Jahrbuch für Geschichte: Band 28 [Reprint 2022 ed.]
 9783112622247

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J A H R B U C H FÜR G E S C H I C H T E

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR ZENTRALINSTITUT FÜR GESCHICHTE

JAHRBUCH FÜR GESCHICHTE

Redaktionskollegium: Horst Bartel, Rolf Badstübner, Lothar Berthold, Ernst Engelberg, Heinz Heitzer, Fritz Klein, Dieter Lange, Adolf Laube, Walter Nimtz, Wolfgang Rüge, Heinrich Scheel, Hans Schleier, Wolfgang Schröder Redaktion: Wolfgang Schröder (Verantwortlicher Redakteur), Gunther Hildebrandt (Stellv.), Dietrich Eichholtz, Jutta Grimann, Gerhard Keiderling, Klaus Mammach, Hans Schleier

ISSN 0448-1526

JAHRBUCH 2 8 FÜR GESCHICHTE

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1983

Redaktionsschluß: 15. Juni 1982

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1086 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1983 Lizenznummer: 202 • 100/87/83 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", 7400 Altenburg LSV0265 Bestellnummer: 753 196 3 (2130/28) 02500

Inhalt

Steiner, Gerhard,

Einsatz und Schicksal Mainzer Jakobinerfrauen . . .

Müller, Harald

Voraussetzungen und Inhalte der außenpolitischen Reflexionen in der Rheinischen Zeitung 1842/43 . . . .

37

Höppner, Joachim

Ludwig Feuerbach und die deutsche Arbeiterbewegung

77

Fesser, Gerd

Von der „Zuchthausvorlage" zum Reichsvereinsgesetz. Staatsorgane, bürgerliche Parteien und Vereinsgesetzgebung im Deutschen Reich 1899—1906 107 Zum idealistischen Historismus in der bürgerlichen deutschen Geschichtswissenschaft 133

Schleier, Hans

7

Kätzel, Siegfried

Psychoanalytisch orientierte Gesellschaftskonzeptionen in der revolutionären Nachkriegskrise. Zu ersten Versuchen einer Synthese von Marxismus und Psychoanalyse (1919-1923) 155

Mai, Joachim

Die Rolle der Sowjetunion bei der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung 1945—1949, dargestellt am Beispiel Mecklenburgs 193

Muschalle, Adelheid/ Dittrich, Gottfried

Veränderungen im Qualifikationsniveau der Arbeiter in der sozialistischen Industrie 1958—1962 und ihre Rolle im Wachstum der Arbeiterklasse der DDR in der Endphase der Übergangsperiode 235

Forschungsberichte Dunaevskij, V. A.

Der wissenschaftliche Problemrat „Geschichte der Geschichtswissenschaft" bei der Abteilung Geschichte der AdW der UdSSR 265

Mogil'nickij, B. G.

Das Tomsker Zentrum für historiographiegeschichtliche und methodologische Forschungen 275

Dokumentation Herz, Hans Autorenverzeichnis

Politische Vereine in Preußen. Zur Struktur des Vereinswesens 1865 (eine Quellenedition) 295 376

Abkürzungen

BA BzG DZfPh GdA GWU HZ JbGSLE JbW JfG MEGA MEW StA StAP SW WZ ZfG ZStAM ZStAP

Bundesarchiv Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung Deutsche Zeitschrift für Philosophie Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1966 Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Stuttgart Historische Zeitschrift, München Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte Jahrbuch für Geschichte Marx/Engels-Gesamtausgabe Marx/Engels, Werke, 1956 ff. Staatsarchiv Staatsarchiv Potsdam Sowjetwissenschaft Wissenschaftliche Zeitschrift Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zentrales Staatsarchiv, Merseburg Zentrales Staatsarchiv, Potsdam

Die Werke Lenins werden nach der 40bändigen Ausgabe des Dietz Verlages, 1956 bis 1965, zitiert. Soweit nicht anders angegeben, ist der Erscheinungsort Berlin.

Gerhard

Steiner

Einsatz und Schicksal Mainzer Jakobinerfrauen

Es gibt eine reiche Literatur über die Mainzer Jakobiner, über ihr Wirken und ihr Schicksal, aber dem Verhalten und Ergehen der Frauen während der Mainzer Republik wurde meines Wissens bisher noch keine gesonderte und umfassendere Darstellung gewidmet. Nur gelegentlich wurde in sehr allgemeiner Form auf sie hingewiesen und dann nur auf das Bestehen eines „weiblichen Jakobinerklubs" während der Revolution und darauf, daß nach der Wiedereroberung des Mainzer Territoriums durch die konterrevolutionären Truppen auch Frauen drangsaliert wurden. Wenn hier zum ersten Male aufgrund von Archivakten1 Einsatz und Schicksal Mainzer Jakobinerfrauen und weiblicher Jakobiner im Detail skizziert werden, dann kann es sich nur um einen Versuch handeln, der Hinweise und Materialien, aber keine abgerundete Darstellung der Thematik bietet, einen Versuch, der eine umfassende Untersuchung des weiblichen Anteils an der Tätigkeit der deutschen Jakobiner anregen möchte.2 Eine solche Darstellung ist besonders deshalb erforderlich, weil die für eine republikanische Zukunft kämpfenden Frauen von gegenrevolutionären Historikern und Belletristen verunglimpft wurden. Solche Herabsetzung und Verspottung läßt darauf schließen, daß die politische Tätigkeit der Frauen nicht unbedeutend war.3 Die Frau war zwar am Ende des 18. Jh. noch völlig aus dem politischen Leben ausgeschaltet. Sie besaß aber aufgrund ihres gesellschaftlichen Seins ein mehr oder weniger ausgeprägtes politisches Bewußtsein und reagierte auf die Verhältnisse, unter denen sie zu leben genötigt war, und auf politisches Geschehen, 1

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Für die Unterstützung meiner Arbeit danke ich vor allem dem Staatsarchiv Würzburg, dessen Mainzer Regierungsakten (MRA) - Klubisten - ich benutzen durfte, und dem Stadtarchiv Mainz, dessen Kirchenbücherregesten ich zahlreiche Personalia entnehmen konnte. Auch bin ich dem Dokumentenwerk von Scheel, Heinrich, Die Mainzer Republik, Bd. 1, Berlin 1975, Bd. 2, Berlin 1981, für manchen Aufschluß verpflichtet. Einen interessanten Ansatz enthält Kuhn, Axel, Linksrheinische Jakobiner, Stuttgart 1978, S. 30, 220, 332'. Es seien hier nur genannt: Hoffmann, Anton, Darstellung der Mainzer Revolution, Mainz 1794; Winkopp, Peter Adolf, Geschichte der französischen Eroberungen und Revolution am Rheinstrome..., Frankfurt 1794; Mainz im, Genüsse der durch die Franzosen errungenen Freiheit und Gleichheit..., Deutschland 1793; Die Mainzer Klubbisten zu Königstein oder die Weiber decken einander die Schanden auf, Schauspiel, Mainz 1793.

