Jahrbuch für Geschichte: Band 12 [Reprint 2021 ed.]
 9783112530580, 9783112530573

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JAHRBUCH FÜR G E S C H I C H T E

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN D E R DDR Z E N T R A L I N S T I T U T FÜR G E S C H I C H T E

J A H R B U C H FÜR GESCHICHTE

Redaktionskollegium: Horst Bartel, Rolf Badstübner, Lothar Berthold, Ernst Engelberg, Heinz Heitzer, Fritz Klein, Dieter Lange, Adolf Laube, Walter Nimtz, Wolfgang Rüge, Heinrich Scheel, Hans Schleier, Wolfgang Schröder Redaktion: Wolfgang Schröder (Verantwortlicher Redakteur) Hans Schleier (Stellv.) Rosemarie Schumann Redaktionelle Bearbeitung: Rosemarie Schumann, Renate Ulbrieg

JAHRBUCH 1 2 FÜR GESCHICHTE

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1974

Redaktionsschluß: 15. Januar 1974

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © by Akademie-Verlag, 1974 Lizenznummer 202 • 100/264/74 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Bestellnummer: 752 613 o (2130/12) • L S V 0275 Printed in G D R EVP: 2 5 , -

Inhalt

Horst Bednareck

Der VIII. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Kampf um die Verwirklichung seiner Beschlüsse

7

Historische Probleme der volksdemokratischen Revolution

51

Ernst Laboor

Für Frieden und Sicherheit in Europa

81

Siegfried Kuntsche

Die Unterstützung der Landesverwaltung bzw. Landesregierung Mecklenburg durch die Sowjetische Militäradministration bei der Leitung der demokratischen Bodenreform 141

Manfred Bogisch

Die LDPD und die Gründung der DDR

Eva Seeber

Zum Kampf der Arbeiterparteien um ein neues Verhältnis zwischen den Völkern Polens und der DDR 205

Margot Hegemann/ Günter Möschner

Die DDR als Wirtschaftspartner der sozialistischen Staaten in den ersten Jahren des RGW

Jörg Roesler

Allgemeines und Besonderes bei der Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft der DDR (1945—1950) 281

Gerhard Keiderling

Die stumpfe Waffe der Nichtanerkennung

V. I. Miljukova

Der gemeinsame Kampf der UdSSR und der DDR f ü r die Festigung der internationalen Positionen der Deutschen Demokratischen Republik 343

Rolf Badstübner

Autorenverzeichnis

183

245

303

375

Abkürzungen

BzG GdA JbGsL JfG MEW ZStAM ZStAP ZfG

Beiträge zur Geschichte der (deutschen) Arbeiterbewegung, Berlin Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin 1966 Jahrbuch f ü r Geschichte der sozialistischen Länder Europas, Berlin Jahrbuch f ü r Geschichte, Berlin Marx/Engels, Werke, Berlin 1956 ff. Zentrales Staatsarchiv der DDR, Merseburg Zentrales Staatsarchiv der DDR, Potsdam Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin

Die Werke Lenins werden nach der 40bändigen Ausgabe des Dietz Verlages, Berlin 1956-1965, zitiert.

Horst

Bednareck

Der VIII. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Kampf um die Verwirklichung seiner Beschlüsse

Der VIII. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der vom 15. bis 19. Juni 1971 in Berlin stattfand, war ein bedeutendes Ereignis im Leben der DDR. Gemeinsam mit den 2 121 Delegierten als Vertreter von 1 845 280 Mitgliedern und 64 579 Kandidaten der SED beteiligten sich auch 94 Delegationen von kommunistischen und Arbeiterparteien, nationaldemokratischen und linken sozialistischen Parteien aus über 80 Ländern an der Arbeit des Parteitages. An der Spitze der Vertreter der internationalen Arbeiterbewegung standen die Delegationen der KPdSU, geleitet vom Generalsekretär des Zentralkomitees L. I. Breshnew, sowie der anderen Parteien der sozialistischen Bruderländer. In ihren Reden vermittelten die Gäste vielfältige Erkenntnisse und Erfahrungen des Kampfes der internationalen Arbeiterbewegung. Sie halfen so, die feste Überzeugung vom unaufhaltsamen Zusammenschluß aller revolutionären, antiimperialistischen Kräfte, vom weiteren siegreichen Vormarsch der Sache des Sozialismus in der Welt zu vertiefen. Der Parteitag war intensiv auf allen Ebenen der Partei und durch vielfältige Initiativen der Werktätigen vorbereitet worden. Er nahm den Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der SED, der von seinem Ersten Sekretär, Erich Honecker, erstattet wurde, entgegen. Im Ergebnis einer gründlichen und umfassenden Diskussion beschloß der Parteitag einstimmig: „Die politische Linie und die praktische Tätigkeit des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands werden voll und ganz gebilligt. Die im Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands enthaltenen Aufgaben und Schlußfolgerungen werden gebilligt. Sie gelten als Richtlinie für die praktische Tätigkeit aller Parteiorganisationen."1 Der Vorsitzende des Ministerrats der DDR, Willi Stoph, begründete den Entwurf der Direktive des VIII. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR in den Jahren 1971 bis 1975. Nach 1

Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages der Sozialistischen partei Deutschlands, 2 Bde., Berlin 1971, Bd. 2, S. 288.

Einheits-

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Horst

Bednareck

eingehender Diskussion der Direktive und gründlicher Auswertung von mehr als 5 000 Vorschlägen, die dem Parteitag in 600 Schreiben aus Betrieben und Einrichtungen der DDR unterbreitet worden waren, wurde die Direktive vom Parteitag bestätigt. Weitere Beschlüsse betrafen Veränderungen am Statut der SED. Außerdem verabschiedeten die Delegierten des Parteitages Erklärungen f ü r „Freiheit und Frieden f ü r die Völker Indochinas" sowie „Für die Herbeiführung einer gerechten und dauerhaften Friedensregelung im Nahen Osten". Die Beschlüsse des Parteitages waren von grundlegender Bedeutung f ü r den weiteren Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR. Sie bestimmten den Beitrag der DDR zur Stärkung des sozialistischen Weltsystems, zur Festigung der kommunistischen Weltbewegung und bei der Unterstützung des antiimperialistischen Volkskampfes in der Welt. Bei der Weiterentwicklung ihrer Strategie und Taktik ging die SED davon aus, daß in der Etappe der entwickelten sozialistischen Gesellschaft die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei wächst. Die SED kennzeichnete, ausgehend vom Standpunkt der internationalen Gesamtinteressen des Sozialismus, die gegenwärtigen und künftigen Schritte beim Aufbau des Sozialismus, bei der allseitigen Stärkung der Arbeiter-und-Bauern-Macht, bei der Vertiefung des Bündnisses mit der Sowjetunion und der festen Verankerung der DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft als einen Bestandteil und zugleich als ein Gebot des revolutionären Weltprozesses. Diese Beschlüsse widerspiegeln die schöpferische Anwendung des MarxismusLeninismus auf die konkreten historischen Bedingungen in der DDR. In dieses Programm sind das schöpferische Gedankengut des XXIV. Parteitages der KPdSU, die theoretischen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen der Bruderparteien der anderen sozialistischen Länder sowie der revolutionären Weltbewegung eingegangen.

Die Aufgaben der SED bei der weiteren Gestaltung wickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR

der

ent-

Im Mittelpunkt der Beratungen des VIII. Parteitages der SED standen die Aufgaben der SED bei der Festigung und Weiterentwicklung der sozialistischen Gesellschaft der DDR. In voller Übereinstimmung mit den Ergebnissen des XXIV. Parteitages der KPdSU und abgestimmt mit der Aufgabenstellung der sozialistischen Bruderländer legte der VIII. Parteitag als nächstes strategisches Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR die Errichtung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft fest und charakterisierte deren historischen Platz. Ausgehend vom Wesen des Sozialismus und den gewachsenen materiellen Möglichkeiten bestimmte der Parteitag die weitere Erhöhung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen des Volkes als

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Hauptaufgabe. „Wir kennen nur ein Ziel, das die gesamte Politik unserer Partei durchdringt: alles zu tun für das Wohl des Menschen, für das Glück des Volkes, für die Interessen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. Das ist der Sinn des Sozialismus. Dafür arbeiten und kämpfen wir."2 Diese von der politischen Strategie der SED bestimmte Aufgabenstellung, die hohe Anforderungen stellt, wurde wissenschaftlich exakt ausgearbeitet. Eine Grundvoraussetzung dafür war, daß bei der Bestimmung der gesellschaftlichen Perspektive der DDR — dem festen und untrennbaren Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft — die theoretischen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen der sozialistischen Bruderländer, vor allem der UdSSR, ausgewertet und der in den sozialistischen Staaten erreichte Stand der gesellschaftlichen Entwicklung analysiert wurde. Dieser Entwicklungsstand war dadurch gekennzeichnet, daß seit Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre in einer Reihe sozialistischer Länder eine neue Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung heranreifte.3 Im Ergebnis des erreichten Entwicklungsstandes der Produktivkräfte, der sozialistischen gesellschaftlichen Beziehungen sowie des erreichten Bewußtseinsstandes und der kulturellen Entwicklung des Sowjetvolkes wurde in der UdSSR die praktische Lösung der Probleme des Aufbaus der materiell-technischen Basis des Kommunismus zur entscheidenden Aufgabe.4 In der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik, der Sozialistischen Republik Rumänien, der Volksrepublik Polen und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik wurde nach der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus und dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse der Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in Angriff genommen. Mit dem XXIV. Parteitag der KPdSU begann ein neuer Abschnitt in der Entwicklung der sozialistischen Staatengemeinschaft. Die Tatsache, daß sich in der Mehrzahl der sozialistischen Länder eine gleiche oder ähnliche Phase der gesellschaftlichen Entwicklung vollzieht, führt zur Festigung und Erweiterung der objektiven Grundlagen für die Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten und für die weitere Annäherung der Bruderländer. Das widerspiegelte besonders deutlich die weitgehende Ubereinstimmung der Aufgaben, die vom XXIV. Parteitag der KPdSU und den im gleichen Zeitraum stattgefundenen Parteitagen anderer Bruderländer der RGW-Staaten fixiert wurden, aber auch die sich gesetzmäßig ergebende Annäherung der sozialen Struktur, der politischen Organisation der Gesellschaft, der Produktionsgrundlagen und der fruchtbaren Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens. So hat sich in den Mitgliedsstaaten des Rates für Gegenseitige Wirtschafts2 3

4

Ebenda, Bd. 1, S. 34. Vgl. Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien Moskau 1969, Berlin 1969, Rede L. I. Breshnews, S. 181. Vgl. Mikulskij, K. I., X X I V . s-ezd KPSS i mirovaja socialisticeskaja sistema, in: Voprosy istorii, 1972, H. 5, S. 4.

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Horst Bednar eck

hilfe (RGW) die für die sozialistische Gesellschaft charakteristische Klassenstruktur vollständig bzw. im wesentlichen herausgebildet. Die Ausbeuterklassen sind beseitigt, die Arbeiterklasse, die Genossenschaftsbauern und die sozialistische Intelligenz bilden die feste Basis der sozialen Struktur der sozialistischen Gesellschaft. Der sozialistische Sektor umfaßte 1970 in der UdSSR 100 Prozent der Produktionsgrundfonds, in Bulgarien und in der Mongolischen Volksrepublik 99,9 Prozent, in der CSSR 99,4 Prozent, in Ungarn 99 Prozent, in Rumänien 98 Prozent, in der DDR 94,6 Prozent und in Polen 82,9 Prozent. Der Anteil des sozialistischen Sektors an der industriellen Bruttoproduktion betrug in der UdSSR, der Mongolischen Volksrepublik und in der CSSR sowie in Bulgarien, Polen und Rumänien 100 bzw. nahezu 100 Prozent, in Ungarn 99 und in der DDR 85,2 (den halbstaatlichen Sektor eingeschlossen 98) Prozent. Die entsprechenden Anteile bei der landwirtschaftlichen Bruttoproduktion lagen, von Polen abgesehen, von 100 Prozent in der UdSSR bis 90 Prozent in Rumänien. 5 Das war der Ausdruck dessen, daß die Länder der sozialistischen Staatengemeinschaft Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre die Hauptaufgaben der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus gelöst hatten und in eine neue gesellschaftliche Entwicklungsetappe eintraten. Die theoretische Ausarbeitung und die praktische Bewältigung der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus waren stets der Hauptinhalt der theoretischen und politisch-ideologischen Arbeit der marxistischleninistischen Parteien. So wurden 1957 auf der Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus verallgemeinert. 6 In der Folgezeit wandten die Parteien ihre besondere Aufmerksamkeit der Verallgemeinerung der Gesetzmäßigkeiten bei der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft auf ihren eigenen Grundlagen zu. Im Ergebnis dessen wurden 1960 die Hauptmerkmale einer wissenschaftlich fundierten sozialistischen Wirtschaftsführung formuliert. 7 Im Jahre 1969 wurde erstmals im Hauptdokument der Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau und in der Rede von L. I. Breshnew eine zusammengefaßte Charakteristik der entwickelten sozialistischen Gesellschaft gegeben. 8 Die auf dieser Grundlage auf dem X X I V . Parteitag der KPdSU und den anderen Partei5

(i

7

8

Statisticeskij ezegodnik stran-clenov Soveta ekonomiceskoj vzaimopomosci, Moskau 1971, S. 37 f. Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder (Moskau, 14. bis 16. November 1957), Berlin 1958. Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien (November 1960), Berlin 1961. Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien Moskau 1969, S. 25 f., 181 ff.

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tagen der marxistisch-leninistischen Parteien der sozialistischen Länder erarbeiteten Kriterien der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und die Ubereinstimmung der Grundaufgaben unterstreicht erneut die historische Rolle der KPdSU, unter deren Führung in der Sowjetunion als erstem Land der Welt die entwickelte sozialistische Gesellschaft errichtet wurde und erfolgreich funktioniert. Die gesellschaftliche Praxis des real existierenden Sozialismus und die theoretische Beantwortung der Fragen, die im Zusammenhang mit der neuen Entwicklungsetappe aufgeworfen wurden, sind für den Kampf zwischen Sozialismus und Imperialismus von größter Bedeutung. Die Entwicklung in der DDR vollzog sich im Einklang mit den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus.9 Mit der weiteren sozialökonomischen und politischen Entwicklung der 60er Jahre in allen Sphären der sozialistischen Volkswirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens reifte eine neue gesellschaftliche Entwicklungsetappe auch in der DDR heran, die die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ermöglichte und erforderte.10 Das Zentralkomitee der SED konnte dem VIII. Parteitag berichten, „daß die grundlegenden wissenschaftlich-technischen, ökonomischen und sozialen Aufgaben des Fünfjahrplans 1966 bis 1970 erfüllt und zum Teil übererfüllt wurden"11. Hinter dieser nüchternen Feststellung stand das Hauptergebnis der Arbeit von Millionen in diesen Jahren, die allseitige Stärkung der Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR, die Entwicklung der politisch-moralischen Einheit des Volkes und die weitere Verbesserung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Werktätigen. Diese Grundbilanz bedeutete im Detail: Das Nationaleinkommen war von 84 Mrd. Mark im Jahre 1965 auf 108 Mrd. Mark im Jahre 1970, jährlich also durchschnittlich um 5,2 Prozent, gestiegen. Der Zuwachs von 24 Mrd. Mark war nahezu doppelt so hoch wie im vorangegangenen Jahrfünft. Die Industrieproduktion stieg von 1966 bis 1970 jährlich um 6,5 Prozent. Besonders rasch hatten sich die Industriezweige Elektrotechnik, Elektronik, Petrolchemie, Chemieanlagenbau, Landmaschinenbau und der Metallleichtbau entwickelt. Vorrangig war die Produktion jener Betriebe und Industriezweige erhöht worden, die für die Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution und für eine hohe volkswirtschaftliche Effektivität besondere Bedeutung besaßen. Die Arbeitsproduktivität stieg im Durchschnitt jährlich um 6 Prozent. Die Investitionen in der Volkswirtschaft sollten bis einschließlich 1970 um etwa 50 Prozent gegenüber 1965 anwachsen. Tatsächlich wuchsen sie um 59 Prozent. Ebenso verhielt es sich mit dem Einzelhandelsumsatz, der sich um 13 Mrd. Mark erhöhte. 9 10

11

Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 57. Siehe Hager, Kurt, Die entwickelte sozialistische Gesellschaft. Aufgaben der Gesellschaftswissenschaften nach dem VIII. Parteitag der SED, Berlin 1971, S. 24 f. Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 58.

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In der Landwirtschaft wurden die Ziele des Fünfjahrplans bei Schlachtvieh, Geflügel und Eiern überboten. Hohe Leistungen, die zum Teil weit über die Fünfjahrplanziele hinausreichten, wurden auf dem Gebiet des Bildungswesens vollbracht. 85 Prozent aller Schüler erhielten 1970 eine zehnjährige Oberschulbildung. Die Zahl der Hoch- und Fachschulkader pro 100 Berufstätige wuchs von 86 im Jahre 1965 auf 113 im Jahre 1970 an. Die im F ü n f j a h r p l a n festgelegten Aufgaben zur Verbesserung der Arbeitsund Lebensbedingungen der Werktätigen wurden im wesentlichen erfüllt. Die Vielzahl der entsprechenden Schritte und Maßnahmen widerspiegelten sich in der Erhöhung des Realeinkommens pro Kopf der Bevölkerung von 4750 Mark im Jahre 1965 auf 5820 Mark im Jahre 1970, also auf 122 Prozent. 12 Einige wesentliche Ziele des Fünfjahrplans wurden jedoch 1969 und 1970 nicht erreicht. Das betraf wichtige Gebiete der Volkswirtschaft, angefangen von der Energiewirtschaft bis zur Zulieferindustrie. Das Bauwesen war mit 36 000 Wohnungen hinter den Planzielen im Rückstand. Mängel traten in der planmäßigen Versorgung der Bevölkerung auf. Die Zahl der Arbeiter, die an der Neuererbewegung teilnahmen, war in einzelnen Jahren zurückgegangen. Die 14. Tagung des Zentralkomitees der SED analysierte diese entstandenen Schwierigkeiten in der Volkswirtschaft und deren sozialpolitischen Auswirkungen. Sie waren mit eine Folge von gewissen fehlerhaften strukturpolitischen Maßnahmen sowie von zusätzlichen, nicht real bilanzierten wirtschaftlichen Aufgaben, die die planmäßige proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft beeinträchtigten. Die dadurch entstandenen Disproportionen, so zwischen Finalproduzenten und Zulieferindustrie, in der Bilanz der Rohstoffe und Materialien, hatten zur Folge, daß trotz großer Anstrengungen der Werktätigen wichtige Planpositionen nicht erfüllt werden konnten. Auf der Grundlage des erreichten Entwicklungsstandes und der Potenzen der DDR faßte der VIII. Parteitag der SED die nächsten möglichen und notwendigen Schritte in der Grundorientierung auf den weiteren Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zusammen. Die SED berücksichtigte so die Erkenntnis, daß es nicht möglich ist, nach der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus sofort zum Aufbau des Kommunismus überzugehen. Die Erfahrungen der KPdSU hatten bewiesen, daß eine längere Etappe der Errichtung, Ausgestaltung und Vervollkommnung der sozialistischen Gesellschaft notwendig ist.13 Ausgehend von den eigenen Erfahrungen und gestützt auf den Erfahrungsschatz der KPdSU und der anderen sozialistischen Staaten, trug die SED zur Erarbeitung von Kriterien der entwickelten sozialistischen Gesellschaft bei. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich die DDR im Prozeß der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft befindet, sind diese Kriterien eine Charakterisierung sich vollzie12 13

Ebenda, Bd. 2, S. 9-18. Vgl. Reinhold, Otto, Der historische Platz der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, in: Einheit, 1972, H. 11, S. 1467.

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hender und zu meisternder grundlegender Prozesse der gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung. Auf sozialökonomischem Gebiet werden diese Prozesse durch die planmäßige Herausbildung eines einheitlichen sozialen Organismus, die harmonische Entwicklung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens charakterisiert. Erst unter diesen Bedingungen ist es in vollem Umfange möglich, die Vorzüge und Triebkräfte des Sozialismus voll zu entfalten. Die Befriedigung der materiellen und kulturellen Lebensbedürfnisse der Werktätigen, die allseitige Entwicklung der Persönlichkeit als der Sinn des Sozialismus sind in den Mittelpunkt der Anstrengungen der Partei, der Arbeiterklasse und aller Werktätigen gestellt. Die ökonomische Grundlage für die Befriedigung der Bedürfnisse der Werktätigen ist die volle Ausprägung und ungeteilte Herrschaft der sozialistischen Produktionsweise, die Existenz einer hochentwickelten sozialistischen Ökonomik auf der Basis eines hohen Entwicklungsniveaus von Wissenschaft und Technik und des stetigen Wachstums der Produktion und der Arbeitsproduktivität. Die Voraussetzung hierfür sowie für die Erhöhung der Effektivität der Volkswirtschaft und das uneingeschränkte Wirken der ökonomischen Gesetze des Sozialismus ist der systematische Ausbau der materiell-technischen Basis des Sozialismus, dessen Kernproblem wiederum die organische Verbindung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist. Die entsprechenden Kriterien auf politischem Gebiet bestehen in der Überwindung der Überreste der Ausbeuterklasse sowie noch vorhandener antagonistischer Widersprüche. Für die entwickelte sozialistische Gesellschaft ist ein solcher Entwicklungsstand der Klassenbeziehungen charakteristisch, der die weitere Erhöhung der führenden Rolle der Arbeiterklasse gewährleistet und zugleich die soziale Annäherung der Arbeiterklasse, der Genossenschaftsbauern und der Intelligenz fördert. In dieser gesellschaftlichen Entwicklungsetappe entfaltet sich die sozialistische Demokratie in vollem Umfange. Das schließt die weitere Erhöhung der Rolle der sozialistischen Staatsmacht als Repräsentant des Gesamtwillens der Arbeiterklasse und aller anderen Werktätigen ein. Es wächst die Verantwortung der in der Nationalen Front zusammengeschlossenen Kräfte. Schließlich erreicht die Entwicklung der brüderlichen Freundschaft, der ökonomischen, politischen und kulturellen Zusammenarbeit der Völker und Staaten des sozialistischen Weltsystems, insbesondere der im RGW zusammengeschlossenen sozialistischen Staatengemeinschaft eine neue Stufe. Das internationalistische Wesen des Sozialismus reift zu einer neuen Qualität heran. In diesem Prozeß nimmt die Bedeutung der KPdSU und der UdSSR für die Festigung des sozialistischen Weltsystems gesetzmäßig zu. Als Haupttendenzen der Entwicklung auf geistigem Gebiet zeichnen sich ab, daß die Weltanschauung, die Ideologie der Arbeiterklasse schrittweise zur Ideologie der ganzen Gesellschaft wird. Erziehung und Bildung fördern be-

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w ü ß t u n d allseitig die schöpferischen Potenzen der Werktätigen; Wissenschaft u n d K u l t u r gelangen zu hoher Blüte. 14 Diese Kriterien lassen deutlich erkennen, daß es sich bei d e r entwickelten sozialistischen Gesellschaft u m eine Entwicklungsetappe der einheitlichen kommunistischen Gesellschaftsformation handelt. In dieser Etappe werden die Überreste u n d M u t t e r m a l e d e r kapitalistischen Gesellschaft vollends ü b e r w u n d e n . In ihr „sind die spezifisch sozialistischen gesellschaftlichen Verhältnisse, die sozialistische Produktionsweise und ihre voll zur Wirkung kommenden Gesetzmäßigkeiten sowie der Prozeß ihrer Höherentwicklung u n d Vervollkommnimg" 1 5 das Bestimmende. Das schließt a b e r sowohl das Vorhandensein von Merkmalen der Übergangsperiode mit wesentlichen U n t e r schieden z u r kommunistischen Phase, wesentliche Unterschiede zwischen Stadt u n d Land, zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, Verteilung nach Leistung, als auch das Entstehen von Elementen des Kommunismus ein, die m e h r und m e h r an Bedeutung gewinnen u n d zu Haupttendenzen des entwickelten Sozialismus werden. Die Gestaltung und Vervollkommnung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft bereitet den Ubergang zur nächsthöheren P h a s e der kommunistischen Gesellschaftsformation vor. Die auf dem VIII. Parteitag der SED beschlossene H a u p t a u f g a b e „der weiteren Erhöhung des materiellen u n d kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen P r o d u k tion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts u n d des Wachstums der Arbeitsproduktivität" 1 6 t r ä g t dem in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft i m m e r stärker hervortretenden gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen der Produktion und den Bedürfnissen der Menschen Rechnung. Die H a u p t a u f g a b e bezeichnet das Ziel der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit der Partei im u n t r e n n b a r e n Z u s a m m e n h a n g mit den Voraussetzungen zu ihrer Verwirklichung. Es handelt sich hierbei u m eine „strategische, theoretisch tief f u n d i e r t e Orientierung. In dieser Hauptaufgabe ist der Rang der Bedürfnisse der Werktätigen in der sozialistischen Wirtschaft prinzipiell bezeichnet. Sie sind charakterisiert als der entscheidende Ausgangspunkt wirtschaftlicher Leitung und Planung." 1 7 Insofern h a n delt es sich bei dieser einheitlichen strategischen Orientierung der sozialistischen Länder, bei deren Ausarbeitung und praktischer Verwirklichung die 14

15 16 17

Vgl. Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 57 ff. Siehe auch Demitschew, P., Der entwickelte Sozialismus — eine Stufe auf dem Wege zum Kommunismus, in: Probleme des Friedens und des Sozialismus, 1973. H. 1, S. 10 ff.; Reinhold, in: Einheit, 1972, H. 11, S. 1465 ff. Ebenda, S. 1467. Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages des SED, Bd. 1, S. 61. Honecker, Erich, Fragen von Wissenschaft und Politik in der sozialistischen Gesellschaft, in: Derselbe, Unter dem Banner des Internationalismus. Ausgewählte Reden und Aufsätze, Berlin 1972, S. 275.

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KPdSU voranschreitet, um eine prinzipielle theoretische und praktisch-politische Folgerung aus dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus. Das ökonomische Grundgesetz des Sozialismus bringt das objektive Erfordernis zum Ausdruck, im Interesse des wachsenden Lebensniveaus des Volkes alle Potenzen der sozialistischen Produktionsweise f ü r die Erhöhung der Produktivität und Effektivität der Volkswirtschaft voll zu nutzen. Diesem Erfordernis trägt die SED seit dem Beginn des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus in der DDR Rechnung. Ergebnisse und Wirksamkeit dieser Politik hängen jedoch immer vom erreichten Entwicklungsniveau der sozialistischen Ökonomik ebenso ab wie vom Industrialisierungsgrad, vom Stand der sozialökonomischen und technischen Entwicklung der Landwirtschaft, von der Proportionalität der Volkswirtschaft u. a. m. Das jetzt insgesamt erreichte Entwicklungsstadium der DDR ermöglicht es, die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen unmittelbar zum Ausgangspunkt und Ziel der Produktion zu machen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Effektivität der Wirtschaft, insbesondere der Industrie, umfassend zu steigern. Von diesen objektiven Erfordernissen ausgehend, entschied sich der VIII. Parteitag der SED f ü r die Intensivierung der gesellschaftlichen Produktion als Hauptweg zu höherer Effektivität. 18 Bestimmend f ü r diese Entscheidung war die wissenschaftliche Analyse des zurückgelegten Weges und des erreichten Standes wesentlicher Faktoren der ökonomischen Entwicklung, die den gegenwärtig erreichten Reifegrad der Wirtschaft der DDR widerspiegeln : 1. Die Kriegsfolgen zu überwinden, die in der Wirtschaft der DDR vorhandenen und infolge der imperialistischen Spaltung Deutschlands zusätzlich entstandenen Disproportionen zu beseitigen, verlangte, zahlreiche Betriebe der Grundstoffindustrie zur Sicherung einer proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft zu errichten. Es mußten einige neue Zweige in der Industrie wie der Schiffbau, die Petrolchemie, der Landmaschinenbau u. a. entwickelt werden, um das Produktionspotential der DDR und der RGW-Staaten zu entwickeln. Das waren wesentliche objektive Gründe dafür, daß die Arbeiterund-Bauern-Macht in den ersten Jahren des planmäßigen wirtschaftlichen Aufbaus vorwiegend die extensiv erweiterte sozialistische Reproduktion entwickelte. 2. Diese Anstrengungen haben die Intensivierung in der Gegenwart vorbereitet. So nahmen der Umfang und die Qualität der Grundfonds der Volkswirtschaft der DDR ständig zu. Im Jahre 1950 betrug der durchschnittliche Grundmittelbestand 268,5 Mrd. Mark. 19 In der Landwirtschaft z. B. verteilten sich die Grundmittel im Jahre 1950 auf etwa 880 000 Betriebe mit einer Durch-

18 19

Vgl. Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 68 f. Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1972, Berlin 1973,

S. 18.

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schnittsgröße von 7 Hektar mit 2,2 Mill. Beschäftigten. 30 Im Jahre 1955 erreichte der Grundmittelbestand 289,5 Mrd. Mark und stieg bis 1972 auf 506,5 Mrd. Mark21 (zu 1950 = 100, eine Steigerung auf 188,6). Die Struktur der Grundfonds veränderte sich wesentlich zugunsten von Ausrüstungen, Maschinen und Anlagen. In der Landwirtschaft konzentrierten sich diese Mittel im Jahre 1971 auf 500 volkseigene Güter und 8327 landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von über 800 Hektar und von 889 534 Beschäftigten. Dabei verfügt heute in fortgeschrittenen Anlagen der Tierproduktion eine Arbeitskraft über Grundmittel zwischen 300 000 und 600 000 Mark, also in der Größenordnung moderner Industriebetriebe. 22 3. Der Entwicklung von Wissenschaft und Technik als Hauptweg zur Steigerung der Arbeitsproduktivität kommt große Bedeutung zu. 1960 wurden 1,8 Prozent des Nationaleinkommens für Wissenschaft und Technik verausgabt. Dieser Prozentsatz stieg bis 1971 auf 4,7 bei gleichzeitiger bedeutender Konzentration der Kräfte und Mittel in der Forschung und Entwicklung. 23 4. In den genannten Zeiträumen erhöhte sich das Qualifikationsniveau der Arbeiterklasse beträchtlich. Im Jahre 1955 betrug der Anteil der Facharbeiter 25,6 Prozent. Dieser Anteil verdoppelte sich bis 1970 auf 52,5 Prozent. Gleichzeitig sank der Anteil der angelernten Arbeiter von 43 Prozent (1964) auf 37,9 Prozent (1970) und der der Ungelernten von 12 Prozent auf 9,6 Prozent. 24 Hiermit unmittelbar verbunden entwickelten sich Umfang und Qualität der Neuererbewegung in beträchtlichem Maße. 5. In unserer Zeit wird die sozialistische ökonomische Integration ein entscheidender Faktor der Intensivierung der Wirtschaft. Grundlage und Voraussetzung hierfür waren unter anderem die Entwicklung der Außenhandelsbeziehungen zwischen den sozialistischen Staaten. Sie entwickelten sich, gemessen am Außenhandelsumsatz, in Millionen Valuta-Mark von 2659,9 im Jahre 1950 auf 18 240,8 im Jahre 1965 und 33 239,7 im Jahre 1972.25 Durch die sich auf der Grundlage des Komplexprogramms vollziehende ökonomische Integration deckt die DDR einmal ihren volkswirtschaftlichen Bedarf an Rohstoffen, Materialien und Energieträgern. Zum anderen gestaltet sie im Rahmen der schrittweisen Verflechtung der Reproduktionsprozesse mit den Integrationspartnern auch die Produktions-, Forschungs-, Investitions- und Außenhandelsstruktur bedeutend effektiver. Ein Beispiel hierfür ist das im Januar 1972 zwischen Bulgarien, Ungarn, der DDR, Polen, Rumänien, der UdSSR 20 21 22 23 24 25

Grüneberg, Gerhard, Arbeiter und Genossenschaftsbauern im festen Bündnis. Interview, in: Einheit, 1972, H. 9, S. 1164. Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, S. 18. Grüneberg, in: Einheit, 1972, H. 9, S. 1164, 1169. Dippe, Achim/Hartmann, Karl, Intensivierung sozialistischer Produktion — Hauptweg zur Steigerung der Effektivität, in: Ebenda, S. 1178. Ebenda, S. 1179. Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, S. 33.

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und der CSSR abgeschlossene erste multilaterale Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Planung und Herstellung bestimmter Arten numerisch gesteuerter Werkzeugmaschinen. Dieses Abkommen ermöglicht die Steigerung der Produktion und der gegenseitigen Lieferungen bis 1975 auf das Fünffache bei gleichzeitiger Verkürzung der Entwicklungszeiten um 3 bis 5 Jahre mit einer Ersparnis von etwa 7 Mill. Arbeitsstunden.26 6. Auch die auf dem Gebiet der Leitung und Planung der Wirtschaft sowie der schrittweisen Konzentration der Produktion gesammelten Erfahrungen sind wichtige Faktoren, die den Reifegrad der ökonomischen Entwicklung der DDR charakterisieren. 7. Schließlich lassen sich diese Faktoren nicht nur auf die Technik, die Technologie und Organisation reduzieren. Sie schließen vielmehr die planmäßige Weiterentwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse, des Charakters und des Inhalts der sozialistischen Arbeit in sich ein. Ausgehend vom erreichten Reifegrad der Wirtschaft und der Gesellschaft in der DDR, beschloß der VIII. Parteitag der SED die weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes durch ein hohes Entwicklungstempo der sozialistischen Produktion, das vor allem durch die Intensivierung der Produktion als Hauptweg zu höherer Effektivität zu sichern ist. Damit wurde die Hauptaufgabe zur Maxime der Staatspolitik und der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung, zum Ausgangspunkt und zum obersten Grundsatz der Produktion in der DDR. Diese Aufgabenstellung verwirklicht die SED in der Einheit mit der weiteren Festigung der sozialen Struktur der Gesellschaft der DDR. Die weitere Erhöhung der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei beim Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft Wie im ersten Abschnitt dargelegt, vollzieht sich der Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR in den Formen, die durch die konkreten historischen Bedingungen bestimmt werden. Zugleich werden diese Formen vom Inhalt der revolutionären Bewegung, von den allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Gesellschaftsentwdcklung geprägt, so von der objektiven Notwendigkeit der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei. Der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED, Erich Honecker, führte hierzu auf dem VIII. Parteitag aus: „Unsere Partei hat auch in der Berichtsperiode zielstrebig daran gearbeitet, die allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Gesellschaftsentwicklung unter unseren Bedingungen schöpferisch anzuwenden. Sie hat die führende Rolle der Arbeiterklasse in Staat und Gesellschaft weiter aus26

Grebennikow, B./Nikolajew, L., RGW: Fortschreitender Integrationsprozeß, in: Einheit, 1973, H. 1, S. 27.

2 Jahrbuch 12

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gebildet, das Bündnis mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, den Angehörigen der Intelligenz und mit den anderen Schichten des Volkes sorgfältig gepflegt und gefestigt... Wir [werden] die Macht der Arbeiterklasse und ihre führende Stellung wie unseren Augapfel hüten und bei der weiteren Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft immer vollkommener ausprägen."27 Damit unterstrich der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED: Die Höherentwicklung der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei ist die Schlüsselfrage, um die entwickelte sozialistische Gesellschaft umfassend zu gestalten und ihre Vorzüge voll zur Geltung zu bringen. Die wachsende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei ist zugleich ein Brennpunkt des Kampfes zwischen Marxisten-Leninisten und den Vertretern der verschiedenen Formen des Revisionismus. Das Wachstum und die Stärkung der ökonomischen, politischen und ideologischen Positionen der Sowjetunion sowie der anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft werden von wütenden Angriffen der Apologeten des Imperialismus gegen die marxistisch-leninistischen Parteien begleitet. Besonders heftige Angriffe werden gegen die kommunistischen Parteien der sozialistischen Länder geführt. In den Mittelpunkt dieser Angriffe gegen den Marxismus-Leninismus in Theorie und Praxis rückten die Revisionisten den Kern der Weltanschauung der Arbeiterklasse, die Leninschen Lehren von der sozialistischen Revolution und der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei.28 In den kapitalistischen Ländern suchte der Imperialismus der wachsenden Ausstrahlungskraft des Sozialismus dadurch zu begegnen, daß er in starkem Maße revisionistische Entstellungen des Marxismus-Leninismus und den Antisowjetismus propagierte. Bei der Entwicklung neuer Varianten und Formen der ideologischen Diversion spielten rechte sozialdemokratische Führer und Ideologen eine aktive Rolle. Mit verschiedenen von ihnen konstruierten „Sozialismus-Modellen", Ratschlägen, wie der real existierende Sozialismus „verbessert" werden soll — was jedoch darauf gerichtet ist, den Sozialismus seines tatsächlichen Inhalts zu berauben —, unterstützen sie die antikommunistischen Angriffe auf die sozialistischen Länder. Die Angriffe des Imperialismus und seiner Ideologen waren und sind vornehmlich auf die Beseitigung der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Parteien, der politischen Macht der Arbeiterklasse und des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln gerichtet. Sie zielen darauf ab, zumindest revisionistische Konzeptionen zu beleben.29 27 28

29

Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 78 f. Die kommunistische Weltbewegung. Abriß der Strategie und Taktik, Gesamtredation: W. W. Sagladin, Berlin 1973, S. 390. Siehe hierzu Fedossejew, P., Die wachsende Rolle der Partei — eine Gesetzmäßigkeit des Aufbaus von Sozialismus und Kommunismus, in: Der XXIV. Parteitages der KPdSU und die Entwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie, Berlin 1971, S. 133.

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Wie gefährlich der Revisionismus für die Sache des Sozialismus sein kann, zeigten die Ereignisse im Jahre 1968 in der CSSR. Im Bestreben der Uberreste der ehemaligen Ausbeuterklassen und rechter Opportunisten, mit Unterstützung der internationalen imperialistischen Reaktion die sozialistische Ordnung in der CSSR zu zerstören und diese von der sozialistischen Staatengemeinschaft zu isolieren, spielte ebenfalls die Negierung der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei, der KPTsch, eine entscheidende Rolle. Die KPTsch hat in verschiedenen Dokumenten und Stellungnahmen die Ursachen der krisenhaften Entwicklung in ihrem Lande dargelegt und die entsprechenden Lehren erarbeitet. Zur Frage der führenden Rolle der Arbeiterklasse und der Partei heißt es im Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der KPTsch an den XIV. Parteitag (Mai 1971): „Die tschechoslowakischen Ereignisse von 1968 bestätigten erneut die Theorie Lenins, daß sich selbst die zahlenmäßig stärkste revolutionäre Kraft ohne eine prinzipielle und konsequente Führung, die fest auf den Positionen des Marxismus-Leninismus steht, in eine zersplitterte Masse verwandelt, die zu organisierten Aktionen unfähig ist und die unter dem Ansturm der konterrevolutionären Kräfte unter bestimmten Bedingungen eine Niederlage erleiden kann."30 Von besonderer Gefährlichkeit ist die Politik und Ideologie der gegenwärtigen Führung der Volksrepublik China. Als konzentrierter Ausdruck des modernen „linken" Opportunismus und des kleinbürgerlichen Nationalismus ist diese Politik gegen die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei gerichtet. Der Kommunistischen Partei Chinas wurde schwerer Schaden zugefügt, viele angesehene Parteimitglieder, marxistisch-leninistische Kader, Hunderttausende von Kommunisten wurden Opfer von Repressalien.31 Diesen Angriffen des Imperialismus und des Revisionismus auf die marxistisch-leninistische Theorie und Praxis der Rolle der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei eine Abfuhr zu erteilen, die marxistisch-leninistischen Positionen der revolutionären Arbeiterbewegung zu verteidigen und die weitere Erhöhung der Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei beim Aufbau des Sozialismus umfassend zu begründen, war objektiv notwendig geworden. In diesem Kampf spielte die KPdSU, besonders durch die Beschlüsse ihres XXIV. Parteitages, eine hervorragende Rolle. Von großer Bedeutung waren die Aktivitäten der kommunistischen und Arbeiterparteien auf der Beratung 1969 in Moskau und die große theoretische und ideologische Arbeit im Zusammenhang mit dem 100. Geburtstag W. I. Lenins. Im Rahmen dieser Anstrengungen leistete der VIII. Parteitag der SED einen bedeutsamen Beitrag. Ausgehend von der Erkenntnis, daß die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei im Leben der Gesellschaft kein künstlich geschaffenes Privileg ist, sondern objektiv aus der 30 31

2

Die kommunistische Ebenda, S. 403 fi.

Weltbewegung,

S. 395 f.

20

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Stellung der Arbeiterklasse im System der gesellschaftlichen Produktion, aus den gesetzmäßigen Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung erwächst, enthalten die Dokumente des VIII. Parteitages der SED, in Übereinstimmung mit den Dokumenten der K P d S U u n d der anderen Bruderparteden, eine allseitige, wissenschaftliche Begründung dieser Prozesse. Sie berücksichtigen, daß die f ü h r e n d e Rolle der Arbeiterklasse u n d ihrer Partei nicht in jeder Phase der gesellschaftlichen Entwicklung gleich ist, sondern durch neuen Inhalt bereichert wird und neue Merkmale erlangt. Wesentliche Voraussetzung d a f ü r , u m die Fragen nach dem neuen Inhalt und den neuen Merkmalen zu beantworten, ist die Untersuchung charakteristischer, infolge der gesetzmäßigen Tendenzen zur Erweiterung u n d Vervollk o m m n u n g d e r materiell-technischen Basis der sozialistischen Gesellschaft objektiver Veränderungen in der Zusammensetzung der Arbeiterklasse. Eine dieser Veränderungen besteht in der zahlenmäßigen Entwicklung der Arbeiterklasse im Ergebnis der sich vollziehenden quantitativen u n d qualitativen Veränderungen in der Wirtschaft. Diese Entwicklung k o m m t unter anderem darin zum Ausdruck, daß das Produktionsvolumen der Wirtschaft von 376 Mrd. M a r k in den J a h r e n 1971/72 genau so hoch w a r wie die industrielle Warenproduktion der DDR in den J a h r e n von 1951 bis 1957. Die Summe der Investitionen der DDR 1971/72 in Höhe von 67 Mrd. M a r k entsprach der Höhe der Investitionssumme im ganzen ersten J a h r z e h n t der Existenz der DDR. 32 Die Folge dessen ist, daß die Zahl der Arbeiter (ohne Lehrlinge) von 4 901 100 im J a h r e 1950 auf 7 193 700 im J a h r e 1972 stieg. 33 Für 1955 w a r e n das 78,4 Prozent, f ü r 1965 82,5 Prozent u n d f ü r 1972 87 Prozent der Beschäftigten der DDR. Dieser hohe Prozentsatz ist eine der objektiven Voraussetzungen f ü r die S t ä r k u n g der Positionen der Arbeiterklasse gegenüber allen anderen Klassen u n d Schichten unseres Volkes u n d f ü r die Erhöhung ihrer Rolle in der Gesellschaft. Dieses Entwicklungstempo wird aber nicht gleichbleiben. Gewisse Tendenzen, wie sie sich in den J a h r e n 1965 bis 1971 andeuteten 3 4 , lassen erkennen, d a ß mit dem weiteren Ausbau der materiell-technischen Basis der Wirtschaft u n d der Intensivierung der Produktion, aber auch mit der gesetzmäßigen Entwicklung nichtproduktiver Bereiche das Tempo des quantitativen Wachstums der Arbeiterklasse zurückgeht, ja ihr Wachstum u n t e r Umständen stagniert. Die Veränderungen der materiell-technischen Basis unserer Gesellschaft, die ein Ergebnis der Politik der Partei u n d der schöpferischen Arbeit der W e r k 32

33 34

Honecker, Erich, Zügig voran bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED. Aus dem Bericht des Politbüros an die 9. Tagung des ZK der SED, Berlin 1973, S. 33. Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, S. 52. In den genannten Jahren ging das Wachstum der Arbeiterklasse nur allmählich vor sich. Der Anteil der Arbeiter an der Gesamtzahl der Beschäftigten in der DDR betrug in den Jahren 1965 = 82,5 Prozent, 1968 = 83,7 Prozent, 1969 = 84 Prozent, 1970 = 84,5 Prozent, 1971 = 84,9 Prozent (ebenda).

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tätigen sind, haben auch Rückwirkungen auf die soziale S t r u k t u r der Gesellschaft, so auf die Verteilung der Arbeiterklasse in den Industriezweigen und in den verschiedenen Territorien. So bedeutet die Entwicklung der Arbeiterklasse von 6 415 900 im J a h r e 1955 auf 7 193 700 im J a h r e 1972 eine Steigerung von 12 Prozent gegenüber 1955.35 Im gleichen Zeitraum entwickelte sich jedoch die Zahl der Beschäftigten in den Industriezweigen, die eng mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt der Industrie v e r b u n d e n sind, wie die chemische Industrie, der Maschinenbau, die Elektrotechnik und Elektronik, u m ein Vielfaches der allgemeinen Zahlen. 36 Angesichts der Erfordernisse der wissenschaftlich-technischen Revolution wird dieser Prozeß weiter voranschreiten. In den Zweigen, die f ü r die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts entscheidende Bedeutung haben, w e r d e n sich die zahlenmäßig stärksten Abteilungen der Arbeiterklasse konzentrieren. Ähnliche Prozesse vollziehen sich in den verschiedenen Territorien der DDR. In allen Bezirken der DDR, auch in denen, die f r ü h e r fast ausschließlich agrarischen Charakter trugen, entwickelte und f o r m i e r t e sich die Arbeiterklasse. 3 ' Dabei wächst die Arbeiterklasse in den „neuen Industriegebieten" bedeutend 35 36

Ebenda. Da sich die Berechnungsgrundlagen mehrfach veränderten und auch die verschiedensten Zweige bei Berechnungen zusammengelegt und wieder getrennt wurden, sind absolute Aussagen nicht möglich, eindeutig ist jedoch die Tendenz: Beschäftigte in ausgewählten Bereichen der Wirtschaft (Sämtliche Eigentumsformen) 1955

1972

Steigerung in Prozent

Chemische Industrie 238100 329157 38 Maschinenbau 647 600 839 638 30 Elektrotechnik/Elektronik 201 200 404 498 110 (Angaben nach Statistisches Jahrbuch der DDR 1955, Berlin 1956, S. 123, und Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, S. 118.) 37

Entwicklung der Arbeiter und Angestellten in ausgewählten Bezirken der DDR

1955

in Prozent zur Gesamtzahl der Arbeiter und Angestellten

167 300 2,6 Frankfurt (Oder) Neubrandenburg 144 100 2,2 Schwerin 161 000 2,5 Karl-Marx-Stadt 835 900 13,1 Magdeburg 434 000 6,8 (Statistisches Jahrbuch der DDR 1973, S. 60 f.)

1972

in Prozent zur Gesamtzahl der Arbeiter und Angestellten

219 600 185 700 183 090 868 300 470 000

3,1 2,6 2,5 12,1 6,5

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Horst

Bednareck

schneller als in den traditionellen Arbeiterbezirken. 3 8 Dieser Prozeß wird sich, sicher unter Berücksichtigung der Tendenzen zur Konzentration u n d Spezialisierung der Produktion, fortsetzen und zum quantitativen Wachstum der Arbeiterklasse in allen Gebieten der DDR sowie zur entsprechenden Verstärkung ihres Einflusses beitragen. In diese Entwicklung ist auch die historische und soziale Tatsache eingeschlossen, daß die Arbeiterklasse in jene Zweige eindringt, in denen es f r ü h e r n u r bedingt Arbeiter gab. Am deutlichsten w i r d das an der Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft im Gefolge der Entwicklung der P r o d u k t i v k r ä f t e u n d der Veränderungen der Eigentumsformen. Schon h e u t e sind im Bereich der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft ü b e r 440 000 Arbeiter, das sind 6 Prozent der Arbeiter u n d A n gestellten der DDR des J a h r e s 1972, tätig. 39 Schließlich vollziehen sich wichtige Veränderungen innerhalb der Arbeiterklasse selbst. Zu den bedeutendsten gehört die Vergrößerung des Anteils der Frauen an der Gesamtzahl der Arbeiterklasse, der von 36 Prozent i m J a h r e 1950 ü b e r 39,6 Prozent im J a h r e 1955 auf 47 Prozent im J a h r e 1972 stieg. 40 Hierzu gehört aber auch das erhöhte Qualifikationsniveau der Arbeiterklasse sowie die damit verbundene, wachsende Verstärkung des geistigen Inhalts der Arbeit. Im Ergebnis dieser und anderer Entwicklungstendenzen u n d Veränderungen in der Arbeiterklasse der DDR f ü h r t die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zu einer weiteren Verstärkung der f ü h r e n d e n Rolle der Arbeiterklasse. Als Ursachen h i e r f ü r n a n n t e der VIII. Parteitag der SED folgende F a k t o r e n : 1. Der Platz der Arbeiterklasse im System der gesellschaftlichen Produktion, ihre Rolle als H a u p t p r o d u k t i v k r a f t der Gesellschaft wächst. Das Kernproblem hierbei ist die Verbindung der Vorzüge des Sozialismus mit den Errungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution. Zweifellos leisten die Angehörigen der Intelligenz hierzu einen bedeutenden Beitrag. In entscheidendem Maße hängt jedoch die erfolgreiche Verwirklichung dieser Aufgabe 38

Wachstum der Arbeiter und Angestellten in ausgewählten Bezirken der DDR von 1955 zu 1972

Frankfurt (Oder) Neubrandenburg Schwerin Karl-Marx-Stadt Magdeburg (Ebenda.) 39 40

absolut

in Prozent

52 300 41 600 22 900 32 400 36 000

31,3 28,9 14,2 3,9 8,3

Grüneberg, in: Einheit, 1972, H. 9, S. 1173. Statistisches

Jahrbuch der DDR 1973, S. 58 f.

Der VIII. Parteitag der SED

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von der Arbeit der Arbeiterklasse, ihrer Qualifikation, ihrem Bestreben und ihren Fähigkeiten ab, die wissenschaftlichen Ideen in der Produktionspraxis zu verwirklichen und die neue Technik und Technologie zu meistern. In diesem Zusammenhang gewinnen Prozesse der Annäherung der Klassen und Schichten an Bedeutung. Auf der Grundlage gemeinsamer Anstrengungen zur Entwicklung der materiell-technischen Basis des Sozialismus als politischer und ökonomischer Hauptinhalt dieser Prozesse vollzieht sich schrittweise die Annäherung der Arbeiterklasse und der Genossenschaftsbauern sowie die Annäherung der Intelligenz an die Arbeiterklasse. 2. Die Bedeutung solcher Eigenschaften der Arbeiterklasse wie politische Reife, Diszipliniertheit, Organisiertheit, Kollektivgeist, unversöhnliche Haltung gegenüber allen Formen von kleinbürgerlichem Individualismus und Egoismus nimmt zu. Die objektive soziale Stellung der Arbeiterklasse und diese Eigenschaften machen sie zum sozialen Kern des Volkes der DDR und sind bestimmend dafür, daß die moralischen Qualitäten der Arbeiterklasse, die Formen ihrer Arbeit und Lebensweise, Kultur und Verhaltensweisen nach und nach zur Grundlage der sozialistischen Lebensweise des Volkes der DDR werden. 3. Weiterhin wird das Wachstum der Rolle der Arbeiterklasse durch die rasche Erhöhung ihres Kulturniveaus, ihres Bildungsstandes und ihrer politischen und schöpferischen Aktivität bestimmt. 4. Schließlich wird dieser Prozeß auch notwendigerweise dadurch bestimmt, daß sich die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR unter den Bedingungen des verschärften Klassenkampfes zwischen dem Sozialismus und dem Imperialismus in der Welt vollzieht. Diese Faktoren sind ausschlaggebend dafür, daß sich die führende Rolle der Arbeiterklasse beim Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft gesetzmäßig erhöht. Diese Gesetzmäßigkeit äußert sich am vollständigsten und konsequentesten in der Tätigkeit der marxistisch-leninistischen Partei. Die führende Rolle der Arbeiterklasse wird in der DDR durch die Tätigkeit der SED und des sozialistischen Staates sowie des FDGB verwirklicht. Durch diese entscheidenden Elemente der politischen Organisation der sozialistischen Gesellschaft übt die Arbeiterklasse den Haupteinfluß auf das Leben der Gesellschaft aus. Garantien der Verwirklichung dieses Einflusses sind einmal die Sicherung und Erhöhung des Arbeiteranteils an der Mitgliedschaft der SED. Er betrug 1947 bei einer Mitgliederzahl von 1 786 138 47,9 Prozent. 41 Auf dem VIII. Parteitag der SED waren 56,6 Prozent der 1 909 859 Mitglieder und Kandidaten Arbeiter. Ihrer sozialen Herkunft nach waren es sogar 76,8 Prozent. 42 Zum anderen übt die Arbeiterklasse in allen Organen der Staatsmacht der DDR ihre führende Rolle direkt aus. So sind im Jahre 1973 von den über 41

Bericht des Parteivorstandes der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands den 2. Parteitag, Berlin 1947, S. 29, 33. '•2 Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 100 f.

an

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200 000 Abgeordneten der Volksvertretungen, als der vollständigsten Verkörperung des demokratischen Charakters unserer Staatsmacht, 65 Prozent Angehörige der Arbeiterklasse. 43 Dieser Anteil beträgt in der Volkskammer der DDR in der 6. Wahlperiode 43,8 Prozent, der sozialen Herkunft nach 52,6 Prozent, bei einer gleichzeitigen Stärke der FDGB-Fraktion (im Verhältnis zur Zahl aller Abgeordneten) von 22 Prozent.44 Der VIII. Parteitag der SED hob jene objektiven Faktoren hervor, die die Erhöhung der führenden Rolle der Partei der Arbeiterklasse bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft bedingen: 1. Der erreichte Entwicklungsstand der Gesellschaft und die daraus resultierenden neuen komplizierten Aufgaben bei der Leitung der gesellschaftlichen Prozesse, die völlig neuen Größenverhältnisse in der Wirtschaft und im sozialen und kulturellen Bereich sowie die Aufgaben bei der ideologischen Erziehung der Arbeiterklasse und des Volkes im Geiste des Marxismus-Leninismus stellen neue, höhere Anforderungen an die gesamte Tätigkeit der Partei, an die wissenschaftlichen Grundlagen ihrer Politik. Damit ist zugleich das Wichtigste in der Tätigkeit der Partei in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft umrissen. Es besteht darin, daß sich ihre Führungstätigkeit auf alle Seiten des gesellschaftlichen Lebens erstreckt, auf einem allseitigen Herangehen an die Entwicklung der Gesellschaft als eines einheitlichen sozialen Organismus beruht, also komplexen Charakter trägt. 45 2. Der entscheidende Bereich der Politik der Partei ist die materielle Produktion. Von deren Entwicklung hängt der gesamte Verlauf des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft ab. Es ergeben sich neue Perspektiven f ü r die beschleunigte Entwicklung der Produktion, für die Erhöhung ihrer Effektivität und für das weitere Wachstum des Wohlstandes und der Kultur des Volkes. Die damit im Zusammenhang stehende Entfaltung der politischen und Arbeitsaktivität der Massen sowie die Entwicklung der sozialistischen Demokratie erfordern, die Rolle der Partei in der erreichten Entwicklungsphase zu erhöhen. 3. Weiter wird die erhöhte Rolle der Partei durch ihre wachsenden Aufgaben auf theoretischem Gebiet und bei der ideologischen Erziehung der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen bestimmt. Dieses Erfordernis erwächst aus der Tatsache, daß der Kern der Leitungstätigkeit der marxistisch-leninistischen Partei in der politischen Führung der Gesellschaft, d. h. auf ideologi43

44

45

Ebert, Friedrich, Die Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED und die nächsten Aufgaben zur weiteren Festigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht und zur Entwicklung der sozialistischen Demokratie, Berlin 1973, S. 9. Die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik. 6. Wahlperiode, Berlin 1972, S. 90 f. Honecker, Erich, Die Verwirklichung der Leninschen Lehre von der führenden Rolle der Partei durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1970, S. 14 ff. (Ms.-Druck).

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schem Gebiet, in der Durchdringung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens mit dem Marxismus-Leninismus liegt. Damit ist die Notwendigkeit des verstärkten Kampfes gegen die bürgerliche Ideologie sowie gegen Überreste kleinbürgerlichen Denkens im Bewußtsein der Werktätigen untrennbar verbunden. 4. Schließlich ist die erhöhte Rolle der Partei ein Erfordernis des zutiefst internationalistischen Charakters des Sozialismus. Die Arbeiterklasse und ihre revolutionären Parteien in allen sozialistischen Bruderländern sind die Hauptträger des sozialistischen Internationalismus. Dementsprechend faßt die SED nach den Worten Erich Honeckers die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR „als Bestandteil des revolutionären Weltprozesses auf. Der Aufbau der materiell-technischen Basis des Kommunismus in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in den volksdemokratischen Ländern sowie die sozialistische ökonomische Integration schaffen neue Bedingungen, die den Aktionsradius des Imperialismus mehr und mehr einschränken, den Einfluß des Sozialismus auf alle revolutionären Prozesse vergrößern und die Entwicklung der sich vom Imperialismus befreienden Völker fördern. Deshalb leiten wir die gesetzmäßig wachsende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei nicht nur aus den inneren Entwicklungsbedingungen der Deutschen Demokratischen Republik ab, sondern verstehen sie ganz im Sinne der Moskauer Beratung vom Juni 1969 als eine objektive Notwendigkeit und Grundbedingung der gemeinsamen historischen Offensive des sozialistischen Weltsystems, der internationalen Arbeiterklasse und der nationalen Befreiungsbewegung."46 Die Erhöhung und Bereicherung der Rolle der SED beim weiteren Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist zugleich ein bewußter Prozeß. Er ist untrennbar mit der angestrengten Tätigkeit zur weiteren Entwicklung der ideologischen und theoretischen Reife der Partei, der Einheit und Geschlossenheit ihrer Reihen und vor allem mit der Festigung ihrer Verbindung zu den werktätigen Massen, ihrer ideologischen und organisatorischen Arbeit unter den Massen verbunden. Die erfolgreiche Realisierung dieser Aufgaben, so heißt es in der Entschließung des VIII. Parteitages der SED, „stellt jedoch neue Ansprüche an die führende Rolle der Partei, an ihre theoretische, politisch-ideologische und organisatorische Arbeit. Das erfordert die Initiative und Tatkraft aller. Der Kern der Leitungstätigkeit der Partei ist die politische Führung der Gesellschaft."47 Aus dieser grundlegenden Aufgabenstellung leitete der Parteitag konkrete Aufträge ab. Sie umfassen die weitere Stärkung der klassenmäßigen Zusammensetzung der Partei und die konsequente Verwirklichung des auf die Entwicklung der innerparteilichen Demokratie, insbesondere auf die strikte Be46 47

Ebenda, S. 16. Protokoll der Verhandlungen

des VIII. Parteitages der SED, Bd. 2, S. 311.

26

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achtung des Grundsatzes der Kollektivität aller leitenden Parteiorgane gerichteten Kurses. Weiterhin w u r d e die Erhöhung der K a m p f k r a f t u n d der Autorität der Grundorganisationen der Partei, die weitere Verbesserung der Auswahl, der Bildung u n d Erziehung u n d des Einsatzes der Kader sowie des Umfangs u n d der Qualität der theoretischen u n d ideologischen Arbeit der Partei gefordert. 4 8 Auch dieser Aufgabenkomplex gliedert sich in die Verwirklichung d e r Generallinie der Partei ein, die DDR als sozialistischen Staat weiter zu profilieren u n d fest in der Gemeinschaft der sozialistischen Staaten zu verankern. Damit im Zusammenhang wies der Parteitag nach, daß sich in der DDR in Übereinstimmung mit den vorgenannten Aufgaben u n d Prozessen die weitere Herausbildung der sozialistischen Nation u n d deren A n n ä h e r u n g an die sozialistischen Brudernationen vollzieht. Das Fazit dieser Entwicklung u m r i ß Erich Honecker im Bericht des Zentralkomitees der SED: „Was die nationale Frage betrifft, so hat hierüber bereits die Geschichte e n t s c h i e d e n . . . Im Gegensatz zur BRD, wo die bürgerliche Nation fortbesteht u n d wo die nationale Frage durch den unversöhnlichen Klassenwiderspruch zwischen der Bourgeoisie u n d den werktätigen Massen bestimmt wird, der — davon sind wir überzeugt — im Verlauf des welthistorischen Prozesses des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus seine Lösung finden wird, entwickelt sich bei u n s in der Deutschen Demokratischen Republik, im sozialistischen deutschen Staat, die sozialistische Nation." 49 Diese Einschätzung wird von der gesellschaftlichen Entwicklung bestätigt und berücksichtigt voll u n d ganz die objektiven Kriterien des Marxismus-Leninism u s von der Nation. Im Gegensatz zur Entwicklung u n d dem Fortbestehen der bürgerlichen Nation in der BRD, deren historisch-ökonomische Wurzeln die Herausbildung u n d Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise, des kapitalistischen Marktes bilden u n d deren Grundlage das Privateigentum an den Produktionsmitteln und damit die kapitalistische Ausbeutung ist, h a t die sozialistische Nation der DDR ihre ökonomische Basis im gesellschaftlichen Eigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln, das jede Art v o n Ausb e u t u n g und Unterdrückung ausschließt. Diese sozialistische ökonomische Basis bedingt die planmäßige Entwicklung der Wirtschaft u n d Gesellschaft im Interesse des ganzen Volkes und ist so die feste Grundlage f ü r eine wirkliche Einheit der Nation. Die kapitalistische Nation in der BRD w i r d durch die politische Macht des Imperialismus charakterisiert, deren F u n d a m e n t das Privateigentum an den Produktionsmitteln ist. Das wiederum zerreißt diese Nation in sich antagonistisch gegenüberstehende Klassen. Demgegenüber hat die Arbeiterklasse die F ü h r u n g der sozialistischen Nation inne. Ihre Macht, die sie im Bündnis mit

48 w

Ebenda, S. 310 ff. Ebenda, Bd. 1, S. 55 f.

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den Genossenschaftsbauern, der Intelligenz und anderen werktätigen Schichten ausübt, war und ist die entscheidende Voraussetzung für die Herausbildung der sozialistischen Nation. Auf dem Territorium der DDR herrscht die sozialistische Produktionsweise im Gegensatz zur kapitalistischen Produktoinsweise in der BRD. Das vor allem bedingt die Abgrenzung von der Gesellschaftsordnung, vom Staat, vom Territorium der imperialistischen BRD. Das geistige Antlitz der sozialistischen Nation in der DDR wird mehr und mehr von der Weltanschauung der Arbeiterklasse, den Ideen des MarxismusLeninismus und des proletarischen Internationalismus bestimmt, während in der BRD die bürgerliche Ideologie in den verschiedensten Formen herrscht. In der DDR bildet sich eine sozialistische Nationalkultur heraus, die alle Elemente demokratischer und sozialistischer Kulturentwicklung der Vergangenheit sowie der Weltkultur in sich aufnimmt und weiterentwickelt und so die Werktätigen erst wirklich zu Besitzern des kulturellen Erbes macht. Dagegen wird das geistige Leben in der BRD von der imperialistischen Unkultur beherrscht. Unter den Bedingungen der Existenz des sozialistischen Weltsystems und des Kampfes zwischen den gegensätzlichen gesellschaftlichen Systemen wird die feste Zugehörigkeit zum sozialistischen Weltsystem zu einem weiteren wichtigen Merkmal der sozialistischen Nation in der DDR. Für sie wird die weitere Verankerung in der sozialistischen Staatengemeinschaft und die Annäherung an die sozialistischen Brudernationen zum Hauptweg der geschichtlichen Entwicklung.60 In der Deutschen Demokratischen Republik vollzieht sich die Herausbildung der sozialistischen Nation. Allen imperialistischen Verleumdungen und Spekulationen, so von der „Geschichtslosigkeit" der sozialistischen Nation, ihrer Entwicklung im „luftleeren Raum", gegen die man den angeblichen „Fortbestand der Einheit der deutschen Nation" mobilisiert, erteilte das Zentralkomitee der SED auf seiner 9. Tagung eine gründliche Abfuhr. Hier erklärte Erich Honecker: „Die Deutsche Demokratische Republik ist heute die staatliche Verkörperung der besten Traditionen der deutschen Geschichte — der Bauernerhebungen des Mittelalters, des Kampfes der revolutionären Demokraten von 1848, der von Marx und Engels, Bebel und Liebknecht begründeten deutschen Arbeiterbewegung, der Heldentaten im antifaschistischen Widerstandskampf. In der Deutschen Demokratischen Republik entwickelt sich die sozialistische Nation unter Führung der Arbeiterklasse. In der sozialistischen Nationalkultur unserer Republik lebt all das fort und erfährt eine neue Blüte, was in früherer Zeit an kulturellen Schätzen geschaffen wurde. Von der Geschichte, der Kultur und der Sprache werden wir nichts

w

Siehe hierzu Axen, Hermann, Zur Entwicklung der sozialistischen Nation in der DDR, Berlin 1973, S. 17 ff.

