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German Pages 318 Year 2017
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 178
Itineraria iuris – Von Rom nach China Festschrift für Ulrich Manthe zum 70. Geburtstag
Herausgegeben von
Peter Gröschler, Jan Dirk Harke, Dietmar Schanbacher und Lutz-Christian Wolff
Duncker & Humblot · Berlin
Peter Gröschler, Jan Dirk Harke, Dietmar Schanbacher und Lutz-Christian Wolff (Hrsg.)
Festschrift für Ulrich Manthe zum 70. Geburtstag
Schriften zur Rechtsgeschichte Band 178
Itineraria iuris – Von Rom nach China Festschrift für Ulrich Manthe zum 70. Geburtstag
Herausgegeben von
Peter Gröschler, Jan Dirk Harke, Dietmar Schanbacher und Lutz-Christian Wolff
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Frontispiz: R. Melcak, Universität Passau Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Das Druckteam Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-14710-6 (Print) ISBN 978-3-428-54710-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84710-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Ulrich Manthe, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiert und seit mehr als 30 Jahren an der Universität Passau als Professor für Bürgerliches Recht und Römisches Recht wirkt, wird mit dieser, von seinen Schülern verfassten Festschrift geehrt. Seine beiden großen Interessensgebiete, das römische und das chinesische Recht, spiegeln sich in den Beiträgen der Festschrift wider. Ulrich Manthe hat nicht nur eine Vielzahl von Veröffentlichungen zum römischen Recht vorzuweisen, genannt seien nur seine allseits bekannten Studien zu den Institutionen des Gaius, sondern auch zahlreiche Publikationen zum chinesischen Recht und zur chinesischen Sprache und Kultur. Immer wieder betreute er auch chinesische Forschungsarbeiten. So erklärt es sich, dass auch Beiträge in chinesischer Sprache Aufnahme in die Festschrift fanden. Die Festschrift trägt den Titel „Itineraria iuris“, denn Wegbeschreibungen des Rechts waren es, die Ulrich Manthe in seinen unvergessenen Vorlesungen bot. Humorvoll und kurzweilig präsentierte er selbst die trockensten und schwierigsten Materien, wie etwa die Differenztheorie im allgemeinen Leistungsstörungsrecht oder die Aktiv- und Passivdelegation im römischen Recht. Dabei schärfte er bei seinen Hörern den Blick dafür, dass es in der Jurisprudenz meist keine abschließend gültigen Lösungen gibt. Angesichts der Vielfalt der Meinungen und Deutungen, die das Recht sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart prägen, war Ulrich Manthe immer offen für eine differenzierte Sicht der Dinge. Sichere rechtsgeschichtliche Erkenntnisse wurden dagegen gekennzeichnet mit dem lapidaren Satz: „Und das war dann halt so.“ Gleichermaßen Philologe und Jurist und mit dem Entdeckerdrang eines Marco Polo steht Ulrich Manthe in der besten Tradition der humanistischen Juristen. Seine Schüler wünschen ihm ungebrochene Schaffenskraft und alles erdenklich Gute für viele weitere Jahre. Unser Dank gilt dem Verlag Duncker & Humblot, insbesondere Frau Regine Schädlich, für die hervorragende Betreuung der Festschrift. Passau, im April 2017
Peter Gröschler, Jan Dirk Harke, Dietmar Schanbacher, Lutz-Christian Wolff
Inhaltsverzeichnis Bettina Bokeloh Unentgeltliche Gesellschaftersicherheiten unter Verrechnungspreisaspekten . . .
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Marius Bolten That Fox: A Case Study on Civil Law in Kent’s New York Supreme Court . . . .
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(Chi Ying)
(Das Rechtsinstitut der Anscheinsvollmacht im chinesischen Recht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anne Daentzer Aufbau eines Compliance-Management-Systems in einer chinesischen Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ulrike Glück Besonderheiten der Vertragsgestaltung bei Unternehmenskäufen in China . . . . . 111 Peter Gröschler Überlegungen zum Aufbau der Klagformel: demonstratio und intentio . . . . . . . 129 Jan Dirk Harke Das Doppelte und die Hälfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Beatrix Joos Der Leasingvertrag und das Wahlrecht des Leasinggebers bei Zahlungsverzug des Leasingnehmers im Vertragsrecht der Volksrepublik China . . . . . . . . . . . . . 161 Antje Jungk Ein Blick auf das Berufs- und Haftungsrecht der Rechtsanwälte in der Volksrepublik China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Friederike Rotsch und Matthias Paul Abhilfemaßnahmen bei Unternehmenszusammenschlüssen in der Volksrepublik China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Dirk Rüffert Das Insolvenzanfechtungsrecht im Spannungsfeld öffentlicher und privater Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
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Inhaltsverzeichnis
Dietmar Schanbacher Diokl./Max. C. 3.36.24 (a.294) – Überlegungen zu einer lex damnata . . . . . . . . 229 Stephan Schuster-Oppenheim „Warum gerade gegen meine Person?“. Die Ministerverantwortlichkeit im Königreich Bayern und ihre Bedeutung für die konstitutionelle Monarchie . . . . . . 237 Simon Werthwein Gutgläubiger Erwerb abhandengekommenen Bargeldes nach chinesischem Sachenrecht: unmöglich, unnötig oder unsicher? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Lutz-Christian Wolff Hongkonger Rechtsgeschichte – warum und wofür denn? . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Dirk Wüstenberg Eine Mitfahrgelegenheit in Peking – Gelegenheitsverkehr-Apps im Recht . . . . . 297
Unentgeltliche Gesellschaftersicherheiten unter Verrechnungspreisaspekten Von Bettina Bokeloh* Die Behandlung unentgeltlicher Gesellschaftersicherheiten unter Verrechnungspreisaspekten ist nach wie vor umstritten. Dabei konzentriert sich die Diskussion im Wesentlichen auf grenzüberschreitende Sachverhalte und die Vorschrift des § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AStG. Der nachfolgende Beitrag untersucht, inwieweit nationale und grenzüberschreitende Sachverhalte sich tatsächlich unterscheiden. Hierfür wird zunächst die steuerliche Behandlung von Sicherheiten eines inländischen Gesellschafters nach allgemeinen Grundsätzen dargestellt. Daran schließt sich die Untersuchung der Anwendung des § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AStG in der derzeit geltenden Fassung auf Sicherheiten eines inländischen Gesellschafters an eine ausländische Gesellschaft an, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf europarechtlichen Implikationen liegt.
I. Behandlung von Gesellschaftersicherheiten nach den Grundsätzen der verdeckten Einlage Die Frage nach den steuerlichen Konsequenzen einer unentgeltlichen Stellung von Gesellschaftersicherheiten ist grundsätzlich auf Basis der Grundsätze zur verdeckten Einlage im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG zu beantworten. Eine verdeckte Einlage liegt dann vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahe stehende Person einer Körperschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Einlagen einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet und diese Zuwendung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist.1 Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist dabei auf Basis eines Fremdvergleichs festzustellen. Wenn und soweit die unentgeltliche Gesellschaftersicherheit als verdeckte Einlage zu qualifizieren ist, ist sie nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 6 EStG mit dem Teilwert anzusetzen, so dass es auf Ebene der Sicherheit stellenden Muttergesellschaft zu einer Gewinnrealisierung in Höhe der fremdüblichen Vergütung kommen könnte.
* Dr. iur., Rechtsanwältin, Willkie Farr & Gallagher LLP, Frankfurt a.M. 1 s. R 40 Abs. 1 KStR; vgl. F. Lang, in: E. Dötsch/A. Pung/R. Möhlenbrock (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 3 KStG Teil B Tz. 17.
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1. Fremdüblichkeit der Stellung von Gesellschaftersicherheiten Eine Vergütung für die Stellung einer Gesellschaftersicherheit wird man unter Fremdvergleichsgesichtspunkten grundsätzlich nur dann verlangen können, wenn die Stellung von Gesellschaftersicherheiten selbst fremdüblich ist. Dies wird grundsätzlich nur dann der Fall sein, wenn der Gesellschafter für einen unabhängigen Schuldner vergleichbarer Bonität zu denselben Bedingungen ebenfalls Sicherheit stellen würde.2 In dem in der Praxis häufigsten Fall der Stellung von Gesellschaftersicherheiten, in dem das Eigenkapital nicht ausreicht, die Betriebsmittel zu beschaffen, die zur Erfüllung des Geschäftszwecks erforderlich sind, wird man bei fehlenden über das Gesellschaftsverhältnis hinausgehenden geschäftlichen Beziehungen grundsätzlich davon ausgehen müssen, dass die Stellung von Sicherheiten gesellschaftsrechtlich veranlasst ist. Diese Auffassung wird gestützt durch die Rechtsprechung des BFH zu Darlehen von Trägerkörperschaften an Betriebe gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechts; der BFH behandelt Zinsen auf solche Darlehen als verdeckte Gewinnausschüttung, wenn die Darlehen dazu dienen, eine unzureichende Eigenkapitalausstattung des Betriebs gewerblicher Art sicherzustellen. Als Maßstab soll dabei die Eigenkapitalquote vergleichbarer Unternehmen der Privatwirtschaft dienen.3 Auf dieser Linie liegt auch das „Patronatsurteil“ des BFH4 und seine nachfolgende Rechtsprechung zu § 1 Abs. 4 AStG in seiner bis zum 31. 12. 2002 geltenden Fassung;5 der BFH hatte diesbezüglich die Auffassung vertreten, dass Stützungsmaßnahmen einer unzureichend kapitalisierten Gesellschaft, durch die die Gesellschaft in die Lage versetzt wird, ihren Geschäftszweck zu verfolgen, als der Aufbringung des Eigenkapitals der Gesellschaft vergleichbar anzusehen und daher als ausschließlich im Gesellschaftsverhältnis veranlasst anzusehen sind. Maßstab aller vorgenannten Entscheidungen ist dabei der Fremdvergleich, der auch im Rahmen der Prüfung von verdeckten Einlagen maßgeblich ist, so dass die vom BFH entwickelten Grundsätze auch für verdeckte Einlagen Anwendung finden sollten.
2. Fremdüblichkeit der Unentgeltlichkeit von Gesellschaftersicherheiten Wenn die Stellung der Sicherheit durch einen Gesellschafter als solche fremdüblich ist, ist zu prüfen, unter welchen Aspekten gleichwohl auf eine Vergütung ver2 Vgl. K. Tauser/A. Keller, Ertragsteuerliche Aspekte von Kreditsicherheiten bei Akquisitions- und Konzernfinanzierungen, in: BB 2015, 2135, 2137. 3 s. BFH, Urteil vom 1. 9. 1982, I R 52/78, BeckRS 1982, 22006225; BFH, Urteil vom 9. 7. 2003, I R 48/02, BeckRS 2003, 24000289. 4 s. BFH, Urteil vom 29. 11. 2000, I R 85/99, IStR 2001, 312. 5 s. BFH, Urteil vom 27. 8. 2008, I R 28/07, BeckRS 2008, 25014186; BFH, Urteil vom 23. 6. 2010, I R 37/09, IStR 2010, 740; BFH, Beschluss vom 29. 4. 2009, I R 26/08, BeckRS 2009, 25015330.
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zichtet werden kann. Dabei kommen insbesondere die nachfolgenden Fälle in Betracht: a) Eigenbetriebliche Interessen der Muttergesellschaft Eine Vergütung für die Stellung einer Sicherheit kann dann entbehrlich sein, wenn der Gesellschafter ein eigenes betriebliches Interesse an der Bestellung der Sicherheit hat. Dies kommt z. B. in Betracht, wenn eine Sicherheit für ein Vertriebsunternehmen gestellt wird, das neue Märkte erschließt.6 Auch hier wird man aber eine Fremdüblichkeit ausschließen, wenn eine Inanspruchnahme aus der Sicherheit überwiegend wahrscheinlich und Regressansprüche7 wertlos sind. b) Kontrolle über Risiken aus der Sicherheit Eine Vergütung wird von manchen Autoren in der Literatur jedenfalls für Mehrheitsgesellschafter grundsätzlich für fremdunüblich gehalten, weil diese aufgrund ihrer Gesellschafterrechte einen beherrschenden Einfluss auf die Tochtergesellschaften ausüben und hierdurch Risiken aus der Sicherheit minimieren können.8 Dies wird vor allem mit der Rechtsprechung des BFH begründet, wonach für die Vergabe von Gesellschafterdarlehen unter Fremdvergleichsgesichtspunkten keine Sicherheiten erforderlich sind, weil durch die Einflussmöglichkeiten bereits eine Besicherung vorliegt.9 Ein Verstoß gegen den Fremdvergleich liege nicht vor, weil letzterer nur das Wegdenken des Nahestehens verlange, nicht aber aller übrigen Verhältnisse.10 M.E. ist diese Argumentation nicht zwingend. Man könnte auch argumentieren, dass die Konzernzugehörigkeit nicht schon bei der Frage der Fremdüblichkeit des „Ob“ der Vergütung, sondern erst bei der Ermittlung der Höhe der fremdüblichen
6 s. BFH, Urteil vom 15. 10. 1997, I R 80/96, juris STRE985007960; BMF, Schreiben vom 23. 2. 1983, IV C 5 – S 1341 – 4/83, BeckVerw 027721, Tz. 4.4.2 Nr. 2; H. Baumhoff/X. Ditz/ M. Greinert, Klärung des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ i. S. des § 1 AStG durch das BMFSchreiben vom 12. 1. 2010, in: DStR 2010, 476, 479; vgl. auch BFH, Urteil vom 9. 3. 1983, I R 182/78, BeckRS 1983 22006436. 7 Zivilrechtlich handelt es sich bei der Stellung einer Sicherheit entweder um einen (unentgeltlichen) Auftrag im Sinne des § 662 BGB oder um eine (entgeltliche) Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB. In beiden Fällen hat der Sicherheitengeber im Fall einer Inanspruchnahme einen Anspruch auf Aufwandsersatz nach § 670 BGB. 8 So z. B. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 476, 479; X. Ditz/V. Tcherveniachki, Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen – Eine Analyse des BFH-Urteils vom 14. 1. 2009 unter besonderer Berücksichtigung des § 1 AStG, in: IStR 2009, 709, 712. 9 s. BFH, Urteil vom 21. 12. 1994, I R 65/94, BB 1995, 1174. 10 s. BFH, Urteil vom 29. 10. 1997, I R 24/97, DStR 1998, 522; vgl. Lang, in: Dötsch/Pung/ Möhlenbrock (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer (Fn. 1), § 8 Abs. 3 KStG Teil B Tz. 60.
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Vergütung zu berücksichtigen ist.11 Dieser Ansatz erscheint vorzugswürdig, weil auch unabhängige Fremdkapitalgeber in der Regel bemüht sind, sich über die Covenants in den Finanzierungsverträgen Kontrollrechte einräumen zu lassen und so die Kreditrisiken zu minimieren. Der Umfang der Covenants hat Einfluss auf die Höhe des Zinssatzes für das Fremdkapital, nicht jedoch auf die Vereinbarung einer Verzinsung als solche. Diese Grundsätze sollten auch auf die Vergütung von Sicherheiten anzuwenden sein. c) Ausschluss einer Vergütung als Folge der Anwendung des Korrespondenzprinzips im Zusammenhang mit § 8 b Abs. 3 Sätze 3 ff. KStG? Gemäß § 8 b Abs. 3 Sätze 3 ff. KStG sind Gewinnminderungen aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten eines Gesellschafters mit einer Beteiligung von mehr als 25 % grundsätzlich steuerlich nicht berücksichtigungsfähig. Solche können sich aus einer Rückstellung für die Inanspruchnahme aus der Sicherheit oder bei Inanspruchnahme aus der Sicherheit ergeben, wenn die Ausgleichsforderung gegen die Gesellschaft nach § 670 BGB nicht werthaltig ist. Unter Hinweis auf das Korrespondenzprinzip vertreten einige Autoren in der Literatur, dass in diesem Fall auch eine Vergütung für die Stellung der Sicherheit jedenfalls im Bereich des § 1 AStG nicht in Betracht kommt.12 Eine Analyse dieser Auffassung im Zusammenhang mit § 1 AStG findet sich in Ziffer II 2. Diese Argumentation kann jedenfalls nicht auf Fälle außerhalb des Anwendungsbereich des AStG übertragen werden. Ein allgemeines Korrespondenzprinzip kennt das Steuerrecht nicht.13 Weiterhin hat der Gesetzgeber keine ausdrückliche Korrespondenz zwischen einer Vergütung für die Sicherheit und Verlusten im Zusammenhang mit der Sicherheit angeordnet. Eine solche ergibt sich m. E. auch nicht aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes: § 8 b Abs. 3 Sätze 3 ff. KStG sind die Folge der Steuerfreiheit von Gewinnen aus der Veräußerung von Anteilen,14 nicht aber die Folge aus der Steuerfreiheit von Vergütungen für die Anteile. 3. Nutzungseinlage Eine verdeckte Einlage setzt den Übergang eines aktivierungsfähigen Wirtschaftsguts voraus. Nutzungseinlagen wie die Gewährung von Darlehen oder die
11 So z. B. J. Brinkmann, Garantiegebühren im Konzern: Das Urteil des Tax Court von Kanada in Sachen GE Capital Canada, in: IStR 2010, 501, 503. 12 s. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 476, 479. 13 Vgl. H. Glenk, in: W. Blümich (Begr.), EStG/KStG/GewStG, 130. Auflage 2015, § 8 KStG Rz. 58; F. Roser, in: D. Gosch (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz, 3. Auflage 2015, § 8 Rz. 41 b. 14 Vgl. A. Pung, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer (Fn. 1), § 8 b Tz. 181.
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Stellung von Sicherheiten sind allerdings nicht einlagefähig.15 Selbst wenn man also zu dem Ergebnis kommen würde, dass eine Vergütung für die Sicherheit fremdüblich wäre, hätte eine unentgeltlich gewährte Sicherheit keine Einkommensanpassung nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 6 EStG zur Folge, da die Voraussetzungen für eine verdeckte Einlage nicht erfüllt sind. 4. Zwischenergebnis Gesellschaftersicherheiten, durch die eine Gesellschaft erst in die Lage versetzt wird, sich die für die Durchführung ihres Geschäftszwecks erforderliche Kapitalisierung zu beschaffen, sind gesellschaftsrechtlich veranlasst und entziehen sich daher einem Fremdvergleich, so dass eine Qualifikation als verdeckte Einlage nicht in Betracht kommt. Bei außerhalb dieser Konstellationen gewährten Gesellschaftersicherheiten wird eine Vergütung unter Fremdvergleichsgesichtspunkten nur unter besonderen Voraussetzungen entbehrlich sein. Eine Unentgeltlichkeit bleibt jedoch auch bei einem Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz folgenlos, da es sich bei einer unentgeltlichen Sicherheit um eine nicht-einlagefähige Nutzung handelt, so dass eine Einkommensanpassung unterbleibt.
II. Besonderheiten bei der Stellung von Sicherheiten durch einen deutschen Gesellschafter für eine ausländische Tochtergesellschaft Bei der Stellung von Sicherheiten eines deutschen Gesellschafters für eine ausländische Tochtergesellschaft, an der er zu mindestens 25 % beteiligt ist, ist zusätzlich zu den Grundsätzen der verdeckten Einlage § 1 Abs. 1 AStG zu beachten. Nach dieser Vorschrift dürfen Einkünfte eines inländischen Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung mit einer ausländischen nahestehenden Person nicht dadurch gemindert werden, dass fremdunübliche Bedingungen vereinbart werden. Wie bei den Grundsätzen der verdeckten Einlage ist eine Entgeltlichkeit also auch hier nur dann erforderlich, wenn (i) die Sicherheit im Rahmen einer das Gesellschaftsverhältnis überlagernden geschäftlichen Beziehung gestellt wird und (ii) die Zahlung einer Vergütung fremdüblich ist. Allerdings können die zur verdeckten Einlage dargestellten Grundsätze nicht ohne weiteres übernommen werden, da der Gesetzgeber in § 1 Abs. 4 AStG Regelungen zur Prüfung der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung von Gesellschaftersicherheiten normiert hat.
15 H 40 KStR „Nutzungsvorteile“; Lang, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer (Fn. 1), § 8 Abs. 3 KStG Teil B Tz. 5, 42 ff.
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1. Begriff der Geschäftsbeziehung Anders als im rein inländischen Sachverhalt definiert der Gesetzgeber in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG für grenzüberschreitende Sachverhalte den Begriff „Geschäftsbeziehung“ als „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle) zwischen einem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person, (a) die Teil einer Tätigkeit des Steuerpflichtigen oder der nahestehenden Person sind, auf die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden sind oder anzuwenden wären, wenn sich der Geschäftsvorfall im Inland unter Beteiligung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen und einer inländischen nahestehenden Person ereignet hätte, und (b) denen keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt; …“. a) Wirtschaftlicher Vorgang Der Begriff „wirtschaftlicher Vorgang“ ersetzt den bis zum 31. 12. 2012 in § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG verwendeten Begriff „schuldrechtliche Beziehung“. Diese Änderung erscheint mit Blick auf die Ausweitung der Anwendbarkeit des § 1 AStG auf Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätten sinnvoll, da zwischen beiden keine schuldrechtlichen Beziehungen bestehen können.16 In der Literatur wird jedoch bemängelt, dass der Begriff auch für Rechtsbeziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften anwendbar ist und aufgrund fehlender Definition zu Rechtsunsicherheiten führt.17 Allerdings wird auf der anderen Seite m. E. zu Recht darauf hingewiesen, dass Beziehungen zwischen einander nahestehenden Personen entweder auf Gesellschaftsvertrag oder auf einer schuldrechtlichen Vereinbarung basieren, so dass sich die Rechtslage im Ergebnis trotz Änderung des Gesetzeswortlautes nicht geändert haben sollte.18 Der Wortlaut des § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG scheint zu dieser Auffassung jedoch im Widerspruch zu stehen, da er für den Fall, dass keine schuldrechtliche Vereinbarung besteht, vorsieht, dass gleichwohl von einer solchen auszugehen ist, es sei denn, der Steuerpflichtige macht glaubhaft, dass auch voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter keine schuldrechtliche Vereinbarung geschlossen hätten. Es stellt sich die Frage, welcher wirtschaftliche Vorgang zwischen Gesellschaft und Gesellschafter denkbar ist, der nicht ent16 s. Gesetzesbegründung in BR-Drs. 302/12, S. 103; X. Ditz/C. Quilitzsch, Die Änderungen im AStG durch das AmtshilfeRLUmsG – Quo vadis Außensteuergesetz?, in: DStR 2013, 1917, 1918. 17 Vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917, 1918; A. Schnitger, Änderungen des § 1 AStG und Umsetzung des AOA durch das JStG 2013, in: IStR 2012, 633, 636. 18 Vgl. Schnitger, IStR 2012, 633, 636; C. Pohl, in: Blümich (Begr.), EStG/KStG/GewStG (Fn. 13), § 1 AStG Rz. 179; K.-M. Wilke, Die geplanten Änderungen in § 1 AStG, in: IWB 8/ 2012, 271, 272 f.; a.A. T. Paintner, Das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften im Überblick, Teil 1: Die Änderungen im Bereich des Ertragsteuerrechts, in: DStR 2013, 1629, 1643, der die Existenz einer schuldrechtlichen Vereinbarung für entbehrlich hält.
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weder auf gesellschaftsvertraglicher oder aber schuldrechtlicher Grundlage fußt. In der Literatur werden beispielhaft verdeckte Gewinnausschüttungen genannt.19 Wenn solche aber nicht auf einer (konkludenten oder ausdrücklichen) schuldrechtlichen Vereinbarung beruhen, erfolgen sie rechtsgrundlos, so dass ein Rückgriffsanspruch gegen den Gesellschafter bestehen sollte. Derartige rechtsgrundlose Vorgänge hatte der Gesetzgeber bei der Fassung des § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG sicher nicht im Auge, da der Steuerpflichtige andernfalls jederzeit den Beweis führen könnte, dass voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter keine schuldrechtliche Vereinbarung getroffen hätten. Aufschluss zum Hintergrund von § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG gibt möglicherweise die Gesetzesbegründung, in der der Gesetzgeber neben fehlender schuldrechtlicher Vereinbarung eine nicht nachweisbare schuldrechtliche Vereinbarung nennt.20 Dies scheint eher darauf hinzudeuten, dass mit § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG Fälle erfasst werden sollen, in denen Vereinbarungen nicht dokumentiert wurden oder aber Regelungslücken aufweisen. Eine andere Interpretation scheint nicht sinnvoll. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn der Gesetzgeber Zweifel des Rechtsanwenders durch eine gesetzliche Klarstellung beseitigen würde. b) Keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die Stellung von Gesellschaftersicherheiten auch dann als Geschäftsbeziehung zu qualifizieren, wenn sie aufgrund fehlender angemessener Kapitalausstattung eigenkapitalähnlich ist.21 Die Gesetzgebung ist als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH zu der bis zum 31. 12. 2002 geltenden Rechtslage (vor Einführung der Legaldefinition des Begriffs „Geschäftsbeziehung“) zu verstehen, wonach die Stellung von Sicherheiten zumindest dann nicht im Rahmen einer Geschäftsbeziehung geleistet wird, wenn sie im Rahmen einer über das Gesellschaftsverhältnis hinausgehenden Leistungsbeziehung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter erfolgt; eine Geschäftsbeziehung war daher insbesondere dann nicht anzunehmen, wenn der Gesellschafter die Gesellschaft mit unzureichendem Eigenkapital ausgestattet hat und ihr erst durch weitere Stützungsmaßnahmen eine für ihren Geschäftszweck ausreichende Kapitalausstattung ermöglichte.22 Die Grundsät19
Vgl. Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917, 1918. s. BR-Drs. 302/12, S. 103. 21 Vgl. Pohl, in: Blümich (Begr.), EStG/KStG/GewStG (Fn. 13), § 1 AStG Rz. 181; so auch bereits die Gesetzesbegründung zur Fassung des § 1 Abs. 4 AStG durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz, BT-Drs. 15/119, S. 53. 22 Vgl. BFH, Urteil vom 29. 11. 2000, I R 85/99, IStR 2001, 312; BFH, Urteil vom 27. 8. 2008, I R 28/07, BeckRS 2008, 25014186; BFH, Urteil vom 23. 6. 2010, I R 37/09, IStR 2010, 740; BFH, Beschluss vom 29. 4. 2009, I R 26/08, BeckRS 2009, 25015330; BFH, Beschluss vom 29. 4. 2009, I R 88/08, BeckRS 2009, 25015331; die Grundsätze dieser Rechtsprechung werden seit 2010 für Veranlagungszeiträume bis 2002 auch von der Finanzverwaltung angewendet, nachdem diese ihren zunächst erlassenen Nichtanwendungserlass zurückgezogen hat (BMF vom 12. 1. 2010, IV B 5 – S 1341/07/10009, DStR 2010, 112). 20
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ze dieser Rechtsprechung finden jedenfalls für Zeiträume ab dem 1. 1. 2003 insoweit keine Anwendung mehr als Gesellschafterdarlehen und -sicherheiten, die eigenkapitalersetzend sind oder dem Eigenkapitalersatz vergleichbar sind, nicht mehr per se der gesellschaftsrechtlichen Sphäre zuzuordnen sind und sich damit nicht mehr grundsätzlich dem Fremdvergleich entziehen.23 Vielmehr sind sie nach § 1 Abs. 4 Satz 1 lit. b AStG nur dann einem Fremdvergleich nicht zugänglich, wenn ihnen eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt. aa) Auslegung des Begriffs „gesellschaftsvertragliche Vereinbarung“ In der Literatur wurde verschiedentlich die Frage aufgeworfen, was unter einer gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung zu verstehen ist, insbesondere, ob jede in den Gesellschaftsvertrag aufgenommene Regelung als gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zu verstehen ist.24 Mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2015 hat der Gesetzgeber § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG um einen zweiten Halbsatz ergänzt, mit dem der Begriff der „gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung“ definiert wird. Dabei soll es sich um eine Vereinbarung handeln, die unmittelbar zu einer rechtlichen Änderung der Gesellschafterstellung führt. Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass nur solche Vereinbarungen als gesellschaftsvertraglich anzusehen sind, die echte Bestandteile des Gesellschaftsvertrages sind und die Mitgliedschaft in der Gesellschaft prägen.25 Davon zu unterscheiden sind unechte Elemente des Gesellschaftsvertrages, die nicht dem Organisationsstatut zuzurechnen sind und nicht durch Übertragung der Anteile an der Gesellschaft übertragen werden können, sondern nur im Rahmen einer gesonderten Abtretung bzw. Übernahme.26 Insbesondere Vereinbarungen, die ausschließlich auf schuldrechtlicher Basis getroffen werden können, sollen nicht als Bestandteile des Gesellschaftsvertrages anzusehen sein.27
23 Vgl. Ditz/Tcherveniachki, IStR 2009, 709, 712; Ditz/Quilitzsch, Internationale Aspekte des Zollkodex-Anpassungsgesetzes. in: DStR 2015, 545, 550. 24 s. zum Meinungsspektrum L. H. Haverkamp/J. Binding, Gesellschaftsvertragliche Vereinbarung i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG n.F., in: ISR 2015, 85 f. 25 s. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/3017, S. 53; vgl. Pohl, in: Blümich (Begr.), EStG/ KStG/GewStG (Fn. 13), § 1 AStG Rz. 189. 26 Vgl. L. Michalski, in: L. Michalski (Hrsg.), Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 2. Auflage 2010, § 3 Rn. 87; H. Wicke, in: Münchener Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 2. Auflage 2015, § 3 Rn. 103. 27 s. M. Sickinger, in: M. Schüppen/B. Schaub, Münchener Anwaltshandbuch Aktienrecht, 2. Auflage 2010, § 29 Rn. 3; L. Fastrich, in: A. Baumbach/A. Hueck (Hrsg.), GmbHG, 20. Auflage 2013, § 3 Rn. 26.
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bb) Voraussetzungen für die Qualifikation von Gesellschaftersicherheiten als gesellschaftsvertraglich vereinbart Bei Gesellschaftersicherheiten handelt es sich ebenso wenig wie bei Gesellschafterdarlehen um notwendige echte Inhalte des Gesellschaftsvertrages, da sie grundsätzlich auch auf schuldrechtlicher Basis vereinbart werden können; sie können aber aufgrund einer Entscheidung der Gesellschafter echte Bestandteile des Gesellschaftsvertrages werden.28 In der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung finden sich Anhaltspunkte dafür, dass dies insbesondere dann gilt, wenn die Leistungen für die Gesellschaft unternehmensnotwendig sind. Das OLG Dresden hat diese Frage in einer Entscheidung vom 17. 6. 1996 offengelassen,29 es aber als ein wichtiges Indiz für eine gesellschaftsvertragliche Verpflichtung gewertet, dass sich ein Gesellschafter zur Erbringung einer geldwerten, marktfähigen Leistung von erheblichem wirtschaftlichen Gewicht ohne angemessene Gegenleistung verpflichtet, da es in diesem Fall an dem für schulrechtliche Verträge typischen Synallagma fehlt und der Gesellschafter am wirtschaftlichen Wert der Leistung nur über seine gesellschaftsrechtliche Beteiligung partizipiert.30 Auch in der neueren gesellschaftsrechtlichen Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Stellung von Sicherheiten durch den Gesellschafter grundsätzlich auch als Nebenleistungspflicht im Sinne des § 3 Abs. 2 GmbHG bzw. § 55 Abs. 1 Satz 2 AktG vereinbart werden können.31 Allerdings dürfte dies an enge Voraussetzungen geknüpft sein. So müsste die Pflicht zur Stellung der Sicherheit an den Gesellschaftsanteil gebunden sein und damit auch künftige Gesellschafter treffen,32 d. h. also mit der Gesellschafterstellung stehen und fallen.33 Weiterhin ist erforderlich, dass die Änderung von Sicherheiten nur nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages erfolgen kann und es daher eines Gesellschaf-
28 Vgl. Sickinger, in: Schüppen/Schaub, Münchener Anwaltshandbuch Aktienrecht (Fn. 27), § 29 Rn. 3; S. Harbarth, in: Münchener Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Fn. 26), § 53 Rn. 22; H. Wicke, Schuldrechtliche Nebenvereinbarungen bei der GmbH – Motive, rechtliche Behandlung, Verhältnis zum Gesellschaftsvertrag, in: DStR 2006, 1137, 1138; G. Roth, in: G. Roth/H. Altmeppen (Hrsg.), GmbHG, 8. Auflage 2015, § 3 Rn. 30 a. 29 s. OLG Dresden, Urteil vom 17. 6. 1996, 2 U 546/96, GmbHR 1997, 746 (rkr.). 30 s. OLG Dresden, Urteil vom 17. 6. 1996, 2 U 546/96, GmbHR 1997, 746 (rkr.); der Sachverhalt betraf die unentgeltliche Einräumung eines Nutzungsrechts an einer Festwiese anlässlich der Gründung einer Gesellschaft, deren Gesellschaftszweck die Erbringung von Veranstaltungen auf der Festwiese war. 31 Vgl. Roth, in: Roth/Altmeppen (Hrsg.), GmbHG (Fn. 27), § 3 Rn. 30a; L. Fastrich, in: A. Baumbach/A. Hueck (Hrsg.), GmbHG (Fn. 27), § 3 Rn. 6. 32 Vgl. für Finanzplankredite BGH, Urteil vom 28. 6. 1999, II ZR 272/98, NZG 1999, 880; Michalski, in: Michalski (Hrsg.), Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Fn. 26), § 3 Rn. 89; a.A. OLG Dresden, Urteil vom 17. 6. 1996, 2 U 546/96, GmbHR 1997, 746 (rkr.). 33 Vgl. BGH, Urteil vom 26. 9. 1969, II ZR 187/68, BB 1969, 1410.
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terbeschlusses bedarf, soweit es sich um Nebenleistungspflichten handelt.34 Beides wird allerdings nur in Ausnahmefällen der Fall sein.35 In der Regel stellt ein Gesellschafter zugunsten seiner Gesellschaft Sicherheiten, um eine ansonsten notwendige Einlage von Eigenkapital zu umgehen. Grundsätzlich wird er Einzelheiten der Sicherheit nicht nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages ändern wollen, allein schon um die damit verbundenen Formerfordernisse zu vermeiden. Die Frage des Wertes der Gegenleistung für die Sicherheit dürfte ebenfalls keine Rolle spiele, da es sich bei Sicherheiten – im Gegensatz zu Nutzungsrechten an Sachgütern wie z. B. dem Nutzungsrecht an einer Festspielwiese in dem vom OLG Dresden mit Urteil vom 17. 6. 1996 entschiedenen Fall36 – grundsätzlich nicht um marktfähige Leistungen handelt und es somit unerheblich ist, ob die Sicherheit für die Gesellschaft einen großen Wert darstellt, z. B. weil sie dadurch überhaupt erst in die Lage versetzt wird, ihre Geschäftstätigkeit auszuüben.37 S. Behrens und G. Renner halten es für vertretbar anzunehmen, dass eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung immer dann vorliegt, wenn ein Geschäftsvorfall ohne Näheverhältnis nicht zustande gekommen wäre bzw. Stützungsmaßnahmen als Ersatz für eine der Funktion der Gesellschaft angemessene Kapitalausstattung ergriffen werden, auch wenn die Sicherheit außerhalb des Gesellschaftsvertrages vereinbart wurde.38 Diese Auffassung ist sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes sowie den gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen zur Abgrenzung korporativer und nicht-korporativer Nebenpflichten abzulehnen. Die Qualifikation einer Regelung als gesellschaftsvertraglich setzt zwingend voraus, dass eine gesellschaftsvertragliche Regelung getroffen wird.39 Selbst aus einer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag ist jedoch nicht zwingend zu folgern, dass eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung vorliegt, solange keine echte Bindung der Verpflichtung zur Stellung der Sicherheiten an die Gesellschafterstellung vorliegt.40 Im Ergebnis wird man davon ausgehen müssen, dass die Mehrheit der Vereinbarungen über die Stellung von Sicherheiten nicht korporativer Art ist und nur in Aus34 Vgl. H.-J. Priester, Nichtkorporative Satzungsbestimmungen bei Kapitalgesellschaften, in: DB 1979, 681, 683 f, der darauf hinweist, dass desto eher ein korporativer Bestandteil des Gesellschaftsvertrages vorliegt, je bedeutsamer die Verpflichtung des Gesellschafters für die Gesellschaft ist. 35 Vgl. H. Ullrich, Formzwang und Gestaltungsgrenzen bei Sonderrechten und Nebenleistungspflichten in der GmbH, ZGR 1985, 235, 256. 36 s. Fußnote 29. 37 Vgl. auch BGH, Urteil vom 14. 6. 1965, VIII ZR 309/62, WM 1965, 1076; der BGH hat hier entschieden, dass schuldrechtliche Regelungen außerhalb des Gesellschaftsvertrages auch dann zulässig sind, wenn sie so wichtig sind, dass die Erreichung des wirtschaftlichen Zwecks der Gesellschaft hierdurch erst ermöglicht wird. 38 s. S. Behrens/G. Renner, Verschärfung der EU-Rechtswidrigkeit von § 1 Abs. 1 AStG durch das ZollkodexAnpG, in: BB 2015, 227, 229. 39 Vgl. L. H. Haverkamp/J. Binding, ISR 2015, 85, 88. 40 Vgl. S. Harbarth, in: Münchener Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Fn. 26), § 53 Rn. 18.
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nahmefällen korporative Verpflichtungen vorliegen, die eine Anwendung des § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AStG ausschließen. 2. Ausschluss einer Vergütung als Folge der Anwendung des Korrespondenzprinzips im Zusammenhang mit § 8 b Abs. 3 Sätze 3 ff. KStG? Wie bereits oben unter Ziffer I 2 c ausgeführt, lehnen einige Autoren in der Literatur mit Blick auf § 8 b Abs. 3 Sätze 3 ff. KStG die Vergütung für die Stellung einer Gesellschaftersicherheit im Bereich des § 1 AStG ab.41 M. E. sollte es allerdings auch hier nicht zu Einschränkungen aufgrund eines Korrespondenzprinzips kommen, evtl. jedoch unter verfassungs- bzw. europarechtlichen Aspekten, da die Stellung von Sicherheiten eines inländischen Gesellschafters für eine ausländische Tochtergesellschaft schlechter gestellt wird als die Stellung von Sicherheiten für eine inländische Tochtergesellschaft. In diesem Zusammenhang ist § 8 b Abs. 3 Satz 6 KStG zu beachten, wonach Verluste aus Gesellschaftersicherheiten dann steuerlich zu berücksichtigen sind, wenn der Gesellschafter nachweisen kann, dass das Stellen der Sicherheit oder aber das Stehenlassen der Sicherheit fremdüblich war.42 A. Pung will das Argument der Ungleichbehandlung dadurch entkräften, dass sie für den Fremdvergleich nach § 8 b Abs. 3 Satz 6 KStG die nach § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AStG maßgebliche Vergütung zugrunde legen will; gelingt der Drittvergleich auch dann nicht, will sie § 8 b Abs. 3 Satz 3 ff. KStG neben § 1 AStG zur Anwendung kommen lassen.43 Diese Auffassung berücksichtigt allerdings nicht, dass das Stellen von Gesellschaftersicherheiten im Rahnen des § 1 AStG u. U. auch dann als im Rahmen einer Geschäftsbeziehung gewährt gilt, wenn sie im vergleichbaren nationalen Sachverhalt als gesellschaftsvertraglich veranlasst gilt und damit einem Fremdvergleich nicht zugänglich ist. Wenn aber eine Geschäftsbeziehung fingiert wird, die eine gesellschaftsvertragliche Veranlassung gerade ausschließt, müsste für diesen Fall die Stellung der Gesellschaftersicherheit auch für Zwecke des § 8 b Abs. 3 Satz 6 KStG einem Drittvergleich standhalten. Gleichwohl sollte es insoweit m. E. aber nicht zu einer Versagung der Anwendung des § 1 AStG kommen, sondern zu einer steuerlichen Berücksichtigung von Verlusten aus der Gesellschaftersicherheit.
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s. Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2010, 476, 479. Nach dem Wortlaut des § 8 b Abs. 3 Satz 6 KStG ist der Gegenbeweis zwar nur bei Darlehen vorgesehen; der Verweis auf § 8 b Abs. 3 Satz 4 KStG sowie der Sinn und Zweck der Sinn und Zweck des § 8 b Abs. 3 Sätze 4 ff. KStG, gesellschaftsrechtlich veranlasste Fremdfinanzierungsmaßnahmen dem Eigenkapital gleichzustellen, gebietet allerdings eine Anwendung auch auf Sicherheiten: vgl. dazu auch Pung, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer (Fn. 1), § 8 b KStG Tz. 231. 43 s. Pung, in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer (Fn. 1), § 8 b KStG Tz. 222. 42
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3. Anpassung der Einkünfte des Gesellschafters bei Fremdunüblichkeit der Vergütung § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG sieht eine Anpassung der Einkünfte des deutschen Gesellschafters für den Fall vor, dass die Vergütung für eine Gesellschaftersicherheit zugunsten einer ausländischen Tochtergesellschaft fremdunüblich ist. Soweit eine Gesellschaftersicherheit unentgeltlich gestellt wird, hat der Gesellschafter die Möglichkeit nachzuweisen, dass auch voneinander unabhängige Dritte kein Entgelt vereinbart hätten. Zur Frage der Fremdüblichkeit einer unentgeltlichen Gesellschaftersicherheit gelten die Ausführungen unter Ziffer I 2 zu nationalen Sachverhalten entsprechend. Wenn dieser Nachweis allerdings nicht gelingt, unterscheiden sich die Rechtsfolgen unentgeltlicher Sicherheiten deutscher Gesellschafter an deutsche und ausländische Tochtergesellschaften maßgeblich, da eine § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG vergleichbare Regelung für nationale Sachverhalte fehlt und es für Nutzungseinlagen wie unentgeltliche Gesellschafterdarlehen oder -sicherheiten nicht zu einer Einkommensanpassung kommt. 4. Europarechtskonforme Auslegung von § 1 Abs. 1 AStG Aufgrund der unterschiedlichen Behandlung nationaler und grenzüberschreitender Sachverhalte stellt sich die Frage nach der Europarechtskonformität bzw. der europarechtskonformen Auslegung von § 1 Abs. 1 AStG. a) Grundsätze des EuGH zur Prüfung der Europarechtskonformität Der EuGH hatte 2010 in der Rechtssache Société de Gestion Industrielle SA/Belgien („SGI“)44 zu einer § 1 Abs. 1 AStG vergleichbaren Regelung des belgischen Rechts festgestellt, dass ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vorliegt, der aber dadurch gerechtfertigt ist, dass die Regelung (i) der ausgewogenen Aufteilung der Steuerhoheit der Mitgliedsstaaten dient und die Steuerhoheit des belgischen Staates für auf seinem Hoheitsgebiet durchgeführte Tätigkeiten sicherstellt und (ii) die Vermeidung von Steuermissbrauch sicherstellen soll. Allerdings hat der EuGH weiter festgehalten, dass die Europarechtskonformität darüber hinaus erfordert, dass die Regelung verhältnismäßig ist. Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit hat der EuGH die folgenden Kriterien aufgestellt: (1) Die Regelung muss eine Prüfung objektiver und nachprüfbarer Umstände vorsehen, um eine Unvereinbarkeit der Transaktion mit Fremdvergleichsgrundsätzen festzustellen. (2) Darüber hinaus muss dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit gewährt werden, etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss einer nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Transaktion nachzuweisen. 44
s. Urteil des EuGH vom 21. 1. 2010, C-311/08, IStR 2010, 144.
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(3) Schließlich muss sich eine steuerliche Berichtigung auf den Teil beschränken, der über das hinausgeht, was ohne die gegenseitige Verflechtung der Gesellschaften vereinbart worden wäre. Zwecks Prüfung dieser Fragen in der Rechtssache „SGI“ hat der EuGH den Fall an das belgische Gericht zurückverwiesen. b) Schlussfolgerungen der deutschen Steuerliteratur aus dem EuGH-Urteil in der Rechtssache „SGI“ In der steuerlichen Literatur werden für die Frage der Europarechtskonformität von § 1 AStG höchst unterschiedliche Schlussfolgerungen aus dem EuGH-Urteil in der Rechtssache „SGI“ gezogen. Teilweise wird § 1 AStG pauschal für europarechtskonform gehalten, da es dem Steuerpflichtigen möglich ist, jederzeit Beweise für die Angemessenheit von Verrechnungspreisen vorzulegen.45 Danach würde sich die Notwendigkeit der Möglichkeit eines Gegenbeweises ausschließlich auf die Angemessenheit der Höhe der Vergütung beziehen, nicht aber darauf, ob ein Abweichen vom Fremdvergleichsmaßstab wirtschaftlich begründet ist. Andere Autoren teilen zwar die Auffassung, dass die Möglichkeit des Gegenbeweises sich ausschließlich auf die Transaktionsbedingungen einschließlich der Vergütung beziehen muss, konzedieren aber, dass diese Schlussfolgerung nicht mit dem Wortlaut der Entscheidung übereinstimmt, wonach wirtschaftliche Gründe ein Abweichen vom Fremdvergleichsmaßstab rechtfertigen können.46 Wiederum andere Autoren vertreten die Position, dass die Möglichkeit des Gegenbeweises sich auch auf ein Abweichen vom Fremdvergleichsmaßstab beziehen muss, da der EuGH auf die Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache „Thin Cap GLO“ verweist, wonach es zu akzeptieren ist, wenn wirtschaftliche Gründe vorgetragen werden, aus denen ein nichtsteuerlich motivierter Verstoß gegen den Fremdvergleich vorliegt.47
45 Vgl. K. Becker/S. Sydow, Das EuGH-Urteil in der belgischen Rechtssache C-311/08 SGI und seine Implikationen für die Frage der Europarechtmäßigkeit des § 1 AStG, in: IStR 2010, 195, 198. 46 Vgl. J. Englisch, Einige Schlussfolgerungen zur Grundfreiheitskompatibilität des § 1 AStG – zugleich Anmerkung zum Urteil des EuGH in der Rs. SGI, in: IStR 2010, 139, 141 f. 47 Vgl. T. Scheipers/A. Linn, Einkünfteberichtigung nach § 1 Abs. 1 AStG bei Nutzungsüberlassungen im Konzern – Auswirkungen des EuGH-Urteils SGI, in: IStR 2010, 469, 473; N. Nolden/J. Bollemann, Zinslose Gesellschafterdarlehen aus Verrechnungspreissicht, in: IWB 2013, 649, 652 f.; M. Greinert/K. Weigert, Vorliegen wirtschaftlicher Gründe als unionsrechtliche Rechtfertigung für ein Abweichen vom Fremdvergleichsgrundsatz, in: DB 2013, 2524, 2525.
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c) Rechtsprechung der deutschen Finanzgerichte im Anschluss an das EuGH-Urteil in der Rechtssache „SGI“ Zwischenzeitlich hatten die deutschen Finanzgerichte Gelegenheit, sich mit der Frage der Europarechtskonformität von § 1 Abs. 1 AStG vor dem Hintergrund der vom EuGH in der Rechtssache „SGI“ aufgestellten Grundsätze auseinanderzusetzen. Mit Urteil vom 29. 11. 201248 hat das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht für ein zinslos gewährtes Gesellschafterdarlehen entschieden, dass § 1 Abs. 1 AStG zwar einen Gegenbeweis in Gestalt wirtschaftlicher Gründe für die Gewährung eines zinslosen Darlehens nicht vorsehe, dass die europarechtskonforme Auslegung der Vorschrift aber die Möglichkeit eines solchen Gegenbeweises erfordere. Als Maßstab für die Frage, unter welchen Umständen die Gewährung eines zinslosen Darlehens als wirtschaftlich begründet angesehen werden kann, greift das Gericht auf § 8 a KStG in der im Streitjahr 2001 geltenden Fassung zurück und hält die Unentgeltlichkeit dann für wirtschaftlich begründet, wenn das Darlehen 40 % der Summe aus Eigenkapital und Gesellschafterdarlehen nicht übersteigt. Das Urteil wurde von den Autoren der steuerlichen Literatur überwiegend im Grundsatz begrüßt,49 insbesondere von Vertretern der Finanzverwaltung aber abgelehnt.50 Von einigen Autoren in der Literatur wird eine geltungserhaltende Auslegung des § 1 Abs. 1 AStG wie sie das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht vorgenommen hat mit der Begründung abgelehnt, dass der Gesetzgeber bewusst nicht auf die Europarechtswidrigkeit des § 1 Abs. 1 AStG reagiert hat, so dass § 1 Abs. 1 AStG in Gänze nicht anzuwenden sein soll.51 Der BFH hat in der Revision abweichend vom Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht den Gegenbeweis auf die Abweichung der Bedingungen der Darlehensvergabe vom Fremdvergleich beschränkt, diesen aber nicht für ein Abweichen vom Fremdvergleich zugelassen.52 d) Eigene Auffassung Der EuGH hat in seiner Entscheidung in der Rechtssache „SGI“ leider nicht ausdrücklich entschieden, ob die von ihm geforderte Nachweismöglichkeit des Bestehens wirtschaftlicher Gründe für den Abschluss eines Geschäfts nur die Fremdüblichkeit der Bedingungen des Geschäfts umfasst oder auch wirtschaftliche Gründe 48
Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 29.11.201, 1 K 118/07, juris. Vgl. A. Nientimp, Besprechung des Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 29. 11. 2012, 1 K 118/07, in: ISR 2013, 122 f. 50 Vgl. F. Hruschka, Replik zu A. Nientimps Besprechung des Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 29.11.201, 1 K 118/07, in: ISR 2013, 123 ff. 51 Vgl. M. Greinert/K. Weigert, DB 2013, 2524, 2526; J. Schönfeld, Missbrauchsvermeidung und Steuervergünstigungen im Lichte des Europarechts – dargestellt anhand von Fallbeispielen –, in: IStR 2012, 215, 218 f. 52 BFH, Urteil vom 25. 6. 2914, I R 88/12, BeckRS 2014, 96342. 49
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für ein Abweichen vom Fremdvergleich. Der Begriff „wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des Geschäfts“ schließt letztere Position jedenfalls nicht aus. Dass der EuGH tatsächlich in diesem Sinn verstanden werden muss, ergibt sich m. E. jedenfalls aus der Beschränkung der Korrektur auf den Teil, der über das hinausgeht, was ohne die gegenseitige Verflechtung der Gesellschaften vereinbart worden wäre.53 Soweit eine Sicherheit ohne die gegenseitige Verflechtung nicht gewährt worden wäre, kommt eine Korrektur nicht in Betracht. Damit ist also zu prüfen, inwieweit eine Gesellschaft über eine für ihren Geschäftszweck angemessene Kapitalausstattung verfügt. Sicherheiten für Mittel bis zur Höhe einer angemessenen Kapitalausstattung sollten gesellschaftsrechtlich veranlasst und einem Fremdvergleich nicht zugänglich sein, so dass es insoweit nicht zu einer Anpassung kommen sollte. Die Frage einer angemessenen Kapitalausstattung sollte allerdings nicht auf Basis pauschalierter Annahmen stattfinden, sondern eine detaillierte, einzelfallbezogene Prüfung erfordern.54 Insoweit ist der BFH zu Recht von der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts abgewichen. Zur Frage der Ermittlung der Angemessenheit der Kapitalausstattung kann auf die Rechtsprechung des BFH zu Darlehen von Trägerkörperschaften an Betriebe gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechts zurückgegriffen werden, wonach auf die Eigenkapitalquote vergleichbarer Unternehmen abzustellen ist.55 Die darüber hinausgehende Ablehnung eines Gegenbeweises in Form von wirtschaftlichen Gründen für ein Abweichen vom Fremdvergleichsgrundsatz hätte m. E. der Anrufung des EuGH bedurft, da dieser in der Rechtssache „SGI“ anders entschieden hat.56
III. Zusammenfassung Die Stellung unentgeltlicher Sicherheiten eines deutschen Gesellschafters an eine deutsche Tochtergesellschaft führt auch dann nicht zu einer Einkommensanpassung auf Ebene des Gesellschafters, wenn die Unentgeltlichkeit gegen den Fremdvergleichsmaßstab verstößt. Für die Stellung unentgeltlicher Sicherheiten eines deutschen Gesellschafters an eine ausländische Tochtergesellschaft gilt dies nach § 1 Abs. 1 AStG allerdings nur dann, wenn die Sicherheit außerhalb einer Geschäftsbeziehung gestellt wird oder aber die Unentgeltlichkeit fremdüblich ist.
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s. Urteil des EuGH vom 21. 1. 2010, C-311/08, IStR 2010, 144, 149. Vgl. N. Nolden/J. Bollemann, Zinslose Gesellschafterdarlehen aus Verrechnungspreissicht, in: IWB 2013, 649, 653 f.; M. Glahe, Verlangt das Unionsrecht eine Möglichkeit zum Nachweis wirtschaftlicher Gründe im Fall fremdunüblicher Verrechnungspreise?, in: IStR 2015, 97, 101; S. Rasch, Besprechung des Urteils des BFH vom 25. 6. 2914, I R 88/12, in: ISR 2015, 10, 12. 55 s. Ziffer I.1. 56 So auch Glahe, IStR 2015, 97, 101; vgl. auch Behrens/Renner, BB 2015, 227, 229; Rasch, ISR 2015, 10, 13. 54
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Während Gesellschaftersicherheiten grundsätzlich nur dann als außerhalb einer Geschäftsbeziehung gewährt anzusehen sein sollten, wenn die Verpflichtung zu ihrer Bestellung echter Bestandteil des Gesellschaftsvertrages ist, wird dies in der weit überwiegenden Zahl aller Fälle nicht der Fall sein. Gleichwohl sollte nach der hier vertretenen Auffassung auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AStG bei unentgeltlichen Sicherheiten eine Einkommensanpassung unterbleiben, wenn die Sicherheit als Kompensation für eine fehlende angemessene Kapitalausstattung anzusehen ist. Dieses Ergebnis ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AStG, ist aber zwingende Folge einer europarechtskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AStG auf Basis des Urteils des EuGH in der Rechtssache „SGI“. Die Finanzverwaltung und der BFH vertreten allerdings hinsichtlich der europarechtskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AStG eine andere Auffassung und beziehen die Kapitalausstattung einer Gesellschaft nur für die Ermittlung der angemessenen Höhe der Vergütung ein. Auch Kompensationsmaßnahmen für eine fehlende Eigenkapitalausstattung sollen danach einem Fremdvergleich zugänglich sein. Da der BFH damit allerdings nach der hier vertretenen Auffassung von der Rechtsprechung des EuGH abweicht, sollte die Frage der Zulässigkeit des Gegenbeweises für ein Abweichen vom Fremdvergleichsmaßstab erneut dem EuGH zur Prüfung vorgelegt werden.
That Fox: A Case Study on Civil Law in Kent’s New York Supreme Court By Marius Bolten* This article tries to contribute to the studies in the importance of Civil law for PostRevolutionary America by analyzing, from a Romanesque point of view, the references to Civil law in Pierson v. Post1, the famous fox case decided by the New York Supreme Court in 1805 while the future Chancellor James Kent was the court’s chief justice. My claim is that the practitioners used contemporary Civil law in its a-historic style, rather than ancient Roman law, and that their knowledge reflected not scholarly cutting-edge, but practitioners’ state of the art Civil law as it was then known and available in the United States.
I. Introduction 1. The State of Scholarship The importance of Roman and Civil law for the development of Post-Revolutionary American law, traditionally underestimated or neglected,2 has been studied by such eminent twentieth century scholars as Richard Helmholz, Michael Hoeflich, Roscoe Pound, Peter Stein, and Alan Watson. The period between the American Revolution and the Civil War (esp. between 1790 and ca. 1850) is generally considered to be the one most open to Roman and Civil law influence, although there is much un-
* LL.M. (New York Univ.); Assessor; Wiss. Ass. a.D.; Dramaturg, St. Gallen. This article is a revised version of the hitherto unpublished paper I wrote for the Legal History Colloquium and Legal Scholarship Seminar of New York University School of Law in 2000. I am greatly indebted to Prof. Ulrich Manthe, who was my teacher both in Roman and in Civil law for fifteen years and inspired me to the present topic, and to Prof. William E. Nelson, New York University School of Law, under whose guidance this essay was written. I am very grateful to the members of the Legal History Colloquium at New York University who in spring 2000 commented on an earlier draft of this paper and provided great help. I further wish to thank Dr. Gabriele Scherer LL.M. (Columbia Univ.) and Dr. Nils Dreier for their help. 1 3 Cai. R. 175 (N.Y. Sup. Ct. 1805), 2 Am. Dec. 264. 2 See generally M. Reinhold, Survey of the Scholarship on Classical Traditions in Early America, in Classical Traditions in Early America 1, 1, passim (J. W. Eadie ed., 1976) (on the nineteenth and early twentieth centuries neglect of the classical traditions in early America).
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certainty and dispute about the importance and value of such influence.3 It is generally held to be particularly noticeable in legal education and in commercial and maritime law.4 In recent years, Michael Hoeflich,5 taking an approach he calls biobibliographical,6 has contributed to this debate with a series of portraits of nineteenth-century American jurists, focusing on their Civil law erudition and their use of the Civil law in their writings. His results may roughly be summarized thus: There were, in the Northeast as well as in the South, circles of jurists who were interested in Roman and Civil law, and although their knowledge and interest usually was not scholarly thorough, it was sincere. They generally seem to have been attracted to the Roman and Civil law because of its scholarly systematization and because of its connection to classical Rome; accordingly, the main use they made of it appears to have been for systematization of the Common law, for legal education and for learned adornments of treatises and opinions. Richard Helmholz7 has started the important and Herculean task of studying the influence of Roman and Civil law in actual court opinions. According to Helmholz, use of Civil law authorities is to be found to similar degrees in all fourteen jurisdictions that have regular published reports from this early period (1790 – 1825); and the use of Civil law is common, although not everwhelming. It is most prominent in maritime and commercial law,8 but spreads over various areas such as conflict of laws9 3
See generally P. Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America, in 52 Virg. L. Rev. 403 (1966) [hereinafter Stein, The Attraction], reprinted in P. Stein, The Character and Influence of the Roman Civil Law 411 (1988). See, e. g., R. Pound, The Place of Judge Story in the Making of American Law, in 48 Am. L. Rev. 676 (1914) [hereinafter Pound, Judge Story] (id. at 686 and 690 – 91 on the influence of Kent and Story’s use of Civil law and on their preventing French law from becoming the law of the United States by presenting sound Common law in a systematic fashion). See also, on the importance of Civil law for Thomas Jefferson, D. Adair, The Catalogue of the Library of Thomas Jefferson, in Fame and the Founding Fathers 350 (T. Colbourn ed., 1974); B. Schwartz et al., Introduction to: Thomas Jefferson and Bolling v. Bolling 1 (B. Schwartz et al. eds., 1997); and, more generally, R. E. Ellis, The Jeffersonian Crisis (1971). 4 Stein, The Attraction (supra note 3), at 404. 5 M. H. Hoeflich, Roman and Civil Law and the Development of Anglo-American Jurisprudence in the Nineteenth Century (1997) [hereinafter Hoeflich, Roman and Civil Law] (see ibid. at 127 – 30 on R. Pound (1870 – 1964)); M. H. Hoeflich, Roman Law in American Legal Culture, in 66 Tul. L. Rev. 1723 (1992) [hereinafter Hoeflich, Roman Law]. See also M. H. Hoeflich, Vinnius and the Anglo-American Legal World, in 114 Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung [SZ, rom.] 345 (1997) [hereinafter Hoeflich, Vinnius]. 6 Hoeflich, Roman and Civil Law (supra note 5), at 2. 7 R. H. Helmholz, Use of the Civil Law in Post-Revolutionary American Jurisprudence, in 66 Tul. L. Rev. 1649 (1992). 8 Helmholz (supra note 7), at 1657 – 58. Among the New York cases: Elliott v. Rossell, 10 Johns. 1, 10 (N.Y. Sup. Ct. 1813); Hastie v. De Peyster, 3 Cai. R. 190 (N.Y. Sup. Ct. 1805); Vandenheuvel v. United Ins. Co., 2 Johns. Cas. 127 (N.Y. Sup. Ct. 1801); Chandler v. Harrick, 19 Johns. 129 (N.Y. Sup. Ct. 1821); Markle v. Hatfield, 2 Johns. 455 (N.Y. Sup. Ct. 1807).
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and judicial review10. Continental authorities were used in several ways: as negative examples to be rebutted; as providing more details; as examples for natural reason11: either confirming the Common law authorities or, though less often, even overturning the Common law. A more detailed look at one jurisdiction appears so far to have been undertaken only for Virginia, by W. Hamilton Bryson. He found copious use of Continental authorities, but he does not evaluate the references on their accuracy and does not distinguish between ancient Roman and modern Civil law.12 Furthermore, Hoeflich has shown, using South Carolina and the federal courts as example, the significance of Arnold Vinnius (1588 – 1657) and his commentary on Justinian’s Institutes13 for early nineteenth century American jurisprudence.14 James Kent (1763 – 1847), who was chief justice when Pierson was decided but did not write the opinion, became one of the influential early American legal writers (of the so-called school of Story and Kent), and he is – as well as Joseph Story – known for his use of Continental law.15 Alan Watson has analyzed in detail the accuracy and purpose of Kent’s use of Continental law in his opinions as Chief Justice (1804 – 14) and Chancellor (1814 – 23) of New York as well as in his Commentaries on American Law (1826 – 30), and his findings are less negative than reported by Hoeflich16. Watson writes:17
9 Cases from New York: Nash v. Tupper, 1 Cai. R. 402 (N.Y. Sup. Ct. 1803); Smith v. Smith, 2 Johns. 345 (N.Y. Sup. Ct. 1807); Seixas v. Woods, 2 Cai. R. 48 (N.Y. Sup. Ct. 1804). See also W. E. Nelson, The American Revolution and the Emergence of Modern Doctrines of Federalism and Conflict of Laws, in Law in Colonial Massachusetts, 1630 – 1800, at 419 (D. Coquillette et al. eds., 1984). 10 Case from New York: Gardner v. Trustees of Newburgh, 2 Johns. Ch. 162 (N.Y. Ch. 1816) (quoting Bynkershoek, Grotius and Pufendorf). See also J. P. Reid, Another Origin of Judicial Review: The Constitutional Crisis of 1776 and the Need for a Dernier Judge, in 64 N.Y.U. L. Rev. 963 (1989). 11 See also Thomas Jefferson, quoted in Schwartz et al. (supra note 3), at 120: “[T]he laws of nature … the great origin from which our Saxon ancestors as well as the Roman lawyers copied their several institutions”. 12 W. H. Bryson, The Use of Roman Law in Virginia Courts, in 28 Am. J. Legal Hist. 135 (1984); cf. Helmholz (supra note 7), at 1652. 13 A.Vinnius, Justiniani institutionum sive elementorum libri quatuor (Amsterdam 1642). 14 Hoeflich, Vinnius (supra note 5), at 366. 15 See J. T. Horton, James Kent, A Study in Conservatism (1939) (generally on Kent). See also J. B. Cassoday, James Kent and Joseph Story, in 12 Yale L.J. 146 (1903) (praising Kent). For the contemporary international reputation of Kent and Story, see, e. g., C. J. A. Mittermaier, Collision der Gesetze verschiedener Staaten, in 7 Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes 228, 249 (Heidelberg 1835) (reviewing J. Story, Commentaries on the Conflict of Laws Foreign and Domestic (Boston 1834)). 16 Hoeflich, Roman Law (supra note 5), at 1735. 17 A. Watson, Chancellor Kent’s Use of Foreign Law, in The Reception of Continental Ideas in the Common Law World, 1820 – 1920, at 45, 62 (M. Reimann ed., 1993).
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Marius Bolten To conclude. Both in his judgments and in his Commentaries James Kent founds his opinion on the usually solid basis of existing English and American law. He shows not the slightest reluctance to cite English cases as authority, despite what may have been the political climate of his time. Indeed, he frequently relies on English cases dating from after 19 April 1777 which should have been no authority in New York. Despite numerous citations, Kent does not really use Roman, French or other continental law to develop law in America. Many of his citations are mere window dressing when there was already sufficient English or American authority. Nonetheless, one cannot exclude the possibility that his use of foreign law sometimes persuaded his colleagues to accept his opinion. Kent usually shows a firm knowledge of the foreign law he uses. But he sometimes cites works that he has either not consulted or, at least, not on that occasion. And it is possible for him at times to make almost unbelievably egregious mistakes.
It should be noted that Watson critisizes Kent most severely with regard to his use of Continental law in his Commentaries, i. e. in scholarly writing, where profounder knowledge may be expected. Perry Miller has summarized the use of Civil law sources in Post-Revolutionary America as follows: While the lawyers had indeed to resort to [the Civil law] because there were whole areas of practice for which their inherited Common Law was inadequate, they also took pleasure in so doing because a knowledge of it became a badge of cultivation. … Thus they could further express their contempt for those who did not follow the law “as a liberal and scientific study.”18
2. The Purpose of this Paper I would like to contribute to these studies by analyzing in greater detail the use of Civil law in Pierson v. Post19, the famous fox case. The choice fell on Pierson, not because it is typical (which it is not), but because it may be called the epitome of Civil law use in Post-Revolutionary cases: first, all participants (counsel for both parties, the court’s majority opinion, and the dissent) draw heavily on Civil law authorities (from Justinian to Pufendorf and Barbeyrac); second, the case, although 200 years old, appears regularly in first-year casebooks on poperty law20 and is still a lead-
18 P. Miller, The Life of the Mind in America from the Revolution to the Civil War 169 (1965); similar conclusions were reached by Horton (supra note 15), at 152 – 54. 19 3 Cai. R. 175 (N.Y. Sup. Ct. 1805). 20 E. g., C. J. Berger, Land Ownership and Use 73 (3rd ed. 1983); O. L. Browder at al., Basic Property Law 24 (5th ed. 1989); J. W. Bruce et al., Cases and Materials on Modern Property Law 197 (1984); A. J. Casner & W. B. Leach, Cases and Text on Property 10 (3rd ed. 1984), whence (at 14) the heading “That fox”; C. Donahue, Jr. et al., Cases and Materials on Property 1 (2nd ed. 1983); J. Dukeminier & J. E. Krier, Property 19 (4th ed. 1998); C. M. Haar & L. Liebman, Property and Law 23 (1977); S. H. Johnson et al., Property Law 14 (1992); S. F. Kurtz & H. Hovenkamp, Cases and Materials on American Property Law 8 (2nd ed. 1993) (id. at 12: “This is your first Property law case”).
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ing case21, not only in New York. (In New York, however, the legislature in 1844 established, that who starts and pursues any wild buck, doe or fawn in the counties of Suffolk and Queens in the months October or November, shall be deemed in possession of the same, so long as he continues in fresh pursuit thereof.22) The New York Supreme Court of Judicature of this time (although a mere state court of appeals) is of special interest (and authority), because the future Chancellor Kent in 1798 became justice and in 1804 chief justice of this court. (1804 is also the year George Caines, the first New York reporter, began his work.23) This article is meant to be an approach to the legal culture that writings on Kent and his colleagues and Kent himself in his Commentaries have portrayed,24 but from a different, and casuistic viewpoint: My task is to analyze the use of the Civil law in Pierson from a Civil law perspective. In doing so, I will consequentially not comment on the appropriateness of the use of Civil law from an American25 or Common26 law perspective. It should be remarked 21 R. A. Brown, The Law of Personal Property chapter 2 (3rd ed. 1975, ed. W. B. Raushenbush); D. B. Burke, Jr., Personal Property in a Nutshell 1 – 29 (1983) (id. at 2: “The Leading Case”; 2 J. Kent, Commentaries on American Law part 5 lecture 35.2 at 349 (2nd ed. 1832). See also R. A. Epstein, The Modern Uses of Ancient Law, in 48 S.C. L. Rev. 243, 246 & n.10 (1997) (on Grotius and Pufendorf as basis of this leading case); G. Francione, Animals, Property, and the Law 41 – 42 (1995); T. Grover, Arctic Equity?: The Supreme Court’s Resolution of United States v. Alaska, 28 Envtl. L. 1169, 1183 & nn.83 – 84 (1998) (citing Pierson with regard to occupancy of oil under the soil of Alaska). Affirmative citations from New York: Buster v. Newkirk, 20 Johns. 75, 75 (N.Y. Sup. Ct. 1822); Fleet v. Hegeman, 14 Wend. 42, 45 – 46 (N.Y. Sup. Ct. 1835); Walradt v. Phoenix Ins. Co., 64 Hun 129, 134, 19 N.Y.S. 293, 296 (N.Y. Sup. Ct. 1892), People v. Doxtater, 75 Hun 472, 27 N.Y.S. 481, 483 (N.Y. Sup. Ct. 1894). Search of Westlaw (May 30, 2000) for “KC Citations” has 11 entries under “Positive Cases” where Pierson is “Cited”, chronologically ranging from Fleet v. Hegemann, supra (1835), to Alliance Against IFQs v. Brown, 84 F.3rd 343, 344 (9th Cir. 1996) (regarding commercial ocean fishing). Quite recently, Pierson was distinguished by Bilida v. McCleod, 41 F.Supp.2d 142, 151 (D.R.I. 1999). 22 Laws of N.Y. April 1, 1844, ch. 109 (N.Y.R.S. 3d ed., vol. 1 at 883). See Kent (supra note 21) (6th ed. 1848, ed. W. Kent) at *349 (348) n.d. 23 See F. R. Aumann, The Changing American Legal System: Some Selected Phases 76 (1940). 24 See J. H. Langbein, Chancellor Kent and the History of Legal Literature, in 93 Col. L. Rev. 547 (1993) (reprinted in vol. 1 The History of Legal Education in the United States 207 (S. Sheppard ed., 1999)) (on Kent’s Commentaries being part of the tradition of institutional writing from Gaius, ca. 160 A.D., on). 25 New York had a reception statute in Art. 1 § 14 of its constitution which preserved such parts of the Common law as formed part of the colony of New York on 19 April, 1777; see Watson (supra note 17), at 50; see also J. Goebel & T. R. Naughton, Law Enforcement in Colonial New York xvii–xviii (1944). 26 Reference to Civil law was not uncommon at the time in England, i. e. within the Common law. See, e. g., Cox v. Troy, 106 Eng. Rep. 1264, 1266 (K.B. 1822) (high opinion of Pothier’s authority on commercial law questions). And the English authorities cited in Pierson, Bracton and Blackstone, were both famous and critisized for Romanizing. See also vol. 1
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though that in the ongoing struggle between democratic, non-English, ad hoc law on the one side and judge-administered, learned and professional Common law on the other side, the Civil law occupied an interesting third position: it was learned like the Common law, but it was not English; like the Common law, it was not made by legislatures27 or juries, but unlike the Common law, it was more scholar- than judge-centered. It should also be briefly mentioned that Pierson was reported at a time when reporting itself was hotly debated.28 Furthermore, I will not try to evaluate whether the Civil law referred to in Pierson and other cases had any actual impact on the case itself or on the development of American law. Charles Donahue has interpreted the fox case from a Roman and English law perspective, but with a very different approach from the one attempted here:29 To say that both court and counsel in Pierson turned to Roman law is not to say that they decided the case the way the Romans would have decided it. Indeed, the principal contention of this paper is that at no time prior to the eighteenth century would a “Roman lawyer” have decided Pierson the way the court in Pierson decided it. In order to maintain this contention we will look at the Roman law texts relied on by the court in Pierson, then at some it did not look at. We will then sketch the history of the interpretation of these texts from Justinian to Pierson.
The question of the present paper is not how Roman lawyers would have decided the case, but wether the Civil law referred to in Pierson was correctly interpreted, and whether it reflects the Civil law as then available in America. An important question we have to ask in doing this is whether the participants meant ancient Roman or contemporary Civil law. My hypothesis for the present analysis is that practicing lawyers – attorneys and judges – did not attempt to use ancient Roman law, but contemporary Civil law. Two factors led to this hypothesis: First, it seems more plausible that a practitioner, looking for guidance or authorities, turns to contemporary rather than to ancient law – and the fact that the name Justinian appears so often should not mislead, for his code was the law, in Germany e. g. until 1900. If a foreign lawyer today refers to the Statute of Frauds, he probably does not mean the act of 1677 as such, but
C. P. Sherman, Roman Law in the Modern World §§ 361, 403 (photo. reprint 1993) (Boston 1917) (enthusiastic about the Romanization of English and American law). 27 The Pierson court was obviously not interested in the ongoing European codification movement. 28 See generally: Langbein (supra note 24). 29 C. Donahue, Jr., Animalia ferae naturae: Rome, Bologna, Leyden, Oxford and Queen’s County, N. Y., in Studies in Roman Law in Memory of A. Arthur Schiller (R. Bagnall & W. Harris eds., 1986) 39, 41.
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rather the law as it stands today – however close to or removed from the original meaning that is.30 Second, in the period dealt with here, the historic approach to Roman law (which requires to seperate ancient31 from modern32 Roman law and to distinguish further between the different periods in the roughly thousand years of each era) was relatively undeveloped even among scholars; and it is probably no coincidence that the author of the one outstanding work on Roman legal history written in the late eighteenth century was not a lawyer, but a historian: Edward Gibbon (1737 – 94). The fortyfourth chapter of his Decline and Fall of the Roman Empire,33 translated into German and annotated by Gustav Hugo (1764 – 1844),34 was later to become (in the re-translated Hugo version35) a standard work on Roman legal history.36 The historic approach to Roman law was further complicated by ideological reasons: English as well as American intellectuals were Romanophiles in their love for the Republic,37 everybody later than Cicero (Marcus Tullius Cicero, 106 – 43 B.C.) being suspect – but the law of the Roman republic (especially the truly republican leges populi [laws of the people], the ius civile [civil law] as opposed to the magistrates’ ius honorarium [authorities’ law]) is, in part, relatively archaic and unappealing, and the outstanding (high and late) classical period of Roman law (ca. 100 – 235 A.D.)38 happens to coincide with generally despised tyrannical emperors such as Caracalla39. Cicero might be regarded as the bright spot between earlier primitivity and later corruption and was, e. g., highly praised by Kent: “Cicero was the last of the 30 On contemporary problems of fidelity to the United States Constitution, originalism, and living constitutionalism, see B. Friedman & S. B. Smith, The Sedimentary Constitution, in 147 U. Pa. L. Rev. 1. 31 See G. Dulckeit et al., Römische Rechtsgeschichte (9th ed. 1995); U. Manthe, Geschichte des römischen Rechts (2000). 32 See F. Wieacker, A History of Private Law in Europe, With Particular Reference to Germany (T. Weir trans., 1995) (1967). 33 Vol. 2 E. Gibbon, (The History of) The Decline and Fall of the Roman Empire 1432 – 80 (J. B. Bury ed., The Heritage Press 1946) (vol. 4, London 1788); vol. 2 E. Gibbon, The History of The Decline and Fall of the Roman Empire 778 – 844 (D. Womersley ed., Allen Lane The Penguin Press 1994). J. Kent read Gibbon in 1802 according to W. Kent, Memoirs and Letters of J. Kent, LL.D. 144 (Boston 1898) (referring to Kent’s own reading records). 34 E. Gibbon, Historische Übersicht des römischen Rechts (G. Hugo trans., O. Behrends ed., Wallstein Verlag 1996) (Göttingen 1789). 35 E.Gibbon, Survey of the Roman, or Civil Law (W. Gardner trans., 1823). 36 See M. H. Hoeflich, Edward Gibbon, Roman Lawyer, in 39 Am. J. Comp. L. 803, 810 et seq. (1991). 37 See Donahue (supra note 29), at 40 & nn.4 – 5; Helmholz (supra note 7), at 1649 & n.1; Reinhold (supra note 2), at 1, 6 passim, 36 – 37; D. Adair, Fame and the Founding Fathers (T. Colbourn ed., 1974). 38 See M. Kaser, Römisches Privatrecht § 1 II 2 b (16th ed. 1992) (6th ed. R. Dannenbring trans., 2nd ed. 1968); vol. 1 M. Kaser, Das Römische Privatrecht § 1 II 2 (Handbuch der Altertumswissenschaft No. X.3.3.1, 2nd ed. 1971). 39 Marcus Aurelius Severus Antoninus, 211 – 217, born 186.
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lawyers who breathed the free air of the Republic, and he is, undoubtedly, the most finished character in all antiquity …”.40 But Cicero was, on closer inspection, not really a jurist,41 but an orator (courtroom speaker), politician and philosopher.42 Another important factor we have to consider is that both ancient Roman law and the contemporary Civil law were a-historic. They often referred to old authorities and gave them new meaning, which should not be regarded as bad history, but as contemporary law. The age of certain texts often gave greater authority to them, and this ahistoric fascination with history is mirrored, e. g., by James Kent’s way of referring to Roman and Civil law: Kent often refers to Civil law as old43, or in the past tense44, and speaks cumulatively of “civil and French law”45. But on other occasions, he uses the terms Civil law and Civilians in a broad sense, encompassing both Roman and Civil law.46 It appears he almost never sees a contrast between Roman and Civil law, but rather uses the Roman law’s age as giving further authority, e. g., “and it was a principle acknowledged as far back as the Roman law”47; thus the natural reason appeal which Roman law had was fostered. But Kent is not really interested in legal history and never contrasts the Corpus Iuris with modern treatises (except where the modern author himself does so). He simply copies the contemporary writers’ a-historic ap-
40 J. Kent, An Address Delivered Before the Law Association of the City of New-York, October 21st, 1836, at 9 – 11, reprinted in Hoeflich, Roman Law (supra note 5), at 1733 – 34. See also Warren v. Lynch, 5 Johns. 239, 247 (N.Y. Sup. Ct. 1810) (C.J. Kent) (“the highest and purest classical authority”). 41 See A. Watson, Roman Law & Comparative law 101 (1991). Cicero, as orator, was and felt excluded from the closed ranks of jurists. He himself reports Gaius Aquilius Gallus’ unfriendly remark: “Nihil hoc ad ius, ad Ciceronem” [This is not a matter for the law but for Cicero]. M. T. Cicero, Topica [Topics] 12.51, in vol. 2 Cicero 375, 418 – 19 (H. M. Hubbell trans., Loeb Classical Library 1949) (bilingual). 42 See M.Gelzer et al., M. Tullius Cicero, der Redner, in 2.13 Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 827 (G. Wissowa et al. eds., 1939). See also F. Bona, Cicerone tra diritto e oratoria (Como 1984). 43 People v. Ruggles, 8 Johns. 290, 295 (“the ancient lawgivers”). 44 Frost v. Raymond, 2 Cai. R. 188, 191; Betts & Church v. Lee, 5 Johns. 348, 349 – 50 (“The civil law, in its usual wisdom, gave no encouragement to trespassers”); Colt & Colt v. M’Mechen, 6 Johns. 160, 168 (N.Y. Sup. Ct. 1810) (“A casus fortuitus was defined, in the civil law …”). 45 Ludlow v. Bowne, 1 Johns. 1, 17 (referring to J. Inst. and Pothier resp.); Curtis v. Groat, 6 Johns. 168, 170 (N.Y. Sup. Ct. 1810) (“both in the French, and in the civil law”); Elliott v. Rossell, 10 Johns. 1, 10 (N.Y. Sup. Ct. 1813). See also Markle v. Hatfield, 2 Johns. 455, 459 (“The reasonable doctrine … is laid down by Paulus in the Digest and has been incorporated into the French law”). 46 Seixas & Seixas v. Woods, 2 Cai. R. 48, 55 (N.Y. Sup. Ct. 1804) (Kent, J.): “The civil law, and the law of those countries which have adopted the civil as their common law … and, if the question was res integra in our law, I confess I should be overcome by the reasoning of the Civilians.” 47 Powell v. Smith, 8 Johns. 249, 252.
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proach. On the other hand, Kent does not seem to be interested in cutting-edge European law either.48 An excerpt from a letter Kent wrote in 1841 might illustrate his reluctance to go deeply into legal history:49 I admire the Roman law, but I am too old (by the way I am 78 this day), or too dull, or too much disciplined in the English common law, to relish greatly the metaphysical theories and philological minutiae of the German Philiosophers and Jurists. … I am tired of everlasting Commentaries on Roman law and Roman early History. Life is too short, and we have too much to learn and put in practice this side of the Atlantic to enter deeply into such kind of researches. As far as concerns my own private study and amusement, … I find sufficient in the texts of the Institutes and the Pandects for all the illustration of the principles of the Roman jurisprudence that I care for …
American Jurists of the time in general and the Pierson court in particular have also been accused of having no personal acquaintance with the Civil law at all and just showing off with indirect quotations: Blackstone’s Commentaries were even more influential in America than in England. … A judge who wanted to sound erudite could read Blackstone and then cite all the sources – including Justinian, Pufendorf, and Bracton – that Blackstone himself had cited. Indeed, the entire discussion of ancient authorities in Pierson v. Post is lifted right out of 2 Blackstone, Commentaries 389 – 390.50
We will also have to analyse whether this statement is true. 3. Terminology To avoid confusion, I use the term Roman law only in its proper or narrow meaning as “[t]he legal system of the ancient Romans, forming the basis of the modern civil law”.51 I will use the term Civil law for the modern Continental European law, and, more specifically, ius commune for the uncodified Romanesque Common law from the sixteenth to the nineteenth centuries, i. e. the contemporary Civil law of Kent’s time. This restricted use of the term Roman law is also in accordance with American use in the nineteenth century. Joseph Story (1779 – 1845),52 who is probably the most important and knowledgeable civil-law trained American jurist, in the introduction to his famous Commentaries on the Law of Bailment, does not talk of Roman law, but 48
Hoeflich, Roman Law (supra note 5), at 1735. Quoted from Stein, The Attraction (supra note 3), at 433 – 34. 50 Kurtz & Hovenkamp (supra note 20), at 29 – 30. 51 Black’s Law Dictionary 1329, sub voce “Roman Law” (7th ed. 1999). 52 Famous Harvard law professor, U.S. Supreme Court associate justice (1811 – 45) and author of nine great Commentaries on the law (1832 – 45). See Helmholz (supra note 7), at 1653, 1666 & n.80; Pound, Judge Story (supra note 3), at 693 – 94. 49
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only refers to “civilians” and “the civil law”, by which he obviously means the contemporary Continental law with Roman law at its basis. The current edition of Black’s Law Dictionary gives the two meanings of the term Roman law (1. ancient Roman law; 2. Civil law) with equal value, but the first edition53 stresses the notion of Roman law as “the proper appellation of the body of law developed under the government of Rome from the earliest times to the fall of the empire.”
II. The Case Pierson v. Post 1. The Facts Jesse Pierson against Lodowick Post. THIS was an action of trespass on the case commenced in a justice’s court, by the present defendant against the now plaintiff. The declaration stated, that Post, being in possession of certain dogs and hounds under his command, did, “upon a certain wild and uninhibited, unpossessed and waste land, called the beach, find and start one of those noxious beasts called a fox,” and whilst there hunting, chasing and pursuing the same with his dogs and hounds, and when in view thereof, Pierson, well knowing the fox was so hunted and pursued, did in the sight of Post, to prevent his catching the same, kill and carry it off. A verdict having been rendered for the plaintiff below, the defendant there sued out a certiorari, and now assigned for error, that the declaration and the matters therein contained were not sufficient in law to maintain an action.54
It should be noted that Caines’ report states the facts according to Post’s declaration, but since the case was argued on the proposition that the declaration was insufficient in law to maintain an action, the court had to take the declaration as true.55 The facts are stated somewhat differently, and apparently more out of Pierson’s perspective, in an historic account by Judge H. P. Hedges.56 But it should be noted that Hedges was born in 1817 and did not move to Bridgehampton, where both parties lived, until 1854,57 and that we do not know his source. His account goes as follows: The facts connected with it were these: Jesse Pierson, son of Capt. David, coming from Amagansett, saw a fox run and hide down an unused well near Peter’s Pond58, and killed and took 53
Black’s Law Dictionary 1050, sub voce “Roman Law” (1st ed. 1891). 3 Cai. R. 175. For the procedure of suing out a certiorari see Casner & Leach (supra note 20), at 11. 55 Donahue (supra note 29), at 39 n.2, 43 n.15. 56 H. P. Hedges, Story of a Celebration, at 60, quoted from J. T. Adams, Memorials of Old Bridgehampton, 166 (I. J. Friedman, Inc. 1962) (1916). 57 Adams (supra note 56), at 166 – 67. 58 I assume this is Little, or Peter’s Pond, which is situated West of the Bridgehampton railroad station, between the railroad and the Montauk Highway, cf. Adams (supra note 56), at 17; Eastern Suffolk County Streetmap verso N-13 (Geographia Map Co. 1998). Today, Bridgehampton is part of the town of Southampton in Suffolk County on Long Island, New York (note added). 54
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the fox. Lodowick Post and a company with him were in pursuit and chasing the fox, and saw Jesse with it and claimed it as theirs, while Jesse persisted in his claim. Capt. Pierson said his son Jesse should have the fox and Capt. Post said the same of his son Lodowick59 and hence the law suit contested and appealed to the highest court in the State …
Both parties were part of the old-established squirearchy of Bridgehampton, Long Island, but it appears only Pierson was the scion of an English founders generation familiy – the Piersons being resident in the area since the seventeenth century.60 According to Hedges, each party “expended over a thousand pounds” on the law suit.61 In 1817, the Pierson and Post families traded some houses,62 which deal might be connected to the financial burdens of the law suit. 2. The Legal Discussion The legal discussion, which is almost completely reprinted infra as Appendix 1, evolved as follows. Sanford, counsel for the now Plaintiff (Pierson), begins by pointing out that Post’s action requires his property. He cites Blackstone for the rule that Post could have acquired property in the fox, an animal of wild nature, only by means of occupancy. He then quotes Justinian’s Institutes for the details of occupancy: There must be a taking, and continued control, and even wounding is not enough. Finally, Sanford cites Fleta and Bracton as coinciding with Justinian.63 Colden, counsel for the now Defendant (Post), argues that corporal taking is not the only means of occupancy. He cites Barbeyrac’s notes on Pufendorf’s Law of Nature and of Nations for the rule that any act which declares the intention of exclusive appropriation constitutes occupancy, and that therefore pursuit gives an exclusive right.64 Sanford replies that Barbeyrac is a mere annotator, whereas the now Plaintiff relies on the civil code and further authorities.65 Tompkins, J. delivered the opinion of the court. He first restates the sole legal question: “what act amounts to occupancy, applied to acquiring right to wild animals.” Referring “to the ancient writers upon general principles of law”, he cites Justinian’s Institutes, Fleta and Bracton for the rule that pursuit and even wounding vest 59 Jesse Pierson, 1779/80 – 1840; David Pierson, 1750/51 – 1829; Lodowick Post, 1777 – 1842; Nathan Post, 1748 – 1803. See Adams (supra note 56), at 319, 334. 60 Donahue (supra note 29), at 63 n.91 and Cases (supra note 20) n.1 at 7; Adams (supra note 56), at 75 passim. 61 Hedges (supra note 56). 62 Adams (supra note 56), at 219, 222. 63 3 Cai. R. at 175 – 76. 64 Id. at 176 – 77. 65 Id. at 177.
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no property. He refers to Pufendorf for the exception that a mortally wounded beast cannot be fairly intercepted while the pursuit continues.66 Tompkins then looks for contrary authorities. He distinguishes the cases in the English reporters, because either they apply positive statutes, or they concern conflicts between huntsmen and landowners.67 Next, he looks at Barbeyrac: Barbeyrac, in Tompkins’ interpretation, does not say that pursuit alone is sufficient for occupancy; he rather seems to have adopted the opinion of Grotius: actual bodily seizure is not always required, but mortal wounding or encompassing and securing with nets and toils are sufficient manifestations of appropriation and deprivations of natural liberty. The present case is not within this definition of occupancy.68 Tompkins concludes with the remark that this narrow definition furthers certainty and peace. The “judgment below was erroneous, and ought to be reversed.”69 Livingston, J., dissenting, remarks that the legal question “should have been submitted to the arbitration of sportsmen”.70 In his view, the decision should have in mind the encouragement to the destruction of foxes.71 This requires protection of the huntsmen against a “saucy intruder”.72 He points out that Justinian’s code was compiled centuries ago, and that, had Justinian known of an order of huntsmen who preserve poultry, his lawyers would have encouraged them. With reference to the various authorites and their position on the requirements of occupancy, Livingston finds them less clear, and adopts Barbeyrac’s opinion “as the most rational”.73 He further cites “a certain Emperor”,74 who made the following distinction: If the beast was followed with “large dogs and hounds”, it shall belong to the original hunter; if with “beagles only”, to the chance captor.75 Post’s hounds being “of imperial stature”,76 Livingston concludes that, in accordance with Barbeyrac and with society’s interest, pursuit with a reasonable prospect of taking is sufficient to acquire property. The judgment below, in his opinion, should be affirmed.
66
Id. at 177 – 78. Id. at 178. 68 Id. at 178 – 79. 69 Id. at 180. 70 Id. 71 Livingston’s approach has often been mentioned in the context of economic analysis of law. See, e. g., Dukeminier & Krier (supra note 20), at 34 – 36. 72 3 Cai. R. at 181. 73 Id. 74 Id. 75 Id. at 182. 76 Id. 67
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III. The Civil Law Texts “The majority and dissenting opinions in Pierson v. Post are peppered with references to a number of obscure legal works and legal scholars.”77 This section tries to raise them out of obscurity and to analyze whether they were correctly cited. One preliminary remark seems necessary: The reporter, George Caines, apparently only reproduced the opinions and pleadings he received in writing, and himself changed almost nothing. In his words:78 Their honors of the bench … have unreservedly given their written opinions, and the whole bar has frankly and generously afforded their cases, and every other communiction that was wished or desired. To these aids the clerk of the court has added an unlimited recurrence to the papers and pleadings his office contains. From this enumeration of assistances it will appear that the reporter’s exertions have been reduced to little more than arranging the materials received, and giving, in a summary manner, the arguments adduced.
Apparently Caines also copied the quotations and citations without any editing: This is evidenced by the fact that the citations to the very same works are in slightly different form from participant to participant.79 The indirect influence of the Roman and Civil law is not the theme of this paper: Bracton and Blackstone apparently took the whole notion of occupancy and its rules from Civil law authorites.80 1. Institutiones Iustiniani The chief text, quoted in excerpts by Pierson’s counsel, is Justinian’s Institutes 2.1.12 – 13.81 An English translation goes as follows, the parts quoted in Pierson being italicized: 77
Dukeminier & Krier (supra note 20), at 23 (casebook note 1). 1 Cai. R., Preface to the first edition (1804). 79 Sanford, counsel, refers to J. Inst. in the form “Just. Lib. 2. tit. 1 § 12” (3 Cai R. at 176), whereas, J. Tompkins, has the form “Justinian’s Institutes, lib. 2. tit. 1. sect. 13” (id. at 177); Fleta and Bracton are referred to by Sanford in the form “Fleta B. 3. C. 2. P. 175” (id. at 176), whereas Tompkins has “Fleta, lib. iii. c. ii. page 175” (id. at 177). Pufendorf is cited by Colden, counsel, in the form “B. 4. c. 6. S. 10”, whereas Tompkins has “lib. iv. c. 6. sec. 2. & 10.” (id. at 177). 80 See S. Herman, Legacy and Legend, in 66 Tul. L. Rev. 1781 (1992); see also C. Donahue, Ius Commune, Canon Law, and Common Law in England, in 66 Tul. L. Rev. 1745, 1752 (1992) (on Bracton and Azo); Donahue (supra note 29), at 41 n.13 (the relevant passage in Bracton is from Azo (ca. 1150–ca. 1235), who took it from Justinian’s Institutes). According to vol. 2 Sherman (supra note 26), § 628, “[i]n our English Common Law [occupancy] is one of Bracton’s borrowings from Roman law”. 81 Iustiniani Institutiones [Institutes of Justinian, J. Inst.] 2.1.12 – 13, quoted from J. A. C. Thomas, The Institutes of Justinian, Text, Translation and Commentary (1975) (itali78
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Marius Bolten 12. Hence, wild animals, birds and fish, i. e. all animals born on land or in the sea or air, as soon as they are caught by anyone, forthwith fall into his ownership by the law of nations: for what previously belonged to not one is, by natural reason, accorded to its captor. Nor does it matter whether the animals and birds be taken on one’s own land or on someone else’s. Of course, anyone entering another’s land to hunt or for fowling can be stopped by the owner, if he be aware of it. But any of these things that you take is considered to be yours so long as it is regulated by your controll: but, once it escapes from your custody and resumes its natural state, it ceases to be yours and again becomes open to the next taker. It is regarded as resuming its natural state when either it disappears from your sight or, though you can still see it, pursuit of it is difficult. 13. The question was raised whether wild animals, which have been so wounded that they could be captured, forthwith become yours. In the opinion of some, it is and is held to be yours at once, so long as you pursue it: but, should you give up the chase, it is no longer yours and is again open to the first taker. Others held the view that it becomes yours only if you actually take it. We give our authority to the second view, for many factors may arise by reason of which you do not take it.
The Institutiones [Institutes, or Introduction] are part of the compilation/codification of Roman law ordered by the (East) Roman emperor Justinian (527 – 565 A.D., born 482) and undertaken in Constantinople between 528 and 534. The Institutes were meant as something similar to a first year course-book for law students, and Justinian famously addressed the promulgation pronouncement cupidae legum iuventuti [to the young enthusiasts of law].82 At the same time they were vested with legal authority. Together with Digest/Pandects (compilation of excerpts/fragments from various jurists), Codex (compilation of emperors’ statutes/pronouncements) and Novellae (later pronouncements of Justinian), they constitute what since 1583 has been called the Corpus Iuris Civilis. After the rediscovery of these texts in eleventh century Italy, they became the basis (and code) of the (uncodified) Civil, or Modern Roman law. The sources for our fragments83 are not relevant for the present analysis, but it should be noticed that the Digest contains a fuller version in Dig. 41.1.1 – 5.84 Dig. 41.1 (De adquirendo rerum dominio [On the acquisition of ownership in things]) is the title usually referred to by Civilians in detailed discussions, whereas J. Inst. 2.1 is only cited for the general rules; but quoting only from the Institutes is not at all bad law.
cization of the parts quoted in Pierson added). See also P. Birks & G. McLeod, Justinian’s Institutes 27 (1987) (commenting on Thomas’ translation). 82 Constitutio Imperatoriam maiestatem, Nov. 21, 533 A.D.; Birks & McLeod (supra note 81), at 12. 83 See Donahue (supra note 29), at 43 – 44. 84 Digest of Justinian [Dig.] 41.1.1, 3, 5 (Gaius, Res cottidianae sive Aurea 2); Dig. 41.1.2, 4 (Florentinus, Institutiones 6).
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The quotations of J. Inst. 2.1.12 – 13 made by Sanford, as reported by Caines,85 show some minor variations to modern standard editions,86 but none of them affect the content. Most of them are identical with the edition by George Harris (1722 – 97), first published in Londeon 1756.87 Many of these variations are also common in older Continental editions.88 The Harris edition (which contains an English translation) was the American standard edition of the time, and it may therefore be presumed that it was the one used by the participants (at least by Sanford).89 The excerpts quoted make sense as such, and are carefully woven into the grammar of the sentences. One alteration (captae fuerint instead of capta fuerint) was obviously made for grammatical correctness of the abridged quote. One the other hand, one grammatical error was newly introduced: tuam esse desinit instead of tuum esse desinit. There is one obvious spelling error: corum instead of eorum – probably a reading mistake due to the similarity of the letters c and e. Finally, occupantis is altered to occumpantis for reasons unknown. The citation of the specific sections (or leges) within the Institutes is in the AngloAmerican mode, strongly advocated by Gibbon (and now internationally followed): book, title, section. The Civilians of the period still observed “an absurd and incomprehensible mode of quotation”.90
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3 Cai. R. at 176. “Berlin stereotype edition”: vol. 1 Corpus Iuris Civilis (T. Mommsen & P. Krüger eds., 22nd ed. 1973) (Berlin 1872). 87 Cf. T. Cooper, The Institutes of Justinian. With Notes (Philadelphia 1812). Cooper uses the Harris edition: id. at v. The variations are: simul atque in two words; Quicquid instead of Quidquid; intelligitur instead of intellegitur; tuam evaserit custodiam, et in libertatem naturalem sese instead of evaserit custodiam tuam et in naturalem libertatem se; soleant instead of solent; and quam si eam ceperis instead of quam si ceperis. 88 E. g., Corpus Juris Civilis at 10 (Dionysius Gothofredus ann., S. van Leeuwen ed., Amsterdam 1663) (Gothofredus ed., 1st ed. 1583, 5th ed. 1624) [hereinafter Gothofredus]. The so-called littera Gothofrediana, first published in Geneva 1583 and reprinted until 1781, was the most influential edition of the Corpus Iuris Civilis (which henceforth took its name) during the time of the ius commune. See vol. 1 E. P. J. Spangenberg, Einleitung in das RömischJustinianeische Rechtsbuch oder Corpus Iuris Civilis Romani ch. 5.1 No. 319 at 839 – 40, 843, No. 466 at 893 – 94 (photo. reprint, Scientia Verlag Aalen 1970) (Hannover 1817); H. E. Troje, Die Literatur des gemeinen Rechts unter dem Einfluß des Humanismus, in vol. 2.1 Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte 615, 647 – 52 (H. Coing ed., München 1977). 89 See Hoeflich, Vinnius (supra note 5), at 349 & n.26 (on the importance of the Harris edition and translation). 90 Vol. 2 Gibbon (supra note 33), ch. 44 n.1; approvingly quoted in Cooper (supra note 87), at vi. 86
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2. Grotius The Civil law authority quoted which is next in chronology (i. e. 1100 years after the Institutes) is the Dutch author Hugo Grotius (1583 – 1645), one of the leading authorities of the Natural Law School. Justice Tompkins’ majority opinion quotes his De iure belli ac pacis libri tres [On the law of war and peace three books], first published in 1625. The excerpts quoted in Pierson are:91 Some corporal possession is required for obtaining dominium, and therefore wounding is not enough … But that possession can be [scil. acquired] not only with the hands but with instruments, such as snares, nets, traps, so long as two elements are present: first that the instruments themselves be in our power; second that the wild beast be so encompassed that it cannot get out.
The quotation in Pierson has two minor mistakes: quo instead of duo [two], which mistake is rectified in Caines’ Errata;92 and the omission af acquiri [acquired], which does not affect the meaning. The pagination given in Pierson (“page 309”)93 makes it probable that the edition Amsterdam 1689 (in Latin) was used, where the end of section 2.8.3 and section 2.8.4 are indeed printed on page 309.94 3. Pufendorf, Barbeyrac, Bynkershoek, Locke, and a Certain Emperor The other leading authority of the Natural Law School is Samuel von Pufendorf (1632 – 94; often spelled Puffendorf) with his De iure naturae et gentium libri octo [On the law of nature and nations eight books], first published in 1672. The French translation (with notes) by Jean de Barbeyrac (1674 – 1744), first published in Amsterdam 1706, acquired utmost importance.95 Colden, Justice Tompkins and Justice Livingston refer to Pufendorf’s fourth book, which is chiefly on property, and to Barbeyrac’s notes. In addition, Justice Tompkins refers to Cornelius van Bynkershoek (1673 – 1743), who “is cited as coinciding in this definition.”96 Justice Livingston further enumerates John Locke (1632 – 1704) among the authorities that “have been cited” by the par91 3 Cai. R. 175, 179. H. Grotius, De Iure belli ac pacis libri tres § 2.8.3 – 4, at 297 – 98 (B. J. A. de Kanter et al. eds., Leiden 1939, photo. reprint 1993) (1625/1646); id. at 398 – 99 (W. Whewell abr. trans., 1854). Translation here quoted from Donahue (supra note 29), at 56, where the acquiri [acquired] is included only in the Latin text, the translation apparently being copied from Donahue et al. (supra note 20), at 4 n.7, where it refers to the incomplete quotation in Pierson. 92 3 Cai. R. vii. 93 3 Cai. R. at 179. 94 H. Grotius, De Jure belli ac pacis libri tres 2.8.3 – 4, at 309 (Amsterdam 1689). 95 Cf. A. Watson, The Making of the Civil Law 83 – 98 (1981) (generally on the Natural Law School). 96 3 Cai. R. at 177.
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ticipants.97 He finally refers to what “a certain Emperor … ordained”.98 It seems that the references not only to Bynkershoek, but also to Locke and Frederick I. are from this one book. Pufendorf’s De iure naturae et gentium was translated into English by Basil Kennet (1674 – 1715), who was president of Corpus Christi College in Oxford. Later editions of the Kennet translation, which had first been published in 1710, were complemented with Barbeyrac’s notes and “prefatory discourse”, translated by Carew, of Lincoln’s Inn. Similarities in language make it probable that the participants in Pierson used this Kennet/Carew translation. Colden in Pierson cites to sections and notes (4.4.5 n.6; 4.6.2 n.2; 4.6.7 n.2; 4.6.10 without reference to the note); therefore he probably used the fourth (or even an earlier) edition99, where the notes are numbered seperately for each section, and not (as Donahue apparently assumes)100 the fifth edition101, where the notes are numbered separately for each page: The fifth edition has no 4.6.7 n.2, but two 4.6.7 n.1 (on two different pages), the second of which is, as remarked by Donahue,102 obviously referred to in Pierson – correctly as 4.6.7 n.2.103 Appendix 2 contains the relevant excerpts of Pufendorf’s book 4 in the translation by Basil Kennet with Barbeyrac’s notes translated by Carew. These translations, might be remarked, are essentially correct.104 According to Pufendorf, the sovereign has to decide who acquires property in newly found things such as wild animals. But this property only starts with corporal possession, the minimum requirements being either seizure with hands or with a trap or mortally wounding with continuing pursuit. Barbeyrac has a different position: Natural law itself gives property to the first occupant, and it starts already with a clear declaration of the intent to appropriate a thing. Nevertheless, the minimum requirement, according to Barbeyrac, is continuing pursuit and being within reach of taking.
97
Id. at 180. Id. at 181 – 82. 99 S. von Pufendorf, Of the Law of Nature and Nations (B. Kennet trans., with Barbeyrac’s notes, Carew trans., 4th ed., London 1729). 100 Donahue (supra note 29), at 57 n.69. 101 S. von Pufendorf, The Law of Nature and Nations (B. Kennet trans., with Barbeyrac’s notes, Carew trans., 5th ed., London 1749). 102 Donahue et al. (supra note 20), at 17 n.12. 103 3 Cai. R. at 176. 104 Cf. vol. 1 S. Pufendorf, De jure naturae et gentium libri octo ch. 4.4, 4.6 (photo. reprint, Clarendon Press, Oxford 1934) (1688); vol. 2 S. Pufendorf, De jure naturae et gentium libri octo ch. 4.4, 4.6 (C. Henry Oldfather & W. A. Oldfather trans., Clarendon Press, Oxford 1934) [hereinafter Oldfather & Oldfather]; S. Pufendorf, De jure naturae et gentium ch. 4.4, 4.6 (F. Böhling ed.), in vol. 4.1 Gesammelte Werke (W. Schmidt-Biggemann ed., Berlin 1998) (1672, 1684, 1688). 98
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As can be seen from the appendix 2, the quotations and references given by the participants in Pierson are all correct – with two minor exceptions: First, the reference to Bynkershoek adopted by Justice Tompkins105 is not really on the point, which is even clear from Barbeyrac’s account of it; second, Justice Tompkin’s claim that Barbeyrac is unclear and probably does not want to go further than Grotius,106 is contradicted by Pufendorf/Barbeyrac 4.6.10 n.1, which was cited by Colden:107 “’til we cease pursuing the beast … it belongs to us as much as can be, so that no man can lawfully put in a claim to it.” Barbeyrac is supporting authority for Post. It also becomes clear that Justice Livingston’s reference to “a certain Emperor” and his ordain108 is taken from Pufendorf 4.6.10, where the same provisions are quoted. Pufendorf’s note b cites the pronouncement to “Godofred[us]109 ad istam leg[em] ex Radevico de gest[is] Frederic[i], l. i c. 26” [D. Godefroy, on the same lex (i. e. Dig. 41.1.5), quoting Rahewin, Deeds of Frederick Barbarossa bk. 1(3) ch. 26 (28)]. Pufendorf does not say which Frederick, which may account for Judge Livingston’s nameless quotation. The Gesta Friderici I. imperatoris [Deeds of Frederick Barbarossa], his official biography, were begun by his uncle, Bishop Otto I. of Freising (died 1158), and continued by the latter’s secretary, Rahewin (died ca. 1177). Chapter 28 (26 or 31 according to other editions) of book 3 (the first book written by Rahewin) reports the Lex Pacis Castrensis [pronouncement for maintaining order in the army] which Frederick ordained in July 1158, while he was with his army in a camp/stronghold in Northern Italy (probably in or near Brixia/Brescia, Lombardy).110
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3 Cai. R. at 177. 3 Cai. R. at 178 – 79. 107 3 Cai. R. at 177. 108 3 Cai. R. at 181 – 82. 109 Dionysius Gothofredus (Denis Godefroy), 1549 – 1622. See supra note 88 (on the littera Gothodrediana). Oldfather & Oldfather (supra note 104), Index of Authors Cited at 1394 cite this reference to his son: J. Godefroi, On the Digest 41.1.5 (Geneva 1652), but J. Godefroi (1587 – 1652), famous for his commentary on the Codex Theodosianus, merely edited the 5th ed. (1624) of the littera Gothofrediana after his father had died. See Spangenberg (supra note 88). 110 Monumenta Germaniae Historica (Legum Sectio IV), vol. 1 Constitutiones et acta publica imperatorum et regum No. 173, at 239 – 241 (L. Weiland ed., Hannover 1893) [hereinafter MGH, 1 Constitutiones] (text of the Lex); Monumenta Germaniae Historica, vol. 2 Leges, at 107 – 08 (G. H. Pertz ed., photo. reprint 1965) (Hannover 1837) [hereinafter MGH, 2 Leges] (text of the Lex, here called Conventus Brixiae, according to Rahewin). Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. Imperatoris 199 – 202 (G. Waitz & B. de Simson eds., 3rd ed., photo. reprint 1988) (1912) [hereinafter Rahewin]; Otto of Freising & Rahewin, The Deeds of Frederick Barbarossa 202 – 04 (C. C. Mierow trans., repr. 1994) (1953) [hereinafter Mierow]. See generally R. Deutinger, Rahewin von Freising (Monumenta Germaniae Historica Schriften No. 47, 1999). On the proper meaning of castrum [camp, castle, fortified town], see Mierow, supra, at 13 & n.38; on Rahewin, id. at 7. See also O. Morena, Historia Frederici I. at 46 – 50 (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores Rerum Germanicarum, Nova Series 106
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22. If anyone hunt with hunting dogs, he shall have the wild animal he has found and run down with the dogs, withour opposition on the part of any. 23. If anyone start a wild animal with greyhounds, it shall not of necessity be his, but shall belong to the one who seizes it. 24. If anyone kill a wild animal with a spear or a sword, and before he lift it in his hand another seize it, it shall not belong to the latter, but the one who killed it shall have it without dispute. 25. If anyone while hunting kill a wild animal with bow or crossbow, it shall be his.
In spite of the very indirect quotation (Rahewin, Godefroy, Pufendorf, Kennet, Livingston), the text, as stated by Livingston, is essentially correct – with one exception: § 22 of the Lex Pacis Castrensis does not explicitly say, “that if a beast be followed with large dogs and hounds, he shall belong to the hunter, not to the chance occupant;”111 it merely goes: “If anyone hunt with hunting dogs, he shall have the wild animal he has found and run down with the dogs, without opposition on the part of any.”112 This can be interpreted as a mere prohibiton against interfering – and we know of other medieval game laws that are penal laws and establish fines113 –, although it is probably also meant as establishing property, which §§ 23 – 25 (the sections regarding greyhounds [canes leporarii], spears or swords,
No. 7, F. Güterbock ed., Berlin 1930) (on the events of July 1158). The Lex Pacis Castrensis is also called Conventus Brixiae or Leges pacis in exercitu conservandae. Translation from Mierow, supra, at 204. The Latin is (from MGH, 1 Constitutiones, supra): 22. Si quis venatus fuerit cum canibus venaticis, feram quam invenerit et canibus agitaverit sine alicuius inpedimento habebit. 23. Si quis per canes leporarios feram fugaverit, non erit necessario sua, sed erit occupantis. 24. Si quis lancea vel gladio feram percusserit et, antequam manu levaverit, alter occupaverit, non occupantis erit; sed qui occiderit eam sine contradictione obtinebit. 25. Si quis birsando feram balista vel arcu occiderit, eius erit. 111 3 Cai. R. 175, 182. The passage is given almost identically by Pufendorf (supra note 101), § 4.6.10. 112 Translation by Mierow (supra note 110), at 204. The Latin is: Si quis venatus fuerit cum canibus venaticis, feram quam invenerit et canibus agitaverit sine alicuius inpedimento habebit. MGH, 1 Constitutiones (supra note 110), No. 173 § 22 at 241. 113 Cf. Pactus legis Salicae 33.5, in Monumenta Germaniae Historica (Legum Sectio I), 4.1 Legum Nationum Germanicarum 125 (K. A. Eckhardt ed., Hannover 1962) [hereinafter MGH, 4.1 Legum]: Si quis aprum lassum, quem (alieni) canes moverunt, occiderit … solidos XV culpabilis iudicetur [If someone kills a boar which (someone else’s) hounds had chased and pursued, he shall be condemned to pay 15 shillings], quoted (as “art. 5 tit. 35 leges Salicae”) in R. J. Pothier, Traité du droit de domaine de propriété, reprinted in vol. 8 Oeuvres de Pothier 111, n.26, at 126 (Dupin ed., Paris 1825) (1771 – 72). The lex Salica is a Franconian law of the 6th century, § 33.5 dating from the second half of the century. § 33.5 is § 35.5 in the Karolina version (802/03 A.D.). See H. Mitteis & H. Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte § 18 II 1 (19th ed. 1992); K. A. Eckhardt, Die Gesetze des Merowingerreiches 481 – 741, at 3 et seq. (Germanenrechte vol. 1, Historisches Institut des Werralandes ed., Witzenhausen, 3rd ed. 1963); MGH, 4.1 Legum, supra, at XL.
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and bow or crossbow resp.) clearly do.114 We may also assume that the law at the time of Frederick did not clearly distinguish between questions of property, tort, and offence. We cannot, however, blame the participants in Pierson for this incorrectness, because it appears equally in Kennet’s translation of Pufendorf (see Appendix 2). Pufendorf’s Latin original is, at least, ambiguous: “ut ei potius, quam occupanti cedat” [the animal goes to him rather than to the one who seizes it]. And Pufendorf in turn is faithful to his source, Denis Godefroy, whose note goes (translated into English): 19. According to Trebatius’ opinion a wounded beast belongs to him who did the wounding; in Gaius’ opinion it belongs to the occupant, reported in this lex. But Frederick distinguished differently according to 1[3] Rahewin, Deeds of Frederick Barbarossa ch. 26[28]: If a man, he says, has discovered an animal with large deer hounds, or Molossian dogs, and was pursuing it, the animal goes to him rather than to the one who seizes it. If he pursued it with beagles or Spartan dogs, it falls to the seizer. If he wounds or kills it with spear or sword …115
The only change Pufendorf made concerns the order of the four rules. Godefroy follows the original order: hunting dogs – greyhounds – spear or sword – bow or crossbow; but Pufendorf (and Livingston, J. in Pierson) have: hunting dogs – spear or sword – greyhounds – bow or crossbow. This reversed order is confusing, because it does not show immediately that hunting dogs and greyhounds are treated differently, whereas no difference is being made between spear or sword and bow or crossbow. Godefroy, it might be remarked, suggests to follow Frederick’s rules and similar distinctions made in later times.116 The set of rules as reported by Godefroy differs from the original in that, according to Godefroy (and Pufendorf and Livingston), wounding with spear or sword is sufficient to establish exclusive ownership, whereas Frederick’s Lex Pacis Castrensis requires, as far as spear or sword are concerned, actual killing (§ 24). 4. Result of Analysis This Far As we have seen, the participants, although referring to six Civil law authorities (Justinian, Grotius, Pufendorf, Barbeyrac, Bynkerhoek, and Locke; plus Frederick I.), 114 Cf. also Leges Langobardorum, § 312, cited by Gothofredus and Pufendorf. Edictus Rothari 643 (Rother, 636 – 652). See vol. 1 H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte 65 (2nd ed. 1962). 115 Dig. 41.1.5.1 n.19 (Trebatio), in Gothofredus (supra note 88), at 598 (translation in part following Oldfather & Oldfather, supra note 104, at 579). The Latin goes: 19. Trebatii sententia fera vulnerata sit ejus qui vulneravit: Gaii sententia occupantis, hac lege. Sed aliter Fredericus distinguit apud Radevicum, i. c. 26. de gestis Friderici. Si quis, inquit, cum canibus venatoriis, sive molossis, feram invenerit, & persecutus fuerit, ut ei potius quam occupanti cedat: si cum canibus leporariis, sive laconicis, ut occupanti cedat: si lancea vel gladio vulneraverit, auc occiderit … 116 Gothofredus (supra note 115).
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probably used only three Civil law books (Justinian’s Institutes, Grotius, and Pufendorf/Barbeyrac), all of which were available in English translations.117 Pufendorf/ Barbeyrac was almsot certainly used in English, the Institutes and Grotius were used in Latin – at least for the quotations, which of course does not exclude the possibility that they were studied in English translations. Two of these authorities (J. Inst. 2.1.12 and Pufendorf chapter 4.6) were mentioned by Blackstone,118 which might have further suggested their use. And Pufendorf/Barbeyrac frequently cite J. Inst. 2.1.12 and the relevant passages of the Digest.119 But we must also observe that the participants did not merely use Blackstone, as has been suggested by Kurtz and Hovenkamp:120 Blackstone mentions the Institutes and Pufendorf, but he does not give all the quotations contained in Pierson; and even Blackstone’s quotation of Inst. 2.1.12121 is shorter than the excerpts quoted by Sanford. Blackstone refers to Grotius only in a slightly different context;122 and Barbeyrac is only briefly mentioned in the general discussion on property in chapter 1.123 The participants clearly consulted not only Blackstone, but also the Institutes, Grotius and Pufendorf/Barbeyrac.
IV. The Participants and the Diffusion of Civil Law in New York Before we try to further evaluate the interpretation and use of the Civil law in Pierson, it seems appropriate to have a look at the participants and at the diffusion of Civil law in the New York of the time.124 The Supreme Court of Judicature of New York as then constituted was a copy of the English King’s Bench. The individual justices also rode circuit, but legal ques117 Supra text at notes 87, 99; Stein (supra note 3), at 404; E. L. Wolf, The Classical Languages in Colonial Philadelphia, in Classical Traditions in Early America 49, 51 (J. W. Eadie ed., 1976) (on the Library Company of Philadelphia’s holding both Grotius and Pufendorf in English as early as 1741). 118 Vol. 2 W. Blackstone, Commentaries *411 & nn.g, h, *419 n.d. It might be added that at *258 n.b Blackstone quotes “Ff. 41.1.3.” [Dig. 41.1.3] (“Ff” is a deviation of the greek letter P [Pi], which stands for Pandects, the Greek name of the Digest). 119 See Appendix 2. 120 See supra quotation in text at note 50. 121 Blackstone (supra note 118), at *411. 122 Id. at *401 n.f (“de j. b. & p. l. 3. c. 6. § 3.”) (with regard to seizing from enemies). 123 Id. at *3 (“Barbeyr. Puff. L. 4. C. 4.”), *8 (with regard to the principal differences between Grotius and Pufendorf on the one hand and Barbeyrac, Titius and Locke on the other hand). See infra text at notes 232 & 234. 124 See generally: vol. 2 A.-H. Chroust, The Rise of the Legal Profession in America 3 – 91 (1965); D. R. Coquillette, Legal Ideology and Incorporation IV, in 67 B.U. L. Rev. 877 (1987); vol. 1 The History of Legal Education in the United States (S. Sheppard ed., 1999) (id. at 119 et seq., 207 et seq., and 239 et seq. on Kent; 75 et seq. on John Adams and Civilian learning).
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tions of importance were decided while the justices were sitting in banc in New York or in Albany; thus they had also access to their books. All attorneys had to have an office or a correspondent in either of these two cities. Most of the business of the court was transacted at Albany, and in 1799 Kent removed to that city.125
1. The Justices “The judges who decided Pierson v. Post were an illustrious lot.”126 Among them were two future United States Supreme Court justices and a future governor of New York and United States Vice President, and all five of them served as members of the state assembly for some time. And they were all professional lawyers: after attending college (Columbia, Harvard, Princeton, or Yale), they spent the required three-year legal apprenticeship with prominent lawyers and were then admitted to the New York bar.127 The chief justice, James Kent (1763 – 1847), was born in Dutchess county, or in Putnam county, New York.128 He attended a Latin school in Danbury, Connecticut, where he prepared for Yale. He entered Yale in 1777 and graduated in 1781. That same year, he became an apprentice of Attorney General Egbert Benson (later supreme court justice) in Poughkeepsie, New York: During his clerkship, he adopted the law of nature as a favorite study, and it was a study that he never abandoned. At a later period … his attention was directed to the Jurists of France, and with the writings of the principle – Domat, Emerigon, Valin, and Pothier – he had become thoroughly conversant: nor is this all.129
Kent was admitted to the bar in 1785 and started practising at Fredericksburgh, where he could attract no clients. He then became the junior partner of Gilbert Livingston at Poughkeepsie. Kent later recalled, that when in 1786 (five years after he had graduated form Yale) Edward Livingston read some particularly beautiful passages of Horace to him, he was ashamed of not being fluent with Latin language and literature. He therefore started daily readings of Latin and Greek literature (one to 125 See Langbein (supra note 24), at 562 – 63; vol. 12 American National Biography at 597, sub voce “Kent, James”; vol. 1 History of the Bench and Bar of New York 379, 381, sub voce “Kent, James” (D. McAdam et al. eds., New York History Company 1897). 126 Kurtz & Hovenkamp (supra note 20), at 15. Only some twenty years earlier, the court “was not especially impressive as a judicial body”; Horton (supra note 15), at 100. 127 Compare also, on legal education and diffusion of legal knowledge in eighteenth century America in general and with specific regard to Thomas Jefferson: Schwartz et al. (supra note 3), at 24 – 49. 128 See vol. 1 History of the Bench and Bar of New York 379, sub voce “Kent, James” (D. McAdam et al. eds., New York History Company 1897); W. Kent (supra note 33), at 7. 129 J. Duer, A Discourse on the Life, Character, and Public Services of James Kent 38 (New York, 1898) (quoted from Hoeflich, Roman and Civil Law (supra note 5), at 28). According to Duer, ibid. at 17, Kent’s interest in Continental jurists derived from his interest in French literature, an interest fostered by his friend Alexander Hamilton.
