Ist die Hoffnung auf ein Wiedersehen nach dem Tode christlich?: Ein Friedhofsgespräch [Reprint 2021 ed.] 9783112406908, 9783112406892


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Ist die Hoffnung auf ein Wiedersehen nach dem Tode christlich?: Ein Friedhofsgespräch [Reprint 2021 ed.]
 9783112406908, 9783112406892

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Ist dir Hoffnung auf rin Wiedersehen

nach dem Tode christlich?

Ein FriedhoftlgrsxrSch von

Lie. Johannes Jüngst, Pfarrer.

I. Ricker'sche Verlagsbuchhandlung 1899;

Sehr wenige Schriften religiösen und selbst eschatologischen

Inhalts behandeln oder streifen auch nur die Hoffnung auf ein Wiedersehen nach dem Tode und ihre christliche Berechtigung. Diese eigentümliche Erscheinung ist ein sprechendes Zeichen dafür, wie sehr die Theologie stellenweise noch immer die im christlichen Volksleben wirksamen religiösen Triebkräfte verkennt und an breiten Grundstrümungen religiösen Empfindens achtlos vorübergeht. Eine solche ist offenbar die Hoffnung auf das

Wiedersehen.

Dieselbe ist je nach

der Herzensstellung und

Eigenart bei den Einzelnen sehr verschieden. Von einem ver­ schwommenen Empfinden steigt sie auf bis zur Glut innigster Sehnsucht. Aber an allgemeiner Verbreitung im christlichen Volk kommt dieser Hoffnung kaum eine andere fromme Em-

pfindung gleich. Ebenso ist aber auch die Frage nach der christlichen Berechtigung dieser Hoffnung weit verbreitet. Ich habe sie bei Ehristen verschiedenster Schattierung angetroffen. Dabei fand ich zwar überall ebensogut solche, die sie mit „Nein", wie auch solche, die sie mit „Ja" beantworteten, habe mich

aber doch über die verhältnismäßige Häufigkeit des

„Nein"

gewundert. Und zwar wurde in der Regel dabei gesagt, daß imrd) die Wiedersehenshoffnung die Reinheit des Christentums

gefährdet werde. Indem die Betreffenden den Christenglauben rein darzustellen nnd mit ihrn vollen Ernst zu machen be­ haupteten, erachteten sie das Wiedersehen in der Ewigkeit für gleichgiltig und wertlos und die Hoffnung auf dasselbe geradezu für unchristlich, wollten darum auch, daß keine Grabrede mehr

dieser Hoffnung Erwähnung thue.

Nachfolgendes Gespräch ist der schriftstellerische Niederschlag einer Reihe von wirklich gehaltenen Gesprächen. In demselben

führt ein Vertreter der bezeichneten Anschauung alle Gründe an, die für sie sprechen können. Aus seinen und seines freund­ schaftlichen Gegners Gedanken wird der Fachmann die Be­ ziehungen auf die theologischen Erörterungen der Gegenwart

sofort erkennen. Aber ich hoffe herzlich, daß Beide, Karl und Ernst, verständlich genug reden, um auch nachdenkenden Gemeinde­ gliedern zu größerer Klarheit und Gewißheit zu verhelfen über einen Gegenstand, der ihnen zweifellos am Herzen liegt. Dies auch zur Rechffertigung der Halrung und des Tons des Ge­ sprächs. Es ist Karl und Ernst zu thun um die Klarheit ihrer christlichen Erkenntnis, nicht um die — vielleicht unklare — Erbaulichkeit ihrer Worte. Endlich noch Eins: Ich bin mir wohl bewußt, daß unsere Erkenntnis, namenllich über das Jenseits, Stückwerk ist und bleibt, daß wir bis zu einem gewissen Grade stets im Bilde reden, im Spiegel in einem dunkeln Wort schauen, daß unser Denken nicht heranreicht an das, was an uns soll geoffenbart werden. Sollte nun trotzdem jemand der Ansicht sein, daß ich die Grenzpfähle unserer Erkenntnis und Schlußkraft zu weit auf unsicheres Gebiet hinausgeschoben hätte, so sei er freundlich daran erinnert, daß seine eigene theoretische Absteckung des Gebiets menschlichen Denkvermögens schließlich doch auch nur menschlichen Erwägungen folgt und in der Praxis von ihm

selbst vielleicht nicht so ganz strenge innegehalten wird. Denn, wie P. D. Chantepie de la Saussaye sagt, „wenn unser Geist eine Einheit ist, so ist es weder zulässig noch möglich, den

Verkehr zwischen Wissen und Glauben zu untersagen".

St. Johannisberg bei Kirn a. d. Nahe, Ostern 1899.

I.

Ein kleiner Leichenzug ist's heute nur. Es handelt sich ja „nur" um einen jungen, unbekannten Handwerker. Vor Kurzem war er mit seiner Mutter, die ihm den Haushalt führte, aus einem weltfremden Dörfchen in die Stadt gezogen. Ein

Erkältungsfieber hatte ihn rasch dahingerafft.

Außer einigen

Nachbarn und Bekannten geht „nur" eine Mutter mit zum Grabe. Der Pfarrer spricht auf dem Friedhofe vom Schmerz der Trennung, vom Weh des Todes, vom Verfall irdischer Kraft. Er spricht aber auch tröstlich von unserer herrlichen Christenhoffnnng, von neuem, seligem Leben, das aus der Verwesung dieses Leibes erblühen soll. Er spricht von Wieder­ sehen und unvergänglicher Gottesfreude in der Ewigkeit. Er mahnt zur Treue iiü Christenglauben, damit wir den in Christo

Entschlafenen einst nachfolgen können zum besseren Dasein. Die Erdschollen rollen auf den Sarg. Bald wird sich ein grüner Hügel über ihm wölben. Es ist vorüber. Die Leidtragenden zerstreuen sich.

Aber aus dem schwarzen Trupp lösen sich zuerst zwei junge Leute ab, die zusammen gestanden hatten. „Komm, Ernst", sagt der eine, „wir wollen noch ein wenig auf dem großen Friedhofe spazieren gehen, das heißt,

wenn dn Zeit hast". „Warum nicht?

Zeit

habe ich schon",

antwortet der

andere. „Schöner läßt sich jedenfalls hier in der sandigen Umgebung kein Spaziergang finden, als unter diesen Kastanien und zwischen den alten Cypressen auf den Gräbern. Nicht wahr, Karl, deshalb gehst du auch wohl mit Vorliebe hierher?"

6 Karl: Nun ja, man denkt hier außerdem über so mancherlei nach. Doch wie kamst du dazu, mit dieser Leiche

zu gehen? Ernst: Ich kannte den jungen Mann. Er ist aus meinem Heimatdorf. Als ich vor einem halben Jahr hier die Haus­

lehrerstelle annahm, traf ich ihn zufällig auf der Straße, habe ihn auch einmal besucht. Seine Mutter ist eine liebe, fromme Frau.

Aber warum gingst du denn mit zur Beerdigung?

Karl:

Nun,

der Pfarrer, bei dem ich Lehrvikar bin,

übertrug mir wegen Ueberbürdung die Krankenbesuche bei dem jungen Mann. Ich muß auch sagen, daß mir bei Mutter und Sohn der ernste, religiöse Sinn ausnehmend gefiel. Ernst: Leider wußte

ich nichts von seiner Krankheit, einmal aufgesucht. Ich will

sonst hätte auch ich ihn noch

wenigstens ihr nächster Tage einen Beileidsbesuch machen. Karl: Das wird ihr wohlthun. Du kannst ihr auch ein tröstendes Wort sagen. In solchen Fällen verlangt auch ein im Glauben stehender Mensch nach Zuspruch und Stärkung; denn so selbständig in unserm Glauben werden wir doch kaum,

daß wir solcher Stärkung durch liebevollen Zuspruch jederzeit entraten könnten. Ernst: Deshalb habe ich mich auch für die Mutter über die schöne Grabrede herzlich gefreut. Die Worte waren erhebend. Karl: Hm, die Grabrede? — Nun ja, sie war schön. Ernst: Jetzt um Alles in der Welt kritisiere nicht. Ich selbst habe mich auch erbaut. Oder was hast du auszusetzen? Karl: Es fällt mir gar nicht ein, die Rede als Rede zu tadeln. Du weißt doch auch aus unserer gemeinsamen Studien­ zeit, daß du selbst immer viel rezensionslustiger warst, als ich.

Was mir an der Rede nicht gefiel, betrifft einen einzelnen Gedanken.

Ernst: Und das wäre? Karl: Nun, du hörtest doch, wie er die Angehörigen auf das Wiedersehen in der Ewigkeit hinwies. Ernst: Ja, aber was soll das?

7 Karl: Das war es, was mir nicht gefiel. Ernst: Ich bitte dich, gerade mit das Schönste in

der

ganzen Rede! Aber wärmn gefiel es dir nicht? Karl: Das Schönste ist

nicht immer das Beste.

Thu'

doch nicht so, als verständest du mich nicht. Ernst: Diesmal bin ich wirklich

unschuldig.

Ich weiß

Ich glaube aber, daß die Angehörigen

nicht, was du meinst.

gerade diese Gedanken recht trostreich und erbaulich fanden. Karl: O, daran zweifle ich nicht. Ich muß mich, scheint's,

Ist denn das etwa der Inhalt unserer

deutlicher ausdrücken.

Christenhoffnung, daß wir unsere Angehörigen in der Ewigkeit

wiederfinden und für immer mit ihnen vereinigt werden sollen? Ich meine,

als Christen kennen wir etwas Höheres, Besseres.

Ernst: Ach so, jetzt verstehe ich.

Du meinst, der Gedanke

an das Wiedersehen lieber Menschen in der Ewigkeit wäre an sich noch nichts Christliches, unb wir sollten daher am Grabe

nur von der Seligkeit des vollkonunenen Schauens Gottes und der Vereinigung mit unserm Haupt Christus reden?

Karl: Ganz recht, und deshalb kann ich Grabreden nicht leiden, welche die Wiedervereinigung mit den Lieben so un­

endlich rührend ausmalen. die

allein

von

diesem

eigentlich Christliche in

Ich habe schon Grabreden gehört,

kümmerlichen Gedanken

die armen Angehörigen gingen „getröstet" daß

man

Das

wurde einfach unterdrückt, unterschlagen,

einem Gewässer rührseliger Ausmalungen

nicht,

lebten.

ihnen,

wenn

auch

ertränkt.

