 18; dazu B u r d a c h , Kommentar S. 162, 164, 257ff.
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in seiner Person der Menschheits- und Göttlichkeitsanwalt, das Ebenbild des Schöpfers, Adam der Urmensch·" Auf Schritt und Tritt äußert sich das unnachahmlich Neue in dieser Gestaltung des Todesgedankens, die hier im Besonderen zugleich das Allgemeine faßt, im Einzelfall zugleich die Angelegenheit der Gesamtheit schließt und somit zum Weltganzen sich in Beziehung setzt. In der ersten Hälfte des Dialogs gehen die Wogen der Erregung und Empörung hoch, sie glätten sich allmählich, eine sachliche Auseinandersetzung macht sich geltend. Der Ackermann bittet seinen Gegner um Rat, wie er seinen Schmerz lindern könne, er lenkt gütlich ein und will Unterweisung haben. Trotzdem er, der Tod, ihm Unrecht getan habe, wolle er nicht zur Rache schreiten, ja, er wolle dem Tod genugtun, wenn er ihm Unrecht zugefügt habe. „Ist des aber nicht, so e r g e t z e t m i c h meines schadens oder unterweiset mich, wie ich widerkunne meines großen herzenleides" (Kap. 19). Nicht seineFrau kann er wiederfordern, das ist unmöglich, und er weiß auch, daß er seinen höchsten Hort „unwiderbringlichen" verloren hat und daß der Tod „unwiderbringlichen raub" an ihm getan. Er will Ersatz für den Schmerz, der ihm dadurch erwachsen ist und verlangt hier vom Tode wie im Gerichtsverfahren eine Buße. Wer zuvor hat den Tod schon mit solchen Ansinnen angegangen? den Tod, von dem auch der Ackermann weiß: „An euch kan niemant icht gutes verdienen; nach untat wellet ir n i e m a n t genug tun; ubels wellet ir niemant ergetzen." Will der Tod das nicht erfüllen, — und der Ankläger ahnt es schon, daß er das ablehnen wird — so will er mit ihm vor Gott kommen, der sein, des Todes und aller Welt Richter sei. „Hilfe, rates und widerbringens seit ir mir p f l i c h t i g , wann ir habet mir getan den schaden. Wo des nicht geschehe, dann got hette in seiner almechtikeit nindert kein rachunge : gerochen muste es wider werden und solte darumb hawen und schaufei noch eines gemuet werden." Das bedeutet ein äußerstes, gewaltigstes und letztes Aufbäumen wider den Tod, ja bis in den Tod selbst hinein: denn wenn Gott ihm seine Rache versagt, wenn Gottes Schöpfung ihm nicht beiständig ist, wider ihn zu wirken, dann will er sich selbst Rache verschaffen, und solle er in seinen Anstürmen auch dabei zugrunde gehen. Auch der Tod weiß, daß solch gewaltiges Widerreden und Sichauflehnen noch niemals da war: „Krieges mutestu uns zu". Man kann die anscheinend unglaubliche Gebärde nur recht ver-
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stehen, wenn man weiß, daß der Ackermann, mit neuer Fassung des Gedankens, im Tode einen Feind Gottes und ganz und gar nicht wie das Mittelalter in ihm den Richter Gottes, den Sold der Sünde erblickt. Der Ackermannsdichter setzt Tod und Gott in einen unbedingten, wesensmäßigen, in dieser Art unerhörten Gegensatz, der aus einem neuen Pathos des Gefühls von Menschenwürde, aus einer neuen Laienfrömmigkeit fließt: der Tod ist der Feind Gottes, der Feind aller Schöpfung. Er ist ähnlich wie der Teufel die leibhaftige Verkörperung des Bösen, er hat „ein teufelisch wesen". Der Ackermann ruft den Himmel an g e g e n d e n T o d : „ G o t beraube euch ewer macht und lasse sie zu puluer zerstiebenI" und dann, geboren aus einem festen, unerschütterlichen, beinah reformatorischen Gottvertrauen, der großartige Gedanke, Gott werde ihn, sein Geschöpf, an dem Erzzerstörer und dem Feind von Gottes Geschöpfen rächen. „ D e r milte got, der mechtige herre g e r e c h e mich an euch, arger traurenmacherl" „ E u c h böser Tot, a l l e r l e u t e feint, sei got ewiglichen gehessigl" (Kap. I X ) ; der Herr sei sein Züchtiger und foltere ihn ; er, der seiner und des Todes gewaltig sei, werde ihn v o r d e m T o d e b e s c h i r m e n und die Übeltat strenglich rächen (Kap. X I ) . Und wieder tönt grell jener Gedanke in stolzer Klage und beinah dringlicher B i t t e : „ F u j s t e himelischer massenie, ergetze mich ungeheurer Verluste, michels schadens, unseliges trubsals und jemerliches waffentumsl Dabei gerich mich an dem erzschalke, dem Tode, Got, aller untat gerecher!" (Kap. X I I I ) . Aber zu solch ausdrucksmächtiger, stürmischer Klageforderung leitet den Witwer nicht nur sein eigener Verlust, sondern — und das führt eigentlich erst in den Kern seiner Todeserwägung hinein — die bange und drohende Frage nach dem Sinn des Todes und des Lebens, ob denn dieser Tod eine zweite und selbständige Macht neben dem Allschöpfer sei und dann, warum der Tod so ungerecht, so offensichtlich launisch sein Werk tue. Das ist allerdings eine Überlegung, die immer wieder und seit je, auch schon im Mittelalter, aufgeworfen wurde und zu Zweifeln Anlaß geboten hatte ; hier aber wird sie zum ersten Mal auch folgerichtig in ihrer ganzen Bedeutung durchdacht. Der Ackermann vertieft und unterbaut sie metaphysisch (Kap. X V ) . Wenn der Tod das tut und Gott es zuläßt, dann handelt er der weisen und geordneten Herrschaft Gottes entgegen und zerstört die göttliche, irdische Herrschaft. „Herre,
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in deiner wurkunge ist nicht greulichers, nicht scheußlichere, nicht schedelichers, nicht herbers, nicht ungerechtere dann der Tot! Er betrübet und v e r r u r e t dir alle dein irdische herschaft . . . " Gott solle seinem Tun Einhalt gebieten und ihn vertilgen, den greulichen Tod, der sein Feind sei. Und nun der Tod: man muß bewundern, mit welcher Kraft und dichterischen Zucht der Dichter hier selbst sein weltanschauliches Gegenspiel gestaltet und dadurch sich zwingt, das Alte und Neue in kristallener Klarheit und Härte gedanklich zu formen. Der Tod verteidigt sich kühl, ironisch, ätzend scharf und den andern verletzend, überlegen und klug gegen die nie gehörten Anschuldigungen des erregten Klägers. Ständig spricht er im Pluralis Majestatis: „Wir Tot, herre und gewaltiger auf erden, in der luft und meres strame" nennt er sich und rühmt sich herrlicher und gewaltiger Macht. „Aller der Werlte keisertum weren nu unser; alle kunige hetten ir krone auf unser haubet gesetzet, ir zepter in unser hant geantwurt; des babstes stul mit seiner dreigekronten infel weren wir nu gewaltig." Wie immer, wie im Mittelalter, in den Totentänzen, nur ungleich höher, geistiger, majestätischer, abweisender pocht er auf seine Unverrückbarkeit, seine Gerechtigkeit, seine Allgewalt. Keinen schont er, alle sind vor ihm gleich, alt und jung, hoch und niedrig: „wir nemen gut und bose in unseren gewalt", kein Mittel gibt es gegen ihn, auch nicht Weisheit und Wissenschaft, keiner entrinnt ihm, auch nicht der sich gegen ihn auflehnende Ackermann. „Irdische lant hat got uns zu erbeteile gegeben, . . . der mechtig aller Werlte herzöge", und damit enthüllt er sein gottgeordnetes, gottgewolltes und sinnvolles Amt. Er weist die Anschuldigung zurück. „Wir sein gotes h a n t , herre T o t , ein rechte würkender m e d e r " , jeder Mensch ist uns ein Sterben schuldig, wie einem Zöllner, „dem alle menschen ir leben zollen und vermauten müssen". Er ist nicht ein Zerstörer der göttlichen irdischen Ordnung, vielmehr ihr Erhalter, er vertritt wie Gott, von dem er sein Amt erhalten hat, ein weltordnendes Prinzip in höchstem und betontestem Maße. Das Herrscherliche in seiner Erscheinung untersteht einer geistigen, die Welt erhaltenden Idee, die er von seinem Aspekt her freilich nur pessimistisch erläutern kann: „das leben ist durch sterbens willen geschaffen; were leben nicht, wir weren nicht, unser gescheite were nichts ; damit were auch nicht der Werlte ordenunge".
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Er erfüllt eine Naturnotwendigkeit und somit eine Lebensnotwendigkeit, wenn ihm von Gott, der ihn über Erde, Himmel und Wasser gesetzt hat, befohlen ist, „das wir alle u b e r f l u s s i g k e i t ausreuten und ausjeten sullen". Solche beinah soziologisch-ökonomische Betrachtung des Todes innerhalb dieses Streitgedichtes (Kap. VIII) entspricht nur der materialistischen, pessimistischen Haltung des Todes; sie tritt hier innerhalb des Problemwandels nicht zum ersten Mal auf. Bereits jenes mystische fromme Gedicht vom Ende des 13. Jahrhunderts „Vom lieben tôde" macht diese Bedeutung des Todes geltend. Swer sich der wârheit wol verstêt, der verstêt sich wol, daz uns der tôt ein lœser ist von maniger nôt: hete sì der tôt niht hin genomen all die von Adam sind bekomen, in waer daz ertrîch ze enge, — ez waere ein sô grôz gedrenge in dem walde und in dem gevilde von dem vihe und von dem wilde, daz nimmer ûf der erden niht grüenes möhte werden1)! Und hier wie dort die Auffassung, man hätte allen Grund zu danken, nur daß in dem Gedicht solcher Wille zum Dank aus einem mystisch liebenden Verhältnis zum erlösenden Tode fließt, daß dagegen in dem Streitgedicht solche Forderung des Dankes wie ein Hohn, wie eine bittere Ironie im Munde dessen klingt, der ja gerade dem Ackermann, dem Witwer, als grausamster Feind, nicht als Freund erscheint. Stets aufs Neue betont der Tod seine Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit. Wozu er denn tüchtig sei? „Nu hastu vor gehöret, das wir der Werlte mer nutzes dann unnutzes bringen" (Kap. XVI). Es liegt zudem im Naturgesetz seit alters begründet, daß alles vergehen muß, und die Ordnung der Natur kann auch der Ackermann niemals brechen. „Anefanges geswisterde ist das ende." „Wann nu alle menschlich gesiechte, die gewesen sind oder noch werden, müssen von wesen zu nicht wesen kumen", warum sollte dann bei der !) Z. f. d. Ph. 4 (1873) S. 3 1 5 - 3 2 0 ; bes. V. 1 0 0 - 1 1 0 ; u. V. 76ff. ; auch Burdach S. 241.
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Frau der Tod und in ihm die Natur eine Ausnahme machen? „Als wenig du kanst der sunnen ir licht, dem mone sein kelte, dem fewer sein hitze oder dem wasser sein nesse benemen, also wenig kanstu uns unser macht berauben!" (Kap. XIV). Der Tod wirkt so gesetzmäßig, unabänderlich wie die Naturgewalten; und darin liegt nun wiederum ein scharfer Gegensatz zum mittelalterlichchristlichen Denken. Seit Augustin war es und ist es Dogma, daß der Tod als Sold der Sunde s t r a f r i c h t e r l i c h e n Charakter habe, und ausdrücklich wendet sich Augustin und nach ihm die Kirche in Konzilsbeschlüssen gegen die häretisch-pelagianische Ansicht, der Tod sei dem Menschen von Natur her eigen und der leibliche Tod sei die physische, natürliche Folge des menschlichen Wesens überhaupt. In solchem Abweichen vom katholischen Dogma — auch sonst eignen dem Dichter des Ackermann pelagianische Züge — lebt eine neue Weltanschauung, die der Renaissance, und man hat darauf hingewiesen, daß dieses „naturalistische Element der Renaissance-Ethik" in der Moralphilosophie der Antike, in Cicero und Seneca, begründet ist und sich auch bei Petrarca findet. Solche neu sich hervorwagende Todesauffassung ist bezeichnend ; aber es muß doch nachdrücklich betont werden : der Dichter bekennt sich nicht rückhaltslos zu jener Ansicht des Naturtodes, die den Tod ja dann als unabhängige, selbstwirkende, selbstherrliche Macht ansehen und damit eine Zweiheit der Weltregierung annehmen müßte. Auch der Dichter des Ackermann steht in diesem Fall auf der Seite Augustine, wenn er solchen Weltdualismus nach Art des Manichäismus verneint. In diesem Sinne fällt auch Gott seinen Urteilsspruch. Der Tod hat sich gewaltiger Herrschaft gerühmt, die er doch allein von Gott zu Lehen empfangen hat 1 ). Der Tod !) Vgl. dazu die Ausführungen Burdachs S. 228 und 400f. — Übrigens antwortet der Tod einmal selbst Kap. 16, Z. 31 ff. auf die Frage, woher er sei : „wir sein von dem irdischen paradise. Da tirmete uns got und nante nur mit unseren rehten namen, do er sprach: „Welches tages ir der frucht enbeisset, des todes werdet ir sterben." Das entspricht dem Schöpfungsbericht: Genesis 2, 17. Der Tod bekennt eich also hier als Schöpfung Gottes, zieht aber dann nicht (d. h. der Dichter) aus der Genesisstelle, wie Augustin und die Kirche, die Folgerung vom Erbtod, von der eigentlichen Unsterblichkeit des Menschen (posse non mori) und dem strafrichterlichen Charakter seiner Schickung. Vgl. auch Bur d a c h S. 227 u. 324.
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übt nicht aus, er vollstreckt nur, aber er vollstreckt allerdings eine Naturordnung, nicht eine Strafordnung. So sehr auch der Tod in dem Streitgedicht gerade in dem Hauptpunkt des Todesgedankens von dem mittelalterlichen, streng kirchlichen Dogma abweicht, — er ist insgesamt doch gültiger Ausdruck mittelalterlicher Geisteshaltung und steht darin dem Ackermann gegenüber, der mit der gleichen Beispielhaftigkeit all das Neuanbrechende, zum Licht dringende, Humanistische in seiner Stellung zum Tod und zum Göttlichen, zu allen metaphysischen Dingen in sich schließt. Denn der Tod ist Weltleugner, Weltverneiner, in dem asketische Gesinnung und pessimistisch-ironische Skepsis zusammengehen. Er zweifelt an jedem und sieht überall nur das Schlechte, Irdische; er bekennt sich zu einer im strengsten Sinne materialistischen Weltanschauung und berührt sich darin eng mit aller mittelalterlichen Askese und der „Contemptus mundi" - Gesinnung. Besonders stimmt er mit der stoischen Moralphilosophie, mit Seneca, überein, jenem Denker, der durch seine, frühchristlichem Geist am nächsten verwandte Philosophie neben Augustin zutiefst auf das Mittelalter wirkte. Bezeichnenderweise beruft sich nur der Tod auf Seneca (Kap. XX), und er folgt ihm auch dort, wo er nicht ausdrücklich seiner gedenkt. „Jeder mensche ist uns ein sterben schuldig und in angeerbet zu sterben." „Als balde ein mensche geboren wirt, als balde hat es den leikauf getrunken, das es sterben sol." Seneca sagt : „Mors enim illi denuntiata nascenti est, in hanc legem natus. hoc illum fatum ab utero statim prosequebatux." Und ähnlich: „eo ibis, quo omnia eunt. quid tibi novi est? ad hanc legem natus es." Und wenn der Tod sagt : „Wer ausgesandt ist, der ist pflichtig wider zu kumen", so liest man bei Seneca: „Peregrinatio est vita: cum multum ambulaveris, domum redeundum est 1 )." Den Zusammenhang mit dem Leben faßt der Tod nur äußerlich und negativ: „das leben ist durch sterbens willen geschaffen". Wie alle Freude zu Trauer, alle Lust zu Leid, so wird alles Leben zu Tod. Es ist ein memento mori, das Bewußtsein eines Todgefühls voll mittelalterlicher, pessimistischer Stimmung, die hier der Dichter zu Worte kommen läßt, die ihn bedrängt, *) Vgl. die Stellen bei Burdach im Kommentar S. 288 und 410; 219f., 291, 299ff., S. 193.
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von der er sich aber befreien will. Auf die unabänderliche Naturordnung stützt sich der Tod : „alle wesen, die leben haben, müssen verwandelt von uns werden" 1 ), alles muß durch ihn hindurchgehen. Doch solches Wirken der Natur, solche „irdische verwandelunge", sieht er nur in einem Hinüberführen vom Lebendigsein zum Totsein; er sieht nur die Zerstörung und den Zerfall, nicht auch das Sicherneuern, die e w i g e „wandelbarkeit", die Wiedergeburt. Gerade im zweiten Teil des Streitgedichtes, in dem sonst eine wesentlich ruhigere Auseinandersetzung Platz greift (Kap. XXIIff.), erweist der Tod allüberall das Sterbenmüssen, die Vernichtung des Irdischen, das ihm von Gott zum „erbeteile" übergeben wurde. Ein „memento mori" predigt hier der Tod selbst, wie etwa in den Totentänzen oder den Streitreden, aber von einer innerlich so gewaltigen und erschütternden Art, daß man merkt, wie er hier alle Kraft und Eindringlichkeit aufbietet, um die Gegenargumente des Ackermanns zu übertönen und zu vernichten. Solche mächtigen Worte leiht ihm der Dichter, daß zu spüren ist, wie in ihm selbst die zwei Weltanschauungen hart miteinander ringen; er holt in Rede und Gegenrede aus den Tiefen heraus, um sein neues Weltgefühl zu festigen. Weltfeindliche Art und verhöhnende Verachtung alles Irdischen steigern sich im 24. Kapitel ins Schauerliche, dort, wo der Tod fast zynisch die Gebrechlichkeit, Unreinheit, Schnödigkeit und Tödlichkeit des Menschen und seines Leibes schildert. An die Gesamtheit, an die Allgemeinheit wendet er sich, gleichsam an die Zuhörer des Streites, und da der Ackermann Anwalt der Menschheit ist, eben an diese selbst; ihr schleudert er seine Wahrheit ins Angesicht. „Wir wellen dir die warheit an die sunnen legen, es höre, wer da welle." In der gedrängten Rede des Todes scheint nun ein Höhepunkt mittelalterlicher Vergänglichkeitsspekulation erreicht zu sein, über den hinaus es kein Weiter mehr gibt ; es ist die Übersteigerung einer kernhaltigen Grundidee, die nun notwendig das Gegenteil hervorruft, — die Antwort des Ackermanns würde das Neue, Renaissanceartige enthalten. Alle die alten Motive, seit Jahrhunderten gebraucht, wenn man die Ver1 ) Vgl. die Stelle aus Jobann v. Neumarkt bei Burdach S. 311; Burdach macht auch ebd. S. 309ff. wahrscheinlich, daß der Dichter über ein Zwischenglied, eben über Johann v. Neumarkts Verdeutschung („Buch der Liebkosung"), die pseudo-augustinischen Soliloquien benutzte.
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gänglichkeit und Eitelkeit des Irdischen und die Unerbittlichkeit des Todes verdeutlichen wollte, klingen wieder an. Menschliche Weisheit und Wissenschaft nützen nichts, keiner der Mächtigen und Gelehrten auf der Welt ist dem Tode entgangen. Im 26. und 30. Kapitel führt das der Tod mit sprach- und bildgewaltiger Kraft aus. Alle müssen dahin; majestätisch, selbstbewußt, groß schließt der Tod: „Dannoch beleiben wir Tot hie herrel" In einem letzten Schlußwort, im 32. Kapitel, faßt der Tod nochmals knapp und eindringlich die Summe seiner pessimistischen Welt-, Menschen- und Lebensbetrachtung zusammen. „Die erde und alle ir behaltunge ist auf unstetigkeit gebawet . . . Alle menschen sint mere zu bosheit danne zu gute geneiget . . . Alle leute mit allem irem gewurke sint vol eitelkeit worden." So sieht der Tod die Welt, die „terra morientium", aber es schwingt darin ein Ton von Mitleid und Erbarmen mit der „totlichen menschheit", ein persönlicher Klang. Die Welt ist schlecht und darum sollten die Menschen ihm doch danken, wenn er sie aus diesem Jammertal erlöse; sie verkennen sein Mitgefühl, seine Guttat, die Tat des Todes, der immer als Feind gescholten wird und sooft sich seiner Beute doch als Freund naht. So hat er auch die Frau des Ackermanns zu sich genommen. Damals „haben wir mit einer erberen seligen tochter unser genade gewurket". „Ir ist gut und genediglichen geschehen" und er hieß sie „räumen dis kurze scheinende eilende auf die meinunge, das sie solte zu gotes erbe in ewige freude, in immerwerendes leben und zu unendiger ruwe nach gutem verdienen genediglichen kumen". Nun ist ihm darum die Welt gehässig. Man höre den Ackermann: „barmherzigkeit wonet bei euch nicht; nur fluchens seit ir gewonet; g e n a d e n l o s seit ir an allen orten. Soliche guttat, die ir beweiset an den leuten, soliche genade, so die leute von euch empfahen, solichen Ion, als ir den leuten gebet, solich ende, als ir den leuten tut, schicke euch, der des todes und lebens ist gewaltig" (Kap. XIII), und ein ander Mal: „ir seit des menschen feint". Der Dichter weiß es: das Todbild, das der im Schmerz verzweifelnde Ackermann gewinnt, ist nicht das richtige, zum mindesten nur ein e i n s e i t i g e s ; er erkennt, daß der Tod nicht nur das sei, wofür ihn der Witwer hält 1 ). Er ist Feind und Freund. In solchen *) Burdach, Kommentar S. 194.
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Worten, wie sie oben angeführt waren, lebt das Bewußtsein, daß der Tod auch Pforte, auch Führer zur Ewigkeit sei, zu neuem Leben, Durchgang, nicht Ende ; hier klingen mystische Stimmungen in dem sonst so ganz unmystischen Gedicht an. Aber Johann von Saaz ist weit entfernt von jener Gesinnung, die einen Mann aus seiner Zeit und Nähe, den Bischof Johann von Jenzenstein dazu führte, nach dem Vorbild des Ambrosius einen Traktat „De bono mortis" zu verfassen (um 1392), der in der Behandlung des Stoffes, der Aufteilung und Darlegung der verschiedenen Todesarten und ihrer Folgen ganz den christlich-asketischen, spätmittelalterlichen, hierarchischen Charakter trägt 1 ). Es lebt etwas Versöhnliches in solchem Wissen um des Todes Sinn, das aus wahrhaft frommen Quellen fließt, und hier ist es gleichsam immer der Dichter, der sich plötzlich auch in der Gestalt des Todes zeigt : die Schlußworte des Todes erweisen es ; in ihnen verkündet der Dichter „sein eigenes religiöses Bekenntnis", das Bekenntnis nicht eines kirchlich gebundenen, sondern eines weltund laienfrömmigen Menschen. Es klingt groß, weit und aufrecht. „Jedoch kere von dem bösen und tue das gute; suche den iride und tue in stete ; über alle irdische dinge habe lieb rein und lauter gewissen I" Das ist neue, weltoffene und darum doch gottverbundene Stimmung. Als Anwalt des Göttlichen in der Welt ringt der Ackermanndichter um den Sinn des Todes. Es ist im Grunde dieselbe Seite des Gedankens, die im Hochmittel alter schon ein anderer gestreift hat, Ulrich von Türheim, der auch nicht weiß, warum Gott die scheinbar so ungerechte Auswahl des Todes zuläßt. Hier läßt sich der Unterschied zwischen mittelalterlicher und neuer Welthaltung und darin der Wandel im Gedanken mit Händen greifen. Der Ackermann wirft dem Tod mit schneidend ironischen Worten seine „gerechte" Auswahl vor, „enbieten und sagen wir lob und ere dem Tode, der also rehte richtet! Gotes gerichte Burdach in seiner Schrift über den Dichter des Ackermann meint geradezu, das Streitgedicht sei in seiner Konzeption durch be wußte „Opposition gegen die christliche, asketische, hierarchische Gesinnung und Wirksamkeit Johanns von Jenzenstein" angeregt (S. 140) ; vgl. über ihn S. 47ff. ; über den Tod S. 68f., über den „Libellus de bono mortis" S. 69 — 75; vgl. auch G. V i e l h a b e r , a. a. O. Über die Mystik im Dialog und dessen letztlich unmystischen Charakter B u r d a c h , Der Dichter usw. S. 98.
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ist kaum also gerecht" (Kap. XVII). Ulrich, der hochmittelalterliche Dichter, rührt an diese Frage, bescheidet sich aber kirchlich fromm mit der Erkenntnis der wunderbaren Wege Gottes, denn ihm ist Gott und Tod keine Zweiheit, sondern eine Einheit, und der Tod trägt das Gepräge des gottgesandten, mit Gott übereinstimmenden Wesens. Der Ackermann aber klagt den Tod heftig an, er kann es, ohne gotteslästerlich zu werden, denn für ihn bedeutet der Tod zunächst eine selbständige, gott- und menschenfeindliche Macht, die Gott eigentlich vernichten muß, da sie seine Schöpfung schändet. Und letztlich führt solches Gottvertrauen zur T o d ü b e r w i n dung. Mit allen Fasern widersteht der Ackermann dem Tod, immer will er ihm gehässig sein. Trotzdem sucht er, ruhiger geworden, um Unterweisung, um Belehrung und Rat bei dem „vil vermugenden herre". Im Verlauf der philosophisch-moralischen Auseinandersetzung bekennt er seine neue Welthaltung, die ihn fähig und stark macht, den Kampf mit dem Tode zu bestehen, einen Kampf, in dem er zwar körperlich unterliegen, aus dem er aber geistig und geistlich als Sieger hervorgehen wird. Einer neuen Wertung des Lebens entspricht eine neue Wertung des Todes; Kapitel 25 und 31 bringen die Grundlagen. Der Ackermann weist die Behauptungen des Todes zurück, der Mensch sei ein Gefäß alles Häßlichen, und das Irdische sei auf immer dem Tod verfallen. Denn der Tod schmäht Gott selbst in „dem werden menschen, gotes allerliebster creature", den Gott als Herrn und als gut erschaffen hat: „der mensche ist das aller achtbarest, das aller behendest und das aller freieste gotes werkstuck". Die Göttlichkeit der Menschen betont der Ackermann, und wie die Renaissance, wie etwa Dürer später, die Gottebenbildlichkeit. „Im selber geieiche hat es got gebildet." In solchen Sätzen erkennt man ein ganz neues, ethisches Lebensgefühl, das den Menschen als ein Kunstwerk, als Gott-gewollte, Gott-gelungene Schöpfung empfindet, und dies in derselben Zeit, in der der Vintler, der Teichner oder Muscatblut den Menschen einen „schnöden Mist" heißen, in der, gerade um 1400, der Entstehungszeit des Streitgesprächs, Johann von Kastl den Nutzen der asketischen Selbstverachtung und Selbsterniedrigung moraltheologisch den Ordensleuten auseinandersetzt1). Jetzt aber wird das Göttliche Albertus Magnus, Opera 37 (1898), S. 523ff.
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überall im Irdischen erkannt und aus der Transzendenz in die Immanenz herabgenommen: das Schwergewicht verschiebt sich vom Jenseits zum Diesseits. Jetzt ist in diesem Johann von Saaz eine neue Art von Mensch erstanden, der auch den Körper und seine Schönheit heiligt und ehrt und ihn nicht erniedrigt, der von seinem Recht auf ein volles, ganzes und freudig gelebtes, in Gott gegründetes diesseitiges Leben überzeugt und durchdrungen ist und sich in kosmischer Harmonie mit dem übrigen Weltganzen fühlt. Gut i s t der Mensch g e s c h a f f e n ; die neue adelige Würde des Menschen wird hier gepriesen. Der neue Gedanke der freilich noch religiös untergründeten Humanitas deutet sich hier, wenigstens dem Sinn nach, noch vor Nikolaus von Cusa, an 1 ). Ein ethisch gefestigter, verpflichtender, verantwortungsbewußter, nicht oberflächlicher Optimismus steht dem Pessimismus des Todes gegenüber 2 ). Und der Tod hat nicht die Macht, die ewigen göttlichen Werte, die im Menschen und im Leben liegen, für immer der Vernichtung anheim zu geben, er spricht nicht das letzte Wort ; er kann wohl das Leben vernichten, aber nicht das ewige Leben. Das Leben gehört ihm, der Leib der Erde, die Seele aber Gott. Der Tod verwandelt alles Irdische, alles muß durch ihn hindurch, aber er verwandelt nicht zum Nichtsein, sondern zu neuem Sein. „Ir sprechet", hält der Ackermann dem Tod entgegen, „wie alle irdisch wesen und leben sullen ende nemen : so sprichet Plato und ander weissagen, das in allen sachen eines zeruttunge des andern geberunge sei und wie alle sache auf urkunfte sind gebawet." Das ist bezeichnend: Plato wird gegen das Alte als höchster Zeuge der neuen Weltanschauung ins Feld geführt — freilich kannte Johann von Saaz ihn nur durch Mittelquellen8), — alles also ist ewig und in jedem Untergang liegt doch auch wieder der Keim zu neuer Geburt. Auf den ersten Blick könnte man denken, schon in den Worten des Todes, er sei gottgesandt, rode alle Uberflüssigkeit J
) E. C a s s i r e r , Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, Leipzig 1927, S. 42, 71, 92 über den Humanitätsbegriff Cusa's; auch G. M ü l l e r a. a. O. S. 65ff. 2 ) Dazu B u r d a c h , Kommentar S. 192ff.; 306, 315, 323, 325. 3 ) Phaidon Kap. 16, 17; Symposion Kap. 25, 26; s. B u r d a c h im Kommentar S. 384ff. ; auch S. 72, Anm. 2.
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aus und erhalte dadurch die göttliche Weltordnung, klinge eine verwandte Überzeugung an. Aber der Tod geht hier ja nur von ganz stofflichen, wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus und sagt nicht einmal (also auch nicht der Dichter), daß er damit in einem höheren oder niederen Sinne neuem Leben Platz mache. Er s c h a f f t nicht neues Leben. Er sieht (und dies überhaupt notwendig) die ihm von Gott verliehene Erde nur als ein Reich des Sterbens, als terra morientium an : das Leben ist nur um des Sterbens willen da und ein Geschlecht sinkt nur ins Grab, um einem neuen den Platz zu räumen, und diesem geschieht ebenso. Diese sehr materialistische Weltansicht erblickt überall Tod, nicht Leben, ewiges Vergehe n, nicht ewiges Werden. Mag der Tod sich auch göttlichen Auftrags rühmen, mag sein Amt notwendig und ursprünglich gottgewollt sein, er wird in seinem Tun widergöttlich, weil er nur „zeruttunge", nicht auch „geberunge" will. In solcher Hinsicht erscheint wirklich für Johann von Saaz in der „wurkunge" Gottes „nicht schedelichers, nicht herbers, nicht ungerechtere dann der Tot!" Er zerstört das göttliche Gesicht der Welt, und darum kommt aus tiefstem, nicht persönlichem, sondern menschheitlichem Leid der Ruf : „Er betrübet und verruret dir alle dein irdische herschaft." Gott kann das nicht zulassen, und darum zwingt Christus den Widerspenstigen zum Dienst, den, der sich selbst freventlich dem Menschen so deutet: er sei des Lebens Ende, des Daseins Ende, des Nichtseins Anfang (Kap. XVI). Das ist die Stimmung des 14. und 15. Jahrhunderts, die das Hoffen um eine Ewigkeit fast verloren hat. Dem setzt der Ackermann seinen neuen, irdischen und zugleich ewigen Lebensglauben entgegen: es gibt ein „Stirb und Werde", aber er versteht dies religiös, nicht metaphysisch. Und weil er das Wort Piatos nur religiös-christlich deutet und faßt, darum kann er auch den metaphysischen Sinn des Todes nicht erkennen: daß der Tod aus sich selbst heraus, wesensb e s t i m m t in seiner Lebenszerstörung doch lebenschaffend sein muß und so dem großen Weltkosmos nun in einem höheren Betracht aufbauend und bejahend sich einordnet, jener „irdischen herschaft" Gottes, die der Ackermann gerade durch das Wirken des Todes doch getrübt und zerrüttet sah. Dieser Sinn des Todes bleibt unausgesprochen; denn das würde Loslösung von einer jenseitigen Macht bedeuten und der Ackermann hätte so den
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Tod rein aus der Erkenntnis des ewigen Werdens, der ewigen Wiedergeburt, aus der Idee des unzerstörbaren Lebens überwunden. Das wäre der metaphysische Lebensbegriff in ganzer Reinheit. Selbst die Renaissance nähert sich nur in ihren edelsten Geistern solcher Lebens- und Todesdeutung: die Akademie in Florenz und in Deutschland etwa Nikolaus von Cusa. Diesen Schritt kann der Mensch um 1400, soweit er auch seiner Zeit vorausgeeilt sein mag, noch nicht tun und er will es a u c h n i c h t ebensowenig wie etwa Meister Ekkehart 1 ). Auch die Reformation tut und will ihn nicht. Denn der Ackermann überwindet den Tod aus anderer Haltung heraus: aus der r e l i g i ö s e n , und r e l i g i ö s ist auch sein Lebensbegriff. Nicht die ewige Wiedergeburt schaut er als das Wesentliche, sondern die einmalige, wie sie in Christi Auferstehung dem Menschen offenbart wurde. Bezeichnend ist der Schluß des Streitgesprächs: die unbedingte, geschlossene Hinordnung auf das Göttliche, beim Tod und beim Ackermann. Dieser erkennt im Tode nicht den Ubergang, die Pforte, den Durchbruch zum Jenseitigen, er sieht in ihm nicht das notwendig unbedingte Glied im Heilsweg; so kann ihm auch der Tod nicht das Heil, die Gottnähe geben oder nehmen, denn der Mensch kommt durch sich selbst zu Gott. Ersieht, im religiösen Bewußtsein verankert, den Tod allein vom urchristlichen und reformatorischen Standpunkt aus : „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg 1" Auf dies Bibelwort, wenn es auch nicht genannt wird, zielt das Ganze. „In aller zeruttunge ist geberunge". Der Ackermann fühlt hier das Göttliche, leitet aber den darin verborgenen metaphysischen Gedanken — und mußte dies aus seiner ganzen geistigen Stellung heraus — mit einer jähen Wendung ins Christlich-Religiöse: „des berufe ich mich mit euch an Got, meinen heilant." Christus ist gestorben und wieder auferstanden und Christus hat des Todes Behauptung, er sei „des lebens ende", Lügen gestraft. Er hat den Tod vernichtet und besiegt; Christus heißt die Lebensmacht des Dichters, und nur insofern in dieser der Heiland versinnbildlicht ist, siegt das Leben. So ist dem Tode sein Grauen abgerungen durch den Vgl. die aus der, übrigens auf Nikolaus von Cusa zurückgehenden Cueser Hs. mitgeteilte Stelle bei O. Karrer, Meister Ekkehart, München 1926, S. 78; auch hier deutlich der christlich untergründete Lebensbegriff. — Zum Cusaner vgl. E. Cassirer a. a. O. S. 26.
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Tod selbst, durch den Opfertod Christi, den er aus Liebe dargebracht hat. Des Todes Ohnmacht ist erwiesen, und wie Christus den Tod überwunden hat, so tut es nun der Mensch im Vertrauen auf Christus : Tod, Hölle und Sünde besiegt er im Kampf. „Herre tot, verderberl Damit euch got gebe ein böses ameni" Die Vernichtung ist des Todes Strafe. „Wann ir dann auf erden nimmer zu schaffen habet, und die erde nimmer neret, so müsset ir gerichtes in die helle, darinnen müsset ir on ende krochen. Do werden auch die lebendigen und die toten an euch gerochen." (Kap. XXXI.) Tod und Satan scheinen hier zusammenzufließen1). Das Todbild Luthers wird angedeutet: die Verteufelung des Todes. Ein P e r s ö n l i c h k e i t s e r l e b n i s bildet die Grundlage des Ganzen: aus ihm fließt das freie, aufrechte und persönliche Verhältnis zu Gott, das sich besonders in dem mächtig daherbrausenden Schlußgebet offenbart: hier bricht die neue Frömmigkeit am ausdrucksgewaltigsten hervor; sie will ihren Weg zu Gott ohne alle kirchliche Vermittlung, ohne Heiligenkult gehen. Die Unabhängigkeit des religiösen Lebensprozesses, den dann die Reformation verwirklichen will, bahnt sich hier an. Als notwendige Ergänzung tritt hinzu das persönliche, tief erschütternde Erlebnis des Todes, der persönliche, ringende Kampf, die persönliche Todüberwindung. Das ethisch gegründete Recht auf Leben wird hier zum erstenmal Problem und ringt siegreich mit der Macht, die jenes Leben als Selbstzweck leugnet und aus widergöttlichem Antrieb vernichten will. Das Leben bäumt sich mit aller Gewalt gegen die lebensfeindliche Macht auf. „Gehessig, widerwertig und widerstrebende sol ich euch immer wesen. Ich wil keren von euch, von euch nichts gutes sagen, mit allem meinen vermugen wil ich euch ewiglichen widerstreben: alle gotes tirmunge sol mir beistendig wesen wider euch zu wurken; euch neide und hasse alles, das do ist im himel, auf erden und in der helle 1" Das klingt anders als etwa in den lateinischen oder den deutschen Streitgedichten von Leben und Tod. Wohl bleibt der Tod äußerlich immer Sieger — „Clager, habe ere! Tot sige!"—, aber nun nicht mehr innerlich und geistig. Dieser neue Mensch sieht im Tode ein ihm zutiefst Unverbundenes, Fremdes, ja Teuflisch-Widergöttliches, das ihn plötz*) B u r d a c h , Kommentar S. 236, 237, 379, 389; vgl. auch Kap. 3, S. 61, Anm. X.
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lieh überfällt und ihm erst dann, da es leibhaftig, körperlich sich ihm in den Weg stellt, zum erstenmal gleichsam vor Augen kommt. Nur darum, weil der Tod ihm nicht als lebenformende Macht innewohnt, vermag der Ackermann den Tod so zu bekämpfen und ihn als einen Gegensatz zu Gott zu begreifen. Jetzt kann der Tod auch Züge des Satans annehmen, und erst dadurch findet der Ackermann den ethischen Mut, als Anwalt Gottes in diesem großen Weltgerichtsverfahren aufzutreten und den Tod als eine gottfremde Macht zu belangen. Schon deshalb vermag Johann von Saaz das Problem nicht im alten Sinne anzupacken, nach dem der Tod der Sold der Sünde sei—darin geht er selbst über Luther hinaus — ; denn dies würde ja eine seit Anfang an bestehende Ubereinstimmung des Todes mit Gott bedeuten; so aber unterwirft erst Christus diesen Feind 1 ). Die Furcht vor dem Tod oder gar dem zweiten Tod und der ewigen Verdammnis überschattet dem Dichter nicht seine Überlegung. Er bittet nur um das Seelenheil der v e r s t o r b e n e n Frau: „Empfahe gutlichen die sele meiner allerliebsten fra wen, die ewigiu ruwe gib ir; mit deiner gnaden tawe labe sie . . .", mit der seligen Gottschau. Man sieht überall die Befreiung von der dogmatischen Bindung. Darin liegt der bedeutende Wandel des Todesgedankens, er wandelt sich notwendig mit dem Menschen und seiner Selbstwertung, er wandelt sich vor allem dort, wo der neue Humanitätsbegriff zu geistiger Wirkung gelangt. Johann von Saaz weitet das Problem ins Menschheitliche aus: wie er haben viele die Hartherzigkeit des Todes erfahren, aber er stellt sich nun auch persönlich als erster dem Tod gegenüber, zwingt sich diese Macht herbei und blickt ihr ins Auge. Eine Welt trennt das Streitgedicht darin von den Totentänzen, in denen die Leute aneinander vorbeireden und der Mensch keinen Widerspruch wagt; selbst das mittelniederdeutsche Streitgedicht wirkt dagegen unfrei, gebunden, ganz abgesehen davon, daß es sich dem Tode auch innerlich beugt. Von Petrarcas schwankend unsicherem Versuch im „Secretum", sich die mittelalterliche Weltanschauung symbolisch in Augustin selbst, dem Vater des mittelalterlichen Todesgedankens, gegenüberstellen und so das neue Lebensbewußtsein am alten zu messen, unterscheidet sich das deutsche Streitgespräch durch l
) Vgl. auch B u r d a c h , Ref. etc. S. 179ff.
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die ganze Wucht einer persönlich durchgefochtenen und unbeirrt festgehaltenen männlichen Gesinnung und Uberzeugung1). Der Ackermann verlangt Deutung, Rechenschaft, aber er verwirft die, die ihm der Tod gibt. Daß derTod auch Gnade spende, auch Freund sein könne, dies bleibt, wiewohl angedeutet, doch durchaus nebensächlich. Es ist ein sittlicher Kampf, in dem der Mensch das Göttliche in sich und außer sich bedroht sieht, in dem ihm sein Mensch-sein, seine neue Selbstwertung streitig gemacht wird. Tod ist Aufgabe, Prüfstein, er spannt die Kräfte an, denn hier hat der Mensch sich und seinen Sinn zu erweisen ; in der Auseinandersetzung mit der feindlichen Macht dringt der Ackermann durch zur Erkenntnis seiner selbst und seiner Bestimmung und wird sich seines Menschtums erst völlig bewußt. Es ist Selbstverwirklichung, Selbsterhöhung durch Kampf, wenn auch diese Begriffe hier alle noch fest im christlichen Glauben verankert sind. Wie unter einem Schleier ruht hier noch das Bewußtsein der tieferen, wesensmäßigen Einheit von Leben undTod, das Wissen, daß Leben den Tod braucht, um ganz es selbst zu werden. Äußerlich siegt der Tod, innerlich der Mensch. Der Ackermann vernichtet im Vertrauen auf den göttlichen Charakter des Lebens dessen Zerstörer und Verneiner, den Tod. Das ist die allgemeine Seite seiner Sendung; die besondere, ihm allein angehörige ist diese : für sein persönlich erlittenes Erlebnis, den Verlust seiner Frau, erwächst ihm aus diesem Selbstvertrauen die Kraft, ihren Tod, der ihn allein angeht, durch seine Liebe, durch sein Liebesgedächtnis zu überwinden. So kann er die unsagbar adligen Worte finden, schlicht und doch so groß: „Ist sie mir leiblichen tot, in meiner gedächtnisse lebet sie mir doch immer". Liebe überdauert und überwindet den Tod und aus Liebe hat Christus im Opfertod den Tod überwunden. Das Bewußtsein der Wiedergeburt durchströmt den Ackermann und gibt ihm die Kraft zum Leben. Nicht daß dieser Mensch den Tod überwindet, ist das Neue, sondern wie er ihn überwindet, dem Begriffe nach vernichtet und mit welchen Mitteln, aus welchem Geist heraus er sich dem Tode entgegenstellt. Es geht um die ganze menschlich-ethische Haltung ; das neue Humanitätsideal offenbart sich hier zum erstenmal mit Macht, ) Darüber mein Aufsatz „Zur Gestaltung des Todesgedankens bei Petrarca und Johann von Saaz, Vierteljahrsschrift V (1927) S. 4 3 1 - 4 5 5 . 1
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und ein Persönlichkeitserlebnis, eine p e r s ö n l i c h e Erfahrung des Todes, die Hoch- und Spätmittelalter in ihrer gebundenen Lebensform so nicht kannten und kennen konnten, drängen hier zu machtvoller persönlich-dichterischer Gestaltung. In diesem Streitgedicht vom „Ackermann und dem Tod" spiegeln sich die beiden Seiten der neuen freien Haltung : die philosophische und die religiöse, der neue Weltglaube und der neue Gottglaube — Renaissance und Reformation. Beide liegen eng zusammen, wachsen aus derselben Wurzel und geben dem Ganzen den hinreißenden Schwung. Das Letzte aber ruht für den Deutschen, den Nordischen, immer im Religiösen, im Inhalt, nicht in der Form. Nicht die neuen Einsichten sind das Wichtige : am unmittelbaren, freien und tiefen Verhältnis zum persönlich erfaßten und vertrauensvoll geglaubten Gott liegt es. Das mutet reformatorisch an.
VI. K a p i t e l
DAS 16. JAHRHUNDERT „Wir sind alle zu Tode gefordert und wird keiner für den andern sterben; sondern ein jeglicher in eigner Person mufl geharnischt und gerüstet sein für sich selbst, mit dem Teufel und Tod zu kämpfen." Luther
T j a s 16. Jahrhundert, das Zeitalter der Reformation, bedeutet in der Geschichte jeder geistigen Strömung und jeden Problems den tiefen und weithin sichtbaren Einschnitt, aber es ist auch dieZeit, in der Altes und Neues stärker denn sonst miteinander ringen und sich nur schwer voneinander lösen. Der Wandel ergreift alle Gebiete. Eine Geschichte des christlichen Todesgedankens und seiner dichterischen Gestaltung würde hier einen ersten ragenden Markstein finden, wenn nicht schon hundert Jahre zuvor Johann von Saaz in seinem Streitgespräch der Geschichte des Todesgedankens diesen Stein gesetzt hätte. Trotzdem: die Reformation bedeutet doch ein Neues durch die Wucht, mit dem sie diese Gedanken sich erringt und in die Gesamtheit schleudert, sie stellt eine ganz andere Steigerung der religiösen Kraft dar. Sie ist eine zweite, erhöhte, aber auch verbreiterte Stufe gegenüber der ersten schmalen beim Ackermann. Die Reformation schafft die allgemeine Grundlage, auf der fürderhin Sinnen und Trachten über den Tod zum Teil fast ausschließlich ruhen. Luther ist es, in dem die protestantische Stellung zum Tode sich klassisch offenbart. Eine Darlegung seiner Todeserwägung muß die notwendige Voraussetzung zum Verständnis der Wandlung und Umformung sein, die der Todesgedanke in diesem Zeitalter erfahren hat. Luthers Betrachten und Fühlen des Todes führt mitten hinein in den Kern seiner willensgewaltigen Persönlichkeit, in den Urgrund
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seiner glaubensstarken Seele ; denn es fließt aus seinem Grunderlebnis, dem Ringen um den gnädigen Gott, um die Heilsgewißheit. Das Sündengefühl hatte Luther zu diesem Ringen gedrängt ; denn er fühlte die Sünde nicht als „metaphysisches Verhängnis . . . das den innersten Kern des Menschen, den Seelengrund nicht berührt" — Augustinus nannte es : longe a Deo esse —, sondern für ihn lag die Sünde „in dem persönlichen Bruch mit der gottgesetzten sittlichen Ordnung"; der Abstand von Gott ist ihm nicht ein me· tapyhsischer, sondern ein ethischer1). Von hieraus gewinnt der Tod seine neue Bedeutung und Wertung. Wie für Augustin, für die christliche Antike und das ganze Mittelalter, so bleibt auch für Luther der Tod der Sold der Sünde. Aber diese Erkenntnis, die eben im Mittelalter als unabänderliches gottgesetztes Verhängnis gefaßt war, wurde nun von Luther wieder ethisch unterbaut und im Paulinischen Sinne in den Mittelpunkt gestellt. Der persönliche Mensch ist sündig und hat persönlich als Strafe den persönlichen Tod verdient und erleidet ihn als solchen, nicht als E r b t o d für die Sünde Adams in der Gesamtheit. Niemand kann ihn aus solch persönlicher Sünde und Todesnot erretten als allein Christus, der Sünde und Tod der Menschen auf sich genommen hat. Der Tod ist aus Gotteszorn durch die Sünde verdient: „Der Sünde Sold ist der Tod, und wo Sünde ist, da muß auch der Tod folgen". Der Tod aber soll die Sünde vernichten: „Wenn der Tod nicht wäre, würde die Sünde nimmer untergehen . . . solch gnädige und heilsame Strafe gibt er uns, daß die Sünde durch den Tod erwürgt werde". Über den Ursprung des Todes macht sich Luther keine Gedanken, darin schließt er sich durchaus an die Bibel und an Augustin an; aber er wendet sich ausdrücklich gegen die „neuen Theologen", die da behaupten, der Tod sei kein Übel. Das sei äußerste Blindheit, den Tod und die Sünde so gering zu achten. Der Tiere Tod sei wohl ein zeitlich Übel; aber der Menschen Tod ist fast ein unendlich-ewiges Elend und Zorn, er ist fuchtbar und erschütternd. Die menschliche Kreatur ist nicht geschaffen zum Sterben, sondern der Tod ist ihr bestimmt als der Sünden Sold. Auch darüber läßt sich Luther nicht weiter vernehmen, warum Gott den Tod, der doch ein Feind Gottes ist, 1
) Fr. H e i l e r , Luthers religionsgeschichtliche München 1918, S. 11, 22, 25.
Bedeutung,
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zugelassen hat. In einer Tischrede heißt es einmal deutlich: „Daß wir sterben, ist Gottes Wille; er hat aber keine Lust daran" 1 ). Denn hier setzt das Neue ein : Luther greift auf Paulus zurück und sieht mit diesem, ohne darum einen Dualismus der Weltregierung anzunehmen, im Tod den ausgesprochenen Feind Christi und Gottes — darauf legte weder Augustin noch das Mittelalter solch betonten Nachdruck. Erst seit Luther ist diese widergöttliche Dreiheit Sünde, Tod und Teufel so in das Bewußtsein der Gesamtheit übergegangen und beinahe Formel geworden. Sie sind die drei mächtigsten Feinde der Christenheit. „Der Tod aber beißet der größte und letzte Feind, darum, daß die andern alle auf ihn treiben, und wenn wir schon jener aller los sind, so bleibt er dann noch und hält uns gefangen" (51, 174). Darum soll sich der Christ merken, „daß Christus heißt ein Feind des Todes, und wiederum der Tod Christus' Feind. . . . denn er hat auch solche Feindschaft mit der Tat beweiset, da er ihn mit Füßen getreten hat in seiner eigenen Person, daß er nichts mehr wider ihn vermag" (51, 168). Das Gesetz ist der Sünden Kraft, der Tod aber ist der Sünden Stachel; immer wieder knüpft Luther an den ersten Korintherbrief an 2 ). Nur der Ackermann aus Böhmen hatte ähnlich den Tod als Gegner gewertet, den der Mensch zu bekämpfen hat, aber nicht weil er Räuber des Seelenheils und Verführer zur Sünde, sondern weil er Zerstörer der göttlichen Ordnung ist. Das letzte kümmert Luther nicht, er faßt den Tod zunächst nicht weltbezogen, sondern ichbezogen auf. Der Tod wird ja besiegt und vernichtet ; Christus ist Meister des Todes, und nur durch Christus wird auch der Christ Meister des Todes. „Es ist nicht möglich, den Tod zu überwinden mit menschlichen Kräften; wo nicht Glaube ist, da 1
) Erlanger Ausgabe 33, 111; vgl. auch 25, 73. Die 'recentiores theologi' in: Ennaratio Psalmi X I von 1534, Erl. Ausgabe, Lat. Sehr. 18, S. 2 6 4 - 3 3 4 (deutsch erst 1546), bes. S. 266. Vielleicht ist Erasmus gemeint, seine 'praeparatio ad mortem' ist auch 1534 erschienen und enthält alle die Punkte, die Luther angreift. (Darüber hoffe ich an anderer Stelle weiteres in größerem Zusammenhang vorzubringen.) S. 266—268 über die Schrecklichkeit der Todessetzung; 284 Tod der Tiere; 3 0 8 - 3 1 8 . Vgl. auch C. S t a n g e , Ztschr. f. syst. Theologie III (1926) S. 762f£. ; 774ff. 2
) Erlanger Ausgabe 40, 82; 41, 110; 51, 267.
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muß das Gewissen zappeln und zagen 1 )." Dem 14. und 15. Jahrhundert war diese Gewißheit der Todesüberwindung durch Christus unter dem Andrang gewaltiger Todeserschütterung beinahe geschwunden. Erst Luther weckt sie wieder und stellt die Siegest a t Christi der Allgemeinheit in den Mittelpunkt des Bewußtseins uDd des Glaubens. Auch Luther weiß um die Wichtigkeit der Sterbestunde in ihrer Bedeutung für das ewige Heil, er weiß daher auch den Wert der Todesbetrachtung und Vorbereitung zum seligen Sterben zu schätzen, aber er warnt vor jener allzu nachhaltigen, übertriebenen und ungeistigen Versenkung in diese Gedanken, die eben den spätmittelalterlichen Menschen zu solcher Angst und Unfreiheit geführt und dem Tod zuviel Raum eingeräumt hat ; der aber habe ja gerade seine Kraft und Stärke in der Blödigkeit der menschlichen Natur und in solchem „zuviel Ansehen und Betrachten". „Wohl dem, der es hier erfährt, der Tod wird ihm wahrlich danach nicht sauer werden. E s ist sehr fährlich, wenn man solches erst im Tode lernen soll, nämlich mit dem Tode ringen und den Tod überwinden" (12, 62). Auch Luther lehrt die ars moriendi; 1519 schreibt er einen 'Sermon von Bereitung zum Sterben'; aber seine Anleitung unterscheidet sich doch grundlegend von den gleichzeitigen oder früheren Sterbebüchlein 2 ). Vom erschrecklichen Bild des Todes redet er, und daß die blöde, verzagte Seele dasselbe Bild zu tief in sich bilde, Gott vergesse und ungehorsam werde. Denn je tiefer man den Tod betrachte, umso schwerer sei der Tod. Die Kunst aber ist, im Sterben „den Tod aus den Augen setzen und weit hinwegwerfen und dafür nichts wissen noch denken denn eitel Leben, daß sie sollen auch im Tod lebend bleiben und der Tod sie soll l ) E. A. 52, 240; vgl. 51, 152. Andere rufen zu den Heiligen, „aber ein Christ läßt solches alles anstehen, als der da gelernet hat, daß nirgend keine Hülfe auf Erden ist wider den Tod, der uns angeboren ist, und muß ihn auch tragen und leiden, wie die Andern, und tut ihm wohl bang und wehe; schreit aber allein zu Gott mit solchem Glauben, daß er ihm durch Christus davon helfen werde." a ) E. A. 21, 2 5 3 - 2 7 4 ; auch 1527 'Ob man vor dem Sterben fliehen möge', E . A. 22, 317 — 341. Über weitere protestantische Trost- und Sterbebüchlein und deren andere Richtung vgl. P. A l t h a u s , Zur Charakteristik der evangel. Gebetsliteratur im Reformationsjahrhundert, Leipzig 1914, S. 29ff.; 37ff. Auch P. A l t h a u s d. j., Der Friedhof unserer Väter, Gütersloh 1923, S. 20, 62f., 69f.; ebd. über Luthers Stellung zum Sterben S. 2Iff.
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ungetötet lassen, er fresse denn zuvor Christum selbst" (49, 178). Aber der Christ soll den Tod bekämpfen wie ein christlicher Ritter, angetan mit der Rüstung des Glaubens. Denn wenn auch Christus den Tod überwunden und ihm die Macht genommen hat, so muß nun trotzdem ein jeder für sich noch einmal in den Kampf gegen Sünde, Teufel und Tod ziehen. Wie Luther frei und ohne Vermittlung vor Gott tritt, so will er sich frei auch dem Tod entgegenstellen; wie jeder sich vor Gott selbst zu verantworten hat, so auch vor dem Tod. Luther fordert auch vor dem Tod Persönlichkeitserlebnis und -Verteidigung. „Wir sind alle zum Tode gefordert und wird keiner für den andern sterben; sondern ein jeglicher in eigener Person muß geharnischt und gerüstet sein, mit dem Teufel und Tode zu kämpfen. In die Ohren können wir wohl einer dem andern schreien, ihn trösten und vermahnen, zur Geduld, zum Streite und Kampf; aber für ihn können wir nicht kämpfen noch streiten, es muß ein jeglicher auf seine Schanze selbst sehen und sich mit den Feinden, mit dem Teufel und Tod selbst einlegen und allein mit ihnen im Kampf liegen. Ich werde dann nicht bei Dir sein, noch Du bei mir." Darin liegt das ganz Neue: die Todüberwindung nicht in der Gesamtheit wie im Mittelalter, sondern einzeln, allein aus der Persönlichkeit heraus, im Glauben an die Rechtfertigung, die erst im Tode und im Durchdenken der Todesstunde ganz erlebt wird. Denn Rechtfertigungsfrage und Sterbensfrage fallen für Luther ganz zusammen.1) Den Christen schreckt dann nicht mehr der grausame Anblick der ewigen Finsternis; denn das ist ja das neue Evangelium, das Luther in seiner urchristlichen Reinheit immer und oft verkündigt, fast in jeder Predigt, in mancher Tischrede, daß der Tod dem Frommen und Gottfürchtigen nur ein Eingang zum neuen Leben sei, nur ein Schlaf, von dem er zur Herrlichkeit aufwache. „In den Tod müssen wir alle und dahin sterben, aber ein Christ schmeckt oder siehet den Tod nicht, das ist, er fühlet ihn nicht . . ." Es ist ein leiblicher, süßer Tod, ein Schlaf, nicht mehr ein rechter, ewiger Tod2). Oft A l t h a u s d. j. a. a. O. S. 22. Die Stelle E% A. 25, 205ff.; in anderer Fassung ebd. S. 252; vgl. auch 33, 117. — Zum Ganzen meine Einleitung zu den Tischreden in der Münchner Lutherauegabe Bd. V I I I (1925), S. X X V I I I f f . s ) 11, 146; 9; 151; 51, 140. Außerdem ähnlich 52, 361; 5, 109, 158; 6, 469ff., 18, 180, 361; 34, 365; 45, 11. Dazu die Tischrede a. a. Ο. VIII, Nr. 553 und Erlanger Ausgabe Nr. 2498, 2499.
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klingt es in Luthers Schriften herzlich und eindringlich : wir sollten uns vor dem Tod nicht so sehr fürchten, weil wir das Wort des Lebens hätten. So wandelt sich für Luther die Frage des Todes in eine Frage des Lebens, der Auferstehung. Überall sieht er Leben und Lebendigkeit, so, „daß der Tod, der um ihn ist, sei wie ein Fünklein Feuers und das Leben wie das Meer groß". Der Gottlose aber hat das Wort nicht ; darum sieht er auch kein Leben, sondern eitel Tod, er gehet vom Leben und fühlt den Tod ewig1). Immer wieder malt Luther die Schrecken des Todes für den Unfrommen aus, für den es nichts Schrecklicheres und Graulicheres gibt. Der Ungläubige unterliegt, der Gläubige aber überwindet den Tod nicht nur zeitlich und ewig, sondern auch geistig. Todüberwindung — das ist das große und mächtige Evangelium, das Luther unermüdlich verkündet, Todesverachtung des furchtlosen und glaubensstarken Menschen im keuchenden Kampf, in einem sehr schweren und gefährlichen Krieg. Zwei Reihen laufen in Luthers Erwägung über den Tod nebeneinander her : einmal erscheint der Tod als süßer Schlaf, dann wieder als Kampf. Das ist kein Widerspruch, sondern es sind nur die zwei Gesichte, die der Reformator hier am Tod sieht, es sind Stimmungen, wechselnd und sich wandelnd, doch sie fließen aus der Einheit seines Erlebnisses, nur daß hier der Kampf und dort schon die Ruhe nach dem bestandenen Kampf geschaut wird. Dies freundliche Todbild ist hart errungen ; das andere, das eigentliche Todbild aber steigt immer dann auf, wenn Luther an Paulus anknüpft und von Kämpfen und Streiten spricht, wenn er weniger auf das Ziel als auf den Weg dahin schaut. Und dieses Todbild darf man als das besonders reformatorische ansehen. Hier lebt das starke und laute Betonen des Kampfes, hier ist mehr Todverachtung als Todüberwindung, mehr das Ringen um den Sieg als schon der Sieg selbst. Der Christ verachtet den Tod, er ist ein Gelächter für ihn. „Wenn nun der Tod an einen gläubigen Christen kommt, so spricht der Christ: Bene veneritis, lieber Tod, was bringt Ihr Gutes? Was sucht Ihr hier? Weißt Du nicht, wen ich bei mir habe? Christus ist meine Gerechtigkeit, Lieber, gehe her und nimm sie mir, wenn Du sie mir nimmst, so will ich Dir folgen ; Du wirsts aber wohl lassen. Also trotzen dieChristen dem Tod" (41,213). 36, 27; 5, 309, 315, 316; 52, 314. Auch die Tischrede Nr. 2497 und VIII, Nr. 556.
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Das ist ein ganz neuer, im Mittelalter unerhörter Ton, der alte paulinische, den Luther erlebt und sich völlig zu eigen macht: „Der Tod ist verschlungen in dem Sieg, Tod wo ist dein Stachel ? Hölle wo ist dein Sieg?" Oft, am hinreißendsten am 31. Mai 1545, hat Luther über dieses Wort gepredigt und über den Todessieg Christi und den Sieg des Lebens gejubelt; und auch in seiner geistlichen Liederdichtung tönt dieses Bewußtsein fort, den Tod sich dienstbar machen zu können, in dem Sinne, daß der Tod „ein heilsam Ding sei allen denen, die an Christum glauben 1 )." Es ist die ringende Kraft der Gestaltung des Widergöttlichen, der ethischen Anverwandlung, die man hier nach dem ethischen Vorgang des Saazers (und nach dem ästhetischen Petrarcas) zum erstenmal sieht und dann immer wieder in der deutschen Geistesgeschichte findet, im Rationalismus und in der Klassik. Luther ringt mit dem Tod wie er mit dem Teufel und seinen Anfechtungen fast real gekämpft hat. „Aus dem Tode hat er mir oft ein solch Bild gemacht, daß ich vor Schrecken hätte mögen sterben," bekennt er selbst (3, 329). Auch Luther hat das Bewußtsein der Todhaftigkeit, und man kann der Stellen viele anführen, in denen es sich prägt: „Ist doch an uns Menschen anders nicht, denn der Tod." Wie Augustinus nennt auch er das Leben einen stets währenden Gang zum Tode. Aber derselbe Luther, der die alte Antiphona ,.media vita in morte sumus" erneuert, fordert nun auf : „Also kehret sich das Liedlein um, so man singet : Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen. Und singen jetzt: Mitten wir im Tode sind von dem Leben umfangen." Die Todestiefe fühlt auch Luther erschauernd, aber dann um so stärker die Errettung durch die Gnade im Erlösertod und den Jubel der Auferstehung und Wiedergeburt; so hat er auch das Sakrament der Taufe symbolisch, als Sterben und Wiedergeborenwerden, als Tod der Sünde und Auferstehung empfunden und gedeutet2). Luthers Erlebnis des Todes, so stark es ist, wird immer wieder von neuem in dies Erlebnis der gnadevollen Wiedergeburt, der Uberwindung, des !) Die Predigt vom 31. Mai 1545 steht E. A. 20, 334--350. Vgl. auch 3, 302. Luthers Äußerung über die Sequenz: Agnus redemit oves. Aus der Lieddichtung die Stellen S. 273, 282, 295, 298, 310, 314 der Münchner Lutherausgabe Bd. VII (ed. Behm). 2 ) Darüber neuerdings C. S t a n g e , Der Todesgedanke in Luthers Tauflehre, Ztschr. f. syst. Theol. V (1928), S. 758-844.
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Sieges hineingenommen und gleichsam überdeckt. Es ist in wahrhaft großer und ethischer Form eine neue Lebensfreude, eine neue Weltfreundlichkeit und Weltheiligung, die nach Tat und Pflicht, nach Aufgabe und Erfüllung sucht, die überall zuerst das Leben und nicht die Verwesung sieht und so im stärksten Gegensatz zum spätmittelalterlichen Lebensgefühl mit seinem Todesgedanken, seinem Seelen- und Heiligenkult steht 1 ). Ein neues Lebensgrundgefühl bricht hier überall hervor, in dem das Todesgefühl ganz aufgegangen ist. Denn diese Lebenseroberung ruht auf dem Grund der Todesüberwindung. Todesverachtung suchte und fand Luther in seinem Glauben, aber auch in der Vergangenheit, besonders in der römischen Antike. Darum war ihm ja Cicero so teuer und verehrungswürdig, weil er hält, es sei ein Leben nach diesem, es müsse ein ewig Gemüte sein. Cicero hat sich fein können trösten als ein Heide, denn er hat gesagt: „Hernach werden wir entweder nichts oder selig sein." Und ein andermal fragt Luther, warum die Heiden so schöne Ding vom Tode geschrieben haben, da er doch so grausam, häßlich und gräßlich sei. Wie ein Vorwurf klingt es: „Haben die Heiden den Tod so gering geachtet, ja so ehrlich und hoch gehalten, wie viel mehr sollten wir Christen es tun ? Denn die armen Leute haben vom ewigen Leben weniger denn nichts gewußt; wir wissens aber; noch fürchten wir uns und erschrecken so hart, wenn man uns vom Tode saget 2 )." Aus solcher Gesinnung heraus schreibt Luther in der Einleitung zu einer Sammlung von Begräbnisliedern 1542 : „Wir Christen... aber . . . sollen uns üben und gewöhnen im Glauben den Tod zu verachten und als einen tiefen und süßen Schlaf anzusehen . . . Demnach haben wir in unsern Kirchen die päpstlichen Greuel als Vigilien, Seelenmessen, Begängnis, Fegfeuer lind alles andere Gaukelwerk, für die Toten getrieben, abgetan und rein ausgefegt, und wollen unser Kirchen nicht mehr lassen Klaghäuser oder Leidstätten sein, sondern wie es die alten Väter auch genennet, Coemeteria, das ist für Schlafhäuser und Ruhestätten halten." 56, 389ff.; vgl. auch Fr. S t r i c h , Renaissance und Reformation, Viertel]ahrsschrift I (1923), S. 582 bis 612; bes. S. 594ff. und A l t h a u s a. a. O. S. 33ff. *) Tischreden a. a. O. VIII, Nr. 555, 557, 558, 626 und Einltg. S. XXVII ff. Unsterblichkeit der Seele ist für Luther, unter der üblichen Verkennung des grundlegenden Unterschiedes, nur ein anderer Ausdruck für e w i g e s L e b e n : jedenfalls spricht Cicero von der Seele, und Luther deutet diesen passus nun ins Christliche um. Diese Stelle
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Das ist das neue Bewußtsein: dem Tode trotzen zu können und frei zu sein, über ihm zu stehen; in dieser Stimmung lebt das Triumph- und Hochgefühl aus Luthers Schrift von der Freiheit eines Christenmenschen von 1520. Und hier findet man dann die stolzen und doch demütigen Worte, aus welchen die innere Berechtigung, die ethisch-religiöse Grundlage dieser festen Sicherheit im Diesseits hervorgeht: „Ein Christenmensch wird durch den Glauben so hoch erhaben über alle Dinge, daß er aller Herr wird geistlich, denn es kann ihm kein Ding nicht schaden zur Seligkeit. J a es muß ihm alles Untertan sein und helfen zur Seligkeit, . . . es sei Leben, Sterben, Sünde, Frömmigkeit . . . Nicht daß wir aller Dinge leiblich mächtig sind, sie zu besitzen und zu brauchen, wie die Menschen auf Erden, denn wir müssen sterben leiblich und kann niemand dem Tode entfliehen... Denn dies ist eine geistliche Herrschaft, die da regiert in der leiblichen Unterdrückung, das ist, ich kann mich an allen Dingen bessern nach der Seele, daß auch der Tod und Leiden müssen mir dienen und nützlich sein zur Seligkeit 1 )." Diesen lutherischen Geist nun muß man in der Literatur des 16. Jahrhunderts suchen. Dabei ist allgemein zu beachten: von einer Dichtung kann man in den seltensten Fällen reden, denn das Schrifttum trägt den Charakter der Tendenz, dient eineinseitig tathaft in den aufrüttelnden Jahren dem reformatorischen Kampf, später dann der protestantischen Lehre und sucht bildlich-literarisch zu gestalten, was Luther wollte und meinte. Freilich lebt seine hohe Gesinnung oft nur noch gebrochen in diesen Denkmälern, die das Ethische zum Pfäffisch-Kleingeistigen umbiegen. Luther wirkt stark auf den Stoff und Gehalt der Literatur; allenthalben zeigt sich das, wenn es auch ganz unrichtig ist, in wird in der Kontroverse über die Frage der Unsterblichkeit bei Luther nicht beachtet: vgl. C. S t a n g e , Die Unsterblichkeit der Seele, Gütersloh 1925, S. 133—144; dann P. A l t h a u s , Die Unsterblichkeit der Seele bei Luther, Ztschr. f. syst. Theologie I I I (1926), S. 725 — 734; dagegen C. S t a n g e , ebd. S. 735 — 784: Zur Auslegung der Aussagen Luthers über die Unsterblichkeit der Seele. Auch F . B l a n k e , Die Bedeutung von Tod, Auferstehung und Unsterblichkeit bei Luther, in „Luther" 1926, S. 49—56. Münchner Ausgabe II, S. 233; ebd. auch S. 235f. Vgl. auch K. H o l l , Was verstand Luther unter Religion? in den Ges. Aufsätzen zur Kirchengeschichte I, Tübingen 1921, S. 66.
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der Literatur der Reformationszeit neue Kräfte besonders dichterischer Art sehen zu wollen1). Im Drama gewinnt Luther den nachhaltigsten Einfluß, so daß man geradezu von einem protestantisch-lutherischen Tendenzdrama sprechen kann. Das Drama bevorzugen die meisten, weil sie sich hier eindringlich an die Öffentlichkeit wenden können. Und wo es sich um die Gestaltung des Todesgedankens handelt, läßt sich die Einwirkung des Reformators in einer ganz bestimmten Richtung erkennen. Jener noch echt spätmittelalterliche Drang Luthers, alles sich bildlich und leibhaft vorzustellen, auch das Abstrakte sich zu vergegenwärtigen, führt ihn nun dazu, vielleicht angeregt von der bildlichen Uberlieferung, sich den Tod als Gesellen des Teufels zu denken ; er sieht förmlich, wie er den Menschen mit Spieß und Schwert bedroht und ihn erwürgen will, aber auch wie Christus den Feind vernichtet. Daraus erklärt sich, daß nun der Tod in so vielen Schauspielen auftritt. Schon die Totentänze hatten dazu beigetragen, den Tod zur volksläufigen Gestalt zu machen. Das ging jetzt noch weiter: man biedert sich immer mehr mit ihm an, er gesellt sich unter die große Menge, und was er an Popularität gewinnt, das verliert er an Unnahbarkeit und symbolischer Höhe. Die neue Predigt von der Todvernichtung wirkt auch hier. Der Tod ist herabgestiegen, und die Neigung des 16. Jahrhunderts zur derben Burleske drängt ihn immer mehr ins Lächerliche hinein; daß Luther ihn dem Teufel gleichgesetzt hatte, und er jetzt seine Residenz in der Hölle aufschlug, das hob nicht gerade seine Würde und sein Ansehen. Der Allgemeinheit droht das Bewußtsein seiner strafrichterlichen Gewalt zu schwinden, und bald ist es so, daß er als der dumme Prahlhans dasteht, der, um es derb zu sagen, von Christus um seine Macht geprellt wird. Seine einstige Pracht ist vergangen, er fristet ein kümmerliches Dasein, und mit seinem Namensvetter im Ackermann kann er sich nicht mehr vergleichen2). Entweder kommt der Tod auf die Bühne wie im Totentanz, oder er zeigt 1
) Vgl. dazu P. Merker, Reformation und Literatur, Weimar 1918. ) Vgl. auch E. Mâle, L'Art religieuse de la fin du moyen-âge, Paris 1908, S. 3 7 5 - 4 2 2 : La Mort; S. 376, 381. „Aucun siècle ne fut plus familier avec la mort que la XVI*; ces générations semblent avoir fait amitié avec elle; ils mettent partout son image. Le père de famille qui se fait bâtir une maison, y fait d'abord sculpter la figure de la Mort." a
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sich echt lutherisch im Bündnis mit Teufel und Sünde und will den Christenmenschen wanken machen und ihn um das Seelenheil bringen. Daß Tod, Sünde, Gesetz und Teufel den Christen bedrängen, ist ein Paulinischer Gedanke, aber die entscheidende bildliche Form gibt ihm erst Luther. Bei ihm heißt es einmal von Paulus, er mache „aus Gesetz, Tod, Sünde Eigenpersonen, gleich als wären es drei Kriegsmänner und als hätte Christus wider drei Heerspitzen schreiten müssen" (20, 344). Hier knüpft in der Folge das protestantische Drama an. Schnell sei das Entscheidende gemustert: die Umsetzung des Todesgedankens in eine bildliche, aber wie schon hier gesagt werden muß, in eine sehr äußerliche, todferne Gestalt. Daß der Tod der Sünde Sold sei, steht auch der Dichtung fest. Nur wenige führen das ganze Drama von Fall und Erlösung des Menschen vor, so etwa Rueff, Voith, Krüginger, Batholomäus Krüger. Nach der Verführung durch die Schlange kommt in Rueffs Adam und Eva von 1550 der Tod und rühmt sich seiner Macht: wo die Sünde regiere, da sei auch er. Und ebenso trumpft er in Voiths didaktischem Spiel vom Fall des Menschen (1538) vor seinen Spießgesellen, Gesetz, Sünde und Satan, auf. Nach Christi Tod triumphieren sie alle, am lautesten der Tod. „Ja ich mein, ich hab ihm eins geben, mitgenommen sein ganzes Leben." Aber Angst beschleicht sie, als sie von ferne den erstandenen Christus mit dem Banner in der Hand daher schreiten sehen, und der Tod wünscht sich weit fort, als Christus am Höllentor pocht und Einlaß fordert. Er bindet und überwindet die vier Feinde und dem Tod erweist er das Frevelhafte seines Glaubens, Gottes Sohn töten zu können. Keine Gewalt soll er mehr über die Menschen haben ; die an Christus glauben, „die sind von dir erlöset fein, durch dich ins Leben dringen nein". Ganz ähnlich in der Anlage, nur wuchtiger in der Ausgestaltung, führt Bartholomäus Krüger 1580 im Rahmen seiner Aktion von dem Anfang und Ende der Welt aus, wie der Tod, Athanatus, zuerst sich über seinen Sieg prahlerisch gebärdet und dann doch, kleinlaut gedemütigt, all seiner höllischen Macht verlustig geht, Aber Krüger schließt hier nicht, sondern verbildlicht jetzt gleichsam das Wort Luthers, daß ein jeder für sich den Tod überwinden müsse. Alle die höllischen Mächte bedrohen zusammen den furchtlosen Christopherus : der „hielt einen ritterlichen Streit mit Tod und aller Teufelsschar, ob sie an ihm versuchten zwar
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ihr beste Kunst, verlorene doch1)." Hier, bei Voith und Krüger, kann man die völlige Verteufelung des Todes im Anschluß an Luther deutlich beobachten; und diese Verteufelung findet sich aller Orten, besonders in den Dramen, die den alten, in der Reformationszeit mit neuem Erlebnis erfüllten Gedanken des christlichen Ritters versinnlichen wollen2). Es kennzeichnet den Geist des Jahrhunderts und seinen ethischen Willen, den Sieg über den Tod immer wieder bildlich vor aller Augen zu stellen. Das süddeutsch-schweizerische Drama dagegen rückt nicht diesen Sieg und auch nicht den Kampf in den Mittelpunkt, wiewohl lutherischer Einfluß nicht fehlt, sondern bewahrt sich noch immer seine Verwandtschaft mit der mittelalterlichen Moralität : in der Grundhaltung steht es dem Totentanz noch nahe. Das „media vita", das Todesleid formt hier den Todesgedanken. Überall kommt der Tod nicht so sehr als Ritter denn als Schnitter und Zerstörer mitten ins Leben hinein und holt sich seine Opfer. So etwa in Gengenbachs 'Zehn Altern' von 1531 (Bearbeitung Wickrams), wo der Tod sich im letzten Auftritt zu dem Hundertjährigen gesellt und ihm vorhält, daß er sich nicht auf den Tod gerüstet habe. Oder in Rueffs 'Adam und Eva' ; und ausgeprägter noch im Spiel von fünferlei Betrachtnissen des Johann Kolroß (1532), der die Summe seines Spiels auf dem Titelblatt zusammenf aßt : wer den Tod Christi, sein eigenes Sterben, den Betrug der Welt, die höllische Pein und die himmlische Freude betrachtet, der sündigt nicht mehr. Hier will der leichtsinnige Jüngling sein Leben genießen, da doch Christus ihn vom Tod erlöst hat; aber der Tod kommt und nun bittet er den Grimmen um Aufschub, damit er sich bessern 1
) R u e f f , Adam und Eva ed. Kottinger, Quedlinburg 1848, S.44; V. 1411-1448; vgl. den Herold V. 18ff. - V o i t h ed. Holstein, Lit. Ver. 170:1, 6; II, 1, 3, 4, 6; V, 7, 9, 10. — K r ü g e r ed. Tittman, Leipzig 1868 (Deutsche Dichter des 16. Jhd. III, 2, S. l - 1 2 0 f f . ) , S. 21, 33ff.; 50, 60ff. ; 6 8 - 7 2 , 81ff.; 103-106, 119. *) A. B r e s c n i c e r , Christi. Ritterschaft 1553; Joh. H e r o s , Irdischer Pilger 1562, Cl. S t e p h a n i , Geistl. Aktion 1568, Fr. D e d e k i n d , Spiel vom christl. Ritter 1576. Vgl. darüber K. G o e d e k e , Everyman, Hannover 1856, S. 92—107. — Erwähnt sei auch P e t r u s M e c k e l s Gespräch von der Anklage Satans gegen das menschliche Geschlecht (1571), wo Satan vor Gott den Tod für den sündigen Menschen verlangt, ihm aber bedeutet wird, Christus habe den Tod vernichtet. Abgedruckt bei T i t t m a n n a. a. O. I, S. 247 — 286.
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könne. Und der Tod mahnt ihn, an sein Heil zu denken und immei auf ihn zu warten. „Lychlich der mensch all ding veracht, der allzyt sinen tod betracht." Dieses Spiel enthält auch die Szene von jenem Mägdlein, das weit über den Rhein fliehen will, um dem Tod zu entrinnen. Das ist ein stimmungsschwerer Gedanke, der in seiner Ursprünglichkeit die tiefmenschliche Todesangst und den hilflosen Wahn ausdrückt, man könne durch räumliche Entfernung dem Tod sich zeitlich entziehen. Dieselbe Tragik liegt in dem urtümlich kindlichen Beginnen des „Lebens" im Spiel des Mercatoris, das glaubt, durch hohe Mauern und eine feste Burg sei man vorm Tode sicher. Aber der Tod steigt über die Mauern und kommt über den Rhein, er wird seine Beute holen. Ob Du nu wegtust fliehn Ein halbes Jahr aus dem Land, Dir kann ich wohl nachziehen, Bin überall bekannt. Freilich, solche rein menschliche Stimmung, die das Todesleid der Zeit unübertrefflich in sich faßt, hält sich nicht lange; die moralische Haltung drängt sich vor. In Kölrossens Schlußrede erklingt die Mahnung, das Leben als eine Ritterschaft verpflichte zum Streiten ; den Betrug der Welt solle man bedenken und den Tod und wie ungewiß des Todes Stunde sei. Mit solcher Moral schließt auch Valentin Boltz seinen 'Weltspiegel' von 1550. Hier dringt der Tod mitten in ein Saufgelage, erschießt alle mit seinen Pfeilen und rühmt sich seiner ihm von Gott verliehenen Macht1). Solche 1 ) In G e n g e n b a c h e Fassung der zehn Alter tritt der Tod nicht auf, erst in Wickrams Bearbeitung, abgedruckt in dessen Werken ed. B o i t e , Bd. V, S. 1 — 34, Rede des Todes S. 29, die, wie Bolte in der Einltg. S. XXIf., XXIV nachweist, 'in den Lazarus' von 1529 (Schweizerische Schauspiele I, S. 46), in Genepps 'Homulua' und in noch zwei andere Dramen übernommen wurde, ein Zeichen dafür, wie sehr solche Moralisation aus dem Munde des Todes, der so zum Prediger wird, beliebt war; freilich ist es eine andere Art der Moralisation als in den ma. Spielen und Totentänzen. — K o l r o ß in Schweizer. Schauspiele I, S. 51—100; bes. S. 66ff. ; 87ff. ; 95ff. ; s. auch J. B ä c h t o l d , Literaturgeschichte S. 350 über Funkelins Lazarusspiel, das die Rede des Todes von Kolroß in seinen 4. Akt übernimmt. Ebd. S. 339 über ein hs. Auferstehungsspiel von 1544, in dem der mit dem Spieß bewaffnete Tod auftritt und Adam preist, durch den die Sünde in die Welt gekommen ist. — B o l t z , in Schweizer. Schauspiele II, S. 99ff.; bes. S. 203ff., 219, 226ff. ; 307ff.; 345. Dazu F. Mohr, Die Dramen des Val. Boltz,
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Moralitäten, die dem „memento mori" dienen, fassen den Gedanken des Todes nicht in dem Sinne wie die norddeutschen Dramen; sie zeigen dafür mehr vom eigentlichen Todesgefühl des Jahrhunderts. Sie stellen die Plötzlichkeit des Todes dar, nicht die Gewißheit, vom ewigen Tod durch den Glauben errettet werden zu können. Die Zeit, die mit so festen Füßen im Leben stand, mußte das Leid des Todes doppelt tief ergreifen. Eindringlicher als sonst im Schrifttum und darin verwandt der bildenden Kunst dieser Zeit wird hier die Spannung zwischen Leben und Tod zum Bewußtsein gebracht, denn hier offenbart sich überall das renaissancemäßige Grundgefühl der Lebensbejahung, nur ohne die starke Gewißheit, dem Tode trotzen zu können. Dies „media vita" verkörpert sich ja dann in der weltgültigen Form der Allegorie. Die Dramengruppe der Jedermannspiele stellt die Todesauffassung der Zeit mit besonderer Einprägsamkeit dar1). Zu every man, dem Sündigen, tritt jäh der Tod als ein dunkles Geschick, als Bote Gottvaters, der ihn vorlädt, Rechenschaft über sein Leben abzulegen; denn dies Leben sei ja nur ein geliehenes Gut, das er wieder in die Hände Gottes zurücklegen müsse. Vergeblich bittet Jedermann um Aufschub, er will den Tod mit Gold bestechen, aber es hilft nichts. Er muß sich zum Diss. Basel 1916, S. 34ff. — Man sehe auch die Tragödie eines Anonymus 'Vom ungerechten Richter' von 1592, abgedruckt im Anhang zu den Dramen des Herzogs Heinrich Julius, Lit. Ver. 36, S. 812—837; S. 38Iff. Anima, Todt, Richter. — Über eine Fronleichnamsprozession in Spanien aus dem 16. Jhd. mit den Triumphsymbolen des siegreichen Christus, der Tod und Sünde, Welt und Hölle als Überwundene vor sich herführt (in Deutschland gibt es das im 15. Jhd. nicht), vgl. L. Pf a n d l , Spanische Kultur und Sitte des 16. und 17. Jhda. München 1924, S. 96. Man darf auch an das Fronleichnamspiel vom 'Reichstag des Todes' erinnern, das bei Cervantes im Don Quichote II, Kap. 11, erwähnt wird. *) K. G o e d e k e , Everyman a. a. O. (vgl. auch die Moralität ,,The pride of Life" bei A. B r a n d l , Quellen des weltl. Dramas in England (QF. 80), S. 1 - 3 5 u. Einltg. S. XHIf.). Weiter J. B o l t e , Düdesche Schiomar 1889; ders., Drei Schauspiele vom sterbenden Menschen, Lit. Ver. 269/270: Münchner Spiel, Hekastus, Mercator; J a s p a r v. Gennepp, Homulua ed. P. Norrenberg, Viersen 1873. S a c h s , Lit. Ver. 110, S. 137—187. — Allgemein C r e i z e n a c h I«, 4 7 2 - 4 7 5 ; II», 1 3 7 - 1 4 3 ; III», 283 und W. B r e c h t , Die Vorläufer von Hofmannethals 'Jedermann' in: Öster. Rundschau 1924, S. 271-287.
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Tode rüsten und wird von allen Freunden, auch von Schönheit, Stärke und Verstand verlassen, nur allein die guten Werke bleiben ihm treu und helfen ihm in der Todesnot, sie geleiten ihn ins Grab und vor Gottes Thron. Die an den Tod nicht denken, denen ist er am nächsten, das ist die Grundmoral. Aber der reuige Sünder erlangt die göttliche Gnade. Was die Moralität an strenger Gehaltenheit und Würde in der deutschen Bearbeitung verliert, das gewinnt sie an Fülle und Anschaulichkeit. Die lateinische Bearbeitung des Stoffes durch Ischyrius (Homulus 1538) und hauptsächlich durch Macropedius (Hecastus 1538) leiten den Stoff nach Deutschland; hier wird er von Hans Sachs in seinem Spiel vom reichen sterbenden Menschen aufgegriffen, dann von Jaspar von Genepp im 'Homulus' 1540, der das Motiv des rückfälligen Sünders hineinbringt, von Culmann 1539, von Thomas Naogeorg im 'Mercator' 1540 und von Johannes Stricker im 'Düdeschen Schlömer' 1584. In Deutschland macht der Stoff die bezeichnende lutherische Wandlung durch: nicht die guten Werke können den Sünder erretten, sondern allein der Glaube. In der polemischen Durchführung dieses dogmatischen Gedankens erstickt Naogeorg das eigentliche Todesproblem völlig, und auch in Genepps 'Homulus' tritt es zurück gegenüber der antilutherischen Tendenz, die Alleinseligmachung durch die guten Werke zu erweisen. Stricker dagegen in seinem satirischen Sittenspiegel folgt wieder Luther. Aber in allen diesen deutschen Spielen — darauf kommt es hier an — sinkt der Tod auf die niedrigste Stufe und gesellt sich wieder zum Teufel wie in den lutherischen Stücken : so schon im 'Hekastus' des Macropedius, in dem Tod und Teufel in Streit geraten, weil die Seele durch des Todes Verzögerung zum Heil gelangt ; das Gleiche findet man bei Sachs, der einfach die Vorlage überträgt, bei Genepp, der seinem Spiel den Untertitel gibt : „der Sünden Lohn ist der Tod", am gewaltigsten aber bei Stricker. Da ist der Tod, Bleke Strekebeen, in seiner zynisch-höhnischen Gebärdung wirklich großartig und nicht ohne Dämonie gezeichnet ; unverhohlen und grinsend bekennt er seine Verwandtschaft mit dem Satan. Bei allen wird die Sterbeszene des Sünders zu einer bildlichen Gestaltung der ars moriendi, wo die feindlichen Gewalten die Seele des Menschen bedrängen und schließlich das Feld räumen müssen1). *) Hierher gehört auch das 'Münchner Spiel von einem sterbenden Menschen' von 1510 (jetzt herausgegeben von B o i t e a. a. O.
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Der Schritt zum Lächerlichen auch in der Todesdarstellung war ja bald gemacht, wenn Tod und Teufel um die Seele des Sünders streiten. Von Krüger über Rassers Comödia vom König, der seinem Sohn Hochzeit macht (1575), geht der Weg jäh hinauf zu Wolf hart Spangenbergs Tragödie von 1613, 'Mammons Sold allen Ständen dieser Welt zur Lehr'. Da führt Satan drei Gesellen der schönen Frau Reichtum zu, und plötzlich fallen dieser die Kleider vom Leib und der Tod steht da mit Pfeil und Bogen und zwingt die Widerstrebenden, den Totentanz zu drehen. Genialer und kühner noch gestaltet Spangenberg die Begegnung des Todes mit den drei Frauen der Getöteten, deren tätliche Angriffe dieser, der sich ihnen als verführerischer Bräutigam genaht, nach seiner Entlarvung kaum abwehren kann; aber am Ende schießt er sie alle drei mit seinen Pfeilen ab. Und auch hier dann die Moral, vom Tod selbst gesprochen, das sei der Lohn, wenn man dem Mammon folge; Frömmigkeit solle man nicht bis zur letzten Stunde sparen, dalange zu zaudern nicht seine Sache sei. „Denn ich bin dieses Lebens Ziel". Dies Stück Spangenbergs gibt eine großartige Burleske von unheimlicher Ironie, die sich noch durch die Grausamkeit eines vermenschlichten Todes erhöht ; in ihr weht ein freier und kühner Geist, dem man aus der Kunst etwa die Todesbilder von Niclaus Manuel oder von Holbein gegenüberstellen kann, so sehr freilich immer noch A. W. Schlegels Bemerkung zu Recht besteht, die Allegorie des Totentanzes habe in der Poesie keinen Holbein gefunden 1 ). Das fast schon manieristische Spiel mit dem Tode, das so tragisch ausgehen muß, zeigt schon etwas von dem jäh aufbrechenden TodesbewußtS. 1 — 62), eine Art Dramatisierung der „ars moriendi", der Everymangruppe in wesentlichen Zügen verwandt und in diesem Zusammenhang auch deshalb wichtig, weil, worauf bisher noch nicht, auch nicht von Bolte, aufmerksam gemacht wurde, hier in der Rede des Todes wörtlich das 16. Kapitel des Ackermanndialoga benutzt wird. Allgemein Fr. H o l l , Das politische u. religiöse Tendenzdrama des 16. Jhd. in Frankreich, 1903, S. 137-142. 1 ) A. W. S c h l e g e l , Bonner Vorlesungen 1818/19 ed. J. Körner DLD. 147, S. 153. — M. S p e n l e , Die Lebensdarstellungimelsässischen Volksschauspiel des 16. u. 17. Jhds. Diss. Straßburg 1916, S. 106ff. W. S p a n g e n b e r g , Ausgewählte Dichtungen ed. E. Martin, 1887, S. 259 — 304; dazu J. S c h w a l l e r , Untersuchungen zu den Dramen Spangenbergs, Diss. Straßburg 1914, S. 85 — 91. E. S c h m i d t , Charakteristiken I s , S. 31.
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sein und dem ganz persönlichen Todeserlebnis eines Jahrhunderts, das sich zum großen Krieg rüstet ; in der Manier, im Spiel, in der unheimlichen Satire verbirgt man das Pathos des Todes — allein so kann man noch seine Gewalt ertragen 1 ). Spangenberg empfindet den Tod zwar nicht ausgesprochen religiös, aber doch noch in seinem strafrichterlichen Charakter. Freilich schreitet er schon weit hinein in eine Gesinnung, die vor einer Verhöhnung des Todes nicht zurückschreckt, bezeichnend besonders dort, wo er an die Antike anknüpfen kann, in den Hinzudichtungen seiner Ubertragung der euripideischen 'Alcestis', die er 1604 für das Straßburger Akademie-Theater fertigstellte. Da ist der Tod der Großsprecher, dem es dann schlecht in seinem Kampf mit Herkules ergeht. Der Rücken wird ihm zerbrochen, Pfeil und Bogen vernichtet, Spott und Schaden trägt er davon, aber er wird warten und sich rächen, da auch Herkules zum Totentanz kommen muß2). Aus all dem ersieht man, daß der Tod wirklich dem 16. Jahrhundert zu einer Gestalt des täglichen Lebens geworden ist, daß er damit auch alle Hoheit früherer Zeit verloren hat; über Spangenberg hinaus geht es nicht weiter. Es ist stets lehrreich, den Stilwandel im Todesgedanken beobachten zu können, besonders dann, wenn ein Werk der früheren Zeit später noch einmal umgeformt wird. Da kann man sehen, wie sich das Lebensgefühl mit dem der Vergangenheit auseinandersetzt. Das stimmungsschwere niederdeutsche Streitgedicht zwischen Leben und Tod wurde von Nicolaus Mercatoris in dem Fastnachtsspiel von dem Tod und von dem Leben — 1576 erschien es im Druck — erbaulich-didaktisch erweitert und 1
) Es ist außerordentlich bezeichnend, daß auch W. P i n d e r , Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte, Frankfurt 1926, S. 67 ζ. B. als „innersten Kern und Trieb des reifenden Manieriamus", dessen geistesgeschichtliche Stellung und Typik W. W e i a b a c h in der Ztschr. f. bild. Kunst 1919 ausgezeichnet auch in aeiner Morbidität umriasen hat, „das überall durchblickende Todesbewußtsein" (hier bei dem älteren Breughel) erkennt. 2 ) Griech. Dramen ed. D ä h n h a r d t , Lit. Ver. 211, Alcestis 1. Akt V. 1 7 1 - 2 0 4 ; V. 2018-2097; Hekuba V. 1592; vgl. Einltg. S. 15ff. — Hier sei auch auf J. Ayrera Fastnachtaspiel vom Bauern und seinem Gevatter Tod verwiesen, Lit. Ver. 79, S. 2467, 2489. Der Tod macht den Bauern reich und schleppt dann den hochmütig Gewordenen zum Totentanz.
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mit persönlichem Schluß versehen; und der Ackermann-Dialog wird 1556 von Jörg Wickram in dem Kapitel seines Moralgedichts 'Irreitend bilger' neu bearbeitet: 'Ein Klagspruch eines reichen Herren über die Stund und den Tod, die ihn seiner liebsten Hausfrau beraubt haben 1 ).' Arnold nennt sich der Witwer und aus Prag, also auch aus Böhmen stammt er. Auch ihn hat der Schmerz um seine ihm jäh entrissene Frau zur flucherfüllten Anklage gegen den grimmen und schändlichen Tod getrieben. Er fordert Rechenschaft, ebenso wie das Leben im Streitgedicht den Tod zum Kampf auffordert. Aber nun im Schluß kann man den ganzen weiten Abstand zwischen den Zeiten ermessen: im Streitgedicht wirft das Leben sein Schwert fort und fleht Gott um seliges Ende und ewige Freude, als der Tod ihm seine unwiderstehliche Macht offenbart, und gleichfalls bescheidet sich der Pilger und bittet Gott um Verzeihung seiner Sünde und Schuld, daß er wider seinen Willen gestritten habe. Der Ackermann hatte bewußt den Tod als den Feind der Menschen und Gottes angegriffen und hatte nichts davon zurückzunehmen ; er bleibt aufrecht bei aller Demut vor Gott, während hier der Pilger sich selbst noch seiner Angriffe gegen den Tod beschuldigt, „alswann allein war sein die schuld," wo doch der Tod seiner Frau nur die Strafe für sein Weltleben sei. Er schmäht die Schlechtigkeit der Welt, wo der Ackermann sie preist und fest in ihr steht. Beide Male ist wohl der religiöse Schluß da, aber er stammt doch jedesmal aus einer anderen Wurzel : beim Ackermann aus einer freien Gott- und Weltfrömmigkeit, beim Pilger aus einer eng moralischen und unfreien Gesinnung. Es fehlt das Ringen mit dem Problem, die eigene ethische und künstlerische Gestaltung, die Todüberwindung. Es ist die moralistische Verbürgerlichung eines ehemals adligen Ethos, ein Abstieg der Frömmigkeit — sie wird bequem — und wieder die Einengung des Erlebnisses durch ein Dogma: darin durchaus holzschnittmäßiges, biederes spätes sechzehntes Jahrhundert, ohne großen Schwung der Seele und ohne Weite der Weltauffassung wie in den Tagen der anbrechenden Reformation. Und auch die Gestalt des ') Mercatoris Fastnachtsspiel bei W. S e e l m a n n , Mittelniederdeutsche Fastnachtsspiele 1885, S. 30—44 (das alte S. 45 — 48), Einltg. S. X X X I f f . - J. W i c k r a m ed. Boite IV, S. 1 2 3 - 3 7 5 ; dazu die Einltg. S. XXXVI—XL VI u. S. X X X V I I Anm. 2. E. S c h m i d t , Archiv f. Lit. 8, 325-332.
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Todes trägt nicht mehr das Gepräge des Großen oder Unheimlichen: seine hartherzige Allgewalt -wirkt besonders im Streitgedicht abstoßend und niedrig, weil sie nicht mehr durch eine hohe und geistige Gestalt verkörpert wird, wie in der alten niederdeutschen Fassung. Die Tragik ist abgestumpft; der Tod ist gemütlich geworden, ein Kärrner, kein König ; als Pfarrer tritt er auf, der die Bibel zitiert und nicht die antiken Philosophen, der belehrend den Finger erhebt, er komme den Frommen als Freund, den Schlimmen als Feind. Man merkt, dazwischen liegt der Totentanz mit seiner Neigung zur Burleske und die Reformation mit der Verfratzung des Todes; auch Wickram deutet das an : durch den Neid des Teufels allein ist der Tod in die Welt gekommen, und die beiden zusammen mit der Sünde sind es, unter deren Joch die Menschen ächzen. Es ist der gleiche Tod, der auch in den anderen Werken Wickrams auftritt, in der Bearbeitung von Gengenbachs zehn Altern (1531), in seiner Rügenrede auf die einzelnen Stände oder im treuen Eckart von 1532, in dem der Tod den Gotteslästerer, einen Edelmann, in einer langweiligen, mit biblischen Zitaten geschmückten Moralrede auffordert, ihm zu folgen, und seine gottverliehene Macht rechtfertigt. 1 ). Darum kreist ja Wickrams ganzer Todesgedanke, für den Tod bereit zu sein: „Drumb sollst du dich vor langer zeyt göttlich zu sterben han bereit." — Dies allein bestimmt sein Todesgefühl, nur in dieser seelsorgerisch gefaßten Form tritt ihm der Todesgedanke entgegen. Die Vorrede zum irreitenden Pilger gibt diesem Bewußtsein Ausdruck. Mitten im Leben stehe man mitten im Tode: memento mori. „Dieweil wir dann alle gar . . . dem Tod unterworfen sind, bedunkt es mich eine unnütze und torechte forcht zu sein, sich allzu vor dem zeitlichen tod zu entsetzen." Das ist lutherscher Ton, luthersche Glaubensstärke, die zu Todüberwindung führen soll, nur hier bei Wickram merkwürdig abgezogen, kleingeistig, dabei mit einem Zug der Weltverachtung, ohne den freien und großen Schwung des Reformators, ohne dessen tiefe Empfindung der Todüberwindung durch die Gnade Christi. Bei dem pfäffisch eifernden und scheltenden Bartholomaeus Ringwaldt, der den Gedanken des Todes auch nur auf das Seelsorgerische beziehen kann, sieht man dann deutlich, wie diese ») Bd. V. 'Zehn Alter' S. 29f.; Eckart S. 114ff.; V. 1 4 7 6 - 1 5 9 5 .
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Zeit des späten 16. Jahrhunderts schon geneigt ist, die Vernichtung des Todes als ein unveräußerliches und ganz selbstverständliches Erbgut für sich in Besitz zu nehmen 1 ). Wie den Ackermann-Dichter und den Pilger, so hat noch einen dritten der Verlust der geliebten Frau zu einer dichterischen, diesmal freilich nicht aufdringlich didaktischen Formung gedrängt, den trefflichen Cicero-Verdeutscher, Johann von Schwarzenberg, der in seinem „Kummertrost" (1502, umgearbeitet und veröffentlicht 1534) sich Trost zu spenden sucht, ähnlich wie es Caspar Scheit in seinem mit mythologischem Zierprunk ausgestatteten Gedicht von der fröhlichen Heimfahrt (1532) für einen adligen Herren tut 2 ). Aber bezeichnend: den schlichten und frommen Flitter verlangt es nicht, sich im Kampf mit dem Tod auseinanderzusetzen; sein trauernder Hans Unmut sucht beim Waldbruder nur Trost und Rat, wie er im Hinblick auf die Ewigkeit sich vom zeitlichen Leid lösen könne. Und da erfährt er, daß der Tod die Frommen von Lebens- und Sterbensnot befreit. Denn „auf erden han wir ein ritterspiel", eine Pilgerschaft und „all unser leben ist ein schein," dort aber ist die ewige Seligkeit. Der Tod ist den Frommen eine Freude und ein Gut, den Bösen wendet er den Mut, daß sie hinfort nicht mehr sündigen, „von adam han wir dodeslohn, durch Christus werden wir erston." Das ist sein Vertrauen, seine zwar nicht ausgesprochene, aber in einer schlichten Frommheit verwurzelte Todüberwindung. Die Spannung zwischen Leben und Tod löst sich in der ewigen Ruhe; Schwarzenbergs Todesgefühl geht auf im Bewußtsein der Unsterblichkeit (unsterblich sei der Menschengeist), in dem freudigen Wissen seines Cicero, daß ein ewig Leben müsse sein, wie es Luther von Cicero sagt. Hans Sachs verkörpert in seiner ganzen Gestalt noch einmal das biedere und nüchterne Denken des 16. Jahrhunderts über den Tod, das bei aller Aufrichtigkeit und untadelhaften Gesinnung „Christliche Warnung" 158.8, benutzt in der Ausgabe Hamburg 1662; dazu F. W e g e n e r , Germ. Abh. 33, S. 76ff. Vgl. auch Kürschner 19, 516ff und E r a s m u s A l b e r u s , Fabeln Ndr. 36, S. 168. ») Kummertrost ed. W. S c h e e l Ndr. 215; bes. V. 1 2 0 - 1 8 4 ; 216, 515ff. ; 889. über eine mögliche Benützung von Wickram s. Einltg. S. XIV u. B o l t e a. a. O. IV, S. X X X V I I Anm. 3. W. S c h e e l , Joh. v. Schwarzenberg, Berlin 1905, S. 304—308; 314ff.
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etwas spießbürgerlich anmutet. Er steht durchaus in der Gesinnung etwa neben Wickram oder Mercatoris, er hat auch das einzige hochdeutsche Gespräch geschrieben, in dem Tod und Leben um den Vorrang streiten. In langer Zwierede versuchen die Gegner ihre Vorzüge darzulegen und jeder behauptet, er sei dem Menschen willkommen. Der Tod aber spricht und handelt hier als Anwalt des göttlichen Zorns, als Pfarrer, der auf die menschliche Schlechtigkeit hinweist, mit Bibelsprüchen droht und auf die bange Frage des Lebens, wo Hilfe und Trost vom ewigen Tod zu erlangen sei, den Gnadenthron Christi nennt: wer ihm vertraue, „ist vom Tod drungen in das Leben". Man sieht: hier hat der Tod ähnlich wie bei Wickram und auch bei Spangenberg völlig die Rolle des Pfarrers übernommen, der den Sterbenden auf den Tod vorbereitet. Die Endmoral ist dann, der Plötzlichkeit des Todes sich zu versehen, und darin hat man die katechetische Lösung des Problems, die oft in dieser Form bei Hans Sachs wiederkehrt. So etwa in seinem schon erwähnten Hecastus-Drama, in der 'Tragödia vom jüngsten Gericht' (1558) oder in dem Gespräch 'Der Tod ein End aller irdischen Ding' (1542), in dem ebenso wie in der Erzählung 'Die drei Freunde im Tode des Menschen' (1556) nur zuletzt der Glaube für den Sünder spricht und ihn errettet und der Tod vor der göttlichen Liebe fliehen muß. „Ars moriendi" will da Hans Sachs überall lehren: „denn hättst du recht gelernt zu sterben, das wäre eine kunst ob aller künst." Die kurze 'Vermahnung zu dem Tode' lehrt die Vergänglichkeit des Irdischen und die Sicherheit des Todes, den Gedanken an das Ende und den Glauben an die Auferstehung, denn der Tod auf Erden ist das Stärkste, nur Fama übertrifft ihn : hier benutzt Hans Sachs Petrarcas Trionfi, die dann später 1578 von Daniel Federmann übertragen und mit ausführlichen mythologisch-dogmatischen und moralisierenden Erläuterungen versehen wurden. Das Bild des christlichen Ritters taucht immer wieder auf : vier Stücke hindern sein tugendhaftes Leben, Armut, Krankheit, Wollust und Tod, und Hans Sachs hat das zweimal einem Holzschnitt nachgedichtet : „wo man des todes forchte hat, da acht man Wahrheit und gerechtigkeit klein . . . mit armut, schmerz, wollust und tod soll er kämpfen durch alle not 1 )." Sachs ed. Keller I, 4 2 2 - 4 2 4 ; 3 6 1 - 3 6 4 ; VII, 4 2 7 - 4 3 0 ; der Stich ist abgebildet bei H. H e n z e , Die Allegorie bei H. Sachs, Halle
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Hans Sachs ragt nicht über den Durchschnitt empor, er gibt eine Mittelstimme, eine Zusammenfassung, in ihm treffen sich all die Gedanken Luthers und nachklingend die des Mittelalters; seine Haltung ist ausgeglichen und gleichmäßig, ruhig und sicher; nicht pathetisch, aber auch nicht von aufdringlicher Moral; was er bietet, ist Durchschnittsethik. So wie er den Todesgedanken sich zurecht legte, mochten es viele innerhalb der Grenzen des lutherischen Dogmas tun, von dem er zwar nicht sklavisch abhängt, aber sich doch leiten läßt ; und dazu nimmt er die durch das Mittelalter gefärbte Moralphilosophie. Er denkt als ein frommer Mensch über Vergänglichkeit und Sterben nach und sucht die unmittelbaren Lehren hieraus, er predigt und lehrt ehrlich und bieder, herzlich und mit gesundem Menschenverstand. Das Erlebnis des Todes hat ihn gepackt, aber er bewahrt sich gleichmäßige Ruhe und Selbstsicherheit und strebt auch darin nach einer nicht eben tiefen, aber ehrlichen Laienfrömmigkeit. Er sieht ausschließlicher im Tode das friedliche Ende, die Lösung und den Eingang, nicht den Feind, den man mit hartem Kampf überwinden muß. Sein Todesgefühl ist klar, beinahe pflichtmäßig vorhanden; weltfreudig beklagt er den Tod, um ihn dann doch als frommer Christ nicht zu fürchten. Die Ungewißheit und die Gebrechlichkeit des Lebens will er durch heitere Frömmigkeit und Gottvertrauen übertönen. Hans Sachs steht auf dem Boden lutherischen Glaubens, aber ohne dessen ringendes Bemühen, ohne Jauchzen und Triumphieren über die Todesvernichtung und Auferstehung. Das nimmt er alles als selbstverständliche Gabe und als althergebrachtes, durch die lutherische Religion nur wieder neu verkündetes und gedeutetes Heilsgut; ihn durchglüht nicht die aufregende Heilserfahrung des religiösen Genies. So trägt denn auch die Zeit wohl im gesamten das Gepräge lutherischen Geistes, aber der Stempel ist nicht überall gleich tief und klar, er verflacht und verwischt oft. Am deutlichsten nimmt man ihn in der geistlichen Lyrik wahr. Hier wirken noch unmittelbar lutherischer Auferstehungsglaube und Todestriumph nach. 1912, Tafel VI, dazu S. 144-146. Weiter I, 431-433, 442-459, 460-477, 4 2 9 - 4 3 0 ; VII, 4 3 1 - 4 3 4 ( = X X I I , 534-535); I, 4 3 4 - 4 3 6 ( = X X I I , 2 8 4 - 2 8 5 ; 437-441); XVIII, 3 5 3 - 3 5 6 ; XXIII, 431. Außerdem stofflich IX, 400—4C3; XI, 451 — 467. Allgemein H e n z e a. a. O. S. 41, 7 9 - 8 1 , 130-135.
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Im protestantisch-reformatorischem Kirchenlied tönt dieser helle Jubel fort und auch der Wille, den Tod zu bekämpfen oder ihn als Freund willkommen zu heißen. Ambrosius Blaurer, Nicolaus Hermann, Zwingli und schließlich Fischart sind Zeugen. Das läßt auf das gleiche LebensgrundgefQhl schließen und darum auch auf das Todesgefühl der Zeit 1 ). Stärker als die Dichtung aber gestaltet in dieser Zeit die bildende Kunst die persönlichen Erlebnisse der Menschen. Man muß es nachdrücklich betonen : das Bild des geistigen Baues dieser Zeit und ihrer Todeserwägung wäre nur unvollständig, würde man nicht auch die Kunst um ihre Stellung zum Tod befragen. Daß man dies jetzt erst tun muß und noch nicht zuvor, ist bezeichnend. In den früheren Jahrhunderten findet man eine Darstellung des Todes nur selten, und wenn, dann höchstens in allegorisch dogmatischer Bindung. Denn die Menschen wandten ihre Aufmerksamkeit, wo sie bildkünstlerisch schufen, nur den streng religiösen Dingen zu. Erst im 15. Jahrhundert mit den Totentänzen und dann mit der Möglichkeit einer vervielfältigenden Kunst, mit dem Beginn des Druckes also, schwillt die bildkünsterliche Gestaltung des Todesproblems an, um in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts eine überwältigende Höhe zu erreichen. Jetzt tritt der Todesgedanke vollkommen in das wache Bewußtsein nicht nur der Allgemeinheit — das war er schon immer —, sondern auch des Einzelnen, der Persönlichkeit, in der weltlichen wie in der religiösen Sphäre; auch darin wirkt das Renaissancemäßige der Zeit, hier liegt das geistesgeschichtlich Neue. Man muß immer wieder auf den symbolischen Satz Luthers hinweisen: „Wir sind alle zu Tode gefordert und wird keiner für den andern sterben, sondern ein jegBlaurer: Wackernagel III, 660. Hermann III, 1414, 1422, 1448-1452. Zwick III, 692; Heros ΠΙ, 931; Zwingli III, 551; Löwe III, 726; Naogeorg III, 920; Heubold IV, 928; Fabricius V, 83. Außerdem IV 282, 296, 297, 715. V, 266, 568, 569, 639, 647. - F i s c h a r t IV, 1200, 1235. — Die eigentlichen „Sterbelieder" in weiterem Umfang bringt erst das 17. Jahrhundert, ebenso die gedruckten Leichenreden; Vorläufer M a t h e s i u s , Leichenpredigten 1569, neu hsg. von Lösche, 1908, aber nicht mit dem Blick auf die Vergänglichkeit und Todeswürdigkeit des Lebens, sondern auf die Überwindung und Auferstehung.
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licher in eigner Person muß geharnischt und gerüstet sein, mit dem Teufel und dem Tod zu kämpfen." Das ist das persönliche und besondere Todeserlebnis, das nun auch eine Todesdarstellung Dürers von denen der Totentänze trennt und die innere Wandlung des bildkünstlerischen Todesgedankens bedingt. Schon im Äußeren macht sich das Durchbrechen der persönlichen Haltung geltend: der Totentanz des 15. Jahrhunderts stellt die Menschen mit den Toten zusammen in eine große lange Reihe, in der jeder gleich ist: es ist ein Tanz der Lebenden mit den Toten an und für sich. Jetzt aber wird der Reigen in einzelne Bilder und Begegnungen aufgelöst: der Mensch und der Tote stehen sich gegenüber. Aber vor allen Dingen ist es nicht mehr ein beliebiger Toter, der an den Menschen herantritt, es ist d e r Tod. Der persönliche Tod kommt zum persönlichen Menschen, darin liegt das Neue. Die ständische Gliederung bleibt wohl bebewahrt, aber sie wird mit neuem Gehalt erfüllt, sie dient nun der Standessatire; schon in der Holzschnittfolge des Lübecker Totentanzes von 1489 deutet sich das an, voll ausgeschöpft aber wird es erst von Manuel und am großartigsten von Holbein. Zwar schon der Druck im Blockbuch drängte aus technischen Gründen zu der Auseinanderlegung des Reigens; jetzt aber wird diese Vereinzelung auch innerlich notwendig und gedeutet, und die Stärke des Gefühlsausdrucks paßt sich dem neuen Erlebnis an. In Text und Bild der Totentänze findet man früher nur selten eine Gebärde der leidenschaftlichen Erregung, des Fliehens und Grausens-, die ruhige Haltung wird gewahrt und ein Äußerstes ist es, wenn einmal die Hand erhoben wird oder der Oberkörper zurückweicht, wie im Lübecker Totentanz oder dem Heidelberger Blockbuch. Das wird dann anders : seit Manuel und Holbein durchschüttelt den ganzen Körper das Grausen und der Wille zur Flucht, erst hier kommt es zum wirklichen Ringen und zum leidenschaftlichen Fortstreben, erst hier findet auch der Gedanke des „media vita", des plötzlichen und jähen Todes seinen künstlerischen Ausdruck; auch im Einzelbild, außerhalb des Totentanzschemas sieht man das. Und echt renaissancehaft ist es eben nun dies Einzelbild, in das sich die mit dramatischer Spannung geballte Todesdarstellung ergießt. Die Spannung zwischen Leben und Tod, wie sie schon bei Luther hervortritt, wird von diesen Leuten, die zum Teil
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als gereifte Männer die Reformation erlebten, in ihrer ganzen Härte empfunden und auch gebildet. Man hat es oft dargestellt, wie seit 1500 im Leben und in der Kunst, nicht ganz so in der Dichtung, der Ton voller und mächtiger, die Gebärde und der Ausdruck höher und geistiger gegriffen wird, wie das Gefühl für das Großmenschliche wächst und sich steigert, kurz wie ein anderes Ethos die Zeit erfüllt und das Leben rauschend und schwellend sich erhebt. An den Todesbildern kann man diesen Umschwung ablesen. Ein „in sich gefaßtes männliches Lebensgefühl "setzt sich durch, „das ruhige und feste Zutrauen des tüchtig wirkenden Mannes auf sich selbst", eine „gesunde, ehrenfeste, rechtschaffene, weltfreudige Frömmigkeit", wie es Dilthey sagt. Dehio schildert diese Generation mit den Worten: „eine außerordentliche im Ernst ihrer Gesinnung, männlich durchaus, tiefsinnig, schicksalsbereit, großdenkend vom Sinn des Lebens und dem Beruf des Menschen. Die Sonne schien ihr heller und jede Ader strömte voller; es war in ihr eine Lust zu leben . . . und zugleich war sie vom Pathos eines tiefen Ernstes erfüllt 1 )." Auch vom Pathos des Todes und zwar von einem höchst großartigen, das sich immer nur dort ergibt, wo ein großes und weites Leben mit den Mächten der Vernichtung zusammenstößt und untergeht. Denn wo das Licht heller und greller ist, da erscheinen auch die Schatten dunkler und mächtiger, da sind die Übergänge jäher und gewaltiger, und wo das Leben und das Leid so tief empfunden werden, da gräbt auch die Spannung zwischen Leben und Tod tiefer, ohne daß diese Spannung eine kraftvolle Lebensgesinnung unterhöhlt oder das leidvolle Erleben die Zeit kraftlos gemacht hätte, wie es im 14. und 15. Jahrhundert geschehen war, wo man noch nicht so fest im Leben haftete. Die bildende Kunst vermittelt das eigentliche Erleben des grausigen Todes aufgewühlter als das Wort, erst in den Bildern spürt man etwas von Todesleid und Todesgefühl der Zeit. Das Schrifttum aber gibt mehr den Ausdruck der Kampfstimmung, der Uberwindung des Todes. Das Wichtige sei überblickend herausgehoben. In Dürers Werk kehrt die Gestaltung des Todesgedankens in den verschiedensten Formen wieder: etwa als apokalyptischer Reiter auf hagerem Pferd mit einer Gabel in der Hand oder unheimlich W. D i l t h e y , Ges. Schriften II, 49ff. G. D e h i o , Geschichte der deutschen Kunat III, Berlin 1926, S. Iff.
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in einer großartigen Zeichnung von 1505 mit der Inschrift: „memento mei" als gekröntes Skelett mit der Sense auf einem dürren Klepper — 'Der Tod als König* —, dumpf und gebeugt dahinreitend als Macht und Geschick ; oder Dürer zeigt in einer Zeichnung von 1500, wie der Tod einen Reiter überfällt: das Pferd bäumt sich wild auf und der Tod stürmt auf den vom Pferd gleitenden Reiter ein. Hier darf man auch die geniale oberdeutsche Albertinazeichnung vom Anfang des 16. Jahrhunderts erwähnen, die bald Dürer, bald Grünewald oder Baidung zugeschrieben wird. Drei Reiter werden in einer dunklen Waldesenge von drei fliegenden Skeletten überfallen — großartig und gespenstisch in der Wirkung und der Formung des seelischen Gehalts: der Unmöglichkeit des Entrinnens. Der Tod ist der Lebenszerstörer: das wollen alle Todesbilder Dürers verdeutlichen, der Kupferstich 'die Frau und der Tod' oder die Federzeichnung vom Tod und dem Bischof oder 'die Frau und der Tod' in Rotterdam, die zwei Randzeichnungen zum Gebetbuch Maximilians, die beide Ritter und Tod zusammennehmen. In einem früheren Kupferstich belauert der Tod mit dem Stundenglas ein Paar auf dem Spaziergang, und Dürer ist es auch, der im Kupferstich „Das Wappen des Todes" einen Totenkopf zeigt, ein Motiv, das dann auch bei Wechtlin in einem Helldunkelholzschnitt wiederkehrt1). Wirklich spürt man bei Dürer die Verwandtschaft im Verhältnis zwischen der Kunst und den Problemen des Daseins, und den „Drang, die Welt als ein Problem des Innenlebens zu betrachten, die Kunst als ein Mittel, sich mit Gott und Teufel, Diesseits und Jenseits, mit sich selbst und mit dem, was die Allgemeinheit bewegt, auseinanderzusetzen2)." Dürer will überall den plötzlichen Tod in seiner animalischen Wucht und Dämonie verdeutlichen. Diese Fassung des Themas mag durch die Wirkung des spätmittelalterlichen Geistes bestimmt sein; aber das Zeichenhafte ist, wie sich Dürer nun von diesem Geist losringt, wie er den *) Für Dürer vgl. die Zusammenstellung von M. Lehre, Bilder des Todes ,1919, S. 19—20; Th. F r i m m e l , Dürers Wappen mit dem Totenkopf, Wien 1884. G. L e i d i n g e r , Gebetbuch Maximilians, München 1922, Tafel 9, 32. — Die oberdeutsche Zeichnung ist abgebildet bei Orienter a. a. O. S. 68. ') M. D v o ï à k , Kunstgeschichte als Geistesgeschichte, München 1924, S. 202.
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Todesgedanken selbst in dieser dogmatisch-katechetischen Fassung umwandelt und zum Gefäß des menschlichen Toderlebnisses an sich, frei von aller aufdringlich moralischen Zielung, ausweitet. Leben und Tod sollen sich einfach gegenüberstehen. Freilich der religiöse Hintergrund bleibt auch hier, wie stets bei Dürer, gewahrt, aber es ist eine freie weltfreudige und doch gottfürchtige Frömmigkeit, die sich sehr scharf von der des ausgehenden 15. Jahrhunderts abhebt, so scharf wie Dürers Kunst von der der Spätgotik. So darf es nicht wundernehmen, daß die echt religiöse Stimmung gerade da den tiefen Ton anschlägt, wo Dürer seine Eigenstellung zum Tode zu erkennen gibt, in jenem Holzschnitt-Flugblatt 'Der Landsknecht und der Tod* von 1510, in dem Wort und Bild zusammentreten, und in dem großen Meisterstich von 1513 'Ritter, Tod und Teufel'. Im Flugblatt steht ein halbskelettierter Tod mit dem Stundenglas einem Landsknecht gegenüber und faßt diesen am Arm. Daneben ein Gedicht : „Kein Ding hilft für den zeitling Tod, darum dienent Gott früh und spot." Nur durch Gottesfurcht könne man dem ewigen Tod entrinnen, beizeiten solle man sich zu Christus wenden und die Besserung nicht aufsparen. „Wer ein lauter Gewissen hat, der furchtt den Tod nit früh und spat." Man muß sich zum Tod bereiten und den Tod betrachten. „Darum welcher recht leben tut, der überkummt ein starken Mut. Und ihn erfreut des Todes Stund, dorin ihm Seligkeit würd kund." In solchen Versen spürt man schon jene geistige, aufrecht fromme Haltung, die dann den großen Stich von 1513 ganz durchdringt: jenes einfach Schlichte und mannhaft Tapfere in der Stellung zum Tode; es ist der Ritter, der miles christianus trotz Tod und Teufel, der unbeirrt von den Versuchungen und Anfechtungen den Weg durchs Leben geht. Er trotzt dem Tod als ein Christ: so hat es Luther wenige Jahre später gefordert und immer wieder ausgesprochen. In solchem Sinne ist Dürers Blatt ein Geistesdokument, das sich neben Luthers Schriften als ein Vermächtnis der Zeit stellen kann. Dieser Stich ist der einzige in der Zeit, der solche Höhe erreicht und wie eine Predigt wirkt. Man ermißt den ganzen weiten Abstand, wenn man dieses Blatt mit einem bunten Holzschnitt von 1488 vergleicht1), der auch das Vorbeireiten an Teufel Abgebildet bei P. Weber, Studien zu Dürers Weltanschauung, Straßburg 1900, Tafel IV, V; dazu S. 32f. ; 37ff.
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und Tod zum Inhalt hat. Es ist der christliche Pilger, der über die Brücke des Lebens zieht, an deren einen Seite ihn der Teufel am Rock packt und an deren anderen ihn der Tod, ein kleiner Knochenmann mit gespanntem Bogen, erwartet. Bei Dürer wirkt eine neue Gesinnung, die das Ganze des Bildgedankens aus dem Zaghaften ins Große und Freie, in eine Stimmung überträgt, die von Kräften gespannt ist, die zu einer geistigen Todüberwindung führen. Dürers Zeitgenossen erreichen freilich nicht diese ethische und religiöse Höhe des Todesgedankens und seiner künstlerischen Bildwerdung. Ihnen, die weltfreudig mitten drin im Leben standen, wurde vor allem die grelle Spannung zwischen Tod und Leben, zwischen Schönheit und Vergänglichkeit, die auch Dürer spürte und gestaltete, zum Erlebnis. Hier gilt der Satz Dehios: „Der überschäumende Lebensdrang des Zeitalters erzeugte gleichsam als Komplementärfarbe ein tiefes Verständnis für die Poesie des Todes, das aber nicht, wie früher, als stille, ernste Mahnung, sondern schaurig und wild erklang 1 )." Schon der gellend-gesprungene Totentanz in Schedels Weltchronik (1493) schlägt diesen Ton an; in dem Holzschnitt herrscht „ein unheimlich gespensterhaftes Leben, man meint die Gebeine klappern zu hören"2). Aber erst Baidung verleiht dem Todesgedanken durchgehend das Dämonische, und von ihm läuft die Linie weiter über Manuel und Urs Graf zu Burgkmaier und Hans Sebald Beham. Immer wieder drängt es Baidung, den sinnlichsten und animalischsten unter den deutschen Künstlern des 16. Jahrhunderts, mit einem fast dämonischen Trieb und unerschöpflicher Gestaltungskraft, das strotzende Leben, das vollerblühte, nackte Weib gegen den Tod zu stellen 3 ). Und die Dichtung des Jahrhunderts, vor allem aus dem oberrheinischD e h i o a. a. O. S. 134f., 135. „Dies© vom Leben strotzende Zeit war zugleich erfüllt, vomPathos des 'media vita in morte sumua'." *) D v o ï à k a. a. O. S. 186; Abb. Nr. 36. ») H. Cur jel, Hans Baidung Grien, München 1923, S. 101; dort die Abb. 59 — 61, 86; Lehrs a. a. O. S. 20—21. Die wundervolle kleine Elfenbeinplastik (1530—1540), die die zierliche nackte Frau und den knieenden Tod mit dem Krucifixus zusammenfügt, trägt mehr moralisch-dogmatischen Charakter : Tod als Bußprediger, der die Lebedame warnt; Abb. bei R. B e r l i n e r , Die Elfenbeinbildwerke des bayer. Nationalmuseums, Augsburg 1926, Abb. Tafel 35; Text S. 2 6 - 2 7 .