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Gerhard

Steiner

das diese Lebensverhältnisse zum Besseren verändern könnte. Im Verlauf der Französischen Revolution war die Eingliederung der Frau in das öffentliche Leben immer heftiger diskutiert worden. Antoine de Caritat, Marquis de Condorcet, Sekretär der Pariser Akademie der Wissenschaften, Freund und Biograph Voltaires, hatte 1790 in Paris in einer Schrift die Forderung der „Zulassung der Frauen zum bürgerlichen Recht" erhoben. Zahlreiche Frauen hatten bereits ein starkes Selbständigkeitsbewußtsein entwickelt und begonnen, ihre soziale Position kritisch zu betrachten. So bezogen zur Zeit der Mainzer Republik Frauen, die den Druck der feudalen Verhältnisse besonders stark empfunden hatten, auf die ihnen mögliche Weise Stellung, unterstützten direkt - z. B. durch mündliche Propaganda - oder indirekt - durch Beeinflussung und Ermutigung ihrer Männer und Söhne - die Maßnahmen der Jakobiner oder handelten selbst aktiv. Die Hinweise auf einen Mainzer „weiblichen Jakobinerklub" sind nur als polemisch zu werten. Als deren „Mitglieder" werden einige „prominente" Frauen angeführt, die der Gesellschaft im Hause Georg Forsters angehörten oder die an den öffentlichen Klubsitzungen teilnahmen und zum Teil durch schmückende Embleme, etwa gewirkte dreifarbige Gürtel oder Schärpen, sich als Sympathisanten der Jakobiner zu erkennen gaben. Während der Landauer Jakobinerklub Frauen aufnahm, war dies in Mainz nicht der Fall. Aber ihre Teilnahme an den Klubsitzungen war dort im allgemeinen keineswegs, wie es konterrevolutionäre Darstellungen wissen wollen, durch bloße Neugier und Sensationslust bestimmt. Es gibt mehrfache Belege dafür, daß Frauen aus allen Bevölkerungsschichten nicht nur regelmäßig, sondern in großer Anzahl die öffentlichen Klubsitzungen besuchten und auf diese Weise ihre Anteilnahme an der Einführung bürgerlich-freiheitlicher Zustände bekundeten. Zwei Bilder von den Mainzer Klubsitzungen und die Klubprotokolle zeugen von dem Interesse der Frauen an den selten ein besonderes Sensationsbedürfnis befriedigenden Verhandlungen der Jakobiner, z. T. auch von der weiblichen Aktivität. Hermann Niklas Theyer (Deyer) sprach in einer Sitzung am 20. Januar 1793 direkt die Frauen in einer längeren Rede an, um sie für die Mitwirkung am neugegründeten bürgerlich-revolutionären Nationaltheater zu gewinnen. Diese Rede zeigt überdies deutlich, daß einerseits den Frauen von den Jakobinern ein politischer Einfluß zugebilligt wurde, andererseits die Frauen den Jakobinern politisches Bemühen entgegenbrachten. „Ich bin nicht hier", sagte Theyer, „um den Lobredner Ihres Geschlechts zu machen; und wer könnte auch die Siegeszeichen zählen, die jeder Tag Sie errichten sieht?" 4 Das findet er verständlich, denn „alle Neuerungen im Guten wie im Bösen erwarten ihren Erfolg vom Frauenzimmer". „Wären Sie keine Republikanerinnen ...", sagte er an einer anderen Stelle zu den Frauen im Klub. Wenn der Redner auch die Frau im „liebenswürdigen Zirkel ihrer kleinen häuslichen Sorgen und Beschäftigungen" belassen will, so bahnt sich mit der ihr zugeteilten Aufgabe, den Revolutionär zu verstehen und zu unterstützen und die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit zu verbreiten, eine neue Rolle der Frau in der Gesellschaft an. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die eine oder andere Frau nach ihrer Verhaftung die Teilnahme an den Klubsitzungen heruntergespielt oder gar geleug4

Scheel, Bd. 1, S. 581, 582 f.

Mainzer Jakobinerfrauen

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net hat. Die dreiunddreißigjährige Maria Christiana Louise Freifrau von Esebek, geborene Gräfin von Firnhaber, die aus Erfurt stammte, sich im August 1792 in Kastel bei Mainz ein Gut und ein Haus gekauft hatte und während der Mainzer Revolution dort geblieben war, gab bei ihrer Vernehmung in Frankfurt a. M. am 6. Mai 1793 an: „Ich bin zweimal im Klub zu Mainz gewesen, aber nicht als Mitglied, sondern als Zuschauer, um meine Neugierde zu befriedigen; überdem wird auch kein Frauenzimmer als Mitglied angenommen, und daß ein besonderer Frauenzimmerklub existieren sollte, ist mir nicht bekannt." 5 Sie war beschuldigt worden, den Freiheitsbaum in Kastel „getauft" zu haben. Das bestritt sie und behauptete, als das Volk ihren Mann bedrängte, zur Errichtung des Freiheitsbaumes eine Rede zu halten, habe sie, da dieser krank war, den Hofmeister ihrer Kinder namens Mater gebeten, ein paar Worte zu sprechen, was dieser auch getan habe, weswegen er nun in Königstein gefangensitze. Ein sicher nicht anfechtbares Zeugnis für die politische Betätigung der Mainzer Frauen im Sinne des Jakobinismus stellte auch die kurfürstliche Untersuchungskommission aus, in der unter der Leitung des Grafen Philipp Karl von Fugger die Hof- und Regierungsräte Friedrich Karl August Freiherr von Dalwigk zu Lichtenfels-Schaumburg, August Franz von Kunibert, Joseph Ignaz von Linden, Franz Joseph Hartleben, Universitätsprofessor, und der Hofgerichtsrat Lothar Franz Handel über die „Verbrechen" der Jakobiner ermittelten. In einem Gutachten, von dem noch die Rede sein wird6, erklärt von Dalwigk nicht nur, daß „die Gesellschaft der Mainzer Klubisten sehr ansehnlich" gewesen sei, sondern auch, daß es sich von selbst verstehe, daß die „Teilnahme der Weiber an diesem [Hochverrats-] Verbrechen ihrer Männer durch Aufträge, Anschläge oder Ratserteilung" den Verlust jeglicher Unterstützung nach sich ziehen müsse. Es hätte nicht solcher Überlegungen und Festsetzungen bedurft, wenn es nicht eine ins Gewicht fallende Anzahl solcher belasteten Frauen gegeben hätte. Von einem Mädchen, das schon auf die Stunde gewartet hatte, zu der feudale Gesetzeszöpfe abgeschnitten werden, und das bereits vier Wochen nach der Besetzung von Mainz durch die Franzosen ihre Hoffnung nach einer freieren Ordnung ernsthaft und temperamentvoll äußerte, zeugt ein uns überlieferter Brief 7 an den „Bürger Präsidenten". Er stammte von der Mainzer Dienstbotin Margarethe Wilhelm und ist deshalb bemerkenswert, weil er zeigt, wie sich revolutionäre Maßnahmen auf das Wohlergehen der Menschen, in diesem Falle auf das Glück zweier Liebenden, unmittelbar auswirkten. Er lautet: „Der Bürger General Custine kam, um unsere Sklavenfesseln zu zertrümmern; aber Herr Präsident, es gibt noch Despoten, die ihren Schatten von Macht noch fühlbarer machen, und das sind die sogenannte Zünfte-Brudermeister. Ich habe schon zwei Jahre mit einem Menschen, seiner Profession ein Schuhmacher, Bekanntschaft, den ich sehr liebte und liebe, dem ich während seines Soldaten-Standes, wo er auf der Profession nichts verdienen konnte, mit meinen sauer erworbenen Liedlohn [Dienstbotenlohn - G. S.] beisprang; und Her mich nun aus Dankbarkeit dafür heiraten und durch seinen ohnehin bekannten Fleiß ernähren will; diesem will man nicht erlauben, daß er als Gesell heiraten kann, indeme es ihm ohnmöglich ist, andern Meistern Abbruch zu tun. Ich nehme 5 B

StA Würzburg, MRA - Klubbisten, 183. Ebenda, 398. Ebenda, 831, 831,1 und 2.