Und

heim und merkten

keinen

Stein,

so

doch

Schwamm anstatt des Lebensbrotes geboten hatte.

Ernst: Nun, von der Rede, die du soeben gehört hast, wirst du das doch nicht sagen können. Karl: Das thue ich auch nicht.

durch

Weglassung

dieses

Gedankens

Ich finde aber, daß sie

an

Christlichkeit

nichts

eingebüßt hätte. Ernst: Du bist ja heute entsetzlich streng. Karl: Nicht heute nur.

zeugung geworden.

Der Gedanke ist mir zur Ueber­

8 Ernst: Laß mich mal überlegen. Ganz Unrecht hast du nicht. Es ist wirklich eine üble Sache bei Grabreden, daß die christliche Hoffnung zuweilen nur in der Form des Gedankens an ein Wiedersehen auftritt.

Uebrigens wirst du zugeben, daß

dieser Gedanke nicht nur in Grabreden vorkommt, sondern daß dies vielfach bei unseren Gemeindegliedern die Form ist, in die sich überhaupt der Glaube an ein ewiges Leben kleidet. Karl: Sehr gern gebe ich das zu, und diese Thatsache ist wohl oft der Grund, weshalb diese Gedanken in Grabreden

eine so große Rolle spielen.

Es ist weiter nichts, als eine

Anbequemung des Christenglaubens an populäre Vorstellungen, an die Wünsche des natürlichen Menschen, und die christliche Hoffnung, ja das Christentum selbst wird dadurch geradezu entleert, entwürdigt, seines religiösen Wertes beraubt.

Ernst: Du gebrauchst starke Ausdrücke. Karl: Nicht zu starke. Was ist Hoffnung auf ein Wiedersehen? Doch natürlichen Herzens, religiös nicht mehr ein in die Ferne gereistes Familienglied

denn überhaupt die nur ein Wunsch des wert, als der Wunsch, wiederzusehen. Hier

erhält der seiner ganzen Natur nach rein irdische Wunsch nur deshalb eine religiöse Färbung, weil der Tod dazwischen tritt.

Darum bleibt doch der Wunsch nach Art und Wert derselbe, nur die Scenerie wechselt. Das Wiedersehen wird einfach in den Himmel verlegt.

Ernst: Wenn ein Mensch sich durch die Sehnsucht nach den entschlafenen Lieben veranlaßt fühlt, nach dem Himmelreich zu streben, so bin ich ihm darum nicht gram; das gehört doch mit zu den Mitteln, die Gott gebraucht, um uns zum Glauben zu führen. Ich freue mich vielmehr, wenn irgendwie ein Mensch

bewogen wird, nach dem Ewigen zu trachten.

Karl: Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen, Steht aber immer noch schief darum,

Denn das ist kein Christentum.

Ich möchte dich in der «That bitten, den Fragepunkt nicht zu

9 verschieben.

Es fycmbelt sich nur darum, ob die Hoffnung auf

ein Wiedersehen selbst christlich ist, nicht darum, ob sie möglicher­ weise bei einem Menscher: den Glauben bewirken kann. Und christ­

Dem: ein Christ läßt, vor Allem

lich ist diese Hoffnung nicht.

im Angesicht des Todes,

alle

fahre:: und fragt

Nebendinge

einzig und allein nach dem Seelenheil, und zwar bei sich selbst ebensogut wie bei Andern.

Das Seelenheil finden wir aber

für dieses wie für jenes Leber: für uns und

allein in

für Andere ganz

der Gemeinschaft Gottes rmd Christi.

Als Christen

muß es ur:s r:ur darauf ar:kornmen, daß wir und daß unsere Lieben

gerettet

daß

werden,

unsere

Seele

zu

Gott

kommt.

Gegenüber dieser ungeheuren Thatsache sind doch Sonderwünsche nach einen: Wiedersehen blos kleinliche Dinge; die sollen wir

getrost beiseite schiebe::,

weil sie uns von dem Einen, das not

thut, abhalten und unsern Geist auf Wünsche des natürlichen

Menschen ablenken, die doch mit der einen großen Sache nichts zu thur: haben, ja uns in ihr nur stören.

Denn wenn irgend­

wo, dann gilt es hier, daß Alles, was nicht aus dem Glauben heraus gethan,

gesprochen oder gedacht wird,

uns von Gott nur trennt.

Sünde

ist und

Mußt du das nicht zugeben?

Ernst: Ich habe, um es offen zu gestehen, den Eindruck,

als hättest du deinen Verstand auf Kosten deines Gemüts aus­ gebildet.

Tas klingt ja alles sehr „entschieden" christlich. Aber

denke nur an die arme Mutter heute.

Schmerz den Trost

wehren,

daß

Willst du ihr in ihren:

es ein Wiedersehen

in der

Ewigkeit giebt? Was du sagst, ist doch gar zu hart und schroff, es ist so wenig menschlich gedacht, es ist sogar — nimm mir den Ausdruck nicht übel — inhuman, rein unmenschlich.

Karl:

Du bringst unbewußt die Sache gleich auf die

richtige Formel, wenn du hier das Christliche zu dem Mensch­ lichen in Gegensatz stellst.

Unmenschlich?

Allerdings,

das ist

diese Anschauung, aber in: Sinne, wie Jesus einst zu Petrus

sagte: „Du :neinest nicht, was göttlich, sondern was menschlich

ist". Matth. 16, 23.

Das rein Humane, das Menschliche kann

allerdings zu dem Göttlichen in Gegensatz treten.

10

Ernst: Kann,

aber muß nicht,

am allerwenigsten hier.

Sprachst du denn nicht selbst von unserm christlichen Interesse, unsere Lieben ewig gerettet zu sehen?

Das

heißt doch wohl,

sie vor Gottes Thron wiederzusehen?

Karl:

aber

Ganz recht,

dann

eben

nehmen wir

ein

christliches, nicht ein bloßes persönlich menschliches Interesse an

In Bezug auf unser Interesse an ihrem Seelenheil

ihnen.

stehen sie nn§ nicht näher, als jeder andere Mensch auch, denn die eine,

christliche Liebe,

die

allen Menschen geholfen wissen

will, die sind wir allen Menschen in gleicher Weise

schuldig.

Ernst: Die nächste Folgerung wäre dann wohl die, daß wir am Seelenheil unserer nächsten Lieben

nicht mehr Anteil

nehmen dürften, als an dem eines Negers in Afrika.

Karl: Das leugne ich gar nicht.

Dafür allerdings, daß

solche umfassende christliche Liebe nicht Gemeingut wird, scheint mir gesorgt zu sein.

Ernst:

Mir auch,

denn zum Glück widerstrebt doch die

menschliche Natur einer derartigen christlich scheinenden Gleichmacherei.

Röm.

9

Ich

ersten

dich

in

den

an

der Bekehrung

Interesse

und

erinnere

zwar

mit

den

Versen

stärksten

den

an

offen

seiner

Paulus,

Apostel

sein

ganz

Volksgenossen Und

Ausdrücken.

der

besonderes kundgiebt,

denke

an

1. Timoth. 3, wonach ein Bischof zuallererst sein eigenes Weib

und seine Kinder, dann erst die ferner Stehenden seelsorgerlich behandeln soll.

Karl: An der Timotheusstelle soll Ersteres nur den Prüf­ stein dafür abgeben, ob er Letzteres kann. im

Ernst auf den Apostel

Paulus

Wenn du dich aber

berufst,

dann frage ich:

Wo redet er irgend von der Freude des Wiedersehens in der

Ewigkeit?

Ueberall ist nur die Rede davon, daß

und seine Gemeinden wünscht,

Sogar

1. Thessal. 4,

13

bis

er für sich

mit Christus vereinigt zu sein.

18,

wo

er

die Thessalonicher

wegen des Schicksals ihrer Entschlafenen beruhigt, sagt er nur, daß wir bei dem Herrn allezeit sein werden.

Damit sollen

11

sie sich unter einander trösten. Und das allein ist wirklicher Christentrost. Ernst: Aber darin ist das Wiedersehen in der Ewigkeit von selbst eingeschlossen. Karl: Gesagt ist das aber nirgends. Jesus selbst spricht, daß Familienbande in der Ewigkeit nicht fortbestehen werden, wenn er den Sadduzäern entgegenhält, im Himmel würde man nicht freien und sich freien lassen, sondern wie die Engel Gottes sein, Matth. 22, 30. Ernst: Erlaube, diese Stelle kannst du nicht für dich in Beschlag nehmen. Denn dort ist nur davon die Rede, daß die leibliche, eheliche Gemeinschaft im Himmelreich nicht statt­ haben werde, weil es eine geistige Daseinsweise sein wird. Karl: Gerade deshalb aber können die doch immerhin fleischlichen Bande irdischer Blutsverwandtschaft im Himmel nicht fortbestehen. Ernst: Ja, wenn es eben nur Bande des Fleisches und Blutes sind, welche Ehegatten, Eltern, Kinder und Geschwister unter einander verbinden. Aber es schlingt sieh um sie meist mit Notwendigkeit auch ein geistiges Band. Es ist doch zu bedenken, wie stark schon burcl) das Zusammenleben, durch Ver­ erbung und gleiche Erziehung die geistige und geistliche Eigen­ art der Verwandten ähnlich gestaltet wird und gemeinsame Eigentümlichkeiten erhält. Karl: Hier auf Erden ganz gewiß. Aber in der Ewig­ keit, wo das Stückwerk und Unvollkommene aufhört — Ernst: Und wo die Liebe nimmer aufhört, 1. Kor. 13, sieh dir nur hier links den Grabstein an — Karl: An der Stelle redet Paulus im Zusammenhang nur von christlicher, nicht von Familienliebe, was auf dem Grabstein vergessen ist zu sagen. Ich behaupte, daß es für Christen in der Ewigkeit nur eine Freude und e i n e Seligkeit giebt, nämlich bei dem Herrn zu sein, und darnach hat sich unser Christentum hier auf Erden zu richten, und darnach

12 haben

sich unsere Grabreden

zu richten, wenn sie

wirklich

christliche Grabreden sein wollen.

Ernst: Huh, Huh! Wie bläst du kalt, Herr Wind! Es liegt wirklich etwas Kaltes, Schroffes, vielleicht weniger in deiner Anschauung selbst, als in der Art, wie du sie vertrittst,

auch wo du von Himmelsfreude redest.

Aber erlaube mir eine

Frage: Hältst du es überhaupt für möglich, daß irdische Be­ kannte und Verwandte sich im Hinunel wiedererkennen?

