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German Pages 322 Year 2014
Nora Kreuzenbeck Hoffnung auf Freiheit
Histoire | Band 45
Nora Kreuzenbeck lehrt Nordamerikanische Geschichte an der Universität Erfurt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind US-amerikanische Kulturgeschichte, Critical Black Diaspora Studies und Food History.
Nora Kreuzenbeck
Hoffnung auf Freiheit Über die Migration von African Americans nach Haiti, 1850-1865
Diese Veröffentlichung wurde 2012 als Dissertation an der Universität Erfurt angenommen. Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Dank | 7 Einleitung | 9
Haiti als undenkbarer Staat | 15 Zeitliche Rahmung | 24 Forschungsüberblick | 30 Konzeptionelle Überlegungen und Fragen | 42 Gliederung | 65 1 „Wherever a member of our race is situated“: Herstellung von Gemeinschaft | 67
Debatten um Emigration in den 1850er Jahren | 71 James Theodore Holly und die Cleveland Convention von 1854 | 76 Holly reist nach Haiti, 1855 | 84 Die haitianische Regierung und Emigration aus Louisiana | 88 James Redpath als Direktor des Haytian Bureau of Emigration | 91 Die „agents“ des Haytian Bureau of Emigration | 98 Die Räumlichkeiten des Haytian Bureau of Emigration | 113 Die Publikationen des Haytian Bureau of Emigration | 117 Die Proctors in Hayti: „Emigration to Hayti, from the township of Sandwich“ | 121 2 „Hayti, the home of the Black race“: Positionen Haitis in einer globalen Diaspora | 131
„Scattered“: Haiti als diasporischer Ort | 133 Afrika als „ancient motherland“ | 135 „Black and yellow brethren“: Haiti als Ort männlicher Emanzipation | 137 „By right“: Haiti als schwarzer Nationalstaat | 141 Haiti als amerikanische Heimat | 144 „Queen of the Antilles“: Haiti als Wirtschaftskraft | 152 „Saxon character“ und die USA als „mature and better developed civilization“ | 159 Haiti als „New England“ | 164
3 „The right kind of people“: Auseinandersetzungen um die idealen Emigrierenden | 171
„We want the farmer“: Landwirtschaft und Zivilisierung | 174 „What to take to Hayti“: Geschlechtliche Strukturierungen | 180 „Men amongst men“: Männlichkeit und Emanzipation | 191 „There was a lone lady“: Abweichungen und Rationalisierungen | 193 „What to take to Hayti“ II: Anleitungen zu Respektabilität | 197 „Noble cause“ und „fatal folly“: Gesundheitliche Regulierungen | 203 „Drinking and any other vice“: Temperance und Zivilisiertheit | 206 „A tissue of lies“: Die Diskreditierung von George Wells | 211 Abgrenzungen von „les habitants“ | 215 4 Kontaktmomente: Haiti in Reiseberichten | 219
James Redpath: „A Visit to Hayti“ | 224 Joseph Dennis Harris: „Hayti in the distance“ | 233 John Rapier Jr.: „In this country I cannot live“ | 252 Elizabeth Howard: „Reminiscences of a Sojourn in Hayti“ | 265 Fazit | 283 Literatur | 297
Dank
Das Verfassen dieser Danksagung markiert den Abschluss eines langjährigen Arbeitsprozesses. Das vorliegende Buch wurde im Februar 2012 als Dissertation im Fachbereich Geschichte an der Universität Erfurt angenommen. Begutachtet wurde es von Jürgen Martschukat und Ralph Poole. Jürgen Martschukat hat alle Phasen des Dissertationsprojektes seit 2006 begleitet und mich kollegial und konstruktiv beraten. Ralph Poole ist bis nach Curaçao gereist, um Teile der Dissertation zu kommentieren. „Hoffung auf Freiheit: Über die Emigration von African Americans nach Haiti, 1850-1865“ trägt Ergebnisse meiner Mitarbeit am DFG Projekt „Interdependenzen Schwarzer Emanzipationsbewegungen in Nordamerika und im karibischen Raum vom späten 18. bis ins 20. Jahrhundert“ zusammen. Das Projekt war von 2008 bis 2011 am Lehrstuhl für Nordamerikanische Geschichte an der Universität Erfurt angesiedelt. Die produktive und freundschaftliche Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Patricia Wiegmann hat mein Projekt konzeptionell und inhaltlich maßgeblich geprägt und vorangebracht. Petra Meersteiner an der Uni Erfurt hat sich kompetent um viele organisatorische Belange gekümmert. Das Kolloquium für Nordamerikanische Geschichte an der Uni Erfurt ist ein inspiriender Forschungskontext, der mir über Jahre hinweg den Raum geboten hat Fragestellungen, Quellenmaterial und Textentwürfe kritisch und produktiv zu diskutieren. Neben vielen anderen gilt mein Dank Melanie Henne, Sebastian Jobs, Felix Krämer und Nina Mackert für ihre konstruktive Kritik und ihre freundschaftliche Unterstützung. Eine besonders große Hilfe waren in diesem Kontext Philipp Dorestal, Silvan Niedermeier und Patricia Wiegman, die vor der Abgabe der Dissertation Kapitel intensiv gelesen und kommentiert haben. Auch Olaf Stieglitz sei gedankt, der mit mir erste Exposéentwürfe diskutiert und das Projekt als häufiger Teilnehmer am Nordamerika-Kolloquium über Jahre hinweg begleitet hat.
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Als häufige Gäste an der Uni Erfurt haben Bruce Dorsey und Martha Hodes mir immer wieder wichtige Hinweise zu meiner Forschung gegeben. Mit Silke Hackenesch habe ich nicht nur viele Mittagspausen vor der Library of Congress in Washington, DC verbracht, sondern auch immer wieder von ihren Anmerkungen und Hinweisen zu Aspekten meines Projektes profitiert. Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der für mein Buch konsultierten Archive und Forschungseinrichtungen, wie etwa der Library of Congress in Washington, DC, dem Moorland-Spingarn Research Center an der Howard University in Washington DC, der Boston Public Library, dem Schomburg Center for Research in Black Culture der New York Public Library und der David M. Rubenstein Rare Book & Manuscript Library an der Duke University in Durham, NC. Das Deutsche Historische Institut in Washington, DC hat mir mit einem dreimonatigen Doctoral Research Fellowship Archivaufenthalte unter anderem in Washington und in Durham, North Carolina ermöglicht. Ein Zuschuss zu den Druckkosten dieses Buches wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewährt. Auch meine Familie hat mich unterstützt: für ihren inhaltlichen Input zu diesem Buch und ihre engagierte Mithilfe beim Lektorat des Manuskripts möchte ich mich bei Lisa Kreuzenbeck und Clemens Tittel bedanken. Jutta Iwanow und Jürgen Schüring danke ich herzlich für ihren Beitrag zu den Druckkosten dieses Buches.
Einleitung
„Let our black and yellow brethren, scattered throughout the Antilles, and North and South America, hasten to co-operate with us in restoring the glory of the Republic. Hayti is the common country of the black race.“1 So hieß es in einem mit „Invitation“ überschriebenen Textabschnitt, der in verschiedenen Publikationen des 1860 gegründeten Haytian Bureau of Emigration veröffentlicht wurde. Das Bureau war eine durch die haitianische Regierung finanzierte und in verschiedenen Städten im Norden der USA ansässigen Organisation, die die Emigration von African Americans2 nach Haiti bewerben und in die Wege leiten sollte. Die
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Siehe u.a.: Geffrard, Fabre, „Invitation“, in: Pine and Palm, 6. Juli 1861; ebd., 10. August 1861; ebd., 17. August 1861; ders., „Invitation“, in: Redpath, James (Hg.), A Guide to Hayti. New York: G. Woolworth Colton,
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1861 (1860), S. 5. Die Zeitung
Pine and Palm als auch das knapp 200-seitige Buch „A Guide to Hayti“ wurde von dem Journalisten und Abolitionisten James Redpath herausgegeben. Die Erstausgabe des Buches war bereits im Dezember 1860 erschienen, siehe: Redpath (Hg.), A Guide to Hayti. Boston: Thayer & Eldridge, 1860. Falls nicht anders angegeben, beziehe ich mich in meiner Analyse auf die oben zitierte elfte Auflage. 2
Die Verwendung von Begrifflichkeiten, die rassifizierte Kategorisierungen beschreiben, ist aus einer Reihe von Gründen problematisch und bedarf der Stellungnahme, welche allerdings keine eindeutigen Lösungen anbieten kann: 1. Bei der in dieser Arbeit verwendeten Bezeichnung African Americans handelt es sich um eine in den USA gängige Selbstbezeichnung, die historisch verhältnismäßig unbelastet ist. Allerdings: Wie etwa Barbara Jean Fields argumentiert hat, verweisen die Begriffe African American oder Black American durch ihre Zusätze auf Abweichungen von einem normativen Amerikanisch-sein, das in der Regel mit Weiß-sein gleichgesetzt wird. Um auf die Normativität des Weiß-seins aufmerksam zu machen, benutzt Fields den Begriff European Americans, der aus eben diesem Grund auch in meiner Arbeit Verwendung finden wird. Siehe Fields, Barbara Jeanne, „Slavery, Race and Ideology in
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oben zitierte Einladung war mit dem Namen des damaligen Präsidenten Haitis Fabre Geffrard unterzeichnet, der seit 1859 im Amt war. Vorstellungen von Gemeinschaft und Zugehörigkeit spielten in der Einladung eine zentrale Rolle. Der oben zitierte Abschnitt konstatierte eine enge, überdies als männlich-brüderlich („brethren“) markierte verwandtschaftliche Beziehung zwischen Menschen, die als „black“ und „yellow“ beschrieben wurden. Diese Begriffe waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts gängige Beschreibungen unterschiedlicher Schattierungen von Hautfarbe, die mit einer afrikanischen Abstammung assoziiert wurden.3 Neben race4 war auch Raum in der Einladung von
the United States of America“, in: New Left Review, 181/1 (1990), S. 95-118. 2. Darüber hinaus greife ich auf die Begriffe schwarz und weiß zurück. Diese Bezeichnungen (ebenso wie African Americans und European Americans) können möglicherweise den Eindruck vermitteln, als ließen sich Menschen tatsächlich in klar voneinander getrennte Gruppen aufteilen, und als sei diese Trennung sogar biologistisch begründbar. Deshalb sei hier explizit darauf hingewiesen, dass diese Beschreibungen in dieser Studie immer auf kulturell und historisch produzierte Kategorisierungen verweisen, die, wie nicht zuletzt meine Arbeit aufzeigt, alles andere als eindeutig waren, aber gleichzeitig enorme Wirkmacht entfalteten. Diese Wirkmächtigkeiten aufzuzeigen ist ein zentrales Anliegen dieser Untersuchung. Dabei funktionier(t)en die Begriffe auch als Selbstbezeichnungen, die häufig positive emanzipatorische und identifikatorische Bedeutungen und Wirkungen haben. 3. Zudem sei hier darauf verwiesen, dass gerade in einer transnational argumentierenden Arbeit wie der vorliegenden Begriffe wie European American oder African American unter anderem auch deshalb problematisch sind, weil sie nicht zuletzt US-zentrisch sind. Die USA werden so gleichgesetzt mit dem gesamten amerikanischen Kontinent. Für Problematisierungen und Auseinandersetzungen mit der Bezeichnung African American siehe Hanchard, Michael, „Identity, Meaning and the African-American“, in: McClintock, Anne (Hg.), Dangerous Liaisons. Gender, Nation, and Postcolonial Perspectives. Minneapolis: University of Minnesota Press, 1997, S. 230-239; Polyné, Millery, From Douglass to Duvalier: U.S. African Americans, Haiti, and Pan Americanism, 1870-1964. Gainesville: University of Florida Press, 2010, S. xv. 3
Die Bezeichnung „yellow“ war in Nordamerika geläufig, um African Americans mit sehr heller Hautfarbe zu beschreiben und verwies dabei neben afrikanischer auch auf eine europäische Abstammung. Sie korrespondiert mit der in Haiti verwendeten Bezeichnung „jaune“.
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Ich verwende in dieser Arbeit den Begriff race. Ich bin der Meinung, dass die Verwendung des englischsprachigen Begriffs race in einem ansonsten überwiegend auf Deutsch verfassten Text diesen in besonderem Maße als eben das kulturelle und sozia-
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wichtiger Bedeutung: Die Angehörigen der sich über die Kategorie race konstituierenden Gemeinschaft wurden als Individuen dargestellt, die in verschiedene Teile der Amerikas verstreut („scattered“) worden waren. Dem zufolge befanden sie sich außerhalb jenes Raumes, zu dem sie eigentlich und ursprünglich gehörten. In zeitgenössischen Diskussionen wurde häufig Afrika als Heimat und Ursprungsort dieser Gruppe von Menschen beschrieben. Von dort aus seien sie in Folge des transatlantischen Sklavenhandels gewaltsam in die unterschiedlichen Regionen der atlantischen Welt verteilt worden. Auch Fabre Geffrards „Invitation“ verwies im Anschluss an den oben zitierten Abschnitt auf Afrika als Herkunftsort dieser rassifizierten Gemeinschaft. Als Heimat dieser Menschen bezeichnete Geffrard allerdings weder Afrika, noch die Länder, Städte oder Regionen, in denen die Eingeladenen in der Regel geboren und aufgewachsen waren, oder länger gelebt hatten, sondern stattdessen Haiti. Der hier zunächst nur skizzenhaft vorgestellte Abschnitt lenkt den Blick auf zentrale Untersuchungsaspekte der vorliegenden Arbeit, die sich mit afroameri-
le Konstrukt markiert, als das es in meiner Analyse verstanden wird. Obwohl auch der englischsprachige Begriff race historisch gesehen benutzt worden ist, um Biologismen zu beschreiben, funktioniert er anders als etwa der deutsche Begriff „Rasse“, der weiterhin Konnotationen hervorruft, die im Nationalsozialismus geprägt wurden und zur Begründung der systematischen Ermordung von Millionen von Menschen herangezogen wurde. Die Verwendung des englischsprachigen Begriffs ist deshalb auch der Tatsache geschuldet, dass ich mich hier primär mit einem US-amerikanischen Kontext auseinander setze, in dem race eben anders funktioniert als „Rasse“. Allerdings benutze ich im Text das deutsche Adjektiv rassifiziert, das bereits auf die Gemachtheit und Prozesshaftigkeit von race hinweist. Neben race soll hier auch die Verwendung der Begrifflichkeiten gender und Geschlecht dargelegt werden. Auch diese Begriffe verweisen explizit auf Konstruiertheiten, die wie race eng an Herrschaftsstrukturen geknüpft sind. Ich verwende überwiegend den deutschen Begriff Geschlecht. Dies soll keinesfalls eine Hierarchisierung der Konstrukte race und Geschlecht implizieren, sondern ist vor allem zwei Gründen geschuldet: Erstens wäre hier die bessere Lesbarkeit zu nennen, auf die ich im Fall von race bewusst verzichten möchte. Zweitens umfasst der deutsche Begriff Geschlecht sowohl das vermeintlich biologische Geschlecht („sex“) als auch geschlechtliche Zuschreibungen (gender). Beide müssen seit den bahnbrechenden Arbeiten von Judith Butler erstens als konstruiert, und zweitens untrennbar verschränkt verstanden werden, wie ich später noch ausführlicher darlegen werde. Siehe Butler, Judith, Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. New York: Routledge, 1990.
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kanischem Emigrationismus5 von den USA und Kanada nach Haiti zwischen 1850 und 1865 befasst. Etwa 3000 freie African Americans reisten vor allem ab 1860 aus verschiedenen Hafenstädten im Nordosten der USA nach Haiti.6 Die meisten von ihnen kehrten nach einigen Jahren oder sogar schon Monaten wieder in die USA zurück. Im Zuge dieser Bewegungen, aber auch in den vorhergehenden Debatten um Emigration traten Vorstellungen von einer globalen historischen Gemeinschaft schwarzer Menschen in den Amerikas, der Karibik und Afrika zutage, die sich auf einen gemeinsamen afrikanischen Ursprung und die historische Erfahrung der Versklavung und des Rassismus bezogen. Wie meine Studie zeigt, wurde diese Gemeinschaft durch die Bewegung von Menschen und dem Transfer von Wissen und Ideen zwischen den USA, Kanada und Haiti rekonstituiert und entfaltete auch jenseits der imaginativen Ebene Wirkmacht. Meine Studie geht der Frage nach, welche Formationen von Gemeinschaft zutage traten, und wie diese strukturiert waren. Welche Vorstellungen von Haiti,
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Ich verwende diesen etwas sperrigen Begriff als Übersetzung des englischen Begriffes Emigrationism. Dieser wird in der US-amerikanischen Forschungsliteratur verwendet, um nicht nur den Akt der Migration zu beschreiben, sondern darüber hinaus eine Vielzahl von Aktivitäten in den Blick zu nehmen, die Befürwortenden von Emigration aus den USA unternahmen, um auf ihre Ziele und Anliegen aufmerksam zu machen. Siehe z.B. Levine, Robert S., Martin Delany, Frederick Douglass, and the Politics of Representative Identity. University of North Carolina Press Books, 1997. Dem entsprechend werde ich Menschen, die sich für Emigration nach Haiti einsetzten, im Folgenden unter anderem auch als Emigrationisten bezeichnen. Damit sind schwarze und weiße Befürwortende von Emigration nach Haiti gemeint, unabhängig davon, ob sie letztendlich nach Haiti auswanderten oder nicht. So soll der Emigrationismus, der zwar auch durch Rassismus bedingt war, aber doch mehr oder weniger freiwillig erfolgte, von sogenannter Kolonisation abgegrenzt werden. Ich orientiere mich an Bruce Dorseys Vorschlag. Dorsey schreibt: „I will use the term colonization whenever referring to white sponsored plans to expatriate former slaves and free blacks to Africa […] and emigration to refer to plans initiated by African Americans to create black communities outside the borders of the United States.“ Siehe ders., „A Gendered History of African Colonization in the Antebellum United States“, in: Journal of Social History 34/1 (2000), S. 77-103.
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Diese ungefähre Zahl gibt an: Alexander, Leslie, „‚The Black Republic‘: The Influence of the Haitian Revolution on Northern Black Political Consciousness, 18161862“, in: Jackson, Maurice/Bacon, Jacqueline, African Americans and the Haitian Revolution: Selected Essays and Historical Documents, London/New York: Routledge, 2009, S. 57-80, hier S. 74.
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aber auch von sich selbst äußerten US-amerikanische Befürworterinnen und Befürworter der schwarzen Emigrationsbewegung nach Haiti in den Jahren vor und während des US-amerikanischen Bürgerkrieges? An welche Praktiken war dies geknüpft? Welche Vorstellungen von Respektabiliät und Staatsbürgerlichkeit zeigten sich, und wie strukturierten sie das Leben und Handeln der historischen Akteurinnen und Akteure? Dementsprechend ist diese Arbeit primär kein Buch über Haiti. Vielmehr verortet sie die Emigrationsbewegung in ihren diskursiven US-amerikanischen Kontexten. Die Emigration von den USA nach Haiti muss als eine Strategie verstanden werden, um einer rassistischen US-amerikanischen Herrschaftsordnung zu begegnen, die African Americans gesellschaftliche und staatsbürgerliche Gleichberechtigung grundsätzlich absprach. Migration nach Haiti wurde als Möglichkeit gesehen, sich dieser Herrschaftsordnung zu entziehen und sie gleichzeitig herauszufordern und umzudeuten. In den USA waren zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch immer Millionen von Menschen in den Südstaaten versklavt, und auch freie African Americans sahen sich tagtäglich mit rassistischer Benachteiligung und einem Ausschluss von staatsbürgerlichen Rechten konfrontiert. In Haiti dagegen hatten schwarze Menschen im Verlauf der haitianischen Revolution, die zu der Gründung der Republik im Jahre 1804 führte, nicht nur die Sklaverei abgeschafft, sondern auch die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich erreicht.7 Aus Perspektive der europäischen Kolonialmächte hatte Saint Domingue, so der koloniale Name Haitis, vor der Revolution als eine der lukrativsten Kolonien der Karibik gegolten. Im großen Stil waren hier Exportgüter wie Kaffee, Kakao, Indigo, Baumwolle und vor allem Zucker produziert worden, die mit großen Gewinnspannen nach Europa und Nordamerika verkauft wurden.8 Versklavte
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Zur Geschichte der Haitianischen Revolution siehe neben anderen: Fick, Carolyn E., The Making of Haiti. The Saint Domingue Revolution from Below. Knoxville: The University of Tennessee Press, 1990. Fick rückt insbesondere die Rolle der versklavten Bevölkerung ins Zentrum ihrer Untersuchung der Revolution. Geggus, David, Haitian Revolutionary Studies. Bloomington: Indiana University Press, 2002; Dubois, Laurent, Avengers of the New World: The Story of the Haitian Revolution. Cambridge: Belknap Press, 2005; Geggus/Fierring, Norman, The World of the Haitian Revolution. Bloomington: Indiana University Press, 2009, Popkin, Jeremy D., You Are All Free: The Haitian Revolution and the Abolition of Slavery. New York: Cambridge University Press, 2010.
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Zu Saint Domingue als kolonialer Zuckerproduzent siehe neben vielen anderen: Fick, The Making of Haiti, S. 15-45; Girard, Philippe R., Haiti: The Tumultuous History;
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Arbeiterinnen und Arbeiter erwirtschaften diese nachgefragten Produkte und damit den Reichtum europäischer Kolonialherren. 1789, kurz vor Beginn der Revolution die die Sklaverei beenden sollte, lebten und arbeiteten etwa eine halbe Millionen versklavter Menschen unter härtesten Bedingungen auf Plantagen in Saint Domingue.9 Versklavte Menschen stellten dabei bei weitem den größten Anteil der Bevölkerung. Neben den Versklavten sind außerdem die sogenannten gens de couleur und weiße europäische oder kreolische Kolonisten als weitere große Bevölkerungsgruppen zu nennen.10 Beide Gruppen waren äußerst heterogen. Die weiße Bevölkerung setzte sich unter anderem aus Pflanzern zusammen, die große Plantagen und zum Teil hunderte von versklavten Menschen ihr Eigen nannten, oder aber kleinere Pflanzungen bewirtschafteten. Andere verwalteten die Plantagen von Investoren in Europa, oder betrieben Handwerk und Handel. Der Begriff gens de couleur wiederum bezeichnete freie Menschen, in der Regel Kinder oder Enkelkinder weißer Männer und versklavter schwarzer Frauen.11
from Pearl of the Caribbean to Broken Nation, New York: Palgrave Macmillan, 2010, S. 17-38; Geggus, „Sugar and Coffee Cultivation in Saint Domingue and the Shaping of the Slave Labor Force“, in: Berlin, Ira/Morgan, Philip D., Cultivation and Culture: Labor and the Shaping of Slave Life in the Americas. Charlottesville, Va. [u.a.]: University of Virginia Press, 1993, S. 73-98; Dubois, Avengers of the New World, hier vor allem die Kapitel eins-drei. Nach wie vor ein Standardwerk ist Sidney Mintz grundlegende kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit Zucker als zentralem Produkt atlantischer Globalisierungsprozesse. Siehe: Mintz, Sidney, Sweetness and Power, New York: Viking Penguin, 1985. 9
Zahl aus Fick, The Making of Haiti. Zu Saint Domingue vor der Revolution siehe u.a.: Dayan, Joan, Haiti, History and the Gods. Berkeley: University of California Press, 1995, S. 143-185.
10 Zur Kategorisierung der Bevölkerung Saint Domingues siehe: Foner, Laura, „The Free People of Color in Louisiana and St. Domingue: A Comparative Portrait of Two Three-Caste Slave Societies“, in: Journal of Social History, 3/4 (1970), S. 406-430; Garrigus, John D., Before Haiti: Race and Citizenship in French Saint-Domingue. New York: Palgrave Macmillan, 2006. Auch nach der Revolution wurde in Haiti stark zwischen der als schwarz klassifizierten Bevölkerungsgruppe und den gens de couleur unterschieden, wie im Laufe dieser Studie vereinzelt deutlich werden wird. Kurz vor der Revolution gab es etwa 30.000 als weiß klassifizierte Personen. Vgl. Fick, The Making of Haiti, S. 17-19. 11 Vgl. ebd., S. 19. Fick gibt an, dass als gens de couleur klassifizierte 1789 ein Drittel aller Plantagen, ein Viertel aller Versklavten und ein Viertel des Grundbesitzes in
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Wie auch innerhalb der Gruppe der Weißen waren die Lebensumstände der gens de couleur äußerst divers. Viele unterhielten ebenfalls Plantagen und besaßen Sklavinnen und Sklaven. Einige von ihnen brachten es zu erheblichen Vermögen und waren beispielsweise in Frankreich ausgebildet worden. Trotz dieser Klassenprivilegien waren sie in der kolonialen Gesellschaftsordnung Saint Domingues zahlreichen rassistischen Praktiken ausgesetzt. Im Zuge der französischen Revolution forderten Angehörige dieser Gruppe deshalb ihre Gleichstellung mit weißen französischen Bürgern. Die Abschaffung der Sklaverei, die für viele von ihnen Lebensgrundlage war, befürworteten große Teile der Gruppe allerdings nicht. Während es um die Frage der Gleichberechtigung der gens de couleur in Saint Domingue zu politischen Unruhen zwischen Angehörigen der Gruppe und Teilen der weißen Bevölkerung kam, begann in der Nacht des 22. August 1791 ein lange geplanter Aufstand von Sklavinnen und Sklaven auf Plantagen im Norden der Kolonie. Dieser Moment wird in der Forschung als Beginn der Haitianischen Revolution genannt.12 Trotz der militärischen Intervention verschiedener europäischer Mächte in Saint Domingue war die Revolution nicht mehr aufzuhalten. In jahrelangen Kriegen und Auseinandersetzungen beendeten die ehemals versklavten Revolutionäre nicht nur die europäische Kolonialherrschaft, sondern auch die Sklaverei. Am 1. Januar 1804 wurde schließlich die Gründung der Republik Haiti ausgerufen.13 Seit 1804 galt Haiti demnach als die erste freie schwarze Republik in den Amerikas – allerdings längst nicht allen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, wie ich im Folgenden darlege.
H AITI
ALS UNDENKBARER
S TAAT
Die Deutung davon, was in Haiti passiert war, und welche Bedeutung der schwarze Staat hatte, war in hohem Maße umkämpft. So wurde die Haitianische Revolution von vielen African Americans sowohl in den Süd- als auch den Nordstaaten der USA als leuchtendes Symbol für schwarze Freiheit, Unabhängigkeit und Wehrhaftigkeit verstanden.14 Bereits während der Revolution hatten
Saint Domingue besaßen. Außerdem besetzten sie wichtige Positionen im Militär und im Handel. 12 Vgl. Fick, S. 91-117. 13 Nesbitt, Nick, Universal Emancipation: The Haitian Revolution and the Radical Enlightenment. Charlottesville [u.a.]: University of Virginia Press, 2008. 14 Die Erinnerung an die Haitianische Revolution wurde in vielfältiger Weise thematisiert: Beispielsweise weist Matthew Clavin auf die Invokation der Revolution von Af-
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African Americans Informationen über Haiti durch eng gestrickte Kommunikationsnetzwerke in Erfahrung gebracht. Unter anderem freie und versklavte schwarze Seeleute, die sich zwischen den USA und der Karibik bewegten, hatten bei diesem Wissensaustausch eine wichtige Rolle gespielt, denn sie vermittelten aus erster Hand Informationen aus der Region an schwarze US-Amerikaner und Amerikanerinnen.15 Die Geschichtsschreibung hat vielfach aufgezeigt, dass das Wissen um Haiti direkt mit Widerständigkeiten in den USA in Verbindung gebracht wurde. So musste sich beispielsweise 1822 in Charleston, South Carolina der ehemalige Sklave Denmark Vesey vor Gericht verantworten. Ihm wurde vorgeworfen, einen bewaffneten Aufstand gegen die euroamerikanische Bevölkerung Charlestons geplant zu haben, an dem sich mehrere hundert Personen beteiligen sollten. Laut Zeugenaussagen vor Gericht hatte sich Vesey Haiti nicht nur zum Vorbild genommen, sondern auch mit der Unterstützung aus Haiti bei der Umsetzung seiner Pläne gerechnet.16 Und nicht zuletzt im US-amerikanischen
rican Americans während des US-amerikanischen Bürgerkriegs hin: Clavin, Matthew, Toussaint Louverture and the American Civil War: The Promise and Peril of a Second Haitian Revolution. Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2010. Stephen Hall arbeitet historische Darstellungen der Haitianischen Revolution in afroamerikanischer Geschichtsschreibung in den 1850er Jahren heraus: Hall, Stephen G., A Faithful Account of the Race: African American Historical Writing in Nineteenth-Century America. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2009, S. 86-122. Philip Edmonson legt dar, wie die afroamerikanische Presse zwischen 1820 und 1850 die Erinnerung an die Revolution am Leben erhielt. Siehe: Edmondson, Philip, „‚To Plead Our Own Cause‘: The St. Domingue Legacy and the Rise of the Black Press“, in: Salzman, Jack (Hg.), Prospects. An Annual of American Cultural Studies. 29 (2005), S. 121-154. 15 Scott, Julius, The Common Wind: Currents of Afro-American Communication in the Era of the Haitian Revolution. Dissertation Duke University, 1986. Im Zuge der Revolution flüchteten viele weiße Pflanzer in die USA. Einige von ihnen brachten ihre Sklavinnen und Sklaven mit. Auch diese Flüchtlinge trugen dazu bei, Nachrichten über Haiti unter der euroamerikanischen ebenso wie der afroamerikanischen Bevölkerung zu verbreiten. Zu den Migrantinnen und Migranten aus Haiti siehe beispielsweise White, Ashli, ‚A Flood of Impure Lava‘: Saint Dominguan Refugees in the United States, 1791-1820. Dissertation Columbia University, 2003. 16 Veseys Pläne waren sabotiert und verraten worden, bevor sie zur Umsetzung kamen. Vesey und einige seiner Mitverschwörer wurde in dem sich anschließenden Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Zu Denmark Vesey und der sogenannten Denmark Vesey Insurrection siehe: Pearson, Edward, Designs Against Charleston: The Trial
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Bürgerkrieg wurde die Haitianische Revolution von afroamerikanischen Soldaten der Unionsarmee als heldenhaftes Beispiel angerufen.17 Haiti war so Vorbild für organisierten Widerstand gegen Versklavung und Unterdrückung, fand aber auch in alltäglicheren und subtileren Handlungen Berücksichtigung. Gleichzeitig ging die haitianische Revolution, wie der Anthropologe und Historiker Michel Rolph Trouillot überzeugend argumentiert, „bereits während sie sich ereignete, mit dem eigentümlichen Merkmal ihrer Undenkbarkeit in die
Record of the Denmark Vesey Slave Conspiracy of 1822. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1999; Egerton, Douglas, He Shall Go out Free: The Lives of Denmark Vesey, Lanham: Rowman & Littlefield, 2004; Paquette, Robert L., „Jacobins of the Low Country: The Vesey Plot on Trial“, in: William and Mary Quarterly, 59/1 (2002), S. 185-192; Clavin, Toussaint Louverture and the American Civil War, S. 33-35; Rucker, Walter C., „‚I Will Gather All Nations‘: Resistance, Culture, and Pan African Collaboration in Denmark Vesey’s South Carolina“, in: Journal of Negro History, 86/2 (2001), S. 132-147. Es sind mehrfach heftige Debatten darüber geführt worden, inwiefern die Aussagen gegen Vesey vor Gericht authentisch waren. Diese Frage stellt sich unter anderem deshalb, weil aufgrund der prekären Quellenlage die Gerichtsakten die Grundlage der Geschichtsschreibung der Vesey Verschwörung bilden. Beispielsweise hat sich Michael P. Johnson in einem Aufsatz in William and Mary Quarterly bezüglich des Wahrheitsgehaltes der Zeugenaussagen skeptisch geäußert. Er argumentierte, dass die Zeugen gegen Vesey von Dritten zu Falschaussagen gedrängt worden seien, und dass Vesey in Wirklichkeit eine solche Verschwörung nicht hätte organisieren können. Siehe: Johnson, Michael P., „Denmark Vesey and His Co-Conspirators“¸ in: William and Mary Quarterly, 58/4 (2001), S. 915-976. Diese Vermutung rief zum Teil äußerst heftigen Widerspruch hervor. Siehe zu dieser Debatte u.a.: Verschiedene Beiträge in William and Mary Quarterly, Forum: The Making of a Slave Conspiracy, Part 2, 59/1 (2002), S. 135-202; Paquette, „From Rebellion to Revisionism: The Continuing Debate About the Denmark Vesey Affair“, in: Journal of Social History, 4/3 (2004), S. 302-303. Weitere Aufstände schwarzer Menschen in den USA werden mit Haiti in Verbindung gebracht, beispielsweise die sogenannte Gabriel’s Rebellion in Virginia zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Siehe Egerton, Gabriel’s Rebellion: The Virginia Slave Conspiracies of 1800 and 1802. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1993; Vgl. auch Sidbury, James, Ploughshares Into Swords: Race, Rebellion, and Identity in Gabriel’s Virginia, 1730-1810. New York: Cambridge University Press, 1997. 17 Clavin, Toussaint Louverture and the American Civil War.