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Gerhard Steiner

daher zu Ihnen, Herr Präsident, meine Zuflucht und lege Ihnen den Wunsch eines Mädchens ans Herz, weil Sie als Mensch und Mann selbst innere so heilige Empfindungen müßten gehabt haben, und bitte mir dazu zu helfen, daß er mich als Gesell heiraten darf. Und wie midi gute Freunde versichern, so ist derjenige schon ein Bürger, ja ein freier Mann, der sich in das rote Büch eingeschrieben hat, nun bin ich ja schon Bürgerin weil er sich in das rote Buch hat eingeschrieben und sich gewiß mit mehr Lust den Pflichten eines freien Bürgers unterziehen wird als der an den alten verhaßten Schlendrian gewöhnte Bürger. Herr, wir sind zwar nicht von hier, doch Rheingauer, folglich Mainzer Landes-Kinder; und können wir nicht rechtschaffene Bürger hier werden? Sobald einmal die bürgerlichen Abgaben werden regulieret sein, so werde [ich] mit meinen Händen zu deren richtigen Beitrag helfen. Schließlich muß ich noch bemerken, das Bitten eines Mädchens nicht unerhört zu lassen, weil wir uns nicht allein bestreben werden, rechtschaffene Haushälter zu machen, sondern auch dem Staate freie Menschen und rechtschaffene Bürger zu liefern. In Hoffnung auf Ihre Hülfe bin mit aller Hochachtung des Herrn Präsidenten ergebenste Margaretha Willhelmin Dienstbott dahier" Ein Aufruhr der Handwerksburschen, in dem es auch um Zunftangelegenheiten ging, hatte im September 1790 in Mainz stattgefunden. Nach seiner Niederschlagung meinte Georg Forster sarkastisch, man würde den Deutschen schon zeigen, daß sie keine Franzosen seien. Nun hatten die Mainzer Zünfte, deren Verfassung Custine zunächst unangetastet ließ, die Möglichkeit, sich den französischen Vorstellungen der Menschenbeglückung anzuschließen. Aber erst zur Zeit des Eingangs des Bittbriefes wurde in den Zünften über eine Petition an den Pariser Nationalkonvent abgestimmt. Wenn auch die Schuhmacherzunft unter ihrem Brudermeister Nicolaus Schweikart der Petition zustimmte, so war damit noch lange nicht der Weg für konstitutionelle Neuerungen bereitet. Durch einen Vermerk des Präsidenten der allgemeinen Administration zu Mainz, des Anton Joseph Dorsch, vom 28. November 1792 wurde die Munizipalität aufgefordert, die Supplikantin zur Administration zu bescheiden. Was man ihr dort mitteilte, ist uns nicht bekannt. Vermutlich haben die Zünfte sich ebenso heftig wie erfolgreich der Eheschließung des Gesellen widersetzt, denn die Bittstellerin ist höchstwahrscheinlich identisch mit der Anna Margarete Wilhelm aus Ransel bei Rüdesheim, die erst am 25. Januar 1795 den Jakob Stofflet aus Rüdesheim, damals wieder Soldat im Oberrheinischen, heiratete. Die entschiedenste Anhängerin der Mainzer Jakobiner war gewiß Maria Ursula Thekla Zech, als Tochter des Buchbinders Franz Beil und der Susanne Pfaltzer aus Gabsheim am 23. Dezember 1759 in Mainz geboren und seit dem 5. August 1781 mit dem Buchbindermeister Jakob Veit Zech verheiratet. Ihr Mann, 36 Jahre alt, aus Bamberg gebürtig, war als Klubist mit starken Wunden ins Zuchthaus gebracht worden und gehörte zu den elf unter den 26 dort wegen ihrer politischen Tätigkeit Einsitzenden, die die Frage, ob sie Klubisten waren, uneingeschränkt bejahten. Ursula Zech wurde am 29. Juli 1793 arretiert, da sie „sich notorisch durch Handlungen und Reden bei hiesiger Revolution ausgezeichnet" habe, und in das Gefängnis auf dem Fischtor gebracht. Es steht außer Zweifel, daß sie ihren Mann bei dem Verlegen und der Propagierung revolutionärer Schriften unterstützt hatte. Vor allem hatte sie die Bauern politisch zu beeinflussen gesucht, indem sie die Zeitungen der Jakobiner - wie Wedekinds „Bürger-

Mainzer Jakobinerfrauen

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freund" - auf dem Markt gegen Butter, Eier und Käse ausgetauscht hatte. Insbesondere soll sie auch in Erbenheim auf diese Weise revolutionäre Propaganda betrieben und damit männlichen Gesinnungsgenossen ein Beispiel gegeben haben. 8 Man sagt auch, sie habe bei der Zertrümmerung des „Denkmals der Barbarei" und der Pflanzung des Freiheitsbaumes als erste das Vive la Nation ausgebracht. Ursula Zech war schwanger, mangelhaft bekleidet und erhielt nichts zu essen, so daß sie um Herausgabe von Kleidungsstücken und um einige Lebensmittel aus ihrem Keller bitten mußte. In die Liste der Gefangenen wurde eingetragen: „Wird noch zur Zeit von niemand verpflegt" 9 , und als Grund ihrer Verhaftung wird verharmlosend angegeben: „wegen einem gehabten Gezänke mit einigen Bürgern", was darauf schließen läßt, daß sie von Jakobinergegnern tätlich angegriffen worden war. Ihre drei Kinder im Alter von 10, 5 und 3 Jahren waren in das Mainzer Armenhaus gebracht, ihre Wohnung war sofort gerichtlich versiegelt worden. Kurz darauf wurde das Haus mit amtlicher Genehmigung ausgeräumt, „die im Keller gelegene große Anzahl aller Gattungen von Revolutionsschriften" wurde sichergestellt, und bereits am 6. August 1793, rund acht Tage nach der Verhaftung von Ursula Zech, wurde dem Buchbinder Johann Philipp Ritter, der als Klubistengegner aus Mainz geflohen war, Werkzeug und Werkstatt Zechs ohne Inventur übergeben. Damit war der Existenz der Familie der Boden entzogen. Einen Monat später zeigte der Stadtphysikus Dilenius schriftlich an, daß sich Frau Zech sichtlich schwanger unter lauter männlichen Arrestanten befände; es lägen Anzeigen für eine Frühgeburt vor, und deshalb solle man sie in das Krankenhaus im St. Rochus-Hospital bringen und dort bis zu ihrer Niederkunft in Verwahrung halten. Jedoch mußte die Unglückliche weitere vier Wochen im Gefängnis ausharren und am 13. 9. nochmals ausdrücklich darum bitten, auf ihre Kosten in das Hospital gebracht zu werden, ehe dem Antrag des Arztes entsprochen wurde. Am 21. März gebar sie einen Sohn, Jakob Anton, dessen Pate der Mainzer Bürger Jakob Anton Dümig war. Acht Tage zuvor war ihre dreijährige Tochter Katharina Margarete im-Armenhaus gestorben. Durch einen Beschluß vom 31. Dezember 1793 wurden die gefangenen Klubisten in drei Gruppen eingeteilt: In die dritte Gruppe kamen die „Ungefährlichen", die nach ihrer Entlassung in Mainz bleiben durften, in die zweite Gruppe die „minder Gefährlichen", die evakuiert werden sollten, aber nur „außerhalb der Stadt". Ursula Zech und ihr Mann wurden in die erste Gruppe der „Gefährlichen" eingestuft und den Klubisten zugeordnet, vor denen man sich besonders hüten müßte: „Bei Gefahr" sollten sie zu Wasser in mehrere Orte oder Klöster im Obererzstift, z. B. Miltenberg, Lohr und Bischofsheim, transportiert werden. Nach neunzehn Monaten Kerkerhaft wurde das Ehepaar Zech nach Frankreich ausgewiesen. Während seiner Haft war am 13. Januar 1795 ein zweites Kind im St. Rochushospital verstorben: die zwölfjährige Klara Elisabeth. Im August 1795 ging es um einen gerichtlichen Beschluß „wegen Ablieferung der dahier rückgebliebenen beiden Zechschen Kinder an die französische [!] Vorposten zur Auswanderung nach Frankreich". Es handelt sich um den ein Jahr und fünf Monate alten Jakob Anton, der aus dem Gefängnis in das Armenhaus gebracht worden " Winkopp, S. 130; Schöne Raritäten, 1. T., Mainz 1793, S. 15. StA Würzburg, MRA - Klubisten, 2, 3, 858.