Karl: Darüber erlaube ich mir kein Urteil und mache mir darüber auch keine Sorgen. Ich stelle es Gott anheim. Mein Christenglaube sagt darüber gar nichts aus. nicht zum Christentum.

Es gehört

Ernst: Jedenfalls aber wirst du zugeben, daß in

dem

Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus ein Wieder-

erkennen in der Ewigkeit einfach vorausgesetzt wird. Karl: Das ist eben blos ein Gleichnis. Man kann nicht bei einem Gleichnis jeden einzelnen Zug künstlich allegorisch ausdeuten und noch weniger aus einem jeden einzelnen Zug

Folgerungen für die Glaubenslehre ziehen. Ernst: Da hast bii Recht, aber dieses Gleichnis setzt doch,

unbefangen betrachtet, bei Jesus selbst die Anschamlng voraus, daß das Wiedererkennen in der Ewigkeit selbstverständlich sei. Darüber dürften die Erklärer doch heute einig sein. Denke nur, wie er auch sonst vorn Schauen der Patriarchen im Himmel redet, Matth. 8, 11; Luk. 13, 28. Und ebenso zeigt die Verklärungsgeschichte, in der die Jünger den Moses und Elias gleich erkennen, uns die Wiedersehenshoffnung als neutestamentlich begründet, Mark. 9, 5. Karl: Nun ja; aber das Seelenheil weder des Lazarus noch das meine hängt davon ab, ob ich irgend einen Bekannten oder Verwandten in der Ewigkeit wieder!ehe und erkenne, sondern von etwas ganz Anderem. Ein solches Wiedersehen gehört nun einmal nicht zum Christenglauben. Ernst: So? Ich behaupte vielmehr, daß du unbewußt die Grundlage der christlichen Hoffnung selbst angreifst, nämlich

13

die Unsterblichkeit der einzelnen Seele, und zwar gerade dadurch, daß bu das rein Christliche so genau aus der Ewigkeitshoffnung aussondern willst. Karl: Das wäre mir beim doch merkwürdig. Ernst: Und doch ist es wahr.

Vorhin hatte ich an deiner

Auffassung der christlichen Liebe schon die Gleichmacherei auszusetzen. Christus will doch auf Erden die bestehende natürlich menschliche Ordnung der Familie nicht aufheben durch eine allgemeine Liebe —

Karl: Das habe ich auch nicht gesagt. Ernst: — sondern sie heiligen und verklären.

Karl: Ganz einverstanden. Ernst: Und doch dehnst du deine Gleichmacherei sogar bis in den Himmel aus. Karl: Wieso? Ernst: Nun, wenn du in deinem Christenglauben so sehr die Gleichheit aller Seligen in ihrem Verhältnis zu Christus

betonst, wenn du sogar den Unterschied der Persönlichkeiten, der Individualitäten und Charaktere im Blick auf jenen Zustand als etwas Unvollkommenes oder gar als etwas endlich ganz Verschwindendes betrachtest, wenn du dazu das Wiedererkennen in der Ewigkeit als mindestens zweifelhaft hinstellst, es jedenfalls

nicht mit zu den notwendigsten Bestandteilen

der christlichen

dann leugnest du einfach

die individuelle

Hoffnung rechnest, Unsterblichkeit.

Karl: Oho! Da mache ich denn doch ein Fragezeichen. Ernst: Keine Sorge, daß ich dich falsch verstanden hätte! Du thust es gewiß nicht in dem pantheistischen Sinne, daß

des Menschen Geist nach seinem Tode etwa in Gott aufgehe oder im All zerfließe oder was derartige verschwomniene Vor­ stellungen mehr sind, bei denen ich unwillkürlich immer an eine Qualle denken muß, die aus dem Wasser genommen einem in der Hand zerrinnt und sich in Schleim auflöst. Aber viel besser ist deine Anschauung auch nicht.

Denn wenn

du dir

den Hinnnel mit lauter so gleichartigen Wesen bevölkert denkst.

14 bei denen dermaßen

die Unterschiede

verschwinden,

daß sie

einander noch nicht einmal wiedererkennen, dann schwindet auch jede Identität und Kontinuität, jeder Zusammenhang der

Persönlichkeit, die doch, meine ich, auf Erden und im Himmel

trotz aller Veränderung dieselbe bleiben soll — denn, um den Fall gleich auf dich anzuwenden, woher willst du dann über­ haupt wissen, ob es wirklich noch dein eigenes Ich ist, das nach deinem Tode weiter besteht? — und dann hast du im Himmel

selbst nur Atome, nur — fast möchte ich sagen — einander völlig gleiche mechanische Automaten statt lebendiger Indivi­ Was ist das für ein Himmel! Neulich machtest du mich ja noch selbst bei dem Schaufenster einer Kunsthand­ lung auf ein Bild mit einer Darstellung der himmlischen Herr­

dualitäten.

lichkeit aufmerksam, wo der betreffende schwache Künstler den Thron Gottes von lauter Engeln und Seligen umschweben ließ, die in Gesicht imb Haltung einander glichen wie ein Ei dem andern, fast wie die Figuren eins dem egyptischen Bild einer Bogenschützenlinie. Damals verglichst du noch diese Dar­ stellung mit dem berühmten „Jüngsten Gericht" von Michelangelo. Heute scheint es mir allerdings, als hätte jener Nichtkünstler besser deinen Geschmack getroffen. Karl: Du übertreibst.

E r n st: Ich ziehe nur die Folgerungen aus deinen Worten vorhin.

Beweise mir, daß sie unrichtig sind.

Karl: Ich muß nnch erst in die Art deiner Anschauungen hineinfinden. Du offenbarst ja eine äußerst konkrete, imi nicht

zu sagen massive Denkweise. Ernst: Es schadet gar nichts, zuweilen dem Professoren­

deutsch zu entsagen schauung zu reden.

und die Sprache des Lebens,

der An­

Karl: Nun, anschaulich war deine Automatenversammlung, das nnch man dir lassen. Ernst: Ich bezweifle nicht, daß du gleich einem Professor der Dogmatik dieselbe Sache gleich sehr wissenschaftlich und abstrakt

15

ausdrücken könntest, um sie dann sehr folgerichtig und annehm-

bar zu finden.

Karl: Also „die religiöse Vorstellung zum philosophischen

Begriff erheben?"

Ernst: Wir wollen bei der Sache bleiben, denn unsere Frage ist allgemeiner Art und von theologischer Bildung und Richtung unabhängig. — Ich behaupte also, daß ohne den Glauben an ein Wiedererkennen in der Ewigkeit der Zusammen­ hang der Persönlichkeit imb damit überhaupt der Glaube an

eine individuelle Unsterblichkeit aufgehoben wird.

Also gehört

der Glaube an ein Wiedererkennen durchaus mit zur christlichen Heilshoffnung, gehört daher auch in eine christliche Grabrede hinein. Karl: Das bestreite ich. Zunächst wenn ich deiner Ansicht nach das rein Ehristliche zu scharf der allgemeinen Ewig­ keitshoffnung aussondern soll, so kann ich dir entgegenhalten, daß du es in einer solchen allgemein verwäschst. Ernst: Gar nicht — aber nur weiter! Karl: Nun so gebrauche auch nicht immer den abstrakten Ausdruck „Unsterblichkeit" statt des biblischen Begriffs „ewiges Leben". Du weißt recht gilt, daß die Unsterblichkeit nur an

einer Stelle, 1. Timoth. 6, 16, und zwar md)t als Eigenschaft des Menschen, sondern Gottes erwähnt wird. Ernst: Denke doch an 1. Kor. 15, 53 imb 54.

Karl: Nun ja, aber du wirst selber sagen, daß nicht der negative Begriff der Unsterblichkeit, sondern nur der positive Ausdruck „ewiges Leben" uns voll das Heilsgut der christlichen

Hoffnung darstellt. Ernst: Ganz sicher.

Aber bitte auch Röm. 2, 7 zu be­

achten, wo Paulus die Unvergänglichkeit an sich mindestens als hohes Gut betrachtet, während zugleich im achten Kapitel unsere Knechtschaft unter das vergängliche Wesen, unter der wir mit

der ganzen

Schöpfung

seufzen,

ihm physisch ebensogut wie

moralisch als größtes Uebel erscheint.

16

Karl: Gehört nicht hierher. Aber du wirst weiter zugeben, daß ewiges Leben im biblischen Vollsinn ganz allein von unserm Verhältnis zu Christus abhängt, daß also durch unser

Einssein mit Christus und nicht durch unser Wiedererkennen

von Angehörigen uns das ewige Leben verbürgt ist, also auch

nicht durch bloßes Weiterbestehen unserer Persönlichkeit nach beni Tode, daß demnach der Glaube an ein Wiedersehen in der

Ewigkeit keineswegs zum Heilsglauben, zum Einssein mit Christus, gehört, also auch kein Stück rein christlicher Heils­

hoffnung ist. Ernst: Aber, lieber Freund, was mischst du da in wunder­ licher Weise Richtiges und Falsches! Wenn and) thatsächlich unsere ewige Seligkeit nur von unserm Verhältnis zu Christus abhängt, so ist doch das ewige Leben nur denkbar unter Vor­

aussetzung des meinetwegen abstrakt philosophischen, meinetwegen auch metaphysischen —

Karl: Aha, Metaphysik statt seligmachenden Heilsglaubens! Eine kalte Theorie vom Uebersinnlichen statt religiöser Herzens­ wärme! Und was denkrichtig ist, muß auch wirklich sein! Gut,

daß du selber zuerst den Ausdruck brauchst! Weiter! Ernst: Höre einmal, ist nicht auch der biblische Gedanke

des ewigen Lebens objektiv betrachtet ein metaphysischer? Karl: Er ist aber nicht ein metaphysisches, ein logisches, sondern ein religiöses Erfordernis und

gehört deshalb zum

Heilsglauben. Er stellt mein Verhältnis zu Christus dar und sichert es zugleich gegen den Gedanken des Todes, 1. Kor. 15,19. Denn allein in der Gewißheit der Thatsache, daß ich mit Christus verbunden bin, in dem unendlichen Wert dieser Thatsache habe

ich auch die Zuversicht, daß dieses Band mit meinem Tode nicht zerrissen wird, daß ich mich ewig seiner Gerneinschaft erfreuen darf. Ernst: Mit diesen Worten giebst tm selber zu, daß der biblische Begriff des ewigen Lebens kein einfacher ist, sondern

zwei verschiedene Gedanken in sich schließt, einerseits dein persönliches Verhältnis zu Christus, seinen Wert und seine Kraft

17 für dich, anderseits dein Fortbestehen nach dem Tode.