28

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Bednareck

preisgeben, was es an Positivem zu erhalten und zu pflegen gibt, was den humanistischen und den revolutionären Traditionen entspricht."51

Die enge Kampfgemeinschaft

der SED mit der KPdSU

brüderliche

mit der UdSSR

Zusammenarbeit

sozialistischen

Staaten — die Grundlage

und den

aller Erfolge

und die anderen der

DDR

Ausgangspunkt bei der Erarbeitung der außenpolitischen Aufgaben der SED auf dem VIII. Parteitag war die umfassende Begründung der Notwendigkeit und der historischen Bedeutung der festen Verankerung der DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft. Diese Verankerung ist vor allem ein Gebot der gemeinsamen Stärkung des sozialistischen Bruderbundes und seines internationalen Einflusses. Zum anderen geht es darum, der Verpflichtung und Verantwortung der SED gegenüber der internationalen revolutionären Bewegung gerecht zu werden. Schließlich ist die Verankerung der DDR in der sozialistischen Staatengemeinschaft die Grundbedingung für die Verwirklichung der Lebensinteressen der Arbeiterklasse und aller Bürger der DDR. Kern der Verwirklichung dieser wichtigsten außenpolitischen Aufgabe ist die ständige Vertiefung der freundschaftlichen und brüderlichen Beziehungen zur Sowjetunion. Diese Beziehungen haben ihre tiefen Wurzeln in dem durch den Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution bestimmten Charakter unserer Epoche. Sie wurzeln zugleich in den welthistorischen Leistungen der Sowjetunion bei der Zerschlagung des Faschismus, bei der Befreiung des deutschen Volkes vom faschistischen Joch, die die entscheidende Wende in der Geschichte des deutschen Volkes einleiteten. In der Gegenwart wird diese Kampfgemeinschaft vor allem dadurch bestimmt, daß die Sowjetunion als erstes Land des siegreichen Sozialismus über den größten Erfahrungsschatz beim Aufbau der neuen Gesellschaft verfügt und als Pionier des Menschheitsfortschritts wirkt. Sie ist die Hauptkraft im Ringen um sozialen Fortschritt, Frieden und Entspannung. Das wichtigste Kriterium des Internationalismus der Arbeiterklasse der DDR, die Stellung zur Sowjetunion und zur KPdSU, unterstrich das Zentralkomitee der SED auf dem Parteitag in folgender Weise: „Unser Weg, seine Ergebnisse und Erfahrungen bekräftigen die grundlegende historische Lehre: Das Verhältnis zur Sowjetunion und zur KPdSU war, ist und bleibt der entscheidende Prüfstein für die Treue zum Marxismus-Leninismus, zum proletarischen Internationalismus! Die auf dem XXIV. Parteitag der KPdSU beschlossenen Leitsätze für den weiteren kommunistischen Aufbau sind von allgemeingültiger Bedeutung. Die KPdSU erwies sich in mehr als fünfzigjähriger Anwendung der Theorie des Marxismus-Leninismus auf 51

Honecker, Zügig voran bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED, S. 21.

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die Probleme des revolutionären Weltprozesses und in der Praxis beim Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung als die erfahrenste und kampferprobteste Partei, als Avantgarde der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung. Wir machen uns die großen theoretischen und praktischen Erfahrungen der Sowjetunion zu eigen und wenden sie auf unsere konkreten Bedingungen an. So ergibt sich f ü r uns eine völlige Einheit zwischen dem Vorrang der allgemeingültigen Grundsätze f ü r den sozialistischen Aufbau und der Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten in jedem Land." 52 Damit unterstrich die SED, daß sich die internationale Bedeutung der Sowjetunion als Pionier des gesellschaftlichen Fortschritts gesetzmäßig erhöht. Die historische Tatsache, daß die Sowjetunion als erster Staat der Welt die entwickelte sozialistische Gesellschaft errichtet hat und jetzt die Grundlagen der kommunistischen Gesellschaft erbaut, bedingt, daß ihre Erfahrungen und die daraus abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten allen anderen kommunistischen und Arbeiterparteien vermittelt werden. Zugleich bieten die gewaltigen ökonomischen und technischen Anstrengungen der Sowjetunion zur Erschließung aller Ressourcen neue Möglichkeiten, um die Zusammenarbeit bedeutend effektiver zu gestalten. Schließlich wirkt sich die Festigung der sozialistischen Staatsmacht, die wachsende militärische Stärke und die sich ständig entwickelnde K a m p f k r a f t und Geschlossenheit der KPdSU sowie die Erhöhung ihrer theoretischen Reife in der Weise aus, daß neue Möglichkeiten entstehen, u m die Potenzen der sozialistischen Staatengemeinschaft international maximal wirksam werden zu lassen. Für den Erfolg dieser Politik des Friedens und des gesellschaftlichen Fortschritts sprechen wichtige Tatsachen: In Asien errang das vietnamesische Volk bedeutende Erfolge im Kampf gegen die US-Aggressoren und deren südvietnamesische Handlanger. Die Aggressoren konnten daran gehindert werden, diesen Krieg in ein atomares Inferno zu verwandeln. Die Verträge von Moskau und Warschau sowie die Verhandlungen zur Regelung der Westberlinfrage waren lebendiger Ausdruck dafür, daß sich in Europa mit Erfolg die Leninschen Prinzipien der friedlichen Koexistenz durchsetzen. Zwischen dem VII. und dem VIII. Parteitag der SED stieg die Zahl der Staaten, die diplomatische Beziehungen zur DDR aufnahmen, von 16 auf 29. Auch in dieser Entwicklung widerspiegelte sich die unaufhaltsam wachsende internationale Autorität der DDR. Im Ergebnis der wachsenden Kampfaktionen der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in den kapitalistischen Ländern sowie des Wachstums der breiten antiimperialistischen Bewegung f ü r Frieden, sozialen Fortschritt und gegen imperialistische Aggression verstärkten sich die Aktionseinheit und der Einfluß der internationalen kommunistischen Bewegung. Es gelang dem Imperialismus nicht, aus seiner historischen Defensivposition herauszukommen. Zu dieser günstigen internationalen Entwicklung hat die DDR ihren aktiven 52

Protokoll

der Verhandlungen

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der SED, Bd. 1, S. 40 f.

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Beitrag geleistet. Von entscheidender Bedeutung hierbei waren die engste Koordinierung der entsprechenden außenpolitischen Aktivitäten und die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten. Auf der Grundlage der gemeinsam erarbeiteten Erkenntnisse und Aufgabenstellung legte die SED auf ihrem VIII. Parteitag die Hauptrichtungen und Wege des weiteren allseitigen Zusammenschlusses fest: 1. Mit der Aufgabenstellung, die politischen Konsultationen zwischen den Partei- und Staatsführungen der Deutschen Demokratischen Republik und der UdSSR systematisch auszubauen und den Kurs der Freundschaft und Zusammenarbeit unbeirrt fortzusetzen, wurde auf die weitere Ausgestaltung der engen und schöpferischen Beziehungen zwischen den Bruderparteien der sozialistischen Staaten orientiert. Diese aktiven Beziehungen sind die entscheidende Grundlage für die weitere Entfaltung der Zusammenarbeit in der sozialistischen Staatengemeinschaft. In den sich auf dieser Grundlage entwickelnden Konsultationen, bi- und multilateralen Treffen werden neue Probleme gemeinsam erörtert und die Beziehungen sowie insbesondere die Aufgaben und Schritte zur Wahrung der außenpolitischen Interessen der sozialistischen Staaten koordiniert. Hervorragende Beispiele dieser Politik waren unter anderem die Tagungen des Politischen Beratenden Ausschusses der Staaten des Warschauer Vertrages im August 1970 in Moskau und im Dezember 1970 in Berlin sowie die Beratungen der Außenminister der sozialistischen Staaten im Juni 1970 in Budapest. Unmittelbar nach dem Parteitag wurde mit dem ersten Treffen der Führer der kommunistischen und Arbeiterparteien auf der Krim eine Reihe von Treffen von großer politischer Tragweite eingeleitet. Zur Bedeutung dieses ersten Treffens am 2. August 1971 erklärte Erich Honecker in einem Interview: „Das Treffen auf der Krim war zweifellos ein Ereignis von großer internationaler Tragweite. Seine Bedeutung für die immer engere Zusammenarbeit der sozialistischen Länder und für unser gemeinsames außenpolitisches Vorgehen im Interesse des Friedens und der Sicherheit kann nicht hoch genug eingeschätzt werden." 53 Zugleich unterstrich dieses Treffen erneut die hervorragenden Initiativen der KPdSU. Diese Zusammenarbeit und der Austausch von Erfahrungen setzte sich bis in die Bezirke, Kreise, ja Grundorganisationen fort. Sie strahlte auch auf alle anderen Bruderparteien aus und trug so dazu bei, daß sich die kollektive Arbeit, die Begegnungen und Abstimmungen der Parteien bedeutend entwickelten. Ausdruck dessen war unter anderem, daß vom Sommer 1969 bis zum Sommer 1972 insgesamt rund 40 internationale Treffen kommunistischer Parteien stattfanden und die Zusammenarbeit der Bruderparteien der sozialistischen Länder auf vielen Gebieten immer enger wurde. 2. Eine weitere Hauptrichtung des Zusammenschlusses der sozialistischen Staaten ist die Entwicklung der internationalen sozialistischen ökonomischen 53

Honecker, Unter dem Banner des Internationalismus, S. 168.

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Integration als eines von den kommunistischen Parteien und den Regierungen der sozialistischen Länder bewußt und planmäßig gelenkten Prozesses. Mit dem unmittelbar nach dem VIII. Parteitag der SED unterzeichneten „Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des RGW" (Juli 1971, Moskau) erarbeiteten die sozialistischen Länder eine gemeinsam abgestimmte Grundlinie ihres Zusammenwirkens für die nächsten 15 bis 20 und mehr Jahre. Im ersten Abschnitt des Programms wurde die sozialistische ökonomische Integration folgendermaßen gekennzeichnet: „Die Vertiefung und Vervollkommnung der wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des RGW sind ein von den kommunistischen und Arbeiterparteien und den Regierung der Mitgliedsländer des RGW bewußt und planmäßig gestalteter Prozeß der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung, der Annäherung ihrer Wirtschaften und der Herausbildung einer modernen hocheffektiven Struktur der nationalen Wirtschaften, der schrittweisen Annäherung und Angleichung ihres ökonomischen Entwicklungsniveaus, der Herausbildung tiefgehender und stabiler Verbindungen in den Hauptzweigen der Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, der Erweiterung und Festigung des internationalen Marktes dieser Länder sowie der Vervollkommnung der Ware-Geld-Beziehungen."54 Die planmäßige Verwirklichung dieses Programms wird zum Hauptinhalt der ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Bruderländern. Die Wirtschaftsintegration der sozialistischen RGW-Mitgliedstaaten ist einerseits die konsequente Fortführung ihrer zwanzigjährigen Zusammenarbeit auf ökonomischem Gebiet. Sie zeugt aber andererseits von einer neuen historischen Etappe ihrer Annäherung, entsprechend der marxistisch-leninistischen Erkenntnis von der Beschleunigung der Internationalisierung des Wirtschaftslebens im Sozialismus. Der komplexe Charakter des Integrationsprozesses zeigt sich in folgendem: Erstens werden alle wesentlichen Seiten des Wirtschaftslebens der DDR und der sozialistischen Staaten erfaßt. Zweitens wird der Koordinierung der Bemühungen auf allen Stufen der materiellen Produktion große Aufmerksamkeit geschenkt. Drittens vereinigt das Komplexprogramm alle wichtigen Formen und Methoden der Zusammenarbeit der RGW-Länder. So ist die Planmäßigkeit in der Entwicklung der Integrationsprozesse eine der entscheidenden Bedingungen für hohe Ergebnisse der gemeinsamen Anstrengungen aller RGW-Länder in den Hauptrichtungen des wirtschaftlichen 54

Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des RGW, in: Dokumente RGW, Berlin 1971, S. 38.

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und wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Dementsprechend wurde der weiteren Koordinierung der Pläne große Aufmerksamkeit geschenkt. Das auf der XXV. RGW-Tagung ins Leben gerufene Komitee für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Planungstätigkeit entwickelte ein Programm für die Arbeit in den nächsten Jahren. Es schlug vor, die für einen längeren Zeitraum vorgesehenen Pläne für die wichtigsten Produktionszweige und -arten zu koordinieren, und wies so den Weg für die konkrete Abstimmung der Pläne der Mitgliedsländer für die Jahre 1976 bis 1980 in den Jahren 1972 bis 1974. Nur so kann der rechtzeitige Abschluß langfristiger Abkommen gewährleistet werden. Für die Entwicklung der zwischenstaatlichen Kooperation und Spezialisierung orientierte das Komplexprogramm darauf, die Produktion gleichartiger Erzeugnisse in einem oder mehreren sozialistischen Ländern zu konzentrieren. Auf der Grundlage der Erfahrungen der DDR und der UdSSR bei der Spezialisierung bei mehr als 90 Erzeugnisarten des Textil-, Nahrungsmittel- und des polygraphischen Maschinenbaus, der gemeinsamen Erfahrungen der sozialistischen Staaten bei der Spezialisierung der Produktion von Radioröhren, des Kraftfahrzeugbaus u. a. m. werden neue Schritte in dieser Richtung in die Wege geleitet. Das Komplexprogramm zur sozialistischen ökonomischen Integration erschloß günstige Möglichkeiten für die planmäßige Vereinigung des wissenschaftlichtechnischen Potentials der sozialistischen Staaten, für die weitere Festigung der zwischenstaatlichen und internationalen Wirtschaftsorganisationen wie z. B. „Intermetall", „Interchim" sowie für die weitere schnelle Entwicklung jener Industriezweige wie der Energiewirtschaft, der Chemie, Zweigen des Maschinenbaus u. a., die für die Meisterung der Aufgaben der wissenschaftlich-technischen Revolution von besonderer Bedeutung sind. Wie der Vorsitzende des Ministerrates der UdSSR A. N. Kossygin auf der XXVI. Ratstagung der RGW erklärte, gestatten es die koordinierten Pläne bereits jetzt, die allgemeinen Konturen jener gewaltigen Entwicklung der sozialistischen Staatengemeinschaft mit einer Bevölkerung von 382 Mill. Menschen in den nächsten 15 bis 20 Jahren zu erkennen. Das ist möglich, da dieses Programm den Lebensinteressen der RGW-Länder entspricht und der sozialistische Internationalismus der bestimmende Wesenszug in dieser Arbeit ist. Damit ist die sozialistische ökonomische Integration zugleich ein zutiefst politischer Faktor in der Entwicklung des sozialistischen Weltsystems, für die Festigung seiner Positionen und der Geschlossenheit der sozialistischen Staatengemeinschaft. 3. Eine weitere Hauptrichtung der Zusammenarbeit besteht in der wirksamen Koordinierung der außenpolitischen Tätigkeit der Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages. Damit verstärken die sozialistischen Staaten ihren Einfluß auf das internationale Geschehen. Wie die Unterzeichnung der Verträge von Moskau und Warschau und schließlich die Fortsetzung dieser Linie durch das vierseitige Abkommen über Westberlin, den Berliner Vertrag und die

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Verhandlungen mit der CSSR, Ungarn und Bulgarien beweisen, trägt nicht zuletzt diese koordinierte Politik dazu bei, daß bestimmte imperialistische Kreise die neuen Realitäten des Kräfteverhältnisses anerkennen. Als kollektives Organ, in dem die gemeinsame Linie der sozialistischen Außenpolitik zu entscheidenden internationalen Problemen erarbeitet wird, hat sich der Politische Beratende Ausschuß der Staaten des Warschauer Vertrages entwickelt. So nahmen die Beratungen dieses Gremiums im Dezember 1970 in Berlin und im Januar 1972 in Prag bei der Ausarbeitung und Verwirklichung der Politik zur Gewährleistung der Sicherheit in Europa einen entscheidenden Platz ein. Wesentliche weitere Faktoren in diesem Zusammenhang sind die Freundschafts- und Beistandsverträge der sozialistischen Staaten. 4. Eine weitere Grundrichtung der Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten, die gemeinsamen Anstrengungen um die militärische Organisation und die Schlagkraft des sozialistischen Verteidigungsbündnisses zu vervollkommnen, die Gefechts- und Mobilmachungsbereitschaft ständig zu erhöhen, basiert auf dem Leninschen Prinzip der Leitung der bewaffneten Kräfte durch die marxistisch-leninistische Partei der herrschenden Arbeiterklasse. Diesem Prinzip entsprechend haben die Staaten des Warschauer Vertrages ein einheitliches Oberkommando, das die Kampfbereitschaft der Truppen mit all ihren Konsequenzen, bis hin zur Standardisierung der Ausrüstung und der Koordinierung der Verteidigungsaufgaben, gewährleistet. Spiegelbild des hierbei erreichten hohen Niveaus war unter anderem das Manöver „Waffenbrüderschaft", an dem 1970 die Streitkräfte aller sieben Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages beteiligt waren. Kern dieser militärischen Macht, die jederzeit in der Lage ist, eventuelle Aggressionsversuche des Imperialismus zurückzuweisen und den Frieden wirkungsvoll zu verteidigen, ist die militärische Kraft der UdSSR. Mehr als einmal, ob gegenüber den Atomkriegsplänen der USA in Indochina oder der herrschenden Kreise Israels im Nahen Osten oder gegenüber der 6. USA-Flotte im Mittelmeer, beeinflußten die sowjetischen Streitkräfte das internationale Geschehen im Interesse des Friedens und der Sicherheit. 5. Eine der Hauptrichtungen des weiteren Zusammenschlusses der sozialistischen Brudergemeinschaft besteht in der engen Zusammenarbeit auf theoretischem und ideologischem Gebiet. Ihr Hauptinhalt ist die Verbreitung des Leninismus und seine Weiterentwicklung. Meilensteine hierbei waren die Beratungen der kommunistischen und Arbeiterparteien 1969, das Lenin-Jahr sowie weitere Konferenzen und Zusammenkünfte der Bruderparteien. In der Zeit von Juni 1969 bis Juli 1972 fanden 18 derartige Veranstaltungen statt. Große Bedeutung hatten die Beratungen zu Problemen der gemeinsamen Arbeit an der Zeitschrift „Probleme des Friedens und des Sozialismus". Die hier unter anderem sichtbar werdende Offensive des Marxismus-Leninismus und die Festigung der politisch-ideologischen Einheit der sozialistischen Staaten hängen untrennbar zusammen. In Verwirklichung dieser gemeinsamen Orientierung der SED und der ande3 Jahrbuch 12

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ren Bruderparteien vollzieht sich allmählich der Prozeß der Annäherung der sozialistischen Nationen. Die sich so herausbildende und ständig vertiefende Freundschaft zwischen unseren Staaten dokumentiert die Herausbildung eines völlig neuen Typus internationaler Beziehungen, in denen die Prinzipien des sozialistischen Internationalismus zu voller Wirkung gelangen. Im Kampf gegen den Imperialismus, heit

für Frieden und

Sicher-

Im Kampf der Völker für ein friedliches Leben, für Gerechtigkeit und soziale Sicherheit, in ihrem Streben nach Freiheit und Demokratie erweist sich der Imperialismus als Hauptfeind, als Haupthindernis auf dem Wege zu gesichertem Frieden und gesellschaftlichem Fortschritt. An der Grenze zwischen den beiden Weltsystemen ist die DDR unmittelbar mit dem Imperialismus in der BRD konfrontiert. Die Aufgabenstellung des VIII. Parteitages der SED, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Politik der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen durchzusetzen, erfolgte bei völliger Klarheit darüber, daß der Imperialismus sein Wesen in keiner Weise verändert hat. Das Prinzip der friedlichen Koexistenz stellt in der außenpolitischen Strategie der sozialistischen Staaten eine Hauptrichtung ihrer Außenpolitik gegen den Imperialismus dar. Diese kann jedoch nur in der Einheit aller Seiten der sozialistischen Außenpolitik wirksam werden, die in der Grundaufgabe, die günstigsten äußeren Bedingungen f ü r den Aufbau des Sozialismus zu schaffen, zusammengefaßt sind. Zu diesen äußeren Bedingungen gehört die Erhaltung des Friedens. Diese wichtigste Aufgabe und Bedingung bewahrt die Menschheit vor unermeßlichen Verlusten, sichert aber auch die Errungenschaften des Sozialismus und gewährleistet dessen weitere Entwicklung. So bildet sich eine Gesetzmäßigkeit heraus: Die Bemühungen und Erfolge des Sozialismus bei der Sicherung des Friedens wachsen mit der Stärkung und weiteren Entwicklung des Sozialismus. Ein weiterer Faktor dieser äußeren Bedingungen ist die feste Einheit und Geschlossenheit des sozialistischen Weltsystems, insbesondere der sozialistischen Staatengemeinschaft. Sozialistische Außenpolitik verlangt aber auch zugleich, das Zusammenwirken aller revolutionären Kräfte der Gegenwart zu sichern. Das feste Fundament hierfür ist das gemeinsame Aktionsprogramm des Kampfes gegen Imperialismus, für Frieden, Demokratie und Sozialismus, wie es 1969 gemeinsam in Moskau erarbeitet wurde. Kern dieser Einheit ist die Geschlossenheit der jeweiligen revolutionären Vorhut um die KPdSU. Bestandteil dieser Politik ist auch die Ausnutzung der Widersprüche im imperialistischen Lager.55 55

Siehe hierzu Markowski, Paul, Die gemeinsame Außenpolitik der sozialistischen Staatengemeinschaft und die friedliche Koexistenz, in: Deutsche Außenpolitik, 1973, H. 4, S. 779 f.

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Im Rahmen dieser außenpolitischen Bedingungen und Aufgaben nimmt die Politik der friedlichen Koexistenz einen entscheidenden Platz ein. Sie ist heute die einzig mögliche Alternative, um den Ausbruch eines verheerenden atomaren Krieges zu verhindern. Dabei bestimmt die wachsende Macht des Sozialismus und der anderen Friedenskräfte die Voraussetzungen, die es ermöglichen, dem Imperialismus Lösungen im Interesse des Friedens aufzuzwingen. Diesen neuen Erfordernissen und Bedingungen entsprach das Friedensprogramm des XXIV. Parteitages der KPdSU. Seine Stärke, seine mobilisierende Kraft besteht darin, daß es mit den objektiven Interessen der Völker nach Frieden, gesellschaftlichem Fortschritt, Abrüstung und Sicherheit übereinstimmt. Dieses Programm verbindet die sofort zu lösenden organisch mit den zukünftigen Aufgaben des Kampfes der sozialistischen Staaten um Frieden und Sicherheit. Dieses Friedensprogramm wurde zur Grundorientierung des koordinierten außenpolitischen Handelns der sozialistischen Staaten sowie zum breiten Kampfprogramm der kommunistischen und Arbeiterparteien und vieler anderer demokratischer Kräfte. Unmißverständlich sprach das Zentralkomitee der SED aus, daß auf Grund der entgegengesetzten gesellschaftlichen Entwicklung zwischen der sozialistischen DDR und der imperialistischen BRD allein Beziehungen der friedlichen Koexistenz möglich sind. „Die prinzipielle Linie unserer Partei geht davon aus, daß der gesamte Verlauf der Entwicklung und die Festigung unseres sozialistischen Staates objektiv dahin führt und führen muß, daß die Gegensätzlichkeit zwischen uns und der BRD, die den kapitalistischen Weg geht, sich verstärkt und daß darum der Prozeß der Abgrenzung zwischen beiden Staaten in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens immer tiefgehender wird."56 In voller Übereinstimmung mit dem Friedensprogramm des XXIV. Parteitages der KPdSU, das zum gemeinsamen Aktionsprogramm der sozialistischen Staatengemeinschaft, der Kommunisten und aller fortschrittlichen Kräfte der Welt wurde, beschloß der VIII. Parteitag eine außenpolitische Orientierung, die auf die Sicherung des Friedens in Europa gerichtet ist, um die günstigsten außenpolitischen Bedingungen für die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zu schaffen. Der Inhalt dieses Programms war in fünf Punkten zusammengefaßt: 1. Die DDR unterstützt die baldmöglichste Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz. Sie ist bereit, als gleichberechtigter Teilnehmer auf deren Erfolg hinzuwirken. 2. Die DDR ist bereit, Mitglied der Vereinten Nationen (UNO) und ihrer Spezialorganisationen zu werden. 3. Die DDR ist bereit, mit allen Staaten normale diplomatische Beziehungen aufzunehmen und zu unterhalten. 56 3*

Protokoll der Verhandlungen

des VIII. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 49.

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4. Die DDR tritt f ü r die Aufnahme normaler Beziehungen zwischen der DDR und der BRD entsprechend den Regeln des Völkerrechts ein. 5. Die DDR ist bestrebt, zur Normalisierung des Verhältnisses gegenüber Westberlin beizutragen. 57 Der Kampf um die Verwirklichung dieser Konzeption beweist, daß die Politik der friedlichen Koexistenz keinen Klassenfrieden, keinen Verzicht auf den Klassenkampf bedeutet, sondern eine der Hauptformen des Klassenkampfes unter den gegenwärtigen Bedingungen ist. In Verwirklichung dieser Politik der sozialistischen Staaten gelang es, das sozialistische Kuba gegen die Anschläge der USA-Reaktion abzusichern. Die Politik der friedlichen Koexistenz und die aktive Solidarität f ü r das Volk Chiles sowie die Verteidigung der Unabhängigkeit und Freiheit Bangladeshs sind zwei Seiten ein und desselben Kampfes. Das bislang bedeutendste Ergebnis, die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam, charakterisiert die Politik der friedlichen Koexistenz als wirksames Instrument des internationalen Klassenkampfes, das den Interessen des Sozialismus entspricht und mit den Lebensinteressen aller Völker übereinstimmt.

Zur bisherigen Verwirklichung tages der SED

der Beschlüsse

des VIII.

Partei-

Im Jahre 1974 jährt sich die Gründung der DDR zum 25. Male. Diesen bedeutenden Entwicklungsabschnitt im Leben des Volkes der DDR begehen die Arbeiterklasse und alle anderen Werktätigen mit guten Ergebnissen bei der Verwirklichung der vom VIII. Parteitag der SED beschlossenen Innen- und Außenpolitik. Die sozialistischen Staaten und alle Friedenskräfte setzen die vom XXIV. Parteitag der KPdSU ausgelöste weltweite Offensive fort. Diese Offensive f ü h r t e zu bedeutsamen Veränderungen in der Welt. In diesem Prozeß, im Ringen um neue Erfolge im Kampf um Frieden, Demokratie und Sozialismus, erweist sich die sozialistische Staatengemeinschaft als der entscheidende Faktor. Die von den Werktätigen der DDR zu ziehende Bilanz der bisherigen Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED muß deshalb sowohl die Leistungen zur Stärkung des sozialistischen Vaterlandes als auch den Beitrag zur Festigung der sozialistischen Staatengemeinschaft berücksichtigen. Diese Bilanz weist aus, daß das vom VIII. Parteitag der SED beschlossene ökonomische und sozialpolitische Programm zielstrebig und kontinuierlich verwirklicht wurde und wird. Im Gefolge der großen Anstrengungen zur weiteren Verbesserung der Proportionalität der DDR-Wirtschaft war es möglich, das ökonomische Wachstum planmäßig zu beschleunigen. 1971 und 1972 nahm das Nationaleinkommen um 10,5 Prozent, die industrielle Warenpro57

Ebenda, S. 54 f.

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duktion um 12,3 Prozent und die Arbeitsproduktivität um 9,8 Prozent zu.38 Mit der Erhöhung der Industrieproduktion in den ersten acht Monaten des Jahres 1973 um 8 Prozent und der Arbeitsproduktivität um 7 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr setzte sich diese Entwicklung fort. 59 In der sozialistischen Landwirtschaft der DDR wurde nach einem witterungsbedingten Produktionsrückgang 1971 im Jahre 1972 die bisher höchste Gesamternte in der Pflanzenproduktion erzielt. Bei Schlachtvieh wurde 1972 im Verhältnis zu 1970 das staatliche Aufkommen um 12,2 Prozent, bei Milch um 7,5 Prozent und bei Eiern um 3,8 Prozent gesteigert. 60 Durchschnittliche Hektarerträge von 35,8 Doppelzentnern Getreide und die weitere Erhöhung des Fleischaufkommens um 5 Prozent im Jahre 1973 sind Ausdruck der kontinuierlichen Verwirklichung der gestellten Aufgaben. Diese Ergebnisse sind mit dem Fleiß und der Schöpferkraft von Millionen Werktätigen der DDR, die ihren sichtbaren Ausdruck im sozialistischen Wettbewerb finden, untrennbar verknüpft. „Jedes Wort, jede These (des Parteitages — H. B.) beweisen das große Vertrauen, das unsere Partei in unsere Arbeiterklasse setzt. Dieses Vertrauen beantworten wir Arbeiter mit selbstlosem Einsatz zum Wohle unserer sozialistischen Heimat. Wir sind uns bewußt, daß wir als führende Kraft die Hauptanstrengungen bringen müssen zur Erfüllung unserer hohen Ziele." Diese Worte der Meisterin im Braunkohlenwerk Senftenberg, Helga Weist, kennzeichnen die Haltung und die Initiative Hunderttausender Werktätiger nach dem VIII. Parteitag. Diese Verpflichtung wurde besiegelt durch die Verwirklichung des größten Rationalisierungsvorhabens in der Braunkohlenindustrie, den Umbau und die Modernisierung eines Brückenverbandes im Tagebau Meuro, der die Arbeitsproduktivität von 82 Kubikmetern auf 151 Kubikmeter pro Arbeitskraft und Stunde, die Förderung von Abraum pro Jahr von 33 Mill. Kubikmetern auf 56 Mill. Kubikmeter bei wesentlich geringeren Kosten steigerte. 61 Mit der Erfüllung ihres im Wettbewerbsaufruf 1971 gegebenen Versprechens — zum 31. Mai 1971 hatten die Silbitzer Stahlwerker ihren Plan der industriellen Warenproduktion mit 100,6 Prozent erfüllt — schufen sich die Werktätigen dieser Stahlgießerei, eines wichtigen Zulieferbetriebes, das feste Fundament für die Weiterführung des sozialistischen Wettbewerbs. Ihrem Beispiel zur Verwirklichung der vom VIII. Parteitag beschlossenen Hauptaufgabe schlössen sich weitere Kollektive, so des VEB Rohrkombinat Riesa, von Betrieben des Erz- und Kalibergbaus, der Metallurgie, der Elektrotechnik 58

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Honecker, Zügig voran bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED, S. 33. Derselbe, Seite an Seite für neue Siege des Sozialismus und des Friedens, in: Neues Deutschland, Ausg. B, 8. 10. 1973. Derselbe, Zügig voran bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED, S. 33. Protokoll der Verhandlungen des VIII. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 151.

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und Elektronik, des Verarbeitungsmaschinenbaus, des Fahrzeugbaus und viele andere an. Der Wettbewerb konzentrierte sich darauf, den Volkswirtschaftsplan 1971 und die Exportverpflichtungen zu erfüllen und die dazu notwendigen konkreten Aufgaben der Rationalisierung, der Neuererbewegung, des Erfahrungsaustausches und der gegenseitigen Hilfe zu lösen. Die Werktätigen der Konsumgüterindustrie erhöhten ihre Anstrengungen zur planmäßigen und zusätzlichen Produktion von Konsumgütern. Sie wurden von Werktätigen anderer Industriezweige bei der Rationalisierung sowie durch höhere Zulieferungen wirksam unterstützt. Die Landarbeiter und Genossenschaftsbauern entwickelten im sozialistischen Wettbewerb neue Initiativen, um trotz außergewöhnlicher Hitze und Trockenheit den Plan 1971 zu erfüllen und zu überbieten und die Bevölkerung mit mehr und besseren Lebensmitteln zu versorgen. Sie richteten ihre Anstrengungen auf die weitere sozialistische Intensivierung, den allmählichen Übergang zu industriemäßigen Formen der Produktion und die Entwicklung der Kooperation. Die hohen Anforderungen des Volkswirtschaftsplans 1972 wurden von der Führung der Partei der Arbeiterklasse in der Losung „Planmäßig produzieren, klug rationalisieren — uns allen zum Nutzen" als Grundorientierung f ü r den sozialistischen Wettbewerb zusammengefaßt. Diese Losung wurde hunderttausendfach aufgegriffen, so unter anderen von den Arbeitern, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz des VEB „ErnstThälmann-Werk" Magdeburg und des VEB Porzellankombinat Kahla, aber auch von den Genossenschaftsbauern der LPG Linum, Kreis Neuruppin. Ihrer Initiative zum sozialistischen Wettbewerb 1972 schlössen sich tausende Kollektive in allen Bereichen der Volkswirtschaft an. Dabei erwies sich die Tatsache, daß den Werktätigen die Resultate ihrer Arbeit unmittelbar zugute kamen, immer mehr als starkes Motiv f ü r hohe Leistungen. Der Beweis d a f ü r war und ist die dynamische Entwicklung des sozialistischen Wettbewerbs, der Aufschwung der Neuererbewegung im Prozeß dieser Entwicklung. Auf dieser Grundlage nahm der sozialistische Wettbewerb qualitativ neue Züge an. Hunderttausende Arbeiter, Genossenschaftsbauern und Angehörige der Intelligenz sowie Tausende sozialistische Arbeitskollektive in Industrie, Bauwesen, Landwirtschaft, wissenschaftlichen Einrichtungen und anderen Bereichen übernahmen in persönlichen Plänen zusätzliche Verpflichtungen, um durch höhere eigene Leistungen zur Erfüllung der ökonomischen und sozialen Aufgaben beizutragen. In vielen Betrieben entstanden Gegenpläne zum bestätigten Staatsplan 1972, die auf dessen Übererfüllung durch eigene zusätzliche Leistungssteigerung, durch bessere Nutzung der betrieblichen Reserven und durch wirksamere Kooperation zwischen Zulieferbetrieben und Endproduzenten gerichtet waren. Geleitet und organisiert vom FDGB, wurde dieser Wettbewerb im Jahre 1972 zu Ehren des 50. Jahrestages der Gründung der UdSSR geführt. Die Erfüllung und Übererfüllung des Planes 1972 bestätigten die vom VIII. Parteitag festgelegte Linie der Wirtschaftspolitik, sie bewiesen, daß ver-

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ständliche, reale Aufgaben und spürbare Ergebnisse bei der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen die schöpferische Initiative entfalten und die ökonomischen, wissenschaftlich-technischen und geistig-kulturellen Leistungen des Volkes erhöhen. Diese erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung war die Grundlage für neue Schritte zur weiteren Entwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Sie wurden durch die Beschlüsse des Politbüros des Zentralkomitees der SED und des Ministerrats der DDR vom Februar 1972 eingeleitet und zielten darauf ab, Betriebe mit staatlicher Beteiligung, private Industrie- und Baubetriebe sowie industriell produzierende Produktionsgenossenschaften des Handwerks in Volkseigentum umzuwandeln. Durch die angestrengte Arbeit der Bezirks- und Kreisleitungen der SED, der entsprechenden Vorstände der Gewerkschaften, ihrer Mitglieder sowie von Mitarbeitern der Staatsorgane entstanden bis zum Mai 1972 über 10 900 neue volkseigene Betriebe. Von besonderer Bedeutung in diesem Prozeß war die Unterstützung der neuen durch die „alten", großen volkseigenen Betriebe, so z. B. durch das Thüringer Obertrikotagenwerk in Apolda. Sie halfen, ohne lange Übergangszeit, die neuen und komplizierten Aufgaben bei der Planung, Leitung und Lenkung eines volkseigenen Betriebes zu meistern. Diese klassenbewußte Haltung der Arbeiter half auch vielen Komplementären, sich schnell und richtig zu entscheiden. An dieser demokratischen Umgestaltung hatten auch die Bündnispartner der Arbeiterklasse, die LDPD, die NDPD, die CDU und die DBD, aktiven Anteil. Diese demokratische Umgestaltung erfolgte nicht auf dem Wege von Enteignungen, sondern durch den Ankauf der Betriebe bzw. der Anteile der Besitzer von halbstaatlichen Betrieben durch den Staat. Sie war zugleich mit den Anstrengungen der Werktätigen verbunden, in diesen Betrieben die Produktion zu steigern und deren Effektivität zu erhöhen. Diese Aufgabe wurde bis Ende 1972 in bedeutendem Maße gelöst. Diese revolutionäre Umwälzung stärkte die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR. Der Anteil der in volkseigenen Betrieben beschäftigten Arbeiter und Angestellten erhöhte sich von 82,1 Prozent im Jahre 1971 auf 99,4 Prozent. Während 1971 die volkseigenen Betriebe 83,3 Prozent der Industrieproduktion erzeugten, stieg ihr Anteil 1972 auf 99,4 Prozent. Der Anteil privater Betriebe an der Industrieproduktion der DDR betrug im Juni 1972 nur noch 0,1 Prozent, der von Genossenschaften 0,5 Prozent. Betriebe mit staatlicher Beteiligung bestanden nicht mehr.62 Damit kam der Mitte der 50er Jahre in der DDR eingeleitete Prozeß, private Industriebetriebe auf dem Wege der staatlichen Beteiligung und der Kooperation mit volkseigenen Betrieben in die sozialistische Umwälzung der Produktionsverhältnisse einzubeziehen, zum Abschluß. 62

Jarowinsky, Werner, Aus dem Bericht des Politbüros an die 6. Tagung des ZK der SED, Berlin 1972, S. 23 f.

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Diese günstige wirtschaftliche und sozialökonomische Entwicklung sowie die Initiative der Arbeiter und Genossenschaftsbauern, der Angehörigen der Intelligenz und der Jugend waren auch zugleich die Voraussetzung dafür, daß das Zentralkomitee der SED, der Ministerrat der DDR und der Bundesvorstand des FDGB im April 1972 ein umfassendes sozialpolitisches Programm zur Verbesserung der Lebenslage von Millionen Bürgern der DDR beschließen konnten. Mit Maßnahmen wie der Verbesserung des Wohnungsbaus und der partiellen Senkung der Wohnungsmieten, der Entwicklung der Löhne und Prämien, der Erhöhung der Renten sowie zur Unterstützung von werktätigen Müttern und jungen Ehen orientierte dieses Programm auf solche Aufgaben, deren Lösung für das Leben der großen Mehrheit der Bürger der DDR, für die weitere Entwicklung der sozialen Verhältnisse in der DDR entscheidend ist. In Verwirklichung dieses sozialpolitischen Programms wurden 1971/72 rund 200 000 Wohnungen neu erbaut bzw. modernisiert. 60 Prozent dieser Neubauwohnungen erhielten Familien von Produktionsarbeitern, wobei gleichzeitig die Neubaumieten unter Berücksichtigung der Einkommensgrenze auf das Niveau des Jahres 1967, im Durchschnitt um 216 Mark je Wohnung und Jahr, gesenkt wurden. Für 1,7 Mill. Werktätige wurden die Mindestlöhne von 300 auf 350 Mark erhöht und dazu die Löhne zwischen 350 und 435 Mark monatlich differenziert angehoben. Dazu erhielten weitere 100 000 Meister, 43 500 Werktätige der Gießereien und etwa 100 000 Werktätige der Kohle- und Energieindustrie Lohnerhöhungen. Gleichzeitig erreichte die durchschnittliche Prämienhöhe in der Industrie 780 Mark. Die durchschnittliche Jahresendprämie von 660 Mark in der zentralgeleiteten Industrie entspricht fast einem durchschnittlichen Monatsbruttolohn. Mit der Erhöhung der Altersrenten, im Mittel um 47 Mark auf 236 Mark im Monat, für 3,9 Mill. Rentner erfolgte die bislang spürbarste Rentenerhöhung. Verkürzte Arbeitszeit auf wöchentlich 40 Stunden für 200 000 werktätige Mütter, verlängerter Jahresurlaub um einen bis neun Tage für 400 000 werktätige Mütter, zinslose Kredite für junge Ehepaare, die 1972 bereits von 30 000 jungen Ehepaaren in Anspruch genommen wurden, sowie die Erhöhung des gesellschaftlichen Konsumtionsfonds vervollständigen diesen umfassenden Komplex von Maßnahmen zur Verwirklichung der Hauptaufgabe des VIII. Parteitages.® Dieses sozialpolitische Programm, seine Weiterführung und Vertiefung durch das Wohnungsbauprogramm bis 1990 und die Aufgaben zur weiteren Ausgestaltung des Gesundheitswesens verlangen mit objektiver Notwendigkeit, daß das ökonomische Leistungsvermögen der DDR auf lange Sicht stabil gehalten und kontinuierlich entwickelt wird. Eine Bedingung hierfür ist die wesentliche Intensivierung des Reproduktionsprozesses und die ständige Erhöhung der Effektivität der Produktion. Dem 63

Honecker, Zügig voran bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED, S. 47 f.

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trugen die Führung der SED und der Ministerrat durch Maßnahmen zur Verbesserung der Konsumgüterproduktion, zur Forcierung des Wohnungsbaus, zur beschleunigten Entwicklung der Zulieferindustrie und zur termingerechten Inbetriebnahme wichtiger Investitionsvorhaben Rechnung. Die vom Politbüro der SED gefaßten Beschlüsse zur weiteren Verwirklichung des ökonomischen Systems des Sozialismus sehen die Ausarbeitung eines langfristigen Planes der Entwicklung der Volkswirtschaft bis 1990, die weitere Verbesserung der Planung und die Vervollkommnung der wirtschaftlichen Rechnungsführung in der volkseigenen Wirtschaft vor. Es wurde festgelegt, die planmäßige proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft durch gründliche materielle Bilanzierung der Pläne besser zu gewährleisten. Immer wieder betonte die SED, daß ein langfristiger wirtschaftlicher Aufschwung die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts bedingt. Dementsprechend beschloß die Parteiführung der SED nach einem Meinungsaustausch mit hervorragenden Wissenschaftlern weitere Maßnahmen zur Entwicklung der Forschung. Sie sind darauf gerichtet, das gesamte wissenschaftliche und wissenschaftlich-technische Potential optimal zu nutzen, die Methoden der Leitung und Planung der Forschung noch effektiver zu gestalten und eine schöpferische Atmosphäre zu schaffen. Die Parteiführung orientierte auf die planmäßige und langfristige Entwicklung der Grundlagenforschung, die Integration verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, die engere Verbindung der Wissenschaft mit der gesellschaftlichen Praxis, insbesondere mit der Volkswirtschaft, sowie auf die schnellere Überleitung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Produktion. Besonders unterstrichen wurde die Notwendigkeit, ständig eng mit den sowjetischen Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten und die Ergebnisse der Sowjetwissenschaft zu nutzen. Diese Orientierung hat das Ziel, zur Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der DDR und damit zur planmäßigen Erfüllung der Hauptaufgabe des Fünfjahrplanes beizutragen. Die Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR, der Universitäten, Hoch- und Fachschulen sowie Forscher, Ingenieure und Techniker aus wissenschaftlichen Einrichtungen der Volkswirtschaft halfen mit neuen Forschungsergebnissen und wissenschaftlich-technischen Leistungen, die Beschlüsse des VIII. Parteitages zu erfüllen. Die Gesellschaft „Urania" verstärkte die Propagierung natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Kenntnisse. Die andere notwendige Bedingung für die hohe Stabilität des ökonomischen Leistungsvermögens der DDR-Wirtschaft ist die weitere Vertiefung der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Bruderländern. So wie in der Vergangenheit wurde auch in den Jahren 1971 bis 1973 jede Seite der Erfolgsbilanz der DDR durch diese Gemeinsamkeit mitbestimmt. Deshalb konzentrierten die SED und der Ministerrat der DDR ihre Hauptanstrengung darauf, den Bruderbund der DDR mit der UdSSR und den anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft unablässig zu festigen. Dem diente der Freundschaftsbesuch L. I. Breshnews Ende Oktober 1971 in der

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DDR. In den Beratungen mit der Parteiführung der SED wurden Erfahrungen des sozialistischen und kommunistischen Aufbaus und der Entwicklung der Zusammenarbeit auf allen Gebieten ausgetauscht und vereinbart, die Anstrengungen der Sowjetunion und der DDR auf die Verwirklichung der sozialistischen ökonomischen Integration zu konzentrieren und die Bemühungen beider Staaten zu vereinen, um die von der wissenschaftlich-technischen Revolution aufgeworfenen komplizierten Probleme gemeinsam zu lösen. Partei- und Regierungsdelegationen der DDR vereinbarten mit der Volksrepublik Polen im September 1971 und mit der CSSR im November 1971, die ökonomische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit weiter zu vertiefen. Die langfristige Koordinierung der Investitionen, der Bau gemeinsamer Betriebe, die enge Kooperation in der Chemie, in der Elektrotechnik/Elektronik, im Maschinenbau, in der Leichtindustrie und im Bauwesen sind Schritte zur Verwirklichung der sozialistischen ökonomischen Integration. Die Vereinbarungen über den visafreien Reiseverkehr leiteten eine neue historische Phase in den brüderlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen und der CSSR ein, die die Völker der sozialistischen Staaten noch enger zusammenführt, die persönlichen Begegnungen der Bürger und die Freundschaft der Völker vertieft. Im April 1972 berieten der Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, L. I. Breshnew, und der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED, Erich Honecker, in Moskau über Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung in der Sowjetunion und in der DDR, insbesondere über die Ergebnisse bei der Verwirklichung der Beschlüsse des XXIV. Parteitages und des VIII. Parteitages. Sie vereinbarten Schritte zur weiteren allseitigen Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Staaten und Völkern, zur Vervollkommnung der langfristigen Planung der Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der im Komplexprogramm der sozialistischen ökonomischen Integration beschlossenen Aufgaben und zur Intensivierung des Erfahrungsaustausches über die Parteiarbeit, die Wirtschaftstätigkeit und die kulturell-geistige Entwicklung. Zur Durchführung dieser Vereinbarungen beschloß die 12. Tagung der Paritätischen Regierungskommission der DDR und der UdSSR im Juni 1972 in Berlin, die Zusammenarbeit in Forschung und Produktion zu vertiefen, gemeinsam langfristige Pläne für den Zeitraum bis 1990 auszuarbeiten, die Fünfjahrpläne 1976 bis 1980 zu koordinieren, bei der Rationalisierung und Rekonstruktion von Betrieben unmittelbar zu kooperieren und gemeinsame Wirtschaftsorganisationen in wichtigen Bereichen vorzubereiten. Namen wie Kursk oder Ust-Ilim, wo Eisenerz- bzw. Zellulosekombinate für alle RGWPartner entstehen, wie Zawierce, wo die DDR gemeinsam mit Polen eine Baumwollspinnerei errichtet, wurden inzwischen zu einem festen Begriff. Die SED und der Ministerrat der DDR unternahmen auch Schritte zur Weiterentwicklung der brüderlichen Beziehungen zu den anderen sozialistischen Staaten. Partei- und Regierungsdelegationen der DDR unter Leitung Erich Honeckers besuchten im Februar 1972 die Ungarische Volksrepublik, im April

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die Volksrepublik Bulgarien, im Mai die Sozialistische Republik Rumänien und im Juni die Volksrepublik Polen. Im Mai besuchten Regierungsdelegationen der CSSR und der Volksrepublik Polen und im Juni eine Partei- und Regierungsdelegation der Republik Kuba unter Fidel Castro die DDR. In den Beratungen wurde die Erweiterung und Vertiefung der politischen, ökonomischen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Zusammenarbeit und die engere Koordinierimg der außenpolitischen Aktivitäten im Kampf gegen die aggressiven Bestrebungen des Imperialismus, für Frieden und Sicherheit vereinbart. Zwischen der DDR und der Sozialistischen Republik Rumänien wurde ein Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand abgeschlossen. Auch mit der Mongolischen Volksrepublik und der Koreanischen Volksdemokratischen Republik festigte die DDR ihre Beziehungen und erweiterte die Zusammenarbeit. In Verwirklichung der neuen Paß- und Visabestimmungen kamen sich Millionen Bürger der sozialistischen Länder in der Arbeit und in der Freizeit näher. Zu der Zahl von über 15 Mill. Bürgern der europäischen RGW-Staaten, die bereits 1971 ein anderes Bruderland besuchten, kamen 1972 allein rund 20 Mill. Bürger der Volksrepublik Polen, der CSSR und der DDR, die sich begegneten und so eine neue Seite im Leben der sozialistischen Staaten und Völker aufschlugen. Die Bilanz bei der Verwirklichung des außenpolitischen Programms des VIII. Parteitages der SED lenkt aber auch darauf hin, daß die Zusammenarbeit der sozialistischen Staaten und die Unterstützung der DDR durch die Sowjetunion und die anderen Bruderstaaten nicht nur der inneren Entwicklung der DDR zugute kam. Diese Zusammenarbeit ist auch der entscheidende Faktor in der internationalen Arena, im Kampf um die Sicherung des Friedens, die Verwirklichung der europäischen Sicherheit und bei der Stärkung der internationalen Positionen der DDR. Auf den Krim-Treffen der Führer der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder, deren erstes am 2. August 1971 stattfand, wurde die Bilanz des Erreichten erörtert, alle bedeutsamen Probleme der Weltpolitik wurden beraten und die außenpolitischen Aktivitäten der Parteien und Regierungen koordiniert. Die sozialistischen Staaten traten konsequent für die unverzügliche Einberufung einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz, die Ratifizierung der Verträge der BRD mit der UdSSR und der Volksrepublik Polen, die Regelung des Westberlin-Problems, die Gestaltung der Beziehungen zur CSSR und den anderen sozialistischen Staaten sowie für die Beschränkung der Rüstungen und der Streitkräfte in Europa ein. Auf diesen Beratungen konnten die Arbeiterparteien der sozialistischen Länder feststellen, daß sich in der internationalen Lage beträchtliche Veränderungen zugunsten des Friedens und des Sozialismus vollziehen. Die Veränderungen sind Ausdruck der Richtigkeit und Wirksamkeit des vom XXIV. Parteitag der KPdSU beschlossenen Friedensprogramms. Im Ergebnis dieser konsequenten Leninschen Außenpolitik der UdSSR, der

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DDR und der anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft wurde am 3. September 1971 von der UdSSR, Großbritannien, den USA und Frankreich das Vierseitige Abkommen über Westberlin unterzeichnet. Die vier Regierungen verpflichteten sich darin, alle Spannungen zu beseitigen, Komplikationen zu verhüten und Streitigkeiten ausschließlich mit friedlichen Mitteln beizulegen. Die drei Westmächte unterschrieben zum ersten Mal völkerrechtlich verbindlich, daß Westberlin kein Bestandteil der BRD ist und nicht von ihr regiert werden darf. Zum ersten Mal auch unterzeichneten die drei Westmächte einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, in dem die DDR als souveräner Staat, ihr Territorium und ihre Grenzen sowie ihre gleichberechtigten Beziehungen zu Westberlin und zur BRD respektiert werden. Er bekräftigte, daß Westberlin einen besonderen politischen Status besitzt. Das Abkommen schuf günstige Bedingungen, um dem Jahrzehnte andauernden Mißbrauch Westberlins als Störfaktor im Zentrum Europas und als Brückenkopf des kalten Krieges und der Diversion gegen die sozialistischen Länder Einhalt zu gebieten. Sichtbarer Ausdruck des veränderten Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus, entscheidende Marksteine auf dem Wege Europas vom kalten Krieg zur Entspannung waren der Abschluß und das Inkrafttreten der Verträge zwischen der UdSSR und der BRD und der Volksrepublik Polen und der BRD. Mit der Ratifizierung dieser Verträge am 17. Mai 1972 im Bonner Bundestag und dem Austausch der Ratifizierungsurkunden am 3. Juni 1972 war der Weg freigelegt, um Schritt für Schritt die Uberreste des längst bankrotten Revanchismus beiseite zu räumen. Diese Entwicklung ermöglichte es, Anfang Juni 1972 das Vierseitige Abkommen über Westberlin in Kraft zu setzen sowie ein Transitabkommen zwischen der DDR und der BRD und Vereinbarungen zwischen der DDR und dem Senat von Westberlin über Erleichterungen im Reiseverkehr und über Gebietsaustausch völkerrechtlich wirksam werden zu lassen. Schließlich wurde zwischen der DDR und der BRD ein Verkehrsvertrag unterzeichnet. Von nicht geringerer Bedeutung für Frieden und Sicherheit in Europa und der Welt waren die Europa betreffenden Vereinbarungen, die die Sowjetunion mit der Republik Frankreich und mit den USA erzielte. Das am 30. Oktober 1971 in Paris von L. I. Breshnew und George Pompidou unterzeichnete Dokument über die Prinzipien der Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und Frankreich ist ein hervorragendes Beispiel der Gestaltung der Beziehungen der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. Das während der Verhandlungen des Präsidenten der USA Richard Nixon mit den Repräsentanten der UdSSR am 30. Mai 1972 in Moskau unterzeichnete Dokument über die „Grundlagen der Beziehungen zwischen der UdSSR und den Vereinigten Staaten von Amerika" hat mit seiner Feststellung, daß im Atomzeitalter die einzige Grundlage für gegenseitige Beziehungen die friedliche Koexistenz sein muß, internationale Gültigkeit. Diese Verhandlungen erfolgten in einer komplizierten internationalen Situa-

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tion. Einerseits erzielte in Europa der Kampf um Frieden und Sicherheit Fortschritte, andererseits verschärfte der USA-Imperialismus in Asien den Aggressionskrieg gegen das vietnamesische Volk. Unveränderte Spannung herrschte im Nahen Osten infolge der Politik Israels und seiner imperialistischen Helfershelfer. Die chinesischen Führer suchten während des Besuches des USAPräsidenten im März 1972 in Peking ein Komplott auf antisowjetischer Grundlage zu schmieden. Angesichts dessen hoffte die äußerste internationale Reaktion auf ein NichtZustandekommen bzw. Scheitern der sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen und schließlich auf eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Sowjetunion und den USA, z. B. im Zusammenhang mit dem Krieg in Indochina. Alle diese Pläne wurden zunichte gemacht. Es erwies sich, daß das geschlossene Handeln der sozialistischen Staaten, die Stärke des Sozialismus und die konstruktive Außenpolitik der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten den Beginn einer neuen Phase in der Entwicklung Europas erzwungen hatten. Die imperialistische Reaktion unter Führung der USA war angetreten, um mit Hilfe der „Politik der Stärke" die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges rückgängig zu machen. Diese Strategie war endgültig gescheitert. Statt dessen mußten sie anerkennen, daß die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges und der Nachkriegsentwicklung der einzig mögliche Ausgangspunkt für Beziehungen der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten mit gegensätzlicher Gesellschaftsordnung in Europa sind. Diese Verträge mit ihren langfristigen Zielen zeugen davon, daß die Prinzipien der friedlichen Koexistenz schrittweise zur praktischen Norm der Beziehungen zwischen Staaten unterschiedlicher sozialer Ordnung werden. Einer der entscheidenden und bedeutendsten Schritte auf diesem Wege war die auf der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages am 25./26. Januar 1972 in Prag beschlossene „Deklaration über Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa". Die hierin unterbreiteten Grundprinzipien der europäischen Sicherheit und der Beziehungen der Staaten in Europa — Unverletzbarkeit der Grenzen; Gewaltverzicht ; friedliche Koexistenz; Unabhängigkeit und nationale Souveränität, Gleichberechtigung, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, gegenseitiger Vorteil als Grundlagen gutnachbarlicher Beziehungen und Zusammenarbeit im Interesse des Friedens ; Abrüstung ; Unterstützung der UNO — erwiesen sich auch als bedeutende politische und ideologische Faktoren bei der Vorbereitung der europäischen Sicherheitskonferenz. 64 64

Die Prager Deklaration und die Europäische Sicherheitskonferenz, Außenpolitik, 1973, H. 3, S. 541 ff.

in: Deutsche

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Die von dieser gemeinsamen Plattform aus unternommenen Anstrengungen der sozialistischen Staaten und anderer demokratischer Kräfte führten dazu, daß dieses Programm praktisch in Angriff genommen werden konnte und seine volle Verwirklichung, trotz aller antikommunistischen Manöver der Reaktion, konkrete Gestalt annimmt. Mit den Beratungen der europäischen Staaten sowie der USA und Kanada auf Botschafterebene seit dem 22. November 1972 in Helsinki begann die direkte multilaterale Vorbereitung der europäischen Sicherheitskonferenz. Im Verlaufe von sechsmonatigen komplizierten Verhandlungen, an denen die DDR als souveräner europäischer Staat gleichberechtigt teilnahm, einigten sich die Teilnehmerstaaten über die Tagesordnung, den Inhalt und die Verfahrensweise der Sicherheitskonferenz. Sie ermöglichten so den Beginn der europäischen Sicherheitskonferenz, die Durchführung ihrer ersten Phase und den Beginn der zweiten Phase im Jahre 1973 in Helsinki und Genf. Die Einberufung der europäischen Sicherheitskonferenz ist ein historischer Erfolg der Leninschen Außenpolitik der Sowjetunion und der gemeinsamen Politik der sozialistischen Staaten. Sie ist Ergebnis und zugleich ein wichtiger Bestandteil der beträchtlichen positiven Veränderungen in der Welt. Diese Veränderungen des Kräfteverhältnisses zugunsten der Kräfte des Sozialismus, der nationalen Befreiung und des Friedens waren auch die Grundlage für den historischen Sieg des vietnamesischen Volkes und der internationalen Solidarität. Mit der Aggression in Vietnam verfolgte der USA-Imperialismus das Ziel, „einen der sozialistischen Vorposten in Asien zu zerschlagen, der nationalrevolutionären Befreiungsbewegung in Asien, Afrika und Lateinamerika einen Schlag zu versetzen, den Völkern Indochinas den Weg zu Frieden, Freiheit und Fortschritt zu versperren, die Festigkeit der Solidarität der sozialistischen Länder und aller antiimperialistischen Kräfte auf die Probe zu stellen" 65 . Für diese Ziele setzten die USA zeitweilig über 500 000 US-Soldaten, 4000 Kampfflugzeuge, darunter mehr als 150 strategische Bomber B 52, sowie die 7. US-Flotte ein. 7 Mill. Tonnen Bomben, d. h. mehr als das Dreifache der im Verlaufe des zweiten Weltkrieges abgeworfenen Bombenmenge, der Einsatz aller Waffensysteme mit Ausnahme der Atomwaffe, Verbrechen jeglicher Art sollten das vietnamesische Volk in die Knie zwingen. 66 Immer wieder wurden die Pariser Friedensverhandlungen sabotiert. Selbst das im Herbst 1972 paraphierte Friedensabkommen sollte mit barbarischen Bombardements ohnegleichen hintertrieben werden. Das vietnamesische Volk unter Führung seiner marxistisch-leninistischen Par65

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Unabhängigkeit, Freiheit und Frieden für Vietnam! Aufruf der Internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien, in: Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien Moskau 1960, S. 51. Bauer, Heinz, Ein historischer Sieg des vietnamesischen Volkes und der internationalen Solidarität, in: Einheit, 1973, H .3, S. 267.

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tei, die Hilfe der Sowjetunion, die Solidarität der anderen sozialistischen Staaten und aller demokratischen, friedliebenden K r ä f t e der Welt waren stärker. Am 27. Januar 1973 wurde in Paris das Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam durch die Vertreter der Demokratischen Republik Vietnam und der Provisorischen Revolutionären Regierung der Republik Südvietnam sowie der USA u n d der Saigoner Verwaltung unterzeichnet. Damit war der gefährlichste Kriegsherd in der Welt beseitigt. Das vietnamesische Volk hat seine nationalen Grundrechte erfolgreich verteidigt und einen Sieg von historischer Bedeutung errungen. Den weitaus größten und entscheidenden Beitrag der Solidarität f ü r Vietnam leistete die Sowjetunion. Ihre politische Unterstützung, die ökonomische und militärische Hilfe, deren Wert nach Milliarden Rubeln zählt, waren eine unabdingbare Voraussetzung f ü r den Sieg. In jahrelangem beharrlichem Kampf u m die friedliche Lösung der Vietnamfrage gab die Sowjetunion ein Musterbeispiel f ü r die Verbindung der Politik der friedlichen Koexitsenz mit der konsequenten Zurückweisung der imperialistischen Aggressoren. An der Seite der sozialistischen Länder und der kommunistischen Weltbewegung sowie der Friedenskräfte in aller Welt leistete die DDR ihren Beitrag zur Solidarität mit Vietnam. Mit ihrer prinzipiellen und zugleich elastischen Außenpolitik leistete die DDR einen konstruktiven Beitrag zur Veränderung der Lage in Europa und in anderen Teilen der Erde. Wesentliche Aufgaben des vom VIII. Parteitag beschlossenen außenpolitischen Aktionsprogramms konnten im engen Zusammenwirken mit der UdSSR und den anderen sozialistischen Bruderländern verwirklicht werden: Die DDR nimmt von Anfang an als gleichberechtigter Partner an den Beratungen der europäischen Sicherheitskonferenz teil. Die DDR trug in konstruktiver Weise zum Zustandekommen vertraglicher Regelungen zur Entspannung und Sicherung des Friedens in Europa bei. Mit der Aufnahme der DDR in die Vereinten Nationen als gleichberechtigtes Mitglied am 18. September 1973 w a r der vieljährige konsequente Kampf der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten sowie aller antiimperialistischen Kräfte u m die weltweite Anerkennung der DDR als unabhängiger und souveräner Staat und ihre volle gleichberechtigte Teilnahme am internationalen Leben erfolgreich. Die jahrelang vom Imperialismus verfolgte Politik der diplomatischen Blockade und Isolierung der DDR ist zusammengebrochen. Die von der imperialistischen BRD betriebene Politik der Alleinvertretung erlitt völliges Fiasko. Viele junge Nationalstaaten und auch eine Reihe kapitalistischer Staaten nahmen bis Ende 1972 diplomatische Beziehungen mit der DDR auf. Zu diesen Staaten gehörten Bangladesh, Indien und Pakistan, in Europa Schweden, die Schweiz, Österreich u. a. Länder. Zu den 96 Staaten, die im Oktober 1973 diplomatische Beziehungen zur DDR unterhielten, zählten Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, alle skandinavischen Staaten sowie fast alle anderen westeuropäischen Staaten. Die

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weltweite diplomatische A n e r k e n n u n g der DDR bestätigte in überzeugender Weise, daß die allseitige S t ä r k u n g der DDR, i h r e unlösbare Zugehörigkeit zur sozialistischen Gemeinschaft das U n t e r p f a n d f ü r das Wohlergehen der Bürger der DDR und die Gewährleistung des Friedens ist. Gegen den jahrelangen bornierten Widerstand der maßgebenden K r ä f t e des Monopolkapitals w u r d e n wesentliche Schritte zur Herstellung normaler, gleichberechtigter Beziehungen zwischen der DDR u n d d e r BRD entsprechend den Regeln des Völkerrechts durchgesetzt. Der nach langwierigen Verhandlungen zustandegekommene Vertrag ü b e r die Grundlagen d e r Beziehungen zwischen der DDR u n d der BRD w u r d e a m 21. Dezember 1972 in Berlin, der Hauptstadt der DDR, unterzeichnet. Kernstück dieses Vertrages ist Artikel 2. Er enthält die Verpflichtung der beiden vertragschließenden Seiten, sich von den Prinzipien u n d Zielen der UNO-Charta, die anerkanntes Völkerrecht sind, leiten zu lassen. Die A n e r k e n n u n g dieser Prinzipien in weiteren Artikeln u n d in der P r ä a m b e l des Vertrages, so der Achtung der souveränen Gleichheit der DDR, der Verpflichtung, Streitfragen ausschließlich friedlich zu regeln und sich jeder A n w e n d u n g oder A n d r o h u n g von Gewalt zu enthalten (Artikel 3), der Unverletzlichkeit der Grenzen u n d der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen (Präambel), sowie die Verpflichtung, die Bemühungen u m Rüstungsbegrenzung und A b rüstung, insbesondere auf d e m Gebiete der Kernwaffen, zu unterstützen, war, entgegen allen Aktivitäten der Gegner d e r Entspannung erzielt, ein historischer Erfolg, der Voraussetzungen f ü r Beziehungen der friedlichen Koexistenz zwischen der DDR u n d der BRD schuf. Bei der Verwirklichung der zum wiederholten Male erklärten Bereitschaft zur Normalisierung des Verhältnisses zu Westberlin w u r d e n auf der Grundlage des Viermächteabkommens wichtige Ergebnisse erzielt. Die strikte Einhaltung dieser Verträge, vor allem der Festlegung, daß Westberlin kein Bestandteil der BRD ist und nicht von ihr regiert w e r d e n darf, m u ß ständig gegen alle Feinde dieser Entwicklung durchgesetzt werden. Damit entstand ein ganzes Gefüge von Verträgen, die das Ergebnis der jahrelangen Anstrengungen d e r UdSSR, der anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft und der DDR waren, die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges und der Nachkriegsentwicklung völkerrechtlich zu verankern. Diese Verträge vergrößern die Chance f ü r eine neue Phase des friedlichen Zusammenlebens der Völker u n d Staaten in Europa. Die Bilanz bei der Verwirklichung des außenpolitischen P r o g r a m m s des VIII. Parteitages ist der überzeugende Beweis d a f ü r , daß sich in den internationalen Beziehungen die Wende vom kalten Krieg zu Entspannung und friedlicher Koexistenz vollzieht. Weder auf außenpolitischem Gebiet noch in der Wirtschaft verläuft dieser Prozeß leicht u n d automatisch. Auf allen Gebieten widerspiegelt sich die h a r t e Auseinandersetzung zwischen den zwei Hauptklassenlinien in der Weltpolitik, zwischen der Linie des Sozialismus und der des Imperialismus. Überall auf der Welt wird der Einfluß des Imperialis-

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mus auf die internationale Entwicklung Zug um Zug zurückgedrängt. Dennoch hat sich dessen reaktionäres und aggressives Wesen nicht geändert. An jeder schwachen Stelle der antiimperialistischen Kräfte unternimmt der Imperialismus gefährliche Gegenschläge. Uberall, in den Provokationen gegen die Staatsgrenze der DDR und die unterzeichneten Verträge, in der Erpressertaktik gegenüber der CSSR, Ungarn und Bulgarien, in der wüsten antikommunistischen Hetzkampagne gegen die Sowjetunion, vor allem aber im faschistischen Putsch in Chile und in der erneuten Aggression Israels im Nahen Osten zeigt sich, daß es einflußreiche reaktionäre Kräfte gibt, die die Entspannung rückgängig machen bzw. mißbrauchen wollen, um die Positionen des Sozialismus und der nationalen Befreiungsbewegung zu untergraben. Diese Tatsachen bedingen, keinen Augenblick in den Anstrengungen zur Stärkung und Verteidigung des Sozialismus nachzulassen. In der allseitigen Stärkung der DDR und damit der sozialistischen Staatengemeinschaft liegt die Garantie dafür, daß die erfolgreiche Friedensoffensive des Sozialismus weiter vorangetrieben und die erreichten positiven Veränderungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

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Historische Probleme der volksdemokratischen Revolution

Im Verlauf des zweiten Weltkrieges wuchs der antifaschistische Befreiungskampf der Völker in einer Reihe von Ländern in eine volksdemokratische Revolution hinüber. Der revolutionäre Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus setzte sich in weiteren Teilen der Erde durch, und es entstand als größte Errungenschaft der internationalen Arbeiterklasse seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der Schaffung der UdSSR das sozialistische Weltsystem. Die Entstehung des sozialistischen Weltsystems, dessen Konturen keineswegs von Anfang an fest umrissen waren, war ein Ergebnis des internationalen Klassenkampfes. Der antifaschistische Befreiungskampf in Europa, auf den wir uns bei unserer Untersuchung konzentrieren wollen, hatte die Arbeiterklasse und die Völker unterschiedlicher Länder erfaßt. „Eine Partisanenvolksbewegung gegen f r e m d ländische Eroberer kennt die Geschichte seit langem. Doch nie zuvor erfaßte sie solche Massen, war sie so organisiert und so bewußt wie während des zweiten Weltkrieges." 1 Einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der Widerstandsbewegungen übte der Kampf der Sowjetunion als Hauptmacht der Antihitlerkoalition aus. „Die Sowjetunion förderte während des ganzen Krieges die Entwicklung der nationalen Befreiungsbewegung der Völker Europas und Asiens, regte die Völker zum Kampf an, unterstützte sie durch die Kräfte der Roten Armee und erwies ihnen ständig und in immer größerem Umfang militärische und andere materielle Hilfe." 2 Nicht abzuschätzen war der politisch-ideologische und moralische Einfluß des siegreichen Kampfes der Sowjetarmee. Durch ihren heldenhaften Kampf leisteten die Völker der Sowjetunion den militärischen Hauptbeitrag zur Zerschlagung des Faschismus und demonstrierten die moralisch-politische Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Nicht nur unter dem Aspekt ihres opferreichen und heldenhaften Kampfes, ihrer Rolle als Befreier 1

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Weltgeschichte, Bd. 10, Berlin 1973, S. 024 ( = Weltgeschichte in zehn Bänden, Hauptredaktion: J. M. Shukow). Ebenda.