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Geschichte“ ein.18 Wie lässt sich das verstehen? Als undenkbare Geschichte beschrieb Trouillot die Revolution nicht etwa, weil Menschen in der sogenannten atlantischen Welt nicht von den Vorgänge in Haiti gehört, über sie gesprochen oder über sie nachgedacht hätten. Ganz im Gegenteil verbreiteten sich Nachrichten von den Ereignissen in Haiti, das bis 1804 noch den kolonialen französischen Namen Saint Domingue trug, sehr schnell in den verschiedenen Regionen der Amerikas. Diese waren wie die ehemalige französische Kolonie zu einem großen Teil ebenfalls von der Sklaverei als Wirtschafts- und Herrschaftsform geprägt.19
18 Ich zitiere hier, wie auch in den folgenden Zitaten aus der deutschen Übersetzung des Kapitels „An Unthinkable History“ aus Trouillot, Michel Rolph, Silencing the Past. Power and the Production of History. Boston: Beacon Press, 1995, S. 70-107. Die deutsche Übersetzung findet sich unter dem Titel ders., „Undenkbare Geschichte. Zur Bagatellisierung der Haitianischen Revolution“, in: Conrad, Sebastian/Randeria, Shalini (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus: postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main/New York: Campus, 2002, S. 84-115, hier S. 85. Zu Trouillots Überlegungen siehe auch Stoler, Laura Ann und Cooper, Frederick „Zwischen Metropole und Kolonie: Ein Forschungsprogramm neu denken“, in: Kraft, Claudia [u.a.]. (Hg.), Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Problem. Frankfurt am Main: Campus, 2010, S. 26-66, hier S. 27. Der Artikel erschien in einer längeren und englischsprachigen Originalversion als „Between Metropole and Colony: Rethinking a Research Agenda“, in: dies. (Hg.), Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeoise World. Berkeley: University of California Press, 1997, S. 1-56. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive und mit Blick auf Cuba und Santo Domingo/Dominikanische Republik hat Sybille Fischer in ihrer weit rezipierten Studie „Modernity Disavowed. Haiti and the Cultures of Slavery in the Age of Revolution“ dargelegt, dass die Haitianische Revolution auch hier nicht als freiheitlich-modernes Ereignis von politischer Signifikanz verstanden wurde. Sie schreibt: „One might have expected that the Haitian Revolution would figure prominently in accounts of the revolutionary period, on a par with the French Revolution or the events that led to the foundation that led to the United States of America. That is not so. To this day, most accounts of that period that shaped Western modernity and placed notions of liberty and equality at the center of political thought fail to mention the only revolution that centered around the issue of racial equality.“ Warum dies so war, legt Fischer eindrucksvoll in ihrer Studie dar. Siehe: Fischer, Sybille, Modernity Disavowed. Haiti and the Cultures of Slavery in the Age of Revolution. Durham: Duke University Press, 2004, S. ix. 19 Siehe u.a.: Heuman, Gad (Hg.), The Slavery Reader. London: Routledge 2003; Stinchcombe, Arthur L., Sugar Island Slavery in the Age of Enlightenment: The Poli-
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Allerdings zeigt Trouillot vor genau diesem historischen Hintergrund auf, dass die Haitianische Revolution im hegemonialen zeitgenössischen Diskurs nicht als politisches Ereignis wahrgenommen werden konnte. Politisches Handeln war nämlich als weiß und männlich markiert, während beispielsweise schwarze Menschen als grundsätzlich unfähig galten, rationale und politisch motivierte Entscheidungen zu treffen. Daher konnten viele europäische und euroamerikanische Zeitgenossinnen und Zeitgenossen das Agieren schwarzer, ehemals versklavter Menschen in einem Diskurs, der ihre Wahrheiten und ihr Verständnis von der Welt formte, nicht als politische Handlungen lesen. Die Haitianische Revolution in eine Reihe zu setzen mit etwa den freiheitlich-aufklärerischen Umwälzungen der US-amerikanischen Revolution war ihnen nicht möglich.20 Denn schwarz und gleichzeitig ein politik- und freiheitsfähiger Staatsbürger zu sein war in der Wahrnehmung vieler weißer Menschen schlicht nicht denkbar. Wie Trouillot konstatiert, konnten die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen „die Nachrichten [über die Ereignisse in Haiti] nur mithilfe ihrer vorgefertigten Kategorien lesen, und diese Kategorien schlossen die Vorstellungen einer Sklavenrevolution von vornherein aus.“21 Die Ereignisse in Haiti wurden so bestenfalls als Aufstand oder Rebellion, nicht aber als Revolution verstanden. Dies ist insofern problematisch, als dass der Begriff Aufstand meist auf ein eher singuläres und zudem scheiterndes Aufbegehren einer bestimmten Gruppe von Menschen gegen eine Autorität verweist, während Revolution einen geglückten und umfassenden politischen und gesellschaftlichen Umsturz bezeichnet. Diese „Bagatellisierung“ der Revolution zog sich in der Wahrnehmung des Staates in der sogenannten westlichen Welt noch lange fort.22 Beispielsweise wurde Haiti erst im Jahr 1862 während des US-amerikanischen Bürgerkrieges von den USA überhaupt als unabhängiger Staat anerkannt. Ein freier schwarzer Staat in einer Weltordnung, die darauf basierte, dass schwarze Menschen einen subhumanen Status einnahmen, schien schlicht nicht möglich. Es herrschte vielmehr die Meinung, dass schwarze Menschen nicht in der Lage waren, politisch zu handeln und sich selbst zu emanzipieren. Außerdem galt, dass Freiheit ihnen überhaupt nicht bekomme. Denn ohne die strenge Anlei-
tical Economy of the Caribbean World. Princeton: Princeton University Press, 1995; Meißner, Jochen [u.a.], Schwarzes Amerika. Eine Geschichte der Sklaverei. München: Beck, 2008. 20 Dies zieht sich, wie Trouillot bemerkt, in der Geschichtsschreibung bis fast zum Ende des 20. Jahrhunderts fort. Vgl. Trouillot, Silencing the Past. 21 Trouillot, „Undenkbare Geschichte“, S. 85. 22 Ebd., S. 86.
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tung und Führung durch weiße Sklavenhalter, so die Meinung beispielsweise vieler weißer Südstaatlerinnen und Südstaatler, würden schwarze Menschen in einen barbarischen, heidnischen Zustand verfallen, der nicht zuletzt auch die Sicherheit der weißen Bevölkerung gefährden würde.23 Haiti beweise genau dies eindrücklich, glaubten viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Dementsprechend kursierten in der atlantischen Welt unter dem Schlagwort „Horrors of St. Domingo“ vielfach rezipierte Geschichten von der Gewalttätigkeit schwarzer Revolutionäre gegen die weiße Koloniale Bevölkerung.24 So konnte ausgerechnet Haiti als Beispiel dafür herangezogen werden, warum an der Sklaverei beispielsweise in den USA unbedingt festgehalten werden müsse – führe doch die Befreiung der Versklavten zu exzessiver Gewalttätigkeit. Wie Matthew J. Clavin bemerkt: „The ‚horrors of St. Domingo‘ survived in American memory as a symbol of all that was wrong with abolition and right both about slavery and the white supremacist ideology that helped embed the institution deeply in the republic’s foundation.“25
Die Versklavung und Führung durch Weiße sei die einzige Möglichkeit, Afrikanerinnen und Afrikanern sowie ihren Nachkommen in den Amerikas zumindest zu einem gewissen Grad der Zivilisierung zu verhelfen und letztendlich Massaker an der weißen Bevölkerung zu verhindern. Zudem war ein zentrales Argument von Befürwortenden der Sklaverei, dass schwarze Menschen gar kein Interesse an Freiheit hätten, sondern nur im Zustand der Versklavung Zufriedenheit erfuhren.26
23 Zu Pro-Sklaverei Debatten und ihren Argumenten siehe u.a.: Faust, Drew Gilpin, The Ideology of Slavery: Proslavery Thought in the Antebellum South, 1830-1860. Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1981; Finkelman, Paul, Defending Slavery: Proslavery Thought in the Old South: A Brief History with Documents. Boston: Bedford/St. Martin’s, 2003. 24 Clavin verortet diese Geschichten in der Tradition des literarischen Genres gothic fiction. Er konstatiert eine Betonung der Gewalttätigkeit der Revolution, und bemerkt, indem er Trouillots These von der „Undenkbarkeit“ Haitis folgt, dass die Darstellung der Ereignisse als Schauergeschichten dazu beitrug, das historische Ereignis zu banalisieren. Siehe Clavin, Matthew, „Race, Rebellion, and the Gothic. Inventing the Haitian Revolution“, in: Early American Studies, 5/1 (2007), S. 1-29. 25 Clavin, Toussaint Louverture, S. 19. 26 Offen widerständige Handlungen wie Fluchtversuche, oder aber auch gewalttätige Handlungen wurden häufig als Krankheiten pathologisiert, die Abweichungen von der
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Die Wirkmächtigkeit solch überaus rassistischer Überlegungen gerade in Regionen wie dem Süden der USA lässt sich eindrucksvoll an einem Fundstück aus den Beständen der South Carolina Library Society in Charleston verdeutlichen: Dort habe ich eine Ausgabe des 1805 veröffentlichten Buches „An Historical Account of the Black Empire of Hayti“ des Briten Marcus Rainsford vorgefunden, der mit seinem Werk eine der ersten Darstellungen der Haitianischen Revolution verfasst hatte. Schon der arabische Gelehrte und Diplomat Leo Africanus habe dargelegt, dass „negroes“ in der Lage seien, Feinde energisch und erfolgreich abzuwehren, hieß es darin.27 Dennoch habe es fast bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gedauert, bis die Öffentlichkeit Zeuge der Ereignisse in Haiti geworden sei. „[A] horde of negroes emancipating themselves from vilest slavery, and at once filling the relations of society, enacting laws, and commanding armies“– dies habe man dabei beobachten können.28 Diese Beschreibung dokumentiert die Verwunderung, Überraschung und Irritation, mit der Rainsford wie viele andere Zeitgenossinnen und Zeitgenossen auf die Ereignisse in Haiti reagierten. Besonders interessant sind jedoch die auf das Jahr 1844 datierten handschriftliche Kommentare eines Lesers zu Rainsfords Ausführungen, die sich auf
„normalen“ psychischen Konstitution schwarzer Menschen darstellte. Beispielsweise hatte der Arzt und Sklavenhalter Samuel A. Cartwright Fluchtversuche von versklavten African Americans als Symptome der psychischen Krankheit Drapetomania beschrieben. Siehe: Cartwright, Samuel A., „Report on the Diseases and Physical Peculiarities of the Negro Race“, in: The New Orleans Medical and Surgical Journal, (1851), S. 691-715. Das hegemoniale Herrschaftssystem des US-amerikanischen Südens blieb auch angesichts solcher Akte von Widerständigkeit unbeschädigt. Douglas Baynton argumentiert überzeugend, dass gerade solche Pathologisierungen dazu benutzt wurden, um einer Vielzahl von gesellschaftlichen Gruppen, wie etwa African Americans, Frauen, oder Immigranten von gleichberechtigter staatsbürgerlicher Teilhabe auszuschließen. Siehe Baynton, Douglas, „Slaves, Immigrants, and Suffragists: The Uses of Disability in Citizenship Debates“, in: Publications of the Modern Language Association of America, 120/2 (2005), S. 562-567. 27 Rainsford bezieht sich hier auf Johannes Leo Africanus erstmals 1600 in London erschienenes Buch The History and Description of Africa and of the Notable Things Therein Contained. Zu Africanus siehe: Davis, Natalie Zemon, Leo Africanus: Ein Reisender zwischen Orient und Okzident. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 2008. Zu Marcus Rainsfords Text siehe auch Buck-Morss, Susan, Hegel, Haiti and Universal History. Pittsburgh: University of Pittsburgh Press, 2009. 28 Rainsford, An Historical Account, S. xi.
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vereinzelten Seiten des Buches in der Library Society finden lassen.29 Rainfords Formulierungen „negroes emancipating themselves“ und „enacting laws“ hatte der unbekannte Leser markiert und am Seitenrand folgendermaßen kommentiert: „the French Revolutionaries emancipated them not they themselves“ und „their best and in fact only laws were drafted by white men in the employ of the negroes“.30 Wie auch Trouillot darlegt, nahmen viele Menschen an, dass die Akteure in Haiti von weißen französischen Revolutionären angestiftet worden seien, da sie zu selbstständigem politischen Handeln schlicht nicht in der Lage gewesen seien, und Freiheit von sich aus auch überhaupt nicht angestrebt hätten.31 Die Bemerkungen des anonymen Kommentators müssen als Versuch gelesen werden, den Ereignissen in Haiti vor dem Hintergrund einer Gesellschaftsordnung, die die Politikfähigkeit von schwarzen Menschen grundsätzlich verneinte, Sinn zu verleihen. Sie zeugen von dem Bemühen, trotz der Irritation die Haiti verursachte, an den Grundannahmen festzuhalten, auf die sich die rassistischen Herrschaftsverhältnisse im US-amerikanischen Süden stützten. Der Kommentator weigerte sich nicht nur, den schwarzen Revolutionären selbstständiges und politisches Agieren zu zugestehen, sondern nahm auch den Staat Haiti vierzig Jahre nach seiner Gründung nicht ernst. Rainsford mutmaßte, dass Haiti „the most enviable state of grandeur and felicity“ erreichen könne.32 Dies kommentierte der anonyme Leser mit einer im Kontext seiner übrigen Äußerungen nur als ironisch zu verstehenden Bemerkung: „They most certainly have in 1844“33. Äußerst vielsagend verglich er außerdem den Zustand Haitis mit dem Afrikas, das allgemein als Sinnbild für Unzivilisiertheit und Rückständigkeit galt.34 Diese Wahrnehmungen Haitis und die „Undenkbarkeit“ der Revolution als politisch-historisches Ereignis korrespondierte mit der prekären gesellschaftli-
29 Obwohl wir kaum Informationen zu dem Kommentator haben, lässt sich die Vermutung anstellen, dass es sich um einen weißen Mann der handelte, der 1844 überhaupt Zugang zu dem Buch hatte, Lesen und Schreiben konnte, und gebildet war. 30 Siehe das Exemplar von Rainsfords Buch in der South Carolina Library Society in Charleston, South Carolina. 31 Trouillot, „Undenkbare Geschichte“, S. 108-109. 32 Rainsford, An Historical Account, S. 360. 33 Anonym, in: Ebd. S. 360, einzusehen in der South Carolina Library Society. Tatsächlich befand sich Haiti nicht zuletzt aufgrund seiner politischen und wirtschaftlichen Isolation und zahlreicher politischer Umstürze in einem verarmten Zustand. Auch dieser Umstand beflügelte vermutlich die Vorannahmen des anonymen Verfassers. 34 Ebd.
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chen Stellung, die African Americans in den USA zugewiesen wurde.35 Es war genau dieser Status, der einige African Americans im frühen und mittleren 19. Jahrhundert dazu veranlasste, in ihrem Kampf um Emanzipation und Gleichberechtigung nach Haiti zu blicken. Sie hofften, durch die Emigration nach Haiti endlich eine gleichberechtigte Teilhabe an staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten zu erlangen – wenn schon nicht in den USA und Kanada, dann stattdessen in Haiti. Viele empfanden die in Nordamerika erfahrenen Einschränkungen als freiheitsberaubend. Der Umzug nach Haiti bedeutete daher für die Emigierenden Hoffnung auf eine Freiheit, die ihnen in den USA verwehrt blieb. Wie auch die eingangs zitierte Einladung des haitianischen Präsidenten Geffrard verdeutlicht, wurden im Kontext der Diskussionen um Haiti wirkmächtige Vorstellungen von einer globalen historischen Gemeinschaft schwarzer Menschen geäußert, zu denen African Americans ebenso wie Haitianerinnen und Haitianer gehörten. Allerdings: Wenngleich Haiti durch viele African Americans in den USA eine ungleich andere Wahrnehmung erfuhr als durch die meisten European Americans, so wurde Haiti innerhalb dieser transnationalen Gemeinschaft äußerst ambivalente Positionen zugeschrieben. Diese verorteten sich auf dem von mir oben skizzierten Spannungsfeld zwischen undenkbarer Geschichte und hoffnungsvollem Freiheitssymbol. So wurde Haiti einerseits als Ort heroischer schwarzer Selbstbefreiung und Wehrhaftigkeit gefeiert, und galt als Beweis für die Befähigung schwarzer Menschen als gleichberechtigt politisch Handelnde und Staatsbürger. Gleichzeitig wurde Haiti aber auch als Ort betrachtet, der der zivilisatorischen Hilfe von schwarzen Menschen dezidiert aus den USA bedurfte, um Fortschrittlichkeit und Ansehen zu erlangen. Denn wie ich im Verlauf der Arbeit zeige, äußerten viele Befürwortende von Emigration nach Haiti die Absicht, Fortschrittlichkeit in das Land zu bringen und so zu helfen, es zu modernisieren und zu christianisieren. Wie ich darlege, hielten sie sich für eine solche Aufgabe für besonders geeignet, da sie meinten aus den USA angelsächsische Tugenden mitzubringen, an denen es in Haiti fehle. Wenn sich auf den ersten Blick möglicherweise konstatieren ließe, dass jene African Americans, die Nordamerika verließen, sich scheinbar völlig von den USA und der Forderung nach einer Anerkennung als gleichberechtigte USamerikanische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger verabschiedet hatten, so wird spätestens vor diesem Hintergrund deutlich, dass diese Angelegenheit komplexer war: Ziel der Modernisierung Haitis, zu der African Americans einen erheblichen Beitrag leisten sollten, war nämlich die Wahrnehmung des Landes als
35 Trouillot, „Undenkbare Geschichte“, S. 85.
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vollwertiger, ernstzunehmender Staat durch die USA und die restliche sogenannte westliche Welt.36 Wie ich darlegen werde, sollte mit diesem Modernisierungsprojekt bewiesen werden, dass schwarze Menschen entgegen aller Vorannahmen eben doch politisch und gesellschaftlich handlungsfähig waren. Emigration nach Haiti muss somit als eine emanzipatorische Strategie verstanden werden, mit der die Herrschaftsverhältnisse in den USA herausgefordert werden konnten. Dabei kamen mindestens in zweifacher Hinsicht Emanzipationsbestrebungen zum Ausdruck: Erstens entzogen sich Menschen durch den Umzug nach Haiti der alltäglichen Erfahrung von Rassismus in den USA. Zweitens beabsichtigten sie durch ihr Tun in Haiti Vorstellungen von der Unterlegenheit schwarzer Menschen zu widerlegen und damit der rassistischen Herrschaftsordnung in den USA die Grundlage zu entziehen. Meine Arbeit wird deutlich machen, dass so nicht nur Hierarchien zwischen African Americans und Haitianerinnen und Haitianern sichtbar wurden, sondern – was kaum überraschen dürfte – auch innerhalb der überaus heterogenen Gruppe schwarzer US-Amerikanerinnen und Amerikaner.
Z EITLICHE R AHMUNG Historikerinnen und Historiker haben zwei Phasen identifiziert, in denen eine größere Anzahl von Menschen von den USA nach Haiti emigrierten: eine erste in den 1820er Jahren und eine zweite in den Jahren vor und während des USamerikanischen Bürgerkrieges.37 Außer einigen in den 1950er und 60er Jahren entstandenen Arbeiten befassen sich mit Ausnahme einer bisher unveröffentlichten Dissertation alle mir vorliegenden Arbeiten mit beiden Phasen der Emigration und zeigen die Kontinuitäten afroamerikanischen Interesses für Haiti auf.38 Allerdings macht es die zeitliche Beschränkung meiner eigenen Arbeit auf die Jahre vor dem Bürgerkrieg möglich, diese Emigrationsbewegung in ihren Verknüpfungen mit US-amerikanischen Diskursen der 1850er und 60er zu lesen
36 Auch James Redpath erhielt ganz offiziell den Auftrag, die offizielle diplomatische Anerkennung Haitis durch die US-amerikanische Regierung zu erwirken. 37 Sara Fanning gibt an, dass circa 13.000 African Americans in den 1820er Jahren die USA in Richtung Haiti verließen. Vgl. Fanning, Haiti and the U.S.: African American Emigration and the Recognition Debate. Dissertation University of Texas at Austin, 2008, S. 1. Im Vergleich dazu emigrierten, wie bereits eingangs erwähnt, lediglich etwa 3000 schwarze Menschen in den Jahren vor und während des Bürgerkriegs nach Haiti. 38 Ebd.
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und diese zu beleuchten. Meine Studie wendet sich so einer Phase zu, die durch kontroverse Debatten um Sklaverei, die Position freier African Americans in der US-amerikanischen Nation, der Gestaltung US-amerikanischer Staatsbürgerschaft, und seit dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg (1846-48) nicht zuletzt auch von dem Aufkommen US-amerikanischer Expansion über den nordamerikanischen Kontinent und darüber hinaus geprägt war. Sie endet in den frühen 1860er Jahren mit dem Bürgerkrieg und der Abschaffung der Sklaverei. In diesem Zeitraum wurde die Frage wer überhaupt als US-amerikanischer Staatsbürger galt intensiv diskutiert. Dass Staatsbürgerschaft zwar mit Pflichten verbunden war, vor allem aber auch Privilegien mit sich brachte, die den Zugriff auf gesellschaftliche Ressourcen ermöglichten, sei hier nachdrücklich betont. Als Konsens galt bereits länger, dass die meisten weißen, besitzenden Männer volle staatsbürgerliche Rechte genießen sollten.39 Wie sah es aber mit freien African Americans, Immigrantengruppen mit zweifelhaftem rassischem Status, wie etwa den Iren, oder generell mit Frauen aus? Und welche Rolle spielten die Einzelstaaten und der föderale Nationalstaat?40 Diese Fragen wurden in dem hier betrachteten Zeitraum ausgiebig diskutiert. Einer der Gründe für die intensiven Debatten um Staatsbürgerschaft war die zunehmende Präsenz von African Americans in den USA. Neben knapp 4 Millionen Sklavinnen und Sklaven gab es etwa eine halbe Millionen freier African Americans, von denen etwa die Hälfte im US-amerikanischen Süden und die andere Hälfte in den Nordstaaten lebten. Dass versklavte Menschen als „Eigentum“ keine Staatsbürger waren, galt als eindeutig. Der Status freier African Americans, die auf praktischer Ebene fast überall Diskriminierungen erfuhren, blieb allerdings lange ungeklärt und ambivalent.41 „Events leading up to and occurring during the 1860s challenged Americans to think about national citizenship in
39 Vgl. Isenberg, Nancy, Sex and Citizenship in Antebellum America. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1998. 40 Vgl. Samito, Christian G., Becoming American Under Fire: Irish Americans, African Americans, and the Politics of Citizenship During the Civil War Era. Ithaca [u.a.]: Cornell University Press, 2009, S. 13-25. Zur Klassifizierung der Iren als nicht-weiße Gruppe, siehe auch Ignatiev, Noel, How the Irish Became White. New York: Routledge, 1995. 41 Vgl. ebd., S. 14; siehe auch Kettner, James, The Development of American Citizenship, 1608-1870. Chapel Hill: University of North Carolina Press, ²1984 (1978), S. 287-333. Zu dieser Debatte siehe auch Kapitel vier der vorliegenden Studie. Dort schildere ich die Reform der Passausgabe im Jahre 1856, die unmittelbar mit diesen Debatten verknüpft ist.
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definite terms for the first time and the concept emerged dramatically transformed“ beschreibt der Historiker Christian Samito diesen Zeitraum. Er fügt hinzu: „The idea of citizenship based on voluntary consent emerged during the Revolutionary era. […] What citizenship meant in practice, however, remained ambiguous.“42 Gerade in dieser Ambiguität verbarg sich beispielsweise aus der Perspektive von Befürwortenden der Sklaverei eine große Gefahr: Angesichts der Tatsache, dass die Versklavung von Millionen African Americans im US-amerikanischen Süden unter anderem damit gerechtfertigt wurde, dass schwarze Menschen weißen unterlegen und von ihnen abhängig seien, hätte ein Zugeständnis voller staatsbürgerlichen Rechten an freie African Americans genau diese Vorstellung untergraben.43 So lässt sich mit Blick auf die 1850er Jahre dann auch beobachten, wie unter der Einflussnahme südstaatlicher Interessen die in der Praxis und vor Gesetz ohnehin begrenzten Rechte von African Americans auf bundesstaatlicher Ebene immer weiter eingeschränkt wurden.44 Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges 1861 war der Ausschluss schwarzer Menschen von US-amerikanischer Staatsbürgerlichkeit etabliert worden. Als bezeichnend für diese Entwicklung gilt unter anderem das Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA im Fall Dred Scott vs. Sanford im Jahre 1857. Der versklavte Scott hatte zusammen mit seinem „Besitzer“ in den 1830er Jahren längere Zeit in zu diesem Zeitpunkt noch unorganisierten Territorium im Norden des Kontinents gelebt, in dem Sklaverei nicht erlaubt war. 1846 versuchte Scott in Missouri seine Freiheit einzuklagen, indem er sich auf den Aufenthalt in diesem Gebiet berief. Der Fall ging durch die Instanzen und landete schließlich vor dem Obersten Gerichtshof in Washington DC, der gegen Scott entschied. Begründet wurde das Urteil unter anderem damit, dass Scott als African American kein Bürger der USA sei und deshalb vor einem Bundesgericht überhaupt nicht klagen könne.45 Der nun auch von Obersten Gerichtshof bestätigte rechtlich Ausschluss von African Americans von Bürgerrechten der USA sollte sich während und nach dem Bürgerkrieg
42 Samito, Becoming American, S. 2. 43 Vgl. ebd., S. 13. 44 Als wichtige Eckpunkte dieser Entwicklung wären der Erlass des Fugitive Slave Act von 1850 oder auch das Urteil im Fall Dred Scott vs. Sanford aus dem Jahre 1857 zu nennen, auf die in späteren Kapiteln weiter eingegangen wird. 45 Siehe Finzsch, Norbert [u.a.], Von Benin nach Baltimore : die Geschichte der African Americans, Hamburg: Hamburger Edition, 1999, S. 283. Grundlegend zum Fall Dred Scott siehe Fehrenbacher, Don E., Slavery, Law, and Politics: The Dred Scott Case in Historical Perspective. Oxford/New York: Oxford University Press, 1981.