Diese

beiden Gedanken sind allerdings in dem biblischen Begriff des ewigen Lebens so verbunden, daß dein Fortbestehen nach dem Tode dir nur von deinem Verhältnis zu Christus seine Beleuch­

tung empfängt, nur durch dieses dir wertvoll erscheint, eben als eine im Jenseits erfolgende vollkonunene Fortsetzung dieses Verhältnisses. Karl: Und darum eben verzichte ich darauf, irgend einen

Begriff von Unsterblichkeit aus meiner Vernunft herauszuspinnen

und ihn dann auf mein Verhältnis zu Christus anzuwenden

oder ihm blos äußerlich anzuhängen. Ernst: Ich Mächte nicht darauf verzichten, das Wechsel­ verhältnis der beiden im Begriff des „ewigen Lebens" ent­ haltenen Gedanken auch von der andern Seite aus zu betrachten, zumal beide Gedanken an sich nicht von einander untrennbar sind. Denn es giebt Menschen genug, die nichts gegen persönliche Unsterblichkeit einzuwenden haben, die aber von Christus nichts wissen wollen, und anderseits giebt es auch solche, die einen Christus für dieses Leben haben wollen, dabei aber die persönliche Fortdauer nach denl Tode als zweifelhaft betrachten. Karl: Nun, dann zeige deine Kehrseite der Betrachtung. Ernst: Ich finde Folgendes: Wenn du soeben sagtest,

der Begriff des ewigen Lebens sichere dein Verhältnis zu Christus gegen den Gedanken an den Tod, so thut das doch in letzter Linie nur der metaphysische Gedanke der persönlichen Unsterb­ lichkeit, der in dem Begriff des ewigen Lebens enthalten ist, und er allein macht den biblischen Begriff des ewigen Lebens überhaupt erst möglich. Um ein bekanntlich „allein sicheres"

und sicherndes Werturteil würd sich's dabei doch allemal handeln. Denn wenn die Fortdauer nach dein Tode für dich nur durch deinen Glauben an Christus Wert gewinnt, so gewinnt dein

Verhältnis zu Christus doch durch die persönliche Fortdauer

erst Bestand. — Uebrigens hattest du mich unterbrochen. Ich freue mich zwar, daß du vorhin die Denkrichtigkeit bei mir anerkanntest.

Dann laß mich aber wenigstens meine Schluß-

18 kette ganz entwickeln, um darauf ihre Denkrichtigkeit im Ganzen

zu prüfen. Karl: Gern. Also du hast das Wort.

ich:

Dann sage

Ernst:

Vollbegriff des

Der biblische

ewigen Lebens setzt erst voraus oder schließt in sich den zwar

nach

dir

abstrakt

metaphysischen,

jedoch

Wirklichkeit

in

der

Religion entsprungenen —

Karl: Nicht der christlichen Religion — Gleichviel! — den der Religion,

Ernst:

der

geistlichen

und sittlichen Selbstbehauptung des Menschen gegen den Tod entsprungenen Gedanken

Fortdauer.

der

der

Unsterblichkeit,

aber wäre undenkbar,

Letztere

persönlichen

wenn

den

durch

Uebergang aus dieser in jene Welt die individuelle Persönlich­

keit so sehr

verwischt

würde,

ein

daß

gegenseitiges Wieder-

erkennen irdischer Verwandten unmöglich wäre. verschwände

überhaupt die Grundbedingung für

®cim damit

geistige

die

Identität und den Zusammenhang der Persönlichkeit,

immlid)

die Erinnerung. — Denn das Lethetrinken, denke ich, wollen

wir für jenes Leben den alten Heiden und

den

Neubuddhisten

überlassen. — Also

für

dieses Leben

ist der

Gedanke des

Wiedererkennens nötig für den der persönlichen Fortdauer, die

persönliche Fortdauer aber für

Leben im christlichen Sinne.

den Glauben

an

ewiges

ein

Demnach ist für Glauben an das

ewige Leben auch der Gedanke des Wiedererkennens nötig; er ist in dem Glauben an das ewige Leben einfach enthalten, und

weil letzterer den Inhalt der christlick)en Hoffnung darstellt, er ein Teil oder eine notwendige Voraussetzung derselben.

meine, dieser Schluß wäre klar.

ist

Ick)

Du kannst das ruhig zugeben.

Dein Heilsglaube erleidet dadurch gewiß ebensowenig Sck)aden

wie der meine.

Karl: Du willst scheint's mit der Logik den Himmel erstürmen.

Das Himmelreich leidet mal wieder Gewalt von der

Metaphysik.

Im Uebrigen gebe

rick)tig folgerst.

An und für sich

ick)

dir

habe ich

erkennen in der Ewigkeit auch nicht

willig

aber

geleugnet.

zu,

daß

du

ein WiederAllein

wenn

19

du da so wunderschön metaphysizierst von einem Wiedersehen mit den Lieben, das in der christlichen Heilshoffnung schon enthalten sei, so beweisest du das wohl metaphysisch für den Inhalt dieser Hoffnung, aber — und hier wird deine Logik wohl scheitern — du kannst nicht beweisen, daß auch das Hoffen auf eilt Wiedersehen als religiöses Gefühl des Menschen christlich sei. Und gerade darauf kommt mir's an. Ernst: Wieso? Ich dachte, das wäre mit ersterem einfach gegeben und selbstverständlich. Karl: Durchaus nicht, denn wenn du noch so fein säuberlich logisch oder metaphysisch den Begriff des Wiedersehens dein des ewigen Lebens in der Gemeinschaft Christi einordnest, der ersteren in sich schließe, so werden doch im praktischen religiösen Leben die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den Lieben und die Hoffnung auf völlige Vereinigung mit Christus einander gleichgestellt. Erstere Hoffnung bildet dann nicht einen Teil der letzteren, sondern steht selbständig neben ihr. Du hoffst dann mit einem Wort nicht, daß mit deinem Eingehen zum Leben auch das Wiedersehen mit den Lieben gegeben sei, sondern du stellst dir im Himmel — um die Sache einmal in deiner Weise kraß auszudrücken — einerseits Christus, anderseits neben ihm deine Lieben vor. Dann ist aber einem Herzen, das mn den Verlust eines Familiengliedes trauert, das Wieder­ sehen mit demselben nicht mehr Nebensache, nicht bloße Begleit­ erscheinung des eigenen Hingangs zu Christus, sondern es wird leicht zur Hauptsache, oder es teilt sich wenigstens ganz sicher das Verlangen des Herzens zwischen die Vereinigung mit Christus und mit den Lieben, und so weit letztere Sehnsucht im Herzen sowohl wie in der Grabrede Raum hat, so viel Gebiet ist dem Trachten beziehungsweise dein Hinweis nach dem ewigen Leben, nach der reinen Gemeinschaft Christi entzogen. Du siehst also, daß ich doch nicht ohne Grund die Christlichkeit dieser Wiedersehenshoffnung anfocht. Ernst: Ich sehe nur, daß ich gegen solche Anschauungen mit dem Vorwurf inhumanen Denkens Recht hatte.

20 Karl: bedeutet.

Du weißt,

weshalb mir dieser Vorwurf wenig

Ernst: Er sollte dir mehr bedeuten im Hinblick auf die

Möglichkeit mib den Erfolg deiner Amtswirksamkeit,

die dich

auch am Grabe mit den Trauernden trauern unb hoffen heißt. Karl: Kann ich bei meiner Anschauung nicht menschlich

mittrauern? Doch wohl sicher.

Aber möge meine Amtsthätig­

keit lieber erfolglos bleiben, als daß sie durch humane Ver­

waschung des Christentums sogenannte „Erfolge" erringt. Ernst: Ich stelle es dir frei, durch geschickt angebrachte Gänsefüßchen an dem Wort Erfolg noch mehr zu deuteln. Du wirst scharf, fühlst dich also getroffen. Das lese ich gang deut­ lich in deiner Seele.

Karl: Und deine Seelsorge will mich vom Christentum zur Humanität bekehren? Ernst: Ob nicht für manche Christen und besonders Theo­ logen viel Wahrheit in dem Satze liegt, daß die Christen erst einmal Menschen werden sollen? Aber wir wollen unsere Sache nicht fallen lassen. Hindert dich etwa deine Liebe zu noch lebenden Verwandten an deiner Liebe zu Christus? Karl: Du meinst, daß die Liebe zu ihm sich auch nicht

durch die Liebe oder die Sehnsucht nach den entschlafenen An­ gehörigen stören zu lassen brauchte. Aber eine gewisse Pflege irdischer Beziehungen kann in der That unser Verhältnis zu Gott stören. Man redet doch nicht umsonst von der Abgötterei in mancher Gatten- und Elternliebe. Und wie sehr diese Ab­ götterei auch mit Entschlafenen bis zu förmlichem Totenkultus getrieben wird, dafür giebt es traurige Beispiele. Ernst: Das sind mögliche, aber nicht notwendige Aus­

artungen. Auswüchse giebt es auch auf der andern Seite. Denke an Ibsens „Brand", wo Pastor Brand vor lauter Christentum seiner Frau die Thränen um ihren entschlafenen Liebling verbietet, während Jesus um Lazarus Thränen ver­

gießt. Du wirst aber gerade so gut wie ich schon fromme Christen getroffen haben, bei denen doch ein lebhaftes Gefühl

21 der Sehnsucht nach den entschlafenen Angehörigen bestand. —

Der Dichter Chr. F. D. Schubart hat sogar ein besonderes Kirchenlied verfaßt, das beginnt: Der Trennung Schmerz liegt schwer auf mir. Er behandelt darin die Frage, ob wir unsre Teilern wiederfinden werden.

Karl: Ich weiß, ich weiß. Das ist ja wohl das Lied, in bcm der schöne Vers vorkomlnt: Der Frellnd sieht seine Freunde dann An Gottes Throne wieder; Die Gattin trifft den Gatten an. Der Bruder seine Brüder. Die Mlltter sieht, umarmt ihr Kind, Denn alle frommen Seelen sind In Gottes Stadt beisammen. Ernst: Dir gefällt die etwas rührselige Ausmalung des Wiedersehens tu dem Liede nicht. Nun, mir auch nicht. Man nierkt bei Schubart eben den Einfluß der sentimentalen Litteratur­

periode des vorigen Jahrhllnderts, in der er lebte. Aber lvenn diese Eigenart des Dichters uns Beiden nicht paßt, so dürfen wir doch die Wiedersehenshoffnung selbst es nicht entgelten lassen, daß er unsern Geschmack nicht getroffen hat. Karl: Der Mann ist aber in seiner Art ganz folgerichtig mit solcher Auslnalung. Wenn man die Wiedersehenshoffnung überhaupt für wichtig mit) notwendig hält, wird man nicht

umhin können, auch derartige Schilderungen zu entwerfen.