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two hours each), later adding French. “In short, by the year 1793 I had become a master of the Latin and French languages and read the authors with facility.”130 When the New York convention to ratify the Constitution met in Poughkeepsie in 1788, Kent was particularly impressed with Hamilton. (Kent was an ardent Federalist and an outspoken conservative throughout his career.) Through Hamilton, whom he highly praised even long after the latter’s death,131 Kent came to know French authors such as Pothier and Emérigon.132 In 1793 he moved to New York and was appointed professor of law at Columbia College [now Columbia University].133 In 1798 he became justice, in 1804 chief justice of the New York Supreme Court of Judicature. In 1806 he had his friend William Johnson appointed official state reporter, succeeding Caines. In 1814 Kent became chancellor of the New York Court of Chancery. In 1823, when the legal age limit forced him to retire, he returned to Columbia, where he wrote his famous Commentaries on American law, 4 volumes, 1826 – 30.134 He was, in spite of his famous use of Continental authorities, a Common lawyer who remained – on purpose – within the system of the Common law, which he helped being the law applicable to the United States: we must remember that it had been Blackstone, whom he read at age 15, who convinced him to become a lawyer in the first place.135 Daniel Tompkins (1774 – 1825),136 author of the majority opinion, was born in Fox Meadow, New York. In 1795 he graduated from Columbia College, where, as an undergraduate, he had attended Kent’s law lectures. After clerking for Peter Jay Munro, he was admitted to the New York bar in 1797. He soon moved into politics and, throughout his political career, was a Jeffersonian Republican. He was appointed to the state supreme court in 1804, where his populism earned him the name “farmer’s boy”. He left the court in 1807 to become Governor of New York, which he remained until 1817, when he became U.S. Vice President. He held this office until shortly before his death in 1825. 130 J. Kent, Memoranda, quoted in W. Kent (supra note 33), at 24, 27 (ca. 1798). See also Horton (supra note 15), at 48 (on Kent’s reading, in 1792, Justinian’s Institutes in Latin and some Novellae in Greek). 131 E. g., Letter from James Kent to Elizabeth Hamilton (Dec. 10, 1832), in Alexander Hamilton Reader 181 – 226 (M. E. Hall ed., 1957). 132 See vol. 1 History of the Bench and Bar of New York 379, 380, sub voce “Kent, James” (D. McAdam et al. eds., New York History Company 1897); id. at 342, 346 – 47, sub voce “Hamilton, Alexander”; Horton (supra note 15), at 105. 133 Horton (supra note 15), at 86 – 87. 134 Sherman (supra note 26), § 412 at 408 n.365; vol. 12 American National Biography at 596 – 99 (D. M. Roper). 135 W. Kent (supra note 33), at 18 (referring to Kent’s famous letter to Thomas Washington, Oct. 6, 1828). Langbein (supra note 24), at 591 calls it “Kent’s Damascus, his conversion to a legal career”. Kent was 16 according to other sources (e. g., Langbein, ibid. at 552), but the event happened in July 1779, shortly before Kent, on July 31, turned 16. See Horton (supra note 15), at 21. On Kent’s role in the reception of the Common law, see Miller (supra note 18), at 123 – 24, 236; Horton (supra note 15), at 152 – 54. 136 Vol. 21 American National Biography at 738 – 39 (D. M. Roper).
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Henry Brockholst Livingston (1757 – 1823),137 author of the dissent, was born in New York City. He attended the College of New Jersey (Princeton) and was a classmate of James Madison. During the Independence War, he rose to the rank of lieutenant colonel. In 1779, he accompanied John Jay, his brother-in-law, on a diplomatic mission to Spain. On his return voyage to the United States he was captured by the British. After accepting parole from Sir Guy Carleton, the British commander, he began the study of law under Peter Yates in Albany. Admitted to the bar in 1783, he began the law practice in New York. Early in his career he collaborated with Alexander Hamilton. In one of his early famous cases, he defended the French ambassador, Edmont Genet. Politically, he moved from federalism to the Jeffersonian persuasion. In 1802 he was appointed to the New York Supreme Court, in 1806 to the U.S. Supreme Court. Against Jefferson’s hopes, he sided with Marshall most of the time, joining per curiam opinions and growing increasingly conservative, a process assisted by his close friend Kent. According to Kent, Livingston had some knowledge of Civil, esp. French law, and he obviously knew both Latin and French.138 He was a co-founder in 1804 and vice president of the New-York Historical Society. Ambrose Spencer (1765 – 1848)139 was born in Salisbury, Connecticut. He entered Yale in 1779 but transferred to Harvard, from which he graduated in 1783. He studied law by clerking for John Canfield in Sharon, Connecticut, John Bay in Claverack, New York, and for Ezekiel Gilbert in Hudson, New York. He was admitted to the bar in 1788 and quickly raised to the top rank of Columbia County lawyers. At the same time he started a political career, and in 1798 he switched from Federalist to Jeffersonian Republican. Being a close ally (and later brother-in-law) of DeWitt Clinton, he became one of the most powerful figures in New York during the first two decades of the nineteenth century. In 1804 Spencer was appointed to the state supreme court, and he was constitutionalized out of office due to the constitutional convention of 1821. He later became mayor of Albany (1824 – 25) and member of the House of Representatives (1830 – 32). Smith Thompson (1768 – 1843)140 was born in Amenia, Duchess County, New York. He graduated from the College of New Jersey (Princeton) in 1788. He spent his required three years of legal apprenticeship in the office of Gilbert Livingston and James Kent. There, he learned the law from Kent. In 1793, Thompson replaced Kent as partner to G. Livingston. He was appointed to the New York Supreme Court in 1802. Politically, he always remained Republican. Thomspson was appointed U.S. secretary of the navy in 1818, and in 1824 he became B. Livingston’s successor on the Supreme Court. In his constitutional jurisprudence he was a spokesman for Kent.
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Vol. 13 American National Biography at 764 – 65 (M. B. Dougan). See, e. g., Nash v. Tupper, 1 Cai. R. 402, 414 (N.Y. Sup. Ct. 1803) (Livingston, J., dissenting, gives long quotations in French and Latin). 139 Vol. 20 American National Biography at 441 – 42 (D. M. Roper). 140 Vol. 21 American National Biography at 579 – 80 (D. M. Roper). 138
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Kent141, in a letter written in 1828, belittled his use and his colleagues’ knowledge of the Civil law. But we should hesitate to take this light retrospective remarks at face value: Between that time [1798/99] and 1804 I rode my share of circuits, attended all the terms, and was never absent, and was always ready in every case by the day. I read in that time Valin and Emerigon, and completely abridged the latter, and made copious digests of all the English law reports and treatises as they came out. I made much use of the Corpus Juris, and as the judges (Livingston excepted) knew nothing of French or civil law, I had immense advantage over them. I could generally put my brethren to rout and carry my point by my mysterious wand of French and civil law. The judges were Republicans and very kindly disposed to everything that was French, and this enabled me, without exciting any alarm or jealousy, to make free use of such authorities and thereby enrich our commercial law. … … We had but few American precedents. Our judges were democratic, and my brother Spencer particularly, of a bold, vigorous, dogmatic mind and overbearing manner. English authority did not stand very high in those early feverish times, and this led me a hundred times to attempt to bear down opposition, or shame it by exhaustive research and overwhelming authority. Our jurisprudence was, on the whole, improved by it.“
2. The Attorneys Cadwallader David Colden (1769 – 1834),142 counsel for Post, was born at the family estate near Flushing, Long Island. He was a grandson of Cadwallader Colden (loyalist lieutenant governor on the eve of the revolution). The young Colden spent a year (1784) at a classical school in London, England, and then took up the study of law by moving to St. John, New Brunswick and working under the guidance of William Wylly, the vastly learned Crown counsel,143 where he became thoroughly knowledgeable in, and respectful toward, English jurisprudence – a veneration he finally abandoned in 1825, when he advocated a codification and simplification of New York’s legal system. Colden continued his legal studies at Kinderhook. In 1791, Colden opened his own law office. In 1798 and in 1810 he held the office of district attorney for New York City, and by the latter date had become the leading practitioner of commercial law in his state.144 He later became mayor of New York (1818 – 20), member of Congress (1820 – 24), and state senator (1824 – 27).
141 Letter from James Kent to Thomas Washington of Nashville, Tenn. (Oct. 6, 1828), in W. Kent (supra note 33), at 117 – 18. 142 See vol. 5 American National Biography at 200, sub voce “Colden, Cadwallader David” (P. D. Nelson) (1999); vol. 4 Dictionary of American Biography at 404, sub voce “Colden, Cadwallader David” (1930). 143 On Wylly, see E. A. Jones, American Members of the Inns of Court 226 – 27, sub voce “William Wylly” (London 1924). 144 Horton (supra note 15), at 168 n.133 enumerates him among the best.
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Nathan Sanford (1777 – 1838),145 counsel for Pierson, was born in Bridgehampton, Long Island, the town where both Pierson and Post lived. He was educated at Clinton Academy, Easthampton, and at Yale, though he did not graduate. He studied law in the office of the elder Samuel Jones in New York City and was admitted to the bar in 1799. In 1802 he became a leader of the Tammany faction of the Jeffersonian Republican party and from that time on was almost continuously in public office. Inter alia, he was U.S. commissioner of bankruptcy in 1802; U.S. attorney for the district of New York, 1803 – 15; state senator, 1812 – 15; U.S. senator, 1815 – 21 and 1826 – 31. From 1823 to 1826 he was chancellor, succeeding Kent. He was an unsuccessful candidate for vice-president in 1824. Besides his interests in law and public affairs he was a student of foreign languages and delighted in reading the Latin poets. 3. The Reporter George Caines (1771 – 1825),146 the reporter, was a prominent practising attorney in New York City. In 1804 he was appointed reporter by the state supreme court and thus became the first official reporter in America.147 He retained the position of official reporter for less than three years and was replaced by William Johnson, a close friend of James Kent. Caines’ various reports148 are sometimes praised for their brevity and accuracy;149 other judgments, including Kent’s, assert the contrary.150 4. Erudition in Classics, Languages, and Civil Law With regard to language skills and to the obvious antiquarianism of people like Kent151, it must be remembered that in the late eighteenth century American education was centered on classics.152 Knowledge of Latin and Greek and of some Roman 145
See vol. 16 Dictionary of American Biography at 404, sub voce “Sanford, Nathan” (1935). 146 Vol. 3 Dictionary of American Biography at 404, sub voce “Caines, George” (1929). 147 As for New York however, Johnson’s Cases go back as far as 1799, and Coleman’s Cases start 1791. 148 Caines’ Reports, 3 vols., covering May 1803–Nov. 1805 (1804 – 06, 2nd ed. 1813 – 14) [Cai. R.]; Caines’ Cases in Error, 2 vols., covering the Court for the Correction of Errors 1801 – 1805 and the Supreme Court from 1796 (1805 – 07) [Cai. Cas.]; Coleman & Caines’ Cases, 1794 – 1805 (1808) [Cole. & Cai. Cas.]. 149 E. g., vol. 3 Dictionary of American Biography at 404, sub voce “Caines, George”. 150 See Langbein (supra note 24), at 575. 151 See Hoeflich, Roman Law (supra note 5), at 1732 – 35. 152 See Reinhold (supra note 2), at 22 – 27 (on the classical education in grammar schools and colleges, and the unsuccessful modernization proposals). Cf. also Wolf (supra note 117), at 49 et seq. (on the gap between pretension and real knowledge of the classics in colonial Philadelphia).
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and Greek literature was a prerequisite for admission to College,153 and college education itself was centered on classics.154 For official ceremonies, speeches were held in Latin,155 and Yale had its college statutes written in Latin: Collegii Yalensis Statuta.156 Of course most people were not fluent in Latin, and many forgot most of their skills after graduating, but classical erudition was part of the official background of educated people, and it was obviously possible to quote from Latin texts without further explanation, excuse or translation. As for French,157 it was the language of modern culture and of worldwide diplomacy, but it seems to have occupied a less prominent position in American education. Concerning teaching of law at universites, Roman law seems to have been first taught at Yale: President Stiles, in 1792, gave a law lecture which embraced Civil, Roman, and Canon law, a project which he had nurtured since 1777.158 5. Civil Law References in Other New York Cases from 1804 – 1814 As has been pointed out by Helmholz, references to Roman and Civil law can be found in the reports from all jurisdictions for the Post-Revolutionary period. The authorities most regularly cited are the four parts of the Corpus Iuris Civilis and relatively contemporary authors such as Grotius (1583 – 1645), Jean Domat (1625 – 1692), Pufendorf (1632 – 94), Johann Gottlieb Heineccius (1681 – 1741), and Robert Joseph Pothier (1699 – 1772).159 Other authors who appear with regularity are Antonius Perez(ius) (1583 – 1673), Ulrich Huber (1636 – 94), Johannes Voet (1647 – 1713), Bynkershoek (1673 – 1743), Barbeyrac (1674 – 1744), Jacques Burlamacqui 153
See, e. g., J. Story, Autobiographical Letter (1831), in Joseph Story: A Collection of Writings by and About an Eminent American Jurist 9, 14 – 16 (M. D. Schwartz & J. C. Hogan eds., 1959) (on the studies in Latin and Greek Story undertook in 1794 in order to be accepted at Harvard). 154 Cf. Horton (supra note 15), at 23 (regarding Yale). 155 See, e. g., Horton (supra note 15), at 4 (on Ezra Stiles’ Oratio Inauguralis [inauguration speech] as president of Yale in 1778, attended by then freshman J. Kent). 156 Horton (supra note 15), at 10 n.32, 13 n.49, 16. 157 See, e. g., Nash v. Tupper, 1 Cai. R. 402, 414 (N.Y. Sup. Ct. 1803) (Livingston, J., dissenting, gives long quotations in French and Latin); Cook & Pratt v. Commercial Ins. Co., 11 Johns. 40, 44 (N.Y. Sup. Ct. 1814) (Wells, counsel, gives a long quotation from Emérigon in French). See also Vandenheuvel v. United Ins. Co., 2 Johns. Cas. 127, 159 – 62 (N.Y. Sup. Ct. 1801) (Benson, J.), rev’d, 2 Cai. Cas. 217, 2 Johns. Cas. 451 (N.Y. 1805), where Benson gives long quotations in Latin, but quotes Emérigon in (his own) translation, only doubling a few phrases in the French original which he must have consulted, for there was no English translation available, according to J. Story (see infra quotation at note 190). 158 Sherman (supra note 26), § 412 at 409 & n.373. See also Horton (supra note 15), at 3 – 6 (on E. Stiles and Yale). 159 See also the famous Bolling v. Bolling manuscript, Thomas Jefferson and Bolling v. Bolling 141 (B. Schwartz et al eds., 1997), where Jefferson, counsel for Defendant, cites Justinian’s Institutes (at 170 – 71) and Pufendorf (at 169 – 70), and G. Wythe, counsel for Plaintiff, cites Institutes, Digest and Codex (at 415 – 20) and Pufendorf (at 417 – 32).
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(1694 – 1748), Emer de Vattel (1714 – 67), Balthazard Emérigon (1716 – 84), Cesare Beccaria (1738 – 94). Furthermore, there is a number of English speaking civilian writers who are cited, such as Arthur Browne, Thomas Rutherford, Thomas Wood, Henry Swinburne, John Godolphin and Thomas Cooper.160 Watson, in analyzing Kent’s use of foreign law, mentions a large number of opinions in which Kent cites to various Roman and Civil law authorities. Watson noticed that Kent only cites to books in English, Latin or French.161 Both Helmholz’s and Watson’s findings point towards the conclusion that there was a relatively limited number of Civil law authorities which were cited, and that most of the authorities that were cited were used frequently or, at least, several times. With regard to Kent, we know that his collection of Continental law books continually increased, and Watson has found a parallel increase in references to civilian authorities.162 The situation in New York at the end of the eighteenth century was, decades later, decribed by a then apprentice:163 It was easier to become a thoroughly learned lawyer in those earlier days than it is now. There was then less of law to be learned. … Kent and Hamilton and Spencer and Burr and Harison and Wells and Emmett and Hoffman and Jones, and their cotemporaries, had few books to study. Their libraries could almost stand on their mantels. They drew their knowledge from Plowden, Coke, Lyttleton, the Year Books, Grotius, Puffendorf, Vattel, Emerigon, as well as Blackstone, the fountains of the law. … When Chancellor Kent was admitted to the bar in 1785 there was not a solitary volume of reports of any court in this country.
But in the 1790s, the number of law books and law reports available in New York increased steadily.164 A non-exhaustive look at the New York Supreme Court during the decade in which Kent was chief justice (1804 – 14) mirrors this improved situation.165 Several references to Civil law are made – by Kent as well as (to a lesser degree) by other judges166 and by counsel167 –, and most of them are to Justinian’s Cor160
Helmholz (supra note 7), at 1654 – 55. Watson (supra note 17), at 49. Ibid. at 47 Watson refers to eight cases in vol. 8 Johnson’s Reports (1811) alone. 162 At 49, 52. 163 B. D. Silliman, quoted in H. W. Jessup, Legal Education in New York, in vol. 1 History of the Bench and Bar of New York 178, 179 (New York History Company 1897). 164 Horton (supra note 15), at 101. 165 Most of the per curiam decisions were probably written by Kent, C. J. He himself claims so for the whole vol. 8 of Johnson’s Reports (1811), see W. Kent (supra note 203), at 118. In the following, all cases are from the N.Y. Sup. Ct., unless otherwise noticed. The Civil law references in Pierson are not mentioned. 166 Walden v. LeRoy, 2 Cai. R. 263, 272 (1805) (Livingston, J., dissenting) (citing Emérigon and the Digest) (discussed by Watson, supra note 17, at 48); Hastie v. DePeyster, 3 Cai. R. 190, 196 (1805) (Livingston, J., dissenting); Smith v. Smith, 2 Johns. 235, 241 (1807) (Thompson, J.) (citing Huber). See also Vandenheuvel v. United Ins. Co., 2 Johns. Cas. 127, 132 (1801) (Radcliff, J., citing to Grotius, Vattel, Valin, Emérigon, Roccus), id. at 159 – 63 (Benson, J., quoting Emérigon, Roccus, Perez and citing, through them, to Bartolus (1314 – 57)); Nash v. Tupper, 1 Cai. R. 402, 413 (1803) (Lewis, C. J., citing Huber), id. at 414 161
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pus Iuris Civilis168 and to a number of (mostly Dutch or French) Continental writers of the seventeenth and eighteenth centuries. Out of the Corpus Iuris, Digest169 and Institutes170 are regularly cited, but the Code171 also appears. Cicero, a Roman authority on law, although not really a lawyer, is also mentioned.172 Among the Civilians, the eighteenth century French authors Pothier173 and Emérigon174 are cited most (Livingston, J., dissenting, citing Emérigon). But compare Watson, supra: “[H]is fellow justices did not cite such foreign authorities, with the possible significant excption on one occasion of Livingston …”. 167 Hastie v. DePeyster, 3 Cai. R. 190, 192 (1805) (Caines & Harison, counsel, citing Emérigon, Pothier, and Roccus) (according to Kent, Harison was a “scholar of the first order, and after the age of 70, he was studying the most obscure and minor Greek poets with the ardor of the youth”, cited in H. W. Jessup, Legal Education in New York, in 1 History of the Bench and Bar of New York 178, 179 (New York History Company 1897)); Cook & Pratt v. Commercial Ins. Co., 11 Johns. 40, 44 (1814) (Wells, counsel, citing Emérigon); Mumford v. Commercial Ins. Co., 5 Johns. 262, 263 – 64 (1810) (S. Jones, jun., counsel, citing Emérigon; Wells, contra, citing Cleirac, Valin, and Emérigon). See also Nash v. Tupper, 1 Cai. R. 402, 406 (1803) (Gold, counsel, citing Huber); Jackson ex dem. Van Vechten v. Sill, 11 Johns. 201, 210 (1814) (Woodworth, counsel, citing Cooper’s Justinian, J. Inst. and Domat) (decided shortly after Kent had become chancellor) (on Cooper see supra, note 87 and infra, note 262). 168 Watson (supra note 17), at 46 n.4 gives references for each volume of Caines’ and Johnson’s Reports of the relevant years. 169 Frost v. Raymond, 2 Cai. R. 188, 191 (1804) (Kent, C. J.); Walden v. LeRoy, 2 Cai. R. 263, 266 (1805) (Kent, C. J.), id. at 272 (Livingston, J., dissenting); Curtis v. Groat, 6 Johns. 168, 170 (1810); People v. Ruggles, 8 Johns. 290, 295 (1811) (per curiam, allegedly by Kent); Barker v. Phoenix Ins. Co., 8 Johns. 307, 312 (1811) (Harris & Van Vechten, counsel) (the reference does not appear in Kent’s per curiam opinion, as claimed by Watson (supra note 17), at 47!); Markle v. Hatfield, 2 Johns. 455, 459 (1807) (Kent, C. J.); Betts & Church v. Lee, 5 Johns. 348, 349 – 50 (1810) (per curiam); Morris v. Phelps, 5 Johns. 49, 56 – 57 (1809) (Kent, C. J.); Noble v. Smith, 2 Johns. 52, 55 (1806) (Kent, C. J.); Elliott v. Rossell, 10 Johns. 1, 10 (1813) (Kent, C. J.). 170 E. g. Powell v. Smith, 8 Johns. 249, 252 (1811) (per curiam, allegedly by Kent); Warren v. Lynch, 5 Johns. 239, 247 (1810) (Kent, C. J.); Ludlow v. Bowne, 1 Johns. 1, 17 (1806) (Kent, C. J.); Noble v. Smith, 2 Johns. 52, 55 (1806) (Kent, C. J.). 171 Frost v. Raymond, 2 Cai. R. 188, 191 (1804) (Kent, Ch. J.); Noble v. Smith, 2 Johns. 52, 55 (1806) (Kent, C. J.). In a case he decided as chancellor, Kent also referred to the Novellae: Hayes v. Ward, 4 Johns. Ch. 123, 133 (N.Y. Ch. 1819). 172 People v. Ruggles, 8 Johns. 290, 295 (1811) (per curiam, allegedly by Kent); Warren v. Lynch, 5 Johns. 239, 247 (1810) (Kent, C. J.). On Cicero’s not being a jurist, see supra note 41 and accompanying text. 173 Watson (supra note 17), at 46 n.4 gives references for almost every volume of Caines’ and Johnson’s Reports of the relevant years. See, e. g., Hastie v. DePeyster, 3 Cai. R. 190, 192 (1805) (Caines & Harison, counsel), id. at 194 (Kent, C. J.) (on marine insurance); Ludlow v. Bowne, 1 Johns. 1, 17 (1806) (Kent, C. J., citing Traité du contrat de vente); Curtis v. Groat, 6 Johns. 168, 170 (1810) (per curiam, citing Traité du droit de domaine de propriété); Case v. Potter, 8 Johns. 211, 212 – 13 (1811) (per curiam, allegedly by Kent) (citing Traité des obligations); Watkinson v. Laughton, 8 Johns. 213, 216 (1811) (per curiam, allegedly by Kent), id. at 213 (Metcalf, counsel); Putnam v. Wyley, 8 Johns. 432, 435 (1811) (per curiam, allegedly by Kent) (citing Traité du droit de domaine de propriété); Markle v. Hatfield, 2 Johns. 455, 459 (1807) (Kent, C. J.); Morris v. Phelps, 5 Johns. 49, 56 – 57 (1809) (Kent,
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often; others who appear are (in chronological order of their death): Swinburne (English, ?1551 – 1624)175, Grotius,176 Arnold Vinnius/Vinnen (1588 – 1657)177, Estienne Cleirac (1583 – 1657)178, Franciscus Roccus (Italian, 1605 – 76),179 Domat180, Huber181, Jean Marie Ricard (1622 – 99)182, Voet183, Heineccius184, Charles de Montesquieu (1683 – 1755)185, and René Josué Valin (1695 – 1765)186. Among these works are commentaries on the Corpus Iuris (Perez, Vinnius, Voet), treatises of the Natural Law School and works on the law of nations (Barbeyrac, Burlamacqui, Bynkershoek, Grotius, Pufendorf), and more specialized treatises on conflict of laws (Huber), maritime law (Cleirac, Emérigon, Roccus, Valin), commercial law (Pothier), testaments (Swinburne), and other subjects. All the authors were relatively contemporary (seventeenth and eighteenth centuries), but not most recent, the last (Emérigon) having died some twenty years ago. Most of them are French and Dutch, and almost all the works are written in Latin or French. Very few works had been written (Swinburne) or translated (Justinian’s
C. J.); McBride v. Marine Ins. Co., 7 Johns. 431, 433 (1811) (per curiam). See also R. Pound, in The Influence of French Law in America, 3 Ill. L. Rev. 354 (1909). 174 Watson (supra note 17), at 46 n.4 gives references for most of the relevant volumes of Caines’ and Johnson’s Reports. See, e. g., Walden v. LeRoy, 2 Cai. R. 263, 266 (1805) (Kent, C. J.), 272 (Livingston, J., dissenting); Hastie v. DePeyster, 3 Cai. R. 190, 192 (1805) (Caines & Harison, counsel), id. at 194 (Kent, C. J.); Gracie v. New York Ins. Co., 8 Johns. 237, 248 (1811) (per curiam, allegedly by Kent); Hallet v. Columbian Ins. Co., 8 Johns. 272, 277 (1811) (per curiam, allegedly by Kent); Elliott v. Rossell, 10 Johns. 1, 9 (1813) (Kent, C. J.); Cook & Pratt v. Commercial Ins. Co., 11 Johns. 40, 44 (1814) (Wells, counsel; also citing Kendrick v. Delafield, 2 Cai. R. 67, 72, where Kent, J., had adopted Emérigon’s doctrine); Mumford v. Commercial Ins. Co., 5 Johns. 262, 263 – 64 (1810) (S. Jones, jun., counsel, and Wells, contra), id. at 266 (Kent, C. J.). 175 Jackson ex dem. White v. White, 8 Johns. 59, 61 (1811) (Palmer, counsel). 176 Cf. Vandenheuvel v. United Ins. Co., 2 Johns. Cas. 127, 132 (1801) (Radcliff, J.). 177 E. g. Warren v. Lynch, 5 Johns. 239, 245 (1810) (Kent, C. J.); Betts & Church v. Lee, 5 Johns. 348, 349 – 50 (1810). 178 Mumford v. Commercial Ins. Co., 5 Johns. 262, 264 (1810) (Wells, counsel), id. at 266 (Kent, C. J.). 179 Hastie v. DePeyster, 3 Cai. R. 190, 192 (1805) (Caines & Harison, counsel), id. at 196 (Livingston, J., dissenting); Elliott v. Rossell, 10 Johns. 1, 9 (1813) (Kent, C. J.). 180 Frost v. Raymond, 2. Cai. R. 188, 191 (1804) (Kent, C. J.). 181 Smith v. Smith, 2 Johns. 235, 241 (1807). 182 McBride v. Marine Ins. Co., 7 Johns. 431, 433 (1811) (per curiam); Walden v. LeRoy, 2 Cai. R. 263, 266 (1805) (Kent, C. J.). 183 Elliott v. Rossell, 10 Johns. 1, 10 (1813) (Kent, C. J.). 184 Warren v. Lynch, 5 Johns. 239, 247 (1810) (C.J. Kent). 185 In re J. V. N. Yates, 4 Johns. 317, 375 (1809) (Kent, C. J.). 186 Mumford v. Commercial Ins. Co., 5 Johns. 262, 264 (1810) (Wells, counsel); Elliott v. Rossell, 10 Johns. 1, 10 (1813) (C.J. Kent). Kent had cited to Valin already before he became chief justice: See Vos & Graves v. United Ins. Co., 2 Johns. Cas. 180, 188 (1801) (Kent, J.).
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Institutes, Pufendorf) into English,187 but even these works were often quoted in Latin. The absence of more recent German literature, which unlike the older works was written in German, is probably due to lacking language skills.188 On some occasion, particular reference is made to non-French Civil law.189 Most of the works referred to were only available in Latin or French, and although this obviously did not prevent them from being cited, it was an obstacle to more frequent use. In 1817, Joseph Story wrote:190 [A]nd yet, probably, the most perfect theoretical work on Insurance is that of the learned Emerigon, which (strange to tell) has never been translated,191 although we have been almst overrun with transfusions from German and French sciolists by the enterprise or selfishness of English booksellers.192 We trust, that the time is not far distant, when Pothier and Emerigon and Valin will be accessible in our native tongue to every lawyer, and will be as familiarly known to them as they now are to the jurists of continental Europe.
The group of authorities referred to by the New York Supreme Court is not at all unique: The same authorities are represented in all the jurisdictions of the time,193 and the list of authorities cited by Joseph Story in his Commentaries is almost identical.194 Two remarkable contemporary collections of foreign law books, Samuel Livermore’s and Joseph Story’s collections (bequeathed to Harvard in 1833 and 1835 resp.) show a similar concentration on authors from the sixteenth to eighteenth centuries and a lack with regard to scholarship of the latter half of the eighteenth and beginning of the nineteenth centuries.195
187 The number of available translations increased from ca. 1810 on. See Chroust (supra note 124), at 55 n.184. Cf. M. H. Hoeflich, Savigny and his Anglo-American Disciples, in 37 Am. J. Comp. L. 18 (1989). 188 See also Mittermaier (supra note 15), at 229. 189 Dutch law in Elliott v. Rossell, 10 Johns. 1, 10 (N.Y. Sup. Ct. 1813) (Kent, C. J.) (citing Voet); German law in Warren v. Lynch, 5 Johns. 239, 247 (N.Y. Sup. Ct. 1810) (Kent, C. J.) (“and this, [Heineccius] says, is the law to this day throughout Germany”). 190 J. Story, Course of Legal Study, in The Miscellaneous Writings of Joseph Story 66, 78 (W. W. Story ed., Boston 1852) (North American Review, 1817) (reviewing D. Hoffman, A Course of Legal Study (Baltimore 1817)). 191 But an English translation of Emérigon’s Maritime Loans had been published in Baltimore in 1810, see Chroust (supra note 187). 192 At the time of Pierson, almost all law books (as well as books of classics) were still imported from Britain; see Reinhold (supra note 2), at 28. 193 Helmholz (supra note 160). 194 Hoeflich, Roman and Civil Law (supra note 5), at 30 (Justinina’s Digest and Institutes, Domat, Pothier, Vinnius, Heineccius, Brisson, Cujas, Pufendorf, Duvergier, Pardessus, Duranton, Huber, Voet; furthermore some English speaking writers; and, finally, the French Code Civil and the Louisiana Code (1825)). 195 Hoeflich, Roman and Civil Law (supra note 5), at 29.
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Remarkable is the almost complete absence of Continental statutes or codes196 : Only the famous French Ordonnance de la marine [ordinance of the marine] (1681) is mentioned,197 and it was probably only known through treatises like Emérigon. One might presume that – apart from the changing situation in America and the development of a self-sufficient American law – the nationalization and codification of the Continental law (i. e. the end of the idea of a uniform Romanesque Law of Nature), and the vanishing of Latin and French as universal languages contributed to the decline of Civil law references in America from the middle of the nineteenth century on.
V. The Use and Interpretation of the Civil Law in Pierson Returning to Pierson, we now have to comment on the use of the Civil law made by the participants and to analyze whether the Civil law texts referred to were interpreted correctly. 1. Attitude Towards the Civil Law It appears that the participants in Pierson showed the attitude towards the Civil law which is typical for their time: Sanford introduces his Civil law references by recurring to “[t]he reason of the thing” and to “natural law”;198 Justice Tompkins writes about having “recourse to the ancient writers upon general principles of law”.199 It is, in short, the combination of age and reason that provides the Civil law with authority. It also appears that the participants did not distinguish between ancient Roman and contemporary Civil law. The Roman law source they cited (Justinian’s Institutes) was used by them in exactly the way it was referrd to and interpreted by the modern writers (Pufendorf/Bynkershoek); we can therefore assume that they were, as was typical of the time, not really interested in ancient Roman law, but referred a-historically to the contemporary Civil law, which was a-historic itself. With regard to the authorities they referred to, we can further observe that even the most recent of the Civil law works cited (Barbeyrac’s notes on Pufendorf, first pub196 E. g., the French Code civil (or Code Napoléon) (1804), the Prussian Allgemeines Landrecht (1794) (see infra at note 257), the Bavarian Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756), or the Italian codes of the eighteenth century. See generally O. F. Robinson, European Legal History chs. 15 & 16 (2nd ed., 1994) (on the European codification movements). 197 McBride v. Marine Ins. Co., 7 Johns. 431, 433 (1811) (per curiam); Mumford v. Commercial Ins. Co., 5 Johns. 262, 264 (1810) (Wells, counsel), id. at 266 (Kent, C. J.); Watkinson v. Laughton, 8 Johns. 213, 213 (1811) (Metcalf, counsel); Gracie v. New York Ins. Co., 8 Johns. 237, 248 (1811) (per curiam, allegedly by Kent). 198 3 Cai. R. at 176. 199 Id. at 177.
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lished in 1706) was almost a century old. But these treatises they used (Grotius and Pufendorf) were still among the standard treatises in Civil law jurisdictions.200 And it is also correct that Pufendorf had higher authority than Barbeyrac, as Sanford seems to imply201. It is typical for American libraries of the time that primary sources are somewhat underrepresented: The Institutiones of Justinian were by far the most widely distributed primary source, whereas the full Corpus Iuris Civilis was found mainly in the libraries of law schools and especially interested lawyers.202 James Kent – who did not write the opinion, but sat on the bench – possessed a fair number of Civil law volumes and regularly read Civil law treatises203, and he later wrote about his law studies after graduating from Yale:204 I read, the following winter [1781 – 82], Grotius and Puffendorf, in huge folios, and made copious extracts. My fellow students, who were more gay and gallant, thought me very odd and dull in my taste, but out of five of them, four died in middle life, drunkards.
It might further be remarked that all participants referred to the Civil law with fluidity; they did not treat is as something special. They also remarked correctly that both Bracton and Blackstone followed Justinian; the myth of the isolation of the Common law205 had obviously not spread among the participants in Pierson. Judge Livingston’s relationship to the Civil law in his dissenting opinion206 is of special interest: Livingston, according to Kent the only justice on the bench – except for himself – with some knowledge of Civil law,207 is the only participant reluctant to pore over it, but at the same time he wants to show off his classical erudition: He names Diana, the Roman goddess of hunt, and uses a number of Latin phrases. These quotations are correctly woven into the grammar of the sentences, but they 200
Stein (supra note 117). 3 Cai. R. at 177. 202 Hoeflich, Roman Law (supra note 5), at 1738 – 39. 203 Id. at 1741. See W. Kent (supra note 33), at 143 – 47 for a paraphrase of Kent’s own reading record from the years 1799 – 1807. 204 W. Kent (supra note 33), at 19 (citing Kent’s own Memoranda from ca. 1798). 205 This isolation was strongly advocated by vol. 2 F. Pollock & F. William Maitland, History of English Law before the time of Edward I at 558 (1895, 1968 ed.). It is still present in J. H. Baker, An Introduction to English Legal History 33 – 35 (3rd ed. 1990) (id. at 35: “And so English law flourished in noble isolation from Europe”). But see, e. g., vol. 1 Sherman (supra note 26), § 403 (“English private law, like all other modern legal systems, has been molded by Roman law”); Chibli Mallat, Un comparatiste anglais au XVIIIe siècle: Influences françaises sur la Common Law dans l’œuvre de Lord Mansfield, 4.72 RHD 383 (1994) (on French influence in Mansfield). See also M. Reimann, Introduction: Patterns of Reception, in The Reception of Continental Ideas in the Common Law World, 1820 – 1920, at 7, 7 (M. Reimann ed., 1993) (refuting the traditional isolation view and its persistence with regard to the 19th and 20th centuries). 206 3 Cai. R. at 180 – 82. 207 See supra quotation in text at note 141. 201
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are rather worn-out phrases with little jurisprudential value. The famous hexameter tempora mutantur, nos et mutamur in illis, which he half quotes, half paraphrases (at 181) is of uncertain, medieval or early modern origin (generally ascribed to Emperor Lothar I., 843 – 855, born 795).208 The only connection to Justinian or the Civil law is the language. Livingston’s light-handed historical approach to Justinian,209 which seems to be more rhetorical than scholarly, is also of little depth: Romans did a lot of hunting – maybe not only for the preservation of their poultry; but neither did Post, who apparently also wanted the fox’s body. Romans had game laws too (although not in the narrow sense of feudal prerogatives),210 but nevertheless, according to Roman law the acquisition of property in the game was independent of the right to hunt, and therefore even the intruder acquired property by title of occupation (J. Inst. 2.1.12).211 But this difference of the Roman law, i. e. the absence of hunting privileges for landowner or sovereign, is of no importance in Pierson, because neither landowner nor sovereign put any claim in the fox. Another inexactitude Livingston commits in his paragraph on Justinian is his reference to “the digests or pandects”:212 The Digest (the plural form digests was not uncommon at the time213) had not been cited, but apparently Livingston uses it as synonymous for the whole Corpus Iuris Civilis, of which it is but one part (see supra). Light-handed and rhetorical is also Livingston’s approach to Frederick’s I. Lex Pacis Castrensis. As it happens, this approach seems to be correct, because the Lex, although imperial, could not be considered as binding law. It only applied to troops (and probably only to Frederick’s troops at this special instant), and anyhow it would have been superseded by the reception of the Roman law. (Frederick favoured Roman law for ideological reasons, because it was imperial law,214 but the reception did not really start until the end of the thirteenth century.215) Therefore the Lex is no more (and no less) than the solution of one emperor, and Livingston, as well as 208
K. Bartels, Veni, vidi, vici 175 (9th ed. 1992); Das Große Krüger Zitaten Buch 242 – 43 (J. H. Kirchberger ed., 1977) (citing this ascription to M. Borbonius, Dicta, in J. Gruter, Deliciae poetarum Germanorum (1612)). 209 3 Cai. R. at 181. 210 See Donahue (supra note 29), at 47; Pothier (supra note 113), n.24 at 124; G. Lombardi, Libertà di caccia e proprietà privata in diritto romano, in 53/54 Bollettino dell’Istituto di Diritto Romano 273 (1948); cf. also vol. 1 B. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts § 184.2 (Th. Kipp ed., 9th ed. 1906); W. von Brünneck, Das Wesen des Rechts der Jagd und der Fischerei nach deutschem und preußischem Recht, in 16 Gruchot’s Beiträge 182 (1872). 211 See vol. 1 M. Kaser, Das römische Privatrecht (supra note 38), at 425. 212 3 Cai. R. at 181. 213 E. g., Pufendorf (supra note 99), 4.6.9, as translated by Kennet. 214 See Mierow (supra note 110), at 17 n.3. 215 On the reception, see G. Dulckeit et al., Römische Rechtsgeschichte § 44 II 3 – 4 (8th ed. 1989); G. Wesenberg & G. Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte 59 – 111 (4th ed. 1985).
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Pufendorf, treat it as a minor authority. Thanks to its style, Livingston’s opinion has deserved the reputation as “a display of judicial humor”216, but the content, esp. the reference to “a certain Emperor”, is less funny than it might appear. 2. Interpretation of the Civil Law At this point, a short introductory note might be helpful: The Civil law, generally speaking, separates between possession (factual holding of a thing with minor legal protection) and ownership (legal holding, with or without possession) as well as between these absolute positions and obligations, which are relative. In the case of occupancy (or occupation), possession leads to (immediate) ownership. But nevertheless the owner by title of occupancy is liable (obligated) – either for damages or for natural restitution –, if the occupancy constituted a delict. I am not asking whether Civilians would have decided Pierson the same way,217 for this is not what the participants claim: The only question they discuss (and make references to the Civil law in doing so) is whether Post’s pursuit was sufficient for acquiring property by title of occupancy. They did not ask whether property in the fox would be a prerequisite for Post’s action under Civil law. To me this seems to be less a matter of their knowledge of Civil law, but rather a general methodological problem, connected with the partial comparative approach. This problem also appears within one legal system, whenever authorities with different concepts are quoted on single issues. Roman law (ancient and, to a lesser degree, modern) is especially susceptible to the partial comparative approach, because it “divides naturally into self-contained and self-referential blocks”218. This block structure of (ancient) Roman sources keeps the institutions apart from one another and from any context. (Indeed only Livingston raises the question whether the social environments of Justinian’s time and of his own might be different.) Although it does not affect the correctness of the interpretation of the Civil law of occupancy as such, it would appear somehow flawed if property were not the requisite for the legal protection of a Civil law huntsman. But property was indeed a requisite of the remedy which was available: the actio furti (similar to theft). The ownership question discussed in J. Inst. 2.1.13 for example arose in an actio furti.
216 M. B. Dougan, Livingston, Henry Brockholst, in 13 American National Biography 764, 765 (J. A. Garraty & M. C. Carnes eds., 1999) [hereinafter American National Biography, sub voce H. B. Livingston]. 217 But cf. Donahue (supra note 29). 218 A. Watson, The Making of the Civil Law 15 (1981). On the exportability of Roman law see also Manthe (supra note 31), at 7 – 8.
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According to Donahue219, ancient (and medieval) Roman lawyers were less focused on property and might have granted either an actio in factum or an actio iniuriarum. As for the actio in factum (similar to the Common law action on the case brought by Post), there is no evidence in favour of the assumption that it might have been granted in absence of Post’s property. There is no explicit statement to the contrary either, but the actio in factum is only granted in the limited number of cases with precedent – none of which is similar to Pierson.220 In any case, the modern Civil law clearly would not have granted an actio in factum.221 As for the actio iniuriarum (similar to the malicious act pleaded in Keeble222), it was granted if someone prohibits me from something which is open to all.223 If the prohibition is the mere result of the fact that the other, e. g., takes the last place in the public baths and uses it himself, the actio iniuriarum might have been granted, according to Donahue, “if his purpose is not to take a bath himself but to prevent me from taking one.”224 There is little evidence for this position in the ancient sources,225 but at least modern Civil law, which is our topic, developed remedies for interference with malicious intent. However, the only evidence that Pierson interfered with malicious intent is the phrase “to prevent his catching the same” in the declaration.226 To this reader, it seems more likely that the verb prevent is used in its original meaning (cf. Latin prae-venire), still in use in 1805:227 Pierson simply wanted to shoot the fox before Post would do so (“prevent his catching”), not in order to make sure that Post could not kill him (“prevent him from catching”). The word is used in the same sense by Carew in his translation of Barbeyrac.228 The Civil law would not have granted an actio iniuriarum229 (or any action based on malicious interfering), because Post did
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Donahue (supra note 29), at 47 – 48 et seq. But see Donahue (supra note 29), at 47 & n.26. 221 Vol. 2.1 J. F. L. Göschen, Vorlesungen über das gemeine Civilrecht 75 (Göttingen 1839, A. Erxleben ed.) (no utilis actio (i. e. actio in factum) is granted in these cases). 222 Infra notes 270, 274. 223 Dig. 47.10.13.7 (Ulpian, Ad edictum 57). See also B. W. Frier, A Casebook on the Roman Law of Delict 185 – 86 (1989) (discussing Dig. 47.10.13.7 and briefly mentioning, sub No. 4, the fox question). 224 Donahue (supra note 29), at 50. 225 According to Dig. 43.8.2.9 (Ulpian, Ad edictum 68) the actio iniuriarum lies if someone prohibits me from using the public baths – but Ulpian does not say whether taking the last place (with malicious intent) equals prohibition. 226 3 Cai. R. 175; see Donahue (supra note 29), at 50. 227 See vol. 12 The Oxford English Dictionary 444 – 45, sub voce “prevent”, Nos. 2 & 5 (1989). 228 4.6.2 n.3, see infra note 286. 229 See also vol. 2 F. K. von Savigny, Das Obligationenrecht als Teil des heutigen römischen Rechts § 84 at 323 (photo. reprint, Scientia Verlag Aalen 1973) (Berlin 1853) (on the differences between actio iniuriarum according to ancient Roman and to 19th century Civil law resp.). 220
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not establish Pierson’s malicious intent and therefore Pierson (if Post had not yet acquired property) did no wrong. It might be worth noticing that modern Common law scholars tend to argue that Post’s counsel made a tactical mistake by focusing on property instead of claiming, at least alternatively, malicious interference in a way similar to the plaintiff in Keeble.230 Whatever the procedural problems of this approach, the substantive parallels to the actio iniuriarum are striking: Under the holding of Keeble231 Post would also have had to show that the interference occurred with malicious intent and was not merely the result of competition. The positions of Pufendorf and Barbeyrac seem clear and were correctly interpreted by the participants (with the exception of Tompkins claiming that Barbeyrac’s position was not in favour of Post, see supra). But the participants spent no energy on the obvious philosophical background of the dispute between Pufendorf and Barbeyrac, as has rightly been pointed out by Donahue.232 For the writers of the Natural Law School, the principal importance of occupancy lies not in being one mode of acquiring property, but occupancy for them is a principle which justifies property, and their discussions of it are therefore more philosophical than practical.233 Pufendorf, a follower of Thomas Hobbes (1588 – 1679), uses the narrow requirement of corporal possession in order to set the limit for the sovereign’s authority to distribute property, which he has according to the compact among men. For Barbeyrac on the other hand, who is a follower of John Locke (1632 – 1704), man has a natural right to the things which he acquires by his labour from the common stock of goods which nature has provided. (See excerpts from Pufendorf/Barbeyrac infra Appendix 2.) The ideology of Locke must have been closer to the court, but nevertheless they decided with Pufendorf. And although Livingston, in his dissent, names Locke (at 180), the parties apparently did not consult his Two Treatises on Government (cited by Baybeyrac), where Locke says:234 And even amongst us the Hare that any one is Hunting, is thought his who pursues her during the Chase. For being a Beast that is still looked upon as common, and no Man’s private Possession; whoever has imploy’d so much labour about any of that kind, as to find and pursue her, has thereby removed her from the state of Nature, wherein she was common, and hath begun a Property. 230
Cf. Donahue (supra note 29), at 39; Burke (supra note 21), at 3. Infra notes 270, 274. 232 Donahue (supra note 29), at 56 – 59. 233 See A.-J. Arnaud, Réflexions sur l’occupation, in 4.46 Revue historique de droit français et étranger [RHD] 183, 183 – 84, 199 passim (1968). See also Kurtz & Hovenkamp (supra note 20), at 17 – 23 (on the occupation theory of property). 234 Vol. 2 J. Locke, Two Treatises of Government § 30, at 308 (P. Laslett ed., Cambridge Univ. Press 1960) (1690). But compare D. M. Byrne, Locke, Property, and Progressive Taxes, in 78 Neb. L. Rev. 700, 715 & n.66 (1999), who interprets Locke and claims that Pierson is an example of the Lockean labour-mixing theory, according to which only effective labour (that actually brings down the fox) counts. 231
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This result would be the more remarkable, if Pufendorf’s (and Grotius’) position were as new as suggested by Donahue235. He claims that Justinian’s texts were far less clear than the court assumed in establishing that Post had not yet acquired property. Mainly two arguments lead to his claim: First, that J. Inst. 2.1.12 only establishes that property begins with taking and that pursuing and keeping sight are required in order not to lose property, but that the lex does not explicitly say that pursuing and keeping sight are not sufficient in order to constitute taking and to acquire property; second, that the decision in J. Inst. 2.1.13 (wounding is not enough), which contradicts the first argument, does not apply in Pierson, because the declaration, which the court has to take as true, implies that Post would have caught the fox but for Pierson’s interference, and therefore no “factors may arise by reason of which you do not take it”.236 As for the first argument, it is true as such, but both the historical approach to the Institutes and a look at the ius commune lead to the result that the separation between acquiring property, which requires catching, and the keeping of it, which has the lower standard of pursuit, is uninterrupted and well established. It appears in the oldest known source for J. Inst. 2.1.13, Gai Inst. 2.67 (ca. 160 A.D.):237 67. Itaque si feram bestiam aut volucrem aut piscem ceperimus, quidquid (?) captum fuerit, id nostrum esse incipit (?) et eo usque nostrum esse intellegitur, donec nostra custodia coerceatur. Cum vero custodiam nostram evaserit et in naturalem se libertatem receperit, rursus occupantis fit, quia nostrum esse desinit; naturalem autem libertatem recipere videtur, cum aut oculos nostros evaserit, aut licet in conspectu sit nostro, difficilis tamen eius persecutio sit.238
And the same distinction is present, e. g., in § 960 BGB (1896), which, in conscious continuity of the ius commune interpretation of Dig. 41.1.3.2,239 says: 235
Donahue (supra note 29), at 41 passim. Donahue (supra note 29), at 42 – 43. 237 The Verona palimpsest of Gai Institutiones [Gai Inst.], one of the main sources for the legal history of classical Roman law, was not rediscovered until 1816/17; the text was therefore unavailable for the Pierson court. Barbeyrac and Pufendorf (supra note 99), § 4.6.5 & n.3, § 4.6.8 n.2 (see infra Appendix 2) correctly trace the history of occupancy by catching back to Plautus, Rudens act 4 sc. 3 vv. 32 et seq. [vv. 971 et seq.] (Titus Maccius Plautus, died 184 B.C.). See also N. Charbonnel, Le Rudens de Plaute et le droit d’épaves, in 4.73 RHD 303, 309, 316 – 18 (1995) (on occupancy of fish in Rudens); E. Heck, Occupatio, in 84 SZ, rom. 355 – 57 (1967) (on ancient use of the word occupatio); Arnaud (supra note 233), at 185 – 98 (on occupancy in ancient Roman law). But see Donahue (supra note 29), at 45 (claiming the sparsity of ancient evidence for occupancy). 238 Gai Institutiones 2.67, in vol. 2 M. David & H. L. W. Nelson, Gai Institutionum Commentarii IV at 80 – 81; almost identically reconstructed in Gaius, Institutiones / Die Institutionen des Gaius (U. Manthe ed. & trans., 2004) (bilingual Latin–German) at 134. See also vol. 3 M. David & H. L. W. Nelson, Gai Institutionum Commentarii IV at 276 – 80. See generally M. Kaser, Occupatio, in Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 682 (G. Wissowa et al. eds., Supp. VII 1940). 239 K.-H. Gursky, in J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 960 Rn. 1 (13. ed. 1995). 236
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§ 960. (1) Wild animals are without owner, as long as they are in liberty. … (2) If a wild animal, which had been caught, regains its liberty, it becomes again ownerless, if the owner does not pursue the animal without undue hesitation, or if he abandons the pursuit.
It should be noted though that the meanings of catching and pursuing, i. e. the standards for acquiring and keeping property, have considerably changed over time; the point here is only that the distinction between the two standards as such is a continuum in Roman and Civil law. The Civilians of the time of Pierson, as will be shown immediately, had no doubt that Justinian’s position was (at least) as strict as interpreted by the court.240 Those who disagreed with this position, did so in openly disagreeing, not in rewriting Justinian,241 because they accepted the Corpus Iuris Civilis only imperio rationis [on command of reason], not ratione Imperii [by reason of Empire].242 As for Donahue’s second argument, it seems to me that the narrow rule on wounded animals is precisely intended to preclude arguments over the question how immediate and inevitable the catching would have been without the interference. The reference to the many factors that may arise in J. Inst. 2.1.13 is given as a reason, not as a condition for the exclusion of property: It does not matter whether or not any factor may have possibly arisen in the individual case. Besides, the declaration in Pierson does not even imply that Post would have caught the fox but for Pierson. It appears therefore that Justinian’s text as such gives not conclusive, but strong authority against Post’s action.243 This leads us to ask which were the prevailing opinions in the Civil law, as it was accessible to American lawyers of the time. As far as the (highly influential) Roman-Dutch law is concerned, Grotius in his Jurisprudence of Holland adopts the strict position:244 If one man puts up a wild and another catches it, the latter becomes the owner, but may be fined for unsportsmanlike behaviour.
Grotius’ position was followed by Johannes Voet (1647 – 1713).245 240 R. J. Pothier, Traité du droit de domaine de propriété, in vol. 8 Oeuvres de Pothier 111, n.26, at 125 (Paris 1825, Dupin ed.) (1771 – 72); vol. 2 M. Ortolan, Explication historique des Institutions de l’Empéreur Justinien 261 n.357 (6th ed., Paris 1857). 241 Pothier (supra note 240): “Barbeyrac est d’un sentiment tout opposé: … Ce sentiment, plus civil, est suivi dans l’usage.” 242 Stein (supra note 3), at 404. 243 See H. Hausmaninger, Casebook zum römischen Sachenrecht 28 – 29, 263 – 65 (6th ed. 1989) (interpreting ancient Roman law in the same sense as here, and relating it to Pierson). 244 Vol. 1 H. Grotius, The Jurisprudence of Holland 2.4 n.31, at 91 (R. W. Lee ed. & trans., 1926) (1631). 245 J. van der Linden, The Selective Voet, Being the Commentaries on the Pandects by Johannes Voet D. 41.1, n.7, 180 (P. Gane trans., 1957).
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Even more interesting is the French Jurisprudence, whose leading authorities Jean Domat (1625 – 96) and Robert-Joseph Pothier (1699 – 1772) were well know in New York. Domat has only a short reference to Dig. 41.1.3.2.246 Robert-Joseph Pothier (1699 – 1772), perhaps the most important French jurist of the eighteenth century and often called the posthumous author of the Code Civil, gives a detailed account of the positions of Justinian, Pufendorf and Barbeyrac and sides with the letter, his position being more civil and followed by custom.247 It might be noticed that he cites the same authors and arguments as the participants in Pierson – with the small exception that he refers to Dig. 41.1.5.1 instead of J. Inst. 2.1.13. The example of Pothier shows that the discussion of occupancy in the Natural Law School, although primarily oriented towards a philosophical justification of property (see supra), was of practical relevance in the contemporary Civil law. The Pierson court can therefore not be accused of misusing the Natural Law School writers – or, if they misused them, they were in line with the contemporary Civil law. But for Pothier, we must also observe, the question faced by the Pierson court is not of real practical importance, because the feudal game laws left little room for occupancy by the first to come, and the questions that arose were mostly those of occupancy in violation of a hunting privilege. This situation had changed by the time Pierson was decided: During the French Revolution, the royal game laws were abolished, but shortly new restrictions on hunting were introduced. The preparation of the Code Napoléon (finally promulgated in 1804) led to a controversy, because the Projet de Code Civil (1800) wanted to abolish occupancy by assigning to the state all things that are not owned by anyone. This led to protest, and the Code Civil as adopted left (and still leaves) occupancy purposely unmentioned. (One would expect it within sections 711 and 717.) The result is that the uncodified French law of occupation was (and still is) valid.248 In French treatises of the nineteenth century the three positions we have seen are still advocated for: a (very strict) Justinian position, according to which wounding is not possession;249 a (rather broad) Barbeyrac position, which grants property to each pursuer;250 and an 246
Vol. 1 J. Domat, The Civil Law in its Natural Order 1.3.7 section 1 = § 2133, at 847 (W. Straham trans. (London, 1720), Luther S. Cushing ed., Boston 1850) (Paris, 1689); see also id. § 115, at 149, § 125, at 152. 247 Pothier, supra note 240, n.20 & 24 – 26 at 124 – 26. The New York Supreme Court cited Pothier’s Traité du droit de propriété in 1810 and 1811; Curtis v. Groat, 6 Johns. 168, 170 (N.Y. Sup. Ct. 1810) (per curiam, probably by Kent); Putnam v. Wyley, 8 Johns. 432, 435 (N.Y. Sup. Ct. 1811) (per curiam, allegedly by Kent). 248 Vol. 10 Répertoire général alphabétique du droit français, sub voce “Chasse”, n.389 passim (Ed. Fuzier-Herman ed., Paris 1893) [hereinafter Répertoire]; vol. 4 C. B. M. Toullier, Le droit civil français (4th ed., Paris 1824) 5. See also Arnaud (supra note 233), at 199 – 210 (on occupancy in modern Civil law). 249 Vol. 4 M. Duranton, Cours de droit français suivant le Code Civil 2.2 n.278, at 226 (3rd ed., Paris 1834). 250 For references see vol. 10 C. Aubry & C. Rau, Cours de Droit civil français 364 n.8 (Rau et al. eds., 5th ed., Paris 1897).
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intermediate Pufendorf position according to which property is acquired when the animal is mortally wounded or at the point of being caught immediately and certainly.251 This latter position was dominant and adopted by the courts,252 thus a French court would probably have decided the property question in the same way. For reasons of criminal law however, Pierson’s behaviour might have been considered theft.253 It might be added that the Louisiana Code (1808) – in absence of provisions in the Code Napoléon – adopted almost literally the provisions in J. Inst. 2.1.12, which became La. Civ. Code arts. 3.20.4–.5 (1804).254 In Germany, the majority of the Civilians kept the strict position which later became to be codified in §§ 960 I 1, 958 I, 872, 854 I BGB: property by title of occupancy begins only with possession, and possession requires tatsächliche Gewalt [real power];255 some jurisdictions, however, adopted the Barbeyrac position.256 But Pierson’s interference might have been regarded as Unerlaubte Handlung or Delikt (similar to wrong/tort). Interesting is the position of the Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794)257: special game laws do not apply to foxes (II 16 §§ 32 – 34); and occupancy requires actual control, whereas mere intent and endeavour do not suffice to acquire property (I 8 §§ 9 – 10);258 he who has not yet acquired a right in a thing cannot prohibit someone else from taking it (I 8 § 11); but he who interferes with a delict in someone else’s catching cannot take the thing for himself (I 8 § 12 – 13) – leaving unaswered the question under which circumstances the interference constitues a delict. But as we have seen before, the contemporary German law – codified or uncodified – was of no importance in America around 1800; only later nineteenth-century German scholars became well known and influential. Summing up, we may say that the discussion of the Civil law of occupation in Pierson correctly interpretes the contemporary Civil law as it was know in America, the three positions being that of Justinian, Pufendorf and Barbeyrac. The position 251
n.413. 252
Aubry & Rau (supra note 250); vol. 10 Répertoire (supra note 248), sub voce “Chasse”,
See Aubry & Rau (supra note 251); vol. 10 Répertoire (supra note 251). Cf. vol. 10 Répertoire (supra note 248), sub voce “Chasse”, n.409. 254 D. V. Snyder, Possession: A Brief for Louisiana’s Rights of Succession to the Legacy of Roman Law, in 66 Tul. L. Rev. 1853, 1858 (1992). See also id. at 1855 passim for the Spanish Siete Partidas, a Castilian lawbook of the 13th century. 255 Vol. 1 H. Coing, Europäisches Privatrecht (Älteres Gemeines Recht (1500 – 1800)) § 55 at 300 – 02 (1985). 256 See vol. 2 O. Gierke, Deutsches Privatrecht § 132 II, at 528 (1905); vol. 2.1 J. F. L. Göschen, Vorlesungen über das gemeine Civilrecht 74 – 75 (A. Erxleben ed., Göttingen 1839). 257 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten [PrALR] (H. Hattenhauer & G. Bernert eds., 3rd ed. 1996). Generally on the PrALR, see Robinso (supra note 196), § 15.5 at 250 – 53. 258 The rules for acquiring property in game are almost identical: PrALR I 9 §§ 128 – 29. 253
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adopted by the majority (Pufendorf) happens to be also the dominant position in Europe. But the facts are not sufficient to decide whether the Civil law would have granted Post an action based on delict. The court did not use most recent authorities, nor did it analyze the backgrounds of the three positions, but nevertheless the outcome was correct. Their analysis of the Civil law was not scholarly thorough, but state of the art practitioner’s law.
VI. Conclusion If we come to a conclusion, the analysis has shown that the participants in Pierson made use of the Civil law with considerable accuracy. They used contemporary leading authorities and interpreted them corectly. Their use of the Civil law was clearly more than adornment. But it should be repeated that this is not meant to claim that the Civil law was of actual influence, i. e. that it determined the decision. They clearly used contemporary law in the a-historic manner which the Civil law itself showed, and they were not interested in historic developments (or historic parallels to English law).259 But they were obviously attracted by the Civil law’s relation to ancient Rome, and antiquarianism and an a-historic fascination with the age of the Civil law played a role in its reputation as embodiment of natural reason. It might be interesting, regarding the lasting impact of the debates over the use of old and foreign authorities, that from the second edition on of the Casner & Leach casebook260, a Jeffersonian paragraph is added to the editors comments on Pierson, which is much more outspoken than Livingston’s dissent261: “Acceptance” of English law in the United States. As of 1783 (perhaps retroactive to 1776) the thirteen original states were free from political subordination to the British Crown. It is of interest, but of little else, what English authorities thought about disputes of who gets that fox pelt; and of no interest at all as to what the Code of Justinian provided. We should have been developing an American law suited to our needs and based upon our own situation – 259
A field of study which R. Pound and P. Stein introduced; see, e. g., P. G. Stein, Roman Law, Common Law, and Civil Law, in 66 Tul. L. Rev. 1591 (1992). See also Hoeflich, Roman and Civil Law (supra note 5), at 127 – 29 (on Pound). The non-interest in historic Roman law might also explain why Helmholz (supra note 7), at 1660, found surprisingly little reference to Roman slave law: The contemporary Civil law despised slavery, and the Roman slave law was generally not held to be part of the contemporary Civil law; G. Hugo, Über die Institutionen des heutigen Römischen Rechts (S. 305 – 375): Anwendung der Lehre von den Römischen Sclaven, in 1 Civilistisches Magazin vom Hofrath Hugo in Göttingen 129 (3rd ed., Berlin 1810). 260 Casner and Leach (supra note 20), at 15, cf. ibid. in 1st ed. 1950. The note might be attributable to Leach, beacause it refers to W. B. Leach, Property Law Indicted! or The People vs. Blackstone, Kent, Gray, and Stare Decisis (Accessories: Pontius Pilate and the Laws of the Medes and the Persians) (1967). 261 According to Donahue, Livingston was a Jeffersonian, although he later sided with Marshall.
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geographic, political, social. But lawyers and judges at the time of Pierson v. Post were a conservatice lot, having been brought up principally on Blackstone.
A very different statement was made by Thomas Cooper (1783 – 1839) in 1812:262 I have said nothing about the utility of a knowledge of the Civil Law. Professional men who carefully peruse the reported cases, whether of the British or the American courts, will find from the frequency of reference to the Justinian Collections, that a competent knowledge of the general principles of the Civil Law, is expected as a matter of course among the Bar, as well as upon the Bench.
Appendix 1: The Legal Discussion in Pierson v. Post The legal discussion in Pierson evolved as follows:263 Sanford for the now plaintiff [Pierson]. It is firmly settled, that animals ferae naturae264 belong not to any one. If then, Post had not acquired any property in the fox, when it was killed by Pierson, he had no right in it which could be the subject of injury. As, however, a property may be gained in such an animal, it will be necessary to advert to the facts set forth, to see whether they are such as could give a legal interest in the creature, that was the cause of the suit below. Finding, hunting, and pursuit, are all that the plaint enumerates. To [*176] create a title to an animal ferae naturae, occupancy is indispensable. It is the only mode recognized by our system. 2 Black. Com. 403. The reason of the thing shows it to be so. For whatever is not appropriated by positive institutions, can be exclusively possessed by natural law alone. Occupancy is the sole method this code acknowledges. Authorities are not wanting for this effect. Just. Lib. 2. tit. 1 § 12 [J. Inst. 2.1.12] “Ferae igitur bestiae, simul atque ab aliquo captae fuerint jure gentium statim illius esse incipiunt”265 There must be a taking; and even that is not in all cases sufficient, for in the same section he observes, “Quicquid autem corum [sic] ceperis, eo usque tuum esse intelligitur, donec tua custodia coercetur; cum vero tuam evaserit custodiam, et in libertatem naturalem sese receperit, tuam [sic] esse desinit, et rursus occumpantis fit.”266 It is added also, that this natural liberty may be regained even if in sight of the pursuer, “ita sit, ut difficilis sit ejus persecutio.”267 In § 13 it is laid down, that even wounding will not give a right of property in an animal that is unre262 Supra note 87, at viii. According to Sherman (supra note 26), § 412 n.368, “Cooper was Jefferson’s choice for the chair of law at the new University of Virginia”. On Cooper, see also Helmholz (supra note 7), at 1655 & n.23. Compare Duer (supra note 129): “[Kent’s] understanding had assented with a full conviction to the opinion of Sir Matthew Hale, that without a knowledge, and that not slight and superficial, of the Roman law, our own law is never to be comprehended as a science.” 263 3 Cai. R. 175. 264 [Of wild nature; i. e. even a tame lion] (note added). 265 [Hence, wild animals, as soon as they are caught by anyone, forthwith fall into his ownership by the law of nations]. See supra text at note 81 for a full quotation of J. Inst. 2.1.12 – 13 (note added). 266 [But any of these things that you take is considered to be yours so long as it is regulated by your control: but, once it escapes from your custody and resumes its natural state, it ceases to be yours and again becomes open to the next taker.] (note added). 267 [If pursuit of it is difficult] (note added).
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Marius Bolten claimed. For, notwithstanding the wound “multa accidere soleant [sic] ut eam non capias;” and “non aliter tuam esse, quam si eam ceperis.”268 Fleta B. 3. c. 2. p. 175, and Bracton B. 2. c. 1. p. 86 [sic], are in unison with the Roman law-giver. It is manifest then, from the record, that there was no title in Post, and the action therefore not maintainable. Colden contra. I admit with Fleta, that pursuit alone does not give a right of property in animals ferae naturae, and I admit also that occupancy is to give a title to them. But then, what kind of occupancy? And here I shall contend, it is not such as is derived from manucaption alone. In Puffendorf’s Law of nature and of nations, B. 4. c. 4. S. 5. n. 6. by Barbeyrac269 notice is taken of this principle of taking possession. It is there combatted, nay, disproved; and in B. 4. c. 6. S. 2. n. 2. ibid. S. 7. n. 2, demonstrated that manucaption is only one of many means, to declare the intention of exclusively appropriating that, which was before in a state of nature. Any continued act which does this, is equivalent to occupancy. Pursuit therefore, by a person who starts a wild animal, gives an exclusive right whilst it is followed. It is all the possession the nature of the subject [*177] admits; it declares the intention of acquiring dominion, and is as much to be respected as manucaption itself. The contrary idea requiring actual taking, proceeds, as Mr. Barbeyrac observes, in Puffendorf, B. 4. c. 6. S. 10., on a “false notion of possesson.” Sanford in reply. The only authority relied on is that of an annotator. On the question now before the court, we have taken our principles from the civil code, and nothing has been urged to impeach those quoted from the authors referred to. Per curiam, delivered by Tompkins, J. This cause comes before us on a return to a certiorari directed to one of the justices of Queen’s county. The question submitted by the counsel in this cause for our determination is, whether Lodowick Post, by the pursuit with his hounds in the matter alleged in his declaration, acquired such a right to, or property in the fox, as will sustain an action against Pierson for killing and taking him away? The cause was argued with much ability by the counsel on both sides, and presents for our decision a novel and nice question. It is admitted, that a fox is an animal ferae naturae, and that property in such animals is acquired by occupancy only. These admissions narrow the discussion to the simple question of what acts amount to occupancy, applied to acquiring right to wild animals. If we have recourse to the ancient writers upon general principles of law, the judgment below is obviously erroneous. Justinian’s Institutes, lib. 2. tit. 1. sect. 13, and Fleta, lib. iii. c. ii. page 175, adopt the principle, that pursuit alone, vests no property or right in the huntsman; and that even pursuit, accompanied with wounding, is equally ineffectual for that purpose, unless the animal be actually taken. The same principle is recognised by Bracton, lib. ii. c. i. page 8 [sic]. Puffendorf, lib. iv. c. 6. sec. 2. & 10. defines occupancy of beasts ferae naturae, to be the actual corporal possession of them, and Bynkershoek is cited as coinciding in this definition. It is indeed with hesitation that Puffendorf affirms, that a wild beast mortally wounded, or greatly maimed, cannot be fairly intercepted by another, whilst the pursuit [*178] of the person inflicting the wound continues. The foregoing authorities are decisive to show, that mere
268 [Many factors may arise by reason of which you do not take it; and it becomes yours only if you actually take it] (note added). 269 See infra Appendix 2 for all references to Pufendorf/Bynkershoek (note added).
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pursuit, gave Post no legal right to the fox, but that he became the property of Pierson, who intercepted and killed him. It therefore only remains to inquire, whether there are any contrary principles, or authorities, to be found in other books, which ought to induce a different decision. Most of the cases which have occurred in England, relating to property in wild animals, have either been discussed and decided upon the principles of their positive statute regulations, or have arisen between the huntsman, and the owner of the land upon which beasts ferae naturae have been apprehended; the former claiming them by title of occupancy, and the latter ratione soli.270 Little satisfactory aid can, therefore, be derived from the English reporters.271 Barbeyrac in his notes on Puffendorf, does not accede to the definition of occupancy by the latter, but, on the contrary, affirms, that actual bodily seizure is not, in all cases, necessary to constitute possession of wild animals. He does not however, describe the acts which, according to his ideas, will amount to an appropriation of such animals to private use, so as to exclude the claims of all other persons, by title of occupancy, to the same animals; and he is far from averting that pursuit alone is sufficient for that purpose. To a certain extent, and as far as Barbeyrac appears to me to go, his objections to Puffendorf’s definition of occupancy are reasonable and correct. That is to say, that actual bodily seizure is not indispensible to acquire right to, or possession of wild beasts; but that, on the contrary, the mortal wounding of such beasts, by one not abandoning his pursuit, may, with the utmost propriety, be deemed possssion of him; since thereby, the pursuer manifests an unequivocal intention of appropriating the animal to his individual use, has deprived him of his natural liberty, and brought him within his certain control. So, also, encompassing and securing such animals with nets and toils … Barbeyrac seems to have adopted, and had in view in his notes, [*179] the more accurate opinion of Grotius, with respect to occupancy. That celebrated author, lib. ii. c. 8. sec. 3. page 309, speaking of occupancy, proceeds thus, “Requiritur autem corporalis quaedam possessio ad dominium adipiscendum; atque ideo, vulnerasse non sufficit.”272 But in the following section he explains and qualifies this definition of occupancy: “Sed possessio illa potest [scil. acquiri] non solis manibus, sed instrumentis, ut decipulis, retibus, laqueis dum quo273 adsint: primum ut ipsa instrumenta sint in nostra potestate, deinde ut fera, ita inclusa 270 This refers to Keeble v. Hickeringill, 11 East 574, 103 Eng. Rep. 1127 (Q.B. 1707), cited by Tompkins infra at 179 (see infra note 274). That case was in fact decided on another point: “[T]his action is brought for disturbing the wild ducks coming to [plaintiff’s] decoy and so is in the nature of disturbing him from exercising his trade. Where a violent or malicious act is done to a man’s occupation, profession, or way of getting livelihood, there an action lies in all cases. But if a man doeth him damage by using the same employment; as if Mr. Hickeringill had set up another decoy on his own ground near the plaintiff’s, and that had spoiled the custom of the plaintiff, no action would lie, because he had as much liberty to make and use a decoy as the plaintiff” (Keeble, ibid. at 1128) (note added). 271 But cf. Donahue (supra note 29), at 59: “There was a body of common law on the topic, and it is set out quite clearly in Blackstone.” To this reader at least, the various rules set out in vol. 2 Blackstone, Commentaries *419 and interpreted by Donahue ibid. are not as clear. And “Blackstone does not quite decide the case” (Donahue, supra, at 60) (note added). 272 See supra text at note 91 for translation of the quotations from Grotius (note added). 273 For “quo” read “duo” according to Errata in vol. 3 G. Caines, New-York Term Reports of Cases Argued and Determined in the Supreme Court of That State vii (New York, I. Riley & Co. 1806) [3 Cai. R.]. See supra text accompanying note 92 (note added).
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Marius Bolten sit, ut exire inde nequeat.” This qualification embraces the full extent of Barbeyrac’s objection to Puffendorf’s definition … The case now under consideration is one of mere pursuit, and presents no circumstances or acts which can bring it within the definition of occupancy by Puffendorf, or Grotius, or the ideas of Barbeyrac upon that subject. [Tompkins then distinguishes from the English “case cited from 11 Mod. 74 – 130” and the opinion of Holt, C.J. “in the report of the same case 3 Salk. 9.”274] I am the more readily inclined to confine possession or occupancy of beasts ferae naturae, within the limits prescribed by the learned authors above cited, for the sake of certainty, and preserving peace and order in society. If the first seeing, starting or pursuing such animals, without having so wounded, circumvented or ensnared them, so as to deprive them of their natural liberty, and subject them to the control of their pursuer, should afford the basis of actions against others for intercepting and killing them, it would prove a fertile source of quarrels and litigation. However uncourteous or unkind the conduct of Pierson towards Post, in this instance, may have been, yet his act was productive of no injury or damage, for which a legal [*180] remedy can be applied. I am of opinion the judgment below was erroneous, and ought to be reversed. Livingston, J. My opinion difffers from that of the court. Of six exceptions, taken to the proceedings below, all are abandoned except the third, which reduces the controversy to a single question. … This is a knotty point, and should have been submitted to the arbitration of sportsmen, without poring over Justinian, Fleta, Bracton, Puffendorf, Locke, Barbeyrac or Blackstone, all of whom have been cited; … But the parties have referred the question to our judgment, and we must dispose of it as well as we can, … By the pleadings it is admitted, that a fox is a “wild and noxious beast.” … Hence it follows, that our decision should have in view the greatest possible encouragement to the destruction of an animal, so cunning and ruthless in his career. But who would keep a pack of hounds; or what gentleman, at the sound of the horn, and at peep of day would mount his steed, and for [*181] hours together, “sub jove frigido”275 or a vertical sun, pursue the windings of this wily quadruped, if, just as night came on, and his stratagems and stregth were nearly exhausted, a saucy intruder, who had not shared in the honours or labours of the case, were permitted to come in at the death, and bear away in triumph the object of pursuit? Whatever Justinian may have thought of the matter, it must be recollected that his code was compiled many hundred years ago, and it would be very hard indeed, at the distance of so many centuries, not to have a right to establish a rule for ourselves. In his day, if we read of no order of men, who made it their business, in the language of the declaration in this cause, “With hounds and dogs to find, start, pursue, hunt, and chase,” these animals, and that too, without any other motive, than the preservation of Roman poultry; if this diversion had been then in fashion, the lawyers who composed his institutes, would have taken care not to pass it by, without suitable encouragement. If any-
274 Keeble v. Hickeringill, 11 East 574, 103 Eng. Rep. 1127 (Q.B. 1707). 11 East was not published until 1811, and the previous reports, Modern and Salkeld, are unreliable. The court therefore misses the ratio decidendi. See Dukeminier & Krier (supra note 20), at 30 – 34; Donahue (supra note 29), at 41 n.12 (note added). 275 [“Under the cold Jupiter”, i. e. in the cold air] (note added).
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thing therefore, in the digests or pandects shall appear to militate against the defendant in error, who, on this occasion, was the fox hunter, we have only to say tempora mutantur; and if men themselves change with the times,276 why should not laws also undergo an alteration? It may be expected, however, by the learned counsel, that more particular notice be taken of their authorities. I have examined them all, and feel great difficulty in determining, whether to acquire dominion over a thing, before in common, it be sufficient that we barely see it, or know where it is, or wish for it, or make a declaration of our will respecting it; or whether, in the case of wild beasts, setting a trap, or lying in wait, or starting, or pursuing, be enough; or if an actual wounding, or killing, or bodily contact and occupation be necessary. … After mature deliberation, I embrace that of Barbeyrac, as the most rational, and least liable to objection. If at liberty, we might imitate the courtesy of a certain Emperor,277 who, to avoid giv-[*182]ing offense to the advocates of any of these different doctrines, adopted a middle course, and by ingenious distinctions, rendered it difficult to say, (as often happens after a fierce and angry contest,) to whom the palm of victory belonged. He ordained, that if a beast be followed with large dogs and hounds, he shall belong to the hunter, not to the chance occupant; and in like manner, if he be killed or wounded with a lance or sword; but if chased with beagles only, then he passed to the captor, not to the first pursuer. If slain with a dart, a sling or a bow, he fell to the hunter, if still in chase, and not to him who might afterwards find and seize him. Now, as we are without any municipal regulations of our own, and the pursuit here, for aught that appears on the case, being with dogs and hounds of imperial stature, we are at liberty to adopt one of the provisions just cited, which comports also with the learned conclusion of Barbeyrac, that property in animals ferae naturae, may be acquired without bodily touch or manucaption, provided the pursuer be within reach, or have a reasonable prospect (which certainly existed here) of taking, what he has thus discovered an intention of converting to his own use. When we reflect also that the interest of our husbandmen, the most useful of men in any community, will be advanced by the destruction of a beast so pernicious and incorrigible, we cannot greatly err, in saying, that a pursuit like the present, through waste and unoccupied lands, and which must inevitably and speedily have terminated in corporal possession, or bodily seisin, confers such a right to the object of it, as to make any one a wrong doer, who shall interfere and shoulder the spoil. The justice’s judgment ought, therefore, in my opinion, to be affirmed.
Appendix 2: Pufendorf/Barbeyrac The following paragraphs are excerpts of Pufendorf’s book 4 in the translation by Kennet with Barbeyrac’s notes, which was probably used by all participants. As pointed out before, it seems that the references not only to Bynkershoek, but also to Locke and Frederick I. are from this one book. The excerpts here are taken from the fifth edition;278 most citations and notes are omitted. Kennet’s translation 276
[Times change], see supra text at note 208 (note added). Frederick I. Barbarossa, see supra text at note 110 and infra at note 297 (note added). 278 S. von Pufendorf, The Law of Nature and Nations (B. Kennet trans., with Barbeyrac’s notes, Carew trans., 5th ed., London 1749). 277
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is sometimes free, but essentially correct. Like Bynkershoek, Kennet altered the format in one regard: he relegated the citations, which Pufendorf had incorporated into the body of the text, to notes.279 This relegation has been preserved here, and the letters or numbers which the notes have in the Kennet/Carew edition are given in brackets. Chapter 4.4 is called De origine dominii [On the origin of ownership], chapter 4.6 De occupatione [On occupancy]. [4.4.4] … For, there is no precept of natural law to be discovered, by which men are enjoined to make such an appropriation of things, as that each man should be allotted his particular portion, divided from the shares of others, though the law of nature does indeed suficiently advise the introducing of separate assignments, … Hence too, the law of nature is supposed to approve and confirm all agreements made by men about the possession of things, … yet that one man’s seizing on a thing should be understood to exclude the right of all others to the same thing280 could not proceed but from mutual agreement. … [4.4.5] … [Within this section, Pufendorf quotes Lambert van Velthuysen (1622 – 85) who afirmed:] “That there is in nature no more reason why men should desire a right from the first occupancy of things,281 than from the first discovery of them with the eye. …”282 … [4.6.1]283 … [4.6.2] … Now it was at the same time agreed, that whatever did not come under this grand divison, should pass to the first occupant284 ; that is, to him who, before others, took bodily
279 See also Oldfather & Oldfather (supra note 104), at 63a (Translator’s Preface) (note added). 280 [n.2 by Barbeyrac] Not at all. It is certain, on the contrary, that the immediate foundation of all particular right which any man has to a thing which was before common is the first possession. This is, also, the most ancient way of acquirement. … [Barbeyrac, within this note, praises and paraphrases “Mr. Locke” and his “excellent Treatise of Civil Government”, referring to vol. 2 J. Locke, Two Treatises of Government §§ 27 et seq., at 305 et seq. (P. Laslett ed., Cambridge Univ. Press 1960) (1690).]. 281 [n.6 by Barbeyrac] The reason of it is very clear, and ’tis this: that he declares thereby an intention to set apart such a thing for his use, or to appropriate it to himself, as he may by virtue of his common right to use it . … The mere sight of a thing cannot have the same effect, because we see many things without any design of taking them to ourselves only. But if, at the same time, we perceive a thing first and we discover any ways an intention of reserving it to ourselves, others should no more pretend to it than if we were actually seized of it. See what is said on c. vi. [ch. 4.6]. … 282 L. van Velthuysen, De principiis iusti et decori 100 et seq. (ed. in 12o.) (quoted from Barbeyrac ibid.) (note added). 283 [In n.1 Barbeyrac refers to Bynkershoek, but overstates his claim: Bynkershoek argues that no one can own the sea by natural law, because no one can corporally possess it. See C. van Bynkershoek, De dominio maris ch. 1, in vol. 1 Opuscula 257 – 58 (Halle 1729). See also Donahue (supra note 29), at 59 n.79.]. 284 [n.b by Pufendorf cites Dig. 41.1.3.pr.].
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possession of it,285 with intention to keep it as his own. … i. e. he who lays hold of such a thing before others, or gets the start of them in putting in his claim to it. Thus the word is used in286 Seneca Thyest. ver. 202, & 203. In medio est scelus positum occupanti.287 … … [4.6.4] … Occupancy in general … confers on the community, as such, a dominion over all things contained within the tract which they thus possess. … [4.6.5] Hence it is apparent, that it depends on the will of the sovereign … what right the private members of a state shall enjoy, as to the gathering of moveables not yet possessed. … [Pufendorf talks of places where occupancy was free to everybody, quotes Dig. 41.1.1, 3,288 and then quotes an “elegant passage” about fish in Plautus, Rudens act 4, sc. 3: “Will you admit that any fish out there at sea are mine? The ones I happen to catch belong to me; I treat them as my own. No one asserts his right to them or even makes a partial claim. Down in the forum, openly, I sell them all as my own wares.”289 Yet the fisherman (Gripus), observes Pufendorf, was wrong in applying this principle to the discovery of a cloak-bag.] … [4.6.6] But in most places the privilege of hunting is left wholly to the governors of the commonwealths, who in some countries admit their principal subjects to be sharers with them. Only beasts of prey are almost everywhere allowed to be killed by all persons without distinction. … [4.6.7] … But the law alone is not sufficient to introduce originally a dominion over such things as have not yet been actually brought under the power of men. But there is required farther some corporal action; especially as to the possession of living creatures. …290
285 [n.2 by Barbeyrac] … [W]e may observe … that taking possession actually (occupatio) is not always absolutely necessary to acquire a thing that belongs to nobody. It is only a means to let all others know that we have an intention to appropriate such a thing. … We may, also, add, that he must be within reach of taking what he declares his design to seize on, otherwise the boundless covetousness of most men will render his right unprofitable to others, and be a foundation for perpetual disputes and quarrels. … 286 [n.3 by Barbeyrac] This grammatical remark, that the Latin word occupare, i. e. to occupy or possess, often signifies praevenire or to prevent others, might have been spared by our author. 287 L. A. Seneca (4 B.C.–65 A.D.), Thyestes 203 – 04 [between us lies the crime for him who first shall do it], in vol. 9 Seneca 89, 106 – 97 (F. J. Miller trans., Loeb Classical Library 1917, revised 1929) (bilingual) (note added). 288 Pufendorf gives a correct quotation of Dig. 41.1.1, 3 (Gaius, Res cottidianae sive aurea 2), which on this occasion he only cites as “Cajus 2. Rerum quottidianarum”, but this is clearly not a flawed quotation from J. Inst. 2.1.12, as claimed by Oldfather & Oldfather (supra note 104), at 573 & nn.1 – 2. Barbeyrac, in his n.3, does indeed cite J. Inst. 2.1.12, as well as Plautus’ Rudens (note added). 289 T. M. Plautus, Rudens act 4, sc. 3, vv. 971 – 74, in Three Comedies 276, 279 (P. L. Smith trans., 1991). The Latin original of Plautus, correctly quoted by Pufendorf, is: Gripus: Ecquem esse dices in mari piscem meum? Quos cum capio, siquidem cepi, mei sunt; habeo pro meis. Nec manu adseruntur, neque illinc partem quisquam postulat. In foro palam omnis vendo pro meis venalibus. T. M. Plautus, Rudens, in vol. 6 Plaute 170, 172 (A. Ernout trans., Paris 1957) (bilingual Latin–French) (note added). 290 [In n.1 (n.2 in the 4th ed. 1729), Barbeyrac says that Pufendorf “reasons upon false principles”; cf. Donahue et al. (supra note 20), at 17 n.12.].
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Marius Bolten [4.6.8] … [Pufendorf says that to see a thing or to know where it is does not constitue possession, and quotes Ovid’s Metamorphoses, where Ceres says:291 “See, my daughter, sought so long, has at last been found, if you call it finding … merely to know where she is”292] … [4.6.9] It is the general opinion, that moving things cannot be made our own but by bodily seizure; and this we are to use in such a manner, as to take them from the place where they were found293 into our lordship or at least into our safe custody. … Now this seizure is made not only with our hands, but with instruments; … [4.6.10] It hath, likewise, been disputed, Whether by giving a beast a wound in hunting we presently make him our own? Trebatius294 long since declared on the affirmative side; but then he supposeth us to pursue the beast, which if we omit to do, he says, “We lose our property, and the right passeth to the first occupant.”295 Others296 are of the contrary opinion, maintaining that we can by no other means appropriate the beast but by actually taking him, because many casualties may hinder him from ever coming into our hands. The Emperor Frederick297 made this distinction in the case298 : “If the Beast were followed with the larger dogs or hounds, then he was the property of the hunter, not of the chance-occupant; and in like manner if he were wounded or killed with a lance or sword. But if he were followed with beagles only, then he passed to the occupant, not ot the first pursuer. If he was slain with a dart, a sling, or a bow, he fell to the hunter, provided he was still in chase after him, and not to the person who afterwards found or seized him.” … We judge it may in general be affirmed that if the beast be mortally wounded, or very greatly maimed, he cannot
291 P. O. Naso (43 B.C.–17 A.D.), Metamorphoses V.518 – 20 [En quaesita diu tandem mihi nata reperta est, … si scire, ubi sit, reperire vocas], in vol. 3 Ovid 274 – 75 (F. J. Miller trans., G. P. Goold ed., Loeb Classical Library, 3rd ed. 1977) (bilingual) (note added). 292 [n.2 by Barbeyrac] This passage, tho’ quoted by Grotius, l. ii. c. 8. § 3. [Grotius, supra note 91, § 2.8.3] as well as our author, upon this occasion, can be no farther to the Purpose, than as an illustration, because he treats here of another thing. He might much better have mentioned that Dispute which Plautus feigns to have been between two servants, one of which had fished out of the sea a cloak-bag, and the other claimed a part, because he saw him from the shore. For thus they argue; Gripus. Quemne vidulum ego excepi in mari? [You mean, (the cloak bag) I caught in the sea?] Trachal. At ego inspectavi è litore Rudens, Act IV Sce. 3 ver. 79 [And I eye-witnessed from the shore. Plautus, Rudens act 4, sc. 3, v. 1019]. Nothing is more impertinent than this reason. For besides that Gripus could not know the intention of Trachalion, this last could not be within reach of the Cloak-bag, ’till the other was possessed of it. [See T. M. Plautus, Rudens, in vol. 6 Plaute 170, 175 (A. Ernout trans., Paris 1957) (bilingual Latin–French) (Plautus’ original, correctly quoted by Barbeyrac); T. M. Plautus, Rudens, in Three Comedies 276, 282 (P. L. Smith trans., 1991). See also Pufendorf’s § 4.6.5, supra at note 289, where the same scene in Rudens is cited.]. 293 [n.4 by Barbeyrac] This is not always necessary, as is before proved. … 294 Gaius Trebatius Testa, a Roman jurist of the Republican period, and Cicero’s protégé. Pufendorf refers to Dig. 41.1.5.1 (quoted in Latin by Barb. in his n.2); Trebatius is the “some” in the anonymized lex J. Inst. 2.1.13 referred to in the case (note added). 295 [Desinere nostram esse et rursus fieri occupantis, Dig. 41.1.5.1]. 296 Chiefly Dig. 41.1.5.1 and J. Inst. 2.1.13 (note added). 297 Fridericus I. Barbarossa, 1152 – 90, born ca. 1123 (note added). 298 [n.b by Pufendorf] Godofred. ad istam leg. ex Radevico de gest. Frederic, l. i. c. 26.
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fairly be intercepted by another person whilst we are in pursuit of him, provided we had a right of passing through such a place: But the contrary is to be held, in case the wound were not mortal, nor such as would considerably retard the beast in his flight299. …
299 [n.1 by Barbeyrac] This distinction is not necessary. The author [Pufendorf] always reasons from a false notion of the nature of taking possession. The truth is, that ’til we cease pursuing the beast, and so leave it to the first occupant, it belongs to us as much as can be; so that no man can lawfully put in a claim to it.
中国法上的表见代理制度
迟颖* 在《中华人民共和国合同法》(以下简称 “《合同法》”)颁布之前, 中国法 学界就《中华人民共和国民法通则》(以下简称 “《民法通则”》第65条第3款, 第66条第1款第3句是否属于表见代理的问题存在争议。 随着《合同法》的颁 布, 表见代理制度被纳入制定法, 上述争议得以终结。 《合同法》第49条对 表见代理制度进行了一般性规定: “行为人没有代理权,超越代理权或者代 理权终止后以被代理人名义订立合同, 相对人有理由相信行为人有代理权 的, 该代理行为有效。 ” 然而, 由于《合同法》第49条的规定过于原则, 司法 实践面临着制定法过于宽泛而理论基础不确定的困境。 根据该法条的文 意, 只要相对人有理由相信行为人有代理权, 无权代理人所实施的法律行 为就构成表见代理, “被代理人”是否具有过错在所不问。 该规定赋予法官 很大的自由裁量空间, 导致表见代理适用的泛滥, 过度保护相对人的利益,而 无视损害 “被代理人” 的利益, 以所谓的交易安全牺牲 “被代理人” 的意思自 治, 违背了民法之私法自治原则和公平正义原则。 从比较法上来看, 不论 《德国民法典》,《日本民法典》, 还是中国台湾地区民法典都没有对表见代 理制度进行如此概括性, 原则性的规定。 因此, 本文拟从表见代理制度在 中国民法上的发展历程入手, 在评析表见代理类型的基础上, 从法律行为 理论的维度, 深入论证表见代理制度在中国未来民法典总则中的地位。 I. 表见代理制度的历史沿革 1.《 合同法》颁布之前的表见代理制度 在合同法颁布之前, 关于中国民法是否规定了表见代理制度, 学界存在 争议。 《民法通则》第66条第1款第3句规定: “本人知道他人以本人名义实施 民事行为而不作否认表示的, 视为同意。 ”持肯定说的学者认为: “《民法通 则》第66条第1款第3句规定了容忍代理这一特殊的表见代理类型。 ” 1 持否定 说的学者认为, 第66条第1款第3句的立法本意仅在于使“有过错”的被代理 * Chi Ying, Dr. iur., außerordentl. Professorin für Rechtswissenschaft an der China Universität für Politikwissenschaft und Rechtswissenschaften, Beijing. Übersetzung von W. Flume, Das Rechtsgeschäft (Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band), ins Chinesische. Zulassung als Rechtsanwältin in China. E-Mail: [email protected]. 1 龙卫球,《民法总论》 , 中国法制出版社 2002年, 第2版, 第589页; 奚晓明, “论 表见代理”, 载于《中外法学》1996年第4期, 第33页: 史浩明, “论表见代理”, 载于 《法律科学》1995年第1期, 第71页。 .
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人承担责任, 实际上并非采纳表见代理制度。 2 还有学者认为, 第66条第 1款第3句中的 “同意”属于被代理人对代理权的追认, 无权代理因追认而变成 有权代理, 代理权自始存在, 所涉及的不是表见代理的问题。 3 笔者认为, 一般而言, 追认必须是明确作出的意思表示, 单纯的沉默不能被视为追认, 4 因此不能将第66条第1款第3句中的“不做否认表示”视为追认。 《民法通则》 第66条第1款第3句的规定属于容忍代理, 它属于法律行为的意定代理授权 行为。 在容忍代理的情形中, 被代理人在明知代理人以自己名义实施法律行 为而保持沉默的, 可以将其沉默视为通过默示行为授予意定代理权的行 为。 容忍代理与表见代理具有本质上的区别, 不宜将容忍代理视为表见代 理的特殊形式。 最高人民法院1987年7月21日的《关于审理经济合同纠纷案件具体适用经济 合同法的若干问题的解答》第一条(一)规定: 合同签订人用委托单位的合 同专用章或者加盖公章的空白合同书签订合同的, 应视为委托单位授予合同 签订人代理权。 委托单位对合同签订人签订的合同, 应当承担责任;(二) 合同签订人持有委托单位出具的介绍信签订合同的, 应视为委托单位授予 代理权。 学者多认为上述规定是最高法院关于表见代理的司法意见。 5 笔者 持不同观点, 合同专用章, 加盖公章的空白合同以及单位介绍信其实都属于 授权书的特别形式, 其占有人可以被视为代理人, 此处不涉及表见代理的 问题。 根据《民法通则》第65条第1款第1句的规定, 民事法律行为的委托代 理既可以用书面形式也可以用口头形式为之, 因此, 意定代理授权并非必须 以书面形式为之, 正如登上有轨电车或将汽车停放在收费停车场的人通过自 己的可推定行为创设法律关系一样, 6 将合同专用章, 加盖公章的空白合同和 单位介绍信交予他人的行为, 可以被视为以可推定行为授予他人代理权的 行为。
2.《 合同法》颁布之后的表见代理制度 《合同法》第49条明确规定了表见代理制度。 根据该规定, 行为人没有代 理权, 超越代理权或者代理权终止后以被代理人名义订立合同, 相对人有理 由相信行为人有代理权的, 该代理行为有效。 根据学界的定义, 表见代理 是指行为人没有代理权, 但存在能使第三人确信其有代理权的表面特征, 第三人与其为民事法律行为, 该民事行为的后果直接由被代理人承担的代
2 梁慧星, 《民法总论》法律出版社2001年, 第2版, 第233页;贾纯, “论表见代 理”, 载于《当代法学》年第1期, 第48页。 3 增斌, “表见代理与狭义无权代理之区别初探”, 载于《警官教育论坛》2006年第 2期, 第48页。 4《合同法》第48条第2款第1句 第2句规定: “相对人可以催告被代理人在一个月 内予以追认。 被代理人未作表示的, 视为拒绝追认。 ”. 5 曹新明, “论表见代理”, 载于《法商研究》1998年第6期, 第66页 。 6 弗卢梅, 《法律行为论》迟颖译, 法律出版社2013年版, 第82页 。
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理。 7 这一定义比德国法中关于表见代理的定义宽泛。 在德国法上, 所谓的 表见代理指的是: 被代理人虽然因不知道代理人的代理行为而不构成对其 行为的容忍, 但是如果他尽到足够的谨慎义务, 例如对其雇员进行必要监 管, 则可以注意到代理人的代理行为并对该行为予以阻止, 且第三人可以 认为被代理人知道容忍代理人的行为并对该行为予以容忍。 8 表见代理事实 上属于因过失而引起的代理权授予的权利表象, 其适用不仅要求客观上存 在着代理权授予的权利表象, 而且要求被代理人主观上具有可归责性。 9 从中国法律的明文规定和学界的定义来看, 只要相对人有理由相信行为 人有代理权, 代理行为即为有效, 被代理人对代理权表象的引起是否具有 过错在所不问。 1 0 这一富于弹性的原则性规定, 直接导致表见代理制度适用 范围宽泛, 法官自由裁量权过大, 判决结果过分依赖于法官对公平观念和立 法意图的正确把握。 《合同法》颁布之后至2016年3月28日为止, 法院关于表 见代理的案例已经高达25600多个。 1 1 而在关于表见代理的诸多典型案例 中, 法院在认定行为人的行为是否构成表见代理的过程中, 仅以善意相对人 是否有理由相信行为人具有代理权作为唯一依据。 例如, 在蓬莱外贸集团 公司与环球株式会社购销扇贝柱欠款纠纷上诉案中, 山东省高级人民法院认 为: “孙世强的行为使环球株式会社有理由相信其为蓬莱外贸的代理人, 并 且环球株式会社主观上为善意, 因此, 孙世强的行为对蓬莱外贸已构成表 见代理。 ” 1 2 再例如, 广东发展银行股份有限公司上海分行诉上海今亭房地 产开发有限公司委托理财合同纠纷案中, 上海市高级人民法院认为, 张群慧 所具有的广发银行上海分行长宁支行副行长以及信贷三部副总经理的身 份, 均能够使今亭公司在主观上形成对张群慧具有不容怀疑的代理权的 认识, 今亭公司依据此前签约惯例, 有理由相信本案系争协议也是广发银行 上海分行的真实意思表示, 张群慧对本案系争协议的签约行为构成表见代 理, 广发银行上海分行应承担相应的民事责任。 1 3 此外, 最高人民法院在广 西桂资拍卖有限公司与广西三益拍卖有限责任公司合作合同纠纷申请案中认 为, 由于涂江宁是桂资公司的股东, 代表桂资公司在《联合拍卖协议书》上 签字, 并曾以三益公司名义与烨达公司订立协议以促使烨达公司代缴本应由 桂资公司代三益公司缴纳的840万元保证金, 后又与桂资公司共同向三益公 司出具承诺书表示对二者以三益公司名义对外承诺的行为共同承担责任,
7 江平主编,《民法学》 , 中国政法大学出版社2007年版, 第225 – 226页;梁慧 星, 《民法总论》法律出版社1996年版, 第230页;隋彭生, 《合同法要义》中国政 法大学出版社2003年版, 第124页。 8 BGH NJW 1981, 1728; 1991, 1225; BGH VersR 1992, 990, 991; BGH NJW 1998, 1854, 1855; H. Köhler, BGB, Allgemeiner Teil (München 201539), § 11 Rn. 44; Soergel / U. Leptien, Bürgerliches Gesetzbuch (Stuttgart 199913) § 167 Rn. 17; Palandt / H. Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch (München 200968), § 172 Rn. 11; RGRK (Berlin 198212) / E. Steffen, § 167 Rn. 11; Erman / H. Palm, Bürgerliches Gesetzbuch (Köln 200812), § 167 Rn. 7. 9 K. Larenz / M. Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts (München 2004 9), 895. 10 章戈, “表见代理及其适用”, 载于《法学研究》1987年第6期, 第9页 。 11 北大法宝案例库, 浏览时间: 2016年3月18日 。 12 (2002)鲁民四终字第88号 。 13 (2007)沪高民二(商)再审终字第4号 。
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因此三益公司有理由相信涂江宁在《补充条款》上签字系经桂资公司授权所 为, 涂江宁的行为构成表见代理。 1 4 在上述案件中, 法院都仅以善意相对人 是否有理由相信行为人的行为属于授权行为作为认定表见代理的唯一依 据, 根本未提出被代理人是否基于过错而引起表见代理表象这一重要问 题。 有鉴于此, 有学者认为, 中国表见代理纠纷案件的审判实践面临着实定 法规定过于宽泛而理论基础不确定的困境。 1 5 而在司法实践中, 许多案件被 不合理地认定为表见代理, 以牺牲被代理人的利益为代价来保护交易安 全, 有悖于民法公平正义和私法自治原则。 为了限制表见代理的适用范 围, 有学者建议应以被代理人的过错作为表见代理的构成要件。 具体而 言, 被代理人以自己的过失行为导致第三人确信代理人有代理权是构成表 见代理的必要前提之一。 1 6 被代理人的过失是指其应当预见自己的行为会使 第三人误信代理人有代理权, 但未能预见;或虽已预见, 却未采取适当措 施加以避免。 1 7 另有学者认为, 在确定表见代理的构成要件时应当考虑权 利 外观的形成是否与本人具有一定的关系, 如果不符合该要件则本人不应当 承担表见代理的责任。 1 8 还有学者认为, 表见代理应当以被代理人的归责性 为构成要件。 1 9 学者旨在通过增加表见代理构成要件的方式来限制 表见代理 适用范围的作法实值赞同。 然而, 值得思考的是, 在以私法自治作为基本原 则的民法之中, 有悖于私法自治原则的表见代理制度是否具有存在的空 间, 是否可以由其它法律制度来承载其保护善意第三人的信赖和保护交易 安全的制度价值呢?下述笔者将试图通过对中国民法中的表见代理类型的具 体分析论证来对这一问题作出初步回答。
II. 中国民法中表见代理类型评述 中国学者将表见代理划分为三种类型, 即授权型表见代理, 权限逾越型 表见代理和权限延续型表见代理。 2 0
14 (2013)民提字第140号
。 石必胜, “表见代理的经济分析”, 载于《河北法学》2009年第5期, 第109页。 16 尹田, “中国新合同法中的表见代理制度评析”, 载于《现代法学》2000年第 5期, 第115页;孙鹏, “表见代理构成要件新论”, 载于《云南大学学报法学 版》2004年第1期, 第78页以下;奚晓明, 载于《中外法学》(Fn. 1), 第33页。 17 尹田, 载于《现代法学》(Fn.16), 第115页 。 18 王利明, “表见代理构成要件之我见”, 载于《民商法纵论: 江平教授70年华诞 祝贺文集》中国法制出版社2000年版。 19 叶金强, “表见代理构成中的本人归责性要件”, 载于《法律科学》2010年第 5期, 第38页以下。 20 张俊浩主编, 《民法学原理》中国政法大学出版社, 1991年版, 第289页;李 文柱, 《论表见代理》载于《甘肃政法学院学报》1998年第1期, 第7页。 15
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1. 授权型表见代理 行为人自始没有代理权, 但由于被代理人明示或默示的行为致使相对人 确信行为人有代理权而与之为法律行为, 被代理人应当承担代理的法律后 果。 授权型表见代理具体又可以划分为下述类型: (1)被代理人以直接或 间接的意思表示, 声明授予他人以代理权, 但事实上并未授予;(2)被代 理人知道他人以自己名义实施法律行为而不作否认表示的;(3)被代理人 将其有代理权证明意义的文书印鉴交与他人, 他人凭此以被代理人名义从 事民事活动。 如上所述, 授权型表见代理的第(2)和(3)种类型属于基于法律行为 授予的代理权, 不属于表见代理。 关于授权型表见代理的第(1)种情形, 根据现行法的规定, 可以解释为相对于第三人作出的授予意定代理权的意 思表示。 该第三人既可以是特定的, 也可以是非特定的(如广告授权方式 的相对人为公众)。 2 1 学界将相对于第三人作出的意定代理授权表示视为表见代理的作法, 应 当是受到《日本民法典》第109条关于表见代理规定 2 2 的影响。《日本民典》 这一规定受到德国学界通说将《德国民法典》第170条 2 3 理解为权利表象理论 的影响。 然而, 有德国学者对德国通说持不同观点: “我们不能在第170条所 规定的情形中认为代理权已经消灭, 法律所保护的仅仅是对代理权存续的 信赖, 该规定事实上不属于权利表象代理的表现形式” 2 4 笔者赞同该观点, 通常情况下, 意定代理权因被撤回而失效, 外部授权也可以被内部撤回; 2 5 意定代理权因基础法律关系的消灭而消灭, 2 6 然而, 从第170条的文意中可 以看出, 相对于善意第三人, 该意定代理权持续有效。 该规定应当是针对 第168条规定的例外规定, 即在外部授权的情形中, 当第三人不知道意定代 理权因被内部撤回或因基础法律关系消灭而失效时, 该意定代理权相对于该 第三人持续有效, 该规定旨在保护交易安全, 要求授权人将意定代理权的 消灭告知第三人。 因此, 《德国民法典》第170条的规定是基于法律行为授予 意定代理权效力延续的规定, 并非仅仅是意定代理权存续的表象。 因此, 《日本民法典》第109条的规定和德国学界通说不值仿效。 关于意定代理权是否可以相对于第三人作出, 中国现行法没有明确规 定。 按照《德国民法典》第167条第1款的规定, 授予意定代理权的意思表示 21
李文柱, 载于《甘肃政法学院学报》(Fn. 20), 第7页。
22《日本民法典》第109条规定: “对第三人表示授予他人以代理权意旨者,
于代理 权范围内, 就其他人与第三人之间实施的行为, 负其责任。 ” 23《德国民法典》第170条: “意定代理权系以对第三人的表示授予的, 意定代理 权对该第三人保持有效, 直至授权人将意定代理权的消灭通知该第三人之时。 ” 24 P. Bader, Duldungs- und Anscheinsvollmacht (Frankfurt a. M. 1978), 25 – 26. 25《德国民法典》第168条第2句、第3句规定: “在该法律关系存续的情形下, 以该 法律关系不另有规定为限, 意定代理权也是可以撤回的。 撤回的表示, 准用第 167条第1款的规定。 ”第167条第1款规定: “意定代理权的授予, 以对被授权人或代 理应对之发生的第三人的表示为之。 ” 26《德国民法典》第168条第1句: “意定代理权的消灭, 依意定代理权授予所依据 的法律关系予以确定。 ”
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既可以相对于代理人作出, 也可以相对于第三人作出。 2 7 承认向相对人作出 的意定代理权授权意思表示的效力, 有利于保护第三人的信赖利益, 进而 保护交易安全。 即使被代理人事实上并未向代理人本人授予意定代理 权, 他亦不能以此对抗第三人。 因此, 我们应当借鉴《德国民法典》第167条 第1款的规定, 承认意定代理权外部授予的情形, 而无需借助表见代理制度 来规制原本属于法律行为制度的内容。 2. 权限逾越型表见代理 如果被代理人在授权书中未明确说明对代理权的限制, 而善意相对人不 知道代理权的限制而与代理人为法律行为, 则应构成表见代理, 由被代理 人承担代理的法律后果。 2 8 《日本民法典》第110条亦有类似规定, 代理人实 施其权限外的行为, 如第三人有正当理由相信其有此权限时, 由被代理人 承担表见代理的法律后果。 中国《民法通则》第65条第3款规定: “委托书授 权不明的, 被代理人应当向第三人承担民事责任, 代理人负连带责任。 ” 有学者认为, 该第65条第3款的规定属于表见代理的情形。 2 9 梁慧星认为, 该规定不属于表见代理的规定, 而仅仅是被代理人因过错所需承担的责 任。 3 0 笔者认为, 《民法通则》第65条第3款的规定不属于表见代理, 应当是 代理权无因性原则的体现。 德国学者拉邦德提出的代理权无因性理论被《德国民法典》的立法者所采 纳。 根据该理论, 意定代理权授予法律行为与代理人和被代理人之间的委 托或雇佣法律关系相互独立, 授权行为被称为外部关系, 委托或雇佣关系 被称为内部关系。 内部关系的内容和效力对外部关系不产生影响。 代理权的 范围原则上取决于代理权授权的内容, 而不是内部关系的内容。 如果被代理 人希望对代理权加以限制, 他必须明确地在授权书中予以说明, 仅在委托 合同或雇佣合同中对代理权的限制不能对抗第三人。 因此, 在德国法中, 代 理人超越代理权实施代理行为的, 构成无权代理, 不存在表见代理的问 题。 中国台湾地区《民法典》第107条甚至明确规定, 代理权之限制, 不得以 之对抗善意第三人。 由此可见, 中国台湾地区民法亦未将该情形规定为表见 代理。 因此, 笔者不倾向于承认越权型表见代理, 而是建议借鉴德国法和 中国台湾地区民法的相关规定, 通过承认代理权无因性原则来保护交易安 全。 3. 权限延续型表见代理 代理权消灭后, 如果被代理人因过失未收回授权委托书或未向相对人发 出通知, 而善意相对人仍有充分理由相信行为人有代理权而与之为民事行 27《德国民法典》第167条第1款规定: “意定代理权的授予, 以对被授权人或代理 应对之发生的第三人的表示为之。 ” 28 李文柱, 载于《甘肃政法学院学报》(Fn. 20), 第8页 。 29 章戈, 载于《法学研究》(Fn. 10), 第10页 。 30 梁慧星, 《民法总论》(Fn. 2), 第233页 。
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为, 则成立表见代理。 《日本民法典》第112条规定: “代理权消灭, 不得以 之对抗善意第三人。 但是, 第三人因过失不知其事实时, 不在此限。 ”日本 民法典的这一规定继受的是《德国民法典》第170条至173条的规定, 同时因 受到德国司法判决和学界通说的影响而将此种情形规定为表见代理。 如上 所述, 笔者不赞同将代理权消灭后代理权延续的情形认定为表见代理, 而 是认为这种情形属于基于法律行为授予意定代理权的有效期问题。 在外部 授权, 内部授权外部通知和向第三人出示代理权证书的情形中, 被代理人未 将代理权消灭的事实通知第三人或未收回授权书的, 意定代理权相对于第 三人持续有效。 综上所述, 不论是授权型表见代理, 还是权限逾越型表见代理, 抑或是 权限延续型表见代理, 事实上都不属于表见代理, 都是基于法律行为授予 的意定代理权, 可以在法律行为的框架下以法律明确规定的方式来救济行 为相对人, 保护交易安全, 而无需借助于有悖于私法自治原则的表见代理 制度来维护交易安全。 下述笔者将从法律行为的维度, 进一步论证表见代 理制度的存在价值。 III. 法律行为维度下的表见代理制度 1. 法律行为与私法自治 任何法律制度都必定蕴含着特定的价值内涵, 法律行为制度亦不例外。 作为民法的核心制度, 法律行为制度所承载的必定是民法作为私法的基本 价值——私法自治。 3 1 a) 作为民法基本原则的私法自治 私法自治是个体基于自己的意思为自己形成法律关系的原则, 它是人类自 主决定原则的一部分。 3 2 私法自治原则强调个体之间的法律关系应 取决于个 人的自由意思, 它赋予个体进行自主决定的可能性并确保其得以实现。 在私 法自治领域, 应当适用“意志高于理性”的定理。 3 3 1 9 0 0 年颁行的《德国民法典》的思想基础是与自由市场经济的时代精神相 契合的私法自治原则, 个体只有通过实施私法自治的行为才能使其独立人格 在共同体内得以发展。 3 4 二十世纪以来, 不受任何限制的私法自治导致了社 会矛盾的进一步激化。 立法和司法判例都开始对私法自治予以限制。 在代 理法领域, 为了保护交易安全, 联邦最高法院也开始利用《德国民法典》第 易军, “私人自治与法律行为”, 载于《现代法学》第2005年第3期, 第9页。 W. Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860 – 1960 (Karlsruhe 1960), Bd. I, 136. 33 弗卢梅,《法律行为论》(Fn. 6), 第7页 。 34 Chr. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit (Tübingen 2000), 41. 31 32
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242条的诚实信用原则来对限制私法自治。 尽管存在着对私法自治的诸多限 制, 然而, 私法自治仍然是当下德国民法不可动摇的基石。 正如弗卢梅所 言, “虽然个体只能在法律秩序限定的范围内进行意思自治, 但是私法自治 仍然在德国法律秩序中处于不可动摇的核心地位。 ” 3 5 此外, 《德国债法修订 意见和建议》中亦有记载: “债法的核心仍然是契约自由, 因为只有契约自由 才能赋予个体在自由社会中以各种方式来满足自己需求的机会。 ” 3 6 契约自 由是司法自治原则在债法中的体现。 由此可见, 历经债法改革的《德国民法 典》仍以私法自治为基本原则。 b) 法律行为——私法自治的工具 弗卢梅认为, 法律行为的目的是使个体能够以意思自治的方式通过制定规 则来形成, 变更或者消灭法律关系, 以期实现私法自治原则。 3 7 法律行为制度 承载着私法自治的价值, 其本质是私法自治, 它是实现私法自治的工 具。 3 8 一般而言, 行为人基于意思自治通过自己的行为创设法律关系。 而在 代理的情形中, 被代理人授权第三人为其实施法律行为, 代理行为符合法 律所规定的有效要件 3 9 的, 代理的法律后果由被代理人承担。 被代理人授予 第三人意定代理权是代理行为的有效要件之一, 只有被代理人基于自己的 意思授予他人代为法律行为的意定代理权, 被代理人才需承担代理的法律 后果。 由此可见, 代理制度是私法自治制度的扩张, 应当尊重被代理人的意 思, 考虑被代理人的利益。 法律行为区别于准法律行为的核心要素是, 法律行为所产生的法律后果 是行为人所希望发生的, 即该法律后果是行为人私法自治的结果;而准法 律行为的法律后果源于法律的直接规定, 行为人实施法律上行为并不以引 起法律后果为目的, 即法律后果的产生不受当事人意思的影响, 它不是行为 人私法自治的结果。 《立法理由书》记载如下: “法律行为之所以产生法律后 果是因为当事人希望产生这一法律后果, 与之相对的是那些自动产生法律后 果的行为, 即那些按照法律秩序的规定其法律后果的产生不取决于行为人 是否希望产生这一法律后果的行为。 在后一种情形中, 主要是侵权行为。 除此之外, 尚存在其他一些不属于侵权行为的类似行为, 可以将其称为准 法律行为。 ” 4 0 表见代理即为准法律行为, 被代理人并不希望与行为相对人 订立合同, 之所以发生代理的法律后果, 纯粹源于司法判决。 在表见代理 的情形中, 被代理人并未授予意定代理权, 本不应发生代理的法律后 弗卢梅, 《法律行为论》(Fn. 6), 第18 – 19页。 BJM, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (Köln 1981), Bd. I, S. XVII. 37 弗卢梅, 《法律行为论》(Fn. 6), 第27页 。 38 迟颖, “法律行为之精髓——私法自治”, 载于《河北法学》2011年第1期, 第 10页。 39《德国民法典》第164条第1款第1句: “行为人在代理权限内以被代理人的名义所 作出的意思表示, 直接发生对被代理人有利和不利的效力。 ” 40 Motive I, 127. 35 36
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果, 否则被代理人的利益将遭到损害。 表见代理制度有违私法自治原则, 详 细论证请见下文。 2. 法律行为理论与表见代理 a) 意思自治与信赖保护 意思自治与信赖保护是相互对立的概念。 意思自治旨在保护个体的自主决 定自由, 体现了对个体自由意志的尊重。 而信赖保护倾向于保护相对人的信 赖。 在《德国民法典》制定之前, 关于意思表示的效力, 曾经存在着两种理 论, 一种是意思主义, 该理论仅仅关注表意人的意思, 与意思不相符的表 示不产生法律效力, 旨在保护表意人的真实意思;另一种是表示主义, 该 理论仅仅关注交易安全, 当表示与意思不相符时, 表示仍然产生法律效 果, 旨在保护相对人的信赖。 《德国民法典》采取了折中路线, 即在意思表示 存在重大瑕疵的情形中, 该意思表示为可撤销的意思表示, 具体而言, 为了 保护交易安全, 存在重大瑕疵的意思表示生效;同时兼顾表意人的意思自 治, 表意人可以依据相关法律规定撤销意思表示;如果相对人因此而遭受 损失, 因意思表示错误而撤销意思表示的表意人尚需赔偿相对人信赖利益的 损害。 此种制度构建不仅体现了交易安全的保护, 也体现了对表意人意思自 由的尊重, 达到了表意人和相对人的利益平衡。
b) 表见代理之信赖保护 在表见代理中, 虽然被代理人根本不知道他人作为代理人为其实施行 为, 但他如果尽到应尽义务时本应知道或能够阻止该行为, 且行为相对人 基于诚实信用原则可以认为被代理人在尽到应尽注意义务时不会不知道该 行为, 则认为被代理人容忍代理人的行为, 被代理人因过失而不知道代理 人的行为即应承担有权代理的法律后果, 必须履行代理人以其名义订立的 合同, 如不能履行合同, 则应当承担履行利益的损害赔偿责任。 从法律行为理论出发, 如果被代理人通过意思表示授予代理人以代理 权, 则被代理人愿意承担代理人所实施法律行为的法律后果, 即使代理人 违背被代理人的指示实施行为时, 被代理人亦必须承认代理人所实施法律 行为的效力。 然而, 当“被代理人”根本未授予“代理人”代理权 , 且根本不 知道他人以自己名义实施法律行为时, 他根本没有被他人代理的意思, 因 此不能仅仅因为他没有消除代理权存在的表象, 而以其违反注意义务为名 要求其承担代理的法律后果, 这样的规定有悖于被代理人的意思, 违背民 法的私法自治原则。 正如弗卢梅所言, 表见代理产生的唯一原因是: “人们没有认识到以私法 自治原则为基础实施的法律行为与权利表象之间的根本区别, 法律行为是行 为人有意识的行为, 行为人应当承担相应的法律后果, 而针对因自己过失而 引起代理权存在的权利表象, “被代理人”仅需承担信赖利益的损害赔偿责
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任。 ” 4 1 有鉴于此, 在表见代理中, 由于“被代理人”根本不具备订立合同的 意思, 因此不能要求仅因过失而不知道他人以自己名义实施法律行为的“被 代理人”承担合同履行义务或履行利益的损害赔偿责任, 而仅需承担信赖利 益的损害赔偿责任。 3. 表见代理与缔约过失责任 a) 缔约过失责任 缔约过失责任是由德国法学家耶林首次提出的, 被誉为民法上的三大发 现之一。 由于在制定1900年《德国民法典》时, 该制度尚未发展成熟, 因此 民法典的制定者们并未将其纳入法典, 而是将其留给判例与学说继续发 展, 直到2001年德国债法改革时, 作为德国民法核心制度的缔约过失责任 被纳入到《德国民法典》之中。 4 2 根据《德国民法典》第311条第2款, 第241条第2款和第280条第1款的规 定, 在合同谈判阶段, 因违反保护义务而侵害另一方当事人的权利, 法益和 利益的一方当事人, 应当承担违约责任, 赔偿另一方当事人信赖利益的损 害。 通常情况下, 只有当合同有效成立之后, 合同当事人才须承担违约责 任。 然而, 在缔约过失的情形中, 基于缔约过程中产生的特殊关系, 缔约双 方都负有顾及对方的权利, 法益和利益的义务, 该义务被称为保护义务。 4 3 违反该保护义务的一方当事人应当赔偿对方当事人因信赖而产生的损害。 b)表见代理的法律后果——缔约过失责任 针对法院的司法判决, 德国学界早期即有学者主张被代理人不应当承担 合同履行责任, 而仅需承担信赖利益的损害赔偿责任, 因此建议依据缔约 过失责任来处理表见代理的问题。 4 4 梅迪库斯坚持认为, “在表见代理的情 形中, 行为相对人对所谓的被代理的人不享有履行请求权, 但行为相对人 可以缔约过失为由请求损害赔偿, 该损害赔偿请求权仅以信赖利益为限, 即 41
弗卢梅, 《法律行为论》(Fn. 6), 第997 – 998页。
42 《德国民法典》第311条第2款规定: “以第241条第2款所规定的义务为内容的债
务关系, 也因下列情形之一而发生: (1)合同磋商的开始;(2)合同的准备, 而 在准备合同时, 鉴于可能的法律行为上的关系, 一方将影响自己的权利、法益和利 益的可能性给予另一方, 或将自己的权利、法益和利益托付给另一方;或(3)类似 的交易上的接触。 ”第241条第2款规定: “债务关系可以依其内容使任何一方负有顾 及另一方的权利、法益和利益的义务。 ”第280条第1款规定: “债务人违反因债务关 系而发生的义务的, 债权人可以请求赔偿因此而发生的损害。 债务人无须对义务之 违反负责的, 不适用前句的规定。 ” 43 在中国法中为附随义务, 详见迟颖,《中国合同法上附随义务之正本清源——以 德国法上的保护义务为参照》载于《政治与法律》2011年第7期, 第128页以下。 44 Titze, Anm. zum RG-Urteil vom 27. 3. 1925 – II 207 / 24, in: JW 1925, 1753; Th. D. Macris, Die stillschweigende Vollmachtserteilung, Ein Beitrag zur Lehre von der Vollmachtserteilung (Marburg a. d. Lahn 1941), 49 ff.; Lenz, Inkassovollmacht eines Stadtreisenden, Rechtsschein einer Vollmacht, in: JR 1931, 150 f.