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zumindest kurzfristig ändern. Nicht nur kämpften afroamerikanische Männer, wenn auch schlechter bezahlt als ihre weißen Kameraden, als Soldaten für die Unionsarmee und erfüllten damit ein wichtiges Kriterium männlicher Staatsbürgerschaft.46 Sie erlangten tatsächlich auch die Verankerung ihrer staatsbürgerlichen Rechte durch den 13., 14. und 15. Zusatz in der US-amerikanischen Verfassung.47 Mit Blick auf die 1850er Jahre kann es kaum verwundern, dass in diesem Jahrzehnt das Aufkommen des häufig als „klassisch“ beschriebenen schwarzen Nationalismus verortet wird.48 Emigrationspläne nach Haiti waren mit dieser frühen Form des schwarzen Nationalismus und ihren Ideen und diskursiven Hervorbringungen eng verknüpft. In einer Zeit, in der die Zugehörigkeit zu einer Nation und Staatsbürgerschaft zunehmend wichtig wurden, schwarze Menschen aber systematisch von den damit verbundenen Privilegien ausgeschlossen waren,
46 Zu schwarzen Soldaten im US-amerikanischen Bürgerkrieg, siehe u.a.: Smith, John David (Hg.), Black Soldiers in Blue: African American Troops in the Civil War Era. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2002; Williams, Heather Andrea, „‚Commenced to Think Like a Man‘: Literacy and Manhood in African American Civil War Regiments“, in: Thompson Friend, Craig und Glover, Lorri, Southern Manhood: Perspectives on Masculinity in the Old South. Athens: University of Georgia Press, 2004. 47 Dies bedeutete vor allem auf einzelstaatlicher Ebene nicht, dass diese Rechte eingeräumt wurden. Bekannter Maßen sahen sich African Americans nach der relativ kurzen Phase des als Reconstruction bezeichneten Wideraufbaus zwischen 1863-1877 vor allem im US-amerikanischen Süden mit erheblichen Diskriminierungen und einer systematischen Aberkennung ihrer in der Verfassung garantierten Rechte konfrontiert. Zur Reconstruction siehe neben vielen anderen Foner, Eric, Reconstruction: America’s Unfinished Revolution, 1863-1877. New York: Harper and Row, 1988, das nach wie vor das Standardwerk in diesem Bereich ist. Zur Geschichte des segregierten Südens nach 1877 siehe u.a.: Dailey, Jame (Hg.), Jumpin’ Jim Crow : Southern Politics from Civil War to Civil Rights. Princeton: Princeton University Press, 2000; Finzsch, Von Benin nach Baltimore, S. 310-339. 48 Als „klassisch“ wird dieser beschreiben, um ihn von der als „modern black nationalism“ beschriebenen Black Power Bewegung im 20. Jahrhundert abzugrenzen. Zum Black Nationalism siehe u.a. Robinson, Dean E., Black Nationalism in American Politics and Thought. New York [u.a]: Cambridge University Press, 2001; Moses, Wilson Jeremiah, The Golden Age of Black Nationalism, 1850-1925. Hamden: Archon Books, 1978; Miller, Floyd J., The Search for a Black Nationality: Black Emigration and Colonization, 1787-1863, Urbana: University of Illinois Press, 1975.
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schien die vermeintlich selbstbestimmte Abgrenzung von der Gesellschaft, die sie diskriminierte, für viele eine sinnvolle emanzipatorische Strategie. Allerdings bedeutete dies nicht eine völlige Loslösung von den diskursiven Strukturen der Gesellschaftsordnung, die die Unterdrückung schwarzer Menschen hervorbrachte.49 „Classical black nationalism mirrored what we could loosely call ‚white American nationalism‘ of the time“, bemerkt Dean E. Robinson stattdessen. Weißen Nationalismus beschreibt er folgendermaßen: „White American nationalism reflected a sentiment that the United States was, or ought to be, the domain of the white man. This idea, in turn, rested upon a set of notions concerning innate traits that white people in the United States supposedly had, the different traits blacks (and others) allegedly had, and the appropriate station or social status these traits demanded.“50
Für viele African Americans spielten Vorstellungen von respektabler Männlichkeit und Weiblichkeit eine wichtige Rolle. Die Umsetzung von zeitgenössischen Geschlechteridealen sollte durch eine räumliche Abgrenzung von der weißen US-amerikanischen Gesellschaft und der Formierung alternativer, sich als national verstehender und häufig transnational agierender Gemeinschaften überhaupt erst ermöglicht werden. Denn für viele Menschen schien in einer respektablen Lebensweise der Schlüssel zur Anerkennung durch die weiße Gesellschaft zu liegen.51 Das soll allerdings nicht bedeuten, Emigrierende in Haiti hätten das Streben nach Respektabilität lediglich aufgrund der Suche nach weißer Anerkennung verfolgt und „in Wirklichkeit“ gar kein Interesse daran gehabt, bestimmten Lebensweisen nachzugehen. Ganz im Gegenteil: Es war gerade die Umsetzung respektabler Lebensweisen, die von den meisten als ultimativer emanzipatorischer Moment wahrgenommen wurde. Denn eine Lebensführung, die als respektabel galt, schien die natürliche, einzig richtige Lebensweise zu sein, die aber vielen aufgrund der rassistischen Strukturen in den USA verwehrt blieb. Inwiefern diese Aspekte im Kontext der Emigration nach Haiti zum Tragen kamen, arbeitet diese Arbeit heraus.
49 Vgl. auch Sidbury, Becoming African in America. Race and Nation in the Early Black Atlantic. Oxford/New York: Oxford University Press, 2007. 50 Robinson, Black Nationalism, S. 9. 51 Ebd., S. 8-9.
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Afroamerikanische Emigrationsbestrebungen knüpften nicht zuletzt auch an Vorstellungen einer Manifest Destiny an.52 Manifest Destiny bezeichnete in der Vorstellung vieler Zeitgenossinnen und Zeitgenossen eine göttliche vorbestimmte Ausbreitung von US-amerikanischen Anglo-Saxons und ihrer Kultur zunächst über den nordamerikanischen Kontinent und darüber hinaus. Der Begriff war im Zuge der Annexion von Texas durch die USA im Jahre 1845 und dem daraus resultierenden Mexikanischen Krieg erstmals häufiger in der US-amerikanischen Presse benutzt worden und hatte in den darauf folgenden Jahren enorme Bekanntheit erlangt.53 Er beschrieb eine Form von US-amerikanischer Expansion,
52 „[E]migrationist leaders spoke in terms of an African American Manifest Destiny in the Caribbean“ argumentiert Chris Dixon. Siehe Dixon, Chris, African America and Haiti: Emigration and Black Nationalism in the Nineteenth Century. Westport: Greenwood Press, 2000, hier S. 193; vgl. auch S. x; 81; 193. Wie sich dies in Emigrationspraktiken und dem Selbstverständnis der Emigrationistinnen und Emigrationisten niederschlug, muss aber noch ausführlicher dargelegt werden. 53 Wenngleich die Idee einer Manifest Destiny, wie Nicholas Guyatt betont, wesentlich älter war, wurde der Begriff vermutlich 1845 von John O’Sullivan, Journalist und Herausgeber des politischen Magazins The Democratic Review im Kontext von Texas durch die USA zum ersten Mal öffentlich benutzt, vgl. Guyatt, Nicholas, Providence and the Invention of the United States, 1607-1876. Cambridge: Cambridge University Press, 2007, S. 218. An Popularität gewann der Begriff allerdings erst in den folgenden Jahren nach wiederholter Benutzung durch O’Sullivan und andere Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Zur Geschichte von Manifest Destiny siehe unter vielen anderen: Campbell, James T. [u.a.], Race, Nation, & Empire in American History. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1997; Guétin, Nicole, Religious Ideology in American Politics. A History. Jefferson: McFarland&Company, 2009, hier S. 6, und S. 69-72; Johannsen, Robert, Manifest Destiny and Empire: American Antebellum Expansion. College Station: Texas A&M University Press, 1997; Merck, Frederick, Manifest Destiny and Mission in American History. Westport: Greenwood Press, 1963. Im Kontext dieser Arbeit als besonders relevant zu betonen sind: Greenberg, Amy, Manifest Manhood and the Antebellum American Empire. Cambridge: Cambridge University Press, 2005; siehe auch dies. „Männlichkeiten, territoriale Expansion und die Amerikanische Frontier im 19. Jahrhundert“, in: Martschukat, Jürgen/Stieglitz, Olaf (Hg.), Väter, Soldaten, Liebhaber. Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas. Ein Reader. Bielefeld: Transcript, 2007, S. 103-122; Horsman, Reginald, Race and Manifest Destiny: The Origins of American Racial Anglo-Saxonism. Cambridge: Harvard University Press, 1981; Kaplan, Amy, „Manifest Domesticity“, in: American Literature, 70/3 (1998), S. 581-605. Zu Expansionsplänen
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die als eine protestantische und in der Wahrnehmung vieler als explizit weiße Unternehmung galt. Weiße Menschen sollten nicht-weißen Menschen eine vermeintlich richtige Lebensweise und damit verknüpfte protestantische Christlichkeit beibringen. Gleichzeitig sollten sie ihnen dabei zu einer gewissen Zivilisierung verhelfen, wenn gleich die Annahme herrschte, dass nicht-weiße Menschen nur einen unperfekten Grad der Zivilisierung erreichen könnten. Dem entsprechend stellt die Historikerin Amy Greenberg fest: „[T]he exponents of Manifest Destiny were, by and large, white American men. […] Those Americans who were not part of the priviledged white race were deliberately excluded.“ Sie räumt aber auch ein: „This is not to say that non-white men had no voice in territorial expansionism or that territorial expansionism did not shape the meaning of manhood and womanhood for non-white men and women.“54 Ich greife diese Überlegungen auf und zeige, wie sich im Kontext der Emigration nach Haiti African Americans in den Diskurs von Manifest Destiny einschrieben. Als Menschen, die als nicht-weiß klassifiziert waren, nahmen sie einen aktiven Part in der Gestaltung von Modernität und Fortschrittlichkeit in der sogenannten westlichen Welt für sich in Anspruch. Denn Ziel sowohl der Umsetzung von Manifest Destiny als auch der Emigrationsbewegung nach Haiti war die Verbreitung von Modernität und Fortschritt in der Welt. Für die Befürwortenden von Emigration nach Haiti war das Land in diesem Kontext gleichzeitig beides: Symbol erfolgreicher schwarzer Emanzipation, aber auch ein zumindest zweifelhafter Staat, den es zu kolonisieren und zu modernisieren galt. Bestehende Hierarchien und Herrschaftsverhältnisse, die sich unter anderem in der Sklaverei und der systematischen Verneinung von Bürgerrechten für African Americans materialisierten, wurden dabei herausgefordert und in Frage gestellt, aber keinesfalls völlig aufgehoben, sondern lediglich verschoben und re-konstituiert.
F ORSCHUNGSÜBERBLICK Michel Rolph Trouillot diagnostizierte noch 1995 eine Vernachlässigung der Haitianischen Revolution und der Bedeutung des Staates Haiti im atlantischen
im US-amerikanischen Süden siehe: Horne, Gerald, The Deepest South: The United States, Brazil and the African Slave Trade. New York: University Press, 2007. Horne diskutiert, wie weiße, sklavenhaltende Südstaatler Ideen von Manifest Destiny vor und während des Sezessionskrieges in die Imagination eines „slave empire“ einfügten, das den gesamten amerikanischen Kontinent umfasse sollte. 54 Greenberg, Manifest Manhood, S. 46.
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Raum in historischen Arbeiten die in sogenannten westlichen Staaten entstanden.55 Bis in 1970er Jahre sei die Revolution mit Ausnahme beispielsweise der Studie von C. L. R. James kaum als ernstzunehmendes politisches Ereignis in der Geschichte des Atlantischen Raums untersucht worden.56 Erst in Folge der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung habe die Haitianische Revolution, allerdings als Teil eines wenig wirkmächtigen „Gegendiskurs[es]“ in der Geschichtswissenschaft Berücksichtigung erfahren. Auch einige in den 1980er Jahren veröffentlichte Untersuchungen von Historikern wie etwa Eugene Genovese und Robin Blackburn, die zudem keine Haiti-Spezialisten, sondern US-Historiker waren, verortet Trouillot in diesem „Gegendiskurs“.57 Der Geschichtsschreibung in Haiti wirft er vor, sich eines „epischen Diskurs[es] zum Lobe ihrer Revolution“ zu bedienen, der als Reaktion auf eine rassistische Weltordnung zwar verständlich, aber auch problematisch sei.58 Mit Blick auf die jüngste Geschichtsschreibung über die Haitianische Revolution seit dem Ende der 1980er Jahre konstatiert er, dass „wir noch immer meilenweit von einem […] grundsätzlichen Umschreiben der Weltgeschichte entfernt“ seien, und die Marginalisierung der Haitianischen Revolution so fest in den Strukturen verankert sei, dass ihre Aufhebung vermutlich nie völlig gelingen werde.59 Er räumt aber auch einige „spektakuläre Erfolge“ in der Geschichtsschreibung der Haitianischen Revolution ein.60 Tatsächlich sind zum Teil in Folge von Trouillots einflussreichen Überlegungen seit der Mitte der 1990er Jahre eine ganze Reihe von Studien erschienen, die sich mit der Revolution als solcher auseinandersetzen, oder auf ihre zentrale und dennoch marginalisierte Bedeutung im Atlantischen Raum hinwei-
55 Vgl. Trouillot, Silencing the Past, hier vor allem S. 95-107. Im Folgenden beziehe ich mich auf die deutsche Übersetzung seines Kapitels: ders. „Undenkbare Geschichte“. 56 Siehe: James, C.L.R., The Black Jacobins. Toussaint Louverture and the San Domingo Revolution. London: Secker & Warburg, 1938. 57 Zitat: Trouillot, „Undenkbare Geschichte“, S. 110. Siehe: Blackburn, Robin, The Overthrow of Colonial Slavery, 1776-1848. London/New York: Verso, 1988; Genovese, Eugene, From Rebellion to Revolution: Afro-American Slave Revolts in the Making of the Modern World. Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1979. 58 Siehe Trouillot, „Undenkbare Geschichte“, S. 110. 59 Ebd., S. 112. 60 Ebd., S. 112. Lobend äußert sich Trouillot über Braudel, Fernand, Civilization and Capitalism: 15th-18th Century. Berkeley: University of California Press, 1992; Wolf, Eric Robert, Europe and the People Without History. Berkeley: University of California Press, 1982; Ferro, Marc, Histoire des Colonisations: des Conquêtes aux Indépendances, XIIIe-XXe Siècle. Paris: Editions du Seuil, 1992.
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sen. Exemplarisch sei hier etwa auf die Arbeiten von David Geggus und David Gaspar, Laurent Dubois, Sybille Fischer, Joan Dayan, Martin Munro, Nick Nesbitt und anderen verwiesen.61 Haiti und die USA Wie schon in den einleitenden Bemerkungen zu diesem Kapitel angedeutet, scheint es mittlerweile in der Geschichtswissenschaft mehr oder weniger Konsens, dass Haiti für die USA und vor allem für African Americans von erheblicher Bedeutung war. Nachdem diese Verbindungen lange zwar nicht völlig übersehen, aber doch vernachlässigt worden waren, erfährt dieses Untersuchungsfeld seit den letzten zehn Jahren vor dem Hintergrund transnationaler Geschichtsschreibungen eine enorme Konjunktur. Bereits 1988 erschien Alfred Hunts Buch „Haiti’s Influence on Antebellum America: Slumbering Volcano in the Caribbean“, in dem dieser überblicksartig aufzeigte, auf welche vielfältigen Weisen die USA durch Haiti „beeinflusst“ wurden. Er verweist auf Flüchtlinge, die von den Haiti in die USA reisten, zeigt auf, wie im US-amerikanischen Süden Gesetze verschärft wurden, um die ver-
61 Garraway, Doris L. (Hg.), Tree of Liberty: Cultural Legacies of the Haitian Revolution in the Atlantic World. Charlottesville [u.a.]: University of Virginia Press, 2008; Munro, Martin/Walcott-Hackshaw, Elizabeth (Hg), Reinterpreting the Haitian Revolution and its Cultural Aftershocks. Kingston [u.a.]: University of West Indies Press, 2006, Dayan, Haiti, History and the Gods; Fischer, Modernity Disavowed; Dubois, Avengers of the New World; ders., „The Citizen’s Trance: The Haitian Revolution and the Motor of History“, in: Meyer, Birgit/Pels, Peter (Hg.), Magic and Modernity: Interfaces of Revelation and Concealment. Stanford: Stanford University Press, 2003, S. 103-128; Nesbitt, Universal Emancipation; Geggus, Haitian Revolutionary Studies; ders./Fierring, World of the Haitian Revolution; Gaspar, David B./Geggus, A Turbulent Time: The French Revolution and the Greater Caribbean. Bloomington: Indiana University Press, 1997; Buck-Morss, Hegel, Haiti and Universal History. Außerdem hat Geggus 2001 einen Sammelband herausgegeben, der eine Übersicht über den „Einfluss“ der haitianischen Revolution in verschiedenen Teilen der Atlanischen Welt gibt und die Arbeiten einer ganzen Reihe von renommierten Historikerinnen und Historikern beinhaltet. Siehe: Geggus (Hg.), The Impact of the Haitian Revolution in the Atlantic World. Columbia: University of South Carolina, 2001. Davon setzen sich einige, wie etwa Laurent Dubois mit der Marginalisierung der Haitianischen Revolution auseinander.
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sklavte Bevölkerung besser kontrollieren zu können, und untersucht Reaktionen der afroamerikanischen Bevölkerung.62 Bisher nicht veröffentlicht worden ist die 1986 an der Duke University eingereichte Dissertation „The Common Wind: Currents of Afro-American Communication in the Era of the Haitian Revolution“, in der der Historiker Julius Scott die Rolle von schwarzen Seeleuten beim Transport von Informationen über die Haitianische Revolution untersucht.63 Bis dato ebenfalls unveröffentlicht geblieben ist James Duns 2004 vorgelegte Dissertation „Dangerous Intelligence: Slavery, Race, and St. Domingue in the Early American Republic“. Dun blickt auf Philadelphia zwischen den 1780er und der Mitte der 1790er Jahren und legt dar, wie die Bevölkerung den Ereignissen in St. Domingue Sinn verlieh.64 Léon D. Pamphiles „Haitians and African Americans. A Heritage of Tragedy and Hope“ befasst sich chronologisch mit historischen Ereignissen und Momenten zwischen 1800 und 2000, in denen Beziehungen zwischen African Americans und Haitianerinnen und Haitianern sichtbar werden.65 Pamphile verweist auf die enorme Wirkmacht von Vorstellungen einer transnationalen Gemeinschaft schwarzer Menschen. Wie diese Gemeinschaft gemacht wird, und vor allem welche Hierarchien sie strukturieren, bedarf allerdings noch weiterer Ausführungen. Tim Matthewsons Studie „A Proslavery Foreign Policy: Haitian-American Relations During the Early Republic“ von 2003 befasst sich mit der USamerikanischen Außenpolitik gegenüber Haiti in der Frühen Republik. Er zeigt auf, dass die US-amerikanische Außenpolitik in hohem Maße durch Bemühungen um die Aufrechterhaltung der Institution der Sklaverei innerhalb der USA geprägt war.66 Aus einer diplomatiegeschichtlichen Perspektive untersucht Gordon Brown in seinem 2005 erschienenen Buch „Toussaint’s Clause: The Founding Fathers and the Haitian Revolution“ die Reaktionen sogenannter USamerikanischer Gründerväter wie etwa Thomas Jefferson, John Adams oder
62 Hunt, Alfred N., Haiti’s Influence on Antebellum America: Slumbering Volcano in the Caribbean. Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1988. 63 Scott, Julius, The Common Wind: Currents of Afro-American Communication in the Era of The Haitian Revolution. Dissertation Duke University 1986. 64 Siehe Dun, James A., Dangerous Intelligence: Slavery, Race, and St. Domingue in the Early American Republic. Dissertation Princeton University, 2004. 65 Pamphile, Leon D., Haitians and African Americans: A Heritage of Tragedy and Hope. Gainesville: University Press of Florida, 2001. 66 Matthewson, Tim, A Proslavery Foreign Policy: Haitian-American Relations During the Early Republic. Westport: Praeger, 2003.
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Alexander Hamilton auf die Neuigkeiten aus Haiti.67 Relativierend weist Gordon darauf hin, dass zwar „an element of racism in the American attitude“ gegenüber Haiti eine Rolle gespielt habe.68 Er spielt allerdings die grundlegende Bedeutung von Rassismus in der Wahrnehmung der Haitianischen Revolution in den USA herunter und schreibt sogar die Banalisierung des Ereignisses zu einem gewissen Grad fort, wenn er feststellt: „Americans would have turned away from any Revolution in the neighborhood that was as bloody and destructive of property as was the Haitian one.“69 In seinem 2006 erstmals veröffentlichten Aufsatz „Antebellum African Americans, Public Commemoration, and the Haitian Revolution: A Problem of Historical Mythmaking“ befasst sich der Historiker Mitch Kachun mit der jüngeren Geschichtsschreibung zu öffentlichen Feierlichkeiten zum Gedenken der Haitianischen Revolution. Kachun begrüßt das lange ausgebliebene Interesse für Haiti in der Geschichtswissenschaft und deutet die in den letzten Jahren geradezu explodierende Geschichtsschreibung zu Haiti nicht zuletzt als lange überfälligen Versuch, das von Trouillot diagnostizierte „Schweigen“ um die haitianische Revolution endlich aufzuheben.70 So betonten viele Studien zur Wahrnehmung Haitis durch African Americans völlig zu Recht die enorme Symbolkraft, die Haiti und seine Revolution für das politische Selbstverständnis von African American hatte. Er bringt aber auch Kritik an dem Umgang vieler Historikerinnen und Historiker mit dem Phänomen an. So vergleicht Kachun die Ergebnisse der jüngeren Geschichtsschreibung zu öffentlichen Erinnerungsfeiern der Revolution und befragte gleichzeitig intensiv einschlägige Quellenbestände. Er kommt zu dieser Schlussfolgerung: „[N]umerous scholars have referred to antebellum African Americans’ public commemorations of the Haitian Revolution, but without ever providing convincing documentation.“71 Dies ist natürlich ein provokanter Vorwurf, und so legt Kachun in seinem Aufsatz detailliert dar, wie sich die Annah-
67 Siehe Brown, Gordon S., Toussaint’s Clause: The Founding Fathers and the Haitian Revolution. Jackson: University of Mississippi Press, 2005. 68 Ebd., S. 5. 69 Ebd. 70 Kachun, Mitch, „Antebellum African Americans, Public Commemoration, and the Haitian Revolution: A Problem of Historical Mythmaking“, in: Journal of the Early Republic, 26/2 (2006), S. 249-273. 71 Ebd., S. 251. Kachun geht davon aus, dass über solche Feierlichkeiten in weißen Mainstream-Zeitungen oder der abolitionistischen Presse berichtet worden wäre. Dies ist nicht der Fall, und so folgert Kachun, dass es zumindest öffentliche Feiern nicht gegeben habe.
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me, African Americans hätten die Haitianische Revolution öffentlich gefeiert, zu einer (falschen) historiographischen „Wahrheit“ entwickelt habe. Wenn er zu dem Schluss kommt, der Haitianischen Revolution sei nicht öffentlich gedacht worden, dann bedeute dies allerdings nicht, dass African Americans an der Revolution nicht interessiert gewesen seien, oder sie für ihr politisches und emanzipatorisches Verständnis keine Bedeutung gehabt habe. Seine Vermutung, öffentliche Feierlichkeiten hätten gar nicht stattgefunden, erklärt Kachun vielmehr damit, dass es für schwarze Menschen schlicht zu gefährlich gewesen sei, sich in der Öffentlichkeit zu versammeln und einer Revolution zu gedenken, die von weißen US-Amerikanern mit so viel „horror“ wahrgenommen worden sei.72 Dies ist an sich bereits eine wichtige Feststellung. Für meine eigene Studie ist aber ein weiterer Aspekt, den Kachun anspricht, noch produktiver. So greift Kachun Trouillots These von der „Undenkbarkeit“ der Revolution und der Produktion historischer Wahrheiten auf und stimmt ihr zu. So Kachun: „Trouillot offers a useful discussion of the many reasons why, for most white western historians in the nineteenth and twentieth centuries, the idea of the Haitian Revolution having historical significance was simply not ‚thinkable‘.“73
Vor diesem Hintergrund fragt er gleichzeitig nach den Gründen für die Produktion jenes Mythos, den er in seinem Aufsatz aufzeigt: „Taking time to consider why recent historians have found the idea of African American Haitian Revolution commemorations so easily ‚thinkable‘ may provide some insight into the way we go about constructing antebellum African American history.“74
Kachun beantwortet diese Frage in seinem Aufsatz nicht eindeutig, sondern fordert Historikerinnen und Historiker zur Reflexion über das Schreiben von Geschichte auf. Um hier eine Beantwortung von Kachuns Frage zu versuchen: Vermutlich ist die Vorstellung, dass African Americans öffentlich der Haitianischen Revolution gedachten, eine Annahme, die aus heutiger Perspektive deshalb so leicht zu akzeptieren ist, weil sie erstens African Americans jene agency und Widerständigkeit zugesteht, die ihnen in der Geschichtsschreibung lange abgesprochen wurde, und dabei zweitens die Revolution ganz zentral in einem
72 Ebd., S. 250. Schon viel geringere Anlässe hätten zu Übergriffen weißer Rassisten auf schwarze Menschen geführt, so Kachun. 73 Ebd., S. 273. 74 Ebd.
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emanzipatorischen Gegendiskurs verortet, der alles andere als schweigsam war. Inwiefern ist dies für meine Studie relevant? Auch meine Arbeit zeigt auf, dass die Haitianische Revolution für Aktivisten und Aktivistinnen, die sich für Emigration nach Haiti engagierten, von großer Bedeutung war, und Haiti als Symbol für schwarze Wehrhaftigkeit und Freiheit gefeiert wurde. Gleichzeitig zeige ich aber auch auf, dass die Emigrierenden überaus ambivalente Vorstellungen von Haiti hatten.75 Diese Feststellung scheint die von vielen bereits herausgearbeitete und von mir unbedingt zu unterstützende These von der enormen emanzipatorischen Bedeutung der Haitianischen Revolution etwa für African Americans auf den ersten Blick zu schwächen. Im Sinne einer Geschichtsschreibung, die diese Bedeutung Haitis herausarbeiten will, wäre es möglicherweise „angenehmer“ und eventuell auch einfacher gewesen, eine Geschichte schreiben zu können, in der African Americans eine auf jeglichen Ebenen gleichberechtigte Gemeinschaft mit Haitianerinnen und Haitianer imaginierten. Dies hätte aber auch bedeutet, die komplexen zeitgenössischen Machtgefüge und nicht zuletzt die Heterogenität innerhalb der schwarzen Bevölkerung in den USA und darüber hinaus auch in Haiti zu ignorieren. Allerdings ist die Angelegenheit komplexer, denn die Gemeinschaft schwarzer Menschen, die im Kontext der von mir untersuchten Emigrationsbewegung imaginiert wurde, war eine Gemeinschaft voller Hierarchien. Kachuns Artikel wurde in dem 2009 von Maurice Jackson und Jacqueline Bacon herausgegebene Sammelband „African Americans and the Haitian Revolution“ erneut abgedruckt. Dieser Sammelband kann insofern als ein Meilenstein bezeichnet werden, als dass er die einsetzende Etablierung eines historischen Forschungsfeldes zu markieren scheint, das sich auf die entanglements afroamerikanischer und haitianischer Geschichte konzentriert. Diese Etablierung zeigt sich nicht zuletzt auch in der Tatsache, dass das Buch für den Einsatz in Seminaren konzipiert ist und aktuelle Essays verschiedener Historiker und Historikerinnen sowie ausgewähltes Quellenmaterial zusammenbringt.76 Wie ich später noch ausführlicher darlegen werde, wird dabei auch Emigrationismus als Thema berücksichtig.
75 Auch Dixon, African America, kommt zu dem Schluss, dass afroamerikanische Emigrationisten und Emigrationistinnen äußerst ambivalente Vorstellungen von Haiti an den Tag legten. Während er sich darüber zum Teil recht erstaunt äußert, geht es mir in meiner Studie darum aufzuzeigen, dass die Emigrationsbewegung eingebettet war in eine Vielzahl von Hierarchien, die die Formationen schwarzer Gemeinschaften im Atlantischen Raum ganz erheblich beeinflussten. 76 Jackson/Bacon (Hg.), African Americans.
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In seiner 2010 veröffentlichten Studie „Toussaint Louverture and the American Civil War: The Promise and Peril of a Second Haitian Revolution“ konstatiert der Historiker Matthew Clavin so auch eine „recent explosion in Atlantic history“ in deren Zentrum er das Interesse für die Haitianische Revolution verortet. Während die Bedeutung der Revolution für die jungen USA und die atlantische Welt im Zeitalter der Revolutionen kürzlich einiges an Aufmerksamkeit erfahren habe, weist Clavin darauf hin, dass die Jahre vor und während des Bürgerkrieges bisher weniger Beachtung erfahren habe. Gerade aber in dieser Zeit seien Fragen von schwarzer Freiheit und „revolutionary black violence“ so intensiv wie nie zuvor diskutiert worden. Clavin zeigt auf, dass der berühmte haitianische Revolutionär Toussaint Louverture und die Haitianische Revolution in diesen Debatten als wirkmächtige, polarisierende und subversive Vorbilder für schwarzen Widerstand verstanden werden müssen. Von vielen Abolitionisten und African Americans im allgemeinen wurde der Bürgerkrieg als „second Haitian Revolution“ verstanden, und versklavte Menschen im US-amerikanischen Süden als Revolutionäre, die sich selbst befreien und ihre Befähigung zu politischem Handeln unter Beweis stellen würden. Gleichzeitig zeigt er auf, dass viele weiße US-Amerikaner Massaker an der weißen Bevölkerung nach dem Vorbild von St. Domingue fürchteten.77 Ashli Whites Studie „Encountering Revolution: Haiti and the Making of the Early Republic“ von 2010 nimmt US-amerikanische Reaktionen auf die Revolution in Haiti und den Umgang mit haitianischen Migranten in den Blick, die im Zuge der gewaltsamen Umstürze in die USA geflohen waren. Sie zeigt auf, dass die Anwesenheit der Flüchtlinge US-Amerikanerinnen und Amerikaner dazu zwang, sich mit den Implikationen zu befassen, die die Revolution für die junge US-amerikanische Republik und die Institution der Sklaverei mit sich bringen könnte. Nur wenige sahen sich durch die Ereignisse in Haiti veranlasst, eine Beendigung der Sklaverei in den USA zu fordern. Stattdessen wurde mit verschiedenen Maßnahmen versucht, eine Wiederholung Haitis auf US-amerikanischem Boden zu vermeiden. Infolge dessen wurden Rassismus und die Institution der Sklaverei in den USA sogar noch gestärkt.78
77 Clavin, Toussaint Louverture, S. 3. 78 Vgl. White, Encountering Revolution: Haiti and the Making of the Early Republic. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2010. Siehe auch dies. „The Limits of Fear: The Saint Dominguan Challenge to Slave Trade Abolition in the United States“, in: Early American Studies, 2/2 (2004), S. 362-397.