So

etwas wäre bei meiner Anschauung doch unmöglich. Ernst: Meinst du wirklich? Ist denn nicht, wer weiß wie oft, der Glaube an Jesus selbst und auch die Sehnsucht, mit ihln vereinigt zu werden, in weichlichen, in weibischen

Tönen ausgesprochen und besungen worden? Geschieht es nicht vielfach noch heute? Wenn du um einzelner sentimentaler Schilderungerr willen die Wiedersehenshoffnung selbst verwerfen

willst, nun, es giebt Leute genug, die vom ganzen Christentum nichts lvissen wollen, inbein sie sagen, „das fromme Gewinsel" sei ihnen unerträglich.

Sieh, die nehmen auch allerhand bloße

22 Geschmacklosigkeiten in der Ausdrucksweise einzelner Christen

zum Vorwand, um den christlichen Glauben selbst herabzusetzen, genau so, wie du es jetzt mit der Wiedersehenshoffnung machst.

Ich traue dir allerdings nicht zu, daß du ernsthaft solche seichte Oberflächlichkeit zürn Muster nehmen könntest. Karl: Gewiß nicht, aber zeige mir nur die Möglichkeit,

bei der Wiedersehenshoffnung solche Geschmacksverirrungen zu vermeiden. Allein es giebt wohl nicht viele Lieder, in denen diese Hoffnung vorkommt. Ernst: O doch,

sogar eine ziemliche Menge, und der

größte Teil derselben zeigt, daß die Widersehenshoffnung solche

Rührseligkeiten gar nicht nötig macht, so z. B. das Grablied

von Joh. Heermann: Ach Gott, ich muß in Traurigkeit, das

er auf den Tod einer Gattin gedichtet hat.

Da heißt es:

O wie mit großer Freudigkeit Woll'n wir einander kennen, Da wird uns dann zu keiner Zeit

Der bittre Tod mehr trennen. Ach welche Freude wird dann sein, Wenn ich dich, die ich jetzt bewein'. Mit Freuden werd' umfangen! Und Samuel Dietrich singt in dem Lied: O Gott, wie

wird mein Geist entzückt: Gott, welche Schaar ist dort vereint!

Die Frommen, die ich hier beweint, Die find' ich droben wieder. Wilhelm Hülsemann, in bein Lied: Das ist mein Trost, Herr Jesu Christ, sagt: Wenn auch die Liebe um mich bat,

Ich muß doch endlich scheiden; Doch folget auf die Thränensaat

Die Ernte ew'ger Freuden. Was sich verband Durch deine Hand, Kann ewig sich nicht trennen;

23 Du wirst uns einst, Wenn du erscheinst, Vereint bei Namen nennen. Es giebt noch mehr solcher Lieder. Sogar

aus der alten

lateinischen Kirche klingt uns das Zeugnis herüber in dem Lied:

Jam moesta quiesce querela von Prudentius, wo es in der

Übersetzung lautet: Da scheiden nicht bittere Schmerzen Die heilig verbundenen Herzen. Was hier noch die Liebe beweinet, Ihr droben verkläret erscheinet.

Sieh da, ein ganzer Chor von Stimmen aus der christlichen Gemeinde! Sie sollten uns mindestens zum Nachdenken bringen, ehe wir solche Hoffnung für unchristlich erklären. Karl: Das weiß ich auch und sagte es schon, daß dieses Hoffen weit verbreitet ist. Aber wenn es auf die Meinung der Mehrheit ankäme, wo bliebe die Wahrheit? Und um eine

Landschaft kennen zu lernen, soll man, meine ich, nicht die Niederungen, sondern die Gipfel der Berge als Orientierungs­

punkte benutzen. Alle, die du da nennst, mögen gewiß fromme Leute sein, allein es konnnt mir vor, als gehörten sie doch sozusagen mehr den breiten Niederungen als den Höhen des

religiösen Lebens an. Ernst: Wenn du in religiösen Dingen gern Höhenluft atmest, kann ich dich auf Luther Hinweisen. Auch er spricht einmal3) freudig von seinem Glauben an ein baldiges Wieder­ sehen, weil, wie er sich ausdrückt, der Abschied von diesem Leben vor Gott viel geringer sei, als ob er von den Seinen aus Wittenberg gen Mansfeld, oder ob jene von ihm aus Wittenberg dorthin zögen. Erinnere dich ferner an den Bericht von Justus Jonas über Luthers letzte Lebensstunden in Eis­ leben. Ta hat Luther sich „des Abends in der großen Stube auf seinem Stuhle an den Tisch gesetzt, und viel wichtige Worte

Walch, X, 2109.

24 vom Tode und vom zukünftigen Leben geredet.

Unter anderem

gedachte er dieser Frage: ob wir in jener seligen und ewigen

Versammlung auch einander kennen würden? Und da wir fleißig baten des Berichts, da sprach er: wie that Adam? Er hatte Eva nie gesehen, lag da und schlief; als er aber auf­ wachte,

da sagte er nicht: wo kommst du her? was bist du?

sondern: das Fleisch ist von meinem Fleische.

Woher ivußte

er, daß das Weib nicht

aus einem Stein gesprungen sei? Daher, daß er des heiligen Geistes voll und in wahrhaftigem Erkenntnis Gottes war. Zu diesem Erkenntnis und Bild

werden wir in jenem Leben wiederum in Christo erneuet, daß wir Vater und Mutter und uns untereinander kennen werden oon Angesicht, besser denn wie Adam und Eva". Wie fromm, wie zart, und doch zugleich wie gewaltig in seiner Glaubenszuversicht

spricht Lrrther hier. Ich meine, du müßtest das fühlen. Und solche Worte der Hoffnung sollten dem christlichen Empfinden widerstreiten? Nimmermehr! Karl: Ich verstehe dich vollkommen, wenn dich hier die

eigentümliche packende Darstellung Luthers anzieht. Es zeugt gewiß von der noch im Alter frischsprudelnden Lebendigkeit und Kraft seines Geistes, wenn er in dieser, wie ich gestehe, prächtigen Weise die Art, wie Adam fein Weib erkennt, zum Vergleich heranzieht, um die göttliche, die intuitive Unmittel­ barkeit eines Wiedererkennens im Himmel uns so kräftig vor

die Seele zu führen. Und ich fühle ja auch in seinen Worten den frommen, starken, christlichen Geist, der ihn überhaupt beseelt. Aber du weißt ebenso genau wie ich, wie sehr er in seinem Denken doch manchmal blos populären Anschauungen folgt. Denke nur an seine Vorstellungen vom Teufel. Sollte

hier nicht etwas Aehnliches vorliegen? Eins ist auf alle Fälle sicher: Will man die Sehnsucht nach einem Wiedersehen selbst schon deshalb für christlich ausgeben, weil auch Luther und andere fromme Menschen sie hegen, so heißt das denn doch aus der Not eine Tugend machen. — Und dann, du redest immer nur vom Wiedersehen im Himmel.

Das thut allerdings der

25 „natürliche

Mensch",

dein

das

Jndenhimmelkommen

mit

allgemeiner Wiedersehensfreude bekanntlich von vorn herein selbstverständlich und eine ausgemachte Sache ist. Aber es giebt doch auch eine andere Möglichkeit.

Ernst: Nämlich in die Verdammnis oder in die Hölle zu kommen, um deutlich zu reden. Nun, da denke noch einmal an das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus. An und für sich geht uns doch diese Doppelmöglichkeit hier nichts arr; denn der weitere Begriff der persönliche:: Fortdauer nach dein Tode sowie auch das Wiedererkennen schließt beide Möglichkeiten, ewiges Leben und ewige Verdarnnmis, in sich

ein.

Ebenso braucht uns die Frage nach etwaiger Enderlösung

auch der Verdammten hier nicht zu kümmern, denn wir sprechen hier von der Wiedersehenshoffnung als einem Teil unserer Heilshoffnung, also unter Voraussetzung des Glaubens auf Seiten des Abgeschiedenen und der Zurückgebliebenen. Karl: Ich möchte dir doch einmal auf deinen spekulativen Pfaden folgen und dich an Richard Rothe erinnern, den du ja so hoch stellst. Nicht wahr, der hält doch bis zu einem gewissen Grade das ewige Leber: und die individuelle Fortdauer nach dem Tode für dasselbe? Denn er macht die persönliche Fort­ dauer geradezu von der Gewinnung eines christlichen Charakters abhängig, von der geistigen Aneignung und Bewältigung der materiellen Natur durch die Vernunft, das heißt doch schließlich in unserer Sprache ausgedrückt: von unserm persönlichen Ver­

hältnis zu Christus. Er meint ja, daß die Gottlosen nach dem Tode als persönliche Existenzen endlich aufgelöst und ver­ nichtet würden. Wie stellt sich denn deine Wiedersehenshoffnung zu dieser Annahme?

Ernst: Sie wird vor: dieser Annahme wiederum gar nicht berührt. Denn wenn man auch die persönliche Fortdauer von dem Verhältnis zu Christus :u:d der Gewinnung ewigen Lebens abhängig rnacht, so bleibt doch der Gedanke persönlicher Fort­

dauer begrifflich die notwendige Voraussetzung für die Mög­ lichkeit des Begriffs des ewigen Lebens bei Rothe wie in der

26 Bibel, und von dem Begriff der persönlichen Fortdauer läßt sich der Gedanke des Wiedererkennens eben nicht trennen. — Aber

wenn du einmal mit Rothe im Hinblick auf das Leben nach den: Tode die Ausbildung eines christlichen Charakters als be­ deutungsvoll ansehen willst, dann frage ich dich: Wie bildet sich denn ein christlicher Charakter? Doch nicht allein dadurch,

daß man persönlich nur für sich in ein Verhältnis 311 Christus tritt, sondern die ganze Fülle der Segnungen Christi kommt in einem Menschen nur dadurch zur Entfaltung, daß er persön­ liche Liebesgemeinschaft mit Andern pflegt.