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vieler Völker von der faschistischen Tyrannei, sondern vor allem auch als Verkörperung einer neuen, dem Kapitalismus überlegenen gesellschaftlichen und politischen Ordnung übte die Sowjetunion am Ende des zweiten Weltkrieges eine gewaltige Anziehungskraft auf das Denken der Volksmassen in der ganzen Welt aus. Das war von großer Bedeutung, denn mit dem antifaschistischen Befreiungskampf verband sich der Kampf der Völker um neue soziale und politische Existenzformen und um ein gesichertes friedliches Zusammenleben. Der völlige Bankrott des Versailler Systems und die Katastrophe des zweiten Weltkrieges bewiesen die Uberlebtheit des Imperialismus. Die Arbeiterklasse, insbesondere ihre revolutionäre Vorhut, erwies sich in allen vom Faschismus Überfallenen bzw. unterjochten Ländern als richtungweisende Hauptkraft im antifaschistischen Befreiungskampf der Völker. Das galt auch für die antifaschistische Widerstandsbewegung in Deutschland. Im Zusammenhang mit der Vertiefung der allgemeinen Krise des Kapitalismus insgesamt, der Verschärfung der Widersprüche innerhalb des imperialistischen Systems und der akuten politischen Krise der herrschenden Klassen in den meisten europäischen und anderen Ländern einerseits und mit der sprunghaften Erhöhung des Einflusses der internationalen Arbeiterklasse und ihrer Ideen, insbesondere mit dem Sieg der sozialistischen Sowjetunion über den Faschismus und der Wahrnehmung ihrer Befreiungsmission gegenüber zahlreichen Ländern andererseits entstanden neue historische Bedingungen für die weitere Durchsetzung des Grundgesetzes unserer Epoche, für den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus. Die Kette des Imperialismus in Europa war nicht nur an einer Stelle in Gefahr zu reißen. Diese Möglichkeit bestand für die Mehrzahl der Länder Europas. Eine revolutionäre Welle, verbunden mit einer akuten Krise der Herrschaft der Bourgeoisie erfaßte auch eine Reihe westeuropäischer Länder. Die Volksfrontpolitik gewann auch in Ländern wie Frankreich und Italien an Boden, wo die Kommunisten zur stärksten politischen Kraft wurden. In Europa existierte eine ganze Ländergruppe, in der durch die historische Entwicklung gleichartige Bedingungen entstanden waren und gleichartige Faktoren wirkten, die zur Herausbildung von übereinstimmenden Wesenszügen und Formen eines revolutionären Prozesses führten. Es waren Länder, die vom Faschismus erobert worden waren, sowie ehemalige Satelliten Hitlerdeutschlands. Auch das faschistische Hauptland Deutschland gehörte — wenn auch mit noch zu untersuchenden Modifikationen — dazu. In allen diesen Ländern hatte sich die BourgeQisie insgesamt oder hatten sich doch wesentliche Teile der Bourgeoisie kompromittiert, und sie verfügte über kein intaktes ausgebautes und stabiles Herrschaftssystem mehr. Allerdings hatten in mehr oder weniger großem Umfang Teile der Bourgeoisie am Widerstandskampf teilgenommen. Unter Ausnutzung dieser Tatsache versuchte die Großbourgeoisie, den Übergang vom Krieg zum Frieden unter ihren Einfluß zu bekommen, die Volksmassen zu demobilisieren und ihr Regime wiederherzustellen und zu festigen. Doch waren auch diese Kräfte der Bourgeoisie stark in die politische Defensive gedrängt, standen sie

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unter dem Druck der politischen Offensive der Volksmassen mit den kommunistischen und Arbeiterparteien an der Spitze. Die kommunistischen und Arbeiterparteien entwickelten kühn das Programm der volksdemokratischen Revolution als Alternative zu Imperialismus und Restauration. „Der Zusammenprall dieser Tendenzen prägte den Charakter des Kampfes um die politische Führung, um die Hegemonie in der nationalen Befreiungsbewegung." 3 Der geschichtliche Verlauf der Nachkriegsentwicklung hat in der charakterisierten Ländergruppe bekanntlich zu unterschiedlichen Resultaten geführt. In einem Teil dieser Länder wurde der Ubergang vom Kapitalismus zum Sozialismus erfolgreich vollzogen, im anderen Teil restaurierte sich die kapitalistische Staats- und Gesellschaftsordnung. In jenem Teil errichtete die Arbeiterklasse ihre Macht, in diesem konnte die Bourgeoisie ihre Macht behaupten und wieder stabilisieren. Die entscheidenden Ursachen f ü r diese gegensätzliche Entwicklung lagen nicht im sozialökonomischen Bereich und überhaupt nicht primär in den jeweiligen nationalen Besonderheiten, obwohl natürlich in Ländern des entwickelten Kapitalismus wie Frankreich und Italien die gesellschaftliche Macht und die politischen Potenzen der Bourgeoisie sowie der Einfluß des Opportunismus in der Arbeiterklasse stärker waren als in anderen Ländern. Zweifellos waren das wichtige Faktoren. Aber die Tatsache, daß sich die volksdemokratische Entwicklung auch in solchen entwickelten kapitalistischen Ländern wie der CSR und dem östlichen Teil Deutschlands erfolgreich durchsetzen konnte, weist darauf hin, daß jene Faktoren nicht von sich aus, sondern n u r unter bestimmten Bedingungen entscheidend wirksam werden konnten. In Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland u. a. Ländern bildete sich ein labiles Gleichgewicht der Klassenkräfte heraus, und es bestand auch hier die Möglichkeit, daß die Arbeiterklasse im Zuge des antifaschistischen Befreiungskampfes ihre Hegemonie errichten konnte. Die Herstellung der Aktionseinheit zwischen den kommunistischen und den sozialistischen Parteien in Frankreich und Italien schuf hierfür eine wichtige Voraussetzung. Auf sich selbst gestellt, hätte die Bourgeoisie Frankreichs, Italiens u. a. westeuropäischer Länder eine solche Entwicklung nicht verhindern können. Ihr kamen jedoch der USAImperialismus und der britische Imperialismus als Großmächte der Antihitlerkoalition zu Hilfe. Die Truppen dieser beiden Mächte übten auf vielfältige Weise und in unterschiedlichem Grad eine konterrevolutionäre Funktion in den von ihnen besetzten Ländern aus. In Belgien erlaubten die Alliierten nach der Verjagung der faschistischen Okkupanten der belgischen Exilregierung Pierlot, nach Brüssel zurückzukehren. Mit Billigung und Unterstützung des anglo-amerikanischen Oberkommandos wurden von der Regierung Pierlot umgehend Maßnahmen ergriffen, um die Résistance zu entwaffnen und aufzulösen, um zu verhindern, daß das 3

Ebenda, S. 625.

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auf gesellschaftspolitische Veränderungen zielende Programm der Résistance durchgesetzt werden konnte.4 In ähnlicher Weise gingen die Truppen der beiden Mächte in Süditalien vor, um der italienischen Bourgeoisie den Ubergang vom Krieg zum Frieden, vom Faschismus zu einem nachfaschistischen bürgerlichen Staat zu ermöglichen.5 Während in diesem Teil Italiens die Bourgeoisie ihre Macht konsolidieren konnte, entwickelte sich im Norden die Arbeiterklasse — als Hauptkraft des Volksbefreiungskampfes — zur entscheidenden politischen Kraft. Angesichts dessen wurde am 22. April 1944 eine Regierung der nationalen Einheit unter Badoglio gebildet, der auch Kommunisten angehörten. Das gleiche galt für die nach der Befreiung Roms am 18. Juni 1944 gebildete Regierung Bononi. Doch der Einfluß der Arbeiterklasse in diesen Regierungen und im Staat entsprach nicht ihrer Rolle im Widerstandskampf. Das italienische Volk konnte seine Regierungen nicht frei bilden. Die anglo-amerikanische Besatzungsmacht übte auf Zusammensetzung und politische Orientierung einen wesentlichen Einfluß aus. Gestützt auf die Besatzungsmächte, war es der bürgerlichen Staatsbürokratie möglich, die Partisaneneinheiten und Befreiungskomitees in Norditalien aufzulösen, reaktionäre Verwaltungen einzusetzen und demokratische Maßnahmen rückgängig zu machen. Die Entwicklung der Staatsmacht in Italien unterschied sich damit wesentlich von derjenigen in den späteren volksdemokratischen Ländern Europas. In Italien konnten letzten Endes die Kräfte der Bourgeoisie — gestützt auf die Bajonette und das konterrevolutionäre Wirken der Westmächte — die entscheidenden Machtpositionen behaupten bzw. erringen. Dabei mußten sie für eine Übergangszeit zahlreiche Kompromisse eingehen, wie sie z. B. auch in der italienischen Verfassung zum Ausdruck kamen, die 1947 durch Volksentscheid angenommen wurde. Die Arbeiterparteien hatten großes politisches Ansehen; trotzdem gelang es ihnen nicht, den entscheidenden Einfluß auf die politische Entwicklung auszuüben und die Restaurierung des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Machtverhältnisse zu verhindern. Mit dem Wirken der Westmächte im Zeichen des kalten Krieges und dem Wiedererstarken der italienischen Bourgeoisie gewann zugleich der Opportunismus in der italienischen Arbeiterbewegung erneut an Boden. Die Sozialistische Partei spaltete sich im Januar 1947. Im Mai 1947 wurden Kommunisten und Sozialdemokraten aus der Regierung De Gaspari hinausgedrängt. Unter dem Aspekt der Machtfrage gestaltete sich die Entwicklung in Frankreich ähnlich.6 Auch hier konnte die Bourgeoisie zwar nicht verhindern, daß 4

5 6

Siehe Geschichte der internationalen Beziehungen 1939—1945, hrsg. von W. G. Truchanowski, Berlin 1965, S. 282 ff. Ebenda, S. 283 ff. Siehe Koller, Heinz/Töpfer, Bernhard, Frankreich. Ein historischer Abriß, Teil 2, Berlin 1973, S. 354 fC. ; Weltgeschehen 1945—1966. Internationale Zeitgeschichte, Berlin 1967, S. 757 ff.

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die Werktätigen mit der Kommunistischen Partei an der Spitze zahlreiche demokratische Errungenschaften erkämpften, aber sie vermochte dennoch, ihre Machtpositionen zu behaupten und weiter auszubauen. Entscheidend war, daß in der Sozialistischen Partei Kräfte die Oberhand gewannen, die die Aktionseinheit zwischen Sozialisten und Kommunisten untergruben. Die Sozialistische Partei lehnte im Herbst 1946 die Bildung einer sozialistischkommunistischen Regierung ab, obwohl diese sich auf die absolute Mehrheit im französischen Parlament hätte stützen können. Der sozialistische Ministerpräsident Ramadier entfernte schließlich im Mai 1947 die kommunistischen Minister aus seinem Mehrparteien-Kabinett. In diesen und anderen Ländern verhinderte in erster Linie die vielfältige konterrevolutionäre Intervention der anglo-amerikanischen Mächte, daß der antifaschistische Befreiungskampf in eine volksdemokratische Revolution hinüberwuchs; denn sie veränderte das politische Kräfteverhältnis zugunsten der Bourgeoisie. In den Ländern, in denen ihre politischen Komplotte mit der einheimischen Reaktion auf den entschiedenen Widerstand der Volksmassen stießen, gingen die imperialistischen Westmächte auch zur offenen, militärischen Intervention über, wie in Griechenland. 7 Den nationalen Befreiungskampf des griechischen Volkes f ü h r t e die kommunistische Partei und die von ihr geschaffene Nationale Befreiungsfront. Im März 1944 w a r das Politische Komitee der Nationalen Befreiung gegründet worden, dem Vertreter der einflußreichsten demokratischen Parteien angehörten. Sie übten faktisch die Funktion einer provisorischen Regierung Griechenlands aus. Nachdem Griechenland im Oktober 1944 von den faschistischen Okkupanten befreit worden war und sich eine antiimperialistisch-demokratische Entwicklung abzeichnete, landeten britische Truppen, die von der italienischen Front abgezogen worden waren, an der griechischen Küste. Sie unterstützen die griechischen Reaktionäre und begannen, die Volksbefreiungsarmee zu entwaffnen. Gegen die griechischen Patrioten wurde mit Maschinengewehren, Artillerie und Panzern vorgegangen. Diese konterrevolutionären Aktionen weiteten sich faktisch zu einem Krieg aus. Mit militärischer und politischer Unterstützung Großbritanniens, dessen Truppen bis 1949 in Griechenland blieben, konnte ein volksfeindliches Regime seine Macht errichten und behaupten. Zu den Faktoren, die die Entwicklung des politischen Kräfteverhältnisses in den einzelnen Ländern beeinflußten, gehörte nicht zuletzt die internationale Stellung dieser Länder. Die Tatsache, ob sie als integrierte Bestandteile im imperialistischen Weltsystem verblieben oder nicht, war von wesentlicher Bedeutung. Diese Frage reduzierte sich keineswegs auf die außenpolitische Orientierung. Es bestand vielmehr von 1944/1945 an eine enge dialektische Beziehung zwischen den innen- und außenpolitischen Entscheidungen. Anfangs, in der z. T. unübersichtlichen Übergangsphase vom Krieg zum Frieden, als die Westmächte sich besonders bemühten, ihrer Politik den Anschein der 7

Siehe Geschichte der internationalen

Beziehungen

1939—1945, S. 287 ff.

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Übereinstimmung mit den Abkommen von Jalta und Potsdam zu geben, und sie zu einer Reihe von Zugeständnissen, Manövern und Umwegen gezwungen waren, war das nicht so evident. Aber auch bereits in dieser Phase bestand ein untrennbarer dialektischer Zusammenhang zwischen der Einwirkung der Westmächte bzw. der Orientierung auf sie einerseits und den Tendenzen zur Restauration der kapitalistischen Machtverhältnisse im Inneren andererseits. Diese Dialektik von Innen- und Außenpolitik trat mit der Herausbildung der beiden Weltlager, des imperialistischen Lagers des kalten Krieges und des Friedenslagers der Sowjetunion und der Länder der Volksdemokratie, besonders deutlich hervor. Für die im Weltsystem des Imperialismus verbliebenen europäischen Länder, die sich in einer akuten Nachkriegskrise befanden, f ü h r t e der kapitalistische Weg des Wiederaufbaus zur Annahme des Marshallplans, der auf lange Zeit die Hegemonie der USA über Westeuropa und eine militärische Blockbildung unter Führung des USA-Imperialismus fundamentierte. Der Marshallplan wirkte zugleich als konterrevolutionäres Instrument zur Stärkung der Positionen der Großbourgeoisie in den beteiligten Ländern. 8 Es handelte sich also u m eine weitere Form der offenen Intervention des USA-Imperialismus in der Nachkriegsentwicklung Westeuropas. Anders als in den Ländern, die im Verlaufe des zweiten Weltkrieges von den Truppen der anglo-amerikanischen Mächte besetzt wurden, erfolgte die Befreiung vom Faschismus durch die Sowjetarmee. 9 An der Seite der Sowjetarmee leisteten die Völker Polens, Jugoslawiens, Bulgariens, Rumäniens u. a. Länder einen eigenen militärischen Beitrag zur Verjagung der faschistischen Okkupanten. In Polen, Jugoslawien, Albanien und der CSR wurde im Zuge der Befreiung zugleich der bestehende zentrale Machtapparat weitgehend zerschlagen. 10 In Ungarn und Rumänien blieb die Verwaltungsstruktur zwar im großen und ganzen erhalten, der alte Staatsapparat wurde jedoch entsprechend den Bestimmungen der Waffenstillstandsabkommen völlig entfaschisiert und demokratisiert. So entstand in den späteren Volksdemokratien auf dem Wege des Neuaufbaus oder der allmählichen Umwandlung in einem längeren Prozeß ein Staatsapparat neuen Typs, der dem Volke diente. 8 9

10

Siehe Claude, Jean, Der Marshallplan, Berlin 1949. Siehe dazu Die Befreiungsmission der Sowjetstreitkräfte im zweiten Weltkrieg, unter der Redaktion und mit einem Vorwort von Marschall der Sowjetunion A. A. Gretschko, Berlin 1973; Geschichte der internationalen Beziehungen 1939 bis 1945, S. 287 ff. Zu Folgendem sei vor allem auf zwei Arbeiten verwiesen von Seeber, Eva, Die volksdemokratischen Staaten Mittel- und Südosteuropas in der internationalen Klassenauseinandersetzung zwischen Imperialismus und Sozialismus (1944—1947), in: JbGsL, Bd. 16/2, 1972, S. 39-00; dieselbe, Die volksdemokratische Revolution in Mittel- und Südosteuropa als kontinuierlicher revolutionärer Prozeß und ihr Einfluß auf die Herausbildung des sozialistischen Weltsystems, in: Ebenda, Bd. 18/1, 1974.

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Dabei übten die aus dem Befreiungskampf hervorgegangenen Nationalkomitees bzw. -räte wichtige Funktionen aus. In diesen Ländern wurde die Tätigkeit der demokratischen Organe des Volkes und der Nationalkomitees bzw. -räte von der Sowjetarmee gefördert und wirksam unterstützt. Die Sowjetunion unterstützte die Bildung von Regierungen, die aus der nationalen Befreiungsbewegung und ihren Organisationen hervorgingen. Das Vorgehen der Sowjetunion entsprach voll und ganz der auf der Konferenz in Jalta im Februar 1945 verabschiedeten Deklaration über das befreite Europa. Auf Drängen der Westmächte und im Einvernehmen mit den führenden politischen Kräften des betreffenden Landes stimmte die Sowjetunion der Aufnahme von bürgerlichen Politikern in die Regierung, wie Mikolaycziks in die polnische, zu. Doch zugleich verhinderte die sowjetische Anwesenheit in den Ländern, die den volksdemokratischen Weg einschlugen, eine wirksame konterrevolutionäre Intervention der Westmächte zugunsten der Restauration der Macht der bürgerlich-reaktionären Kräfte. Es war keineswegs das Ziel der sowjetischen Europapolitik, wie bürgerliche Historiker nicht müde werden zu behaupten, Europa zu „erobern" und allen Ländern das Sowjetsystem aufzuzwingen. Das Ziel der sowjetischen Europapolitik bestand vielmehr darin, die Kriegsgefahr auf dem Kontinent für immer zu bannen, die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges dauerhaft zu verankern, ein System der kollektiven Sicherheit und Zusammenarbeit zu errichten, die Völker bei der Schaffung demokratischer sozialer und politischer Existenzformen in Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts zu unterstützen.11 Die Sowjetunion unterstützte vor allem die Arbeiterklasse der befreiten Länder. Das tat sie sowohl in Verwirklichung der Ziele der Antihitlerkoalition, denn die Arbeiterklasse hatte sich überall als Hauptkraft des antifaschistischen Widerstandes erwiesen und stellte die stärkste demokratische Kraft dar, als auch im Geiste des proletarischen Internationalismus in Wahrnehmung ihrer Befreiermission als sozialistischer Staat. Daß dieses Vorgehen der Bourgeoisie und ihren Ideologen nicht gefiel, ist nur natürlich. Aber die Sowjetunion exportierte nicht die Revolution (ein dem Marxismus-Leninismus völlig fremder Gedanke), sie zwang erwiesenermaßen keinem Land das Sowjetsystem auf, sie oktroyierte keinem Volk eine Entscheidung über sozialökonomische Umwälzungen, über die Enteignung des Großgrundbesitzes und des Großkapitals. Die volksdemokratische Revolution konnte sich nur in den Ländern vollziehen, in denen die inneren Voraussetzungen hierfür vorhanden waren bzw. sich nach der Befreiung entwickelten. In Österreich, im Iran und in anderen Ländern, in denen sich sowjetische Truppen im Zusammenhang mit dem antifaschistischen Befreiungskampf ziemlich lange aufhielten, kam es nicht zu volksdemokratischen Revolutionen. In der Demokratischen Republik Vietnam und Albanien befanden sich überhaupt keine sowjetischen Truppen, in 11

Siehe Geschichte

der sowjetischen

Außenpolitik,

2. Teil: 1945—1970, Berlin 1971.

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China und Jugoslawien nur auf begrenztem Territorium. „Dort waren aber die inneren Kräfte vorhanden, die unter kluger Ausnutzung der günstigen internationalen Lage einen revolutionären Umschwung herbeiführten." 12 Wenn sich in der Entwicklung einer ganzen Gruppe von Ländern übereinstimmende volksdemokratische Wesenszüge herausbildeten, so war das nicht auf eine „Druckausübung Moskaus" bzw. auf eine „Sowjetisierung" zurückzuführen. Die Ursachen hierfür lagen vielmehr darin, daß übereinstimmende historische Bedingungen und Triebkräfte des Kampfes um Befreiung, Frieden, Demokratie und Sozialismus existierten, die den allgemeinen, objektiven Gesetzmäßigkeiten des Ubergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus zum Durchbruch verhalfen. Solche inneren Voraussetzungen für die volksdemokratische Revolution wie das Wirken einer starken kommunistischen Partei, die Aktionseinheit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten waren auch in Frankreich, Italien und Griechenland vorhanden. Bei dem am Ende des zweiten Weltkrieges entstandenen internationalen Kräfteverhältnis konnten — wie die Entwicklung bewies — die inneren Bedingungen für die volksdemokratische Revolution jedoch nur in den Ländern ausreifen, die von der Sowjetarmee befreit worden waren bzw. in denen einerseits der Kampf der Arbeiterklasse wirksame Unterstützung fand und andererseits die Verhinderung imperialistischer Interventionen gewährleistet wurde. Das war in den Ländern der Fall, die sich in einem Block um die Sowjetunion zusammenschließen, sich gegenseitig Flankendeckung und Unterstützung gewähren konnten. In diesen Ländern bildete sich, bei allen nationalen Besonderheiten, im Auf und Ab des komplizierten und erbitterten Klassenkampfes übereinstimmende Wesenszüge der volksdemokratischen Entwicklung heraus. Solche Wesenszüge waren 1. die Errichtung der Hegemonie der Arbeiterklasse — auf der Grundlage der Aktionseinheit der Arbeiterparteien — im antifaschistischen Befreiungskampf ; 2. die Bildung von Regierungen der nationalen Befreiungsfronten und die Schaffung einer volksdemokratischen Staatsmacht, in der territoriale Organe der Befreiungskomitees eine wesentliche Rolle spielten. Die Volksdemokratie bot der Arbeiterklasse und anderen werktätigen Schichten und revolutionären Massenbewegungen die politischen Bedingungen ihrer freien Organisation und Entfaltung; 3. die Durchführung wesensmäßig weitgehend übereinstimmender, revolutionärer ökonomischer, politischer und ideologischer Umwälzungen trotz des unterschiedlichen sozialökonomischen Entwicklungsstandes der volksdemokratischen Länder, wobei typisch war, daß antifaschistisch-demokratische, antikapitalistische und sozialistische Aufgaben in einem längeren revolutionären Prozeß gelöst wurden und z. T. miteinander verschmolzen. Die volksdemokratische Revolution vereinte in sich die Aufgaben der Heranführung an 13

Die Befreiungsmission

der Sowjetstreitkräfte,

S. 509.

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die sozialistische Revolution mit denen ihrer Durchführung in einem einheitlichen revolutionären Prozeß unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei 13 ; 4. die Entwicklung der volksdemokratischen Revolution im Klassenkampf, aber doch auf relativ friedlichem Wege, ohne offenen Bürgerkrieg, die Erhaltung breiter nationaler Bündnisse. Dank dem Schutz durch die Sowjetarmee konnten sich in keinem Lande konterrevolutionäre Gegenregierungen bilden; 5. die kontinuierliche Entwicklung der volksdemokratischen Revolution, in der zunächst antifaschistisch-demokratische Aufgaben im Vordergrund standen, dann die antikapitalistische Stoßrichtung immer stärker hervortrat, bis schließlich die Aufgaben des planmäßigen Aufbaus des Sozialismus gestellt und gelöst wurden 14 ; 6. die Herausbildung der Diktatur des Proletariats entweder unmittelbar aus dem antifaschistischen Befreiungskampf, wie in Albanien, Bulgarien und Jugoslawien 15 , oder in einem längeren Prozeß der Festigung und Vertiefung der Hegemonie der Arbeiterklasse und der Entwicklung des volksdemokratischen Staates, wie in den anderen Ländern 16 . In diesem Fall zeichnen sich im einheitlichen revolutionären Prozeß der volksdemokratischen Revolution zwei Etappen voneinander ab, die demokratische und die sozialistische, deren Zäsur die Errichtung der Diktatur des Proletariats bildet; 7. die Herstellung fester staatlicher und freundschaftlicher Beziehungen der volksdemokratischen Länder zur Sowjetunion und untereinander. Die Entwicklung der volksdemokratischen Revolutionen als einheitlicher internationaler Prozeß, der zur Herausbildung des sozialistischen Weltsystems führte. Die volksdemokratische Revolution erhärtete revolutionstheoretische Schlußfolgerungen, die sich aus der vom VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale 1935 ausgearbeiteten Konzeption ergaben. Sie besagten, daß sich 13

14

15

16

Der von mir angewandte Begriff der volksdemokratischen Revolution entspricht der von Kalbe gegebenen Definition (siehe Kalbe, Ernstgert, Der Platz der volksdemokratischen Revolution beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, in: Studien zur marxistisch-leninistischen Revolutionstheorie, hrsg. im Auftrag der Karl-Marx-Universität Leipzig von Günther Großer, Leipzig 1967, S. 92). Siehe dazu auch Kalbe, Ernstgert/Fuchs, Gerhard/Seeber, Eva, Die volksdemokratische Revolution in den Ländern Ost- und Südosteuropas, in: ZfG, 1965, Sonderh., S. 174—207; Jegorow, W. N., Friedliche Koexistenz und revolutionärer Prozeß, Berlin 1972, S. 145 ff. Siehe die Herausarbeitung dieser Problematik bei Seeber, Die volksdemokratische Revolution in Mittel- und Südosteuropa, in: JbGsL, Bd. 18/1. Siehe Die Entstehung des sozialistischen Weltwirtschaftssystems, Berlin 1967, S. 84 ff. ( = Sozialistisches Weltwirtschaftssystem, Bd. 1); speziell zur revolutionären Entwicklung in Bulgarien siehe Isusov, S. M., Probleme des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in Bulgarien, in: BzG, 1973, H. 1, S. 14 ff. Siehe Die Entstehung des sozialistischen Weltwirtschaftssystems, S. 78 ff.

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die Möglichkeiten des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus erweiterten und sich die revolutionären Aufgaben in Ländern mit unterschiedlichem Entwicklungsstand einander annäherten, daß demzufolge den historischen gegenüber den sozialökonomischen Bedingungen immer größere Bedeutung zukam. Im Programm der Kommunistischen Internationale, das 1928 vom VI. Weltkongreß angenommen worden war, war noch zwischen drei Typen von Ländern unterschieden worden: hochentwickelten Ländern; Ländern auf mittlerer kapitalistischer Entwicklungsstufe; kolonialen, halbkolonialen und abhängigen Ländern. Davon ausgehend, war die Schlußfolgerung gezogen worden, daß in der ersten Ländergruppe rein proletarische Revolutionen auf der Tagesordnung stünden, in der zweiten Ländergruppe bürgerlich-demokratische, die in proletarische umschlügen, und in der dritten Gruppe von Ländern nationale Befreiungskriege und koloniale Revolutionen.17 Die Entwicklung in den 30er Jahren machte deutlich, daß eine solche Einteilung nur nach einem Kriterium, dem des sozialökonomischen Reifegrades, nicht ausreichte und daß die daraus gezogenen revolutionstheoretischen Schlußfolgerungen einer Uberprüfung bedurften.18 In der vom VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale entwickelten Volksfrontpolitik gegen Faschismus und Krieg kam zum Ausdruck, daß der Klassenkampf eine neue Stufe der Internationalisierung erreicht hatte, so daß die Gleichartigkeit der Bedingungen und Aufgaben der Arbeiterklasse verschiedener Ländertypen gegenüber dem unterschiedlichen Entwicklungsstand bestimmend wurden. In Deutschland u. a. entwickelten kapitalistischen Ländern erlangte der Kampf gegen Faschismus und Krieg und damit der allgemeindemokratische Kampf ebenfalls zentrale Bedeutung. Der Befreiungskampf gegen den deutschen und japanischen Imperialismus, der antifaschistische Befreiungskampf erfaßte die Arbeiterklasse und Völker unterschiedlicher Länder. Wenn wir Europa betrachten, so entstand — wie dargelegt — in West und Ost im Zuge des Kampfes gegen den Faschismus in einer ganzen Gruppe von Ländern unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungsstandes eine revolutionäre Situation bzw. entstanden die Bedingungen, eine volksdemokratische Entwicklung unter Führung der Arbeiterklasse einzuleiten. In den Ländern, die von den Truppen der anglo-amerikanischen Mächte besetzt wurden und Bestandteil des imperialistischen Weltsystems blieben, bildeten sich regional die Restauration begünstigende Bedingungen heraus. Es ist jedoch m. E. nicht richtig, eine Zwangsläufigkeit der Art zu konstruieren, daß sich im Einflußbereich der Sowjetunion der volksdemokratische und im Einflußbereich der imperialistischen Siegermächte der restaurative Weg durchsetzen mußte.19 Es verhielt sich vielmehr so, daß die Bedin17 18

Siehe GdA, Bd. 4, S. 496 (Dok.-Anhang). Zu dieser Problematik siehe auch Krassin, J., Die Dialektik des revolutionären Prozesses, Moskau 1973, S. 239 ff.

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gungen und Triebkräfte für den volksdemokratischen Weg in einer ganzen Gruppe von Ländern wirkten, daß sie sich jedoch bei dem gegebenen internationalen Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Imperialismus nur dort durchsetzen konnten, wo der Kampf der Arbeiterklasse durch die Sowjetunion vor imperialistischen Interventionen wirksam geschützt wurde, in gegenseitiger Flankendeckung erfolgte und außerdem in dieser oder jener Form von der Sowjetunion direkt unterstützt werden konnte. Die Position, die die USA und Großbritannien (und mit Abstand Frankreich) als imperialistische Siegermächte über den Faschismus einnehmen konnten, und die Tatsache, daß revolutionäre Bewegungen in den USA fast vollständig ausblieben, in Großbritannien über einen begrenzten Rahmen nicht hinausgingen, befähigte diese Mächte, in ihrem Einflußbereich eine volksdemokratische Entwicklung abzublocken, das imperialistische Herrschaftssystem zu stabilisieren. Durch ihre großen ökonomischen Potenzen und ihr zeitweiliges Atomwaffenmonopol erwiesen sich die USA hierbei als Hauptkraft. Die Entwicklung auf dem deutschen Nachkriegsterritorium erhärtet die getroffenen Feststellungen. Der Übergang vom Krieg zum Frieden in Deutschland war durch eine Reihe von Besonderheiten gekennzeichnet, die ihn von der Entwicklung in Westwie in Osteuropa unterschied20: 1. Es gab keine antifaschistische Befreiungsbewegung des deutschen Volkes in vergleichbarem Ausmaß wie in anderen Ländern und demzufolge keine aus ihr hervorgehende repräsentative deutsche Regierung. 2. Das deutsche Volk wurde von den Armeen der Antihitlerkoalition vom Faschismus befreit, die Deutschland für einen bestimmten Zeitraum, bis zur Erfüllung der alliierten Kriegs- und Besetzungsziele, besetzten. Deutschland wurde in Besatzungszonen aufgeteilt, in denen die Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen die oberste Regierungsgewalt ausübten. Die Deutschland als Ganzes angehenden Fragen unterstanden der Kompetenz des Alliierten Kontrollrats der vier Besatzungsmächte, der zugleich das Vorgehen in ihren Zonen koordinieren sollte. Mit der Besetzung und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt durch die Großmächte der Antihitlerkoalition wurde der Klassenkampf auf deutschem Boden in einem besonders starken Maße internationalisiert. 3. In den Abkommen von Jalta und von Potsdam sowie in anderen alliierten 19

20

Siehe z. B. Rothfels, Hans, Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Vorträge und Aufsätze, Göttingen (1959), S. 263. Siehe zu Folgendem vor allem GdA, Bd. 6; Deutsche Geschichte in drei Bänden, hrsg. von Hans-Joachim Bartmuss u.a., Bd. 3, Berlin 1968; Badstübner, Rolf/ Thomas, Siegfried, Die Spaltung Deutschlands 1945—1949, Berlin 1966; Benser, Günter, Das deutsche Volk und die Siegermächte, in: ZfG, 1972, H. 2; Heitzer, Heinz, Neue Probleme der Erforschung der Geschichte der DDR, in: Ebenda, H. 8.

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Dokumenten w a r ein Besetzungsprogramm in Grundzügen formuliert, das Bestimmungen über die vollständige Entmilitarisierung u n d Entnazifizierung Deutschlands sowie seine Demokratisierung enthielt und dem deutschen Volk die Leistung von Wiedergutmachungen auferlegte. 4. Wesentlich war, daß das Besetzungsprogramm durch die Einflußnahme der Sowjetunion nicht von den Zielsetzungen getragen war, das deutsche Volk zu versklaven und zu unterjochen, sondern daß ihm demokratische Prinzipien zugrunde lagen. Seine D u r c h f ü h r u n g h ä t t e Voraussetzungen u n d Bedingungen f ü r eine demokratische Entwicklung des deutschen Volkes u n d die Bildung eines deutschen Friedensstaates geschaffen. Es zielte zugleich d a r auf ab, die antifaschistisch-demokratische Aktivität des deutschen Volkes zu entwickeln, u n d beschränkte in keiner Weise das Recht des deutschen Volkes, über seine gesellschaftliche und politische Ordnung selbst zu entscheiden, sofern diese die Ausschaltung der zu Faschismus u n d Krieg treibenden K r ä f t e garantierte. 5. Die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen w i r k t e sich in zunehmendem Maße als negativer Faktor f ü r den Kampf der Arbeiterklasse u n d der fortschrittlichen K r ä f t e f ü r einen einheitlichen, antifaschistisch-demokratischen deutschen Staat aus. Mit dem Deutschen Reich w a r zugleich der einheitliche deutsche Staatsverband zusammengebrochen. Das deutsche Staatswesen, das von u n t e n nach oben neu errichtet wurde, organisierte sich innerhalb der einzelnen Besatzungszonen in Ländern. Es gab keine zentrale Exekutive. Der Alliierte Kontrollrat hatte gegenüber den Oberbefehlshabern in den Besatzungszonen keine exekutive Gewalt. Infolge des Abweichens der westlichen Besatzungsmächte vom alliierten Besetzungsprogramm begannen sich schon 1945 unterschiedliche Bedingungen in den einzelnen Besatzungszonen herauszubilden, wobei sich die Bedingungen zwischen den westlichen Besatzungszonen lediglich graduell, zwischen ihnen u n d der sowjetischen Besatzungszone jedoch vom Klasseninhalt her grundsätzlich zu unterscheiden begannen. Betrachten wi? das unterschiedliche Vorgehen der Besatzungsmächte etwas näher. Das charakteristische M e r k m a l der Wirksamkeit der sozialistischen Besatzungsmacht w a r die vom Geiste des proletarischen Internationalismus geprägte aktive Klassensolidarität mit dem Kampf der deutschen Arbeiterklasse und ihrer antifaschistisch-demokratischen Bündnispartner. 2 1 Diese Solidarität 21

Zur sowjetischen Deutschland- und Besatzungspolitik siehe vor allem Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, 2. Teil, S. 91 ff., 123 ff.; Tulpanow, S. J., Die Rolle der SM AD bei der Demokratisierung Deutschlands, in: ZfG, 1967, H. 2; Doernberg, Stefan, Die Tätigkeit der sowjetischen Militärverwaltung — deutsch-sowjetische Freundschaft in Aktion in: Zwei Jahrzehnte deutsch-sowjetische Beziehungen 1945—1965, Berlin 1965; Voßke, Heinz, Über die politisch-ideologische Hilfe der KPdSU, der Sowjetregierung und der SM AD für die deutsche Arbeiterklasse in den ersten Nachkriegsjahren (1945 bis 1949), in: BzG, 1972, H. 5.

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zeigte sich vor allem in der Niederhaltung der faschistischen und imperialistischen Kräfte durch die sozialistische Besatzungsmacht sowie in der Ausschaltung aller jener Elemente, die eine gegen die alliierten Beschlüsse, gegen die Grundsätze und Ziele des Potsdamer Abkommens gerichtete Aktivität entwickelten bzw. entwickeln konnten; in der aktiven Förderung und Unterstützung der Antifaschisten und Demokraten beim wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Neuaufbau; in den in Übereinstimmung mit den Gesetzen und Direktiven des Kontrollrates durchgeführten Maßnahmen zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung, die wesentliche Bedingungen für eine volksdemokratische Entwicklung schufen. Im Gegensatz zur Besatzungspolitik der Westmächte wirkte die Besatzungspolitik der Sowjetunion in voller Übereinstimmung mit dem Potsdamer Abkommen in Richtung auf eine Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses der Klassen und Schichten in der sowjetischen Besatzungszone und bei der Regelung der deutschen Frage zugunsten der konsequent antifaschistischdemokratischen Kräfte. Sie förderte die Entwicklung aller antifaschistischdemokratischen Kräfte, nicht nur diejenige der deutschen Arbeiterbewegung, wie ihr Befehl Nr. 2 vom 10. Juni 1945 über die Zulassung von Parteien und Organisationen zeigte. Daß die sozialistische Besatzungsmacht natürlich besonders die Entwicklung der revolutionären Arbeiterbewegung förderte, ergab sich aus ihrem Klassencharakter und ihrer Klassensolidarität. Dieses Vorgehen stand jedoch in keinerlei Widerspruch zu den Beschlüssen der Antihitlerkoalition. Im Gegenteil: mußte doch die deutsche Arbeiterbewegung die Hauptkraft bei der Durchführung einer geschichtlichen Wende in Deutschland sein. Da sich die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in ihrer gesamten Tätigkeit vom Geiste des proletarischen Internationalismus und von den demokratischen Prinzipien und Zielen des Potsdamer Abkommens, die mit den Interessen des Kampfes der deutschen Antifaschisten und Demokraten übereinstimmten, leiten ließ, war von vornherein eine gemeinsame Basis vertrauensvollen koordinierten Wirkens vorhanden. Natürlich gab es dabei auch Probleme und Schwierigkeiten — vor allem in der Anfangsphase. Hier stieß die Tätigkeit der SMAD z. T. noch auf starke, unter dem Einfluß der Nazipropaganda bzw. ihren Nachwirkungen auftretende antisowjetische Reaktionen. Das erschwerte ihre Politik. Außerdem war die Ausübung einer militärischen Besatzungs- und Verwaltungsfunktion für die Sowjetunion, für ihre Offiziere und Soldaten eine völlig neue Aufgabe. Auch international gab es hinsichtlich einer sozialistischen Militärverwaltung keine Vorbilder und Beispiele. Hinzu kam, daß die Sowjetunion außerordentlich schwer unter der faschistischen Aggression gelitten hatte. Die meisten Soldaten und Offiziere hatten durch die faschistische Soldateska Angehörige verloren, und vielen fiel es anfangs schwer, zwischen aktiven Faschisten und Militaristen, der Masse der „Mitläufer" und den Antifaschisten genügend zu differenzieren. Schließlich wurde es der sowjetischen Besatzungspolitik im

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Unterschied vor allem zur amerikanischen angelastet, daß die Sowjetunion auf umfangreiche Reparationen aus Deutschland — und das bedeutete vor allem aus ihrer eigenen Besatzungszone — nicht verzichten konnte. Gerade bei Beachtung dieser Zusammenhänge und in Konfrontation mit der westlichen Besatzungspolitik wird die bedeutende Leistung und große geschichtliche Rolle der sowjetischen Besatzungsmacht für die Entwicklung des deutschen Volkes deutlich. Die sowjetische Besatzungsmacht bildete einen bedeutsamen progressiven Faktor bei der Entwicklung der sowjetischen Besatzungszone. Besonders in der ersten Zeit, aber auch später leistete sie eine über ihre Verpflichtungen hinausgehende Hilfe bei der Überwindung von Hunger und Not, beim wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Neuaufbau. Die Vermittlung der Erfahrungen sowjetischer Arbeiter, Ingenieure, Lehrer, Wissenschaftler und Verwaltungsfachleute war von unschätzbarem Wert. Die wesentlichen Kennzeichen des Verhältnisses zwischen sozialistischer Besatzungsmacht und den antifaschistisch-demokratischen Kräften bestanden in Folgendem: Es gestaltete sich von Anfang an eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit; den Befehlen der SMAD gingen in der Regel Beratungen mit der deutschen Seite voraus, wenn sie nicht überhaupt auf deren Vorschlägen und Vorlagen basierten; die SMAD räumte den deutschen Verwaltungsorganen bereits seit Oktober 1945 wesentliche Entscheidungsbefugnisse ein, erweiterte diese ständig und beschränkte sich immer mehr auf bloße Kontrollfunktionen; die Sowjetunion vertrat im Alliierten Kontrollrat und auf den Konferenzen des Rates der Außenminister die Interessen des deutschen Volkes an einem einheitlichen demokratischen Staat und an einem demokratischen Friedensvertrag; sie achtete in ihrer Besatzungszone das Recht des deutschen Volkes, die revolutionären Umwälzungen selbst und nach eigenen Vorstellungen durchzuführen, über die Gestaltung seiner gesellschaftlichen Verhältnisse selbst zu entscheiden. Indem die sozialistische Besatzungsmacht die gegen die Kräfte des deutschen Faschismus und Militarismus und ihre institutionellen Reste festgelegten Sanktionen durchführte, die öffentliche Tätigkeit der gegen die Potsdamer Prinzipien und Ziele eingestellten Kräfte unterband sowie eine bewaffnete konterrevolutionäre Intervention verhinderte, waren ihre Anwesenheit und ihr Wirken wesentlich für die Möglichkeit, in der sowjetischen Besatzungszone einen volksdemokratischen Weg zu beschreiten. Das Wirken der sowjetischen Besatzungsmacht schuf gerade in den ersten Nachkriegsmonaten Bedingungen und Veränderungen, die für eine volksdemokratische Entwicklung mitentscheidend waren. Bei der Uberwindung von Lethargie und Demoralisierung, der Entwicklung des Klassenbewußtseins in der Arbeiterklasse und eines demokratischen politischen Bewußtseins

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im deutschen Volk spielten die Aufbau- und Produktionsbefehle der SMAD und das mit der Erlaubnis politischer Betätigung am 10. Juni 1945 gleichzeitig ausgesprochene Gebot hierzu eine wesentliche Rolle. Die SMAD trug dafür Sorge, daß der Aufbau der neuen Verwaltungsorgane in die Hände bewährter antifaschistischer und demokratischer Kräfte des deutschen Volkes gelegt wurde, und leistete damit gleichzeitig einen Beitrag zur Entscheidung der Machtfrage zugunsten der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten. In der gleichen Richtung wirkten solche Maßnahmen wie die Auflösung der Großbanken, die Sequestrierung des Vermögens der Nazi- und Kriegsverbrecher, die Unterstützung der demokratischen Kräfte bei der Durchführung der Boden- und Schulreform, bei der konsequenten Entnazifizierung, überhaupt die der Besatzungspraxis der Westmächte diametral entgegengesetzte Gewährung des Rechtes auf die schrittweise und selbständige Durchführung grundlegender gesellschaftlicher und politischer Umgestaltungen durch die demokratischen deutschen Parteien, Organisationen und Verwaltungen. Von den gemeinsamen Positionen des proletarischen Internationalismus her bestand zwischen den Zielen des antifaschistisch-demokratischen Programms der Kommunistischen Partei Deutschlands und den von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion festgelegten Zielen der Deutschland- und Besatzungspolitik der Sowjetunion, die miteinander abgestimmt waren22, prinzipielle Übereinstimmung. Diese Übereinstimmung bildete einen mächtigen Kraftquell für den Kampf gegen die Bestrebungen einer imperialistischen „Regelung" der deutschen Frage und einer restaurativen Entwicklung in Deutschland. Deshalb konzentrierte der Klassenfeind seine Propaganda besonders darauf, diese Übereinstimmung zu diffamieren. Die KPD wurde als „Handlanger Moskaus" bezeichnet23, die angeblich keine eigenständige Politik betreibe. Damit sollte der Verbreitung der historischen Erkenntnis, von der sich die KPD leiten ließ, vorgebeugt werden, daß die Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Sowjetunion für die deutsche Arbeiterklasse und das deutsche Volk oberste außenpolitische Maxime sein mußten. Die deutsche Arbeiterklasse, das deutsche Volk machten nach 1945 wichtige Erfahrungen nicht nur hinsichtlich des prinzipiellen Unterschiedes zwischen der Besatzungspolitik imperialistischer Mächte und der der sozialistischen Sowjetunion. Ganz im Gegensatz zu den gängigen Hauptthesen in der bürgerlichen, vor allem proimperialistischen und revisionistischen westdeutschen Geschichtsschreibung und Publizistik machten sie die Erfahrung, daß die sowjetische Besatzungsmacht dem deutschen Volk weder das Sowjetsystem oktroyierte noch die Revolution nach Deutschland exportierte. Die deutsche 22

Siehe Benser, in: Z f G , 1972, H. 2, S. 151.

23

Insbesondere die rechten S P D - F ü h r e r um K u r t Schumacher taten sich mit diesen Verleumdungen hervor (siehe Badstübner, Rolf, Restauration in Westdeutschland 1945—1949, Berlin 1965, S. 127 ff.).

5 Jahrbuch 12

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Arbeiterklasse machte jedoch zugleich und vor allem die Erfahrung, welche große und entscheidende Kraft der proletarische Internationalismus für den Kampf der Arbeiterklasse in den einzelnen Ländern ist. Gegenüber der Internationale des Kapitals bedarf es der Aktionseinheit der revolutionären Arbeiterbewegung. Die deutsche Arbeiterklasse mußte — im Bündnis mit den anderen werktätigen Klassen und Schichten — die volksdemokratische Revolution selbst vollbringen. Die besondere Form des Zusammenwirkens mit der sozialistischen Besatzungsmacht bildete die entscheidende Potenz für die Schaffung wesentlicher Voraussetzungen und günstiger Bedingungen hierfür. Die Anwesenheit der sozialistischen Sowjetunion war von grundlegender Bedeutung. Die Tatsache, daß die Arbeiterklasse nach dem zweiten Weltkrieg vor allem in den von der Sowjetunion vom Faschismus befreiten Ländern siegen konnte, bekräftigte die von den Klassikern des Marxismus-Leninismus in der Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" formulierte Erkenntnis, daß die Befreiung der Arbeiterklasse eine ihrem Wesen nach internationale Aufgabe ist. Die richtige Einschätzung der internationalen Lage und des politischen Kräfteverhältnisses in Deutschland, der Bedeutung der Anwesenheit einer sozialistischen Besatzungsmacht und des Potsdamer Abkommens war ein wichtiger Faktor, der es der KPD 1945 ermöglichte, die Arbeiterklasse in die politische Offensive zu führen und die imperialistische deutsche Bourgeoisie in die Defensive zu drängen. Unter diesen Bedingungen konnte die Aktionseinheit und später die organisatorische Einheit von KPD und SPD geschaffen und ständig gefestigt werden, konnte die Arbeiterklasse zur stärksten gesellschaftlichen und politischen Kraft werden, entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der neu entstehenden demokratischen Verwaltungsorgane und Länderregierungen ausüben. Die Arbeiterklasse nutzte die Tatsache, daß die politische Macht der deutschen Großbourgeoisie am Boden lag und ihre ökonomische Macht gelähmt war, und nahm mit der Organisierung ihrer Kräfte und der Herstellung breiter Bündnisbeziehungen das Gesetz des Handelns in ihre Hand. Das war von ausschlaggebender Bedeutung. Wenn in den westlichen Besatzungszonen die Entwicklung ihrem Klasseninhalt nach anders verlief, so bedeutete das nicht, daß es dort nicht die gleichen Forderungen und Bestrebungen nach einer antiimperialistischen Entwicklung gegeben hätte wie in der sowjetischen Besatzungszone.24 Auch in den westlichen Besatzungszonen beherrschte der Drang nach Aktionseinheit der Arbeiterparteien den Wiederbeginn der politischen Akti24

Siehe zu den antifaschistisch-demokratischen Bestrebungen in den Westzonen GdA, Bd. 6, S. 90 ff., 203 ff.; Badstübner, Restauration in Westdeutschland, S. 116 ff., 233 ff.

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vitäten, beherrschten die Forderungen nach Entmachtung und Bestrafung der Nazi- und Kriegsverbrecher, nach Enteignung des Monopolkapitals und der Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum, nach Enteignung des Großgrundbesitzes, nach Mitbestimmung der Gewerkschaften, der Einführung einer Wirtschaftsplanung und der Schaffung wirklich demokratischer Verhältnisse die politische Szenerie — und zwar so stark, daß ihnen CDU/CSU nicht nur in ihren Gründungsurkunden, sondern die CDU auch noch im Februar 1947 im Ahlener Programm demagogisch Rechnung tragen mußte. Im Volksentscheid über die hessische Verfassung am 1. Dezember 1946 und in progressiven Verfassungsartikeln, in den Gesetzen über die Enteignung der Ruhrbergwerke, über eine erweiterte Mitbestimmung u. a. fanden diese Bestrebungen sichtbaren Ausdruck. Doch im Unterschied zur Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone bestimmten sie in den Westzonen nicht die Entwicklungsrichtung und ihren Klasseninhalt, wurden sie nicht gesellschaftliche Realität. Entscheidend hierfür war das konterrevolutionäre Wirken der westlichen Besatzungsmächte, das in der ersten Nachkriegsperiode den Ausschlag dafür gab, daß in den Westzonen die Weichen in Richtung Restauration — wenn auch nicht einer geradlinigen — gestellt wurden. Die westlichen Besatzungsmächte setzten die oberste Regierungsgewalt, über die sie verfügten, außerordentlich rigoros ein, um die Entwicklung in ihren Besatzungszonen in restaurative Bahnen zu lenken.25 Sie lösten antifaschistische Ausschüsse auf und verboten zeitweilig jede politische Betätigung. Damit dämmten sie antifaschistisch-demokratische Aktivitäten ein und schufen sich die Möglichkeit, deutsche Verwaltungen und Regierungen ganz nach eigenem Gutdünken einsetzen zu können, die keiner demokratischen Kontrolle unterlagen. Der Aufbau der politischen Parteien und Gewerkschaften wurde, nach Aufhebung des Verbots politischer Betätigung im August 1945, gedrosselt, zunächst nur auf örtlicher Ebene erlaubt. Dabei wurde die KPD in jeder Beziehung benachteiligt. Gleichzeitig wurde jedoch von der britischen Besatzungsmacht die Tätigkeit des sogenannten Büros Dr. Schumacher in Hannover geduldet und gefördert, das sich als provisorische Führung der SPD in den Westzonen etablierte. In die Bezirksleitungen der SPD wurden Funktionäre eingeschleust, die die opportunistische Linie Schumachers vertraten. Mit Unterstützung der westlichen Militärregierungen wurden marxistische Kräfte aus der SPD verdrängt und aus ihren Stellungen entfernt. Auf diese Weise konnte der Opportunismus in der Arbeiterbewegung in den Westzonen seinen Tiefstand überwinden und der wiedergegründeten SPD seinen Stempel aufdrücken. Der antikommunistische Kurs der Schu-

25



Über die Besatzungspolitik der Westmächte siehe ebenda; derselbe, Über einige entscheidende Maßnahmen der Besatzungsmächte in den Westzonen bei der Verhinderung einer geschichtlichen Wende, in: Befreiung und Neubeginn. Zur Stellung des 8. Mai 1945 in der deutschen Geschichte, Berlin 1968, S. 297-305.

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macher-Gruppe hatte zur Folge, daß die Herstellung der Aktionseinheit mit der KPD verhindert und die politische Spaltung der Arbeiterklasse erneut vertieft wurde. Das bedeutete eine entscheidende Schwächung der Arbeiterklasse. Die Westmächte legten den Wiederaufbau der politischen Verwaltungen in die Hände der Exponenten der reaktionären deutschen Bürokratie, bestätigten die alten Konzern- und Bankverwaltungen sowie Industrie- und Handelskammern, begünstigten die Bildung von Unternehmerverbänden, beschlagnahmten eine Reihe Konzerne sowie Großbanken und unterwarfen sie der sogenannten Entflechtung, womit sie die Verstaatlichung verhinderten; sie entzogen den Landtagen die Kompetenzen über Veränderungen der Eigentumsverhältnisse in der Wirtschaft, über Entnazifizierung u. a. wesentliche antifaschistisch-demokratische Maßnahmen. Durch diese mit dem Potsdamer Abkommen und den anderen alliierten Beschlüssen nicht zu vereinbarende Besatzungspolitik der Westmächte wurde das Kräfteverhältnis der Klassen und Schichten in den Westzonen quantitativ und schließlich qualitativ verändert. Die westlichen Besatzungsmächte verhinderten im Alliierten Kontrollrat die Genehmigung für die Organisierung deutscher Parteien und Gewerkschaften in ganz Deutschland, sabotierten die Entwicklung des Interzonenhandels zwischen Ost und West, die Bildung deutscher Zentralverwaltungen, einer deutschen Regierung und den Abschluß eines Friedensvertrages mit ihr, betrieben unter Führung des USA-Imperialismus seit Frühjahr 1947 eine zielstrebige Politik der Spaltung Deutschlands und der Gründung eines westdeutschen Separatstaates. Faktisch übten die westlichen Militärregierungen eine Art Schirmherrschaft für die deutsche Großbourgeoisie aus, unter der sie ihre Kräfte sammeln, reorganisieren, ihre Macht Schritt für Schritt wieder errichten konnte. Die bürgerliche Historiographie stellt die Entwicklung vom Reich zur Bundesrepublik als normal und normativ dar26, um, davon ausgehend, die volksdemokratische Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone als Folge des Eingriffs der sowjetischen Besatzungsmacht abwerten zu können.27 Sie unterschlägt dabei zielstrebig die Möglichkeiten und Ansätze für eine volksdemokratische Entwicklung in den Westzonen. Sie sucht mit allen möglichen Winkelzügen die Tatsache zu verschleiern, daß die BRD und ihre restaurative Verfassungswirklichkeit in einem eindeutigen Gegensatz zu den ursprüng26

27

Siehe z. B. Schwarz, Hans-Peter, Vom Reich zur Bundesrepublik, Neuwied/ (West-)Berlin (1966). Siehe Badstübner, Rolf, Die Entwicklung Deutschlands nach 1945 und die Entstehung der beiden deutschen Staaten, in: Unbewältigte Vergangenheit. Handbuch zur Auseinandersetzung mit der westdeutschen bürgerlichen Geschichtsschreibung, hrsg. von Gerhard Lozek, Helmut Meier u. a., 2. Aufl., Berlin 1971, S. 216'fC.

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liehen Vorstellungen der Mehrheit der westdeutschen Werktätigen über die Nachkriegsentwicklung standen. Der Weg vom Reich zur Bundesrepublik erfolgte nicht in Vollstreckung dieses Willens, sondern in seiner Verkehrung und Negierung. Wie groß die Möglichkeiten einer demokratischen Entwicklung waren, spiegelt sich vor allem auch in der Art und Weise des Vorgehens der Besatzungsmächte und der westdeutschen Bourgeoisie wider. Die westlichen Besatzungsmächte waren sorgfältig darauf bedacht, ihre Politik der schrittweisen Abkehr vom Potsdamer Abkommen unter einem dichten Tarnschleier antifaschistisch-demokratischer Bekenntnisse, auf dem Wege demokratischer Teilzugeständnisse und sozialpolitischer Manöver zu vollziehen. Die Kräfte der imperialistischen deutschen Bourgeoisie verfügten über große Erfahrungen im Klassenkampf und entwickelten unter der Schirmherrschaft der imperialistischen Besatzungsmächte eine raffinierte Strategie und Taktik ihrer restaurativen Politik. 28 Sie gingen dabei vor allem davon aus, daß es entscheidend ist, die Machtfrage zu ihren Gunsten zu entscheiden und die Herstellung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse und aller antiimperialistischen Kräfte zu verhindern. Sie kalkulierten ein, daß zur Erreichung dieser Ziele weitgehende soziale und politische Versprechungen und teilweise Zugeständnisse notwendig sein würden, die sie entweder gar nicht oder nur in einem solch beschränkten Umfang einzuhalten gedachten, der ihre Machtpositionen bzw. die restaurative Grundtendenz nicht beeinträchtigte, aber zugleich dazu beitrug, den Opportunismus in der Arbeiterklasse und kleinbürgerliche Illusionen zu stärken. Die imperialistische deutsche Bourgeoisie trat in der ersten Nachkriegsphase prononciert antinazistisch, demokratisch, friedliebend und sozialreformerisch auf. Sie stellte sich den antifaschistisch-demokratischen Bewegungen nicht offen reaktionär entgegen. Sie begegnete den Forderungen nach Verstaatlichung der Betriebe der Nazi- und Kriegsverbrecher mit der Propagierung gemischtwirtschaftlicher Unternehmensformen und einer sogenannten gemeinwirtschaftlichen Ordnung, mit Plänen über eine sogenannte Miteigentümerschaft der Arbeiter am Eigentum der Betriebe u. a. Die demokratische Bodenreform wurde nicht frontal attackiert, sondern mit Argumenten angeblicher UnWirtschaftlichkeit und Undurchführbarkeit in Frage gestellt bzw. sollte durch endlose Diskussionen so lange verschleppt werden, bis das politische Kräfteverhältnis ihre Absetzung von der parlamentarischen Tagesordnung ermöglichte. Die imperialistische Bourgeoisie entwickelte eigene Reformkonzeptionen, die sie in ein antinazistisch-demokratisches Gewand hüllte. Dabei scheute sie auch nicht vor verbalen Verurteilungen des kapi28

Zu dieser Problematik siehe derselbe, Restauration in Westdeutschland, S. 108 ff., 140 ff., 182 ff., 223'ff.; derselbe, Wie die Ära Adenauer begann. Zur Restaurationspolitik der imperialistischen Bourgeoisie in Westdeutschland, in: ZfG, 1063, H. 8, S. 1421 ff.

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talistischen Systems zurück (Ahlener Programm der Westzonen-CDU). Ihre Linie lief darauf hinaus, in einigen Fragen einige Zugeständnisse zu machen (Entflechtung und Mitbestimmung), echte antifaschistisch-demokratische Veränderungen zu verhindern oder zu blockieren und die bürgerlich-kapitalistische Staats- und Gesellschaftsordnung in einem neuen Gewände wiederherzustellen. Dabei kam der imperialistischen Bourgeoisie die Tatsache zugute, daß nach der Zerschlagung des faschistischen Staates und des faschistischen Systems des staatsmonopolistischen Kapitalismus die Restauration nicht einfach Wiederherstellung bedeutete, sondern sich gemäß den veränderten Bedingungen in neuen Formen realisierte. Die restaurative „Neuordnung", schließlich als „soziale Marktwirtschaft" firmiert, konnte leichter als wirkliche Wende und echter Neubeginn ausgegeben werden. Die deutsche Bourgeoisie konzentrierte sich in ihrer restaurativen Politik von Anfang an auf die Besatzungszonen der Westmächte und orientierte sich in ihrer Mehrheit auf die Schaffung eines westdeutschen Separatstaates. Der Bourgeoisie gelang es, in den Westzonen im Rahmen des Systems der imperialistischen Militärregierungen bereits im Verlaufe des Jahres 1946 in der bei Kriegsende offenen Machtfrage eine schwerwiegende Vorentscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen. Unter ihrer politischen Hegemonie ging die Neuordnung der politischen Verhältnisse im wesentlichen nicht über die Wiederherstellung des bürgerlichen Parlamentarismus der „Weimarer Demokratie" hinaus, endete an den gesellschaftlichen Machtpositionen der Monopolbourgeoisie und dem mit ihr verbundenen staatlichen Verwaltungsapparat. Weitergehende Versprechungen konnten angeblich wegen des Vetos der westlichen Militärregierungen nicht realisiert werden bzw. wurden auf den verschlungenen Wegen der Restauration Schritt für Schritt zurückgenommen oder verfälscht. Im Ergebnis dieser Entwicklung beherrschte in Westdeutschland das deutsche Monopolkapital schon bald nach Kriegsende erneut Wirtschaft und Politik; hatte der Großgrundbesitz seine wirtschaftlichen und politischen Positionen auf dem Lande erhalten und erneut ausgebaut; gerieten Verwaltungen und herrschende Parteien in die Hände der alten reaktionären Kräfte; sprachen in der Justiz in der überwiegenden Mehrzahl Nazirichter „Recht"; lehrten an Schulen und Hochschulen die Lehrkräfte der Vergangenheit; blieben Einklassenschulen sowie die Zersplitterung des Schulwesens und die überholten Formen des Bildungswesens, d. h. das alte bürgerliche Bildungsmonopol, erhalten; wurde das Volk ohne wirkliches Mitbestimmungsrecht weiter regiert; wurden erneut antihumane, antinationale und friedensfeindliche Ideen, vor allem Antisowjetismus und Revanchismus verbreitet; herrschte erneut ein volksfeindlicher Kulturbetrieb. Die Verhinderung einer geschichtlichen Wende in Westdeutschland und der

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fortschreitende Prozeß der Restauration bekräftigten, daß der volksdemokratische Weg der einzig gangbare Weg zu Frieden, Demokratie und Sozialismus war. Die Orientierung auf die Westmächte erwies sich erneut als den Interessen des deutschen Volkes abträglich und als verhängnisvoll. Die Zustimmung der imperialistischen Mächte zu den demokratischen Prinzipien des Potsdamer Abkommens bedeutete nicht die Abwendung von imperialistischen Zielsetzungen und Praktiken. Nur ein entschiedener Kampf des deutschen Volkes für die Potsdamer Prinzipien und Ziele — der in der Sowjetunion die entscheidende Stütze fand — hätte auch in Westdeutschland zu ihrer Verwirklichung führen können. Antifaschistisch-demokratische Umwälzungen konnten nur in entschiedenem Klassenkampf gegen die offenen und getarnten Fraktionen der imperialistischen deutschen Bourgeoisie, bei Entscheidung der Machtfrage zugunsten der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten durchgeführt werden. Die Klassengegensätze waren nicht beseitigt — wie die rechten SPD-Führer behaupteten —, auch wenn die politische Macht der Bourgeoisie zunächst am Boden lag. Die demokratischen Kräfte des Bürgertums und Kleinbürgertums verfügten nicht über die selbständigen und ausreichenden Potenzen und Erkenntnisse, um einer Lösung der historischen Aufgaben den Weg weisen und bahnen zu können. Nur unter Führung der Arbeiterklasse konnten antifaschistisch-demokratische Umwälzungen erfolgreich vollzogen werden. Die Auswirkungen der politischen Zersplitterung der demokratischen Kräfte in Westdeutschland bestätigten, daß die Herstellung der Einheit der Arbeiterbewegung und die Verwirklichung der Volksfrontidee die politische Schlüsselfrage war. Der angebliche „dritte Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus" der rechten sozialdemokratischen und Gewerkschaftsführer erwies erneut seine Irrealität und proimperialistische Funktion. Auf dem Weg der prinzipienlosen Koalition der rechten Führer der SPD mit der Bourgeoisie im Rahmen des bürgerlich-kapitalistischen Staates konnten auch bei einem eventuellen Wahlsieg der SPD weder „sozialistische" noch konsequent antifaschistisch-demokratische Veränderungen durchgeführt werden, wie die rechten Führer der SPD vorgaben. Demokratische Wahlen mußte die Schaffung demokratischer Verhältnisse und Einrichtungen auf außerparlamentarischem Wege vorausgehen, wie es in der sowjetischen Besatzungszone geschah, und zwar in völliger Ubereinstimmung mit solchen Feststellungen des Prager Manifestes des sogenannten Emigrationsvorstandes der SPD aus dem Jahre 1934: „Erst nach der Sicherung der revolutionären Macht und nach restloser Zerstörung der kapitalistisch-feudalen und politischen Machtpositionen der Gegenrevolution beginnt der Aufbau des freien Staatswesens mit der Einberufung einer Volksvertretung . . 29

Zit. nach GdA, Bd. 5, S. 460.