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Emigrationismus nach Haiti Während die afroamerikanische Migration nach Liberia in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits in einigen Studien untersucht worden ist, hat die Emigration von den USA nach Haiti im gleichen Zeitraum vergleichsweise weniger Beachtung in der Geschichtswissenschaft erfahren.79 Völlig unbearbeitet ist dieses Feld jedoch nicht geblieben, wie ich im Folgenden knapp darlegen werde. So setzt sich Sara Fannings 2008 an der University of Texas, Austin eingereichte und bisher unveröffentlichte Dissertation mit Emigration von den USA nach Haiti in den 1820er Jahren auseinander.80 Die Historikerin argumentiert, dass die Emigration nach Haiti als ein Versuch gelesen werden muss, sich gegen die zu diesem Zeitpunkt in ihren Anfängen befindende „White Supremacy Ideology“ zur Wehr zu setzen. Sie diskutiert, wie freie African Americans als „essential players“ in diesem Kontext eine offizielle Anerkennung Haitis durch die USamerikanische Regierung erwirken wollten.81 „[A]n early American government came closer to accepting racial equality than historians have previously noticed“ konstatiert Fanning.82 Trotzdem erfüllte sich das Ziel der Anerkennung Haitis durch die USA bekannter Maßen in diesem Zeitraum nicht. Fanning versteht die Emigrationsbewegung als Teil eines frühen schwarzen Nationalismus, der bereits vor den 1850er Jahren einsetzte. Sie argumentiert überzeugend, dass Anhänger der Emigrationsbewegung keinesfalls anstrebten, sich völlig von der USamerikanischen Gesellschaft zu lösen. Auch meine Arbeit kommt mit Blick auf die 1850er und 60er Jahre zu einem ähnlichen Ergebnis. Denn Ziel der Emigrationsbewegungen in beiden Perioden war unter anderem die Anerkennung Haitis durch die USA. Dabei ging es längst nicht „nur“ um die offizielle Anerkennung Haitis durch die US-amerikanische Regierung, sondern, eng damit verbunden, um eine Wahrnehmung von African Americans als fähige Staatsbürger.
79 Zu Liberia siehe unter anderem: Moses, Liberian Dreams: Back-to-Africa Narratives from the 1850s. University Park: University of Pennsylvania Press, 1998; Dorsey, „A Gendered History“; McGraw, Marie Tyler, An African Republic: Black & White Virginians in the Making of Liberia. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2007; Sidbury, Becoming African, hier vor allem Kapitel drei, vier, sechs und sieben. 80 Fanning, Haiti and the U.S. Zudem hat Fanning 2007 einen Aufsatz veröffentlicht, der Teile ihrer Dissertation berührt: Fanning, „The Roots of Early Black Nationalism: Northern African Americans’ Invocations of Haiti in the Early Nineteenth Century“, in: Slavery and Abolition, 28 (2007), S. 61-85. 81 Fanning, Haiti and the U.S., S. vii. 82 Ebd., S. 3.
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Bereits in den 1960er und 70er Jahren setzten sich einige Aufsätze mit Emigration nach Haiti in den Jahren kurz vor dem US-amerikanischen Bürgerkrieg auseinander. Sie liefern wichtige Hinweise zu Abläufen und einzelnen Personen.83 Informiert durch die Bürgerrechts- und Black Power-Bewegungen müssen sie als Beiträge zur Aufarbeitung der Geschichte des schwarzen Nationalismus gelesen werden, die schwarze und in der Regel männliche historische Akteure häufig als heldenhafte Widerständige gegen Rassismus und Unterdrückung darstellten. Aus dieser Zeit stammt auch die bisher einzige Biographie über James Theodore Holly, der einer der prominentesten Befürworter von Emigration nach Haiti zur Mitte des 19. Jahrhunderts war.84 Die Emigrationsbewegungen in den 1820er sowie in den 1850er und 60er Jahren finden auch in Léon D. Pamphiles bereits oben erwähnter Studie „Haitians and African Americans: A Heritage of Tragedy and Hope“ Berücksichtigung.85 Seine Beschäftigung mit den1850er und 60er Jahren fokusiert dabei eher überblicksartig vor allem auf den oben erwähnten James Holly und seine Tätigkeiten als Missionar. Mit seiner im Jahre 2000 erschienenen Studie „African America and Haiti: Emigration and Black Nationalism in the Nineteenth Century“ hat der australische Historiker Chris Dixon eine Monographie vorgelegt, die sich umfassend mit
83 Als besonders aktiv auf diesem Feld ist Howard Bell zu nennen, von dem folgende Aufsätze vorliegen: Bell, Howard, „The Negro Emigration Movement, 1849-1854: A Phase of Negro Nationalism“, in: The Phylon Quarterly, 20/2 (1959), S. 132-142; ders. „Negro Nationalism: A Factor in Emigration Projects, 1858-1861“, in: The Journal of Negro History, 47/1 (1962), S. 42-53; ders. „Negro Nationalism in the 1850s“, in: The Journal of Negro Education, 35/1 (1966), S. 100-104; Howard Bell veröffentlichte auch zwei Texte von James Theodore Holly und Joseph Dennis Harris, die für meine eigene Untersuchung äußerst wichtig sind. Siehe: Bell (Hg.), Black Separatism and the Caribbean, 1860. Ann Arbor: University of Michigan Press, 1970. Aus dem Jahre 1978 stammt der Aufsatz von Seraille, William, „Afro-American Emigration to Haiti during the American Civil War“, in: The Americas 35/2 (1978), S. 185-200. 84 Die Biographie wurde 1972 als Dissertation an der University of Texas eingereicht: Dean, David M., James Theodore Holly, 1829-1911, Black Nationalist and Bishop. Dissertation University of Texas at Austin, 1972. Als Buch veröffentlicht wurde die Biographie 1979: Dean, Defender of the Race: James Theodore Holly, Black Nationalist and Bishop. Boston: Lambeth Press, 1979. Ich beziehe mich in meiner Studie auf das Dissertationsmanuskript. 85 Pamphile, Haitians and African Americans, hier S. 34-79.
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Emigration von African Americans sowohl in den 1820ern als auch den 1850er und 60er Jahren auseinander setzt. Dixon identifiziert Emigration nach Haiti als „essential element of nineteenth-century black nationalism.“86 Jene Kapitel in Dixons Studie, die sich mit der Emigrationsbewegung in den 1850er und 60er Jahren befassen, sind für meine eigene Forschung überaus wichtig, da sie nicht nur detailliert Abläufe der Emigrationsbewegungen herausarbeiten und zentrale (männliche) Akteure, Schriften und Ereignisse aufzeigen, sondern auch auf ihre historischen und kulturellen Kontexte hinweisen. Dixon zeigt auf, dass die Emigrierenden äußerst ambivalente Vorstellungen von Haiti hatten, und sich als Fortschritt bringende Kolonisierende des Staates verstanden. Seine grundlegende Studie bietet damit zahlreiche wichtige Anknüpfungspunkte für meine eigene Arbeit, wie ich in einem späteren Abschnitt ausführlicher darlegen werde.87 Leslie Alexanders überblicksartig angelegter Aufsatz „‚The Black Republic‘: The Influence of the Haitian Revolution on Northern Black Political Consciousness, 1816-1862“, der in Maurice Jacksons und Jaqueline Bacons oben erwähnten Sammelband veröffentlicht wurde, beschäftigt sich überwiegend mit den 1820ern, blickt aber auch auf den Emigrationismus in den Jahren vor dem USamerikanischen Bürgerkrieg.88 Alexander konstatiert, dass historische Auseinandersetzungen mit Emigration nach Haiti sich meistens auf die 1820er beschränkten, kritisiert die Vernachlässigung der 1850er und 60er Jahre, und zeigt überblicksartig historische Kontinuitäten des Interesses von African Americans an dem karibischen Staat im frühen 19. Jahrhundert auf. Auch die 2008 erschienene Biographie über James Redpath, die bezeichnender Weise den Titel „Forgotten Firebrand: James Redpath and the Making of Nineteenth-Century America“ trägt, berührt das Thema des Emigrationismus in den Vorkriegsjahren, indem sie Redpaths Tätigkeiten für das Haytian Bureau of Emigration in den Blick nimmt.89 Ebenfalls mit beiden Emigrationismusphasen setzt sich das Kapitel „The Serpentile Trail“ in Laurie Maffly-Kipps 2010 veröffentlichter Monographie „Setting Down the Sacred Past. African American Race Histories“ auseinan-
86 Dixon, African America, S. 3. 87 Ebd. 88 Alexander, „The Black Republic“, S. 57-80. 89 McKivigan, John, Forgotten Firebrand: James Redpath and the Making of NineteenthCentury America. Ithaca: Cornell University Press, 2008. Zu Redpaths Tätigkeiten für das Haytian Bureau of Emigration liegt außerdem eine Studie aus den 1950er Jahren vor. Siehe Boyd, Willis B., „James Redpath and American Negro Colonization in Haiti, 1860-1862“, in: The Americas, 12 (1955), S. 169-182.
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der.90 Darin untersucht die Religionshistorikerin die Emigrationsbewegungen als missionarische Bewegungen. Sie arbeitet heraus, dass Haiti ebenso wie Ägypten in der Wahrnehmung der Emigrationistinnen und Emigrationisten als „sacred sites“ galten.91 Von Haiti aus sollte eine weltweite Christianisierungsbewegung gestartet werden, die auch Afrika umfasste. Als Protestanten fühlten sich die Emigrierten den Haitianern, die dem Katholizismus, Vodou oder einer Mischform aus beiden Praktiken nachgingen, kulturell und nicht zuletzt zivilisatorisch überlegen. Maffly-Kipps Ausführungen bieten für meine eigene Studie überaus wichtige Hinweise zum religiösen Selbstverständnis der Emigrierenden und betten diese in einen größeren historischen und emanzipatorischen Kontext ein. Die oben vorgestellten Studien bieten also zahlreiche Anknüpfungspunkte, auf die meine Arbeit aufbaut. Sie ergänzt die bisher herausgearbeiteten Forschungsergebnisse, indem sie einzelne Akteurinnen und Akteure verstärkt ins Zentrum rückt und diese aus einer dezidiert geschlechter- und kulturhistorisch informierten Perspektive betrachtet. Dies macht es möglich, die Emigrationsbewegung und ihre kulturellen und sozialen Bedingtheiten umfassender zu verstehen. Wie ich einleitend bereits angedeutet habe, und wie ich in dem sich anschließenden Teil dieser Einleitung noch ausführlicher darlege, ist eines der zentralen Anliegen meiner Studie die Verortung der Emigrationsbewegung in einen von Paul Gilroy 1993 als Black Atlantic bezeichneten Raum.92 Meine durch die Critical Black Diaspora Studies und Gender Studies informierte Perspektive erlaubt eine umfassende und systematische Auseinandersetzung mit vergeschlechtlichten und rassifizierten Identifikationsprozessen und Formationen von Gemeinschaften. So wird es möglich, die Produktion und Performanz von Differenzkategorien wie race und Geschlecht, die in der bisherigen Forschung noch nicht ausreichen untersucht worden sind, in den Blick zu nehmen und grundlegende bisherige Befunde diesbezüglich zu ergänzen. Darüber hinaus blieben üb-
90 Siehe Maffly-Kipp, Laurie, Setting Down the Sacred Past: African-American Race Histories. Cambridge: Belknap Press of Harvard University Press, 2010, hier S. 109153. 91 Ebd., S. 11. 92 Gilroy, Paul, The Black Atlantic: Modernity and Double Consciousness. Cambridge: Harvard University Press, 1993. Dixon, African America setzt sich mit Gilroys Überlegungen oder denen anderer Denker aus dem Bereich der Critical Black Diaspora Studies nicht explizit auseinander. Trotzdem kommt er selbstverständlich zu wichtigen Ergebnissen, die dazu beitragen, historische Verknüpfungen zwischen den USA und Haiti aufzuzeigen. Meine Fragestellungen sind allerdings anders gelagert, und können erst so dazu beitragen, das Feld noch weiter zu durchleuchten.
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rigens auch Frauen als historische Akteurinnen bisher so gut wie unbeachtet, und die Strukturen, die zu dieser Vernachlässigung führen, unbenannt. Meine Studie trägt dazu bei, diese Forschungslücken zu schließen. Außerdem beschreibt schon Chris Dixon die Emigrationsbewegung der 1850er und 60er als „black Manifest Destiny“.93 Meine Studie knüpft hier ergänzend an, denn wie sich die diskursive Figur der Manifest Destiny in rassifizierten und vergeschlechtlichten Identifikationen, Formationen von Gemeinschaft, und nicht zuletzt Praktiken niederschlug, und wie sie das Selbstverständnis und die Handlungen der einzelnen Migrantinnen und Migranten informierte, bedarf noch weiterführender Darlegungen. „Wie wird Macht ausgeübt?“94 So lautet auch eine von Michel Foucaults zentralen Analysefragen. Um die Praktiken der Machtausübung in den Blick zu bekommen, und auch die damit verknüpften Identifikationsprozesse aufzeigen, ist es meiner Ansicht nach mehr als bisher geschehen notwendig, einzelne Akteurinnen und Akteure und ihre historischen Erfahrungen und Handlungen ins Zentrum der Untersuchung zu rücken. Meine Studie trägt dazu bei, bestehende Forschungslücken zu schließen, indem sie einerseits in diesem Kontext unbearbeitetes historisches Quellenmaterial in den Blick nimmt, und sich andererseits den Quellen mit Fragen nähert, die bisher nur wenig Beachtung fanden oder ganz unberücksichtigt blieben.
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Meine Studie geht, wie eingangs bereits dargelegt, der Frage nach, wie im Kontext von Migration von den USA nach Haiti in der Mitte des 19. Jahrhunderts über Haiti gesprochen und wie die sogenannte schwarze Republik konzeptionalisiert wurde. Welche historischen und emanzipatorischen Bedeutungen wurden Haiti zugeschrieben? An welche Art von Praktiken waren diese geknüpft? Gleichzeitig gilt es zu untersuchen, welche Vorstellungen von Gemeinschaft dabei geäußert wurden. In welchem Verhältnis verorteten sich die Emigrationistinnen und Emigrationisten zu Haiti? Wie konzipierten sie Haitis Position innerhalb einer globalen schwarzen Diaspora? Welches Verständnis von sich selbst äußerten sie im Verhältnis zu dieser imaginierten Gemeinschaft? Welche Hierarchien
93 Siehe Dixon, African America, hier S. 193; vgl. auch S. x; 81. 94 Foucault, Michel, „Subjekt und Macht“, in: ders. Dits et Écrits. Schriften 4. Frankfurt: Suhrkamp, 2005, S. 269-302, hier S. 281.
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zeigten sich? Und einmal mehr: Wie handelten Menschen vor dem Hintergrund dieser Vorstellungen und Formationen von Gemeinschaft? Wie zu Beginn dieses Kapitel bereits dargelegt, greift meine Untersuchung die Überlegungen Michel Rolph Trouillots auf, der argumentiert, dass die Haitianische Revolution als historisches Ereignis undenkbar war und als solches in der Geschichtsschreibung bis vor kurzem ignoriert und bagatellisiert wurde.95 Nicht nur war die schwarze Revolution als ernstzunehmendes politisches Ereignis zu einem gewissen Grad undenkbar, auch die Anerkennung und Gleichberechtigung des Staates war aus der Perspektive vieler weißer Menschen höchst zweifelhaft und nur bedingt vorstellbar. Dies schlug sich nicht zuletzt auch in den äußerst ambivalenten Haltungen der afroamerikanischen Emigrationisten und Emigrationistinnen gegenüber Haiti nieder. Um nicht missverstanden zu werden: Ich möchte hier keinesfalls argumentieren, dass die Emigrierenden einen durch schwarze Menschen geführten Staat nicht denken konnten, oder die Haitianischen Revolution nicht bejubelt hätten. Schon allein indem sie nach Haiti auswanderten, machten sie deutlich, dass sie die besondere Bedeutung Haitis anerkannten und den Staat für überaus wichtig hielten. Allerdings zeigte sich, wie bereits angedeutet, innerhalb der von ihnen imaginierten Gemeinschaft schwarzer Menschen vielfältige Hierarchien. Wenn es um die Frage ging, wer überhaupt als fähiger Staatsbürger galt, verlief die Trennungslinie nicht wie in dominanten US-amerikanischen Diskursen zwischen Weiß-sein und Schwarz-sein, sondern verschob sich. Als wichtige Marker galten nun Religion, Bildung und ein Set an vermeintlichen Charaktereigenschaften, die als angelsächsisch beziehungsweise als angloafrikanisch bezeichnet wurden. Der Staat Haiti wurde dementsprechend zwar einerseits als heldenhaftes Symbol für erfolgreiche Selbstbefreiung verstanden, gleichzeitig aber auch als Ort gesehen, dem die Kolonisierenden dezidiert angelsächsische Tugenden bringen mussten, da es an diesen ihrer Meinung nach dort mangle. Wie Trouillot gehe ich von der konzeptionellen Annahme aus, dass Wahrheiten diskursiv hervorgebracht werden. Den ambivalenten Positionen des schwarzen Staates lagen verschiedene diskursiv produzierte Wahrheiten zugrunde. Aus der Perspektive vieler weißer US-Amerikanerinnen und Amerikaner galt als eine solche Wahrheit, dass schwarze Menschen keine Staatsbürger sein konnten.96 Gleichfalls war ein Staat, der von schwarzen Menschen regiert wurde ein Ort,
95 Trouillot, „Undenkbare Geschichte“. 96 Hier wären eine Reihe weiterer, oft intersektional angordneter und intersektional wirkender Kategorien zu nennen wie etwa Geschlecht, Religion, Alter, Dis/abilty, Klasse und eine Vielzahl mehr.
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dessen politische Existenz nicht denkbar war, weil er quer zu einer USamerikanischen Gesellschaftsordnung verlief, in der schwarze Menschen als in hohem Maße von der Führung Weißer abhängige Sklaven galten, nicht aber als politikfähige Subjekte. Es kann kaum überraschen, dass sich dieser konzeptionelle Ansatz auf die Arbeit Michel Foucaults bezieht, dessen Überlegungen zur diskursiven Hervorbringung von Wahrheiten und ihren Wirkmächtigkeiten große Teile der Geschichtswissenschaften und ihrer Forschungsfragen mittlerweile gründlich verändert haben.97 Von den Arbeiten Foucaults informiert ist zunächst der Diskursbegriff, der meinen Betrachtungen zugrunde liegt. Als konstitutive Kraft macht der Diskurs kulturell etabliertes Denken, Reden und darüber hinaus auch Handeln erst möglich und strukturiert dieses. Er schafft dabei gültige und in hohem Maße wirkmächtige Wahrheiten: „Jede Gesellschaft hat ihre Wahrheitsordnung, ihre ‚allgemeine Politik‘ der Wahrheit: das heißt Diskursarten, die sie annimmt und als wahr fungieren lässt; die Mechanismen und die Instanzen, die es gestatten, zwischen wahren und falschen Aussagen zu unterscheiden; die Art und Weise, wie man die einen und die anderen sanktioniert; die Techniken und die Verfahren, die wegen des Erreichens der Wahrheit aufgewertet werden: die rechtliche Stellung derjenigen, denen es zu sagen obliegt, was als wahr fungiert.“98
Zwei der von Foucault herausgestellten Aspekte sind für meine Studie überaus zentral. Erstens: „Jede Gesellschaft hat ihre Wahrheitsordnung“. Das, was als wahr gilt, ist demnach nicht universell und allgemeingültig, sondern kontextabhängig. In einer Studie, in der es um Menschen geht, die sich von einem geographischen und kulturellen Kontext in einen anderen begeben, ist dies ein wichtiger Hinweis. So unterlag beispielsweise die Kategorie race in der Karibik anderen Wahrheiten und Wirkmächtigkeiten als etwa in den USA. Schwarz-sein wurde hier anders gedacht als in dem Kontext, den die Emigrierenden verließen. Zweitens: „[D]ie […] Stellung derjenigen, denen es zu sagen obliegt, was als wahr fungiert“ ist von erheblicher Bedeutung in der diskursiven Produktion von Wahrheiten. Gesellschaftlicher Status, so wird sich nicht zuletzt im Verlauf mei-
97 Vgl. Schöttler, Peter, „Wer hat Angst vor dem ‚linguistic turn‘?“, in: Geschichte und Gesellschaft, 23 (1997), S. 134-151; Martschukat, „Geschichte schreiben mit Foucault – eine Einleitung“, in: ders. (Hg.), Geschichte schreiben mit Foucault. Frankfurt: Campus, 2001, S. 7-26. 98 Foucault, „Die Politische Funktion des Intellektuellen“, in: ders. Dits et Écrits. Schriften 3. Frankfurt: Suhrkamp, 2003, S. 145-152, hier S. 149.
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ner Arbeit zeigen, ist in hohem Maße durch Kategorien wie race, Geschlecht und Klasse bestimmt. In einer rassistischen und sexistischen Gesellschaftsordnung wie die der USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts spielten diese in ihrer Wirkung oft mit einander verschränkten Differenzkategorien eine enorm bedeutende Rolle dabei, wie sich die Sprechposition eines Individuums gestaltete, und ob und unter welchen Bedingungen Äußerungen einer Person oder einer Gruppe von Individuen als Wahrheiten wahrgenommen werden konnten. Dieses machtvolle Wechselspiel soll hier untersucht werden. Meine bisherigen Ausführungen sollten deutlich gemacht haben, dass die Wirkmächtigkeit der Kategorie race am Beispiel Haitis wie an kaum einem anderen Beispiel sichtbar wurde und von Bedeutung war. Welche Implikationen beispielsweise race im Leben von Menschen in der Mitte des 19. Jahrhunderts hervorrufen konnte, zeigt sich sowohl am Beispiel des Staates Haitis, als auch am Beispiel der Emigrantinnen und Emigranten, die von den USA in die Karibik umsiedeln sollten. Verkürzt dargestellt: Aufgrund ihrer blackness wurde, wie noch vielfach in dieser Studie thematisiert werden wird, der Zugang der Protagonistinnen und Protagonisten zu gesellschaftlichen Ressourcen in erheblichem Maße eingeschränkt, so dass viele die Emigration nach Haiti als wichtige Chance begriffen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern und als Konsequenz die USA verließen. Korrespondierend mit diesen Vorstellungen von blackness wurde Haiti als Staat, der als schwarz galt, wiederum nicht als gleichberechtigt anerkannt und verblieb in politischer Isolation. Auch die Kategorie Geschlecht strukturierte das Sprechen und Handeln im Kontext der Emigration nach Haiti in ganz erheblichem Maße. So waren, ohne hier der in den nächsten Kapiteln folgenden Analyse zu viel vorwegnehmen zu wollen, zwar sowohl Frauen als auch Männer zur Emigration nach Haiti aufgefordert. Als aktiv Handelnde galten allerdings Männer, und durch den Umzug nach Haiti sollten überhaupt erst dominante Vorstellungen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten verwirklicht werden. Wie von Judith Ann-Mary Byfield, LaRay Denzer und Anthea Morrison gefordert, geht es deshalb in dieser Studie nicht nur darum, Frauen als historische Akteurinnen wahrzunehmen und ihre Beiträge zur Produktion einer schwarzen Diaspora anzuerkennen und zu untersuchen – was, wie die Verfasserinnen bemerken, lange Zeit in Untersuchungen zu diesem historischen Raum zu kurz gekommen ist – sondern vielmehr im Kontext der Migration von den USA nach Haiti im 19.
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Jahrhundert geschlechtliche Zuschreibungen aufzuzeigen und dabei zu historisieren und zu dekonstruieren.99 Wenn nämlich Wahrheiten, wie also etwa die Vorstellung, dass schwarze Menschen keinen Staat gründen oder führen könnten als diskursiv produziert und historischen und kulturellen Kontexten und ihren Bedingungen unterliegend verstanden werden müssen, dann muss auf dieser Grundlage nicht zuletzt auch race als historisch produzierte Entität dekonstruiert werden. Gleiches gilt für die Differenzkategorie Geschlecht, die in ganz erheblichem Maße strukturierte, wie sich Menschen zu Haiti äußerten, welche Sprechposition sie dabei einnahmen, und nicht zuletzt, wie sie handelten.100
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Byfield, Judith [u.a.], „Introduction“, in: Gendering the African Diaspora: Women, Culture, and Historical Change in the Caribbean and Nigerian Hinterland. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 2010, S. 1-17, hier S. 4.
100 Geschlecht bleibt bei Foucault weitestgehend eine Blindstelle. Allerdings hat gerade die sich aus der Frauengeschichte entwickelnden Geschlechtergeschichte verhältnismäßig früh und mit nachhaltigem Erfolg Foucaults Überlegungen und Werkzeuge aufgegriffen, weiter gedacht und in einer Vielzahl sehr politischer und auf vielerlei Ebenen emanzipatorischer Projekte zunächst gender (als geschlechtliche Zuschreibung) und schließlich mit Judith Butler auch sex (als vermeintlich biologische Körperlichkeit) als sozial und kulturell konstruiert untersucht. Siehe Butler, Gender Trouble. Als wegweisend wird dabei Joan Scott und ihr einflussreicher 1986 im American Historical Review erschienener Aufsatz „Gender: A Useful Category of Historical Analysis“ rezipiert, siehe: Scott, Joan, „Gender: A Useful Category of Historical Analysis“, in: American Historical Review, 91/5 (1986), S. 1053-1075. Siehe einführend Martschukat/Stieglitz, Es ist ein Junge! Einführung in die Geschichte der Männlichkeiten in der Neuzeit, Hamburg: Edition Diskord, 2005, S. 1641. Mit dem gleichen Werkzeug lässt sich auch race als kulturell und historisch konstruiert verstehen, und grundsätzlich haben seit den 1990er Jahren eine Reihe von Studien race als historisches Konstrukt untersucht. Als ein solcher grundlegender Text wäre etwa Fields bereits erwähnter Aufsatz „Slavery, Race and Ideology in the United States of America“ zu nennen, in dem die Verfasserin race und rassistische Praktiken in den USA als Folge der Versklavung von Afrikanerinnen und Afrikaner, keinesfalls aber als deren Grundlage identifiziert, und dabei auf die graduelle und dabei durch und durch wandelbare historische Produktion von race hinweist. Fields bezeichnet race als Ideologie und bemerkt: „since race is not genetically programmed, racial prejudice cannot be genetically programmed either, but, like race itself, must arise historically.“ Siehe Fields, „Slavery, Race and Ideology“, S. 110. Was Fields hier als „ideology“ bezeichnet, ließe sich aus meiner Perspektive ebenso
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Maren Möhring hat in Anknüpfung an Judith Butler darauf hingewiesen, dass „[n]eben sex […] auch race zu denjenigen Normen [gehört], die zwangsweise materialisiert werden, um sich als intelligibles, lebensfähiges Subjekt zu qualifizieren.“101 Ob jemand beispielsweise als Mann oder Frau, oder auch schwarz oder weiß identifiziert wird und sich identifiziert, ist in hohem Maße an Körper geknüpft. Körper sind deshalb keinesfalls als natürliche diskurs- und machtfreie Räume zu verstehen. Ganz im Gegenteil: Ausgehend von Foucaults Überlegungen zum Körper als Ort, am dem sich Macht- und Subjektivierungsstrategien materialisieren, hat Butler dargelegt, dass auch an Körperlichkeiten geknüpfte Identitäten als performativ hergestellt verstanden werden müssen. In der Performativität von Identitäten wird überhaupt erst die Lesbarkeit von Körperlichkeit hervorgebracht, an die diese Identitäten geknüpft sind.102 Performativität wird
gut mit Foucaults Diskurs übersetzen. Als weitere historische Untersuchungen, die sich mit race als historisches Konstrukt befassen, sind neben vielen anderen zu nennen: Hodes, Martha, The Sea Captain’s Wife: A True Story of Love, Race, and War in the Nineteenth Century. New York: W.W. Norton, 2006; Sharfstein, Daniel J., „The Secret History of Race in the United States“, in: Yale Law Journal, 112 (2003), S. 1473-1509; Gilroy, The Black Atlantic; ders., Against Race: Imagining Political Culture Beyond the Color Line. Cambridge: Belknap Press of Harvard University Press, 2000; Ignatiev, How the Irish Became White; Roediger, David R., The Wages of Whiteness: Race and the Making of the American Working Class. London: Verso, 1991; Smith, Mark M., How Race Is Made: Slavery, Segregation, and the Senses. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2006. Viele dieser Studien beziehen sich nicht dezidiert auf Foucaults Überlegungen. Dennoch können sie als Teil einer größeren diskursiven historiographischen Verschiebung seit den 1970er Jahren gelesen werden, für die Foucaults Schriften sicherlich keinesfalls als vorgängiger Ursprung funktionieren. Vielmehr müssen sie, ganz im Sinne des foucaultschen Projektes, als Äußerung und Teil dieser historiographischen Verschiebung verstanden werden. Zu behaupten, Foucault sei Ursprung poststrukturalistischer Verschiebungen in den Geistes- und Kulturwissenschaften widerspräche nicht zuletzt dem von Foucault formulierten Diskursverständnis, das dezidiert ohne Ursprünge auskommt. 101 Möhring, Maren, „Performanz und historische Mimesis. Die Nachahmung antiker Statuen in der deutschen Nacktkultur, 1890-1930“, in: Martschukat/Patzold, Steffen (Hg.), Geschichtswissenschaft und ‚Performative Turn‘. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Böhlau: Köln, 2003, S. 255-285, hier S. 259. 102 Siehe Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I, Frankfurt: Suhrkamp, 1983; Butler, Gender Trouble; dies., Bodies that Matter. On the Discursive
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mit Butler „als die Macht des Diskurses gedeutet […] Wirkungen durch ständige Wiederholungen zu produzieren“.103 So wird Geschlecht als Identifikationskategorie – und damit ist ausdrücklich auch körperliche Geschlechtlichkeit gemeint – erst durch die permanente „Wiederholung einer oder mehrerer Normen“ hervorgebracht.104 Gleichzeitig werden jene Normen erst durch die Häufigkeit ihre Zitation aufrechterhalten, oder „[a]nders gesagt setzt sich die Norm des Geschlechts in dem Maße durch, indem sie als eine solche Norm ‚zitiert‘ wird, aber sie bezieht ihre Macht auch aus den Zitierungen, die sie erzwingt.“105 Die Notwendigkeit der Wiederholung von Zitationen verweist darauf, dass die Produktion von Identität nie abgeschlossen ist, sondern prozesshaft bleibt. So ist sie einerseits zu einem gewissen Grad offen für schrittweise verlaufende Verschiebungen dieser Normen. Andererseits ist sie träge und eingezwängt in die von ihr selbst hervorgebrachten Rahmen. Trotz der diskursiven Gemachtheit von Identitäten kann ein Subjekt sich also nicht frei und aus sich heraus für eine Identität „entscheiden“. Identität ist an „historisch revidierbare Kriterien der Intelligibilität“ geknüpft, „die Körper produzieren und unterwerfen“.106 Dabei wird der Körper „zum Einsatz im Machtspiel“ und Identitäten, die vermeintlich ursprünglich und natürlich zu sein scheinen, müssen als „Effekte von Macht“ verstanden werden, die historischen Änderungen sowie gesellschaftlichen Kontexten unterliegen.107 Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses von Macht und Identität werde ich in den folgenden analytischen Kapiteln erstens gesellschaftliche Machtverhältnisse und damit verknüpfte Formationen einer schwarzen Diaspora untersuchen, und zweitens in den Blick nehmen, wie sich Individuen in und zu
Limits of Sex. New York: Routledge 1993. Einführend zur Körpergeschichte siehe Lorenz, Maren, Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte. Tübingen: Edition Diskord, 2000. 103 Zitat aus der deutschen Übersetzung von Butler, Bodies That Matter: Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, S. 47. 104 Siehe ebd., S. 36. Allerdings ist diese Form der Identifikation nicht als bewusstes, freiwilliges und imitierendes Handeln zu verstehen. „[V]ielmehr ist Identifizierung die assimilierende Leidenschaft, durch die ein Ich allererst entsteht“, siehe ebenda, S. 37. 105 Siehe ebd. 106 Siehe ebd. 107 Siehe Bublitz, Hannelore, Judith Butler zur Einführung. Hamburg: Junius, 2010, S. 13.