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只能要求赔偿因信赖[行为人]享有代理权而 遭受的损害。 ” 4 5 弗卢梅亦认为, 在被代理人因过失不知道他人以自己名义实施法律行为的情形中, 被代理人 应当基于缔约过失责任的基本原则承担信赖利益的损害赔偿责任。 4 6 笔者赞同上述德国学者的观点。 代理制度应当平衡被代理人, 代理人和 相对人三者之间的利益, 而表见代理制度仅仅强调保护代理人和第三人的 利益, 以牺牲“被代理人”的意思自治来保护交易安全, 在其根本没有授予 他人代理权的意思, 亦没有订约意思的情况下, 要求“被代理人”承认无权 代理人在其完全不知情的情况下订立的合同, 并因此承担合同履行的义 务, 该制度践踏了被代理人的自主决定自由, 对于被代理人而言过于严 苛, 其结果必定是“被代理人”将小心谨慎, 事必躬亲, 代理制度的功能难 以充分发挥。 因此, 在中国民法中的所谓表见代理的情形中, 尽管第三人的 信赖值得保护, 但是也应当兼顾被代理人的利益。 此处可以借鉴前述《德国 民法典》关于意思表示瑕疵制度的构建, 通过要求因过错引起代理权存在表 象的“被代理人”基于缔约过失承担信赖利益的损害赔偿来保护第三人的信 赖, 而不必要求“被代理人”在违背自己意思的情况下承担合同履行的义 务。 据此, 对于未因过错引起代理权表象的“被代理人”而言, 既无需依据 缔约过失责任承担信赖利益的损害赔偿责任, 也无需承担实际履行的违约 责任。 所谓的表见代理制度在中国法中没有存在的必要, 《合同法》第49条 的规定应予废除。 IV. 中国未来民法典代理权信赖保护制度之构建 私法自治原则是民法中不可动摇的基石。 私法自治原则在代理制度中的具 体体现是尊重被代理人的意思, 而表见代理制度以权利表象理论为基础, 置被代理人的意志于不顾, 要求被代理人仅因过失不知道他人以自己名义 实施法律行为而承担代理的法律后果, 有悖私法自治的原则, 不利于被代 理人的利益。 然而, 公平正义原则亦属民法的基本原则, 在尊重被代理人 意思的同时, 也应当兼顾交易安全, 对于因信赖代理权存续的善意第三人也 应予以适当保护, 以期达到私法自治与交易安全保护的平衡。 下述将通过具 体制度的构建来保护善意第三人对代理权存续的信赖, 为中国未来民法典的 制定提供相关立法建议。 1.容忍代理 在制定民法典时, 《民法通则》第66条第1款第3句规定的容忍代理制度值 得保留。 从比较法的视角来看, 该制度也是值得肯定的。 《德国民法典》中 虽然没有明确规定容忍代理的情形, 虽然理论依据有所不同, 但司法判决 和学界一致认为, 被代理人明知他人以自己的名义实施法律行为而不做否认 表示的, 应当承担代理的法律后果。 中国台湾地区《民法典》第169条明确规 45 46
梅迪库斯, 《德国民法总论》邵建东译, 法律出版社2000年版, 第733页。 弗卢梅, 《法律行为论》(Fn. 6), 第996 – 997页。
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定, 知他人表示为其代理人而不为反对之表示者, 对于第三人应负授权人 之责任。 因此, 可以借鉴德国民法的做法和中国台湾地区《民法典》的规 定, 中国未来民法典应当保留《民法通则》第66条第1款第3句的规定。 2.意定代理权的外部授予 如上所述, 由于中国民法中没有明确规定意定代理权是否可以相对于第三 人授予的问题, 所以导致立法者借助于表见代理制度来规制相对于第三人 作出意定代理授权表示而实际上并未授予代理人意定代理权的情形。 因此, 中国未来民法典可以借鉴《德国民法典》第167条第1款的规定, 明确 规定: “意定代理权的授予, 以对被授权人或代理应对之发生的第三人的表 示为之。 ”在承认授予意定代理权的意思表示也可以相对于第三人作出之 后, 就无需通过表见代理制度来维护交易安全。 只要被代理人向相对人作 出授予代理人意定代理权的意思表示, 他就应当承担代理的法律后果, 而 代理人是否实际上被授予意定代理权则在所不问。 3. 代理权无因性原则 中国《合同法》总则中规定了代理, 分则中规定了委托合同。 从立法上来 看, 代理和委托相互分离。 而且《民法通则》第65条第3款的规定体现了代理 权无因性原则的法律思想。 从比较法上来看, 中国台湾地区《民法典》第 107条的规定也体现了无因性原则。 因此, 对于代理人超越被代理人未在授 权书中明确说明的代理权限制所实施的法律行为, 被代理人不得以代理权的 限制对抗第三人, 应由被代理人承担授权不明的法律后果, 优先保护交易 安全。 而对于代理人超越授权书中明确授予的代理权限的, 则应由代理人 承担无权代理的法律后果, 于被代理人无涉。 《民法通则》第65条第3款的 规定可以保留。 4. 意定代理权的有效期 借鉴《德国民法典》第170条至173条的规定, 中国未来民法典可以作出如 下规定: “外部授权或以通知, 公告方式告知相对人授予他人意定代理权, 或以出示授权书的方式告知相对人被授予意定代理权的, 在以授权时所采 取的方式或收回授权书的方式告知第三人意定代理权消灭的事实之前, 意 定代理权相对于第三人而言持续有效, 第三人知道或应当知道意定代理权 消灭的除外。 ”我们可以通过上述明确的法律规定, 从法律行为的维度来保 护交易安全, 而无需借助于表见代理制度来保护善意第三人的信赖。 5. 缔约过失责任 如上所述, 除通过明确法律规定保护善意第三人的信赖之外, 在民法上 没有表见代理存在的空间。 被代理人因过失而引起授予他人意定代理 权表
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象且善意第三人信赖行为人享有代理权的, 被代理人仅需依据缔约过失责 任承担信赖利益的损害赔偿责任。 因此有学者建议, 判定构成表见代理具 有过度保护相对人嫌疑的, 可以否定表见代理, 类推适用缔约过失责任之 规则, 判令本人赔偿相对人信赖利益损失。 4 7 事实上, 中国《合同法》第 42条 4 8 明确规定了缔约过失责任, 依据第42条第3项的规定, 缔约当事人在 订立合同的过程中因违背诚实信用原则而造成对方当事人损失的, 应当赔偿 信赖利益的损害。 因信赖行为人享有意定代理权而遭受损害的第三人 可以 依据《合同法》第42条的规定请求信赖利益的损 害赔偿。 中国未来民法典可 以通过缔约过失责任制度来保护善意第三人, 无需借助表见代理制度来履 行这一功能。
6. 无权代理人的法律责任 之所以通过表见代理制度来维护交易安全, 很大程度上是因为通常情 况下被代理人比代理人更具有履约能力和赔偿能力。 但是, 现代社会中, 许 多合同并非要求被代理人亲自履行, 通常代理人亦可以履行, 因此, 为了保 护交易安全, 也可以通过要求代理人承担履行责任的方式来保护第三人的 信赖。 毕竟, 代理人在所谓的表见代理的情形中亦有过错。 《民法通则》第66条第1款第1句第2句规定: “没有代理权, 超越代理权或 者代理权终止后的行为, 只有经过被代理人的追认, 被代理人才承担民事 责任。 未经追认的行为, 由行为人承担民事责任。 ”在无权代理的情况下, 被代理人不予追认的, 无权代理人承担何种责任, 中国法律的规定非常笼 统, 不利于相对人的保护。 因此, 笔者建议借鉴《德国民法典》第179条 4 9 关 于无权代理人法律责任的规定, 中国未来民法典可以明确以下列规定来明确 无权代理人的法律责任: “被代理人拒绝追认的, 对于明知或应当知道自己 无代理权而以他人名义订立合同的无权代理人, 合同相对人既可以选择要 求该无权代理人履行合同, 也可以选择要求无权代理人赔偿其因合同不履 行所遭受的损失;代理人不知道代理权限欠缺的, 应当赔偿合同相对人因信 赖代理权而遭受的损失, 该损失以合同有效履行后合同相对人应获得的利 益为限。 合同相对人知道或应当知道代理权欠缺的, 代理人无需承担责 任。 代理人为限制行为能力人的, 无需承担责任, 但代理人经其法定代理
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叶金强, 载于《法律科学》(Fn. 19), 第42页以下。
48《合同法》第42条规定: 当事人在订立合同过程中有下列情形之一,
给对方造成 损失的, 应当承担损害赔偿责任: (一)假借订立合同, 恶意进行磋商;(二)故 意隐瞒与订立合同有关的重要事实或者提供虚假情况;(三)有其他违背诚实信用 原则的行为。 49《德国民法典》第179条: “(1)作为代理人订立合同的人无法证明其代理权 的, 有义务依另一方的选择, 或者向另一方履行, 或者赔偿损害, 但以被代理人拒 绝合同为限。 (2)代理人不知道代理权欠缺的, 仅有义务赔偿另一方因信赖该项代 理权而遭受的损害, 但不超过另一方就合同之生效所拥有的利益的数额。 (3)另 一方知道或应当知道代理权欠缺的, 代理人不负责任。 代理人是限制行为能力人 的, 也不负责任, 但代理人系经其法定代理人同意而实施法律行为的除外。 ”
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人同意而实施的行为除外。 ”通过明确规定无权代理人的责任, 亦可以加强 对善意第三人的保护。
V. 结论 私法自治是民法的基本原则, 法律行为是实现私法自治的工具。 代理制度 是被代理人私法自治的延伸, 应当尊重被代理人的意思, 维护其利益。 然而, 除了坚持私法自治原则之外, 民法还要兼顾公平正义原则, 保护善意 第三人对代理权存续的信赖。 具体而言, 当被代理人相对于善意第三人授 予代理权或者将授予代理权的事实以通知或公告的方式告知第三人时, 被 代理人不得以实际上未授予代理权或代理权因存在瑕疵而无效为由对抗善 意第三人;被代理人希望限制代理人的代理权限, 但未在授权书中明确表 示的, 不得以代理人超越代理权为由拒绝承担代理的法律后果;在外部授 权, 内部授权外部通知的情形中, 被代理人有义务将代理权消灭的事实通知 相关第三人, 否则代理权相对于善意第三人持续有效, 被代理人应当承担 代理的法律后果;被代理人明知他人以自己的名义实施法律行为而未做否 认表示的, 应当承担代理的法律后果, 而不能以未授予他人代理权为抗辩 事由对抗善意第三人。 上述这些问题都可以在法律行为理论的框架下予以 解决, 无需借助所谓的表见代理制度予以规制。 表见代理制度产生于德国民法司法实践, 其法理基础是权利表象理论, 该理论虽然为德国学界关于保护第三人对代理权信赖的通说, 但仍然存在 诸多问题。 有鉴于此, 表见代理制度至今仍然是司法实践中的一项制度, 并 未被纳入到制定法之中。 继受德国民法的《日本民法典》和中国台湾地区民法 典中虽然都有关于表见代理的规定, 但也仅限于个别规定, 没有类似于中国 《合同法》49条那样宽泛的一般性规定。 本文从表见代理制度在中国民法中 的历史发展脉络入手, 在对中国法中表见代理的类型进行了评述的基础 上, 从法律行为的角度对表见代理制度存在的价值进行分析论证, 最后提 出了中国未来民法典应当承认容忍代理制度, 并通过完善代理制度的相关规 定来取代《合同法》第49条关于表见代理宽泛规 定的立法建议。 具体而 言, 我们应当承认容忍代理制度, 承认意定代理权可以相对于第三人作 出, 承认代理权无因性原则, 并通过法律明确规定在外部授权和内部授权外 部通知的情形中意定代理权的有效期问题, 最后可以通过完善无权代理法 律后果的规定来保护善意第三人。 在外部授权或内部授权外部通知, 代理 人超越代理权, 代理权终止后代理人继续为代理行为以及被代理人明知他 人以自己的名义从事法律行为而未做否认表示的情形中, 被代理人在明知的 情况下以自己的行为引起第三人对代理权存续的信赖, 因此被代理人应当对 自己在私法自治的基础上实施的法律行为负责, 承担代理的法律后果。 与上 述情形完全不同的是被代理人因疏忽而引起善意第三人对代理权存续信赖 的情形, 在这一情形中, 被代理人根本不知道他人以自己名义实施法律行为 的事实, 如果仅因被代理人的疏忽而要求其承担代理的法律后果, 责令其 履行自己根本不希望订立的合同, 则有悖于私法自治原则, 然而, 我们也不 能置善意第三人的信赖于不顾, 为了保护善意第三人, 我们可以要求被代
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理人基于缔约过失责任承担信赖利益的损害赔偿责任, 这样一来, 不仅被 代理人的意思得到尊重, 而且第三人对代理权存续的信赖亦得到保护, 兼 顾了被代理人的利益和交易安全, 避免了表见代理所造成的对第三人过度 保护而忽视被代理人利益的结果。 “被代理人”对于代理权表象的引起没有 过错的, 既无需依据缔约过失承担信赖利益的损害赔偿责任, 也无需承担 实际履行的违约责任, 无过错“被代理人”的意思自治得以确保。 “被代理 人”无过错的, 行为人应承担无权代理的法律后果。 明知或因过失而不知没 有代理权而仍以他人名义实施代理行为的行为人, 应按照善意第三方的选 择承担实际履行责任或履行利益的损害赔偿责任;不知代理权欠缺而实施 代理行为的行为人, 应承担信赖利益的损害赔偿责任, 责任范围以履行利 益为限。
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Aufbau eines Compliance-Management-Systems in einer chinesischen Tochtergesellschaft Von Anne Daentzer*
I. Einleitung Schon seit ca. einem Jahrzehnt ist es in der westlichen Welt selbstverständlich, dass Unternehmen sich compliant verhalten, sich dazu ein internes Üeberwachungssystem, das sog. Compliance-Management-System verordnen. Doch funktioniert so ein Selbstbindungssystem auch in einem Land wie China, welches auch heute noch weltweit Rang 83 von 168 im Bereich Bestechlichkeit im öffentlichen Sektor innehat?1 Müssen westliche Unternehmen bei ihren Investitionen in China hier keine Zugeständnisse an die kulturell und historisch bedingten anderen Umgangsformen mit öffentlichen Amtsträgern oder auch im Umgang mit Geschäftspartnern machen? Compliance bedeutet, dass sich Handlungen von Unternehmen und ihrer Organe im Einklang mit geltendem Recht bewegen müssen.2 Gemäß Ziffer 4.1.3 des Deutschen Corporate-Governance-Kodex (DCGK) bedeutet Compliance die Pflicht des Vorstandes für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und auf deren Beachtung durch alle Konzernunternehmen hinzuwirken. Damit erstreckt sich diese Pflicht auch auf alle weltweiten Konzerngesellschaften. Seit dem Urteil des LG München gegen den ehemaligen Siemens Finanz-Chef vom 10. 12. 20133 muss jeder Unternehmensführung bekannt sein, dass der Aufbau eines wirksamen, auf Schadensprävention und Risikokontrolle gerichteten Compliance-Management-Systems in jedem Unternehmen eine Pflicht des Vorstands ist. Der Vorstand hat dabei einen Ermessenspielraum, wie die ComplianceAnforderungen umgesetzt werden, es muss allerdings sichergestellt werden, dass ein funktionsfähiges Compliance-Management-System errichtet wird. Diese Pflicht umfasst nicht nur die deutsche Muttergesellschaft, sondern erstreckt sich auf die chine-
* Dr. iur., Leiterin der Konzernrechtsabteilung des Spezialglasherstellers SCHOTT AG. 1 Transparency International 2015, abrufbar unter: http://www.transparency.org/country/ #CHN. 2 C. Hauschka, Corporate Compliance – Handbuch der Haftungsvermeidung im Unternehmen (München 20102), § 1 Rn. 2. 3 LG München vom 10. 12. 2013, AZ:HKO 1387/10.
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sischen Tochtergesellschaften. Bei Zuwiderhandeln drohen hohe Schadensersatzforderungen.4 Spätestens seitdem der chinesische Präsident Xi Jinping dem chinesischen Volk versprochen hat, in puncto Korruption nicht nur die ,Fliegen‘ sondern auch die ,Tiger‘ auszumerzen,5 ist der Welt klar, dass der jetzige Präsident der Volksrepublik China es – im Gegensatz zu einigen seiner Vorgänger – ernst mit der Bekämpfung der Korruption meint.6 Dieser Feldzug hat nicht, wie in der Vergangenheit, die eigentlich Schuldigen, die hochrangigen Kader der Chinesischen Kommunistischen Partei verschont,7 sondern bereits zu etlichen Verurteilungen in den höchsten Politkreisen geführt.8 Und allerspätestens seit den Verfahren, die gegen die Pharmabranche im Allgemeinen und gegen den Pharmahersteller GlaxoSmithKline (GSK) im Speziellen geführt wurden und zu mehreren Gefängnisstrafen gegen hochrangige auch ausländische Manager des Konzerns in China geführt haben, ist allen ausländischen Investoren klar, dass chinesische Tochtergesellschaften von ausländischen Investoren keinen Freibrief erhalten und den Ermittlungen chinesischer Behörden ebenfalls ausgesetzt sind. GSK wurde von einem chinesischen Gericht zu einer Geldstrafe von 376 Millionen Euro verurteilt.9 Das ist eine sehr drastische Strafe. Der 5-Jahres-Anti-Korruptionsplan der chinesischen Regierung sieht tiefgreifende Reformen in der Gesetzgebung bzgl. einer Verschärfung von Sanktionen vor.10
4 So wurde in dem zitierten Urteil der ehemalige Finanzvorstand von Siemens zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 15 Millionen Euro verurteilt, da Mitarbeiter des Unternehmens ausländische Rechtsträger bestochen haben sollen. Das Gericht ging in seinem Urteil nicht von einer persönlichen Verantwortung des Siemens-Finanz-Chefs aus, sondern von seiner Haftung als Teil des Gesamtvorstands von Siemens, welcher seinen Aufsichtspflichten nicht hinreichend nachgekommen sei. 5 Mit ,Tigern‘ sind hochrangige Beamte und mit ,Fliegen‘ niedrigrangige Beamte gemeint. 6 Dass die Auswahl der Politiker und Wirtschaftsbosse, gegen die wegen „Verstößen gegen die Parteidisziplin“, wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt, nicht frei von eigenen politischen Interessen ist, ist hinreichend bekannt und schmälert die Ermittlungserfolge nicht. 7 Von Beginn der Kampagne bis Januar 2016 wurde, nach öffentlich zugänglichen Quellen, gegen 1460 Personen ermittelt, von denen die überwiegende Mehrheit Beamte auf lokaler oder Provinzebene sind. Diese waren überwiegend tätig auf den Gebieten Bergbau, Öl, Recht (einschließlich der Rechtsdurchsetzung), Medien, Militär, Liegenschaften und Verkehr. S. Jakes, in: Visualizing China’s Anti-Corruption Campaign, abrufbar unter: http://www.china file.com/infographics/visualizing-chinas-anti-corruption-campaign. 8 Darunter waren auch so prominente Beamte vertreten wie der Vertreter von Präsident Xi ), nämlich Wang Qishan ( ), der, einer gewissen Ironie zum Trotz, als Jinping ( eines seiner Ämter auch der Central Commission for Discipline Inspection (CCDI) ( ) vorstand. 9 Abrufbar unter: http://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/nachricht-detail/gericht-in-chi na-spricht-pharmariesen-glaxo-schuldig/?t=1. 10 A. Marschlich/R. Paffen, Compliance Anforderungen in China richtig umsetzen – Die Pharmabranche als mögliches „role-model“, abrufbar unter: http://www.pwc.de/de/gesund
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II. Rechtsgrundlagen Compliance-Verstöße werden sowohl nach dem lokalen Recht, also den chinesischen Gesetzen, als auch nach dem deutschen Recht sowie weiteren international geltenden Rechtsvorschriften, wie dem US Foreign Corrupt Practice Act (kurz: FCPA) und dem UK Bribery Act, geahndet. Hier einen Überblick zu behalten, erfordert eine sorgfältige Analyse der internationalen Rechtsgrundlagen. Bei Verstößen drohen Geldstrafen, Gefängnisstrafen, die Abschöpfung rechtswidriger Vorteile sowie vergaberechtliche Konsequenzen. 1. Chinesische Rechtsgrundlagen Das chinesische Compliance-Regime findet seine Rechtsgrundlage in diversen Gesetzen und Verordnungen. Es würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen, auf alle vorhandenen Regeln Bezug zu nehmen, daher folgt nur eine Erläuterung der wichtigsten Vorschriften: Bestechung ist in China mehrfach unter Strafe gestellt. Art. 164 des chinesischen Strafgesetzbuches bestimmt eine Strafbarkeit für jeden, der Geld oder Vermögensgegenstände an einen Mitarbeiter eines Unternehmens gibt, um dadurch ungerechtfertigte Vorteile zu erhalten. Die Höchststrafe beträgt drei Jahre Gefängnis. Ist der Bestechungsbetrag außerordentlich hoch, so kann die Strafe zwischen drei und zehn Jahren betragen.11 Die Interpretation of the Supreme People’s Court and the Supreme Procuratorate on Several Issues concerning the Specific Application of the Law in the Handling of Criminal Bribe-Giving Cases12 von 2013 bestimmt, dass es sich bei Fällen, welche Bestechungssummen ab 200.000 Renminbi (RMB) beinhalten, um derartige ,gewichtige‘ Fälle handelt, welche Gefängnisstrafen bis zu zehn Jahren nach sich ziehen. Darüber hinaus ist selbstverständlich gemäß Art. 389 des chinesischen Strafgesetzbuches die Bestechung von Amtsträgern (working personnel of the state) unter Strafe gestellt. Eine Besonderheit besteht in China darin, dass es sich dabei nicht nur um Beamte in unserem klassischen Sinn handelt, sondern dass von diesem Begriff jeder erfasst ist, der für eines der immer noch zahlreich vorhandenen Staatsunternehmen arbeitet. heitswesen-und-pharma/compliance-anforderungen-in-china-richtig-umsetzen_die-pharmabran che-als-moegliches-role-model.html. 11 Es stellt sich damit die Frage, was genau mit „außerordentlich hohen Betrag“ gemeint ist. Hierzu gibt es auf Provinzebene Ausführungsvorschriften, die unterschiedliche Beträge ansetzen. So hat der Guangdong High Court ausgeführt, dass für die Stadt Guangzhou ein Betrag von 400.000 RMB als „außerordentlich hoher Betrag“ anzusetzen ist, während in der Stadt Chaozhou, welche sich ebenfalls in der Provinz Guangdong befindet, bereits ein Betrag von 300.000 RMB als „außerordentlich hoher Betrag“ gilt. 12 hh ii.
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Bietet eine ,Einheit‘13 eine Bestechung an oder gewährt Rabatte an einen Beamten, so kann diese Einheit gemäß Art. 393 des chinesischen Strafgesetzbuches bestraft werden. Hier werden Geldbußen verhängt. Jede Person, welche für diese Einheit zuständig war – hier ist insbesondere die Geschäftsführung angesprochen – kann mit Gefängnis von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Daraus folgt, dass selbst Personen ohne betrügerische Absicht im Falle der Nachlässigkeit oder bei Organisationsverschulden einem erheblichen strafrechtlichen Risiko ausgesetzt sind. Auch verwaltungsrechtliche Vorschriften bekämpfen Korruption. So ordnet Art. 9 der Interim Rules on the Prohibition of Commercial Bribery14 Geldstrafen zwischen 10.000 und 200.000 RMB sowie den Einzug derart illegal erwirtschafteten Gewinns an. Ein weiteres Objekt staatlicher Ermittlungen ist, wie in den westlichen Staaten schon seit vielen Jahren, wettbewerbswidriges Verhalten, welches als Kartellverstoß gilt. Nach dem chinesischen Anti-Monopol-Gesetz15 können Verstöße mit einer Geldbuße, deren Höhe 10 % des Umsatzes des vergangenen Jahres des Unternehmens entspricht, geahndet werden. Der Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen ist in Art. 10 des Anti Unfair Competition Law16 der Volksrepublik China geregelt. Das 1994 erlassene Gesellschaftsgesetz sieht vor, dass Personen, welche rechtskräftig wegen Bestechung oder anderer Wirtschaftskriminalität verurteilt worden sind, keine Führungsaufgaben in Unternehmen wahrnehmen dürfen. 2. Deutsche Rechtsgrundlagen Nach § 93 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AktG ist der Vorstand einer Aktiengesellschaft verpflichtet, ein Überwachungssystem zur frühzeitigen Erkennung von gefährdenden Entwicklungen im Unternehmen einzurichten. Darüber hinaus ordnen §§ 130 und 9 OwiG eine Haftung der Aufsichtspflichtigen jeder Unternehmensform an. Aus diesen Bestimmungen17 wird die Pflicht der Unternehmensleitung abgeleitet, nach Durchführung einer entsprechenden Risikoanalyse festzulegen, welche Compliance-Maßnahmen zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufsichtspflicht im Unternehmen einzurichten sind.18 Diese Pflicht erstreckt sich nicht nur auf die deutschen 13
Gemeint sind hiermit ganze Legaleinheiten wie die chinesische Tochtergesellschaft. ii. hh 15 Am 01. 08. 2008 trat erstmalig ein einheitliches Kartellgesetz in China in Kraft. Diesem Gesetz war eine 14-jährige Vorbereitungsphase vorhergegangen. In 57 Artikeln regelt das Gesetz Monopolabsprachen, die Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen und enthält Regelungen zur Fusionskontrolle. 16 hh ii. 17 Des Weiteren existieren branchenspezifische Einzelvorschriften wie z. B. § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG für den Finanzdienstleistungssektor. 18 K. Moosmayer, Compliance Praxisleitfaden für Unternehmen (München 20122), 5. 14
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Gesellschaften, sondern ist konzernweit zu verstehen und gilt damit auch für chinesische Tochtergesellschaften.19 Dabei ist nicht gefordert, dass die deutsche Konzernleitung die Compliance-Umsetzung bis in jedes Detail mitbegleitet, jedoch muss sie die lokale Unternehmensleitung vor Ort verpflichten, für eine Umsetzung der Compliance-Regelungen zu sorgen.20 Das Haftungspotential für Verletzungen ist enorm. Bei einer Verletzung der betriebsbezogenen Aufsichtspflicht drohen den Mitgliedern der Unternehmensleitung sowie den weiteren in §§ 14 StGB und 9 OwiG aufgeführten Unternehmensmitgliedern Bußgelder bis zu eine Million Euro. Zwar ist es möglich, im Rahmen der Geschäftsverteilung ein Mitglied der Unternehmensleitung mit der Wahrung von Compliance-Aufgaben zu betrauen, doch gilt auch hierbei der Grundsatz der Gesamtverantwortung des Unternehmens für Compliance. Dieser Grundsatz gilt gerade dann, wenn es zu einem erheblichen Pflichtverstoß gekommen ist, der auf einer systematischen Fehlentwicklung beruht.21 Neben der bußgeldrechtlichen und strafrechtlichen Haftung droht der Unternehmensleitung auch eine zivilrechtliche Verfolgung, sofern dem Unternehmen ein vermögensrechtlicher Schaden entstanden ist.22 Schließlich birgt ein Compliance-Verstoß immer auch das Risiko eines Reputationsschadens,23 der insbesondere bei Unternehmen, die regelmäßig an Vergabeverfahren teilnehmen, gravierende Folgen haben kann. Auch verliert ein derart in die Schlagzeilen geratenes Unternehmen erheblich an Attraktivität als Arbeitgeber bei Nachwuchsführungskräften. 3. Ausländische Rechtsgrundlagen Vorrangige Bedeutung hat der amerikanische Foreign Corrupt Practice Act (FCPA), der die Bestechung ausländischer Amtsträger unter Strafe stellt (Anti-Bribery Provisions) und von den Unternehmen eine korrekte und transparente Buchführung verlangt (Accounting and Internal Control Provisions). Dieser FCPA findet zunächst direkt auf alle an einer US-Börse gelisteten Unternehmen Anwendung. Darüber hinaus gilt der FCPA auch für jedes, und damit auch ausländische Unterneh19 So heißt es in Ziff. 4.2.1 des Deutschen Corporate-Governance-Kodex (DCGK):“ Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance).“ Der Text des DCGK ist abzurufen unter http://www.dcgk.de/de/kodex/aktuel le-fassung/vorstand.html. 20 Moosmayer, Compliance Praxisleitfaden (Fn. 18), 6. 21 Moosmayer, Compliance Praxisleitfaden (Fn. 18), 17. 22 Für den Vorstand einer AG ergibt sich das aus § 93 Abs. 2 AktG, für den Geschäftsführer einer GmbH aus § 43 Abs. 2 GmbHG. 23 Prominente Beispiele sind hier sicher die „schwarzen Kassen“ bei Siemens, die Deutsche Bahn oder die Telekom.
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men, welches ,Handlungen zur Förderung von Korruptionszahlungen auf dem Hoheitsgebiet der USA‘ vornimmt (§ 78dd-3 FCPA). Dabei gelten die Anforderungen der ermittelnden Behörden an den Tatbestand einer korruptionsfördernden Handlung bereits bei geringen Berührungspunkten als erfüllt. Es reicht zum Beispiel ein aus den USA geführtes Telefonat, E-Mail-Kommunikation mit Empfängern, die sich in den USA aufhalten, oder ein Geldtransfer über ein Konto in den USA. Potentielle Gefahr besteht damit praktisch für jedes deutsche Unternehmen, welches in den USA Tochtergesellschaften oder zumindest regelmäßige Geschäftsbeziehungen hat. So wurde bereits eine Verletzung des FCPA angenommen, als der Chief Executive Officer (CEO) einer taiwanesischen Firma während eines Geschäftsbesuches in den USA eine Bestechungszahlung an einen taiwanesischen Amtsträger per E-Mail genehmigte.24 2015 wurde in den USA gegen 29 an der US-Börse notierte Unternehmen wegen Verstößen gegen den FCPA in China ermittelt.25 Das Bestechungsverbot des FCPA erfasst in erster Linie die Bestechung ausländischer Amtsträger (foreign officials). Dabei ist dieser Begriff sehr weit zu verstehen und umfasst alle Mitarbeiter ausländischer Regierungen, Ministerien, Behörden und deren entsprechender Einrichtungen. Hierunter fallen auch privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen, soweit die öffentliche Hand hieran eine Beteiligung hält oder über Kontrollmöglichkeiten verfügt.26 Gerade letzteres ist in China mit seinen zahlreichen Staatsunternehmen (State Owned Entities)27, die privatwirtschaftlich am Markt agieren, ein ernst zu nehmender Risikofaktor. Dieses Risiko kann reduziert werden, wenn deutsche Unternehmen ein Compliance-Management-System etablieren, welches den strengen Anforderungen des FCPA genügt, da ein derartiges Compliance-Management-System strafmildernd berücksichtigt werden würde.28 Dazu gehört, dass das Compliance-Management-System ein klar formuliertes Regelwerk enthält sowie Schulungen, welche allen Mitarbeitern dieses Regelwerk erläutern. Darüberhinaus müssen die FCPA Anforderungen auch Externen, wie Agenten, Beratern oder Joint Venture Partnern, nahegebracht werden. Schließlich muss der Konzern ein Buchführungssystem unterhalten, welches die Kontrolle sämtlicher Tochtergesellschaften garantiert und eine Transparenz sämtlicher verbuchten Aufwendungen von Tochterunternehmen und Geschäftspartnern ermöglicht.
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R. Hoffmann, Der amerikanische Foreign Corrupt Practice Act und seine Anforderungen auf schweizerische Unternehmen, S. 3, abrufbar unter: https://www.pwc.ch/user_content/edi tor/files/articles13/pwc_130108_der_fcpa_und_seine_anforderungen.pdf. 25 J. Choi, Top tips for HR in building an enhanced compliance system in China, abrufbar unter: https://www.dlapiper.com/en/hongkong/insights/publications/2016/02/top-tips-for-hr/. 26 Vgl. Department of Justice, FCPA Opinion Procedure Release 94 – 01, 13. Mai 1994. 27 . 28 F. Duerring, Foreign Corrupt Practice Act – Haftungsrisiken auch für deutsche Unternehmen, abrufbar unter: http://usa-recht.de/2012/08/29/federal-corrupt-practices-act-haftungsri siken-auch-fur-deutsche-unternehmen/.
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Am 01. 07. 2011 zog Großbritannien nach und verabschiedete seinen UK Bribery Act.29 Diesem Gesetz unterfallen – neben in Großbritannien niedergelassenen Unternehmen – sämtliche natürliche und juristische Personen, die geschäftlich dort tätig sind. Danach ist ein Unternehmen dann strafbar, wenn Bestechungshandlungen und sog. Beschleunigungszahlungen durch Mitarbeiter des Unternehmens, beauftragte Dritte oder Subunternehmer vorgenommen oder angenommen wurden. Es stellt damit also nicht nur die aktive, sondern auch die passive Bestechung im öffentlichen sowie im privaten Sektor unter Strafe. Strafbar ist ferner die unterlassene Verhinderung von Bestechungen. Das Unternehmen haftet dabei verschuldensunabhängig. Mit der Ausdehnung auf die Annahme von Bestechungszahlungen ist der UK Bribery Act in seiner Anwendung sogar weiter als der FCPA und gilt somit als eines der schärfsten Anti-Korruptionsgesetze weltweit.30 Auch unter dem UK Bribery Act kann ein Unternehmen sich entlasten, wenn es nachweist, dass es ein effektives System zur Bekämpfung von Korruption etabliert hat.31 Was als angemessen gilt, wird von der britischen Strafjustiz interpretiert.32 Die Rechtsfolgen sind hart. Unternehmen können mit Geldstrafen in unbegrenzter Höhe belegt oder von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden, Privatpersonen können ebenfalls mit unbegrenzten Geldstrafen sowie mit Haftstrafen bis zu zehn Jahren bestraft werden.
III. Besondere Herausforderungen bei chinesischen Tochtergesellschaften ). China hat eine lange Tradition der Beziehungspflege, genannt Guan Xi ( Daraus resultiert eine munter gepflegte Geschenketradition. So werden zum sog. Mitherbstfest, dem Zhongqiujie ( ), die in China sehr beliebten Mondkuchen verschenkt. Diese sind zwar oft von relativ geringem Wert, doch wurde es im letzten Jahrzehnt Brauch, dieses geringwertige Gebäck in aufwendigen Verpackungen zu verschenken, die oftmals wertvolle ,Nebengeschenke‘ enthielten. Auch ist es unüblich, bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch die Rechnung zu teilen. Es gilt als 29
Abrufbar unter: http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2010/23/contents. Pwc, Großbritannien verschärft mit „Bribery Act“ die Gangart im Kampf gegen Korruption, abrufbar unter: http://www.pwc.de/de/compliance/grossbritannien-verschaerft-mit-brib ery-act-die-gangart-im-kampf-gegen-korruption.html. 31 Ministry of Justice, Anti Bribery Act Quick Start Guide, abrufbar unter: http://www.justi ce.gov.uk/downloads/legislation/bribery-act-2010-quick-start-guide.pdf. 32 Das britische Justizministerium hat hierzu Ausführungsregelungen erlassen (die sechs Prinzipien eines adäquaten Compliance-Programms) und empfiehlt damit u. a. die Einführung und Umsetzung von eindeutigen und effektiven Prozessen, das klare Bekenntnis der Unternehmensleitung zur Bekämpfung von Korruption und Schaffung einer entsprechenden Unternehmenskultur, fortlaufende Überprüfungen des Korruptionsrisikos sowie unternehmensweite Umsetzung von Anti-Korruptionsmaßnahmen und entsprechende Schulungsmaßnahmen. 30
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unhöflich, nicht wenigstens versucht zu haben, die gemeinsame Rechnung zu zahlen. So ist es gar nicht ungewöhnlich, wenn nach einem gemeinsamen Essen mehrere Teilnehmer sehr lautstark darüber diskutieren, wer jetzt die Rechnung für alle bezahlen ,darf‘. Auch ist es seit langem Tradition, anstelle eines Sachgeschenkes zu den verschiedensten Anlässen wie Hochzeit, Chinesisches Neujahrsfest, Geburt eines ), der Geld enthält, zu überKindes etc. einen sog. Roten Umschlag Hongbao ( reichen. Zu derartigen Feiern werden neben Verwandten und Freunden der Familie oftmals auch Geschäftspartner eines Verwandten des Brautpaares oder des Neugeborenen eingeladen. Diese Beispiele zeigen, dass dem Begriff ,Sozialadäquanz‘ in China eine ganz andere Bedeutung zukommt.33 Neben der räumlichen und sprachlichen Distanz zu der chinesischen Tochter und in vielen Fällen zum chinesischen Management zeigt sich immer wieder, dass die kulturellen Unterschiede erheblich sind. So fehlt selbst beim hochrangigen Management der chinesischen Tochter oft schlichtweg das Unrechtsbewusstsein, dass Korruption, Kartellverstöße oder das Hinterziehen von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen nicht rechtens sind und, selbst wenn dieses Verhalten kurzfristig Gewinne verspricht, langfristig dem Unternehmen viel mehr schadet als nützt. Das führt dazu, dass gegebenenfalls das Management der chinesischen Gesellschaft komplett auszutauschen ist, wenn selbst mehrmalige Schulungen und stetes Anweisen aus dem Headoffice erfolglos geblieben sind.34 Das Auswechseln des Managements und die damit verbundenen zusätzlichen Kosten führen natürlich zu einer erhöhten Frustration im ausländischen Stammhaus. Auch unterscheidet sich der chinesische Managementstil erheblich von dem Managementstil in westlichen Unternehmen. Er ist geprägt von einem strikten Hierarchiedenken, eine Diskussionskultur existiert oft nicht, der CEO – und in vielen Fällen ist das der Firmeninhaber – entscheidet allein, wie das Unternehmen agiert.35 Vor diesem Hintergrund ist es nicht schwer nachzuvollziehen, dass das mittlere Management die Verantwortung für rechtmäßiges Handeln nicht bei sich sieht, wenn der CEO dieses nicht strikt vorgibt und vor allem vorlebt. Im Gegenteil, die Anweisungen des CEO in Frage zu stellen, würde gegen das Prinzip der Gesichtswahrung verstoßen und selbstverständlich das eigene Fortkommen im Unternehmen behindern. Als weiteres Problem kommt der immer noch weit verbreitete Diebstahl geistigen Eigentums hinzu. Das geistige Eigentum einer Firma ist sowohl von Angriffen von Wettbewerbern bedroht als auch manchmal durch die eigenen Mitarbeiter. Hier gilt es, die lokalen Mitarbeiter dafür zu sensibilisieren, dass Verlust von geistigem Eigen33
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H. Herzog, China & Compliance-Management – Ein Zielkonflikt, in: ZRFC 5 (2010),
34 Mc Dermott Will & Emery, Focus on China Compliance – March 2015, abrufbar unter: http://www.mwechinalaw.com/en/publicationeventlanding/publications/2015/focus-on-chinacompliance-march-2015. 35 J. Sackhoff, Schott Joint Ventures in Indien und China, in: Kai Lucks (Hrsg.), M&A Projekte erfolgreich führen (Stuttgart 2013), 595.
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tum einen immensen Schaden für das Unternehmen bedeuten kann und dass es sich dabei keinesfalls um ein Kavaliersdelikt handelt. Im Falle des Diebstahls von geistigem Eigentum ist der Weg durch das lokale chinesische Gerichtssystem mühsam, obwohl China in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen hat, den Schutz von intellectual property (IP) zu erweitern und mit der Einrichtung von eigenen IP-Kammern bei den lokalen Gerichten dafür sorgt, dass hier speziell ausgebildete Richter tätig werden. Auch Kartellverstöße wie Preisabsprache und Marktaufteilung bieten ein erhebliches Gefährdungspotential. China hat erst relativ spät, nämlich 2008 ein einheitlich geltendes Kartellgesetz, das sog. Anti-Monopoly Law36 erlassen. Bis dahin wurden lediglich ausgewählte Tätigkeiten wie Preisabsprachen oder die Fusionskontrolle in unterschiedlichen Gesetzen geregelt. Nach Erlass des Anti-Monopol-Gesetzes wurde dieses in den ersten Jahren kaum angewendet. Seit 2010 kommt es jedoch verstärkt zu Ermittlungen insbesondere bei Kartellverstößen. Da China viele Jahre kaum aktiv gegen Preisabsprachen und Marktaufteilungen etc. vorgegangen ist, ist das Unrechtsbewusstsein bei vielen Unternehmensmitarbeitern kaum ausgeprägt. So agieren viele Mitarbeiter ihrer Meinung nach vermeintlich im Interesse des Unternehmens, wenn sie versuchen, Umsatzziele durch Kooperation mit dem Wettbewerber zu erreichen, und bedenken nicht den kurzfristigen Schaden, der dem Unternehmen durch eine Geldbuße entsteht, sowie den langfristigen Schaden, wenn das Unternehmen eine Rufschädigung erfährt oder wenn es womöglich aufgrund des Vorfalls an der Teilnahme von öffentlichen Ausschreibungen blockiert wird. Schließlich entpuppt sich die Beachtung wettbewerbsrechtlicher oder arbeits- und sicherheitsrelevanter Regeln in einem Marktumfeld, in dem die lokalen Wettbewerber im Zweifel nicht ganz so gesetzestreu agieren, zumindest kurzfristig als Wettbewerbsnachteil, da lokale Unternehmen durch die Verletzung von Compliance-Regeln oftmals kostengünstiger und schneller operieren.
IV. Errichtung eines Compliance-Programms Compliance beinhaltet nicht nur die Einhaltung zwingenden Rechts sondern auch die Einhaltung ethischer Standards. Ausschlaggebend für den Erfolg der Einführung eines wirksamen Compliance-Management-Systems ist daher die Unternehmenskultur des Konzerns. Diese darf sich nicht nur im deutschen Mutterhaus abspielen, sondern muss auch an das chinesische Tochterunternehmen kommuniziert werden. Das bedeutet ein Vorleben dieser Compliance-Kultur durch die deutsche Konzernspitze genauso wie durch das Management der chinesischen Tochter. Kommuniziert die Unternehmensführung unmissverständlich, dass sich das Unternehmen gesetzeskonform verhält, Compliance-Regeln einhält, und Regelverstöße nicht toleriert werden, so ist das entscheidend für den Erfolg der Umsetzung jedes Compliance-Manage36
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ment-Programms. Der Einwand „China ist anders“ oder „in China machen das aber alle so“ sollte von vornherein kein Gehör finden. 1. Anordnung durch das oberste Management Als erster Schritt muss von der Konzernleitung entschieden werden, dass in der chinesischen Tochtergesellschaft ein Compliance-Management-System eingeführt wird.37 Hier muss per Ton from the top klar angeordnet werden, dass dieser Anweisung Folge zu leisten ist. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass das Unternehmen im Einzelfall doch zu Ausnahmen bereit ist, sofern sie den größeren wirtschaftlichen Erfolg versprechen. Das Compliance-Management-System muss sich auf alle Ebenen des chinesischen Unternehmens erstrecken.38 Es muss ebenfalls klar kommuniziert werden, dass Zuwiderhandlungen gegen die Compliance Policies geahndet werden. 2. Bestellung eines Compliance-Verantwortlichen Üblicherweise existiert in der deutschen Konzernmutter ein Chief Compliance Officer (CCO) oder sogar eine eigene Compliance-Abteilung, an die die Unternehmensführung Compliance-Aufgaben delegiert haben. Damit die Regelungen der deutschen Compliance-Abteilung tatsächlich in der chinesischen Tochter nachhaltig umgesetzt werden, ist es unverzichtbar, in der chinesischen Tochter einen festen Verantwortlichen für Compliance-Themen zu installieren. In größeren Organisationen wird die Compliance-Verantwortung als Hauptaufgabe eines Compliance-Beauftragten etabliert werden, in kleineren Unternehmen kann diese Aufgabe auch von einem Mitglied der Geschäftsführung wie z. B. dem Chief Financial Officer (CFO) oder auch von dem Syndikusjuristen wahrgenommen werden. Wichtig ist, dass diese Person mit hinreichenden Kompetenzen ausgestattet ist, um das konzernweite Compliance-Programm umzusetzen, um, falls notwendig und zulässig, lokal bedingte Ausnahmen zu gestatten und um als erster Ansprechpartner bei Compliance-Anfragen zur Verfügung zu stehen. Außerdem sollte sie einen direkten Berichtsweg an die Unternehmensleitung und an den Chief Compliance Officer oder den General Counsel des Stammhauses haben, um im Notfall schnell handeln zu können.
37 N. Sandford, Building Tone at the Top: The Role of CEO, Board and COO, abrufbar unter: http://deloitte.wsj.com/riskandcompliance/2014/12/15/building-tone-at-the-top-the-roleof-the-ceo-board-and-coo/. 38 Mayer Brown JSM Competition Law in Hong Kong and China: Why a Compliance Policy should be Your Company’s Priority, abrufbar unter: https://www.mayerbrown.com/files/ Publication/52386bf8-d468-430c-a496-84e3680f8702/Presentation/PublicationAttachment/ fe66ad70-e13b-424b-a4af-8c1569e1ef5e/CompetitionLaw_HK_China.PDF.
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Die Anforderungen an den Compliance-Verantwortlichen in der chinesischen Tochtergesellschaft sind hoch. So muss er regelmäßig mit der (meist übergeordneten) deutschen Compliance-Organisation zusammenarbeiten, dementsprechend mit den Personen und dem Aufbau der Mutter-Organisation vertraut sein. Desweiteren muss er über eine hohe Akzeptanz bei den Mitarbeitern in der chinesischen Gesellschaft verfügen. Allein durch Erlass von Richtlinien und anderen unternehmensinternen Vorschriften wird er nicht die Unterstützung der Mitarbeiter gewinnen. Dieses wird ihm nur durch ständige Überzeugungsarbeit gelingen. Da Compliance im weiteren Sinne fast alle Bereiche des Unternehmens erfasst, muss er außerdem mit den Mitarbeitern der Rechts-, Finanz-, Revisions-, Steuer- und Personalabteilung zusammenarbeiten, also auch innerhalb des Konzerns gut vernetzt sein. Und schließlich ist die kulturelle und sprachliche Barriere nicht zu unterschätzen. Um akzeptiert zu werden, sollte er in der Lage sein, mit allen Mitarbeitern, also nicht nur mit dem Top-Management, direkt zu kommunizieren, und den kulturellen Hintergrund für kritische Entscheidungen oder Handlungen verstehen können. Gerade in China ist daher eine hohe Sozialkompetenz notwendig. Wie bereits ausgeführt, führt das strenge Denken in Hierarchien dazu, dass viele Mitarbeiter sich scheuen, von sich aus aktiv das Gespräch mit der Führungsebene zu suchen. Der Compliance-Verantwortliche muss also zunächst diese Hemmschwelle überwinden, indem er zeigt, dass er tatkräftig agieren und praxisrelevante Verhaltenstipps geben kann, und nicht nur starre Vorgaben macht. Natürlich ist die Kommunikation erheblich einfacher, wenn der Compliance-Verantwortliche die Landessprache beherrscht. 3. Code of Conduct und andere Regelwerke Wichtig für die wirksame Implementierung eines Compliance-Management-Systems ist die Formulierung klarer Compliance-Ziele. Diese geschieht zumeist durch einen sog. Code of Conduct oder Ethik-Kodex. Dieser Code of Conduct sollte konzernweite Gültigkeit haben und die wesentlichen Regelungen und Verhaltensanforderungen zusammenfassen.39 Um tatsächlich konzernweit Beachtung zu finden, ist es notwendig, diesen Code of Conduct in alle wichtigen Sprachen, und damit selbstverständlich auch ins Chinesische zu übersetzen. Nur so ist gewährleistet, dass sowohl die Mitarbeiter der chinesischen Tochtergesellschaft als auch die chinesischen Kunden und Zulieferer mit den Inhalten vertraut sind und diese befolgen. Der Text des Code of Conduct sollte nicht zu lang, prägnant und gut strukturiert sein, um so von allen Mitarbeitern verstanden zu werden, und er sollte sich ausnahmslos an sämtliche Mitarbeiter des Konzerns wenden, von der Führungskraft zum gewerblichen Mitarbeiter.
39 Ein Beispiel eines Code of Conduct für den Spezialglashersteller SCHOTT AG ist abrufbar unter: http://www.schott.com/english/company/compliance.html.
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Zur effektiven Umsetzung empfiehlt es sich, dieses Dokument zum Bestandteil des Arbeitsvertrages zu machen. Idealerweise enthält das Welcome Package der Personalabteilung für neue Mitarbeiter nicht nur die obligatorische Geheimhaltungsvereinbarung und das in China übliche Employee Handbook, sondern auch eine Kopie des Code of Conduct in der Landessprache. Bei Übergabe der Dokumente sollte sich die Personalabteilung von dem neuen Mitarbeiter quittieren lassen, u. a. den Code of Conduct erhalten zu haben und auch Gelegenheit gehabt zu haben, diesen zu lesen und Rückfragen zu stellen, sowie darauf hingewiesen worden zu sein, im Falle des Zuwiderhandelns mit arbeits- und strafrechtlichen Konsequenzen rechnen zu müssen. Selbstverständlich sollte der Code of Conduct auch im lokalen Intranet abrufbar sein. Es wäre unrealistisch anzunehmen, dass ein mehrseitiges Dokument wie ein Code of Conduct allein durch Beifügen einer Kopie oder durch Verweis auf einen Intranetlink von der Mehrzahl der Mitarbeiter gelesen und verstanden würde. Daher sollte gerade der Inhalt des Code of Conduct durch Präsenzschulungen vermittelt werden (zu den verschiedenen Schulungsmöglichkeiten gleich unter IV.4.). Neben dem Code of Conduct werden oft eine Vielzahl von unternehmensinternen Richtlinien erlassen. Vorrangige Bedeutung kommt damit sicherlich einer Anti-Korruptions-Richtlinie und einer Richtlinie zum Schutz des unternehmenseigenen Know-Hows und der Unternehmensgeheimnisse zu. Auch für diese Dokumente gilt, dass sie offen und nachhaltig an alle betroffenen Mitarbeiter kommuniziert werden müssen, dass sie in der Landesprache abzufassen sind und dass sie einfach und verständlich sein sollten.
4. Schulungen Nachhaltige Schulungen sind wesentlich für den Erfolg eines Compliance-Management-Systems. Grundsätzlich gibt es hier die Möglichkeit der Präsenzschulung oder der elektronischen Schulung, dem sog. E-Learning. Für China ist es wichtig, dass zumindest die wichtigsten Grundsätze im Rahmen eines Präsenztrainings vermittelt werden. Dabei kommt es darauf an, bei den Mitarbeitern die Bedeutung der Einhaltung von Compliance-Regeln zu vermitteln. Hilfreich dazu ist die Schilderung aktueller Fälle, die den chinesischen Mitarbeitern aus der Presse bekannt sind. Ein Hinweis auf ausländische Rechtsvorschriften hingegen verspricht wenig Erfolg, da die Distanz zu ausländischen Rechtssystemen zu groß ist. Das Training sollte genügend Raum für Fragen und Beispiele lassen, um den chinesischen Mitarbeitern die Gelegenheit zu geben, sich mit dem System anzufreunden. Oft beherrschen Vorbehalte das Denken der Mitarbeiter, dass durch die Einführung eines Compliance-Systems verbunden mit weiteren Regeln und Richtlinien die Arbeit in dem sehr schnellen Geschäftsumfeld in China beeinträchtigt und verlangsamt wird. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, anschaulich die langfristigen negativen Folgen, die Compliance-Verstöße auch auf die chinesische Toch-
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ter haben können, wie z. B. Geldstrafen, Umsatzeinbußen, Rufschädigungen und damit letztendlich auch eine Minderung der Vergütung des einzelnen Mitarbeiters, zu schildern. In vielen Firmen ist die Teilnahme an derartigen Schulungen Pflicht und ist teilweise sogar eine Voraussetzung für die Auszahlung des Jahresendbonus an den Mitarbeiter.40 Auf jeden Fall sollte die chinesische Tochtergesellschaft sorgsam dokumentieren, wann welche Schulung abgehalten wurde und wer daran teilgenommen hat, damit im Fall der Verletzung einer Compliance-Pflicht die Möglichkeit zu einer Kündigung des pflichtwidrig handelnden Mitarbeiters besteht.41 Selbstverständlich muss gewährleistet sein, dass alle Mitarbeiter sprachlich in der Lage sind, den Schulungen zu folgen. Im Zweifelsfall bedeutet das, dass Trainingsunterlagen und Vortragssprache auf Chinesisch zu sein haben. Oft werden auch Online-Trainings angeboten. Auch hier ist darauf zu achten, dass das Training nicht zu allgemein gehalten ist, d. h. dass es spezifisch auf das Unternehmen angepasst ist (zum Beispiel durch konkrete Bezugnahme auf die Unternehmensprodukte oder -märkte) und dass der gesprochene Text, sollte er nicht ins Chinesische übersetzt worden sein, zumindest mit chinesischen Untertiteln versehen ist. 5. Hinweisgeberverfahren (Whistleblower Hotlines) Ein Instrument, staatlichen Ermittlungen unternehmensseitig vorzubeugen, kann die Einrichtung eines Hinweisgebersystem, der sog. Whistleblower Hotline sein. Dabei handelt es sich um die Beauftragung eines Unternehmensfremden – in zahlreichen Fällen wird das ein externer Rechtsanwalt sein – als Ombudsmann, den die Unternehmensangehörigen, auf Wunsch auch anonym, kontaktieren können, um Compliance-Verstöße zu melden. Dieses Instrument ist gerade dann gefragt, wenn der Compliance-Verstoß von Kollegen oder sogar dem Vorgesetzten des Informanten begangen wurde, so dass der Informant sich nicht an die dafür zuständigen Stellen im eigenen Unternehmen wenden kann. Vorteil ist, dass die Unternehmensleitung auf diese Weise unter Umständen schneller von einem Compliance-Verstoß Kenntnis erhält, als es staatliche Ermittlungsorgane tun, so dass der Verstoß abgestellt werden kann, bevor er publik wird und gegen das Unternehmen offiziell ermittelt wird. Bei der Auswahl des externen Ombudsmanns müssen in China einige Besonderheiten beachtet werden. Da im Normalfall nur die wenigsten Mitarbeiter Englisch sprechen, sollte der Ombudsmann unbedingt Chinesisch sprechen. Es hat also 40 The US-China Business Counsel, Best Practices for Managing Compliance in China, S. 20, abrufbar unter: https://www.uschina.org/sites/default/files/USCBC%20Compliance% 20Report%202013_0.pdf. 41 Eine Kündigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses seitens des Unternehmens ist in China nach Ablauf der Probezeit nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen möglich und erfordert einen ausdrücklichen Kündigungsgrund. Bei den lokalen Arbeitsschiedsgerichten werden diesbezüglich hohe Anforderungen an die unternehmerische Nachweispflicht gestellt.
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wenig Sinn, einen weltweit gültigen Kontakt an das Unternehmen in China zu verteilen. Aufgrund der Sprachprobleme sowie des Zeitunterschieds würden sich nur sehr wenige chinesische Mitarbeiter im Notfall an einen ausländischen Rechtsanwalt werden. Ein weiteres Problem besteht darin, dass in China das Anwaltsprivileg nicht uneingeschränkt gilt. Das ist auch den chinesischen Mitarbeitern bewusst. Da diese ohnehin oft kein tiefes Vertrauen in das Rechtssystem in China haben, würde auch die Bestellung eines Anwalts in China nicht sehr erfolgreich sein. Als praktikable Zwischenlösung hat sich hier die Bestellung eines Anwalts in Singapur erwiesen. Dort findet man leicht sehr gut ausgebildete Juristen, die sowohl Mandarin als auch andere chinesische Dialekte sprechen, darüber hinaus fließend Englisch beherrschen, mit europäischen Rechtssystemen vertraut sind und aufgrund ihrer Exterritorialität nicht dem direkten Zugriff chinesischer Behörden unterliegen. 6. Geschenke-Richtlinie Aufgrund der kulturellen Besonderheiten in China, ist es oft nicht möglich, die im deutschen Stammhaus geltende Geschenke-Richtlinie in China eins zu eins umzusetzen. So gilt in China die Ablehnung eines Geschenks unter Geschäftspartnern als ausgesprochen unhöflich und würde gerade bei Geschäftspartnern aus kleineren lokalen Firmen, insbesondere, wenn diese nicht aus einer der großen Küstenstädte kommen, auf Unverständnis stoßen. Besser ist es daher, klare Grundsätze einzurichten, welche Art von Geschenk noch angenommen bzw. gemacht werden darf und wie ein angenommenes Geschenk verwertet werden soll. Ziel der Geschenke-Richtlinie ist es schließlich, dafür zu sorgen, dass bei dem jeweiligen Mitarbeiter keine Abhängigkeiten zum Schenker geschaffen werden. Geschenke sollten grundsätzlich weder gemacht noch angenommen werden, sofern dazu kein Anlass wie ein Feiertag wie bspw. das Mittherbstfest oder das Chinesische Frühlingsfest ansteht. Geschenke dürfen weder gemacht noch angenommen werden, sofern der Eindruck entstehen kann, dass zeitgleich der Geschäftspartner oder der Mitarbeiter im eigenen Hause in irgendeiner Weise durch das Geschenk zu einer Entscheidung beeinflusst werden könnte, wie zum Beispiel die Vergabe eines Auftrags. Sofern machbar, sollte ein entgegengenommenes Geschenk im Unternehmen an alle verteilt werden. Kann es nicht verteilt werden, so kann es für das sog. Annual Dinner zum Chinesischen Neujahrsfest aufbewahrt werden, um dann in die so beliebte Verlosung zu wandern.
V. Besonderheiten im M&A Prozess Beim Erwerb einer Beteiligung an einem bereits bestehenden chinesischen Unternehmen ist besondere Vorsicht geboten. Es ist damit zu rechnen, dass das Unternehmen bisher kein Compliance-System hatte bzw. dieses recht ,flexibel‘ gehandhabt
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wurde. Da die Compliance-Verstöße der chinesischen Tochter u. U. der ausländischen Mutter zugerechnet werden, ist es besonders wichtig, sich in allen Phasen des Unternehmenserwerbs um die Compliance-Problematik zu kümmern. 1. Due-Diligence-Prozess Der chinesische Eigentümer wird nur in den seltensten Fällen von sich aus auf bestehende Compliance-Risiken (insbesondere die unvollständige Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie von Einkommens- und Körperschaftssteuern, wettbewerbswidrige Zahlungen an Kunden zur Steigerung des Absatzes und Bestechungszahlungen an Einkäufer von Kunden oder Behördenvertreter, Verstöße gegen Arbeitszeitregelungen, Umweltauflagen sowie Anforderungen der Produktsicherheit, fehlende Lizenzen und Betriebsgenehmigungen) offenlegen. Dem Käufer bleibt daher nur, diese Risiken im Wege der Erwerber-Due-Diligence zu erkunden. Angesichts des Haftungsrisikos, das der Erwerber mit Erwerb der Beteiligung an einem chinesischen Unternehmen eingeht, ist eine sorgfältige Due Diligence ein ,Muss‘.42 Die allgemeine Due-Diligence-Checkliste sollte daher explizit nach folgenden Risiken fragen:43 • Bestehende Compliance-Strukturen und deren Umsetzung (Vorhandensein von Richtlinien, Trainingsmaßnahmen, Helplines); • besondere Risikobereiche (Besondere Abhängigkeiten von einzelnen Kunden oder Lieferanten, Marktumfeld, Datenschutz); • etwaige Präzedenzfälle und deren Aufarbeitung. Je ergiebiger die Ergebnisse der Due Diligence, desto höher sind die Anforderungen an den Integrationsprozess zu setzen. Es empfiehlt sich in dem Falle auch eine Überarbeitung des Business-Plans, inwieweit die vom Veräußerer gemachten Prognosen zur Unternehmensprofitabilität bei einem vollständig legalen Agieren des Unternehmens noch zu verwirklichen sind bzw. nach unten zu korrigieren sind. Besonders kritisch und schwer zu bewerten sind hier Situationen, in denen das chinesische Zielunternehmen bisher einen wesentlichen Teil des Umsatzes in wettbewerbswidriger Weise wie durch wettbewerbswidrige Zahlungen an Geschäftspartner, die sog. Kick-Back-Zahlungen, erzielt hat, und bei einem Wegfall dieser Zahlungen die Kundenstruktur wegzubrechen droht. Des Weiteren stellt sich beim ausländischen Erwerber natürlich die Frage, inwieweit die Compliance-Struktur
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K. Lucks, Der Informationsprozess und Due Diligence, in: ders. (Hrsg.), M&A Projekte erfolgreich führen (Stuttgart 2013), 109. 43 M. Findeisen, Compliance in der M&A Transaktion, in: Kai Lucks (Hrsg.), M&A Projekte erfolgreich führen (Stuttgart 2013), 312.
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des chinesischen Zielunternehmens – soweit überhaupt vorhanden – zur konzernweiten Compliance-Struktur passt.44 2. Vertragsdokumentation In der Vertragsdokumentation hat der Erwerber die Möglichkeit, von dem Veräußerer als Bedingung für den Vollzug der Transaktion (sog. Closing Condition), die Behebung der Compliance-Mängel zu verlangen. Das ist jedoch nicht in allen Fällen möglich oder wird vom Verkäufer wegen der Gefahr seiner eigenen Strafbarkeit oft nicht akzeptiert werden. Entschließt sich der Erwerber, trotz Kenntnis dieser Risiken mit der Transaktion fortzufahren, so bleibt die Möglichkeit, vom Verkäufer Freistellungserklärungen zu erhalten. Im Einzelfall kann es allerdings sehr schwer sein, derartige Freistellungserklärungen gegen den Verkäufer zu vollstrecken – zumal, wenn es sich hier um Privatpersonen handelt – oder den Kaufpreis zu mindern. 3. Unternehmensintegration (Post Merger Integration ,PMI‘) Der Erwerber sollte sofort nach Vollendung des Erwerbs mit der Integration der chinesischen Tochter in den eigenen Konzern beginnen, um Synergieeffekte zu sichern. Diese Integration kann bereits in dem Zeitraum zwischen Unterschrift der Dokumente und Closing vorbereitet werden. Neben der eigentlichen Implementierung des konzernweit geltenden Compliance-Systems, ist dabei insbesondere die Heilung von Compliance-Verstößen der Vergangenheit von Bedeutung. Dem ausländischen Erwerber sollte bewusst sein, dass Compliance-Verstöße in einem rein chinesischen Umfeld von den lokalen Behörden oft toleriert werden, dieselben Behörden jedoch völlig anders agieren, sobald das Unternehmen einen ausländischen Gesellschafter hat. Schließlich steht der ausländische Mutterkonzern – zumindest in den Augen der Behörden – für einen solventen Ansprechpartner und hat außerdem mit der Umfirmierung des chinesischen Unternehmensnamens seinen guten Ruf zu verlieren. Auch wenn es faktisch u. U. gar nicht möglich ist, sämtliche Compliance-Verstöße der Vergangenheit zu heilen, so sollte zumindest ab dem Tag des Closings klar nach innen und außen kommuniziert werden, dass ab diesem Tag legal gehandelt wird. Es wird hier gerne vom lokalen Management vorgetragen, dass das Unternehmen nicht von einem Tag auf den anderen seine Praxis komplett umstellen könne, so würden z. B. die Behörden gar nicht nachvollziehen können, wenn sich die Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge oder der Steuer urplötzlich drastisch erhöht. Doch ist es ein gutes Argument auch den Behörden gegenüber, zu betonen, dass der neue Ei-
44 G. Andras/F. Tesch, Compliance and Integrity Due Diligence, in: Kai Lucks (Hrsg.), M&A Projekte erfolgreich führen (Stuttgart 2013), 138.
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gentümer unter Bezugnahme auf seine Konzernpolitik eine Neuberechnung der Abgaben vorgenommen hat und nunmehr höhere Beiträge entrichten wird.
VI. Zusammenfassung Jedes Unternehmen, welches geschäftlich in der Volksrepublik China tätig ist und insbesondere, wenn es in China in eine chinesische Tochtergesellschaft investiert hat, muss sich mit der Thematik der Einrichtung eines Compliance-Management-Systems auseinandersetzen. In der Mehrzahl der Fälle wird die ausländische Konzernmutter dann damit beginnen, entweder bereits vorhandene Compliance-Strukturen den westlichen Standards anzupassen oder ein neues Compliance-Management-System aufzubauen. Zu diesem Vorgehen ist sie aufgrund zwingender rechtlicher Vorgaben sowohl in China als auch durch international anwendbares Recht verpflichtet. Um diese Aufgabe mit Erfolg bewältigen zu können, sollte dem deutschen Management bewusst sein, dass die Entscheidung für ein Compliance-ManagementSystem in der chinesischen Tochtergesellschaft konsequent durchgesetzt werden muss und dass zwar Anpassungen an gewisse kulturelle Besonderheiten in China vorgenommen werden dürfen, die grundsätzliche Ausrichtung der Compliance-Anforderungen jedoch nicht in Frage zu stellen sind. Dabei benötigt die Compliance-Organisation geschulte und durchsetzungsstarke Mitarbeiter, denen es gelingt, Akzeptanz der neuen Regelungen und Prozesse bei den lokalen Mitarbeitern herzustellen. Dieses gelingt nur durch regelmäßige Schulungen und Erklärungen, in denen auf den kulturellen Hintergrund der Mitarbeiter eingegangen werden muss.
Besonderheiten der Vertragsgestaltung bei Unternehmenskäufen in China Von Ulrike Glück* Ausländische Investoren, die in China über eigene Tochtergesellschaften tätig werden wollen, haben im Wesentlichen folgende zwei Gestaltungsmöglichkeiten: Greenfield-Investition oder Unternehmenskauf. Bei Greenfield-Investitionen wird eine Gesellschaft neu gegründet. Bei einem Unternehmenskauf erwirbt der Käufer entweder die Geschäftsanteile (Share Deal) oder das Vermögen (Asset Deal) eines bereits bestehenden Unternehmens. Vorteil eines Unternehmenskaufs im Vergleich zu einer Greenfield-Investition sind der schnellere Marktzugang bzw. ggf. schnellere Wachstumschancen durch Übernahme bestehender Ressourcen, Marktkenntnisse sowie Kunden- und Lieferantennetze. Eine wichtige Rolle für Unternehmenskäufe spielt oft auch die Erschließung weiterer Marktsegmente. Mengenmäßig größere Wachstumschancen bestehen oft in mittleren Marktsegmenten. Ausländische Unternehmen, die im Top-Segment tätig sind, aber nicht ihre gut eingeführte Eigenmarke verwässern wollen, engagieren sich im mittleren Marktsegment durch Erwerb eines bereits in diesem Segment tätigen chinesischen Unternehmens. Wie auch in anderen Ländern gibt es auch in China für Unternehmenskäufe ein umfangreiches Regelwerk. Die Besonderheit in China ist, dass gesonderte Regelungen für den Unternehmenskauf durch ausländische Investoren bestehen. Diese Sonderregelungen haben Auswirkungen sowohl auf Ablauf und behördliches Verfahren eines Unternehmenskaufs sowie auf die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten. Ziel dieses Beitrages ist es, einige dieser Besonderheiten darzustellen. I. Genehmigungsvorbehalte für Investitionen aus dem Ausland 1. Ausländische Investitionen in der VR China unterliegen generell einem Genehmigungsvorbehalt und sind nicht in allen Industriesektoren zulässig. Ob und in welcher Form sie zulässig sind, ergibt sich aus den Regulations on Foreign Investment Guidelines1 sowie dem Guideline Catalogue of Foreign Investment Industries * Dr. iur., Rechtsanwältin, Managing Partner, CMS China, Shanghai. 1 , aktuelle Fassung vom 11. Februar 2002, in Kraft seit 1. April 2002, chinesische Fassung und englische Übersetzung bei wkinfo.com.cn; vgl. dazu z. B. C. Chen, Foreign Direct Investment in China (Edward Elgar Publishing 2013), 59 ff.
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(„Guideline Catalogue“)2. Die aktuelle Fassung des Guideline Catalogue ist am 10. April 2015 in Kraft getreten. Die Regulations on Foreign Investment Guidelines und der Guideline Catalogue teilen Industriesektoren in vier Kategorien ein. Es wird unterschieden zwischen Industriesektoren, in denen ausländische Investitionen gefördert, erlaubt, beschränkt oder verboten sind.3 Der Guideline Catalogue legt zusätzlich fest, ob an Unternehmen in einem bestimmten Industriesektor Anteile vollständig von ausländischen Gesellschaftern gehalten werden dürfen oder ob nur Joint Venture Unternehmen gestattet sind und ob eine chinesische Mehrheitsbeteiligung erforderlich ist.4 Eventuelle Beschränkungen gelten nicht nur für Greenfield-Investitionen, sondern auch für Unternehmenskäufe.5 In den letzten Jahrzehnten wurden Investitionsbeschränkungen für ausländische Investoren Schritt für Schritt abgebaut. Beschränkungen bestehen aber nach wie vor z. B. im Telekommunikationssektor, bei der Gewinnung von Bodenschätzen und im Energiesektor. 2. Alle Investitionen aus dem Ausland in die VR China unterliegen einem Genehmigungs- und Registrierungsvorbehalt, d. h. sie müssen durch die zuständige chinesische Genehmigungsbehörde genehmigt und durch die zuständige Registrierungsbehörde registriert werden.6 Zuständige Genehmigungsbehörden sind die Handels2 , Order of the National Development and Reform Commission and the Ministry of Commerce No.22), aktuelle Fassung vom 10. 3. 2015, chinesische Fassung abrufbar unter http://www.sdpc.gov.cn/ zcfb/zcfbl/201503/t20150313_667332.html, englische Version unter http://www.fdi.gov.cn/ 1800000121_39_4830_0_7.html.; s. ferner Chen, Foreign Direct Investment (Fn. 1), 59 ff. 3 Vgl. Art. 4 der Regulations on Foreign Investment Guidelines (Fn. 1); ferner S. Faßbender, ZChinR 2014, 344 (345); X. Huang/O. Bao, Past, present and future of PRC’s Foreign Investment Industry Catalogues ( ) v. 27. 05. 2015 bei wkinfo.com.cn; J. Tongzon, in: S. Swee-Hock et al. (Hrsg.), ASEAN-China Economic Relations (Institute of Southeast Asian Studies 2006), 203 (221); T. WeinreichZhao, Chinese Merger Control Law (Springer 2015), 25. 4 Vgl. Art. 8 der Regulations on Foreign Investment Guidelines (Fn. 1); ferner J. Li/ B. Kasteleijn, in: D. Campbell (Hrsg.), Mergers and Acquisitions in North America, Latin America, Asia and the Pacific (Kluwer Law International 2011), 29 ff.; Law Firm Shimin, Die wichtigsten Fragen und Antworten zum PRC Guideline Catalogue of Foreign Investment 2015 ) v. 24. 03. 2015 bei Industries 2015 ( wkinfo.com.cn; Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 3), 25. Vgl. P. Jiang/ J. Wan, Impact of Classified Catalogue of Telecom Services (2015 Version) ( (2015 ) ) v. 27. 01. 2016 bei wkinfo.com.cn. 5 Li/Kasteleijn, Mergers and Acquisitions (Fn 4), 29 ff.; Y. Zhou, The Influence of the Revised Guideline Catalogue on Foreign Investment ( ), 2015. 6 Art. 5 Law of the People’s Republic of China on Sino-foreign Contractual Joint Ventures ( ) v. 31. 10. 2000; Art. 3 Law of the People’s Republic of China on Sino-foreign Equity Joint Ventures ( ) v. 15. 3. 2001; Art. 6 f. Law of the People’s Republic of China on Wholly Foreign-owned Enterprises ( ), jeweilige chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn; vgl. ferner Art. 3 Administrative Measures for the Confir-
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behörden unter dem chinesischen Handelsministerium (Ministry of Commerce).7 Zuständige Registrierungsbehörden sind die Verwaltungsbehörden für Industrie und Handel (Administrations for Industry and Commerce) unter der State Administration for Industry and Commerce8. Dies gilt auch für Unternehmenskäufe.9 Inzwischen wurden die Genehmigungs- und Registrierungszuständigkeiten weitgehend auf die entsprechenden Behörden auf lokaler, d. h. Bezirks- oder städtischer Ebene, verlagert.10 Aktuell wird in mehreren chinesischen Freihandelszonen ein sog. NegativlistenAnsatz getestet. Dabei ist eine Genehmigung nur noch dann erforderlich, wenn ein Projekt in eine Negativliste fällt.11 Diese Systematik wird voraussichtlich in naher Zukunft auf ganz China ausgedehnt werden und zu einer erheblichen Abschwächung des Genehmigungsvorbehalts führen.
II. Investitionsvehikel Für einen Unternehmenskauf in China stehen dem Käufer grundsätzlich folgende Arten von Akquisitionsvehikeln zur Verfügung: – ausländische Gesellschaften; – chinesische Holding Gesellschaften; – andere chinesische Tochtergesellschaften, die keine Holdinggesellschaften sind.
), mation and Recordation of Foreign-Funded Projects ( aktuelle Fassung v. 17. 5. 2014, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei pkulaw.cn.; s. ferner Faßbender, ZChinR 2014, 344 (349 f.); N. Krause, BB 2014, 1486 (1487) m.w.N.; C. Liu, Chinese Company and Securities Law (Kluwer Law International 2008), 204 f.; S. Rauch, Die wichtigsten Rechtsformen und Erfolgsfaktoren ausländischer Investitionen in China (Grin Verlag 2010), 2. 7 Vgl. die Nachweise oben Fn. 6; Liu, Chinese Company and Securities Law (Fn. 6), 204 f.; M. Marx, Cross-border Mergers & Acquisitions in China (Diplomica 2011), 38; X. Huang, Improving the System of Examination and Approval of Enterprise with Foreign Investment ( ), Application of Law 2002 (Volume 5), 60. 8 Vgl. auch Art. 10 Provisions on Merger and Acquisition of Domestic Enterprises by Foreign Investors ( ) v. 22. 6. 2009, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei pkulaw.cn; s. z. B. Faßbender, ZChinR 2014, 344 (345, 348); X. Huang, Improving the System (Fn.7), 60. 9 So ausdrücklich Art. 6 Provisions on Merger and Acquisition of Domestic Enterprises by Foreign Investors (Fn. 8); S. Chi, Brief Analysis on the Clauses for Contract Termination Mechanism in Foreign-related Acquisition ( ), 2014. 10 Krit. zur rechtlichen Zulässigkeit einer solchen Delegation S. Tetz, ZChinR 2006, 392 (395). 11 Ausführlich U. Glück/A. Tong, German Chamber Ticker, Business Journal of the German Chamber of Commerce in China, June – July 2015, 36 f.
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1. Ausländischen Unternehmen, die keine chinesische Holdinggesellschaft haben oder die Qualifikationsanforderungen für die Gründung einer solchen Holdinggesellschaft nicht erfüllen, blieb bisher nichts anderes übrig, als die Akquisition direkt aus dem Ausland zu tätigen. In diesem Fall unterliegt der Unternehmenskauf den Provisions on Merger and Acquisition of Domestic Enterprises by Foreign Investors in der Fassung vom 22. Juni 2009 („M&A Provisions“)12. 2. Größere ausländische Unternehmen haben oft bereits eine chinesische Holdinggesellschaft. Unternehmensgegenstand und Zweck einer Holdinggesellschaft ist die Investition in Tochtergesellschaften, Verwaltung dieser Tochtergesellschaften und die Erbringung von Corporate Services.13 Rechtsgrundlage für die Gründung einer Holdinggesellschaft durch ausländische Unternehmen sind die PRC Provisions of Establishment of Companies with Investment Nature by Foreign Investors14. Nicht jedes ausländische Unternehmen kann eine Holdinggesellschaft gründen, da Qualifikationsanforderungen an den Investor bestehen. Eine Fallgruppe ist, dass der ausländische Investor im letzen Jahr vor der Antragstellung ein Vermögen von mindestens USD 400 Millionen hatte, bereits Tochtergesellschaften in der VR China errichtet hat und in diese Tochtergesellschaften bereits Kapitaleinlagen in Höhe von insgesamt mehr als USD 10 Millionen eingebracht hat. Bis 28. Oktober 2015 betrug das Mindeststammkapital einer Holdinggesellschaft USD 30 Millionen.15 Diese 12 Vgl. Art. 2 der M&A Provisions (oben Fn. 8), vgl. zu diesem Regelwerk und zu Vorgängerregelungen etwa Weinreich/X. Zhang, in: M. J. Moser/F. Yu (Hrsg.), Doing Business In China (Juris Publishing 2014), Vol. 1, § 6.3.08 [6]; J. M. Zimmerman, China Law Deskbook, Vol. 1 (American Bar Association 20103), 896 ff.; P. A. Neumann/T. Zhang, 10 China Law and Practice 2006, 1 ff.; Tetz, ZChinR 2006, 392 ff; X. Xie, Predicament Analyse for Legal Rules and Regulations of Antimonopoly of the Foreign Capitals’ Merging Domestic Listed Com), Hebei Law Science 2010 pany ( (Volume 2), 90. 13 Zum Unternehmensgegenstand einer Holding siehe Art. 10 der PRC Provisions of Establishment of Companies with Investment Nature by Foreign Investors ( ) v. 17. 11. 2004, in Kraft getreten am v. 23. 11. 2004, chinesische Version mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn; zu Konzept und Bedeutung von Holdinggesellschaften in China M. Gu, Understanding Chinese Company Law (Hong Kong University Press 20102), 106 ff.; D. Holtbrügge/J. Puck, Geschäftserfolg in China (Springer 2008), 111 f. T. Theisen/C. Staude, Mergers & Acquisitions in der Volksrepublik China (Libri Books on Demand 2000), 96 f.; Zimmerman, China Law Deskbook (Fn. 12), 118; allgemein zu deutschen Holdings in China Z. Wang, Deutsche Direktinvestitionen in der Volksrepublik China (Springer 1996), 71 ff.; erneute Dikussion über die Herausforderungen der ausländische Investoren bei Investionen in eine Investitionsgesellschaft ( ) v. 01. 05. 2012 bei wkinfo.com.cn; C. Xu, Change of the Foreign Investment Legislation in China ( ), The Jurist 2004 (Volume 4), 153. 14 s. oben Fn. 13; C. Xu, Change of the Foreign Investment Legislation in China ( ), The Jurist 2004 (Volume 4), 153. 15 Vgl. Art. 3 PRC Provisions of Establishment of Companies with Investment Nature byForeign Investors (Fn. 13); vgl. dazu Gu, Understanding Chinese Company Law (Fn. 13), 107; Theisen/Staude, Mergers & Acquisitions (Fn. 13), 96 f.; Zimmerman, China Law Deskbook (Fn. 12), 118; Z. Zhao/S. Huang, MOFCOM Order Nr. 2: Die neuen Regelungen für
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Mindeststammkapitalanforderung wurde durch die Decision on Repealing and Amending Some Rules and Regulatory Documents vom 28. Oktober 2015 aufgehoben.16 Der Wegfall der Mindeststammkapitalanforderung erleichtert die Gründung einer Holdinggesellschaft ganz erheblich. In der Zukunft ist damit zu rechnen, dass mehr und auch kleinere ausländische Unternehmen Holdinggesellschaften in China gründen werden. Ausländisch investierte Holdinggesellschaften sind nach chinesischem Recht selbst Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung.17 Für den Unternehmenskauf durch eine Holding gelten daher genau dieselben Vorschriften wie für den Erwerb durch ausländische Käufer. Auch Unternehmenskäufe durch Holdinggesellschaften unterliegen den Bestimmungen der M&A Provisions. 3. Die chinesischen Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen sind in weit überwiegender Zahl Produktions- und/oder Handelsunternehmen oder Service Unternehmen und damit keine Holdinggesellschaften. Alle Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung können nach den Tentative Provisions on Investment within China by Foreign-Invested Enterprises vom 25. Juli 200018 bereits seit langem in China Tochtergesellschaften gründen oder erwerben. Überlegungen, eine dieser bereits bestehenden Tochtergesellschaften als Akquisitionsvehikel zu verwenden, scheiterten bisher aber zumeist daran, dass die Finanzierungsmöglichkeiten dieser Tochtergesellschaften durch gesetzliche Regelungen eingeschränkt waren. Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung, die keine Holding-Gesellschaften sind, durften für den Erwerb oder die Gründung von Tochtergesellschaften nur ihre Gewinne oder ihren Cash-Flow verwenden.19 Darlehen, mit Ausnahme sog. M&A Darlehen von chinesischen Banken, durften nicht für Investitionen verwendet 2 : ) v. 06. 11. 2015 bei wkinfo.ausländische Investoren ( com.cn. 16 Decision on Repealing and Amending Some Rules and Regulatory Documents ( , Ministry of Commerce Order [2015] No. 2) v. 28. 10. 2015, am selben Tag in Kraft getreten, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung unter wkinfo.com.cn; vgl. dazu M. Munzinger, China Contact 2016, im Erscheinen; Z. Zhao/ S. Huang, MOFCOM Order Nr. 2: Die neuen Regelungen für ausländische Investoren ( 2 : ) v. 06. 11. 2015 bei wkinfo.com.cn. 17 Vgl. Art. 2 PRC Provisions of Establishment of Companies with Investment Nature by Foreign Investors (Fn. 13); C. Xu, Change of the Foreign Investment Legislation in China ( ), The Jurist 2004 (Volume 4), 153; Zimmerman, China Law Deskbook (Fn. 12), 120. 18 v. 25. 7. 2000, in Kraft getreten am 1. 9. 2000, abrufbar in englischer und chinesischer Sprache bei pkulaw.cn. 19 Vgl. die (inzwischen) überholte Notice of the State Administration of Foreign Exchange on Further Clarifying & Regulating Relevant Matters Concerning the Administration of Some Foreign Exchange Businesses under Capital Accounts ( , Hui Fa [2011] No.45) v. 9. 11. 2011, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn; vgl. ferner Handbuch der Rechtspraxis für ausländische Unternehmen ( , Fn. 9), 200.
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werden.20 In der Praxis werden solche M&A Darlehen in der Regel nur an chinesische State-owned Enterprises vergeben. Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung, die keine Holdinggesellschaften sind, durften bisher für den Kauf oder die Gründung von Tochtergesellschaften auch nicht ihr Stammkapital verwenden.21 Da die Gewinne oder der Cash Flow von vielen Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung nicht ausreichen, um jedenfalls größere Akquisitionen zu finanzieren, schieden sie bisher häufig als Investitionsvehikel aus. Das Verbot der Finanzierung durch Stammkapital ist in jüngster Zeit nun weggefallen. Zuerst im Juli 2014 in 16 Pilotzonen mit dem Inkrafttreten des Circular on Relevant Issues Regarding Pilot Reform of Administration of Foreign Exchange Registered Capital of Foreign-Invested Enterprises in Certain Areas der State Administration of Foreign Exchange („SAFE“) vom 15. Juli 201422. Mit dem Inkrafttreten der Notice on Reforming the Administration of Foreign Exchange Settlement of Capital of Foreign-Invested Enterprises der SAFE am 1. Juni 2015, dürfen nun alle Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung für Neugründung oder Erwerb von Tochtergesellschaften auch ihr Stammkapital verwenden. Dies ermöglicht ausländischen Unternehmen, in China eine Holdingstruktur aufzubauen, ohne eine separate Holdinggesellschaft gründen zu müssen.23 Nach Erwerb durch ein Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung, das keine Holdinggesellschaft ist, bleibt das Zielunternehmen ein lokales Unternehmen und wird nicht selbst in ein Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung umgewandelt. Der Erwerb unterliegt nicht den M&A Provisions, sondern den Tentative Provisions on Investment within China by Foreign-Invested Enterprises. 20
So die außer Kraft getretene Notice of State Administration of Foreign Exchange on Improving Business Operational Issues relating to Administration of Sale of Foreign Currency for Payment of Foreign Currency Capital Funds of Foreign Investment Enterprises ( ) v. 29. 8. 2007, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn; vgl. zu den M&A Darlehen die Guidelines for Commercial Banks on the Management of Risks Relating to M&A Loans ( , Yin Jian Fa [2015] No. 5) v. 10. 02. 2015, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn. 21 Vgl. oben Fn. 19; G. Qiu, Interpretation of the new regulation regarding settlement of foreign exchange registered capital of foreign invested companies ( (2014) [012] — ), 2014. 22
(Hui Fa [2014] 36) v. 4. 7. 2014 chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn. 23 (Hui Fa [2015] No. 19) v. 30. 3. 2015, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn; R. Jin, Die gängige Praxis für ausländische PE-Investments in China nach der Änderung Nr. 19 (2015) der SAFE ( 19 PE ) v. 10. 11. 2015 bei wkinfo.com.cn; G. Qiu, Interpretation of the new regulation regarding settlement of foreign exchange registered capital of foreign invested companies ( (2014) [012] — ), 2014.
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III. Vertragliche Gestaltung bei Unternehmenskauf durch ausländische Unternehmen Wie oben erwähnt, gelten, je nachdem ob Akquisitionsvehikel eine ausländische Gesellschaft, eine ausländisch investierte chinesische Holdinggesellschaft oder ein Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung ist, unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf die Fallkonstellation des Erwerbs eines lokalen chinesischen Unternehmens durch einen ausländischen Käufer oder durch eine ausländisch investierte chinesische Holdinggesellschaft. 1. Rechtsgrundlage für den Erwerb von Geschäftsanteilen oder Vermögensgegenständen (Assets) eines lokalen chinesischen Unternehmens sind die M&A Provisions. Diese enthalten nicht nur detailierte Vorschriften über das behördliche Verfahren inklusive der bei den Behörden einzureichenden Unterlagen, sondern auch Vorgaben für den Vertragsinhalt. 2. Wie in allen Rechtsordnungen, haben Unternehmenskaufverträge auch in China einen bestimmten Mindestinhalt, d. h. folgende Bestimmungen:24 – Firma und Sitz der Vertragspartner; – Definition des Vertragsgegenstandes, d. h. wie viele Anteile werden erworben bzw. welche Vermögensgegenstände; – Kaufpreis und Steuern; – Bedingungen für das Closing und Closing Date; – Verpflichtungen der Verkäufer und der Zielgesellschaft zwischen Signing und Closing; – Zusicherungen des Verkäufers; – Haftung für Vertragsbrüche; – anwendbares Recht; – Streitbeilegung. Allerdings gibt es einige Klauseln und Konstruktionen, die bei Unternehmenskäufen in westlichen Wirtschaftsräumen Standard oder üblich sind, die in China weniger verbreitet sind, oder bei Unternehmenskäufen durch ausländische Käufer oder ausländisch investierte Holding-Gesellschaften an regulatorischen Beschränkungen scheitern. Dies sind insbesondere folgende: 24 Vgl. 22 und 24 der M&A Provisions (Fn. 8); s. auch H. J. Fuchs/M. Du/A. Gangnus, Neue Chancen in China (FinanzBuch Verlag 2012), 294 f.; vgl. zur Gestaltung von Unternehmenskaufverträgen in China auch Krause, BB 2014, 1486 ff.; Marx, Cross-border Mergers & Acquisitions (Fn. 7), 74 ff.; Der allgemeine Verfahrensablauf eines M&A Geschäfts in ) v. 29. 01. 2016 bei http://www.lawtime.cn/info/ China. ( gongsi/waizibinggou/201601293328572_2.html.
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3. Kaufpreis a) Der Kaufpreis ist grundsätzlich frei verhandelbar, es sei denn beim Verkäufer handelt es sich um ein staatseigenes Unternehmen. Auch dann, wenn der Verkäufer ein Privatunternehmen ist, muss nach den M&A Provisions ein Wertgutachten für das Zielunternehmen bei der Genehmigungsbehörde eingereicht werden.25 Besonderheiten bestehen, wenn der Verkäufer ein Staatsunternehmen ist. Staatsunternehmen sind solche Gesellschaften, an denen der chinesische Staat Mehrheitsgesellschafter oder beherrschender Gesellschafter ist.26 Staatlicher Gesellschafter ist in diesem Fall die zuständige State-owned Assets Supervision and Administration Commission („SASAC“) auf Zentralebene, Provinzebene oder Lokalebene. Geschäftsanteile oder Assets von staatseigenen Unternehmen, d. h. auch von diesen gehaltene Geschäftsanteilen an Tochtergesellschaften stellen sog. State-owned Assets dar. Bei der Veräußerung von State-owned Assets ist die Privatautonomie der Vertragspartner erheblichen regulatorischen Beschränkungen unterworfen. Zum einen kann der Kaufpreis von den Vertragspartnern nicht frei vereinbart werden. Die State-owned Assets müssen durch eine chinesische Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bewertet werden27, die über eine spezielle Lizenz zur Bewertung von staatseigenen Vermögen verfügt. Das Wertgutachten muss bei der zuständigen SASAC registriert werden.28 Faktisch handelt es sich dabei um eine Genehmigung. Bei der Vereinbarung des Kaufpreises ist dieser von der SASAC bestätigte Wert zu beachten. Denn er darf nicht um mehr als 10 % unterschritten werden.29 Ansonsten ist eine spezielle Genehmigung erforderlich. 25 Art. 14 M&A Provisions (Fn. 8); vgl. dazu J. M. Zimmerman, in: A. Chang/A. Thorson (Eds.), A Legal Guide to Doing Business in the Asia-Pacific (American Bar Association 2010), 45 (54). 26 Ausführlich H. Sheng/N. Zhao, China’s State-Owned Enterprises (World Scientific Publishing 2012), 317 ff. m.w.N. 27 H. Ma/L. Li, The Jurisprudence and Practice of International Law ( , China Legal Publishing House 2007), 78; P. Senff, Blickpunkt Asia Pacific, Newsletter 03/ 2010. 28 Art. 1 Circular of the Ministry of Finance and the State-owned Assets Supervision and Administration Commission of the State Council Concerning Issues Relevant to the Transfer of State-owned Property Rights held by Enterprises ( , Guo Zi Fa Chan Quan [2006] No. 306) v. 31. 12. 2006, englische und chinesische Version bei lexiscn.com; H. Lin, Legal Guidelines on Acquisition of Chinese Companies by Foreign Investors ( ), Chinese Law 2003 (Volume 4), 38. 29 Art. 13 Abs. 2 PRC Tentative Procedures on Assignment of Enterprises State-owned Assets and Equity ( ) v. 31. 12. 2003, in Kraft seit dem 1. 02. 2004, abrufbar in englischer und chinesischer Sprache bei pkulaw.cn; vgl. auch Y. Shen, Die rechtliche Problematik der Übernahme von staatlichen Unternehmen durch ausländische Investoren ( ), in: Zhonglun W&D Law Firm (Hrsg.), Die aktuelle Entwicklung des Finanzmarkts ( ) 01/2006, abrufbar auf http://www.zhonglunwende.com/Public/file/1380422487.doc+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl= de; L.-C. Wolff, Mergers & Acquisitions in China (Harcourt Professional Publishing 20092), § 13 – 800.
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Nach den PRC Tentative Procedures on Assignment of Enterprises State-owned Assets and Equity des Ministry of Finance und der SASAC von 200430 muss die Veräußerung von State-owned Assets ferner über eine staatliche Behörde, das sog. Equity Exchange Center, und im Wege einer öffentlichen Ausschreibung und eines Bieterverfahrens bzw. einer Auktion erfolgen.31 Befreiungen von dem Erfordernis der Ausschreibung und Bieterverfahren sind nach den gesetzlichen Vorschriften in Sonderfällen möglich. Z. B. wenn ein bestehender Gesellschafter eines Joint Ventures Geschäftsanteile erwirbt, die von staatseigenen Unternehmen an diesem Joint Venture gehalten werden.32 Entsprechende Ausnahmegenehmigungen werden in der derzeitigen Behördenpraxis aber nicht mehr erteilt. Die Sonderanforderungen bei der Veräußerung von State-owned Assets führen zu einer erheblichen Verlängerung des Übertragungsvorgangs und dazu, dass das Closing in der Regel erst mehrere Monate später erfolgen kann. b) Bei einem Asset Deal ist es wichtig, im Unternehmenskaufvertrag nicht nur den Gesamtkaufpreis anzugeben. Der Kaufpreis muss auf die verschiedenen Arten der Vermögensgegenstände aufgesplittet werden, denn je nach Art des Vermögensgegenstandes fallen für die Übertragung unterschiedliche Steuern an.33 c) Um Änderungen des Unternehmenswertes, die zwischen Kaufvertragsunterzeichnung und Closing eintreten, abzufedern, werden bei Unternehmenskaufverträgen in westlichen Rechtsordnungen häufig flexible Kaufpreise bzw. Kaufpreisanpassungen vereinbart.34 Auch Earn-Out Klauseln, die eine Kaufpreisanpassung abhän30
Oben Fn. 29. Art. 4 f. und (zum Verfahren im Einzelnen) Art. 14 ff. PRC Tentative Procedures on Assignment of Enterprises State-owned Assets and Equity (Fn. 29); vgl. dazu m.w.N. Wolff, Mergers & Acquisitions (Fn. 29), § 13 – 600. Ausschreibung und Bieterverfahren können zwei Monate und mehr in Anspruch nehmen, vgl. A. Li/L. Gong, in: G. Pfeiffer/S. Timmerbeil/ F. Johannesdotter (Eds.), International Asset Transfer (De Gruyter Recht 2010), 154. 32 Vgl. Punkt I i 2 der Notice of the State-owned Assets Supervision and Administration Commission of the State Council and the Ministry of Finance on the Relevant Matters on the Transfer of State-owned Property Rights of Enterprises ( ) v. 31. 12. 2006 , abrufbar in chinesischer und englischer Sprache bei lawinfochina.com; Guide Press on Asset and Equity, Die rechtlichen Anforderungen an die vertragliche Übertragung von staatseigeneem Vermögen ( : ) v. 02. 02. 2012, abrufbar auf http://www.cbex. com.cn/article/jyyhq/llqy/201202/20120200035678.shtml; vgl. ferner zu möglichen Ausnahmen C. Liu, A Legal Guide to Doing Business in the Asia-Pacific (Kluwer Law International 2011), 131. 33 U. Glück/G. Shen, in: P. Maher/L. Steinberg (Hrsg.), Tax on Inbound Investment, 15 (16); S. Beer, China Sourcing: Einkauf im Land der Mitte (GRIN Verlag 2012), 83 f.; B.-U. Stucken, in: B.-U. Stucken/P. Senff (Hrsg.), Compliance Management in China (HaufeLexware 2015), 145; M. Qiu/G. Hu/L. Li, Vermögensgüter bei M&A ( , Tsinghua University Press 2005), 189; vgl. auch H. Wang, Besteuerung deutscher Direktinvestitionen in China (NWB Verlag 2006), 189 ff. 34 Dazu J. Ettinger, in: J. Ettinger/H. Jaques (Hrsg.), Becksches Handbuch Unternehmenskauf im Mittelstand, B. Phase 1: Unternehmensverkaufs Rn. 204 – 209 (Beck 2012); 31
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gig vom Erfolg des Unternehmens in der Zukunft ermöglichen,35 werden im Westen oft verwendet. Erreicht das Zielunternehmen bestimmte vereinbarte Targets, zahlt der Käufer einen Nachschlag. Auf die Weise teilen sich Verkäufer und Käufer die Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung des Zielunternehmens. Noch vor einigen Jahren waren solche Klauseln bei Unternehmenskäufen in China nahezu unbekannt. Chinesische Verkäufer präferieren immer noch einen festen Kaufpreis. Im Zuge der Finanzkrise und aktuell angesichts des abflachenden chinesischen Wirtschaftswachtums hat sich die Situation jedoch geändert. Für Käufer ist es wichtiger geworden, die Risiken der künftigen Entwicklung abzufedern. Flexible Kaufpreise und Earn-Out Klauseln sind aus rechtlicher Sicht unproblematisch zulässig, wenn als Akquisitionsvehikel ein Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung verwendet wird, d. h. ein chinesisches Unternehmen Käufer ist. Wird dagegen ein ausländisches Unternehmen oder eine chinesische Holding-Gesellschaft als Vehikel genutzt, bestehen regulatorische Beschränkungen. Die mit einem flexiblen Kaufpreis oder einer Earn-Out Klausel verfolgten Zielen können in diesem Fall nur über Umwege erreicht werden. aa) Schwierigkeiten ergeben sich zunächst aufgrund der für den Unternehmenskauf erforderlichen Genehmigung. Viele, allerdings nicht alle, Genehmigungsbehörden verweigern die Genehmigung, wenn kein fester Kaufpreis vereinbart wurde. Ist ein flexibler Kaufpreis geplant, ist es daher unabdingbar, vorab mit der konkret zuständigen Genehmigungsbehörde deren Praxis zu klären. In jeden Fall feststehen muss der endgültige Kaufpreis im Zeitpunkt der Registrierung des Unternehmenskaufes bei der Devisenkontrollbehörde, d. h. der SAFE. Unternehmenskäufe durch ausländische Käufer müssen auch bei der zuständigen SAFE registriert werden,36 sonst können die chinesischen Verkäufer den aus dem Ausland überwiesenen Kaufpreis nicht entgegennehmen. Der endgültige Kaufpreis muss also spätestens bei Registrierung des Unternehmenskaufes bei der SAFE vorlegen. bb) Klassische Earn-Out Klauseln scheitern an den Bestimmungen der M&A Provisions. Nach den M&A Provisions muss der Kaufpreis für den Unternehmenskauf durch einen ausländischen Käufer oder eine ausländisch investierte chinesische Holdinggesellschaft grundsätzlich innerhalb von 3 Monaten nach Ausstellung der neuen Geschäftslizenz für das Zielunternehmen, d. h. nach Abschluss der Registrierung des
T. Hahn, in: M. Dombert/K. Witt (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Agrarrecht (Beck 2011), § 9 Rn. 84; und zum taiwanesischen Recht Lianhe Law Firm, Finanzen, Technologie , Verlag Shuchuan 2015), 10. und Recht aus der Praxis ( 35 Ausführlich M. Hilgard, BB 2010, 2912 ff.; Lianhe Law Firm, Finanzen, Technologie und Recht aus der Praxis (Fn. 34), 10; R. Werner, DStR 2012, 1662 ff. 36 O. Coispeau/S. Luo, Mergers & Acquisitions and Partnerships in China (World Scientific Publishing), 27; ausführlich zum Ganzen T. Hong, Foreign Exchange Control in China (Kluwer Law International 2004), § 13 – 350; X. Tian, Discussion on Consummation of Administrative Procedures in M&A Cases ( ), Application of Law 2010 (Volume 5), 42.
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Unternehmenskaufes, vollständig bezahlt werden.37 Mit Genehmigung der Genehmigungsbehörde ist Ratenzahlung erlaubt, bei der mindestens 60 % des Gesamtkaufpreises innerhalb von 6 Monaten nach Ausstellung der neuen Geschäftslizenz des Zielunternehmens bezahlt werden muss und der Restbetrag innerhalb von einem Jahr38. Earn-Out Klauseln sehen in der Regel Nachschläge auf den Kaufpreis erst nach Ablauf längerer Zeiträume, z. B. 2 oder 3 Jahre nach Closing vor. Solche Klauseln scheitern an den oben dargestellten regulatorischen Beschränkungen. In der Praxis behilft man sich teilweise mit Zahlungen über Consulting-Verträge. Für die Verkäufer hat dies jedoch den Nachteile einer höheren Steuerlast. Erwirbt der Käufer zunächst nicht alle, sondern nur einen Teil der Geschäftsanteile des Zielunternehmens und werden Call-Optionen für den Erwerb weiterer Geschäftsanteile vereinbart, so kann ein Earn-Out auch über die Gestaltung des Kaufpreises bei Ausübung der Call-Optionen erreicht werden. 4. Verkäufergarantien und Absicherungen a) Bei jeder Due Diligence werden Risiken des Zielunternehmens festgestellt. Folgende Problemfelder treten häufig auf: – die falsche Art von Landnutzungsrechten, d. h. nur Allocated Landnutzungsrechte statt Granted Landnutzungsrechten; – Schwarzbauten, die ohne Planungsgenehmigung oder Baugenehmigung errichtet wurden, und für die daher keine Eigentumsurkunden vorlegen; – fehlende Registrierung von Niederlassungen; – fehlende Umweltgenehmigungen; – „doppelte“ Buchführung und daraus resultierende Steuerverkürzung; – Nichtabführung oder Verkürzung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer für die Mitarbeiter. b) Bei einem Asset Deal können diese Altlasten umgangen werden, da in diesem Fall der Käufer nicht für bestehende Verbindlichkeit des Zielunternehmens haftet, es sei denn, Verkäufer und Käufer treffen eine ausdrückliche anderweitig lautende vertragliche Vereinbarung.39 Anders dagegen bei einem Share Deal, bei dem der Käufer Anteile an der Zielgesellschaft, die die Altlasten birgt, erwirbt. In diesem Fall sollten die Verkäufer die Risiken im Idealfall bereits vor Vertragsschluss oder zumindest vor Closing beseitigen. Für viele der oben genannten Risiken ist dies aus rechtlicher 37 Art. 16 S. 1 M&A Provisions (Fn. 8); vgl. auch S. Li, The Legal Environment and Risks for Foreign Investment in China (Springer 2007), 71. 38 Art. 16 S. 2 M&A Provisions (Fn. 8); s. zum Problem auch Krause, BB 2014, 1486 (1489); Wu/Wang, Brief Explanation on the Legal Issues of the Capital Reform in China ( ), 2013. 39 Q. Jin, Recht, Theorie und Praxis ( , Sichuan Verlagsgruppe 2008), Kapitel 4; Stucken/Senff, Compliance Management (Fn. 33), 145; Tetz, ZChinR 2006, 392 (393); instruktiv R. Beck/M. Klar, DB 2007, 2819.
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Sicht auch möglich. Beispiele sind fehlende Registrierungen für Niederlassungen, fehlende Baugenehmigung, etc. Einige Risiken, wie z. B. Steuerverkürzungen und Verkürzungen der Sozialversicherungsbeiträge, wollen chinesische Verkäufer in der Regel allerdings nicht vor Closing beheben. Oft wird dies damit begründet, dass entsprechende Verfehlungen lokal üblich seinen und von den Behörden geduldet werden. Eine Kompensation dieser Risiken durch einen Kürzung des Kaufpreises scheidet in der Praxis oft aus, da dies zum Scheitern der Transaktionen führen würde. Umso wichtiger und üblich ist es daher, diese Risiken durch Garantien der Verkäufer abzusichern. c) Tritt ein Garantiefall ein, hat der Käufer Schadensersatzansprüche gegen die Verkäufer. Da Schadensersatzansprüche faktisch nichts nützen, wenn die Verkäufer zahlungsunfähig sind, empfiehlt es sich, zusätzlich zu den Garantien zu vereinbaren, dass ein Teil des Kaufpreises in einen Escrow Account eingezahlt wird. Tritt während der Laufzeit des Escrow Accounts ein Garantiefall ein, müssen die Verkäufer daraus Rückzahlungen vornehmen. Allerdings sind auch bei der Gestaltung des Escrow Mechanismus die regulatorischen Beschränkungen der M&A Provisions zu beachten. Wie oben dargestellt, muss beim Unternehmenskauf durch ausländische Käufer der Kaufpreis spätestens innerhalb eines Jahres nach Abschluss des Registrierungsverfahrens vollständig eingezahlt werden.40 Ferner können aufgrund devisenkontrollrechtlicher Vorschriften Dividenden nur dann ins Ausland überwiesen werden, wenn der Kaufpreis für die entsprechenden Geschäftsanteile vollständig bezahlt wurde.41 Aufgrund dieser regulatorischen Beschränkungen müssen Escrow Accounts im Namen des chinesischen Verkäufers eröffnet werden. Die Zahlung auf den Escrow Account stellt dann die Kaufpreiszahlung an die Verkäufer dar. Verkäufer und Käufer sind gemeinsam über den Escrow Account verfügungsberechtigt. Nachteil ist, dass für die Begleichung von Garantieansprüchen durch Rückzahlungen aus dem Escrow Account damit die Zustimmung des Verkäufers erforderlich ist. Diese muss ggf. eingeklagt werden. 5. Closing Bedingungen und Closing Date a) Unternehmenskaufverträge enthalten in der Regel Closing Bedingungen. Üblich sind folgende: – Beseitigung bestimmter, in der Due Diligence festgestellter Risiken; – Einholung notwendiger Zustimmungen Dritter, z. B. bei Bankdarlehen der Zielgesellschaft die Zustimmung der Banken; – Einholung der für die Wirksamkeit der Übertragung erforderlichen gesellschaftsrechtlichen und behördlichen Genehmigungen. 40 Coispeau/Luo, Mergers & Acquisitions (Fn. 36), 131 f.; Li/Kasteleijn, Mergers and Acquisitions (Fn. 4), 53; vgl. auch Krause, BB 2014, 1486 (1488 f.). 41 C. Xu, A New Perspectives on the Legal Nature of the foreign party’s Recovering in advance its Investment in Sino – Foreign Contractual Joint Ventures ( ), Modern Law Science 2004 (Volume 3), 76.
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b) Wie oben dargestellt, unterliegt der Unternehmenskauf durch ausländische Unternehmen der Genehmigung durch die zuständige Handelsbehörde und der Registrierung durch die zuständige Administration for Industry and Commerce.42 Ist das chinesische Zielunternehmen in einem Sektor tätig, der die nationale Verteidigung betrifft, oder die Sicherheit der nationalen Wirtschaft und erwirbt der ausländische Käufer die tatsächliche Kontrolle über das Zielunternehmen, unterliegt der Unternehmenskauf seit 2011 zusätzlich dem Verfahren der Security Review.43 Zuständig für die Security Review sind das Ministry of Commerce und das Joint Comittee for Security Review, das aus Vertretern des Ministry of Commerce, der National Development Reform and Reform Commission und mehrerer Ministerium besteht. Seit Inkrafttreten des PRC Anti-Monopoly Law am 1. August 200844 müssen Unternehmenskäufe ferner bei der chinesischen Kartellbehörde angemeldet werden, wenn bestimmte Umsatzschwellen erreicht werden.45 Kartellbehörde ist das AntiMonopoly-Büro des Ministry of Commerce.46 6. Anwendbares Recht Gemäß Artikel 126 PRC Contract Law kann in Verträgen mit Auslandsbezug, z. B. wenn einer der Vertragspartner Ausländer ist, grundsätzlich die Geltung eines ausländischen Rechts vereinbart werden, es sei denn, es gibt anders lautende zwingende gesetzliche Regelungen.47 Eine solche anders lautende zwingende gesetz42
s. oben Fn. 6 – 10. Abschnitt I der Notice of the General Office of the State Council on the Establishment of the Security Review System for Mergers and Acquisitions of Domestic Enterprises by Foreign ) v. Investors ( 3. 2. 2011, in Kraft getreten am 3. 3. 2011, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wikinfo.com.cn; D. Ding/F. Pan, Analysis of and Suggestions to the National Security Review in the M& A Case ( ), Contemporary Law Review 2012 (Volume 3), 131; X. Hu/Y. Gao, Under the microscope: China’s M&A security review regime ( ), China Business Law Journal 12/14 – 1/15, 108 f.; W. Yu/K.Feng, Der Ablauf des Kontrollverfahrens gem. der Notice of the General Office of the State Council on the Establishment of the Security Review System for Mergers and Acquisitions of Domestic Enterprises by Foreign Investors, ( ) v. 01. 03. 2011 bei wkinfo.com.cn. 44 PRC Anti-Monopoly Law ( ) v. 30. 8. 2007, in Kraft getreten am 1. 8. 2008, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wkinfo.cc.; dazu P. Meyer/ Z. Chen, RIW 2008, 265 ff.; M. Masseli, GRUR Int. 2009, 365 f. und GRUR Int. 2010, 183 f.; X. Mao/T. Glass, WuW 2009, 1036; L. Ritzenhoff, GRUR Int. 2014, 33 ff. 45 Diese ergeben sich aus den Provisions of the State Council on the Threshold for the ) v. 3. 8. Reporting of Undertaking Concentrations ( 2008, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung abrufbar unter wkinfo.com.cn. 46 Ritzenhoff, GRUR Int. 2014, 33 (34). 47 Zur Regel ausführlich K. Hu, in: National People’s Congress (NPC), Legal Committee (Hrsg.), Kommentar zum PRC Contract Law ( , China Legal Publishing House 20153), Art. 126 PRC Contract Law bei pkulaw.cn; D. J. Svantesson, Private International Law and the Internet (Kluwer Law International 2007), 199 f.; M. Zhang, Chinese Contract Law (Martinus Nijhoff Publishers 2006), 329 ff. 43
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liche Regelung sind die Artikel 22 und 24 der M&A Provisions. Nach diesen Bestimmungen unterliegt der Kaufvertrag beim Erwerb von Geschäftsanteilen oder Assets an einem einheimischen chinesischen Unternehmen durch einen ausländischen Käufer zwingend dem chinesischen Recht. 7. Streitbeilegung Unternehmenskaufverträge sollten auch in China Klauseln über die Streitbeilegung enthalten. Rechtlich möglich ist die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts oder eine Schiedsklausel. Ohne entsprechende vertragliche Vereinbarungen, gilt der Grundsatz, dass der Beklagte am Gericht seines Unternehmenssitzes verklagt werden muss. Gemäß Artikel Art. 531 Interpretations of the Supreme People’s Court on Application of the „Civil Procedural Law of the People’s Republic of China“ kann in Verträgen mit Auslandsbezug auch ein ausländischer Gerichtsstand vereinbart werden.48 Davon ist aber abzuraten, denn mangels internationaler Abkommen und Staatsverträgen und mangels Erfüllung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit sind zur Zeit die Urteile der meisten ausländischen Gerichte in China nicht vollstreckbar.49 Empfehlenswert, und bei Unternehmenskäufen durch ausländische Käufer in China auch üblich, sind daher Schiedsklauseln. Bei Verträgen mit Auslandbezug kann gemäß Art. 128 PRC Contract Law die Zuständigkeit eines ausländischen Schiedsgerichts vereinbart werden50. Sind beide Vertragspartner dagegen chinesische juristische oder natürliche Personen, d. h. wenn als Akquisitionsvehikel eine chinesische Holding-Gesellschaft oder eine andere chinesische Tochtergesellschaft verwendet werden, kann nur die Zuständigkeit chinesischer Schiedsgerichte vereinbart werden.51 Urteile ausländischer Schiedsgerichte, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat des UN-Abkommens die über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedsurteile haben, können in China vollstreckt werden. Die VR China ist seit dem 22. 4. 1987 Mitglied des UN-Abkommens über die Anerkennung und Vollstreckung auslän48
hh ii (Fa Shi [2015] Nr. 5) v. 30. 1. 2015, in Kraft getreten am 3. 2. 2015; U. Glück/F. J. Semler, RIW 2006, 438; U. Glück, in: M. Martinek/F.-J. Semler/S. Habermaier/E. Flohr (Hrsg.), Handbuch des Vertriebsrechts (Beck 2010), § 72 Rn. 35. 49 Vgl. z. B. Glück, in: Handbuch des Vertriebsrechts (Fn. 39), § 72 Rn. 35; A. Neelmeier, SchiedsVZ 2007, 102 ff.: R. A. Schütze, RIW 2008, 1 ff.; S. Zhang/X. Xu/X. Li, Die Problematik der Vereinbarung eines ausländischen Gerichtsstands und ihre Lösung ( ) v. 11. 5. 2012, abrufbar auf: http://www.chinalawinsight.com/2012/05/ar ticles/corporate/. 50 v. 15. 3. 1999, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei pkulaw.cn; dazu B. Horrigan/F. Hess/S. Lin Mok, in: M. J. Moser (Hrsg.), Business Disputes in China (Juris Publishing 20113), 47 ff. 51 B.-U. Stucken/F. Hess, in: Faust/Yang, China Sourcing (Springer Gabler 20132), 161 (166).
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discher Schiedsurteile52. Zuständig für die Vollstreckung ausländischer Schiedsurteile sind die Volksgerichte auf mittlerer Ebene53. Wollen diese die Vollstreckung ablehnen, müssen sie dafür nach dem Circular of the Supreme People’s Court on the Handling of Related Issues regarding Foreign-related and Foreign Arbitration Matters in der am 16. 12. 2008 geänderten Fassung die Freigabe durch den PRC Supreme People’s Court einholen.54 Dieses Verfahren soll sicher stellen, dass die Vollstreckung nicht an Lokalprotektionismus scheitert, führt allerdings zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen bei der Vollstreckung.
IV. Vertragliche Gestaltung bei Unternehmenskäufen durch Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung Wie oben erwähnt, unterliegt der Erwerb von Geschäftsanteilen oder Assets an einem lokalen chinesischen Unternehmen durch ein Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung, das keine Holdinggesellschaft ist, nicht den M&A Pro-
52 Allerdings mit Vorbehalten, vgl. z. B. D. Hantke, SchiedsVZ 2007, 36 (38); R. A. Schütze, in: R. A. Schütze/D. Tscherning/W. Weis (Hrsg.), Handbuch des Schiedsverfahrens (Beck 1990), Abschnitt G Rn. 665; Stucken/Hess, China Sourcing (Fn. 50), 161 (166). 53 Circular on the Implementation of the Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards Entered by China v. 1987; s. ferner Art. 273 Civil Procedure Law ) v. 31. 8. 2012, in Kraft getreten am 1. 1. 2013, chinesische ( Version mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn; D. Shu, Handbuch des Supreme People’s Court of PRC ( , China Legal Publishing House 2005), 313; S. Wang, in: National People’s Congress (NPC), Legal Committee (Hrsg.), Kommentar zum Civil Procedure Law of the People’s Republic of China ( ), Art. 283 China Legal Publishing House 2015; H. Tao, Resolving Business Disputes in China (Kluwer Law International 2005), § 97 – 100. 54
(Fa Fa [1995] Nr. 18) v. 28. 8. 1995, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn in Verbindung mit dem Circular of the Supreme People’s Court on Related Issues in Annulling Foreign-Related Arbitral Awards ( , Fa [1998] Nr. 40) v. 23 April 1998 in der durch die Decision of the Supreme People’s Court on Adjusting the Sequential Number of the Articles of the Civil Procedure Law of the People’s Republic of China Cited in Judicial Interpretations and Other Documents ( hh ii [ ]) v. 16. 12. 2008 geänderten Fassung, chinesische Version mit englischer Zusammenfassung bei wkinfo.com.cn. Dieses sog. Reporting-System gilt nicht nur für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer, sondern auch für inländische Schiedssprüche mit Auslandsbezug; vgl. zur Anerkennung und Vollstreckung von Schiedsgerichtssprüchen in China F. D’Souza, 30 Fordham International Law Journal 2006, 1318 ff.; Glück/Semler, RIW 2006, 436 (439); A. Nerz, Probleme der Streiterledigung im Verhältnis zu China und Saudi-Arabien (CT Salzwasser-Verlag 20142), 95.
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visions.55 Damit gelten auch nicht die in den M&A Provisions enthaltenen regulatorischen Beschränkungen für flexible Kaufpreise, Earn-Out-Klauseln und Ratenzahlungen. Auch das behördliche Verfahren ist kürzer, denn die Genehmigung durch die zuständige Handelsbehörde fällt weg. Der Erwerb von Geschäftsanteilen muss nur bei der zuständigen Administration for Industry and Commerce registriert werden. Für einen Asset Deal bestehen, je nach Art der übertragenen Assets, noch nicht einmal Registrierungsanforderungen. Maschinen und Anlagen, Inventar und Goodwill können durch privatschriftlichen Vertrag veräußert werden. Werden Landnutzungsrechte und/oder Gebäude veräußert oder eingetragene gewerbliche Schutzrechte (Patente oder Marken), so sind die Übertragungsverträge ebenfalls mit Unterzeichnung der Vertragspartner wirksam. Für die dingliche Übertragung sind allerdings Registrierungen bei den zuständigen Behörden erforderlich. Für Landnutzungsrechte sind dies die Landverwaltungsbehörden, für Gebäude die Gebäudeverwaltungsbehörden, für Patente das chinesische Patentamt und für Marken das chinesischen Markenamt. Es hat also einige Vorteile, ein Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung als Akquisitionsvehikel zu verwenden. Allerdings gibt es auch Nachteile. Wie oben erwähnt, wird das Zielunternehmen beim Erwerb durch ein ausländisches Unternehmen oder eine ausländische investierte Holdinggesellschaft in ein Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung umgewandelt. Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung können innerhalb bestimmter Quoten Darlehen aus dem Ausland aufnehmen.56 Beim Erwerb durch ein Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung bleibt das Zielunternehmen ein lokales chinesisches Unternehmen. Lokale chinesische Unternehmen können Kredite aus dem Ausland nur nach Registrierung bei der zuständigen Development und Reform Commission und nur für limitierte Verwendungszwecke aufnehmen.57 Bei 55 Beim Erwerb von Assets allerdings nur dann nicht, wenn das Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung nicht zu dem Zweck gegründet wurde, den gesamten Geschäftsbetrieb des lokalen Unternehmens zu übernehmen. 56 Die Quote für mittel- und langfristige Auslandsdarlehen, d. h. Darlehen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr, beträgt maximal die Differenz zwischen Gesamtinvestitionssumme und Stammkapital des Unternehmens mit ausländischer Kapitalbeteiligung, s. Art. 18 der Provisional Measures on the Control of External Debts in der Fassung ( , Order No. 28 of SDPC, MOF and SAFE) v. 08. 01. 2003, in Kraft getreten am 3. 1. 2003. Für das Verhältnis zwischen Gesamtinvestitionssumme und Stammkapital gelten die Provisional Regulations of the State Administration for Industry and Commerce on the Ratio between the Registered Capital and Total Investment of Sino-foreign Joint Equity Enterprises ( ) v. 1. 3. 1987 chinesische Fassung mit englischer Übersetzung jeweils bei wkinfo.com.cn; s. dazu C. Devonshire-Ellis/ A. Scott/S. Woollard (Eds.), Setting Up Wholly Foreign Owned Enterprises in China (Springer 20113), 19 ff. 57 s. die Interim Provisions on the Management of Foreign Debts ( ) v. 1. 8. 2004, abrufbar in chinesischer und englischer Sprache bei pkulaw.cn; vgl. Li/Kasteleijn, Mergers and Acquisitions (Fn. 4), 53; das Verfahren bei der Aufnahme von Krediten im Ausland wurde jüngst auch für lokale chinesische Unternahmen durch die Notice of the Na-
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Finanzierungsbedarf ist das Zielunternehmen daher auf die Kreditaufnahme von chinesischen Banken oder auf Inter-Company Darlehen der chinesischen Muttergesellschaft oder chinesischer Schwestergesellschaften angewiesen.
tional Development and Reform Commission on Pushing Forth Administrative Reform for Filing and Registration for Issuance of Foreign Debt by Enterprises ( , Fai Gai Wai Zi [2015] No. 2044) v. 14. 9. 2014, chinesische Fassung mit englischer Übersetzung bei wkinfo.com.cn, vereinfacht.
Überlegungen zum Aufbau der Klagformel: demonstratio und intentio Von Peter Gröschler*
I. Einleitung Die römischen Juristen haben bekanntlich vom Prozessrecht her gedacht, weshalb man vom aktionenrechtlichen Denken1 der römischen Juristen spricht. Was heute bei uns die Anspruchsgrundlagen sind, waren in römischer Zeit die Klagformeln, aus denen man die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen ableiten kann. Für die Kenntnis des römischen Rechts ist es daher wichtig, den Aufbau der Klagformeln zu verstehen. Den Schlüssel hierfür bieten die Institutionen des Gaius, die seit langem einen Kernbereich der Forschungen des Jubilars bilden. Dem Gaiuskenner Ulrich Manthe sei daher dieser Beitrag, der sich mit demonstratio und intentio als Bestandteilen der Klagformel beschäftigt, gewidmet. Gleich zu Beginn der Darstellung des Formularverfahrens nennt Gaius die vier Bestandteile der Klagformeln (partes formularum): Gai. inst. 4.39:2 Partes autem formularum hae sunt: demonstratio, intentio, adiudicatio, condemnatio. Und zwar gibt es folgende Teile der Klagformeln: Sachverhaltsbeschreibung, Klagbehauptung, Zuerkennungsermächtigung und Verurteilungsermächtigung.
Im Anschluss (inst. 4.40 – 43) werden von Gaius diese Bestandteile ausführlich erläutert, worauf im Folgenden immer wieder zurückzugreifen sein wird. Auffällig ist, dass Gaius in inst. 4.39 nicht die Richtereinsetzung als Bestandteil der Klagformel nennt.3 Das liegt daran, dass in inst. 4.39 – 43 nur das Prozessprogramm und * Dr. iur., ordentl. Professor für Bürgerliches Recht und Römisches Recht an der JohannesGutenberg-Universität Mainz, E-Mail: [email protected]. 1 Vgl. nur M. Kaser, Das römische Privatrecht I (München 19712), 181, 226. 2 Die deutsche Übersetzung folgt hier und im Weiteren größtenteils der zweisprachigen Gaiusausgabe von U. Manthe, Gaius Institutiones, Die Institutionen des Gaius (Darmstadt 20102). 3 An anderer Stelle (inst. 4.37, 46 f., 136 f.) verwendet Gaius den Begriff formula in einem weiteren Sinn, der auch die Richtereinsetzung umfasst; vgl. M. Artner, Agere praescriptis verbis (Berlin 2002), 53249. Nicht zu den partes formularum rechnet Gaius auch die praescriptio, weil diese grundsätzlich der Formel – noch vor der Richtereinsetzung – vorgeschaltet
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seine Bestandteile beschrieben werden, so wie es für den eingesetzten Richter maßgeblich ist. Die Richtereinsetzung selbst spielt für das Prozessprogramm keine Rolle. Als Modell einer Klagformel soll hier das Beispiel der von O. Lenel4 rekonstruierten Kaufklage dienen: Titius iudex esto. Quod Aulus Agerius de Numerio Negidio hominem quo de agitur emit, g demonstratio qua de re agitur, quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere oportet ex fide bona, eius iudex Numerium Negidium Aulo Agerio condemnato; si non paret, absolvito.
g intentio g condemnatio
Titius sei Richter. Da Aulus Agerius von Numerius Negidius den Sklaven, um den es geht, Sachverhaltsg gekauft hat, worum es sich handelt, beschreibung was auch immer deswegen Numerius Negidius dem Aulus Agerius geben g Klagbehauptung oder tun muss nach Treu und Glauben, auf das sollst du, Richter, den Numerius Negidius zugunsten des Aulus Verurteilungsg Agerius verurteilen;wenn es sich nicht erweist, sollst du freisprechen. ermächtigung
Es handelt sich um eine dreiteilige Klagformel mit demonstratio, intentio und condemnatio. Die condemnatio, die Verurteilungsermächtigung, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, ist verhältnismäßig einfach zu erklären: Es geht darum, dass der Privatrichter (iudex) zur Verurteilung oder zum Freispruch des Beklagten ermächtigt wird. Schwieriger zu deuten sind dagegen die ersten beiden Formelteile, demonstratio und intentio. Im Hinblick auf die demonstratio soll die Frage untersucht werden, wie das einleitende quod zu verstehen ist; hierzu gibt es – bis heute – unterschiedliche Auffassungen. Vor allem aber ist die intentio ein rätselhaftes Gebilde. Ganz allgemein kann man den Begriff intentio mit „Anstrengung“, „Vorhaben“, „Absicht“, „Begehren“ übersetzen.5 Im prozessualen Zusammenhang scheint es daher um das Begehren des Klägers, also kurz: um das Klagebegehren, zu gehen. Dementsprechend findet sich in den Institutionen des Gaius folgende Erklärung:
wird; vgl. Gai. inst. 4.132: ,Praescriptiones‘ sic appellatas esse ab eo, quod ante formulas praescribuntur, plus quam manifestum est. (Es weiß wirklich jeder, dass die ,Vorschaltungen‘ daher so genannt werden, weil sie den Klagformeln „vorgeschaltet“ werden.) 4 Das Edictum perpetuum (Leipzig 19273), 299 (§ 110). Vgl. auch D. Mantovani, Le formule del processo privato romano (Padua 19992), 53 (Nr. 32). 5 Vgl. nur H. Georges, Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch II (Hannover 197213), s.v. intentio (S. 352).
