Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz: 1983/84 [1983/84] 3875372093


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Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung, Preußischer Kulturbesitz, 1983/84
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McCredie, Andrew D. - Konzeption, geistiges Gefüge und Methodologie als gemeinsame Berührungspunkte in vergleichender Literaturwissenschaft und Musikforschung
Böker-Heil, Norbert - Klingende Dokumentationen aus dem Synthesizer
Dahlhaus, Carl - Symphonie und symphonischer Stil um 1850
Hübner, Kurt - Wirklichkeit und Unwirklichkeit des Mythos in Richard Wagners Werk
Poos, Heinrich - Nexus vero est poeticus/Zur fis-mol Fantasie Carl Philipp Emanuel Bachs
Elste, Martin - Von der Partiturwissenschaft zu einer Klangwissenschaft/Überlegungen zur Schallplattenforschung
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Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz: 1983/84 [1983/84]
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Jahrbuch des Staatlichen ·1nstituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz

1983/84

Merseburger

JAHRBUCH DES STAATLICHEN INSTITUTS FÜR MUSIKFORSCHUNG

Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 1983/84

Herausgegeben von Dagmar Droysen-Reber und Günther Wagner

Merseburger

Edition Merseburger 1221

1987 Verlag Merseburger Berlin GmbH, Kassel Alle Rechte einschließlich Photokopie und Mikrokopie vorbehalten · Printed in Germany

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2. Die Auffassung der Identität des Fundaments von V 7 und VII 7 und des Ak-

kordes mit der übermäßigen Sexte des harmonischen Molls, die dazu führt, daß beide Akkorde syntaktisch synonyme Verwendung finden. 3. Die vier Fundamente des VII 7 bilden ein geschlossenes System. Doch erst in der Zusammenfügung mit dem unter 1. aufgeführten Modell entsteht in der Instrumentalmusik der „Empfindsamkeit" ein Modulationsschema, in dem das Geschlossene barocken Systemdenkens mit dem Offenen der Sequenz sich verbindet, um eine der verbreitetsten Metaphern späterer Vokalmusik zu begründen. 22

4. Unmittelbare Vorläufer des untersuchten Motivs finden sich erst in Carl Philipp Emanuel Bachs später Klaviermusik, wie z.B. im Rondo a-moll (1780) . Hier wird in der Verbindung, die über eine formale Zäsur hinwegträgt, der Zusammenhang mit der Kadenzformel unter 1. deutlich. NB. 6, T. 72-73

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22

Vergleiche Seidel, Hannonisierungs-Modell. Die Verbindungen o. und ßkönnen sequenzierend wiederholt werden. So tritt die Verbindung ßim Rezitativ der chromatischen Fantasie von Johann Sebastian Bach auf. Als elliptische Variante kennzeichnet es das Verhältnis der Takte 4-5 zu 8 im Adagio der fis -moll Fantasie.

97

Durch die Formel werden die Tonarten e-moll - c-moll-Analogie zur Tonartenfolge D-Dur - b-moll des Motivs - miteinander verbunden. In der Fantasie in C-Dur (1785) ist die zweigliedrige Form der toccatenhaften Partie (die Systeme 7 bis 11) eine chiastische Verschränkung großterzbenachbarter Tonarten, so daß der harmonische Gedanke der Vermittlung von Großterz- und Kleinterzstruktur zum Ausdruck kommt: 1 b

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Die Parataxe der zweigliedrigen Struktur wird durch die Andeutung einer Modulation gemildert: Die Formel ist die gleiche wie in Notenbeispiel 4. Die Art der satztechnischen Ausführung weist in die unmittelbare Nähe des untersuchten Motivs. Nach Transposition, Lagenwechsel und Verzicht auf die praeparatio der Quartdissonanz ergibt sich leicht aus dem enharmonischen Übergang die auch durch die Schreibweise intendierte obscuritas-Variante der Fantasie: NB. 7a

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NB. 7b

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5. Das Motiv wird in der Reprise der fis-moll Fantasie im Zusammenhang einer Sequenz verwendet (System 36-37). Ihre Rezeptionsgeschichte als Stimmführungsmodell und Modulationsmittel im Hinblick auf den NB. 8

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NB. 9

den Kleinterzzirkel und

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der Harmonisierung der Ganztonleiter

bedarf noch einer Darstellung. 98

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3. Werk.interner Charakter Vergegenwärtigt man sich den modulatorischen Kontext des Motivs, so wird seine paradoxe Natur als metaphorischer Ausdruck deutlich. Die folgende Darstellung geht vom engsten Kontext aus, um ihn schrittweise zu erweitern. 23 3.1 Das Motiv als Metapher a) Die schockhafte Wirkung des b-moll Akkordes beruht auf der relativen Simplizität des modulatorischen genus medium (Lausberg, Elemente, § 467) der catastasis innerhalb des 4. Taktes. Als Fortsetzung der einfachen Quintfolge der Akkorde wird zu Beginn des 5. Taktes das Fundament D erwartet. In schockierender Absicht wird es durch die Andeutung einer Kadenz nach b-moll ersetzt. b) Zieht man zur Interpretation das Harmoniemodell des genus sublime heran, das in Notenbeispiel 5 wiedergegeben ist, und analysiert den durch heterolepsis und metalepsis der res facta als „Ausdruck der Leidenschaft" gekennzeichneten ornatus als dessen elliptische Variante - der zweite und der vierte Akkord ist unterdrückt - so wird ein Widerspruch zum vorigen Ergebnis deutlich: Der b-moll Akkord ist ein mit Rücksicht auf seine Lesbarkeit notierter ais-moll Akkord. c) Einen hohen Grad von Plausibilität erfährt das zuletzt erzielte Ergebnis durch Vergegenwärtigung des erweiterten Kontextes: Auch als viertes Glied des mit G-Dur ansetzenden katabasierenden Kleinterzzirkels ergibt sich die Tonart ais-moll. Das Intentionale in der Formulierung zielt auf modulatorische Ambiguität. Eine Entscheidung für das eine oder andere Ergebnis der Analyse ist nicht möglich und würde den rhetorischen Charakter verkennen. Neben ihrem nach außen gewandten, dramatisch wirkungsvollen Aspekt als Höhepunkt der Rede repräsentiert die Formel im Hinblick auf ihren Bedeutungssinn deren zentrale und zugleich pointierteste Metapher. Wenn dieser auch durch das Liedzitat eingeengt ist, tut sich dennoch ein wahres Labyrinth von Assoziationsmöglichkeiten auf. 24 Die Natur der harmonischen Metapher Bachs als Komponente

23 Die Legitimität der Methode erweist sich erstens in der Schlüssigkeit, die die Analyse bekommt, zweitens dadurch, daß der harmonische Kontext der Fantasie Varianten und Abspaltungen des bekannten Topos in Fülle präsentiert. 24

Die Darstellung des Bedeutungssinns müßte sich an den rhetorisch-logischen (Argumentationszirkel), psychologischen (Ausweglosigkeit, Vergeblichkeit) und semantischen (Geburt und Tod, vgl. auch Anmerkung 17) Aspekten der Metapher orientieren. In der Bachsehen Kantate tritt sie im Zusammenhang mit dem Begriff „Tod" nicht auf. Die Untersuchung würde eine Darstellung der Beeinflussung des christlich-orthodoxen Todesbegriffs durch die Shakespeare-Rezeption in der zweiten Jahrhunderthälfte voraussetzen.

99

der Empfindungswege, ihr spezifisches Verhältnis von „sedimentiertem Material" (repräsentiert durch geläufige Formen der Rezitativharmonik) und dessen Bedeutungssinn, fordert zu einem Vergleich mit der Metapher des literarischen Manierismus heraus. Das Neue, das mit ihr in der Literaturgeschichte in Erscheinung trat, beschreibt Arnold Hauser mit den folgenden Worten: „Es handelt sich nicht mehr darum, das Bild oder den Begriff einer Sache klarer oder schärfer hervortreten zu lassen, sondern vielmehr darum, die abgegriffenen Münzen, zu denen sie im Gebrauch geworden sind, in glänzendes Metall zu verwandeln. Die Worte werden mit der Zeit blaß, matt, nichtssagend; durch die Metapher gewinnen sie neues Feuer, neue Farbe, neuen Sinn. Die Worte können in die ungeahntesten und überraschendsten Beziehungen zueinander gebracht werden, denn jedes von ihnen enthält eine Unzahl von Sinnschichten, die aktualisiert und wirksam gemacht werden können; jede enthält unzählige Obertöne, die unerhört werden, bis der Dichter erscheint, der sie erklingen läßt. Es handelt sich aber jedesmal eher um eine Neuentdeckung als um eine bloße Umnennung. Im Gegensatz zur allgemeinen Anschauung, nach der die Metapher auf der Suche des Dichters nach dem genauen Beiwort entstehe, ist es vielmehr so, daß der Dichter darauf aus ist, neue Eigenschaften und neue Phänomene zu entdecken; wenn er solche entdeckt hat, muß er für sie auch neue Namen finden" (Hauser, Ursprung, S. 287 f.). 3.2 Das harmonische Motiv als Ergebnis der entwickelnden Variation Die Lehre von der persuasio, die auf die Herstellung einer intellektuellen Überzeugung zielt, unterscheidet im Hinblick auf deren affektische Realisierung die beiden Affektstufen ethos und pathos (Lausberg, Elemente, §§ 67 bis 70) . Während der Anwendungsbereich des ethos im genus medium liegt, ist der Schwerpunkt des Anwendungsbereichs des pathos das genus sublime. Eines der dem Redner hier zur Verfügung stehenden Mittel, im Hörer heftige Affekte zu erregen (commovere), ist die Verfremdung. „Hervorgerufen werden kann das Verfremdungs-Erlebnis durch den Stoff selbst und durch Phänomene der Verarbeitung" (ebenda,§ 89). In der folgenden Analyse wird das Motiv als obscuritas des audacior ornatus dargestellt (ebenda,§ 164). a) Das Notenbeispiel 5 kann auch in der folgenden Form notiert werden, in der es die Schreibweise Bachs wiedergibt und das Verhältnis von Sequenzmodell, einer dreigliedrigen Periphrase des VII 7 , und Sequenzierung (als Harmonisierung der chromatischen Tonleiter) deutlich macht. ~

NB. 11

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100

1. Sequenzierung

II

Das dissonanztechnische movens der Akkordfolge ist die doppelte Auffassung, die die enharmonische Umdeutung des Intervalls a-g ermöglichte: Das Stimmführungsmodell, das der Folge zugrunde liegt, zeigt die alternierende Auffassung von übermäßiger Sexte und kleiner Septime im Kanon der kleinen Terz (bzw. der übermäßigen Sekunde), in dem das tote Intervall der Sequenz durch die praeparatio der septima superflua überbrückt wird.

usw.

b) Die Beschreibung des Zusammenhangs, den das untersuchte Motiv mit dem Kontext bildet, weist zuerst auf das Verhältnis von Ontogenese (als werkinterne Darstellung) und Phylogenese (als Vorgeschichte) des rezitativharmonischen Schemas von Notenbeispiel 12, in dem das historisch frühere - die syncopatio - und das spätere - die sexta superflua - im zeitlichen Ablauf der Fantasie analog in Erscheinung tritt. 25 Die Auffassung des Sekundakkordes, der im Motiv der catastrophe vorausgeht, entspricht im genus humile seinem ersten Auftreten in 2, 1 des exordiums. In der elliptischen Weiterführung, die nur die resolutio der Septime bringt (2,2), ist die Analogie beider Stellen als Erlebnisanalogie sinnfällig. In der Folge von 2, 1 bis 2 wird das satztechnische „Thema" der septimen-syncopatio durchgeführt. Im zweiten Teil des Präludiums hat die „Nebenausbildung" des Kleinterzzirkels (6-7) die Funktion, die Auffassung der Septime als übermäßige Sexte zu exponieren, was in der Weiterführung durch einen d-moll Quartsextakkord satztechnisch demonstriert wird. 26 Die Analogie, die auch diese Stelle zur catastrophe bildet, ist affektisch evident durch die Wirkungsintention der Enharmonik und wird durch die partielle Analogie der satztechnischen Form (Quartsextakkord) gestützt. Auch der Kontext betont den Zusammenhang: Beiden Stel-

25

Die Introduktion von Oper und Sonate um 1800 entfaltet stets die kompositorische Vorgeschichte der eigentlichen Rede (diese erklingt im anschließenden Allegro), wodurch das gleiche Verhältnis dargestellt wird. 26

Dahlhaus (La Motte, Analyse) übersah die versteckte Anspielung auf das „Motiv der übermäßigen Sexte", indem er das Intentionale der motivischen Replik verkannte, die durch das rhythmische Motiv auf einen Zusammenhang der Harmonik weist : Die „Abschiedsseptime" (f) von G-Dur ist die septima superflua (eis) der Tonart h-moll.

101

Jen geht eine Zirkelmodulation voraus; eine angehängte Subdominante (8,1-8,2 und 18) mit anschließend aufsteigender Sequenz folgt ihnen (8,1-8,4) und der Kern der Durchführung.27 In der abschließenden Kadenz des Präludiums (12) treten beide Auffassungen als entwickelnde Variation des satztechnischen Motivs mit der Absicht einer resümierenden Steigerung unmittelbar hintereinander auf : c-b wird zu c-ais umgedeutet. Die Stelle zeigt das Ergebnis entwickelnder Variation als unmittelbare Vorstufe der catastrophe. Denn das „Verfremdungserlebnis", das mit der catastrophe eintritt, wird durch einen „Ausdruck" hervorgerufen, in dem die Exposition und entwickelnde Variation eine letzte Steigerung dadurch erfährt, daß jetzt Septime und übermäßige Sexte zeitlich eine noch engere Verbindung eingehen: Aus ihrem Nacheinander wird ihre Gleichzeitigkeit. Das Resultat der Analyse wird durch die Entzifferung der Stimmführungsfragmente, in die es durch den Druck der Synthese zersplittert wurde, bestätigt : Die Dissonanz g wird durch f aufgelöst. Gleichzeitig wird aber das Intervall g-e als Variante von ges-e aufgefaßt, was als satztechnische Absicht durch das Auftreten des dadurch legitimierten b-moll Quartsextakkordes deutlich wird. Der SeptimenAuffassung korrespondiert das Melodiefragment a-b, während durch das Fragment cis-des (bzw. des-des) die Auffassung als übermäßige Sexte gestützt wird . Die rhetorische Verfremdung setzt ein „Gewöhnlichkeitserlebnis" voraus, das hier mit der beziehungsvollen und differenzierten Einführung zweier, dem Kenner geläufigen Formeln der Rezitativharmonik verbunden ist. Das „Unerwartete" und dadurch „Schockierende" der catastrophe konnte die Analyse als „Phänomen" ihrer Bearbeitung darstellen. 3.3 Die strukturbildende Funktion des Motivs Das Motiv hat zugleich den Charakter eines Integrals der harmonischen Struktur. Als Höhepunkt der entwickelnden Variation des Motivs ßder inventio liefert es einen Schlüssel zum System der Teiltonarten. Die These soll wiederum im Zusammenhang mit einer Analyse der werkinternen Vorgeschichte der catastrophe anschaulich gemacht werden. Die Beschreibung bezieht sich dabei vornehmlich auf den architektonischen Aspekt der harmonischen Form, der allerdings unlösbar mit der rhetorischen Form der Empfindungsrede verbunden ist.