Hier erst wird er

eine wahrhaft christliche Individualität, ein christlicher Charakter,

wenn er

gebend und nehmend, anregend und sich

anregen

lassend, von seinen nächsten Bülts- und sonstigen Freunden verschieden und doch mit ihnen von einem Geist beseelt, in Bethätigung aller Lebenskräfte, als Mitglied einer Haus- oder Freundschaftsgemeinde zugleich ein Glied an Christus als an deren Haupt darstellt. Soll denn in der Ewigkeit diese höchste Entfaltung christlichen Wesens aufhören, das Einssein mit unsern seligen Angehörigen in Christus? Karl: Habe ich das gesagt? Aber wenn, um wieder ein­ mal Möglichkeiten für die Ewigkeit aufzustellen, ich sage wenn

Blutsverwandte oder Freunde sich auch im Jenseits, in der obern Gemeinde zusammen als Glieder an einem Haupt fühlen, so thun sie es in ihrer Eigenschaft als Christi Glieder, nicht als Blutsverwandte. Also freuen wir un§ in dem Falle hier nicht darauf, irdische Beziehungen, die der Tod unterbrochen hat, dort wieder anzuknüpfen, sondern himmlische Beziehungen fortzusetzen, zu erweitern, zu vertiefen und auf sämtliche Glieder des Gottesreichs auszudehnen. Ernst: Sehr schön! Aber was sind himmlische Bezieh­

ungen auf Erden, die einst ihre Fortsetzung finden sollen? Sind dies vielleicht blos neue Beziehungen, die etwa durch ein Additionsexempel zu den andern zwischen zwei Christen be­ stehenden blos menschlichen Beziehungen mechanisch hinzugefügt

würden, und die dann, nachdem der Tod

die irdischen Be-

27 Ziehungen gelöst, durch ein ebenso mechanisches Subtraktions­ exempel als alleiniger Rest übrig blieben? Damit würdest du. wieder das Fortbestehen der Individualität im Jenseits fraglich machen. Karl: Keineswegs; denn wenn auf Erden zwei Menschen,

seien sie nun durch Blutsverwandtschaft oder Freundschaft ver­ bunden, sich auch in Christo finden, in ihm eins sind, dann

wird sich auch ihr christliches Verhältnis unter einander je nach der Art ihrer beiderseitigen Frönunigkeit eigenartig gestalten, also für den Fortbestand ihrer Individualitäten in der Ewig­ keit jede Möglichkeit frei lassen. Ernst: Gut, aber worauf beruht denn die persönlich eigen­

artige Ausgestaltung irdischer Frömmigkeit und dementsprechend auch die individuelle Ausgestaltung christlicher Beziehungen auf Erden? Doch nicht auf dem Wesen des persönlichen Verhält­ nisses zu Christus, des Glaubens selber, sondern ganz allein

auf der natürlichen, doch auch von Gott gegebenen menschlichen Temperament- und Charakteranlage des Menschen. Diese und damit auch die Eigenart persönlicher Beziehungen unter Menschen will das Christentum doch weder aufheben, noch ihnen durch bloße Addition ein Neues hinzufügen; es will nicht blos ein neues Gebiet schaffen, auf dem sich zwei Menschen außer auf andern Gebieten nunmehr auch noch treffen können, sondern es will das ganze Gebiet persönlicher Beziehungen mit seinem Geist durchdringen und auf diese Weise Alles neu machen. Nicht umsonst hat Luther uns das Reich Gottes als das Reich christlicher Gesinnung in der Welt statt des katholisch-mönchischen Zerrbildes einer Religiosität außerhalb oder über oder gegen­ über der Welt gezeigt. Karl: Was beweisest du aber damit für das Jenseits?

Etwa, daß von jetzt an Fleisch und Blut das ewige Leben ererben sollen? Ernst: Bitte, ziehe mir nicht aus Gefechtseifer übereilte

Folgerungen. Ich beweise damit nur Folgendes: Wenn das christliche Leben in einer Durchdringung der gottgegebenen

28 Individualität in ihren sämtlichen ebenfalls von Gott gegebenen

menschlichen Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen mit dem Geiste Christi besteht, dann kann das ewige Leben nicht in einer bloßen Aufhebung dieser irdischen Beziehungen bestehen, wodurch beim Tode nur noch der Geist Christi als das Wesent­

liche erhalten bliebe.

Vielmehr bleibt die

innerhalb irdischer

Beziehungen formal bestimmte und durch dieselben mit ausge­ bildete Individualität auch in der Ewigkeit die Grundlage zur

Vollausgestaltung des ewigen Lebens in der Gemeinschaft Christi

und in der Gemeinschaft mit Anderen in Christus. Und deshalb entspricht die Fortdauer dieser Beziehungen sachlich und die Hoffnung auf ihre Fortdauer, auf ein Wiedersehen, seelisch vollkommen dem christlichen Glauben. Daß dabei nach deinen Worten vorhin diese Beziehungen geläutert, vertieft, verklärt

und erweitert werden sollen, darin stimme ich dir natürlich bei. Vollkommene Ruhe und Seligkeit in Gott als Grundlage vollkörnmenster Bethätigung aller Kräfte des neuen Lebens, das ist mein Ideal für das ewige Leben, wenn bn willst, auch schon für das christliche Leben hier auf Erden. — Und noch eins: so wenig die spezifisch christliche Charakterbildung ohne die natürlichen Grundlagen individuellen Temperaments und indi­ viduell menschlicher Beziehungen denkbar ist, so wenig kann eine Darstellung und volle Erfassung der christlichen Hoffnung, ja des ganzen Christentums auf die Dauer des bewußten Er­ gründens und Durchdenkens der notwendigen metaphysischen

Voraussetzungen und Folgerungen entraten. Karl: Nun ja, wenn einer just so veranlagt ist, wie du. Das ist aber auch individuell. Und deine metaphysischen Denk­

notwendigkeiten werden darum noch lange nicht zu Heilsnot­ wendigkeiten. Ernst: Denknotwendigkeit und Heilsnotwendigkeit

fallen hier zusammen, weil ohne erstere das Heil des ewigen Lebens

eben undenkbar ist. Karl: Für dich.

Aber woher weißt du überhaupt, daß

allen deinen Ausführungen die Wirklichkeit entsprechen muß?

29 Will deine menschliche Logik etwa dem lieben Gott vorschreiben,

wie er das ewige Leber: auszugestalten hat? Ernst: Entspringt dein so abstrakt hingestelltes Bedürfnis, ewig mit Christus vereint zu sein, etwa weniger deiner Logik,

wenn nicht der des Verstandes, so doch der des Gemüts? Wenn du auf Grund dieses Bedürfnisses an die Thatsächlichkeit ewiger Vereinigung mit Christus nach dem Tode glaubst, schreibst dn

dann etwa weniger als ich den: lieben Gott vor, was er in der Ewigkeit mit dir anzufangen hat?

Und seit

wann

bietet

denn die bloße Thatsache eines religiösen Wunsches, mag er auch noch so innig und christlich sein, an sich schon die sichere Gewähr für seine Erfüllung? Ist das religiöse Wünschen etwa im Unter­ schied von der Logik und Metaphysik untrüglich? Dann gehe doch zur Kirchen- und Religionsgeschichte oder zu heutigen Sekten. Ueberall werden die verschiedensten, ja zun: Teil wider­

sprechendsten religiösen Ideale mit tiefstem Ernst v.nb unbe­ dingter Zuversicht verkündet. Aber geh von ihnen zu den:

Atheisten Feuerbach oder zu konsequenten modernen Agnostikern und hole dir Auskunft über den Wert dieser und deiner Ideale. Sie werden dir einfach antworten: „Was man wünscht, glaubt man gen:". Man mag nun sagen, was man will, das ist wenigstens ein klarer Standpunkt. Aber weißt du, wie du es machst? Jetzt springst du — um ein Wort Goethes auf dich anzuwenden — plötzlich in den Teich positivistischer Skepsis, um dem Regen metaphysischer Folgerungen zu entfliehen.

Ob das eine Rettung für dich ist, fragt sich. Warum, das weißt du. Jedenfalls setzest du mir, wo ich Gründe vorbringe, nur einer: sogenannten „Standpunkt" entgegen. Und ich thue doch in: Grunde weiter nichts, als daß ich den Begriff des ewigen

Lebens, den ich mit dir teile und der christlichen Offenbarung

entnehme, auf seinen Vorstellungsinhalt prüfe. Mein Recht dazu liegt in der einfacher: Thatsache, daß das „ewige Leben" im biblischen Sinne keiner: bloßen dürren Begriff, auch nicht blos einer: abstrakten Wunsch darstellt, sondern einen ganzen Kompler vor: Vorstellrrngen in sich schließt.

30 Karl: Umgekehrt vermisse ich, weil ich es nun doch ein­ mal vorziehe, mich an erfahrungsmäßig gegebene Größen zu

halten, von dir noch immer den Beweis, daß das Hoffen auf ein Wiedersehen das Verlangen nach völliger Vereinigung mit

Christus nicht einschränke oder verdränge, was ich nachgewiesen hatte. E r n st: Da haben wir's ja! Du betrachtest die Liebe zu Christus und die zu den Angehörigen als zwei getrennte Ge­ biete, die sich gegenseitig einschränken, während erstere doch die letztere durchdringen und weihen soll, sowohl im Verkehr mit den Lebenden als auch in dem Wunsch, die Entschlafenen

wiederzusehen. Karl: Das soll sie wohl, aber erfahrungsgemäß thut sie

das gewöhnlich nicht. Ernst: Es handelt sich hier um das Ideal und die christliche Erlaubtheit des Wunsches nach einem Wiedersehen. Karl: Aber wir sind keine Ideale. Ernst: Wenn das christliche Ideal das Wiedersehen mit den entschlafenen Lieben überhaupt zuläßt oder gar in sich schließt, so ist das Sehnen darnach uns erlaubt, gleichviel, ob selbst Ideale wir sind oder nicht.

Karl: Dieser scheinbar richtige und ideale Gedanke zer­ bricht an der rauhen Wirklichkeit, die uns lehrt, daß thatsächlich

oft irdische und himmlische Liebe in Gegensatz zu einander geraten. Hier fällt mir übrigens ein geschichtlicher Beweis ein. Denke an den Friesen Radbod, der sich nicht taufen ließ, weil er lieber mit seinen Ahnen in der Hölle, als ohne sie im Himmel sein sollte. Ernst: Diese Erzählung ist vielmehr ungeschichtlich. Karl: Aber gut erfunden, jedenfalls aus dem Leben

herausgegriffen und lebenswahr.