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schweizerischen Kreis, geht mit ihm zusammen: Kolroß, Boltz, Spangenberg fügen, freilich nicht mit jener ungeheuren Eindringlichkeit, Tod und Mädchen, Tod und Weib zusammen. Auf drei Gemälden belauert bei Baidung der Tod die üppige, eitle Frau: einmal packt er die händeringende am Haar und weist auf ein offenes Grab: „Hie mußt du hyn". Das andere Mal kommt der Tod mit geiler Gebärde von hinten und küßt, nein beißt sich der Aufschreienden fest in die Wange, das drittemal reißt er die jäh Fliehende am Arm, das Stundenglas erhebend, immer seltsam zerfratzt, halb Mensch, halb Leichnam und dadurch so unheimlich wirkend. Tödliche und schauervolle Umarmung ist es überall, grell der Gegensatz und zur Dämonie gesteigert durch das lüsterne Gebaren des Todes. In der völligen Vermenschlichung des Todes liegt das Unheimliche: die Kunst bewahrt sich anders als die Dichtung davor, den Tod ins Lächerliche hinabzuzerren und sich so um die tiefe Wirkung zu bringen. Das „media vita" erschüttert diesen Künstler immer wieder im Rausch des Lebens und läßt ihn jene leidvolle Todhaftigkeit mit dem Pathos des Grausens erfüllen; darin und in der völlig diesseitigen, ganz unreligiösen Stimmung ist ihm ein anderer aus der Schweiz verwandt, Niclaus Manuel, von dem die vielleicht kühnste Gestaltung des Todesbildes stammt, die Zeichnung vom Tod und der Dirne, auf der der Tod einem vollbusigen Soldatenweib unter den Rock greift, ein grausiges Sinnbild der damals wütenden Geschlechtskrankheiten, gespenstisch im Anblick und auch in der Ausführung auf einem weißgehöhten Blatt des Künstlers, der in seinem Totentanz schon so sehr aus der mittelalterlichen Überlieferung herausgetreten war 1 ). Man denkt an Boltz: „Meitlin, kum mit an den Tantz." Urs Graf schafft einen seiner zügigen Holzschnitte, wo der Tod auf dem Baum sitzt und auf das Stundenglas weist, während unten die Buhlerin und der Landsknecht zusammen sind (1524). •Unerschöpflich erweist sich Hans Sebald Beham in der Verwirklichung des memento mori-Gedankens, den er anders als der geniale Manuel auf manchen seiner Stiche ins Erotisch-Schlüpfrige hinabzieht. Er zeigt, wie der Tod zu einer nackten schlafenden Frau Abb. bei Fr. P a r k e s - W e b e r , Dea Todes Bild, Berlin 1923, S. 101. Man stelle inhaltlich daneben die 7. Strophe des Bergreihens Tod und Jüngling, die sich auf die „Franzosen" bezieht. Ndr. 99/100 ed. J. Meier, S. 89ff. ; Nr. 44.
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mit unverhüllt brünstiger Gebärde aufs Lager steigt, ein anderes Mal überrascht der Tod ein unzüchtiges Paar, dann wieder packt er von hinten eine Frau, um sie zu küssen ; in einem großartigen Kupferstich von 1541 wandelt eine Dame mit einem Narren auf und ab: aus der Narrenkappe grinst ein Totenantlitz. Spangenbergs fast schon manieristischer Tod bildet das schlagende Gegenstück: „Mein Hosenbändel aufbinden und mich aufputzen vorn und hinten, damit ich recht führe den Reigen." Barthel Beham läßt den Tod drei nackten Weibern sich zugesellen oder zeigt das Kind, wie es während des Trinkens stirbt : daneben Totenkopf und Stundenglas. Uberhaupt nehmen gerade die Kupferstecher das Thema immer wieder auf: Jakob Binck (Tod und Krieger), Jost Ammann (Tod und Wanderer); Georg Pencz aber bringt als einziger Deutscher im Norden den Triumph des Todes — in den Niederlanden tuen es Hemskeerk und Pieter Breughel auf einem merkwürdigen Gemälde in Madrid —, und Aldegrever sticht 1541 sogar einen Totentanz 1 ). Aber in allen diesen Hervorbringungen sinkt schon die Kraft und die Einheit der künstlerischen Gesinnung, wie sie der lebenstrotzende Anfang des Jahrhunderts sein eigen nannte ; die Spannung scheint nicht mehr so sehr erlebt, als vielmehr durch Überlieferung des Vorwurfs fortgeerbt zu sein. So bleibt oft nur noch die Form ohne den Gehalt, und es entsteht dann „ein hohler unheimlicher Klang, jener fürchterlich blecherne Klang des späteren 16. Jahrhunderts, dessen sachliche Schärfe aus der Welt der leblosen Form zu kommen scheint" 2 ). Schon bei Burgkmaier fließt solche Empfindung ein, obwohl sein Helldunkelholzschnitt von 1510 „Der Tod als Würger" mit atemraubender Dramatik geladen ist. Mitten auf der Straße reißt der Tod den Ritter nieder, auf ihm knieend, hält er ihm mit beiden Händen das Gesicht zu und würgt, indes er nach der fliehenden Frau sich umsieht: auch sie wird ihm nicht entgehen. Das Bild packt: ein erregendes media ») P a r k e s - W e b e r S. 98ff. ; Lehre S. 21. - G. P a u l i , H. S. Beham, Straßburg 1904, Holzschnitte 1122, 1123, 1281; Kupferstiche 7, 147, 150, 153,6 87. Tafel I, XXIIff., XXXII. - Ders. Barthel Beham, Straßburg 1911, Nr. 3 7 - 4 0 ; Parkes-Weber S. 102. ä ) Curjel a. a. O. S. 131 bei Gelegenheit von Baidungs Spätwerken. Man sehe auch die Charakteristik des späten 16. Jhds. bei D e h i o a. a. O. S. 169ff.
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vita. Diesem ganzen Geschlecht, das so mitten im Leben stand, mußte der Tod stets nur seine grausame, abschreckende und teuflische Seite entgegenkehren, er war nur der Zerstörer, der schadenfrohe Lüstling, der grinsend die Festesfreude des Lebens endet, heimtückisch und von niedriger Gesinnung. Bei all seiner Vermenschlichung und Verfratzung bleibt der Tod den Menschen doch fremd und feindlich, eine Macht, die plötzlich hereinbricht, vor der man die Augen verschließt, der man aber nicht entgegenreift. So sehr auch der Todesgedanke diese lebensfreudige Zeit erfüllt, von einer Immanenz des Todes im Leben darf man hier nicht sprechen: auch nicht angesichts des so besinnlichen und leidvoll ergreifenden Wiener Bildnisses, das Burgkmaier von sich und seiner Frau gemalt hat, auf dem die beiden schmerzlich-bewegten Gesichter den Beschauer mahnend anblicken. Der Frau ist ein Spiegel in die Hand gegeben, in dem zwei Totenköpfe erscheinen, und auf dem Spiegelrahmen stehen die Worte: „Erkenn dich selbs." Darin dunkelt das Bewußtsein von der Vergänglichkeit; das Bild ist wirklich mit das persönlichste und ergreifendste „memento mori" der Zeit und dazu echt renaissancehaft individuell. In einer gewissen Art erreicht aber erst in Holbeins Totentanzbildern, in den 'Imagines mortis' von 1538, der Todesgedanke der Zeit seinen höchsten und packendsten Ausdruck1). 1557 dichtete Caspar Scheit in seinem „Totentanz durch alle Stände" zu diesen Bildern Verse, die neben der Wucht der Holbeinschen Bildgestaltung flach und matt, beinahe mittelalterlich gebunden wirken. Holbein erfüllt einen alten Stoff mit neuem Gehalt und verleiht ihm das renaissancehafte Gepräge: den Totentanz löst er auf in 1 ) Zu Holbein vgl. aus der neuesten Literatur nun D e h i o a. a. O. S. 134-137, B u c h h e i t a . a. O. S. 1 7 8 - 1 8 4 und U l r i c h C h r i s t o f f e l , Hans Holbein, Berlin 1926, S. 129—149. — Allgemeine Literatur zur Todesdarstellung in der Kunst: J. B. H o r n u n g , Beiträge zur Ikonographie des Todes, Diss. Freiburg 1903; Α. R e u t e r , Beiträge zu einer Ikonographie des Todes, Diss. Straßburg 1913. A. I l g , Zur Philosophie der Todesvorstellung im Mittelalter, Mitt. d. k. k. Zentralkommission XV (1870) S. CHI —CV; ders. Todesdarstellungen vor den Totentänzen ebd. XVII (1872) S. LXXXlVff. Th. F r i m m e l , Beiträge zu einer Ikonographie des Todes, ebd. NF. 10—13 (1884—1887). J. E. W e s s e l y , Die Gestalten des Todes und des Teufels in der darstellenden Kunst, Leipzig 1886.
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einen Tanz des Todes, in Einzelbilder, deren jedes ein persönliches und einmaliges Schicksal enthält, immer in dramatisch gesteigerter und zugespitzter Lage, nicht lehrhaft wie die alten Totentänze, sondern kühl menschliches Geschick in seiner Allgemeinheit enthüllend. Es ist nicht das Sterben an sich, was Holbein hier vergegenwärtigt, sondern — das ist der die Totentanzgattung seit alters bestimmende Gedanke — der plötzliche Tod ; das alles vorgetragen im klaren einfachen und darum klassischeu Holzschnittstil, voll unerschöpflicher Erfindung, mit einem Reichtum an persönlich erfaßten Gestalten auf kleinstem Raum, voll größter Schlagkraft. Dasselbe findet man auch auf den 24 Bildern des TotentanzAlphabeths oder in dem Totentanz auf der Dolchscheide. Uberall setzt ein erbitterter Kampf auf Tod und Leben ein, wild sträuben sich die Menschen, zu allen tritt der Tod heran, mitten hinein in das tägliche Leben als Feind oder als Freund, immer dämonisch in die Handlung eingreifend, mit einer geradezu unnatürlich anmutenden Selbstverständlichkeit, immer an dem Vorhaben seiner Opfer beteiligt, überall plötzlich auftauchend, oft mit genialer Frechheit. In rund vierzig Bildern entfaltet der Tod sein grausames Spiel, in stets neuen schlagenden Gebärden tritt er auf, unermüdlich, aufdringlich, bald demütig, bald höhnisch und stolz, bald grausam und roh, und dann wieder freundlich und gleissnerisch, als Diener, als Herr, bald ernst, bald grinsend, stets aber im Grund als der Gleiche, als Zerstörer und Beender, der mitten ins Alltagsleben, in Handel und Wandel der ratlosen, ahnungslosen Menschen hineinstürmt und sie von der Arbeit und der Sünde fortholt und sie dort packt, wo der Sinn ihres Lebens beschlossen liegt. Wie der Tod sich so selbstverständlich als ein Mensch zwischen Menschen bewegt, darin liegt das Unheimliche : wenn er dem Pfarrherren mit der Glocke voranschreitet oder dem Ratsherren sich in den Weg wirft, dem Reichen mit schnellem Griff in den Geldsack greift und den Ritter mit dessen eigenem Spieß durchrennt, oder gar der sich schmückenden Gräfin ein Halsband mit aufgereihten Knochen umlegt. Immer lauert er auf seine Beute, siegesgewiß, eilig und schnell, überall zerrt er, schleicht er, reißt er vom Leben in den Tod, überall ein Stöhnen und Schreien, überall ein Einzelkampf, ein wirklich entsetzenvolles Sich-in-dieAugen-blicken. Wundervoll ergreifend und doch wieder dämonisch ist er dort, wo er dem Ackermann im Abendgrauen beim Pflügen
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die Pferde treibt und ihn so zur Eile mahnt. Es wird das letzte Mal sein, daß der Bauer seinen Acker bestellt, darum will er noch fertig werden und die Furchen zu Ende ziehen. Hinten aber über der Landschaft leuchten die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Dies kleine Bildchen ist einzigartig in seiner Stimmung und hat einen persönlichen Zug, es ist durchwaltet von einer eigentümlich dunkeln, keusch verhaltenen Poesie. Holbein hat sich in solcher Bildeifindung selbst übertroffen. Dichtung und noch viel stärker bildende Kunst zeugen von dem tiefen Todespathos, und jedenfalls nicht für diesen geistigen Raum (und wohl auch nicht für die anderen) gilt das Wort, die bildende Kunst hinterlasse ein helleres Bild einer Zeit als das Wort der Dichter und Geschichtsschreiber. Es ist höchster Beachtung wert, daß diese Epoche sich am mächtigsten in Bildern auszudrücken vermochte und daß gerade dort die ganze Stärke der deutschen Seele sich offenbart 1 ). Die Dichtung dieses Jahrhunderts muß dahinter zurückstehen, und den irrationalen Grund für diese merkwürdige Tatsache wird man in der immer wieder beobachteten Erscheinung zu suchen haben, daß die Künste mit einem gewissen Rhythmus in der Führung des geistigen Lebens wechseln, daß einmal die Dichtung, dann die Musik, dann die bildende Kunst Träger und Ausdruck der geistigen Inhalte sind, die der Zeit das bestimmte Gepräge verleihen. Und wie alle drei Künste nie gleichmäßig hochwertig erscheinen und schaffen und im Zenith ihrer geistigen Formkraft stehen, ebensowenig innerhalb der einzelnen Künste selbst. Auch hier bemerkt man die wechselnde Schwergewichtsverlagerung von der Malerei zur Plastik und zur Architektur, und genauso die von der Lyrik zum Drama und zum Roman. Damit hängt es zusammen, daß im 16. Jahrhundert innerhalb der Dichtkunst besonders das Drama den Todesgedanken in sich aufnimmt und ihn so in die Sphäre des Objektiven bindet, während dann im 17. Jahrhundert in der Lyrik die eigentlich tiefen Töne 1
) Dehio a. a. O. III, S. 5. — Man sehe auch die kurze Bemerkung W. P i η der s in: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas, Berlin 1926, S. 129 und überhaupt seine Gedanken über die Gleichzeitigkeit und die Abfolge der verschiedenen Künste, ihre verschiedenen Epochen, in denen sie geistig führen und repräsentieren. — Dann H u i z i n g a S. 343 über das hellere Bild, das die bildende Kunst gäbe.
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erklingen und sich in der lyrischen Form fast naturgemäß die gleiche starke Verinnerlichung und Subjektivität des Todempfindens ausdrückt, die im 16. Jahrhundert in der bildenden Kunst lebt. Ist nun auch im 16. Jahrhundert, gerade in seiner Frühzeit diese bildende Kunst die eigentlich formkräftige, so lebt doch in der Dichtkunst, nur mit verschiedener Sprachstärke, das, was dem ganzen Jahrhundert das Merkmal gibt, die drangvoll weite Spannung des Lebens, die am Beginn des Jahrhunderts zur kraftvollen Schwellung des Lebensgefühls führt, dann aber allmählich an Ethos und Pathos verliert. Der Bogen entspannt sich. Auch das 14. und 15. Jahrhundert kannte diese Spannung des Lebens, aber man überwand sie nicht, während sie jetzt durch anderen seelischen Aufschwung ausgefochten wird. Gerade Luther verkörpert sinnbildhaft, wie nun die Gegensätze durch das neue Glaubens- und Persönlichkeitserlebnis zusammengehalten werden: es ist eine neue Weltwirklichkeit und Weltfrömmigkeit, die sich doch mit Gott geeint weiß. Es ist nicht eine Spannung zwischen Jenseits und Diesseits, sondern zwischen Leben und Tod, die überwunden wird. Und dann ist es bezeichnend für die Gesinnung des Zeitalters, wie sehr der Tod, noch stärker und ausschließlicher, in die Welt hinaustritt und sich unter das Volk mischt, wie sich der Todesgedanke gar nicht mehr von einer bildlichen Vorstellung trennen kann. Die Volksphantasie will den Tod lebendig und körperlich vor sich sehen und sich das Übel gegenüberstellen; sie denkt in der Gestalt, nicht im Begriff, sie will lebhafte Anschauung. Was Goethe einmal in der „Geschichte der Farbenlehre" über Luthers Teufelsglauben gesagt hat, das gilt auch für sein Verhältnis zum verteufelten Tod: „Wie bequem macht sich's nicht Luther durch den Teufel, den er überall bei der Hand hat, die wichtigsten Phänomene der allgemeinen und besonders der menschlichen Natur auf eine oberflächliche und barbarische Weise zu erklären und zu beseitigen, und doch ist und bleibt er, der er war, außerordentlich für seine und zukünftige Zeiten; bei ihm kam es auf die Tat an; er fühlte den Konflikt, in dem er sich befand, nur allzu lästig, und indem er sich das ihm Widerstrebende recht häßlich mit Hörnern, Schwanz und Klauen dachte, so wurde sein heroisches Gemüt nur desto lebhafter aufgeregt, dem Feindseligen zu begegnen und das Gehaßte zu vertilgen." So sieht also Luther auch den Tod und mit ihm seine Zeit: als Feind, und aus dieser ethischen Kampf-
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Stellung heraus schafft die religiöse Gesinnung die Verfratzung des Todes, dessen Teufelsklaue auch dort noch hervorschaut, wo er als gemütlicher Moralprediger auftritt. Diese Verteufelung einer metaphysischen Macht, ihre ethische Abwertung, stärkt dann unbewußt die Empfindung, gegen das Böse zu streiten; und diese Haltung, die an sich ein unerhörtes Novum ist und zuerst beim Ackermann begegnet, wird nun ganz allgemein. Die Gewalt in Luthers Verhältnis zum Tode, die Ursprünglichkeit und das unerschütterliche Gottvertrauen im Kampf sind die Höhepunkte des Jahrhunderts; alles, was sich um Luther herumordnet und ihm folgt, unterscheidet sich von ihm nicht grundsätzlich, aber gradweise durch die Stärke der Empfindung und der religiösen Überzeugung. Der Todesgedanke ist wenigstens im Schrifttum noch durchaus im Dogma verhaftet, nur von hier aus, von den Bezügen auf Sünde, Ewigkeit und Seelenheil wird das Problem gestellt, aber auch gelöst. Tod ist der Sünde Sold. Immer wieder betont der Tod in den Spielen vor allen ganz offen und höhnend, wo die Sünde sei, da sei auch er, selbst dort, wo er sich mahnend als Morallehrer zeigt. Dies Dogma bestimmt auch jetzt noch den Todesgedanken, wenn sich freilich auch dann im einzelnen neues, profanes Denken regt. Das 16. Jahrhundert hatte andere, wichtigere Fragen zu lösen als philosophische: es rang um seine religiöse Innerlichkeit und Selbständigkeit, und mit Recht kann Dehio sagen: „Den Deutschen der Reformationszeit war doch wichtig über alles die Religion." Der Tod ist der Zeit in der Gesamtheit also nicht Anlaß zur philosophischen Spekulation. Allein bleibt schon im 15. Jahrhundert Nicolaus von Cusa, wenn er im Zusammenhang seiner Unsterblichkeitsidee und seines philosophischen, auf Leibniz vorweisenden Lebensbegriffes den Tod Jesu und das Geheimnis seiner Auferstehung ergründet und den Tod nur als eine Auflösung betrachtet, die das Wesen unberührt lasse. Allein aber bleibt auch im deutschen 16. Jahrhundert der tiefsinnige und tieffromme Paracelsus, bei dem der neue, profan-metaphysische Lebensbegriff auch schon bewußt vorhanden ist, aber noch wie beim Cusaner in der dogmatisch-christlichen Hülle ruht. Der Tod ist zwar aus der Sünde entsprungen, aber im Buch „De morte rerum naturalium", das ganz auf dem Gedanken der ewigen Wiedergeburt aufgebaut ist, heißt es dann, der Tod sei „anders nicht als eine umbkehrung
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und verenderung der Krefften und Tugenden, und eine Herrschung über die Gutheit und Bosheit und eine austilgung und undertruckung der ersten natur, und ein Generation der andern und neuen Natur." Das Leben selbst ist ewig und dauernd, der Tod nur Ubergang von einer Form in eine andere, letzte Vollbringung dessen, was schon der Inhalt des Lebens als einer Ritterschaft auf Erden ist: „daß wir kommen von der alten Kreatur zur neuen." Tod ist also — das ergibt sich aus Paracelsus' naturphilosophischreligiöser Deutung — Verschwinden des Irrtums, eine Trennung des Seins vom Schein; das Wesen bleibt, der Schein hört auf. Das ist letztlich Verwirklichung seiner selbst, d. h. des ewigen Lebens, und da das Leben immer Gott ist, Bewußtwerdung des Daseins Gottes in uns. Die bloße Form aber zerfällt1). Bei Cusa und Paracelsus kann man deutlich beobachten, wie langsam der auf Christi Erlösertat sich gründende und den Glauben an die Auferstehung und die Wiedergeburt einschließende christliche Begriff vom ewigen Leben sich zum rein metaphysischen wandelt. Erst dann, wenn die eigentlich christlich-dogmatische Bindung des Menschen in seinem Denken um Tod und Auferstehung gelockert und schließlich gelöst ist, wird auch der Weg frei für subjektiv profanes Denken, für die wesentlich philosophische Durchdringung des Todes und dessen, was dahinter liegt. Erst jetzt findet die Säkularisation der geistlichen Vorstellungen statt und das Problem der „Unsterblichkeit" kann selbständig und artverschieden neben den Glauben an Auferstehung und ewiges Leben treten. Freilich sind diese zwei *) Cusa: Mora nihil aliud eat quam separatio ad communi· cationem et multiplicationem essentiae. Opp. II, 136b. Vgl. auch Cassirer a. a. O. S. 26, 99; 204, 280, 282, 294ff. Κ. P. H a s s e , Nicolaus von Cues, 1913, S. 127ff.; 129ff.; 155, 157. - P a r a c e l s u s , Opp. Hussersche Quartausgabe, Basel 1590, 6. Teil, S. 2 8 1 - 2 9 3 ; bes. S. 282, 283. Tod des Menschen nichts anders als ein ende des tagewerks . . . und ein hingebung widerumb in der mutter leib. Dann dieweil der irdische und natürliche Mensch von der Erden ist, so ist auch die Erde sein mutter, darein er widerumb muß und darinnen das irdisch natürlich fleisch verlieren: und also am jüngsten Tag in einem neuen himmlischen clarificierten fleisch zum andern mal geboren werden." Vgl. auch die Erklärungen bei F. H a r t m a n n , Grundriß der Lehren des Paracelsus, Leipzig 1898; und H. B o r n k a m m , Luther und Böhme, Bonn 1925, S. 217; ebd. S. 199ff.; 223ff.
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Begriffe dauernd miteinander verwechselt worden, so daß man sich des Neuen gar nicht so bewußt wurde ; Unsterblichkeit war nur ein anderer Ausdruck für ewiges Leben, auch bei Luther. Vorerst ordnet man den Tod in der Allgemeinheit immer noch katechetisch, nicht philosophisch ein. Selbst Erasmus von Rotterdam, der als zwanzigjähriger Klosterschüler eine sehr unselbständige Abhandlung über die Weltverachtung verfaßt und in seinem Alter, 1534, eine „Praeparatio ad mortem" veröffentlicht hat, kommt zu keiner philosophischen Überlegung des Todes; er verharrt wie das ganze Mittelalter bei dem christlich verstandenen platonischen Satze, das wahre und echte Wesen der Philosophie sei die „meditatio mortis". Denn das steht auch ihm voran, daß der Sünde Sold der Tod sei, auch für ihn ist die Zukunft der Seele das Wichtigste. „Daß der Leib untergeht, ist Naturgesetz; er muß sterben, auch ohne gewaltsamen Tod, daß aber die Seele stirbt, ist der Gipfel der Unseligkeit," heißt es im 'Enchiridion'. Und in der „Epistola de philosophia Christiana" steht der Satz: „Docet animum abducendum ab amore rerum visibilium ad Studium earum, quae vere semperque sunt. Docet mortem non esse metuendam sed optandam potius ei qui bene vixerit 1 "). Das ist noch keine eigentliche philosophische Problemstellung, und auch etwa Pico della Mirandola in seinem platonisierenden Traktat über die Würde des Menschen bleibt bei der Wendung stehen, die Betrachtung des Todes, den er in Wahrheit ein Geschenk für den Leib, einen Überfluß des Lebens nennen will, bilde nach der Meinung der Weisen den würdigen Gegenstand der Philosophie ; aber auch er bringt keinen neuen Gedanken mit dem Satze „Schlaf nur und Schattenhauch ist alles Leben", jählings verschlingt es der allgegenwärtige Tod ; und dann folgt die ganz dogmatische und für den immer streng kirchlicher werdenden Pico höchst charakteristische Wendung: „Bedenke, du könntest von hinnen scheiden, ohne Buße getan zu haben." So findet man denn weder bei Melanchthon noch bei Zwingli eine eigentliche Todesspekulation, und dort wo sie kurz auftritt, in den tiefsinnig-spiri1
) Zitiert nach H e r m e l i n k , Die religiösen Reformbestrebungen des deutschen Humanismus, Tübingen 1907, S. ßOf; 27. Dazu W. K ö h l e r , Erasmus, 1917, S. 41, 125. P. M e s t w e r d t , Die Anfänge des Erasmus, Leipzig 1917, S. 215ff. über die Jugendabhandlung. K. S c h r o e d e r , Piatonismus in der engl. Renaissance 1920, S. 41ff. ; 43.
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tualistischen „Paradoxa" des abseitigen Sebastian Franck nimmt sie dann auch gleich die bezeichnende Wendung ins Subjektive. Verdammnis, Tod, Teufel und Haß liegen im Menschen drin, doch der „macht ihn selbst also verkehrt, die Liebe zum Haß, das Leben zum Tod, aus Gott einen Teufel", Gott aber ist das Gegenteil. Francks völlig gegenlutherische, mystisch-spiritualistische Meinung ist, daß nichts an sich böse sei, sondern daß der innerlich autonome und sich subjektiv empfindende Mensch mit f r e i e m W i l l e n alle Erscheinungen erst in ihren Gegenwert überführe und ihnen den Stempel des Bösen aufdrücke; so wurde, als Adam von der verbotenen Frucht aß, das Leben zum Tod. Auf einer völlig anderen Ebene aber liegt es, wenn Geiler von Kaiserberg in seinen 1521 im Druck erschienenen Münsterpredigten „De abore humana" von der Zweigesichtigkeit des Todes spricht, wie er dem Bösen grausam und gut dem Guten sei. „Der Tod von ihm selbst ist weder gut noch bös 1 )." Hier herrscht die objektive Sphäre des Dogmas trotz allem und jeder Zweifel ist unmöglich, da Geiler gleich zu Beginn betont, der Tod gleiche seinem Vater, dem Teufel. Überall sieht man, wie schwer die Anfänge einer neuen TodesP i c o , Ausgewählte Schriften ed. A.Liebert, Jena 1906, S. 194, 297. - W. Köhler, Zwingli, Gotha 1920, S. 1 3 8 - 1 4 3 ; 54ff. ; D i l t h e y I I , S. 159ff. — F r a n c k , Paradoxa, 1533, S. X X ; X ; 33, 3 a 4. G e i l e r , Buoch de arbore humana, Straßburg 1521, S. 135ff. Dazu E. v. R o e d e r - D i e r s b u r g , Komik und Humor bei Geiler, Berlin 1921, S. 46—48, 104—112. Geilers „Todtenbüchlein" von 1482, eine „ars moriendi" nach Gereon, veröffentlichte L. D a c h e u x , Die ältesten Schriften Geilers, Freiburg 1882, S. 115—127. Auch Sermones, 1518, S. V l l f f . „Oratio funebris" und seine „Christliche Bilgerschaft", 1512. — Hingewiesen sei auch auf des N i c o l a u s Taurellus wesentlich medizinisch-philosophische Auseinandersetzung mit Aristoteles in seinem 1586 zu Nürnberg erschienenen „De vita et morte libellus". F«: „Mors enim nihil est aliud quam vitae privatio", ein Gedanke, der sonst nicht auftaucht, aber in Parallele zur alten Bestimmimg des Bösen als „privatio boni" steht. Dazu F. X. S c h m i d , Nicolaus Taurellus, Erlangen 1864, S. 66ff.; S. 69. Tod ist auf die f r e i e E n t s c h e i d u n g d e s M e n s c h e n zurückzuführen, Gott wollte die vollkommene Glückseligkeit und auch das Übel muß vom Mißbrauch der Freiheit abgeleitet werden S. 71. Also ähnlich wie bei F r a n c k und auch bei Val. W e i g e l (vgl. H. M a i e r , Der mystische Spiritualismus Val. Weigels, Gütersloh 1926, S. 56, 75) die Anschauung, daß erst der Mensch den Dingen den Charakter des Bösen und auch des Guten gebe.
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betrachtung sich von der katechetisch-dogmatischen Fassung und Fesselung lösen, wie stark die allegorisch-moralische Bildsetzung und Nutzanwendung den menschlichen Geist beherrscht. Konrad Reitters „Mortilogus" von 1508 etwa lebt noch völlig in dieser dogmatischen Anschauung. Und auf der anderen Seite vertieft ja Calvin geradezu durch seine Annahme von der Gnadenwahl in der vorweltlichen doppelten Vorherbestimmung zu ewigem Leben oder zu ewigem Tod und durch seine Verwerfungslehre den dogmatischen Todesgedanken seiner Zeit. Freilich steigert er auf der anderen Seite durch eben diese Annahme der Gnadenwahl das Persönlichkeits- und Selbständigkeitsempfinden außerordentlich. Nur langsam also bahnt sich in der Zeit nach Nicolaus von Cusa eine philosophische Betrachtung des Todes an; mit der Aufnahme antiken Gedankengutes erhebt dann auch der Atheismus trotz des neuerfaßten Plato sein Haupt, greift das Dogma von der Unsterblichkeit der Seele an und rückt damit den Tod in neue Beleuchtung. Schon im Mittelalter hatte ein naturalistisch verflachter Aristotelismus bei den Averroisten das Dogma von der persönlichen Unsterblichkeit der Seele berannt, war aber durch Thomas von Aquino zurückgeschlagen worden (wobei auch hier schon zu beachten ist, daß allgemein der philosophische Begriff von der Unsterblichkeit der Seele und die christliche Vorstellung von der Auferstehung und dem ewigen Leben gleichgesetzt und durcheinandergeworfen werden). Luther schilt im „Sendbrief" auf den verdammten und hochmütigen Heiden Aristoteles, der lehrte, daß die Seele mit dem Körper sterblich sei, der in Luthers Augen also das ewige Leben leugnet, und ebenso tat Gemisthos Plethon; Ficino aber führte Plato selbst gegen die Unsterblichkeitsleugner ins Feld. Freilich in der Gesamtheit liegt dieser Unsterblichkeitsglaube fest auch für den Humanismus, für Melanchthon und Zwingli ebenso wie für Bacon, Morus und Bodin1), und er ist auch ein Grundsatz der „natürlichen" Religion. Bacon wandte sich verschiedentlich, auch im 17. seiner Essays, ausdrücklich gegen die D i l t h e y II, 150, 185£. ; K ö h l e r a. a. O. S. 141. S t a n g e a. a. O. S. 82ff. — L u t h e r , Münchener Ausgabe II, 68f. ; vgl. oben S. 145, Anm. 1. — T h o m a s M o r u s , Utopia ed. Oncken-Ritter, Berlin 1922 S. lOOff. ; 67f. — E. W a l s e r , Studien zur Lebensanschauung der Renaissance, Basier Ztschr. f. Geschichte X I X (1920) S. 130—164. D e r s . Der Sinn des Lebens im Zeitalter der Renaissance, Archiv f. Kulturgeschichte X V I (1926) S. 300—316.
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Atheisten und ebenso Thomas Morus in der Utopia (1516); ein in der Begründung ganz rationalistischer Grundsatz der Utopier ist die Unsterblichkeit der Seele und ihre Bestimmung zur Glückseligkeit. Wer nicht an die göttliche Leitung des Weltalls und die Unsterblichkeit der Seele, nicht an Lohn und Strafe im Jenseits für Tugend und Laster im Diesseits glaubt, den zählen sie nicht unter die Menschen, weil er die erhabene Natur seiner Menschenseele auf die niedere Stufe einer elenden Körperlichkeit herabsetzt. Aber vor allem in Italien kann Burckhardt mit gutem Recht von einem Rückgang des Unsterblichkeitsglaubens sprechen, und zwar macht sich das schon zu einer Zeit geltend, in der nördlich der Alpen in Deutschland nicht der Gedanke einer Möglichkeit des Zweifels auftauchte. Schon Colluccio Salutati und dann später Vespasiano da Bistizzi, um nur zwei herauszugreifen, kämpfen voll Empörung gegen die Zweifler und Leugner, die hier seit den Alexandristen immer wieder zu Wort kamen. Leo X. mußte sogar 1513 eine Konstitution zum Schutz der Unsterblichkeit und Individualität der Seele erlassen; aber 1516 erschien dann doch wieder des Pomponatius Schrift „De immortalitate animae" und wühlte den Kampf von neuem auf. Namentlich aber in England gewann trotz Bacon und Morus der Atheismus weiter an Boden 1 ). 1
) B u r c k h a r d t , Kultur d. Renaissance. (Reclam, ed. Rehm) Leipzig 1928, II, S. 325ff. und Geiger in der 12. Aufl. 1919, II, S. 318, Exkurs 156. H. R e u t e r , Geschichte d. rei. Aufklärung im Mittelalter, Berlin 1877, II, S. 169ff.; außerdem für die Frühzeit A. v. M a r t i n , Salutati und das humanistische Lebensideal, Leipzig 1916, S. 80 — 90; bes. 82, 85, 87; weiter 43, 45ff.; 1 1 9 - 1 2 1 ; d e r s e l b e , Das Kulturbild des Quattrocento usw. in Festgabe für Finke, 1925 S. 316—355; bes. S. 318, 319. Vgl. auch F. M a u t h n e r , Geschichte des Atheismus I (1920), S. 3 8 - 5 4 , 138, 508, 516, 561, 5 6 9 - 5 7 7 . AußerdemE. W a l s e r , Lebens- und Glaubensprobleme aus dem Zeitalter der Renaissance. Die Religion des Luigi Pulci, Marburg 1926, S. 23ff.; 41ff. ; 67; 71ff. — Für England sehe man jetzt den aufschlußreichen Aufsatz von Fr. Brie, Deismus und Atheismus in der englischen Renaissance, Anglia 1924, 48, S. 5 4 - 9 8 ; 1 0 5 - 1 6 8 ; bes. S. 62, 72, 74, 76ff. (Morus); 84, 90, 114, 117ff. (Machiavelli), 141ff. ; 146, 151, 156ff. (Bacon) — Für Frankreich Fr. v. B e z o l d , Jean Bodin Colloquium Heptaplomeres und der Atheismus des 16. Jhds. Hist. Zeitschr. 113 (1914) S. 2 6 0 - 3 1 5 ; bes. S. 278, 306, 308ff.; 114 (1915), S. 2 3 7 - 3 0 1 ; bes. S. 253ff.; 285ff. F. N e u b e r t , Das Nachleben der antiken Philosophie in der neueren französ. Literatur, Neue Jb. 1927, S. 19 — 34, 179-196.
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Außerdem wandte man sich, ohne doch dem Atheismus zuzugehören, gegen das Dogma vom Strafcharakter des Todes, das zudem im Tridentinum ausdrücklich wieder erneut festgesetzt werden mußte. Diese Notwendigkeit beleuchtet den langsamen Wandel, der sich ζ. T. unsichtbar vollzieht. Wird erst einmal an diesem Grunddogma der Kirche gerüttelt, das ihr eine so starke Gewalt über die Seelen verleiht, dann kann die allmähliche Loslösung menschlicher Todesspekulation von der Kirche nicht mehr lange aufgehalten werden. Zweifel und Angriff an diesem Punkt mußte die Kirche schon im Frühchristentum abwehren; damals wirkten in der gegendogmatischen Ansicht vom natürlichen Charakter des Todes noch die Reste antiker Gesinnung, der ja die Anschauung von der Strafbedeutung des Todes und der darin beschlossenen Abwertung des Diesseits völlig entgegenlief. Und nun, wo antiker Geist und naturalistische Lebensbetrachtung wieder lebendig werden, richten sie sich folgerichtig auch wieder gegen jenes kirchliche Dogma, und das bedeutet nun einen außerordentlich weiten Schritt aus dem Bereich des mittelalterlichen und auch reformatorischen Todesgedankens ins Neue hinein, wo die philosophisch-undogmatische Betrachtung, die natürliche Ansicht des Todes möglich wird. Das antik-naturalistische Element der Renaissanceethik wirkt hier, und die Herausbildung des „natürlichen Systems" der allgemeinen Welterfassung deutet sich auch in dieser Wandlung des Todesgedankens an. In solchem Zusammenhang ist es außerordentlich bezeichnend, wenn Luther 1534 in seiner Erklärung zum 90. Psalm mit allem Nachdruck sich gegen die „recentiores theologi" wendet, die die furchtbare Bedeutung des Todes abschwächen und behaupten, „non esse dolendum tamquam in re mala, mortem esse portum quendam, in quem conclusi tuti simus a laboribus et calamitatibus, quibus haec communis vita subjecta est". Die humanistische Philosophie Christi in ihrem Hauptvertreter und Gegner Luthers, in Erasmus, wollte hier ausgleichend wirken ; freilich der vorsichtige Erasmus ist nie so weit gegangen, den Straf charakter des Todes zu bestreiten, aber seine 'Praeparatio ad mortem', die 1534 zu Köln im Frühjahr erschienen war, und die Luther vielleicht in dieser 1534 niedergeschriebenen Stelle der 'Ennaratio Psalmi XC' im Auge gehabt hat, ist ganz von jenem spiritualistisch-platonischen Zug durchdrungen, der den Tod verschönt und befriedet. Auch Luther sah im Tod Frieden, das Statische, aber
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zuerst und zumeist wollte er das Dynamische, erst den Kampf, und dann erst den Frieden; mystischen Quietismus konnte seine prophetisch-kampferfüllte Frömmigkeit nicht ertragen. Trotzdem: die neue nagende Skepsis, die auch in Erasmus wirkt, wird immer sichtbarer. Bacon, der im zweiten seiner Essays über den Tod spricht, mochte sich nicht unbedingt festlegen : er hielt es für heilsam und religiös, den Tod als Sündenlohn und Übergang in eine andere Welt zu betrachten, aber er wollte doch lieber im Tode eine von den Verrichtungen der Natur sehen. „Es ist ebenso natürlich zu sterben als geboren zu werden." Das war modern, war „natürlich", war profan gedacht. Und so äußert sich auch Montaigne, der freieste und skeptischste Geist der Zeit, der in seinen 'Essais' am entschiedensten schon die Haltung des „natürlichen" Rationalismus auf weist. Er bringt wieder die Ansicht Epikurs, der Tod gehe den Menschen nichts an, weder im Leben, weil er sei, noch im Tod, weil er nicht mehr sei. Montaigne ist dann auch der einzige, der sich im 16. Jahrhundert in neuartiger und philosophischer Betrachtung unablässig mit dem Tod beschäftigt, nur um dadurch zu jener stoischen Ruhe zu kommen, die keine Furcht weiß, weil sie den Tod genau kennt. Todesverachtung ist die höchste Wohltat der Tugend. Man muß die Leute sterben sehen, sagt er, weil er erkennt, daß sich hier das Wesentliche der Menschen zeigen muß; in der Nähe des Todes wird der Mensch gleichsam durchsichtig, da wird wahr von der Leber weg gesprochen (I, 18). Auch diese Art, die letzten Stunden gleichsam als Probe aufs Leben zu nehmen und danach zu werten, ist eigentlich nur die Saekularisierung jenes religiösen und namentlich im Spätmittelalter immer wieder betonten Gedankens vom guten oder schlechten Ende und dem danach zu wertenden guten oder schlechten Charakter des Lebens1). Montaigne treibt wieder *) A. v. M a r t i n a. a. O. Festgabe für Finke, S. 318 Anm. 8; E. M e h l , Die Weltanschauung des Giov. Villani, Leipzig 1927, S. l ö l f f . Deutlich spricht es Charron aus : De la Sagesse, 1613 (zuerst 1601, Paris), Buch II, Kap. X I Se Tenir tousiours prest à la mort, fruict de Sagesse S. 452 — 476; S. 452. ,,Le jour de la mort est le maistre jour et juge des tous les autres jours, auquel se doinent tomber et esprouver toutes les actions de nostre vie" und dann weiter S. 453. „Pour juger de la vie, il faut regarder comment s'en est porté le bout, car la fin couronne l'œuvre, et la bonne mort honore toute la vie, la mauvaise diffame." I m Tode ist keine Verstellung möglich, der Tod zieht den Handlungen
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Menschenkunde und Selbsterforschung mit moral-philosophischer Absicht und knüpft auch darin an die späte Antike und ihre Lebensweisheit an ; er sammelt die Berichte von Sterbestunden geschichtlicher Persönlichkeiten ; ein Beginnen, dem man jetzt öfters, auch bei Charron, bei Bacon begegnet, der aus solchen moralphilosophischen Quellen der spätrömischen Kaiserzeit schöpft. Man will tiefer in die Menschen hineinblicken, aber auch dadurch das Problem des Todes tiefer fassen — Wirklichkeit soll hier die Philosophie befruchten, aber anders als im Mittelalter, wo die Betrachtung des Sterbens und des Todes nur der Buße dienen sollte. Jetzt aber sucht man durch die Betrachtung stoischer Todesverachtung selbst seinen Standpunkt zu festigen. Montaigne beobachtet den Tod überall, denkt viel und oft seit der Jugend über ihn und spricht bei jeder Gelegenheit von ihm; so bekennt er selbst im 19. Kapitel des 1. Buches, das die Uberschrift trägt: „Philosophieren heißt sterben lernen." Nicht im weltflüchtigen Sinne des Mittelalters ist das gemeint, sondern in einem neuartigen, der hier zum erstenmal theoretisch innerhalb der weltlichen Sphäre ausgesprochen wird: sterben lernen heißt leben lernen, heißt das Leben tiefer verstehen, freier erfassen, heißt über den Tod herrschen, nicht mehr ihm dienen. „Sinnen auf Tod ist Sinnen auf Freiheit 1 )." Charron, in seiner ganzen Haltung, die das Antike, Stoische mit dem Christlichen, gleich Erasmus, verbinden will, frömmer im Sinne des die Maske ab. Man sehe auch die bemerkenswerten Sätze in der Utopie des Morus über den glücklichen oder unglücklichen Tod, a. a. O. S. 101. Angstvolles oder widerwilliges Abscheiden vom Leben ist den Utopiern ein übles Zeichen für des Sterbenden schlechtes Gewissen. Solcher Tod sei für die Zuschauer grauenhaft und die so Gestorbenen trägt man schweigend aus der Stadt und verscharrt ihre Leichen. 1 ) Montaigne, Ges. Schriften, deutsch von F l a k e und W e i g a n d , München 1908 I, Kap. 19, S. 108; S. 119ff. „Das Leben ist an sich weder ein Gut noch ein Übel. Es ist der Raum des Guten und des Übeln, je nachdem wen ihr hinein legt." Man denke an Seb. Franck. Über den Tod I, Kap. 18; II, 3, 13. Bezeichnend I, S. 144: Kein Zug in der Geschichte ziehe mehr seine Aufmerksamkeit an als der Tod. „Wäre ich ein Büchermacher, ich machte ein Register mit Noten von den verschiedenen Arten zu sterben, welche die Menschen lehren sollten zu sterben, sie lehren sollten zu leben." — Charron a. a. O. S. 457; und vorher: die Kunst zu sterben, sei die Wissenschaft der Freiheit. — Dazu D i l t h e y II, S. 3Öff. ; 263ff. E. Cassirer. Das Erkenntnisproblem I s , Berlin 1911, S. 191f.
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Christentums und noch nicht so ausgesprochen diesseitig, spricht es Montaigne nach und bestätigt so das Durchbrechen dieser neuen profanen Todesspekulation. Tod treibt hier wirklich ins Leben zurück und der Sinn des Lebens liegt in ihm selbst : „Die Meinung, die auf Geringschätzung des Lebens abzielt, ist lächerlich. Denn am Ende macht es doch unser Dasein aus und ist unser alles" (II, 3). Keiner hat die Diesseitigkeit des Lebens so klar ausgesprochen. Das bedeutet jedoch bei Montaigne kein Haften am Bloß-Irdischen; er weiß, man muß das Irdische überwinden und also auch den Tod und die Todesfurcht. Es ist die höchste Aufgabe der Philosophie, die unerschütterliche Naturgesetzlichkeit zu erkennen, denn dann erst kann der Mensch seine Lebensaufgaben erfüllen. Die Mutter Natur spricht zu den Menschen: „Geht aus dieser Welt, wie ihr hineingekommen seid. Den nämlichen Weg, auf welchem ihr vom Tode zum Leben wandelt, wandelt ihr wieder ohne Furcht und Grauen zurück, vom Leben zum Tode. Euer Tod ist ein Stück aus der Ordnung des Weltalls, er ist ein Stück von dem Leben der Welt . . . soll ich etwa euch zu Gefallen den herrlichen Zusammenhang der Dinge stören? Der Tod ist Bedingung eurer Schöpfung; er ist ein Teil eures eigenen Wesens, ihr flieht in ihm vor euch selbst 1 )." Das sind in dieser Zeit ganz neue Töne ; das Bewußtsein von der Immanenz des Lebens im Tode findet sich zwar schon bei Paracelsus : der Tod habe seine Farbe ; so er ausgehe und sich setze, so weiche ihm das Leben, so scheine seine Farbe hervor. Montaigne aber erhebt dies Bewußtsein nun in die philosophische Klarheit : das Dasein sei ein gemeinschaftliches Eigentum von Leben und Tod und der Tod nur ein Teil des Ganzen; der Begriff des allgemeinen Lebens, in das das einzelne Leben wieder zurückkehrt, wird hier (und bei Charron) wie von Cusa, Paracelsus, Leibniz und Goethe gebraucht. „Alles, was ihr euch vom Leben zueignet, das entwendet ihr der allgemeinen Masse des Lebens und nehmt es auf allgemeine Kosten, das Werk eures Lebens ist, euren Tod zu bauen." Trotz aller Lebensfreudigkeit kann auch Montaigne, kann besonders auch Charron im Tod den Übergang zur Befreiung der Seele aus dem Kerker des Leibes, den Anfang eines neuen Lebens sehen, oder je nachdem er den Standpunkt nimmt, das Zuüber^ Montaigne a. a. O. I, S. 119ff.; vgl. Charron a. a. O. S. 462ff.
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windende, sei es durch das Denken dem Begriffe nach, sei es durch die Tat, den Selbstmord. Er konnte sagen, der freiwillige Tod sei der schönste Tod (III, 3). Uber das Leben zwar hat der Mensch keine Bestimmung, aber über seinen Tod ; der Tod ist zwar Gesetz, aber man kann sich aus solchem Ζ wangtod zum Freitod hindurchringen. So und so: Uberwindung des Todes und damit des erfüllten Irdischen überhaupt, Aufschwung zur Freiheit als Symbol der zur moralischen Selbständigkeit gelangten Persönlichkeit, die sich als solche fühlt. Man besiegt den Tod durch jene stoische, leidenschaftslose Gelassenheit, die sich auf die Macht der Vernunft gründet und die den Menschen im Leben und auch im Sterben zu jener inneren und äußeren Harmonie leitet, die gleichsam schon Meisterung und Gestaltung des Lebens und des Todes, ihre innere Begrenzung bedeutet. Hier geschieht dann auch die „Erfüllung des schönen Möglichen", die Goethe pries und zwar angesichts des mediceischen Florenz. Jenes Sterben in Schönheit, das Petrarca die tote Geliebte wie eine wunderschöne, ermüdete Schläferin sehen ließ, ist wie die Verweltlichung jenes gottseligen Sterbens in demutsvoller Ruhe, das Dante im Tode Beatricens erlebte — io sono in pace. Dies Sterben in Schönheit trägt bei Cosimo und Lorenzo wieder den zarten jenseitigen Glanz, den die Gedankenwelt eines neu erlebten Piatonismus über seine Verehrer ergoß. Die „erbliche Heiterkeit der Todesstunde" aber bei den Medicis, die Goethe innerlichst bewegt betrachtete, ist wie ein Symbol der neuen Todesüberwindung aus dem Geiste der Antike, eines platonischen Christentums und bald einer ganz freien, weltlichen Gesinnung; doch gleich sinnbildhaft scheint dann das andere, daß der Geist des Spätmittelalters mit seiner ganzen Härte des Todesgedankens in der Gestalt des Mönches Savonarola, jenes „unreinen Enthusiasten", diese Heiterkeit der Todesstunde pfäffisch trüben will1). Freilich, diese Art der Todesmeisterung durch die harmonische Gestaltung des Todes als des Gestaltlos-Entstaltenden, *) Goethe im Anhang zum „Benvenuto Cellini" J. A. 32, S. 257. Auch E . W a l s e r in seiner Besprechung von Huizingas Herbst des Mittelalters, Neuere Sprachen 34 (1926), S. 185 — 190; S. 186, 188 und mein Aufsatz über den Todesgedanken bei Petrarca in der Vierteljahrsschrift V (1927). S. 450ff. H. W. B e y e r , Die Religion Michelangelos, Bonn 1926, S. 85ff. Zu Ficino: C a s s i r e r , Individuum und Kosmos a. a. O. S. 71.
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Häßlichen, durch die Tilgung der Unform, durch „re-formatio" ist vorwiegend Ausdruck romanisch-südlichen Geistes, Ausdruck der religiös-philosophischen Kenntnis Ficinos und der platonischen Akademie, — der Norden will den wirklichen Kampf. Auch Montaigne wird Meister des Todes, wie Luther, nur in einer anderen seelisch-gedanklichen Schicht, aus anderen Quellen heraus und mit anderer Betonung im geistig-sittlichen Kampf. Beide wollen sie die Todesfurcht brechen und die Todesüberwindung lehren. Das neue Persönlichkeitsideal schafft hier und dort, in der weltlichen und in der religiösen Sphäre, die neue moralischantike, vernunftgerichtet natürliche und die religiös-christliche Haltung zum Tode. Lebensbejaher sind beide, und beide auch persönlichkeitsbewußt, nur Montaigne vielleicht noch gesteigerter, so daß er dann einen Schritt weiter zur Annahme der unbedingten moralischen Selbständigkeit des Menschen tut. Diese leugnet Luther, weil das ein Auflehnen gegen die transzendente Bindung bedeuten würde. Montaigne aber ersetzt völlig Religion durch Moral und vollendet einen Vorgang, der sich im Humanismus langsam vorbereitet hatte, die Autonomie des die Lebensführung bestimmenden moralischen Vernunftwillens, die Autonomie der Lebenswerte überhaupt und die völlige Herauslösung des Lebenszusammenhangs aus der religiös transzendenten Sphäre. Montaigne bleibt darin und in der Art seiner Todesüberlegung zunächst allein, er ist ein Vorläufer; erst später rückt die gesamte geistige Schicht Europas in die Stellung ein, die dieser Vorkämpfer der Vernunftherrschaft erstritten hat. Vorerst aber ist die Zeit in ihrer Gesamtheit noch so fest im religiösen Bewußtsein verankert, daß ihr die Betrachtung des Todes innerhalb der weltlichen Sphäre rein vom ethischphilosophischen Standpunkt aus unmöglich wird. — In einer so lebenslustigen, humanistisch geschwellten Zeit, in der Guicciardini rufen konnte: „Memento vivere", in der selbst der Einsiedler im Totentanz vor dem Tode Grauen empfindet und sein Scheiden von der Welt beklagt, erhält die Erinnerung an den Tod und seine Unentrinnbarkeit einen ganz ungeahnt tiefen Klang. Das Gefühl der Todhaftigkeit beschleicht und berührt alle Zeiten, und solche bedrückt und erschüttert es besonders stark, die ganz dem Leben und seiner Schönheit zugehören. Michelangelo und Tasso bewegt es tief und schmerzlich, vielleicht noch einen Grad
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leidenschaftlicher als den Norden, und ebenso Dürer und die besten seiner Zeit 1 ). Wohl fehlt nicht die Klage über den Tod, der Zorn über den Trug der Welt: aber dies drängt sich nicht mehr so beherrschend wie in den früheren Jahrhunderten vor. Und besonders hört die eingehende, materialistische Schilderung des zerbrechlichen Leibes auf; schon darin sieht man einen bedeutenden Wandel; es herrscht wieder der Glaube an die Schönheit und Göttlichkeit des Menschen, und der Mensch selbst wird auch im Norden wieder das Maß der Dinge. Das neue, noch christlich untergründete Humanitätsgefühl, das schon beim Saazer und beim Cusaner so mächtig wirkte, bricht sieghaft durch und erweist sich notwendig mit ganzer Stärke in der neuen Stellung zum Tode2). „Des Menschen Natur aber ist die Würde", sagt Pico. Wenn der Gedanke an Tod und Vergänglichkeit auch vorhanden ist, so bleibt doch das kleinlich Verzagte, das niedrig Gegriffene und Ängstliche fort: auch da schafft das neue Humanitätsbewußtsein einen Wandel. Man klagt nicht auffällig, sondern ergibt sich mit der gelassenen Gebärde des Herren:- denn man fühlt den Sinn des Lebens und seine Unzerstörbarkeit. Man darf sich nicht durch die Stimmen täuschen lassen, die so stark vom Leid des Todes sprechen, nicht über den Nebentönen den Hauptton überhören, der die Melodie des Jahrhunderts trägt. Wille zur Todesuberwindung liegt doch im tiefsten überall verborgen zugrunde, nur dringt sie nicht überall so stark und sieghaft an die Oberfläche durch wie bei Luther. Diese Todesüberwindung, die, in Deutschland wenigstens, vorab aus religiösen, nicht aus stoisch1
) Vgl. auch E. E r m a t i n g e r , Barock und Rokoko, Leipzig 1926, S. Iff. — H . H a t z f e l d , Dante und Tasso als religiöse Epiker, Deutsche Vierteljahrsschrift I (1923) S. 2 3 0 - 2 4 2 ; bes. S. 236f. — Michelangelo, Dichtungen übertragen von H. Nelson, Jena 1909, S. 53f. ; 68,-62f., 68, 77, 80, 84, 94ff.; 108f.; 122, 130, 146, 148, 160, 153f., 161, 168, 192, 207, 237, 243, 272ff.; 278-282. Dazu nun H. W. B e y e r a. a. O. S. 85ff. ; 95ff. ; 106f. — Zum Grabmal s. W e i s b a c h , Trionfi, Berlin 1919, S. 109ff.; auch S. 97, 137f. — E r a s m u s , a. a. O. S. 82, 96. — Murner, Badenfahrt ed. Martin, Straßburg 1887, S. 22ff. Dazu die lateinischen Randbemerkungen bei G. S c h u h m a n n , Murner in seinen Dichtungen, Regensburg 1915, s. 371 zu V. 20 „Piatonis sententia est omnem sapientium vitam meditationem esse mortis." C a s s i r e r , Individuum u. Kosmos a. a. O. S. 103: „Das Ideal der Humanität schließt das Ideal der Autonomie in sich . .."
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moralphilosophischen Wurzeln stammt, ist das eigentliche Charakteristikum des 16. Jahrhunderts in der Geschichte des Todesgedankens· Auch das Hochmittelalter, auch die Mystik hat den Tod überwunden. Grundlegend aber unterscheidet sich diese reformatorische Todesüberwindung von der der Mystik: diese setzt nicht Tod und Gott so gegeneinander wie Luther und sieht im Tod nicht den Teufel, sie sieht in ihm das Göttliche; sie überwindet den Tod im Tode selbst, in der Hingabe an den Tod, denn ihr ist der Tod die Gabe, die Pforte. Darin aber stehen Mittelalter und Reformation trotz des Unterschiedes, daß hier der Tod und seine Uberwindung ein Erlebnis der gliedhaften Gemeinschaft, dort der auf sich gestellten Persönlichkeit ist, zusammen: ihnen wird der Tod zur Aufgabe. Es ist Spannung, nicht Lösung, und Spannung zuerst bedeutet der Tod dem 16. Jahrhundert, dem alle mystische Todessehnsucht fremd ist. Solche pathoserfüllte Spannung webt ganz im Glauben, und die Spannung selbst löst sich stets im Rahmen der höchst persönlich erlebten Heilserfahrung durch das Bewußtsein von Christi Todessieg, der seit dem Prühchristentum nie mehr so entschieden in den Mittelpunkt des Glaubens gerückt wurde. In der Betonung des Ethischen sind sich Hochmittelalter und Reformation verwandt. Nur daß sich jetzt die Form wandelt, daß hier der Durchbruch einer aufs Höchste gespannten Kraft geschieht, die das mittelalterliche Todempfinden an Mächtigkeit bei weitem übertrifft und den Schritt wagt, den Tod zu verteufeln und ihm den Krieg bis aufs letzte zu erklären. Die Verfratzung und Verteufelung des Todes, dem Mittelalter in der Gesamtheit wenigstens undenkbar, ist gleichsam die Rache des Lebens für den zeitlichen Unglimpf, die der Tod ihm antut. Leben ist Pflicht, Aufgabe, Beruf ; es ist geheiligt, weil es einen Eigenwert besitzt, und so schiebt denn Luther und sein Jahrhundert eigentlich den Gedanken an den Tod weit fort: man bäumt sich gegen die Vormacht des Todes im Leben auf. „Meister", nicht „Sklave" des Todes will das Jahrhundert sein, im Gegensatz zum ausgehenden Mittelalter. Von einer Immanenz des Todes im Leben, von einem Reifwerden zum Tode, darf man trotz allem „media vita" nicht sprechen. Das Jahrhundert ist im letzten innerlich todesfern: gerade in den mitteldeutschen Dramen verkörpert sich in der Erscheinung des Todes die denkbar größte
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und ausgesprochenste Todesfremdheit. Hier überall wirkt der Tod wie eine draußen wartende, gewalttätige, satanische, feindliche Macht, die mit dem Leben unverbunden ist und mit der der wahrhafte Christ innerlich nichts mehr zu tun haben soll; äußerlicher im buchstäblichen Sinne des Wortes läßt sich das Todesproblem gar nicht mehr fassen. Und darum nun auch der erbitterte Kampf des Lebens gegen den Tod, daher die Todüberwindung, daher das Todbild, das den Tod als Teufel nimmt, als den letzten Feind, der vernichtet werden soll. Diese Todüberwindung steigert sich zur Todesverachtung. Luther will die Todesfurcht zurückdämmen, weil der Mensch in starkem Gottvertrauen seine Würde empfinden soll. Und ganz dasselbe ist ja das Ziel von Bacon oder Montaigne, nur daß bei ihnen moralisch-stoisch gemeint ist, was Luther religiös versteht. Luther und seine Zeit sprachen nicht wie der Ackermann dem Tod Sinn und Recht ab, weil sie ihn nicht so tief als widergöttlichen Störer der Weltordnung empfanden, im Gegenteil, war er doch der Sold der Sünde. Aber man „verachtete ihn als etwas, was das Leben nicht zu stören vermag. Er pochte gewiß nicht, wie Johann von Saaz, auf die Würde und den Stolz des Menschen, der die Gewalt des Todes über sich nicht anerkennen will, und der Schluß jenes Kampfgespräches, die Entscheidung Gottes: daß der Tod den Sieg, der Mensch aber die Ehre habe, verwandelte sich in Luther so: daß Gott allein den Sieg und die Ehre habe. Dies ist der Unterschied des Humanisten und des Reformators. Aber in ihnen beiden ist ein neuer Lebenswille und eine neue Todesverachtung deutlich1)." Der Tod kann dem Leben — Leben in einem höheren christlichen Sinne gefaßt — nichts anhaben, er kann nur durch Uberlieferung, nur äußerlich und zeitlich, nicht kraft innerer Schickung die Menschen fällen, er kann nur das zeitliche, nicht das ewige Leben vernichten: in solchem religiösethischen Sinne kann dann der jüngere Peter Vischer in einer „tiefen Ergriffenheit" seinen Wahlspruch „Vitam, non mortem recogita" auf eine eherne Tafel schreiben, die neben einem Totenkopf und einer nach oben weisenden Frauengestalt an einer Urne lehnt2). Luthers Uberzeugung von einem unteilbaren, ewigen Leben, sein „Bewußtsein von der Bedeutung des Lebens, des S t r i c h a. a. O. S. 595; dagegen E. T r o e l t s c h , Renaissance und Reformation. Hist. Ztschr. 110 (1913) S. 5 1 9 - 5 5 6 ; bes. S. 536. 2 ) S. M e i l e r , Peter Vischer, Leipzig 1925, S. 18, 189, 193.
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Todes, von dem Verhältnis des Unsichtbaren", sein Lebensbegriff also ist noch ganz und gar religiös untergründet, und ebenso ist sein Triumph des Lebens über den Tod, wie beim Ackermann, immer auf das einzige und sichtbare Beispiel, auf Christus als lebendige Gestalt und Macht, nicht auf einen reinen Begriff bezogen1). Der Christ ist Meister des Todes, er zwingt ihn sich zum Dienst, wie es Luther meint, „daß auch der Tod und Leiden müssen mir dienen und nützlich sein zur Seligkeit". Er deutet an, ohne sich dessen philosophisch bewußt zu werden, daß Leben sich nur durch Tod vollendet: „Darum sind diese zwei Stücke, Sünde und Tod hier gelassen, daß wir Ursache haben, den Glauben zu wetzen und zu treiben, auf daß er von Tag zu Tag im Herzen vollkömmlicher werde und darnach zuletzt auch herausbreche und alles, was da ist, Leib und Seele christlich werde." Das ist die heroische Kraft der Anverwandlung, die den Tod will, weil der Mensch ihn braucht, um ganz sich selbst zu verwirklichen und zu behaupten, um sein wahres Wesen zu erweisen, das der Tod ihm streitig machen will. Tod ist Prüfstein, wo der mit Gott durch starkes Vertrauen vereinte Christenmensch seine wahre Bestimmung erfüllt, indem er seinen Rechtfertigungsglauben bewährt, d. h. für Luther, indem er wesentlich werden muß. Nur -dort wird es möglich sein, wo ein jeder noch einmal für sich den Tod bezwingen muß, wo der Mensch auf sich selbst angewiesen ist. Es ist ein neues Macht- und Siegesgefühl, das sich in diesem religiösen Lebensideal offenbart. Es ist „die rechte Paulsche und evangelische Theologia", ist der Ritter trotz Tod und Teufel. Lebensbewußtsein beherrscht die Zeit : „Es verdient bemerkt zu werden, sagt Bacon im zweiten seiner Essays, daß sich in dem menschlichen Gemüte keine noch so schwache Leidenschaft finde, die es nicht mit dem Tode aufnehme und ihn bemeistere." Das Bewußtsein von der vernunftgegründeten Selbständigkeit der moralischen Person und der Unabhängigkeit des religiösen Prozesses sind nur die mehr weltliche und die mehr geistliche Seite des gleichen neuen Persönlichkeitsgefühls. Man trotzt so dem Tode das Leben ab, und es ist bezeichnend, daß man gerade in dem mehr weltlichen Italien der Renaissance und des Humanismus das Grabdenkmal pflegt, um so auch im Diesseits unsterbliches Ani) Vgl. auch D i l t h e y a. a. O. II, S. 500, 515; 58.
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denken zu erlangen und den Tod durch Gestaltung zu besiegen. „Die Monumente des Todes werden Zeugnisse für ein starkes Lebensbewußtsein1.") Darin verbirgt sich ein symbolischer Gegensatz : daß die Renaissance den Tod durch Ruhm und Nachruhm, also durch eine Form überwinden, daß die Reformation es aber durch den Inhalt erlangen will; daß der Süden durch Gestaltung erreicht, was im Norden nur durch die Innerlichkeit des Gemütes errungen wird. Triumph ist es hier und dort, Wille zur Überwindung des Todes, nur auf anderem Wege, hier durch die neue Welterkenntnis, dort durch die neue Gotterkenntnis. Für diese ganze Zeit aber gilt das Wort Diltheys von der Manifestation der großen religiösen und bereits der großen moralischen Person, die nur dem Tode gegenüber ihr Wesen erweist. W e i s b a c h a. a. O. S. 109f. — Zum Ruhmgedanken: A. v. M a r t i n , Salutati a. a. O. S. 119—121; B u r c k h a r d t , Kultur d. Ben. a. a. O. II, S. 331 ff. über den „Traum des Scipio" und das Jenseite der großen Männer, ebenso D ö r i n g - H i r s c h a. a. O. S. 111 ff. und E. Z i l s e l , Entstehung des Geniebegriffs, Tübingen 1926, S. 8 3 - 8 9 , 179-183.
VII. K a p i t e l
DAS JAHRHUNDERT DES BAROCK Reif sein ist alles. Shakespeare. Tod aber als das Sterben bleibt das größte GeheimnisBöhme
implicius mußte an sich die bittere Erfahrung machen, „daß nichts Beständigere in der Welt ist, als die Unbeständigkeit selbsten", daß aller Wahn trügt; im Geleitgedicht, das dem letzten Buch des großen und gemütsmächtigen Weltromans vorgestellt ist, wird dies Thema wieder aufgenommen. „ 0 wunderbares Tun, o unbeständig's Stehen! Wann Einer wähnt, er steht, so muß er fürdergehen. 0 schlüpferigster Stand! dem vor vermeinte Ruh' Schnell und zugleich der Fall sich nähert immerzu, Gleich wie der Tod selbst tut . . . " Die Erscheinung Baldanders' lehrt dem Ringenden die Vergänglichkeit, und Simplicius selbst erkennt sich als Spiegel der Unbeständigkeit des menschlichen Wesens. Ganz die gleiche Stimmung findet man bei dem andern großen deutschen Dichter des Barock, bei Gryphius. „Du siehst wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein." Dieses leidvolle Gefühl der Vergänglichkeit und der Vorläufigkeit alles irdischen Tuns und Treibens beherrscht und erfüllt machtvoll pathetisch das ganze Werk des Schlesiers, seine Dramen und seine Gedichte und immer wieder fordert er diese asketische Erkenntnis, die so mutlos stimmen kann und so stark hinübertreibt in ein anderes Reich, das nicht von dieser, ach so vergänglichen Welt ist, in ein Jenseits, wo die Ruhe ist und nicht der Wechsel, der Halt und nicht das Gleiten. Gryphius und Grimmelshausen werden hier genannt als die Gipfel und Grenzen
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des deutschen Barockjahïhunderts; sie drücken nur als besonders Ragende aus, was alle andern auch bewegt, und horcht man hin, so glaubt man einen düster ernsten Gesang von Tod und Vergänglichkeit, von Leid und Eitelkeit zu vernehmen, und daß das Leben kein Leben sei, sondern ein Tod. Bis ans Ende herrscht dieser tiefe Ton, herrscht dieses todsüchtige Bewußtsein im Jahrhundert. Und geht man über die Grenzen des vom großen Krieg zerrütteten Deutschland hinaus, so sind es etwa Calderón und Racine, Shakespeare und Milton, um sich nur an die Großen und Stellvertretenden zu wenden, die ebenso von der Hinfälligkeit alles Irdischen sprechen. „Was lebt muß sterben und Ew'ges nach der Zeitlichkeit erwerben." Im Jahrhundert einer gesteigerten Seelenkunde und Seelenbeobachtung in Leben und Dichtung strebt nun der Mensch, der sich höchst subjektiv und ganz individuell empfindet und sich immer deutlicher von dem erschütterten Boden religiöser Objektivität auf seine eigene, oft nun stark weltliche „autonom erlebte Innerlichkeit" zurückzieht, nach Deutung des eigenen geheimnisvollen Seins und Wesens, um doch schließlich den Unwert aller Wissensgier und den Wert der „docta ignorantia" zu erkennen. Trotz dieser Bescheidung greift die Verweltlichung des Denkstils, die Loslösung aus der Vormundschaft der Kirche, die sich schon im 16. Jahrhundert anbahnt, immer weiter um sich, die autonome innere und äußere Lebensführung wird deutlich sichtbar und gleichzeitig damit auch das vertiefte Verlangen nach philosophisch-weltanschaulicher, profaner Durchdringung des Lebens und des Todes und ihrer Zusammenhänge, statt ihrer bisherigen dogmatisch-katechetischen Einordnung. „Damit rückt die Dichtung dem Lebenszentrum näher. Sie tritt an Stelle der religiösen Konfession . . . " Aber „erst nachdem die religiösen Kräfte in die säkularisierte Bildung aufgegangen waren, konnte die Bildungsdichtung in nun gewandelter Form erschöpfende, d. h. auch das Religiöse begreifende Gestalt gewinnen." Noch mehr, das eigentlich innerliche, gleich dem Verstand nun selbstherrlich gewordene religiöse Gefühl strömt erst jetzt voll nach außen. Dilthey weist darauf hin, daß nun, da die Dogmen zurücktreten, die religiöse Auffassung von der Bedeutung des Lebens um so freier zur Geltung gelangt, und zwar in der Form jenes persönlichen, subjektiv errungenen Bewußtseins von der Bedeutung des Lebens und der Welt. Die eigen-
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tümliche Stufe dieses Bewußtseins aber liegt darin : „die Menschen lassen die äußere Autorität der Kirche hinter sich, aber eine innere Bindung bestimmt ihr ganzes Wesen. Und das ist das Neue : in dieser Bindung sind das religiöse Moment und die Bindung durch das rationale Denken miteinander verknüpft 1 )." Gerade in der heftigen Frage nach dem Sinn von Leben und Tod schwingt diese Einheit von denkerischer Einstellung und religiöser Hingabe. Diese Frage aber steigert sich zum schwerlastenden Zeitproblem überhaupt, und daß sie nun das Mittelste wird, das, was das ganze Dasein ausschließlich formt, darin liegt das unerhört Neue und ganz Andere und das trennt dies Jahrhundert auch von den früheren. Und hier hat man dann auch die Antwort auf die große und ernste Frage, die sich dem Betrachter des Jahrhunderts nach kurzem so stark und unabweisbar auf die Lippen drängt, warum denn diese Zeit vorab die dunkeln und nächtlichen Bezirke des Daseins sieht, warum sie, um mit Bachofen zu reden, nur „ein für die Todesseite alles Lebens vorzugsweise entwickeltes Gefühl ihr eigen nennt", das dem ganzen Sein und Haben ihrer Menschen ein so unverkennbares Gepräge verleiht, auch ihrer Dichtung. Aber das ist nur eine Antwort, die nicht alles sagt. Man kann den großen vernichtenden Krieg noch nennen, mit seinen schweren und erschütternden Erlebnissen, die alles aufwühlen und wie nichts anderes das Unsichere und Vergängliche, die Unabwendbarkeit des Todes mit aller Grausamkeit vor Augen stellen; und dann, daß sich gegen das verflachende Dasein am Ende des Reformationsjahrhunderts eine Bewegung erhebt, die nach neuem Gehalt des Lebens, nach Tiefe und Ernst strebt, die dem Leben einen neuen volleren Klang geben will, der nun durch die tragische Dazwischen1 ) D i l t h e y , Studien zur Geschichte des deutschen Geistes, Ges. Sehr. I I I , 1927, S. 45, 49. — Die vorhergehenden Zitate stammen aus G ü n t h e r M ü l l e r s Geschichte des deutschen Liedes, München 1925, S. 49, 143. Vgl. auch J. H. S c h ö l t e , Barockliteratur in MerkerStammlers Reallexikon I, S. 112, 116. Zu nennen sind noch aus der neuesten Literatur E. E r m a t i n g e r , Barock und Rokoko, Leipzig 1926 und der wichtige Aufsatz von K. V i ë t o r , Vom Stil und Geist der deutschen Barockdichtung, GRM. 14 (1926) S. 1 4 5 - 1 8 4 ; W. B e n j a m i n , Ursprung des deutschen Trauerspiels, Berlin 1928. — Über die Bedeutung der „Docta ignorantia" im 17. Jhd. sehe man E. C o h n , Gesellschaftsideale und Gesellschaftsroman des 17. Jhd. Berlin 1921, S. 3 4 - 5 1 .
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kunft des Krieges so leidvoll tief und dunkel wird. Die Spannung des Lebens wächst schier unerträglich, nachdem zuvor der Bogen sich fast ganz gesenkt hatte und er nun fast überspannt wird, so daß das eine Äußerste ein anderes ablöst. In diesem unerhört dynamischen Hin- und Herschwingen zwischen den schärfsten Gegensätzen liegt das wesenhafte Merkmal der Zeit, das in allen Lebensgebieten sich kundgibt und das Lebensgefühl des Jahrhunderts bestimmt. Es schwelgt in der Verneinung und in der Bejahung, in Antithesen, in der Spannung und Überspannung ,ohne all das kann es nicht leben; man will nicht die Synthese, das Ineinander, sondern das harte Nebeneinander und Gegeneinander. So werden auch die untersten und elementarsten Naturgegensätze mit einer unglaublichen Bereitschaft und fast wollüstigen Gier erlebt: Leben und Tod, Sein und Vernichtung, Liebe und Haß, Freude und Schmerz, Gefühl und Verstand, Schönheit und Verwesung, Glück und Unglück und so fort bis in das Alltägliche ; aber auch noch dort spürt man im Gemeinen und Allgemeinen das Gegensätzliche und Besondere. Daß man die Liebe bitter und den Haß süß nennt, daß sich Wollust und Grausamkeit paaren, Erotik und Askese zusammengehen, auch in Diesem lebt der fast zwangvolle Drang zum Gegensatz. Man will hin- und hergeworfen werden; gegen höchste und leidenschaftlichste Bejahung des Lebens steht die tiefste asketische Verneinung, gegen Todeshaß die Todesliebe : aber das Todesgefühl nimmt das Lebensgefühl ganz in sich auf, so daß man sagen muß, das Lebensgefühl des Barock sei eben sein Todesgefühl — also schon in der Charakteristik liegt die Antithese. Der Todesgedanke läßt sich im Barockzeitalter noch weniger als früher vom Religiösen trennen ; und wenn man sagt, das 17. Jahrhundert sei in Deutschland hervorstechend religiös gewesen, so hat man damit schon wichtige Anhaltspunkte für die Bestimmung des Verhältnisses zum Tode. Aber wieder liegt es im Gegensatz : die Zeit wird in das Jenseitige aus selbstquälerischem Zwang hineingetrieben, weil sie so am Leben hängt, und doch wieder aus dem Erlösungswillen, aus der Angst vor dem Leben und dem Gefühl, daß plötzlich der Boden unter den Füßen schwindet. Es ist ein verzweifeltes Sichanklammern und Haltsuchen, selten, vielleicht in gewissen Gedichten des Gryphius und Fleming und des Paul Gerhardt, das ruhige und feste Bewußtsein der Ruheseligkeit in Gott; es ist nicht die fest im Dogma wurzelnde Frömmigkeit
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Luthers und seines Jahrhunderts, sondern eine sehr feinnervige und empfindliche, von dem innerlich erfaßten weltlichen Sein beeinflußte Religiosität, die sich oft mit erotischer Mystik paart und voll der seltsamsten Widersprüche und Dunkelheiten ist. Immer merkt man, daß die religiöse Erschütterung einzig und allein durch dynamische Steigerung ausgedrückt werden kann und so das „Seelenhafte" nun auch zum erstenmal allgemeinen Ausdruck erhält. Religiosität und Dichtung gehen hier so eng zusammen, daß die Dichtung des 17. Jahrhunderts in der Geschichte der Frömmigkeit eine große Rolle spielt und zugleich ästhetische wie religiöse Werte birgt. Mag auch in der Dichtung des Barock, wo sie zum Religiösen ein Verhältnis zu gewinnen sucht, viel Erlerntes und Abgegriffenes und rein Rollenmäßiges unterlaufen, — es kommt hier einmal auf die großen und ausdrucksvollen Persönlichkeiten an, denen es mit ihrem religiösen Gefühl Ernst war, nicht auf die Nachtreter und auf solche, die aus dem Ernst nur Spiel und Maske machen oder denen das Religiöse nicht mehr so im Mittelpunkt ihres Lebens stand. Daß aber überhaupt auch bei den Flacheren das „Religiöse" vorhanden ist oder doch wenigstens das Bewußtsein, es dürfe nicht fehlen, man müsse ihm Ausdruck verleihen: schon das ist bezeichnend und läßt Rückschlüsse auf den Gesamtbau der Zeit Zu. Auch für das Verhältnis zum Tode gilt das. Sicherlich, bei vielen, besonders gegen Ende des Jahrhunderts, mag hinter den Worten und Sentenzen über Tod und Vergänglichkeit nicht mehr das wache und tiefe Bewußtsein, ein wahres und leidvolles Gefühl liegen, wie etwa bei Gryphius. Es mochte Formel, Übereinkunft, kurz Motiv, nicht mehr Erlebnis und Leid sein; und die in Schwung gekommene Gelegenheitsreimerei, in der gerade die Leichencarmina neben denen zu Geburt und Hochzeit eine so erschreckend große Rolle spielen, leistet der Oberflächlichkeit und dem Formelkram noch Vorschub. Aber daß das Todesgefühl zu erstarrter Formel werden konnte, zeigt einmal, daß es doch mächtig und wuchtig vorhanden war und dann, daß man für ein tief einschneidendes Ereignis oft nur die kürzeste, allgemein geläufigste Einkleidung suchte, um sie allen zum Bewußtsein zu bringen. Im gewaltigen Anschwellen der dichterischen oder oft nur gereimten Betrachtung des Todes und der Verwesung liegt das geistesgeschichtlich Bedeutende und Fruchtbare, und damit hat es diese Untersuchung zu tun.
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Um an ein Äußerliches anzuknüpfen, das doch das Spiegelbild eines innerlichsten Gefühls ist, — welche Bereicherung und Steigerung allein in der Bezeichnung des Todes 1 Die früheren Jahrhunderte hatten sich schnell darin erschöpft. Jetzt herrscht im neuen visuellen Vorstellungsvermögen die Fülle, der Prunk, Wortzusammensetzung und barocke Schwellung auch hier: man spricht vom blinden, tauben, schnöden, vom blassen, bleichen, bittern, vom süßen, schwarzen, gelben, schnellen, herben und unverhofften Tod, nennt ihn frei, stark, unverschämt, allgemein, abgefleischt, listig, grimmig und ergrimmt oder hungrig, falb, kalt, den herrlichen, trüben, folterharten Tod, den gnadenlosen, barmherzigen, heißt ihn Allwürger, Larvenmann, grimmen Menschenfeind, Sensenmann, Schattenmann, Beinträger, Nimmersatt, Trostport, und spricht von des Todes Sturm. Bei der Betrachtung der Zeugnisse fällt auf, wie nun die Form gewechselt hat. Das Schwergewicht liegt innerhalb des Protestantismus jetzt ausschließlich beinah in der Lyrik: hier, in diesem persönlichsten Gefühlsausdruck, vernimmt man die Stimme des Jahrhunderts am deutlichsten und feinsten, und was Großes und Tiefes über den Tod gesagt wird, das findet sich in der gebundenen Rede. Der Drang zum subjektiv-seelenhaften Erlebnisausdruck ist dem 16. Jahrhundert gegenüber neu. Dort war es vor allen Dingen das Drama, das lebendig gesprochene Wort, in dem sich moralisch und zweckhaft, selten dichterisch, das Todesgefühl der Zeit offenbarte. Nun, im Barock, tritt in diesem besonderen Fall das Drama zurück, der Todesgedanke sucht sich andere Bahnen. Diese Verlagerung vom Drama zur Lyrik ist außerordentlich wichtig; in ihr deutet sich die ganze Verinnerlichung und Verfeinerung, die Wendung vom Objektiven zum Subjektiven an. Nur das geistliche, zweckhafte Jesuitendrama will das Memento mori noch objektiv durch die Gestalt des Todes selbst verbildlichen; auch darin lebt echtester Geist des Jahrhunderts, wie denn gerade diese Dichtgattung mit ihrer Verkörperung des Übersinnlichen, des Erlösungsgedankens durch ein Sinnliches das Wesen des katholischen Barock κατ'έξοχψ in sich begreift. An eine schaulustige, schaugierige Menge, die erschüttert und erregt sein will, wendet sich diese lebhafte und predigende Kunstübung, die den Heilkampf in den Mittelpunkt alles Geschehens stellt und die große Rolle, die gerade der Tod darin ethisch-dogmatisch einnimmt, leibhaft werden
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lassen will1). Als Triumphator zieht er einher, der den Lorbeer bedroht und die düstere Cypresse pflanzt, der die Triumphbogen umstürzt und den schwarzen Vorhang vorzieht; als Schnitter und Larvenmann kommt er, manchmal als Tröster; er rühmt sich mit großen Gebärden seiner Macht in Jacob Bidermanns „Doktor von Paris", und dann, an Calderón gemahnend, ertönt der Chor: „Vixdum bene nascimur, Cum repente morimur: Vita enim hominum Nil est nisi somnium." Nur auf der Jesuitenbühne lebt im 17. Jahrhundert die Idee, die Gattung des Totentanzes fort und findet hier neue dramatische Gestaltung. Wenn sonst im deutschen Drama der Tod auftritt, dann nur als Allegorie, ja, als stumme Person, wie etwa in Rists 'Friedewünschendem Deutschland', wo der Verfasser im Scenar bezeichnend angibt, die Allegorie des Todes könne auch weggelassen werden ; oder etwa in Schottels „Friedenssieg" von 1648, in dem Tod, Hunger, Armut, Ungerechtigkeit im Zwischenspiel auf die Bühne kommen. „Ich bin der häßlichbleiche Tod." Wenn aber Joh. Val. Andreae in seinem allegorischen Drama 'Turbo oder der irrende Ritter vom Geist' (1616) im 5. Akt den Tod zusammen mit Weisheit, Wahrheit, Ruhe, Zufriedenheit und noch anderen allegorischen Personen auf die Bühne stellt, so kündet sich darin schon das neue todvertraute Gefühl des Jahrhunderts an. Da rühmt der Tod: „Mich fliehen alle, und mich auch suchen sie alle wieder auf." Er will sie vom Übel erlösen und öffnet ihnen zuerst die Augen über ihre Irrgänge. „Sie l e r n e n nie das S t e r b e n u n d k ö n n e n so a u c h nie das L e b e n l e r n e n . " Der Tod ist ihnen nur ein Büttel, nicht ein Brautführer zur ewigen Hochzeit, und das sagt der Tod dem Turbo als der Weisheit letzten Schluß : „Genug weiß, wer zu sterben weiß. — Genug kann, wer sterben kann 2 )." Reif sein ist alles: damit wird der Ton, der durch das ganze Jahrhundert J ) Das Folgende nach A. D ü r r w ä c h t e r , Darstellung des Todes und des Totentanzes auf den Jesuitenbühnen in: Forschungen zur Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns 5 (1897), S. 89—115. Dazu auch H. C y s a r z , Deutsche Barockdichtung. Leipzig 1924 S. 216. — Über die bildlichen Totentänze des 17. Jhds. unterrichtet G. B u c h h e i t a. a. O., S. 185ff. *) R i s t ed. Goedeke, Leipzig 1885, S. 69; S c h o t t e l , Friedenssieg, Ndr. 175, S. 56f. — A n d r e a e , Turbo. Übersetzt von W. Süß, Tübingen 1907, S. 167f.; 166, 168, 180, 182. Dazu Herder, Suphan XVI, S. 150, 151, 158, 240, 242.
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bald laut, bald leise klingt, der Ton der Todsüchtigkeit angeschlagen. Schon an der Schwelle des neuen Jahrhunderts steht ein Dichter, in dem sich symbolisch Ende und Beginn, Altes und Neues einen, Theobald Hoeck mit seinem 'Schönen Blumenfeld* von 1601. Gleich er bringt den neuen, tiefen Ton zum Erklingen, der dann nicht mehr zum Verstummen kommt. Von dem mühseligen Leben des Menschen, wie es Staub und Asche, wie alles Mühen eitel sei, singt er und ist der Gewißheit voll: „All unser noth endt erst der Todt." Darum: „Wir wollen bedenken, daß wir sterben müssen", damit wir das Irdische verachten und dem Ewigen nachtrachten. Das alte Bild vom Leben als einer Pilgerfahrt rührt auch diesem Jahrhundert an das Innerste: Bunyan schreibt seinen religiösen Roman von des Christen Wallfahrt (1678ff.), und als ein Pilger fühlt sich auch Hoeck auf dieser Erde; warum also fliehen vor dem Tode? Würde man das Irdische recht erkennen, so würde man den Tod oft mit Freuden wünschen1). In diesen melancholischen, müden Versen spricht sich schon all das aus, was dann später, bei Gryphius etwa, machtvoll pathetisch, bei anderen christlich innig nach Außen strebt. Hier bei Hoeck liegt es noch wie unter einem Schleier, zaghaft, knospend. Die Todessehnsucht klingt leise, später wird sie zum Schrei. Georg Rudolf Weckherlin allerdings, dieser gesellschaftlich festesfrohe, noch humanistisch gestimmte Prunkdichter aus dem Anfang des Jahrhunderts, kommt über das Allgemeinste, Äußerlichste nicht hinaus; wenn er die Flüchtigkeit der Jahre beklagt und den Tod haßt, der die Lebensfreude stört und alle holt, wenn er ihn bleichen, tauben, schnöden Allwürger schimpft, von dem allein Tugend befreien kann, so ist dies der freilich schon recht veräußerlichte Ausdruck und Nachhall einer diesseitsfrohen, todfremden Renaissancehaltung, noch nicht die spannungsreiche barocke Seelenlage, deren Todeshaß und Daseinslust erst durch den verborgenen wesenhaften Gegensatz, erst auf dem dunklen Hintergrund der Todesliebe und der Weltverneinung den eigentümlich zitternden, fast wollüstigen Farbton, das innere η Hoeck ed. Koch, Ndr. 157-159, S. 9, 20, 26f., 41, 42, 53f., β Iff.; daß in Hoeck zuerst frühbarocke Art sich kundgibt, ist mit Hübscher und Strich gegen G. Müller a. a. O., S. 27 doch aufrecht zu erhalten gerade vom Problem des Todes aus.
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Leben erhalten. Auch in seinen Trauer-, Klag- und Grabschriften, in seinen geistlichen Liedern nichts Persönliches, Erschüttertes, der übliche Formelkram, die achselzuckende Versicherung: gegen den Tod könne niemand an1). Eine Todesode Weckherlins war in Zinkgrefs Sammlung von 1624, 'Auserlesene Gedichte Deutscher Poeten', erschienen. Da stand gleich vorher ein kurzes Gedicht des Herausgebers, das wirklich von echtem, religiösem Schauen, vom Gefühl der Nichtigkeit des Lebens durchweht ist. „Was bistu doch, o Mensch, gegen der Groß der Erden? . . . " Derselbe Zinkgref dichtete dann seine „Vermahnung zur Tapferkeit" nach Tyrtäios, die die Romantiker so liebten, im Inhalt und im Sinn nah verwandt Thomas Abbts prächtiger, schwungvoller Schrift „Vom Tode fürs Vaterland". „Kein Tod ist löblicher, kein Tod wird mehr geehret, Als der, durch den das Heil des Vaterlands sich mehret." Einen freien und würdigen Tod, einen schönen soll man erstreben, wenn man schon nicht frei leben kann. Der so stirbt, wird dann erfüllt mit Ewigkeit . . . durch seinen Todt die Furth zum rechten Leben" finden. Nur den Frommen beschert Gott solch „hübschen" Tod, der Knechtische stirbt feig. „Wer nur des Tods begehrt, wer nur frisch geht anhin, Der hat den Sieg, und dann das Leben zu Gewinn2)." Reformatorisch-herzliche Frömmigkeit wirkt hier am Anfang des Jahrhunderts noch nach, Christliches mischt sich harmonisch mit Antik-Humanistischem, stoische Lehre von der Todverachtung fließt zusammen mit christlichem Gottvertrauen und dem Trotz der Uberwindung des Todes. Und diese Zweiheit, zum rationalen Einklang gestimmt, erfüllt gerade in der ersten Hälfte des Jahrhunderts den Todesgedanken, am deutlichsten bei Opitz; er tritt Zinkgref nahe, wenn er im „Trostgedichte in Widerwärtigkeit des Krieges" von 1633 bekennt : „Wer Kriegestod erkiest, Der hat den schönsten Tod, Der auf der Erden ist." (IV, 275f.) Mit einer müderen Gesinnung ist es dann gesprochen: „Der Ausgang des menschlichen Elends sei der Tod, welcher nirgends leichtlicher zu erlangen, als im Krieg." Uber Zinkgref hinaus aber weist die enge Anlehnung an die Stoa, wie sie vor allem in den Niederlanden 1
) vVeckherlin ed. F i s c h e r , Lit. Ver. 199, S . 149, 186, 405, 497, 499; Lit. Ver. 200, S. 259ff.; 271 ff.; 289, 426, 431. 2 ) Zinkgref ed. Braune Ndr. 15, S. 62ff. ; 31.
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bei Grotius und bei Heinsius eine Renaissance erlebte, und bei ihnen hatte sich noch platonisches Gut zugesellt. Heinsius gerade schrieb 1621 ein platonisierend christliches und mit stoischer Philosophie vermischtes Gedicht „De contemptu mortis libri IV", das im 2. Buch lehrte, „quare mors sit contemnenda. Ac primo, quanta vitae sit calamitas: tum quo pacto animus ad contrariam de morte opinionem et contemptum eius, praeparandus sit. Quae agenda in hanc rem, quae fugienda." Und dann erweist er die Unsterblichkeit der Seele. Das dritte Buch lehrt den Krieger den Tod fürs Vaterland und die Verachtung des Todes, und im vierten heißt es, „vitam nostram esse in uno Jesu Christo reconditam". Da wird von Geburt und Tod und vom Triumph über den Tod berichtet. Und dann, in einem Anhang, gibt Heinsius lateinisch und griechisch die entsprechenden Stellen aus Piatons „Phaidon". Das ist eine Erneuerung stoischer Geisteshaltung, stoischer Todverachtung, der man schon bei Bacon und Montaigne begegnet und die bezeichnend genug gerade im 17. Jahrhundert später von Pascal in den „Gedanken" oder von La Rochefoucauld in der letzten seiner Maximen bekämpft wird. Opitz kannte das Werk des Heinsius sicher; es mochte seinen christlich-humanistischen Stoizismus, mit dem er dem Tod gegenüberstand, vertiefen. Wie der Weise will er über dem Leben und dem Tode stehen: „Der Leib ist Untertan, der Geist ist nicht zu zwingen." Mit der Unabänderlichkeit des Todes findet er sich ab ; das Leben ist nur ein immerwährender Gang zum Tode. „Denn Tod ist schon erkoren, Eh als du bist geboren 1" Dies ist des Lebens Pflicht. Kein Mensch kann ihr entfliehen, aber der Einsichtige weiß es: „Wir sind allhier nur Pilger auf der Erden." Das ist nicht so sehr christlich als stoisch-humanistisch gemeint, und auch dies, auf das Reifsein komme es an, ist im Sinne Senecas zu nehmen: „Tota vita discendum est mori"; darin eben liegt die Pflicht des Philosophen, die Pflicht des Lebens. Der Weise, heißt es im „Vielguet" (446ff.), kann mit „großem Herzen" über Not und Angst sich erheben, „stirbt ab der Sterblichkeit, ist seines Lebens voll, Und hoffet auf den Tag, an dem er wandern soll." So dünkt ihn der Tod kein Übel: denn er nimmt ja nicht den Geist, und zudem: „Wer todt ist, ist ohn' alles Leid:" nur im Tode ist Ruhe, Dauer, Unwandelbarkeit. „Der Tod bringt Stillestand"; im „Trostgedicht" bestätigt Opitz das noch einmal : „Was
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ist doch nur der Tod ? . . . ein stiller Port der Not, An dem der Kummer ruht und gibet sich zu Rande, Ein Tor, durch das der Geist kömpt aus des Leibes Bande, Der Ewigkeit Beginn, der schnöden Welt Beschluß. Darumb fliehe niemand nicht, Vor dem, der alle Pein und alles Seufzer bricht" (IV, 243ff.) 1 ). Die Unsterblichkeitshoffnung, die Opitz den Tod ersehnen und überwinden läßt, trägt vorab platonische Züge, verschmilzt sich aber der christlichen Anschauung. Die Seele löst sich vom Körper: der Leib, der mindeste Teil des Menschen muß verderben, „die Seele kann nicht sterben" (Zlatna V. 497f.). Die solches wissen, können ohne Todesfurcht „unverzagt dem Tode entgegen gehen2)". Denn der Seele wird neues Leben zuteil, und der bleiche Tod ist nur Durchgang zu einem anderen Leben in der Ewigkeit. „Wann wir den schwachen Lauf der Sterblichkeit erfüllt, Verwandelt uns der Tod in Gottes Ebenbild und macht uns wieder neu" (Trostgedicht IV, 332ff.). Der ungestalte Tod, er gestaltet den Menschen um, er, der Unwandelbare, wandelt alles Sterbliche. Todüberwindung also will Opitz weniger aus christlichem denn aus stoischem Geist: der Tod kümmert den Weisen wenig; aber der Tod ist zugleich Lösung und Eingang. Im Eigentlichsten wird Opitz das Ende nicht zum Problem: liegt doch so klar zutage, wie man sich zu ihm stellen müsse. Keine hohe Spekulation leitet seine Todesgeda'nken, sondern die nüchterne, ruhig rationale Klarheit eines kühlen, mit den Dingen rechnenden Menschen, dem das Religiöse nicht entbehrlich, aber auch nicht zur Mittelfrage seines Daseins geworden ist 3 ). Der Tod erregt ihn nicht leidenschaftlich, wühlt nicht ein erschütterndes Erlebnis auf, aber das Gefühl der Todhaftigkeit, die ganz leise ausgesprochene Sehnsucht nach dem Dunkel und der befriedenden Nacht weist doch schon in die Richtung, in der die Todesinbrunst eines Dach und Gryphius liegt. Der Weg dorthin wird über Paul Fleming führen; schon er zeigt gegenüber Opitz und seinem humanistisch-christlichen !) Opitz ed. Oesterley, Kürschner 27, S. 10, 23, 43, 185, 224, 240; 242. Zlatna, S. 69ff.; 497ff.; 507; Vielguet V. 446ff.; Lob des Kriegsgottes V. 60f.; 409, 490. Trostgedicht II, 572; III, 225; IV, HOff. ; 243. Dazu H. Wels, Opitz und die stoische Philosophie, Euphorion 21 (1914) S. 96. a ) Zlatna V. 507ff.; vgl. Trostgedicht IY, 113ff. s ) Fr. G u n d o l f , Opitz, München 1923, S. 44f.
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Stoizismus Anschwellung des Gefühlsgehalts, eine Vertiefung des subjektiven Persönlichkeitsausdrucks, wo er dem Tod nahe tritt. Die kindliche Frömmigkeit im Verhältnis zum mehr objektiv erfaßten Jenseitigen überträgt sich auch auf sein Todgefühl. Am wenigsten sagen seine Leichencarmina, deren er viele reimen mußte, etwas darüber aus; aber hin und wieder bricht doch in ihnen wie bei Dach das Persönliche hervor. Daß er den Tod den starken, unüberwindlichen, der gleiches Recht über alle hält, dem die Jungen und Alten reif sind, daß er ihn unverschämt nennt und einen bleichen und ungestümen Würger heißt, sind gelehrte Formeln, die er antiken Dichtern, Horaz oder Catull entnimmt, und fällt nicht so ins Gewicht als dies : er stellt die Frage, ob Tod und Leben nicht eins seien; das Leben, das nichts als Rauch und Nebel, finstere Nacht und blinder Schatten sei — ist es nicht ein halbbelebter Tod? Fleming, der ein „Klagegedicht über das unschuldige Leiden und Tod unsere Erlösers Jesu Christi" schrieb, wird immer wieder von dem Gedanken des stellvertretenden Todes des Herrn erfaßt. Und an diesem Erlösertod entzündet sich sein Todgefühl, um ihn kreisen seine Gedanken etwa in dem schönen innigen Gedicht „Andacht" aus den poetischen Wäldern. „Mein Leben war sein Tod, sein Tod war mir mein Leben." Das Reifsein zum Tode, das Bereitsein, — dieser Gedanke des Barock lenkt den Dichter noch faßt unbewußt. „Mir sterb' ich täglich ab . . . Wer ewig nicht will sterben, der muß hier in der Zeit verwesen und verderben, weil er noch sterben kann." Denn den Wandel der Zeit und zugleich ihre Unwandelbarkeit dem wandelbaren Menschen gegenüber, dieses eigentlichste Barockproblem, hat vielleicht am tiefsten der frühbarocke Fleming in seinen „Gedanken über die Zeit" empfunden. Er sehnt sich, wie sein Jahrhundert, nach der Zeit, die ohne Zeit ist und ohne Wandel, wo das Feste ist und die Ruhe, und dahin führt auch ihn durch das dunkle Tor des Todes der Weg. „Der Tod ist nicht so arg, als wir ihn sehen an, Tod ist das Leben selbst, er führt uns zu dem Leben . . -1)." In mildem und verklärendem Lichte sieht Fleming Fleming ed. L a p p e n b e r g , Lit. Ver. 8, S. 29, 30, 36, 39, 51, 55, 241, 264, 465. Leichengedichte 34—56, Begräbnissonette, S. 454 — 460. -Über die Entlehnungen aus Horaz usw. St. T r o p s c h , Flemings Verhältnis zur röm. Dichtung, Graz 1899, S. 93 — 97.
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den Tod, als einen Freund, nicht mit Grauen, aber auch nicht mit brünstiger Sehnsucht erwartet er ihn: sein Todempfinden ist gelöst, da bei ihm die Spannung zwischen Leben und Tod noch nicht das gewaltige hochbarocke Ausmaß gewonnen hat. Er liebt die Welt, ohne doch an ihr zu hängen, er weiß sich den Gegensatz zu versöhnen, so daß Tod und Leben in harmonischer Einheit ineinander fließen; vielleicht wirkt auch noch bei Fleming stoisches Wissen nach. Das Jenseitige-Eschatologische kümmert ihn nicht so stark wie einen anderen tieffrommen Poeten der Barockzeit, Esaias Rompier von Löwenhalt, dem die Sterbensnot, das höllische Feuer, das schreckliche Gericht erschüttern, der von Ewigkeit und Buße, vom Sterben der Sünder und seinem Verderben singt, dem die Welt in ihrer Schnödigkeit wirklich zum Leid wird. Die Seele ist hier nur ein Fremdling, die dem Himmel zugehört. Des Todes Scheußlichkeit bedrängt ihn stärker als Opitz und Fleming, und voll Gottvertrauen will er mit Gott den „ewigen Tod", der jedermann entleibt, überwinden. Die Unwandelbarkeit des Todes packt ihn, Todesverbundenheit fühlt er, und daß er dem Dunkel, der anderen Seite des Lebens nicht fremd gegenübersteht, deutet sein Abendgesang an: „ 0 komm du süße Nacht." Diederich von dem Werder, der Ubersetzer und Eindeutscher von Tassos großem religiösen Epos, erfüllt sich in seinen geistlichen Liedern mit dem Vertrauen : „Dann lebe oder sterb' ich hin, Ich weiß, daß ich des Herrn bin." Und er, der in seinem Alter angeblich 110000 Todesandachten geschrieben haben soll, dichtet ein Lied auf den Spruch: Es ist dem Menschen einmal gesetzt zu sterben. Hebr. 9. „Das Ziel des Lebens hält zum Tod seinen Lauf 1 )". Hoeck, Zinkgref, Weckherlin, Opitz, Fleming und Rompier — sie alle sind Zeugen frühbarocker Art, die das HumanistischStoisch-Antike mit einer mehr oder weniger stark betonten christlich-reformatorischen, objektiven Frömmigkeit zu einer gewissen seelischen Distanzhaltung vereint ; in ihnen hallt das Alte leise nach K. U n g e r , Studien zu Flemings Lyrik, Diss. Greifswald 1907, S. 25ff. — P. H a n k a m e r , Die Sprache, Bonn 1927, S. 103. Rompier, Erstes Reimgebüsch, Straßburg 1647, S. 8, 21, 71ff.; 78, 95, 12, 141, 175, 188ff. ; 204ff. - Werder in Fischer-Tümpel, Kirchenlied des 17. Jhds. III, Nr. 375, 376. S. W i t k o w s k i , Werder, Leipzig 1887, S. 117f.; 134.
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und ebenso tönt das Neue leise vor, es offenbart sich noch nicht in seiner typischen Art. Aber man erkennt die Verlagerung und sieht, wie die rationale Humanität allmählich einer mehr asketischen Spannung weicht und das Seelische durch den Ausdruck des Dynamischen immer stärker hervorbricht, wie das Gefühl für das Mystisch-Irrationale des ganzen Daseins zum Mittelpunkt der Dichtung wird und die seelische „Distanzhaltung" einer leidenschaftlichen „Ausdruckshaltung" weicht. Geistesgeschichtlich außerordentlich merkwürdig ist es, daß dann gerade ein so rationaler und nüchterner Mann, wie es unzweifelhaft der kluge und scharf beobachtende Logau war, diese mystische Seite, die irrationale, rätselhafte Symbolik des Todes zuerst so lebhaft und hingebend erfaßt; darin kann man ihm aus dem 18. Jahrhundert etwa den geistesverwandten Skeptiker Lichtenberg an die Seite stellen. Der Tod : das ist eine unausweichbare Frage, die der aufrichtig Fromme in seinen Sinngedichten immer und oft ergründet und von allen Seiten zu durchleuchten sucht, und bezeichnend ist es, daß eben zum Schluß stets das mystische Element durchbricht 1 ). Es wird sicher nicht nur Redefloskel und Motiv sein, wenn ein Sinnspruch meint, in der Welt sei nichts als Wanderschaft, Eitelkeit, „Tod und Leid" (I, 5, 52). Denn das deutet Logau als seine feste Hoffnung an, daß die Toten selig seien, und daß, wenn auch das Sterben grausam erscheine, es doch nichts Lieblicheres gäbe, als gestorben zu sein. Immer wieder zieht ihn das unergründliche Paradoxon an — die Versform mit ihrer antithetischen Gestaltung mochte ihn darin bestärken —, daß der Tod die Geburt sei und die Geburt der Tod. „Der Tod ist nicht der Tod, er ist das rechte Leben . . ." (I, 6, 79). Denn der Tod, der Ausgleicher, überhebt aller Zeitlichkeit und Wirrnis, bringt nach kurzer Pein „ein immer sanftes Glück", und wie Rompier preist auch Logau das Dunkel der Nacht, die den Müden umfängt. „Die Nacht hat süße Ruh': das Leben bringt nur Müh', der Tod die Ruhe zu." Darin liegt stärkere Weitab Wertung, liegt die bislang immanent vorhandene, aber nun stets heftiger nach außen strebende und lebenformende Todessehnsucht einer irrational gestimmten Zeit, der sich Logau bewußt, mit Uberzeugung, aus Logau ed. Eitner, Lit. Ver. 113, S. 108, 117, 121, 133, 174, 217, 274, 380, 456, 511, 612f., 616, 650, 657, 662.
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innerer Not gleichsam hingibt. Das Reifsein; das ist die Forderung, die nun mit einer ganz anderen, innerlich ergriffenen Stärke ertönt. „Wer nicht eh' stirbt, als er stirbt, der verdirbt, wann er verstirbt," (I, 6, 16) heißt es wie bei Fleming. Und ein andermal die Mahnung: „In dem Leben wohnet Sterben, in dem Sterben wohnet Leben; Lasse dir das Sterben lieben, du, dem Leben nur ist eben!" Denn hier ist die Vergänglichkeit und dort ein ewig Wesen, und immer ist dem der Tod ein Freund, der dort zu leben sucht. Logaus Todesgefühl, alles durchdringend, aber nicht alles erdrückend, macht sein barockes Verhältnis zu dieser irrationalen Erscheinung durchsichtig, der er nahe zu kommen sucht durch ein Sichversenken in das Beruhigende und Umfangende aller jener Bezirke, die jenseits des taghellen Lebens liegen und nun von mystisch-naturphilosophischen Spekulationen umwoben werden. Der Tod ist unser Vater, von dem uns nun empfängt Das Erdgrab, unsre Mutter, und uns in ihr vermengt, Wann nun der Tag wird kommen und da wird sein die Zeit, Gebiert uns diese Mutter zur Welt der Ewigkeit." (II, 1, 16) „Der Sterblichkeit Beflissene" nannte sich der Kreis, der sich in Königsberg um Simon Dach Schloß: Roberthin, Albert, Titz, Röling, Aldersbach u. a. gehörten ihm an. War bei Logau das rationale Element wenigstens in der geistigen Gesamthaltung das vorherrschende, so strömt nun hier das mystische, todesnahe, aber noch nicht todeslüsterne Gefühl des Barock unaufhaltsam hervor, gemindert nur noch durch das Leis - Mélancholische, Still-Demütige, Seelisch-Keusche, aber auch Orthodox-Fromme dieser Leute. Es ist Todesliebe von milder, sehnsüchtig reiner und doch schon reizsamer Art — hier liegt das Neue ; aber es ist noch nicht hochbarocke heiße Todeserotik, noch nicht jene leidenschaftliche Gefühlsverschmelzung von Liebestod und Todesliebe, wie sie schon bei Giordano Bruno durchdunkelt und sich früher und später oft mit brünstiger, schwül erregter Heilandsliebe eint 1 ). Nicht nur Floskel, Motiv darf man in den zahlreichen Leichencarmina Dachs sehen — bei vielen anderen war es das oft —, seine zahlreichen „Christlichen Sterbelieder" drücken zu innerst Dazu aber N a d l e r II 1 , V i ë t o r a. a. O., S. 178.
S. 54ff.; G. Müller a. a. O., S. 77;
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eine religiös innerliche, seelenhafte Gemütsstimmung, ein Gefühl aus, das vom Bewußtsein der Todhaftigkeit und Todreife wirklich duxchwaltet, nicht nur berührt ist. Die dunkle Seite des Lebens: diese erfaßt Dach mit frommer Inbrunst. Todesnähe, Todessehnsucht, Todesliebe: um diese Drei kreist sein ganzes religiöses Sinnen. Dach, der Dichter jener innigen Glaubenslieder „Schöner Himmelssaal, Vaterland der Frommen" und jenes anderen „Ich kenn' ein Haus nach dieser Zeit", er sagt müde der Welt und ihrer schnöden Pracht Valet, diesem vergänglichen Leben, das ein Schatten nur und ein Rauch, eine nichtige Eitelkeit sei, und herzlich sehnt er sich allein nach der Ruhe in Gott, der Ewigkeit, die über alles Leid hinaushebt; dahin, zum Licht des Lebens, führt der Tod, der nicht nur der Sünden Sold und der Menschen Rute ist, sondern Ausgang und zugleich Eingang, dunkle Pforte und doch helles Tor, „selig Endschaft aller Not und alles Drangsais." Darum gilt es nun den Tod zu lernen, bereit zu sein, sich mit ihm, dem Löser und Auflöser, vertraut zu machen, innerlich reif zu werden für die Todesstunde mit ihren dräuenden Anfechtungen auch für den Frommen — ritterlich streiten trotz Teufel und Hölle in zuversichtlichem, starkem Gottvertrauen : das ist lutherischer Nachklang, der auch sonst im Kirchenlied der Zeit begegnet. Das wollen alle die Sterbelieder lehren : Bitte um Beistand in der Not und setiges Ende, Todeserinnerung, frohen Abschied und Freudigkeit zum Sterben — „Freu' meine Seele dich, dein Abschied nähert sich" —, die Kunst selig zu sterben und Gott fein stille zu halten in Reue und Demut : „Christliche Sterbenslust", wie er eines seiner Lieder nennt, doch ohne jede religiös-erotische Betonung. Ein zum Tod Überredender wird Dach, ein πεισι&άνατος wie kaum ein anderer dieser Zeit, nicht so sehr durch seelisch leidenschaftlichen Ausdruck als durch unaufhaltsam milde, leise flehende, still sehnende Dringlichkeit; er verklärt den Tod schön. Das Geheimnis des Endes, der Schatten bannt ihn, er ahnt das Mystische darin, und nicht umsonst hat auch er innige Abendlieder gedichtet voll Sehnsucht nach dem Dunkel und der mütterlichen Nacht. So fleht er den Tod herbei: „Laß sterben, was bald sterben kann", und in einem schönen „Christlichen Sterbelied" heißt es: „Tod, du aller Sorgen Ruh, Aller Arbeit Ende, Schleuß mir sanft die Augen zu, Schlag um mich die Hände. Nimm mich aus der Eitelkeit dieser schnöden
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Erden, Ich will aus der bösen Zeit Abgefordert werden . . . Jesu, dieser Ruhm ist dein, daß, wiewohl ich sterbe, Ich des wahren Lebens Schein Allererst recht ererbe 1 )." Auch Dach formt wie das ganze Barockjahrhundert den ewig geheimnisvollen Gegensatz: „Und scheidest du von hinnen, Du wirst das Heil gewinnen, Das Leben durch den Tod." Das gleiche Todesgefühl durchströmt dann, vielleicht weniger zart, einige Lieder von Roberthin, Albert und Titz und dem übrigen Königsberger Kreis. „Was ist das Leben ? Ein Weg zur Ewigkeit, durch dessen enge Gassen wir erst zum Leben gehen2)." Es durchströmt leidenschaftlicher, nun weiblich-erregter, sinnlicher manche Gedichte der Sibylle Schwartz, die ähnlich wie Dach, erfüllt vom Bewußtsein der Eitelkeit der Welt, über das Irdische zu Gott hinausstrebt. „In ihm bin ich allein zufrieden und in Ruh." Auch sie eine, die sich um das Rätsel des Todes müht und in ihm den Aufbruch zum Ewigen ahnt und liebt. „ 0 nein, du süßer Tod, du kannst uns vielmehr geben . . ."; bittersüß heißt sie ihn, todnah und todsehnend fühlt auch sie sich im „Lied vom Abschied" und in ihrem „Sterbelied": Freund ist ihr der Tod. Todesliebe steigert sich ihr zu Todesseligkeit; aber auch ihr bleibt eigentliche Todeserotik, barocke Todeslüsternheit noch fern. Frauenhaftes Empfinden, wenn es gesteigert religiös ist, drängt immer zur Mystik, zur Vereinigung mit Gott; Todessehnsucht und Todesliebe durchziehen darum viele der geistlichen Lieder und Sterbelieder, die von Frauen, zum Teil aus fürstlichen Kreisen, stammen: von Katharina Regina von Greiffenberg, von der Kürfürstin Luise Henriette von Brandenburg, von Ludämilie Elisabeth, Gräfin von SchwarzburgRudolstadt, von Amalie Juliane aus demselben Geschlecht3). Herzog x
) D a c h , Lit. Ver. 130; Nr. 119. Außerdem Sterbelieder Nr. 14, 17, 27, 31, 50, 61, 72, 75, 79, 104, 108, 117, 1 2 1 - 1 2 4 , 1 2 6 - 1 3 2 , 134. Weiter Nr. 1 2 - 1 3 , 19, 30, 35, 38, 40, 47, 64, 71, 73, 78, 86, 99, 142, 144, 148, 151, 158. a ) Gedichte dea Königsberger Dichterkreises, ed. L. H. F i s c h e r , Ndr. 4 4 - 4 7 : A l b e r t , S. 6, 77, 155; R o b e r t h i n , S. 40, 63, 192. T i t z , Deutsche Gecichte ed. L. H. F i s c h e r , Halle 1888, S. 18ff.; 147—176. K a l d e n b a c h : Fischer-Tümpel III, Nr. 190. 3 ) Sibylle Schwartzin, Deutsche poetische Gedichte, Danzig 1650, I, S. 25, 27ff.; 35f.; 47, 52, 55, 78f. Dazu K. G a s s e n , Sibylle Schwartz, Greifswald 1921, S. 40, 84—87. - F i s c h e r - T ü m p e l V, Nr. 631, 640, 641.
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Anton Ulrich von Braunschweig dichtet ein Sterbelied voll Lebensmüdigkeit und Sehnsucht nach der Ruhe im Tod. Hier steht man schon mitten in der geistlichen Lyrik, die im 17. Jahrhundert so edle Blüten gezeitigt hat, feiner, keuscher, verborgener als im 16. Jahrhundert, nicht von solch sieghafter Gesinnung, dafür innerlich seelenhafter und reicher; es ist eben jene dichterische Gattung, in der eigengeartete, subjektive Erlebnislyrik überhaupt zum erstenmal im „Seelenlied" nach außen dringt. Hier sind die ersten Töne eines „distanzlosen, seelenhaften Bekenntnisses religiöser Ergriffenheit" zu finden1). Unerschöpflich quillt der Stoff: Sterbelied reiht sich an Sterbelied und gibt zu verstehen, wie sehr doch diese Geschlechter dem Tode verhaftet waren und sich in ihn hineindrängten, stärker, inbrünstiger, ausschließlicher in der Gesamtheit als alle früheren oder späteren Zeiten; es ist, als ob das Todesverlangen nie mehr so breite Schichten ergriffen hätte wie im 17. Jahrhundert; die Mystik des Spätmittelalters bleibt demgegenüber schmal. Hier wie bei Dach ist es immer der gleich leise, doch vernehmlich schwingende Ton : aber dadurch gewinnt er an Stärke, an Uberzeugungskraft, an geistesgeschichtlicher Symbolik und er schwillt dann bei einigen zu einem Schrei voll Todesverlangen und Todesseligkeit an. Das 16. Jahrhundert kannte wohl auch Sterbelieder ; aber da übertönte doch der Wille zur Todüberwindung das Todessehnen, und was dort nur vereinzelt sich kund gab, das wird nun Gesamtausdruck der Zeit; erst das 17. Jahrhundert bringt die große Anzahl der „Sterbelieder", „Sterbegesänge",
!) F i s c h e r - T ü m p e l I, Nr. 36, 306, 333, 364, 380, 384, 405, 420, 452, 469, 474, 476, 481 (Schein), 482, 536 (Röber) II, Nr. 5, 38„ 40, 67, 139, 140, 162, 311 (Zeaen), 358 (Bucholtz), 392, 475. III, Nr. 15; 20, 157, 161, 190, 336 (Andreae), 377, 512, 529, 541. IV, Nr. 36f.; 56, 164, 231, 254, 271, 273, 286, 288, 3 1 0 - 3 1 3 , 354, 358, 362, 608f., 611, 6 4 3 - 6 4 5 . V, Nr. 1, 3, 8, 9, 12, 21 (Harsdörffer), 42 (Klaj), 68, 105 (Birken), 134, 151f., 169 (Omeis); 176, 184, 226, 227, 258, 309, 345, 358, 381 (Anton Ulrich); 483, 501, 504. (Abachatz); 556, 558, 643. Rist ed. G o e d e k e , 1885, S. 216, 220, 228, 238ff.; 248, 260, 278, 280, 292 und F i s c h e r - T ü m p e l III, Nr. 272. — Zesen ebd. I I Nr. 311; Hochdeutscher Helikon 1640, II, 1, Nr. 9, 17, 27. Nachträglich dazu P a u l A l t h a u s , Der Friedhof unserer Väter, Gütersloh 1923 (Ein Gang durch die Sterbe- und Ewigkeitslieder der evangelischen Kirche), bes. S. 17f.; 20 und Kap. 2 — 5; über das Formelhafte S. 95 ff.
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der Begräbnislieder und „Valetgesänglein", auch Sterbensgedanken und Todesbetrachtung überschrieben. (Auch die gedruckten Sammlungen von Begräbnispredigten häufen sich.) In einem Lied hat man alle und in allen das eine und gleiche : daß die Welt selbst der Tod sei und das Leben ein immerwährendes Sterben, daß man das irdische, eitle, vergängliche, nichtige Leben lasse und dem Ewigen, Bleibenden zustrebe, daß Christi Tod für die Menschen und ihr Sterben selbst ein Gewinn sei. Man bittet um Beistand in der Sterbestunde und bekennt seine Zerknirschung, fleht, Christus möge doch bald aus dieser Weltlichkeit abrufen in sein himmlisches Reich, dessen Freuden und Herrlichkeit man mit leuchtenden Farben malt und der Welt gegenüberstellt. Hier die Unruhe, dort der ruhevolle Friede ; daher der Wille zum freudigen Abscheiden und zur Flucht aus der Weltlichkeit. Zum letztenmal in der Geistes- und Seelengeschichte des deutschen Volkes dringt der Ruf der Weltabwertung in solcher Allgemeinheit und Stärke aus den Zeugnissen, wird die Verkündigung des asketischen Lebensideals so durchgehend und dringlich, zum letztenmal bestimmt die religiöse Idee, in der Form der innerlich erlebten Weltflucht und als Spannung zu einem tieferen Weltleben, den überwiegenden Teil des Schrifttums, freilich nur im Deutschland des großen Krieges, aber nicht nur innerhalb der geistlichen Dichtung. „Ach, wie flüchtig, ach, wie nichtig ist der Menschen Leben" dichtet Michael Franck, „alles, alles, was wir sehen, das muß fallen und vergehen : Wer Gott fürcht, wird ewig stehen." Auch Philipp von Zesen fühlt sich als Vergänglicher und Todgeweihter und singt im Lied von der Flüchtigkeit der Weltfreude und der Schönheit, von der Mühseligkeit des wehmutsvollen Lebens. Nur einer, der größte und innigste Kirchenlieddichter des Jahrhunderts, Paul Gerhardt, mag unbeschadet seines hohen eigentümlichen Wertes als stellvertretender Zeuge für die durchgehend gleiche und von ihm nur besonders tief empfundene Gefühlslage der Übrigen sprechen. Beides eint sich ihm: Todesverlangen, aber auch der Wille, den Tod ritterlich zu bestehen, ihn zu überwinden, Mystisches und Reformatorisches: nur daß es ganz deutlich wird, wo der Ton liegt : auf dem Mystischen (bei Klaj und Rist ist mehr das Sieghaft-Reformatorische betont); nicht so sehr durch Kampf als durch Hingabe überwindet Paul Gerhardt den Tod. „Christliche Todesfreude" nennt er ein Lied:
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und nicht nur hier tönt die Frage, warum denn Todesfurcht den Menschen befalle, wo doch die Sünde getilgt und der Tod überwunden sei. Der Tod „ist's ja, der mich von dem Joch des Elends will befreien." Sterben ist ja gar kein Sterben, „der Tod selbst ist mein Leben." Das Tor, durch das alle Menschen wandern müssen in „des blassen Todes Macht", wird zum Tor des Lebens. „Freudige Emphahung des Todes", lautet ein Lied, die Umarbeitung eines älteren von Paul Röber; zur himmlischen Heimat wallt der Christ : „Ich bin ein Gast auf Erden. Und hab hier keinen Stand"; denn „Menschliches Wesen, was ist's gewesen? In einer Stunde geht es zugrunde, Sobald das Lüftlein des Todes bläßt drein." Fröhlich will er in den Tod gehen, der fremde Erdengast, der vom Weibe stammt. Eine wundervolle Strophe des „ 0 Haupt voll Blut und Wunden" läßt die ganze seelische Ergriffenheit Gerhardts, die sich ihm um Tod und Ende webt, anklingen 1 ): Wann ich einmal soll scheiden, So scheide nicht von mir. Wann ich den Tod soll leiden, So tritt Du dann herfür. Wann mir am allerbängsten Wird um das Herze sein, So reiß mich aus den Ängsten Kraft Deiner Angst und Pein. Die barocke Grundhaltung, die hier bei Gerhardt von der Ruhe und Demut eines seligen Gemütes, von der Stille und Zuversicht eines starken Gottvertrauens gemäßigt und gehalten erscheint, wird nun bei Gryphius durch die stürmische Dynamik eines schon ganz subjektiven Gefühlslebens und die unruhvolle Qual einer Gott inbrünstig suchenden und die Welt verachtenden Seele aufs Höchste gesteigert und erhält so ein apokalyptisches, ja eschatologisches Gepräge. Gryphius darf hier in jeder Hinsicht als stärkste und reinste Ausprägung des hochbarocken Seelenlebens und Todempfindens gelten, das nun in völlig distanzloser, innerlicher Erlebnisform nach außen durchbricht; in ihm ist alles !) P. G e r h a r d t : Fischer-Tümpel III, Nr. 393, 422, 426, 466f., 473, 475, 477f., 487f.; dazu H. P e t r i c h , P. Gerhardt, Gütersloh 1914, S. 206, 242, 256f. — Vgl. auch P. A l t h a u s , Die letzten Dinge, Gütersloh 1922, S. 57, Anm. 1. und H a n k a m e r a. a. O. S. 107ff.
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durch die Macht einer großen leidenschaftlichen Persönlichkeit zusammengeballt und mit nicht zu überbietendem Spannungsgehalt erfüllt. Ein tiefer sittlicher Ernst beherrscht seine düstere Weltanschauung, der das Leben wirklich ein „Problem" ist, und zwingt ihn zu dem großen Pathos seiner Gebärde ; er leidet qualvoll an der Welt und an dem Losreißen von ihr, und dies ist sein Thema, das er immer und immer mit erneuter Eindringlichkeit abwandelt und dadurch zu großartig erhabener Eintönigkeit anschwellen läßt: die Vergänglichkeit, die Zeitlichkeit; doppelt leidet er daran als ein Mensch, der, ganz dem Zeitlichen und seiner Willkür verhaftet, sich fortsehnt in jene Regionen, wo keine Zeitlichkeit herrscht, sondern die Zeitlosigkeit, die Beständigkeit, die ruhevolle Ewigkeit. Was er in seinen Dramen wollte, „die Vergänglichkeit menschlicher Sachen" vorstellen, das tut auch seine pathetische Lyrik, eine Lyrik, die in Schmerz und Leid des Diesseits wühlend, doch immer nach dem Ewigen strebt. Zahllos sind die Stellen, wo Gryphius die Eitelkeit alles Irdischen, der Schönheit, der Gliederpracht nicht beklagt, aber erweist : sein ganzes weites Werk hallt davon wider, und unerschöplich ist er in der Aufzählung, wem das menschliche Leben zu vergleichen sei : dem Rauch, Dunst, Wind, Traum, Nebel, Schlamm, einer Rennbahn; überall Verachtung, Uberdruß an der Welt: „die Erden stinkt mich an." Mag auch solche Weltverneinung und Vergänglichkeitsbetonung durch eine christlich gefärbte Stoa noch vertieft (aber nicht hervorgerufen) werden, so spürt man, gegenüber einem Heinsius oder Opitz etwa, doch die wirkliche Inbrunst und auf dem Grund der Seele wurzelnde Leidenschaft, die alles bloß vordergründig Rationale einer stoischen Weltbetrachtung tilgt und ganz in die dunklen Hintergründe irrationaler, mystisch gestimmter Erlebnisweise eintaucht. Tod wird für Gryphius trotz seiner Rätselhaftigkeit im Irrsal des Lebens metaphysische Gewißheit, Halt und Ende, Anker und Rettung. Schauer des Endes und innere Vernichtung erschüttern ihn in der Zeit schwerer Krankheit : er fühlt sich todesnah. „Der Tod schwebt über mir" heißt es. „Schau, wie der Tod mich schon mit schwarzer Nacht umdecket" oder „Mir schaut der schwarze Tod zu beiden Augen aus", und sein Fleisch „reucht nach der Gruft". Ein Wühlen in der Verwesung bereitet ihm fast grausige Wollust; die „Kirchhofgedanken" entspringen solchem Seelenantrieb. So ist denn wahr: „Das, was ihr Leben nennet, ihr Sterb-
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liehen, ist Tod 1 )." Denn zum Tode, zum Untergang sind die Menschen vom Mutterleib an geboren, unentrinnbar gehen sie ihm entgegen; daß sie ihm z u r e i f e n , darin liegt die Immanenz des Todes im Dasein, und auch Gryphius durchdringt sich mit diesem Bewußtsein. „Wir treten alle schon die rauhe Totenbahn". Und darum denn die Betrachtung des Endes, das „Memento mori" und die Sentenz von 'Cardenio und Celinde': „Wer hier recht leben will und jene Krön' erwerben, die uns das Sterben gibt, denk jede Stund ans Sterben." Und darum auch hier die Erwägung wie bei Logau und anderen: „Der stirbt nicht vor der Zeit, der seine Zeit beschlossen." „Die größte Kunst ist können sterben." R e c h t s t e r b e n vor dem Tod, das soll man lernen; Gryphius ist ganz durchdrungen von dem, „was sterben heißt". Er stellt, wie das ganze Jahrhundert, die erregte Frage: „Ist denn mein Tod ein Tod?" Und auch er versenkt sich dann mit Inbrunst in das ewig geheimnisvolle, schleierhafte Mysterium, in das mütterliche Dunkel des Todes, aus dem das Licht aufblitzt: im Tod Leben! Das Sterben ist nichts, „als in den Himmel schreiten". „Sterben heißt genesen".„Was ihr für Tod anschaut, ist Leben sonder Not." So wird der Tod zum Befreier, „der aus den Ketten rückt" und freudig begrüßt, ersehnt, erhofft ihn die müde Seele: „Willkommen, oft erwünschter Tod, So du ein Tod zu nennen 1 Willkommen süßes Lebensbrot 1" und die Helden und Märtyrer aus Gryphius' Dramen stimmen ein in diesen Lobgesang, hegen diese Todesliebe. Katharina ruft „Willkommen, süßer Todi Wir haben überwunden. Wir haben durch den Tod das Leben selbst gefunden 1" " 0 Tod', gewünschter Tod! 0 angenehmes Pfand!" „ 0 Freyheit meiner Seel! o längst verhoffte Ruhl" Ja, Gryphius läßt in einem „Reyhen" dieses Trauerspiels Tod und Liebe auftreten, und der Tod rühmt sich: „Wer die Erden recht durchschaut, Wünscht nichts mehr als mich! Die ihr in den Banden schmacht, Wendet Euch zu mir! Ich brech auf der Kerker Macht, öffne Block und Tür. Hasset ihr dies Tränental, Bietet mir die Hand! Ich führ aus dem Foltersaal in das Vaterland." !) Gryphius ed. P a l m , Lit. Ver. 171. Sonette 4, 37; vgl. S. 443. — V. M a n h e i m e r , Die Lyrik des A. Gryphius, Berlin 1904, S. 142, 151 ff.; 166f. ; 189f.; bes. S. 191-202.