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Gerhard Steiner

war, und u m den siebenjährigen Kilian. Man entließ diese Kinder deshalb aus dem Armenhaus, weil das von dem „ausgewanderten" Zech hinterlassene V e r mögen k a u m ausreichte, seine Gläubiger zu bezahlen. „Diese Kinder liegen also dem hiesigen S t a a t e zur Last u n d versperren im A r m e n h a u s den K i n d e r n von b r a v e n u n d rechtschaffenen B ü r g e r n den Platz." Das E h e p a a r k e h r t e drei J a h r e später, als die Stadt Mainz wieder in französischen Besitz g e k o m m e n war, d o r t hin zurück u n d f a n d das eigene H a u s u n d die W e r k s t a t t ruiniert, so d a ß Zech sich gezwungen sah, eine „Geschichts-Erzählung von dem V e r f a h r e n des e h e maligen mainzer Kriminalsenats, in der Sache des Bürgers Z e c h . . . " im U m f a n g von 16 Seiten zu veröffentlichen. 1801 w i r k t e er als P r ä f e k t u r b u c h b i n d e r in d e r Dominikanergasse; a m 6. 2.1805 s t a r b er. Über das weitere Schicksal der Ursula Zech ist bisher nichts zu ermitteln. Lebhaften Anteil a n den Aktionen der Mainzer Jakobiner n a h m e n auch die F r a u e n u m Georg Forster. I h r Engagement t r a t so stark hervor, d a ß sogar ein ü b e r 100 J a h r e w ä h r e n d e r Streit d a r ü b e r entstehen konnte, w e r von ihnen Forsters revolutionären Enthusiasmus entfacht habe, ob seine zu Beginn d e r Mainzer Republik achtundzwanzig j ä h r ige F r a u Therese, die Tochter des Göttinger Philologen Christian Gottlob Heyne, oder die u m ein J a h r ältere, ebenfalls aus einem Göttinger Professorenhaus s t a m m e n d e Caroline Böhmer, geborene Michaelis, die Witwe des Clausthaler Bergarztes Dr. Böhmer. Dieser Streit, der durch Schillers berühmtes, auf Forster gemünztes Xenion: „O ich Tor, ich rasender Tor! u n d rasend w i e jeder, / Der auf des Weibes R a t horchend den Freiheitsbaum pflanzt", geschürt worden war, hielt das ganze 19. J h . hindurch an. Nachdem schon v o r h e r einzelne Stimmen gegen diese Einschätzung laut geworden waren, stellte der P r a g e r Germanist P a u l Zincke 1915 eindeutig fest, d a ß Forster seine politischen Ansichten durchaus selbständig u n d unabhängig entwickelt hatte. W e n n Zincke allerdings behauptete, d a ß Therese eine viel heftigere u n d leidenschaftlichere Republikanerin gewesen sei als Caroline, d a n n k a n n m a n ihm schwerlich zustimmen. Beide F r a u e n w a r e n den Ideen der F r a n zösischen Revolution ergeben, w e n n auch aus verschiedenen Motiven, die in i h r e n unterschiedlichen C h a r a k t e r e n u n d Lebenslagen begründet w a r e n . F ü r die Jakobinerbegeisterung, die Therese Forster in Mainz u n d auch noch nach i h r e r Umsiedung in S t r a ß b u r g bewies, gibt es m e h r e r e authentische Zeugnisse. I h r Vater w a r n t e sie wiederholt, sich nicht so sehr politisch zu engagieren. Ein ü b e r die Vorgänge im Hause Forster orientierter Freund, d e r Professor der Anatomie Samuel Thomas Sömmering, und d e r sachlich urteilende, gleichfalls mit Forster b e f r e u n d e t e Historiker Nikolaus Vogt, hielten Thereses Revolutionsbegeisterung f ü r so gravierend, d a ß sie sogar meinten, Therese h a b e ihren Mann wesentlich in seinen jakobinischen Aktivitäten beeinflußt. Obwohl Therese bei der Herausgabe d e r Briefe Forsters und der Abfassung d e r diese einleitenden Biographie (1829) b e m ü h t w a r , ihre S y m p a t h i e f ü r die revolutionären Vorgänge durch Auslassungen u n d T e x t ä n d e r u n g e n zu vertuschen, geben i h r e eigenen Briefe aus der Mainzer u n d aus späterer Zeit u n d die Gegenbriefe reichlich Einblick in i h r e politischen Anschauungen. So b e k a n n t e sie ihrem V a t e r gegenüber mutig, d a ß sie Forsters Ansichten teile. „Dieses Erwachen d e r edelsten K r ä f t e anzusehn" 1 0 , schrieb sie a m 20. November 1792 nach Göttingen, 10 Zitiert nach Zincke, Paul, Georg Forster nach seinen Originalbriefen, Bd. 2, Dortmund 1915, S. 258.

Mainzer Jakobinerfrauen

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„winkt freundlich in jene Welt, wo alle Kräfte in vollem Leben stehen. Die Erlaubnis zu sprechen entwickelt den Geist dieser verklommenen Mainzer, sie stehen und denken laut über ihre Rechte und fühlen zum ersten Mal die göttliche Wärme eignen Werts und Wollens." Doch ging ihr die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu schleppend: „Es ist wenig, was bis jetzt geschah", fuhr sie fort, „das Volk ist gelähmt, es hat wenig Anlagen, aber wenn dieser langsame Gang wenig Hinreißendes hat, so hütet er auch vor Fanatismus." Der französische Historiker Artur Chuquet sagt mit Recht: „Elle parlait avec feu de la Révolution qu'elle nommait, ,1e plus beau bonheur de l'humanité', et elle accablait de son mépris les Mayençais qui prenaient la fuite à l'approche des sans-culottes. Ce qu'elle souhaitait le plus vivement, disait-elle en 1794, c'était la liberté de la France." 11 Therese hatte sich als eine so überzeugte Jakobinerin erwiesen, daß man ihrem Weggang nach Straßburg, mit dem sie ja nur ihre Trennung von Forster und die Vereinigung mit ihrem Geliebten, dem kursächsischen Legationssekretär Ludwig Ferdinand Huber, vorbereitete, zunächst nur die Absicht unterschob, in Frankreich energisch für die Französische Revolution zu wirken, und daß man befürchtete, ihre Abreise könne das Vertrauen, das viele in die Sicherheit der Mainzer Republik setzten, erschüttern. Empört ließ sich Caroline Böhmer am 17. Dezember 1792 in einem Brief an ihren Göttinger Freund Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer über Thereses Weggang aus : „Sie, die über jeden Flüchtling mit Heftigkeit geschimpft hat, die sich für die Sache mit Feuereifer interessierte, geht in einem Augenblick, wo jede Sicherheitsmaßregel Eindruck macht und die jämmerliche Unentschiedenheit der Menge vermehrt - wo sie ihn [Forster] mit Geschäften überhäuft zurückläßt." 12 Für Thereses Verhalten in Straßburg ist bedeutsam, was Zincke festgestellt hat: Katharina Salome Schweighäuser, die Gattin des Straßburger Professors der klassischen Philologie und Altertumskunde, mit dem Therese, obwohl er Feuillant war, als einem Freund ihres Vaters verkehrte, „berichtete offenbar aus eigener Erfahrung, daß Therese ebenso republikanisch gesinnt gewesen sei wie ihr Gatte. Sie sei zwar beim Einzug der Franzosen in Mainz enttäuscht gewesen über den äußeren Aufzug des Volksheeres, das so gar nichts Imponierendes und Heroisches gehabt hätte. Trotzdem aber habe sie die dreifache Kokarde mächtig aufgeregt und die in geflickten Lumpen einhermarschierenden Franzosen seien ihr als die Verteidiger der Wahrheit und als Befreier von Mainz erschienen."13 Ferner fand Zincke den Brief einer Straßburgerin vom 6. Juni 1793, der ihm im Original vorlag und in dem Therese als „meine Revolutionsfreundin" angeredet wurde. Zincke hielt es für wahrscheinlich, daß dieser Brief von der Frau des leidenschaftlichen Jakobiners und Buchhändlers Johann Georg Treuttel geschrieben wurde, mit denen Therese - von Forster an sie empfohlen - lebhaften Umgang pflegte und die Straßburger Jakobinersitzungen besuchte. Therese berichtete Forster aus dem Straßburger Jakobinerkreis, und ihr Mann bat sie, von ihrer in Mainz gezeigten Uberzeugung nicht abzulassen : „Bleibe Du . . . rein 11