27

Der Kontext erfährt durch entwickelnde Variation eine amplificatio. In Takt 19 ff. wird die gradatio der inventio mit Hilfe des Motivs ß (angehängte Subdominante im 2. Takt) im Zusammenwirken mit einer Replik der Zirkelmodulation durch Enharmonik des VII 7 bewirkt. In der harmonischen Form wird eine zusammenhangstiftende Absicht deutlich.

102

Die Abweichung vom ordo naturalis der Modulation, die in Expositionsteilen auf einfachen Quintschritten beruht, kann den Charakter eines harmonischen Motivs annehmen. Ein Motiv erkennt man an seiner Wiederholung, in der es häufig in zusammenhangstiftender Absicht eine entwickelnde Variierung erfährt. Als ein solches, bei seinem ersten Auftreten allerdings schon entwickeltes Motiv (geht man von der inventio aus), läßt sich die angehängte doppelte Subdominante im ersten Kolon des Exordiums begreifen. Die auffälligen katabasierenden Wendungen sind rhetorische Merkmale des stilus sublime und Mittel der Affektdarstellung zugleich. Das Motiv der angehängten Subdominante wird im zweiten Teil des Präludiums an analoger Stelle -im Anschluß an die „Nebenausbildung" der Modulation nach G-Dur - variiert wiederholt. Die variatio durch amplificatio ergibt die dritte Unterquinte der sekundären Haupttonart h-moll. Das d-moll, Tiefpunkt der modulatorischen catabasis des Abschnitts, wird durch eine elliptische Kadenz gefestigt ( ~ [6,4-7,6] und D 64). Auch der zweite Teil endet mit dem Motiv ß und räumt der dreifachen Subdominante den angemessenen Raum ein, den ihre Auffassung erfordert. Das Allegretto schließlich knüpft an die zweifache Subdominante am Ende des zweiten Teils an, bestätigt mit ihrer F-Dur Paraphrase das Ergebnis der entwickelnden Variation des Motivs im vorigen Teil, und tritt dem zentrifugalen Moment im katabasierenden Modulieren mit einer h-moll Kadenz festigend entgegen. Mit der Reprise der inventio im 9. Takt des Largo tritt danach das wiederum gesteigerte Motiv ß innerhalb des ordo naturalis des harmonischen Kontextes um so auffälliger in Erscheinung: Es wird durch einen weiteren fallenden Quintschritt entwickelt, wodurch in h-moll die vierte Subdominante g-moll auftritt und die entwickelnde Variation des Motivs den bisherigen Höhepunkt erreicht. In der catastrophe wird das Ergebnis nur noch-von D-Dur aus - auf seine lakonischste Formulierung gebracht, durch die es zum Ausdruckshöhepunkt geeignet erscheint und zugleich den Schlüssel des vom ordo naturalis abweichenden ordo artificialis der Teiltonarten liefert. Die Akkordfolge ist als Verbindung der Dominante von D-Dur mit dem kadenzierenden Quartsextakkord von b-moll notiert. Die Folge der mit ihr implizit dargestellten Tonarten kann durch die Töne D und B wiedergegeben werden. In analoger Darstellung ist die Tonartenfolge in den Systemen 13 bis 19: H _ D _ G _ B _ Es ~

Die Tonarten sind durch die Variante miteinander verbunden, die als Ergebnis der entwickelnden Variation des Motivs ß sich ergab: Der Sekundakkord der Dominante von h-moll wird nach g-moll geführt, usw.

NB.13

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II

103

Ihr chiastisches System, das nicht auf „natürlichen" tonartlichen Beziehungen beruht, ist, wie auch die gesamte harmonische Struktur der Fantasie, primär durch motivische Beziehungen in sich gestützt und erst sekundär auf ein Zentrum bezogen. 4. Anmerkungen zur Ästhetik 1. Die Analyse der harmonischen Struktur von Exposition und Durchführungsbeginn mit Hilfe der Methode der entwickelnden Variation eines harmonischen Motivs ist der V ersuch, den Zusammenhang von inventio mit dem Höhepunkt der Empfindungsrede nachzuweisen. Es konnte gezeigt werden, „daß der Hauptgedanke nicht aus der nothwendigen Verbindung mit den Nebengedanken gerissen, sondern vielmehr dadurch" (durch die „Versetzungen in verwandte oder entfernte Tonarten") „nur unterstützt und immer bestätigter" wird (Forke!, Claviersonaten, S. 286. Vgl. auch Besseler, Wegbereiter, S. 37 f.). In der Fortsetzung des Zitats kommentiert Forke! eine enharmonische Modulation Bachs, die er für mustergültig hält, mit Worten, die im folgenden wiedergegeben werden, um das Adäquate der Analyse als Veranschaulichung den ästhetischen Überlegungen des Zeitgenossen Bachs deutlich zu machen. „ ... es ist nicht genug, einen kühnen Schritt zu thun, man muß ihn mit Sicherheit thun können, und sich noch außerdem mit einer guten Art wieder zurückzuziehen wissen. Also Kühnheit thut es nicht allein. Man muß Kräfte in sich fühlen, und aller möglichen Mittel mächtig seyn, um sich mit der besten Art aus einem Labyrinthe, in welchem man sich durch Kühnheit verwickelt hat, wiederum herauszuwickeln, und man muß den Zuhörer kaum merken lassen, daß es Mühe gekostet hat, wiederum herauszukommen. Wie viele Kunsterfahrung dieses erfordert, wie genau man mit dem ganzen harmonischen Labyrinthe bekannt seyn müsse, und mit wie vielem Urtheile diese Kunsterfahrung anzuwenden sey, weiß nur der Kenner, welcher dergleichen Fälle beobachtet hat" (Forke!, Rezension, S. 288 f.). 2. Von Carl Philipp Emanuel Bach hieß es, er sei „ein andrer Klopstock, der

Töne statt Worte gebrauchte". Und seine „Dithyramben, d.h. seine(n) Fantasien und Klaviersonaten" zeigten, daß „die reine Musik nicht bloße Hülle für die angewandte (sey), oder von dieser abstrahirt, sondern sie könne für sich alleine große Zwecke erreichen. Sie habe nicht nöthig, sich als bloßes Sinnenoder Verstandesspiel prosaisch oder höchstens rhetorisch herumzudrehen, sondern vermöchte sich zur Poesie zu erheben, die um desto reiner sey, je weniger sie durch Worte, (die immer Nebenbegriffe enthalten) in die Region des gemeinen Sinnes hinabgezogen würde" (Allgemeine musikalische Zeitung, Sp. 301). In der fis-moll Fantasie wird die Forderung Cramers und Gerstenbergs durch das Liedzitat noch erfüllt. In der deutlichen Zurückhaltung aber, mit der dies geschieht, wird spürbar, daß nicht länger das Wort, das die auszudrückende 104

Empfindung charakterisiert, im Vordergrund steht, vielmehr der dem „Kenner" zugewandte kompositionstechnische Aspekt der inventio. Die Fülle der satz- und harmonietechnischen Formeln wird geordnet und in Beziehung zueinander gesetzt durch das Verfahren der entwickelnden Variation, dem diese unterzogen werden. Sie ist eine der Techniken, die dem Komponisten der Empfindungsrede zur Verfügung standen, damit der unverstellte, protokollarische Ausdruck nicht zur Formlosigkeit geriet. Von der barocken Affekteinheit blieb deren kompositionstechnisches Äußeres, die thematische Einheit, übrig. In der affektischen Komplexität der Empfindungsrede wurde sie zur ästhetischen Notwendigkeit. Die fis-moll Fantasie ist darin „ästhetisch intendierte Musik", daß sie die traditionellen Mittel der Harmonik in eine neue Ordnung fügt. Ihr wesentliches Merkmal ist „die gesteigerte Durchorganisation ihrer Struktur intentional in Richtung einer Versinnlichung spezifisch musikalischen Sinns und Gehaltes durch die binnenmusikalischen Definitionsprozesse" (Eggebrecht, Theorie, S. 260), die parallel zum Intentionalen der Empfindungswege verlaufen und in diesem Zusammenhang in der Analyse dargestellt wurden. Dabei konnte gezeigt werden, daß die Fantasie keineswegs die Brücken zur alten, auf Bestimmtheit und Deutlichkeit der Affektdarstellung gerichteten Ästhetik abgebrochen hat. Ihr expressiver Realismus verwandelt die rezitativharmonische Reihungsform der älteren Fantasie, ohne ihre Herkunft aus der vergegenständlichenden, dem Verstande Rechnung tragenden, vom Programm abhängigen zu leugnen, durch kategoriale Verdichtung ihrer architektonischen, rhetorischen und logischen Konstituenten in „reine Musik", eine Kunst ihrer Art, „ohne Worte, bloß durch und an sich" (Herder, Werke, S. 187). Die Fantasie, in der Erlebnisform und Strukturform nur scheinbare Gegensätze sind, entsteht aus dem Geist der Harmonik in dem Sinne, daß nicht nur ein Inhalt an diese herangetragen wird, der sie zu bestimmten Konfigurationen veranlaßt, sondern dadurch, daß aus den so motivierten Formeln die harmonische Struktur als das erkannt werden kann, was den Inhalt aus diesen Formeln herausholt und in tönendem Diskurs entfaltet. Die Folgen dieser kompositionstechnischen Innovationen Bachs reichen über Beethoven bis ins 20. Jahrhundert. Ihre Wirkungsgeschichte bedarf noch einer Darstellung.

105

Anhang III Die entwickelnde Variation eines harmonischen Motivs Ein Beitrag zur musikalischen Analyse Eine beliebige Akkordfolge, ein überlieferter satztechnischer Topos 28 oder eine „absolute Klangfortschreitung" (Kurth, Hannonik, S. 231 f.) können als ein harmonisches Thema aufgefaßt werden, wenn dessen Motive und ihre entwikkelnde Variation zu dem Zweck verwendet werden, eine Beziehung der Harmonik zu den Teilen der Form herzustellen. Anhand einer wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Formel, die in der chromatischen Motette um 1600 gefunden wurde und erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur Belanglosigkeit verkümmerte, soll in einigen Beispielen das Instrument der inventio des Komponisten als Analysemethode demonstriert werden (vgl. hierzu Dahlhaus, Hannonie; Poos, Tristan-Akkord; ders., Tristanhannonik). Der zu untersuchende Topos wird durch ein Feld von Varianten repräsentiert, die in den folgenden Beispielen satztechnisch und harmonisch skizziert sind (vgl. Seidel, Hannonisierungs-Modefl). NB.14 1

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Die Glieder 1-4 sind relativ konstant. Zwischen 2 und 3 kann 1 wiederholt werden. 4 und 5 zeigen infolge ihrer transitus-Funktion eine Fülle von Varianten. Der Topos dient als harmonisches Gerüst des exordialen „Reißwerks" von 28

In Analogie zur literarischen Rhetorik kann dieser als „festes Cliche oder Denk- und Ausdrucksschema" (Curtius, Literatur), als „leitender Gesichtspunkt des Denkens" (Pöggeler, Dichtungstheorie) und als „gefundener Gedanke" (Lausberg, Rhetorik) verstanden werden.

106

Fantasie und Präludium. 29 Er ist in Sonatensätzen als laconitas-Formel eines verbreiteten Modulationstypus der Periode wirksam . Vordersatz

1

2

(1)

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Phrase und Gegenphrase

Nachsatz 3 - 4

-

Phrasenwiederholung

5-6 Epilog

Die im folgenden untersuchten Beispiele enthalten den Topos explizit in einer exordialen Prägung. Durch seine entwickelnde Variation, d. i. durch Periphrase, Abspaltung oder Substituierung einzelner Glieder werden funktional unterschiedene Teile der Form harmonisch definiert. Dabei wird deutlich, daß die „primäre Strukturform" Bachs, die den satztechnischen Fund stets als rhetorische Figur der lutherischen Rechtfertigungstheologie in nuce verwendet (Poos, Christus), bereits Verfahren demonstriert, die von den Komponisten der „primären Ausdrucksform" nur übernommen zu werden brauchten. Der kompositionsgeschichtliche Vorgang kennzeichnet das Werk des zweiten Bachsohnes (Eggebrecht, Über Bachs geschichtlichen Ort, S. 258 f.).

Analysen

Johann Sebastian Bach Generalbaßlied So gehst Du nun, mein f esu, hin BWV 500 Das Lied zeigt in seiner Dreiteiligkeit eine einfache Relation von Harmonik und Form. In der ersten Zeile wird der Topos durch die Glieder 1-4 mit auskomponiertem Halbschluß exponiert. Das Sequenzmodell des Kontrastteiles (Takt 5-6) ist eine Abspaltung der Glieder 3-5: Die Kontrasttonart der Unterquinte wird elliptisch ausgedrückt. Eine anschließende Sequenzierung variiert das letzte Glied des Modells aus Gründen der Rückführung durch Substituierung der erwarteten Dominante von d-moll durch den verminderten Septimen-Akkord des Fundamentes D . Die Reprise akzentuiert die Subdominante dadurch, daß der Topos in der Weise verkürzt wird, daß die Glieder 4 und 4 a auf dem Taktschwerpunkt er-

29

In der Fantasia A-Dur der 4. Sammlung für Kenner und Liebhaber (Wq 58) z.B. wird die Tonart durch eine hyperbaton-Variante, die zyklische Darstellung des Topos, exponiert : 1 3 4 2 (1) . Die Takte 1-6 der Fantasia C-Dur aus der 5. Sammlung (Wq 59) zeigen die anamorphotische Variante 1 4 3 2 1.

107

klingen. Die abschließende Kadenz ist die Auskomponierung der Dominante, des Gliedes 5. Durch die entwickelnde Variation des harmonischen Themas, die sich der Abspaltung und Substituierung bedient, ist die harmonische Form mit der textbedingten architektonischen Form des Liedes in Beziehung gebracht.