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Aus des Heilands Tod schöpft der Dichter die Zuversicht, durch seinen Tod lebt er im Tode ewig. „Ich sterbe, leb in mir." Auch Gryphius wird zur Bitte um Beistand in der Not gedrängt, nicht formelhaft, sondern aus tief frommem Gemüte, das wirklich die Ruhe in Tod und Gott ersehnt, weil der Tod „frei vom Irren macht". Katharina und Carolus, die beiden Märtyrer, sie beide „scheiden aus der trüben Nacht des Zagens zu dem gewünschten Licht der schönsten Sonne 1 )." Der Ernst und die Tiefe der Weltanschauung, die großartige Eintönigkeit des Pessimismus führen Gryphius zu neuem Begreifen des Todes, zu Todesliebe, zu religiöser Inbrunst und dem grausig-wollüstigen Wühlen in den dunklen Seiten des Lebens. Keiner ist ihm darin ähnlicher, ihm auch an sprachlicher Gewalt und hinreißend pathetisch-düsterem Schwung ebenbürtiger als Jacob Balde, und Gryphius selbst fühlte auch diese innere Verwandtschaft. Der Dichter der „Kirchhofsgedanken" wählt sich zur Verdeutschung zwei Oden des Jesuiten aus, die von den Schauern des Todes und der Verwesung rauschen: „Jacob Baldens Verzückung auf dem Kirchhof"2). Lehrreich die Vergleichung seiner barock auftürmenden, weitenden Übertragung *) Dramen ed. P a l m , S. 437; auch S. 143 und 265. — Lyrik: Sonette I, 24, 60, 51, 53, 61; I I , 13, 25, 26; III, 6, 8, 9, 11, 22, 33, 43, 45, 48; IV, 3, 6, 7, lOff.. 24, 27, 42, 46; V, 11. - Oden I, 4, 5, 9; I I , 3, 7. — Kirchhofegedanken bes. Nr. 34, 58. — Dazu C y s a r z a. a. O. S. 165f. ; und ausführlich, hauptsächlich für den Todesgedanken auf Grund der „Dissertationes oder Leichenabdankungen", Leipzig 1666, W. S c h i e c k in seiner Dissertation: Studien zur Lebensanschauung des A. Gryphius, Greifswald 1924, bes. S. 19ff., 39ff., 69—75. Auch V i ë t o r a. a. O., S. 164ff., der besonders die mystischen Züge bei Gryphius untersucht. Dazu einschränkend H. B o r n k a m m , Mystik, Spiritualismus und die Anfänge des Pietismus im Luthertum, Gießen 1926, S. 26, Anm. 55: „Wenn man den vollen Einstrom mystischen Gutes in das Luthertum der Zeit bedenkt, so gehört er (Gryphius) eher zu dem schwer faßbaren Mitteltypus, der in der Zeit Joh. Arnds und Paul Gerhardts so häufig ist und dem auch Böhme (mit einem noch stärkeren Einschlag von Mystik) angehört." *) Gryphius S. 353—359; Schönborn überträgt die Genoveva. — Ode Baldes ebd. S. 360 — 364. - Balde: Herder ed. Suphan 27, S. 96f., 159ff. Dazu M a n h e i m e r a. a. O., S. 141 — 145 und A. H e n r i c h , Die lyrischen Gedichte Baldes, Straßburg 1915, S. 1 8 - 2 5 , 9 4 - 1 0 7 , S. 115f. _ Balde bei Herder S. 75f., 85, 9 0 - 9 2 , 96f., 159-161, 259f., 285f.
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mit der reizbareren stimmungsausschöpfenden Herders; das Mystische faßt Herder stärker, Gryphius mehr das barock Pathetische. Auch Balde ist ein Sänger der Vergänglichkeit. 'De vanitate mundi' (1636) heißt er sein Lehrgedicht: daß alles sterben muß und zum Untergang erkoren ist und Geburt und Tod wechseln. „Aller Lebendigen Chor mit tausend wechselnden Stimmen singt und girret sich selbst, einen, den Sterbegesang." Ins Innerste Baldes führen zwei oder drei Gedichte 'Das Leichenbegängnis', 'Die langsam Sterbende', 'Nachtfeier der Liebe', durchzittert von einzig überirdischer Glut und dem Vergehen in Dunkel und Tod. Todeserotik gesellt sich nun zu Liebestod, Todesgefühl steigert sich hinauf zur mystisch-erotischen, wollüstigen Inbrunst, wie man sie bei Bruno und auch in den Gedichten der hl. Theresia findet. Von der diamantnen Pforte, der „gütigen Nacht", dem Hinabsinken wird da gesprochen. „Liebe jetzt, wer nie geliebt hat! Wer geliebt hat, liebe jetzt! Süßer Tod, du Wunsch des Herzens, neues Leben, höchster Wunsch." Einen Höhepunkt erreicht die „langsam Sterbende", die um den Tod fleht, ihren Bräutigam, der die Lechzende zum Brautbett, zu seliger Nacht führen soll. „Verweilst du, o mein Leben, o süßer Tod!" Und ist es nicht wie die vollendete dichterische Schilderung von Berninis hl. Theresa, die selbst wiederum diese Verse geschrieben haben könnte? „Bin ich aus deinem goldenen Köcher nicht Des Pfeiles wert? Sieh, offen ist meine Brust, Den süßen Pfeil erwartend. Lieben, Lasset uns lieben 1 Die Adern brennen In Glut mir . . ." Und dann die Lösung, die zugleich Steigerung und Wendung ist und noch tiefer in mystisch-erotische Bezirke hinabführt: „. . . Blumen Elysiums Umduften mich. — Kein Tod! — Es reicht mir Dunkle, erquickende Blumen Christus." Vielleicht kannte der Jesuit Balde jene Stelle in Theresas Selbstbiographie (Kap. 29), die auch Bernini zu seinem Werk anregte, wenn sich auch seine Ode auf die hl. Genoveva von Paris bezieht, die den Tod ihren Bräutigam zu nennen pflegte. Jedenfalls ist dies das Wichtige: daß in diesem Gedicht sinnliche Gottesliebe und Todessehnsucht, Todesliebe und Bräuti-
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gamsvorstellung seltsam zu einer von mystischem Eros durchglühten Einheit zusammenfließen. Tod und Christus: sie sind hier eine Einheit. Mag auch Herder das barocke Pathos und die sinnlich-brünstige Farbe des Originals gemildert haben — schon A.W. Schlegel wies darauf in einer Kritik hin 1 ) —, so bleibt doch dem Dichter die Erfindung und Zusammenfügung jener wesensverschiedenen Gefühlskomplexe, deren harten und darum gerade barocken Gegensatz Herder nur mehr ausgeglichen hat. Solche Dokumente stellen die höchste Art barocken und zwar romanischbarocken Todesgefühls dar, wo es schon ins Übersinnliche strebt; es sind Grenzen und Gipfel. Das große Gedicht der hl. Theresa „Sehnsucht der Seele nach der Vereinigung mit Gott" liegt auf der gleichen Höhe. Man steht mit sochen Gefühlsausbrüchen schon völlig in der mystischen Bewegung des 17. Jahrhundert. Angelus Silesius darf als ihre edelste Blüte gesehen werden. Schon ihm voraus geht Daniel von Czepko2), in dem die mystische Ausdeutung des Todesgedankens bereits so klar zutage liegt, wie bei den späteren; sie stimmt darin durchaus mit dem Gesamtbild des Jahrhunderts überein. Absterben der Seele vor dem Tode: das Reifsein, die Bereitschaft betont Czepko. Denn „Was ist der Mensch? Des Todes Ziel". Die Welt, voll eitler Vergänglichkeit, — „Gegenlage der Eitelkeit" heißt eine von Czepkos Schriften — soll man hinter sich lassen und alles auf die wahren, hohen und ewigen Dinge richten; der Tod selbst ist nur eine Zusammenballung dieses Willens, „Konzentration der Kräfte auf das Unsichtbare". Czepkos mystische Schrift „Das inwendige Himmelreich" lehrt schon das Wesen des Todes als „Auflösung zu dem inwendigen Himmelreich". Gott ist die „gewünschte Ruh aller geschaffenen Dinge", und zu ihr, zur Gotteinigung leitet der Tod: daß der Tod der Weg zum Leben sei, diesen immer wiederholten Hauptgedanken führt Czepko in seiner ungedruckten „ConSchlegel, Werke ed. Boecking X, S. 395. ') Aus Czepkos Werk ist nicht viel veröffentlicht. Material bei K. Th. S t r a ß e r , Der junge Czepko, München 1913, S. 46ff., 68ff., bei P a l m , Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur des 16. u. 17. Jhds. Breslau 1877, S. 260-302, bei G r y p h i u s , Gedichte, S. 364 — 371, bei G. E l l i n g e r , Angelus Silesius, Berlin 1923, I, S. XXXIIIff., XCIIff, ; auch Cysarz a. a. O., S. 249ff.
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solatio ad Baronissam Cziganeam", einer Trostschrift in 4 Büchern, weiter aus. Tod ist Versinken im ewigen Gut, in der Liebe, in der Güte, und alles steht wieder auf: „Die Allmacht, welche dich erschuf, ist Bürge dir, daß sie will aus der Gruft dich, trau drauf, rufen für." Auch bei Czepko lebt diese mystische Liebe zur mütterlichen Erde, zur mütterlichen Todesnacht. „Wenn dich der Tod ganz heißt die Welt räumen, wer nimmt sich deiner an? die Erde . . . sie allein gibt dir im Elende Leben, in Yerjagung Aufnehmen, in Krankheit heilsame Kräuter, im Tode eine Grabstelle . . ." Man macht sich frei von der dogmatischen Bindung, betrachtet den Tod an sich, gelöst vom Moralischen, von der engen und einzigen Beziehung auf das Seelenheil. Dadurch allein gewinnt das Verhältnis zum Tode, das Todgefühl und alles, was um ihn kreist, neue Tiefe und den Blick für das Unmittelbare: für das Metaphysische. „Die religiöse Auffassung von der Bedeutung des Lebens gelangt um so freier zur Geltung." In dem meisten wird Czepko Vorläufer des Angelus Silesius Bei beiden kommt das eigentümlich philosophische Element zur Geltung; die „unio mystica" suchen sie spekulativ zu durchdringen, auf spekulativen Weg zu erreichen. Zunächst ist es die Entselbstung, die Abgestorbenheit, das Heraustreten aus dem eigenen Ich, das man erstreben muß, die Seele sucht in solchem Sehnen wieder heim zum göttlichen Ursprung. Aber dadurch daß Czepko und Silesius den Menschen als ein göttliches Wesen so eng mit Gott in Beziehung setzen und miteinander gleichsam verschmelzen, daß sie, wie vor ihnen vor allem Valentin Weigel, immer wieder lehren, beide, Gott und Mensch seien aufeinander angewiesen und zusammen eine Einheit, Gott könne ohne den Mensch nicht einen Nu leben — dadurch rückt auch der Tod, die leibliche Vernichtung, in eine ganz andere, tiefere Perspektive. Denn wenn erst die Gottheit im Menschen ganz zur Erscheinung, ganz Gott werden könnte, würde ja der ewige Tod der Menschen zugleich der Tod, das Ende, das Aufhören Gottes bedeuten1). So kann Gott den Tod der gottgleichen Seele nicht wollen, diese kommt als ein Teil seiner Substanz zu ihm, von dem sie ausgeAngelus Silesius ed. E l l i n g e r a. a. O. Einltg., S. X X X I V f . : LiXXXIVff.; C y s a r z a. a. O., S. 251 ff.
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gangen, zurück und eint sich mit ihm in stiller Gelassenheit. Der Tod ist demnach hier in einem viel tieferen, notwendigeren Sinn Pforte zum Leben, Rückkehr und Einigung, Vergottung, Gottwerdung; in ihm liegt hier ein tief Metaphysisches wie bei Tauler, wo der Ausgang nur um des Eingangs willen geschieht. Und so kreist denn Schefflers Sinnen immer um denselben Punkt: die Verwandlung von Tod in Leben, die Einheit von Tod und Leben. Kein Tod ist herrlicher, als der ein Leben bringt, Kein Leben edler, als das aus dem Tod entspringt. (IV, 103) Mensch, stirbest du nicht gern, so willst du nicht dein Leben, Das Leben wird dir nicht als durch den Tod gegeben. (VI, 121) Tod ist ein selig Ding: je kräftiger er ist, Je herrlicher daraus das Leben wird erkiest. (I, 26) Gott selber, wann er dir will leben, muß ersterben, Wie denkst du ohne Tod sein Leben zu erwerben? (I, 33) Und dies bleibt stets das Rätsel: wie aus Finsternis Licht und aus Tod Leben entsteht (IV, 163). Darauf kommt es an: seinen Blick von den irdischen und wandelbaren zu den ewigen Dingen, zu „den bleibenden Verhältnissen" zu erheben. Daher die Mahnung: „Mensch, werde wesentlich 1 denn wann die Welt vergeht, So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht." (II, 30; vgl. II, 27; I, 274.) Die Betrachtung des Todes und der Vergänglichkeit macht den Menschen wesentlich und bringt ihn zur Besinnung. Nicht umsonst hat gerade Scheffler im 5. Buch seiner „Heiligen Seelenlust" das Vergänglichkeitslied des Jacopone da Todi „Cur mundus militât sub vana gloria" übertragen und ein eigenes „gleichmäßigen Inhalts" hinzugefügt: „Bereite dich zum Tode". Schon im Leben muß man sterben und das „ewige Leben", wie es in der Vorrede zum „Wandersmann" heißt, „schon in dieser Sterblichkeit beginnen". „Denk an den Tod, mein Christ. Was denkst du anders viel? Man denkt nicht nützlichere als wie man sterben will". (IV, 107) Oder, ähnlich wie bei Logau, Fleming, Gryphius: „Stirb, ehe du noch stirbst, damit du nicht darfst sterben, Wann du nun sterben sollst, sonst möchtest du verderben." (IV, 77). Der erste'Der Tod' überschriebene Teil der'Sinnlichen Beschreibung der vier letzten Dinge', wiederholt diesen Gedanken
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eindringlich1). Den Bösen ist der Tod der Sünde Sold, Sünde verstanden als das Sichhinwenden zum Tod. „Der Tod, aus welchem nicht ein neues Leben blühet, Der ist's, den meine Seel' aus allen Toden fliehet." (I, 29) Barockes Todesgefühl, — das heißt Reifsein zum Tode, heißt dem Ende und dem Jenseits entgegenreifen, heißt in der Zeit schon die Ewigkeit fassen. Was hier in hoher geistiger Mystik sich an subjektivster Durchdringung des Todesgedankens äußert und schwingt, das kleidet sich bei Friedrich von Spee oder bei Laurentius von Schnüffis wieder in die sinnlich-erotische Sphäre. „Am Herzen Jesu sterben, ist hier nur in Lüsten leben, Ist nur Verlieren mit Gewinn, ist tot im Leben schweben2)." Noch stärker atmet man diese bräutliche Stimmung voll Schwüle und erhitzter Erotik bei den Nürnbergern, vorab bei Harsdörffer, der mystischen Erlebnissen weit offen stand. Hier, in diesem Umkreis, gewinnt ja nebst dem schlesischen dann auch romanisch-spanisches, geistliches und weltliches Schrifttum den stärksten Einfluß, und mit ihm alle die grundlegendenElementegegenreformatorisch-barocker, mystischerotischer Religiosität. Harsdörffer, der schon in seinem „Poetischen Trichter" im 12. Kapitel des 2. Teils das Schäfergedicht als ganz besonders geeignet zu Gedanken über den Tod nennt, kehrt auch sonst in seinem großen schriftstellerischen Werk immer wieder zu diesem letzten Problem zurück. In seinen'Frauenzimmergesprächsspielen' spricht er von der Eitelkeit der Welt, der Unsicherheit des Lebens, und erörtert ausführlich die Frage, „ob besser sey sterben oder leben". Und schilt er im 'Großen Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichten', dem „Theatrum" des triumphierenden Todes, diesen einen Vielfraß, der ohne Unter!) Bd. II, S. 321, Str. 19, 20. - Wandersmann I, 2 6 - 2 9 , 3 0 - 3 6 , 129, 274; II, 29, 30, 71, 177, 230; IV, 69, 77, 81, 101-105, 107, 132, 163, 214; VI, 121, 241. Seelenluat Nr. 60, 61, 80, 199, 200. 2 ) Spee, Trutznachtigall ed. Balke 1879, Nr. 2, 12, 13, 44. Spee mit seinem höchst erregbaren Empfinden hat aber auch ein sehr stark ausgeprägtes Gefühl für die grausige Seite des Todes: er nennt ihn falb, bitter, kalt, bleich, gespannt, selten süß; er stellt ihn, den „Menschenfresser", der Sphäre des Zarten, Schäferlichen, Rührenden gegenüber. — Laurentius v. Schnüffis, Marantisches Flötlein 1682, S. 4, 9, 45 ff. ; 294. — Quirinus Kuhlmann, Unsterbliche Sterblichkeit, Liegnitz 1668, war nicht zugänglich.
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schied frißt, ein Wundertier, das nie satt an der Welt wird, so begrüßt er doch auch wieder in der Sammlung seiner Lehrgedichte von 1659 „Nathan und Jothem" den „Sensenmann" und „Beinträger" als den „Lebensmann", der die Türe zum Leben öffne. Sterbekunst : auch Harsdörffer sieht wie das ganze Jahrhundert in ihr das Höchste; auch seine geistlichen Lieder kreisen um dies Wissen vom Tod. Todeserinnerung, Todesgedächtnis 1 „Was fürchtet ihr Sterblichen den Tod? warum fürchtet ihr Sterblichen das Leben? Warum fürchtet ihr Sterblichen die Unsterblichkeit? Wegen dieses Trosts hielten sie den für lieb und wert, welchen sie zuvor als den ärgsten Menschenfeind gehasset hatten 1 )". Jenes Gedicht aber, das am vollendetsten und wahrsten die Todesmystik des Jahrhunderts in sich faßt, Baldes „Langsam Sterbende", hat Harsdörffer in seinen „Sonntagsandachten" übersetzt und zwar so sehr in seine Sprache übertragen, daß es zugleich auch Zeugnis seiner eigenen tiefen Todesliebe und Todesahnung wird: „Sehnsucht nach dem Tode" als „das herzliche Verlangen einer Jungfrau, welche den Tod ihren Bräutigam nennt.'' „Trauter Tod, du Freund und Wonne, düsterschönes Leichenlicht, Schattenmann, du meine Sonne, Küsse doch mein Angesicht. Tod, du bist mein Trost und Leben, Deine Braut ist dir ergeben... Wenn man hört die Leich besingen Und mich zu der Trauung bringen, Wird der große Glockenklang Sein mein froher Brautgesang . . . Ach mein Freund, ach mein Verlangen! Komm doch, komm mich zu umfangen, Komm, o lieber Menschenfeind, Schau, wie deine Liebste weint." Solche erotische Mystik liebt das Dunkel und die mütterliche Nacht des Todes. „Vollkommen wird erst werden ein gottbeliebter Christ, wenn er der Mutter Erden im Tod ergeben ist." Rückkehr «) N a t h a n u n d J o t h e m I, S. 312 ebd. I, 122, 131; III, 131 — 136 Sterbelieder, S. 146—148; IV, 117. Frauenzimmerg e s p r ä c h e s p i e l e III, 171; V, 184f., 190, 415. S c h a u p l a t z 1650 III, S. 209. - F i s c h e r - T ü m p e l V, bes. 1. 3, 8f., 13, 21. Vgl. auch Κ. A. Groth, Die mystischen und mythischen Wurzeln der aesthetischen Tendenzen Harsdörffers, Diss. München 1921, bes. S. 22—26; dort auch der Abdruck der Lieder aus den in München nicht vorhandenen „ Sonntagsandachten".
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zum Ursprung in den Schoß, der wieder gebärt. Abendlieder dichtet auch Harsdörffer, die „Schatten-Nacht", das allumfangende, erquickende Dunkel ersehnt auch er und mit ihm zusammen sein Dichterfreund Sigmund von Birken. Todeserotik, ein Sicheinwühlen in die Nacht und den Tod kennzeichnet sie alle aus dem Nürnberger Kreis: Schottel, Bormeister, Omeis, Kongehl, Porsch u. a. Birken überschreibt ein Lied: „Ein Weg zum Tod ist dieses tote Leben" (1660). „Was ist des Menschen Leben? Eine Reise zum Tod und durch den Tod zum Himmel", heißt es in der Vorbetrachtung zu Birkens „Todesgedenken und TodtenAndenken" von 1670, die eine tägliche Todesbereitschaft lehren sollen. Vom Himmel ausgesandte Erdenpilger sind die Menschen, und der Tod, der Bote, holt sie heim ins Vaterland. „Leben Tod, Tod Leben" nennt Birken sein innigstes und schönstes Lied. Nur ein Tod ist dieses Leben, Nichts als eine Grabesbahn. Wann zu leben wir anheben, Fähen wir zu sterben an . . . Tod, du gibst das rechte Leben, Dies hier ist der wahre Tod. Himmelauf, dahin wir streben, Holst du uns, du lieber Bot ! Den du führest bald zur Ruh, Dessen bester Freund bist du. Schneller Tod ist kein Verderben, Gottgeliebte hurtig sterben. Christen wie die Phönix sterben, Werden lebend in dem Grab... 1 ). In der zweiten schlesischen Schule, bei Hofmannswaldau, Lohenstein und ihrem Anhang, erblüht dann eine eigenartig rational erhitzte Blut-, Todes- und Verwesungsromantik, die besonders im Drama, mit gieriger Wollust, in Grausamkeit und Tod wütet und wühlt. Nicht so sehr der Todesgedanke, sondern der körperliche Tod selbst, die Todesart in einer möglichst einmaligen Steigerung spielt die Hauptrolle, und man berauscht sich, bei aller Verstandeskälte, an den Qualen der Märtyrer. Hier im Drama hat die barocke Bildkunst mit ihrem Schwelgen in Not und Tod, Graus und Eros die gemäße Parallele. Im Eigentlichsten liegt das alles schon jenseits dieser Arbeit und kann hier um so mehr beiseite bleiben, als es auch rein stofflich schon seine Behandlung gefunden hat 2 ). Nur ') Fischer-Tümpel V, Nr. 105 u. Bibliothek deutscher Dichter des 17. Jhds. 9, (1823), S. 99ff. 2 ) R. S e x a u , Der Tod im deutschen Drama des 17. und 18. Jhds. Bern 1906; auch K. B o r i n s k i , Poetik der Renaissance, Berlin 1888, S. 218, Zitat aus Harsdörffers Trichter II, 82.
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der Geist, der darin lebt, wird allgemein wichtig. Stoisch-humanistische Gesinnung wie bei Opitz dringt wieder herauf. „Ein freier Geist erblaßt für Tod und Henker nicht." Schon Carolus bei Gryphius hatte ähnliches gesagt. Der Tod kann nur „blöde Augen schrecken" (Soph. V, 229). Freilich hängt dann dieser neue stoische Heroismus des Duldens und Leidens, der Verachtung auch mit dem psychischen Wesen der barocken „Tragik" zusammen, die, zumeist als „Märtyrertragik", sich in ihrer völligen Passivität grundlegend von der antiken Tragik oder der des 18. Jahrhunderts unterscheidet1). Haugwitz und Hallmann lassen ihre Heldinnen den Tod selig begrüßen, der sie vor Schmach und Befleckung schützt, er wird zum Eingang „in das gewünschte Reich". Freilich, hier entbehrt das Sterben jeder Tragik, jeder Tiefe: man ist versucht, Lessings hartes Wort anzuführen, daß die Christen in den Märtyrertragödien Sterben für ein Glas Wasser trinken hielten. Das obligate „Sterbeliedgen" ist nur noch Formel, nicht mehr erlebter Ausdruck eines wahrhaften Empfindens; die Verflachung des religiösen Gefühls greift um sich, auch in den zahlreichen Leichenpredigten (die von Hallmann erschienen 1682) und Trauercarmina, und es ist außerordentlich bezeichnend, wenn am Ende des Jahrhunderts der nüchterne Christian Weise 107 Sterbeoden schreibt und zu seinen „Erbaulichen Trost- und Sterbeandachten" (1720 veröffentlicht) zusammenfaßt. Religiöse Empfindung ersetzt Hallmann dann auch durch opernhafte Überraschungen: eine Gestalt verwandelt sich plötzlich in ein abscheuliches Totengerippe *) Über den Wandel des Tragischen findet man Ausgezeichnetes bei Karl Voßler, Racine, München 1926, S. 146ff.; bes. S. 150. Jetzt ausführlich B e n j a m i n a. a. O. über den Unterschied von Tragödie und Trauerspiel. — Für Frankreich übrigens bezeichnend die zahlreichen Tragödien, die nun den Tod eines Helden vorführen und hierbei die rational stoische, christlich gefärbte Todesverachtung und -Verehrung sichtbar werden lassen: Corneille, Mort de Pompée, 1644; T r i s t a n l ' H e r m i t e , Mort de Sénèque 1644; Cyrano, Mort d'Agrippine 1653; Q u i n a u l t , Mort de Cyrus 1656 u. a. — Die deutsche Barocktragödie liebt demgegenüber die möglichst schaurige Darstellung des Todes, liebt die Leiche selbst als Enblem, die „Todtenmahlzeit" : B e n j a m i n , a. a. O. S. 215ff., vgl. S. 120 aus Birken (Begräbnisse und Grarbschriften als Stoffbereich des Trauerspiels).
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oder eine höchst glanzvolle Prunkszene in die beliebte Totengruft 1 ). Grabesdunst und Verwesungsmoder steigen auf, die dunkle Seite des Lebens wird lebendig. Es „fuhr der Tod mit seiner düsteren Hand, So stark nach Leichen roch, mir über das Gesicht." Das schreibt Hofmannswaldau : die Sinnesnerven, der Geruchsinn werden nun in Tätigkeit gesetzt: Parfüm und andere Düfte spielen ja eine so große Rolle in der Lyrik gerade der zweiten schlesischen Schule: nun wird auch das Gegenstück, der Moder, nicht nur wie früher genannt, sondern auch wirklich gerochen. „Haucht denn der faule Tod auch solche Geister an?" Man sieht den Verwesungsprozeß deutlich und beschreibt ihn ausführlich. Was die Malerei des 16. Jahrhunderts, etwa Manuel, Baidung schon gekannt hat, den Gegensatz zwischen Tod und vollem Leben, der jungen Frau, das Anhauchen, Darüberhinfahren, Zufassen, daß es den Betrachter wie ein eisig kalter, vermodernder Hauch anweht, — das erreicht nun auch die Wortkunst in ihrem Streben, Tasten und Riechen in die Lyrik einzuführen. Hofmannswaldau kann es nun so empfinden: „Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand Dir endlich mit der Zeit umb deine Brüste streichen, Der liebliche Corali' der Lippen wird verbleichen." Und Lohenstein schildert, „wie das verfaulte Fleisch nur gelbe Würmer säugt". Großartig ist das Gegenstück, das Milton im 'Verlorenen Paradies' gibt: wie der Tod, das Gramgespenst, „den Duft des Fleisches unzählbarer Beute" wittert, die Nasenlöcher in die düstere Luft reckt und seinen Todesflug beginnt. Das ist die eine Seite: dann aber fassen die Schlesier, das Rationale mit dem Irrationalen verbindend, das Todesproblem so, daß sie durch dieses Beschwören von Grab und Moder die Vergänglichkeit des schönsten Leibes in der materiellsten Form zu Bewußtsein bringen. Sterblichkeit ist die Lehre; den allgemeinen Unbestand des menschlichen Lebens und Glückes beklagen sie immer wieder und ringen sich zur Erkenntnis durch, „daß alles *) L o h e n s t e i n , Kleopatra III, Reyhen; Ibrahim Sultan II V. 369; Sophonisbe V, 229; Epicharis V, 669. — H a u g w i t z , Pródromos 1684 II, 182ff., 233ff., 4—5. H a l l m a n n , Adonie II ; Sophia IV, 413, 416ff., V, 50f„ 229ff. und der Reyhen; Theodorich II, 304ff.; Marianne 1. u. 2. Reyhen.
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in der Welt Blendungen, Träume und Undinge, der vernichtende Tod aber allein etwas Wahrhaftes sei". Überall ist der Tod: „So tragen wir den Tod auf Brust, Haupt, Hand und Füßen", immer bleibt er Gefährte, so daß das Leben nur „ein langer Tod" ist. Die Welt aber ist nur „ein schneller Blitz, bey schwarzgewölkter Nacht, . . . ein faules Grab, so Alabaster deckt . . . , " eine Schaubühne des Todes. Daher dann die asketische Forderung: „Mensch, lerne sterben; ach wundervolle Kunst und unergriindetes Werk . . . " Und wie eine Zusammenfassung alles dessen, was das Jahrhundert im Tod ersehnt, steht Hofmannswaldaus Gedicht da: „Der Todt": Was ist der Tod der Frommen? Ein Schlüssel zu dem Leben, Ein Gränzstein böser Zeit, Ein Schlaftrunk alter Reben, Ein Fried auf Krieg und Streit, Ein Führer zu der Sonne, Ein Steg ins Vaterland, Ein Aufgang aller Wonne, Ein Trieb von großer Hand, Ein Zunder zu dem Lichte, Ein Flug in jene Welt, Ein Paradiesgerichte, Ein Schlag der alles fällt, Ein Abtritt aller Plagen, Ein Bann vor alle Not: Was soll ich ferner sagen1), Das alles ist der Todtl Selbst wenn „die religiösen Impulse in die weltliche Dichtung" übergeführt worden sind, so tritt doch in jener Verknüpfung des religiösen Momentes und des rationalen Denkens, von der Dilthey spricht, jenes letztere immer stärker nach vorne: bezeichnend ist, daß Hofmannswaldau 1663 „Spiel-ersinnliche Sterbensgedankeii" veröffentlicht, in denen diese Umlagerung zu einer eigentümlichen Durchdringung und Gestaltung des „Memento mori" führt. Aber trotz allem darf man weder bei ihm noch bei Lohenstein die innere Bewegung verkennen, die dann solch seltsam aufgehöhte, oft großartig pathetische Prägung erhält. „Es sind persönliche Konfessionslieder eines saekularisierten Menschen, dem das erschütternde Erx
) H o f m a n n a w a l d a u , Deutsche Übersetzungen und Gedichte, Breslau 1679, S. 52ff. (Ähnlich Schettler, Seelenlust IV, 32); außerdem S. 17, 33f., 40ff., 46. — Poetische Grabschriften: Begräbnisgedichte S. 7, 11 —19, 37—43, 43 — 51. — Hofmannswaldau etc. auserlesene Gedichte, Leipzig 1695, I, 116ff., 143, 150, 239. — L o h e n s t e i n , Blumen 1690, S. 29, 4 6 - 5 0 , 66ff.; Arminius 1690, I, 5, 695, II, 8, 1323; 9, 15¿1; A b s c h a t z , Fischer-Tümpel V, Nr. 504ff. Allgemein F. S t r i c h , Jer lyrische Stil (Festschrift für Muncker 1916) S. 26, 29, 30, 45; A. H ü b s c h e r , Euph. 24 (1922) S. 528f.; 530, 562; Cysarz, S. 171, 195; E r m a t i n g e r a. a. O., S. 46ff.
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lebnis der Endlichkeit alles Irdischen immer wieder das Verlangen nach der Ewigkeit weckt und der die vage ersehnte Ewigkeit in den Formen des ihm verdorrten Glaubens denkt 1 )." Merkwürdig bleibt, wie wenig die Prosa des 17. Jahrhunderts zum Problem zu sagen hat: der heroisch galante Roman tut es eigentlich nur mittelbar. Allerdings, die asiatische Banise hält vor ihrem Tod (der dann freilich nicht in Erfüllung geht) eine Trauer- und Abschiedsrede, die denen der Helden und Heldinnen in den barocken Märtyrertragödien im Ausdruck der stoisch-christlichen Weltverachtung und der plötzlich erwachten Todesliebe und Todessehnsucht aufs genaueste gleicht. Sie versichert, sie habe sich „in der Todesbetrachtung mehr als im Spiegel lebenslang beschaut". „Also sterbe ich mit höchstem Vergnügen, weil mich die Tugend lehrt, wie man sich bezwingen und durch den Tod dahin kommen müsse, wo ein beperlter Rock der Ewigkeit meine Schultern bedecken wird." Das immer stärker werdende rationale Element schlägt in solcher Begründung durch; es ist zum Teil überhaupt der tragende Grund des barocken Romans, ohne daß die jenseitige Zielung deshalb fehlte. Der Roman an sich gibt als Prüfungsroman nur die Atmosphäre, in der der Todesgedanke dann überhaupt ruht: es ist das Wissen um die Unbeständigkeit2). Das Pathos und Ethos des barocken Menschen und stärker noch seines selbsterwählten und geistesgeschichtlich darum so wichtigen idealtypischen Vorbilds, das im Drama und im Roman völlig gleiche Verkörperung gewinnt, des erhabenen Helden, der machtlos unter dem Verhängnis steht und nicht anders groß ist „als wie verfinsterte Gestirne durch richtige Verfolgung ihrer Bahn", wird gerade durch das Bewußtsein des ständigen Wechsels und der Vergänglichkeit aufgeschwellt und geweiht; die Tugend der würdevoll-unerschütterlichen Standhaftigkeit aber inmitten der Unbeständigkeit wird zur Kardinaltugend und enthüllt einen tieferen religiösen Kern. In ihr kann sich sozusagen schon in der weltlichen Schicht das freilich wieder rational erkannte und erstrebte Wesentliche gegenüber dem wesenlosen Schein offenbaren, also das, was als letztes Ziel barocker Frömmigkeit und barocken Todesverx) G ü n t h e r M ü l l e r a. 8. O., S. 9 9 ; auch S. 104 ewigkeitssüchtige Wollust. *) L . L a p o r t e , Lohensteins Arminius, Berlin 1927 S. 31ff., 40, 62f., 64, 66. — Banise (Kürschner 37) S. 391 — 395.
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langens aufleuchtet, auch dann und gerade da, wo die Vernunft herrscht; denn der barocke Held ist ja hineingespannt in den Gegensatz von vernunftbeherrschter Bezwingung der Affekte und leidenschaftlicher Hingabe an sie. Der religiöse Roman und das Erbauungsbuch, auch die Moralsatire sind von den gleichen nur noch mehr kirchlich gefärbten Absichten erfüllt: sie bringen das „Memento mori" handgreiflicher zur Darstellung und ins Bewußtsein1). Spanische und französische gegenreformatorische Erbauungsliteratur wird namentlich zu Beginn des Jahrhunderts übertragen, etwa von Hofstetter der „Sonnenritter" des Carthény; hier sendet Gott zum Schluß den Tod aus, die Welt zu säubern, und am Ende steht eine schaurige Totentanzfolge. Moscherosch aber, der sich an den Spaniern, an Quevedo, schult, benennt sein viertes wunderliches und wahrhaftes Gesicht „Todtenheer", und da erzählt er von einer seltsam aufgeputzten Gestalt, die auf ihn zuschreitet: es ist der Tod, der spricht: „Ihr Menschen kennet den Tod nicht recht. Ihr seid der Todt selbsten; der Todt hat eine Gestalt wie du und wie ein jeder, der lebet; soviel euer sind, ein jeder ist sein selbst Todt: Euer ganzes Leben ist der Todt: und was ihr sterben nennt, das ist aufhören zu leben: Geboren werden ist Anfangen zu sterben : Leben aber ist sterben, indem man lebet." Damit drückt Moscherosch nur bildlich, und bewußt aus, was das ganze Jahrhundert unbewußt fühlt: daß der Tod dem Menschen seit der Geburt einwohnt als ein im tiefsten lebenformendes Prinzip, daß Leben ohne Tod und Tod ohne Leben nicht zu denken sind, daß sie benachbart und aufeinander angewiesen sind, sich gegenseitig bedingen und sich aneinander entzünden. Den Tod und das Ende zu bedenken, die Immanenz des Todes im Leben zu ahnen, das Reifwerden zum Tode, das ist die Form des barocken Weltergreifens. „Sterben" heißt es in Moscheroschs 'Insomnie cura parentum', ist das Ende des Menschen und des Menschen letzte Kunst; sobald aber ein Mensch geboren ist, so muß er anheben, an dieser Kunst zu lernen oder er ist verloren2). !) Cohn a. a. O., S. 170ff.; S. 6, 42ff. - Albertinus, Seelenge jaid 1616, (Kürschner 26), S. 260, 352ff. Ara moriendi. Albertinus übertrug auch Guevaras Sterbekunst für Fürsten und Potentaten 1599. 2 ) M o s c h e r o s c h , Gesichte, Straßburg 1677, I, 4. Todtenheer, S. 167-282; bes. S. 187ff., 191, 193, 209, 221ff.; vgl. auch I, 2. Der Welt Wesen, S. 50; — Jnsomnis, ed. Pariser, S. 28f.
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Die „Ars moriendi" erhält also im Barockzeitalter neue Vertiefung und Bedeutung, sie wird Ausdruck eines metaphysischen Willens, wirklich reif zu werden. So wird denn auch die lutherische Seelsorge im 17. Jahrhundert ganz überwiegend Sterbeseelsorge; aber doch in tieferem, persönlicherem Sinne. Das zeigt sich schon darin, das die „ars moriendi" immer stärker und ganz anders als in den spätmittelalterlichen Sterbegebeten und Sterbefürbitten ins Lyrische übergeführt wird und als „Sterbelied" erscheint, dem es nicht so sehr um das Dogmatische als um ein individuelles religiöses Gefühl geht. Und auch dort, wo der alten Gattung neue Glieder entstehen, wo also die dogmatische Überlieferung nach außen hin festgehalten wird, weicht die dogmatische Art zurück und die ganze Lehre der „Sterbenskunst" wird mehr von außen nach innen genommen. Von solch neuer, persönlich durchfühlter Art sind dann z. B. schon Johann Heermanns „Güldene Sterbenskunst" (1605) und „Todesschule" getragen, und auch innerhalb der katholischen Gebetsliteratur, die ja gerade hier stark auf die protestantische gewirkt hat, schreibt Prokopius von Templin 1666 in solch neu gewandeltem Sinne seinen „Homo bene moriens", die „24 Predigten vom Sterben des kranken Menschen"1) oder der gewaltige und stürmische Moralsatiriker nach Moscherosch, Abraham a Santa Clara 1702 sein „Sterben und Erben" — das ist die schönste Vorbereitung zum Tode. Kein Menschenmörder, Weltstürmer, Dieb und Straßenräuber sei der Tod, sondern der Menschen bester Freund. Aber als Dieb, Weltstürmer, als Allgewaltiger: so stürmt er sonst durch Abrahams Schriften, und dieser weiß gewaltige Bilder von Tod und großem Sterben zu geben, er räumt dieser Macht, die doch das ganze Leben überschattet, einen weiten Platz ein und stellt ihn in den Mittelpunkt seiner Welt- und Menschenbetrachtung. Als einen einzigen großen Totentanz sieht er in den Jahren der Pest- und Türkengefahr die Welt: das Dasein wird ihm eine „Große Todtenbruderschaft", und das ist der Titel einer seiner Schriften (1681). Alle müssen dran: Junge und Alte, Vornehme und Niedrige, Reiche und Arme, Doktoren und Künstler, Geistliche und Weltliche, auch der Papst. Diesen Weg muß ein jeder gehen . . . alle, alle müssen in die BruderP. Althaus, Der Friedhof unserer Väter a. a. O., S. 20f., «2ff., 69f.
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schaft, alle, alle müssen durch die Klinge springen, alle, alle. Eine Totenkapelle ist diese Welt und das Leben „ein allgemeiner Totenspiegel". Aus dem Erlebnis der Zeit wächst Abrahams Todbild; grausig, großartig, frech und machtvoll, dämonisch, unersättlich, angstlos und ohne Respekt, so stürmt der Tod durch die Lande, durch seine Schriften. 'Merks Wien': der Mahnruf an die Kaiserstadt, in der die Pest gewütet hat, ist ein einziger, großartiger Totentanz, mit unerschöpflicher Schlagkraft und Urtümlichkeit gestaltet, voll grausiger Burleske und Witz: Geistliche, Frauen, Reiche, Gelehrte, Soldaten, alle ziehen vorbei. Unhöflich und unmanierlich verfährt der Tod mit den Geistlichen und den Frauen, dem Reichen sagt er ins Gesicht, er wisse um keinen Respekt, den Gelehrten fährt er an, lateinisch verstehe er nicht, und die Eheleute verhöhnt er; die Soldaten aber geht er mutig an. ,,0mnes morimur, ich hab gesehen, daß es muß gestorben sein, ich hab gesehen, daß der Tod ein Fischer, der nicht allein kleine Schneiderfischel ziehet, sondern auch große Wallfisch; ich hab gesehen, daß der Tod ein Mader, der mit seiner Sense nicht allein abschneidetden niedrigen Klee, sondern auch das hochwachsende Gras". Und dann die unheimliche Schilderung, wie der Tod in den Gassen Wiens haust. „In der Herrengassen hat der Tod geherrschet — in der Bognergasse hat der Tod ziemlich seinen Bogen abgeschossen, in der Singerstraße hat der Tod vielen das Requiem gesungen . . . " und so unerschöpflich fort und bildhaft weiter; überall mähen die Sensen des Todes 1 ). Das ist der gellende Todesschrei eines Jahrhunderts, das den großen Krieg erlebt, dem Tod tief ins Auge geblickt hat und ihm näher gekommen ist. Wie ein jähes Aufblitzen ist diese Schrift des Predigermönches, die noch einmal grell, unheimlich das Todesgefühl der Zeit beleuchtet. „Vix orimur, morimur. Unser erster Lebensatem ist schon ein Seufzer zum Tod, und der erste Augenblick des menschlichen Lebens fällt schon unter die Botmäßigkeit des knochenreichen Sensenträgers . . . " Sucht man nun nach der geistesgeschichtlichen Deutung dieser Zeugnisse, so muß man feststellen, daß stärker als sonst sich eine durchgehende Linie abzeichnet, die so deutlich und gerade verläuft, *) Sämtl. Werke, Passau 1836, Bd. 8, Große Todtenbruderschaft. S. 32ff., ebd. S. 11, 19, 49, 65, 83, 107, 118, 143, 230; S. 2 9 3 - 3 3 4 . Bd. 20, Sterben und Erben 1702. Todtenspiegel, Ausgew. Werke, Bd. V, S. 237 ff.
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daß man sie gar nicht verkennen kann. Und ebenso stark hebt sie sich gegen das Vorhergehende ab. Mehr denn je liegt hier im Durchschnitt das Wesentliche und Bezeichnende, und auch die über ihn hinausragen, wie Gryphius oder Scheffler, haben ihren Grund auf dieser Mittellinie. — Zunächst fällt dies eine auf: daß das ganze Denken und Dichten der Zeit die feste kirchliche, vorwiegend protestantisch-reformatorische Grundlage wohl anerkennt, aber doch darüber hinaus einem Verhältnis zum Göttlichen entgegenstrebt, das die unmittelbar kirchliche Vermittlung geringer schätzt. Auch hier wirkt sich jenes Verlangen nach Autonomie aus, das besonders auf dem Gebiet der Lebensdeutung und Lebensführung im 17. Jahrhundert so stark hervortritt und auch da zu subjektivistischem Seelenausdruck führt. Trotzdem ist es kein Widerspruch, wenn die dogmatisch-orthodoxe Führung überall äußerlich festgehalten wird; auf dem Glaubensinhalt ruht zum größten Teil die Sittlichkeit eines Jahrhunderts, das so schwere Erschütterungen erleben mußte1). Aber dieser Glaubensinhalt ist aus der objektiv-kirchlichen Sphäre eben in das eigene subjektive Innere hineingenommen und seelisch durchdrungen, aber auch gewandelt. Der Pegelstand des kirchlichen Bewußtseins läßt sich am besten an der jeweiligen Stellung zum kirchlichen Todesdogma ablesen. Da zeigt sich dann der geschichtliche und seelische Wandel. Schon das 16. Jahrhundert hatte nicht mehr eine so einseitig starke Betonung auf den strafrichterlichen Charakter des Todes gelegt wie das ausgehende Mittelalter. Das 17. Jahrhundert folgt ihm darin. Zwar ist man weit davon entfernt, dies Dogma etwa zu leugnen; bei den meisten frommen Dichtern findet man es angedeutet: bei Dach, Fleming, Opitz, Rompier, bei Gryphius und Logau, vor allem natürlich in der kirchlichen Lyrik, etwa bei Paul Gerhardt oder bei Birken. Angelus Silesius schreibt: „Tod ist der Sünde Sold; Gott ist der Tugend Lohn; Erwirbst du diesen nicht, so trägst du den davon." Und in Valvasors 'Theatrum mortis humanae tripartitum' von 1682, in Christoph Männlings 'Schaubühne des Todes' von 1692 oder in Johann Christoph Blankenauers 'Letztem Gericht 1
) Vgl. jetzt auch B e n j a m i n a . a . O . S . 6 9 : Die gesammelte Kraft der Epoche richte sich auf eine gänzliche Umwälzung des Lebenegehaltes unter orthodoxer Wahrung der kirchlichen Formen.
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und Todesprozeß' von 1678 lebt ganz diese Stimmung von Not, Tod und Verdammung der Unfrommen, ebenso in Schefflers 'Besinnlicher Beschreibung der vier letzten Dinge', auch noch in einem schon pietistisch angehauchten Nachzügler aus dem frühen 18. Jahrhundert, in Daniel Schönemanns 'Zehn Betrachtungen über den Sarg' (Berlin 1721—1725). Böhme in seinem unablässigen Grübeln über den Ursprung des Bösen erkennt schmerzvoll den engen Zusammenhang von Tod und Sünde, und der puritanisch gesinnte Milton läßt im 10. Gesang seines düster großen Weltgedichts die Sünde zum Tod, der ihr gegenüber an der Höllenpforte sitzt, bis ihnen die Welt geöffnet ward, sprechen: „ 0 du mein Schatten, von mir unzertrennlich, Mußt mich begleiten, keine Macht vermag Den Tod je von der Sünde ganz zu scheiden." Aber dies Bewußtsein vom Strafcharakter des Todes verliert mehr und mehr an Stärke, und das eigentlich subjektive Todesgefühl strömt freier hervor. Es setzt den Tod nicht mehr — den unerbittlichen Pascal vielleicht ausgenommen — in ein so enges Verhältnis zur Ethik: Seelenheil und Tod, bislang festverknüpft, sucht eine neue Innerlichkeit aus dieser Bindung zu lösen oder doch wenigstens in ein anderes, nicht so erniedrigendes Verhältnis zueinander zu bringen. Denn man will überhaupt den Tod mehr an sich als ein urtümliches Rätsel, als eine unabwendbare Frage des Lebens begreifen und die Bedeutung, den reinen Zusammenhang von Leben und Tod in einer anderen Schicht als der kirchlichen ergründen. Freilich gehen nicht alle so weit wie Lohenstein, der gleich Bacon und Montaigne als Rationalist den entscheidenden Schritt macht und mit seiner Ansicht ganz auf dem neuen, auf dem alten antiken Boden steht: „Der Tod ist Eigentum und Ende der Natur, nicht der Beseelten Strafe 1" Aber auch nicht alle weisen mit solcher Schärfe die Annahme des natürlichen Charakters des Todes zurück, wie es Pascal, der strengste Religiöse des Jahrhunderts, in seinen 'Gedanken' (II. Teil 18. Art.) tut. Da heißt es, wir hätten den wunderbaren Vorteil der Erkenntnis, daß der Tod Strafe der Sünde und Reinigung eines lasterhaften Leibes sei ; darum müsse er nicht Haß, sondern Hoffnung und Liebe einflößen. Die neue, gegenkatechetische Wertung des Todes hat notwendig ein Anderes zur Folge: die Verteufelung und Ver-
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fratzung des Todes hört auf. Der Tod bleibt wohl gerade für das Barockjahrhundert der Herrscher, der Zerstörer, aber man sieht nicht diese eine Seite des Todes allein, die höhnisch-grinsende und gemeine, die irdische, sondern auch die andere, die ewige. Und das ist tief in der ganzen Seelenlage der Zeit verwurzelt; das Todbild wandelt sich, weil der Mensch sich gewandelt hat: dieser kämpft nicht mehr mit der Aufbietung aller seiner moralischen und religiösen Kräfte gegen den Tod als den vermeintlichen widergöttlichen Satansgesellen, er verachtet ihn nicht mehr als ein ungeistiges und fleischliches Prinzip; er sagt dem Tod den Streit auf. Das ist eine durchgehende Erscheinung, der gegenüber einige richtig zu bewertende Ausnahmen im protestantischen Kirchenlied nichts besagen. Das reformatorische Idealbild vom Ritter trotz Tod und Teufel tritt im 17. Jahrhundert in den Hintergrund: es ist nicht mehr Sinnbild der Zeitgesinnung. Man streitet nicht mehr gegen den Tod, denn — auch das ist neu — man stellt ihn sich nicht mehr so bildhaft, so menschennah und alltäglich vor wie im 16. Jahrhundert. Schon rein äußerlich: der Tod tritt im wahrsten Sinne des Worts von der Bühne ab, die Personifikation weicht, und auch die Zahl neuer Totentanzdarstellungen nimmt immer mehr ab. Goethes Wort über Luthers Sucht, sich alles Widerstrebende recht häßlich vorzustellen, paßt nicht mehr für die neue Zeit. Auch dies fließt aus dem innersten Erlebnis des Todes. Man will, nein man kann nicht mehr gegen ihn kämpfen, denn man hat ihn gleichsam schon in sich. Todesferne wandelt sich in Todesnähe. Verbildlichung des Todes zeugt immer von solcher Todesferne, sie stellt das Erlebnis aus sich heraus und vergegenständlicht es. Das soll nicht heißen, das Jahrhundert hätte nun völlig auf die Gestaltung des Todes verzichtet; die bildende Kunst konnte das überhaupt nicht; während in Mittelalter und Renaissance an Grabmälern zunächst nur der Schädel plastisch geformt wurde, stellt jetzt die Barockkunst in dem Streben nach eindringlicher Anschauung und Verinnerlichung das ganze Skelett dar, den „dürrgerippten Knochenmann". Aber nicht Deutschland tut es, sondern zunächst bezeichnend der italienische Süden, der immer die Gestalt will. In Berninis Grabdenkmal für Urban VIII. schreibt der Tod den Namen des Papstes in ein Buch, an dem Alexanders VII., der
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schon während seines Lebens fremde Botschafter in einem Zimmer mit Totenschädel und Totenbahre empfangen zu pflegte, hält er verhüllten Hauptes dem Papst das Stundenglas entgegen. In der Wortkunst beschreibt einzig der romanisch beeinflußte Lohenstein einmal in seinem 'Arminius' einen schwarzen Siegesbogen des Todes. Auf diesem stand der Tod in Gestalt eines abgefleischten Gerippes und hatte in der Hand einen eisernen Hammer; darunter aber war mit kohlschwarzen Buchstaben geschrieben, wie nichts gegen den Tod helfe, wie er alle ohne Unterschied hinwegraffe1). Derselbe Bernini aber und die ganze romanisch-spanische Barockkunst stellen lieber noch das Sterben dar, das qualvolle oder selige, und hier allerdings, im Ausmalen der Todesarten, feiert die Sinnlichkeit der Anschauung wahre Orgien. Auch darin lebt das Todesgefühl einer Epoche, die immer der Anreizung und Aufstachelung bedarf, die in Wort- und Bildkunst die Sphäre des schauerlich Grausigen immer wieder zu sinnlich abstoßendem Genuß aufsucht, indem Grausamkeit, „die gemeine Schwester der Wollüste", wie Lohenstein sagt, und Erotik eine seltsam untermenschliche Verschmelzung eingehen. Freilich, das sind zunächst südliche, gegenreformatorische Einflüsse, die in Deutschland durch die Nürnberger und Schlesier wichtig werden; nur daß diese immanent vorhandenen untermenschlichen Triebe in Gryphius und den Schlesiern, also in den dem mystischen Typ nahestehenden Leuten erst durch diese äußeren Einwirkungen, die eben einem Inneren entgegenkamen, aus ihrem Schlummer geweckt und dann, namentlich bei den Schlesiern, durch ein rationales Element noch aufgestachelt wurden. Aber eigentliche Fremdkörper sind diese Empfindungen nicht im seelisch-sinnlichen Bereich des deutschen Barock. Das Martyrium todgeweihter Glaubenshelden wird in all seinen gräßlichen Einzelheiten und Scheußlichkeiten ausführlich geschildert. Es paßt ganz dazu, wenn Pascal Beispiele des christlichen Märtyrertods allein für erschütternd hält, nicht die heidnischen Bei1
) W. W e i b e l , Jesuitismus und Barocksskulptur in Rom, Straßburg 1909, S. 6 2 - 6 6 , 76f.; 100; Tafel VI, VII. W. W e i s b a c h , Barock als Kunst der Gegenreformation, Berlin 1921, S. 37; ders. Trionfi a. a. O. S. 127; ders. Barock als Stilphänomen, Vierteljahrsschrift II (1924) S. 252. - F r i m m e l a. a. O. 1885, S. LXXXVff. — Lohenstein, Arminius 1690, II, 6, 953 ff.
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spiele, und wenn er ein andermal Montaignes „durchaus heidnische Gedanken" über Tod und Selbstmord schrecklich findet; christlich solle man zu sterben wünschen, nicht leicht und bequem wie jener Epikuräer : da stehen zwei Zeitalter gegenüber, Renaissance und Barock. Und ebenso bezeichnend ist es, wenn der asketische und finstere Francesco Borja „sich selbst und die von ihm geführten Seelen durch Bilder der Verwesung, durch den Moderduft, der alles Irdische seiner Ansicht nach umschwebt, peinigt und quält", oder wenn Ignatius von Loyola seinen „Übungen" eine grausig aufpeitschende Schilderung des Todes einfügt, die wohl wie vieles in diesem Umkreis an mittelalterliche Askese erinnert, sich von dieser aber doch durch eine ganz andere Betonung des subjektiv Sensitiven und Visuellen unterscheidet1). Man hebt das Affekterregende heraus und berauscht sich an der Darstellung des Blutes. Rubens, Domenichino, Poussain und an der Spitze der fanatische Ribera stehen hier neben Lohenstein, Zigler, Hallmann und Marini mit ihrer lüstern-grausamen Mord- und Henkerphantasie. Die Theorie fordert das ja geradezu: der Jesuit Antonio Possevini schreibt in seinem Traktat über Dichtung und Malerei 1594, „er halte es für die höchste Aufgabe der Kunst, das Gemartertwerden bei den Märtyrern, das Weinen bei den Weinenden den Schmerz bei den Leidenden . . . zum Ausdruck zu bringen und in die Herzen einzuhämmern." Und ähnlich klingen ja die bekannten Bestimmungen des Trauerspiels von Scaliger, Opitz, Heinsius oder Harsdörffer2). Auch noch diese Spektakel- und Greuelszenen mit dem Pathos der Grausamkeit fließen aus der allerdings hier auf das Höchste getriebenen, fast schon pathologischen Fühlart des Jahrhunderts; auch sie rufen noch ein Memento mori. Geistiger spricht solches aus einigen Mönchsgestalten Grecos, Zurbarans oder Montañés', die in ekstatischer Verzückung oder tiefster Gelassenheit 1)
Μ. v. W a l d b e r g , Zur Entwicklungegeschichte der schönen Seele, Berlin 1910, S. 46. - P a s c a l , Pensées II, 17, Nr. 24, 34. Ignatius ist angeführt bei W e i b e l a. a. O., S. 105, Anm. 58; S. 21. S. auch H. B o e h m e r , Loyola und die deutsche Mystik, Leipzig 1921, S. 23. 2 ) W e i s b a c h , Barock als Kunst der Gegenreformation, S. 162 ff. ; C y s a r z , S. 88; W e i b e l , S. 34—37. Dazu noch S e x a u a. a. O. S. 28ff. ; 42ff. über die Darstellung des Todes und die Todesarten auf der Bühne. B e n j a m i n a. a. O. S. 215ff.
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einen Totenkopf in der Hand halten, als ein Zeichen der Vergänglichkeit und ihres Kreaturgefühls 1 ). Trotz aller Todessehnsucht fühlt der Barockmensch hart und scharf den jähen Gegensatz zwischen Ruhmsucht und Vergänglichkeitsbewußtsein, zwischen rauschender Weltfreude und bleichem Todesgrauen, der sich schwer auf sein Empfinden legt. Und diese Spannung ist auch wieder das eigentlich Barocke. Höchste Schönheit wandelt sich urplötzlich in gräßliche Verwesung. So steht in Gryphius' ,Cardenio' die schöne Olympia unversehens als ein Totengerippe da, welches mit Pfeil und Bogen auf den Cardenio zielt. Bei Spangenberg schon fand man diese grausige Antithese. Das ist die Einsicht der Zeit: „ 0 selig ist der Geist, dem eine Totengruft den Weg zum Leben weist." Das Auf und Ab des menschlichen Lebens hat auch das 14. und 15. Jahrhundert erschütternd beklagt, aber doch auch nicht wieder so seltsam wollüstig ersehnt wie das 17. Jahrhundert, das in seiner unersättlichen Liebe für das Transitorische selbst hier noch sich seine Empfänglichkeit für die „Süßigkeit der Umbwechslung" bewahrt2). Es ist Lebensbedingung geworden, ohne die sich der Mensch nicht mehr so als Mensch fühlen könnte. Eine Gestalt des Gryphius erlebt die Flüchtigkeit ebenso tragisch wie etwa Calderons standhafter Prinz : „Immer gehen des Menschen Tritte Auf der harten Erd umher, Und nicht einen wandelt er, Dass er nicht ein Grab beschritte . . . Jeder Schritt (furchtbares Mahnen!) Ist zum Vorwärtsgehen, wo dann Gott selbst nicht mehr machen kann Diesen Schritt zum Ungetanen." Nur in diesem Jahrhundert konnte man dann ein so furchtbares Bild vom menschlichen Leben zeichnen, wie es Pascal in 1 ) K. S t e i n b a r t , Greco und die spanische Mystik. Repertorium 36 (1913), S. 1 2 1 - 1 3 4 ; S. 125f: Totenschädel als Symbol der Abtötung. Für die Hieronymusdarstellungen seit Dürer weist A. S t r ü m p e l l nach, daß auch sie mit ihrem Totenkopf im Dienst des Memento-mori-Gedankens stehen: Christliche Welt 1926, S. 286. s ) L a p o r t e a. a. O. S. 62ff.; auch H. R o s e , Spätbarock, München 1922, S. 6ff. Mit anderer Blickrichtung E. E r m a t i n g e r , Weltdeutung in Grimmelshausens Simplicissimus, Leipzig 1926, S. 35ff.
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seinen „Gedanken" tut, wo er vom Elend der Menschen spricht. „Man denke sich eine Anzahl von Menschen in Ketten, alle zum Tod verurteilt, wovon einige täglich vor den Augen der anderen hingerichtet würden, während die Zurückbleibenden ihr eigenes Geschick in dem ihresgleichen sähen und sich einander mit Schmerz und Hoffnung anblickend erwarteten, daß sie an die Reihe kämen; das ist das Bildnis der Lage der Menschen." (I., 7, 6). Daher dann der Ruf, man solle sich willentlich dem Schicksal fügen. Gryphius bekennt: „Man wird mit dem Beding auf dieser Welt geboren, Zu tragen, was der Schluß des Himmels aufgesetzt." Und bei Shakespeare im ,Lear' heißt es: „Dulden muß der Mensch Sein Scheiden aus der Welt wie seine Ankunft. Reif sein ist alles." La Bruyère aber schreibt einmal: „Es gibt für den Menschen nur drei Ereignisse: geborenwerden, leben und sterben. Daß er geboren wird, fühlt er nicht, daß er stirbt, erduldet er, und zu leben, das hat er vergessen1)." Betrachtet man all die Zeugnisse, so drängt sich das Gefühl auf, als ob diese Menschen die bindende Lebensmitte verloren hätten und sich daher nun in das Sichere und Bestimmte, also in das Jenseits und in den Tod flüchteten. Hat die Epoche das mit der vorigen gemeinsam, daß die noch nicht rational spekulativ über den Tod und seinen Sinn nachdenkt, so trennt sie doch von der Reformationszeit besonders dies: es fehlt völlig das erhabene und tiefe Pathos des Todes, das sich immer dort ergibt, wo große und hohe Werte zugrunde gehen. Die Reformation und Renaissance sahen diese Werte in einem ganz gelebten Leben voll Pflicht und Pflichterfüllung, sie hatten dem Leben einen Sinn gegeben, und den vermißt man nun, den leugnet man; man sieht klagend im Leben nur das Schnöde und Vergängliche. Am stärksten schlägt es einem aus Grimmelshausen entgegen, dort am Ende des 5. Buchs, wo Simplicius die Rechnung seines Lebens aufstellt. „Dein Leben ist kein Leben gewesen, sondern ein Tod." Man i) La Bruyère, Nr. 48. Ebd. auch Maximes Nr. 21, 22, Amsterdam 1739, I,
Charaktere ed. O. Flake, München 1918, II, S. 77, Nr. 36 — 47; bea. Nr. 37. — La Rochefoucauld, 26, 218, 499. Vgl. auch St. Evremont, Oeuvres, S. 147f.; IV, S. 181f.
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darf es als ein Symbol nehmen, daß Grimmelshausen gerade die im 17. Jahrhundert weitverbreitete Schrift eines Spaniers über die Weltverachtung sich zu eigen macht und den Schluß dieses Traktats völlig übernimmt, des Antonio de Guevera Schrift 'Contemptus vitae aulicae', die Albertinus 1601 verdeutscht hatte. „Das Leben ist eine elende Pilgerfahrt, ein unbeständiges, ungewisses, hartes, rauhes, hinflüchtiges, ungewisses Leben, voll Armseligkeit und Irrtum, welches vielmehr ein Tod als ein Leben zu nennen, in welchem wir alle Augenblicke sterben . . . " Ganz die gleiche Stimmung spürt man in Calderons Spiel mit dem symbolischen Titel: „Was ist Leben? Rasereil Was ist Leben? Hohler Schaum, Ein Gedicht, ein Schatten kaum! Wenig kann das Glück uns geben, Denn ein Traum ist alles Leben Und die Träume selbst ein Traum." Pathos der Gebärde und der Grausamkeit besitzt das Barock, aber nicht Pathos des Todes, auch nicht des Lebens. Man hängt am Leben und leugnet es doch, man liebt es, aber man verteidigt es nicht. Die Rechte des Lebens, die der Ackermann so ethisch und so erhaben gegen den lebenverneinenden Tod geltend gemacht hatte, genießt man wohl inbrünstig, aber verficht sie nicht. Wo Lebensfreude sich zu äußern scheint, da hat sie ihren Sinn verloren, denn sie ist nie Ausdruck einer wahrhaft ethischen Weltheiligung, sondern einer inneren Unsicherheit, der qualvollen Spannung zwischen gesteigerter, aber noch nicht innerlich und rational gefestigter Weltfreude und einem sich einwühlenden Welthaß, und die Kirche steigert diesen noch, um durch die nachdrückliche Ausmalung der Todesschrecken und der Hölle die Seelen, die ihr langsam unter dem Druck der neuen gegenkirchlichen und autonomen Lebensanschauung zu entgleiten drohen, an sich zu fesseln1). La Bruyère hat einmal die furchtbar ernste Betrachtung niedergeschrieben: „Unruhe, Furcht und Niedergex
) Ob man die geistgeschichtlichen Akzente so sicher setzen darf, wie das E r m a t i n g e r a. a. O. S. 23f. tut, bleibt doch sehr fraglich. Dazu nun die wichtigen Ausführungen von B. G r o e t h u y s e n , Die Entstehung der bürgerlichen Welt- und Lebensanschauung in Frankreich I, Halle 1927, S. 81—92.
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schlagenheit entfernen den Tod nicht, im Gegenteil: ich zweifle nur, ob das maßlose Lachen den Menschen zukommt, die doch sterblich sind." Aber es ist das maßlose, das erzwungene Lachen eines wissenden Jahrhunderts, das hinter aller Pracht die Vergänglichkeit, im Leben den Tod sieht und sicher ist : wir sind immer solche, die sterben werden. Und daher dann die Sucht nach berauschendem Lebensgenuß, die umso wollüstiger und dunkler wird, je mehr sie vom Tode weiß, und daher dann auch wieder der Ekel vor dem Leben und das Streben nach dem Ewigen. Man fühlt erschauernd die tiefe Immanenz des Todes im Leben: darum kann man auch nicht gegen den Tod kämpfen. Und wo kein Kampf ringt, da bleibt auch das Pathos aus. Lebenswille zuckt überall auf, aber er kann sich nicht im Diesseits erfüllen, sondern nur im Jenseits, er ist ein Todeswille, und so erscheint der Tod nicht als Vernichter des Lebens, sondern im Gegenteil als eine Steigerung und Wandlung zum Wesentlichen, nicht als spannende Aufgabe, sondern als lösende Gabe, als Krone der Glückseligkeit der Seele und als Anfang der Glückseligkeit des Leibes, wie Pascal sagt. An Stelle des Pathos aber setzt besonders die romanische Dichtung die weiche Melancholie: „el deseñgano", „morbidezza", religiöse, sensuell-erotische, schwermütig-elegische Stimmung, die im Roman und auch im Leben um sich greift. 1 ). Der Tod wohnt den Menschen sq tief und unsichtbar ein, daß nun wirklich das Leben, mit den Schauern des Endes verquickt, nur ein allmähliges Reifen zum Tod zu sein scheint— wenigstens geben alle diesem Gefühl Ausdruck —, und dieses Todbewußtsein prägt auch die Dichtung, die Sonette des Gryphius wie die des Giordano Bruno, in denen man „eine dunkle Verbindung, ein Lachen in Tränen, ein Schweben zwischen Hölle und Himmel, den im heroischen Leben lauernden Tod, das im Denken ungestillte Verlangen, die Schauer einer heroischen Seele zu erkennen" glaubte 2 ). x
) Μ. v. W a l d b e r g , Der empfindsame Roman, Straßburg 1906, S. 24ff. ; 324ff. ; 463ff.; d e r s e l b e , Zur Entwicklungsgeschichte a. a. O. S. 61 ff. W e i s b a c h , Barock, S. 34, 93, 105. D e r s e l b e , Manierismus, Ztschr. f. bild. Kunst 1919, 8. 161ff. Auch G. Misch, Der Roman und die religiöse Autobiographie, Viertelj. I (1923) S. 172-187. ') D i l t h e y II, S. 341. — Eroici furori ed. Kuhlenbeck, Jena 1907, Nr. 30, S. 103.
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„Mein ungewisses Sein sieht sich vom Tod Bald hier bald da mit jähem Schnitt bedroht." Todesahnungen umschweben ihn stets. Daher begegegnet man immer und immer der Forderung, sich zum Tod zu bereiten im Sinne einer aufs Höchste gesteigerten und verinnerlichten „Ars moriendi". Bossuet sagt: „Es ist eines Christen unwürdig, dem Tod nur in dem Augenblick ins Antlitz zu schauen, wo er uns hinwegraffen will." Jacob Böhmes angeblicher Gedenkspruch: „Wer nicht stirbet, eh'er stirbet, der verdirbet, wann er stirbet," ähnlich bei Fleming, Logau und Angelus Silesius wiederkehrend, steht sinnvoll neben Shakespeares „Ripeness is all" und neben Andreaes „Genug weiß, wer zu sterben weiß". Er wird gewissermaßen der Leitspruch des Jahrhunderts. Auch im 15. Jahrhundert wollte der Mensch in der Qual seiner Höllen- und Todesangst das Sterben lernen, aber durch äußerliche katechetische Mittel und zwar darum, weil ihm der Tod zu innerst unverbunden war. Aber nun ist es kein Lernen, sondern wirklich ein innerliches Entgegengreifen und Ausreifen des eigenen Todes, so daß dieser Tod als Frucht des Lebens erscheint, als Vollendung, wie es Pascal meint, nach dem die Kreatur durch Vernichtung des Lebens Gott huldigt. Tod wird so zur letzten bewußten Handlung des Menschen2). Es ist das erstemal in der Geschichte des Todesgedankens, daß der Tod in solchem Maß zur eigenen Lebensschöpfung gemacht wird. Luther forderte wohl das ganz persönliche, ethische Erlebnis, aber nicht in diesem Sinne des Reifens zum eigenen Tod; das können nur Zeiten mit irrationalem Lebensgefühl, Menschen, die sich in gesteigerter Subjektivität befinden, sich in sich selbst versenken und ihr eigenes Innere durchleuchten und erforschen wollen. Die Helden und Märtyrer in den Trauerspielen von Gryphius fühlen alle den Tod in sich als Todgeweihte, sie alle sterben nach einem Worte Shakespeares in Macbeth (I, 4), „wie wer studiert hat auf den Tod". Was Simmel von der Todhaftigkeit der Menschen Shakespeares gesagt hat, das gilt auch für die deutschen Trauerspielhelden und darüber hinaus für die ganze Zeitdichtung. Croce schreibt 2
) P a s c a l , Gedanken. (Reclam) 18. Artikel: Gedanken über den Tod, bes. S. 324. Allgemein G r o e t h u y s e n a . a. O. S. 105.
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von Shakespeare : „Allenthalben thront in diesen Dramen der Tod, der Tod, mit dem jegliches, auch das rühm- und mühevollste Schaffen endigt, jegliche Pein aufflammender Leidenschaften, aller Ehrgeiz, alle Wut entmenschter Verbrechen und der deshalb mit ernstem Sinn, mit Würde empfangen wird, als ein hoher strenger Gebieter... als eine Art von Erlösung" 1 ). Der Tod wächst im Leben immer größer heran, so daß im Barock die höchste Lebensreife auch die Sterbensreife, daß der Tod somit symbolisch wird. Der alte Gedanke, der schon bei Augustin auftaucht, das Leben sei ein immerwährender Gang zum Tode, erfüllt sich mit neuem verinnerlichten Gehalt; Corneille läßt einen seiner Helden sprechen : „Nous mourons à toute heure; et dans le plus doux sort Chaque instant de la vie est un pas vers la mort." Und wenn man gesagt hat, immer hätten bei Corneille die auf den Tod sich beziehenden Worte den echtesten Klang und den tiefsten Widerhall, so darf man das auf die gesamte Barockdichtung ausdehnen, insbesondere auf die deutsche2). Hier werden die großen nichtdeutschen Dichter als Belege dafür angeführt, daß diese ganze Erscheinung, diese Inbrunst zum Tod in jener Zeit nicht der deutschen Seele allein zu eigen ist; aber vielleicht kann nur sie B. Croce, Ariost, Skakespeare, Corneille, Wien 1922, S. 195f. ; vgl. auch S. 217, 224, 244—246. S i m m e l , Rembrandt a. a. O. S. 95f. — Collin, Ztschr. f. Deutschkunde 1926, S. 784: Skakespearea „Trauerspiele sind alle Triumphi mortis." — Rein stofflich ist E. N a u j o c k s , Gestaltung und Auffassung des Todes bei Shakespeare, Diss. Berlin 1916. — Otto Ludwig stellt einmal den Hamlet neben Montaignes 19. Kapitel „Philosophieren heißt sterben lernen." „Das Reifsein ist alles" klingt bei jedem Satze Montaignes als Refrain in unserer Seele an. Manche Stellen im Hamlet: „Ist's nicht heut, ist's morgen" usw. sind wie aus dieser Abhandlung in die Tragödie hinübergenommen. Wie Montaigne von sich gesteht, war diese Betrachtung seine Lieblingsbetrachtung. Es wäre doch wunderbar, wenn dieser Montaigne das Urbild des Hamlet wäre, d. h. seine Selbstschilderung in den Essays; wenn damit das typische Schicksal eines so Beschaffenen ins Licht gesetzt worden wäre." Ges. Schriften V, 1897, S. 165; vgl. auch VI, S. 324. 2 ) Croce a. a. O., S. 378f. — Man sehe auch V o ß l e r , Racine S. 112: schwermütige und heroische Grundstimmimg der Todesbereitschaft im „Mithridate" ; aber auch S. 92.
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allein in dieser Allgemeingültigkeit jene Inbrunst so hoch und religiös steigern. In der Todesliebe und in der Todessehnsucht spricht das Barockjahrhundert sein Eigenstes aus. Und oft wird diese Sueht zur Brunst, die Todesliebe zur Todeserotik: solche Todeserotik ist das eigentlich Neue in der Geschichte des Todesgedankens; man findet sie mitunter schon in der bräutlich-sinnlichen Nonnenmystik des Mittelalters, die sonst nur vom seligen und schönen Scheiden weiß. Auch dieses ersehnt man jetzt wohl wieder, führt es aber mehr in die sinnliche Sphäre hinüber. Das uralte Streben, Mystisches durch Erotisches, das unsagbar Göttliche durch das sagbar Menschliche auszudrücken, das Übersinnliche durch Sinnliches zu deuten und Liebe zum Göttlichen in bräutlichen Vorstellungen zu empfinden, greift mächtig um sich und wird zum Merkmal romanischer und dann auch deutscher barocker Religiosität überhaupt. Religiöse Erotik bricht allenthalben durch und umschwelt auch das Todeserlebnis. Man ahnt die Verwandtschaft von Liebe und Tod, von Todesliebe und Liebestod, da sie beide auflösen und entpersönlichen; aber erst die Romantik spürt bewußt die geheimnisvolle Einheit, will das Irrationale rational erfassen und tut den kühnen Schritt zur völligen Gleichsetzung und Vertauschung von Liebe und Tod. Barock will vorerst nur die Freude im Tod. „Sterbenslust" nennen sich einige Kirchenlieder; bald aber legt die Zeit den Nachdruck auf die „Lust", den wollüstigen Schmerz. Immer wieder heißt man den Tod willkommen, aber niemand mehr so unheimlich wie Shakespeares König Johann. „ 0 liebenswürd'ger holder Todi Balsamischer GestankI Gesunde Fäulnis! Steig auf aus deinem Lager ew'ger Nacht, Du Haß und Schrecken der Zufriedenheit, So will ich küssen Dein verhaßt Gebein, In deiner Augen Höhlung meine stecken, Um meine Finger deine Würmer ringeln, Mit eklem Staub dies Tor des Odems stopfen Und will ein grauser Leichnam sein wie Du. Komml grins mich ani Ich denke dann, du lächelst, Und herze dich als Weib. Des Elends Buhle, So komm zu miri" (III, 4)
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Shakespeare ist weit entfernt, grausame Ironie auszusprechen, er gibt nur die barocke und paradoxe Umkleidung eines tiefen und ernsten Todesgefühls und einer Todessehnsucht, die hier nach der Seite des Grausigen und Burlesken ausschwingt, wie etwa Baldes und Harsdörffers Todesgesänge nach der Gegenseite höchster Erotik ausschwingen. Da greift man Barockes an sich, ohne alle Zutat, und eine aufschlußreicheVergleichungkannmananstellen, wenn man daneben ein von mystischer Inbrunst und Erotik durchströmtes Gedicht der heiligen Theresa legt, die, obwohl dem 16. Jahrhundert angehörig, hier mit Recht genannt werden darf. Denn ihre ganze Erscheinung und ihre Verschmelzung von Gottesund Sinnenliebe gewinnt ja so starken Einfluß gerade erst auf das 17. Jahrhundert. Mortificatio, geistiges Absterben allem Irdischen, war ihre ins Mystisch-Erotische erhobene Sehnsucht. Wie Johannes vom Kreuz liebt auch sie das Dunkel der Nacht und des Todes; ihr Gedicht „Sehnsucht der Seele nach Vereinigung mit Gott" ist durchzittert von Todesverlangen, das sich in dem gleichlautenden dringenden Schluß jeder Strophe ausdrückt: „denn ich sterbe im NichtSterben". „All mein Leben ruht alleine In des Todes Zuversicht, Weil die Hoffnung mir verspricht daß er mich dem Leben eine; Lebensbringer, Tod! Erscheine. Durch dich hoff ich's zu erwerben, daß ich sterbe im Nichtsterben. Dieses Leben, das ich trage, Ist am Leben nur Verlust, Bis ich leb an deiner Brust; Sind es stete Todestage 1 )." !) Sämtl. Gedichte des hl. Johannes v. Kreuz und der hl. Theresa von Jesus. Übersetzt von W. Storck, Münster 1854, S. 64—71. Johannes S. 43, 49, 51. Man darf hier auch an jene todestrunkene spanische Strophe aus dem Anfang des 16. Jhds. erinnern „Komm, o Tod, schweb' leis hernieder, Daß Dein Nah'n mir unbewußt, Denn des Sterbens süße Lust Gibt mir sonst das Leben wieder", die auch der Don Quichote II, Kap. 38 anführt. — Vgl. auch W a l d b e r g , Entwicklungsgeschichte a. a. O. 46f., 66f. ; W e i b e l a. a. O., S. 82f.; Albertoni ebd. S. 93ff. und Abbildung Tafel 8 - 1 0 .
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Liebestod und Todesliebe gehen ineinander über; man darf sich nicht wundern, wenn nun die bildende Kunst des Barock, mit ihrer sensitiven Vorliebe für anormale Zustände, auch den Vorgang des Sterbens in eine sinnlich-mystische Sphäre erhebt. Der Theresa-Gruppe ähnlich schafft nun Bernini seine Marmorplastik der auf dem Todeslager ruhenden Ludovica Albertoni (Rom, San Francesco a Ripa), ein Bild der Morbidezza, der religiösen Ekstase. Sie liegt da, „der Körper wie mit erotischen Reflexen durchschüttert, die Hände auf der Brust, als fühlten sie an dieser Stelle das Leben entschwinden, den Kopf zurückgesunken, die Augen geschlossen und den Mund schmerzlich röchelnd geöffnet", das Ganze gleichsam die bildliche Verkörperung von Baldes prachtvoller Ode „Die langsam Sterbende". „Tod schwimmt im Auge, klopfet im Herzen mir, der letzte Tödliche Schauer wird mir Entzücken, Entzücken froher Geistesumarmung Blaß ist die Liebe. Sollte die Wange mir Nicht blassen? Fliehe, fliehe den Lippen dann Die letzte Rose . . . " Sieht man solche Denkmäler und liest man solche Verse dann gewinnen Worte Brunos aus den .Eroici furori' seltsames Leben : er spricht von dem Tod der Liebenden, der aus der höchsten Wonne hervorgeht und den die Kabbalisten mors osculi (Tod des Kusses) nennen; er sei das ewige Leben selber, das der Mensch der Anlage nach schon in dieser Zeitlichkeit, der Wirklichkeit nach aber erst in der Ewigkeit haben könne1). Diese mystisch-erotische Todesinbrunst schließt dann unlöslich jenen anderen tiefen Gedanken in sich, der zuerst wie eine Verneinung des vorigen wirkt: der Barockmensch, darf man verallgemeinernd sagen, will den Tod als Ende, als Erlösung und Ruhe, und doch klammert er sich fest an die Hoffnung an, daß im Tod nun erst das Leben beginne, daß er zu Leben verwandle. Will er also doch das Leben und nicht den Tod? Er will den Tod, weil aus Tod Leben wächst, Leben in einem höheren geistigen Sinne. So enthüllt sich also der Todeswille als Lebenswille; Sehnsucht nach dem Tode ist vergeistigtes Lebensbewußtsein, ist Wesens1
) Bruno, Werke ed. Kuhlenbeck., a. a. Ο., V, S. 157; W e i s b a c h a. a. O., S. 24, 135f£. ; 140ff.; Abb. 62.
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Steigerung. Aber diese Tod-Leben-Antithese gehört wie die von Christus als des Todes Tod gleichsam zum eisernen Bestand des Metaphernvorrates, und immer wieder fast von jedem wird sie gebraucht, so daß sie beinahe banal und ungeistig wirkt wie eine Formel, hinter der kein lebendiges Bewußtsein mehr steht. Bei vielen mag das stimmen: aber darin hat man das geistesgeschichtlich Bedeutsame zu sehen, daß dieser Gegensatz überhaupt so zur Formel werden konnte, und das war nur möglich, wenn diese Zweiheit bei einigen wirklich ganz innerlich erlebt war, im mystischen, nicht im rationalen Sinn. Denn wenn diesem antithesenfreudigen Jahrhundert ein Gegensatz ins Mystische hinabreichte, dann dieser, der ja das Grundproblem ihres eigenen Ringens und Kämpfens symbolisch enthielt. In der tiefsinnigen MummelseeEpisode sagt der Prinz zu Simplicius: „Dann das Leben so ihr habet, ist nicht Euer Leben, sondern Euer Leben oder der Tod wird Euch erst gegeben, wann Ihr die Zeitlichkeit verlasset." Auch das 16. Jahrhundert kennt natürlich diese Gewißheit. Aber sie hat dort nicht das wunderbar Geheimnisvolle, sie wird nicht an sich betrachtet, sondern stets auf das reale Geschehen, auf Christi Tod und Auferstehung bezogen, sie ist festes, dogmatisches Glaubensbewußtsein reformatorischen Gepräges, das jeder Mystik entbehrt. Zudem wird aus Tod nur durch ethische Anspannung Leben; das kann jetzt nicht mehr sein, weil der Tod innewohnt und schöpferisch aus sich selbst heraus Leben hervorbringt. Man sieht die tiefe Erschütterung der objektiven kirchlichen Formen durch das neu hervorströmende subjektiv-ichhafte, verinnerlichende Gefühl. Der Lebensbegriff ist nicht mehr moralisch-christlich, sondern metaphysisch, in dem besonderen Fall des Barock mystisch gefaßt und bezeichnend für die barocke Art dynamisch erfüllt durch den ewig sich spannenden und lösenden Gegensatz von Vergehen und "Werden. Giordano Bruno, den man wohl richtiger für den Barock als für die Renaissance in Anspruch nimmt, schreibt in seinem philosophischen Lehrgedicht von 1591 ,De triplico minimo et mensura' Verse, die zugleich die mystische Einheit von Leben und Tod, die Herausbildung des neuen metaphysischen Lebensbegriffs erkennen lassen; individuelle Unsterblichkeit der Seele und Emporläuterung durch Neugeburt ist ihm gewiß. Geburt, das ist die Ausdehnung des Zentrums, der Wesensmitte zum Kreis,
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der Tod aber Zusammenziehung ins Zentrum — man denkt an Cusa zurück und an Leibniz voraus — „was Tod wir zu nennen pflegen, dieweil uns das Licht, dem wir zustreben, verhüllt ist. Doch war wenigen zu ahnen verliehen, dies Leben sei hienieden nur Tod, das Sterben des wahren Lebens Erwachen 1 )." Darin ruht die Grundlage des neuen Lebensbegriffs: „Im Aufgeben der individuellen Daseinsform wird erst die eigentliche Wahrheit und Universalität des Lebens selbst erfaßt." Des deutschen Barockphilosophen Jakob Böhme ganze dynamisch gespannte Gedankenund Glaubenswelt ordnet sich auf diese tiefere Verschmelzung und Auflösung zweier Gegensätze, auf diese Einheit von Tod und Leben hin. Der Tod ist die große Wunderpforte, das Wachstum des Lebens und das Licht in der Finsternis; denn das Leben wird durch den Tod bedingt und umgekehrt, wie Licht durch Finsternis. In den ,sex puneta theosophica' heißt es: „Es geht das Leben aus dem Tod und der Tod muß also eine Ursache des Lebens sein . . . Also ist der grimme Tod eine Wurzel des Lebens . . . denn aus dem Sterben wird das freie Leben geboren, das große und starke Leben, die ewige Freiheit." Im Sterben liegt der Kern des größten Lebens beschlossen, mitten im Leben wird der Tod geboren. Alle Dinge, steht in „de signatura rerum", kehren zurück in den mütterlichen dunklen Schoß, der alle Dinge gebiert, Gutes und Böses. „Tod aber als das Sterben bleibt das größte Geheimnis2)." Zur W i e d e r g e b u r t soll der Mensch also nicht durch Persönlichkeitsanspannung kommen, sondern durch die Zerbrechung des äußeren Menschen und seiner selbstsüchtigen Ichheit, durch Absterben vor dem Sterben, durch Hingabe und Entpersönlichung. Das ist gerade das Gegenteil von dem, was x ) C a s s i r e r , Individuum und Kosmos a. a. O. S. 200. M. Carriere, Die philosophischen Anschauungen des Reformationszeitalters, Leipzig 1877a, S. 144, 146. Bruno als Philosoph des Barock: S i m m e l , Rembrandt, S. 88; auch S c h o l z , Unsterblichkeitsgedanke a. a. O., S. 62. — Anders O l s c h k i , Bruno, Vierteljahrsschrift II (1924) S. 1 - 7 9 ; S. 32, 34, 48. ') J a c o b B ö h m e , Theosophia ed. Gichtel, 1715; S. 1398,3; 1407,9; 1411,7; 1506, 68, 73; 2358,5; auch 950,21; 1117,2; 1413,13,14; 2214,2; 2391,51. Nun P. H a n k a m e r , Jacob Böhme, Bonn 1924, S. 56f.; 132, 140f.; 234-237, 245, 255f.; 265, 321, 347f.; 356f.; 370f.; 279, 381, 423. — E r m a t i n g e r , Barock und Rokoko a. a. O., S. 26ff.
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Luther forderte: Persönlichkeitsanspannung im Tod. Auch Grimmelshausen erkennt das Werden im Vergehen, sieht im Tod die schöpferische Wandlung, auch seine ganze Weltansicht baut sich auf diesen Gedanken der Wandlung auf1). Hier erhebt sich dann die Frage, ob und wie Tod und Barock wesensmäßig zusammenhängen, zusammengehören und sich gegenseitig bedingen. Die Erkenntniss des Todes lehrt das Leben tiefer verstehen, aber nicht dessen Wert, sondern dessen Unwert, der Tod drängt den Menschen nicht ins diesseitige Leben zurück und begrenzt sein Wesen, sondern weist ihn ins Unsichtbare, entgrenzt und öffnet sein Wesen. Auch er schafft Selbstverwirklichung, aber nicht im reformatorischen Sinne der Selbstbehauptung. Die barocke Form dieser Selbstverwirklichung ist die Selbstauflösung, die verströmende Hingabe. Nicht Vollendung der Persönlichkeit, sondern Zerbrechung der Persönlichkeit ist die Forderung, nicht Todeshaß, sondern Todesliebe will Pascal und mit ihm seine Zeit, und es geht über das Individuelle hinaus ins Allgemeine, wenn La Rochefoucauld sich gegen die Todesverachtung wendet. Also auch der Mensch des Barock und seine Lebensform ist durch den Tod bedingt, er braucht wie der der Reformation immer den Tod, um sich in seiner Art zu vollenden, um w e s e n t l i c h zu werden. Die tiefere, auf einem Grund wurzelnde Einheit von Leben und Tod wird sichtbar. Immer ist Tod Wesenssteigerung, nur nach zwei verschiedenen, aber ewig möglichen Formen menschlichen Lebens. Auch dieser besondere Fall des Barock, sein Ruf nach dem Tode ist „nur der symbolische Wunsch nach einer anderen, erhöhten Lebensform2)." Ohne seine leidenschaftliche Bejahung des Todes hätte der Barock nicht sein Wesentliches, wie die Reformation in der Todesverneinung. Das 17. Jahrhundert, deren Menschen überall das Auf und Nieder und die Unbeständigkeit sehen, erblicken auch noch im Tod den Wandel, aber auch die Wandellosigkeit, die Entstaltung des Menschen, aber auch seine Gestaltung. Böhme schreibt: „Der Tod ist das einzige Mittel, dadurch der Geist naht, und in eine andere Qualform eingeht: wo er seiner Selbheit abx
) E r m a t i n g e r , Weltdeutung a. a. O., S. 40ff. ) W a l d b e r g a , a. O., S. 67. — Was C y s a r z S. 38 über das Verhältnis dieser Zeit zum Tod sagt, trifft wohl kaum das Wesentliche. — Vgl. nun F l e m m i n g , Vierteljahrsschrift VI, S. 427, 439. 2
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stirbet und seinen Willen im Tod zerbricht, dann wächst ein neuer Zweig aus diesem aus1)." Aus solchem Geist wandelt sich gerade diese inbrünstige Todesbejahung in Todesüberwindung, zu der eine jede Epoche, die zum Jenseitigen ein Verhältnis besitzt und in das Reich des Unsichtbaren hineinzuwachsen strebt, gelangen muß. So sehr der Tod das Leben tief formt, tyrannischer Herrscher, Triumphator ist er hier im Letzten doch nicht und der Mensch auch nicht sein Knecht, wie im Spätmittelalter. Todüberwindung, aber anders als die des 16. Jahrhunderts und verwandt mit der Mystik durch rauschhafte Hingabe und durch Reife. Das Shakespearesche: „Reifsein ist alles", dies dem Tode Entgegenwachsen, ist die einzig mögliche Form, in die der Barock sein Todempfinden schließt. Daß Lebensreife und Sterbensreife zusammenfallen, in dem Bewußtsein, daß Tod schöpferische Wandlung ist und nicht endliche Vernichtung, daß er Überwindung des Irdischen, auch des Todes selbst ist: Vita nuova — das ist der tiefste und heimlichste Seelengrund des Barock. Solch verinnerlichtes Toderstreben wird zum Symbol des Jahrhunderts und löst alle Kräfte der Zeit. Der Mensch sehnt sich nach dem Entgrenzten, Geöffneten, nach dem Unendlichen. Das spürt man aus der Dichtung und auch aus der Kunst des Barock. „In seinem höchsten Ausdruck, sagt Wölfflin, geht der Stil überhaupt auf das Unergründliche2)." Und wo könnte der Mensch, der solch geartete Kunst schafft, seine Sehnsucht nach dem Unergründlichen tiefer stillen als im Unergründlichen selbst, im Tod? *) B ö h m e a. a. O., S. 2391,51; anders H a n k a m e r , S. 245. ) H. W ö l f f l i n , Renaissance und Barock, München 19264, S. 25. z
VIII. K a p i t e l
DIE AUFKLÄRUNG Homo liber de nnlla re minus quam de morte cogitat; et eins sapientia non mortis, sed vitae meditatio estSpinoza
E
s öffnen sich neue Tore zu einer anderen Welt, wenn man in das 18. Jahrhundert eintritt, um dort nach dem Todesgedanken zu forschen. Man meint, völlig andere Menschen vor sich zu haben mit ganz anderer geistiger Richtung und sittlicher Einstellung, mit einem neu gearteten schöpferischen Lebensbewußtsein und Lebensgefühl und einem neuen Verhältnis zu allen Fragen des Diesseits mehr noch als des Jenseits. Man atmet andere Luft, freiere, aber auch dünnere, alles scheint gelöster, entspannter als in dem dynamisch-ekstatischen Rausch des 17. Jahrhunderts. Die seelische Oberfläche liegt beinahe spiegelglatt da wie ein ruhiges weites Meer; man hat nach allen Seiten freien, fernen Ausblick und das Gefühl sicherer Haltung. Breite herrscht überall, nicht Tiefe, Vordergrund, nicht Hintergrund, Verstand, nicht Gefühl. Vernunft, Erfahrung und Erkenntnis prägen vorab das geistige Profil des Jahrhunderts in seiner ersten Hälfte. Es kann sich hier nicht um die Auseinandersetzung der Grundgedanken des rationalistischen Zeitalters handeln — sie ist oft genug gegeben worden1) —, 1
) Man sehe die bekannte Darstellung von R. U n g e r , Hamann, Jena 1911, Einleitung; H. K o r f f , Geist der Goethezeit I, Leipzig 1923; F. J. S c h n e i d e r , Die deutsche Dichtung zwischen Barock und Klassizismus, Stuttgart 1924; A. K ö s t e r , Die deutsche Literatur der Aufklärungszeit, Heidelberg 1926, S. 146ff., 196£f. ; E. E r m a t i n g e r , Barock und Rokoko, Leipzig 1926; auch O. L e m p p , Das Problem der Theodizee, Leipzig 1910, S. 107—170. Einen guten Überblick bietet M. S o m m e r f e l d s Artikel ,Aufklärung' im Reallexikon I, S. 9 0 - 9 7 . - Nun auch W. D i l t h e y , Ges. Sehr. III, Leipzig 1927, S. 142ff. ; 170ff.
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nur einiges ist herauszuheben, um den Todesgedanken in die Struktur der Zeit hineinstellen zu können. Das philosophische nennt sich das Jahrhundert selbst, nannten es Friedrich der Große und Voltaire. Aber Metaphysik als das Irrationale, nicht Faßbare bleibt der Zeit im tiefsten Sinne fremd. Christian Wolffs .Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen' etwa, das rationalistische Lehrbuch der Metaphysik, beweisen es auf Schritt und Tritt. Man glaubt, auch das Unbewußte in die Sphäre des Bewußten heraufheben und heraufzwingen zu können; für den, der sich von den Gesetzen des kühlen Verstandes und der Erfahrung bestimmen läßt, gibt es und darf es keine Rätsel, keine unauflösbaren Fragen mehr geben, alles, auch das Unaufklärbare, scheint sich aufzuklären. Auch das Problem des Todes verliert das „Unergründliche", das ihm im Barock einwohnte, und „klärt" sich auf: denn im letzten ist es derZeit überhaupt kein „Problem", das unauflöslich wäre, und damit tritt es in den Hintergrund des Bewußtseins; allein der ganze große Fragenkomplex, der sich um das hinter dem Tod Liegende dreht, um das Jenseits, bleibt vorne. Das Göttliche aber nimmt diese Zeit als das Begreifliche. Selbst die jenseitigen Dinge werden ganz in diesseitigem Sinne gelöst, werden gleichsam verweltlicht; denn die Werte des diesseitigen Lebens stehen im Mittelpunkt des verständigen Denkens und geben die Norm für jede Wertung. Man läßt sich nicht mehr brechen durch das Erlebnis von Zeit und Ewigkeit, durch die Nichtigkeit der Welt. Erlebnis im eigentlichen Sinne kennt eine Zeit überhaupt nicht, die die einzige Erlebnisquelle, das Gemüt, das Irrationale zu dem unteren und dunklen Erkenntnisvermögen rechnet. Und dann das Grundlegende: die Welt ist ja nicht böse und nichtig, sondern die beste aller möglichen Welten, und darum ist auch der bildungsfähige und zum Guten veranlagte Mensch nicht zum Unglück, sondern zum Glück berufen. Glück als die säkularisierte christliche Seligkeit ist zwar nur durch die Tugend und diese durch Vernunft erreichbar; sich dieses vernunftgegründete Glück auf dem Wege der Tugend zu erwerben, sich ein Leben zu erringen und so das neue, nicht mehr spiritualistische, sondern weltliche Menschheits- und Bildungsideal für sich zu verwirklichen, gerade dazu wollte ja die Aufklärung mit Tat und Beispiel, mit Lehre und Erziehung auf Schritt und Tritt anleiten.
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Der Mensch hat einen Anspruch auf Leben und Glück, das Glück des Menschen ist überhaupt der Zweck der Welt. Schon Thomas Morus sagt ganz rationalistisch, die Seele sei unsterblich und durch Gottes Güte zur Glückseligkeit erschaffen. So ist Aufklärung seit Leibniz im letzten Glückseligkeitslehre, Lehre vom eudämonistisch verstandenen und verweltlichten höchsten Gut. Christian Wolff, der Popularisator Leibnizens, nennt eines seiner meist gelesenen Aufklärungsbücher 'Vernünftige Gedanken von der Menschen Tun und Lassen zur Beförderung ihrer Glückseligkeit' und unterweist darin breit und ausführlich in der Art und Weise, dieses höchste Gut zu erlangen. Vollkommenheit als Übereinstimmung des Mannigfaltigen im Menschen zu verwirklichen, ist sein Ziel. Shaftesbury sieht in der Natur die Quelle und den Grund aller Schönheit und Glückseligkeit, die Gewähr der Harmonie; Gellerts moralische Vorlesungen sind, allerdings auf nicht so hoher Stufe, durchaus von dem Tugend- und Glückseligkeits-Ideal der Aufklärung beherrscht, und Sulzer schreibt einen 'Versuch über die Glückseligkeit verständiger Wesen'. Tugend und Glückseligkeit seien ein und dasselbe, erklärt Pope in seinem Lehrgedicht oder Ferguson in seiner Moralphilosophie1). Der Gesamtgeist der Epoche also ist vom Optimismus und Eudämonismus getragen, er setzt sich durch gegen den christlichen Supranaturalismus, der noch einmal im 17. Jahrhundert einen letzten Höhepunkt erklommen hat und sucht die Werte im Diesseits, im Leben; das war die gebieterische, selbsterhaltende Forderung einer Zeit an sich selbst, deren vorangehende Epoche sich in allen ihren Lebenszusammenhängen letztlich doch nach dem Jenseitigen ausgerichtet hatte, mögen auch im einzelnen entgegengesetzte Strömungen hervorgetreten sein. Das Leben hat seinen Sinn in sich selbst, ist unmittelbar zu Gott und nicht allein Vorbereitung, sondern eine vollwertige Stufe der Erfüllung, es findet das Absolute nicht erst in der Ewigkeit, sondern im Kern schon hier, in der Glückseligkeit und der allgemeinen Beseligung der Menschen. Doch nicht so ist es, als ob die Aufklärung auf die Jenseitshoffnung hätte verzichten wollen oder können. Sie sucht nur innerhalb M o r u s ed. Oncken und Ritter a. a. O., S. 67ff. — G e l i e r t , Sämtl. Schriften VI, Leipzig 1784, S. 109ff.; d a z u M a u v i l l o n - U n z e r , Über den Wert einiger deutscher Dichter, Frankfurt 1771, I, S. 284. - S u l z e r , Phil. Schriften I s , Leipzig 1782, S. 3 2 4 - 3 4 8 .
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des Gegebenen, im Leben also, kraft ihrer optimistischen Welthaltung, das Gute an sich, betont hier überall die Anlage und die Möglichkeit zur weiteren Entwicklung und Ausbreitung des Besitzes an Glückseligkeit. Durch die Annahme verschiedener Stufen dieser Glückseligkeit vereint der Rationalismus seine starke Diesseitigkeit als dem augenblicklich Erstrebenswerten mit seiner Forderung an die Jenseitigkeit als einem auch Erstrebenswerten, das sich nur durch den Intensitätsgrad an Glück und Vollkommenheit von dem der Welt unterscheidet, ohne doch deren Selbstwert irgendwie zu beeinträchtigen oder gar aufzuheben. Auch bei Shaftesbury hat „jeder Kreis des Lebens seine Regel und sein eigenes Glück, und jeder Teil des Ganzen ist in eine höhere Harmonie desselben aufgenommen." Das Streben und Ringen um die Harmonie, um das höchste Gut scheint also wie ein Aufsteigen gradualistischer Art. So meint es Mendelssohn im 'Phaedon', wenn er von den vernünftigen Wesen im unermeßlichen Weltgebäude spricht, „die von Stufe zu Stufe fortschreiten, an Vollkommenheit allmählich zunehmen und in dieser Zunahme ihre Glückseligkeit finden mögen". Und so meint es auch Lessing, der die erhabensten Gedanken der Aufklärung in der 'Erziehung des Menschengeschlechts' emporläutert und zusammenfaßt, daß eine schon erworbene Vollkommenheitsstufe nicht verloren gehen kann. Ein neues, auf dem Recht der moralischen Selbstbestimmung und dem Bewußtsein des Selbstrechts der Lebenswerte gegründetes Humanitätsideal schwebt vor und drückt sich sieghaft und unbedingt im Schrifttum aus. Wie ordnet sich nun das Böse, der Tod als Prinzip der Vernichtung, der doch das Ende der Glückseligkeit und damit eine schwere Belastung des Glaubens an Gott bedeutet, dieser optimistischen Weltbetrachtung ein? Er ordnet sich im metaphysischen oder religiösen Sinn gar nicht ein, und in der ganzen Breite drängt sich die Frage der Unsterblichkeit vor; in ihrer Auflösung liegt sogleich die der Frage nach dem Tode beschlossen. Die Unsterblichkeitsgewißheit löst für Reimarus etwa die Disharmonie, die durch den Tod in die den Menschen als sinnlichen und vernünftigen Wesen von Gott bestimmte Glückseligkeit gekommen ist. Für ihn ist der Tod nur Mittel zum Guten, zur Vollkommenheit, zum Glück als dem höchsten alles Erstrebenswerten1). Die Seele ist un1 ) G. F i t t b o g e n , Lessinga Religion, Berlin 1923, S. 27ff.; Lempp a. a. O., S. 164f.
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sterblich, ihre Bestimmung zur Glückseligkeit, ihre Fähigkeit zur Glückseligkeitserwerbung auch im Jenseits und ihr Streben nach Vollkommenheit fordern und gewährleisten ja ihre Unsterblichkeit, wenn sie nicht schon an und für sich unzerstörbar wäre. Unsterblichkeit der Seele als profaner Gegenbegriff zu dem des ewigen Lebens ist neben Gott und Tugend der Kardinalsatz innerhalb der moralischen und „metaphysischen" Erwägungen des Rationalismus, und damit sind alle Zweifel von vornherein aufgehoben. So überwindet man auch den Tod. Leben will die ihres unzerstörbaren Selbstwertes bewußte Aufklärung, wie die Renaissance, sie will überall Lebenswerte sehen. Auch in Deutschland wird wie in Frankreich der Tod zur Machtprobe zwischen der Kirche und dem Menschen, der sich von der Bevormundung der Kirche freizumachen sucht, und sich nun in diesem Kampf seines eigenen Wertes, seiner neuen Humanität bewußt wird. Er bestreitet den Primat des Todes und der Todesfurcht. Spinoza, der gegen das christliche Ideal kämpft, spricht für alle: „Homo liber de nulla re minus quam de morte cogitat; et eius sapientia non mortis, sed vitaemeditatioest." Vauvenarguesüberlegt: „Der Gedanke an den Tod führt uns irre, denn er läßt uns vergessen zu leben1)." „Vitae medidatio", nicht „mortis meditatio", das ist für die Aufklärung auch die Unsterblichkeitsidee; sie wird in einem rational verweltlichten Sinn gefaßt: das Leben nach dem Tod ist eben weitere Erhöhung und neue Möglichkeit der Glückseligkeit, ohne daß darin eine herabsetzende Bewertung der Welt und des von ihr verkörperten Glückseligkeitsgrades läge2). Denn die Seele, die Monas 1
) S p i n o z a , Eth. IV, Prop. LXVII. Bezeichnend ist die Bestimmung des „homo liber" in der dazugehörigen demonstratio: „Homo liber, hoc est, qui ex solo rationis dictamine vivit, mortis metu non ducitur, sed bonum directe cupit, hoc est agere, vivere, suum esse conservare ex fundamento proprium utile quaerendi; atque adeo nihil minus quam de morte cogitat, sed eius sapientia vitae est meditatio." (ed. Vloten 1882, I, S. 237). Auch D i l t h e y II, S. 288f.; 292. — V a u v e n a r g u e s : Gedanken und Grundsätze. Deutsch von Stöffler, München 1906, Nr. 143; dazu Nr. 136, 137, 140, 142, 376, 670. Dazu nun G r o e t h u y s e n a. a. O. S. X I f ; XVII, 60, 94, 132, 187 u. ö. 2 ) Ganz deutlich wird diese sozusagen gradualietisch geordnete Anschauung, wenn G o t t s c h e d , in seinen ,Ersten Gründen der gesamten Weltweisheit' (1. Teil, Leipzig 1756«, § 1086, S. 549ff.) ausführt: „Allem Ansehen nach wird also unsere Seele nach dem Tode,
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ist unsterblich und unvergänglich. Die Intelligenz bleibt. „Mens humana non potest cum corpore absolute destruí; sed eius aliquid remanet, quod eternum est." So lautet es bei Spinoza, und Leibniz, auf dessen „Monadologie" sich der Unsterblichkeitsglaube des Rationalismus gründet, sieht in Geburt und Tod, nach Gottsched, die beiden größten merkwürdigen Veränderungen des menschlichen Körpers, nur vorübergehende Durchgangserscheinungsform der ursprünglichen und ewig lebendigen Monade, nur einen Formwechsel im Dasein des Unteilbaren, des Individuums, nicht Anfang und Ende. „C'estce qui fait aussi qu'il n'y a jamais ny generation entiere ny mort parfaite . . . Et ce que nous appelions Generations sont des developpemmens et des accroissemens; comme ce que nous appelions morts, sont des Enveloppemens et des Diminutions". Der Tod ist also wie bei Cusa und Bruno nur Zusammenziehung, Verminderung, Neubildung1). Der Tod dient kraft der Vorsehung nur als Überleitung zu jener Stufe höchster Glücksbeseligung. Er hat gegenüber dem Barock keinen Selbstwert, keinen Eigensinn, er gilt nur als Durchgang, als physisch und psychisch notwendiger Akt, er verliert seine metaphysische Stellung im allgemeinen, seinen strafrichterlichen Charakter im besonderen: das Dogmatische im Todesgedanken hat sich fast gänzlich vérin Absehen auf die Deutlichkeit ihrer Gedanken, in einen weit besseren Zustand geraten; doch so, daß selbige in dem gegenwärtigen seinen Grund haben wird." Chr. W o l f f , Vernünftige Gedanken von Gott, Welt und der Seele des Menschen I 4 , 1729, § 9 2 5 - 9 2 7 ; II», 1727, § 1, 175, 338, 341. — Dazu R. W e g e n e r , Das Theodiceeproblem, Halle 1909, S. 79ff. und besondere E. L i c h t e n s t e i n , Gottscheds Ausgabe von Bayles Dictionnaire, Heidelberg 1915, S. 12—18, 73—76. Übrigens rechnet Gottsched wie Morus a. a. O., S. 100 die Unsterblichkeitsleugner in die Klasse der Pferde und Rinder. x ) Monadologie § 73; ed. Gerhardt, VI, S. 619; vgl. ebd. S. 152 § 90 aus der Theodizee ,,. . . que la mort apparente n'est qu'un enveloppement . . .". Außerdem: „La Mort, comme la génération, n'est que la transformation du même animal qui est tantôt augmenté et tantôt diminué." ,,Nec aliud esse mortem, quam involutionem diminutivem, quem admodum generationem esse evolutionen augmentativam, iam multis viris doctis placet." ,,. . . ita ut generatici ammalia nihil aliud sit quam eius evolutio et augmentatio . . . ita mors vicissim nihil aliud erit, quam animalis involutio et diminutio." F. K o c h , Goethe und Plotin, Leipzig 1925, S. 234 Anm. 65. — S t a n g e a. a. O. S. 88 ff.
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flüchtigt. Es ist außerordentlich bezeichnend für den Wandel, wenn Bayle in seinem „Dictionnaire" sagt, man müsse den plötzlichen Tod nicht nach christlichen Absichten betrachten sondern mit den Augen des Augustus, für den der glückliche Tod der war, dem keine Krankheit vorausging. Ausdrücklich behauptet man, der Tod sei für den Gerechten keine Strafe. Als etwas Böses habe man den Tod nur zu werten „in Ansehung der Seele, die nach dem Tod übrigbleibt", und wenn man das Leben und die Vereinigung mit dem Körper für etwas Gutes halte. So steht in Walch's philosophischem Lexikon unter Artikel „Tod", und das Zedlersche Universallexikon spricht es fast wörtlich nach 1 ). Die Zweifel sind gelöst, und der Tod wird als unwesentlich beiseite geschoben, denn er kann dem unverweslichen Seelenvermögen nichts anhaben. Der christliche Lebensbegriff wird immer entschiedener in die rein philosophische, entkirchlichte Betrachtung hinübergeführt: der metaphysische Lebensbegriff dringt durch Leibniz tief in die Allgemeinvorstellung, wird Allgemeinbesitz und entgeht als solcher nun auch nicht der Gefahr der Verplattung. Die gleiche Richtung auf Verweltlichung zeigt sich im Unsterblichkeitsglauben; auch hier weicht der besonders christliche Gehalt zurück, und der Glaube wird durch die Vernunft und ihre Forderungen ersetzt. Das profane Denken drängt das geistliche zurück. Das alles sind nur die notwendigen Teilerscheinungen und Teilauswirkungen des großen Allgemeinvorgangs, der sich schon innerhalb des 17. Jahrhunderts langsam vorbereitet hatte, der völligen Zersetzung der Kirche und ihrer Dogmenautorität, der Säkularisierung und Psychologisierung der christlichen und jetzt überhaupt der religiösen Gefühlshaltung und Weltbetrachtung. Die „Ratio" als die eine Grundkomponente schon des Barock, bekommt das Übergewicht in ihrer Verknüpfung mit 1
) B a y l e , Hist.-krit. Wörterbuch, Deutsch von Gottsched, Leipzig 1743, IV, 431β, β; vgl. auch II, 692a; 713b; III, 7 9 1 - 7 9 8 (Pomponatius), 217a (Epikur), 377a Melanchthon; 475a. — W a l c h , Phil. Lexikon, Leipzig 1740, Sp. 2578-2686. — Zedier, Großes Universal-Lexikon 44 (1745), Sp. 6 2 3 - 6 5 4 ; bes. Sp. 626, 627, 633 entsprechen wörtlich den Ausführungen von Walch. Sp. 642ff. gegen den Tod als Strafe. - Bd. 49 (1746), Sp. 2072-2077: Unsterblichkeit. Zu den ähnlichen geietesgeechichtlichen Vorgängen in Frankreich vgl. G r o e t h u y s e n a. a. O. S. 129ff.
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dem religiösen Bewußtsein, sie löst diese Verknüpfung, macht sich frei, drängt das Religiöse zurück und durchdringt es selbst und alle anderen Lebensmächte. Das eigentlich Religiöse wird durch die Vernunft ersetzt und verflüchtigt sich, an seine Stelle und an die der Theologie tritt die Philosophie und eine philosophisch unterbaute Ethik und Moral : Moral und Vernunft werden autonom, sie sind die inneren Bindungen der Aufklärung. Religion und Tugend gehen ineinander auf. „Die denkende Erhebung zur göttlichen Ursächlichkeit des Wirklichen, das tugendhafte Streben nach der Vervollkommnung sind die Religion der Aufklärung." Geistesgeschichtlich merkwürdig bleibt, wie der Rationalismus es versteht, den Gedanken des Todes von dem der Unsterblichkeit zu sondern, wie er allein diesem seine strengste Aufmerksamkeit zuwendet 1 ). Das bedeutet gegenüber dem 17. Jahrhundert eine vollkommene Wertverschiebung: der Barock kümmerte sich nicht um die Unsterblichkeit, an der er nie zweifelte, sondern um den Tod. Nun ist es geradezu umgekehrt. Keine Frage wird stärker um die Jahrhundertmitte erwogen als die der Unsterblichkeit. Von 1751—1784 erscheinen allein 54 Schriften über dies Thema, dazu kommt noch, daß die Frage der Wiedergeburt, der Palingenesie, der Seelenwanderung auftaucht und die Gemüter beschäftigt, freilich Probleme die nur an der Peripherie dieser Untersuchung liegen2). Man muß zugeben, die Zeit bemühte sich ernsthaft und ehrlich um die Frage des Lebens nach dem Tode. Hettner hat eine treffliche Allgemeinbeobachtung gemacht, die in diesen Zusammenhang gehört: „Es ist ein untrügliches Kennzeichen des philosophierenden Dilettantismus, daß er sich immer nur denjenigen Fragen zuwendet, welche mit den nächsten religiösen Anliegen zusammenhängen3)." Ein religiöses Anliegen, wie *) Auch G r o e t h u y s e n a. a. O. S. 131: „Das Problem des Todes als solches tritt immer wieder zurück, das Todeserlebnis verliert immer mehr seine zentrale Bedeutung für das Leben." Auch S. 63, 108, 134, 185, 187. a ) M. D e s s o i r , Geschichte der neueren deutschen Psychologie I, Berlin 1894, S. 1 6 7 - 1 7 8 ; 416-420. W. L ü t g e r t , Die Religion des deutschen Idealismus I, Gütersloh 1923, S. 1 8 3 - 2 2 0 ; R. U n g e r , Zur Geschichte des Palingenesiegedankens im 18. Jhd. Vierteljahrsschrift III (1924), S. 257-274. - C. S t a n g e a. a. O. S. 9 8 - 1 0 9 Aufklärung. s ) H e t t n e r , Franz. Literatur 19137, S. 371.
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es der Rationalismus verstand, war nun allerdings der Unsterblichkeitsglaube; konnte doch Mendelssohn offen bekennen: „Ohne Gott, Vorsehung und Unsterblichkeit haben alle Güter des Lebens in meinen Augen einen verächtlichen Wert, scheinet mir das Leben hienieden . . . wie eine Wanderschaft in Wind und Wetter, ohne den .Trost, abends in einer Herberge Schirm und Obdach zu finden." Und selbst bei Voltaire findet man die gleiche Stimmung. Immer wieder kehrt er zum Unsterblichkeitsproblem zurück, und zu verschiedenen Zeiten denkt er Verschiedenes: einmal ist es Bejahung, dann Leugnung der Unsterblichkeit, aber an einem aufrichtigen Gottesgedanken hält er stets fest. Später blieb ihm nur die stille Resignation gegenüber dem Nichts. Dem Tod, den er das größte physische Übel nennt, weicht er aus: man denke an das Leben, nicht an den Tod. Keiner ist ihm in seiner zweifelnden und unentschiedenen Haltung verwandter als Friedrich der Große, der 1769 in sein Testament die verzichtenden Worte schrieb, er gebe freiwillig und ohne Klage den Lebenshauch, der ihn beseele, dem wohltätigen Wesen, das ihm denselben geliehen habe, und seinen Leib den Elementen zurück, aus denen er gebildet sei. Fortdauer, er hoffte sie, ohne sie jedoch beweisen zu können1). Unsterblichkeitsleugnung aber trifft man nur vereinzelt an, versteckt bei Bayle, offen und entschieden bei David Hume, dem mächtigsten Erschütterer des ganzen rationalistischen Gottesglaubens, radikal bei den französischen Materialisten, bei Diderot und seiner Schule, die schließlich nach mannigfachen Wandlungen nur die Unsterblichkeit der Tat und des Nachruhms gelten ließ. Pope's pessimistische Erwägung im 'Essay on man', der Mensch sei nur geboren um zu sterben, denke nur um zu irren, bleibt doch nur vorübergehende Stimmung dieses Lehrdichters, dessen Leitsatz heißt: „Whatever is, is right", und der am Schluß des ersten Briefes entscheidet, aller Mißlaut sei Harmonie, die der Mensch nur nicht begreife, und alles besondere Übel sei allgemeines Gut. Die Unsterblichkeit steht ihm fest. Ferguson gibt in seiner *) M e n d e l s s o h n : Lempp a. a. O. S. 166, 187f. — V o l t a i r e : Hettner S. 195ff.; P. S a k m a n n , Voltaires Geistesart, Stuttgart 1910 S. 156ff. ; 188ff. Oeuvres compi. (Hachette) XVI, 435ff.; X X V I 335ff. — E. Zeller, Friedrich d. Große als Philosoph, Berlin 1886, S. 56ff. ; 224ff. Auch J. G. Z i m m e r m a n n , Fr. d. Gr. letzte Tage, Ausgabe Basel 1920, S. 101-102.
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Moralphilosophie die allgemeine Ansicht: „Die Begierde der Unsterblichkeit ist ein Instinkt und kann vernünftigerweise als ein Anzeichen dessen gesehen werden, was der Urheber dieser Begierde zu tun willens ist 1 )." Eine eigene dichterische oder philosophische Behandlung des Todesgedankens kennt und besitzt der deutsche Rationalismus in seiner Literatur nicht. Die Zeugnisse sind gering, aber gerade in dieser Dürftigkeit liegt das Wichtige und Kennzeichnende, aus ihr liest man heraus, wo der Zeit die großen und beweglichen Fragen lagen, was sie des Nachdenkens für wert hielt und was nicht; und gerade daß in ihr der Todesgedanke so wenig gedacht wurde und ganz in dem der Unsterblichkeit, der Seelenwanderung, der Palingenesie auf- und unterging, diese deutliche Tatsache enthüllt besser als anderes den vernünftigen Bau der lebenszugewandten Aufklärung. Allerdings, was man zu Beginn des Jahrhunderts findet, das ist noch Übergang; barockes Seelentum, tiefe Frömmigkeit des schlichten Herzens steht noch hart in demselben Gedicht oder Zeugnis neben dem aufgeklärt nüchternen, dann bald banalen Vernunftglauben. Des Freiherrn von Canitz' Todesgedanken etwa, voll gläubiger Demütigkeit, malen noch die Nichtigkeit des Irdischen und die Grausamkeit des Todes, fordern bei Gräbern klug zu werden und mit dem Tode sich schon früh bekannt zu machen; aber das sind barocke Nachklänge in rationaler Form. Canitzens Klageode über den Tod seiner ersten Gemahlin deutet dann schon auf solche Geisteshaltung vor, wie sie Haller später in seinem berühmten Trauergedicht weithin sichtbar einnimmt: Überwindung des Todes durch Vernunftgründe. Bei Canitz ist die religiöse Innerlichkeit noch nicht so durch den Verstand gefesselt wie bei Haller, Die .Discourse der Mahler' führen Canitz 1721 in einem Zusammenhang an, der deutlich auf eine religiöse Grundstimmung hinweist, die ähnlich wie die Canitzens einen Übergangscharakter trägt. Sie ist ebenso unsicher, wie die Stellung zur Welt noch nicht eindeutig und bestimmt ist. In den ,Discoursen' ziehen sich Bodmer H u m e , Über die Unsterblichkeit d. Seele; ed. F. Paulsen, Leipzig 1877, S. 151-158; bes. S. 156ff. - H e t t n e r Engl. Literatur 1913', S. 32Iff. ; 353ff. — F e r g u s o n , Grundsätze der Moralphilosophie. Deutsch von Garve, Leipzig 1772, S. 119; auch S. 102, 127.
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und Breitinger auf Montaigne, aber mehr noch auf die christlich gefärbte Moralität Charrons zurück und nehmen darin eine Haltung ein, die, im Grundsätzlichen nur, sogar noch dem heroischbarocken Moralstoizismus der Roman- und Dramenhelden, gegen die sie gerade kämpfen, entspricht, nur nicht mehr mit der barocken Wucht und Spannung, sondern gemildert und gelöst und mit stärkerer Betonung der Vernunft. Es ist Geringachtung der Welt in der Erkenntnis ihrer Vergänglichkeit und gelassen gläubige Betrachtung und Verachtung des Todes im Bewußtsein eines guten Gewissens und der Unsterblichkeit der Seele: so stirbt der Christ ruhig und klar, hell und freudig. In dieser moralisierenden Frömmigkeit liegen Züge, die ebenso zum Pietismus wie zum Rationalismus weisen. Aber es ist eben auch der Geist der englischen moralischen Wochenschriften und der diesen innewohnenden, praktisch moralischen, vernünftigen Religion und jener gelassen ruhigen und gleichmäßigen Menschenbetrachtung, jener Geist, der dann auch im deutschen Bereich zu dem Programm führt: „Unser Gegenstand ist der Mensch mit Allem, was zu dem Menschen gehört. — Die Tugenden, die Wissenschaften, die Glückseligkeit, die Neigungen, die Laster, die Fehler, die Torheiten, das Elend, das Leben und S t e r b e n der Menschen soll uns Stoff an die Hand geben1)." Auch Benjamin Neukirch steht noch im Übergang: er betrauert in barocker Art das flüchtige Glück, schreibt Abendlieder und dichtet für die betrübte Seele ein Trostlied von echter Religiosität; und Wernicke wird in der Dämmerung zu dunklen Gedanken von der Kürze und Eitelkeit des Lebens und vom Tode geführt. „Noch ist es Dämmerung, noch liegt auf gleicher Wage das Leben und der Tod." Die kommende Zeit, die er ja einleiten hilft, will die klare Helle, die Entscheidung; sie läßt die Wage C a n i t z , Kürschner 39, S. 429ff.; 436ff. — D i s c o u r s e d e r Mahler, Zürich 1722, I, 3 (nach Charron I I , 11), 4 (auch hier starke Anlehnung an Charron und Montaigne); II, 10 (mit besondere starkem pietistischen Einschlag); III, 3 (Unsterblichkeit des Nachruhms ist eitel); IV (1723), 6 (Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Lebens), 11, 18. Die beiden letzteren, außerdem I, 4; II, 10 sind von Breitinger; I, 3, IV, 6 von Bodmer: vgl. H. B o d m e r , Die Gesellschaft der Mahler, Diss. Zürich 1895, S. 68 Anm.; S. 104, 105 Montaigne, Charron; S. 95 über englische Anregungen, 97 Anm. 1. — Das letzte Zitat stammt aus der zweiten Auflage der „Discourse": „Mahler der Sitten" I, 1746, S. 8.
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zugunsten des Lebens sinken, hat im Diesseits den schöpferischen Kräftepunkt, und ihr optimistisch-sieghaftes Lebensgefühl wird sinnbildlich schon dadurch gekennzeichnet, daß es die „Göttin Freude" besingt1). Bei Christian Günther, dem einzigen und echtesten Lyriker des frühen 18. Jahrhunderts, der zwischen Diesseits und Jenseits hin und hergeworfen wird, und darin noch barockes Lebensschicksal bekundet, herrscht die dogmatische Gewißheit vom Tode als der Sünde Sold und das Ahnen um ein Reifwerden zum Tode. „Also müssen wir auf Erden zu dem Tode reifer werden." Bei ihm findet sich noch die barocke Überschrift: 'Als er zu sterben wünschte'. In den letzten Gedanken, den 'Abendgedanken', atmet jene stoische Gelassenheit in der Todesbetrachtung aus „Weisheit" und „Vernunft", aber es lebt in dieser Gelassenheit noch etwas von der barocken, spannungsgeladenen Art, die aus der gewaltsamen Affektunterdrückung sich emporarbeitet; doch daneben als Vorklang der Neuzeit die verständige Betrachtung über der Seele Unsterblichkeit. Und dann wieder der Rückbruch ins Alte: „Oft ist ein guter Tod der beste Lebenslauf", ganz barock gefühlt, aber rational gesagt2). In diesen Äußerungen lebt nicht mehr das starke tiefe Todesgefühl, es klingt noch von ferne an, aber der Tod steht nicht mehr beherrschend im 1
) Darüber unterrichtet nun vorbildlich Fr. S c h u l t z , Die Göttin Freude, Jahrb. d. fr. d. Hochstifts 1926, S. 3 - 3 8 . — N e u k i r c h , Kürschner 39, S. 492f.; 497. W e r n i c k e ed. Pechel, S. 142, 181, 244. 2 ) Günther ed. Fulda, Kürschner 38, S. 5, 10, 21, 26, 109, 194, 243, 263ff. ; 307, 320ff. Die ganze Übergangszeit behandelt treffend auch G. Müller a. a. O. S. 1 6 3 - 1 7 3 ; ebd. S. 167 über die „halb stoische, halb epikureische Heiterkeit" jener Lyrik. — Wie jenes barock-stoische heroische Gelassenheitsideal (darüber ζ. B. L. L a p o r t e a. a. O. S. 39ff.) sich weiter- und abgewandelt hat zu jenem bürgerlichen, rational-quietistischen und pietistischen Ideal, das Fr. B r ü g g e m a n n als Ideal für den bürgerlichen vom Pietismus beeinflußten Menschen des frühen 18. Jhds. zu erweisen sucht, ζ. B. in seinem Buch 'Utopie und Robinsonade' (1914) und zuletzt in seiner Schrift 'Gellerts Lebender Schwedischen Gräfin' (1925), bedürfte noch genauerer Untersuchung. Brüggemann sagt nichts darüber. Bei Brockes spielt es eine maßgebende Rolle:s. M a n i k o w s k y , a. a. O., S. 78—81, bei Hippel wird die Vereinigung des Stoischen im Sinne Montaignes mit dem Christlichen und Pietistischen ganz deutlich. Vgl. auch G ü n t h e r , Deutsche Vierteljahrsschrift IV (1926) S. 157 und G r o e t h u y s e n a. a. O. S. 126 f; 132.