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diesen Machtverhältnissen verhielten, sie hervorbrachten, verschoben und ausgestalteten. Während sich diese Arbeit also inhaltlich-thematisch mit Migration von den USA nach Haiti in der Mitte des 19. Jahrhunderts beschäftigt, ist auf einer übergelagerten Ebene eines der grundsätzlichen Anliegen meiner kulturhistorischen Studie a) auf die diskursive Gemachtheit von historischen Wahrheiten und ihre Bedingungen hinzuweisen, b) zu untersuchen, welche Wahrheiten produziert wurden, und c) die Wirkmacht dieser Wahrheiten aufzuzeigen. Das, was im Kontext meiner Untersuchung als vermeintlich natürlich, gegeben und deshalb möglicherweise auch unveränderlich erscheint, soll als gemacht und hergestellt, und nicht zuletzt deshalb auch als durch und durch wandelbar aufgezeigt werden. Dabei soll es allerdings nicht primär darum gehen, die Produktion dieser Wahrheiten zu untersuchen, sondern vielmehr ihre Bedingungen, Rationalitäten Bedeutungen, sowie ihre Effekte, Materialisierungen und Wirkmächtigkeiten aufzuzeigen. Meine Studie fragt insbesondere danach, wie sich jene diskursiv produzierten Wirkmächtigkeiten und Möglichkeiten von Macht in den historischen Erfahrungen von einzelnen Akteurinnen und Akteuren niederschlugen, und wie sich Individuen zu und innerhalb diskursiv gezogener Parameter verhielten. Zwar beschreibt beispielsweise Reiner Keller Foucaults Interesse an Diskursen als „Konstruktivismus ohne Konstrukteure.“108 Foucaults Werk interessiere sich für „die Regelstrukturen von Diskursen und Praktiken als emergente Strukturierungsmuster von sprachlichen Äußerungen und Handlungsweisen, als soziale Erzeugnisse, die nicht auf die Intentionalität erzeugender Subjekte zurückgeführt werden können.“109 Und tatsächlich hatte Foucault in „Die Ordnung der Dinge“ den Menschen als relativ junge Erfindung der Moderne bezeichnet und sein Verschwinden aus dem künftigen Denken „wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“ angekündigt.110 Foucaults Subjekt und sein Sprechen und Handeln wird erst durch ei-
108 Keller, Reiner, Wissenssoziologische Diskursanalyse. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, ³2010, S. 128. 109 Ebd., S. 128, vgl. auch Foucault, „Interview mit J.J. Brochier, 1969“, in: ders. Dits et Écrits. Schriften 1. Frankfurt: Suhrkamp, 2003, S. 980-990. 110 Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt: Suhrkamp, 121994 (1971). Hier hatte Foucault neben dem Verschwinden des Menschen (S. 462) auch den Tod desselben angekündigt (S. 412). Damit beschrieb Foucault allerdings weder das Aussterben der Spezies Mensch, noch das Obsolet-Werden des Menschen in historischen Studien. Stattdessen legte er hier dar,
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nen spezifischen historischen-kontextuellen Diskurs konstituiert, ist also dem Diskurs tendenziell nachgängig und somit keinesfalls souverän.111 Der Diskurs ist dabei sowohl Grundlage des Sprechens und Handelns, und wird gleichzeitig erst durch diese hervorgebracht.112 Dem entsprechend funktioniert der Diskurs nach Foucault ohne Intentionen, Ursprünge oder Kausalitäten, und lässt sich nicht beeinflussen oder gar gezielt lenken. Allerdings bedeutet dies nicht, dass einzelne Handelnde oder Sprechende in einem Projekt, das sich auf Foucaults Überlegungen bezieht, keine Rolle spielen könnten. Denn schließlich müssen gerade die Aussagen Einzelner, ebenso wie die Handlungsräume innerhalb derer sie sich bewegten, als diskursiv strukturiert verstanden werden. Die „produktive Dynamik von Diskursen“ anzuerkennen, die nicht als Geistesgebilde losgelöst von Lebenswirklichkeiten existieren, sondern diese erst hervorbringen, ist deshalb für dieses Anliegen grundlegend wichtig.113 Wenn also Menschen sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu Haiti äußerten, dann sprachen sie als Teilhabende eines Diskurses, der regulierte, was als wahr galt, und welche Aussagen überhaupt möglich waren.114 Gleichzeitig wurde der Diskurs aber auch erst durch
dass die Vorstellung von einem souveränen Subjekt in der Geschichte nicht aufrecht zu erhalten war. 111 Für eine sehr zugängliche Auseinandersetzung mit den Diskursbegriffen Foucaults und Jürgen Habermas siehe Schöttler, „Wer hat Angst vor dem ‚linguistic turn‘?“, S. 134-151. Ganz im Sinne seines Projektes, nach dem nichts mehr sicher und eindeutig ist, außer der Tatsache, dass Dinge kulturell produziert werden und dabei in hohem Maße wandelbar sind, äußert sich Foucault selbst in seinen Arbeiten tatsächlich kaum konkret dazu, was ein Diskurs sei. Seine sich im Laufe seines Werkes zudem verändernden Diskursbegriffe und ihre Anwendungen lassen sich vor allem beim Lesen seiner historischen und gesellschaftlichen empirischen Analysen erschließen, beispielsweise Foucault, Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag, 92003 (1991); Foucault, Archäologie des Wissens. Frankfurt: Suhrkamp, 2000. Vielleicht am eindeutigsten und zugänglichsten äußert sich Foucault in seinen Interviews, siehe beispielsweise Foucault, „Interview mit J.J. Brochier“. 112 Vgl. hierzu Butler, Körper von Gewicht, S. 36-38. 113 Martschukat, „Diskurse und Gewalt: Wege einer Geschichte der Todesstrafe im 18. und 19. Jahrhundert“, in: Keller [u.a.]. (Hg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Forschungspraxis; 2 Bde. Opladen: Leske + Budrich, 2003, S. 71. 114 Siehe einführend: Bublitz [u.a.], Das Wuchern der Diskurse. Perspektiven der Diskursanalyse Foucaults. Frankfurt/New York: Campus, 1999; Landwehr, Joachim, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse. Tübingen:
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die Verdichtung von Aussagen produziert und in der Zitation und Anrufung durch die Beitragenden kaum merkbar, aber dennoch langfristig und nachhaltig verändert.115 Es geht in diesem Projekt den obigen Ausführungen entsprechend also nicht darum, die Urheberschaft bestimmter Aussagen aufzuspüren, sondern vielmehr Variationen von Aussagen in einem gesellschaftlichen Rahmen zu benennen und zu zeigen, welche Wirkungsmächtigkeit sie dort entfalten konnte. Dies erlaubt es, Handlungsweisen Einzelner vor dem Hintergrund bestimmter Denk- und Wahrnehmungsweisen zu erkennen. So argumentiert mein Projekt, das sich deshalb dezidiert nicht als „klassische“ foucaultsche Diskursanalyse versteht, sich aber diskursanalytischen Werkzeugen bedient, in weiten Teilen aus einer Akteursperspektive und nimmt dabei aus einer mikrogeschichtlichen Perspektive einzelne Personen, Veröffentlichungen oder Situationen in den Blick, die mit Clifford Geertzs Ansatz einer „dichten Beschreibung“ und gleichzeitigen Analyse unterzogen werden.116 Diese mikroperspektivische Herangehensweise lässt es zu, Wirkmächtigkeiten von Diskursen und ihre Hervorbringungen und Einschreibungen zu untersuchen und macht dabei gleichzeitig größere makrogeschichtliche Perspektiven und Fragestellungen sichtbar. Dies betonen auch Desley Deacon, Penny Russel und Angela Woollacott in der Einleitung zu dem Sammelband „Transnational Lives. Biographies of Modernity, 1700 - Present“ mit Nachdruck: „The focus on an individual life, indeed, shows clearly that it is impossible to segregate the public from the intimate, the economic from the cultural or the political from the personal.“117 Wie Alf Lüdtke in seiner Einleitung zu „Herrschaft als soziale Praxis“ deutlich macht, wird es aus der Mikroperspektive möglich, Menschen als Handelnde innerhalb verschiedener machtdurchzogener, ambivalenter „Kräftefelder“ zu verstehen, die das Handeln von Menschen ermöglichen, aber auch regulieren. Das genaue Hinsehen offenbart dabei ambivalente Machtverhältnisse zwischen jenen, die als Beherrschte, und jenen die als Herrscher gelten – Nuancen von
Edition Diskord, ²2004; Keller, Wissenssoziologische Diskursanalyse, zum Diskursbegriff nach Foucault vor allem S. 122-173. 115 Vgl. hierzu Butler, Körper von Gewicht, S. 36-38. 116 Geertz, Clifford, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Suhrkamp: Frankfurt, 1995. 117 Deacon, Desley [u.a.], „Introduction“, in: dies. (Hg.). Transnational Lives: Biographies of Global Modernity, 1700-Present. Basingstoke [u.a.]: Pellgrave Macmillan, 2010, S. 1-11, hier S. 5.
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Widerständigkeit können so erst sichtbar werden.118 In diesem Kontext muss nicht zuletzt auch eine klare Unterscheidung zwischen politischem und nichtpolitischem Handeln aufgegeben werden. Ich stimme dabei dem Historiker Robin D.G. Kelley zu, wenn dieser bemerkt: „I am rejecting the tendency to dichotomize people’s lives, to assume that clear-cut ‚political‘ motivations exist separately from issues of economic well-being, safety, pleasure, cultural expression, sexuality, freedom of mobility, and other facets of daily life.“119
Wenn Menschen nach Haiti emigrierten, dann gingen sie demnach diesen Schritt einerseits, um ein besseres Leben für sich und ihre Angehörigen zu gestalten. Andererseits kann genau diese Handlung als politischer und widerständiger Akt verstanden werden, in dem sich nicht zuletzt emanzipatorische Strategien zeigten. Wie ich zuvor bereits angedeutet habe, und wie ich im Folgenden ausführlicher darlegen möchte, knüpft die hier vorliegende Untersuchung an Paul Gilroys 1993 erstmals erschienene wegweisende Studie „The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness“ an, die den Atlantik als verbindenden Raum schwarzer Geschichte versteht und gleichzeitig ein Konzept zur Analyse desselben vorschlägt.120 Mithilfe des von Gilroy geprägten und in den letzten Jahren weiterentwickelten Konzeptes des Black Atlantic möchte ich folgenden grundsätzlichen Fragen nachgehen: Welche Vorstellungen von schwarzer Gemeinschaft äußerten historische Akteurinnen und Akteure? Welche Positionen wurden Haiti innerhalb dieser diskursiv produzierten transatlantischen schwarzen Gemeinschaft zugeschrieben? Wie positionierten sich die Akteurinnen und Akteure innerhalb dieser Gemeinschaft? Welche Hierarchien wurden dabei hergestellt und in Frage gestellt? Welche Praktiken waren damit verknüpft? Welche Identifikationsprozesse wurden dabei sichtbar? Gilroys überaus komplexes Buch will und kann vieles gleichzeitig leisten. Allein deshalb werde ich im Folgenden keinesfalls umfassend auf seine Black Atlantic Studie eingehen, sondern lediglich auf jene Aspekte hinweisen, die meine eigene Untersuchung informieren. Gilroy versteht den sogenannten Black Atlantic keinesfalls als natürliche „schwarze“ geographische Einheit, wie der Titel
118 Lüdtke, Alf, „Einleitung“, in: Herrschaft als Soziale Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1991, S. 18. 119 Kelley, Robin D.G., Race Rebels: Culture, Politics, and the Black Working Class. New York: The Free Press, 1994, S. 9. 120 Gilroy, The Black Atlantic.
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auf den ersten Blick vielleicht vermuten ließe, sondern viel mehr als ein historisch gewachsenes und veränderliches Konstrukt, das sich als „rhizomorphic, fractal structure“ niederschlägt.121 Als Analysekonzept untersucht er Vorstellungen von einer Gemeinschaft schwarzer Menschen im atlantischen Raum, die aus historischer Perspektive mit einer Vielzahl von Begriffen beschrieben worden ist, und kritisiert dabei das häufig essentielle und auf Afrika ausgerichtete Verständnis von dieser Gruppe. Er plädiert für ein Verständnis von race als Produkt der Moderne.122 Er zeigt dabei aber gleichzeitig auch auf, wie wirkmächtig Vorstellungen von schwarzer Gemeinschaft waren und weiterhin sind, und wie sie das Handeln und Sprechen von Menschen strukturierten. Gilroys Konzept lädt deshalb sogar dezidiert dazu ein, genau diese Aspekte zum Untersuchungsgegenstand zu machen und dabei jenseits einer nationalen Geschichtsschreibung, die dem Black Atlantic als „intercultural and transnational formation“ nicht gerecht werden kann, jene globalen Verknüpfungen und Interaktionen von Menschen in den Blick zu nehmen, deren Handeln und Sprechen als Effekte von Vorstellungen schwarzer Gemeinschaft verstanden werden müssen.123 Nicht nur die Gemeinschaft, die dabei imaginiert wird, sondern auch der Raum, in dem diese Gemeinschaft verortet wird, konstitutiert sich erst durch die Anrufungen und ihre Effekte.124 Gilroy legt die Bedeutung und Produktion der oben skizzier-
121 Ebd., S. 4. Gilroy benutzt an dieser konkreten Stelle die Beschreibung „rhizomorphic“ ohne weitere Erklärung seiner Bedeutung oder theoretischen Implikationen. An späterer Stelle (S. 28) verweist er allerdings in einer nicht weiter kommentierten Fußnote auf den Text „Rhizome“ von Gilles Deleuzes und Felix Guattari. Siehe: Deleuzes/Guattari, Ideology and Consciousness, 8 (1980), S. 49-71; und dies., A Thousand Plateaus. Capitalism and Schizophrenia. Athlone Press: London, 1988, S. 3-25. 122 Noch expliziter als in „The Black Atlantic“ formuliert Gilroy dieses Anliegen in seiner 2000 erschienenen Studie „Against Race“. 123 Gilroy, The Black Atlantic, S. ix. 124 So müssen Raumformationen auf jeglichen Ebenen – sei es transnational, global, national oder auch regional – grundsätzlich als gemacht verstanden werden. Wie Matthias Middell feststellt, erzeugen Akteurinnen und Akteure den Raum, indem sie „Raumbezüge für ihr Tun herstellen und sprachlich ausdrücken. Die meisten dieser Verräumlichungen sind relativ flüchtig, auch wenn sie routiniert regelmäßig stattfinden. Sie erzeugen aber ein kulturelles Gewebe, auf dem die Akte der Territorialisierung […] beruhen, die sich stabilisieren.“ Siehe Middell, Matthias, „Der Spatial Turn und das Interesse an der Globalisierung in der Geschichtswissenschaft“, in: Döhring, Jörg/Thielmann, Tristan (Hg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den
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ten Formation anhand verschiedener Beispiele dar. Bewegungen von Menschen, Ideen und Gütern sind dabei zentral: „I have settled on the image of ships in motion across the spaces between Europe, America, Africa and the Caribbean as a central organising symbol for this enterprise and as my starting point. The image of the ship – a living, micro-cultural, micro-political system in motion – is especially important for historical and theoretical reasons that I hope will become clearer below. Ships immediately focus attention on the middle passage, on the various projects for redemptive return to an African homeland, on the circulation of ideas and activists as well as the movement of key cultural and political artefacts: tracts, books, gramophone records, and choirs.“125
Einen Hauptaugenmerk seiner Studie legt er also auf historische Reisende, präziser männliche schwarze Intellektuelle, die seit dem 18. Jahrhundert per Schiff verschiedene Regionen des atlantischen Raums bereisten und mit und durch ihre Bewegungen Formationen jenes Black Atlantic hervorbrachten.126 Auch meine vorliegende Arbeit nimmt Reisende in den Blick, die sich zwischen den USA, Kanada, Haiti und darüber hinaus anderen Teilen der Karibik bewegten. Mit ihren Reisen, aber beispielsweise auch durch Briefe, die sie an Verwandte und Freunde schickten, oder anhand von Reiseberichten oder Pamphleten, die sie veröffentlichten, stellten sie auf vielerlei Ebenen Verknüpfungen von Menschen innerhalb dieser Regionen her. Dabei produzierten und reproduzierten sie Formationen des Black Atlantic, der als historischer Raum einer imaginierten schwarzen Gemeinschaft diese Bewegungen und Transfers einerseits bedingte, und der andererseits durch sie re-konstituiert wurde. Diese Transferund Verknüpfungspraktiken werden in der vorliegenden Arbeit in den Blick genommen. Wie handelten Menschen im Kontext der Emigration von den USA nach Haiti? Welche transnationalen und transregionalen Verknüpfungen stellten
Kultur und Sozialwissenschaften. Bielefeld: Transcript, 2008, S. 103-124, hier S. 119. Einführend zu Konzepten sozialer Räume, siehe auch: Dünne, Jörg, „Einleitung“, in: ders. [u.a.] (Hg.), Raumtheorie: Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, ²2010 (2008), S. 298-303. 125 Gilroy, The Black Atlantic, S. 4. 126 Siehe hierzu auch Patricia Wiegmanns und meine Einleitung in: Wiegmann, Patricia/Kreuzenbeck, Nora, „Being on the Move: Formations of the Black Atlantic“, in: Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Vergleichende Gesellschaftskunde, 21/5 (2011), S. 7-10. Zur Bedeutung einzelner Menschen in Formationen transnationaler Räume, siehe auch: Deacon (Hg.). Transnational Lives.
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sie dabei her? Wer hatte daran überhaupt Anteil? Und wer war von diesen Prozessen ausgeschlossen? Als Analysekonzept ist Gilroys Black Atlantic, wie oben bereits angedeutet, eine nachdrückliche Aufforderung „race“ und schwarze Identitäten zu deessentialisieren und sie als fluide, vielschichtige, multiple und darüber hinaus nicht natürliche, sondern prozesshafte Entitäten zu verstehen. Wenn Gilroy den Black Atlantic als „rizomorphic, fractal structure“ und „transcultural, international formation“ bezeichnet, dann ist dies vor dem Hintergrund des gerade Dargelegten einerseits eine Beschreibung des Black Atlantic, aber gleichzeitig auch ein Untersuchungsprogramm.127 Es fordert ganz im Sinne Deleuzes und Guattaris und ihrer Vorstellung vom Rhizom als Wissens- und Diskursmodell dazu auf, nicht nach Ursprüngen zu fragen, sondern sie vielmehr als eine sich in unterschiedlichen Kontexten und aus unterschiedlichen Perspektiven ständig neu formierende, prozesshafte, brüchige Formation zu verstehen. In ihrer Beschreibung des Rhizoms verweisen Deleuze und Guattari unter anderem auf dessen „[p]rinciples of connection and heterogeneity: any point of a rhizome can be connected to anything other, and must be. This is very different from the tree or root, which plots a point, fixes an order.“128 Der Black Atlantic als rhizomorphe Formation gestaltet sich ohne Ursprünge oder entlang eindeutiger Linien, ohne Ordnungen oder fixe Punkte, sondern wuchert unkontrollierbar und ohne Kausalitäten vor sich hin. Was diese Überlegungen konkret für Gilroys Untersuchungsfeld bedeuten, und welche Implikationen sie für meine eigene Untersuchung mit sich bringen, möchte ich im Folgenden weiter aufschlüsseln: Erstens formuliert Gilroy mit Black Atlantic zum Anfang der 1990er Jahre ganz explizit eine Kritik an einer nicht weiter beschriebenen „modern black political culture“ und ihren tendenziell essentialistischen Vorstellungen von Identitäten, beziehungsweise im Besonderen einer sogenannten schwarzen Identität.129 Seine Kritik bezieht Gilroy auf die Idee einer auf Afrika als Ursprung fokussierten Diaspora, die seit dem 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart in verschiedenen Kontexten immer wieder neu formuliert worden ist. Zwar hielt der Begriff Diaspora als Beschreibung „schwarzer globaler Gemeinschaften“, wie Ruth Meyer bemerkt, erst 1966 mit dem Erscheinen des Aufsatzes „The African Abroad or the African Diaspora“ des Afrikanisten George Shepperson Einzug in die wissenschaftliche Auseinan-
127 Vgl. Gilroy, The Black Atlantic, S. 4. 128 Deleuze/Guattari, A Thousand Plateaus, S. 7. 129 Gilroy, The Black Atlantic, S. 19.
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dersetzung.130 Allerdings hatten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen schon seit dem 18. Jahrhundert und zuvor Vorstellungen von transnationalen Netzwerken und essentiellen Gemeinschaften von Menschen in Nordamerika, der Karibik, Europa und Afrika formuliert. Diese Vorstellungen beriefen sich häufig auf die Idee, es gäbe eine essentialistische schwarze Identität, eine ursprüngliche gemeinsame Zusammengehörigkeit, die sich über den Faktor Schwarz-sein und/oder Afrikanisch-sein definierte. Ein gemeinsames Schwarz-sein und/oder Afrikanisch-sein und damit verknüpfte historische Erfahrungen wurde dabei zu einem verbindenden Element, das sich in der Proklamation einer schwarzen Gemeinschaft äußerte und dabei für all diejenigen, die sich als schwarz verstanden und verstanden wurden, Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit herstellen konnte. Afrika galt dabei häufig als Ursprung dieser globalen schwarzen Diaspora, deren Angehörige seit der Sklaverei über den atlantischen Raum und darüber hinaus verstreut waren. Gilroy kritisierte diese Vorstellungen mit der Veröffentlichung von „Black Atlantic“ in den frühen 1990er Jahren zu einer Zeit, in dem ein Verständnis von Nationalgebilden und Traditionen als produziert und konstruiert Einzug in die Kulturwissenschaften einhielt und Vorstellungen von Identitäten als stabile, gleichbleibende und demnach beispielsweise nicht historisierbare Einheiten grundsätzlich abgelöst wurden.131 Gilroy richtete sich gegen afrozent-
130 Meyer, Ruth, Diaspora. Eine kritische Begriffsbestimmung. Bielefeld: Transcript, 2005, S. 78. Meyer bezieht sich hier auf Shepperson, George, „The African Abroad or the African Diaspora“, in: Africa Forum, 1/2 (1966), S. 76-93. 131 So hatte beispielsweise Benedict Anderson 1983 mit „Imagined Communities“ eine Studie vorgelegt, die auf die historische Konstruiertheit von Nationalgebilden hinwies, siehe Anderson, Benedict, Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London: Verso, 1983. Eric Hobsbawm und Terence Osborn Ranger führten ebenfalls 1983 das Konzept der Invented Traditions ein, das vermeintlich alte Traditionen, die dazu dienen beispielsweise nationale Gemeinsamkeit und Identifikation herzustellen, als relativ neu und gemacht versteht. Siehe Hobsbawm, Eric J./Ranger, Terence O., The Invention of Tradition. Cambridge/New York: Cambridge University Press, 1983. Anthony Kwame Appiah kritisierte in seinem 1992 veröffentlichten Buch „In My Father’s House. Africa in the Philosophy of Culture“ das historische Phänomen des Pan-Africanism und damit verbundene Identifikationen. Siehe Appiah, Anthony Kwame, In my Father’s House: Africa in the Philosophy of Culture. New York: Oxford University Press, 1992. Die Forderung schwarze diasporische Identifikationen als konstruiert und kontextabhängig zu verstehen, liegt auch Stuart Halls Überlegungen beispielsweise in seinem Aufsatz „Cultural Identity“ und Diaspora zugrunde. Siehe Hall, Stuart, „Cultural Identity and
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rische Traditionen in der Auseinandersetzung mit der Geschichte und Kultur schwarzer Menschen, die Afrika als eindimensional monokausalen Ausgangspunkt schwarzer Kulturen in der atlantischen Welt untersuchten.132 Wenn nach Gilroy der Black Atlantic rhizomorph strukturiert ist, macht es wenig Sinn, nach Ursprüngen zu suchen. Statt nach dem Verhältnis von „identity to roots and
Diaspora“, in: Rutherford, Jonathan (Hg.), Identity. Community, Culture, Difference. London: Lawrence & Wisehart, 1990, S. 222-237. Hall fragte aus einer ähnlichen Perspektive denkend ein Jahr später „What Is This Black in Black Diaspora?“, in Dent, Gina (Hg.), Black Popular Culture. Seattle: Bay, 1992, S. 21-36. Vgl. auch Meyer, Eine kritische Begriffsbestimmung, vor allem S. 81-86. Joan Scott legte 2001 in ihrem Aufsatz „Fantasy Echo“ die Instabilität und Gemachtheit historischer Identitäten dar. Sie beschäftigt sich dabei insbesondere mit der Konstruiertheit und Wandelbarkeit weiblicher Identitäten. Siehe Scott, „Fantasy Echo: History and the Construction of Identity“, in: Critical Inquiry 27/2 (2001), S. 284-304. Das bis zu diesem Zeitpunkt und darüber hinaus sicherlich radikalste Umdenken von Identität hatte bereits 1990 Judith Butler in „Gender Trouble“ gefordert. Butler schlägt hier erstmals ein Verständnis von Geschlecht als Kategorie der Fremd- und Selbstidentifikation vor, das nicht länger zwischen einem biologischen Geschlecht (sex) und einem kulturell konstruierten Geschlecht (gender) unterscheidet, denn auch das vermeintlich biologische Geschlecht versteht Butler als Konstruktion. „If the immutable character of sex is contested, perhaps this construct called ‚sex‘ is as culturally constructed as gender; indeed, perhaps it was always already gender, with the consequence that the distinction between sex and gender turns out to be no distinction at all“, argumentiert Butler, Gender Trouble, S. 10-11. Als Identifikationskategorie ist Geschlecht dem Diskurs nicht vorgängig, sondern wird im Moment seiner Aufführung hergestellt und dabei wirkmächtig. 132 Als einer der bekanntesten akademischer Vertreter des Afrozentrismus in den USA gilt Molefi Kete Asante, der das African American Studies Department an der Temple University leitet. Asantes Analysen nehmen eine dezidiert afrozentrische Analyseperspektive ein. Für einige von Asantes Arbeiten in diesem Bereich siehe Asante, Molefi Kete The Afrocentric Idea. Philadelphia: Temple University Press, 1987; ders. (Hg.) An Afrocentric Manifesto: Toward an African Renaissance. Cambridge: Polity, 2008. Aufgrund seiner Programmatik zu race, Nationalismus und schwarzer Kultur ist Asante neben Gilroy von einer ganzen Reihe Intellektueller aus dem Bereich der African American Studies, wie etwa Henry Louis Gates, die die Politik des Afrozentrismus dezidiert ablehnen, zum Teil heftig kritisiert worden. Siehe hierzu DuCille, Ann, Skin Trade. Cambridge: Harvard University Press, 1996, vor allem S. 120-135.