Ebenda, S. 260. Caroline. Briefe aus der Frühromantik, hrsg. von Erich Schmidt, Bd. 1, Leipzig 1913, S. 278 f. « Zincke, S. 251. 13

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Gerhard Steiner

republikanisch und halte Dich an die demokratische Partei, die aber leider auch in zwei Parteien zerfällt." 14 Aus Forsters Briefen an seine Frau geht hervor, daß Therese zunächst im jakobinischen Sinne aus Straßburg berichtete und politische Meinungen mit ihrem Mann auf gleicher Basis austauschte. Vermutlich äußerte Therese schließlich aber Bedenken über die Verurteilung des Königs, so daß Forster ihr am 4. Februar 1793 vorwarf, er bemerke, daß sie „durch und durch feuillantisiert" sei, und sie bat, sich in ihren Grundsätzen nicht irremachen zu lassen.15 In einem weiteren Brief betonte er noch einmal, daß sie doch aufrichtig und entschieden jakobinisch gewesen sei. Therese jedoch bestritt Forster gegenüber, daß sie nicht mehr auf der Seite der Jakobiner stehe. Mag sie damit auch recht gehabt haben, so war sie doch nicht in der Lage, ihrer politischen Überzeugung Opfer zu bringen. Ihr Liebesverhältnis mit Huber und der Wunsch, ihre Ehe zu dessen Gunsten scheiden zu lassen, standen im Vordergrund ihres Interesses. So nahm sie Beziehungen zu Schweighäuser und anderen Feuillants auf, die ihr bei ihren weiteren Plänen nützlich sein konnten, und übersiedelte schließlich nach nur drei Straßburger Wochen, um die Trennung von Forster perfekt zu machen, nach Neuchätel, der Hauptstadt des damals unter preußischer Herrschaft stehenden Fürstentums Neuenburg. Immerhin aber besuchte sie auf dem Weg dorthin in Colmar den blinden Dichter Konrad Pfeffel, dessen 1790 entstandene revolutionäre Gedichte - wie das von Beethoven vertonte „Der freie Mann. Ein Volkslied"—und gesellschaftkritische Fabeln in die Jakobinerzeitungen und -anthologien aufgenommen worden waren. Als sie sich nach dem Tod Forsters als preußische Bürgerin an den preußischen Oberbefehlshaber General Friedrich Adolf Graf von Kalckreuth mit der Bitte wandte, ihr zu ihrem in Mainz zurückgelassenen Eigentum zu verhelfen, sprach sie nicht von ihrer Teilnahme an den Klubsitzungen und ihrer Gesinnung, sie verschanzte sich hinter der Tatsache, daß die Mitgliedschaft im Klub den Männern vorbehalten war, und erklärte: „Mein Vater schreibt mir, daß die Ursache, warum alle zu meinem Besten am kurfürstlichen Mainzer Hofe getanen Schritte umsonst wären, in der wirklich eingegangenen Anklage, als sei ich eine Klubistin, bestünde. Das vernünftige Publikum weiß es, und die Behörde, welche Anklagen annimmt, sollte wissen, daß ich und kein Weib hat je Klubistin sein können, weil in den ersten Tagen der Versammlung der Jakobiner durch eine ausdrückliche Akte beschlossen ward, kein Frauenzimmer aufzunehmen, ihnen auch keine eigenen Versammlungen zu gestatten."1® Nebenbei sei bemerkt, daß es zu solchen Bestimmungen der Klubisten nur deshalb kommen konnte, weil eine nicht unbedeutende Anzahl von Frauen nach jakobinischer Betätigung drängte. Caroline Böhmer hatte schon als junges Mädchen keinen Respekt vor Potentaten gehabt. Die Sechzehnjährige hatte den Herzog Karl Eugen von Württemberg als Unterdrücker weiblicher Tugend gehaßt, und drei Jahre später hatte sie den Landgrafen von Hessen ein Vieh genannt, weil er Menschen verkaufte, um in Kassel Paläste zu bauen. Der Umwälzung in Frankreich brachte 14 15

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Georg Forster's sämtliche Schriften, Leipzig 1843, Bd. 8, S. 305. Förster, Georg, Werke in 4 Bänden, hrsg. von Gerhard Steiner, Bd. 4, Leipzig 1972, S. 831. Geiger, Ludwig, Therese Huber, Stuttgart 1901, S. 82 f.