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Mittelpunkt, nur noch von weitem zieht er vorbei; es fehlt im allgemeinen die alte Empfindungsstärke, aber auch die neue Verstandesstärke. Dazwischen liegt das Bewußtsein, es ist ein „nicht mehr" und „noch nicht". Den Schritt herzhaft hinein in das Neue durch das Tor tut erst Brockes: zwar überträgt er noch 1724 ein durch und durch barockes religiöses Heldengedicht, den 'Bethlehemitischen Kindermord' von Marino, doch später, 1740, verdeutscht er bezeichnenderweise Popes Lehrgedicht und 1745 Thomsons 'Jahreszeiten'. In seinem großen, rational-pantheistischen Lehrgedicht aber — diese Gattung spricht fortan von Tod und Unsterblichkeit — formt er die neue ,,Religiosität" des Rationalismus, die, wie Shaftesbury, den geordneten Kosmos und die Harmonie, das Kunstwerk in der Natur als einer fortwährenden Offenbarung Gottes, auch im Grashalm sieht und voll heiteren Dankes betrachtet. So muß auch der Tod sein Gutes, seine sinnvolle Stellung im All haben, und wirklich erblickt Brockes den beständigen Wechsel in der Natur, wo Werden nur durch Vergehen bedingt ist, wo ewige Verwandlung herrscht. Die weltfreudige Diesseitigkeit des Jahrhunderts bezeichnet schon der Titel: .Irdisches Vergnügen in Gott'. Der Gegensatz könnte nicht tiefer sein: des Lebens Flüchtigkeit wird im Barock zum Ansporn der Todesbetrachtung und der Weltflucht, diesem Gottverherrlicher wird es aber nun erst recht Aufforderung, die kurze Dauer des strömenden Lebens, den Augenblick und das Gute in der göttlichen Natur fast horazisch „zu Nutz und zur Lust" zu genießen. Weltfreudigkeit und Weltfrömmigkeit atmet alles; in solcher Haltung geht Brockes auch an das Problem des Todes heran. Über die Unsterblichkeit der Seele spricht er einmal kurz im 7. Buche, im Zusammenhang dann in seiner .Anleitung zum vergnügten und gelassenen Sterben', von 1747, einer „Ars moriendi" also, aber auch sie nun erfüllt vom Geist des Glückseligkeitsstrebens. Wenn Wolff vernünftige Gedanken für das Leben zur Beförderung der Glückseligkeit bietet, so will nun Brockes, im Anschluß an Antonio de Sarasas ,Ars semper gaudendi', die auch noch später Uz benutzt, erweisen, wie man „nach einem irdischen Vergnügen zuletzt vergnügt auch sterben kann". Ein fast quietistischer Optimismus lebt darin und er tilgt nun auch alle barocken Reste und Spannungen im rationalen Ideal der Gelassenheit, der sanften Stille ohne Leidenschaft, die
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im Leben und im Sterben führen soll. Vernünftig weist Brockes alle Einwände gegen den Tod zurück, betont seine Notwendigkeit und Unabwendbarkeit und zeigt seine guten Seiten; zur bestimmten Zeit soll man ohne Murren sanft sterben. Denn was bedeutet der Tod anderes als die ewige Wandlung, als Vergehen und Neuwerden ? Natur und Tod sind keine Gegensätze, sondern nur Leben und Tod. Und diese beiden ruhen im mütterlichen Schoß der Natur. Man ermesse, „daß unser Sterben ein Verändern, das Ändern ein Verbessern ist 1 )." Dem Irdischen folgt das himmlische Vergnügen, die Steigerung, Erhöhung, „Verbesserung der Glückseligkeit" — so sagen auch Wolff und Gottsched—, in allem waltet der gütige weise Gott. Es darf nicht Wunder nehmen, daß die philosophisch-didaktische Lyrik des 18. Jahrhunderts sich so selten mit dem Tod beschäftigt, daß ihr immer die Unsterblichkeit zunächst steht. Wie man dem Tod gegenüberzutreten habe, das mußte der vernünftige Mensch und Christ selbst wissen, und der Drang, seinen Gefühlen und Empfindungen hier Ausdruck zu verleihen, ist gar nicht vorhanden. Albrecht v. Haller zeigt beispielhaft, wie völlig der Tod als philosophische Frage zurücktreten kann; seine Dichtung, eine große Theodizee, sieht hier kein Problem. Einfacher kann man es nicht sagen: „es soll uns das Leben lieb, der Tod nicht schrecklich sein". Denn die Glückseligkeitstendenz wirkt auch hier. „Ein allgemeines Wohl beherrschet die Natur, und alles trägt des höchsten Glückes Spur," auch der Tod, der dem Christen hilft, im Sterben zu gewinnen, der ihn befreit und zu höherer Vollkommenheit geleitet. Aus solchem, hier sehr fromm getönten Bewußtsein heraus dichtet Haller dann die berühmte Trauerode beim Absterben seiner geliebten Marianne und blickt als ein echter Christ „dem Tode getrost entgegen, weil er jenseits des Todes ein ewiges Glück zu sehen meint 2 )." !) Irdisches Vergnügen IV» (1745), S. 246, 423ff.; VI 1 (1740) S. 572ff.; VII (1745), S. 1 1 8 - 1 2 2 Unsterblichkeit. I X (1748) S. 561 bis 624: Anleitung. Dazu F. von Manikofvsky, Welt- und Lebensanschauung im Ird. Vergnügen des B. H. Brockes, Greifswald 1914, S. 29ff. ; 54, 59f., 71, 81, 91ff. ») Briefe über die wichtigsten Wahrheiten der Offenbarung, 1779», S. 3, 11, 196. Gedichte ed. H i r z e l , S. 23, 37, 60, 121, 141, 158ff. ; 203, 205, 208. B e h m , Der TodeegedanJte.
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Unsterblichkeitsproblem statt Todesgedanke — immer wieder bestätigt sich das. M. K. Curtius beweist in seinem philosophischen Lehrgedicht vom Zustand der Seele nach dem Tode (1754), daß Erhöhung der Zweck der Schöpfung sei und Gott kein Geschöpf auf niedriger Stufe ewig stehen noch weniger „Licht und Leben, das erst sein Otem angefacht", erlöschen lasse. Der Tod kann nicht die göttliche Seele vernichten. „Was göttlich ist, verdirbet nicht", heißt es bei Drollinger, und Cramer lebt wie J. A. Schlegel der sicheren Vernunftüberzeugung, die Seele könne nicht sterben; denn stürbe die Seele wirklich ganz im Tode, „so wäre Tugend weder Pflicht noch Ehre". Das ist der gleiche, plattutilitaristische Gedanke, dem man bei Nicolai begegnet und gegen den dann Lessing ankämpft. Nicht für den flüchtigen Augenblick schafft Gott die Seele, er schuf sie „für ein ewig Glück": so triumphiert der rationalistische Theologe und Kirchenlieddichter über die vernunftlosen Feinde des Unsterblichkeitsglaubens. Das Gesangbuch der Aufklärung spiegelt den Zeitgeist, den Tonwechsel, die völlige Zersetzung und Auflösung des religiösen Gefühls, die Ablösung vom Dogma, ja fast von der Theologie überhaupt genau wider: an Stelle der alten Todes- und Sterbelieder voll wahrer Todesempfindung tritt nun das Kirchenlied mit seinen Theodizeen und verständig kühlen Allgemeinbetrachtungen über Tod und mehr noch über Unsterblichkeit. Die Vernunft, nicht das Gemüt führt zur Anerkennung eines göttlichen Trostes. Christus und sein erlösender Kreuzestod verlieren an unmittelbarer Tröstlichkeit; man behält das allerdings dogmatisch traditionell bei, aber dahinter verbirgt sich die Meinung, daß die Seele ja ohnedies unsterblich und ewig sei und Christi Tod also nicht nötig wäre. Und so nimmt denn auch die Schilderung der höchst vernünftig gedachten Ewigkeit den größten Raum im Lied ein1). Wie sehr solch rationalistisches Bewußtsein selbst pietistische Unterströmungen zurückzudämmen verstand, fühlt man aus 1
) C u r t i u s , Krit. Abhandlungen und Gedichte, Hannover 1760, S. 189—226; bee. S. 198, 205, 207, 225; dazu Leasings Anzeige : Lachmann-Muncker V, 374f. — D r o l l i n g e r , Gedichte, Frankfurt 1745, S. 12, 1 7 - 2 6 , 47, 109, 115, 139. - C r a m e r , Sämtl. Gedichte, Karleruhe 1783, S. 175 v 179, 1 8 1 - 1 8 6 . - J. A. S c h l e g e l , Vermischte Gedichte, Karlsruhe 1788, I, 219ff.; II, 13ff. - P a u l S t u r m , Da» evangelische Gesangbuch der Aufklärung, Barmen 1923, S. 67 — 70.
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Gellerts geistlicher Lieddichtung heraus. 'Vom Tode' nennt er ein Lied; der Gedanke an das Ende möge den Christen zur verständigen Rechnungsaufstellung anleiten. „Lebe, wie Du," wenn Du stirbst, wünschen wirst gelebt zu haben." Diese berühmt gewordene Zeile deutet so recht die ganze Moralhöhe der Aufklärung. Nicht Gefühlsantrieb, sondern weise Überlegung formt das Problem des Todes, des Endes, dessen „sich zu erfreuen" der Mensch streben soll. „Der, den der Tod nicht weiser macht, hat nie mit Ernst an ihn gedacht." Pietistisches Empfinden schlägt sich hier in rationales Gewand, und jenes schöne Lied Gellerts „Jesus lebt, mit ihm auch ich, Tod, wo sind nun deine Schrecken" mutet innerhalb der Epoche wie ein, allerdings leicht rationalisiertes, Überbleibsel aus früherer Zeit oder wie ein Vorbote neuer Tage an 1 ). Die Mahnung ständiger Todesbetrachtung fließt auch hier aus der didaktischen Vernunftüberlegung, nicht aus unmittelbaren Erschütterungen durch die Endgewalt : die Haltung gegenüber dem Tode in der triumphierenden Berufung auf Christus scheint beinahe wie ein vergnügtes Lächeln über einen guten Kaufabschluß, bei dem der Konkurrent zu Schaden kommt. Man hat den Eindruck, als ob es sich von selbst verstände, daß Gott sein göttliches, zum Glück erschaffenes Geschöpf vor dem Bösen bewahre, ja man hat einen Anspruch darauf. Der Geist der zuversichtlichen Demut ist aus diesen Gesängen gewichen. Solche Stimmungen oder besser Überlegungen erfüllen auch die weltlich-philosophische Lyrik: etwa Uzens 'Theodicee' oder dessen 'Gedanke der Unsterblichkeit', „der über Erde, Welt und Zeit ein edles Herz erhebt". Die Glückseligkeitsphilosophie mit der ihr eigenen Formung des Todes beherrscht auch deutlich einige Seiten seines Versuches über die 'Kunst, stets fröhlich zu sein' (von 1760). „Dies Leben ist ein Punkt im allgemeinen Plan, Und nach dem Tode fängt ein bessres Leben an." Der vernünftige Weise schätzt den Tod richtig ein, da er ihn in höherem Lichte betrachtet. „Der Bote der Natur ergreifet unsre 1
) G e l i e r t , Geistl. Lieder und Oden, Leipzig 1759, S. 24—27; 93ff., 128, 134, 147, 149—151. — Lehrgedichte und Erzählungen, Leipzig 1758, S. 2 5 - 5 6 Der Christ; S. 40. - G. Müller a. a. O. S. 172 „aufklärerische Vernunft mit seelischer Wärme" durchtränkt; auch S. 163.
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Hand, Und führt uns als ein Freund in ein beglücktres Land 1 )." Hier, wie auch später bei Wieland, lebt in der scheinbar todsüchtigen Sprache rein rationales Überlegen, und auch der Schlußgedanke „nur wer zu sterben weiß, kann stets zufrieden leben", — wird hier auf die Höhe vernunftmäßiger Lebenswahrheit, nicht barocker Gefühlswallung gehoben und in einer ganz anderen Schicht als früher erlebt. Der junge Wieland, der so eng und bigott gegen Uz zu Felde gezogen war, steht neben diesem auf gleichem Boden in seiner Todesauffassung, wie sie sich durch seine ganze weite, geistesgeschichtlich merkwürdige Jugendphilosophie und Dichtung zieht. Von der Theodizee, vom Unsterblichkeitsproblem aus muß man sie nehmen, man darf hier nicht, wie man meinen könnte, einen Ausdruck pietistischer Gefühlshaltung sehen — auch diese findet sich sonst bei ihm, dem Offenen, Leichtbestimmbaren. Sein großes Lehrgedicht 'Die Natur der Dinge', aufgebaut auf dem Gedanken der allgemeinen Bestimmung zur Glückseligkeit und der Höherentwicklung aller Geistigkeiten im Sinne der Leibnizschen Philosophie, kann also den Tod nur preisend begrüßen, nicht aus spiritualistisch-pietistischem Gefühl heraus als den Ender der Not, sondern ähnlich wie Brockes als den Verwandter zu höheren Stufen, der, ewigem Gesetz folgend, „alles wendet und bauet und zerstöret". „Es ist kein Tod in der Natur; der Tod ist die Geburt eines neuen Zustandes " „ 0 Todi Du süßer Todi Dich scheuet nur ein Tor! Du hebest das Geschöpf zu seinem Ziel empor, Du trägst der Gottheit uns und unsrem Glück entgegen." Hier greift man mit Händen den geistesgeschichtlich bedeutsamen Vorgang, wie in pietistisch gefärbte Erlebnisformen rationaler Geist gegossen wird, so daß auf den ersten Blick ein tiefes Todgefühl zu pulsen scheint. Das Herbeiwünschen des Todes entspringt aber durchaus rationalen Beweggründen. Die Todesverachtung und Überwindung leitet sich nicht aus religiöser Innerlichkeit, sondern, wie stets in der Zeit, aus Überlegung her, „die allein den Menschen leben lehret". Der Tod hat nichts schreckliches für a u f g e k l ä r t e Seelen, für freie Augen, heißt es im 11. moralischen Brief. „ E r öffnet ! ) U z ed. Sauer, S. 111, 135ff.; 178ff.; 182; Versuch S. 215-278. — J. B a r n s t o r f f , Youngs Nachtgedanken und ihr Einfluß auf die deutsche Literatur, Bamberg 1895, S. 44ff.
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unsrem Blick ein paradiesisch Feld", es ist die auch von Haller gepriesene Aussicht auf die weitere Höherentwicklung der Seele zur Seligkeit1). Hier denkt der eigentliche, aufgeklärte Wieland, der er auch noch im Alter war; pietistischen Strömungen aber gibt er Einlaß in seinen 'Briefen an Verstorbene' und in den von Lessing mit Recht angegriffenen 'Empfindungen eines Christen*. Sie sind anders zu werten und gehören einer anderen, mehr noch untergründigen Richtung an, die dann, nicht zuletzt unter Youngs Einwirkung, immer stärker nach oben drängt. Young war schon mehrfach genannt; durch seine 'Nachtgedanken', die zuerst in den Jahren 1742—46 erschienen und seit 1751 durch Ebert in Deutschland bekannt gemacht wurden, hat er am nachhaltigsten die Todes- und Unsterblichkeitsüberlegung der Zeit beeinflußt. Aber es bleibt zu beachten: der Aufklärung gab er nur neuen Stoff, bot er nur eine neue Wendung des Gedankens, und erst die folgende Zeit mit dem Hervorbrechen des Irrationalen und Seelenhaften empfand den tiefen schwermütigen Ton, die Todessehnsucht, kurz das Romantische, und so wird Young auch erst später als mächtiger Gefühlslockerer zu betrachten sein, dem sich niemand im damaligen literarischen Deutschland entziehen konnte. Zu spät erst erkannte man, welch „schädlichen" Einfluß Young auf unreife Herzen ausübte, und es ist wirklich geistesgeschichtlich typisch, daß ein Mann wie Unzer in seinem Briefwechsel mit Mauvillon 'Über den Wert einiger deutscher Dichter' sich nicht nur der inzwischen mächtig hervorgebrochenen empfindsamen Strömung, freilich zu spät, entgegenwirft, sondern auch mit allem Nachdruck gegen diesen Menschenfeind streitet, der nichts anderes wolle, als durchaus die Nichtigkeit und den Unwert der irdischen Güter zeigen, der also die Lebensauffassung des Rationalismus an ihren Wurzeln angreift. „Ist denn der Tod, fragt Unzer, so was Fürchterliches und hat uns der gütige Schöpfer bloß hierhergesetzt, um v o r diesem Augenblick, der doch alle treffen muß, unaufhörlich zu zittern . . . und nichts von den Gütern, womit uns des gütigsten Gottes Liebe überhäuft !) W i e l a n d , Akademieausgabe I, 96, 111, 117; 3 9 5 - 4 0 6 ; II, 53ff.; 353ff.; 370, 381. — E. E r m a t i n g e r , Die Weltanschauung des jungen Wieland, Frauenfeld 1907, S. 47ff. ; 63, 63, 67, lOOf.
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hat, zu genießen1)?" Vorerst sahen nicht alle so tief. Young wirkt verstandesmäßig auf die Verstandesmäßigen, auf die Bremer, auf Cramer, Schlegel, Geliert und Uz, auf den Anakreontiker J. G. Jacob, dessen 'Winterreise' 1769 vielleicht am merkwürdigsten die seltsame Verquickung von Rationalismus und neuer sensualistischer Sentimentalität lehrt, auch im Todesgedanken2). Young wirkt auch auf zwei Lehrdichter, von denen man glauben möchte, sie ständen auf dem Wendepunkt: Creuz und Cronegk. Aber trotz aller sichtlichen Gefühlsweitung denken auch sie im Grunde ihres Wesens über Tod und Unsterblichkeit rational, und der dunkle Schleier, der sich über ihre Grab- und Verwesungspoesie wie eine Vorahnung des romantisch Irrationalen legt, ist mehr Ausdruck einer sensualistisch gefärbten Vergänglichkeitsüberlegung mit didaktisch moralischer Betonung als wirklich eines tiefen Vergänglichkeitsgefühls. Creuzens Nacht- und Einsamkeitsges&nge erweisen ihren sehr stark durchdringenden Vernunftton etwa im Zusammenhalt mit den Nachtgesängen des Novalis; trotzdem mögen sie den Durchbruch irrationaler Empfindungswellen vorgearbeitet und das Denkgefüge gelockert haben. „Ich strebe glücklich zu werden, weil, unvollendet auf dieser Erde, ich dort vollendet werden muß." Hier hat man den Kern des rationalen Todesproblems, einen logischen sicheren Vernunftschluß, bedingt durch die Vollkommenheitsgewißheit des Rationalismus, der die Unsterblichkeit einfach fordert und des Überwirklichen entkleidet. Allerdings tönt Creuz hier tiefer als sonst seine Zeit: hienieden gäbe es keine Glückseligkeit, „nur Schattenbilder sind's, womit die Seele spiegelt". Die Theodizee, der vernünftige Gottesbeweis, klärt auch das Unerklärbare. Und wie bei Uz und Wieland muß man auch hier die Benennung des Todes als Freund in den richtigen geistesgeschichtlichen Zusammenhang rücken. Das Bewußtsein vom un1 ) Über den Wert einiger deutscher Dichter, Frankfurt 1771, II, 6; vgl. I, 258ff. über Young; u. II, 3. Vgl. übrigens auch H e r d e r , Suphan V, 291. ») G. J. J a c o b i , Sämtl. Werke, I (1807), 1 2 9 - 1 9 6 ; S. 156, 168, 163; VII, 175ff. In Frankreich vertritt diesen geistesgeschichtlichen Typ früher etwa C h a u l i e u : Oeuvres, Paris 1750, La Mort S. 4 3 - 4 5 ; S. 1 5 1 - 1 5 4 ; 1 5 5 - 1 6 0 . Vgl. auch N e u b e r t , a. a. O. Neue Jb. 1927, S. 188ff.; 195. Jetzt G r o e t h u y s e n a. a. O.
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vermeidlichen Sterben, das Creuzens berühmtes „philosophisches" Gedicht 'Die Gräber' durchwaltet, bleibt ohne den lebendigen, erschütterungsreichen Ausdruck, es ist verhaftet in das hohe, aber frostige Pathos des Aufklärers, das immer dort entsteht, wo er sich zum Übersinnlichen zu erheben sucht. Den Tod nennt er hart, mächtig, ernst, aber deutlich spürt man, wie die Fesseln der traditionellen Denkform einem tiefen und beharrlich ringenden Menschen die Erlösung in eine freiere, gemütsnähere und daher empfindungsstärkere Sphäre verwehren. Die Grabesschauer berühren nicht, denn auch sie sind kalt ersonnen, jedenfalls vermag das Gefühlserlebnis sich nicht echten Ausdruck zu verschaffen1). Zudem sind Grab und Verwesung ähnlich wie für Haller doch nur wieder Anlaß zur stolzen Erhebung über Grab und Ende. Das Gefühl für das Jenseitige scheint im Keime zu ersticken. Nicht so sehr bei dem Anderen, Jungverstorbenen, bei Cronegk, der sich mit seinem, 1760 aus dem Nachlaß veröffentlichten Lehrgedicht 'Die Einsamkeiten' in vieler Hinsicht als Schüler von Young erweist. Seit Brockes greift die rationale Betrachtung und Erwägung des Nutzens der Einsamkeit immer mehr um sich, um dann zunächst innerhalb der Aufklärung in Zimmermanns Werk einen abschließenden Höhepunkt zu finden. An diesem Problem läßt sich vielleicht am deutlichsten das langsame Eindringen sensualistisch-empfindsamer Stimmungen beobachten. Cronegk nun steht am Ende der rationalistischen Aufklärung: zwar die Vernunfthaltung in der endlichen Lösung des Problems bleibt gewahrt, aber sensualistische, sentimentale Züge treten allenthalben hervor, der Gefühlswert steigt, die Ahnung des nahen Todes liegt über dem Gedicht. Glückseligkeit glaubt der Dichter auf Erden nicht zu finden, und in dem Preis des Todes, wie er sich in seinem 'Codrus' oder im 'Olinth' findet — ,,o Tod, erwünschter Port, der Sorgen beste Ruh'" — darf man nicht nur Ähnlichkeiten, auch im Sprachlichen, mit den Märtyrertragödien der Barockzeit suchen, sondern auch eigene Gefühlserschütterung, die dann in sein GeCreuz, Oden und andere Gedichte, Frankfurt 1762, S. 25—3g Der Tod. S. 102—125: erste Fassung der 'Gräber'; zweite Fassuni in: Oden, Frft. 17394, I, 8 1 - 1 6 2 ; vgl. auch I, 153f.; 166ff. II, 61 aus dem 'Seneca'. — P. v. T i e g h e m , La Poésie de la nuit et de tombeaux en Europe. Brüssel 1921, S. 118—125. — Herders wichtige Äußerungen: Suphan V, 290ff.
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dicht hineinwirkt. Auch er nennt den Tod seinen Freund und heißt ihn willkommen; süß sei der Tod, wenn man ihn kennen lernt. Das sind tiefere und wahrere Klänge als bei Creuz und Wieland, das ist nicht der Modeton, den Zachariae anschlägt, der in seinen 'Tageszeiten' die Nacht und den Abend besingt und die 'Vergnügungen der Melancholei' von Warton überträgt oder wie Gray zum Kirchhof, dem Feld des Todes geht, um dort bei den Gräbern Gedanken der Sterblichkeit zu sinnen und der Vergänglichkeit des Irdischen nachzuhängen. Bei Cronegk bereitet sich langsam eine neue Stellung zum Tode vor, hinter der die Unsterblichkeitsfrage dann zurückweicht. Aber der Grund ist noch aufklärerisch: die Tugend leitet den Menschen. „Lernt sterben, doch zuerst lernt leben, wie ihr sollt." Weislich lebe man, um wohl zu sterben. Das Nützlichkeitsprinzip läßt sich vorerst nicht beiseite schieben1). Das Wichtige aber liegt darin; der Tod ist hier nicht nur allein Anlaß zu Überlegung wie bei Cramer, Schlegel und Wieland u. d. a., sondern tieferes Erlebnis; und erst recht nicht reine Formel wie in der anakreontischen Lyrik, bei Hagedorn, Gleim, Götz, dem jungen Lessing und den Nachzüglern, die den flüchtigen Augenblick preisen und die Jugend voll heiterer Lebensauffassung genießen wollen, bevor der Tod ihnen ein Ende macht. Sie flechten den Todesgedanken rein motivisch, spielerisch und ohne Ernst in ihre Dichtung ein. Lessings flottes Jugendgedicht ist in seiner Art typisch für den tändelnden Zeitgeist des Rokoko und ebenso Gleims frivoles Lied 'An den Tod'. „Tod, kannst Du Dich auch verlieben? Warum holst Du denn mein Mädchen? . . . Tod, was willst Du mit dem Mädchen? Mit den Zähnen ohne Lippen Kann Du es ja doch nicht küssen." Solche „Neckereien mit dem Tode" und dann die Wirkung, die sie etwa auf Ewald von Kleist ausgeübt haben, erweisen die gänzliche Unfähigkeit, den Tod wirklich innerlich zu erleben; sie zeigen wie die Stiche Chodowieckis zu Musaeus' 'Freund Heins Erscheinungen' die erschreckende Todesferne einer Zeit, die die !) Cronegk, Schriften, Leipzig 1777 II, 1 — 40 Einsamkeiten; Oden ebd. 161ff.; 169, 161, 164, 204. Codrus I, 222, 236; Olinth S. 292, 317. - Z a c h a r i a e , Poet. Schriften, 1767, III, 108ff.' 115, IV, 91 ff., 130ff„ V, 97, 118, 124.
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Ehrfurcht vor dem Tod verlernt hat. Und solche „Neckereien mit dem Tode" riefen ja dann auch den Widerspruch pietistisch gesinnter Kreise hervor1). Erst ein äußeres Ereignis konnte dem Todesgedanken wenigstens neue Gestalt verleihen. Auch davon lebt ein Widerhall schon in Cronegks Trauerspiel 'Codrus'. „Wie schön ist nicht der Tod, der Tod fürs Vaterland." „Es macht ein edler Tod das ganze Leben schön." Man hat immer wieder die vertiefende Wirkung des siebenjährigen Krieges hervorgehoben, die der deutschen Dichtung frischen Antrieb und erhebenden Schwung verliehen habe; auch den Todesgedanken hebt sie empor. Wie schon im Barock Zinkgref und Opitz, so nahen sich jetzt Cronegk, Brawe, Lessing, Gleim und Kleist, im Abstand Weiße und Uz, dem Tod von dieser Seite, gewinnen neue Ausblicke und einen vertieften ethischen Hintergrund für den Todesgedanken, der freilich im Eigentlichen immer noch todfremd, immer „Gedanke" bleibt und nicht in eine tiefere seelische Schicht hineingenommen wird. Sie preisen den Tod des „freien Geistes", wie schon Creuz, preisen den großen Tod fürs Vaterland, wie Brawe, wie Lessing im 'Philotas': „Ich kann zum Besten des Staates sterben." Philotas pocht auf die „Freiheit, zu sterben, die uns die Götter in allen Umständen des Lebens gelassen haben". Es ist nicht verwunderlich, daß nun wieder Gedanken Montaignes auftauchen: rationale Zeiten werden im Grunde immer die gleiche Stellung zum Tode einnehmen. Auch Montaigne hatte ja die Freiheit des Sterbens gepriesen und gegen die von der Kirche vertiefte Todesfurcht gekämpft. Kleist aber allein hat es wahr gemacht: „Der Tod fürs Vaterland ist ewiger Verehrung wert." So rückt der Tod des freien, überlegten Mannes in ganz neuartige Beleuchtung. Er soll persönlichkeitsstärkend wirken und zur Selbstbesinnung, d. h. zur Vervollkommnung auffordern. Durch ihn erhält der Mensch eine neuere, höhere Glückseligkeit, die sich auf das Bewußtsein gründet, 1
) Gleim ed. Körte I, 92; dazu H. v. Kleist an seine Braut am 3. Juni 1801 und Herder, Suphan 3, 276 Anm. über Trescho. — Lessing I, 90; ebd. S. 29, 46, 70. - G ö t z , DLD. 42, S. 88. Weitere Beispiele gibt F. A u s f e l d , Die deutsche anakreontische Dichtung des 18. Jhds. Straßburg 1907, S. 104ff.; vgl. auch F. J. S c h n e i d e r a. a. O. S. 118f. Zu den Totentänzen der Aufklärung s. B u c h h e i t a. a. O. S. 200ff. ; S. 218 die Schrift von R u s t i n g , Nürnberg 1736.
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Güter für das Allgemeinwohl geopfert zu haben. Das Rationale kann nicht stark genug hervorgehoben werden; dafür zeugt, wie die ganze ethische Todesüberlegung solcher „stoischen Gesinnungsdenkmäler" aus einer Zeit patriotischen Hochdrangs ihre populärphilosophische, klassische Gestalt findet in der 1761 erschienenen Schrift von Thomas Abbt 'Vom Tode für das Vaterland', in der trotz hohen Schwungs mit klarer Abwägung alle vernünftigen Gründe ausgebreitet werden, die den Tod für das Ganze als höchste Krönung des Weisen, als Persönlichkeitsfestigung erscheinen lassen. Er gibt erhöhte Macht in dem Sinne, wie Philotas es meint: „Der Mensch ist mächtiger, als er glaubt, der Mensch, der zu sterben weißl" „Wer zehn Jahre gelebt hat, hat zehn Jahre Zeit gehabt, sterben zu lernen." Der Geist, der in solchen Worten lebt, hat nichts mit der todsüchtigen Mahnung des Barock zu tun, sterben zu lernen1). Es soll nicht das innere Entgegenreifen sein, in dem Sinn, daß der Tod eigene Frucht des Lebens sei, sondern Sterbenlernen, wie es auch Montaigne meint: man beschäftigt sich mit dem Tode, um die Todesfurcht abzulegen, um Herr über sie und dadurch über den Tod zu werden. Man macht das Schicksal zu seiner Tat. Wenn man den Idealtyp der Aufklärung betrachtet, dann ist es charakteristisch, daß nun nicht mehr jenes Wort La Rochefoucaulds aus dem 17. Jahrhundert paßt: „Die Sonne und den Tod kann man nicht mit festen Blicken ansehen." Zwei Lebensauffassungen stehen sich hier gegenüber. Abbt fühlt das Heilige im Opfertod und den Ruhm der Unsterblichkeit, die „neue und große Denkungsart", welche die Liebe zum Vaterland und der Heldentod verleiht. „Römische Tugend" nennt er das; aber über solche Gefühlsgründe stellt er die sachlichen Gründe, die den Tod fürs Vaterland rechtfertigen. Das ist sein Kernsatz: „Mache Dich als einen Endzweck, aber auch als ein Mittel zum Ganzen vollkommener . . . Sterben lernen für das Allx
) Cronegk I, 236, 243, 249; B r a w e , Brutus, Kürschner 72; III, 6; IV, 5; V, 3. Uz a. a. O. S. 163; Gleim DLD. 4, 57 (vgl. G. F i t t b o g e n , GRM. 10 [1922], S. 113—116 über eine außerordentlich bezeichnende Aufnahme eines Motivs; Regner wird übrigens auch bei Zedier angeführt). K l e i s t ed. Sauer I, 263, 266. I, 279 aus dem „Seneca": „Der Tod ist Wollust für mich." — L e s s i n g , Philotas II, 362, 369, 375. — Zum Ganzen vgl. jetzt K ö s t e r a. a. O. S. 153—156; auch D i l t h e y , Erlebnis und Dichtung 1919·, S. 69.
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gemeine erhöht die Summe unseres Vergnügens." Man wird den Tod suchen, um sein Vergnügen vollständiger zu machen, und wird also, wie die Römer, nicht nur das Vergnügen des Lebens, sondern auch des Todes erfahren. „Vergnügen des Todes" aber ist nicht mystisch-lustbetont wie im Barock („Sterbenslust"), nicht Vergnügen m i t dem Tode, sondern Vergnügen t r o t z des Todes, gegen den Tod, nicht todbezogenes, sondern ichbezogenes „Vergnügen", jene heroische Lust, Herr über den Tod zu sein, indem man sich ihn zwingt und zu Nutze macht, indem man ihn sich anverwandelt, wie Luther und wie die Klassik. Und dann führt Abbt noch einen anderen Grund an, dem das VI. Hauptstück der Schrift gewidmet ist: „Man beweist, daß die Liebe fürs Vaterland (wenn man nicht den Beistand einer geoffenbarten Religion genießt) am leichtesten die Furcht vor dem Tode bezwinge 1 )." Deutlicher läßt sich der nüchtern-zweckhafte und verständige, fast „medizinische" Grundcharakter der Zeit gar nicht ausdrücken; er mindert den Wert eines an sich hochethischen Gedankens sofort hinab durch dessen Einbeziehung in solchen Nützlichkeitsstandpunkt: der Dienst an der Gesamtheit trägt zugleich persönlichen Nutzen, Überwindung seiner selbst, Steigerung über sich selbst hinaus, d. h. Rundung zur Vollkommenheit und dadurch Vervollkommnung der Glückseligkeit als des recht verweltlichten summum bonum der Aufklärung. Dies alles ist insgesamt gegenbarock; dort wollte man den Tod nicht verachten, sondern lieben. Gerade dieser neue Wille zur Todesverachtung, zur Überwindung des Todes und der Todesfurcht durch die Vernunft ist Zeugnis für die völlige Todesferne der Zeit und für ihre wesenhafte Unfähigkeit, den Tod in einer anderen als der gedanklichen Schicht zu begreifen, ihn in der seelischen Schicht wirklich zu erleben. Die gleiche geistesgeschichtliche Struktur besitzen Bacon und Montaigne, die geistigen Vorläufer der Aufklärung. Mit deren neuerlichem Einfluß kommt jetzt wiederdas stoische Element, das freilich in seiner barocken Einkleidung und Ausstrahlung von vornherein dem psychischen Bau der rationalistischen Bewegung verhaftet war, gelöst von allen Spannungen, dafür aber verwässert, zur Geltung. Wie denn überhaupt !) A b b t , Vom Tode fürs Vaterland, Reclam, S. 33f„ 44, 56, 63, 85. — Kampf gegen die Todesfurcht: G r o e t h u y s e n a. a. O. 8. 127, 132.
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die Ethik der Stoa über dies Besondere hinaus den Humanitätsgedanken der Aufklärung mitgebildet hat 1 ). Creuz und Kleist dichten einen 'Seneca', Cronegk den 'Codrus', Brawe den 'Brutus', und Sokrates mit seiner erhabenen Todesverachtung wird nicht umsonst dieser Bewegung zum Vorbild. Daß Lessing in einer Zeit, „in der d i e S t i m m e der g e s u n d e n V e r n u n f t zu l a u t e r s c h a l l e t " , gleich im ersten Stück der Hamburgischen Dramaturgie gegen die christliche, d. h. gegen die barocke, todsüchtige Märtyrertragödie, gegen das christliche Trauerspiel eines Calderón und Corneille oder gegen seine Erneuerung in Cronegks Olint und Sophronia' kämpft, daß aber A. W. Schlegel in der Romantik Lessings Einwände widerlegt und den christlichen Gehalt im Trauerspiel betont, das darf wirklich als Symbol für den Wandel des Todesgedankens betrachtet werden. Lessing hat kein Verständnis für das barocke Gefühl eines Gryphius oder Corneille und ihrer Helden, für eine Todesverachtung, die nur der Todeswollust, der religiösen Ekstase, nicht der nutzvollen Überlegung und rationalen Begründung entspringt (und die freilich oft zum bloßen Motiv geworden sein mag). Diese Barockhelden wären ihm wirklich falsche Märtyrer, die „sich mutwillig, ohne alle Not mit Verachtung aller b ü r g e r l i c h e n (!) Obliegenheiten" in den Tod stürzen, „Rasende", die den Tod „freventlich suchen" oder „höhnisch ertrotzen", die „gemartert werden und sterben für ein Glas Wasser trinken" halten. Schon in einem Brief an Mendelssohn vom 18. Dezember 1756 heißt es: „Polyeuct strebt ein Märtyrer zu werden: er sehnt sich nach Tod und Martern; er betrachtet sie als den ersten Schritt in ein überschwengliches Leben; ich bewundere den frommen E n t h u s i a s t e n , aber ich muß befürchten, seinen Geist in dem Schöße der ewigen Glückseligkeit zu erzürnen, 1
) F. G ü n t h e r , Die Wissenschaft v o m Menschen, Gotha 1907, S. 118—121. — Unter den englischen Deisten knüpft besonders T o i a n d , gleich Montaigne und Spinoza, an die antike, stoische Moralphilosophie an. Der zweite seiner 'Briefe an Serena' (1704) handelt von der heidnischen Unsterblichkeitslehre, und in seinem 'Pantheisti kon' (1720) heißt es in der Liturgie: „Wir forschen nach dem Grund der Dinge, damit wir das Leben heiter und den Tod ruhig ertragen.' Die Philosophie gebe die Ruhe des Lebens, nehme die Schrecken des Todes. Geburt ist Anfang und Tod für immer das Ende. H e t t n e r a. a. O. S. 165ff.
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wenn ich Mitleid mit ihm haben wollte 1 )." Gegenbarocker kann man nicht denken. Eine neue Auffassung des Tragischen bahnt sich hier an, die auch für das Problem des Todes wichtig wird und auf Schiller vorweist: man soll den Tod dem Begriffe nach vernichten, da man ihn will. Abbt gehört schon der Trivialaufklärung an, und sie ist es ja gerade, welche die Religion durch Moral ersetzt und nun auch an Stelle der Kirche die Todes- und Unsterblichkeitserwägung der Durchschnittsgebildeten in der Mitte des Jahrhunderts beeinflußt hat. Leibniz ist ihr Vater, aber bereits in jener verwässerten Form, die Wolff seinen Gedanken gegeben hat. Dieser sagt schon klar — und Gottsched spricht es ihm nach —, daß die Seele nach dem Tode unter Fortdauer ihres moralischen Bewußtseins zu noch größerer Vollkommenheit gelange, daß der Zustand des Menschen nach dem Tode „als ein Teil der Welt und zwar wegen seiner unaufhörlichen Dauer als der vornehmste Teil" derselben betrachtet werden müsse. Doch auch Wolff schon bringt den platten, ja letzterdings unmoralischen Gedanken, nur die Erwägung der Unsterblichkeit trage zu einer wahrhaften Ausübung der Tugend bei; er leugnet also, wie schon Thomas Morus, den sittlich freien Antrieb zum Guten ohne Aussicht auf Belohnung. Das ist jene Überzeugung, die in ihrer ganzen hohlen Dürftigkeit später Sebaldus Nothanker sich zueigen macht: ohne Hoffnung auf ein zukünftiges Leben mit Lohn und Strafe fielen alle Beweggründe zur Tugend fort, während die Ansicht des Majors, man habe das Rechte allein um des Rechten, nicht um der Belohnung willen zu tun, später in Lessings „Erziehung" zum Inhalt eines neuen, ewigen Evangeliums wird. Der Wille, in allem das Gute zu sehen, der Wille zur %Vollkommenheit und Glückseligkeit besitzt in seiner Starrheit, in dem unerschütterlichen Optimismus trotz aller Plattheit, in die er zuweilen ausartet, doch zutiefst den Charakter eines sehr geistigen *) R. P e t s c h , Lessings Briefwechsel mit Mendelssohn und Nicolai über das Trauerspiel, Leipzig 1910, S. 83; ebd. S. 93. — K ä s t n e r hatte 1742 unter gewissen Bedingungen das christliche Trauerspiel in seinen 'Gedanken über die christliche Tragödie' anerkannt; Belustigungen d. Verst. und Witzes III, 1742, S. 1 1 6 - 1 2 5 . A. W. S c h l e g e l s Ansicht in den Wiener Vorlesungen über dramatische Dichtkunst und Literatur; ed. A m o r e t t i , Bonn 1923, II, S. 56f. (Heidelberg 18172 S. 187ff.).
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und edlen Ethos; dieser Wille zwingt ja den Aufklärer geradezu, im Tode, soweit er ihm Beachtung schenkt, notwendig das Gute oder wenigstens den Anlaß zum Guten zu sehen, da er der äußerliche Übergang zu der höchsten Stufe der Glückseligkeit ist. Jerusalem, dessen philosophische Schriften Lessing 1776 aus dem Nachlaß herausgab, sieht im Tode den „Übergang zu einem neuen Zustand . . . zu einem höheren Grade von Vollkommenheit". Schlechthin klassischen Ausdruck aber erhält die ganze Unsterblichkeitshoffnung der Aufklärung mit ihrer einzigartigen Klammerung durch den Willen zum Guten in Moses Mendelssohns 'Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele' von 1767, einer Schrift, die ungeheures Aufsehen hervorrief und von größtem Erfolg begleitet war1). Das dritte Gespräch dieser in rationalistischem Geist gehaltenen Erneuerung des alten platonischen Dialogs bringt die entscheidenden Sätze. Mendelssohn beantwortet die Frage Abbts, ob zu der Menschen Existenz auf der Erde noch eine Fortdauer gehöre, ob sich dort der Knoten löse, mit der allgemeinen, bekannten Vernunftüberlegung, daß, — wie es in seiner Addisonbearbeitung Gottsched den in Piatos 'Phaedon' lesenden Cato aussprechen läßt, — dem Menschen „das Hoffen und Verlangen, ein unaufhörlich Glück und Leben zu empfangen2)," von Gott tief eingegeben sei; denn Gott, der den Menschen auf das Zärtlichste liebt und das Beste mit ihm im Sinne hat, könne unmöglich die völlige Vernichtung der Seele wollen. Dieses Fortstreben zur Vollkommenheit, dieses Wachstum an innerer Vortrefflichkeit ist die Bestimmung vernünftiger Wesen, mithin auch der höchste Endzweck der Schöpfung. Aber — das ist Mendelssohns optimistischer Unsterblichkeitsbeweis — „irgendwo auf diesem Wege stillestehen, streitet offenbar mit der göttlichen Weisheit, Gütigkeit und Allmacht". Und in diesen allmählichen Stufengang ordnet sich nun der Tod ein, er, „die längst erwünschte Befreiung von W o l f f , Vernunft. Gedanken < I, § 925; II», § 1, 175; G o t t s c h e d a. a. O. I, § 1083f. - N i c o l a i , Nothanker 1775, II, 119. J e r u s a l e m DLD. 89/90, S. 29, 31. — M e n d e l s s o h n , Kürschner 73, S. 2 5 3 - 3 2 9 ; bes. S. 3 1 8 - 3 2 0 , 325f.; vgl. dazu U n g e r a. a. O. S. 264ff. und zum Ganzen allgemein den ausgezeichneten Abschnitt „Trivialaufklärung" bei K ö s t e r a. a. O. S. 196—228. s ) G o t t s c h e d , Kürschner 42, S. 112; vgl. übrigens auch seine Gedichte, Leipzig 1736, S. 39; III, 198. — G i s e k e , Poet. Werke 1767, S. 457f; 94, 157, 195.
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der Gesellschaft des Leibes", hilft der Seele zum wahren Endzweck ihres Daseins: das ist die „Fortschreitung zur Vollkommenheit". Unbeschadet seines Selbstsinns und des Eigenwertes der in ihm liegenden Glückseligkeitsstufe, wird und darf das Leben nur als ein Mittel zur Glückseligkeit betrachtet werden — so tut es auch Iselin in seiner „Geschichte der Menschheit" oder Ferguson1) — und ebenso nun, als die nächste Stufe im Aufstieg, der Tod, der weiterbringt. „Sobald mir der Tod das gewährt, was das Leben nicht gewähren kann, so ist es meine Pflicht, mein Beruf, meiner Bestimmung gemäß (nämlich zur Glückseligkeit) zu sterben." Die höchste Weisheit liegt erst jenseits des Todes. Diese Stimmung ist weit entfernt von mystischer Todessehnsucht und wahrhaft religiösem Verhältnis zum Tode. Die spiritualistischen und sensualistischen Töne und Klänge in dieser Schrift kommen, soweit sie deutlich vernehmbar sind, auf die Rechnung Piatos und dann besonders Leibnizens und Shaftesburys ; deren ästhetischharmonische Welt- und Menschenansicht wirkt verfeinernd auf den starren Intellektualismus der rationalistischen Welterklärung und Unsterblichkeitshoffnung, die sich in ihren Abstufungen bis zur äußersten Plattheit und Selbstgefälligkeit, etwa bei Cramer und Schlegel, aber auch bei Nicolai, bei Wolff und Gottsched erschreckend offenbart. Jedoch wesensbestimmend bleiben auch in Mendelssohns Stellung zum Tode und zum Jenseits die rationalen Gründe, und auch die sensualistischen, oft schon empfindsamen Züge und WTorte in der Erwägung des Todes, wie man sie bei Martin Crugot in seinem 'Christ in der Einsamkeit' (1756) oder in Zimmermanns Werk 'Über die Einsamkeit' von 1786, bei Dusch oder bei Engel in seinem vielgelesenen 'Philosophen für die Welt' finden kann, dürfen trotz aller inneren Unsicherheit, etwa bei Zimmermann, über den meist ganz aufklärerischen Grund der Todesbetrachtung keinen Zweifel entstehen lassen. Hier ist der neue Ton oft nur Formel und Mode, er entspringt noch nicht dem neuen Lebensgefühl2). Im Grunde spürt man hierund auch bei Mendelssohn die hochmütige und kalte Verachtung !) I s e l i n , Carlsruhe 1784 I, 80, 85, 87, 124, 131: S t u f e n der Glückseligkeit. — F e r g u s o n a. a. O. S. 137-141, 1 4 1 - 1 4 9 : Von den G r a d e n der Glückseligkeit und den Mitteln der Verbesserung. *) Über C r u g o t , der nicht zugänglich war, vgl. B a r n s t o r f f a. a. O. S. 63f. Z i m m e r m a n n , Über die Einsamkeit, 1786, III,
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des Todes, als einer Erscheinung, die nicht selbständig herrscht, sondern nur dient und dem zweckhaften Bau eingeordnet wird. Yon Winckelmann ist bezeugt, daß er den 'Phaedon' Mendelssohns oft und mit Bewegung las. Jugendliche Skepsis am Jenseits weicht bald. „Endlich, schreibt er kurz vor seinem Tode, wird die Ruhe kommen in dem Ort, wo wir uns sehen und zu genießen hoffen I woran ich ohne die innigste Bewegung und ohne Freudentränen nicht gedenken kann. Dahin will ich wie ein leichter Fußgänger, wie ich gekommen bin, aus der Welt gehen 1 )." Vielleicht, daß der griechisch gesinnte Winckelmann doch noch stärker in der aufklärerischen 'Phaedon'-Bearbeitung das Platonische herausfühlte als seine Zeitgenossen; jedenfalls, in diesen Worten lebt etwas, das über die Aufklärung hinausweist. Lessing knüpfte an den großen Kunstforscher an in jener Schrift, deren Schluß das Persönlichste über sein Todempfinden und das seiner Zeit sagt: 'Wie die Alten den Tod gebildet'. (1769.) Von der leichtsinnigen Art seiner Jugend, in der der Tod lediglich als Motiv keck und frivol behandelt wird, macht sich Lessing bald frei. „Die Innerlichkeit seines moralischen Bewußtseins" bricht geläutert durch. Ein ernsthaftes und tiefes Nachdenken über die Unsterblichkeit zieht sich durch sein ganzes Leben und läßt ihn nicht mehr los. 1755 bucht er in seiner Besprechung von Mendelssohns 'Empfindung' dessen Beweis, daß der Weltweise sich den Selbstmord untersagen müsse, „welcher den Tod nicht als eine Zernichtung, sondern als einen Übergang in eine andere und vielleicht glücklichere Art von Fortdauer betrachtet" 2 ). S. 159; IV, 198f. ; 208. Eine Schrift Zimmermanns über die 'Koketterie des Sterbens', die Schleich, Das Problem des Todes, 1920, erwähnt, konnte nicht nachgewiesen werden; auch Goedeke verzeichnet sie nicht. — J. J. D u s c h , Briefe zur Bildung des Geschmackes II, 1766, 17. Brief S, 317 — 336; 18. Brief, S. 3 3 7 - 3 6 4 über Youngs Nachtgedanken. D e r s . Moral. Briefe, 1759, 15. Brief, S. 205 — 220; bes. S. 206ff. ; 219ff. - J. J. E n g e l , Der Philosoph für die Welt, I, Carlsruhe 1782, 13. Stück S. 1 1 7 - 1 4 6 'Über den Tod'; vgl. II, 24. Stück: Über die Immaterialität der Seele. x ) K. J u s t i , Winckelmann I, 1886, S. 62ff. — Versuch einer Allegorie, Leipzig 1766, S. 80 — 81 „Tod". ') VII, 53; vgl. dazu die Bemerkung in einem Brief an Mendelssohn bei Petsch S. 66: „Unter tausend Menschen wird nur ein Weltweiser sein, welcher den Tod nicht für das größte Übel und das Todtseyn nicht für eine Fortdauer dieses Übels hält." Auch I, 152.
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Und daß Erhöhung der Zweck der Schöpfung sei, diesen echt aufklärerischen Gedanken hatte er erst kurz zuvor in Curtius' Lehrgedicht ausgesprochen gefunden, jenen Gedanken der stetigen Entwicklung und immer wachsenden Vollkommenheit, um den fortan Lessings ganzes Sinnen kreist, der immer wiederkehrt und ihm die Frage nach Unsterblichkeit und Seelenwanderung lösen hilft. Im Kern lag er schon verborgen in seinem Gedicht von 1753 über die menschliche Glückseligkeit. Lessing läutert diesen Gedanken zu der höchsten ethischen Stufe, dessen die Aufklärung fähig ist, in seinem Vermächtnis, der 'Erziehung des Menschengeschlechts' empor: sie führt zu jener idealen Religion der Menschlichkeit und dem neuen ewigen Evangelium, wo der freie moralische Mensch das Gute um des Guten, nicht um der Aussicht auf Belohnung willen tut. Schon früher hatte Spinoza in seiner Ethik und dann am Anfang des Jahrhunderts Shaftesbury als Höchstes die Ausübung der Tugend um der Tugend willen gefordert und Hoffnung auf das Jenseits nur dann für ethisch erklärt, wenn sie aus Liebe zur Freude an der Tugend oder aus der Sehnsucht nach Betätigung und Ausübung der Tugend in einem anderen Leben fließe; Tugend aber um des Lohnes willen und aus Todesfurcht und Sehnsucht nach Leben sei nicht tugendhaft 1 ). Dies ist auch die Meinung Diderots oder Friedrichs des Großen. Überall also, wie bei Lessing, ein Sichfreimachen vom Jenseits und das Streben nach der Unabhängigkeit des moralisch religiösen Prozesses, ohne daß damit doch die Unsterblichkeit geleugnet wäre. Die Annahme der Seelenwanderung ist für Lessing die notwendige Folge dieser Autonomie des sittlichen Bewußtseins; denn sie erfüllt das ewige Streben nach Vervollkommung über den Tod hinaus in anderen Lebensformen. So bleibt trotzdem die völlige und ausgesprochene Diesseitigkeit von Lessings Lebensgefühl auch im Verhältnis zum Transzendenten gewahrt, und trotzdem kommt er zur Überwindung des Irdischen. Die „Wissenschaft des Zukünftigen" schätzt er nicht hoch, die Gegenwart *) S h a f t e s b u r y , Untersuchung über die Tugend. Deutsch von Ziertmann, Phil. Bibl. 110, S. 41f. — V a u v e n a r g u e s a. a. O. Nr. 670: „Nur dann hat man ein Recht, den Verlust des Lebens zu beklagen, wenn man sich beklagt, weil man das Leben liebt, nicht weil man sich vor dem Tode fürchtet."
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soll den Menschen erfüllen, sie gibt Gelegenheit zur Selbsterziehung. „Wenn es auch wahr wäre, daß es eine Religion gäbe, die uns von jenem Leben ganz ungezweifelt unterrichtete, sie sollten lieber dieser Religion kein Gehör geben 1 )." Solches Diesseitsgefühl bestimmt nun auch Lessing Stellung zum Tode. Er sagt nicht viel darüber; aber die Inbrunst, mit der er in seiner kleinen Schrift die Meinung bekämpft, die Alten hätten den Tod als Skelett dargestellt, läßt doch das ganz Persönliche seiner Überzeugung spüren. Die symbolische Abbildung des Todes bei den Alten als Zwillingsbruder des Schlafs, als Genius werfe, so schreibt Nicolai, zugleich auf ihre Meinung von der Unsterblichkeit der Seele ein höchst vorteilhaftes Licht. Und dies eben t u t die christliche Vorstellung nicht, die dem Menschen zuerst entdeckte, daß auch der natürliche Tod die Frucht und der Sold der Sünde sei. „Aber den Tod für eine Strafe zu halten, sagt Lessing, das konnte, ohne Offenbarung, schlechterdings in keines Menschen Gedanken kommen, der nur seine Vernunft brauchte." So ist es die christliche Religion, die das „alte heitere Bild des Todes" durch ein widerliches ersetzt hat 2 ). Aus dieser Abneigung und Empörung Lessings erhellt der optimistische Eudämonismus der Aufklärung, die hier in ihrer neuen autonomen Lebensüberzeugung getroffen und verletzt, ganz entschieden gegen das supranaturalistische Weltbild des Christentums kämpft und im abstrakten Denken wie im konkreten Versinnlichen und Bilden das Heitere und Vollkommene fordert; auch die Religion und die Kunst, wenn sie zu den Gläubi1
) X V I , 400; dazu D i l t h e y a. a. O. S. 148ff. — Belegstellen: I, 152, l S 2 f f . ; III, 345; V, 374ff.; X I I I , 415ff. H. K o f i n k , Lessings Anschauungen über die Unsterblichkeit und Seelenwanderung, Straßburg 1912, S. 154ff.; F i t t b o g e n a. a. O. S. 269ff.; 285ff.; U n g e r a. a. O. S. 269ff; Fr. K o c h , Vierteljahrsschrift VI (1928), S. 1 1 4 - 1 4 3 . 2 ) X I , 1 - 5 5 ; I X , 77; X I X , 339. - Auch auf der Bühne will man den schönen Tod: man sehe die 'Abhandlung, daß die Nachahmung der Sache, der man nachahmet, zuweilen unähnlich werden müsse' in den 'Neuen Beiträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes' I, 3, 1750, S. 4 9 9 - 5 1 1 ; bes. S. 508f. bei Tod und Sterben: „Diese Bilder müssen den Vorbildern unähnlich werden (z. B. Röcheln und Zucken), man wird dasjenige, was bei dem schrecklichen Augenblicke des Todes noch süßer und sanfter wahrgenommen werden kann . . . zu der Vorstellung des Todes brauchen können, kurz, man wird selber eine Art des Todes schaffen müssen, die sich jedermann wünschen möchte und keiner erhält". Zum Problem vgl. S e x a u a. a. O.
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gen sprechen, müssen überall „auf das Schöne zurückbringen". Diese letzten Sätze der Abhandlung haben zeitsymbolischen Charakter. In der Schicht einer ästhetischen Moral wurzelt letztlich die sich dem Gesamtbau des aufklärerischen Denkens sinnvoll einordnende Todesbetrachtung Lessings und mit ihm die der Aufklärung: man verachtet den Tod entweder hochmütig oder, wenn man ihm nahetritt, will man ihn — auch auf der Bühne — schön sehen, vollkommen und zur Vollkommenheit führend. In solch aesthetischer Lösung der Frage ruht zuunterst die sittliche Kraft, die sich die Einheit ihres Weltbildes erhalten will, eines Weltbildes, das letztlich in seiner Reinheit auf Shaftesbury und Leibniz zurückgeht, das die Vollkommenheit und die glückselige Harmonie will, den heiteren, ruhigen Einklang von Natur und Mensch, von Teil und Ganzem, von der Einheit und der Vielheit, kurz den Kosmos, wo das Schöne zugleich das Gute bedeutet, Ethisches mit Ästhetischem sich unlöslich verknüpft und der Einzelne, also auch der Tod, im zweck- und sinnvoll bedingten Verhältnis zum Ganzen steht. Es bildet sich ein neues Humanitätsideal des in seinen Affekten ausgeglichenen Menschen mit der harmonischen Entfaltung der Persönlichkeit, jenes Ideal, das später in der Klassik seine Vollendung erhält. Auch die Aufklärung kommt in ihren geistigen Vertretern zu der Erkenntnis des „Stirb und Werde". Wo man schärfer den Blick auf den Tod heftet — das aber tut die Mehrzahl eben nicht — , enthüllt sich sein tieferer Sinn. Nach Leibniz müssen notwendig alle scheinbaren Unvollkommenheiten der Welt zur Vollkommenheit des Ganzen dienen; und in seiner Monadologie sind Geburt und Tod nicht Grenzen, sondern nur Durchgangspunkte im Leben der ewig lebendigen Monade, nur Formwechsel, Formveränderung, nicht Anfang und Ende. Tod ist nur Verpuppung und Wandlung, wie Geburt nur Auswicklung ist. Tod ist nicht „annihilation", Geburt nicht „creation". Ebenso sagt es Shaftesbury, der an sich metaphysischen Spekulationen abhold war und seine Überzeugung nicht so deutlich und klar aussprach wie Leibniz; es ist geistesgeschichtlich wichtig, daß der deutsche Philosoph, der in des Engländers „Rhapsodie" wahrhaft überrascht und ergriffen seine eigene Theodizee vorgedacht fand, als das dort Fehlende „mon banissement de la Mort" empfand, die Verachtung des Todes, d. h. also seine rationale Einordnung in den
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) Sie fehlt freilich auch nicht bei Shaftesbury, nur ist sie nicht systematisch gewendet. Die Stelle ist abgedruckt bei Z i e r t m a n n a. a. O. S. XV. — A. B a c h e r a c h , Shaftesburys Optimismus und sein Verhältnis zum Leibnizschen, Diss. Straß burg 1912 erwägt diese Frage nicht.
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Zügen1), und der ethisch-philosophische Lebensbegriff Leibnizens wird in der Hand von Wolff und den Popularphilosophen entstellt und verwässert und so schließlich in einen sehr ungeistigen, hohlen und selbstgefälligen Rechtsanspruch auf Leben und Glückseligkeit verwandelt. Hier aber wird er wieder in seiner geistigen und hochethischen Reinheit erkannt und verkündet, und im Munde Mendelssohns und Lessings haben die Gedanken, es dürfe keinen Rückgang und keinen Stillstand geben, schon erworbene Ethik dürfe nicht mehr verloren gehen, einen ganz anderen, den alten, tiefen Klang. Man wird es gesehen haben: trotz allem will die Aufklärung kein inneres Verhältnis zu den Nachtseiten des Lebens und zu den dunklen abgründigen Mächten; Todessehnsucht bleibt ihr fremd; sie ist vordergründig, sie will das „Klare", Helle, will „lucidus ordo". Dilthey s scharfes Wort über die Tragödien Addisons, Voltaires, ja über Lessings 'Emilia' kennzeichnet treffend die ganze Zeitstimmung. „Der Zusammenhang des Handelns, Leidens und Sterbens mit den letzten Gründen unseres Daseins wird nirgends sichtbar 2 )." Die entschlossene und geistnotwendige Richtung allein auf den Unsterblichkeitsgedanken, die Forderungen und Begründung der Unsterblichkeit hauptsächlich aus moralischen Erwägungen heraus sind der Kern im Verhältnis zum Tod. Man räumt dem Tod keine Herrschaft im Leben ein, denn, sagt Vauvernargues, „wir können das Leben nicht unrichtiger beurteilen, als wenn wir es vom Tode aus sehen". Der Tod x
) L e i b n i z a. a. O. VT, 152, 169. — S h a f t e s b u r y : Moralisten. Deutsch von Frischeisen-Köhler, Phil. Bibl. I l l , S. 60, 62, 75, 86, 160ff.,174; dazu D i l t h e y , II, 405ff. - L e s s i n g : X I I I , 165 (1778). N i c o l a i : Aner, Der Aufklärer Nicolai, Diss. Gießen 1912, S. 71; 75. — E n g e l a. a. O. S. 142ff. — Über die französischen Materialisten: H e t t n e r a. a. O. S. 319f. ; 356. Man sehe auch die Stelle bei F e r g u s o n a. a. O. S. 116 : jedes Glied in der Reihe der Dinge habe seine Einrichtung und Absicht zur Erhaltung des Ganzen. „Die entferntesten Dinge sind in Verbindung gebracht, um zu gemeinschaftlichen, heilsamen Zwecken zu wirken." Allgemein K. W o l l f , Das Theodizeeproblem, Diss. Berlin 1909, S. 73ff: Einzelübel und Allharmonie; außerdem S. 49ff. ; 96ff. s ) D i l t h e y , Erlebnis S. 15. Vgl. G r o e t h u y s e n a. a. O. S. 187. ,,Der Tod hatte aufgehört, für die Menschen der Aufklärung ein Mysterium zu sein. Es fehlt hinfort der tragische Hintergrund des Lebens . .
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wird wohl zum Leben in Beziehung gesetzt, aber von einer bewußten Immanenz des Todes im Leben oder von einem Entgegenreifen zum Tode zu sprechen, wäre beim Rationalismus widersinnig. Daß der Tod lebenformend sei, das erkennt die Aufklärung nicht an, wiewohl sie vom „Stirb und Werde" und vom unzerstörbaren Leben spricht. In das Letzte dringt sie freilich nicht hinab. Aber auch die Lebensauffassung der Aufklärung wird erst in der Nähe des Todes ganz durchsichtig, auch sie braucht den Tod unbewußt, um ihr wahres todfernes Wesen zu erweisen. Die Aufklärung gibt ihr Bestes, wenn sie gezwungen wird, den Tod zu überwinden, indem sie ihm die Schrecken, das Furchteinflößende nimmt und ihn dem Zweck des Ganzen dienen läßt, so daß auch er „wie alles harmonisch mitwirkt zur Vollkommenheit, zum Leben, zum Wohlsein des Ganzen". (Shaftesbury.) Denn zunächst steht der Aufklärung der Tod als ein gewalttätiges und sinnloses Wesen außerhalb der Weltordnung und daß sie ihm nun einen Sinn abzwingt, ihn ein- und unterordnet, darin liegt die große und staunenswürdige Tat, die nur aus der sieghaften Kraft der Anverwandlung auch des Entgegengesetzten herausgeboren werden kann. Das ist der Kampf gegen den Tod, der nun nicht so urtümlich wie in der Reformation, nicht in der religiösen Schicht, sondern abstrakter, geistiger, allein in der ethisch-philosophischen ausgefochten wird. Vom christlichen und streng dogmatischen Standpunkte aus, der aber in der Aufklärung sein Gewicht im Kampf um eine neue Lebensanschauung eben verloren hat, bedeutet das freilich keine eigentliche Todesüberwindung, sondern nur eine Todesverachtung, die am eigentlich christlichen Problem des Todes vorbeigeht und es nicht lösen kann: der Christ erkennt diese andere, undogmatische Lösung jedenfalls nicht an und spricht von der „Todesverlegenheit" des Rationalismus1). Gerade in dieser vollkommenen Säkularisation der Todeserwägung und Todesüberwindung aber, in der völligen Herausnahme aus den religiösen Stimmungen und dogmatischen Bezügen ruht der grundstürzende Unterschied von den vorausgehenden, besonders christlichen Jahrhunderten, in der großartigen Wendung zum Leben ruht der tiefe Unterschied vom Barock: „vitae, non mortis meditatio." !) Groethuysen a. a. O. S. 104, 130.
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Allerdings, daß der Tod eben Selbstverwirklichung, daß er Prüfstein sei, dieses Bewußtsein der Bedeutung des Todes für das Leben und ihrer inneren unlöslichen Einheit spricht dann innerhalb einer erweiterten und vertieften rationalen Überzeugung nach der Reformation erst wieder die Klassik aus. Aber die Aufklärung bereitet den Weg zu den Höhen der Klassik; hier liegen die Keime zu einer neuen Idealität des Lebens und Sehens. „Totsein hat nichts Schreckliches, und insofern Sterben nichts als der Schritt zum Tctsein ist, kann auch das Sterben nichts Schreckliches haben." Diese sieghafte Überzeugung Lessings macht sich dann die Klassik zu eigen ; sie hebt alles auf eine noch geistigere Stufe und erreicht die Höhe einer rationalen Wertung des Todes, die überhaupt mit solchen Mitteln zu erreichen ist. So verläuft der eine Strom; der andere rauscht daneben, zunächst unterirdisch, dann tritt er schwellend und brausend hervor und bringt das andere: das Todes-Erlebnis. Denn immer nur in zwei Lebensformen kann sich der deutsche Geist betten; aber sie bilden eine höhere Einheit in dem Sinne, daß nach Diltheys schönem Worte „alle Lebensansichten irgendeine Seite dieses Unergründlichen" gewahren.
IX. K a p i t e l
EMPFINDSAMKEIT
UND STURM UND DRANG „Ist am Ziel denn nicht Vollendung ? Nicht im Tale des Todes Wonnegeeang?" Klopstock
D
as 18. Jahrhundert besitzt nicht mehr wie die früheren Zeiträume die Einheitlichkeit des Gesamtbildes und die Geschlossenheit des Weltbegreif ens. Nicht mehr e i n e Richtung prägt das Gesicht des Jahrhunderts und gräbt die beherrschenden Züge. Gegensätzliche geistige Strömungen treten an die Oberfläche, gleichzeitig vorhanden und gleich sichtbar, nur daß einmal diese Strömung stärker und ausschließlicher anschwillt, dann einmal die andere. Rationalistische und irrationalistische Einstellung zur Welt trifft man nebeneinander an. Nun, im 18. Jahrhundert, tritt neben eine zunächst durchaus rationale Bewußtseinshaltung, die selbst wieder nur als Gegenwirkung gegen die vorausgehende, überwiegend religiös gerichtete Zeit betrachtet werden kann, eine solche, in der die alte Stimmung wieder elementar hervorbricht, in der die Kräfte des Herzens wieder frei werden, wo der Anschluß an die früheren Zeiten wieder erreicht ist. Doch nur wo das Rationale noch deutlich vorhanden ist, kann das Irrationale sich seiner selbst bewußt werden. Die Aufklärung bleibt eben in der ganzen Linie auf dem Felde stehen, und es entwickelt sich nun ein spannendes und wechselndes Ringen dieser zwei geistigen Grundhaltungen, in dem bald die eine oder die andere vordringt oder zurückweicht, beide voneinander lernen, sich anziehen und sich wieder abstoßen. Jede geht ihren Weg weiter: von der Aufklärung führt der eine Weg hinauf zu den Höhen der Klassik, von der Empfindsamkeit, der Geniezeit der andere zu denen der Romantik. Um die Mitte des Jahrhunderts wandelt sich das Weltempfinden. In Klopstock bricht plötzlich etwas Neues mächtig durch. Er zieht ja seine tiefsten Kräfte aus jener Strömung, der
Empfindsamkeit
und Sturm und Drang
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Gefühl und Innerlichkeit das Höchste sind, seine Wurzeln reichen hinab in das fruchtbare Erdreich eines starken Gottesglaubens. Der Pietismus vor allem mit seinem Streben nach unmittelbarer Erlebniswahrheit, nach Ursprünglichkeit und seelischer Ergriffenheit ist es, der das starre und verständige Vernunftgebäude der Aufklärung unterhöhlt und nun auch in die weltliche Dichtung als Empfindsamkeit überströmt und die eigentlich dichterischen K r ä f t e lockert. Das Irrationale braust wieder mächtig hervor, man hört auf seine eigenen Seelenschwingungen und hat ein ehrfurchtsvolles Ahnen um die geheimnisvoll raunenden Seelengründe, um die dunkleren Bezirke des menschlichen Herzens, die jenseits aller rationalen Bewußtheit liegen und nur dem Gefühl sich offenbaren. Wie der Pietismus, wie früher schon die Verkünder der „Docta ignorantia", Cusa oder der sich so subjektivautonom empfindende Sebastian Franck, so fordert nun auch Young, gleichsam in neuer verweltlichter, aber religiös erfüllter Art, das neue Selbsterleben und Selbsterfahren, und er ahnt auch das Mystische darin: „Horche tief in deiner Brust, lerne die Tiefe, den Umfang, den Hang und die ganze Stärke Deiner Seele kennen; stifte eine Vertraulichkeit mit dem Fremdlinge, der in Dir ist . . . habe für Dich selbst Ehrfurcht 1 )." Man fühlt den Gott in der eigenen Brust und wird seiner gewiß, man hört auf das feurige und fühlbare Herz mit seinen ewig wallenden und wogenden, erschütterungsreichen Empfindungen, die auf alles antworten. „Leben ist für uns gleichbedeutend mit Fühlen", sagt Rousseau und faßt damit nur zusammen, wie alle dies Selbsterfühlen im Innersten bewegt. Das Gefühl, die Phantasie, kurz alle jene Kräfte, die dem Rationalismus nur als die unteren Seelenvermögen galten, stürmen, lange zurückgehalten, wieder hervor und ergreifen Besitz vom ) Young, Gedanken über die Originalwerke, 1759 (Kleine Texte 60, 1910), S. 24f. Zu Sebastian Franck und Cusa vgl. Cohn, Gesellschaftsideale usw. a. a. O. S. 38. — Allgemein: H a n s R. G. G ü n t h e r , Die Psychologie des deutschen Pietismus, Vierteljahrsschrift I V (1926), S. 144-176 und K ö s t e r a. a. O. Kap. 4. S. 107ff.; 141 — 148 und „Die allgemeinen Tendenzen der Geniebewegung", S. 237ff.; S. 255, 261, 279. F. L i e b , Die philosophischen und religiösen Grundlagen der Sturm- und Drangepoche, Zwischen den Zeiten 1923/24, Heft 7, S. 4 3 - 6 5 ; H. K i n d e r m a n n , Die Entwicklung der Sturm- und Drangbewegung in: Germanist. Forschungen, Wien 1925, S. 119-136. 1
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Empfindsamkeit und Sturm und Drang
Menschen, und willig, fast wollüstig genießend, läßt der Mensch sich wandeln. Überschwang, Rührung und Taumel herrschen wohl, die Dichtung wird „Verkünderin des neuen Glücks", sie wird überhaupt nun im Gesamten Verkündigung. Ihr eignet das Gepräge des Prophetisch-Heiligen und Erhabenen. Denn in ihr waltet wieder ein großes religiöses Gefühl und eine innere Erschütterung. Und in solchem seelischen Zusammenhang erwächst ein neues irrationales, religiöses Verhältnis zum Tode. Ein anderes Gott-, Welt- und Unendlichkeitsempfinden greift auf alles andere befruchtend über. Religion wird wirklich echtes Seelenbedürfnis; man konnte und wollte den Ersatz nicht brauchen, den die Aufklärung bot, nämlich Moral statt Religion. Die Religion ist selbständig; Lavater spricht den Unterschied kurz und bündig aus: „DieTugend hat es mit der Erde, die Religion mit dem Himmel zu tun." Gott ist hier nicht Denkgebilde, sondern Glaubensinhalt, nicht verständiger Baumeister, sondern das ewig zeugende „Urgerne", seine Weltschöpfung ist nicht vernünftige Überlegung, sondern Genietat. Man will Gott nicht in der Endlichkeit erkennen und begreifen, sondern in seiner hehren und fernen Unendlichkeit ahnend verehren und brennend ihn umfassen, will dann wieder vor dem ewig Unergründlichen sich bescheiden, auch hier, bei Hamann etwa: docta ignorantia. Aus der Gegenwart strebt man in das Übergeistige hinaus; einen Zug ins Künftige hat man als das auffälligste Merkmal des Pietismus erkannt. Er wird das Merkmal der Zeit überhaupt; die Aufklärung aber wollte sich gerade nicht mit der „Wissenschaft des Zukünftigen" befassen. Nicht als ob man nun den Augenblick fliehe, als ob man das Diesseits verleugne um des Jenseitigen willen; aber das geschwellte Lebensgefühl war vom Hochdrang religiöser, nicht moralischer Art erfüllt, und das weitete die Grenzen des Seins. Freilich bleib das neue Gefühlsleben nicht immer stark, es konnte auch elegisch weich, empfindsam und erschlaffend werden. Und in diesen gefühlserweichenden Regungen lag die Gefahr, von hier aus geschah die Herabminderung und Trivialisierung, hier setzten die Auswüchse einer unleidlichen Sentimentalität an. Aber vorerst verhelfen die neugeweckten Gefühlskräfte zu dem neuen Todeserlebnis, das dann wohl auch wieder den Hang zur Schwäche vertiefen und das empfindsame Herz erschüttern mochte. Erst jezt wieder kann man von einem eigentlichen Todesgefühl,
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von einem lebendigen Verhalten zum Tode sprechen. Man verlangt einen neuen Ernst gegenüber der Endmacht. Hamann schreibt einmal bezeichnend in einer Trauerschrift von 1752: „Nach der Unempfindlichkeit, mit der wir täglich andere den Weg des Fleisches gehen sehen, sollte man urteilen, daß wir mit dem Tode, ich weiß nicht wie bekannt und durch unser Schicksal geschützt wären." Pyra macht sich darüber lustig, daß man den Tod Schimmel nenne, um ein Reimwort für Himmel zu haben, in den dieser Schimmel die Seele hinaufträgt. Und andere, wie ζ. B. Trescho, erklären sich feierlich „gegen die Neckereien mit dem Tode", wie sie im anakreontischen Kreis, beim jungen Lessing und bei Gleim etwa geübt wurden 1 ). In solchen Äußerungen spürt man, wie sehr der Aufklärungszeit die Fähigkeit zum eigentlich religiösen Erlebnis des Todes fehlte, und gleichzeitig merkt man, wie hier andere Kräfte am Werke sind, die sich gegen solche Dürre wehren und Wandlung schaffen wollen. Was Goethe ganz allgemein von der Zeit seiner Jugend und der seiner Genossen bekannte: „Wir wollten leben und nicht lernen", das gilt im übertragenen Sinn auch hier: der Rationalismus lernte und forschte über Leben und Tod. Die neue Generation wollte nun leben, erfahren und erfühlen, empfinden und genießen, kraft ihres gesteigerten Empfindungsvermögens und der sensualistisch bewußten Sehnsucht nach Ganzheit und unmittelbarer Wirklichkeit ihrer Erlebnisse und Erfahrungen, nach dem vollen Ausschöpfen der Erschütterung ihres Herzens, nach der Erhöhung ihres Ichgefühls. Man will auch den Tod ganz und voll erleben, den Tod, der von den Geheimnissen des Dunkels und des Göttlichen umschauert ist. Aus eigener tiefer Erschütterung erwuchs der Umschwung der deutschen Seele. Wenn nun hier zunächst ein Blick auf ein anderes Land geworfen wird, so soll damit nicht eine Abhängigkeit behauptet, sondern nur dargetan werden, daß in England früher als in Deutschland oder doch weithin sichtbarer und jedenfalls zuerst literarisch geformt die neue, soziologisch bedingte Gefühlsströmung sich lebendigen Ausdruck verschafft hat. Und als ob dies das Mittelste sei, die neue Gefühlshaltung tritt dichterisch zuerst in einer neuen Aussprache, in einer neuen Formung !) H a m a n n , Schriften VIII, 140; für P y r a vgl. Schneider a. a. O. S. 119. Die Stelle war bei Pyra selbst nicht auffindbar. T r e s c h o : Herder, Suphan 3,267 Anm.
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Empfindsamkeit und Sturm und Drang
des Todesgedankens hervor. Vorab dunkle und düstere Empfindungen werden geweckt, eine Stimmung des „Memento mori" greift um sich. Um Krankheit, Tod, Grab und Verwesung dreht sich hier alles; die Poesie der Nacht und des Grabes hat in England ihren dichtungsgeschichtlichen Ursprung. Von Thomas Parnell erscheint 1722 ein Gedicht Ά Night Piece of Death', im gleichen Jahr treten der „göttlichen R o w e " 'Letters from the death to living' hervor, Richard Blair folgt 1733 mit seinem Gedicht 'Das Grab'; in Youngs 'Nachtgedanken', die 1742 erscheinen, erreicht diese Richtung ihre weltliterarische Gestalt. Thomas Warton veröffentlicht 1747 sein 'Pleasure of melancholy', James Hervey schreibt 1748 'Meditations among the Tombs', und schließlich ruft 1751 Gray mit seiner berühmten 'Elegy written in a country church-gard' allenthalben Bewunderung und Nachahmung hervor 1 ). Gray, die Rowe, aber unvergleichlich stärker Young wirken nach Deutschland hinüber. 1751 erscheinen in Braunschweig zum erstenmal in der klassischen Übertragung von Ebert 'Dr. Edw. Youngs Klagen- oder Nachtgedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit in neun Nächten'. Sie werden in vielen Neuauflagen, in mehreren Nachdrucken über das ganze literarische Deutschland hin verbreitet. Bei Young spürt man wieder wirklich eine religiöse Erschütterung durch den machtvollen Tod, den großen Eigentümer aller Dinge. Deutlich wirkt Miltons Todesgestalt, überhaupt seine christliche Haltung. Furchtbares Grausen mischt sich mit scheuer, ängstlich schauender Liebe; unersättlich, hinterlistig nennt Young ihn, den König des Schreckens (noch Burke spricht es ihm nach), aber auch Fürst des Friedens, denn er ist Befreier aus dem Unwesentlichen zum Wesentlichen, vom Schatten zum Licht. Leben kann hier nur Vorhof sein, nur „Knospe des Daseins, das dunkel anbrechende Licht". „Der Schauplatz des Lebens ist noch verJ) Ausführlich unterrichtet über diesen Kreis P. v. T i e g h e m a. a. O. S. 1 — 38. Die soziologische Seite beleuchtet H. S c h ö f f l e r , Protestantismus und Literatur, Leipzig 1922, S. 86—91, der nachweist, daß diese Dichtungen zumeist von Geistlichen oder Pfarrerssöhnen stammen, die mit der Sphäre von Grab und Friedhof vertraut sind. — Die Wirkung auf Deutschland behandelt ebenfalls T i e g h e m a. a. O. Kap. 2 - 5 ; B a r n s t o r f f a. a. O. S. 23ff. J. L. K i n d , Young in Germany 1902.
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schlossen, und der Tod, der starke Tod allein, kann den schweren Riegel wegheben", er gibt die Flügel, sich in die Sphären zu schwingen, während das Leben die Seele zum Sklaven des Staubes macht. Er ist der große Ratgeber, Befreier, Erretter, „das Ende aller Pein, nicht aller Freude", heißt es dithyrambisch in der 3. Nacht, „denn das Leben lebt erst jenseits des Grabes", und „unsere Geburt ist nichts als der Anfang des Todes." Das ist wieder das alte mystische Gefühl der Todhaftigkeit, das Erschauern vor den Rätseln des Lebens, der Welt und des ewigen Geistes, der durch den Tod erst verherrlicht wird. Denn der Tod hat keine Schrecken, als was ihm das schwache Leben mitteilt, er ist liebreich und göttlich und der Spender höchsten Glückes, der zwar verwundet, aber nur um zu heilen. Ja, der Tod ist der dunkle Zugang zum strahlenden Licht, „der Tod ist des Lebens Krone". So ertönt wieder die alte Mahnung, sich mit ihm vertraut zu machen und sterben zu lernen, aber nicht wie Lessing es meinte. Dieser Sänger der Nacht, die er inbrünstig umfaßt und deren Majestät er fühlt, ahnend, wie alles aus dem geheimnisvollen Dunkel, dem mütterlichen Urschoß, der Nachtseite emporsteigt, er wird ein zum Tod Überredender. Todesseligkeit entzückt ihn und beschwingt auch seine schwermütigen Betrachtungen über das Grab und die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens. Hier hat man wieder die mystische, aus dunklen Seelengründen emporsteigende Empfindungstiefe großer und edler Herzen, aber geläutert durch die metaphysische Einsicht, daß der Tod der entscheidende Endpunkt, der unsichtbar thronende Beherrscher des Lebens ist, nicht untergeordnetes Glied oder moralischer Zweck im großen Ganzen. Das alles ist gegenrational. Die Hoheit des Todes in seinem Amte erlebt Young wieder; auch der Schluß seiner Gedanken über die Originalwerke zeugt davon; Addisons Tod begeistert ihn 1 ). Youngs Wirkung war ungeheuer bei Menschen mit aufgelockertem Gefühlsleben; man nahm ihn wie eine Offenbarung, und neben ihm fand auch ein anderes Zeugnis düsterer Schwermut, von Nacht- und Grabpoesie, von neuem Todempfinden ') Nachtgedanken (deutsch von Ebert, Schaffhausen 1776ff.) I, 18, 25, 68, 81, 86, 195ff., bes. S. 2 1 6 - 2 2 8 . II, 82, 87, 226. IV, 69f., 212, 241. — Gedanken über die Originalwerke a. a. O. S. 43ff. — B u r k e , Vom Erhabenen, Riga 1773, S. 87.
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Widerhall, Macpherson-Ossians
schwärmerisch-leidvolle
Gesänge,
die seit 1760 die W e l t in Bewegung versetzten. Das war das Neue bei Young: hier geschah ein religiöser Durchbruch, hier wurde aus der Fülle des eigenen Herzens gedichtet.
Klopstock verkörpert dies in Deutschland zum ersten-
mal mit gleich hinreißender und innerlicher Wucht.
Tiefe Reli-
giosität wohnt seiner Dichtung ein, auch wo sie nicht religiöse Stoffe besingt.
Ihm war wirklich, wie es in seiner Spätode 'Das
Schweigen'
heißt, „der Gedanke von Gott der erste seiner Ge-
danken".
Das innige und starke Gottvertrauen
des Messias-
dichters spricht sich allüberall in seinem verkündigenden Werk aus, welches das persönlichste, offenste Zeugnis und Bekenntnis seiner religiösen und menschlichen Empfindung, seiner feierlichen, heilig-erhabenen Stimmung wird wie nur noch bei Dante.
Um
Gott und Unsterblichkeit und die Unendlichkeit der Schöpfung kreist sein Sinn immer wieder, um den Erlösertod des Heilands und um das Jenseits. Nach dem Irrationalen und Transzendenten allein richtet sich Klopstock aus. gängnis", so sagt Gundolf, „das
„Unsterblichkeit und Ver-
sind die beiden Beziehungen,
unter denen er die W e l t von Gott aus erfährt.
Immer wieder er-
hebt oder erschüttert er sich an diesen beiden Grundtatsachen, wodurch er sich seiner Kleinheit als irdisches Wesen und seiner Hoheit als Gottesgeschöpf und als erlöste Seele bewußt w i r d 1 ) . " Klopstock hat ein lebendiges und ehrfurchtsvolles Erlebnis aller Weltmächte, auch des Todes.
Dieser trägt wieder das Gepräge des
Großen und Mächtigen, er ist wieder der Bote des Göttlichen. Man verlangt auch nach der großartigen und erhabenen Anschauung. Nichts zeigt den Gegensatz stärker als dies, 1740 in seiner kritischen 'Abhandlung in
daß Bodmer noch
von dem Wunderbaren
der Poesie' Miltons hochstrebende Phantasie gegen die Gott-
schedianer verteidigen, die Möglichkeit der Personifikation abstrakter Vorstellung erweisen und so auch die innere Wahrscheinlichkeit der Miltonschen Darstellung von Tod und Sünde erhärten mußte.
Klopstock schafft nun die Gestalt des erhabenen, düster
ernsten Todesengels Abbadona 2 ). Darauf kommt es an, nicht, daß !) Fr. G u n d o l f , Hutten, Klopstock, Arndt, Heidelberg 1924, S. 37. a ) B o d m e r , Crit. Abh. Zürich 1740, 5. Abschnitt: Von den Charakteren und den Handlungen des Todes, der Sünde, der Geister in
Empfindsamkeit und Sturm und Drang
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Klopstock schon bei Milton etwas Ähnliches fand 1 ); es ist die Verdichtung des eigenen, neugelösten, strömenden Todesgefühls, es ist Symbolsetzung seiner eigenen Todeserschütterung. Abbadona schwingt sein furchtbares sprühendes Schwert, mit dem er tötet, wen Gott will; er, der auch dem Erlöser den Tod verkündigen und ihn zur Hölle begleiten muß, ist der erste der großen grausigen Schar der Todesengel, welche die menschliche Seele nach dem Tode geleiten und in dunklem Flug siebenmal das Haupt des sterbenden Erlösers umkreisen. Er, der Engel Gottes, steht auf der untersten Stufe des göttlichen Thrones mit Gabriel, ihn hält Gott als sichtbares Zeichen seiner Allmacht in seiner linken Hand. Alles ist ihm unterworfen, nur die Bewohner der Sterne seufzen nicht unter seiner unerschütterlichen Macht. Auch sonst sieht die gewaltige Phantasie Klopstocks Symbole des Todes und der Vergänglichkeit: in der Hölle gibt es zwar Wälder und Auen, doch rauschen in ihnen Bäche des Todes dunkel von nebelndem Quell, ein Meer des Todes erstreckt sich dort, und eine Sonne geht unter, ein leuchtender Klumpen, aufgeschwollen von schwarzen Beulen des Urstoffs. Das sind keine frostigen Allegorien, sondern lyrisch musikalische Vorstellungen, aus dem Innersten eines lebendigen Herzens und eines wahrhaften Todempfindens geboren. Solches Empfinden weht auch aus Klopstocks religiösem Buchdrama 'Der Tod Adams' von 1757. Wie der Urvater der Menschheit den Tod erleidet, wie ihn die Empfindung des kommenden Todes allmählich dem Chaos .S. 136—172; bes. S. 147f. Auch G e r s t e n b e r g in den Rezensionen der Hamb. Neuen Zeitung verteidigt 1768 diese Gestalten: „Auch die Anarchie des Chaos, die Wache der Sünde und des Todes hat, als ein poetisches Geschöpf, dem die Offenbarung nicht widerspricht, nichts Unförmliches." Sie sind keine bloße Allegorien. DLD. 128, S. 125. Dagegen lehnen Addisson u n d Johnson, aber auch Voltaire diese allegorischen Gestalten ab. E. M e r i a n - G e n a s t , Rom. Forsch. 40 (1927), S. 91f.; auch S. 122f., 177. Vgl. auch E. P i z z o , Miltons Verlornes Paradies im deutschen Urteil des 18. Jhds. Berlin 1914, S. 20ff„ 70, 75, 85. - An das Bild des Todes bei Milton knüpft auch E. B u r k e in seiner 'Untersuchung vom Erhabenen' an: a. a. O. S. 86f. — Zu Abbadona vgl. H. W ö h l e r t , Das Weltbild in Klopstocks Messias, Halle 1915, S. 7, 9 f f „ 19, 22f., 2 6 - 2 9 , 38f. — Aufschlußreich D L D . 7 0 - 81, S. 351ff. (Schönaich). 1 ) Der junge Klopstock stieß sich übrigens auch zuerst an den Allegorien von Sünde und Tod: C. F. C r a m e r , Klopstock, Hamburg 1780, I, S. 37.
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Empfindsamkeit und Sturm und Drang
beschleicht, mit dem Schauer des Fluchs: er solle als einziger aller Menschen des T o d e s sterben, wissentlich und bewußt des Todes, den er durch seine Schuld über die Menschen gebracht hat, während seine Nachkommen entweder sterben oder entschlummern wie sein Sohn Abel, die schöne Seele; wie diese Menschen das erste Mal den eigentlichen, langsamen Tod als physische Erscheinung, dies Erschreckende in ihrem Dasein, erleben, das will Klopstock gestalten: „Aber nun muß ich sterben und alle meine Kinder müssen sterben 1 Es hängt wie ein Gebirge auf mir! Es ist ein entsetzlicher Gedanke 1" Dieses Bewußtsein der unendlichen Schuld und der Erinnerung an seine erste Unsterblichkeit macht dem Urvater den Tod bitter und läßt ihn das ganze Grausen des Todes mit seinen Urschauern erleben, denn in seine innersten Nerven hat sich der Tod tief eingegraben. Der Todesengel selbst naht sich ihm — „ 0 Tod, den ich sterbe." Klopstock fühlte sich innerlich gedrängt, das Problem an der untersten Wurzel, in seiner eigentlichsten, ursprünglichsten, erschütterndsten Form anzufassen, das Todleid in seiner ganzen Urtümlichkeit, mit der es über den ersten Menschen hereinbricht, darzustellen. Daß es ihm nicht völlig gelang, den undramatischen, aber großartig erhabenen Gedanken mit seinem lyrisch - elegischen Empfinden zu bewältigen, fällt nicht ins Gewicht; das geistesgeschichtlich Bedeutende allein ist schon die Wahl des Themas, und es konnte nur aus dem aufgewühlten Inneren eines Menschen mit tiefem Endlichkeitserlebnis kommen. Geßner folgte schon 1758 mit seinem 'Tod Abels' in fünf Gesängen und noch später 1775 der Maler Müller mit seiner sich eng an Geßner anlehnenden Skizze vom erschlagenen Abel. Es ist nur folgerichtig, daß Geßner viel weniger erreichen konnte, was dem Größeren nicht beschieden war; er spitzt das Problem noch zu : die ersten Menschen haben den Tod überhaupt noch nicht gesehen, aber sie fürchten ihn, und er schwebt über ihnen mit dunklen Schwingen, wie eine drohende Wolke. „Der Anblick des ersten Todes wird schrecklich sein, wird euer Innerstes erschüttern." Und nun erleben sie im Brudermord Kains sogleich mit der bittersten Erkenntnis und mit der grausamsten Verdeutlichung, daß der Tod der Sünde Sold sei1). ») G e ß n e r , Kürschner 41, S. 9 9 - 1 8 6 ; bes. S. 1 1 8 - 1 2 1 , 126, 131, 139ff., 148, 155, 163, 173, 175. - M a l e r M ü l l e r : Sturm u.
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Erst in der pathetisch-lyrischen Odendichtung Klopstocks springt der persönlichste Quell seiner religiös erschütterten Innerlichkeit auf, hier tönt auch sein Wissen und Fühlen um Tod, Vergänglichkeit und Unsterblichkeit am vollsten. „Todeston tönt." Auch diese sich öffnende und verkündende Bekenntnislyrik war ganz neu; schon in Langes undPyras Liedern spürt man ab und zu das Persönliche und Innige und wie von ferne das neue Todbegreifen aus der Wandlung des vom Pietismus befruchteten Lebensgefühls heraus1). Doch die andere seelische Stoßkraft und vor allem die weite, wirklich kosmische Vertiefung des Todeserlebnisses bringt erst Klopstock, und er geht in der dichterischen Formung über Young hinaus, dem er wie der Rowe in der zitternden Empfindsamkeit verwandt, im echten und starken Pathos aber unendlich überlegen ist. In der Ode 'An Young' bekennt er: „Stirb! Du hast mich gelehrt, daß mir der Name Tod, Wie der Jubel ertönt, den ein Gerechter singt." Todessehnsucht atmen manche seiner Oden, trübe Stimmung der Einsamkeit; in der 'An Ebert' versenkt er sich, in die Zukunft vorausschauend, mit der Wollust des beweglichen Herzens in den Gedanken, wie alle Freunde jung dahinsterben und er der letzte sein wird. 'Die frühen Gräber oder Rothschilds Gräber' wecken ihn zu „tieferer Todesbetrachtung". „Ernst in Sterbegedanken, Drang ed. K. F r e y e , IV, S. 77ff. — Man sehe auch die in diesen Zusammenhang gehörigen Überlegungen von H e m s t e r h u i s in 'Alexis oder vom goldenen Zeitalter' (1789); Vermischte philosophische Schriften III, Leipzig 1797, S. 1—102; bes. S. 61. „Zum ersten Mal sah der Mensch den Tod unter einer neuen Gestalt, als einen gewaltsamen Zustand: dieser Augenblick des Übergangs, dieser anmutige Augenblick, einst mit Blumen bestreut und verschönert, nicht durch die dem Menschen noch unbekannte Hoffnung, sondern durch die unfehlbare, klare Empfindung einer werdenden, sichtbaren Zukunft, köstlicher noch als die Gegenwart und die Vergangenheit: eben dieser Augenblick schien ihm die Fülle aller Abscheulichkeit: denn die Zeit, wo er, zu seinem jämmerlichen Tröste, den sinnlosen Begriff einer unmöglichen Vernichtung sich schmiedete, war noch nicht gekommen." Vgl. S. 64, S. 97. Nach der großen Erdkatastrophe zerschnitt der Tod „das Dasein des Menschen gleichsam in zwei Teile, in das gegenwärtige Leben und in eine unbestimmte, zweifelhafte und höchstens mögliche Ewigkeit". i) Freundschaftliche Lieder ed. S a u e r , (DLD. 22)S. 53, 165f. Vgl. auch F. J. S c h n e i d e r , a. a. O. S. 110; G. Müller a. a. O. S. 168f.
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umwandl' ich die Gräber." Die 'Warnung' ist Frucht solchen Versenkens in Gottes Wille, in die Unabänderlichkeit des Todes. Und später, im „Frohsinn", heißt es: „Es schleicht der Tod nun hier, nun dorthin, hebt die Sichel, eilt, daß er schneide, wartet oft nicht der Ähre." Hinter allem steht der Tod, und selbst in Oden wie 'Die Braut', 'Der Rheinwein' zittert das Wissen von Ende, Grab und Jenseits. Noch in einer späten Ode 'Trennung' von 1779 bekennt er, nicht den Tod oder das Sterben fürchte er, sondern den Abschied von Freunden; das stimmt ihn ernst und darum „tiefer in der Seel' es wurde". Der Tod seiner Meta läßt ihn noch tiefer in den Grund des Seins und Werdens blicken. „Träume der dunklen Pforte" werden ihm vertraut. Klopstock hat, im Gegensatz zur Aufklärung, wie Young ein ahnendes Gefühl um die Majestät des Todes. Von seinem eisernen Fuße spricht er einmal, unerbittlich und hundertarmig heißt er ihn, unbezwingbar und fürchterlich, aber auch ehrenvoll, denn den ruhmreichen Tod fürs Vaterland preist auch der Messiasdichter. Im 'Erlöser' erhebt sich sein Todesgedanke dann zu machtvoller Vision der Unendlichkeit. „ 0 helle Stunde, Der Ruh' Gespielin, Stunde des Todes, komm! 0 du Gefilde, wo der Unsterblichkeit Dies Leben reift, noch nie besuchter Acker für ewige Saat, wo bist du?" Vom Allgegenwärtigen singt er, der mit dem Tod gerungen und ihn besiegt hat. Das Anschauen Gottes erschüttert den vergänglichen Menschen, der in der Nacht des Todes zum Himmel schaut und für die Unsterblichkeit dem Erbarmer dankt. Klopstock besitzt wieder gleich Milton das unerschütterliche, christlichdogmatische Wissen von der Macht des Todes als des Strafrichters. Oft spricht er das aus: „Er ist der Sünde Lohn, der Augenblick, der Tod heißt! Aber seine gefürchtete Nacht zeigt auch heller das himmlische Licht." 1764 entsteht dann zusammen mit den Oden 'Die Gestirne' und 'Dem Unendlichen' die Ode 'Der Tod'. Der Anblick des gestirnten nächtlichen Himmels und der Gedanke an den Unendlichen erheben ihn, er fühlt seine eigene Nichtigkeit, aber doch auch die Entzückung des Unvergänglichen. „Was erschreckst Du denn so, Tod, des Beladnen Schlaf? 0, bewölke den Genuß himmlischer Freude nicht mehrl
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Ich sink' in den Staub, Gottes Saat! Was schreckst Den Unsterblichen du, täuschender Tod?" Das Grab ist das Gefilde der Saat, und wer aus des Todes kühlender, heiliger Nacht erwacht, geht triumphierend über da? Grab den erhabenen Weg. Denn der Tod ist nur kurzer, schneller, beflügelter Augenblick, der in das wahre Leben führt. „Sanft kommt er Leis im Gewölk des Schlafs; Aber er bleibt fürchterlich uns, und wir sehen nur Nieder ins Grab, ob er gleich uns zur Vollendung Führt aus Hüllen der Nacht In der Erkenntnis Land 1 )"! Feierlich religiöse, fast priesterliche Haltung einer gläubigen Seele: der Tod als die Pforte zum Licht und zur Unsterblichkeit, der Freund. Klopstocks geistliche Lieder sind von gleichen Wallungen erfüllt, nur daß hier alles dogmatisch gebunden, zweckhaft unkünstlerisch und trocken wirkt, ohne den großen und freien rhythmischen Schwung der Erhebung, ohne die heilige Weihe der Oden. Küsterartig ist der Ton. Fürbitte für Sterbende, Loblied und Einsegnung eines Sterbenden, Vorbereitung zum Tode, Der nahe Tod heißen die Lieder; man vermißt die starke Spannung eines eigenen, reichen Gefühlslebens. Diese Lieder liegen am Umkreis des Werkes2). Trotz aller übersinnlichen oder empfindsamen Züge offenbart sich das Todesgefühl Klopstocks wirklich als ein kraftvolles und starkes wie sein ganzes persönliches Verhalten zu Gott; er kann den Tod preisen, er behält für ihn das majestätisch Stolze. Seine Todesbegeisterung hat nicht das Mystische, nicht die mitunter 1) Oden ed. Muncker und Pawel, Stuttgart 1889, I, 4, 36, 43, 78, 96, 98, 107, 122, 131, 139, 144, 154-158, 162, 174f„ 177, 194, 231; II, 18,39, 103, 164. Dazu Gundolf a. a. O. S. 37—39; S c h n e i d e r a. a. O. S. 118f.; 122f.; B a r n s t o r f f a. a. O. S. 3 4 - 4 2 (Young); K ö s t e r S. 130. „Klopstock . . . suchte doch zum ersten Mal aus seiner Welt heraus den ernsten Problemen fühlend nahezukommen, also angesichts des Todes nicht Trostgründe zu suchen, sondern das unmittelbare Trostgefühl zu hegen und weiterzugeben, nicht das stoische Bereitsein des Opfers zu bewundern, sondern das tiefe Leid der Zurückbleibenden mitzuerleben." 2 ) Geistliche Lieder Kopenhagen 1758, Vorrede S. 11; I, S. 1, 15, 65, 73, 114, 145; II (1769), 32, 52, 67.
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glutvolle Schwüle des Barock, nicht das Liebesbrünstige einer krankhaften oder pietistischen Seele, sondern den freien mächtigen Schwung eines großen edlen Herzens, den geläuterten weihevollen Ernst männlicher Reife, die Innerlichkeit einer gläubigen Seele. Nicht todsüchtig ist er in sich verzehrender Sehnsucht, sondern erhoben vom Gedanken seiner unsterblichen Seele, d. h. vom Glauben an ein ewiges Leben. Die Seele hebt sich im Hochdrang der Todüberwindung über die Sterblichkeit durch den Tod, ihre Prüfungszeit ist vollendet, sie ist im Acker für die Unsterblichkeit reif geworden; in den neuen ätherischen Leib gehüllt, steigt sie über tausend Stufen hinauf zu Gott, um nach dem Jüngsten Tage vereinigt mit dem irdischen Leib in Verklärung und seliger Vollkommenheit zu leben1). Durch den beglückenden Tod blickt der Dichter ins Jenseits, in die ewige Herrlichkeit, ähnlich wie später Schleiermacher, denn Tod ist für Klopstock „Weg zum Schauen" kraft seines durchbrechenden, anfänglichen, religiösen Gefühls. Klopstock wirkte durch sein freies und hohes Bekenntnis des Todes auf die Zeit, er gab diesem erschütternden Erlebnis neuen seelischen Inhalt und eigengeartete Gefühlsstärke, er verbindet es eng mit dem tiefen christlichen Glauben an die Auferstehung und ein ewiges Leben. Seine Wirkung auf die junge Generation liegt in der Erhöhung der allgemeinen seelischen Bereitschaft und der religiösen Empfindsamkeit; man spürt das am deutlichsten und unmittelbarsten vielleicht bei Schubart, der, schon zum Sturm und Drang gehörig, in seiner Jugenddichtung an Klopstock sich begeistert, aber trotz aller Anlehnung in seinen Todesliedern doch ganz Eigenes gibt. 1767 erscheinen seine 'Todesgesänge'. Barockes findet man in ihnen, das übersteigert Pathetische einer leidenschaftlich ergriffenen Phantasie, dann wieder Weiches und Demutsvolles. Das sind bei dem Schwaben ganz natürliche pietistische Nachwirkungen. Und ebenso entspricht es pietistischer Haltung, wenn er zwischen Hochmut und Zerknirschung und dann zwischen Todeshaß und Todesliebe hin- und hergerissen wird; beide Seiten des Todes müssen ihn einmal aufgewühlt haben. Todesgedanken beherrschen ihn immer, überall sieht er Vergänglichkeit und Verwesung ; seine 'Fürstengruft' ist ein einzig großes, triumphierendes Lied von der Eitelkeit des Irdischen. Er sieht ») W ö h l e r t a. a. O. S. 27ff.
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den Tod als Triumphator mit seinen Schrecken und wühlt mit wahrer Inbrunst in dieser Vorstellung, er malt den Tod des Sünders, der all diesen Graus erfährt. Aber dann auf der anderen Seite das Hoffen um Christi Kreuzestod, der den Menschen erlöst und ihm die Kraft gibt, dem Tod siegreich im Glauben an die Unsterblichkeit zu trotzen. Der Tod kann nicht zerstören, denn die Gewißheit der Auferstehung erfüllt den Dichter: der christliche Todes- und Lebensgedanke bleibt immer fest im Mittelpunkt. Schubarts inniges Gottvertrauen hilft ihm den schreckensvollen Tod überwinden, leitet ihn aber aüch, den Tod als Erlösung herbeizusehnen. Auch er sieht durch die äußere Hülle hindurch: Tod ist nicht Hinsturz ins Verderben, sondern Flucht zu Gott. 'Sehnsucht nach dem Tode' heißt ein Lied, das gedichtet ist in der Verzweiflung der Gefangenschaft gleich einem anderen 'An den Tod', das Erlösung aus den Qualen des Kerkers ersehnt: „Tod, wann kommst du, meine Lust." Aus solchen Erschütterungen und innerseelischen Erfahrungen heraus wächst dann später das Toderstreben des in seiner Lebensstärke gebrochenen Schubart, dem der Tod sanfter Schlummer und Belohnung, Bruder des Schlafs und „Trost der Erlösung" wird1). Sein starkes, bitter erlebtes Todesgefühl entspringt mit aller pathetischen Übersteigerung, die oft an den jungen Schiller erinnert, ganz dem Antrieb einer todzugewandten Seele. Nur die zarten und leisen Töne findet Hölty, auch er als Mitglied des Hainbundes zu Klopstock emporschauend und im Lied seine Seele öffnend. Auch bei ihm quillt wie bei Schubart die Todessehnsucht aus dem Erlebnis eines Kranken, der stündlich in das Auge des Todes blickt. Durch sein ganzes junges Leben „rauscht der schwarze Flügel des Todes", sein eherner Fußtritt hallte oft in seiner Kindheit, und 1755 schreibt er einmal an seinen Bruder: „Hier auf Erden findet nur der Schatten von Glückseligkeit statt . . . das Leben ist mir verhaßt, und ich wünsche mir oft den Tod." Und dann fügt er die letzte Strophe seines Lieds 'Der Tod' !) S c h u b a r t , Todesgesänge 2, Augsburg 1788. S. 11, 13, 23, 28, 41, 47, 53, 100, 104, 109, 118. Ges. Schriften III, Stuttgart 1839, S. 185f., 203, 210, 213, 220, 223ff„ 238, 258, 262, 264, 267, 270, 275, 31 Iff., 320, 323ff„ 346. IV, 70ff„ 129, 317. VI, S. 249f. Über die Todesgesänge vgl. E. N ä g e l e , Aus Schubarts Leben und Wirken, Stuttgart 1888, S. 91 — 101.
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bei, wo er sich von der Erde fortwünscht in den Freudenhimmel vor Gottes Thron. Denn auch sein Toderstreben bewahrt die christliche Gläubigkeit, und der Tod des Gottmenschen stärkt seinen Leib, dem das Leben nur Qual war „seit der Kindheit Knospe zur Blume wurde; pflücke sie weg, o Tod, die dunkle Blume". So tönt es ergreifend in dem anderen Todlied, das beginnt : „Wann, Friedensbote, der du das Paradies Dem müden Erdenbürger entschließest, Tod, Wann führst du mich mit deinem goldnen Stabe gen Himmel zu meiner Heimat?" Schwermütige, sehnsüchtige Stimmungen und Todesahnungen umschwingen ihn, Tod und dunkles Grab werden ihm vertraut; die Gewißheit, im Wonnetod der Geliebten nahezukommen, treibt ihn tiefer in die Sehnsucht hinein: „Todesstunde, flügle die Schritte, du Menschenfreundin, du Botin Gottes I Wonne mir, Wonne mir 1 )." Leise erotische Wallungen verschmelzen hier mit religiösen Empfindungen, der Gedanke des Liebestodes klingt nun wieder von ferne an. Bei Hölty kann man sehen, wie in einer feinen, stillen und leidgeprüften Seele der Todesgedanke und die Todesbegeisterung sich in Milde und Ruhe wandeln, wie das Todesgefühl sich vergeistigt in das Leben hineinsenkt und der Tod nicht mehr zur Frage, sondern zum dunklen Inhalt eines Lebens wird, zum ernstumhegten ersehnten Besitz. Bei Hölty wirkt der Tod wie ein stilles sanftes Hinüberschlummern, bei Klopstock wie ein mannhaft begeistertes Schreiten, bei den Genies wie ein selig jauchzender Sturz ins göttliche All. Der Gedanke an Cypresse, Grab und Tod verbindet sich immer enger mit der empfindsamen Strömung. Bald wird freilich lediglich Spiel und Motiv, Modesache, was zunächst innerlichstes Erlebnis war: auch hier wieder die Trivialisierung des Todesgedankens, ähnlich wie in der Anakreontik. Zwar Bürger findet noch starke Töne in seinem Leonorenlied : Liebestod, das ist auch !) H ö l t y , Sämtl. Werke, ed. Michael, Weimar 1914—1918. I, 80, 88, 92f., 189ff., 195f. II, 142, 165. E r plante ein Gedicht über den Zustand der Seele vor der Geburt, nach dem Tode und der Auferstehung, wie später Herder; auch darin ist er Klopstock verwandt. Nur ein Fragment ist erhalten: 'Sterne der Seelen. Eine Phantasie'. — Vgl. auch E . E r m a t i n g e r , Die deutsche Lyrik, Leipzig 1921, I, S. 42f.
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seine Formung des Todesgedankens. Und bei Matthias Claudius schwingt noch das echte und wahre Gefühl einer schlichten Frömmigkeit, eines christlichen Auferstehungsglaubens; seine Todesbetrachtung bleibt ohne jede Empfindsamkeit. Freund Hein ist ihm nahe vertraut, ist ihm ein eigener Mann, der den Dingen dieser Welt ihre Regenbogenhaut abzieht, oder „ein guter Professor Moralium. Es ist ein großer Gewinn, alles was man tut, wie vor seinem Katheder und unter seinen Augen zu tun." Claudius weiß um den Tod, und darum sieht er das Leben tiefer und erkennt, daß ohne Tod kein Leben sei und durch ihn der Weg zur freudigen Auferstehung geht. Wenn auch bei ihm nicht die traurigen Klänge fehlen — „ach es ist so dunkel in des Todes Kammer" —, so kehrt der Tod ihm doch immer die milde Seite zu. Der Gedanke des ewigen Lebens und der Unsterblichkeit wird ihm besonders wichtig. Fritz Stolberg überträgt nach seinem Übertritt Piatos „Phaidon". Aber bereits bei ihm verbirgt das Pathos die Phrase seines schwungvollen Gedichts 'Der Tod'. „Täusch ich mich nicht? Oder tönt mir lieblich Wie der Nachtigall Lied des Todes Name? 1 )" Bei Miller setzt dann die völlige Verflachung des Todesgedankens ein, und das ist eine wichtige Erscheinung in der Linie des empfindsamen Seelenstils. Zwischen Hölty und Miller klafft eine tiefe Kluft. Hier strömt kein neuer Zufluß, die alten überlieferten Erlebnisinhalte werden unsäglich verplattet und ausgewalzt, mit nüchterner Betrachtung und winselnder Rührseligkeit erfüllt. Millers Grablied von 1772 oder das Gedicht 'Der Todesengel am Grab des Tyrannen' von 1774 sind beide bezeichnend durch widerliche Vermischung von Todesgedanken und Tyrannenhaß ; in Schubarts Fürstengruft bebte doch das wirkliche Erlebnis des geknechteten Menschen. Millers erfolgreicher Roman 'Siegwart' von 1776 liegt in gleich flacher Ebene. Die Romangestalten führen den Tod immer im Mund, er ist ihr drittes Wort. Sophie sieht in ihm ihren einzigen Freund, die Gedanken an ihn waren ihr die süßesten, und täglich wurde er ihr vertrauter; das 1
) Claudius, Sämtl. Werke 1774 I, (Titelkupfer: Tod mit Sense), 121, II, 4. Teil 57; V, 15. Teil, 2 - 2 1 . Über die Unsterblichkeit der Seele. III, 6. Teil, S. 97f.; 7 8 - 8 3 ; IV, 7. Teil. 91f.; 9 3 - 1 0 5 ; 219ff. — E r m a t i n g e r a. a. O. S. 52f. — S t o l b e r g , Ges. Werke, I, 1827, S. 239 'Der Tod' von 1779; II, 240; XIX, 129ff. Phaedon.
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Motiv der seelischen Brautschaft taucht auf; wie die Braut den Bräutigam will sie den Tod umfangen. Für den empfindungsseligen Siegwart birgt die ganze Natur das süße Bild des Todes in sich, täglich wartet er auf den Tod, nur diesen wünscht er und sein Blick dringt immer schärfer in das Jenseits des Grabes. „Oft weinte er Freudentränen, wenn er im zuversichtlichen Vertrauen sein nahes Ende sah . . . die Nachtigall sang ihm Grablieder; er sah aus den Blüten Tod hervorkeimen . . . wenn er hörte, daß ein Mensch gestorben war, so pries er ihn glücklich und wünschte sich an seine Stelle. Wenn der Schlaf, das Bild des Todes, kam, so flehte er zu Gott ihn bald in den ewigen Schlummer einzuwiegen." Er reift dem Grabe entgegen. „Wißt, der schönste Tag des Lebens ist der letzte an der Gruft 5 )." Kulturhistorisch, als Spiegelbild des Seelenlebens einer Generation, kann man den Roman nicht hoch genug bewerten. Die empfindsame Lebensschwäche, das tatlose Sichtreibenlassen dieser Zeit mit ihrem Überschwang der Gefühle kennzeichnet das nervöse und tränenselige Geschlecht, das sich am 'Werther' und 'Siegwart' berauschte, weil es sich dort wiederfand. Der Pater Anton macht zu Siegwart die psychologisch feine Bemerkung: „Ich weiß wohl, daß der Wunsch nach dem Tode und das heiße Sehnen Dir und dem Jüngling überhaupt sehr natürlich ist. Der Jüngling liebt alles Neue, Ungewöhnliche und Feierliche, und was ist feierlicher als der Übergang aus diesem Leben in ein anderes, uns so wenig bekanntes 1 Der öftere Gedanke an den Tod wird uns zuletzt gewöhnlich . . . " In diesem Satz ist schon die Gefahr der Verflachung des Todesgefühls angedeutet; er gilt vollkommen für diese Jahre. Die neue Melancholie bemächtigt sich der Symbole der Vergänglichkeit und des Todes wie schon im Barock: Grab, Gruft, Kirchhof, Begräbnis, Totenkopf und schließlich auch noch Nacht- und Mondschein, sie zusammen erwecken die eigenartige Stimmung und zeugen von der Weichheit der Zeit. Golos Lied in Maler Müllers 'Genoveva' hat den melancholischen Zauber und die Stimmung, die alle beherrscht: „Mein Grab sei unter Weiden Am stillen dunkeln Bachi !) Miller, Kürschner 50, S. 236f.; 251, 289. Siegwart 2 1777; dazu bes. F. J. S c h n e i d e r a. a. O. S. 424ff. und K ö s t e r a. a. O. S. 141 — 146.
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Wenn Leib und Seele scheiden, Läßt Herz und Kummer nach. Vollend' bald meine Leiden, Mein Grab sei unter Weiden Am stillen dunkeln Bach!" Hamlets Totengräberszene mit dem ganzen Schauer des düster Geheimnisvollen findet Widerhall. Höltys Totengräberlied, Schubarts Fürstengruft, Schillers Spaziergang unter den Linden, das „Memento mori" bei Müller, Wagner oder Leisewitz, die nur äußerliche Dämonie der Todessymbole in der literarischen Unterschicht, im Trivialroman vor allem, sind beredte Zeugnisse der anderen Stimmungs- und Spannungsweite der Zeit1). Stärker denn je muß damals die Melancholie die Menschen ergriffen und ihre Seelen für ein wehmütiges Todempfinden bereitet haben, das seelisch reizsamen und feinen Menschen zur Gefahr werden konnte, wie etwa dem Anton Reiser, ja wie auch Lichtenberg, der hier tief gesehen hat, wenn er sich einmal aufschreibt: „Krankheiten der Seele können den Tod nach sich ziehen und das kann Selbstmord werden." Grab und Tod werden dann oft um ihrer selbst willen geliebt, nicht um dessentwillen, was hinter ihnen liegt, zu dem sie führen. Man sieht voll Lust das Dunkel, nicht das Licht der Auferstehung; das besonders Christliche scheint hier bisweilen völlig vergessen. Von einem eigentlichen Toderlebnis, einer wahrhaften Erschütterung spürt man immer weniger; denn starkes Fühlen ist selten, man will nur den wollüstigen Reiz elegischer Gemütswallungen. Dichter solch empfindsam nachlebender Art ist noch Matthisson, und gerade daraus erklärt sich seine große Berühmtheit und Beliebtheit. Er steht im Grunde auf dem gleichen Boden mit Miller, nur gibt sich seine Muse um vieles feiner, edler und gepflegter in der Form. Young, Ossian, der Werther und Siegwart beeinflussen ihn stark; auch in seiner Lyrik begegnen dieselben Motive sentimentaler Melancholie, die ohne Klopstock und Hölty in dieser Artung gar nicht zu denken wären, nur daß es eben jetzt Motive sind und auf der anderen Seite schon eine dämpfende Formgebung wirkt. Einsamkeit und Grabesruhe, Abend und E. Schmidt, H. L. Wagner 18792, S. 3f. und M. T h a l m a n n , Der Trivialroman dea 18. Jhds., Berlin 1923, S. 43 — 49: Todessymbole.
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melancholische Mondnacht, all das taucht auf. Auch der Tod: keine Erschütterung der Seele darf der Todesgedanke lösen, sondern nur wehmutsvolle und milde Stimmung, fast ohne inneres Mitleben und ohne seelisch religiösen Gehalt: er wird ästhetisch geformt, wie es später die Klassik tut. Matthissons Freund SalisSewis findet in seinem 'Grab' von 1783 doch schlichtere und vollere Töne, in denen ein echtes religiöses Empfinden pulst; Grab und Tod waren ihm freilich nur beschwingende Zeugen ewigen Lebens und der Wiedergeburt, der Auferstehung. „Doch sonst an keinem Orte Wohnt die ersehnte Ruh'; Nur durch die dunkle Pforte Geht man der Heimat zu." Das erinnert, auch im christlichen Gefühlsgehalt, an Hölty 1 ). Es ist aber sonst eine durchgehend fallende Linie in der Lyrik von Klopstock zu Matthison : an ihr kann man das neue Todempfinden der Zeit in seiner allmählichen Wandlung ablesen, seine anfänglich religiös ruhevolle Stärke und Tiefe, bis es allmählich in die trivialen Niederungen eines schwächlichen und reizsamen Seelenlebens hinabgleitet, um sich dann im nur Ästhetischen zu verflüchtigen. Nur um der Einheitlichkeit des Längsschnitts willen wurde diese klare Linie lyrischen Todgefühls schon bis zur Peripherie gezogen. Mitten ins Zentrum der Zeit dringt man, wenn man nach dem Todesgedanken der eigentlichen Genies fragt. Man tritt wieder auf die Stufe zu Klopstock hinauf und zurück und findet wieder die Weihe des Todes. Aus Alleinheits- und Immanenzgefühl heraus suchen sie sich dem Tod einzuschmelzen. Gleich bei Gerstenberg, dem Herold des Sturms und Drangs, schlägt dem Betrachter im Gegensatz zum Rationalismus die neue Gefühlsinnerlichkeit auch im Toderleben entgegen und die Verwandtschaft mit Klopstock, die neue, hier noch religiös-christlich gehobene Stimmung, das neue Rätsel um das Todesgeheimnis x
) M a t t h i s o n , Gedichte ed. Bölsing Lit. Ver. 167, S. 822f.; 24, 50, 55, 60, 62, 79 f., 125, 127, 137, 183, 199, 207, 223, 229, 233, 238. Bd. 261, S. 3, 27, 230. G. Müller a. a. O. S. 225, 227: „Die Realität des Todes verdampft ästhetisch zu einer bildhaften Formulierung." - S a l i s - S e w i s , Gedichte ed. Matthisson, Zürich 1793, S. 21, 37f.; Kürschner 41, S. 270, 272, 302, 304, 309. Vgl. nun E. J e n a l , J. G. v. Salis-See wis, Chur 1924, S. 104ff.
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mit der ganzen leidenschaftlichen Wucht des Originalgenies. Ein Kampf mit dem Tod ist ja der Inhalt des 'Ugolino', wo das Gefängnis zum Gebeinhaus werden soll. Der Vater und seine Kinder werden in die harte Auseinandersetzung mit dem Tode geradezu hineingetrieben, wenn sie das Grauen des Sterbens überfällt, der Tod ihnen auf den Lippen sitzt und sie zur Wahnsinnstat peitscht. Der Tod ist kein Gerippe für sie, sondern „ein vollblütiger, breitschulteriger Mann", mit dem es zu ringen gilt. Und in der letzten, höchsten Verzweiflung dann plötzlich die Wandlung, die Todesliebe und die dithyrambische Todumschlingung im lyrischen Aufschwung. Gerstenberg kann im Schluß der ersten Fassung auf dem Gipfel der religiös bewegten Ekstase nur Klopstock zitieren. Es ist geistesgeschichtlich wichtig: in diesen Versen aus dem Schlußgesang des 'Messias' findet er allein den höchsten Ausdruck seiner Gefühle. , .Wonnegesang I Wonnegesang 1 Ist am Ziel denn nicht Vollendung? Nicht im Tale des Todes Wonnegesang?" Nur in der religiösen Sphäre ist hier noch die Lösung möglich: Tod wird zum Prüfungstod, der das höhere Leben verdienen läßt. „Ich hebe meine Augen zu Gott auf, meine zerrissene Seele ist geheilt." Und was Gerstenberg 1768 nur stammeln konnte, unbewußt und dunkel, das erhebt er dann in der Umarbeitung des Schlusses von 1815 in die Klarheit; Klopstock zwar gibt den Ton noch an, aber nun ist das anfänglich noch engere, biblisch-christliche Gefühl erhöht und ausgeweitet zum pantheistischen Allgedanken, zu freier Religiosität. „Schmerzhaft ersehnter Tod, Vernichtender, Vollender." „Ist denn der Tod nicht Fortdauer? Übergang aus diesem Erdeleben in ein anderes, dessen Momente Äonen sind?" Durch die Selbstbefreiung, durch den Sturz in den Tod geschieht jetzt die Todüberwindung. Der freie Tod wird gepriesen als selbstmächtige Auflösung ins All, als Hinaufschwingen zum Göttlichen. In Maler Müllers 'Golo und Genoveva' heißt es: „Das Beste in der menschlichen Natur ist es, daß wir es abschütteln können, wenn uns etwa die Last zu schwer fällt, das kürzere Ziel ergreifen, wenn uns das weitere zu lang deucht1). . ." 1
) G e r s t e n b e r g ed. Freye a. a. O. I, S. 40ff.; 2. Fassung IV, S. 463ff. Die Verse aus dem 'Messias' 20, 142ff.; vgl. ebd. 173. „Du Tod, du Flug zu dem Genuß." - Maler Müller: Freye IV, S. 359
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Die Selbstherrlichkeit auch im Tode wird nun fast vermessen verkündet. Das ist ein Äußerstes an subjektivistischer Haltung und Lebensgestaltung. Auch bei Klinger rauscht die ekstatisch-dionysische Todesinbrunst, die dazu treibt, sich in die Arme des Todes zu stürzen, durch freien Tod ihn zu bezwingen und sich im All auszulösen. In der Schlußszene der 'Neuen Arria' von 1776 gelang ihm die Darstellung solchen Aufschwingens ein einziges Mal. Der Gedanke der mystischen Verquickung von Liebe und Tod als den scheinbar polaren Gegensätzen und doch nur verschiedenen Seiten ein und desselben Grundgefühls taucht wieder auf. In der höchsten Lebensbejahung und in innigster Seelenumschlingung sich in das Dunkel zu werfen und zu enden im Bewußtsein, das Irdische unter sich zu lassen und sich mit der Quelle unseres Wesens zu vereinen : so faßt Klinger das rauschhaft schöne Mysterium des Endes und mit ihm seine Zeit. „Wir sind würdig, Gottes allmächtigen Atem in uns zu ziehen . . . Ha, wie alles an ihr strebt, aufzufliegen und abzuwerfen." Auch Heinse ist von solchen Unendlichkeitsgefühlen bewegt, nur daß bei ihm in eigenartiger Doppelung die klare, nach philosophischer Begründung drängende Überlegung hinzutritt, die auch im Gedanklichen dann wieder wie die ganze Zeit die unmittelbare Wirklichkeit der Anschauung will. Er geht auch hier fast logisch streng vor. „Liebe gestattet keine Moral. Wer über seiner Leidenschaftsbefriedigung stirbt, ist selig." Darin liegt die krasseste Wendung des Liebestodgedankens, die notwendig aus der Herrenmoral dieses Dichters fließt. Ihm bedeutet Leben ohne Wollust Tod, aber er erfaßt auch die mystische Nähe von Tod und Wollust, daß sie nur gegensätzliche Formen eines Einheitlichen sind, nämlich des Liebestodes, der Todesliebe. Wie Klinger glaubt auch er an den Tod des Freien, der sich vom Elend erlöst, und daß erst der Tod den Menschen freie Vollkommenheit finden läßt, ihn mit dem Ganzen vereinigt oder doch nähert oder nach mancherlei Durchwanderungen von Körpern wieder dahin bringen muß. Der Tod bedeutet „nichts anders als eine freie Bahn auf die edelste Art in die Geisterweit aus diesem Chaos von Unwissenheit." Den Bewohnern des Idealstaates auf den seligen Inseln dünkte der als Zitat: woher? Vielleicht doch selbst von Müller. Sauer erinnert an den Werther. Vgl. Lenz, Briefe über die Moralität des jungen Werther, Münster 1918, S. 37.
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Tod „bei weitem nicht das größte Übel". „Auf dem ganzen Erdenrund war kein anderer Platz, wo man sich so wenig vor dem Tode scheute", denn „Sterben ist nur ein scheinbares Aufhören und kommt beim G a n z e n nur wenig in Betracht." Denn das „Ganze" ist der höchste, letzte, bei Heinse durch das befriedigte Gefühl endlicher Harmonie fast lustbetonte Wert, es ist das allgemeine große Leben, in das das einzelne sich auflöst und eingeht, und diese Vereinigung mit dem Ganzen, mit der ewigen Herrlichkeit, das Zurückkehren der göttlichen Einzelseele ins Gesamtgöttliche der Allnatur selbst ist höchstes Lustempfinden, Liebesempfinden also im Tod1). Diese begeisterte, fast genußhafte Versenkung ins All durch den Tod, der zu neuem Leben führt, ist allen gemeinsam. Die starke erotische Färbung fällt auf. Was bei Hölty etwa zart und schwärmerisch anklingt, die liebende Sehnsucht des Todes, das schwingt sich nun dithyrambisch hinauf: immer sehen sie Tod und Liebe zusammen als Lebensaufgipfelung und lassen ihr Todesgefühl in ihr Allgefühl einfließen, das durch die Liebe geweitet ist. Und das kennzeichnet eben die Genies mit ihren „Sturm das All zu erfassen", wie es Lenz einmal sagt. Sie können hier nicht scheiden, weil sie eben das G a n z e und nicht das Einzelne, die Vereinigung, nicht die Trennung, weil sie auch „aus sämtlichen vereinigten Kräften" heraus erleben wollen. „Alles Vereinzelte ist verwerflich." So gefaßt ist dann Trennung in einem anderen Sinne Tod. Tod aber soll vereinigen, die Scheidung aufheben. „Das Ich erstirbt, damit das Ganze sei." Herder hat damit das Geheimnis ausgesprochen. Und wie nun Liebe die Einzelheit und Eigenheit vernichtet, weil sie im Du auflösen möchte, so auch der Tod : Liebe und Tod bedeuten den Austritt aus sich selbst und den Eintritt ins All. Zur ekstatischen Steigerung aber wächst die Sehnsucht nach der Erlösung in das Ganze, wenn Liebe und Tod sich zusammeneinen im Liebestod, in dem Todesliebe mitschwingt. Bürger, Klinger und Heinse und die Romantik symbolisieren das. Der reife Lenz kann sich den Tod nur als solche Ineinssetzung von Liebe und Tod denken. Pietistische Einflüsse prägen seine 1 ) K l i n g e r , Jugendwerke ed. Berendt und Wolff I, 272, 289, II, 116ff.; 384 Pyrrhus. - H e i n s e , Ardinghello ed. Schüddekopf IV, 74, 188, 207, 286ff., 393, 396. — Aphorismen ed. L e i t z m a n n I, S. 14, 21, 28, 43, 125, 135, 139, 160, 412; II, 107, 128, 159, 166, 169, 188, 189, 200; III, 264, 267f.