Überlegungen zum Aufbau der Klagformel: demonstratio und intentio
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Gai. inst. 4.41: Intentio est ea pars formulae, qua actor desiderium suum concludit, … Die Klagbehauptung ist derjenige Teil der Klagformel, in dem der Kläger sein Anliegen zusammenfasst, …
Im Hinblick auf das von Gaius verwendete Verbum concludere kann man bei M. Kaser/K. Hackel6 lesen, die intentio enthalte das „Begehren in Form einer Schlußfolgerung des Klägers“; zugleich umfasse sie den „Klagegrund“. Nach M. Kaser/ R. Knütel7 enthalte die intentio „die Klaggrundlage und den Gegenstand des Klagebegehrens“. Betrachtet man dagegen die Klagformel, etwa die hier wiedergegebene Kaufklage, scheint die Einordnung der intentio als Klagebegehren nicht passend. Zum einen ist es merkwürdig, dass der Kläger sein Klagebegehren so unbestimmt mit den Worten quidquid ob eam rem … dare facere oportet formuliert. Man möchte eigentlich erwarten, dass der Kläger in seinem Klagebegehren nicht nur ein quidquid fordert, sondern präzise angibt, was er denn vom Beklagten erhalten will. Zum anderen erscheint der Klagegrund, der Gegenstand der intentio sein soll, in unserer Formel bereits in der demonstratio: Dort wird nämlich gesagt, dass es um einen Kaufvertrag geht, der die Grundlage für die Klage bildet. In Wirklichkeit enthält die intentio in der Form, wie wir sie in der dreigliedrigen Kaufklage, ebenso aber auch in der zweigliedrigen, aus intentio und condemnatio bestehenden Klagformel8 finden, nicht das Klagebegehren oder den Klagegrund, sondern die Verurteilungsvoraussetzungen, wie sich aus der Verknüpfung mit der sich unmittelbar anschließenden condemnatio ergibt: Die intentio steht zur condemnatio in einer „Wenn-dann-Beziehung“. Wenn allerdings die intentio, wie wir sehen, 6 Das römische Zivilprozeßrecht (München 19962), 311. Als Schlussfolgerung wird die intentio auch von B. Kupisch, Rez. zu W. Selb, Formeln mit unbestimmter intentio iuris (Graz 1974), in: SZ 93 (1976), 434, 448 f., und B. Schmidlin, La fonction de la ,demonstratio‘ dans les actions de bonne foi, in: Studi in onore di Cesare Sanfilippo V (Mailand 1984), 707, 716 f., qualifiziert. 7 Römisches Privatrecht (München 201420), 447 (§ 83 Rn. 6) [Hervorhebungen im Original]. 8 Vgl. Gai. inst. 4.41, wo als erstes Beispiel die intentio der condictio certae pecuniae, an zweiter Stelle wohl die intentio der condictio incerti und schließlich die formula petitoria der rei vindicatio genannt werden: ,Si paret Numerium Negidium Aulo Agerio sestertia x milia dare oportere‘ („Wenn es sich erweist, dass Numerius Negidius dem Aulus Agerius 10.000 Sesterze geben muss“); ,Quidquid paret Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere oportere‘ („Was auch immer erwiesenermaßen Numerius Negidius dem Aulus Agerius geben oder tun muss“); ,Si paret hominem ex iure Quiritium Auli Agerii esse‘ („Wenn es sich erweist, dass der Sklave nach quiritischem Recht dem Aulus Agerius gehört“). Zur condictio certae pecuniae und zur rei vindicatio vgl. Lenel, Edictum (Fn. 4), 185 (§ 69), 237 (§ 95); Mantovani, Formule (Fn. 4), 37 f. (Nr. 2), 48 (Nr. 19). Das zweite Beispiel gibt, wie vor allem die Untersuchungen von J. G. Wolf, Causa stipulationis (Köln 1970), 195 ff., wahrscheinlich gemacht haben, die intentio der condictio incerti wieder; vgl. Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht (Fn. 6), 3128a m.w.N.; zweifelnd W. Selb, Formeln mit unbestimmter intentio iuris (Graz 1974), 32 f.; H. Honsell, Rez. zu J. G. Wolf, Causa stipulationis (Köln 1970), in: SZ 92 (1975), 328, 337 f.; Mantovani, Formule (Fn. 4), 50 (Nr. 24).
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die Verurteilungsvoraussetzungen nennt, passt die Bezeichnung als intentio im Sinne von „Absicht“ bzw. „Begehren“ nicht mehr richtig. Das ist, zumindest auf den ersten Blick, höchst verwunderlich.
II. Das kausale Verständnis der demonstratio Bevor auf die Deutung der intentio näher eingegangen wird, soll es zunächst um die demonstratio und um die Frage, wie dort das einleitende quod zu verstehen ist, gehen. Wie sich etwa am Beispiel der Kaufklage zeigt, wird die demonstratio dazu verwendet, den Sachverhalt in die Klagformel einzuführen: Aulus Agerius hat von Numerius Negidius einen Sklaven gekauft. Die demonstratio hat also die Funktion, den Streitgegenstand zu individualisieren; man kann die demonstratio daher als „Sachverhaltsbeschreibung“ bezeichnen. In den Institutionen des Gaius heißt es dazu: Gai. inst. 4.40: Demonstratio est ea pars formulae, quae praecipue ideo inseritur, ut demonstr[ar]etur res, de qua agitur, … Die Sachverhaltsbeschreibung ist derjenige Teil der Klagformel, der vorzugsweise dazu eingefügt wird, dass die Sache beschrieben wird, um die geklagt wird, …
Mit praecipue (vorzugsweise) stellt Gaius klar, dass die demonstratio zwar nicht das einzige, aber doch das wichtigste Mittel ist, um den Streitgegenstand zu individualisieren.9 Abgesehen von der demonstratio konnte z. B. auch die intentio oder die der Formel vorangestellte praescriptio die Funktion der Individualisierung des Streitgegenstandes haben, worauf hier aber nicht weiter eingegangen werden soll. Seit langem ist umstritten, ob dem quod, durch das die demonstratio eingeleitet wird, ein kausaler Sinn zukommt, ob also quod mit „da“ bzw. „weil“ zu übersetzen ist, oder ob es sich um ein sogenanntes faktisches quod mit der Bedeutung „was das betrifft, dass“ handelt. Zum Teil wird quod auch ein konditionaler Sinn beigemessen, so dass quod hier mit „wenn“, „sofern“ oder „soweit“ zu übersetzen wäre. 9 Vgl. M. Wlassak, Praescriptio und bedingter Prozeß, in: SZ 33 (1912) 81, 104 f. (= Ea res agatur, Mélanges Paul Fédéric Girard II, 1912, 617, 639 f.); ders., Prozessrechtliche Studien zu Gai 4,60, in: Rechtshistorische Abhandlungen (Wien 1965), 40 ff.; R. Santoro, Actio civilis in factum, actio praescriptis verbis e praescriptio, in: Studi Sanfilippo IV (Mailand 1983), 683, 689 f.; Artner, Agere (Fn. 3), 53 f.; M. Varvaro, Ricerche sulla praescriptio (Turin 2008), 114 ff. Ganz ähnlich versteht auch Kupisch, SZ 93 (1976), 450, den Ausdruck praecipue ideo inseritur, ut demonstraretur res in dem Sinne, dass die demonstratio „,vornehmlich‘, also in besonderer Weise“ der Bezeichnung des Streitgegenstandes diene. Dagegen fasst U. Babusiaux, Id quod actum est. Zur Ermittlung des Parteiwillens im klassischen römischen Zivilprozeß (München 2006), 168799, praecipue nicht als adverbiale Bestimmung zu inseritur auf, sondern bezieht das Adverb auf ideo. Mit praecipue sei daher gemeint, dass die demonstratio „vorrangig“ die res, de qua agitur anzeige, während ihre anderen Funktionen von untergeordneter Bedeutung seien.
Überlegungen zum Aufbau der Klagformel: demonstratio und intentio
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Auf die kausale Interpretation von quod bezieht sich V. Arangio-Ruiz,10 der die – auch heute vor allem in der italienischen Literatur11 noch häufig vertretene – These entwickelt hat, dass eine Klagformel mit demonstratio ursprünglich nur dann erteilt worden sei, wenn die Parteien den zugrundeliegenden Sachverhalt zuvor unstreitig gestellt hätten. Die Verwendung von quod in der Bedeutung „da“ bzw. „weil“ zeige, dass der in der demonstratio beschriebene Sachverhalt als feststehend behandelt worden sei. Der iudex habe daher diesen Sachverhalt nicht mehr überprüft, sondern auf dessen Grundlage nur noch die Schätzung des quidquid … dare facere oportet, also die Schätzung der vom Beklagten geschuldeten Leistung vorgenommen.12 Erst später seien dann die Formeln mit demonstratio auch auf streitige Sachverhalte übertragen worden.13 Die Folge sei, dass die Formel in der uns bekannten Gestalt, wie man sie etwa bei der eingangs abgedruckten Kaufklage sieht, einen inneren Widerspruch aufweisen würde. Weder ein Jurist noch ein Mensch von Verstand könne sich – wie Arangio-Ruiz schreibt14 – unter normalen Umständen in einer solchen Weise ausdrücken. Der Widerspruch liegt nach Arangio-Ruiz darin, dass der Sachverhalt in der mit „da“ bzw. „weil“15 eingeleiteten demonstratio zunächst als sicher hingestellt sei,16 dann aber durch die Ermächtigung des Richters zur Freisprechung in der condemnatio wieder in Frage gestellt werde. Die von E. Betti17 begründete Gegenmeinung interpretiert das quod in der demonstratio als faktisches quod im Sinne von „was das betrifft, dass“. M. Kaser18 nimmt 10 Le formule con demonstratio e la loro origine, in: Studi economico-giuridici pubblicati per cura della Facoltà di Giurisprudenza, R. Università di Cagliari (Studi Cagliari) 4 (1912), 75, 77 ff., 128 ff. (= Rariora [Rom 1946], 23, 27 ff., 98 ff.; Scritti di diritto romano I [Neapel 1974], 321, 325 ff., 376 ff. [Estr. 5 ff., 56 ff.]). 11 Siehe nur M. Talamanca, Processo civile (dir. rom.), in: Enciclopedia del diritto (ED) 36 (Mailand 1987), 1, 45325 ; Mantovani, Formule (Fn. 4), 141 („Poiché“). 12 Nach Arangio-Ruiz, Studi Caglari 4 (1912), 128 – 136, (= Rariora [Fn. 10], 98 – 109; Scritti I [Fn. 10], 376 – 384 [Estr. 56 – 64]) hätten die Formeln mit demonstratio ursprünglich keine Ermächtigung zur Verurteilung und zur Freisprechung (condemnatio und absolutio) enthalten, sondern seien mit der Anweisung iudex aestimato auf eine bloße Geldschätzung gerichtet gewesen. In ähnlicher Weise versteht R. Fiori, Ea res agatur (Mailand 2003), 11 ff., 43 ff., quod kausal und nimmt an, dass bei den Formeln mit demonstratio ursprünglich nicht die Möglichkeit einer Freisprechung bestanden habe. 13 Arangio-Ruiz, Studi Caglari 4 (1912), 136 f. (= Rariora [Fn. 10], 109 – 111; Scritti I [Fn. 10], 384 f. [Estr. 64 f.]). 14 Arangio-Ruiz, Studi Caglari 4 (1912), 77 (= Rariora [Fn. 10], 28; Scritti I [Fn. 10], 325 [Estr. 5]): „Ora, nè un giurista nè un uomo di senno potrebbe, in circostanze normali, esprimersi in cotesto modo.“ 15 Arangio-Ruiz (Fn. 14): „Poichè“. 16 Aufgrund des Indikativ Perfekts (z. B. emit bei der Kaufklage) enthalte die demonstratio eine „proposizione … assertoria“, einen Behauptungssatz; Arangio-Ruiz (Fn. 14). 17 Su la formola del processo civile romano, in: Il Filangieri 38 (1914), 674, 691 („quod = in relazione a …“), 717 („in quanto a ciò, che …“); Le actiones ex confessione in iure nel processo romano classico, in: Atti del Reale Istituto Veneto di scienze, lettere ed arti 74 (1914/ 15), 1453, 1458 („quanto a ciò, che“).
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– im Anschluss an F. Schulz19 – an, dass quod einen konditionalen Sinn habe. Deutet man quod wie Betti oder Kaser, löst sich der von Arangio-Ruiz monierte innere Widerspruch in den Formeln mit demonstratio ohne weiteres auf. In der deutschsprachigen Literatur ist das der heute ganz überwiegend vertretene Ansatz.20 Völlig unabhängig von Arangio-Ruiz’ These, wonach der in der demonstratio wiedergegebene Sachverhalt unstreitig gewesen sei, gibt es heute, was aber in der romanistischen Literatur nur zum Teil wahrgenommen wird,21 einen eindeutigen Beleg für die kausale Bedeutung des einleitenden quod. Es handelt sich um die prozessualen Urkunden aus dem sogenannten Archiv der Babatha (P. Yadin 28 – 30; um 125 n. Chr.). Die Urkunden, die 1960/61 in einer Höhle am Toten Meer entdeckt wurden, gehen auf die Zeit vor dem Bar-Kochba-Aufstand zurück, stammen also aus der ersten Hälfte des 2. Jh. n. Chr.22 Die uns interessierenden prozessualen Urkunden enthalten jeweils die Formel der Vormundschaftsklage, der actio tutelae, und zwar – was der entscheidende Punkt ist – nicht auf Latein, sondern auf Griechisch. Es genügt, einen Ausschnitt aus einer der insoweit gleichförmigen Urkunden zu zitieren: P. Yadin 28, Z. 4-11: 1pe· j a de?ma t[oO] de?m[o]r [aq]vamoO j 1pitqop[µ]m 1we¸qisem, j peq· o[x] pq²clator %cetai, j ftam di± t[o]Oto t¹ pq÷cla j t¹m de?ma t` de?mi doOmai j poi/sai d´, 1j j[a]k/r j p¸steyr, … Da jener die Vormundschaft jenes Mündels geführt hat, worum geklagt wird, was auch immer deswegen jener jenem geben oder tun muss nach Treu und Glauben, …
Zum Vergleich folgt die lateinische Fassung der actio tutelae, wie sie von O. Lenel23 rekonstruiert worden ist: 18 Formeln mit ,intentio incerta‘, ,actio ex stipulatu‘ und ,condictio‘, Labeo 22 (1976), 10; vgl. auch ders., Zum Ediktsstil (Nachbemerkungen), in: Ausgewählte Schriften I (Neapel 1976), 219, 259. 19 F. Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (Weimar 1961), 332 (= History of Roman Legal Science [Oxford 1953], 258), der quod mit si gleichsetzt. Vgl. zu quod mit konditionaler Bedeutung auch J. B. Hofmann/A. Szantyr, Lateinische Grammatik II (München 1972), 572 f. (§§ 309 f.); M. D’Elia, Sull’uso di ,quod‘ con il senso di ,si‘ nel latino giuridico, in: Scritti in onore di Giuliano Bonfante I (Brescia 1976), 191 ff. 20 Siehe nur Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht (Fn. 6), 31419 m.w.N.; Kaser/Knütel, Privatrecht (Fn. 7), 447 (§ 83 Rn. 8); J. Platschek, Rez. zu U. Manthe, Gaius Institutiones, Die Institutionen des Gaius (Darmstadt 2004), in: forum historiae iuris [http://www.forhistiur.de/zi tat/0405platschek.htm (14. 05. 2004), jedoch nicht mehr online abrufbar] Rn. 22 („Einiges spricht dafür …“). 21 Zutreffend bereits L. Pellecchi, La praescriptio (Padua 2003), 187 f.; M. Varvaro, Studi sulla restituzione della dote I (Turin 2006), 271759; ders., Ricerche sulla praescriptio (Turin 2008), 99 f. 22 Zur Fundgeschichte siehe N. Lewis, The Documents from the Bar Kokhba Period in the Cave of Letters, Greek Papyri (Jerusalem 1989), 3 – 5. 23 Edictum (Fn. 4), 318 (§ 124). Vgl. auch Mantovani, Formule (Fn. 4), 56 ff. (Nr. 43).
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Quod Numerius Negidius Auli Agerii tutelam gessit, quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere oportet ex fide bona, … Da Numerius Negidius die Vormundschaft des Aulus Agerius geführt hat, was auch immer deswegen Numerius Negidius dem Aulus Agerius geben oder tun muss nach Treu und Glauben, …
Bis auf Kleinigkeiten stimmen die Formeln, worauf von D. Nörr24 bereits mehrfach hingewiesen wurde, exakt überein, was zeigt, dass das in den Urkunden vom Toten Meer verwendete Formular der lateinischen Formelfassung sehr genau folgt. Da die griechische Konjunktion 1pe¸ ganz allgemein nur temporale oder kausale Bedeutung haben kann,25 ist das griechische 1pe¸ mit der lateinischen Konjunktion cum („als“, „weil“) vergleichbar. Im Zusammenhang unserer Klagformel kann 1pe¸ daher – anders als das lateinische quod – nur kausal zu verstehen sein. Das faktische quod wäre im Griechischen mit fti gleichzusetzen, das auch die Bedeutungen „dass“ und „was das betrifft, dass“ annehmen kann.26 Dass bei der Übersetzung der actio tutelae ins Griechische nicht fti, sondern 1pe¸ gewählt wurde, zeigt, dass der demonstratio ein kausaler Sinn beigemessen wurde. Damit steht fest, dass auch in der lateinischen Formelfassung quod mit „da“ bzw. „weil“ übersetzt werden muss.27 Natürlich fragt sich nun, ob man damit auch der auf dem kausalen Verständnis von quod beruhenden These Arangio-Ruiz’ folgen muss, nämlich dass der in der demonstratio beschriebene Sachverhalt als bereits feststehend anzusehen sei.28 Die Folge wäre in der Tat, dass die Formeln mit demonstratio in der Gestalt, wie wir sie kennen, in sich widersprüchlich wären. Bei näherem Zusehen stellt sich allerdings heraus, dass die kausale Interpretation von quod in Wirklichkeit nicht zu diesem Schritt zwingt. Vielmehr sprechen – wie die im Folgenden behandelten Quellen zeigen – mehrere Indizien dafür, dass die in der demonstratio enthaltene Sachverhaltsbeschreibung auf dem Vorbringen des Klägers beruht, das in die Klagformel übernommen wurde. Mit anderen Worten: Das kausale quod beschreibt die Sicht des Klägers. Wenn aber hinter der demonstratio nichts anderes als eine Behauptung des Klägers steht, liegt es auf der Hand, dass der Inhalt der demonstratio vom iudex auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen war.29
24 Prozessuales aus dem Babatha-Archiv, in: Mélanges André Magdelain (Paris 1998), 317 ff. (= Historiae iuris antiqui, Ges. Schriften III [Goldbach 2003], 2173 ff.); ders., Römisches Zivilprozeßrecht nach Max Kaser: Prozeßrecht und Prozeßpraxis in der Provinz Arabia, in: SZ 115 (1998), 80, 84 ff. (= Ges. Schriften III, 2199 ff.). 25 H. G. Liddell/R. Scott/H. St. Jones, A Greek-English Lexicon (Oxford 19969), 613 (s.v. 1pe¸). 26 Vgl. Liddell/Scott/Jones, Greek-English Lexicon (Fn. 25), 1265 (s.v. fti, A I, IV): „that“, „with regard to the fact that“. 27 Zutreffend wird quod mit „da“ übersetzt in der zweisprachigen Gaiusausgabe (inst. 4.40, 47, 59, 136), Manthe (Fn. 2). 28 Siehe oben bei Fn. 10. 29 So auch Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht (Fn. 6), 315 m.w.N.
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Die erste Quellenstelle, die eine Rückführung der demonstratio auf das Vorbringen des Klägers erlaubt, ist Gai. inst. 4.60: Sed nos apud quosdam scriptum invenimus in actione depositi et denique in ceteris omnibus, ex quibus damnatus unusquisque ignominia notatur, eum qui plus quam oporteret demonstraverit, litem perdere; velut si quis una re deposita duas pluresve posuisse demonstraverit, aut si is cui pugno mala percussa est, in actione iniuriarum etiam aliam partem corporis percussam sibi demonstraverit; … Ich fand aber bei manchen Juristen geschrieben, dass bei der Verwahrungsklage und überhaupt bei allen anderen Klagen, bei welchen ein jeder, falls er verurteilt würde, als ehrlos vermerkt werde, derjenige, der in der Sachverhaltsbeschreibung mehr erklärt habe, als er durfte, den Prozess verliere; zum Beispiel wenn jemand eine Sache in Verwahrung gegeben hatte, aber in der Sachverhaltsbeschreibung erklärt hat, er habe zwei oder mehr Sachen in Verwahrung gegeben, oder wenn jemandem mit der Faust ins Gesicht geschlagen worden war, er aber bei der Injurienklage in der Sachverhaltsbeschreibung erklärt hat, auch auf einen anderen Körperteil sei geschlagen worden; …
Es geht hier um die Zuvielforderung (pluris petitio), die im Rahmen der intentio bekanntlich zum vollständigen und endgültigen Prozessverlust führt.30 Nach Meinung einiger römischer Juristen (quidam) konnte es zu den Wirkungen der pluris petitio ausnahmsweise auch dann kommen, wenn die Zuvielforderung nicht in der intentio, sondern in der demonstratio enthalten war. Die von Gaius in der Quellenstelle dreimal verwandte Verbform demonstraverit (er hat in der Sachverhaltsbeschreibung erklärt) bezieht sich hier jeweils auf den Kläger, was zeigt, dass von ihm die Einführung des Sachverhalts ausging. Das steht ohne weiteres im Einklang mit der Pflicht der Klägers zur editio actionis, zur Bekanntgabe der Klage:31 Der Kläger musste den Beklagten schon vor der Ladung informieren, was durch die Klage geltend gemacht werden soll. Auch in folgender Paulusstelle, die uns in der Collatio legum Mosaicorum et Romanorum32 überliefert ist, steht demonstrat bzw. demonstret für den Sachverhaltsvortrag des Klägers:33
30
Vgl. zur pluris petitio allgemein Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht (Fn. 6), 322 ff. Ulp. 4 ad ed., D. 2.13.1 pr. 32 Zur Textgeschichte und zur Einordnung des Verfassers der Collatio als Jude siehe U. Manthe, Collatio 6,7 pr. isdem abstipulantibus, in: Ars Iuris, Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag (Göttingen 2009), 351 ff.; ders., Wurde die Collatio vom Ambrosiaster Isaak geschrieben?, in: Festschrift Rolf Knütel zum 70. Geburtstag (Heidelberg 2009), 747 ff.; ders., Die Collatio: Inhalt, Textkritik und Verfasserfrage, in: U. Manthe/S. Nishimura/ M. Igimi (Hrsg.), Aus der Werkstatt römischer Juristen. Vorträge der Europäisch-Ostasiatischen Tagung 2013 in Fukuoka (Berlin 2016), 197, 209 ff. 33 W. Selb, Die Formel der Injurienklage, in: Essays in honour of Ben Beinart III (Kapstadt 1979), 29, 30. 31
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Paul. de iniur. lib. sing., Coll. 2.6.2, 4: Certum dicit, qui suo nomine demonstrat iniuriam, … (4) (…) Sed et partem corporis demonstr[a]t34 et quem in modum, pugno puta an fuste an lapide, … Etwas Bestimmtes trägt vor, wer im eigenen Namen eine Personenverletzung beschreibt, … (4) (…) Sondern er soll den Körperteil und die Art und Weise der Verletzung beschreiben, z. B. mit der Faust, mit einem Knüppel oder einem Stein, …
Ein Beispiel für den Sachverhaltsvortrag des Klägers ist überliefert in Gai. inst. 4.59: Sed sunt, qui putant minus recte conprehendi, ut qui forte Stichum et Erotem emerit, recte videtur ita demonstrare: ,Quod ego de te hominem Erotem emi‘, … Doch gibt es Juristen, die der Ansicht sind, ein Zuwenig werde wirksam erfasst, so dass einer, der etwa Stichus und Eros gekauft hat, in der Sachverhaltsbeschreibung zu Recht erkläre: ,Da ich von dir den Sklaven Eros gekauft habe‘, …
Der Kläger erklärt hier: ,Quod ego de te hominem Erotem emi‘ („Da ich von dir den Sklaven Eros gekauft habe“). Dabei geht es um eine Erklärung im Rahmen der demonstratio, wie sich aus dem Hinweis recte videtur ita demonstrare ergibt. Kaser35 nimmt an, es würde sich bei diesen Worten um eine „blosse Juristenausdeutung“ handeln, was aber nicht zu der Schilderung in der ersten Person (ego … emi) passt. Die Ich-Form belegt vielmehr, dass es sich hier um den subjektiv stilisierten, also den in der 1. Person abgefassten Klägervortrag handelt. Dieser Vortrag des Klägers wurde dann offenbar in objektiv stilisierter Form, also in der 3. Person, in die Formel der actio empti übernommen.36 Aus der Aussage des Klägers ,Quod ego de te hominem Erotem emi‘ wurde in der Klagformel die demonstratio in der Form Quod Aulus Agerius de Numerio Negidio hominem Erotem emit, wie sie der eingangs abgedruckten von Lenel rekonstruierten Formel der Kaufklage entspricht. Ein weiteres Beispiel für eine subjektiv stilisierte demonstratio findet sich im Zusammenhang mit der Injurienklage bei Ulpian: Ulp. 57 ad ed., D. 47.10.7.1: … si ita quis agere velit: ,quod tu venenum dedisti hominis occidendi causa‘ … … wenn jemand folgendermaßen klagen will: ,Da du Gift verabreicht hast, um einen Sklaven zu töten‘ …
Es geht hier, wie sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Stelle ergibt,37 um die Verletzung eines Sklaven, hier in Form einer Giftbeibringung mit Tötungs-
34
Th. Mommsen, Collectio librorum iuris anteiustiniani III (Berlin 1890), 146. Labeo 22 (1976) 1010. 36 Vgl. Selb, Formeln (Fn. 8), 26 f.; Schmidlin, Studi Sanfilippo V (Fn. 6), 716. 37 Vgl. E. Höbenreich, Überlegungen zur Verfolgung unbeabsichtigter Tötungen von Sulla bis Hadrian, in: SZ 107 (1990), 249, 275 ff. m.w.N. 35
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absicht, und damit um einen Anwendungsfall der actio de iniuriis quae servis fiunt.38 Bei dieser im Edikt proponierten39 Klage lautet die demonstratio in ihrer objektiv stilisierten Form wohl wie folgt:40 Quod Numerius Negidius Stichum servum, cum Auli Agerii esset, adversus bonos mores verberavit, … Da Numerius Negidius den Sklaven Stichus, während dieser dem Aulus Agerius gehörte, entgegen den guten Sitten verprügelt hat, …
Die Umwandlung des subjektiv stilisierten Klägervortrags in eine objektiv stilisierte Form durch den Prätor wird angesprochen in der bereits zuvor zitierten Paulusstelle aus der Collatio: Paul. de iniur. lib. sing., Coll. 2.6.3: Demonstrat autem hoc loco praetor non vocem agentis, sed qualem formulam edat. Der Prätor beschreibt aber an dieser Stelle nicht den mündlichen Vortrag des Klägers, sondern welche Formel dieser bekannt gibt.
Der Prätor musste hier offenbar durch Auslegung des mündlichen Vortrags des Klägers bestimmen, auf welche Klage sich der Kläger im Rahmen seiner editio actionis bezieht.41 Entsprechend wurde dann vom Prätor auf der Grundlage des mündlichen Klägervortrags die objektive stilisierte Fassung der demonstratio gestaltet.42 Zur Entkräftung der These, die demonstratio enthalte ein Vorbringen des Klägers, wird auf den Sonderfall der Teilungsklagen (actio familiae erciscundae, actio communi dividundo) verwiesen,43 bei denen, ebenso wie bei der actio finium regundorum, in der demonstratio ausdrücklich der Antrag der Parteien referiert wird. Die demonstratio der actio familiae erciscundae rekonstruiert Lenel44 folgendermaßen: Quod Lucii Titii heredes de familia erciscunda deque eo, quod in ea hereditate ab eorum quo, postea quam heres factus sit, gestum admissumve sit, iudicem sibi dari postulaverunt, … Da die Erben des Lucius Titius zur Aufteilung der Erbschaft und darüber, was in dieser Erbschaft von einem jedem von ihnen, nachdem er Erbe geworden ist, an Geschäften geführt oder genehmigt worden ist, beantragt haben, ihnen möge ein Richter bestellt werden, … 38
Hierzu M. Miglietta, Actio de iniuriis quae servis fiunt, in: Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS), CD-ROM-Lieferung I (Stuttgart 2006). 39 Gai. inst. 3.222. 40 Mantovani, Formule (Fn. 4), 76 (Nr. 87). 41 Der Ausdruck sed qualem formulam edat ist auf die editio actonis durch den Kläger zu beziehen; vgl. O. Lenel, Die Form der Litiscontestation im Formularprocess, in: SZ 14 (1880), 374, 389. Zur editio actionis siehe auch schon bei Fn. 31. 42 Vgl. Selb, Essays Beinart III (Fn. 33), 30. 43 Talamanca, Processo civile (dir. rom.), in: ED 36 (1987), 45325 ; Fiori, Ea res agatur (Fn. 12), 13; vgl. auch schon V. Arangio-Ruiz, Istituzioni di diritto romano (Neapel 196014), 1221. 44 Edictum (Fn. 4), 207 (§ 80); vgl. auch Mantovani, Formule (Fn. 4), 60 f. (Nr. 49).
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Aus der ausdrücklichen Erwähnung des Parteiantrags (postulaverunt) in der demonstratio der Teilungsklagen und auch der actio finium regundorum lässt sich jedoch nicht ableiten, dass es auch bei anderen Klagen eines besonderen Hinweises in der demonstratio bedurft hätte, wenn dort das Vorbringen des Klägers referiert worden sei. Die Besonderheit dieser Klagen, bei denen es nicht um die einseitige Verfolgung eines Anspruchs, sondern um einen wechselseitigen Ausgleich zwischen den Parteien ging, lag nämlich darin, dass Kläger- und Beklagtenrolle nicht klar definiert waren.45 Da die Klägerrolle grundsätzlich dem Antragsteller zugewiesen wurde,46 musste auf dessen Person in der Formel ausdrücklich Bezug genommen werden. Andernfalls wäre offengeblieben, wer im konkreten Fall die Position des Klägers übernimmt. Falls alle Beteiligten den Antrag stellten, entschied über die Klägerrolle das Los.47 Diese besondere Situation der Teilungsklagen erklärt die explizite Erwähnung des Parteiantrags. Dagegen steht bei den Klagen mit fest definierten Parteirollen von vornherein fest, wer Kläger und Beklagter ist, weshalb kein Hinweis darauf erforderlich war, von welcher Person das klägerische Vorbringen stammt, das der demonstratio zugrunde liegt. Gegen Arangio-Ruiz’ These, die Klagformeln mit demonstratio würden einen inneren Widerspruch aufweisen,48 spricht zudem, dass an die Klagformeln ganz generell keine allzu hohen formallogischen Anforderungen gestellt werden dürfen. Aufgrund der hohen Informationsdichte, die die Klagformeln aufweisen, muss beim iudex das erforderliche Vorverständnis vorausgesetzt werden, wozu auch gehört, dass ihm die grundsätzliche Funktion der demonstratio bekannt war.49 Hinzu kommt, dass die Klausel qua de re agitur (worüber verhandelt wird), die sich offenbar regelmäßig an die demonstratio anschloss,50 wohl nicht etwa nur eine „unnötige Banalität“51 bedeutet, ihre Einfügung in die Formel somit ,pleonastisch‘ und ,unnütz‘ gewesen wäre,52 sondern vielmehr dazu dient, den Prozessstoff genauer zu konkretisieren, indem auf die Verhandlungen der Parteien im Vorfeld der litis contestatio
45
Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht (Fn. 6), 204. Vgl. Gai. 7 ad ed. prov., D. 5.1.13 (vgl. D. 10.3.2.1): In tribus istis iudiciis familiae erciscundae, communi dividundo et finium regundorum quaeritur quis actor intellegatur, quia par causa omnium videtur. sed magis placuit eum videri actorem qui ad iudicium provocasset. (In diesen drei Prozessen der Erbteilung, der Teilung und der Grenzregelung ist fraglich, wer als Kläger angesehen wird, weil die Rechtslage aller Parteien gleich erscheint. Nach allgemeiner Ansicht wird aber der als Kläger angesehen, der die Einleitung des Prozesses verlangt hat.) 47 Vgl. Ulp. 2 disp., D. 5.1.14. 48 Siehe bei Fn. 14. 49 Das räumt durchaus auch Arangio-Ruiz, Studi Caglari 4 (1912), 78 (= Rariora [Fn. 10], 29; Scritti I [Fn. 10], 326 [Estr. 6]), ein. 50 Vgl. Gai. inst. 4.47; P. Yadin 28 – 30. 51 So aber Kaser, Labeo 22 (1976), 16. 52 Vgl. Mantovani, Formule (Fn. 4), 25 f., der die Klausel qua de re agitur wie folgt qualifiziert: „La sua presenza era essenzialmente pleonastica, inutile, se non a fini stilistici, …“. 46
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Bezug genommen wird.53 So verstanden beinhaltet die Klausel qua de re agitur einen Hinweis auf die streitige Natur des in der demonstratio enthaltenen Vorbringens.54 Als Ergebnis des kurzen Überblicks lässt sich Folgendes festhalten: Die demonstratio als Teil der Klagformel gibt nichts anderes als eine Behauptung des Klägers in einer objektiv stilisierten Form wieder. Eine solche Behauptung konnte der iudex nicht ungeprüft akzeptieren, sondern er musste den klägerischen Vortrag, der der objektiv stilisierten demonstratio zugrunde lag, auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Die – für uns – merkwürdige Einleitung der demonstratio mit quod im Sinne von „da“ bzw. „weil“ bedeutet also nicht, dass es sich um einen bereits feststehenden Sachverhalt handelt. Vielmehr nimmt das einleitende quod nur auf die vom Kläger gebrauchte kausale Formulierung Bezug.
III. Die Funktion der intentio Nach diesen Überlegungen zur demonstratio soll nun die Frage nach der Funktion der intentio näher beleuchtet werden. Dabei wird sich zeigen, dass die zur demonstratio angestellten Überlegungen auch für das Verständnis der intentio hilfreich sein können. Gaius (inst. 4.41) beschreibt die intentio, wie wir eingangs gesehen haben, zwar als ea pars formulae, qua actor desiderium suum concludit; die von Gaius gleich im Anschluss aufgeführten Beispiele55 machen aber deutlich, dass die intentio, so wie sie in der Klagformel formuliert war, nicht einen Antrag, etwa auf Erbringung einer Leistung oder auf Feststellung eines Rechts, darstellt.56 Gai. inst. 4.41: … velut haec pars formulae: ,Si paret Numerium Negidium Aulo Agerio sestertia x milia dare oportere‘; item haec: ,Quidquid paret Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere item haec: ,Si paret hominem ex iure Quiritium Auli Agerii esse‘. … zum Beispiel folgender Teil der Klagformel: ,Wenn es sich erweist, dass Numerius Negidius dem Aulus Agerius 10.000 Sesterze geben muss‘; ferner folgender: ,Was auch immer erwiesenermaßen Numerius Negidius dem Aulus Agerius geben oder tun muss‘; ferner folgender: ,Wenn es sich erweist, dass der Sklave nach quiritischem Recht dem Aulus Agerius gehört‘.
Die Einleitung mit si paret bzw. quidquid paret belegt, dass in der intentio die Verurteilungsvoraussetzungen genannt werden. Die intentio steht, wie schon im Zusammenhang mit dem Beispiel der Kaufklage festgestellt, in einer „Wenn-dann-Bezie53
Vgl. Babusiaux, Id quod actum est (Fn. 9), 172 f., 254 f.; H. Krüger, Die Worte ,qua de re agitur‘ und (res) ,qua de agitur‘ in den Prozessformeln, SZ 29 (1908), 378, 382 f. 54 Vgl. D. Daube, Forms of Roman Legislation (Oxford 1956), 35; Kupisch, SZ 93 (1976), 449; Schmidlin, Studi Sanfilippo V (Fn. 6), 716. 55 Hierzu bereits Fn. 8. 56 Vgl. Talamanca, Processo civile (dir. rom.), in: ED 36 (1987), 35250.
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hung“ zur condemnatio: Wenn sich die Aussage in der intentio bewahrheitet, dann kommt es zur Verurteilung des Beklagten. Mit der in den Beispielen wiedergegebenen objektiv stilisierten Fassung der intentio passt die Beschreibung der intentio, wonach der Kläger hierin sein Anliegen zusammenfasse (desiderium suum concludit), nicht zusammen. In der intentio in ihrer objektiv stilisierten Fassung, wie sie als Teil der Klagformel erscheint, geht es nicht um das vom Kläger formulierte Anliegen, sondern um die vom iudex zu prüfenden Verurteilungsvoraussetzungen. Die Charakterisierung der intentio durch Gaius als desiderium des Klägers lässt sich nur so erklären, dass der Kläger im Prozess sein Anliegen tatsächlich zunächst in der Ich-Form vorgebracht hat. Genauso wie bei der demonstratio muss es also auch bei der intentio eine subjektiv stilisierte Fassung gegeben haben. Der subjektiv stilisierte Klägervortrag wurde dann offenbar in objektiv stilisierter Form in die Klagformel übernommen. Auf diese Weise wird plausibel, dass beispielsweise bei der condictio certae pecuniae die Behauptung des Klägers, ihm würden vom Beklagten 10.000 Sesterze geschuldet, nach ihrer Umwandlung in eine objektiv stilisierten Fassung die Form annahm, wie sie uns in Gai. inst. 4.41 überliefert ist: ,Si paret Numerium Negidium Aulo Agerio sestertia x milia dare oportere‘ (Wenn es sich erweist, dass Numerius Negidius dem Aulus Agerius 10.000 Sesterze geben muss). Die Behauptung des Klägers wurde auf diese Weise in eine Beschreibung der Verurteilungsvoraussetzungen umgewandelt. Die zugrunde liegende subjektiv stilisierte Fassung der intentio kann man sich bei der condictio certae pecuniae am einfachsten wie folgt vorstellen:57 ,Numerius Negidius sesteria x milia mihi dare oportet.‘ ,Numerius Negidius muss mir 10.000 Sesterze geben.‘
Aufgrund der Umwandlung der subjektiv stilisierten Fassung in eine objektiv stilisierte Fassung entsteht ein Formelbestandteil, der nur im übertragenen Sinn noch als intentio im Sinne von „Klagbehauptung“ bezeichnet werden kann. Die intentio in der Form, wie sie in der Klageformel erscheint, kann wohl nur deshalb noch „Klagbehauptung“ genannt werden, weil ihr die Behauptung des Klägers zugrunde liegt.
57 Dagegen wird man keine wie auch immer geartete Reminiszenz an die vom Kläger stammende subjektiv stilisierte Fassung der intentio sehen können in Gai. Augustod. 4.108: Dicis: ,si paret te mihi dare oportere tot milia‘ vel ,illam rem‘ vel ,quidquid te dare facere oportet‘. Wahrscheinlich verfolgte der Verfasser der Fragmenta Augustodunensia mit der subjektiven Stilisierung didaktische Gründe; vgl. J.-D. Rodríguez Martín, Fragmenta Augustodunensia (Granada 1998), 404 f.; siehe auch schon V. Scialoja, Frammenti antegiustinianei di Autun, in: BIDR 11 (1898), 97, 111 („uso di scuola“) (= Studi giuridici II [Rom 1934], 118, 127); Arangio-Ruiz, Studi Caglari 4 (1912), 992 (= Rariora [Fn. 10], 59; Scritti I [Fn. 10], 3472 [Estr. 272]): „per fare intelligibile ai giovani il significato delle formule“. D. Liebs, Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260 – 640 n. Chr.) (Berlin 1987), 148, sieht in der Formulierung einen Fehler des Verfassers der Fragmenta.
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Auf die vom Kläger stammende, subjektive stilisierte Form der intentio zielt Gaius wohl nicht nur zu Beginn von inst. 4.41 mit qua actor desiderium suum concludit, sondern auch gleich zu Beginn des vierten Buchs der Institutionen: Gai. inst. 4.2-3: In personam actio est, qua agimus [quotiens] cum aliquo, qui nobis vel ex contractu vel ex delicto obligatus est, id est cum intendimus ,dare facere praestare oportere‘. (3) In rem actio est, cum aut corporalem ,rem‘ intendimus ,nostram esse‘ aut ,ius‘ aliquod ,nobis conpetere‘, … Eine Klage ist schuldrechtlich, mit welcher wir jemanden klagen, der uns entweder aus Vertrag oder aus Delikt verpflichtet ist, das heißt wenn wir die Klagbehauptung aufstellen, dass ,er geben, tun oder leisten müsse‘. (3) Eine Klage ist dinglich, wenn wir die Klagbehauptung aufstellen, dass entweder ein körperlicher ,Gegenstand uns gehöre‘ oder irgendein ,Recht uns zustehe‘, …
Mit cum intendimus (wenn wir die Klagbehauptung aufstellen) ist ersichtlich eine Tätigkeit des Klägers angesprochen. Dass die Formulierung der intentio vom Kläger ausgeht, zeigt auch folgende Ulpian-Stelle: Ulp. 2 disp., D. 5.1.66: Si quis intentione ambigua vel oratione usus sit, id quod utilius ei est accipiendum est. Wenn sich jemand in der Klagbehauptung oder Klagebegründung undeutlich ausgedrückt hat, ist das anzunehmen, was für ihn nützlicher ist.
Eine undeutliche Ausdrucksweise in der Klagbehauptung58 soll nicht zu Lasten des Klägers gehen; vielmehr sei die intentio so auszulegen, wie es für den Kläger nützlicher ist.59 Mit quis kann hier nur der Kläger gemeint sein, der seine Klagbehauptung in subjektiv stilisierter Form vorträgt und sich dabei nicht eindeutig ausdrückt. Ein weiterer Beleg dafür, dass die intentio vom Kläger in subjektiv stilisierter Form vorgebracht wurde, ist in den Klauseln zu sehen, die uns bei Cicero im Zusammenhang mit der treuhänderischen Übereignung (fiducia) überliefert sind:
58 Dafür, dass intentio hier nicht im klassisch-prozessrechtlichen Sinn zu verstehen sei und ein Glossem darstelle (so E. Valiño, ,Intentio‘ en el digesto, Una revision de textos, in: Estudios Jurídicos en homenaje al Profesor Ursicino Alvarez Suárez [Madrid 1978], 519, 525), ist kein Grund ersichtlich. 59 In der Stelle liegt, worauf Babusiaux, Id quod actum est (Fn. 53), 100 ff., zu Recht hinweist, kein Widerspruch zur Regel ambiguitas contra stipulatorem (Cels. 26 dig., D. 34.5.26; vgl. auch Ulp. 49 ad Sab., D. 45.1.38.18). Während die Klagformel als „Ausdruck des klägerischen Willens“ im Zweifel aus der Sicht des Klägers zu beurteilen ist, geht es bei der Regel ambiguitas contra stipulatorem um die beim Kläger liegenden Darlegungs- und Beweislast für den Abschluss der konkreten Stipulation, aus der geklagt wird.
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Cic. de off. 3.17.70: Nam quanti verba illa: ,uti ne propter te fidemve tuam captus fraudatusve sim!‘ quam illa aurea: ,ut inter bonos bene agier oportet et sine fraudatione!‘ Denn wie viel bedeuten jene Worte: ,damit ich nicht durch dich oder das Vertrauen zu dir getäuscht oder betrogen werde!‘, wie sehr sind jene golden: ,wie unter redlichen Leuten richtig gehandelt werden muss und ohne Betrug!‘.
Offenbar geht es bei beiden Klauseln, auch wenn nur die erste (,uti ne propter te fidemve tuam captus fraudatusve sim‘) in der Ich-Form gehalten ist, um Aussagen des Klägers, die dann in der Klagformel übernommen wurden.60 Die zweite, von vornherein objektiv stilisierte Klausel (,ut inter bonos bene agier oportet et sine fraudatione‘) konnte dabei unverändert in die Klagformel eingehen. Entsprechend lautet die Rekonstruktion der actio fiduciae bei Lenel:61 Si paret Aulum Agerium Numerio Negidio fundum quo de agitur ob pecuniam debitam fiduciae causa mancipio dedisse eamque pecuniam solutam eove nomine satisfactum esse aut per Numerium Negidium stetisse quo minus solveretur eumque fundum redditum non esse negotiumve ita non actum esse, ut inter bonos bene agier oportet et sine fraudatione, quanti ea res erit, tantam pecuniam iudex Numerium Negidium Aulo Agerio condemnato, si non paret absolvito. Wenn es sich erweist, dass Aulus Agerius dem Numerius Negidius das Grundstück, um das es geht, wegen einer Geldschuld treuhänderisch manzipiert hat und dieser Geldbetrag gezahlt oder hierfür Sicherheit geleistet worden ist oder es an Numerius Negidius liegt, dass nicht gezahlt worden ist, und dieses Grundstück nicht zurückübertragen worden ist oder das Geschäft nicht so geführt worden ist, wie unter redlichen Leuten richtig gehandelt werden muss und ohne Betrug, dann sollst du, Richter, den Numerius Negidius zugunsten des Aulus Agerius zu so viel Geld verurteilen, wie die Sache wert ist; wenn es sich nicht erweist, sollst du freisprechen.
60 Nicht auf das Formularverfahren, sondern auf das Legisaktionenverfahren beziehen dagegen Lenel, Edictum (Fn. 4), 2936 ; G. Grosso, Appunti sulla formula dell’,actio fiduciae‘, in: Annali della Facoltà di Giurisprudenza dell’Università di Camerino 3 (1929), 81, 102 f. (= Scritti storico giuridici III [Turin 2001], 275, 296 f.); H. Kreller, Formula fiduciae und Pfandedikt, in: SZ 62 (1942), 143, 196 f.; J.-Ph. Dunand, Le transfert fiduciaire: ,donner pour reprendre‘ (Basel u. a. 2000), 154 f., die Klausel ,uti ne propter te fidemve tuam captus fraudatusve sim‘, was aber nicht zu der sicher zum Formularverfahren gehörende zweite Klausel passt. Siehe hiergegen auch B. Noordraven, Die Fiduzia im römischen Recht (Amsterdam 1999), 291 f., der die Frage der subjektiven Stilisierung der Klausel bei Cicero jedoch offenlässt. R. Cardilli, ,Bona fides‘ tra storia e sistema (Turin 20143), 6060, stimmt Lenel insoweit zu, als die in der ersten Person gehaltene Klausel nicht auf das Formularverfahren zu beziehen sei; so auch schon A. Pernice, Labeo, Römisches Privatrecht im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit, Teil C = II/1.7 (Halle 18952), 174 f. Kaser, Privatrecht I (Fn. 1), 46119, hält es für möglich, dass in der Klausel eine „den Legisaktionen nachgebildete Vorstufe der formula“ zu sehen ist; vgl. auch ders., Das altrömische Ius (Göttingen 1949), 292 ff.; Rez. zu A. Magdelain, Les actions civiles (Paris 1954), in: SZ 71 (1954), 430, 434 f., und R. Fiori, Bonus vir, Politica filosofia retorica e diritto nel de officiis di Cicerone (Neapel 2011), 335198. 61 Edictum (Fn. 4), 292 (§ 107); vgl. auch Mantovani, Formule (Fn. 4), 66 f. (Nr. 64).
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Die erste, subjektiv stilisierte Klausel konnte dagegen erst nach einer Umformung in eine objektiv stilisierte Form in die Klagformel aufgenommen werden.62 Dazu kam es beispielsweise dann, wenn aus der von einem Gewaltunterworfenen abgeschlossenen fiducia gegen den Gewalthaber mit der actio fiduciae geklagt werden sollte.63 Die Klausel wurde dann in objektiv stilisierter Form der intentio der actio fiduciae als Zusatz (adiectio) angehängt: Ulp. 2 disp., D. 15.1.36: (…) nam quod in servo, cui res [pignori] 64 data est, expressum est, hoc et in ceteris bonae fidei iudiciis accipiendum esse Pomponius scripsit. namque si servo res [pignori] data sit, non solum de peculio et in rem verso competit actio, verum hanc quoque habet adiectionem ,et si quid dolo malo domini captus fraudatusque actor est‘. (…) (…) Denn was bezüglich des Sklaven, dem eine Sache treuhänderisch übereignet worden ist, ausdrücklich gesagt worden ist, das ist, wie Pomponius geschrieben hat, auch bei den übrigen Klagen nach Treu und Glauben anzunehmen. Wenn nämlich einem Sklaven eine Sache treuhänderisch übereignet worden ist, dann steht (dem Kläger) nicht nur die Klage wegen Sonderguts und wegen Zuflusses ins Vermögen zu, sondern diese hat auch den Zusatz ,und wenn der Kläger durch Arglist des Herrn (des Sklaven) betrogen und geschädigt worden ist‘. (…)
Die objektiv stilisierte Klausel ,et si quid dolo malo domini captus fraudatusque actor est‘ entspricht dabei im Wesentlichen der bei Cicero überlieferten subjektiv stilisierten Fassung ,uti ne propter te fidemve tuam captus fraudatusve sim‘.65 Auch für die unbestimmte intentio der Form quidquid ob eam rem … dare facere oportet, wie sie etwa in der Kaufklage66 begegnet,67 ist anzunehmen, dass der Kläger im Rahmen seiner subjektiv stilisierten Klagbehauptung tatsächlich die konkrete Leistung nannte, die er vom Beklagten haben wollte. Nur so konnte der Kläger den Anforderungen gerecht werden, die im Rahmen der editio actionis68 gestellt wur62 Genau umgekehrt nimmt Arangio-Ruiz, Studi Caglari 4 (1912), 992 (= Rariora [Fn. 10], 59; Scritti I [Fn. 10], 3472 [Estr. 272]) an, Cicero habe aus Gründen der besseren Verständlichkeit („per rendere più chiara la portata delle parole della formula“) die Klagformel in die direkte Rede umgeformt. Vgl. hiergegen bereits Lenel, Edictum (Fn. 4), 2946 ; Kaser, Das altrömische Ius (Fn. 60), 29218. 63 Ein weiterer Anwendungsfall der Klausel ist die gegen den Gewalthaber gerichtete actio depositi, wenn dem Gewaltunterworfenen eine Sache in Verwahrung gegeben worden ist; Ulp. 29 ad ed., D. 15.1.5 pr. (mit subjektiver Stilisierung: si quid dolo malo eorum captus sim [wenn ich durch ihre Arglist getäuscht worden bin]); Ulp. 30 ad ed., D. 16.3.1.42. Hierzu Noordraven, Die Fiduzia (Fn. 60), 292. 64 Vgl. nur Noordraven, Die Fiduzia (Fn. 60), 290. 65 Kritisch jedoch Kaser, SZ 71 (1954), 434, wonach die bei Cicero wiedergegeben Klausel eine „formulare Entsprechung bestenfalls“ in Ulp. D. 15.1.36 habe. 66 Siehe bei Fn. 4. 67 Vgl. auch das bereits mehrfach (Fn. 8, bei Fn. 55) erwähnte Beispiel in Gai. inst. 4.41: ,Quidquid paret Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere oportere‘ („Was auch immer erwiesenermaßen Numerius Negidius dem Aulus Agerius geben oder tun muss“) . 68 Zur editio actionis vgl. auch schon bei Fn. 31, 41.
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den, weil der Beklagte im Hinblick auf ein völlig unbestimmtes quidquid-Verlangen nicht entscheiden konnte, ob er nachgeben oder bestreiten soll.69 Man kann die in der Ich-Form gehaltene Klagbehauptung des Käufers wohl etwa wie folgt rekonstruieren: Quod ego de te hominem Erotem emi, eum hominem mihi tradere debes. Da ich von dir den Sklaven Eros gekauft habe, musst du mir diesen Sklaven übergeben.
Der Prätor hat diese Aussage dann in eine objektiv stilisierte Klagformel mit unbestimmter intentio transformiert. Was die genaue Bedeutung von intentio betrifft, ist noch eine gewisse Präzisierung erforderlich: Auch in der subjektiv stilisierten Form ist die intentio nicht etwa zwingend ein Leistungs- oder Feststellungsbegehren des Klägers, sondern in einem allgemeineren Sinn die klägerische Behauptung, die – gegebenenfalls zusammen mit der in der demonstratio enthaltenen Sachverhaltsbeschreibung – Gegenstand der vom Richter zu treffenden Entscheidung ist. Der Unterschied zwischen demonstratio und intentio ist darin sehen, dass die kausal zu verstehende demonstratio gegenüber der intentio eine dienende Funktion hat: Die demonstratio hat die Funktion, den Sachverhalt einzugrenzen und die in der intentio liegende Klagbehauptung zu stützen. Die intentio dagegen beinhaltet als Klagbehauptung den Kern des klägerischen Vorbringens, also das eigentliche prozessuale Anliegen des Klägers, und ist daher am besten mit dem Begriff „Behauptung“ gleichzusetzen. Belegt ist die Bedeutung von intentio im Sinne von „Behauptung“ auch für den Bereich des Strafprozesses, wie man etwa in der aus dem 1. Jh. v. Chr. stammenden rhetorischen Schrift ad Herennium70 sehen kann: Rhet. ad Her. 1.17.27: Quare ex intentione et infitiatione iudicatio constituitur, hoc modo: Intentio: ,Occidisti Aiacem.‘ Infitiatio: ,Non occidi.‘ Iudicatio: ,Occideritne?‘ Deshalb wird die zu entscheidende Frage durch die Behauptung und das Bestreiten bestimmt, etwa auf folgende Weise: Behauptung: ,Du hast Ajax getötet.‘ Bestreiten: ,Ich habe ihn nicht getötet.‘ Urteilsgegenstand: ,Hat er ihn getötet?‘
Mit intentio ist hier die Anklagebehauptung gemeint, wohl im Rahmen eines Prozesses nach der lex Cornelia de sicariis et veneficis, dem Gesetz Sullas über Mord (insbesondere durch Giftbeibringung), Brandstiftung und Bandenbildung. Im Sinne der Anklagebehauptung taucht intentio auch bei Quintilian und Cicero auf:
69 Vgl. Ulp. 4 ad ed., D. 2.13.1 pr.: … ut proinde sciat reus, utrum cedere an contendere ultra debeat … Zu dieser Funktion der editio actionis siehe A. Bürge, Zum Edikt De edendo, Ein Beitrag zur Struktur des römischen Zivilprozesses, in: SZ 112 (1995), 1, 7 ff. 70 Hierzu M. Schanz/C. Hosius, Geschichte der römischen Literatur I (München 19794), 586 ff.
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Quint. Inst. 7.1.8 f.: Si explorandum est, ubi controversia incipiat, considerari debet quae primam quaestionem facit. (9) Intentio simplex: ,occidit Saturninum Rabirius‘, coniuncta: ,lege de sicariis commisit L. Varenus: nam et C. Varenum occidendum et Cn. Varenum vulnerandum et Salarium item occidendum curavit‘. Wenn herausgefunden werden soll, wo die Gegensätzlichkeiten beginnen, muss auch überlegt werden, um welche Anklagebehauptung es geht, woraus sich die erste Fragestellung ergibt. (9) Eine einfache Anklagebehauptung: ,Rabirius hat den Saturninus getötet‘, eine zusammengesetzte: ,Gegen das Mordgesetz hat L. Varenus verstoßen: Er hat nämlich C. Varenus töten, Cn. Varenus verletzen und Salarius ebenfalls töten lassen.‘ Cic. de inv. 1.8.10, 2.4.15, 2.29.86: Constitutio est prima conflictio causarum ex depulsione intentionis profecta, hoc modo: ,Fecisti‘. ,Non feci‘ aut ,Iure feci‘. In hac intentio est criminis: ,Occidisti.‘ Depulsio: ,Non occidi.‘ Ex quibus constitutio est, id est quaestio, eadem in coniecturali, quae iudicatio: ,Occideritne?‘ Remotio criminis est, cum eius intentio facti, quod ab adversario infertur, in alium aut in aliud demovetur. Die Streitlage ist das erste Zusammentreffen der Streitpunkte, wie sie sich aus der Zurückweisung der Anklagebehauptung ergibt, nämlich auf folgende Art: ,Du hast es getan‘. ,Ich habe es nicht getan‘ oder ,Ich habe es zu Recht getan‘. Die Verbrechensanklage lautet hier wie folgt: ,Du hast getötet.‘ Zurückweisung: ,Ich habe ihn nicht getötet.‘ Daraus ergibt sich die Streitlage, das heißt die Fragestellung, bestehend in einer Tatfrage, dementsprechend der Urteilsgegenstand: ,Hat er ihn getötet?‘ Die Zurückweisung eines Verbrechens liegt vor, wenn die diesbezügliche Tatbehauptung, die vom Gegner aufgestellt wird, auf einen anderen oder etwas anderes abgeschoben wird.
Quintilian und Cicero befassen sich hier mit der grundlegenden Identifizierung des Streitstoffes durch den Redner, damit dieser eine erfolgreiche Verteidigungsstrategie entwickeln kann. Den Ausgangspunkt hierfür bildet die von Quintilian und auch mehrmals von Cicero angesprochene intentio des Gegners, durch die die maßgebliche Tat- oder Rechtsfrage aufgeworfen wird. Dass es bei der intentio nicht notwendig um die Formulierung eines Begehrens geht, zeigt auch die intentio, die uns in den Institutionen des Gaius für die in factum konzipierte actio depositi überliefert ist Gai. inst. 4.47: Si paret Aulum Agerium apud Numerium Negidium mensam argenteam deposuisse eamque dolo malo Numerii Negidii Aulo Agerio redditam non esse, … Wenn es sich erweist, dass Aulus Agerius bei Numerius Negidius einen silbernen Tisch in Verwahrung gegeben hat und dieser Tisch aufgrund von Arglist des Numerius Negidius dem Aulus Agerius nicht zurückgegeben worden ist, …
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Bei der hier wiedergegebenen intentio geht es – ähnlich wie bei einer demonstratio – um eine Sachverhaltsbeschreibung.71 Anders als bei einer demonstratio beinhaltet hier die Sachverhaltsbeschreibung aber zugleich das prozessuale Anliegen des Klägers, nämlich den gegenüber dem Beklagten erhobenen Vorwurf, dieser habe den hinterlegten Gegenstand vorsätzlich nicht zurückgegeben. Auch bei den Vorfrageverfahren (praeiudicia),72 deren Formel allein aus einer intentio besteht,73 bildet den Ausgangspunkt des Streits eine Behauptung des Klägers, die im Rahmen der objektiv stilisierten intentio in eine Frage umgeformt werden musste. Hinter der intentio der Form An Numerius Negidius libertus Auli Agerii sit? (Ist Numerius Negidius Freigelassener des Aulus Agerius?), die für das praeiudicium an libertus sit zu vermuten ist,74 steht daher die Behauptung des Klägers, der Beklagte sei sein Freigelassener. Das Bestreiten dieser Behauptung durch den Beklagten führt zur Gewährung des praeiudicium mit der entsprechenden intentio, wobei die subjektiv stilisierte Behauptung des Klägers in eine objektiv stilisierte Frage umgewandelt wurde. Dass die intentio des praeiudicium tatsächlich auf eine Behauptung des Klägers zurückgeht, wird verdeutlicht durch folgenden Ulpianstelle:75 Ulp. 38 ad ed., D. 44.1.12: Generaliter in praeiudiciis is actoris partes sustinet, qui habet intentionem secundum id quod intendit. Allgemein nimmt bei den Vorfragenverfahren der die Rolle des Klägers ein, der entsprechend dem, was er behauptet, die Klagbehauptung erlangt.
Gemeint ist, dass derjenige die Klägerrolle übernehmen muss, dessen Behauptung die Grundlage für die in der Klagformel des praeiudicium erscheinende objektiv stilisierte intentio bildet. Damit ist festzuhalten, dass es bei der intentio um die Klagbehauptung geht, die der Kläger in subjektiv stilisierter Form vorbringt und die vom Prätor nach Umwandlung in eine objektiv stilisierte Form in die Klagformel aufgenommen wird. Weder bei der intentio in der subjektiv stilisierten noch in der hieraus hervorgehenden objektiv stilisierten Fassung handelt es sich um eine Schlussfolgerung, wie – zum Teil unter Bezug auf das in Gai. inst. 4.41 erscheinende concludit – angenommen 71 Vgl. Gai. inst. 4.60: in ea (sc. formula) vero, quae in factum concepta est, statim initio intentionis alio modo res, de qua agitur, designetur … (in derjenigen [Formel] aber, die auf das Geschehene hin formuliert ist, wird sogleich am Anfang der Klagbehauptung auf eine andere Weise die Angelegenheit, worüber verhandelt wird, bezeichnet …). 72 Siehe hierzu nur Kaser/Hackl, Zivilprozeßrecht (Fn. 6), 347 ff. 73 Gai. inst. 4.44: Certe intentio aliquando sola invenitur, sicut in praeiudicialibus formulis, … (Freilich kommt die Klagbehauptung manchmal allein vor, wie bei den Klagformeln für Vorfrageverfahren, …). 74 Vgl. Lenel, Edictum (Fn. 4), 341 (§ 141); Mantovani, Formule (Fn. 4), 83 (Nr. 103). 75 Vgl. zu der Stelle auch K. Hackl, Praeiudicium im klassischen römischen Recht (Salzburg u. a. 1976), 220 f.; Valiño, Estudios Alvarez Suárez (Fn. 58), 531 f.
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wird.76 Soweit die intentio mit Si paret (Wenn es sich erweist) oder mit Quidquid paret (Was auch immer erwiesenermaßen) eingeleitet wird, ergibt sich bereits daraus, dass der Richter die in der intentio genannten Voraussetzungen prüfen muss, um erst dann die entsprechende Schlussfolgerung durch Verurteilung oder Freispruch zu ziehen, wozu er durch die condemnatio ermächtigt ist. Die Verbform concludit ist daher nicht im Sinne von „eine Schlussfolgerung ziehen“ zu verstehen, sondern im Sinne von „einengen“, „zusammenfassen“.77 Mit concludit ist gemeint, dass die Verurteilungsvoraussetzungen in der intentio auf möglichst knappem Raum definiert werden. Auch die beispielsweise bei der Kaufklage78 zu findende intentio der Form quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere oportet ex fide bona (was auch immer deswegen Numerius Negidius dem Aulus Agerius geben oder tun muss nach Treu und Glauben) stellt keine aus der vorhergehenden demonstratio abgeleitete Schlussfolgerung dar. Vielmehr geht es auch hier um die vom Richter zu prüfenden Verurteilungsvoraussetzungen: Der Richter muss untersuchen, welche genaue Leistungspflichten sich im konkreten Fall aus dem in der demonstratio dargestellten Sachverhalt ergeben.
IV. Zusammenfassung Die Ergebnisse der Untersuchungen lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen: 1. Die mit quod eingeleitete demonstratio hat, wie der Vergleich mit den Urkunden aus dem Archiv der Babatha zeigt, eine kausale Bedeutung; es handelt sich um ein kausales, nicht etwa um ein faktisches oder konditionales quod. 2. Das kausale quod in der demonstratio ist wohl damit zu erklären, dass die darin wiedergegebene Sachverhaltsbeschreibung auf dem Vorbringen des Klägers beruht. 3. Der in der Ich-Form gehaltene, subjektiv stilisierte Vortrag des Klägers wurde in der demonstratio in objektiv stilisierter Form übernommen, wobei das kausale quod erhalten blieb. 4. Auch der intentio liegt wohl ein subjektiv stilisierter Klägervortrag zugrunde. Das erklärt die Bezeichnung als intentio im Sinne von „Klagbehauptung“. 5. In der Klagformel wurde der subjektiv stilisierte Klägervortrag wiederum in objektiv stilisierter Form übernommen, weshalb der entsprechende Formelbestandteil nur noch im übertragenen Sinn als intentio im Sinne einer „Klagbehauptung“ verstanden werden kann. 76
Siehe in Fn. 6. Vgl. Georges, Handwörterbuch I (Fn. 5), s.v. concludere II a (S. 1404); siehe auch J. Junker, Die gajanische Definition der ,intentio‘, in: Studi in onore di Salvatore Riccobono nel XL anno del suo insegnamento II (Palermo 1936), 325, 336 f., 347 ff. 78 Siehe bei Fn. 4. Ebenso lautet die intentio bei der in ius konzipierten actio depositi; Gai. inst. 4.47. 77
Das Doppelte und die Hälfte Von Jan Dirk Harke*
I. Ökonomische Überlegungen 1. Vorhersehbarkeit als Maßstab für den Haftungsumfang Ist der Schuldner wie regelmäßig der cheapest cost avoider, muss er das Ausmaß der Folgen einer Nichterfüllung seiner Leistungspflicht abschätzen können. Dies gilt nicht nur in einem System objektiver Vertragshaftung, in dem der Schuldner ohne eine Begrenzung seiner Haftung stets Gefahr liefe, trotz ordnungsgemäßen Verhaltens dessen unabsehbare Konsequenzen tragen zu müssen. Auch in einem System der Verschuldenshaftung ist es unerlässlich, dass sich der Schuldner einen Überblick über die Folgen der Nichterfüllung seiner Leistungspflicht machen kann. Das Verschuldenserfordernis lässt sich zwar durchaus als Mittel zum Ausgleich einer weitgehenden Haftung für Nichterfüllung deuten, ist jedoch, wenn diese in einer Totalreparation besteht, unter dem Gesichtspunkt der Allokationseffizienz wenig effektiv.1 Denn der Schuldner, der stets mit einer Haftung in unbegrenzter Höhe kalkulieren muss, kann das Maß des effizienten Vermeidungsaufwands kaum bestimmen. Damit das Verschuldenserfordernis für ein angemessenes Verhältnis von Risikovermeidungsaufwand und drohendem Schaden sorgen kann, muss es nicht nur ex post mit Rücksicht auf dieses Verhältnis interpretiert, sondern auch ex ante vom Schuldner so eingeschätzt und zum Anlass genommen werden, den zur Gefahrverhütung erforderlichen Aufwand dem möglichen Haftungsumfang gegenüberzustellen. Eine Risikovermeidung darf ihm nur dann als vom Gebot der verkehrsüblichen Sorgfalt gedeckt erscheinen, wenn ihre Kosten nicht die des verhüteten Schadens übersteigen. Liegen diese darüber, muss er, wenn er keinen Vermeidungsaufwand betreibt, vom Vorwurf des Verschuldens frei sein und von vornherein wissen, dass er Ressourcen vergeudet, falls er gleichwohl Anstrengungen zur Gefahrverhütung macht. Unabdingbare Voraussetzung ist dabei, dass der Schuldner absehen kann, welchen Umfang der dem Gläubiger wegen der Nichterfüllung zustehende Anspruch hat, sei es, dass dieser auf Naturalerfüllung, sei es, dass er auf Schadensersatz gerich* Dr. iur., ordentl. Professor für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, E-Mail: jan.dirk.harke@uni-je na.de. 1 Dies scheint mir bei I. Koller, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen (München 1979), 238 ausgeblendet.
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tet ist. Während der Schuldner die zur Naturalerfüllung erforderlichen Kosten und damit den Umfang einer entsprechenden Verpflichtung und der Haftung für Ersatzvornahme2 meist übersehen kann, fehlen ihm für die Kalkulation des entgangenen Gewinns seines Kontrahenten im Regelfall die erforderlichen Daten.3 Über sie verfügt der Gläubiger, der aus diesem Grund gewöhnlich auch der cheapest insurer ist. Will man einen Anreiz zur Beseitigung dieser Informationsasymmetrie geben, bietet sich an, den Schadensersatzanspruch des Gläubigers auf die dem Schuldner bei Vertragsschluss vorhersehbaren Folgen der Nichterfüllung seiner Leistungspflicht zu begrenzen.4 Ist der Gläubiger, wenn er seinen Schaden ersetzt erhalten will, gezwungen, den Nutzen, den die Leistung für ihn hat, bei Eingehung des Vertrags offenzulegen, hat der Schuldner die Möglichkeit, hierauf mit einer Erhöhung seiner Preisforderung zu reagieren. Das Entgelt passt sich so dem individuellen Risiko des Gläubigers an; und die Gefahr einer Quersubventionierung von Verträgen mit hohem Haftungspotential durch solche mit niedrigem Risiko wird so reduziert.5 2. Der Schutz von Geschäftschancen und das Erfordernis eines Schwellenwerts So effizienzsteigernd der Effekt ist, den das Vorhersehbarkeitskriterium für die Bemessung des Vermeidungsaufwands hat, so zerstörerisch ist seine Wirkung auf den Gewinn, den der Gläubiger unter Ausnutzung eines schutzwürdigen Informationsvorsprungs erzielen will. Müsste er, um für eine hinreichende Haftung seines Vertragspartners zu sorgen, stets die eigene Kalkulation offenlegen, verlöre er seinen Informationsvorteil und müsste sich entweder eine direkte Konkurrenz seines Schuldners auf dem Weiterverkaufsmarkt oder einen erhöhten Preis gefallen lassen.6 Daher wird vorgeschlagen, zum Schutz redlich erworbener Geschäftschancen den Ersatz 2 Ist diese im Schadensersatzanspruch enthalten, gibt es keinen Grund, dem Gläubiger den Anspruch auf Naturalerfüllung zu verwehren, zumal so der Gefahr einer Unterschätzung des Vertragsbruchs durch bloße Orientierung am Marktpreis begegnet wird; vgl. R. A. Posner, Economic analysis of law (New York 20149), 145 und Koller, Risikozurechnung (Fn. 1), S. 209 f. 3 R. A. Posner/A. M. Rosenfield, Impossibility and related doctrines in contract law: an economic analysis, in: JLS 6 (1977), 83, 110 f., Koller, Risikozurechnung (Fn. 1), S. 238. 4 Hierfür sprechen sich auf der Grundlage einer objektiven Haftung P. Trimarchi, Die Regelung der Vertragshaftung aus ökonomischer Sicht, in: ZHR 136 (1972), 118, 127 und Posner, Analysis (Fn. 2), 138 ff., auf der Basis einer Verschuldenshaftung J. Köndgen/ Ph. v. Randow, Sanktionen bei Vertragsverletzung, in: C. Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Allokationseffizienz in der Rechtsordnung (Berlin 1989), 122, 138 aus; anders Koller, Risikozurechnung (Fn. 1), 239, der das Kriterium der Vorhersehbarkeit für unpraktikabel hält und durch das Verschuldenserfordernis ersetzt sieht. 5 H.-B. Schäfer/C. Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (Berlin/Heidelberg 20125), 509 f. 6 Köndgen/Randow, Sanktionen (Fn. 4), 139 sprechen hier von einer „Enteignung“ von Informationsvorteilen.
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eines hierdurch erzielbaren Gewinns von dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit auszunehmen.7 Auf diese Weise wird jedoch die durch Informationsvorteile erreichte Wertschöpfung unangemessen gegenüber der sonstigen, insbesondere durch Weiterverarbeitung erzielten privilegiert, obwohl die eine Art der Wertschöpfung in ökonomischer wie rechtlicher Hinsicht genauso schutzwürdig wie die andere ist. Will man die Ausnahme der Geschäftschancen vom Vorhersehbarkeitskriterium nicht ausufern lassen, bleibt nur die Möglichkeit, eine Schwelle einzuführen, bis zu der ein entgangener Gewinn des Gläubigers aus Weiterveräußerung ersetzbar ist, ohne dass er für den Schuldner vorhersehbar gewesen sein muss. So bleibt der Informationsvorsprung des Gläubigers so lange gewahrt, als er nicht einen besonders hohen Gewinn anstrebt und diese Erwartung haftungsbewehrt sehen möchte; und der Schuldner kann, wenn ihm nicht das Risiko dieses hohen Gewinns vor Vertragsschluss offenbart wird, mit einem bestimmten Haftungsumfang rechnen und hiernach den effizienten Risikovermeidungsaufwand festlegen. Wie aber lässt sich die Schwelle bestimmen, bis zu der ein Gewinn des Gläubigers ersetzbar sein soll, ohne vorhersehbar zu sein? Gewiss ist, dass sie eine Funktion des für die Leistung vereinbarten Preises sein muss, in dem ihre gemeinsame Wertschätzung durch die Parteien zum Ausdruck kommt. Geht es darum, einen Faktor festzulegen, mit dem dieser Preis multipliziert werden soll, bietet sich ein Blick auf das Regime des Vertragsschlusses an: Gibt es hier einen Maßstab dafür, ob der Gewinn, den eine Seite aus der Differenz von Marktwert und Preis zieht, noch hinnehmbar oder schon nicht mehr zu tolerieren ist, liegt nahe, diesen Faktor auch dann einzusetzen, wenn es darum geht, eine Grenze zu ziehen, innerhalb derer ein durch die Nichterfüllung des Vertrags entstandener Schaden ohne Rücksicht auf seine Vorhersehbarkeit zu ersetzen ist. Einen solchen Schwellenwert für die Gewinnschöpfung aus einem wirksamen Vertrag gibt es nun in der Tat; und er hatte bis in das 19. Jahrhundert hinein auch ein Pendant, das für eine entsprechende Begrenzung des vertraglichen Schadensersatzes sorgte. Gemeinsam bildeten sie ein sinnvolles Ganzes. Fügt man sie wieder zusammen und kombiniert sie mit dem Vorhersehbarkeitskriterium, entsteht ein Schema für die Lösung der Frage, wie Geschäftschancen aus schutzwürdigen Informationsvorsprüngen unabhängig von ihrer Vorhersehbarkeit haftungsbewehrt sein können.
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II. Laesio enormis und duplum tantum 1. Die Verkürzungsanfechtung und ihre Entwicklung Das Institut, aus dem sich der Schwellenwert für die Beurteilung der Vertragswirksamkeit ergibt, ist die Anfechtung wegen laesio enormis.8 Sie richtete sich gegen einen Vertrag, bei dem die Leistung eines Vertragspartners weniger als die Hälfte des Wertes der Leistung des anderen hatte. Gegenstand einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ist die laesio enormis heute noch in Österreich9. Ob auch das geltende deutsche Recht sie kennt, hängt davon ab, wie man die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit wucherähnlicher Geschäfte einschätzt: Nach Ansicht des BGH begründet die Überschreitung des marktüblichen Preises einer Leistung um 100 % die widerlegliche Vermutung, dass der benachteiligte Kontrahent bei Vertragsschluss unterlegen war und der andere dies in sittenwidriger Weise ausgenutzt hat.10 Legt man das Gewicht darauf, dass die Überschreitung der 100 %-Marke nur ein Indiz und nicht hinreichendes Erfordernis für die Feststellung der Sittenwidrigkeit ist, dann scheitert ein Geschäft nach deutschem Recht immer nur an der Ausbeutung eines unerfahrenen oder in Notlage geratenen Kontrahenten durch seinen an Erfahrung oder Marktmacht überlegenen Vertragspartner. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man, wenn man den Fokus darauf richtet, dass es überhaupt eine Preisgrenze mit rechtlicher Relevanz gibt.11 Soll sie auch lediglich die Beweislast umverteilen, bedeutet deren Umkehrung doch gerade, dass es für den begünstigen Kontrahenten nicht genügt, sich auf den regulären Entstehungstatbestand des Vertrags zu berufen; zusätzlich zu diesem muss er vielmehr einen weiteren und noch dazu negativen, also schwerer zu belegenden, Umstand beweisen. Nötigt die Überschreitung der 100 %-Grenze ihm den Nachweis auf, dass die Vertragsgestaltung nicht das Ergebnis eines Ungleichgewichts der Vertragsparteien ist, steht er nicht wesentlich anders als der Gegner einer regelrechten Anfechtung wegen laesio enormis, der dartun muss, dass das Recht dazu im konkreten Fall stillschweigend abbedungen wurde. 8 Der in ihr enthaltene Rechtsgedanke lässt sich auf die Frage ausdehnen, bis zu welcher Grenze sich der Schuldner eine Leistungserschwerung gefallen lassen muss; vgl. J. D. Harke, Allgemeines Schuldrecht (Berlin/Heidelberg 2010), Rn. 100 ff. Dagegen glaubt Koller, Risikozurechnung (Fn. 1), 229, eine Regel für die Preisgestaltung lasse sich nicht auf die Vertragserfüllung übertragen; er nimmt jedoch zugleich an, dass über die Beurteilung eines Leistungshindernisses entscheide, welchen Preis die Parteien in Kenntnis seines Eintritts vereinbart hätten (S. 241). 9 Vgl. § 934 ABGB: „Hat bei zweiseitig verbindlichen Geschäften ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem andern gegeben hat, von diesem an dem gemeinen Werte erhalten; so räumt das Gesetz dem verletzten Teile das Recht ein, die Aufhebung, und die Herstellung in den vorigen Stand zu fordern. Dem andern Teile steht aber bevor, das Geschäft dadurch aufrecht zu erhalten, daß er den Abgang bis zum gemeinen Werte zu ersetzen bereit ist. Das Mißverhältnis des Wertes wird nach dem Zeitpunkte des geschlossenen Geschäftes bestimmt.“ 10 Vgl. BGH, NJW 1992, 899, 900; 2000, 1254, 1255; 2000, 1487, 1488; 2001, 1127, 1128. 11 Dies tut, wenn auch mit kritischer Tendenz, zu Recht W. Flume, Zur Anwendung der Saldotheorie im Fall der Nichtigkeit eines Grundstückskaufvertrags nach § 138 Abs. 1 BGB wegen verwerflicher Gesinnung des Käufers, ZIP 2001, 1621 f.
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Sind die Regeln über das wucherähnliche Geschäft nur eine neue Variante der Verkürzungsanfechtung, hat sich die Rechtsprechung mit ihnen über eine Entscheidung des BGB-Gesetzgebers von 1900 hinweggesetzt. Dieser verzichtete bewusst auf eine Verkürzungsanfechtung und sprach ihr die Existenzberechtigung nicht nur wegen praktischer Unzuträglichkeiten, sondern vor allem deshalb ab, weil sie sich nicht mit dem Grundsatz der Privatautonomie vertrage.12 Mit dieser Entscheidung zog der BGB-Gesetzgeber einen unberechtigten Schluss aus einer 1600-jährigen Entwicklung: Ihren Ursprung hat die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte in einem Revisionsentscheid des römischen Kaisers Diokletian von 28513. Dem Erben eines Grundstücksverkäufers wird darin bescheinigt, dass er die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen könne, wenn der von seinem Vater vereinnahmte Kaufpreis weniger als die Hälfte des verum pretium betrage und der Käufer sich auch nicht bereitfinde, freiwillig die Differenz zum gerechten Preis zu zahlen. Grundlage dieser Entscheidung war vermutlich eine einfache Operation mit den Instrumenten des Irrtumsrechts:14 Ist eine Sache um weniger als die Hälfte ihres Wertes zum Verkauf gekommen, fehlt es, objektiv gesehen, an einem regelrechten Kaufpreis; und der Vertrag erscheint als gemischtes Geschäft aus Kauf und Schenkung. Der Verkäufer, der glaubte, einen Kaufvertrag abzuschließen, war demnach einem wesentlichen Irrtum über die Vertragsnatur erlegen und wegen dieser Fehlvorstellung berechtigt, den Vertrag anzufechten. Der Fehler dieser Überlegung liegt in ihrer Voraussetzung: Die Unterscheidung zwischen unentgeltlichem und Austauschgeschäft kann in einem System der Vertragsfreiheit nicht objektiv und ohne Rücksicht auf die Vorstellung der Parteien getroffen werden, weil erst die Absicht zu schenken einen Vertrag ganz oder teilweise zur Schenkung machen kann. Fehlt es an dieser Absicht, kann von vornherein kein Widerspruch zwischen der Vorstellung der Vertragsparteien und der objektiven Vertragsnatur entstehen. Bietet das Irrtumsrecht damit auch keine Basis für die Begrenzung eines Ungleichgewichts, ist die Entscheidung von Kaiser Diokletian gleichwohl weise, weil an das Institut des Austauschvertrags doch Verkehrserwartungen gerichtet sind, die einen Eingriff der Rechtsordnung in die Privat12 Vgl. Mot., Mugdan, Bd. 2, 178. („Es fehlt für dieses in den heutigen Verkehrsanschauungen nicht mehr begründete, für die Rechts- und Verkehrssicherheit gefährliche … Rechtsmittel, wie an der Grundlage in den allgemeinen Grundsätzen des Entwurfs …, so am Bedürfnisse.“) 13 C. 4.44.2 (285 n. Chr.): Diocletianus et Maximianus AA. Aurelio Lupo. Rem maioris pretii si tu vel pater tuus minoris pretii, distraxit, humanum est, ut vel pretium te restituente emptoribus fundum venditum recipias auctoritate intercedente iudicis, vel, si emptor elegerit, quod deest iusto pretio recipies. minus autem pretium esse videtur, si nec dimidia pars veri pretii soluta sit. („Hast du eine Sache höheren Wertes zu einem zu geringen Preis verkauft, ist es billig, dass du entweder unter Rückerstattung des Kaufpreises auf Anordnung des Richters das verkaufte Grundstück oder, wenn der Käufer dies vorzieht, die Differenz zum richtigen Preis erhältst. Als zu gering gilt ein Preis, wenn nicht einmal die Hälfte des wahren Preises gezahlt worden ist.“) 14 Vgl. J. D. Harke, Laesio enormis als error in negotio, in: SZ 122 (2005), 91 ff.
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autonomie gestatten, wenn sich das Austauschverhältnis so verlagert, dass es auf halbem Weg zum Idealtyp eines unentgeltlichen Geschäfts liegt.15 Die mittelalterlichen Juristen, die Diokletians Entscheidung zu einem für alle Vertragspartner geltenden Verbot der laesio enormis ausbauen, verstehen die Verkürzungs- als Arglistanfechtung und glauben, der Vertragspartner, der von der Benachteiligung seines Kontrahenten über die Hälfte Gebrauch mache, handle dolos, indem er aus dem Geschäft klage.16 Diese Bewertung bezieht sich zwar eigentlich nicht auf den Abschluss des Vertrags, sondern nur auf die Forderung seiner Erfüllung; sie kommt gleichwohl nicht ohne ein Urteil über den Vertrag selbst aus, dem man mit dem Arglisteinwand indirekt absprach, als Basis für einen gerechten Leistungsanspruch zu taugen. Woran kann der unausgewogene Vertrag aber leiden, wenn nicht an einem wesentlichen Irrtum? Gestützt auf Aristoteles’ Lehre von der iustitia correctiva, findet Thomas von Aquin die Antwort in der objektiven Zweckbestimmung des Austauschvertrags, die er in der communis utilitas, dem gemeinsamen Nutzen beider Vertragspartner, findet.17 Mit ihr setzen sich Kontrahenten, die den Austausch ungleichwertiger Leistungen verabredeten, stets in Widerspruch. Dass die römische Rechtsordnung dieses Verhalten in den meisten Fällen tolerierte und erst bei einer Verkürzung über die Hälfte sanktionierte, erklärt Thomas mit den Schwierigkeiten bei der Bestimmung des wahren Leistungswertes, die nur die Verfolgung signifikanter Abweichungen erlauben. Mit dieser Argumentation verfährt er ähnlich wie die Juristen Diokletians, weil er ebenso wie diese von einem objektiven Begriff des Austauschvertrags ausging, der sich unabhängig von den Vorstellungen der Vertragsparteien bestimmen und diesen nur die Wahl zwischen reiner Schenkung und strikter Entgeltlichkeit lässt. Um das scholastische Äquivalenzgebot wieder mit der Vorstellung zu vereinen, dass die Vertragsbindung auf dem Willen der Parteien beruht, führt die profane Naturrechtslehre die Verpflichtung zum Gleichgewicht der Leistungen auf eine entsprechende Absicht der Kontrahenten zurück: Für Hugo Grotius18 und Samuel Pufendorf19 ergibt sich das Recht zur Verkürzungsanfechtung daraus, dass die Vertragspartner im Regelfall keine Schenkungsabsicht, sondern den Willen zum Austausch gleichwertiger Leistungen haben. So subjektivieren sie jedoch lediglich die Zweckbestimmung, die Thomas dem Vertrag als objektives Merkmal attestiert hatte. Dass das Ergebnis eine bloße Fiktion ist, wird in der entwickelten Naturrechtslehre auch schon bald erkannt: Statt beiden Vertragspartnern die lebensfremde Unterstellung zuzumuten, sie wollten den beiderseitigen Nutzen gleichermaßen fördern, greift 15
Sie lässt sich aber nicht auf das Gebot der iustitia commutativa zurückführen; vgl. J. D. Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung (Berlin 2005), 102 ff. 16 Vgl. dazu J. Gordley, The philosophical origins of modern contract law (Oxford 1991), 65 ff. und Harke, Vorenthaltung (Fn. 15), 39 ff. 17 Vgl. Summa Theologica 2.2 qu. 77 a. 1 und dazu Harke, Vorenthaltung (Fn. 15), 34 f. 18 Vgl. De jure belli ac pacis 2.12.12 und dazu Harke, Vorenthaltung (Fn. 15), 48 ff. 19 Vgl. De jure naturae et gentium 5.3.1 und dazu Harke, Vorenthaltung (Fn. 15), 59 f.
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Christian Wolff20 wieder auf das Recht des Irrtums zurück, dem der benachteiligte Kontrahent erlegen sei. Während der andere Teil das Geschäft auch wirklich wolle, sei es die Absicht der verkürzten Partei, ihre Leistung nur im Gegenzug zu einer gleichwertigen Gegenleistung zu erbringen. Da dieser Wille im ungleichgewichtigen Austauschvertrag nicht umgesetzt wird, leide dieser an einem wesentlichen Irrtum. Gesetz wird diese Lösung im preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794, das die Verkürzungsanfechtung zwar als solche ausschließt, dem Käufer, der als Kaufpreis mehr als den doppelten Wert der Kaufsache leisten soll, aber die Vermutung eines wesentlichen Irrtums zuteil werden lässt.21 Der politische Wille des Bürgertums im 19. Jahrhundert führt dazu, dass die Verkürzungsanfechtung allmählich verschwindet: Die Verfasser des Code civil wollen auf sie sogar völlig verzichten und scheitern mit diesem Vorhaben erst an Napoleon, der dafür sorgt, dass die Verkürzungsanfechtung als Ausnahme zum Schutz von Grundstücksverkäufern beibehalten wird, die als Kaufpreis weniger als 5/12 des Grundstückswertes erhalten.22 Anders als in Frankreich findet die Verkürzungsanfechtung zwar Eingang in das österreichische ABGB von 1811, gilt aber auch seinen Verfassern als dogmatisch nicht zu rechtfertigende, rein politische Einrichtung.23 Auch im Geltungsbereich des Gemeinen Rechts wird die Verkürzungsanfechtung als Anomalie empfunden und für das Handelsrecht durch das ADHGB von 1861,24 im allgemeinen Zivilrecht durch das BGB von 1900 beseitigt. Die Vertragsfreiheit hat vorerst gesiegt, wird aber dann rasch durch die Lehre von der Geschäftsgrundlage und später durch die Figur des wucherähnlichen Geschäfts wieder eingegrenzt.25 Beide tragen dem Regelungsbedarf Rechnung, der sich daraus ergibt, dass die übermäßige Belastung einer Seite durch einen Vertrag sozial und ökonomisch unerwünschte Konsequenzen hat. 2. Die Haftungsbeschränkung auf den doppelten Preis Ist die Verkürzungsanfechtung auch in der Rechtsprechung zum BGB zurückgekehrt, verhält es sich anders mit ihrem Gegenstück: der Beschränkung der Haftung 20
Vgl. Jus naturae 4.1052 f. und dazu Harke, Vorenthaltung (Fn. 15), 60 ff. § 75 I 4: „Ist jedoch dieses Mißverhältniß so groß, dass der Kaufpreis den doppelten Betrag des Werths der Sache übersteigt, so begründet dieses Mißverhältniß, zum Besten des Käufers, die rechtliche Vermutung eines den Vertrag entkräftenden Irrthums.“ 22 Art. 1674 CC: Si le vendeur a été lésé de plus de sept douzièmes dans le prix d’un immeuble, il a le droit de demander la rescision de la vente, quand même il aurait expressément renoncé dans le contrat à la faculté de demander cette rescision, et qu’il aurait déclaré donner la plus-value. Zur Gesetzgebungsgeschichte Gordley, Origins (Fn. 16), 202. 23 Vgl. J. Ofner, Der Ur-Entwurf und die Berathungs-Protokolle des Österreichischen ABGB (Wien 1889), Bd. 2, S. 76. 24 Vgl. seinen Art. 286: „Wegen übermäßiger Verletzung, insbesondere wegen Verletzung über die Hälfte, können Handelsgeschäfte nicht angefochten werden.“ 25 Zum Verhältnis beider Institute Harke, Allgemeines Schuldrecht (Fn. 8), Rn. 99 f. 21
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auf das Doppelte. Auch sie ist das Produkt kaiserlicher Rechtssetzung, allerdings rund 250 Jahre jünger als die Verkürzungsanfechtung. Ihr Urheber ist der Kaiser Justinian, der im Jahre 531 für alle Streitigkeiten mit bestimmten Streitgegenstand festlegt, dass die Verurteilung auf das Interesse des Klägers das Doppelte, die dupli quantitas, nicht überschreiten dürfe.26 Was damit gemeint ist, erhellt der Vorgänger dieser Beschränkung im klassischen römischen Recht. Er liegt in der Entwicklungsgeschichte der Rechtsmängelhaftung verborgen, die sich ursprünglich nicht aus dem Kaufvertrag selbst ergab, sondern besonderen Garantieversprechen überlassen war, die der Verkäufer dem Käufer leistete. Da unter diesen Versprechen das des doppelten Kaufpreises, die stipulatio dupli, als besonders käuferfreundliche Variante gegenüber dem Versprechen einfachen Interesseersatzes galt, folgerte der hochklassische Jurist Julian, dass die auf dem Kaufvertrag selbst beruhende Rechtsmängelhaftung, auch wenn sie auf das Interesse des Käufers gerichtet war, das Doppelte des Kaufpreises nicht übersteigen dürfe.27 Die Verallgemeinerung dieses Gedankens, dem das Bestreben zugrunde lag, den Umfang der Haftung voraussehbar zu machen,28 ist den Beamten des oströmischen Kaisers keineswegs geglückt. Der von ihnen geschaffenen Verordnung lässt sich weder ohne Weiteres entnehmen, was die Bemessungsgrundlage für die Bestimmung des Doppelten: das Einfache, sein sollte; noch geht aus ihr klar hervor, welche Art von Ansprüchen betroffen sein sollen. Zwar nennt die Verordnung den Kauf und andere Verträge als Anwendungsbereich. Die abstrakte Formel vom bestimmten Streitgegenstand macht jedoch nicht deutlich, dass es eigentlich nur um die Verletzung vertraglicher Leistungspflichten geht, denen eine Verpflichtung zur Geldleistung gegenübersteht. Diese mangelnde Präzision hat dazu geführt, dass die Haftungsbegrenzung 26 C. 7.47 Iust. A. Iohanni pp.: Cum pro eo quod interest dubitationes antiquae in infinitum productae sunt, melius nobis visum est huiusmodi prolixitatem prout possibile est in angustum coartare. (1) Sancimus itaque in omnibus casibus, qui certam habent quantitatem vel naturam, veluti in venditionibus et locationibus et omnibus contractibus, quod hoc interest dupli quantitatem minime excedere: … (2) Et hoc non solum in damno, sed etiam in lucro nostra amplectitur constitutio, quia et ex eo veteres quod interest statuerunt: … („Kaiser Justinian an den Prätorianerpräfekten Johannes. Da über die Bestimmung des Interesses seit alters unendlich viele Zweifel bestehen, erscheint es uns besser, die Meinungsverschiedenheiten in Grenzen zu halten. (1) Wir ordnen daher an, dass in allen Fällen, in denen ein bestimmter Betrag im Spiel ist oder sich aus der Natur der Sache ergibt wie zum Beispiel bei Kauf, Verdingung und allen anderen Verträgen, dass das Interesse das Doppelte des Betrags nicht überschreiten darf … (2) Und unsere Verordnung gilt nicht nur für den wirklichen Schaden, sondern auch für den Gewinn, weil auch dieser nach Ansicht der früheren Juristen zum Interesse zählt. …“). 27 Vgl. D. Medicus, Id quod interest (Köln 1962), 90 f., R. Knütel, Stipulatio poenae (Köln 1976), 342 f., J. D. Harke, Julian und die Rechtsmängelhaftung, in: OIR 11 (2006), 63, 68 ff. und W. Ernst, D. 19,1,43/45pr./45,2 revisited – Zugleich zum Ursprung der non ultra duplumRegel (C. 7,47), in: H. Altmeppen u. a. (Hrsg.), Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag (Heidelberg 2009), 271 ff. 28 Dies zeigt vor allem der Zusammenhang, in dem Julians Äußerung in D. 19.1.44 mit denen des Paulus in dem vorangehenden und im folgenden Text (D. 19.1.43, 45 pr.) steht.
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später regelmäßig unverstanden bleibt und nur so lange hingenommen wird, wie man das römische Gesetz als geltendes Recht akzeptiert: Eine Tendenz zur Aushöhlung von Justinians Verordnung ist schon bei den mittelalterlichen Juristen spürbar. Deuten sie die Haftungsgrenze zunächst noch richtig als das Doppelte des Kaufpreises,29 schwindet dieses Verständnis rasch mit dem Bemühen um die Verallgemeinerung der Regel. Hierfür bedient sich die Jurisprudenz des Mittelalters der eigens entwickelten Unterscheidung zwischen dem interesse singulare als dem nur beim Anspruchsinhaber eingetretenen Schaden und dem interesse commune als dem Schaden, den jeder andere in der Position des Anspruchsinhabers erlitten hätte.30 Dieses interesse commune machen die mittelalterlichen Juristen zur Berechnungsgrundlage für die Bestimmung des Doppelten und nehmen es damit zugleich von der Haftungsbeschränkung aus. Ihr soll allein der individuelle Schaden des Anspruchsinhabers unterliegen, während das gemeine Interesse als Maßstab der Haftungsbeschränkung als stets ersetzbar gilt. Das duplum ist so kein eigenständiges Kriterium mehr, sondern nur noch Ergänzung einer anderen Haftungsbeschränkung, die mit dem interesse commune einen neuen Maßstab gefunden hatte. Sie kommt bereits dem Vorhersehbarkeitskriterium nahe, das sich in der französischen Rechtslehre31 und in der Folge auch im Code civil durchsetzt, dessen Art. 1150 die Ersatzfähigkeit eines durch Nichterfüllung entstandenen Schadens durch dessen Vorhersehbarkeit begrenzt, falls sich der Schuldner nicht den Vorwurf des Vorsatzes gefallen lassen muss.32 Ein weiterer Grund für die Aufgabe der Beschränkung auf das duplum ist die Integration von vertraglicher und deliktischer Haftung zu einer umfassenden Schadensersatzlehre, wie sie in der Naturrechtsbewegung aufkommt. Die hergebrachte Haftungsbeschränkung, die bei einer Verpflichtung aus Delikt ohne Anhaltspunkt für den Faktor des Doppelten ist,33 kann unter diesen Umständen nicht überleben. In den beiden deutschsprachigen Naturrechtsgesetzbüchern, dem preußischen Allgemeinen Landrecht und dem österreichischen ABGB muss sie daher einer Unterscheidung zwischen wirklichem Schaden und entgangenem Gewinn weichen, von denen Letzterer nur von einem vorsätzlich oder grob fahrlässig handelnden Schädiger zu
29 Vgl. Placentinus, Summa Codicis, zu C. 7.47 und hierzu H. J. Wieling, Interesse und Privatstrafe vom Mittelalter bis zum BGB (Köln 1970), 90. 30 Vgl. Azo, Summa Codicis, Nr. 5 zu C. 7.47, Bartolus, Commentaria in Codicem, Nr. 27 zu C. 7.47 und hierzu Wieling, Interesse (Fn. 29), 91 ff. 31 Vgl. R. J. Pothier, Traité des obligations 1.2.3, n. 160, 166, Oeuvres (Paris 1861), Bd. 2, S. 76, 80 sowie hierzu Wieling, Interesse (Fn. 29), 48 ff. und J. D. Harke, Schuldnerverzug. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung (Berlin 2006), 78 ff. 32 „Le débiteur n’est tenu que des dommages et intérêts qui ont été prévus ou qu’on a pu prévoir lors du contrat, lorsque ce n’est point par son dol que l’obligation n’est point exécutée.“ 33 Zur älteren Kontroverse über diese Frage Wieling, Interesse (Fn. 29), 90, 96, 100, 103.
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ersetzen ist.34 Im Geltungsbereich des Gemeinen Rechts wird die Grenze des duplum dagegen zwar noch notgedrungen als Teil des römischen Rechts angewandt, gilt aber schon als systemfremd.35 Das BGB, das sie mit seinem für Vertrag und Delikt gleichermaßen geltenden § 249 stillschweigend beseitigt,36 folgt auch in diesem Punkt wieder dem ADHGB, das schon 1861 für unbegrenzten Schadensersatz im Handelsverkehr gesorgt hat.37 Anders als die Verkürzungsanfechtung ist die Haftungsbeschränkung auf das Doppelte nicht am Konflikt mit dem Prinzip der Vertragsfreiheit, sondern an ihrer mangelhaften Statuierung zugrunde gegangen. Hätten sich die Beamten der oströmischen Kanzlei klarer ausgedrückt, hätte ihre Verordnung vielleicht die europäische Kodifikationswelle des 19. Jahrhunderts überstanden und gälte nach wie vor. Die Beschränkung der Haftung auf das Doppelte des Preises bedeutet einen angemessenen Kompromiss zwischen dem Leistungsinteresse des Gläubigers und dem individuellen Schuldner- und allgemeinem wohlfahrtsökonomischen Interesse, den Umfang der Haftung überschaubar zu halten. Sie knüpft nämlich an die im vereinbarten Preis zum Ausdruck kommende Wertschätzung der ausgebliebenen Leistung an und gesteht dem Gläubiger zu, diesen Wert zu verdoppeln, ohne dem Schuldner seine Informationen offenlegen zu müssen. 3. Ein innerer Zusammenhang Beschränkt sich der Gläubiger auf das duplum tantum, bewegt er sich genau in dem Rahmen, der ihm nach der überkommenen und auf dem Umweg des § 138 BGB sogar im deutschen Recht wieder rezipierten Lehre von der laesio enormis auch beim Vertragsschluss zugestanden ist: Ohne dem Schuldner den Umfang seines erwarteten Vorteils offenbaren zu müssen, kann er auf die Wirksamkeit und Durchführung des Vertrags so lange zählen, wie der Gewinn, der sich aus der Differenz von Wert und Preis ergibt, nicht 100 % übersteigt. Ab dieser Grenze muss er, wenn er eine Aufhebung des Vertrags wegen Benachteiligung seines Vertragspartners vermeiden will, diesen ohnehin über eine Diskrepanz zwischen Preis und Wert der Leistung aufklären. Und nur bis zu dieser Grenze kann er folglich auch erwarten, ohne Weiteres Schadensersatz statt der ausgefallenen Leistung zu erhalten. Ergibt sich der Vorteil des Gläubigers nicht aus der Verwendung der Leistung für einen anderen Zweck oder Markt, sondern gerade aus der Differenz von Preis und Marktwert, fallen beide Kri34
Vgl. § 288 I 5 ALR: „Im Fall eines mäßigen oder geringen Versehens darf in der Regel nur der wirkliche Schaden ersetzt werden.“ § 1324 ABGB lautet: „In dem Falle eines aus böser Absicht, oder aus einer auffallenden Sorglosigkeit verursachten Schadens ist der Beschädigte volle Genugthuung; in den übrigen Fällen aber nur die eigentliche Schadloshaltung zu fordern berechtigt.“ 35 Vgl. vor allem RGZ 10, 194 („ein unklar gefaßtes und mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen in Widerspruch tretendes Gesetz“). 36 Vgl. Mot., Bd. 2, S. 11. 37 Vgl. dessen Art. 203 und RG, Seufferts Archiv 31, 320.
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terien zusammen: Der maximale Gewinn, den der Gläubiger unbedingt als Schadensersatz beanspruchen kann, beschreibt auch den Aufschlag, den er auf den Marktpreis machen darf, ohne sich dem Vorwurf einer sittenwidrigen Übervorteilung seines Vertragspartners auszusetzen. Soll die Leistung des Schuldners vom Gläubiger auf einem anderen Markt eingesetzt werden, ist der erzielbare Gewinn zwar nicht mit dem Vorteil identisch, den ein Kontrahent durch ein Missverhältnis von Preis und Wert erzielen kann. Dennoch bietet sich auch in einem solchen Fall als Grenze für den unbedingt zu ersetzenden Schaden die Relation von 1:2 an, weil dies eben der maximale Gewinn ist, mit dem der Schuldner auch bei einer Wertschöpfung auf derselben Marktstufe rechnen müsste. Will der Gläubiger einen darüber hinaus gehenden Gewinn liquidieren, sei es, dass er auf demselben Markt erzielt wird, sei es, dass er auf einem weiteren Markt geschöpft werden soll, muss er dies dem Schuldner vorher offenlegen. So entgeht er einerseits dem Vorwurf, den anderen unangemessen zu übervorteilen, andererseits warnt er ihn vor den Folgen der Nichterfüllung, so dass der Schuldner nicht nur den voraussehbaren Schaden ersetzen muss.
III. Ergebnis Als Instrument zur Begrenzung der Haftung für die Nichterfüllung einer vertraglichen Leistungspflicht bietet sich außer dem Kriterium der Vorhersehbarkeit die im 18. und 19. Jahrhundert verschwundene Beschränkung der Haftung für eine Sachleistung auf das Doppelte des hierfür vereinbarten Preises an. Obwohl nicht dazu gedacht, war sie ein passendes Gegenstück zur Vertragsanfechtung wegen laesio enormis und mit ihr zusammen Element einer Beschränkung des privatautonomen Verpflichtungsaktes auf das Zugeständnis eines Preis-Gewinn-Verhältnisses von 1:2. Bis zu dieser Grenze wird einerseits ein Ungleichgewicht von Preis und Wert einer Leistung hingenommen; andererseits ist in diesem Umfang ein Schaden, den ein Kontrahent durch das Ausbleiben der Leistung des anderen erleidet, ohne Weiteres ersetzbar, weil der Schuldner auch mit einer solchen Wertschöpfung durch eine Diskrepanz von Preis und Wert einer Leistung rechnen muss. In Kombination mit dem Merkmal der Vorhersehbarkeit, mit dem die Haftungsbegrenzung auf das Doppelte den Zweck teilt, die Folgen einer Nichterfüllung kalkulierbar zu machen, kann sie auch die eigentümliche Schwäche kompensieren, die das Vorhersehbarkeitskriterium hat: Strikt durchgeführt, bewirkt es zwar, dass der Schuldner den effizienten Aufwand zur Vermeidung einer Leistungsstörung ermitteln kann; zugleich führt es aber auch dazu, dass Geschäftschancen, die auf schutzwürdigen Informationsvorsprüngen beruhen, nur unter Verlust eben dieser Informationsvorteile haftungsbewehrt sind. Wendet man auf sie die Haftungsbeschränkung auf duplum an, bedeutet dies, dass der Schuldner bei der Kalkulation des Vermeidungsaufwands mit einem entgangenen Gewinn in Höhe des doppelten Preises rechnen muss und der Gläubiger seinen Ersatz erwarten darf, ohne seine eigenen Geschäftschancen preiszugeben. Erst bei einem weitergehenden Gewinn ist der Gläubiger, um seinen Ersatz zu erhei-
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schen, gezwungen, die von ihm erwarteten Vorteile bei Vertragsschluss offenzulegen und so für den Schuldner kalkulierbar zu machen. Das Verhältnis von 1:2 ist als Schwellenwert für das Vorhersehbarkeitskriterium ein angemessener Kompromiss zwischen dem Streben nach einer möglichst effizienten Gestaltung des Risikovermeidungsaufwands und dem Schutz redlich erworbener Informationsvorsprünge.
Der Leasingvertrag und das Wahlrecht des Leasinggebers bei Zahlungsverzug des Leasingnehmers im Vertragsrecht der Volksrepublik China Von Beatrix Joos* Finanzierungsleasinggeschäfte wurden in der Volksrepublik China mit den Wirtschaftsreformen Anfang der 1980er Jahre1 aus dem Ausland eingeführt und haben seither zunehmend an Bedeutung gewonnen.2 Mit der Öffnung des Investmentmarkts 2005 infolge des WTO-Beitritts der Volksrepublik China im Jahr 2001 wurde auch ausländischen Investoren die Gründung von Leasing-Gesellschaften erlaubt.3 Chinas Leasingmarkt wird voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2016 fünf Billionen Yuan erreichen und damit der größte Leasingmarkt der Welt werden.4 Auch wenn nach chinesischem Recht der Finanzierungsleasingvertrag gegenüber anderen Finanzierungsformen keine steuerlichen und bilanziellen Vorteile bietet,5 so sind doch die Vorzüge eines Leasingvertrags dadurch gegeben, dass der Leasingnehmer auf diese Weise Güter nutzen kann, deren Erwerb er nicht vorfinanzieren kann.6 Dementsprechend ist es daher auch naheliegend, dass Leasingverträge vor allem in der Textil-, Metallverarbeitungs-, Elektronik- und Chemie-Industrie abgeschlossen werden,7 die hochwertige Maschinen zum Gegenstand haben. Aber auch für kleine und mittlere Unternehmen ist das Finanzierungsleasing eine bedeutende Finanzie-
* Dr. iur., Rechtsanwältin, Hamburg. 1 Im Jahr 1981 wurde ein Chinesisch-Japanisches Joint-Venture als erste Leasinggesellschaft der VR China gegründet, China Business Law Guide, Vol. II (Singapur 2005), 37, 501 (Abschnitt 36 – 700), P. Vout/Y. Jing-Sheng/Y. Y. Wu, China Contract Handbook (Hongkong 2000), 265. 2 ), (Leasing in der gesetzlichen Praxis) (Beijing G. Qin ( 20142), S. 2 der Einleitung. 3 Th. Stahl, Jung und aufstrebend: Leasing in der Volksrepublik China, in: Finanzierung, Leasing, Factoring (FLF) 2015, 260. 4 China to surpass US as world’s largest financial leasing market, China Daily vom 21. 7. 2015. 5 X. Hu, Juristische Rahmenbedingungen des Leasing-Geschäfts in China, Teil 2, in Finanzierung, Leasing, Factoring (FLF) 2010, 168 ff. 6 Vout/Jing-Sheng/Wu, Handbook (Fn. 1), 265, Hu, FLF 2010, 173. 7 Vout/Jing-Sheng/Wu, Handbook (Fn. 1), 265.
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rungsform, da die Unternehmen im Vergleich zu einem Kredit keine weiteren Sicherungsmittel bereitstellen müssen.8
I. Aufnahme des Leasingvertrags ins Recht der Volksrepublik China In der Kodifikation des chinesischen Zivilrechts, die Anfang der 1980er Jahre nach einem jahrzehntelangen Stillstand9 neu initiiert wurde und seither aufgrund ihres enormen Nachholbedarfs rege Tätigkeit erfährt,10 fand das Finanzierungsleasing als innovative Vertragsgestaltung allerdings zunächst noch keinen Niederschlag. So war in dem Wirtschaftsvertragsgesetz,11 das1981 als eines der ersten neuen Gesetze erlassenen wurde und der Erfüllung von Wirtschaftsplänen dienen sollte,12 noch keine Regelung zum Leasingvertrag aufgenommen.13 Auch im Zuge der späteren 8
Hu, FLF 2010, 173. Unmittelbar vor Gründung der Volksrepublik China wurden nach Art. 17 des Allgemeinen Programms der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes vom 29. 9. 1949 nicht nur alle Gesetze und Erlasse, sondern auch das gesamte Justizsystem abgeschafft, U. Manthe, Bürgerliches Recht und Bürgerliches Gesetzbuch in der VR China, in Jahrbuch für Ostrecht, Bd. 28 (1987), 15 f.; U. Manthe ( ), 20 (Die Rechtsentwicklung Chinas im 20. Jahrhundert), in: Jahrbuch des Deutsch-Chinesischen Instituts für Rechtswissenschaft (Nanjing 2003), 35. Zunächst wurde zwar versucht, ein neues (sozialistisches) Rechtssystem aufzubauen, doch bereits ab Mitte der 1950er Jahre kam es zu einem Verfall des soweit noch vorhandenen Rechtssystems und die Arbeiten an dem Entwurf eines Zivilgesetzbuchs nach sowjetischem Vorbild wurden wieder eingestellt. 10 Erst mit der wirtschaftlichen Öffnung 1979 erstand die Idee eines Zivilgesetzbuchs erneut auf, die aber bis heute noch nicht in ein einheitliches Werk umgesetzt worden ist. Daher existieren die einzelnen Bücher nur in getrennten Gesetzen: Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts – kurz AGZR (von 1986, inzwischen 2009 überarbeitet), Sicherheitengesetz (1995), Vertragsgesetz (2000), Erbgesetz (1985), Ehegesetz (2001) und Adoptionsgesetz (1991). Da die Beratungen über den Entwurf eines einheitlichen Zivilgesetzbuchs aus dem Jahr 2002 auch fünf Jahre später noch nicht abgeschlossen waren, wurden das Sachenrechtgesetz (2007) und das Gesetz über die deliktische Haftung (2009) als eigenständige Gesetze verabschiedet. Auch das Gesetz über die Rechtsanwendung bei Zivilrechtsbeziehungen mit Auslandsbezug wurde am 28. 10. 2010 als eigenständiges Gesetz verabschiedet, nachdem die Expertenkommission für ein einheitliches Gesetzbuch das Internationale Privatrecht nicht als weiteres Buch in das geplante einheitliche Zivilgesetzbuch integrieren wollte. 11 Wirtschaftsvertragsgesetz der VR China ( ) vom 13. 12. 1981, in Kraft seit dem 1. 7. 1982, chinesische Fassung in GWY GB 1981, 864 ff. Die durch Änderungsbeschluss des Ständigen Ausschusses des NVK vom 2. 9. 1993. überarbeitete Fassung findet sich in GWY GB 1993, 970 ff. 12 Natürliche Personen waren im Wirtschaftsvertragsgesetz von 1981 als Vertragssubjekte nicht vorgesehen, da man nach marxistischen Gesichtspunkten davon ausging, dass sich Privatrechtsubjekte nicht mit wirtschaftlichen Aktivitäten befassen, Manthe, Rechtsentwicklung Chinas (Fn. 9), 339. 13 Im Wirtschaftsvertragsgesetz von 1981, das der Erfüllung von Wirtschaftsplänen dienen sollte und natürliche Personen als Vertragssubjekte nicht vorsah, fanden sich ohnehin nur wenige Regelungen zu konkreten Vertragstypen (Kaufvertrag, Bauprojektvertrag, Bearbei9
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grundlegenden Änderung des Wirtschaftsvertragsgesetzes im Jahre 199314 wurde dieser Vertragstyp noch nicht berücksichtigt. Zum Leasingvertrag wurden im Unterschied zu anderen Vertragstypen15 auch keine untergesetzlichen Vorschriften als gesonderte Rechtsnormen erlassen. Erst mit dem Vertragsgesetz (VG) von 1999,16 mit dem die drei wesentlichen Kodifikationen zum Vertragsrecht aus der ersten Zeit nach Beginn der Wirtschaftsreformen außer Kraft gesetzt wurden,17 fand der Leasingvertrag als eigenständiger Vertragstyp Eingang in das kodifizierte Schuldrecht der VR China. Bis dahin einzige geschriebene Rechtsquelle für den Leasingvertrag waren die Bestimmungen des Obersten Volksgerichts zu Fragen über die Behandlung von Streitfällen beim Finanzierungsleasing,18 die erst jüngst durch die Auslegung des Obersten Volksgerichts zu Fragen der Rechtsanwendung bei der Behandlung von Streitfällen zu Leasingverträgen19 ersetzt wurden.20 tungswerkvertrag, Transportvertrag, Vertrag über die Lieferung und Nutzung von Energie, Verwahrvertrag, Mietvertrag, Kreditvertrag, Vertrag über wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit). 14 (1993 ) Wirtschaftsvertragsgesetz der VR China ( vom 2. 9. 1993, in Kraft seit 1. 7. 1981 (Änderungen seit dem 2. 9. 1993), GWY GB 1993, 970 ff. 15 So z. B. Vorschriften über den Kaufvertrag in Landwirtschaft und Industrie (1984), Vorschriften über den Projektbauvertrag (1983), Vorschriften über den Bearbeitungswerkvertrag (1984), Vorschriften über das Darlehen (1985), Vorschriften über den Verwahrvertrag (1985). 16 Vertragsgesetz der VR China ( ), erlassen am 15. 3. 1999, in Kraft seit 1. 10. 1999, GWY GB 1999, 388 ff. 17 Gemäß § 428 VG wurden mit Inkrafttreten des VG das Wirtschaftsvertragsgesetz (von 1993), das Außenwirtschaftsvertragsgesetz (von 1985) und das Technologievertragsgesetz (von 1987) außer Kraft gesetzt, die bis dahin das dreigeteilte gesetzliche Vertragsrecht bildeten. 18 , veröffentlicht im Amtsblatt des Obersten Volkgerichts 1996, Nr. 3, S. 95 ff., s. auch Abdruck bei B. Jiang ( ), (Streitfälle zum Leasingvertrag) (Beijing 2014), 432 – 433. Solche Auslegungen des Obersten Volksgerichts dienten in der Zeit bis zum Erlass des Gesetzgebungsgesetzes am 15. 03. 2000, mit dem erst die Gesetzgebungskompetenz geregelt wurde, häufig als Gesetzesersatz, da in zahlreichen Rechtsbereichen zunächst noch keine Kodifikationen erfolgt waren. Das Oberste Volksgericht hatte damals der von ihr vorgenommenen abstrakten Auslegung des Rechts selbst Gesetzeskraft verliehen, vgl. § 4 Einige Bestimmungen des Obersten Volksgerichts über die Auslegungsarbeit, Amtsblatt des Obersten Volksgerichts, 1997, Heft Nr. 3, S. 96. Die justizielle Auslegung stellt aber auch nach Erlass des Gesetzgebungsgesetzes eine bedeutende Rechtsquelle dar. 19 (OVG-LVAuslegung), vom 25. 11. 2013, veröffentlicht im Amtsblatt des Obersten Volkgerichts 2014, Nr. 7, S. 3 ff., gemäß Bekanntmachung vom 24. 2. 2014 ab dem 1. 3. 2014 anzuwenden. Deutsche Übersetzung in Zeitschrift für Chinesisches Recht (ZChinR) 2015, 144 ff. 20 Nach § 26 Abs. 1 der OVG-LV-Auslegung sind die früheren OVG-LV-Bestimmungen mit Anwendungsbeginn der OVG-LV-Auslegung, also am 1. 3. 2014 außer Kraft getreten.
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Der Leasingvertrag wird im chinesischen Recht als Finanzierungsmietvertrag21 bezeichnet. Er stellt einen eigenständigen Vertragstyp dar, dem mit dem 14. Kapitel (§§ 237 – 250) im VG ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Die Nähe zum Mietvertrag wird nicht nur dadurch deutlich, dass die Regelungen zum Leasingvertrag denen zum Mietvertrag22 unmittelbar nachfolgen, sondern auch durch die in weiten Teilen identische Terminologie.23 Gemäß der Legaldefinition des VG handelt es sich beim Leasingvertrag um einen Vertrag, bei dem der Leasinggeber24 ein vom Leasingnehmer25 ausgewähltes Leasingobjekt26 von dem vom Leasingnehmer ausgewählten Lieferanten27 erwirbt und dem Leasingnehmer zur Nutzung überlässt und der Leasingnehmer die Leasingraten28 zahlt.29 Die Idee, in einem Finanzierungsleasinggesetz30 sowohl zivilrechtliche Regelungen31 als auch Aufsichtsrecht32 zu vereinen, ist bisher noch nicht über das Entwurfsstadium hinausgekommen.33
21
. Chin.: - ist im 13. Kapitel des VG (§§ 212 – 236) geregelt. Der Mietvertrag – chin.: 23 Nachfolgend wird im Einzelnen jeweils darauf hingewiesen. 24 Chin.: , im chinesischen Recht ebenso wie beim Mietvertrag „der Vermieter“. 25 Chin.: , im chinesischen Recht ebenso wie beim Mietvertrag „der Mieter“. 26 Chin.: , im chinesischen Recht ebenso wie im Mietvertrag „das Mietobjekt“. 27 Chin.: , im chinesischen Recht „der Verkäufer“ (vgl. § 130 VG über den Kaufvertrag). 28 Chin.: , im chinesischen Recht ebenso wie beim Mietvertrag „die Miete“. 29 § 237 VG. 30 s. zu dem Entwurf des Leasinggesetzes von 2006 mit 63 Artikeln in sechs Kapiteln einen kurzen Überblick bei Hu, FLF 2010, 172 f. 31 Im 2. Kapitel („Leasinggeschäfte“), §§ 8 – 36 des Entwurfs des Leasinggesetzes. So regelt § 10 des Entwurfs des Leasinggesetzes den Inhalt des Leasingvertrags – wortgleich mit § 238 Abs. 1 VG. 32 So soll das 3. Kapitel (§§ 37 – 49 des Entwurfs des Leasinggesetzes) die Verwaltung und Überwachung der Leasingbranche regeln. Am 13. 3. 2014 hat die Kommission zur Aufsicht ) Verwaltungsund Verwaltung des Bankwesens in China ( maßnahmen für Leasing-Gesellschaften ( ) erlassen, die am selben Tag in Kraft getreten sind, s. englische Fassung in China Law and Practice, May/June 2014, 90 ff. 33 Auch wenn der Entwurf des Leasinggesetzes von 2006 bisher nicht verabschiedet worden ist, s. K. B. Pißler, Finanzierungsleasingverträge in China: eine Kommentierung im Spiegel der jüngsten Interpretationen des Obersten Volksgerichts, in: Zeitschrift für Chinesisches Recht (ZChinR) 2015, 116, m.w.N., so ist er doch offenbar noch nicht verworfen worden. Denn der Entwurf findet in aktuellen Lehrbüchern zum Recht des Finanzierungsleasings weiterhin in breitem Umfang Berücksichtigung. So ist der Entwurf Gegenstand der Darstellung bei Qin (Fn. 2) und wird auch bei Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), zitiert. Dort ist auch der (nicht amtliche) 3. Diskussionsentwurf abgedruckt, Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 438 – 443. 22
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II. Überblick über den Leasingvertrag im chinesischen Zivilrecht Neben den Allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts34 und dem Allgemeinen Teil des Vertragsrechts des VG35 sind beim Leasingvertrag die besonderen Vorschriften des 14. Kapitels des VG unter Berücksichtigung der Auslegung des Obersten Volksgerichts zu beachten. 1. Zustandekommen des Leasingvertrags und seine vertragliche Ausgestaltung In der gesetzlichen Definition des Leasingvertrags, in der neben dem Leasinggeber und dem Leasingnehmer auch der Lieferant genannt wird, von dem der Leasinggeber das Leasingobjekt erwirbt, beschreibt die leasingtypische Dreieckskonstellation. a) Parteien des Leasingvertrags Auch wenn die Leasingbeziehungen demnach drei Parteien und zwei Verträge umfassen,36 sind dennoch nur der Leasinggeber und der Leasingnehmer Parteien des Leasingvertrags. Der Lieferant wird nicht als Partei des Leasingvertrags betrachtet.37 Es handelt sich demnach beim Leasingvertrag um einen zweiseitigen und nicht um einen dreiseitigen Vertrag.38 Denn die gegenseitigen Rechte und Pflichten werden nur vom Leasingnehmer und Leasinggeber getragen; nur diese stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Die typische Dreieckskonstellation kann demnach auch auf ein Zwei-PersonenVerhältnis reduziert sein, wenn der Leasingnehmer einen eigenen Gegenstand dem Leasinggeber verkauft, der ihm diesen dann zurückleast („sale-and-lease-back“).39 Um dies klarzustellen, hat das Oberste Volksgericht daher auch in § 2 der OVGLV-Auslegung ausdrücklich geregelt, dass das Gericht das Vorliegen eines Finanzie-
34 (vom 12. 4. 1986, in Kraft seit 1. 1. 1987, geänderte Fassung vom 27. 8. 2009 in Kraft seit 27. 8. 2009). 35 Insbesondere die Regelungen über den Abschluss von Verträgen im 2. Kapitel, §§ 9 – 43 VG, die Wirksamkeit von Verträgen im 3. Kapitel, §§ 44 – 59 VG, die Durchführung von Verträgen im 4. Kapitel, §§ 60 – 76 VG, die Beendigung der vertraglichen Rechte und Pflichten im 6. Kapitel, §§ 91 – 106 VG, und die Haftung für Vertragsverletzung im 7. Kapitel, §§ 107 – 122 VG. 36 D. Tang ( ) (Hrsg.), (Kommentierter Vertragstext zum Vertragsgesetz und zum Zivilrecht mit Erläuterungen) (Beijing 2004), 1165. 37 S. Han ( ), (Vertragsrechtslehre) (Beijing 2010), 468. 38 Han, Vertragsrechtslehre (Fn. 37), 468. 39 Chin.: .