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rootedness“ zu fragen, schlägt Gilroy also vor, „identity as a process of movement and mediation“ zu verstehen, „that is more appropriately approached via the homonym routes.“133 Er interessiert sich dabei also ganz explizit für Identitäten, die aber nicht auf ihre vermeintlichen Wurzeln hin untersucht werden sollen, sondern als jene wandelbaren, prozesshaften Entitäten, als die sie überhaupt erst in Erscheinung treten.134 Dabei geht er davon aus, dass Reisen und Wegstrecken („routes“) Momente sind, in denen Identitätsformationen überaus wichtig sind und überhaupt erst sichtbar werden. Meine Arbeit greift diesen Ansatz auf, und untersucht Identitätsformationen im Kontext von Reisen und Bewegungen zwischen Nordamerika und der Karibik. Welche Vorstellungen von Identität äußerten Menschen? Wie sahen sie sich selbst und wie andere? Wie änderten sich diese Vorstellungen, und wie wurden sie überhaupt sichtbar? Wie wurden sie selbst wahrgenommen? Gehen wir davon aus, dass die Formierungen von Identitäten beziehungsweise Identifikationen wiederum eng geknüpft sind an Vorstellungen von der Zugehörigkeit und Gemeinschaft, die sich beispielsweise entlang der historisch häufig dichotom konstruierten Kategorien Geschlecht (Frau-sein/Mann-sein) oder race (Schwarz-sein/Weiß-sein) anordnen, so gilt es also, die Wandelbarkeit und Kontextabhängigkeit von Vorstellungen schwarzer Gemeinschaft zu untersuchen, und sie zu historisieren und dabei zu de-essentialisieren.135 So beschreiben auch Patterson und Kelley schwarze diasporische Identitäten als „socially and historically constituted, reconstituted, and reproduced“ und damit überaus fluide.136 Trotz, beziehungsweise gerade aufgrund ihrer Konstruiertheit entfalten Vorstellungen von der identitären Zugehörigkeit beziehungsweise der Nicht-Zuge-
133 Gilroy, The Black Atlantic, S. 19. 134 Gilroy bezieht sich bei diesen Überlegungen auf ein Verständnis von Identität beziehungsweise Identifikationen – ein Begriff, der auf die Prozesshaftigkeit und gleichzeitige Wirkmächtigkeit des sich Identifizierens und auch des Identifiziert-Werdens hinweist – das Stuart Hall folgendermaßen dargelegt hat: „We should think […] of identity as a ‚production‘ which is never complete, always in process, and always constituted within, not outside, representation.“ Hall, „Cultural Identity and Diaspora“, S. 222. 135 In dieser Gegenüberstellung wurde nicht zuletzt Männlichkeit und whiteness als normativ dargestellt, während Weiblichkeit und blackness Abweichungen darstellten. 136 Patterson, Tiffany/Kelley, Robin D.G., „Unfinished Migrations: Reflections on the African Diaspora and the Making of the Modern World“, in: African Studies Review, 43/1 (2001), S. 11-45, hier S. 19.
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hörigkeit zu verschiedenen Formationen von Gemeinschaft sowie die Selbst- und Fremdidentifikation mit dieser Gemeinschaft enorme Wirkmacht. Dem entsprechend weisen Patterson und Kelley darauf hin, dass historische Formationen der schwarzen Diaspora als Feld eben dieser Identifikationsprozesse in hohem Maße von Hierarchien durchzogen waren. Sie beschreiben historische Formationen der Diaspora als „process and condition. As a process, [the black diaspora] is always in the making, and as a condition, it is situated within global race and gender hierarchies.“137 Formationen der schwarzen Diaspora müssen demnach also immer auch als Formationen von Macht- und Herrschaftsverhältnissen gelesen werden. Sie werden durch diese Verhältnisse überhaupt erst hervorgebracht und tragen sie dabei gleichzeitig mit. Und ebenso wie die Identitäten, die sich auf dem Feld der schwarzen Diaspora formierten, sind jene globalen rassifizierten und vergeschlechtlichten Hierarchien wandelbar und beständig in Bewegung. Die fluide Strukturiertheit der schwarzen Diaspora und ihrer Hierarchien korrespondiert also unmittelbar mit der ebenso fluiden Art und Weise der produktiven Hervorbringung und des Wirkens von Macht, die Foucault als konstitutive Kraft von Diskursen netzförmig und zirkulierend beschreibt. Sie wird einerseits von jedem einzelnen Individuum ausgeübt, und jedes Individuum ist ihr andererseits gleichzeitig ausgesetzt.138 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen stellen sich folgende Fragen: Welche Vorstellungen von Gemeinschaft wurden geäußert, und wie war diese Gemeinschaft strukturiert? Welche Hierarchien wurden dabei angerufen und hergestellt? Welche Hierarchien wurden in Frage gestellt? Wie strukturierten race, Klasse, Geschlecht, aber beispielsweise auch Religion und Nationalität diese Hierarchien, und welche Wirkmächtigkeiten produzierten sie? Welche Brüche zeigten sich dabei? Es sei hier noch einmal explizit und nachdrücklich betont: Obwohl gemacht und wandelbar, müssen Vorstellungen von einer schwarzen Gemeinschaft und
137 Ebd., S. 11. 138 Foucault beschreibt Macht folgendermaßen: „Die Macht muss […] als etwas analysiert werden, das zirkuliert […] sie ist niemals lokalisiert hier oder da, sie ist niemals in den Händen einiger, sie ist niemals angeeignet wie ein Reichtum oder ein Gut. Die Macht funktioniert, die Macht übt sich als Netz aus, und über dieses Netz zirkulieren die Individuen nicht nur, sondern sind auch stets in der Lage, diese Macht zu erleiden und auch sie auszuüben; sie sind niemals die träge oder zustimmende Zielscheibe der Macht; sie sind stets deren Überträger. Mit anderen Worten, die Macht geht durch die Individuen hindurch, sie wird nicht auf sie angewandt.“ Foucault, „Vorlesung vom 14. Januar 1976“, in: ders. Dits et Écrits. Schriften 3, S. 231-272, hier S. 238. Vgl. auch Foucaults Machtbegriff in: Foucault, Der Wille zum Wissen.
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schwarzen Identitäten als wirkmächtig und dabei als überaus politisch verstanden werden. Patterson und Kelley beschreiben diese politische Dimension folgendermaßen: „Neither the fact of blackness nor shared experiences under racism nor the historical process of their dispersal makes for community or even a common identity. Yet it was precisely out of the historical struggle to resist domination that a concept of ‚authentic‘ identity emerged alongside a discourse of difference and discontinuity.“139
Diese Vorstellung ist für meine Studie zentral. Menschen eigneten sich demnach die Idee einer authentischen Identität an, die gleichzeitig im 19. Jahrhundert und darüber hinaus die Marginalisierung von Menschen anhand der Kategorie race erst möglich machte. Zunächst sei hier festgehalten, dass Nationalität und Staatsbürgerlichkeit zur Mitte des 19. Jahrhunderts in der sogenannten westlichen Welt enorm wichtige Konzepte geworden waren, denn der Zugang zu Staatsbürgerlichkeit regelte gleichfalls den Zugang von Individuen zu gesellschaftlichen Ressourcen. Dabei galt, wie bereits erläutert, bei weitem nicht jeder und jede als vollwertiger Staatsbürger oder Staatsbürgerin. Inwiefern ein Mensch als Staatsbürger, oder darüber hinaus überhaupt als subjektfähig galt, wurde über eine Vielzahl von Faktoren, wie race und Geschlecht, Klasse, Religion, Befähigung und Nationalität geregelt. Schwarze Menschen waren, wie dargelegt, in den USA in der Regel von der Partizipation an staatsbürgerlichen Rechten und Privilegien gänzlich ausgeschlossen. Begründet wurde dieser Ausschluss mit der Berufung auf eine vermeintlich essentielle Andersartigkeit solcher Menschen, die als schwarz galten. Die Vorstellung, dass diese Menschen oder ihre Vorfahren aus Afrika kamen, disqualifizierte sie in der Vorstellung vieler von der Teilhabe an US-amerikanischer Nationalität und Staatsbürgerlichkeit, und mit dem Urteil im Dred Scott Fall war dies 1857 sogar vom Obersten Gerichtshof der USA bestätigt worden. Gerade dies ließ einige Afrika als alternative Heimat imaginieren. Die Beschwörung einer gemeinsamen Identität und einer „rootedness“ in Afrika wurde dabei zu einer Möglichkeit, im Rahmen dominanter diskursiver Formationen emanzipatorische Ansprüche erheben zu können.140 Dabei identifizierten Menschen sich als Angehörige einer gemeinsamen beispielsweise als black people oder black race bezeichneten Gruppe, besetzten dabei diese Zusammengehörigkeit aber positiv und transformierten so die Vorstellung einer schwarzen Ge-
139 Patterson/Kelley, „Unfinished Migrations“, S. 19. 140 Gilroy, The Black Atlantic, S. 112.
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meinschaft zu einem Moment des Widerstandes gegen dominante Diskurse von der Unterlegenheit schwarzer Menschen. Gleichzeitig wurden Vorstellungen davon, was es bedeutet schwarz zu sein und zu einer historisch begründeten Gemeinschaft schwarzer Menschen zu gehören ständig neu ausgehandelt, bestätigt und in Frage gestellt.141 Die Zugehörigkeit und Identifikation mit der Gruppe der black race wurde so zu einem politisch-emanzipatorischen Instrument, das allerdings die Vorstellung von der Existenz verschiedener races nicht primär in Frage stellte. Diese Formationen gilt es im Kontext von Migration von den USA nach Haiti im 19. Jahrhundert zu untersuchen. Es stellt sich die Frage, welche politischen Anliegen im Kontext der Emigrationsbewegung geäußert werden. Welche Vorstellungen von Staatsbürgerschaft, Gleichberechtigung und Nationalität zeigten sich? Welche emanzipatorischen Strategien wurden dabei geäußert? Welche Rolle spielten beispielsweise race und Geschlecht in diesem Kontext? Wenn der Präsident Haitis Fabre Geffrard African Americans in der bereits zu Beginn dieser Einleitung zitierten Einladung zur Emigration nach Haiti aufforderte, so folgte er dem oben geschilderten Diskursmuster. Race, also dieselbe Markierung, anhand derer Menschen marginalisiert werden konnten, wurde so positiv verknüpft und die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe emanzipatorisch aufgeladen. Sie schien deshalb so mächtig und wirkungsvoll, weil es zumindest zu einem gewissen Grad mit dem korrespondierte, was als Wahrheit galt, als sagbar und denkbar erschien und allein deshalb überhaupt erst Gehör finden konnte. Von der Idee essentieller Andersartigkeit und seinem gleichzeitigen Marginalisierungspotential verabschiedeten sich diese Vorstellungen allerdings nicht.142
141 Patterson/Kelley, „Unfinished Migrations“, S. 19. 142 Appiah, auf den auch Gilroy sich in seiner „Black Atlantic“ Studie bezieht, legt diese Problematik am Beispiel des Afroamerikaners Alexander Crummell dar, der 1862 eine Publikation mit dem Titel The Future of Africa veröffentlichte. „[F]ew of the readers of this book in the last hundred years […] will have found anything odd in this title, its author’s particular interest in Africa’s future, or of his claim to speak for the continent. […]At the core of Crummell’s vision is a single guiding concept: race. Crummell’s ‚Africa‘ is the motherland of the Negro race, and his right to act in it, to speak for it, to plot its future derived – in his conception – from the fact that he too was a Negro. More than this, Crummell held that was a common destiny for the people of Africa […] not because they share a common ecology, nor because they had a common historical experience or faced a common thread from imperial Europe, but because they belonged to this one race. […] Crummel was one of the first people to speak as [Herv.i.O.] a Negro in Africa, and his writings effectively inaugu-
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Ähnliches gilt für die Kategorie Geschlecht: Bereits in dem kurzen, einleitend zitierten Abschnitt aus Geffrards Einladung afroamerikanischer Emigrierender nach Haiti deutet sich an, dass Geschlecht für die Vorstellung davon, wie die Gemeinschaft schwarzer Menschen strukturiert war, eine wichtige Rolle spielte, ja konstitutiv war. Es stellen sich dabei die Fragen: Welche Vorstellungen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten wurden in diesem Kontext geäußert? Welche Praktiken waren daran geknüpft? Wie schlug sich die Kategorie Geschlecht in Emanzipationsstrategien nieder, und welche Brüche zeigten sich dabei? Der Zugriff über den Black Atlantic als Beschreibung eines historisch gemachten Raums und als Analysekonzept desselben schärft nicht nur meine Fragestellungen an das mir vorliegende Material. Er macht es darüber hinaus möglich, die von mir untersuchte Emigration einiger weniger tausend Menschen von den USA nach Haiti in einem relativ kurzen Zeitraum von etwa einer Dekade eben nicht als entrücktes, letztlich irrelevantes historisches Phänomen zu betrachten. Vor dem Hintergrund des Black Atlantic kann die Emigrationsbewegung stattdessen als ein konstitutiver Bestandteil und ein zentraler Knotenpunkt in einer größeren transnationalen historischen Formation gelesen werden, und meine Studie gleichzeitig als Beitrag zu einem größeren kulturhistorischen und nicht zuletzt postkolonialen Projekt.143 Indem nämlich meine Arbeit erstens mit Trouillot auf die Bagatellisierung Haitis hinweist und dass sich dabei ergebende Spannungsfeld zum Untersuchungsgegenstand macht, und dabei zweitens mit Gilroy aus transnationaler Perspektive den Blick auf historische Verflechtungen jenseits nationaler Grenzziehungen in Nordamerika, Haiti und darüber hinaus lenkt, folgt sie Forschungsdes-
rated the discourse of Pan-Africanism. Ethnocentrism, however much it distresses us, can no longer surprise us. […] Still, it is [Herv.i.O.], at least initially, surprising that even those African-Americans like Crummell, who initiated the nationalist discourse on [Herv.i.O.] Africa in Africa, inherited a set of conceptual blinders that made them unable to see virtue in Africa, even though they needed Africa, above all else, as a source of validation. Since they conceived of the African in racial terms, their low opinion of Africa was not easily distinguished from a low opinion of the Negro, and they left us, through the linking of race and Pan-Africanism, with a burdensome legacy“, siehe Appiah, In My Father’s House, S. 5. 143 John Cullen Gruesser bezeichnet übrigens Gilroys Überlegungen zum Black Atlantic als „the most profound attempt to correlate postcolonialism and African American studies“, siehe: Gruesser, John Cullen, Confluences. Postcolonialism, African American Literary Studies, and the Black Atlantic. Athens: University of Georgia Press, 2005, S. 5.
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ideraten, die im Kontext postkolonialer Geschichtsschreibung als grundlegend herausgestellt worden sind.144 Neben Gilroy haben eine Reihe weiterer Theoretikerinnen und Theoretiker des Postkolonialismus auf die transnationalen Verflechtungen verschiedener Regionen des atlantischen Raums hingewiesen, die gerade mit Blick auf die Geschichte schwarzer Menschen in diesem Raum von großer Bedeutung sind.145 Außerdem wurde in diesem Kontext nachdrücklich auf die wechselseitigen Verknüpfungen von Kolonialismus und Rassismus hingewiesen. Postkoloniale Forschungsperspektiven können wichtige analytische Werkzeuge beispielsweise in den African American Studies darstellen. So müssen schwarze Menschen in den USA und weltweit aus historischer Perspektive als Gruppe verstanden werden, auf die eine Vielzahl von Kolonisierungsmechanismen einwirkten. Diese Feststellung soll die historischen Erfahrungen schwarzer Menschen weltweit allerdings keinesfalls gleichsetzen oder sogar ihrer Komplexität berauben. Es ist vielmehr John Cullen Gruesser zuzustimmen, wenn er bemerkt: „The experiences and cultural productions of people of African descent in the United States differ markedly from those of persons from colonized or formerly colonized lands.“146 Dennoch, so Gruesser, mache es Sinn, sich afroamerikanischer Geschichte gerade wegen ihrer kontinuierlichen Auseinandersetzung und Verbindung zu „issues such as colonialism, displacement, and syncretism“ aus einer postkolonialen Perspektive zu nähern.147 Der Einsatz postkolonialer Forschungsperspektiven in den African American Studies kann diesem Plädoyer entsprechend als produktiver „oppositional discourse“ gegenüber hegemonialen Herrschaftsstrukturen verstanden werden.148 Meine Studie greift diese Überlegungen auf und argumentiert, dass African Americans, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts von den USA nach Haiti emigrierten, als Subjekte verstanden werden müssen, auf die in einer rassistisch strukturierten US-amerikanischen Gesellschaftsordnung Kolonisierungsmecha-
144 Einführend in die Postcolonial Studies siehe: Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, Bielefeld: Transcript, 2005; Conrad/Randeria, „Einleitung“, in: dies. (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus, S. 9-50; Young, Robert J.C., Postcolonialism. An Historical Introduction. Oxford/Malden: Blackwell Publishers, 2001. 145 Siehe neben Gilroys Plädoyer u.a. Horne, „Toward a Transnational Research Agenda for African American Research in the 21st Century“, in: Journal of African American Studies, 91/3 (2006), S. 288-304; DuCille, Skin Trade. 146 Gruesser, Confluences, S. 2. 147 Ebd., S. 3. 148 DuCille, Skin Trade, S. 123.
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nismen abzielten, von denen aber Kolonisierungsmechanismen auch ausgingen. Diese Emigrationistinnen und Emigrationisten waren so gleichzeitig Kolonisierte, aber auch Kolonisierende. Trotz ihres Anspruchs, auf Verflechtungen jenseits nationaler Grenzziehungen aufmerksam zu machen, ist die vorliegende Arbeit vor allem eine Geschichte über die USA. Dies ist unter anderem meiner Ausbildung als Nordamerika Historikerin geschuldet. Außerdem basiert diese Arbeit aufgrund der Quellenlage ausschließlich auf Material, dass sich in Archiven in den USA und Europa finden lässt und grundsätzlich die Perspektiven von Menschen aus dem nordamerikanischen Kontext wiedergibt. Wie beispielsweise Haitianerinnen und Haitianer den Migrierenden aus den USA und Kanada begegneten und wie sie diese konzeptionalisierten, wird nur in solchen Momenten sichtbar, in denen diese Stimmen in schriftlichen Hinterlassenschaften letzterer auftauchen. Die Perspektiven von (überwiegend schwarzen) US-Amerikanerinnen und Amerikanern bleiben in meiner Erzählung dominant. So muss, wie Dipesh Chakrabarty bemerkt „das Projekt der Provinzialisierung Europas“ beziehungsweise in diesem Falle Nordamerikas, „in sich selbst seine eigene Unmöglichkeit erkennen.“149 Indem ich hier auf diese in historisch bedingte Macht- und Herrschaftssysteme eingebetteten strukturellen Probleme aufmerksam mache, versucht diese Arbeit dabei allerdings Chakrabartys Forderung nach einer postkolonial informierten Geschichtsschreibung insofern nachzukommen, als dass sie versucht, zumindest ihre „eigenen repressiven Strategien und Praktiken bewußt sichtbar“ zu machen.150 Darüber hinaus ermöglicht die transnationale Perspektive die häufig nationalstaatlich angelegte Geschichtsschreibung der USA zu einem gewissen Grad zu de-zentrieren. Trotz der Bezeichnung des Raumes als Black Atlantic oder Black Diaspora liegt es auf der Hand, dass auch als weiß klassifizierte Personen zu den mannigfaltigen Formierungen dieses transnationalen Raumes beitrugen. Dies wird sich nicht zuletzt auch in den folgenden Kapiteln meiner Untersuchung deutlich werden. Indem ich hier explizit darauf aufmerksam mache, soll meine Arbeit auch einen Beitrag dazu leisten, eine Dichotomisierung zwischen vermeintlich „schwarzen“ Geschichten und „weißen“ Geschichten aufzulösen, die sich schon auf den ersten Blick nicht sinnvoll voneinander trennen lassen. So soll hier nicht zuletzt untersucht werden, wer im Kontext des thematischen Rahmens meiner
149 Chakrabarty, Dipesh, „Europa Provinzialisieren. Postkolonialität und die Kritik der Geschichte“, in: Conrad/Randeria (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus, S. 283-312, hier S. 308. 150 Ebd. S. 308.
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Arbeit überhaupt als schwarz und wer als weiß galt. Diese Frage, sowie die sich daran anschließende Frage danach, wie sich dieses Schwarz-sein oder Weiß-sein überhaupt gestaltete, verweist kaum überraschend einmal mehr auf eine Vielzahl von Ambivalenzen und Fluiditäten.
G LIEDERUNG Diese Studie gliedert sich folgendermaßen: In dem sich anschließenden ersten Kapitel geht es darum, Praktiken, die erstens der institutionellen Organisation der Emigration und zweitens der Umsetzung des Migrationsprozesses zugrunde lagen, in den Blick zu nehmen. Exemplarisch folgt es dabei lose der Geschichte der Emigrantin Margaret Proctor, die 1861 mit ihrer Familie mithilfe des Haytian Bureau of Emigration von Kanada nach Haiti migrierte, bevor sie 1863 in die USA zurückkehrte. Das Kapitel führt dabei in zentrale Abläufe der Emigrationsbewegung ein und funktioniert damit auch als eine Hinleitung zu den übrigen Kapiteln, die statt Abläufen zentrale Texte oder aber Momentaufnahmen in den Blick nehmen. Auf einer übergeordneten Ebene zeigt das Kapitel außerdem, wie Praktiken rings um die Emigrationsbewegung vielfältige und vielschichtige Verknüpfungen von Menschen und Orten auf lokaler, nationaler und transnationaler Ebene zustande brachten. Es nimmt demnach ganz konkrete Wirkmächtigkeiten in den Blick, die vor dem Hintergrund von Vorstellungen einer schwarzen Gemeinschaft im Atlantischen Raum hervorgebracht wurden. Dabei fragt es danach, wer überhaupt zur Organisation der Emigration beitrug und zeigt auf, wie sich diese Beiträge gestalteten. Es wird deutlich, dass Praktiken der Emigration in hohem Maße von Differenzkategorien wie race, Klasse und Geschlecht strukturiert wurden. Das zweite Kapitel wendet sich Vorstellungen von der Position Haitis in einer globalen Gemeinschaft schwarzer Menschen im Atlantischen Raum zu. Hier wird erstens der Frage nachgegangen, was anhand von Migration aus den USA nach Haiti erreicht werden sollte. Zweitens knüpft das Kapitel dabei auch an grundsätzliche Fragen dieser Arbeit an, indem es darlegt, wie Haiti und seine Position innerhalb einer schwarzen Diaspora im atlantischen Raum in verschiedenen programmatischen Texten verortet wurden, die von Befürwortenden von Emigration nach Haiti verfasst und veröffentlicht wurden. Dabei zeigt sich, dass Haiti eine Vielzahl von komplexen und divergierenden Positionen zugeschrieben wurde. Haiti wurde als Ort verstanden, der sowohl als Symbol erfolgreicher schwarzer Dekolonisierung, Unabhängigkeit und Emanzipation gefeiert wurde, auf den aber gleichzeitig auch Kolonisierungsabsichten abzielten. Gleichzeitig
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zeigt sich auch, dass die imaginierte transnationale Gemeinschaft schwarzer Menschen im atlantischen Raum von einer Vielzahl von Hierarchien strukturiert wurde. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Frage, welche Vorstellungen von potentiellen Emigrantinnen und Emigranten nach Haiti im Kontext der Emigrationsbewegung formuliert wurden. Wie sah das Idealbild dieser Menschen aus? Wie sollten sie sich in Haiti verhalten, um die Emigration zu einem Erfolg zu machen? Dabei zeichnet sich ab, dass Emigration nach Haiti als eine exklusive Unternehmung verstanden wurde, die bei weitem nicht allen offen stand. Längst nicht jede und jeder galt als geeignet, um nach Haiti zu emigrieren. Wer als geeignet galt, und wie sich darüber hinaus Menschen in Haiti verhalten sollten, um die Migration zu einem Erfolg zu machen, wurde in hohem Maße davon bestimmt, was in den USA zur Mitte des 19. Jahrhunderts als „respektables“ Verhalten galt. Das Kapitel zeigt außerdem auf, wie Emigrierte in Haiti diese Vorstellungen fortschrieben, und welche Handlungsanleitungen sie aus ihnen ableiteten. Gleichzeitig verweist es aber auch auf zahlreiche Abweichungen und Brüche von diesen Idealvorstellungen und untersucht ihre Rationalitäten. Die Reiseberichte von vier Individuen stehen im Zentrum des vierten Kapitels, das auf der Basis dieses Materials nach Identifikationsprozessen fragt, und dabei vor allem Kontaktmomente in den Blick nimmt, die in den Reiseberichten beschrieben werden. Wie stellten sich die Verfassenden in den Berichten selbst dar? Wie beschrieben sie Haiti? Wie veränderten sich möglicherweise ihre Vorstellungen von sich selbst und den Anderen? Das Kapitel zeigt auf, wie sich die vier Berichtenden in Diskurse um Modernisierung, Zugehörigkeit und die emanzipatorische Bedeutung Haitis für emigrierende African Americans einschrieben. In einem abschließenden fünften Kapitel werden, begleitet von einem Ausblick, die Ergebnisse der Studie zusammengefasst.
1 „Wherever a member of our race is situated“: Herstellung von Gemeinschaft
Als Margaret Chavous Proctor mit ihrem Ehemann Alexander und zwei ihrer Söhne am 15. Juni 1861 zusammen mit insgesamt etwa 60 Passagieren an Bord des Schiffes Pearl den Hafen von Boston in Richtung Saint Marc, Haiti verließ, war dies für die 47-Jährige längst nicht der erste und auch nicht der letzte Ortswechsel.1 Die Gegend des Roanoke River Valley in der Grenzregion von North Carolina und Virginia, wo Margaret Chavous ebenso wie ihr späterer Ehemann Alexander 1814 in freien afroamerikanischen Familie geboren worden waren, hatte das Ehepaar kurz nach ihrer Heirat 1837 verlassen, um sich in Carthagena, Ohio anzusiedeln. Der Ort war in den 1830er Jahren als Siedlung von African Americans im Westen des Staates gegründet worden. Doch obwohl er als relativ sicherer Wohnort für African Americans galt, verließen die Proctors Carthagena 1850, um sich für einige Jahre in Butler County im Südwesten Ohios niederzulassen, bevor sie mit ihren mittlerweile vier Söhnen Anfang 1860 in die Nähe von Windsor am kanadischen Ufer des Detroit River in Ontario zogen.2 Bereits
1
Zur Anzahl der Passagiere siehe beispielsweise Pine and Palm, 29. Juni 1861.
2
Vgl. Krause, Paul, „Color Scales: The Exemplary Tale of the Proctor Family“, in: Contours. A Journal of The African Diaspora, 3/1 (2005), S 26-47, hier S. 28. In diesem Aufsatz, der bisher einzigen Publikation, die sich mit der Familie beschäftigt, untersucht der Historiker Paul Krause die Geschichte der Familie von den USA nach Kanada, Haiti und Russland vom 19. bis ins späte 20. Jahrhundert und setzt dabei einen Schwerpunkt auf den sich stetig wandelnden „rassischen Status“ der Reisenden. Bezeichnender Weise nennt Krause die Proctors darin „testaments of the Black Atlantic and its complicated entanglements“, S. 28. Krauses und auch meiner Untersuchung zugrunde liegen die Alexander Proctor Papers in der David M. Rubenstein Rare Book & Manuscript Library der Duke University in Durham, NC. Zur Datierung der Über-
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knapp anderthalb Jahre nach dem Umzug nach Kanada war die Familie allerdings wieder unterwegs – diesmal in Richtung Saint Marc, Haiti. Die Passagiere an Bord der Pearl gehörten zu einigen tausend Personen, die mithilfe des Haytian Bureau of Emigration zu Anfang der 1860er Jahre nach Haiti emigrierten. Zusammen mit Margaret und Alexander Proctor und zwei ihrer Söhne segelten an Bord der Pearl mindestens 24 Personen aus dem kanadischen Windsor von Boston aus in die Karibik.3 Wie die Proctors verfügten viele der Emigrantinnen und Emigranten, die die USA in Richtung Haiti verließen, über mehrfache Migrationserfahrungen. Viele der erwachsenen Passagiere an Bord der Pearl waren beispielsweise in den USA geboren worden und erst vor einigen Jahren nach Kanada emigriert. Einige hatten ihre Jugend in den Südstaaten der USA verbracht und waren zuerst in den Norden der USA und von dort nach Ontario migriert. Die Geschichte von Margaret Proctor, die allerdings an vielen Stellen aufgrund der Quellenlage unvollständig bleiben muss, wird als roter Faden exemplarisch durch das folgende Kapitel führen, das Praktiken der Migration in den Blick nimmt und aufzeigt, wie sich entlang dieser Praktiken Gemeinschaft formierte.4 Dabei gehe ich davon aus, dass Praktiken keinesfalls getrennt von Diskursen zu verstehen sind, sondern vielmehr durch sie überhaupt erst hervorgebracht werden. Außerdem geht es nicht darum, am Beispiel der Proctors „die“ Geschichte von Emigration nach Haiti und ihre Praktiken möglichst vollständig wiederzugeben. Auch soll hier nicht suggeriert werden, dass die Proctors und ihre individuellen Erfahrungen als repräsentativ für andere nach Haiti emigrierte African Americans verstanden werden könnte. Stattdessen soll am Beispiel der Proctors und anderer Akteure und Akteurinnen, die im Kontext der Emigrationsbewegung verortet werden können, folgendes untersucht werden: Wie konnte Emigration nach Haiti möglicherweise ablaufen? Anhand welcher Praktiken wurde dabei Gemeinschaft produziert? Und welche Subjektpositionen wurden dabei hergestellt? Ich wende mich dabei nicht nur Praktiken des eigentlichen Reisens zwischen zwei Orten zu, sondern beziehe in einem weiteren Sinne auch solche Praktiken ein, die der Organisation der Migration dienten.
fahrt siehe „Articles of Agreement“, in: Alexander Proctor Papers, Folder I, David. M. Rubenstein Rare Book & Manuscript Library, Duke University. Im Folgenden bezeichne ich die Sammlung als Proctor Papers. Duke Univ. 3
Vgl. „Articles of Agreement“, in: Proctor Papers, Duke Univ., Folder I.