Johann Sebastian Bach Largo der Triosonate aus dem Musikalischen Opfer BWV 1079,8 Die inventio des ersten Satzes der „sonata da chiesa" ist harmonisch vom Entwicklungsteil des „thema regium" bestimmt.30 Zu Beginn des Largo wird der ordo naturalis der Modulationsordnung des exordiums durch die Wirksamkeit des Topos zum ordo artificialis verfremdet: Die erste Phrase des Comes ist die reale Unterquinttransposition des Dux, während die 2. Phrase der tonalen Beantwortung entspricht. 3 1 NB. 15

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Im Comes hätte die Folge 1-4 zur SS (Wechselsubdominante) geführt. Mit Rücksicht auf den Baß - dieser ist Tonleiterperiphrase der Töne 1-5 des „thema regium" - variiert Bach durch Verschränkung des Gliedes (1) von f-moll (Takt 4) mit der Variante der Glieder 2-4 von g-moll, der „natürlichen" Comes-Tonart. NB.16 f:(l)

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30

In allen Sätzen des Werkes, außer den Kanons 6 und 7, wird der mittlere Teil des dreiteiligen Themas, der chromatische Tonleiterausschnitt, im Sinne des untersuchten Topos, seiner Varianten und Periphrasen harmonisiert. Die „Universalformel der europäischen Tonrede" ist als „Universaltyp" ein Fortspinnungstypus (vgl. hierzu Schenk, Das „Musikalische Opfer'). 31

Der reguläre Comes ist im Baß von Takt 5-6 zur ersten Phrase geschrumpft. Die inventio des Largo ist die Demonstration der simultanen „Kompossibilität" (Leibniz) von initium, medium und finis des „thema regium" (Takt 1-5) als Folie der Empfindungsrede im „freien Kammermusikstil".

108

Die Quintschrittsequenz innerhalb der argumentatio, dem Entwicklungsteil des Fortspinnungstypus der Takte 1-16, moduliert in die parallele Dur-Tonart. Aus der dreigliedrigen Folge des Continuo, der die Glieder 2-4 (Takt 8-10) zitiert, werden 3 und 4 abgespalten und anadiplotisch verschränkt. Metrische Doppeldeutigkeit als Ausdruck der Kontrastfunktion ist die Folge. NB.17

Fl. T. 9-10

Vl. T. 10-11

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Die conclusio ergänzt die Positionen 3-4 in Es-Dur durch 5 und l. Die entwikkelnde Variation zielt in Takt 10 auf die schwere Subdominante, einzige relative Tonika innerhalb der argumentatio und „Umdeutungsakkord", über den die Modulation nach Es-Dur geführt wird. Allein an den Themenkopf-Harmonisierungen des Satzes läßt sich die formbildende Funktion des Topos und seiner entwickelnden Variation ablesen. Exposition

Vordersatz

Entwicklungsteil

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Dux

1 2 (1)

Comes

1 2 (1)

Variante I 3 4 von Dux und Comes

Durchführung Variante II 1 2' 3 4 von Dux und Comes

Reprise wie in der Exposition 109

Die Subdominant-Reprise ist formaler Reflex auf die katabasierende Modulation des Topos. Dieser wird als harmonisch dreiteilig aufgefaßt: Die beiden Mittelglieder sind den beiden Entwicklungsteilen des unter- und übergeordneten Fortspinnungstypus zugeordnet. Sie repräsentieren das harmonisch „lokker Gefügte", das von den „festen" Gliedern 1 und 2 umfaßt wird. Die dreiteilige harmonische Form ist nicht allein durch ein System von Kontrast-Tonarten ausgedrückt. Ihr Beziehungsreichtum wird durch die entwickelnde Variation des harmonischen Themas zur Anschauung gebracht. Auch die harmonische Form der Triosonate als harmonisches Ganzes ist vom Topos geprägt: Im Andante entsteht Form durch die Variation von 3 und 4. Die Allegro-Sätze akzentuieren 1 und 2, während 3 und 4 ihren Entwicklungsteilen vorbehalten sind. Die harmonische Form der Triosonate ist die „extensive Klarheit" (Baumgarten, Meditationes, § 71) des „thema regium".

Carl Philipp Emanuel Bach Andante und Cantabile aus der 3. Sonate für Kenner und Liebhaber (1. Sammlung) Wq 55 Das Andante der Sonate, eine Binnenintroduktion, gibt zunächst ein Beispiel für die Wirksamkeit des Topos in einem geläufigen Modulationsschema der Periode. Der Vordersatz ist von den Gliedern 1 und 2 geprägt; der Nachsatz ergänzt mit 3 und 4 (Takt 5-6) und 5 a und 6 (Takt 7-8). Der Trugschluß am Ende des Vordersatzes ist melodisch motiviert: Vorder- und Nachsatz einer über den Quartbaß komponierten Periode werden durch den Tetrachord es-d-c-h und seine Krebsform h-c-d-es miteinander verschränkt. Im 3. Satz wird zunächst ebenfalls eine Periode exponiert, der der untersuchte Topos implizit zugrunde liegt. Den satztechnisch-harmonischen Ablauf des Vordersatzes gibt die folgende Skizze wieder:

Vordersatz (im Nachsatz ganzschlüssig variiert)

2

3

4

53 Variante

6

Die Empfindungsrede erklingt nicht nur hier über den alten rhetorischen und satztechnischen Fundamenten. Allein das angeschlagene Thema hat sich geändert: An die Stelle der Relation von Gott und Mensch, die in der inventio des Vaters zum Ausdruck kam, ist die von Mensch und Natur getreten; auf die Darstellung des geistlich vorgestellten Menschen folgt die des natürlichen. Dabei werden die kompositionstechnischen Funde des Vaters, die man bewunderte, im Unterschied zu dessen rhetorischer Emblematik, die man als nicht mehr zeit110

gemäß empfand oder nicht mehr verstand, übernommen und weiterentwickelt. Das Cantabile ist als dreifach potenzierte dreiteilige Rahmenform artikuliert.

Exordium A (l-32)

Medium B (32-52)

a~2)

Finis N (52-68) a

b

a'

~ a (t-8) ß (8-12) a' (12-16)

Unablässig wird melodisch wie auch harmonisch variiert. Die harmonische Form entsteht durch ein wechselndes Sich-Entfernen und Sich-Wieder-Nähern in unterschiedlichen Amplituden der Modulation. Durch die folgende Beschreibung werden die harmonischen Kontrastteile in eine Beziehung zum Thema gebracht. In ßwird ein Kontrast aus 1-4 des nach fis -moll transponierten Topos gebildet.32 Die Rückführung zu a,' verwendet die Glieder 3-6 in h-moll. NB.19 ,.,

jj_

1

Kontrast

T. 8-10

t.I

"

,.,

t

2

J

4

Rückführung

T. 10-11

V

t:r

tt"

1

J

-

Tl

" 5

4

6

In b wird die Abspaltung 3-4 von e-moll (Takt 16-17) sequenziert (Takt 17-18) und über 5 und 6 zum Halbschluß in Takt 20 fortgeführt. Ergänzung findet der Viertakter durch einen zweiten in D-Dur, der eine Synopse aus Vorder- und Nachsatz von a darstellt. Den Kontrastteil beschließt eine Rückführung. Der chiastische Parallelismus über den Baßtönen d-cis-ais-h 33 wird durch eme „neapolitanische" Variante von 3-4 und 6 zum Viertakter ergänzt. NB. 20b

NB. 20a aus

4#:;

8

#m•

1 wird

4#e

iJ

##11

32 Die obscuritas des Auftaktes ist ein transitus-Phänomen: Im Dreiklang an der Nahtstelle von a und ß ist fis implizit enthalten. 33 Aus der Folge I-V in D -Dur und h-moll wird ,I -DV, - ,V h- 1, . 111

Der Kontrastteil B beginnt mit einem Parallelismus von 1, 2 und (1) in G-Dur und e-moll. Nach einer Quintschrittsequenz, die sich halbschlüssig öffnet, wird in den Takten 40-44 der Nachsatz von a in der Subdominante wiederholt. Die Rückführung (Takt 44-52) beginnt am entferntesten Punkt der modulatorischen catabasis. Das Modell aus 1-2 in C-Dur wird wiederum in der Paralleltonart sequenziert. Der Sexten-Parallelismus soll an die Takte 18-19 der Rückführung von a erinnern. Über einen kurzen Ausschnitt aus der Quintschrittsequenz, Anspielung auf die Takte 36-40, wird die Dominante der Reprisentonart erreicht. Ausschnitt der Quintschrittsequenz in G-Dur

Abspaltung und Sequenzierung im Sinne der aufsteigenden Quintschrittsequenz

NB. 21 a

4U #Uu ! -II

V

uI

NB. 21b

4

Reprise

#la

2 #11#11 1 ft~

In den Kontrastteilen findet eine zunehmende Intensivierung der harmonischen Kontrastmittel statt. Während ß noch mit einer Abspaltung aus dem Topos auskommt, benutzen b und B „systemfremde" Elemente, den Parallelismus und die Quintschrittsequenz, Topoi, die in bezug auf ihre entwickelnde Variation eine analoge Darstellung finden. Aus gebotenem Umfang muß hier abgebrochen werden. Unter den zahlreichen Werken, die die Anwendung des untersuchten Topos in der Musik der Klassik dokumentieren, seien nur wenige genannt: Mozart:

Fantasie c-moll, KV 475 Sinfonie g-moll, KV 550, Seitensatz Streichquartett e-moll, KV 421

Beethoven: Sonate op. 13, Introduktion und 1. Satz Sonate op. 10,3, Largo e mesto Das quid pro quo der entwickelnden Variation eines harmonischen Themas in der Musik des 18. und 19. Jahrhunderts bedarf über die hier gezeigten Anwendungen in der musikalischen Analyse hinaus einer musiktheoretischen Darstellung. Es ist zu vermuten, daß die Problemgeschichte des Verfahrens bis in die Dodekaphonie Schönbergs führt, wodurch eine historisch fundierte Beschreibung ihrer Harmonik erst möglich würde.

112

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114

VON DER PARTITURWISSENSCHAIT ZU EINER KLANGWISSENSCHAIT Überlegungen zur Schallplattenforschung MARTIN ELSTE

Stimmen zum Thema „Daß wir nun endlich zu der Hauptsache selbst kommen, so ist die Musik eine Kunst oder Wissenschaft, die Tonklänge mit einander kunstmäßig zu verbinden und hören zu lassen." Jacob Adlung, 1758 1

„Music .. . only concerns the due order and proportion of sounds; and is divided into two parts - the theoretical, and the practical. . . . Practical Music may, in fact, be said ... to include not only the production of melodious and harmonious composition, but also its performance." Thomas Busby, 1806 2

„Mais il ne suffit pas de lire de la musique, il faut en entendre." Charles-Camille Saint-Saens, 1913 3

„Ich kann als Voraussetzung jeglicher Musikbetrachtung immer nur die klingende Musik nehmen. Musik ist nur möglich, indem sie klingt oder doch als klingend vorgestellt

wird." Paul Bekker, 1925 4 1

Adlung, Anleitung, S. 29.

2

Busby, Music (ohne Seitenzählung).

3

Saint-Saens, Ecole buissonniere, S. 43 . - Die von Reiner Zimmermann herausgegebene DDRAusgabe gesammelter Schriften von Saint-Saens gibt als Erstdruck dieses Zitats die Zeitung oder Zeitschrift L 'Echo de Paris 1911 an. Der Bestandskatalog der Bibliotheque Nationale Catalogue collectif des periodiques .. . verzeichnet mehrere Periodica dieses Titels, jedoch keines für das Jahr 1911. Da in der Sammelschrift Ecole buissonniere keine Drucknachweise genannt sind, ist vorerst lediglich das Jahr 1913 verbürgt. 4

Bekker, Grundlagen, S. 96.

115

„Eine Musik, die nicht erklingt, hat ihren Daseinszweck verfehlt." Friedrich Blume, 1939 5

„Nun ist es ja richtig, daß die moderne Musikologie heute so ungemein verfeinert und differenziert ist, daß sie ihre Thesen ohne irgendwelche musikalisch-auditive Vorstellung am eindringlichsten darzustellen vermag. Zumal für den Bereich der mittelalterlichen Mehrstimmigkeit mögen daher derartige akustische Einrichtungen als entbehrlich, ja sogar störend erscheinen. Als Schüler Guido Adlers bekenne ich mich hingegen noch als Anhänger jener antiquierten Forschungsrichtung, bei welcher das auditive Erlebnis den selbstverständlichen Ausgangspunkt und die Voraussetzung jeder Art von kritischer Betrachtung bildete, ähnlich wie beim Kunsthistoriker noch heute das visuelle." Rudolf von Ficker, 1952 6

„Until actual sound is produced, music does not exist." Ralph Vaughan Williams, 1958 7

„Eine Platte mit meinen Werken, die in der Partitur nur approximativ beschreibbar sind, ist genauso wesentlich wie die Partitur selbst." Karlheinz Stockhausen, 1969 8

Die Komposition als Dokument des musikalischen Kunstwerks Der musikalische Werkbegriff kam auf, als es möglich wurde, ein Dokument einer musikalischen Form zu schaffen, das diese eindeutig als musikalische auswies. Dabei ist es gleichgültig, ob dieses Dokument eine normative oder eine deskriptive Funktion erfüllte, also Spielanweisung oder Protokoll war. Jahrhundertelang war dieses Dokument einzig und allein die Notenaufzeichnung, kurz und generalisierend: die Partitur. Mit dem Konzept der Partitur bildete sich der Komponist heraus, der sich in der Folge immer mehr spezialisierte. Sicherlich trug die durch die Partitur klar abgrenzbar gewordene Leistung des Komponisten (gegenüber allen anderen Musikern, die an einem Klanggeschehen beteiligt sind) zu seinem sozialen Status, dessen Image innerhalb der Musikgeschichte, bei (vgl. Finscher, Entstehung) .

116

5

Blume, Musikforschung, S. 25.

6

Ficker, Aufführungspraxis, S. 33.

7

Zit. nach Hifi and music review 1, H . 1, S. 5.

8

Aus einem Interview in fono forum, 1969, H . 11, S. 737.

„Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze. Nicht nur, weil seine Taten mit ihm zu Grabe gehen, sondern vielmehr, weil die Tat schon starb, als sie unmittelbar vorüber war ... Die reproduktive Kunstleistung .. . muß . . . den vorüberziehenden Eindruck als einzigen Gradmesser ihres Wertes betrachten. Darin liegt Ungerechtigkeit." Diese technologisch bedingte Ungerechtigkeit, von der H . von Perger 1916 in Umkehrung von Schillers Apostrophie von der Erfüllung des Lebens in der Gegenwärtigkeit sprach (H-moll-Messe, S. 393), zwang die Forschung zur dominierenden Hinwendung zum gedruckten Dokument als der einzigen beständigen Manifestation des musikalischen Kunstwerks: Geschichte basiert auf Überlieferung. Indes : Daß die kompositorische Leistung das Eigentliche, Wesentliche und Originelle der Musik sei, ist ein Axiom, das zwar allgemein akzeptiert wird, aber nicht schlüssig begründet werden kann. Vielmehr bedarf Musik - als etwas Erklingendes - beider Komponenten: der Komposition (im weitesten Sinne jede Art der gedanklichen Struktur und deren Vergegenständlichung in welcher nicht-akustischen Form auch immer) und der Realisation (eben der Verklanglichung dieser Struktur) . Beide Komponenten ergeben erst zusammen das, was das Wesentliche der Musik ausmacht: geformte Klänge.9 Ferruccio Busanis musikästhetische Maxime, jede Notation sei schon Transkription eines abstrakten Einfalls, 10 war die ideologische Basis seiner T ranskriptionspraxis. Erst Paul Bekker konnte 1916 mit seiner Theorie von den sozialen Determinanten der musikalischen Form die Notwendigkeit und Bedeutung der Transkription pragmatisch und ohne Rückzug auf die romantischidealistische Auffassung von absoluter Musik erklären (Musikleben). Bekkers Theorie zufolge wird die musikalische Form direkt aus den Gegebenheiten entwickelt, für die eine Komposition geschrieben wird. Da sich die Gegebenheiten ihrer nachfolgenden Aufführungen jedoch ändern, muß auch die Form der Komposition (etwa die Instrumentation betreffend) den geänderten Gegebenheiten, den sozialen Determinanten also, angepaßt werden. Dieselbe Maxime, die in der Praxis, d. h. im Konzertleben und innerhalb der Hausmusik, die verschiedensten Möglichkeiten der Verklanglichung der Komposition rechtfertigte, führte bei Hugo Riemann zu einer Vernachlässi-

9

Elektronische Musik bleibt in diesen Überlegungen ausgeklammert. Für sie gilt ohnehin, daß die Tonträger ihre Primärquellen sind. Gleiches trifft weitgehend für die U-Musik zu und insbesondere für die neuesten Entwicklungen in der Rockmusik. Ein Vergleich der Schallplatten mit den entsprechenden Notenausgaben (sofern diese überhaupt erscheinen) belegt, welche veränderte Bedeutung die Noten hier haben : Sie sind nur noch Spielplan für Nach-Musizierende. Das eigentliche Dokument ist die Schallplatte mit ihrem ,Sound', einer neuen Kategorie dieser Musik und ihrer Rezeption. Diese Musikgattungen wie auch der Jazz stehen nicht im Spannungsfeld der theoretischen Reflexion über Partitur und Realisation auf Tonträgern. Deshalb, und nicht aus elitärem Dünkel, bleiben sie in meinen Ausführungen unberücksichtigt. IO

Busoni, Wert; vgl. auch hierzu Rexroth, Bearbeitung, insbes. S. 510.

117

gung eben dieses Aspektes der V erklanglichung bei Aufgabenabgrenzung und Methodenbestimmung der Musikwissenschaft. Denn Riemann nahm sie zum Ausgangspunkt einer Hierarchie, derzufolge „gar nicht die wirklich erklingende Musik sondern vielmehr die in der Tonphantasie des schaffenden Künstlers vor der Aufzeichnung in Noten lebende und wieder in der Tonphantasie der Hörers neu erstehende Vorstellung der Tonverhältnisse das Alpha und Omega der Tonkunst ist" (Ideen, S. 2) . Doch Riemanns zentrale These seiner Lehre von den Tonvorstellungen krankt an idealistischer Abstraktion. Nach ihr ließe sich Musik ohne reales Klanggeschehen nicht nur vorstellen, sondern konstituiert einen perfekten, in sich geschlossenen Kommunikationskreis. Das Klanggeschehen als Mittlerfunktion könne idealiter wegfallen, wichtig sei allein die vom Hörer, überspitzt formuliert: vom Leser, rekonstruierte Tonphantasie des Komponisten. Die Folgen dieser idealistischen, an Beethovens Streichquartetten und Klaviersonaten fixierten Auffassung von der Individualität des Genies bestimmen bis heute Themen und Methoden der Musikwissenschaft. Denn Riemanns in ihrer Abstraktion durchaus diskutierbare These führte in der extremsten methodischen Anwendung dazu, das Klanggeschehen um seine Vielfältigkeit zu amputieren und auf seine bloß harmonische Funktionalität zu reduzieren. Unter dieser Prämisse war die Musik mit einem Schlage tatsächlich vollkommen schlüssig und umfassend in der Partitur dokumentierbar. Und Riemann steht mit seiner These hinsichtlich der Dominanz des Komponisten nicht alleine da. Philipp Spitta scheint für einen Moment die letztlich spekulative Tonphantasie zugunsten des empirisch greifbaren Klanges zu verdrängen: „Der Musik vollstes Wesen offenbart sich nur in dem sinnlich wahrnehmbaren Klange", läßt dann aber unzweifelhaft erkennen, daß es ihm letzten Endes doch um die getreue Verwirklichung der Absichten des Komponisten geht: „Eine originalgetreue, den Absichten des Komponisten möglichst genau entsprechende Reproduktion herzustellen, bildet also ebenfalls eine Aufgabe musikalischer Urkundenforschung" (Denkmäler, S. 26). Ganz bewußt redet Spitta nicht von der Realisierung des Notentextes, sondern von seiner Deutung hinsichtlich der philologischen Eruierung der Intentionen des Komponisten. Riemanns These hat ein technisch-historisches Fundament: die Partitur als einzige Möglichkeit der empirisch-greifbaren Dokumentation des musikalischen Klanges. Somit besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Stand der technologischen Objektivation des musikalischen Kunstwerks und unserer Idee desselben. Diese Beziehung läßt sich die Musikgeschichte hindurch verfolgen: Der Notendruck schuf mit seiner technischen Vervollkommnung (im Sinne von Rationalisierung und Differenzierung) eine Art der Fixierung des musikalischen Kunstwerks, die im arbeitsteiligen Entstehungsprozeß abendländischer Musik das Komponierte hieb- und stichfest dokumentiert. Parallel dazu entwickelte sich das Reden über Musik seit den frühen Anfängen der Musikpublizistik als ein Reden über Kompositionen. Für Charles Burney war die Beschrei118

bung einer Händel-Oper noch mit ihrer Aufführung verquickt, so nämlich hatte er die Opern kennengelernt. Als Bühnenaufführungen waren sie Musik. Immer wieder findet man in seiner General history of music zwischengeschobene Aphorismen zu Londoner Aufführungen. Ganz anders liegen die Verhältnisse ungefähr dreißig Jahre später - 1810 - bei E.T.A. Hoffmanns berühmter Rezension der 5. Sinfonie Ludwig van Beethovens. Nach Breitkopf & Härtels Typendruck, nach Senefelders Lithographie hatte die Partitur ihre Autonomie als Repräsentant des musikalischen Kunstwerks gefestigt. Hoffmann redet nur noch von dem Komponierten, von dem in der Partitur bzw. im Klavierauszug Manifestierten (Rezension). Die trotz ihrer ideengeschichtlichen Entwicklung keineswegs selbstverständliche Trennung zwischen Interpreten und Komponisten hat auf beiden Seiten zu einer hagiographischen Beschäftigung geführt: Die Musikwissenschaft hat sich seit den großen Biographen des 19. Jahrhunderts Gahn, Spitta und Thayer) immer wieder an monographische Darstellungen mit biographischem Subsumierungsprinzip gehalten. Bei den Feuilletonisten geschah und geschieht das gleiche im Bereich der Interpreten. Prinzipiell besteht methodisch kein Unterschied zwischen den Biographien Beethovens, der Callas und The Beatles - sie alle sind personenorientiert und nicht sachorientiert. Die Idee der Originalität des musikalischen Kunstwerks als die entscheidende Kategorie der Werkbetrachtung hat dazu geführt, das Leben des Künstlers unter dem Gesichtspunkt seiner Einzigartigkeit zu beschreiben. 11 Die wenigen biographischen Arbeiten, die dieser Methode trotzen, haben bisher nicht Schule gemacht. 12 Das im 19. Jahrhundert, der legendären Epoche des Sammelns und Katalogisierens, entwickelte bibliographische und lexikographische Ordnungsprinzip, alles in leicht zu überschauende Einheiten zu gliedern - wozu sich Personen hervorragend eignen -, ist ein zusätzliches Moment, das diese Kategorien in unserem Bewußtsein verankert und zum Denksystem werden läßt. 13 Zugegebenermaßen hat die Partitur eine enorme geschichtliche Bedeutung erlangt, die in den extremen Bezeichnungsdetails der Nachromantik deutlichsten Niederschlag gefunden hat. Sie ihr abzusprechen wäre töricht. Doch sollte nicht übersehen werden, daß trotz dieser Bedeutungsschwere, die den sozialen

11

Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Matejka, Scheitern. Er bescheinigt der Musikwissenschaft zwar abstrakte Methoden, die losgelöst vom Objekt ,Musik' sind, kommt jedoch nicht auf die Idee, den Gegenstand ,Musik' in der Verklanglichung der Komposition zu sehen und die Beschäftigung der Musikwissenschaft mit diesem Spannungsverhältnis zu fordern. 12

Genannt seien hier Revesz, Psychology; Silbermann, lntroduction; Tennstedt, Rockmusik als exponierende Arbeiten in dieser Richtung. 13 Unter den neueren Nachschlagewerken trägt am ehesten die Encyclopaedia Britannica dem geänderten Denken der Sozialwissenschaften Rechnung.

119

Status des Komponisten definiert, das musikalische Kunstwerk erst als Verklanglichung, als Klanggeschehen in einen sozial bedeutsamen Wirkungskreis tritt. Die Argumente zur Statusdifferenzierung zwischen Komponisten und Interpreten ruhen auf zwei Axiomen : 1. Das Allgemeine verdient Vorrang vor dem Speziellen . Traditioneller Musikwissenschaft zufolge wäre die Komposition das Allgemeine, die Realisation das Spezielle des musikalischen Werks. Denn die Komposition als das Allgemeine ist beliebig häufig denk- und realisierbar. Die Struktur, eben das Partiturgerüst, bleibt immer Basis der Realisation. Dieses Verhältnis kann allerdings von zwei Seiten betrachtet werden, je nach wissenschaftlicher Fragestellung. Untersucht man z. B. Aufführungsstile, so ändert sich der Blickwinkel: Die Realisierung wird zum Allgemeinen, die Komposition und deren Realisation (d. h. eine individuelle Verklanglichung einer Komposition) hingegen zum Speziellen. Denn die Forschung versucht jene Elemente des Musizierens zu erfassen, die sich in mehreren Werken finden und aufführungspraktische Stilkategorien sind. 2. Das Ursprüngliche verdient Vorrang; und die Komposition ist das Ursprüngliche im Verhältnis zur Realisierung und von daher eine größere Leistung. Dieses Axiom stammt aus einer Zeit, in der man die Erkenntnis wenig beachtete, daß ein Netz von gegenseitig bedingten Verflechtungen den „Schöpfer" mit den vielfältigen Strömungen seiner Zeit und seiner Tradition verbindet. Originalität ist eine graduelle Kategorie und kann als solche ebenso in einer Realisation, d. h. im Zusammenwirken von Komposition und Realisierung vorhanden sein. Dieses Widerstreben, zuzugeben, daß sich auch kollektives Schaffen in einem Kunstwerk manifestieren kann, ist nicht allein unter Musikwissenschaftlern verbreitet, sondern ist eine allgemein unter Intellektuellen vorherrschende Meinung, wie Paul F. Lazarsfeld gezeigt hat (Luthe, Recorded music, S. 657). Selbst in Kreisen der Medienwissenschaftler spielt die vorherrschende Idee der Unterscheidung zwischen „kreativem" und „nachschaffendem" Künstler 14 eine Rolle. So spricht Günther Wagner (Mediendiskussion, S. 321) von der Interpretation (gemeint ist hiermit, was ich generell als Realisierung bezeichne) als der „Präsentation" der Partitur, welche letztere als „Resultat des eigentlich schöpferischen Aktes" die „primäre ästhetische Kategorie" sei. Eine ästhetische Theorie, die dieser Prämisse zugrunde liegt, ist heutzutage durchaus fragwürdig, zumindest nicht selbstverständlich.

14

Diese Adjektive zur Unterscheidung von Komponist und Realisierendem sind eine Möglichkeit, die Hierarchie der Zuordnung zu beschreiben. Sie stammen von offizieller Seite, dem Deutschen Musikrat (vgl. Förderungsprogramm) .

120

Komposition und Realisation Musikdefinitionen - davon geben die vorangeschickten „Stimmen zum Thema" Zeugnis ab- betonen durch die Jahrhunderte den Klang als integralen Bestandteil der Musik. Wie ich anhand der Thesen von Riemann und Spitta gezeigt habe, geht die in der Musikwissenschaft verankerte Musikauffassung aber davon aus, daß bereits die in der abendländischen Tradition etablierte Form der Notenaufzeichnung ein hinreichendes Dokument des Kunstwerks sei - die Richtschnur des Bezugskreises: Komposition - Realisation - Perzeption. Reicht die Partitur wirklich aus, das Kunstwerk hinreichend zu manifestieren? Nehmen wir ein besonders instruktives Beispiel. Das, was im Lauf einer 260jährigen Rezeptionsgeschichte als Bachs Matthäus-Passion bezeichnet wird, hat zwar immer den ideellen Bezug zur Komposition Bachs, wie sie in Primärquellen (Partitur, Stimmen) und Sekundärquellen (Berichte, Eingaben etc.) überliefert ist. Es ist aber in diesen 260 Jahren (bzw. 158 Jahren seit Mendelssohns Berliner Neuaufführung) so unterschiedlich realisiert worden, daß es methodisch falsch wäre, Aufführungskritiken verschiedener Zeiten anhand der philologisch an Bachs Partitur (im generalisierenden Sinne) orientierten ,Originalfassung' miteinander vergleichen zu wollen. Die Matthäus-Passion, die Eduard Hanslick hörte (Concertsaal, S. 243-247) war eine andere als die, die Felix Weingartner 1929 in Basel erlebte (Bach-Erlebnis). Und beide unterschieden sich grundlegend von Aufführungen, wie wir sie - in ihrer ganzen stilistischen Spannweite - heute gewohnt sind. 15 Das Beispiel der Matthiius-Passion zeigt, wie sehr sprachliche Standardisierungen einem Bedeutungswandel unterworfen sein können. In allen Fällen sprach man von ,der Matthäus-Passion', der Komposition Johann Sebastian Bachs. Doch was im Laufe seiner Geschichte als ein spezifisches Kunstwerk bezeichnet wurde, hat in Wirklichkeit in mehr oder weniger starken Graden zu jeder Zeit formale und klangliche Modifikationen erfahren, die hinreichend signifikant sind, um retrospektiv zumindest von verschiedenen Fassungen zu sprechen. Wird damit die scheinbare Unzerstörbarkeit des traditionellen Kunstwerkbegriffs hinfällig, reduziert zu einer abstrakten Idee? Zugegebenermaßen durchleben nicht alle Kunstwerke eine solch bewegte Geschichte ihrer sozialen Existenz, die beginnt, sobald das Kunstwerk von der Umwelt rezipiert wird. Aber schließlich sind ja auch nicht alle Partituren für eine harmonische Analyse gleichermaßen ergiebig.

15

Vgl. die interessanten Ausführungen zur frühen Aufführungsgeschichte bei Geck, Wiederentdeckung.