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rungsleasingvertrags nicht allein aus dem Grunde verneinen darf, dass Leasingnehmer und Lieferant identisch sind. b) Wirksamkeit des Leasingvertrags In Hinblick auf die Wirksamkeit es Leasingvertrags, die nur gegeben ist, wenn der Vertrag gesetzesgemäß zustande gekommen ist,40 sind vor allem die Schriftform und die Frage des Genehmigungserfordernisses relevant. aa) Schriftform Grundsätzlich können Verträge nach dem VG in schriftlicher, mündlicher oder anderer Form geschlossen werden, § 10 Abs. 1 VG. Wenn aber durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift die Schriftform41 vorgeschrieben ist, muss die Schriftform auch gewahrt werden, § 10 Abs. 2 S. 1 VG. Der Leasingvertrag bedarf als einer der wenigen Vertragstypen gemäß § 238 Abs. 2 VG der Schriftform.42 Bei einem Verstoß gegen das Schriftformerfordernis ist ein Vertrag grundsätzlich nichtig,43 doch kann der Schriftformmangel geheilt werden. Denn ein Vertrag wird gemäß der Regelung des § 36 VG wirksam, wenn eine Partei ihre Hauptleistungspflicht erfüllt hat und die andere Partei diese annimmt. bb) Genehmigungserfordernisse Die nach dem VG44 vorgesehene Nichtigkeit eines Vertrags bei Nichteinholung einer vorgeschriebenen Verwaltungsgenehmigung gilt nach Ansicht des Obersten Volksgerichts nicht für den Leasingvertrag.45 40
§ 44 S. 1 VG. „In Schriftform“ bedeutet mittels schriftlichen Vertrags, Briefs oder eines digitalen elektronischen Dokuments (inklusive Telegramm, Telex, Telefax, elektronischer digitaler Dokumentenaustausch und E-Mail), § 11 VG. Es muss sich dabei nicht um ein einheitliches Dokument handeln, so dass die Schriftform beispielsweise auch durch den Austausch von E-Mails gewahrt wird. 42 Als anderer wichtiger Vertrag unterliegt der Technologietransfervertrag dem Schriftformerfordernis. Formlos sind hingegen nach dem Vertragsgesetz beispielsweise der Kaufvertrag, der Strom-, Wasser-, Gas-, Heizkraftlieferungsvertrag, Schenkungsvertrag und der Darlehensvertrag, es sei denn die Parteien vereinbaren die Schriftform, § 10 Abs. 2 S. 2 VG. 43 Nach § 44 Abs. 1 VG erlangen nur Verträge, die gemäß den Gesetzen abgeschlossen werden, mit ihrer Errichtung Gültigkeit. Sie werden aber wirksam, wenn nach § 36 VG durch Erfüllung der Hauptleistungspflicht einer Partei und deren Annahme durch die andere Partei. 44 Nach § 44 Abs. 2 VG müssen grundsätzlich Gesetze und Verwaltungsverordnungen beachtet werden, die für die Wirksamkeit des Vertrags ein Genehmigungs-, Registrierungsoder andere Verfahren vorsehen. 41
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c) Inhalt des Leasingvertrags Neben dem allgemeinen Vertragsinhalt nach § 12 Abs. 1 VG46 enthält ein Finanzierungsleasingvertrag gemäß § 238 Abs. 1 VG Klauseln zu Bezeichnung, Menge, Spezifikationen und technische Funktionen des Leasingobjekts, Verfahren der Überprüfung des Leasingobjekts, Leasingdauer, Zusammensetzung der Leasingentgeltsraten und die Zahlungsfrist, Art und Weise der Zahlung sowie die Währung und in wessen Eigentum sich der Leasinggegenstand am Ende der Laufzeit befinden soll. aa) Leasingobjekt Die Vereinbarungen zum Leasingobjekt, wie seine Bezeichnung, Qualität, Menge, Spezifikation, technische Funktion und das Verfahren zur Überprüfung gehören zu den essentialia negotii, da das Leasingobjekt Gegenstand von Rechten und Pflichten aus dem Leasingvertrag ist.47 Das Leasingobjekt muss möglichst konkret bezeichnet werden, was aufgrund der Vielzahl der Angabe auch in einem Anhang zum Leasingvertrag erfolgen kann.48 bb) Leasingdauer Die Leasingdauer, während der die Rechte und Pflichten aus dem Leasingvertrag bestehen, muss klar bestimmt sein.49 Die Leasingdauer entspricht gewöhnlich der wirtschaftlichen Lebensdauer des Leasinggegenstands,50 oder einem Großteil davon,51 typischerweise zumindest ca. 75 %.52 Die Leasingdauer beginnt nicht mit Abschluss des Vertrags, sondern erst mit Zahlung der Leasingraten.53
45
Gemäß § 3 OVG-LV-Auslegung ist ein Leasingvertrag nicht unwirksam, wenn der Leasingnehmer eine gesetzliche oder durch Verwaltungsverordnung vorgeschriebene Verwaltungsgenehmigung nicht eingeholt hat. Dies wird damit begründet, dass die Genehmigungserfordernisse die Beziehungen vom Staat oder der Regierung zu den Personen regeln, aber nicht die Vertragsbeziehungen zwischen Leasingnehmer und Leasinggeber betreffen, Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 36 ff. 46 Name und (Wohn-)Sitz der Parteien, Gegenstand, Menge, Beschaffenheit, Preis oder Entgelt, Frist, Ort sowie Art und Weise der Durchführung, Haftung für Vertragsverletzung und Art der Streitbeilegung. 47 Han, Vertragsrechtslehre (Fn. 37), 468; Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 6. 48 Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 6. 49 Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 7. 50 Tang, Kommentierter Vertragstext (Fn. 36), 1168; Vout/Jing-Sheng/Wu, Handbook (Fn. 1), 265; Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 7. 51 Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 7. 52 Vout/Jing-Sheng/Wu, Handbook (Fn. 1), 271. 53 Vout/Jing-Sheng/Wu, Handbook (Fn. 1), 271.
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cc) Leasingentgelt In der vertraglichen Vereinbarung über das Leasingentgelt kann neben der Zusammensetzung des Leasingentgelts, der Art und Weise der Zahlung, ihr Zeitpunkt und die Währung auch seine Gesamthöhe und die Höhe der einzelnen Leasingraten geregelt werden.54 Der Leasingvertrag ist nach seiner Regelung im VG grundsätzlich als Vollamortisationsvertrag ausgestaltet. So ist ausdrücklich geregelt, dass – vorbehaltlich einer abweichenden Parteivereinbarung – das Leasingentgelt so vereinbart sein muss, dass es dem Großteil der Anschaffungskosten oder den gesamten Anschaffungskosten entspricht sowie darüber hinaus einen rechtmäßigen Gewinn berücksichtigt, § 243 VG. dd) Eigentum am Leasingobjekt Während der Laufzeit des Leasingvertrags ist der Leasinggeber Eigentümer des Leasingobjekts,55 doch kann für den Zeitpunkt der Beendigung des Leasingvertrags eine Regelung getroffen werden, wer das Eigentum am Leasingobjekt erlangen oder behalten soll. Der Leasingnehmer hat gewöhnlich die Wahl, ob er nach Ablauf der Leasingzeit den Leasinggegenstand behalten, weiterleasen oder zurückgeben will.56 Nur im ersten Fall besteht Anlass für die Vereinbarung, dass der Leasingnehmer Eigentümer des Leasingobjekts werden soll.57 Die Eigentumsfrage sollte in dem Leasingvertrag eindeutig geregelt sein, denn die Unklarheitenregel des § 250 VG bestimmt, dass der Leasinggeber am Ende der vereinbarten Laufzeit des Leasingvertrags das Eigentum an dem Leasingobjekt behält, falls die Eigentumsfrage nicht oder nicht klar geregelt ist und sich auch nicht durch ergänzende Vertragsauslegung nach § 61 VG ermitteln lässt.
54
6 f.
Han, Vertragsrechtslehre (Fn. 37), 469; Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18),
55 § 242 S. 1 VG. In § 242 S. 2 VG ist ausdrücklich geregelt, dass das Leasingobjekt bei einer Insolvenz des Leasingnehmers nicht zur Masse gehört. 56 Han, Vertragsrechtslehre (Fn. 37), 469; Tang, Kommentierter Vertragstext (Fn. 36), 1169; Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 7. 57 Da im chinesischen Recht das Abstraktionsprinzip nicht gilt, wird das Eigentumsrecht des Leasingnehmers dann gemäß § 25 Sachenrechtsgesetz mit Beendigung des Leasingver), vom 16. 3. 2007, in Kraft trags wirksam. § 25 Sachenrechtsgesetz ( getreten am 1. 10. 2007, GWY GB 2007, Nr. 4, S. 14 ff. regelt den Zeitpunkt, in dem das Sachenrecht wirksam wird, wenn der Berechtigte die Sache bereits rechtmäßig besitzt.
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Nach der Auslegung des Obersten Volksgerichts kann auch eine Vereinbarung über das Eigentum am Leasinggegenstand für den Fall der Unwirksamkeit des Leasingvertrags getroffen werden.58 2. Pflichten des Leasinggebers Die Hauptleistungspflicht des Leasinggebers aus dem Leasingvertrag ist die Gebrauchsüberlassung des Leasingobjekts an den Leasingnehmer. Er muss daher dem Leasingnehmer Besitz und Gebrauch am Leasingobjekt gewährleisten.59 Im Anfangsstadium der Durchführung des Leasingvertrags stehen aufgrund der leasingtypischen Dreieckskonstellation im Zusammenhang mit der Hauptpflicht des Leasinggebers die rechtlichen Beziehungen zum Lieferanten im Vordergrund.60 Ungeachtet der Tatsache, dass es sich beim Leasingvertrag um einen zweiseitigen Vertrag zwischen dem Leasinggeber und dem Leasingnehmer handelt, richtet sich die Vorschrift des § 239 VG direkt an den vom Leasingnehmer ausgewählten Lieferanten, der nach dieser Regelung aufgrund des mit dem Leasinggeber abgeschlossenen Kaufvertrags verpflichtet ist, den Leasinggegenstand dem Leasingnehmer zu übergeben. Dementsprechend genießt der Leasingnehmer nach § 239 Hs. 2 VG hinsichtlich der Annahme des Leasingobjekts die Rechte eines Käufers und kann demnach die Annahme des Leasingobjekts verweigern, wenn dieses gravierend von den vertraglichen Vereinbarungen abweicht61 oder die Übergabe nicht zum vereinbarten Zeitpunkt bzw. innerhalb angemessener Frist ggf. nach Mahnung erfolgt.62 Ausdrücklich geregelt ist die Möglichkeit der leasingtypischen Abtretungskonstruktion insofern, als vereinbart werden kann, dass der Leasingnehmer Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gegen den Lieferanten geltend machen
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§ 4 OVG-LV-Auslegung. Dies bedeutet, dass diese vertragliche Regelung von der Unwirksamkeit des Vertrags im Übrigen offenbar ausgenommen ist. 59 § 245 VG. 60 Da nach der gesetzlich geregelten Konstellation des Leasingvertrags der Leasingnehmer das Leasingobjekt und den Lieferanten ausgewählt hat, darf der Leasinggeber den Inhalt des Kaufvertrags, der den Leasingnehmer betrifft, nicht ändern, § 241 VG. Aufgrund der vom Leasingnehmer getroffenen Auswahl, haftet der Leasinggeber auch grundsätzlich nicht, falls das Leasingobjekt nicht den vertraglichen Vereinbarungen oder dem Gebrauchszweck entspricht, es sei denn, der Leasingnehmer hat sich bei der Bestimmung des Leasingobjekts auf die Fähigkeiten des Leasinggebers verlassen oder dieser hat sich bei der Wahl des Leasingnehmers eingemischt, vgl. § 244 VG. 61 Nach § 148 S. 1 VG kann der Käufer die Annahme der Sache verweigern, wenn diese nicht vertragsgemäß ist und dadurch der Kaufvertrag nicht erfüllt werden kann (oder alternativ den Vertrag auflösen). 62 § 5 Abs. 1 Nr. 1 OVG-LV-Auslegung.
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kann. 63 Allerdings ist eine solche Vereinbarung nur als dreiseitige, unter Einbeziehung des Lieferanten mit den Parteien des Leasingvertrags, möglich.64 Leasinggeber und Leasingnehmer können auch vereinbaren, dass der Leasingnehmer vom Lieferanten Ersatz verlangen kann, falls der Lieferant seine Pflicht aus dem Kaufvertrag nicht erfüllt.65 Ist eine solche Vereinbarung nicht getroffen und behält sich der Leasinggeber vor, seine Rechte aus dem Kaufvertrag geltend zu machen, muss ihn der Leasingnehmer unverzüglich über Mängel des Leasingobjekts informieren.66 3. Pflichten des Leasingnehmers Hauptleistungspflicht des Leasingnehmers ist die Zahlung der vereinbarten Leasingraten.67 Der entsprechende Anspruch des Leasinggebers besteht grundsätzlich auch unabhängig von einem eventuellen Schadensersatzanspruch, den der Leasingnehmer gegenüber dem Lieferanten geltend macht.68 Etwas anderes gilt nur, wenn der Leasingnehmer das Leasingobjekt aufgrund der Fähigkeiten des Leasinggebers bestimmt oder sich der Leasinggeber bei der Auswahl des Leasingobjekts eingeschaltet hat.69 Der Leasingnehmer ist zudem verpflichtet, den Leasinggegenstand geeignet zu verwahren und angemessen zu nutzen,70 sowie ihn in der Zeit, in der er den Leasinggegenstand besitzt, auch zu warten.71
III. Ansprüche des Leasinggebers im Falle des Zahlungsverzugs des Leasingnehmers Nach § 248 S. 1 VG hat der Leasingnehmer die vereinbarten Leasingraten zu zahlen. Gerät der Leasingnehmer mit der Zahlung einer Leasingrate in Verzug und zahlt er auch innerhalb einer angemessenen Frist nicht, hat der Leasinggeber nach § 248 63
§ 245 VG. Dies birgt allerdings praktische Schwierigkeiten, da eine solche Regelung im Leasingvertrag die Einbeziehung des Lieferanten erfordert, der eigentlich nicht Partei des Leasingvertrags ist; zu den verschiedenen Vorschlägen der praktischen Umsetzung s. Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 12. 65 § 240 Hs. 1 VG. Der Leasinggeber muss den Leasingnehmer bei seiner Ersatzforderung gegenüber dem Lieferanten unterstützen, § 240 Hs. 2 VG. 66 Vout/Jing-Sheng/Wu, Handbook (Fn. 1), 272. 67 § 248 S. 1 VG. 68 § 6 Hs. 1 OVG-LV-Auslegung. 69 § 6 Hs. 2 OVG-LV-Auslegung. 70 § 247 Abs. 1 VG. 71 § 247 Abs. 2 VG. 64
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S. 2 VG das Recht, Zahlung des gesamten Leasingentgelts zu verlangen oder den Leasingvertrag zu kündigen und das Leasingobjekt zurückzunehmen. Die Pflicht des Leasingnehmers zur Zahlung der Leasingraten ist seine Hauptleistungspflicht aus dem Leasingvertag,72 denn diese steht im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Besitz- und Gebrauchsüberlassung des Leasingobjekts durch den Leasinggeber. Nach den allgemeinen Vorschriften im Vertragsrecht zur Beendigung von Verträgen und der Haftung bei Vertragsverletzung kann eine Partei bei Verletzung der Hauptleistungspflicht durch die andere Partei den Vertrag auflösen (§ 94 Nr. 3 VG). Eine Partei hat aber auch die Möglichkeit, im Falle der Nichterfüllung oder der nicht vertragsgemäßen Erfüllung gemäß § 107 VG den Vertrag fortzusetzen und Schadensersatz zu verlangen. Nach diesen allgemeinen Regelungen könnte demnach der Leasinggeber, wenn der Leasingnehmer mit der Zahlung in Verzug ist und diese vertragliche Pflicht auch nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfüllt, entweder den Vertrag nach § 94 VG auflösen oder ihn fortsetzen und Schadensersatz verlangen. Die allgemeinen Regelungen des Vertragsrechts sind jedoch für den Leasingvertrag ungeeignet, da die Auflösung73 des Vertrags nach § 94 VG gemäß § 97 VG zur Folge hat, dass der aufgelöste Vertrag nicht erfüllt werden muss oder, wenn der Vertrag schon teilweise erfüllt worden ist, die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands gefordert werden kann. Die Besonderheit besteht aber beim Leasingvertrag darin, dass es sich um einen Dauerschuldverhältnis74 handelt und daher die Regelungen nach §§ 94, 97 VG zur Auflösung des Vertrags nicht passen, da der Vertrag bis zur Kündigung existent war.75 Da die Zahlung der Leasingraten durch den Leasingnehmer gleichzeitig auch das wesentliche Ziel des Leasinggebers ist,76 hat der Leasinggeber kein Interesse an einer Auflösung des Vertrags, die mit einer Rückzahlung der bereits erhaltenen Leasingraten verbunden wäre. Aus diesem Grund regelt § 248 S. 2 VG, dass der Leasinggeber das Recht hat, Zahlung des gesamten Leasingentgelts zu verlangen oder den Leasingvertrag zu kündigen und das Leasingobjekt zurückzunehmen, wenn der Leasingnehmer mit einer Leasingrate in Verzug ist und auch innerhalb einer angemessenen Frist nicht zahlt. Nach dieser Regelung steht dem Leasinggeber also ein Wahlrecht hinsichtlich der beiden Ansprüche zu.
72
), Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 23; X. Xi ( (Verständnis und Anwendung der justiziellen Auslegung des Obersten Volksgerichts zum Leasingvertrag) (Beijing 2014), 289. 73 Das chinesische Zivilrecht unterscheidet nicht für die Beendigung von Dauerschuldverhältnissen und anderen Verträgen nach Kündigung und Rücktritt. 74 s. hierzu Han, Vertragsrechtslehre (Fn. 37), 468. 75 Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 24. 76 Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 110.
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Das Oberste Volksgericht berücksichtigt in seiner Auslegung allerdings noch eine weitere Möglichkeit des Leasinggebers, auf den Zahlungsverzug des Leasingnehmers zu reagieren, denn nach § 20 OVG-LV-Auslegung kann der Leasinggeber vom Leasingnehmer gemäß der vertraglichen Vereinbarung die Zahlung von Verzugszinsen und einer entsprechenden Vertragsstrafe verlangen, wenn der Leasingnehmer seine Zahlungspflicht bei Fälligkeit nicht erfüllt oder mit anderen Zahlungspflichten77 in Verzug ist. 1. Der Anspruch des Leasinggebers auf Verzugszinsen und Vertragsstrafe Der Anspruch des Leasinggebers auf eine Vertragsstrafe setzt eine entsprechende vertragliche Vereinbarung voraus. Mit dieser vom Obersten Volksgericht in § 20 OVG-LV-Auslegung ausdrücklich genannten weiteren Möglichkeit soll der Vertragsfreiheit78 Rechnung getragen werden.79 Eine Vertragsstrafe kann nach den allgemeinen Regelungen des Vertragsrechts von den Parteien eines Vertrags für die Verletzung einer Vertragspflicht festgelegt werden.80 Sie dient dazu, einen durch die Vertragsverletzung zu erwartenden Schaden pauschal zu kompensieren.81 Die Vertragsstrafe wird in drei Arten unterteilt: Vertragsstrafe für Nichterfüllung, für nicht fristgerechte Erfüllung und für Schlechterfüllung.82 Wird eine Vertragsstrafe für die nicht fristgerechte Erfüllung vereinbart, bleibt auch im Fall ihrer Verwirkung die Pflicht zur Erfüllung der Vertragspflicht bestehen.83 Mit dieser Auslegung stellt das Oberste Volksgericht klar, dass der Leasinggeber unabhängig von seinem Wahlrecht nach § 248 S. 2 VG die Möglichkeit hat, bei Fortsetzung des Leasingvertrags mit einer vertraglich vereinbarten Vertragsstrafe (in pauschalierter Form) Ausgleich für den durch den Verzug entstandenen Schaden zu verlangen.
77 Dies können z. B. Bearbeitungsgebühren sein, Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 110. 78 Vgl. § 4 VG. 79 Xi, Auslegung des Obersten Volksgerichts (Fn. 72), 290; Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 111. 80 § 114 Abs. 1 VG. 81 Xi, Auslegung des Obersten Volksgerichts (Fn. 72), 289; Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 110. Ist die Vertragsstrafe erheblich niedriger oder höher als der Betrag des tatsächlich verursachten Schadens, kann eine Partei beim Volksgericht oder einem Schiedsgericht die Heraufsetzung bzw. eine angemessene Herabsetzung verlangen, § 114 Abs. 2 VG. 82 Xi, Auslegung des Obersten Volksgerichts (Fn. 72), 289. 83 § 114 Abs. 3 VG.
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2. Der Anspruch des Leasinggebers auf Zahlung des gesamten Leasingentgelts Nach der ersten Alternative des § 248 S. 2 VG hat der Leasinggeber Anspruch auf das Leasinggeld in seiner gesamten Höhe. Dieser Anspruch umfasst nicht nur die bis dahin fälligen Leasingraten, sondern auch die Leasingraten bis zum Ende der Vertragslaufzeit, und zwar unabhängig davon, ob diese schon erreicht ist.84 Zur Begründung dafür, dass der Leasinggeber nicht nur die bisher fälligen Leasingraten, sondern schon jetzt Anspruch auf sämtliche Leasingraten hat,85 wird angeführt, dass dem Leasinggeber durch den Verzug ein Schaden entstanden ist und der Leasingnehmer für seine Vertragsverletzung auch zur Verantwortung gezogen werden soll.86 Wenn der Leasingnehmer allerdings tatsächlich sämtliche Leasingraten zahlt, steht dem Leasinggeber kein Recht zu, das Leasingobjekt zurückzufordern, sondern der Leasingnehmer genießt weiterhin das Recht, das Leasingobjekt zu besitzen und zu gebrauchen.87 Dieser Anspruch des Leasinggebers hat demnach keine Auswirkung auf den Bestand des Leasingvertrags, sondern dient allein der Sicherung seines Zahlungsanspruchs. 3. Das Recht des Leasinggebers zur Auflösung des Leasingvertrags und Rückforderung des Leasingobjekts Will der Leasinggeber hingegen das Leasingobjekt zurückhaben, muss er die zweite Variante wählen. Danach hat der Leasinggeber das Recht den Vertrag aufzulösen88 und das Leasingobjekt zurückzufordern. Da der Leasingvertrag dem Leasingnehmer ein Recht zum Besitz an dem Leasingobjekt gewährt, muss der Leasingvertrag bei dieser Variante zunächst also aufgelöst werden.89 Der Auflösungsgrund ist demnach der Verzug des Leasingnehmers mit der Zahlung der Leasingraten, wenn der Leasingnehmer auch nach der Mahnung nicht innerhalb angemessener Zeit die fälligen Leasingraten zahlt. Das Oberste Volksge-
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Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 114. Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 113. 86 Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 113 f. 87 Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 114. 88 Vorliegend wird mit der Auflösung die einheitliche Terminologie im chinesischen Recht für die Beendigung von Verträgen vor Erfüllung verwendet, die nicht nach der Art des Vertrags als Dauerschuldverhältnis unterscheidet. 89 Jiang, Streitfälle zum Leasingvertrag (Fn. 18), 114. 85
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richt hat in seiner Auslegung zum Leasingvertrag diesen Auflösungsgrund seitens des Leasinggebers neben anderen ausdrücklich genannt.90 Mit der Auflösung des Leasingvertrags steht dem Leasinggeber aber ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Dies ist zwar nicht in § 248 S. 2 VG geregelt, ergibt sich aber aus der Regelung des § 97 VG im allgemeinen Teil und wird durch die Auslegung des Obersten Volksgerichts klargestellt. Zum einen bestimmt das Oberste Volksgericht ausdrücklich, dass der Leasinggeber bei Vorliegen eines Vertragsauflösungsgrundes die Auflösung und gleichzeitig die Rückgabe des Leasingobjekts und Schadensersatz fordern kann.91 Die Berechnung des Schadensersatzes richtet sich dabei nach der Eigentumsvereinbarung. Soll das Eigentum am Leasingobjekt am Ende der Laufzeit auf den Leasingnehmer übergehen, umfasst der Schadensersatz die gesamten nicht gezahlten Leasingraten abzüglich des Wertes des Leasingobjekts.92 Ist im Vertrag vereinbart, dass der Leasinggegenstand nach Ende des Leasingzeitraums Eigentum des Leasinggebers bleibt, ist im Umfang des Schadensersatzes auch den Restwert des Leasingobjekts nach Ende des Vertrags eingeschlossen.93 Hinsichtlich der Wertermittlung des Leasingobjekts ist auf die vertraglichen Vereinbarungen zurückzugreifen. Wenn aber eine der beiden Vertragsparteien der Ansicht ist, dass der tatsächliche Wert von dem vereinbarten abweicht, kann im Streitfall das Gericht einen Gutachter mit der Wertermittlung beauftragen oder das Leasingobjekt versteigern lassen.94 4. Die Ausübung des Wahlrechts Nach § 248 Abs. 2 VG kann der Leasinggeber also entweder die Zahlung sämtlicher Leasingraten oder die Vertragsauflösung mit Rückgabe des Leasingobjekts fordern. Das Oberste Volksgericht hat klargestellt, dass der Leasinggeber auch tatsächlich eine Wahl treffen muss.95 Der Leasinggeber kann demnach nicht gleichzeitig Zahlung sämtlicher Leasingraten und Auflösung des Leasingvertrags verlangen. 90 § 12 Nr. 2 OVG-LV-Auslegung. In § 11 OVG-LV-Auslegung hat das Oberste Volksgericht Auflösungsgründe aufgezählt, die sowohl vom Leasinggeber als auch vom Leasingnehmer geltend gemacht werden können. In § 12 OVG-LV-Auslegung folgen die Gründe, aus denen der Leasinggeber Auflösung des Vertrags verlangen kann. In § 13 OVG-LV-Auslegung wird für den Leasingnehmer nur der Auflösungsgrund genannt, dass der Leasinggeber es unmöglich macht, dass der Leasingnehmer Besitz und Gebrauchsüberlassung am Leasingobjekt erhält. 91 § 22 Abs. 1 OVG-LV-Auslegung. 92 § 22 Abs. 2 S. 1 OVG-LV-Auslegung. 93 § 22 Abs. 2 S. 2 OVG-LV-Auslegung. 94 § 23 Abs. 2 OVG-LV-Auslegung. 95 Nach § 21 Abs. 1 OVG-LV-Auslegung muss das Volksgericht den Leasinggeber, der sowohl Zahlung sämtlicher Leasingraten als auch die Vertragsauflösung fordert, darüber aufklären, dass er eine Wahl treffen muss.
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Hat der Leasinggeber aber von dem Leasingnehmer die Zahlung sämtlicher Leasingraten gefordert und eingeklagt und hat der Leasingnehmer auch nach Erlass des Urteils nicht gezahlt, kann der Leasinggeber dann den Leasingvertrag kündigen und das Leasingobjekt zurückfordern. Dies hat das Oberste Volksgericht ausdrücklich in § 20 Abs. 2 VG bestimmt. Mit dieser sukzessiven Geltendmachung beider Varianten wird dem Leasinggeber die Option belassen, auch noch später, aber noch vor Ablauf der Laufzeit das Leasingobjekt zurückzuverlangen.
Ein Blick auf das Berufs- und Haftungsrecht der Rechtsanwälte in der Volksrepublik China Von Antje Jungk* Die Bedeutung der Rechtsanwaltschaft und das Ansehen der Rechtsanwälte sagt viel aus über die Rechtsstaatlichkeit eines Landes. Über chinesische Rechtsanwälte hört und liest man meist nur im Zusammenhang mit der Strafverteidigung politischer Angeklagter und entsprechenden Repressalien.1 Von der Verfassung der Anwaltschaft, den Einzelheiten der Berufsausübung, dem Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist eher weniger bekannt. Einige Facetten sollen im Folgenden aufgezeigt werden.
I. Entwicklung der Anwaltschaft Während die Rechtsanwaltschaft in Deutschland und in weiten Teilen Europas im Laufe des 20. Jahrhunderts im Zuge verschiedenster politischer Entwicklungen ihre Rolle recht klar definiert hat, war die Anwaltschaft in der VR China in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts praktisch verschwunden.2 Der Berufsstand versucht erst in den letzten Jahrzehnten wieder richtig Fuß zu fassen und seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu etablieren. Faktisch gibt es eine große Bandbreite anwaltlicher Tätigkeit, von kleinen Zivilrechtsstreitigkeiten über spektakuläre Strafverteidigungen bis hin zu Unternehmenstransaktionen durch internationale Großsozietäten. Dennoch ist die Rechtsanwaltsdichte vergleichsweise immer noch äußerst gering – ca. 250.000 Rechtsanwälte im Jahr 2013;3 in Deutschland waren es ca. 160.000.
* Rechtsanwältin, Leitende Justiziarin bei der Allianz Versicherung, München. 1 So sind beispielsweise im Juli 2015 nach einer Razzia mehr als 50 Menschenrechtsanwälte verschwunden oder inhaftiert worden. 2 F. Münzel, Chinas Recht IX.5, 15.5.96/1 Anwaltsgesetz, Anm. 1. 3 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/223150/umfrage/anzahl-der-rechtsanwaelte-inchina.
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II. Anwaltliches Berufsrecht 1. Gesetzliche Grundlagen und berufsrechtliche Stellung In Deutschland kommt der Anwaltschaft eine verfassungsrechtliche Stellung zu, Rechtsanwälte gelten als Garanten des Rechtsstaats.4 Das deutsche Berufsrecht der Rechtsanwälte, im Wesentlichen geregelt in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), enthält hierzu die grundlegenden Bestimmungen. Auch in der VR China gibt es seit 1996 ein Rechtsanwaltsgesetz5 (RAG), welches die am 26. 8. 1980 verabschiedeten „Vorläufigen Anwaltsregeln der VR China“ außer Kraft setzte. Die deutsche BRAO enthält einige sehr fundamentale Regelungen: Gemäß § 1 BRAO ist der Rechtsanwalt ein „unabhängiges Organ der Rechtspflege“. Unabhängigkeit wird hier insbesondere auch als Unabhängigkeit vom Staat verstanden, die Freiheit von staatlichen Eingriffen ist verschiedentlich durch das Bundesverfassungsgericht betont worden.6 Der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege übt im freiheitlichen Rechtsstaat als berufener Berater und Vertreter der Rechtsuchenden (§ 3 Abs. 1 BRAO) neben Richtern und Staatsanwälten eine eigenständige Funktion im „Kampf um das Recht“ aus.7 Die Regelungen in der BRAO sind allerdings im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu sehen: „Der Anwalt übt einen freien Beruf aus, der staatliche Kontrolle und Bevormundung prinzipiell ausschließt.“8 Die anwaltliche Berufsausübung unter der Herrschaft des Grundgesetzes „unterliegt der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen, soweit sie nicht durch verfassungskonforme Regelungen im Sinne des Grundrechts der Berufsfreiheit beschränkt ist“.9 Das chinesische RAG macht demgegenüber deutlich, dass eine solche Unabhängigkeit vom Staat gerade nicht besteht: In § 3 Abs. 3 RAG heißt es, die anwaltliche Berufsausübung unterfällt der Kontrolle des Staates, der Gesellschaft und der Beteiligten. Nach § 4 RAG überwachen und lenken die Behörden der Justizverwaltung Anwälte, Anwaltskanzleien und Anwaltsverbände. Generell soll das Gesetz nach seinem § 1 die Rolle10 der Anwälte beim Aufbau der sozialistischen Rechtsordnung zur Entfaltung bringen. Die Anwaltschaft steht somit gerade nicht als eigenständige Säule des Rechtsstaates da. Im Gegensatz zum Richter- und Staatsanwaltsgesetz ist das RAG auch nicht „auf der Grundlage der Verfassung“ erlassen worden, woraus
4 s. dazu beispielsweise A. Krämer, Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, in: NJW 1995, 2313. 5 vom 15. 5. 1996 in der Fassung vom 26. 10. 2012. 6 Z. B. BVerfG NJW 2007, 2749, zur Telefonüberwachung eines Strafverteidigers. 7 R. Brüggemann, in: W. E. Feuerich/D. Weyland, BRAO (2016), § 1 Rn. 3. 8 BVerfGE 34, 293 (302) = NJW 1973, 696. 9 BVerfGE 50, 16 (29) = NJW 1979, 1159; BVerfGE 63, 266 = NJW 1983, 1535. 10 In der Fassung des RAG von 1996 hieß es noch die „positive“ Rolle; warum das 2012 gestrichen wurde, bleibt unklar.
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man schließen kann, dass dem Rechtsanwalt keine verfassungsrechtliche Stellung zukommt.11 Ob die Erbringung von Rechtsdienstleistungen wie in Deutschland grundsätzlich12 den Rechtsanwälten vorbehalten ist, erschließt sich aus dem RAG nicht eindeutig, § 2 lässt dies aber vermuten. Die Berufsausübung erfordert eine Erlaubnis, die bestimmte Qualifikationen voraussetzt. Neben der Ablegung der einheitlichen Justizprüfung und einer einjährigen Praxiszeit in einer Anwaltskanzlei sind dies auch die Achtung der Verfassung und generell ein „vorzügliches Benehmen“ (§ 5 RAG). 2. Selbstverwaltung der Anwaltschaft Eine Selbstverwaltung der Anwaltschaft erfolgt sowohl in Deutschland als auch in China durch die örtlichen Rechtsanwaltskammern sowie die Bundesrechtsanwalts(All China Lawyers Association ACLA). kammer bzw. die Gemäß § 62 Abs. 2 bzw. § 176 Abs. 2 BRAO führt die Landesjustizverwaltung die Staatsaufsicht über die Rechtsanwaltskammer. Diese beschränkt sich jedoch ausdrücklich darauf, dass Gesetz und Satzung beachtet, insbesondere die der Rechtsanwaltskammer übertragenen Aufgaben erfüllt werden. Vor allem für die Aufgaben und Befugnisse im Zusammenhang mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist seit dem am 01. 06. 2007 in Kraft getretenen Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft eine originäre Zuständigkeit der Rechtsanwaltskammern gegeben.13 Auch die chinesischen Rechtsanwaltskammern sind gemäß § 43 RAG Selbstverwaltungskörperschaften. In Art. 3 der Satzung der ACLA14 werden die Ziele deutlich gemacht: Führung der Kommunistischen Partei Chinas, das ,große Banner des Sozialismus chinesischer Prägung‘ hochzuhalten, Aufbau eines sozialistischen Rechtsstaats. Insbesondere wird in Art. 4 die Aufsicht und Anleitung der Justizverwaltung anerkannt. § 46 RAG zählt die wesentlichen Pflichten der Kammern auf: Sie sollen einerseits dafür sorgen, dass die Rechtsanwälte gesetzeskonform arbeiten, andererseits die gesetzmäßigen Interessen der Anwälte schützen. Sie sind zuständig für die Organisation des fachlichen Austauschs und für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Anwälten. Die Rechtsanwaltszulassung wird hingegen gemäß § 6 RAG von der staatlichen Justizverwaltung erteilt.
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N. Lamb, Die Entwicklung und heutige Stellung der Anwaltschaft in China, Frankfurt 2003, 58. 12 Das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) sieht insoweit in engem Rahmen Ausnahmen vor. 13 Anwaltsgerichtshof Hamm, Beschl. v. 21. 11. 2008 – 1 ZU 22/07. 14 In der Fassung vom 26. 12. 2011; alle Texte einsehbar über www.acla.org.cn.
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3. Berufsrechtliche Rechte und Pflichten In der BRAO sind die wesentlichen Rechte und Pflichten der Rechtsanwälte festgelegt. Gemäß § 3 Abs. 1 BRAO ist der Rechtsanwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Daneben wird der bei der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) eingerichteten Satzungsversammlung die Kompetenz verliehen, das „Nähere“ zu den vor allem in §§ 43, 43 a BRAO geregelten beruflichen Pflichten durch Satzung in einer Berufsordnung (BORA) zu bestimmen. Auch das RAG listet in Kap. IV Rechte und Pflichten der Rechtsanwälte bei ihrer Berufsausübung auf. § 29 schildert die verschiedenen Tätigkeitsbereiche als Prozessvertreter in Zivil- und Verwaltungsrechtsstreitigkeiten, als Strafverteidiger sowie als außergerichtlicher Berater. Die Satzung der ACLA enthält zu Fragen der Berufsausübung wenig. Diese sind vielmehr in einem separaten Verhaltenskodex niedergelegt. Grundlegende Pflichten wie Gesetzestreue, Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen und Verschwiegenheitspflichten finden sich auch hier. Für Verstöße gegen Berufspflichten hat die ACLA separate „Sanktionsprinzipien“ aufgestellt.15 Das schärfere Schwert scheinen indes die „Maßnahmen zur Bestrafung rechtswidrigen Verhaltens von Rechtsanwälten und Rechtsanwaltskanzleien“16 zu sein. a) Verschwiegenheit Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 43 a Abs. 2 BRAO, § 2 BORA). § 38 RAG verpflichtet zur Wahrung von Staats-, Geschäfts- und privaten Geheimnissen. In Deutschland geht die Verschwiegenheitspflicht einher mit der Beschlagnahmefreiheit gemäß § 160 Abs. 1 S. 1 StPO, die verhindert, dass der Staat auf diesem Wege die Verschwiegenheit aushebelt: Die Durchsuchung beim Strafverteidiger und Beschlagnahme von Mandantenunterlagen unter Verstoß gegen § 160 a Abs. 1 S. 1 StPO verletzt den Rechtsanwalt in Grundrechten aus Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 GG und Art. 12 Abs. 1 GG sowie den betroffenen Mandanten in seinem Recht auf effektive Verteidigung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).17 Dieses Privileg fehlt dem chinesischen Anwalt, so dass die Verschwiegenheit gegenüber dem Staat nicht in vergleichbarer Weise abgesichert ist. b) Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen Gemäß § 43 a Abs. 4 BRAO darf der Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. Das muss nicht notwendigerweise dieselbe Angelegenheit betreffen. § 3 BORA konkretisiert dies noch weiter.
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vom 18. 12. 1999. vom 8. 4. 2010.
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BVerfG AnwBl 2015, 177.
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§ 39 RAG verbietet dem Anwalt, in derselben Rechtsangelegenheit für beide Seiten gleichzeitig aufzutreten. Was dies im Einzelnen bedeutet, drückt sich vor allem in den Sanktionsvorschriften aus: Nach § 47 Nr. 3 RAG drohen Geldbuße oder bis zu drei Monaten Berufsverbot. Konkrete Beispiele nennt § 7 der „Maßnahmen zur Bestrafung rechtswidrigen Verhaltens von Rechtsanwälten und Rechtsanwaltskanzleien“.18 c) Umgang mit Fremdgeld Die dritte ganz wesentliche Anwaltspflicht ist der Umgang mit dem Mandanten oder Dritten zustehenden Geldern. § 43 a Abs. 5 BRAO verpflichtet den Anwalt zu besonderer Sorgfalt und zur Errichtung eines Anderkontos. § 4 BORA regelt die strenge Trennung der Fremdgelder vom eigenen Vermögen und macht deutlich, dass es nicht Aufgabe des Anwalts ist, Gelder über längere Zeiträume zu verwalten. Vergleichbare Regelungen finden sich im chinesischen RAG nicht, der Anwalt darf nur nicht privat Vermögenswerte des Mandanten annehmen (§ 40 Nr. 1 RAG).
III. Formen der Berufsausübung 1. Gesellschaftsformen Dem deutschen anwaltlichen Berufsrecht liegt von jeher die Vorstellung des Einzelanwalts zugrunde. Bis heute richten sich die berufsrechtlichen Vorgaben im Wesentlichen an den Rechtsanwalt als Individuum. Tatsächlich übt heutzutage der Großteil der Rechtsanwälte seinen Beruf in unterschiedlichsten Formen gemeinsam mit anderen Rechtsanwälten oder auch anderen Berufsgruppen aus. Erst allmählich findet die Rechtswirklichkeit Eingang in die gesetzlichen Regelungen. Bis Ende des 20. Jahrhunderts war eine gemeinschaftliche Berufsausübung nur in Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und unter der Voraussetzung gesamtschuldnerischer persönlicher Haftung aller Sozien zulässig. Mit der Einführung der Partnerschaftsgesellschaft und einer damit verbundenen personellen Beschränkung der Haftung für Fehler bei der Berufsausübung auf das Privatvermögen des oder der mandatsbearbeitenden Partner (§ 8 Abs. 2 PartGG) sowie – insoweit dann bahnbrechend – mit der Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung gemäß §§ 59 c ff. BRAO wurde das Tor für weitere Gesellschaftsformen der gemeinschaftlichen Berufsausübung aufgestoßen. Insbesondere die englische Limited Liability Partnership (LLP) und die im Jahr 2013 als deutsches Pendant geschaffene „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ (PartGmbB) haben sich als attraktive Rechtsformen etabliert.
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vom 8. 4. 2010.
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Dem chinesischen Berufsrecht lag von Anfang an eine andere Vorstellung zugrunde: Der Anwaltsberuf kann gemäß § 14 RAG nur in einer „Anwaltskanzlei“ ( ) ausgeübt werden. Diese muss eine Erlaubnis beantragen. Voraussetzung für die Zulassung ist gemäß § 24 RAG grundsätzlich, dass die Kanzlei einen Namen, einen Sitz und eine Satzung hat. Die Gründungsmitglieder müssen mindestens dreijährige Berufserfahrung haben und die Kanzlei muss über ein von der Justizverwaltung näher festgelegtes Vermögen verfügen. Welche Rechtsform eine solche Kanzlei hat bzw. haben muss, wird aus der gesetzlichen Regelung indes nicht klar. § 15 RAG enthält Regelungen zu einer gemeinschaftlichen Berufsausübung in einer Partnerschaft: Hier müssen mindestens drei Rechtsanwälte mit dreijähriger Berufserfahrung vorhanden sein. Die Partner haften für Verbindlichkeiten der Partnerschaft.19 Nach drei Jahren und bei einer Anzahl von mehr als 20 Anwälten dürfen Zweigniederlassungen gegründet werden, für die die Partnerschaft mithaftet (§ 19 RAG). § 16 RAG geht davon aus, dass auch ein Einzelanwalt eine Anwaltskanzlei gründen kann. Dieser muss fünf Jahre Berufserfahrung aufweisen. Er haftet „unbeschränkt“ mit seinem Privatvermögen. Unklar bleibt insoweit, ob es einen Unterschied zur Partnerschaft gibt, bei der die Partner ebenfalls „haften“. Schließlich gibt es noch die staatlich finanzierten Anwaltskanzleien (§ 20 RAG): Diese haften für die Verbindlichkeiten mit dem Gesellschaftsvermögen, sind also Berufsausübungsgesellschaften mit beschränkter Haftung. Privat finanzierte Rechtsanwaltsgesellschaften mit beschränkter Haftung scheint es hingegen nicht zu geben. 2. Interprofessionelle Zusammenarbeit Die gemeinschaftliche Berufsausübung mit anderen Berufsgruppen ist in Deutschland bislang nach § 59 a BRAO auf die Zusammenarbeit mit Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Patentanwälten beschränkt. Insbesondere im Hinblick auf europarechtliche Vorgaben, aber auch aufgrund eines sich wandelnden Berufsbildes und Beratungsbedarfs wird sich dies voraussichtlich in näherer Zukunft ändern. Nach dem Vorlagebeschluss des BGH20, bei dem es um eine Partnerschaftsgesellschaft zwischen Rechtsanwalt und Arzt/Apotheker ging, hat das Bundesverfassungsgericht unlängst21 entschieden, dass das Sozietätsverbot des § 59 a BRAO jedenfalls insoweit gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit verstößt. Inwieweit multidisziplinäre Kanzleien in China zulässig sind, ist so klar nicht erkennbar. Das RAG sieht eine solche Zusammenarbeit nicht vor. Gerade bei den internationalen Großsozietäten wird aber auch für die chinesischen Standorte oft mit einem multidisziplinären Team geworben, so dass sie in der Praxis wohl als zulässig 19
Näher dazu Z. Li/N. George, Freiberuflergesellschaften in China, in: NZG 2014, 1011. NJW 2013, 2674. 21 NJW 2016, 700.
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angesehen werden. Welche Berufsgruppen dies im Einzelnen sind, erschließt sich nicht.
IV. Berufshaftung 1. Grundsätze der zivilrechtlichen Haftung Für die Haftung des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten sind grundsätzlich sowohl deliktsrechtliche als auch vertragliche Anspruchsgrundlagen denkbar. Nach deutschem Recht besteht grundsätzlich Anspruchskonkurrenz zwischen der deliktischen Haftung nach § 823 bzw. § 826 BGB und der vertraglichen Haftung wegen Schlechtleistung nach § 280 BGB. Aus berufsrechtlichen Vorschriften kann der Mandant nach deutschem Recht bis auf wenige Ausnahmen keine Ansprüche herleiten. Zu nennen wären hier allenfalls ein (vorvertraglicher) Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Mandatsablehnung (§ 44 BRAO), wegen fehlenden Hinweises auf die Abrechnung nach gesetzlichen Gebühren (§ 49 b Abs. 5 BRAO) oder der Anspruch auf Herausgabe der Handakte, der sich aus § 50 BRAO herleitet.22 Im Übrigen ergeben sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten aber aus dem Mandatsverhältnis, das ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag ist. In Ermangelung spezifischer gesetzlicher Bestimmungen zum Anwaltsvertrag muss die umfangreiche Rechtsprechung dazu herangezogen werden. In China wendet sich der Blick hier, wie generell im Zivilrecht, auch auf das japanische und das deutsche Recht.23 Das chinesische RAG enthält einen ganzen Abschnitt über die Haftung (Kap. 7). Dort geht es aber im Wesentlichen um disziplinarische Maßnahmen in bestimmten Fällen des Fehlverhaltens. Die Einzelheiten regelt zusätzlich ein entsprechendes Ausführungsgesetz.24 Die Haftung gegenüber dem Mandanten wird nur in einem einzigen Paragrafen angesprochen. § 54 RAG (§ 49 RAG a. F.) bestimmt: „Übt ein Anwalt rechtswidrig seinen Beruf aus oder verursacht er durch fehlerhaftes Verhalten bei der Partei einen Schaden, so haftet die Anwaltskanzlei, für die er tätig wird, auf Schadensersatz. Wenn die Anwaltssozietät Ersatz geleistet hat, kann sie von einem Anwalt, der vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, Erstattung verlangen.“
§ 54 RAG unterstellt die Haftung, differenziert aber nicht danach, woraus sich diese Haftung ergibt. Es stellt sich die Frage, ob diese Vorschrift nur das Innenverhältnis zwischen Kanzlei und handelndem Anwalt regelt oder ob sie eine Anspruchsgrundlage des Mandanten gegenüber seinem Vertragspartner darstellt. Beispielswei22
BGH, NJW-RR 2015, 186 = AnwBl 2015, 178 = BRAK-Mitt. 2015, 39. (Untersuchung über die SchadenserSo z. B. M. Qu, satzpflicht des Rechtsanwalts), (Rechtswissenschaft) 1999, 85 ff. 24 (Strafmaßnahmen gegen rechtswidriges Verhalten von Rechtsanwälten oder Rechtsanwaltskanzleien) vom 8. 4. 2010. 23
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se im Fall Shandong Tianda Yaoye Ltd. vs. Hainan Ruilai Rechtsanwaltskanzlei25 wurde der seinerzeitige § 49 RAG (jetzt § 54 RAG) für einen Schadensersatzanspruch wegen Verzögerungen durch Nichtvorlage einer Vollmacht herangezogen. Im Fall Li Fuchang vs. Jiangxi Guoxing Rechtsanwaltskanzlei26 wurde § 66 ) – die Haftung Abs. 2 der „Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“ ( des Vollmachtnehmers – neben den § 49 RAG (a. F.) gestellt, ebenso im Fall Cheng Gang gegen eine Shanghaier Kanzlei27, wo § 406 des Vertragsgesetzes der ) mit § 54 RAG als Anspruchsgrundlage herangezogen wird. VR China ( Die zivilrechtliche Haftung trifft grundsätzlich auch den Strafverteidiger. Allerdings tritt – in Ansehung des Amtsermittlungsgrundsatzes – nur ganz ausnahmsweise ein kausaler Schaden im Rechtssinne ein. Dass auch Strafverteidiger zivilrechtlich haften, versteht sich nicht von selbst und wurde auch in China diskutiert. Die Haftung wird mittlerweile aber wohl bejaht und geht möglicherweise über die Haftung für Vermögensschäden hinaus; zumindest wird eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen sowie ein an das amerikanische System angelehnter Strafschadensersatz diskutiert.28 2. Zivilrechtliche Haftung der Kanzlei und der einzelnen Rechtsanwälte Eine zivilrechtliche Haftung des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten wird sich in aller Regel aus dem Mandatsverhältnis ableiten. Zu denken ist aber auch an deliktische und andere außervertragliche Ansprüche. Dabei kommt entweder der einzelne Anwalt oder die Kanzlei als Haftungssubjekt in Betracht. In Deutschland herrschte ursprünglich die Vorstellung, dass immer der einzelne Rechtsanwalt Partei des Anwaltsvertrages ist, gegebenenfalls seine Sozien mitverpflichtet. Heute geht man aber auch bei Kanzleien in Form einer Personengesellschaft regelmäßig davon aus, dass der Mandatsvertrag mit der Sozietät abgeschlossen wird. Eine persönliche Haftung der einzelnen Anwälte als Gesellschafter richtet sich dann ausschließlich nach dem gesellschaftsrechtlichen Haftungskonzept. Nach chinesischem Recht ist immer ausschließlich die Anwaltskanzlei Vertragspartner und damit auch Haftungssubjekt. Ausnahmsweise kann jedoch auch ein Einzelmandat mit nur einem der Rechtsanwälte der Sozietät geschlossen werden. In diesem Fall haftet auch nur dieser eine Anwalt. Ein solches Tätigwerden außerhalb der Kanzlei wandte die Beklagte – eine gewisse Shanghaier Kanzlei – gegenüber dem klägerischen Mandanten, einem gewis25
148 , Urt. v. 21. 6. 2001. (2001) (2006) 141 , Urt. v. 27. 6. 2006. 27 (2009) ( ) 1804 , Urt. v. 27. 10. 2009. 28 J. Wu, (Diskussion über die Rechtfertigung der zivilrechtlichen Verantwortung des Rechtsanwalts), in: (Kommentare rund um das Recht) 2012, 82. 26
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sen Huang, ein.29 Der dort tätige Anwalt Lu hatte 10.000 Yuan Vorschuss vom Mandanten eingenommen, war dann aber nicht bei Gericht erschienen. 3. Vertragliche Haftung a) Mandatsvertrag Das Haftungsrecht der Rechtsanwälte in Deutschland lässt sich im Wesentlichen aus der dazu ergangenen Rechtsprechung entnehmen. Das BGB (§§ 675, 280) besagt dazu wenig Konkretes, eine Haftung erfordert eine schuldhafte Verletzung des Anwaltsvertrages sowie einen hierdurch verursachten Schaden. Welche Pflichten dem Anwalt im Einzelfall obliegen und welcher Verschuldensmaßstab zugrunde zu legen ist, ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Die Rechtsprechung zur Anwaltshaftung ist indes vielfältig und gibt zu fast allen auftauchenden Konstellationen eine Richtschnur vor. Spezifische Regelungen über den Anwaltsvertrag finden sich auch im chinesischen Zivilrecht nicht. Der Vertrag wird ebenfalls als Dienstleistungserbringung eingeordnet. Die zivilrechtliche Haftung in China unterscheidet sich dabei offenbar nicht so wesentlich von den deutschen Grundsätzen. Die Tatbestandsvoraussetzungen Pflichtverletzung, Verschulden, Schaden und Kausalzusammenhang müssen ebenfalls vorliegen.30 In der Literatur wird vor allem über den Haftungsmaßstab diskutiert, insbesondere unter dem Aspekt der „Expertenhaftung“. Ausgangspunkt dieser Diskussion ist die Frage, ob der Mandant, der einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt, von diesem besondere Sorgfalt erwarten darf. Dies wird auch in der Rechtsprechung ausdrücklich so bestätigt, beispielweise im schon erwähnten Urteil Cheng Gang31, wo es heißt, dass sich der Kläger der Anwälte ja gerade mit dem Ziel bedient hatte, professionelle Hilfe bei der Formulierung einer Hypothekenschuld zu bekommen. b) Anwaltliche Pflichtverletzungen Voraussetzung für einen vertraglichen Anspruch des Mandanten gegen die Kanzlei ist zunächst einmal eine anwaltliche Pflichtverletzung. Welche Pflichten dies im Einzelnen sind, ergibt sich jeweils aus dem Inhalt des Mandatsvertrages. So muss der Anwalt beispielsweise für den Mandanten sicherstellen, dass dessen Rechtshandlungen auch wirksam sind. So nahm in einem vielfach zitierten Fall Wang Baofu die Sanxin-Kanzlei in Anspruch, weil das Testament, in dem er zum Erben 29
( ) 4499 , Urt. v. 1. 12. 2012. (2011) Vgl. beispielsweise G. Li, (Einige Fragen zum System der Berufshaftung des Rechtsanwalts), in: (Chinesische Rechtswissenschaft) 2000 Heft 2, 150 (155). 31 (2009) ( ) 1804 , Urt. v. 27. 10. 2009. 30
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eingesetzt war, trotz Bezeugung durch die beiden Anwälte („Zwei-Zeugen-Testament“) als unwirksam angesehen wurde.32 Bei der Prozessführung besteht die wesentliche Aufgabe darin, das Gericht bestmöglich von der Rechtsposition des Mandanten zu überzeugen. Im Fall Li Fuchang vs. Jiangxi Guoxing Kanzlei33 stützte das Gericht die Haftung der Kanzlei auf eine Verletzung des § 26 RAG, weil der Anwalt unzureichend im Prozess vorgetragen hatte. Die Kanzlei sollte danach gemäß § 49 RAG (a. F.) haften. Schlechter Prozessvortrag wurde dem Anwalt auch im Fall Xu Zhenpei vs. Kanzlei Fujian Dehua Daiyun34 vorgeworfen. c) Verschuldensmaßstab Eine anwaltliche Pflichtverletzung indiziert im Prinzip, dass diese schuldhaft begangen wurde. Nach deutschem Recht erlegt § 280 Abs. 1 S. 2 BGB dem Anwalt die Beweislast dafür auf, dass ihn ausnahmsweise kein Verschulden trifft. Zur Haftung führt auch schon eine nur einfach fahrlässige Pflichtverletzung. Nicht so einfach zu beantworten ist im Einzelfall die Frage, ob den Anwalt überhaupt ein Verschulden trifft. Die deutsche Rechtsprechung legt hier generell gegenüber dem Anwalt einen sehr strengen Maßstab an. In China wird der Verschuldensmaßstab unter dem Stichwort „Expertenhaftung“ diskutiert. Der Mandant beauftragt den Rechtsanwalt gerade deshalb, weil er mit der Wahrnehmung seiner Interessen selbst überfordert ist. Der Anwalt ist also Experte ( ), an dessen Tätigkeit besondere Qualitätsanforderungen gestellt werden. Dabei wird beispielsweise differenziert zwischen der Haftung eines normalen Fachmannes und derjenigen eines Experten.35 Was jedoch die Konsequenzen sind, liegt eher im Unklaren; die dogmatische Durchdringung der Problematik steht noch aus.36 Klar scheint zu sein, dass die Expertenhaftung keine verschuldensunabhängige Haftung ist. Daraus, dass der Experte in der Regel eine Dienstleistung erbringt und keinen Erfolg schuldet, wird zum Teil abgeleitet, dass er auch nicht automatisch die größtmögliche Sorgfalt zu erbringen hat. Diese ergebe sich vielmehr aus den konkreten vertraglichen Vereinbarungen.37 Dennoch wird ihm meist eine „überdurchschnittliche“ Sorgfalt abverlangt.38
32
– CLI.C.67377, Urt. v. 1. 12. 2004. (2006) 141 , Urt. v. 27. 6. 2006. 34 (2004) 1538 , Urt. v. 5. 11. 2004. 35 Y. Liu, „ “ (Einige allgemeine Grundsatzfragen zur Expertenhaftung), in: (Studium der Rechtsvergleichung) 2005, Heft 5, 139 (142). 36 Y. Liu (Fn. 35), S. 146. 37 L. Zhao, (Analyse der Haftung für Expertengutachten), in: (Sozialwissenschaften in Ningxia) 2007, Nr. 2, 21 (23). 38 Siehe beispielsweise X. Tang, (Über die Anerkennung eines Expertenfehlers in der zivilrechtlichen Expertenhaftung), in: (Wissenschaftliche Forschung) 2005, 66. 33
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d) Schadenskausalität Die Haftung setzt des Weiteren auch die Kausalität der Pflichtverletzung für den behaupteten Schaden voraus: Im Fall Sun vs. Shanghaier Anwaltskanzlei39 war der Mandant in einem Unfallschadensfall mit einer Mitverschuldensquote von 70 % verurteilt worden. Die Berufungsfrist wurde von der Kanzlei versäumt. Sun stellte sich auf den Standpunkt, er hafte allenfalls zu 10 %, und verlangte den Differenzbetrag von 60 % im Wege des Schadensersatzes. Die Kanzlei machte geltend, auch in der Berufungsinstanz wäre kein günstigeres Ergebnis erzielt worden, ein kausaler Schaden war danach abzulehnen. Diese Argumentation entspricht den Kausalitätserwägungen im deutschen Recht. Auch die Unwirksamkeit eines Testaments führte wegen fehlender Kausalität nicht zur Haftung der Nanpu-Kanzlei gegenüber Jin, da diese nicht beweisen konnte, dass der Erblasser sie in einem wirksamen Testament bedacht hätte.40 4. Rückzahlung der Anwaltsgebühren Nicht nur in Deutschland streiten sich die Parteien des Mandatsvertrages des Öfteren über die Angemessenheit oder Rückzahlung von Gebühren. Dabei kann der Gebührenrückzahlungsanspruch Teil eines Schadensersatzanspruchs sein, zum Beispiel wenn ohne den Anwaltsfehler die Gebühren nicht oder nicht voller Höhe entstanden wären oder von Dritten hätten erstattet werden können. Oft ist Auslöser des Rückforderungsanspruchs aber die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant. Nach § 628 Abs. 1 S. 1 BGB erhält der Anwalt die Gebühren, für die er die Leistung bis zur Mandatsbeendigung erbracht hat. Dies sah wohl auch das Gericht im Fall Zhao Pinxin vs. Kanzlei Guangdong Bohao41 so; dort war das Vertrauensverhältnis zerstört, da der Mandant absichtlich Informationen zurückgehalten und den Anwalt belogen hatte. 5. Deliktische Haftung? Nach deutschem Recht kommt eine deliktische Haftung von Rechtsanwälten nur sehr ausnahmsweise in Betracht. § 823 BGB bietet für Schadensersatzansprüche gegen Anwälte regelmäßig schon deshalb keine taugliche Anspruchsgrundlage, weil das Vermögen nicht zu den geschützten Rechtsgütern gehört. Nur im Fall einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung nach § 826 BGB oder gemäß § 823 Abs. 2 BGB kann es zu deliktischen Schadensersatzansprüchen kommen.
39
(2011) (2011) 41 (2011)
40
( ) ( )
10133 , Urt. v. 25. 5. 2011. 4 , Urt. v. 17. 1. 2011. 917 (ohne Datum).
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In der VR China ist eine deliktische Expertenhaftung diskutiert worden.42 Allerdings war das noch in der Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes über die deliktische Haftung43 am 1. 7. 2010. Dessen Verhältnis zu anderen Vorschriften ist nicht so ganz klar. Dass jedoch vertraglich begründete Rechte in § 2 Abs. 2 nicht aufgeführt werden, lässt den Schluss zu, dass das Gesetz nur absolute Rechte schützen soll44. Es kommt daher für Vermögensschäden wohl ebenfalls nicht in Betracht. 6. Dritthaftung Ob und ggf. wie eine Haftung des Anwalts gegenüber Nichtmandanten konstruiert werden kann, scheint noch nicht abschließend gelöst zu sein. Hier werden auch die nach deutschem Recht in Betracht kommenden Möglichkeiten eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowie eines Auskunftsvertrages mit dem Dritten diskutiert.45 Der klassische Fall eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist die Testamentsberatung.46 Hieraus leitete sich wohl auch die Haftung gegenüber dem oben erwähnten Erben Wang Baofu47 ab. Aber auch Gesellschafter oder Geschäftsführer48 können in den Schutzbereich eines Mandats mit der Gesellschaft fallen. Ein Auskunftsvertrag mit Dritten dürfte hingegen nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen, da sich dies in der Regel wegen einer möglichen Interessenkollision ausschließt. Diskutiert wird die Dritthaftung auch unter dem Aspekt der Verkehrssicherungspflichten.49 7. Rückgriff der Kanzlei beim Anwalt Haftungsansprüche können, wie schon dargelegt, nach chinesischem Recht nur gegen die Kanzlei geltend gemacht werden. Die Inanspruchnahme des handelnden Anwalts selbst kann nur im Regresswege erfolgen. Die Rechtsgrundlage dafür bietet grundsätzlich wieder § 54 RAG. Im Fall eines gewissen Wang50 wurden diese Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag hergeleitet: Der Anwalt hatte behauptetermaßen 42 (Die deliktische Haftung von ExZ. B. M. Zhang, perten für ihre Fehler), in: (Rechtswissenschaftliche Kommentare) 2002, Heft 6, 144 f. 43 . 44 J. Binding, Das Gesetz der VR China über die deliktische Haftung (Berlin 2012), 29. 45 Y. Zhou, (Standards und spezielle Haftung von Experten gegenüber Dritten), in: (Rechtswissenschaft heute) 2013, 98 ff. 46 St. Rspr., z. B. BGH NJW 1995, 2551. 47 – CLI.C.67377, Urt. v. 1. 12. 2004. 48 BGH NJW 2000, 725; BGH NJW 2012, 2165. 49 Q. Wang, (Diskussion über die Etablierung eines Systems der Haftung von Experten gegenüber Dritten), in: (Demokratie und Recht) 2008, 146. 50 (2011) ( ) 2426 , Urt. v. 18. 8. 2011.
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wiederholt gegen Vorschriften des RAG verstoßen. Die Kanzlei musste einem Mandanten Chen einen Betrag von 30.000 Yuan erstatten, die sie von Wang zurückforderte.
V. Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung Die zum Teil enormen Haftungsrisiken, die mit der anwaltlichen Tätigkeit verbunden sind, legen den Wunsch nach Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten nahe. Neben den soeben schon beschriebenen Haftungsbegrenzungen durch Wahl einer entsprechenden Gesellschaftsform ist nach deutschem Recht in gewissem Rahmen auch eine Haftungsbeschränkung durch Vereinbarung mit dem Mandanten möglich und zulässig. Die Einzelheiten regelt das Berufsrecht, konkret § 52 BRAO. Danach kann zum einen die persönliche Haftung auf den oder die sachbearbeitenden Anwälte beschränkt werden; insbesondere besteht aber auch die Möglichkeit einer Haftungsbegrenzung der Höhe nach. Im Fall einer Individualvereinbarung kann die Haftung auf die Höhe der Mindestversicherungssumme beschränkt werden, dies sind gemäß § 51 BRAO 250.000 EUR. Durch Formularvereinbarungen ist eine Beschränkung immerhin noch auf das Vierfache, also 1 Million EUR, möglich. Das chinesische RAG sah in seinem ursprünglichen § 49 Abs. 2 vor, dass die zivilrechtliche Haftung der Anwaltskanzleien weder ausgeschlossen noch beschränkt werden kann. Diese Vorschrift findet sich in der heutigen Gesetzesfassung allerdings nicht mehr, so dass von der Zulässigkeit einer Haftungsbeschränkungsvereinbarung ausgegangen werden kann. § 53 Nr. 2 des Vertragsgesetzes51 verbietet jedoch einen Haftungsausschluss für vorsätzliche und grob fahrlässig verursachte Vermögensschäden.
VI. Berufshaftpflichtversicherung Den womöglich existenzbedrohenden Folgen eines anwaltlichen Berufsfehlers wird in Deutschland auch dadurch Rechnung getragen, dass die Pflicht besteht, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Diese soll sowohl dem Mandanten ein gewisses Haftungsvermögen garantieren, andererseits aber auch den Anwalt davor schützen, dass durch einen Fehler im Fall der persönlichen Haftung seine gesamte wirtschaftliche Existenz vernichtet wird. § 51 BRAO legt als Mindestversicherungssumme einen Betrag von 250.000 EUR fest. Das individuelle Haftungsrisiko unter Berücksichtigung der jeweiligen Mandatsstruktur führt jedoch bei den meisten Anwälten zu einer höheren Versicherung.
51
Vertragsgesetz der VR China (
) vom 15. 3. 1999.
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Obwohl die Berufshaftpflichtversicherung schon seit langem diskutiert wird,52 ist keine Pflichtversicherung im chinesischen RAG vorgesehen. Einzelne örtliche Anwaltskammern scheinen aber eine Versicherungspflicht vorzuschreiben53 bzw. entsprechende Gruppenversicherungen zu unterhalten. „Irgendeine“ Berufshaftpflichtversicherung, jedoch ohne festgelegte Mindestversicherungssumme, wird anscheinend gefordert.54 Über die Eintrittspflicht im Einzelfall kam es auch bereits schon zu gerichtlichen Entscheidungen. Im Fall Kanzlei Shanghai Jingye vs. Pingan Versicherung55 wurde beispielsweise darüber gestritten, ob die Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, die seitens der Shanghai Bar Association als Gruppenversicherung für alle Shanghaier Rechtsanwaltskanzleien abgeschlossen war, für Schadensersatzansprüche eines Mandanten gegen die Kanzlei wegen Verjährenlassens einer Forderung eintreten musste. Die Versicherungssumme je Schadensfall betrugimmerhin 6 Mio. Yuan. Wie bei allen deutschen Versicherern war auch dort ein Selbstbehalt vorgesehen, der sich auf 5 % der Versicherungsleistung, maximal 100.000 Yuan belief.
VII. Ausblick Globalisierung findet auch auf dem Anwaltsmarkt statt. Viele Großkanzleien sind rund um die Erde tätig. Diese Entwicklung bringt es mit sich, dass auch das Berufsund vor allem das Haftungsrecht grenzüberschreitend gesehen werden müssen. Auch hier müssen die Chinesen sich im Spagat üben: Die Anwaltskanzleien, die interessant sind, weil sie helfen, die Wirtschaft in Gang zu halten, die Steuern zahlen und sich ansonsten nicht in politische Fragen einmischen, scheinen weitgehende Freiheit zu genießen. Die zivilrechtliche Haftung für Anwaltsfehler ist mit der deutschen Rechtslage vergleichbar. In ihrer Berufsausübung hingegen stehen insbesondere die eher national tätigen Anwälte, die in politisch brisanten Bereichen tätig sind, unter Beobachtung und werden mithilfe der berufsrechtlichen Vorgaben an der kurzen Leine gehalten. Von einer Rolle als „freie und unabhängige Organe der Rechtspflege“ in einem bei uns verstandenen Sinne sind die Rechtsanwälte in China noch weit entfernt.
52
Z. B. M. Qu (Fn. 23), 92. Nach N. Lamb (Fn. 11), 114, beispielsweise schon seit 2001 in Beijing. 54 Z. Li/N. George (Fn. 19), NZG 2014, 1011. 55 ( ) 195 , Urt. v. 12. 9. 2007. (2007) 53
Abhilfemaßnahmen bei Unternehmenszusammenschlüssen in der Volksrepublik China Von Friederike Rotsch und Matthias Paul*
I. Einführung Seit Inkrafttreten des „Antimonopolgesetzes der Volksrepublik China“ (hh ii) (AMG)1 am 01. 08. 2008 kommt der chinesischen Fusionskontrolle bei nationalen und internationalen2 Unternehmenszusammenschlüssen3 eine immer größere Bedeutung zu. Ein wesentlicher Aspekt sind dabei bedingte Freigaben, d. h. Freigabeentscheidungen unter Beifügung von Verpflichtungen, die gemäß § 11 Abs. 1 der „Methode zur Prüfung von Unternehmenszusammenschlüsii) (PrüfM)4 von den beteiligten Unsen“ vom 15. 07. 2009 (hh ternehmen im Prüfungsverfahren als Abhilfemaßnahmen vorgeschlagen werden und deren rechtliche und tatsächliche Auswirkungen sehr weitreichend sein können. * Die Autorin Rotsch ist Rechtsanwältin und Group General Counsel, der Autor Paul Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Senior Corporate Counsel der Merck KGaA, Darmstadt. Beide Verfasser danken Ying Yin, Rechtsanwältin, Schanghai für ihre unentbehrliche Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrages. 1 Verabschiedet am 30. 08. 2007 vom Ständigen Ausschuss des Nationalkongresses, http:// www.gov.cn/flfg/2007-08/30/content_732591.htm (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015; chinesisch-deutsche Fassung bei M. Masseli, Handbuch chinesische Fusionskontrolle (Heidelberg/New York/Dordrecht/London 2011), 273 ff. 2 Das AMG findet gemäß seinem § 2 Anwendung auf Monopolverhalten im Wirtschaftsverkehr innerhalb der Grenzen der Volksrepublik China sowie auf Monopolverhalten außerhalb der Grenzen der Volksrepublik China, soweit es die Ausschließung oder Beschränkung des Wettbewerbs auf inländischen Märkten bewirkt; dazu näher Masseli, Chinesische Fusionskontrolle (Fn. 1), 57 ff. 3 Als Zusammenschluss bezeichnet § 20 AMG die Verschmelzung von Unternehmen, den Erwerb des Kontrollrechts an einem anderen Unternehmen durch den Erwerb von Aktionärsrechten oder Vermögen durch ein Unternehmen und den vertraglichen oder sonstigen Erwerb entweder des Kontrollrechts über ein anderes Unternehmen oder der Fähigkeit, bestimmenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen auszuüben, durch ein Unternehmen. 4 Verordnung des Handelsministeriums der Volksrepublik China 2009 Nr. 12, in Kraft getreten am 01. 01. 2010, http://www.mofcom.gov.cn/aarticle/b/c/200911/20091106639247.html (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015; chinesisch-deutsche Fassung bei Masseli, Chinesische Fusionskontrolle (Fn. 1), 304 ff.
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Den rechtlichen Hintergrund für bedingte Freigaben bildet § 29 AMG: Danach kann das zuständige Antimonopolvollzugsorgan des Staatsrates, das chinesische Handelsministerium (MOFCOM),5 bei nicht untersagten,6 d. h. freigegebenen Zusammenschlüssen bestimmen, dass Verpflichtungen auferlegt werden, die einen nachteiligen Einfluss des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb mindern. Die Möglichkeiten von Abhilfemaßnahmen bzw. bedingten Freigaben entsprechen internationalem Standard.7 Für die Fusionskontrollbehörden sind sie ein Instrument, mit dem sie den Markt im Anschluss an die Transaktion in bestimmtem Umfang formen oder lenken und damit Schaden für den Wettbewerb abwenden können, ohne das jeweilige Zusammenschlussvorhaben untersagen zu müssen. Dies liegt im Einzelfall nicht nur im Interesse der beteiligten Unternehmen, sondern unter Umständen auch der Fusionskontrollbehörden, etwa wenn aus dem Zusammenschluss auch bestimmte Vorteile für den Wettbewerb resultieren.8 5 Kurz für Ministry of Commerce. Die Zuständigkeit des MOFCOM für die Fusionskontrolle ergibt sich aus Ziffer 2 (15) der „Bestimmungen über die Hauptamtspflichten, die Organisationstruktur und den Personalstellenplan des Handelsministeriums“ vom 22. 08. 2008 ii), Erlass des Staatsrates der Volksrepublik (hh China 2003 Nr. 29, http://www.gov.cn/gongbao/content/2003/content_62145.htm (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015; auszugsweise chinesisch-deutsche Fassung bei M. Masseli, Hauptamtspflichten, Organisationsstruktur und Personalstellenplan des Handelsministeriums, in: ZChinR 2009, 46 f. 6 Zu untersagen ist das Zusammenschlussvorhaben, wenn es eine den Wettbewerb ausschließende oder beschränkende Wirkung hat oder haben kann, es sei denn, dass die Unternehmen nachweisen können, dass die positiven Wettbewerbseffekte die negativen überwiegen, oder dass der Zusammenschluss im gesellschaftlichen öffentlichen Interesse liegt (§ 28 AMG). Untersagungen gab es bislang (Stand 31. 10. 2015) nur in zwei Fällen: Coca-Cola/ Huiyuan (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 22/2009 v. 18. 03. 2009, http://fldj.mofcom.gov.cn/ article/ztxx/200903/20090306108494.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), und Reedereiallianz P3 (Maersk/MSC/CMA CGM) (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 46/ 2014 v. 17. 06. 2014, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201406/20140600628586.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015). Die Reedereiallianz P3 war zuvor am 24. 03. 2014 von der Federal Maritime Commission in den USA und am 03. 06. 2014 von der EUKommission gebilligt worden. 7 s. z. B. für die EU Art. 6 Abs. 2, 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. 01. 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“) (FKVO); für die USA U.S. Department of Justice (DoJ), Antitrust Division Policy Guide to Merger Remedies (June 2011), http://www.justice.gov/sites/default/ files/atr/legacy/2011/06/17/272350.pdf (englisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015; Bureau of Competition of the Federal Trade Commission (FTC), Negotiating Merger Remedies (January 2012), https://www.ftc.gov/system/files/attachments/negotiating-merger-remedies/mer ger-remediesstmt.pdf (englisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015. 8 Denkbar sind z. B. Effizienzgewinne verbunden mit der Möglichkeit höherer Investitionen in Forschung und Entwicklung, der Erhalt eines Industriezweiges oder die Förderung der globalen Wettbewerbsfähigkeit, s. dazu A. Ezrachi/W. Han, Merger Remedies – The Chinese Experience, in: Journal of Antitrust Enforcement 2015, Ergänzungsbeitrag (Supplement Article), erstmals online veröffentlicht am 04. 06. 2015, http://antitrust.oxfordjournals.org/con tent/early/2015/06/15/jaenfo.jnv021.full.pdf, 3, 22 (englisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015.
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Das MOFCOM hat seit Inkrafttreten des AMG 25 Unternehmenszusammenschlüsse unter Beifügung von Verpflichtungen freigegeben.9 Dabei ist es mitunter deutlich von den Fusionskontrollentscheidungen in anderen bedeutenden Jurisdiktionen wie den USA oder der EU abgewichen. Die Ursachen für derartige Abweichungen können zum einen tatsächlicher Natur sein und etwa in besonderen Verhältnissen des chinesischen Marktes liegen. Zum anderen kommen aber auch rechtliche und industriepolitische Gründe in Betracht. So sind die Ziele der Tätigkeit der Antimonopolvollzugsorgane des Staatsrates nicht auf den Schutz des Wettbewerbs beschränkt, sondern umfassen etwa auch die Steigerung der Effizienz der Wirtschaftsabläufe, den Schutz des gesellschaftlichen öffentlichen Interesses und die Förderung der gesunden Entwicklung der sozialistischen Marktwirtschaft (§ 1 AMG).10 Bei der Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen hat das MOFCOM unter anderem deren Einfluss auf die volkswirtschaftliche Entwicklung zu bedenken (§ 27 Nr. 5 AMG). Diese im Vergleich mit anderen Rechtsordnungen breitere Zielsetzung kann sich im Einzelfall ebenso auf das Ergebnis der Fusionskontrollprüfung auswirken wie der Umstand, dass im Verfahren weitere Behörden zu beteiligen sind.11 Für die an einem wettbewerbsrechtliche Bedenken auslösenden Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen ist die Bedeutung der Abhilfemaßnahmen evident, hängt an ihnen doch letztlich das Wohl und Wehe der gesamten Transaktion. Werden keine für beide Seiten akzeptablen Abhilfemaßnahmen gefunden, wird der Zusammenschluss untersagt, wenn die beteiligten Unternehmen ihn nicht bereits von sich aus aufgeben. Aus diesem Grund sind für sie die Kalkulierbarkeit und Transparenz des Verfahrens wie der Entscheidungsfindung selbst essenziell. Diesbezüglich wurde in der Vergangenheit verschiedentlich Nachholbedarf konstatiert und das chinesische Fusionskontrollverfahren gelegentlich als Black Box bezeichnet.12 In jüngerer Zeit hat die Volksrepublik China allerdings verstärkte Anstrengungen unternommen, um diesen Defiziten zu begegnen. Zu nennen ist dabei neben der zu9 Stand 31. 10. 2015. s. dazu die Übersicht auf der MOFCOM-Website http://fldj.mofcom. gov.cn/article/ztxx/? (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015. 10 Näher T. Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Heidelberg, New York, Dordrecht, London 2011), 62 ff. (englisch); Masseli, Chinesische Fusionskontrolle (Fn. 1), 19 ff. 11 Ezrachi/Han, Merger Remedies (Fn. 8), 2, 7, 8; H. Gu/A. L. Foster, Substantive analysis in China’s horizontal merger control: a six-year review and beyond, in: Journal of Antitrust Enforcement 2015, Ergänzungsbeitrag (Supplement Article), erstmals online veröffentlicht am 18. 06. 2015, http://antitrust.oxfordjournals.org/content/early/2015/08/12/jaenfo.jnv019.full. pdf+html?sid=e176d816-fa5a-43b0-bc6e-b0d300517cee, 22 (englisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015. In diesem Zusammenhang wird dem MOFCOM gelegentlich vorgehalten, sich bei seinen Entscheidungen von protektionistischen Erwägungen leiten zu lassen, s. H. C. L. Ha/J. M. Hickin, China: Merger Control, in: The Asia-Pacific Antitrust Review 2015, 73 (englisch). Für eine diskriminatorische Vollzugspraxis des MOFCOM finden sich dagegen keine Anhaltspunkte, s. Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 314. 12 s. D. D. Sokol, Merger Control under China’s Anti-Monopoly Law, in: NYU Journal of Law & Business, Vol. 10, No. 1 (Fall 2013), 29 ff. (englisch); L. Ritzenhoff, Die Fusionskontrolle in China: zwischen Recht und Wirklichkeit?, in: GRUR Int. 2014, 33, 35 f.
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nehmend differenzierteren Ausgestaltung der Verpflichtungen selbst13 und der ausführlicheren Begründung der Entscheidungen14 vor allem die Einführung detaillierterer Regelungen zum Verfahren. Zuletzt sind am 05. 01. 2015 die „Bestimmungen über die Beifügung von Verpflichtungen bei Unternehmenszusammenschlüssen (Probeweise Umsetzung)“ vom 04. 12. 2014 (hh ( ) ii) (Abhilfemaßnahmen-Bestimmungen, AbhMBest)15 in Kraft getreten. Dieser Beitrag stellt den aktuellen verfahrensrechtlichen Rahmen für die Beifügung, Durchführung, Überwachung und Änderung der verschiedenen Arten von Abhilfemaßnahmen im chinesischen Fusionskontrollverfahren unter Berücksichtigung der einschlägigen Entscheidungspraxis des MOFCOM vor und geht abschließend kurz auf mögliche Sanktionen bei Verstößen gegen auferlegte Verpflichtungen ein.
II. Rechtsquellen Erste nähere Regelungen zu Abhilfemaßnahmen wurden in der PrüfM getroffen. Neben dem bereits eingangs erwähnten Vorschlagsrecht der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen (§ 11 Abs. 1 PrüfM) betreffen sie die in Betracht kommenden Verpflichtungsarten (§ 11 Abs. 2 PrüfM), die Änderung bestehender Verpflichtungen (§ 13 PrüfM) und die Überwachung ihrer Durchführung (§ 15 PrüfM). § 12 PrüfM stellt an die Abhilfemaßnahmen ferner bestimmte Anforderungen: Diese müssen geeignet sein, die den Wettbewerb ausschließende oder beschränkende Wirkung, die der Unternehmenszusammenschluss hat oder haben kann, zu beseitigen oder zu verringern.16 Zudem müssen sie realistischerweise durchführbar sein. 13 s. etwa die Entscheidungen Thermo Fisher/Life Technologies (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 3/2014 v. 15. 01. 2014, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201401/2014010046 1603.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Microsoft/Nokia (Geräte- und Servicesparte) (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 24/2014 v. 08. 04. 2014, http://fldj.mofcom. gov.cn/article/ztxx/201404/20140400542415.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015) und Merck/AZ (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 30/2014 v. 30. 04. 2014, http://fldj. mofcom.gov.cn/article/ztxx/201404/20140400569060.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015); dazu auch M. Han, Remedies under the PRC Merger Control Regime, in: American Bar Association, The Threshold, Newsletter of the Mergers & Acquisitions Committee, Vol. XIII, No. 1 (Fall 2012), 110 ff., http://www.americanbar.org/content/dam/aba/ events/international_law/2013/09/china_inside_andout/PRCMergerControlRegime.authcheck dam.pdf (englisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015; M. Gu, Annual Review of PRC AntiMonopoly Law Enforcement 2015, http://en.anjielaw.com/downloadRepository/46dbc187d36c-43b0-a839-d3d4e70bc784.pdf, 14 ff. (englisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015; Ha/ Hickin, Merger Control (Fn. 11), 71 ff.; Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 340, m.w.N.; Ezrachi/Han, Merger Remedies (Fn. 8), 5. 14 Ezrachi/Han, Merger Remedies (Fn. 8), 18. 15 MOFCOM, Verordnung Nr. 6/2014, http://www.mofcom.gov.cn/article/b/c/201412/ 20141200835207.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015. 16 s. dazu Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 315.
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Die Vorschriften der PrüfM wurden sodann durch die „Vorläufigen Bestimmungen für die Durchführung von Vermögens- und Geschäftsveräußerungen bei Unternehmenszusammenschlüssen“ vom 05. 07. 2010 (hh ii) (Vorläufige Veräußerungsbestimmungen, VorlVeräußBest) ergänzt,17 die unter anderem Regelungen zum Einsatz von Veräußerungs- und Überwachungstreuhändern (§§ 4 bis 8 VorlVeräußBest) sowie zu Anforderungen an den Käufer (§ 9 VorlVeräußBest) und Pflichten der Unternehmen (§ 12 VorlVeräußBest) bei Veräußerungen enthielten. Im Jahr 2013 veröffentlichte das MOFCOM dann einen „Konsultationsentwurf für Bestimmungen über die Beifügung von Verpflichtungen bei Unternehmensii( zusammenschlüssen“ (hh ) )18 (Entwurf 2013). Am 05. 01. 2015 sind schließlich – mit einigen inhaltlichen Änderungen gegenüber dem Entwurf 2013 – die AbhMBest in Kraft getreten und haben zugleich die VorlVeräußBest abgelöst (§ 32 AbhMBest). Ergänzt werden die AbhMBest durch die am 17. 12. 2014 veröffentlichte „Offizielle Auslegung der Bestimmungen über die Beifügung von Verpflichtungen bei Unternehmenszuhh sammenschlüssen (Probeweise Umsetzung)“ ( ( ) ii ) (Offizielle Auslegung AbhMBest).19
III. Arten von Verpflichtungen § 3 AbhMBest unterscheidet entsprechend § 11 Abs. 2 PrüfM drei Arten von Verpflichtungen, die das MOFCOM den Unternehmen auferlegen kann: Strukturauflagen, Verhaltensauflagen und gemischte, d. h. kombinierte Struktur- und Verhaltensauflagen (Hybridauflagen). 1. Strukturauflagen Als Beispiele für Strukturauflagen nennt die Vorschrift die Veräußerung von materiellen und immateriellen Vermögenswerten einschließlich geistigen Eigentums oder sonstiger einschlägiger Rechte und Interessen (Veräußerungsauflagen). Strukturauflagen sind somit einmalige Maßnahmen, die die Marktstruktur dauerhaft ver17 MOFCOM, Verordnung Nr. 41/2010, in Kraft getreten am 05. 07. 2010, http://www.mof com.gov.cn/aarticle/b/c/201007/20100707012066.html (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015; chinesisch-deutsche Fassung bei Masseli, Chinesische Fusionskontrolle (Fn. 1), 319 ff. 18 http://tfs.mofcom.gov.cn/article/as/201303/20130300068492.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015. 19 http://www.mofcom.gov.cn/article/zhengcejd/bl/201412/20141200835988.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015. Die Offizielle Auslegung AbhMBest hat lediglich Hinweisqualität und ist somit rechtlich unverbindlich.
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ändern.20 Die bedeutendste strukturelle Abhilfemaßnahme stellt die Geschäftsveräußerung dar. Sie umfasst nach der Definition in § 4 Abs. 3 AbhMBest alle Faktoren, die für Betreiber notwendig sind, um effektiv Wettbewerb auf den maßgeblichen Märkten betreiben zu können, einschließlich der Rechte und Beteiligungen des Veräußerungspflichtigen wie materieller und immaterieller Vermögenswerte, Unternehmensbeteiligungen, Schlüsselpersonal sowie Kunden- und Lieferantenverträge. Veräußertes Geschäft kann etwa ein Tochterunternehmen, eine Niederlassung oder ein Geschäftsbereich der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen sein. In Betracht kommt dabei wie in der EU und den USA21 nicht nur die Veräußerung eines bestehenden lebensfähigen und bereits selbständigen Geschäfts, sondern unter Umständen auch eines bislang unselbständigen Geschäfts, welches mit anderen Geschäften bei den beteiligten Unternehmen verbunden oder teilweise in sie integriert ist und zunächst ausgegliedert werden muss.22 Die Geschäftsveräußerung ist ihrer Natur nach besonders gut dazu geeignet, wettbewerbsrechtliche Bedenken zu beseitigen, die auf horizontalen Überschneidungen beruhen, da mit ihr eine neue wettbewerbsfähige Einheit geschaffen oder ein bestehender Wettbewerber gestärkt werden kann. In der EU dient die Geschäftsveräußerung daher hinsichtlich Wirksamkeit und Effizienz als Benchmark für andere Abhilfemaßnahmen. Die Kommission darf andere Arten von Verpflichtungen nur genehmigen, wenn die vorgeschlagene andere Abhilfemaßnahme in ihrer Wirkung einer Veräußerung zumindest gleichwertig ist.23 Eine solche Regel gilt in China nicht. Die Wahl der Verpflichtungsart richtet sich vielmehr stets nach den Umständen des Einzelfalles.24 In der chinesischen Praxis sind Strukturauflagen vergleichsweise selten. Bis heute25 wurden lediglich in 4 der 25 veröffentlichten Fälle bedingter Freigaben Strukturauflagen beigefügt.26 20 Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 316, m.w.N.; W. Zhou, Abhilfemaßnahmen in der Fusionskontrolle und Ausgleichsmaßnahmen in der Banken-Beihilfenkontrolle (Wiesbaden 2014), 130 m.w.N. 21 s. die Mitteilung der Kommission über nach der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 802/2004 der Kommission zulässige Abhilfemaßnahmen, ABl. C 267/1 v. 22. 10. 2008, Nr. 35 f.; FTC, Merger Remedies (Fn. 7), 6; DoJ, Merger Remedies Guide (Fn. 7), 9. 22 s. z. B. die Fälle Mitsubishi Rayon/Lucite (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 28/2009 v. 24. 04. 2009, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/200904/20090406198805.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015) und Glencore/Xstrata (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 20/2013 v. 16. 04. 2013, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201304/201304000 91222.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015); weitere Beispiele bei Ezrachi/ Han, Merger Remedies (Fn. 8), 15 f. 23 Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 61. 24 s. Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 318. 25 Stand 31. 10. 2015. 26 Pfizer/Wyeth (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 77/2009 v. 29. 09. 2009, http://fldj. mofcom.gov.cn/aarticle/ztxx/200909/20090906541443.html?630602094=3683028003 (chine-
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2. Verhaltensauflagen Verhaltensauflagen beschränken das künftige Marktverhalten der Unternehmen. Sie sind besonders für vertikale Zusammenschlüsse geeignet, können aber auch der Förderung des horizontalen Wettbewerbs dienen.27 Gemäß § 3 AbhMBest zählen zu den Verhaltensauflagen unter anderem die Gewährung von Zugang zu Infrastruktur einschließlich Netzen oder Plattformen, die Lizenzierung von Schlüsseltechnologien (einschließlich Patenten, Know-how oder sonstigem geistigem Eigentum) und die Beendigung von Ausschließlichkeitsvereinbarungen. Hierdurch sollen Marktzutrittsschranken gesenkt und Mitbewerbern somit der Markteintritt erleichtert werden.28 Im Allgemeinen haben Verhaltensauflagen gegenüber Strukturauflagen den Nachteil, dass sie die bestehenden wettbewerbsrechtlichen Bedenken nicht auf direkte Weise angehen. Sie sind deshalb unter Umständen weniger effektiv. Zudem sind sie gelegentlich sehr komplex und bedürfen langfristigerer Überwachung,29 was höhere Kosten verursachen kann. Andererseits gelten sie als flexibel und anpassbar, was sie besonders für schlecht prognostizierbare Marktgegebenheiten geeignet erscheinen lässt.30 In der chinesischen Praxis – anders als etwa in der EU – haben Verhaltensauflagen bislang größere Bedeutung als Strukturauflagen.31 Bis heute32 wurden in 16 der 25 veröffentlichten Fälle bedingter Freigaben Verhaltensauflagen beigefügt.33 Dabei sisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Panasonic/Sanyo (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 82/2009 v. 30. 10. 2009, http://fldj.mofcom.gov.cn/aarticle/ztxx/200910/20091006593175. html?3096394094=3683028003 (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Alpha V/ Savio (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 73/2011 v. 31. 10. 2011, http://fldj.mofcom.gov.cn/aar ticle/zcfb/201111/20111107809156.html?311310702=3683028003 (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015) und UTC/Goodrich (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 35/2012 v. 15. 06. 2012, http://fldj.mofcom.gov.cn/aarticle/ztxx/201206/20120608181083.html?22071361 10=3683028003 (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015). 27 s. Han, Remedies (Fn. 13), 96, 105; Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 317; FTC, Merger Remedies (Fn. 7), 5; DoJ, Merger Remedies Guide (Fn. 7), 5. 28 Vgl. für die EU: Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 62 ff. 29 s. Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 318, 340. 30 s. Ezrachi/Han, Merger Remedies (Fn. 8), 6 f. 31 s. Zhou, Abhilfemaßnahmen (Fn. 20), 148 m.w.N.; Ezrachi/Han, Merger Remedies (Fn. 8), 6; Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 317. 32 Stand 31. 10. 2015. 33 InBev/Anheuser-Busch (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 95/2008 v. 18. 11. 2008, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/200811/20081105899216.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Novartis/Alcon (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 53/2010 v. 13. 08. 2010, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201008/20100807080639.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Uralkali/Silvinit (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 33/2011 v. 02. 06. 2011, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201106/20110607583288. shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Seagate/Samsung (Festplattensparte) (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 90/2011 v. 12. 12. 2011, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ ztxx/201112/20111207874274.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Ma-
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wurden alle in § 3 AbhMBest explizit genannten Verhaltensauflagen auch bereits in der Praxis Entscheidungen beigefügt.34 Auch eine Reihe weiterer Verhaltensauflagen kam in der Praxis bereits zum Tragen, namentlich das Verbot der Erhöhung des Anteilsbesitzes an einem Unternehmen,35 Lieferverpflichtungen bestimmter Produkte für den chinesischen Markt,36 die substantielle Änderung des gegenwärtigen Geschäftsmodells,37 Preisbegrenzungen38 oder das Verbot, den Vertrieb von Produkten in bestimmter Weise zu bündeln.39 Außerdem wurden Verpflichtungen auferlegt, das MOFCOM über Änderungen beim Aktienbesitz zu informieren40 und die FRAND41Grundsätze einzuhalten.42 rubeni/Gavilon (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 22/2013 v. 23. 04. 2013, http://fldj.mofcom. gov.cn/article/ztxx/201304/20130400100376.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), MediaTek/MStar (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 61/2013 v. 27. 08. 2013, http://fldj. mofcom.gov.cn/article/ztxx/201308/20130800269821.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), General Motors/Delphi (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 76/2009 v. 28. 09. 2009, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/200909/20090906540211.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), GE China/Shenhua (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 74/2011 v. 10. 11. 2011, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201111/20111107855595. shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Henkel Hongkong/Tiande (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 6/2012 v. 09. 02. 2012, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/ 201202/20120207960466.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Google/ Motorola Mobility (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 25/2012 v. 19. 05. 2012, http://fldj.mof com.gov.cn/article/ztxx/201205/20120508134324.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), ARM/Gemalto/Giesecke&Devrient (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 87/2012 v. 06. 12. 2012, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201212/20121208469841.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Microsoft/Nokia (Geräte- und Servicesparte) (Fn. 13), Corun/Toyota China/PEVE/New Source/Toyota Tsusho (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 49/2014 v. 02. 07. 2014, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201407/2014 0700648291.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Walmart/Newheight (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 49/2012 v. 13. 08. 2012, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ ztxx/201303/20130300058730.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Merck/ AZ (Fn. 13) und Nokia/Alcatel-Lucent (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 44/2015 v. 19. 10. 2015, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201510/20151001139743.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015). 34 So musste beispielsweise Google nach der bedingten Freigabeentscheidung in Google/ Motorola Mobility (Fn. 33) die Android-Plattform kostenlos und auf Open-Source-Basis zur Verfügung stellen, Microsoft wurde in der bedingten Freigabeentscheidung Microsoft/Nokia (Geräte- und Servicesparte) (Fn. 13) zur Lizenzierung von Schlüsseltechnologien verpflichtet und Novartis musste nach der bedingten Freigabeentscheidung in Novartis/Alcon einen Liefervertrag beenden (Fn. 33). 35 InBev/Anheuser-Busch (Fn. 33). 36 Uralkali/Silvinit, (Fn. 33). 37 Novartis/Alcon (Fn. 33). 38 Uralkali/Silvinit, (Fn. 33). 39 Z. B. Merck/AZ (Fn. 13). 40 InBev/Anheuser-Busch (Fn. 33). 41 Fair, Reasonable, and Non-Discriminatory (fair, vernünftig und diskriminierungsfrei). 42 Z. B. Henkel Hongkong/Tiande (Fn. 33), Google/Motorola Mobility (Fn. 33) und Nokia/ Alcatel-Lucent (Fn. 33).
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Eine Besonderheit der chinesischen Fusionskontrolle sind sogenannte langfristige Hold-Separate-Verpflichtungen. Zwar gibt es auch etwa im europäischen und USamerikanischen Fusionskontrollrecht Hold-Separate-Verpflichtungen. Diese sind aber kurzfristig und dienen lediglich dem Erhalt der Lebensfähigkeit des veräußerten Geschäfts in der Übergangszeit und somit letztlich der erfolgreichen Umsetzung von Veräußerungsauflagen.43 Die hier in Rede stehenden langfristigen Hold-SeparateVerpflichtungen zielen hingegen auf den Erhalt der bestehenden Marktstrukturen ab, indem die beteiligten Unternehmen verpflichtet werden, ihre Schlüsselfunktionen und/oder Geschäfte auch nach der Transaktion für einen längeren Zeitraum zumindest faktisch und ggf. auch rechtlich voneinander getrennt zu halten. In der Praxis wird zunächst ein Mindestzeitraum von in der Regel ein bis drei Jahren bestimmt, nach dessen Ablauf das MOFCOM dann entscheidet, ob es den vollständigen Vollzug des Zusammenschlusses gestattet. Langfristige Hold-Separate-Verpflichtungen wurden bislang in vier Fällen Prüfungsentscheidungen des MOFCOM beigefügt.44 Sie weisen allerdings verschiedene Nachteile auf: Da sie die Übernahme der Kontrolle durch den Erwerber ausschließen, ist auch eine Integration im fusionierten Unternehmen zunächst nicht möglich und Synergien können nicht gehoben werden. Insoweit haben langfristige Hold-Separate-Verpflichtungen faktisch die Wirkung einer Untersagungsentscheidung.45 Zugleich besteht aber die Gefahr andauernder Marktunsicherheit, da ungewiss ist, ob und ggf. wann das MOFCOM den vollständigen Vollzug des Zusammenschlusses gestatten wird. Hinzu kommt schließlich, dass eine derart langfristig angelegte Verhaltensauflage mit einem erheblichen Überwachungsaufwand verbunden ist. Das MOFCOM hat deshalb vor dem Hintergrund entsprechender Kritik46 erkennen lassen, von der „experimentellen Abhilfemaßnahme“ der langfristigen Hold-Separate-Verpflichtung nur zurückhaltend Gebrauch machen zu wollen.47
43 s. dazu: Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 45, 108 ff.; FTC, Merger Remedies (Fn. 7), 16 ff.; DoJ, Merger Remedies Guide (Fn. 7), 25 f. 44 Seagate/Samsung (Fn. 33), Western Digital/Hitachi (Festplattensparte) (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 9/2012 v. 02. 03. 2012, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201203/ 20120307993758.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Marubeni/Gavilon (Fn. 33) und MediaTek/MStar (Fn. 33); s. dazu auch Ezrachi/Han, Merger Remedies (Fn. 8), 12 f. 45 s. Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 336 ff.; Zhou hält die langfristigen Hold-Separate-Verpflichtungen daher für unvereinbar mit §§ 26, 28 f. AMG (Abhilfemaßnahmen (Fn. 20), 150). 46 s. N. Bush, MOFCOM issues new merger remedy rules, in: China Law & Practice (2015), http://www.chinalawandpractice.com/Article/3433185/Channel/7576/MOFCOM-issu es-new-merger-remedy-rules.html (englisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015; Ezrachi/Han, Merger Remedies (Fn. 8), 12 ff., 18 f. m.w.N. 47 s. Anmerkungen von Dr. Ming Shang, Generaldirektor des Antimonopolbüros des MOFCOM, auf dem Seminar „Competition Policy in China“ vom 21. 05. 2014 bis 23. 05. 2014 in Peking. Seminarbericht http://epaper.legaldaily.com.cn/fzrb/content/20140528/Articel09002 GN.htm (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015.
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3. Hybridauflagen Eine Kombination von Struktur- und Verhaltensauflagen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Erfolg einer Veräußerungsauflage zusätzlich von einem bestimmten künftigen Verhalten des Veräußerungspflichtigen abhängig ist, wie etwa der Erteilung bestimmter wettbewerblich relevanter Informationen an den Käufer oder dem Nichtabwerben von mit dem veräußerten Geschäft übergegangenem Schlüsselpersonal. Hybridauflagen wurden Prüfungsentscheidungen bis heute48 in 5 der 25 veröffentlichten Fälle bedingter Freigaben beigefügt.49 4. Wahl der Verpflichtungsart Die Wahl der Verpflichtungsart obliegt grundsätzlich dem MOFCOM.50 Allerdings hat dieses den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Daraus folgt, dass es unter den zur Zielerreichung gleichermaßen geeigneten Maßnahmen diejenige auswählen muss, die die beteiligten Unternehmen am wenigsten belastet (Wahl des mildesten Mittels).51 Zudem lässt der Wortlaut von § 29 AMG den Schluss zu, dass es eines inhaltlichen Zusammenhanges zwischen dem konkret festgestellten nachteiligen Einfluss auf den Wettbewerb und der auferlegten Verpflichtung bedarf. An einem solchen fehlt es bisweilen in der Praxis.52
IV. Verfahren Das Verfahren für die Beifügung von Verpflichtungen ist in Kapitel II (§§ 5 bis 9) AbhMBest geregelt. Vergleichbar der Vorgehensweise der EU-Kommission in europäischen Fusionskontrollverfahren53 soll das MOFCOM den Parteien etwaige tatsächliche oder wahr48
Stand 31. 10. 2015. Mitsubishi Rayon/Lucite (Fn. 22), Western Digital/Hitachi (Festplattensparte) (Fn. 44), Gambro/Baxter (MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 58/2013 v. 13. 08. 2013, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201308/20130800244176.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015), Thermo Fisher/Life Technologies (Fn. 13), Glencore/Xstrata (Fn. 22). 50 s. Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 317 f. 51 Nach Ziffer 5 Abs. 2 des Rundschreibens des Staatsrates zur Förderung des umfassenden gesetzmäßigen Verwaltungshandelns (hh ii) vom 22. 03. 2004 (Verwaltungshandeln-Rundschreiben), Guo Fa 2004 Nr. 10, http:// www.gov.cn/ztzl/yfxz/content_374160.htm (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015, soll die Verwaltungsbehörde Maßnahmen vermeiden, die die Interessen des Betroffenen beeinträchtigen, wenn ihr andere Maßnahmen zur Zielerreichung zur Verfügung stehen („vernünftige Verwaltung“), vgl. auch Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 316. 52 So z. B. in Mitsubishi Rayon/Lucite (Fn. 22); s. auch Ezrachi/Han, Merger Remedies (Fn. 8), 19 f. m.w.N. 53 Vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. c), Abs. 5 FKVO. 49
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scheinliche wettbewerbshindernde oder -beschränkende Auswirkungen zeitnah mitteilen und diese Bedenken begründen. Eine feste Frist für die Mitteilung ist allerdings nicht vorgesehen. Die anmeldende Partei kann dann Abhilfemaßnahmen vorschlagen, um den Bedenken Rechnung zu tragen (§ 5 AbhMBest). Für die Vorlage des finalen Vorschlages durch die anmeldende Partei gilt gemäß § 6 Abs. 1 AbhMBest eine Frist bis 20 Tage vor Ablauf der Hauptprüfung des Fusionskontrollverfahrens,54 welche sich gegebenenfalls an die Vorprüfung (Phase I) nach § 25 AMG anschließt. Für die Hauptprüfung stehen dem MOFCOM zunächst 90 Kalendertage zur Verfügung (Phase II, § 26 Abs. 1 AMG). Die Prüfungsfrist für die Hauptprüfung kann jedoch gemäß § 26 Abs. 2 AMG um maximal 60 Kalendertage verlängert werden (Phase III), wenn die Unternehmen dem zustimmen, die von ihnen eingereichten Unterlagen ungenau sind und einer genaueren Überprüfung bedürfen oder sich die Umstände nach der Anmeldung durch die Unternehmen erheblich geändert haben. Es ist davon auszugehen, dass sich mit der Verlängerung der Prüfungsfrist für die Hauptprüfung auch zugleich die Frist für die Vorlage des finalen Vorschlages für Abhilfemaßnahmen verlängert. Hierfür spricht neben dem Wortlaut von § 6 Abs. 1 AbhMBest, der abstrakt auf die Hauptprüfung verweist, auch der Umstand, dass anderenfalls das Zeitfenster für die Vorlage des finalen Vorschlages durch die anmeldende Partei in vielen Fällen unzulänglich wäre. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bedenkenmitteilung durch das MOFCOM erst zu einem späten Zeitpunkt erfolgt. Die anmeldende Partei könnte ansonsten faktisch dazu gezwungen sein, die Anmeldung – mit Zustimmung des MOFCOM55 – zurückzunehmen und das Zusammenschlussvorhaben im unmittelbaren Anschluss erneut anzumelden, wodurch eine neue Prüfung eingeleitet würde. In der Vergangenheit haben Parteien auf diese Weise gelegentlich die Untersagung ihrer Zusammenschlussvorhaben verhindert, wenn das MOFCOM deren Prüfung selbst in Phase III nicht abschließen konnte.56 Um in Fällen der Verlängerung der Prüfungsfrist für die Hauptprüfung den Fristablauf für die Vorlage des finalen Vorschlages ermitteln zu können, sollten sich die Parteien diesbezüglich rechtzeitig mit dem MOFCOM abstimmen. Falls die anmeldende Partei nicht fristgerecht Vorschläge für Verpflichtungen unterbreitet oder ihre Vorschläge nicht geeignet sind, die nachteiligen Wettbewerbseffekte des Zusammenschlusses zu verringern, hat das MOFCOM diesen zu untersagen (§ 6 Abs. 2 AbhMBest). Die Regelung ist vergleichbar mit der Rechtslage in der EU.57
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In den VorlVeräußBest war die 20-Tages-Frist noch nicht enthalten. s. § 19 der Leitansichten des MOFCOM über die Anmeldung von Unternehmenszuii), http://fldj.mof sammenschlüssen vom 06. 06. 2014 (hh com.gov.cn/article/i/201406/20140600614679.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015). 56 s. R. A. Pfromm, Fusionskontrolle in der Volksrepublik China, in: WUW (2014), 34. 57 s. Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 6. 55
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§ 6 Abs. 3 AbhMBest bestimmt ausdrücklich, dass die anmeldende Partei auch bereits vor der Mitteilung des Bestehens wettbewerbsrechtlicher Bedenken durch das MOFCOM Vorschläge für Verpflichtungen unterbreiten kann, was der Beschleunigung des Verfahrens dienlich sein kann. Dies entspricht der bisherigen Rechtslage, wonach die Unternehmen ebenfalls bereits während des gesamten Prüfungsverfahrens Abhilfemaßnahmen vorschlagen konnten.58 Nach fristgerechter Vorlage von Vorschlägen für Verpflichtungen soll das MOFCOM mit der anmeldenden Partei konferieren, die Vorschläge bewerten und sie über das Ergebnis der Bewertung informieren (§ 7 Abs. 1 AbhMBest). Zum Zweck der Bewertung kann das MOFCOM Stellungnahmen von anderen Behörden und Industrieverbänden, Unternehmen und Verbrauchern einholen und hierfür etwa Fragebögen ausgeben oder Anhörungen durchführen (§ 8 AbhMBest). Insoweit bestehen Parallelen zum Markttest im EU-Fusionskontrollverfahren.59 Im Bedarfsfall holt das MOFCOM auch qualifizierten Sachverständigenrat ein.60 Erstmals ausdrücklich geregelt ist die auch in den Fusionskontrollverfahren der EU und den USA61 etablierte sogenannte Kronjuwelen-Regelung. Es handelt sich dabei um eine alternative Verpflichtung, die eingreift, wenn die beteiligten Unternehmen nicht in der Lage sind, die Verpflichtung ihrer ersten Wahl fristgemäß umzusetzen. § 7 Abs. 2 AbhMBest bestimmt, dass das MOFCOM in Fällen, in denen die Durchführung der Verpflichtung der ersten Wahl der anmeldenden Partei mit Risiken behaftet ist, von dieser verlangen kann, dass sie zusätzlich eine strengere Alternative vorlegt, die verschiedene wesentliche Vermögenswerte materieller oder immaterieller Art einschließlich geistigen Eigentums oder sonstiger einschlägiger Rechte und Interessen (Kronjuwelen) beinhalten soll. Die Regelung soll sicherstellen, dass die Ziele der Fusionskontrolle in jedem Fall erreicht werden. Sie wurde vom MOFCOM auch schon vor ihrer Kodifizierung praktisch angewendet.62 Gemäß § 9 Abs. 1 AbhMBest sind Entscheidungen, welche Verpflichtungen beinhalten, zu veröffentlichen. In der Entscheidung ist auch auszuführen, ob ein Treuhänder zu bestellen ist (§ 9 Abs. 2 AbhMBest).63
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Masseli, Chinesische Fusionskontrolle (Fn. 1), 218. s. Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 80. 60 Z. B. in Merck/AZ (Fn. 13), Thermo Fisher/Life Technologies (Fn. 13), MediaTek/ MStar (Fn. 33). 61 Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 44 ff. DoJ, Merger Remedies Guide (Fn. 7), 24; FTC, Merger Remedies (Fn. 7), 21. 62 Glencore/Xstrata (Fn. 22). 63 So auch bereits § 4 Abs. 1 VorlVeräußBest. 59
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V. Durchführung von Verpflichtungen Mit der Durchführung von Verpflichtungen befasst sich Kapitel III (§§ 10 bis 17) AbhMBest. Bemerkenswert ist dabei zunächst, dass fast ausschließlich Regelungen zu Veräußerungsauflagen getroffen werden. Lediglich § 17 AbhMBest erklärt bestimmte Regelungen für analog anwendbar auf sonstige Verpflichtungen. Inhaltlich werden verschiedene Inhalte (insbesondere §§ 3, 9 bis 11 AbhMBest) der VorlVeräußBest aufgegriffen, diese aber auch um einige neue Regelungen ergänzt. Hat das MOFCOM die Freigabe des Zusammenschlusses mit einer Veräußerungsauflage versehen, sieht § 10 AbhMBest entsprechend § 3 Abs. 1 VorlVeräußBest vor, dass der Veräußerungsverpflichtete diese entweder selbst durchführen kann (Selbstveräußerung)64 oder sich hierzu, wenn es ihm nicht gelingt, innerhalb der in der Prüfungsentscheidung gemäß § 9 AbhMBest gesetzten Frist einen geeigneten Käufer zu finden, eines Veräußerungstreuhänders bedient (Treuhandveräußerung).65 Das Prinzip der Treuhandveräußerung hat die chinesische Fusionskontrolle von der EU übernommen.66 Der Veräußerungstreuhänder wird von der anmeldenden Partei mit Genehmigung des MOFCOM damit beauftragt, innerhalb der Veräußerungsfrist das betreffende Geschäft zu veräußern (§ 4 Abs. 4 AbhMBest), also einen geeigneten Käufer zu finden und das Veräußerungsgeschäft abzuschließen (§ 22 Abs. 1 AbhMBest). Er hat den Anforderungen von § 19 AbhMBest zu entsprechen, d. h. er muss unabhängig von Verpflichtetem und Käufer sein, über ein professionelles Team mit der erforderlichen fachlichen Eignung und Expertise verfügen, einen durchführbaren Arbeitsplan vorlegen, die Käuferauswahl überwachen und sonstige vom MOFCOM gestellte Anforderungen erfüllen. Er ist bei der Veräußerung nicht an einen Mindestpreis gebunden (§ 22 Abs. 2 AbhMBest). Das vom Käufer zu erfüllende Anforderungsprofil ergibt sich aus § 11 AbhMBest: Er muss unabhängig von den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen sein, über die erforderlichen Ressourcen und Fähigkeiten verfügen und beabsichtigen, mit dem veräußerten Vermögensgegenstand am Wettbewerb teilzunehmen. Er muss außerdem über etwa erforderliche Genehmigungen anderer Regulierungsbehörden verfügen und darf den Erwerb nicht von den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen finanzieren lassen. Schließlich muss er etwaigen weiteren Anforderungen des MOFCOM genügen. Gemäß § 11 S. 3, 1. Hs. AbhMBest müssen die Produktionsfaktoren, über die der Käufer verfügt oder die er auf anderem Wege erlangen kann, mit dem veräußerten Geschäft vereinbar sein. Damit soll sichergestellt werden, dass der Käufer auch tatsächlich in der Lage ist, effektiv am Wettbewerb teilzunehmen. Nach § 11 S. 3, 2. Hs. 64 So z. B. in Mitsubishi Rayon/Lucite (Fn. 22), Panasonic/Sanyo (Fn. 26) und UTC/ Goodrich (Fn. 25). 65 So z. B. in Pfizer/Wyeth (Fn. 26). 66 Vgl. Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 121.
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AbhMBest kann der Käufer vom MOFCOM eine erforderliche Anpassung betreffend den Umfang des veräußerten Geschäfts verlangen. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn der Käufer nicht alle zu dem veräußerten Geschäft gehörenden Vermögenswerte oder Mitarbeiter benötigt. Innerhalb der in der Prüfungsentscheidung gesetzten Frist hat der Veräußerungsverpflichtete dem MOFCOM den ausgewählten Käufer mitzuteilen sowie den Kaufvertrag vorzulegen (§ 12 Abs. 1 AbhMBest). Gemäß § 12 Abs. 2 AbhMBest sind wenigstens drei potentielle Erwerber zu benennen, wobei diese Zahl in Ausnahmefällen mit Genehmigung des MOFCOM unterschritten werden kann. Um sicherzustellen, dass sie mit den Anforderungen der Prüfungsentscheidung vereinbar sind, prüft das MOFCOM den Kaufvertragsentwurf sowie die Käuferkandidaten (§ 12 Abs. 3 AbhMBest).67 In der Übergangszeit bis zur Vollendung der Veräußerung hat der Veräußerungsverpflichtete gemäß § 20 AbhMBest verschiedene Pflichten zu erfüllen, um die Kontinuität sowie die Wettbewerbs- und Marktfähigkeit des veräußerten Geschäfts sicherzustellen. Dies entspricht im Wesentlichen den Regelungen in der EU.68 Zunächst ist das veräußerte Geschäft vom verbleibenden Geschäft getrennt zu führen. Die Geschäftsführung hat bestmöglich im Sinne der Entwicklung des veräußerten Geschäfts zu erfolgen. Es dürfen keine für den veräußerten Geschäftsbereich nachteiligen Handlungen wie die Abwerbung von Schlüsselpersonal oder das Sichverschaffen von Geschäftsgeheimnissen erfolgen. Es ist ein spezieller Manager zu bestimmen, der für die Führung des veräußerten Geschäfts verantwortlich ist (Hold-Separate-Manager). Ferner ist zu gewährleisten, dass potentielle Käufer auf faire und vernünftige Weise ausreichende Informationen über das veräußerte Geschäft erlangen und dessen Wert und Potential bewerten können. Auf Verlangen des Käufers ist diesem weiterhin die notwendige Unterstützung zu gewähren, um die nahtlose Übergabe und den stabilen Betrieb des veräußerten Geschäfts sicherzustellen. Schließlich haben die Übergabe des veräußerten Geschäfts sowie die Durchführung der einschlägigen rechtlichen Verfahren fristgerecht zu erfolgen. Der Veräußerungsverpflichtete hat das MOFCOM über den Stand der Einhaltung der Prüfungsentscheidung, der Umsetzung der Veräußerung sowie der Erfüllung des betreffenden Vertrages stets unterrichtet zu halten. Die Umsetzung der Veräußerungsauflagen erfolgt dann üblicherweise erst nach dem Vollzug des Zusammenschlusses. Mit den AbhMBest neu eingeführt wurde jetzt indes auch eine sogenannte Upfront-Buyer-Regelung, wie sie auch etwa aus den Fusionskontrollverfahren in der EU und den USA bekannt ist.69 Nach 67 Auch dies entspricht internationalem Standard, s. z. B. Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 101 ff.; FTC, Merger Remedies (Fn. 7), 10; DoJ, Merger Remedies Guide (Fn. 7), 28. 68 s. Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 108 ff. 69 s. Kommission, Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen (Fn. 21), Nr. 53 ff.; DoJ, Merger Remedies Guide (Fn. 7), 23 f.; FTC, Merger Remedies (Fn. 7), 7 f.
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§ 14 AbhMBest kann das MOFCOM unter bestimmten Voraussetzungen verlangen, dass der Veräußerungsverpflichtete bereits vor dem Vollzug des Zusammenschlusses einen geeigneten Käufer finden und mit diesem einen Vertrag über die Veräußerung abschließen muss, nämlich wenn ein erhebliches Risiko hinsichtlich der Erhaltung der Wettbewerbs- und Marktfähigkeit des zu veräußernden Geschäfts in der Zeit vor der Veräußerung besteht, die Identität des Erwerbers entscheidenden Einfluss auf die Wiederherstellung des Wettbewerbs hat oder ein Dritter Rechte an dem zu veräußernden Geschäft geltend macht. Erreicht der vom MOFCOM genehmigte Kauf des zu veräußernden Geschäfts durch den Käufer seinerseits die Aufgreifschwellen nach den Bestimmungen des Staatsrats über die Aufgreifschwellen für die Anmeldung von Unternehmenszusamii) (Aufgreifschwellenmenschlüssen (hh Bestimmungen, AufgrSchwBest),70 ist eine entsprechende Anmeldung zum MOFCOM durchzuführen. Ehe das MOFCOM hierüber entschieden hat, darf der Veräußerungsverpflichtete das zu veräußernde Geschäft nicht an den Käufer verkaufen (§ 16 AbhMBest). Wie zuvor erwähnt, bestimmt § 17 AbhMBest, dass die Regelungen betreffend die Umsetzung von Veräußerungsverpflichtungen in Kapitel III AbhMBest analog auf sonstige Verpflichtungen anwendbar sind. Dies schafft allerdings für letztere kaum mehr Klarheit. So fehlt es insbesondere nach wie vor an präzisen Regelungen dazu, welche Verhaltensauflagen unter welchen Voraussetzungen akzeptiert werden können, so dass insoweit Unsicherheiten für die beteiligten Unternehmen fortbestehen.
VI. Durchführungsfristen Wird in der Prüfungsentscheidung keine Frist für die Selbstveräußerung bestimmt, hat der Veräußerungsverpflichtete gemäß § 13 Abs. 1 AbhMBest in Festschreibung der bisherigen überwiegenden MOFCOM-Praxis71 innerhalb von sechs Monaten ab der Prüfungsentscheidung einen geeigneten Käufer zu finden und einen Kaufvertrag mit ihm abzuschließen. In Abhängigkeit von den konkreten Umständen des Falles kann das MOFCOM diese Frist auf begründeten Antrag des Veräußerungsverpflichteten um bis zu drei Monate verlängern (§ 13 Abs. 2 AbhMBest). Enthält die Prüfungsentscheidung keine Frist für die Treuhandveräußerung, hat der Veräußerungstreuhänder innerhalb von sechs Monaten ab Beginn der Treuhandveräußerung einen geeigneten Käufer zu finden und einen Kaufvertrag mit diesem 70 http://www.gov.cn/zwgk/2008-08/04/content_1063769.htm (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015; chinesisch-deutsche Fassung bei Masseli, Chinesische Fusionskontrolle (Fn. 1), 292 f. Die maßgeblichen Umsatzschwellen ergeben sich aus § 3 AufgrSchwBest; dazu näher Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 161 ff. 71 s. Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 320 m.w.N.