4
Die Dokumentation des Aufenthaltes der Proctors in Haiti ist eher spärlich. Ohnehin sind nur wenige schriftliche Aufzeichnungen der Familie zwischen 1839 und 1895 überliefert. Sie umfassen lediglich zwei schmalen Mappen.
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Die multiplen Migrationserfahrungen der Proctors und vieler anderer Emigrantinnen und Emigranten können als konstitutive und flüchtige Momente in der Formation des Black Atlantic verstanden werden, in dessen Geschichte, wie Paul Gilroy feststellt, „movement, relocation, displacement, and restlessness […] the norms rather than the exceptions“5 darstellten. Die enorme Mobilität der Proctors zeugt erstens von den weitreichenden Vernetzungen schwarzer Menschen im atlantischen Raum, die sich über nationale Grenzen hinweg aufspannten. Dabei wird deutlich, wie etwa Gerald Horne 2006 nachdrücklich argumentierte, dass afroamerikanische Geschichte sich kaum in nationalgeschichtlich gerahmten Untersuchungen fassen lässt.6 Zweitens weisen die Emigrationserfahrungen der Proctors auch auf die sich ständig verändernden Dynamik dieser Vernetzungen hin, die als rhizomorph strukturiert verstanden werden müssen.7 So haben sie weder einen linearen Ausgangs-, noch einen eindeutigen Zielpunkt, sondern verzweigen sich in mehrere Richtungen. In den flüchtigen Momenten, in denen Menschen sich von einem Ort zum anderen bewegen, stellen sie immer wieder aufs Neue und in unterschiedlichen Formationen neuralgische Knotenpunkte des höchst wandelbaren transnationalen Netzwerkes her, das Gilroy als Black Atlantic bezeichnet. Bis auf seinen Verweis auf die explizit rhizomorphe Struktur des Black Atlantic theoretisiert Gilroy sein Verständnis von Netzwerken nicht weiter. Stattdessen legt er anhand einer Reihe von konkreten Beispielen dar, wie die Bewegung von Individuen, aber beispielsweise auch von Artefakten den Black Atlantic als historischen Raum schwarzer Gemeinschaftsformationen reproduzierte. Wie bereits in der Einleitung dargelegt, lassen sich allerdings Formationen des Black Atlantic Netzwerkes und die Subjektpositionen, die historische Akteurinnen und Akteure darin hervorbrachten und einnahmen, in Korrespondenz mit dem Wirken von Macht verstehen, das Foucault folgendermaßen beschreibt: „Die Macht muss […] als etwas analysiert werden, das zirkuliert […] sie ist niemals lokalisiert hier oder da, sie ist niemals in den Händen einiger, sie ist niemals angeeignet wie ein Reichtum oder ein Gut. Die Macht funktioniert, die Macht übt sich als Netz aus, und über dieses Netz zirkulieren die Individuen nicht nur, sondern sind auch stets in der Lage, diese Macht zu erleiden und auch sie auszuüben; sie sind niemals die träge oder zustimmende Zielscheibe der Macht; sie sind stets deren Überträger.“8
5
Siehe Gilroy, The Black Atlantic, S. 103.
6
Horne, „Toward a Transnational Research Agenda“, S. 300.
7
Deleuzes/Guattari, „Rhizome“, und dies., A Thousand Plateaus, S. 3-25.
8
Foucault, „Vorlesung vom 14. Januar 1976“, hier S. 238.
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Macht wirkt dabei „von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen.“9 So müssen Beziehungen und Gemeinschaften von Menschen in dem von Gilroy als Black Atlantic bezeichneten Raum als machtdurchzogen und dabei überaus wandelbar verstanden werden. Im Folgenden wird deshalb diskutiert, wie ungleiche und bewegliche Beziehungen zwischen Menschen die Herstellung von Gemeinschaft im Kontext der Emigrationsbewegung strukturierten. Vor dem Hintergrund meiner einleitenden konzeptionellen Überlegungen überrascht es kaum, dass sozial konstruierte Kategorien wie race, Geschlecht und Klasse, aber auch Herkunft und Religion in ihrer wechselseitigen Verschränkung die aktive Teilnahme an den Verknüpfungsprozessen im Kontext der Emigrationsbewegung regulierten.10 Zudem wird auch deutlich, dass Vorstellungen von Respektabilität und Authentizität die Gemeinschaft und die Subjektpositionen der Akteurinnen und Akteure innerhalb der Gemeinschaft in erheblichem Maße strukturierten. Wie Gilroy unter anderem am Beispiel von Musik dargelegt hat, spielten auch Artefakte bei der Formation von Gemeinschaft eine wichtige Rolle. „[D]er Umgang mit und die Wirkung von Artefakten“ ist, wie Andreas Reckwitz bemerkt, darüber hinaus auch in der Hervorbringung von Subjektpositionen von großer Bedeutung.ϭϭ Vor diesem Hintergrund gilt es hier also zu zeigen, wie Artefakte wie Zeitungen und Briefe zur Herstellung von Gemeinschaft beitrugen, und welche Subjektpositionen der Umgang mit diesen Gegenständen hervorbrachte. Ein wesentlicher Untersuchungsschwerpunkt dieses Kapitels liegt auf den Tätigkeiten des Haytian Bureau of Emigration, mit dessen Hilfe die meisten Personen, unter anderem eben auch die Proctors, innerhalb des Untersuchungsrahmens nach Haiti reisten. Das Bureau handelte im Auftrag der haitianischen Regierung, welche die Organisation beaufsichtigte und finanzierte. Die große Ge-
9
Vgl. auch Foucaults Machtbegriff in: Foucault, Der Wille zum Wissen, S. 94.
10 In einem programmatischen Aufsatz hat 2010 Jared Hickmann dafür plädiert, Religion als konstitutiven Bestandteil einer Geschichte der Moderne und einer transatlantischen Geschichte von race ernst zu nehmen. Hickmann, Jared, „Globalization and the Gods, or the Political Theology of Race“, in: Early American Literature 45/1 2010, S. 145182. Auch Maffly-Kipps 2010 erschienenes Buch „Setting Down the Sacred Past“ verknüpft race und Religion als konstitutive Bestandteile von Gemeinschaftsbildung und Identifikationen. 11 Reckwitz, Andreas, „Habitus oder Subjektivierung? Subjektanalyse nach Bourdieu und Foucault“, in: Schäfer, Hilmar [u.a.] (Hg.), Pierre Bourdieu und die Kulturwissenschaften: Zur Aktualität eines undisziplinierten Denkens. Konstanz: UVK, 2010, S. 41-61, hier S. 57.
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wichtung, die das Bureau in diesem Kapitel einnimmt, ist dabei nicht nur der zahlenmäßigen Bedeutung der Organisation geschuldet, sondern auch dem daraus resultierenden Umstand, dass das Bureau eine große Dichte an historischem Material produzierte.12 Dabei soll allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass Migration und Reisen nach Haiti vor Eröffnung des Bureau nicht stattfanden, oder dass nicht auch während der Tätigkeit des Bureau Menschen unabhängig von dieser offiziellen Außenstelle der haitianischen Regierung nach Haiti reisten. Stattdessen sei darauf hingewiesen, dass Emigration nach Haiti schon lange vor Eröffnung des Haytian Bureau diskutiert und im Zuge dessen Informationen über Haiti als Emigrationsziel für African Americans produziert und verbreitet wurden.
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1850 ER J AHREN
Wie in der Einleitung angedeutet, debattierten African Americans in den 1850er Emigration als Strategie, um sich der rassistischen Gesellschaftsordnung der USA zu entziehen. Nicht zuletzt aufgrund der jeweiligen Gesetzgebung der Einzelstaaten unterschied sich der rechtliche Status von schwarzen Menschen in verschiedenen Regionen der USA durchaus. Schon ab den 1780er Jahren war Sklaverei in vielen nördlichen Staaten häufig in einem graduellen Prozess abgeschafft worden, während die versklavte Bevölkerung im Süden der USA kontinuierlich anwuchs.13 Unterschiedliche Ansichten zu Sklaverei und darüber hinaus die Rolle der Einzelstaaten im Verhältnis zum Bundesstaat entwickelten sich zu einem schwelenden Konflikt. Viele Interessensvertreter des Nordens strebten danach, eine weitere Ausbreitung der Sklaverei auf dem nordamerikanischen Kontinent unbedingt zu vermeiden, während Vertreter des Südens sich für die weitere Expansion der Sklaverei einsetzten. Um eine Eskalation des Konfliktes zu vermeiden, setzten viele Menschen auf die Beibehaltung einer Machtbalance zwischen den Südstaaten und den Nordstaaten, die nicht zuletzt über eine gleiche Anzahl von „freien“ Staaten und „Sklavenstaaten“ in der Union sichergestellt
12 Manuskripte, die dem Haytian Bureau of Emigration zugeschrieben werden können befinden sich in der Library of Congress in Washington, DC, dem Schomburg Center for Research in Black Culture der New York Public Library, der Boston Public Library und der David M. Rubenstein Rare Book & Manuscript Library in Durham, NC. 13 Siehe Gutzman, Kevin R.C., „Gradual Emancipation“, in: Alexander (Hg.), Encyclopedia of African Americans History; 5 Bde. Santa Barbara: ABC-Clio, 2010, Bd. 1, S. 430-431.
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werden sollte.14 Mit der Expansion der USA über den nordamerikanischen Kontinent wurde es zunehmend schwerer, diese Machtbalance beizubehalten. Mit jedem Eintritt eines neuen Staates in die Union stellte sich erneut die Frage, ob hier Sklaverei erlaubt werden sollte oder nicht, und welche Folgen dies für den Zusammenhalt des Föderalstaates haben würde. Als 1850 Kalifornien als freier Staat in die Union aufgenommen wurde, war eine Reihe von Zugeständnissen an Vertreter des sklavenhaltenden Südens nötig gewesen, um die Machtbalance nicht zu gefährden. Eine für freie African Americans und ihre Rechte folgenreiche Bedingung des sogenannten Kompromisses von 1850 war das Fugitive Slave Law. Das neue Gesetz war äußerst umstritten. Es erleichterte Sklavenhaltern in erheblichem Maße, ihren in freie Staaten entflohenen menschlichen Besitz verhaften und in die Versklavung im Süden rückführen zu lassen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten es die Personal Liberty Laws sowohl lokalen als auch bundesstaatlichen Beamten verboten, bei der Verhaftung und de facto erneuten Versklavung von Menschen mitzuwirken. Das Fugitive Slave Law änderte all dies ganz drastisch. Denn nun konnte jeder Bürger unter Androhung von Strafen dazu verpflichtet werden, bei der Verhaftung solcher Menschen mitzuwirken, die unter Verdacht standen aus dem Süden entflohen zu sein. Ein Gerichtsverfahren, in dem die Identität der Verhafteten geklärt wurde, war nach dem neuen Gesetz nicht mehr nötig. Stattdessen reichte eine durch ein südstaatliches Gericht ausgestellte Personenbeschreibung, anhand derer geflohene Personen identifiziert wurden. Erschwerend kam hinzu, dass die Aussagen von verhafteten African Americans vor Gericht nicht angehört wurden. Aufgrund der Gesetzeslage mussten auch frei geborene African Americans jederzeit befürchten, in die Südstaaten der USA verschleppt und dort versklavt zu werden.15 Im Zuge dieses zugespitzten rassistischen Klimas verließen viele Menschen die USA in Richtung Kanada, wo sie sich dem Zugriff durch die USamerikanische Rechtsprechung entzogen. Allerdings sahen Menschen die Emigration aus den USA nicht nur als Mittel, um sich vor den unmittelbaren Folgen des Fugitive Slave Law zu schützen. Vielmehr verstanden viele das Mittel der Emigration auch als Möglichkeit, ganz grundsätzlich gegen die rassistische Gesellschaftsordnung der USA zu protestieren. Sie strebten eine wirtschaftliche und
14 Diese Machtbalance stellte etwa der Missouri Compromise von 1830 vorläufig her. Während Missouri als „Sklavenstaat“ in die Union aufgenommen wurde, sicherte die Gründung des Staates Maine als freier Staat, dass eine gleiche Anzahl gleiche Anzahl von freien und sklavenhaltenden Staaten Mitglied der Union waren. Siehe Finzsch, Von Benin nach Baltimore, S. 187-190. 15 Ebd., S. 262-265.
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politische Unabhängigkeit von European Americans an, um sich so der rassistischen euroamerikanischen Dominanz zu erwehren. Durch die selbst gewählte, bewusste Separation von weißen Menschen wollten sie sich der ebenfalls über Ausschlussmechanismen funktionierenden Repression durch die US-amerikanische Gesellschaft widersetzen.16 Viele Befürwortende von Emigration aus den USA argumentierten diesem politischen Imperativ folgend, dass außerhalb der USA eine alternative Heimat für schwarze Menschen gefunden werden müsse, in der ihnen volle Bürgerrechte zugestanden werden würden. Als mögliche Emigrationsziele wurden neben Kanada unter anderem auch Liberia und Länder in der Karibik wie eben Haiti diskutiert. Allerdings beschränken sich diese Diskussionen nicht auf die Mitte des 19. Jahrhunderts, sondern wurden schon in den vorherigen Jahrzehnten kontrovers geführt. Als ein ausgesprochener Befürworter von Emigration galt beispielsweise der vermögende afroamerikanische Reeder Paul Cuffee, der vor allem in den 1810er Jahren Sierra Leone in West Afrika als Emigrationsziel für African Americans favorisierte.17 Darüber hinaus waren es keineswegs nur African Americans, die über die Emigration der schwarzen Bevölkerung nachdachten. Viele European Americans befürworteten die Ansiedlung von schwarzen Menschen außerhalb der USA, da sie sich beispielsweise eine gleichberechtigte Inklusion der schwarzen Bevölkerung in die US-amerikanische Gesellschaft nicht vorstellen konnten oder wünschten. So waren auch die offiziellen Gründer der größten US-amerikanischen Emigrationsorganisation American Colonization Society (ACS) weiße Abolitionisten gewesen.18 Die ACS bewarb schon seit 1816 die Emigration von African Americans und sendete, finanziert unter anderem durch den US-amerikanischen Kongress, 1821 eine erste Gruppe von Siedlern nach West Afrika, wo diese die Kolonie Liberia gründeten.19 Diesen ersten Siedlern sollten bis 1867 weitere folgen. Darüber, wie viele Menschen mithilfe der ACS nach Liberia emigrierten, und wie viele in der Kolonie sesshaft blieben, gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Angaben in der Forschungsliteratur, die sich zudem auf
16 Patterson/Kelley, „Unfinished Migrations“, S. 19. 17 Finzsch, Von Benin nach Baltimore, S. 183-187. 18 Für einen Überblick über die Geschichte der ACS siehe: Burin, Eric, Slavery and the Peculiar Solution: A History of the American Colonization Society. Gainesville: University Press of Florida, 2005. 19 Finzsch, Von Benin nach Baltimore, S. 185. Siehe auch Horton, James Oliver, Free People of Color. Inside the African American Community. Washington/London: Smithonian Institution Press, 1993, S. 60; Dorsey, „A Gendered History“, S. 77.
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unterschiedliche Zeiträume beziehen.20 Die ACS verstand sich, wie Bruce Dorsey darlegt, unter anderem als christlich-missionarische Organisation. „Its stated purpose was to establish independent colonies in Western Africa to be peopled by freed slaves and free born African-Americans who would bring ‚civilization‘ and Christianity to the continent of Africa.“21
Damit sollte indirekt auch die Beendigung der Sklaverei in Nordamerika vorangetrieben werden, denn die ACS forderte Besitzer von Sklavinnen und Sklaven dazu auf, diese freizulassen und sie nach Afrika zu verschiffen. Die ACS war Teil einer umfassenden protestantischen Reformbewegung im Norden der USA und stellte sich als progressiv und wohltätig dar. Gleichzeitig operierte die ACS, wie auch viele andere reformistische Organisationen dieser Zeit, unter einer Reihe von überaus rassistischen Annahmen. So wurde erstens Afrika als ein durch und durch unzivilisierter Ort dargestellt. Zweitens wurde angenommen, dass ein gleichberechtigtes Zusammenleben von European- und African Americans in den USA niemals möglich und auch nicht wünschenswert sei. Wie die Unterlagen der ACS und ein Blick auf die Debatten um Liberia unter anderem in der afroamerikanischen Presse belegen, erfuhren die Kolonie und die Emigrationspläne zwar große Aufmerksamkeit. Wie in meiner Studie vereinzelt sichtbar wird, informierten sich auch einige der Akteure, die in den 1850er und 60er Jahren nach Haiti reisen sollten, über Emigrationsmöglichkeiten nach Liberia.22 Allerdings war das große Interesse der afroamerikanischen Öffentlichkeit an Liberia, wie Dorsey und andere darlegen, und wie auch in dieser Arbeit deutlich wird, bei weitem nicht immer positiv. So Dorsey:
20 Dixon bezieht sich beispielsweise auf die Unterlagen der ASC und stellt fest, dass für den Zeitraum 1820 bis 1833 nur 169 freie African Americans aus dem Norden der USA als Emigrierende gelistet werden. Vgl. Dixon, African America, S. 21. Dorsey spricht für den Zeitraum von 1820 bis 1847 von insgesamt 4.500 Emigrierten, wobei allerdings im Zensus von 1847 nur 2000 afroamerikanische Einwohner in Liberia gelistet werden. Vgl. Dorsey, „A Gendered History“, S. 92; Burin stellt für den Zeitraum zwischen 1820 und 1860 fest, dass insgesamt ca. 6.000 sogenannte „bondspersons“ von ihren ehemaligen Besitzern nach Liberia geschickt worden waren, vgl. Burin, Slavery and the Peculiar Solution, S. 2. 21 Dorsey, „A Gendered History“, S. 79. 22 So etwa James Theodore Holly oder John Rapier, siehe Kapitel vier.
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„The movements underlying ideological premise […] was that white prejudice against black people was so debasing and immutable African Americans could never be accorded equality unless they were removed from white society.“23
Dorsey weist darauf hin, dass es genau diese Annahme war, die der ACS von Seiten vieler African Americans den berechtigten Vorwurf einbrachte, die Organisation befördere diese rassistischen Vorurteile noch, anstatt ihnen etwas entgegen zu setzen.24 So lehnten viele African Americans Liberia als Emigrationsziel unter anderem deshalb dezidiert ab, weil sie die Emigrationsbewegung als rassistisch motiviert und zudem als weiße Unternehmung verstanden. Sie beanspruchten die USA als ihre rechtmäßige Heimat. Der berühmte Abolitionist und ehemalige Sklave Frederick Douglass beispielsweise galt als strikter Gegner von afroamerikanischer Emigration. Er beharrte vehement auf den USA als rechtmäßige Heimat von African Americans und forderte das Zugeständnis ihrer Bürgerrechte. In der von ihm herausgegebenen abolitionistischen Zeitung The North Star etwa hatte er 1848 folgendermaßen gegen die American Colonization Society und Emigration nach Afrika angeschrieben: „We are of the opinion that the free [Herv.i.O.] colored people generally mean to live in America, and not in Africa […] We live here—have lived here—have a right to live here, and mean to live here.“25 Tatsächlich emigrierten, wie bereits zuvor angedeutet, zwischen den 1820er Jahren und dem Ausbruch des Bürgerkrieges tatsächlich verhältnismäßig wenige Menschen nach Liberia.26 Wie in der Einleitung dieses Buches angedeutet, wurde neben Liberia auch Haiti als alternative Heimat bereits lange vor den 1850er Jahren debattiert. Tatsächlich reisten in einer ersten Emigrationsbewegung in den 1820er Jahren etwa 6.000 African Americans von den USA nach Haiti.27 Allerdings war es nicht die ACS, die die Emigration nach Haiti organisierte. Stattdessen war es die haitianische Regierung unter Präsident Jean Pierre Boyer, die zusammen mit Abolitionisten in den USA den Zuzug von African Americans in die Wege leitete. Wie auch in den 1850er und 1860er Jahren unterstützte zu diesem Zeitpunkt die Re-
23 Dorsey, „A Gendered History“, S. 79. Siehe hierzu auch Dixon, African America, S. 20-24. 24 Ähnlich argumentiert auch Dixon, S. 22. 25 Douglass, „Colonization“, in: The North Star, 26. Januar 1848. 26 Dixon spricht hier von einer „overall failure“ der ACS. Ich halte diese Formulierung insofern für schwierig, als dass sie möglicherweise suggeriert, dass die „Entfernung“ von African Americans aus den USA erstrebenswert gewesen sei. Siehe ebd., S. 24. 27 Siehe ebd., S. 16.
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gierung Haitis den Zuzug der Migrantinnen und Migranten aus Nordamerika, indem sie die Zugezogenen unter anderem mit Land versorgte. Wie Sara Fanning herausstellt, sollte durch den Zuzug von Arbeitskräften aus den USA zum einen die Wirtschaft Haitis angekurbelt werden. Zum anderen sollte gleichzeitig die Anerkennung Haitis durch die US-amerikanische Regierung erreicht werden. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Zudem kehrten viele der Emigrierten nach einigen Monaten oder Jahren in die USA zurück.28 Dennoch beriefen sich Befürworter haitianischer Emigration in den 1850er und 1860er Jahren vereinzelt auf die Emigrationspläne Präsident Boyers, die sie wiederbeleben und zum Erfolg bringen wollten.
J AMES T HEODORE H OLLY UND DIE C LEVELAND C ONVENTION
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Anders als beispielsweise Margaret und Alexander Proctor, die in der Forschung bisher kaum Aufmerksamkeit erfahren haben, gilt James Theodore Holly als einer der bekanntesten Fürsprecher für Emigration nach Haiti in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zusammen mit Martin Delany ist er in der Geschichtsschreibung der vergangenen Jahrzehnte häufig als ein prominenter Vertreter eines frühen schwarzen Nationalismus genannt worden.29 Wegen seiner zentralen Bedeutung
28 Für eine umfassende Darstellung der ersten Emigrationsbewegung, siehe: Fanning, Haiti and the U.S. 29 Vgl. u.a.: Bell, Negro Nationalism; ders., Negro Nationalism in the 1850s; Dean, James Theodore Holly; Dixon, African America. Im Vergleich zu Holly wurde Delany bisher in der Forschungsliteratur wesentlich ausführlicher behandelt. Siehe zu Delany u.a: Moses, Golden Age; Adeleke, Tunde, UnAfrican Americans: Nineteenth Century Black Nationalists and the Civilizing Mission. Lexington: University Press of Kentucky, 1998; Miller, Search for a Black Nationality; Levine, Martin Delany; Levine/ Delany, Martin R. (Hg.), Martin R. Delany: A Documentary Reader. Chapel Hill: University of North Carolina Press Books, 2003. Paul Gilroy weist nachdrücklich darauf hin, dass eine Einordnung von Delany lediglich als „black nationalist“ seinem komplexen Lebensweg nicht gerecht wird. „His life reveals a a confrontation between his nationalism and the experiences of travel that have been largely ignored by historians except where they can be read as Ethiopianist or emigrationist gestures against American racism“, siehe: Gilroy, The Black Atlantic, S. 19. Erstaunlicher Weise ist die Forschungsliteratur zu James Theodore Holly bisher eher dünn. So liegt bis heute erst eine Biographie über Holly vor. Nicht zuletzt deshalb stellt diese ein überaus
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für das Haytian Bureau of Emigration und aufgrund der Tatsache, dass vermutlich die Proctors ebenso wie viele andere Emigrantinnen und Emigranten nach Haiti Hollys Schriften gelesen hatten oder zumindest mit ihrem Inhalt vertraut waren, werde ich im Folgenden Hollys Engagement in der Emigrationismusbewegung skizzieren. Ähnlich wie im Falle von Margret und Alexander Proctor ist auch Hollys Lebensweg von einer Vielzahl von Migrationen geprägt. Holly wurde 1829 in Washington, DC geboren, wo er und sein älterer Bruder eine Schule für African Americans besuchten. 1844 zog die Familie nach Brooklyn um, wo die männlichen Mitglieder der Familie als Schuhmacher arbeiteten, und sich in New York City in der abolitionistischen Bewegung einsetzten. Sechs Jahre später zog die Familie nach Burlington in Vermont.30 Während bis zu diesem Zeitpunkt Migrationen innerhalb der USA Hollys Lebensweg geprägt hatten, erwägte er mit Anfang zwanzig die Emigration aus den USA nach Liberia: „I have concluded that I would not hesitate to emigrate to Liberia“ schrieb er 1850 an den Vorsitzenden der American Colonization Society William McCain.31 Spätestens 1851 hatte sich Holly allerdings von der ACS und Emigration nach Liberia abgewandt und befasste sich stattdessen intensiv mit Emigrationsalternativen. Als die von Henry Bibb in Kanada publizierte Emigrationszeitung Voice of the Fugitive zu einer North American Convention of Negros im September 1851 nach Toronto einlud, war Holly bei dem Treffen zwar nicht persönlich anwesend, hatte aber einen Plan zur Gründung einer North American League of the Colored People of the United States and the Canadas vorgelegt, die unter anderem als Handelsunion tätig werden sollte.32 Zudem sah
wichtiges Referenzwerk für das vorliegende Kapitel dar. Die Dissertation wurde unter dem Titel Defender of the Black Race: James Theodore Holly, Black Nationalist and Bishop 1979 als Monographie veröffentlicht. Meine Studie bezieht sich auf das bei UMI digital veröffentlichte Dissertationsmanuskript. Siehe Dean, James Theodore Holly. 30 In Brooklyn traf Holly den weißen, protestantischen Geschäftsmann und Abolitionisten Lewis Tappan, für den er einige Zeit als Assistent arbeitete und dabei auch Einblick in dessen American Missionary Association erlangte. Siehe Dean, James Theodore Holly, S. 9-13. 31 Brief von Holly an William McCain, 25. Juni 1850, in: American Colonization Society Records, 1792-1964, Manuscript Division, (Microfilm), Library of Congress (LOC), Washington, DC. 32 Die Gemeinschaft, die Holly und seine Mitstreiter imaginierten, konstituierte sich dezidiert über die Kategorie race. So richtete sich die league dezidiert an „the colored people of Canada, the United States and the British West India Islands“. Dabei blieben
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die Verfassung der League vor, dass schwarze Menschen aus den USA nach Kanada oder die britische Karibik emigrierten, um dort zu wirtschaftlichem Erfolg und gleichzeitiger Unabhängigkeit von Euroamerikanern zu kommen. Allerdings kam die League über den Entwurf einer Verfassung hinaus nie zum Tragen. Um mit Bibb an der Herausgabe der Zeitung Voice of the Fugitive zu arbeiten, hielt Holly sich ab Juni 1852 für einige Monate in Windsor in Ontario auf, wo auch die Proctors 1860 kurzzeitig wohnen sollten.33 Nachdem die Voice of the Fugitive eingestellt worden war, ging Holly Anfang 1854 zurück in die USA – zuerst nach Buffalo im Staat New York, dann nach New York City, wo er sich und seine Familie mit gelegentlichen Jobs in Werften in der Stadt finanzierte, bevor er bereits Ende Juli 1854 wieder nach Windsor zurückkehrte. Holly hatte sich während dieser Monate weiterhin mit diversen Emigrationsplänen auseinander gesetzt.34 So war er unter anderem an der Organisation einer National Emigration Convention of Colored People beteiligt, die im August 1854 in Cleveland, Ohio stattfinden sollte, und bereits im Spätsommer 1853 angekündigt worden war. In der Einladung zu der Versammlung, die in verschiedenen afroamerikanischen Zeitungen veröffentlicht wurde, hieß es: „[A]ll colored men in favor of emigration out of the United States, and opposed to the American Colonization scheme of leaving the Western Hemisphere are requested to meet in CLEVELAND, OHIO, on TUESDAY the 24th DAY of AUGUST, 1854, in a great National Convention […] to consider and decide upon the great and important subject of emigration from the United States. […] All colored men, East, West, North and South, favourable to the measures set forth in this call, will send their names (post paid) to M.R. Delany, or Rev. Wm. Webb, Pittsburgh, Pa.“35
Die Cleveland Convention kann als ein Moment gelesen werden, an dem Vorstellungen der Gemeinschaft von Menschen und Orten im atlantischen Raum auf verschiedenen Ebenen formiert und hergestellt wurden. So war eines der Ziele des oben zitierten Aufrufs African Americans in unterschiedlichsten Teilen der USA auf dem Treffen in Cleveland zusammenzubringen. Zudem wurde die ge-
allerdings Afrikanerinnen und Afrikaner ebenso außen vor, wie der afrikanische Kontinent als Emigrationsziel abgelehnt wurde. 33 Vgl. Dean, James Theodore Holly, S. 20. 34 Vgl. ebd., S. 33ff. 35 Newsome, Matthew T. (Hg.), Arguments Pro and Con on the Call for a National Emigration Convention, to be held in Cleveland, Ohio, August 1854. Detroit: Tribune Steam Presses, 1854, S. 5f.