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Jugend, schon in zwei Gelegenheitsgedichten tauchen Liebe und Tod zusammen auf, und schon früh faßt Lenz, fern allem Dogmatischen, nicht nur unter Einwirkung Youngs, sondern auch aus eigenem Gefühl den Tod als den Retter. Hamann sagt einmal: „Der Tod ist der große Lehrer, den wir uns wünschen, wenn wir um Licht schreien"1). Und ebenso nennt nun Lenz ihn noch mit rationalem Einschlag den großen Lehrer der Tugend und des Glückes. In einem Trauergedicht von 1771 bricht dann die mystische, irrationale Toddurchdringung fessellos durch, und die Todessehnsucht erhebt sich zum Todeswillen, der fortan Lenz immer beherrscht. Das Erotische tritt hinzu, das Sehnen nach dem Tod, um mit der Geliebten vereint zu werden; es ist Toderstreben aus der Qual des verlassenen Herzens heraus, Bitte um den Tod aus der Hand der Geliebten als größtes Glück und Beginn fesselloser Liebeswillkür: „Ein kleiner Stoß und dann geht erst mein Leben an!" Tod ist sein einziges Glück, da er den Augenblick versäumt hat, der ihm die höchste und äußerste Lebensbejahung schenkt, der ihm die Sehnsucht zum Ende erfüllen läßt. „Daß er kämet Und in dem Wonnerausch, in den Entzückungen bräche mein Herz!" Es ist der Tod in der Wonne, den sich auch Robert im 'Engländer' wünscht. „ 0 in diesem Augenblick zu sterben, ist alle Glückseligkeit des Lebens wert . . . freilich hört mit dem Tode alles auf, aber im höchsten Genuß aufhören, heißt tausendfach genießen." Sein Todeswille treibt ihn zur Tat, zum Tod, der ihm die Vereinigung bringt, nicht mit der Geliebten, sondern „in jenem Sinn einer Identifizierung von Religion und Liebe", wie sie später die Romantik erstrebt. Die Geliebte wird zur Göttin: hier steigert sich Liebestod zur Religion2). Bei Lenz wird es klar: das Todesgefühl des Sturms und Drangs ist dionysisch, ist ein Einheitsgefühl in solchem Sinne, daß es H a m a n n , Schriften ed. Roth III, 71; vgl. auch I, 123, 334; II, 334; VI, 16, 249; VIII, 140. L e n z , Gedichte ed. Weinhold, Berlin 1891, S. 14f., 17, 77, 80, 89, 114, 130, 132. — Für das Einzelne sei jetzt auf das schöne Buch von H. K i n d e r m a n n , Lenz und die deutsche Romantik, Wien 1925 verwiesen, der dem Todesproblem bei Lenz genaue und ausführliche Beachtung schenkt und die Linien zur Romantik durchzieht; bes. S. 4, 25, 4 3 - 4 6 , 100ff., 192, 2 8 2 - 2 8 5 , 296, 301, 307, 311, 324. Für Youngs Einfhüß s. O. A n w a n d e r , Beiträge zum Studium der Gedichte von Lenz, München 1897, S. 52ff., 66ff., 106.
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die Zweiheit von Leben und Tod vernichtet. Tod ist Befreiung vom Endlichen und Zufälligen, die Erhöhung der Seele zum Göttlichen durch die Kraft der Liebe, die mystische Vernichtung der Individuation und so die Selbstverwirklichung durch die erstrebte Selbstaufgabe. Das Gefühl für Leben, Liebe und Tod gehen ineinander über, da das Endziel im gleichen Punkte liegt, im Allgefühl. Der junge Goethe in seinem 'Prometheus' von 1773 gibt die herrliche und symbolische Prägung und Deutung dieses dionysischen Todbegreif ens. Eine dreifache Tönung hat das Todesgefühl dieser Zeit: die pathetisch-lyrische bei Klopstock und den Göttinger Hainbündlern, die dithyrambisch-dionysische bei den Genies und schließlich eine christlich-pietistische bei den vorzüglich religiös gerichteten Geistern dieser Epoche. Diese letzte ist die Grundtönung, die durch die anderen, besonders stark durch die Klopstocks und seiner Nachfolger, hindurch leuchtet, aber literarisch am bescheidensten, d. h. am wenigsten als eigentliche Dichtung hervortritt; es ist der Zug von Zinzendorf etwa zu Hippel und Stilling, der sich also weit bis an das Jahrhundertende erstreckt, tief hinein in die Zeit der Klassik und Romantik. Die christliche Todeshoffnung und Auferstehungsgewißheit, die in diesen Kreisen am ursprünglichsten, zunächst ohne alle Verweltlichung und ohne jeden philosophischen Zusatz lebt und als solche sich auch am deutlichsten im Schrifttum offenbart, bildet dann nur die andere Seite des pantheistischen Immanenzgedankens, wie er gerade die Genies beseelt. Und deren starkes metaphysisch-erotisches, lustbetontes Todesempfinden eignet auch dieser Strömung, d. h. sie zeigt nur in der religiösen Sphäre, was die Genies unbewußt ihr, dem pietistischen Mutterboden, entnommen und in die weltanschauliche Schicht übersetzt haben: es ist religiös-erotisches, lustbetontes Todesempfinden, mehr geistig oder mehr sinnlich und als solches nur eine Auswirkung des pietistischen Strebens, Sünde und Zerknirschung, „die Seligkeit des unseligen Selbst" zu genießen; wie denn überhaupt „das Schwergewicht der Gläubigkeit von der ethischen Seite, dem sog. Verpflichtungs- oder Bewährungsbewußtsein, auf die mystische Seite, das eigentliche Seligkeitsbewußtsein, verlegt" wird1). Auch der Unterschied von Aufklärung und dem Irrationalismus der Genies erklärt sich von hier aus als die l
) G ü n t h e r a. a. O. S. 164, 167f.
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gleiche Schwergewichtsverlagerung, nur jetzt innerhalb der weltlichen Schicht. Es prägt sich also in dieser „pietistischen" Strömung die eine Grundform des Todeserlebnisses überdeutlich aus, jene mystische Grundhaltung, die später bisweilen gegenüber der durchgehenden Verflüchtigung des Dogmas in der Aufklärung sogar einen betont dogmatischen, also zunächst gegenmystisch erscheinenden Charakter trägt: dies scheint aber nur so, in Wirklichkeit herrscht hier, besonders in der aus dem Pietismus organisch herauswachsenden „Erweckungsbewegung", auch unter rationaler Einkleidung durchaus die unendliche, weltabwertende Sehnsucht nach dem Tod und dem Vaterland. In diesem Umkreis steht der Tod noch als der Sünde Sold, aber daneben auch als der Erlösertod Christi, und es ist das große Wunder, wie aus Tod Leben wächst, das nun diese Leute innerlich packt. Hamann stellt die bewegende Frage 1756 im Anschluß an Young. „Todi König der Schrecknisse . . . durch welches Geheimnis verwandelt dich der Christ in einen Lehrer der Weisheit, in einen Boten des Friedens?" Die Mahnung des Sterbenlernens, die in der Mystik und im Barock so tief erklungen war, wird auch jetzt wieder im Sinne eines innerlichen Reifwerdens erhoben: Tod soll die eigentliche Frucht des Lebens sein. 'Inneres Leben bei äußerem Sterben' überschreibt Zinzendorf ein Lied, und seine Grab- und Sterbegesänge atmen diese ganze todesbrünstige Stimmung. Auf Arbeit folgt tiefe Ruhe, auf Sterben Leben, Sterben ist Ziel und seliger Beschluß, das Grab die stille Kammer und der Tod der Friedensport. „Sterbet nicht vergebens, bis es Zeit zu sterben ist." Die Sehnsucht nach dem seligen Nichts verbindet Zinzendorf mit allen eigentlichen Mystikern, auch mit dem stillen, klaren Tersteegen: es ist ähnlich wie bei den Genies das Entsinken in Gott und die Vernichtung des eigenen Lebens, der Tod der Eigenheit: „Sinkt sanft ins Nichts und nichts begehrt." Tersteegen vor allem ruft zum Sterbenlernen und zur tiefsten Versenkung in den Todesgedanken. „Je tiefer Du Dich wirst ins Sterben einergeben, Je höher wirst Du aufgeführt ins wahre Leben." „Der tiefste Tod ist mir das reinste Leben1)." Tersteegen verkörpert in dieser Zeit am reinsten die eigentlich typische Haltung *) H a m a n n : II, 334. — Z i n z e n d o r f , Geistl. Lieder ed. Knapp, Stuttgart 1845, S. 17, 51, 72, 74, 76 f., 101, 118, 128, 174, 178, 186,
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des abstrakten Mystikers zu Welt und Jenseits, er ist darin, auch dann rein literarisch, am stärksten dem Angelus Silesius verwandt. In solcher Klarheit findet man dies danach nicht mehr: die pietistische Richtung und ihre ganze Psychologie, die natürlich auch bei Tersteegen nicht ohne Einfluß geblieben ist, strebt mehr zu einer anderen, sinnenhafteren, weicheren Mystik, die sich mit Jesusminne, Blut- und Wundenkult, mit leidenschaftlichen religiösen Wallungen der Demut, der Selbsterniedrigung und inneren Zerknirschung über die Sündhaftigkeit erfüllt: Zinzendorf ist vorab typischer Vertreter solcher Mystik. Auch der junge Wieland gefiel sich eine Zeitlang in pietistischer Religiosität. Nur daß bei ihm nun all die strengen und innerlichen Züge dieser Frömmigkeit fehlen und einer empfindsamen, gefühligen Allgemeinstimmung ohne festes Ziel weichen, daß eben bei ihm zutiefst und innerlich unbewußt nur alles Mode und Spiel war, was die andern als heiliger Ernst und inneres Erlebnis erfüllte, wie etwa Goethes Freundin, Susanne von Klettenberg, in der die pietistische Grundhaltung nun wieder in selten starker ungebrochener Tönung ohne jede Weichlichkeit Erfüllung findet. Ihre Todessehnsucht ist wirklich innerster Ausdruck einer frommen und gottnahen Seele. Tod und Grab können sie nicht schrecken, und auch in den „Bekenntnissen" heißt es: „Ich fürchtete den Tod nicht, ja ich wünschte zu sterben, aber ich fühlte in der Stille, daß mir Gott Zeit gebe, meine Seele zu untersuchen und ihm immer näher zu kommen." Später 1774 schrieb sie an Lavater: „Die Schenkung der Gerechtigkeit Christi ist Mitteilung ewigen Lebens — die Kraft, nicht zu sterben . . . Leben bleiben, durch den Tod durchdringen, leben, ob wir gleich nach dem Ausdruck menschlicher Sprache sterben." Als sie selbst im Sterben lag und man sie fragte, wie ihr beim Anblick des Todes sei, antwortete sie, sie sei so voll von Seligkeit, daß die arme Hülle es nicht aushielte, ,,sie muß zerbrechen1)." 189, 228, 335f. - T e r s t e e g e n , Ges. Schriften, Stuttgart 1844, I, 40., 68, 75, 82, 345, 397ff., 492, 515; II, 104ff., 292; VII, 111, V i l i , 235. — Dazu auch als Zeugen gleicher pietistischer Gefühlslage J. J. Moser, Gesammelte Lieder, II. Teil 1767, Abt. XV. Vom Tode S. 7 7 8 - 8 1 8 und C. Fr. v. Moser, Geistl. Lieder, Frankfurt 1763, S. l l f f . , 80ff., 145, 254. !) Wieland, Akademieausgabe II, 355ff., 370ff„ 381, 469; Empfindungen eines Christen und Sympathien. — Vgl. auch E r m a t i n g e r
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Die 'Aussichten in die Ewigkeit' waren für Lavater darum so begeisternd, weil er im Tod eine Erweiterung und Erhöhung der Kräfte ahnte, eine unbeschreibliche Wandlung ins Bessere, neue Tätigkeit also, aber frei von allen Banden und Hemmungen. Nicht seine „Aussichten", auch nicht seine moralischen christlichen Lieder, sondern vor allem seine vielgelesenen und auch für Novalis so entscheidenden „Antworten auf wichtige und würdige Fragen" spiegeln seine Todeshoffnung wider. Er wird nicht müde, in seinen Trostbriefen das Göttliche des Todes liebend zu preisen; Sterben ist Erlösung von der Erde und der Tag des Todes besser als der der Geburt, denn er ist der Eingang in ein freies, wahreres, lebendigeres Leben. „Ich ahne die Wonne der Entlastung, Ausspannung, Jocherlösung — mit Freudeschrecken." Und so kann die Unsterblichkeit auch nur dies bedeuten: ewige Fortdauer des Bewußtseins mit dem Fortschritt der Erkenntnis und dem Wachstum inneren Lebens. Herder sprach von Reinigung des Herzens und Veredlung der Seele mit allen ihren Trieben und Begierden. Es ist die gleiche Stimmung wie bei Lavater, der ebenfalls im Diesseits nur die Saat für das Jenseits sieht. Erst drüben wird der Mensch wesentlich, erst dort beginnt er zu sein, er wird erst durch den Tod. Ja, „der Geist des Menschen kommt durch den Tod des Körpers das erste Mal zu sich selbst, zum Genuß seiner selbst und zur Erkenntnis der in ihm liegenden harmonischen Welt". Erst jetzt wird „vollkommene Realisierung unserer Gottebenbildlichkeit". Der Drang nach dem Ganzwerden, nach Leben auch im Tode beseelt Lavater. So löst er das Todesproblem, das sich ihm aus der Notwendigkeit der christlichen Offenbarung ergibt, auf Grund der christlichen Osterbotschaft in ein Problem des Lebens auf. Lavater sagt: „je lebendiger, desto lebensbedürftiger, desto begierender sich am Leben anzuschließen". Und doch besteht kein Zweifel über das ganze irrationale Grundgefühl, das in seinem Todesgefühl schwingt; er ist nicht lebensbejahend in einem diesseitigen Sinn, sondern in einem jenseitigen, und darin befindet er sich im äußersten Gegensatz zum Rationalismus, an den er auf den ersten Blick durch scheinbar rationale Äußerungen erinnert. Leben ist a. a. O. S. lOOf. und B a r n s t o r f f a. a. O. S. 68—63. — S u s a n n a v. K l e t t e n b e r g ed. H. Funk, „Die schöne Seele", Leipzig 1912, S. 102, 130, 132, 203, 213, 216, 223, 267, 302.
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ihm nur „ein Vorhof des Totenreichs", hat seinen Sinn also nicht in sich selbst, sondern bedarf eines anderen, um wesentlich zu werden. Der Schwerpunkt rückt bei Lavater ganz aus dem Diesseits in das Jenseits. Von transzendentaler Humanität könnte man bei ihm sprechen. Auch Lavater spricht das ewige Paradox vom Leben im Tode aus. „Gott nimmt göttlich. Nehmen ist geben. Sein Töten — beleben." Und darum nun auch der Todeswille und das Streben „nach dem All, nach dem Göttlichen der Ganzheit frei aller Halbheit", nach „der Sammlung homogenischer Teile zu einem Ganzen". „Immer lebendiger sei die Sehnsucht." In solcher Mahnung berührt er sich mit Stilling, der in seinem berühmten Roman 'Heimweh' von 1794 irrationale Todempfindung verdeutlicht. In der Natur sieht er das Heimweh, den Herbst. „Der Herbsttod schickt alles ins Vaterland, ins Reich der Elemente. Dort feiert die Materie ihren großen Sabatt im Schoß der Natur, um im Frühling desto tätiger zu neuem Leben aufzustehen." Das Mysterium von „Stirb und Werde" ahnt man, und zwar nicht nur in dem christlichen Glauben an die Auferstehung, sondern wie bei Lavater und dann beim jungen Baader, in merkwürdiger Verschmelzung betont christlicher Elemente mit philosophisch-pantheistischen Immanenzvorstellungen, in der Erkenntnis der ewig zerstörenden und schaffenden göttlichen Natur, die wie es Bürger einmal in 'Daniel Wunderlichs Buch' sagt, „Tod und Leben in einem Neste brütet." Auch hier sieht man das Wollen, die Zweiheit von Tod und Leben in der Einheit aufzulösen. Tod wird Erfüllung des Heimwehs, „des ewigen Strebens eines Dinges nach seinem Ursprung". Allvorstellung und Ewigkeitsglaube fließen ineinander, wie bei Lavater. Nur deshalb, sagt Stilling, sei der menschliche Geist in die Wohnung des Todes verbannt, damit er das Heimweh bekomme, jenes Gefühl, das die besten Kräfte im Menschen löst. Darum „selig sind, die das Heimweh haben, denn sie sollen nach Hause kommen 1 )". ») L a v a t e r , Ansichten I, 1790, S. 174ff„ 179, 181, 226, 229, 319-324, 329, 462; II, 1790, S. 21, 91, 185, 187, 256, 465ff. Auasichten in die Ewigkeit Zürich 1770 2 1, S. 1 4 9 - 1 8 7 ; III, 96, 318, 329. Vgl. dazu U n g e r a. a. O. S. 272ff. ; L ü t g e r t a. a. O. S. 1 9 2 - 196; W. F e i l c h e n f e l d , Der Einfluß Böhmes auf Novalis, Berlin 1923, S. 41. Neuerdings in weiterem Zusammenhang Fr. Lieb, Franz Baaders Jugendgeschichte München 1926, S. 129f„ 13G, 214ff. —
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Die Mahnung, sterben zu lernen, seinen eigenen Tod langsam zu reifen, war immer wieder auch in jener Epoche seit Young erklungen.
Wie sehr diese ständige Mahnung tief in das Lebens-
gefühl pietistisch gesinnter Kreise gedrungen war, ja wie sie ins Absonderliche führen konnte, zeigt ein seelengeschichtlich so ungemein aufschlußreicher Roman, steigender Linie'
von Hippel.
wie die 'Lebensläufe nach aufEs ist die Episode vom „Sterbe-
grafen", jenem hochgeborenen Totengräber, der sein Schloß zu einem Steruekloster einrichtet, um an den Sterbenden das Sterben zu studieren und zu lernen, um sich mit dem Tod vertraut zu machen. Eine Sargfabrik befindet sich im Schloß, der Erbauungssaal ist mit den Symbolen des Todes ausgeschmückt, mit Mausoleen, Grabmälern, Urnen und Tränenflaschen, und die siebenmal sieben Zimmer, durch die der Graf seine erstaunten Gäste geleitet, tragen alle Inschriften, die sich auf Tod, Ende und Verwesung beziehen. Einen leisen behutsamen Zehengang, einen Totentritt hatte er angenommen, den nannte er Totentanz. Er schleicht dem Tode nach, um ihm seine Künste abzulauern.
„Sterbenswissenschaft" ist der
Inhalt seines Lebens, und seine Hauptbeschäftigung eben ist es, Leute sterben zu sehen.
Aus tieffrommem Gemüt heraus tut er
dies, setzt also in die Tat um, was andere nur denken; er hält sich förmlich etwas darauf zugute, daß er der erste in schäftigung sei.
solcher Be-
Er könne von sich behaupten, daß
er
täglich
sterbe. „Allein das will nicht mehr besagen: ich sehe täglich andere sterben, obgleich es auch Stunden gibt, wo es mehr sagen will." Und auf diesem letzten liegt der Nachdruck:
der Graf will so
zum Wesentlichen im Menschen kommen und den Sinn des Lebens, der für ihn im Sterben sichtbar wird, tiefer packen. Diese tägliche und stündliche Todesbetrachtung bildet dann seine Todesphilosophie, denn durch Philosophie (bei ihm die seltsame Verbindung einer religiös-pietistischen mit einer stoischen, moralphilosophischen Betrachtungsart,
eine
Durchdringung
der weltlichen
religiösen Schicht) könne man den Tod besiegen.
und
der
Das Leben ist
für ihn das Geheimnis und der Tod die Auflösung. Er sei ebenso ein Werk der lieben gütigen Natur wie das Leben.
Er habe die
Von Lavater kommen noch in Betracht die 'Christi. Lieder', Zürich 1779, S. 114ff., 129, 136f., 139-149, 197f. - J u n g S t i l l i n g , Heimweh 1800, I, S. 1, 7, 8, 26, 31 — 33 u. ö. — Seine geistl. Lieder ergeben nichts. — B ü r g e r , 1776: Werke ed. W u r z b a c h I I , S. 6f.
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Ehre, den Tod zu kennen und müsse sagen, daß er ihn herzlich lieb habe, wie sein Leben, denn der Tod gäbe Trost über Trost, Wonne über Wonne; er sei die größte Gabe Gottes. Tod ist für den Christen nur Verwandlung und Verklärung. „Unsere Seele wird geboren, wenn wir sterben, der Tod ist eine Niederkunft, eine Geburt zu anderem Leben. Das Ende liegt immer im Anfang sowie der Anfang im Ende. Wir werden, d. h. wir hören auf zu sein; wir sind, d. h. wir sterben." Auch er ahnt das Mysterium des Werdens und Vergehens; die Natur steht nicht still, „sie wirkt Leben im Tode, Tod im Leben schön durcheinander". Hier stößt die Erwägung aus den eigentlich religiösen Bezirk hinein in einen weiteren, philosophischen: dies Nebeneinander ist bezeichnend für die geistige Haltung Hippels. Dieser seltsam abwegige und sonderbare Sterbensmann hat den Tod überwunden, indem er ihm die Spitze geboten hat. Er redet scheinbar kalt vom Tode, und die Leute meinen daher, er habe schon die Weise des Todes angenommen. Nicht Todesverachtung aber darf man es nennen, sondern es ist jene pietistische Gelassenheit, die hier eine merkwürdige Symbiose mit stoischer Gesinnung und mit der Art der Montaigneschen Todesbetrachtung eingeht. Dieser Graf faßt das Todesproblem ganz naturhaft an, und trotz aller Übertreibung ins Komische und Schrullenhafte bleibt der Eindruck ergreifend; das Ganze deutet als merkwürdiges Symbol die religiöse Stimmung gewisser Schichten in der damaligen Zeit, Stimmungen, die auch einen von Todesahnungen früh erfüllten und doch lebensheiteren Menschen wie Mozart bewegen: jedenfalls ist es ein starkes Zeugnis für die durchgehende Innerlichkeit, wenn er seinem todkranken Vater am 7. April 1787 schreibt: „Da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes. Und ich danke meinem Gott, daß er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit . . . zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen." Die „Apologie" des Todes, die der düstere Grimaldi in Klingers 'Zwillingen' vor Guelfo hält, ist nur das unheimlich grausige Gegenstück zu Mozarts Bekenntnis. „Er ist ein guter Freund, heilt schnell alles Unglück. Du fühlst dich
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matt, als hättest du eine weite beschwerliche Reise getan, schlummerst ein und fühlst dich nach und nach nicht ohne Wollust sterben. Er schmerzt nicht, nur in der Einbildung; er ist viel zu freundlich . . . Kein Morgentraum ist lieblicher." Aber Hippel selbst bleibt innerlich dieser Gefühlslage nicht fremd. Er und seine Dichtung wußten bei aller Lebensfülle vom Tode, und dies gibt ihnen den vollen ernsten Klang. Durch alle seine Werke zieht sich der Gedanke an den Tod: in den 'Kreuzund Querzügen' heißt er Genesung von einer langen Krankheit und echter Ritter von der fröhlichen Gestalt. Vor allem die geistlichen Lieder Hippels zeigen sein inniges christliches Todesempfinden und beweisen, wie in die 'Lebensläufe' die persönlichste Überzeugung des Verfassers eingedrungen ist: die Todesfreudigkeit der in Gott gelassenen Seele, das trostvolle Todbild des Pietisten leben darin, und wenn Todesliebe und Grabessehnsucht in ihnen schwingen, so sollen Grab und Tod nicht dunkles Ende, sondern nur Durchgang zum Hellen sein. Geburt und Tod sind einerlei, Tod ist nur Verwandlung und Lösung aus allen engen Banden, das Leben hier ist nur Vorbereitung auf das andere ewige in einer besseren Welt. Wie in seinen Liedern, so deutet Hippel auch in zwei Maurerreden die Übereinstimmung von Leben und Werk, von Denken und Dichten. 1778 erschien der erste Band der 'Lebensläufe'. 1777 sagt er wie eine Vordeutung auf den Sterbegrafen: „Es gibt keine größere Pflicht als die, an den Tod zu denken . . . Wer eine Gelegenheit vorbeigehen läßt, die an den Tod erinnern kann, hat sein Glück ausgeschlagen." Man lebt nur um zu sterben, aber man stirbt, um zu leben. Auch hier das Streben nach Todüberwindung: froh müsse man sterben und der Maurer dürfe den Tod nicht fürchten, da er das Ende alles Elends und der Aufschwung zum Göttlichen sei1). Mystisch-neuplatonische 1 ) Die Mahnung zum Sterbenlernen auch bei L e n z , Gedichte a. a. O. S. 26, 41. — H i p p e l , Sämtl. Werke, Berlin 1828, Lebensläufe II, S. 8, 429ff.; 446, 4 5 2 - 4 5 4 ; III, l l f . , 15, 1 9 - 2 4 , 30f„ 4 1 - 4 9 , 63, 68, 72, 102ff„ 104, 1 1 1 - 1 4 9 (Rede dea Grafen); S. 159, 166. VII, Geiatl. Lieder, S. 225, 231, 235, 244ff.; 247, 248f.; Todesgedanken; 253, 264ff. ; 266ff.; Zur Erinnerung an den Tod, 273ff.; 290. Bd. VIII, Querzüge S. 349, 401; IX, 105, 329. X, S. 2 5 5 - 2 8 0 Pflichten eines Maurers beim Grabe seines Bruders 1777; VIII, S. 224—234: Von der Gesinnung des Freimaurers über sein Ende. Dazu auch F. J. S c h n e i d e r , Studien zu Hippels Lebensläufen. Euph.
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Stimmungen, die durch viele Mittelglieder dem Freimaurertum überkommen sind, klingen hier an und verschmelzen sich dann leicht mit der besonders pietistischen Art der Erlösungshoffnung: christlicher Auferstehungsglaube und philosophische Unsterblichkeitsgewißheit gehen ineinander über. Neben die 'Lebensläufe' kann man als gleichbedeutendes Zeitdokument und als Spiegel des Seelenlebens feinnerviger Menschen den 'Anton Reiser' von Karl Philipp Moritz stellen. Auch hier begleitet der Todesgedanke den jungen Menschen durch sein ganzes Leben, und zwar nun seltsam gesteigert, nicht in der ausgeprägt religiösen Form, sondern in einer ausgesprochen subjektivistisch-sensualistischen, ja lustbetonten Art, die aus einer weitgehenden, fast zum Wissenschaftlichen führenden Verfeinerung und Verweltlichung religiöspietistischer Seelenantriebe und pietistischer Sünden- und Zerknirschungswollust und deren willentlichem „Genießen" hervorwächst. Es ist jene seelisch-sinnliche, genüßliche Haltung, die schon in jenem „nicht ohne Wollust sterben" von Klingers Grimaldi angedeutet wird. Der Hang zum Grüblerisch-Einsamen zusammen mit der gleichfalls aus pietistischem Erbe stammenden pein- und lustvollen Beobachtung und Zergliederung des eigenen Innenlebens bis in die letzten seelischen Zuckungen führen ihn zu einem Höhepunkt seelischer Reizsamkeit, die bereits ins Krankhafte weist. „Selbst der Gedanke an seine eigene Zerstörung war ihm nicht nur angenehm, sondern verursachte ihm sogar eine Art von wollüstiger Empfindung, wenn er oft des Abends, ehe er einschlief, sich die Auflösung und das Auseinanderfallen seines Körpers lebhaft dachte." Ein selbstironisches Element ruht darin, das zur Romantik weist. Dem Todesgedanken nachzuhängen, bereitet ihm „eine Art von qualvoller Wonne". In Zeiten tiefer seelischer Gedrücktheit wünscht er sich den Tod und dann wieder packt ihn Angst vor dem Sinn des Daseins und vor der Zukunft; auf dem Kirchhof wird ihm der Gedanke des Todes schrecklich, weil er sich ihm mit der Vorstellung des Kleinen und Engen verbindet. Und wenn er später als Student in Erfurt wieder dichten will, sucht er „einen Stoff aus, der immer fürchterlich bleiben mußte . . . was konnte dies wohl anders sein als der Tod selber?" Das Todes23 (1921) S. 2 3 - 3 3 ; bes. S. 29—31 über den Einfluß Montaignes auf Hippels Todeserwägung. Ebd. S. 269 — 277: Montaigne und die Geniezeit, S. 371.
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problem stellt er fast dogmatisch orthodox mit der nachdrücklichen Betonung des strairichterlichen Charakters; aber das ist gewissermaßen der Gegenschlag gegen seinen weltlichen Sensualismus, wobei freilich auch hier die Lust an der Selbstqual mitspricht, die sich auf dogmatische Inhalte stürzt, in denen ihr neue Möglichkeit der Befriedigung winkt. Reiser wird von dem Gedanken des Todes abgestoßen und gepeinigt und doch immer wieder von ihm angezogen, weil er hinter ihm etwas Mystisches ahnt und es ihm triebhafte Notwendigkeit geworden ist, sich mit den dunklen Seiten des Lebens zu beschäftigen, Todespsychologie zu treiben, feiner und schärfer als der Sterbegraf. Es ist eine merkwürdig überlegte, nicht aus der Fülle der Empfindung hervorströmende Todesinbrunst, wirkliche Todesinbrunst, die nur das Dunkel, das Ende um seiner selbst willen liebt und spürend untersucht; das und die seltsame Gebrochenheit seiner ganzen geistig-seelischen Haltung trennt ihn von Hippel und den anderen. Ihm fehlt der begeisterte Aufschwung und das große Hoffen Klopstocks und die einfach christliche Versenkung in das Wunder des Todes, aber er hat dafür die wache Bewußtheit des Todesgedankens, die Interessiertheit des zugleich rationalen und irrationalen Kopfes 1 ). Keiner scheint ihm in solch seltsamer Zweiheit ähnlicher als der merkwürdige Georg Christoph Lichtenberg, der gleichfalls auf der Schwelle vom Bewußten und Unbewußten mit Vorliebe weilt und sich innerlich zu dem Reich des Ahnungsvollen, zum Dunkel der menschlichen Seele und zu allen ihren Zwischenzuständen hingezogen fühlt. Gesteigerte Selbstbeobachtung gesellt sich zu romantisch ironischer Bewußtheit und der strenge Mathematiker findet unerwartet schnell den Weg vom Rationalen zum Irrationalen. Reiser bekennt wollüstige Empfindung und qualvolle Wonne beim Gedanken an den Tod und die Zernichtung, Lichtenberg gesteht in seiner Selbstcharakteristik, er empfände geistige Wollust bei seiner Lieblingsvorstellung, den Tod sich zu denken. Bei ihm und bei Moritz muß man dann auch von einer geistigen Todeslüsternheit reden, von dem heimlichen und verheimlichten Verlangen des l
) K. P h . M o r i t z , Anton Reiser (Inselvorlag), S. 16, 28, 33—35, 36, 83f., 203, 269, 295, 314, 357, 472. - Vgl. allgemein G ü n t h e r a. a. O. S. 167ff. und F r . K o c h , Goethe und Plotin, Leipzig 1925, S. 113, 156.
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rationalen Kopfes nach dem Irrationalen, das für ihn den Reiz des Verbotenen hat und dadurch spannt. Und diese Haltung, die sich beträchtlich eben durch diesen Zusatz bewußtester Uberlegung von Klopstock, Lavater oder von Hippel unterscheidet, weist dann keimhaft wenigstens auf die romantische Todeslüsternheit und -besessenheit voraus. Nichts ist bezeichnender für den seelischen B a u dieses rätselhaften Mannes, als daß er immer wieder in seinen Tagebüchern an den Selbstmord rührt, ihn von allen Seiten her wertet und betrachtet. Frivole Neugier und doch wieder innerer Zwang und Veranlagung leiten ihn: er möchte wohl, wie es in der 'Rede eines Selbstmörders' heißt, „die Decke aufziehen, um zu sehen, ob es hinter derselben ruhiger sein wird als hier". Experimentieren auch noch dort; daher seine stetige Beschäftigung mit dem Zustand der Seele nach dem Tod, mit Seelenwanderung und Unsterblichkeit. Denn der Unsterblichkeitsglaube, der vor allem Beweis liege, ist für ihn die instinktmäßige W a f f e des Menschen vor der Todesfurcht und diese wieder — sehr rational gedacht — „ein großes Mittel, dessen sich der Himmel bedient, die Menschen von vielen Untaten abzuhalten". Lichtenberg f a ß t den Tod nicht eigentlich von der religiösen Seite her, aber auch nicht von der rein philosophischen oder biologisch-wissenschaftlichen ; er, der helle K o p f , hat nur das innerste Bedürfnis, den Tod in der Schicht des Fremden, ÜbermenschlichRätselhaften, ja Ehrfurchtgebietenden zu lassen. Er, der Rationalist im geistigen Sinne, wendet sich entschieden gegen die flache Todesauffassung der Aufklärung, die diese Erscheinung ins Licht des Alltags zerrt, keine Ehrfurcht vor ihm hat: es ist typisch, wenn Lichtenberg den ehrfurchtsvoll erschauernden Todesverkünder Y o u n g einen großen Mann nennt, aber die rationalen Todeserwägungen Montaignes ablehnt; er vermißt, wie schon Pascal, anscheinend in dessen stoisch-moralischen Trostgründen das Gefühl des Mystischen, Magischen am Tod und den Dingen, die mit ihm zusammenhängen. Und dies braucht er, nicht aus strömender Gefühlsinnerlichkeit heraus, sondern aus einem tief im Psychischen begründeten, intellektualen zitternden Reizverlangen, das sich an dieser rätselhaften „unveränderlichen Größe" immer wieder entzündet. Er sucht dem Tod durch Denken und Spüren näher zu kommen, ohne sich das Irrationale daran zu zerstören, ob-
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wohl er weiß, daß er gerade damit dem Chaotischen in sich gefährlich weit Tür und Tor öffnet, und aus geistiger Wollust, die er gegen seinen Willen sparsam genieße, etwas Verbotenes tut. Denn er fürchtet doch zuweilen, es möchte daraus eine melancholische und nachteulenmäßige Betrachtungsliebe entstehen ; es ist also die Angst vor dem Inneren, dem Mystischen in sich selbst. Auf wunderliche Gedanken trifft man bei diesem seltsamen Menschen: „Zu leben wenn man nicht will, ist abscheulich, aber noch entsetzlicher wäre es, unsterblich zu sein, wenn man nicht wollte." Auch hier das fast lüsterne Rühren an Verbotenes und Dunkles; dann Erwägungen, die mit dem Irrationalen, Geheimnisvollen spielen: „Das Wort Entbindung ist zweideutig; es kann auch den Tod bedeuten." Oder „der Tod ist das Leben; ehe die Zeit war, war die güldene Zeit" (und als ob er das Mystische und Verbotene wieder eindämmen wollte, fährt er gewollt trivial fort), „kein Jammertal, keine Kopfsteuer, kein Zahnweh. . ." Dann wieder, vielleicht am bezeichnendsten : „Nach dem Tode müßte man nicht sagen, sondern nach dem Leben." Suchendes und spürendes Todesverständnis weitet sich bei Lichtenberg mitunter in seltenen, aber die tiefste und heimlichste Sehnsucht seines Seins enthüllenden Augenblicken zu jenem Verlangen, sich ganz aus aller rationalen Bewußtheit ins Unergründliche zu erlösen, über den Scheidepunkt des Sterbens hinauszukommen in die Zeitlosigkeit, wo „ihn der Schoß des mütterlichen Alls und Nichts" wieder aufnehmen wird, — Rückkehr in jenen Zustand des Gestorbenseins, in dem der Mensch war, ehe er geboren wurde. Das Merkwürdige, ja Tragische aber ist, daß Lichtenberg doch nie selig im All aufgehen und sich ganz vergessen könnte; — sondern er würde auch dort aus innerem dämonischen Zwang heraus, so meint man, seine Wissensgier stillen, die „Geheimnisse des Todes", des Jenseits beobachten, aufschreiben, die neuen Erfahrungen erwägen wollen. Ja, er würde in seltsamer Zweiheit auch noch den Genuß eines vorläufig gestillten Wissens bewußt genießen, so wie er im Diesseits auch bewußt den Genuß, die geistige Wollust genießen und feststellen konnte, wie er stets das Irrationale rational zu begreifen suchte. Er ahnt oder weiß wohl selbst seine Unfähigkeit zur völligen geistigen Hingabe und Selbstentäußerung, und seine leidenschaftliche Abneigung gegen die ihm so verhaßten Genies mag nicht zuletzt gerade darin gründen, daß er hier fand und verkörpert sah,
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was ihm selbst ewig verschlossen blieb und doch immer heimliches Endziel war1). In Herders Todempfinden schließlich verkörpert sich allgemein im Idealtyp das der Epoche. Das Lyrisch-Pathetische Klopstocks, das Religiös-Pietistische der Frommen und das Rauschhafte der Genies, diese drei liegen dort, wo ihm der Tod nahetritt, zusammen. Und er ist ihm nahegetreten; rein äußerlich und literarisch schon damals, als er noch als kaum Erwachsener, in einem Alter also, das doppelt empfänglich und erregbar ist und gerne mit „hängerlichen Gedanken" umgeht, bei dem Pastor Trescho tätig war, jenem Manne, der der Verfasser der weitverbreiteten Sterbebibel in Poesie und Prosa oder 'Die Wissenschaft, selig und fröhlich zu sterben' (1762) war2). Herder mag durch dies Buch, das höchst seltsam pietistische Selbstgefälligkeit mit platter Aufklärungsgesinnung verbindet, manche, auch ungewollte Eindrücke empfangen haben, so sehr er später diese ganze, an Young und Hervey anknüpfende Richtung in ihren Auswüchsen abgelehnt hat. Aber der tiefe Blick, den Herder in 1
) Lichtenberg, Vermischte Schriften 1800, I, S. 110 ( = Tagebücher ed. Leitzmann DLD. 136, S. 96); S. 188, 193 ( = DLD. 123, S. 14); I I , 283 über Montaigne; IV, 359f. — Tagebücher DLD. 123, S. 17, 34, 109, 120f., 146. DLD. 131, S. 63, 71, 115ff., 122, 124. DLD. 136, S. 7, 30, 96f., 193. DLD. 140, S. 128, 180, D L D . 141, S. 99, 130. — E. B e r t r a m , Lichtenberg, Bonn 1919, S. 35, 41 — 44. a ) Die 'Sterbebibel' erschien zuerst 1762, in zweiter Auflage 1767. Die möglichen näheren Beziehungen können hier leider nicht untersucht werden. Die Sterbebibel selbst ist typisch f ü r eine gewisse durchschnittliche Seelenlage, sie f ü h r t die alte Gattung der „ A r s moriendi" weiter, nur unendlich verbreitet, mit zahlreichen f r e m d e n Einschaltungen. — Herders Abneigung gegen den „ f r o m m e n " , „gottseligen" Priester Gottes u n d „ T a r t u f f e " äußert sich verschiedentlich, gerade immer in Zusammenhang mit dem Tode: Suphan I, 252, 353; I I , 301; I I I , 276; V, 291 (großer Sterbensapostel); V I I , 282ff.; X X I X , 285; vgl. auch Lebensbild I, 2, 105. Eine 'Thanatologie', die 1795 erschienen ist u n d anscheinend ähnliche Zwecke verfolgt, ist nicht zugänglich gewesen, übrigens auch nicht nachweisbar; T i e g h e m a. a. O. S. 92 f ü h r t sie an. Tieghem macht auch ebd. S. 93, 97f. darauf aufmerksam, daß ein neues Thema vom „sterbenden Christen" n u n in der L i t e r a t u r a u f t a u c h t , bei Pope, Richardson, 1754 u n d 1764 auch in zwei deutschen Stücken, u n d später noch bei Chateaubriand u n d Lamartine. Die pietistischen Einflüsse werden hier ganz deutlich sichtbar.
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das Geheimnis des Todes hinuntergetan hat, wächst aus eigenster Lebensstimmung und prägt sein ganzes Verhältnis zum Dasein. „Meines Lebens verworrene Schattenfabel: oh frühe, frühe begann sie schon dunkell" Daß Herder gerade Baldes „Langsam Sterbende", Shakespeares „Komm süßer Tod" so ergreifend innig und seelenweich in seiner wunderbaren stimmungsgesättigten Übertragung nachempfinden konnte, offenbart, daß ihn hier eine tiefe innere Verwandtschaft mit dem Lebens- und Todesgefühl vergangener irrationaler Zeiten verbindet. Tod steht überall dunkel und mütterlich; Herders für die irrationalen Seiten des Lebens empfängliches Gemüt umschließt traumhaft ahnend und sehnend das Über- und Unterbewußte, das Land der Seele. Nicht umsonst dichtet gerade er von der allmütterlichen Nacht, die alles, was sie erzeugt, wieder in ihren Schoß zurücknimmt. Schlaf, Tod und Nacht, Traum und Dunkel : nennt er eines von diesen, so schwingen die andern von selbst mit. Immer wieder kehrt er an diese Grenzen zurück. Jenen traumhaft schwebenden Zustand zwischen Sein und Nichtsein, den balsamischen Schlaf, hat kaum einer zuvor so tief empfunden als des Todes Bruder wie Herder. 'Schlaf und Tod' (ihm von früh an verwandte Vorstellungsinhalte) heißt schon ein Gedicht aus der Frühzeit. „Komm, o du des Todes Bild, sanfter Schlaf und breite dein Gefieder über mich." Und dann schon hier die ahnende Frage: „Wird mir, wird es auch so sein im Todesschlummer?" Nur aus solcher Empfindungslage denkt Herder den Todesgedanken; seine Rätsel lösen sich ihm in der Erkenntnis der Einheit in der Zweiheit von Schlaf und Tod1). Herder fühlte sich innig zu dem Todverstehen der Antike hingezogen. Er ahnte, daß hier ein Volk aus der qualvoll hinabziehenden Bewußtheit des dionysischen Toderlebnisses sich in die heitere und apollinische Verklärung des Todes flüchtet, hin zum Symbol des anmutigen Genius, daß es den grausamen Tod nicht denken wollte, da es ihm den Lebenswillen zerbrechen würde. In der Abhandlung 'Wie die Alten den Tod gebildet' setzt er sich mit Lessing auseinander. Aber was bei den Griechen, ja was auch bei Lessing im letzten aus einer ästhetischen Weltbetrachtung !) Herder ed. S u p h a n 28, s. 133, 142ff., 29, s. 107, 124ff.; 169, 2 1 8 f f 2 4 1 f f . , 249, 292ff., 340ff., 600. Vgl. auch E. K ü h n e m a n n , Herder, München 1912s, S. 447, 458ff. - Vgl. C. F. Meyers Gedicht 'Der Marmorknabe' und E i c h e n d o r f f s 'Auferstehung'.
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und dem verhüllenden Streben vom Abgründigen fort zu jenem lieblichen Bild des Todes führte, das flöß bei ihm aus dem unerschöpflichen Quell eines religiösen Empfindens, aus einer metaphysisch geweiteten christlichen Überzeugung. Denn gerade, daß der Stifter der christlichen Religion es zu einem Hauptzweck seiner Sendung machte, den Tod in einen Schlaf zu verwandeln, diesen irrationalen Heilsvorgang nahm Herder als beseligenden Einklang mit seinem Todesgefühl. In der religiösen Sphäre läßt er nun Tod und Schlaf und setzt sie nicht in die ästhetische, wie die Antike und Lessing. Dessen Vorwürfe gegen den verdüsternden Einfluß des Christentums auf die Todesvorstellung weist er als unberechtigt zurück. Das sei das Werk der nordischen Mitternacht mit ihrer Liebe zum Schauderhaften und Gräßlichen. „Die Flügel des Todes rauschen näher, desto sanfter wird ihr Sausen, bis sie uns überschatten, und der blasse Schleier auf uns sinkt, der von lebendigen Händen kaum mehr berührt werden sollte . . . Kein Schreckgespenst also ist unser letzter Freund, sondern ein Endiger des Lebens, der schöne Jüngling, der die Fackel auslöscht und dem wogenden Meere Ruhe gebietet 1 )." Im engsten Zusammenhang mit diesem tiefen Zeugnis Herderschen Gefühls steht aus dem 'Paramythien' das Gedicht: 'Der Tod. Ein Gespräch an Lessings Grab.' Hier gewahrt man nun wie bei den Genies die erotische Deutung des Todessymbols. Die seltsamste und mystischste aller Lieben, die Todesliebe, durchdringt auch Herder, wie schon in dem Gedicht 'Des Einsamen Klage'. „Himmlischer Knabe, was stehest du hier? die verglimmende Fackel Nieder zur Erde gesenkt . . . Bist du Amor? — Ich bins. Doch unter dieser Umhüllung, Ob ich gleich Amor bin, heiß' ich den Sterblichen Tod. Unter allen Genien sahen die gütigen Götter Keinen, der sanft wie ich, löse das menschliche Herz . . . Dann geleit ich im lieblichen Kuß die scheidende Seele Auf zum wahren Genuß bräutlicher Freuden hinauf . . . " Tod als Amor, Tod als Liebe symbolisiert : das ist das dionysische Todempfinden der Genies und dies Gedicht selbst ein Gegenstück *) Suphan 15, 4 2 9 - 4 8 5 von 1796 (zuerst 1774; 5, s. 6 5 6 - 6 7 5 ) ; bes. S. 430, 448, 457ff., 481, 483ff.
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zu Goethes Deutung des Todes als Liebe im 'Prometheus'. Bei Herder freilich ist dieses Todempfinden verfeinert, des Stürmischen und Allzurauschenden entkleidet und dafür in die Sphäre des schleierhaft Umwobenen, bräutlich Mystischen übertragen : Herder ist der erste, der seit dem Barock, seit Balde und vor der Romantik, vor Novalis den Tod mit dem Symbol des Bräutlichen zu umfassen und zu verstehen sucht. — In der 'Elegie' heißt es: „Komm, Gruftkleid I Mich mit Freuden ins Brautgewand zu kleiden 1 )." Das ist unmittelbarer Anklang an Shakespeares 'Süßer Tod' aus den 'Stimmen der Völker'. Aber Herder bleibt nicht in solch mystisch-erotischer Todesversunkenheit ; sie hilft ihm nur dazu, tiefer Sinn und Wesen des Todes zu ahnen, er sieht nicht nur in das Dunkel des Schlafs und der Nacht, sondern hindurch und darüber hinaus auch in die Höhe der Auferstehung, wie Klopstock, wie Lavater. Denn Unsterblichkeit begreift auch er in der eigentlich christlichen Form als Auferstehung, als Wiedergeburt, und immer wieder knüpft er an die biblische Überlieferung an und sucht sich das Wunder der Auferstehung zu verdeutlichen. Er muß sinnlich sehen und kann sich zunächst die Seele bei der Auferstehung nur mit dem Leib verbunden denken. In diesem Versinnlichungsdrang gegenüber der mehr abstrakten Vergeistigungstendenz, wie er sie klassisch in Mendelssohns 'Phaedon' verkörpert findet, liegt die Rückwendung zum bodenständig Christlichen. Wie Herder in das antike Symbol des Todes den christlichen Gehalt hineinlegt und die antike Einheit von Schlaf und Tod für das religiöse Empfinden aus dem christlichen Glauben neu zu deuten sucht, so deutet er auch diesen Auferstehungsglauben neu: er wird ihm Symbol der Geburt des Menschen zu sich selbst. An Christus knüpft er an, aber er will jetzt die Offenbarungstatsachen ins Philosophische umsetzen — darin liegt der Wandel im Todesgedanken. Er hat zwar das Bewußtsein, daß dem Menschen die Voraussicht über Leben und Tod, die Kenntnis der Zukunft versagt sei. „Töricht ists", sagt Herder in dem Aufsatz über Wissen und Nichtwissen der Zukunft, „sich um das zu bekümmern, was wir nicht wissen können; träge und unverdrossen wäre es, sich um das nicht bekümmern zu wollen, was uns von der Zukunft zu wissen not ist". Und dies Nötige Suphan 28, 135. S. 346 Elegie.
'Des Einsamen Klage' 29, S. 604f.;ebd.
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sucht Herder immer wieder zu ergründen in Aufsätzen, die zumeist in den „Zerstreuten Blättern", dem persönlichsten Zeugnis Herderschen Glaubenslebens, erschienen sind, 'Wie die Alten den Tod gebildet', 'Tithon und Aurora', 'Über die menschliche Unsterblichkeit', 'Über die Seelenwanderung', 'Das Land der Seelen', 'Palingenesie', 'Gott', 'Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele' und in den 'Ideen'. Sie alle sind Lösungsversuche der einen Grundfrage und in allen tönt schwächer oder stärker die gleiche Überzeugung, die Herder in einer Grabschrift geformt hat: „Alles verwandelt sich, nichts stirbt. In schöner Verwandlung wird die Hoffnung Genuß und das Verlorne Gewinn1)." Leben ist Bewegung und Wirkung und der Tod nur Verwandlung solcher Bewegung, Übergang zu neuen jungen Organisationen. Natur ist immer schaffend und zerstörend, und alle Zerstörung ist nur scheinbar, sie dient der „Ausbildung des Ganzen". In Herders Gespräch 'Gott' von 1787 prägt sich dieses irrationale Einheitsgefühl von Leben und Tod am deutlichsten aus: „Es ist also kein Tod in der Schöpfung; es ist ein Hinwegeilen dessen, was nicht bleiben kann, die Wirkung einer ewig jungen, rastlos dauernden Kraft, die ihrer Natur nach keinen Augenblick müßig sein, stillestehen, untätig bleiben konnte . . . denn diese Verwandlung selbst ist eben der Ausdruck ihrer unzerstörbaren Wirksamkeit voller Weisheit, Güte und Schönheit . . . Kein Tod ist in der Schöpfung, sondern Verwandlung." Es ist keine Ruhe, kein Rückgang, sondern Fortgang, ewige Palingenesie. Denn — und damit betritt man das neue Gebiet — ein fester Auferstehungsglaube beseelt Herder in der allmählich immer klarer heraustretenden Form einer geistleiblichen Wiedergeburt — „die feinste überirdische Hoffnung in eine edle Sinnlichkeit verwandelt" •—, einer glücklichen Evolution „der in uns schlummernden, uns neu verjüngenden Kräfte. Was wir Überleben unserer selbst, also Tod nennen, ist bei besseren Seelen nur Schlummer zu neuem Erwachen, eine Abspannung des Bogens zu neuem Gebrauche2)". !) Suphan 29, 667. — Die folgenden Stellen aus 'Gott': Suphan 16, S. 660, 564, 567ff. Außerdem 31, 194ff. - Dazu E. Hoff art, Herders 'Gott' Halle 1918, S. 54ff. ') Suphan 16, 122. Über die ganze Unsterblichkeitsfrage und besonders über das Palingenesieproblem sind die wichtigen Ausführungen von R. U n g e r zu vergleichen: Herder, Novalis und Kleist,
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Der Tod trägt ethischen Charakter neben seinem mystischen. Der Mensch hat den Keim des Unermeßlichen in sich, er ist, so sagen die 'Ideen', zur „Hoffnung der Unsterblichkeit" gebildet, er ist bestimmt, „inwendige Gestalt und Form der H u m a n i t ä t zu gewinnen". Erst der Tod — Lavater denkt ebenso — bringt das wahre Sichfinden zu sich selbst, die Lösung aller Kräfte, das Sprossen aller Keime. „Diese gottähnliche Humanität, die verschlossene Knospe der wahren Gestalt des Menschen", geht hinüber in jene Welt,. Die Humanität als die schönste Blüte menschlichen Lebens muß notwendig „dort zu der erquickenden Gestalt, zu der umschattenden Höhe gelangen, nach der in allen Verbindungen der Erde unser Herz vergebens dürstet". Der Tod wird so in engsten Zusammenhang mit dem Humanitätsgedanken gebracht, wie in der Klassik. „Das Leben ist also ein Kampf, und die Blume der reinen unsterblichen Humanität eine schwer errungene Krone. Den Läufen steht das Ziel am Ende; dem Kämpfer um die Tugend wird der Kranz im Tode." Die Verwandtschaft mit dem Christlichen liegt auf der Hand: es ist die Krone des ewigen Lebens, nur jetzt anders benannt. In dieser Todüberwindung, im Streben nach „Reinigung des Herzens", nach „Veredlung der Seele", nach „möglichster Ausarbeitung seiner Form", in dem ganzen Humanitätsgedanken überhaupt liegt etwas Rationales, das unmittelbar auf die Klassik vorausweist. Aber darin unterscheidet sich Herder doch wieder grundlegend vom Rationalismus, seinem Vollkommenheitsstreben und seiner Unsterblichkeitshoffnung, daß er das Auferstehen und das Leben im Jenseits als — Frucht der sittlich religiösen Entwicklung betrachtet; die Seele ist nicht an Frankfurt 1922, S. 1 — 23 Herder und der Palingenesiegedanke ; außerdem ebd. S. 31ìf., 42ff., 49ff. Weiter C. S i e g e l , Herder als Philosoph, Stuttgart 1907, S. 80> 140—146; H. S t e p h a n , Herder in Bückeburg, Tübingen 1905, S. 215 — 221; Ε. A. B o u c k e , Goethes Weltanschauung auf historischer Grundlage, Stuttgart 1907, S. 138f. Polaritätsidee. Jetzt auch H. B r i n k m a n n , Die Idee des Lebens in der Romantik, Augsburg 1926, S. 77ff. — Die angeführten Stellen: Ideen X I I I , 165, 177, 187, 191, 1 9 4 - 1 9 7 ; XV, 303, X V I , 33, 115, 373, 377. Dazu VII, 19; VIII, 234; X X X I , 214. Herder lehnte jene Anschauung, die nur die Vernichtung und das Vergehen sieht, ab: V, 299 über Creuz. — Übrigens tritt nur bei Herder der Tod als Gestalt auf; auch das zeigt die Verwandtschaft mit der Romantik: Admetus Haus (1803!), 38, 385 'Genius des Todes erscheint'.
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und für sich unsterblich, sie hat keinen Anspruch darauf, wie der Rationalismus und dann auch die Klassik annehmen, sie ist nicht von Anfang an ihres Neuwerdens gewiß. Es ist die gleiche Überzeugung, die Oetinger so ausdrückt: „Gott allein hat ein unauflösliches Leben, ihm allein kommt Unsterblichkeit zu. Dagegen hat keine Kreatur in sich selbst ein unauflösliches Leben. Es ist wohl wahr, daß die Seele nicht getötet werden kann, und daß sie nach dem Untergang des Leibes doch noch übrigbleibt. Aber es kommt dies der Seele nicht aus Naturnotwendigkeit zu, sondern nach einer freien Bestimmung Gottes 1 )." Es gibt zwei Seiten im Herderschen Leben: eine irrationale und eine rationale, die mehr im reifen Herder zum Vorschein kommt. Herder, der stets empfängliche und Neues spürende, verkörpert ebenso klassische wie romantische Ideale: sein Humanitätsgedanke mit dem Persönlichkeitsbewußtsein und dem Willen zum Wirken auch Drüben rückt ihn zur Klassik und zum Rationalismus : das moralische Vollkommenheitsstreben, das er in den Dienst geschichtsphilosophischer und religiöser Erwägungen stellt, bewegt ihn von früh an und bestimmt auch seine Aussicht in die Ewigkeit. Herder und Lavater neigen innerhalb der irrationalen Strömung am stärksten zum Rationalismus und zu den Idealen der Klassik hin. Aber tatsächlich drücken sie (und besonders Lavater, wie Goethe schon hervorhob) im grenzenlosen Verlangen, „sich im Unendlichen auszudehnen" ein „Ideelles" durch ein „Reales", ein Irrationales durch rationale Worte aus, kleiden das Übersinnliche in sinnenhaft-anschauliche rationale Form, die sie nur in die religiöse Schicht hinüberführen. Denn was sie beide von der Klassik scheidet, das ist eben die völlige Jenseitigkeit, die Vergeistlichung des Humanitätsgedankens: ist t r a n s z e n d e n t a l e H u m a n i t ä t . Aber ganz ebenso führt Herder auch zur Romantik: seine Nacht- und Todbegeisterung weist auf Novalis voraus. Und ebenso dann der Wille zur Vernichtung des Ichs, der dem Gedanken des Humanitätsideals doch widerstrebt: Aufschwung zum Göttlichen als Eingang zur Einheit. „Das Ich erstirbt, damit das Ganze sei." Das ist nicht Frühstimmung allein des Bückeburger Herders, der bei aller Betonung des Persönlichen doch 1
) O e t i n g e r , Die heilige Philosophie ed. O. H e r p e l , München 1923, S. 203f.
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das Allgemeine höherstellt, den das Allgefühl der Geniezeit beseelt, sondern auch noch der alte Herder kann 1797 in einem Gedicht bitten: „Wenn einst mein Genius die Fackel senkt, So bitt' ich ihn vielleicht um manches, nur Nicht um mein I c h . " Diese Zweiheit der Vorstellung: Erhaltung der persönlich-individuellen Lebensform oder Vernichtung der Ichheit — „dann wird sich alles in Licht verklären, in gemeinschaftliches Licht, Seligkeit und Wonne" — sie bleibt bis an das Ende deutlich erhalten und ausgesprochen und ruht im letzten doch wieder in dem einheitlichen Grundgefühl eines irrationalen Gemütes. Man kann nicht zweifeln, wo für Herder der höhere Wert bleibt: er will die Menschheit, nicht die Menschen, er strebt stets nach dem Allgemeinen. Herder geht von der Religion, von Christus aus. „Von allem, was Ich ist, sucht seine Religion uns in Begriffen, Leitungen und Handlungen zu befreien ; nicht Wahrheiten, sondern das Wahre suchen, nicht Gute, sondern das Gute lieben, . . . und eins mit ihm, mit allem Guten eins zu werden, wie er es mit dem Vater und mit uns ist. 1 )" Darin erkennt man, wie Herder doch im tiefsten, mit dem Lebensgefühl der Geniezeit und der Romantik verbunden ist, mit dem Allgefühl einer irrationalen Epoche. Daß Herder nun diesem neuen Allgefühl, diesem allumfassenden Todempfinden das christlich-religiöse Todgefühl eingeschmolzen, daß er die göttliche Unsterblichkeitshoffnung eines Klopstock etwa mit dem Auferstehungsglauben eines Lavater versöhnt und verbunden hat, darin liegt seine große geistesgeschichtliche Bedeutung. Es ist enger gefaßt „die Synthese christlicher Auferstehungshoffnung mit dem Alleinheitsgefühl, dem Immanenzgedanken", weiter genommen die „Versöhnung des Lebensgefühls und Weltgedankens der monistischen oder panentheistischen Immanenz mit dem Kerngehalt des geschichtlichen Christentums auch auf dem Gebiete des Unsterblichkeitsproblems 2 )." Damit wird schon Zusammenfassendes angedeutet; man spricht von dem besonderen Herder und rührt an die allgemeinen Fragen der Zeit. Vgl. 7, 427, 462; 29, 135, 138; 31, 319ff.; Stephan a. a. O. S. 145, 211. 220Î. 2 ) Unger a. a. O. S. 13, 21, 23.
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Aus der Rückschau bleibt die Überzeugung, daß hier der Tod in verschiedenen Schichten zwar, aber doch wirklich als ein Mittelstes erlebt wird. Man geht dem Tod nicht aus dem Weg, wie der Rationalismus und wie später in gewissem Sinn auch die Klassik. Man braucht ihn nicht, wie die Aufklärung, sich erst anverwandeln dadurch, daß man ihn dem Kosmos einordnet und das Schreckliche an ihm überdeckt, man flieht nicht aus dem Todesgedanken in den Gedanken der Unsterblichkeit. Man kämpft nicht gegen ihn, denn der Tod lebt im Menschen selbst und bestimmt sein Verhalten zu allen Fragen des Lebens. Lichtenbergs Ablehnung von Montaigne hat sinnbildlichen Charakter, ähnlich wie Herders Beschäftigung mit Lessings Todbild. „Für den Romantiker, sagt Bertram, haben die Trostgründe wider den Tod, welche die Rationalisten mit den römischen Moralphilosophen gemeinsam haben, hat deren ganzes Verhältnis zum Tode etwas widrig Zweckhaftes, sozusagen Hygienisches, das den Tod entgeheimnißt und zugleich den Menschen entartet 1 )." Hamann vor allem, der große Künder und Erwecker religiösen Aufbruchs, der die Gleichgültigkeit des Rationalismus gegenüber dem Tode bekämpft, der die große, das Christliche wieder in den Mittelpunkt rückende Zeitfrage stellt, durch welches Geheimnis der Christ den Tod in einen Weisheitslehrer und Friedensboten verwandle, will, daß man dem Tod auch das Dunkle und Mystische lasse. Ja, er sieht ähnlich wie Herder in der S a n k t i o n und Satzung des Todes „das allererste, feste, prophetische Geheimnis für die neuerschaffene Erde", aber auch den großen Lehrer. Und gerade die Behauptung Hamanns der „liebe Tod" sei die beste Erziehungsanstalt für sein ganzes Geschlecht, zeigt, was seiner Zeit fehlte, was die neuanbrechende verlangte: das neue tiefe Verstehen des Todes2). Das war vorläufig nur möglich, wenn man den Tod aus den ethischen Bezügen, in die ihn der Rationalismus verstrickt hatte, wieder in die religiöse Stimmung hineinsetzte, wenn der Tod nicht einem Zweck dienstbar gemacht wurde, sondern in voller Majestät erschien: der Todesengel Klopstocks ist dafür äußerlich schon Symbol3). !) Bertram a. a. O. S. 42. 2 ) Hamann a. a. Ο. VI, 16, 249; II, 334. 3 ) Der Todesengel taucht oft auch: Bodmer läßt sich ihn natürlich nicht entgehen, in der 'Noachide' (1765) kommt er des öfteren vor, ebenso bei Wieland, bei Fr. v. Stolberg (Die Zukunft
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Aber ein anderes durchströmte die Zeit und gab ihr die Stoßkraft, mit der sie alles erfüllt : das Gefühl des Göttlichen in sich, am stärksten und erhabendsten bei den Genies, deren Göttlichkeit schon Young gepriesen und verkündet hatte: „Das Genie ist der Gott in uns." Ein Aphorismus Heinses sagt es deutlich: „Es ist ein Gott. Wir sind Teile von ihm, Funken, angezündete Lichter, wir müssen Teile von ihm sein. Denn so etwas wie Seele läßt sich nicht anzünden." Die Vorstellung des mystisch-platonischen Seelenfünkleins taucht auf und gibt dem jungen Menschen, was Young immer wieder gefordert hatte, die Ehrfurcht vor sich selbst. Sie gibt ihm aber auch die Unsterblichkeitsgewißheit, von der in der Form des Auferstehungsglaubens Klopstock und Herder gleich tief durchdrungen sind wie etwa Rousseau, der an Voltaire in seinem Briefe über den Optimismus 1756 bekannte: „Alle Spitzfindigkeiten der Metaphysik werden mich nicht einen Augenblick an der Unsterblichkeit der Seele und an einer wohltätigen Vorsehung zweifeln lassen. Ich fühle sie, ich glaube sie, ich will sie haben, ich hoffe auf sie, ich werde sie noch mit meinem letzten Seufzer verteidigen." Und ebenso verteidigt sie der savoyische Vikar im 'Emile' gegen die Materialisten und ruft sogar: „Der Mensch lebt in diesem Leben nur halb und das Leben der Seele fängt nur mit dem Tode des Leibes an." Rousseau sah im Tod kein Übel, erst die Kultur hat ihn dazu gemacht und die Reflexion hat ihm den Schrecken gegeben und die Furcht geboren. „Der Tod ist das Mittel wider die Übel, die ihr euch selbst zufügt," er erlöst1). Solche Unsterblichkeitsgewißheit und solcher Auferstehungsglaube ruhen auf ganz anderen geistigen und religiösen Kräften, ed. Hartwig, Archiv f. Lit.-Gesch. XIII, 1885 S. 177ff.), am erhabensten in S onnenbergs barockem, mit philosophischen von Schelling beeinflußten Spekulationen erfüllten Epos, das er nach der Hauptgestalt, dem tragisch-düsteren 'Donatoa' (oder 'Das Weltende' 1806) benennt. Nachdem er alles Lebendige und selbst die Welt vernichtet hat, muß er selbst sterben; er erwartet den Tod, sein Haupt im göttlichen Schoß bergend. Darüber handelt jetzt ausführlich Sp. Wukadinoviç, Sonnenbergs 'Donatoa', Euph. 16. Ergänzungsheft, 1913, S. 8 5 - 1 0 5 . 1 ) Y o u n g a. a. O., Gedanke über Orginalwerke S. 15, 17, 24f. — H e i n s e , Aphorismen I, 32. — Rousseau, Kulturideale ed. E. Spranger, Jena 1922, S. 310; vgl. S. 295—297, 301, 304. Vgl. auch L e m p p a. a. O., S. 225ff.
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als in der Aufklärung, die selbstüberheblich die naturnotwendige Unvergänglichkeit annahm, weil der Mensch das Höchste der Schöpfung sei. Aber es fehlt ihr auch die Hinordnung aufs Göttliche und auf das Jenseitige, die in der neuen Generation überall vorhanden ist, eben in dem Willen ganz lebendig zu sein, der, wenn er nicht angenommen, sondern angeboren sei, von etwas Gutem nnd Edlem zeuge. Das schreibt F. H. Jakobi, der Glaubens-und Gefühlsphilosoph 1 ). Dieser Unsterblichkeitsglaube also verknüpft sich innig mit dem Tod. „Ohne Verwandlung, deutet Hamann an, wird man nicht unsterblich." Sie ersehnen den Tod alle als Mittler in der Rückkehr zum Ursprung, nur auf verschiedene Weise, und alle fühlen sie den Schauer, der in der Verwandlung liegt, ob sie ihn nun wie Klopstock pathetisch erhaben erhoffen oder wie Hölty weich und sehnsuchtsvoll sich ihm hingeben, ob sie das ChristlichReligiöse der Auferstehung jubelnd verkünden, wie Herder oder Lavater, oder ob sie ihn wie die Genies als dionysiche Entfesselung umarmen. Die tiefere Einheit in der Zweiheit Leben und Tod erfahren sie alle kraft ihres Alleinheitsgefühls oder ihres Auferstehungsglaubens. So sagt Heinse: „Leben und Tod; daraus ist alles zusammengesetzt; und der Tod das, woran sich das Leben hält . . . Das allgemeine Leben ist Gott oder die Natur . . . das Leben zehrt den Tod auf; und nicht der Tod das Leben 2 )." Die strömende Welle des „Stirb und Werde" erfahren sie ganz. Auch die Aufklärung war zu dieser Erkenntnis des ewig Lebendigen gekommen. Es ist scheinbar hier und dort der gleiche Lebensbegriff, aber man deutet ihn und daher auch die Wandlung im Tode verschieden. Im Rationalismus bedeutet Leben Erhaltung der Substanz, da Rückschritt oder Vernichtung sinnlos gewesen wäre, es bedeutet Wirken und Schaffen, und das Ziel der Wandlung ist Immer - Wiederkehren und -Vergehen des Menschen in sittlich emporläuternder Metamorphose, ist die höchste Entfaltung der Persönlichkeit und ihre Gestaltung. Aber der M Jacobi, Werke I, 1821, S. 353. 2 ) H a m a n n IV, 76. — H e i n s e I, 14; vgl. I, 21. Alles ist Erscheinung, und besteht aus Tod und Leben „Das Leben verschwindet, und der Tod erwacht und geht auf in neuem Leben." I, 139. — Ardinghello S. 288 = Aph. II, 159. Leben und Tod als Ausdehnung und Zusammenziehung: II, 166. — Auch I, 28.
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Irrationalismus deutet das Leben nicht als einen ethischen Begriff, sondern als einen metaphysischen. Es ist die einmalige Verwandlung, die plötzlich im dionysischen Rausch ins All zurück den kürzesten Weg gehen läßt. Man will in den großen Strom tauchen, unbewußt in höchster Lust — man spürt das Lustvolle in der Zerstörung des eigenen Selbst. Es ist keine Harmonie, sondern eine Symphonie. Platonisches klingt an; Heinse schreibt: „So geht all unser Streben ins Unendliche. Wir sind nie groß und glücklich, außer wenn wir außer uns selbst verschwinden." Und Rousseau bekennt, wenn sein Geist zu dem unbegreiflichen Wesen, das alles umfaßt, sich erhebt und sich in dieser Unendlichkeit verliert, dann fühlte und dachte er nicht und philosophierte nicht 1 ). Tod ist Öffnung und Entgrenzung des Lebens, er bringt wohl Erhöhung des Gefühls, Selbstverwirklichung, aber diese Selbstverwirklichung liegt in der Selbstaufgabe, die Verselbstung in der Entselbstung; auch hier braucht der Mensch den Tod, um wesentlich zu werden, d. h. um sich mit dem Göttlichen zu vereinigen. Tod ist die letzte Tat und Handlung des Lebens, die reife Frucht des Sterbenlernens. Auch diese Epoche des Gefühls überwindet den Tod; das Einzelleben wird durch den Tod geläutert und zum allgemeinen Leben geleitet, aber man überwindet den Tod gerade nicht in der Erhaltung der persönlichen Lebensform wie im Rationalismus: so daß also nur sehr bedingt der Palingenesiegedanke als Antwort der Zeit auf das Todesproblem gelten darf2). Man überwindet den Tod in der Liebe: sei's in der dinoysisch rauschenden, sei's in der christlich-religiösen, wie es Jacobi meint: „Mit der Einsetzung einer Liebe, die den Tod überwindet und Unsterblichkeit gebiert, hat die Welt angefangen8)." Man überwindet den Tod, indem man sich ihm hingibt. Die sehnsüchtige, hochgemute und rauschende Todesbegeisterung und Todessehnsucht ist der gerade Gegensatz zur Todesverlegenheit der Aufklärung und auch zu ihrer Überwindung. Die mystische und inbrünstige Umfassung, die bräutliche Todesliebe weist zur Romantik hin, zu Schlegel und 1 ) Heinse I, Malesherbes v o m 2 ) U n g e r a. S. 267. 3 ) Jacobi a.
125. — Rousseau a. a. O., S. 52 aus dem Brief an 26. 1. 1762. a. O., S. 8, 146; auch Vierteljahrsschrift I I (1924). a. O. I, S. 175.
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Novalis 1 ). Und ebenso bei einigen das Schweifen an die Grenzen des Bewußten und Unbewußten, der Wille zum Tasten am Rätselhaften und Geheimnisvollen. Der Tod war ihnen wirklich — auch das ist romantisch, vorromantisch — der Gegenstand der lebhaftesten Neugierde, aber noch einer ehrfürchtigen und keuschen Neugierde. So sagt Hemsterhuis, der Philosoph der irrationalen Gefühlshaltung 2 ). Vgl. U n g e r , Vierteljahrsschrift IV (1926), S. 793. Für Klopstock (Problem des Erhabenen, des Unendlichen, Nachtkultus, Todesproblem). Daß eine Todesstrophe aus der Klopstockode „Die Z u k u n f t " (ed. Munckerl, 165) immer wieder Hölderlin zugeschrieben werden konnte, bis K. B o d e , Euph. 13 (1906), S. 133f. die Sachlage klärte, beweist doch, daß hier innere Verwandtschaft besteht. C o l l i n Euph. 27, 1926, S. 99 n i m m t noch Hölderlin als Verfasser an. Daß er Kleistsches Todesgefühl durch Hölderlinsche Empfindung, die in Wirklichkeit klopstockisch ist, beleuchten will, erweist ungewollte Perspektiven und Zusammenhänge. — Dann E. S e e b e r g , Mystische u n d lutherieche Frömmigkeit i n : Festgabe für R. Lehmann, Erlangen 1926 (Akademie, H e f t 3), S. 1 4 7 - 1 6 0 ; S. 145: „ E s dürfte z. B. nicht schwer sein, den Zusammenhang des Nacht- und Todesgefühls der Romantik mit der quiet ist ischen Mystik aufzuweisen." 2
) H e m s t e r h u i s , Vermischte philosophische Schriften I I , Leipzig 1782, S. 243, Schluß der 'Aristaeus'. „ E s ist uns genug zu wissen, daß wir, in diesem Leben schon, unsern Flug antreten, daß der Tod unere genommene Richtung nicht ändert, und daß er nur die Bewegungen der Seele in dieser Richtung, welche gänzlich von der Energie des freien Wesens abhängt, beschleunigt." Dazu F. B u l l e , Hemsterhuis und der deutsche Irrationalismus, Diss. Jena, 1911, S. 35, der hier und S. 48 darauf hinweist, daß sich Novalis diese letzten Sätze wörtlich aufgezeichnet hat : Schriften, ed. Heilborn I I , 2, S. 640. — Einfluß auf Hölderlin S. 45f. Über die Unsterblichkeit : Hemsterhuis I, 187, 314. Über die Beziehungen zur Romantik Material bei J . E. P o r i t z k y , Fr. Hemsterhuis, Berlin 1926, S. 106, 107, 117, 134ff., 137; auch L i e b a. a. O. S. 227ff.
X. Kapitel
DIE KLASSIK „Des Todes rührendes Bild steht Nicht als Schrecken dem Weisen und nicht als Ende dem Frommen. Jenen drängt es ins Leben zurück und lehret ihn handeln ; Diesen stärkt es zu künftigem Heil in Trübsal die Hoffnung; Beiden wird zum Leben der Tod." Goethe
uch in der Klassik, gerade dort, wo das Leben nur um des Lebens willen erscheint und der schönsten Form und der höchsten Prägung zustrebt, drängt sich das Wissen um die Vergänglichkeit und den Tod auf; aber nicht um das Diesseits zu beschatten und den Blick auf das Drüben zu richten, sondern um noch stärker die Lebenskraft, den Willen zur Form, die lebend sich entwickelt, und zur Selbstbehauptung zu erhöhen. Und so muß auch der Tod von der Klassik anverwandelt und überwunden werden. Es ist lehrreich: mehr und mehr tritt nun, alle Geister beschäftigend, der Humanitätsgedanke in das ethische Bewußtsein, jener Gedanke also, den die Renaissance aus der Antike übernommen und an das 18. Jahrhundert weitergegeben hatte; und hier, in der deutschen Aufklärung besonders, wurde er gehegt und gepflegt, hier liegen die triebhaften Keime, die die Edelblüte der Klassik gezeitigt haben. War er auch noch in enge Formen und nützliche Zwecke gebannt, so sieht man doch schon die Erweiterung und Verinnerlichung des Menschenideals bei Winckelmann und Lessing, ja vielleicht schon bei Mendelssohn, und von hier aus leiten dann die Wege zur Klassik, die den Humanitätsgedanken aus jeder engen Bindung befreit. Es ist also, nur auf höherer Ebene, eine Fortsetzung der rationalen Richtung, aber mit entschlossenerem Anknüpfen an Leibniz und Shaftesbury und an ihr harmonisches Weltbegreifen, das die Aufklärungsphilosophie ihrer schwungvollen Größe beraubt hatte, und dann ist es schließlich ein Suchen und
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Finden der reinen Quelle, der ewig jungen Antike als dem Humanitätsideal aller Menschen und Zeiten1). Um das Leben kreist Alles. „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst" sagt Goethe. Der Sinn des Lebens soll, wie es die Antike und die Renaissance und dann wieder Shaftesbury getan hatten, aus sich selbst heraus verstanden werden: im Diesseits ruhen die ewigen Lebenswerte. Solche Diesseitigkeit des hohen Menschheitsideals wird durch die Kunst zur Religion, zu einer ethisch gegründeten Freiheit, und aus solchem geistigen Willen heraus wächst dann Schillers theoretisch-ethische Weltgestaltung, die durch die Begrenzung auf das Hier schon die Steigerung des Daseins zur Höhe des Ideals zu erreichen glaubt. Der Blick in den Tod schafft Vertiefung und Reifung des Lebens. Auch die Frage des Jenseits — erst der späte Schiller lehnt sie ab — wird der Klassik eine Frage des Lebens. Die starke Anteilnahme an dem „ganzen hohen Lebensrätsel" um die Jahrhundertmitte war ja nur aus dem schlummernden Keimen des Humanitätsgedankens zu erklären; man wollte die Möglichkeit der Vervollkommnung auch über den Tod hinaus, die Höhe der Glückseligkeit drüben als letzte Stufe zum Ziel der Persönlichkeitsbildung. Es ist die erhabene Unrast eines nie erlahmenden Tätigkeitsdranges. Aus solchem Ethos heraus, das im tiefsten ihr Lebensgesetz war, stellt sich die Aufklärung in ihren erlauchtesten Geistern zum Tod und zur Unvergänglichkeit. Überall knüpft hier die Klassik an, reifend und läuternd: Persönlichkeitsstreben und sittliche Lebensformung auch hier, aber ohne die aufdringliche Betonung der Glückseligkeit, oder jedenfalls sie doch zunächst so verstehend wie Kant in der 'Kritik der praktischen Vernunft': „Die Moral ist nicht eigentlich die Lehre, wie wir uns glücklich machen, sondern wie wir der Glückseligkeit würdig werden sollen: nur dann, wenn Religion dazu kommt, tritt auch die Hoffnung ein, der Glückseligkeit dereinst in dem Maße teilhaftig zu werden, als wir darauf bedacht gewesen sind, ihrer nicht unwürdig zu sein." Das bedeutet schon einen 1
) Diesen Wandel des Humanitätsgedankens im Schrifttumes darzustellen, unternimmt großzügig H. Humanismus und Romantik, Leipzig 1924; d e r s e l b e , idee Goethes, Leipzig 1925, S. 76ff. Allgemein auch R. Die deutschen Klassiker, Leipzig 1921, S. 44ff.
Spiegel des A. K o r f f , Die LebensLehmann,
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Fortschritt über den Rationalismus hinaus, welcher die Unsterblichkeit des Menschen ungeachtet solcher moralischen Würdigkeit rein aus der unverbrüchlichen Bestimmung aller Wesen zur Glückseligkeit forderte. Aber Goethe und Schiller gehen noch weiter, sie lösen ihr Humani tätsideal aus den letzten, noch so zarten Fesseln rationaler Glückseligkeitslehre, jeder auf seine Weise, und meistern so Tod und Unsterblichkeit. „Als das Urmotiv des Lebens erscheint nicht mehr wie in der Aufklärung das individuelle Glück, sondern die ideale Auswirkung eines zur Selbstgestaltung verpflichtenden dunklen Dranges. Das Leben hat keinen andern Sinn, als daß es ins Dasein tritt. Und der Mensch kann keine andere Bestimmung haben, als sein Menschentum zu offenbaren 1 )." Neben die Klassik tritt alsbald mit gleicher Macht die andere, irrationale Strömung und versammelt alle übrigen Stimmen des geistigen Deutschland um sich, die Romantik. Auf der ganzen Linie also bei aller Problemeinheit das Gegeneinander, das hinabreicht in die Tiefen zweier Möglichkeiten deutschen Wesens und deutscher Form, die sich gegenseitig bedingen, sich aneinander bilden und formen. Wenn nun im folgenden bei der Entwicklung des Todesgedankens das wirkliche Neben- und Ineinander in ein scheinbares Nacheinander gewandelt wird, so geschieht das nur, um die Geschlossenheit zweier reinen Formen zum Eindruck zu bringen. Notwendig treten Goethe und Schiller in den Vordergrund, und zwar der ganze Goethe und der ganze Schiller, damit die Einheitlichkeit der Entwicklung und Wandlung nicht gebrochen werde. Sie beide waren in ihrer Sturm- und Drangzeit Künder anderer Ziele und beide haben hinübergewechselt aus dem einen in den anderen Strom, aber in innerer Wachstümlichkeit. Und daß nun hier mehr denn sonst das Allgemeine zugunsten des Höchstpersönlichen schwindet, ist berechtigt gegenüber einer Erscheinung, deren reinstes Streben der Persönlichkeitsgestaltung dient. Trotzdem wird man in diesem Besonderen hier, wie es Goethe wollte, überall das Allgemeine greifen und zwar in übergroßer Deutlichkeit. Bei der Romantik aber — und das entspricht nicht nur ihrem innersten Streben nach Gemeinsam*) K o r f f , Humanismus und Romantik S. 114; derselbe, Lebensidee, S. 143ff. Geist der Goethezeit II, 1, Leipzig 1927, S. 20, 46, 70, 71.
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keit, sondern auch ihren inneren Werten — liegt der Nachdruck wieder zunächst auf dem Allgemeinen; erst durch den Zusammenklang vieler Stimmen wächst sie zur ebenbürtigen Gegnerin der Klassik. Prometheus 1773, Werther 1774, zeugen gewaltig von dem großartigen Todempfinden des jungen Stürmers. Der Knabe schreibt fein säuberlich die lateinischen Phrasen über Mori auf, die 'Höllenfahrt Jesu Christi' zeigen ihn im strengen Dogma gebunden und das Trauergedicht an den Generalmajor von Hoffmann unterscheidet sich in nichts von dem kalten Gottsched-Stil, der sich in hohlen Allegorien ergeht. Dann, im 'Werther' des Fünfundzwanzigjährigen, bricht plötzlich das neue Gefühl und das gehobene Allempfinden empor, aber auch schon in gefährlicher Nähe der Todesgedanke in der Gestalt des Selbstmords; man weiß, daß Goethe selbst zeitweilig „recht hängerliche Gedanken" hatte. Young, mehr noch Ossian, die ganze Empfindsamkeit wirken, aber nicht verweichlichend wie später im 'Siegwart', sondern lösend und ausdehnend. Lotte drückt diese Empfindung aus: „Niemals gehe ich im Mondenlicht spazieren, daß mir nicht der Gedanke an meine Verstorbenen begegnete, daß nicht das Gefühl von Tod, von Zukunft über mich käme." Darin zittert die Stimmung von Menschenkindern, deren „Seelen sehr nach diesen Ideen hangen." Es sind Menschen mit reizsamen, feinnervigen und todnahen Wallungen, die schnell neben dem Tod stehen und sich leicht zum gewaltsamen Löschen der unruhig flackernden Lebensflamme entschließen. Nur das Verlangen nach dem Grab als dem Ausgang und Ende und der Wunsch nicht mehr zu erwachen, Todeswille erfüllen Werther. „Den Vorhang aufzuheben und dahinter zu treten, das ist's all", aber nicht aus wollüstig unglücklicher Neugier wie etwa Lichtenberg, sondern aus tiefem Leid und ehrfurchtsvoller Scheu. Wie Klinger, Heinse und Lenz kann auch Goethe den Tod oder den Selbstmord nur mit der Liebe zusammendenken, auch er zwingt scheinbar Gegensätzliches ineinander. Er spricht vom Taumel des Todes und dionysisch vom ringsumfangenden Tode, der alle Qualen erstickt, er ist beseelt vom Gefühl der Allheit, die auch im Tode lebt. Als Werther Lotten umarmte und sie küßte: „es hätte der letzte Augenblick meines Lebens sein sollen." Das schwebt ihm als höchster Wunsch vor, in der freien Liebesseligkeit den Tod voll rausch-
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hafter Begeisterung im Taumel zu umfangen, ein Liebestod auch darum, weil er von ihren Händen, höchste schmerzvolle Lust, den Tod zu empfangen wünscht und nun auch empfängt, da die Pistolen durch ihre Hände gegangen sind. Im 'Werther' scheint das ganze Todesgefühl Goethes durch die Besonderheit des Vorgangs und des Erlebnisses gesteigert. Die Fragwürdigkeit des Lebens führt dicht heran an den Abgrund, weil in dieser Jugend das Leben im eigentlichsten Sinne durch die Liebe erst in seiner ganzen Tiefe erlebt und der Mensch sofort an die Grenzen des Daseins geworfen wird, wenn er wie Werther durch dies Erlebnis gebrochen ist. Tod wird dann letzte Flucht aus dem Leben, selbstherrliche Entgrenzung. Das Problem des Lebens löst Werther durch die Aufgabe des Seins, weil er das Leben ganz erschöpft hat, und der Tod als das letzte Rätselhafte winkt, das zu erleben und zu umfassen der genußhafte Wille zur Ganzheit der Lebenserfahrung zwanghaft fordert. Tod wird zur Selbstvergöttlichung, und das Ideal des Lebens überschlägt sich im höchsten Ausschöpfen dieses Lebens. Als tiefere Einheit von Leben und Tod wird das Todesproblem verstanden, so, daß Tod Krönung des Lebens wird. Im Jahre zuvor, 1773, hatte der 'Prometheus' die ganze Höhe und Weite von Goethes Todesbewußtsein herrlich offenbart: hier lebt das Gefühl des Sturms und Drangs für das Mysterium des Todes in einzigartiger Symbolik. Liebe deutet Prometheus als Tod und Tod als Liebe; Tod wie Liebe sind die Entfessler und Zerbrecher der Eigenform, beide vermögen sie in das andere einzuschmelzen, sie sind genußhafte Selbstaufgabe, und noch der alte Goethe bekennt es, freilich aus anderer Gesinnung heraus: „Sich aufzugeben ist Genuß . . . im Grenzenlosen sich zu finden, wird gern der einzelne verschwinden." Tod und Liebe befreien den „Halbgott der Seele" und vereinigen ihn mit dem Urquell des Lebens, beide vermögen sie, was die Götter nicht können, den Menschen „auszudehnen, zu erweitern zu einer Welt", das heißt zum All; die Vereinigung mit der Allnatur ersehnt der junge Goethe immer wieder, im 'Schwager Kronos', in 'Mahomets Gesang', im'Ganymed.' „In Deinen Schoß aufwärts 1 umfangend umfangen, aufwärts an Deinen Busen, allfreundlicher Vater 1" Darum nun ist der Tod wie die Liebe „ein Augenblick, der alles erfüllt, alles, was wir gesehen, geträumt, gehofft, gefürchtet."
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Und so, als Liebe, sieht Goethe auch den Tod in den herrlichsten Versen, die jemals dem Tod aus einer dionysischen Seele erklangen: „ W e n n aus dem innerst tiefsten Grunde Du ganz erschüttert alles fühlst, W a s Freud und Schmerzen jemals Dir ergossen, Im Sturm dein Herz erschwillt, In Tränen sich erleichtern will und seine Glut vermehrt Und alles klingt an dir und bebt und zittert, Und all die Sinne dir vergehn Und du dir zu vergehen scheinst Und sinkst, und alles um dich her Versinkt in Nacht, und du in inner eigenem Gefühle Umfassest eine Welt, Dann stirbt der Mensch." Hier liegt in dem Erlebnis des besonderen Todes das Erlebnis der allgemeinen Weltkräfte; alles ist ausgeweitet: Toderlebnis zum Allererlebnis, Todgefühl zum Allgefühl, und das Todesproblem wird letztlich nur zu einer Frage des Lebens im All der Natur. Todumfassung ist Weltumfassung, die Grenzen schwinden durch Entfaltung und Entgrenzung, das dionysische Rauschgefühl verwandelt das erschütternde Gefühl von der Ganzheit des Lebens in Freud und Schmerz, zu seligem Vergehen, zum Gefühl der Auflösung. Der Tod hat hier seine eigentlich ethische, begrenzende und formende Bedeutung verloren, er öffnet, er ist nur noch Allverwandler, der in der höchsten Lebensbejahung aus der Enge des Lebens hinaus in andere Sphären führt, in das All der Natur 1 ). Über solches Todeserlebnis im dionysischen Sinn hinaus gibt es keine Steigerung mehr. In diese eine Problemstellung, die bis zum Letzten erschöpft und gelöst ist, fließt das Problem des Alls hinein und zersprengt es. Auf der höchsten Höhe kündet sich bereits die Umkehr an, es bleibt überhaupt nur mehr die *) Die Zeugnisse nach Morris, Der junge Goethe2, Leipzig 1910f. I, 34, 85ff., 151ff. III, 3 0 7 - 3 2 3 Prometheus. IV, S. 2 2 0 - 3 2 9 Werther, bes. S. 263, 266, 269, 271, 293, 295, 306, 309, 3 2 1 - 3 2 5 , 327; V, 366; auch III, 329ff. (Götter, Helden usw.). Problem der Natürlichkeit des Liebestodes. — Dazu K o r f f , Geist der Goethezeit I, Leipzig 1923, S. 302ff. ; P n i o wer in der J . A. 15, 338ff. und Morris, Goethestudien II» (1902), S. 241ff. - Allgemein E. Wolf, Irrationales und Bationales in Goethes Lebensgefühl, Vierteljahrsschrift IV (1926), S. 4 9 1 - 5 0 7 .
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Umkehr möglich, und diese hat denn auch der reifende Goethe notwendig ergriffen. Man darf es sich nicht als plötzlichen Abbruch vorstellen, sondern als leise Wandlung, die eng mit der großen Wandlung seines Welt- und Lebensgefühls verschlungen ist, mit der Wendung (schon in der Wortwahl) zum Begrenzten und dadurch Harmonischen. Goethe will seinem Geiste die Ewigkeit verschaffen. „Die Gestalt dieser Welt vergeht", schreibt er 1788, „ich möchte mich nur mit dem beschäftigen, was bleibende Verhältnisse sind." Er will innerhalb des bedingten und begrenzten Lebens die ihm mögliche Freiheit der Selbstgestaltung achten und sich mit der sittlichen Weltordnung in Einklang setzen. Er sucht nach dem Beständigen im Leben, dessen Erkenntnis ihm ewigen Bestand verbürgt und ihm dann später die große Frage nach dem zweiten Vaterland lösen soll. Aus solcher Gesinnung heraus muß er auch den Tod anders begreifen, muß er ihm in seiner neuen Weltansicht den neuen Platz anweisen. Die Allnatur besteht, aber als sinnvoll geordneter Kosmos. Nennt er später als besonderes Kennzeichen der Frankfurter Jahre den ernsten Drang, das ungeheure Geheimnis, das sich in stetigem Erschaffen und Zerstören an den Tag lege, zu erkennen, so klärt sich ihm nun allmählich dies Rätsel und was früher im Bilde über dem Rauschen und Vergehen zurücktrat, nämlich das Beharren, die Dauer im Wechsel, das tritt allmählich hervor. Er sucht hinter dem Vergänglichen das Sein und das enthüllt sich ihm als das Ewige; er sieht es auch im Tod und es hilft ihm zur ethischen Besinnung auf das heilige Leben, zur Erfüllung der sich gesetzten Pflicht. In der Zeit um 1780 spürt man leise die allmähliche Umschichtung. Von dem Wort zu Lavater am 3. 11. 1780, die Zeit komme bald, „wo wir zerstreuet in die Elemente zurückkehren werden, aus denen wir genommen sind", oder von der 1. Strophe des 'Gesangs der Geister über den Wassern' von 1779 ist es nicht mehr weit zum Aufsatz: 'Die Natur'. Stammt er auch nicht unmittelbar von Goethes Hand, Goethescher Geist lebt sicher in jedem Satz. Der polare, dynamisch gespannte gesptzhafte Wechsel, die ewige Wandlung, das Immerneuwerden klingen hier tief und vernehmlich. Man hat in dem Aufsatz seit langem einen Widerhall von Shaftesburys Naturhymnus, der auch Herder begeisterte, vernommen, und wirklich fand auch Goethe hier die eigene,
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dämmernde Ansicht bestätigt, daß alles lebe und durch immer neuen Wechsel wieder ins Leben zurückkehre, daß auch in der Verwesung der Keim zu neuem Blühen liege. Alles ist neu und doch immer das Alte, die Natur baut und zerstört immer, sie will nicht das Bleiben und Stillestehen, in ihr ist ewiges Leben, Werden und Vergehen. Und so heißt es nun kurz zusammenfassend von der Natur: „Leben ist ihre schönste Erfindung und Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben 1 )." Das ist der Ausgangspunkt aller späteren Erwägungen Goethes über Tod und Unsterblichkeit. Tod öffnet den Blick für viel Leben, d. h. für: ganz Mensch zu sein. Goethe dringt hinter den Tod und sieht Leben : das ist seine Offenbarung, aber es ist zuerst Leben hier, nicht drüben. Solche Ansicht war seinem Lebensgesetz eine Notwendigkeit, da er überall Leben und Tätigkeit, nicht Tod und Stillstand sehen wollte. Darin liegt nicht nur ein metaphysisches Glaubensbekenntnis, sondern ebenso stark und deutlich ein aesthetisches. Goethe will den Kosmos, das Geordnete und in dieser seiner Ordnung sinnvoll Schöne. Und so muß ihm mit der Aufklärung auch Tod und Grab Symbol des Lebens sein, nicht der Vernichtung, Bürge des Ewigen, nicht des Vergänglichen. Solch aesthetisch metaphysische Weltansicht war keimhaft schon im jungen Goethe vorgebildet. Unschätzbares Zeugnis ist die Stelle des achten Buchs von 'Dichtung und Wahrheit', wo er von dem tiefbeseligenden Eindruck sprach, den Lessings Abhandlung 'Wie die Alten den Tod gebildet' auf ihn gemacht hatte. „Wir hielten uns von allem Übel erlöst und glaubten mit einigem Mitleid auf das sonst so herrliche 16. Jahrhundert herabblicken zu dürfen, wo man in deutschen Bildwerken und Gedichten . . . den Tod unter der Unform eines klappernden Gerippes . . . zu vergegenwärtigen wußte. Am meisten entzückte uns die Schönheit jenes Gedankens, daß die Alten den Tod als den Bruder des Schlafs anerkannt und beide . . . zum Verwechseln gleich gebildet. Hier konnten wir nun erst den Triumph des Schönen höchlich feiern und das Häßliche jeder Art, da es doch einmal aus der Welt nicht Die Natur: J. A 39; bes. S. 5. Zur Verfasserschaft H. S c h n e i d e r . Horrigs Archiv 120 (1908) S. 257 — 281. — Geistesgeschichtlich D i l t h e y II, 406, der die Parallelen zu Shaftesbury zieht, und nun F. K o c h , Goethe und Plotin, Leipzig 1925, S. 71ff. und S. 237f., der die Parallelen zu Plotin verzeichnet.
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zu vertreiben ist, im Reiche der Kunst nur in den niedrigen Kreis des Lächerlichen verweisen." Tod als Bruder des Schlafs: hier erklingen verwandte Saiten. Hier hatte ja Goethe schon die aesthetische Anverwandlung düsterer Mächte ins freundlich Tröstliche. Freilich ahnte er nicht den tragischen Ursprung dieses heiteren Bildes, er wußte nichts von einem dionysisch-tragischen Griechentum wie schon Heinse und zu seiner Zeit Friedrich Schlegel. Er nahm dies als Symbol der ruhigen und heiteren antiken Harmonie, die auch den Tod nur als ein sinnvoll Schönes betrachten könne. Allerdings, nur den Göttern sind die „Geschwister" leicht, „doch schwer zu ertragen den Menschen, ward nun ihr Schlummer uns Schlaf, ward nun ihr Schlaf uns zum Tod". Das sind eben die notwendig heiligen Grenzen der Menschheit, deren sich Goethe nun erst bewußt wird und innerhalb derer der Mensch sich prägen muß. Aber ihm war es teuer, zu sehen, daß „Sarkophagen und Urnen verzierte der Heide mit Leben", und in Verona schrieb er angesichts antiker Grabmäler am 16. 9. 1786: „Herzlich und rührend stellen sie immer das Leben her." Und ganz das Gleiche meinte Schiller: „In das Grab hinein pflanzte der menschliche Grieche noch Leben, Und du törigt Geschlecht, stellst in das Leben den Tod 1 )." !) Schiller SA. II, S. 93. - Die Stelle aus „Dichtung und Wahrheit" JA. 23, S. 123; vgl. Venet. Epigr. 1, 204; Campagne 28, S. 120. I m 5. Brief des 'Sammlers und der Seinigen' (1799) tritt Goethe dann beim Streit über die Niobegruppe für die schöne Darstellung des Todes ein, die er auch hier bestätigt sieht: „Ich finde keine Spur vom wütenden Schrecken des Todes (die der Gast dort findet und fordert), vielmehr in den Statuen die höchste Subordination der tragischen Situation unter die höchsten Ideen von Würde, Hoheit, Schönheit, gemäßigtem Betragen . . . Alles Charakteristische ist gemäßigt, alles natürlich Gewaltsame ist aufgehoben. " ( J A . 33, S. 170.) Es geht wohl auf diese Stelle zurück und die Auseinandersetzung Goethes mit Hirt, wenn dann A. W. Schlegel im 310. Athenaeumsfragment (Minor, Jugendschriften I I , 254f.) auf die Laokoongruppe zu sprechen kommt: „Auch bei der Wahl schrecklicher Gegenstände kommt ja noch alles auf die Behandlung an, welche den mildernden Hauch der Schönheit darüber verbreiten kann . . . " Ein weiterer, recht bezeichnender Nachhall ist auch die Stelle aus Mdme. de Staëls 'Deutland' I I , Cap. 12, wo sie gegen Klopstock schreibt: „ I n Klopstocks ganzem Werk herrscht ein erhabener und empfindsamer Geist; trotzdem sind die Eindrücke, die er hervorruft, zu einförmig, und die
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Goethe meidet den Tod nicht aus Feigheit, er will ihn nur sehen, wenn er sich in Leben, in die aesthetische Form verwandelt hat. Der „Sterbegraf" in Hippels Lebensläufen baut in sein Schloß Säle mit den Symbolen der Verwesung und des Todes: ein großes „Memento mori." Goethe aber ersinnt in den Lehrjahren einen Saal der Vergangenheit, „in welchem Kunst und Leben jede Erinnerung an Tod und Grab aufhoben." „Welch ein Leben"., ruft Wilhelm Meister aus, „in diesem Saale der Vergangenheit! Man könnte ihn ebensogut den Saal der Gegenwart und der Zukunft nennen. So war alles und so wird alles sein." Goethe wollte schon die Ewigkeit im Diesseits festhalten. „Gedenke zu leben" war das Gebot, und noch 1826 empfahl Goethe „docendo . . . nur vivere memento." Bei den Exequien Mignons singt der Chor der Jünglinge: „Schreitet, schreitet ins Leben zurück. Nehmet den heiligen Ernst mit hinaus, denn der Ernst, der heilige, macht allein das Leben zur Ewigkeit." Nur in solchem Sinne wollte daher Goethe auch das Andenken an die Verstorbenen gelten lassen; heiliger Ernst, so heißt es in den 'Wahlverwandtschaften', solle daraus wachsen, „seine Verhältnisse gegen die Überbliebenen immer lebendig und tätig zu erhalten." Klarheit und Aufheiterung: das war die eine Seite, die Goethe überall, auch beim Phänomen des Todes wollte, und wenn er sich deshalb etwa auch zu Lorenzo von Medici und zu dessen Gelassenheit im Sterben hingezogen fühlte, so wurde er doppelt abgestoßen und sah eine Hemmung des „schönen Möglichen", wenn nun „der Mönch Savonarola pfäffisch die in dem mediceischen Hause erbliche Heiterkeit der Todesstunde" Bilder vom Tode zu zahlreich. Das Leben ist nur dadurch möglich, daß wir den Tod vergessen, und deshalb ruft in mir der Gedanke, wenn er auftaucht, ein so schreckliches Schaudern hervor. Im 'Messias' wie bei Young werden wir zu oft vor Gräber geführt . . . Die Heiden stellten in ihren Dichtungen wie auf den Basreliefs ihrer Grabmäler stets verschiedenartige Bilder dar und machten so aus dem Tod eine Form des Lebens . . ." (Über Deutschland, ausgewählt von P. Friedrich, Weimar 1913, S. 176.) Vgl. auch zum Grundsätzlichen F. D e n k , Das Kunstschöne und Charakteristische von Winckelmann bis Fr. Schlegel, Diss. München 1925, S. 68ff., 69. — Goethe schreibt 1807 in einem Brief: „Eine Grabschrift ist ja eigentlich eine Lebenaschrift, in dem sie die Grabstätte durch die Erinnerung an das Leben beleben will. Dient sie also als Gegengewicht des Todes, warum sollte sie nicht auch dem Lebendigen ein Übergewicht geben?"
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störte. Aus einer solch beiläufigen Bemerkung liest man das ganze Todempfinden des klassischen Goethe heraus, das später im höchsten Alter sich dahin steigerte, daß er, nur im inneren Zusammenhang mit der euphemistischen Richtung seiner Sprache, seiner ganzen Weltansicht, schon den Namen Tod möglichst umging 1 ). Dahin gehört auch, daß er den Anblick des Todes mied und weder Schiller noch Hërder noch Wieland im Sarg sehen wollte. „Der Tod ist ein sehr mittelmäßiger Portraitmaler, ich meinerseits will ein seelenvolleres Bild als seine Masken von meinen sämtlichen Freunden im Gedächtnis aufbewahren." Nur als schönes Symbol konnte er sich das Sterben vorstellen, als ein Entweichen, ein Erblassen des Seelenlichtes, das aus dem Stoffe entweicht. „So wie der Purpurglanz der Abendwolke schwindet und das Grau des Stoffes zurückbleibt, so ist das Sterben des Menschen . . . Daher sehe ich keine Toten. Alle meine gestorbenen Freunde sind mir so verblichen und verschwunden, und das Scheinbild von ihnen bleibt mir noch im Auge." (Zu Riemer 3. 12. 1808.) Schön hat man auch bemerkt, wie Goethe den Tod seiner Gestalten dichterisch vorbereitet und ihnen ahnungsvoll schon gegenwärtig sein läßt, um dadurch das Gewaltsame und Erschütternde, das ihm immer mit dem Tode verbunden war, zu mildern. Bei Mignon, Ottilie, bei Faust tut er es, und jedes Mal klingt der Gedanke an Friede und Unsterblichkeit an 2 ). Goethe wollte dadurch wirklich „des Todes Bitterkeit vertreiben", und Riemer berichtet, daß dies eines seiner biblischen Sprichwörter gewesen sei. Das alles scheinen zunächst nur Äußerlichkeiten, aber in Wirklichkeit hat man darin den Ausdruck des innersten Gefühls zu sehen, das gleichermaßen in dem Bewußtsein Goethes lebte, er könne nichts wahrhaft Tragisches dichten. Der Goethe auf den Höhen der Klassik wollte und durfte vom Tod nur als Leben wissen und nur in aesthetischer Form, als Formung eines Formlosen ihn begreifen. *) Über diese euphemistische und eulogistische Tendenz nach dem Positiven, Konstruktiven, nach der Tagesseite des Lebens unterrichtet ausgezeichnet Ε. A. B o u c k e , Wort und Bedeutung in Goethes Sprache, Berlin 1901, S. 46, 203ff. Begriff des Lebendigen S. 187ff.; 290 „Verschlingen." 2 ) Έ. Spranger, Goethe und die Metamorphose des Menschen, Goethejahrbuch 10 (1924), S. 219 — 238; S. 236.
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„Des Todes rührendes Bild steht Nicht als Schrecken dem Weisen und nicht als Ende dem Frommen. Jenen drängt es ins Leben zurück und lehret ihn handeln; Diesen stärkt es zu künftigem Heil in Trübsal die Hoffnung; Beiden wird zum Leben der Tod"1). Der reife Goethe denkt und spricht nicht oft vom Tode und auch die Frage nach der Unsterblichkeit bleibt ihm, als er mitten in der Vollkraft seines Lebens steht, am Umkreis seiner Gedanken2). Erst seit 1820 oder später beschäftigt er sich öfters mit diesen Dingen und dann immer, wenn er das Leben aus dem Tod betrachtet, nicht von der Nachtseite wie die Romantik, sondern von der „ewigen Tagseite her, wo der Tod immer vom Leben verschlungen wird." Bei allem Glauben an eine künftige Fortdauer wendet er sich dagegen, daß solch unbegreifliche Dinge ein Gegenstand täglicher Betrachtung und gedankenzerstörender Spekulation würden. Man lasse die künftige Welt auf sich beruhen, in der stillen Verehrung des Unerforschlichen und sei tätig und nützlich in dieser. Die Überzeugung, die er 1813 zu Falk äußerte, an eine Vernichtung sei im Tode gar nicht zu denken, bleibt fortan sein Glaubensbekenntnis und bestimmt seine Todeserwägung im Zu*) Es war sinnvoll, wenn diese Verse aus 'Hermann u n d Dorot h e a ' bei Goethes Aufbahrung in der Vorhalle als Inschrift in silbernen Buchstaben angebracht und durch eine Lampe erleuchtet wurden: C. S c h ü d d e k o p f , Goethes Tod, Leipzig 1907, S. 33, 103. 2 ) Goethes Unsterblichkeitsanschauung h a t gerade in jüngster Zeit mehrfach lehrreiche Darstellung gefunden. Die oben gegebene geht bei aller dankbaren Belehrung undBenutzung ihren eigenen Weg u n d verweist für alles weitere auf die einläßlichen u n d zusammenfassenden Ausführungen von R. P e t s c h , Goethes Stellung zur Unsterblichkeitsfrage, jetzt abgedruckt in : Gehalt u n d Form, Dortmund 1925, S. 613 bis 545 u n d nun auch auf das VI. Kapitel : Dämon, Freiheit u n d Unsterblichkeit des schönen Buchs von F. K o c h , Goethe und Plotin, Leipzig 1925, bes. S. 202ff. Man vgl. auch P. F i s c h e r , Goethes Altersweisheit, Tübingen 1921, S. 186—204; E. B a r t h e l , Goethes Wissenschaftslehre, Bonn 1922, S. 114ff. u n d die, allerdings wenig ergiebigen Abschnitte in K. J . O b e n a u e r s Buch: Goethe in seinem Verhältnis zur Religion, Jena 1921, S. 71 — 119; bes. S. 96ff. L ü t g e r t s schnüfflerisch-tendenziöse Darstellung a. a. Ο. I , S. 77ff. ; 198ff. ist abzulehnen. Schließlich sind die erleuchten den Ausfiihrungenvon F. S t r i c h , Deutsche Klassik und Romantik, München 1924», S. 79ff., 123ff. zu nennen; hier ist vor allem das Problem des Todes tief in die Betrachtung mit einbezogen.
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sammenhang mit dem Bewußtsein der ewigen Wiederkehr. Es ist das, nicht einmalige, sondern ewige, wiederholte diesseitige wie jenseitige „Stirb und Werde", das Bekenntnis zum Leben, wie es herrlich das Gedicht 'Selige Sehnsucht' prägt, vom 31. Juli 1814. „Das Lebend'ge will ich preisen, Das nach Flammentod sich sehnt . . . Und solang du das nicht hast, Dieses Stirb und Werde I Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde." Goethe hat ein immer stärkeres Ahnen um die innige Einheit von Leben und Tod, von Anfang und Ende, daß Tod zum vollen Menschtum gehöre, weil er Mensch zu sein lehre. Im Werther steht: „SterbenI was heißt das? Sieh wir träumen, wenn wir vom Tode reden. Ich habe manchen sterben sehen, aber so eingeschränkt ist die Menschheit, daß sie für ihres Daseins Anfang und Ende keinen Sinn hat." Bereits hier liegt verborgen, was später Goethe noch öfters andeutete. In der Wertherzeit drohte der einseitige Sinn für den Tod und das Ende des Daseins überhandzunehmen; der Blick zum Ende bannte den Willen zum Leben und Goethe bekennt noch 1812 Zelter gegenüber, er wisse es noch recht gut, was es ihn für Entschlüsse und Anstrengungen gekostet habe, damals aus den Wellen des Todes zu entkommen. Nun meinte er es anders: schon 1803 formt das Gedicht 'Dauer im Wechsel' — allein schon der Titel eine Welt umfassend — die in ihm wohnende Erkenntnis : „Laß' den Anfang mit dem Ende sich in eins zusammenzieh'η 1" Und in einer 'Maxime' findet es sich in ähnlicher Wendung, der sei ein glücklicher Mensch, der das Ende seines Lebens mit dem Anfang in Verbindung setzen könne. In dieser, eine Zweiheit umschließenden Einheit ruht diè Tätigkeit, die rastlose Bewegung und die Wandlung: „Das Ew'ge regt sich fort in allem; Denn Alles muß zu nichts zerfallen, Wenn es im Sein beharren will." (Eins und Alles, 1821) Im Tod also das Leben und immer neue Keime zu immer neuem Wirken. Man schaut das Phänomen zu wiederholten Malen: auch für Goethe tritt wie für den Rationalismus, wie für Luther, der
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Tod hinter das Leben zurück. Tod kann Goethe nur denken, wenn er ihn seinem klassisch-ethischen Humanitätsgedanken einzufügen vermag, der schönen reinen Form der Persönlichkeit, die selig in sich selbst, ein Kosmos im Kosmos, ein Vollkommenheitsideal mithin darstellt, nach dessen Verwirklichung der Mensch ewig strebt 1 ). Und diese Verwirklichung wäre Besinnung auf sich selbst, ein Zusichselbstkommen auf dem Weg durch die Welt und durch das Leben. Wäre eben Selbstverwirklichung in dem Sinne einer Entelechie: „Werde der du bist", Bildung des Wesenskerns, lebendige Entwicklung der geprägten Form und zwar im bestimmten dynamischen Rhythmus des „Stirb und Werde", wie es seit neuplatonischer und deutscher Mystik bis hin zu Bruno und Leibniz schwingt: Ausströmen und Zusammenziehen oder, wie es Goethe begreift: Ausatmen und Einatmen. Während aber nun, — das ist das Entscheidende, — die irrationalistische Gefühlshaltung dieses „Stirb und Werde" als ein Einmaliges und Unwiederholbares versteht, von dem es keine Rückkehr mehr gibt, will Goethe in der neuen, aus der Naturwissenschaft gewonnenen Erkenntnis „der zwei großen Triebräder der Natur", der Begriffe Polarität und Steigerung das ewig wiederkehrende „Stirb und Werde", das Ausströmen und Zusammenziehen in stetiger Höherentwicklung und Umgestaltung, in stufenweiser Vollendung und Verklärung zur langsamen, an sich arbeitenden Selbstverwirklichung. So meint es Lessing in der „Erziehung des Menschengeschlechtes" und Goethe, wenn er in 'Dichtung und Wahrheit' sagt: „Genug, wenn nur anerkannt wird, daß wir uns in einem Zustand befinden, der . . . Gelegenheit gibt, ja zur Pflicht macht, uns zu erheben und die Absichten der Gottheit dadurch zu erfüllen, daß wir, indem wir von einer Seite uns zu verselbsten genötigt sind, von der andern in regelmäßigen Pulsen uns zu entselbstigen nicht versäumen." In diesem dynamischen Rhythmus liegt eine all*) Zum folgenden die schönen Ausführungen von E. Spranger, Goethe und die Methamorphose des Menschen a. a. O. bes. S. 224ff., 235ff. Auch E. A. B o u c k e , Goethes Weltanschauung auf historischer Grundlage, Stuttgart 1907, S. 250ff., 324ff. Systole, Diastole, 404: Umschreitung, 405ff. über das Spiralförmige; d e r s e l b e , Wortbedeutung a. a. O., S. 257 ff. Auch Bur dach JA. 5, 326ff., 332ff.; K o c h a. a. O., S. 44f.: das Goethezitat und S. 48ff. und H . B r i n k m a n n , Die Idee des Lebens in der deutschen Romantik, Augsburg 1926, S. 8Iff.
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mähliche, spiralförmig umschreitende und sich hinaufstufende Bahn beschlossen. Aber man muß festhalten: diese Entselbstung, von der auch in dem Gedicht „Eins und Alles" gesprochen wird, bedeutet nicht das endliche Ziel im Sinne der Mystik; nicht Ruhe und höchste Seligkeit als Einheit mit dem Göttlichen, sondern sehr gegenmystisch, nur Ausruhen zu neuer Tat, Einatmen zu neuem Ausatmen, eben „complicatio", der die „explicatio", die neue Verselbstung notwendig folgt. In diesem Wandel bleibt das Ewige bestehen, der Wille zur geprägten Form, die lebend sich entwickelt und das Unzerstörbare in sich faßt. Das alles meint auch jene zunächst paradox anmutende Maxime: „Unser ganzes Kunststück besteht darin, daß wir unsere Existenz aufgeben, um zu existieren." Immer wieder wächst aus Tod Leben hervor; denn erst der Tod „ermöglicht die unaufhörliche Verwandlung und damit den Lebensproceß", die Hinaufsteigerung selbst. Goethe sieht ein stetes Aufwärtssteigen zu immer höheren, reineren Formen, wo alle Hüllen fallen, damit endlich das Höchste im Menschen, jenes ehrfurchtsvoll verehrte Göttliche, in edler Klarheit sichtbar werde. Es ist sittlich geistige Metamorphose des Menschen: „Und mich reißet neu Verlangen Auf zu höherer Begattung." Ewiges Zeugen und ewiges Sterben und immer tieferer Sinn für diesen Wechsel und sein Ziel: das ist der Lauf. Schon in der Rede zum „SchäkespearsTag" von 1771 sprach Goethe von der „Hoffnung, auch dann zu bleiben, wenn das Schicksal uns zur allgemeinen Nonexistenz zurückgeführt zu haben scheint1)." An ewige Dauer der Persönlichkeit, der Entelechie glaubt Goethe in der festen Zuversicht, daß unser Geist ein Wesen ganz unzerstörbarer Natur sei (zu Eckermann 2. 5. 24), und zu Kanzler von Müller sagt er (19. 10. 23), es sei einem denkenden Wesen durchaus unmöglich, sich ein Nichtsein, ein Aufhören des Denkens und Lebens zu denken. Denn der Geist ist ein Fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit, erhaben über die Zeit und über den Wandel. Goethe erblickt also im Tod nicht das sehnsuchtsvolle Ziel, das selige Nichts, auch nicht mehr wie in seiner stürmischen Jugend das schnelle dionysische Aufrauschen zur Quelle des Seins bei Morris II, 137; ebd. S. 41 — 44 die Anzeige aus Mendelssohns „Phädon" unter Vergleich mit dem Platonischen Dialog, 1770/71.
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höchster Zusammenballung aller Lebenskräfte, sondern Lösung vom Endlichen, Wandlung, aber nur letzte irdische Wandlung. Und dann folgen die übersinnlichen Wandlungen, die immer wiederkehren, die langsam stetige Emporläuterung, die wie bei Herder „Reinigung des Herzens, Veredlung der Seele" bewirkt. Hier greift man an das Innerste, was den Geist der Klassik von dem des Sturm und Drang scheidet und darüber hinaus Rationales vom Irrationalen: das verpflichtende Ethos im Verhältnis zum Leben, das moralische Gesetz, das zur Erfüllung der Aufgabe zwingt, die der Mensch in sich trägt. Es ist eine strenge Selbstbescheidung. Schon 1781 schrieb Goethe an Knebel, es sei ein Artikel seines Glaubens, „daß wir durch Standhaftigkeit und Treue in dem gegenwärtigen Zustande, ganz allein der höheren Stufe eines folgenden wert und, sie zu betreten, fähig werden, es sei nun hier zeitlich oder dort ewig." Der Weg führt durch die Entsagung zum Ziel. Das Göttliche ahnte man immer in sich, nach Gottverwirklichung strebte man dort und hier, aber nun ist es nicht mehr vorschnelle, fast frevelhafte, selbstherrliche Entgrenzung, nicht mehr GenuO der Selbstaufgabe, der Persönlichkeitsvernichtung, sondern das langsame stetige Reifen, um des Göttlichen erst würdig zu werden. Aber es liegt in dieser Selbstbescheidung noch ein anderes; ein Spruch in den 'Maximen' deutet es an: „Derjenige, der sich mit Einsicht beschränkt erklärt, ist der Vollkommenheit am nächsten." Diese Selbstbegrenzung besitzt das Selbstgefühl der Persönlichkeit, die sich ihrer höchsten Freiheit bewußt ist und durch sich selbst ohne göttliche Hilfe zu sich selbst gelangen will. Sie gestaltet, wissend um ihre werthafte Entelechie, selbst ihr Dasein hier wie drüben, sie vollendet und erfüllt ihre Lebensaufgabe, die sie sich selbst gestellt hat, in dem Bewußtsein, daß sie einen letzten Lebensgrund doch nicht zu erkennen vermöchte. Zu Eckermann sagt Goethe am 1. 9. 29: „Ich zweifle nicht an unserer Fortdauer, denn die Natur kann die Entelechie nicht entbehren; aber wir sind nicht auf die gleiche Weise unsterblich, und um sich künftig als große Entelechie zu manifestieren, muß man auch eine sein." Unsterblichkeit also faßt Goethe als einen unverbrüchlichen Anspruch des Menschen und als eine unbedingt notwendige Folge des menschlichen Lebensdrangs. Und das ist im letzten Rationalismus: nur unterscheidet er sich von der Aufklärung mit ihrer Forderung der Unsterblichkeit, weil die Seele glücklich werden soll, durch die
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ethische Vertiefung. Es handelt sich hier nicht mehr um Glück, auch nicht um Glückswürdigkeit im Sinne Kants; Goethe geht über Kant hinaus: den Begriff des höchsten Gutes kann er nicht gelten lassen, noch weniger die Unsterblichkeit als ein Postulat dieser Glückswürdigkeit. Sie wird ihm zur Forderung des im Menschen treibenden Tätigkeitsdranges, und er setzt an Stelle des Glücks die rastlose Tätigkeit. Trotz allem bleibt hier und dort ein Gemeinsames, nur immer in höherer Ebene gedacht. Nichts dürfe verloren gehen an schon erworbenen Vollkommenheiten, meint die Aufklärung, besorgt um ihr Glück. Goethe erfüllt dies mit neuem Geist: „Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt Geprägte Form, die lebend sich entwickelt." Mensch sein muß bedeuten können : sein Menschentum zu entfalten, zu klären. Dieser Humanitätsglaube, eng verbunden in gegenseitiger Bedingung mit dem Unsterblichkeitsglauben der Klassik, mit ihrer Gestaltung des Todesproblems — als Postulat der moralischen Existenz — enthüllt sich als eine aufs Höchste veredelte und vergeistigte Stufe des Rationalismus. Man lese den Brief an Zelter vom 19. 3. 1827 und das Gespräch mit Eckermann vom 4. 2. 1829: es sind die hehrsten Dokumente Goetheschen Zukunftswillens. „Wirken wir fort, bis wir vor- oder nacheinander, vom Weltgeist berufen, in den Äther zurückkehren ! Möge dann der ewig Lebendige uns neue Tätigkeiten, denen analog, in welchen wir uns schon erprobt, nicht versagen I Fügt er sodann Erinnerung und Nachgefühl des Rechten und Guten, was wir schon hier geleistet, hinzu, so werden wir gewiß nur desto rascher in die Kämme des Weltgetriebes eingreifen. Die entelechische Monade muß sich nur in rastloser Tätigkeit erhalten. Wird ihr diese zur anderen Natur, so kann es ihr in Ewigkeit nicht an Beschäftigung fehlen." Und dann zu Eckermann: „Die Überzeugung unserer Fortdauer entspringt mir aus dem Begriff der Tätigkeit. Denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht ferner auszuhalten vermag 1 )." Ja, er konnte sogar zum Kanzler von Müller sich dahin äußern, er wüßte mit der Ewigkeit nichts anzufangen, wenn sie ihm nicht neue Aufgaben und Schwierigkeiten zu besiegen 1
) Dazu auch das wichtige Gespräch mit Eckermann von 11. 3. 1828. — Vgl. auch D. M a h n k e , Leibniz und Goethe, Erfurt 1924, S. 9, 1 4 - 1 7 .
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böte. Aus allem tönt das ethische Bewußtsein: man muß seine Lebensaufgabe erfüllen, bevor man zu einer neuen sich rüstet, bevor man auch eine fordert. Aber dann weiter: Leben braucht das Wissen um den Tod, um zu seiner Bestimmung zu gelangen. Unsterblichkeit ist also „Forderung des tätigen Menschen", der das moralische Gesetz in sich trägt, das Gesetz der Tätigkeit ohne Zwecksetzung und ohne die Hoffnung auf den Lohn, der tätig ist um der Tätigkeit willen. Man denkt an Kant und das moralische Bewußtsein, und wieder sieht man die Höchststeigerung von Kräften und Ideen, die schon in der Aufklärung liegen. Lessing ist das Mittelglied: Selbstentfaltung der sittlichen Persönlichkeit zur möglichsten Höhe. Der Tod steht am Ende; man rechnet mit ihm; aber er treibt nicht aus dem Leben hinaus, sondern ins Leben zurück, er steigert das Erlebnis des Lebens, auch wo man ihn aesthetisch faßt. Wenn er dann kommt, so ist er Wandlung, nicht Vernichtung, und der Mensch siegt über die Zeit und das Endliche, das auch dem Tod anhaftet, er wächst hinein in ein Reich des Unsichtbaren, wo das Ewige und die zeitlose Dauer herrschen. Diesen ganzen hehren Unsterblichkeitsglauben und diese Todüberwindung verkörpert nun symbolisch der Faust 1 ). Goethe hat hier selbst das Todempfinden seiner Sturm- und Drangzeit, wie es im 'Prometheus' lebt, und die Todbezwingung des klassischen Menschen dargestellt. Der Wille zum Selbstmord im zweiten Monolog entspringt dem titanischen Begehren, das die Grenzen der Menschheit sprengen will; es wäre voreilige Tat, voreiliges Streben zur Gottverwirklichung und frevelhafte Befreiung von der eigenen Pflicht, wäre Abweichen von der göttlich-notwendigen Lebensbahn, schon jetzt durch gewaltsames Ende des Lebens, noch ehe die Grenzen des gesetzten Tätigkeitsfeldes abgeschritten und die Aufgaben, die Absichten der Gottheit erfüllt sind 2 ), zu sich selbst, zur Gottverwirklichung zu gelangen. Faust Darüber nun H. R i c k e r t , Fausta Tod und Verklärung, Vierteljahrsschrift III (1925) S. 1 - 7 4 ; bes. S. 4, 7, 14ff. (Hinweis auf den Aufsatz 'Der Tänzerin Grab' von 1812, WA. I, 48, S. 1 4 3 - 1 5 0 ) S. 26, 28, 3 2 - 3 6 , 42, 45, 50, 54; bes. S. 6 5 - 7 4 : Die faustische Unsterblichkeit. Daneben noch, freilich wieder unergiebig, K . J . O b e n a u e r , Die Physiognomie des Todes in: Der faustische Mensch, Jena 1922, S. 1 5 2 - 1 6 5 . Auch W. H e r t z , Fausts Himmelfahrt in: Ernte, Halle 1926, S. 5 9 - 9 2 , passim. a ) K o r f f , Geist der Goethezeit I, S. 302f.