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Der Antikommunismus als Hauptwaffe der Bourgeoisie und des Opportunismus in der Arbeiterbewegung, der die Einheit der Arbeiterbewegung und damit die Erfüllung ihrer Mission in Westdeutschland verhinderte, der Antisowjetismus, der Westdeutschland in die Fänge des imperialistischen Blocksystems trieb und die Spaltung Deutschlands mit verursachte, erwiesen sich erneut als Verbrechen wider die Interessen des deutschen Volkes. Die Frage der Staatsmacht mußte durch konsequente Säuberung der Verwaltungen von Faschisten, Militaristen und Reaktionären, durch die Heranziehung bewährter antifaschistisch-demokratischer Kräfte vor allem aus der Arbeiterklasse und durch den Aufbau neuer Verwaltungen entschieden werden. Entweder zunächst fachlich weniger versierte, aber der Sache der Demokratie und des Fortschritts ergebene Volksrichter oder Beibehaltung der „fachmännischen" Nazirichter — einen anderen praktischen Weg gab es nicht. Auch auf den Gebieten der Bildung und Kultur gab es gegenüber den in Ostdeutschland^ unter Führung der Arbeiterklasse beschrittenen neuen Wegen keine echten Alternativen, sondern nur Restauration und Reaktion. Die Analyse der gegensätzlichen Entwicklung der westlichen Besatzungszonen in Deutschland und der sowjetischen Besatzungszone bekräftigt damit die getroffenen Feststellungen über die neue Stufe der Internationalisierung des Klassenkampfes sowie über die historischen Bedingungen, Ursachen, Triebkräfte und das Wesen der volksdemokratischen Entwicklung, über die in ihr zum Ausdruck kommenden historischen Gesetzmäßigkeiten. In den Westzonen Deutschlands veränderten sich die Ausgangsbedingungen des Kampfes für Frieden, Demokratie und Sozialismus in ähnlicher Weise wie in den anderen untersuchten Ländern West- und Südeuropas. Die dabei wirkenden Faktoren traten besonders deutlich hervor. Die antinazistisch auftretenden Kräfte der deutschen Bourgeoisie konnten den bestimmenden Einfluß auf die Nachkriegsentwicklung erlangen. Das vermochten sie jedoch nicht aus eigener Kraft, sondern auf Grund der konterrevolutionären Intervention und Schirmherrschaft durch die imperialistischen Besatzungsmächte. Vor allem in der unmittelbaren Übergangsphase vom Krieg zum Frieden erwiesen sich diese als die entscheidende konterrevolutionäre Gewalt. Der Kampf um antifaschistisch-demokratische Umwälzungen als einzige echte Alternative zur Restauration des Imperialismus stieß in den Westzonen auf die konzentrierte Gewalt des Weltimperialismus, dessen Sachwalter die imperialistischen Besatzungsmächte waren. Der Imperialismus war auf keinen Fall bereit, die Westzonen Deutschlands aus seinem unmittelbaren Einflußbereich zu entlassen und auf ihre Einbeziehung in seine Politik des kalten Krieges zu verzichten. Er erwies sich als stark genug, seine Pläne gegen den Widerstand der fortschrittlichen Kräfte in den Westzonen durchzusetzen und die Entwicklung in den Westzonen in restaurative Bahnen zu lenken. Die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone wies gegenüber der Entwicklung in den europäischen Volksdemokratien eine Reihe von Besonder-

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heiten auf. Sie hingen dem Wesen nach mit zwei Problemkomplexen zusammen: einmal damit, daß das deutsche Volk nicht in gleichem Maße einen Beitrag zum antifaschistischen Befreiungskampf geleistet hatte wie die Völker in den späteren Ländern der Volksdemokratie, aber auch in Griechenland, Frankreich und Norditalien; zum anderen damit, daß die sowjetische Besatzungszone nur einen Teil des deutschen Nachkriegsterritoriums umfaßte, der mit dem anderen (größeren) Teil vielfältig verflochten war, und daß die in der sowjetischen Besatzungszone sowohl von Seiten der Sowjetunion als auch von seiten der SED und der anderen antifaschistisch-demokratischen Kräfte geförderte Entwicklung stets Bestandteil einer Politik war, die auf die Errichtung einer das ganze deutsche Territorium umfassenden demokratischen Republik zielte; und nicht zuletzt damit, daß der andere Teil Deutschlands von den imperialistischen Westmächten besetzt worden war. Wenn auch die besondere völkerrechtliche Situation und die gesamtdeutsche Problematik ihren Einfluß auf die Entwicklung der sowjetischen Besatzungszone ausübten, so muß doch andererseits hervorgehoben werden, daß dieser Einfluß nicht das Wesen der revolutionären Prozesse berührte. Ähnliche Probleme bestanden ja auch in den Ländern der ehemaligen Satelliten Hitlerdeutschlands, in Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Auch hier mußte die besondere völkerrechtliche Situation, in der sich diese Länder bis zum Abschluß der Friedensverträge im Februar 1947 befanden, mußten die Einflußmöglichkeiten der Westmächte als Siegermächte bei der Entwicklung der volksdemokratischen Revolution berücksichtigt werden. Trotzdem unterschied sich der volksdemokratische Entwicklungsprozeß in diesen Ländern vom Wesen her nicht von der Entwicklung in den anderen europäischen Volksdemokratien. Mit einigen Modifikationen kann das gleiche von der Entwicklung der sowjetischen Besatzungszone festgestellt werden. KPD und SED hielten am Ziel, einen das ganze deutsche Territorium umfassenden demokratischen Staat zu schaffen, fest, solange hierfür Voraussetzungen bestanden. Die vollständige Beseitigung des deutschen Imperialismus und die Verhinderung seiner Restauration auf dem gesamten deutschen Nachkriegsterritorium waren eine wichtige Aufgabe im Kampf um Frieden, Demokratie und Sozialismus in Europa, von dem sich auch die Sowjetunion in ihrer Deutschlandpolitik leiten ließ. Eine Viermächteregelung der deutschen Frage durch den Abschluß eines Friedensvertrages mit der Regierung eines unabhängigen, demokratischen und friedlichen deutschen Staates, in dem die Prinzipien und Bestimmungen des Potsdamer Abkommens verwirklicht waren, hätte die Gefährdung der Sowjetunion und des Sozialismus in Europa durch die militaristische deutsche Speerspitze des Weltimperialismus ein für alle Mal beseitigt und für die Entwicklung des Sozialismus in einem Europa der friedlichen Zusammenarbeit und kollektiven Sicherheit günstige Bedingungen geschaffen. KPD und SED kämpften darum, den gesetzmäßigen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in Deutschland im Rahmen der ganzen deutschen

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Nation als historisch entstandene Entwicklungsform zu vollziehen, wie es den Interessen der deutschen Arbeiterklasse und des ganzen deutschen Volkes entsprach. Ein solches Herangehen war auch durch das Vorhandensein einer engen Wirtschaftsverflechtung innerhalb Deutschlands geboten. Außerdem war die Problemstellung, die von der geschichtlichen Entwicklung auf die Tagungsordnung gesetzt wurde, den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus infolge der Spaltungspolitik des Imperialismus nur in einem Teil Deutschlands vollziehen zu können und zu müssen, historisches Neuland; alle damit zusammenhängenden Fragen und Konsequenzen mußten gründlich erwogen werden, bevor eine strategische Neuorientierung vorgenommen wurde. Die Grundfragen mußten mit den sozialistischen Bruderparteien, insbesondere mit der KPdSU bzw. mit der Deutschlandpolitik der Sowjetunion, abgestimmt werden. Es war eine Eigenart der deutschen Nachkriegsentwicklung, daß — trotz dem längeren Festhalten der SED an ihrem strategischen Ziel, einen demokratischen Staat auf dem ganzen deutschen Territorium zu errichten — der Entwicklungsprozeß in der sowjetischen Besatzungszone nach seinen eigenen, immanenten Gesetzmäßigkeiten auf dem Wege vom Kapitalismus zum Sozialismus voranschritt. Die auf ganz Deutschland zielende demokratische Orientierung übte ihren Einfluß auf Tempo, Taktik und Methoden aus: so z. B. einerseits auf eine Beschleunigung des Vereinigungsprozesses von KPD und SPD bzw. der Gründung der SED und andererseits auf eine Verzögerung in der Entwicklung der Volkswirtschaftsplanung im Vergleich zu den Volksdemokratien. Auch die relativ lange Dauer der antifaschistisch-demokratischen Etappe des Kampfes und der Übergang zur sozialistischen Etappe unter der Losung der allseitigen Festigung und des allseitigen Ausbaus der antifaschistisch-demokratischen Ordnung gehörten m. E. zu den aus der Dialektik von gesamtdeutscher Zielsetzung und Eigengesetzlichkeit der Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone entsprungenen Besonderheiten. Bei allen Maßnahmen der revolutionären Umwälzungen in der sowjetischen Besatzungszone wurde in dieser oder jener Form der Bezug auf den Kampf um die demokratische Einheit Deutschlands bzw. auf die Möglichkeit der Veränderung der Klassenkampfbedingungen in dieser Richtung hergestellt. Die SED ließ sich jedoch durch die Politik der Spaltung und der Schaffung vollendeter Tatsachen, die der Imperialismus betrieb, nicht davon abhalten, die in Ostdeutschland notwendigen Schritte nach vorn zu tun und den Gesetzmäßigkeiten des revolutionären Prozesses zu entsprechen. Die Entwicklung der sowjetischen Besatzungszone konnte nicht von der Entwicklung in den Westzonen abhängig gemacht werden — je später desto weniger angesichts der dort um sich greifenden restaurativen Tendenzen. Die Entstehung und Entwicklung der sowjetischen Besatzungszone und der DDR als einen einheitlichen revolutionären Prozeß zu betrachten, heißt, vom tatsächlichen Verlauf dieser Entwicklung auszugehen, ohne daraus eine Zwangsläufigkeit zu konstruieren, ohne die Komplexität der historischen Entwick-

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lungstendenzen und mögliche historische Alternativen außer acht zu lassen. Aber nicht zuletzt durch die Politik der Abkapselung und separaten Entwicklung, die die Westmächte in ihren Besatzungszonen betrieben, und der Torpedierung aller gesamtdeutschen Initiativen und Regelungen entwickelte sich die sowjetische Besatzungszone als eine eigenständige politische Einheit, die primär ihren inneren Gesetzmäßigkeiten folgte. Insofern ist es legitim, die sowjetische Besatzungszone als solche Einheit zu analysieren und ihre Entwicklung mit der der Volksdemokratien in vergleichbare Beziehung zu bringen.30 Ungeachtet dessen war die sowjetische Besatzungszone natürlich staatsund völkerrechtlich nicht mit den Volksdemokratien gleichzusetzen. Die Fragen eines deutschen Friedensvertrages und der staatlichen Entwicklung des deutschen Volkes waren noch nicht entschieden. Auf Grund dieser Problematik, dem Noch-nicht-Vorhandensein eines deutschen volksdemokratischen Staates bis 1949 und der Tatsache, daß sich das deutsche Volk erst wieder das Vertrauen der friedliebenden Völker durch eigene Leistungen erwerben mußte, bestanden zwischen der sowjetischen Besatzungszone und den volksdemokratischen Ländern nicht von Anfang an und im gleichen Umfang feste internationale bzw. zwischenstaatliche Beziehungen wie zwischen diesen untereinander. Auch die Beziehungen des Volkes der sowjetischen Besatzungszone zur Sowjetunion trugen noch nicht den Charakter der Gleichberechtigung und Staatlichkeit, wie das zwischen den Volksdemokratien und der Sowjetunion der Fall war. Einerseits unterschied sich also die sowjetische Besatzungszone staats- und völkerrechtlich von den Volksdemokratien und war nicht im gleichen Maße und im gleichen Tempo in das entstehende sozialistische Weltsystem integriert. Alternativen in Richtung einer neutralisierten, das ganze deutsche Territorium umfassenden Republik waren lange Zeit möglich. Andererseits vollzog sich in der sowjetischen Besatzungszone eine mit der Entwicklung der Volksdemokratien im Wesen gleichartige volksdemokratische Entwicklung, vollzog sich der Ubergang vom Kapitalismus zum Sozialismus unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei, die in enger Zusammenarbeit mit der sozialistischen Besatzungsmacht handelte. 31 In diesem Sinne, von der gesellschaftlich-politischen Faktizität her, entstand die DDR als Bestandteil des entstehenden sozialistischen Weltsystems. Sie entwickelte sich in Wechselwirkung als ein Teil des einheitlichen internationalen Prozesses der Herausbildung des sozialistischen Weltsystems, ein Prozeß, der auch durch die benachbarte Lage zur Volksrepublik Polen und zur CSR begünstigt wurde. Für die Länder, die vom Hitlerfaschismus befreit wurden, traf in dieser oder jener Form zu, daß sich aus dem Befreiungskampf heraus eine revolutionäre 30

31

Siehe dazu Badstübner, Rolf, Zum Problem des einheitlichen revolutionären Prozesses auf dem Gebiet der DDR, in: ZfG, 1973, H. 11, S. 1325 ff. Siehe dazu vor allem Heitzer, in: ZfG, 1972, H. 8, und den Beitrag desselben Autors in JfG, Bd. 11.

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Situation entwickelte. Das traf auch auf einige Länder zu, in denen sich die volksdemokratische Entwicklung nicht durchsetzen konnte. Die vom W. I. Lenin herausgearbeiteten drei Hauptmerkmale einer revolutionären Situation waren sämtlich vorhanden. Lenin charakterisierte sie folgendermaßen: ,,1. Für die herrschenden Klassen ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten; die eine oder andere Krise der .oberen Schichten', eine Krise der Politik der herrschenden Klasse, die einen Riß entstehen läßt, durch den sich die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen Bahn bricht... 2. Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus. 3. Infolge der erwähnten Ursachen steigert sich erheblich die Aktivität der Massen, die . . . zu selbständigem historischen Handeln gedrängt werden. Ohne diese objektiven Veränderungen . . . ist eine Revolution — in der Regel — unmöglich. Die Gesamtheit dieser objektiven Veränderungen wird dann auch revolutionäre Situation genannt."32 Die einschränkende Zwischenbemerkung Lenins, daß es sich hier sozusagen um den „in der Regel" auftretenden, den Normalfall handelt, sollte uns vor einer schematischen Anwendung der charakterisierten Hauptmerkmale bewahren. Zweifellos bestand in Deutschland bzw. in der sowjetischen Besatzungszone bei Kriegsende keine regelrechte revolutionäre Situation. Diese Feststellung bezieht sich vor allem auf die eine Seite, nämlich auf die unzureichend entwickelte Aktivität der Massen und die Tatsache, daß die Mehrheit des deutschen Volkes dem Hitlerfaschismus bis „fünf Minuten nach zwölf" gefolgt war. Die herrschende Klasse befand sich jedoch durch die völlige Niederlage, die sie erlitten hatte, in einer tiefen Krise; ihre Machtpositionen waren schwer erschüttert. Außerdem muß die Internationalisierung des Klassenkampfes durch die Anwesenheit und das Wirken von Besatzungsmächten in die Analyse miteinbezogen werden. Gegenüber anderen Ländern, vor allem den späteren Volksdemokratien, war in allen vier Besatzungszonen zunächst eine weitgehende Inaktivität breiter Massen festzustellen. Politische Demoralisierung und Lethargie waren hervorstechende Merkmale der Situation. In breiten Kreisen der Arbeiterklasse war das Klassenbewußtsein verschüttet, in anderen Klassen und Schichten hatte das politische Bewußtsein einen Tiefstand erlangt. Zugleich aber waren Faschismus und Militarismus zutiefst kompromittiert. Die Krise der herrschenden Klasse war in Deutschland noch weitgehender und tiefer als in den meisten anderen Ländern. Mit der Zerschlagung der faschistischen Militär- und Staatsmacht verloren die herrschenden Klassen ihre entscheidenden Herrschaftsinstrumente. Sie verfügten zunächst über keinen Apparat der politischen Meinungsbildung und Manipulierung. Unter solchen Umständen waren die in die Hundert32

Lenin, W. I., Werke, Bd. 21, S. 206 f.

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tausende gehenden aktiven Antifaschisten, die aus der Illegalität hervortraten, aus Zuchthäusern und Konzentrationslagern kamen und sich als Aktivisten der ersten Stunde bewährten, eine Kraft, die durchaus in der Lage war, das Gesetz des Handelns zu diktieren. Dafür war entscheidend, daß die KPD als Partei mit einem sorgfältig ausgearbeiteten Nachkriegsprogramm aus der Illegalität hervortrat, das sehr schnell einen großen Einfluß auf die Bewußtseinsbildung und politische Entwicklung ausübte. Die Krise der herrschenden Klasse bot, um mit Lenin zu sprechen, einen Riß, der der Arbeiterklasse die Möglichkeit gab, sich zu organisieren, Bündnisbeziehungen herzustellen, entscheidenden Einfluß auf den Verwaltungsaufbau zu erlangen, ihre Hegemonie zu errichten. Wie dargelegt, verhinderte die imperialistische Interventionspolitik der Westmächte die Realisierung dieser Möglichkeit in den westlichen Besatzungszonen. In der sowjetischen Besatzungszone konnte dagegen diese Möglichkeit genutzt werden. Die Ausübung der obersten Regierungsgewalt durch die sowjetische Besatzungsmacht, ihre Besatzungspolitik verbesserte wesentlich die Aktionsmöglichkeiten f ü r die Arbeiterklasse im Osten Deutschlands, potenzierte gleichsam ihre Kräfte. Verglichen mit den volksdemokratischen Ländern, konnte die Sowjetunion im Osten Deutschlands ihre Befreiermission in erweitertem Maßstab wahrnehmen. Sie nahm der Arbeiterklasse „in ihrer Besatzungszone einen Teil jener Aufgaben" ab, „die im Kampf um den Sozialismus zu lösen waren. Dennoch waren das Maßnahmen, die den Kampf der werktätigen Massen unter Führung der Partei der Arbeiterklasse entscheidend unterstützen, ihn aber nicht ersetzen konnten." 33 Nach der Bildung von antifaschistisch-demokratischen Parteien und Massenorganisationen wurden in den Ländern bzw. Provinzen der sowjetischen Besatzungszone bis Mitte Juli 1945 Landes- bzw. ProvinzialVerwaltungen gebildet, die ihrem Charakter und ihrer Zusammensetzung nach demokratische provisorische Koalitionsregierungen waren, die sich auf die gemeinsamen politischen und sozialen Interessen aller antifaschistisch-demokratischen K r ä f t e stützten. Gleichzeitig wurde der Aufbau einer neuen, demokratischen Justiz und einer Volkspolizei aus bewährten Antifaschisten, die vor allem aus der Arbeiterklasse kamen, in Angriff genommen. Die Initiative und richtungweisende Aktivität bei der Schaffung der neuen Verwaltungsorgane lag eindeutig bei der KPD und der SPD, eine Tatsache, die sich in der Zusammensetzung dieser Verwaltungen niederschlug und den Charakter dieser Organe wesentlich beeinflußte. In Sachsen gehörten z. B. im August 1945 von 30 Landräten 22 den Arbeiterparteien an. Obwohl in die neuen Verwaltungsorgane auch als Hitlergegner auftretende Vertreter der imperialistischen Bourgeoisie und Opportunisten Eingang gefunden hatten, ohne jedoch bestimmenden Einfluß ausüben zu können, obwohl die Vertreter der Arbeiterklasse sich in der Regel erst in der praktischen Arbeit allmählich die notwendigen Fähigkeiten aneignen konnten, die Ver33

Benser, in: ZfG, 1972, H. 2, S. 141.

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waltungsorgane gleichzeitig unter außerordentlich schwierigen Bedingungen arbeiten mußten, sich riesigen und im Zuge der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung noch größer werdenden Aufgaben gegenübersahen, markierte trotz alledem der frühzeitige und vordringliche Aufbau neuer, antifaschistisch-demokratischer Verwaltungsorgane in der sowjetischen Besatzungszone eine wichtige Entscheidung zugunsten eines volksdemokratischen Weges. Die neuen Verwaltungs-, Justiz- und Polizeiorgane hinderten die reaktionären und restaurativen proimperialistischen Kräfte an ihrer Entfaltung, unterstützten die Entwicklung des politischen Lebens auf antifaschistisch-demokratischer Grundlage und waren ein wirksames Instrument bei der Durchführung des revolutionären Prozesses. KPD und SED verfolgten nicht die Linie, infolge der Schwäche des subjektiven Faktors gesellschaftliche Veränderungen auf administrativem Wege bzw. mit Hilfe von Befehlen der Besatzungsmacht durchzusetzen. Revolutionäre Umwälzungen waren ohne revolutionäre Massenaktivität nicht möglich bzw. dauerhaft zu verankern. KPD bzw. SED handelten hierbei in voller Übereinstimmung mit der Leninschen Revolutionstheorie. Einen wichtigen Aspekt dieser Theorie hatte Lenin 1919 in seiner Gedenkrede an Swerdlow folgendermaßen hervorgehoben : „Zweifellos, ohne dieses Moment — ohne die revolutionäre Gewalt — hätte das Proletariat nicht siegen können. Aber es kann auch kein Zweifel daran bestehen, daß die revolutionäre Gewalt nur in bestimmten Entwicklungsetappen der Revolution, nur unter bestimmten und besonderen Bedingungen eine notwendige und gesetzmäßige Methode der Revolution war, während die Organisation der proletarischen Massen, die Organisation der Werktätigen ein viel wesentlicheres, ständiges Merkmal dieser Revolution und Voraussetzung ihrer Siege war und bleibt. Eben in dieser Organisation von Millionen Werktätigen liegen die besten Entwicklungsbedingungen der Revolution, liegt die unerschöpfliche Quelle ihrer Siege."34 Die in der sowjetischen Besatzungszone bestehenden Bedingungen ermöglichten es, die Massen für die Lösung notwendiger, herangereifter Aufgaben schrittweise zu mobilisieren und zugleich ihr Bewußtsein systematisch und zielstrebig zu verändern. Dem volksdemokratischen Weg lag somit ein Entwicklungsprozeß zugrunde, der sich von den ersten Anfängen immer mehr in die Breite entwickelte und eine immer höhere Stufe erklomm, ein dialektischer Prozeß der Umgestaltung und des Umdenkens, der Erziehung und der Selbsterziehung. Die richtige Berücksichtigung und Handhabung der Dialektik von gesellschaftlichem Sein und Bewußtsein durch das Führungskollektiv der marxistisch-leninistischen Partei der Arbeiterklasse bildete eine entscheidende Voraussetzung für die revolutionären Umgestaltungen. Die Arbeiter, Bauern, Handwerker und Geistesschaffenden, die im Juni 1946 die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher forderten und durchführten, waren nicht mehr 34

Lenin, W. I., Werke, Bd. 29, S. 74.

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die gleichen Menschen, die im Mai 1945 sorgenvoll in die Zukunft geblickt hatten. Die Teilnahme an bzw. das Miterleben von revolutionären Veränderungen im Osten Deutschlands hatten sie verändert. Die durch die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse initiierte und maßgeblich beeinflußte große Bewegung des Lernens — von den Gewerkschaftszirkeln in den Betrieben bis zu den Volkshochschulen und anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen — beschleunigte diesen Umformungsprozeß. Die Verbindung der Schule der revolutionären Praxis mit einem vielfältigen und systematischen Schulungssystem bewährte sich als die große Kaderschmiede, in der die Menschen heranreiften, die beweisen, daß die Werktätigen Staat und Wirtschaft zu leiten vermögen. Das entscheidende Ereignis bei der Entwicklung des Klassenbewußtseins der Arbeiterklasse, im Reifeprozeß des subjektiven Faktors war die Vereinigung von KPD und SPD und die Gründung der SED im April 1946. Die Vereinigung wurde auf dem Boden des revolutionären Marxismus vollzogen. Mit der Gründung und Entwicklung der SED entstand eine politische Kraft, die garantierte, daß die volksdemokratische Entwicklung gesichert und erfolgreich weitergeführt werden konnte. Die im Vergleich zu den Volksdemokratien frühe Vereinigung der beiden Arbeiterparteien ergab sich aus den in der sowjetischen Besatzungszone bzw. in Deutschland vorhandenen Bedingungen und Erfordernissen. Die Vereinigung wirkte sich auf die Fortführung des revolutionären Prozesses günstig aus, förderte die Entwicklung des Klassenbewußtseins der Arbeiterklasse und festigte ihre Hegemonie. Sie trug damit wesentlich dazu bei, anfangs bestehende besondere Schwierigkeiten für eine volksdemokratische Entwicklung im Osten Deutschlands abzubauen und eine größere Ubereinstimmung mit der Entwicklung in den Volksdemokratien herzustellen. Die imperialistische deutsche Bourgeoisie zog aus der Gründung und erfolgreichen Entwicklung der SED, die ihre erste Bewährungsprobe bereits bei der Durchführung des Volksentscheids in Sachsen über die Enteignung der Naziund Kriegsverbrecher bestand, weitreichende Konsequenzen: Sie konzentrierte sich noch mehr auf die Wiedererrichtung ihrer Machtpositionen in den Westzonen und kapselte sich dort unter Negierung aller Bestrebungen zur Bildung eines einheitlichen deutschen Staates ab, da sie sich der Ausstrahlungskraft der volksdemokratischen Entwicklung in einer offenen politischen Auseinandersetzung nicht gewachsen fühlte. Mit der Entwicklung der SED zur Partei neuen Typus, in deren Mittelpunkt die Aneignung und Durchsetzung des Leninismus stand, wurde der Prozeß der Umformung des Denkens und Fühlens auf neuer Stufe weitergeführt.35 Das war eine für die Nachkriegsentwicklung im Osten Deutschlands typische 35

Siehe Voßke, Heinz, Über die Rolle des einheitlichen Schulungssystems der SED für die Durchsetzung des Marxismus-Leninismus in der Partei (April 1946 bis Januar 1949), in: BzG, 1971, Sonderh. zum 25. Jahrestag der SED, S. 97-116.

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Erscheinung. Auf diese Weise wurde hier der anscheinend unlösbare Widerspruch zwischen der politischen Organisiertheit und Bewußtheit der Volksmassen bei Kriegsende und den großen revolutionären Aufgaben gelöst. Proimperialistische Historiker und Publizisten, wie Thilo Vogelsang, suchen diesen Widerspruch zur Rechtfertigung der restaurativen Entwicklung in den Westzonen Deutschlands und andererseits zur Diffamierung der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltungen in der sowjetischen Besatzungszone auszunutzen. Vogelsang behauptet: „Das deutsche Volk war am Schlußpunkt des Krieges weder f ü r innere revolutionäre Aktionen noch f ü r nennenswerte evolutionäre Reformen zu h a b e n . . .'l36 Die Umgestaltungen in der sowjetischen Besatzungszone könnten somit angeblich n u r von der SED diktatorisch „von oben", gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt worden sein, wie Vogelsang „messerscharf" aus seiner Prämisse schlußfolgert. Und außerdem: je mehr dieser Prozeß im Osten Deutschlands voranschritt, „um so mehr versuchte man, sich deutscherseits in den Westzonen davon abzuheben". 37 Auf so billige Weise soll die SED auch noch d a f ü r verantwortlich gemacht werden, daß die von SPD und CDU verheißenen antikapitalistischen Veränderungen in den Westzonen nicht verwirklicht worden sind. Gewiß, die volksdemokratische Entwicklung im Osten Deutschlands hatte große Anfangsschwierigkeiten und ihre besondere Problematik, aber behaupten, sie wäre ohne oder gar gegen die Bevölkerung durchgeführt worden, kann nur zweckgerichtete Ignoranz. Die breite, ständig zunehmende Masseninitiative von unten w a r vielmehr ihr typisches Kennzeichen, bei den Säuberungen der Betriebe von aktiven Nazis und Kriegsverbrechern durch die Arbeiter und ihre Betriebsräte angefangen. Über 76 000 Bauern und Arbeiter arbeiteten in den Gemeindebodenkommissionen zur Aufteilung des Großgrundbesitzes, Zehntausende beteiligten sich an der Vorbereitung und 3 V2 Millionen an der Durchführung des Volksentscheids zur Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher in Sachsen, viele Zehntausende ließen sich als Neulehrer und Volksrichter ausbilden usw. Die f ü h r e n d e politische Kraft, die SED, war mit ihren 1,2 Millionen Mitgliedern bei ihrer Gründung und einem ständigen Zustrom an neuen Mitgliedern breit und fest in der Arbeiterklasse und auch in anderen Klassen und Schichten verankert. Über 3 Millionen Werktätige organisierten sich bei seiner Gründung im FDGB, Hunderttausende in der FDJ, dem DFD, dem Kulturbund u. a. demokratischen Massenorganisationen. Niemals zuvor in der deuschen Geschichte waren bisher solch breite Massen des Volkes politisch aktiv geworden. Auf diese Weise wurden die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten in der sowjetischen Besatzungszone befähigt, einen mit den volksdemokratischen Ländern im Wesen übereinstimmenden revolutionären Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus durchzusetzen. 36

37

Vogelsang, Thilo, Das geteilte Deutschland, München 1966, S. 162.

Ebenda.

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Für Frieden und Sicherheit in Europa Zu Vorgeschichte, Verlauf und Wirkung der Berliner Außenministerkonferenz vom 25. Januar bis 18. Februar 1954

In der ersten Hälfte der 70er Jahre beginnt der unermüdliche Kampf der Sowjetunion für kollektive Sicherheit in Europa erste Früchte zu tragen. Dank der immer mehr zunehmenden Stärke der Sowjetunion und der sozialistischen Staatengemeinschaft, dank ihrer stets weiter erstarkenden Einheit und Geschlossenheit und ihrer initiativreichen koordinierten Außenpolitik und dank des aufopferungsvollen Kampfes der kommunistischen und Arbeiterparteien und mit ihnen verbundener, immer zahlreicher werdender gesellschaftlicher Kräfte und vieler friedliebender Staaten in Europa und auch über seine Grenzen hinaus ist es gelungen, die regierenden Kreise der imperialistischen Mächte zum Eingehen auf die Politik der friedlichen Koexistenz sozialistischer und kapitalistischer Staaten zu zwingen. In der Geschichte des Kampfes für die friedliche Koexistenz in Europa nimmt die Berliner Außenministerkonferenz von 1954 insofern einen wichtigen Platz ein, als auf ihr die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zum ersten Male nach dem zweiten Weltkrieg die Idee des Abschlusses eines gesamteuropäischen Vertrags über die kollektive Sicherheit in Europa vorgebracht und der Konferenz einen entsprechenden Vertragsvorschlag unterbreitet und damit eine neue Etappe des Ringens um Frieden und Sicherheit auf unserem Kontinent eingeleitet hat. Ihrer detaillierten Erforschung hat sich die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft bisher noch wenig gewidmet. Im folgenden soll versucht werden, einen Beitrag zur Untersuchung von Vorgeschichte, Verlauf und Wirkung dieser Konferenz in bezug auf die Fragen der Sicherheit in Europa zu leisten. Dabei müssen die so wichtigen Fragen Asiens, des Ringens um die Beendigung der Aggressionen des Imperialismus gegen die Völker Koreas und Indochinas außer Betracht bleiben. Sie erfordern eine eigenständige Untersuchung.* * Unter den Spezialarbeiten seien besonders genannt die auf seiner 1957 verteidigten und in aserbaidshanischer Sprache veröffentlichten Dissertation basierende Untersuchung von Orudzev, R. A., K voprosu o bor'be Sovetskogo Sojuza za 6 Jahrbuch 12

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I In der Außenpolitik der Sowjetunion hat Europa stets einen besonderen Platz eingenommen.1 Unserem Kontinent kam und kommt für die Gestaltung der außenpolitischen Situation der Sowjetunion die Hauptbedeutung zu. In Europa hatte zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit die sozialistische Revolution gesiegt und die sozialistische Gesellschaft im ersten sozialistischen Staat Gestalt angenommen. Nach dem zweiten Weltkrieg entschieden sich die Völker weiterer acht Länder für den Sozialismus. Von Europa waren die Hauptschläge des Weltimperialismus gegen die Sowjetunion ausgegangen und wurde ein neuer Schlag geplant. Auf unserem Kontinent führte die Politik der N A T O zur gefahrenträchtigsten militärischen Konfrontation der Weltgeschichte. Von der Gestaltung der Beziehungen zwischen den Staaten Europas hing wesentlich ab, ob sich der Sozialismus nach dem zweiten Weltkrieg unter den Bedingungen gesicherten Friedens entwickeln konnte oder ob er erneut von einer imperialistischen Aggression bedroht würde. Wie in der gesamten Außenpolitik, so ließ sich die Sowjetunion auch in ihrer Europa-Politik von dem Leninschen Grundsatz leiten, an alle Fragen „vom Standpunkt der besten Bedingungen für die Entwicklung und Stärkung der sozialistischen Revolution" 2 heranzugehen. Die wichtigste äußere Bedingung für die erfolgreiche Entwicklung des Sozialismus war und ist gesicherter Friede. Das Haupterfordernis der sozialistischen Europa-Politik war der Kampf um ein Europa des Friedens und der Sicherheit. Indem die Sowjetunion um friedliche Bedingungen für die eigene Entwicklung rang, vertrat sie zugleich das außenpolitische Grundanliegen der anderen sozialistischen Staaten. Diese Übereinstimmung der Interessen der sozialistischen Staaten war die objektive Grundlage der immer engeren Abstimmung ihrer Außenpolitik, die

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sozdanie sistemy kollektivnoj bezopasnosti v Evrope (janvar'—avgust 1954 g.), in: „Ucenye zapiski" Akademii obäöestvennych nauk pri CK KPSS, vypusk 33, Moskva 1958, und die Dissertation von Pankau, Peter, Die sowjetische Außenpolitik im Kampf um ein System der kollektiven Sicherheit in Europa 1917—1970, Berlin 1971. Die neueren sowjetischen Forschungen, die in zusammenfassenden Darstellungen zur Außenpolitik der Sowjetunion niedergelegt sind, widmen der Thematik des Kampfes um die kollektive Sicherheit in Europa große Aufmerksamkeit. Der Vf. hat sich bei der Ausarbeitung des vorliegenden Beitrags besonders gestützt auf die Istorija vnesnej politiki SSSR, cast vtoraja 1945—1970 gg., Moskva 1971, deutsch: Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, 2. T. 1945—1970, Berlin 1971, und Sovetskaja vnesnjaja politika i evropejskaja bezopastnosf, Moskva 1972, deutsch: Sowjetische Außenpolitik und europäische Sicherheit, Berlin 1973. Vgl. Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der KPdSU an den XXIV. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Referent: L. I. Breshnew, Generalsekretär des ZK der KPdSU, 30. März 1971, Moskau 1971, S. 34. Lenin, W. I., Zur Geschichte der Frage eines unglücklichen Friedens, in: Werke, Bd. 26, S. 446.

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der Stärkung der entstehenden Gemeinschaft sozialistischer Staaten diente. In diesem Ringen um friedliche Bedingungen der eigenen Entwicklung vertrat die Sowjetunion zugleich die grundlegenden Lebensinteressen aller europäischen Völker. Diese Ubereinstimmung von Klasseninteressen der in den sozialistischen Staaten herrschenden Arbeiterklasse, der außenpolitischen staatlichen Interessen der sozialistischen Staaten und der Lebensinteressen aller europäischen Völker, diese Übereinstimmung von Sozialismus und Frieden, die sich aus den Gesetzmäßigkeiten der Epoche des weltweiten Übergangs von Kapitalismus zum Sozialismus ergibt, erbrachte der sowjetischen Außenpolitik vor der des Imperialismus einen unschätzbaren Vorzug. Während die Regierungen der imperialistischen Staaten danach trachten müssen, ihre wahren außenpolitischen Ziele sorgsam vor den Völkern zu verbergen, weil sie deren friedlichen Interessen direkt entgegengesetzt sind, widerspricht die Zielsetzung der sozialistischen Außenpolitik nicht etwa den Interessen der werktätigen Menschen aller Länder. Im Gegenteil, aus der grundlegenden Übereinstimmung der außenpolitischen Interessen der sozialistischen Staaten und der Lebensinteressen der Völker ergibt sich, daß der außenpolitische Kampf der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten um so erfolgreicher ist, je mehr die sozialistische Diplomatie die Lügenschleier der bourgeoisen Propaganda zerreißt und die außenpolitischen Ziele der sozialistischen Staaten den Völkern nahe bringt. Das strategische Ziel der Sowjetunion und der mit ihr verbundenen Staaten für einen historisch langen Zeitraum ist die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa, d. h. die volle und uneingeschränkte Durchsetzung der friedlichen Koexistenz der sozialistischen und der kapitalistischen Staaten auf unserem Kontinent.3 Alle Parteitage der KPdSU nach dem zweiten Weltkrieg haben dieser Aufgabe hohe Aufmerksamkeit geschenkt, und der XXIV. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion widmete einen ganzen Teil seines sechs Punkte umfassenden Friedensprogramms den Fragen der europäischen Sicherheit. Ausgangspunkt des Kampfes um Frieden und Sicherheit in Europa nach dem zweiten Weltkrieg ist das historische Potsdamer Abkommen. In ihm wurden von den Siegermächten die Grundprinzipien eines friedlichen Europas festgelegt. Sie erzielten Einmütigkeit „über eine gemeinsame Politik zur möglichst baldigen Schaffung der Bedingungen für einen dauerhaften Frieden nach der siegreichen Beendigung des Krieges in Europa"4. Hinsichtlich Deutschlands vereinbarten sie die vollständige Ausrottung des Faschismus und des Militarismus, „damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedröhen kann"5. 3 4

5 6*

Vgl. Sowjetische Außenpolitik und europäische Sicherheit, S. 22 ff. Mitteilung über die Berliner Konferenz der Drei Mächte, hrsg. vom Verlag „Tägliche Rundschau", o. O. 1945, S. 30. Ebenda, S. 9.

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Daß die „Hauptprinzipien von Potsdam" auch heute noch „das Fundament der friedlichen Nachkriegsregelung in Europa" darstellen, bekräftigte der Vorsitzende des Ministerrats der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Alexej Kossygin in einer Botschaft aus Anlaß des 25. Jahrestages der Unterzeichnung des Abkommens an die Regierungschefs der Teilnehmerstaaten.6 Der Leitgedanke aller Vereinbarungen von Potsdam war die Schaffung einer stabilen Friedensordnung in Europa, die von den kollektiven Anstrengungen der Großmächte, aller Teilnehmer der Antihitlerkoalition und aller Staaten, die an der Durchsetzung der Prinzipien von Potsdam interessiert waren, gewährleistet werden sollte. Das Kernstück aller Bemühungen war ein dauerhafter, gerechter, demokratischer Frieden, war die Herstellung von Bedingungen, die eine neue, von Deutschland ausgehende Aggression unmöglich machen sollte. Die von der Sowjetunion noch während des Krieges mit Großbritannien und Frankreich abgeschlossenen bilateralen Bündnis- und Beistandsverträge sowie die ebenfalls in der Kriegszeit mit der Tschechoslowakei und Polen abgeschlossenen Verträge über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, die nach dem Kriege durch ähnliche Verträge mit den volksdemokratischen Staaten Rumänien, Ungarn und Bulgarien ergänzt wurden, gingen ebenfalls von der Idee aus, die kollektiven Anstrengungen zur Herstellung einer stabilen europäischen Friedensordnung und zur Vereitelung einer erneuten Aggression deutscher imperialistischer Kräfte zu verstärken. Die Sowjetunion, die den Hauptbeitrag zum Zustandekommen des Potsdamer Abkommens geleistet hatte, führte auch den entschiedensten Kampf für seine Durchsetzung. Nach der Abkehr der Westmächte von den gemeinsamen Beschlüssen war die Sowjetunion die einzige Großmacht, die unerschütterlich für deren Verwirklichung eintrat. Die Prinzipien von Potsdam sind unverändert gültig. Die Bedingungen des Kampfes um ihre Durchsetzung haben sich mehrfach geändert, und demzufolge veränderten sich auch die Schwerpunkte des Kampfes. In den ersten Nachkriegsjähren war einer der wichtigsten Abschnitte in den Bemühungen der Sowjetunion um die stabile Friedensordnung in Europa entsprechend den Potsdamer Festlegungen der Kampf für die Entmilitarisierung und Demokratisierung Deutschlands.7 Mit Hilfe eines Friedensvertrages, um dessen Abschluß die Sowjetunion seit Kriegsende beharrlich gerungen hat, sollten die Ergebnisse des Krieges verankert und die Bedingungen für eine friedliche, demokratische Entwicklung Deutschlands gesichert werden. Entmilitarisierung und Demokratisierung Deutschlands bedeutete für seine Nachbarn und für alle Völker Europas eine Entwicklung frei von der Bedrohung durch den deutschen Imperialismus und Militarismus. Entmilitarisierung, die auch den Abzug der Besatzungstruppen einschloß, bedeutete, die 6 7

Neues Deutschland, 2. 8. 1970. Vgl. dazu Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd. 1, Berlin 1957, S. 124 ff., und Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, 2. T. 1945—1970, S. 92.

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ehemalige Hauptstoßkraft des Weltimperialismus gegen den Sozialismus, mit der die reaktionären herrschenden Keise der Westmächte in ihrem Kampf gegen die Sowjetunion und die Staaten der Volksdemokratie erneut zu rechnen begannen, zuverlässig aus dem Lager der zum Kriege treibenden Kräfte auszuschalten. Sie bedeutete für die sozialistischen Staaten Europas die günstigste äußere Bedingung für die Errichtung des Sozialismus. Entmilitarisierung und Demokratisierung bedeutete nicht zuletzt, dem deutschen Volke den Weg in eine friedliche Zukunft zu ebnen und die notwendige Klassenauseinandersetzung in Deutschland vom Druck durch den Militarismus und Faschismus zu befreien. Das hieß zugleich, das entmilitarisierte, demokratisierte Deutschland zu einer Kraft auf der Seite des Friedens werden zu lassen und ihm die Möglichkeit des sozialen Fortschritts zu eröffnen. Das ist die Logik der Dinge in unserer Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Die Gesetzmäßigkeit besteht darin, daß dort, wo konsequent die Wurzeln für Militarismus und Krieg ausgerottet werden, d. h. die ökonomische und politische Macht des Imperialismus vernichtet wird, der Weg in den Sozialismus gebahnt wird. Die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und später in der Deutschen Demokratischen Republik, in der die demokratischen Kräfte unter der Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und mit Hilfe und Unterstützung der Sowjetunion die Potsdamer Beschlüsse verwirklicht haben, ist Beweis dieser Gesetzmäßigkeit. Aber gerade diese Gesetzmäßigkeit der Geschichte war es, gegen die die herrschenden Kräfte des Weltimperialismus, allen voran die Regierenden der USA, Sturm liefen. Sie brachten die friedlichen Interessen der Völker ihren egoistischen Klasseninteressen zum Opfer, übten Verrat an den kurz zuvor in Potsdam feierlich übernommenen Verpflichtungen der Friedenssicherung und proklamierten den „kalten Krieg" gegen die Sowjetunion und die Staaten der Volksdemokratie mit dem Ziel, in einem vernichtenden KernwafEenkrieg den Sozialismus auszutilgen. Die USA verkündeten offen ihren Anspruch auf die Weltherrschaft. In ihrem Kampf gegen den Sozialismus setzten die Westmächte immer mehr auf den Aggressor von gestern, auf den deutschen Imperialismus. Sie hinderten die demokratischen Kräfte in den westlichen Teilen Deutschlands an antifaschistisch-demokratischen Umgestaltungen und spalteten das Land im Bündnis mit den reaktionären bourgeoisen Kräften in den Westzonen, um in der BRD eine Aggressionsbasis gegen den Sozialismus zu schaffen. Zur Zusammenfassung ihrer ökonomischen Kräfte vor allem als Rüstungsbasis schufen die westeuropäischen Staaten multilaterale Organisationen, in die die schwerindustriellen Ressourcen der BRD eingegliedert wurden. In das aggressive Militärbündnis des Westens, in die 1949 gegründete NATO, wagten ihre Initiatoren die BRD vorerst noch nicht einzubeziehen. In der ersten Hälfte der 50er Jahre, während die imperialistischen Mächte in Asien, vor allem die USA gegen das koreanische Volk und Frankreich gegen die Völker Indochinas Kriege gegen den Sozialismus und die nationale Be-

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freiungsbewegung entfesselt hatten, suchten sie in Europa Wege zur Einbeziehung der BRD in die NATO. Um aus ungelösten Fragen Kapital für den Kampf gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten, gegen die Arbeiterbewegung, die demokratische und Friedensbewegung schlagen zu können, hatten sich die Westmächte seit Beendigung des zweiten Weltkrieges der Lösung zahlreicher Fragen in Europa widersetzt. Insbesondere verhinderten sie die Lösung der Probleme, die der Krieg hinsichtlich Deutschlands hinterlassen hatte. Die USA schufen im Bunde mit den anderen Westmächten diesen Zustand, um sich für Dauer in Westeuropa und vor allem in der BRD festsetzen und diese Position im Sinne ihrer Globalstrategie und ihrer angemaßten Weltgendarmen-Rolle ausnutzen zu können. So erwuchs aus der antisozialistischen, aggressiven Politik des Imperialismus die sogenannte deutsche Frage. Sie bestand in der Nichtdurchführung des Potsdamer Abkommens in den westlichen Teilen Deutschlands, in der Zerreißung der nationalen Einheit Deutschlands, in der Wiedererrichtung der Herrschaft des Imperialismus und Militarismus in der BRD und der Remilitarisierung und Verwandlung dieses Staates in den Herd, von dem in Europa hauptsächlich die Kriegsgefahr ausging. Der Kampf um die Lösung der deutschen Frage, wie er von der Sowjetunion, von allen sozialistischen Staaten einschließlich der DDR, von der internationalen kommunistischen Bewegung und von der die Erde umspannenden Friedensbewegung von der zweiten Hälfte der 40er Jahre bis zur Wende von den 50er zu den 60er Jahren geführt worden ist, betraf immer die Durchführung des Potsdamer Abkommens in der BRD und den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland, die Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands als friedliebender und demokratischer Staat, die Bannung der von der BRD ausgehenden Kriegsgefahr. Das Problem des Verhältnisses von Sozialismus und Imperialismus in Europa fand seinen Brennpunkt in zunehmendem Maße in der Stellung zur deutschen Frage. In der ersten Hälfte der 50er Jahre drängten einerseits die aggressiven Kreise dahin, ihre Kräfte unter Einschluß der BRD gegen den Sozialismus stärker zu konzentrieren und das Geschick Europas in Richtung auf die Entfesselung eines Krieges zu lenken. Andererseits eröffnete die Sowjetunion eine neue Etappe des Kampfes für die Lösung der deutschen Frage und für Frieden und Sicherheit auf dem Kontinent, mit der sie die imperialistischen Kriegspläne durchkreuzte. Dieser Kampf fand unter den Bedingungen eines sich von den unmittelbaren Nachkriegsverhältnissen merklich zugunsten des Sozialismus wandelnden internationalen Kräfteverhältnisses statt. Das imperialistische System konnte sich trotz blutiger Kriege gegen die soziale und nationale Befreiungsbewegung der Völker, trotz des Terrors gegen die Arbeiterbewegung und die demokratische Bewegung von der Schwächung nicht erholen, die es im Ergebnis des zweiten Weltkrieges und der Nach-

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kriegsentwicklung davongetragen hatte. Noch verfügte es über beträchtliche Stärke und über Potenzen der weiteren ökonomischen und militärischen Entwicklung. Dennoch steuerte es unaufhaltsam einer neuen Etappe seiner allgemeinen Krise entgegen. Der Sozialismus aber drang trotz des erbitterten Trommelfeuers des Imperialismus zu neuen Positionen vor. Er hatte in weiteren Ländern begonnen, Fuß zu fassen, und hatte sich den politischen, ökonomischen und militärischen Anschlägen des Imperialismus nicht nur gewachsen gezeigt, sondern der Weltreaktion ernsthafte Niederlagen zugefügt. Die Sowjetunion, das erste und das Hauptland des Sozialismus, hatte die ökonomischen Kriegsfolgen überwunden und schickte sich an, das historische Werk des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft zu vollenden. In dem Fünfjahrplan von 1950 bis 1955 steigerte sie die Industrieproduktion um 85% 8 , und die sozialistischen Länder gemeinsam ihren Anteil an der Weltindustrieproduktion von 20 auf 27 % 9 . Die Sowjetunion, die längst zur ersten Industriemacht Europas und zur zweiten nach den USA in der Welt geworden war, begann, auf einigen Gebieten der Industrieproduktion und der einsetzenden wissenschaftlich-technischen Revolution, so z. B. beim Bau von Düsenpassagierflugzeugen, Erdölbohranlagen und einzelnen Maschinenbauerzeugnissen das Weltniveau zu bestimmen. Sie meisterte als erster Staat das Problem der friedlichen industriellen Nutzung der Atomenergie und nahm am 27. Juni 1954 das erste Atomkraftwerk in Betrieb. Nachdem sie Jahre zuvor mit der Brechung des Atombombenmonopols den USA ein gefährliches Mittel der militärischen Erpressung aus der Hand geschlagen hatte, ließ sie es mit der im Sommer 1953 erstmals erfolgten Erprobung einer Wasserstoffbombe zu einem USA-Monopol der Wasserstoffwaffen gar nicht erst kommen. Diese allseitig gestärkten Positionen ermöglichten es der Sowjetunion, ihre historische Mission als Bollwerk des Weltfortschritts immer umfassender zu erfüllen und den anderen sozialistischen Ländern in wachsendem Maße eine vielseitige Hilfe zu gewähren und auch den neuen, politisch unabhängigen Staaten Asiens und Afrikas, die sich vom Kolonialjoch befreit hatten, wirksamer zu helfen. In den anderen europäischen sozialistischen Staaten festigte sich die noch junge sozialistische Staatsmacht in der ersten Hälfte der 50er Jahre zusehends. Mit Hilfe der Sowjetunion wurden die materiell-technischen Grundlagen des Sozialismus vor allem in Gestalt der Schaffung oder Erweiterung einer schwerindustriellen Basis der Volkswirtschaft gelegt. Die kapitalistischen Elemente in diesen Ländern wurden weit zurückgedrängt.10 Die Arbeiterklasse war stark im Wachsen begriffen, und hinsichtlich ihres politischen Gewichts war sie zur entscheidenden Kraft in der Gesellschaft geworden, 8

9 10

Bericht des Zentralkomitees der KPdSU an den XX. Parteitag, in: N e u e s Deutschland, 17. 2. 1956, Beilage, S. 13. Der große Oktober und der weltrevolutionäre Prozeß, Berlin 1968, S. 147. Sozialistisches Weltsystem, Bd. 1, Berlin 1967, S. 141 ff.

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d. h., die Machtfrage war bereits zugunsten der Arbeiterklasse entschieden. In einigen volksdemokratischen Ländern beschritten die Bauern schon den Weg der sozialistischen Umgestaltung der Landwirschaft, und in allen entwickelten sich die ersten Kader einer neuen, der Arbeiterklasse und dem sozialistischen Staat treu ergebenen Intelligenz. Die kommunistischen und Arbeiterparteien der europäischen sozialistischen Länder hatten sich zu Parteien neuen Typs entwickelt, und unter ihrer Führung übte die Arbeiterklasse erfolgreich ihre historische Führungsfunktion aus. Noch während in den volksdemokratischen Staaten an den Grundlagen des Sozialismus gebaut wurde, entwickelten sich mit Hilfe der noch jungen internationalen sozialistischen Wirtschaftsorganisation, des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, die Anfänge eines sozialistischen Weltwirtschaftssystems. Zunächst gestaltete der RGW ein sich immer mehr stabilisierendes Netz von Außenhandelsbeziehungen und des Austauschs wissenschaftlichtechnischer Informationen. Aber er verkörperte schon damals die Perspektive eines sich immer mehr verflechtenden, aufeinander abgestimmten internationalen Systems nationaler sozialistischer Volkswirtschaften. Dieser Weg hat bekanntlich die Wirtschaftskraft der RGW-Staaten erheblich entwickelt und ihren internationalen Einfluß entscheidend gestärkt. Die nationale Befreiungsbewegung der kolonial unterdrückten Völker, die das imperialistische Kolonialsystem in Asien bereits weitgehend zerbrochen hatte, versetzte dem Imperialismus in der ersten Hälfte der 50er Jahre vor allem im arabischen Raum neue Schläge. Die ägyptische nationale Befreiungsrevolution schritt im Kampf vorwiegend gegen die britische und teils auch gegen die französische Kolonialherrschaft fort, und das algerische Volk holte zum entscheidenden Schlag gegen das französische Kolonialjoch aus und bereitete den nationalen Befreiungskrieg vor. Die imperialistischen Mächte, allen voran die USA, versuchten alles, diesen Prozeß des historischen Fortschritts aufzuhalten und rückgängig zu machen. Sie arbeiteten die Strategie der „Eindämmung" und des „Zurückrollens" nicht nur weiter aus, sondern praktizierten sie im „kalten Krieg" gegen das sozialistische Lager, in der Embargopolitik, der Politik der politischen und ideologischen Diversion, und sie schreckten in Asien auch nicht vor der Entfesselung des Krieges zurück. Ihr Ziel indessen erreichten die Kriegsbrandstifter nicht. Im Gegenteil, die USA, die imperialistische Hauptmacht, mußten dank des heldenhaften Kampfes des koreanischen Volkes, dank des Einsatzes der chinesischen Freiwilligenverbände, dank der umfassenden brüderlichen Hilfe der Sowjetunion und einer weltumspannenden Hilfsbewegung für Korea mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens am 27. Juli 1953 eine strategische Niederlage quittieren. Die zweite strategische Niederlage bedeutete das Scheitern des faschistischen Putsches im Juni 1953 gegen die DDR. Hier bewies sich die bereits erreichte Festigkeit der sozialistischen Ordnung in der Deutschen Demokratischen Republik und die tatkräftige Hilfe der Sowjetunion. „Die Mehrheit der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen

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stand zur Arbeiter-und-Bauern-Macht und zur SED. Die Sowjetarmee half im Geiste des Internationalismus, die Sache des Sozialismus gegen die Konterrevolution zu verteidigen." 11 Die dritte strategische Niederlage zeichnete sich während der Tagung der Berliner Außenministerkonferenz schon ab. Obwohl sich die USA in den schmutzigen Krieg gegen die Völker Indochinas immer mehr einmischten, siegten die heldenhaften vietnamesischen Streitkräfte knapp drei Monate nach Beendigung der Konferenz bei Dienbienphu über die Kolonialtruppen des französischen Imperialismus. Alle diese Faktoren bewirkten eine gewisse Entspannung in der internationalen Lage. Die herrschenden Kreise der imperialistischen Länder zogen aber daraus keinesfalls die Schlußfolgerung, daß die Existenz des Sozialismus unabänderlich und jede Politik der Liquidierung des Sozialismus zum Scheitern verurteilt ist — im Gegenteil, sie versuchten, mit Hilfe neuer Militärpakte in Europa, in Asien und im Vorderen Orient, des weiteren Ausbaus des Militärstützpunktsystems und des noch mehr verstärkten Wettrüstens neue strategische Stellungen im Kampf gegen den Sozialismus einzunehmen, um die Politik des „Zurückrollens" des Sozialismus eventuell doch noch erfolgreich praktizieren zu können. In Europa konzentrierten sie ihre Hauptanstrengungen auf die Schaffung der sogenannten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. In der „EVG" glaubten die Herrschenden der imperialistischen Staaten, allen voran natürlich die Initiatoren der „EVG", die USA, die geeignete Form für die Verwirklichung ihrer Europa- und Deutschland-Konzeption gefunden zu haben. Mit der Einbeziehung der BRD (und als ferneres Ziel ganz Deutschlands) in die NATO hofften sie, eine entscheidende Wende im Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Imperialismus in Europa zu ihren Gunsten herbeiführen zu können. Sie hatten dem deutschen Imperialismus, der schon während des zweiten Weltkrieges die Hauptstoßkraft des Weltimperialismus gegen die sozialistische Sowjetunion gewesen war, erneut eine derartige Rolle zugedacht. Formal wäre die „EVG" kein Bestandteil der NATO geworden, und darauf pochten ihre Befürworter in den jahrelangen scharfen Auseinandersetzungen um diesen Aggressionspakt immer wieder. Geplant war, daß Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg ihre bestehenden nationalen Armeen mit den noch im geheimen Aufbau befindlichen Streitkräften der BRD zu einer sogenannten Europa-Armee vereinen sollten. Kern des ganzen war die legalisierte, aber „europäisch" getarnte Remilitarisierung der BRD mit der Aufstellung zahlenmäßig starker Militärkräfte von 500 000 Mann, die zum größten Bestandteil der gemeinsamen Streitkräfte werden sollten. Da außer der BRD alle Teilnehmer Mitglieder der NATO und ihre Streitkräfte Bestandteile der NATO-Militärorganisation waren und die NATO eine Erklärung über militärischen Beistand für die „EVG" abgab, bedeutete das der Sache nach die Eingliederung der BRD in die NATO. Die Form der 11

Zum Gründungstag unserer Partei, in: Neues Deutschland, 21./22. 4. 1973.

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„EVG" war aus verschiedenen Gründen gewählt worden. Entscheidend war der Versuch, die Volksmassen, die eine offene Wiedergeburt der faschistischen Wehrmacht nicht geduldet hätten, irrezuführen. Aber auch innerimperialistische Widersprüche, z. B. Rivalitäten zwischen der französischen und der westdeutschen Großbourgeoisie, sowie der Wunsch der Westmächte, die BRD zwar zu remilitarisieren und zur Hauptaggressionsbasis der NATO in Europa zu machen, aber sie zugleich auch unter einer gewissen Kontrolle zu halten, hatten eine Rolle gespielt. Die Massenarmee der BRD sollte, vereint mit den zahlenmäßig geringeren Streitkräften der anderen „EVG"- und NATO-Staaten, das Hauptkontingent des aggressiven Blocks darstellen. Den USA-Streitkräften in Westeuropa war eine besondere Rolle zugedacht. Diese US-Truppen in Westeuropa und in der BRD, die in der Rolle des Kämpfers gegen den Faschismus auf unserem Kontinent erschienen waren, nahmen als Bestandteil der NATO den extrem reaktionären Charakter der Haupteinsatzkraft des Imperialismus gegen den historischen Fortschritt in Europa, gegen den Sozialismus an. In den NATOVerbänden waren sie zahlenmäßig nie überlegen. Ihre überragende Stellung verlieh ihnen ihre Ausrüstung mit den stärksten Waffen, über die je ein imperialistischer Staat verfügt hat. Die Anwesenheit von USA-Truppen in der BRD und in Westeuropa wurde für einen langen Zeitraum zu einem der Haupthindernisse für Frieden und Sicherheit in Europa. So wuchs in Europa die Gefahr der Entstehung eines äußerst gefährlichen Kriegsherdes. Gleichzeitig peitschten die reaktionären Kreise eine neue Woge des Antisowjetismus und des Antikommunismus auf. Mit Hilfe des damals meist noch im Dienste des Imperialismus funktionierenden Abstimmungsmechanismus fälschten sie in der UNO die Unterstützung der chinesischen Freiwilligen für Korea in eine chinesische Aggression um. Als einen der Höhepunkte der antisowjetischen Hysterie inszenierten die Herrschenden der USA am 19. Juni 1953 den Justizmord an Ethel und Julius Rosenberg. Zur Bemäntelung ihrer gegen Frieden und Sicherheit gerichteten Politik der Remilitarisierung der BRD, des Ausbaus des Militärstützpunktsystems und der Stationierung von USA-Truppen in Westeuropa auf Dauer stellten sie jahrelang die verleumderische Behauptung von einem bevorstehenden Uberfall der Sowjetunion auf Westeuropa auf. So waren Tendenzen der Entspannung erkämpft, die neue Friedensschritte der Sowjetunion ermöglichten, aber zugleich wuchsen auch große Gefahren für Frieden und Sicherheit in Europa, die energischen Kampf zu ihrer Sicherung erforderten. In dieser Lage ergriff die Sowjetunion erneut eine bedeutende Initiative zur Lösung der deutschen Frage im Sinne der Demokratie, des Friedens und der Sicherheit in Europa, noch ehe die Verträge über die „Europäische Verteidigungsgemeinschaft", die mit ihren sechs Teilnehmerstaaten weder europäisch war noch ihrem Charakter nach irgend etwas mit Verteidigung zu tun hatte, unterzeichnet waren. In Übereinstimmung mit den Wünschen der

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Regierung der DDR nach baldigem Abschluß des längst überfälligen Friedensvertrages12 unterbreitete sie am 10. März 1952 einen „Entwurf über die Grundlagen eines Friedensvertrags mit Deutschland"13. Nach einem Monat, als genügend Zeit verstrichen war, sich mit den Grundlagen eines Friedensvertrags vertraut zu machen, schlug die Sowjetregierung vor, sofort über die Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen zu beraten, um einer deutschen Regierung die Möglichkeit zu geben, an der Vorbereitung des Friedensvertrags teilnehmen zu können.14 Die Westmächte hatten in den 40er Jahren alle sowjetischen Friedensvertragsvorschläge abgelehnt. Diesmal waren ihre Antwort einerseits alle möglichen Ausflüchte, die erkennen ließen, daß sie keinen Friedensvertrag, keine Verhandlungen darüber, keine Lösung der deutschen Nachkriegsprobleme wollten15, und andererseits die Unterzeichnung des sogenannten Bonner Vertrags oder Generalvertrags — der später, nach dem Scheitern der „EVG", geringfügig abgeändert und Deutschlandvertrag genannt wurde — über die Beziehungen zwischen den Westmächten und der BRD16 und des sogenannten Pariser Vertrages über die Gründung der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft".17 Während die Westmächte in ihren Antwortnoten auf die sowjetischen Initiativen und später auf der Berliner Außenministerkonferenz z. B. die für die Öffentlichkeit bestimmte, so offensichtlich unwahre Behauptung vom angeblichen Verteidigungscharakter der „EVG" bis zum Überdruß wiederholten, ließen ihre politischen Repräsentanten, wenn sie sich an ihresgleichen wandten, bisweilen das zutiefst aggressive Wesen ihrer Politik der Errichtung der Weltherrschaft, des „Zurückrollens" des Sozialismus mit allen verfügbaren Mitteln, erkennen. Drei Monate nach der Unterzeichnung des Vertrages über die „EVG" und fast ebensolange vor seiner Wahl zum Präsidenten der USA gab Eisenhower am 25. August 1952 eine knappe Formulierung der aggressiven Grundlinie des USA-Imperialismus und seines eigenen außenpolitischen Regierungsprogramms: „Unsere Regierung muß ein für allemal kühn und endgültig dem Kreml erklären, daß wir niemals und nicht im geringsten Maße die Beständigkeit der Positionen Rußlands in Osteuropa und in Asien anerkennen".18 Sehen wir einmal davon ab, daß diesem Ausspruch alle möglichen extrem antisowjetischen Propagandathesen zugrunde liegen, die die selbständige Rolle und die Souveränität der anderen sozialistischen Staaten 12

13 M 15

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Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Bd. 1, Berlin 1954, S. 73 ff. Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd. 1, S. 289 f£. Ebenda, S. 294. Vgl. Dokumente zur Deutschlandfrage, Hauptbd. 1, zusammengest. von Dr. Heinrich von Ziegler, Bonn/Wien/Zürich 1970, S. 140 f£. Keesings Archiv der Gegenwart, 1952, S. 3485 ff. Handbuch der Verträge 1871—1964, hrsg. von Helmuth Stoecker unter Mitarbeit von Adolf Rüger, Berlin 1968, S. 531 ff.