121

Der Tonträger als ein Dokument der Musik Inzwischen gibt es neue Dokumentationsformen: Tondokumente, Klangdokumente oder wie auch immer man sie nennen möchte. Tonträger - der allgemeinste und treffendste Ausdruck - haben den Kunstwerkbegriff verlagert. Zwar besitzt die Partitur noch immer die Funktion einer Spielanweisung für die Realisierenden, die Interpreten, doch kommt ihr kein Monopol mehr zu als Dokumentationsträger des musikalischen Kunstwerks. Die Leistung des Komponisten bleibt davon unberührt. Vielmehr ist eine Komponente des musikalischen Kunstwerks an die Oberfläche getreten, die ebenso musikalische Realität ist wie das Komponierte, das Schriftlich-fixierte; sie ist auch ebenso andauernd fixiert. Ich meine die klangliche Realisierung des Komponierten. Die Tat des Mimen stirbt nicht mehr, wenn sie unmittelbar vorüber ist; zwar verflüchtigt sich der vorüberziehende Eindruck immer noch - doch das Klanggeschehen, das den Eindruck konstituiert hat, bleibt erhalten, kann beliebig häufig neue Eindrücke erwecken. Es komplementiert die Partitur. Man könnte argumentieren: Der bloße ,Urtext', also die Niederschrift der Komposition wird ja durch vielfältige andere schriftliche Dokumente, wie z. B. Aufführungsmateriale, ergänzt. Natürlich helfen auch diese bei der Erforschung der Rezeptionsgeschichte eines musikalischen Kunstwerks. Sie ersetzen die Klangdokumente allerdings nicht, denn die aus den schriftlichen Dokumenten ablesbaren Parameter decken sich nicht mit deren Klangrealisierung. Selbst bei größtmöglicher Übereinstimmung gibt es bei der Verklanglichung eine Ebene, die jenseits des ante-festum-Notierten besteht. Sie betrifft das stillschweigend Vorausgesetzte. Ein praktischer Gesichtspunkt sollte auch nicht bei der Argumentation vernachlässigt werden: Massenproduzierte Dokumente wie Schallplatten sind wesentlich einfacher zu erhalten als singuläre Quellen, die sich, wie im Falle von bezeichneten Aufführungsmaterialen, in der Regel außerhalb des Erfassungsbereichs der Musikforscher befinden.

Musikalisches Kunstwerk und Schallplatte Die Prämisse, der ,authentische' Notentext, bzw. eine Rekonstruktion desselben, sei die primäre musikwissenschaftliche Quelle, ist inzwischen fragwürdig geworden. 16 Versteht man die Musikwissenschaft als eine sich an sozialwissen-

16

Carl Dahlhaus machte Zweifel an dieser Auffassung parenthetisch auf der Göttinger Jahrestagung 1979 der Gesellschaft für Musikforschung geltend .

122

schaftlichen Methoden zu orientierende Disziplin - denn sie beschäftigt sich mit Objekten sozialer Interaktionen -, dann ist es unumgänglich, ihre Forschungsgegenstände in der stimulierenden Konfrontation zwischen Komponiertem und Realisiertem und zwischen Realisiertem und Rezipiertem zu begreifen. Ein Dokument dieser Bezüge ist die Schallplatte, neben den anderen, traditionellen Dokumenten. Die Konfrontation dieser verschiedenen Quellen miteinander, und im besonderen das Verhältnis von Komposition und Realisation bestimmen den methodischen Ansatzpunkt der Schallplatten-Forschung. Dabei gilt folgende Prämisse: Die Schallplatte soll nicht als Medium, sondern als Manifestation des musikalischen Kunstwerks verstanden werden. (Um Mißverständnissen vorzubeugen: Unter Schallplatte verstehe ich bei meinen Ausführungen generell nicht das bloße, physikalische Objekt, sondern die Einheit von Objekt und der in ihm gravierten Schallaufzeichnung.) Das Dokument Schallplatte besteht zunächst also aus den Komponenten Komposition und Realisierung. Doch im Unterschied zum Musizieren im Konzertsaal treten bei der Musikübertragung, gleichgültig ob Wiedergabe oder Weitergabe, 17 zu den ausführenden Musikern Aufnahmeleiter und Toningenieur hinzu.

Der stille Interpret ... Hans Pfitzner bemerkt in seiner Schrift Werk und Wiedergabe (S. 129 ff.) die eigentlich unrechtmäßige Beurteilung einer einzelnen Aufführung als Manifestation der Konzeption des Dirigenten. Es ist tatsächlich ein leichtfertiges Unterfangen, aus einer einzelnen Konzertaufführung die Qualitäten eines Dirigenten ableiten zu wollen. Gleiches gilt in noch stärkerem Maße bei der Schallplatte, und nicht nur für den Dirigenten, sondern für alle beteiligten Musiker. Für die Platte ist ein nicht-musizierender Interpret hinzugetreten, der gleichermaßen die Aufführung als Realisation mitbestimmt: der Aufnahmeleiter mit seinem technischen Team. Die Rolle des Aufnahmeleiters und des Toningenieurs wird häufig von Schallplattenkritikern unterschätzt, von Schallplattenfirmen verschleiert oder auch verschwiegen, von HiFi-bewußten Verbrauchern überbewertet und von Medienschriftstellern verdammt. Letztere begreifen nämlich die Schallplatte als

17

Die Medien der Musikwiedergabe - alle Tonspeichermedien - lösen die Aufführung aus ihrer zeitlichen Fixierung, ihrer Einmaligkeit heraus; die Medien der Musikweitergabe heben die räumliche Bindung an den Aufführungsort auf (Radio, Fernsehen, Telefon) .

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Mittler der künstlerischen Tätigkeit, nicht jedoch als das Produkt selbst. So schreibt Kurt Oppens: „Die Schallplattenaufnahme beraubt den Hörer nicht nur des Visuellen der Tonerzeugung, sie verfälscht auch die Aufführung: Zwischeninstanzen schieben sich ein, akustische und musikalische Ingenieure" (Anspruch, S. 1014). Diese a priori-Verdammung ist die konsequente Fortführung der romantischen Idee des autonomen Geistes, dem jegliche ,Zulieferer' lediglich als Störfaktoren seiner Integrität zu werten sind. Tatsächlich jedoch ähnelt die Schallaufnahme sehr dem Film, der - wie Oppens kontrastierend zu Walter Benjamins berühmten Ausführungen über die Reproduktion des Kunstwerks (Kunstwerk) ganz beiläufig erwähnt, „kein technisch reproduziertes, vielmehr ein von Anfang an technisch produziertes Etwas" (Anspruch, S. 1014) ist. Deshalb verschleiert die Ansicht, die Schallplatte sei ein ,technischer Mittler' der Musik, den eigentlichen Sachverhalt. Denn damit wird eine Instanz impliziert, die Information weiterleitet, jedoch selbst nicht unmittelbar Teil der Information ist. Das trifft eben nicht auf den Aspekt der künstlerischen Information der Schallplatte zu. Es wäre Unfug, den Einfluß der Schallplatte auf die Übermittlung der Information zu ignorieren oder aber zu verdammen, wie es sowohl offen als auch unterschwellig immer noch sehr häufig geschieht. 18 • Akzeptiert man, daß die Schallplatte in ihrer Verquickung von Komposition und Realisierung durch Musiker (Klangerzeuger) und Tontechniker (Klangmischer) eine eigene ,intellektuelle und künstlerische Einheit' bildet, daß sie nicht nur Mittler, sondern gleichermaßen künstlerisches Produkt der Realisation ist, dann tritt zu den üblichen Fragen, mit denen sich die Aufführungspraxis als eine wissenschaftliche Disziplin beschäftigt, die zusätzliche Kategorie der klangtechnischen Realisation. Der gestaltende Einfluß von Aufnahmeleiter und Toningenieur kann unterschieden werden in eine Einflußnahme auf den Ablauf der Fixierung des Klang. geschehens (durch Schnitte) und in eine Einflußnahme auf die Balance der simultan erklingenden Frequenzen (durch Mikrophonaufstellung und Regulierungen am Mischpult). Im letzteren Fall ist der Einfluß weitgehend abhängig von der instrumentalen Komplexität einer Komposition. Die verbreitete Meinung, ein Konzertmitschnitt sei ein unverfälschtes Dokument eines Konzertabends und spiegele deshalb die Leistung eines Musikers besser, unverfälschter wider als eine im Studio produzierte Schallplatte, muß zurückgewiesen werden. Ganz abgesehen davon, daß viele Konzertmitschnitte Manipulationen in der zeitlichen Abfolge aufweisen, 19 darf eben das vom Tontechniker geschaf-

18

Die Verdammung der Schallplatte, etwa als „Musikkonserve", hat eine deutsche Tradition, die aus den Ideen der Jugendmusikbewegung kam und von der nationalsozialistischen Ideologie aufgegriffen wurde (vgl. hierzu Eiste, Privatheit). 19

Fast alle kommerziell produzierten Mitschnitte stammen heutzutage aus mehreren Aufführungen und eventuell auch Proben, schon allein um Publikumsgeräusche auf dem edierten Origi-

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fene Klangbild, seine Einflußnahme auf die Vertikale des aufgenommenen Klanggeschehens, nicht unterschätzt werden. Gemeint ist dabei nicht nur die banale und leicht zu relativierende ,Einstellung' des Klangbildes, also ob es weiträumig oder gedrängt, obertonreich oder dumpf ist, etc. Viel bedeutsamer, da sie die innere Dynamik einer Realisation prägen, sind jene Beeinflussungen durch die Technik, die man bei guten Aufnahmen nicht bemerken kann, bei schlechten jedoch als störend, manipulierend empfindet. Dazu zählen dynamische Veränderungen 20 und Balance-Verschiebungen der einzelnen Klangkörper.21 Zu der sozialen Funktion als Informationsvermittler tritt bei der Schallplatte noch ihr manipulierender Einfluß auf Auswahl und tendenzielle Aufbereitung der Information. Da die Schallplatte eine Manifestation des musikalischen Kunstwerks ist, wird diese sonst manipulative Ebene medialer Gestaltung zu

nalband auf einem Minimum zu halten. An Rundfunkanstalten der ARD ist es fast schon die Regel, aus den Mitschnitten von Proben und Konzertaufführung eine Version zusammenzuschneiden, wenn aus irgendwelchen Gründen Teile der Konzertaufführung den Tonmeister klangtechnisch oder musikalisch nicht überzeugen (Diskussion auf der IASA-Konferenz Salzburg 1979). Ganz anders ist die BBC-Praxis. Dort versteht sich der Rundfunk noch als Medium im eigentlichen Sinne, als Reportageinstrument. Selbst Studioproduktionen der BBC werden wie Konzertaufführungen mitgeschnitten (d. h. nicht takeweise, sondern in ganzen Sätzen), und Schnitte kommen nur an extremen Fehlstellen vor.

20 Als instruktives Beispiel der erste Satz von Bizets C-Dur Sinfonie unter Charles Munch mit dem Französischen National-Radio-Orchester ( Concert Hall: SMS 2495). Der extreme dynamische Kontrast zwischen ff bzw. f des gesamten Orchesters im Vordersatz und der als Nachsatz fungierenden absteigenden Viertelkette der Streicher im p ist verbunden mit wechselnder Präsenz des Klangbildes, ein Zeichen für elektro-akustische Manipulationen. Ganz stümperhaft wird es dann, wenn der Toningenieur den Regler bedient, um die poco a poco crescendi (T. 33-45 und passim) zu furiosen Entladungen zu steigern. Das ist prinzipiell nichts Verdammenswertes, aber hier ist es schlecht gemacht. Man hört gleichzeitig mit dem dynamischen Anstieg ein Anwachsen des Bandrauschens, und beim p-Abfall bleibt die ff-Artikulation der Streicher fast erhalten. Daß dynamischer Wechsel eine Veränderung der Artikulation bedeutet und sich nur begrenzt elektro-akustisch beeinflussen läßt, ohne manipuliert zu wirken, wird hier mißachtet. Musizierweise und Aufnahme bilden keine ästhetische Einheit, zerbrechen in zwei Teile. (Woran es liegt, daß die Interpretation dennoch mitreißend wirkt, ist weitergehende Untersuchungen wert.)

21 In derselben Aufnahme lassen sich solche Verschiebungen der Stereobalance mehrfach deutlich vernehmen. Am interessantesten ist der Beginn des Fugato im Adagio (T. 59 ff.): Sobald die Violen das punktierte Fugatothema spielen - laut Partitur (Edition Eulenburg, No. 556, PI. Nr.: EE 6634) immerhin im p! -werden sie von der Tontechnik dynamisch hervorgeholt, was den Nebeneffekt des Wanderns der 2. Violinen von links nach rechts und wieder zurück während ihrer Kantilene (T. 64-66) hat. - Bereits seit spätestens 1956 war es gelegentlich üblich, in Mehrspurtechnik aufzunehmen und nach den eigentlichen Aufnahmesitzungen die Spuren abzumischen, um nachträglich die Balance zwischen Klanggruppen herzustellen. Dieses Mehrspurverfahren, das nicht mit Stereophonie verwechselt werden darf, nannte die Decca später (im Zusammenhang mit stereophonischer Aufnahmetechnik) Phase-4-Stereo (vgl. Gray, Beecham, S. 103).

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einer ästhetisch wirkenden, die sich im Idealfalle bruchlos mit dem vor dem Mikrophon entstehenden Realisationsanteil verbindet. Solche ästhetische Funktionsebene eines Massenmediums ist meines Wissens bislang nur dem Film zuerkannt worden. Selbst Heinz Otto Luthe, der verschiedene soziologische Unterschiede zwischen der Schallplatte und anderen Massenmedien aufzählt, übersieht diesen Gesichtspunkt (Recorded music, S. 659 f.). Die Eindrücke, die man als Konzertbesucher von einer Realisation hat, dekken sich nicht mit denjenigen, die man von einem Mitschnitt desselben Konzerts empfängt. Schon allein die Tatsache der Reduktion des ganzheitlichen Konzertsaalerlebnisses auf dessen bloße Klanglichkeit verbietet Identität. Nichtsdestoweniger wäre es möglich, daß bei analytischem Hören, welches primär klangliche Strukturen ,erhört' und nicht ganzheitliches Erleben fordert, vielmehr davon eher Abstand nehmen läßt, gleiche Merkmale der Realisation im Konzertsaal und deren Mitschnitt bemerkt werden, z. B. das Herausarbeiten einer Cello-Kantilene, die Durchhörbarkeit eines vierstimmigen Orchestersatzes oder die ,hautnahe' Präsenz der Holzbläser. Die Erfahrung lehrt jedoch, daß dieses in den allerwenigsten Fällen zutrifft. Meistens gibt es keine Kongruenz von lebendiger Realisation und deren Mitschnitt. Günther Wagner hat die Analogie von Dirigent und Aufnahmeleiter herausgestellt (Mediendiskussion). Beide erzeugen keine musikalischen Klänge, sie weisen lediglich deren Erzeugung an und übernehmen die Verantwortung für alles. Der soziale Status des Aufnahmeleiters erinnert in verblüffender Weise an den des Dirigenten am Anfang seiner geschichtlichen Entwicklung. Er war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - von den wenigen Ausnahmen wie Spohr, Mendelssohn Bartholdy und Weber einmal abgesehen - genauso unbekannt, unbeachtet wie in den ersten fünfzig bis siebzig Jahren Schallplattengeschichte der Aufnahmeleiter. Kaum jemand zweifelte an seiner Notwendigkeit, doch galt er eher als essentieller Koordinator denn als Interpret. Der pejorative Ausdruck vom Dirigenten als ,Taktschläger' entspricht dem .