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fühlt sich „bereit, auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen, zu neuen Sphären reiner Tätigkeit", bevor er noch die ihm gegebenen Sphären durchschritten hat. Schon hier ist wichtig: Faust kann sich Jenseits und Unsterblichkeit nur als unaufhörliches Streben nach Schaffen und Wirken vorstellen. Er tut dort nur, was er auch hier wollte, es ist Fortsetzung, und diese Gewißheit fand Goethe auch in einem antiken Relief 'Der Tänzerin Grab', dessen Gestalten alles enthielten, „was der Mensch über seine Gegenwart und Zukunft wähnen und glauben kann". Tod ist für Faust nur Ausgangspunkt eines steten „Werdegangs nach oben" zu neuer Entfaltung und Entwicklung aller Kräfte. Der alte Faust aber, dem der Tod naht, hat sein Erdenpensum erledigt, ihm wird nun Möglichkeit/zur Verselbstung im stufenweisen Aufstieg zur Verklärung—„steigenderVollgewinn". „InFaust selbst eine immer höhere und reinere Tätigkeit bis ans Ende", so deutet Goethe zu Eckermann selbst die Idee, die Lebensidee Faustens. Leben und Tat will Goethe überall wirken sehen; in einer tiefen und weiten Art gestaltet er den Tod zu einer Angelegenheit des Lebens. Mehr und mehr schwindet der materielle und körperliche Tod aus seinem Blickfeld oder er wird als ein Vergängliches nur zum Gleichnis. Er sieht hinter ihm die Wandlung und Lösung, das ewige Werden und Vergehen: Tod ist nur die äußerlich sichtbarste der vielen sittlichen und geistigen, körperlichen Metamorphosen des Menschen. Aber hinter allem sieht der große Sucher des Bleibenden und Göttlichen das Gegenwärtige und Ewige, den Wesenskern des Menschen, die Persönlichkeit, die zur Vollkommenheit, zur reinen Humanität hinaufstrebt. Die Entelechie durfte nicht zerstört werden. Es war nicht anders zu denken: das Gesetz, nach dem Goethe seine Lebensbahn angetreten, forderte unerbittlich den Blick ins Leben, forderte jene sittliche Auffassung des Todes und seine Anverwandlung und den tiefen Blick durch die Hüllen hindurch zum Kern. Daß Goethe auf solche Weise den Tod überwand, ist die symbolische Tat der Klassik: er bezwang ihn, den Stoff, durch Gestaltung und führte das chaotisch Formlose zur kosmischen Form1). Daß er das Weltgeschehen als ewige Systole !) K. H o l l , Stoff, Gehalt, Form, Sokrates 1917, S. 1 4 5 - 1 8 5 , der die zentrale Bedeutung der Form und Formung für Goethe ausgezeichnet entwickelt, unterläßt leider den Hinweis auf das Todesproblem; S. 184 „Formung des Formlosen" und zu Riemer am 25. Mai 1816.
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und Diastole, als periodisch-dynamisch sich steigernden Wechsel zweier Gegensätze zu begreifen suchte und das Leben der Natur darin sah, „das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen", half ihm zu dieser Todüberwindung, die im letzten eigentlich keine Überwindung war, sondern eine Einordnung und eben dadurch Gestaltung oder Umgestaltung der Verneinung in die Bejahung. Es war sein Wille, sein Gesetz. Und hier taucht dann die Frage auf, ob der innere unbegreifliche Dämon nicht dazu zwang, das Sollen ins Wollen zu verwandeln. Goethe rührt selbst an diese im Mystischen ruhende Verschlingung von Tat und Nötigung. „Alles Sollen ist despotisch. Es gehöre der Vernunft an 1 )." „Aller Wille ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten." Es bleiben die orphischen Geheimnisse, die „Urworte", das Unerforschliche, und das hat man ruhig zu verehren. „Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht, und sich so in den Grenzen des Begreiflichen zu halten." Das Lebensgefühl Goethes war so stark, daß es ein Todesgefühl gar nicht aufkommen ließ, daß es das Todesbewußtsein ganz mit Leben durchdringen konnte. Die Mystik des Greisenalters mit ihrer neuen Vertiefung des Stirb und Werde beförderte nur noch inniger diese Ineinanderschlingung. Wenn Dilthey bemerkt 2 ), das Verhältnis, welches am tiefsten und allgemeinsten das Gefühl des Daseins bestimme, das des Lebens zum Tode, schiebe Goethe gleichsam an den Horizont seiner Lebensbetrachtung, so kann dies nur in einem äußerlichen Sinne gelten. Der 1 ) ,,. . . wie das Sitten- und Stadtgesetz, oder der Natur: wie die Gesetze des Wachsens und Vergehens, des Lebens und Todes. Vor allem diesem schaudern wir, ohne zu bedenken, daß das Wohl des Ganzen dadurch bezielt sei." Shakespeare und kein Ende: JA. 37, S. 43. S. auch Collin, Euph. 27(1926) S. 71. Vgl. F r . S t r i c h , Goethe u. der Osten, in: Dichtung u.Zivilisation a. a. O. S. 93—123; S. 110: „Die Bahn des Daseins ist auch der Sinn des Daseins. Sinn undBahnsind eines: göttliche Notwendigkeit . . . Entsagung heißt. . . nur die Bahn gehen." S. 123. „ E r glaubte nicht an den F o r t s c h r i t t , sondern an die Bahn." 2 ) D i l t h e y , Erlebnis und Dichtung S·. 230; auch S. 257. Dazu R. U n g e r , Literaturgeschichte als Problemgeschichte, Berlin 1924, S. 23. Grillparzer sagt: „Goethen war die Nachtseite des Ichs und der Natur nicht fremd, er wußte aber auch, daß nur die Sonne Früchte reift."
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körperliche Tod vermochte ihn immer noch tief zu erschüttern ; ein Gespräch mit Eckermann aus den letzten Lebensjahren (15. 2. 1830) bezeugt das: der Tod sei etwas Seltsames, Gewaltsames, etwas Unglaubliches und Unerwartetes. „Er ist gewissermaßen eine Unmöglichkeit, die plötzlich zur Wirklichkeit wird." Aber diese Wirklichkeit war ja eben doch gemildert durch die Überzeugung des Wandels, und man kann sagen, daß Goethe diesen gestalteten Tod, der einer großartigen Weltansicht eingeordnet war, ähnlich wie in der Aufklärung neben der Geburt als Symbol des ewigen Werdens, als die zwei großen Momente des Daseins stets wieder durchdacht und sie als den Mittelpunkt seiner Lebensbetrachtung gefühlt hat, die alles von der ewigen Tagseite hernahm, „wo der Tod immer vom Leben verschlungen wird". Neben Goethe dann Schiller: er zeigt vielleicht noch stärker die Verhaftung und auch das Herauswachsen aus dem geistigen Mutterboden des Rationalismus, aber auch die Läuterung und Überwindung der früheren Gedanken. Schiller, als der eigentlich tragische Dichter der Klassik, schaut dem alten tragischen Problem, das der Tod birgt, in die Augen, und sein Werk ist denn auch eine fortwährende, ringende Auseinandersetzung mit dem Tode, mit dem Schicksal, das den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt. Schiller verkörpert die höchste moralische Bezwingung des Todes allein durch das Ethos, durch das volle Erlebnis des Tragischen; aber dies ethische Pathos tönt überall unvergleichlich stärker als bei Goethe. Schiller berührt sich am meisten mit Kant; doch er geht wie Goethe über ihn noch hinaus. Unabhängigkeit der Moral vom Jenseitigen: danach strebt auch er; dichterisch und philosophisch sucht er diese Forderung zu begründen und zu erfüllen. Die Ideale der Aufklärung erfüllen den jungen Schiller. Fergusons 'Grundsätze der Moralphilosophie', die sein Lehrer Garve 1772 mit erläuternden Anmerkungen übertragen hatte, vermittelten ihm die Hauptlehren des Rationalismus in geradezu klassischer Durchsichtigkeit und Nüchternheit. Schiller glaubt also an die Unsterblichkeit als eine Möglichkeit noch höherer Vervollkommnung, er fordert sie aus dem Harmoniegedanken heraus. Aber das ist das einprägsamste Merkmal dieser aufgewühlten Frühzeit: eine Zweiheit der Weltansicht, ein Schwanken
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zwischen rationalistischem Optimismus und skeptischem Pessimismus, der überall nur das Schlechte und Endliche sieht. Dieser schrille Mißton kommt lange nicht zum Verstummen, erst der reife Schiller auf der Höhe der Klassik erringt sich in schweren Kämpfen eine einheitliche, harmonische Weltansicht. Zwei Gedankenreihen also laufen bis zu den Höhejahren stets nebeneinander her, und oft hat Schiller in der Dialogform Vertreter der beiden, in ihm streitenden Mächte gegenübergestellt: in den 'Räubern', im 'Spaziergang', im 'Geisterseher' und den 'Philosophischen Briefen'. Unsterblichkeitshoffnung und Vernichtungsglaube wirbeln durcheinander. Immer dann, wenn ihn die pessimistischen Zweifel packen, tritt ihm der Tod als ein Problem der Endlichkeit nahe. Für Schillers ganze geistige Entwicklung ist es kennzeichnend, daß er unter den Stürmern und Drängern neben Leisewitz vielleicht der verstandesmäßigste war. Tod beseligt ihn denn auch nicht als Auflösung ins All, als Liebe, sondern sein Pathos will immer das Grausige sehen, er liebt das Gigantische und Übertriebene und will den Tod wirklich als „König der Schrecken". Seine Anthologie von 1782, kühnster Ausdruck der pessimistischen Weltansicht des Dichters, widmet der Mediziner Schiller mit blasphemischem und zynischem Erdreisten seinem „Prinzipal, dem Tod", mit untertänigsten Hautschauern und nennt ihn „großmächtigsten Zar des Fleisches, allezeit Vermindrer des Reichs, unergründlichen Nimmersatt in der ganzen Natur" und dann einmal „Hungerwolf" oder „ewigen Würger". Schon diese Namen sagen über sein Todempfinden Wichtiges aus. In der 'Theosophie des Julius', die ja im hauptsächlichsten schon viel früher, auf der Akademie, entstanden ist und daher als Zeugnis der frühen Philosophie Schillers gelten darf, heißt es: „Jeder kommende Frühling, der die Sprößlinge der Pflanzen aus dem Schöße der Erde treibt, gibt mir Erläuterung über das bange Rätsel des Todes und widerlegt meine ängstliche Besorgnis eines ewigen Schlafes." Er ist ihm treffendes Sinnbild der Unsterblichkeit. Aber Schiller kann das „Stirb und Werde" auch anders und scheußlich deuten, so wie Wollmar im 'Spaziergang': Jahrtausende lang verzehrt die Natur „nur mit dem Abtrag von der Tafel des Todes, kocht sie Schminke aus den Gebeinen ihrer eigenen Kinder und stutzt die Verwesung zu blendenden Füttern. Es ist ein unflätiges Ungeheuer, das von seinem eigenen Kot, viel tausendmal
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aufgewärmt, sich mästet, seine Lumpen in neue Stoffe zusammenflickt und groß tut . . . " Ähnlich sagt es Franz Moor im Monolog des 4. Aktes: der Mensch sei und werde Morast; er war nichts und wird nichts. Auf jeden Punkt im ewigen Universum hat der Tod sein monarchisches Siegel gedrückt, auch auf die Geliebte, auf Laura. Es ist wohl das schauerlichste Liebesgedicht, das es in der Literatur gibt, jene 'Melancholie, an Laura', der sich höchstens einige Gedichte von Hofmannswaldau in Stoff und Behandlung vergleichen lassen. Schiller sieht Moder und Verwesung auf dem Gesicht der Geliebten. „Eine schönre Wangenröte ist doch nur des Todes schönrer Thron." „Aus dem Frühling der Natur, Aus dem Leben, wie aus seinem Keime Wächst der ew'ge Würger nur." Schiller wühlt mit wahrer Wollust im Untermenschlichen: in manchem berührt er sich mit Schubarts 'Todesgesängen', und der „Sinn fürs Grausame", von dem Goethe bei Schiller sprach, bricht hier durch. „Das Schicksal der Seele ist in die Materie geschrieben." Er übersteigert das Thema seiner Dissertation über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen von 1780 nun ins Dämonische, er will sehen, wie der Tod aus dem Leben wie aus seinem Keime sich entwickelt. Schiller wird Anwalt des Todes und der Endlichkeit, so daß man in all dem unwillkürlich an die zynische „Philosophie" des Todes im Streitgespräch vom Ackermann und dem Tod erinnert wird. Humanitätsgedanke und Endlichkeitsfanatismus stehen sich gegenüber1). Denn man muß immer betonen: Schiller selbst trägt in seinem Inneren jenen zerwühlenden Kampf aus. In diesem Todesbewußtsein lebt nichts mehr von dem herrlichen Rausch des Genies, von der Todesseligkeit und Todessehnsucht frommer und dithyrambisch gesinnter Seelen — wohl findet sich auch bei ihm der Gedanke des Liebestodes —, doch sein pessimistisches Weltbild l
) Stellen: Saekularausgabe : XVI, 5; XI, 118ff.; II, 37ff.; 139ff.; 141, 144; III, 107, 124, 139; ebd. auch S. 27ff.; 30f.; 40f. II, 141 = XI, 43, 79. Dazu die ausführlichen Monographien von K. D ö r r f u ß , Die Religion Schillers, Stuttgart 1922, S. 21ff., K. W o l l f , Schiller und das Unsterblichkeitsproblem, München 1910, S. 45ff. und neuerdings W. I f f e r t , Der junge Schiller, Halle 1926, S. 12 — 17: Philosophie des Todes; S. 80ff.; 87ff.
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entbehrt deshalb nicht des großen Gepräges ; es ist das vollkommene Gegengemälde zum rationalistischen; das Begreifen und Einordnen des Todes ist hier und dort nur folgerichtiger Ausdruck der jeweiligen Gesamtstimmung. Wollte Schiller früher die Harmonie des Weltalls sehen und „den großen Plan des Ganzen entdecken", mit eben dem Blick die Welt umfassen, mit dem der Schöpfer sie umfaßt, wollte er den allmählichen Aufstieg zur Gottähnlichkeit im Sinne einer leibniz'schen Höherentwicklung erkennen, dann mußte ihm auch der Tod eine zum Ganzen zweckende Erscheinung sein wie dem Rationalismus. Da verehrt er noch die Gottheit, „die, wie durch's Universum, so auch im Tode lebet"; Unsterblichkeit war Forderung der göttlichen Harmonie und ebenso uneigennützige und auffordernde Liebe, die in der 'Theosophie des Julius' als letzter und höchster Beweis für Gott, Tugend und Unsterblichkeit gilt. Dort konnte noch gefragt werden: „Wie ist es möglich, daß wir den Tod für ein Mittel halten, die Summe unserer Genüsse zu vermehren? Wie kann das Aufhören meines Daseins sich mit Bereicherung meines Wesens vertragen?" Solche Liebe hat nichts mit der Liebe der Genies zu tun; denn diese strebte zur Auflösung der Individuation, Schiller aber wollte sie als Persönlichkeitsbereicherung im Sinne der Persönlichkeitsgestaltung, nicht der Persönlichkeitsvernichtung 1 ). Jetzt enthüllt sich Schiller die Welt als Chaos, als sinnlose Vergänglichkeit. „Sterben ist der langen Torheit Ende." Darum die krasse Forderung des augenblicklichen Genusses, weil doch alles in diesem possenhaften Lottospiel des Lebens vergeht und man nicht weiß, was sich verbirgt hinter den zwei schwarzen undurchdringlichen Decken, „die an beiden Grenzen des unendlichen Lebens herunterhangen, welche noch kein Lebender aufgezogen hat." Schillers Todesgefühl aus der Zeit seiner Skepsis läßt sich nicht mehr übersteigern, ähnlich wie das ganz anders geartete des jungen Goethe; und wie dort, so findet auch Schiller den Rückweg aus diesem Grausen und zugleich eine Loslösung von der rationalistischen Hoffnung der persönlichen Fortdauer. Auch bei ihm setzt die Wandlung ein, und wie sie bei Goethe aus dessen Allgefühl und aus einem vorwiegend ästhetischen Bewußtsein flöß, so bei Schiller nun aus dem Ethos der sittlichen Persönlichkeit: ») XI, 19, 70, 125, 131; II, 320ff.; I, 198.
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der Humanitätsgedanke tritt mehr und mehr beherrschend vor und erzwingt nun auch eine neue Stellung zum Tode. Und in dem Augenblick macht sich die neue Formung des Todesgedankens notwendig, in dem der Glaube an die Unsterblichkeit nun nicht mehr aus materialistischen und pessimistischen Gründen bestritten wird, sondern aus ethischen. Schon in der 'Theosophie des Julius' bricht die neue Lebensrichtung durch. Rücksicht auf eine belohnende Zukunft schließt die Liebe aus. Es muß eine Tugend geben, die auch ohne den Glauben an die Unsterblichkeit auslangt, die auch auf die Gefahr der Vernichtung hin das nämliche Opfer wirkt. Ebenso überlegt dann schon im 'Geisterseher' der Prinz in dem großen, später unterdrückten Gespräch von 1789, des Menschen Glückseligkeit gehe ganz in seiner moralischen Vollkommenheit auf, „es wäre ebenso denkbar, daß der Glanz der Sonne in den heutigen Mittag und ihre Wärme in den folgenden fiele, als daß die Vortrefflichkeit des Menschen in diese Welt und seine Glückseligkeit in die andere falle1)". In dem Grundbuch des klassischen Humanitätsgedankens, in den 'Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen', baut der reife Schiller dann diese Weltansicht aus und stellt das Ideal der freien Sittlichkeit hin, die sich von Religion und Jenseitsglauben löst. Das moralische Gesetz Kants bringt die große und weithin sichtbare Wendung im Todesproblem. Was Spinoza und Shaftesbury, was Lessing und Herder erstrebten, Ausübung der Tugend um der Tugend willen, jenes Bewußtsein, in dem Pflicht und Neigung zusammenfallen, das Ideal des durch das moralische Gefühl von innen heraus bestimmten und daher freien Menschen, wurde zum Gesamtideal und zum Ziel aller Ethik und jenes Streben zur Gesamtäußerung einer neuen Adelsmenschheit erhoben. Es schwingt in solchem Bekenntnis ein Lebensgefühl, weiter und tiefer als früher, ein Gefühl für die neue Heiligkeit des Lebens und der darin beschlossenen Pflichten: diese Pflichten als unverbrüchliche Lebensgüter zu betrachten, sie zu erfüllen, soll Offenbarung reinen Menschentums sein und werden. Die Tugend XI, 125; XII, 96, 159, 160. J o n a s , Briefe III, S. 4 0 7 - 4 0 9 vom 3. 12. 1793. Zum einzelnen die genauen Auaführungen von Wollf a. a. O. S. 65—117 und die philosophischen Gespräche im 'Geisterseher', die bei Goedeke, S. S. IV, 2 8 7 - 2 9 3 , 2 9 4 - 3 1 1 , bes. S. 306, abgedruckt sind.
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muß als höchste Wertsphäre schlechterdings auf sich selbst gestellt sein, und Schiller behauptet, daß nur diejenigen unserer Handlungen sittlich heißen, zu denen uns bloß die Achtung für das Gesetz der Vernunft und nicht Antriebe bestimmen, wie verfeinert diese auch seien und welch imposante Namen sie auch führen. Wie Goethe will auch Schiller durch das Zufällige und Unbeständige hindurch zu dem Bleibenden und Beharrlichen kommen, zu dem reinen Typ einer freien Sittlichkeit ohne „Religion". Es versteht sich von selbst, daß aus solcher neuen geistigsittlichen Haltung auch der Tod in eine andere Wertordnung rückt. Er hat weder den strafrichterlichen Charakter des christlichen Dogmas noch das grauenvoll Zynische eines trostlosen Pessimismus. Er steht nun im Dienst des moralischen Prozesses, er ist letzter Hebel der freien Sittlichkeit, letzter, reinster Prüfstein des neuen Menschen, wie bei Luther. So meint es Maria Stuart, wenn sie in ihrer Abschiedsrede vom Tod, dem ernsten Freund spricht : „Den Menschen adelt, Den tiefstgesunkenen, das letzte Schicksal. Die Krone fühl' ich wieder auf dem Haupt, Den würd'gen Stolz in meiner edeln Seele." Die beiden Aufsätze vom Erhabenen (der erste 1793, mit dem Untertitel 'Zur weitern Ausführung einiger Kantischen Ideen' und der zweite 'Über das Erhabene', 1801 veröffentlicht, aber um die Mitte der neunziger Jahre entstanden,) bringen diese neue Wendung und allmählich klassische Lösung des Todesproblems, die Einordnung der Endmacht in den idealischen Weltbau Schillers. Es ist zugleich, wie bei Lessing, die neue Bedeutung des Todes für das Tragische festzustellen. Nun heißt es: „Das Gefühl des Erhabenen besteht einerseits aus dem Gefühl unsrer Ohnmacht und Begrenzung, einen Gegenstand zu umfassen, anderseits aber aus dem Gefühl unsrer Übermacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und dasjenige sich geistig unterwirft, dem unsre sinnlichen Kräfte unterliegen." ('Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen' 1791). Ähnlich lautet dann die Bestimmung des Erhabenen in dem ersten Aufsatz von 1793. Die Unzerstörbarkeit unseres Wesens steht fest: nun taucht der Tod auf, als ein solcher Gegenstand, „vor dem wir n u r moralische Sicherheit haben. Die lebhafte Vorstellung aller Schrecknisse
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des Todes, verbunden mit der Gewißheit, ihm nicht entfliehen zu können, würde es den meisten Menschen, weil die meisten doch weit mehr Sinnenwesen als Vernunftwesen sind, durchaus unmöglich machen, mit dieser Vorstellung so viel Ruhe zu verbinden, als zu einem aesthetischen Urteil erfordert wird — wenn nicht der Vernunftglaube an eine Unsterblichkeit, auch noch selbst für die Sinnlichkeit, eine leidliche Auskunft wüßte". Man sieht also: das moralische Gesetz hat sich noch nicht zur letzten moralischen Freiheit durchgerungen. Noch liegt die Lösung nicht frei da, noch steht der Unsterblichkeitsglaube im Hintergrund, in der Hilfsstellung für die bedrängte Sinnlichkeit. Und diese vordringliche Idee ist weit entfernt, den Tod zu einem erhabenen Gegenstand zu machen, im Gegenteil, sie nimmt, im Gemüte vorherrschend, dem Tod das Furchtbare, und das Erhabene verschwindet1). Der Tod aber — man denkt an Luther, der auch den Kampf wollte, — soll das Furchtbare und dadurch Erhabene behalten, als ein Gegenstand, an dem sich das Erhabene entzündet, an dem die moralische Gesamtpersönlichkeit sich zur letzten Kraft aufreckt, um ihn zu überwinden. Gleich zu Anfang dieses schönsten Aufsatzes 'Über das Erhabene' findet man die entscheidenden Worte. „Alle andere Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will." Dieser unverbrüchliche Wille schreibt dem Menschen die Haltung auch dem Tod gegenüber vor. Hier hat sich die Menschheit, der Begriff des Menschen überhaupt erst im letzten und höchsten Sinne zu bewähren. Nichts sei des Menschen so unwürdig, als Gewalt zu erleiden. „Denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns antut, macht uns nichts Geringeres als die Menschheit streitig." Bis zu einem gewissen Punkte gelinge es dem Menschen, physisch über alles Physische Herr zu werden. „Gegen alles, sagt das Sprichwort, gibt es Mittel, nur nicht gegen den Tod. Aber diese einzige Ausnahme, wenn sie das wirklich im strengsten Sinne ist, würde den ganzen Begriff des Menschen aufheben. Nimmermehr kann er das Wesen sein, welches will, wenn es auch nur e i n e n Fall gibt, wo er schlechterdings muß, was er nicht will. Dieses einzige Schreckliche, was er nur muß und n i c h t w i l l , wird ihn wie η X I I , 304f. ; X I , 144. Dazu Wollf fuß a. a. O., S. 46ff. — Auch für Burke hat schreckliphes Aussehen; s. a. a. O. S. 61 ( „ . . eine schrecklichere Idee für une ist"); S.
a. a. O. 90ff. und D ö r r der Tod ein erhabenes und . weil der Tod selbst kaum 87·
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ein Gespenst begleiten . . . seine gerühmte Freiheit ist absolut nichts, wenn er auch nur in einem einzigen Punkte gebunden ist. Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen und ihm dazu behilflich sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen. Sie soll ihn also fähig machen, seinen Willen zu behaupten, denn der Mensch ist das Wesen, welches will". Es ist höchster Beachtung wert: der Tod wächst im Sittensystem Schillers zu einer ähnlichen Stellung wie im Christentum; an ihm hat sich die Wahrheit des sittlichen Wesens im letzten zu bewähren. Schiller will den reinen Typ des Menschen; der „soll aber ohne Ausnahme Mensch sein, also in keinem Fall etwas gegen seinen Willen erleiden. Kann er also den physischen Kräften keine verhältnismäßige physische Kraft mehr entgegensetzen, so bleibt ihm, um keine Gewalt zu erleiden, nichts anderes übrig, als: ein V e r h ä l t n i s , welches ihm so nachteilig ist, g a n z u n d g a r a u f z u h e b e n und eine Gewalt, die er der Tat nach erleiden muß, dem Begriff n a c h zu v e r n i c h t e n . Eine Gewalt dem Begriffe nach zu vernichten, heißt aber nichts anders, als sich derselben freiwillig unterwerfen. Die Kultur, die ihn dazu geschickt macht, heißt die moralische1)". Die moralische Selbständigkeit und Freiheit des Menschen erstrahlt also hier in reiner Klarheit, der Humanitätsgedanke zwingt die Lösung der den Begriff des Lebens erschütternden Todesfrage. Der Mensch braucht die Unsterblichkeitshoffnung als „ein Produkt des Gefühls für Ebenmaß" nicht mehr: das Unsterblichkeitsproblem löst Schiller also auf diese Weise. Religion und Ästhetik bleiben unten, die reine Sittlichkeit als absolute und letzte Norm steht oben. „Der moralisch gebildete Mensch und nur dieser ist ganz frei." Diese höchste sittliche Freiheit, die Selbstbehauptung XII, 266f. - Vgl. auch XI, 206: „Ein reger Geist verschafft eich auf alle körperlichen Bewegungen Einfluß und kommt zuletzt mittelbar dahin, auch selbst die festen Formen der Natur, die dem Willen unerreichbar sind, durch die Macht des sympathetischen Spiele zu verändern." Dann XII, 259f. : Der freie Wille unterwirft sich nur der I d e e der Naturnotwendigkeit. XI, 243: „Ein Mensch, der mir das Todesurteil schreiben kann, hat darum noch keine Majestät für mich, sobald ich nur selbst bin, was ich sein soll. Sein Vorteil über mich ist aus, sobald ich will." Dazu aber auch XII, 74. „Es gibt in dem Menschen keine andere Macht als seinen Willen, und nur, was den Menschen aufhebt, der Tod und jeder Raub des Bewußtseins, kann die innere Freiheit aufheben."
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des Menschen verkörpert das neue Ethos Schillers, sie schließt aber zugleich in sich ein neues aesthetisches Moment, insofern es ein Ideal der seligen Vollkommenheit darstellt — die schöne Seele. Todüberwindung also, Todbezwingung, indem man sich moralisch entleibt, durch freie Aufhebung und durch Vernichtung dem Begriff nach: diese Flucht in die „heilige Freiheit des Geistes" bedeutet Sieg. Freiheit der Selbstbestimmung, wie sie schon Montaigne, wie sie Lessing im 'Philotas' gefordert hat: „Freiheit zu sterben, die uns die Götter in allen Umständen des Lebens gelassen haben." Und Don Cesar ruft: „Der freie Tod nur bricht die Kette des Geschicks." Er geht mit freiem Schritte zu des Todes traurigen Toren. Man sieht hier deutlich das Gemeinsame, das Rationalismus und Klassik verbindet. Nur ist bei Schiller diese ganze Frage in die theoretische Bewußtheit erhoben und als Lösung in ein großes neues System der Humanität eingeordnet. Aus diesem Streben nach Unabhängigkeit entspringt dann das Erhabene, das große Pathos: Schillers Tragödien sind dafür Zeugnis. Es ist das Pathos des untergehend Siegenden, der den Tod durch die Freiheit des Willens überwindet, indem er sich zum Herren über sein Schicksal aufschwingt, das ihn nur als physisches Wesen in der Zeit zu vernichten vermag, nicht aber als zeitlosen Menschen. Er macht aus dem Schicksal seine Tat. „Die Form also, welche der tragische Mensch dem Schicksal gibt, entscheidet alles1)." Um es mit Diltheys Worten zu sagen, es ist die „Manifestation der großen moralischen Person, die eben nur dem Tode gegenüber ihr Wesen erweist". Wesen: das bedeutet, ohne Ausnahme Mensch sein; Selbstverwirklichung seiner Form, seines Wesenskerns, also: Werde, der Du bist. Im goetheschen Sinn weist das Bewußtsein des Todes in das Leben zurück, damit es ganz gelebt werde und sich ganz erfülle. Die klassische Grundhaltung liegt hier und dort klar zutage. Schiller sucht wie Goethe nach dem Bleibenden im Wechsel, er will das Gesetz, das Unbedingte, will zu den Wahrheiten vordringen, die nichts mehr voraussetzen und die Voraussetzung von allem anderen sind. Er sucht die ewige, beharrliche, alle Veränderung überdauernde Einheit seines Ichs als Behauptung der sittlichen Gesamtpersönlichkeit: „Wir sind in alle Ewigkeit wir." S t r i c h , Deutsche Klassik a. a. O., S. 356.
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In solchem Sinne spricht dann auch Schiller in seiner letzten Krankheit das Wort, der Tod könne kein Übel sein, da er etwas Allgemeines sei 1 ). Darum ist er kein Übel, sondern ein Allgemeines, weil er zur allgemeinen Form der Menschheit bringt, weil auch im Tode die ewige Einheit des Ichs besteht. Diese Erkenntnis quillt aus dem eigenen schweren Erlebnis der Krankheit von 1791, die Schiller dem Tod nahebrachte. Da schrieb der schon Aufgegebene an Körner: „Mein Gemüt ist übrigens heiter und es soll mir nicht an Mut fehlen, wenn das Schlimmste über mich kommen wird." Nachdem dieses Schlimmste nun doch an ihm vorübergegangen war, schreibt er am 24. Mai wieder an Körner: „Überhaupt hat dieser schreckhafte Anfall mir innerlich sehr gut getan, ich habe dabei mehr als einmal dem Tod ins Gesicht gesehen, und mein Mut ist dadurch gestärkt worden, mein Geist war heiter." Es ist der Gedanke der Humanität, die erst durch das Wissen um den Tod zur Reife gelangt. „Er hatte früh das strenge Wort gelesen, Dem Leiden war er, war dem Tod vertraut." Todumschattet und todgeweiht ringt Schiller mit der Aufbietung aller Kräfte dem ermattenden Leben die größten Werke ab ; sein Leben scheint wie ein Kampf mit dem Tod, dem er wohl körperlieh verfallen ist, den er aber geistig durch seinen Willen überwindet Das rein Tragische solcher Lebensgestaltung bleibt immer erschütternd und zugleich symbolisch, weil sich Lebensgestaltung hier vollkommen mit Lebensideal deckt. Das Gesetz seines Lebens und seiner Kunst war, den Stoff durch den formenden Geist zu ordnen und zu beherrschen. So darf man Schillers Todesüberwindung nur als die symbolische Bewährung und Erfüllung dieses seines Lebensgesetzes nehmen: den Stoff durch die Form zu tilgen, d. h. den Tod durch sittliche Persönlichkeitsgestaltung zu bezwingen. Als tragischer Dichter hat Schiller anders als Goethe ein tragisches Erlebnis des Todes, erfüllt mit dem edlen Pathos der „großen und gesetzten Seele", wie Winckelmann es nennt. 1 ) J. P e t e r s e n , Schillers Gespräche, Leipzig 1911, S. 418; vgl. ebd. S. 172. „Dem allwaltenden Geiste der Natur müssen wir uns ergeben und wirken, solange wire vermögen." Fr. Th. V i s c h e r hat an den ersten Ausspruch im 'Auch Einer' ziemlich am Schluß des Tagebuchs angeknüpft. (Propylaenverlag S. 477; vgl. auch S. 420, 345.)
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Schiller läßt dem Tod das Furchtbare, und nichts scheint bezeichnender, als daß er sich gegen das Todbild seiner Zeit und der Antike wendet, die das „gräßliche Gerippe" durch den Genius mit der umgekehrten Fackel zurückzudrängen suchte. „Lieblich sieht er zwar aus mit seiner erloschenen Fackel; Aber, ihr Herren, der Tod ist so aesthetisch doch nicht." Oder die 'Basreliefs' „Seht, was versucht nicht der Mensch mit dem Tod zu versöhnen das Leben I Nimmer gelingt's — ach, sie sind schrecklich und ewig getrennt 1 )." Denn Schiller braucht wieder den Kampf, er muß und kann kämpfen, weil der Tod ihm nicht immanent ist, er muß ihn sich herbeizwingen. Der Rationalismus weicht dem tragisch Erschütternden aus, und Goethe meidet es aus einem Lebensgesetz heraus: so suchen sie den Tod sich anzuverwandeln, indem sie ihm ästhetische Gestalt verleihen und ihn zugleich in dem großen Wandel des „Stirb und Werde" auflösen. Sie bezwingen den Tod durch Gestaltung; wohl, das tut auch Schiller, aber hier ist wirklich Ringen und Kampf. Auch Schiller ordnet das scheinbar Sinnlose dem Sinnvollen ein, er stellt den Tod an seine Stelle im ethischen System, aber er erhebt ihn zur Symbolfähigkeit, läßt ihn als Tod. Er sieht Ende, nicht Anfang, er nimmt ihm jede Zielung ins Jenseits und läßt ihn nur ins Diesseits weisen, denn der Sinn des Lebens liegt im Diesseits selbst: schon hier soll und muß der Mensch zu seiner Vollendung kommen. Tugend muß auf sich selbst ruhen: „Das moralische Wesen ist in sich selbst vollendet und beschlossen . . . durch seine Moralität. . . um vollkommen zu sein, um glücklich zu sein bedarf das moralische Wesen keiner neuen Instanz — und wenn es eine erwartet, so kann sich diese Erwartung wenigstens nicht auf eine Forderung gründen. Was mit ihm werde, muß ihm für seine Vollkommenheit gleich viel sein2)." II, 91; vgl. aber auch II, 93, Nr. 31; 95 Nr. 13; I, 158. ) S. S. ed. Goedeke IV, 306, von 1791. Vgl. auch H. Cysarz, Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft, Halle 1926, S. 292.: Schiller begleitet seinen Helden bis zum Tod, doch nie versucht er über diese Scheide hinauezublicken . . . Er wahrt also dem Tranzendenten gegenüber äußerste Zurückhaltung. S. 293, 297 Tod für Schiller ein A b s c h l u ß . s
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Man ermesse: Schiller geht hier in seiner strengen Ethik noch über Kant hinaus, für den die Unsterblichkeit der Seele ein Postulat der reinen praktischen Vernunft war. Schiller aber weist dieses Postulat zurück, weil es ihm nicht wie Kant „aus der praktischen notwendigen Bedingung der Angemessenheit der Dauer zur Vollständigkeit des moralischen Gesetzes" fließt 1 ), weil er diese Vollständigkeit schon hier fordert und für möglich hält; und so schreibt er auch an Goethe am 9. Juli 1796, innerhalb der aesthetischen Geistesstimmung hege er kein Bedürfnis nach Trostgründen, und die gesunde und schöne Natur brauche auch keine Gottheit, keine Unsterblichkeit, um sich zu stützen und zu halten. Unsterblichkeit als persönliche Fortdauer im Jenseits läüt Schiller nicht gelten, er kennt nur, wie Bayle oder Diderot, die „wahre Unsterblichkeit, wo die Tat lebt und weitereilt, wenn auch der Name des Urhebers hinter ihr zurückbleiben sollte." Es ist jene zeitloserhabene Dauer in der Gattung der zu sich selbst gelangten Menschheit, es ist jener Gedanke vom Auflösen seiner Selbst im großen Ganzen, den K. Ph. Moritz, der Verfasser des 'Anton Reiser', in der metaphysischen Ästhetik seiner Abhandlung von der 'Bildenden Nachahmung des Schönen' 1788, nur mit seltsamer Wendung zu spiritueller Todeserotik, schon ausgesprochen hat: „Das Invividuum muß dulden, wenn die Gattung sich erheben soll. . . denn in der Duldung liegt der Kern zu jeder höheren Entwicklung . . . Ist es nicht die immerwährende Zerstörung des Einzelnen, wodurch die Gattung in ewiger Jugend und Schönheit sich erhält?" Schiller aber schreibt wieder: „Vor dem Tod erschrickst du? Du wünschest unsterblich zu leben ? Leb' im Ganzen! Wenn du lange dahin bist, es bleibt 2 )." Schiller steht mit seiner strengen ethischen Forderung allein, er braucht sie, um die Tragik und die Erhabenheit des Menschen *) Kant, Kritik der praktischen Vernunft I, 2, 2: Akademieausgabe V, 112ff. ; 132f. Zu Kants Unsterblichkeitsglauben vgl. C. S t a n g e a. a. O., S. 106ff.; D e s s o i r a. a. O., S. 416—418; L ü t g e r t a. a. O., S. 185ff., auch hier wieder im Verhörton. Schließlich die schönen Ausführungen von R. U n g e r , Der bestirnte Himmel über mir. Zur geistesgeschichtlichen Deutung eines Kantwortes. Kantfestschrift der Universität Königsberg, Leipzig 1924, S. 239—270; bes. S. 255f. ; 257ff.; 260, 262ff., 268f. 2 ) II, 89; vgl. auch XII, 45; XIII, 22, 24; XVI, 228.—Moritz, DLD. 31, S. 30, 33, 34f. ; dazu die Einltg. von Auerbach S. X X I X ,
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in ihrer höchsten Reinheit zu sehen. Solch hohe Ethik wird hier zu einer neuen Religion, die auf dem Weg über die Kunst gewonnen ist. Schiller war religionslos, er stellte die Kunst über die Religion und so wurde ihm die Kunst zur Religion; sie hat als solche, nur in einer anderen Schicht, tiefe Berührungspunkte mit dem Christentum, auch in dem besonderen Fall des Todes. Hier wie dort ist der Tod Prüfstein. Man denkt an Luther, an die reformatorische Todesgesinnung, an den trotzigen Kampf mit dem Tod : hier wie dort hat sich der jeweils höchste Idealwert zu bestätigen. Wie Schiller das meinte, sagt sein Don Cesar, ehe er zur Selbstentleibung die Hand hebt (IV, 9): „Der Tod hat eine reinigende Kraft, In seinem unvergänglichen Palaste Zu echter Tugend reinem Diamant Das Sterbliche zu läutern und die Flecken Der mangelhaften Menschheit zu verzehren." Zu solcher Höhe erhebt sich niemand mehr im klassischen Umkreis; doch stets bleibt es so, daß der von der Aufklärung vererbte Humanitätsgedanke, das hehre Lebensideal also, in unmittelbare Beziehung zum Tod gesetzt und dadurch geläutert werden soll. Goethe und Schiller dienten, jeder auf seine Weise, dieser Ausbildung des neuen Menschheitsideals, und auch Herder hatte ja in seiner Weimarer Zeit dieses Ideal durch die Nacht des Todes hindurchgeleitet. Auch hier schließt der Tod nur enger den Menschen zusammen und weist zu der Aufgabe zurück, die das Leben stellt: ganz Mensch zu sein. Ähnlich äußerte sich der reife Klinger1). Und der vierte in Weimar, Wieland, kann den Humanitätsgedanken nicht anders denken und verschlingt ihn auf die gleiche XXXVIIff. Schiller hebt gerade diesen Punkt nach seiner Lektüre der Schrift in einem Brief an Lotte vom 12. 12. 1788 hervor: „Über ein Lieblingsthema von mir . . . über das Leben in der Gattung, das Auflösen seiner Selbst im großen Ganzen und die daraus unmittelbar folgenden Resultate über Freude und Schmerz, über Tugend und Liebe, über den Tod hat er außerordentlich klare und erwärmende Begriffe." Dann Lotte an Schiller vom 17. 2. 1789. Vgl. K o c h a. a. O. S. 113 und 156; d e r s e l b e , Schillers philosophische Schriften und Plotin, Leipzig 1926, S. 27ff.; S. 36ff. - F i c h t e , S. W. VIÏ, 63. ») K l i n g e r , Raphael de Aquiüas, Werke IV (Stuttgart 1842), S . 179, !94, 227, 239, 241, 248. Betrachtungen XII, S. 36, 155.
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Weise mit der Frage des Todes. Er knüpft nach dem sentimentalen Zwischenspiel der 'Briefe an Verstorbene' wieder an den rationalistischen Unsterblichkeitsglauben seiner ersten Zeit an und sucht ihn nun auf die Höhe seiner ihm eigenen Vollendung zu heben. 'Euthanasia' — schon die Überschrift deutet — heißt die Schrift, in der Wieland 1805 in Gesprächsform, anknüpfend an Geistererscheinungen, seine Anschauung über das Leben nach dem Tode niederlegt. Schon 1799 im 'Agathodämon' sprach er davon, daß es der Mensch nicht in seiner Gewalt habe, sich „eines von Zeit zu Zeit tief aus unserem Innern aufsteigenden Verlangens, zu wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen, gänzlich zu entschlagen." Und nun erstrebt Wieland die eigene Antwort. Zwar, er nimmt nach dem Tode ein ganz neues Individuum, also Seelenwanderung wie Lessing an. Aber er sucht damit das Ideal der freien Sittlichkeit, die das Gute um des Guten willen oder aus reiner Liebe Gottes tut, zu vereinigen: die innere Richtigkeit der Gesinnungen bestimmt den Grad der inneren Glückseligkeit. Wie Schiller glaubt er, daß der Tod allen unseren jetzigen Verhältnissen ein Ende mache, und hofft, dieser saduzäische Glaube möge allgemein werden. Denn das Bewußtsein, daß mit dem Tode alles aus sei, würde eine strengere und sorgfältigere Erfüllung aller Pflichten der Humanität bewirken. Der Gedanke des Todes also weist in das Leben zurück und offenbart die Selbständigkeit der moralischen Person. Das Postulat der persönlichen Unsterblichkeit scheint wie bei Schiller zu fallen. Wieland will den Unsterblichkeitsglauben nicht als Belohnung und braucht ihn nicht; falls es aber wirklich ein Leben nach dem Tode geben sollte, so hofft er wie Sokrates und „unterwirft sich ruhig dem unbekannten Naturgesetze, kraft dessen er mit dem Tode entweder Sokrates zu sein aufhöre oder in einem neuen Leben in der unsichtbaren Welt auf eben die Art, wie er es in dieser war . . . glücklich sein werde 1 )." Die Frage nach dem Tode also wird zur Frage der schönen Menschlichkeit. Der Tod soll den Kreis schließen, soll zur tieferen Erfassung des Lebens und zu einer reineren Verwirklichung des Begriffs Mensch dienen, aber Wieland sagt nichts vom Furchtbaren der Todes, und darin verdeutlicht sich bei aller Ähnlichkeit die Zweiheit der Grundstimmung: das W i e l a n d , Werke (Hempel) 23, Agathodämon, S. 171. Euthanasia, 32, S. 4 2 5 - 5 3 7 ; bes. das 2. Gespräch S. 489, 4 9 6 - 5 2 1 , 535ff.
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erhaben Tragische mit dem Willen zum Kampf und zur Selbstbehauptung fehlt bei Wieland, es fehlt trotz allem das eigentlich Ethische in seinem Toderlebnis oder das Ethische in dieser fast starren und unerbittlichen Strenge, wie sie bei Schiller alles durchgeistigt. Wieland will das Heitere und Reine; im Ästhetischen lebt sich sein Gefühl und sein Verstand aus. Er legt den Nachdruck nicht auf die Verwirklichung der Menschlichkeit wie Schiller, sondern der schönen Menschlichkeit. So muß denn auch Wieland, der Sinnenmensch, im Tode das Schauspiel des sinnlich Schönen haben: Euthanasia—die schöne und beste Art zu sterben. Das Mittel dazu lehrt das Geheimnis des Sokrates: das Bewußtsein eines wohlgeführten Lebens, die heitere Stimmung, „aber von allem, was guten Menschen gewiß ist, das Gewisseste bleibt doch immer, daß sie sich gedulden können, wenn sie in ruhiger Ergebung und gleichsam mit geschlossenen Augen bis zum letzten Atemzug das Beste hoffen 1 )". Die Diesseitigkeit des Lebensgefühls war das Merkmal der Klassik; sie weist auf das gegenwärtige Leben als das Betätigungsfeld des Menschen hin. Knebel erhebt diese klassische Mahnung: lebe und Du wirst leben. Denn Leben ist „ein wechselndes Rad immer erneuter Gestalt". „Das Lebendige kann sich nur das Lebendige denken 2 )." Und Humboldt kann wie Goethe nur das „Stirb und Werde" sehen: der Tod liegt im schrankenlosen Plan der Natur und an ihm nutzt sich immerwiederkehrendes Leben ab. Aber er sieht auch das Tragische im Kampf des Lebens: „Nur ein Leben aus dem Tod entfalten Ist der Menschheit schmerzumwölktes Walten." In einem Sonett heißt es einmal: „Im Tode hat der Geist den Sieg errungen3)". Aber schon bei Knebel zeigen sich noch rational
) Euthanasia a. a. O., S. 536ff. ; vgl. auch S. 515 und Agathodämon, Bd. 23, S. 172, Rede des Apollonius. *) K n e b e l , Literarischer Nachlaß und Briefwechsel, Leipzig 1836, III, 3 3 2 - 3 5 6 . 'Über die Unsterblichkeit' von 1797. „Leben erzeugt Leben, und der Wunsch nach Unsterblichkeit kommt aus einem Vollgefühl unseres Daseins . . . Nur dies ist Unsterblichkeit, lebe in den Deinen wieder auf." — Sammlung kleiner Gedichte, Leipzig 1818, S. 21, 60, 67, 80. ') H u m b o l d t , Akademieausgabe I, 322, 327; s. auch E. S p r a n ger, Humboldt und der Humanitätsgedanke, Berlin 1909, S. 144, 279 ff. — Humboldts zahlreiche Sonette über Tod, Jenseits und
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listische Momente, besonders in der Betonung der Glückseligkeit und dies macht sich dann bei den kleineren Geistern, wie bei Tiedge und Seume so empörend platt und anspruchsvoll breit, daß Wetzel ζ. Β. dagegen zu Felde zog, aber auch Goethe sich verletzt abwandte. „Wer seine Fortdauer glaubt, der sei glücklich im Stillen, aber er hat nicht Ursache, sich darauf etwas einzubilden 1 )." Trotz des Reichtums individueller Verschiedenheiten löst die Klassik die Frage des Todes aus innerer Nötigung heraus in großartiger Einheitlichkeit: Tod soll durch Leben gestaltet und besiegt werden. Es ist in ganzer Reinheit der neue metaphysische Lebensbegriff, der sich allmählich aus einer Verweltlichung und Entkirchlichung, aus der philosophischen Durchdringung der christlichen Vorstellung vom ewigen Leben herausbildet hat. Dieser Gedanke, daß das Leben ewig und unzerstörbar und unabhängig von Geburt und Tod sei, der sich von Cusa und Bruno über Montaigne und Leibniz bis zur Klassik hinzieht, findet in Kant seinen höchsten philosophischen Ausdruck. Er bietet gegen die Unsterblichkeitsleugner die transzendentale Hypothese auf, „daß alles Leben eigentlich und bloß intellegibel sei, den Zeitveränderungen gar nicht unterworfen, und weder durch Geburt angefangen, noch durch Tod geendigt werde . . ." Aber das ist doch das tiefste und hehrste Erlebnis der Klassik, daß der Tod das Leben heiligt. Leben ist nur da, damit es das volle und reine Menschtum offenbare. Es ist nötig und sinnvoll Vergänglichkeit entstammen zumeist alle einer späteren Zeit, in der das Jenseitsproblem durch schwere Schicksalsschläge neu und drängend gestellt wurde. Vgl. Leitzmann im Register der Akademieausgabe IX, S. 447, 448. — L ü t g e r t a. a. O., S. 2 0 2 - 2 0 4 . — Vgl. auch K a r o l i n e v. W o l z o g e n , Literarischer Nachlaß, Leipzig 1848, I, S. 155; 117, 156, 157. 1 ) S e u m e , Sämtl. Werke, Leipzig 1839, VI, 246 — 252 Betrachtung über Tod und Zukunft. — K o s e g a r t e n , Dichtungen VI, Greifswald 1824, S. 147ff.: der Tod; S. 1 3 0 - 1 3 8 Unsterblichkeit; S. 97, 163ff. — T i e d g e , Urania. Über Gott, Unsterblichkeit und Freiheit, 1804, bes. S. 154ff., 176ff. Tugendsinn wie für Seume als Unterpfand der Unsterblichkeit. Im übrigen wird Kant trivialisiert. Goethe wandte sich gegen Tiedge und den Uraniakult vor allem in einem Gespräch mit Eckermann 25. 2. 24. Über Wetzeis Angriffe ('Rhinozeros' 1810) s. Fr. S c h u l t z , Der Verfasser der Nachtwachen des Bonaventura, Berlin 1909, S. 230, 286 ff.
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durch sich selbst, so sagt Goethe; Schiller dagegen bekennt: „ L e b e n ist nie für sich selbst, nie als Zweck, nur als Mittel zur Sittlichkeit wichtig." Das sind Gegensätze der abstrakten und konkreten Natur, die auch die Verschiedenheit des Todempfindens bedingen. Aber sie heben sich auf in der höheren Einheit des gemeinsamen Lebensbegriffes und des Humanitätsideals, in dem sich eben dieser Lebensbegriff verwirklicht. Diesen Sinn meint auch K a n t mit seinen Worten: „ D e n Tod fürchten die am wenigsten, deren Leben am meisten Wert h a t . " Tod eben bringt dazu, daß das Leben seinen höchsten Wert erreicht, daß der Mensch „die Menschheit in ihrer ganzen Fülle" darstellt. So sagt es Fichte, und er bekennt, daß nicht der Tod, sondern das Leben die Wurzel der Welt ist, und was tot erscheint, sei nur ein geringerer Grad des Lebens. A m Ende seiner Schrift 'Die Bestimmung des Menschen' heißt es geradezu : „Aller Tod in der Natur ist Geburt, und gerade im Sterben erscheint sichtbar die Erhöhung des Lebens, es ist kein tötendes Prinzip in der Natur, denn die Natur ist durchaus lauter Leben; nicht der Tod tötet, sondern das lebendige Leben, welches hinter dem Alten verborgen beginnt und sich entwickelt. Tod und Leben ist bloß das Ringen des Lebens mit sich selbst, um sich stets verklärter und ihm selbst ähnlicher darzustellen 1 )." Tod und Humanitätsgedanke sind mit den festesten Bändern verknüpft. Klassik will die Geschlossenheit, die begrenzte Form, >) Fichte, Ges. Sehr. II, 317ff. Vgl. auch I, 414, IV, 475, 532f., X I , 47, 56; VII, 55, 63; 360f.(7. Rede an die deutsche Nation) über jene ausländische Ansicht des Lebens, die notwendig an den Tod als das Ursprüngliche und Letzte, den Grundquell aller Dinge und mit ihnen des Lebens glaubt. — Schluß der 3. Jenaer Vorlesung über die Bestimmung des Gelehrten: . . ich kann nie aufhören zu wirken und mithin nie aufhören zu sein. Das, was man Tod nennt, kann mein Werk nicht abbrechen . . . " Dieser Gedankengang ist die Grundlage der 'Ideen über Gott und Unsterblichkeit', die auf einer Kollegnachschrift von 1795 beruhen und von E. Bergmann in den Kantstudien 1914, Ergänzungsheft 33 und dann von F. Büchsei, Leipzig 1914 herausgegeben wurden. Text ebd. S. 52 — 56: Über unsern Glauben an die ewige Fortdauer. Verlangen der „moralischen Menschen" nach Fortdauer und weitere Möglichkeit zur Vervollkommung, zum .,Heilig werden". Vgl. allgemein E. Melzer, Fichtes Unsterblichkeitslehre, Neiße 1882 und jetzt E . H i r s c h , Die idealistische Philosophie und das Christentum, Gütersloh 1926, S. 60 (Tod trifft nicht das Ich), S. 153, 170, 172, 220, 264f.
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und der gestaltete, sinnvolle Tod ist es, der in einer letzten und symbolischen Weise solche schließende Begrenzung verleiht, der die Grenzen des Lebens zieht, innerhalb deren der Mensch sich zu verwirklichen hat. So formt und schafft er Leben und gibt das Bewußtsein des Lebens. Die Einheit von Leben und Tod, aber vom Leben her gesehen, tut sich auf. Goethe sagt aus seiner fast mystischen Naturdurchdringung heraus das tiefste Wort über diesen inneren Zusammenhang von Leben und Tod, bezeichnend genug im Vorwort zur 'Morphologie'. Es sei ein wichtiger Grundsatz der Organisation, „daß kein Leben auf einer Oberfläche wirken und daselbst seine hervorbringende Kraft äußern könne, sondern die ganze Lebenstätigkeit verlangt eine Hülle, die gegen das äußere rohe Element, es sei Wasser, Luft oder Licht, sie schütze, ihr zartes Wesen bewahre, d a m i t sie das, was i h r e m I n n e r n spezifisch obliegt, vollbringe. Diese Hülle mag nun als Rinde, Haut oder Schale erscheinen, alles, was zum Leben hervortreten, alles, was lebendig werden soll, muß eingehüllt sein. Und so gehört auch alles, was nach außen gekehrt ist, nach und nach frühzeitig dem Tode, der Verwesung an. Die Rinden der Bäume, die Häute der Insekten, die Haare und Federn der Tiere, selbst die Oberhaut der Menschen sind ewig sich absondernde, abgestoßene, dem Unleben hingegebene Hüllen, hinter denen immer neue Hüllen sich bilden, unter welchen sodann, oberflächlicher oder tiefer, das L e b e n sein s c h a f f e n d e s G e w e b e h e r v o r b r i n g t 1 ) . " Man begreife den Tod als solche symbolische Hülle der menschlichen Natur, — man kann nicht großartiger das Werdensgesetz aussprechen, nicht fester Tod und Leben zusammenbinden, nicht tiefer den Humanitätsgedanken deuten. Tod schafft Leben durch Umhüllung, Tod selbst aber verfällt dem Tod, dem Unleben, und das ewig Menschliche in zeitlos erhabener Dauer, der beharrliche Kern, bleibt. Goethe und Schiller sagen das Gleiche. Und nur darin unterscheiden sie sich : im Weg, auf dem sie zu diesem Ziel gelangen. Schiller sieht das Tragische in dem Zusammenprall von Leben und Tod, die sich gegenseitig bedingen und sich dann messen, aber es ist ein einmaliger höchster Kampf, aus dem sieghaftes Leben entsteht. Goethe sieht in der Natur die ewige Verwandlung, die Leben und Vergehen in sich birgt. Auch für ihn bedeutet der Tod einen l)
JA. 39, 255.
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Einschnitt, in dem das Leben seine Kraft zu erweisen hat; aber nichts Pathetisches und Erhabenes schwingt hier, sondern Tod bedeutet nur die Lösung einer Hülle und erst in allmählichem Aufwärtssteigen, in der Befolgung der Bahn, in Entselbstung und Verselbstung enthüllt sich der Kern, das reine Leben. Darum braucht Goethe ein Leben über dem Leben, weil er sieht, daß auch die Natur nicht mit einem Male sich selbst verwirklicht. Er erreicht das Ziel nicht plötzlich und ruckartig, sondern durch „steigenden Vollgewinn". Es ist hier und dort, nur in jeweils anderer Art, Selbstverwirklichung. Das Sinnen einer Unsterblichkeit aber bedeutet für Goethe nicht Sprengung der Geschlossenheit; der Kreis, der sein Leben umgrenzt, hat vielleicht nur den größeren Durchmesser. Goethe gestaltet sich auch die andere Welt durch seinen Willen zum Gesetz und zur Ordnung. Er vermag diesen „Undingen" aus der anderen Welt, die weder Gestalt noch Begrenzung haben, gerade dieses zu geben. Aber das muß immer das erste sein : hier im Diesseits, als dem natürlich gesetzten Raum der Tätigkeit, Mensch zu werden. „Ein tüchtiger Mensch aber, sagt Goethe zu Eckermann am 25. 2. 24, der schon hier etwas Ordentliches zu sein gedenkt, der daher täglich zu streben, zu kämpfen und zu wirken hat, läßt die zukünftige Welt auf sich beruhen und ist tätig in dieser." Denn auf die Tat kommt es an, durch die Tat lebt Faust, lebt auch Schillers Mensch und der Fichtes fort — auch in solcher Einheit treffen sie sich. Für Schiller und Goethe ist der Gedanke an die Unzerstörbarkeit des Wesens notwendigste Gewißheit — sie sagen es fast genau in den gleichen Worten, Schiller im Aufsatz 'Vom Erhabenen' und Goethe zu Eckermann am 2. Mai 1824. Leben also: das ist Bezwingung und Verwandlung des Todes, ethische und geistige Durchdringung des Stoffes durch die Form, ist Hinüberführung des Gestaltlosen in eine schöne, vollkommene Gestalt, in ein aesthetisches Bereich wohl, das aber tief ethisch, ja metaphysisch begründet ist 1 ). Formt man den Tod, so formt 1
) In diesem Sinne wären die Ausführungen A. B ä u m l e r s in seiner interessanten Einleitung zur Bachofenauswahl (Mythus vom Orient und Okzident, München 1926) über die ästhetische Haltung des 18. Jhds. und der Klassik gegenüber der religiösen der Romantik, auf dem Gebiet der Mythologieforschung einzuschränken: S. 31, 166ff.
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man gleichzeitig das Leben. Dem Tod gegenüber wird das Leben in seiner inneren Unendlichkeit sich der Aufgabe bewußt, seinen ganzen Begriff zu erfüllen, das, was seinem Inneren spezifisch obliegt, voll zu b r i n g e n — das Menschliche, Humanität, die sich eben nur dort ergibt, wo alle Unform getilgt ist. Die Frage nach dem Tode wird eine ethische, ja man darf sagen eine religiöse Angelegenheit, wenn man Religion hier im Sinne der klassischen Humanitätsreligion versteht.
XI. K a p i t e l
DIE ROMANTIK „Steige, mein Freund, in den Schacht Kühn des Todes hinab ! Dunkel rieselt da unten Heimlich der Lebensquell.u Fr. Schlegel „Sinnet und grübelt wie ihr auch wollt, Geheimnis bleibet euch ewig der Tod." C. D. Friedrich
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omantik und Tod gehören unauflöslich und wesensmäßig zusammen, ebenso wie Barock und Tod, Mystik und Tod. In dieser Vergleichstellung deutet sich schon eine wichtige Erkenntnis an : daß Romantik, Barock, Mystik und auch die Gefühlshaltung der Geniezeit bei aller Verschiedenheit in einem Mittelpunkt zusammentreffen, in dem Erlebnis des Irrationalen, durch das nun die Romantik sich aus der Bewußtheit erlösen will. Das hilft ihr zur Einheit des Weltbegreifens, bestimmt ihre Stellung zum Übersinnlichen und befestigt sie in der Deutung des Lebens als eines Durchsichtigen, hinter dem das für sie Wesentliche durchblickt. Dies Wesentliche gilt es zu fassen und zu verwirklichen: es ist letztlich das Einswerden mit dem Göttlichen. Dahin streben sie alle, die christlichen und die dionysischen Romantiker, nach dem Aufgehen im Unbewußten, im All, nach der Gottnähe und der Naturnähe, da durch den Sündenfall, „dieses heilige Rätsel, diese ewige Hieroglyphe", das Paradies, das „goldene Zeitalter", verloren und durch den Tod, d. h. durch das Einzelleben, die Trennung vom allbelebenden Muttergrund, vom Göttlichen, die Schuld und die Zerbrechlichkeit in die Welt gekommen sind, von der man befreit sein will. Sie ahnen, und vor allem die Romantiker, das Göttliche in sich; jeder Einzelne von ihnen ist das Spiegelbild des Göttlichen, aber ein getrübtes und unklares Spiegel-
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bild ; es wieder zu reinigen und zu läutern, dahin geht die Sehnsucht, und so kann der mystische Geschichts- und Menschheitsphilosoph der späteren Romantik, der gewandelte Friedrich Schlegel, sagen, der nächste Gegenstand und die erste Aufgabe der Philosophie sei die Wiederherstellung des verlorenen göttlichen Ebenbildes im Menschen. Aber der triebhafte Keim zu solcher Forderung liegt schon im jungen Schlegel, der gleiche Gedanke taucht bei Novalis und Runge, bei Baader und Schelling auf. In der reinsten Form, als Mystik und Spekulation, verkündet diese Lehre der Philosoph des Barock, Jakob Böhme, in seiner 'Aurora', jenem Lieblingsbuch der frühen Romantik. Daß Böhme für viele der Deuter des eigenen Wesens werden konnte, zeigt die geistige Verwandtschaft der Jahrhunderte. Und daß Böhme den Menschen zu dieser Wiederherstellung der Einheit, der Einheit auch des Männlichen und Weiblichen, durch drei Geburten hindurchführt und als erste Geburt auf der ersten Stufe den Tod annimmt, und daß solch mystischer Werdegang in der Romantik wiederauflebt, weist schon in die Richtung, in der die Romantik die Frage des Todes sieht. Also auch hier paaren sich Tod und Humanitätsgedanke wie in der Klassik. Die geistesgeschichtliche Aufgabe der Romantik aber ist es nun, den klassischen Humanitätsgedanken mit dem pantheistischen Allgefühl innerlich zu verbinden und zu durchdringen. So wird es ein anderer, wieder der transzendentale religiöse Humanitätsgedanke, seine Verwirklichung ruht nun nicht mehr im Endlichen, sondern im Unendlichen, und auch der Tod gewinnt einen anderen Einfluß auf die Form dieses Humanitätsstrebens. Er weist nicht mehr ins Leben zurück, sondern über das Leben hinaus, im Sinne Schlegels: „ Z u r Vielseitigkeit gehört nicht allein ein weitumfassendes System, sondern auch Sinn für das Chaos außerhalb desselben, wie zur Menschheit der Sinn für ein Jenseits der Menschheit." Dieser Sinn für das Jenseits, die „Wissenschaft des Zukünftigen", ist das Eigentlichste der Romantik, und das unterscheidet sie eben in allem, auch im Humanitätsgedanken und im Todfühlen, von der Klassik. Die Romantik ist nicht lebensverneinend; sie lebt das Dasein ganz, aber sie bleibt dabei nicht stehen. Ein Bruch geht durch sie hindurch, sie schweift über die W e l t hinaus nach dem Ganzen, da hier nur die Teile sichtbar sind, sie will den Menschen mit dem Jenseits, d. h. mit dem Gött-
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lichen wieder in Beziehung setzen. Im Begriff dieses Göttlichen, Ewigen, Unendlichen schaut die Romantik den geistigen Mittelpunkt, das organische Zentrum, die Alleinheit, die Erfüllung. Nur durch Beziehung aufs Unendliche entstehe Gehalt und Nutzen, erklärt der junge Schlegel in den 'Ideen', und dort heißt es auch: „Jede Beziehung des Menschen aufs Unendliche ist Religion, nämlich des Menschen in der ganzen Fülle seiner Menschheit." Das Unendliche in jener Fülle gedacht, ist die Gottheit. Das Unendliche wird zur Religion. Schon aus dieser letzten Erwägung ergibt sich die hervorragend religiöse Wachheit der Romantik; ganz anders als in der Klassik tritt das religiöse Problem in den Vordergrund. Novalis, Schlegel, doch besonders Schleiermacher mit seinen 'Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern', die die Besten im romantischen Kreis so tief erregten, sind dafür Zeugen. Sie wollen die Religion wieder zum Lebensgrund machen, sie streben nach der Verankerung der Lebenswerte in einem Absoluten und finden dies eben in der Religion. Diese romantische Religiosität ist freilich Religiosität Gebildeter, und ihr eigentliches Wesen verläuft oft in einer anderen Schicht als der eigentlich religiös-christlichen 1 ). Verwechseln sie — kaum wohl Novalis — auch sehr oft Religion mit Bildung, der Wille zu ihrer Erneuerung allein schon ist eine Tat. Ihre Tat ist, daß sie mit aller Klarheit ausrufen, wie Schleiermacher in der zweiten Rede, das Wesen der Religion sei weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. „Anschauen will sie das Universum", und ganz so spricht Schlegel: „Das Universum kann man weder erklären noch begreifen, nur anschauen und offenbaren." Dieses demütige Anschauen des Universums, des Unendlichen, erweitert die Persönlichkeit und läßt sie sich allmählich in das Unendliche verlieren, „daß wir durch das Anschauen des Universums soviel als möglich eins werden sollen mit ihm." Schleiermacher sagt das am Ende der zweiten Rede gerade dort, wo er von Tod und Unsterblichkeit spricht. So springt das Bedeutende schon hier in die Augen: die Romantik setzt den Gedanken des Todes zurück in eine Schicht 1
) Darüber nun A. v. M a r t i n , Das Wesen der romantischen Religiosität, Deutsche Vierteljahrsschrift II (1924), S. 367 —417; auch K. F r i e d e m a n n , Die Religion der Romantik, Philosoph. Jb. der Görres-Gesellschaft 1925, S. 118ff., 249if., 345ff.
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des Religiösen, wie s i e es versteht, und sucht von dort aus dem rätselhaften Mysterium näherzukommen. Tod und Unendlichkeit verbinden sich und stehen in Wechselbeziehung, denn Tod ist Geburt zur Unendlichkeit. Das Todesproblem rührt auch hier, wie in jeder wirklich geistigen Strömung, an den innersten Lebensnerv, und er antwortet auch darauf. Tod steht in der Mitte zwischen Unendlichem und Endlichem, er gestaltet auch das Endliche; das Lebensproblem der Romantik ist das Streben, dem Göttlichen, dem Universum in sich zur Reinheit zu verhelfen, es vom peinlichen Erdenrest frei zu machen und dem Unendlichen zu nähern. Solches Bewußtsem herrscht in Schleiermachers Bemerkung: „Selbstanschauung und Anschauung des Universums sind Wechselbegriffe", oder in Schlegels Wort: „Jeder gute Mensch wird immer mehr und mehr Gott. Gottwerden, Menschsein, Sichbilden sind Ausdrücke, die einerlei bedeuten." Es ist also ein ins Übersinnliche gewandter Humanitätsbegriff im Gegensatz zu dem diesseitigen der Klassik. Über den Tod wird vielleicht nicht soviel und so ausführlich gehandelt und gedacht wie über die andern großen Daseinsmomente, aber das Ahnen um die Wesenhaftigkeit des Todes für das Dasein schwingt überall unterirdisch mit, ist überall beharrender Grund, und nur manchmal bricht es plötzlich und stark und alles überflutend hervor, wie bei Novalis oder Werner. Die Romantiker sehen die Fülle des Lebens, aber auf dem Hintergrund des Todes, sie betrachten das Leben aus dem Tode, nicht von der ewigen Tagseite her wie Goethe, sondern von der ewigen Nachtseite. Sie haben Sinn für das Leben, aber „Kunstsinn" für den Tod; sie forschen nach dem Unerforschlichen in den dunklen Gründen des Lebens und wollen es nicht ruhig verehren wie Goethe. Aber wenn man lange in den Abgrund blickt, so liest man bei Nietzsche, blickt auch der Abgrund wieder in den Menschen hinein. So ist es bei Novalis, aber ganz besonders bei zwei anderen, bei Kleist und Hölderlin, die beide mit ihrem Todgefühl und ihrem Toderlebnis innerhalb des irrationalen Stroms stehen. In dem romantischen Kreise nehmen sie die gleiche Stellung ein, wie die Genies in der Zeit der Empfindsamkeit. Sie verkörpern das dionysische und rauschhafte Todempfinden in völliger Reinheit gegenüber dem schon christlich und magisch überdeckten eines Novalis. Und ebenso gehört auch Jean Paul mit seinen hohen
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Menschen hierher; auch sein Todgefühl und die beherrschende Rolle, die es in seinem Werk einnimmt, sind als romantisch oder wenigstens als vorromantisch zu deuten. Die Romantik steht auch hier in einem geistes- und gefühlsgeschichtlichen Zusammenhang mit Barock und Geniegeist, (das Gemeinsame liegt in einer letztlich wesensverwandten Gefühlshaltung), sie steht in der uralten „irrationalen Reihe des europäischen Geisteslebens". Gerade im Todesgedanken tritt dieser Zusammenhang hervor, am stärksten natürlich der mit dem vorromantischen Irrationalismus der Geniezeit. Man sieht wohl deutlich die geistesgeschichtlichen Unterschiede in diesem Verhältnis: besonders in jenem ausgeprägten Willen zur Ineinssetzung von Rationalem und Irrationalem, in der denkerischen Durchdringung des Gefühlshaft-Unbewußten, in dem Streben nach Bewußtwerdung des Unbewußten und nach dessen Analyse, obwohl gerade in dieser seltsamen Zweiheit der Romantik in Lichtenberg und K. Ph. Moritz, auch bis zu einem gewissen Grad in Herder Vorläufer entstanden waren, und dann wieder in jener Sehnsucht nach Erlösung aus der als Krankheit empfundenen Bewußtheit ins Unbewußte1) Aber diese Unterschiede werden doch, sieht man aufs Ganze, durch die geistesgeschichtlichen Gemeinsamkeiten reichlich aufgewogen: hier und dort ist das Todesgefühl ähnlich und macht die gleichen Wandlungen in andere Schichten, die Verquickung mit anderen Gefühlen durch. Keiner verdeutlicht diese Wahlverwandtschaft geheimnisvoller als der große Vermittler, als der Deuter des Irrationalen, Herder, und keinem rührt er die zarten Saiten der Seele ernster und vertrauter als Novalis. Novalis' Hymnen an die Nacht, sein Leben, sein Denken und seine Dichtung, sind die ersten und größten Zeugnisse romantischen Todumfassens. Der Gedanke und das Erlebnis des Todes umschweben den jungen, todgeweihten Menschen durch sein ganzes kurzes Dasein. Und er sucht sich den Tod vertraut zu machen wie Hölty, dem er auch in seinen jugendlichen Elegien auf Tod und Kirchhof verwandt ist, er atmet in dieser dämmerdüsteren Sphäre J. P e t e r s e n , Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik, Leipzig 1926, S. 29ff.; bes. S. 37, 39, 44ff., 77 u. ö. Den stark intellektuellen Zug der Romantik hat Thomas Mann wiederholt betont: Bemühungen, 1926, S. 174, 255 u. ö.
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von Nacht- und Todessymbol hingebend wie Herder, der den Bereitwilligen und Empfänglichen mit seinem Paramythien und auch mit manchem Aufsatz so tief beeinflußt. Er will sich diese Welt des Dunkels zur Heimat, ja zur Religion machen; Böhme Zinzendorf, Lavater, Eckartshausen und Schleiermacher, auch Young bestärken seine auf das Jenseitige gerichtete Seele, seinen Nacht- und Todeskult1). Der Tod seiner Braut führt ihn noch tiefer hinunter in die geheimnisvollen Nachtseiten des Todes, und seltsam ist der Entschluß, der Geliebten nachsterben zu wollen. Todessehnsucht, bislang dunkles Spiel eines zarten Gemütes, wird plötzlich zur Pflicht und zum Gebot der Liebe. Er will sich bewußt von der Welt trennen, er weiß, so heißt es in einem Brief an Just, „daß eine Kraft im Menschen ist, die unter sorgsamer Pflege sich zu einer sonderbaren Energie entwickeln kann." Er meint den Willen zum Tode, nicht zum selbstgesetzten, sondern zum natürlichen, zum Nachsterben und damit zur Vereinigung. „Ist nicht ihr Tod und mein Nachsterben eine Verlobung in höherem Sinne?" fragt er. Das war sein „Zielgedanke", der im Tagebuch seit dem 18. April 1797 immer wieder auftaucht und ernst mit dem Willen zum Leben kämpft. Sein Tod soll der Menschheit Treue im Tod vorführen, soll Beweis eines „GeEinwirkungen: U n g e r a. a. O. 2. und 3. Abhandl1"1«' bes. S. 41 ff., 48ff., 69ff., 67, 73ff., 79, 87. Außerdem derselbe, Jean Paul und Novalis, Jean-Paul. Jahrbuch I (1925), Berlin, S. 143-148; bes. S. 146f.; W. F e i l c h e n f e l d , Der Einfluß Böhmes auf Novalis, Berlin 1922, S. 36ff.; 41 für Lavater; S. K r e b s , Runges Entwicklung unter dem Einfluß Tiecks, Heidelberg 1909, S. 118ff.; R. T h i e r s t e i n , Novalis und der Pietismus, Diss. Bern 1910, S. 60f., 56f. Beziehungen zu Hemsterhuis : B u l l e a. a. O., S. 48 ; auch jetzt P o r i t z k y a. a. O., S. 106f., 117, 134ff.; zu Eckartshausen: L. K l e e b e r g , Euph. 23 (1921), S. 6 0 3 - 6 3 9 ; bes. S. 606-608, 618f., 627ff„ 630-632. Zum Todesproblem selbst außer Unger die Münchoner Dissertation (1922) von K. A t z e n b e c k , Der Tod in der Weltanschauung der Romantik, dargestellt an Novalis, bes. S. 73ff. Für das Nähere sei auf diese, allerdings stark zu korrigierende Arbeit verwiesen. Die oben gegebene Darstellung versucht einen eigenen Weg zu gehen. — Nachträglich noch K. J. O b e n a u e r , Hölderlin, Novalis, Jena 1925, S. 68, 158f., 165ff., 180, und wichtig, weil vom Gegenproblem ausgehend, H. B r i n k m a n n , Die Idee des Lebens in der deutschen Romantik, Augsburg 1926, bes. S. 29ff. Neuerdings W. H e r z o g , Mystik u. Lyrik bei Novalis, Diss. Jena 1926, S. 15ff. u. 27ff.
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fühls für das Höchste sein, echte Aufopferung — nicht Flucht, nicht Notmittel". Novalis braucht den Gedanken des Todes, er kann von einem stillen traurigen Genuß des Todes sprechen, und sein seltsamer Todesentschluß hat ihn trotz erwachender Lebensfreude tiefer hinein in die Rätsel des Todes gedrängt. Bei Jean Paul, in der 'Unsichtbaren Loge', ja in Ottilie und Eduard der 'Wahlverwandtschaften', in dem unklassischsten Werke des Klassikers, sieht man den selben geheimnisvollen Willen zum Ende und zur Nachfolge. Dieser Wille zum Schwinden setzt sich gleichsam physisch in der Krankheit fort, die nun hier symbolischen Charakter annimmt. Novalis' Leben ist nur noch wie ein langsames und leises Schwinden. Der Freund, Friedrich Schlegel, sieht in das Innerste dieser rätselhaften Natur, wenn er ihm im März 1799 schreibt: „Vielleicht bist Du der erste Mensch in unserem Zeitalter, der Kunstsinn für den Tod hat." Damit legt er hellseherisch den Finger auf die geschichtliche Stelle, die Novalis in der Entwicklung des Todesgedankens einnimmt. Es ist nicht naturhaft ungebrochener Sinn, sondern wirklich Kunstsinn, eine durch Überlegung und Erwägung erzielte Feinempfindlichkeit für alles, was der Tod als Mysterium in sich schließt. Es ist gepflegtes und gehegtes Todempfinden, auf die Spitze getrieben, bewußt und ein wenig rational daher, wie alle Romantik, die sich über sich selbst erhebt, sich selbst von oben betrachtet und dieses Schauspiel der Selbstbetrachtung mit allen Fibern wollüstig genießt und dann wieder diesen Genuß genießt und sucht. Rational und doch irrational: aus dem Innersten seiner Seele strömt dieses ängstlich gehütete Todesgefühl hervor als leise rieselnder Quell aller seiner Lebensformen, die in sich nun neue Gefühlsregungen aufnehmen. Denn das Wort Tod löst in der Seele des Novalis andere Schwingungen aus, hebt noch Anderes in die Sphäre des Bewußtseins: Liebe und Religion. Diese Drei gehören in seiner Vorstellung eng zusammen und verschmelzen zu einer seltsamen mystischen Einheit in den Hymnen an die dunkle, heilige, unaussprechlich geheimnisvolle Nacht, die tiefe und wesentliche Erkenntnisse lehrt und gibt, die in das Ewige und Unendliche reichen, wie es Schleiermacher wollte. Die 5. Hymne erfüllt sich mit geschichts- und religionsphilosophischer Weltbetrachtung; antike und christliche Religion stehen sich gegen-
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über, der gewaltige, schon von Lessing erkannte Umschlag in der Formung des Todesgedankens wird hier, nur mit anderer Wertung, intuitiv erfaßt und im Sinnbild dargestellt 1 ). Das heiter frohe Lustgelage der Antike, die darum unter ihm leidet, die das eigentliche Problem des Todes umgangen, nicht gelöst hat, zerstört der Tod und wird zum König der Schrecken; zwar „ m i t kühnem Geist und hoher Sinnenglut versöhnte sich der antike Mensch die grause Larve", durch den Genius des Jünglings, aber der Bruch war da, der Tod siegt, die Götter kehren aus dem Licht in den dunklen Schoß der Nacht zurück, u m „ m i t neuen herrlichen Gestalten auszugehen über die veränderte Welt." Das Christentum k o m m t und nimmt die Last des Todes von der „alten *) Darüber U n g e r a. a. O., S. 49f., 74, 83 u n d n u n auch ausführlich Richard S a m u e l , Die poetische Staats- u n d Geschichtsauffassung Fr. v. Hardenbergs, F r a n k f u r t 1925, 172—185: Die Geschichtsphilosophie der H y m n e n (darin über die Todesphilosophie). Außerdem ebd. S. 24, 33, 54, 267, 270, 281. Eine eigentümliche Abwandlung u n d Ergänzung dieser geschichtsphilosophischen Spekulation bei A d a m M ü l l e r , Vorlesungen über deutsche Wissenschaft u n d Literatur, Neudruck, München 1920, S. 148 . . . „ I n der Seele des Zuschauers einer untergehenden Welt, eben erzeugt durch die Betrachtung des Untergangs, stehen die Geister der Vernichteten in unauflöslicheren reineren Verknüpfungen, gleichsam mit verklärtem Leibe wieder auf. So verklärte der heilige Besieger des Todes die untergegangene alte W e l t . " Vgl. auch Petersen in der ' E r n t e ' , 1926, S. 144. I n d e m Aufsatz 'Vom religiösen Charakter der griechischen Bühne' (Phoebus I, 9/10, S. 3—13) geht A. Müller überhaupt dem Problem des Todes in der griechischen Tragödie (Äschylos, Sophokles) nach u n d auch er sieht wie Novalis, dessen darauf bezügliche Verse aus den H y m n e n (Minor I , S. 31 ff.) auch S. 11 zitiert werden, das Problem des Todes bei den Griechen nicht gelöst; erst das Christentum bringt die wahre Lösung: „ D a s Allerherrlichste ist das Gefühl des Sieges über den Tod. Die Alten k a n n t e n wohl die Todesverachtung, aber nicht die Todesbesiegung" (S. 8). Der Untergang ist in der Tragödie des Sophokles „überall zwar gemildert durch die K u n s t , aber nicht besiegt durch die K u n s t . " S. 11 f. Vgl. auch oben S. 32f. u n d Collin, E u p h o r i e n 27. (1926) S. 101. I n diesem Zusammenhang mag darauf hingewiesen werden, daß Hegel in der 'Aesthetik' ähnliches äußert. Der u n e n d liche Schmerz, Leiden u n d Tod erhielten erst im Romantischen ihre eigentliche Notwendigkeit. ,,Man k a n n nicht sagen, d a ß bei den Griechen der Tod in seiner wesentlichen Bedeutung sei aufgefaßt worden." Aesthetik ed. Bäumler, München 1922, S. 176f. ; vgl. auch S. 157, 161 ( = I I , 127, 78, 377); Bäumler, Bachofen, Einltg, S. 224.
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Welt", Christus besiegt des alten Todes Schrecken im harten Ringen durch seinen Opfer- und Versöhnungstod: die Frage des Todes ist erst jetzt gelöst und sein „Sinn" erfaßt, der Bann ist gebrochen und das Geheimnis des Todes entschieden: „Himmlische Geister hoben den uralten Stein vom dunklen Grabe," und der Tod wird „der höhern Menschheit freudiges Beginnen." Die Menschheit ist erstanden, ein neues Reich öffnet sich: „Das Leben schreitet zum ewigen Leben hin." Friedrich Schlegel hatte in einem Brief an Novalis gefragt, ob das Christentum nicht eine Religion des Todes sei, wie die klassische eine Religion des Lebens, als dieser zuvor den Kern der Geheiße des Christentums in „absoluter Abstraktion, Annihilation des Jetzigen, Apotheose der Zukunft — dieser eigentlich bessern Welt" gesehen hatte. Die 5. Hymne gab die Antwort: Christus ist der Todüberwinder, der zum Unendlichen und Jenseitigen führt. In diesem Reich findet Novalis die verlorene Geliebte wieder, dort ist keine Trennung mehr, sondern ewiges Zusammensein. Ewigkeitshoffnung entzündet sich am Liebesverlangen, beide steigern sich gegenseitig hinauf, Liebe und Religion verschlingen sich ineinander und der Tod als Drittes bringt die Vereinigung der Getrennten. Darum ist nun die 6. Hymne überschrieben: 'Sehnsucht nach dem Tode.' Das Todeserlebnis weitet Novalis zum Liebeserlebnis aus. Christentum war noch ein Anderes und Wesentlicheres für Novalis als Auferstehungsgewißheit. Und das erklärt seine eigentümliche Ineinswebung von Tod und Liebe, Tod und Wollust und Religion. „Es ist sonderbar, daß nicht längst die Assoziation von Wollust, Religion und Grausamkeit die Menschen aufmerksam auf ihre innige Verwandtschaft und ihre gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat." „Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust, die Sünde ist der große Reiz für die Liebe. Je sündiger man sich fühlt, desto christlicher ist man. Unbedingte Vereinigung mit der Gottheit ist der Zweck der Sünde und Liebe" (II, 281, 296). Aus solcher Gefühlshaltung, zusammen mit der Liebe zur toten Geliebten, erwächst dann Novalis' Todesbegeisterung, das bräutlich-wollüstige Umfangen des Todes und der Nacht, der Einbruch des erotischen Moments in seinen Todesgedanken, die Wendung der Todesmystik ins Geschlechtliche, wenn auch noch nicht so unheimlich wie später bei Werner. Und zwar formt Novalis den Liebestodgedanken in zweifacher Gestalt. Zunächst
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Liebestod als Tod in der höchsten Lust, in der Nacht des Todes wie in der 1. Hymne: „Wir sinken auf der Nacht Altar aufs weiche Lager — die Hülle fällt und angezündet von dem warmen Druck entblüht des süßen Opfers reine Glut." Und dann die Steigerung: Christus als Braut zu lieben, ihn im Abendmahl zu genießen — „ist Umarmung nicht etwas dem Abendmahl ähnliches", fragt ein Aphorismus, — daß er „als Brot und Wein verzehrt, als Geliebter umarmt, als Luft geatmet, als Wort im Gesang vernommen und mit himmlischer Wollust unter den höchsten Schmerzen der Liebe in das Innere des verbrausenden Leibes aufgenommen wird1)." Novalis übt alten Brauch, geistig Übersinnliches sich durch Sinnliches anzueignen, himmliche Liebe sich durch den irdischen Akt zu verkörpern oder wie er selbst sagt, „den Körper für den Geist zu substituieren . . . mit kühner übersinnlicher Einbildungskraft". Hier macht er Christus zur weiblichen Geliebten und seine Liebe zu Söfchen, zu Sophia, zur göttlichen Weisheit, wird ihm Religion, ist letzter und höchster Ausläufer gnostischer und mittelalterlich-pietistischer Liebesmystik. Christusliebe steigert sich zu Blutandacht, zu mystischer Jesusliebe. In der bräutlichen Nacht, im Rausch der höchsten Wollust den Tod zu erleiden und den Genuß durch den Tod ins Unendliche auszudehnen, das ist also die eine Form von des Todes Entzückungen, der eigentliche Liebestod. Und dann die andere Form: daß der Tod dem Liebenden zur Brautnacht wird, weil er ihn mit der ihm entrissenen Geliebten vereinigt. Tod ist also wiederum x
) I, 12; II, 39 (Minor). Zum Liebestodgedanken s. P a u l K l u c k h o h n , Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jhds. u. der deutschen Romantik, Halle 1922, S. 390ff., 485ff. ; K r e b s , a. a. O. S. 1 2 0 - 1 3 9 und Preuß. Jb. 144 (1911), S. 2 3 5 - 2 4 6 . - Den uralten Gedanken der symbolischen Aneignung des Göttlichen durch Essen erwägt Novalis ausführlich III, 65f. In den gleichen Gedankenkreis gehören II, 39, 209, 210, 274, 291; III, 54, 253; auch I, 87. Zu der ganzen Vorstellung: Essen des Göttlichen, Liebesvereinigung mit dem Gotte sind die wichtigen Ausführungen von A. D i e t e r i c h , Eine Mithrasliturgie, 1910 2, S. 95—133 einzusehen. H. Burger,· Antike Mysterien, 1925, weist S. 18 in diesem Zusammenhang auf Novalis. R. R e i t z e n s t e i n , Die hellenistischen Mysterienreligionen, Leipzig 1910, S. 20ff. ; A. O p p e l , Das hohe Lied Salomonis und die deutsche religiöse Liebeslyrik, Berlin 1911, S. 54ff.; F e i l c h e n f e l d a. a. 0.,S. 37ff.; T h i e r s t e i n a. a. O., S. 104ff.; Fr. G i e s e , Der romantische Charakter I, 1921, S. 335f., 387.
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als Liebesvereinigung gedacht, nur in anderem Sinne, als eigentliche Gleichsetzung: Tod wird mit Liebe, mit Brautnacht wesenseinig. Hier und dort aber erscheint der Liebestod als Übergang zur erwünschten Unsterblichkeit. Der Tod der Geliebten schließt das Band, das beide verbindet, nur fester und inniger. Religion als Ewigkeitshoffnung und Liebe als Hoffnung des Wiedersehens verschmelzen sich unlöslich wie in den Hymnen, so, daß man nicht weiß, wo Liebe aufhört und Religion beginnt, um so weniger, als nun noch für Novalis, in den geistlichen Liedern vor allem und in den Tagebuchblättern, die Geliebte zur Religion wird. Liebe könne durch absoluten Willen in Religion übergehen, meint ein Aphorismus. Die Geliebte wird zur Heiligen, zur Gottesmutter, ja zur Mittlerin zwischen dem Endlichen und Unendlichen als Organ der Gottheit, sie hilft zum Genuß des Göttlichen, so daß der Mensch, durch die Vereinigung mit ihr, mit Gott vereinigt und aus der Einzelheit erlöst wird 1 ). Liebe zur Geliebten und zu Gott werden wesensgleich: „Christus und Sophie." Nirgends kommt diese andere, erotisch-religiöse Auffassung des Liebestodes deutlicher zum Ausdruck als in jenem Aphorismus : „Verbindung, die für den Tod geschlossen ist, ist eine Hochzeit, die uns eine Genossin für die Nacht gibt. Im Tode ist die Liebe am süßesten; für den Liebenden ist der Tod eine Brautnacht, ein Geheimnis süßer Mysterien." Dazu fügt Novalis die Verse: „ I s t es nicht klug für die Nacht ein geselliges Lager zu suchen? Darum ist klüglich gesinnt — der auch Entschlummerte liebt." Das meinte auch der Satz: „ T o d eine nähere Verbindung liebender Wesen," meinte jenes sinnlich heiße, mystische 'Lied der Toten' im Ofterdingen', das vom süßen Reiz der Mitternächte und von der Wollust rätselhafter Spiele geheimnisvoll kündet, von verzehrender Liebe und daß die Liebenden sich so ergießen „ A u f geheime Weise In den Ozean des Lebens Tief in Gott hinein . . . Lernt den Sinn des Todes fassen Und das Wort des Lebens finden." Der Sinn des Todes ist, daß er des höchsten Wesens wert macht, also Gottes und der Geliebten im Versöhnungstod, wie ja jeder II, 120ff., 201, 272; dazu Klucklohn S. Religion: II, 292, 293; 98, 165, 315; III, 42, 181.
482ff.
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Tod nach dem Vorbild des christlichen Mittlertodes Sühne und Versöhnungstod werden soll. In solchem Sinne kann auch Novalis den Tod als eine höhere Offenbarung des Lebens deuten, denn wir sterben nur gewissermaßen. „Unser Leben muß also zum Teil Glied eines größeren, gemeinschaftlichen Leben sein 1 )." Die Todesspekulation greift hier schon überall hinüber ins Magische, Tod verwandelt sich seltsam in Erotik und Religion, verschmilzt mit Nacht, Schlaf und Akt, er entgrenzt, wie er auch den Menschen ins Unendliche entgrenzt und ihn über sich selbst hinaus hebt. Denn „Sterblichkeit und Wandelbarkeit ist gerade ein Vorzug höherer Naturen", gleich der Krankheit, die „zu den menschlichen Vergnügen wie der Tod" gehört — das erinnert seltsam an Pascal — , der Tod ist die „Generalüberwältigung", das Zentrum der Krankheiten. Tod ist Verwandlung, Verdrängung des Individualprinzips, das nun eine neue, haltbarere, fähigere Verbindung eingeht, aber dadurch zugleich „Selbstbesiegung, wie alle Selbstüberwindung, eine neue leichtere Existenz verschafft 2 )". Todesproblem also wandelt sich oder nimmt in sich auf den eigentlichen Lebensgedanken und die Frage nach dem romantischen Verbinden aller bestimmenden Lebensmächte. Tod wird zum heiligenden Deuter des Lebens überhaupt: erst wer den „Sinn des Todes" erfaßt hat, kennt auch das Leben, ja, erst der Tod macht das Leben in seiner ganzen Tiefe offenbar; immer öffnet er durch seine innige Verwandtschaft mit Religion und Liebe weite Ausblicke, die in den Mittelpunkt des romantischen Wesens überhaupt führen. Auch Novalis formt die Fähigkeit zur stetigen Wandlung, die ewig rätselhafte Erscheinung des 'Stirb und Werde', daß aus Tod Leben entspringe, er biegt den Anfang und das Ende, die polaren Gegensätze zusammen, und darum ahnt er das Polarische im Tod, da er beides enthält, da er Scheidepunkt zwischen dem relativen und absoluten Leben ist. „Was wir hier Tod nennen, ist eine Folge des absoluten Lebens, des Himmels", d. h. auch des II, 297, 280; I, 114; II, 292; 140; III, 58; IV, 221; A t z e n beck a. a. O., S. 76f. s ) II, 312; 141; III, 53, 349. Krankheit: II, 223, III, 53. P a s c a l XVII, Nr. 85 (Reclam S. 314): „Die Krankheit ist der natürliche Zustand des Christen, weil man dadurch in den Zustand kommt, in welchem man immer sein sollte und in welchem man Leiden erduldet . . . in beständiger Erwartung des Todes".
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Sehnens nach diesem absoluten Leben, das sich im Tod erfüllt. Was hier Tod ist, ist dort Geburt. Der absolute Tod, der höhere also, im Gegensatz zum relativen, der nur Schlummer ist, „enthält die Möglichkeit des absoluten Lebens." Dies wird später allen zuteil, auch denen, die den gewöhnlichen Tod mit Seelenwanderung sterben. Absoluter Tod, absolutes Leben ist, auch geschichtsphilosophisch ausgedeutet, Ziel der Weltentwicklung. Novalis sagt, Tod sei Mittel zum Leben, „Kunst, aus allem Leben zu ziehen. Alles zu beleben ist der Zweck des Lebens." Aber es ist gar kein Zweifel, daß Novalis als Romantiker Leben hier immer als das Jenseitige, Wesentliche, daher Absolute versteht, nicht als das diesseitige. Er erfüllt sich nicht hier, sondern drüben, wo die absoluten Werte liegen, sein Lebensbegriff ist gleichsam transzendental, wie sein Humanitätsgedanke. Er braucht den Tod nicht, um hier Mensch zu werden, sondern um drüben zum Leben durchzudringen. Er braucht ihn hier nur, weil er das Leben so poetisch macht, er sieht in ihm, aber auch im Todesstreben „das romantisierende Prinzip des Lebens", das also, was das Leben durchsichtig, bedeutend und symbolisch macht. Daher also : „Der Tod ist — das Leben." Nur in diesem gegenklassischen, immer auf das Jenseitige hinzielenden Sinne konnte für ihn das Bewußtsein des Todes und des Unendlichen das diesseitig endliche Leben dem Unendlichen näherrücken, nicht um hier festen Fuß zu fassen, sondern um das Leben zu romantisieren, d. h. die ursprüngliche Bedeutung wieder zu finden, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein zu geben. Der Tod also hilft ihm, wie auch Schleiermacher und Schlegel, wie aller Romantik, mitten in der Endlichkeit schon mit dem Unendlichen eins zu werden. Tod ist öffnender Durchblick ins „ganz Andere", ins Ewige, er ist der Punkt, wo das Ewige in das Leben hineinragt. Nur im Hinblick darauf versteht man: „durch den Tod wird das Leben verstärkt", d. h. dem absoluten Leben näher gebracht. Tod ist das „Tor zum Mehr-leben", auch in dem magischen Sinne, daß er hier, aber besonders drüben die Aufnahmefähigkeit der Seele und die Bewußtheit steigert und weitet, sie zu neuen Erkenntnissen leitet, wie es besonders Karl von Eckartshausen lehrte1). l ) E c k a r t e h a u s e n , Aufschlüsse zur Magie, München 1789ff., II, 40: Tod heißt eine andere Organisation erhalten, seine Empfang-
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Der Todesgedanke berührt sich mit einem anderen romantischen Problem, dem der magischen Eigenforschung, des „vollendeten Selbstverständnisses", der Bemächtigung des „transzendentalen Selbst", wie es in einem Aphorismus heißt. „Indem wir uns selbst betrachten, beleben wir uns selbst." Diesen geheimnisvollen Weg nach innen, d. h. zur Ewigkeit, erklärt ein anderer, an Tauler und alle Mystik gemahnender Aphorismus, näher : „ In sich zurückgehn, bedeutet bei uns, von der Außenwelt abstrahieren... Was wir Hineingehn nennen, ist eigentlich Herausgehn, eine Wiederannahme der anfänglichen Gestalt." Tod und Selbstbetrachtung also hängen zusammen und führen zur Erkenntnis, zur wahren Form. Durch höchste Bewußtwerdung und Versenkung in die Tiefe des Geistes erhebt sich der Mensch über sich selbst. „Der Mensch vermag in jedem Augenblick, ein übersinnliches Wesen zu sein." Novalis erfüllt die christliche Hoffnung, daß im Tode das ewige Leben kund werde, mit seiner mystisch-philosophischen Anschauung vom Leben als einer Vorbereitung auf das absolute Leben und dem Tode als dem Übertritt in dieses: „Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes willen. Der Tod ist Endigung und Anfang zugleich, Scheidung und nähere Selbstverbindung zugleich. Durch den Tod wird die Reduktion vollendet 1 )." lichkeit verändern, die nämlichen Gegenstände auf eine andre Art sehen, die Außenhülle ablegen, daher in das Innere der Kräfte eindringen. S. 41: Tod . . . stufenweises Fortrücken in das Innere der Wesen, eine Art höhere Verwandlung, Gradation auf der Stufenleiter. Ähnlich IV, 44, 46. Auch 'Mistische Nächte', 1791, S. 124: Glaube, daß nach unsrem Tode die Sphäre unserer Erkenntnis und Fähigkeit größer sein werde." Dann noch I, 15, 86, 89: Jeder gegenwärtige Zustand ist ein Vorbereitungszustand zu einem höheren. Vgl. K l e e berg a. a. O., S. 610, 618, 619, 631f. Tod als Wechsel der Wahrnehmungsmöglichkeit. An diesen Gedanken rührt Verschiedenes aus Schöllings 'Clara', auch ein Satz Adam Müllers, vgl. unten S. 447. x ) III, 35, 71, 245, 312; II, 113, 219; IV, 255 „Der Tod macht das gemeine Leben so poetisch." III, 45f. — Selbstbetrachtung: II, 114f., 117, 120, 138, 181; III, 102. Selbstbildung, Selbstbetrachtung ist Selbstnutrition, Selbstgeneration. Vgl. auch A t z e n b e c k a . a. O., S. 73ff.; 80 und Schlegel, Jugendschriften II, 339. — Relativer Tod: III, 68, 312, höherer und gemeiner Tod II, 206; III, 62, 253. Dazu n u n B r i n k m a n n a . a . O . , S. 29f. ; auch P. H o n s e l , Sokrates 1923, S. 22.
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Wie sich Liebestod und Opfertod in einer höheren Einheit verbinden sollen, so strebt er, doch in einem anderen Sinne als die christliche Religion, überhaupt in der Erkenntnis der tieferen Einheit der Gegensätze nach der Versöhnung und Vereinigung von Leben und Tod; der Unterschied soll aufgehoben werden: „Annihilation des Todes" und damit auch des Gegensatzes von Diesseits und Jenseits. Die Zeit und damit die Herrschaft des Todes sind vernichtet, das Ewige, Unendliche tritt heraus — wie dies auch der Sinn des Märchens im zweiten Teil des „Ofterdingen" ist. Im Diesseits ist diese Verschmelzung noch nicht möglich, erst im Jenseits und auch dann erst am Jüngsten Tage; er ist die „Synthesis des jetzigen Lebens und des Todes" (des Lebens nach dem Tode). Erst hier tritt das absolute Leben in reine Erscheinung. Novalis verliert sich in nicht leicht zu überblickende Spekulationen. Das Palingenesieproblem taucht auf, die Seelenwanderung, die „Kunstlehre der Unsterblichkeit". Ihre Darlegung greift über die Grenzen dieser Arbeit hinaus1). Tod ist im letzten von Novalis' magischer Grundüberzeugung Selbstvernichtung, Selbstauflösung, und dasbedeutet Befriedigung. Trieb nach Vollkommenheit und Bewußtwerdung, nach Unsterblichkeit führt zum Tode und damit auch zur Selbstauflösung dieses Triebes, und dies eben ist „das Wollüstige der Befriedigung des Triebes." Novalis rührt, wie später Schleiermacher und Brentano, hier an das Innerste der Romantik, an ihre Tragik und den wolllüstigen Genuß dieser Tragik : daß ihre Vollendung immer den Tod bedeutet, daß Sehnen nach Vollendung zugleich Sehnsucht nach dem Tode ist und Selbstgestaltung mit Selbstvernichtung, höchste Bewußtwerdung mit Bewußtseinslösung zusammenfällt. So sind nun die Sätze zu deuten: „Sterben ist ein echt philosophischer Akt." „Der echte philosophische Akt ist Selbsttötung." Auch die Philosophie als „Heimweh, als Trieb überall zuhause zu sein", vernichtet sich durch diese Befriedigung selbst, wenn sie das Ziel erreicht hat, wenn das Heimweh — Stillings berühmter Roman, !) III, 33, 62; 58, 106, 182; II, 193, 206, 214, 219; 224, 312; III, 107. — Für das Besondere sei auf die zu erwartende Arbeit von Unger über „Novalis und das Palingenesieproblem" verwiesen. Vorläufig A t z e n b e c k S. 42ff., 57, 6 2 - 6 4 , 68; bes. 8 5 - 93 über die „Kunstlehre der Unsterblichkeit"; so II, 219. Auch H e r z o g a.a. O. S. 35ff.
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für Novalis „echte Legende", beeindruckte ihn tief — gestillt ist, wenn der Weg des Immernachhause, d. h. der Weg zum Tode, schließlich zu Ende gegangen wird1). Tod und Selbstforschung berühren sich magisch, führen nach Hause, zum Wesentlichen, zur anfänglichen Gestalt und so zum unendlichen Geheimnis: daher ist ein gestorbener Mensch dann nur „ein in absoluten Geheimniszustand erhobener Mensch"; Hineingehen ist Herausgehen oder „das Äußere ist ein in Geheimniszustand erhobenes Innere". Tod ist Leben. In diesem mystischen Umspinnen des Todes bleibt Novalis nicht allein. Zum Teil von ihm beeinflußt, dann aber aus der allgemeinen Gefühlslage der Zeit heraus, ergreift diese Sucht die Gemüter, und gerade bei den Naturphilosophen hilft sie wieder die Magie und Mystik des Todes und den Todeskult zu umrätseln, überall dort, wo nach der Alleinheit, nach dem Werden und Vergehen in der Natur, nach Tod und Leben geforscht wird. Das Todesproblem steht im Mittelpunkt oder kreist zu ihm hin, weil jedes Einzelne auf ein Zentrum bezogen werden soll, weil alles zusammenhängt. Der Bruder des Novalis, Karl von Hardenberg (Rostorff), schrieb einen vom Ofterdingen' abhängigen Roman „Die Pilgrimschaft nach Eleusis" (1804); Wanderung nach dem Ziel der Versenkung in die göttlichen Geheimnisse, in die eleusinischen Mysterien ist der Inhalt. Er ahnt, daß alles mit dem Unsichtbaren in unbegreiflicher Verbindung stehe, daß jede Erscheinung in der lebendigen Natur voll tiefen Sinns für das höhere unaussprechliche Leben sei. So steht auch der Tod mit der Erzeugung in engster Verbindung, es sind Pole des organischen Lebens. „Der Tod ist nur eine neue Erzeugung ganz nach dem Gesetz der Polarität, wo die größere Entgegensetzung nur in absoluter Gleichheit besteht." Neben dem Rätseln um die magische Einheit des Polarischen, neben dem Natursymbolischen steht dann, wie bei Novalis, die christliche Spekulation: Christus hat vom Tode befreit, der Tod ist nicht mehr bitter, sondern nur „frohes Fest". Der Kampf II, 141, 196, 312; III, 73, 91. Zu II, 178f., 186 s. Fr. Schlegel an Schleiermacher : „Daß Hardenberg sich selbst tötet, glaube ich darum nicht, weil er es bestimmt will und für den Anfang aller Philosophie hält." Nach J. M. R a i c h , Novalis Briefwechsel, Mainz 1880, S. 105, Anm. - II, 11 über Stilling. - A t z e n b e c k S. 87f.
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für ihn und für sein Grab — die Kreuzzüge spielen hinein — bringt Heil. Todbegeisterung des christlichen Helden entzündet auch die Romantik. Novalis schreibt auf: „Todeslust ist Kriegergeist," und Loeben spricht ihm im 'Guido' (1808) nach: „Im Krieg wird der Tod bis zur höchsten Wollust und der Haß bis zur heiligen Andacht getrieben." Auch hier winken dann am Ende die Eleusinien mit ihrem dionysischen Rausch. Antike und Christentum stehen gegenüber. Wollüstige Tod- und Nachtbegeisterung erfüllt auch Loeben. „Die Lust ist verborgen im Mantel der Nacht . . . wie voll ist das Leben im Meere der Nacht." Tod und Leben spiegeln sich in all diesen seltsam verschwommenen Erzeugnissen mit magischer Beleuchtung, gehen ineinander über und treten wieder auseinander; doch immer bleibt das mystische Geheimnis der höheren Einheit, in der die polare Gegensätzlichkeit aufgeht. Diese Lehre vom Gegensatz wird wirklich ein zentraler Bestandteil romantischen Denkens. Leben und Tod ziehen das Nachsinnen an und schlagen es in Bann wie den Barockgeist, nur ist jetzt alles verfeinerter, genüßlicher mit dem bewußten Willen, das Unerforschliche in der Sphäre des Geheimnisses zu lassen und trotzdem, fast wollüstig, von der Nachtseite des Lebens her zu erforschen. Schubert vor allem erkundet diese Nachtseite der Natur, den Schlaf- und Traumzustand und den Somnambulismus, alle die dunkleren Zustände der Seele, die an die Grenzen des Lebens ziehen, dorthin, wo schon eine andere Welt sich auftut. Sein Roman von 1804 'Die Kirche und ihre Götter' kreist bereits um das Mysterium des Todes, dem der allmächtigen Liebe verwandt, die alle Dinge ergreift und, als bewegender Weltmittelpunkt, alle Kräfte hinaus in den weiten Weltenkreis treibt. Und so enthüllt sich ihm von diesem Mittelpunkt aus auch der Tod nur als „der innigste Kuß, womit die ewige Liebe uns berührt". Ahnungen der Einheit von Geburt und Leben, der symbolischen Zusammendeutung des Anfangs und Endes umschweben ihn, und er tastet ihnen dann später, 1806, in seinen 'Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens' weiter nach. Denn Lebensphilosophie will ja die ganze Romantik, auch dort, wo sie sich scheinbar in Todesphilosophie verliert: dem höheren absoluten Leben jenseits des Endlichen gilt ihr Streben, und dessen Quellen schon im Diesseits zu erlauschen, darauf richtet sich ihr heißestes
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Bemühen; man will den Zusammenhang mit der Geisterwelt und dem Reich des Geheimnisvollen erspüren. In den dunklen Abgrund horchen sie alle bang hinein, lüstern und wißbegierig, und empfinden die Spannung als Genuß. Schubert nun erkennt, „daß die Momente des höchsten Lebensgenusses unmittelbar an den Tod grenzen", daß der Mensch dort, wo er an die äußerste Grenze des Seins tritt, im ekstatisch-dionysischen Taumel, hart daran ist, im Rausch der Vernichtung, in dem Sehnen nach der Erlösung aus der Individuation, den Schritt hinüber zu tun und sich zu entgrenzen. Um den wahren Lebensgrund zu sehen, muß man vom Tod als dem endlichen Untergang des Besonderen wissen. Denn, so sagt Schubert mit Anklang an Gedanken Böhmes, nur ohne deren religiösen Kern wie Runge zu betonen, „das Leben geht erst aus dem Tode hervor und seine Elemente ruhen auf scheinbarer Vernichtung. Seine Glut verzehrt die starre Besonderheit und hebt endlich das Dasein des Einzelnen auf, indem er dieses mit dem Ganzen vermählt. Und diese Vermählung ist es, welcher alle Dinge mit innigem Verlangen entgegengehen. Darum steht den glühendsten, schönsten Augenblicken des Lebens der Tod am nächsten . . . Es geht das endliche Streben aller nach der Befreiung von jenen Banden, welche das Einzelne an der Basis aller Besonderheit, der Erde, festhalten, und welche es an der Vereinigung mit seinem ewigen Ursprünge, dem Weltganzen, verhindern." Tod ist wie die Liebe nur dionysische Erfüllung des Strebens nach dem innigsten Ergreifen des allgemeinen Lebens, Tod ist Überwindung der durch den Sündenfall herbeigeführten Schuld, ist Endigung des Strebens nach dem Mittelpunkt. Liebe faßt Schubert als die Vorstufe zum Tode auf, weil auch sie verschmilzt. „In der wollustvollen Vereinigung werden alle Dinge Gott gleich." „Nur ihm gleich glühen sie in der höchsten Wonne und werden vollendet zum Tode. Denn dieser ist die Zeit der Reife allen Dingen . . . Die Zeit des Aufgangs ist die Stunde des Todes." Die alte Forderung, man solle dem Tod entgegenreifen, ihn innerlich in sich heranreifen, wird hier mit neuem Sinn erfüllt, als natursymbolischer Vorgang gewertet und mit der Zeugung in Beziehung gesetzt. Tod durch Verwesung öffnet zum All, zum Göttlichen und zum Naturganzen. Tod kann sich von Liebe nicht mehr trennen, das ganze große allgemeine Weltgeschehen begreift man mit den Symbolen der besonderen großen
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menschlichen Daseinsmomente : Zeugung, Geburt, Tod ; sie hängen alle zusammen und verschlingen sich mystisch, so daß das Eine durch das Andere ersetzt und gesagt werden kann; man tauscht und kehrt um und erweist damit die Einheit alles Lebendigen1). Solch natursymbolisches Denken greift nun um sich und wird zur allgemeinen Übung, aber auch zur Gefahr, zur Spielerei. Wetzel, der Verfasser der 'Nachtwachen', berührt sich fast wörtlich mit seinem Freund Schubert. Tod ist nichts als Vermählungskuß der ewigen Liebe, das Leben der Stand des Bräutigams und der Braut, der Tod aber der himmlisch süße, unaussprechliche Augenblick, weil der Gürtel sich löst, die letze Hülle sinkt und das Leben sein Leben, seinen Geist der Geist umfasset und alle Sehnsucht stirbt im Wonnetaumel der Befriedigung. Weiter kann man die Symbolsetzung nicht treiben; alles wird ins Unendliche ausgedehnt und hat einen tieferen Sinn, und der Mensch ist nicht mehr fähig, einen Begriff in seiner Grenze zu lassen ; alles löst sich in einer allgemeinen Vertauschung der Begriffe und Sachen auf. Wetzel übrigens empfindet stark die Freude des Lebens, den Schauder der Verwesung und die Vergänglichkeit des Irdischen, satirisch grausam malt er in der Leichenrede der 7. Nachtwache die Hinfälligkeit des Körpers, die Sinnlosigkeit des Seins und des Lebens aus. Die Erde ist ein einziger großer Gottesacker ; Hamlet wird nicht umsonst gerufen, er spukt durch dieses tollste aller romantischen Erzeugnisse, in der alle Symbole des Endes und der Verwesung, Totenkopf, Gerippe, Grab, Kirchhof und Totengräber, fast wie im Trivialroman, aufgeboten sind. Wetzel fühlt stark die Sinnlosigkeit des Seins und kann das Leben nicht *) R o s t o r f f , Pilgrimschaft, Berlin 1804, S. 12f., 20, 22, 30f., 190, 195ff. ; 240, 255, 261, 276. S. 22: „Wer weiß, ob nicht der Tod der Erde ein Geburtfest in einem Fixstern ist." — L o e b e n , Guido Mannheim 1808, S. 121, 168, 250f., 300f., 304f. Nach R. Pissin, Loeben, Berlin 1905, S. 74. sind Hymnen an den Tod handschriftlich erhalten. — S c h u b e r t , Die Kirche und ihre Götter, Penig 1804, I, 215f. ; II, 218. Ahndungen I (1806), S. 20, 25, 95, 210, 235, 299, 370f., 375. Dazu Fr. S c h u l t z , Der Verfasser der Nachtwachen des Bonaventura, Berlin 1909, S. 188f., 197f. Vgl. auch Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, Dresden 1819a, S. 74ff., S. 255, 293ff., 305ff. Dazu C o l l i n , Euphorion 27 (1926) S. 98 und H. D a h m e n , Die Kultur- und Kunstphilosophie G. H. Schuberts, in Zeitschr. f. Aesthetik 20 (1926) S. 325—332 und unten S. 434 Anm.
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ohne den Tod denken. „Das kaum geborene Leben fängt schon am ersten Odemzug an, zu sterben, und hat erst im Tode der Auferstehung zu neuem Dasein sich zu erfreuen," heißt es in den 'Briefen über Browns System der Heilkunde', und in der 8. Nachtwache will er das Leben nur durch ein fortlaufendes Sterben entstehen sehen. Das augustinische „Sine fine morientes" steigert sich zur romantischen Spielerei, die nun wirklich alles umdreht und auf den Kopf stellt, die nun fragt, ob vielleicht nicht gar Irrtum Wahrheit, Narrheit Weisheit, Tod Leben, ob Leben Sterben und Sterben Leben, Tod Geburt und Geburt Tod sei. Hier merkt man schon die deutliche Freude an solchem Vernichten der Möglichkeit sinnvollen Begreifens, hier ist der romantische Wille übersteigert, daß sich alles drehen, alles lösen und zu neuer Einheit bilden soll1). Wirklich, angesichts solcher willentlichen Verflüchtigung aller festen Bedeutungen und Begriffe drängt sich der Eindruck auf, der in der 10. Nachtwache selbst ausgesprochen wird : „Das Leben läuft an dem Menschen vorüber, aber so flüchtig, daß er es vergeblich anruft, ihm einen Augenblick standzuhalten, und sich mit ihm zu besprechen, was es will und warum es ihn anschaut." Maskenhaft und gespenstig erscheint alles: auch Tod, Leben, Sein und Vergehen. Auch die letzten und höchsten Fragen wirbeln hinein in das große Spiel mit Sichtbarem und Unsichtbarem. Allgemein naturphilosophisches Gut bringen alle diese Werke; daß sie im Einzelnen voneinander, namentlich aber von Novalis und Schelling abhängig sind, daß sie einander geben und nehmen, liegt auf der Hand, aber das ist hier nicht das Wesentliche. Allein darauf kommt es in diesem Zusammenhang an, daß dies Gedankengut geformt wird, daß es allgemeiner Grundgedanke wird und alle darin Eigenes finden und durch die Aufnahme und Umgestaltung solche Anschauung zur Zeitansicht erheben. Freilich, es wird romantisiert, übersteigert, oft auch verflacht, verspielt und veräußerlicht, und der ursprüngliche religiöse Gehalt verschwindet. !) W e t z e l , Briefe ed. Leipzig 1806, S. 9, 229, 245, 255. Nachtwachen, Penig 1805, S. 11, 85, 98, 115, 150, 176, 186, 248ff.; 285. Über Musik und Sterben ebd. S. 11, Briefe S. 229, 265. Das Gedicht 'Tod' im 'Phoebus' 1808, I, 10, S. 28. - S c h u l t z a. a. O., S. 132, 153, 197ff., 258, 286, 288, 291; H. M i c h e l DLD. 133, S. 157f.
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Bei Ritter tönt noch durch alle Paradoxität ein tieferes religiöses Bewußtsein durch. Unter seinen 'Fragmenten aus dem Nachlaß eines jungen Physikers' (1808) gibt es einige, die man wohl neuerdings stark an Novalis heranrücken oder ihm gar zuschreiben will; vorzüglich das 629., in dem auch Böhme nachwirkt. „Nur die Gattung ist ewig, darum soll der Mensch lieben. Sterben und Lieben sind Synonyme. In beiden wird die Individualität aufgehoben, und der Tod ist die Pforte des Lebens. Beides ist Vermählung mit der himmlischen Jungfrau, nur daß sie im Weibe incognito erscheint." Man schwelgt im Polaren des Paradox: „Lebendig wird man, wenn das Leben endet." Nacht, Liebe, Weib, Tod, das sind alles gleiche Begriffe, die nicht nur geschlechtlich, sondern auch magisch-philosophisch zusammenhängen. Liebestod und Todesliebe, Nachtbegeisterung herrschen überall. Das tellurische, mütterliche Prinzip tritt hervor, Gedanken Bachofens werden angedeutet und vorweggenommen, auch darin, daß das Weib als das Gebärende der Natur nähersteht. „Das Weib eigentlich ist die letzte Grenze der Erde, und der Mann steht durchaus eine Stufe niedriger". Novalis erhielt aus Ritters Ansichten über Entstehung und Verschwinden der Stoffe auch Licht über den Tod, und Friedrich Schlegel richtete 1800 ein Gedicht an ihn: „Der wahre Tag ist Nacht, Du wirst nun sterbend des Lebens Leben finden." Nur bei einem lebt das tiefe religiös-spekulative Gefühl Jacob Böhmes in ungetrübter Reinheit wieder auf, bei Philipp Otto Runge, dem Künstler romantischer, natursymbolischer Allegorien1). Ihn beherrscht leidenschaftliche Sehnsucht nach der Einheit aus der Zweiheit heraus, die den Menschen durch den Sündenfall auferlegt ist. Er sucht Gott durch die Einswerdung von Ich und Du, in der Vereinigung mit der himmlischen Jungfrau Sophia, die selbst ja die Sehnsucht nach oben verkörpert; und seine Frau ist ihm so nur die andere Hälfte, ist schon hier die Jungfrau, die Mittlerin zum Göttlichen, im Sinne von Novalis. Runge fühlt die tiefe Notwendigkeit, das Du mit dem Ich zu verbinden. Doch !) R i t t e r , Fragmente, Heidelberg 1808, Nr. 629, 682, 6 9 7 - 6 9 9 ; 481-483, 489-493, 668, 669; Kluckhohn a.a.O., S . 5 1 2 - 5 2 1 ; B ä u m ler a. a. O. S. 184f. Urteil des Novalis II, 215; Schlegels Gedicht im Poet. Journal 1800, I, S. 219. — R u n g e , Hinterl. Schriften, Hamburg 1840-41, I, 38, 39, 41 f.; II, 208, 212, 284f., dazu Krebs a. a. O., S. 113f., 147, 150 und Kluckhohn S. 574.
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geht es nicht an in dieser Zeit, daß sie völlig eins werden, und daher die Sehnsucht nach der Kindheit und dem Paradies, daß es einst wieder werde wie es gewesen ist in Gott. Zu Tieck bekennt er im April 1803: „Das Ich und Du wird nur im Tode verbunden . . . Zur Ruhe kommt Keiner in der Welt bis zum Tode." Liebe strebt immer nach Erfüllung im Liebestod: „Je dünner die Wand wird durch die Liebe, je mehr werden wir uns zur völligen Vereinigung sehnen, das ist zum Tode." Todesmystik also auch bei Runge; aber es ist keine wollüstige Todeserotik, Liebestod wird nicht als geschlechtliche Vereinigung, als Tod in der höchsten Lust gedacht, sondern als völlig mystische Einswerdung der beiden Hälften, als Erlösung aus der Vereinzelung und Halbheit, aus der Begrenzung in Zeit und Raum zur Ausbreitung in den Raum hinein. Im Tod findet sich der Mensch selbst zu Gott. Schelling, der Vater der romantischen Form der Naturphilosophie, macht in seiner Stellung zum Tode eine Wandlung vom Mystisch-Böhmeschen zum Rationalen durch, vom Paradoxen fort zum Eindeutigen. 1795 heißt es noch: „Der höchste Moment des Seins ist für uns der Übergang zum Nichtsein, Moment der Vernichtung." 1799 erwägt er, ob das Leben nicht eine fortwährende Krankheit und der Tod nur die Genesung davon sei; Leben ist nur Brücke zum Tode, Liebe des Todes hat für ihn, der schon hier mit dem Ewigen sich erfüllen will, etwas Geheimnisvolles. Aber er ordnet den Tod auch größeren, geschichtsphilosophisch spekulativen Zusammenhängen ein; so heißt es 1804: Endabsicht der Geschichte sei die Versöhnung des Abfalls, und wie hier wirkt dann Böhme auch 1809: die Sünde sei wie der Tod notwendig als das wirkliche Absterben der Eigenheit, durch welches aller menschliche Wille hindurchgehen muß, um geläutert zu werden. Am 7. September 1809 starb Caroline; dies erschütternde Ereignis bringt den Wendepunkt im Todesproblem und zwingt Schelling zu neuer Überlegung. Das Gespräch 'Clara oder über den Zusammenhang der Natur mit der Geisteswelt', zwischen 1809 und 1812 entstanden, ist das trostvolle Ergebnis, die Stuttgarter Vorlesung von 1810, zwei Briefe aus dem Jahre 1811 zeigen das Reifen der neuen Gedanken. Da er fest die künftige Wiedervereinigung gleichgestimmter Seelen hofft, wird ihm der Gedanke, daß die vollkommene Vereinigung mit dem Göttlichen eine Vernichtung der Persönlichkeit zur Folge habe, eine subjektive Un-
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möglichkeit, ja geradezu eine Qual. Er will die g a n z e Persönlichkeit erhalten und Unsterblichkeit des g a n z e n Menschen verlangen, und so enthüllt sich ihm nun im Ringen mit der Frage des Todes und der Liebe „das Geheimnis der vollkommensten Individualität bei gänzlicher Auflösung ins Eine und Ganze". Tod und Liebe lösen wohl auf, aber beide sollen die Persönlichkeit auch steigern. Anhaltendes Nachdenken und Forschen bringen ihm Gewißheit seiner Annahme, und die Erinnerung an seine Frau bestätigt ihm, „daß der Tod weit entfernt, die Persönlichkeit zu schwächen, sie vielmehr erhöht, indem er sie von manchem Zufälligen befreit". Tod ist daher, wie es die Vorlesungen sagen, jener Vorgang, in dem der Mensch zu seinem wahren „Esse "gelangt und von dem relativen „Non-Esse" befreit wird, in dem er ganz erscheint, was er ist. Tod ist „reductio ad essentiam", oder mit den Worten Claras: „der Tod ist die Befreiung der inneren Lebensgestalt von der äußeren, die sie unterdrückt hält 1 )". Man muß aber das Leben zuerst aus sich selbst verstehen, und nur wer das jetzige Leben begreift, sollte vom Tode und einem Zukünftigen reden. Tod als Versetzung ins Geistige eröffnet den seligsten Zustand des ungetrübten höchsten Hellsehens, also vollkommenen Bewußtseins. Schelling steht mit dieser Lösung des Todesgedankens ziemlich allein; er führt das Problem in die ethische Schicht, hinein in das Reich des Hellen aus dem Dunkel des Unbewußten, er will Steigerung der Bewußtheit und der Persönlichkeit. Er allein, Klassischem sich nähernd, wollte im Gesamtganzen Bewahrung des Einzelnen, Persönlichkeit u n d Gemeinschaft. Er wollte nicht das mystischerotische Aufrauschen im All, das Vernichten, sondern die ZuSchelling, SW. 1. Abt. I, 324 (1795); II, 500 (1798); III, 222 (1799); 589; X V I , 60 (1804); VII, 311 (1809), 4 7 4 - 4 7 6 ( 1 8 1 0 ; Stuttgarter Vorlesungen). Clara ed. Ehrenberg, Stuttgart 1922, S. 6 4 . = III, 475, 476 reductio ad essentiam. Die Briefe in der Einltg. S. 8 - 1 0 ; zu S. 70, vgl. VII, 474. B r i n k m a n n a. a. O., S. 69ff. und B ä u m l e r a. a. O., S. 172, der hier, aber auch bei Novalis und der ganzen „aesthetischen" Frühromantik als der Euthanasie des Rokoko" (!), das Bationale hervorhebt und davon die jüngere Heidelberger „religiöse" Romantik mit ihrem Sinn für Boden, Blut, Mutter, Nacht und Tod abhebt (S. 166ff., 177); aber wieder ist das, gegen Bäumler, kein Wesensunterschied, sondern nur ein Gradunterschied; seine Zweiteilung besteht nicht zu Recht, sie muß in eine Schichtung übergeleitet werden.
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sammenballung zur Kraft. Das Vernunftmäßige beherrscht ihn wie immer auch hier stark und läßt ihn diese rationale Lösung finden. Wirklich war ja auch für Schlegel Schellings System eines der reinen Vernunft, Schleiermacher nannte es liebeleere Weisheit, und umgekehrt hätte Schelling auch bei Novalis* Todesmystik, angesichts der völligen Vertauschung und Auflösung der Begriffe, von einer Frivolität gegen die Gegenstände sprechen können1). Schelling und Novalis gehen trotz allem schließlich doch vom Gleichen aus: von der Einheit des Lebens und des Todes, von der Ansicht, daß erst im Tod das Leben ein absolutes werde — absoluter Übergang ins Produkt sei Tod —, daß der Tod eine höhere Offenbarung des Lebens sei. Aber dann, in der Deutung und Weiterwandlung des Gedankens, scheiden sich die Geister; beiden ist wohl das Verlusterlebnis einer geliebten Frau Anlaß der Überlegung, aber das wirkt verschieden. Dort auf einen mehr mystischen, hier auf einen mehr rationalen Geist; beide streben sie nach der Vereinigung mit dem Verlorenen, aber Novalis geht in die Sphäre des Erotischen und Bräutlichen hinein, in der Vernichtung des Individuellen geschieht. Novalis schreibt einmal in einer Randbemerkung zu Schlegels Ideen 'An Julius': „Ich weiß, daß wir in vielem Eins sind, und glaube, daß wir es durchaus sind, weil Eine Hoffnung, Eine Sehnsucht unser Leben und unser Tod ist 2 )." Daß hier der Tod genannt wird, deutet auf Tieferes, und wirklich führte Novalis auch den Freund in die neuen geheimnisvollen Aspekte des Todes ein. — Im November 1792 schrieb Friedrich an seinen Bruder, seit fast drei Jahren sei Selbstmord täglicher Gedanke bei ihm: „ich verschob ihn, weil ich einsah, daß ich unvollendet, und es also zu früh sei". Auch Novalis mußte von diesen Stimmungen wissen. „Daß Du noch unter den Lebendigen bist, freut mich . . . Ist es denn nicht möglich, daß Du unter uns bleibst ? — Sind die feierlichsten Worte der Weihung schon unwiderruflich ausgesprochen?" 1 ) K l u c k h o h n , Liebe a. a. O., S. 521. — Zum Vorhergehenden d e r s e l b e , Persönlichkeit und Gemeinschaft, Halle 1926. z ) Kluckhohn, Novalis und Fr. Schlegel, Deutsche Rundschau 191 (1922), S. 1 5 9 - 1 6 8 ; S. 168. — Novalis schreibt an Schlegel 1793 (Raich a. a. O. S. 2): „Du wirst leben, wie wenig leben, aber natürlich kannst Du auch keinen gemeinen Tod sterben — Du wirst an der Ewigkeit sterben. Du bist ihr Sohn, sie ruft Dich zurück."