Ernst: Du vergissest außerdem wieder, daß wir von der Wiedersehenshoffnung unter Voraussetzung des Glaubens sprechen. Karl: O nein, sondern ich zeige nur, daß auch eilt Heide so hoffen kann, daß das Hoffen auf eilt Wiedersehelt vorn

31 Glauben unabhängig ist, also nicht zu ihm gehört, nicht christ­

lich ist. E r n ft: Aber der Inhalt des Glaubens ist nicht unab­ hängig von der Wiedersehenshoffnung.

Karl: Allein zu meinem Heil gehört es nicht, letztere zu hegen, wohl aber, daß ich für hier und dort nach der Vereinigung mit Christus trachte, während die Wiedersehenshoffnung sogar imstande ist, mich in diesem Trachten nach dem Reich Gottes zu stören, wie sie denn auch nicht christlichen Ursprunges ist. Ernst: Mit dir ist nichts anzufangen. Nun gut, wenn du mein Verlangen, auch die Meinigen, auch dich'im Himmel wiederzusehen, nicht für christlich halten kannst, so wirst du mir

doch nicht wehren können, daß ich mich recht menschlich auf dieses Wiedersehen freue.

Karl: Damit giebst du also zu,

daß diese Freude auf

ein Wiedersehen nicht christlich, sondern blos allgemein mensch­

lich ist? Ernst: „Blos" menschlich? Meinetwegen, aber darum nicht widerchristlich, nicht sündlich, ebensowenig wie die Freude an noch lebenden Angehörigen oder an andern guten Gottes­ gaben an sich sündlich ist, selbst wenn sie nicht einmal so direkt

wie das Wiedersehen in der Ewigkeit mit der Erlösung durch Christus Zusammenhängen. Karl: Dann ist aber meine Anschauung entschieden christ­ licher, weil sie auch die Möglichkeit der Sünde mehr vermeidet. Ernst: Oder

„entschiedener" christlich,

d. h. mönchisch,

asketisch, dabei aber wenig logisch. Tenn wenn du die That­ sache des Wiedersehens zugiebst, wenn du sogar zugiebst, daß

diese Thatsache für die Möglichkeit des ewigen Lebens im christ­ lichen Sinn die unumgängliche Vorausseßung bildet, dann ist es bare Unnatur, einem Menschen zu wehren, daß er sich auf dieses Wiedersehen auch freue, und daß es ihm in der Grab­

rede zum Trost auch gesagt werde. Dann sei wenigstens konsequent unnatürlich und verbiete auch die Trauer am Grab,

weil

der Entschlafene

ja

im Himmel sei,

ähnlich wie die

32 anglikanische Kirche konsequent, aber gemütlos den Charfreitag als ein Freudenfest feiert, weil uns da Christus durch seinen

Tod erlöst habe. Karl: Aber

lieber

Ernst,

ich

bin

wirklich

nicht so

ein Unmensch, wie du glaubst; und damit der unangenehme Vorwurf der Möncherei nicht auf mir sitzen bleibt, will ich dir zugeben, daß die Freude auf ein Wiedersehen nicht notwendig

unchristlich oder sündlich sein muß, ebenso wie du, wenngleich widerwillig,

zugiebst,

daß

sie

nicht

christlich,

sondern

rein

menschlich ist. Aber darum hat sie in einer christlichen Grab­ rede noch immer keine Stelle, weil die Erwähnung dieses Ge­ dankens gerade unter dem Eindruck des Schmerzes die rein christliche Hoffnung naturgemäß bei den Hinterbliebenen zurück­ drängt und sich ihr deshalb als feindlich erweist.

Ernst: Ich sehe schon, wir kommen an kein Ende. Für mich wird's auch Zeit, heimzugehen. Schließlich läuft die Er­ örterung für uns beide auf die Frage nach der Berechtigung des Menschlich-Natürlichen im Christentum heraus. Du willst es nur hier und da mit Vorsicht zugelassen haben, während ich in der Grabrede und anderwärts mit vollem Bewußtsein als Christ ein Mensch und als Mensch ein Christ sein will, und das — nebenbei gesagt — auch in der Zulassung der Metaphysik. Den einen Trost habe ich jedenfalls, das Christentum selbst nach Wesen und Ursprung und geschichtlicher Entwicklung hierbei auf meiner Seite zu haben.--------- Du schweigst? Nun? Karl: Ich bin mit deiner Kennzeichnung des Unterschieds zwischen dir und mir schon ganz einverstanden, aber ich denke, wir wollen nicht ohne Ergebnis auseinandergehen; denn gerade

so, wie du jetzt unsern beiderseitigen Standpunkt zeichnest, scheint es mir, als trennten wir uns doch in unsern Anschauungen grundsätzlich nicht allzusehr. Wir haben uns beide auch hier und da wohl etwas scharf ausgedrückt und können einander ruhig etwas zugeben. Ernst: Nun, das freut mich sehr.

den Anfang machen.

Da will ich gleich

Also wir stimmen zunächst beide darin

überein,

daß das

ewige Leben üi:

christlichen Sinn und die

bloße Fortdauer nach bei:: Tode samt der populären Wieder­ sehenshoffnung doch zwei sehr verschiedene Gedanken sind. Karl: Und zwar wesentlich verschieden in ihrem sittlich­

religiösen Wert.

Ernst: Jawohl, weil nuui das Wiedersehen vielfach von Gott gewissermaßen als ein äußeres, sittlich indifferentes Gut

während

erwartet,

wir als

Christel:

das

ewige Leben

als

inneres, sittlich-religiöses Gut, als Gemeinschaft mit Gott, schon besitzen,

um in der Ewigkeit seine und damit unsere

eigene

Vollendung zu erfahren.

Karl:

Aber objektiv betrachtet,

schließen sich beide Ge­

danken, das ewige Leben in: christlichen Sinn und der Gedanke

des Wiedersehens nach den: Tode, gegenseitig nicht aus. Ernst: Ich bestehe sogar darauf, daß der Gedanke des

ewigen Lebens

der:

des Wiedersehens

geradezu

als Voraus­

setzung erfordert und ohne diese Voraussetzung unmöglich Karl:

Auch das will ich dir zugeben.

ist.

Aber darum ist

die Hoffnung auf ein Wiedersehen an sich noch nicht christlich,

wie sie denn auch vielfach von offenbaren Unchristen gehegt wird.

Ernst: Sie ist eben an sich rein menschlich.

Wir halten

ja auch den Menschen als Menschen für persönlich unsterblich, während

allerdings

Menschentum,

das

„ewige

Leben"

nicht

sondern von unserm Christentun:,

von

unsern:

von unserer

innerlichen Gemeinschaft nut Christus abhängt. Karl:

Gut gesagt und gedacht! Es ist ja merkwürdig,

wie einig wir schließlich sind. Ernst: Es ist vielmehr in: Grunde sehr begreiflich, wenn du bedenkst, daß wir beide doch von christlichen Voraussetzungen ausgehen und diese unter aller: Unfftänden als das Wesentliche festhalten. Karl: Aber nun kommen wir zu der schwierigeren Frage,

wie wir uns zu der Wiedersehenshoffnung als einem praktischen religiösen Empfinden und Verhalten stellen sollen. Ob wir uns

da auch einigen werden? Ich kann ii: der That innerlich über

34 das Gefühl nicht hinaus, daß die Wiedersehenshoffnung so, wie

sie bei

ben Meisten besteht,

sich

nicht in

den Rahmen

der

Hoffnung auf das ewige Leben einfügt, sondern als ein bloßer Ersatz für dieselbe dient,

und zwar als ein recht schwächlicher

Ersatz.

Ernst: Ich möchte dir um Alles in der Welt dieses Gefühl

nicht rauben, da ich es selbst teile.

Aber ich meine, das Urteil

über eine Sache müsse sich nach dem Wesen derselben richten, nicht nach dem Mißbrauch, der mit ihr getrieben würd.

Karl: Es giebt Fälle,

wo aus dem Wesen einer Sache

der Mißbrauch notwendig folgt. Ernst:

Diese Notwendigkeit

liegt aber hier nicht

vor,

wenn ich auch die Möglichkeit und Thatsächlichkeit des Miß­ brauchs anerkenne.

Wir brauchen ja für das praktisch religiöse

Leben nur die Folgerungen

aus dein zu ziehen, was wir als

religiöse Wahrheit erkannt haben. Karl: Nun bitte, dann ziehe du sie.

Ernst:

Wir haben doch zwei verschiedene, wenn auch

zusammengehörige Wahrheiten gefunden, eine allgemein mensch­

liche,

die Hoffnung auf ein Wiedersehen, und eine eigentlich

christliche, die Hoffnung auf das ewige Leben.

Karl: Ja, aber die Wiedersehenshoffnung haben wir doch nur unter Voraussetzung der eigentlich christlichen Hoffnung als

zu Recht bestehend anerkannt; denn nur unter dieser Voraus-

setzung könnte sie möglicherweise irgend welchen Wert gewinnen. Ernst: Dasselbe wollte ich schon sagen.

voll Christen und Unchristen geteilt wird,

Wenn sie auch

so hat sie doch nur

für Christen wirklicher: Wert. Karl: Du meintest aber doch, daß die Unsterblichkeit und

damit das Wiedersehen in der Ewigkeit uns als Menschen,

nicht als Christen, lverde.

daß es also mid) einen: Unchristen zuteil

Wie kannst du da:n: dieser

Hoffnung nur für de::

Christen Wert zuschreiben?

Ernst: Subjektiven Wert hat diese Hoffnung für jeden, der sie hegt,

aber damit noch keinen objektiver:,

weder fürs

35 Diesseits, noch fürs Jenseits.

Denn man sieht ja deutlich, daß

für dieses i'cbcn noch lange nicht Jeder durch solche Hoffnung

zu einein gläubigen Christen wirb.

Und was ihre Erfüllung

im Jenseits altgeht — ich will mich wieder einmal deutlich

ausdrücken — kann es da einem Verdammten etwas nützen oder irgend welchen Trost gewähren, die Seinen wiederzusehen,

mögen sie mm selig

oder mit ihm

in gleicher Verdammnis

sein? Doch ganz gewiß nicht. Karl: Das läßt sich hören.

nicht so viel cm.