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sie bereits im November 1789 starkes Interesse entgegen und schrieb an Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer: „Ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll, denn die heutigen Zeitungen enthalten so große unerhörte prächtige Dinge, daß ich heiß von ihrer Lektüre geworden bin"17, aber sie war nicht so schnell enthusiasmiert wie Therese. Abwägend äußerte sie sich am 11. Juli 1791, sie wolle wissen, „welche Häupter das Volk leiten, das sich von Freiheit begeistert dünkt, und ob sich die wütenden Wellen verhaßter Übertreibungen bald legen werden". 18 Ihr kritischer Geist gab sich nicht dem Taumel der Ideen hin, sie wollte ergründen und sachlich urteilen. Tiefere Erkenntnis gewann sie, nachdem sie im Februar 1792, von Therese eingeladen, mit ihrer bald siebenjährigen Tochter Auguste nach Mainz übergesiedelt war. Sie verkehrte dort fast nur im Hause Forster. Der ihr aus Göttingen bekannte Weltumsegler und jetzige Universitätsbibliothekar gewann bei ihr Tag für Tag mehr an Achtung und freundschaftlicher Verehrung. Am 20. April bekundete sie ihre neue Einsicht prognostisch in humorvoller Weise ihrer Freundin Luise Gotter gegenüber: „Wir können noch sehr lebhafte Szenen herbekommen, wenn der Krieg ausbrechen sollte — ich ginge ums Leben rächt von hier — denk nur, wenn ich meinen Enkeln erzähle, wie ich eine Belagerung erlebt habe, wie man einen [!] alten geistlichen Herrn die lange Nase abgeschnitten und die Demokraten sie auf öffentlichen [!] Markt gebraten haben — wir sind doch in einem höchst interessanten politischen Zeitpunkt, und das gibt mir außer den klugen Sachen, die ich abends beim [Forsterschen] Teetisch höre, gewaltig viel zu denkeni." Dennoch verwahrte sie sich am 12. August dagegen, als Jakobinerin bezeichnet zu werden, und schrieb an den konservativen Meyer: „Das Jakobiner-Käppchen, das Sie mir aufsetzen, werf ich Ihnen an den K o p f . . . Für das Glück der kaiserl. und königlichen Waffen wird freilich nicht gebetet — die Despotie wird verabscheut, aber nicht alle Aristokraten — kurz, es herrscht eine reife, edle Unparteilichkeit — und wenn Sie nicht unser Bekenntnis annähmen — so ist nur Dein teuflicher Geist des Widerspruchs schuld." Folgerichtig äußert sie über Goethes „Groß-Cophta" die gleiche Meinung wie Forster: es sei ein „plattes Gelegenheitsstück". (Später lehnte sie auch dessen gegenrevolutionären „Bürgergeneral" ab.) Mit dem Heranrücken der französischen Truppen wuchs ihre Begeisterung für deren Mission. Sie sah in ihnen nicht Feinde, sondern die Freiheitsbringer, äußerte nie Angst vor der Besetzung und dachte nicht an Flucht. Wenige Tage nach der Besetzung der Bischofsstadt durch Custines Volksheer berichtete Caroline ihrem Widersacher Meyer mit Wärme und ohne ihre Begeisterung zu verhehlen über die Ereignisse: Man sei „leicht" in Feindes Hand gekommen, falls man die „höflichen wackren Gäste" Feinde nennen könnte. In der Stadt herrsche Stille und Ordnung: „Die Adligen sind alle geflohn — der Bürger wird aufs äußerste geschont — das ist Politik, aber wenn die Leute des queux et des misérables wären, wie man sie gern dafür geben wollte — wenn nicht strenge Disziplin stattfände — wenn nicht der stolze Geist ihrer Sache sie beseelte und sie Großmut lehrte, so würd's unmöglich sein, so alle Ausschweifun-

17 18

Caroline, S. 194. Ebenda, S. 225, 250, 264.

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Gerhard Steiner

gen, alle Insulten zu vermeiden." 19 Im weiteren Text dieses Briefes erwies sich ihr kritischer Blick vor allem in zweifacher Hinsicht. Erstens täuschte sie sich nicht über die Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines neuen gesellschaftlichen Bewußtseins: „Der Mittelstand wünscht freilich das Joch abzuschütteln — dem Bürger ist nicht wohl, wenn er's nicht auf dem Nacken fühlt. Wie weit hat er noch bis zu dem Grad von Kenntnis und Selbstgefühl des geringsten sansculotte draußen im Lager." Zweitens war sie daran interessiert, daß nur völlig integre Männer das neue Ruder führen. Ihren Schwager Dr. Georg Ludwig Böhmer, der Custines Sekretär geworden war, lehnte sie ab: Sie hielt ihn f ü r einen Karrieristen. Dem über ihre Anteilnahme am den revolutionären Ereignissen spottenden Meyer entgegnete sie in ihrem nächsten Brief: „Allein können Sie im Ernst darüber lachen, wenn der arme Bauer, der drei Tage von vieren f ü r seine Herrschaften den Schweiß seines Angesichts vergießt und es am Abend mit Unwillen trocknet, fühlt, ihm könnte, ihm sollte besser sein? Von diesem einfachen Gesichtspunkt gehn wir aus." Die Revolution war f ü r sie wichtig, sofern sie soziale Gerechtigkeit brachte. Man muß bei diesen Briefzitaten bedenken, daß Carolines Briefe vorsichtig formuliert sind, daß ihre „Demokratenbriefe" an ihre Schwester Luise, überhaupt die meisten ihrer Briefe aus Mainz leider vernichtet wurden, weil ihr Inhalt f ü r politisch anrüchig gehalten wurde. J e stärker sich Caroline engagierte und sich der Meinung Forsters anschloß, dessen politischen Einsatz und Integrität sie bewunderte und den sie nach Thereses Weggang betreute, um so schmerzlicher enttäuschten sie die Zwistigkeiten unter den Klubisten, die militärischen Fortschritte der Konterrevolution und schließlich der Zusammenbruch der Mainzer Republik. Sie stand jedoch durch alle revolutionären Aktionen hindurch zu Forster. Die Hilfe, die sie ihm damit gab, sichert ihr allein schon einen Platz in der Geschichte der Mainzer Republik. Wenn ihre Schwester Luise später berichtet, daß Forster ein tätiger Anhänger der Französischen Revolution gewesen sei, und hinzufügt: „Und meine Schwester wohl nicht minder", so sind damit sicher ihre Gesinnung und ihr Einsatz f ü r Forster gemeint. 20 Ihre direkte politische Aktivität hat sich wohl nur auf gelegentliche Teilnahme an den Klubsitzungen, besonders anläßlich der Reden Forsters, und an republikanischen Volksfesten und Redouten beschränkt. Solche Feiern fanden z. B. anläßlich der Errichtung des zweiten Freiheitsbaumes am 13. Januar 1793 statt. Sicher ließ sich Caroline dieses Fest nicht entgehen, das Forster mit einer französischen Begrüßungsrede an die Brüder der Gleichheit und Freiheit aus Frankreich einleitete. 21 Der zweite Teil des Festes fand in Forsters Zeitung „Der Volksfreund" folgende, die Anteilnahme der Frauen hervorhebende Darstellung: „Jetzt ging der Zug durch andere Straßen in den schön erleuchteten Versammlungssaal der Freiheits- und Gleichheitsfreunde zurücke, wo selbst die Zuschauer alle Logen und Bühnen besetzten. Es wurden mehrere patriotische Reden aus vollem Herzen ohne Vorbereitung gehalten, die den Gemeingeist unserer Mitbürger entflammten. Die 19 20 21

Ebenda, S. 274 f., 278. Erinnerungen von Luise Wiedetnann..., hrsg. von J. Steinberger, Göttingen 1929, S. 80. Eine genaue Darstellung aller Vorgänge bei Scheel, Bd. 1, S. 530-541.