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abzuschließen (§ 13 Abs. 3 AbhMBest). Eine Verlängerung dieser Frist sieht § 13 AbhMBest nicht vor. Für die Übergabe des veräußerten Geschäfts an den Käufer, die Übertragung der Eigentumsrechte und den Abschluss anderer einschlägiger gesetzlicher Verfahren gewährt § 15 Abs. 1 AbhMBest wie schon § 3 Abs. 2 VorlVeräußBest dem Veräußerungsverpflichteten eine Frist von drei Monaten nach Abschluss des Kaufvertrages. In Abhängigkeit von den konkreten Umständen des Falles kann das MOFCOM diese Frist auf begründeten Antrag des Veräußerungsverpflichteten verlängern (§ 15 Abs. 2 AbhMBest). § 13 Entwurf 2013 hatte darüber hinaus noch eine allgemeine Zehnjahresfrist für die Durchführung von Verhaltensauflagen für den Fall vorgesehen, dass das MOFCOM keine anderweitige Durchführungsfrist bestimmt. Diese Regelung hat in die AbhMBest keinen Eingang gefunden.
VII. Überwachung von Verpflichtungen Um auszuschließen, dass das fusionierte Unternehmen die Verpflichtungen aus der Prüfungsentscheidung unterläuft, hat das MOFCOM deren Einhaltung zu überwachen (§ 15 Abs. 1, 1. Hs. PrüfM). Das Nähere regelt Kapitel IV (§§ 18 bis 24) AbhMBest. Wie schon bei Kapitel III AbhMBest fällt auf, dass fast ausschließlich Veräußerungsauflagen angesprochen werden, obwohl gerade bei Verhaltensauflagen der Überwachungsbedarf erheblich sein kann.72 Zentrales Überwachungsmittel ist der Einsatz eines Überwachungstreuhänders.73 Alternativ oder zusätzlich kommen die Überwachung durch das MOFCOM selbst74 oder die Eigenüberwachung des fusionierten Unternehmens75 in Betracht. Letztere basiert auf § 15 Abs. 1, 2. Hs. PrüfM, wonach die beteiligten Unternehmen verpflichtet sind, dem MOFCOM innerhalb der in der Prüfungsentscheidung festgesetzten Fristen über den Stand der Umsetzung der Verpflichtungen zu berichten. Erstere wird angesichts beschränkter personeller Ressourcen des MOFCOM den Fällen mit geringem Überwachungsaufwand vorbehalten bleiben. 72
Ezrachi/Han konstatieren in diesem Zusammenhang sogar eine Wandlung des MOFCOM von einer Wettbewerbs- zu einer Marktregulierungsbehörde, Merger Remedies (Fn. 8), 20. 73 Vgl. bereits §§ 4 bis 7 VorlVeräußBest. Überwachungstreuhänder für Verhaltensauflagen wurden z. B. in Novartis/Alcon (Fn. 33), Uralkali/Silvinit (Fn. 33), Seagate/Samsung (Festplattensparte) (Fn. 33), Western Digital/Hitachi (Festplattensparte) (Fn. 44) und Henkel Hongkong/Tiande (Fn. 33) bestellt, für Veräußerungsauflagen z. B. in UTC/Goodrich (Fn. 26) und für Hybridauflagen z. B. in Glencore/Xstrata (Fn. 22). 74 Z. B. in Walmart/Newheight (Fn. 33), ARM/Gemalto/Giesecke&Devrient (Fn. 33). 75 Z. B. InBev/Anheuser-Busch (Fn. 33), General Motors/Delphi (Fn. 33), Henkel Hongkong/Tiande (Fn. 33), Google/Motorola Mobility (Fn. 33).
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Mit der Beauftragung des Überwachungstreuhänders in Fällen mit Veräußerungsauflagen befasst sich § 18 AbhMBest. Die Kandidaten sind dem MOFCOM innerhalb von 15 Tagen nach der Prüfungsentscheidung bzw. 30 Tage vor Beginn der Treuhandveräußerung mitzuteilen.76 Die Beauftragung hat durch schriftlichen Vertrag und entgeltlich zu erfolgen.77 Der Überwachungstreuhänder hat gemäß § 21 AbhMBest unter Aufsicht des MOFCOM zu überwachen, dass der Verpflichtete seine Verpflichtungen aus den AbhMBest, der Prüfungsentscheidung und dem maßgeblichen Kaufvertrag erfüllt, die vom Verpflichteten vorgeschlagenen Käuferkandidaten zu bewerten und dem MOFCOM den Bewertungsbericht vorzulegen. Ferner hat er dem MOFCOM regelmäßig Bericht zu erstatten, Streitigkeiten zwischen Verpflichtetem und potentiellem Käufer betreffend den Veräußerungsgegenstand zu koordinieren und etwaige sonstige vom MOFCOM geforderte Berichte im Zusammenhang mit der Veräußerung vorzulegen. Schließlich beaufsichtigt der Überwachungstreuhänder nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 AbhMBest die Pflichterfüllung des Hold-Separate-Managers. Der Überwachungstreuhänder hat dazu wie der Veräußerungstreuhänder dem Anforderungsprofil von § 19 AbhMBest zu entsprechen. § 24 AbhMBest bestimmt, dass das MOFCOM einer anmeldenden Partei auch die Bestellung eines Treuhänders zur Überwachung sonstiger Verpflichtungen aufgeben kann. Ferner finden die Regelungen zu Veräußerungsverpflichtungen in Kapitel IV AbhMBest analoge Anwendung auf anderweitig Verpflichtete sowie auf Auswahl und Pflichten des Treuhänders.
VIII. Änderung und Aufhebung von Verpflichtungen Gemäß § 26 AbhMBest kann das MOFCOM auf Antrag eines Unternehmens Verpflichtungen überprüfen, ändern oder aufheben. Ein entsprechendes Antragsrecht der Parteien war allerdings auch schon vor Inkrafttreten der AbhMBest anerkannt.78 Bei der Entscheidung hat das MOFCOM unter anderem zu berücksichtigen, ob sich die Transaktionsparteien wesentlich ändern, sich die maßgebliche Wettbewerbssituation wesentlich geändert hat und die Durchführung der Verpflichtungen unnötig oder unmöglich ist (§ 27 AbhMBest).
76 Gemäß § 12 Abs. 2 sind dem MOFCOM regelmäßig mindestens drei Kandidaten mitzuteilen. 77 Die Regelung aus § 6 Abs. 3 VorlVeräußBest, wonach die Höhe und Zahlungsmethode der Vergütung nicht der Unabhängigkeit und Arbeitseffizienz der Erfüllung der Treuhandpflichten schaden darf, findet sich in den AbhMBest nicht mehr. 78 s. Weinreich-Zhao, Chinese Merger Control Law (Fn. 10), 339 m.w.N.
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In der Praxis sind Änderungen oder Aufhebungen von Verpflichtungen bislang allerdings selten.79 Bei Veräußerungsverpflichtungen kommen sie auch deshalb kaum in Betracht, weil diese regelmäßig innerhalb überschaubarer Durchführungsfristen umzusetzen sind und wesentliche Änderungen der Transaktionsparteien oder der maßgeblichen Wettbewerbssituation in dieser Zeit unwahrscheinlich sind. Der Hauptanwendungsbereich der Regelungen zur Änderung und Aufhebung von Verpflichtungen dürfte daher bei den Verhaltensauflagen liegen, die die beteiligten Unternehmen über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg beschweren können. Nach dem Wortlaut von § 26 AbhMBest ist die Antragsbefugnis allerdings nicht auf die Transaktionsparteien beschränkt, so dass auch Dritte die Aufhebung oder Änderung von Verpflichtungen beantragen können.80 § 25 AbhMBest eröffnet schließlich dem MOFCOM die Möglichkeit, nach Wirksamwerden der Prüfungsentscheidung von Amts wegen Verpflichtungen zu überprüfen, zu ändern oder aufzuheben. Die Regelung wird man allerdings nicht dahingehend zu interpretieren haben, dass das MOFCOM zu einem Zeitpunkt nach dem Vollzug des Zusammenschlusses nach Belieben strengere Auflagen anordnen kann. Dies würde nicht nur den Verhandlungsprozess betreffend die Abhilfemaßnahmen konterkarieren und Rechtsunsicherheit schaffen, sondern auch dem Grundsatz des Bestandsschutzes zuwiderlaufen, der auch im chinesischen Verwaltungsrecht insoweit gilt, als verwaltungsrechtliche Entscheidungen nicht ohne rechtlichen Grund geändert oder widerrufen werden dürfen.81 Allerdings ist bislang weitgehend unklar, welche Anforderungen an das Vorliegen eines solchen rechtlichen Grundes zu stellen sind und ob der Anwendungsbereich von § 25 AbhMBest im Zusammenspiel mit § 26 AbhMBest auf begünstigende Änderungen bzw. die Aufhebung von Verpflichtungen zu begrenzen ist. Die Aufhebung oder Änderung von Verpflichtungen ist zu veröffentlichen (§ 28 AbhMBest).
79 Das MOFCOM hat – soweit ersichtlich – bisher nur in drei Fällen Verpflichtungen geändert oder aufgehoben: Google/Motorola Mobility (Fn. 33), s. MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 2/2015 v. 06. 01. 2015, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201501/2015 0100862331.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015, Western Digital/Hitachi (Festplattensparte) (Fn. 44), s. MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 41/2015 v. 19. 10. 2015, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201510/20151001139040.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015 und Seagate/Samsung (Fn. 33), s. MOFCOM, Bekanntmachung Nr. 43/2015 v. 19. 10. 2015, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201510/20151001144105. shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015. 80 Anders während des Prüfungsverfahrens: Hier nennt § 13 PrüfM nur das MOFCOM und die beteiligten Unternehmen als berechtigt, Meinungen und Vorschläge zur Änderung von Verpflichtungen vorzubringen. 81 s. Ziffer 5 Abs. 2 Verwaltungshandeln-Rundschreiben (Fn. 51).
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IX. Sanktionsmaßnahmen bei Verstößen Verstößt ein Unternehmen gegen seine Verpflichtungen, kann ihm das MOFCOM gemäß § 15 Abs. 2 PrüfM, § 29 S. 1 AbhMBest Korrekturen aufgeben. In schwerwiegenden Fällen soll ihn das MOFCOM anweisen, den Zusammenschluss zu stoppen, Anteile oder Vermögensgegenstände innerhalb der festgesetzten Frist zu veräußern, das Geschäft innerhalb der festgesetzten Frist zu übertragen und andere notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um den Ausgangszustand wieder herzustellen. Zudem kann es eine Geldbuße von bis zu 500.000 Renminbi (RMB)82 verhängen. Bei Verstößen von Treuhändern oder Erwerbern kann das MOFCOM diesen gegenüber Korrekturen aufgeben (§§ 30 bzw. 31 AbhMBest).
X. Ergebnis Die AbhMBest enthalten systematische und verbindliche Regelungen für Veräußerungsverpflichtungen. Dabei kodifizieren sie weitgehend die bisherige MOFCOM-Praxis, enthalten aber auch einige neue Regelungen. Gleichzeitig nähert sich die fusionskontrollrechtliche Behandlung von Veräußerungsverpflichtungen in der Volksrepublik China weiter derjenigen in den wichtigsten ausländischen Kartellrechtsordnungen – insbesondere der europäischen und US-amerikanischen – an,83 indem etwa das Upfront-Buyer-Prinzip und die Kronjuwelenregelung erstmals kodifiziert werden. Insgesamt gewinnt das Fusionskontrollverfahren in China damit in denjenigen Fällen, in denen Veräußerungsauflagen zum Tragen kommen, für die beteiligten Unternehmen deutlich an Transparenz, zumal auch die veröffentlichten Prüfungsentscheidungen selbst in jüngerer Zeit an Ausführlichkeit zunehmen. Dies gilt allerdings nicht in gleicher Weise für Verhaltensauflagen, die in den AbhMBest nicht näher geregelt werden. Lediglich §§ 17 und 24 AbhMBest erklären bestimmte Regelungen betreffend Umsetzung und Überwachung für analog anwendbar auf sonstige Verpflichtungen, was allerdings kaum Klarheit schafft. Der Grund für das Fehlen spezifischer Regelungen dürfte darin zu sehen sein, dass es angesichts des breiten Spektrums sonstiger Verpflichtungen nur schwer möglich ist, allgemeine und umfassende Anforderungen festzulegen. Dennoch ist das fortbestehende Regelungsdefizit bedauerlich: Zum einen deshalb, weil Verhaltensauflagen in der chine82
Etwa EUR 71.200 (Stand 31. 10. 2015). Zuletzt wurden in Western Digital/Hitachi (Festplattensparte) (Fn. 44) in zwei Entscheidungen vom 02. 12. 2014 wegen Verstößen gegen Verpflichtungen Geldbußen in Höhe von jeweils RMB 300.000 verhängt: MOFCOM, Shang Fa Han Nr. 786/2014 v. 02. 12. 2014, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201509/201509011 24992.shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015 und MOFCOM, Shang Fa Han Nr. 787/2014 v. 02. 12. 2014, http://fldj.mofcom.gov.cn/article/ztxx/201509/20150901124994. shtml (chinesisch), zuletzt aufgerufen am 31. 10. 2015. 83 Zur Vorbildfunktion ausländischer Kartellrechtsordnungen für das chinesische Fusionskontrollrecht allgemein Masseli, Chinesische Fusionskontrolle (Fn. 1), 55 m.w.N.
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sischen Praxis zumindest bislang größere Bedeutung zukommt als Strukturauflagen und zum anderen, weil insbesondere die langfristigen Hold-Separate-Verpflichtungen schwerwiegende Belastungen für Unternehmenszusammenschlüsse darstellen.
Das Insolvenzanfechtungsrecht im Spannungsfeld öffentlicher und privater Interessen Von Dirk Rüffert* Die deutschen Regeln zur Anfechtung im Insolvenzverfahren (§§ 129 ff. InsO) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH waren in der jüngeren Vergangenheit massiver Kritik ausgesetzt. Verschiedene Wirtschaftsverbände forderten eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO auf Fälle, in denen es dem Gläubiger erkennbar auf die Benachteiligung der übrigen Gläubiger ankommt. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat daraufhin einen Referentenentwurf vorgelegt, der die Forderungen der Wirtschaftsverbände weitgehend umsetzt. Ein nachfolgend von der Bundesregierung vorgelegter Entwurf schränkt die Anfechtung weiter ein, indem er Leistungen an die Finanzverwaltung und Sozialversicherungsträger nahezu von der Anfechtung ausnimmt. Fraglich erscheint, ob diese Änderungsvorschläge mit dem Zweck der Insolvenzanfechtung vereinbar sind, oder ob sie vorrangig der Erfüllung öffentlicher und privater Interessen dienen. Zur Klärung dieser Frage werden nachfolgend auch die historischen römisch-rechtlichen Wurzeln des Anfechtungsrechts und wesentliche Grundgedanken ausländischer Rechtsordnungen (USA, China) herangezogen.
I. Rechtliche und tatsächliche Grundlagen Das Insolvenzverfahren dient gemäß §§ 1, 35 InsO der gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger aus dem zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens vorhandenen und dem danach erlangten Vermögen. Ziel der Insolvenzanfechtung ist es, Schmälerungen der Insolvenzmasse aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu korrigieren1 und auf diese Weise die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger schon für einen früheren Zeitpunkt als den der formellen Eröffnung des Insolvenzverfahrens sicherzustellen.2 Durch die Insolvenzanfechtung sollen bestimmte Vermögensverschiebungen wieder rückgängig gemacht werden, die zwar noch keine Straftat im Sinne der §§ 283 ff. StGB darstellen, aber gleichwohl als unangemessene Bevorzugung einzelner Gläubiger anzusehen sind. * Dr. iur., Rechtsanwalt und Steuerberater, Oldenburg. 1 Begr RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 156. 2 BGH 10. 2. 2005, IX ZR 211/02, Tz. 17.
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Ein wesentliches Ziel des Gesetzgebers bei Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 bestand darin, dass Insolvenzanträge früher als zuvor gestellt werden.3 Dieses gesetzgeberische Ziel wurde bislang nicht erreicht. Nach wie vor werden mehr als 90 % der Insolvenzanträge antragspflichtiger Gesellschaften verspätet gestellt. Durchschnittlich beträgt der Verspätungszeitraum etwa 10 Monate.4 Die auf Schuldnerseite verfügungsberechtigten natürlichen Personen (z. B. Geschäftsführer, Vorstände) nutzen vielfach den Zeitraum vor dem Antrag dazu, Vermögenswerte der Gesellschaft auf sich selbst, nahestehende Personen, Gesellschafter, wichtige Geschäftspartner oder andere bevorzugte Personen zu übertragen. Insolvenzanfechtungen haben daher eine erhebliche Bedeutung für eine bestmögliche gleichmäßige Gläubigerbefriedigung, indem bestimmte Vermögensverschiebungen aus dem Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wieder rückgängig gemacht werden können.5 Entsprechend dieser Bedeutung hat der BGH in einer Vielzahl von Entscheidungen die Voraussetzungen von Anfechtungsansprüchen präzisiert und konkretisiert,6 und damit das Anfechtungsrecht zu einer „scharfen Waffe“ des Insolvenzverwalters gemacht. Änderungen der anfechtungsrechtlichen Regelungen müssen jedoch neben den Interessen der Gläubigergesamtheit auch die Interessen potentieller Anfechtungsgegner und die des Schuldners berücksichtigen, die grundsätzlich auf die Rechtsbeständigkeit einmal vorgenommener Vermögensübertragungen vertrauen dürfen. Sondervorteile für einzelne Gruppen von Beteiligten, die im Ergebnis auf die Wiedereinführung von (mit Einführung der Insolvenzordnung abgeschafften) Rangklassen für Gläubiger hinauslaufen, sollten vermieden werden.
II. Die geplanten Änderungen 1. Forderungen von Wirtschaftsverbänden Bereits seit Jahren fordern große deutsche Interessen- bzw. Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) oder der Bundesverband Credit Management (BvCM) im Interesse ihrer Mitglieder eine Reform des Anfechtungsrechts, insbesondere der Vorsatzanfechtung des § 133 InsO.7 Diese Forderungen haben dazu geführt, dass das Thema
3
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 1. H.-J. Kirstein, Ausführungen zur real existierenden Situation bei Eröffnungs- und Befriedigungsquoten in Insolvenzverfahren, in: ZInsO 2006, 966, 967. 5 Kirstein, ZInsO 2006, 966, 969. 6 H. Hirte/C. Ede, in: Uhlenbruck, Insolvenzordnung, Vorbemerkung zu § 129 Rn. 9. 7 L. Paschen, Reform der Vorsatzanfechtung, in: ZInsO 2014, 2485. 4
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Eingang in den derzeit geltenden Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD gefunden hat.8 Eine der Kernforderungen der Verbände besteht darin, § 133 InsO von einer Vorsatzanfechtung zu einer Art „Absichtsanfechtung“ umzugestalten. Rechtshandlungen, die dem Gläubiger eine kongruente Deckung gewähren, sollen nur noch angefochten werden können, wenn der Schuldner mit der Absicht handelte, seine Gläubiger zu benachteiligen.9 Der Schuldner handele nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er kongruente Gegenleistungen für bereits empfangene Leitungen erbringe. Vielmehr erfolge die Gegenleistung im Eigeninteresse der Unternehmensfortführung sowie im Interesse der Gläubiger und der Allgemeinheit an der Fortführung zahlungsfähiger Firmen mit positiver Fortführungsprognose. Die mit der unübersichtlichen Rechtslage verbundene Unsicherheit bei den Lieferanten habe negative Folgen für die Vergabe von Krediten, die für den Wirtschaftsverkehr und die Unternehmensfinanzierung eine wichtige Rolle spielten.10 Der Indizcharakter von Stundungs-, Ratenzahlungs- und Verzichtsvereinbarungen für die subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 133 Abs. 1 InsO11 behindere den Wirtschaftsverkehr und führe zu untragbaren Ergebnissen für die deutsche Wirtschaft, insbesondere den Mittelstand. Ferner würde es die aktuelle Rechtslage nicht ermöglichen, witterungsbedingte oder saisonale Schwankungen durch individuelle Zahlungsvereinbarungen im Geschäftsbetrieb zu kompensieren.12 Bargeschäfte nach § 142 InsO, bei denen Leistung und Gegenleistung in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen, sollen gänzlich von der Anfechtung ausgenommen sein. Die Anfechtungsfrist soll von 10 auf 4 Jahre verkürzt werden. Eine grundlegende Reform der Vorsatzanfechtung sei bereits deswegen geboten, weil sich redliche mittelständische Unternehmen massenweise einer unkalkulierbaren „Abmahnwelle“ in Form von „Anfechtungskettenbriefen“ der Insolvenzverwalter gegenübersähen.13 Eine derartige Begrenzung der Vorsatzanfechtung entspreche sowohl den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Beteiligten als auch der gesetzgeberischen Intention, den Fortbestand der Unternehmen zu fördern.14
8 9
418.
Koalitionsvertrag 1.1 „Rechtsrahmen“. W. Marotzke, Vertrauensschutz kontra Gesamtgläubigerinteresse, in: ZInsO 2014, 417,
10
Paschen, ZInsO 2014, 2485, 2486. Hierzu: BGH 6.12.12, IX ZR 3/12. 12 Marotzke, ZInsO 2014, 417, , 419. 13 Paschen, ZInsO 2014, 2485. 14 Marotzke, ZInsO 2014, 419.
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2. Referentenentwurf des BMJV Bundesjustizminister Heiko Maas hatte das Insolvenzanfechtungsrecht als „die größte Baustelle des Insolvenzrechts“ bezeichnet.15 Am 16. März 2015 veröffentlichte das BMJVeinen Referentenentwurf mit Änderungen des Anfechtungsrechts.16 Danach ist es das Ziel der angestrebten Gesetzesänderung, den Wirtschaftsverkehr und Arbeitnehmer von Rechtsunsicherheiten sowie unverhältnismäßigen und unkalkulierbaren Risiken zu befreien, die vor allem die Praxis der Vorsatzanfechtung des § 133 InsO aktuell mit sich bringe. Für eine Vorsatzanfechtung soll gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO n.F. ein Vorsatz des Schuldners erforderlich sein, seine Gläubiger „unangemessen“ zu benachteiligen. Eine solche unangemessene Benachteiligung soll gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO n.F. nicht vorliegen, wenn für eine Leistung des Schuldners unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, die zur Fortführung seines Unternehmens oder zur Sicherung seines Lebensbedarfs erforderlich ist, oder die Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften Sanierungsversuchs ist. Die Anfechtungsfrist soll gemäß Absatz 2 von bislang zehn auf vier Jahre beschränkt werden, falls die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat. Nach § 133 Abs. 3 InsO n.F. soll eine Anfechtung nur möglich sein, wenn der Gläubiger die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte, während nach derzeitiger Regelung die Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausreichte. Die Kenntnis des Gläubigers vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass dieser mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung (nach § 802 b Abs. 2 Satz 1 ZPO) abgeschlossen bzw. der Schuldner beim anderen Teil im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs um eine Zahlungserleichterung nachgesucht hat. Das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO wird gegenüber der bisherigen Regelung ausgedehnt auf alle Fälle, bei denen Leistung und Gegenleistung „nach Art der ausgetauschten Leistungen und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs in einem engen zeitlichen Zusammenhang“ stehen. Bei der Anfechtung gemäß § 131 InsO soll eine Rechtshandlung entgegen einer seit über 130 Jahren geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung17 nicht allein deshalb inkongruent und damit anfechtbar sein, weil der Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung auf der Grundlage eines in einem gerichtlichen Verfahren erlangten vollstreckbaren Titels erwirkt hat. 15
FAZ vom 4. 4. 2014, S. 18. http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Reform_In solvenzanfechtung.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (abgerufen am 8. Dezember 2015). 17 RGZ 10, 33, 36 ff.; BGH 9. 9. 1997, IX ZR 14/97; vgl. insgesamt zur Anfechtung von Leistungen unter Vollstreckungsdruck: H.-P. Kirchhof, ZInsO 2004, 1169. 16
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Ein Anfechtungsanspruch auf Rückgewähr einer Geldschuld gem. § 143 InsO soll abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BGH18 nicht mehr ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern erst ab Eintritt des Verzugs oder nach § 291 BGB zu verzinsen sein. Damit soll einer Praxis der Insolvenzverwalter entgegengewirkt werden, die angeblich Anfechtungsansprüche erst kurz vor Eintritt der Verjährung geltend gemacht haben, um einen erheblichen Zinsanspruch zu begründen. 3. Regierungsentwurf Anknüpfend an den vorstehend dargestellten Referentenentwurf hat die Bundesregierung am 29. September 2015 einen Gesetzesentwurf vorgelegt,19 der sich vom Referentenentwurf in folgenden Punkten unterscheidet: Gemäß § 131 Abs. 1 InsO sollen nicht nur Sicherungen oder Befriedigungen aufgrund gerichtlicher Vollstreckungstitel von der Anfechtung ausgenommen sein, sondern Sicherungen oder Befriedigungen aufgrund jeglicher Vollstreckungstitel. Leistungen an Finanzämter oder Sozialversicherungsträger, die sich derartige Titel ohne gerichtliches Verfahren selbst erstellen können, sind damit von vornherein von der Anfechtung ausgenommen. In § 133 Abs. 1 InsO wurde gegenüber dem Referentenentwurf das Tatbestandsmerkmal der „unangemessenen“ Benachteiligung gestrichen; ausreichend ist somit wie bisher eine „einfache“ Gläubigerbenachteiligung. Folgerichtig wurden auch die im Referentenentwurf in Abs. 1 angeführten Beispiele für das Nichtvorliegen einer unangemessenen Benachteiligung ersatzlos gestrichen. Die in § 133 Abs. 3 InsO des Referentenentwurfs vorgesehenen Einschränkungen, dass die Kenntnis des Gläubigers vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht allein aus einer Zahlungsvereinbarung mit dem Schuldner oder einer im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs vom Schuldner nachgesuchten Zahlungserleichterung geschlossen werden kann, wurden gestrichen. Dafür enthält Abs. 3 nunmehr eine Vermutungsregelung, dass ein Gläubiger, der mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt hat, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. Im Ergebnis bleibt es somit dabei, dass eine Zahlungsvereinbarung oder eine gewährte Zahlungserleichterung die erforderliche Kenntnis des Gläubigers nicht begründen können.
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BGH 1. 2. 2007, IX ZR 96/04. http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Anfech tungsrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (abgerufen am 8. Dezember 2015). 19
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4. Bundesrats-Empfehlung Am 13. November 2015 haben der Rechtsausschuss, der Finanzausschuss sowie der Wirtschaftsausschuss dem Bundesrat empfohlen, den Regierungsentwurf in folgenden Punkten abzuändern:20 § 131 Abs. 1 InsO wird in seiner aktuell rechtsgültigen Ausgestaltung belassen. Befriedigungen aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen – ob mit oder ohne gerichtlichen Titel – sind damit nach wie vor als inkongruent anfechtbar. Nach Auffassung der Ausschüsse privilegiere ein Anfechtungsausschluss die Vollstreckungsgläubiger in nicht gebotener Weise und liefe dem insolvenzrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger entgegen.21 Leistungen an Finanzämter oder Sozialversicherungsträger sind danach wie bisher anfechtbar. Die Anfechtungsfrist soll gemäß § 133 Abs. 2 InsO n.F. auf zwei Jahre verkürzt werden. Dieses sei zur Schaffung von Rechtssicherheit geboten, da nach der Erfahrung der Praxis insbesondere Zahlungen aus den letzten zwei Jahren vor Insolvenzeröffnung angefochten würden.22 Die im Regierungsentwurf enthaltene Vermutungsregelung in § 133 Abs. 3 S. 2 sollte nach Ansicht der Ausschüsse ersatzlos gestrichen werden. Für eine derartige Regelung bestehe kein Bedürfnis, da bereits nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH allein der Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung keine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners begründet.23 Der Bargeschäftseinwand des § 142 InsO soll nach Ansicht der Ausschüsse ausgeschlossen sein, wenn der Gläubiger erkennen musste, dass die Gegenleistung weder zur Sicherung des Lebensbedarfs erforderlich ist noch der Fortführung oder Sanierung des Unternehmens dient. Die Bundesratsempfehlung vermeidet damit die in den bisherigen Entwürfen enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe der „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ und des unlauteren Handelns des Schuldners.
III. Die Anfechtung im römischen Recht § 133 InsO hat seine historischen Wurzeln im römischen Recht. Die Digesten (D. 22.1.38.4) enthalten mit der sog. actio Pauliana, die etwa um das Jahr 65 v. Chr. entstanden ist, eine entsprechende Regelung.24 Ihren Namen verdankt dieses Rechtsinstrument nach h.M. dem Prätor L. Aemilius Lepidus Paulus, der in einem Kommentar 20
http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2015/0401-0500/495-1-15.pdf?__ blob=publicationFile&v=1 (abgerufen am 8. Dezember 2015). 21 Empfehlung der Ausschüsse vom 13. November 2015 (Fn. 20), 4 f. 22 Empfehlung der Ausschüsse vom 13. November 2015 (Fn. 20), 6. 23 Empfehlung der Ausschüsse vom 13. November 2015 (Fn. 20), 7 f. m.w.N. 24 G. Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht, Göttingen 2003, 62 ff.
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zur actio rei uxoriae Ausführungen dazu machte, dass zur Benachteiligung der Gläubiger Veräußertes mit einer Klage namens actio Pauliana zurückgefordert werden konnte.25 Mit dieser Klage sollten klassische Vermögensverschiebungen an Dritte rückgängig gemacht werden, die das Ziel hatten, den jeweiligen Gegenstand (oder das Recht) dem Vermögensbeschlag zu entziehen.26 Die actio Pauliana war grundsätzlich so konzipiert, dass mit ihr vom Verwalter, dem sog. curator bonorum, binnen Jahresfrist (intra annum) ab Veräußerung, gemeint ist damit die Verwertung des Schuldnervermögens durch den Verwalter (D. 42.8.10.18),27 das zurückgefordert werden konnte, was der Schuldner in betrügerischer Absicht an einen Dritten verschoben hatte, wenn der andere Teil die betrügerische Motivation des Schuldners kannte. Die Tilgung einer gültigen und fälligen Schuld war jedoch grundsätzlich auch dann nicht anfechtbar, wenn der Schuldner damit einen Gläubiger bevorzugt hatte und dem anderen Gläubiger diese Bevorzugung bzw. damit einhergehende Benachteiligung der übrigen Gläubiger auch bekannt war. Kongruente Deckungen waren von dem Anwendungsbereich der actio Pauliana somit faktisch ausgenommen.28 Dies galt jedoch nicht, wenn der Gläubiger seine Forderung erst nach der missio in bona, d. h. der Einweisung des Gläubigers in das Vermögen des Schuldners durch den Prätor, eingezogen hatte.29 Mit der actio Pauliana konnten allerdings nur Vermögensverschiebungen an Dritte und nicht an künftige Insolvenzgläubiger angefochten werden.30 Hieraus wird gefolgert, dass der actio Pauliana der Gedanke der par conditio creditorum, der Gläubigergleichbehandlung, wie Sie heute ein zentrales Anliegen der Insolvenzordnung ist, noch fremd war.31 Nach der Lehre der klassischen Jurisprudenz mussten demnach folgende Tatbestandsmerkmale erfüllt sein, damit eine inkongruente Vermögensverschiebung mit der actio Pauliana angefochten werden konnte:
25
65 ff. 26
Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht (Fn. 24),
C. Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, Tübingen 2010, 288. J. Kummer, Die actio Pauliana im 21. Jahrhundert oder: Was blieb von D. 42.8? – Eine Bestandsaufnahme, in: H. Haarmeyer/H. Hirte/H.-P. Kirchhof/F. Graf von Westphalen, Verschuldung – Haftung – Vollstreckung – Insolvenz, Festschrift für Gerhart Kreft zum 65. Geburtstag, 2004, 3. 28 Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht (Fn. 26), 290; Kummer, Die actio Pauliana im 21. Jahrhundert (Fn. 27), 2. 29 Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht (Fn. 24), 88 f.; Kummer, Die actio Pauliana im 21. Jahrhundert (Fn. 17), 5. 30 R. Bork, Anfechtung als Kernstück der Gläubigergleichbehandlung, in: ZIP 2014, 797 f.; Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht (Fn. 24), 86. 31 Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht (Fn. 26), 288. 27
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– Das Vermögen des Schuldners musste sich durch dessen Handlung verringert haben (deminutio patrimonii), – die Gläubiger(gesamtheit) musste hieraus einen Schaden erlitten haben (eventus damni), – der Schuldner handelte mit Schädigungsvorsatz (consilium fraudis) und – der Beklagte kannte diesen Schädigungsvorsatz (scientia fraudis)32 Der Begriff der Handlung des Schuldners wurde dabei sehr weit ausgelegt. Unentgeltliche oder zu einem geringen Kaufpreis weggegebene Gegenstände fielen ebenso hierunter wie Forderungserlass oder die Aufgabe einer Dienstbarkeit bzw. eines Nießbrauchrechts. Ferner waren neben Realakten auch Unterlassungen des Schuldners von der deminutio patrimonii erfasst, sofern durch diese eine Vermögensminderung eingetreten war.33 Welche Anforderungen an den Schädigungsvorsatz des Schuldners, das consilium fraudis, zu stellen waren, ist in der Literatur umstritten. Während teilweise die Auffassung vertreten wird, schon bei Vorliegen des eventus damni sei seinerzeit der Schädigungsvorsatz vermutet worden 34, vertritt die h.M. die Auffassung, dass es sich hierbei um ein „vollwertiges“ subjektives Tatbestandsmerkmal auf Seiten des Schuldners gehandelt habe, welches notfalls anhand von Indizien zu beweisen war.35 Heftig umstritten ist auch die Frage, welche konkreten Vorstellungen auf Seiten des Schuldners den Schluss auf einen Schädigungsvorsatz zuließen. Die heute h.M. geht davon aus, dass bereits die Kenntnis von der eigenen Insolvenz bzw. der eigenen Zahlungsunfähigkeit für den Schädigungsvorsatz ausreichend war, da diese zwangsläufig auch die Erkenntnis impliziert, dass das eigene Vermögen nicht ausreicht, um all seine Gläubiger zu befriedigen und die Hingabe von Vermögenspositionen somit zwangsläufig zu Schäden bei der Gläubigergesamtheit führt.36 Hinsichtlich der Kenntnis des Beklagten ist nach römischem Recht die Kenntnis des Schädigungsvorsatzes des Schuldners (scientia fraudis) erforderlich. Die bloße Kenntnis des Beklagten von der Insolvenz des Schuldners war nicht ausreichend.37 Es reichte auch nicht aus, dass der Beklagte den Schädigungsvorsatz des Schuldners hätte erkennen müssen. Der Beklagte war daher gleichzeitig Teilnehmer eines Be-
32
Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht (Fn. 24), 86. Kummer, Die actio Pauliana im 21. Jahrhundert (Fn. 27), 4; Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht (Fn. 14), 96. 34 X. d’Ors, El interdicto fraudatorio en el derecho romano clásico, 1974, 136 ff. 35 Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht (Fn. 24), 111 f. 36 Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht (Fn. 24), 112 f. 37 Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht (Fn. 24), 124 m.w.N. 33
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trugs (particeps fraudis)38 des Schuldners gegenüber den übrigen Gläubigern.39 Auf Seiten des Beklagten war weiter erforderlich, dass dieser eine konkrete Vorstellung von der Person des geschädigten Gläubigers des Schuldners hatte. Eine abstrakte Kenntnis davon, dass durch das fraudulente Zusammenwirken mit dem Schuldner etwaige übrige Gläubiger zwangsläufig geschädigt werden würden, war nicht ausreichend.40
IV. Das Anfechtungsrecht in den USA und in China 1. USA In den USA finden sich sowohl auf bundesstaatlicher als auch auf nationalstaatlicher Ebene Gesetze mit insolvenzanfechtungsrechtlichen Regelungen. In den einzelnen Bundesstaaten entwickelten sich aus dem common law inhaltlich verschiedene sog. state fraudulent conveyance statues, aus denen im Jahr 1984 die vereinheitliche Fassung des Uniform Fraudulent Transfer Act (UFTA) hervorging, der heute von fast allen Bundesstaaten in geltendes Recht übernommen wurde.41 Der rechtsvereinheitlichte UFTA stellt eine unmittelbare Reaktion auf die zuvor auf nationalstaatlicher Ebene (federal law) nachkodifizierten insolvenzrechtlichen Regelungen des Bankruptcy Code dar, welcher in Titel 11, Chapter 5 spezielle insolvenzanfechtungsrechtliche Regelungen zum fraudulent transfer beinhaltet. Es bestehen deshalb heute nur noch vereinzelt (z. B. im Bereich der Anspruchsverjährung) rechtlich relevante Unterschiede zwischen UFTA und Bankruptcy Code. Die Rechtsprechung ist von einer weitgehenden Gleichbehandlung beider Vorschriften geprägt.42 Der Fokus der Betrachtung soll daher nachfolgend auf dem federal law des Bankruptcy Code liegen. In 11 U.S.C. § 547 ff. finden sich Anfechtungsregelungen, die den deutschen Regelungen der §§ 129 ff. InsO ähneln: Die Deckungsanfechtung nach 11 U.S.C. § 547 (preference law) verzichtet jedoch vollständig auf subjektive Tatbestandvoraussetzungen und knüpft die Frage, ob ein Gläubiger eine bis zu 90 Tage vor Insolvenzantragsstellung aufgrund einer Vermögensübertragung erlangte Deckung zu erstatten hat, an rein objektive Merkmale. Im Interesse der Gleichbehandlung wurde bewusst darauf verzichtet, den guten Glauben oder die Kenntnis des Gläubigers, etwa von der Zahlungsunfähigkeit
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D. 42, 8, 10, 2. Kummer, Die actio Pauliana im 21. Jahrhundert (Fn. 27), 7. 40 Grevesmühl, Die Gläubigeranfechtung nach klassischem römischen Recht (Fn. 24), 129. 41 M. Söhner, Opel bleibt bei General Motors – auch aus Gründen der US-amerikanischen Fraudulent Transfer Laws?, in: ZInsO 2010, 1, 2 f. 42 Söhner, ZInsO 2010, 1, 3. 39
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des Insolvenzschuldners, zu berücksichtigen.43 Im Rahmen des 11 U.S.C. § 547 erfolgt über 11 U.S.C. § 101 (31) lediglich eine Verschärfung der Anfechtungsregelungen gegenüber sog. Insidern, also nahestehenden Personen. Durch diese objektive Herangehensweise wird die Handhabung der Anfechtungsregelungen zwar vereinfacht und für den Geschäftsverkehr eine erhöhte Rechtssicherheit geschaffen. Unkenntnis oder Gutgläubigkeit des Schuldners oder des Gläubigers bleiben nach dieser Norm jedoch unberücksichtigt. Die Anfechtungsfrist beträgt 90 Tage. Während also gemäß 11 U.S.C. § 547 eine Anfechtung nur in engen sachlichen und zeitlichen Grenzen möglich ist, lässt 11 U.S.C. § 548 (fraudulent transfer law) eine Anfechtung in weitergehendem Umfang zu, weil diese Norm zentral auf die Absicht des Schuldners zur Gläubigerbenachteiligung (actual intent to hinder, delay or defraud) abstellt und diese zum Anknüpfungspunkt für einen bis zu 2 Jahre vor Insolvenzantragstellung zurückreichenden Anfechtungsanspruch macht.44 Nach 11 U.S.C. § 548 (c) ist der gutgläubige Leistungsempfänger vor der Anfechtung nach dem fraudulent transfer law geschützt. Im Streitfall trägt er jedoch die Beweislast für seine Gutgläubigkeit. Von der US-amerikanischen Rechtsprechung werden sehr unterschiedliche Anforderungen an diese Gutgläubigkeit gestellt: Während einige Gerichte auf Seiten des Anfechtungsgegners kumulativ die ernsthafte Annahme der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vorgangs sowie das Fehlen jeglicher Absicht zur Besserstellung gegenüber anderen Gläubigern bei fehlender Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht auf Seiten des Insolvenzschuldners verlangen, wird teilweise bereits die bloße Unkenntnis der Motivation des Insolvenzschuldners für ausreichend erachtet. Teilweise wird dem Anfechtungsgegner jedoch auch fahrlässige Unkenntnis von der Motivation des Schuldners zur Last gelegt und hierauf gestützt ein guter Glaube des Anfechtungsgegners abgelehnt.45 2. China Auch das chinesische Recht sieht Anfechtungsinstrumentarien innerhalb des Konkursverfahrens vor. Nach § 31 des am 1. Juni 2007 in Kraft getretenen Unternehmenskonkursgesetzes (UKG) existieren fünf Typen von Handlungen des Schuldners, im chinesischen Xingwei genannt, die potentiell anfechtbar sind, sofern sie innerhalb eines Jahres vor Annahme des Konkursantrages vorgenommen wurden: unentgeltliche Veräußerungen, Geschäftsabschlüsse zu unangemessenen Bedingungen, Bestellungen von Sicherheiten für nicht gesicherte Forderungen, Befriedigung nicht fälliger Forderung und Forderungsverzicht durch den Schuldner.46 Diese Xingwei stellen 43 V. Countryman, The Concept of a Voidable Preference in Bankruptcy, 38 Vand. L. Rev. 713 (1985); Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht (Fn. 26), 132. 44 Bork, ZIP 2014, 800; K. Priebe, Chapter 11 & Co.: Eine Einführung in das US-Insolvenzrecht und ein erster Rückblick auf die Jahre 2007 – 2010 der Weltwirtschaftskrise, in: ZInsO 2011, 1676, 1684. 45 Vgl. Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, (Fn. 26), 172 m.w.N. 46 Y. Bu, Konkursmasse im chinesischen Recht, in: ZInsO 2014, 913, 917.
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eine abschließende Aufzählung dar, so dass eine Anwendung der Anfechtungsregelungen außerhalb der vorstehend genannten Fallgruppen nicht stattfindet, wodurch sich naturgemäß Umgehungsmöglichkeiten, wie etwa durch die nachträgliche Herbeiführung einer Aufrechnungslage, ergeben.47 Gemäß § 32 UKG ist die Befriedigung fälliger (kongruenter) Verbindlichkeiten durch den Schuldner anfechtbar, wenn die Befriedigung innerhalb von 6 Monaten vor Annahme des Konkursantrags erfolgte und der Schuldner zu diesem Zeitpunkt bereits konkursreif war. Der Wortlaut des § 32 UKG verzichtet auf subjektive Tatbestandselemente, was der Norm grundsätzlich einen extrem weiten Anwendungsbereich verschafft.48 In der Praxis erfährt dieser weit gefasste Wortlaut von Literatur und Rechtsprechung jedoch dadurch eine Begrenzung, dass der böse Glaube als ungeschriebenes subjektives Tatbestandsmerkmal für die Anfechtung kongruenter Deckungen verlangt wird. Streitig ist lediglich, ob sich der böse Glaube bereits daraus ergibt, dass der Anfechtungsgegner Kenntnis davon hat, dass die angefochtene Rechthandlung die Interessen anderer Gläubiger verletzt, oder ob diese Kenntnis zusätzlich auch auf Seiten des Schuldners vorhanden sein muss. Dabei ist nach § 32 UKG eine Anfechtung grundsätzlich ausgeschlossen, sofern der Gläubiger Befriedigung aus der Vollstreckung eines Schuldtitels erlangt hat. Von diesem Grundsatz wird dann eine Ausnahme gemacht, wenn dem Schuldtitel bzw. der daraus folgenden Vollstreckung eine böswillige Kollusion zwischen Gläubiger und Schuldner zu Grunde lag.49 Darüber hinaus sind gemäß § 33 UKG Rechtshandlungen unwirksam, die nach deutschem Recht in den Anwendungsbereich der Vorsatzanfechtung des § 133 InsO fallen würden. Dieses betrifft beispielweise Vermögensverschiebungen zwecks Gläubigerentziehung oder die Anerkennung nicht vorhandener Schulden zwecks Schaffung einer Aufrechnungslage, wobei der Konkursverwalter insbesondere die Gläubigerentziehungsabsicht des Schuldners nachzuweisen hat.50 Im Ergebnis lässt sich somit feststellen, dass auch das chinesische Anfechtungsrecht (ungeschriebene) subjektive Elemente enthält, die die Redlichkeit bzw. den bösen Glauben des Anfechtungsgegners als maßgebliches Kriterium dafür heranziehen, ob dieser das Erlangte zurückzuerstatten hat.51
47
H. Xu, Das Chinesische Konkursrecht, Berlin 2013, 235. Vgl. Xu, Das Chinesische Konkursrecht (Fn. 47), 233. 49 Bu, ZInsO 2014, 918. 50 Vgl. Xu, Das Chinesische Konkursrecht (Fn. 47), 235 – 236. 51 Bu, ZInsO 2014, 913 ff.
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V. Vergleich der §§ 129 ff. InsO mit dem römischen Recht und den ausländischen Rechtsordnungen Sowohl § 133 InsO als auch die römische actio Pauliana setzen eine Schädigung der Gläubigergesamtheit durch eine (weit auszulegende) Rechtshandlung des Schuldners voraus, wobei der Schuldner mit Schädigungsvorsatz gehandelt und der Anfechtungsgegner diesen Schädigungsvorsatz gekannt haben musste. Ein Unterschied besteht zunächst bei der Anfechtungsfrist, die gemäß § 133 InsO 10 Jahre beträgt, nach römischem Recht dagegen nur ein Jahr. Eine erhebliche Abweichung ergibt sich darüber hinaus daraus, dass bei der actio Pauliana kongruente Deckungen von der Anfechtbarkeit ausgenommen sind. Im Vergleich zwischen zum Anfechtungsrecht der USA, insbesondere zur fraudulent transfer law Regelung des 11 U.S.C. § 548, liegt ein wesentlicher Unterschied zu § 133 InsO darin, dass in Deutschland der Insolvenzverwalter die komplette Beweislast dafür trägt, dass der Anfechtungsgegner den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte; als Erleichterung steht ihm lediglich die Vermutungsregelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Seite. In den USA trägt demgegenüber der Anfechtungsgegner die Darlegungs- und Beweislast für seine Gutgläubigkeit. Da die Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes häufig nur schwer nachzuweisen ist, ist diese Erleichterung in ihrer praktischen Bedeutung nicht zu unterschätzen. Die Anfechtungsansprüche des 11 U.S.C. § 547 (preference law) und der §§ 130, 131 InsO gehen zwar übereinstimmend von einem maximalen Anfechtungszeitraum von 3 Monaten bzw. 90 Tagen vor Insolvenzantragsstellung aus, die US-amerikanische Regelung verzichtet jedoch auf subjektive Tatbestandsmerkmale. Dies hat zur Folge, dass es für den Trustee deutlich einfacher ist, Anfechtungsansprüche erfolgreich durchzusetzen. §§ 32, 33 UKG des chinesischen Rechts geben dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung den Vorrang vor dem Verkehrsschutz: § 33 UKG ist zwar von den Voraussetzungen her der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO vergleichbar, hat jedoch als Rechtsfolge insofern eine unmittelbare dingliche Wirkung, als eine Anfechtung die vor Insolvenzantragstellung erfolgte Verfügung nichtig werden lässt.52 Eine solche dingliche Wirkung kennt die deutsche Insolvenzordnung nur bei Vermögensverfügungen durch den Schuldner nach Insolvenzeröffnung gemäß § 81 Abs. 1 InsO, und dann auch nicht in der Form eines Gestaltungsrechts, wie es § 33 UKG vorsieht, sondern kraft Gesetzes.53 Deutsche Insolvenzanfechtungsregelungen begründen demgegenüber nach § 143 Abs. 1 S. 1 InsO lediglich einen Rückgewähranspruch, und haben keine unmittelbare dingliche Wirkung. Zudem erfasst das chinesische Anfechtungsrecht nicht sämtliche Rechtshandlungen, sondern
52
Xu, Das Chinesische Konkursrecht (Fn. 47), 235. C. Ott/M. Vuia, in: Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung (München 20133), § 81 Rn. 13 ff. 53
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lediglich die fünf im Gesetz aufgeführten Fallgruppen (Xingwei). Eine § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO vergleichbare Regelung fehlt daher im chinesischen Recht. Der Grundaufbau hinsichtlich der objektiven und der (ungeschriebenen) subjektiven Tatbestandsmerkmale ist im deutschen und im chinesischen Recht vergleichbar geregelt.
VI. Bewertung der Änderungsvorschläge 1. Forderungen von Wirtschaftsverbänden Die Wirtschaftsverbände vertreten ausschließlich die Interessen ihrer Mitgliedsunternehmen, d. h. potentieller Anfechtungsgegner. Zur Wahrung dieser Interessen erscheint es legitim, eine weitgehende Einschränkung des Anfechtungsrisikos zu fordern, damit Unternehmen sicher sein können, erhaltene Leistungen auch behalten zu dürfen. Zwar sind Unternehmen auch als Insolvenzgläubiger an Insolvenzverfahren beteiligt, so dass sie von erfolgreichen Anfechtungen des Insolvenzverwalters profitieren. Angesichts durchschnittlicher Insolvenzquoten von 3 – 5 % in Unternehmensinsolvenzverfahren ist es wirtschaftlich jedoch nachvollziehbar, dass die Wirtschaftsverbände eine Einschränkung des Anfechtungsrechts präferieren. Nach den Vorschlägen der Wirtschaftsverbände sollen nur noch solche Handlungen anfechtbar sein, bei denen der Schuldner seine anderen Gläubiger absichtlich schädigt. Dies stimmt im Grundsatz mit den römisch-rechtlichen Anfechtungsregelungen überein, die eine betrügerische Absicht des Schuldners voraussetzen. Es erscheint allerdings sehr zweifelhaft, ob das deutsche gesetzgeberische Ziel der Gläubigergleichbehandlung, das dem römischen Recht fremd war, mit einer solchen Einschränkung effektiv erreicht werden kann. Rechtstechnisch ist darüber hinaus problematisch, dass in derartigen Fällen bereits ein Anspruch des Insolvenzverwalters gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 283 StGB bzw. § 826 BGB besteht. Die Vorschläge der Wirtschaftsverbände laufen daher im Ergebnis auf eine vollständige Abschaffung der für das Anfechtungsrecht zentralen Norm des § 133 InsO hinaus. Soweit von Seiten der Wirtschaftsverbände gefordert wird, man müsse „saisonale Schwankungen“ durch nicht anfechtbare individuelle Zahlungsvereinbarungen kompensieren können, steht dies im Widerspruch zu § 15 a InsO. Gemäß dieser Norm ist ein Insolvenzantrag spätestens 3 Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrunds zu stellen. Dieser Zeitraum von 3 Wochen müsste entsprechend der Forderung der Wirtschaftsverbände auf eine „Saison“, d. h. auf ganze Jahreszeiten, wie im Baugewerbe etwa den Winter, verlängert werden. Mit dem gesetzgeberischen Ziel einer rechtzeitigen und frühen Antragstellung ist dies nicht vereinbar. Die geforderte Verkürzung der Anfechtungsfrist auf 4 Jahre stellt einen sinnvollen und angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Gläubigergesamtheit an der Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen einerseits und dem Interesse poten-
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tieller Anfechtungsgegner an der Rechtsbeständigkeit einmal getroffener Vermögensverfügungen andererseits dar. Die Regelung nähert sich damit der Jahresfrist des römischen Rechts sowie der Zwei-Jahres-Frist des amerikanischen Rechts in 11 U.S.C. § 548. 2. Der Referentenentwurf des BMJV Die erklärte Zielsetzung des Referentenentwurfs, den Wirtschaftsverkehr und Arbeitnehmer von Rechtsunsicherheiten sowie unverhältnismäßigen und unkalkulierbaren Risiken zu befreien, insbesondere im Bereich des § 133 InsO, entbehrt einer empirischen Grundlage. Ihr liegt im Wesentlichen die unbewiesene Hypothese der Wirtschaftsverbände zu Grunde, es handele sich bei der Vorsatzanfechtung um ein Massenphänomen mit entsprechender Bedeutung für den Wirtschaftsverkehr. Die letzte statistisch repräsentative Erhebung des Mittelstandsverbundes ZGV zu dieser Thematik für den Zeitraum 2010 bis 2013 gelangt vielmehr zu dem Ergebnis, dass sich nur 1,28 % der beteiligten Unternehmen in einem nachfolgendem Insolvenzverfahren Vorsatzanfechtungsansprüchen des Insolvenzverwalters ausgesetzt sahen.54 Anhand der vorliegenden Zahlen lassen sich die apokalyptischen Ausführungen einzelner Lobbyisten somit nicht belegen.55 Es erscheint daher zweifelhaft, ob die Grundannahme des Referentenentwurfs richtig ist, wonach unverhältnismäßige und unkalkulierbare Risiken bestehen sollen. Die im Referentenentwurf vorgeschlagenen unbestimmten Tatbestandsmerkmale in § 133 InsO der „unangemessenen Benachteiligung“, des „ernsthaften Sanierungsversuchs“ und der „Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ haben weder im römischen Recht noch in den oben dargestellten ausländischen Rechtsordnungen eine Entsprechung. Im Gegensatz zur erklärten Zielsetzung des Referentenentwurfs erhöhen diese Tatbestandsmerkmale die Rechtsunsicherheit: Eine zur Konkretisierung dieser Merkmale erforderliche höchstrichterliche Rechtsprechung wird sich voraussichtlich erst in vielen Jahren gebildet haben. Bis dahin würde sowohl auf Seiten der (potentiellen) Anfechtungsgegner als auch auf Seiten des Insolvenzverwalters eine Rechtsunsicherheit bestehen, die auf Grundlage der ausdifferenzierten jahrzehntelangen Rechtsprechungspraxis des Bundesgerichtshofs aktuell gerade nicht besteht.56 Da der Zeitraum vor dem Insolvenzantrag von Schuldnern häufig für Vermögensübertragungen genutzt wird, die nach derzeitiger Rechtslage anfechtbar sind, wird eine Verfahrenseröffnung derzeit insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmensinsolvenzen häufig erst aufgrund des Bestehens von Anfechtungsansprüchen ermöglicht. Die im Referentenentwurf enthaltene erhebliche Einschränkung der An54 H.-J. Berner, Die Debatte zur Reform des Insolvenzanfechtungsrechts seit 2013, in: ZInsO 2015, 2457, 2465 m.w.N. 55 Vgl. Bork, ZIP 2014, 809. 56 Vgl. Berner, ZInsO 2015, 2460.
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fechtungsansprüche und die Einführung unbestimmter Rechtsbegriffe werden im Ergebnis dazu führen, dass nur in erheblich geringerem Umfang Anfechtungsansprüche bestehen, so dass voraussichtlich deutlich weniger Insolvenzverfahren eröffnet werden. Die Ordnungsfunktion solcher nicht eröffneten Insolvenzverfahren geht verloren, welche in der Vergangenheit eines der primären Ziele gesetzgeberischen Handelns war.57 Die im Referentenentwurf angeführten Negativmerkmale, aus denen allein nicht auf die Kenntnis des Gläubigers vom Vorsatz des Schuldners geschlossen werden könne (§ 133 Abs. 3 S. 2 InsO n.F.), entsprechen der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BGH58, wonach diese Kenntnis aufgrund einer Gesamtschau von Indizien zu ermitteln ist. Eine gesetzliche Neuregelung erscheint vor dem Hintergrund dieser ständigen Rechtsprechung entbehrlich. Der Vorschlag findet auch keine Entsprechung in der actio Pauliana oder in den Rechtsordnungen der USA bzw. Chinas. Der Ausschluss der Anfechtung gemäß § 131 InsO bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aufgrund von gerichtlichen Titeln führt zu einem Wertungswiderspruch: Die Rückschlagsperre des § 88 InsO hat zur Folge, dass Sicherungen die ein Gläubiger bis zu einem Monat vor Insolvenzantragsstellung mittels Zwangsvollstreckung erlangt, mit Insolvenzeröffnung nach § 88 Abs. 1 InsO unwirksam werden. Befriedigungen aus diesen Sicherungen sind jedoch auf der Grundlage des Referentenentwurfs regelmäßig insolvenzfest. Auf der einen Seite begründet der Gesetzgeber den Verlust der durch Zwangsvollstreckung erlangten Sicherheit im Monatszeitraum mit der verminderten Schutzwürdigkeit entsprechender Maßnahmen, während Befriedigungen aus diesen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geschützt werden.59 Nachdem die Anfechtung in USA auf der Grundlage der vergleichbaren Norm des 11 U.S.C. § 547 bereits derzeit unter erheblich leichteren Voraussetzungen möglich ist, wird dieser Unterschied durch die im Vorschlag des Referentenentwurfs enthaltene Einschränkung der Inkongruenzanfechtung vergrößert. Dagegen nähert sich der Referentenentwurf in diesem Punkt dem chinesischen Recht an, wo nach § 32 UKG Anfechtungen in derartigen Fällen gänzlich ausgeschlossen sind, soweit kein Fall von Kollusion zwischen Schuldner und Gläubiger gegeben ist. Des Weiteren steht § 133 InsO n.F. in einem Wertungswiederspruch zu § 15 a InsO.60 Die in § 15 a Abs. 4 InsO normierte Strafandrohung soll im Zusammenspiel mit der in § 64 GmbHG bzw. §§ 92, 93 AktG geregelten Haftungsandrohung einen Anreiz für rechtzeitige Insolvenzanträge setzen. Demgegenüber normiert die im Re57 Insgesamt zur diesbezüglichen Kritik am Referentenentwurf: M. Huber, Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und dem Anfechtungsgesetz, ZInsO 2015, 2297 ff.; Marotzke, ZInsO 2014, 418 ff. 58 BGH 16. 4. 2015, IX ZR 6/14, Tz. 3 f. m.w.N. 59 N. M. Schmidt, Verbesserung der Rechtssicherheit oder Paradigmenwechsel, in: ZInsO 2015, 2473, 2474; Berner, ZInsO 2015, 2460. 60 Vgl. Bork, ZIP 2014, 810.
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ferentenentwurf vorgeschlagene Neufassung des § 133 InsO, das Vermögensübertragungen nach Eintritt eines Insolvenzgrunds nicht anfechtbar sein sollen. Hierdurch wird ein Anreiz für verspätete Insolvenzanträge geschaffen. Auch die Erstreckung des Bargeschäftsprivilegs des § 142 InsO auf § 133 InsO erscheint im Hinblick auf die derzeitige Rechtslage nicht erforderlich. Insbesondere ist eine Anfechtung gegenüber Arbeitnehmern auf der Grundlage der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts61 de facto ausgeschlossen. Sinnvoll erscheinen im Referentenentwurf die Verkürzung der Anfechtungsfrist gemäß § 133 Abs. 2 InsO auf 4 Jahre sowie zum Ausschluss etwaiger Fehlentwicklungen die neue Regelung der Verzugszinsen in Abänderung des § 143 InsO.62 Mit den im Referentenentwurf vorgeschlagenen Änderungen nähert sich die Norm der actio Pauliana an, mit welcher lediglich fraudulente Handlungen angefochten werden konnten und kongruente Deckungen weitestgehend von der Anfechtung ausgenommen waren. Demgegenüber werden die Unterschiede zum US-amerikanischen Recht größer, wo die Anfechtung auch nach bisheriger Rechtslage schon gegenüber dem deutschen Recht unter erleichterten Voraussetzungen möglich war. Mit dem Referentenentwurf haben sich die Interessensverbände der Wirtschaft mit ihren Wünschen und Forderungen nahezu vollständig durchgesetzt. Von einem „angemessenen Ausgleich“ zwischen den Interessen der Insolvenzgläubiger und potentieller Anfechtungsgegner und einer lediglich „punktuellen Neujustierung“ des Anfechtungsrechts63 kann deshalb keine Rede sein.64 3. Der Regierungsentwurf Der entscheidende Unterschied des Regierungsentwurfs gegenüber dem Referentenentwurf besteht darin, dass Leistungen an Finanzämter und Sozialversicherungsträger faktisch von der Anfechtung ausgenommen werden: Während der Referentenentwurf in § 131 Abs. 1 lediglich eine Privilegierung von „in einem gerichtlichen Verfahren erlangten“ Titeln vorsah, beinhaltetet der Regierungsentwurf kein Erfordernis eines gerichtlichen Verfahrens mehr. Selbsttitulierende Gläubiger wie Finanzämter oder Sozialversicherungsträger fallen danach nicht mehr in den Anwendungsbereich der Regelung. Der Ausschluss von Leistungen an Finanzämter und Sozialversicherungsträger von der Inkongruenzanfechtung führt im Ergebnis dazu, dass diese Gläubiger unter Missachtung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung bevorzugt werden.65 Finanzverwaltung und Sozialversicherungsträger hatten in den vergangenen Jahren vielfach, wenngleich weitgehend erfolglos, versucht, sich selbst 61
BAG 6. 10. 2011, 6 AZR 262/10. Vgl. Schmidt, ZInsO 2015, 2473, 2476. 63 So der Wortlaut des Referentenentwurfs des BMJV vom 16. 03. 2015 (Fn. 16), 1. 64 G. Hölzle, ZIP 2015, 662 (662). 65 Huber, ZInsO 2015, 2298; Berner, ZInsO 2015, 2459. 62
Insolvenzanfechtungsrecht öffentlicher und privater Interessen
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vom Geltungsbereich des Anfechtungsrechts auszunehmen oder Anfechtungsansprüche einzuschränken. Zu § 133 InsO hat der Regierungsentwurf im Interesse der Rechtssicherheit die im Referentenentwurf enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe nicht übernommen. 4. Die Bundesrats-Empfehlung Im Rahmen des § 131 InsO wird in der Bundesrats-Empfehlung die sachlich unbegründete und wertungswidersprüchliche Privilegierung von Zwangsvollstreckungsgläubigern ersatzlos gestrichen. In der Empfehlung zu § 133 InsO n.F. kassieren die Ausschüsse mit überzeugender Begründung66 die rechtlich misslungenen Vorschläge des Referentenentwurfs und des Regierungsentwurfs zu Abs. 3 Satz 2 ein, wonach bei Abschluss von Zahlungserleichterungen und Zahlungsvereinbarungen die Anfechtung im Ergebnis ausgeschlossen war. Die Änderungen gegenüber dem bisherigen Rechte bestehen nach der Bundesrats-Empfehlung ausschließlich darin, dass die Verzugszinsen entsprechend den Vorschlägen des Referenten- und des Regierungsentwurfs neu geregelt werden, und dass der Anfechtungszeitraum des § 133 InsO auf lediglich noch 2 Jahre verkürzt wird. Die Änderungen gemäß Bundesrats-Empfehlung erscheinen insgesamt sehr sinnvoll mit Ausnahme der kurzen Anfechtungsfrist von 2 Jahren, da vorsätzliche Benachteiligungen oftmals über einen Zeitraum von 2 Jahren vor dem Antrag hinausgehen.67 Selbst die Wirtschaftsverbände haben daher lediglich eine Verkürzung auf 4 Jahre gefordert.
VII. Ergebnis Der Zweck des Insolvenzanfechtungsrechts besteht darin, den Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung als zentrales Ziel der Insolvenzordnung in den Zeitraum vor dem formellen Beginn eines Insolvenzverfahrens zu verlagern. Hierzu werden unter angemessener Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten bestimmte Vermögensverschiebungen wieder rückgängig gemacht. Da das derzeit geltende Anfechtungsrecht und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH diesem Zweck effektiv dienen, sollten Änderungen nur punktuell vorgenommen werden. Insbesondere erscheint es im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit sinnvoll, die Anfechtungsfrist von 10 auf 4 Jahre, eventuell im Hinblick auf die regelmäßige Verjährungsfrist sogar auf nur 3 Jahre, zu verkürzen. Darüber hinaus sollte zur Vermeidung von Missbräuchen § 143 InsO dahingehend 66 67
Empfehlung der Ausschüsse vom 13. November 2015 (Fn. 20), 7 f. Berner, ZInsO 2015, 2459.
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ergänzt werden, dass eine Geldschuld nur zu verzinsen ist, wenn die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs oder des § 291 BGB vorliegen. Die weiteren vorgeschlagenen Änderungen dienen ausschließlich den Partikularinteressen von Wirtschaftsunternehmen, Finanzverwaltung oder Sozialversicherungsträgern. Die vorgeschlagene Einschränkung der Insolvenzanfechtung würde die Eröffnungsquote entgegen den gesetzgeberischen Zielen der Insolvenzordnung maßgeblich reduzieren. Die Einführung von unbestimmten Rechtsbegriffen würde die Rechtsunsicherheit erhöhen. Entgegen der Ansicht der Wirtschaftsverbände ist das zentrale Problem nicht ein Ausufern des Anfechtungsrechts, sondern eine fehlende Insolvenzkultur, insbesondere die systematisch erheblich verspätete Insolvenzantragstellung.68 Der vermeintlich so schutzbedürftige deutsche Mittelstand hat demnach kein Anfechtungs-, sondern ein Insolvenzverschleppungsproblem.69 Problematisch ist, dass § 133 InsO in seiner Entwurfsausgestaltung falsche Anreize setzt, den Schuldner zu einer verspäteten Antragstellung zu motivieren, anstelle ihn nach Maßgabe des § 15 a InsO zur zügigen Stellung eines Insolvenzantrages zu bewegen. Die rechtzeitige Insolvenzantragstellung würde nicht nur die Sanierungschancen des Unternehmens und damit die Chancen auf den Erhalt von Arbeitsplätzen verbessern; sie würde auf Seiten des Gläubigers auch – ganz im Interesse der Wirtschaftsverbände – das Risiko minimieren, sich Anfechtungsansprüchen des Insolvenzverwalters auszusetzen.
68 69
Kirstein, ZInsO 2006, 967. Hölzle, ZIP 2015, 664.
Diokl./Max. C. 3.36.24 (a.294) – Überlegungen zu einer lex damnata Von Dietmar Schanbacher* Unter den Quellen zur sog. compensatio mutuorum legatorum1 befindet sich eine Konstitution der Kaiser Diokletian und Maximian2, die schon seit langem als besonders schwierig gilt3. Diokl./ Max. C. 3.36.24 (a.294) Filium4, quem habentem fundum portionem hereditatis fratribus et quibusdam aliis sub condicione verbis precariis restituere sanxit testator, post eius eventum, hereditaria parte praedii * Dr. iur., ordentl. Professor für Bürgerliches Recht und Römisches Recht an der Technischen Universität Dresden, E-Mail: [email protected]. 1 P. Voci, Diritto ereditario romano II (Milano 19632), 76658 f. 2 Wenngleich sie den Fall eines Prälegats einerseits, eines Erbteilsfideikommisses andererseits betrifft; F. Mancaleoni, Sulla compensatio mutuorum legatorum (Sassari 1903), 70. 3 Sie gehört zu den sechs sog. leges damnatae; s. U. Manthe, Das senatus consultum Pegasianum (Berlin 1989), 159 mit16. J. Cuiacius, In Lib. VI. Respons. Papin., Opera omnia (Lutetiae Parisiorum 1658, Neudruck Goldbach 1996) Tom. IV, 2, 232 D nennt sie „omnium, quae sunt in Codice longe difficillima“. Verfasser der Konstitution ist der ,Sekretär Nr. 20‘ T. Honorés, Emperors and Lawyers (Oxford 19942), 163 ff. („one of the foremost Roman lawyers“, 163). 4 Man erwartet den Nominativ (filius). Vgl. etwa Diokl./Max. C.4.38.13 (s.d.) … dominus invitus … non compellitur. So konjiziert G. Haloander in seiner Codexausgabe (Nürnberg 1530, Neudruck Frankfurt/M. 2011), 132 am Anfang filius und am Ende compellitur (vgl. Mancaleoni, Sulla compensatio [Fn. 2], 641), was der Wiedergabe in Bas. 42.3.79 (BT 1938.13 – 16) entspricht (UR¹r !macj²fetai). Bei näherem Zusehen erscheint filium jedoch als Teil eines von compelletur (verbum impersonale ,man wird zwingen‘; vgl. R. Kühner/ F. Holzweissig, Ausf. Grammatik der lat. Sprache. Erster Teil (Hannover 19122, Neudruck Darmstadt 1994), 833; J. B. Hofmann/A. Szantyr, Lat. Syntax und Stilistik [München 1965], 418) abhängigen AcI. Schon Theodoros, einer der sog. Antezessoren (L. Wenger, Die Quellen des römischen Rechs [Wien 1953, Neudruck Goldbach 2000] 632 f.) scheint die Konstruktion so gesehen zu haben. Schol.1 zu Bas. 42.3.79 (BS 2630.28 – 2631.2) Heod¾qou. j !pajahist_m jkgqomºlor ave¸kei 5weim t¹m Vakj¸diom7 j#m c±q 1ah0 aqt` pq÷cla paq± toO test²toqor ja· oqj !makoc0 pq¹r t¹m Vakj¸diom, kalb²mei t¹ ke?pom. )m²cmyhi bib. r4. tit. lh4. diat. c4., r4., ja· tit. m4. diat. i4. (Scholion des Theodoros. Der restituierende Erbe muss die Falcidia haben. Und wenn ihm vom Testator eine Sache gelassen worden ist und der Falcidia nicht gerecht wird, nimmt er das Mangelnde. Lies C. 6.49.3, 6 und C. 6.50.10 !). ave¸kei mit Infinitiv entspricht oportet mit AcI; Menge/Güthling, Griechisches Wörterbuch (Berlin-Schöneberg 1910), s.v. ave¸kei S. 419. – Anders Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 641; Manthe, SC Pegasianum (Fn. 3), 16021; M. Wimmer, Das Prälegat (Wien u. a. 2004), 175977 (Kasusattraktion [nämlich sog. attractio inversa: Hofmann/Szantyr 567 f.]). Ho-
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in quartae ratione retenta, compensato praeterea quod a coheredibus vice mutua percepit et, si quid deest, in supplementum deducto, quod a ceteris in eo fundo solvitur supra quartam habens, reddere compelletur5. Es wird zwingend so sein, dass der ein Grundstück habende Sohn, der nach der in bittenden Worten getroffenen Anordnung des Testators seinen Erbteil den Brüdern und gewissen anderen unter einer Bedingung restituieren soll, nach deren Eintritt, bei Einbehaltung des erbrechtlichen Teils des Grundstücks in der Berechnung der Quart, Verrechnung außerdem dessen, was er von den Miterben im Gegenzug erlangt hat, und, wenn etwas fehlt, in Ergänzung6 erfolgendem Abzug, was von den übrigen in dem Grundstück geleistet wird und mehr als die Quart hat, zurückerstattet7.
In den Basiliken wird die Stelle wie folgt wiedergegeben. Bas. 42.3.79 (BT 1938.13 – 16) UR¹r let± t_m Qd¸ym !dekv_m cqave·r jkgqomºlor ja· !niyhe·r paqajataswe?m !cq¹m t´keiom ja· !pojatast/sai t¹ l´qor t/r jkgqomol¸ar to?r !dekvo?r ja· 2t´qoir tis¸, pkgqo¼lemor t¹ 1kke?pom aqt` eQr t¹m Vakj¸diom !macj²fetai poi/sai tµm !pojat²stasim. Ein Sohn, der mit den eigenen Brüdern zum Erben eingesetzt ist und gewürdigt ist, ein vollständiges Grundstück für sich zu behalten und den Erbteil den Brüdern und irgendwelchen anderen zu restituieren, wird, für sich ausfüllend das ihm zur Falcidia Mangelnde, gezwungen, die Restitution vorzunehmen.
Was auffällt, ist: (1) Filium wird als filius (uRºr) gelesen. (2) Nur die Söhne sind Erben (let± t_m Qd¸ym !dekv_m …). (3) Die Bedingung, ohnehin eingetreten, wird übergangen. (4) Der Zwang geht auf die Restitution (!macj²fetai poi/sai tµm !pojat²stasim). (5) Nur der Quartabzug (et, si quid deest etc.) wird noch ausgeführt (pkgqo¼lemor etc.); Anrechnung (hereditaria parte etc.) und Verrechnung (compensato etc.) sowie der Mehrwert des Grundstücks über die Quart (quod a ceteris etc.) verschwinden in der ,Einbehaltung des vollständigen Grundstücks‘ (!cq¹m t´keiom). Thema der Konstitution ist die falzidische Rechnung beim Erbschaftsfideikommiss. Erbschaftsfideikommisse unterliegen seit dem SC Pegasianum (72 n. Chr.8) norés ,Sekretär Nr. 20‘ (o. Fn. 3) gebraucht des öfteren compellitur oder compelluntur (Honoré, Emperors [Fn. 3] 174 „use of impersonal passives“). Auch der im Cod. Iust. abgetrennte Teil der Konstitution (Fn. 5) ist so konstruiert: Filiam … nihil posse consequi summa cum ratione placuit. Placet ist in dieser Konstruktion ganz üblich; Hofmann/ Szantyr 358 f. 5 Diokl./Max. C. 6.20.16 (a.294), ursprünglich mit Diokl./Max. C. 3.36.24 verbunden (Honoré, Emperors [Fn. 3] 140 mit10), behandelt eine andere Fallkonstellation. 6 Zu Einbehaltung und Verrechnung. Anders Manthe, SC Pegasianum (Fn. 3) 162 (von der Ergänzung); Wimmer, Prälegat (Fn. 4), 177 mit990 (der Quart). 7 Die Übersetzung harmoniert nicht mit dem herkömmlichen Verständnis der Stelle (sogl.). 8 F. Longchamps de Bérier, Il fedecommesso universale nel diritto romano classico (Warszawa 1997), 116; P. Gröschler, SZ 119 (2002) 511, 515. s. schon Manthe, SC Pegasianum (Fn. 3), 411, 209 und ders., Testierfreiheit und lex Papia: Papinian 19 quaestionum D. 30.11, in: Libertas. Grundrechtliche und rechtsstaatliche Gewährungen in Antike und Gegenwart. Symposion aus Anlaß des 80. Geburtstages von Franz Wieacker (hg. von O. Behrends und M. Diesselhorst, Ebelsbach 1991), 113, 11826.
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dem Recht der lex Falcidia9. Herkömmlich10 wird der Konstitution folgender Fall zugrunde gelegt11. Jemand hat sieben Personen zu Erben eingesetzt, drei Söhne und vier andere Personen. Die Erbschaft wird auf 700 beziffert. Einer der Söhne (mit einem Erbteil von 100) ist einerseits mit dem Prälegat eines Grundstücks im Wert von 28 bedacht, andererseits mit einem bedingten Erbschaftsfideikommiss zugunsten seiner Brüder und zugunsten von zweien (!) der andern Miterben beschwert12. Die Bedingung ist eingetreten13. Herkömmlich14 wird folgende Lösung angenommen15. a) Es greift das SC Pegasianum ein; b) in die Quart (25 = 1/4 × 100) werden 4 (1/7 × 28), der erbrechtliche Teil des Prälegats, ,eingerechnet‘ (d. h. von der Quart abgezogen); c) auf das, was von der Quart verbleibt (21 = 25 – 4) werden 16 (4/7 × 28), die von den Miterben/Fideikommissaren kommenden Teile des Prälegats, angerechnet; d) die danach verbleibenden 5 werden von dem herauszugebenden Erbteil abgezogen, so dass der Sohn (mit 4 [erbrechtlicher Teil des Prälegats], 16 [einige legatsrechtliche Teile des Prälegats] und 5 [Abzug]) den Betrag der Quart von 25 hat; e) 8 (2/7 × 28), die übrigen von den Miterben/Nichtfideikommissaren kommenden legatsrechtlichen Teile des Prälegats, welche weder ,eingerechnet‘ noch angerechnet werden, erhält der Sohn über die Quart. So hat er am Ende 3316,17. 9
Gai. inst. 2.254. Seit Arnaud du Ferrier (1508/11 – 1585), Rechtslehrer in Toulouse, und Jacques Cujas (1520 – 1590); Cuiacius, In Lib. VI. Respons. Papin., Opera omnia (Fn. 3) Tom. IV, 2, 232 D – 234 A (ausführlich); Obs. 8.3, Opera omnia (Fn. 3) Tom. III 212 E – 213 A (kurz). s. Manthe, SC Pegasianum (Fn. 3), 159 ff. 11 s. etwa K. A. v. Vangerow, Lehrbuch der Pandekten II (Leipzig Marburg7), 483; C. Ferrini, Teoria generale dei legati e dei fedecommessi (Milano 1889, Neudruck 1976), 496 ff.; Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 65 f.; Manthe, SC Pegasianum (Fn. 3), 159 ff.; Wimmer, Prälegat (Fn. 4), 174 ff. Skeptisch H. Dernburg, Die Einrechnung in den Antheil des Erben bei der quarta Falcidia und Trebelliana, in: AcP 47 (1864), 291, 32040 („da die faktischen Voraussetzungen dieses Gesetzes ganz im Unklaren sind“). 12 Alle (7) Beteiligten sind Erben; doch nicht alle Erben sind Fideikommissare. Umgekehrt Bas. 42.3.79 (BT 1938.13 – 16): Alle Beteiligten sind Fideikommissare, doch nicht alle Fideikommissare sind Erben (vielmehr nur die Söhne). Es ist danach also etwa an folgenden Fall zu denken. Jemand hat seine vier Söhne zu Erben eingesetzt. Die Erbschaft beträgt 400. Einer der Söhne (mit einem Erbteil von 100) ist einerseits mit dem Prälegat eines Grundstücks im Wert von 20 bedacht, andererseits mit einem Erbschaftsfideikommiss zugunsten seiner Brüder und Miterben und zugunsten irgendwelcher anderen Personen beschwert. 13 Ansonsten wäre es bei dem Prälegat geblieben, das zum Teil (4 = 1/7 × 28) schon im Erbteil des bedachten Sohnes enthalten ist, zum Teil (24 = 6/7 × 28) aus den Erbteilen der übrigen Beteiligten geleistet wird. 14 Wie Cujaz selbst sagt, stammen Fall und Lösung von du Ferrier; Cuiacius, Respons. Pap. (Fn. 3) 232 D. 15 s. etwa v. Vangerow, Pandekten II (Fn. 11), 483; Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 66 f.; Manthe, SC Pegasianum (Fn. 3), 161 f.; Wimmer, Prälegat (Fn. 4), 176 ff. 16 Natürlich behält der mit dem Erbschaftsfideikommiss beschwerte Sohn den ihn selbst beschwerenden Teil des Prälegats (4), so dass er genau genommen nicht 95 (Cuiacius, Respons. Pap. [Fn. 3] 233 D) restituiert, sondern 91 (Manthe, SC Pegasianum [Fn. 3], 162). 10
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Angesichts dessen ruft Mancaleoni aus: „È la sola spiegazione possibile, ma quanta fatica per arrivarci, e soprattutto quale violenza alle parole del testo!“18, und er nimmt an, die Kompilatoren hätten hier die Hand im Spiel gehabt19. Mancaleoni wendet unter anderem20 ein, dass es keinen Anhalt gebe für die Annahme von Miterben, die nicht zugleich Fideikommissare wären21. Dieser Einwand ist berechtigt. Es gibt keinen Anhalt für die Annahme von Miterben, die nicht zugleich Fideikommissare wären. Keiner der andern Miterben wird aus der Gruppe der Erbteilsfideikommissare ausgeklammert. Der Erbteil soll den beiden Brüdern und ,gewissen anderen‘ (quibusdam aliis) restituiert werden. Es ist nicht erkennbar, dass ,gewisse andere‘ (quidam alii) nicht alle übrigen Miterben des Sohnes meinen soll, vielmehr nur einige davon, andere nicht (in welchem Fall zu erwarten wäre quibusdam aliorum
17 Zum Vergleich die Lösung nach Bas. 42.3.79 (BT 1938.13 – 16) [o. Fn. 12]: Die Quart (25) wird zunächst durch das Grundstück (20) erfüllt (der Sohn behält 5 und erhält von seinen Brüdern 15). Es fehlen noch 5 zur Quart, die von den zu restituierenden 95 abgezogen werden, so dass im Ergebnis 90 restituiert werden. Der Sohn hat am Ende im Ganzen die Quart (25). Der in dem ,vollständigen Grundstück‘ anklingende Gedanke eines Mehrwertes des Grundstücks (Wert etwa 40) über die Quart wird nicht weiter verfolgt. 18 Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 67. 19 Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 67 „Nessuno perciò, io credo, vorrà negare che esso (sc. il testo) sia stato gravemente modificato dai compilatori“; 68 „Il sospetto dunque di un totale rimaneggiamento della costituzione non è senza fondamento“. Mancaleoni will das Stück compensato – percepit aus dem Text streichen, womit der Fall ,ganz einfach‘ werde (64; 68 „… il caso riesce invece semplicissimo“): Prälegat, bedingtes Erbschaftsfideikommiss, ,Einrechnung in die Quart‘ des erbrechtlichen Teils des Prälegats, im übrigen Abzug und darüber hinaus Anspruch auf die legatsrechtlichen Teile des Prälegats über die Quart hinaus (68 f.). Mancaleoni hält die sog. compensatio mutuorum legatorum für unklassisch. Bedenklich auch G. B. Impallomeni, Iura 40 (1989), 110, 113 „la complicazione, quando è eccessiva, va contro la verosimiglianza. Probabilmente il testo di questa costituzione … deve essere stato tramandato in forma eccessivamente compendiata se non addirittura monca“. Querel und Sohnespflichtteil (Impallomeni 113 f. „quarta di riserva“, „quota di riserva“) stehen hier nicht in Frage. Denn mit 14 (Impallomeni a.O.) [100, bei einer Erbschaft von 400] wäre dem Sohn mehr als der Sohnespflichtteil (1/8 ; 50) hinterlassen. Dass der Sohn mit dem ihm hinterlassenen, jedoch durch das Erbteilsfideikommiss erschöpften Viertel letztlich nur 1/16 hat (25) und damit (Impallomeni a.O.) weniger als seinen Pflichtteil (1/8 ; 50), tut nichts zur Sache. Zwar ist seit Antoninus Pius auch der Intestaterbe gegenüber Fideikommissen falzidisch geschützt (Paul. 11 quaest. D. 35.2.18pr.), jedoch nur als solcher. Wird er testamentarisch zum Erben berufen, so bildet die testamentarische Berufung und ihr Umfang die Grundlage der falzidischen Rechnung. Eine Kürzung zur Sicherung des Pflichtteils begegnet erst bei Justinian; D. Schanbacher, SZ 118 (2001) 479, 481 f. Das Prälegat (Impallomeni a. O.) unterliegt nicht der Restitutionspflicht (Fn. 6). 20 Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 67 f. kritisiert desweiteren habentem fundum als Ausdruck für das Prälegat; quibusdam aliis als Ausdruck für die anderen Miterben; sanxit testator als absolut unüblich; quod solvitur in eo fundo als Umschreibung des Teils des Grundstücks, der von den Miterben kommt; habens (Schluss) als Apposition zu filium (Anfang). 21 Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 67 „Infatti si osservino … la mancanza di indicazione dell’ esistenza di coeredi non fedecommissari“.
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coheredum o. ä.22). Auf die Quart sollen die Prälegatsanteile ,der Miterben‘ verrechnet werden (compensato praeterea etc.). Es ist nicht erkennbar, dass unter den ,Miterben‘ (coheredes) nicht alle Miterben des Sohnes zu verstehen sein sollen, sondern nur einige, einige nicht. Schließlich sind da ,die übrigen‘, die an der Leistung des Grundstücks beteiligt sind (quod a ceteris etc.). Es ist nicht erkennbar, dass es sich dabei nicht um alle Miterben des Sohnes handeln soll, vielmehr nur um Miterben/Nichtfideikommissare. Denn zum einen wird von den zuvor erwähnten Miterben (coheredes) niemand ausgeschlossen, der jetzt angesprochen sein könnte, zum anderen behält der Sohn nicht etwa, was über die Quart geleistet wird, sondern muss es erstatten23. Doch können dieser und andere Einwände Mancaleonis nicht dazu führen, einen Eingriff der Kompilatoren anzunehmen. Sie sind vielmehr Anlass, die herkömmliche Fallannahme zu überdenken24. Bei der Rekonstruktion des zugrundeliegenden Falles ist davon auszugehen, dass alle Miterben Fideikommissare sind. Zugrunde zu legen ist danach etwa folgender Fall. Jemand hat einen Sohn, daneben dessen Brüder und andere zu Erben eingesetzt. Der Sohn ist einerseits durch Prälegat mit einem Grundstück bedacht, andererseits durch ein bedingtes Erbschaftsfideikommiss zugunsten seiner Miterben (und zwar aller Miterben) beschwert worden. Die Bedingung ist eingetreten25 und der Erbteil ist zu restituieren. Der Sohn behält das Prälegat, welches der Restitutionspflicht nicht unterliegt26. Doch wird es, soweit es ihn selbst beschwert nicht nur in die Quart eingerechnet (und ist Bestandteil des Erbteils), sondern zugleich auf die Quart angerechnet27. Der Quartabzug gegenüber den Brüdern und den andern Miterben verringert sich ein erstes Mal28. Auch soweit das Prälegat die Brüder und die andern Miterben beschwert, wird es auf die Quart angerechnet (sog. compensatio mutuorum legatorum). Der Quartabzug gegenüber den Brüdern und den anderen Miterben verringert sich ein zweites Mal29. Und nun wird unterschieden30. (a) Fehlt jetzt
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Vgl. Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 674 f. Herkömmlich wird allerdings der Erbteil als Gegenstand der Erstattungspflicht angenommen; s. o. und bereits Bas. 42.3.79 (BT 1938.13 – 16) … !macj²fetai poi/sai tµm !pojat²stasim. – Der Gedanke, dass der Sohn was über die Quart hinaus geleistet wird, erstatten muss, ist allerdings nicht neu. Er findet sich schon bei Azo, Lectura Codicis (Parisiis 1577, Neudruck Frankfurt/ Main 2009) 240 unter Ziff.1. 24 Was Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 67 selbst weit von sich weist („È la sola spiegazione possibile, ma …“). 25 Post eius eventum; s. Ferrini, Teoria (Fn.11), 497. 26 Ul. 40 dig. D. 35.2.86 (Restitution an Miterben). Abw. Marc Aurel/Ulp. 15 ad Sab. D. 36.1.19.3 (Restitution an einen Dritten). 27 Beides wird oft nicht getrennt: vgl. etwa Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 65, 66 („imputazione“), 68 f. („imputare nella sua quarta“). 28 Hereditaria parte praedii in quartae ratione retenta. 29 Compensato praeterea quod a coheredibus vice mutua percepit. Die beiden Verringerungen werden nicht zusammengefasst. Denn nur die zweite beruht auf dem Gedanken der compensatio mutuorum legatorum. 23
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noch etwas zum Ausgleich der Quart, wird dies abgezogen31. (b) Wird hingegen die Quart mehr als ausgeglichen, muss der Sohn den Brüdern und den anderen Miterben den Mehrbetrag erstatten32. Am Ende hat der Sohn die Quart33. 30 Et, si quid deest etc. Es werden zwei Alternativen gebildet. Der ergänzende Abzug et … in supplementum deducto, syntaktisch als Abl. abs. mit der Rückerstattung (filium … reddere) verknüpft, ist unter die Bedingung gestellt si quid deest. Ob nun diese Bedingung eintritt und es zu dem ergänzenden Abzug kommt (a) oder ob sie ausfällt und es nicht dazu kommt (b), immer ist von dem Sohn zurückzuerstatten, was von den übrigen in dem Grundstück über die Quart hinaus geleistet wird, nur dass sich dies im Fall des Bedingungseintritts auf nichts beläuft. Herkömmlich wird die Passage allerdings anders verstanden (kumulativ) im Sinne eines Restabzugs und prälegatweisen Erwerbs über die Quart. s. nur Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 65 „e in parte mediante riduzione del fedecommesso portionis hereditariae … in modo finalmente che qualche cosa rimanesse del prelegato oltre la Falcidia …“ oder Wimmer, Prälegat (Fn. 11), 177 „und wenn etwas fehlt zur Ergänzung … so wird der Prälegatar zu restituieren gezwungen … abzüglich (dessen), was von den übrigen auf dieses Grundstück geleistet wird und er über die Quart hat“. 31 Et, si quid deest, in supplementum deducto. Gedanklich ist zu ergänzen (,und wenn etwas fehlt, unter Abzug dessen in Ergänzung‘). deducto hat damit seinen Gegenstand, womit sich ein weiteres Bedenken Mancaleonis erledigt, Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 69 „… la incongruenza grammaticale, per la quale si dovrebbe intendere letteralmente il passo in un modo assolutamente assurdo; giachè attualmente il compensato ed il deducto hanno, grammaticalmente, lo stesso oggetto nel „quod a coheredibus vice mutua percepit“ …“ (es ist nicht so). Wimmer, Prälegat (Fn. 11), 177 will dagegen in quod … solvitur den Gegenstand des Abzugs sehen (?). 32 Filium … quod a ceteris in eo fundo solvitur, supra quartam habens reddere compelletur. supra quartam habens gehört nicht zu filium (Anfang), womit sich ein weiteres Bedenken Mancaleonis erledigt, Mancaleoni, Sulla compensatio (Fn. 2), 68 „l’ „habens“, „apposizione di „filium“), sondern zu quod a ceteris in eo fundo solvitur (,was von den übrigen in dem Grundstück geleistet wird und mehr als die Quart hat‘). Vergleichbar ist Tryph. 18 disp. D. 29.1.18.2 Quod si … deprehenderetur, quod remaneat apud heredem, non tamen sufficiens quartae eorundem legatorum. Die herkömmliche Ansicht lässt reddere ohne Objekt. Skeptisch Dernburg AcP 47 (1864), 32040 („indem hiernach das supra quartam habens reddere compellitur unklärlich wäre“). 33 Anders die herkömmliche Ansicht (mehr als die Quart). Im Rückblick erscheint die Entscheidung Jul. 40 dig. D. 35.2.86, welche ebenfalls den Fall eines einerseits durch Prälegat bedachten, andererseits durch Erbschaftsfideikommiss beschwerten Miterben betrifft, als unvollständig. Julian vollzieht vom diokletianischen Dreischritt nur den ersten Teilschritt (a), indem er die selbstbeschwerenden Anteile des Prälegats auf die Quart anrechnet. Der Umfang der Selbstbeschwerung wird zudem durch die SCta Trebellianum und Pegasianum bestimmt. So muss sich in Julians Fall (a) Titius gegenüber den Miterbinnen und Erbteilsfideikommissarinnen Secunda und Procula 1/12 bzw. in der Variante 1/3 des Wertes der Grundstücke auf die Quart anrechnen lassen (Ferrini, Teoria [Fn.11], 494 ff.). Eine Verrechnung (b) der fremden Prälegatsanteile (11/12 bzw. 2/3) ist nicht vorgesehen (Ferrini 496; relativierend dagegen V. Mannino, Il calcolo della „quarta hereditatis“ e la volontà del testatore [Napoli 1989], 71 „non emerge una posizione di Giuliano decisamente negativa …“); die Frage (c) Restabzug oder Ausgleich? wird nicht gestellt. Nach Julian hat Titius, eine Erbschaft von 300 vorausgesetzt, bei einem Wert der Grundstücke von (a) 15 bzw. (b) 30 am Ende (a) trebellianisch 38 3 /4, pegasianisch 35 bzw. (b) trebellianisch 521/2, pegasianisch 45. Nach Diokletian hat er hingegen am Ende nicht mehr und nicht weniger als die Quart (25). Das justinianische Recht kennt nurmehr die trebellianische Restitution. Danach wäre in jedem Fall 1/12 anzurechnen (v. Vangerow, Pandekten II [Fn. 11], 482; Ferrini 496). Die Kompilatoren haben die Ent-
Diokl./Max. C. 3.36.24 (a.294) – Überlegungen zu einer lex damnata
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In Zahlen. Erbschaft 400. Eingesetzte Erben: die drei Söhne des Testators F1, F2, F3 und ,die anderen‘ (zusammengefasst) A. F1 ist einerseits mit dem Prälegat des Grundstücks bedacht, andererseits mit dem bedingten Fideikommiss bezüglich seines Erbteils (100) zugunsten von F2, F3 und A beschwert; das Grundstück ist 20 wert (a) oder (b) 40. Das Prälegat wird, soweit es F1 selbst beschwert (5 bzw. 10) nicht nur in die Quart eingerechnet (und bildet einen Bestandteil seines Erbteils), sondern auch auf die Quart angerechnet. Fall (a): das Grundstück ist 20 wert. Der Abzug gegenüber F2, F3 und A (25) verringert sich erstmals um 5; es bleiben zunächst 20. Soweit das Prälegat F2, F3 und A beschwert, wird es mit der Quart verrechnet (sog. compensatio mutuorum legatorum). Der Abzug gegenüber F2, F3 und A verringert sich so nochmals um 15; es bleiben nurmehr 5. Soviel fehlt zum Ausgleich der Quart und wird jetzt vom herauszugebenden Erbteil abgezogen34. Fall (b): das Grundstück ist 40 wert. Der Abzug verringert sich erstmals um 10; es bleiben zunächst 15. Der Abzug verringert sich nochmals um 30. Damit ist die Quart, mit 15, ausgeglichen. Der Mehrbetrag von 15 ist an F2, F3 und A zu erstatten35. Die Zuweisung der Prälegatsteile F2, F3, A an F1 (15 bzw. 30) und die Auseinandersetzung der Miterben F1, F2, F3, A hinsichtlich des durch Fideikommiss F2, F3, A zugewandten Erbteils F1 unter Lösung der zugehörigen falzidischen Fragen erfolgen im Verfahren der actio familiae erciscundae36, was die Einstellung der Konstitution in den Codextitel 3.36 Familiae erciscundae erklärt.
scheidung Julians gleichwohl nicht berichtigt (Ferrini a. O. „non è maraviglia“). Denn die auch aus Sicht des justinianischen Rechts unvollständige Entscheidung Julians war aus Diokl./ Max. C. 3.36.24 zu ergänzen, wodurch Titius in jedem Fall auf die Quart zurückfällt. – Die Verneinung der falzidischen Kürzung im Fall Jul. 61 dig. D. 35.2.87.1 rührt daher, dass Julian die Quart der jeweiligen Erbteile durch die jeweiligen Legatslasten nicht verletzt sieht. 34 So dass im Ergebnis F2, F3 und A 90 erhalten (vgl. o. Fn. 16). 35 F2, F3 und A erhalten 90, leisten 30 an dem Grundstück und erhalten von F1 im Gegenzug 15 wieder. 36 Die actio familiae erciscundae (Formel bei O. Lenel, Edictum Perpetuum [Leipzig 19273), 206 ff.) dient nicht nur der Ordnung der Prälegate (Ferrini, Teoria [Fn. 11], 186; Schol. 2 zu Bas. 42.3.63 [BS 2624.27 – 28]). Sie lässt sich auch schon vor der Restitution (!) zur genauen (!) Teilung der fideikommissarisch zugewandten Erbschaft einsetzen; Ulp. 19 ad. ed. D. 10.2.2pr. et generaliter eorum dumtaxat (!) dividi hereditas potest, quorum peti potest (!) hereditas. Gai. 2 fid. D. 10.2.40 erklärt den Einsatz eines utile familiae erciscundae iudicium schon vor der Restitution des Teils einer Erbschaft für rechtens; a. A. P. Voci, Diritto ereditario romano I (Milano 19672), 736 mit 21; Longchamps de Bérier, Il fedecommesso universale (Fn. 8), 111 f. (erst nachher). Sie schließt die Fideikommissklage ein; Gord. C. 3.36.7 (a. 239 oder 241); Schol. 1 des Theodoros zu Bas. 42.3.63 (BS 2624.23 – 26).
„Warum gerade gegen meine Person?“ Die Ministerverantwortlichkeit im Königreich Bayern und ihre Bedeutung für die konstitutionelle Monarchie Von Stephan Schuster-Oppenheim*
I. Einleitung „Warum gerade gegen meine Person? Ich weiß es nicht!“, so der Staatsminister der geistlichen Angelegenheiten und des Innern Dr. Eduard von Schenk1 am 9. Mai 1831 vor der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Bayern.2 Möglicherweise ahnte der enge Vertraute König Ludwigs I. (1786 – 1868, Kg. 1825 – 1848), dass er zwischen die Fronten geraten war: Den König auf der einen, die Abgeordneten der Zweiten Kammer der Ständeversammlung auf der anderen Seite. Bereits die Ernennung von Schenks zum Innenminister im Jahre 1828 war eine Absage an die aufgeklärten Reformkräfte und ein Signal für den konservativen Katholizismus. Sie weckte den Widerstand des in Bayern damals weit verbreiteten Liberalismus. König Ludwig I., als Kronprinz und junger Monarch dem liberalen Ge* Dr. iur., Leitender Regierungsdirektor, Düsseldorf. 1 Eduard von Schenk (geb. 10. Oktober 1788 in Düsseldorf, gest. 26. April 1841 in München) studierte Rechtswissenschaft an der Universität Landshut (u. a. bei Savigny). Nach der Promotion zum Doktor der Rechte und dem Staatsexamen machte er Karriere im bayerischen Staatsdienst. Zum 1. Januar 1826 trat Schenk als Ministerialrat an die Spitze des Obersten Kirchen- und Schulrats im bayerischen Innenministerium, am 1. September 1828 wurde er zum Minister der geistlichen Angelegenheiten und des Innern ernannt. Der Versuch Ludwigs I., die milde Handhabung der Zensur in Hinblick auf die politische Berichterstattung zu beenden, störte das Verhältnis zwischen Monarch und dessen Protegé Schenk einerseits und der Kammer der Abgeordneten andererseits so nachhaltig, dass der König Schenk am 26. Mai 1831 als Minister entließ und ihm unter Ernennung zum Staatsrat die Verwaltung des Regenkreises übertrug. Näheres zur Person Eduard von Schenks bei D. Götschmann, Das bayerische Innenministerium 1825 – 1864. Organisation und Funktion, Beamtenschaft und politischer Einfluss einer Zentralbehörde in der konstitutionellen Monarchie (Göttingen 1993), 202 ff.; zu seinem Wirken als Schriftsteller vgl. V. Goldschmidt, Eduard von Schenk. Sein Leben und seine Werke (Marburg 1909), B. Lübbers, Sieh nur den Dichter hier. Eduard von Schenk – Ein vergessener Schriftsteller, in: Verhandlungen des historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 151 (2011), 139 ff. 2 Verhandlungen der Zweyten Kammer der Ständeversammlung des Königreichs Bayern im Jahre 1831 (nachfolgend KdA Protokolle 1831), Bd. 5, Prot. XXVI. Sitzung v. 9. Mai 1831, 7.
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dankengut durchaus zugetan, wandelte sich allmählich zum konservativen Herrscher.3 Als die liberalen Kräfte aus den Neuwahlen zum Landtag im Dezember 1830 deutlich gestärkt hervor gingen, kam es darüber am Heiligen Abend 1830 in München zu studentischen Unruhen – sei es aus Begeisterung, sei es aus dem Willen, ein politisches Signal zu setzen.4 Der zwischen dem König bzw. der Regierung und der Volksvertretung seit dem Inkrafttreten der Verfassung vom 26. Mai 1818 schwelende Konflikt über die Machtverteilung in der konstitutionellen Monarchie, trat nach diesen Ereignissen in ein neues Stadium. Im Zusammenhang mit der Presseverordnung vom 28. Januar 18315, mit der der König die milde Handhabung der Zensur für alle politischen Zeitungen beenden wollte, kam es in der Zweiten Kammer der Ständeversammlung (Kammer der Abgeordneten) zu erregten Wortgefechten unter den Abgeordneten.6 Schon bald nachdem die Abgeordneten am 27. Februar 1831 zu ihrer ersten Sitzung zusammengetreten war, stellte die Opposition die Verfassungsmäßigkeit der Presseverordnung in Frage.7 Ihr erklärtes Ziel war die Aufhebung oder jedenfalls die Änderung der „traurigen Ordonnanz vom 28. Januar“,8 die der Abgeordnete Dr. Peregrin Schwindel während der Sitzung der Abgeordnetenkammer am 5. Mai 1831 nicht nur als verfassungswidrig, sondern gar als „verderblich(er), dem Volke verhaßt(er) und strafwür3 E.-R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. II (Stuttgart 19883), 32; zur Wendung im Leben König Ludwigs I. vgl. auch M. Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns, Dritter Band (München 1931), 94 ff. 4 Dazu M. Doeberl, a.a.O., 100 ff.; E.-R. Huber, a.a.O., 32. 5 Gesetzblatt für das Königreich Bayern 1831, 33. 6 Die Presseverordnung v. 28. Januar 1831 war schon früh Gegenstand der Verhandlungen der Abgeordnetenkammer, vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 1, Prot. I. Sitzung v. 8. März 1831, 65 ff.; Prot. II. Sitzung v. 10. März 1831, 3; Bd. 4, Prot. XV. Sitzung v. 19. April 1831, 4 ff. Während der Debatte über die gegen von Schenk erhobenen Vorwürfe am 5. Mai 1831 eskalierten die Auseinandersetzungen schließlich: So rief z. B. der Abgeordnete Peregrin Schwindel vor der Abgeordnetenkammer aus „Überall geschminkte Wahrheit, hinterlistige Ränke und kleinliche Absichten, politischer Aberglaube (…), sklavische Kriecherei vor der herrschenden Gewalt und Verfolgung der anders Denkenden“ (Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 51); der Abgeordnete Leonhard von Dresch sprach von „Anklagen [gegen Innenminister von Schenk], so laut und so heftig, wie ich sie nie in dieser Versammlung gehört habe“ (Bd. 5, Prot. XXIV. Sitzung v. 6. Mai 1831, 12). 7 In der Abgeordnetenkammer wurde behauptet, dass durch die Presseverordnung v. 28. Januar 1831 der in der III. Beilage zur Verfassungsurkunde v. 26. Mai 1818 („Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“) verankerte Grundsatz der Pressefreiheit verletzt sei; vgl. nur die Redebeiträge der Abgeordneten Schwindel und Frhr. von Closen in der Debatte am 5. Mai 1831 (KdA Protokolle 1831, Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 50 ff., 90 ff.). Jedenfalls musste die Presseverordnung schon deshalb bei der Opposition im Landtag und in der Öffentlichkeit auf Widerstand stoßen, weil sie einen Rückschritt hinter die bis dahin an den Tag gelegte liberale Praxis darstellte. 8 So erklärte der Abgeordnete Christoph Heinzelmann in der Sitzung v. 8. März 1831, nachdem er die Presseverordnung zuvor als die „traurige(n) Ordonnanz vom 28. Januar“ bezeichnet hatte: „Wenn die Preßverordnung moderirt würde, glaube ich, es wäre eine Wohlthat, welche schon dermaßen Anerkennung finden würde“ (KdA Protokolle 1831, Bd. 1, Prot. I. Sitzung v. 8. März 1831, 65 f.).
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dig(er)“ bezeichnete.9 Der zuständige Minister von Schenk sah sich wiederholten Angriffen ausgesetzt; immer wieder wurde gegen ihn der Vorwurf laut, er habe im Zusammenhang mit dem Erlass der Presseverordnung die Verfassung verletzt.10 Nachdem bereits von verschiedenen Städten und Privatpersonen „Beschwerden [Anm.: Gemeint sind solche gem. Titel 7, § 21 der Verfassung für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818] gegen den königlichen Staatsminister des Innern wegen Verletzung der Verfassung durch Erlassung der Censurverordnung vom 28. Jänner“11 bei der Kammer der Abgeordneten eingegangen waren, drohten die Abgeordneten dem zuständigen Staatsminister von Schenk schließlich wegen der angeblichen Verfassungsverletzung mit einer Ministeranklage gemäß Titel X, § 6.12 Schließlich beantragte der Abgeordnete Schwindel am 5. Mai 1831, „den Minister des Innern Eduard von Schenk, welcher die Censurverordnung vom 28. Jänner 1831 contrasigniert hat, wegen Verletzung der Staatsverfassung laut §. 6 Tit. X. nach rechtlicher Form in den Anklagestand zu versetzen“.13 Damit hatten die Abgeordneten erstmals ein Schwert gezückt, das seit den Verfassungsberatungen von 1814/15 Gegenstand einer gleichermaßen lebhaften wie anhaltenden politischen und wissenschaftlichen Diskussion auch im Königreich Bayern gewesen war. Den König selbst konnten die Abgeordneten nicht greifen. In der konstitutionellen Monarchie ist der Monarch für sein Handeln nicht verantwortlich. Auch die Person des bayerischen Königs war, so steht es im Zweiten Titel, § 1, S. 2 der Konstitution von 1818, heilig und unverletzlich.14 Insbesondere für Verstöße 9
KdA Protokolle 1831, Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 53. Eduard von Schenk nahm zu diesen Anschuldigungen zunächst nicht Stellung, sondern wartete mit seiner Verteidigung bis zum Beginn der insgesamt sechs Sitzungstage währenden Beratungen über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe am 5. Mai 1831, vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 14. 11 Vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 4, Prot. XV. Sitzung v. 19. April 1831, 4. Bis zum 5. Mai 1831 waren Beschwerden der Magistrate und Gemeindebevollmächtigten der Städte Nürnberg und Fürth, mehrerer Bürger von Kempten sowie der Buchhändler und Buchdrucker in Würzburg und Bamberg bei der Kammer der Abgeordneten eingegangen, vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 13. 12 Soweit ersichtlich, wurde die Forderung nach einer Ministeranklage erstmals Mitte April 1831 während der Beratungen des fünften Ausschusses der Abgeordnetenkammer über die oben erwähnten Beschwerden gegen von Schenk von einer Minderheit der Ausschussmitglieder erhoben, vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 4, Prot. XV. Sitzung v. 19. April 1831, 4. 13 Vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 69. 14 Vgl. Bayerische Verfassung v. 26. Mai 1818: „Seine [sc. des Königs] Person ist heilig und unverletzlich.“ (Zweiter Titel, § 1 S. 2). Stereotype Formulierungen finden sich in anderen frühen Verfassungsurkunden, so z. B. Polnische Verfassung v. 3. Mai 1791: „Die Person des Königs ist heilig und unverletzlich. Da er nichts für sich selbst thut; so kann er auch der Nation für nichts verantwortlich seyn; und dafür erkennt und erklärt ihn das Gesetz und die gegenwärtige Verfassung.“ (Kap. 7, Abs. 6); Französische Verfassung v. 3. September 1791: „La personne du roi est inviolable et sacrée.“ (Titel III, Kap. I, Abschn. I, Art. 2); Spanische Verfassung der Cortes v. 19. März 1812: „Die Person des Königs ist heilig und unverletzlich und nicht verantwortlich.“ (Titel IV, Abschn. 1, Art. 168); Norwegisches Grundgesetz 10
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gegen die Verfassung konnte er nicht zur Verantwortung gezogen werden. Anders dagegen der Innenminister von Schenk: Als Minister war er nach Titel X, § 4 der Verfassung für die genaue Befolgung derselben verantwortlich. Im Falle einer vorsätzlichen Verfassungsverletzung konnten die Stände eine Ministeranklage gemäß Titel X, § 6 gegen ihn erheben, die sodann vor dem Oberappellationsgericht in München zu verhandeln war. Eine solche förmliche Anklage drohte nun Anfang 1831 dem Innenminister. Und von Schenk? Der Minister war der festen Überzeugung, stets verfassungskonform gehandelt zu haben.15 Er mag sich als „Prügelknabe“ der Abgeordneten gesehen haben – wohl nicht ganz zu Unrecht, denn die Initiative für die Presseverordnung ging ja letzten Endes vom König aus.16 Aber genau diese Rolle war dem Minister durch die Verfassung letztlich zugewiesen: In der konstitutionellen Monarchie wird der Unverantwortlichkeit des Königs als Korrektiv die Verantwortlichkeit der Minister gegenüber gestellt.17 Ein Minister darf sich in Ausübung seines Amtes („Grunnloven“) v. 17. Mai 1814 (im Zusammenhang mit der Auflösung der Union mit Dänemark verabschiedet; am 17. Mai unterzeichnet, am selben Tag wird Christian Frederik zum Norwegischen König ausgerufen): „Die Person des Königs ist heilig; er kann nicht angeklagt oder zur Verantwortung gezogen werden.“ (§ 4, heute Art. 5); Charte constitutionelle v. 4. Juni 1814: „La personne du roi est inviolable et sacrée.“ (Art. 13). – Selbst die Redaktoren der parlamentarisch-liberalen belgischen Verfassung v. 7. Februar 1831 wagten nicht, an dem Grundsatz der Unverantwortlichkeit des Monarchen zu rühren, vgl. dort Art. 63: „La personne du Roi est inviolable; ses ministres sont responsables“, abgedruckt bei D. Willoweit/U. Seif, Europäische Verfassungsgeschichte/Rechtshistorische Texte (München 2003), 509 ff., 520. 15 So äußerte von Schenk beispielsweise am 9. April 1831 vor der Abgeordnetenkammer: „Ich hege die innerste Überzeugung, nie die Verfassung verletzt zu haben, sondern immer auf verfassungsmäßigem Wege geblieben zu sein“ (KdA Protokolle 1831, Bd. 2, Prot. IX. Sitzung v. 9. April 1831, 77); oder aber am 19. April 1831: „… schwer ist es, die Empfindungen zu schildern, die ein solcher Antrag in der Brust eines Staatsdieners hervorbringen musste, der während seines ganzen amtlichen Wirkens sich der unbescholtensten Amtstreue bewußt ist, der sich bewußt ist, nie eine Verletzung der Verfassung begangen, sondern vielmehr die unerschütterliche Anhängigkeit an dieselbe bewiesen zu haben“ (Bd. 4, Prot. XV. Sitzung v. 19. April 1831, 5). 16 von Schenk selbst hielt die Verordnung für unklug. Der König aber bestand, selbst nachdem die Zensurverordnung v. 28. Januar 1831 zum Gegenstand erbitterter politischer Auseinandersetzungen geworden war, auf einem verschärften Zensurregiment, vgl. M. Treml, Bayerns Pressepolitik zwischen Verfassungstreue und Bundespflicht 1819 – 1848 (Berlin 1977), 146 f. 17 Vgl. nur Polnische Verfassung v. 3. Mai 1791: „Da wir wollen, daß der Staatsrath, die Wache der Nationalgesetze, für jede Übertretung derselben der genauesten Verantwortlichkeit bei der Nation unterworfen seyn soll; so verordnen wir, daß, wenn die Minister von der zur Prüfung ihrer Handlungen niedergesetzten Deputation, wegen Übertretung der Gesetze, angeklagt werden, sie mit ihrer Person und ihrem Vermögen verantwortlich seyn sollen.“ (Kap. 7, Abs. 16); Französische Verfassung v. 3. September 1791: „Die Minister sind verantwortlich für alle Verbrechen, die durch sie gegen die nationale Sicherheit und die Verfassung begangen werden, für jeden Angriff auf das Eigentum und die persönliche Freiheit, für jede Verschwendung der für die Ausgaben ihres Ressorts bestimmten Gelder.“ (Titre III, chap. II, sect. IV, art. 5); Norwegisches Grundgesetz v. 17. Mai 1814: „Die Person des Königs ist heilig; er kann nicht angeklagt oder zur Verantwortung gezogen werden. Die Verantwortung
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keine Rechtsverstöße, insbesondere keine Verstöße gegen die Verfassung, zu Schulden kommen lassen. Er übernimmt mit der schon aus vorkonstitutioneller Zeit bekannten Gegenzeichnung oder Kontrasignatur die Verantwortung für die Verfassungsmäßigkeit der Regierungshandlungen des Königs.18 Man spricht in diesem Zusammenhang – in Abgrenzung von der allgemeinen und der politischen Verantwortlichkeit der Minister – von der juristischen (oder rechtlichen) Ministerverantwortlichkeit. Polen19 und Frankreich20 hatten das Prinzip der juliegt bei seinem Rat.“ (§ 4, heute Art. 5); Charte constitutionelle v. 4. Juni 1814: „La personne du roi est inviolable et sacrée. Ses ministres sont responsables.“ (Art. 13); Bayerische Verfassung v. 26. Mai 1818: „Die königlichen Staatsminister und sämmtliche Staatsdiener sind für die genaue Befolgung der Verfassung verantwortlich.“ (Titel X, § 4). 18 Das Amt des Ministers wird im Konstitutionalismus also völlig neu definiert: Den Ministern als den höchsten Beratern des Monarchen kommt im konstitutionellen Staat eine ganz spezifische staatsrechtliche Stellung zu, die sie grundsätzlich von allen anderen Beamten unterscheidet. Gleichermaßen als Ausgleich für die Übernahme der Verantwortung für die Verfassungsmäßigkeit der Regierungshandlungen des Königs wird die Erforderlichkeit der Mitwirkung und Zustimmung des Ministers bei allen Regierungshandlungen des Monarchen (Kontrasignatur) zur verfassungsmäßigen Norm erhoben. Ohne die Mitwirkung und Zustimmung des Ministers ist kein Regierungsakt des Monarchen vollziehbar. Die Gegenzeichnung des beteiligten Ministers ist das äußere Zeichen für die neuartige staatsrechtliche Position des Ministers im Konstitutionalismus; dazu E. Maurer, Die Ministerverantwortlichkeit in konstitutionellen Monarchien (Karlsruhe 1899), 9 sowie F. Weckerle, Geschichte der Ministerverantwortlichkeit in Bayern bis zum Tode Maximilians I. (Würzburg 1930), 10. Aber die Verfassungsgeber werden erst allmählich auf diesen förmlichen Ausdruck der Verantwortungsübernahme aufmerksam. In der Bayerischen Verfassung v. 26. Mai 1818 finden sich insoweit noch keine Bestimmungen, anders dagegen in den Verfassungen von Württemberg und Baden, vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte (München 20137), 242. 19 Vgl. Polnische Verfassung v. 3. Mai 1791, Kap. 7, Abs. 16, abgedruckt bei D. Willoweit/ U. Seif, Europäische Verfassungsgeschichte (Fn. 14), 281 ff., 289. 20 Die Regelung, welche die Ministerverantwortlichkeit in der französischen Verfassung v. 3. September 1791, abgedruckt bei D. Willoweit/U. Seif, Europäische Verfassungsgeschichte (Fn. 14), 292 ff., findet, ist mustergültig. Alles, was zum Wesen der Ministerverantwortlichkeit gehört, ist in der französischen Verfassung v. 3. September 1791 in klaren, eindeutigen Bestimmungen umschrieben: Mit der Gegenzeichnung (Tit. III, Kap. II, Abschn. IV, Art. 4) übernehmen die Minister (Tit. III, Kap. II, Abschn. IV, Art. 5) die juristische Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Regierungsakte des Monarchen. Sie sind verantwortlich für Verstöße, die durch sie gegen die nationale Sicherheit und die Verfassung begangen werden (Tit. III, Kap. II, Abschn. IV, Art. 5). Wird ein Minister seiner Verantwortlichkeit nicht gerecht, so kann die Nationalversammlung vor der haute Cour nationale Anklage gegen ihn erheben (Tit. III, Kap. III, Abschn. I, Art. 1, Nr. 10). Angesichts der Klarheit und Eindeutigkeit dieser Regelungen überrascht es nicht, dass die Bestimmungen der französischen Verfassung v. 3. September 1791 den nachfolgend getroffenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen als Vorbild dienten. Dennoch stellt diese erste umfassende verfassungsrechtliche Regelung über die Ministerverantwortlichkeit bereits einen Höhepunkt dar. Die Verfassungen des napoleonischen Zeitalters bleiben weit dahinter zurück und zeugen so davon, dass die Souveränität des Volkes im napoleonischen Frankreich und in seinen Vasallenstaaten hinter den alles bestimmenden Willen des Kaisers der Franzosen bzw. der von ihm eingesetzten oder protegierten Monarchen zurücktrat, F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 13 ff., 16 f.
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ristischen Ministerverantwortlichkeit bereits 1791 in ihre Verfassungen übernommen. Sie folgten damit den von Montesquieu im 6. Kapitel („Von der Verfassung Englands“) des 11. Buches seines Esprit des Lois am Beispiel der englischen Verfassung formulierten Grundsätzen.21 Die besondere Bedeutung der juristischen Ministerverantwortlichkeit in der konstitutionellen Monarchie liegt auf der Hand, auch wenn die Ministerverantwortlichkeit keine Erfindung des Konstitutionalismus ist:22 Die Unverantwortlichkeit des Monarchen musste als latente Gefahr erscheinen für die dem Volk in der Verfassungsurkunde zugestandenen Staatsbürgerrechte und die Rechte der Volksvertretung.23 Auch wenn die Staatsbürgerrechte jederzeit durch Gesetz eingeschränkt werden 21 Montesquieu gilt die Unverantwortlichkeit des Staatsoberhauptes als das unbestrittene Prinzip aller monarchischen Verfassungen, ohne welches eine solche Verfassung schlechterdings unmöglich sei. Die Unverantwortlichkeit des Monarchen sei ein Gebot staatspolitischer Zweckmäßigkeit, als die Grundlage der Freiheit der Staatsbürger und letztlich auch des Staates selbst. De l’Esprit des Lois, XI 6 („Über die Verfassung Englands“) postuliert er, dass die Exekutive in der Hand eines Monarchen liegen müsse (C.-L. de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze. Eingeleitet, ausgewählt und übersetzt von Kurt Weigand, Stuttgart 1965, 218), dessen Person „geheiligt“ sein müsse, damit die legislative Körperschaft nicht tyrannisch werde (a.a.O., 220); die Dreiteilung und Trennung der Staatsgewalt habe die Unverantwortlichkeit des Staatsoberhauptes zur unabdingbaren Voraussetzung. Denn die Möglichkeit einer Anklage des obersten Organs der Exekutive, also des Monarchen, durch die gesetzgebende Gewalt würde, wenn nicht sogar zum Stillstand, so doch wenigstens zu schweren Störungen und Hemmungen des gesamten Staatsapparates führen. Indes belässt es Montesquieu nicht bei der Formulierung und Rechtfertigung dieses fundamentalen Grundsatzes: Zur Erhaltung der Freiheit des Staates sei es vielmehr erforderlich, dass die Verantwortlichkeit, die dem Monarchen nicht aufgebürdet werden kann, wenigstens denen auferlegt werden muss, die ihn zu einem die Freiheit beschränkenden Schritt veranlasst haben, also seinen Räten bzw. Ministern. Seine Begründung ist denkbar einfach: Die Berater des Trägers der exekutiven Befugnis können zur Verantwortung gezogen werden, denn der Monarch übt seine Befugnis nur dann schlecht aus, wenn er schlecht beraten wird (a.a.O., 221). Auch insoweit orientiert sich Montesquieu an dem von ihm im „Esprit des Lois“ untersuchten englischen Vorbild: Seit dem 14. Jahrhundert finden sich in England Klagen (impeachments) des Unterhauses gegen die obersten Berater des Königs, die das House of Commons beim House of Lords einreicht, welches dann als erkennendes Gericht fungiert; vgl. dazu E. Maurer, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 14 f., F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 9. 22 Der Gedanke, die obersten Räte des Königs anstelle seiner selbst verantwortlich zu machen, entwickelte sich seit dem 12. Jahrhundert in England. Schon im 13. Jahrhundert wurde dort die bis zum Crowns Proceeding Act 1947 gültige Formel geprägt, die den Grundsatz der deliktischen („in tort“) Unverantwortlichkeit des Monarchen zum Ausdruck bringt: „The king can do no wrong“. Freilich wurde die Unverantwortlichkeit des englischen Königs insbesondere während der großen Revolution nachhaltig erschüttert, aber von Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum Crowns Proceeding Act 1947 ist ihre Geltung als allgemein anerkannter Verfassungsgrundsatz unbestritten; ausführlich dazu J. Greenberg, Our Grand Maxim of State: The King Can Do No Wrong, in: History of Political Thought, 12 (1991), 209 ff., H. W. R. Wade/C. F. Forsyth, Administrative Law (Oxford 201411), 689 ff.; die Staatsdiener („the Crown’s servants“) jedoch waren zu jeder Zeit persönlich verantwortlich für ihr Handeln, vgl. nur H. W. R. Wade/C. F. Forsyth, a.a.O., 695 ff. m.w.N. 23 F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 8.