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leugnen. Er berührt die Grundfrage der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus: Anerkennung der im Ergebnis des zweiten Weltkrieges eingetretenen sozialen und territorialen Veränderungen in der Welt oder nicht, friedliche Koexistenz zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten oder alles vernichtender thermonuklearer Krieg. In den 50er Jahren, das sagte der künftige Präsident unmißverständlich, waren die USA und auch die anderen imperialistischen Mächte „niemals und nicht im geringsten Maße" bereit, die Realität des Sozialismus in der Welt und in Europa anzuerkennen. Nach der Übernahme der Amtsgeschäfte beauftragten Präsident Eisenhower und sein Außenminister John Foster Dulles zahlreiche Spezialisten in Fragen der internationalen Politik mit der weiteren Ausarbeitung der Außenpolitik der Regierung. Einer von ihnen, der Professor der Columbia-Universität Roberts, lehnte in seinen Ratschlägen an die Regierung und in Übereinstimmung mit deren Grundauffassungen für die sozialistischen Staaten Europas eine „Perspektive, die auf der stillschweigenden Anerkennung des status quo im östlichen Teil Europas basiert", strikt ab. Nach seiner Auffassung habe die Anerkennung des status quo für dieses Gebiet keinen positiven Wert.19 Unter der Regierung Eisenhower wurde die außenpolitische Doktrin der „Zügelung" des Sozialismus durch die noch aggressivere, noch abenteuerlichere der „Befreiung" und der „massiven Vergeltung" ersetzt.20 Zur Bemäntelung des aggressiven Wesens dieser Doktrin scheute sich Dulles nicht, auf das Vokabular der Hitlerfaschisten zurückzugreifen, die bekanntlich zahlreiche ihrer Aggressionen als „Vergeltung" für erfundene Handlungen der Überfallenen Staaten ausgegeben und auch die Raketenwaffen, mit denen sie friedliche britische Städte terrorisierten, als „Vergeltungs" wafEen bezeichnet hatten. Die Doktrin der „Befreiung" wurde zur offiziellen Regierungsdoktrin der Regierung Eisenhower. Ihr lagen die Weltherrschaftspläne des USAImperialismus zugrunde. Die verhängnisvolle Hauptrolle bei der Ausarbeitung dieser Doktrin spielte der USA-Außenminister selbst, der auf der Berliner Außenministerkonferenz scheinheilig verkündete, alle Besorgnisse der Sowjetunion über ihre Sicherheit und die Sicherheit der europäischen Völker seien völlig gegenstandslos.21 Aber derselbe John F. Dulles hatte schon im Jahre 1950 seine wahre strategische Konzeption verkündet und geschrieben, Westdeutschland könne „ein großer Trumpf in den Händen des Westens sein. Indem es Ostdeutschland in den Machtbereich des Westens zieht, kann es eine vorgeschobene strategische Position in Mitteleuropa gewinnen, welche die sowjetkommunistischen militärischen und politischen Positionen in Polen, der Tschechoslowakei, in Ungarn und anderen angrenzenden Ländern unterminiert."22 18 19 20 21 22

Zit. bei Molcanov, N., Parizskie soglasenija — ugrosa miru, Moskva 1955, S. 7. Roberts, H., Russia and America. Dangers and Prospects, New York 1956, S. 201. Vgl. dazu Mel'nikov, Ju. M., Vneänepoliticeskie doktriny SSA, Moskva 1970. Dokumente zur Deutschlandfrage, Hauptbd. 1, S. 204 ff. Dulles, John F., Krieg und Frieden, Wien/Stuttgart 1950, S. 163.

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Und der künftige Präsident Eisenhower gab in einer Wahlrede des Jahres 1952 recht klar zu verstehen, mit welchem Ziel seine Regierung die Remilitarisierung der BRD zu betreiben gedachte: „In unserem Interesse ist die Sache so zu führen, daß die deutsche Armee in jeder beliebigen Richtung angreifen kann, die wir, die Amerikaner, f ü r notwendig halten — das ist unser Ziel."23 Gerade dieser Dulles-Eisenhowerschen Konzeption entsprach das Projekt der „EVG". In dem Maße, wie sich das Kräfteverhältnis immer mehr zugunsten des Sozialismus veränderte, förderte der amerikanische Imperialismus immer offener die Wiedergeburt des deutschen Militarismus in der BRD und die Ausgestaltung dieses Staates zu einem der Stützpfeiler des NATO-Systems24, und in dem Maße, wie das politisch-militärische Bündnis der USA mit der BRD erstarkte, unterstützten die USA stillschweigend und gelegentlich auch in Erklärungen offizieller Persönlichkeiten die revanchistischen Gebietsforderungen der BRD.28 Neben Dulles trat der reaktionäre „Theoretiker" der Außenpolitik James Burnham besonders hervor, der die Truman-Regierung der Defensivpolitik gegenüber der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten beschuldigte und den aktiveren Kampf gegen die Sowjetunion und das sozialistische Lager propagierte. Seine Empfehlungen für die Außenpolitik der USA entwickelte er in drei Richtungen: 1. „allseitiger politischer Krieg", womit der verschärfte politische, ideologische, diplomatische und auch wirtschaftspolitische Kampf gemeint war, 2. „militärische Hilfsaktionen, wo das notwendig wird", und Burnham zeigte auch, was seiner Auffassung nach zu tun sei, damit solche „Hilfs"aktionen „notwendig" werden, 3. „Vorbereitung zu beliebigen militärischen Aktionen, die in der Zukunft notwendig erscheinen können".26 Er beschwor die Regierung, „das Einleitungsstadium des dritten Weltkrieges" besonders gründlich vorzubereiten. 27 Burnham erarbeitete theoretisch auch wichtige taktische Maßnahmen, die von der Regierung in praktische Politik umgesetzt wurden. Er schrieb: „Mit der Durchführung von 23 24

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26

27

Zit. in: Francija i „Evropejskaja armija". Sbornik materialov, Moskva 1954, S. 96. Inozemcev, N. N., Vneänjaja politika SSA V epochu imperializma, Moskva i960, S. 612 ff.; vgl. dazu ferner Galkin, A. A./Mel'nikov, D. E., SSSR, zapadnye derzavy i germanskij vopros (1945—1965 gg.), Moskva 1966; Manfred, I. A., PariZ — Bonn. Franko-zapadnogermanskije otnoäenija vo vnesnej politike Pjatoj respubliki, 1958—1968, Moskva 1970; Orlik, I. I., Imperialistiöeskie derzavy i Vostocnaja Evropa (1945—1965 gg.), Moskva 1968; Sverdlov, G. M., London i Bonn. Anglijskij imperializm i politika perevooruzenija FRG (1955—1963 gg.), Moskva 1963; Das atlantische Dilemma. Aggressivität und Krise der NATO 1949—1969, Berlin 1969. Miljukova, V. I., Diplomatija revansa (vnesnjaja politika FRG v Evrope), Moskva 1966, S. 202 ff. Burnham, J., Containment or Liberation? An Inquiry into the Arms of United States Foreign Policy, New York 1953, S. 223. Ebenda, S. 119.

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Aktionen in großem Maßstab im Inneren ist es möglich, Niederlagen des Gegners, die Liquidierung des Sowjetregimes auf effektiverem Wege unter viel geringerem Einsatz von Menschen und Material-Ressourcen zu erreichen." 28 Die USA-Regierung führte den Kampf gegen den Weltsozialismus in den 50er Jahren genau auf dieser Linie. Burnhams theoretische Arbeiten dienten dem USA-Imperialismus indessen nicht nur in der Dulles-Ära. Sie nahmen in gewisser Weise die spätere flexiblere Taktik des Imperialismus vorweg, die in besonderer Weise auf die inneren antisozialistischen Kräfte in den sozialistischen Staaten baute. Aber auch schon die Regierung Truman hatte gegen Ende ihrer Amtszeit die konterrevolutionäre Wühltätigkeit in den sozialistischen Ländern verstärkt. Eine der Maßnahmen, mit denen diese Regierung der Verschärfung des außenpolitischen Kurses einleitete, war am 10. Oktober 1951 die Annahme eines speziellen Gesetzes zur Finanzierung der Untergrundtätigkeit in den sozialistischen Ländern, das den irreführenden Namen „Über die gegenseitige Gewährleistung der Sicherheit" trug und auf die „Durchführung von Aktionen in großem Maßstab im Inneren" der sozialistischen Länder gerichtet war. Dieser Linie entsprechend wurden unter der Regierung Eisenhower spezielle „Legionen" aus konterrevolutionären Elementen, meist Emigranten, aufgestellt und für den Einsatz in den sozialistischen Ländern ausgebildet. Ebenfalls dieser Linie entsprechend wurden (und werden!) vom Territorium der BRD aus spezielle Sender betrieben, die zu Zentren konterrevolutionärer Propaganda, Spionage und antisozialistischer Diversion geworden sind. Man rechnete auf die Mobilisierung innerer antisozialistischer Kräfte, auf die Schürung von Unzufriedenheit, auf Putsche und auf „Hilferufe" der Putschisten, um einen Vorwand für offizielles militärisches Eingreifen (Burnham: „militärische Hilfsaktionen, wo das notwendig wird") als Vorstufe zum großen Krieg zu bekommen. Das alles meinte Dulles, als er seine Formel vom „Balancieren am Rande des Krieges" prägte. Anfang 1953 nahm der Kongreß der USA eine von Präsident Eisenhower vorgelegte Resolution an, die von Entstellungen der Außenpolitik der Sowjetunion nur so strotzte und der Politik der „Befreiung" einen Schein von Rechtmäßigkeit verleihen sollte, wenn davon gesprochen wurde, daß die Völker der sozialistischen Staaten unter dem „sowjetischen Despotismus" leiden und daß sie „das Selbstbestimmungsrecht wiedererhalten müssen". 29 Diese Resolution rechtfertigte jede konterrevolutionäre Einmischung in die inneren Angelegenheiten der sozialistischen Staaten; sie war der Versuch der juristischen und politischen Rechtfertigung des Exports der Konterrevolution. Dem vorgegebenen Muster entsprechend wurden der faschistische Putsch gegen die DDR im Juni 1953 und

Ebenda, S. 130. 29 Department of State Bulletin, 2. 3. 1953, S. 353. 28

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die Konterrevolution im Herbst 1956 in Ungarn inszeniert. Später plauderte einer der US-Diplomaten, der ehemalige Mitarbeiter der Botschaft in Paris, G. Lowe, aus, was die Regierung der Sowjetunion, was die Regierungen der anderen sozialistischen Staaten, was die kommunistischen und Arbeiterparteien und viele andere demokratischen Kräfte aus der Analyse der Außenpolitik der USA längst nachgewiesen hatten, nämlich, daß die amerikanische Regierung 1954 „ernstlich an einen Präventivkrieg dachte".30 Aber selbst in diesem späten Eingeständnis steckt noch eine für Imperialisten übliche Fälschung. Wenn sie von Präventivkrieg reden, um daraus den Schein des Rechtmäßigen ableiten zu können, so meinen sie in Wirklichkeit die nackte Aggression. Die Regierung der anderen NATO-Staaten verkündeten die Doktrin der „Befreiung" nicht so offiziell wie die Regierung Eisenhower, aber sie betrieben eine Politik gegenüber den europäischen sozialistischen Staaten, die dem Wesen nach der amerikanischen gleich war und dieselben konterrevolutionären Ziele verfolgte. Ausdruck dieser den Frieden aufs höchste gefährdenden gemeinsamen Klassenpositionen der bourgeoisen Regierungen war u. a. die Tagung des sogenannten Europarates vom August 1952, auf der knapp drei Monate nach der Unterzeichnung des Vertrags über die „EVG" über die „Hilfe" für die osteuropäischen Länder beraten wurde, wenn sie „befreit" sein würden. Neben der Feindschaft gegenüber dem Sozialismus, der die reaktionären Kreise des Westens zur Remilitarisierung der BRD trieb, war das Profitstreben der Rüstungsmonopole eine der Triebkräfte dieser verhängnisvollen Entwicklung. Die mit dem Rüstungsgeschäft verbundenen Monopolisten rechneten sich märchenhafte Profite aus, und in der Tat lieferten bis zum Jahre 1958 ausländische Firmen zwei Drittel der Ausrüstungen der Bundeswehr, während die BRD-Firmen nur ein Drittel decken konnten. Vom Jahre 1960 an verkehrte sich dieses Verhältnis allerdings in das Gegenteil, und die BRD nahm immer stärker am internationalen Rüstungsgeschäft teil. Von der Remilitarisierung profitierten faktisch die Rüstungsmonopole aller entwickelten kapitalistischen Industrieländer Europas sowie Israels, Kanadas und natürlich der USA, die sich den Löwenanteil sicherten.31 In die Gesamtkonzeption der Hauptkräfte des Imperialismus zum Kampf gegen das sozialistische Lager reihte sich die Politik der Regierung Adenauer nahtlos ein. Die BRD war aus dem Bündnis des Weltimperialismus mit der geschlagenen deutschen Großbourgeoisie hervorgegangen und von vornherein als Instrument zur Vernichtung des aufkeimenden Sozialismus in Mittel- und Osteuropa geschaffen worden. Bereits in ihrer Geburtsurkunde, dem Grundgesetz, erhebt sie Anspruch, die Staats- und Gesellschaftsordnung des künf-

30 31

Zit. bei Orlik, Imperialìsticeskie derzavy, S. 131. Sverdlov, London i Bonn, S. 115 ff.

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tigen vereinten Deutschlands vorweggenommen zu haben, und erwartet den „Beitritt" der „anderen Teile Deutschlands" zur BRD.32 In völliger Übereinstimmung mit der von Eisenhower und Dulles propagierten Doktrin der „Befreiung" verkündete Adenauer im Sommer und Herbst 1952, daß die Losung nicht mehr Wiedervereinigung, sondern Befreiung heiße. „Das Wort Wiedervereinigung sollte endlich verschwinden, es hat schon zu viel Unheil angerichtet. ,Befreiung' sei die Parole!" 33 Die Regierung des westdeutschen Monopolkapitals verband mit der Eingliederung der BRD in die NATO, die sie selbst mit höchster Aktivität betrieb, die gleiche Hoffnung wie andere ultrareaktionäre Kräfte der westlichen Welt, nämlich die Arbeiter-und-Bauern-Macht in der DDR vernichten, die DDR der BRD einverleiben und sodann zum Kampf gegen den Sozialismus in den anderen volksdemokratischen Staaten antreten zu können. In ihrem Jargon hieß das, „Europa vom Kommunismus zu befreien". 34 Noch bevor die Mitgliedschaft der BRD in der NATO Tatsache geworden war, tat der westdeutsche Regierungschef den revanchistischen Appetit der Herrschenden auf polnisches Gebiet und die Erwartung der Vernichtung der sozialistischen Ordnung in der Volksrepublik Polen kund, als er sich im Herbst 1953 für gutnachbarliche Beziehungen zu einem freien (sprich: kapitalistischen) Polen aussprach und ein eventuelles Kondominium mit diesem rekapitalisierten Polen über die polnischen Westgebiete vorschlug.35 Die in der EVG-Politik sich niederschlagende Europa-Konzeption der imperialistischen Mächte als Teil der Strategie des „Zurückrollens" des Sozialismus ist bekanntlich in ihrer ganzen Gefährlichkeit für das Leben der Völker von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und den anderen marxistisch-leninistischen Parteien, von der Sowjetregierung und den Regierungen der anderen sozialistischen Staaten rechtzeitig zutreffend eingeschätzt worden.36 Aber auch andere, dem Marxismus-Leninismus und den sozialistischen 32

33 34 35 36

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. Staatsrechtlich erläutert von Friedrich Giese, Frankfurt(M) 1949, S. 27. Rheinischer Merkur, 20. 6. 1952. Adenauer, Konrad, Erinnerungen, Bd. 1, Stuttgart 1965, S. 345 f. Frankfurter Allgemeine, 10. 9. 1953. Vgl. u.a. XIX. Parteitag der KPdSU(B), 5. bis 14. Oktober 1952, in: Neue Welt, 1952, H. 22, S. 2685; Protokoll der Verhandlungen des IV. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 30. März bis 6. April 1954, Bd. 1, Berlin 1954, S. 20 ff.; Bierut, Boleslaw, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees an den II. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei am 10. März 1954, Berlin 1954, S. 8 ff.; Thorez, Maurice, Aus der Rede auf der Tagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Frankreichs, Drancy, 22.-23. Oktober 1953, in: Gemeinsam für Frieden, Demokratie und Fortschritt, Berlin 1065, S. 85 ff.; Togliatti, Palmiro, Der Kampf des italienischen Volkes für Frieden, Arbeit und Freiheit. Referat auf dem VII. Parteitag der Kommunistischen Partei Italiens, in: Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie!, 1951, Nr. 15.

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Staaten fernstehende Kräfte, die jedoch ebenfalls friedliche Interessen vertraten, kamen zu ähnlichen Einschätzungen. In Großbritannien meldete sich z. B. die bekannte sogenannte Bevan-Gruppe, eine Gruppe von Labour-Führern, mit einer beachtenswerten Kampfschrift gegen die „EVG" zu Wort. Ihr Führer hat jahrelang den friedlichen Interessen der mit der Labour Party verbundenen Bevölkerung von Großbritannien im Parlament Ausdruck verliehen. Sie bezeichnete sich selbst als Linke, und zu ihr gehörten Aneurin Bevan, Barbara Castle, Richard Crossman, Tom Driberg, Jan Mikardo sowie der spätere Premierminister Harold Wilson. Sie hegten kaum freundschaftliche Gefühle f ü r die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten. Sie waren in antisowjetischen Vorstellungen befangen und bedienten sich des Vokabulars des Antikommunismus. Aber sie machten sich ernste Sorgen u m die Zukunft Europas und Großbritanniens und waren erbitterte Gegner der Remilitarisierung der BRD und der „EVG". Aus einer gründlichen Analyse der US-Politik in Europa schlußfolgerten sie: „Das Ziel der amerikanischen Regierung besteht darin, vor allem Westdeutschland in die politischen, ökonomischen und militärischen Beziehungen des atlantischen Systems einzubeziehen, und darauf die so erlangte Macht dazu auszunutzen, die Kommunisten aus Ostdeutschland und schließlich aus Osteuropa ,zu verdrängen'. Sie erkannte die Unvermeidlichkeit der Vereinigung Deutschlands an, aber meinte, daß das beste Mittel zur Erreichung dieses Ziels nicht darin besteht, die Aufrüstung Westdeutschlands zu verzögern und Verhandlungen mit den Russen zu führen, sondern darin, die Aufrüstung zu beschleunigen und die Russen vor vollendete Tatsachen zu stellen." Mit der Bemerkung, „der Streit um Deutschland ist Teil eines anderen, noch viel breiteren Streites", gaben die Labourpolitiker zu erkennen, daß sie — wenn auch auf ihre Weise — verstanden, daß in der deutschen Frage zwei grundsätzlich verschiedene Konzeptionen der Europa-Politik, ja der Weltpolitik aufeinandertrafen. Als Gegner des real existierenden Sozialismus und als Antikommunisten stellten sie an die USA-Regierung und an die eigene Regierung die Kernfrage der internationalen Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus: „Kann man mit den Kommunisten Verhandlungen über eine ehrenvolle Regelung f ü h r e n oder ist die einzige Sprache, die sie verstehen, die Stärke? Ist unser Ziel die friedliche Koexistenz oder müssen wir versuchen, den Ostblock zu vernichten und alle Völker, die in seiner Sphäre leben, zu befreien?" Ihrer Meinung nach habe die Regierung Truman zu dieser Frage nicht so klar gesprochen, und erst Dulles habe sie unmißverständlich beantwortet. Er habe sich in Asien gegen eine Politik der friedlichen Koexistenz gewandt. „In Europa wählte Herr Dulles eine ebensolche Politik der .dynamischen Zügelung'. Sein Ziel ist, Deutschland (gemeint ist die BRD — E. L.) aufzurüsten, was die Franzosen auch sagen mögen, um sodann die erste Möglichkeit zu benutzen, die Kommunisten aus Ostdeutschland und den anderen SatellitenLändern zu verdrängen." Bevan und die anderen Verfasser erklärten, daß sie „diese Doktrin niemals anerkannt" haben, deren Logik in der schnellsten und 7 Jahrbuch 12

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umfassendsten Remilitarisierung der BRD bestand, und daß sie „an die Möglichkeit der Koexistenz" und „an Verhandlungen" „glauben".37 Unter den bürgerlichen Stimmen, die sich in Frankreich gegen die „EVG" erhoben und für ein Europa des Friedens eintraten, das auf dem Wege von Verhandlungen mit der Sowjetunion entstehen könne, ertönte auch die Edouard Daladiers. Er hatte im Alter offenbar Lehren aus seiner verhängnisvollen Rolle im Zusammenhang mit dem Münchener Abkommen gezogen und gehörte zu den aktivsten Kämpfern gegen die „EVG". Am 19. November 1953 trat er in der Nationalversammlung auf. Scharf rechnete er mit dem Bonner Militarismus und Revanchismus ab, bezeichnete die Bonner Wiedervereinigungsformel als Annexion der DDR (wobei er die offizielle Staatsbezeichnung umging), mahnte, man möge nicht glauben, daß man die Sowjetunion einschüchtern und Polen veranlassen könne, seine Westgebiete preiszugeben, um sich dann dem Europa der nahen Zukunft zuzuwenden, wie es sich die Kreise dachten, für die er sprach: „... jenes Europa kann nur im Resultat des Friedens entstehen, der auf dem Wege von Verhandlungen erreicht wird, eingeschlossen eine wirkliche Annäherung mit Deutschland, aber im Rahmen einer friedlichen Politik, die die Lebensinteressen aller Völker berücksichtigt, die die Verbündeten im Osten nicht von den Verhandlungen und dem Abschluß des Friedens ausschließt. Dazu lehnen wir einen Bündnisvertrag mit ihm nicht ab, den der Minister für Auswärtige Angelegenheiten die Ehre hatte, im Jahre 1944 zu unterschreiben. Das ist das Europa, wie wir es sehen wollen."38 Noch übten die von den Labour-Politikern und von Daladier vertretenen Ansichten keinen bestimmenden Einfluß im Lager der Bourgeoisie aus. Dennoch war es für die Sowjetregierung, die ihre Friedenspolitik auf lange Sicht betrieb und betreibt, höchst bedeutsam zu wissen, daß es unter ihren ideologischen und politischen Gegnern auch Kräfte gab, denen ein gewisser Realismus eigen war und die in der Einschätzung der Politik der damals amtierenden imperialistischen Regierungen ähnliche Standpunkte wie die Sowjetunion vertraten. Ebenso bedeutsam war es zu wissen, daß diese Kräfte die militärische Form des Kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus ablehnten und ähnlich wie die Sowjetunion den Weg friedlicher Verhandlungen suchten. Kräfte im Lager der Bourgeoisie, die solche Ansichten vertraten, konnten in längeren Fristen zur Anpassung an die Realitäten des internationalen Kräfteverhältnisses veranlaßt und für eine Politik der friedlichen Koexistenz und der kollektiven Sicherheit in Europa gewonnen werden. Angesichts der wachsenden Gefahr des Wiedererstehens des deutschen Mili37

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Bevan, Aneurin/Castle, Barbara/Crossmann, Richard/Driberg, Tom/Mikardo, Jan/ Wilson, Harold, It need not happen. The Alternative to German Rearmament, London 1954 (Eto ne dolzen sluöit'sja. Alternativa vooruäeniju Germanii, Moskva 1954), S. 29 f. Francija i „Evropejskaja armija", S. 182.

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tarismus in der BRD und der aggressiven Aktivitäten des Imperialismus überhaupt sowie zur Sicherung der in Asien im Kampf gegen die Aggression errungenen Erfolge verstärkte die Sowjetunion Mitte 1953 ihren Kampf um eine Außenministerkonferenz. In ihrer Note an die drei Westmächte vom 4. August 1953, die die Schlußetappe des fast zweijährigen Ringens um Verhandlungen auf hoher Ebene einleitete, schlug sie eine Außenministerkonferenz der Großmächte mit einer erweiterten Tagesordnung vor, die generell auf die Sicherung des Friedens gerichtet war und die deutsche und die österreichische Frage organisch einschloß.39 Am 21. September 1953, nachdem bekannt war, daß die Sowjetunion über die Wasserstoff waffe verfügte, schlug sie in der UNO Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr eines neuen Weltkrieges und zur Minderung der Spannungen in den internationalen Beziehungen vor. Zur genauen Qualifizierung eines möglichen Friedensbrechers und Feindes der Sicherheit der Völker und um künftig jeden Mißbrauch der Organisation der Vereinten Nationen unmöglich zu machen, schlug die Sowjetunion in einem speziell dafür geschaffenen Organ der UNO eine gegenüber ihrer Formulierung von 1933 präzisierte Definition der Aggression vor. Es bedurfte noch eines mehrmonatigen angespannten Kampfes, ehe die Sowjetunion den Westmächten die Zustimmung zu Konferenz, Tagesordnung, Tagungsort und Termin abgerungen hatte. Verhandlungen vor der Weltöffentlichkeit, bei denen die Sowjetunion mit Sicherheit das wahre Wesen der „EVG" und der friedensfeindlichen Bestrebungen der imperialistischen Staaten enthüllen würde, paßten ganz und gar nicht in das Konzept der Westmächte. Aber neben der Sowjetunion und den mit ihr verbündeten sozialistischen Staaten wirkten noch andere Kräfte, die das sich wandelnde internationale Kräfteverhältnis repräsentierten und beachtlichen Druck auf die Westmächte ausübten. Die barbarische Kriegführung der USA in Korea hatte eine weltweite Protestbewegung in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß hervorgerufen. Die USA verloren ihr militärisches Prestige und ihr moralisches Ansehen zunehmend. Sie drohten, in die Isolierung zu geraten. Die Protestbewegung in Frankreich und in der ganzen Welt gegen den schmutzigen Krieg in Indochina schwoll immer mehr an. In der französischen Öffentlichkeit wurde immer dringender darauf aufmerksam gemacht, daß Frankreich an dem Kolonialkrieg in Vietnam ausblute, daß er jährlich das Doppelte der sogenannten USA-Hilfe für Frankreich und an Offizierskadern ebensoviel verschlinge, wie die französischen Offiziersschulen ausgebildete Offiziere in die Armee entließen. Die Bewegungen gegen den schmutzigen Kolonialkrieg und gegen die „EVG" verschmolzen zu einer Bewegung gegen die aggressive Außenpolitik der französischen Regierung. Einige Regierungen von Commonwealth-Staaten wie die Indiens und Cey39 7 *

Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, S. 320 ff.

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Ions bestanden auf der endgültigen Beilegung des Krieges in Korea und auf der Beendigung des Krieges in Indochina.40 Daraufhin forderte die Konferenz der Ministerpräsidenten des britischen Commonwealth am 8. Juni 1953 Viermächteverhandlungen noch vor dem Herbst. Das blieb nicht ohne Wirkung auf die Haltung der britischen Regierung, die sich in der Tat als erste zustimmend zu den sowjetischen Vorschlägen für den Inhalt der Konferenz äußerte. Danach gab auch Frankreich seinen Widerstand auf.41 Als große Kraft, die im Sinne der Einberufung einer Außenministerkonferenz wirkte, erwies sich die öffentliche Meinung, die sich nicht nur in der Presse niederschlug, sondern von den demokratischen Kräften in Versammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen ausgedrückt wurde und die auch in den Parlamentsdebatten wirkte. Die seit Jahren von der Sowjetunion vorgebrachten realistischen Vorschläge zur Lösung der deutschen Frage und zur Sicherung des Friedens in Europa verfehlten angesichts der Remilitarisierung der BRD ihre Wirkung nicht. Obwohl die Massenmedien der Bourgeoisie nach wie vor tagtäglich eine Flut antisowjetischer Erfindungen erzeugten und den Volksmassen insbesondere immer wieder die Propagandathese von der angeblichen Bedrohung Westeuropas durch die Sowjetunion glaubhaft zu machen suchten, begann sich ein gewisser Umschwung im Denken vieler abzuzeichnen. Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu haben die Kommunistischen Parteien geleistet. Sie haben als die Initiatoren und Inspiratoren der Massenbewegungen gegen die „EVG" und für die Sicherung des Friedens in Europa gewirkt. Zuerst und vor allem durchbrach die Presse der Kommunisten die Wand des Verschweigens und der Verleumdung, mit der die bourgeoisen Massenmedien die in den zahlreichen Noten der Sowjetregierung unterbreiteten Vorschläge für die friedliche Regelung der Probleme Deutschlands und Europas umgaben. Die Kommunistischen Parteien waren die beharrlichsten Propagandisten der Friedenspolitik der Sowjetunion, und sie organisierten die Arbeiterklasse und andere demokratische Kräfte zum Kampf. Im Januar 1953 erklärten die Zentralkomitees der Französischen Kommunistischen Partei, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Parteivorstand der Kommunistischen Partei Deutschlands in einem gemeinsamen „Appell an das deutsche und französische Volk gegen die Ratifizierung der Kriegsverträge von Bonn und Paris": „Unsere beiden Völker begrüßen die bedeutsame Erklärung des Präsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, Genossen Wilhelm Pieck: ,Die Deutsche Demokratische Republik ihrerseits wird nie und nimmer dulden, daß von deutscher Seite jemals wieder ein Krieg gegen das französische Volk geführt wird.' Die Völker Deutschlands und Frankreichs werden den Imperialisten keine Söldnerdienste leisten. Sie werden weder gegen die Sowjetunion noch gegeneinander Krieg führen. 40 41

Pravda, 24. 5. 1953. Ebenda, 25. 8. 1953.

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Die Völker Frankreichs und Deutschlands billigen und unterstützen die Anstrengungen der Sowjetunion zur friedlichen Lösung der deutschen F r a g e . . . Die gemeinsamen Kampfziele der Werktätigen beider Länder, die zugleich den Interessen aller friedliebenden Völker entsprechen, sind folgende: Ein Friedensvertrag mit Deutschland, ein friedliebendes, demokratisches, wiedervereinigtes Deutschland ohne Nazismus und Militarismus, die Garantie, daß sich Deutschland nicht an einem Militärbündnis beteiligt, das sich gegen ein anderes Land richtet."42 Die Initiative der marxistisch-leninistischen Parteien wirkte auch in den anderen Organisationen der Werktätigen. Am 23. Februar 1953 trafen sich Vertreter von sechs nationalen Gewerkschaftsorganisationen, des Allgemeinen Französischen Gewerkschaftsbundes, des Allgemeinen Italienischen Gewerkschaftsbundes, der Einheitsgewerkschaftszentrale der Niederlande, der Einheitsgewerkschaft der belgischen Bergarbeiter, des Freien Luxemburgischen Arbeiterverbandes und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, in Wien und riefen die Arbeiterklasse ihrer Länder in einem Appell „Gegen die Militärverträge" zur Aktion.43 Einen Monat später, am 27. März, veröffentlichten die Nationalkomitees der Union der republikanischen Jugend Frankreichs und der Jungen Mädchen Frankreichs gemeinsam mit den Leitungen der Freien Deutschen Jugend in der BRD und in der DDR einen ähnlichen Aufruf an die Jugend ihrer Länder.44 Das Ergebnis der umfangreichen politischen und organisatorischen Tätigkeit war ein Anschwellen des Kampfes gegen die „EVG" und der Unterstützung der Vorschläge der Sowjetunion. Obwohl die Führer der SPD in der BRD ihren gegen die „EVG" gerichteten Worten keine Taten folgen ließen, wuchs der tätige Protest gegen die Ratifizierung der Verträge von Bonn und Paris auch in der BRD. Am 15. März 1953, vier Tage, bevor der Bundestag seine Zustimmung zu den Kriegsverträgen gab, kam es in Düsseldorf, Wuppertal, Köln, Mönchen-Gladbach und Heidelberg zu großen Kundgebungen. In Großbritannien, wo die rechten Labour- und Gewerkschaftsführer als aktive Verfechter der „EVG" auftraten, wurden neben solchen Gruppen innerhalb der Labour-Party wie der Bevan-Gruppe vor allem die einzelnen regionalen und nationalen Gewerkschaftsverbände zu Trägern der Forderungen nach einer friedlichen Außenpolitik der britischen Regierung, für eine friedliche Lösung der deutschen Frage und gegen die „EVG".45 In Frankreich wuchs infolge der aufopferungsvollen Tätigkeit der FKP gegen den Willen rechter Führer der Sozialistischen Partei eine breite Aktionseinheit der Gegner der „EVG". Die Worte Jacques Duclos' auf dem Oktober42 43 44 45

Neues Deutschland, 27. 1. 1953. Ebenda, 24. 2. 1953. Ebenda, 27. 3. 1953. Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie!, 1953, Nr. 42.

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plenum des ZK der FKP waren den Kommunisten Richtschnur ihres Handelns: „Wir Kommunisten erklären uns bereit, gemeinsam mit allen Franzosen, wer sie auch sein mögen — wir betonen, wer sie auch sein mögen —, wenn sie ebenso wie wir gegen die neue Wehrmacht sind, an allen politischen Aktionen teilzunehmen, die zu einer mächtigen Kampagne in ganz Frankreich werden können und müssen. Wir fügen hinzu, daß wir unsererseits bereit sind, durch die ganze parlamentarische Tätigkeit zur Niederlage der Organisatoren und Verteidiger der Europaarmee beizutragen."46 Dieser Aufruf fand ein großes positives Echo. Eine Welle von Volkstreffen ging über ganz Frankreich, und in der außenpolitischen Debatte des französischen Parlaments vom 17. bis 27. November sprachen von 60 Rednern 45 gegen die „EVG". Jahrelang war es den Ideologen der Bourgeoisie gelungen, breiten Volksschichten Furcht vor einem angeblich bevorstehenden Überfall der Sowjetunion auf Westeuropa einzuflößen. Und je mehr sich Möglichkeiten für eine Viererkonferenz eröffneten, um so mehr verstärkten die ultrareaktionären Kräfte in den imperialistischen Ländern die Antisowjethetze. Dennoch erklangen auch im bürgerlichen Lager immer öfter Stimmen der Vernunft. Obwohl sie das Feld bei weitem nicht beherrschten, nahmen die Stellungnahmen doch zu, die die Verleumdung der Sowjetunion, eine Kriegspolitik zu betreiben, zurückwiesen. Es mag für die gewandelte Stimmung breiter Schichten in Westeuropa kennzeichnend sein, wenn die bürgerliche französische Zeitung „Le Monde" in einem Artikel, der sich gegen die EVG, aber auch gegen die französischen Kommunisten wandte, schrieb: „Die Kriegshandlungen in Korea sind beendet. Und niemand glaubt mehr, daß die Russen in nächter Zukunft bereit wären, über Europa herzufallen.. .'"i7 Die britische Zeitung „Evening News" stimmte nicht in den Chor der Scharfmacher ein, die nach der Bekanntgabe der sowjetischen WasserstoffWaffenversuche zu noch weiter verstärktem Wettrüsten aufriefen. In ihrem Leitartikel vom 20. August 1953 kommentierte sie den Kernwaffenversuch der Sowjetunion und den gleichzeitigen Aufruf der Sowjetregierung zur Ächtung aller Massenvernichtungswaffen: „Wir können hoffen, daß Rußland wirklich so denkt, wie es spricht. Es sind viele Beweise dafür vorhanden, daß Rußland keineswegs einen internationalen Konflikt wünscht." Auch die Bevan-Gruppe in der Labour-Party, die im ganzen auf antisowjetischen Positionen stand, beteiligte sich nicht an der Verleumdung der Sowjetunion als angeblich einen Krieg gegen Westeuropa vorbereitend. Im Gegenteil, als in Frankreich der Kampf gegen die „EVG" dem Höhepunkt zustrebte, erinnerten ihre Mitglieder in der schon zitierten Schrift daran, daß sie bereits 1950/51 gegen die Wortführer der imperialistischen Mächte und gegen die britische Regierung aufgetreten seien, die die USA-Aggression gegen Korea in eine „kommunistische Aggression" umgefälscht und von einem 46 47

Ebenda, Nr. 50. Le Monde, 18. 11. 1953.

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bevorstehenden Überfall der Sowjetunion auf Westeuropa geredet hatten. Die britische Regierung hatte damals mit dieser antisowjetischen Begründung ein für drei Jahre berechnetes enormes Aufrüstungsprogramm durchgesetzt. Nun zogen diese Labour-Politiker Parallelen zu der gleichen antisowjetischen „Begründung" der „EVG" und schrieben: „Wir betrachteten die Einschätzung der strategischen Lage durch das Pentagon als panische Prognose. Wir wiesen darauf hin, daß die Idee der Vorbereitung auf einen Krieg im Jahre 1954 (angenommen von der britischen Regierung) vollkommen absurd ist. Wenn die Russen wirklich eine Aggression beabsichtigt hätten, sie hätten nicht drei Jahre gewartet und uns liebenswürdig die Möglichkeit gegeben, das Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten zu verändern."48 Die Autoren dieser bemerkenswerten Broschüre gingen nicht von der prinzipiell friedliebenden Position der Sowjetunion aus, die jeden Gedanken an Aggression von vornherein ausschließt, sondern in ihrer Suche nach einem friedlichen Weg für Europa hatten sie nüchtern die Tatsachen geprüft und die einzig logische Schlußfolgerung gezogen, nämlich, daß die Sowjetunion gegenüber Europa eine Politik des Friedens betreibt, daß die Behauptung einer drohenden sowjetischen Aggression auf Westeuropa lügnerisch ist und daß demzufolge die Remilitarisierung der BRD und das Wettrüsten mit den Interessen Europas nicht das geringste zu tun haben. Ebenso wie die Regierungen der drei westlichen Großmächte widersetzte sich die Regierung Adenauer lange der Einberufung einer Außenministerkonferenz. Gleich diesen wollte sie nicht, daß ihre mit den Interessen der Völker Europas unvereinbaren Pläne der Remilitarisierung der BRD öffentlich erörtert würden — ein Umstand, der nur zur Verstärkung des Kampfes der Völker gegen die „EVG" führen konnte. Für die Regierung Adenauer war es überhaupt kennzeichnend, daß sie immer dann höchst gereizt reagierte, wenn sich irgendwo in Europa auch nur die geringsten Tendenzen der Entspannung abzeichneten. Ihre revanchistische Politik konnte nur in einer Umgebung scharfer internationaler Spannungen gedeihen. Aber schließlich sah auch sie sich zum Nachgeben gezwungen. Das hat nicht zuletzt die Bewegung erreicht, die in der BRD gegen die Remilitarisierung kämpfte und an deren Spitze die Kommunistische Partei Deutschlands stand.49 Aber auch die Kräfte in anderen Ländern, besonders die französische Anti„EVG"-Bewegung, hat dazu ihren Beitrag geleistet Am 25. Oktober 1953 fand in Paris eine Massenversammlung dieser Bewegung statt. An diese Versammlung wandte sich Daladier in einer Botschaft, mahnte zur Einheit aller Gegner des deutschen Militarismus und prangerte u. a. die gegen eine Außen48 49

Bevan u. a., It need not happen, S. 18. Vgl. Reimann, Max, Die Lehren der Bundestagswahlen und der Kampf der KPD für Frieden, Einheit und Demokratie. Referat auf der 11. Tagung des Parteivorstandes der Kommunistischen Partei Deutschlands in Düsseldorf am 2. und 3. Oktober 1953. Mit einem Anhang, Berlin 1954, S. 8 ff.

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ministerkonferenz gerichtete Haltung Adenauers a n : „Am 6. September 1953 rief Kanzler Adenauer, der von seinem großen Sieg (gemeint sind die B u n destagswahlen in der BRD — E. L.) in Deutschland e r f a h r e n hatte, aus : ,Gott h a t Deutschland die F ü h r u n g Europas auferlegt!' Wohin h a b e n das Deutschland Bismarcks, das Deutschland Kaiser Wilhelms II. u n d das Deutschland Hitlers Europa g e f ü h r t ? Zu welchem Ziel will es Kanzler Adenauer f ü h r e n ? Er h a t dazu gesagt u n d wiederholt das jeden Tag: Deutschland erneut die Provinzen zuzueignen, die es verlor, weil es den Krieg entfesselt hat. N ä m lich auf den Weg dieser Wiedereroberung will Adenauer Europa schleppen. Nämlich deshalb widersetzt er sich mit Billigung und Hilfe der konservativen amerikanischen Regierung der E i n b e r u f u n g einer Konferenz der vier Mächte u n d stellt solche Bedingungen, die von vornherein entweder die Unmöglichkeit der E i n b e r u f u n g dieser Konferenz bedingen oder ihr jämmerliches Scheitern. Denkt Adenauer, d a ß Frankreich betrogen werden k a n n ? Denkt er, d a ß Rußland 17 Millionen (die genauen Verlustzahlen w a r e n damals noch nicht ermittelt — E. L.) seiner Söhne verloren hat, u m gelassen u n d indolent dem Wiedererstehen der Wehrmacht u n d der W i e d e r a u f n a h m e des deutschen ,Kreuzzuges' nach Osten zuzusehen?" 5 0 Auch General de Gaulle, ein scharfer Gegner der „EVG" — wenn auch nicht n u r wegen der Gewährleistung der nationalen Sicherheit Frankreichs, sondern auch aus G r ü n d e n der Errichtung einer französischen Vormachtstellung in Europa —, w a n d t e sich, wie auf seiner Pressekonferenz vom 12. November 1953, gegen jene, die nicht verhandeln wollten. Er t r a t nicht lediglich f ü r friedliche Verhandlungen mit der Sowjetunion, sondern f ü r Verständigung mit ihr ein u n d f ü r die getreue Erfüllung des sowjetisch-französischen Beistandsvertrages von 1944, der ausschloß, die Remilitarisierung der BRD zu dulden. 5 1 Die bürgerliche britische Zeitung „Reynold News" vereinfachte das Bild zwar zu sehr, verschwieg, daß die Front der Gegner u n d B e f ü r w o r t e r der „EVG" durch alle Völker in der kapitalistischen Welt ging u n d daß in der BRD selbst starke antimilitaristische K r ä f t e wirkten, u n d dennoch spiegelte sich in ihren Zeilen die S t i m m u n g von Millionen am Vorabend der Außenministerkonferenz. Voller Besorgnis u m die friedliche Z u k u n f t ihres Landes erinnerte die Zeitung an die E r f a h r u n g e n , die die Völker Europas mit einem Deutschland gemacht hatten, das, hochgerüstet, mehrmals die friedliche Existenz seiner Nachbarn gefährdet hatte. Sie w a n d t e sich gegen die Remilitarisierung der BRD u n d dagegen, daß Europa erneut der Bedrohung durch den deutschen Militarismus u n t e r w o r f e n w i r d : „Es ist noch Zeit, diesen groben Fehler abzustellen. Frankreich will so ein Europa nicht. Italien auch nicht. Breite Massen der englischen Öffentlichkeit sind dagegen. Nur die Améri50 51

L'Humanité, 26. 10. 1953. Zit. bei Schlesinger, Hans, Gemeinsamer Widerstand des deutschen und französischen Volkes, in: Dokumentation der Zeit, 1053, Nr. 60, S. 3644.

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kaner bestehen darauf, daß Deutschland wiederbewaffnet wird. Die Stimme der Engländer muß sich Gehör verschaffen neben den Stimmen von Millionen anderer Europäer, die sagen, die neue deutsche Armee sei eine große Gefahr für den Frieden."62 In den Reihen der Kämpfer gegen die Remilitarisierung der BRD, für die friedliche Lösung der deutschen Frage und die Gewährleistung der Sicherheit für alle europäischen Völker hatten die antifaschistischen Widerstandskämpfer und ihre verschiedenen Organisationen stets eine bedeutende Rolle gespielt. Nun wandten sie sich kurz vor Eröffnung oder bei Beginn der Außenministerkonferenz direkt an die Repräsentanten der vier Großmächte und verlangten mit der Autorität, die die Helden des Widerstandskampfes genossen, positive Resultate der Verhandlungen. Unter den Verbänden, die ihren Willen den Außenministern kundgaben, befanden sich die internationale Organisation der Widerstandskämpfer, die Fédération Internationale des Résistants (FIR)53, der Verband der tschechoslowakischen Widerstandskämpfer54 und die Nationale Vereinigung der ehemaligen Kämpfer der französischen Widerstandsbewegung. In der Botschaft der französischen Antifaschisten hieß es : „Die ehemaligen französischen Widerstandskämpfer, die es verstanden haben, in ihrem Kampf für die Freiheit, Einheit und Unabhängigkeit ihres Vaterlandes Folter und Tod zu trotzen, erkennen das Recht des deutschen Volkes auf seine Einheit und seine Unabhängigkeit an und wünschen, es geachtet zu sehen; unter der einzigen Bedingung, daß Maßnahmen getroffen werden, um gemäß den im Potsdamer Abkommen verfolgten Prinzipien das Wiedererstehen des deutschen Militarismus zu verhindern, der unserem Lande so viel Ruinen und Trauer und selbst dem deutschen Volk so viel Tränen und Blutopfer gebracht h a t . . . Die ehemaligen französischen Widerstandskämpfer halten es für ihre Pflicht, Ihnen zu sagen, daß sie im voraus den Wert eines jeden Vorschlages bestreiten — selbst wenn er vom französischen Außenminister gemacht werden sollte —, der eine Gesetzeskraft der Verträge von Bonn und Paris zur Voraussetzung haben würde, die vom französischen Parlament nicht ratifiziert sind und die die Widerstandskämpfer gemeinsam mit der überwältigenden Mehrheit des französischen Volkes niemals anerkennen werden."55 Die Deutsche Demokratische Republik hat zur Vorbereitung der Berliner Außenministerkonferenz einen wichtigen konstruktiven Beitrag geleistet und an der Seite der Sowjetunion für Frieden und Sicherheit in Europa gekämpft. Ihre Initiative vom 13. Februar 1952, in der sie den vier Großmächten ihre Bitte um beschleunigten Abschluß eines Friedensvertrags vorgetragen hatte; 62 53 54 55

Reynold News, 17. 1. 1954. Die Tat, Frankfurt (M.), 30. 1. 1954. Tägliche Rundschau, 2. 2. 1954. Dokumentation der Zeit, 1954, Nr. 64, S. 4107 f.

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hatte geholfen, den Kampf um die Konferenz einzuleiten. In der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten der DDR Otto Grotewohl vom 14. März 1952 zum Entwurf der Sowjetregierung über die Grundlagen eines Friedensvertrags mit Deutschland gab die Regierung der DDR der Unterstützung, die sie in ihrem Ringen um die Einheit Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage mit diesem Entwurf von der Sowjetregierung erhielt, eine hohe Einschätzung: „Es geht der Sowjetregierung in der Tat darum, ein Wiedel aufleben des deutschen Militarismus und einer deutschen Aggression unmöglich zu machen. Es geht ihr darum, eine friedliche Lösung der Deutschlandfrage herbeizuführen und damit den Frieden in Europa zu festigen und zu sichern. In diesem Bestreben kann die Sowjetregierung der vorbehaltlosen und energischen Unterstützung aller friedliebenden Deutschen und darüber hinaus aller friedfertigen Menschen in Europa sicher sein. Denn die friedliche Lösung der deutschen Frage bedeutet die Sicherung des Friedens in Europa." Mit dem Entwurf der Grundsätze eines Friedensvertrags für Deutschland, mit der Forderung nach einer Konferenz zum Abschluß dieses Friedensvertrages und mit der Erklärung, daß dieser Vertrag selbstverständlich unter Teilnahme einer deutschen Regierung vorbereitet werden muß, „hat der Kampf der deutschen Patrioten um den beschleunigten Abschluß eines Friedensvertrages und die Wiederherstellung der Einheit des deutschen Staates eine so tatkräftige und wirksame Unterstützung erfahren, wie sie die kühnsten Erwartungen nicht zu erhoffen wagten. Wiederum hat sich das Sowjetvolk in historischer Stunde als der gute und treue Freund des deutschen Volkes erwiesen."56 Parallel zu den Bemühungen der Sowjetunion, die Westmächte für eine Außenministerkonferenz zu gewinnen, bemühte sich die DDR, von seiten der beiden deutschen Staaten soviel wie möglich zur Vorbereitung der Konferenz beizutragen, indem sich die Volkskammer am 19. September 1953 mit einem Schreiben an den Bundestag wandte57, die Regierung am 25. November 195358 und am 16. Dezember 195359 in Regierungserklärungen Vorschläge für gemeinsames Handeln der DDR und der BRD unterbreitete. Vor allem versuchte die DDR, ein Übereinkommen über die Entsendung von Vertretern beider Staaten zur Außenministerkonferenz und über vorbereitende Maßnahmen für gesamtdeutsche freie Wahlen und die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung als wichtige Schritte der Vorbereitung für den Abschluß eines Friedensvertrags zu erreichen. Sie unterbreitete in diesen Dokumenten zahlreiche Vorschläge, die auf die Eindämmung des Militarismus, die Stärkung der demokratischen Elemente und die Annäherung der beiden deutschen Staaten gerichtet waren. Das alles stieß in Bonn auf taube Ohren. 56 57 58 59

Neues Deutschland, 15. 3. 1952. Ebenda, 21. 9. 1953. Tägliche Rundschau, 26. 11. 1953. Neues Deutschland, 17. 12. 1953.

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Schließlich wandte sich die Regierung der DDR am 24. Januar 1954 direkt an die in Berlin tagenden Außenminister und ersuchte um Teilnahme ihrer Vertreter und von Vertretern der BRD. Sie wollte das Forum der Außenministerkonferenz benutzen, ihr eigenes, mit dem Friedensvertragsvorschlag der UdSSR übereinstimmendes konstruktives Programm für die Lösung der deutschen Frage zu entwickeln, die Regierungen der Westmächte und der BRD zu zwingen, in bezug auf ihre friedensfeindlichen Pläne Farbe zu bekennen. Als die westlichen Außenminister die Teilnahme deutscher Vertreter verhinderten, unterbreitete die Regierung der DDR ihren Standpunkt zu den von der Sowjetunion vorgelegten Grundsätzen eines Friedensvertrages in einem ausführlichen Memorandum60 der Konferenz und der Öffentlichkeit. So hat die Sowjetunion in einem fast zweijährigen Ringen mit brüderlicher Hilfe der anderen sozialistischen Staaten, unter Beachtung aller begünstigenden Momente, die sich aus den Veränderungen ihrer internationalen Lage ergaben, und bei wachsender Unterstützung zahlreicher gesellschaftlicher Kräfte verschiedenen Charakters die Zustimmung der Westmächte zu Verhandlungen auf einer Außenministerkonferenz, zum Tagungsort Berlin und zur Tagesordnung erkämpft. Der Sowjetunion war es gelungen, eine fünfjährige Periode, in der die Regierungen der Westmächte alle Verhandlungen mit ihr auf hoher Ebene sabotiert hatten, zu beenden. II

Die Berliner Außenministerkonferenz tagte vom 25. Januar bis zum 18. Februar 1954. An ihren Beratungen nahmen Delegationen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs unter der Leitung der jeweiligen Außenminister W. M. Molotow, John Foster Dulles, Anthony Eden und Georges Bidault teil. Allein schon die Tatsache des Stattfindens dieser Konferenz stellte einen Erfolg der sowjetischen Europapolitik und der sowjetischen Friedenspolitik dar. Die von der Sowjetunion seit langem vorgeschlagene Tagesordnung sah folgende Verhandlungspunkte vor: 1. Über die Maßnahmen zur Minderung der Spannungen in den internationalen Beziehungen und über die Einberufung einer Konferenz der Außenminister Frankreichs, Großbritanniens, der USA, der Sowjetunion und der Volksrepublik China. 2. Über die deutsche Frage und die Aufgaben der Gewährleistung der europäischen Sicherheit. 3. Über den österreichischen Staatsvertrag. Mit welchem Konzept gingen die Verhandlungspartner in die Konferenz? 60

Dokumente zur Außenpolitik Republik, S. 118 ff.

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Aus der Analyse der zahlreichen Noten, die die Westmächte 1952 und 1953 an die Sowjetunion gerichtet hatten, und anderer vorbereitender Schritte ergibt sich folgende ihrer Gesamtkonzeption für Europa entsprechende Linie: Da sie die Konfrontation und nicht die Entspannung suchten, wollten sie einer Erörterung über eine allgemeine Verbesserung der Weltlage weitgehend aus dem Wege gehen und daher den Gegenstand der Verhandlungen so weit wie möglich einengen. Für Asien, wo ihre politischen und militärischen Niederlagen allzu offensichtlich geworden waren, wollten sie bestimmten Regelungen zustimmen. Was Europa angeht, so war der Kernpunkt ihres Konzepts das unbedingte Festhalten an der sogenannten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, obwohl diese infolge des Volkswiderstandes schon in allen Fugen krachte. Das bedeutete Beharren auf der Remilitarisierung der BRD und ihrer endgültigen Verwandlung in einen Spannungs- und Kriegsherd im Zentrum Europas, auf der Spaltung Deutschlands, ja auf der Vertiefung dieser Spaltung und der endgültigen Zerreißung Deutschlands. Das bedeutete weiter die endgültige Ausgestaltung eines in sich abgeschlossenen imperialistischen Militärblocks gegen die sozialistischen Staaten, die Spaltung Europas in Militärblocke. In Übereinstimmung damit waren die Westmächte entschlossen, jegliche Schritte zur Einheit Deutschlands zu verhindern, insofern sie mit der Verwirklichung des Potsdamer Abkommens verbunden waren, d. h. wenn es Schritte zur Einheit auf friedlicher und demokratischer Grundlage sein sollten. Sie waren weiterhin entschlossen, sich auf keinerlei Verhandlungen über den Abzug der Besatzungstruppen aus beiden deutschen Staaten einzulassen. Sie wollten die militärische Konfrontation, aus der der Krieg hervorwachsen konnte, und nicht das Auseinanderrücken der Streitkräfte mit seiner beruhigenden und entspannenden Wirkung. Sie beabsichtigten auf der Konferenz auch, den Gedanken der militärischen Neutralität Deutschlands abzulehnen, der die Unzulässigkeit von Militärbündnissen und ausländischer Militärstützpunkte auf deutschem Boden einschloß. Auch für Österreich sympathisierten sie mit dem Prinzip der Neutralität nicht. Im Gepäck der drei westlichen Außenminister befanden sich also keinerlei konstruktive Vorschläge zur Lösung der europäischen Probleme. Solche Vorschläge waren nur von der Sowjetunion zu erwarten. Statt dessen hatten sich die Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs das weitgesteckte abenteuerliche Ziel gestellt, mit den Mitteln des Drucks auf die Sowjetunion und der Demagogie die Zustimmung zu sogenannten freien Wahlen zu erreichen, hinter deren Schleier die Liquidierung der sozialistischen Ordnung in der DDR, ihre Eingliederung in den imperialistischen westdeutschen Staat und gemeinsam mit diesem in die NATO vollzogen werden sollte. Da sie nun einmal der Konferenz zustimmen mußten, planten die Außenminister der drei Westmächte, wenn sie schon die Zustimmung der Sowjet-

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union nicht erreichen konnten, die Konferenz demagogisch zu nutzen und hinter bombastischen Reden über „freie Wahlen" ihre eigentlichen aggressiven Absichten hinsichtlich Deutschlands und Europas zu verbergen, der Konferenz statt einer Diskussion über das Wesen der „EVG" und über einen deutschen Friedensvertrag eine Diskussion über die sogenannten freien Wahlen aufzuzwingen. Schließlich gehörte es zu ihren Plänen, da sie die Ablehnung der Sowjetunion voraussehen konnten, die Sowjetunion als Gegner freier Wahlen und der Einheit Deutschlands hinzustellen und ihr die Schuld f ü r ein Scheitern der Konferenz in die Schuhe zu schieben. Entsprechend ihrer Generallinie der Sicherung des Friedens auf dem ganzen Erdball strebte die Sowjetunion auf der Berliner Außenministerkonferenz generell nach Übereinkünften, die diesem Ziel dienen konnten. Sie wollte versuchen, Wege zur Abrüstung zu bahnen, die Kriegsbrände in Asien zuverlässig auszutreten und die imperialistischen Regierungen zur Anerkennung der Realitäten des entstehenden Sozialismus in der Volksrepublik China, in der Koreanischen Volksdemokratischen Republik und in der Demokratischen Republik Vietnam zu veranlassen. Die Ziele, die die Sowjetunion, ausgehend von ihrer Gesamtkonzeption hinsichtlich unseres Kontinents, verfolgte, könnten so formuliert werden: 1. In der Frage der Anerkennnung der seit dem zweiten Weltkrieg in Europa entstandenen Realitäten ein Stück weiterzukommen und dabei insbesondere die Existenz des sozialistischen deutschen Staates, der DDR, zur Geltung zu bringen. 2. Das Forum der Konferenz zu nutzen, um vor den Völkern Europas und vor der Weltöffentlichkeit die Alternative zur imperialistischen EuropaPolitik umfassend darzulegen, konstruktive, realistische Vorstellungen f ü r die Lösung der Hauptprobleme Europas, der friedlichen Koexistenz der Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, der deutschen Frage und der noch ungelösten Probleme in bezug auf Österreich zu entwickeln, dem Kampf aller interessierten Kräfte f ü r Frieden und Sicherheit ein Programm zu geben. 3. Die imperialistischen Regierungen zu zwingen, vor der Öffentlichkeit ihre wahren aggressiven Pläne einzugestehen, die im krassen Widerspruch zu den Lebensinteressen der Völker Europas standen, und selbst diese Pläne nach Kräften zu enthüllen, u m ihrer Verwirklichung auch auf diese Weise entgegenzuwirken, sowie der Aggression neue Schranken zu setzen. 4. Die Konferenz zum Kampf gegen die Wiedergeburt des deutschen Militarismus zu nutzen und dem Abschluß eines Friedensvertrags mit Deutschland näher zu kommen. 5. Die Konferenz als Mittel des Kampfes gegen die von den Westmächten betriebene Spaltung Europas in einander feindlich gegenüberstehende Militärblöcke, die auch die Vertiefung der Spaltung Deutschlands bedingte, zu nutzen. Dementsprechend erteilte die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ihrer nach Berlin entsandten Delegation den Auftrag zu erreichen,

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daß die Konferenz „die aggressiven Bestrebungen des imperialistischen Lagers zügelt und damit den Interessen der Festigung des Friedens entspricht"61. Die Berliner Außenministerkonferenz leistete einen bedeutsamen Beitrag zur Vorbereitung der Genfer Konferenz, die von April bis Juli 1954 über die Fragen Koreas und Indochinas beriet, und sie verhandelte über den österreichischen Staatsvertrag, der infolge der destruktiven Haltung der Westmächte allerdings nicht abgeschlossen werden konnte. Aber das Beherrschende dieser Konferenz waren die deutsche Frage und die mit ihr verknüpften Probleme der europäischen Sicherheit. In dieser Beziehung verlief die Konferenz, ohne dem chronologischen Ablauf im einzelnen folgen zu wollen 62 — bisweilen wurden die Tagesordnungspunkte nicht nacheinander, sondern parallel behandelt —, in zwei Phasen: Zuerst beherrschte das Thema Friedensvertrag mit Deutschland die Konferenz und dann das Thema kollektive Sicherheit. Entsprechend ihrer Konzeption der Sicherung friedlicher äußerer Bedingungen des sozialistischen Aufbaus in Europa rückte die sowjetische Delegation ihren Entwurf für einen Friedensvertrag mit Deutschland sowie Maßnahmen zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung und Maßnahmen zur Vorbereitung des Friedensvertrags, die Analyse des aggressiven Wesens der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft" und der mit ihr verbundenen Politik der Remilitarisierung der BRD, der Spaltung Deutschlands und Europas in einander gegenüberstehende Militärblöcke und der Kriegsvorbereitung und ihr Projekt eines gesamteuropäischen Vertrags über die kollektive Sicherheit in Europa in den Mittelpunkt der Erörterungen. Damit befand sich die sowjetische Delegation während des gesamten Konferenzverlaufs in der Offensive. Sie bestimmte weitgehend den Gang der Diskussionen. Die Konzeption der Westmächte fand ihren konzentrierten Ausdruck im sogenannten Eden-Plan, mit dem ihre Delegationen hofften, aus ihrer Defensivposition in die Offensive zu gelangen. Der sowjetische Entwurf eines Friedensvertrags, der noch nicht den Wortlaut, sondern — um das Wesentliche zu betonen und eine Verständigung zu erleichtern — die Grundsätze enthielt, zielte darauf ab, das Kernproblem der nach dem zweiten Weltkrieg in Europa ungelöst gebliebenen Probleme und die inzwischen entstandene Hauptfrage für das friedliche Zusammenleben der europäischen Völker zu lösen. Er wollte den Auftrag von Jalta und Potsdam zu Ende führen und dauerhafte friedliche Verhältnisse im Zentrum des Kontinents schaffen, die Sicherheit aller Nachbarn Deutschlands garantieren, das Wiedererstehen des deutschen Militarismus in der BRD verhindern und dem deutschen Volk zur staatlichen Einheit auf der Grundlage von Frieden und Demokratie bei voller Souveränität verhelfen. Um diesen Zielen näher zu kommen, hatte die Sowjetunion ihre Politik in der 61 62

Zit. in: Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, 2. T. 1945—1970, S. 278. Vgl. dazu Bittel, Karl, Tagebuch der Berliner Konferenz, Leipzig/Jena 1955.

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deutschen Frage weiterentwickelt. Die in den ersten Nachkriegsjähren verfolgte Linie der Entmilitarisierung entsprach nicht mehr den veränderten Bedingungen. Die NATO war als aggressiver Militärpakt der westlichen imperialistischen Mächte entstanden. Deutschland war gespalten worden. Die beiden deutschen Staaten entwickelten sich von Jahr zu Jahr auseinander. In der BRD war der deutsche Imperialismus wiedererstanden, und die Remilitarisierung dieses Staates schritt rasch voran. Die Integration der BRD in das System imperialistischer multilateraler ökonomischer, politischer und militärischer Pakte wurde betrieben. In der DDR dagegen faßte zum ersten Male der Sozialismus auf deutschem Boden Fuß. Der sozialistische deutsche Staat war durch zahlreiche Bande mit den anderen sozialistischen Bruderstaaten verbunden und entwickelte sich als Teil der sich formierenden neuen Gemeinschaft sozialistischer Staaten. Er konnte der Bedrohung durch die Remilitarisierung der BRD nicht tatenlos zuschauen und begann, zu seinem Schutz bewaffnete Polizeiformationen zu bilden. In dieser Lage stellte die Sowjetunion die Forderung nach militärischer Neutralität sowohl der beiden deutschen Staaten als auch eines möglichen einheitlichen deutschen Staates auf und formulierte sie in ihrem Friedensvertragsentwurf vom März 1952. Die Forderung der militärischen Neutralität entsprach unter den gegebenen Bedingungen den Prinzipien von Potsdam am besten. Sie war verbunden mit dem Kampf um die Einheit Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage und für den Abschluß eines Friedensvertrags. Militärische Neutralität bedeutete die Nichtteilnahme an irgendwelchen Militärpakten, die Unzulässigkeit fremder Militärstützpunkte auf deutschem Boden und den Abzug aller ausländischen Truppen. Sie schloß indessen die Unterhaltung begrenzter, für die Verteidigung des Landes erforderlicher deutscher Truppen nicht aus. Aber die militärische Neutralität der BRD und der DDR sowie des künftigen vereinten Deutschlands hätte die Ausnutzung der gewaltigen ökonomischen Ressourcen, der Menschen, der zentralen und an der Grenze des sozialistischen Weltsystems befindlichen Lage im Dienste der Weltreaktion gegen die sozialistischen Staaten zuverlässig verhindert. Für Europa hätte die Verwirklichung dieser Idee, die die Sowjetunion auch in bezug auf Österreich verfolgte, die Entstehung einer breiten militärisch neutralen Zone von Finnland und Schweden über die DDR und die BRD bis nach Österreich und der Schweiz gebracht, d. h. die unmittelbare militärische Konfrontation zwischen Sozialismus und Imperialismus beseitigt und so eine entscheidende Bedingung friedlicher Koexistenz sozialistischer und kapitalistischer Staaten in Europa geschaffen. Den Deutschen hätte die Verwirklichung dieser Idee die Verhinderung der Remilitarisierung der BRD und der weiteren Einmischung der imperialistischen Westmächte in die inneren Angelegenheiten der BRD gebracht. Der unvermeidliche Kampf zwischen Sozialismus und Imperialismus auf deutschem Boden um die Herstellung der Einheit Deutschlands als friedliebender und demokratischer Staat, für die end-

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gültige Gestaltung seiner politischen und sozialen Ordnung hätte ohne die Belastungen des ausländischen imperialistischen militärischen Drucks und der Existenz des Militarismus in der BRD ausgefochten werden können. Militärische Neutralität hätte das Gewicht der beiden deutschen Staaten oder des vereinten Deutschlands in Europa und in der Welt nicht etwa verringert, wie die Befürworter der Remilitarisierung behaupteten, sondern sein Ansehen als Friedensfaktor nur verstärken können. Ein Blick in die jüngste Geschichte Finnlands oder Österreichs oder der Gruppe der nichtpaktgebundenen Staaten überhaupt genügt, die positive Rolle militärisch neutraler Staaten bei der Sicherung des Friedens zu begreifen. Die Politik der militärischen Neutralität Deutschlands war revolutionäre Politik, war Friedenspolitik und auf die Schaffung von Bedingungen der Sicherheit für alle Völker Europas gerichtet. Die Fruchtbarkeit dieser Idee zeigt sich daran, daß sie später unter anderen Bedingungen ihre Fortsetzung in der Idee vom Auseinanderrücken der Streitkräfte der N A T O und des Warschauer Vertrags und in der Idee einer Zone der verminderten Rüstungen in Zentraleuropa gefunden hat, über deren Verwirklichung in der Gegenwart als Teil der Gesundung des politischen Klimas in Europa verhandelt wird. In Potsdam war man davon ausgegangen, daß die Besatzungstruppen nach Erfüllung ihrer Aufgaben, spätestens aber nach Abschluß des Friedensvertrags mit Deutschland und eines Staatsvertrags mit Österreich abgezogen werden sollten. Seit die Westmächte die Lösung der deutschen Frage verschleppten und die U S A zu erkennen gaben, daß sie sich in Westeuropa und besonders in Westdeutschland für immer festzusetzen gedachten, stellte die Sowjetunion seit 1946 die Forderung nach Abzug der ausländischen Truppen als Teil des Kampfes um die Sicherheit in Europa.63 Auch diese Forderung hat ihre Lebenskraft bewiesen. Nachdem in den 60er Jahren veränderte Bedingungen entstanden waren, fand diese Idee ihre Fortsetzung in den schon erwähnten Ideen des Auseinanderrückens der Streitkräfte der N A T O und des Warschauer Vertrags, der Verminderung der Rüstungen und der Herabsetzung der Truppenstärke in Zentraleuropa. Dem Wesen nach zielte das auf der Außenministerkonferenz verfochtene Konzept der sowjetischen Politik gegenüber den imperialistischen Staaten in Europa darauf, diese zur Anerkennung der militärischen, sozialen und politischen Folgen des zweiten Weltkrieges und der Realitäten der Nachkriegsentwicklung zu veranlassen, darunter auch der Tatsache, daß die DDR entstanden war und sich als sozialistischer Staat entwickelte. Es ging um nicht mehr und nicht weniger als darum, die Anerkennung der Unabänderlichkeit der Existenz des Sozialismus in der Sowjetunion und in den Ländern der Volksdemokratie einschließlich der DDR zu erkämpfen. Die politischen Leitsätze des Entwurfs eines Friedensvertrags sahen die Entwicklung Deutschlands als einheitlicher, unabhängiger, demokratischer und 63

Sowjetische Außenpolitik und europäische Sicherheit, S. 250.