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anwesenden Bürgerinnen, aufgefordert von der Gesellschaft, bewiesen ihren Republikanersinn, indem sie die Bänder von allen Farben, womit sie ihr Haar geschmückt hatten, herabreichten, um den im Saal gepflanzten Freiheitsbaum zu schmücken. Ein Ball auf dem Redoutensaale beschloß die Feier dieses schönen, unvergeßlichen Tages." Carolines Sympathie mit den Franzosen und ihren progressiven Ideen blieb unverändert, wenn sie auch weiterhin alles politische Geschehen in Mainz kritisch betrachtete. Nachdem Forster als Deputierter nach Paris abgereist war, hielt sie nichts mehr in der von der Besetzung durch die alliierten Truppen bedrohten Stadt. Am 30. März verließ sie mit ihrer Tochter Mainz. In ihrem Gefolge waren die vierundsechzig jährige Magdalena Wedekind, deren Tochter — Frau Forkel mit ihrem kleinen Sohn — und Schwiegertochter Maria Wedekind, die Frau des Klubisten, mit ihren beiden Kindern. Kurz hinter Oppenheim wurde die Kutsche von einem preußischen Vorposten aufgehalten, und, da die Insassen aus Mainz kamen und eine den verdächtigen Namen Böhmer trug, verhaftet. In Frankfurt a. M. wurden sie vom preußischen GeneralAuditeur verhört. Dabei zeigte sich Caroline verärgert und selbstbewußt, und sie reagierte auf die Fragen, die vermutlich so töricht waren wie oft in solchen Verhören, mit spitzer Ironie. Sömmerring, der auf die Nachricht von der Verhaftung der Frauen herbeigeeilt war, ohne ihnen wirklich zu helfen, und Carolines Verhalten sehr unweiblich fand, riet zur Flucht. Aber Caroline, Wortführerin der unglücklichen Frauen, wollte im Bewußtsein ihrer Schuldlosigkeit nicht feige fliehen. So wurden schließlich die vier Frauen und vier Kinder ohne rechtliche Handhabe verhaftet und am 8. April auf der Festung Königstein eingesperrt. Caroline mußte mit ihrer inniggeliebten Tochter und fünf anderen Frauen eine unwirtliche düstere Zelle teilen und litt darunter um so mehr, als sie feststellen mußte, daß sie schwanger war. In ihrem Liebeskummer um ihren Göttinger Geliebten, den Legationssekretär Georg Tatter, mit dem sie bis November 1793 über zweihundert Briefe gewechselt hatte, hatte sie sich, „schließlich wohl von der Wertlosigkeit seiner Zuneigung überzeugt,... in einer Gefühlsregung" einem neunzehnjährigen französischen Offizier hingegeben, „mit dem sie nichts als die erhöhte Stimmung einer festlichen Nacht verband" 22 , von dem sie aber gewiß die Politik nicht schied: Es war Jean-Baptiste DuboisCrance, der Neffe und Adjutant des Revolutionsgenerals Frangois-Ignace-Ervoil d'Oyre, des Mainzer Nachfolgers Custines, den Caroline durch Forster kennengelernt hatte. * Im Gefängnis erlitt sie mit den anderen Eingekerkerten die Rachsucht der Reaktion, die vor Frauen und Kindern nicht Halt machte. Der preußische König sah in der „Doktorin Böhmer" die Frau des Sekretärs Custines; der Mainzer Kurfürst scheint die Absicht gehabt zu haben, sie gegen Forster auszutauschen. Erbittert schrieb sie später an den Ehemann ihrer Freundin Luise, den Gothaer Theaterdichter Friedrich Wilhelm Gotter: „ . . . s e h n Sie den schrecklichen Aufenthalt . . . , lassen Sie sich von dem durch die schädlichsten Dünste verpesteten Zugwind durchwehn — sehn Sie die traurigen Gestalten, die stundenweis in das Freie getrieben werden, um das Ungeziefer abzuschütteln, vor dem Sie dann Mühe haben, sich selbst zu hüten — denken Sie sich in einem Zimmer mit sie22

Ricarda Huch im Vorwort zu Carolines Leben in Briefen, Leipzig 1914, S. IX.

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ben andern Menschen, ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille, und genötigt, sich stündlich mit der Reinigung dessen, was sie umgibt, zu Beschäftigen, damit Sie im Staube nicht vergehn — und dann ein Herz voll der tiefsten Indignation gegen die gepriesne Gerechtigkeit, die mit jedem Tage durch die Klagen Unglücklicher vermehrt wird, welche ohne Untersuchung dort schmachten, wie sie von ohngefähr aufgegriffen w u r d e n . . . Sie scheinen den Aufenthalt in Königstein für einen kühlen Sommertraum zu nehmen, und ich habe Tage da erlebt, wo die Schrecken und Angst und Beschwerden eines einzigen hinreichen würden, ein lebhaftes Gemüt in Raserei zu b r i n g e n . . . Sie sprechen von Formalitäten, sie setzen Anklage, Verteidigung, Untersuchung voraus — wo fand dergleichen statt? Räuberformalitäten übt man an uns — . . . Mir müssen Sie es wenigstens nicht sagen, die ich 160 Gefangne sah, welche durch deutsche Hände gingen, geplündert, bis auf den Tod geprügelt worden waren . . .' Protokoll der Verhandlungen des VI. Parteitages der SED, Bd. 4, Berlin 1963, S. 182. Die Geschichte der DDR, Berlin 1981, S. 217 f., und die Geschichte des FDGB, Berlin 1982, S. 459 f., verweisen kurz auf die Veränderungen in der beruflichen Qualifizierung. 17 J a h r b u c h 28

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der sozialistischen Umgestaltung aller Bereiche, mit den Klassenkämpfen um die Überwindimg der alten und um den Aufbau der neuen Gesellschaft verbunden. Im Qualifikationsniveau, das die Arbeiterklasse am Anfang der 60er Jahre aufwies, waren Resultate der Bildungspolitik, der weiteren Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, des Ringens von Millionen Werktätiger um ein sozialistisches Verhältnis zur Arbeit, um eine sozialistische Lebensweise und ihr ständiges Lernen in dem hier untersuchten Zeitraum zu Buche geschlagen. Deshalb dürfte es legitim sein, f ü r seine weitergehende Analyse Faktenmaterial aus dem Jahre 1964 heranzuziehen, das diese Ergebnisse verkörpert. Kennzeichnend f ü r ein wesentliches Element des Qualifikationsniveaus der Arbeiterklasse — f ü r den Anteil der Facharbeiter an den Produktionsarbeitern — sind die Angaben der Tab. 4. Sie weisen durch die bedeutenden Unterschiede zwischen den Zweiggruppen auf die enge Wechselbeziehung hin, die innerhalb der klasseninneren Differenzierung der Industriearbeiter zwischen Qualifikation und zweiglicher Struktur besteht. Tabelle 4 Anteil der Facharbeiter an den Produktionsarbeitern (in Prozent) nach Zweigen126

Zweig volkseigene Industrie Schiffbau Energie Schwermaschinenbau Allg. Maschinenbau Fahrzeugbau Polygraphische Industrie Metallurgie Bergbau Feinmech.-Optische Industrie Chemieindustrie Konfektionsindustrie Gießereien u. Schmieden

der volkseigenen

Industrie

Anteil d. Zweig Facharbeiter 45,2 67,0 64,5 64,0 57,4 55,4 54,5 51,8 51,3 47,6 45,2 42,5 42,2

Holz u. Kulturwaren-Industrie Elektrotechnische Industrie Metallwarenindustrie Leder-, Schuh- u. Rauchwarenindustrie Textilindustrie Glas- u. keramische Industrie Lebensmittelindustrie Baumaterialienindustrie Zellstoff- u. Papierindustrie

1964

Anteil d. Facharbeiter 38,2 37,4 36,7 36,6 35,6 32,2 31,3 30,6 29,0

Tendenziell sinkt der Facharbeiteranteil von der Grundstoff- zur Lebensmittelindustrie. Die Grundstoff-(außer Baumaterialien-)Industrie sowie die Zweige des Maschinen- und Fahrzeugbaus und die feinmechanisch-optische Industrie aus dem Bereich der metallverarbeitenden Industrie weisen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Facharbeitern auf. In der Leicht-(außer der polygraphischen) und Lebensmittelindustrie liegt er unter dem Mittelwert. Im neuen geschichtlichen Umfeld, das die beginnende Gestaltung des entwickelten Sozialismus im Vergleich. zur Ubergangsperiode darstellte, gewann 120

Zusammengestellt und berechnet nach: Statistisches Jahrbuch der DDR 1965, S. 186 bis 189, 205 f.