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konnten,24 so bedurfte es doch einer gewissen Garantie der jeweils bestehenden Rechts- und Verfassungslage.25 Eine ebensolche Garantie fand die politische Theorie seit dem Frühkonstitutionalismus in der Ministerverantwortlichkeit.26 Doch die Skepsis gegenüber dem Rechtsinstitut der Ministerverantwortlichkeit war groß: Nicht zuletzt der erste bayerische König Maximilian I. Joseph (1756 – 1825, Herzog ab 1799, Kg. ab 1806) und sein Nachfolger Ludwig I. taten sich schwer damit. Schon früh aber fanden sich auch Vertreter einer fortschrittlichen Mindermeinung. So gab der Wirkliche Geheime Rat Carl Graf Arco (1769 – 1854) bereits Ende 1814 in dem mit der Revision der bayerischen Verfassung von 1808 befassten Ausschuss zu Protokoll, dass „die wahre Garantie einer jeden Konstitution nach der Erfahrung aller Staaten in der Verantwortlichkeit der Minister“27 bestehe. Es sollte bis zur Revolution von 1848 dauern, bis die Ministerverantwortlichkeit im Königreich Bayern eine aus der Sicht der Volksvertretung zufriedenstellende Regelung fand. Die bis dahin immer wieder aufflammende Diskussion über das Rechtsinstitut ist Teil des Ringens um die Festlegung der Balance zwischen Monarch und Volksvertretung im konstitutionellen Staat, das sich in Bayern für die Jahre 1808 – 1850 beobachten lässt.
24 Die frühkonstitutionellen Verfassungstexte enthalten lediglich Kataloge von „Staatsbürgerrechten mit Grundrechtscharakter“ (Willoweit). Diese zielten durchaus darauf ab, den Untertanen geschützte Freiheitsräume gegenüber der monarchischen Exekutive zu sichern. Da sie nicht als Menschenrechte anerkannt waren, konnten sie jedoch jederzeit durch Gesetz eingeschränkt werden, vgl. D. Willoweit, Verfassungsgeschichte (Fn. 18), 243; ausführlich hierzu J. Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus (Berlin 2005). 25 Da der Monarch nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte, war es ihm grundsätzlich möglich, die Bestimmungen der Verfassung zu unterlaufen, ohne dass er für Verfassungsbrüche zur Rechenschaft hätte gezogen werden können. 26 Vgl. hierzu nur die Redebeiträge des Abgeordneten Peregrin Schwindel v. 5. Mai 1831 (KdA Protokolle 1831, Bd. 7, Prot. XXXIII. Sitzung v. 26. Mai 1831, 51) sowie des Abgeordneten Ignaz Rudhart v. 26. Mai 1831 (KdA Protokolle 1831, Bd. 7, Prot. XXXIII. Sitzung v. 26. Mai 1831, 54 ff.). 27 Vgl. das Prot. 14. Sitzung v. 15. Dez. 1814, BayHStA, Bestand Staatsrat (nachfolgend StR), Nr. 1645; zitiert nach F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 52.
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II. Die historische Entwicklung der Ministerverantwortlichkeit im Königreich Bayern (1808 – 1850) 1. Exkurs: Die neuartige Rechtsstellung des Herrschers im Königreich Bayern Mit dem Preßburger Frieden vom 26. Dezember 180528 entstand eine neue Rechtsordnung für Bayern.29 Diese wurde erstmals in der Verfassung vom 1. Mai 1808 und später in der Verfassung vom 26. Mai 1818 für ein ganzes Jahrhundert festgeschrieben. Die verfassungsgeschichtliche Bedeutung des Preßburger Friedens liegt weniger in der Rangerhöhung des bayerischen Kurfürsten zum König, als vielmehr in dem Erwerb der mit der Krone verbundenen vollen Souveränität.30 Durch sie änderte sich die Rechtsstellung des Staatsoberhauptes grundlegend: Nach oben wurde der bisherige Landesherr frei von jeder Unterordnung und Zwangsgewalt, die Kaiser, Reich und nicht zuletzt die Reichsgerichte über ihn ausgeübt hatten.31 Nach unten stand es ihm nun offen, gegenüber seinen Untertanen frei zu agieren, zumindest ohne mit einer Anrufung einer der genannten Reichsinstanzen rechnen zu müssen. Wohl nicht zuletzt um gegenüber dem Kaiser der Franzosen als dem Protektor des Rheinbundes32 seine volle Souveränität zu demonstrieren,33 oktroyierte König Maximilian I. Joseph am 1. Mai 1808 eine Verfassung für das Königreich Bayern.34 28 Abgedruckt bei R. Kießling/A. Schmid (Bearb.), Die bayerische Staatlichkeit (Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft, Abt. III: Bayern im 19. Und 20. Jahrhundert), Bd. 2 (München 1976), 36 ff. 29 M. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. I (München 1884), 351. 30 Vgl. Art. XIV, S. 1: „Ihre Majestäten die Könige von Baiern und Würtemberg und Se. Durchlaucht der Kurfürst von Baden werden über die ihnen hier abgetretenen Ländereien sowohl, als über ihre alten Staaten die vollständige Souverainität und alle Gerechtsame, die damit verbunden, und ihnen von Sr. Majestät dem Kaiser der Franzosen und Könige von Italien garantirt sind, so und auf die nämliche Weise ausüben, wie Se. Majestät der Kaiser von Deutschland und Oesterreich, und Se. Majestät der König von Preußen sie über ihre deutsche Staaten ausüben.“; Text nach P. A. Winkopp (Hrsg.), Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Main 1808), 3 ff. Ausführlich zur Souveränitätsproblematik nach dem Ende des Heiligen Römischen Reichs M. Stolleis, Souveränität um 1814, in: Müßig (Hrsg.), Konstitutionalismus und Verfassungskonflikt (Tübingen 2006), 101 ff. 31 Vgl. Art. XIV, S. 2: „Se. Majestät der Kaiser von Deutschland und Oesterreich verpflichtet sich, sowohl als Chef des Reichs, als auch als Mitstand, der Ausübung alles desjenigen, was besagte Ihre Majestäten der König von Baiern und von Würtemberg und Se. Durchlaucht der Kurfürst von Baden rücksichtlich dieser ihrer Souveränitäts-Rechte gethan haben oder erst thun werden, keinerlein Hinderniß in den Weg zu legen.“ 32 Vgl. Rheinbundakte, Art. 12 (Deutsche Fassung: RegBl. für das Königreich Bayern 1807 Nr. 3, 47 ff.): „Seine Majestät der Kaiser der Franzosen wird zum Protektor des Bundes reklamirt (…).“ 33 Napoleon Bonaparte plante eine Verfassung und gemeinsame Staatsorgane für den Rheinbund, ein Unterfangen, das indes an dem Streben der Einzelstaaten nach Wahrung der gerade erst gewonnenen Souveränität scheitern sollte; zu der Rolle, die Montgelas der bayerischen Verfassung von 1808 vor diesem Hintergrund zugedacht hat, vgl. F. Zimmermann, Bayerische Verfassungsgeschichte vom Ausgang der Landschaft bis zur Verfassungsurkunde
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2. 1808 – 1818 a) Die Verfassung vom 1. Mai 1808 Das mit der Verfassung vom 1. Mai 180835 verfolgte Ziel war es, das junge Königreich zu einem modernen, zentralisierten Einheitsstaat umzugestalten.36 Die gerade erst entmachteten Landstände sollten dauerhaft in ihre Schranken gewiesen werden. An ihre Stelle trat die Nationalrepräsentation als Vertretung für das ganze Königreich.37 Schon diese Bezeichnung lässt erahnen, dass es dem verfassungsgebenden König Maximilian I. Joseph nicht um eine echte Volksvertretung im Sinne einer Nationalversammlung ging. Tatsächlich war die Rolle der Nationalrepräsentation weitestgehend auf eine beratende Funktion beschränkt. Eine starke Volksvertretung musste der Regierung als Hemmnis bei der Erreichung der abgesteckten staatsorganisatorischen Ziele, insbesondere der Erreichung des angestrebten einheitlichen, straff geführten zentralisierten Staates erscheinen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass für eine Verantwortlichkeit der Minister gegenüber der Nationalrepräsentation kein Raum blieb38 – dies zumal die Nationalrepräsentation ohnehin nicht ein einziges Mal zusammentreten sollte. Eine Bestimmung über die Verantwortlichkeit der Minister findet sich aber dennoch in der Bayerischen Verfassung vom 1. Mai 1808: Nach Titel III, § 1, S. 3 sind die Minister „für die Verletzung der Constitution, welche auf ihre Veranlassung oder ihre Mitwirkung Statt findet, dem Könige verantwortlich.“39 Mit dieser Regelung von 1818. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung Deutschlands mit den Ideen der Französischen Revolution und Restauration, 1. (einziger) Teil: Bayerische Vorgeschichte und Entstehung der Konstitution von 1808 (München 1940, ND Aalen 1973), 133 ff. 34 Freilich wird Bayern damit keine konstitutionelle Monarchie, es bleibt ein absolut regierter Staat, A. Enzler, Die Ministeranklage in der neuen Bayerischen Verfassung mit einem vergleichenden Überblick über die Regelung dieses Problems in anderen Verfassungen (Diss. iur. München 1947), 22. 35 RegBl. für das Königreich Bayern 1808, 985 ff.; abgedruckt bei K. Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit, Erster Bd., Erste Abteilung (Leipzig 1832, ND Hildesheim/Zürich/New York 1999), 96 ff.; ausführlich zur Bayerischen Verfassung von 1808: M. Doeberl, Ein Jahrhundert bayerischen Verfassungslebens (München 19183), 1 ff.; F. Zimmermann, Bayerische Verfassungsgeschichte (Fn. 33), 132 ff. 36 Dazu M. Doeberl, a.a.O., 15; A. Enzler, Ministeranklage (Fn. 34), 22; F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 25; F. Zimmermann, a.a.O., 133. 37 Vgl. Verfassung des Königreichs Bayern v. 1. Mai 1808, Titel I, § 2, S. 2 und Titel IV (Von der Nationalrepräsentation). 38 Der Geist der Zeit ließ, anders als noch in der französischen Verfassung v. 3. September 1791, wo die Verantwortlichkeit der Minister gegenüber der Nationalversammlung eine mustergültige Regelung gefunden hat (dazu o. Anm. 20), eine Verantwortlichkeit der Minister gegenüber der Volksvertretung nicht zu. 39 Verfassung des Königreichs Bayern v. 1. Mai 1808, Dritter Titel, § 1, S. 4 – 6: „Das Staatssecretariat wird von einem jeden Minister für sein Departement versehen; daher müssen alle königl. Decrete von demselben unterzeichnet werden, und nur mit dieser Formalität werden sie als rechtskräftig angesehen. Die Minister sind für die genaue Vollziehung der
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fand die Ministerverantwortlichkeit Eingang in das bayerische Verfassungsrecht. Hierbei handelt es sich allerdings nur um die allgemeine Verantwortlichkeit des Staatsdieners gegenüber dem Monarchen, die sich bereits aus der Treuepflicht gegenüber dem König ergibt. Auch wurde der Nationalrepräsentation kein Rechtsmittel zur Geltendmachung dieser Verantwortlichkeit zugestanden. Erst mit der gerichtlichen Überprüfbarkeit aber kann das mit der Ministerverantwortlichkeit angestrebte Ziel, nämlich die Garantie der in der Verfassung verbrieften Rechte des Volkes, erreicht werden. Die Möglichkeit der Volksvertretung, vor einem ordentlichen Gericht eine so genannte Ministeranklage zu erheben, macht die Ministerverantwortlichkeit zu einem wirksamen Machtinstrument. Nur auf diese Weise lassen sich Verfassungsverstöße der Minister – und letztlich auch des Monarchen selbst – verhüten und gegebenenfalls ahnden.40 Die Verurteilung eines mit dem Monarchen eng vertrauten Ministers hätte auch das Ansehen des Monarchen in der Öffentlichkeit beschädigt – und damit seine Autorität untergraben. Die bloße Aussicht auf eine förmliche Anklage gegen sein Regierungsorgan41 musste somit auch den Monarchen regelmäßig zur Beachtung der Verfassung mahnen. Aber eine solche Ministeranklage war in der Konstitution von 1808 eben gerade nicht vorgesehen.42 Einen wirklichen Schutz der Verfassung konnten die dort getroffenen Bestimmungen über die Ministerverantwortlichkeit daher nicht bieten.43 Sie zeigten nur solange Wirkung, wie die Minister aus eigenem Verantwortungsbewusstsein Verletzungen der Konstitution zu verhindern wussten. Erst mit den Verfassungsberatungen von 1814/15 geriet die juristische
königl. Befehle sowohl, als für die Verletzung der Constitution, welche auf ihre Veranlassung oder ihre Mitwirkung Statt findet, dem Könige verantwortlich. Sie erstatten jährlich dem Monarchen einen ausführlichen Bericht über den Zustand ihres Departements.“ 40 Vgl. D. Willoweit, Verfassungsgeschichte (Fn. 18), 241: „Damit war ein theoretisches Modell gefunden, das die Verhütung und Ahndung von Rechtsverletzungen auch des Monarchen selbst ermöglichte.“ 41 Regierungsorgan des Königs, nicht aber des Landtags, ist der Minister, M. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. I (Fn. 29), 310. 42 Dieser Rückschritt gegenüber der französischen Verfassung v. 3. September 1791 entspricht der allgemeinen Entwicklung in der Ära Napoleon mit ihren „absolutistischen Scheinverfassungen“, F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 13 ff.; dennoch bietet auch die Verfassung v. 1. Mai 1808 zumindest eine gewisse Verfassungsgarantie: Zum einen sind die Minister gem. Tit. III, § 1, Abs. 2 S. 2 der Konstitution ausdrücklich verantwortlich „für jede Verletzung derselben, welche auf ihre Veranlassung oder ihre Mitwirkung stattfindet“. Zum anderen bestimmt die Verfassung, dass Regierungsakte nur dann Rechtskraft erlangen, wenn der zuständige Minister sie gegengezeichnet hat (Tit. III, § 1, S. 4). 43 Das Fehlen einer tatsächlichen Ministerverantwortung zeigt auch, dass Bayern durch die Verfassung v. 1. Mai 1808 kein konstitutionelles Staatswesen wurde. Mit Blick auf die Stellung des Monarchen ist anzumerken, dass die Konstitution v. 1. Mai 1808 keine förmliche Bestimmung über die Unverantwortlichkeit des Königs enthält. Diese darf aber ohne weiteres – a minore ad maius – daraus gefolgert werden, dass das königliche Familiengesetz v. 28. Juli 1808, RegBl. für das Königreich Bayern 1810, 777 ff. (Tit. X, Art. 63) in Bezug auf den Prinzregenten (Regierungsverweser) ausdrücklich bestimmt, dass dieser für „die Akte seiner Verwaltung nicht persönlich verantwortlich“ ist.
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Ministerverantwortlichkeit auch in Bayern in den Fokus des Interesses. Die Zeiten hatten sich unterdessen geändert. b) Exkurs: Monarchisches Prinzip vs. Volkssouveränität – Die Souveränitätsfrage am Ende der revolutionären Epoche Das mit den Befreiungskriegen einhergehende neue Nationalgefühl und die von vielen Monarchen gegebenen Verfassungsversprechen blieben nicht ohne Folge für das Verhältnis von Regierenden und Regierten.44 Auch der bayerische König anerkannte den Wunsch seines Volkes nach einer den neuen Gegebenheiten entsprechenden Verfassung.45 Doch ein Problem stellte sich aus der Sicht der Fürsten nach der Niederlage Napoleons: Das Prinzip der Volkssouveränität46 galt nach den Erfahrungen der Französischen Revolution, vor allem aber nach dem jakobinischen Terreur, als diskreditiert.47 Unverzichtbar erschien dem neuen, verfassungsrechtlich fixierten Staatsrecht der in der Charte Constitutionelle, die Ludwig XVIII. von Frankreich (1755 – 1824, Kg. 1814/15 – 1824) anlässlich seiner Thronbesteigung am 4. Juni 1814 erließ, vorbildhaft formulierte Gedanke des Gottesgnadentums. Nur wenn der Monarch durch die Gnade Gottes, nicht aber durch den Willen des Volkes regierte, glaubte man das Herrscheramt unangreifbar.48 Eine allzu starke Stellung der Volksvertretung musste vor diesem Hintergrund als Bedrohung erscheinen. Der mit der bayerischen Verfassung von 1818 in erster Linie verfolgte Zweck war nicht die aktive Beteiligung des Volkes an der Ausübung der Staatsgeschäfte. Vorrangig ging es dem König um die endgültige Fixierung der durch die Mediatisierung bzw. die Erlangung der vollen Souveränität geschaffenen neuen Verhältnisse.49 44
Die deutschen Fürsten wussten das neue Nationalgefühl während der Befreiungskriege geschickt zu nutzen. Als Lohn für die Anstrengungen des Volkes zur Wiederherstellung ihrer Fürstenrechte versprachen sie ihren Untertanen Verfassungen, in denen das Volk über seine Vertretung Anteil an der Regierung haben sollte. 45 Die Konstitution von 1808 mit ihrer „Nationalrepräsentation“, die seit dem Oktroi der Verfassung nicht ein einziges Mal einberufen worden war, vermochte den veränderten Anschauungen über Verfassung und Volksvertretung nicht mehr zu genügen, M. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. I (Fn. 29), 207 ff. 46 In Europa wird das Prinzip der Volkssouveränität – von der polnischen Verfassung v. 3. Mai 1791 einmal abgesehen – mit der französischen Verfassung v. 3. September 1791 erstmals Verfassungsrealität: Nicht der König, sondern die Nation ist nach der französischen Septemberverfassung Souverän, vgl. Tit. III, Art. 1 Französische Verfassung v. 3. September 1791: „Die Souveränität ist einzig, unteilbar, unveräußerlich und unverjährbar. Sie steht der Nation zu. Kein Teil des Volkes und keine einzelne Person kann sich ihre Ausübung aneignen“; abgedruckt bei D. Willoweit/U. Seif, Europäische Verfassungsgeschichte (Fn. 14), 299. Dementsprechend stark ausgestaltet ist die Stellung der Volksrepräsentation, der Nationalversammlung: Sie kann durch den König nicht aufgelöst werden (Tit. III, Kap. I, Art. 5). 47 Vgl. dazu M. Stolleis, Souveränität um 1814 (Fn. 30), 101 ff. 48 D. Willoweit, Verfassungsgeschichte (Fn. 18), 241. 49 Insoweit widersprach auch die Regelung des Art. 13 der Deutschen Bundesakte v. 8. Juni 1815 den Interessen des bayerischen Königs. Dort heißt es: „In allen Bundesstaaten wird eine
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Es galt also, dem Zeitgeist Rechnung zu tragen, ohne dem dritten Stand wirkliche Macht in die Hände zu geben.50 Aber ein Zurück in die Zeit vor der Französischen Revolution war nicht mehr möglich: Die Verfassungsurkunden aus der Zeit des Frühkonstitutionalismus sind einerseits gekennzeichnet durch das Prinzip der Selbstregierung des Monarchen, andererseits werden den Landständen und allen Staatsbürgern verfassungsmäßige Rechte eingeräumt.51 Damit aber waren Konflikte vorprogrammiert: Insbesondere die Mitwirkung der Untertanen am Gesetzgebungsverfahren und an der Etatgestaltung war unvereinbar mit dem Festhalten an der monarchischen Machtvollkommenheit. Dabei musste die Position der Volksvertretung in etwaigen Auseinandersetzungen mit dem Monarchen umso stärker erscheinen, wenn ihr – wie mit der Ministeranklage – eine Möglichkeit zur Verfügung stand, die Regierung ggf. zur Einhaltung der Verfassung zwingen. Dass es vor diesem Hintergrund bei den Verfassungsberatungen 1814/15 zu hitzigen Auseinandersetzungen über Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage kam, vermag daher kaum zu überraschen. c) Die Verfassungsberatungen 1814/15 Bald nach dem ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814) leitete Maximilian I. Joseph mit Reskript vom 17. September 181452 die Verfassungsrevision ein. Der vom König eingesetzte Revisionsausschuss arbeitete von Oktober 1814 bis Januar 1815.53 Von der Ministerverantwortlichkeit ist in dem Reskript des Königs nicht die Rede.54 Es sieht lediglich eine recht kompliziert ausgestaltete Garantie der konstitutionellen landständische Verfassung stattfinden.“ An der Restauration alter Territorialstände (Landstände) konnte der König jedoch nicht interessiert sein; sein Ziel war die Schaffung eines zentralistischen Einheitsstaates, die Stärkung des soeben erst entmachteten Adels schien daher nicht wünschenswert; vgl. insoweit auch M. Stolleis, Souveränität um 1814 (Fn. 30), 109 ff. 50 M. Stolleis, Souveränität um 1814 (Fn. 30), 106. 51 D. Willoweit, Verfassungsgeschichte (Fn. 18), 241; ausführlich zur Entstehung der Grundrechtsartikel in der Bayerischen Verfassung v. 26. Mai 1818 von W. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus. Zur Entstehung und Bedeutung der Grundrechtsartikel in den ersten Verfassungsurkunden von Bayern, Baden und Württemberg (Köln/München 1973), 3 ff. 52 Das Original lagert im BayHStA, StR, Nr. 1654; Text bei G. Frhr. v. Lerchenfeld, Geschichte Bayerns unter König Maximilian Joseph I. Mit besonderer Beziehung auf die Entstehung der Verfassungs-Urkunde (Berlin 1854), 336 ff.; zur inhaltlichen Gliederung des Reskripts v. 17. Sept. 1814 vgl. E. Weis, Zur Entstehungsgeschichte der bayerischen Verfassung von 1818. Die Debatten in der Verfassungskommission von 1814/15, in: ZBLG 39 (1976), 413 ff., 416 f. 53 Zur Zusammensetzung des Ausschusses vgl. E. Weis, a.a.O., 418 ff. 54 Bemerkenswert ist dies nicht zuletzt deshalb, weil die Ministeranklage in der auch für Bayern vorbildhaften Charte Constitutionelle v. 4. Juni 1814 – wenngleich auf Verrat oder Veruntreuung begrenzt – durchaus eine Regelung gefunden hat (vgl. Artt. 55, 56 Charte Constitutionelle); Vergleich der Regelungen über die Ministerverantwortlichkeit bei R. Oeschey, Die bayerische Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 und die Charte Ludwigs XVIII. v. 4. Juni 1814 (München 1914), 99 ff.
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Rechte Einzelner vor:55 Der König verlangte, dass als Garantie der revidierten Verfassung es jedem seiner Untertanen freistehen müsse, Beschwerde bei einer eigens einzurichtenden Beschwerdekommission zu erheben, soweit er „seine durch die Konstitution gesicherten Rechte gekränkt glaubt“, sofern die Behörde, durch deren Handeln die Verletzung erfolgt ist, zuvor keine Abhilfe geschaffen habe. Wenn die Beschwerde begründet sei, so habe die Kommission sie an die Kammer der Reichsräte weiterzuleiten, die sodann darüber entscheide, ob eine Verfassungsverletzung vorliegt. Bei Bejahung eines Verfassungsverstoßes sei die Angelegenheit dem König vorzulegen, der entweder für Abhilfe sorge oder aber die Angelegenheit an die Justizstelle übergebe. Angesichts der Komplexität dieser Regelung gewinnt man den Eindruck, dass dem König an einer effektiven Garantie der Verfassung nicht recht gelegen war,56 wenngleich ein derartiges Beschwerderecht der Untertanen durchaus ein Novum im frühkonstitutionellen Deutschland darstellte.57 Im Übrigen fällt auf, dass nur die erste Kammer (Kammer der Reichsräte) der Ständeversammlung – diese trat mit der Verfassung vom 26. Mai 1818 an die Stelle der Nationalrepräsentation – über die Beschwerden entscheiden sollte. Dass die Abgeordnetenkammer von der Entscheidung ausgeschlossen sein sollte, wo es doch um eine Garantie der Verfassung der ganzen Nation ging, passt allerdings ebenso in das Bild, wie der Umstand, dass die Aufnahme der Ministerverantwortlichkeit in die neue Verfassung von Seiten des Königs nicht erwünscht war. Die aktive Beteiligung des Volkes an der Ausübung der Staatsgeschäfte sollte so zurückhaltend wie irgend möglich ausgestaltet sein. Dem Parlament mit einer allzu wirkungsmächtigen Regelung über die Ministerverantwortlichkeit eine gefährliche Waffe in die Hand zu geben, schien nicht opportun. Schließlich sollte die Volksvertretung nach dem Willen des Königs nur insoweit kompetent sein, als „Die beiden Kammern (…) nur über jene Gegenstände in Berathung treten [können], die Wir [sc. der König] an sie bringen lassen, um ihre Zustimmung zu erholen.“58 Insgesamt lässt sich feststellen, dass bei der Mehrheit der Ausschussmitglieder große Skepsis gegenüber allem herrschte, was auch nur im Entferntesten an den Gedanken der Volkssouveränität erinnerte.
55 Vgl. Art. IX des Reskripts: „Wir gedenken der neu revidierten Konstituzion in der Art eine Garantie zu geben, daß aus den Ständen jedes Jahr eine Commission durch sie selbst gewählt und zusammengesetzt werden sollte, an welche es einem jeden Unserer Unterthanen freysteht, der seine durch die Konstituzion gesicherten Rechte gekränkt glaubt, und auf seine – bei den geeigneten Behörden gemachte Vorstellung keine Abhilfe erlangt hat, seine Beschwerde anzubringen. Findet diese Commission die Klagen ungegründet, so kann sie solche ohne weiteres zurückweisen; wenn sie aber gegründet befunden werden …“; abgedruckt bei G. Frhr. v. Lerchenfeld, Geschichte Bayerns (Fn. 52), 342. 56 F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 43. 57 C. Ebersperger, Die Bayerische Verfassungsbeschwerde (Aachen 1995), 7. 58 Vgl. Reskript v. 17. Sept. 1814, Art. VIII, Nr. 12, abgedruckt bei G. Frhr. v. Lerchenfeld, Geschichte Bayerns (Fn. 52), 340.
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Aber das Verantwortlichkeitsproblem stand nun im Raum, und obwohl der König mit Schreiben vom 10. Dezember 1814 klarstellte, dass er eine über seine Vorgaben hinaus gehende Beschäftigung mit dem Thema „Verfassungsgarantie und Beschwerderecht“ nicht wünsche,59 sollte die Frage der Ministerverantwortlichkeit eines der beherrschenden Themen der Verfassungsberatungen bleiben.60 Vor allem Graf Arco setzte sich in der Ausschusssitzung am 5. Januar 1815 für eine entsprechende Regelung in dem zu erarbeitenden Verfassungsentwurf ein.61 Seine Ansicht, wonach „die wahre Garantie einer jeden Konstitution (…) nach der Erfahrung aller Staaten in der Verantwortlichkeit der Minister“ bestehe, blieb jedoch eine Mindermeinung im Ausschuss. Einer der entschiedensten Vertreter der fortschrittlich gesinnten Minderheit im Revisionsausschuss war Maximilian Freiherr von Lerchenfeld (1778 – 1843), der zu dieser Zeit Hofkommissär für die Übernahme des Großherzogtums Würzburg war. Sein Votum zu Art. IX des Reskripts vom 17. September 1814 ist eindeutig: Eine Verfassung müsse für den Fall, dass gegen sie verstoßen wird, gewährleisten „dass (…) den Individuen schleunige und verlässige Hilfe in geordnetem Wege (…) auch gegen diejenigen zuteil werde, die im Namen des Monarchen die Verwaltung des Staats leiten oder an derselben teilnehmen.“62 Nur so werde „der ganzen Nation (…) der verfassungsmäßigen Volksvertretung wie den einzelnen Staatsbürgern, das beruhigende Bewusstsein einer dauerhaften Sicherung ihrer Rechte (…)“ gewährt.63 Aber die ablehnende Haltung einflussreicher Mitglieder der Kommission, die Bedenken gegen eine zu starke Stellung der Abgeordneten hegten, war übermächtig.64 Die besondere Verantwortlichkeit der Minister fand schließlich in dem am 14. Februar 1815 dem König übersandten Verfassungsentwurf65 überhaupt
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Schreiben v. 10. Dez. 1814, BayHStA, StR, Nr. 1654, § VII, Nummer 12; zitiert nach F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 47: „Die Kompetenz der Kammern ist in keinem Punkte über jenen Wirkungskreis auszudehnen, welcher denselben in der Instruktion, 13 und 14, dann § IX (Verfassungsgarantie und Beschwerderecht!) ausgewiesen ist.“ 60 Ausführliche Darstellung der Beratungen bei F. Weckerle, a.a.O., 41 ff. 61 Prot. 19. Sitzung v. 5. Januar 1815, 45 ff. (BayHStA, StR, Nr. 1646), zitiert nach F. Weckerle, a.a.O., 53. 62 Votum Lerchenfelds, Prot. 13. Sitzung v. 13. Dez. 1814, BayHStA, StR, Nr. 1645; zitiert nach F. Weckerle, a.a.O., 55. 63 Ebd.; zitiert nach F. Weckerle, a.a.O., 57. 64 Ausführliche Darstellung der Beratungen des Revisionsausschusses bei F. Weckerle, a.a.O., 44 ff. 65 BayHStA, StR, Nr. 1653, abgedruckt (in Auszügen) bei von W. Rimscha, Grundrechte (Fn. 51), 209 ff.; Zusammenfassung des Entwurfs bei M. Doeberl, Entwicklungsgeschichte (Fn. 35), 30 f., vgl. auch H.-M. Körner, „Bemerkungen über den Entwurf der Verfassung für Baiern“. Das Verfassungsgutachten des Kronprinzen Ludwig von Bayern vom 9. März 1815, in: ZBLG 49 (1986), 421 ff., 423 f.
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keine Erwähnung – ganz zu schweigen von der Ministeranklage. Auch enthielt er keine Regelungen über die Gegenzeichnung.66 Erst infolge der Intervention des liberalen Kronprinzen Ludwig und des Feldmarschalls Carl Philipp Fürst von Wrede (1767 – 1838) kam noch einmal Bewegung in die Diskussion: Der Kronprinz empfahl in seinen am 9. März 1815 fertig gestellten „Bemerkungen über den Entwurf einer Verfaßung für Baiern“67 – nach reger Korrespondenz mit dem Freiherrn von Lerchenfeld – die Aufnahme auch des Grundsatzes der besonderen Ministerverantwortlichkeit und vor allem der Ministeranklage durch die Volksvertretung in den Entwurf.68 Und die Intervention des Kronprinzen hatte tatsächlich einen gewissen Erfolg: Mit Reskript vom 14. März 181569 verfügte Maximilian I. Joseph, dass wenigstens der Grundsatz der allgemeinen Beamtenverantwortlichkeit in die Verfassung aufzunehmen sei.70 Gut möglich, dass der König nun vor dem Hintergrund der Rückkehr Napoleons von der Insel Elba (1. März 1815) zu weitergehenden Zugeständnissen an das Volk bereit war. Allerdings wurden diese Änderungen nicht mehr in den Verfassungsentwurf eingearbeitet. Infolge des erneuten Krieges gegen Napoleon kam das Projekt der Verfassungsrevision zunächst zum Erliegen. Erst mit Verordnung vom 2. Februar 181771 verfügte der König, dass die Revision der Verfassung nun beherzt anzugehen sei.72 Und wiederum bildeten Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage einen zentralen Gegenstand der Beratungen,73 die in den Erlass der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818 mündeten.
66 Der abschließende Titel XII des Verfassungsentwurfs („Von der Garantie der konstitutionellen Rechte“) enthält unter §§ 2 – 4 lediglich die vom König vorgegebene Garantie der konstitutionellen Rechte Einzelner. 67 BayHStA, StR, Nr. 1654; Textedition bei H.-M. Körner, Verfassungsgutachten (Fn. 65), 429 ff. 68 Vgl. die Anmerkung des Kronprinzen zu Tit. VII, § 7, abgedruckt bei H.-M. Körner, a.a.O., 438 f. 69 Gerichtet an Justizminister Graf von Reigersberg, BayHStA, StR, Nr. 1654. 70 Dazu F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 71. 71 Verordnung, die Bildung und Einrichtung der obersten Stellen des Staates betreffend, v. 2. Februar 1817, RegBl. für das Königreich Bayern 1817, 49 ff. 72 „Die Revision der Verfassung des Reichs“, so heißt es in der königlichen Verordnung v. 2. Februar 1817, sei eines jener „Geschäfte ersten Ranges“, vgl. Art. X, § 2 (RegBl. für das Königreich Bayern 1817, 53). 73 Dies nicht zuletzt deshalb, weil der Kronprinz die Beratungen auch weiterhin mit Nachdruck in seinem Sinne zu beeinflussen verstand; ausführliche Darstellung der Diskussion über die Ministerverantwortlichkeit im Vorfeld der neuen Verfassung bei F. Weckerle, Ministerverantwortlichkeit (Fn. 18), 83 ff.
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d) Die Verfassung für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818 Mit der Verfassung vom 26. Mai 181874 wurde das Königreich Bayern zu einer konstitutionellen Monarchie. Die Souveränität des Königs war tatsächlich und rechtlich zu Gunsten der Volksvertretung eingeschränkt. Der aus zwei Kammern bestehenden Volksvertretung („Ständeversammlung“), wurden entscheidende Mitbestimmungsrechte eingeräumt, und auch die Ministerverantwortlichkeit war nun geregelt. Nach der Entlassung Montgelas’ am 2. Februar 1817 war es dem Kronprinzen, dem Fürsten Wrede und nicht zuletzt dem Freiherrn von Lerchenfeld gelungen, neben der vom König favorisierten, nunmehr in Titel VII, § 21 geregelten Individualverfassungsbeschwerde,75 die Verantwortlichkeit der Minister als Verfassungsgarantie durchzusetzen: Im Zehnten Titel („Von der Gewähr der Verfassung“), §§ 4 – 6 wird beiden Kammern der Ständeversammlung das Recht zugestanden, aus eigener Initiative wegen Verfassungsverletzungen Beschwerde zu erheben. Auch findet sich das Recht, eine Ministeranklage zu erheben, die dann vor einem ordentlichen Gericht, der „obersten Justizstelle“, also dem Oberappellationsgericht in München, zu verhandeln sei. Aber die Verfassung von 1818 ließ in vielen Punkten sowohl eine konservative wie auch eine progressive Interpretation der Bestimmungen zu.76 Insbesondere gilt dies für die Ministerverantwortlichkeit. Es drängt sich sogar der Verdacht auf, dass die Regelungen über Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage ganz bewusst eher vage gehalten wurden, um der Ständeversammlung kein allzu scharfes Schwert in die Hand zu geben.77
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Verkündet im Gesetzblatt für das Königreich Bayern, München 1818, 101 ff.; abgedruckt bei D. Willoweit/U. Seif, Europäische Verfassungsgeschichte (Fn. 14), 495 ff. 75 Dazu D. Köhler, Die Beschwerde wegen Verletzung konstitutioneller Rechte in der bayerischen Verfassung von 1818 (Diss. iur. München 1966); vgl. auch: Die Beschwerden an die Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtags 1819 – 1918, bearbeitet und eingeleitet von Dirk Götschmann, herausgegeben vom Bayerischen Landtag (München 1997), 11 ff. 76 Die Regelung der Ministerverantwortlichkeit in der bayerischen Verfassung v. 26. Mai 1818 kann es hinsichtlich Klarheit und Eindeutigkeit keineswegs mit den Bestimmungen der französischen Verfassung v. 3. September 1791 aufnehmen. Dies vermag allerdings kaum zu überraschen: Die Bestimmungen der französischen Septemberverfassung über die Ministerverantwortlichkeit fußten auf dem Gedanken der Volkssouveränität. Der nach 1814/15 alles beherrschende Geist der Restauration, insbesondere aber das monarchische Prinzip, das ja gerade als Verteidigungsmittel gegen die Idee der Volkssouveränität gedacht war, ließ eine derartig klare Regelung nicht wünschenswert erscheinen, um der Volksvertretung kein für Regierung bzw. Monarch allzu gefährliches Machtinstrument in die Hand zu geben. 77 Es verwundert daher nicht, dass die Bestimmungen über die Ministerverantwortlichkeit bis zum Erlass des Gesetzes über die Ministerverantwortlichkeit v. 4. Juni 1848 Gegenstand reger Diskussionen in Politik und Wissenschaft blieben, vgl. nur M. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. II (München 1885), 315 m.N.
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aa) Unverantwortlichkeit des Königs vs. Ministerverantwortlichkeit Der Unverantwortlichkeit des Königs (Titel II, § 1 Verfassung vom 26. Mai 1818)78 wird nun erstmals in der bayerischen Verfassungsgeschichte die Verantwortlichkeit der Minister gegenüber den beiden Kammern der Ständeversammlung als Korrektiv gegenübergestellt (Titel X, §§ 4 – 6): Gemäß § 4 sind sämtliche Staatsdiener und insbesondere die Minister für die Einhaltung der Verfassungsbestimmungen verantwortlich.79 § 5 gibt den Ständen das „Recht, Beschwerden über die durch die königlichen Staatsministerien oder andere Staatsbehörden geschehene Verletzung der Verfassung in einem gemeinsamen Antrage an den König zu bringen.“ Es handelt sich hierbei um Beschwerden gegen Handlungen der Exekutive, die sich nicht auf eine bestimmte Person zurückführen lassen. Die Ständebeschwerde war – im Gegensatz zur Individualverfassungsbeschwerde gemäß Titel VII, § 21 – zum Schutz des objektiven Verfassungsrechts gedacht.80 Der Antrag der Ständeversammlung war an den König weiterzuleiten, der entweder gleich Abhilfe schuf oder die Angelegenheit – je „nach der Natur des Gegenstandes“ – an den Staatsrat oder die oberste Justizstelle zur Untersuchung weiterleitete.81 § 6 schließlich regelt das Verfahren im Falle einer persönlichen Anklage gegen einen „höheren Staatsbeamten“. bb) Kritische Würdigung Die Bestimmungen über die Ministerverantwortlichkeit, die sich in der Verfassung vom 26. Mai 1818 finden, sind von den Abgeordneten bis 1848 immer wieder kritisiert worden.82 Sie wurden auch in der Wissenschaft als nicht ausreichend empfunden, um eine wirkungsvolle Gewähr der Verfassung zu bieten.83 Tatsächlich weist die Bayerische Verfassung von 1818 insofern Mängel auf: Es fällt zunächst auf, dass die Ministerverantwortlichkeit nur unsauber von den Bestimmungen über die allge78 Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern v. 26. Mai 1818, Titel II, § 1: „Der König ist das Oberhaupt des Staats, vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den von Ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus. Seine Person ist heilig und unverletzlich.“ 79 Diese Bestimmung darf indes nicht überbewertet und im Sinne einer persönlichen Verpflichtung eines jeden Staatsbeamten verstanden werden. Aus ihr wurde in der Praxis nicht etwa das Recht aller Staatsbeamten abgeleitet, einen für nicht verfassungsmäßig erachteten Befehl zu verweigern. Die Berufung auf den „Befehl von oben“ genügte auch weiterhin, um die Verantwortung abzuwälzen. 80 Vgl. W. Rimscha, Grundrechte (Fn. 51), 187. 81 Die Formulierung „nach der Natur des Gegenstandes“ ist vage. Sie wurde seinerzeit so verstanden, dass bei Verfassungsverstößen das Oberappellationsgericht zu bemühen sei, wohingegen bloße Amtspflichtverletzungen durch den Staatsrat zu untersuchen seien. 82 Vgl. nur KdA Protokolle 1831, Bd. 5, Prot. XXIII. v. 5. Mai 1831, 112: Der Abgeordnete Frhr. von Closen weist am 5. Mai 1831 vor der Abgeordnetenkammer darauf hin, dass manche in den Bestimmungen über die Ministerverantwortlichkeit „eine großen Lücke“ finden. 83 Zur zeitgenössischen Kritik in der Wissenschaft vgl. M. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. II (Fn. 77), 290 m.w.N.
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meine Beamtenverantwortlichkeit getrennt ist. Zwar wird in § 4 neben der Verantwortlichkeit „sämtlicher Staatsdiener“ die Verantwortung der „königlichen Staatsminister“ hervorgehoben, auch spricht § 5 von den „königlichen Staatsministerien oder anderen Staatsbehörden“, in § 6 ist dagegen lediglich davon die Rede, dass gegen „höhere Staatsbeamte“ wegen vorsätzlicher Verletzung der Verfassung eine förmliche Anklage erhoben werden kann. Damit aber bleibt letztlich unklar, ob die Minister neben der allgemeinen Beamtenverantwortlichkeit auch eine besondere ministerielle Verantwortung trifft. Auch war das nach § 6 vorgeschriebene Verfahren kompliziert und langwierig, wodurch eine effektive Kontrolle der Tätigkeit der Minister erschwert wurde. Darüber hinaus musste dem Minister die Vorsätzlichkeit der Verfassungsverletzung bewiesen werden, was unter Umständen Schwierigkeiten bereiten konnte. Ein weiteres Risiko barg der Umstand, dass der König die an ihn übermittelte Klage an das Oberappellationsgericht weiterzuleiten hatte. Weigerte sich der Monarch jedoch, die Klage weiterzuleiten, so konnte er hierfür nicht zur Verantwortung gezogen werden.84 Ferner mag die in § 6 Abs. 2 getroffene Regelung, wonach sich die beiden Kammern auf die Erhebung einer Anklage verständigen mussten, als Abschwächung der mit der Ministeranklage beabsichtigten Verfassungsgarantie verstanden werden. So war es dem Oberhaus grundsätzlich möglich, eine Anklage zu verhindern, um den Minister bzw. den König zu schützen. Aber dies entspricht den Usancen im englischen impeachment-Verfahren, das, wie bereits oben erwähnt, über Montesquieu zum Vorbild für die Regelungen über die Ministerverantwortlichkeit auf dem europäischen Kontinent wurde. Im Gegensatz zur Verfassungsurkunde von 1808 (dort Tit. III, § 1, S. 4) hat die Gegenzeichnung durch den zuständigen Minister in der Konstitution vom 26. Mai 1818 keine ausdrückliche Regelung gefunden.85 Unter diesen Umständen bestand überhaupt keine Möglichkeit für die Ständeversammlung, den zuständigen Minister zur Verantwortung zu ziehen, falls ein Gesetz oder eine Verordnung ohne ministerielle Gegenzeichnung ausgeführt wurde. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Verfassung konnte dem zuständigen Minister jedenfalls dann nicht nachgewiesen werden, wenn er an dem Zustandekommen der Verordnung überhaupt nicht beteiligt war. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Regelungen über Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage in der Bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818 wenigstens ihrem Wortlaut nach ein theoretisches Programm bleiben mussten. In der praktischen Durchführung waren sie nur unter denkbar günstigen Umständen geeignet, die ange84
Darauf weist auch A. Enzler, Ministeranklage (Fn. 34), 24, hin. Die Gegenzeichnung durch den zuständigen Minister erscheint erstmals in der Verordnung v. 9. Dezember 1825, die Formation der Ministerien betreffend (RegBl. für das Königreich Bayern 1825, 937), § 122; erst mit dem Gesetz, die Verantwortlichkeit der Minister betreffend v. 4. Juni 1848 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern 1848, 69), Art. IV („Der König wird Seine Regierungs-Anordnungen jedesmal von den Ministern oder von den zeitlichen Stellvertretern gegenzeichnen lassen, in deren Geschäftskreis die Sache einschlägt.“) erhält sie Verfassungsrang. 85
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strebte Wirkung, nämlich die Gewähr der Verfassung, zu erreichen. Aber dennoch: Die abschreckende Wirkung, die mit der bloßen Möglichkeit einer Ministeranklage verbunden war, darf nicht unterschätzt werden. Nicht nur ein derartiges Verfahren, sondern bereits die Diskussion über den etwaigen Verfassungsverstoß eines Ministers im Landtag musste in politisch aufgeheizten Zeiten fatale Folgen für das Ansehen von Regierung und Monarch bei den Abgeordneten aber auch in der Öffentlichkeit haben.86 3. Entwicklungstendenzen 1818 – 1848/50 Seit dem Landtag von 1819 waren Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage Gegenstand anhaltender reger Diskussionen in der Abgeordnetenkammer. Immer wieder forderten Abgeordnete der zweiten Kammer ein Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit, in dem die Ministerverantwortlichkeit klar und unzweideutig zu regeln sei.87 a) Das Gesetz, betreffend die Ministerverantwortlichkeit vom 4. Juni 1848 Doch erst das Revolutionsjahr 1848 brachte die von den Abgeordneten vehement eingeforderten Modifizierungen. Durch das Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit vom 4. Juni 184888 wurde der Kreis der Personen, gegen die eine Ministeranklage erhoben werden konnte, auf Minister und deren Stellvertreter im Amte beschränkt. Diese wie jene hatten sich für Handlungen oder Unterlassungen, die Staatsgesetze verletzten, zu verantworten, soweit die Verletzung schuldhaft war. Auch wurde nun ausdrücklich klargestellt, dass Regierungsanordnungen des Königs ohne die Gegenzeichnung des zuständigen Ministers nicht vollziehbar waren (Art. 4 Gesetz, betreffend die Ministerverantwortlichkeit vom 4. Juni 1848). Der Minister wiederum übernahm durch die Gegenzeichnung die volle Verantwortung für die königliche Entschließung (Art. 6). Wenngleich die Anklage auch weiterhin nur auf Grund eines übereinstimmenden Beschlusses beider Kammern möglich war (Art. 9), so hat die Ministerverantwortlichkeit mit dem Gesetz vom 4. Juni 1848 eine Regelung gefunden, die in der Klarheit ihrer Formulierung nun endlich den von der Volksvertretung seit 1818 erstrebten effektiven Schutz der Verfassung zu gewährleisten vermochte.
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Dies beweisen die Vorgänge um die Presseverordnung v. 28. Januar 1831 eindrucksvoll, vgl. u. IV. 87 Vgl. die Übersicht über die Debatten in der Abgeordnetenkammer zwischen 1819 und 1846 bei M. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. II (Fn. 77), 291 ff. 88 Gesetzblatt für das Königreich Bayern 1848, 69.
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b) Das Gesetz über die Einrichtung des Staatsgerichtshofes und das Verfahren bei Anklage gegen die Minister vom 30. März 1850 Das Gesetz über die Einrichtung des Staatsgerichtshofes und das Verfahren bei Anklage gegen die Minister vom 30. März 185089 rundete schließlich die gesetzlichen Bestimmungen über die Ministeranklage ab.90 War nach Titel X, § 6 der Verfassung vom 26. Mai 1818 noch die „oberste Justizstelle“, d. h. das Oberappellationsgericht in München, für die Entscheidung über eine Ministeranklage zuständig, so war von nun an der neu geschaffene Staatsgerichtshof zur Entscheidung über eine Anklage nach dem Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit vom 4. Juni 1848 berufen. Dieser war beim Oberappellationsgericht – bzw. seit 1879 beim Bayerischen Obersten Landesgericht – „aus dem Präsidenten, sechs Räthen, einem Gerichtsschreiber und zwölf Geschwornen zu bilden“ (Art. 1 S. 1 Gesetz über die Einrichtung des Staatsgerichtshofes und das Verfahren bei Anklage gegen die Minister vom 30. März 1850).91
III. Die Bedeutung der Ministerverantwortlichkeit für die konstitutionelle Monarchie Die Bedeutung der Ministerverantwortlichkeit für die konstitutionelle Monarchie darf keinesfalls unterschätzt werden, auch wenn der Fall des Innenministers von Schenk die einzige Situation bleiben sollte, in der eine Ministeranklage im Königreich Bayern ernsthaft erwogen wurde. Die hitzigen Debatten, die sich zwischen 1818 und 1848 im Landtag immer wieder um die Ministerverantwortlichkeit entwickelten, waren letztlich Ausdruck des Umstandes, dass die Balance zwischen Monarch und Volksvertretung im Königreich Bayern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erst noch ermittelt werden musste. Dass der Ministerverantwortlichkeit hierbei eine zentrale Bedeutung zukam, wundert nicht: Schließlich stand der Volksvertretung mit der Ministeranklage nach Titel X, § 6 der Bayerischen Verfassung vom 89
Gesetzblatt für das Königreich Bayern 1850, 134 ff.; abgedruckt bei G. Delius, Dokumente zur Geschichte des Bayerischen Obersten Landesgerichts, in: Herbst (Hrsg.), Das Bayerische Oberste Landesgericht (München 1993), 127 ff. 90 Zum historischen Hintergrund M. Doeberl, Entwicklungsgeschichte (Fn. 3), 173 ff.; vgl. a. H. Rumschöttel, Zur Geschichte der Verfassungsgerichtsbarkeit in Bayern, in: Verfassung als Verantwortung und Verpflichtung. FS zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (München 1997), 137 ff., 146. 91 Kurze Zusammenfassung der Gesetzesregelungen bei K. Streicher, Zur Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit in Bayern, in: Verfassung und Verfassungsrechtsprechung. FS zum 25jährigen Bestehen des BayVerfGH (München 1972), 195 ff., 196 f.; zum Verfahren bei Ministeranklagen vgl. auch M. v. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. II (Fn. 77), 316 ff.; zu den Bemühungen König Maximilians II. (1848 – 1864), die Verfassungsreformen der Jahre 1848/ 1850 zu revidieren und in diesem Zusammenhang auch Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage zu beschränken, vgl. R. Heydenreuter, Maximilian II. und die Verfassung, in: Müller (Hrsg.), König Maximilian II. von Bayern 1848 – 1864 (Rosenheim 1988), 101 ff.
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18. Mai 1818 zumindest in der Theorie ein Mittel zu Verfügung, um den Monarchen notwendigenfalls zur Einhaltung der Verfassung zu zwingen. Die Ministeranklage schwebte, gleichermaßen als Damoklesschwert92, über den höchsten Beratern des Königs – und damit auch über dem König selbst. Die Ministerverantwortlichkeit und die Ministeranklage waren damit klare und eindringliche Mahnungen auch an den König, gesetzes- und verfassungskonform zu regieren. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch die bereits oben erwähnte nachteilige Wirkung, die eine Diskussion über den etwaigen Verfassungsverstoß eines Ministers in der Öffentlichkeit haben musste. Eduard von Schenk erwähnte selbst vor dem Landtag die „vielfachen leidenschaftlichen Angriffe der öffentlichen Blätter“93. Auch wenn er diese Blätter „nicht für Organe der öffentlichen Meinung anerkennen“ mochte, so scheint er den Druck der Presse als große Belastung empfunden zu haben.94 Wenn also 1831 dem Innenminister eine förmliche Anklage wegen Verletzung der Verfassung gerade in dem Moment drohte, als sich König Ludwig I. – enttäuscht von den Abgeordneten – innerlich vom Verfassungsgedanken abgewendet hatte95, so ist dies sicherlich kein Zufall. Die Abgeordneten setzten die Ministerverantwortlichkeit hier mit Kalkül ein, um angesichts der spätestens seit 1830 zu beobachtenden „latenten Vertrauens- und Verfassungskrise“96 Druck auf den König auszuüben und die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen.
92 Die von Cicero überlieferte Anekdote vom Schwert des Damokles mag auch von Schenk vor Augen gehabt haben, als er vor der Abgeordnetenkammer von der „über seinem Haupte schwebenden Beschuldigung“ (vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 4, Prot. XV. Sitzung v. 19. April 1831, 5) sprach. 93 Vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 14. Der Abgeordnete Frhr. von Rottenhan konstatierte nicht nur „ein ungewöhnlich großes allgemeines Interesse“, sondern merkte darüber hinaus an, dass die causa Schenk „die Gemüther aufgeregt und zu besonderer Reizbarkeit“ geführt habe (Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 70 f.); der Abgeordnete Frhr. von Closen (a.a.O., 112) schließlich: „Der allerhöchste Richterstuhl ist die öffentliche Meynung“. Zum Urteil der öffentlichen Meinung über den Landtag von 1831 vgl. W. Lempfrid, Der bayerische Landtag 1831 und die öffentliche Meinung, in: ZBLG 24 (1961), 1 ff., 85 ff. 94 Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls seine Verteidigungsrede vor dem Landtag. Sein Ziel war es, die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen nicht nur „vor dieser sehr verehrten Kammer“, sondern auch „vor den Augen des Vaterlandes, vor den Augen von ganz Deutschland, durch die triftigsten faktischen Gründe zu widerlegen“ (KdA Protokolle, Bd. 4, Prot. XV. Sitzung v. 19. April 1831, 5). 95 1837 äußerte sich Ludwig I. wie folgt: „Nichts als Tadel, wo man Dank verdient, keine Anerkennung, Beschuldigung auf Beschuldigung“; zitiert nach E.-R. Huber (Fn. 3) 33 f. 96 J. Weitzel, „Von den Rechten der Krone trete ich keinen Zoll ab.“, in: Müßig (Hrsg.), Konstitutionalismus und Verfassungskonflikt (Tübingen 2006), 117 ff., 120.
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IV. Schluss Der Antrag, den Innenminister von Schenk in den Anklagestand zu versetzen, fand bereits in der Abgeordnetenkammer keine Mehrheit. Nachdem die Abgeordneten vom 5. – 16. Mai 1831 lange und mit ungewöhnlicher Schärfe über die eingereichten Beschwerden und die gegen den Staatsminister erhobenen Vorwürfe debattiert hatten,97 stimmten immerhin 50 Abgeordnete für eine Klageerhebung, 73 allerdings waren dagegen.98 Zwar vermied die Kammer der Abgeordneten damit eine förmliche Anklage. Aber unmittelbar zuvor hatten die Abgeordneten mit breiter Mehrheit beschlossen, dass die gegen die Presseverordnung vom 28. Januar 1831 erhobenen Beschwerden gem. Titel VII, § 21 begründet seien99 „und daß Seine Majestät der König auf verfassungsmäßigem Wege gebethen werden möge, diesen Beschwerden unverweilt Abhülfe zu gewähren“.100 Man verlangte demnach auf diesem Umwege nichts anderes als die Aufhebung der Verordnung – und damit letztlich auch
97 Vgl. nur die Redebeiträge der Abgeordneten Schwindel (Verfassungswidrigkeit der Presseverordnung bejahend, Verantwortlichkeit des Staatsministers ebenfalls bejahend), Frhr. von Rottenhan (Verfassungsverstoß und Verantwortlichkeit verneinend) und Frhr. von Closen (bejahend/bejahend) während der Debatte am 5. Mai 1831 (vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 50 ff., 70 ff. bzw. 90 ff.) sowie im Verlauf der Debatte v. 6. Mai 1831: Abgeordneter von Dresch (beides verneinend), Abgeordneter Rudhart (Verfassungswidrigkeit der Presseverordnung bejahend, jedoch keinen vorsätzlichen Verfassungsverstoß des Ministers annehmend), vgl. Bd. 5, Prot. XXIV. Sitzung v. 6. Mai 1831, 12 ff., 38 ff.; Sitzung v. 7. Mai 1831: Abgeordneter Willich (bejahend/endgültige Klärung der Vorsätzlichkeit soll einem besonders zu wählenden Ausschuss überlassen bleiben), Bd. 5, Prot. XXV. Sitzung v. 7. Mai 1831, 2 ff.; Sitzung v. 9. Mai 1831: Abgeordneter Schmaus (bejahend/ebenfalls für die Einsetzung eines besonderen Ausschusses), Bd. 5, Prot. XXVI. Sitzung v. 9. Mai 1831, 20 f.; Sitzung v. 11. Mai 1831: Abgeordneter Frhr. von Künsberg (beides verneinend), Bd. 5, Prot. XXVII. Sitzung v. 11. Mai 1831, 2 ff. 98 Vgl. das Ergebnis der geheimen Abstimmung nach Schluss der XXIX. Sitzung v. 16. Mai 1831, bekannt gegeben eingangs der XXX. Sitzung v. 18. Mai 1831 (KdA Protokolle 1831, Bd. 6, Prot. XXX. Sitzung v. 18. Mai 1831, 4. Entscheidend dürfte hierbei nicht zuletzt gewesen sein, dass der Abgeordnete Ignaz Rudhart (1790 – 1838), einer der Wortführer der gemäßigten Opposition, den Innenminister für frei von persönlicher Schuld hielt und sich deshalb gegen eine Anklage ausgesprochen hatte, vgl. Bd. 5, Prot. XXIV. Sitzung v. 6. Mai 1831, 55: „Ich stimme nach allem diesen gegen die Anklage; wohl aber bin ich der Meynung, daß durch die Instruction über die Ausübung der Censur das Gesetz und die Verfassung verletzt sey, nicht in böslicher Absicht, sondern in Folge einer – nach meiner Meinung – irrthümlichen Ansicht.“ 99 96 Abgeordnete bejahten die Begründetheit, 29 Abgeordnete verneinten sie, vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 6, Prot. XXX. Sitzung v. 18. Mai 1831, 3; dieses Abstimmungsergebnis entspricht dem Votum des für die Prüfung der gegen den Innenminister erhobenen Beschwerden gem. Titel VII, § 21 zuständigen fünften Ausschusses der Abgeordnetenkammer, dessen Mehrheit zuvor die Begründetheit der Beschwerden festgestellt hatte, vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 4, Prot. XV. Sitzung v. 19. April 1831, 4; Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 13. 100 Vgl. den Wortlaut des Beschlusses der Kammer der Abgeordneten v. 18. Mai 1831, KdA Protokolle 1831, Bd. 6, Prot. XXX. Sitzung v. 18. Mai 1831, 5 f.
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die Entlassung des Ministers durch den König.101 Wenn die Abgeordneten von einer förmlichen Anklage absahen, so mag dies daran liegen, dass die Kammer der Reichsräte eine Anklage – nicht zuletzt aus politischem Kalkül – wohl kaum unterstützt hätte. Im Übrigen dürfte ein Verstoß gegen den in der III. Beilage zur Verfassungsurkunde („Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandels“) von 1818 verankerten Grundsatz der Pressefreiheit tatsächlich gar nicht vorgelegen haben: Periodische Druckschriften politischen Inhalts werden in dem Edikt ausdrücklich von der Pressefreiheit ausgenommen.102 Dies hatte auch von Schenk immer wieder betont,103 wenngleich sein Versuch, die liberale Handhabung der Pressefreiheit in den 1820er Jahren vergessen zu machen und eine – angeblich – mehr als zwanzig Jahre währende Kontinuität der bayerischen Pressepolitik aufzuzeigen, zum Scheitern verurteilt war.104 Auch wenn eine förmliche Anklage gegen den Minister von Schenk letztlich nicht zustande kam, so zeigte die harsche Kritik der Abgeordneten durchaus Wirkung: Das Vertrauen zwischen dem Minister und den Abgeordneten war nachhaltig gestört. Am 22. Mai 1831 bat von Schenk den König um seine Entlassung, weil er befürchtete, dass sein Verbleib im Amt die Annahme des Budgets und wichtiger Gesetze erschweren würde.105 Ludwig I. sah sich gezwungen, seinen Minister angesichts des offen zu Tage getretenen Misstrauens der Abgeordneten gegen die Person von Schenks am 26. Mai 1831 zu entlassen.106 Wenn auch nicht unter juristischen, so doch unter politischen Gesichtspunkten war der Innenminister nicht mehr zu halten. Zu verheerend war der Eindruck, den die Ereignisse nicht zuletzt in der Öffentlichkeit hinterlassen hatten.107 Darüber hinaus kassierte der König am 12. Juni 1831 die umstrittene Presseverordnung.108 Sein Sieg über die Volksvertretung war demnach ein Pyrrhus-Sieg. 101
M. Doeberl, Entwicklungsgeschichte (Fn. 3), 104. Vgl. § 2 des Edikts: „Ausgenommen von dieser Freiheit sind alle politische Zeitungen und periodische Schriften politischen oder statistischen Inhalts. Dieselben unterliegen der dafür angeordneten Zensur.“ 103 So z. B. in seiner Stellungnahme vor dem Landtag am 5. Mai 1831, vgl. KdA Protokolle 1831, Bd. 5, Prot. XXIII. Sitzung v. 5. Mai 1831, 17 ff. 104 Dazu M. Treml, Bayerns Pressepolitik (Fn. 16), 147. 105 Schreiben des Ministers an König Ludwig I. v. 22. Mai 1831, vgl. M. Spindler, Briefwechsel zwischen Ludwig I. von Bayern und Eduard von Schenk 1823 – 1841 (München 1930), 190 ff. 106 Dekret v. 26. Mai 1831, RegBl. für das Königreich Bayern 1831, 329 f., vgl. auch das Schreiben Ludwigs I. an Schenk v. 24. Mai 1831, M. Spindler, a.a.O., 192 f.; ausführliche Schilderung der Ereignisse um den Rücktritt des Innenministers bei D. Götschmann, Bayerischer Parlamentarismus im Vormärz. Die Ständeversammlung des Königreichs Bayern 1819 – 1848 (Düsseldorf 2002), 550 ff. 107 M. Treml, a.a.O., 145 f., weist darauf hin, dass die liberale Presse die Verhandlungen wie nie zuvor kommentierte; das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten wurde in Ehrenlisten und „Schwarzen Listen“ gelobt und verdammt; vgl. auch W. Lempfrid, Bayerischer Landtag 1831 (Fn. 93), 1 ff. 108 Dazu M. Doeberl, Entwicklungsgeschichte (Fn. 3), 106; zur weiteren Entwicklung vgl. auch M. Treml, Bayerns Pressepolitik (Fn. 16), 148 ff. m.w.N. 102
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Das Ansehen Ludwigs I. war nachhaltig beschädigt, seine Position deutlich geschwächt.109 Bemerkenswert daran ist, dass in dem politischen Disput um die Person des bayerischen Innenministers Eduard von Schenk bereits Anklänge einer politischen Ministerverantwortlichkeit zu erkennen sind, die gemeinhin als charakteristisch für den Parlamentarismus angesehen wird.110 Der Konstitutionalismus kennt die politische Ministerverantwortlichkeit in diesem Sinne – jedenfalls im Verfassungstext – noch nicht.111 Der Fall des Innenministers von Schenk zeigt also, dass die Grenzen zwischen dem konstitutionellen und dem parlamentarischen System in der Praxis durchaus fließend sein können.
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Vgl. nur den Bericht des französischen Gesandten Graf Rumigny v. 27. Mai 1831: „Schenks Demission hat dem König nichts genützt. (…) Le roi est véritablement placé dans la position la plus difficile“; A. Chroust, Gesandtschaftsberichte aus München, Abt. I: Die Berichte der französischen Gesandten, Bd. 2 (München 1936), 410. 110 Im Parlamentarismus besagt die politische Ministerverantwortlichkeit, dass die Minister gegenüber dem Parlament verpflichtet sind, jederzeit Rechenschaft über ihre Tätigkeit abzulegen. Der Volksvertretung wird ein Kontrollrecht über die Tätigkeit der Minister eingeräumt. Der Minister ist somit gehalten, die im Parlament vorherrschende Meinung bei seiner Amtsausübung zu beachten. Unterlässt er dies, so können ihm die Abgeordneten, die als Vertreter des souveränen Volkes agieren, das Misstrauen aussprechen und ihn so zum Rücktritt zwingen. 111 Ein Misstrauensvotum der Volksvertretung genügt nicht, um den Minister zu stürzen. Die Entscheidung über die Entlassung der Minister liegt im konstitutionellen Staat allein beim Monarchen; allenfalls über den Umweg der Budgetverweigerung ließe sich gegebenenfalls eine gegen den Willen der Parlamentsmehrheit agierende Regierung „bändigen“.
Gutgläubiger Erwerb abhandengekommenen Bargeldes nach chinesischem Sachenrecht: unmöglich, unnötig oder unsicher? Von Simon Werthwein* In der Volksrepublik China gibt es bislang keine umfassende Zivilrechtskodifikation, vielmehr sind die verschiedenen Teilmaterien in eigenständigen Gesetzen geregelt.1 Dazu gehört auch das am 1. Oktober 2007 in Kraft getretene Sachenrechtsgesetz der VR China2 (im Folgenden: SRG), das in einigen Bereichen durch eine Justizauslegung3 aus dem Jahr 2016 (im Folgenden: SRG-Auslegung4) konkretisiert wird. Das SRG ist für deutsche Juristen durch Übersetzungen des Gesetzestextes ins Deutsche5 und Überblicksdarstellungen in deutscher bzw. englischer Sprache6 mitt* Dr. iur., Rechtsanwalt in Frankfurt a.M. Der Verfasser dankt Frau Prof. Dr. Chi Ying, Beijing, und Frau Dr. Zhou Mei, Nanjing, für wertvolle Hinweise. – Chinesische Namen werden im Folgenden in derselben Kurzform angegeben wie westliche Namen. Die vollständigen chinesischen Namen lauten (in der im Chinesischen gebräuchlichen Reihenfolge Familienname Vorname; wo die Quelle den Namen in chinesischen Zeichen wiedergibt, sind ), Cui Jianyuan ( diese in Klammern hinzugefügt): Bu Yuanshi, Chen Benhan ( ), Jiang Ping ( ), Jin Jing, Xu Lan, Li Guoguang ( ), Li Xiandong ( ), Liu Baoyu ( ), Liu Pinxin ( ), Liu Qingwen, Ma Junju ( ), Qi Muti ( ), Qi Xiaokun, Wang Liming ( ), Wang Yi ( ), Wang Zhu ( ), Wu Guangrong ( ), Yang Lixin ( ), Zheng Hui, Zheng Yubo ( ), Zhou Jun ( ), Zhou Mei. 1 Überblick bei H. Zheng, in: Y. Bu (Hrsg.), Chinese Civil Law (München 2013), 1 – 3 (Rn. 3 – 6). 2 . 3 Zum Instrument der Justizauslegung B. Ahl, Zur Revision des Gesetzgebungsgesetzes der Volksrepublik China, in: Zeitschrift für Chinesisches Recht 2015, Nr. 3, 241 – 251 (247 ff.). 4 Auslegung (1) des Obersten Volksgerichts zu einigen Fragen der Anwendung des „Sachenrechtsgesetzes der Volksrepublik China“ ( hh ii ( ) ) (Dokumentennummer: Fa Shi [2016] Nr. 5), bekanntgemacht am 22. Februar 2016, in Kraft getreten am 1. März 2016. 5 Deutsche Übersetzung mit Quellenangabe: F. Münzel, Chinas Recht, 16.3.07/1 (abrufbar unter http://www.chinas-recht.de/); deutsch-chinesisch mit Quellenangabe: M. Zhou/X. Qi/ S. Lohsse/Q. Liu, ZChinR 2007, Nr. 1, 78 – 117. 6 Nach Erscheinungsjahr geordnet: S. Lohsse/J. Jin, Sachenrecht: Begrifflichkeiten, Prinzipien, Eigentum, in: J. Binding/K. B. Pißler/L. Xu (Hrsg.), Chinesisches Zivil- und Wirtschaftsrecht (Frankfurt a.M. 2015), 205 – 250; S. Werthwein, Property, in: Bu, Chinese Civil Law (Fn. 1), 185 – 234; Y. Bu, Einführung in das Recht Chinas (München 2009), 126 – 152;
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lerweile gut erschlossen. Auch finden sich Beiträge speziell zum Rechtsinstitut des gutgläubigen Erwerbs.7 Jedoch wurde soweit ersichtlich ein Umstand noch nicht näher untersucht, der aus der Perspektive des deutschen Rechts überrascht: die Abwesenheit einer Regelung im SRG, die wie § 935 Abs. 2 BGB den gutgläubigen Erwerb abhandengekommenen Bargeldes (und abhandengekommener Inhaberpapiere; diese sollen im Folgenden außer Betracht bleiben) ermöglicht. Nach einem Überblick über die Voraussetzungen des Erwerbs des Eigentums an beweglichen Sachen vom Berechtigten (sogleich I.) und vom Nichtberechtigten (unten II.) nach dem SRG soll untersucht werden, wie die Abwesenheit eines Äquivalents zu § 935 Abs. 2 BGB im SRG zu erklären ist (III.). Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung (IV.) und einem Ausblick (V.).
I. Erwerb des Eigentums an beweglichen Sachen vom Berechtigten Das SRG kennt kein eigenständiges dingliches Rechtsgeschäft (dieses Konzept wurde jedoch durchaus diskutiert8), so dass weder Trennungs- noch Abstraktionsprinzip gelten.9 Vielmehr folgt das SRG dem Einheitsprinzip, verlangt aber zur dinglichen Wirkung zusätzlich einen Publizitätsakt:10 Für die Eigentumsübertragung bedarf es im Fall beweglicher Sachen11 des Zustandekommens eines auf Eigentumsübertragung gerichteten schuldrechtlichen Vertrags12 sowie der Übergabe der betreffenden Sache, wobei das SRG das erstgenannte Element nicht in der wünschenswerten Klarheit als solches benennt.13 G. M. Rehm/H. Julius, The New Chinese Property Rights Law: An Evaluation from a Continental European Perspective, in: Columbia Journal of Asian Law 2009, 177 ff. (abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=1132343); R. Stürner, Das neue chinesische Sachenrecht aus deutscher Sicht, in: Y. Bu (Hrsg.), Chinesisches Zivil- und Wirtschaftsrecht aus deutscher Sicht (Tübingen 2008), 3 – 17. 7 Y. Bu, Der gutgläubige Erwerb im chinesischen Sachenrecht – ein Beispiel für die Rechtsrezeption in China, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 2009, 307 – 331; H.-F. Krauss, Gutgläubiger Erwerb gem. §§ 106 f. SachenRG der Volksrepublik China, in: R. Kanzleiter/W. Kössinger/H. Grziwotz (Hrsg.), Festschrift für Hans Wolfsteiner (Köln 2008), 85 – 97. 8 Bu, Einführung (Fn. 6), 134 Rn. 23; Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 59. 9 Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 59. 10 Stürner, Chinesisches Sachenrecht (Fn. 6), 7. 11 Der Begriff „bewegliche Sache“ bezieht sich im Folgenden ausschließlich auf nicht registerfähige bewegliche Sachen, also nicht auf Schiffe, Luftfahrzeuge und Kraftfahrzeuge (siehe dazu Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 67; Werthwein, Property (Fn. 6), 203/204 Rn. 14 – 17). 12 Dieser Vertrag umfasst nach überwiegender und überzeugender Auffassung auch einen auf die dingliche Rechtsänderung gerichteten Geschäftswillen der Parteien, vgl. Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 25, 60, 80; Stürner, Chinesisches Sachenrecht (Fn. 6), 7. 13 Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 58; Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 309.
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II. Erwerb des Eigentums an beweglichen Sachen vom Nichtberechtigten Das Rechtsinstitut des gutgläubigen Erwerbs war im chinesischen Recht bereits vor Inkrafttreten des SRG bekannt, jedoch war es nur rudimentär im geltenden Recht verankert.14 Auch begegnete der dem Rechtsinstitut des gutgläubigen Erwerbs zugrundeliegende Verkehrsschutzgedanke in der Öffentlichkeit gewissen Vorbehalten.15 Das SRG behandelt den gutgläubigen Erwerb in den im Folgenden näher dargestellten §§ 106 und 107, deren Zusammenspiel dem Muster von Regel (§ 106 SRG) und Ausnahme (§ 107 SRG) folgt. 1. Regel: Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten Den gutgläubigen Erwerb regelt § 106 Abs. 1 SRG wie folgt: 1
Veräußert ein Nichtberechtigter eine unbewegliche oder bewegliche Sache, so kann der Eigentümer die Herausgabe der Sache verlangen. 2Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, wird der Erwerber unter den folgenden Voraussetzungen Eigentümer der unbeweglichen oder beweglichen Sache: 1. der Erwerber ist bei Erwerb der unbeweglichen oder beweglichen Sache in gutem Glauben; 2. die Veräußerung erfolgt zu einem angemessenen Preis; 3. und die Veräußerung der unbeweglichen oder beweglichen Sache ist, sofern nach den gesetzlichen Bestimmungen die Eintragung erforderlich ist, eingetragen worden oder die Sache ist, sofern keine Eintragung erforderlich ist, übergeben worden.16
Dieser Regelung können die folgenden Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs des Eigentums an beweglichen Sachen entnommen werden: (1) Mangelnde Berechtigung des Veräußerers.17 (2) Guter Glaube des Erwerbers an das Eigentum18 des Veräußerers im Zeitpunkt der Vollendung des Erwerbs19. Abweichend vom Wortlaut des § 106 SRG
14
X. Baumann, Das neue chinesische Sachenrecht: seine Entwicklung unter Einfluss deutschen Rechts (Baden-Baden 2006), 143 – 145. 15 R. Zinser, Die Entstehung des chinesischen Sachenrechtsgesetzes (Frankfurt a.M. 2012), 282. 16 Übersetzung von Zhou/Qi/Lohsse/Liu (Fn. 5). 17 Ausführlich dazu Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 309 – 312. 18 So mit überzeugender Argumentation Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 89. Nach anderer Ansicht (Nachweise bei Lohsse/Jin a.a.O.) ist Bezugspunkt des guten Glaubens die Verfügungsbefugnis des Veräußerers. 19 Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 315; Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 92; Werthwein, Property (Fn. 6), 210 Rn. 40.
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Simon Werthwein (a) schadet der Gutgläubigkeit neben positiver Kenntnis gemäß § 15 Abs. 1 SRG-Auslegung auch auf grober Fahrlässigkeit20 beruhende Unkenntnis21 und (b) braucht der Erwerber seine Gutgläubigkeit gemäß § 15 Abs. 2 SRG-Auslegung nicht zu beweisen, sondern diese wird kraft der Publizitätswirkung des Besitzes (bzw. der Registereintragung) vermutet.22
(3) Angemessener Preis. Hierzu wurde bereits vor Inkrafttreten der SRG-Auslegung die Auffassung vertreten, die Angemessenheit sei nach objektiven Kriterien (z. B. Vergleich mit marktüblichem Preis) zu bestimmen,23 wobei das Kriterium der Angemessenheit teilweise dahingehend relativiert wurde, dass es ausreiche, wenn der Preis nicht offensichtlich und damit in einem die Gutgläubigkeit des Erwerbers schlichtweg ausschließenden Maß unangemessen sei.24 Nach § 19 SRG-Auslegung ist die Frage der Angemessenheit im Wege der Gesamtschau folgender objektiver Faktoren zu beurteilen: Eigenart und Menge der vertragsgegenständlichen Sachen, Zahlungsmodalitäten sowie üblicher Preis und sonstige Usancen25 auf dem betreffenden lokalen Markt. (4) Übergabe der Sache (oder Übergabesurrogat nach § 26 SRG [Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen einen Dritten] oder § 27 SRG [Besitzkonstitut]; keine Differenzierung wie z. B. nach § 934 BGB26).
2. Ausnahme: Abhandengekommene Sachen Der oben dargestellten Regel des § 106 SRG tritt die Ausnahme des § 107 SRG gegenüber: 1
Eigentümer und andere Berechtigte können die Herausgabe einer verlorenen Sache verlangen. 2Ist eine solche Sache durch Veräußerung in den Besitz eines anderen gelangt, so kann der Berechtigte vom Nichtberechtigten Schadensersatz oder innerhalb von zwei Jahren ab dem Tag, an dem er von der Person des Erwerbers Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, vom Erwerber die Herausgabe der Sache verlangen; hat der Erwerber die Sache jedoch in einer öffentlichen Versteigerung oder aufgrund eines Verkaufs durch einen zum 20 Grobe Fahrlässigkeit liegt nach § 17 SRG-Auslegung im Fall des Erwerbs beweglicher Sachen dann vor, wenn Gegenstand, Ort oder Zeit der Transaktion nicht der Verkehrssitte entsprechen. 21 Dies war bereits vor Inkrafttreten der SRG-Auslegung in der Literatur vielfach vertreten worden, vgl. nur Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 90. 22 Auch in diesem Punkt bestätigt die SRG-Auslegung eine bereits zuvor von der Literatur befürwortete Ansicht, vgl. Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 92; Werthwein, Property (Fn. 6), 212 Rn. 50; Bu, Einführung (Fn. 6), 142 Rn. 46. 23 Werthwein, Property (Fn. 6), 210 Rn. 42. 24 Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 316/317. 25 Unter diesen Punkt fällt wohl die Frage, ob der „angemessene Preis“ tatsächlich voll bezahlt worden sein muss. Dazu wurde vor Inkrafttreten der SRG-Auslegung die Meinung vertreten, dass eine Teilzahlung jedenfalls dann unschädlich sei, wenn dies der Verkehrspraxis entspreche, vgl. Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 317. 26 § 18 Abs. 2 SRG-Auslegung. Zur diesbezüglichen Diskussion vor Inkrafttreten der SRGAuslegung Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 318.
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freihändigen Verkauf öffentlich Ermächtigten erworben, so muss der Berechtigte, der vom Erwerber Herausgabe verlangt, diesem die Kosten [des Erwerbs] ersetzen. 3Hat der Berechtigte dem Erwerber diese Kosten ersetzt, so kann er beim Nichtberechtigten Regress nehmen.27
Ähnlich wie § 106 SRG ist auch § 107 SRG auslegungsbedürftig, wie sich im Folgenden zeigen wird. a) Anwendbarkeit der Vorschrift auf in jeglicher Weise abhandengekommene Sachen § 107 SRG beruht auf der Überlegung, dass ein Rechtsschein nur dann den Erwerb vom Nichtberechtigten rechtfertigt, wenn der Eigentümer diesen Rechtsschein in zurechenbarer Weise veranlasst hat.28 Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass der Anwendungsbereich des § 107 SRG – anders als noch in Entwürfen des Gesetzes, die neben verlorenen auch gestohlene Sachen einbezogen hatten29 – dem Wortlaut nach auf verlorene Sachen beschränkt ist. Die Gesetzgebungsmaterialien begründen dies damit, dass für gestohlene Sachen bereits eine strafrechtliche Lösung vorhanden sei,30 was jedoch nicht zutrifft.31 Es überzeugt daher, dass in der Literatur überwiegend die Ansicht vertreten wird, § 107 SRG sei nicht nur auf verlorene, sondern (erst recht) auch auf gestohlene Sachen anwendbar.32
27 Die Übersetzung basiert auf der Übersetzung von Zhou/Qi/Lohsse/Liu (Fn. 5), jedoch wurde die Trennung der Sätze 2 und 3 an die Struktur des chinesischen Textes angepasst: Satz 3 regelt nur den Regressanspruch, beginnt also nicht bereits mit „Hat der Erwerber die Sache jedoch in einer öffentlichen Versteigerung …“. 28 Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 95. 29 Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 329. 30 Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 329; J. Cui, Sachenrecht: Norm und Lehre – Die : Auslegung des chinesischen Sachenrechtsgesetzes als Mittelpunkt (Band 1) ( – ( ) ) (Beijing 2011), 232; P. Jiang/G. Li (Hrsg.), Das Sachenrechtsgesetz – Fragen und Antworten ( ) (Beijing 2007), 296. – Dagegen vermutet Krauss, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 93, die Beschränkung des Wortlauts des § 107 SRG auf verlorene Sachen sei gar nicht als Beschränkung gedacht, sondern gehe vielmehr auf eine Sprachbarriere beim Ideentransfer von Deutschland nach China zurück: Die Streichung der Bezugnahme auf gestohlene Sachen aus dem Gesetzestext sei wohl die Reaktion auf die von deutscher Seite vorgebrachte Empfehlung, auf den allgemeinen Tatbestand des „unfreiwilligen Besitzverlustes“ abzustellen statt auf Unterfälle dieses allgemeinen Tatbestands (gestohlene Sache, verlorene Sache). Dieser Annahme schließen sich Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 95 an. 31 Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 329. 32 Vgl. nur Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 95 (m.w.N.).
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b) Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs oder bloße Schwächung der Position des gutgläubigen Erwerbers Fest steht also, dass § 107 SRG den Grundsatz der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs einschränkt. Uneinigkeit besteht aber in der Frage, ob die Vorschrift den gutgläubigen Erwerb abhandengekommener Sachen ausschließt oder lediglich eine Schwächung der Position des gutgläubigen Erwerbers bewirkt. Die wohl herrschende Meinung33 versteht § 107 SRG im erstgenannten Sinne: Ein gutgläubiger Erwerb ist ausgeschlossen; der Eigentümer hat nach § 107 S. 2 SRG die Wahl zwischen einem Schadensersatzanspruch gegen den Veräußerer (dessen Geltendmachung als Genehmigung der Veräußerung auszulegen ist) und einem Herausgabeanspruch gegen den Erwerber, der jedoch mit Ablauf von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt verjährt, in dem der Eigentümer von der Person des Erwerbers Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Denjenigen Erwerber, der die Sache in öffentlicher Versteigerung oder von einem zum freihändigen Verkauf öffentlich Ermächtigten erworben hat, schützt § 107 S. 2 letzter Hs. SRG durch einen Lösungsanspruch.34 Die Vorschrift des § 107 S. 2 SRG kann aber auch dahingehend verstanden werden, dass sie auch im Fall abhandengekommener Sachen den gutgläubigen Erwerb zulässt, jedoch den ursprünglichen Eigentümer durch einen (der oben dargestellten Verjährung unterliegenden) Rückübereignungsanspruch schützt.35 Nach dieser Sichtweise enthält § 107 SRG also lediglich im praktischen Ergebnis, nicht aber im technischen Sinne eine „Ausnahme“ vom Grundsatz der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs. Diese Ansicht findet ihre Stütze nicht nur in Binnenstruktur und Wortlaut des § 107 SRG,36 sondern sie vermeidet auch ein Problem, das sich nach dem von der herrschenden Meinung vertretenen Verständnis des § 107 SRG ergibt: Da das SRG keine Ersitzungsvorschriften enthält,37 fallen Eigentum und Besitz mit Eintreten der Verjährung des Herausgabeanspruchs dauerhaft auseinander, wodurch die Sache gesamtwirtschaftlich wertlos wird.38 33 Vgl. nur Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 97, die sich auf den sehr einflussreichen L. Wang berufen. 34 Zu den Ursprüngen des Lösungsanspruchs im Wanderhandel und zu seinem Schicksal in der Gesetzgebungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Vorschlag durch die 1. Kommission, Streichung durch die 2. Kommission – Letzteres kritisierend P. Heck, Grundriß des Sachenrechts (Aalen 1960, Neudruck der Ausgabe Tübingen 1930), 256) siehe B. Imbusch, Der gutgläubige rechtsgeschäftliche Erwerb gestohlener Sachen im deutschen Recht (Münster 1999), 144 f., 50 f., 80 f. Als Vorbilder der chinesischen Regelung werden entsprechende Vorschriften im französischen, schweizerischen, japanischen und taiwanischen Recht genannt, siehe X. Li (Hrsg.), Leitfaden zum neuen chinesischen Sachenrechtsgesetz mit Erläuterungen ) (Beijing 20092), 268. klassischer Fälle ( 35 Werthwein, Property (Fn. 6), 213 f. Rn. 52 – 57. 36 Werthwein, Property (Fn. 6), 213 f. Rn. 55, 56. 37 Bu, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 330; Krauss, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 95 – 97. 38 Krauss, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 94.
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3. Keine Gegenausnahme bezüglich abhandengekommenen Bargeldes Die verschiedenen Entwürfe des SRG differenzierten noch zwischen Geld und Inhaberpapieren einerseits und allen übrigen beweglichen Sachen andererseits.39 Jedoch wurde diese Differenzierung letztlich nicht in das SRG aufgenommen. Es existiert also keine in die Regel zurückfallende Gegenausnahme zu § 107 SRG bezüglich abhandengekommenen Bargeldes (und abhandengekommener Inhaberpapiere, die wie bereits klargestellt außer Betracht bleiben sollen).
III. Mögliche Gründe für die Abwesenheit einer Gegenausnahme Die oben festgestellte Abwesenheit eines Äquivalents zu § 935 Abs. 2 BGB beeinträchtigt, wenigstens auf den ersten Blick, die Verlässlichkeit des Barzahlungsverkehrs.40 Dennoch wird dieser Umstand soweit ersichtlich weder in der chinesischen noch in der (aus chinesischer Sicht) ausländischen Literatur problematisiert.41 Für die Abwesenheit einer Gegenausnahme sind verschiedene Erklärungen denkbar, die im Folgenden untersucht werden sollen. Die Reihenfolge, in der diese Erklärungsansätze dargestellt werden, spiegelt insofern bereits das Ergebnis der Untersuchung wider, als die Ansätze in der aufsteigenden Reihenfolge ihrer Stichhaltigkeit abgehandelt werden. 1. Bedarf für eine Gegenausnahme wurde übersehen Es ist in der deutschen sachenrechtlichen Literatur anerkannt, dass jede konkrete Ausgestaltung des Rechtsinstituts des gutgläubigen Erwerbs ein Kompromiss sein wird42 und dass es die eine ideale Lösung des Konflikts zwischen Erhaltungsinteresse des Eigentümers einerseits und Verkehrsschutz als Schutz des gutgläubigen Erwerbers andererseits43 nicht gibt.44 39
Baumann, Sachenrecht (Fn. 14), 145. Dies gilt auch dann, wenn man der oben unter II. 2. b) dargestellten Mindermeinung folgend davon ausgeht, dass § 107 S. 2 SRG den gutgläubigen Erwerb abhandengekommener Sachen zulässt, da der Erwerber dann einem Rückübereignungsanspruch ausgesetzt ist. 41 Krauss, Gutgläubiger Erwerb (Fn. 7), 93 f., stellt zwar die wichtige Funktion des § 935 Abs. 2 BGB und die Abwesenheit einer entsprechenden Vorschrift im SRG heraus. Sodann geht er jedoch nur darauf ein, dass durch den Lösungsanspruch der Schutz des Eigentümers geschmälert werde. 42 So speziell zu § 935 BGB Imbusch, Gutgläubiger Erwerb gestohlener Sachen (Fn. 34), 97. 43 Heck, Grundriß des Sachenrechts (Fn. 34), 113, weist jedoch darauf hin, dass „auch der Eigentümer selbst ein starkes Interesse an dem Schutz des Erwerbers haben kann, weil dieser Schutz ihm die Veräußerung seiner Sachen erleichtert.“ 40
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In demselben Maße herrscht jedoch Einigkeit über die Unentbehrlichkeit des § 935 Abs. 2 BGB: In Bezug auf Geld bestehe ein gesteigertes Verkehrsbedürfnis für Vertrauensschutz,45 da dessen gesteigerte Umlauffähigkeit unabdingbar sei46 und ein Zurücktreten der Schutzinteressen des Eigentümers hinter den Verkehrsinteressen verlange.47 Auch dem gutgläubigen Erwerb insgesamt kritisch gegenüberstehende Autoren betonen, dass Störungen des Zahlungsverkehrs durch einen Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs selbst bei gestohlenem oder sonst abhandengekommenem Geld nicht hinnehmbar wären.48 Auch in der chinesischen Literatur finden sich Bezugnahmen auf § 935 Abs. 2 BGB.49 Angesichts dieses Umstands und vor allem der Tatsache, dass die Erarbeitung des SRG unter umfassender Beteiligung deutscher Berater stattfand,50 ist es kaum vorstellbar, dass der chinesische Gesetzgeber den Bedarf für eine dem § 935 Abs. 2 BGB entsprechende Gegenausnahme übersehen hat. 2. Politisches Interesse an der Zurückdrängung des Barzahlungsverkehrs Denkbar ist auch, dass die Verlässlichkeit von Barzahlungen bewusst geschwächt werden soll, um politische Ziele zu erreichen.51 So wird dem chinesischen Staat ein Interesse daran nachgesagt, seine Bürger zum bargeldlosen Bezahlen zu motivieren, um Korruption und Steuerhinterziehung besser bekämpfen und die Bürger insgesamt besser überwachen zu können.52 Allerdings erschiene die bewusste Schwächung der 44
H.-J. Musielak, Eigentumserwerb an beweglichen Sachen nach §§ 932 ff. BGB, in: Juristische Schulung 1992, Nr. 9, 713 – 723 (713). 45 Heck, Grundriß des Sachenrechts (Fn. 34), 253. 46 J. Wilhelm, Sachenrecht (Berlin/New York 20104), 393. Zum Recht der ehemaligen DDR (dort allerdings als Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein gutgläubiger Erwerb nicht möglich sei) ebenso J. Klinkert in: J. Göhring/M. Posch (Hrsg.), Zivilrecht (Berlin 1981), 158; zum polnischen Recht ebenso J. Hadrzynski-Trzebuchowski, Gutgläubiger Erwerb in Polen und Deutschland – eine Untersuchung ausgewählter Erwerbstatbestände des Sachen- und Erbrechts (Bonn 2004), 118. 47 H. P. Westermann/K. Gursky/D. Eickmann, Sachenrecht (Heidelberg 20118), 450 Rn. 20. 48 F. Peters, Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb (Tübingen 1991), 30. 49 Z. B. Jiang/Li, Sachenrechtsgesetz (Fn. 30), 293. 50 Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 7. 51 Die Abschaffung von Geldscheinen mit hohem Nennwert ist in China anders als im Euroraum keine Option, da die Banknote mit dem höchsten Nennwert (100 Renminbi) ohnehin umgerechnet weniger als 15 Euro wert ist. 52 Deutschlandfunk, 9. Februar 2016, 17:19 Uhr (Text abrufbar unter https://www.tages schau.de/wirtschaft/china-bargeld-wird-unwichtiger-101.html); Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Februar 2016, S. 19 (Ein Hoch auf das „Metálico“) (abrufbar unter http://www. faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/bargeld-in-spanien-grossbritannien-china-vereinig te-staaten-14052655.html).
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Verlässlichkeit des baren Zahlungsverkehrs als ungewöhnlich indirekte Maßnahme zur Erreichung dieser Ziele. Jedenfalls im Bereich der Korruptionsbekämpfung werden Barzahlungen mittlerweile ohnehin nicht mehr als das Hauptproblem gesehen. Nach Einschätzung des Korruptionsexperten P. Liu, Juraprofessor an der Pekinger Renmin-Universität, bieten elektronische Zahlungen und Zahlungen in virtueller Währung für Online-Spiele heute wesentlich bessere Möglichkeiten zur Verschleierung von Zahlungen.53 Dass die Abwesenheit eines Äquivalents zu § 935 Abs. 2 BGB der Erreichung politischer Ziele dienen soll, erscheint folglich eher unwahrscheinlich. 3. Mangelnde praktische Relevanz der Barzahlung Als weiterer Erklärungsansatz ist in Betracht zu ziehen, dass der Gesetzgeber Barzahlungen für so ungebräuchlich hielt, dass er eine speziell auf Bargeld bezogene Regelung für praktisch irrelevant gehalten haben könnte. Richtig daran ist, dass heute anders als noch vor wenigen Jahren in vielen Bereichen des chinesischen Alltagslebens bargeldloses Zahlen möglich und, wenigstens für jüngere Menschen, zum Normalfall geworden ist; dennoch ist die Barzahlung auch heute noch selbst bei größeren Anschaffungen möglich.54 Und von dieser Möglichkeit wird durchaus noch Gebrauch gemacht, wenn auch sicherlich selten in so spektakulärer Weise wie in den Fällen der mit Kleingeld bezahlten Autos.55 Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der chinesische Gesetzgeber Barzahlungen (zumal bereits in den Jahren vor 2007, als die technischen Möglichkeiten der unbaren Zahlung weniger verbreitet waren als heute) für praktisch vernachlässigbar gehalten haben könnte. 4. Mangelnde praktische Relevanz einer Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs abhandengekommenen Bargeldes Für die geringe praktische Relevanz der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs abhandengekommenen Bargeldes spricht, dass es dem Eigentümer oft ohnehin nicht gelingen wird, seinen Herausgabeanspruch mit Erfolg geltend zu machen. 53
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. Februar 2016, S. 17 (Chinas Kriminelle bestechen auch ohne Bargeld) (abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/korruptionin-china-bestechung-ohne-bargeld-14088830.html). 54 Deutschlandfunk (Fn. 52); Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Februar 2016 (Fn. 52). 55 Anfang Juni 2015 bezahlte ein Mann aus Shenyang die 680.000 Renminbi für seinen Toyota Land Cruiser in bar, davon 660.000 Renminbi in 1-Renminbi-Münzen und den Rest in 1-Renminbi-Scheinen (Bericht abrufbar unter http://www.fj.xinhuanet.com/2015-06/03/c_ 1115500173.htm). Ein vergleichbarer Fall ereignete sich erneut Ende Januar 2016 (Bericht abrufbar unter http://jiangsu.sina.com.cn/news/s/2016-02-04/detail-ifxpfhzk8875291.shtml).
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Denn meist wird er nicht beweisen können, dass der in Anspruch genommene Besitzer gerade die abhandengekommenen Geldstücke besitzt. Es sind aber durchaus Fälle denkbar, in denen Geldzeichen (praktisch wohl eher Banknoten als Münzen) identifizierbar sind, seien es Fälle der eher zufällig herbeigeführten Identifizierbarkeit (Beispiele: in Ermangelung eines Notizzettels wird eine Telefonnummer auf einem Geldschein notiert; Geldscheine werden wie in Erich Kästners „Emil und die Detektive“ mit einer Nadel in der Jackentasche befestigt und sind später anhand der dabei entstandenen Durchlöcherungen identifizierbar) oder solche der bewusst herbeigeführten Identifizierbarkeit (Beispiele: Dokumentation der Seriennummern von Banknoten oder Markierung der Banknoten z. B. mit nur unter UV-Licht sichtbarer Farbe). In Anbetracht des Umstandes, dass in China auch größere Beträge noch in bar gezahlt werden, kann nicht von einer geringen praktischen Relevanz der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs abhandengekommenen Bargeldes ausgegangen werden. Denn ohne diese Möglichkeit trägt jeder Barzahlungsempfänger das Risiko, dass gerade in seinem Fall das ihm übergebene Geld dem Eigentümer abhandengekommen und dieser in der Lage ist, die ihm abhandengekommenen Geldzeichen zu identifizieren. Die Tauglichkeit des Bargeldes als Zahlungsmittel und die Akzeptanz von Barzahlungen insbesondere höherer Beträge wären dadurch spürbar geschmälert. 5. „Besitz bedeutet Eigentum“ (
)
Der Wortlaut des SRG bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, das SRG sei auf Bargeld nicht anwendbar. Das SRG befasst sich mit der Zuordnung von Sachen (§ 1 SRG), wobei Sachen sowohl bewegliche als auch unbewegliche Sachen sind (§ 2 Abs. 2 S. 1 SRG). Eine Definition des Sachbegriffs selbst (durch die Bargeld ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen oder in denselben einbezogen würde) enthält das SRG nicht.56 Jedoch gilt nach als herrschend bezeichneter57 Meinung für Bargeld im chinesischen Recht eine Regel, die die Anwendbarkeit des SRG auf Bargeld ausschließt: Es handelt sich um das Prinzip „Besitz [an Bargeld] bedeutet Eigentum [an ebendiesem ). Bargeld]“ ( 56
Lohsse/Jin, Sachenrecht (Fn. 6), Rn. 12. So z. B. bei M. Qi, Die Zuordnung des Eigentums an Geld und die Regeln seiner Zirkulation – Zweifel am Prinzip „Besitz bedeutet Eigentum“ ( – “ ” ), in: Legal Science ( ) 2009, Nr. 11, 58 – 68 (58) m.w.N. – Andererseits kritisiert jedoch G. Wu, Der Anwendungsbereich des Rechtsinstituts des gutgläubigen Erwerbs – zugleich eine Bewertung der diesbezüglichen Vorschriften des „Sachenrechtsgesetzes der Volksrepublik China (Entwurf)“ ( – hh ( ) ii ), in: Law Science (Journal of Northwest University of Politics and Law) ( ( ) ) 2006, Nr. 4, 102 – 113 (112) das Fehlen einer Gegenausnahme für Geld und Inhaberpapiere im Entwurf des Sachenrechtsgesetzes, ohne das Prinzip „Besitz bedeutet Eigentum“ auch nur zu erwähnen. 57
Erwerb abhandengekommenen Bargeldes nach chinesischem Sachenrecht
271
a) Der Meinungsstand in der chinesischen Literatur Befürworter und Gegner des Prinzips „Besitz bedeutet Eigentum“ sind sich darin einig, dass die Geltung dieses Prinzips für Bargeld der herrschenden Meinung entspreche.58 Zurückgeführt wird das Prinzip auf das japanische59 und vor allem taiwanische60 Recht, wobei als Urheber Y. Zheng61 und als zentrales Argument die (unter anderem auf dessen Umlauffähigkeit und Umlaufhäufigkeit gründende) Wesensverschiedenheit des Geldes von gewöhnlichen beweglichen Sachen62 genannt wird. Vor diesem Hintergrund sprechen sich Befürworter des Prinzips „Besitz bedeutet Eigentum“ de lege ferenda für die Einfügung einer Sonderregelung in das SRG aus, wonach der Übergang des Besitzes von Geld und Inhaberpapieren den Übergang des Eigentums auf den neuen Besitzer bewirke.63 L. Wang behauptete in einem Beitrag aus der Zeit kurz vor dem Inkrafttreten des SRG sogar ohne jede Begründung die Geltung des Prinzips „Besitz bedeutet Eigentum“.64 Gegen die Geltung des Prinzips „Besitz bedeutet Eigentum“ wird zum einen angeführt, dass auch die herrschende Meinung den Anwendungsbereich dieses Prinzips durch die Anerkennung diverser Ausnahmen (beispielsweise für den Fall der Besitzdienerschaft oder bei Sammlerstücken) mehr und mehr einschränke.65 Zum anderen 58 L. Yang/Z. Wang, Die Kategorisierung des Geldes als Rechtsobjekt und seine rechtliche Regelung – Die Lehre vom „allgemeinen Äquivalent“ als Kernpunkt ( – “ ” ), in: Academic Journal of Zhongzhou ( ) 2008 Nr. 4, 69 – 73 (73 linke Spalte); B. Liu, Die Zirkulation des Eigentums an Geld: ), in: Allgemeine Regeln und Ausnahmen ( Shandong Justice ( ) 2007, Nr. 3, 4 – 9 (6); J. Ma/B. Chen (Hrsg.), Sachenrecht ( ) (Shanghai 2007), 171; Qi, Zuordnung des Geldeigentums (Fn. 57), 58 f.; J. Zhou, Die Regeln über die Zirkulation des Eigentums an Geld – Ausgehend vom „Prinzip ,Besitz bedeutet Eigentum’“ ( – “ ” ), in: Guizhou Social Sciences ( ) 2014, Nr. 7, 166 – 168 (166). 59 Qi, Zuordnung des Geldeigentums (Fn. 57), 64. 60 Liu, Zirkulation des Geldeigentums (Fn. 58), 7; Qi, Zuordnung des Geldeigentums (Fn. 57), 59. 61 Wie Fn. 60. 62 Ma/Chen, Sachenrecht (Fn. 58), 170; nach Ansicht von Yang/Wang, Kategorisierung des Geldes als Rechtsobjekt (Fn. 58), 73 linke Spalte, ist Geld derart speziell, dass noch seine Einordnung als „bewegliche Sache eigener Art“ möglicherweise eine größere Nähe zu den sonstigen beweglichen Sachen suggeriere als angebracht. 63 Liu, Zirkulation des Geldeigentums (Fn. 58), 9. 64 L. Wang, Die Konzeption des Rechtsinstituts des gutgläubigen Erwerbs – eine Analyse des § 111 des Entwurfs eines chinesischen Sachenrechtsgesetzes ( 111 ), in: Chinese Legal Science ( ) 2006, Nr. 4, 79 – 94 (82). In einem knapp zehn Jahre zuvor erschienenen Beitrag von L. Wang und Y. Wang war noch eine Ausnahme nach dem Vorbild von § 935 Abs. 2 BGB (die ja unter Geltung des Prinzips „Besitz bedeutet Eigentum“ unnötig wäre) postuliert worden: L. Wang/ Y. Wang, Untersuchung des Rechtsinstituts des gutgläubigen Fahrniserwerbs ( ), in: Modern Law Science ( ) 1997, Nr. 5, 4 – 12 (8). 65 Qi, Zuordnung des Geldeigentums (Fn. 57), 59.
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Simon Werthwein
wird darauf hingewiesen, dass wegen der Beweisschwierigkeiten des Eigentümers (dazu oben III.4.) die Anwendung der Vorschriften des SRG auch auf Bargeld kaum jemals zu einem abweichenden praktischen Ergebnis führe.66 b) Parallele in der deutschen Rechtsgeschichte Auch in der deutschen Rechtswissenschaft gab es im Gefolge der nach 1933 einsetzenden Bestrebungen zur Erneuerung des deutschen Privatrechts in stärkerer Ausrichtung an der „Natur der Dinge“ Überlegungen, alle das Geld und die Zahlungsmittel betreffenden Regeln gesondert zusammenzufassen.67 Dem im chinesischen Recht diskutierten Prinzip „Besitz bedeutet Eigentum“ kommt insbesondere der Ansatz Kasers nahe, wonach das Recht aus dem Geldstück nicht durch Verfügung, sondern durch den Realakt der Übergabe übertragen werde, wobei dennoch Herausgabeansprüche z. B. des mittelbaren Besitzers gegen den Besitzmittler anzuerkennen seien.68 c) Stellungnahme Dass es im deutschen Recht trotz dieser Überlegungen bei dem uns heute bekannten Rechtszustand geblieben ist, wonach Bargeld ausschließlich (also ohne Bezugnahme auf Geldwert oder Kaufkraft) als Sache aufgefasst wird und Besitz und Eigentum an Bargeld wenigstens theoretisch auseinanderfallen können,69 erscheint berechtigt. Die Zulässigkeit der Trennung von Eigentum und Besitz ist praktisch sinnvoll und rechtspolitisch vertretbar; ein Verzicht auf eine Eigentumsordnung des Bargeldes ist abzulehnen, da die praktische Bedeutung des Eigentums an einer Sache in fremdem Besitz sich insbesondere dann zeigt, wenn ein Drittgläubiger des Besitzers in die Sache vollstrecken will.70 Eher als die Verneinung der Übertragbarkeit des Geldeigentums durch Rechtsgeschäft ist der bei Bargeld besonders weitgehende Gutglaubensschutz ein angemessenes Mittel zur Erreichung des notwendigen Verkehrsschutzes.71 Im chinesischen Recht fehlt es zwar gerade an einem solchen bei Bargeld besonders weitgehenden Schutz des guten Glaubens (siehe oben II.3.). Es läge daher nahe, mit der herrschenden Meinung von der Geltung der Regel „Besitz bedeutet Eigentum“ in Bezug auf Bargeld auszugehen. Dagegen spricht jedoch neben den im Kontext des deutschen Rechts vorgetragenen Argumenten vor allem die Entscheidung 66 Qi, Zuordnung des Geldeigentums (Fn. 57), 64. Im Ergebnis ebenfalls für die Anwendung des SRG auf Geld: Zhou, Regeln der Geldzirkulation (Fn. 58). 67 B. Falck, Das Geld und seine Sonderstellung im Sachenrecht (Stuttgart 1960), 3. 68 Falck, Geld im Sachenrecht (Fn. 67), 5. 69 Falck, Geld im Sachenrecht (Fn. 67), 16 f. 70 Falck, Geld im Sachenrecht (Fn. 67), 26. 71 Falck, Geld im Sachenrecht (Fn. 67), 25.
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des chinesischen Gesetzgebers. Denn obwohl die Regel „Besitz bedeutet Eigentum“ im Zusammenhang mit den Arbeiten am SRG diskutiert worden72 und sogar in einem SRG-Entwurf enthalten war,73 fand sie letztlich keine Aufnahme in das SRG. Folglich kann die Abwesenheit einer dem § 935 Abs. 2 BGB entsprechenden Regelung im SRG nicht durch den Rückgriff auf das Prinzip „Besitz bedeutet Eigentum“ ausgeglichen werden. Immerhin ist der Umstand, dass dieses Prinzip in der Literatur diskutiert und überwiegend befürwortet wird, aber die wohl plausibelste Erklärung für die Existenz der aufgezeigten Lücke (die an dieser Stelle der Untersuchung nicht mehr in neutraler Zurückhaltung als „Abwesenheit“ einer dem § 935 Abs. 2 BGB entsprechenden Regelung bezeichnet zu werden braucht).
IV. Zusammenfassung Trotz grundlegender Unterschiede zum deutschen Recht (es gilt nicht das Trennungs- und Abstraktionsprinzip, vielmehr vollzieht sich der derivative Eigentumserwerb nach dem Einheitsprinzip mit zusätzlichem Publizitätsakt) ist das chinesische Sachenrecht hinsichtlich der Regelungen zum gutgläubigen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten im Grundsatz durchaus mit dem deutschen Sachenrecht vergleichbar. Das SRG enthält jedoch kein Äquivalent zu § 935 Abs. 2 BGB. Erklärbar ist diese Lücke nicht etwa damit, dass der Gesetzgeber den in diesem Punkt bestehenden Regelungsbedarf nicht gesehen habe. Nicht restlos überzeugend sind auch Überlegungen wie diejenige, dass der Gesetzgeber die Lücke bewusst gelassen habe, um Barzahlungen aus politischen Erwägungen unattraktiv zu machen, dass er von der praktischen Bedeutungslosigkeit von Barzahlungen ausgegangen sei oder dass er die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs für praktisch nicht relevant gehalten habe. Entscheidend zur Entstehung der aufgezeigten Lücke dürfte vielmehr beigetragen haben, dass Teile der chinesischen sachenrechtlichen Literatur in Bezug auf Bargeld die Geltung des Prinzips „Besitz bedeutet Eigentum“ in Erwägung ziehen. Jedenfalls seit Inkrafttreten des SRG erscheint die Annahme der Geltung eines derartigen Prinzips im chinesischen Sachenrecht jedoch nicht mehr haltbar. Unabhängig vom Ergebnis der hier vorgenommenen Ursachenforschung ist die eingangs in der Überschrift gestellte Frage wie folgt zu beantworten: Unmöglich ist der gutgläubige Erwerb abhandengekommenen Bargeldes nach chinesischem Sachenrecht jedenfalls nach dem von der herrschenden Meinung vertretenen Verständnis des § 107 S. 2 SRG, wonach der gutgläubige Erwerb abhandengekommener Sachen generell, insbesondere ohne eine Ausnahme für Bargeld, ausgeschlossen ist. 72 73
Werthwein, Property (Fn. 6), 214 Rn. 59. Liu, Zirkulation des Geldeigentums (Fn. 58), 6.
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Simon Werthwein
Zugleich unnötig wäre der gutgläubige Erwerb unter der Annahme der Geltung des Prinzips „Besitz bedeutet Eigentum“, das im SRG jedoch keine Stütze findet. Zwar nicht unmöglich, aber doch unsicher ist der gutgläubige Erwerb abhandengekommenen Bargeldes, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht § 107 SRG so versteht, dass diese Vorschrift den gutgläubigen Erwerb abhandengekommener Sachen ganz allgemein (also nicht auf den Sonderfall des Bargeldes beschränkt) zulässt, den gutgläubigen Erwerber jedoch einem (wenn auch einer relativ kurzen Verjährung unterliegenden) Rückübereignungsanspruch aussetzt.
V. Ausblick Der vorliegende Beitrag konnte auf das Problem des gutgläubigen Erwerbs abhandengekommenen Bargeldes nach chinesischem Recht in der gebotenen Kürze nur ein Schlaglicht werfen. Es bleibt zu hoffen, dass es einer vertiefenden Untersuchung (beispielsweise durch eingehendere Auswertung der Gesetzgebungsmaterialien, Berücksichtigung etwaiger unterschiedlicher Auffassungen hinsichtlich Begriff und Funktion des Geldes etc.) gelingen wird, den unter IV. dargestellten unbefriedigenden Befund zu widerlegen oder wenigstens in ein günstigeres Licht zu rücken oder dass eine Gesetzesänderung – wahrscheinlicher: eine weitere Justizauslegung des Obersten Volksgerichts74 – Abhilfe schaffen wird.
74
Vgl. oben Fn. 3 und 4.
Hongkonger Rechtsgeschichte – warum und wofür denn? Von Lutz-Christian Wolff*
I. Einleitung Als ich 1984 nach einem einjährigen Studienaufenthalt an der Fudan Universität in Shanghai nach Passau zurückkehrte, um mein Jurastudium wiederaufzunehmen, hatte dort gerade ein junger Privatdozent eine Lehrstuhlvertretung übernommen. Mir wurde sofort zugetragen, dass der „Herr mit dem fulminanten Schnauzer“ schon 1974 in China studiert hatte und auch ansonsten ziemlich okay sei. Es ergab sich, dass ich mir kurz darauf bei einem Abendessen einen ersten persönlichen Eindruck von der unkompliziert inspirierenden Art des Privatdozenten Dr. habil. Ulrich Manthe machen konnte. Voller Tatendrang und mit dem festen Willen, mich zu empfehlen, nahm ich dann zu Trainingszwecken1 an der von ihm abgehaltenen Großen Übung im BGB teil. Ich segelte mit Pauken und Trompeten durch die ersten beiden Klausuren, bestand aber die dritte Klausur mit immerhin sieben Punkten, was mir den !“2 unter der Klausur einhandschriftlichen Kommentar des Jubilars „ brachte. Nach meinem ersten Staatsexamen hatte ich das Glück, von dem Jubilar, der inzwischen auf den Lehrstuhl für Römisches Recht und Bürgerliches Recht an der Universität Passau berufen worden war, als sein erster Doktorand angenommen zu werden. Im Zuge meines Promotionsprojekts zum chinesischen Arbeitsvertragsrecht lernte ich ihn als sehr kenntnisreichen Universalgelehrten alter Schule und als äußerst motivierenden, aber auch sehr peniblen Mentor kennen. Ich erinnere mich, in einer Fußnote mit einer Nummer weit jenseits der 500 die Seite 478 irgendeines chinesisch-sprachigen Lehrbuches zitiert zu haben, was mir prompt den mantheschen Vermerk einbrachte, dass die in der Fußnote zitierte Stelle aber auch anders interpretiert werden könne.
* Dr. iur. habil., Wei Lun Professor of Law & Dean of Graduate School, The Chinese University of Hong Kong, E-mail: [email protected]. Alle online-Verweise wurden zuletzt am 3. März 2016 eingesehen. 1 Den Großen BGB-Schein hatte ich schon vor meinem Shanghai Aufenthalt erworben. 2 „Wünsche Ihnen ein gutes Studieren des Zivilrechts!“
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Nach dem Referendariat und eineinhalb Jahren in einer internationalen Anwaltskanzlei kehrte ich 1993 an den Lehrstuhl Manthe zurück, um mich zu habilitieren. Mir wurde einer von drei Arbeitsplätzen in einem relativ kleinen Büro mit Blick auf den Innenhof des Nikolaklosters zugewiesen. In den Wandregalen standen lateinische Bücher aus ganz alten Zeiten, und ich meine mich zu erinnern, dass sie verstaubt waren. Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass der Jubilar nicht nur Sinojurist, sondern vor allem auch Rechtshistoriker ist. Frisch von der internationalen, zukunftsorientierten Anwaltstätigkeit kommend fragte ich mich damals, ob die Arbeit an einem Lehrstuhl, dessen Schwerpunkt auf der Erforschung der Vergangenheit liegt, denn wirklich das Richtige für mich sei. Um es kurz zu machen, es war das Richtige! Allerdings ist aus mir nie ein Rechtshistoriker geworden. Der rechtsgeschichtliche Höhepunkt meiner Jahre als Assistent am Lehrstuhl Manthe war es, für einen Aufsatz zum anfänglichen Unvermögen3 beobachtet zu haben, dass es nach den Quellen „inpossibilium nulla obligation est“ heißen muss,4 während in der Literatur oft von „impossibilium“ die Rede ist. Ich glaube, der Lehrstuhlinhaber hat diese bahnbrechende Entdeckung meinerseits kaum zur Kenntnis genommen. Allerdings scheint meine Zeit als Assistent des Jubilars auch nicht gänzlich ohne rechtshistorische Folgen vonstattengegangen zu sein. Mit der Zeit ist mein Interesse für geschichtliche Themen gewachsen. In den letzten beiden Jahren habe ich mit einem Kollegen eine Seminarserie zur Geltung alten chinesischen Gewohnheitsrechts in Hongkong organisiert, welches erstaunlich großen Anklang nicht nur unter Studenten und akademischen Kollegen, sondern vor allem auch unter Praktikern der Anwaltskanzleien und Notariate im zentralen Geschäftsbezirk von Hongkong fand. In diesem Beitrag versuche ich, den Erfolg unserer Seminarreihe „weiterzudenken“, indem ich der Frage nachgehe, ob die Disziplin „Hongkonger Rechtsgeschichte“ eine Daseinsberechtigung hat. Der Beitrag kombiniert damit die beiden Bereiche in denen der Jubilar Generationen von Studenten und (Jung-)Wissenschaftlern geprägt hat: Rechtsgeschichte und Sinojuristerei. Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte Hongkongs und die Entwicklung des Hongkonger Rechts rekapituliert der darauffolgende Abschnitt zunächst die wesentlichen Argumente der allgemeinen Debatte zur Bedeutung von Rechtsgeschichte. Der Hauptteil dieses Beitrags wendet sich dann der Frage zu, ob der Hongkonger Rechtsgeschichte eine eigenständige Bedeutung zukommt oder zumindest zukommen sollte. Hierfür wird u. a. auf Besonderheiten der historischen Entwicklung des Hongkonger Rechtssystems eingegangen und diskutiert, welche Rolle Rechtsgeschichte in der aktuellen Hongkonger Rechtspraxis spielt. Es wird auch erörtert, ob 3 L.-Chr. Wolff, Sollen impliziert Können: der Erfüllungsanspruch bei anfänglichem Unvermögen, in: JZ 1995, 280 – 284. 4 Celsus. D 50.17.185.
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und warum die historische Entwicklung des Hongkonger Rechtssystems nicht nur lokal, sondern auch regional und sogar global von Bedeutung ist oder sein könnte.
II. Hongkong und Hongkonger Recht 1. Hongkongs politischer Status Bekanntlich war Hongkong von 1842 bis 1997 eine britische Kronkolonie.Vor der Ankunft der Briten war Hongkong eine von nicht mehr als 7500 Fischern und Bauern bewohnte Tropeninsel,5 die administrativ zum Verwaltungsbezirk San On (Xinan) der Provinz Guangdong des chinesischen Kaiserreiches gehörte.6 Während des ersten anglo-chinesischen Krieges (1839 – 42),7 der gemeinhin „Opiumkrieg“ genannt wird,8 hatte die englische Marine Hongkong als Ausgangspunkt für militärische Aktionen genutzt.9 Am Morgen des 26. Januar 1841 nahm Commodore Sir Gordon Bremer von der Royal Navy Hong Kong Island dann formell für Großbritannien in Besitz.10 Eine vorläufige Vereinbarung, die sogenannte Chuenpi Convention, bestätigte die Abtretung von Hong Kong Island durch den chinesischen Kaiser an die englische Krone.11 Nachdem die englische Marine ihre militärische Überlegenheit wiederholt demonstriert hatte, sah sich die chinesische Regierung gezwungen, weitere Konzessionen zu machen. Dies führte zu dem Vertrag von Nanking, der von Vertretern Großbritanniens und Chinas am 26. Juni 1842 auf dem Kanonenboot HMS Cornvallis unterzeichnet wurde.12 Nachdem am 26. Juni 1843 die Ratifikationsurkunden ausgetauscht worden waren, war der Status Hongkongs als britische Kronkolonie formell bestätigt.13 Während des zweiten anglo-chinesischen Krieges (1856 – 1860) besetzte das englische Militär aus verteidigungsstrategischen Gründen auch die Hong Kong Island gegenüberliegende Südspitze der Halbinsel Kowloon südlich der bis heute so ge-
5
Vgl. St. Tsang, A Modern History of Hong Kong (Hong Kong 2004), 16. M. Merry, Indigenous rights in disrepute: The curious case of Hong Kong, in: 2 Property Law Review (2013), 152 – 165 (152). 7 Vgl. J. Lovell, The Opium War – Drugs, Dreams and the Making of China (London 2011). 8 Tsang, History (Fn. 5), 3. 9 Tsang, History (Fn. 5), 16. 10 Tsang, History (Fn. 5), 16. 11 Tsang, History (Fn. 5), 10 – 11, 16. 12 Tsang, History (Fn. 5), 12. 13 Tsang, History (Fn. 5), 12. 6
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nannten Boundary Street.14 Dem britischen Konsul Parkes gelang es, diese Besetzung zunächst durch einen Pachtvertrag bestätigt zu bekommen. In der Convention von Peking von 1860 wurde dieser dann in eine dauerhafte Abtretung umgewandelt, die am 4. Februar 1861 mit einem Royal Order in Council formaljuristisch festgeschrieben wurde.15 Es war im militärischen Interesse Großbritanniens zu verhindern, dass andere Mächte den verbleibenden Teil der Kowloon-Halbinsel nördlich der Boundary Street und südlich des Shenzhen Flusses für sich in Anspruch nahmen.16 Chinas Interessen waren gleichgelagert, da die Gefahr bestand, dass mit dem Einrücken neuer Kolonialmächte weitere Gebietsansprüche geltend gemacht würden. Mit der zweiten Convention of Peking, die am 9. Juni 1898 unterzeichnet wurde und die am 1. Juli desselben Jahres in Kraft trat, wurde dieses Gebiet, das bis heute unter dem Namen New Territories firmiert, sowie 230 Inseln im Nahbereich von Hongkong, deshalb an die britische Krone verpachtet.17 Die Pachtzeit war auf 99 Jahre festgelegt.18 Die New Territories, wo heute etwa die Hälfte der Hongkonger Bevölkerung lebt, machen 90 % der Gesamtfläche Hongkongs aus. 19 Es war klar, dass Hong Kong Island und das mit der ersten Convention of Peking abgetretene Gebiet ohne die New Territories und den guten Willen der Pekinger Zentralregierung nicht würde überleben können. Die britische und die chinesische Regierung nahmen deshalb im September 1982 Verhandlungen über die Übergabe von Hongkong an die Volksrepublik China auf.20 Diese Verhandlungen führten zu der Joint Declaration of the Government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the Government of the People’s Republic of China on the Question of Hong Kong vom 19. Dezember 1984.21 Auf der Grundlage der Joint Declaration ist Hongkong am 1. Juli 1997 Teil der Volksrepublik China mit dem Status einer Sonderverwaltungszone geworden.22 Nach dem von Deng Xiaoping 14 Tsang, History (Fn. 5), 29, 35; vgl. auch A. Yanne/G. Heller, Signs of a Colonial Era (Hong Kong 2009), 48 – 49. 15 Tsang, History (Fn. 5), 35. 16 Tsang, History (Fn. 5), 35 f. 17 Vgl. Merry, Indigenous rights (Fn. 6), 152 („more accurately: ceded“). 18 Tsang, History (Fn. 5), 39; Merry, Indigenous rights (Fn. 6), 152. 19 Merry, Indigenous rights (Fn. 6), 152. 20 Tsang, History (Fn. 5), 212. 21 Text einsehbar unter: http://www.legislation.gov.hk/blis_pdf.nsf/6799165D2FEE3 FA94825755E0033E532/84A057ECA380F51D482575EF00291C2F/$FILE/CAP_2301_e_b5. pdf; vgl. auch L.-Chr. Wolff, Hong Kong’s Conflict Contract Laws: Quo Vadis?, in: Journal of Private International Law, Vol. 6, No. 2 (2010), 465498 (466 Fn. 9). 22 „Special Administrative Region (SAR)“, vgl. auch Art. 31 der Verfassung der VR China, http://www.npc.gov.cn/englishnpc/Constitution/node_2825.htm; Art. 12 Basic Law of the Hong Kong Special Administrative Region of the People’s Republic of China, http://www.basiclaw. gov.hk/en/basiclawtext/; A. H. Y. Chen, The Interpretation of the Basic Law – Common Law and Mainland Chinese Perspectives, in: 20 Hong Kong Law Journal, 380 – 431; zur Verfassungslage vor dem handover vgl. Chen, ibid., 417.