Aber das geht uns doch hier

Du bestandest ja immer darauf, daß wir von

der WiederseheltshoffltUltg unter Voraussetzung des Glaubens sprächen. Ernst: Darunl müssen wir uns d'och allseitig klar werden über die Beziehungen, die diese Hoffnung zu einer jeden inneren,

christlichelt oder unchristlichen Stelllrng eitles Menschen hat. Karl: 9hm gut, dann kämen wir jetzt an den Kernpirnkt,

nänllich welche Stellllng die Wiedersehenshoffnung im Christen­

leben selbst einzunehmen hat. Ernst: Für den Gläubigen gewinnt diese Hoffnung einen

Wert,

den sie für den Ungläubigen nicht hat.

Sie giebt ihm

zunächst nicht mehr als diesem, nänllich einen subjektiven Trost

für den Abschiedsschmerz.

Aber dieser Trost hält dein Christen

bei seinem eigenen Eingehen in die Ewigkeit stand, während er sich für den Ullchristen bei seinem Tode als Tällschung er­

weist, weil ihm das Wiedersehell seine Unseligkeit dann keines­

wegs vernlindert.

Karl: Erlaube, jetzt bleiben mir doch wieder auf unserem Gegensatz hängen. gegen

diesen

Tenn

meine Bedenken richteten sich eben

subjektiven Trost,

der

gar

leicht

die

christliche

Hoffnung in ihrer rem religiös-sittlichen Haltung abschwächt.

Ernst: 91ein, sie stärkt uns vielmehr im Glauben, wir nänllich in der That gläubig sind.

Denn wenn wir

falls

an

unsere Abgeschiedenen bei Christus in der himmlischen Vollendung denken,

dann setzt sich uns unsere menschliche Liebe

zu ihnen

in einen starken Beweggrund nm, zu gleicher Vollendung, zmn

36 Einssein mit ihnen im ewigen Leben,

in der Gemeinschaft

Christi zu gelangen. Karl: Sollte aber nicht die Erlangung der völligen Ge­ meinschaft Christi der einzige, an sich genügende Beweggrund unseres religiös-sittlichen Strebens sein? Ernst: Nein, weil es unmöglich ist. Denn du kommst zu Christus nicht um irgend einer grauen Theorie willen, sondern

weil ganz bestimmte Welt- und Geisteszustände außer dir und in dir, Sünde, Not und Tod, itnb dem entsprechende religiös­

sittliche Bedürfnisse dich treiben, für die du bei Jesus Christus Befriedigung findest,

nämlich die Erlösung.

Eins von diesen

Bedürfnissen, das dem Tod der Deinen entspringt und entspricht, ist die Sehnsucht nach eknem Wiedersehen. Es soll dich ebenso

wie andere zu Jesu führen. Karl: Aber wird dann nicht das Trachten nach dem Reiche Gottes oder dem ewigen Leben, das uns doch das Erste sein soll, zum bloßen Mittel herabgewürdigt, um unsere Lieben wiederzusehen?

Ernst: Keineswegs, weil das für den Standpunkt des Glaubens eben nicht mehr zwei verschiedene Dinge sind. Weil das Wiedersehen inhaltlich ein Moment der Christenhoffnung ist, ist es seelisch ein berechtigtes Motiv für dieselbe. Aber es erschöpft sie nicht. Karl: Demnach ließe sich das Wiedersehen zwar nicht als Moment, wohl aber als Motiv der Christenhoffnung entbehren? Ernst: Für einen einsamen Robinson gewiß, auch für den, der sich religiös isoliert und auf die Robinsonsinsel seines

abstrakt persönlichen Verhältnisses zu Christus zurückzieht.

Aber

Beides sind eben abnorme Erscheinungen, deren Sonderstellung keine Vollkommenheit, sondern vielmehr einen Mangel bedeutet,

sei es nun in ihren: äußern oder inneren Leben. Karl: Ich muß mir wohl deine Anspielung gefallen lassen. Aber meinst bu denn thatsächlich noch immer, daß vom Stand­

punkt des Glaubens die Wiedersehenshoffnung christlich sei? Vorhin gabst du mir doch zu, sie sei rein menschlich.

37 Ern st: Tas ist sie an sich.

siert sie,

sofern

er mit'

Aber der Glaube christiani­

unter der Voraussetzung des ewigen

Lebens ihre Erfüllung als ein Gut, als ein Moment der ewigen

Seligkeit betrachten kann. Tenn dem heutigen Gottlosen nützt das Wiedererkennen

von Lazarus. dem unserer

ebensowenig,

wie dem Reichen im Gleichnis

Der Gedanke des Wiedersehens darf eben von

persönlichen Vollendung in

der Ewigkeit nicht

getrennt werden. Mit einem Wort: Deshalb nur ist das Wieder­

sehen für den Gläubigen und nur für diesen etwas wert, weil es für ihn und nur für ihn einen Teil der himmlischen Voll­ kommenheit und damit der Seligkeit bedeutet.

Für ihn ist das

Wiedersehen also ein Mittel zur Vollendung im ewigen Leben, in der Gemeinschaft Christi, aber nicht umgekehrt die hinunlische Vollendung ein Mittel, die Angehörigen wiederzusehen. Karl:

Ernst:

Du stellst dich auf einen recht hohen Standpunkt.

auf den des Glaubens.

Karl: Wenn wir aber auf unsern Gesprächsanfang zu­

rückkommen sollen, nämlich auf die Grabreden, so mußt du dir selber sagen, daß bei den Hinterbliebenen, die mit zur Beerdigung

gehen, der Glaube keineswegs inuner vorhanden ist, wohl aber

meist die Hoffnung auf ein Wiedersehen.

Wie willst du es

dann halten? Sprichst du dann voll Wiedersehen, so werden sie

alles Sonstige überhören ilnd sich mit an diesen einen Gedanken, der ihnen lieb ist, klanllnern.

Ich meine, wie die Meisten nun

eben sind, müßte mein schon aus seelsorgerischen Rücksichten die

Wiedersehellshoffnung aus den Grabreden streichen und nur auf

das Eine, das not thut, Hinweisen; denn erstere Hoffnung hegen die Meisten so wie so und bedürfen daher gar keines ausdrück­ lichen Trostes nach dieser Richtllng. E r n st: Meiner Ansicht nach kann wohl der Fall eintreten,

wo es geradezu eine Sünde wäre, tröstlich von Wiedersehen in der Ewigkeit zu reben, wenn man nämlich von dem Unglauben

des Verstorbenen überzeugt ist.

Man kann in manchen Fällen

auch, wie du sagst, seelsorgerliche Bedenken haben, die Wieder­ sehenshoffnung zu erwähnell.

Da kann man aber keine allge-

38 meine Regel aufstellen,

sondern muß eben

das seelsorgerliche

Gewissen in jedem einzelnen Fall entscheiden lassen.

daß mir selbst nur

lich dürfen wir nie vergessen,

Menschen sind und vielfach keinem,

kurzsichtige

weder den: Entschlafenen

noch den Hinterbliebenen, ins Herz gesehen haben.

wir sie ja tcinm.

Und end­

Oft kennen

Dann wäre es aber ein Unrecht, ihnen aus

einer vorgefaßten Meinung irgendwelchen Trost, den uns unsere Christenhoffnung bietet,

vorzuenthalten.

Wir sagen, was wir

verantworten können, thun es aber mit heiliger Vorsicht, damit wir nur keine Seele durch losen

Wiedersehens

süßliche Zusage

in Schlummer

eines bedingungs-

Wie

wiegen.

dann

die

Trauernden unsere Worte auffassen und was sie aus ihnen auf­

fassen und was sie daraus machen, das ist ihre Verantwortung und hängt von dem Maße ihres Glaubens ab. Karl: Dann wird schließlich doch immer die Gefahr nahe

liegen, daß der Gedanke des Wiedersehens alles Andere,

was

in der Grabrede gesagt wird, wirkungslos macht.

Ernst: Freilich, aber diese Gefahr ist gerade so gut vor­

handen und bleibt bestehen, erwähnst.

wenn

Es verstehe:: mm

du das Wiedersehen nicht

einmal

viele Leute auch unter

dem Begriff des „ewiger: Lebens" und der „himmlischen Selig­ keit" nichts anderes, als äußerlicher: Glar:z und Wiedersehens­ freude.

Aber rvie gesagt, das ist ihre Sache.

Unsere aber ist

es, ihner: diese Hoffnung, die wir doch nicht leugnen, nicht zu nehme::,

sondern sie

dingungen

klar

ihnen zu

verchristlicher:,

ihner: die Be­

und deutlich zu verkündigen,

unter denen

al le irr diese Hoffnung eine wirkliche Hoffnung ist.

Karl: Und wie soll das geschehen? Errrst: Wir sollen unter keiner: Urnständen rveder von der Hoffnung des ewiger: Lebens noch vor:

der des Wieder­

sehens als vor: etwas Selbstverstär:dlichen: sprechen, sondern wir sollen das Trachten nach den: ewigen Leben für hier und

dort in erster Linie als Mahnur:g hervorheben, die Hoffnung auf dasselbe in zrveiter Linie als Trost gebrauchen und das Wiedersehen, das doch nur ein Teil dieser Hoffnung ist,

in

39

bescheidenem Ni a ße in Mahnungen unb Trostgründe einflechten. To lvird die Hosfimng aufs einige Leben nnb auf ein Wiedersehen nicht zu einem Schlummerkissen, sondern zu einem Weckruf und zu einer Stärkung für den Glauben, für das per­ sönliche Christentum. Karl: Wenn du die Sache so fassest, gebe ich meine Ein­ wände preis und dir meine Zustimmung. Die Bedenken, die ich gegen die Wiedersehenshoffnung hatte, waren ja im letzten Grunde wesentlich praktisch-seelsorgerlicher Art, nnb du teilst sie selber. Aber die Art, wie du die Wiedersehenshoffnung behandeln willst, scheint mir diese Bedenken zu heben und ist in der That christlich. Ernst: Sticht wahr? Darum ehe wir irgend ein mensch­ liches Empfinden aus dem Christentum verbannen, wollen wir vorher überlegen, ob wir damit nicht in Wirklichkeit das Christen­ tum selbst berauben, und ob nicht dieses Empfinden, vom Stand­ punkt des Glaubens aus betrachtet, einen höheren, schöneren, christlichen Sinn gewinnt. — Doch hier sind wir am Kirchhofs­ thor. Wir müssen uns trennen. Daher leb' wohl! Karl: Aus „Wiedersehen"!