Qualifikationsniveau der Arbeiter

259

in der vielschichtigen Struktur der Arbeiterklasse das berufliche Qualifikationsniveau einen höheren Rang. „Alle Autoren, die sich über die Entwicklung der sozialen Struktur der Arbeiterklasse äußern," schrieb Manfred Lötsch, „sind sich darüber einig, daß die Qualifikation dabei eine zentrale Rolle spielt." Sie sei „diejenige Dimension der sozialen Struktur, die mit allen wesentlichen Prozessen der weiteren Festigung der führenden Rolle der Arbeiterklasse und mit Grundfragen der Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution untrennbar zusammenhängt".127 Dies bestätigt u. E. auch die im folgenden versuchte Analyse ihrer Rolle in der sozialen Charakteristik sowie im qualitativen Wachstum der Arbeiterklasse unmittelbar nach Vollzug des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in der DDR. Die Verflechtungen und Abhängigkeiten, die auf den einzelnen Reifestufen des Sozialismus zwischen den verschiedenen Ebenen bzw. Dimensionen der Sozialstruktur der Arbeiterklasse der DDR bestehen, sind — anders als in der Historiographie über die sowjetische Arbeiterklasse128 — nicht durchgängig erforscht. Folglich können auch die Unterschiede nicht erfaßt werden, die das Voranschreiten von einer Reifestufe zur nächsthöheren in das Gefüge dieser Struktur hineinträgt. Die Analyse will im Querschnitt für 1964 einige nachweisbare Zusammenhänge — Ubereinstimmungen und Abweichungen — zwischen sozial charakterisierenden Merkmalen der Arbeiter der sozialistischen Industrie aufdecken. Sie bedient sich dazu der Gegenüberstellung und des Vergleichs von Mittelwerten ausgewählter Indikatoren der Zweiggruppen der Arbeiterklasse in der Industrie. Das Jahr 1964 ist aus Gründen der Quellenlage gewählt. Dieser Zeitpunkt gestattet es, Ergebnisse des Wachstums der Klasse in der Übergangsperiode nach deren Abschluß und zugleich dessen neuem Ausgangspunkt am Beginn der folgenden Reifestufe des Sozialismus zu erfassen. Zu dem in Tab. 5 versuchten Vergleich sind als Indikatoren herangezogen: I: aus der Qualifikationsstruktur — der Anteil der Facharbeiter an den Produktionsarbeitern der volkseigenen Industrie 1964129; II: der Konzentrationsgrad — die Durchschnittszahl der Arbeiter und Angestellten pro sozialistischem Industriebetrieb 1964130; 127

Zur Entwicklung der Arbeiterklasse und ihrer Struktur in der DDR, Berlin 1976, S. 206 f. 128 Allgemein vgl. Drobisheva, L. M., Soziologie und Geschichte, Berlin 1974; Ustinov, V. A./Felinger, A. F., Istoriko-social'nye issledovanija, EVM i matematika, Moskau 1973; spezielle historisch-soziologische Untersuchungen mit EDV unter Einsatz mathematischer Methoden u. a. Drobiiev, V. ZJSokolov, A. KJVstinov, V. A„ RaboCij klass Sovetskoj Rossii v pervij god proletarskoj diktatury. (Opyt strukturnogo analiza po materialam professional'noj perepisi 1918 g.), Moskau 1975; Social'nyj oblik kolchoznoj molodjozi po materialam sociologiceskich obsledovanij 1938 i 1969 gg., von V. E. Poletaev (u. a.), Moskau 1976; Kornakovskij, J. VJPoletaev, V. E., Registrierkarten als historische Quelle zur Erforschung der Sozialstruktur von Produktionsarbeitern in Industriebetrieben, in: JbW, 1977, T. I, S. 185; Social'nyj oblik rabocej molodjezi - po materialam sociologiieskich obsledovanij 1936 i 1872 gg., von V. E. Poletaev (u. a.), Moskau 1980. la » Vgl. Anm. 125. 13U Zusammengestellt und berechnet nach: Statistisches Jahrbuch der DDR 1965, S. 106 bis 109.

1

17*

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Adelheid Muschalle/Gottfried

Dittrich

III:

das durchschnittliche Monatseinkommen der Produktionsarbeiter der sozialistischen Industrie 1964131; IV: die Geschlechtsstruktur — der Anteil der männlichen an der Gesamtzahl der Arbeiter und Angestellten der sozialistischen Industrie 1962132; V: aus der Qualifizierungsbewegung — der Anteil der Teilnehmer an Maßnahmen zur Vermittlung und Erweiterung beruflicher Grundkenntnisse sowie zur Ausbildung von Facharbeitern unter den Produktionsarbeitern der volkseigenen Industrie 1964133; VI: die Beteiligung der Werktätigen der zentralgeleiteten volkseigenen Industrie an der Neuererbewegung 1964134; VII: der Anteil der um den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit" kämpfenden Arbeiter und Angestellten an deren Gesamtzahl in der sozialistischen Industrie Ende 1963135; VIII: der Anteil der Produktionsarbeiter an diesen Teilnehmern am Titelkampf Ende 1963136; IX: der Anteil der an Maschinen und Anlagen Tätigen an der Gesamtzahl der Produktionsarbeiter der volkseigenen Industrie 1964137. Diese Indikatoren sind ausnahmslos, wenn auch in unterschiedlichem Grade, wichtig zur sozialen Charakteristik der Arbeiterklasse bzw. ihrer Zweiggruppen. Sie ermöglichen Aussagen über den Grad der Herausbildung ihrer neuen sozialen Natur als Klasse der sozialistischen Gesellschaft sowie der Reproduktion bestimmter, aus der Vergangenheit überkommener Merkmale. Ihr Vergleich gibt Anhaltspunkte für die geschichtliche Bedingtheit von Unterschieden zwischen den Zweiggruppen u. a. m. Entscheidende Merkmale des qualitativen Wachstums der Arbeiterklasse und ihrer Lage wie deren parteipolitische und gewerkschaftliche Organisiertheit, gesellschaftspolitische Aktivität, Arbeitsalter, aber auch die Altersstruktur fehlen in dieser Reihe. Des weiteren gibt es einige Unstimmigkeiten wie den unterschiedlichen Bezug auf Produktionsarbeiter bzw. auf Arbeiter und Angestellte, verschiedene Jahre und Bereiche (sozialistische bzw. volkseigene Industrie). Doch halten sich u. E. diese Ungenauigkeiten in den Grenzen des Vertretbaren, wenn es darum geht, nicht mehr als globale Zusammenhänge und Tendenzen zu finden. Tab. 5 führt die Abweichungen dieser Indikatoren für die 21 Industriezweiggruppen in Prozent vom Mittelwert für die Arbeiter und Angestellten (Produktionsarbeiter) der sozialistischen (volkseigenen) Industrie auf. Der Vergleich zwischen den Industriezweiggruppen entsprechend den Indikatoren I—IX zeigt 131 132 133

134

135 138 137

Vgl. ebenda, S. 200 f. Berechnet nach: Riedel, Anhang, Tab. 20. Zusammengestellt und berechnet nach: Statistisches Jahrbuch der DDR 1965, S. 452 f., 186-189, 205 f. Zusammengestellt nach Mrosek, Bernd, Die Entwicklung der schöpferischen Masseninitiative der Arbeiter in der sozialistischen Industrie der DDR Sommer 1961 bis 1965, und ihre Bedeutung für das weitere Wachstum der Arbeiterklasse, phil. Diss. A, Leipzig 1977, Anlage 16, Tab. 15. Hierbei gibt es bei der Umrechnung Abweichungen zwischen den Zweiggruppen. Vgl. ebenda, Anlage 16, Tab. 3, 4, 11. Vgl. ebenda. Statistisches Jahrbuch der DDR 1965, S. 205.

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