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So mahnt er ihn im Frühjahr 1793. Caroline riß Friedrich heraus in die Tätigkeit, und nach drei Jahren, am 2. August 1796, dankte er dafür. Nun ist er es, der den dem „Zielgedanken" nachstrebenden Freund von seinem Vorhaben abbringen will. Und jetzt schlägt ihn dieser andere „aus der Familie des Untergangs" mit seiner Todesmystik in Bann. Aber über die Liebe hin: die Liebe zu Dorothea war ihm, wie jede Beziehung des Menschen aufs Unendliche, Religion, Liebe öffnet ihm den Blick ins Universum, gibt ihm den heiligen Sinn für das Leben und läßt ihn im Endlichen schon das Unendliche ahnen; sie wird wie bei Novalis „Mittlerin zwischen dem zerstückten Ich und der unteilbaren ewigen Menschheit". Liebe zur Frau ist Liebe zum All: sie bilden eine Einheit. Solche Liebe öffnet und drängt zur ewigen unendlichen Dauer auch über den Tod hinaus in „dauernde Umarmung hinein". Liebe trotz des Todes, aber dann blitzt das Neue plötzlich auf. Das „trotz des Todes" fällt fort, Tod ist nicht Feind, den die Liebe überwinden muß, er selbst ist ja schon die lustvolle Steigerung der Liebe und es dämmert die Ahnung, „daß der Tod auch freundlich und nur eine Täuschung, — daß der Tod sich auch schön und süß fühlen läßt". So bekennt Julius in der 'Lucinde'. Tod beschleunigt die Rückkehr ins All, da das Freigebildete sich in der Blüte aller Kräfte nach seiner Auflösung, nach Freiheit und stiller Liebe sehnt. Wieder in das All verschweben ist das Streben aller Sinne. Die Möglichkeit des Liebestodes wird dithyrambisch erfaßt, weil sie das Sehnen nach dem Verströmen ins All mit dem Lieben bis zur Vernichtung in wonnevoller Einheit vermählt und dadurch „die Sehnsucht voller befriedigt". Befriedigung aber ist immer — so sagt es Novalis — Selbstauflösung und daher Tod. Der Gedanke des Liebestodes als Erfüllung und damit als letzte höchste Steigerung des Liebeserlebnisses flöß mit Notwendigkeit aus Schlegels Liebesempfinden, das das Körperliche als Seelisches nahm und „in der ewigen Verlängerung dieses Aktes die tiefste Seligkeit und restlose Erfüllung" ahnte, Erfüllung nicht nur der Liebe zur Geliebten, sondern darin beschlossen auch der Liebe zum All. Wieweit hier Novalis wirkt, wieweit eigenes Sehnen und Erleben spricht, wer vermag das zu entscheiden? Jedenfalls, der Schlegel um 1800, der Verfasser der 'Lucinde', kann sich Tod nur als bewußten lustbetonten Vorgang, als Liebestod, denken.
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Immer wieder, in Aphorismen, in Gedichten, preist er ihn um dieser höchsten Seligkeit der Vereinigung und Vernichtung willen. In Nachlaßheften schreibt er sich auf: „Die Wollust ist vollendet, wenn sie bis zur Ahndung des Todes wird, und so der Tod, wenn er Lust wird." „Die mystische Synthesis der Individuen in der Liebe besteht im Zusammensterben; das ist das Geheimnis des Todes." In der Gemeinschaft sterben zu wollen, auch das ist romantisch. In den 'Ideen' heißt es: „Der geheime Sinn des Opfers ist die Vernichtung des Endlichen, weil es endlich ist . . . In der Begeisterung des Vernichtens offenbart sich zuerst der Sinn der göttlichen Schöpfung. Nur in der Mitte des Todes entzündet sich der Blitz des ewigen Lebens." Eine Reihe von Gedichten, um 1800 entstanden und zur Fortsetzung der 'Lucinde' bestimmt, atmet ganz die gleiche sinnliche und todbegeisterte Spannung, jene Lust, in der Vereinigung mit der Geliebten zu sterben, zu sinken „in Einer Todesflut". In Flammen stirbt man „süßen Tod" und erneut sich sterbend zum Leben. „Was kein Irdischer erraten, finden sie im gleichen Tode1)." Schlegel hatte im März 1799 an Novalis geschrieben: „Vielleicht bist Du der erste Mensch in unserem Zeitalter, der Kunstsinn für den Tod hat." Er sah recht, ihm fehlte das Herumtasten an dem magischen Rätsel des Todes; Novalis suchte immer weiter nach der tiefsten Einheit, er blieb nicht stehen bei der Verknüpfung von Liebe und Tod, wie Schlegel. Dieser sah darin den Endpunkt des Möglichen, weil hier die Lehre vom Gegensatz und ihre Lösung am paradoxesten in die Augen sprang und an dieser Stelle „des Witzes lieber Sohn" sein Bedürfnis nach dem seltsam Antithetischen Lucinde ed. Walzel, S. 5, 24, 80, 81, 88f. Die Stellen aus den Nachlaßheften sind abgedruckt bei K l u c k h o h n , Liebe S. 391 Anm. 2 und 3, dessen Darlegungen S. 384ff., 390—392 überhaupt zu vergleichen sind. Weiteres: Jugendschriften II, 303, 339. J. K ö r n e r , Neues vom Dichter der Lucinde, Preuß. Jahrb. 183 (1921) S. 3 0 9 - 3 3 0 ; S. 330 „Die Theorie des Sterbens gehört zum Roman wie die Theorie der Wollust und der Weiblichkeit." Bd. 184 (1921) S. 3 7 - 5 6 ; S. 40 Gedanken der Liebe an den des Todes zu knüpfen. S. 41 Tod und Liebe, Wollust und Andacht; S. 42, 45, 46, 47 Weiblich-Tod, Wehmut, Ironie. Gedichte: G . W . Wien 1823, VIII, S. 102, 104, 114, 117, 119, 125, 130, 161, 167, 169, 207, 211, 315; IX, S. 19, 31, 32, 105, 136, 167. Übrigens später auch im 'Alarcos' (1802) Werke VIII, S. 234, 260, 280, 281.
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stillen konnte. Aber innerhalb dieses engeren Todbegreifens hat auch er Kunstsinn, den er mit dem Enthusiasmus der Wollust, jenem höheren „Kunstsinn der Wollust", wie es in der 'Lucinde' heißt, verbindet. Dort, wo er die Bewußtheit der Wollust im Todempfinden, überhaupt seine „Theorie der Wollust" immer wieder betont, geht er über Novalis hinaus, der doch selbst wie die ganze Romantik auch gerade in seiner Irrationalität eine ausgeprägt rationale, intellektuelle, überlegende Haltung einnehmen konnte. Aber Schlegel fehlte dann wieder des Freundes Fähigkeit zur mystisch-magischen Versenkung, trotz seines begeisterten Todeskultes. Wie in der Liebe, so genießt er auch hier nicht bloß, sondern fühlt und genießt auch noch den Genuß. Er beobachtet allmählich die Steigerung und die möglichen Verschlingungen, er überlegt wissenschaftlich: die Art des Gedankenformens etwa in den Nachlaßheften trägt deutlich diesen spürenden Charakter und rückt ihn dann wieder an Novalis heran. Schon dieser hatte die innigste Sympathie von Wehmut und Wollust, Tod und Leben geahnt, auch in der Religion. Das sind nun auch Friedrichs fast spielerisch mathematisch gewendeten „Philosopheme", von denen Caroline ein wenig ironisch und spöttisch nach dem Tode ihres Kindes in einem Brief an Schelling vom Oktober 1800 spricht. „Ich muß doch auch probieren, ob ich nicht aus T o d ^ ^ , Wonne
Schmerz
/
\
Liebe
Leben und Frieden herausbringen kann. Woher mir die Ursätze kommen, darum wirst Du mich wohl nicht fragen." Schlegel geht den Weg weiter, der ihn später auch aus diesem mehr äußerlich an ihn herangebrachten, als innerlich erlebten literarisch-philosophischen Todeskult herausführen sollte. Religion und Christentum bezieht er in seine erotische Todesüberlegung ein und beschäftigt sich mit dem Ersinnen einer neuen Religion, die ganz Magie sein sollte und doch eigentüch Bildung war. Novalis hatte in einem Brief (20.1.1799) vom Wesen des Christentums geschrieben. Schlegel stimmt Novalis darin bei, fragt aber weiter, ob es nicht mehr eine Religion des Todes sei, wie die klassische eine Religion des Lebens. „Ich glaube, daß das Christentum sich eben deswegen, und weil Tod und Leben eins sind, mit dem äußersten Realismus behandeln ließe." Und in den Fragmenten setzt er hinzu: „und könnte seine Orgien haben, so gut
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wie die alte Religion der Natur und des Lebens". In solchen Gedanken deutet sich schon leise die Wandlung an, oder jedenfalls, sie ermöglichen ihm den Weg und die Brücke ins neue Land. Je näher Schlegel wieder dem Christentum tritt, desto notwendiger muß sich auch sein Todempfinden umstimmen. Zwar, Liebe und Tod bleiben vereint, aber in anderer Zusammensetzung, in anderem Kräfteverhältnis, in einer Vergeistigung des Sinnlichen: nicht Liebestod, sondern Todesliebe. Schlegel sieht die Orgien im Christentum, die Orgien der Märtyrer in ihrem äußersten Realismus, den christlichen Todesmut, die Todesbegeisterung. Auf diese wendet sich nun das verdrängte Gefühl. „Todeslust ist Kriegergeist", dies Wort des Novalis, das auch auf Zacharias Werner und Brentano vorweist, wird unendlich fruchtbar 1 ). Das erotische Todesgefühl wird in das christliche hinübergespielt: Tod wird zum religiösen, zum christlich-katholischen Problem im höchsten Sinne. Mit dieser dichterischen Wandlung des Todesmotivs geht die philosophisch-dogmatische Hand in Hand, sie eilt jener sogar voraus. Aber auch hier braucht Schlegel die frühere Grundüberzeugung nur dogmatisch einzukleiden ; der Kern bleibt bestehen, der Tod ist, wie die Liebe, der Erlöser aus der Individuation, die jetzt wie bei Böhme geschichtsphilosophisch als Abfall des Menschen von Gott, als Sünde betrachtet wird. Durch den Tod geht der Mensch hier wie dort wieder zum Göttlichen ein, nur daß jetzt das Göttliche strenger im Sinne des Dogmas gefaßt wird. Die philosophischen Vorlesungen aus den Jahren 1804—1806 suchen den Tod in das neue System einzuordnen. Das Problem der inneren Wiedergeburt, das ja dann Schlegel schließlich zum Zentralproblem der Geschichte, der Lebensphilosophie überhaupt erhebt, gibt die Richtlinien. Sterben ist nicht Entschlummern, sondern Erwachen des Geistes, der Tod ist, nach der natürlichen Offenbarung des Lebens, eine übernatürliche Offenbarung, daher ist die Vorbereitung zum Tode die rechte Aufgabe der Religion. In der Todesstunde reift das Werk der inneren Wiedergeburt am schnellsten. Abfall und Wiedervereinigung mit der Gottheit: darin liegt die Naturbestimmung des Menschen. Er hat als höchste Stufe der Organisation — die der wiedererwachten Sehnsucht nach dem unendlich göttlichen !) Reich a. a. O. S. 106f. = Jugendschr. II, 295f. Schlegel: bei Raich S. 90, 9L 1 3 0 = Jugendschriften II, 304; die Stelle ebd. S. 296 gibt einen Gedanken von Novalis II, 296 wieder. Vgl. ebd. IV, 259.
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Leben —, als höchster Versuch der irdischen Elemente den Zweck, sich aufzulösen, in eine höhere Form überzugehen und in die Freiheit des höheren Elementes zurückzukehren, in das ewige Reich der Freiheit, der Liebe, des Lichts und der ursprünglichen Einheit1). Ob aber diese Wiedervereinigung gleich nach dem irdischen Tode stattfindet, diese Frage kann die Philosophie nicht beantworten. Der Mensch hat die Kraft, sich über die Grenzen dieses seelischen Daseins hinaus eine Existenz zu sichern, seine Unsterblichkeit zu gestalten. In dieser rationalen Haltung, in der nicht nur die magische „Kunstlehre der Unsterblichkeit" des Novalis, nun ins Christliche umgebildet, sondern auch Schelling deutlich nachwirken, hegt die Grundüberzeugung des ganzen späteren Schlegel: es ist neue Mystik, die allmählich zu einer Scholastik erstarrt. Rund zwanzig Jahre später, 1827, in den Vorlesungen über die 'Philosophie des Lebens', hat man das System von erhabener Schönheit und sittlicher Größe. Die Natur des Menschen, aus Geist, Seele und Leib zusammengesetzt, ist allein in der ganzen Schöpfung mit dem göttlichen Ebenbild ausgestattet : dies gilt es — so sagt auch Baader — wiederherzustellen; der Mensch nur hat Sehnsucht nach dem Göttlichen, ihm allein eignet Unsterblichkeit der Seele, er ist Schlußstein des Ganzen, Endpunkt der Vollendung in der Zukunft, in der anderen Hälfte, die sich mit der diesseitigen zur Einheit zusammenfügt. Philosophie aber in einem tieferen Sinne, weil sie sich mit dem Leben, den letzten Dingen, dem Ende, mit der Schlußkatastrophe des ganzen Menschengeschlechts als dem höchsten Gegenstand beschäftigt, ist so „Erinnerung an den Tod". Denn der Mensch besitzt eine angeborene Idee des Todes, einen angeerbten Todesbegriff. Mit Nachdruck und mit spekulativer Ausdeutung sieht Schlegel im Tode wieder den Sold der Sünde, er sieht den ewigen Tod, dessen Feuer unauslöschlich ist, in der Natur, im Weltall. Er will das 'Stirb und Werde' mit neuem philosophischen Geist durchdringen und das Höhere hinzutun. Dies Werden und Vergehen ist nicht bloß dynamisches Spiel der wechselnden Kräfte — dann wäre Natur „nur dasselbe eine, allgeI
) Philosoph. Vorlesungen ed. Windischmann, Bonn 1837, II, 439, 443, 482 (von 1814); II, 1 9 3 - 2 2 6 „Theorie des Menschen"; bes. S. 201 — 205. Dazu v. M a r t i n a. a. O. S. 396ff. und W. G l a w e , Die Religion Fr. Schlegels, Berlin 1906, S. 66ff. B r i n k m a n n S. 62ff.
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bärende und allverschlingende, ewig wiederkäuende Ungeheuer" (daß Goethe gemeint ist, sieht man aus dem Anklang an den Schluß von Werthers Erguß am 18. August), sondern aufsteigende Pyramide auf der Grundlage des ewigen Todes, anfangendes Leben und Stufenleiter der Auferstehung, die das Leben aus dem Tode hinausführt. Darin liege das höhere Verständnis des Lebens, daß es „ganz geschichtlich in seiner Entwicklung als ein erst anfangendes, immer noch in den Tod zurücksinkendes, zum Schlummer hinneigendes, langsam durch alle die Stufen zum Lichte hinauf sich erhebendes, oder vielmehr hinauf erhobenes und liebevoll Geführtes betrachtet wird". Der Tod aber bleibt, und damit schließen die Vorlesungen: „Erst mit der Vollendung des Menschen kann der Tod besiegt werden und jene Theokratie und göttliche Wiederherstellung der Natur wieder eintreten, nach welcher denn auch in ihr alles unsterblich werden und dadurch die Harmonie der ganzen Schöpfung vollendet sein wird." Die 'Philosophie der Geschichte' von 1828 spricht zwar nicht mehr vom Tode, aber am deutlichsten verkündet sie das Ziel und den Inhalt alles Weltgeschehens, das Schlegel nur als Ausdruck des Göttlichen wertet: Wiederherstellung des verlorenen göttlichen Ebenbildes im Menschen, des göttlichen Willens im menschlichen, ursprünglich harmonischen Bewußtsein, in das durch den Abfall der Mißklang kam1). Schlegel wird zum katholischen synthetischen Geschichtsphilosophen, der das ganze Weltgeschehen als Abfall und Streben zur Wiedervereinigung auffaßt. Der Nachdruck ruht auf der Einheit mit Gott, auf dem Einfließen des Einzelgöttlichen in das Gesamtgöttliche: das ist für ihn die Vollendung des Menschen. Von einer Bewahrung des Persönlichen kann nicht mehr die Rede sein, denn gerade in dieser Besonderung liegt ja das Sündhafte. Indem Schlegel in einem mystischen, aber ganz abstrakten und unsinnlichen Rationalismus endet, ordnet er den Tod wieder in das Weltgeschehen ein und erhebt ihn zum Wendepunkt, läßt ihn nicht nur zum Gestalter des Lebens, sondern auch der Geschichte werden; er deutet ihn spekulativ aus, unzweifelhaft großartig, 1
) Philosophie des Lebens, Wien 1828, S. 28, 107ff., 1 2 6 - 1 2 9 , 158, 182ff., 245, 323, 473, 475, 481. Philosophie der Geschichte, Wien 1829, I, S . I I I ; 43, l ö l f f . , 239; II, 4, 321. Auch G l a w e S. 89ff. u n d v. M a r t i n S. 399ff.
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aber einseitig, wie es in seinem späteren Lebensgefühl bedingt war. Der Tod gewinnt wieder mythisches Ansehen und wird nicht mehr in Erotik aufgelöst. Durch den Geist einer unsinnlichen und göttlichen Liebe wird er überwunden. Nichts ist lehrreicher, als neben Schlegel nun seinen Jugendfreund Schleiermacher zu stellen, um zu sehen, wie sie eine Zeitlang nebeneinandergehen, sich dann trennen und wie jeder von ihnen aus der Mystik der Frühzeit zu einer neuen Scholastik und Dogmatik gelangt. Auch Schleiermachers Jugend durchfurcht der Gedanke der Todhaftigkeit. Die Anschauung von Leben und Tod dringt tief in ihn hinein. Er wird 1789 innig mit Montaigne vertraut, und dessen Todesphilosophie, die Mahnung zur Sterbensreife wirkt nachhaltig auf den Kränklichen. „Niemand ist dem Verwelken und dem Tode immerfort so nahe als ich, ich kann das weder konstruieren noch demonstrieren, es ist aber leider wahr," schreibt er noch zehn Jahre später am 1. Juli 1799 an Henriette Herz. Im gleichen Jahr erscheinen die Reden über die Religion mit der neuen Botschaft, Religion sei Anschauung und Gefühl, Religion haben, heiße Sinn für das Unendliche haben, heiße das Universum anschauen. Gerade am Ende der zweiten Rede greift man den Gegensatz zwischen Altem und Neuem mit Händen, dort wo Schleiermacher sich gegen die eingebürgerte Meinung wendet: es könne vom Wesen der Religion nicht gründlich geredet worden sein, wo von der Unsterblichkeit gar nichts und von der Gottheit so gut wie nichts gesagt worden sei. Und gerade dies war ja für die verständige Aufklärung Zweck und Inhalt der Religion. Schleiermacher kämpft gegen die irreligiöse Sehnsucht nach Unsterblichkeit, die keine ist, da sie nur Wunsch sei, aber keine Aufgabe, da sie dem Geiste der Religion gerade entgegen sei und nur auf ängstliche Erhaltung der Individualität ausgehe, anstatt daß man nach Erweiterung der Grenzen, nach Vernichtung der Individualität strebe und nach dem Leben in Einem und Allem, dem Unendlichen, aus dem man stammt, anstatt daß man durch Anschauen des Universums soviel als möglich eins werde mit ihm. Der Tod führe dazu, „jene aber wollen nicht einmal die einzige Gelegenheit ergreifen, die ihnen der Tod darbietet, um über die Menschheit hinauszukommen". Schon jetzt solle man aus Liebe zum Universum das Leben aufgeben und die Persönlichkeit ver-
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nichten. Der Ruf aller Mystik nach Selbstvernichtung ertönt auch hier in den erhabenen und begeisterten Schlußworten : „Mitten in der Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion." Der Tod öffnet zum Universum, aber man soll reif werden zum Tode, soll schon hier das Göttliche in sich zur Reinheit und zur Übereinstimmung mit dem Göttlichen um sich herum bringen. Daß darin eine Aufhebung des streng dogmatischen Todbegriffes lag, den ja schon Leibniz angestrebt hatte, sah Friedrich Schlegel ganz richtig, wenn er, freilich etwas übertreibend, aber den Kern heraushebend, an Caroline über die Reden schrieb: „Religion ist übrigens nicht viel drin, außer daß jeder Mensch ein Ebenbild Gottes sei und der Tod vernichtet werden soll" (19. 2.99) Solch beseligendes Toderlebnis, beseligend, weil es Gewähr der unio mystica ist, als Grundgefühl des romantischen und irrationalen Schleiermacher, lebt auch in dem persönlichsten Denkmal dieser Entwicklungszeit, in den 'Monologen' von 1800. Schon in der 3. Rede hatte Schleiermacher von „gewissen Übergängen ins Unendliche, durchgehauenen Aussichten" ins Universum gesprochen und Geburt und Tod als solche Punkte genannt, „bei deren Wahrnehmung es nicht entgehen könne, wie unser eigenes Ich überall vom Unendlichen umgeben ist, und die allemal eine stille Sehnsucht und heilige Ehrfurcht erregen." Das Ende ist notwendig, weil der Mensch, der das Ziel seiner Vollendung und Eigentümlichkeit erreicht hat, in der Welt als ein Gott keinen Raum findet und sterben muß. „Notwendig also ist der Tod, und dieser Notwendigkeit mich näher zu bringen, sei der Freiheit Werk und Sterbenwollenkönnen mein höchstes Ziel." Jene Frühstimmung des Todreifens scheint hier aufs höchste vergeistigt, als Ausdruck jenes transzendentalen Humanitätsgedankens, der von Herder her über Novalis romantischer Lebensform zukam nnd sich ihr wesensmäßig verband. Schleiermacher spricht die tiefste Tragik der Romantik aus : daß Vollendung und Vollkommenheit zugleich Selbstaufhebung und also Tod sei und das innerste Wesen zerstöre, daß der Gedanke, in einem Werke der Kunst das innerste Wesen und die ganze Weltansicht zurückzulassen, schon Ahndung des Todes sei. Carolino I, 501. Dazu den Brief Schlegels an Schleiermacher von März 1798, bei D i l t h e y , Aus Schlfciermac hers Leben, Bd. III, S.103.
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Und das eben steigert den wollüstigen Reiz des Sterbenwollens und der Todessehnsucht, daß man durch Selbstvollendung zugleich dem Tod, der Entselbstung näherkommt. Die Lehre vom Gegensatz liegt auch hier zugrunde: „Denn durch Vollendung nähert sich jede Natur ihrem Gegensatz." Man strebt nach dem Tode, um sich selbst zu vollenden, und man strebt nach Vollendung, um sich selbst zu zerbrechen. Lebensreife und Todesreife gehen ineinander über. Wie sehr Schleiermacher sich hier überall trotz des Unterschiedes im eigentlich tiefen Gefühl des wahrhaft Religiösen und in der Art der wirklich inneren Durchdringung des Problems mit Schlegel berührt, liegt klar zu Tage. In der Übereinstimmung darf man, abgesehen von der Beeinflussung, die Auswirkung eines gemeinsamen Grundgefühls sehen. Als Schleiermacher Schlegels 'Lucinde' in den 'Vertrauten Briefen' verteidigte, trat ihm aus diesen der Gedanke des Liebestodes nahe. „Vollendung ist auch für die Liebe nur im Tode1)." Liebe als Bedingung der Göttlichkeitserkenntnis forderten schon die 'Reden', denn Liebe öffnet den Blick ins Unendliche, und wie Schlegel schreibt er nun seiner Braut: „Liebe und Religion sind freilich eins." Schleiermacher wandelt sich fort vom Gefühl seiner Jugend zu einem neuen Überlegen des Todes. Daß es keinen Tod und keinen Untergang für den Geist gibt, wie er an Henriette von Willich 1807 einmal schrieb, das bleibt seine Grundüberzeugung, und an der Unsterblichkeit hält der spätere Übersetzer der platonischen Dialoge stets fest. Aber das Problem des Todes innerhalb der christlichen Ethik will der protestantische Dogmatiker neu untersuchen, und darin, freilich nur äußerlich, berührt er sich mit Schlegel, der gleichfalls, aber aus anderem Geist den Tod innerhalb der christlichen Ethik wieder in die alte Stellung setzen will. Schlegel sieht den Tod als gottgesetzten Sold für Sünde und Abfall und ist überzeugt von der ursprünglichen paradiesischen Vollkommenheit der Welt und des Menschen, in der der Tod keinen Sinn hat. Schleiermacher aber bestreitet dieses seit Augustin *) Schleiermacher, Reden ed. Rade, 75, 81, 9 0 - 9 7 , l l l f f . Monologen (Reclam) S. 63, 65; Vertraute Briefe ed. Frankel S. 141, 143. Vgl. auch den Dialog über den Selbstmord bei D i l t h e y , Denkmale S. 138; ebd. S. 115 und den Aufsatz 'Über den Wert des Lebens* S. 46—53.
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kanonisches Ansehen genießende und auch von der protestantischen Dogmatik übernommene Dogma und behauptet: der Tod der menschlichen Einzelwesen tut der ursprünglichen Vollkommenheit der Welt in bezug auf den Menschen keinen Eintrag. Über die ursprüngliche Vollkommenheit der Menschheit aber etwas Bestimmtes aussagen zu wollen, geht nicht an, da man darüber nichts Genaues weiß. Physischer Tod ist n i c h t Folge der Sünde, wie kein natürliches Übel erst aus der Sünde entsteht. Der schon vorhandene Tod wird also erst durch die Sünde zum Übel, also auch als Übel eine Strafe derselben1). Der Strafcharakter des Todes wird dadurch nur als relativ, nicht als absolut angenommen — darin liegt ein beträchtlicher Unterschied. Während sich Schlegel die Einheit seines romantischen Weltbildes bewahrt, löst es sich bei Schleiermacher langsam auf, er schreitet vor in das Gebiet einer reinen Ethik, in der auch der Tod alles mystisch Irrationalen entkleidet werden soll. Es war gesagt worden, wie die sinnliche Todesmystik und Todesliebe Friedrich Schlegels sich ins Christliche gewandt hatten und neue Bahnen suchten. Sie werden gefunden im Katholizismus, der in seinem Symbolwillen das Unendliche in endlich sinnlichen Formen bot, der eine Mythologie enthielt, nach der die Romantik sich so sehnte. Den glänzenden Höhepunkt und die Blütezeit der katholischen Mythologie sahen die Romantiker im Mittelalter; das waren die echt katholischen oder echt christlichen Zeiten, in denen e i n Band des Glaubens alle fest vereinigte, ein Trieb, ein Geist, der Geist der Liebe, alle beseligte — es war die Zeit der Kreuzzüge, das christliche Heldenzeitalter schlechthin, welches Novalis zuerst in der 'Europa', 1799, verherrlichte und später, 1804, Tieck in der Vorrede zu den Minnesingern, Görres 1807 im Nachwort zu den deutschen Volksbüchern, Adam Müller 1806 in seinen Dresdner, Fr. Schlegel 1812 in seinen Wiener Vorlesungen. Friedrich Schlegel aber wurde der eigentlichste Herold dieser Heldenzeit, der nationalen Zeit, die doch zugleich auch in all ihren Taten und Dichtungen den Geist der reinen Liebe hauchte. Was aber das Wichtigste war: aus diesem farbigen, glänzenden Gemälde löste sich der christliche Ritterheld heraus, der, vom „christlichen Hochgefühl" als Gesinnung heldenmütiger Der christliche Glaube, Berlin 1821, I, § 73, S. 329ff.; § 75, S. 336ff. ; § 76, S. 346, 350. II (1822), § 97, S. 86ff. ; § 98, S. 90, 92, 93.
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Aufopferung beseelt, den Glauben verteidigt und mit seinem eigenen herrlichen Märtyrertod besiegelt. „Todeslust ist Kriegergeist". Schlegel leuchtet tief hinunter in den Geist, der die eigentlich christlichen Dichtungen von den andern wesensmäßig unterscheidet, der auch da, wo ein tragischer Ausgang in der Natur der Sache liegt oder von dem Dichter beabsichtigt wird, nie mit dem Gefühl der Zerstörung, des Untergangs oder eines unerbittlichen Schicksals endigt, sondern der vielmehr aus Leiden und Tod „ein neues höheres Leben in verherrlichter Gestalt aufsteigen läßt und auch den irdisch Besiegten oder dem Leiden Unterliegenden durch eine solche Verklärung nach dem vollendeten Kampf mit dem Kranz eines höheren Sieges geschmückt darstellt." Es ist die Gesetzmäßigkeit der historischen Idee: Schlegel erstrebt eine Wiedergeburt der religiösen Kräfte des Mittelalters und erweckt damit auch das Todempfinden dieser Vergangenheit. Er sah in der mittelalterlichen Baukunst — und sie war ihm symbolisch für das Ganze — als das Allgemeine ausgedrückt den „Ernst der Ewigkeit", ja den Gedanken des Todes, des irdischen nämlich, umflochten von der lieblichen Fülle eines unendlich blühenden Lebens. Aber Schlegel sah dort zuerst den Geist der Mystik, er schaute das klassische Hochmittelalter mit romantischen Augen, durch einen barocken Spiegel, durch Calderón, und der hatte ja schon das christliche Heldenzeitalter, die spanische Vergangenheit, die die meisten romantischen Züge aufwies, in solch verklärtes Licht getaucht1). Darum liebten ihn ja auch die Romantiker so innig ; für A. W. Schlegel war er der letzte Gipfel der romantischen Poesie und Friedrich Schlegel erkannte in ihm das reine Wesen des Romantischen als eines christlichen Liebesgefühls. In Calderone Dramen verkörpert sich der christliche Märtyrerheld, er bildet die völlige Vereinigung von begeisterter Religion und herrlicher Tapferkeit: 'Der standhafte Prinz' war vollster Ausdruck barock und romantisch geschauten frühmittelalterlichen Geistes, war die Verklärung der christlichen Religion und die 1 ) Fr. S c h l e g e l , Geschichte der alten und neuen Literatur, Regensburg 1911, I, 251f., 256, 258ff. ; II, 96ff.; über Calderón ebd. II, S.98ff. Philosophie der Geschichte a. a. O. II, 95, 112, 134, 153ff., 158. — A. W. S c h l e g e l , Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur, ed. Amoretti, Bonn 1923, II, 276ff., 282.
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sinnliche Darstellung des Ewigen oder der vollendeten Zeit, nach der die Romantiker sich sehnten. Das Problem des Todes verknüpft sich wie in der Klassik so auch in der Spätromantik mit dem des Tragischen, der Willensfreiheit und Notwendigkeit. Die erhabene Grundstimmung hatte Schiller gefordert für den Helden, der sein Schicksal, das ihm von außen ankommt, zu seiner Tat macht, der zwar physisch unterliegt, aber den Tod sittlich überwindet. Todverachtung war hier das Ziel. Dahin kam auch Friedrich Schlegel, doch auf anderem Wege. Das Schicksal macht hier der Mensch nicht zu seiner Tat, sondern er erleidet es willig, ohne sich dagegen zu sträuben. Auch hier waltet Gelassenheit und Vertrauen. „Passivität ist nicht so verächtlich als man meint," sagt Novalis. Die Todverachtung des christlichen Helden unterscheidet sich von der des schillerschen durch die Zielung aufs Jenseits, durch den Glauben an Gott, während dort die Zielung aufs Diesseits geht und der Glaube an sich selbst herrscht. Hier und dort hat der Tod seinen Schrecken verloren, bei Schiller, weil ihn die große moralische Person dem Begriffe nach vernichtet, bei Schlegel, weil der christliche Held durch Christus erlöst ist und ihm hinter dem Tode die Ewigkeit winkt. Auch bei Schiller bringt der Tod die letzte Steigerung, die Reinheit des Begriffs, aber dem klassischen Menschen als dem nicht christlichen, nicht mystischen, fehlt darum doch die Todesbegeisterung, die dem romantischen dann als größtes Merkmal eignet. Es ist jener Gegensatz, den schon A. W. Schlegel als Wesensunterschied der antiken und romantischen Kunst gefühlt hat: dort die strenge Sonderung des Ungleichartigen, auch von Leben und Tod, hier aber die unauflösliche Mischung des Entgegengesetzten „. . . Leben und Tod verschmelzt sie auf das innigste miteinander". Friedrich Schlegel unterscheidet drei Arten dramatischer Auflösung: die des völligen Untergangs, der Versöhnung und schließlich diejenige, „wo aus allem Tod und Leiden ein neues Leben und die Verklärung des inneren Menschen herbeigeführt wird". Und diese dritte ist dem christlichen Dichter vorzüglich angemessen und Calderón der Erste und Größte in dieser dritten Weise der dramatischen Auflösung, „welche aus dem äußersten Leiden eine geistige Verklärung in der Darstellung hervorgehen l ä ß t . . . " Daß man auch bei Schiller von einer Verklärung sprechen
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darf, freilich nicht im christlichen, sondern im moralischen Sinne, daß auch er das Rätsel des Daseins nicht bloß darlegt, sondern auch löst, daß auch er immer in dieser moralisch ästhetischen Sphäre „das Leben von jedem einzelnen Anklänge aus hinaufführt zur symbolischen Schönheit", das würde Schlegel nicht zugegeben haben, den wie die Romantik überhaupt die erhabene Tragik Schillers empörte und abstieß, da sie den Menschen zermalmt und in ihr willkürlich Leiden ohne Hoffnung auf Ausgleich herrscht1). Sie wollen nicht das antike Schicksal, sondern die göttliche Vorsehung. Es ist Enthusiasmus des Todes. Neben Calderón tritt Tasso, der Sänger des Kreuzzuges und des romantisch verklärten Mittelalters, barock auch seine Helden, den Romantikern vertraut im Geiste, auch im Todesempfinden. Man fordert wieder christliche Märtyrer, auch in der Malerei. A. W. Schlegel verteidigt bezeichnend gegen Lessing, d. h. gegen die Klassik und ihre Auffassung des Tragischen, die Märtyrertragödie mit ihrem „Heldenmut der höchsten Liebe." An Calderón knüpft man an, und damit weckt man barockes Todesgefühl und barocke Todessehnsucht, wie sie die neuentdeckten Lieder von Balde, Spee und Silesius atmen. Barocke Lebensauffassung und barockes Todesideal erstehen wieder: Gryphius und die Jesuiten schaffen Märtyrertragödien, die von Todeswollust und dem Kampf gegen die Ungläubigen zeugen; hier ist die Mythologie der katholischen Glaubensstoffe, die verklärende, allegorisch-christliche Dichtkunst als „eine zugleich den tieferen Sinn erkennende, mithin wohl Fr. S c h l e g e l a. a. O. II, 96, 97; A. W. S c h l e g e l a. a. O. II, 114; zur Märtyrertragödie ebd. S. 56; ders. DLD. 17, S. 69. Novalia III, 344 „Passivität". — A. Müller schreibt in den 'Vorlesungen über deutsche Wissenschaft und Literatur', Neudruck. München 1920, S. 221: „Jedes Wachsen in religiöser Erkenntnis der Leiden und des Untergangs ist Sieg über den Tod, und was ist das höhere Leben der Menschheit anders, als eine Reihe von Siegen über den Tod?" S. 139. „Todeslust." Im Phoebusaufsatz 'Vom religiösen Charakter der griechischen Bühne' a. a. O. S. 7 unterscheidet A. Müller drei Hauptpunkte in jeder Tragödie: 1. Auferstehungsmoment oder Eingang. 2. Katastrophe, höherer Todesmoment, Wendepunkt. 3. H i m m e l f a h r t s m o m e n t oder Endpunkt. Es ergibt sich eine Parallele zu Fr. Schlegels Ansicht: Auflösung der Verklärung. Zu A. Müller vgl. auch S. 375 u. 447 — K. Wendriner, Das romantische Drama, Berlin 1909, S. 74, 81, 101, HOff. über den Tod im romant. Drama. — Waetzold, Deutsche Kunsthistoriker I, S. 202.
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bewußte und wissende Poesie des Unendlichen", hier ist Allegorie der Barockkunst als „Inbegriff der gesamten christlichen Bildlichkeit und Sinnbildlichkeit, als Ausdruck, Hülle und Spiegel der unsichtbaren Welt", als Versinnlichung des Geistigen1). Werner steht als letzter Ausläufer solcher Kunstübung da. Die Legendendichtung als christliche Mythologie wird zu neuem Leben erweckt. Schlegel aber geht voran, dorthin, wo christlicher Heldenmut schönstes Ziel hat, fromme Tat wird und zugleich Gottes Willen erfüllt, in der Bekämpfung der Heiden, der Mauren, wo den Helden Märtyrertod und Verklärung winken, in Spanien, dem christlich-romantischen Land schlechthin, in dem Religionsgefühl, biederer Heldenmut, Ehre und Liebe am herrlichsten sich vereinigen. Schlegels Gedicht von Roland, ein Heldengedicht in Romanzen nach Turpins Chronik, 1806, schließt, in sich nationale und religiöse Begeisterung zusammen : es erweckt, romantisch gesteigert, den Geist des Ludwigsliedes, das ja Schlegel in der 14. Romanze zum Vorbild nimmt, den Geist auch des deutschen Rolandsliedes, in gewissem Sinn auch den von Wolframs 'Willehalm' und aller Kreuzzugslieder, es ist jene Stimmung, wie sie A. W. Schlegel in Lochners Kölner Dombild lebendig sah, der Geist der göttlichen Liebe, der Aufopferung und Ergebung, die weder Marter noch Tod erbeben macht. 1
) Zu Tasso: H. W a g n e r , Tasso daheim und in Deutschland, Berlin 1905, S. 2 9 8 - 3 2 0 , 321ff„ 354ff., 368ff. - Allegorie : Fr. Schlegel a. a. O. II, 102. — Fr. Schlegel gibt 1806 im Poet. Taschenbuch Lieder von Spee heraus, Brentano erneuert 1817 die 'Trutznachtigall', 1819 das 'Tugendbuch', J. Kerner erinnert 1814 an Birken (Werke ed. Gaismaier IV, S. 286—290) und hat 1812 in seinem Poet. Almanach Gedichte Birkens abgedruckt. Für Kleist hat Sauer den Einfluß der katholischen religiösen Lyrik des 17. Jhds. nachgewiesen (Kleists Todeslitanei, Prag 1907). Vgl. auch Fr. R i e d e r e r , Tiecks Beziehungen zur deutschen Literatur des 17. Jhds. Diss. Greifswald 1915, S. 24ff., 34, 98ff. Tieckfand die Todes- und Nichtigkeitsgedanken von Gryphius „nicht poetisch erhaben genug", sondern recht materiell aufgefaßt. Für die einzelnen stofflichen Wiederaufnahmen: M. J. D e u s c h l e , Herr ige Archiv, Deutsches Sonderheft, 1920, S. 1 — 20. Dazu die intuitive Erkenntnis der Gegenreformation bei Novalis: S a m u e l a. a. O. S. 289f. — Das Buch von G. B r o m , Barok en Romantick 1923 war nicht zugänglich. Vgl. aber J. P e t e r s e n , Z. f. d. U. 31, 1915, S. 3 5 1 - 3 5 9 und Th. S p o e r r i , Wiesen und Leben XII, S. 762ff. Auch S t u c k e r t , Das Drama Z. Werners, 1926, S. 181ff.
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„Mutvoll und freudenvoll, getreu und sinnig, Vertrauend so dem Tode wie dem Leben, Seht hier die Heldenbilder vor'ger Zeiten." Wie Roland und seine Kriegsgenossen auf den spanischen Gefilden den Märtyrerkranz erfochten und nach hohen Tagen aufgingen zu des Himmels Pforten, zur ewigen Ruhe, das will Schlegel besingen, den guten Ritterkampf der christlichen Helden, der Gottesdienst wird: „Froh des heil'gen Märtertumes Stürzten in den Tod sie mutvoll." Schlegel selbst hat später in der Literaturgeschichte das Ludwigslied wegen seines eigentümlich christlichen Gehaltes gerühmt. Die Ritter seien wohl irdisch besiegt worden im Kampf für die Christenheit, aber „es blieb ihnen doch die himmlische Siegespalme gewiß. Sie waren für die Sache Gottes den Heldentod gestorben und wurden also als Märtyrer betrachtet." Schlegel bahnt dem christlich-romantischen Ritter-Epos neue Wege: fortan bleibt es in diesem Geleise, Kampf gegen die Heiden steht stets im Mittelpunkt und Fouqués Werke sind es ja dann, die immer wieder mit neuem Ansatz diese religiöse Idee bilden und verherrlichen, die Auseinandersetzung eines verdüsterten und vergötzten Heidentums mit dem neuandringenden Christentum und der Religion der Liebe. In seiner Dichtung ersteht der christliche Rittergeist mit fast religiöser Inbrunst: der Kampf gegen die Ungläubigen im Orient, in Spanien oder im Nordland zieht sich durch die meisten dieser oft unterschätzten Dichtungen. Hier ist überall der miles christianus, der sein Leben unbekümmert um Tod und Teufel im gottgefälligen Kampf einsetzt. Fouqués Romanzen vom Tale Roncevall, noch unabhängig von Schlegel gedichtet, verkörpern diese weltgeschichtliche Religionsidee, ebenso seine „Corona" von 1814 und später noch Schulzes 'Cäcilia' von 1818 Wie sich hier nordisches Heidentum und Christentum gegenx ) Fr. S c h l e g e l , Geschichte der alten und neuen Literatur a. a. Ο. I, 214f. über das Ludwigslied; S. 240 (Roncevall). Gedicht: Werke VIII. S. 1 - 9 8 ; bes. S. 7, 19, 22, 29, 44f„ 69, 72, 76f., 81, 89, 91, 93, 94f. Dazu E. W i e n e k e , Patriotismus und Religion in Fr. Schlegels Gedichten, München 1913, S. 4 8 - 6 5 , 7 9 - 9 0 . - Zu Fouqué S t r i c h : Mythologie II, 208ff., 286f., 371ff. Für sein persönliches, christlich-frommes Todesbewußtsein zeugen auch seine Gedichte I (1816) S. 42, 83; II, 12, lOlff., die Vorrede Fr. Horns zu
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überstehen, so auch in Fouqués berühmtem'Zauberring' von 1813 mit dem wiederkehrenden Leitmotiv: „Man geht aus Nacht in Sonne, Man geht aus Graus in Wonne, Aus Tod in Leben ein." Das ist christliche Romantik, christliches Todesempfinden, nur bei Fouqué, dem Protestanten, ohne jenen ekstatisch-mystischen Charakter, wie ihn Friedrich Schlegel im mittelalterlichen und barocken Katholizismus sah oder zu sehen glaubte. Achim von Arnim gehört mit seinem 'Halle und Jerusalem', seinem 'Auerhahn' und den 'Gleichen' in die Reihe, die sich von Schlegel zu Werner zieht und, an Calderón anknüpfend, barocke Religiosität als irrationale und darum romantische erweckt. Wenigstens erscheint es so auf den ersten Blick, doppelt merkwürdig bei Arnim, dem Protestanten und märkischen Landedelmann gleich Fouqué. Sieht man aber näher zu, so zeigt sich, daß diese katholisch-barocke Art nur eine Wandelform ist, die sein ursprüngliches, sich im tiefsten immer gleichbleibendes dionysisch-magisches Todesempfinden ergriffen hat. Er erinnert darin seltsam an Novalis, nur daß hier die eigentlich philosophische Grundlegung des Magischen, die Bewußtwerdung fehlt, daß sie sich rein ins Dichterische umsetzt. Der junge Romantiker und Physiker erlebt die innige Einheit von Leben und Tod, er wußte — und das gab allen seinen Werken den eigentümlich tiefen, bei ihm magisch erklingenden Ton —, daß man zum Leben den Tod kennen müsse. Schon Hollin spricht das aus und auch dies: „Nur im Tode ist Freiheit und jeder Tod ist Freiheit." Der Gedanke des Liebestodes — wer dächte ihn damals nicht? — klingt auch bei ihm an: „soll durch den Tod sich Liebe lohnen, soll Liebe in dem Tode wohnen" ?, noch später im Nachspiel zum'Auerhahn': „Selig wer aus Liebe stirbt". Und im Roman von der Gräfin Dolores heißt es einmal, mit deutlicher Betonung des Unheimlichen in der Todesverschmolzenheit des Lebens, vom Grafen Carl: „Sonderbar, wie der Gedanke vom Tod sich in ihm, dem frischen blühenden Jüngling, so oft dem LiebesFouqués „Pilgerfahrt", Nürnberg 1806, S. VI, auch Ziesemer, Fouqués Werke S. XXVII. — Anklänge an das Todessymbol des Trivialromans, aus dem ja letztlich Fouqués Werk herauswächst, im 'Todesbund', im 'Zauberring', besonders in 'Sintram und seine Gefährten' Kap. 27.
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gedanken beimischte; aber der Gedanke liegt sehr nahe bei dem höchsten Glücke, das wir zu erschwingen vermögen." Doch diese Lebensansicht, der der Tod die schönste und farbigste Blüte ist, erhält ihre mystische Vertiefung in 'Ariels Offenbarungen' von 1804: dunkelglühende schauerliche Todesbegeisterung herrscht im Chor der Krieger: „Uns ziehet zum Tode dunkle Bahn, Geschlossen ziehen wir hinunter; Drum wütet so rasch des Schwertes Zahn, Mit vielen ist es dort munter. Das einsame Sterben hassen wir, Wir wollen zusammen verderben, Wir wollen die Freuden schlürfen hier, Und wollen Seligkeit erben . . . Drum froh in die Nacht des Todes gesehn, Denn heller glüht dann das Leben; Den Frieden hier haben wir nie ersehn, Wir wollen im Tod ihn erleben." An Novalis und seine Todesmagie gemahnt dieser Wille, nicht allein zu sterben, sondern in der Gemeinschaft; es ist Todeswahnsinn, der durch ein Fragment des Novalis richtig beleuchtet wird: „Gemeinschaftlicher Wahnsinn hört auf, Wahnsinn zu sein und wird Magie. Wahnsinn nach Regeln und mit vollem Bewußtsein." Das will ja Arnim, dem die Künste der Magie immer seltsam anziehend waren und später immer mehr werden, er will dionysisch-magische Todesbegeisterung, Todeswollust, Todessehnsucht. „Mystik des Lebens", heißt ein Gedicht Arnims, und das drückt auch seine ganze Welt- und Lebensansicht aus. „Ich bin so reif zum Tode", sagt einmal eine seiner Gestalten; als ein magisches Reifen zum Ende sieht Arnim das Dasein. „Hart und schrecklich ist das Leben ! Untergang sein innres Streben. Seligkeit ist nur im Tode", so schließt der 'Auerhahn' und ähnlich dumpf die 'Gleichen': „Wir leben um zu sterben, wir sterben um zu leben." Tod stillt das Sehnen, darum heißt früher Tod selig sterben. Das ist die Stimmung Calderons und Gryphius', und nicht umsonst erneuert Arnim des Barockpoeten Schauspiel „Cardenio und Celinde" in seinem allegorisch-romantischen Pilgerabenteuer „Halle und Jerusalem", mit dem Grundton des „Memento mori", wie es Gryphius gefordert hatte: wer die ewige Krone erringen will, denke jede Stunde ans
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Sterben. Nicht allein, daß die Szene mit dem Tode in der Kapelle am Schluß des ersten Teils wiederkehrt, der ganze Geist dieses mystischen Werkes, das sich ins Grenzenlose öffnet, ins Wunder, ins Jenseits, ist erfüllt von Buße, Reue und Todesreife. Cardenio und Celinde erleiden am heiligen Grab auch einen Märtyrertod (der faustische Schluß verkündet ihnen den Lohn), Todeswille und Todeswonne durchströmen beide und in Verklärung und innerer Wiedergeburt schwingen alle ihre Seelen, die in Schönheit aus dem Tode neu hervorblühen, sich hinauf zu Gottes Thron. Beim Tode der Gräfin Dolores schreibt Arnim die Worte: „Zu dem Lichte möchte der Mensch dann aufsteigen, da beweist ihm die irdische Schwere schwindelnd in ihm ihre letzte Macht. Er fühlt, daß sie ihn stürzen kann, und er betet zu Allem, was ihn erhoben, daß es ihn nicht zuschanden werden lasse. Da scheidet sich sein Wesen, das Blut aus tiefem irdischen Triebe aufwallend zu höherer reiner Luft, fühlt den bebenden dürstenden Mund, der Mensch stürzt nieder, sein Göttliches steigt empor — dies ist der Tod auf den Höhen der Welt . . . " Es ist der Aufschwung zur Einheit mit dem Göttlichen, die Rückkehr. Religiöses Problem, das wird für Arnim zum Problem des Todes. Er hat bei allem festen Stehen im Diesseits die Vergänglichkeit des Lebens schwer und verpflichtend erlebt, — doch das Lebensziel ist Handeln: auch das ist dem Faustende verwandt —, er strebt, sich wesentlich zu machen, vorzubereiten, reif zu werden. Tod soll letzte Lebensaufgipfelung sein, weil er immer tief das Leben bestimmt. Daß das Unendliche überall ins Endliche hineinragt, mahnend und verheißend, vertiefend und verklärend — um diese Erkenntnis und ihre Wirkung auf sich selbst bemüht sich Arnim. Es ist ein ernstes Ringen mit dem Unsichtbaren, in das er hineinzuwachsen strebt. Arnim kennt die dunklen Töne, das Leid und die Zerknirschung, ein eigentümlich feierliches Pathos lebt in allen seinen Dichtungen: das Barocke. Arnim weiß vom Tode, lebenssüchtig nennt er ihn einmal echt barock; darum fühlt er tiefer das Leben, und seine Dichtung wird eine wohlbewußte und wissende Poesie des Unsichtbaren, die der Magie nicht entraten kann. Der Tod greift wie ein Schatten spukhaft und ernst ins Leben, und Heine hat tief gesehen, wenn er, der sonst Frivole, in der 'Romantischen Schule' das Schattenhafte und seltsam Unheimliche der Gestalten Arnims schildert. Er
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sei kein Dichter des Lebens, sondern des Todes. „Wir sehen schöne Leiber, wogende Busen, feingebaute Hüften, aber ein kaltes, feuchtes Leichengewand umhüllt dies alles. Manchmal ist Arnim witzig, und wir müssen lachen ; aber es ist doch, als wenn der Tod uns kitzle mit seiner Sense." Und daneben lege man ein Wort aus dem 'Hollin': „Ist dies das Leben, verwandelt sich nicht alles in meiner Hand in Tod?" 1 ) Freilich blieb es einem anderen vorbehalten, die Einheit von Religion, Grausamkeit und Wollust zum Inhalt seines ganzen Lebens und seiner Dichtung, seines Ideals zu machen, sie zum mystischen Symbol zu erheben: Zacharias Werner. Sein dichterisches Werk ist der Höhepunkt und Abschluß der Reihe, die von Calderón über Gryphius zu Schlegel und Arnim sich hinzieht: das schwüle Mysterium der sinnlich religiösen Erotik findet hier letzte Steigerung. Blut- und Wundenliebe des 17. Jahrhunderts erstehen neu, der drückende Dunst sinnlicher Gottesliebe lagert über dem Ganzen, und Werner will auch diese Brunst und diesen Dunst. Das war seine frühe Lebenstragik: die innere Zerrissenheit, die den Zug zum Niedriggemeinen, zur tierischen Wollust mit dem zur reinen Höhe der Gottesliebe in sich zu vereinigen suchte; aus dem einen sehnt Werner sich in das andere, und was Wunder, wenn die höhere Einheit nur möglich wird in einer seltsam magisch sinnlichen Vermählung beider Triebe, wo das Sinnliche vergeistigt und das Geistige versinnlicht ist. Denn immer wollte er ja in seiner Sinnlichkeit einen geistig religiösen Grundtrieb finden und dadurch rechtfertigen, und seine geistige Gottesliebe konnte er nur in der Sphäre des Sinnlichen erleben und verständlich machen. Aber diese beiden Triebe waren doch nur zwei verschiedene, notwendige Seiten e i n e s Grundtriebs: sich aufzugeben, die Selbstheit zu vernichten, sei es in sinnlicher, sei es in reiner Liebe. Glühende Sinnlichkeit, die ihn quälte, ergoß er in sein religiöses Gefühl; dies hob er hinauf oder zog es hinunter in die Nachtseiten der menschlichen Leiden!) Hollin, ed. Minor, Freiburg 1883, S. 6, 16, 33, 55, 69, 73f., 98ff. Ariel ed. Minor, Weimar 1912, S. 31. 64, 69, 72, 100, 167, 173, 194, 225, 241. - Werke V, S. 238, 242 (Auerhahn), VII, 65; VIII, 4, 449ff. (Dolores), X X , 277 (Gleichen); X X I I , 189«. (Mystik des Lobens). Vgl. F. Schönemann, Arnims geistige Entwicklung, Leipzig 1911, S. 205f., 211, 249, 260. Das Barocke betont Ν a dl er, Berliner Romantik, Berlin 1921, S. 202ff.; Heines Urteil in der 'Romantischen Schule', Werke ed. Walzel VII, S. 127, 128.
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Schäften und Empfindungen, und keiner hat wohl so tief aus innerer Zwangsverwandtschaft das nahe Nebeneinander und Ineinander von Wollust und Religion auch in ihm unhewußter Selbstverwechslung erlebt, psychologisch so durchdrungen und die Übergänge dieser scheinbaren Gegensätzlichkeit so unheimlich wahr dargestellt, wie gerade Werner, dem Wollust Religion und die Religion Wollust war, Wollust der Selbstaufgabe. Die zaghaft tastenden Theorien des Novalis, die Künsteleien Fr. Schlegels sind hier zu dichter Wirklichkeit geworden. Daß Werner das Todesproblem so nur in der erotischen Schicht lösen konnte und lösen mußte, hegt notwendig in seinem psychischen Bau begründet. In Königsberg wächst er auf, dort wo Simon Dach und sein Kreis ihre erotisch mystischen Sterbelieder sangen, wo später Hippel die Gestalt des Sterbegrafen ersann. Pietismus und Freimaurertum wirken auf seine Jugend. Schon das Trauergedicht bei der Leiche seines Vaters, das Werner als 14jähriger verfaßte, weist in die Richtung, in die er später sein Todempfinden peitschte, ins Sexuelle. Er hat nicht „Kunstsinn", sondern Geschlechtssinn für den Tod und alles, was damit zusammenhängt, für Verwesung, Grab, Dunkel und Nacht. Wie ein Hofmannswaldau, atmet er wollüstig-schaudernd Modergeruch ein: denn Verwesung bedeutete für ihn Krönung des Lebens. In der theoretischen Kunsteinsicht schließt Werner sich an die Romantik, vorab an Friedrich Schlegel und Schleiermacher an, verzerrt aber ihre Andeutungen gleich zum letzten. Die Einheit von Kunst und Religion will er in der religiösen Kunst verwirklichen, er sucht die Mythologie und findet sie im Katholizismus. Denn das göttlich Unendliche bedarf, um erkannt zu werden, des Bildes und der Gestaltung, also des Endlichen und so braucht das Übersinnliche das Sinnliche, um sich zu offenbaren. Das ist die KunstÜbung des Barock, der Werner nun wirklich innerlich verwandt ist, die in ihm wieder auflebt, die er weiter und zu Ende führt, anders als Schlegel und anders als Arnim, dem das Barocke nur mehr äußerliche Form war. Jedes Kunstwerk, so sagt er, muß religiös, muß Symbol des Unendlichen sein und muß die Aussicht ins Unendliche eröffnen. Der Dichter aber wird zum Mittler für alle andern im Sinne Schlegels, Mittler, der Göttliches in sich wahrnimmt und sich selbstvernichtend preisgibt, um dies Göttliche zu verkünden. Opfer, Selbstvernichtung, Entichung fordert
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Werner, um mit dem Unendlichen, dem Ganzen zusammenfließen, sich ins All auflösen zu können. Die Anschauung von der dreifachen, den Genuß steigernden Mittlerschaft von Kunst, Liebe und Tod zwischen Endlichem und Unendlichem, die sich in Christus als Ganzheit zum Symbol erhebt, bildet die Grundlage seiner sinnlichen Metaphysik und heiligt ihm seine GenuOsucht, da er anders als Schleiermacher und Schlegel nicht durch den Mittler, sondern im Mittler, der ihm das Universum öffnet und ihm die Gottheit ersetzt, religiösen Genuß, d. h. Wollust sucht. Schon im Endlichen symbolisiert dies Verschweben ins All die Kunst, dann die hingebende Liebe; Vollendung aber der Liebe, der Selbstaufgabe wird erst im Tode, denn der öffnende und entgrenzende Tod verewigt den flüchtigen Augenblick des höchsten Rausches. Tod ist Erfüllung der Liebe: „Tod ist ganz gewiß das Non plus ultra der Wollust." Und ein andermal: „Die Verwesung, die uns dem Unendlichen wiedergibt, indem sie uns mit ihm vereinigt, muß mit Sehnsucht gewünscht werden." Kunst führt zu Religion und diese zur Verklärung, und so sind „Kunst, Liebe, Tod, jedes in seiner Art, für uns Mittler, beinahe Synonyma, die uns ins Universum, aus dem wir genommen, für das wir da sind, wieder mit mütterlichen Händen versenken". Denn Böhmesche Spekulationen wirken auch auf Werner, und des Naturphilosophen Ansicht von der dreifachen Geburt durch Tod und Verwesung kehren in Werners Phosphorlegende, mit gnostischen und neuplatonischen Zügen verquickt, in seltsam erotisch gewandelter Gestalt wieder1). *) Zum Vorigen sehe man den langen wichtigen Brief an Peguilhen vom 6. 12. 1803, Floeck I, 209ff.; S. 213 (dazu Schelling I, 3, 620, 627), S. 217: Mittlerechaft; darüber W. L i e p e , Das Religionsproblem im neueren Drama, Halle 1914, S. llOff. S. 216 Sehnsucht nach dem Universum, 217 Tod, der uns drängt, uns am Ende ins Universum leidend hinzugeben und aufzulösen, den ich Heiland aus den Wässern nenne; 218 Unsterblichkeit im Anschluß an Schleiermacher. Floeck I, 199 (an Hitzig vom 17. 10. 1803) Liebe und Universum. Böhme: L i e p e a. a. O. S. 119, 161, 165. Todeserotik: ebd. S. 123f. und F. P o p p e n b e r g , Mystik und Romantik in Werners Söhnen des Tals, Berlin 1893, durchlaufend, der auch im Exkurs über die erotische Mystik in der deutschen Literatur S. 50—62 der Beziehungen zum Barock gedenkt, ebenso J . N a d l e r , Berliner Romantik, Berlin 1921, S. 52ff. und jetzt weiterfassend F. S t u c k e r t , Das Drama Werners, Frankfurt 1926, S. 1 8 1 - 1 8 7 ; über Tod S. 184, 185.
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Kunst und Religion sind für diesen Dichter Synonyma; Wackenroders heilige Kunstandacht verwandelt er in Wollustgenuß, denn Erlösung durch Kunst, Liebe und Tod wird Erlösung durch Genuß, nur im Genuß kann er etwas Göttliches erkennen, und darum ist der wahre Religiöse zugleich „rein wollüstig". Todesempfinden wie Liebesempfinden also ist Wollustempfinden, ist Religion, wie er sie versteht. Seine Werke verkörpern seine Religion, und wie Novalis, — für ihn der einzig wahre Heilige unter all den Neueren — das Christentum mit seinem Sündenbegriff eine eigentliche Religion der Wollust genannt hatte, so versteht sie auch Werner, der Konvertit, der seit frühe den Genuß der Selbstgeißelung, der Askese, der Tötung des Willens nach dem Rückfall kennt und mit selbstquälerischem Lustgefühl nun im dichterischen Werk seine glühende Sinnlichkeit bekämpft, zernichtet, in der Askese läutert, diese Sinnlichkeit, gegen die er im Leben nicht ankam, die ihn hin- und herriß, aber auch die Quelle seines Leidens und seiner Wollust war. „Die Helden seiner meisten Dramen", sagt Heine, „sind schon mönchisch entsagende Liebende, asketische Wollüstlinge, die in der Abstinenz eine erhöhte Wonne entdeckt haben, die durch die Marter des Fleisches ihre Genußsucht spiritualisieren, die in den Tiefen der religiösen Mystik die schauerlichsten Seligkeiten suchen, heilige Roués1)." Den Auftakt bildet die brünstige, an Novalis* Totenlied erinnernde Hymne 'Psyche und Galathea', in der Psyche durch „Meer und Gewölk und Azur den liebenden Tod einsaugt" und nur ihn verzehrend sucht. „Alles verbündet, entzündet, Alle die Augen sie saugen, Allen den Brüsten gelüstet's, Alle die Fluten in Glut." Die 'Söhne des Tals' bringen schon einen ersten Höhepunkt. Memento mori durchwaltet das Werk und wird den Templern zur Pflicht, erschöpft auch das religiöse Problem, das zur Wiedergeburt der inneren und äußeren Verklärung weisen soll. „Alles ist zum Sein erkoren, Alles wird durch Tod geboren, Und kein Sandkorn geht verloren." 1
) Heine, Romani. Schule a. a. O. S. 149.
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So ruft der Alte des Tals mit hohler Stimme: das ist das Motiv. Aus Blut und Dunkel quillt Erlösung, das ist die ewige und allgemeingültige Lehre des Tals, der Urquell aller Religion. Alles zu sein, nicht etwas, Gesamtwille, nicht Einzelwille, Vernichtung der Persönlichkeit heißt das Gebot: „Die stolze Ichheit wird ans Kreuz geschlagen." Erst der wird Bruder des Bundes, der das Meisterstück der ewigen Liebe, den Tod, den Silberblick des Lebens verstanden hat. Sich der Sinnenwelt zu entäußern, ist Pflicht. „Die erste H a n d l u n g dieser Selbstentäußerung Ist Reinigung, die l e t z t e i s t der T o d ; Und das, was uns dem Ganzen wiedergibt, Die herrliche Verwesung ist die Krone." Tod (als eigene und letzte Handlung des Menschen) ist Symbol dieser Selbstverleugnung, die auch die „krüpplichte Unsterblichkeit" — man hört Schleiermacher — verdammt, die ja nur ein Fortspinnen des eigenen jämmerlichen Ichs mit allem Unrat ins Unendliche bedeutet. Tod ist in der 'Phosphorlegende' der Heiland aus den Wassern — Werner hatte es in einem Brief so gedeutet — , der aus dem Kerker erlöst, und seine Botin ist die Krankheit, von der schon Novalis sagt, sie gehöre zum menschlichen Vergnügen wie der Tod; und beide befreien sie vom Wahn „zu werden Eins und Etwas; sein Wesen war ins große All zerronnen". Darum nun die Liebe zum Tod, die verzückte Todessehnsucht und die Begierde nach Folter und Schmerz, in deren Ausmalung Werner schwelgt, darum die Erhabenheit des Todes bei Johann von Molay, der den Tod freudig umarmt und fühlt, „daß dies Leben nur Der Liebe Ahnung ist, der Tod ihr Brautkuß — Und sie, die mit der Inbrunst eines Gatten Im Brautgemach, uns vom Gewand entkleidet, Verwesung, Gluterguß der Liebe ist!" Werner setzt den Todesvorgang mit dem der Liebe gleich und schiebt ihn völlig in die bräutliche und sinnliche Sphäre. Er kennt Calderón, auch er nimmt wie Arnim Schlegels Forderung vorweg und erneuert, noch schwungvoller, die barockmäßige Auflösung des Tragischen : die Auflösung in der Form der Verklärung und der Wiedergeburt, die ja das innerste Wesen des Bundes darstellt: darum das Drängen zum schönen Tod in der Märtyrerhoffnung wie bei Calderón, bei Gryphius, bei Hallmann und Lohenstein, jene
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Todbegeisterung, die Molay und seine Brüder erfüllt. Ein Blitz entzündet den Scheiterhaufen, Molay, begeistert in der höchsten Entzückung, das Gesicht und die Hände gen Himmel erhebend, stürzt in die Flammen mit dem R u f : „ Z u Dir! Zu D i r ! " Es sind männliche Märtyrer, die Frauengestalten fehlen, und einzig aus diesem Grund kann Werner hier die Einheit von Liebesund Todeswollust noch nicht zur mystisch erhitzten Höhe steigern, wie dann in den späteren Dramen, dem 'Kreuz an der Ostsee', mit dem symbolischen Untertitel die 'Brautnacht', in der 'Wanda', in 'Attila' und in 'Kunigunde'. Märtyrertum in der todbedrohten Kunigunde, die — für Werners reizsame Natur ein Moment der Wolluststeigerung — in jungfräulicher Ehe mit ihrem Gemahl lebt — , Märtyrertum in der grausigen, keuschen 'Brautnacht', die von Malgona und Warmio, den Opfern der Heiden, im gemeinsamen, qualvollen Opfer- und Flammentod gefeiert wird. Jesusliebe und Liebe zum Geliebten streiten miteinander, und die sinnliche Liebe wird in verzückter Askese zur reinen glutvollen Jesusliebe umgewandelt. Verklärung im Liebestode endet diese Märtyrertragödie, endet auch die romantische Tragödie 'Wanda', in der, wie in allen Werken Werners, die Grundidee gestaltet wird, die als Verkündigung der Geist Libussas ausspricht: „ N u r im Tode wird das Leben kühn". Wanda, gleich Penthesilea den Geliebten verfolgend und mit ihm kämpfend, überlegt: „ I c h kann ihn töten, liebend mit ihm untergehen." Und wie schon ein anderer nach dem Tode von ihrer Hand sich sehnt, so erfleht nun Rüdiger zu ihren Füßen von der Braut den süßen Tod. In Liebeswut stößt sie ihm das Schwert ins Herz; bräutlich geschmückt bringt sie das Liebesopfer dar und in der Verzückung des göttlichen, liebebegeisterten Wahnsinns stürzt sie sich vom Felsen hinab in den Strom, um sich mit dem Geliebten im Tod zu vereinen und um wahr zu machen, was verkündet ist: „Leben ist der Liebe Spiel, Tod der Liebe W e g zum Ziel." Wird hier und im 'Kreuz an der Ostsee' die Hingabe durch Liebestod zur Verkörperung der höheren Einheit von Religion, Grausamkeit und Wollust, so will Werner im 'Attila' die Zweiheit von Wollust und Grausamkeit, die grausame Wollust des Vernichtens allein versinnbildlichen; auch in diesem Stück versenkt er den Vorgang in die Tiefen der dunklen Reizungen,
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durch die Tatsache, daß hier die Brautnacht dem Herrscher nicht der Lust Vollendung bringt, sondern jähes Ende von der Hand der Gezwungenen. Das sinnliche Rachegefühl der Braut steigert sich hier zum Wollustgefühl, weil sie sich an dem grausigen Gegensatz von Brautnacht und Mord berauscht und heimlich und unbewußt die sinnliche, wollüstige Doppeldeutigkeit ihrer Handlung fühlt. „Soll ich mir denn nicht die Wollust gönnen, In der Brautnacht Schauern ihn zu töten." 1 ) In Werners Drama ersteht die Märtyrertragödie des Barockjahrhunderts zu neuem glühenden Leben, sie überbietet diese durch die Wut der Todeswollust und des asketischen Rausches, durch die ekstatische Begeisterung für Dornenkrone und Märtyrerkranz, für rosenroten Kreuzestod und Schmerzensschwerter, und wie hier mystische Jesusliebe noch einmal glühend alles versengt, alles sinnlich-leidenschaftliche Empfinden in sich aufnimmt, so wird nun auch das Todesgefühl und der Todesgedanke nur Quelle, aus der die verdrängte Sinnlichkeit, durch selbstquälerische Einengung und grausame Askese gesteigert, heiß emporsprudelt, dampfend und brodelnd. Das romantische Todesproblem, zunächst bei Novalis und Schlegel in der Liebestodidee geformt, mit dem Unterton des Lustvollen, hat sich allmählich in die religiöse Idee gewandelt, in der sich zwar das lustbetonte Element erhielt, aber doch hinter der frommen Begeisterung für den Heldentod im Dienste Gottes zurücktrat und gleichsam vergeistigt wurde. Auch Werner kennt noch diese himmlische Märtyrerbegeisterung der Krieger im Kampf gegen die Heiden. „Der Ritter lebt für Ruhm — im Kriegertode erkämpft er ihn, drum ist der Tod sein Leben." Aber das bleibt ganz vereinzelt. Aus der vergeistigten Todesliebe frommer Ritterhelden bricht bei ihm alsbald machtvoll der unterdrückte Sinnenstrom hervor. Die romantische Idee der Todesliebe und des Liebestodes erreicht ihren fast pathologischen Höhepunkt, über den hinaus es kein Weiter gibt. Hier wird wirklich alles in Wollust verwandelt, !) Werke: I, S. 1 1 7 - 1 2 2 ; Psyche; Tal, 2. Teil: V, 171f.; 189, 192, 2 0 4 - 2 0 6 , 236, 240, 269, 267; Prolog S. V i l i . Kunegunde: I X , S. 159, 197; Brautnacht VII, 82f., 126, 129, 144, 174, 177, 185. Wanda VII, S. 193, 200, 241, 2 4 3 - 2 4 5 , 247, 252, 254. Attila VIII, S. 100, 105, 107, U l f . , 120.
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alles was Werner berührt „wird zu heißen Balsamfrüchten, . . . Opfern kühner Lust." Werner, als zwanghafter Ausläufer einer mystisch-erotischen Reihe, wird dazu gerissen, Todesrausch zum Todesorgasmus zu steigern. Der Kampf zweier Kulte, zwischen Heidentum und Christentum, den die Romantik, im Trachten nach der mythischen Läuterung himmelwärts gewandter Märtyrer, in Drama und Epos gestaltet, war die Grundlage von Werners 'Kreuz an der Ostsee', von Fouqués Dramen und Romanen. Zu dichterischer Schönheit und Größe erhob diesen Gedanken Brentano in seiner 'Gründung Prags', in der vor allem Calderons Geist lebendig wurde. Es ist keine Märtyrertragödie im eigentlichsten Sinne: wenn aber auch hier eine Jungfrau, Trinitas, den Tod für den Glauben stirbt und so Erfüllung ihrer Sehnsucht wird, so ruht dieser innige Todesgedanke in reiner, keuscher Sphäre, ohne den Hauch wollüstiger Gefühlsverwirrung. Der Tod wird ganz in religiösen, ja in den dogmatischen Bezügen erlebt, denn der reife Brentano, nicht erst der streng kirchliche, erblickt in ihm, wie der gewandelte Schlegel, das große Verhängnis : „Die Sünde trägt des ewigen Todes Blüte". Diese Todesmythologie durchwaltet auch seine mystischen, sich zu den Höhen des Unsichtbaren aufschwingenden 'Romanzen vom Rosenkranz' mit ihrem magischen Bericht der Schöpfungsgeschichte, die ebenso an Böhme wie vor allem an Görres anknüpft. Tod ist der Sold der Sünde, und das Weib hat den Tod geboren1). Aber in den 'Romanzen' bricht doch auch wieder leise des Dichters jugendliches Todempfinden durch: die sinnliche Umkleidung des Todes, die im 'Godwi' zwar kraß betont war, bewahrt sich hier leise, mit einem süßen Schmelz, der an die Todesliebe mittelalterlicher Nonnen gemahnt, mit einer zartén, keusch verhaltenen Innigkeit mittelalterlicher Gottesliebe. Die 13. Romanze erweckt solch heilig süße Stimmung: Rosarose, von dem martervollen Bußgürtel umschlossen, da sie, um Schuld zu sühnen, in jungfräulicher Ehe lebt, liegt auf dem Sterbelager, und der Tod wird sie brechen „zu der Sühnung ew'gem Kranze", wird sie führen in den Rosengarten, „den der Herr in seinem Tode für die Märtyrer Romanzen: Werke ed. Schüddekopf IV, S. 120, 184, 317; dazu G. Müller, Mystik u. Magie in Brentanos Romanzen, Göttingen 1922, S. 64f. über den Einfluß von Görres 'Christi. Mystik' auf das Weltbild der Romanzen. Vgl. auch Werner VII, 176f.
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gepflanzet." „Sei willkommen, Todessonne," spricht die Kranke liebestammelnd; ihr Tod ist wie der einer mystischen Nonne, sie liegt in einem kühlen Tau und badet sich im Tode, wandelt aus dem Haus des Todes zum Antlitz Gottes als des Todes Braut. (Daß Brentano später am Sterbelager einer Stigmatisierten weilt, erhält von hier aus tieferen Sinn.) Man denkt an die langsam „Sterbende" Baldes und an Bernini: hier und dort selig-wonnevolles, heiliges Sterben. Mystik, Barock und Romantik finden immer einen Grundton. Und Biondette-Rosadore in der 15. Romanze singt wie ein Schwan vor dem Tode in schwellenden Tönen ihr wundervoll berauschendes, bräutlich hohes Lied am Lager des todwunden Geliebten, und sie ersticht sich dann, um die Märtyrerkrone zu erringen. „Sei gegrüßt, du Todespfeil 1 Sei gegrüßt mit reinem Munde, Der nie freche Lust getrunken, Keuscher Tod, und keusche Wunde 1 )." Brentano gestaltet hier sein Todesempfinden vor dem religiösen Durchbruch. Es ist jene persönliche Frömmigkeit, die auch seine geistlichen Lieder atmen, Freudigkeit der gottversöhnten und gottliebenden Seele. Aber es ist auch wieder das tiefe und leidvolle Todesgefühl eines Menschen, der von der Schuld in der Welt weiß und darunter leidet, der das arme Leben nur als Thron des ewigen Todes schaut, der aus tiefen Todesgründen zu Maria fleht und sich zum Licht und zur Erlösung von der Erbsünde sehnt, der aus seinem eigenen Schuldgefühl heraus sich erlösen will, wissend, daß das Leben sich emporringen muß „aus dem schweren, tiefen Tod". Denn das Leben ist „Passion". Das Gefühl lastet auf Brentano, schon seit Anfang, noch vor der Wendung, aber es hat wohl auf sie vorbereitet. Das traurige Ahnen um die Schwere des Lebens, da es im verlorenen Paradies ein lichtes gewesen wäre, zittert in Brentanos wundervollem Gedicht Romanzen: IV, S. 309; vgl. auch S. 281 Keuscher Tod. 289 Meliore ¡„Keuscher Tod, den ich erlitten ! Goldne Töne zu mir gehen. Selig in des Himmels Mitten soll ich wieder auferstehen." S. 32, 100. Der Todesengel Asrael S. 207 und die blutige Todessonne 256 sind wohl Erinnerungen an Klopstock. Jene ganze Welt, durchsetzt und geleitet von Schellingscher Naturphilosophie, sucht ja in dieser Zeit Sonnenberg im 'Donatoa' zu vergeistigen, 1806—1807.
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auf den frühen Tod Runges, der, ein schuldloses Kind, dem Schuldvollen wie ein verspätetes Abendrot aus diesem verlorenen Paradies dünkte. „Die Zeit, sie ist die Nacht, in der wir weinen, Der Vorzeit Traum, er ist's, den wir verloren . . . " An Bettina schreibt er im 'Frühlingskranz' Anfang Mai 1802: der Tod sei in jedem Moment des Lebens, „da das Leben nichts ist als das ewige Zurückkehren und Hervorgehen des Lebens aus und in sich in demselben Momente. — Ebenso ist das Leben in jedem Momente des Todes, denn Tod und Leben sind eins; um leben zu können, muß man ewig sterben und um sterben zu können, ewig leben . . . Der Tod b e f e s t i g t das Leben in der Zeit, die Zeit aber selbst ist ein Produkt von uns, denn wir können eine Ewigkeit denken, und Leben ist nichts als Ewigkeit, die wir uns dadurch zueignen, daß wir uns ein Stückchen von ihr mit einem hinten vorgehaltenen Tod auffangen." Brentano deutet in solchen tiefen Sätzen am bewußtesten und ahnungsvollsten, seherisch die ganze innere Tragik der Romantik und ihres dunklen Lebensproblems, daß sie an der Zeit leidet und aus ihr sich sehnt, die sie doch braucht, um leben zu können, daß sie immer wieder ins Leben hinein- und immer wieder herausgetrieben wird und an diesem inneren Zwiespalt zerbricht. Der romantische Mensch darf sich ja nicht in der Zeit vollenden, darf das Schöne hier nur von ferne ersehnen, er muß sich opfern: „Denn, so schreibt Brentano an die Schwester, bloßes vollendetes Dasein ist Tod. — Schönheit ist Tod . . . und Sterben ist nur der Sieg des Größeren zu wissendem Tod oder der allgemeinen Unsterblichkeit." Das gleiche tragische Erlebnis der Vollkommenheit und Schönheit als der „Verführung zum Tode" hatte ja Novalis und auch Schleiermacher in den 'Monologen' angedeutet, und Platen faßt es später in die Verse: „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon anheim gegeben1)." Frühlingskranz ed. H. Amelung, Leipzig 1921, S. 168, 179f. ; 213. Wenn man auch nicht genau bestimmen kann, ob diese Brief stellen tatsächlich von Clemens stammen, so darf man sie doch ruhig als Widerhall seines Todempfindens nehmen; Bettina fühlt darin ganz anders und drückt dies auch aus; vgl. S. 433. Ges. Sehr. II, 301, 303, 379, 483. - Godwi: Werke V, S. 63 „Der einzige Plan meines Lebens, der mir gelingen sollte, sollte der meines Sterbens sein", seltsam anklingend an Nietzsches Zarathustra-Kapitel „Vom
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Die Stimmung der Lebensmüdigkeit beschattet früh Brentano, er will aus den Stürmen des Lebens fort. „Ach, nur in dem Abgrund des Todes ist Ruh." Das sagt der Dichter des stimmungsschweren „Es ist ein Schnitter, der heißt Tod", sagt es im „verwilderten" Roman, im 'Godwi\ tief durchdrungen von der Gewißheit, daß der Tod dem Leben als ein Unverbrüchliches angehöre, daß kein Gegensatz zwischen ihnen sei, sondern Einheit. Darum — so heißt es einmal dionysisch — werde die christliche Religion — das ist die katholische, denn die protestantische sei keine Religion sondern nur bequeme Anstalt, keine zu haben — vor dem Leben zugrunde gehen, da sie keine Religion des Lebens, sondern der Auferstehung und Erinnerung sei, die heidnische aber würde länger sein als das Leben, weil sie Leben und Tod umfasse. Aber die Romantik wollte ja die Erinnerung und nicht die Gegenwart, und wenn Brentano noch im 'Godwi' das Geniessen des vom Tod umwundenen Diesseits predigte, wie später Apone in der 9. Rosenkranzromanze, so war das sicher nur eine Seite seines Wesens, das doch so tief die Sehnsucht nach dem Anderen empfand. Später wandelte sich Brentano notwendig wie Schlegel zu dieser Religion der Auferstehung und Verklärung, die zugleich Erinnerung war, Erinnerung an das Ersehnte und Hoffnung auf seine Wiedererlangung. Aber die Keime zu solch wachstümlichen Wandlung sind schon im 'Godwi' sichtbar. „Das Leben zieht gewaltsam zurück, wenn man sieht, wie ein Freund nach dem Ziel der Bestimmung gegangen ist. Wir sterben auch im Leben . . . und immer gebärt nur die Liebe wieder, denn Leben ohne solche Liebe wäre wirklicher Tod." „Nur im Tode wird geboren", und so kann man fragen: „Ist der Tod nicht eine Genesung und Liebe nicht der Tod?" Auch Brentano tastet also nach der Einheit von Liebe und Tod, da sie Hingabe und Auflösung bedeuten, und sieht in ihnen ein mystisches Wechselspiel. „ 0 Liebe, o Tod", so heißt es einmal an Bettina. Die heiße Sinnlichkeit des Liebesnarren Brentano, welche die Günderode so abstieß, daß sie ihn „aus dem P a r a d i e s des Vertrauens" wies, sie waltet keusch verhalten in dem heiligen Sterben seiner Romanzen, dort drängt sie nur freien Tode." Godwi S. 64, 66, 96, 111, 114f., 116f„ 119, 121, 155, 298, 300-302, 340, 342f., 357, 427, 431, 474. - Schönheit als „Verführung zum Tode": vgl. E. B e r t r a m , Nietzsche, 1919, S. 265ff.; neben Platen dann C. F. Meyer, Nietzsche, Th. Mann, Rilke.
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hervor in der berauschenden Wollust der Strophen; im 'Godwi' strömt sie frei; Liebestod ersinnt auch Brentano, aber nur zaghaft andeutend und frei von der schwelenden Brunst eines Werner, und nur in Bildern: wenn er von Pfeilen spricht, „die ihm das Innere mit süßem Tode impften" oder sagt: „im Strahle seiner Augen trinkt sie den Tod in lusterschlossene Wunden", oder: „o süßer Tod in Liebe neu geboren." Solche Wendungen gemahnen an die bräutliche Sphäre der Jesusliebe und des Hohen Liedes und sind wie ein Vorklang jener wundervoll sinngebändigten Strophen und Lieder der Romanzen. Brentano berührt sich darin von ferne mit der mittelalterlichen und mit der barocken religiösen Liebeslyrik eines Spee und Angelus Silesius. Brentanos Todempfinden war von früh an leidvoll und tief, es war subjektiv zunächst, eben romantisch, aber doch so, daß es nie von selbst in eigentlich fromme, objektiv-dogmatische Bahnen mündete, ohne Einbuße des Persönlichen zu erleiden. Der Tod wurde ihm Heilstatsache und Einschnitt im Heilsweg, der schon auf den Weg zurückwirken soll. Und dann das andere : die Forderung, dem Tod entgegenzureifen, nicht nur unbewußt, da jedes Leben in sich den Todeskeim trägt, sondern auch bewußt, weil das Leben die Passion ist, der Tod aber Sold der Sünde und also Buße. Es war ihm später ernst mit seinem Ringen aus Schuld und Sünde, und wirklich sah er auch dann den Tod bei aller Todessehnsucht mit dem wehmutvollen Blick des reuigen Menschen, der zerknirscht und seiner Fehl bewußt das Schicksal auf sich nimmt, aber mit freudigem Hoffen. Übertrug Werner das Todesempfinden in das Geschlechtliche, so nun Tieck, in manchem Arnim verwandt, ins Dämonisch-Schauerliche und ins Geheimnisvolle. Todessymbole spielen eine große Rolle in seiner Jugend: Kirchhof, Grab und Gruft dämonisieren das Naturbild und die Landschaft, auch die Seelenlandschaft. So berührt sich Tieck mit der Kunstübung des Trivialromans, dem er in seiner ersten Schaffensperiode überhaupt innerlich nahe stand. Wie sehr gerade sein frühes zerrissenes Todesempfinden von solchen Erzeugnissen aus der literarischen Unterschicht angestachelt und aufgepeischt, wie dadurch seine ganze Weltansicht unterwühlt wurde, dafür zeugt der lange Brief an Wackenroder vom 12. Juni 1792, in dem er von der ihn an den Rand des Wahnsinns zwingenden Lektüre eines solchen, mit Todessymbolen durch-
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setzten Machwerkes, nämlich des 'Genuis' von Grosse, berichtet: er glaubte sich in das Reich des Todes versetzt, in ein weites Todesgewölbe mit Särgen und schimmernden Gebeinen, in dem ihn alle Schrecken des Todes und der Verwesung umgaben. Seine aufgeregte und ausschweifende Phantasie aber steigerte sich bewußt in solche Schreckerlebnisse hinein und genoß wollüstig die Schauder, wenn es ihn zaghaft an den Rand lockte, in die nächtlichen Seelenbezirke, wenn er in sein eigenes rätselhaftes Innere sehen konnte. Das war ihm, trotz aller Angst, eine Lebensnotwendigkeit. W a s einmal eine Gestalt seiner Novellen sagt, das ist sein Jugenderlebnis: „ I c h will meine Phantasie und meine Gesundheit zerrütten, bis ich reif für den Tod bin." Aus solchen Zuständen flössen seine ersten Dichtwerke, die sich nun in Nacht, Grauen und Dämonie bewegen, und aus solcher Gemütsstimmung heraus konnte er wohl ernstlich schreiben: „Sterben zu können, der einzige Augenblick, in welchem ich gewiß glücklich sein werde." Das war die düstere Traurigkeit, die dann Wackenroder so schwer bedrückte. Dieser innigste Freund sah tief in ihn hinein, spürte, wie sich Tieck willentlich zerrüttete, das Leben nicht achtete und sich als einen der Welt schon Abgestorbenen betrachtete, „der in einem gleichgültigen Mittelzustand lebt, alles um sich her wie aus dem Grabe, wie durch das Gitterfenster eines düsteren Gewölbes ansieht." Treffender kann man Tiecks krankhafte Lage nicht herausfühlen. Wackenroder sah auch, daß das alles bewußte Aufpeitschung an die Grenzen der Besinnung war, und er hielt das dem Freund auch in einem Antwortbrief vor. Grauen vor Vernichtung, vor Selbstvernichtung jagten den jungen, frühreifen Menschen, Schwermut legte sich düster über seine Seele, und noch bis tief ins Alter hinein litt Tieck unter solch trüben Stimmungen, er, der reizbarste und empfindlichste aller Romantiker. Der 'Lovell' spiegelt getreulich dieses Bild früher innerer Zerrissenheit wider: das frivole Spiel mit den tiefsten und wichtigsten Angelegenheiten des Daseins ist es, dem sich alles zum leeren, grotesken Traumbild, zur Ironie verflüchtigt, dem alles sinnloser Zufall wird, „Farce, der nüchterne Abhub einer alten, besseren Existenz, eine Kinderkomödie, Extempore, eine schlechte Nachäff ung eines eigentlichen Lebens." Der so spricht, muß selbst einen tiefen Blick in das Tal des Todes hinabgetan haben und glauben, daß das Leben sinnlos sei gegenüber dem Tod, daß also
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nichts daran liege, „wenn einer sich um einige Tage früher in die Erde legt". Aber er weiß auch: „Tod könnte nicht ohne Leben und Leben nicht ohne Tod sein." Der Tod wird dämonisch, weil hinter ihm ein Dunkles, Unbekanntes liegt; man weiß nichts Genaues davon, aber der Gedanke der Nichtexistenz wäre nicht undenkbar, und der innige Wunsch nach Unsterblichkeit, das Gefühl, das in ferne, unbekannte Regionen hinüberdrängt, sprechen für die Fortdauer der Seele, ja auch für ihr Dasein, denn auch hieran zweifelt man. „Der Tod zerreißt vielleicht die Fesseln, und die Seele des Menschen wird geboren." Vielleicht! Tieck läßt es im Ungewissen und damit im Geheimnisvollen, denn dies „Vielleicht" wird ihm einzige Lebensmöglichkeit, nur in dieser Schicht kann er sich mit der Welt und mit dem Tod auseinandersetzen, weil er in ihr weicher eingebettet ist, weil hier Zufall, Schicksal und Notwendigkeit erträglicher werden. Der Mensch kennt sein eigenes Selbst nicht; auch aus dem Dunkel des Inneren, nicht nur aus der Umgebung und dem Oben wachsen ihm Dämonie und Schauer. Lebensproblem — das ist das Rätsel des Daseins, die willenlose und willenlähmende Verkettung an ein Schicksal. „Welch* ein Leben ist dies, in dem wir die Hoffnung, wie eine bedeutende Arznei, gebrauchen müssen, damit wir nur von unserem eigentlichen Selbst und von unserem wahren Leben nichts gewahr werden," heißt es 1795 im „Karl von Berneck." Leben ist Traum, Spiel und Rauch und eigentlich gar kein Problem und so auch nicht der Tod; denn alles Philosophische lag Tieck fern, und auch die Beziehung von Liebe und Tod taucht bei ihm nur am Rand, in einigen Gedichten auf. Er wollte das Über- und Untersinnliche, das Irrationale in einer sehr handgreiflichen Form; man redet oft von Sterben und Tod und denkt nicht daran, was es eigentlich zu bedeuten habe, bis man plötzlich das „Wunderentsetzliche" dieser Begriffe schaudernd fühlt. So geht es Friederike in der eigentlichsten Todesnovelle Tiecks, den 'Sieben Weibern des Blaubart' (1797), die alle über den Tod nachdenken, den Tod wünschen und fürchten. „Was wir Leben nennen, ist nur ein Wunsch nach dem Tode, nach dem wir innerlich streben und uns geheimnisvoll darnach sehnen; aber äußerlich erschrickt wieder der arme Mensch vor dem schrecklichen
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Bilde, das sich ihm aus der Finsternis entgegenstreckt 1 )." Der Grundkern des Verhältnisses zum Tod ist wie im Trivialroman tatsächlich, eben körperlich greifbar: Mord. Und nur wo aus diesem lebenbedrohenden Schicksal Angst aufquillt, hat die Reflexion Platz, aber auch nur unmittelbar beeinflußt von dem kommenden körperlichen Ereignis. Der Tod wird aus der Sphäre des Gedanklichen, in der er bei den anderen ruht, herausgezerrt und in die Wirklichkeit gehoben, als Mord, Leiche und Verwesung oder als Vision des eigenen Begräbnisses; so ist der letzte Schritt nicht mehr fern, daß der Tod selbst wieder auftritt und in die Kammer mit nacktem Gebiß und leeren Augenhöhlen schleicht. Nicht umsonst taucht jetzt auch die mittelalterliche Todesdarstellung mit ihrer realistischen Versinnlichung wieder auf: im 'Sternbald' wird das Todesgemälde auf dem Campo Santo in Pisa beschrieben, Zacharias Werner gestaltet den Inhalt des Gemäldes, bezeichnend gerade die linke Seite, auf der die Verwesung herrscht, zu einer Schauerballade, 'Der Sieg des Todes', und Wackenroder erzählt in den 'Herzensergießungen' nach Vasari von den Seltsamkeiten des alten Malers Piero di Cosimo, der in Florenz einen Totenaufzug in dämmernder Nacht veranstaltet, mit schwarzem Wagen, auf dem oben die mächtige, große Siegergestalt des Todes thront. Und so schreitet denn auch in 'Leben und Tod der heil. Genoveva' der Tod über die Bühne: Mittelalter erwacht wieder, nicht nur im Todesgedanken des Märtyrers, sondern auch im realistischen Gedanken des Totentanzes 2 ). Der finstere Tod, Wackenroder, Werke und Briefe ed. v. d. Leyen, Jena 1910, II, S. 46, 5 2 f 7 0 f f . - Lovell, Leipzig 1796, II, S. 231f„ 234, 258f.; III, 87, 281, 378ff. u. ö. M. T h a l m a n n , Probleme der Dämonie in Tiecks Schriften, Weimar 1919, untersucht S. 74—91 seine Beziehungen zum Trivialroman; S. 51 — 53 Tod. Schriften X I , 113 Berneck; I X , (Blaubart) S. 101, 154, 158, 165, 168, 192, 194, 227ff., 235. a ) Sternbald X V I , S. 304ff. ; Werners Ballade II, 9 3 - 9 7 . Wackenroder, Herzensergießungen a. a. O. I, S. 74ff. ; Genoveva ed. Welti S. 15, 77, 103, 104, 171, 173, 198. J. R a n f t l , Tiecks Genoveva, Graz 1899, S. I l l will den „Tod" auf Calderone Allegorien allgemein zurückführen. Von einer Totentanzdichtung der Romantik (Buchheit a. a. O. S. 204) ist dem Verf. sonst nichts bekannt geworden. — Es ist bezeichnend, daß sowohl Tieck wie A. W. Schlegel gerade die Allegorien von Tod und Sünde in Miltons „Verlorenem Paradies"
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der Schnitter und Wegweiser in das schöne Land kommt zu Genoveva, um ihr das Stündlein zu sagen und sie zu holen. In der Wechselrede und in der Sprache erinnert manches von ferne an die alten Totentanzverse. Doch der Tod kommt noch zu früh, er darf die Blume noch nicht nehmen, sanfter Tod soll Genoveva werden, Verklärung nach dem martervollen Leiden: Calderón wirkt auch hier. Im Kerker war sie gefangen, nun bringt der Tod ihr köstlichen Gewinn, ihr, die schon früh sich innig in die Leiden Christi versenkt hatte: „seitdem ist Tod ein blütenvolles Leben." Tod ist nur Strom, der hinüberleitet, und Marterdornen sind schimmervolle Kronen. Und der heil. Bonifacius verkündet, daß das sündige Menschenkind durch den Tod das himmlische Leben erben könne. Es ist die gläubige und innige Andacht versöhnter Seelen, ist mittelalterliche Stimmung, die Tieck, der sich in alles Verwandelnde und alles Erfühlende, hier so wundersam keusch und zart erwecken kann, freilich nicht so von innen heraus wie Brentano, sondern eher in der Art Schlegels. Er gibt hier wohl wenig Eigenes, aber man sieht, wie er danach strebt, sein Todempfinden zu beruhigen, und wie ihm nun dies beruhigte und von allem Dämonischen befreite Empfinden hilft, sich in mittelalterliches Todesgefühl hineinzuversenken Das aber wollte er immer glauben und diese, im Christentum symbolisch gedeutete Tod- und Weltansicht sich für sein Dasein bewahren: „Nur Phantasie schaut in das ew'ge Weben, Wie stets dem Tod erblüht vergnügtes Leben." So sprach Tieck um 1800, in einer Zeit, da er plötzlich in einer merkwürdigen Deutung Schleiermacherscher Gedanken aus den 'Reden' und 'Monologen' die Gegenwart und den Augenblick für ewig und unvergänglich erklärt, und ebenso all das, was Kunst war und auch das zum Kunstwerk verwandelte Leben. Jetzt schalt er in einem Aufsatz von 1799 aus den 'Phantasien', überschrieben 'Die Ewigkeit der Kunst', die Art, den Tod jedem anerkennen: P i z z o a. a. O. S. 139, 141. Schlegel DLD. S. 206; Tieck an Solger (Nachgel. Sehr. I, S. 453), und ebenso bezeichnend, daß Schlegel den Hauptmangel des Gedichtes im Fehlen der „religiösen Mystik und symbolischen Naturansicht" sieht, besondere in der Behandlung des Sündenfalls, dieser „ewigen Hieroglyphe". Ebd. S. 208.
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Leben beizumischen, manierierte Poesie 1 ). Man meint, Tieck kämpfe hier gegen sich selbst, gegen seine bisherige Dichtung und Lebensdeutung in einem Akt verzweifelter Nothilfe, gegen die einbrechenden Mächte der Finsternis, des Todes und der Vergänglichkeit, die ihm einen Schatten auf alle glänzenden Lebensstellen zu werfen zwingen. E r spielt die Rolle des Lebensmächtigen und redet sich ein, das Leben sei ihm hell und der Blick in die Welt unbefangen, und es gäbe keinen Tod und kein Rätsel; die Vorstellung der Vernichtung dürfe nicht triumphieren, und die Gewalt sei desto furchtbarer, je rätselhafter und unverständlicher sie erscheine. Aber gerade diese rätselhafte, unverständliche Gewalt der Dämonie, sie war es ja, die er suchte und brauchte und nicht abschütteln konnte, die ihn zwang, immer das Irrationale und Problematische des Lebens zu sehen. Er durfte die Augen nicht davor verschließen und sollte immer den Tod, das Vergängliche und die Zukunft hinter allem erblicken. „ T o d und Bild der zukünftigen Ewigkeit sind der wahren Kunst entgegengesetzt, sie heben sie auf und zerstören sie, denn sie schieben dem Geistigsten, in sich Fertigsten einen groben Stoff als notwendige Bedingung unter, da die Kunst in sich keine Bedingungen kennt und ihr Ganzes keine Teile h a t . " Auch Tiecks Tragik liegt beschlossen in jenem Wissen um das Leiden an der Zeit und der Vergänglichkeit, das er doch wieder braucht, um zu werden. Durch solches Wissen wird die Romantik so todhellsichtig und todesnahe. Die Irrationalität des Seins, durch das überall der Tod hervordunkelt und das wie eine unendliche Melodie früher oder später verstummt, ist das tiefe Erlebnis Tiecks — es schwingt in seinem Gedicht 'Der Tod' —, und er macht es auch zu dem seiner Gestalten in den späteren Novellen. „ W a s ist T o d ? Was ist Leben, es ist kein Unterschied mehr, jedes ist nur eine andere Offenbarung des Lebens." Sterben ist ein Fallen des Vorhangs, aber auch eine Neugeburt. Tod und Leben sind unzertrennlich miteinander vermählt, erst im Tode findet der Mensch das höchste Leben, das ist der Wahn und die dunkle Hoffnung. „Wo ist die Scheidemauer zwischen Leben und T o d ? " so fragt einmal einer jener Menschen und das ist bezeichnend: denn so wie dieser streifen 1 ) Wackenroder a. a. Ο. I, S. 270—273. Die 'Monologen' sind wzar erst 1800 erschienen, doch konnte Tieck mündlich von Schleiermachers Gedanken erfahren.
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sie alle in ihren Gedanken an der Grenze von Bewußtem und Unbewußtem, von Vernunft und Wahnsinn, von Leben und Tod. Diese Menschen, ahnungsvoll getrieben, tasten an allem, am Dasein und an ihrer rätselhaften Bestimmung, sterben zu müssen, sie mühen sich um Erkenntnis ihres eigenen fernen und tiefen Wesens, „ w o Bewußtsein und Gedanke nicht hinreichen", und erwachen mit ahnungsvollen Fragen, die unendlich sinnbildhaft sind. „Sollte es denn so schwer sein, zu sterben und das ängstigende Buch zu schließen, ohne alle Blätter desselben zu lesen", fragt die rätselhafte Vittoria Accorombona, die später erkennt: „ W o h l ist im Tode erst Einigung und Leben". Und in dem Gedicht 'Ernst und Trauer des Lebens' scheint ihr dies Leben ein Zustand, der mit dem Tode verwandt ist und den die Menschen doch Leben nennen. Sie sehnen sich wohl nach der Zeit, wo wirklich noch Leben im Leben war, wo Dauer und Leben noch geeint und der Tod sie noch nicht getrennt hatte. Der Gedanke aus dem 'Blaubart', nichtswürdig müsse der Mensen sein, wenn er nicht endlich von sich selbst erlöst würde, taucht wieder auf; darum die Todessehnsucht und der magische Wille zum Sterben in einer bestimmten Zeit, der feste Glaube an baldigen Tod, wie bei Novalis, mit dessen Ideen Tieck ja durch seine Herausgebertätigkeit vertraut war. Traumhafte Ahnungen sind seinen Gestalten eigen, die ans Magische im Sinne des Novalis grenzen : ob Sterben und Leben am Ende nicht ein freiwilliger Actus, ob Tod nicht eine scheinbare Auflösung eines Rätsels sei, „indem ein Höheres, Innigeres, noch Unbegreiflicheres an dessen Stelle tritt," ein neuer Vorhang. Dann wieder formt Tieck kühn das Problem im 'Pietro von Apone': die durch Zauberkünste Neubelebte will wieder sterben und läßt alle K u n s t an ihrer Sehnsucht zum Tod zerbrechen: „ A c h , das Leben! Wie kann der es wieder suchen, der schon davon gelöst w a r ? Du Armer fassest die tiefe Sehnsucht nicht, die Liebe, das Entzücken, womit ich den Tod denke und wünsche." Tiecks Menschen tasten an das Dunkel ihrer Seele, bis an die Nähe ihres Geheimnisses, bang, fragend und lauschend, in dem „innersten K e l c h " süße Betäubung der Wonne schlürfend. „ I s t nicht diese Wollust vielleicht in dem, was die Menschen Tod nennen? R u h t das schönste Leben, die seligste Entzückung wohl in jenem dunklen Unterbewußten, vor dem die Seele am Tage so oft schaudern will? Vielleicht nur darum, weil
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sie vor der Freude zittert, sich dort in innigster Kraft und seligster Genügsamkeit wiederzufinden?" Es gibt kein Untergehen, keinen Tod. Mysterien liegen drüben, „der Übergang des Todes ist die Einweihung zu diesen Mysterien." Diese irrationale Grundhaltung zum Tode blieb Tieck bis an sein Ende, eine Haltung, die rein menschlich nach dem Rätsel des Daseins sann, alles, hier und drüben, den Tod mit einem magischdämonischen Schauer umgab, aber auch mit einem leisen dunklen Schleier, der sich über diese gegebene rätselhafte Einheit von Leben und Tod breitete. Eine große Frage, ein Ahnden, war sein Werk und sein Leben, „Ahndung" war sein ihm liebstes, weil ein öffnendes Wort. Ohne Rätsel erschien ihm das Leben schal, jenes Leben, das ihm ewig anziehend blieb, weil es Geheimnisse in sich barg und das größte dazu, welches dem Menschen als letztes entgegendunkelt: den Tod. — Resignation vor dem ganzen hohen Lebensrätsel war ihm das Höchste, was der Mensch erreichen kann. „Sie ist das Hingeben an den unerforschlichen Willen eines höchsten, unsichtbaren Wesens . . . das sind die höchsten Stimmungen, welche der Mensch überhaupt haben kann." Tieck war ein ewig Rätselnder und Fragender, aber ein ehrfurchtsvoll Fragender, und so konnte er sagen: „Die letzte, höchste Skepsis führt zur Resignation, und diese ist Glaube1)." Dieser Glaube ist das Absolute und Leitende in der Melodie des ewig sich wandelnden Lebens. Man muß bekennen, daß Jean Paul, Kleist und Hölderlin der Geistesgeschichte von jeher Verlegenheit bereitet haben, wenn man danach trachtete, sie in ihren Gang einzuordnen. Sie scheinen für immer sich einsinniger Reihung zu entziehen, sind Außenseiter, die an der Grenze zu stehen scheinen, Eigenwillige und Großwüchsige, die sich nicht bequemen wollen. Befragt man sie aber um ihre Stellung zu den großen Daseinsfragen, Novellen: X I X , Tod des Dichters S. 267, 269, 271, 283, 2881; 419. XX, Hexensabbath S. 263, 309f., 314f., 317; Χ Χ Ι Π , Pietro, S. 306, 340, 344. XXIV, Alte vom Berg S. 211f., 237, 238f.; XXVIII, Tischlermeister, S. 420, 423. — Vittoria Accorombona (Inselverlag) S. 22, 113, 250, 260, 297, 379. - R ö p k e , Tieck II, 255ff. : Resignation; darüber nun H. Mörtl, Ironie und Resignation in Tiecks Alterswerken, Ztschr. f. öster. Mittelschulen II, 1925, S. 61 — 94. „Der Tod": Gedichte II, 1834, S. 243.
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eben zu Leben und Tod überhaupt, so enthüllen sie plötzlich, und müssen es auch, ihr innerstes und eigenstes, ihr irrationales Wesen, und so mit einem Male rücken sie der Romantik nahe, wenn sie auch alle drei Seitenkapellen in diesem großen Dome haben, wenn sie wie Jean Paul auf der Schwelle von Empfindsamkeit und Romantik stehen. Sie halten sich, als vornehme Naturen und hohe Menschen, fern der Gemeinschaft, adlig auch noch dort, wo der Mensch sein Wesen zu erweisen hat, dem Tod gegenüber und im Tode. Daß der Tod dann überhaupt eine solch mittelste und beherrschende Stelle einnimmt und der Gedanke des Todes sie so im Innersten trifft und aufwühlt, das erweist ja gerade ihre metaphysische Haltung; man darf sie so gegen die Klassik zu der Romantik stellen. Und wo wäre dies berechtigter als bei Jean Pauls „hohen Menschen", deren Kennzeichen und symbolischer Ausdruck es doch ist: „Erhebung über die Erde, das Gefühl der Geringfügigkeit alles irdischen Tuns . . . der Wunsch des Todes und der Blick über die Wolken." So liest man in der 'Unsichtbaren Loge', und wirklich taucht der Wunsch des Todes und der Wille zum Sterben immer wieder bei diesen seltsam beflügelten Menschen auf, nicht als traurig düstere Todsüchtigkeit oder gar als mystischmagische Todeswollust, sondern als hoher gefühlshafter Schwung über das Leben hinauf zum Reinen und Göttlichen, Todeswunsch nicht um des Todes willen, nicht mit mystischen Schauern und dem dunklen Drang nach unten, sondern Wunsch um dessentwillen, was hinter dem Tode liegt, um der Ewigkeit und der Unsterblichkeit willen. Das ist gewissermaßen eine vorromantische Stimmung, die aber durch eine gewisse Bewußtheit doch nicht mehr sich ganz mit der eigentlich empfindsamen deckt; sie weist schon Züge auf, die dann besonders von Novalis ganz ins Romantische weitergewandelt werden1). Todessehnsucht ist hier Sehnsucht nach dem 1
) Dazu R. U n g e r , Jean Paul und Novalis, Jean-Paul-Jahrbuch I (1925), S. 1 3 4 - 1 4 8 ; bes. S. 144ff. - Allgemein: V. B a c h m a n n , Die religiöse Gedankenwelt Jean Pauls, Diss. Erlangen 1914, S. 117 bis 137 Unsterblichkeitsglaube und Jenseitshoffnung; J. A l t , Jean Pauls Wissen um Gott, Unsterblichkeit und Tugend, Zeitwende I (1925) 2. Band, S. 1 7 3 - 1 8 5 ; M. S u s m a n n , Das Problem der Unsterblichkeit bei Jean Paul, Jahrbuch a. a. O. S. 55 — 77; W. M e i e r , Tod und Freundschaft im Werke Jean Pauls, Wissen und Leben X V I I (1924), S. 7 6 8 - 7 9 0 . - Zum Liebestod: K r e b s a. a. O. S. 123ff.
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Hohen und Reinen der Seele und das Ahnen um eine Steigerung drüben; Tod ist nicht Ende, sondern nur beflügelter Durchgang im Streben der Seele, des Geistes, von der niederdrückenden Last des Körpers, des Tierischen befreit zu werden. Platonische Ideen tauchen auf, der Körper erscheint als Gefängnis und als ein Fremdes, Tod ist Freiwerden des Ätherleibs, „der Ätherhülle" vom Erdenleib. Und darum, aus solcher Einsicht heraus, denken diese „hohen Menschen" soviel an den Tod, als die wahre Beschäftigung des Menschen und Philosophen. Jean Paul hatte früh das aufrüttelnde Erlebnis; es kam ihm von außen zu durch den Tod zweier Freunde, 1786 und 1790. Dies ist einer von den Augenblicken, die ihn an den Rand des Seins leiten und plötzlich für kurz die Aussichten ins Unendliche freimachen: er tat einen tiefen Blick hinein, so wie es Schleiermacher später forderte. Am 15. November 1790 schreibt er, den Wendepunkt selbst bewußt empfindend: „Wichtigster Abend meines Lebens: denn ich empfand den Gedanken des Todes, daß es schlechterdings kein Unterschied ist, ob ich morgen oder in dreißig Jahren sterbe." Und am nächsten Tage: „Ich richte mich wieder auf, daß der Tod das Geschenk einer neuen Welt sei und die unwahrscheinliche Vernichtung ein Schlaf." Aus der Vernichtung wächst ihm die Hoffnung der Ewigkeit und der Zukunft; der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele ist fortan fest und unerschütterlich und erwächst auch notwendig aus der seelischen Lage seiner „hohen Menschen" heraus. Ihre ideale Empfindsamkeit, ihr hohes Seelentum, das so oft zur Seelenschwelgerei wird, hebt sie hinaus über die Erde und heißt sie nicht nur in ihren hohen Momenten hoffen; so ist ihr Wunsch nach dem Tode ethisch unterbaut. Daß Jean Paul ihn bitter erlebt hat, fühlt man schon aus den bildhaften Umschreibungen: Eisberg, Keule des Todes, Wetterstrahl und Eishand des Todes, sausende Todeskatarakte, Todeseis und anderen; aber dahinter wogt das Hohe und Schöne, auch die Schönheit des Sterbens. Und dann: den Tod ersehnt auch die ätherische Liebe, weil nun, wenn die Seelen frei aller Körperlast sind, die Zueinanderstrebenden sich erst ganz vereinigen können. Alles Leibliche fällt ab, Jean Paul wendet den Liebestodgedanken vollends ins Seelisch-Geistige. Hohes Seelentum waltet auch hier, und jeder Gedanke an Körperliches oder Geschlechtliches bleibt seinen
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Vorstellungen fern. Er bildet so den genauen Gegensatz zu Werner und auch zu Friedrich Schlegel. In der 'Unsichtbaren Loge' sagt Ottokar: „Fleisch und Beingitter stehen zwischen allen Menschenseelen, und doch kann der Mensch wähnen, es gäbe auf Erden Umarmungen, da nur Gitter zusammenstoßen, und hinter ihnen die eine Seele die andere nur denkt." Der Tod aber reißt diese Gitter ein, und die Seelen rauschen und fließen und wallen zueinander: in jenem wundervollen Traum am Grabe des Amandus ahnt Gustav, daß erst im Tode die Zweiheit zur Einheit und erst drüben die wahre und seelenvolle Liebe möglich wird. Wie Freundschaft, so ist auch der Tod einer der höchsten und erhabensten Momente, weil er über die Erde „erhebt", nicht nur den Sterbenden, sondern auch die Zurückbleibenden, weil hier der Blick in das unsichtbare Reich, in die Wolken geöffnet wird. Jean Paul sieht den Tod in Verklärung und in schöner Heiligkeit: so sterben auch seine Menschen, schön und heilig. Der Tod weckt die Kräfte, das Wonne- und Glanzgefühl der Hellsehenden ist häufig auf das sterbende Antlitz gemalt, und unter innerem, seligem Zerfließen lösen sich die Seelen vom Leben. Es ist Verklärung und letzte Verschönerung durch den magnetisierten Zaubertrank des Sterbens nach dem schweren Schlaftrunk des Lebens, ist auch moralische Verschönerung. Neben dem irdischen Todeseis aber wogen die Auen eines neuen Frühlings. Denn Jean Paul sieht immer die Unsterblichkeit, und ihr Bewußtsein verklärt noch schön die letzten Stunden des Lebens. „So wird immer mehr das Sterben zu einem Genesen und das hohle harte Grab zu einem vollen wogenden Hafen des Abschiffens und so, wie dem Schiffer die neue Welt bei dem ersten Blick nur als ein dunkler Streifen am Horizont erscheint, so ruht die neue Jenseitswelt vor dem brechenden Auge nur als eine Wolke, bis sie durch Annähern sich zu Palmen und Blumen entwickelt." Darum nennt Jean Paul das Sterbezimmer eine Sakristei; er weiht den Tod, wie er das Leben in hohen Momenten weiht. Er wird geweiht durch den Glauben an Unsterblichkeit, dessen wahren Inhalt man erst plötzlich, „in einer großen Minute", staunend erkennt. Es ist die Unsterblichkeitshoffnung, wie Jean Paul sie im 'Kampanertal'und in der 'Seiina' darlegt, als ein Empfinden der Sehnsucht im Fluge gegen den nächtlichen Himmel zu den Sternen hinauf, wie ihn Gione und wie ihn dann die beiden Anderen
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symbolisch in den blauen Äther hinein tun, voll heiliger Rührung und voll Ahnen der Ewigkeit, gelöst und entrückt von Erde und Zeit, ein seliges Schweben und Erwachen zum wahren Leben. Darum heißt es auch: „Leben ist Tod, Tod ist Erlösung." Der Tod erweitert die Menschen und die Seelen; so wie der Mensch, der gen Himmel steigt, sich erweitert und sich allem Sichtbaren öffnet, so öffnet und entgrenzt auch der Tod im Unendlichkeitsempfinden und in der Seligkeitsahnung. Das alles wächst aus dem Todesgefühl heraus, keimend und zukunftsfroh, und darum dann auch die erschütternde 'Klage ohne Trost', von jenem gedichtet, der das Ambrosiabrot, dessen Genuß Unsterblichkeit verleiht, nie gebrochen hatte, der nicht die Unsterblichkeit der Seele glauben kann, sondern nur Vernichtung sieht ohne den Trost, und der doch glauben möchte. Transzendentale Humanität, wie Herder, wie Novalis, Veredelung nach dem Tod, das ist Unsterblichkeit, und gegen Kants Unsterblichkeitsbeweis, den er schon im 'Kampanertal' angreift, sagt Jean Paul in der 'Selina': „Wir wollen ja die Unsterblichkeit nicht als Lohn der Tugend, sondern zur Fortdauer der Tugend1)." Vernichtungsglaube wandelt sich in Unsterblichkeitshoffnung; aus dem Leben, das Tod, das „ewiges Verleben und Überleben jeder einzelnen Minute, also ein ewiges Ersterben und Erstehen" ist, keimt das wahre Leben in der Ewigkeit, aus der die Zeit genommen ist, Zeit, die Quelle unabsehüchen Fortstrebens. Zeit wird Ewigkeit. Jean Paul wußte tief und schwer vom Tode; aber aus dieser Todesbewußtheit, aus der Gewißheit der tieferen Einheit von Tod und Leben schöpft er den Glauben an das Leben jenseits des Todes, und dieser selbst war ihm verklärt durch den Glanz, den die Ewigkeit auf diesen Durchblick noch zurückwarf. Darum liebte er den Tod, und dieser Glanz schien ihm alles Dunkel des Endes zu überstrahlen. Bettina berichtet von ihrer Freundin Günderode, ihr heißester Wunsch sei gewesen, früh zu sterben. Bettina hielt ihr zwar entgegen: „Wer mit Gräbern sich vermählt, der kann leicht wahnsinnig werden den Lebenden." „Leben muß man immer wollen, Hempel I, 184, bis 234, 238; vgl. auch - Kampanertal: 39, S. 17f.; 39, 49, 61, 68, 98,
233; V I I - X , S. 41, 68, 400; 1 1 - 1 4 , S. 230 44, 39ff.; 4 5 - 4 7 , 262, 294ff.; 48, S. 2 9 - 3 8 . 11, 17, 32 (Kant), 41f.; 53ff.; Selina 60, S. 14, 162, 179, 182, 188, 190ff., 195, 200, 2 0 8 - 2 1 4 .
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denn wenn der Tod kommt, das ist gerade, wo die Jugend sich mündig fühlt zur Unsterblichkeit; wessen Jugend aber früh abstirbt, wie kann der unsterblich werden." Das war die Ansicht einer solchen, die immer auf Unsterblichkeit, wie ihr geliebter Plato sann, die auf ihren Tod herabsah. Tod war der Bettina nur darum triumphierender Herold des Lebens, weil er für die nach Freiheit dürstende Seele Befreier von irdischer Schwere war1). Sie ist darin Jean Paul verwandt. Die Günderode aber war nach anderem Gesetz angetreten. Der Tod ruht tief in ihrem Leben und in ihrer Dichtung. Ihr leidvolles und dionysisches Ende ist nur die symbolische Besiegelung ihres Schicksals. Seltsam, wie sie sich zu dem Manne in hingebender Liebe findet, dem selbst der Tod seit frühem nahgetreten war: Creuzer, der von sich schrieb, in ihm ruhe der Keim frühen Todes, und der den tiefen Sinn des Wortes, Philosophie sei eine Schule, worin man sterben lerne, ganz eigentlich als ein langsames Todesreifen erfaßte. Es ist derselbe Creuzer, der wie G. H. Schubert, wie Rostorff nun auch die dionysische, nächtliche, die e l e u s i n i s c h e Seite des Griechentums ahnt und in seiner 'Symbolik' darstellt, der die Antike romantisch-religiös vom Tode her sieht, wie Novalis in den Hymnen und wie nach ihm die neue Mythenforschung, in einer Zeit, da Goethe noch ganz die ästhetische, winckelmannsche Ansicht des Griechentums aufrecht erhält, die die Antike nur im Zeichen des Lebens erblickt2). Creuzer hat in einer !) Bettina, Frühlingskranz a.a.O. S. 75, 100, 275, 370; Günderode ed. H. Amelung, Leipzig 1914, I, 36, 179; II, 114, 155, 177. Briefwechsel mit einem Kind ed. Amelung, Berlin 1914, S. 75, 191, 284, 401, 448, 469, 512, 555. — Zur Plato-Verehrung 8. L. Z u r l i n d e n , Gedanken Piatos in der deutschen Romantik, Leipzig 1910, S. 230ff. *) Studien ed. Daub und Creuzer II Heidelberg 1806, S. 224 bis 324: Idee und Probe alter Symbolik, bes. S. 248: Seligkeit des Todes, befreit zu werden von den Banden des Lebens. 249: Gott des Todes als Waldgott Silen, die Stille des Todes erinnert an ihn. 286f. : Der Tod . . . „Freiheit von dem Druck des Lebens, die der Tod gibt, und auch dafür war Silenos ein natürliches Sinnbild. Hatte er doch einst selbst dem sterblichen Frager Midas des Todes Seligkeit gepriesen." Dazu Creuzers Bemerkung in einem Brief an die Günderode bei K. Preisendanz, Die Liebe der G. München 1912, S. 267. Sie hatte gerade diese Stelle vom Tod gelobt, Creuzer aber fand hier eine gewisse Sentimentalität, „die in Kunst und Wissenschaft" ein Fehler ist. — In der 'Symbolik' handelt er übrigens nicht mehr vom Tode. Vgl.
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kleinen Abhandlung vom Wesen und Symbol des Todes tiefe Worte gesprochen. Erlebnis und Wissenschaft befruchten sich bei ihm ganz so, wie bei der Geliebten Erlebnis und Dichtung. Beide fühlen das und wollen den gemeinsamen Tod, den Liebestod aus Todesliebe, aus der Sehnsucht nach der Entgrenzung. Oft kehrt dieser Gedanke in den Briefen Creuzers wieder, zusammen sterben zu wollen, Tod sei süßer als Leben — „Küß' mich o Tod" — und einmal: „ 0 Sanctissima Virgo, Tecum moriar libens." Auch in den wenigen Zeilen, die von Carolinens Briefen erhalten sind, schwingt dieser Todeswunsch und die Versicherung der Liebe bis in den Tod, die sie durch die Tat bewiesen hat. — „Ich wünsche mit Dir zu leben oder zu sterben, der Tod ist besser als so leben." Es schmilzt alles zusammen: Sehnsucht nach dem Tode und Liebestod und Aufgehen im All1). Man kann den Tod aus Günderodes Leben und Dichtung nicht mehr hinwegdenken, er ist der dunkle, geheimnisvolle Hintergrund, zu dem der Weg führt, den man will, da man ihm entgegenreift. Sie steht auf dem Scheidepunkt von Leben und Tod und liebt die Nacht, weil sie Unbewußtsein und dunkle Träume dem helleren Leben vorzieht. Das leidvolle und beseligende Erlebnis der Liebe läßt sie nur tiefer den Tod verstehen und ihn unlöslich mit solcher Liebe zusammenflechten, weil sie in inniger, dunkler Verwandtschaft stehen: diese beiden Mächte lösen aus der Vereinzelung in die Gesamtheit und in das All, das gerade Günderode mit einer beinahe antik mystischen Empfindung erfühlt: als mütterlichen Urgrund. Creuzer schreibt einmal an sie, am 19. Mai 1805: „Wie schön wird es erst im Tode sein, oder vielmehr im großen All, wo das Einzelne aufgehoben sein wird." Das ist ja das Zentralproblem, um das Günderodes Dichten und Denken immer wieder kreist. auch B ä u m l e r a. a. O. S. 31, 104ff., 231. S c h u b e r t in seinen 'Ansichten' a. a. O. S. 74ff. weist auf die Eleusinien hin mit der Todesdarstellung, die Liebe und Tod miteinander verbindet. „Die Blumen der Liebe — Myrthen und Rosen — deuteten in den Mysterien auf den Tod. So erschienen Liebe und Tod, das äußerste Streben des Herzen und der Untergang des Individuums vereint." Er weist auch auf den Adoniskult hin, in dem die süße Liebe und der Tod zugleich verherrlicht werden. Vgl. der Günderode Gedicht: Adonis Tod, Adonis Totenfeier (Gesammelte Dichtungen ed. E. Salomon, München 1923, S. 210ff.). Zu Schubert s. Collin, Euphorion 27 (1926) S. 98f. !) Briefstellen a. a. O. S. 20, 68, 81, 83, 100, 103, 117, 252, 261.
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In den 'Briefen zweier Freunde' spricht Eusebio vom Tode als dem Geheimnis der Religion. „ I s t es nicht ein Winken der Natur, aus der Einzelheit in die gemeinschaftliche Allheit zurückzukehren, zu lassen das geteilte Leben, in welchem die Wesen etwas für sich sein wollen und doch nicht können?" Ein Wesen löst sich aus der Allheit der Natur, um dann zurückzukehren, der Einzelne ist wohl dem Tod verfallen, aber dafür ist die Unsterblichkeit das Leben im Ganzen, im All, und das All bedeutet für Günderode das Leben; Tod ist Rückkehr („Auflösung, die wir zuweilen Tod nennen"), Rückkehr eines durch Trennung erhöhten und entwickelten Elementarlebens. „ S o wird die Allheit lebendig durch den Untergang der Einzelheit und die Einzelheit lebt unsterblich fort in der Allheit . . . " Das ist der allgemeine, metaphysische Gedanke, dem Caroline nun das besondere Erlebnis der Liebe einordnet. In der Liebe schon ahnt der Mensch die Unendlichkeit, durch die Liebe wird schon hier „auf eine geistige Weise der Zustand der Auflösung der Vielheit in die Einheit vorbereitet". „Liebe ist die Versöhnung der Persönlichkeit mit der Allheit." Und ebenso der Tod; beide zusammen aber im dionysischen Taumel bringen die feierliche Vernichtung und doch auch die festliche Erhöhung des Lebens. Todesliebe: immer kehrt in den Erzählungen (Timur, Valorich, Erscheinung, Mora) der Gedanke wieder, mit dem Geliebten zusammen zu sterben ; keusch verhaltener Liebestod, wie ihn die wunderbaren Liebesgedichte 'Hochrot' und 'Liebe' aufleuchten lassen: „Lebend'ger Tod, in Einem sel'ges Leben." — Günderode war reif für den Tod, er war ihr wirklich willkommen und nicht fremd, war keine K l u f t zwischen ihrem Leben und jenem, Sterben war für sie kein großer Schritt 1 ). Ihr selbstgewählter Tod ist nicht allein Verzweiflungstat einer schmerzlichen Liebe — „des Herzens Wunde hüllt sich gern in Gräbernacht" — sondern, in einem höheren Sinne, nur reine Gebärde und Symbolsetzung ihres Lebens und notwendige Erfüllung ihres Strebens, das nur durch den Tod Seligkeit erringen kann. Befreiung aus der Einzelheit in die Allheit, ein Liebestod und eine Liebestat aus der besonderen Liebe zum Geliebten wie aus der metaphysisch ausgeweiteten, allgemeinen Liebe zum großen All. Tod ist ihre ) Gesammelte Dichtungen a. a. O. 8. 246—260 Briefe zweier Freunde. Erzählungen S. 11, 16, 62, 59, 263, 447. Gedichte: S. 35ff., 64, 77, 216, 312, 322, 420, 425, 434. 1
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letzte willentliche H a n d l u n g , die volle Frucht eines todreifen Leben. Giinderodes Verse aus den 'malabarischen Witwen' deuten ihr eigenes Ende: „Zur süßen Liebesfeier wird der Tod, Vereinet die getrennten Elemente, Zum Lebensgipfel wird des Daseins Ende." Wirklich: ihr Leben braucht den Tod, um sich zu erfüllen und zugleich um ihn in sich durch Freiheit zu überwinden. Tod ist hier Steigerung und eine Frage des Lebens, Todesgefühl ist ein Gefühl für das Leben, für das Gesamtleben. Und Reifsein zum Tode bedeutet das Reifen eines vollendet unendlichen Lebens zum großen Lebensquell. In der Tat lebt in diesem Tod etwas Dionysisches, er ist „nur aus antiker Wallung heraus zu begreifen", rauschende Rückkehr ins Element1). Man denkt an Empedokles. Dahin deuten auch die aus fast antiker Gesinnung heraus empfundenen Verse, die sie noch am Tage des Todes abschrieb. Es ist antike Allverbundenheit, Todeslust, das wunderbare Sehnen dem Abgrund zu, wie bei Hölderlin. Selten hat man diese Einheit von Leben, Lebensforderung und Dichtung, die Verwirklichung des Lebensideals im Tode so wie hier, nur noch bei Hölderlin und Kleist. Und sie drängt schon geradezu auf Hölderlin hin, diese ganze Dichtung und diese Tat der Günderode. Dies Mädchen ist Hölderlin im tiefsten Wesen verwandt, die beiden verbindet das gleiche Todes- und Naturempfinden, beide sind „aus der Familie des Untergangs". Die Günderode kannte Hölderlin aus seiner späten Homburger Zeit. Auch Bettina berichtet davon und bewahrt große Worte des schon dem Wahnsinn Nahen über Rhythmus und Poesie; da kündet er auch, „der Tod sei der Ursprung des Lebendigen". Der schon Umnachtete hat es noch einmal gesagt: „Leben ist Tod und Tod ist auch ein Leben." In diesen Sätzen wogt das ganze Lebensgefühl Hölderlins, wie er es immer wieder formt, in den Oden, im 'Hyperion', im 'Empedokles'. Gefühlshaft über*) L. v. P i g e n o t in der Einleitung zu seiner Auegabe von Giinderodes Dichtungen, München 1922, S. 29, der auch den Vergleich mit Sappho zieht, S. 8ff., 13ff,, 23—30. — Die Verse, die sie sich noch abschrieb ebd. S. 265, sind eine leichte Umwandlung nach Herders Übersetzung 'Gedanken einiger Brahmanen', dort mit der für die Günderode tiefbedeutenden Überschrift "Abschied des Einsiedlers'. Pigenot S. 288 und Suphan 26, S. 416, Nr. 46.