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entwickelten Konzept „Ein Land, zwei Systeme“ wird Hongkongs wirtschaftliches und juristisches System für 50 Jahre seit dem sogenannten handover unverändert bleiben.23 2. Hongkongs Rechtssystem Die Erlangung des Status einer britischen Kronkolonie im Jahre 1842 bedeutete für Hongkong auch, dass von nun an englisches Recht in Hongkong galt. Interessanterweise hatte man allerdings ein duales System vorgesehen.24 „Dieser Ansatz beinhaltete die Errichtung einer britischen Enklavengesellschaft, die nach englischem Recht regiert wurde, während die einheimische Bevölkerung im Wesentlichen sich selbst überlassen war. … Das Prinzip der Extraterritorialität sah ein duales System vor, unter dem britische Staatsbürger in China nicht chinesischem, sondern englischem Recht unterfielen, während die chinesische Bevölkerung unter dem Diktat des Ch’ing Rechts verblieb.“25
Peter Wesley-Smith26 hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass dies einem verfassungsrechtlichen Grundsatz entsprach, der auch in anderen Kolonien zur Anwendung gekommen ist.27
23 Vgl. zum Ganzen J. Murray, The End of Hong Kong – The Secret Diplomacy of Imperial Retreat (London 1993); I. Castelluci, Legal Hybridity in Hong Kong and Macau, in: 57 McGill Law Journal (2012), 665 – 720 (673), der (670 und 672) von „phenomena of legal infiltration from Mainland China through legal and institutional mechanisms“ spricht und dies (676 ff.) mit Hinweisen auf die Entwicklung nach 1997 unterlegt; A. E.-S. Tay, Legal Culture and Legal Pluralism in Common Law, Customary Law and Chinese Law, in: 26 Hong Kong Law Journal (1996), 194 – 209 (195): „The policy of ,one country, two systems‘ confers no sovereignty; it promises something in relation to law and the economic system, but what, in respect of law, remains unclear.“; P. Wesley-Smith, Hong Kong’s First Post-1997 Constitutional Crisis, in: LAWASIA Journal 1999, 24 – 47 (24); I. Scott (Hrsg.), Institutional change and the political transition in Hong Kong (Basingstoke/New York 1998). 24 D. J. Lewis, A Requiem For Chinese Customary Law in Hong Kong, in: The International and Comparative Law Quarterly, Vol. 32, No. 2 (April 1983), 347 – 379 (350); vgl. aber auch P. H. Hase, Customary Law in the New Territories, Hong Kong: A Century of Change, in: Nagoya University Journal of Law and Politics 2000, 155 – 203 156: „The British tended to assume that, following exposure to the Common Law, the indigenous customary law would slowly reformulate itself towards Common Law norms.“; Ho Tsz Tsun v. Ho Au Shi and Others (1915) 10 HKLR 69, 79. 25 Lewis, A Requiem (Fn. 24). – Übersetzung des englischen Originalwortlauts durch den Verfasser; vgl. allerdings auch In Re Tse Lai-Chiu, Deceased [1969] HKLR 159, 185, 189: „… to making interim arrangements pending the more permanent provisions which were to come from the Queen.“; Lui Yuk-ping v. Chow To [1962] HKLR 515, 520: „… as this Ordinance is essentially based on English statutes which, of course, were designed for English people, or people living under English social customs, it would be … ,intolerable to impose English personal law on Chinese families‘.“; Ho Tsz Tsun v. Ho Au Shi and Others [1915] 10 HKLR 69, 76, 79: „recognizing a dual prospective system of law in the Colony.“ 26 P. Wesley-Smith, The Sources of Hong Kong Law (Hong Kong 1994), 209 – 210.
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Section 5 der Supreme Court Ordinance28 von 1873 bestimmte demgemäß: „Die Gesetze Englands, die existierten als die Kolonie eine eigene Legislative erhielt, d. h. am 5. Tag des Aprils 1843, gelten in der Kolonie … mit Ausnahme derjenigen dieser Gesetze, die unvereinbar sind mit den lokalen Umständen der Kolonie und seiner Bewohner.“29
Auf der Grundlage des Konzepts „Ein Land, zwei Systeme“ ist Hongkongs Rechtssystem nach dem handover im Jahre 1997 – wie dargelegt – unverändert und unabhängig vom Rechtssystem des chinesischen Festlandes geblieben. Im internationalprivatrechtlichen Zusammenhang bedeutet das z. B., dass Hongkong de facto als juristisches Ausland behandelt wird.30 Hongkonger Recht basiert bis heute im Wesentlichen auf englischem Common Law wie es zur Zeit des handovers in Hongkong galt. Schon vorher hatte es allerdings Unterschiede zwischen englischem und Hongkonger Recht gegeben, die darauf beruhten, dass Hongkong nicht alle englischen Entwicklungen adaptiert hat.31 Nach 1997 hat das Hongkonger Recht sich im Grundsatz unabhängig vom englischen Recht entwickelt, auch wenn zu Recht konstatiert worden ist, dass „das Vereinigte Königreich heutzutage weiterhin die Entwicklung des Hongkonger Rechtssystems in fast allen Bereichen beeinflusst. Wie man annehmen sollte, haben Hongkonger
27 Vgl. auch D. E. Greenfield, Marriage by Chinese Law and Custom in Hong Kong, in: International & Comparative Law Quarterly (1958), Vol. 7, 447 – 451 (447, 449); zur überholten, vormaligen Sicht vgl. Calvin’s Case (1608) 77 ER 377: „If a King come to a Christian kingdom by conquest … he may at his pleasure alter and change the laws of that kingdom: but until he doth make an alteration of those laws the ancient law remains. But if a Christian King should conquer a kingdom of an infidel, and bring them under his subjection, there ipso facto, the laws of the infidels are abrogated, for that they be not only against Christianity, but against the law of God and of nature, contained in the décalogue.“; diese Position war in Blankard v. Galdy, 91 E.R. 356, 2 Salk. 411 and Campbell v. Hall 98 ER 1045 revidiert worden. 28 Übersetzung durch den Verfasser. Die einschlägige Passage der Supreme Court Ordinance 1873 ist 1966 durch Section 3 der Application of English Law Ordinance 1966 ersetzt worden, die dann 1971 erneut geändert, aber nach dem handover nicht übernommen wurde; vgl. auch Merry, Indigenous rights (Fn. 6), 153. 29 Ho Tsz Tsun v. Ho Au Shi and Others (1915) 10 HKLR 69, 79; vgl. Lewis, A Requiem (Fn. 24), 352; Hase, Customary Law (Fn. 24), 159: „The customary law was thus not in any way entrenched into the legal system, but existed only as long as, and to the extent that, Government felt that its continuing existence was appropriate.“; s. aber auch K. Bokhary, The First Decade of The Basic Law – A Judicial Perspective, in: Asia Pacific Law Review, Vol. 15, No. 2, (2007), 125 – 136 (126): „The position proclaimed in 1841 was soon modified by local legislation subjecting the application of English law and equity in Hong Kong to such judgemade modifications as local circumstances required.“; kritisch Wesley-Smith, Sources (Fn. 26), 219 f.; vgl. auch B. Hsu, The Common Law in Chinese Context (Hong Kong University Press 1992), 16. 30 Wolff, Conflict (Fn. 21), 467; vgl. First Laser Ltd v. Fujian Enterprises (Holdings) Co Ltd [2008] HKEC 227, [114], Court of First Instance; Nan Tung Bank Ltd, Zhu Hai v. Wangfoong Transportation Ltd [1999] HKEC 1136. 31 Vgl. Wolff, Conflict (Fn. 21), 467.
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Gerichte fortgefahren, Fälle aus dem Vereinigten Königreich als hochgradig überzeugend32 anzusehen.“33
Hongkongs Rechtssystem weist viele Besonderheiten auf. Das schon erwähnte Konzept „Ein Land, zwei Systeme“ ist nur ein, wenn auch besonders wichtiges Beispiel in diesem Zusammenhang.
III. Die Debatte zur Bedeutung von Rechtsgeschichte 1. Allgemeines Die Bedeutung der Rechtsgeschichte Hongkongs kann nur im Kontext der seit Jahren geführten Debatte zur Bedeutung von Rechtsgeschichte im Allgemeinen bewertet werden. Mit anderen Worten, wenn Rechtsgeschichte für Lehre, Wissenschaft und Praxis schon allgemein als unwichtig angesehen werden muss, dann sollte Gleiches wohl auch für Hongkong gelten. Umgedreht müssen „Argumente pro Rechtsgeschichte“ im Allgemeinen auch für Hongkong in im Speziellen in Betracht gezogen werden. Einige Kernpunkte der allgemeinen Debatte sollen deshalb im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden. 2. Rechtsgeschichte als geschichtswissenschaftliche oder als rechtswissenschaftliche Disziplin? Die Diskussion um den Sinn und Zweck von Rechtsgeschichte hat bei der ganz grundsätzlichen Frage zu beginnen, was unter Rechtsgeschichte zu verstehen ist bzw. was das Ziel rechtsgeschichtlicher Arbeit ist oder sein sollte.34 Geht es um Rechtsgeschichte als solche oder vielmehr um die rechtshistorische Einordnung z. B. einer aktuellen Rechtsregel, eines modernen juristischen Konzepts, eines geltenden Rechtssystems? Soll Rechtsgeschichte also im Sinne der ersten Auffassung einen „horizontalen Ansatz“ verfolgen, bei der Historiker sich mit der geschichtlichen Dimension von Recht befassen ohne der Frage nach einem konkreten Gegenwartsbezug nachzugehen? Oder ist gemäß der zweiten Ansicht ein „vertikaler Ansatz“ vorzugswürdig, bei der Juristen historisch-vergleichend tätig werden und die geschichtlichen Ursprünge von Recht erkunden, um damit Erkenntnisse zur aktuel32
„Highly persuasive“. M. Littlewood, The legacy of UK tax law in Hong Kong, in: British Tax Review 2008, 253 – 270 (261) (Übersetzung der englischen Originalfassung vom Verfasser). 34 Vgl. L. J. Downer, Legal History – Is It Human?, in: Melbourne University Law Review, Vol. 4 (June 1963), 1 – 16 (1): „But war is war, and the mediaevalists are still obliged to beat off heavy assaults because for them the battle is not won. And what is more … their victory may be yet a long way off because of divisions within their own ranks, divisions, that is so to say, which touch on the question of what is the true purpose of legal history. It is always more difficult to conduct a campaign when the combatants cannot agree on their war aims.“ 33
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len praktischen Bedeutung von Rechtsregeln, Rechtskonzepten und Rechtssystemen zu gewinnen.35 Nach der ersten Ansicht bedeutet Rechtsgeschichte, dass – wie Downer es formuliert hat – ein Rechtshistoriker sich mit dem „ganzen Garten“ beschäftigt, während nach der zweiten Ansicht ein Jurist sich (nur) für „einen Kohl“ interessiert.36 Wer dem ersten Ansatz folgt, wird Rechtsgeschichte auf gleicher Ebene ansiedeln wie geschichtliche Studien in anderen Gebieten.37 Rechtsgeschichte wäre danach keine juristische, sondern eine geschichtswissenschaftliche Disziplin. Es ist darauf hingewiesen worden, dass in diesem Sinne verstanden Rechtsgeschichte auf weit größere Akzeptanz stoßen würde als wenn diese Disziplin in die heutzutage oft sehr praxisorientierte Rechtswissenschaft gepresst wird.38 3. Argumente contra Rechtsgeschichte Es ist weithin anerkannt, dass Rechtsgeschichte im Rahmen des rechtswissenschaftlichen Studiums weltweit nur unzureichend oder – um präzise zu sein – nicht in dem von Rechtshistorikern gewünschten Umfang gelehrt wird.39 In der modernen Welt ist die Juristenausbildung fast gänzlich auf Berufsvorbereitung ausgerichtet.40 Für Rechtsgeschichte scheint bei der vorherrschenden Praxisorientierung kein Platz.41 Karrierebewusste Studenten und Praktiker seien, so wird argumentiert, demgemäß oft desinteressiert.42 Es kann als ein Ausdruck dieser Entwicklung angesehen werden, dass im Rahmen der Neubesetzung rechtshistorischer Lehrstühle an deutschen Universitäten, inzwischen fast regelmäßig über eine Lehrstuhlumwidmung nachgedacht wird. In der Tat sind Vertreter keiner anderen juristischen Diszi35
Downer, Legal History (Fn. 34), 1, 14. Downer, Legal History (Fn. 34), 2 f. (unter Bezugnahme auf Stubbs). 37 Downer, Legal History (Fn. 34), 2; vgl. D. Kirkby, Law(yer)’s History, Conversationally Speaking, in: Australian Journal of Legal History, Vol. 7 (2003), 47 – 52 (48): „We are concerned that Law remained a discipline apart and above.“ 38 Vgl. Downer, Legal History (Fn. 34), 1: „… those who take the view that we need not concern ourselves with the ‘usefulness’ or otherwise of legal history, who deny that we need to demonstrate that our pursuits are of practical value to the modern lawyer, will be able to offer a spirited, if uncompromising, argument.“, 3. 39 J. Phillips, Why Legal History Matters, in: 41 Victoria Universtity Wellington Law Review (2010), 293 – 210 (315); R. T. Shepard, The Importance of Legal History for Modern Lawyering, in: 30 Indiana Law Review (1997), 1 – 6 (1); vgl. aber dazu, dass Rechtsgeschichte in England wieder verstärkt Zulauf erhält A. W. B. Simpson, Legal Education and Legal History, in: 11 Oxford Journal of Legal Studies (Spring 1991), 106 – 113 (111). 40 Vgl. Downer, Legal History (Fn. 34), 8; C. Woodard, History, Legal History and Legal Education, in: 53 Virginia Law Review (1967), 89 – 121 (91). 41 Vgl. Downer, Legal History (Fn. 34), 6. 42 M. Crackanthorpe, The Uses of Legal History, in: The Law Quarterly Review No. XLVIII (Oct. 1896), 337 – 353 (350); für Australien und Neuseeland J. Finn, A Formidable Subject: Some Thoughts On the Writing of Australasian Legal History, in: Australian Journal of Legal History, Vol. 7 (2003), 53 – 71 (54). 36
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plin öfter gezwungen, den Nutzen ihres Fachgebietes zu rechtfertigen als Rechtshistoriker.43 Bedeutende internationale Stimmen haben die Skepsis gegenüber dem Nutzen von Rechtsgeschichte mit dem Hinweis angefeuert, dass Rechtsgeschichte sehr wenig zum erfolgreichen Studium und der Anwendung modernen Rechts beitragen könne.44 Materielles Recht wie auch Prozessrecht könnten entgegen anderslautenden Behauptungen sehr wohl ohne Bezug auf die jeweilige historische Entwicklung verstanden und erlernt werden.45 Zumindest in der anglo-amerikanischen Welt sei das moderne Rechtsstudium stark auf Schlüsselqualifikationen (skills) zugeschnitten. Rechtsgeschichtliche Studien könnten dazu nichts beitragen.46 Es mache weiter auch gar keinen Sinn, Studenten rechtsgeschichtliche Studien zu verordnen, wenn diese doch nur nach einer Ausbildung strebten, die sie auf praktische Tätigkeit vorbereite.47 Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass in vielen amerikanischen law schools Resourcen (Bücher, Archive etc.), die für seriöse rechtshistorische Studien nötig seien, gar nicht existierten.48 Praktisch erfordere eine (Neu-)Ausrichtung des Jurastudiums auf rechtshistorische Schwerpunkte außerdem eine grundlegende Änderung der aktuellen Lehrpläne.49 Rechtsgeschichte, so wird angeführt, sei auch nicht hilfreich bei der Schaffung von neuem Recht, da die Rahmenbedingungen der Gegenwart eben nicht denen der Vergangenheit entsprächen.50 Schließlich ist nicht verwunderlich, dass diejenigen, die eine (größere) Rolle der Rechtsgeschichte in der modernen Juristenausbildung fordern, zumeist selbst Rechtshistoriker sind. Argumenten pro Rechtsgeschichte haftet deshalb immer ein Verdacht der mangelnden Objektivität an. Schließlich ist
43 Vgl. für Australien Downer, Legal History (Fn. 34), 1, 4; Phillips, Why (Fn. 39), 294: „I have often defended and defined my subject“; eine verstärkte rechtshistorische Ausrichtung in Australien befürwortend, I. Holloway/A. R. Buck, Why Legal History Matters, in: Australian Journal of Legal History, Vol. 7 (2003), 1 – 4. 44 Downer, Legal History (Fn. 34), 2. 45 Downer, Legal History (Fn. 34), 2, 5: „… laws are expected to have a history which will support a present interpretation. Modern law is sought to be justified by its history. … What it does in the end is to have history distorted, though this may not matter if the finished product, as a rule of law, is acceptable.“; vgl. Finn, A Formidable Subject (Fn. 42), 54. 46 Vgl. Downer, Legal History (Fn. 34), 4: „The fact is that the technique of the practicing lawyer is very different from that which is demanded of the mediaval historian.“ 47 Vgl. Downer, Legal History (Fn. 34), 7. 48 Vgl. W. F. Swindler, Legal History – Unhappy Hybrid, in: 55 Law Library Journal (1962), 98 – 110; für eine Bestandsanalyse betreffend Materialien zur Rechtsgeschichte Australiens und Neuseelands siehe Finn, A Formidable Subject (Fn. 42), 55 – 71. 49 Downer, Legal History (Fn. 34), 9; vgl. Woodard, History (Fn. 40), 91. 50 Downer, Legal History (Fn. 34), 4 (mit Verweis auf Fifoot); demgegenüber Downer, ibid., 15: „You cannot change the law successfully until you understand fully what it is you are proposing to change.“
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sogar vermutet worden, dass ohne rechtshistorische Bezugnahmen Rechtsanwendung zu größerer Gerechtigkeit führen würde.51 4. Argumente pro Rechtsgeschichte Das wohl grundlegendste Argument dafür, rechtsgeschichtliche Studien zu stärken bzw. zumindest den status quo zu wahren, ist, dass Rechtsgeschichte wichtig ist, weil Geschichte an sich wichtig ist.52 Es ist angeführt worden, dass die Bedeutung des kontextualen historischen Zusammenhangs von gesellschaftlichen Entwicklungen genauso bedeutsam für das moderne Rechts sei wie für andere gesellschaftlichen Institutionen. Modernes Recht und seine praktische Anwendung könnten ohne Kenntnis seiner historischen Entwicklung nicht vollständig verstanden werden.53 Historische Entwicklungen seien im Übrigen für das Entstehen, für Änderungen oder für das Ende bestimmter Rechtskulturen verantwortlich.54 Rechtsgeschichte müsse nach allem als das Rückgrat modernen Rechts in Theorie und Praxis verstanden werden.55 Recht sei aber nicht nur ein Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen in verschiedenen historischen Phasen. Vielmehr könne Recht selbst für bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen oder das Ausbleiben derselben verantwortlich sein. Es sei eine wichtige Aufgabe von Forschung und Lehre diesen Einfluss deutlich zu machen, da damit unmittelbare praktische Konsequenzen verbunden sein könnten.56 Dem Argument, dass das Studium der Rechtsgeschichte keinen Platz in einer modernen, praxisorientierten Juristenausbildung habe, wird u. a. mit dem Argument begegnet, dass das rechtshistorische Studium zwar wenig zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen (skills) beitragen könne. Dafür würden aber andere Fähigkeiten gefördert, die für die praktische juristische Arbeit gleichermaßen wichtig seien. Insbesondere erlaube das Erkennen der historischen Dimension von Recht die
51 Vgl. Downer, Legal History (Fn. 34), 2, 6; Woodard, History (Fn. 40), 94 („glorification of the past“). 52 Phillips, Why (Fn. 39), 294. 53 Phillips, Why (Fn. 39), 294 – 295, 300, 311. 54 Vgl. Crackanthorpe, The Uses (Fn. 42), 347: „We must not forget that, after all, the effective laws of a country are only an expression of the national tone and temper for the time being. Legislation can never ,force the pace‘; it must always lag behind, rather than precede, the popular demand for it.“; Simpson, Legal Education (Fn. 39), 109; zu den Schwierigkeiten, den Begriff ,Rechtskultur‘ zu definieren, vgl. P. B. Potter, The Chinese Legal System – Globalization and local legal culture (Abingdon/New York 2001), 6; Tay, Legal Culture (Fn. 23), 206 – 209; Th. M. Franck, The Legal Culture and the Culture Culture, in: 93 American Society of International Law Procedings (1999), 271 – 278 (271). 55 Vgl. Crackanthorpe, The Uses (Fn. 42), 350. 56 Crackanthorpe, The Uses (Fn. 42), 347; Kirkby, Law(yer)’s History (Fn. 37), 51; Phillips, Why (Fn. 39), 302.
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Entwicklung eines Verantwortungsbewusstseins hinsichtlich seiner Anwendung.57 Im Übrigen sei es trotz des gegenwärtigen Trends nicht die Aufgabe einer Universität (nur) berufsvorbereitende Studienprogramme anzubieten. Das vorrangige Ziel einer juristischen Universitätsausbildung müsse es vielmehr sein, Studenten „ein tieferes Verständnis von der Natur des Rechts“ zu vermitteln58 und Wissenschaftler hervorzubringen, die Werte in der Rechtsgeschichte erkennen könnten, die über einen unmittelbaren praktischen Nutzen hinausgingen.59 Die Ansicht, dass Rechtsgeschichte (nur) studiert und erforscht werden solle, um das Verständnis modernen Rechts zu fördern, sei falsch.60 Der Wert historischer Wissenschaften werde niemals anhand eines potenziellen praktischen Nutzens gemessen.61 Erkenntnisgewinn allein sei Rechtfertigung genug, ganz abgesehen von dem Vergnügen, sich mit den historischen Grundlagen heutigen Rechts zu beschäftigen.62
IV. Warum sollte Hongkonger Rechtsgeschichte wichtig sein? 1. Allgemeines Die im vorangegangenen Kapitel zusammengefassten Argumente für und gegen die Bedeutung von Rechtsgeschichte im Allgemeinen können grundsätzlich auch für Hongkong Geltung beanspruchen. Allerdings könnte die geringe Größe Hongkong die Bedeutung Hongkong-spezifischer rechtsgeschichtlicher Studien relativieren. Zu diesem Aspekt soll im nächsten Abschnitt Stellung genommen werden. Hongkonger Recht basiert auf englischem Recht.63 Es muss deshalb nachfolgend auch gefragt werden, ob die Hongkonger Rechtsgeschichte überhaupt Eigenständigkeit für sich beanspruchen kann oder ob Hongkonger Rechtsgeschichte nicht vielmehr englische Rechtsgeschichte ist. Schließlich ist zu erörtern, ob die spezielle historischen Entwicklung Hongkongs und seine besondere aktuelle Situation rechtsgeschichtlichen Aspekten besondere 57 L. E. Sawyer, Legal History in Context, in: 53 American Journal of Legal History (2013), 397 – 401 (397); vgl. auch Crackanthorpe, The Uses (Fn. 42), 349: „If engaged in the practice of our profession, we shall escape being made its slave; if about to enter it, we shall be laying a broad foundation, which will aid us in grappling with its details, because the historic clue will be in our hands.“; Woodard, History (Fn. 40), 109. 58 Phillips, Why (Fn. 39), 294. 59 Downer, Legal History (Fn. 34), 9. 60 Vgl. Downer, Legal History (Fn. 34), 1 – 2, 4. 61 Downer, Legal History (Fn. 34), 3, 7: „Yet to employ legal history as a sharp instrument to open up the oyster of modern law is a violation of its true purpose which could cause it grave injury.“ 62 Vgl. Crackanthorpe, The Uses (Fn. 42), 340; Downer, Legal History (Fn. 34), 16. 63 Supra, II. 2.
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praktische Bedeutung verleihen. Dieser Gesichtspunkt soll in den beiden letzten Abschnitten dieses Kapitels untersucht werden. 2. Folgt aus der Größe Hongkongs rechtsgeschichtliche Irrelevanz? Wie soeben erwähnt,64 Hongkong ist mit etwa 7.240.000 Einwohnern65 und einer Fläche von 1.104 km266 relativ klein. Hongkonger Recht hat zudem erst mit der Erlangung des Status einer britischen Kronkolonie eine eigenständige Bedeutung gewonnen.67 Hongkongs Rechtsgeschichte ist deshalb kurz. Das gilt insbesondere dann, wenn man europäische Rechtssysteme, die sich auf die klassischen Rechtstraditionen berufen können, als Vergleichsmaßstab heranzieht. Es scheint deshalb durchaus berechtigt zu fragen, ob in Anbetracht dieser Parameter der Rechtsgeschichte Hongkongs überhaupt eine Bedeutung zukommen kann, die über ein ganz allgemeines lokales Interesse hinausgeht. Allerdings muss die geringe Größe eines Rechtsanwendungsgebietes nicht notwendigerweise Bedeutungslosigkeit implizieren. Hongkong ist dafür ein Paradebeispiel, wie ein kurzer Blick auf seine weltweite Position als Investitionsstandort nachdrücklich zeigt: Gemäß dem von der United Nations Conference on Trade and Development jährlich herausgegebenen World Investment Report war Hongkong im Jahre 2014 global das zweitwichtigste Zielland ausländischer Direktinvestitionen. Hongkong war im weltweiten Vergleich auch das zweitwichtigste Herkunftsland von Investitionen in anderen Ländern der Welt.68 Die ist erstaunlich, lässt sich aber leicht damit erklären, dass ein Großteil der Investitionen, die nach China fließen, über Hongkong laufen.69 Gleiches gilt für die in den letzten Jahren rasant angestiegenen Auslandsinvestitionen chinesischer Unternehmen,70 die gleichermaßen oft über eine Zwischenholding in
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Supra, IV. 1. Information Service Department of the Hong Kong Special Administrative Region Government, Hong Kong: the Facts, http://www.gov.hk/en/about/abouthk/factsheets/docs/statis tics.pdf. Die Bevölkerungsdichte liegt bei 6.690 Personen pro km2. 66 Hong Kong – the Facts, at http://www.gov.hk/en/about/abouthk/facts.htm; vgl. Merry, Indigenous rights (Fn. 6), 152. 67 Vgl. aber zur Fortgeltung chinesischen Gewohnheitsrechtgs infra, IV. 5. d). 68 UNCTAD World Investment Report 2014, http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/ wir2015_en.pdf, S. 5 und 8. 69 Vgl. L.-Chr. Wolff, Mergers & Acquisitions in China: Law and Practice (Hongkong 20155), 3, 68 – 70, 213 – 217. 70 Vgl. L.-Chr. Wolff (Hrsg.), China Outbound Investments, Hong Kong 2011 (chinesische Übersetzung, Beijing 2012); kritisch zu Chinas Investitionen in Afrika D. Brautigam, The Dragon’s Gift (Oxford 2009). 65
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Hongkong getätigt werden.71 Ähnlich bedeutend ist Hongkong bekanntermaßen als internationaler Finanzplatz.72 Dem Argument, dass die Rechtsgeschichte Hongkongs schon wegen seiner geringen Bevölkerungszahl und seiner begrenzten Ausmaße unbedeutend ist, kann deshalb leicht mit Verweis auf Hongkongs immense wirtschaftliche Bedeutung begegnet werden. 3. Gibt es eine eigenständige Hongkonger Rechtsgeschichte? Kommentatoren aus nicht-englischen Common Law-Jurisdiktionen haben in jüngerer Zeit darauf hingewiesen, dass Rechtsgeschichte dort in der Vergangenheit oft nur als die Rechtsgeschichte Englands verstanden wurde. Finn hat in diesem Zusammenhang dargelegt, dass rechtsgeschichtliche Universitätskurse in Australien und Neuseeland schon wegen des Fehlens eigenständiger Lehrbücher und anderer Materialien „anglozentrisch“ sein mussten.73 Diese Bestandsaufnahme gilt für Hongkong uneingeschränkt in gleicher Weise. Soweit universitäre Vorlesungen rechtshistorische Bezüge herstellen, wird auf die Entstehung des Common Law in England verwiesen. Das macht deshalb Sinn, weil das Hongkonger Recht – wie dargelegt74 – auf englischem Recht aufbaut. Besonderheiten des Hongkonger Rechtssystems werden normalerweise aber nur gestreift bzw. bleiben der Diskussion in Spezialveranstaltungen vorbehalten. Das „Ein Land, Zwei Systeme“-Konzept75 ist ausführlicher Gegenstand verfassungsrechtlichen Vorlesungen. Die Geltung von chinesischem Gewohnheitsrecht in Hongkong sollte in familien- und sachenrechtlichen Vorlesungen diskutiert werden. Diese beiden Themen allein zeigen freilich, dass die historische Entwicklung des Hongkonger Rechtssystems Besonderheiten aufweist, die einzigartig sind und weit über seine englischrechtlichen Wurzeln hinausgehen. Die historische Entwicklung des Hongkonger Rechtssystems hat deshalb sehr wohl eine eigenständige Bedeutung und verdient somit besondere Beachtung.76
71
Zur Nutzung von Holding-Strukturen und sogenannten round-trip investments siehe Wolff, Mergers & Acquisitions (Fn. 69), 217 – 222, 230 – 235. 72 Vgl. D. C. Donald, A Financial Centre for Two Empires: Hong Kong’s Corporate, Securities and Tax Laws in its Transition from Britain to China (Cambridge 2014), 1 – 53. 73 Finn, A Formidable Subject (Fn. 42), 53; für eine bibliographische Bestandsaufnahme Finn, 55 – 71; vgl. aus kanadischer Sicht Phillips, Why (Fn. 39), 296. 74 Supra, II. 2. 75 Vgl. infra, IV. 4. c). 76 Vgl. A. Bruce SC, zitiert in: D. Lee, Killer to Appeal after U.K. Ruling, in: SCMP 28. February 2016, 5: „… the common law of Hong Kong is something that will be determined by the courts of Hong Kong.“
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4. Hongkonger Rechtsgeschichte in Forschung und Lehre Wie die in diesem Beitrag zitierten Publikationen zeigen, sind viele Spezialthemen zur Hongkonger Rechtsgeschichte inzwischen wissenschaftlich gut aufgearbeitet.77 Allerdings gibt es auch viele wichtige Bereiche, die weiterhin unzureichend abgedeckt sind. Vor allem gilt das für „große Themen“ wie die Frage, ob und wie sich das Hongkonger Common Law unterschiedlich von dem Recht in anderen Common Law-Staaten entwickelt hat, um den in den jeweiligen Epochen lokalen Besonderheiten etwa in wirtschaftlicher oder kultureller Hinsicht Rechnung zu tragen.78 Dabei sind die kontextualen Hintergründe materiell- und prozessrechtlicher Besonderheiten kodifizierten Rechts79 genauso von Bedeutung wie die Frage, wie englisches Recht in einem chinesischen Umfeld funktioniert und ob es diesbezüglich Variationen in unterschiedlichen historischen Phasen gegeben hat. Ein anderes Thema, das vertieftes Studium verdient sind z. B. die offiziellen Sprachregelungen in Hongkong und ihre Umsetzung in der täglichen Rechtspraxis verschiedener Epochen. Während vormals Englisch vorherrschend war, arbeitet die Hongkonger Regierung heutzutage „… in zwei Sprachen, Chinesisch (Kantonesisch und zunehmend auch Mandarin) und Englisch. Recht … wird in Englisch und Chinesisch veröffentlicht. Urteile der Obergerichte werden weiterhin in Englisch abgefasst …, aber alle Gerichte unterer Instanzen arbeiten im Wesentlichen in Kantonesisch. Recht wird manchmal in Englisch, manchmal in Kantonesisch und manchmal in Mandarin praktiziert (und bisweilen in einer Reihe von anderen Sprachen und Dialekten).“80
77 Vgl. außerdem G. Bickley, A Magistrate’s Court in Nineteenth Century Hong Kong (Hong Kong 20092); He Pui-Yin, Judiciary and Legal Constitution, in: The Administrative History of the Hong Kong Government Agencies, 1841 – 2002 (Hong Kong 2004), 47 – 66; J. W. Norton-Kyshe, The history of the laws and courts of Hong Kong from the earliest period to 1898 (Hong Kong 1971); ders., The history of the laws and courts of Hong Kong: tracing consular jurisdiction in China and Japan and including parliamentary debates, and the rise, progress, and successive changes in the various public institutions of the colony from the earliest to the present time (London 1898); P. Wesley-Smith, Identity, Land, Feng Shui and the Law in Traditional Hong Kong (Hong Kong 1992); ders., Judicial and Legislative Institutions, in Constitutional and Administrative Law in Hong Kong (Hong Kong 19942), 138 – 176; Deacons, Celebrating over 160 Years of Legal Services (Hong Kong 2006), http://www.dea cons.com.hk/assets/Images/OurHeritage/DeaconsHistoryBooklet.pdf; K. Mattock, Partners in Law – The History of Johnson Stokes & Master (Hong Kong 1990); M. Ng, Dirt of Whitewashing: Re-conceptualising Debtors’ Obligations in Chinese Business by Transplanting Bankruptcy Law to Early British Hong Kong (1860s–1880s), in: 57 (8) Business History (2015), 1219 – 1247. Interessante Juristenbiographien sind z. B. P. Yu Shuk-siu, A Seventh Child and The Law (Hong Kong 1998); ders., Tales from No. 9 Ice House Street (Hong Kong 2002); K. Bokhary, Recollections (Hong Kong 2013). 78 Vgl. aber Hsu, Common Law (Fn. 29). 79 Vgl. z. B. zur historischen Entwicklung des Hongkonger Steuerrechtssystems die interessante Studie von Littlewood, Legacy (Fn. 33). 80 Littlewood, Legacy (Fn. 33), 257 – Übersetzung des englischen Originaltextes vom Verfasser.
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Es fragt sich, ob und wie sich der unterschiedliche Sprachgebrauch in der Rechtspraxis in Vergangenheit und Gegenwart ausgewirkt hat. Abgesehen von offenen Einzelthemen fehlen Untersuchungen, die die unterschiedlichen Einzelaspekte vereinen und so ein umfassendes rechtshistorisches Gesamtbild von Hongkong aus aktueller Sicht zeichnen. Auch ein modernes Lehrbuch zur Hongkonger Rechtsgeschichte fehlt. Meines Wissens hat im letzten Jahr nur eine der drei Hongkonger Rechtsfakultäten eine rechtsgeschichtliche Vorlesung angeboten.81 Schon in Anbetracht der oben82 dargestellten Gründe, die für die Bedeutung von Rechtsgeschichte geltend gemacht werden, erscheint das bedenklich. 5. Die Praxisrelevanz rechtsgeschichtlicher Themen in Hongkong a) Allgemeines Es ist mit guten Gründen dargelegt worden, dass keine Notwendigkeit besteht, die Existenz von Rechtsgeschichte als eigenständige Disziplin mit Hinweis auf ihren konkret darzulegenden praktischen Nutzen zu rechtfertigen.83 Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn bzw. die Erlangung des Verständnisses „des Ganzen“ im Studium sind allein mehr als ausreichend.84 Rechtsgeschichtliche Themen haben in Hongkong – und nicht nur hier – in der Tat aber sehr wohl auch große Bedeutung in der juristischen Praxis. Das soll in den nachfolgenden Abschnitten verdeutlicht werden. b) Die rechtshistorische Ausrichtung des Hongkonger Common Law Es ist darauf hingewiesen worden, dass das Common Law wegen der überragenden Bedeutung des Präzedenzfallsystems ohnehin stark rechtshistorisch ausgerichtet sei. Rechtsgeschichte müsse deshalb notwendigerweise eine besondere Rolle spielen.85 Auch Hongkong ist eine Common Law Jurisdiktion, weshalb dieses Argument hier in gleicher Weise gilt. 81 Vgl. S. 72 der ,LLB Course Descriptions 2014 – 2015‘, Faculty of Law, University of Hong Kong, http://www4.hku.hk/pubunit/drcd/undergraduate-2014-2015/degrees/law. An der Rechtsfakultät der Chinese University hat kürzlich ein australischer Kollege den Vorschlag für einen Kurs in Römischer Rechtsgeschichte mit dem Argument eingebracht, dass man modernes Recht ohne Kenntnis des römischen Rechts nicht verstehen könne. 82 Supra, III. 4. 83 Supra, III. 4. 84 Supra, III. 4. 85 Downer, Legal History (Fn. 34), 14; vgl. Crackanthorpe, The Uses (Fn. 42), 351 f.; Shepard, Importance (Fn. 39), 1; zu den römischrechtlichen Wurzeln des Common Law: Crackanthorpe, The Uses (Fn. 42), 342 – 346.
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Allerdings hat Phillips dem entgegengehalten, dass „… in Wahrheit … die Suche nach einem Präzedenzfall die Suche nach einem scheinbar gleichartigen Fall in einer Fallsammlung [ist], der jeden Kontexts entkleidet ist. Obwohl das Common Law auf der Vergangenheit aufbaut, ist das eine Vergangenheit, die es [selbst] konstruiert, und nicht eine kontextuale, komplizierte Vergangenheit.“86
Obwohl diese Kritik in vielen Fällen sicher berechtigt ist, stellt auch Phillips die Vergangenheitsorientierung von Präzedenzfallsystemen nicht in Frage. Seine Kritik richtet sich nicht gegen das „Ob“, sondern gegen das „Wie“. c) Beispiel 1: Ein Land, Zwei Systeme in der Hongkonger Rechtspraxis Hongkong ist Teil der VR China, hat aber – wie dargelegt87 – ein eigenes Rechtssystem. Dies ist an sich kein absolutes Unikum. Auch andere Länder weisen unterschiedliche Rechtssysteme auf. Die USA mit seinem föderalen Recht und dem Recht der 50 Staaten88 sowie das Vereinigte Königreich mit dem englischen, dem schottischen und dem nordirischen Rechtssystem89 sind zwei prominente Beispiele in diesem Zusammenhang. Das „Ein Land, Zwei Systeme“-Konzept wurde aber von jeher deshalb als besonders angesehen, weil es die Kombination des sozialistischen Systems des chinesischen Festlands mit dem kapitalistischen System Hongkongs möglich gemacht hat.90 Gleichzeitig hat es das der Civil Law Rechtsfamilie zugerechnete festlandschinesische Rechtssystem91 mit dem Hongkonger Common Law-System vereinigt.92 Das „Ein Land, Zwei Systeme“-Konzept hat demgemäß viel Beachtung gefunden und zu einer
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Phillips, Why (Fn. 39), 301 – Übersetzung des englischen Originaltexts vom Verfasser. Supra, II. 1. 88 Vgl. P. Hay, International versus Intrastate Conflicts Law in the United States, in: RabelsZ 35 (1971), 429 – 495. 89 Courts and Tribunal Judiciary, The justice system and the constitution, at https://www.ju diciary.gov.uk/about-the-judiciary/the-judiciary-the-government-and-the-constitution/jud-accind/justice-sys-and-constitution/. 90 Chen, Interpretation (Fn. 22), 381: „The paradox of ,one country, two systems‘ is that special administrative regions – Hong Kong and Macau – within China are allowed to practice market capitalism by a Chinese government that is committed to Marxism-Leninism.“ (Im Originalzitat enthaltene Fußnoten sind hier nicht wiedergegeben.); Wesley-Smith, Crisis (Fn. 23), 24; vgl. auch R. Mushkat, One Country, Two International Legal Personalities: The Case of Hong Kong (Hong Kong 1997). 91 Richtiger ist es wohl, das festlandschinesische System als eine Mischjurisdiktion anzusehen. 92 Chen, Interpretation (Fn. 22), 408; vgl. aber auch Wesley-Smith, Crisis (Fn. 23), 24: „… barreness of the slogan, its political rather than legal nature, and its superficial masking of fundamentally opposed attitudes towards the constitution.“ 87
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„quantitativ und qualitativ beeindruckenden Vermehrung wissenschaftlicher Beiträge durch Rechtslehrer, Wissenschaftler und Praktiker in lokalen und internationalen juristischen Zeitschriften und Monographien“93
geführt. „Ein Land, Zwei Systeme“ dominiert häufig auch das politische Tagesgeschehen in Hongkong. Z. B. verschwanden zwischen Oktober und Dezember 2015 fünf Mitarbeiter eines China-kritischen Hongkonger Verlages auf dem chinesischen Festland, in Thailand und in Hongkong. Erst im Februar 2016 wurde dann von offizieller Seite bestätigt, dass alle fünf im Gewahrsam festlandschinesischer Sicherheitsbehörden waren.94 Insbesondere das Verschwinden des Verlagseigentümers im Dezember 2015 in Hongkong hatte zu Spekulationen geführt, er sei nach China entführt worden. Wegen der potenziellen Verletzung des „Ein Land, Zwei Systeme“-Konzepts rief das lokal und international teilweise heftigen Reaktionen hervor.95 In kurz darauf in festlandschinesischen Medien im Februar 2016 verbreiteten Beteuerungen gab der Verlagseigentümer demgegenüber selbst an, freiwillig nach Festland China eingereist zu sein, um den Behörden bei Ermittlungen gegen einen seiner Mitarbeiter zu helfen. Er und seine Frau würden ihre britische Staatsangehörigkeit aufgeben, die Hongkonger Polizei solle die Untersuchungen zu seinem Fall einstellen und Hilfe von der Hongkonger Regierung benötige er nicht.96 Anfang März 2016 waren dann zwei der fünf Verschwundenen nach Hongkong zurückgekehrt. In Treffen mit Hongkonger Polizeikräften erklärten beide, sie benötigen keine Hilfe der Polizei oder der Hongkonger
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Tay, Legal Culture (Fn. 23), 194. K. Lo/A. Nip, Missing Three Set for Return, in: The Standard 29. Februar 2016, 6. 95 K. Cheung, „One Country Two Systems“ under threat says former Chief Secretary, HKFP at https://www.washingtonpost.com/news/worldviews/wp/2016/01/04/hong-kong-angryat-china-over-booksellers-disappearance/; T. Phillips, Britain says suspected abduction of bookseller would be ,egregious breach‘ by China, in: The Guardian, http://www.theguardian. com/world/2016/jan/06/hammond-accuses-china-breach-suspected-abduction-british-booksel ler-hong-kong; Ph. Siu et al., Returned bookseller refuses policy help, in: SCMP 5. März 2016, 1 f.; vgl. aber T. Cheung/G. Cheung, Protect the Rule of Law, State Leader Tells HK, in: SCMP 5 March 2016, A. 1: „Beijing’s point man in charge of city affairs criticizes Mong Kok rioters, but promises ,one country, two systems‘ will remain unchanged“; Castelluci, Legal Hybridity (Fn. 23), 695 (Übersetzung des englischen Originaltexts vom Verfasser): „Da China eine globale politische und wirtschaftliche Supermacht geworden ist, haben britische und portugiesische Bedenken dazu, dass Chinas vormaliges sozialistisches System in den vormaligen Kolonialgebieten durchgesetzt wird – was der ursprüngliche Grund für die chinesischen Zusicherungen in den Joint Declarations war – viel von ihrer Plausibilität verloren, die sie in den Achtzigern hatte. Hinzu kommte, dass die realen Möglichkeiten der beiden vormaligen Mächte, effektiv zu intervenieren, auch wenn sie es den wollten, fraglich ist.“ 96 D. Mok/Chr. Leung, Missing bookseller meets HK police, says cancel case, in: SCMP 1. März 2016, A3; S. Denyer, After mysterious disappearance, Hong Kong publisher claims he is in China ,cooperating with authorities‘, in: The Washington Post, https://www.washington post.com/news/worldviews/wp/2016/01/04/hong-kong-angry-at-china-over-booksellers-disap pearance/. 94
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Regierung und verweigerten die Preisgabe weiterer Details zu ihrer Inhaftierung in Festland China.97 Eine juristisch fundiertere, aber nicht weniger vehemente Debatte hatte sich unmittelbar nach dem handover im Zusammenhang mit der Möglichkeit des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses der VR China entwickelt, Hong Kongs Miniverfassung, das Basic Law of the Hong Kong SAR98, auf der Grundlage seines Artikels 158 verbindlich zu interpretieren. Seit 1997 hat der Ständige Ausschuss vier solcher Interpretationen erlassen.99 Castellucci hat die Schlussfolgerung gezogen, dass die Interpretationsmöglichkeit Peking „… ein Instrument gibt, direkt und unbegrenzt in die Rechtssysteme der Sonderverwaltungszonen100 einzugreifen sowie die Zuständigkeit der Gerichte der Sonderverwaltungszonen zu definieren und damit ein signifikantes Unsicherheitselement in die Rechtssysteme der Sonderverwaltungszonen einzuführen.“101
Ein weiteres Bespiel für die praktische Bedeutung des „Ein Land, Zwei System“Konzepts ist die Frage der Geltung der UN-Kaufrechtskonvention102 in Hongkong. Die Volksrepublik China ist seit dem Inkrafttreten am 1. Januar 1988 Mitglied der UN Kaufrechtskonvention.103 Demgegenüber galt die UN-Kaufrechtskonvention in Hongkong vor dem handover nicht.104 Es ist die offizielle Hongkonger Position, dass sich dies auch nach dem handover nicht geändert habe. Nur diejenigen internationalen Konventionen, denen die VR China beigetreten ist und die in einer dem UNGeneralsekretär anlässlich des handover übergebenen Liste genannt sind, sollen als Folge des handover nunmehr auch für Hongkong gelten. Problematisch ist allerdings, dass Art. 93 (1) der UN-Kaufrechtskonvention zwar erlaubt, dass Mitgliedsstaaten für territoriale Einheiten, die ein eigenes Rechtssystem aufweisen, die Anwendbarkeit der UN Kaufrechtskonvention ausschließen. Hierfür ist allerdings eine diesbezügliche Deklaration nötig, die China für Hongkong nie abgegeben
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Siu et al., Returned bookseller (Fn. 95), 1; E. Kao/Cl. Lo, Second missing bookseller returns, in: SCMP 7. März 2016, 1. 98 Supra, Fn. 22. 99 Vgl. Castelluci, Legal Hybridity (Fn. 23), 678 – 689; Chen, Interpretation (Fn. 22), 408, 424 – 431; Wesley-Smith, Crisis (Fn. 23), 24 – 47. 100 Hong Kong und Macau. 101 Castelluci, Legal Hybridity (Fn. 23), 690 – deutsche Übersetzung der englischen Originalfassung vom Verfasser. 102 United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (1980), http://www.uncitral.org/pdf/english/texts/sales/cisg/V1056997-CISG-e-book.pdf. 103 Vgl. http://www.uncitral.org/uncitral/en/uncitral_texts/sale_goods/1980CISG_status.html. 104 Auch Großbritannien ist kein Mitgliedsstaat der UN Kaufrechtskonvention, ebd.; vgl. A. Forte, The United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods: Reason or Unreason in the United Kingdom, in: 26 University of Baltimore Law Review (1997), 51 – 66; S. Moss, Why the United Kingdom Has Not Ratified the CISG, in: 25 Journal of Law and Commerce (2005 – 06), 483 – 485.
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hat.105 Einige ausländische Gerichte sind deshalb von der Geltung der UN-Kaufrechtskonvention auch in Hongkong ausgegangen.106 Die negativen praktischen Folgen dieser unklaren Situation liegen auf der Hand. Es ist offensichtlich, dass diese und andere aus dem „Ein Land, Zwei Systeme“Konzept resultierenden Rechtsfragen im Kern rechtshistorischer Natur sind und dass den jeweiligen rechtshistorischen Dimensionen deshalb besondere Bedeutung zukommt. Abschließend sei in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass Hongkongs Rechtssystem in seiner derzeitigen Form eben nur für 50 Jahre seit dem handover garantiert ist.107 Die Diskussion der Frage, was nach 2047 passieren sollte und was passieren wird, wird in den kommenden Jahren an Intensität gewinnen. Rechtsgeschichtliche Argumente werden dabei eine große Rolle spielen. d) Beispiel 2: Die Fortgeltung chinesischen Gewohnheitsrechts in Hongkong Wie schon oben angedeutet,108 weist das Hongkonger Rechtssystem die Besonderheit auf, dass neben dem Common Law auch traditionelles chinesisches Gewohnheitsrecht bis heute weitergilt.109 Wie in anderen britischen Kolonien auch, wurde bei der Annexion Hongkongs ein System installiert, nach dem in den New Territories für die einheimische chinesische Bevölkerung traditional law and custom110 weitergalten.111 Chinesisches Gewohnheitsrecht ist deshalb bis heute im Prinzip ein gleichbe105 U. G. Schroeter, The Status of Hong Kong and Macau under the United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, in: 16 Pace International Law Review (Issue 2 Fall 2004), 308 – 332, online einsehbar unter http://digitalcommons.pace.edu/cgi/ viewcontent.cgi?article=1166&context=pilr; Wolff, Conflict (Fn. 21), 478 – 480. 106 Vgl. z. B. United States 2 September 2008 Federal District Court (Illinois) (CAN International, Inc v. Guangdong Kelon Electrical Holdings et. al.) – Case Number 05 C 5734; United States 23 December 2009 District Court, Eastern District of Arkansas, Western Division (Electrocraft Arkansas, Inc. v. Super Electric Motors, Ltd. et al.); demgegenüber ist der französische cour de cassation der offiziellen Hongkonger Position mit dem Argument gefolgt, dass die genannte, dem UN Generalsekretär aus Anlass des handovers übergebene Liste den Anforderungen des Art. 93 UN Kaufrechtskonvention Genüge tut, vgl. http://www.cisg. law.pace.edu/cisg/countries/cntries-China.html. 107 Supra, II. 1. 108 Supra, II. 2. 109 Zu den historischen Gründen vgl. Merry, Indigenous rights (Fn. 6), 159 – 161. 110 Es ist allerdings unklar, was das konkret bedeutet. 111 Vgl. auch Merry, Indigenous rights (Fn. 6), 153: „In 1889 … the New Territories had a population of about 80,000. … The villages were clan-based, nearly all the inhabitants of a particular viallage having the same surname. They were traditional, homogenous places, their houses drawn in tight clusters for security and good fung shui. Their rules of conduct were dictated more by local custom than Imperial edict. Village headmen and lineage elders enforced the custom and decided disputes.“; einen sehr informativen und unterhaltsamen Einblick in die alltäglich chinesische Gewohnheitsrechtspraxis in den New Territories unter bri-
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rechtigter Bestandteil Hongkonger Rechts, auch wenn seine praktische Bedeutung nach Gesetzesreformen in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren stark an Bedeutung verloren hat. Allerdings sind Hongkonger Gerichte bis heute mit Fällen – zumeist Erbschaftsangelegenheiten betreffend Immobilien – befasst, die ihre Ursprünge in Zeiten vor Inkrafttreten der Reformen haben.112 Da Hongkonger Juristen nicht im chinesischen Gewohnheitsrecht ausgebildet sind, müssen Hongkonger Gerichte Sachverständige hinzuziehen.113 Diese Sachverständigen sind oft Historiker, die rechtshistorische Gutachten zur Geltung und zum Inhalt chinesischen Gewohnheitsrechts in Hongkong abgeben. Die Besonderheit der Geltung traditionellen chinesischen Gewohnheitsrechts in Hongkong zeigt sich daran, dass die Zuziehung von Sachverständigen zur Bestimmung von Rechtsinhalten eigentlich nur im Zusammenhang mit der Anwendung ausländischen Rechts durch Hongkonger Gerichte zulässig ist. Chinesisches Gewohnheitsrecht wird also wie ausländisches Recht behandelt, obwohl es – wie beschrieben – genuin Hongkonger Recht ist.114 6. Die Praxisrelevanz Hongkonger Rechtsgeschichte außerhalb Hongkongs Es war das Ziel des vorangegangenen Kapitels darzustellen, warum Hongkonger Rechtsgeschichte nicht nur aus wissenschaftlichen, sondern auch aus ganz praktischen Gründen bedeutsam ist. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die historische Entwicklung des Hongkonger Rechtssystems aber auch außerhalb Hongkongs Bedeutung erlangen kann. Und dies ist nicht nur deshalb so, weil Hongkong wegen seiner Besonderheiten natürlich eine großartige Fallstudie ist, anhand derer historische Entwicklungen in eindrucksvoller Weise nachgezeichnet werden können. Spezielle praktische Bedeutung hat die historische Entwicklung des Hongkonger Rechtssystems vor allem in der Greater China Region soweit das Konzept „Ein Land, Zwei Systeme“ betroffen ist. Dieses war zwar zunächst für Hongkong entwickelt worden, hat aber auch für die Beziehung zwischen dem chinesischen Festland und Macau Modell gestanden.115 Nicht weniger wichtig ist, dass die chinesische Zentralregierung das Konzept „Ein Land, Zwei Systeme“ seit jeher als Modell für die Wietischer Verwaltung durch District Officers gibt das Buch von A. Coates, Myself A Mandarin – Memoires of a Special Magistrate (New York 1968). 112 Gr. Johnston, The Conflict of Laws in Hong Kong (Hong Kong 20122),420, 424. 113 „Expert witnesses“. 114 Vgl. aber Tay, Legal Culture (Fn. 23), 195: „… a number of legal ‘systems’ in operation in Hong Kong …“. 115 Macau war am 20. Dezember 1999 Teil der Volksrepublik China geworden, nachdem es 1557 als Handelsniederlassung von Portugal gepachtet worden war, 1849 durch die portugiesische Besetzung der Inseln Taipa und Coloane eine flächenmäßige Ausdehnung erfahren hatte und 1951 dann portugiesische Überseeprovinz geworden war, vgl. Der Brockhaus in Fünfzehn Bänden, Neunter Band, Mannheim 1998, 6.
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dervereinigung mit Taiwan angesehen hat.116 Und, man kann ohne weiteres davon ausgehen, dass andere geteilte Länder, wie z. B. Korea, das Konzept und seine historische Entwicklung gleichermaßen genau analysieren. Eine weitere besondere Bedeutung der Hongkonger Rechtsgeschichte folgt aus dem Modellcharakter des Hongkonger Rechtssystems für das immer noch im Aufbau befindliche festlandschinesische Rechtssystem.117 Die Vorbildfunktion Hongkongs folgt nicht nur aus der geographischen Nähe, sondern vor allem auch daraus, dass Hongkongs Finanz- und Kapitalmarktrecht in Sachen Modernität auf Augenhöhe mit anderen führenden Nationen liegt. Aus festlandchinesischer Sicht ist in diesem Zusammenhang von Vorteil, dass die meisten Hongkonger Materialien nicht nur in englischer, sondern auch in chinesischer Sprache veröffentlicht und damit für Chinesischsprachler ohne Weiteres zugänglich sind. Hongkongs Rechtssystem ist zudem trotz aller Unterschiede wie das festlandschinesische Rechtssystem von einer chinesischen Rechtskultur geprägt.118 Auf ein anderes Beispiel hat Littlewood in seiner interessanten Analyse der historischen Entwicklung des Hongkonger Steuerrechtssystems hingewiesen.119 Hongkongs Steuerrechtssystem zeichnet sich durch seine Einfachheit und seine geringen Steuersätze aus. War dies ein wesentlicher Faktor für die so erfolgreiche Entwicklung Hongkongs zu einer Wirtschafts- und Finanzmetropole? Sollten andere Länder dem Vorbild Hongkongs folgen? Schließlich hat Hongkong Rechtsinstitutionen aufzuweisen, die Vorreiterrollen nicht nur in Asien, sondern weltweit einnehmen. Zu nennen sind insoweit vor allem die Independent Commission Against Corruption120 sowie die Equal Opportunities Commission.121 Das Studium und die Erforschung der historischen Hintergründe, die zu der Gründung dieser Kommissionen geführt haben, sowie deren nachfolgende Entwicklung bieten wichtiges Anschauungsmaterial für andere Staaten, die vergleichbare Probleme zu bewältigen haben.
116 Nach dem Sieg der kommunistischen Revolution auf dem chinesischen Festland im Jahre 1949 war die Regierung der vormaligen Republik China unter Chiang Kai-shek mit etwa zwei Millionen Getreuen nach Taiwan geflohen. 1992 war „stillschweigend“ ein consensus zwischen Vertrern der festlandschinesischen und der taiwanesischen Regierung erzielt worden, wonach beide Seiten umstrittene politische Fragen ausklammern und an einer Verbesserung der beiderseitigen Beziehungen arbeiten werden solange das „Ein-China Prinzip“ nicht in Frage gestellt würde, vgl. L. Chung, Beijing Softens ,Consensus‘ Stance, in: SCMP 28 Januar 2016, 8. 117 Vgl. Castelluci, Legal Hybridity (Fn. 23), 674. 118 Castelluci, Legal Hybridity (Fn. 23), 674. 119 Supra, Fn. 33. 120 Vgl. ICAC, http://www.icac.org.hk/en/about_icac/bh/. 121 Vgl. www.eoc.org.com.
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V. Schlussbemerkung Ich habe in diesem Beitrag versucht zu diskutieren, ob der Rechtsgeschichte Hongkongs eine eigenständige Bedeutung zukommt. Ich habe mich dieser Aufgabe mit der natürlichen Skepsis gestellt, die einem Nichthistoriker wohl zugebilligt werden muss. Je mehr ich mich mit den zusammenhängenden Fragen beschäftigt habe, desto mehr bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass Hongkongs Rechtsgeschichte innerhalb und außerhalb Hongkongs wichtig ist. Hongkongs Rechtsgeschichte ist praxisrelevant und stößt auf relativ großes akademisches und populärwissenschaftliches Interesse. In Anbetracht dessen scheint das leider nur geringe Angebot an rechtsgeschichtlichen Vorlesungen an Hongkongs rechtswissenschaftlichen Fakultäten nicht gerechtfertigt.
Eine Mitfahrgelegenheit in Peking – Gelegenheitsverkehr-Apps im Recht Von Dirk Wüstenberg* In der unter anderem vom Verein Deutsch-Chinesische Juristenvereinigung e.V. herausgegebenen „Zeitschrift für chinesisches Recht“ wird alljährlich eine „Bibliography of Academic Writings in the Field of Chinese Law in Western Languages“ veröffentlicht. Die in dieser Bibliographie aufgeführte Rubrik „XI. Traffic Laws (Verkehrsrecht)“ enthält seit Jahren keine Einträge.1 Mit diesem rechtsvergleichenden Beitrag soll ein Einblick in das chinesische Personenbeförderungsrecht geliefert werden.
I. Personenbeförderungsrecht in Deutschland Das Personenbeförderungsrecht umfasst die Verkehrsmittel Straßenbahn (§§ 28 ff. PBefG), Oberleitungsbus (§ 41 PBefG), Omnibus (Linienverkehr nach §§ 42 ff. PBefG oder Gelegenheitsverkehr nach §§ 46, 48, 49 Abs. 1 bis 3 PBefG) und Personenkraftwagen (Gelegenheitsverkehr nach §§ 46 Abs. 2 Nr. 1, 47 PBefG (Taxi) oder §§ 46 Abs. 2 Nr. 3 Fall 2, 49 Abs. 4 PBefG (Mietwagen)). Die Verkehrsart Gelegenheitsverkehr hat ihre Bezeichnung deswegen, weil die Unternehmer bzw. deren Fahrer an bestimmten Orten auf die Gelegenheit warten, Beförderungsaufträge anzunehmen und auszuführen. Ohne eingestiegenen Fahrgast fährt der Fahrer nicht. Den Fahrgast bringt der Fahrer zu dem vom Fahrgast angegebenen Zielort. Die bekannteste Verkehrsform der Verkehrsart Gelegenheitsverkehr ist der Verkehr mit Taxen, die am wenigsten bekannte dürfte der Verkehr mit Mietwagen sein. Die Vertragsbeziehungen beider Unternehmer mit ihren Kunden sind in erster Linie zivilrechtlicher Natur. Das öffentliche Recht (PBefG) greift in diese ein. 1. Taxiverkehr Verkehr mit Taxen ist „die Beförderung von Personen mit Personenkraftwagen, die der Unternehmer an behördlich zugelassenen Stellen bereithält und mit denen er Fahrten zu einem vom Fahrgast bestimmten Ziel ausführt“ (§ 47 Abs. 1 Satz 1 PBefG). Die Definition des Mietwagenverkehrs grenzt sich hiervon ab und lautet: * Rechtsanwalt, Offenbach a.M. 1 Zuletzt ZChinR 2015, 211, 228.
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„Verkehr mit Mietwagen ist die Beförderung von Personen mit Personenkraftwagen, die nur im ganzen zur Beförderung gemietet werden und mit denen der Unternehmer Fahrten ausführt, deren Zweck, Ziel und Ablauf der Mieter bestimmt und die nicht Verkehr mit Taxen nach § 47 sind“ (§ 49 Abs. 4 Satz 1 PBefG). a) Vertragsinhalt Der Vertrag über die Personenbeförderung mittels Taxi wird von der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung – wie die Verträge über andere Personenbeförderungen – als Werkvertrag erachtet.2 Als Erfolg werde die Ankunft des Fahrgasts am Zielort geschuldet. Ein Dienstvertrag liege nicht vor, weil es dem Fahrgast darauf ankomme, eben den Zielort zu erreichen. Das Befördern des Fahrgastes an sich stehe nicht im Vordergrund der Leistung. Vertragspartner des Taxiunternehmers ist der Fahrgast. Dieser bestellt ein Taxi, indem er anruft oder zuwinkt bzw. einen Taxistand aufsucht, sodann einsteigt und den Zielort angibt. Die Vergütung ist die taxmäßige (§ 632 Abs. 2 BGB). Die Beförderungsentgelte sind vom Land bzw. dem im Wege der Delegierung zuständigen Landkreis bzw. der kreisfreien Stadt festgelegt (§ 51 Abs. 1 bis Abs. 4 PBefG). Der Taxiunternehmer darf von diesen Beträgen nicht abweichen, d. h. er darf weder mehr noch weniger verlangen (§§ 51 Abs. 5, 39 Abs. 3 PBefG). Das Trinkgeld als freiwillige Gabe zählt nicht zur Vergütung. b) Vertragsschluss und Taxihalteplatz Ein aus Sicht der Kunden beachtlicher Unterschied beider Verkehrsformen besteht darin, dass es Taxihalteplätze, nicht aber Mietwagenhalteplätze gibt. Die aus Sicht des Unternehmers bedeutsame Frage ist, welchen genauen Inhalt die Vorschrift des § 47 Abs. 1 PBefG hat, in dessen Satz 1 die Taxihalteplätze angesprochen sind. In Satz 2 ist vom Ort des Auftragseingangs die Rede. § 47 Abs. 1 Satz 1 PBefG existiert seit dem Jahre 1961 und ist zum 01. 10. 1983 geändert worden. Statt der Taxihalteplätze auf „öffentlichen Straßen und Plätzen“ stehen dort seitdem die Taxihalteplätze an „behördlich zugelassenen Stellen“. Aus dem Wegfall des Wortes „öffentliche“ mag man schließen, dass der Gesetzgeber nunmehr auch Taxihalteplätze auf nicht öffentlichen Straßen und Plätzen, d. h. auf privatem Grund zulassen wollte.3 2 Z. B. BGH, Urt. v. 21. 12. 1973 – IV ZR 158/72, BGHZ 62, 71 ff. = NJW 1974, 852 ff. (Flugzeug); BGH, Urt. v. 28. 05. 2009 – Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743 f. (Flugzeug); AG Siegen, Urt. v. 19. 11. 2001 – 10 C 318/01 (Taxi); Th. Grätz, in: Fielitz/Grätz, PBefG, LoseKomm. (Köln 2014), AL 69 (Dez. 2014), § 47 Rn. 9; Ch. Heinze, in: Heinze/Fehling/Fiedler, PBefG, 2. Aufl. (München 2014), § 47 Rn. 13. 3 Sachverhalt in BGH, Urt. v. 21. 01. 1969 – VI ZR 200/67, BGHZ 51, 310 ff. = NJW 1969, 791 f.; D. Wüstenberg, Beschränkt die öffentlich-rechtliche Anordnung eines Taxistands das Privateigentum?, TranspR 2014, 406, 410.
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Die herrschende Meinung geht hierüber hinaus und behauptet, dass Taxen nach dieser Vorschrift hinfort nur noch auf – auf öffentlichem oder auf privatem Grund liegenden – Taxihalteplätzen bereitgehalten werden dürfen, nirgendwo sonst. Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung die durch Taxen hervorgerufenen Verkehrsstaus an Orten außerhalb von Taxihalteplätzen, mit anderen Worten das „wilde Bereithalten“4 von Taxen vermeiden wollen. So habe er vorgehabt, es Taxifahrern zu verbieten, z. B. nachts gegen Ende einer Diskothekenveranstaltung von sich aus zu diesen Veranstaltungsorten zu fahren, um dort Beförderungsverträge abzuschließen. Vielmehr müssten Taxifahrer, sofern sie nicht während einer Fahrt (§ 47 Abs. 1 Satz 2 PBefG) kontaktiert werden, an einem Taxihalteplatz solange ausharren, bis sich ein künftiger Fahrgast bei ihnen dort leibhaftig oder per Telefon meldet bzw. der Auftragseingang über Funk durch die Taxizentrale vermittelt wird.5 Begründet wird diese Rechtsauffassung mit dem Hinweis des Gesetzgebers auf die von diesem aufgezeigten Zahlen der zugelassenen Konzessionen (Genehmigungen): Die Zahl der Taxen hatte von 1961 bis 1983 um ein Vielfaches zugenommen, die Zahl der Einwohner in Deutschland jedoch nicht. Deshalb sei in all den Jahren der Konkurrenzkampf der Taxifahrer auf der Straße spürbar geworden mit der Folge, dass der Gesetzgeber die Zahl der Orte des Bereithaltens weiterhin begrenzen wollte (zuvor § 47 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 PBefG a.F.) – eben durch das Bereithalten der Taxen nur auf Taxihalteplätzen.6 Dieser Rechtsauffassung wird hier widersprochen. Nicht ein einziges Wort über eine derartige Beschränkungsabsicht des Gesetzgebers steht im Gesetzestext oder in den Gesetzesmaterialien.7 Das Tatbestandsmerkmal „auch“ in § 47 Abs. 1 Satz 2 dient als Mittel der Erweiterung der Definition. Das Tatbestandsmerkmal „nur“ in § 47 a.F. ist gestrichen worden. Nach der aufgezeigten herrschenden Meinung sind als Orte des Vertragsschlusses seit 1983 nur zugelassen: der Taxihalteplatz (§ 47 Abs. 1 Satz 1 PBefG), der Betriebssitz (§ 47 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 PBefG) sowie jeder Ort, an dem sich das Taxi während einer Beförderungsfahrt aufhält (§ 47 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 PBefG). Die Existenz der drei Ortsbestimmungen des Beförderungsauftragseingangs durch das PBefG im Sinne dieser Auffassung bedeutet dann aber, dass ein Taxiunternehmer nicht frei ist, an jedem Ort seiner Wahl Beförderungsaufträge anzunehmen. Unmittelbar nach dem Abladen eines Fahrgastes am Zielort „Arbeitsplatz“ etwa darf der Taxifahrer vom Arbeitgeber des Fahrgastes dann dort weder in Anwesenheit noch telefonisch 4
Z. B. Th. Grätz (Fn. 2), § 47 Rn. 27; H. Bidinger, PBefR, Losebl.-Komm., 2. Aufl. (Berlin 2016), EL 2/1994, § 47 Anm. 7 [seit nunmehr über 22 Jahren ohne Aktualisierung durch die nachfolgenden Kommentatoren]; OLG Köln, Urt. v. 19. 07. 2000 – 6 U 83/00, openJur 2011, 82603. 5 Z. B. Die Tricks der Taxifahrer auf der Jagd nach Kunden, in: Frankfurter Neue Presse (FNP) v. 02. 05. 2009, S. 16. 6 Meinungsstand in BVerfG, Beschl. v. 14. 11. 1989 – 1 BvL 14/85, BVerfGE 81, 70 ff. = NJW 1990, 1349 ff. 7 § 47 Abs. 1 PBefG bzw. BT-Drs. 9/2128, 1, 6 u. 8.
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einen Beförderungsauftrag annehmen. Denn zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Taxifahrer weder auf/während einer Fahrt noch auf einem Taxihalteplatz noch am Betriebssitz. Dies aber hat der Gesetzgeber sicherlich nicht gewollt. c) Beförderungspflicht Der Taxifahrer ist innerhalb desjenigen Territoriums, für welches die Beförderungsentgelte verbindlich festgelegt worden sind, verpflichtet, einen Fahrgast zu dem von diesem verlangten Zielort zu befördern. Die Pflicht zur Beförderung ist die Pflicht zum Abschluss des Beförderungsvertrags mit Jedermann nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften (Kontrahierungszwang).8 Sie dient der Teilhabe eines jeden Bürgers an der Daseinsvorsorge namens öffentlicher Personennahverkehr9 und beginnt mit dem Zugang der ausdrücklichen oder konkludenten Willenserklärung des Kunden (Fahrgast) zum Zwecke des Vertragsschlusses (Vertragsangebot), d. h. mit dem Betreten des Fahrzeugs bzw. dem – sofern der Fahrer die Tür willentlich sperrt – Betretenwollen.10 Der Taxifahrer darf seine Leistung ab diesem Zeitpunkt nicht verweigern, sondern muss das Angebot annehmen (§§ 22, 47 Abs. 4 PBefG). 2. Mietwagenverkehr a) Vertragsinhalt Auch der Vertrag über die Personenbeförderung mittels eines Mietwagens wird – mit gleicher Begründung – als Werkvertrag eingestuft.11 Der Mietvertrag als Vertragstyp scheidet aus, weil der Vertragspartner (Kunde) das Fahrzeug nicht selbst gebraucht; die Herrschaftsgewalt verbleibt beim Mietwagenunternehmer, der zugleich den Fahrer stellt. Vertragspartner des Mietwagenunternehmers ist der Kunde, welcher nicht auch Fahrgast sein muss. Häufig werden Mietwagen von Firmen für ihre Angestellten oder ihre Geschäftspartner, von Altenheimen für ihre Bewohner oder von Hochzeitspaaren für ihre Hochzeit bestellt, nicht selten mehrere Tage im Voraus. Die Vergütung (§ 632 Abs. 1 BGB) ist frei verhandelbar; eine für diese Verkehrsform bestehende gesetzliche Regelung im PBefG fehlt. Es gibt keine „übliche Vergütung“ i.S.d. § 632 Abs. 2 BGB. Die Entgelte liegen zumeist unterhalb der Taxitarife.
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Ch. Heinze (Fn. 2), § 22 Rn. 6. Ch. Heinze (Fn. 2), § 22 Rn. 1. 10 Vgl. Ch. Heinze (Fn. 2), § 22 Rn. 7; Th. Grätz (Fn. 2), AL 70 (Dez. 2015), § 22 Rn. 3; BayObLG, Beschl. v. 23. 09. 1985 – 3 Ob OWi 69/85, TranspR 1986, 300 f. 11 Z. B. Ch. Heinze (Fn. 2), § 49 Rn. 2. 9
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b) Vertragsschluss und Mietwagenhalteplatz Der Betriebssitz des Mietwagens ist der „Mietwagenhalteplatz“. Zu diesem muss der Mietwagen nach grundsätzlich jeder Fahrt zurückgefahren werden (§ 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG) mit der Folge, dass der Mietwagen dort für die nächste Bestellung/ Fahrt bereitsteht. Als Orte des Vertragsschlusses kommen nur der Betriebssitz des Unternehmers hinsichtlich des eingesetzten Fahrzeugs und – in dem Fall, dass der Unternehmer Einzelunternehmer ist – die Wohnung des Unternehmers (nicht auch des Fahrers) in Betracht (§ 49 Abs. 4 Satz 2 PBefG). Als Orte des Beginns der Ausführung eines Beförderungsvertrags nach erfolgtem Vertragsschluss sind der Betriebssitz und – im Falle des rechtzeitigen Auftragseingangs i.S.d. § 49 Abs. 4 – jeder Ort auf der Wegstrecke der vorherigen, noch andauernden Fahrt (§ 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG) vorgesehen. Im Verhältnis zum Taxiverkehr stellen diese Restriktionen spürbare Nachteile dar. Ziel des Gesetzgebers war und ist es, den Mietwagenverkehr vom Taxiverkehr zum Schutz des Taxiverkehrs abzugrenzen (vgl. §§ 49 Abs. 4 Sätze 5 und 6, 61 Abs. 1 Nr. 3 lit. g12 PBefG).13 Dies erscheint sinnvoll, denn den Taxiunternehmern und -fahrern obliegen zahlreiche Pflichten, jedoch kaum ein Taxiunternehmer in Deutschland ist in der Lage, seinen Angestellten ohne Umgehung des Rechts den gesetzlichen Mindestlohn (§ 1 MiLoG) zu zahlen, kaum einer in der Lage, eigenwirtschaftlich (§ 8 Abs. 4 PBefG) tätig zu sein.14 c) Beförderungspflicht Der Mietwagenunternehmer bzw. -fahrer ist zur Beförderung nicht verpflichtet (§ 49 Abs. 4 Satz 7 PBefG). Der Mietwagenverkehr ist deshalb kein öffentlicher Verkehr.15 Gleichwohl regelt der Gesetzgeber diesen privaten Personenverkehr ebenfalls im PBefG. Denn er will den Taxiverkehr schützen (vgl. § 49 Abs. 4 Sätze 5 und 6 PBefG).
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BT-Drs. 9/2128, 6 f. u. 9. BGH, Urt. v. 16. 06. 1993 – 1 ZR 140/91, NJW-RR 1993, 1322 f. = MDR 1994, 461 f.; BGH, Urt. v. 05. 06. 1970 – 1 ZR 24/69, NJW 1970, 1548 f. = MDR 1970, 740 f. 14 In der Praxis darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Verwaltung die erteilten Konzessionen nur selten widerrufen können (vgl. U. Kramer, in: Saxinger/Winnes, Recht des öffentlichen Personenverkehrs, Lose-Komm. (Köln 2015), EL 8 (Jun. 2015), § 13 Abs. 1 Rn. 9 und § 25 Rn. 5) und dass die Verwaltungen in Hamburg und in Berlin die Berufszugangs- bzw. -ausübungshürde des § 13 Abs. 4 PBefG gar nicht anwenden. 15 Zutreffend BVerfG, Beschl. v. 08. 06. 1960 – 1 BvL 53/55 u. a., BVerfGE 11, 168, 187 = NJW 1960, 1515 ff. Der § 8 Abs. 2 PBefG ist falsch formuliert (vgl. B. Linke, in: Saxinger/ Winnes, Recht des öffentlichen Personenverkehrs, Lose-Komm. (Köln 2015), EL 9 (Sep. 2015), § 8 Abs. 2 Rn. 3 f.). 13
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3. Mitfahrgelegenheiten Die vertragliche Vereinbarung des Mitfahrers und des Fahrers über eine konkrete Mitfahrt wird wie die vorherigen Verträge als Werkvertrag eingestuft, wobei allerdings der Zielort vom Fahrer vorgegeben und nicht vom Mitfahrer bestimmt wird. Wenn und weil die Mitfahrt unentgeltlich ist oder das Entgelt, welches der Mitfahrer zahlt bzw. die Mitfahrer zahlen, das Gesamtentgelt die Betriebskosten der Fahrt nicht übersteigt, verzichtet der Gesetzgeber auf die Anwendbarkeit des PBefG (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PBefG), und zwar auch dann, wenn die Beförderungen geschäftsmäßig erbracht werden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 PBefG). Die Nachfrager (Mitfahrer) bleiben mangels Anwendbarkeit des PBefG allein über die zivilrechtlichen Vorschriften wie die §§ 634 ff., 305 ff. BGB geschützt. Gesamtentgelt bedeutet die Summe der von den Mitfahrern gezahlten Einzelentgelte plus den Wert des mittelbar erstrebten wirtschaftlichen Vorteils der Beförderung.16 Betriebskosten sind die üblichen, unmittelbar fahrtverursachten Kosten wie Kraftstoff, Öl, Reifenabnutzung, Reinigung und Inspektionskosten.17 Das Trinkgeld als freiwillig gezahlter Betrag bleibt in der Berechnung außen vor.
II. Personenbeförderungsrecht in der VR China In Peking gab es ab dem 24. 06. 1899 einige Jahre lang eine Straßenbahn, und zwar -Station außerhalb der damaligen Stadtmauer bis zum damaligen Südvon der tor der Stadt.18 Eine Straßenbahn gibt es gegenwärtig noch in Hongkong, im Stadtteil / ). In Shanghai war die letzte StraTuen Mun New Town ( ßenbahnlinie Mitte der 70er Jahre eingestellt worden. Dort kam ich im August 1992 per Schiff an. Mit dem Oberleitungsbus (Obus) fuhr ich vom Hafen aus in Richtung ). Zwei Jahre Westen zur Ostchina-Hochschule für Politik und Recht ( zuvor hatte ich mich für die Universität Passau als Studienort entschieden. Unmittelbar nach dem Durchlesen der Liste der damals rund 15, heute knapp 100 Austauschprogramme für Juristen entschied ich mich, die chinesische Sprache zu erlernen und an dem von Professor Manthe organisierten Austauschprogramm teilzunehmen. Ich besuchte Professor Manthe gleich in der ersten Sprechstunde nach Semesterbeginn und teilte ihm mit, dass ich das erste Semester begonnen hatte und zwei Jahre später für ein Jahr nach Shanghai reisen wolle. Unter welchen Voraussetzungen dies möglich sei, fragte ich ihn. Professor Manthe antwortete, dass das für den Jahresaufenthalt zu erreichende Sprachniveau dasjenige sei, welches nach drei Jahren Fremdsprachenausbildung abgefragt werde. Nur, wenn ich den entsprechenden Sprachtest be16
B. Linke (Fn. 14), EL 4 (Mai 2014), § 1 Rn. 27. Th. Grätz (Fn. 2), AL 66 (Mai 2013), § 1 Rn. 17; B. Linke (Fn. 14), EL 4 (Mai 2014), § 1 Rn. 28. 18 Vgl. http://www.tramz.com/tva/cn.html (04. 01. 2016). 17
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stehe, könne es klappen. Das letzte Wort hätten dann die Chinesen. Sofern sich, was unwahrscheinlich sei, mehr als vier Studenten für das Auslandsjahr melden würden, würde ich wohl das Nachsehen haben, denn dann würden diejenigen Interessenten den Vorrang genießen, die die besseren Sprachkenntnisse vorweisen würden. Professor Manthe also nannte alle Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, kurz und bündig, vollständig und ohne eine besondere Emotion anlässlich der Tatsache, dass da jemand stand, der an „seinem“ Programm interessiert war. In dieser trockenen und auf den Punkt bringenden Art ging es auch weiter. Zufälligerweise war es Professor Manthe, der für die Erstsemester des Studienjahres 1990/1991 die Vorlesung für den Erwerb des kleinen Zivilrechtsscheins hielt. Weil ich die chinesische Sprache mit einem Einsatz lernte, der es mir ermöglichte, die für das dritte Jahr angesetzte Sprachprüfung im Sommer 1992 zu bestehen, vernachlässigte ich die Fallprüfungstechnik. In der ersten Klausur fragte Professor Manthe das Wissen vom Abstraktionsprinzip nach den §§ 433 ff., 929 ff. BGB ab, und ich fiel durch. Professor Manthe, der alle abgegebenen Klausurlösungen selbst durchlas, kommentierte meine Arbeit handschriftlich sinngemäß mit den Worten: Wer das Abstraktionsprinzip nicht beherrscht, der kommt nicht weit. Also konzentrierte ich mich nun auf das Schuld- und Sachenrecht und erkannte in einem von Professor Manthe in seiner BGB-Vorlesung besprochenen Fall das in den §§ 674, 672, 168 BGB angelegte Abstraktionsprinzip. Dieses war, wie ich zutreffend erahnte, Gegenstand der zweiten Klausur. Ich bestand, und die erste Hürde war genommen. Ein Jahr später bestand ich bei unserer Chinesisch-Lehrerin Frau Ma˘ ( ), die Wert darauf legte, nicht unsere Mutter zu sein (Ma¯, ), auch die Sprachprüfungen für das zweite und das dritte Jahr. Dank Professor Manthe durfte ich sodann ins Flugzeug nach Hongkong steigen, um mit dem Zug über Kanton nach Wuhan und von dort weiter mit dem Schiff nach Shanghai zu fahren. 1. Taxiverkehr Die Zahl der in Peking zugelassenen Taxen betrug im Jahre 2008 rund 63.000.19 Im Jahre 2015 sollen es über 66.000 gewesen sein. Circa sieben Prozent aller Personenbeförderungen werden in Peking von Taxen durchgeführt.20 a) Vertragsinhalt Vertragstyp ist nicht der Werkvertrag, sondern der Dienstleistungsvertrag in der Version des Transportvertrags.21 Denn im chinesischen Recht wird nicht das Errei19
T. Horny, Gebrauchsanweisung Peking – Sieben Tipps zum Überleben, in: Focus online v. 19. 08. 2008. 20 Zhang Yifan, How Do Taxis Work in Beijing? – An Exploratory Study of Spatio-Temporal Taxi Travel Pattern Using GPS Data (Los Angeles 2014), 7. 21 B. Joos, Der Werkvertrag im Recht der VR China (Hamburg 2013), 161 ff.
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chen des Zielortes durch den Fahrgast, sondern die Beförderungshandlung als Vertragsgegenstand angesehen.22 Diese Rechtsauffassung überzeugt auch mehr als die in Deutschland vertretene; denn der Werkvertrag setzt als Ergebnis der vertraglichen Leistung des Unternehmers (hier Taxiunternehmer, vertreten durch dessen Fahrer) eine Werksschöpfung voraus23, d. h. einen vom Unternehmer herbeigeführten, über das reine Dienstleisten hinausgehenden Erfolg.24 Der im Vordergrund stehende Gegenstand des Personenbeförderungsvertrags ist nicht das Schaffen eines – hier durch Dienstleistung (§ 632 Abs. 2 BGB) – herbeigeführten Ergebnisses, sondern das Transportieren als solches mit dem selbstredend vereinbarten Ergebnis des Ankommens am Zielort.25 Das Ankommen am Zielort sollte als Richtungsvorgabe, als ein im Hintergrund stehender Leistungsbestandteil beurteilt werden. Der Fahrer soll ja eine bestimmte Entfernung in einer bestimmten Richtung zurücklegen, so dass das Zurücklegen der vom Kunden bestimmten Fahrtstrecke (mit bekanntem Anfangsund bekanntem Zielort) im Vordergrund steht. Ausnahmsweise für die Luftfahrt mag man das Ankommen, weil lebenswichtig, als elementar ansehen. Ein Personenkraftwagen jedoch kann nicht abstürzen. Dem Fahrgast ist nach einer Fahrzeugpanne auf halbem Wege, wenn auch nur ein Stück weit, gedient. Als Überlebender kann er umsteigen. Einer Schöpfung des Taxiunternehmers bedarf der Fahrgast nicht. Diese ist deswegen auch nicht vereinbart. Die vom Fahrgast zu zahlenden Beförderungsentgelte sind – wie in Deutschland – detailliert festgelegt. In Peking gilt zurzeit die ab dem 10. 06. 2013 geltende „Mitteilung des Pekinger Ausschusses für Entwicklung und Reformation sowie des Pekinger Ausschusses für Verkehr über die Änderung der Taxitarife in Peking“ ( ).26 b) Vertragsschluss und Taxihalteplatz Taxihalteplätze in Peking werden in diesen Jahren eingerichtet. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren dort mindestens 600, mittelfristig über 1.000 entstehen. Ein jeder von ihnen erhält eine sechsstellige Nummer, deren erste zwei Ziffern den Pe22
B. Joos (Fn. 21), 163. BGH, Urt. v. 10. 03. 1983 – VII ZR 302/82, BGHZ 87, 112 ff. = NJW 1983, 1489 ff. = MDR 1983, 656 f.: „die für den Werkvertrag typische Schöpfung eines Werkes“; BGH, Urt. v. 24. 11. 1976 – VIII ZR 137/75, BGHZ 67, 359 ff. = NJW 1977, 379 ff. = MDR 1977, 372 f.: „die Schöpfung des Werkes … im Vordergrund steht“. 24 H. Sprau, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. (München 2016), Einf v § 631 Rn. 1. 25 Im Ergebnis wohl auch H.C. Schwenker, in: Erman, BGB, Band I, 11. Aufl. (Köln 2004), Vor §§ 631 – 651 Rn. 17: „Verträge über den Transport von Personen oder Gütern sind regelmäßig Werkverträge, auf die das Werkvertragsrecht des BGB allerdings weitgehend nicht passt“. 26 (2013) 1052 (Städtischer/Pekinger Ausschuss für Entwicklung und Reformation (2013) Nr. 1052), veröffentlicht am 06. 06. 2013, http://www.bjpc.gov.cn/tztg/201306/ t6226277.htm. 23
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kinger Bezirk bezeichnen und die letzten vier den konkreten Taxistand. Eine Verpflichtung der Taxifahrer, nur diese Halteplätze zu benutzen, gibt es nicht. Ein Gesetzgeberwille, das „wilde“ Bereithalten zu verhindern und die Orte des Vertragsschlusses zu begrenzen, fehlt. c) Beförderungspflicht Die Taxifahrer sind gesetzlich nicht zur Beförderung der Fahrgäste verpflichtet. So lehnen Taxifahrer in Shanghai oder Peking nicht selten Fahrgäste ab, die zuvor viel Alkohol getrunken haben. Denn sie wollen ihr Fahrzeug im Anschluss an diese eine Fahrt nicht einen Tag lang reinigen und damit praktisch umsatzfrei stellen müssen, sofern sich der betrunkene Fahrgast während der Fahrt übergibt.27 Die als Fahrgast abgewiesenen Personen können sich hierüber lediglich – formlos, fristlos, fruchtlos – bei dem Taxiunternehmen oder bei der Aufsichtsbehörde beschweren.28 2. Mietwagenverkehr Die Sparte Mietwagenverkehr boomt.29 Sie bringt das chinesische Taxigewerbe nicht ernsthaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Soweit ersichtlich, gibt es in China kein Gesetz, welches speziell den Mietwagenverkehr regelt. Vertragstyp ist auch hier der Transportvertrag (Dienstleistungsvertrag). Die Beförderungsentgelte pendeln sich im Schnitt bei etwa 60 Prozent derjenigen Entgelte ein, welche im Taxiverkehr zu zahlen sind. Firmen, die Fahrzeuge samt Fahrer für ihre Angestellten oder Geschäftspartner buchen, „mieten“ den Mietwagen häufig stunden- oder tageweise. Der Mietwagen muss nicht nach jeder Fahrt zwingend zum Betriebssitz (oder Geschäftssitz) zurückkehren. In die Vertragsfreiheit wird nicht eingegriffen. Eine Beförderungspflicht gibt es erst recht nicht.
27 Drink-drive campaign sparks culture change, in: Shanghai Daily v. 01. 09. 2009, http:// www.china.org.cn/china/opinion/2009 - 09/01/content_18442652.htm. Der Alkoholgenuss des Fahrgasts in Deutschland ist kein ausreichender Ablehnungsgrund sein. Hinzukommen muss ein eine Gefahrenprognose begründendes Verhalten des Fahrgasts; Th. Grätz (Fn. 2), AL 70 (Dez. 2015), § 22 Rn. 4. 28 (Li Lijing), Juristin in Frankfurt a.M. und Autorin des Buches Auskunft von (Diss.) „Die kollektive Urheberrechtswahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik China“ (Hamburg 2012), v. 22. 12. 2015 gegenüber dem Verf. 29 Vgl. Gao Bo, Carpooling picks up again in capital, in: China Daily (online), Update v. 04. 11. 2014, http://www.chinadaily.com.cn/china/2014 - 11/04/content_18862036.htm (04. 01. 2016).
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3. Mitfahrgelegenheiten Auch die vertraglichen Inhalte der Vereinbarungen über Mitfahrgelegenheiten werden den Bürgern überlassen. Es gilt das Dienstleistungsvertragsrecht. Seit 2013 ruft die regierungsunmittelbare Stadt Peking zum Anbieten und Annehmen von Mitfahrgelegenheiten auf, und zwar in der hoheitlichen Verlautbarung „Meinung des Pekinger Verkehrsausschusses über die Mitfahrten mit Personenkraft). Der Zweck der wagen“ ( Verlautbarung liegt nicht im Regeln der Personenbeförderung an sich, etwa zum Schutze einer der beiden Vertragspartner oder zum Zwecke der Regelung des Wettbewerbs, sondern in der Umweltpolitik. Die Luftverschmutzung in Peking hat gegenwärtig dramatische Ausmaße angenommen und soll deshalb reduziert werden. Anlass für den Pekinger Aufruf ist die aus politischer Sicht unzureichende Auslastung der Personenkraftwagen während des Berufsverkehrs. Der Personentransport mittels privater Fahrzeuge in Peking liegt seit einigen Jahren bei rund 33 Prozent aller Verkehrsformen.30 Im morgendlichen Berufsverkehr sind mehr als 80 Prozent aller Fahrzeuge Pekings mit dem Fahrer als einzigem Fahrzeuginsassen bestückt.31 Mit der Erhöhung der Zahl der Mitfahrten soll die Zahl der nicht vollbesetzten Autos im Stadtverkehr reduziert werden. Die Verlautbarung des Pekinger Verkehrsausschusses aus dem Jahre 2013 heißt im Wortlaut: Meinung des Pekinger Verkehrsausschusses über die Mitfahrten mit Personenkraftwagen32 :
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An alle Abteilungen der Pekinger Regierung, gesellschaftliche Organisationen, kommunale Organisationen und professionelle Mitfahrorganisationen: Um die Luft sauber zu halten, um Energie zu sparen, um die Verkehrsstaus zu mindern, um die Fahrten von Stadtbürgern zu begünstigen, um die Mitfahrten mit Personenkraftwagen in dieser Stadt zu regeln, um die rechtlichen Interessen der Teilnehmer der Mitfahrten zu schützen, werden die folgende Meinungen geäußert:
Zhang Yifan (Fn. 20), 7. Wang Yong über das Ergebnis einer privaten Studie, im Radio „This is Beijing!“, Sendung „Carpooling gets legal support in Beijing“ v. 08. 01. 2014, http://beijing.china.org.cn/ 2014 – 01/08/content_31127702.htm. 32 (2013) 290 (Mitteilungen des Verkehrsamts Peking, 2013 Nr. 290), veröffentlicht in 2013, http://zfxxgk.beijing.gov.cn/columns/77/2/443622.html. Deutsche Übersetzung zusammen mit Li Lijing (Fn. 28). 31
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(1) Mitfahrt mit Personenkraftwagen bedeutet, dass mehrere Personen dieselbe Fahrtstrecke mit einem Auto, welches einem von ihnen gehört, fahren. Nach dem Kriterium, ob man die Kosten teilt, können die Mitfahrten in zwei Arten unterschieden werden; die unentgeltlichen und die individuell vereinbarten.33 Nach dem Kriterium des Fahrtziels können die Mitfahrten in drei Arten unterschieden werden; die Arbeitsfahrt34, die Fahrt in die Heimat während der Ferien35 und die Reisefahrt auf langen Strecken36.
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(2) Die Mitfahrt muss folgende Richtlinien einhalten: Vorrang der unentgeltlichen Fahrt, Freiwilligkeit, Bewahrung der rechtlichen Interessen, anständiges Mitfahrverhalten, Verbot rechtswidriger Mitfahrten; damit die Mitfahrt gesund entwickelt werden kann.
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(3) Der Verkehrsausschuss empfiehlt, dass die Fahrtstrecke, der Start- und der Zielort, die Haftpflicht [tragung] und die Kostenteilung von allen Teilnehmern in einer Mitfahrvereinbarung festgestellt werden und somit die Teilnehmer vor der Mitfahrt ihre Rechte und Pflichten zur Kenntnis nehmen. Die Teilnehmer sollen vor der Mitfahrt die Informationsüberprüfung durchführen, um eine anständige Mitfahrt und die Sicherheit der Fahrt zu gewährleisten. (4) Die Internetanbieter für Mitfahrten sollen die Fahrtinformationen, den Mitfahrvertrag in Textform, den Verlauf der Mitfahrt, die Möglichkeit des Vertragsabschlusses im Internet, die Bewertungen durch die Kunden im Internet zugänglich machen bzw. anbieten; damit die Mitfahrt der Stadtbürger gesteuert und gefördert wird.
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(5) Die Teilnehmer einer Arbeitsfahrt, einer Fahrt in die Heimat während der Ferien und einer Reisefahrt dürfen die Kosten für den Kraftstoff, den Strom, die Autobahngebühren37 in einem gerechten Verhältnis teilen.
Vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 deutsches PBefG. Fahrten zum Arbeitsplatz und wieder zurück. 35 Chinesen fahren insbesondere zum Neujahrsfest gerne zu ihren Familien, oft zig Kilometer weit. 36 Reisen i.S.d. chinesischen Reiserechts. 37 Engerer Kostenbegriff als in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 deutsches PBefG. 34
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Die verlautbarte „Meinung“ mit ihrer Untergliederung in Einleitung und Abschnitte ist im Hinblick auf den Aufbau und die Schreibweise an die Gesetzgebungstechnik angelehnt. Chinesische Gesetzesschreiber mögen es, die verwendeten Rechtsbegriffe zu definieren. Der Abschnitt 1 beginnt mit der Erörterung des Begriffs Mitfahrt. Es werden zweimal drei Arten von Mitfahrgelegenheiten genannt. Die nach dem Fahrtziel unterschiedenen drei Arten sind die Fahrten zum Arbeitsplatz, die Fahrten in die Heimat und die Fahrten zum Reisezielort. Alle drei können jeweils unentgeltlich oder „individuell“ vereinbart werden. Dies ergibt sechs Unterteilungen. Individuell bedeutet hier, dass die Mitfahrt gegen Kostenbeteiligung oder gegen eine sonstige Gegenleistung, etwa im Rahmen eines Tauschgeschäfts, angeboten werden kann. Die Gewinnerzielung ist nicht angesprochen. Der Pekinger Verkehrsausschuss dürfte sich die Kostendeckung als obere Grenze der Kostenbeteiligung vorgestellt haben. Denn in Abschnitt 2 ist der Vorrang der unentgeltlichen Fahrt genannt, und in Abschnitt 5 wird die Frage beantwortet, wie die gerechte Kostenteilung aussehen soll. Die Kosten sollen unter den Teilnehmern der Fahrt fair aufgeteilt werden, was heißt: Die Teilnehmer der Fahrt sollen im Verhältnis zueinander nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund ungleich behandelt werden. Die Abschnitte nehmen auf die zivilrechtlichen Grundprinzipien Gerechtigkeit (zwischen den Rechtssubjekten untereinander) und Freiwilligkeit (des Vertragsschlusses) Bezug.38 Genannt sind die Freiwilligkeit und die Bewahrung der rechtlichen Interessen (Abschnitt 2). Diese beiden Punkte sowie die in Abschnitt 3 empfohlene Kenntnisnahme der Vertragspartner von ihren jeweiligen Rechten und Pflichten machen deutlich, dass der Pekinger Verkehrsausschuss den Vertrag und nicht die von ihm verlautbarte „Meinung“ als Rechtsgrundlage ansieht. Erst der Vertrag, welcher in Abschnitt 4 ausdrücklich als solcher erwähnt wird, begründet Rechte und Pflichten.39 In Abschnitt 4 werden die Erwartungen an die Internetanbieter für Mitfahrten aufgeführt. Danach sollen diese zugunsten der Mitfahrer für Transparenz betreffend die Vertragsmodalitäten sorgen. Der Abschnitt betrifft nur die Verträge zwischen Anbieter und Mitfahrer, nicht auch zwischen Dienstleistungsvermittlern und Anbietern/ Fahrern oder zwischen Dienstleistungsvermittlern und Fahrgästen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und aus der Systematik. Anbieter für Mitfahrten sind nur die Unternehmer, welche die Beförderungen vornehmen. Und Abschnitt 4 steht noch vor der Regelung über die gerechte Kostenteilung. Würde sich die Pekinger „Meinung“ auch an Vermittlungsanbieter richten, würde eine solche Regelung weitere Begriffsbestimmungen hervorgerufen haben sowie erst im Anschluss an die die Fahrer-Fahrgast-Beziehungen regelnden Abschnitte stehen. 38 Zu den Grundprinzipien J. Binding/H. Zhang, in: J. Binding/K. B. Pißler/L. Xu, Chinesisches Zivil- und Wirtschaftsrecht (Frankfurt am Main 2015), 37 ff. 39 Vgl. Yan Linhai vom Pekinger Verkehrsausschuss im Radio „This is Beijing!“, Sendung „Carpooling gets legal support in Beijing“ v. 08. 01. 2014, http://beijing.china.org.cn/2014 – 01/ 08/content_31127702.htm (04. 01. 2016).
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Die „Meinung“ des Verkehrsausschusses ist kein formelles Gesetz. Denn sie ist keine „lokale Vorschrift“40 der Pekinger Stadtregierung, sondern Ausdruck einer behördlichen Erwartungshaltung, eine Art rechtliche Vorsorgemaßnahme der Verwaltung. Mit ihr wird auf den Vertrag als Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme subjektiver Rechte hingewiesen. Die Bedeutung des subjektiven Rechts in der VR China ist in der chinesischen Politik und Rechtswissenschaft ab 1977/197841, vornehmlich in der Zeit von 1984 bis 199142, diskutiert worden. An die Existenz des subjektiven Rechts wird durch die „Meinung“ des Verkehrsausschusses erinnert.43 Seit 1992/1993, der Zeit der „sozialistischen Marktwirtschaft“, stehen die Rechte (und Pflichten) der Bürger und der Unternehmen im Blickpunkt. Die „Meinung“ des Pekinger Verkehrsausschusses reiht sich in diese Entwicklung der VR China in Richtung eines gedeihlichen Rechtsstaates44 zugunsten aller chinesischen Bürger nahtlos ein. In das Jahr 1992/1993 fiel auch mein Shanghaijahr. Nach vier Monaten Aufenthalt entschied ich mich, einen Aufsatz über chinesisches Recht mit dem Augenmerk auf die Rechte und Pflichten zu schreiben. Ich schrieb an Professor Manthe einen Brief und erbat zwei Themenvorschläge. Die Antwort kam umgehend. Das erste Thema war ein „dogmatisches“ aus dem allgemeinen Zivilrecht und das zweite hieß „Das internationale Erbrecht der VR China“. Letzteres sagte mir zu, und ich besuchte fortan fast täglich die Hochschulbibliothek. Nach Deutschland zurückgekehrt, zeigte ich meine Ausführungen Professor Manthe mit der Bitte um Durchsicht und Verbesserungsvorschläge. Dessen zahlreiche Kommentare und Fragen erhielt ich nur wenige Tage später zurück. Formell beispielsweise sollte ich bei den Buchangaben in den Fußnoten noch jeweils den Ort des Verlages angeben. Die Jahreszahl reiche nicht. Ich dachte mir nur: „Der ist aber penibel!“ Und im Nachhinein: Am liebsten wäre es ihm wohl gewesen, wenn es schon damals in China die internationalen Buchnummern gegeben hätte … In den folgenden Monaten überreichte ich Professor Manthe alle paar Wochen meine jeweils aktualisierte Manuskriptversion. Auf weitere Hinweise und Fragen brauchte ich nicht lange warten. Professor Manthe ging es immer um die Genauigkeit des Inhalts und des Ausdrucks, stets um die Verbesserung des Manuskripts. Unermüdlich. Nach etwa sechs Updates war Professor Manthe
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B. Joos (Fn. 21), 89 f.; Bu Yuanshi, Einführung in das Recht Chinas (München 2009),
U. Manthe, Die Rechtsentwicklung Chinas im 20. Jahrhundert, in: Berliner China-Hefte 2002, 3, 15. 42 R. Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, 3. Aufl. (Hamburg 2006), 160 – 169, 173. 43 Vgl. die Fünfjahrespläne der VR China aus den Jahren 1986, 1991 und 1996 betreffend die öffentliche Propagierung von Gesetzesinhalten und Rechtsschutzmöglichkeiten; R. Heuser (Fn. 42), 183. 44 U. Manthe (Fn. 41), Berliner China-Hefte 2002, 3, 15 f. mit klarem Wort über das Funktionieren eines Rechtsstaates.
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zufrieden.45 Seine Unterstützung bedeutete für mich eine Schulung der besonderen Art – die Schärfung des Blicks auf die Detailgenauigkeit bei der Falllösung.
III. Internet Apps in Deutschland Eines der Geschäftsmodelle von Unternehmen besteht darin, die Zeiten des Wartens der Taxifahrer und der Mietwagenfahrer durch Internet Applications (Internet Apps) zu verkürzen. Unternehmen wie die Intelligent Apps GmbH bieten TaxiApps an, Unternehmen wie Uber Technologies Inc. mit einer niederländischen Tochtergesellschaft boten Mietwagen-Apps an. Es gibt auch Vermittlungsdienste für Mitfahrgelegenheiten, z. B. von der WunderCar Mobility Solutions GmbH. 1. Taxi-Apps Die an die Taxifahrer über eine Taxi-App gerichteten Angebote sind, sofern der Taxifahrer bei der Inrechnungstellung die gesetzlich vorgesehenen Beförderungsentgelte verlangt (§§ 51 Abs. 5, 39 Abs. 3 PBefG), zulässig. Vertragstyp (im Verhältnis zwischen dem Betreiber der Taxi-App und dem Taxiunternehmen) ist der Auftragsvermittlungsvertrag.46 Ein rechtliches Problem im Zusammenhang mit der Funktionsweise der Software ist in Deutschland noch nicht akut geworden. Es betrifft den Ablauf des Vertragsschlusses und die in Deutschland bestehende Beförderungspflicht. Die Beförderungspflicht beginnt spätestens mit dem Einsteigen des Fahrgasts in das Taxi (konkludente Willenserklärung). Zu diesem Zeitpunkt kennt der Taxifahrer den gewünschten Zielort innerhalb des Pflichtfahrgebiets gemeinhin noch nicht. Beim Einsatz von Internet-Apps kann die Software zum einen so eingestellt sein, dass der Fahrgast/Interessent eine Suchanfrage verschickt (invitatio ad offerendum), welche einen Taxifahrer animiert, ein Vertragsangebot abzugeben, welches der Fahrgast annimmt, und dass die Software erst im Anschluss hieran die Daten wie den Standort des Fahrgastes an den Fahrer weitergibt.47 In diesem Fall bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Software kann zum anderen aber so eingestellt sein, dass der Fahrgast nicht bloß eine Suchanfrage, sondern sogleich ein verbindliches, an einen bestimmten, im Display symbolisch angezeigten Taxifahrer gerichtetes Angebot mitsamt den Daten Standort, Startort und Zielort übermittelt. In diesem Fall verstößt der kontaktierte Taxifahrer gegen die Beförderungspflicht, sofern er das Angebot nicht annimmt. Wegen des Kontrahierungszwangs (s. o.) müsste der Vertrag nämlich 45
Jahrbuch für Ostrecht (JOR) 1994, 279 ff. OLG Stuttgart, Urt. v. 19. 11. 2015 – 2 U 88/15, openJur 2015, 21306; A. Ingold, Gelegenheitsverkehr oder neue Verkehrsgelegenheiten?, NJW 2014, 3334, 3335. 47 So wohl Ziffer I Abs. 2 Satz 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen Fahrgäste v. 15. 05. 2013, https://de.mytaxi.com/agb-datenschutz.html#AGB Fahrgäste (04. 01. 2016). 46
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durch die Annahme des Antrags zustande kommen (§ 151 BGB), sofern die Fahrt innerhalb des Geltungsbereichs stattfinden soll (§ 47 Abs. 4 PBefG). Das wirksame Angebot erfordert hier die Übermittlung insbesondere des Zielorts. Die Zielortangabe markiert die Fahrtstrecke und den Vertragsinhalt. Auch die Feststellung, ob die Beförderungspflicht besteht oder nicht (Geltungsbereich), lässt sich erst nach Erlangung der Kenntnis vom Zielort treffen. Die App-Technologie bewirkt, dass die räumliche Distanz zwischen dem Fahrgast und Fahrer aufgelöst wird. Die Rechtslage richtet sich nach den Vorschriften des BGB i.V.m. § 47 Abs. 4 PBefG. Im Sinne dieser muss die Software eingestellt sein. 2. Mietwagen-Apps Die Angebote, die bisher an die Mietwagenfahrer gerichtet wurden, waren wegen Verstoßes gegen § 49 Abs. 4 Sätze 2, 3 und 5 PBefG unzulässig. Die Vermittlung von Beförderungsaufträgen an Mietwagenunternehmer im Wege der Direktkommunikation mit den Fahrern bewirkt, dass die Mietwagenfahrer die Beförderungsaufträge nicht am Betriebssitz, sondern im Fahrzeug annehmen und dass sie ihre Pflicht zur Rückkehr zum Betriebssitz nicht erfüllen wollen.48 Zudem bewirkt die Direktkommunikation, dass die Mietwagenunternehmer sich in einer Weise Beförderungsaufträge vermitteln (lassen), welche geeignet ist, mit der Vermittlung von Beförderungsaufträgen an Taxiunternehmer verwechselt zu werden.49 Mietwagen-Apps sind zulässig, sofern sie die Direktkommunikation mit den Unternehmern am Betriebssitz statt mit den Fahrern ermöglichen (§ 49 Abs. 4 Satz 2 PBefG). Die Unternehmer müssten dann ihre Fahrer selbst kontaktieren (§ 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG). 3. Mitfahr-Apps Die Angebote, die an die gegebenenfalls mit Wiederholungsabsicht agierenden Mitfahrgelegenheitsanbieter gerichtet sind, sind zulässig, sofern das Gesamtentgelt die Betriebskosten der Fahrt nicht übersteigt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PBefG). Andernfalls fehlt den Anbietern in der Praxis die nötige Konzession (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 PBefG).
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Z. B. OVG Hamburg, Beschl. v. 24. 09. 2014 – 3 Bs 175/14, NJW 2014, 3389 f.; LG Berlin, Urt. v. 11. 04. 2014 – 15 O 43/14, GRUR-Prax 2014, 289; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10. 04. 2015 – 1 S 96.14, openJur 2015, 8411. 49 A. Ingold (Fn. 46), NJW 2014, 3334, 3337. Normadressaten des § 49 PBefG sind allein die Unternehmer, nicht die Vermittler. Die Vermittler aber könnten eine Ordnungswidrigkeit nach §§ 61 Abs. 1 Nr. 3 lit. g, 49 Abs. 4 Satz 5 PBefG als Gehilfe begehen; vgl. wiederum BGH, Beschl. v. 23. 04. 1963 – 1 StR 447/62, DÖV 1963, 698 ff.; BVerfG, Beschl. v. 07. 04. 1964 – 1 BvL 12/63, BVerfGE 17, 306 ff. = NJW 1964, 1219 f.; BGH, Urt. v. 09. 06. 1964 – 1 StR 447/62, JurionRS 1964, 10960.
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IV. Internet Apps in der VR China ), Taxi-Apps werden von der Beijing Xiaoju Keji Co. Ltd. (Didi Dache, ), der Beijing Oriental Informader Didi Kuaidi Co. Ltd. (Kuaidi Dache, tion Technology Co. Ltd. (Yidao Yongche, ) und anderen Unternehmen angeboten. Vor allem diejenigen Geschäftsmodelle finden unter den chinesischen Taxifahrern Resonanz, welche eine App-Software einsetzen, mittels welcher die Fahrgäste, welche ein Taxi bestellen wollen, vorab gefragt werden, wie viele Yuan Trinkgeld diese dem Taxifahrer geben wollen. Die Trinkgeldhöhe wird den Fahrern zusammen mit der Suchanfrage angezeigt. Wer mehr Trinkgeld zu zahlen bereit ist, erhält die erfolgreiche Vermittlung naturgemäß eher. Neben dem Trinkgeld steht auch der Spaß an der Kommunikation im Vordergrund. Die digitale Kommunikation vertreibt dem Taxifahrer die Langeweile im Berufsalltag; er wird gefordert, schnell zu reagieren. Wenn er dem „passenden“ Fahrgast den Auftrag zusagt, winken ein höheres Trinkgeld und/oder die ihm genehme Fahrtstrecke. Der Vorteil der Wartezeitverkürzung motiviert chinesische Taxifahrer weniger; die Nachfrage nach Taxi-Dienstleistung bleibt selten längere Zeit aus. Auch die Mietwagen-Apps werden reichlich genutzt.50 1. Taxi-Apps Die an die Taxifahrer gerichteten Angebote der Vermittlungsdienstleister via Internet-Apps sind zulässig. Der Vertrag über die Vermittlungsdienstleistung ist ein Dienstleistungsvertrag.51 Es gibt kein Gesetz wie § 47 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 PBefG, welches die Vertragsautonomie beschränkt. a) Zielortregelung de lege lata? Die in China zum Einsatz kommende App-Technik fordert den Besteller (Fahrgast) dazu auf, den gewünschten Startort und den gewünschten Zielort in das Kontaktformular einzugeben. Die Taxifahrer können im Anschluss hieran beide Orte im Display sehen, bevor sie den Fahrauftrag annehmen. Dies kann für den Besteller den Nachteil haben, dass der Fahrer den Auftrag wegen des Zielorts nicht annimmt – sei es, weil die Fahrtstrecke zu kurz und somit nicht lukrativ ist, sei es, weil der Zielort am Ende der Arbeitszeit in der aus Sicht des Fahrers falschen Richtung liegt. Weil in China eine Beförderungspflicht nicht gilt, gibt es insoweit keine Bedenken. Die Informationstechnik hat die lokalen Gesetzgeber (Pekinger Verkehrsausschuss, Shanghaier Verkehrsausschuss usw.) gleichwohl dazu bewogen, über 50 Vgl. China Car Rental Industry Report 2015, in: wallstreet online v. 23. 06. 2015, http:// www.wallstreet-online.de/nachricht/7753869-china-rental-industry-report-2015 (04. 01. 2016). 51 B. Joos (Fn. 21), 161 f.
Mitfahrgelegenheit in Peking – Gelegenheitsverkehr-Apps im Recht
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eine Gesetzesänderung nachzudenken52, und zwar zugunsten des Datenschutzes des Bestellers im Wege eines Verbots, den gewünschten Zielort als Verkehrsdatum zu erheben. Denn einigen App-Nutzern nutzte die App-Technik nichts. Sie wurden wegen ihres Zielorts nicht vermittelt. Andererseits aber hat das Fortbestehen der Erhebung und Weitergabe des Datums Zielort auch Vorteile. Erstens: Der Fahrer, der am Ende seiner Arbeitszeit angekommen ist, wird gegebenenfalls noch einen Fahrgast mitnehmen wollen, der einen auf dem Heimweg liegenden Zielort angegeben hat. Auf diese Weise wird die Zahl der erfolgreich zustande gekommenen Fahrten zunehmen (vgl. das mit der „Meinung“ des Pekinger Verkehrsausschusses zu den Mitfahrgelegenheiten verfolgte Ziel der Reduzierung der Anzahl nicht voll besetzter Fahrzeuge). Zweitens: Gleiches gilt für einen Fahrer, der sich verpflichtet hat, einen bestimmten Fahrgast (Stammkunden) zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abzuholen. Auch hier kann er unter Umständen schnell noch eine passende Beförderungsfahrt einschieben. Drittens: Der Fahrer hat bereits auf dem Weg zum Startort des Fahrgastes die Möglichkeit, die Staumeldungen für die vom Kunden gewünschte Fahrstrecke abzufragen mit der Folge, dass auf diese Weise unnötige Stauzeiten vermieden werden können. Wegen dieser Vorteile kam es bisher noch nicht zu einer gesetzlichen Regelung. Ob es zu einer solchen kommen wird, bleibt abzuwarten. Wegen der fehlenden Beförderungspflicht haben die lokalen Gesetzgeber einen erheblichen Gestaltungsspielraum. b) Trinkgeldregelung de lege lata? Die Kenntnis des Taxifahrers vom angekündigten Trinkgeld dürfte dazu führen, dass von denjenigen Fahrgästen, die kein oder kein hohes Trinkgeld versprechen, viele leer ausgehen und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sein werden. Dadurch wird der von der Verwaltung festgelegte Taxitarif in der Praxis ein Stück weit unterlaufen werden. Rechtlich sehen die chinesischen Gesetzgeber allerdings noch keinen Handlungsbedarf. c) Vertragsschlussregelung de lege lata? Pekinger Taxifahrer hielten im Dezember 2015 einem Softwarehersteller vor, dass dessen Software die Nachfrager (Fahrgäste) den Anbietern (Fahrern) nicht fair, zumindest nicht nachvollziehbar zuteile.53 Bei großer Nachfrage nach Taxidienstleistungen sieht jeder Taxifahrer in seinem Display nur und gleichzeitig ei52 C. Custer, Controversy as Shanghai plans to ban taxi apps that show rider’s destination, in: Tech in Asia (Online) v. 21. 10. 2014, https://www.techinasia.com/controversy-shanghaiplans-ban-taxi-apps-show-riders-destination (04. 01. 2016). 53 Sperrung der Zentrale von Didi: Was haben Vertreter der Taxifahrer mit Didi gespro: ), in: Xinhuanet ( ) v. chen? ( 12. 12. 2015, http://news.xinhuanet.com/info/2015 – 12/12/c_134908709.htm (04. 01. 2016); vgl. die Fairness in Abschnitt 5 der Pekinger „Meinung“ zu den Mitfahrgelegenheiten.
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nige (z. B. zehn) der in seiner Nähe eingetippten Auftragsangebote.54 Damit stellen sich die folgenden Fragen: Leitet die Software die Bestellungen der Fahrgäste in Echtzeit an alle registrierten Taxifahrer gleichzeitig weiter? Nach welchen technischen Kriterien (z. B. Radius) sortiert die Software registrierte Taxifahrer aus? In welcher Reihenfolge, in welchen Zeitintervallen geschieht dies? Was passiert, wenn mehrere Taxifahrer ein bestimmtes Angebot zum selben Zeitpunkt annehmen (wollen)? Nach welchem Kriterium entscheidet dann der „Zufall“ darüber, welchem dieser Taxifahrer der Vertragsschluss ermöglicht wird? Entscheidet ein jeder Softwarehersteller selbst hierüber? Oder erscheint eine gesetzliche Regelung sinnvoll? Wie eine erste gesetzliche Regelung in Peking entstehen würde, mag man erahnen: Zunächst könnte der Pekinger Verkehrsausschuss eine „Meinung“ wie zum Thema Mitfahrgelegenheiten verkünden. Mit ihr könnten die Internetanbieter für Vermittlungsdienstleistungen dazu aufgerufen sein, die Funktionsweise ihrer Software zu erläutern, ihren Vermittlungsvertrag in Textform sowie gegebenenfalls noch weitere Informationen im Internet öffentlich zugänglich zu machen (s. o. Abschnitt 4.). Auch könnte die Regelung einzuhaltende Richtlinien aufführen (s. o. Abschnitt 2.), etwa zur Ermöglichung des gleichberechtigten Zugangs zu den Suchanfragen oder Auftragsangeboten, und zur Datensparsamkeit (Trinkgeld und Zielort) aufrufen. Sodann könnte der Verkehrsausschuss die Reaktionen aller Beteiligten abwarten und schließlich entscheiden, ob und welche „lokale Vorschrift“ nötig erscheint. 2. Mietwagen-Apps Mietwagen-Apps sind zulässig. Die Fragen zur Funktionsweise der Software zum Zeitpunkt vor und während des Vertragsschlusses stellen sich auch hier. 3. Mitfahr-Apps Mitfahr-Apps sind ebenso zulässig. Abschnitt 4 der „Meinung des Pekinger Verkehrsausschusses über die Mitfahrten mit Personenkraftwagen“ regelt weder das Ob noch das Wie der Vermittlungsdienstleistungen. Da sich die technischen Fragen betreffend die App-Software bei allen Formen des Gelegenheitsverkehrs stellen, empfiehlt sich eine nationale gesetzliche Regelung, etwa in den „Allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts“ (AGZ) oder in einem Personenbeförderungsgesetz.
54 Beispiel unter V. Tan, Taxi! Hitching a Ride With Help From China’s Top Cab-Booking App, in: Tech in Asia (Online) v. 28. 06. 2013, https://www.techinasia.com/beijing-didi-dachetaxi-finder-app (04. 01. 2016).
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V. Ergebnis und Ausblick 1. Der Rechtsvergleich zwischen beiden Staaten sieht in Bezug auf die Unterschiede tabellarisch wie folgt aus: Deutschland
VR China
Vertragstyp Taxi
Werkvertrag (hM)
Dienstleistungsvertrag (Transportvertrag)
Auftragsannahme des Taxiunternehmers nur am Betriebssitz, am Taxistand oder während der Fahrt
Ja (hM)
nein (sondern überall)
Bereithalten eines Taxis nur am Taxistand Pflicht
ja (hM)
nein (sondern überall)
Beförderungspflicht (Auftragsannahmepflicht) des Taxifahrers nach erfolgter Bestellung
ja (somit nur Suchanfrage, nicht schon Angebot des Fahrgastes via App, damit nicht die Beförderungspflicht ausgelöst wird)
nein (Angebotsannahme aber gesellschaftlich erwartet)
Vertragstyp Mietwagen
Werkvertrag (hM)
Dienstleistungsvertrag (Transportvertrag)
Auftragsannahme des Mietwagenunternehmers nur am Betriebssitz
ja (somit nicht, z. B. per Internet-App, im Fahrzeug)
nein (sondern überall)
Rückkehrpflicht Mietwagen
ja
nein
Vertragstyp Mitfahrgelegenheit
Werkvertrag (hM)
Dienstleistungsvertrag (Vermittlungsdienstleistungsvertrag)
Gesetzesvorschrift de lege lata bzgl. Internet App (Vertragsschluss)
nicht nötig, sofern der Mietwagenverkehr im Verhältnis zum Taxiverkehr eine Verkehrsform „zweiter Klasse“ bleiben soll
bisher keine, jedoch sinnvoll auf nationaler Ebene
Der chinesische Gesetzgeber reglementiert den Taxiverkehr weniger als der deutsche. Er verzichtet auf die gesetzliche Beförderungspflicht der Taxifahrer und vertraut auf die Bereitschaft der Unternehmer, (fast) jeden Fahrgast zu befördern. Behördlich zugelassene Taxihalteplätze gibt es entweder gar nicht oder aber, wie in Peking, als behördliche Maßnahme zur Unterstützung des Taxigewerbes. Wegen der relativ großen Vertragsfreiheit im Bereich Gelegenheitsverkehr ruft lediglich die
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App-Technik die Frage nach einer gesetzlichen Regelung betreffend die Vermittlungsdienstleistungen hervor (Vertragsschluss, Datenschutz). 2. Der deutsche Gesetzgeber sollte die chinesische Gesetzeslage zum Anlass nehmen, über die Sinnhaftigkeit der Beförderungspflicht der Taxiunternehmer sowie der von der Rechtsprechung angenommenen Pflicht zum Bereithalten der Taxen nur auf Taxihalteplätzen zu reflektieren. Es geht auch ohne. Weiterhin könnte auch der Mietwagenverkehr freier gestaltet werden. Der Rückkehrpflicht bedarf es nicht. 3. Der Gesetzgeber in Peking ruft zur Nutzung von Mitfahrgelegenheiten auf und zeigt damit, dass er sich des Themas Luftverschmutzung annimmt. Auch der deutsche Gesetzgeber sollte weiter in Richtung Schutz vor Luftverschmutzung nachdenken. Optionen sind die Benutzung der Überholspur nur mit Personenkraftwagen mit mindestens zwei Insassen, die Benutzung bestimmter Straßen nur mit Elektroautos, die Förderung des Verkehrs mit Obussen. 4. Die Lebenssachverhalte in Deutschland und in der VR China sind teilweise verschieden, was zwangsläufig zu unterschiedlichen Herausforderungen und Rechtsvorschriften führt. Gleichwohl sollte in Deutschland das Motto lauten: Was können wir von China lernen? Auf diese Richtung des Blicks hatte vor Jahren schon Professor Manthe hingewiesen: „In manchen Bereichen ist uns China voraus: Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und von ehelichen und nichtehelichen Kindern ist in China seit 52 Jahren Gesetz, während sie hier in zahlreichen zermürbenden Einzelschritten verfassungsgerichtlich erkämpft werden musste; … Deutschland und China …; beide Seiten können viel voneinander lernen.“55 Intelligente Lösungen lassen sich häufig durch Rechtsvergleichung erzielen, sowohl durch einen horizontalen Vergleich (z. B. mit China) als auch durch einen vertikalen Vergleich (z. B. mit dem alten Rom).
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U. Manthe (Fn. 41), Berliner China-Hefte 2002, 3, 16.