. . . und dessen Überwindung? Von dem ausdrücklichen Anspruch der gestalterischen Zurückhaltung geleitete Toningenieure haben die Kunstkopf-Stereophonie propagiert. Dieses Aufnahmeverfahren garantiert die elektro-akustische Nichtbeeinflußbarkeit des Klangbildes während und nach der Einspielung auf Tonträger. Es demonstriert dabei die Tücken der Nicht-Gestaltung eines Parameters des medial vermittelten und gestalteten Klanggeschehens und verdeutlicht, warum eine Schallaufnahme als ein künstlerisches Ganzes zu bewerten ist, bei dem verschiedene Menschen künstlerisch formend zusammenwirken. Objektivität der Abbil126

dung - das erklärte Ziel der Kunstkopf-Stereophonie - ist unmöglich, wenn die Abbildung a priori eine Reduktion der Realität ist. In anderen Worten: Die Beschränkung auf das Akustisch-Erfaßbare, die Eliminierung des Visuellen also, erfordert eine eigene Gestaltung, eine Nachformung des Akustischen . Bei Solo- und Duo-Aufnahmen hat diese ästhetische Regel kaum praktische Bedeutung. Anders jedoch bei größeren Besetzungen. Der Verlust des Visuellen Kurt Oppens beschreibt sehr überzeugend die Bedeutung des Sehens von Musik am Beispiel des Einsatzes der Pauke in der Coda des ersten Satzes von Bruckners 7. Symphonie und beklagt seinen Wirkungsverfall auf der Schallplatte (Anspruch, S. 1014) - kann durch eine geschickte Balance-Regie der Tontechnik teilweise ausgeglichen werden. Nicht so bei der Kunstkopf-Stereophonie. Der Verlust des gleichzeitigen (in diesem Zusammenhang eigentlich vorzeitigen) optischen Registrierens, das oftmals dem akustischen Ereignis vorausgeht und somit den Hörer auf das neue Klangereignis hinlenkt, resultiert in einem verspäteten Wahrnehmen des Neuen, in einem doppelten Verlust an Information . Der Hörer hinkt nach. Sehr deutlich wird dies bei Theatermitschnitten von Stücken, bei denen mehrere Dialoge zwar zeitlich nacheinander, doch inhaltlich ineinander verwoben vorkommen, z. B. in Gorkis Sommergiisten.22 Die akustische Gleichschaltung der Schallquellen, die lediglich auf Entfernungen hin differenziert, macht den Kunstkopf-Hörer immer dann orientierungslos, wenn ein neuer Dialog beginnt oder ein alter nach einer Unterbrechung fortgesetzt wird. In der Realität, auf der Bühne also, trifft das Auge eine Vorauswahl, schafft visuelle Bezüge: Man achtet auf die Personen, die zusammenstehen, sich dem Publikum zuwenden, oder etwa sich neu gruppieren. Dem Hörer fehlt diese Möglichkeit der visuellen Vorerkennung und beim Kunstkopf deren Ersatz durch tontechnische Manipulationen der Balance. Von ihm wird das trainierte Gehör eines Blinden verlangt, obwohl er es als Sehender nicht erlangen kann. V ersucht man, dieses Handikap durch den Einsatz einer kunstkopfbezogenen Stereoregie wettzumachen, dann geschieht nichts anderes als eine Substitution des Panoramareglers und anderer elektro-akustischer Hilfsmittel durch den Interpreten, der nun unrealistisch, manipulierend durch den Raum wandert. Doch was wird gewonnen? Das erklärte Ziel der Kunstkopf-Stereophonie, den „natürlichen" Höreindruck zu vermitteln, wird durchbrochen von der unnatürlichen, auf den Kunstkopf hin ausgerichteten Personenführung.

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Ich beziehe mich auf einen Kunstkopf-Mitschnitt des SFB der Inszenierung der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer.

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Der organisierende Interpret Verbale Äußerungen über ihre künstlerisch-technischen Ziele sind bei Interpreten, und ganz besonders bei Solisten recht häufig, hingegen bei Aufnahmeleitern, die ja in gleichem Maße interpretatorisch wirken, äußerst selten. Fred Gaisbergs Schriften (Music on record; Moore, Voice) sind lediglich faktische Memoiren des ersten Schallplattenproduzenten über den Umgang mit ,seinen' Künstlern. Die einzigen, die sich in größerem Maße und nicht nur in kleinen aphorismenhaft gehaltenen Statements geäußert haben, sind Walter Michael Berten (Musik), der ein gutes Jahrzehnt künstlerischer Leiter der Electrola war und unter dessen Regie die berühmte Aufnahme der Matthiius-Passion mit dem Thomanerchor unter Günther Ramin 23 entstand, Walter Legge, legendärer Perfektionist unter den Schallplattenproduzenten (Schwarzkopf, Record), und John Culshaw, ehemals Produzent der Decca Record Company Ltd. und in dieser Funktion Organisator und verantwortliches Haupt vieler bedeutender Operngesamtaufnahmen (Ring resounding; Putting the record straight). Seine großartigste Leistung war die erste Studioproduktion des Ring des Nibelungen.2~

Nur wenig wissen wir über die künstlerischen Vorstellungen, die Ideen und Konzepte anderer vielbeschäftigter und bedeutender Produzenten und Aufnahmeleiter, die oftmals nicht einmal namentlich überliefert sind. Gaisberg und Legge, zwei Persönlichkeiten, die ausschließlich als Produzenten bzw. Aufnahmeleiter und nicht gleichermaßen als Wissenschaftler oder ausübende Musiker wie Fred Harnei, Curt Sachs, Bruno Seidler-Winkler und Clemens Schmalstich in Erscheinung traten, werden von den einschlägigen Musiklexika negiert. Eine Ausnahme macht hier lediglich The new Grove, in dem Culshaw und Legge, aber nicht Gaisberg mit einem Artikel gewürdigt werden. Hier müssen Ansichten revidiert werden. Der alleinverantwortliche und autonome Interpret gehört endgültig der Vergangenheit an, die lediglich von den mittelbaren (den Schallplattenzeitschriften) und unmittelbaren Werbemedien (den Werbebroschüren etc.) zur Absatzsteigerung beschworen wird. Der undifferenzierte Personenkult ist zwar nötig, um die große Zahl jener Konsumenten zu erreichen, denen eine musikalische Ausbildung fehlt (vgl. Reichardt, Schallplatte). Doch heißt das noch lange nicht, daß die Wissenschaftler dieser simplifizierenden und verschleiernden Sichtweise folgen müssen. In unserem Jahrhundert ist das Potential der ,Schreibtischinterpreten', der Musikmanager

23

H

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His Master's Voice: DB 6516/24 S, 6525/31 et al. Decca: SXL 2101/03, SET 312/16, SET 242/46, SET 292/97 et al.

oder A & R Manager 25 , wie sie branchenintern genannt werden, signifikant gestiegen. Ihren Einfluß an konkreten Fällen zu untersuchen, wäre eine lohnende Aufgabe der Schallplattenforschung. 26

Die Schallplatte als Paradigma des Tonträgers Aus soziologischer und ästhetischer Sicht kommt den verschiedenen Tonträgerarten, obwohl sie allesamt Tondokumente sind, unterschiedliche Bedeutung zu. Nicht umsonst geht es hier um ,Schallplatten-Forschung' und nicht etwa ,Tonträger-Forschung'. Das Wort Schallplatte soll dabei paradigmatisch umreißen, was ich mit dem Streben nach exakter, aber umständlicher Beschreibung als ,massenkommunikative kommerzielle Tonträger' benennen müßte. Dazu zählen neben Schallplatten auch industriell bespielte Tonbänder (MusiCassetten, Cartridges), Walzen, Compact Discs etc. - eben solche Tonträger, die in massenproduzierter Form auf den Markt kommen und den Warencharakter der Musik auf das deutlichste bloßlegen. Es sind diese massenkommunikativen Tonträger, die nicht nur Dokumentcharakter haben, nicht nur Klangmedien sind (wie häufig im Falle von Rundfunkmitschnitten argumentiert wird), sondern gleichzeitig unser Musikleben in allen seinen Ausprägungen seit nunmehr einhundert Jahren nachhaltig beeinflussen. Die kommerzielle Schallaufnahme spiegelt natürlich die Entwicklungen des Musiklebens nur gebrochen wider, verschönernd und furchterregend zugleich. Über den Grad der Widerspiegelung, mit dem die Schallplatte das Musikleben dokumentiert, kann keine sichere Angabe gemacht werden. Untersuchungen fehlen hierzu. Hier liegt ein möglicher Anwendungsbereich einer soziologisch orientierten Musikstatistik (Wilzin, Musikstatistik). Fest steht: Die Schallplatte verzerrt die Wirklichkeit des Konzertlebens insofern, als sie keineswegs ein statistisches Mittel der vielfältigen Musizierformen ist. Das verbietet schon die Tatsache, daß Schallplatten in den kapitalistischen Ländern gemäß den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der ,freien Marktwirtschaft' produziert werden, das (klassische) Konzertleben jedoch - zumindest in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend subventioniert wird. Vielmehr fixiert die Platte ihre eigene Geschichte, die neben dem Konzertleben verläuft und jenes mitformt. Ein Beispiel für die Eigenheiten der Schallplattengeschichte: Es gibt Platten mit hohen Preßziffern von Künstlern, die in wei-

25

A & R steht für Artist and Repertory.

26

Einen pauschalen Einblick in die Strukturen des massenmedialen Musikgeschäfts vermittelt Kleinen, Massenmusik.

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ten Teilen der Welt via auditiver Massenmedien - der Schallplatte und ihrem Multiplikator Rundfunk - bekannt sind, als konzertierende Musiker hingegen nur in ihrer Heimat auftreten und dort nur mäßigen Ruf besitzen. 27 Auch ein anderes kommerzielles Phänomen verdient Beachtung: die Schallplattenensembles. Das sind Orchester, meist Kammerorchester, die unter ihrem Namen nur auf den Schallplatten meist einer einzigen Firma erscheinen, in Wirklichkeit sich jedoch aus verschiedenen anderen Orchestern rekrutieren oder aber sogar de facto ein anderes Orchester sind. An anderer Stelle habe ich Dutzende solcher Ensembles aufgeführt, die ihre schillernden Namen dem Exklusivitätsstreben und der Konkurrenz westlicher Schallplattenfirmen verdanken (Eiste, London; ders., Wiener Melange). Infolge ihrer Stellung als Massenkommunikationsmittel ist die Platte rezeptionsästhetisch ernst zu nehmen. Sie spiegelt nicht so sehr das Musikleben in seiner qualitativen Breite wider, sondern ist ein bedeutsamer Teil des Musiklebens selbst geworden. Und schließlich kommt der Schallplatte eine besondere ästhetische Bedeutung zu: Mit gutem Grund läßt sich unterstellen, sie kann weitgehend frei vom Zufall des Augenblicks die künstlerische Idee einer Realisation manifestieren. Manchmal gelingt dies auch bruchlos. Das sind dann die Sternstunden der Schallplattengeschichte. Dann sind all die Ungenauigkeiten und Fehler, die sich in einen kontinuierlichen Realisationsablauf einschleichen und nicht repräsentativ für die Konzeption der Musiker sind, beseitigt.

Soziologische Schallplattenforschung Betrachtete man die Schallplatte lediglich als „Reproduktion, aber nicht Repräsentation" (Gadamer, Aktualitiit, S. 47), dann wäre eine Auseinandersetzung mit ihr auf einer historisch-ästhetischen Ebene jenseits der Überlegungen einer Warenästhetik im Sinne Wolfgang Fritz Haugs (Kritik) a priori dem Urteil der Belanglosigkeit ausgeliefert. Doch selbst eine uneinsichtige Betrachtungsweise, die Musik auf Schallplatten als bloße ,Konservenmusik' abstempelte, vor allem aber eine unwissende Betrachtungsweise, die weder die Bedingungen, unter denen Schallplatten produziert werden, noch die Unterschiede von Live-Musikdarbietung und wiedergegebener Musikdarbietung erkennt und in Augenschein nimmt, könnte einer (sich noch zu etablierenden) Diskologie, also einer Wissenschaft von der Schallplatte, nicht mehr im Wege stehen. Die ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Bezüge solch einer Diskologie

27

Beispielsweise das Heidelberger Kammerorchester auf dem Billigpreislabel Sastruphon, das auf vielen Lizenzpressungen auch in England und Amerika zu hören ist.