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schwängliche Unsterblichkeitshoffnung im Sinne Klopstocks und Todesempfindung nach der Art Youngs in den Jugendoden schwinden rasch. Das eigene Wesen bricht durch, nachdem es hier wahlverwandte Vorbilder ergriffen hatte 1 ). Während er noch 1795 (5. Mai) an Neuffer schreibt, er habe keine Gedanken für das Vergehen und begreife den Tod in der Gotteswelt nicht, dringt er später immer tiefer hinein in die schicksalsmäßig verkettete Einheit von Leben und Tod und fühlt das Werden im Vergehen und das Vergehen im Werden, weiß, daß „das Leben der Welt im Wechsel des Enthaltene und Verschließens, in A u s f l u g und R ü c k k e h r zu sich s e l b s t " besteht. Daß Bewußtsein des Todes Leben schaffe, daß man stirbt, um lebendiger zu werden, wird schon hier angedeutet. Es ist jenes tiefe Wissen, daß der Vorgang des Lebens als solcher tragisch ist, weil er sich nur im Zerstören erfüllen kann, es ist jenes Wissen von der metaphysisch läuternden Notwendigkeit des Leides und des Schmerzes zum Leben, daß „grenzenloses Eineswerden" als letztes Ziel nur durch „grenzenloses Scheiden" möglich wird, daß Trennung und Gegensatz tief dem Leben als Bedingung eingeboren sind, daß vor der Einheit des Lebens erst seine „Auflösung" steht. „Es nährt das Leben vom Leide sich und trinkt doch auch am Todeskelche sich glücklich", wird im 'Empedokles' verkündet, und diese rätselhaft dunkle Verkündigung vom Leid und von der Sterblichkeit erst steigert das Leben zur Höhe, sie erst drängt den Helden zur Bejahung des Lebens und „entflammt den Menschen, daß er viel versuche 2 )". Im 'Hyperion' pulst dann die kosmisch1 ) Bettina, Günderode a. a. Ο. I, S. 329; Hölderlin ed. Zinken nagel, V, 331, bewahrt durch Waiblingers 'Phaeton'. — Jugendgedichte: I, 381, 384, 401 — 405 Unsterblichkeit, 482ff. Hymne an die Unsterblichkeit; vgl. auch S. 63, 86. S. 406 Klopstock, Young. Außerordentlich bezeichnend ist die Tatsache, daß eine Strophe aus Klopstocks Ode 'Die Zukunft' unter dem Titel 'Der Tod' als Hölderlinschee Gedicht aufgeführt wurde, das weist auf innere Zusammenhänge ; vgl. oben S. 327. — Spätere Äußerungen zum Unsterblichkeitsgedanken Briefe IV, 166f. (Zitat aus 'Tithon und Aurora' von Herder) 214ff. ·) Brief an Neuffer IV, 227; an die Mutter S. 88. v. P i g e n o t , Hölderlin a. a. O. S. 16f. Der Aufsatz über das Werden im Vergehen II, 349—358. Auch Hyperion II, 52 „Bestehet ja das Leben der Welt im Wechsel des Enthaltene und Verschließens, in A u s f l u g und R ü c k k e h r zu sich selbst . . ." Vgl.
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antike Allverbundenheit, die Welt, Sonne, Luft, Erde als Geschwister und Mutter umschließt, hier schwingt die aus tragischer Bewußtheit sich lösende Sehnsucht, die verlorene „selige Einigkeit" wieder zu erringen, die Zerfallenheit mit der Natur zu überwinden und „uns mit der Natur zu vereinigen, zu Einem unendlichen Ganzen", als „Ziel all unseres Strebens", eins zu sein mit allem, was lebt ; in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur ist der Gipfel der Gedanken und Freuden, wo der sogenannte Tod dann wirklich ein Bote des Lebens wird, weil er hinaufführt aus dem Schacht, in dem der Mensch wie ein Diamant lebt, zurück in die Freiheit, zurück zu den Göttern, „ins heilige, freie jugendliche Leben der Natur". Die Blüte des Lebens windet sich freier und freier vom großen Stoff los. Hölderlin besitzt einen ganz unbedingten Lebensmythos, den festen Glauben an das ewig sich wandelnde und umformende Leben und seine Unvergänglichkeit. „Was lebt, ist unvertilgbar." Er fühlt sich ohne Anfang und ohne Ende. „Ich glaube, daß wir durch uns selber sind und nur aus freier Lust so innig mit dem All verbunden." Es ist wie bei der Günderode der Glaube an das allgemeine große Leben, in das der Einzelne eingeht. Die das „kindliche Leben der göttlichen Natur nicht achten und nicht gefühlt haben, die fürchten den Tod, scheuen die Götterfreiheit, die der Tod uns gibt". Wer stirbt, der kehrt zur Wurzel wieder. „Ohne Tod ist kein Leben . . . wir Novalis II, 120. Dazu H. B r i n k m a n n , Die Idee des Lebens a. a. O. S. 74f. und V. E r d m a n n , Hölderlins aesthetische Theorie, Jena 1923, S. 13, 27ff., 87. Vgl. die Stellen II, 236, 350f., 357; III, 107, 338. IV, 376f. V, 331. V. Erdmann führt dazu einen Passus aus Hegels Jugendschriften an S. 13 (Nohl S. 282): „Die notwendige Entzweiung ist ein Faktum des Lebens, das ewig entgegensetzend sich bildet, und die Totalität ist in der höchsten Lebendigkeit nur durch Wiederherstellung aus der höchsten Trennung möglich . . . Denn die Entgegensetzung ist die Möglichkeit der Wiedervereinigung, und soweit das Leben i m Schmerz entgegengesetzt war, ist es fähig, wiederaufgenommen zu werden." Auch für Hegel ist der Tod letztlich die Entsühnung der Individuation, ist die Allgemeinheit, zu der der einzelne als solcher gelangt. „Seine Unangemessenheit zur Allgemeinheit Ì6t seine ursprüngliche Krankheit und der angeborene Keim des Todes. Das Aufheben dieser Unangemessenheit ist seibat der Vollstrecker dieses Schicksals. Das Individuum hebt sie auf, indem es der Allgemeinheit seine Einzelheit einbildet." Phänomenologie (ed. Lasson), S. 22, 57, 126; bes. S. 292; 303.
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sterben, um zu leben." „Wir trennen uns nur, um inniger einig zu sein, göttlicher, friedlicher, mit Allem, mit uns." Versöhnung ist im Streit und alles Getrennte findet sich wieder. Der tragische Untergrund dieses Werden, dieser höchsten Einheit wird hier ganz überdeckt vom dionysischen Jubel über diese Versöhnung und Einung mit dem All1). „Wie könnte die Auflösung empfunden werden ohne Vereinigung'?" „Einiges, ewiges, glühendes Leben ist alles." Der 'Empedokles' aber bringt dann den reinsten Ausdruck Hölderlinschen Toderlebnisses und Todeswillens. Hier wird der Tod in der Form der heroischen Selbstopferung ganz nur als Hinübergang und als Rückkehr zu sich selbst erlebt. Es ist bezeichnend für die innere Richtung Hölderlins, daß er schon 1794 eine Tragödie plante, in der er den Tod des Sokrates nach den Idealen der griechischen Dramen bearbeiten wollte. Also auch hier wie im 'Empedokles' der erhebende, fast messianische Opfertod eines geistigen Heroen, eines g r o ß e n Menschen, dessen Ende seine Philosophie gleichsam sinnbildlich krönt. Hölderlin konnte nur in der Darstellung der Tat, des Todes selbst, nicht in der Spekulation den Todesgedanken sich verkörpern und anschauen, er mußte ihm mythische Gestalt geben; denn er brauchte den Mythos, um darein sein Todesgefühl zu legen und dadurch zu deuten. In solchem Zusammenhang gewinnt auch sein eigenes Ende symbolische Durchsichtigkeit. Empedokles, dessen „frommes Herz innigliebend hing an Sonn' und Äther und den Boten allen der großen ferngeahndeten Natur", ihn umfaßt „Todeslust" und Verlangen, den heiligen stillen Todespfad ins All zurück festlich hinabzugehen, „im freien Tod". Das freie Opfer, „die Götterfreiheit, die der Tod uns gibt", den stolzen, den großen Freitod soll man wollen — Nietzsche fordert ihn später. „ 0 gebt euch der Natur, eh' sie euch nimmt." So wird Tod Läuterung zu neuer Jugend und Wiedergeburt 2 ). !) Hyperion: Vorredeentwurf V, 341f.; II, 13, 44, 160, 169, 172, 184, 185, 189; vgl. auch ebd. S. 320, 350, III, 99, IV, 166; I, 77. 2 ) Sokratea-Plan: IV, 183. — Über die verloren gegangene Tragödie „König Agis", die gleichfalls den heroischen Opfertod behandelt, schreibt K. V i ë t o r , Deutsche Rundschau 191 (1922) S. 185 bis 188. Vielleicht gehört das geplante Gedicht „Kleists Tod" auch in diesen Zusammenhang: V, 198. Gemeint ist natürlich E. v. Kleist. Vgl. auch das Gedicht 'Tod fürs Vaterland' I, 128 („daß ich nicht sterbe gemeinen Tods. Umsonst zu sterben, lieb' ich nicht, doch lieb'
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sterbend kehrt Ins Element ein jedes, daß es da Zu neuer Jugend, wie im Bade, sich Erfrische. Menschen ist der [Tod] Gegeben, daß sie selber sich verjüngen. Und aus dem reinigenden Tode, den Sie selber sich zu rechter Zeit gewählt, Erstehn, wie aus dem Styx Achill, Unüberwindlich . . . die Völker." „Heilig ist solches Ende" für den, der neugeboren werden will, um droben die neuen Pfade zu wandeln. „Sterben? Nur ins Dunkel ist's Ein Schritt . . . Schauderndes Verlangen 1 Was? Am Tod entzündet mir Das Leben sich zuletzt, und reichest du Den Schreckensbecher mir, den gärenden, Naturi Damit dein Priester noch aus ihm Die letzte der Begeisterungen trinke!" Es ist dionysischer Rausch des Scheidenden, es ist „Todeslust", und „alle Scheidenden sprechen wie Trunkne und nehmen gerne sich festlich". Prophetischer Opfertod und Sehnsuchtstod verschmelzen sich. Es ist Verlangen und lustvolles Gefühl, daß erst im Tode die wahre Steigerung und Erfüllung sei durch Hingabe, nicht durch Anspannen, daß Leben aus Tod wachse, daß Leben vom Leiden sich nähre und doch aus dem Todeskelche sich glücklich trinke. Empedokles sucht das Leben und findet es im Tode, in den Flammen des Ätna. Er geht feierlich trunken „ins AU zurück die kürzeste Bahn", in wunderbarem Sehnen dem Abgrund zu. Schließlich war auch Hölderlins Umnachtung in einem tieferen Sinne nur solches Selbstopfer, solche Rückkehr ins mütterliche Dunkel, ins All. „In der großen Seele ruhig ahnend den Tod" schreibt er schon bald in einem Brief jene erschütternden Sätze: „Freilich sehnen wir uns oft auch, aus diesem Mittelstand von Leben und Tod überzugehn in's unendliche Sein der schönen Welt, in ich zu halten am Opferhügel") und I, 98 „oft meint' ich schon, wir leben nur, zu sterben, uns opfernd hinzugeben für ein Anders. O, schön zu sterben, edel sich zu opfern." — Empedokles III, 24, 40f. ; 85f.; 90, 94, 99, lOOf.; 105, 107, 109, 156, 162, I, 142, II, 183, 193.
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die Arme der ewig jugendlichen Natur, wovon wir ausgingen. Aber es geht ja Alles seine stete Bahn, warum sollten wir uns zu früh dahinstürzen, wohin wir gelangen." Und später: bis ich das letzte fühle und mich ins Freie setze und von da aus weggehe — zur ewigen Jugend1)." Als ein Jüngling lebt er dem Gedächtnis der Nachwelt. „Denn groß ist auch der Tod der Großen," schreibt Hölderlin; es gilt auch für Kleist. Hölderlin und Kleist: man glaubt keine größeren Gegensätze sich denken zu können, aber im Todeshoffen begegnen sie sich und sind sich verwandt. Bei Kleist wie bei den anderen hat man eine seltene Einheit von Leben, Lebenswerk und Lebensideal, von Todesgedanken und dem eigenen Tod. Von früh an steht ihm der Tod nahe, Tod tönt als ewiger Refrain des Lebens; er hat keinen anderen Wunsch als zu sterben und sucht echt romantisch-magisch — man denkt an Arnim und Novalis — seine Freunde zu dem gemeinsamen Tod zu überreden: denn wirklich erscheint er als ein zum Tod Überredender. Es ist bezeichnend, daß Kleist von früh an den Todesgedanken immer nur mit der Sehnsucht nach Verwirklichung verbinden kann, mit dem Gedanken der Tat, die ihm Selbstverwirklichung wird. Er bezieht den Gedanken stets in gesteigertem Maße auf sich selbst, weil er eben aus dem innersten Gefühl herausfließt. „Ach, es ist nichts ekelhafter als diese Furcht vor dem Tode. Das Leben ist das einzige Eigentum, das nur dann etwas wert ist, wenn wir es nicht achten. Verächtlich ist es, wenn wir es nicht leicht fallen lassen können, und nur der kann es zu großen Zwecken nutzen, der es leicht und freudig wegwerfen könnte" heißt es in einem Brief vom 21. Juli 1801, und am 1. Mai 1802: „Denn das Leben hat nichts Erhabeneres als doch immer nur dieses, daß man es erhaben wegwerfen kann." Es ist nicht die rationale Überlegung von Lessings 'Philotas', sondern die völlige Abwertung des Lebens, eines getäuschten und verdorbenen Lebens, dem Erfüllung nicht gelungen ist und dem der Tod die große erhabene Gebärde bedeuten soll, die Entledigung, der aufrauschende und frohlockende Sturz „in das unendlich prächtige Grab", ohne Zweck und ohne Sinn, im Vernichtungstrieb. !) Briefe IV, 262, 292, 444. - Gedichte I, 195 ( = 197); 211 (. . . so sterb' einet im Ernste des Lebens unsre Freude, doch schönen Tod) 336f. ; 367.
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Kleist aber läutert sich in seinem Todesgefühl hinauf wie in seinem Leben, er lernt tiefer sehen. Der Tod muß Gehalt haben, er muß Ausdruck nicht der Erschlaffung, sondern höchster Lebensk r a f t sein, ähnlich dem Liebestod. Man muß ihn innerlich reifen, er muß die herrliche F r u c h t eines Lebens sein, das nur in der Hingabe an den Tod seine letzte Erfüllung findet. Erst die Reife des Lebens — aber auch Reifwerden des Schicksals — bedeutet die Reife des Todes, erst dann darf man den kürzesten Weg ins All zurücknehmen. Seine Dichtung, die den Tod in allen seinen Beziehungen gestaltet, spiegelt diesen inneren Werdegang wieder: vom Todgeweihtsein zur Todesreife, von den 'Schroffensteinern' zur 'Penthesilea', die sich zu f r ü h zum Tode reif fühlt und dann erst nach dem Erlebnis wirklich die Tat, den sühnenden Opfertod, vollbringen k a n n : „Ich bin so selig, Schwester! Überselig! Ganz reif zum Tode, o Diana, fühl' ich mich!" Der letzte Kleist weiß, daß er nur auf seine eigene innerliche Befriedigung zu sehen hat, daß ihn der Dämon f ü h r t . Die Spekulation t r i t t bei ihm wie bei Hölderlin ganz hinter der T a t zurück, und so wird sein Tod Symbol und notwendig sinnvolles Ende seines Lebens. Er fühlt, daß er innerlich zum Tode ganz reif geworden ist, fühlt, daß die Frucht des Lebens, die Todesblume duftend aufblühen will. „Ich sterbe, weil mir auf Erden nichts mehr zu lernen und zu erwerben übrig bleibt." Triumphgesang stimmt seine Seele an im Augenblick des Todes, der ein gemeinsamer Tod in dionysischer Hingabe sein soll. Tod und Leben in ihrer Einheit haben ihn schon immer beschäftigt, jenes Rätsel, wie Erhaltung nur durch Zerstörung möglich sei, „so wie oft Leben nur aus dem Tode hervorgeht 1 )". ») K l e i s t : Werke ed. E. Schmidt; Zweikampf III, 419; Wissen, Schaffen, Zerstören, Erhalten IV, S. 187; Todeslitanei V, 403, 484. Über Kleist darf man sich kurz fassen, da für ihn als dem dankbarsten Beispiel, wo Dichtung und Tat übereinstimmen, mehrere Darstellungen gegeben worden sind: zuerst R. U n g e r , a. a. O. S. 88— 143 ..Das Todesproblem bei Η. v. Kleist", mit der Dreistufung: todgeweiht, todesreif, todüberwindend; dann St. Z w e i g , Der Kampf mit dem Dämon, Leipzig 1925, S. 224 — 229 u. 2 1 8 - 2 2 4 . J. C o l l i n , Kleist als Dichter des Todes, Euphorion 27 (1926) S. 69 — 112; ders: Ztschr. f. Deutschkunde 1926, S. 781 — 802: Das Tragische in Kleists Leben und Kunst.
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Aber auch die Einheit von Liebe und Tod, das Grunderlebnis aller irrationalen Seelen — der Klassik bleibt es ferne — geht ihm in diesen Stunden auf. Tod und Liebe wechseln ab, die erotische Wendung im Todesgefühl fehlt nun nicht und schafft sich mystischen Ausdruck in Kleists „Todeslitanei". Kleist will den wolllüstigsten aller Tode· sterben, und das Grab ist ihm lieber als „die Betten aller Kaiserinnen der Welt". Diese Briefe aus den letzten Tagen gehören zu den erschütterndsten Zeugnissen menschlichen Todbegreifens, aber auch menschlicher Todüberwindung. „Ich bin ganz selig", so schreibt er, und dann wieder am Morgen des Todes: „Möge Dir der Himmel einen Tod schenken nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich." Die leidenschaftliche Todesbesessenheit der Jugend hat sich zur Todesüberwindung geläutert. Kleist macht nur wahr, was er einmal im 'Zweikampf' niedergeschrieben hat: „Im Leben laß uns auf den Tod, und im Tode auf die Ewigkeit hinaus sehen." Dieser Tod ist eine letzte symbolische Handlung und das stellt ihn neben die Günderode und auch Hölderlin, der sich nur in anderer Form entgrenzte, in die Nacht des Wahnsinns, nachdem sein 'Empedokles' den Tod zur Tat erhoben hatte. Was Novalis einmal schreibt, das gilt hier — und daß es gilt, zeigt wiederum die Verwandtschaft der Geister —: „Das Leben eines wahrhaft kanonischen Menschen muß durchgehend symbolisch sein. Wäre unter dieser Voraussetzung nicht jeder Tod ein Versöhnungstod?" Der Tod der Drei ist Versöhnungstod, Versöhnung mit sich selbst und dem Schicksal durch den Freitod, die selbstherrliche und doch notwendig folgerichtige Entgrenzung aus dem Leben, Erhöhung, Rückkehr ins All und ins höhere Leben. Ihr Tod ist ihre Formung und Gestaltung des Todesgedankens, die menschliche und doch auch wieder künstlerische Formung seit Jahrhunderten, sie gestalten durch die Tat, die aber hier nicht ethische Tat ist, wie sie Schiller fordert, sondern einfach notwendiger innerlicher Schluß des ganzen Lebensrhythmus, die herrliche Frucht des den Tod in sich reifenden Lebens. Es ist dionysischer Freitod, wie 'Empedokles' ihn fordert, und wie Nietzsche ihn versteht, „ v o l l b r i n g e n d e r Tod", Tod als Fest, Tod dessen, der nicht zu leben — Zur „Todeslitanei" : A. Sauer, Prag 1907; Beziehungen zu Novalis, auch in der Todesspekulation, untersucht R. W e i ß e n f e l s , Z. f. vg. Lit. Gesch. NF. I, 303 ff.
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versteht, dem das Leben mißrät, im tieferen Sinn, und der nun gewillt ist, daß ihm das Sterben um so besser gerate. „Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger Neinsager, wenn es nicht Zeit mehr ist zum Ja; also versteht er sich auf Tod und Leben." Und hier muß man noch das andere Wort Nietzsches anführen, welches alles enthält: „Ich liebe die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als Untergehende, denn sie sind die Hinübergehenden." „Zum Lebensgipfel wird des Daseins Ende" — Günderode hat für sich und für Kleist gesungen. Beiden geschieht im Tod die Befreiung aus der Qual, die Rückkehr zu sich selbst, die Erlösung zu ihrem eigensten Dasein. Was ihnen, was auch Hölderlin die Eigenstellung gegenüber der Romantik gibt, ist keine Wesensverschiedenheit, sondern eine Gradverschiedenheit, jene höchst geläuterte Reinheit und Wirklichkeit, in der hier das dionysische Element, die rauschhaft-pantheistische Todeserotik hervorbricht1). Es ist bei den übrigen auch vorhanden, aber zum Teil überdeckt und beengt durch magische, philosophische Einkleidung, durch die Wandlung dann ins Christliche. Hier aber ragt über den Dunstkreis der theoretisch-philosophischen Todesspekulation die entgrenzende und vollbringende Tat als Besieglung des Lebens; hier ist Erfüllung und Verwirklichung dessen, was die anderen denken, hier wächst, nicht vom Magischen umschwebt wie bei Novalis, der Tod aus dem Leben wie eine Frucht hervor, und Lebensreife bedeutet zugleich Todesreife, Lebenslust bedeutet Todeslust in unlöslicher rätselhafter Einheit. Blickt man zurück, so sieht man, daß in der Gemeinsamkeit der Aussagen das Zeitwesentliche ruht. Mag auch das Erlebnis der einen großen Endmacht verschiedene Formen annehmen, im W e s e n sind sich diese Formen alle verwandt und im Gesamtbild der Bewegung, die wie keine andere das Zusammen, die Gemeinschaft und Einheit erstrebt, müssen die einzelnen Spiegelungen und Brechungen zurücktreten hinter dem Gesamterlebnis, das dann das eigentlich Romantische wesensmäßig enthält und offenbart. Die geistesgeschichtlichen Züge stellen sich klar heraus. Merkwürdig bleibt, wie der ganze Todesgedanke, freilich in vertieftem *) Vgl. den ähnlich gerichteten Aufsatz von H. K u h n , Hölderlin und die Romantik, Zeitwende I I (1926), 2. Bd., S. 398—420.
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Zusammenhang, sich dem-Dogma vom Strafcharakter des Todes nähert, nur nähert. Dazu lagen die Keime schon in der Frühromantik ; wo das Leben in der Individualität nach der Gesamtheit und nach der Zerbrechung der Form, aus der Bewußtheit ins Unbewußte sich sehnt, ist es nicht mehr weit zu dem Gefühl, daß das Leben eben in dieser engumgrenzten, abgesonderten, eigenwillig bewußten Form ein Abfall, eine Sünde und darum der Tod die metaphysische Strafe für solche Abweichung von der Einheit mit dem Göttlichen, mit Ordnung und Harmonie sei; bei Schlegel, Runge, Werner, Brentano, auch bei Hölderlin und der Günderode ist das deutlich zu sehen, besonders bei Eckartshausen, den man wohl hier nennen darf, und dann bei Baader, der überhaupt am ausschließlichsten in seiner Philosophie eine Erneuerung jener alten mystischen, plotinischen und böhmeschen, spekulativen Menschheitsgeschichte brachte, einmal aber sogar einen Gedanken Augustins, des Vaters der mittelalterlichen Todesauffassung, anführt: der Mensch sei ursprünglich mit der später verwirkten Fähigkeit des Nichtsterbenkönnens geboren worden. Aber er legt doch bei allem Unterschied zur Romantik den Nachdruck auf das Andere, auf die Erlösung zur Einheit aus der Trennung und auf die Läuterung des Lebens durch den Tod. „Höheres Leben wird nur durch Zerstörung 1 )." So bleibt es auch sehr vereinzelt, wenn in Kerners 'Reiseschatten' in der Einlage vom Totengräber am Feldberg der Tod aus dem See aufsteigt und das sündige Leben fort zur Hölle holt. Das ist dann wieder das Entscheidende, was die Romantik mit der Mystik und dem Barock verbindet: dies Gefühl des Strafcharakters kommt als solches gar nicht deutlich zu Bewußtsein, sondern löst sich völlig auf in dem seligen Empfinden, daß der Tod aus dieser als Qual gefühlten Ver*) Κ. v. E c k a r t a h a u s e n , Aufschlüsse zur Magie a. a. Ο. II, 53, 5 4 - 5 6 , 57; 322f., 324, 325; IV, 263. Ideen über das affirmative Princip. Leipzig 1798, S. 54, 56; vgl. auch K l e e b e r g a. a. O. S. 627ff. — B a a d e r , Sämtl. Werke I, 4, S. 257ff. Über den christl. Begriff der Unsterblichkeit. S. 285f.; 289. Er kämpft auch gegen den Wahn, der Antike sei der Tod nicht schreckhaft gewesen. S. 293 Die christliche Doktrin erweise sich hinieden als die alleinige Grundlage aller Philosophie der Zeit und des Todes. — 'Weltalter' ed. F. Hoffmann, Erlangen 1868, S. 375. — Zu den früheren Anschauungen, als der Grundlage des Späteren, s. L i e b a. a. O. S. 130ff.; 208, 209 — 225; bes. 2 2 0 - 2 2 3 . B r i n k m a n n a. a. O. S. 65ff.
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einzelung und Bewußtheit herausführt, daß er löst und in die Einheit mit dem Göttlichen zurückleitet. Und neben dem Tod steht, ihm wesensmäßig verbunden, die Liebe, denn auch sie ist Mittlerin zum Göttlichen : daher dann die Ineinssetzung von Liebe und Tod nicht nur in geistigem, sondern auch in ganz geschlechtlichem Sinne. Auch die früheren Zeiten hatten ja den Tod mit der Liebe in Zusammenhang gebracht; aber daß dies nun so ausschließlich geschah, bis sie zu gleichdeutenden Begriffen wurden, darin liegt der Wandel in der Geschichte des Todesgedankens. Wenn E. Th. A. Hoffmann, in dessen ganzem Werk ja das Todessymbol ähnlich wie beim jungen Tieck eine so große Rolle spielt, den Gedanken des Todes gestaltet, dann nur als Liebestod. Tod ist das „Weihefest der Liebe", er glaubt, daß „der Liebe höchste Seligkeit, die Erfüllung der Geheimnisse im Tod aufgeht". Und ein andermal heißt es: „In dem Liebestod dämmert die Morgenröte des höheren Lebens 1 )." Schlegel schreibt sich einmal in seinem Nachlaßheft auf: „Tod und Wollust, beides unerschöpfliche Gegenstände für die Poesie." Das ist so zur Selbstverständlichkeit geworden und liegt so im allgemeinen Gefühl der Zeit, daß auch Adam Müller in seinen Dresdner Vorlesungen 'Von der Idee der Schönheit' 1809 die Liebe nur so erklären konnte: „Hat denn niemand die Liebe verstanden? Ist denn nicht jedes Opfer, jede Hingebung eine Art von Tod? Und ihr fragt noch, ob es eine Todeslust gebe? Und wer möchte die Lust des Lebens empfinden als um der Todeslust willen 2 )?" η Hoffmann, Werke ed. G r i s e b a c h II, 147, 167 279; X I I , S. 95, 134 . . . „Das Mysterium war erschlossen, der höchste Augenblick alles erfüllten Sehnens war auch der Tod." S. W. H a r i c h , Hoffmann, Berlin 1920, S. 364ff.; K l u c k h o h n a. a. O. S. 605. Über die Todessymbole bei Hoffmann vgl. M. T h a l m a n n a. a. O. S. 210ff. — Heines Urteil a. a. Ο. VII, S. 128. — Man sehe auch das Gedicht Tiecks aus dem 'Runenberg', Schriften IV, 240: „Das ist ihre höchste Freude, I m Geliebten sich verzehren, Sich im Tode zu verklären, Zu vergehn im süßen Leide." Dazu auch Gedichte III, 41. 2 ) Schlegel bei Körner a. a. 0 . Preuß. Jb. 183, S. 330. — A d a m M ü l l e r , Über die Idee der Schönheit, Berlin 1809, S. 156; vgl. ebd. S. 117 (Tod als Übergang par excellence), 137. Weitere Äußerungen: Die Lehre v o m Gegensatz, Berlin 1804, S. 90 — 92 (Leben —Antileben). Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft usw. a. a. Ό. S. 121 „Der Tod ist kein Zustand mehr; wo er sich finden mag, ist er nur Übergang aus einem Zustande in den andern, oder höchstens eine in ewiger
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Todeslust aber ist das Eigentlichste und Innerste im Todesgedanken der Romantik: Novalis spricht ebenso davon wie Schlegel oder Kleist und Hölderlin. Man will wohl auch bewußt mit „Kunstsinn" den Genuß des Todes genießen und geht so weit zu sagen, daß das Leben schließlich nur um des Todes, nur um der Hingabe und Auflösung und der Vernichtung willen da sei. Die Todbegeisterung, Todeswollust und die lüsterne Todessinnlichkeit und Todesbesessenheit des Barock feiern hier wirklich eine Auferstehung, wenn auch oft nur eine literarisch-theoretische. Auch hier steht die „wirkliche Welt" einer Günderode, eines Kleist der „Bücherwelt" eines Schlegel, A. Müller und — mit Einschränkung — eines Novalis gegenüber1). Das Erlebnis der Vergänglichkeit, nicht in dem rohstofflichen Sinn der früheren Jahrhunderte, sondern vergeistigter und tiefer, mehr als Erleben der Zeitlichkeit und der Zeit selbst erfüllt die Romantik. Friedrich, der Maler der unendlichen und mystischen Landschaften, konnte wohl Vergänglichkeit und Tod in der Natur sehen; oft sei die Frage an ihn ergangen, warum er stets Tod, Vergänglichkeit und Grab zum Gegenstand der Malerei erwähle, und seine Antwort war: „Um ewig einst zu leben, muß man sich oft dem Tod ergeben." Seine „Seelandschaft" von 1810 — „TotenErweiterung begriffene Grenze um die bekannten Zustände." Das erinnert sehr an Novalis, auch an Eckartshausen oder Schelling. Ebd. S. 138, 139 (Todeslust), 148 (oben S. 375), 221 (oben S. 404). Dann Vorlesungen über das Schöne, im Phoebug 1808 I, 3, S. 3 — 31; S. 3 ( = Über die Idee der Schönheit a. a. O. S. 21) . . . daß der Gedanke des Todes die Urquelle des Häßlichen wäre usw., auf Burke, Über das Erhabene, zurückgehend, Riga, 1773, S. 87. Phoebus 1808 I, 10, S. 4—27 Prolegomena zu einer Kunstphilosophie. S. 5: Der Wechsel von Tod und Leben ist nichts anderes als bis ins Unendliche ineinander verschlungene Trennung der Elemente und Vereinigung der Elemente, und höhere Trennung und höherer Verein usw. S. 6: „Wie die Natur vom Leben zum Tode und vom Tode zum Leben mit so unendlicher Seligkeit und Ironie fortschreitet, daß sie Euch wie ein einziges Reich des Lebens und des Todes zugleich erscheint. . ." Vgl. auch C o l l i n , Euph. 27, S. 101 und F. R e i n k e m e y e r , A. Müllers ethische und philosophische Anschauungen 1926, S. 33;' vgl. ebd. S. 10, 34. ') Von diesem Gesichtspunkt des Literarischen und Abgezogenen sucht S. v. L e m p i c k i einen neuen Zugang zum Wesen der Romantik: Bücherwelt und wirkliche Welt, Vierteljahrsschrift III (1925), S. 339 bis 386.
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landschaft" nannte sie Körner — empfindet Kleist denn auch so, „als ob es Youngs Nachtgedanken hätte und da es in seiner Einförmigkeit nichts als den Rahmen im Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als wenn einem die Augenlider weggeschnitten wären". Darin verkörpert sich eben jenes nackte Zeiterlebnis, das in seiner ganzen Härte auf dem romantischen Menschen lastet. „Alles Leben endet mit Alter und T o d , " sagt Novalis. Schleiermacher spricht es aus, daß Reife und Vollendung in der Zeit Ahnung des Todes, ja Tod selbst sei, daß nach Vollendung streben, sterben wollen können bedeutet. Das gleiche Erlebnis deutet Brentano in jenem Brief an seine Schwester, Tieck in dem Aufsatz über die Ewigkeit der Kunst und dann auch in dem wunderbaren morgenländischen Märchen von einem nackten Heiligen, dem es dünkte, er vernehme unaufhörlich das Rad der Zeit seinen sausenden Umschwung nehmen. Und jener Heilige meint nun, er müsse dieses ungeheure Rad helfen umdrehen, damit das große Räderwerk in seinem ewigen Gange sei; aber der unaufhaltsame Umschwung des ewigen Rades, das eintönige und taktmäßige Fortsausen der Zeit läßt ihm keine Ruhe, das gräßliche Fortrollen der Zeit bringt ihm dem Wahnsinn nahe und erfüllt ihn mit ungeheurer Sehnsucht nach unbekannten, schönen Dingen, bis er durch die Liebe erlöst wird und selig in den Himmel schwebt. Liebe und Tod erlösen aus der Zeit und der Bewußtheit. Novalis wollte, daß man die endliche Zeit, die aus der endlichen Unlust entsteht, schon hier in Ewigkeit verwandle, wie die Unlust in Lust, daß man schon hier absolute Lust, Ewigkeit, unbedingtes Leben erreiche; er meinte damit natürlich nur das Streben nach dem „absolut'en" Tod, um ins absolute Leben zu kommen und sich von der Zeitlichkeit zu befreien. Denn der Tod hier war ja nur Folge des absoluten Lebens, d. h. des Strebens nach diesem absoluten Leben 1 ). E s ist immer dasselbe: Streben aus der Zeit heraus bedeutet Streben nach Vollendung und also Tod und damit verströmender Eingang in das absolute Leben, so wie auch Eigenforschung und Selbstanschauung im letzten „Rückkehr zu sich selbst", Selbstverwirklichung und daher Tod ist. Der Augenblick der 1 ) C. D. F r i e d r i c h , Bekenntnisse ed. Κ. K. Eberlein, Leipzig 1924, S. 61, 73, 101, 203. Kleist ebd. S. 250f. Körners Gedicht S. 260f.; vgl. 263. — T i e c k bei Wackenroder a. a. Ο. I, S. 156ff.; N o v a l i s II, 12; Strich a. a. O. S. 373.
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höchsten Bewußtwerdung ist Übergang ins „Unbewußt — höchste Lust". Reifwerden zum Leben bedeutet Reif werden zum Tode, bedeutet Entselbstung und Selbstzerbrechung und Hingabe an das absolute Leben. „Tod ist das Ende der Zeit und also das Ende des romantischen Weges. Er ist die Pforte in die Unendlichkeit und also der Anfang der romantischen Erfüllung. Er ist der Augenblick des Übergangs aus der Zeit in die Unendlichkeit und also der romantische Augenblick an sich 1 )." Novalis nannte ja den Tod das romantisierende Prinzip des Lebens, da er dem Leben den Zugang ins Unendliche und Übersinnliche öffnet. Und weil eben Leben erst durch Tod sich erfüllt, gewinnt auch die Selbstbefreiung des Lebens den Charakter des Durchsichtigen und Symbolischen. Friedrich Schlegel überlegt: „Es ist nie Unrecht, freiwillig zu sterben, aber oft unanständig, länger zu leben", unanständig darum, weil das reife und fertige Leben „ein gemeines und langweiliges würde, wenn es sich länger hinauszöge", — so sagt einmal eine Gestalt in Kerners 'Reiseschatten'. Das darf man nicht ertragen, man muß ein Ende machen. Wer das nicht tut, ist eben unanständig. Wen der Tod vergißt, abzuholen, der wird lächerlich, . . . „doch wird dies nie einem, den die Natur, der Tod liebt, geschehen2)". Die Romantik aber glaubte sich vom Tode geliebt, weil sie ihn liebte und ersehnte, weil sie ihm die Herrschaft im Leben einräumte. Das starke Zeitgefühl der Romantik schließt ebenso notwendig das starke und tiefe Todesgefühl in sich, das Wissen von der 1 ) S t r i c h , a. a. O. S. 127. — Mit dem kurzen Aufsatz von R. Rößler über das romantische Erlebnis von Liebe und Tod in der von ihm herausgegebenen gedrängten Überschau" : Deutsche Romantik, Ausgburg 1923, S. 24—28 kann man nichts anfangen. Gute Bemerkungen bei E v a Gillischewski, Das Schicksalsproblem bei Ric. Huch, Berlin 1925, S. 55, 56, 58; auch bei H. L i p m a n n , Büchner und die Romantik, München 1923, S. 65ff., dessen Unterscheidung vom Tod als Ziel bei den christlichen und vom Tod als Attribut des Lebens bei den dionysischen Romantikern und die daraus weiter geknüpften Unterscheidungen nicht den Kern der Sache treffen: kein Gegensatz, sondern eben Steigerung. Beiden ist der Tod eingeboren. a ) Schlegel, Minor II, ,S. 205; Kerner (Hesse), I I I , S. 173ff.; S. 177. Eichendorffs Urteil über Kerner in seiner Literaturgeschichte ed. Kosch S. 459: „In diesem schmerzlichen Zwiespalt zwischen dem Jenseits und dem Irdischen ist ihm das Leben wie eine Krankheit, von der er nur im Tode genesen kann."
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Immanenz des Todes im Leben. Ein Gedicht von Mnioch im Musenalmanach von 1802 vergleicht, an Novalis erinnernd, Hellenik und Romantik mit Leben und Tod: „Hier ist das ganze Leben nur ein Sterben . . . Nichts kann beharren, nichts vereinet bleiben. Das Leben selber will nicht mit sich stimmen!" Das ist ja die tiefe Tragik und Problematik alles Seins, daß der Sinn des Lebens nicht in sich selbst ruht, daß das Leben erst eines ins Unendliche öffnenden Mittlers, des Todes, bedarf, um seine eigene und höchste Form zu erfüllen. Freilich im Lager der Romantik selbst fehlen nicht Stimmen gegen solche Todestrunkenheit, bezeichnend genug, kommen sie von Frauen. Caroline stand zu fest mitten im Leben, als daß sie sich todsüchtigen Gedanken hingegeben hätte, sie, die ganz das Diesseits in Liebe und Hingabe und Treue gegen sich selbst lebte. Das war ihr innerstes Wesen und auch dies, daß ein Lächeln grenzen könne an die unsäglichste Not. So schrieb sie im tiefsten Schmerz um ihr Kind an Schelling im Oktober 1808: sie wolle leben, und A. W. Schlegel sagte im 'Totenopfer' von ihr, sie werde nicht vermessen trachten aus dieser Sterblichkeit: „Den strahlenden Karfunkel Nahm ich im grausen Dunkel Der Schlange Tod vom Haupt. Ich will ihn bei mir tragen, In allen Lebenstagen Wird er mir nie geraubt." Dorothea Schlegel aber läßt in ihrem Roman den Helden 'Florentin' einmal die Todesgedanken mit einem scharfen Wort zurückweisen, das wohl auch ein wenig die Romantiker treffen konnte: „Ihr denkt an den Tod, nur um zu bedenken, daß Ihr so gern nicht an ihn denken wollt." Und vollends Bettina, von deren „Lebenseigenmacht" demente sprach, von der er rief: „Dein Seherauge entsiegelt dem Tode, der Dich als Leben umgibt, selbst den geschlossenen Blick." Das war die neidvolle Sehnsucht dessen, über den der Tod die Macht hatte; Bettina aber empfand es als einen „Unsinn", dem Tod solche Macht im Leben einzuräumen. „Wer von selbst seinen Geist der Natur unterwirft, für den gibt es
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keinen Tod. Der Geist muß so mächtig werden, daß er den Tod des Leibes nicht empfindet 1 )." Für die Romantiker aber war das Leben nur um des Todes willen da, war da, um zu sich selbst zu kommen — i m Tode; in solcher Ansicht liegt ein tieferer Sinn als der der bloßen Verneinung; die Lehre vom Gegensatz drückt ja nicht umsonst ein Wesentliches der Romantik aus.
Die Ansicht, daß Leben nur da sei, damit es
den T o d in sich zur Reife bringe, ist der gerade Gegensatz zur Klassik, für die der Tod nur die Hülle war, die das Leben braucht, um in Erscheinung zu treten. Einheit von Leben und Tod
Freilich im Wissen um die tiefere treffen sich Klassik und Romantik,
aber nicht allein sie, sondern alle geistigen Epochen — nur ist es ein Wissen gleichsam mit entgegengesetzten Vorzeichen, nur ist in der Romantik eben der Tod dem Leben zu innerst schon verbunden, die Klassik aber muß ihn als eine unverbundene Macht sich erst anverwandeln, ihn sich zum Dienst heranzwingen.
Eine
„Problemeinheit" besteht natürlich in dem zeitlichen Neben- und Ineinander von Klassik und Romantik;
nur die Art, wie hier das
Problem von Leben und T o d angefaßt wird, in welch verschiedenen ästhetisch-ethischen oder religiös-magischen Schichten
es gelöst
wird, ist entgegengesetzt. Auch die Romantik hatte einen Lebensbegriff, wie jede Zeit, ja das Lebensprinzip, in welches sich das Bewußtsein des Todes tief einsenkt, ist das höchste metaphysische Prinzip der Romantik überhaupt 2 ). Leben ist das ewig und immer Vorhandene, das Unzerstörbare und Absolute, und Hölderlin kann rufen: „ D a s Leben ist zum Tode nicht erkoren."
Auch hier das
todüberwindende Bewußtsein vom „Stirb und W e r d e " , von der unendlichen Wandlungsfähigkeit des Lebens, der Natur, die eben nicht nur eine „furchtbare Mühle des Todes" ist. In dieser gemeinsamen Überzeugung des ewigen Werdens und Vergehens t r i f f t Mnioch: Musenalmanach für das Jahr 1802, Tübingen 1802, S. 232 (auch Strich a. a. O. S. 129, der auf dieses Gedicht hinweist); ebd. S. 173ff. : Schlegels 'Totenopfer' ( = Werke I, 127f. ; vgl. 137, 357ff. ; I I , 21 ff. ; 36f.) Caroline, I I , 5, 62. — Florentin, Leipzig 1801, S. 75; 243. - Bettina: Frühlingskranz a. a. O. S. 75, 100, 275; Briefwechsel a. a. O. S. 512. 2 ) B r i n k m a n n a. a. O. S. 76; vgl. überhaupt die ganze Schrift. Über den Begriff der „Problemeinheit" als Formel für Generationsgemeinschaft (aber er läßt sich auch auf einen geistesgeschichtlichen Gesamtverlauf anwenden) vgl. W. P i n d e r a. a. O. bes. S. 158.
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aber die Romantik nicht nur mit der Klassik, sondern mit allen geistigen Bewegungen überein, die einen Lebensbegriff ihr eigen nennen, sei er nun religiös, sei er metaphysisch gefaßt. Doch der Unterschied liegt im Weg zu dieser Überzeugung, zu diesem Lebensbegriff, in der jeweils anderen Betonung und Bewertung der einzelnen Faktoren, die in ihm zusammengebunden sind, bei der Romantik eben in der Verherrlichung des Todes, in dem „Kunstsinn für den Tod", der im Tod den mütterlichen Schoß sieht, aus dem erst das Leben hervorwächst, liegt in der Art, wie das Leben überhaupt erst auf dem dunkeln Hintergrund des Todes gefühlt und verstanden wird, wie ganze Kulturen, etwa die antike, nun romantisch vom Tode her gesehen werden. Die Romantik will den Tod, weil sie dahinter das „absolute Leben" sieht, weil er Wandlung und Übergang von einem begrenzten in einen anderen, entgrenzten Zustand ist. Diese gegenklassische Sehnsucht zum Tode wird Sehnsucht zum Leben. Aber das ist das Tragische und wiederum Gegenklassische, daß der Lebenswille sich erst im Jenseits erfüllen kann, und daß er hier in der Vollendung zerbrechen muß. Es ist das Leben, so wie es die Romantiker verstehen, die christlichen und die dionysischen : Leben nicht der geschlossenen Persönlichkeit, sondern Leben der zerbrochenen Persönlichkeit; es ist Sehnsucht nach dem Unendlichen, in die der entgrenzende Tod öffnet. In solchem Sinne kann Novalis sagen, Tod sei Verstärkung des Lebens. Novalis nennt es das absolute Leben und spricht von höherer Offenbarung des Lebens, andere sagen das All, das Ganze, Allgemeinheit, das Universum, Grund, ewiger Ursprung, allgemeines Leben, so Günderode, Görres, auch Hölderlin. In dem Erlösungswillen, im Ziel treffen sie sich alle, nur die Art und die Stärke, mit der sie danach streben, mag verschieden sein, verschieden auch bei manchen die Vorstellung von der Bedeutung des Einzellebens innerhalb des Gesamtlebens. Es ist der ewige Ursprung, zu dem alle zurückkehren, die Ewigkeit auch, wie sie der späte Friedrich Schlegel versteht, der gänzliche Verein mit der Natur, wie es einmal Kerner sagt, im Hingang durch den Tod, der zugleich Opfer- und Versöhnungstod der Individuation wird, auch für Hegel und später noch für Schopenhauer1). Brentano !) Fr. S c h l e g e l , Philosophie des Worts, Wien 1830, S. 98; 102; vgl. Strich a. a. O. S. 113. - A. Müller a. a. O. S. 121. Man sehe auch E c k a r t e h a u s e n , Aufschlüsse a. a. Ο. I. 15, 86; II, 54 — 56
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schreibt einmal an seinen Bruder, der Tod sei es allein, „der uns in das gemeine, wertlose Leben, in dem wir, eingefangen, ohne Ahnung höherer Bestimmung, blind fort rollen, Aussichten reißt, ohne welche das Leben für jeden, der Hohes zu ahnen fähig ist, Verzweiflung wäre". Auch für Schleiermacher waren so der Tod und die Geburt gewisse Übergänge ins Unendliche, durchgehauene Aussichten, und vollends der alte Friedrich Schlegel, in der 'Philosophie der Sprache und des Worts', betrachtet den Tod (neben der Ekstase und der Kunstbegeisterung als solchen Berührungen der Ewigkeit und der Sinnenzeit) als einen Übergangspunkt beider Sphären, bezeichnet ihn als Übergang aus der Zeit in die Ewigkeit oder „aus der gebundenen und zerrissenen Zeit in die volle wahre und selige Zeit 1 )". Und weil eben der Tod so an die u n d ders. Ideen über das affirmative Princip des Lebens und das negative Princip des Todes, Leipzig 1798, eine Schrift, die sich in der Bibliothek des Novalis befand, S. 38ff. ; 49f.; 56: Das Flüssige ist unangreifbar für den Tod (vgl. dazu Brinkmann S. 39 über das Flüssige als dem Symbol des absoluten Lebens bei Novalis [III, 212, 241, 247, 251, 254, 258, 264], der aber nicht auf Eckartshausen weist); S. 56, 57. Weil das tötende und zerstörende Princip ein doppeltes Wesen ist, das immer die K r ä f t e trennt und scheidet, so muß das lebenerzeugende Princip ein einfaches Princip sein, das die Kräfte überall zu vereinen und in Harmonie zu setzen sucht. — Dann auch G ö r r e s , Glauben und Wissen, München 1805, S. 144 ( = Ges. Sehr. I I I 1926, S. 68f.) ,,. . . seliger als der individuell gebundene Zustand der organischen Materie ist das a l l g e m e i n e r e L e b e n der unorganischen Natur, wo jeder Teil im Ganzen ist und wirkt und ohne Frist und Kampf sich in der Idee bewegt, den sterblichen Körper aber f ü h r t der Tod in diese höhere Gemeinschaft ein . . . " Ders. Über die Grundlage, Gliederung und Zeitenfolge der Weltgeschichte, Breslau 1830, S. 97. Von der „Gebärmutter des Todes" spricht Görres in Daubs 'Studien* 1807, S. 3 2 9 = Ges. Sehr. Ι Π (1926) S. 372; auch Bäumler a. a. O. S. 104, 177. Bezeichnend ist, daß Mme. d e S t a ë l bei Gelegenheit Schellinge und seiner Schule und ihrer Annahme, „daß das Einzelwesen in uns vergeht, daß die inneren Eigenschaften, die wir besitzen, in dem großen Ganzen der ewigen Schöpfung zurückkehren", sagt: „Diese Art von Unsterblichkeit h a t eine schreckliche Ähnlichkeit mit dem Tod; denn der physische Tod ist selbst nichts anderes, als die universelle Natur, die die dem Individuum geliehenen Gaben wieder zurücknimmt." A. a. O. S. 461; I I I , Kap. 7 (ed. Friedrich, Weimar 1913). Mnioch a. a. O. S. 224. *) B r e n t a n o , Schriften V I I I , S. 189; S c h l e g e l , Philosophie d. Worts a. a. O. S. llOff. Vgl. auch Sol g e r , Vorlesungen über Aesthetik, Leipzig 1829, S. 31 Of. : „Wir sind in der Existenz befangen, die ein von
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Unendlichkeit heran und in sie hineinführt, darum ist er das romantisierende Prinzip des Lebens und der romantische Moment an sich: erst dadurch wird der Tod das wahre Leben. Diese Todund Leben-Antithese gewinnt jetzt metaphysische Bedeutung wie in der Barockzeit und kehrt ebenso oft wieder, denn es herrscht das gleiche innere Bedürfnis, sich in der Antithese und im Gegensatz auszuleben. Man mochte wohl spotten über diese Ansicht: daß im Tode erst das eigentliche Leben beginne, d. h. das Leben im Gesamten, nicht in der Einzelform. Dieses Mystische in der ganzen Frühromantik und die Sehnsucht nach dem Unendlichen und dem Tod fand denn auch Widerspruch; solche Gegenstimmen aber sind darum so wichtig, weil sie zeigen, worin die Außenstehenden das ihnen artfremde und daher sich von andern abhebende und eigentlich romantische Wesen erblicken. Baggesen in seinem 'Kling-Klingel-Almanach', diesem 'Taschenbuch für vollendete Bomantiker und angehende Mystiker', macht sich einmal über die heilige Brahminalehre, „wie Leben über Tod mag siegen" und auch über den Drang nach dem Unendlichen lustig. „ 0 ! möcht' ich erst mit lindem Wollustgrauen Des Alls und Eines Einerleiheit schauen, Versenkt ins Meer zahlloser Himmelswonnen." Und im 'Sonett des Selbstmörders' spottet er: „Der Tod ist höhren Lebens Prophezeihung, Hienieden rings, vom Ganges bis zum Pregel." Baggesen wittert hier überall das Orientalische, das Indische und Mystische. „Mein Tod wird selbst das Leben überwinden", heißt es ein andermal höhnisch und dann wieder: „Im Leben will mein Leben sterbend wallen, Sich durch den Tod zu neuem Sein ermuten 1 )." Dies „Ermuten zu neuem Sein" aber ist die Hingabe des todesreifen Menschen. „Das Todesgefühl der Erde wird zur Sehnder Idee abgewendetes, verlorenes und an sich nichtiges Leben hat und nur Bedeutung, Inhalt und Wert erhalten kann, wenn sich die göttliche Idee in ihr offenbart. Diese Offenbarung ist aber nur möglich durch Aufhebung der Existenz selbst . . . Der Untergang der wirklichen Welt ist Offenbarung des Ewigen." Dazu Cysarz a. a. O. S. 293, 297. 1) B a g g e s e n , Kling-Klingelalmanach, Tübingen 1810, S. 66, 107, 117, Drang nach dem Unendlichen 129; S. 160, 161: „ E u c h alle wird der Tod von hinnen dudeln." S. 174. Ähnliches in der 'Divina Comödia' 1808 (Neudruck 1907), S. 5, 7, 4 1 ; 58 u. 78 (Novalis), 89.
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suchtsfeier", sagt Loeben vom Herbst, „so muß auch der Mensch reifen und soll am Ende der Zeit aus eigener Sehnsucht und Liebe sich dem befreienden Tod e n t g e g e n s e n k e n 1 ) . " Die Ahnung des Todes wird die Botschaft aus der nahenden, tagenden Heimat, und wen in „himmlischem Sehnen" „heimwärts verlangt", den führt jener Jüngling mit der Lilienkrone, der stillste der Gäste mitten im Fest, mit der wunderbar prangenden Fackel ins himmlische Reich. Es ist der ins christlich verwandelte, sinnend am Grabe stehende Todesgenius, den Eichendorff in seinem Gedicht 'Auferstehung' zart und mild wie im Traume sieht, den Novalis in den 'Hymnen an die Nacht' als eine Ahnung Christi begreift. Vom Entgegensenken des Lebens zum Tode spricht Loeben. Dieses Gefühl von der unlöslich-wesensmäßigen Immanenz des Todes im Leben aber läßt sich nicht deutlicher ausdrücken als mit den Worten eines anderen, verschollenen Romantikers, Ernst Wagners, für den der Tod wie eine dunkle Scheibe war, die allmählich m i t und a u s dem Leben emporwächst und endlich alles emporgewachsene Leben sanft überdeckt, als ein kühles Obdach, dem alles irdische Leben nach und nach zuwächst. Wenn nun in der Romantik wie im Barock immer wieder die Mahnung ertönt, man solle sich zum Tode vorbereiten und das Sterben lernen, d. h. seinen eigenen, im Leben wachsenden Tod reifen, so hat das hier noch einen ganz besonderen Klang: wenn der romantische Mensch nach der Vollkommenheit strebt, zerbricht er sich selbst, da Vollendung nicht sein darf, sondern die Unendlichkeit. Doch er besitzt die Erkenntnis Kassandras, daß das Wissen der Tod sei, er weiß von der „endebewußten" Reife, von der tödlichen Vollkommenheit. Weil er aber weiß, daß Sehnsucht nach Schönheit, Vollkommenheit und höchster Bewußtheit zugleich Sehnsucht nach dem öffnenden, ins Unbewußte erlösenden Tod ist, darum erfüllt ihn diese Sehnsucht mit wollüstigem Zagen, denn es ist ein Sehnen dem Abgrund zu, ist höchste Lust des Unbewußten, es ist die festlich-stolze Todeslust, von der Hölderlin trunken singt; in solchem Tode geschieht die J) L o e b e n , Lotosblätter II, Leipzig 1817, S. 119, 124, 127, 128, 130, 190ff. Sehnsucht nach der Heimat. 1,187. Wo Tod ist, da ist auch Belebung. Eine ähnlich christliche Stimmung auch bei E. W a g n e r , Historisches ABC. 1810, Tod. Sämtl. Schriften 10, S. 157-159.
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mystisch-magische, dionysische Vereinigung von Selbstverwirklichung und Selbstauflösung. „Darum geht der Mensch, sicher sich selbst immer wieder zu finden, immer von neuem aus sich heraus, um die Ergänzung seines innnersten Wesens in der Tiefe einer fremden Seele zu suchen und zu finden . . . Absolute Vollendung ist nur im Tode." „Nur in der Antwort seines Du kann jedes Ich seine unendliche Einheit ganz fühlen" (F. Schlegel). Und wie das Ich das Du braucht, ebenso braucht das Leben den Tod, um ganz seine Einheit und Göttlichkeit zu empfinden. Zu dieser schmerzhaft beseligenden Erkenntnis kommt und muß jedes Zeitalter kommen, wenn es den Sinn des Lebens fühlen will. Leben braucht den trennenden Gegensatz, um die Einheit zu schaffen und über sich selbst hinaus zu kommen, auch über den Tod. Die romantische Todüberwindung liegt in der freiwillig opfernden Hingabe an den Tod, in der Hingabe an die Unendlichkeit. Es ist die Hingabe, die dem Tod aus dionysischer Seele ein festlich trunkenes Lied singt wie jener Sänger in Friedrich Schlegels Gedicht 'Abschied des sterbenden Sängers': „Mein einzig Leben war, den Tod verschönen 1 )". Das war auch das Streben der Romantik. Der Tod löst ihre tiefsten Kräfte, im Tod erhebt sich das Leben zur meisterlichen Höhe und Vollkommenheit, es singt sich aus, es singt seine Melodie zu Ende und wirkt berauschend, da es hinabgeht: 'Todeslust'. So heißt ein Gedicht Eichendorffs: „Bevor er in die blaue Flut gesunken, Träumt noch der Schwan und singet todestrunken; Die sommermüde Erde im Verblühen Läßt all ihr Feuer in den Trauben glühen; Die Sonne, Funken sprühend im Versinken, Gibt noch einmal der Erde Glut zu trinken, Bis, Stern auf Stern, die Trunkne zu empfangen, Die wunderbare Nacht ist aufgegangen." *) Fr. S c h l e g e l , Jugendschriften II, 339. Vgl. Reinkemeyer a. a. O. S. 10, 34, 56ff. Schriften VIII, 214 (Abschied des sterbenden Sängers.) — E i c h e n d o r f f , Todeslust, Werke ed. Mendheim, I, 128; vgl. auch III, 211 (Ahnung und Gegenwart). Vgl. G. v. L u k á c s , Die Seele und ihre Formen, Berlin 1910, S. 117. ihre (der Romantik) Lebensphilosophie war eine des Todes, ihre Lebenskunst eine des Sterbens."
SCHLUSS „Wie wundervoll sind diese Wesen, Die, was nicht deutbar, dennoch deuten, Was nie geschrieben wurde, lesen, Verworrenes beherrschend binden Und Wege noch im Ewig-Dunkeln finden." Hugo von Hofmannsthal
D
er Wandel des Todesgedankens ruht auf jener metaphysischdynamischen Zweiheit der Lebensrichtung, die zu allen Zeiten offenbar wird: jene zwei Arten des Lebensbegreifens schließen in sich die zwei ihnen innerlich verbundenen Arten des Todbegreifens. Das Lebensgefühl schwingt bald nach der einen, bald nach der anderen Seite aus; man glaubt einen Rhythmus erkennen zu können, es ist, als ob die Schwingungen immer schneller aufeinanderfolgen, als ob die Menschen schnell - lebiger geworden seien. Jedenfalls aber: eine so urtümliche Frage wie die des Todes führt überall in die Tiefen des menschlichen Wesens hinab, weil der Tod erst das Leben durchsichtig macht. Daß Tod Lebenssteigerung ist und immer Leben den Tod braucht, um ganz es Selbst zu werden, aber umgekehrt auch der Tod das Leben, das Wissen um die Einheit von Leben und Tod und ihre gegenseitige Ergänzung, auf der sich das Höhere aufbaut, — das ist das Letzte, zu dem jede Epoche kommt. Das bedeutet zugleich Überwindung des Irdischen und des Todes. Man kann erkennen, wie die beiden Reihen sich dahin zu bewegen und in stetiger Verwandlung das Ziel erreichen: die eine von frühgermanischer Zeit über das Hochmittelalter zur Reformation und von dort durch die Aufklärung zur Klassik, wo es Goethe dann ausspricht, Leben brauche den Tod als Hülle, um zu leben. Und dann auf der anderen Seite von der Mystik zum Barock, von dort zum Irrationalismus des 18. Jahrhunderts und zur Romantik, wo dann Schlegel bekennt, nur in der Mitte des Todes entzünde sich das Leben. Leben ist immer das Letzte, aber der Weg ist verschieden. Hier ist der Tod
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nur um des Lebens willen da, damit er das Leben schaffe, und dort scheint nur das Leben um des Todes willen zu sein, damit das Leben den Tod reife. Das Ringen um die Einheit dieser Zweiheit von Leben und Tod ist das eigentlich tiefe Problem in all den Zeiten, und so ist im letzten die Geschichte des Todesgedankens die Geschichte des Lebensbegriffes. Man wandelt sich heraus aus der kirchlich-dogmatischen Bindung zu einer anderen Erfassung des Todes und dann des Lebens, faßt dieses Leben zunächst im christlichen Sinn und dann rein philosophisch als unzerstörbares, ewiges, dauerndes, als absolutes Leben. Eines gibt zu denken. Die letzten Jahrhunderte, ja schon die Reformation, kennen keine dichterische, wortkünstlerische Gestaltung des Todesgedankens mehr. Das Mittelalter hatte die Totentänze, und dann folgt die begriffliche und abstrakte Überlegung, die philosophisch-weltanschauliche Erwägung. Die Erklärung für diesen Sachverhalt gibt eine Beobachtung Goethes: in früheren Jahrhunderten waren die großen Ansichten des Lebens in Gestalten, in Götter gebracht, heutzutage bringt man sie in Begriffe. Aus dem gleichen Grunde gestaltet in späterer Zeit, seit dem 17. Jahrhundert, die bildende Kunst mit wenigen Ausnahmen den Gedanken des Todes nicht mehr in großer künstlerischer Form. Man muß es bekennen : es gibt in der ganzen deutschen Dichtung überhaupt nur ein Werk, das dem Problem des Todes sich völlig widmet und das zugleich darum geistesgeschichtlich so wichtig ist, weil es an der Schwelle zweier Zeiten steht, nicht nur weltanschaulich, sondern auch darin, daß es noch die Ideen und Ansichten des Lebens in Gestalten bringt und auch schon in Begriffe, doch beides in vollendeter Harmonie: es ist das Streitgespräch zwischen dem Ackermann und dem Tod. Die Neuzeit kann ihm nur ein Gegenstück zur Seite stellen, keine begriffliche Ausdeutung, sondern die menschliche Tat, die auch Gestalt wird, den Tod selbst: die Günderode, Kleist, und in einen anderen Bezug gewiß auch Hölderlin und Novalis. — Es ginge über die Grenzen dieser Arbeit hinaus, den Todesgedanken noch über das ganze 19. Jahrhundert zu verfolgen. Aber es ist wichtig zu sehen: das romantische Todbegreifen wirkt noch lange nach, auch in der Wissenschaft, in der Mythenforschung, doch am Unmittelbarsten in der Lyrik, bei Mörike in dem Gedicht 'Leben und Tod' oder in jenem wundervollen 'Denk es,
Sdiluß
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o Seele', auch bei Lenau und bei Heine in seinen Liedern aus der Matratzengruft. Romantische Todessehnsucht erfüllt noch Büchners Märchenspiel „Leonce und Lena"; das traumhaft schöne Lied der Rosette „o meine müden Füße, ihr müßt tanzen" wird ganz getragen von jenem zum Tode sich lösenden Rhythmus, und der Gedanke des romantischen Liebestodes und der Todesliebe klingt in Lenas Worten: „Der Tod ist der seligste Traum" und in Leonces Antwort: „So laß mich Dein Todesengel sein." Freilich, Büchner kommt über solche Todesverliebtheit hinaus, aber dionysisch bleibt sein Todesempfinden, und romantisch-dionysisch ist es auch bei Wagner im 'Tristan' : höchste unbewußte Seligkeit des Liebestodes1). Im 19. Jahrhundert hat niemand romantische Todeslust nun auch sinnbildlich im dramatischen Werk so dargestellt wie er. Der Tristanschluß ist geradezu die erfüllende künstlerische Gestaltung romantischen Tod- und Allverströmens. Wagner hat auch die theoretisch-philosophische Begründung und Erklärung solch dionysisch opfernder, auflösender Tragik gesucht, in der deutlich der geistesgeschichtliche Zusammenhang hervortritt: er bringt auch dramaturgisch in einem tieferen Sinn die romantische Auffassung des Tragischen als des festlich „großen Liebesopfers des Todes" gegenüber der Klassik zum Ausdruck: „Die letzte, vollständigste Entäußerung seines persönlichen Egoismus, die Darlegung seines vollkommenen Aufgehens in die Allgemeinheit gibt uns ein Mensch nur mit seinem Tode kund, und zwar nicht mit seinem zufälligen, sondern seinem notwendigen, dem durch sein Handeln aus der Fülle seines Wesens bedingten Tode. Die Feier eines solchen Todes ist die würdigste, die vom Menschen begangen werden kann. Sie erschließt uns nach dem, durch jenen Tod erkannten Wesen dieses einen Menschen die Fülle des Inhaltes des menschlichen Wesens überhaupt." Bei Wagner ist dann auch schon der Einfluß Schopenhauers sichtbar, der 1814 in jenem berühmten 41. Kapitel des 2. Bandes seines Hauptwerkes 'Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich', Worte niederschrieb, die !) Zu Mörike vgl. Heinsius, Vierteljahrsschrift III, S. 221-222. — Zu Büchner vgl. H. Lipmann a. a. O. S. 15, 65ff. — Wagners Äußerung zitiert nach R. P e t s c h , Deutsche Dramaturgie, Hamburg 1921, S. 149; vgl. auch C y s a r z , Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft, Halle 1926, S. 297ff.; 301.
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ganz in die romantische Weltansicht weisen. Tod sei „die große Zurechtweisung, welche der Wille zum Leben und der diesem wesentlichen Egoismus durch den Lauf der Natur erhält; und er kann aufgefaßt werden als eine Strafe für unser Dasein. Es ist die schmerzliche Lösung des Knotens, den die Zeugung mit Wollust geschürzt hatte, und die von außen eindringende gewaltsame Zerstörung des Grundirrtums unseres Wesens: die große Enttäuschung. Wir sind im Grunde etwas, das nicht sein sollte und darum hören wir auf zu sein." Aber das heißt auch zugleich, daß der Tod Erlösung aus dieser schuldvollen Sünde wird, Sühne für die Vereinzelung; sein furchtbares Antlitz verwandelt sich in ein mildes und gnadenreiches. Gegen solch romantische Todsüchtigkeit erhebt sich bald, um 1830, ein neuer wirklichkeitsgesinnter Lebenswille. Es ist sinnbildlich, wenn Börne in seiner Auseinandersetzung mit Grillparzers 'Ahnfrau' erklärt: „Es mag die eigene Lust in der aligemeinen Seligkeit untergehen, nie aber darf das besondere Leben dem gemeinschaftlichen Tode hingeopfert werden." 1830 veröffentlicht Ludwig Feuerbach seine aufsehenerregenden „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit", mit denen er in den Streit um die Unsterblichkeitsfrage entscheidend eingreift und dem christlich-jenseitigen Unsterblichkeitsglauben überhaupt den kritischen Gnadenstoß versetzt. Im gewissen Sinne stellt er sich auf den klassischen Boden neben Schiller: und auch jetzt wieder, nur mit einer stärkeren Betonung des Sinnenhaft-Natürlichen, drängt das Bewußtsem des Todes ins voll- und ganzgelebte Diesseits zurück. Eine neue, sehr ethische Humanität bildet sich heraus, die zu Leben und Tod Ja sagt und das Ganze des Seins umfängt, weil sie weiß, daß der Tod Abschluß des Lebens ist, aber auch d i e Macht, die erst das Leben ganz verstehen lehrt. Hebbels Gedicht „An den Tod" erfüllt sich mit diesem Bewußtsein: „Oft noch berühre du mich, Tod, wenn ich in mir zerrinne, Bis ich mich wieder gewinne, Durch den Glauben an dich!" Keller aber schreibt 1851 : „Die Welt ist mir unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben ist wertvoller und intensiver, der Tod ernster und bedenklicher und fordert mich nun erst mit aller Macht auf, meine Aufgabe zu erfüllen und mein Bewußtsein zu reinigen und zu befriedigen, da ich keine Aussicht habe, das Versäumte in irgendeinem Winkel der Welt nachzuholen." Diese tiefe, reiche, sinnengesättigte und vergeistigte Welt- und Dies-
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seitsfreude und dieser verpflichtende Humanismus durchströmen dann das ganze Werk Kellers, und im 'Verlorenen Lachen' legt er seine Ansicht noch einmal bekenntnishaft nieder, „der Dinge gewärtig, die kommen oder nicht kommen werden." Sieghaftes Lebensbewußtsein, das den Tod überwinden will, darf dann wohl einmal (echt kellerisch) vom „Tödlein" sprechen, so wie auch Hebbel wohl den Tod den „Sklaven des Menschen" genannt hat. Dieses neue, fast klassische Umfassen von Leben und Tod prägt auch die reine und klare, aus Entsagung und Leidenschaft hervorgewachsene Humanität Adalbert Stifters, nur daß sie bei ihm noch in einem anderen Grund wurzelt, in der unverrückbaren Glaubensgewißheit des katholischen Christen, dem in wunderbarer Hoheit und Ruhe das Gut des Lebens durch das Wissen von Tod und Jenseits geadelt wird. Freilich, solch sichere Haltung angesichts des ewigen Lebensrätsels wird nicht allen dieser Altersgemeinschaft zuteil, und die Vernichtung des Unsterblichkeitsglaubens durch Feuerbach hat gerade Storm, der nicht mehr glauben konnte und doch wollte, mit einer Hoffnungslosigkeit erfüllt, die sich wie ein Schleier über seine Dichtung legt. Schopenhauer wirkte tief auch auf Burckhardt, freilich mochte dieser gleich manchen andern nur selten über diese Dinge sprechen, aber er hoffte doch auf das „Unverdiente 1 )." Eine leise innere Unsicherheit ist hier überall nicht zu verkennen. „Mit scheuer Zurückhaltung, mit der asketischen Vorsicht des endenden 19. Jahrhunderts" untersucht J
) Börne, Petsch a. a. O. S. 103 (aus den Dramaturgischen Blättern). W. L ü t g e r i , Die Religion des deutschen Idealismus u. ihr Ende, III, 1925, S. 196ff., S. 228ff. - H e b b e l , Saekularausgabe VI, 266; 338. Vgl. A. S c h e u n e r t , Pantragismus 1903, S. 64ff.; Ders. Der junge Hebbel, 1908, S. 2 0 - 3 1 (Tod); P. S i c k e l , Hebbels Welt- und Lebensanschauung, 1912, S. 47 ff. Kellers Brief bei Ermatinger II, 275. — Stifter: A. v. G r o l m a n n , Stifters Romane, Halle 1926, S. 25, 53, 62, 1 0 1 - 1 0 6 (Tod). - Storm: W. B r e c h t , Storm und die Geschichte, Vierteljahrsschrift I I I (1926) S. 444—462; bes. S. 445, 447, 450, 457 „Storms ganze Dichtung ist im Grunde Todesproblemdichtung", S. 458f. — Für W. Raabe sehe man die ziemlich äußerlichen Ausführungen von M. A d l e r , Der Tod in W. Raabes Dichtung. Programm, Salzwedel 1913. — F o n t a n e , Werke Auswahl, I, S. 191; dazu auch Th. M a n n , Rede und Antwort, Berlin 1922, S. 113ff. — Material auch bei R. K i a u C , Deutsche Trostbriefe, Stuttgart 1919.
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man die Frage von Tod und Ewigkeit1). Eine erhabene Resignation im Sinne Kellers, jene „stille Grundtrauer, ohne die es keine rechte Freude gibt", leiht auch den Dichtungen Raabes und Fontanes ihren eigentümlich tiefen Glanz und auch dem Werk C. F. Meyers. Aber bei ihm zittert auch jenes tragisch verführende, romantische Wissen um die Schönheit, um die tödliche Vollkommenheit, um das tödliche Südglück, das in Platens Tristanversen schwingt: „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben." „Todestiefe" ahnt auch Meyer, und auch dies, daß neben der höchsten Reife der Tod wartet, daß das Schöne, das Große, ein Ende ist, todgeweiht und dem Tode nahe2). Die trauervolle Reife der Dinge, aber auch die veredelnd-vornehme Wirkung des Todesgedankens in der Kunst hat ein anderer Künder der schönheitsvollen Renaissance, Walter Pater, tief empfunden. Noch Thomas Manns adlige Novelle 'Der Tod in Venedig' (auch Barrés' 'La Mort de Venise') ist erfüllt von jener metaphysischen „Zweideutigkeit aus äußerster Todesnähe und letzter Lebenssüße", vom Wissen um die Tödlichkeit und die Überreife des Vollkommenen, und daß die Kunst, wie es d'Annunzio sagt, die ewige Schwester des Todes sei. „Die letzte Schönheit, bis zu der ein Ding kommen kann, ist immer sein Tod" (Rudolf Kassner). Diese Einsicht der Tödlichkeit der Kunst des Vollkommenen, des Südens, der Schönheit, die Erkenntnis der Dekadenz, der historischen Pathologie, vermittelt neben Pater hier gerade Nietzsche, er, dem, von Schopenhauer und Wagner tief beeinflußt, „die ethische Luft, der faustische Duft, Kreuz, Tod und Gruft" schon frühe behagten. Und 1 ) E. R. C u r t i u s gebraucht diese Worte bei Gelegenheit Marcel Prousts: Französischer Geist i m neuen Europa, Stuttgart 1925, S. 139; vgl. auch S. 37, 50, 124, 140, 143. I n seinen anderen Büchern berührt Curtius das Thema wiederholt: Die literarischen Wegbereiter des jungen Frankreich, 1919, S. 54, 102, 132, 135f.; 165, 168, 173, 196, 242. Maurice Barrés, Bonn 1921, S. 68ff., 73, 75, 77, 135ff., 152, 153, 160, 164, 172, 215. 2 ) Vgl. F. B a u m g a r t e n , C.F.Meyer, München 1920, S. 2 2 6 - 2 2 9 ; E. B e r t r a m , Nietzsche, S. 245ff., 251, 265ff., 274, 303ff., 359f.; auch Bäumler a. a. O. S. 254. G. S i m m e l , ¡Zur Philosophie der Kunst, Potsdam 1922, S. 66—73. Für Nietzsche außer dem ZarathustraAbschnitt I, vorletzte Rede noch Götzendämmerung Nr. 36, 44. Fröhliche Wissenschaft Nr. 278, 370.
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Nietzsche, der Entdecker des Dionysischen in der griechischen Tragödie, ist es auch, in dem eine neue romantisch-dionysische Todesbegeisterung wieder hervorbricht. Er verkündet die dionysische Todeslust des freien Geistes, der sich selbst den Tod wählt, der auf eine stolze Art sterben will, „wenn es nicht mehr möglich ist, auf eine stolze Art zu leben". Es sind jene Seiten aus dem 'Zarathustra' 'Vom freien Tode', in denen die entscheidenden Worte nun vor aller Öffentlichkeit fallen, Worte, wie man sie bei Hölderlin, bei Kleist, bei der Günderode schon gehört hatte: sie sind letzter Ausklang (und neuer Vorklang), philosophischmetaphysische Aufgipfelung romantisch-dionysischen Toderstrebens: „Wichtig nehmen alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht." Nietzsche will die ursprüngliche Bedeutung des Todes, die die Kirche pfäffisch verdorben hat, wiederherstellen, er spricht vom v o l l b r i n g e n d e n Tode auf der Höhe des reifen Lebens, wo nur die Entgrenzung und Öffnung möglich bleibt, vom rauschhaften und freien Tode, vom schnellen, stürmischen in Lebensseligkeit und Lebenstrunkenheit: es ist „Magie des Todes", ekstatisches Fest. „Heiterkeit, güldene, komm! Du des Todes heimlichster, süßester Vorgenuß!" Diese Todeslust ist keine weiche aus der „Verarmung des Lebens", sondern eine herrische Todeslust aus der „Überfülle des Lebens". Etwas Willentliches liegt darin, etwas Gesteigertes und Prophetisch-Begeistertes wie bei Hölderlin. Höchste Lebensreife ist zugleich höchste Todesreife, ist das tragisch-magische, „schwermütig endbewußte" Wissen, daß das Leben seine Melodie rauschhaft und stolz zu Ende singt, daß Vollkommenheit tödlich ist und dem vollendeten schönen Leben nur der Tod und das festliche Hinabgehen bleibt; und daraus eben fließt die Lust und die Sehnsucht. Auch Nietzsche gehört zu der „Familie des Untergangs" und weiß wie Kleist von denen, die nur im Tode das Leben meistern — bei ihnen wohnt doch nicht „Verarmung des Lebens". „Ich liebe die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als Untergehende, denn es sind die Hinübergehenden." Tod ist letzter Hebel des menschlichen Seins, „ist das Siegel auf jede große Leidenschaft . . . Für ihn reif sein, ist das Höchste, was erreicht werden kann, aber auch das Schwierigste und durch heroisches Kämpfen und Leiden Erworbene. Jeder solche Tod ist ein
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Evangelium der Liebe." ,,Manchem mißrät das Leben: ein Giftwurm frißt sich ihm ans Herz. So möge er zusehen, daß ihm das Sterben um so mehr gerate." „Frei vomTode und frei im Tode, ein heiliger Neinsager, wenn es nicht Zeit mehr ist zum Ja : Also versteht er sich auf Tod und Leben. „Daß euer Sterben keine Lästerung sei auf die Erde, meine Freunde: das erbitte ich mir von dem Honig eurer Seele. „In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend glühen, gleich einem Abendrot um die Erde: oder aber das Sterben ist euch schlecht geraten." Das alles ist gegenklassisch, dionysisch ; hier ist auch im Kampf noch lustvolle Hingabe, Opfer. Freier Tod soll Tat werden, nicht im Sinne Schillers Zwingung des Todes, sondern Tat eines Lebens, das langsam und stetig diese Tat reift, das den e i g e n e n Tod heischt. Von s e i n e m Ted spricht Nietzsche, der i h m zugehört, den er sich innerlich gereift hat, er nennt ihn den „vollbringenden" Tod, eben die Frucht. Der Tod aber, der nicht sinnvoll als e i g e n e r Tod, als E r g e b n i s des Lebens innerlich kommt, sondern äußerlich, ist grinsender Tod, der herschleicht wie ein Dieb und doch als Herr kommt. Solches Ende ist schrecklich und grausam und raubt dem Menschen das Höchste, das schöne vollendete Sterben und damit auch die höchste Lebensreife. Denn der Tod muß dem Menschen einwohnen, in ihm liegen, wie ein Kern, der wächst und das Leben bestimmt. Simmel hat dieses Verhältnis zum Tode entwickelt und auf Rainer Maria Rilke hingewiesen. Denn Rilke ist es, der nach vereinzelten Vorläufern nun nicht mehr dionysisch, sondern mystisch am tiefsten und vernehmlichsten jenen eigenen Tod, jenes „Gebären des eigenen Todes" erbittet, im 'Stundenbuch', in dem Abschnitt 'Von der Armut und dem Tode', der auch am tiefsten vor „unsres Todes toter Fehlgeburt" bangt, vor jenem Tod der Menschen: ihr eigener hängt grün und ohne Süße wie eine Frucht in ihnen, die nicht reift. Rilke aber fleht um den anderen, den „großen Tod 1 )." x ) Zu Rilke außer S i m m e l , Rembrandt S. 99 auch R. F a e s i , Rilke, Wien 1919, S. 53ff.; H. H e y g r o d t , Die Lyrik Rilkes, Freiburg 1921, S. 102ff.; E. G a s s e r , Grundzüge der Lebensanachauung R. M. Rilkes, Bern 1925, S. 8 0 - 8 5 ; H. P o n g s , Das Bild in der Dichtung, Marburg 1927, S. 221, 353ff. — Ergänzend zum „Stundenbuch" die schneidenden Worte in 'Laurids Brigge' I, 8ff., 10, 14ff. ; II, 52.
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„ 0 Herr, gib jedem seinen eignen Tod, das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not." „Denn dieses macht das Sterben fremd und schwer, daß es nicht u n s e r Tod ist; einer, der uns endlich nimmt, nur weil wir keinen reifen; drum geht ein Sturm, uns alle abzustreifen. Wir stehn in deinem Garten Jahr für Jahr Und sind die Bäume, süßen Tod zu tragen." Hier steht man an der einen Grenze des Todbegreifens, der Todesmystik: nicht Leben im Tod, sondern Tod im Leben — so stellt sich für Rilke die Einheit der beiden dar. „Denn wir sind nur die Schale und das Blatt. Der große Tod, den jeder in sich hat, das ist die Frucht, um die sich alles dreht." Goethe meinte, Tod sei die Hülle, die das Leben brauche, um zu erscheinen, hier bei Rilke ist es umgekehrt: Leben ist nur die Hülle des Todes, damit der Tod ganz reife. Hier scheint wirklich im Sinne des Novalis Leben nur um des Todes willen da zu sein; Tod muß Pflicht des Menschen werden, und das Leben hat nur die Aufgabe, den Tod zu reifen und sonst nichts. Es ist wie eine unendlich vertiefte Erneuerung des alten „media vita", wenn nun Rilke am Schluß des 'Buches der Bilder' dichtet: „Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns." Diese eigengeartete, ganz religiös-mystische Todesgesinnung Rilkes erhebt sich aber über dem Grund der neuromantischen, impressionistisch verfeinerten, oft morbiden seelischen Haltung, die den Tod so tief erlebt und in ihr ganzes Sein hineingenommen hat. Der französische Symbolismus wirkt hier stark mit seiner neuen todverbundenen Sinnlichkeit und mit jener Artung, die sich in Verlaines Worten schon ausdrückt: „la décadence . . . c'est l'art de mourir en beauté", die Maeterlincks Buch 'Vom Tode' und
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auch d'Annunzios 'Betrachtungen des Todes' erfüllt, die in den Dichtungen von Claudel und in den Werken von Maurice Barrés zittert. In Deutschland strömen die Werke Keyserlings oder Friedrich Huchs und namentlich die der Wiener diese neue Todesverbundenheit und Todessinnlichkeit aus. Sie lieben „die klagenden bangen, die Lieder voll Todesgefühl". So heißt es in Felix Dörmanns Versbuch 'Neurotica'; Arthur Schnitzlers Menschen sind tief in den Zwiespalt von Tod und Leben verstrickt, und einer von ihnen kann dann wohl fragen: „Gibt es einen anständigen Menschen, der in irgendeiner guten Stunde in tiefster Seele an etwas anderes als den Tod denkt?" Immer wieder kehrt das Todesmotiv in diesem Kreis, bei Schaukai, Beer-Hofmann und besonders bei Hofmannsthal: der Tod ist „Musik geworden, Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend, Verwandt der tiefsten Schwermut". Es ist nur selten, etwa in 'ödipus und die Sphinx', dionysischdämonische, magische Todesbegeisterung, wie in Heinrich Manns Novelle 'Pippo Spano', oder dionysisches Hinausfluten und Hinausströmen der umgrenzten Seele in den unendlichen Raum, wie im Werk und Denken Ricarda Huchs, der wesensverwandten Darstellerin romantischen Geistes; hier ist wieder der Tod der Augenblick der höchsten Lebensreife, der völligen Selbstopferung und Lösung, hier spürt man wieder die tiefere notwendige Wesenseinheit von Leben und Tod, ihren unzerstörbaren Zusammenhang 1 ). Aber es kann auch nicht Wunder nehmen, daß in dieser Neuromantik das Leben nur zum Traum wird, zum Schatten, zum flüchtigen Spiel, zu einem Spiel auf der Bühne des Lebens, und es ist wirklich bedeutsam, daß ein Dichter, in dessen Werk überall l
) J. K ö r n e r , A. Schnitzler, Wien 1921, S. 1 3 3 - 1 5 5 ; vgl. auch E. B e r t r a m in den Mitteil. d. Literarhist. Gesellschaft Bonn IV (1909), S. 15; I I (1907), S. 357f. Zu Keyserling: F. K e m p f , Litoratur 29 (1927), S, 1 1 6 - 1 1 7 . - E. G i l l i s c h e w s k i , Das Schicksalsproblem bei R. Huch, Berlin 1925, S. 5 4 - 6 7 , 90, 93ff. - Vgl. auch L e o p o l d H i r s c h b e r g , Totentänze neuerer Zeit, Ztschr. f. Bücherfreunde 7 (1907), S. 2 2 6 - 2 4 2 ; K. K o n r a d , Freund Hein auf der Bühne in 'Der neue Weg' 1913, S. 1 8 0 - 1 8 3 , S. 3 2 7 - 3 4 0 , S. 4 2 3 - 4 2 7 ; mit Ausnahme von Maeterlinck und Hofmannsthal sind die besprochenen Stücke durchweg unbedeutend. — Die „literarische Studie mit Beigaben eigener Gedichte (!)" von B. B a u c h , Tod und Sterben in der modernen Lyrik, Metten 1912 begnügt sich damit, wahllos aus einigen z. T. ganz unbekannten Lyrikern ein paar Strophen zusammenzustellen.
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„geheimnisvoll die Schwelle" sich bietet und der Tod, das „Todverstehen", eine so bindende Frage ist, daß Hofmannsthal Calderone Welttheater erneuert und im 'Turm' eine Neudichtung von jenem Schauspiel des Barockdichters versucht, das den sinnbildhaften Titel trägt : 'Das Leben ein Traum'. Und Hofmannsthal erneuert auch die alte Moralität vom 'Jedermann', in der das Leben nur als ein Lehen betrachtet wird, das der Mensch in die Hand Gottes zurückgeben muß. So ist es schon in jenem wundervollen Kleinod 'Der Tor und der Tod', wo der Tod den Tor den Sinn des Lebens erst in der Stunde des Todes verstehen läßt und den jungen Menschen ganz reif zum Tode macht. „Erst, da ich sterbe, spür ich, daß ich bin. Wenn einer träumt, so kann ein Übermaß Geträumten Fühlens ihn erwachen machen, So wach ich jetzt, im Fühlensübermaß Vom Lebenstraum wohl auf im Todeswachen." Im Tod, „der eigentlichen Lebensprobe", erkennt sich das Leben erst selbst und wird durchsichtig, und darum besteht das Wort des Todes zu recht, reif nähme er alle Menschen. Hofmannsthal· selbst empfindet, fast lustvoll, die „Geheimnisse des Todes", sein „ungeheures Versprechen", das nur göttliche Trunkenheit begreift, er weiß von der tiefen Verflochtenheit des Todes in das Leben (in den Leib ist er hineingesunken wie in eine namenlose Lust) und er spricht davon mit den herrlich deutenden Worten, in denen der Tod sich dem Toren offenbart: „Ich bin nicht schauerlich, bin kein GerippeI Aus des Dionysos, der Venus Sippe, Ein großer Gott der Seele steht vor dir. Wenn in der lauen Sommerabendfeier Durch goldne Luft ein Blatt herabgeschwebt Hat dich mein Wehen angeschauert, Das traumhaft um die reifen Dinge webt; Wenn Überschwellen der Gefühle Mit warmer Flut die Seele zitternd füllte, Wenn sich im plötzlichen Durchzucken Das Ungeheure als verwandt enthüllte, Und du, hingebend dich im großen Reigen, Die Welt empfingest als dein eigen: In jeder wahrhaft großen Stunde,
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Sympathie mit dem Tode — das sei Romantik, sagt Thomas Mann. „Das Leben ist oft auf Seiten derer, die es verneinen. Das Leben ist oft auf jener Seite, wo im Grunde nur eines geliebt wird: der Tod 1 )." Die Dichtung des Expressionismus hat solche Sympathie mit dem Tode : sie, die das Menschliche brüderlich umfassen will, spürt auch die Brudernähe des Todes, sie ist todesbewußt, und das Erlebnis des Todes, durch den großen Krieg ins Seelenzerreißende gesteigert, dunkelt in ihr und formt sie: die Lyrik Werfeis und Heyms, ebenso wie die Stadlers und Trakls, trotz allem 'Gesang gegen den Tod', 'Sturm auf den Tod' und dem Ruf 'Wir wollen nicht sterben'. Man fühlt sich in das Verwesungswerk des Todes, in das Tote mit einer unerhörten seelisch-sinnlichen Bereitschaft ein, Todes- und Vergänglichkeitssymbole wie Totenzug, Gruft, Schädel und Leiche spuken durch diese Gedichte. Aber das ist nur eine Seite. Rilke mit seiner Bitte um den eigenen Tod rührt an das innera Sehnen auch dieser Altersgemeinschaft: „Der Tod ist ein keimendes Wesen in mir, Leibesfrucht, Seelenfrucht! Man muß ihn tief innen hegen", heißt es einmal bei Werfel. Jene Ansicht, daß der Tod „Pflicht des eigenen Wesens", nicht „Willkür einer fremden Macht" sei, erfaßt alle. Der Wille zur Gestaltung des eigenen Todes als letztem und höchstem Ziel des Lebens schafft erst die Reife und Vollendung. Aber man fordert auch statt Helle und Besonnenheit „Dunkel und Rausch, das Gesetz der Tiefe, nicht das Gesetz des Tages", und diese neue „Fähigkeit zum Rausch" lebt dann in dem Ruf : „Es ist eine rasende Wollust, jung zu sein und um die Entzückungen des Todes wissen." (Hans Johst). Jetzt wird wirklich der Tod zum Fest des Freien — Nietzsche wirkt tief auf dieses Geschlecht mit seiner Todesbegeisterung2). Auch hier die urewige gegensätzliche Einheit: Thomas Mann, Rede und Antwort, Berlin 1922, S. 286, 304; vgl. auch S. 116, 262, 281f.; 287, 318. 2 ) Vgl. die etwas aphoristischen Bemerkungen von Ph. L e i b r e c h t , Zum Todesproblem in der jüngsten Dichtung, Literatur 27 (1925), S. 641 — 644. F. J. S c h n e i d e r , Der expressive Mensch, Stuttgart 1927, S.94ff.; P o n g s a.a.O. S.229ff., 361,367. Vgl. auch W. Κ n e v e 1 s Das Religiöse in der neuesten lyrischen Dichtung, Gießen 1927 und
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„Wer Tod weiß, lebt. Wer lebt, weiß Tod" (Goering). Auch hier der Tod als das wahrhafte Sein, als das „Am-Ende-Sein des Ich", als das Untergehen im Anderen, als das Offensein für das Andere, Entgrenzte, Unendliche, für das All, als das Erlöschen der Vereinzelung im Gesamten: sinnbildhaft gestaltet ist es in der Erzählung Bindings: 'Unsterblichkeit'. Aber nichts ist bezeichnender, als daß man auch spürt, wie gefährlich es ist, dem Tod im Leben einen so weiten Spielraum zu gewähren, ihn zu verherrlichen und solange in den Abgrund hineinzublicken. Es ist Thomas Mann, der damit ringt: gerade in seinem letzten Werk, dem 'Zauberberg', hat er sich immer wieder mit diesen Fragen, mit der „Hingabe an die Sünde", an das Schädliche und Verzehrende auseinandergesetzt. Es ist der Kampf gegen Schopenhauer wie gegen Nietzsche und Wagner, der Kampf gegen die Mächte des Ungeordneten, Chaotischen im eigenen Innern, mit denen zu spielen wollüstigen, aber auch gefährlichen Reiz bietet; es ist mit Manns eigenen Worten die „ideelle Absage an vieles Geliebte, an manche gefährliche Sympathie, Verzauberung und Verführung". Schon in den 'Buddenbrooks' ist es so, an jener denkwürdigen Stelle, da der Senator in Schopenhauers Werk, das ihm zufällig in die Hände fällt, zu dem 41. Kapitel kommt, das ihn so tief aufregt. Was war der Tod ? „Ein Glück, so tief, daß es nur in begnadeten Augenblicken wie dieser ganz zu ermessen war. Er war die Rückkunft von einem unsäglich peinlichen Irrgang, die Korrektur eines schweren Fehlers, die Befreiung von den niedrigsten Banden und Schranken", Heimkehr und Freiheit. Der Senator wandelt hart am Rande, doch er findet zurück ins Bürgerliche und Moralische, freilich ohne B e j a h u n g des Lebens und auch ohne Bejahung des Todes, ein Gebrochener, dem es nicht gelungen ist, Leben und Tod in sich zur Einheit zu binden und das Wissen um den Tod der tieferen und volleren Erfassung des Lebens nutzbar zu machen, ihn „heiligend = geheiligt" ins Leben aufzunehmen. Und dieses wird nun das Problem in Manns späterem Werk, diese Einheit von Leben und Tod in sinnvoller Harmonie. Tod steht überall hinter seiner Kunst, hinter der Kunst überhaupt, die tief zweideutig selbst schon in ihrer Vollkommenheit ein Ende, eine Todesnähe derselbe: Expressionismus undReligion, Tübingen 1927. M. R o c k e n b a c h , Vom Tod in der Dichtung der Gegenwart, in: Das hl. Feuer, Nov. 1927, S. 5 3 - 6 1 .
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in sich schließt, die vielleicht nur Erscheinung des Lebensunzulänglichen, des Tödlich-Kranken, Entarteten ist; aber diese typisch romantische, verführerische „Sympathie mit dem Tode", „mit dem Abgrund", die seine Meisternovelle, den 'Tod in Venedig' durchströmt, sucht Mann zurückzudrängen oder jedenfalls anders zu gestalten. „Dichter, so sagt er einmal, pflegen mit dem Tode auf vertrautem Fuß zu stehen; denn wer so recht der Vertraute des Lebens ist, der ist auch derjenige des Todes . . . Es würde schwerlich gedichtet werden auf Erden ohne den Tod. Wo wäre der Dichter, der nicht täglich seiner gedächte in Trauer und Sehnsucht." Um das Problem der Zeit, mehr noch um das des Todes handelt es sich im 'Zauberberg', darum, daß der Tod das Leben nicht schwäche und in den Abgrund reiße. Zwar, das bleibt Grund alles Denkens in dieser Sache, die Einheit von Leben und Tod, wie es Settembrini, dieser Anwalt des Geordneten und Rationalen einmal sagt, daß die einzig gesunde und edle, übrigens auch die einzige religiöse Art den Tod zu betrachten, diese sei, „ihn als Bestandteil und Zubehör, als heilige Bedingung des Lebens zu begreifen und zu empfinden, nicht aber . . . ihn geistig irgendwie davon zu scheiden, ihn in Gegensatz dazu zu bringen. . . . Vom Leben getrennt gesehen, wird er zum Gespenst, zur Fratze, zu etwas noch Schlimmeren. Denn der Tod als selbständige, geistige Macht ist eine höchst liederliche Macht, deren lasterhafte Anziehungskraft zweifellos sehr stark ist, aber mit der zu sympatisieren ebenso unzweifelhaft die greulichste Verirrung des Menschengeistes bedeutet." Hier spricht Mann selbst, kämpft gegen sich selbst, gegen die „Todesvagabondage" und die Sehnsucht zu der dunklen und zweideutigen, vom Standpunkt des Bürgers aus liederlichen Musik, die bei ihm alle dunkle und schwebende Romantik zusammenfaßt. Sein Held Hans Castorp, der die „Morituri" im Sanatorium besucht, um den Tod sich bekannt zu machen — man denkt an Hippels Sterbegraf, — um den Tod ernst nehmen und achten zu können, ist der Überzeugung, daß, wenn man sich für das Leben interessiert, man sich namentlich für den Tod interessiert: denn beide gehören eben zusammen; Interesse für Krankheit und Tod ist nur eine Art von Ausdruck für Leben. Aber dieses Interesse für den Tod und auch für die Krankheit, das abenteuerliche Prinzip,
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ist gefährlich, ist die Welt verbotener Liebe; solche Sympathie mit dem Tode hat zur Folge Ergebnisse der Finsternis, des Ungeordneten und Lebensfeindlichen, des Unbürgerlichen, das zum Leben untüchtig macht und also zum Tode würdig, sagt Hans Castorp. Zum Tode würdig, gegen diese Anschauung, gegen das „aristokratische Todesprinzip" kämpft der Dichter. Tod darf nicht das Vorrecht haben, lebensschwächend zu sein, darf kein Vorrecht für zarte, lebensunfähige und todessüchtige Seelen sein. Hans Castorp steht seit seiner Jugend auf vertrautem Fuß mit Krankheit und Tod, es ist eine unvernünftige Liebe, das weiß er, aber eine geniale. „Denn der Tod ist das geniale Prinzip . . . er ist auch das pädagogische Prinzip, denn die Liebe zu ihm führt zur Liebe des Lebens und des Menschens . . . Zum Leben gibt es zwei Wege : der eine ist der gewöhnliche, direkte und brave, der andere ist schlimm, er führt über den Tod und das ist der geniale." Hans Castorp geht diesen Weg am gefährlichen Abgrund vorbei und ihn geht auch der Dichter : denn soweit kann er sich noch nicht in die Grenzen des Geordneten, des Bürgerlichen und Moralischen zurückfinden, daß er den ersten Weg ginge, daß er von Rätsel, Krankheit und Tod ablasse. Er weiß, daß er am Abgrund wandelt, aber i n s L e b e n hinein mit dem „Entschluß zum Lebensdienste", und das hat einen zitternden, wollüstigen Reiz, bringt — und darauf eben kann der Künstler nicht verzichten — Spannung und Klang in das Leben ; das ist die heimliche Sympathie mit dem Tode. Auch hier erscheint der Tod im gewissen Sinn als das romantisierende, vertiefende Prinzip des Lebens, eben als das geniale, aber auch als das klassische und darin liegt die Synthese. Das Wissen um den Tod drängt in das Leben zurück und macht es gleichnishaft, es weitet das Lebensgefühl; das stets wache Todesbewußtsein, dem Dichter tief als Lebens- und Schaffensbedingung eingeboren, soll die Selbsterhöhung und Selbstverwirklichung schaffen. Thomas Mann nimmt erzieherische Haltung ein, wie sein Gustav Aschenbach: man soll auf ihn hören. „Es könnte Gegenstand eines Bildungsromans sein zu zeigen, daß das Erlebnis des Todes zuletzt ein Erlebnis des Lebens ist, daß es zum M e n s c h e n führt." Thomas Mann stellt sich gegen die Anderen, Lebensfeindlichen, die dem Tod nachgeben, gegen die Lebensuntüchtigen und darum Liederlichen. Er wendet sich gegen das romantische, irrationale, expressionistische Todempfinden und vertritt die neue M e n s c h l i c h k e i t ,
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die neue Humanität, aber eine solche eben, die das Ganze, auch das Entgegengesetzte, die Sympathie mit dem Tode sich vertiefend und bereichernd einschmilzt. Erst hier ist wahrhaft die „Bürgerfurcht vor dem Ungeordneten und Zufälligen" (wozu auch der Tod gehört) — so sagt Hesse im ' Steppenwolf' — überwunden, „jene feige Ängstlichkeit, dieses Erschaudern vor dem Tode", gegen das Walt Whitman kämpfte. Das große Gedicht vom Tode, das der Amerikaner, der Verfasser der Calamusgesänge, vom großen Dichter der Zukunft erwartet, kann nur aus solchem todverbundenen und todüberwindenden Geiste heraus erschaffen werden. Die neue, aus Überwindung geborene Humanitätserkenntnis (oder doch ihr „Vorgefühl") steht an symbolischer Stelle, am Höhepunkt des ganzen Romans, in der Erzählung von Hans Castorps Fahrt in den winterlichen Hochwald, nach dem Traum. Der Tod ist eine Macht, aber der Mensch muß sie beherrschen, muß vornehmer sein als der Tod, er muß zu vornehm sein für diesen, das ist die Freiheit seines Kopfes. Man kann dem Tod Treue halten im Herzen (das ist das Romantische), aber man muß wissen, daß Treue zum Tode und Gewesenen Bosheit und finstere Wollust und Menschenfeindschaft ist, bestimmt sie unser Denken und Begehren. „ D e r M e n s c h soll u m d e r G ü t e u n d L i e b e w i l l e n d e m Tode keine H e r r s c h a f t einräumen über seine Gedanken." Diesen Satz sperrt Mann, das ist sein Bekenntnis, ein Bekenntnis, das er später wiederholt hat: „Mein Werk ist lebensfreundlich, obwohl es vom Tode weiß 1 )." Tod und Leben in der wahren 1 ) Thomas Mann, Zauberberg, Berlin 1924, II, 260; die übrigen Stellen I, 49, 51, 337ff„ 449, 462ff., 496, 498; II, 195, 205, 232, 257ff., 273, 429, 522, 585, 629. Außerdem: Betrachtungen eines Unpolitischen, Berlin 1919, S. 42, 126, 169, 415, 423ff., 425ff., 552. Rede und Antwort a. a. O. S. 98, 116, 262, 281ff„ 286f., 304, 318. Bemühungen Berlin 1925, S. 90, 108, 186—189, 272f.: pädagogische Selbstdisciplinierung, Lebensdienst, Gesundheit, Humanität. 274 „Durch Krankheit und Tod, durch das passionierte Studium des Organischen, durch medizinisches Erleben also ließ ich meinen Helden . . . zum Vorgefühl einer neuen Humanität gelangen." S. 334, 337, 338: „ I m H e r z e n dem Tode, der Vergangenheit fromm verbunden, sollen wir den Tod nicht Herr werden lassen über unseren Kopf, unsere Gedanken." Ideelle und grundsätzliche Wendung v o m Tode weg zum Leben. 339 „Dichter mögen Sorgenkinder des Lebens sein, geneigt und ständig in Gefahr, sich an Krankheit und Tod als Mächte und Principien zu verlieren: Kinder des Lebens bleiben sie eben doch und im Grunde zu sittlicher
473
Sdiluß
fruchtbaren Einheit, in der Ausgeglichenheit und Ruhe, das ist neue Humanität, ist das Gesunde, das sich gegen das Kranke — jenseits aller Bewertung gemeint — wendet.
E s ist neue, strenge,
begrenzte Form auch des Lebens, es ist ein neues, gemessenes Verhältnis
zum Tod
und
eine
neue,
die heutige Form des
Klassischen. Güte bestimmt." Vgl. auch S. Fischer Almanach 1926, S. 18 ; weiter Pariser Rechenschaft, Berlin 1926, S. 58ff. Lübeck als geistige Lebensform, Lübeck 1926, S. 18, 30, 41, 42, 48. — Man sehe auch den Widerhall bei Claus M a n n , Vor dem Leben, 1925, S. 43 und Der fromme Tanz 1926, S. 293. — Für die Auffassung Th. Manns F r . S t r i c h , Th. Mann und die bürgerliche Zivilisation: Dichtung und Zivilisation, a. a. O. S. 1 6 2 - 1 7 8 (ebd. S. 207); C. H e l b l i n g , Die Gestalt des Künstlers in der neueren Dichtung, Bern 1922 und R. F a e s i , C. F. Meyer und Th. Mann, in: Gestaltungen und Wandlungen Schweizerischer Dichtung, Zürich 1922, S. 9 9 - 1 4 7 .
NAMENVERZEICHNIS (Ein Stern [*] hinter der Ziffer bedeutet Anmerkung.) Abbt 266ff., 270. Abraham a Santa Clara 224f. Abschatz 221·. Addision 271, 285, 287·. Albert 203. Albertinus 223, 233. Alberus 157*. Albrecht von E y b 55*. Albrecht von Johannsdorf 50. Aldersbach 203. Ambrosius 21, 2 9 f „ 38», 97, 129. Ammann 167. Andreae 195, 206*, 235. d'Annunzio 462, 466. Anselm von Canterbury 45, 64, 65*. Archipoeta 49*, 58, 94. Aristoteles 176. Arnim 4 0 7 - 4 1 0 , 421, 441. Augustin 20ff., 25, 27, 31*, 36*, 43, 63, 64*, 86, 95, 109, 125f., 139, 236, 400, 445. Averroes 71. Ayrer 154*. Baader 307, 369, 445. Bachofen 5f., 9, 388. Bacon 176f., 179, 186f„ 198, 227, 267. Baggesen 454. Balde 211f„ 217, 238, 316, 318, 418. Baidung 165f. Barrés 462, 466. Baudouin von Canterbury 64*, 97*.
Bayle 250, 252, 359. Beer-Hofmann 466. Beham, Β . 167. Beham, H. S. 165, 166f. Bengiovanni von Mantua 64*. Bernhard von Clairvaux 29, 36*, 56, 113*. Bernhard von Morles 64*. Bernini 213, 229, 239, 418. Berthold von Regensburg 37, 40, 85. Bertram l f . , 323. Bidermann 195. Binck 167. Binding 469. Birken 218, 405. Blankenauer 226. Blair 283. Blaurer 160. Bodin 176. Bodmer 253f„ 286, 323*. Boethius 35. Böhme 189, 235, 241 f., 369, 373, 385, 388, 417. Boltz 150, 166. Boner 84. Börne 461. Bossuet 235. Brant 83, 86, 87*. 112. Brawe 265, 268. Breitinger 254. Brentano, Bett. 419, 432f„ 450f. Brentano, Cl. 395, 405, 4 1 7 - 4 2 1 , 425, 445, 448, 450, 452f. Bresnicer 149*. Breughel 154*, 167.
Namenverzeidinis Brookes 256f., 263, 276. B r u n o 234, 239, 240f., 249, 341, 363. B r u n von Schönebeck 56*. B ü c h n e r 459. B u r c k h a r d t 3, 7, 177, 461. Bürger 294, 301, 307. Burgkmaier 165, 167f. B u r k e 284, 285«, 447*. Caesarius v o n Heisterbach 36*, 55, 60*, 61*, 62*, 67, 78*, 99, 110. Calderón 190, 231, 233, 268, 402, 4 0 3 f „ 407, 408, 410, 414, 417, 467. Calvin 176. Canitz 253f. C a r t h é n y 223. Cavalcanti 64*. Charron 179*, 180f., 254*. Chodowiecki 264. Cicero 1, 25, 72, 125, 145, 157. Cino d a P i s t o j a 64*. Chaulieu 262*. Claudel 466. Claudius 295. Corneille 219*, 236, 268. Cramer 258, 262, 264, 271. Creuz 262f., 265, 268. Creuzer 433 f. Croce 235. Cronegk 263ff., 265, 268. Crugot 271. Culmann 152. Curtius 258, 273. Cyprian 29. Czepko 213f. Dach 203ff., 226, 411. D a n t e 62, 72, 77, 99, 100, 112, 182, 286. D e d e k i n d 149*. Dehio 162, 165, 172. Diderot 252, 273, 359. Dilthey I f f . , 162, 188, 190, 221, 277, 279, 347, 356.
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Dionysius Aeropagita 29. Dionysius der K a r t h ä u s e r 22*, 111*. D ö r m a n n 466. Dominicus Gundissalinus 71*. Drollinger 258. D ü r e r 119, 130, 1 6 1 - 1 6 5 , 184. Dusch 271 f. E b e r t 261, 284. E c k a r t s h a u s e n 5, 373, 380f„ 445, 447*, 452, 453*. E g b e r t von L ü t t i c h 41. Eichendorff 449*, 455, 456. E k k e h a r t 95, 101, 133. Engel, 271, 276. E p h r a i m der Syrer 29*, 62*. E p i k u r 72. E r a s m u s 107, 140*, 174, 178f. E u r i p i d e s 24, 27. F e d e r m a n n 158. Ferguson 246, 252, 271, 277*, 349. F e u e r b a c h 460, 461. F i c h t e 6, 360*, 364. Ficino 176. F i s c h a r t 160. Fleming 192, 199f., 226, 235. Folz 85*. F o n t a n e 462. F o u q u é 406f., 417. F r a n c k 175, 281. F r a n z i s k u s von Assissi 98f. F r a u e n l o b 55ff., 59, 104. F r e i d a n k 41*, 42f., 44, 45, 47, 48, 49f., 55*, 60f., 63, 67, 70, 93. Friedrich, C. D. 368, 447 f. Friedrich der Große 245, 252, 273, 276. Friedrich von H a u s e n 50, 53*. F u n k e l i n 150*. Garve 348. Geiler 98*, 116*, 175. Geliert 246, 259, 262. Gengenbach 149 f., 156. Genepp 150*, 152.
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Namen Verzeichnis
Gerhardt 192, 207f„ 226. Gereon 108, 175*. Gerstenberg 287*, 298ff. Geßner 288. Gleim 264f., 283. Goering 469. Goethe 4, 171, 181, 182, 228, 283, 303, 318, 321, 3 2 8 - 3 4 8 , 350ff., 356, 362ff., 371, 374, 397, 433, 457, 458. Görres 401, 417, 452, 453*. Gottfried von Straßburg 43, 45*, 55*, 58f., 68ff. Gottsched 249, 269, 270, 271. Goetz 264. Graf 165f. Gray 264, 283. Gregor der Große 28, 82*. Gregor von Nyssa 29. Grillparzer 347*, 461. Grimmelshausen 189, 232f„ 240, 242. Große 422. Grotius 198. Gryphius 189, 192f„ 208ff„ 219, 226, 229, 231, 232, 234f„ 404, 405*, 408, 410, 414. Guevara 223*, 233. Guicciardini 183. Günderode 9, 420, 4 3 3 - 4 3 6 , 444, 445, 452, 458, 463. Gundolf 286. Günther 255f. Hachberg 82*. Hagedorn 264. Haller 253f„ 257, 261. Hallmann 219, 230, 414. Hamann 282f., 302, 304, 323, 325. Hardenberg, K . von (Rostorff) 383f„ 433. Harsdoerffer 206*, 217f„ 230, 238. Hartmann 40*. Hartmann von Aue, 43ff., 50f., 54, 55*, 61, 63, 66. Haugwitz 219f. Hebbel 460, 461.
Heermann 224. Hegel 438*, 452. Heine 410, 413 446*. Heinrich von Freiburg 51, 52*. Heinrich von Krolewitz 55*. Heinrich von Laufenberg 83. Heinrich von Melk 377, 79. Heinrich von Mügeln 76, 104. Heinrich von Neustadt 81*. Heinrich von Rugge 50. Heinse 300, 324, 325, 326. Heinsius 198, 209, 230. Helbling 51*. Hélinand 64*. Hemskeerk 167. Hemsterhuis 289*, 327. Herder 3, 9, 212, 265,* 294*, 301, 306, 315ff„ 325, 334, 338, 343, 352, 372, 432, 436*. Hermann 160. Hermann Contractus 39, 41, 55*, 64, 65*. Hermann von Fritzlar 87*, 93. Heros 149*. Hervey 283, 315. Hesler 36*, 41*, 55*. Hesse 472. Hettner 251. Heym 468. Hieronymus 31*. Hilarius 21. Hildebert von Le Mans 46*. Hippel 255, 303, 308ff„ 313, 337, 411, 470. Hoeck 196f., 201. Hoffmann, E . Th. A. 446. Hofmannsthal, H. von 457, 465ff. Hofmannswaldau 218f„ 220, 221, 350, 411. Hofstetter 223. Holbein 153, 161, 1 6 8 - 1 7 0 . Hölderlin 9, 32f„ 371, 428, 4 3 6 - 4 4 1 , 444, 445, 447, 451, 452, 455, 458, 463. Hölty 293ff„ 295, 297, 298, 301. Honorius Augustodunensis 36*, 38*.
Namenverzeidinis
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Huch, Γ. 466. Huch, Ric. 466. Hugo von Langenstein 41. Hugo von Montiort 85, 104. Hugo von St. Victor 64, 65*. Hugo von Trimberg 46, 48. Hugues de Miramors 64*. Humboldt 362. Hume 252.
Knebel 343, 362. Kolmas 49, 57, Kolroß 149f„ 166. Konrad der Pfaffe 53. Konrad von Würzburg 49, 60*, 54. Kosegarten 363*. Krüger 148f., 153. Krüginger 148. Kuhlmann 216*.
Innocenz IV 63f„ 86. Ischyrius 152. Iselin 271. Isidorus 36*.
La Bruyère 232f. Lamprecht der Pfaffe 40. Lamprecht von Regensburg 40. Lange 289. La Rochefoucauld 198, 242, 266. La vater 282, 305, 306f., 313, 318, 320, 321, 322, 325, 334, 373. Leibniz 172, 181, 241, 246, 249f„ 260, 269, 271, 275f„ 328, 341, 363. Leisewitz 297, 349. Lenau 459. Lenz 300*, 301 ff., 331. Leoni 86. Lessing 9, 30, 32, 33, 247, 258, 261, 264f„ 268ff., 277, 279, 283, 316, 323, 335, 341, 352, 356, 404, 441. Lichtenberg 297, 312ff„ 323, 373. Loeben 384, 455. Logau 203f., 235. Lohenstein 219, 221f., 227, 229f., 414. Loyola 230. Ludwig 236*. Luther 9, 109, 134, 136-149, 157, 161, 164, 171f„ 174, 176, 178, 183, 185f„ 228, 235, 242, 353, 354. Lutwin 55*.
Jacobi, Fr. H. 325, 326. Jacobi, J . G. 262. Jacopone da Todi 55, 64, 94. Jerusalem 270. Johann von Jenzenstein 97f., 129. Johann von Kastl 112, 130. Johannes vom Kreuz 238. Johann von Neumarkt 97, 115, 127*. Johann von Saaz 73, 109, 112, 114, 115-137, 138, 153*, 155, 184, 233, 458. Johann von Schwarzenberg 157. Johann von Würzburg 51, 52*. Johst 468. Jordanes 14. Julianus 29. Kant 329, 344, 345, 359, 432. Kästner 269*. Kaufringer 85. Keller 460f. Kerner 405*, 445, 449, 452. Keyserling, E. von 466. Kleist, E. von 264f„ 268, 439*. Kleist, H. von 3,9,265*, 371,405*, 428, 436, 4 4 1 - 4 4 4 , 447, 448, 458, 463. Klettenberg 305. Klinger 300, 309f„ 311, 331, 360. Klopstock 280, 288ff„ 294, 297, 298, 299, 303, 313, 315, 318, 322, 323, 324, 437.
Macpherson 286. Macropedius 152. Mann, Cl. 473*. Mann, H. 466. Mann, Th. 1, 6, 462, 468, 469 bis 473.
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Namenverzeichnis
Mannling 226. Manuel 88, 106, 153, 161, 166. Marino 256. Marner 41*, 51*, 62, 70*. Maeterlink 465. Matthison 297f. Mauvillon 246, 261 f. Mathesius 160*. Mechtild von Magdeburg 62, 66, 100, Meckel 149*. Melanchthon 174. Mondeissohn 247, 252, 268, 2 7 0 f f „ 272, 277, 318. Mercatoris 150, 154, 158. Meyer, C. F. 462. Michelangelo 183, 184*. Miller 295ff. Milton 190, 220, 227, 284, 286, 287*, 424*. Mnioch 450. Montaigne 179-183, 186, 198, 227, 230, 236*, 254*, 255*, 267, 268*, 309, 311*, 313, 323, 363, 398. Mörike 459. Moritz 297, 311 f., 359f., 372. Morus 176f., 246, 249*, 269. Moscherosch 223 f. Moser, C. Fr. von 305*. Moser, J. J. 305*. Mozart 309. Müller, Adam 32*, 33, 375*, 381*, 404*, 446, 447. Müller, Maler 288, 296, 297, 299. Murner 184*. Musaeus 264. Muscatblut 85, 131. Naogeorg 152. Neukirch 254. Nicolai 258, 269, 271, 274, 276. Nikolaus von Cusa 131, 133, 172f., 176, 181, 184, 241, 249, 281, 363. Nicolaus Pergamenos 55*. Nider, Johann 108.
Nietzsche 30f., 32, 371, 419*, 439, 443f., 462ff., 468. Notker 35. Novalis 3, 9, 32f., 306, 318, 321, 327, 369ff. 3 7 1 - 3 8 3 , 3 8 4 , 3 8 7 , 390*, 391, 392f., 395, 396 399 401, 408, 411, 413f., 416, 419, 427, 429, 432, 433, 441, 447, 448f„ 450, 452, 453*, 455, 458, 465. Oetinger 321. Opitz 197ff., 201, 219, 226, 265. Oswald von Wolkenstein 85, 104. Otfried von Weißenburg 35. O vid 59*. Paracelsus 172f., 181. Parnell 284. Pascal 198, 227, 229f„ 231. 234f„ 242, 313 379*. Pater 462. Paul, Jean 371, 374, 4 2 8 - 4 3 2 , 433. Paulus 21 f., 140, 149. Pencz 167. Peter von Blois 82*. Petrarca 46*, 58, 82*, 109, 112, 125, 135, 158. Petrus Alphonsi 37*, 41*. Petrus Damiani 64, 65*. Philodemos 25*. Pico della Mirandola 174, 184. Platen 419, 462. Plato 1, 25, 28*, 30, 72, 131f. 176, 198, 270, 271, 272. Plethon 176. Pioti η 25*, 26, 28*. Pomponatius 177. Pope 246, 252, 315*. Porphyrius 26, 30*. Possevini 230. Prokopius v. Templin 224. Pseudo-Dionysius Areopagita 22*. P y r a 283, 289. Quevedo 223.
Namenverzeichnis Raabe 462. Racine 190. Rasser 153. Reimarus 247. Reimar von Zweier 51, 57. Reitter 176. Rilke 91, 464ff„ 468. Ringwaldt 156. Rist 195, 206*. Ritter 388. Roberthin 203, 205. Röber 208. Rohde 5, 9. Röling 203. Rompier von Löwenhalt 201, 227. Rostorff ( = Hardenberg) 383f„ 433. Rousseau 281, 324. Rowe 284, 289. Rudolf von Ems 41*, 42*, 51, 60. Rueff 148f. Runge 369, 388f„ 419, 445. Rupert von Deutz 29*, 36*. Sachs, H. 152, 1 5 7 - 1 5 9 . Salis-Se wis 298. Salutati 177. Scaliger 230. Schaukai 466. Scheit 157, 167. Schelling 369, 381*, 387, 389ff., 394, 395, 447*, 450. Schernberg 80, 81, 82, 91. Schiller 9, 32, 269, 293, 297, 329ff., 336, 3 4 8 - 3 6 0 , 362ff„ 403, 460. Schlegel, A. W. 153, 213, 268, 336*, 391, 402, 403 f., 405, 424*, 450. Schlegel, Caroline 389, 392, 394, 450. Schlegel, Dorothea 392, 450. Schlegel, Fr. 326, 336, 368, 369f„ 374, 376, 380, 388, 3 9 1 - 3 9 8 . 399f„ 40Iff., 404, 405, 410f„ 416, 420, 425, 431, 445, 446, 448, 452f., 456, 457. Schlegel, J . A. 258, 262, 264, 271.
479
Schleiermacher 292, 370, 371, 373, 374, 380, 391, 3 9 8 - 4 0 1 , 411, 419, 425, 448, 453. Schnitzler 466. Schniiffis 216. Schönaich 287*. Schönemann 227. Schopenhauer 1, 452, 459f., 461 469. Schottel 195. Schubart 292f. 295 350. Schubert 384ff„ 433, 434*. Schulze 406. Schwartz 205f. Scotus Eriguena 26, 30*. Seneca 46*, 125f. Seume 363. Seuse 37, 79f„ 95, 104, 105*, 109f. Shaftesbury 246f„ 256, 271, 273, 275f., 278, 328, 334, 352. Shakespeare 189, 190, 232, 235f., 237f„ 243, 316, 318. Silesius (Scheffier) 214f„ 225ff., 235, 305, 404, 421. Simmel 235, 464. Solger 453*. Sonnenberg 324*. Spangenberg 154f„ 166, 167, 231. Spee 216, 4Q4, 405*, 421. Spinoza 244, 248f„ 268*, 273, 352. Stadler 468. Staël 336*, 453*. St. Evremont 232*. Stephani 149*. Stifter 461. Stilling 303, 307, 382. Stolberg 295, 323*. Storm 461. Strich 2. Stricker 152 f. Suchenwirt 84. Sulzer 246. Süßkind von Trimberg 48. Tasso 183, 404. Tauler 73, 101 f.
480
Namenverzeichnis
Taurellus 175». Teichner 82, 84ff„ 130. Tereteegen 304. Tertullian 21. Theresa di Jesu 212f„ 238. Thomas von Aquino 21, 24, 62, 71, 176. Thomas von Celano 94. Thomas a Kempis 94, 107. Thomasin von Circlaere 44, 45f., 47, 48, 49, 61, 86. Thomson 266. Tieck 401, 405", 4 2 1 - 4 2 8 , 446», 448. Tiedge 363. Titz 203, 205. Toland 268*. Trakl 468. Trescho 265*, 283, 315. Ulrich von Eschenbach 51, 52*. Ulrich von Türheim 55, 63, 129f. Ulrich von Zazikhoven 60. Unger 2f., 9. Unzer 246, 261 f. Uz 256, 259f„ 262, 265. Valvasor 226. Vasari 424. Vauvenargues 248, 273, 277. Verlaine 465. Vespasiano da Bistizzi 177. Vincenz von Beauvais 62, 111*. Vintler 86, 130. Vischer, Fr. Th. 357*. Vischer, P. 186. Voith 148. Voltaire 245, 252, 287*, 324. • Wackenroder 421 f., 424. Wagner, E. 455. Wagner, H. 297.
Wagner, R. 459 f. Waiblinger 437*. Walch 250. Walther von der Vogelweide 42, 43, 49ff., 57, 60f. Warton 264, 283. Wechtlin 163. Weckherlin 196f„ 201. Weise 219. Weiße 265. Werfel 468. Werner 371, 395, 405, 407, 410 bis 417, 421, 424, 431. Werner von Elmendorf 48. Wernher 37*. Wernicke 254f. Wetzel 363, 386f. Whitman 472. Wickram 149, 154ff„ 158. Wieland 260f„ 264, 305, 323*, 338, 360ff. Wilhelm von Conches 46. Winckelmann 4, 272, 357. Wirnt von Gravenberg 54. Wolff 245f„ 249*, 256, 269, 271, 277. Wölfflin 243. Wolfram von Eschenbach 41*, 43, 51 ff., 55*, 57, 68ff. Wolzogen, K. von 363*. Young 261f„ 262, 263, 281, 284ff., 289, 297, 302, 304, 308, 313, 315, 324, 373, 437, 448. Zachariae 264. Zedier 250. Zesen 206*, 207. Zigler von Klipphausen 222, 230. Zimmermann 263, 271. Zinkgref 197, 201, 265. Zinzendorf 303f„ 305, 373. Zwingli 160, 175.
NACHWORT Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik erschien erstmalig 1928 als Band 14 der Buchreihe zur Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte1 ; dieses früheWerk Walther Rehms2 bildet die Grundlage für sein gesamtes Schaffen, das um zwei sich vielfach berührende Themen kreist : die deutsch-antike Begegnung und die dem Todesproblem zugeordneten Forschungen über Glaube und Unglaube in der deutschen Dichtung, über Einsamkeit, Schwermut und Langeweile, die „Problematik des modernen, gebrochenen Dichtertums im Zeitalter des Romantischen, des Interessanten und Modernen"3. — Nach knapp einem Viertel] ahrhundert wird das Thema des Todes in Orpheus. Der Dichter und die Toten4 noch einmal und in weitaus persönlicherer und sublimierter Form aufgegriffen, kontrapunktisch begleitet von den Arbeiten über Kierkegaard, Dostojewski, Jacobsen und Jean Paul. Hier — im Orpheus — so sieht es Paul Böckmann6, ,,gelang die Vereinigung der für Rehm bestimmenden Grundthemen, der humanistischen wie der religiösen Problematik mit der Frage nach dem Rechi und der Leistung des Dichters in den Interpretationen von Novalis, Hölderlin und Rilke". Hrsg. von Paul Kluckhohn und Erich Rothacker, Halle: Max Niemeyer Verlag. 2 Eine Bibliographie der Publikationen von W . R. (1901 - 1963) befindet sich in dem postum erschienenen Aufsatzband Späte Studien, BernMünchen 1964: Francke Verlag, S. 463 ff. • W . R., Kierkegaard und der. Verführer, München 1949, S. 336; Verlag Hermann Rinn. 4 Selbstdeutung und Totenkult bei Novalis-Hölderlin-Rilke, Düsseldorf 1950: Verlag L. Schwann. 5 Walther Rehm zum, Gedenken, in : Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Jahrgang 38 (1964), Heft 3, S. 321 - 336. 1
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Nachwort
Der vorliegende photomechanische Nachdruck des Todesgedankens erfolgte mit Erlaubnis des Originalverlages Max Niemeyer, Tübingen, auf Anregung der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, die das Werk unmittelbar nach Erscheinen des ebenfalls von ihr nachgedruckten Buches Der Untergang Roms im abendländischen Denken. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtsschreibung und zum Dekadenzproblem ( 1966) dankenswerterweise in ihr Programm aufgenommen hat. Druck- und einige geringfügige Sachfehler der ersten Auflage (nach dem Handexemplar von W. R.) konnten korrigiert werden; auf ein Einarbeiten der seit dem ersten Erscheinen zahlreich vorgelegten Literatur mußte aus naheliegenden Gründen verzichtet werden. Kassel, im Juli 1966
Wolfgang Rehm