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friedliebender Staat und die wirksame Sicherung der demokratischen Rechte f ü r alle deutschen Bürger — mit Ausnahme der verurteilten Nazi- und Kriegsverbrecher — vor. Sie zielten auf die Sicherung des Sozialismus in der DDR, eine entscheidende Garantie des Friedens in Europa, gegen den in der BRD wachsenden Militarismus und seine Wurzeln und damit auf die Schaffung innerer Bedingungen auch in der BRD f ü r eine stabile europäische Friedensordnung. Besondere Bedeutung kam den Leitsätzen 2, 7 und 8 zu. In ihnen schlug sich vor allem die Idee der militärischen Neutralität nieder. Entsprechend diesen Leitsätzen sollten die Besatzungstruppen spätestens ein J a h r nach Abschluß des Friedensvertrags vom deutschen Territorium abgezogen und alle ausländischen Militärstützpunkte beseitigt werden, sollte sich Deutschland verpflichten, sich keinerlei Koalitionen oder Militärbündnissen anzuschließen, die sich gegen irgendeinen Staat richten, der mit seinen Streitkräften am Krieg gegen Deutschland teilgenommen hat. Sie sahen vor, Deutschland keinerlei Verpflichtungen politischen und militärischen Charakters aufzuerlegen, die sich aus Verträgen oder Abkommen ergaben, die von den Regierungen der BRD und der DDR vor Abschluß des Friedensvertrags und der Wiedervereinigung Deutschlands abgeschlossen worden sind. Die wirtschaftlichen Leitsätze gestatteten eine unbeschränkte Entwicklung der Friedenswirtschaft. Während die „EVG" im Zeichen ernster Einschränkungen der Souveränität der beteiligten Staaten stand, ging die Sowjetunion in ihrem Friedensvertragsentwurf von der Wahrung der Souveränität des künftigen einheitlichen und demokratischen Deutschlands aus. Achtung der Souveränität und Gleichberechtigung großer wie kleiner Staaten sind überhaupt unverrückbare Grundzüge sowjetischer Außenpolitik. In den militärischen Leitsätzen sah die Sowjetregierung die Bildung nationaler Streitkräfte in solchen Grenzen vor, wie sie zur Verteidigung des Landes notwendig waren. 64 Dieser Friedensvertragsentwurf — der Öffentlichkeit seit langem bekannt und lediglich um einige Grundsätze vervollkommnet, die sich aus der Unterzeichnung der Verträge über die „EVG" ergaben — fand überall in der DDR, in der BRD und in vielen anderen Ländern die Zustimmung der friedliebenden Kräfte. Er entsprach den friedlichen Interessen aller Völker, das deutsche eingeschlossen. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, von den Westmächten der Möglichkeit beraubt, vor der Außenministerkonferenz ihren Standpunkt darzulegen, entwickelte in dem der Konferenz übermittelten Memorandum ihre Aufassungen vom Inhalt des Friedensvertrags, die in allen wesentlichen Punkten mit denen der Sowjetunion übereinstimmten. 6 5 In der französischen Bewegung gegen die „EVG" fand der Friedensvertrags64 65

Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, S. 425 ff. Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Republik, S. 132 f.

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entwurf der Sowjetunion nachhaltige Unterstützung. So wandten sich 19 namhafte Hochschullehrer, zumeist mit hohen Orden ausgezeichnete Widerstandskämpfer gegen den deutschen Faschismus, in einer von der Französischen Universitäts-Vereinigung herausgegebenen Schrift mit der Forderung an die Massenbewegung, den Kampf zu verstärken, gaben eine zutreffende Analyse des Wesens der „EVG", berichteten zustimmend vom Kampf der westdeutschen Gegner dieses Kriegspaktes und von der Haltung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der DDR zu ihm und riefen zur Solidarität mit den deutschen Patrioten. Die Autoren charakterisierten die „EVG" als Instrument des antisowjetischen Kreuzzuges. Sie entlarvten die Lüge der französischen Regierung, die behauptete, wenn das französische Parlament die Verträge nicht ratifiziert, bestehe die Möglichkeit, daß die USA eine eigene westdeutsche Armee ausrüsten, und erst dann entstehe die Gefahr des deutschen Militarismus. Sie erklärten, „daß das Dilemma, vor dem unsere Regierung steht, ein erlogenes Dilemma ist. Die Frage steht nicht so: entweder [west]deutsche oder europäische Armee. Es steht nur eine Frage: entweder deutsche Armee (unter der Schminke einer europäischen Armee) oder friedliche Regelung des deutschen Problems." Leidenschaftlich setzten sie sich für den Abschluß eines die Gefahr des Militarismus bannenden Friedensvertrags mit Deutschland ein.66 Die Außenminister der Westmächte indessen fielen wütend über das sowjetische Projekt her, das ihre gesamte Deutschland- und Europa-Konzeption so empfindlich störte, sie enthüllen half und auf diese Weise ihre Durchführung erschwerte. Besonders scharf lehnten sie den Gedanken der militärischen Neutralität ab und beharrten auf der Wiedererrichtung des deutschen Militarismus, auf der „EVG". Sie, die die BRD und mit ihrer Hilfe ganz Deutschland in der „EVG" als militärischen Stoßkeil gegen die sozialistischen Staaten ausbauen, aber zugleich unter fester Abhängigkeit und Kontrolle bei stark eingeschränkter Souveränität halten wollten, spielten sich als die Hüter der außenpolitischen Handlungsfreiheit der künftigen deutschen Regierung auf, wobei unter „Freiheit" die des Beitritts zur „EVG" zu verstehen war.67 In ihrem Vorgehen gegen die sowjetischen Friedensvertragsvorschläge wurden die westlichen Außenminister von der Masse der bürgerlichen Zeitungen unterstützt, die die heuchlerische Argumentation der Außenminister wiederholten und die Standpunkte der Sowjetunion entstellten. Aber die Entlarvung ihrer wahren Ziele in Europa durch die sowjetische Delegation brachte auch einige bürgerliche Journalisten zum Nachdenken. So fragte das „Hamburger Echo" schon am 1. Februar: „Wollen die westlichen Außenminister ernstlich sich dem Verdacht aussetzen, daß ihnen die projektierte EVG mehr wert sei

66

67

Que deviendrait la France? Union française universitaire, Paris 1953, in: Francija i „Evropejskaja armija", S. 90 f£. Vgl. u. a. Dokumente zur Deutschlandfrage, Hauptbd. 1, S. 188 f.

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als die Möglichkeit, durch Deutschlands Wiedervereinigung eine ganz neue, das heißt entspannte Lage in Europa herbeizuführen?" Die westlichen Außenminister wollten sich nicht nur diesem Verdacht aussetzen, sondern sie taten, wie der Konferenzverlauf bewies, alles, eine neue, entspannte Lage in Europa zu verhindern. Die Westmächte legten keinen eigenen Entwurf eines Friedensvertrags vor. Sie stellten dem sowjetischen Vorschlag den sogenannten Eden-Plan gegenüber. Dieser Plan setzte die von den Westmächten nach der Spaltung Deutschlands betriebene Linie fort, mit den Mitteln manipulierter Wahlen die DDR zu rekapitalisieren und — der BRD einverleibt — in einen Hort der Aggression gegen die sozialistischen Nachbarn zu verwandeln. Vor der Spaltung, als demokratische Wahlen frei vom Druck großer imperialistischer Monopole und reaktionärer Machtorgane in den Westzonen noch relativ einfach zu gewährleisten waren, sind die Westmächte stets als Gegner gesamtdeutscher Wahlen aufgetreten und haben alle entsprechenden Vorschläge der Sowjetunion abgelehnt. Entgegen dem sowjetischen Friedensvertragsentwurf, an dem alles klar und eindeutig formuliert und für jeden verständlich war, hatten die Autoren des Eden-Plans dessen reaktionäres, friedensgefährdendes, aggressives Wesen hinter wohlklingenden Formulierungen und einem formalen Konstitutionalismus versteckt. Während die Sowjetregierung in Anbetracht der fortschreitenden Remilitarisierung der BRD zur Beschleunigung mahnte und die Vorbereitung des Friedensvertrags im Miteinander mit den Vorbereitungen zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung vorschlug, enthielt der Eden-Plan fünf umständlich aufeinanderfolgende Stadien, die auf ein langes Hinauszögern des Friedensvertrags berechnet waren, als dessen Kernpunkt aber das erste Stadium, die sogenannten freien Wahlen anzusehen sind. Hier war alles so angelegt, daß den reaktionären imperialistischen Kräften ein Übergewicht zugespielt werden konnte. Schon das Wahlgesetz sollte unter Ausschaltung deutscher Mitwirkung von den Besatzungsmächten ausgearbeitet und verkündet werden. Das bedeutete nichts anderes als die demokratischen Kräfte, sowohl in der DDR als auch in der BRD, ausschalten zu wollen. Die Wahlen sollten unter dem Druck des Besatzungsregimes stattfinden. Der Abschnitt über die „Garantien für freie Wahlen" enthielt solche normalen Bestimmungen wie Geheimnis der Stimmabgabe, Sicherheit der Wahllokale, Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Immunität der Kandidaten. Gleichzeitig aber sah er keinerlei Schutz der Wahlen vor Eingriffen durch die großen Monopole vor, die das Entscheidende getan hatten, den Hitlerfaschismus unter Ausnutzung ihrer ökonomischen Macht mit Hilfe von Wahlen zu installieren und die (bürgerliche) Demokratie zu vernichten. Er sah keinerlei Maßnahmen gegen faschistische und militaristische Organisationen vor, sondern bestimmte ausdrücklich „Freiheit der Meinungsäußerung für alle".68 68



Ebenda, S. 181.

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In der Auseinandersetzung um diese angeblichen Garantien für freie Wahlen, die den antidemokratischen, militaristischen Elementen alle Wege ebnen sollten, vom Leiter der sowjetischen Delegation Molotow in die Enge getrieben, solidarisierte sich Dulles ausdrücklich mit den militaristischen und faschistischen Kräften, als er die sowjetischen Forderungen nach tatsächlichen Garantien f ü r die Freiheit der Wahlen gehässig kommentierte: „Ein .Druck der großen Monopole auf die Wähler' muß ausgeschlossen werden, und vom Wahlrecht müssen alle Organisationen ausgeschlossen sein, die nach sowjetischem Standard faschistischen oder militaristischen Charakter haben."69 Acht Jahre nach den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wollte der amerikanische Außenminister nicht mehr wahrhaben, daß es f ü r die Charakterisierung als faschistisch und militaristisch auch einen amerikanischen oder besser einen völkerrechtlichen Standard gab. Besondere Beachtung verdient der Abschnitt über die sogenannte Wahlaufsicht. Diese sollte von einer Kommission „aus Vertretern der Vier Mächte mit oder ohne Teilnahme Neutraler" ausgeübt werden. „Die Kommission sollte auf Ausschußbasis arbeiten. Sie sollte mit Stimmenmehrheit entscheiden."70 Das bedeutete aber, daß die Stimmenmehrheit der drei Westmächte nicht nur in der BRD, sondern auch in der DDR Eingriffe in die Wahlen im Dienste des Imperialismus, der Politik der Einbeziehung ganz Deutschlands in die NATO und gegen die sozialistische Ordnung in der DDR ermöglichen und noch mit einem Schein der Legalität versehen sollte. Aber damit noch nicht genug. Für den Fall, daß alle Maßnahmen der Förderung der militaristischen und faschistischen Kräfte nicht ausreichten und aus den Wahlen doch ein Parlament hervorginge, das im Sinne des Friedens und der Demokratie, gegen den Militarismus und gegen die „EVG" entschiede, hatten die Verfasser dieses heimtückischen Plans noch eine Falle eingebaut. In den Ausführungen über das vierte Stadium hieß es: „Für Beschlüsse der Nationalversammlung und der gesamtdeutschen Regierung bei der Ausführung dieses Planes wird die Genehmigung der Vier Mächte nicht erforderlich sein. Solche Beschlüsse dürfen nicht abgelehnt werden . . . " Diese Bestimmung erscheint normal, aber sie hat einen hinterhältigen Nachsatz: „..., es sei denn durch Stimmenmehrheit der Vier Mächte."71 Die Westmächte wollten sich also noch nach der Wiedervereinigung alle Möglichkeiten sichern, die Sowjetunion zu majorisieren und sich in die inneren Angelegenheiten Deutschlands einzumischen. Wie so etwas geschieht, hatten die USA demonstriert, als sie die Bestimmungen der hessischen Verfassung außer Kraft setzten, die die Enteignung der Kriegsverbrecher vorsahen. Hinter dem formal-demokratischen Schleier des Eden-Plans verbarg sich das strategische Ziel der imperialistischen Mächte, den Sozialismus in der DDR 69 70 71

Ebenda, S. 192. Ebenda, S. 182. Ebenda, S. 183.

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zu liquidieren und ganz Deutschland zum Instrument der Politik des Zurückrollens des Sozialismus in Europa zu machen. „ . . . das war kein Vorschlag einer friedlichen Regelung. Das war die Forderung der Früchte eines militärischen Sieges."72 So charakterisierten Aneurin Bevan und seine Freunde den Eden-Plan und fügten an anderer Stelle hinzu: „Die Verfechter der Aufrüstung Deutschlands rufen uns immer auf, realistisch zu sein. Aber der Realismus lehrt uns, daß wir uns, wenn wir den Frieden wollen, nicht Ziele stellen dürfen, die nur auf dem Wege des Krieges zu erreichen sind. Die Forderung, das vereinigte Deutschland mit der NATO zu verbinden, ist ein Ziel eben dieses Charakters." Sie sahen in dieser Forderung den Teil eines Plans der, wie sie sich ausdrückten, „Befreiung Osteuropas und des Sturzes der kommunistischen Ordnung in Rußland"73. Es verstand sich von selbst, daß die Sowjetunion bei der Verwirklichung derartiger Pläne nicht noch Schützenhilfe leisten würde. Ihre Delegation nutzte die Tribüne der internationalen Konferenz, um vor den Völkern Europas das wahre Wesen der imperialistischen Europa- und Deutschlandpolitik aufzudecken und ihre Verfechter zum öffentlichen Eingeständnis ihrer Ziele zu zwingen. In mehreren Reden wies Molotow die antidemokratische, friedensfeindliche und gegen die Interessen des deutschen Volkes wie aller Völker Europas zielende Stoßrichtung der imperialistischen Wahlpläne nach. Er hob hervor, daß sie vom „Mißtrauen gegen die deutschen demokratischen Kräfte" getragen waren74 und daß sie dagegen den antidemokratischen und antisozialistischen Kräften alle Möglichkeiten des Wirkens eröffneten. Ausführlich befaßte er sich mit den Lehren der Geschichte des Machtantritts der Hitlerfaschisten auf dem Wege der Wahlbeeinflussung durch die Magnaten der Schwerindustrie.75 Aber selbst die erst kurze Geschichte der BRD zeigte das gleiche Bild der massiven Eingriffe des westdeutschen Monopolkapitals in die Wahlen, wozu noch die Einmischung der Westmächte zugunsten der reaktionärsten deutsdien Kräfte kam. Die Bundestagswahlen 1953 waren ein anschauliches Beispiel „freier" Wahlen nach Edens Muster. Am 12. August 1953 hatte der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands der Öffentlichkeit eine Denkschrift über die „Finanzierung und Korrumpierung der Regierungsparteien durch die Managerschicht der Wirtschaft" übergeben, in der die Wege der Millionensummen aus den Kassen der Monopolunternehmen in die Verfügung der CDU, der FDP und der offen faschistischen DP und das gesamte übrige System der Wahlbeeinflussung und Meinungsmanipulierung über eine gekaufte oder erpreßte Presse usw. de-

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Bevan u. a., It need not happen, S. 35. Ebenda, S. 57. Molotow, W. M., Reden auf der Berliner Außenministerkonferenz, Berlin 1954, S. 32. Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, S. 437 ff.

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tailliert verfolgt wurden.76 Der gleiche Dulles, der sich auf der Berliner Außenministerkonferenz so wortreich über die Freiheit der Wahlen ausließ, hatte mit seinen groben Einmischungen in die Bundestagswahlen 1953 demonstriert, wessen Freiheit er meinte. Der „Sozialdemokratische Pressedienst" schrieb am 4. September 1953 über Dulles' Rolle: „Die massive Einmischung des amerikanischen Außenministers in den westdeutschen Wahlkampf zugunsten des Kanzlers und der gegenwärtigen Regierungsparteien ist eine herausfordernde Verletzung einfachster internationaler Anstandsregeln. Sie zeigt so deutlich wie nichts anderes zuvor, daß die Regierung in Washington von der Vorstellung ausgeht, die deutsche Politik habe so, wie in den letzten Jahren, auch in Zukunft nach den Bedürfnissen und Weisungen des State Departements zu verfahren, nicht aber nach den deutschen Lebensinteressen." Wenn die Sowjetunion immer wieder darauf betand, wie in dem am 4. Februar eingebrachten Vorschlag „Über die Bildung einer Provisorischen Gesamtdeutschen Regierung und die Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen", daß der demokratische Charakter des künftigen deutschen Staates vorher gesichert sein sollte und nicht der Gefährdung durch den Zufall oder das geplante Wirken militaristischer Kräfte ausgesetzt werden dürfe und die Wahlen in wirklicher Freiheit, frei vom Druck seitens der Großmonopole durchgeführt werden müssen, „in deren Ergebnis das deutsche Volk ohne Einmischung fremder Staaten die Frage der gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtung eines demokratischen Deutschlands lösen" wird77, und wenn die DDR in ihrem Memorandum an die Außenministerkonferenz ähnliche Forderungen für die Garantie der Freiheit der Wahlen im Detail aufstellte78, so befanden sich diese beiden verbündeten sozialistischen Staaten nicht nur in Übereinstimmung mit den Lehren der Geschichte des faschistischen Machtantritts, sondern auch mit den unmittelbaren Erfahrungen der Arbeiterbewegung und der anderen demokratischen Kräfte in der BRD. Dabei fanden sie die Unterstützung der Gegner der Remilitarisierung. „Was verlangen die Russen? Daß die Vier über die Grundlinien des Friedensvertrags vor Anberaumung freier Wahlen verhandeln sollen?", fragte die Pariser Zeitung „L'Observateur D'Aujourdhui" am 4. Februar, und sie trat an die Seite der Sowjetunion, als sie weiter fragte: „Sollte dies vollkommen vernunftwidrig sein, und hat nicht auch Frankreich ein Interesse, im voraus zu erfahren, wie dieses künftige Deutschland aussehen wird?" 76

77 78

Vgl. Winzer, Otto, Die große Lüge von den „freien Wahlen" in Westdeutschland. Ein dokumentarischer Nachweis aus offiziellen Veröffentlichungen des Bonner Parteivorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Berlin 1954, S. 6 ff. Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, S. 449 ff. Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, S. 130 f.

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Große Aufmerksamkeit widmete der sowjetische Außenminister dem Nachweis, daß die Westmächte mit ihrem Wahlplan die Liquidierung des Sozialismus in der DDR und ihre Einverleibung in die BRD und die Fesselung ganz Deutschlands an ihr aggressives Militärpaktsystem erstrebten. Ganz gegen den Willen der Westmächte, die die Vertragstexte tunlich vor den Volksmassen verbargen und sie auch auf der Konferenz geflissentlich umgingen, legte Molotow Artikel 7, Absatz 2 des Bonner Vertrags der Öffentlichkeit vor, in dem es klipp und klar hieß, daß die Westmächte und die BRD vereinbart hatten, dem wiedervereinigten Deutschland eine „Verfassung ähnlich wie die der Bundesrepublik" zu geben und es „in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft" zu integrieren.79 Und er führte der Öffentlichkeit auch den dritten Absatz dieses Artikels vor, der die BRD streng zur Wahrung der Rechte verpflichtete, die die Westmächte aus dem Vertragskomplex über die „EVG" für sich beanspruchten.80 So ergab sich aus dem Nachweis des antidemokratischen und gegen den Sozialismus gerichteten Wesens des EdenPJans der Nachweis der wahren, eben dieser Politik entsprechenden Ziele der „EVG". Die Sowjetunion befand sich bei ihrer Einschätzung in Übereinstimmung mit Überlegungen, die demokratische Kräfte in anderen Ländern getroffen hatten. Der bekannte bürgerliche Jurist B. Lavergne, Professor der juristischen Fakultät der Pariser Universität, der in Dutzenden von Artikeln den Kampf gegen die „EVG" propagierte, bezeichnete sie ähnlich wie die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Staaten und auch ähnlich wie die kommunistischen und Arbeiterparteien der europäischen Länder „als Gemeinschaft der diplomatischen Erpressung oder der militärischen Aggression gegen die UdSSR"81. Unter dem Druck der immer wieder die Hauptfrage, nämlich die Verhinderung des Wiedererstehens des deutschen Militarismus hervorhebenden Auftretens der sowjetischen Delegation mußte der französische Außenminister Bidault schließlich zugeben, daß die Westmächte einen solchen Friedensvertrag wollten, nach dem Deutschland „nicht über militärische Streitkräfte verfügen [wird], die seinen eigenen Entschlüssen unterstehen"82, sondern denen der NATO. In den Beratungen der Konferenz beriefen sich die westlichen Außenminister immer wieder darauf, daß sich die Wähler in der BRD mit ihrer Abstimmung bei der Bundestagswahl 1953 für die „EVG" entschieden hätten und daß das Festhalten an ihr den Interessen der Völker entspreche. Die Autorität der DDR und deren die wahren Interessen des Volkes zum Ausdruck bringende Politik wollten sie dagegen nicht anerkennen. Daraufhin empfahl Molotow, den Willen der Bevölkerung in der DDR und der BRD ernstlich zu prüfen, 79 80 81 82

Handbuch der Verträge 1871-1964, S. 77. Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, S. 432. Francija i „Evropejskaja armija", S. 145. Dokumente zur Deutschlandfrage, Hauptbd. 1, S. 203.

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und schlug vor, „eine Volksbefragung — ein ganz Deutschland umfassendes Referendum — durchzuführen, um festzustellen, wofür das deutsche Volk eintritt: Für die Verträge von Bonn und Paris oder für einen Friedensvertrag? Dann hätten alle eine klare Antwort auf die Frage, wer heute die Bestrebungen des deutschen Volkes wahrhaft zum Ausdruck bringt."83 Die Westmächte hüteten sich, einer Befragung des Volkes zuzustimmen. Die Regierung der DDR hatte keine Furcht, ihre Politik des Friedens und der demokratischen Einheit Deutschlands mit Hilfe eines Friedensvertrags in der vom Außenminister der Sowjetunion formulierten Frage dem Volke zur Beurteilung vorzulegen. Vom 27. bis 29. Juni 1954 entschieden sich bei der hohen Teilnahme von 98,6% der Wahlberechtigten 93,6% für einen Friedensvertrag und gegen die „EVG". Die Regierung in Bonn verbot, das Volk demokratisch zu befragen. Da die Befürworter der „EVG" auch in Frankreich unter demagogischer Ausnutzung der Ergebnisse der Bundestagswahlen, in denen die Frage der „EVG" von den Regierungsparteien absichtlich nicht in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt worden war, gegen die Massenbewegung zu Felde zogen, entstand dort ebenfalls die Idee der Volksbefragung. Am 22. September 1953 fragte die Zeitung „L'Information" die Parteigänger des Kriegspaktes, „warum fordern sie nicht die Durchführung einer das gesamte Volk umfassenden Konsultation in Frankreich, eine Abstimmung auf der Grundlage klarer und deutlicher Wahlforderungen. Dann wäre es möglich zu sehen, welche Erfolge die Befürworter des Vereinigten Europa davontrügen."84 In Deutschland wie in Frankreich und am Tisch der Berliner Konferenz zeigte sich auch an der Stellung zur Idee einer Volksbefragung, welche Politik der Unterstützung der Völker gewiß sein konnte, weil sie deren Interessen zum Ausdruck brachte, und welche die Entscheidung der Völker zu fürchten hatte, wer auf der Seite der Demokratie und des Friedens und wer auf der Seite des Militarismus und der Vorbereitung eines Krieges gegen die sozialistischen Staaten stand. Die Sowjetunion vertrat während der gesamten Konferenz „den Standpunkt, daß die Aufgabe, den Frieden und die Sicherheit in Europa zu gewährleisten, vor allem mit der Nichtzulassung eines Wiedererstehens des deutschen Militarismus verbunden ist"85. Dazu war sie zu allen der Sache dienlichen Kompromissen bereit und wurde nicht müde, immer wieder Vorschläge zu unterbreiten, wie z. B. noch am vorletzten Tage der Berliner Verhandlungen den, sich wenigstens über Stärke und Bewaffnung der Polizei in der BRD und der DDR und über Komitees der beiden Staaten zur Regelung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu einigen. Aber da die Westmächte in Übereinstimmung mit den regierenden Kreisen der BRD gerade in der Haupt83 84 85

Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Francija i „Evropejskaja armija", S. 144. Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion,

S. 435. S. 488.

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sache, in der Frage des Wiedererstehens des deutschen Militarismus und seiner Ausnutzung zum Kampf gegen den Sozialismus in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten auf entgegengesetzten Standpunkten standen, und da sie es demzufolge ablehnten, die Legitimität der DDR überhaupt anzuerkennen, war eine Übereinkunft unmöglich. Dem Wirken der Sowjetunion war es zu danken, daß alle Anschläge auf die sozialistische Gesellschaftsordnung in der DDR vereitelt wurden. Die Politik der Westmächte und der Regierung der BRD, mit Hilfe des Eden-Plans den Sozialismus in der DDR zu liquidieren und das Kräfteverhältnis zwischen Sozialismus und Imperialismus in Europa auf diese Weise zugunsten des Imperialismus umzugestalten, hat Schiffbruch erlitten. Der gesamte Verlauf der Berliner Außenministerkonferenz hatte den Beweis erbracht, daß es noch eines lange währenden Kampfes bedurfte, ehe die Lösung der deutschen Frage im Sinne der Demokratie und des Friedens in greifbare Nähe rücken würde. Ja es bestand die reale Gefahr, daß mit der Bindung der BRD an die NATO die Spaltung Deutschlands besiegelt würde. Das bedeutete, die Entwicklung der DDR und der BRD in grundsätzlich entgegengesetzter Richtung fände nicht nur ihre Fortsetzung, sondern eine immer mehr zunehmende Vertiefung, und die Spannung in Europa eine Verschärfung. Die Nachkriegsgeschichte Deutschlands und Europas steuerte einem Wendepunkt entgegen. In dieser Lage änderte sich in gewisser Weise das Verhältnis von deutscher Frage und europäischer Sicherheit. Solange es eine deutsche Frage gab, war ihre Lösung stets das Wichtigste, wenn es um die Normalisierung der Lage in Europa ging. Bis zur Mitte der 50er Jahre wäre es möglich gewesen, die Sicherheit der Völker und Staaten Europas vor allem durch die Lösung der deutschen Frage zu erreichen, wobei die Lösung der deutschen Frage aber in erster Linie Sache der Großmächte und natürlich der Deutschen in der DDR und in der BRD war. Nun aber, da die Remilitarisierung der BRD und ihre Verknüpfung mit der NATO Tatsache zu werden drohten, mußten alle in Europa vorhandenen Kräfte zur Gewährleistung der gemeinsamen Sicherheit mobilisiert werden. Dazu konnten alle Staaten einen annähernd gleichen Beitrag leisten. Die europäische Sicherheit konnte zu einer begünstigenden Bedingung dafür werden, die deutsche Frage doch noch auf der Grundlage der Prinzipien von Potsdam zu lösen. Es ist das historische Verdienst der Sowjetregierung, das Heranreifen dieser neuen Lage nicht nur rechtzeitig konstatiert, sondern auch die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen zu haben. Am 10. Februar 1954 schritt die Regierung der UdSSR zu einer wahrhaft historischen Initiative: ihre Delegation •unterbreitete den Entwurf der „Hauptgrundsätze eines Gesamteuropäischen Vertrags über die kollektive Sicherheit in Europa". Die Geschichte der seitdem verflossenen zwei Jahrzehnte hat die Richtigkeit, den Realismus und die Weitsicht der Generalorientierung der SicherheitsPolitik der Sowjetunion in Europa bewiesen. Wohl haben die Grundsätze von

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1954 manche Präzisierung erfahren, und es sind auch wichtige Ergänzungen vorgenommen worden. Aber keiner der Grundsätze mußte revidiert werden. Sie alle haben die P r ü f u n g e n der Geschichte bestanden, sind in das Aktionsprogramm der Völker Europas f ü r die friedliche Koexistenz auf unserem Kontinent eingegangen und finden sich in den offiziellen Dokumenten der gesamteuropäischen Konferenz f ü r Sicherheit und Zusammenarbeit von 1973/74 wieder. Der Kampf um ein System der kollektiven Sicherheit in Europa bedeutete keineswegs, daß die Sowjetunion beabsichtigte, der Lösung der deutschen Frage künftig weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Das wurde von Anfang an klargestellt. Die „Pravda" erklärte dazu am 12. Februar 1954: „Die Schaff u n g eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa kann und darf nicht in irgendeiner Weise die Bedeutung der Notwendigkeit der raschesten Regelung der Deutschlandfrage, entsprechend den Erfordernissen der Aufrechterhaltung des Friedens in Europa, verringern; mehr noch, die Schaffung dieses Sicherheitssystems würde unbedingt zur Regelung der Deutschlandfrage beitragen, da es die Einbeziehung dieses oder jenes Teils Deutschlands in militärische Gruppierungen ausschließt und somit eines der Haupthindernisse auf dem Wege der Schaffung eines einheitlichen, friedliebenden und demokratischen deutschen Staates beseitigt." Die DDR nahm einen übereinstimmenden Standpunkt ein. Otto Grotewohl, der Ministerpräsident der DDR, schrieb damals, ein System der kollektiven Sicherheit „würde auch eine Beschleunigung der Regelung der Deutschlandfrage zur Folge haben, mehr noch, ein solcher Pakt würde das Haupthindernis f ü r die Regelung der deutschen Frage beseitigen, nämlich die Einbeziehung Westdeutschlands in den Atlantikkriegsblock, die mit der Schaffung eines friedliebenden, demokratischen Deutschland unvereinbar ist" 86 . Das von der Sowjetunion der Konferenz vorgelegte Dokument bestand aus den Entwürfen einer Viermächteerklärung und der Grundsätze des Vertrages. In der gemeinsamen Erklärung sollten sich die vier Mächte verpflichten, sich weiter um die Lösung der deutschen Frage zu bemühen, innerhalb von 6 Monaten ihre Besatzungstruppen (mit Ausnahme beschränkter Kontingente f ü r Überwachungsfunktionen) vom Territorium der DDR und der BRD abzuziehen, die Stärke von Polizeieinheiten in der DDR und der BRD zu vereinbaren und zu überwachen und schließlich in Übereinstimmung mit diesen auf die militärische Neutralisierung Deutschlands gerichteten Bestimmungen einen Vertrag über kollektive Sicherheit abzuschließen. Der Vertragsentwurf selbst ging im Gegensatz zu den Bonner und Pariser Verträgen von den „Prinzipien der Respektierung der Unabhängigkeit und der Souveränität der Staaten wie auch der Nichteinmischung in deren innere Angelegenheiten" aus.87 Da er gegen die Spaltung Europas in feindliche Mili86 87

Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie!, 1954, Nr. 12. Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, S. 475.

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tärblöcke gerichtet war, lud er grundsätzlich alle europäischen Staaten zum Beitritt ein: „Vertragsteilnehmer können, unabhängig von ihrer Gesellschaftsordnung, alle europäischen Staaten sein, die die im Vertrag vorgesehenen Ziele anerkennen und die daraus erwachsenden Verpflichtungen übernehmen."88 Die Sowjetunion beachtete die in Europa entstandenen Realitäten und schlug vor, daß bis zur Bildung eines einheitlichen, friedliebenden, demokratischen deutschen Staates sowohl die DDR als auch die BRD am Vertrag teilnehmen sollten. Außer der Achtung der Souveränität der Staaten, die die Anerkennung ihrer Grenzen einschließt, formulierte der Entwurf die folgenden Prinzipien europäischer kollektiver Sicherheit: „Die Vertragspartner übernehmen die Verpflichtung, sich jeglichen Uberfalls aufeinander zu enthalten, sich ferner in ihren internationalen Beziehungen der Gewaltandrohung oder -anwendung zu enthalten und alle Streitigkeiten, die zwischen ihnen entstehen können, im Einklang mit der UN-Satzung mit friedlichen Mitteln so beizulegen, daß der internationale Frieden und die Sicherheit in Europa nicht gefährdet werden."89 Eine charakteristische Besonderheit dieses sowjetischen Vertragsentwurfes bestand darin, daß die Sicherheit eines jeden Teilnehmerstaates kollektiv verteidigt werden sollte. „Ein bewaffneter Überfall in Europa auf einen oder mehrere Vertragspartner, verübt von irgendeinem Staat oder einer Staatengruppe, wird als Überfall auf alle Vertragspartner betrachtet werden."90 Und es war vorgesehen, dem oder den Überfallenen mit allen Mitteln einschließlich Waffengewalt Hilfe zu leisten. Die Sowjetunion regte die Bildung eines ständigen gesamteuropäischen Konsultativausschusses und eines militärischen Konsultativorgans an, in die die USA und die Volksrepublik China entsprechend ihrer Verantwortung als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates als Beobachter eingeladen werden sollten. Auch diese Idee einer ständigen Einrichtung zur Förderung der Sicherheit hat in die heutigen Bemühungen um die europäische Sicherheit Eingang gefunden. Bekanntlich ist die Bildung derartiger konsultativer Organe, denen für die Bewahrung des Friedens hohe Bedeutung zukommt, in den offiziellen Dokumenten der gesamteuropäischen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit vorgesehen. Die Idee geht auf das Wirken Lenins und des Rates der Volkskommissare Anfang der 20er Jahre zurück. Den Leninschen Weisungen für die Tätigkeit der sowjetischen Delegation auf der internationalen Wirtschaftskonferenz 1922 in Genua folgend, hatte G. V. Cicerin dort einen Plan der Sicherung des Friedens durch vollständige und uneingeschränkte 88 89 90

Ebenda, S. 476. Ebenda. Ebenda.

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Abrüstung und die Idee der Schaffung gemeinsamer, kollektiver Einrichtungen der Sicherheit vorgetragen. 91 Der sowjetische Entwurf der Prinzipien der europäischen Sicherheit setzte der verwirrenden Vielfalt von General-Vertrag, EVG-Vertrag und Zusatzprotokollen, die darauf berechnet waren, das aggressive Wesen zu verbergen, seine klaren, jedem verständlichen Grundsätze entgegen. Er erstrebte, was die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit betraf, die vereinten A n strengungen aller europäischen Staaten bei Anerkennung der Tatsache, daß in Europa Staaten des Sozialismus und des Kapitalismus nebeneinanderbestehen. Der sowjetische Plan der europäischen Sicherheit w a r das konkrete Programm f ü r die Durchsetzung der friedlichen Koexistenz von Staaten entgegengesetzter Gesellschaftsordnung in Europa. Er konnte der Unterstützung aller friedliebenden K r ä f t e in Europa und außerhalb des Kontinents gewiß sein. Er war der komprimierte Ausdruck der historischen Erfahrungen der Völker Europas. Diese Tatsache verlieh ihm hohe Wirkung. Die Völker Europas erinnerten sich gut, daß das Fehlen eines Systems der kollektiven Sicherheit, das von der Sowjetunion am Vorabend des zweiten Weltkrieges vorgeschlagen worden war, die Aggression des faschistischen Staatenblocks möglich gemacht hatte. Solche als Instrumente der Sicherheit ausgegebenen Verträge wie die von Locarno und erst recht von München hatten den Aggressor nur ermuntert. Noch zu frisch w a r in Erinnerung, daß das Außerkraftsetzen des Bündnisvertragssystems zwischen der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Frankreich durch die bürgerlichen Regierungen, das ein Element kollektiver Sicherheit in sich getragen hatte, die CSR dem Aggressor schutzlos preisgegeben und den Weg in den zweiten Weltkrieg geöffnet hatte. Die Völker verfügten indessen nicht nur über die negativen Erfahrungen der Kriegs- und Vorkriegszeit. Sie hatten ebenso frisch die Antihitlerkoalition in Erinnerung. Diese w a r das große Beispiel der kollektiven Zerschlagung eines Aggressors, allerdings erst, nachdem er die Aggression schon weit getrieben und zahlreiche Völker Europas und der übrigen Welt mit Krieg überzogen und versklavt hatte. Die Sowjetunion wollte Garantien dafür, daß eine Aggression schon im Keim erstickt wird, ehe sie sich zum Weltkrieg ausweiten konnte. Offenbar begriffen die Außenminister der Westmächte, allerdings auf ihre Weise, die Bedeutung des sowjetischen Vorschlags. Sie beeilten sich, seine Behandlung noch am Tage seiner Vorlage zu beenden. Ohne ihn überhaupt genau geprüft zu haben, sagten sie nein. A b e r sie hatten nicht mit der initiativreichen Diplomatie der sowjetischen Delegation gerechnet, die nicht zuließ, daß ihr Vorschlag von der Tagesordnung verschwand, und nicht mit der weltweiten Zustimmung zur Idee der kollektiven Sicherheit. Diese Idee, einmal geboren, entwickelte sich zu einer gewaltigen antiimperialistischen K r a f t . Sie

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Materialy Genuezskoj konferencii, M o s k v a 1922, S. 80.

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p r ä g t e u n d p r ä g t d e n K a m p f zwischen Sozialismus u n d Imperialismus u m d e n F r i e d e n in den 50er, 60er u n d 70er J a h r e n . Nachdem den drei westlichen A u ß e n m i n i s t e r n der Versuch, d e n sowjetischen Vorschlag k u r z a b z u t u n , gründlich m i ß l u n g e n w a r , inszenierten die aggressiven K r ä f t e — die westlichen A u ß e n m i n i s t e r a m Konferenztisch in Berlin, die r e a k t i o n ä r e Presse in den kapitalistischen L ä n d e r n — eine V e r l e u m d u n g s k a m p a g n e großen Stils, ohne auf das Wesen des sowjetischen V e r t r a g s e n t w u r f s einzugehen u n d o h n e den T e x t zu publizieren. R u n d w e g lehnte Dulles den Abzug der B e s a t z u n g s t r u p p e n v o m T e r r i t o r i u m der BRD u n d der DDR ab, der die Westmächte der Möglichkeit der d i r e k t e n u n d u n m i t t e l b a r e n Einmischung in die deutschen Angelegenheiten b e r a u b t hätte, u n d strapazierte dabei die alte antisowjetische Lüge von der B e d r o h u n g Westeuropas durch die Sowjetunion. 9 2 Molotows F r a g e nach d e m Beweis i'ür diese verleumderische B e h a u p t u n g blieb u n b e a n t w o r t e t . Bekanntlich h a t die S o w j e t u n i o n in i h r e r Politik Realitäten stets berücksichtigt. Obwohl die BRD u n t e r Bruch des P o t s d a m e r A b k o m m e n s gebildet w o r den w a r u n d ihre Remilitarisierung im d i r e k t e n Widerspruch zu P o t s d a m e r folgte u n d obwohl die S o w j e t u n i o n nach wie vor ein friedliebendes, d e m o kratisches Gesamtdeutschland erstrebte, betrachtete sie die n u n einmal existier e n d e BRD als V e r h a n d l u n g s p a r t n e r sowohl ü b e r einen F r i e d e n s v e r t r a g als au'ch ü b e r das S y s t e m kollektiver Sicherheit in Europa. Im krassen Gegensatz dazu weigerten sich die Westmächte hartnäckig, ihnen nichtgenehme Realit ä t e n a n z u e r k e n n e n u n d mit der DDR zu v e r h a n d e l n . D a ß die S o w j e t u n i o n in i h r e n G r u n d s ä t z e n eines Vertrages ü b e r die e u r o päische Sicherheit von der Realität zweier deutscher S t a a t e n ausging, eines sozialistischen u n d eines imperialistischen, w u r d e von Bidault in die Legalisier u n g der S p a l t u n g Deutschlands u n d den Versuch i h r e r V e r e w i g u n g u m gefälscht. 9 3 Mit dieser nach der Methode .Haltet den Dieb' f a b r i z i e r t e n d e m agogischen These h a b e n die imperialistischen Politiker, die Schuldigen a n d e r S p a l t u n g Deutschlands, u n d ihre Ideologen danach noch f a s t zwei J a h r z e h n t e den Realismus der sowjetischen Außenpolitik u n d auch den der Politik der DDR gegenüber der BRD v e r u n g l i m p f t . E d e n versuchte sogar, den s o w j e t i schen Vorschlag zu einem Vorstoß gegen die zweiseitigen F r e u n d s c h a f t s v e r t r ä g e der S o w j e t u n i o n m i t den a n d e r e n sozialistischen S t a a t e n auszunutzen. 9 4 Diese Verträge spalteten angeblich Europa. Aber dabei verschwieg er, d a ß Verträge, die sich gegen eine mögliche k ü n f t i g e deutsche Aggression richteten, auch zwischen der S o w j e t u n i o n u n d G r o ß b r i t a n n i e n u n d zwischen der S o w j e t union u n d Frankreich existierten. Bidault unterstellte der S o w j e t u n i o n aggressive Absichten, sie wolle einschätzen, ob nach i h r e r Meinung ein S t a a t einen Angriff beabsichtigt, u n d 92 93 94

Dokumente zur Deutschlandfrage, Ebenda, S. 200. Ebenda.

Hauptbd. 1, S. 198.

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dann den Mechanismus des Vertrags in ihrem angeblich aggressiven Interesse gegen einen friedliebenden Staat in Gang setzen. Dieses Bild von der Sowjetunion brauchten die herrschenden Kreise in den imperialistischen Ländern zur Irreführung der Massen. Es war Molotow ein leichtes, seinen Verhandlungsgegner der Lüge zu überführen, denn der Vertragstext sah ausdrücklich Maßnahmen f ü r den Fall vor, daß ein bewaffneter Uberfall stattgefunden hat. 95 Eden behauptete, der Plan der Sowjetunion sehe es darauf ab, „die Vereinigten Staaten aus Europa auszuschalten", obwohl sie nach dem Text des Vertragsentwurfs ja zur Mitwirkung eingeladen waren. Danach forderte Eden auch die Teilnahme Kanadas, womit allen NATO-Staaten Einfluß auf die Geschicke Europas eingeräumt werden sollte. Die Sowjetunion, der es auf Fortschritte in der Sache ankam, zeigte weitgehende Kompromißbereitschaft. In einer späteren Note erklärte sie sich mit der Teilnahme der USA als Mitgliedstaat eines Systems der europäischen Sicherheit einverstanden. Aber schon in seiner Schlußrede sagte Molotow: „Zur Schaffung eines Systems kollektiver Sicherheit in Europa können auch nichteuropäische Staaten beitragen." 96 Eines der Hauptargumente aller drei westlichen Außenminister gegen den Vertrag über kollektive Sicherheit in Europa bestand darin, daß er gegen die NATO gerichtet sei. Eden z. B. erklärte, er sei „bestimmt, die NATO zu zerbrechen" 97 . Damit gestand er n u r ein, daß die „EVG", d. h. die Remilitarisierung der BRD, gewissermaßen den Schlußstein des NATO-Systems bildete und der ohnehin vorhandenen Aggressivität dieses imperialistischen Militärpaktes die besondere Zuspitzung verlieh. Aber gerade dagegen richtete sich der Stoß der Sowjetunion, und der sowjetische Außenminister hatte das schon in seiner Rede zur Begründung des Entwurfs hervorgehoben: „Man fragt uns, welche Alternative im Fall der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft' gegeben sei? Was könne an die Stelle der ,Europäischen Verteidigungsgemeinschaft' gesetzt werden, wenn m a n auf die Pläne zu ihrer Bildung verzichten würde? Besonders interessiert m a n sich f ü r diese Frage in Frankreich. Und wir halten das f ü r ganz natürlich. Auf diese Frage antworten wir: statt Pläne zur Bildung einer .Europäischen Verteidigungsgemeinschaft' zu schmieden, muß man die Idee der kollektiven Sicherheit f ü r alle Völker Europas in die Tat umsetzen. Sicherheit muß in Europa allen Ländern gewährleistet sein, unabhängig von den Unterschieden in ihrer Gesellschaftsordnung." 98 Im Verlaufe der Konferenz hat Molotow noch mehrfach — auch gegen die Verleumdungen einer gewissen britischen Presse gerichtet — betont: die kollektive Sicherheit war die Alternative zur 95

96 97 98

Dokumente

zur Deutschlandpolitik

der Sowjetunion,

S. 476.

Ebenda, S. 485. Dokumente Dokumente

zur Deutschlandfrage, zur Deutschlandpolitik

Hauptbd. 1, S. 200. der Sowjetunion, S. 471.

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„EVG".99 Die NATO wurde von ihren Verteidigern als nicht im Widerspruch zur europäischen Sicherheit stehend, ja unter dem Eindruck der Wirkung der sowjetischen Idee der kollektiven Sicherheit sogar als Garantie der Sicherheit ausgegeben. Diese fortwährend vor der Weltöffentlichkeit abgegebenen Erklärungen und noch mehr die Tatsache, daß der Aufbau des NATO-Systems noch nicht abgeschlossen war und gewisse — wenn auch geringe — Möglichkeiten bestanden, gegebenenfalls den Charakter dieses Paktes zu verändern, gedachte die Sowjetregierung im Kampf um den Frieden zu nutzen. Der Leiter der sowjetischen Delegation sagte deshalb zu, daß seine Regierung diese Frage studieren werde.100 In der Tat ist die Sowjetunion darauf nach der Konferenz zurückgekommen. Bidault und Eden haben während der Konferenz wiederholt erklärt, daß sie gewillt seien, die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion zu berücksichtigen, und Bidault unterstützte die Idee der Bildung gesamteuropäischer konsultativer Organe. Das war von Bedeutung für den künftigen Kampf der Sowjetunion für die europäische Sicherheit. Insgesamt aber wollten die Außenminister der drei westlichen Großmächte nicht die friedliche Koexistenz (Bidault lehnte sie auch wörtlich ab101), nicht die europäische Sicherheit, sondern die militärische Konfrontation zur Liquidierung der sozialistischen Ordnung. Deshalb gelangte die Berliner Außenministerkonferenz nicht nur über den deutschen Friedensvertrag, sondern auch in bezug auf die europäische Sicherheit noch zu keiner Übereinkunft, und der österreichische Staatsvertrag konnte noch nicht abgeschlossen werden. III Die Idee der kollektiven Sicherheit fand sofort die ungeteilte Zustimmung der kommunistischen und Arbeiterparteien, der Regierungen der sozialistischen Staaten und der gegen die Remilitarisierung der BRD kämpfenden Volksmassen in den europäischen Ländern. Im Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei an den II. Parteitag hieß es z. B.: „Die sowjetischen Vorschläge, die im Entwurf des Gesamteuropäischen Vertrages über die kollektive Sicherheit in Europa ihren Niederschlag fanden, sind einfach und klar. Sie sind von einer außerordentlichen Sorge um die Sicherung des Friedens durchdrungen und sehen die notwendigen Garantien gegenüber einer Aggression und einer Verletzung des Friedens in Europa vor. Das polnische Volk tritt einmütig und mit voller aus den eigenen geschicht99 100 101

Neues Deutschland, 16. 2. 1954. Ebenda, 18. 2. 1954. Dokumente zur Deutschland frage, Hauptbd. 1, S. 202.

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liehen Erfahrungen gewonnener Überzeugung für den Abschluß dieses Gesamteuropäischen Vertrages über die kollektive Sicherheit in Europa ein. Alles läßt darauf schließen, daß die Idee der kollektiven Sicherheit früher oder später über die unheilschwangeren Pläne der Wiedergeburt des deutschen Militarismus den Sieg davontragen werden."102 Eine ähnlich hohe Einschätzung der Politik der kollektiven Sicherheit gab — wie die Dokumente der anderen Bruderparteien auch — der VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Bulgariens.103 Und Jacques Duclos betonte in seinem Referat auf der Plenartagung des ZK der FKP am 5. März 1954 ähnlich wie Bolesîaw Bierut das Zukunftsweisende des sowjetischen Friedensplanes, als er ausführte: „Welche Hindernisse der Annahme dieses Vorschlags auch in den Weg gelegt werden mögen, er wird in das Bewußtsein der europäischen Völker eindringen, die sich über die Gewährleistung ihrer Sicherheit einigen wollen, wobei ihre Unabhängigkeit aufrechterhalten werden muß."104 Am 11. Februar wandte sich der Präsident der Deutschen Demokratischen Republik Wilhelm Pieck in einer Rundfunkansprache an die Bevölkerung der DDR und der BRD und rief zum Kampf für kollektive Sicherheit und dauerhaften Frieden in Europa auf, und die Regierung der DDR erklärte ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an einem System der kollektiven Sicherheit.105 Die Regierungen der anderen sozialistischen Staaten Europas erklärten im Verlaufe des März ebenfalls ihre Bereitschaft mitzuwirken. Am 18. Februar bekundeten 200 000 Berliner ihre Zustimmung zu den sowjetischen Vorschlägen. In zahlreichen Betriebsversammlungen äußerte sich die Arbeiterklasse der DDR ebenfalls zustimmend. Auch in der BRD kam es trotz Meinungsmanipulation durch die Mehrheit der bürgerlichen Presse und trotz Verbotsmaßnahmen zu zahlreichen Streiks und Kundgebungen der Arbeiter und anderer progressiver Kräfte. In Paris war die Extraausgabe der „Humanité" mit der Rede Molotows und dem Text des Entwurfs in einer Auflage von 100 000 Exemplaren innerhalb weniger Stunden vergriffen. In Pariser Betrieben wurde die Rede vor den Arbeitern verlesen und mit großer Zustimmung aufgenommen.106 Maurice Thorez gab auf dem XIII. Parteitag der Französischen Kommunistischen Partei dem sowjetischen Projekt in seiner Bedeutung für die Volksbewegung gegen die „EVG" eine hohe Einschätzung: „Die Sowjetunion schlug einen präzisen Plan für einen allgemeinen europäischen Vertrag über die kollektive Sicherheit vor und zeigte damit, daß die Annahme der sogenannten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft keines102 103

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Bierut, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees an den II. Parteitag, S. 9. Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Bulgariens an den VI. Parteitag, in: Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie!, 1954, Nr. 10. Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie!, 1954, Nr. 12. Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, S. 300 ff. Pravda, 13. 2. 1964.

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wegs ein unvermeidliches Übel ist. Das Inkraftsetzen des französisch-sowjetischen Vertrages würde Frankreich wirksam helfen, seine Handlungsfreiheit in der Außenpolitik zurückzugewinnen." Und er fügte hinzu: „Unser Volk macht keine falschen Rechnungen auf, wenn es sich auf die demokratischen, friedliebenden Kräfte Deutschlands orientiert; die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, die den besten Teil dieser Kräfte repräsentiert, hält sich genau an den von ihr proklamierten Beschluß, niemals mehr zuzulassen, daß von deutscher Seite gegen das französische Volk Krieg geführt wird, und freundschaftliche Beziehungen mit einem friedliebenden Frankreich zu pflegen." 107 Der Weltgewerkschaftsbund und der Weltfriedensrat machten sich die Idee der kollektiven Sicherheit zu eigen und riefen zu ihrer Verwirklichung und zum verstärkten Kampf gegen die „EVG" auf.108 Seit der Berliner Außenministerkonferenz hat die europäische Friedensbewegung die kollektive Sicherheit auf ihr Kampfbanner geschrieben. Als die Regierung der ÜdSSR auf der Berliner Außenministerkonferenz, das Vermächtnis der Antihitlerkoalition getreulich wahrend, ihr konstruktives Friedensprogramm entwickelte, berücksichtigte sie den Hinweis Lenins, daß der Kampf um den Frieden ein schwieriger und langwieriger Kampf ist, daß es nicht genügt, nur gute und richtige Worte über den Frieden zu verlieren, und daß ihn die Bourgeoisie keinesfalls auf dem Teller präsentieren wird. 109 Sie ging davon aus, daß den imperialistischen Mächten, die den Drang nach Aggression und Unterdrückung der nationalen Freiheit nicht aufgeben, der Frieden aufgezwungen werden muß, daß eine Ordnung erkämpft werden muß, die es ihnen unmöglich macht, den Frieden und die Sicherheit der Völker zu gefährden. Der Kampf um die Einberufung der Konferenz und das Auftreten der sowjetischen Delegation in Berlin waren Bestandteil eines langfristig angelegten Kampfes für Voraussetzungen, daß der historisch gesetzmäßige Klassenkampf zwischen Sozialismus und Imperialismus in Bahnen verlaufen kann, die nicht zu kriegerischen Konflikten führen. Deshalb verband und verbindet die Leninsche außenpolitische Linie des Sowjetstaates die entschiedene Abfuhr der imperialistischen Kriegsvorbereitungen und Kriegsprovokationen mit konstruktivem Herangehen an die herangereiften internationalen Probleme. Getreu dieser unwandelbaren außenpolitischen Orientierung packte die Sowjetunion auf der Berliner Außenministerkonferenz eines der kompliziertesten internationalen Probleme, eines der Schlüsselprobleme des Kampfes

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Thorez, Maurice, Gemeinsam für Frieden, Demokratie und Fortschritt. Aus Reden und Schriften über den Kampf der französischen und der deutschen Arbeiterklasse, Berlin 1965, S. 87 f. Neue Zeit, Moskva, 10. 4. 1954. Lenin, W. I., Rede auf dem Ersten gesamtrussischen Kongreß der Kriegsflotte, in: Werke, Bd. 26, S. 341.

9 Jahrbuch 12

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gegen den Imperialismus an: den Kampf f ü r ein System der kollektiven Sicherheit in Europa. Während des jahrelangen diplomatischen Kampfes um die Vorbereitung der Konferenz und auf der Konferenz selbst hat die Sowjetunion die Westmächte gezwungen, ihre wahren, f ü r Frieden und Sicherheit der Völker äußerst gefährlichen Deutschland- und Europapläne preiszugeben, und sie hat selbst einen entscheidenden Beitrag geleistet, diese Pläne vor den Augen der Völker zu enthüllen. Das hat tiefen Einfluß auf die Bewegung des Kampfes gegen Imperialismus und Militarismus in Westeuropa ausgeübt. Die französische Zeitung „Combat" bewertete diese Seite der Tätigkeit der Außenministerkonferenz gerade so. Am 8. Februar 1954 setzte sie sich mit dem Argument auseinander, daß das sogenannte Vereinte Europa, das von den sechs EVGStaaten gebildet werden sollte, die Sicherheit seiner Teilnehmer garantiere, und schrieb: „ . . . d i e Berliner Konferenz gab uns den Beweis, daß die vereinte Politik auf einer vorsätzlichen Lüge basiert, und das erstickt die Idee der ,europäischen Armee' im Keime." Die Konferenz hat einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen die entstehende Hauptquelle von Kriegsgefahr in Europa, gegen den deutschen Imperialismus und Militarismus in der BRD geleistet. Bereits im Verlaufe der Konferenzvorbereitungen wies die Sowjetregierung in ihrer Note an die Westmächte vom 15. August 1953 warnend darauf hin, daß die Einbeziehung der BRD in die NATO die Wiedervereinigung Deutschlands unmöglich machen wird.110 Die nachfolgende Geschichte hat die Warnung der Sowjetunion und die historische Schuld des deutschen und des Weltimperialismus an der endgültigen Spaltung Deutschlands vollauf bestätigt. Die Sowjetunion hat ebenfalls warnend darauf aufmerksam gemacht, was die Spaltung Europas in feindliche Militärblöcke den Völkern des Kontinents an Leid, materiellen und ideellen Lasten, Leben in ständiger Spannung und Kriegsgefahr bringen werde. Die Geschichte hat auch diese Warnung der Sowjetunion und die historische Schuld des Imperialismus vor den Völkern Europas bestätigt. Obwohl die sozialistische Sowjetunion auf der Berliner Konferenz ein vollkommen realistisches Programm der Lösung der europäischen Hauptprobleme vorgelegt hat, stürzte der Imperialismus Europa noch fast zwei Jahrzehnte in die Strudel des „kalten Krieges", der mehrere Male in einen Kriegsbrand umzuschlagen drohte, mit allen seinen negativen Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Dazu war der Imperialismus noch imstande. Ihr Ziel indessen, eine grundlegende Zurückverwandlung des europäischen und des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten des Imperialismus, vermochten die Westmächte weder im Zusammenhang mit der Berliner Außenministerkonferenz noch später zu erreichen. Erst in der Gegenwart sind die Regierungen der imperialistischen Hauptmächte unter dem Druck der immer mehr zunehmenden Stärke der sozialistischen Staaten110

Dokumente zur Deutschlandpolitik

der Sowjetunion, S. 333.

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gemeinschaft und des beharrlichen und aktiven außenpolitischen Kampfes der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten sowie des immer aktiveren Charakter annehmenden Kampfes der Völker Westeuropas bereit, den Prinzipien der friedlichen Koexistenz, der europäischen Sicherheit zuzustimmen. Von kaum zu unterschätzender Bedeutung w a r das Auftreten der Delegation der Sowjetunion auf der Berliner Konferenz f ü r die Unterstützung der AntiEVG-Bewegung in Frankreich und f ü r die Gewinnung neuer Bundesgenossen im Kampf um Frieden und Sicherheit in Europa überhaupt. Es hat auch im Lager der Bourgeoisie dazu geführt, die Positionen derjenigen zu stärken, die sich einstweilen noch in der Minderheit befanden, sich realistischen Überlegungen nicht verschlossen und aus diesen oder jenen Gründen f ü r friedliche Übereinkünfte mit der Sowjetunion eintraten. In Großbritannien nahmen neben den Kommunisten und anderen progressiven K r ä f t e n vor allem bestimmte Führungskräfte der Labour-Party die Idee der kollektiven Sicherheit auf, unabhängig davon, ob sie Freunde oder Gegner des Sozialismus waren, der in der Sowjetunion und in den anderen sozialistischen Staaten reale Gestalt angenommen hatte. Der Labour-Politiker Benjamin Parkin wandte sich im Unterhaus nachdrücklich gegen die Einbeziehung der deutschen Staaten in Militärblocks und schlug in Ubereinstimmung mit den Vorschlägen, die die Sowjetunion in Berlin unterbreitet hatte, vor, das Problem der Vereinigung Deutschlands „im Rahmen eines gesamteuropäischen Systems der Sicherheit" zu lösen.111 Auch die schon mehrfach erwähnte Bevan-Gruppe in der Labour-Party hat die Idee der kollektiven Sicherheit aufgegriffen, obwohl sie gegen die von der Sowjetunion vorgeschlagene Art der Verwirklichung beträchtliche Vorbehalte hatte. „Anfangs", so schrieb sie, „schloß der Molotow-Plan Amerika aus und war offensichtlich unannehmbar. Ungeachtet der zwei wichtigen Zugeständnisse, die nach der Berliner Beratung gemacht wurden, r u f t der Molotow-Plan heftigste Einwände hervor. Dennoch meinen wir, daß er jetzt eine Grundlage f ü r Verhandlungen darstellt." Sie hielt es f ü r erforderlich, an dem sowjetischen Vertragstext eine Korrektur vorzunehmen, und erklärte, daß „die Labouristen auf einem Vertrag bestehen, der die Grenzen eines wiedervereinigten Deutschlands vor einer Aggression sowohl von Osten als auch von Westen garantiert und der sofortige Sanktionen im Falle eines Versuchs Deutschlands vorsieht, diese Grenzen gewaltsam zu verändern". 112 Wenn diese Labour-Politiker anfangs auch etwas in der Linie von Eden argumentierten — die Sowjetunion hatte ja nie vorgehabt, die USA von der Mitwirkung an der europäischen Sicherheit auszuschließen —, so bleibt doch als wesentlich festzuhalten, daß sie, die offenbar der pazifistischen Richtung 111 112

Zit. bei: Orudzev, K voprosu o bor'be Sovetskogo Sojuza za sozdanie sistemy kollektivnoj bezopasnosti v Evrope (janvar'—avgust 1954 g.), S. 198. Bevan u. a., It need not happen, S. 57 f.

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in der britischen Bourgeoisie Ausdruck gaben und den Friedenswillen der Arbeiterklasse widerspiegelten, für die europäische Sicherheit eintraten und den Vorschlag der Sowjetunion als Verhandlungsgrundlage anzuerkennen bereit waren. Was die von ihnen berührte Frage der Garantie der Grenzen angeht, die sie mit einem antisowjetischen Unterton auf warfen, der eine Aggression der Sowjetunion gegenüber Deutschland für möglich erscheinen läßt, so war ihre Beantwortung der Sache nach im ersten sowjetischen Vorschlag im Prinzip der Souveränität aller Staaten schon enthalten. Bereits in seiner ersten Rede auf der Berliner Konferenz hatte der Außenminister der Sowjetunion auf den Revanchismus in der BRD verwiesen und erklärt, daß Revision der Grenzen die Entfesselung eines neuen Weltkrieges bedeutete.113 Das Problem der Anerkennung der in Europa bestehenden Grenzen ist in den folgenden Jahren im Verlaufe des Kampfes um Frieden und Sicherheit von den sozialistischen Staaten unter Berücksichtigung der Erfahrungen des Kampfes und der internationalen Diskussion präziser formuliert worden. Den stärksten unmittelbaren Einfluß übte die Idee der kollektiven Sicherheit in Frankreich aus, wo sich eine das ganze Volk umfassende Bewegung des Kampfes gegen die „EVG" entfaltet hatte. Die Berliner Konferenz bestärkte diese Bewegung nicht nur in ihrer richtigen Erkenntnis der völligen Unvereinbarkeit der „EVG" mit den nationalen Interessen des französischen Volkes und der anderen Völker Europas, sondern nach der Konferenz verfügte diese Bewegung auch über klare Vorstellungen einer Alternative zu diesem Kriegspakt. Die FKP würdigte — wie oben gezeigt — den sowjetischen Vorschlag als konstruktives, realistisches Kampfprogramm, um das sich die französischen und die deutschen Patrioten zusammenschließen sollten. Aber auch bürgerliche Kreise, Gegner der „EVG", befaßten sich ernsthaft mit der Idee der kollektiven Sicherheit. Im Frankreich der 50er Jahre war die bürgerliche Partei der Radikalen und Radikal-Sozialisten noch eine einflußreiche Partei. Ihr Vorsitzender Edouard Herriot, Ehrenpräsident der französischen Nationalversammlung, begrüßte auf dem außerordentlichen Parteitag seiner Partei vom 11. bis 13. März 1954 das sowjetische Projekt eines gesamteuropäischen Vertrags über kollektive Sicherheit: „Das entspräche den Prinzipien, mit denen wir nicht nur einverstanden sind, sondern die wir proklamiert haben."114 Obwohl die Mehrzahl bürgerlicher Zeitungen bestrebt war, die Bedeutung der Konferenz herabzuwürdigen und die Vorschläge der Sowjetunion zu verschweigen oder zu verunglimpfen, so fällt doch auf, daß dennoch eine beträchtliche Zahl bürgerlicher Publikationsorgane positive Urteile über die Konferenz abgab. Die französische „Information" mag etwas vereinzelt gestanden haben, als sie am 12. Februar die Außenministerkonferenz ein „glückliches Ereignis" nannte, das bewiesen habe, dem Frieden drohe z. Z. 113 114

Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Francija i „Evropejskaja armija", S. 13.