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sind längst erkannt und sporadisch Objekte von Untersuchungen, wenn auch nicht in einem Maße, das der Bedeutung der Sache gerecht wird (vgl. Blaukopf, Massenmedium Schallplatte). Die Stellung der Schallplatte im Musikleben ist ein weitreichender Gesichtspunkt der Schallplattenforschung. Statistische Untersuchungen zum Repertoire der Produktion könnten unter mehrfachen Perspektiven angepackt werden: Da gilt es, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede mit dem Konzertsaal- und Opernhausrepertoire herauszuarbeiten. Analysen der Korrelationen zwischen Repertoire, Preiskategorie, Künstler, Label und Kataloglebensdauer einer Platte könnten Aufschlüsse über Rezeptionsschichten der Bevölkerung, nationale Rezeptionsgewichtungen und noch andere Aspekte der Rezeptionsforschung vermitteln. Die Forschung könnte durchaus zum Nutzen der Industrie Marktanalysen erarbeiten, die in einer gezielten Repertoirebreite resultierten. Der Wandel des Schallplattenrepertoires im Laufe von einhundert Jahren Tonträgergeschichte ist an sich schon interessant genug, um erforscht zu werden. Die Amerikaner und Engländer haben hierzu wertvolles diskographisches Quellenmaterial zusammengetragen und katalogisiert. Arbeiten von Alphons Silbermann (Schallplatte und Gesellschaft), Heinz Otto Luthe (Recorded music) und Robert Reichardt (Schallplatte) beschäftigen sich mit der Soziologie der Schallplatte allgemein. Silbermann gibt eine summarische Übersicht über die vielfältigen Funktionen, die die Schallplatte als eine Institution des sozialen Lebens erfüllen kann. Er bezieht sich in seinem Aufsatz implizit auf die Kulturkritik aus dem Kreis um Theodor W. Adorno, die er als rein empirisch denkender Soziologe anprangert. Silbermanns etwas globale Aufstellung der wichtigsten Rezeptionsfunktionen ist ein theoretisches Modell einer Analyse, die, einen Schritt weitergeführt und die verschiedenen Funktionen aus dem abstrakten Theoriengebäude lösend, versucht, diese Funktionen mit den Objekten - den Schallplatten - einerseits und den Subjekten - den Hörern bzw. Käufern - andererseits zu korrelieren. Doch seien Zweifel an einer eindimensionalen Korrelation angemeldet. Denn die vereinfachende Darstellung, eine jede Platte hätte ihre spezifische, unveränderliche Funktion (wenn nicht allgemein, so zumindest im Leben eines Menschen), zielt auf eine fest umrissene Charakterisierung, die dem Besonderen der Schallplatte nicht gerecht wird. Denn das besteht gerade in der Loslösung der Musik aus ihrem in die Komposition einbezogenen sozialen Rahmen - eine Entwicklung, die schon im Konzertsaal des 19. Jahrhunderts eingesetzt hat und durch die Mobilität des Objekts Schallplatte ihre absolute Ausprägung hat erzielen können. Diese Loslösung vollzieht sich auf zwei Ebenen: Die erste betrifft die Musik an sich. Eine Komposition, die früher als geistliches Vokalwerk unter sakralen Aufführungsbedingungen erklang, wird nun durch die Abstraktion des Klanggeschehens von seinem geschichtlichen Entstehungsort in ganz anderen sozialen Kontexten vernommen. Mozarts c-moll-Messewird sowohl als ,Tafelmusik' 131

als auch als Meditations- oder sogar Hintergrundmusik rezipiert. Die ihm spezifische Rezeptionsfunktion ist vom Werk gewichen. Die andere Ebene betrifft die Funktion, die dem Werk auf und mit der Schallplatte zugeordnet wird, um eine Käuferzielgruppe anzusprechen. Auch diese, vielfach neue Funktion wird fallweise durchbrochen: Eine als „Bekenntnis zum christlichen Glauben" titulierte Kassette mit Kompositionen von Heinrich Schütz wird ebensowenig nur als religiöse Musik gehört, wie bei einer mit „Musik zum Träumen" betitelten Sammelplatte ausschließlich ,geträumt' wird. (Ganz abgesehen davon, daß mit „Musik zum Träumen" eine Rezeptionssituation umschrieben wird, die es vor der Erfindung der Tonträger bei der breiten Masse schlichtweg nicht gab.) Einzig eine medienspezifische Musik - es ist weder eine Gattung noch ein Stil aus der Sicht musikwissenschaftlicher Terminologie, eher ein ,Verkleidungsmodus' -hat eine eindeutige Funktion, nämlich die Funktion ihres unbewußten Wirkens übernommen und behält sie bei. Es ist die Hintergrundmusik, Muzak oder auch gelegentlich funktionelle Musik genannt. Sie ist nach Maßgabe wahrnehmungspsychologischer Erkenntnisse komponiert, arrangiert und zusammengestellt. Denn Musik, die so organisiert ist, daß sie eine gewisse Reizschwelle menschlicher Wahrnehmung nicht überschreitet, beeinflußt das Wohlbefinden und dementsprechend die Produktivität.

Schallplattenforschung und Hörstatistik Statistische Erhebungen über die Ausprägungen des Musikkonsums mittels der auditiven Massenmedien versagen letztlich an der entscheidenden Frage: Wie und Was hört der einzelne Mensch? Die Ausleihziffern von Schallplatten an den öffentlichen Bibliotheken geben dafür genausowenig gültige Erkenntnisse wie individuelle Befragungen. Problematisch sind solche statistischen Erhebungen, wenn sie sich nur auf Ausleihvorgänge beziehen (Schermall, Bücher; Vetterlein, Diskothek). Denn die Entleihung einer Schallplatte, wie auch deren Kauf, sagt nur wenig über das Hörverhalten aus. Vielmehr geben Kauf bzw. Entleihung eher Aufschluß über den Erfolg des Marketings der Firmen. Ob und wie die Platte, die man aufgrund der Interpreten, der Covergestaltung oder der Komposition ausgewählt hat (vermutlich fallen oftmals alle drei Faktoren und noch andere wie Mund-zu-Mund-Propaganda zusammen), gehört wird - die eigentlich interessante Frage bei der Schallplattenrezeption - bleibt weiterhin ungeklärt. 28 28

Eine interessante rezeptionsästhetische Beobachtung wurde in der Musikabteilung der Stadtbibliothek Bremen gemacht. Bei mehrplattigen Werken (insbesondere Opern) besteht die Tendenz

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Aussagen über das ästhetische Wahrnehmen, die nicht unter strikter Einhaltung empirischer Methodik ermittelt sind, sondern auf individuellen Beobachtungen, Erfahrungen beruhen, können keine statistische Gültigkeit beanspruchen. Sie entstehen meist aus einer bestimmten Situation heraus und demonstrieren nur eine von vielen Möglichkeiten medialen Hörens. Eine Feststellung wie: „Die Schallplatte verlangt eine rigoros auf das Musikalische gerichtete Einstellung. Man muß noch viel intensiver zuhören als im Konzert und ganz vergessen, daß man zu Hause ist" (Oppens, Anspruch, S. 1012), beinhaltet Forderung und Zweifel zugleich. Aus dem Zweifel an der perfekten Illusion des Musizierens heraus formuliert Oppens die Forderung nach konzentriertem Zuhören. Ob ein Mensch, der Musik seit seinen ersten Lebensjahren primär durch auditive Medien kennengelernt hat, sich zwingen muß, intensiver zuzuhören als im Konzert? Wird er sich nicht eher im Konzert zwingen müssen, genausoviel Musik zu hören wie von der Platte? (Vgl. Elste, Musik.) Und kann es nicht sein, daß die Platte beides gestattet - je nach Komposition und Rezeptionsverhalten: Untermalung, Zerstreuung ebenso wie Konzentration auf die Musik? Oppens' Aussage könnte eine bereits für weite Kreise historische Rezeptionshaltung beschreiben. Versteht man die Schallplatte als ein Instrument der tendenziellen Loslösung des Individuums von sozialen Gruppen, da sie den Hörer von der sozialen Konstellation des Konzertsaals unabhängig macht, dann sollte man dem methodischen Ansatz einer Hörstatistik mit Zurückhaltung begegnen. Denn zwangsläufig stellt sich die Frage, inwieweit eine statistische Analyse menschlicher Verhaltensweisen noch dem Gegenstand ihrer Untersuchung adäquat ist, wenn dieser gerade in dem historischen Prozeß der Isolierungstendenz, der Individualisierung menschlicher Verhaltensweisen besteht. Eine empirische Hörstatistik, die diesen Prozeß in ihre Untersuchung nicht mit einbezieht, ist schlichtweg eine dem Phänomen nicht adäquate Annäherungsweise. Sie läßt die exemplarischen Veränderungen des musikalischen Hörens unberücksichtigt und gehört in den sozialen Bereich des Konzertsaals. Der bereits zitierte Aufsatz von Kurt Oppens und ein weiterer von Peter Gülke (Konzert) benennen die Unterschiede zwischen Konzertsaal- und Schallplattenrezeption. Oppens offenbart mit seiner Kritik an der Schallplatte generelle Kulturkritik: Bach „hatte es besser als wir" (Anspruch, S. 1015) . Er interpretiert die Schallplatte dann aber im Kontext der kulturellen Entwicklung als letztlich adäquates Rezeptionsmedium: „Vielleicht sind wir besser daran, zu

der Hörer, nur die erste Seite zu hören. (Die hausinterne Abhörstatistik erfaßt als Einheit die Plattenseite.) Hier hat offenbar das Marketing, die PR-Arbeit, Mund-zu-Mund-Propaganda oder das Image einer Komposition oder eines Komponisten den Hörwunsch ausgelöst, der dann häufig in Nichtkonzentration oder Desinteresse endete. In all solchen Fällen wäre es sicherlich besser gewesen, die arg verpönten Querschnitte aufzulegen.

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Hause ... unsere Beziehung zum Werk als eines vergangen-gegenwärtigen neu zu regulieren, als im Konzertsaal eine Identifikation zu vollziehen, die außerhalb jeder Realität liegt" (ebenda). Die verstrichenen zweieinhalb Jahrzehnte, seitdem Oppens diese Zeilen schrieb, haben gezeigt, daß der Konzertsaal noch immer gefragt ist, daß der scheinbare Anachronismus lebendige Realität ist, die ebenso weiterexistiert wie das schon vielfach totgesagte Selbstmusizieren, das in den letzten Jahren wieder enormen Aufschwung genommen hat. Schallplatte und Konzertsaal leben nicht nur nebeneinander, sondern miteinander. Und darin ist das beständige Fortdauern der Institution Konzert zu sehen. Der oben angesprochene Anachronismus ist keiner, da sich die Funktion des Konzertes geändert hat. Der Strukturwandel der Konzertprogramme ist ein Indiz dafür. Das Publikum - und dieser Punkt berührt sozialpsychologische Momente, die Reichardt in seinem bereits erwähnten Aufsatz (Schallplatte) anspricht - verlangt den Personenkult, der in den seltensten Fällen akustische Befriedigung erfährt. Und zur Absicherung des Personenkults werden von der Schallplattenindustrie die nicht-akustischen Kommunikationsmittel um die Platte herum bemüht: das Coverbild, der Covertext, die Schallplattenzeitschrift und schließlich das ganzheitliche Konzertsaalerlebnis. Nicht umsonst unterstützen die PR-Abteilungen der Industrie die Tourneen ihrer Künstler mit allen erdenklichen Werbemethoden. Der scheinbare Widerspruch zwischen Gülkes These, daß das Konzert die Aufmerksamkeit stärker auf das Was des Werkes lenke, und Oppens' Aussage, beim Plattenhören streiche man durch gesteigerten Mitvollzug, scharfes Mitdenken, Studium intensivster Art an Hand von Partituren „das entwertete Hier und Jetzt der Aufführung aus, um zum Hier und Jetzt des Werkes vorzudringen" (Oppens, Anspruch, S. 1015), daß also die Komposition und nicht so sehr die im Augenblick verklingende Realisation vernommen werde, dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man beide Thesen miteinander verknüpft und als Pole des ästhetischen Schallplattenhörens betrachtet. Damit berühren diese beiden musikästhetischen Aufsätze die soziologische Fragestellung nach den Funktionen der Schallplatte, wie sie von Silbermann (Schallplatte und Gesellschaft) aufgeworfen worden ist.

Die Schallplatte als Dokument der Aufführungspraxis Ein facettenreiches Ressort der Schallplattenforschung betrifft die Platte als ein Dokument der Aufführungspraxis im engeren Sinne, d. h. wie (in welchem Tempo, mit welcher Phrasierung etc.) etwas musiziert wird. Die Tonträger haben ermöglicht, das tatsächliche Klanggeschehen als Primärquelle heranzuziehen und nicht, wie bei der Erforschung der Aufführungspraktiken früherer 134

Jahrhunderte, sich auf die Analyse und Interpretation der normativen Traktatschriften und anderer verbaler Quellen beschränken zu müssen, deren Wert für eine gültige Aussage über die tatsächliche Aufführungspraxis, über den Aufführungsklang, sowieso sehr schwierig zu bestimmen ist. Das führt zu einer völlig neuen Methode: der parallelen Untersuchung von Aufführungsästhetiken (verbale Quellen) und dem daraus resultierenden bzw. zugrunde liegenden Klanggeschehen. Die Realisationskritik hätte das Verhältnis von verbaler Interpretation einer Komposition und der Realisation (der musikalischen Interpretation) zu bestimmen. Hermann Danuser hat am Beispiel der Dritten Sinfonie Gustav Mahlers Kriterien dazu entwickelt und verschiedene Schallplattenaufnahmen dahingehend untersucht, inwieweit sie seiner, Danusers Interpretation entsprechen (Schwierigkeiten). So überzeugend Danuser auch argumentiert, man sollte sich doch über die Relativität einer normativen Analyse im klaren sein. Ein gerechtes Urteil über eine Realisation kann nur dann gefällt werden, wenn die genauen Absichten des interpretierenden Musikers überliefert sind und die Realisation diesbezüglich untersucht wird. Danusers kombinierte Analyse von der Komposition und den Realisationen ist insofern stringent, als die ihr zugrunde liegenden Aufnahmen einer Stilperiode der Aufführungspraxis der Mahlerschen Sinfonien zugehören; sie umfassen einen Zeitraum von (nur) sechzehn Jahren, bis auf eine Ausnahme wurden alle Aufnahmen sogar zwischen 1961 und 1967 produziert (Weber, Mahler, S. 24 f.). Zudem fallen die sieben Jahre genau in jene Zeitspanne, die für die allgemeine Ausbreitung der Mahlerschen Sinfonik auf Platte und im Konzertsaal wesentlich ist. Doch bereits in Danusers Untersuchung erscheint hypothesenhaft ein Merkmal eines historischen Stils, nämlich bei der frühen Aufnahme aus dem Jahr 1952: Ihr Dirigent F. Charles Adler wählte bezeichnenderweise bedeutend langsamere Tempi. Das bringt uns zu einem wesentlichen Unterschied zwischen Schallplatte und Konzertleben, zwischen Schallplattenkritik und Tageskritik, berührt die fundamentale Dialektik der Schallplatte - Dilemma und Reiz im Umgang mit Produktion und Rezeption der Medien der Tonwiedergabe. Die Schallplatte wird in einem präzis definierbaren Zeitraum produziert, sie gibt eine historisch gebundene Realisation des musikalischen Kunstwerks wieder. Im Kontrast dazu sind die Rezeptionsmöglichkeiten der Schallplatte völlig unabhängig von ihrer Produktion, wie schon im Kapitel Soziologische Schallplattenforschung (s. oben, S. 130) angesprochen. Trotz Studioatmosphäre, trotz Schnitte kann keine Aufnahme ihre historische Gebundenheit verleugnen. Wo dies dennoch auf elektronischem Wege versucht wird (bei stereophonisierten Aufnahmen), entstehen unehrliche Zwitter, die meist ästhetisch unbefriedigend wirken. Einige Musiker haben sich mit dieser Diskrepanz zwischen Produktionsgebundenheit und Rezeptionsunbegrenztheit auseinandergesetzt, sie als Di135

lemma interpretiert und entsprechende Konsequenzen gezogen. Bewußt schallplattenspezifisch musizieren heißt bei ihnen, neutraler als im Konzert interpretieren (Melichar, Musik-Interpretation; Harnoncourt, Interview). Andererseits besteht gerade in dieser unvermeidbaren Vermischung geschichtlicher Ebenen - anders als bei abstrakteren Ideengehalten wie etwa der Komposition - der besondere Reiz historischer Aufnahmen. Aus dieser Erkenntnis heraus müßte Schallplattenforschung als wissenschaftliche Schallplattenkritik eine jede Aufnahme als historische betrachten und sie in ihrem geschichtlichen Rahmen innerhalb ihrer Stilepoche der Aufführungspraxis bewerten. Identifikation - der unausgesprochene Gradmesser feuilletonistischer Musikkritik-wäre hierbei ein zu relativierendes Kriterium (vgl. Eiste, Aufführungspraxis; ders., Plea). Gleichwohl wäre eine Untersuchung wichtig und interessant, die sich zur Aufgabe machte, die ästhetischen bzw. sozialpsychologischen Determinanten einer solchen unzweifelhaft allgemein vorhandenen Identifikation der Rezipienten mit bestimmten Realisationstypen zu analysieren. Die Möglichkeiten der Tempo-Forschung zeigen, wie sehr eine bestimmte Methode von der Art der Quellensituation abhängig ist. Will man sich nicht mit dem Studium der ästhetischen Schriften zum Tempo begnügen, sondern die Tempi aus der unmittelbaren Musikpraxis studieren, dann ermöglichen die Tonträger einen Reichtum empirischen Materials, der vor ihrer Erfindung unmöglich zusammenzutragen gewesen wäre. Die bekannte Studie von Alfred Guttmann über psychologische Parameter der Tempowahl (Tempo) basierte auf jahrelangen Konzertsaalerfahrungen des Autors, die letztlich eine statistisch nur unbefriedigend-geringe Ansammlung von Daten ermöglichten. Gleichermaßen dürftig erscheint aus heutiger Sicht die Spieldauernsammlung des Musikmäzens Edwin Francis Hyde, der zwischen 1894 und 1928 die Spieldauern der New Yorker Philharmonischen Konzerte registrierte (Hyde timings). Heute kann der Forscher über eine schier unendliche Anzahl von Spieldauern der Realisationen verfügen, die auf Platte, als Rundfunkproduktionen und Live-Mitschnitte existieren. 29 Detailuntersuchungen, die sich mit T empoproportionen innerhalb eines Werkes und mit agogischen Vorgängen beschäftigen, fußen aufTonträgern. 30

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Aus dieser Sicht sind die Spieldauernkataloge von Aronowsky, Perfonning times und Catalogue of music methodisch unzulänglich, denn sie beschreiben nicht die Vielfalt verschiedener Temponahmen. Stattdessen geben sie pro Werk eine einzige Spieldauer an, die noch nicht einmal mit den Methoden der Statistik errechnet wurde. 30

Arbeiten in dieser Richtung sind Kalix, Studien; King, A study; Turner, Tempo variation und Wohnhaas, Studien. Kalix untersucht die Tempomodifikationen bei zehn Aufnahmen und resümiert, das Wesen aller Wiedergaben sei hauptsächlich durch den Typus (nach Gustav Becking) des

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Der Tonträger hat zusätzlich einen neuen Blickwinkel der Forschung ermöglicht. Das Tempo läßt sich als eine Determinante - neben anderen wie Phrasierung, Klangfarbennuancierung (z. B. Lagenspiel) und Agogik - der Klangrealisierung unter dem Aspekt seiner historischen Bedingtheit betrachten (vgl. Elste, Tempowande~ . Mit der Funktion der Schallplatte als Dokument des Aufführungsklanges wird die Frage nach dem diskologischen Urtext relevant. Zwar hat in den letzten zwei Jahrzehnten die Flut an Wiederveröffentlichungen historischer Schallaufnahmen den internationalen Schallplattenmarkt überschwemmt. Diese Situation darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es so etwas wie eine diskologische Urtextausgabe bisher nur im Falle der Eigenaufnahmen von Bela Bart6k gegeben hat. 31 Die auf Gewinn ausgerichteten Schallplattenfirmen tun sich verständlicherweise bislang schwer mit der wissenschaftlich-exakten, sprich kritischen Herausgabe historischer Tondokumente, solange keine Subventionen seitens der öffentlichen Hand die Finanzierung solcher aufwendigen Editionsprojekte sichern. Andererseits kann eine Schallplattenforschung nur mit Hilfe kommerziell publizierter Wiederveröffentlichungen betrieben werden, da - anders als im Fall des Buch- und Bibliothekswesens - eine Aus- und Fernleihe von Tondokumenten aus konservatorischen, organisatorischen und finanziellen Gründen gegenwärtig nur in beschränktem Rahmen möglich ist (vgl. Elste, Bibliothek).

Dirigenten, nicht des Komponisten, bestimmt. Wenn beide zusammentreffen, werde Wesentliches der FreiJChütz-Ouvertüre vermittelt. Wohnhaas untersucht an Diagrammen von dreißig Aufnahmen unterschiedliche Interpretationsdetails bezüglich Dynamik und Agogik. - Speziell mit Tempoproportionen beschäftigen sich Blum, Auswertung; Eiste, Kunst der Fuge und Stadien, Beethoven. Blum vergleicht detaillierte Spieldauern von ausgewählten Schallaufnahmen einiger Kompositionen mit den überlieferten Tempoangaben und entwickelt eine graphische Darstellungsform („Strukturdarstellungen") der Zeitproportionen einer mehrteiligen Komposition. Daraus leitet er dann die problematische, aber diskutierenswerte Forderung nach authentischen Proportionen bei Klangrealisierungen als ein Parameter ,authentischen' Musizierens ab. Eiste greift das Blumsche Untersuchungsmodell auf, ohne allerdings ,authentische' Kategorien zugrunde zu legen. Stadlens Arbeit ist eine Studie über die Gültigkeit der Beethovenschen Metronomangaben mit einem summarischen Vergleich ausgewählter Schallplatteneinspielungen hinsichtlich ihrer Übereinstimmung bzw. Divergenz mit den Metronomisierungen. 31

Bart6k hang/elvetelei centenariumi összkiadas. Hungaroton : LPX 12 326/33 (Vol. 1, 8 LPs) , LPX 12 334/38 (Vol. 2, 5 LPs).

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Komponist und Schallplatte Aus traditioneller Sicht wird der Schallplatte am ehesten dann ein musikwissenschaftlicher Dokumentationswert zugebilligt, wenn es sich um ,authentische' Aufnahmen handelt, d. h. um Aufnahmen, die unter der Leitung des Komponisten eingespielt oder zumindest von ihm autorisiert wurden (Miller, Musicology, S. 420 f.). Ganz abgesehen davon, daß Komponisten einen unbefriedigenden Eindruck beim Musizieren ihrer eigenen Werke hinterlassen können, gehört diese Vorstellung einer doppelten Authentizität dem schon erwähnten Genie-Gedanken des 19. Jahrhunderts an, demzufolge selbst die Komposition nur ein Medium der Tonvorstellung des Komponisten ist. Doch Musik als Kommunikationsobjekt manifestiert sich erst mit ihrer Verklanglichung. Von daher ist jede Verklanglichung, jedes Klanggeschehen per se authentisch. Das bedeutet nicht, alle Realisationen wären gleichermaßen gültig. Ganz im Gegenteil. Jede Realisation steht weiterhin im Wettstreit mit den Konkurrenten, aber eher auf der Ebene, auf der Kompositionen konkurrieren. 32 Die Eigenheit der einzelnen Realisation sollte erst erfaßt und dann abgeschätzt werden. Die bloße Tatsache, daß der Komponist am Pult steht, verleiht der Realisation nicht den Grad einer besonderen Werk-Authentizität. Das heißt nicht, die Realisation durch den Komponisten wäre in jedem Fall ohne besondere Bedeutung. Selbstverständlich kann sie zur Vertiefung der Erkenntnisse über das Musikwerk beitragen. Sie kann auch, wie etwa im Fall von Elgars Eigenaufnahmen (Turner, Tempo variation) zu Korrekturen führen, zu einem Quellentext ,letzter Hand'. Die Vorstellung „Hätte Beethoven Schallplatten eingespielt, wären wir alle Interpretationsprobleme los!" ist allerdings naiv. Bar jeder Erkenntnis über die Strukturverläufe der Aufführungsgeschichte leugnet sie die offenbare Notwendigkeit historischer Stiländerungen der Aufführungspraxis. Von Strawinsky, Debussy, Elgar, Bart6k und Ravel haben wir Eigenaufnahmen - indes zeigt unser indifferentes Verhältnis zu diesen ,authentischen' Aufnahmen, wie wenig wichtig uns Musikern, Wissenschaftlern und Kritikern die Nachahmung komponisteneigener Realisation tatsächlich ist. Die Spekulation ist der Stimulus des Aufführungsstils, nicht das Wissen. Zu untersuchen wäre allerdings der Einfluß der Schallplatte auf die Produktion der Komponisten. Von !gor Strawinsky ist bekannt, daß er die Spieldauer seiner Serenade in A pro Satz auf die Länge einer 25cm-Schellackplattenseite (ca. 3 Minuten) begrenzte. Inwieweit sich solche Restriktionen der künstleri-

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In meiner Arbeit über die Schallplatten mit Bachs Kunst der Fuge habe ich diesen theoretischen Ansatz in Teilaspekten auf meine Realisationskritik angewandt (Eiste, Kunst der Fuge, insbes. S. 47 f.).

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sehen Durchführung subtiler ausgedrückt haben, ist bislang noch nicht eingehender untersucht worden. 33

Schallplattenforschung und Musikethnologie Die Bedeutung der Schallaufzeichnung bei der Erforschung und Analyse nicht-notierter Musik wurde meines Wissens noch nie ernsthaft bestritten. Vielmehr geht das Sammeln solcher ethnologischer Aufnahmen auf die Jahrhundertwende zurück, lange bevor man sich entschloß, kommerziellen Tonträgern wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu widmen und sie zu archivieren. Sammelstätten für ethnologische Feldaufnahmen entstanden ungefähr gleichzeitig in Wien (Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1899) und Berlin (Phonogramm-Archiv des Psychologischen Instituts der Universität, 1900). Gelegentlich gab es damals in Europa auch schon kommerzielle Schallplatten mit außereuropäischer Musik. So veröffentlichte bereits 1906 die deutsche Beka-Record GmbH eine Serie von kommerziellen Schallplatten mit orientalischer Musik (nach Phonographische Zeitschrift, 9, 1908, Nr. 3, S. 61). Doch diese und folgende Aufnahmen trugen den Charakter des Zufälligen, Fragmentarischen. Erst 1931 erschien eine größere, kommentierte Plattenausgabe mit zwölf Schallplatten auf Parlophon und Odeon unter dem Titel „Die Musik des Orients", die aus Beständen des Berliner Phonogramm-Archivs zusammengestellt worden war (Parlophon: MO 100/11 et al.). So unzweifelhaft die Tonträger der Musikethnologie entscheidende Hilfestellungen leisten, so begrenzt ist dieser Bereich für die in diesem Aufsatz skizzierte Schallplatten-Forschung. Kommerzielle ethnologische Schallplatten sind meist nicht im Sinne europäischer Schallaufnahmen produziert, sondern Live-Aufnahmen, also Mitschnitte von musikalischen Ereignissen. Als solche sind sie tatsächlich primär ein Medium, das zudem die dokumentarische Information eher beschneidet als mitformt. Denn im Gegensatz zur Rolle der Schallplatte, die sie bei der Rezeption europäischer Musik hat, besteht bei der Forschung mit Tonträgern ethnischer Musik die Gefahr, nicht das Dokument eines ganzheitlich-musikalischen Kommunikationsprozesses (der ja ein gleichzeitig sich inmitten des Lebens abspielender und aus diesem Leben sich entwikkelnder Vorgang ist) auszuwerten, sondern nur eine akustische Amputation desselben im Sinne des europäischen Begriffs vom musikalischen Kunstwerk.

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Die Bestrebungen der Komponisten in den 20er und 30er Jahren, schallplattenspezifische Musik zu komponieren, habe ich an anderer Stelle diskutiert; vgl. Eiste, Klangwelten.

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Hierbei kann dem Forscher zusätzlich unterlaufen, die Klangereignisse falsch zu bewerten (vgl. hierzu Touma, Rezension). Inwieweit dieser außermusikalische Bestimmungskreis der Musik mit der Verbreitung kommerzieller Tonträger abgebaut wird, wäre eine lohnende Frage, mit der sich die ethnologische Schallplatten-Forschung beschäftigen könnte. Videoaufzeichnungen könnten diesen methodischen Problemen ein Ende bereiten, sobald sie eine bessere Klangqualität gewährleisten.

Noch Gegenwart oder schon Geschichte? Der denkbare Einwand, die Ereignisse um die Schallplatte lägen noch nicht weit genug zurück, um das Bedeutsame vom Belanglosen, das Typische vom Atypischen zu trennen, so daß eine gültige Geschichte der Schallplatte noch gar nicht geschrieben werden könne, entkräftet sich bei näherer Beschäftigung bereits aus praktischen Erwägungen. Wie andere Phänomene der Massenkultur wurde und wird die Schallplatte von den Archivaren noch immer sträflich vernachlässigt. Es besteht noch nicht einmal in allen Staaten ein Pflichtabgabe-Gesetz für Tonträger. Nur wenige Bibliotheken bemühen sich um die Anschaffung der für die Schallplattenforschung unentbehrlichen Fachliteratur. So sind schon Dokumente, die nur wenige Jahrzehnte zurückliegen, in der Regel nicht in öffentlichen Sammlungen greifbar. Sind sie in privaten Sammlungen vorhanden, können sie meistens nicht lokalisiert werden (vgl. Eiste, Bibliothek) . Die ersten Generationen der Schallplattenproduzenten, der Interpreten und aller anderer mit der Ästhetik der Schallplatte verbundenen Menschen sind inzwischen verstorben. Nur noch vereinzelt können Künstler, die in den dreißiger Jahren an Aufnahmen beteiligt waren, als Zeugen der damaligen Vorgänge vor den Mikrophonen aussagen. Vieles muß schon jetzt im Dunkeln verbleiben. Wer kann uns noch darüber aufklären, wie die bedeutsame L 'Anthologie sonore finanziert wurde und welche Preßhöhen ihre Platten mit vorklassischer Musik erzielten, oder wer die kleine, aber unternehmungslustige Firma Die Kantorei im Vorkriegs-Berlin leitete? Der Zweite Weltkrieg hat hier wie dort die meisten Dokumente vernichtet. Heute liegt es an der Rührigkeit der Diskologen, ob Schallplatten als technologische Urheber unserer massenmedialen Musikkultur gewürdigt werden, oder ob sie als Ephemeriden des 20. Jahrhunderts sang- und klanglos untergehen.

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Aus organisatorischen Gründen mußte der beiliegende Tonträger in einem Preßverfahren hergestellt werden, das die Tonqualität der Originalaufnahmen nur unvollkommen wiederzugeben vermag. Hochwertige Kopien für Forschungs- und Lehrzwecke sind beim Staatlichen Institut für Musikforschung, Tiergartenstraße 1, D-1000 Berlin 30, erhältlich.

für Musikforschung

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