S. 397.

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keine ernste Gefahr. Bei dieser überschwenglichen Einschätzung hatte sie die ernsten Gefahren f ü r den Frieden aus den Augen verloren, die von der NATO und der geplanten „EVG" ausgingen. Verständlich wird diese Einschätzung nur, wenn bedacht wird, daß die Befürworter der „EVG" in Frankreich unaufhörlich von einem bevorstehenden sowjetischen Überfall redeten. Den gleichen Gedanken hob die Pariser „Libération" hervor: „Kein verantwortlicher Staatsmann glaubt noch an die Gefahr einer sowjetischen militärischen Aggression. Dies war der einzige Vorwand f ü r das uns vernichtende Wettrüsten und f ü r die EVG, von der uns ein Wiedererstehen des deutschen Militarismus droht." 116 Aber „L'Information" schlug in ihrem Bericht auch eine Linie ein, der nicht wenige Zeitungen folgten: „Schon allein dadurch, daß sie diese Periode der Unterredungen einleitete, hat die Berliner Konferenz der Welt einen ausgezeichneten Dienst erwiesen." Dieses Verdienst der Konferenz, das eigentlich ein Verdienst der Sowjetunion war, hob auch die „Gazette de Lausanne" hervor. Sie meinte, daß Asien in den kommenden Verhandlungen eher auf konkrete Ergebnisse rechnen könnte, weil die Westmächte dort den Handel entwickeln wollten, um mit dem Blick auf Europa zu mahnen: „Die Hauptsache ist, daß ein Bruch vermieden wird und die Möglichkeit von Verhandlungen zwischen Ost und West, selbst auf lange Sicht, bestehen bleibt." 116 Neben vielen anderen Zeitungen stimmte dem auch das „Hamburger Echo" vom 15. Februar zu: „Aus Berührungspunkten müssen Ansatzpunkte zu Verhandlungen und Ubereinkommen werden." In den Redaktionsstuben der „Frankfurter Allgemeinen" m u ß etwas von der geschichtlichen Bedeutung erahnt worden sein, die dem sowjetischen Vorschlag f ü r Prinzipien eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa zukam, als sie am 12. Februar schrieb: „Das Sicherheitssystem, das Molotow vorgeschlagen hat, ist sofort auf kompromißlose Ablehnung gestoßen. Das wird kaum verhindern, daß Teile dieses Planes fortwirkend die europäische Politik beschäftigen werden." Mit der nachfolgenden Feststellung bestätigte die Zeitung die Einschätzung der Sowjetunion über die Lage in Europa, die dem sowjetischen Vorschlag eines Sicherheitssystems vorangegangen w a r : „Wenn die Viermächtekonferenz eines erwiesen hat, dann ist es die Notwendigkeit, zunächst ein neues Sicherheitsklima in Europa zu schaffen." Es sei noch einmal die „Libération" erwähnt, die im Kampf gegen die „EVG" einen festen Platz einnahm. Ihre Einschätzung des Wirkens der sowjetischen Delegation trifft ins Schwarze: „Der Wunsch der UdSSR nach Verständigung wird von keinem derjenigen bezweifelt, der die Konferenz v e r f o l g t . . . Alle neuen Ideen, alle Kompromißlösungen wurden von Molotow unterbreitet." Als sich die junge Sowjetmacht vorbereitete, zum ersten Male auf einer 115 116

Libération, 19. 2. 1954. Gazette de Lausanne, 14. 2. 1954.

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internationalen Konferenz, auf der Konferenz von Genua aufzutreten, gab Lenin im politischen Bericht des Zentralkomitees an den XI. Parteitag der Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki) einen Hinweis von prinzipieller Bedeutung f ü r die Außenpolitik. Er machte darauf aufmerksam, daß das Lager der Bourgeoisie nicht einheitlich ist, daß es neben der aggressivsten, zum Kriege neigenden Strömung auch eine nicht weniger reaktionäre, aber zu Verhandlungen neigende Strömung gibt, und eine, die er die pazifistische nannte, wozu er die rechten und zentristischen Führer der Sozialdemokratie zählte. Lenin wies den sowjetischen Diplomaten die Aufgabe zu, den Spielraum, den die verschiedenen Strömungen in der Bourgeoisie zulassen, im Dienste der friedlichen Außenpolitik des Sowjetstaates zu nutzen.117 Diesen Hinweis hat die sowjetische Außenpolitik stets beachtet, so auch auf der Berliner Konferenz der Außenminister. Sie hat zuerst und vor allem ihre Politik der friedlichen Koexistenz der imperialistischen Politik der Aggression entgegengestellt und diese prinzipiell bekämpft. Sie hat den Freunden und Kampfgefährten ein Programm der Friedenssicherung in Europa gegeben und einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, neue Verbündete zu gewinnen. Und sie hat im Lager der Bourgeoisie jener Strömung neue Denkanstöße vermittelt, die zu friedlichen Übereinkünften, zur Anpassung an neue Gegebenheiten des internationalen Kräfteverhältnisses in der Lage sein kann. Die angeführten Stimmen, die dieser Strömung entstammen, beweisen das. Auf der Berliner Konferenz wie zu anderen Gelegenheiten hat die Sowjetunion die Regierungen der imperialistischen Staaten aufgerufen, die Realität des Sozialismus in Europa, darunter in der DDR anzuerkennen und ihre irrealen Pläne zur Vernichtung des Sozialismus aufzugeben. Der wütende Kampf aller K r ä f t e der Reaktion gerade gegen diese Politik der friedlichen Koexistenz von Staaten verschiedener Gesellschaftsordnung gehört zu den gewichtigsten unrühmlichen Posten auf der Haben-Seite in der historischen Bilanz der Geschichte des Imperialismus nach dem zweiten Weltkrieg. Aber auch diese Idee, den Sozialismus als unabänderliche Realität anzuerkennen, geboren aus der marxistisch-leninistischen Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten unserer Epoche des weltweiten Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, hat ihre Lebenskraft bewiesen. Ohne Anerkennung der Tatsache, daß der Sozialismus unverrückbar seinen Platz in Europa, darunter auch in der DDR, bezogen hat, gäbe es keine Erfolge beim Bau des Sicherheitssytems auf unserem Kontinent. Die Sowjetunion hat im Zusammenhang mit der Berliner Außenministerkonferenz die Idee vom Auseinanderrücken der Streitkräfte der Großmächte weitergeführt, zunächst in der schon seit 1946 geforderten Form des Abzugs der Besatzungsmächte vom deutschen Territorium und auch aus Österreich und der Erklärung der immerwährenden Neutralität Österreichs. Die Vorstellungen über die Verwirklichung dieses friedensfördernden Anliegens 117

Lenin, W. I., Werke, Bd. 33, S. 250 f.

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waren im Zusammenhang mit der Entwicklung der politischen und militärischen Verhältnisse in Zentraleuropa Veränderungen unterworfen. Ihr Kern ist geblieben. Der Realismus auch dieser vom Sozialismus ausgehenden friedlichen Idee beweist sich in der Gegenwart. Sie ist Verhandlungsgegenstand der interessierten sozialistischen und kapitalistischen Staaten geworden. Die Sowjetregierung hat der Berliner Außenministerkonferenz auch den Vorschlag der Einberufung einer Weltabrüstungskonferenz unterbreitet, um allen Regierungen die Möglichkeit der Meinungsäußerung zu geben, da die allgemeine Abrüstung als radikalste Maßnahme der Friedenssicherung die Lebensinteressen ausnahmslos aller Völker berührt.118 Achtzehn Jahre später nahm die XXVII. UNO-Vollversammlung 1972 — wiederum auf Initiative der Sowjetunion — eine Resolution an, in der die Regierungen aufgefordert werden, weitere Anstrengungen zur Vorbereitung einer Weltabrüstungskonferenz zu unternehmen. Aber noch ist die Idee der Weltabrüstungskonferenz infolge des Widerstands der imperialistischen Hauptmächte nicht verwirklicht. Die Sowjetunion und die verbündeten sozialistischen Staaten, zahlreiche Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas und starke Friedenskräfte in allen Ländern vereinen ihre Anstrengungen, um auch von dieser Seite her dem Imperialismus eine Ordnung aufzuzwingen, die ihm die Entfesselung von Kriegen unmöglich macht. Zwei Tage nach Abschluß der Berliner Außenministerkonferenz schrieb die „Pravda": „Die noch ungelösten Fragen werden nicht von der Tagesordnung abgesetzt."119 Weder die Sowjetunion noch die anderen sozialistischen Staaten, weder die Kommunistischen und Arbeiterparteien der Länder Europas noch die sich immer mehr verbreiternden Reihen aller Kämpfer für den Frieden haben den Kampf für die Sicherheit des Lebens von der Tagesordnung gestrichen. Die entscheidenden Kräfte der westeuropäischen und amerikanischen Bourgeoisie waren zum Zeitpunkt der Berliner Außenministerkonferenz alles andere als bereit, die Prinzipien der friedlichen Koexistenz zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten in Gestalt der kollektiven Sicherheit für Europa anzuerkennen. Sie setzten auf den „kalten Krieg", integrierten die BRD in die NATO und verfolgten weiter das Ziel, den kalten Krieg schließlich in einen wirklichen Krieg verwandeln und den Sozialismus vernichten zu können. Die Völker Europas mußten noch fast zwei Jahrzehnte die Gefahren und die Lasten dieses abenteuerlichen Kurses ertragen. Angesichts dieser Lage schufen die sozialistischen Staaten mit dem Warschauer Vertrag die mächtigste militärische Koalition der Weltgeschichte, die den Aufbau des Sozialismus in allen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft zuverlässig schützt und die einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, daß den Völkern Europas das Schicksal eines neuen Krieges 118

Molotow,

Reden auf der Berliner Außenministerkonferenz, S. 119.

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erspart geblieben ist. Gleichzeitig entwickelte sich der Warschauer Vertrag zum Koordinierungszentrum der Außenpolitik seiner Mitgliedstaaten, was ihr zunehmenden Einfluß auf die europäischen und auf die Weltereignisse verschafft hat. Die Sowjetunion und mit ihr die anderen Staaten des Warschauer Vertrages setzten an der Spitze der immer zahlreicher werdenden und immer organisierter auftretenden Friedenskräfte den Kampf für die kollektive Sicherheit in Europa fort. Die Genfer Gipfelkonferenz der vier Großmächte und die Genfer Konferenz der Außenminister im Jahre 1955 und auch spätere Treffen auf hoher Ebene standen stets unter dem Einfluß der Politik der kollektiven Sicherheit in Europa, die von der Sowjetunion und den anderen europäischen sozialistischen Staaten mit nie erlahmender Aktivität verfochten wurde. Aber auch in der zweiten Hälfte der 50er und Anfang der 60er Jahre steuerten die herrschenden Kreise der Westmächte ihren gefährlichen Aggressionskurs. Als Ausdruck der gewachsenen Zustimmung, die der Idee der kollektiven Sicherheit in aller Welt entgegengebracht wurde, mußten ihr die Repräsentanten der Westmächte zwar in Worten Genüge tun, in der Tat aber versuchten sie Anfang der 60er Jahre, den Sozialismus in der DDR und in Kuba gewaltsam zu liquidieren. Es bedurfte der harten Lektionen der von der gewaltigen Militärmacht des Warschauer Vertrags gesicherten Schutzmaßnahmen vom 13. August 1961 an der Staatsgrenze der DDR und der energischen Hilfe der Sowjetunion für das sozialistische Kuba im Sommer und Herbst 1962, um wenigstens Teile der herrschenden Kreise in den imperialistischen Hauptmächten zu veranlassen, über das Scheitern ihrer den Frieden gefährdenden antisozialistischen Strategie nachzudenken. In dieser Zeit erarbeitete die KPdSU ihr neues Parteiprogramm, in dem weit vorausschauend festgestellt wurde: „Die KPdSU geht davon aus, daß in der Welt Kräfte entstanden und im Wachsen begriffen sind, die den Weltfrieden erhalten und festigen können. Es entstehen Möglichkeiten dafür, daß sich unter den Staaten prinzipiell neue Beziehungen durchsetzen." Daraufhin legte das Programm als erste Aufgabe der Partei auf dem Gebiete der internationalen Beziehungen fest, „gemeinsam mit den anderen sozialistischen Ländern, friedliebenden Staaten und Völkern alle Mittel auszunutzen, um einen Krieg zu verhüten und die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen es möglich sein wird, den Krieg vollkommen aus dem Leben der Gesellschaft auszuschalten"130. Der Kampf um die kollektive Sicherheit in Europa dient eben diesem Ziel. Auf ihrer Juli-Tagung 1966 ergriffen die Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrags eine bedeutsame Initiative. Sie präzisierten das Programm der kollek119 120

Pravda, 20. 2. 1954. Programm und Statut der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Angenommen auf dem XXII. Parteitag der KPdSU 17. bis 31. Oktober 1961, Berlin 1961, S. 53 und 57.

Frieden und Sicherheit

1/3,7

tiven Sicherheit und begründeten angesichts des schrankenlosen Revanchismus in der BRD eingehend das Prinzip der Anerkennung aller in Europa bestehenden Grenzen als eine Grundvoraussetzung der Sicherheit. Sie würdigten die Rolle der DDR als Friedensfaktor und erklärten, daß die längst überfällige Anerkennung der DDR durch die kapitalistischen Staaten ein wesentliches Element europäischer Sicherheit sei. Die Teilnehmer der Tagung riefen alle Staaten Europas zu einer gemeinsamen Konferenz über die Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit auf.121 Seit diesem Zeitpunkt stand der Kampf um die Einberufung einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz als unmittelbare Aufgabe auf der Tagesordnung. Im April des folgenden Jahres trafen sich die Repräsentanten der Kommunistischen und Arbeiterparteien Europas in Karlovy Vary und erarbeiteten dort das Kampfprogramm der Kommunisten Europas zur Erreichung der kollektiven Sicherheit132, um das sich zunehmend auch die anderen gesellschaftlichen Kräfte scharten. Aber die Herrschenden des Westens hatten ihre Pläne zur Liquidierung des Sozialismus immer noch nicht aufgegeben. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre schürten sie im Verein mit inneren antisozialistischen Elementen in der CSSR die Konterrevolution und provozierten, wie L. I. Breshnew betonte, „eine der angespanntesten Klassenauseinandersetzungen der Nachkriegszeit zwischen der Welt des Sozialismus einerseits und der imperialistischen Reaktion und ihrer Agentur andererseits"123. Es bedurfte erst der Lehren, die die sozialistische Staatengemeinschaft dem Imperialismus mit der Sicherung des Sozialismus in der brüderlichen CSSR erteilt hat, daß sich seine politischen Führungskräfte einer Gesetzmäßigkeit der modernen Geschichte — wenn auch widerwillig und widerspruchsvoll — zu beugen begannen: Der Sozialismus wird zunehmend stärker, und je kraftvoller und geschlossener er seine Positionen im internationalen Klassenkampf ausbaut, um so mehr werden dem Streben des Imperialismus nach Aggression Schranken gesetzt und um so mehr wachsen die realen Voraussetzungen für die Sicherung des Friedens. Die KPdSU und die anderen Kommunistischen und Arbeiterparteien haben der allseitigen Entwicklung und Stärkung der sozialistischen Gesellschaft 121

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123

Sicherheit und friedliche Zusammenarbeit in Europa. Dokumente 1954—19ff7, Berlin 1868, S. 336 ff. Für den Frieden und die Sicherheit in Europa. Erklärung der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien in Karlovy Vary, in: Für den Frieden und die Sicherheit in Europa. Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas zu Fragen der europäischen Sicherheit, Karlovy Vary, 24. bis 26. April 1967, Berlin 1967, S. 12 ff. Breshnew, L. I., Rede auf der Tschechoslowakisch-Sowjetischen Freundschaftskundgebung im Kongreßpalast des Kreml, 27. Oktober 1970, in: L. I. Breshnew, Auf dem Wege Lenins. Reden und Aufsätze, Bd. 2, Berlin 1971, S. 497.

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stets die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Zunehmende Stärke und wachsende Geschlossenheit der sozialistischen Staatengemeinschaft sind die Basis aller Erfolge im Kampf gegen Imperialismus und Kriegsgefahr. Erst nachdem sich die regierenden Kreise der imperialistischen Mächte erneut von der Unerschütterlichkeit und der Einheit der sozialistischen Staaten in Europa überzeugt hatten, äußerte sich die NATO auf ihrer Ratstagung im Dezember 1969 erstmals positiv zu tatsächlichen Schritten in Richtung auf die europäische Sicherheit. 124 Das waren erste Anzeichen einer sich verändernden Lage, der Anpassung des Imperialismus an das sich weitgehend zu seinen Ungunsten wandelnde internationale Kräfteverhältnis, der Umwandlung Europas von einem Kontinent fortwährender zugespitzter Konflikte in eine Zone der friedlichen Koexistenz, die in dem bekannten Vertragswerk seit 1970 völkerrechtlich fixierte Form annimmt. In dieser Situation entwickelte der XXIV. Parteitag der KPdSU sein kühnes, weit in die Zukunft wirkendes Friedensprogramm 125 , das inzwischen nicht nur zum Programm der sowjetischen Kommunisten und auch nicht nur zum Programm aller übrigen Kommunistischen Parteien geworden ist, sondern das alle Friedenskräfte zu ihrem Programm erwählt haben, weil es den Lebensinteressen der Völker zutiefst entspricht. Der Kampf um eine gesamteuropäische Konferenz f ü r Sicherheit und Zusammenarbeit nimmt einen wichtigen Platz in diesem Programm ein und ist von ihm maßgeblich geprägt worden. Wenn sich danach auch der Weg zur Sicherheitskonferenz wesentlich beschleunigte, ein Spaziergang war er nicht. Wiederholt mußten die Sowjetunion und die anderen Staaten des Warschauer Vertrags die Ränke der Imperialisten aufdecken und nächste Schritte zur Konferenz freikämpfen. In erbittertem (diplomatischem) Ringen mußte den imperialistischen Regierungen Schritt f ü r Schritt die Zustimmung zu Inhalt, Form und Weg abgerungen werden. Recht klar hat die Lage des Imperialismus der damalige amerikanische Präsidentenberater H. A. Kissinger gekennzeichnet, als er schrieb: „Wir sind zur Koexistenz gezwungen", der Konflikt mit der Sowjetunion ist „durch einen Krieg im klassischen Sinne" nicht mehr zu lösen.126 Die initiativreiche, stets von den Klasseninteressen der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten ausgehende Außenpolitik der sozialistischen Staatengemeinschaft „bietet", wie Erich Honecker erklärte, „die Möglichkeit, die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu gestalten, die Ausstrahlung des Sozialismus auf den Kampf der Werktätigen in den kapitalistischen Ländern und die Entwicklung der jungen Nationalstaaten zu verstärken und den Spiel-

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Sicherheit und friedliche Zusammenarbeit in Europa. Dokumente 1967—1972, Berlin 1973, S. 147 ff. 125 Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der KPdSU an den XXIV. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, S. 40 ff. 126 Deutsche ZeitungJChrist und Welt, 30. 6. 1972.

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räum des Imperialismus immer weiter einzuengen".127 Heute ist die Idee der kollektiven Sicherheit im Marxschen Sinne zur materiellen Gewalt geworden, weil sie die Massen der europäischen Völker erfaßt hat. Es gibt keine Kraft auf unserer Erde, die imstande wäre, diese Idee aus der Welt zu schaffen. Sie materialisiert sich bereits auch auf andere Weise: am Fundament der europäischen Sicherheit wird schon gebaut. Jetzt liegt in dem während der ersten Phase der europäischen Sicherheitskonferenz von der Sowjetunion vorgelegten Entwurf einer Allgemeinen Deklaration über die Grundlagen der europäischen Sicherheit und die Prinzipien der Beziehungen zwischen den Staaten in Europa128 und mit den von den verbündeten sozialistischen Staaten eingebrachten Entwürfen für die Lösung von Teilfragen der europäischen Sicherheit und Zusammenarbeit129 nicht nur das Projekt, sondern bereits der detaillierte Bauplan für das dauerhafte Gebäude der europäischen Sicherheit vor. Wenn sich vor den Völkern Europas heute die reale Perspektive eines dauerhaften Friedens auf unserem Kontinent auftut, so beginnen sie eine Ernte zu bergen, für die die Sowjetunion Jahrzehnte zuvor die Saat gelegt hat.

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Zügig voran bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages. Aus dem Bericht des Politbüros an die 9. Tagung des ZK der SED. Berichterstatter: Genosse Erich Honecker, Berlin 1973, S. 10. Neues Deutschland, 5. 6. 1973. Ebenda, 6. 6. 1973.

Siegfried

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Die Unterstützung der Landesverwaltung bzw. Landesregierung Mecklenburg durch die Sowjetische Militäradministration bei der Leitung der demokratischen Bodenreform

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Arbeiten zur Rolle der sowjetischen Besatzungsorgane bei den antifaschistisch-demokratischen Umwälzungen veröffentlicht worden, darunter auch Studien zu einzelnen Seiten der Zusammenarbeit zwischen den deutschen Antifaschisten und sowjetischen Offizieren.1 Vorliegende Arbeit untersucht an Hand zahlreicher Quellen die Rolle der sowjetischen Besatzungsmacht bei der Leitung der antifaschistisch-demokratischen Umwälzungen am Beispiel der demokratischen Bodenreform im Lande Mecklenburg-Vorpommern. Die antifaschistisch-demokratischen Umwälzungen als nis des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse und der Mitwirkung der sowjetischen Besatzungsmacht

Ergebaktiven

Die Entstehung und Entwicklung der DDR ist das gesetzmäßige Ergebnis des jahrhundertelangen Kampfes der Volksmassen und vor allem des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Klassenverbündeten unter Führung der revolutionären Partei nach 1945 um eine grundlegende geschichtliche Wende in Deutschland. Sie ist zugleich das Resultat des internationalen Klassenkampfes, vor allem des Kampfes der sowjetischen Arbeiterklasse und ihrer Partei als Avantgarde der kommunistischen Weltbewegung, des Sowjetstaates als Machtposition des Weltsozialismus.2 Der Sieg der UdSSR über 1

2

Vgl. ZfG, 1970, Sonderbd.: Historische Forschungen in der DDR 1960—1970. Analysen und Berichte, S. 603 f. Vgl. dazu vor allem GdA, Bd. 6; Geschichte der KPdSU, Berlin 1971; Die Entstehung des sozialistischen Weltwirtschaftssystems, Berlin 1967 = Sozialistisches Weltwirtschaftssystem, Bd. 1; Benser, Günter, Das deutsche Volk und die Siegermächte. Zu einigen internationalen Aspekten der Klassenkampfsituation nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus, in: ZfG, 1972, H. 2, S. 133 ff.;

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Hitlerdeutschland und Japan schuf die Voraussetzungen für eine Weiterführung des 1917 eingeleiteten revolutionären Weltprozesses des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Zudem erleichterte das durch diesen Sieg und die neue revolutionäre Welle zugunsten des Weltsozialismus veränderte internationale Kräfteverhältnis der deutschen Arbeiterklasse und ihren Verbündeten, antifaschistisch-demokratische Umgestaltungen vorzunehmen und auf dem Boden der DDR den einheitlichen revolutionären Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus einzuleiten. Im Kampf um die Durchsetzung antifaschistisch-demokratischer Maßnahmen stand der deutschen Arbeiterklasse die sozialistische Sowjetunion unmittelbar zur Seite, die in diesem Teil Deutschlands Besatzungsfunktionen ausübte. Die militärische Besetzung der Gebiete zwischen Elbe und Werra, Oder und Neiße und die Ausübung der obersten Regierungsgewalt durch sowjetische Besatzungsorgane stellte wesentliche Faktoren bei der Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses zugunsten der antifaschistisch-demokratischen und sozialistischen Kräfte dar. Diese Gegebenheiten zogen dem Klassenwiderstand der imperialistischen Kräfte Grenzen, schlössen bewaffnete Gegenaktionen aus und schirmten den revolutionären Prozeß gegen die imperialistischen Besatzungsmächte ab. Nicht genug damit. Die UdSSR als sozialistische Besatzungsmacht eröffnete den demokratischen und sozialistischen Kräften des deutschen Volkes bis dahin unbekannte Möglichkeiten der Entfaltung und unterstützte die von der KPD bzw. SED geführte Arbeiterklasse und deren Verbündete dabei, die Machtgrundlagen des deutschen Imperialismus zu beseitigen und den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus einzuleiten. Die Grundlinie der sowjetischen Besatzungspolitik ergab sich folgerichtig aus den Prinzipien des proletarischen Internationalismus und entsprach der Verantwortung der UdSSR gegenüber der internationalen Arbeiterklasse und der kommunistischen Weltbewegung. Sie stand in vollem Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen, die die UdSSR im Rahmen der Antihitlerkoalition eingegangen war. Das alliierte Besatzungsprogramm, wie es in den Bartel, HörsiJ Schmidt, Walter, Neue Probleme der Geschichtswissenschaft in der DDR. Zur bisherigen Auswertung des VIII. Parteitages der SED durch die Historiker, in: Ebenda, H. 7, S. 797 ff.; Heitzer, Heinz, Neue Probleme der Erforschung der Geschichte der DDR, in: Ebenda, H. 8, S. 954 ff.; Horn, Werner, Die Entstehung und Entwicklung der DDR im Prozeß der Herausbildung und Festigung des sozialistischen Weltsystems, in: Ebenda, H. 10, S. 1271 ff.; Diehl, Ernst, Die Geschichte des deutschen Volkes im welthistorischen Prozeß, in: Ebenda, 1973, H. 3, S. 272ff.; Stöckigt, Rolf, Probleme des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus — der historische Platz der Gründung der DDR, in: BzG, 1973, H. 3, S. 415 ff. Zahlreiche Anregungen gibt auch Doernberg, Stefan, Die Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht beim Aufbau eines neuen Deutschland 1945/49, in: Deutsche Außenpolitik, 1965, Sonderh.: 20 Jahre danach. Deutschland 1945 bis 1965, S. 96 ff.

SMA und demokratische Bodenreform

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Abkommen von Jalta und Potsdam fixiert war und in den Beschlüssen des Rates der Außenminister und des Alliierten Kontrollrates präzisiert wurde, so auch hinsichtlich der Durchführung einer demokratischen Bodenreform in ganz Deutschland3, konnte nur erfüllt werden, wenn sich die alliierten Mächte auf die demokratischen und revolutionären Kräfte stützten, deren Ringen um eine Wende in der gesellschaftlichen Entwicklung förderten und die Versuche des deutschen Imperialismus zur Bewahrung seiner Machtpositionen unterbanden. Die alliierten Beschlüsse boten der deutschen Arbeiterklasse und ihren Verbündeten eine günstige Grundlage für den Kampf zur Verwirklichung des im Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 fixierten Programms grundlegender antiimperialistisch-demokratischer Umwälzungen, das mit den Zielen der Antihitlerkoalition übereinstimmte. Diese objektiv gegebene Wechselbeziehung bildete die Grundlage für eine allseitige Zusammenarbeit der deutschen Antifaschisten mit den sowjetischen Besatzungsorganen auf zentraler, regionaler und örtlicher Ebene, die im Einklang mit der Übernahme der obersten Regierungsgewalt in Deutschland durch die Alliierten gemäß Vereinbarung vom 5. Juni 1945 die Befugnisse der Regierungen, Verwaltungen und Behörden in den Ländern, Städten und Gemeinden wahrnahmen. In Ubereinstimmung mit dem internationalistischen Charakter der Arbeiterbewegung wurde diese Zusammenarbeit sowohl von der sowjetischen Seite als auch seitens der Parteiführung der KPD bzw. SED bewußt gestaltet.4 Die KPD bzw. SED ließ sich davon leiten, konsequent das Potdsamer Abkommen zu erfüllen, die revolutionären Umwälzungen im engen Bündnis mit der UdSSR, in zielstrebiger Zusammenarbeit mit den Organen der sozialistischen Besatzungsmacht zu vollziehen und zur Stärkung der Sowjetunion als Vorkämpferin des Weltsozialismus beizutragen. Die KPdSU anerkannte in der Tätigkeit der Besatzungsorgane die Führungsrolle der KPD bzw. SED im revolutionären Umwälzungsprozeß und unternahm maximale Anstrengungen, um die Verwirklichung des Aufrufs vom 11. Juni 1945 zu unterstützen, der einen Bestandteil der Strategie der internationalen Arbeiterbewegung zur Einleitung einer demokratischen und friedlichen Nachkriegsentwicklung im Herzen Europas bildete.5 Die prinzipiellen Feststellungen über die Zusammen3

4

Obwohl nicht ausdrücklich im Potsdamer Abkommen genannt, war die demokratische Bodenreform ein konstitutives Element der Maßnahmen zur Ausrottung des deutschen Militarismus und des Nazismus. Dieser Zusammenhang wurde seitens der Alliierten durch den Beschluß der Moskauer Außenministerkonferenz (10. 3. bis 24. 4.1947) zur Durchführung einer Bodenreform in ganz Deutschland bekräftigt (siehe Das Potsdamer Abkommen und andere Dokumente, Berlin 1957, S. 71; Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd. 1, Berlin 1957, S. 52 f.; GdA, Bd. 6, S. 181 f.). Benser, in: ZfG, 1972, H. 2, S. 151, hat darauf hingewiesen, daß direkte Kontakte zwischen dem Politbüro der KPdSU und der Führung der KPD bestanden haben.

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Siegfried, Kuntsche

arbeit von KPD bzw. SED und KPdSU und zum Wesen der sowjetischen Besatzungspolitik bilden die Grundlage auch für die Wertung der Rolle der sowjetischen Besatzungsorgane bei der demokratischen Bodenreform.

der Landesverwaltung Die Unterstützung durch die Sowjetische Militäradministration der demokratischen Bodenreform

bzw. -regierung bei der Leitung

Die Kernfrage aller revolutionären Umwälzungen, die Frage der politischen Macht, stand auch im einheitlichen revolutionären Prozeß des Ubergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus auf dem Boden der DDR. Nach der Zerschlagung des faschistischen Staatsapparates durch die Sowjetarmee mußten antifaschistisch-demokratische Selbstverwaltungsorgane aufgebaut und befähigt werden, immer vollkommener ihre Klassenfunktion als staatliche Machtorgane einer revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern und anderen werktätigen Schichten auszuprägen. Dem Wesen der sowjetischen Besatzungspolitik entsprechend war die Tätigkeit der Sowjetischen Militäradministration (SMA) darauf gerichtet, in engem Zusammenwirken mit der revolutionären Partei der deutschen Arbeiterklasse solche Organe aufzubauen und den neuen staatstragenden Kräften in den antifaschistischdemokratischen Selbstverwaltungsorganen, die vor allem Repräsentanten der Arbeiterklasse waren, aktiv zu helfen, die antiimperialistischen Volkskräfte zu formieren und bei der revolutionären Umgestaltung der Agrarverhältnisse zu führen, damit Buchstaben und Geist des Potsdamer Abkommens verwirklichend. Die deutschen Selbstverwaltungsorgane stellten die wichtigste organisatorische Basis dar für die zielgerichtete Zusammenarbeit der demokratischen und sozialistischen Kräfte des deutschen Volkes mit der sowjetischen Besatzungsmacht zur Erfüllung des Potsdamer Abkommens und zur Verwirklichung des Aufrufs der KPD vom 11. Juni 1945. Dabei kam 1945/46 — also in jenem Zeitraum, in dem sich die antifaschistisch-demokratischen Umwälzungen mit Einschluß der Bodenreform konzentrierten — den fünf Landes- und Provinzialverwaltungen als obersten deutschen Verwaltungsorganen mit administrativen und gesetzgeberischen Funktionen eine besondere Bedeutung zu. Bei der Leitung der revolutionären Umgestaltung der Agrarverhältnisse stand auch die Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommerns erstmals vor der Aufgabe, in einer entscheidenden Frage der Beiseitigung der Machtgrundlagen des Imperialismus als Machtorgan der antifaschistischen Demokratie hervorzutreten. Im Agrarland Mecklenburg-Vorpommern war etwa die Hälfte des Landes — 5

Vgl. Heitzer,

in: Ebenda, H. 8, S. 9©4. — Es muß als ein dringliches Erforder-

nis angesehen werden, die Entwicklung der strategischen Konzeption der K P D in dieser Frage gründlicher zu untersuchen. Das gilt auch f ü r die Agrarpolitik.

SMA und demokratische Bodenreform

145

zu 85 Prozent Flächen der privaten Gutsbetriebe und der Domänen — in den Bodenreformfonds einzubeziehen.6 Die Landesverwaltung mußte die Landarbeiter, Kleinbauern und Umsiedler auf dem Dorfe in der bis dahin größten demokratischen Massenbewegung der deutschen Geschichte führen und die Tätigkeit der rund 2200 Gemeindekommissionen für Bodenreform7 bei der Zerschlagung des Großgrundbesitzes und beim Aufbau der Neubauernstellen lenken. Sie war dafür verantwortlich, daß die Verteilung der 1 073 578 Hektar Land sowie des Inventars und der Gebäude des Bodenreformfonds an 114 519 individuelle Landempfänger, darunter 77 178 Neubauern, und an zu bildende Landesgüter als Keimzellen des sozialistischen Volkseigentums in der Landwirtschaft und andere gesellschaftliche Nutzer gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erfolgte.8 Sie hatte im Prozeß der revolutionären Umgestaltung der Agrarverhältnisse die Hegemonie der Arbeiterklasse zu sichern — eine infolge der bisherigen Sozialstruktur und der geschichtlichen Entwicklung des Landes als Hochburg des reaktionären Großgrundbesitzes und der Knechtung der Landarbeiter besonders schwierige Aufgabe. Schließlich stand die Landesverwaltung bzw. -regierung vor der Aufgabe, die wirtschaftliche Festigung der neuen Bauernstellen in die Wege zu leiten, die fast drei Viertel aller Wirtschaften über 5 Hektar ausmachten.9 Die Quellenüberlieferung ermöglicht es nachzuzeichnen, wie die SMA des Landes der Landesverwaltung bzw. -regierung geholfen hat, sich bei der Leitung der demokratischen Massenbewegung zur revolutionären Veränderung der Agrarverhältnisse als Machtorgan der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern mit Einschluß anderer Schichten zu bewähren. Die Tätigkeit der sowjetischen Besatzungsorgane war von dem Bemühen durchdrungen, der Arbeiterklasse und ihren Verbündeten aktiv zu helfen, durch die neuen Verwaltungsorgane politische Macht auszuüben und den Prozeß der revolutionären Umgestaltungen zu leiten. Dabei muß ein Aspekt stärkere Beachtung finden, als bisher geschehen. Wir meinen die Unterstützung der Leitungstätigkeit der Landes- und Provinzialverwaltungen dabei, ungeachtet des Fehlens einer deutschen Zentralgewalt durch ihr Wirken das für den Sieg über den deutschen Imperialismus notwendige einheitliche, geschlossene Handeln der Volksmassen unter Führung der Arbeiterklasse zu gewährleisten. Infolge des totalen Zusammenbruchs jeglicher staatlicher Orga6

7 8 9

StA Schwerin, Ministerium für Land- und Forstwirtschaft (im folgenden: MfLF), Nr. 2798, Statistischer Abschlußbericht zur Bodenreform per 1.1. 1950; Statistisches Landesamt, Nr. 325, Bodenbenutzungserhebung 1950. Ebenda, MfLF, Nr. 2734, Statistische Ergebnisberichte zur Bodenreform 1945/46. Ebenda, Nr. 2798, Statistischer Abschlußbericht zur Bodenreform per 1.1.1950. Wie die landwirtschaftliche Betriebszählung von 1949 ausweist, waren von den insgesamt 134 293 Betrieben 81 869 neubäuerliche Betriebe — davon 75 751 Betriebe über 5 Hektar — und 37 937 altbäuerliche Betriebe — davon 21 069 Betriebe über 5 Hektar (ebenda, Statistisches Landesamt, Nr. 149).

10 J a h r b u c h 12

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nisation im Zusammenhang mit der bedingungslosen Kapitulation des Hitlerregimes hatten die Staaten der Antihitlerkoalition die oberste Regierungsgewalt übernommen, und die deutsche Arbeiterklasse stand vor der historischen Aufgabe, sich auf dem Wege der konsequenten Durchführung des Potsdamer Abkommens zu jener gesellschaftlichen Kraft zu entwickeln, die imstande war, selbst zu regieren, den Aufbau eines friedfertigen, demokratischen Deutschlands zentral zu leiten und gegenüber den Alliierten zu garantieren. Wie bereits erwähnt, stellten zunächst die fünf Landes- und Provinzialverwaltungen die obersten deutschen Verwaltungsorgane mit administrativen und gesetzgebenden Funktionen dar. Die auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 17 vom 27. Juli 1945 gebildeten Deutschen Zentralverwaltungen10 fungierten als Beratungsorgane der SMAD und hatten gegenüber den Landes- und Provinzialverwaltungen keine Weisungsrechte. Das galt auch für die am 10. August 1945 gebildete Deutsche Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft, deren Tätigkeit durch die Person ihres Präsidenten, Edwin Hoernle, als führenden Agrarpolitikers der KPD auf das engste mit der Abteilung Landwirtschaft des Zentralsekretariats der KPD verbunden gewesen ist.11 Die Zentralverwaltungen entwickelten erst nach und nach Leitungsfunktionen. Die Deutsche Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft gewann noch 1945 hinsichtlich der Bodenreform gewisse anleitende und kontrollierende Funktionen.13 Nachdem die Abteilung Bodenreform im November 1945 mit der Ausarbeitung des Entwurfs von Musterstatuten für die Ausschüsse der gegenseitigen Bauernhilfe erstmals bei der Vorbereitung normativer Akte im Rahmen der Bodenreform tätig geworden war13, wurde die koordinierende Tätigkeit der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirt10

11

12

13

Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945-1949, Berlin 1968, S. 100 ff. — Zum Problem des stufenweisen Aufbaus zentraler deutscher Organe vgl. auch Fiedler, Helene, Die Politik der SED zur Weiterentwicklung der antifaschistisch-demokratischen staatlichen Machtorgane von 1947 bis Mitte 1948, in: BzG, 1973, H. 5, S. 663 f£. Diese Aussage ist aus der archivalischen Überlieferung zur Tätigkeit der Abt. Landwirtschaft des Zentralsekretariats der KPD wie auch der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft zu gewinnen. Zu erschließen unter anderem aus StA Schwerin, Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Nr. 3, Anschreiben vom 19. 11. 1945 an die Landesverwaltung Mecklenburg in Fragen der statistischen Berichterstattung, und aus ZStA, Deutsche Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft/Ministerium für Land- und Forstwirtschaft (im folgenden: K-l), Nr. DV1508, Anschreiben vom 2. 1. 1946 an die ProvinzialVerwaltung Brandenburg. Im letztgenannten Schreiben teilt die Deutsche Verwaltung mit, daß sie mit einer „gründlichen Kontrolle der gesamten Bodenreform in der gesamten Zone" beauftragt ist. Ebenda, Nr. DV224, Tätigkeitsbericht der Abt. Bodenordnung vom 19. 11. 1945, und Nr. DV1508, Arbeitsbericht der Rechtsabteilung vom 5. 8.1946r

SMA und demokratische Bodenreform

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schaft im Laufe des Jahre 1946 schon zu einer wichtigen Seite ihres Wirkens, freilich erst Anfang 1947 durch Vereinbarungen mit den Landesregierungen in verbindlicher Form sanktioniert. 14 Die Konstituierung der in den ersten demokratischen Wahlen vom Herbst 1946 gewählten Landtage und die Bildung der Landes- und Provinzialregierungen kennzeichneten eine neue Etappe in der Wahrnehmung der staatlichen Funktionen durch die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten. Mit der im Februar 1948 umgebildeten Deutschen Wirtschaftskommission entstand schließlich ein zentrales deutsches Organ zur umfassenden Leitung der Wirtschaft, also auch der Landwirtschaft mit Einschluß der agrarpolitischen Entwicklung. So wurden stufenweise mehr und mehr Funktionen einer staatlichen Zentralgewalt von deutschen Organen wahrgenommen, obgleich die oberste Regierungsgewalt bis zur Gründung der DDR de jure in den Händen der sowjetischen Besatzungsmacht verblieb. Die skizzierte stufenweise Entwicklung deutscher Verwaltungsorgane mit zentralen Leitungsbefugnissen verdeutlicht die bereits erwähnte Problematik in der Tätigkeit der Landes- und Provinzialverwaltungen. Eine zentrale Lenkung ihrer Tätigkeit ist in dem für die Durchführung der demokratischen Bodenreform entscheidenden Zeitraum zwischen Herbst 1945 und Frühjahr 1946 auf zwei Wegen möglich gewesen. Sie konnte einerseits durch das Zentralsekretariat und die Landesleitungen der KPD über die Aktionsgemeinschaft mit der SPD und den Landesblock der antifaschistisch-demokratischen Parteien oder direkt über die 1. Vizepräsidenten der Landes- und Provinzialverwaltungen erfolgen, die jeweils der KPD angehörten und eine Schlüsselstellung bei der Leitung der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltungen im allgemeinen und der Bodenreform im besonderen innehatten. Sie konnte andererseits von den sowjetischen Besatzungsorganen in Wahrnehmung der obersten Regierungsgewalt durchgeführt werden.

Unterstützung

bei der

Bodenreformgesetzgebung

Ein wesentlicher Teil der Aktivitäten der sowjetischen Besatzungsorgane zur Unterstützung der Landes- und Provinzialverwaltungen bei der Führung der Volksbewegung zur Zerschlagung des Großgrundbesitzes und zum Aufbau der Neubauernwirtschaften betraf die Bodenreformgesetzgebung. Als Ausdruck dessen, daß die sozialökonomischen Umgestaltungen, darunter auch die Bodenreform, bei aller Unterstützung durch die Besatzungsorgane mit bleibendem Erfolg nur im bewußten Kampf der deutschen Antifaschisten unter Führung der Partei der Arbeiterklasse vollzogen werden konnten, entstanden die grundlegenden normativen Bestimmungen zur Bodenreform — die Bodenreform-Verordnung, ihre Ausführungsbestimmungen und einige ergänzende 14

10*

StA Schwerin, Ministerpräsident (im folgenden: MP), Nr. 18/1.

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Verordnungen — nicht auf dem Befehlswege, sondern als Beschlüsse der Präsidien der fünf Landes- bzw. Provinzialverwaltungen. Die Gesetzgebung war allerdings einer Kontrolle seitens der SMA unterworfen. Wie der SMADBefehl Nr. 110 vom 22. Oktober 1945 zur Bestätigung der Gesetzgebungsbefugnisse der Präsidien ausdrücklich festlegte, durften die Gesetze und Verordnungen der Landesverwaltungen den „Gesetzen und Befehlen des Kontrollrates oder den Befehlen der Sowjetischen Militärverwaltung nicht widersprechen" 15 . Im Einklang damit legte die Landesverwaltung Mecklenburg 1945/46 ihre normativen Akte — Verordnungen ebenso wie Rund Verfügungen — vor Erlaß der SMA zur Bestätigung vor. 16 Wenn trotz der regionalisierten Gesetzgebungskompetenz die „vielen komplizierten Fragen der Bodenreform in allen Teilen der sowjetischen Besatzungszone einheitlich geregelt wurden", wie Walter Ulbricht rückschauend auf die nicht zuletzt unter seiner persönlichen Mitwirkung erfolgreich gelöste Umsetzung der Bodenreformkonzeption der KPD in Verordnungen der Landesund Provinzialverwaltungen mit Recht festgestellt hat 17 , wenn die Bodenreformgesetzgebung ungeachtet der zu berücksichtigenden regionalen Besonderheiten im wesentlichen einheitlich gestaltet werden konnte 18 , so äußert sich hierin einerseits die Führung der demokratischen Volksbewegung durch das Zentralkomitee der KPD bzw. SED und andererseits die hilfreiche Unterstützung der deutschen Antifaschisten durch die Organe der sowjetischen Besatzungsmacht. Die sowjetischen Besatzungsorgane benutzten auch hinsichtlich der Gesetzgebung zur Bodenreform die Funktionen einer obersten Regierungsgewalt, um die KPD bei der Führung der demokratischen Massenbewegung auf dem Lande maximal zu unterstützen. Die gegenwärtig zugänglichen Quellen lassen bereits eine solche Aussage für die Entstehungsgeschichte der grundlegenden Normativakte für die Bodenreform zu, obgleich noch nicht alle Fragen hinreichend zu beantworten sind. 15 16

17 18

Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland, S. 183 f. StA Schwerin, Ministerium des Innern (im folgenden: Mdl), Nr. 586, Rundverfügungen des Präsidenten der Landesverwaltung vom 7. 8. 1945 und 29.1. 1946. Vgl. auch ebenda, Hauptabt. Justiz, Nr. 170, Erklärung von Präsident Höcker auf der Justiztagung am 11712. 6. 1946 über die Gesetzgebungskompetenz der Landesverwaltung. Ulbricht, Walter, Die Bauernbefreiung in der DDR, Bd. 1, Berlin 1961, S. 40. Vgl. den Abdruck verschiedener gesetzlicher Bestimmungen zur Bodenreform bei Döring, Heinz, Von der Bodenreform zu den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Erläuterung und Kommentierung des neuen Agrarrechts, Berlin 1953. — Gewisse Abweichungen sind allerdings nicht zu vermeiden gewesen und haben hemmend gewirkt (vgl. dazu ZStA, K-l, Nr. DV 469, Stellungnahme des Zentralen Bauernsekretariats zur beabsichtigten Herausgabe einer Verordnung zur Festigung des durch die Bodenreform entstandenen landwirtschaftlichen Besitzes durch die Deutsche Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft vom 11. 9. 1946).

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Aus der Tatsache, daß die Gesetzgebungskompetenz bei den fünf Landesund Provinzialverwaltungen gelegen hat, die Normativakte zur Bodenreform jedoch im Prinzip einheitlich gestaltet worden sind, ist in der Zeitgeschichtsschreibung der BRD gefolgert worden, der Gesetzgebung habe ein sowjetisches Muster zugrunde gelegen.19 Hinsichtlich der Bodenreformverordnungen der fünf Landes- und Provinzialverwaltungen kolportieren Publizisten in der BRD seit Jahren immer wieder die Behauptung des Renegaten Leonhard, ein sowjetischer Entwurf für eine Bodenreformverordnung sei über das Zentralsekretariat der KPD der deutschen Öffentlichkeit unterbreitet worden.20 Ganz abgesehen davon, daß diese Aussage formalkritisch einige Zweifel hervorruft — erst nach Jahren sei ihm bewußt geworden, so sagt Leonhard, daß er bei der Übersetzung des Textes der Bodenreformverordnung aus dem Russischen ins Deutsche als Mitarbeiter des Apparats der KPD-Führung statt einer Rückübersetzung die Erstübertragung eines russischen Originals vorgenommen habe —, bezieht sie sich auf ein Randproblem in der Genesis dieser Verordnungen. Die antikommunistische These von der „Bolschewisierung" der sowjetischen Besatzungszone, auf deren Basis die Einheitlichkeit in der Bodenreformgesetzgebung als Ausdruck eines Diktats der Besatzungsmacht erklärt wird, versperrt von vornherein den Blick dafür, daß die von den Volksmassen unter Führung der KPD bzw. SED getragene antifaschistisch-demokratische Umwälzung trotz großer regionaler Unterschiede einen einheitlichen Prozeß dargestellt hat. Sie verzerrt das Wesen der sowjetischen Besatzungspolitik und der Zusammenarbeit von KPdSU und KPD bzw. SED und macht es unmöglich, den tatsächlichen Anteil der sowjetischen Besatzungsorgane an der erfolgreichen Durchführung der Bodenreform zu bestimmen. Was die Bodenreformverordnungen der Landes- und Provinzialverwaltungen anbelangt, so ist zunächst festzustellen, daß sie inhaltlich sowohl mit dem von Edwin Hoernle und Rudolf Reutter erarbeiteten Entwurf für den Beschluß des Zentralkomitees der Partei von Mitte August 1945 über die sofortige Inangriffnahme einer demokratischen Bodenreform und deren konzeptionelle Ausgestaltung21 als auch mit jener Richtlinie übereinstimmen, die den Landes19

20

21

Vgl. z. B. Reinelt, Josef, Die Bodenreformideen und ihre Auswirkungen in Europa, landwirtschaftswiss. Diss., Bonn 1948, S. 129 (Ms.); Liebe, Hans, Die Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone und ihre Auswirkungen auf die Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft, in: Gegenwartsprobleme der Agrarökonomie. Festschrift für Fritz Baade zum 65. Geburtstag, Hamburg 1958, S. 241. Leonhard, Wolfgang, Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln/(West-)Berlin [1955], S. 411. Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED, Zentrales Parteiarchiv (im folgenden: IML, ZPA), IV/2/7, 49. - In der Literatur ist die ZK-Sitzung zur Beschlußfassung über die Bodenreform bisher noch nicht genau terminiert worden. Die Dokumente im Bezirksparteiarchiv bei der SED-Bezirks-

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leitungen der KPD im August 1945 vom Zentralsekretariat zugeleitet worden ist.22 Der Beschluß des Zentralkomitees der KPD zur Bodenreform basierte auf Punkt 7 des A u f r u f s der Partei vom 11. Juni 1945 und stellte eine Konkretisierung der bereits vor 1945 erarbeiteten programmatischen Dokumente der Partei f ü r die gegebene historische Situation dar, wie bereits in der Literatur nachgewiesen. 23 Es verdient Bea'chtung, daß es das Zentralkomitee f ü r zweckvoll gehalten hat, die Bodenreformkonzeption vor der Beschlußfassung im Agrarland Mecklenburg Anfang August auf einer Aktivkonferenz der Landesparteiorganisation zur Diskussion zu stellen. 24 Den jeweils im engen Zusammenwirken von KPD und SPD und in Übereinstimmung mit Beschlüssen der Landesblockausschüsse von den Präsidien der Landes- bzw. Provinzialverwaltungen erlassenen Bodenreformverordnungen selbst hat ein zentraler Entwurf zugrunde gelegen. Entsprechend einer Festlegung des Politbüros wurde der Entwurf zuerst in der Provinz SachsenAnhalt zur Grundlage einer gesetzlichen Regelung. 25 Die Provinzialleitung der KPD legte den vom Zentralkomitee erhaltenen Verordnungsentwurf am 2. September 1945 dem Präsidium der Provinzialverwaltung vor, nachdem vom Landesblockausschuß eine Entschließung über die Durchführung der Bodenreform angenommen worden war. 26 Auf diesem Entwurf basierte die am 3. September 1945 verabschiedete bekannte Verordnung zur Bodenreform in Sachsen-Anhalt. In gleicher Weise ist die Verordnung Nr. 19 der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern vom 5. September 1945 entstanden. 27 Nachdem sich auch in Mecklenburg unter Führung der KPD eine breite Bewegung der Landarbeiter, Kleinbauern und Umsiedler zur Vorbereitung einer

22 23

24 25 26 27

leitung Schwerin (im folgenden: BPA Schwerin) lassen den Wahrscheinlichkeitsschluß zu, daß der Beschluß in der Sitzung mit den Landessekretären am 22. 8. 1945 gefaßt worden ist. Auf der 2. Landesfunktionärskonferenz am 29. 8. 1945 berichtete Herholz über die Anweisung des Zentralkomitees zur Inangriffnahme der Bodenreform (vgl. ebenda, Nr. 1/2). Herholz hatte in Vertretung des Landessekretärs an der ZK-Sitzung vom 22. 8. 1945 teilgenommen (ebenda, Nr. 1/1, Schreiben von Gustav Sobottka an Walter Ulbricht vom 21. 8. 1945). Ebenda, Nr. 1/3. Zur Entwicklung der agrarpolitischen Konzeption der KPD vgl. Stöckigt, Rolf, Der Kampf der KPD um die demokratische Bodenreform Mai 1945 bis April 1946, Berlin 19B4, S. 35 ff.; Edwin Hoernle — ein Leben für die Bauernbefreiung, Berlin 1965; Hoernle, Edwin, Zum Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern, Berlin 1972; Laschitza, Horst, Kämpferische Demokratie gegen Faschismus. Die programmatische Vorbereitung auf die antifaschistisch-demokratische Umwälzung in Deutschland durch die Parteiführung der KPD, Berlin 1969; siehe auch Berthold, Lothar, Für ein neues Deutschland, in: BzG, 1965, H. 3, S. 387 ff. BPA Schwerin, Nr. 1/1. Ulbricht, Die Bauernbefreiung, Bd. 1, S. 50. Siehe Stöckigt, Der Kampf der KPD, S. 78, 89 ff. Amtsblatt der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, 1946, S. 14 f£.

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demokratischen Bodenreform entwickelt hatte, stellte die KPD-Landesleitung in Absprache mit dem SPD-Landesvorstand auf einer vom Präsidenten der Landesverwaltung einberufenen Beratung der antifaschistisch-demokratischen Parteien am 30. August 1945 einen Aufruf für eine demokratische Bodenreform zur Diskussion.28 Am 3. September wurde der Aufruf verabschiedet.29 Dem Aufruf entsprechend, bereitete die Landesverwaltung einen Gesetzesakt vor. Der 1. Vizepräsident der Landesverwaltung, Hans Warnke, hatte einen zentralen Entwurf aus den Händen von Franz Dahlem empfangen, der als Politbüromitglied für die Anleitung der mecklenburgischen Landesparteiorganisation verantwortlich war und auch an den Blockberatungen zur Bodenreform teilnahm.30 Nachdem der Entwurf des Zentralkomitees der KPD im Präsidium der Landesverwaltung und in dem vom Landesblock konstituierten engeren Ausschuß beraten worden war, wurde er vom Präsidium der Landesverwaltung unterzeichnet und der SMA des Landes zur Kenntnis gegeben. Auf diese Weise ist der zentrale Entwurf ohne nennenswerte Abänderungen zur Grundlage der mecklenburgischen Bodenreformgesetzgebung geworden. Gewisse Abänderungen hatten sich allerdings daraus ergeben, daß im zentralen Entwurf der Erlaß von Durchführungsbestimmungen, wie er durch die mecklenburgischen Verhältnisse erforderlich wurde, nicht vorgesehen war und erst nach Rücksprache von Franz Dahlem mit Walter Ulbricht Berücksichtigung fand.31 Mit den Bodenreformverordnungen der Landes- und Provinzialverwaltungen vom September 1945 haben die vom Zentralkomitee der KPD im August 1945 zum Beschluß erhobenen Leitlinien die Gestalt normativer Akte angenommen. Die Verordnungen und die auf ihrer Grundlage in der bis dahin breitesten demokratischen Massenbewegung der deutschen Geschichte erfolgte Zerschlagung des Großgrundbesitzes sind somit das Ergebnis eines mit der Bildung der revolutionären Partei der deutschen Arbeiterklasse begonnenen und über beinahe drei Jahrzehnte hinweg führenden Ringens um ein wissenschaftlich begründetes Programm zum Sturz des deutschen Imperialismus und zur Errichtung eines demokratischen Deutschlands im allgemeinen und um eine demokratische Lösung der Agrarfrage im speziellen. In der Umsetzung der Beschlüsse der antifaschistisch-demokratischen Parteien zur Bodenreform in normative Akte und in deren Verwirklichung kulminierte zugleich der Kampf aller progressiven Kräfte um die Zuendeführung der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland. Die Sanktionierung der gesetzgeberischen Schritte der Landes- und Provinzialverwaltungen durch die sowjetischen Besatzungsorgane, wie sie schließlich auch in aller Form durch den bereits erwähnten SMAD-Befehl Nr. 110 vom 28

29 30

StA Schwerin, Ministerium für Sozialwesen, Nr. 249. — Vgl. auch die SNB-Nachricht über die Blockberatung in der „Berliner Zeitung" vom 4. 9. 1945. Volkszeitung, Organ der KPD Mecklenburg-Vorpommern, 4. 9. 1945. Erlebnisbericht Hans Warnkes, Rostock (im Besitz des Verfassers). Ebenda.

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22. Oktober 1945 erfolgt ist, widerspiegelte die grundlegende Ubereinstimmung zwischen der Besatzungspolitik zur konsequenten Durchsetzung des Potsdamer Abkommens und dem Kampf der K P D und der mit ihr in Aktionseinheit verbündeten SPD sowie der progressiven Kräfte in den bürgerlichdemokratischen Parteien zur Verwirklichung des im Aufruf der K P D vom 11. Juni 1945 konzipierten Programms des demokratischen Neuaufbaus. Hier wird folglich der konkrete Inhalt der Kontroll- und Aufsichtsfunktion sichtbar, die von den Organen der sowjetischen Besatzungsmacht in Ausübung der obersten Regierungsgewalt gegenüber der rechtsetzenden Tätigkeit der Landes- und Provinzialverwaltungen wahrgenommen wurde: die Förderung und Unterstützung der deutschen Verwaltungen als Machtorgane der antifaschistischen Demokratie bei der Erfüllung ihrer aus der historischen Situation erwachsenden Aufgaben. Dabei muß noch ein Aspekt hervorgehoben werden. Mit der Billigung der BodenreformVerordnungen optierten die sowjetischen Besatzungsorgane für die in hartem Ringen in den Landesblockausschüssen32 durchgesetzte revolutionäre Konzeption der K P D für die Bodenreform. Auf diese Weise unterstützten sie eine demokratische Bodenreform unter Hegemonie der Arbeiterklasse und ihrer Partei und trugen wesentlich dazu bei, daß die bereits in den Blockberatungen auf Landesebene zurückgedrängten Konzeptionen einer bürgerlichen oder reformistischen Siedlungspolitik, wie sie bekanntermaßen in den Führungsgremien von CDU und LDPD und in Kreisen der rechten Sozialdemokraten eine Basis hatten33, nicht doch noch zur Geltung kamen. In gleicher Weise wie die Bodenreformverordnung der Landesverwaltung ist die erläuternde und ergänzende 1. Ausführungsbestimmung zustande gekommen.34 Diesem noch im September 1945 erarbeiteten Dokument kam eine besondere Bedeutung zu, war es doch dazu bestimmt, den Gemeindebodenkommissionen als revolutionär-demokratischen Machtorganen zur Durchführung der Bodenreform detaillierte Hinweise für selbständige Entscheidungen bei der Verwirklichung der Bodenreformverordnung zu geben. Die Ausführungsbestimmungen zur mecklenburgischen Bodenreformverordnung legten z. B. fest, wie die allgemeingültigen Bestimmungen auf die im Ergebnis einer eigenartigen kapitalistischen Agrarentwicklung recht komplizierten Grundbesitzverhältnisse anzuwenden waren. Die Quellen lassen den Schluß zu, daß die Erarbeitung dieser Ausführungsbestimmung unter Leitung des Zentralsekretariats der K P D erfolgt ist. Einmal wissen wir, daß das Zentralsekretariat schon am 3. September — also am Tage der Unterzeichnung der Bodenreformverordnung in Sachsen-Anhalt als erstem Land der sowjetischen Be32 33 34

Siehe vor allem Stöckigt, Der Kampf der KPD, S. 78 ff. Ebenda, S. 56 ff. Sieber, Hans/Unikower, Franz, Das Recht des Landes Mecklenburg, [Schwerin] 1951, Stichwort „Bodenreform". Vgl. auch die entsprechenden Normativakte der übrigen Landes- und Provinzialverwaltungen bei Döring, Von der Bodenreform.

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satzungszone — von den Landesleitungen der Partei Vorschläge für Ausführungsbestimmungen zur Bodenreformverordnung erbeten hat.35 Zum anderen weist sich der im Archiv der SED-Bezirksleitung überlieferte Entwurf fraglos als ein auf zentraler Ebene erarbeitetes Dokument aus, das vom Sekretariat der Landesleitung beraten und für die mecklenburgischen Verhältnisse konkretisiert worden ist.36 Bei der Vorbereitung von gesetzlichen Bestimmungen zur Weiterführung und Festigung der Bodenreform Ende Oktober und Anfang November 1945 ist das enge wechselseitige Zusammenwirken des Zentralsekretariats der KPD und der SMAD und auch der entsprechenden Leitungsorgane auf Landesebene ziemlich klar aus den Akten herauszulesen. Am 17. Oktober 1945 informierte das Zentralsekretariat die Landesleitungen der KPD, daß die Landesverwaltungen in den nächsten Tagen Verordnungen zur Inventaraufteilung und zur Bildung und Tätigkeit der Ausschüsse der gegenseitigen Bauernhilfe annehmen werden, und wies an, „diese Dokumente im Sekretariat durchzuarbeiten und den Parteileitungen in den Kreisen und Ortsgruppen entsprechende Anweisungen zu geben"37. Am 18. Oktober forderte Präsident Höcker die Landeskommission für Bodenreform auf, bis zum 25. Oktober die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen für die Aufteilung der Wälder und Wiesen und des Nutzviehs zu erarbeiten, die Nutzung der den Bauernhilfskomitees übergebenen Traktoren und Landmaschinen zu regeln und die Normen für die Bezahlung des Bodens und der Waldparzellen zu veröffentlichen.38 Höcker berief sich zwar nicht ausdrücklich auf eine Anweisung der SMA; es dürfte aber eine mündliche Weisung vorgelegen haben. Dafür spricht allein schon jener Passus in der Verfügung, die SMA habe bereits ihr Einverständnis erklärt, auch Altbauern Waldparzellen zu geben. Der Erlaß einer Verordnung über die Bezahlung der Neubauernstellen war seitens der SMA schon am 29. September in der bereits erwähnten Besprechung zu Fragen der Bodenreform gefordert worden.39 Parallel zu den Vorbereitungsarbeiten der Landesverwaltung wurden der Stand der Bodenreform und auch die erforderlich gewordenen Schritte zu ihrer Vertiefung am 19. Oktober gemeinsam von KPD-Landesleitung und SMA und wenige Tage später auch auf einer Konferenz der Kreissekretäre der Partei beraten. Am 23. Oktober nahm der Landessekretär der KPD, Gustav Sobottka, öffentlich zur Inventar- und Waldaufteilung Stellung.40 Mit der Ausarbeitung von gesetzlichen Bestimmungen über Waldzuteilungen 35 36 37 38 39 40

BPA Schwerin, Nr. 1/1. Ebenda, Nr. 1/3. Ebenda. StA Schwerin, MfLF, Nr. 2825. Ebenda, MP, Nr. 1023. Alle Kräfte für die restlose Durchführung 23. 10. 1945.

der Bodenreform!,

in: Volkszeitung,

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an Altbauern, über den Preis der Neubauernstellen, über die Verteilung der Kosten der Bodenreform und über die Bildung von Komitees der gegenseitigen Bauernhilfe sowie durch den Erlaß einer Verwaltungsanordnung über die Inventaraufteilung schuf die Landesverwaltung die gesetzlichen Grundlagen für die Beendigung der Aufteilungen und zur Festigung der Bodenreform. 41 Wie der Text der offensichtlich auf der Basis zentraler Entwürfe erarbeiteten gesetzlichen Bestimmungen zur Waldaufteilung und zur Bildung und Tätigkeit der Komitees der gegenseitigen Bauernhilfe im einzelnen zustande gekommen ist, entzieht sich gegenwärtig noch unserer Kenntnis. Es kann aber als gesichert gelten, daß in neuen Aktivitäten in der Bodenreformgesetzgebung doch die Maßnahmen zur Weiterführung der demokratischen Massenbewegung auf dem Lande zwischen der Parteiführung der KPD und den Repräsentanten der KPdSU in der SMAD abgestimmt und im engen Zusammenwirken von Besatzungsorganen und KPD-Leitungen realisiert worden sind. Neben den bereits angeführten Fakten spricht dafür schließlich auch, daß das Zentralsekretariat der KPD die neuen gesetzgeberischen Schritte der Landes- und Provinzialverwaltungen sehr genau beobachtet hat.42 Die Darlegungen zur Rolle der sowjetischen Besatzungsorgane bei der Bodenreformgesetzgebung können mit kurzen Hinweisen auf die Genesis der Verordnungen zur Grundbucheintragung der Neubauernstellen im Frühjahr 1946 abgeschlossen werden. Zu beachten ist zunächst, daß sich gegenüber Herbst 1945 die Situation dergestalt gewandelt hatte, daß nun die Deutsche Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft auch koordinierende Aktivitäten entfaltete. Grundlage der Grundbuchverordnungen der Landes- bzw. Provinzialverwaltungen vom März/April 1946 wurde erstmals ein von der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft ausgearbeiteter Entwurf, der Mitte 41

Verordnung Nr. 26 über die Zuteilung von Wald an Klein- und Mittelbauern vom 22. 10. 1945, in: Amtsblatt der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, 1946', S. 22f.; Verordnung Nr. 27 betreffs Preise für die Neubauernstellen vom 22. 10. 1945, in: Ebenda, S. 23; 3. Ausführungsbestimmung zur Bodenreformverordnung vom 2. 11. 1945: Komitees der gegenseitigen Bauernhilfe, in: Volkszeitung, 3. 11. 1945, abgedr. bei: Sieber/TJnikower, Das Recht des Landes Mecklenburg, Stichwort „Bodenreform"; 4. Ausführungsbestimmung zur Bodenreformverordnung vom 3. 11. 1945: Regelung der Zahlungen und Verteilung der Kosten (Abdruck ebenda). Siehe auch StA Schwerin, MfLF, Nr. 2801, Rundverfügungen der Landesbodenkommission vom 22. 10. 1945 und 4. 11. 1945 zur Weiterführung der Bodenreform, unter anderem auch zur Inventarverteilung, und Goldenbaum, Ernst, Der nächste Schritt in der Bodenreform, in: Volkszeitung, 25. 10. 1945. - Eine Verordnung zur Inventaraufteilung entsprechend den normativen Akten in anderen Ländern der sowjetischen Besatzungszone ist nicht erarbeitet worden (vgl. Döring, Von der Bodenreform).

42

Im Rundschreiben vom 24. 10. 1945 kritisierte das Zentralkomitee, daß die Verordnungen über die Waldzuteilung an Neubauern und breite Schichten der Altbauern nur teilweise veröffentlicht worden sind bzw. nur eine knappe Berichterstattung in den Tageszeitungen erfolgt ist (BPA Schwerin, Nr. 1/3).

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März im Wochenabstand einmal als deutscher Text direkt von der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft und zum anderen als russischer Text über den Apparat der Besatzungsorgane der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern zugegangen ist/*3 Während in Mecklenburg letztendlich der deutsche Originaltext der Verordnung zugrunde gelegt wurde, fußte die Verordnung der Provinzialverwaltung Sachsen-Anhalt offensichtlich auf der russischen Übersetzung.44 Diese Feststellungen haben in doppelter Hinsicht Erkenntniswert. Einmal beleuchten sie nochmals generell die funktionelle Mitwirkung der Besatzungsorgane bei der rechtsetzenden Tätigkeit der Landesund Provinzialverwaltungen. Zum anderen machen sie eine zwangsläufige Folge des Mitwirkens sichtbar, nämlich jene Tatsache, daß manche Rechtsakte deutscher Organe im Ergebnis unqualifizierter Rückübersetzungen aus dem Russischen teilweise eine fremde Diktion und eine im Deutschen ungebräuchliche Terminologie aufweisen, wofür die Grundbuchverordnung der Provinz Sachsen-Anhalt ein treffliches Beispiel bietet. Unsere letztgenannte Feststellung ist nicht unwichtig, da sie dazu beiträgt, Fehldeutungen auszuschließen. Es sei erwähnt, daß bei einigen Zeitgeschichtsforschern der BRD auch derartige linguistische Beobachtungen herhalten müssen, um die Behauptung vom sowjetischen Revolutionsexport zu stützen.45 Die gegenwärtig bereits möglichen, wenngleich noch ergänzungsbedürftigen Aussagen zur Entstehungsgeschichte der wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen zur Bodenreform lassen erkennen, auf welche Weise trotz Regionalisierung der Gesetzgebung, trotz Fehlens einer deutschen Zentralgewalt ein im wesentlichen einheitliches Bodenreformgesetzeswerk für die gesamte sowjetische Besatzungszone zustande kam. Sie beweisen, daß die Behauptungen von Historikern und Publizisten der BRD über ein Diktat der sowjetischen Besatzungsmacht bei der Bodenreformgesetzgebung haltlos sind. Sie bestätigen die führende Rolle der KPD in der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung und bezeugen, daß die Organe der sowjetischen Besatzungsmacht auch hinsichtlich der Bodenreformgesetzgebung die Funktion der obersten Regierungsgewalt benutzt haben, um die KPD bei der Führung der demokratischen Massenbewegung auf dem Lande maximal zu unterstützen. Die Analyse der Bodenreformgesetzgebung bekräftigt somit das bereits vorgetra43 44

45

StA Schwerin, MP, Nr. 1289, 1436; MfLF, Nr. 2800, 3166; Mdl, Nr. 329. Vgl. den Abdruck der Verordnung bei Döring, Von der Bodenreform, S. 40. — In einem Bericht vom 16. 4. 1946 bezeichnete die Rechtsabteilung der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft die in Sachsen-Anhalt erlassene Verordnung als eine schauderhafte Rückübersetzung des deutschen Entwurfs aus dem Russischen (ZStA, K-l, Nr. DV 554). Siehe z. B. Auf dem Wege zum Kolchos. Die Sowjetisierung der Landwirtschaft in der Sowjetzone, hg. vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, [Bonn 1956], S. 10.

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gene Urteil über die Rolle der Besatzungsorgane bei der Leitung der revolutionären Umwälzungen in den Ländern und Provinzen durch die Landes- bzw. Provinzialverwaltungen.

Anleitung und Beratung bei der Leitung des revolutionären Umwälzungsprozesses

auf dem

Lande

Die anleitende und beratende Einflußnahme der sowjetischen Besatzungsorgane auf die Landes- und Provinzialverwaltungen bzw. -regierungen bei der Leitung der Agrarreform war auf das engste mit der Führungstätigkeit der KPD bzw. SED verknüpft. Wie Hans Warnke rückschauend auf seine Tätigkeit als 1. Vizepräsident der Landesverwaltung und Vorsitzender der Landesbodenkommission in Übereinstimmung mit bereits gesicherten Feststellungen betont, hat das Zentralkomitee der KPD die Vorbereitung und Durchführung der Bodenreform straff geleitet, wobei die auf den Sitzungen des erweiterten Zentralsekretariats erarbeiteten Beschlüsse und Weisungen über die 1. Bezirks- bzw. Landessekretäre der KPD zu den verantwortlichen Funktionären in den Landes- und Provinzialverwaltungen gelangt sind.46 Daneben hat es eine Vielzahl von Aktivitäten der SMA des Landes gegeben, wie noch zu zeigen sein wird. Diese Aktivitäten ergänzten, wie bereits aus konkreten Untersuchungen zur Weiterführung und Festigung der demokratischen Bodenreform Ende 1945/Anfang 1946 in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg ersichtlich47, die Lenkung der Tätigkeit der Landes- und Provinzialverwaltungen durch die Parteiführung der KPD. Die Quellenüberlieferung läßt den Schluß zu, daß beide Formen der Einflußnahme zentraler Stellen auf die Tätigkeit der regionalen Verwaltungsorgane nicht nur von zentraler Ebene aus koordiniert wurden, sondern auch auf Landesebene eng miteinander verflochten gewesen sind. Es kann als gesichert gelten, daß auf Landesebene — ebenso wie auf zentraler und Kreisebene — engste Kontakte zwischen den Parteileitungen der KPD und den Länderorganen der sowjetischen Besatzungsmacht existiert haben. Ein Beweis hierfür ist unter anderem darin zu sehen, daß für den Herbst 1945 zwei Beratungen zwischen KPD-Landesleitung und SMA zu Fragen der Bodenreform überliefert sind. Zu Beginn der dritten Augustdekade hat eine Besprechung zwischen dem Landessekretär der KPD und dem Chef der SMA stattgefunden48, und am 19. Oktober sind die führenden Repräsentanten der SMA und der KPD46 47

48

Erlebnisbericht Hans Warnkes. Siehe Stöckigt, Der Kampf der KPD, und Kuntsche, Siegfried, Der Kampf gegen die „Gemeinwirtschaft" der Neubauern, für die Auflösung des Gutsbetriebes und den Aufbau der Neubauernwirtschaften bei der demokratischen Bodenreform in Mecklenburg-Vorpommern, in: WZ Rostock, 1971, H. 1/2, S. 39 ff. BPA Schwerin, Nr. 1/1, Schreiben von Gustav Sobottka an Walter Ulbricht vom 21. 8. 1945.

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Landesleitung zu einer gemeinsamen Konferenz zusammengetreten 4 9 . Die erstgenannte Besprechung stand im Zusammenhang mit der unmittelbaren politischen Vorbereitung der Bodenreform. Die gemeinsame Konferenz f a n d zu einem Zeitpunkt statt, als bereits der Abschluß der Massenkampagne zur Landaufteilung n a h t e u n d die neue Phase der Bodenreform, die P h a s e der betriebswirtschaftlichen Umstellung vom Gutsbetrieb auf die neubäuerliche W i r t s c h a f t s f ü h r u n g sowie der allseitigen Festigung der Bodenreform sichtbar wurde. Auf der Konferenz w u r d e n der Stand der Bodenreform analysiert u n d die nächsten Schritte im Einklang mit einer im Rundschreiben des Zentralsekretariats der K P D vom 17. Oktober gegebenen Orientierung 5 0 b e r a t e n : Abschluß der sozialökonomischen U m gestaltung des Gutsdorfes durch Aufteilung des Waldes, der Wiesen u n d des Inventars u n d Festigung des Bündnisses mit der werktätigen Bauernschaft durch Waldzuteilungen an Mittelbauern. Die Beratung gab der politischen Führungstätigkeit der mecklenburgischen Parteiorganisation der K P D starke Impulse. Ihr schloß sich eine Konferenz der Landesleitung mit den Kreissekretären zu Fragen der Bodenreform an. Parallel liefen die bereits e r w ä h n ten Aktivitäten der Landesverwaltung in der Bodenreformgesetzgebung. Es soll nicht u n e r w ä h n t bleiben, daß die Überlieferung zu der e r w ä h n t e n Konferenz mit den KPD-Kreissekretären auch einen wesentlichen Aspekt der internationalistischen Hilfe der Vertreter der K P d S U in den sowjetischen Besatzungsorganen f ü r die K P D sichtbar macht, nämlich die Hilfe bei der ideologischen K l ä r u n g politischer G r u n d f r a g e n . Wie den Konferenzmaterialien zu e n t n e h m e n ist51, h a t Oberst Serebrijski, Leiter der Politischen Abteilung der SMA, in seiner Ansprache an die Funktionäre der K P D besonderes Gewicht auf die Feststellung gelegt, daß es sich bei der Bodenreform u m eine revolutionäre Klassenschlacht handelte, womit er eine sehr wichtige Orientier u n g f ü r den Kampf u m die konsequente Z u e n d e f ü h r u n g der sozialökonomischen Umgestaltung des Gutsdorfes und u m die Festigung der Bodenreform gegeben hat. Von der 1. Landesdelegiertenkonferenz der SED vom September 1947 ist überliefert, daß der als Vertreter der SMA des Landes teilnehmende sowjetische Genosse die deutschen Genossen zu größerer Prinzipienfestigkeit bei der Vollendung der Bodenreform e r m a h n t hat, da abermalige Kontrollen im ganzen Lande nicht wenige Mängel offenbart hatten. 5 2 Die Beratungen zwischen SMA u n d KPD-Landesleitung im Herbst 1946 halfen der Landesleitung, auf regionaler Ebene die f ü h r e n d e Rolle der P a r t e i der Arbeiterklasse durchzusetzen und die Tätigkeit der Landesverwaltung auf der 49 50

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Ebenda, Nr. 1/3, Konferenzprotokoll. Ebenda. Vgl. auch ebenda, Rundschreiben vom 24. 10. 1945, und Rede Walter Ulbrichts auf einer Bauernversammlung in Nauen am 28. 10. 1945, in: Deutsche Volkszeitung, 30. 10. 1945. BPA Schwerin, Nr. 1/2. Die Rede von Oberst Serebrijski selbst ist nicht im Protokoll überliefert. Ebenda, Nr. IV/1 A/l.

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Grundlage der zwischen SMAD und Parteiführung abgestimmten politischen und administrativen Linie zu lenken. Dabei wird bereits aus dem vorliegenden, recht kargen Quellenmaterial ein schöpferisch-produktives Herangehen an die spezifischen Probleme des Landes sichtbar, wie es auch für andere Aufgaben des demokratischen Aufbaus bezeugt ist.63 Was Ausmaß und Intensität der Beziehungen zwischen dem Chef der SMA und dem Landessekretär der KPD bzw. dem Vorsitzenden des SED-Landesvorstandes angeht, so ist als sicher anzunehmen, daß sie von der schriftlichen Quellenüberlieferung nur unvollkommen und fragmentarisch widergespiegelt werden. Wenn wir uns nun den direkten Beziehungen zwischen der SMA des Landes und der Landesverwaltung bzw. -regierung zuwenden, so ist zunächst festzustellen, daß wir uns ein sehr gutes Bild über jene Beratungen machen können, in denen grundsätzliche Probleme der Vorbereitung, Durchführung und Festigung der Bodenreform erörtert worden sind. Weniger genaue Auskunft geben die Quellen über die Besprechungen zwischen den fachlichen Mitarbeitern der SMA und denen der Landesverwaltung bzw. -regierung, die sich auf Einzelfragen der operativen Leitung der Agrarreform bezogen haben. Wir wissen allerdings aus berufenem Munde, daß solche Besprechungen im Jahre 1945 tägliche Praxis gewesen sind54, und die Quellenüberlieferung bietet genügend Anhaltspunkte, um dies auch auf die Leitungsfragen zu beziehen. Für den Zeitraum von September 1945 bis Jahresende können fünf, für die gesamte Zeitspanne des Wirkens der SMA insgesamt elf Beratungen zu Grundfragen der Leitung der demokratischen Massenbewegung auf dem Lande zur Zerschlagung des Großgrundbesitzes sowie zur allseitigen Festigung der Bodenreform nachgewiesen werden: 1. 9.1945 Besprechung zwischen dem Chef der Zivilverwaltung der SMA, General Skossyrev, und Präsident Höcker, unter anderem zur Ubergabe der Mehrzahl der bisher von Wirtschaftskommandos der Sowjetarmee bewirtschafteten herrenlosen Gutsbetriebe in die Verwaltung der deutschen Organe55 53

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Siehe Mühlstädt, Herbert, Hans Warnke — ein Kommunist, Rostock 1972, S. 101 ff. Zeugnis des Präsidenten der Landesverwaltung und späteren Ministerpräsidenten Wilhelm Höcker (StA Schwerin, Nr. 649a, Protokoll der Ministersitzung vom 8. 3. 1951). Ebenda, MP, Nr. 1309. — Bereits in einer Beratung am 17. 8. 1945 beim Chef der SMA (ebenda, Mdl, Nr. 60) und auf der Arbeitstagung der Landesverwaltung mit den Landräten am 20./21. 8. 1945 (ebenda, Nr. 245) war die Seßhaftmachung von Umsiedlern auf den von ihren Besitzern verlassenen Gütern erörtert worden. Die von der Landesverwaltung in Erwartung des Zustroms Hunderttausender von Umsiedlern ausgearbeiteten Pläne können zwar nicht als Vorstufe der Bodenreform angesehen werden, erleichterten aber die Durchsetzung der Bodenreformkonzeption der KPD in den Blockberatungen.

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25. 9.1945 Besprechung zwischen dem Chef der Zivilverwaltung der SMA und dem 1. Vizepräsidenten wegen Übernahme und Aufteilung der bisher von der Sowjetarmee verwalteten Gutsbetriebe66; Besprechung beim Chef der Zivilverwaltung der SMA über die Forderung der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft, 300 000 Hektar Land aus dem Aufteilungsfonds herauszunehmen, um die Erzeugung von Kartoffelpflanzgut für die gesamte Besatzungszone sicherzustellen57 29.9.1945 Besprechung zwischen dem Chef der Zivilverwaltung der SMA und dem Präsidenten der Landesverwaltung über die bisherigen Ergebnisse bei der Vorbereitung der Landaufteilung58 22. 2.1946 Besprechung zwischen der Leitung der SMA und dem Vizepräsidenten für Landwirtschaft, Otto Möller, zur Aufteilung von Restflächen und zur Ausarbeitung von Verordnungen über Bauten für Neubauern, über Saatguthilfe und Wirtschaftsberatung59 23. 5.1946 Berichterstattung der verantwortlichen Leiter der Landesverwaltung beim Chef der Zivilverwaltung der SMA zur rechtlichen Sicherung der Bodenreform durch die Grundbucheintragung der Neubauernstellen60 19. 8.1946 Besprechung zwischen dem Leiter der Unterabteilung Landwirtschaft der SMA, Kapitän Nebesny, und dem Vizepräsidenten für Landwirtschaft in Anwesenheit eines Vertreters der SMAD über Schwierigkeiten bei der Festigung der Agrarreform, insbesondere bei der Errichtung von Neubauerngehöften61 19. 9.1946 Besprechung zwischen der SMA und leitenden Funktionären der Landesverwaltung zur Einleitung einer umfassenden Kontrollaktion, um auftretende Mängel bei der Vollendung der Bodenreform zu beseitigen, insbesondere hinsichtlich der konsequenten betriebswirtschaftlichen Umstellung vom Gutsbetrieb auf die neubäuerliche Wirtschaftsführung62 25. 8. und Beratungen zwischen der SMA und der Landesregierung zur Kon27. 9.1947 trolle der Ergebnisse der Bodenreform und zur Beseitigung von Mängeln63 21. 5. 1949 Besprechung zwischen dem Leiter der Unterabteilung Landwirtschaft der SMA und dem Geschäftsführer der Landesbodenkom36 57 58 53 60 61 62 63

ZStA, K - l , Nr. DV 1510, Bericht vom 20. 9. 1945. StA Schwerin, MfLF, Nr. 212. Ebenda, MP, Nr. 1023. Ebenda, MfLF, Nr. 2825. Ebenda, Mdl, Nr. 325, Schreiben des 1. Vizepräsidenten vom 21. 5. 1946. Ebenda, MfLF, Nr. 27. Ebenda, Mdl, Nr. 60. Ebenda, MfLF, Nr. 2825; MP, Nr. 484.

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mission über Maßnahmen zur Stabilisierung wirtschaftsschwacher Neubauernstellen64 Im Rahmen dieses Beitrages kann eine ins einzelne führende Wertung dieser Beratungen, wie sie durch ihre Einordnung in den Gesamtprozeß der Bodenreform und dessen Leitung möglich wäre, nicht erfolgen. Für unsere Zielsetzung genügt das Beispiel der Beratung vom 29. September 1945, auf der der Chef der Zivilverwaltung der SMA eine kritische Wertung der Leitung des revolutionären Umwälzungsprozesses durch die Landesverwaltung gab. Der sowjetische General äußerte „seine vollste Zufriedenheit" über die Aufteilung der Domäne Bredentin im Kreis Güstrow, der er selbst beigewohnt hatte. Er kritisierte jedoch, daß es reaktionären Kräften möglich gewesen war, Verwirrung zu stiften und einige Gutsaufteilungen hinauszuzögern, weil sich die Landesverwaltung bei der Bestimmung der als Landesgüter zu erhaltenden Betriebe unentschlossen gezeigt hatte. Er machte auf verschiedene Sabotagefälle aufmerksam und drängte darauf, die Gutsbesitzerfamilien aus den Gutsdörfern auszusiedeln, um solche Gegenaktionen zu unterbinden. Der Chef der Zivilverwaltung der SMA empfahl dem Präsidenten und den Vizepräsidenten, „selbst Kontrollen durchzuführen, um sich davon zu überzeugen, daß das Gesetz richtig durchgeführt ist". Im Ergebnis der Beratung, gestützt auf die Forderungen der politisch bewußtesten Kräfte auf dem Lande, ordnete die Landeskommission für Bodenreform noch am selben Tage die Ausweisungen an.65 Damit verschob sich das politische Kräfteverhältnis auch im mecklenburgischen Gutsdorf erheblich zugunsten der Landarbeiter und Kleinbauern, die nun frei vom Druck der enteigneten Besitzer über ihre Geschicke bestimmen konnten. Die Umsiedlung der enteigneten Besitzer war eine einheitliche Aktion in der sowjetischen Besatzungszone, die sich zwingend aus dem Kräfteverhältnis der Klassen im Dorf ergab. Angesichts der Verschärfung des Klassenkampfes nach Inangriffnahme der Bodenreform wurde dieser zunächst nicht beabsichtigte Schritt eingeleitet. Die Analysierung von Leitungsmängeln in der Vorbereitungsphase der Aufteilung des Großgrundbesitzes sowie von spezifischen Formen des Klassenkampfes der enteigneten Besitzer und ihrer Parteigänger, vor allem aber auch die Orientierung auf notwendige administrative Schritte zur Unterstützung der demokratischen Massenbewegung auf dem Lande halfen der Landesverwaltung, ihre Klassenfunktion als Machtorgan der antifaschistischen Demokratie in einer wichtigen Phase der Agrarreform wahrzunehmen. Die Hinweise, Ratschläge und Forderungen der SMA, die der Landesverwaltung in der erwähnten Beratung zugeflossen sind, waren über den konkreten Anlaß hinaus von Bedeutung. Sie vermittelten wichtige Lehren der Oktoberrevolu-

64 65

Ebenda, Mdl, Nr. 331. Ebenda, Nr. 310.

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tion und Erfahrungen der Bolschewiki bei der Leitung des sozialistischen Staates. In unserem Beispiel ging es darüber hinaus um eine weitere Seite der beratenden und anleitenden Tätigkeit der SMA, die sich aus der Ausübung der obersten Regierungsgewalt durch die sowjetische Besatzungsmacht ergab. Wir meinen die Steuerung der Tätigkeit der Landesverwaltung zur Gewährleistung einheitlicher Maßnahmen im gesamten sowjetischen Besatzungsgebiet. Offenkundig entsprach die von der SMA des Landes Mecklenburg der Landesverwaltung gegebene Orientierung zur Ausweisung der enteigneten Besitzer aus den Gutsdörfern einer zentralen Festlegung. Es handelte sich um eine einheitliche Aktion in allen fünf Ländern und Provinzen. Es kann auch kaum Zweifel daran bestehen, daß diese Maßnahme zwischen der SMAD und der KPD-Führung abgesprochen gewesen und im koordinierten Zusammenwirken realisiert worden ist. Zwar kann diese Feststellung mangels zentraler Quellenbelege zunächst nur aus der Führungsrolle der KPD bei der demokratischen Bodenreform deduziert werden, doch liegt ein regionaler Quellenbeleg vor, der die Annahme stützt. Es verdient unser ganzes Interesse, daß gerade in den Tagen, als die SMA vom Präsidenten der Landesverwaltung verlangte, die Ausweisung aller Großgrundbesitzer aus den Gutsdörfern anzuordnen, der Vorsitzende der Landesbodenkommission und 1. Vizepräsident Hans Warnke im Zusammenhang mit Informationen über Sabotagehandlungen enteigneter Besitzer vermerkt hat: „KPD-Anweisung: von unten die Beseitigung (offensichtlich: Entfernung) der Besitzer fordern."66 Ferner kann nicht übersehen werden, daß die administrative Maßnahme von einer politischen Kampagne auf dem Lande unter Führung der KPD vorbereitet und unterstützt worden ist.67 Die in bezug auf unser Untersuchungsbeispiel, die Beratung vom 29. September 1945, zu treffende Feststellung, daß sich diese auf Grundfragen der Leitung der demokratischen Massenbewegung auf dem Lande konzentriert und neue administrative Schritte ausgelöst hat, kann verallgemeinert und auf alle Beratungen bis zum Herbst 1946 bezogen werden. Zu der in den Quellen überlieferten Kette von Beratungen zwischen SMA und Landesverwaltung bzw. -regierung zu grundlegenden Problemen der Leitung der demokratischen Bodenreform und ihrer Festigung ist abschließend noch eine Bemerkung erforderlich. Die Beratungen häuften sich im Zeitraum von September bis Oktober 1945 und von Februar bis Herbst 1946. Zweifellos hängt das mit der Intensität des geschichtlichen Prozesses zusammen. Wenn man jedoch bedenkt,

66 67

Ebenda, MP, Nr. 484, Aktenvermerk, o. D. (Ende September 1945). Vgl. Berichterstattung des Organs der KPD-Landesleitung über die Forderung von Landarbeitern und Umsiedlern im Kreis Wismar zur Entfernung der enteigneten Großgrundbesitzer, in: Volkszeitung, 29. 9. 1945; 3. 10. 1945 (Leitartikel); 13., 16. sowie 17. 10. 1945. Über das Ausmaß der Kampagne liegen noch keine Untersuchungen vor.

11 Jahrbuch 12

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daß die Zuendeführung und allseitige Festigung der Bodenreform im Agrarland Mecklenburg bis zum Beginn der 50er Jahre einen zentralen Platz in der Tätigkeit der Landesregierung einnahm, dürfte auch die Feststellung berechtigt sein, daß die zunehmende Vergrößerung der Intervalle zwischen den Beratungen Ausdruck jener bereits gesicherten Tatsache ist, daß sich die sowjetischen Besatzungsorgane aus den Leitungsprozessen immer mehr zurückzogen und auf Kontrollen beschränkten, je mehr die deutsche Arbeiterklasse lernte, im Bündnis mit der werktätigen Bauernschaft und anderen Schichten über die Verwaltungsorgane selbst politische Macht auszuüben.68 Unterstützung der Landesverwaltung bei der Organisierung der Leitungsprozesse Die Untersuchung der Mithilfe der SMA des Landes Mecklenburg bei der Organisierung der Leitungsprozesse zur Vorbereitung, Durchführung und Festigung der Bodenreform bis in das Dorf hinein müßte in erster Linie auf jene ihrer Aktivitäten konzentriert sein, die über den eigenen Apparat, d. h. über die Kreis- und Bezirkskommandanturen, geführt haben. Diese Seite der Tätigkeit der SMA spiegelt sich jedoch nur sehr ungenau in der Überlieferung, die aus der Tätigkeit der Leitungen der KPD bzw. SED und der deutschen Verwaltungsstellen erwachsen ist. Aus den Akten der Landesverwaltung bzw. -regierung kann herausgelesen werden, daß die Landesverwaltung bzw. -regierung uneingeschränkt bei der ordnungsgemäßen Durchführung der Bodenreform unterstützt worden ist. Wenn örtliche Kommandanten im Bestreben, möglichst große Aktivitäten zur Förderung der demokratischen Neugestaltung zu entwickeln, in die Kompetenzen der Bodenreformorgane eingriffen oder sogar eigenmächtig handelten — einige solche Fälle sind aktenkundig geworden —, so konnte die Landesverwaltung der Unterstützung der SMA sicher sein.69 Die Kommandanten erhielten von der SMA die gleichen Empfehlungen und Weisungen wie die deutschen Verwaltungsstellen auf Kreis- und Ortsebene, die Bodenreformkommissionen einbegriffen. Aufschlußreich für unseren Untersuchungsgegenstand ist das Beispiel der Mit68

69

Es verdient unser Interesse, daß der 1. Vizepräsident der Landesverwaltung schon im November 1946 — gelegentlich eines Vortrages vor Funktionären der VdgB — unter Bezugnahme auf die Landtagswahlen in solcher Weise die Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Besatzungsorganen und den deutschen Stellen eingeschätzt hat (StA Schwerin, MfLF, Nr. 3221). Vgl. dazu die Äußerung des Geschäftsführers der Landesbodenkommission auf einer Arbeitstagung am 17./18. 3. 1949 mit den Kreiskommissionen: „Wenn sowjetische Behörden Entscheidungen fällen, die Ihnen nicht zweckmäßig erscheinen, geben Sie uns diese her, damit wir sie mit der SMA lösen können" (ebenda, Nr. 2820).

SMA und demokratische Bodenreform

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hilfe der SMA bei der Bekanntmachung der Bodenreformverordnung. Wie Hans Warnke aus der Erinnerung berichtet, hat er seinerzeit als Mitglied der KPD-Landesleitung und 1. Vizepräsident der Landesverwaltung Gelegenheit gehabt, auf einer Tagung der Kommandanten beim Chef der SMA die Bodenreformverordnung noch am Tage ihrer Unterzeichnung zu erläutern. 70 Auf diese Weise sind die Kommandanten sofort über die grundlegende Entscheidung des Präsidiums der Landesverwaltung informiert worden, so daß sie die Landräte unverzüglich bei der Inangriffnahme der Bodenreform unterstützen konnten. Da den Kommandanten auch der Verordnungstext in russischer Übersetzung ausgehändigt worden war, das Organ der KPD-Landesleitung, die „Volkszeitung", den Text aber erst zwei Tage später veröffentlichte, erhielten die Landräte zuerst über die Kreiskommandanten Kenntnis von der Bodenreformverordnung. Vermutlich hat es sich bei dem Auftreten eines führenden Funktionärs der KPD-Landesleitung und der Landesverwaltung vor den Kommandanten um einen einmaligen Akt gehandelt. Nichtsdestoweniger ist er f ü r die Wertung des Wesens der sowjetischen Besatzungspolitik von eminenter Bedeutung. Er bezeugt den internationalistischen Grundcharakter dieser Politik, die auf das engste Zusammenwirken mit der revolutionären Partei der deutschen Arbeiterklasse gerichtete Tätigkeit der Repräsentanten der KPdSU und des Sowjetstaates. Die Überlieferung läßt noch weitere Seiten der tätigen Mithilfe der SMA bei der Organisierung der Leitungsprozesse zur Durchführung der Bodenreform erkennen. Wir meinen jene Beratungen mit den antifaschistisch-demokratischen Parteien und Organisationen, auf denen die SMA Fragen der Bodenreform zur Diskussion stellte, sowie die von der SMA unterstützten Konferenzen der Landesverwaltung bzw. -regierung mit den Landräten oder Bezirksbürgermeistern, die sich mit Grundfragen der Bodenreform und der Festigung ihrer Ergebnisse befaßten. Bisher konnten folgende Aktivitäten ermittelt werden: 19.9.1945 Beratung der SMA mit Vertretern der antifaschistischdemokratischen Parteien und Organisationen über deren Arbeitsprobleme, insbesondere über die Durchführung der Bodenreform 7 1 18./19.1.1946 Ansprache des Chefs der Zivilverwaltung der SMA, General Skossyrev, auf der Arbeitstagung der Landesverwaltung mit den Landräten und Oberbürgermeistern, die sich vor allem mit Fragen der Landwirtschaft, namentlich der Bodenreform, befaßte 72 70 71 72

Ii»

Erlebnisbericht Hans Warnkes. StA Schwerin, MP, Nr. 1023. Ebenda, Mdl, Nr. 246; MP, Nr. 484; Volkstimme, Organ der SPD für Mecklenburg-Vorpommern, 22. 1. 1946; Volkszeitung, 18. bis 22. 1. 1946.

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Anfang Februar bzw. März 1946 Beratungen mit den Landräten und Vertretern der antifaschistisch-demokratischen Parteien bei den Gebietskommandanturen für West-, Mittel- und Ostmecklenburg in Anwesenheit führender Repräsentanten der SMA und der Landesverwaltung zu Fragen der Zuendeführung und Festigung der Bodenreform 73 2. 7. 1946 Ansprache des Leiters der Wirtschaftsabteilung der SMA, Oberst Michailov, auf einer Arbeitstagung der Landesverwaltung mit den Bezirksbürgermeistern, in der er die Organisierung einer umfassenden Zugkrafthilfe und Viehabgabe der Altbauern für die Neubauern forderte 74 Oktober 1948 Beratung der SMA mit der Landesregierung und den Landesvorständen der Parteien und Organisationen zum Neubauern-Bauprogramm 7 5 Die Beratungen mit den antifaschistisch-demokratischen Parteien und Organisationen waren Ausdruck jener Tatsache, daß sich die konstruktive, kameradschaftliche Zusammenarbeit der sowjetischen Besatzungsorgane mit den deutschen Antifaschisten nicht auf die KPD beschränkte, sondern alle aufbauwilligen demokratischen Kräfte einbezog. Die Beratungen unterstützten die Bemühungen der KPD- bzw. SED-Landesleitung, alle antifaschistisch-demokratischen Kräfte für die zielstrebige Durchführung der gemeinsam beschlossenen Agrarreform und die Festigung der Neubauernwirtschaften zu gewinnen und zu aktivieren. Das Auftreten führender Vertreter der SMA des Landes vor den Landräten und Bezirksbürgermeistern förderte die Anstrengungen der Landesverwaltung bzw. -regierung, ihre Leitungstätigkeit auf die jeweiligen Hauptfragen im Prozeß der revolutionären Agrarumwälzung und der Festigung des Bündnisses mit der werktätigen Bauernschaft zu konzentrieren und die unteren Organe zu befähigen, die ihnen aus diesen Prozessen erwachsenden Aufgaben als Machtorgane der antifaschistischen Demokratie zu lösen. Die Einflußnahme der SMA auf die Funktionäre der Parteien und Organisationen und der unteren Verwaltungsorgane ist als eine wirksame Form der politisch-ideologischen Hilfe für die Arbeiterklasse und die mit ihr verbündeten Kräfte bei der Durchführung und Festigung der Bodenreform zu werten. Obgleich unsere Kenntnisse über die Mitwirkung der sowjetischen Besatzungsorgane bei der Organisierung der Leitungsprozesse durch die Landesverwaltung bzw. -regierung notgedrungen noch recht lückenhaft sind, kann

73 7/1 75

StA Schwerin, MfLF, Nr. 2825. Ebenda, Mdl, Nr. 249. Landeszeitung, Organ der SED für Mecklenburg, 20. 10. 1948.

SMA und demokratische Bodenreform

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doch abschließend gesagt werden, daß auch in dieser Beziehung die auf die Unterstützung der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in der staatsleitenden Tätigkeit gerichtete Grundlinie der sowjetischen Besatzungspolitik hervorgetreten ist.

Kontrollen über die Durchführung

der

Bodenreform

Wenden wir uns nun der Kontrolltätigkeit der Organe der sowjetischen Besatzungsmacht zu. Wir können dabei von der gesicherten Feststellung ausgehen, die namentlich für die Leitung der sozialökonomischen Umwälzungsprozesse gilt, daß die Kontrolle — dem Wesen der sowjetischen Besatzungspolitik entsprechend — in den Beziehungen der Besatzungsorgane zu den deutschen Verwaltungen von vornherein ein bestimmender Faktor gewesen ist. Sie wurde um so mehr zur vorherrschenden Form der Zusammenarbeit, je deutlicher die deutschen Organe ihre Klassenfunktion als Organe der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern ausprägten. Die archivalische Quellenüberlieferung läßt erkennen, daß die sowjetischen Besatzungsorgane den Verlauf der demokratischen Bodenreform und die Aktivitäten zur Unterstützung der Neubauern sehr genau beobachtet haben. Die SMA des Landes Mecklenburg ließ sich von der Landesverwaltung bzw. -regierung mündlich wie schriftlich Bericht erstatten. Neben periodischen statistischen Informationen76 zum Stand der • Landaufteilung und Festigung der Bodenreform forderte sie mehrfach Zahlenmaterial zu speziellen Aspekten der Agrarumwälzung an. Überdies wurde sie durch Ad-hoc-Informationen der Kommandanten in den Kreis- und Bezirksstädten auf Hemmnisse, Mängel und Fehler aufmerksam. Sie veranlaßte im Zeitraum von Ende 1945 bis Herbst 1947 vier umfassende Kontrollaktionen, die gemeinsam bzw. parallel von Besatzungsorganen und deutschen Organen mit politischer Unterstützung der Leitungen der KPD bzw. SED durchgeführt worden sind. Die erste Aktion zum Jahreswechsel 1945/46 zielte darauf, ein Gesamtbild von den Ergebnissen der Bodenreform zu gewinnen und insbesondere die bei den Aufteilungen aufgetretenen Fehler aufzudecken und zu beseitigen. Die Aktion hat das Gesamtgebiet der sowjetischen Besatzungszone erfaßt. Offensichtlich hat es sich dabei um eine zwischen der Parteiführung der KPD und der SMAD abgesprochene Aktion gehandelt, denn die Landesverwaltung er-

76

Komplexe statistische Ergebnisberichte zur Bodenreform, außerdem ab Oktober 1945 Operativmeldungen über den Verlauf der Bodenaufteilung und dann ab 1946 statistische Monatsberichte über die rechtliche und wirtschaftliche Sicherung der Bodenreform (vgl. Kuntsche, Siegfried, Archivalische Quellen zur Geschichte der demokratischen Bodenreform. Die Bestände der Landesregierung Mecklenburg im Staatsarchiv Schwerin, in: Archivmitteilungen, 1965, S. 205).

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hielt die Kontrollinstruktion von der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft, während die Landesleitung der KPD direkt durch das Zentralsekretariat über das Vorhaben informiert wurde. 77 Bei der zweiten Kontrollaktion — am 17. Februar 1946 als sogenannter Bauernschautag in allen mecklenburgischen Neubauerndörfern durchgeführt — erfolgte eine nochmalige Überprüfung des Standes der Bodenreform. Vorrangig war zu prüfen, ob alle Flächen des Bodenreformfonds bereits in Individualbesitz gegeben worden und die Neubauern materiell in der Lage waren, die Frühjahrsbestellung erfolgreich vorzunehmen. Für diese Aktion ist ebenfalls gesichert, daß es sich um eine alle fünf Länder und Provinzen erfassende Maßnahme gehandelt hat.78 Eine dritte Aktion fand im Herbst 1946 statt. Es sollte hauptsächlich festgestellt werden, ob alle Flächen des Bodenreformfonds aufgeteilt waren und ob der Prozeß der betriebsstrukturellen Umstellung von der Gutswirtschaft auf die neubäuerliche Parzellenwirtschaft allerorts abgeschlossen war. In der vierten Kontrollaktion vom Herbst 1947 wurde wiederum der Gesamtprozeß der Bodenreform überprüft. Die Kontrollen zielten vor allem darauf, den Stand der Aufteilung der auf dem Sequesterwege enteigneten Bauernhöfe zu ermitteln und alle jene Fälle aufzuspüren, wo es Angehörigen ehemaliger Gutsbesitzerfamilien gelungen war, sich im Neubauerndorf festzusetzen. Die vier Kontrollaktionen haben große Bedeutung f ü r die konsequente Verwirklichung der demokratischen Bodenreform und die Festigung ihrer Ergebnisse gehabt. Sie machten es möglich, Einschätzungen über die Situation im ganzen Land zu gewinnen, und gestatteten es durch die Vielfalt der Informationen, die jeweiligen Kardinalfragen bei der Weiterführung und Festigung der Bodenreform deutlicher zu erkennen. Die Ergebnisse der systematischen Überprüfung erleichterten es den Sekretariaten der Landeskommission und der Kreisbodenkommissionen, in der Fülle der Aufgaben die wesentlichen herauszufinden und vorrangig zu lösen. Die Kontrollergebnisse gaben im übrigen oft genug den Anstoß zu weiterführenden Regelungen und neuen Schritten bei der Festigung der Bodenreform. Im Ergebnis der ersten Kontrollaktion wurde beispielsweise sichtbar, daß 77

78

BPA Schwerin, Nr. 1/3, Rundverfügung des Zentralsekretariats der KPD vom 18. 12. 1945; StA Schwerin, MP, Nr. 19/1, Anweisung der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft vom 18. 12. 1945. Vgl. auch ebenda den Bericht der Landesbodenkommission vom 11. 1. 1946 an die Deutsche Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft. Wie aus dem Protokoll einer Hauptabteilungsleitersitzung der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft am 29. 1. 1940 (ZStA, K-l, Nr. DV 1505) ersichtlich, hafte die SMAD die SMA der Länder und Provinzen angewiesen, dafür Sorge zu tragen, daß alle Fehler bei der Durchführung der Bodenreform bis zum 21. 2. 1946 beseitigt würden.

SMA und demokratische Bodenreform

1.67

vielerorts mit der Enteignung des Großgrundbesitzes und dem Entstehen der neubäuerlichen Eigentumsverhältnisse noch keine Aufhebung des Gutsbetriebes erfolgt war.79 Die Überprüfungen ließen erkennen, daß in diesen Orten Mecklenburg-Vorpommerns die Gutswirtschaft in mehr oder weniger kompletter Form als sogenannte neubäuerliche Gemeinwirtschaft fortgeführt wurde, und zwar unter Führung des Komitees bzw. Ortsausschusses der gegenseitigen Bauernhilfe oder unter Leitung des Treuhänders, der oft genug mit der Person eines der bisherigen Gutsbeamten identisch oder aus anderen, bisher eng mit der kapitalistischen Landwirtschaft verbunden gewesenen Berufen hervorgegangen war. Die Kontrollen brachten auch die negativen Folgen der sogenannten neubäuerlichen Gemeinwirtschaft an den Tag. Die konsequente Durchführung und Festigung der Bodenreform und der rasche Wiederaufbau der landwirtschaftlichen Produktionsgrundlagen erforderten eine vollständige Auflösung des Gutsbetriebes. Die Uberwindung der sogenannten neubäuerlichen Gemeinwirtschaft war ein grundsätzliches Problem bei der Weiterführung und beim Abschluß der demokratischen Bodenreform. In Auswertung der Ergebnisse der Kontrollaktion von Ende 1945/Anfang 1946 wurden die notwendigen Schritte eingeleitet. Für die Tätigkeit der Landesverwaltung bzw. -regierung zur konsequenten Durchsetzung des Gesetzwerkes der Bodenreform und zur effektiven Unterstützung der Neubauern waren nicht zuletzt auch die zahlreichen Informationen über Einzelbeobachtungen der Besatzungsoffiziere von erheblicher Bedeutung. Allein eine Aufzählung der von der SMA des Landes bemängelten Tatbestände läßt dies deutlich erkennen: Verstöße gegen die Bestimmungen zur Enteignung und Entmachtung der Großgrundbesitzer und der Naziaktivisten mit landwirtschaftlichem Besitz; Umgehung der Aufteilung von Höfen durch Abtretung der die 100-HektarGrenze übersteigenden Landfläche80; Nichtaufteilung eines die 100-Hektar-Grenze überschreitenden Familienbesitzes81 ; Umgehung der Aufteilung von Stadtgütern bzw. Belassung eines Restgutes bei der Einbeziehung eines Stadtgutes in den Bodenreformfonds 82 ; 79

80 81 82

Zur Verbreitung der Erscheinung sowie zu ihren Entstehungsursachen und den Etappen ihrer Überwindung siehe Kuntsche, Siegfried, Die „Gemeinwirtschaft" der Neubauern. Probleme der Auflösung des Gutsbetriebes und des Aufbaus der Neubauern wirtschaften bei der demokratischen Bodenreform in Mecklenburg, phil. Diss., Rostock 1970. Vgl. auch derselbe, Der Kampf gegen die „Gemeinwirtschaft" der Neubauern, in: WZ Rostock, 1971, H. 1/2. StA Schwerin, MfLF, Nr. 2825. Vgl. Anm. 108. StA Schwerin, MP, Nr. 484, Aktenvermerk über eine Besprechung bei der SMA am 27. 9. 1947, und Nr. 93, Bericht der Landesbodenkommission an den Landtag vom 6. 2. 1948.

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Belassung verpachteter Höfe und Gutsbetriebe in der Hand der Universität Greifswald83; Irrtümliche Enteignung eines Altbauern 84 ; Nichtberücksichtigung der Vermögensrechtslage bei der Enteignung einiger Güter 85 ; Verbringung von Teilen des Gutsinventars durch den enteigneten Besitzer und Gegenarbeit gegen die Bodenreform 86 ; Belassung des ehemaligen Besitzers als Verwalter auf einem Landesgut 87 ; Verbleiben eines Verwandten eines früheren Gutspächters als Leiter eines Saatzuchtgutes88; Anstellung ehemaliger Besitzer in Verwaltungsorganen und bei Raiffeisengenossenschaften89 ; Verbleiben verschiedener Gutsbesitzerfamilien in den Heimatorten bzw. in der Nähe ihrer ehemaligen Besitzungen90; Bewahrung von grundbuchlichen Unterlagen über enteigneten Besitz.91 Fehler bei den Aufteilungen: Erhaltung einiger auf der Aufteilungsliste stehender Güter bzw. Gutsvorwerke als Landesgüter 92 ; Aufteilung des enteigneten Besitzes unter den Gliedern einer Familie 93 ; Eigennutz und Ungesetzlichkeiten bei der Aufteilung von Obstplantagen95;

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Ebenda, Nr. 484. Ebenda, MfLF, Nr. 2944. Ebenda, MP, Nr. 1444, Anordnung der SMA vom 23. 9. 1946, und Nr. 1487, Anordnung der SMA vom 12. 6. 1948. Ebenda, Nr. 1023, Aktenvermerk über eine Besprechung bei der SMA am 29. 9. 1945. Vgl. auch Nr. 484, Aktenvermerk des 1. Vizepräsidenten, und Mdl, Nr. 325, Verfügung der Landesbodenkommission an die Kreiskommission Wismar vom 28. 9. 1945. Ebenda, MP, Nr. 484. Ebenda, Nr. 1481, Anordnung Nr. 53 der SMA vom 27. 3. 1948 und Bericht des Innenministeriums vom 17. 4. 1948. Vgl. auch MfLF, Nr. 28. Ebenda, Mdl, Nr. 310, Anordnung Nr. 61 der SMA vom 30. 3. 1948; MP, Nr. 1444, Anordnung der SMA vom 5. 8. 1946. Siehe hauptsächlich folgende Quellen im StA Schwerin: MfLF, Nr. 2825, Aktenvermerk über eine Besprechung bei der SMA am 25. 8. 1947, und Mdl, Nr. 325, Anordnung Nr. 61 der SMA vom 30. 3. 1048. Ebenda, MP, Nr. 484. Ebenda, Mdl, Nr. 60, Aktenvermerk über eine Besprechung bei der SMA am 19. 9. 1946; MP, Nr. 484, Nr. 1444, Anordnung Nr. 19 der SMA vom 5. 2. 1946. Ebenda, MfLF, Nr. 2825, Verfügung des Präsidenten der Landesverwaltung an die Vizepräsidenten Warnke und Möller vom 23. 9. 1946 und Bericht der Landesbodenkommission hierzu; Mdl, Nr. 60. Ebenda, MP, Nr. 1471, Anordnung der SMA vom 9. 1. 1948.

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Beibehaltung der Gutswirtschaft auf enteigneten und aufgeteilten Gütern (Januar/Februar 1946)95; „Gemeinwirtschaft" in Neubauerndörfern bis zum Herbst 1946.96 Beeinträchtigung der Rechte der Neubauern: Zuteilung eines Teils des für die Neubauern bestimmten, aus anderen Gebieten eingeführten Viehs an Landesgüter 97 ; Unterstützung der Klage einer ehemaligen Gutsbesitzerin auf Rückgabe der an mittellose Umsiedler-Neubauern verteilten Möbel durch ein Gericht98; Nichtberücksichtigung von Neubauern bei der Waldaufteilung 99 ; Beauflagung viehloser Neubauernwirtschaften mit einem Soll zur Ablieferung tierischer Erzeugnisse 100 ; Beeinträchtigung neubäuerlicher Besitzrechte bei der Wiedergutmachung der irrtümlich erfolgten Enteignung eines Altbauern 101 ; Benachteiligung der Neubauern bei der Gewinnung von Baumaterial aus dem Abbruch ehemaliger militärischer Anlagen und Profitmacherei von Privatfirmen 102 ; Verbot einer freien Waldwirtschaft der Neubauern 103 ; Benachteiligung der Neubauerndörfer bei Planungen einer Handelsfirma zum Verkauf von Bindegarn 104 ;

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Ebenda, Nr. 1444, Bericht des Kreiskommandanten an die Gebietskommandantur Greifswald vom 16. 1. 1946; Bericht der Gebietskommandantur an die SMA vom 26. 1. 1946; Anordnung Nr. 13 der SMA vom 9. 1. 1946; Mdl, Nr. 325, Aktenvermerk über einen Bericht von Major Gritschischenikow vom 16. 1. 1946, und Akte Gerichtssache Pfeffer, Niendorf, im Bestand Rat des Kreises Wismar 1945 bis 1952 (Z 4/65, Nr. 153 des Ablieferungsverzeichnisses). Vgl. auch Volkszeitung, 4. 2. 1946, und Volksstimme, 30. 1. 1946. Der Bericht der „Volksstimme" nimmt ausdrücklich auf eine SNB-Meldung Bezug. StA Schwerin, Mdl, Nr. 221, Aktenvermerk vom 26. 4. 1948 über Kontrollen der SMA, und Nr. 60. Ebenda und MP, Nr. 484. Vgl. auch Nr. 1463, SMA-Befehl Nr. 152 vom 23. 8. 1946. Ebenda, Mdl, Nr. 325, Anordnung Nr. 61 der SMA vom 30. 3. 1948. Ebenda, Nr. 310, Erlaß des 1. Vizepräsidenten an den Landrat des Kreises Greifswald vom 28. 2. 1946. Ebenda. Ebenda, MfLF, Nr. 2944, Anordnung Nr. 350 der SMA vom 20. 12. 1947. Ebenda, MP, Nr. 1479, Anordnung Nr. 351 der SMA vom 20. 12. 1947; MfLF, Nr. 213, Aktenvermerk vom 5. 6. 1948 über eine Information der Unterabteilung Landwirtschaft der SMA. Ebenda, MP, Nr. 1444, Bericht des Kreiskommandanten an die Gebietskommandantur Greifswald vom 16. 1. 1946; Bericht der Gebietskommandantur an die SMA vom 26. 1. 1946. Ebenda, Nr. 484, Aktenvermerk über eine Besprechung bei der SMA am 27. 9. 1947.

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Bevorzugung von Altbauern beim Einsatz der Traktoren der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB).105 Die von den Offizieren der sowjetischen Besatzungsorgane übermittelten Informationen über Schwierigkeiten, Mängel und Fehler hatten nicht selten eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung. Oft handelte es sich um typische Erscheinungen. Die Informationen waren folglich der Landesverwaltung bzw. -regierung von großem Nutzen bei der konsequenten Durchsetzung der Bodenreform. Mehr noch, in einigen Fällen haben sie Anlaß zu normativen Entscheidungen gegeben. Wir können mehrfach feststellen, daß sich die SMA nicht mit der Mitteilung des Tatbestandes begnügt, sondern der Landesverwaltung bzw. -regierung geholfen hat, aus dem Einzelfall generalisierende Folgerungen abzuleiten. Als beispielsweise die SMA die Profitmacherei von Privatfirmen bei der Baustoffgewinnung auf militärischen Abbruchobjekten aufdeckte, forderte sie nicht nur die Beseitigung der Mißstände, sondern verlangte, durch entsprechende Bestimmungen zu gewährleisten, daß bauwillige Neubauern solche Objekte ungehindert und kostenfrei abbrechen können.106 Ähnlich handelte die SMA, als sie im Juli 1947 Fehler und Mängel bei der Eintragung der Neubauernstellen ins Grundbuch zu kritisieren gezwungen war. Sie ordnete eine systematische Kontrolle der Grundbucharbeiten an und forderte, nunmehr auch die gesellschaftlichen Bodenempfänger ins Grundbuch einzutragen.107 Wenn wir die Kontrolltätigkeit der sowjetischen Besatzungsorgane einer abschließenden Wertung unterziehen, so können wir feststellen, daß die umfassenden Kontrollen und Einzelüberprüfungen und die aus ihnen erwachsenen Informationen über Mängel und Fehler eine wirksame Form der Unterstützung der Landesverwaltung bzw. -regierung bei der eigenverantwortlichen Leitung des Prozesses der demokratischen Bodenreform dargestellt haben. Es muß dabei hervorgehoben werden, daß die SMA den Bodenreformorganen nicht die Verantwortung für die Bereinigung der aufgedeckten Mißstände abgenommen hat. Nur in wenigen Fällen, wo die Kraft der zuständigen deutschen Stellen nicht ausreichte, hat es die SMA offenbar für notwendig erachtet, im Interesse einer konsequenten Durchführung der Bodenreform selbst einzugreifen. Um den Charakter eines solchen Eingreifens zu verdeutlichen, sei auf die über die Bezirkskommandantur veranlaßte Aufteilung einer über 100 Hektar großen Altbauernwirtschaft in Buchholz (Kreis Waren) aufmerksam gemacht.108 Bei einer Kontrolle hatte die SMA entdeckt, daß hier ein Großbauernehepaar zwei Höfe im Gesamtumfang von 119 Hektar bewirt105 106 107 108

Ebenda, MfLF, Nr. 213, Anordnung Nr. 60 der SMA vom 30. 3. 1948. Ebenda, MP, Nr. 1479, Anordnung Nr. 351 der SMA vom 20. 12. 1947. Ebenda, Anordnung Nr. 246 der SMA vom 10. 7. 1947. Ebenda, Nr. 123, 1116 und 1444; MfLF, Nr. 2899; Mecklenburgische Landgesellschaft, Nr. 465/15.

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schattete. Die Rechtslage war eindeutig, denn Artikel 3 der Bodenreformverordnung bestimmte, den Besitz von Mann und Frau als Einheit anzusehen und, falls er zum Stichtag des 10. Mai 1945 die Größe von 100 Hektar überschritten hatte, entschädigungslos zu enteignen. De jure war die Enteignung bereits am Tage des Erlasses der Verordnung eingetreten; die zuständigen Verwaltungsstellen zögerten jedoch mit der Aufteilung. Man erblickte in der Aufteilung eines Besitzes, der durch Erbfall während des Krieges zwei Höfe zusammengeführt hatte, von denen der eine als Hochzeitsgabe für die nahezu volljährige Tochter bestimmt war, eine Härte und übersah, daß hier ein gefährlicher Präzedenzfall hätte entstehen können. Um Schleichwege der Enteigneten von vornherein abzuschneiden, hatte die Bodenreformverordnung eine feste untere Grenze für Enteignungen festgelegt. 109 Da die Landesverwaltung bis in das Jahr 1946 hinein zauderte, sorgte die SMA dafür, daß dem Gesetz Genüge getan wurde. Trotz seiner Exzeptionalität läßt auch dieses Beispiel das Wesen der sowjetischen Besatzungspolitik deutlich erkennen. Es bleibt uns schließlich noch der Hinweis darauf, daß nicht nur die Kontrollergebnisse, sondern auch die Arbeitsmethoden der Offiziere in den Organen der sowjetischen Besatzungsmacht nachhaltig auf die Tätigkeit der deutschen Verwaltungsstellen eingewirkt haben. Das gilt für ihren operativen Arbeitsstil, also für die Einheit von Kontrollen und operativer Hilfe, wie sie uns in den Akten vielfach in Gestalt der Organisierung konkreter Hilfeleistung für das Neubauerndorf entgegentritt. Das trifft aber auch für die jeden engen Ressortdenkens bare, von politischem Verantwortungsgefühl getragene umfassende analytische Tätigkeit zu.

Unterstützung

der Agrarumwälzung

durch rechtsetzende

Akte

Wie bei anderen Aufgaben des antifaschistisch-demokratischen Neuaufbaus sind die SMAD und ihre Länderorgane auch bei der Agrarumwälzung unmittelbar rechtsetzend tätig geworden. Das ist sowohl in der für militärische Organe typischen Rechtsform der Befehle als auch in Gestalt von Verwaltungsanordnungen geschehen. Die Befehle der SMA des Landes Mecklenburg wie auch der SMAD zur Bodenreform hatten folgenden Inhalt110: los vgl. die Feststellung von Walter Ulbricht in seiner Arbeit zum 10. Jahrestag der demokratischen Bodenreform, daß die Festlegung einer festen Enteignungsgrenze den Gemeindebodenkommissionen eine klare Richtlinie gegeben und den Gutsbesitzern die Möglichkeit genommen hat, „ihren Einfluß unter den Landarbeitern und Bauern auszunutzen, Korruptionsversuche zu machen oder mit der Mär vom ,guten Herrn' der Enteignung zu entgehen" (Ulbricht, Die Bauernbefreiung, Bd. 1, S. 41). 110 StA Schwerin, MP, Nr. 1462-1465.

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Reparatur der Landtechnik und Einrichtung von Maschinenausleihstellen bei den Bauernhilfskomitees (Ortsausschüssen der VdgB) mit den Traktoren und Großgeräten der aufgelösten Gutsbetriebe; Verbesserung der Tätigkeit der Ausleihstellen, insbesondere hinsichtlich der Unterstützung der Neubauern; Beschaffung von Vieh für die Neubauern, insbesondere Organisierung eines Ausgleichs des Pferde- und Rinderbesatzes zwischen Alt- und Neubauerndörfern ; Sicherung des Bedarfs der Neubauern an Saatgut, Futtermitteln und auch Brotgetreide, insbesondere durch die Gewährung von Getreidedarlehen; Bau von Neubauerngehöften, insbesondere Beschaffung der erforderlichen Baumaterialien; Gewährung von Neubauernkrediten; Ermäßigung des Ablieferungssolls pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse bei Neubauernwirtschaften. Ergänzend zu den in den Akten überlieferten Befehlen ist auf einen im September 1946 von der SMA in Schwerin nur mündlich mitgeteilten Befehl zur Beseitigung von Fehlern und Mängeln bei der Bodenreform hinzuweisen, der auf einem zentralen Befehlsakt beruhte. 111 Die Verwaltungsanordnungen der SMA des Landes unterschieden sich hinsichtlich ihres Gegenstandes nicht grundsätzlich von den Befehlen. Die für den Zeitraum bis Ende 1948 nachweisbaren Verwaltungsanordnungen zur Bodenreform bezogen sich auf die wirtschaftliche Stärkung der Neubauernhöfe, aber auch auf die politische und rechtliche Sicherung der demokratischen Agrarumwälzung. Die ersten Verwaltungsanordnungen zu Fragen der Bodenreform ergingen schon im September 1945. Die SMA räumte den Neubauerndörfern Möglichkeiten zum Aufkauf von Saatgut bei Altbauern ein.112 Am 29. September 1945 verlangte die SMA in Übereinstimmung mit dem Willen der demokratischen Kräfte, wegen der insbesondere im Kreis Wismar vorgefallenen Sabotageakte die Gutsbesitzerfamilien aus den Gutsdörfern auszusiedeln.113 Im Mai 1946 ordnete sie an, in Übereinstimmung mit zentralen Richtlinien die Grundsteuergesetze zugunsten der Neubauernwirtschaften zu überarbei-

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Ebenda, Nr. 484, Verfügung des Präsidenten der Landesverwaltung an die Vizepräsidenten vom 23. 9. 1946. Die schriftlich erteilte Weisung der Unterabteilung Landwirtschaft der SMA konnte bisher nicht aufgefunden werden. Ihre Existenz ist bezeugt durch den Bericht der KPD-Landesleitung an das Zentralsekretariat vom 26. 9. 1945 zu Fragen der Bodenreform (ZStA, K-l, Nr. DV 1510). Es handelte sich hierbei um eine mündlich erteilte Weisung (vgl. StA Schwerin, MfLF, Nr. 2986, Schreiben des Ministerpräsidenten vom 26. 7. 1947 an das Innenministerium).

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ten.114 Alle neuen Betriebe bis zu einem Einheitswert von 8000 RM — das dürfte damals die Mehrzahl der Wirtschaften gewesen sein — sollten in den Jahren 1946 und 1947 von der Grundsteuer befreit sein. Neben dem verminderten Ablieferungssoll sollte den Neubauern eine weitere Vergünstigung eingeräumt werden, um die Konsolidierung ihrer Wirtschaften zu fördern. Im September 1946 wies die SMA an, umgehend die nachträgliche AufSiedlung einer Reihe von Landesgütern vorzubereiten.115 Diese Maßnahme zielte darauf, die im Herbst 1945 gemeinsam mit der KPD-Landesleitung und der Landesverwaltung im Einklang mit zentralen Orientierungen festgelegte Linie, angesichts der Millionen Umsiedler möglichst große Teile des Bodenreformfonds als Individualbesitz zu vergeben, konsequent durchzusetzen. Im übrigen sollten Voraussetzungen dafür geschaffen werden, durch Kräftekonzentration auf eine kleinere Zahl von Landesgütern eine der Zweckbestimmung der Güter angemessene Leitung zu gewährleisten. Im Herbst 1947 verlangte die SMA von der Landesregierung die Schaffung von Rechtsnormen, die es den Neubauern erleichtern sollten, zu bauen.116 Gemäß einer Anordnung der SMAD sollten Neubauern ohne eigenen Wald Bauholz aus den Kommunalwaldungen zu ermäßigtem Preis kaufen können.117 Die SMA ordnete ferner an, daß die Selbsterwerbung von Baumaterialien aus den abzubrechenden Militärobjekten den Neubauern überlassen und die Geschäftemacherei von Spezialbetrieben unterbunden werden sollte.118 Ende März 1948 orientierte die SMA darauf, beschleunigt Maßnahmen für eine verstärkte wirtschaftliche Hilfe für ungefestigte Wirtschaften zu ergreifen, um der Rückgabe weiterer Neubauernstellen entgegenzuwirken.119 Weitere elf Anordnungen betrafen die Verwendung eines durch die Bodenreform 114

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Ebenda, MP, Nr. 1444, Anordnung der SMA vom 6. und 11. 5. 1946. Die Verordnung Nr. 106 vom 25. 6. 1948 zur Änderung des Grundsteuergesetzes (von 1930) und seiner Durchführungsverordnungen (Amtsblatt der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, 1946, S. 83 f.) legte für die Rechnungsjahre 1946 und 1947 allerdings keinen Totalerlaß der Grundsteuer fest, sondern sah eine Ermäßigung von 50 Prozent vor. Wie aus dem Protokoll der Arbeitsbesprechung der Abt. Bodenordnung am 1. 11. 1945 (ZStA, K-l, Nr. DV 1505) zu ersehen ist, hatte die Deutsche Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft die Absicht, der SMAD eine gesetzliche Regelung zur Grundsteuersenkung für bäuerliche Betriebe bzw. zur zeitweiligen Befreiung der Neubauern von der Grundsteuer vorzuschlagen. Die Grundsteuerreform wurde Mitte 1946 durch Verwaltungsanordnungen der SMA der fünf Länder und Provinzen eingeleitet (ebenda, Nr. 1583, Aktenvermerk vom 26. 9. 1946). StA Schwerin, Mdl, Nr. 60; vgl. auch ZStA, K-l, Nr. DV 602. StA Schwerin, MP, Nr. 1454, Anordnung Nr. 327 vom 22. 11. 1947. Ebenda, MfLF, Nr. 4306, Anordnung Nr. 561 der SMAD vom 20. 11. 1947. Ebenda, MP, Nr. 1454, Anordnung Nr. 357 vom 9. 8. 1947, und Nr. 1479, Anordnung Nr. 351 vom 20. 12. 1'947. Ebenda, MfLF, Nr. 213, Anordnung Nr. 60 vom 30. 3. 1948.

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enteigneten Gutsgebäudes120, die finanzielle Abwicklung der Bodenreform durch die Einziehung der sogenannten Bodenreformkaufgelder121, die Bezahlung des aus dem Bestände der nachträglich aufgeteilten Landesgüter erworbenen Inventars122 und sonstige Fragen der wirtschaftlichen und rechtlichen Festigung der Bodenreform.123 Insgesamt sind für die Jahre 1945 bis 1948 etwa 40 Befehle und Verwaltungsanordnungen der SMA des Landes Mecklenburg nachweisbar. Die Zusammenstellung der rechtsetzenden Akte der SMA läßt bereits Urteile über das Wesen dieser Form der Unterstützung der Landesverwaltung bzw. -regierung bei der Leitung und Festigung der Bodenreform zu. Erstens ist festzustellen, daß sich diese Akte in den Rahmen einpaßten. der durch die Bodenreformgesetzgebung der Landesverwaltung bzw. -regierung und die programmatischen Dokumente der Partei der Arbeiterklasse und des demokratischen Blocks geschaffen worden war. Es sei in diesem Zusammenhang auf den Aufruf der antifaschistisch-demokratischen Parteien und der Landesverwaltung vom 11. April 1946 zur „Volksaktion Heim und Arbeit" hingewiesen, der der Verwirklichung des von der KPDLandesleitung initiierten Wirtschafts- und Aufbauprogramms der Landesverwaltung mit seinem Schwerpunkt, der Neubauernhilfe, diente.124 Im übrigen zeigt sich, daß nicht wenige dieser Akte deutlich den Stempel von verwaltungsdispositorischen Anordnungen zur Regelung spezieller, z. T. auch fiskalischer Fragen der Festigung der Bodenreform getragen haben. Zweitens ist zu bemerken, daß die Mehrzahl der rechtsetzenden Akte der SMA des Landes auf die wirtschaftliche Festigung der Neubauernstellen gerichtet war. Sie bezogen sich auf solche Fragen wie Kreditgewährung, Steuersenkung und Verminderung des Ablieferungssolls, die im Maßstab der gesamten Besat120

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Ebenda, MP, Nr. 1454, Anordnung Nr. 387 vom 15. 10. 1947 zur Einrichtung des Schlosses Alt Rehse, Kreis Waren, als Waisenkinderheim. Ebenda, Nr. 1444, Anordnung Nr. 39 F vom 12. 4. 1046. Ebenda, Nr. 1487, Anordnung Nr. 18 F vom 18. 5. 1948. Ebenda, Nr. 1485, Anordnung über die Aufschlüsselung des Ablieferungssolls auf die Neubauernwirtschaften von Mitte Oktober 1945; Nr. 1444, Anordnung vom 24. 4. 1946 über die Zuweisung von Dachpappe für die landwirtschaftlichen Bauten der Neubauern und Anordnung vom 16. 10. 1946 über die Zuweisung von festem Schuhwerk an die Landvermesser zur Weiterführung der Arbeiten im Winter; Nr, 1479, Anordnung Nr. 246 vom 10. 7. 1947 über Mängel bei der Grundbucheintragung; Nr. 1454, Anordnung Nr. 330 vom 21. 11. 1947 über die Rückgabe sequestierter landwirtschaftlicher Betriebe an die Eigentümer; Nr. 1483, Anordnung Nr. 103 vom 21. 5. 1948 über die Bereitstellung von Benzin zur Kontrolle des Neubauernprogramms; Nr. 1487, Anordnung Nr. 338 vom 30. 6. 1948 über die ordnungsgemäße Differenzierung des Ablieferungssolls und den Schutz der Neubauern vor Übervorteilung; Nr. 555, Anordnung Nr. 5 F vom 10. 8. 1948 über die Zahlung von Bodenreformkaufgeldern durch die gesellschaftlichen Landempfänger. Landeszeitung, 13. 4. 1946. Vgl. auch den Bericht über die Tagung der Landräte und Oberbürgermeister am 18./1Ö. 1. 1B46, in: Volkszeitung, 21. 1. 1