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plante Versammlung schon im Vorfeld des Treffens in der afroamerikanischen Presse ausgiebig und kontrovers diskutiert, so dass schon vor dem eigentlichen Treffen viele Menschen über die in Cleveland zu besprechenden Emigrationspläne erfuhren. Die geplante Versammlung stieß auf enormes Interesse in der afroamerikanischen Presse und wurde ausgiebig diskutiert. Einige dieser publizierten Beiträge, die sich mit dem für und wider der Veranstaltung und ihrer Agenda auseinandersetzten, wurden im Januar 1854 von dem afroamerikanischen Geistlichen Matthew. T. Newsome aus Detroit in einem Pamphlet mit dem Titel „Arguments, Pro and Con, On the Call For a National Emigration Convention to be Held in Cleveland, Ohio, August 1854“ zusammengetragen und veröffentlicht. Holly hatte zu diesem Pamphlet eine Einleitung beigesteuert. Darin zeigte er sich erfreut über das große Interesse, das die geplante Versammlung in der Presse erfahren hatte und begrüßte die zusammenfassende Publikation. Er machte deutlich, dass er eine weite Verbreitung der Informationen über die Convention für überaus wichtig hielt. So schrieb er: „[E]very conceivable exertion should be made to scatter papers and documents containing the same broadcast over the land wherever a member of our race is situated. Too much praise, therefore, cannot be awarded to Rev. Matthew T. Newsome, for his exertions to place it in the present pamphlet form for circulation.“36
Die breit gestreute Verbreitung der Publikation hielt Holly dem zufolge für eine wichtige Maßnahme in der Herstellung einer Gemeinschaft von weit voneinander entfernt lebenden Menschen. Wie das obige Zitat verdeutlicht, konstituierte sich diese Gemeinschaft vor allem über die rassifizierte Identifikation ihrer Angehörigen. Außerdem hatte Holly eine Beschreibung Haitis verfasst, die im Anhang des Pamphletes veröffentlicht wurde. In dieser hieß es: „Every colored man should feel binding upon himself the duty to sustain the national existence of Hayti […] Emigration there in large numbers on the part of the colored Americans would do much to strengthen the hands of that government, and forward in an uncalculable degree the cause of our elevation in America.“37
36 Holly, „Introduction“, in: Newsome (Hg.), Arguments, S. 3-4, hier S. 4. 37 Holly, „Hayti“, in: ebd., S. 32-33, hier S. 33. Vgl. Dean, James Theodore Holly, S. 33; Dixon, African America, S. 95.
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Holly konstatierte also eine Verbindung von „colored Americans“ zu „Hayti“, und erweiterte in einem späteren Abschnitt diese jenseits von nationalen Grenzen existente Gemeinschaft um schwarze Menschen in Kuba. Dabei schlug er vor, Haiti als einen Ort zu sehen, von dem aus African Americans aufgrund der geographischen Nähe Kubas zu Haiti versklavten Menschen auf der spanischen Karibikinsel beim Kampf gegen Versklavung helfen könnten.38 Auf diese Weise stellte er die potentiellen Emigrierenden nicht zuletzt auch als aktiv handelnde politische Subjekte dar. Diese strebten zum einen eine Verbesserung ihrer eigenen Lebensumstände an. Zum anderen setzten sie sich für die Emanzipation schwarzer Menschen auf einer Ebene ein, die nationalstaatliche Grenzziehungen überschritt. An der Convention, die vom 24. bis 26. August 1854 tagte, nahmen insgesamt 102 Delegierte aus Pennsylvania, Ohio, Rhode Island, Michigan, Indiana, Louisiana, Wisconsin, Missouri, Kentucky, Tennessee und Kanada teil. Möglicherweise waren außerdem weitere, nicht offiziell aufgeführte Besucherinnen und Besucher anwesend. Auffällig ist dabei, dass die meisten Delegierten nicht aus Staaten an der Ostküste, sondern eher aus den ländlich geprägten Regionen des Mittleren Westens anreisten. Mit 49 anwesenden Delegierten war davon die Gruppe aus der Gegend von Pittsburgh, Pennsylvania am stärksten vertreten.39 Diese Verteilung lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass mit Martin Delany aus Pittsburgh ein prominenter Befürworter von Emigration anwesend war. Möglicherweise war es ihm gelungen, vor Ort viele Menschen von der Teilnahme zu überzeugen. Außerdem war vermutlich die Anreise nach Cleveland für Menschen aus der Region der Großen Seen weniger kostspielig und zeitraubend gewesen. Chris Dixon argumentiert zudem, dass sich in der Abwesenheit von Delegierten von der Ostküste ein großer Einfluss von „traditional, and perhaps more conservative, African American leadership“ in dieser Region zeige.40 Gleichzeitig kann aber auch angenommen werden, dass African Americans, die in dieser Gegend lebten, ohnehin schon Migrationserfahrungen gemacht hatten, indem sie, wie beispielsweise die Proctors, von der Ostküste und den Südstaaten in den eher spärlich besiedelten Westen gezogen waren. Möglicherweise waren viele deshalb grundsätzlich mobiler und konnten sich Emigra-
38 Holly, „Hayti“, S. 33. 39 Für eine genaue Auflistung der Anwesenden, siehe: Proceedings of the National Emigration Convention of Colored People, Held at Cleveland, Ohio, Thursday, Friday and Saturday, the 24th, 25th and 26th of August 1854. Pittsburgh: A. A. Anderson, 1854, S. 16-18. 40 Dixon, African America, S. 90.
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tion aus den USA eher vorstellen, als solche Menschen, deren Familien seit Generationen an der Ostküste lebten. Auffällig ist auch die große Zahl von anwesenden Frauen, die, wie der im Nachhinein veröffentlichte Tagungsbericht offenbart, nicht nur mehr als 30 Prozent der Delegierten stellten, sondern auch aktiv die Abläufe und Resolutionen der Versammlung mit gestalteten.41 So war zwar die Sprache, mit der die Emigrationspläne der Cleveland Convention dargelegt wurde, ebenso wie die schwarze Gemeinschaft, die in den Publikationen rings um die Versammlung beschrieben wurde, in der Regel überaus männlich konnotiert.42 Auf praktischer Ebene wurde diese Gemeinschaft aber in hohem Maße von Frauen mitgetragen und gestaltet. In der Liste der Delegierten sind die Proctors, die seit 1850 in Butler County im Südwesten Ohios lebten, nicht geführt. Allerdings ist es durchaus möglich, dass sie über die Veranstaltung und ihre Inhalte informiert waren. Zum einem kamen vier Delegierte aus Hamilton County, das im Süden an Butler County grenzte. Vermutlich hatten die Proctors aufgrund der räumlichen Nähe zumindest von den Delegierten gehört, und vielleicht kannte zumindest Alexander Proctor sie sogar persönlich. Denn für eine im Januar 1853 in Columbus stattfindende State Convention of Colored Citizens of Ohio war er selbst kurz zuvor zu einem Abgeordneten von Butler County gewählt worden.43 Möglicherweise hatte er bei seinen politischen Aktivitäten jene Delegierte kennengelernt, die im Spätsommer 1854 als Abgeordnete des Staates Ohio nach Cleveland zur National Emigration Convention of Colored People reisen sollten. Proctor hatte sich zudem dazu bekannt, „free-will emigration“ von African Americans zu befürworten, was darauf hindeutet, dass er sich zu diesem Zeitpunkt mit Emigration als emanzipatorische Strategie bereits ausführlicher befasst hatte.44 Außerdem hatten die Proctors die Möglichkeit, viele der Vorgänge der Versammlung in Cleveland im Nachhinein nachzulesen, denn bereits im September 1854 wurden die „Proceedings of the National Emigration Convention of Colored People, held at Cleveland, Ohio, Thursday, Friday and Saturday, the 24th, 25th and 26th of August 1854“ von Holly und zwei weiteren Aktivisten bei ei-
41 Vgl.: Dorsey, „A Gendered History“, S. 94f. 42 Vgl., Proceedings Proceedings of the National Emigration Convention of Colored People, Held at Cleveland, Ohio, Thursday, Friday and Saturday, the 24th, 25th and 26th of August 1854, Pittsburgh: A. A. Anderson, 1854, S. 16 -18. 43 Vgl. Krause, „Color Scales“, S. 30. 44 Vgl. ebd. Zitat ebenfalls nach ebd.
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nem Verlag in Pittsburgh veröffentlicht.45 Nachzulesen waren darin unter anderem der Ablauf der drei Versammlungstage, eine Liste der Delegierten, auf der Versammlung beschlossene Resolutionen, die Verfassung der Versammlung, sowie eine von Martin Delany vorgetragene Rede mit dem Titel „Political Destiny of the Colored Race on the American Continent“. Obwohl Delany der Emigration von African Americans nach Kanada nicht grundsätzlich widersprach, sollte, wie der Text der Rede besagte, Unabhängigkeit vor allem durch Emigration in die Karibik und nach Südamerika erreicht werden.46 Haiti wurde von Delany als Emigrationsziel zwar grundsätzlich befürwortet, aber gegenüber einer Vielzahl von anderen Zielen im Süden des amerikanischen Kontinents nicht explizit bevorzugt. Dass die in Cleveland versammelten Aktivistinnen und Aktivisten Haiti eine besondere Bedeutung für die von ihnen imaginierte Gemeinschaft47 und ihrem Streben nach Emanzipation zuschrieben, war dennoch offensichtlich. Eine der auf der Versammlung beschlossenen und im Pamphlet nachzulesenden Resolutionen sah beispielsweise vor „[t]hat we recommend that hereafter the Frist Day of January of each year be observed as a day of Celebration, being the anniversary of Haytian Independence.“48 Der Tagungsbericht machte einmal mehr deutlich, dass die Versammlung sich explizit als schwarze Organisation verstand, die die Einmischung von European Americans grundsätzlich nicht vorsah. So hieß es in der Einleitung zu der Veröffentlichung: „We are frequently asked by the impatient white American enquirer: ‚What is it you black people want? What would the negro race desire at our hand more than what we have done?‘ Our reply is, that we ask nothing at your hands [Herv.i.O.], nor desire anything of your giving [Herv.i.O.]; but if you wish to know what we want and are determined on hav-
45 Proceedings of the National Emigration Convention, S. ii. Der Verkauf und Versand nach Kalifornien wurde mit 25 $ Cent berechnet. 46 Siehe Dixon, African America, S. 91. Die von Delany auf der Convention 1854 vorgetragene Rede ist in großen Teilen seinem bereits 1852 entstandenen gleichnamigem Essay entlehnt. Auch aufgrund dieser Rede gilt Delany in der Forschung als einer der Begründer von schwarzem Nationalismus. Siehe Stuckey, Sterling, The Ideological Origins of Black Nationalism. Boston: Beacon Press, 1972, S. 22. 47 Zum Konzept der „imaginierte Gemeinschaft“ siehe Anderson, Imagined Communities. Wie in meinen konzeptionellen Ausführungen in der Einleitung dargelegt, bezieht sich auch Gilroy auf dieses Konzept. 48 Proceedings of the National Emigration Convention, S. 20.
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ing, read our Platform and Declaration of Sentiments, and Report on the Political Destiny of the Colored Race on the American Continent.“49
Auch die auf der Versammlung besprochenen Emigrationspläne zeichneten sich unter anderem dadurch aus, dass sie vorwiegend separatistisch gedacht waren und die Unabhängigkeit von African Americans vom Rest der USamerikanischen Gesellschaft auf vielerlei Ebenen vorsahen. Die Tatsache, dass in der oben zitierten Einleitung zum Tagungsbericht explizit ein „white American enquirer“ angesprochen wurde, der vermutlich allgemein weiße Amerikaner symbolisierte, zeigt allerdings, dass die Herausgebenden damit rechneten, dass die Publikation auch von weißen Leserinnen und Lesern zur Kenntnis genommen werden würde. Die imaginierte schwarze Gemeinschaft funktionierte dabei über die Abgrenzung zu dieser Gruppe, die aber gleichzeitig als potentielle Leserinnen und Leser durchaus mitgedacht wurden. Sowohl die Publikationen, die rings um das Treffen entstanden und als Artefakte zirkulierten, als auch die Versammlung selbst können demnach als Moment der Herstellung von Gemeinschaft verstanden werden. Ein zentraler Aspekt, der dabei zugrunde lag, war die Bewegung sowohl von Menschen als auch Informationen. Waren einerseits Personen über weite Distanzen hinweg aus verschiedenen Regionen der USA nach Cleveland gereist, um an der Tagung teilzunehmen, so war es darüber hinaus ein zentrales Ansinnen der Beteiligten, die auf der Tagung diskutierten Themen einem noch größeren Kreis von Menschen zugänglich zu machen. Für „ten cents a copy“ konnte der Tagungsbericht käuflich erworben werden und wurde in die verschiedensten Gegenden der USA verschickt. Die Herausgeber rechneten mit Leserinnen und Lesern sogar in Kalifornien, wohin der Verkauf und Versand der Publikation mit einem erhöhten Entgelt von 25 Cent berechnet wurde.50 Die Agenda der Versammlung sollte zudem auch über die nationalen Grenzen der USA hinweg getragen werden, was zweifellos mit eben jenem zentralen Anliegen der Convention, Emigration von African Americans aus den USA zu fördern, korrespondierte.
49 Ebd, S. 6. 50 Ebd.
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H OLLY
REIST NACH
H AITI , 1855
Um diese Agenda umzusetzen, war auf der Versammlung unter anderem beschlossen worden, dass James Holly als „official commissioner“ der Cleveland Convention nach Haiti reisen sollte, um sich vor Ort über Emigrationsmöglichkeiten für African Americans zu informieren.51 Aufgrund von akutem Geldmangel konnte Holly seine Reise nach Haiti allerdings erst im Juli 1855 antreten, also knapp ein Jahr nach der Versammlung in Cleveland. Die finanzielle Unterstützung für die Reise kam dabei allerdings nicht von der quasi unvermögenden Convention und ihrem Board of Commissioners, sondern vor allem von Mitgliedern der Protestant Episcopal Church in den USA. Holly war Mitglied dieser Kirche, die sich überwiegend aus weißen Gläubigen zusammensetzte. Zwar war Holly während seiner Kindheit in Washington römisch-katholisch erzogen worden. Allerdings hatte er sich bereits Anfang der 1850er Jahre der Protestant Episcopal Church und dem von ihr vertretenen Protestantismus zugewandt. Bereits 1852, während seines Aufenthaltes in Windsor hatte Holly dem Katholizismus abgeschworen und war Mitglied der in unmittelbarer Nachbarschaft in Detroit ansässigen Protestant Episcopal Church geworden, deren Kongregation sich ausschließlich aus African-Americans zusammensetzte. Holly wurde 1855 in Detroit zu einem Diakon geweiht und begann damit eine Karriere als Teil einer afroamerikanischen „clerical elite“, wie Carol V.R. George bemerkt.52. Als Diakon war Holly ein zentraler Teil des Gottesdienstes und hatte dabei Einfluss auf eine größere Ansammlung von Menschen, für die er als eine Autoritätsperson fungierte. Diese Konstellation dürfte seine große Sichtbarkeit innerhalb der Emigrationsbewegung begünstigt haben. Wie fügten sich Hollys Verbindungen zur Episcopal Church in seine Arbeit im Kontext der Emigrationsbewegung ein? Hollys religiöse Aktivitäten sind in diesem Kontext insofern von großer Bedeutung, als dass sie auf einen zentralen
51 Vgl. Dean, James Theodore Holly, S. 37; Dixon, African America, S. 96. 52 Vgl. Dean, James Theodore Holly, S. 40 ff; Dixon, African America, S. 96; George, Carol V.R., „Widening the Circle: The Black Church and the Abolitionist Crusade, 1830-1860“, in: Fulop, Timothy E./Rabotau, Albert J. (Hg.), African-American Religion: Interpretive Essays in History and Culture. New York: Routledge, 1997, S. 153176, hier, S. 159. Die Diakonsweihe ist in römisch-katholischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen (als solche gilt die Episcopal Church) der erste von insgesamt drei Schritten bis zur Bischofsweihe. Nach der Diakonsweihe folgt die Priesterweihe und in einigen Fällen schließlich die Bischofsweihe. Tatsächlich wurde Holly 1874 zum Bischof der Episcopal Church in Haiti geweiht.
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Aspekt der Emigrationsbewegung der 1850er und 60er Jahre verwiesen. Die Vorstellung, dass die Emigrantinnen und Emigranten in Haiti in missionarischer Tätigkeit nach Haiti reisen sollten, spielte eine wichtige Rolle im Selbstverständnis vieler Menschen. Wie ich in diesem Kapitel darlege, strukturierten Religiosität und die Zugehörigkeit zu christlich-protestantischen Kirchengemeinden in hohem Maße auch Emigrationspraktiken und Subjektpositionen der Emigrierenden. Tatsächlich wandte sich Holly 1855 mit dem Vorschlag, eine Mission in Haiti aufbauen zu wollen, an das in New York City ansässige Foreign Committee of the Episcopal Church und bat um finanzielle Unterstützung einer Reise nach Haiti. Zwar befürwortete das Committee die Errichtung einer Mission in Haiti ausdrücklich. Geld für die Umsetzung seiner Pläne erhielt Holly von der Kirche aber zumindest offiziell nicht. Allerdings gelang es ihm einige Mitglieder zu privaten Spenden zu bewegen. Mit diesem Geld, sowie Spenden von anderen Emigrationistinnen und Emigrationisten und eigenen Mitteln konnte Holly schließlich im Juli 1855 eine Reise von New York nach Port au Prince antreten.53 In Haiti traf Holly sich mit Vertretern der haitianischen Regierung unter Kaiser Faustin Soulouque, um Unterstützung für die Immigration von African Americans anzuregen.54 Als er im Herbst 1855 nach New York zurückkehrte, hatte er
53 Vgl. Dixon, African America, S. 97. 54 Soulouque war 1847 zum Präsidenten Haiti gewählt worden und hatte sich 1849 zum Kaiser krönen lassen. Während die politische Elite Haitis sich überwiegend aus den Nachkommen freier und häufig wohlhabender gens de couleur zusammensetzte, die sich von der Mehrheit der haitianischen Bevölkerung zudem auch dadurch unterschieden, als dass sie hellere Hautfarben hatten, war Soulouque ein ehemaliger Sklave und General der Armee, der zudem als schwarz beschrieben wurde. Als solcher war er von der politischen Elite auch eingesetzt worden, um die historischen Differenzen zwischen der schwarzen Mehrheit und den gens de couleur zu überbrücken. „In their plan, Soulouque was never supposed to be anything more than a puppet“ stellt Laurent Dubois fest, siehe Dubois, Haiti: The Aftershocks of History. New York: Holt, 2012, S. 145. Anders als erhofft hatte sich Soulouque allerdings nicht als Marionette der Eliten einsetzen lassen, sondern hatte sich sogar recht bald gegen diese gesellschaftliche Gruppe gewandt. „Once in power, Soulouque proved both ambitious and politically savvy. He rapidly got rid of the senators who had elevated him to the presidency, and a few month later ordered the killings of a group of prominent men – part of the political elite- whom he suspected of conspiring against him. He then set about creating a new governing class, replacing landowners and professionals who had traditionally dominated politics with supporters drawn from the middle ranks of military. After
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konkrete Zugeständnisse von Seiten der Regierung Haitis allerdings nicht erhalten.55 Stattdessen hielt er an seinem Plan fest, in Haiti eine Mission der Protestant Episcopal Church einzurichten. Nach seiner Rückkehr bat er bei Vertretern des Foreign Board der Kirche deshalb dringend um die Entsendung von Missionaren nach Haiti. Gleichzeitig hielt er vor Mitgliedern der Kirche in New York eine Reihe von Vorträgen über „The Religious Wants of Hayti“, in denen er die Notwendigkeit seines Vorhabens darlegte und betonte, dass eine Christianisierung Haitis nur durch die Anwesenheit von afroamerikanischen Missionaren gelingen würde.56 Doch auch diesem erneuten Appell an die Episcopal Church wurde im November 1855 offiziell nicht stattgegeben. Trotz dieser Enttäuschung blieb Holly Mitglied der Kirche und akzeptierte im Dezember desselben Jahres das Rektorat der ausschließlich von African Americans besuchten St. Lukes Episcopal Church in New Haven, Connecticut.57 Gleichzeitig gründete er zusammen mit William Monroe, ebenfalls ein afroamerikanischer Geistlicher der Protestant Episcopal Church, eine Protestant Episcopal Society for Promoting the Extension of the Church Among Colored People, die nicht nur mehr African Americans an die Kirche binden, sondern darüber hinaus auch Emigration nach Haiti fördern sollte.58 Auf den ersten Blick scheint Hollys Kooperation mit der Episcopal Church als vornehmlich euroamerikanischer Kirche in eklatantem Widerspruch etwa mit der auf der Cleveland Convention formulierten Politik der bewussten Abgrenzung von European Americans zu stehen. Allerdings zeigt sich, dass neben race
crowning himself emporer of Haiti in August 1849, Soulouque […] institutionalized this new elite as a hereditary aristocracy. […] [T]he nobility was essentially Soulouque’s way of constructing a governing coalition, binding together military officers and intellectuals, blacks and mulattoes, in support of his rule“. Dubois, Haiti, S. 14546. Wie Dubois bemerkt, war Soulouque aufgrund seiner Politik und seiner Klassifizierung als schwarz Zielscheibe äußerst heftiger rassistischer Angriffe. Zudem war seine Politik äußerst umstritten und wurde beispielsweise als 12-jährige Tyrannei beschrieben. Zudem wurde Soulouque, vermutlich aufgrund seiner blackness und seines Klassenhintergrundes als ehemaliger Sklave mit Vodou-Praktiken in Verbindung gebracht, die Soulouque in der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit als unzivilisiert und rückständig markierten, siehe Dubois, Haiti, S. 144. Zu Solouque siehe auch Dayan, S. 10-16. 55 Vgl. Dean, James Theodore Holly, S. 42-44. 56 Vgl. Dixon, African America, S. 106. 57 Vgl. Dean, James Theodore Holly, S. 48. 58 Vgl. Dixon, African America, S. 96.
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auch Religion in Hollys Verständnis seiner selbst eine zentrale Rolle spielte. So formierte sich die Gemeinschaft, in der er sich verortete, eben auch über religiöse Zugehörigkeit. Dieses Verständnis kann als Produkt und gleichzeitig Beitrag zu einer „Afro-Christian intellectual culture“ verstanden werden die, wie Laurie Maffly-Kipp vorschlägt, nicht allein „African foundations“, sondern viel mehr Protestantismus als ein zentrales Element afroamerikanischer Identifikationsprozessen heranzog.59 Dabei wurden vor dem Hintergrund eines christlichen Selbstverständnisses auch Allianzen mit European Americans möglich. Ob die Proctors von Hollys Bemühungen um Emigration nach Haiti in diesen Jahren wussten, ist ungewiss. Von New Haven aus setzte Holly jedenfalls sein Werben um Haiti fort. Mit verschiedenen Vorträgen über Haiti tourte er durch den Nordosten und Mittleren Westen der USA. Dabei wird deutlich, dass Holly Reisen und das öffentliche Sprechen über Haiti für strategisch wichtige Praktiken in der Umsetzung seiner Emigrations- und Missionierungspläne hielt. Wie David M. Dean aufgezeigt hat, variierte er den Inhalt seiner Reden abhängig davon, ob er vor einem euroamerikanischen oder afroamerikanischen Publikum sprach.60. Dies macht einerseits deutlich, dass die Kategorie race in Fragen darüber, was in einem bestimmten Kontext sagbar war, überaus wichtig war. Gleichzeitig zeigt sich, dass eine Vielzahl von Personen unterschiedlichster gesellschaftlicher und rassifizierter Positionen von Holly angesprochen wurden und damit an einem Prozess der Gemeinschaftsformation von Menschen in den USA, Haiti und darüber hinaus teilhatten. Auch auf den Emigration Conventions der Jahre 1856 und 1858, an denen Holly ebenfalls teilnahm, wurde Emigration nach Haiti weiterhin thematisiert. Allerdings erfuhren die Versammlungen, anders als die vielbeachtete Convention im August 1854, in der afroamerikanischen Presse weitaus weniger Aufmerksamkeit. Auch die Anzahl der Teilnehmenden an den Versammlungen war wesentlich geringer als beim ersten Treffen in Cleveland. Zudem wurde zwar Emigration nach Haiti von vielen Teilnehmenden weiterhin ausdrücklich befürwortet. Konkrete Entscheidungen darüber, wie die Emigration zu organisieren und vor allen Dingen zu finanzieren sei, wurden aber nicht getroffen.61
59 Maffly-Kipp, Setting Down the Sacred Past, S. 3. 60 Vgl. Dean, James Theodore Holly, S. 49f. 61 Vgl. ebd., S. 50.
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D IE AUS
HAITIANISCHE L OUISIANA
R EGIERUNG UND E MIGRATION
Für viele Menschen im Nordosten und Mittleren Westen der USA und Kanada blieb Emigration nach Haiti deshalb zunächst eine zwar erstrebenswerte, aber eher abstrakte Idee. Etwas anders sah dies in Louisiana aus. Dort hatte die haitianische Regierung unter Soulouque 1858 den in New Orleans geborenen und in Haiti ausgebildeten African American Emile Desdunes damit beauftragt, unter der freien afroamerikanischen Bevölkerung, die in den 1850er Jahren aufgrund von verschärfter rassistischer Gewalt und Gesetzen in Bedrängnis geraten war, Werbung für Emigration nach Haiti zu machen.62 Dabei zeigt sich, dass die Vorstellung einer diasporischen Zusammengehörigkeit von African Americans mit Haitianerinnen und Haitianern und das Interesse an der Migration der ersteren Gruppe nach Haiti keinesfalls nur von Seiten der Aktivistinnen und Aktivisten in den USA, sondern in hohem Maße auch von Menschen in Haiti geteilt wurde. Auf praktischer Ebene konnte Desdunes den Emigrierenden finanzielle Unterstützung und freien Transport zusagen. Im Mai und Juni 1859 brachen infolgedessen etwa 350 Personen von Haiti nach New Orleans auf, von denen allerdings viele im Sommer des gleichen Jahres wieder in die USA zurückkehrten. Im Sommer war es nach einem Putsch gegen Faustin Soulouque zu einem Regierungswechsel gekommen. Auch unter Präsidenten Fabre Geffrard bemühte sich die haitianische Regierung um Emigration von African Americans aus Louisiana nach Haiti, wie etwa die in New Orleans ansässige Zeitung Picayune berichtete.63 Wie bereits angedeutet, galt Geffrard in Haiti als Reformer, der das Land mithilfe verschiedener Maßnahmen modernisieren wollte.64 Eine dieser Maß-
62 Vgl. Bell, Caryn Cossé, Revolution, Romanticism, and the Afro-Creole Protest Tradition in Louisiana, 1718-1868. Baton Rouge [u.a.]: Louisiana State University Press, 1997, S. 85; Desdunes, Rodolphe Lucien, Our People and Our History. Fifty Creole Portraits. Baton Rouge: Louisiana State University Press, 2001, S. 109-123; Dixon, African America, S. 138; Möllers, Nina, Kreolische Identität: Eine Amerikanische ‚Rassengeschichte‘ zwischen Schwarz und Weiß. Die Free People of Color in New Orleans. Bielefeld: Transcript, 2008, S. 120ff. 63 Die Picayune ist der Vorgänger der heutigen Times-Picayune und wurde zur Mitte des 19. Jahrhunderts von Euroamerikanern herausgegeben und geschrieben. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht auch von afroamerianischen New Orleanians gelesen wurde. 64 Geffrard machte viele der Reformen, die Soulouque durchgesetzt hatte, wieder rückgängig. So begünstigte seine Regierung Mitglieder der Gruppe der gens de couleur.
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nahmen war das Vorgehen gegen Vodou und die Christianisierung Haitis. So Dubois: „President Geffrard […] decided early in his administration to strike at what he and other political elites considered a scourge: the Vodou religion. Foreign observers criticizing Soulouque’s reign had taken particular glee in portraying the emperor as a man in the thrall of Vodou and cannibalism, and Geffrard was determined to change the international image of the country.“65
Zweifellos lässt sich auch die Anwerbung der Emigrantinnen und Emigranten aus Louisiana als Teil dieses Modernisierungsprojektes lesen. Ende September 1859 veröffentlichte die Picayune eine englische Übersetzung eines kurz zuvor in der haitianischen Zeitung Feuille du Commerce erschienenen Appells des haitianischen Außenministers Dubois, der sich an „colored people in the United States“ wandte.66 Darin hieß es: „For those among you who have capital, it will be easy to gain a position with us. The country offers immediate resources. […] Indigent emigrants will receive all their situation requires. […] They will obtain gratuitously food and lodging on their arrival here.“67
Aber auch außerhalb Louisianas wurde ausgiebig über die Emigrationsbewegung von Louisiana nach Haiti berichtet, so etwa in der New York Tribune, der Douglass’ Monthly und anderer überregionaler Zeitungen.68 Die Daily Ohio Statesman
Die Intersektionalität von Hautfarbe und Klassenzugehörigkeit spielte nach Einschätzung von Robert Debs Heinl [u.a.] eine wichtige Rolle in Geffrards Präsidentschaft: „Like his predecessor, Fabre-Nicolas Geffrard was a Southerner, from Anse-à-Veau, and a soldier, but there the resemblance stops. Educated, elite, posthumous issue of one of the fondateurs, the new president enjoyed a special advantage: son of a mulâtre father and a darker mother, Geffrard was neither black nor jaune – but what Haitians call a griffe – and therefore immune to the racism that gnaws at Haitian life and politics.“ Siehe Heinl, Robert D. [u.a.], Written in Blood: The Story of the Haitian People, 1492-1995. Lanham, [u.a.]: University Press of America, ³2005 (1978), S. 199. 65 Siehe Dubois, Haiti, S. 159. 66 „Colored Emigration to Hayti“, in: The Sun, 25. Januar 1860. 67 Vgl. Bell, Revolution, S. 86. Zitat: „Colored Emigration to Hayti“, in: The Sun, 25. Januar 1860. 68 Für weitere Veröffentlichungen siehe auch New York Tribune, 29 Juni 1859; Douglass’ Monthly, Juni 1859.
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veröffentlichte beispielsweise Ende September 1859 unter dem Titel „Hayti and the Haytians“ einen Artikel über die Emigration von Louisiana nach Haiti. Darin wurde die Migration von African Americans nach Haiti zunächst als grundsätzlich positiv dargestellt. So hieß es: „The latest advices from this country [gemeint ist hier Haiti] are of an encouraging character to those who have interested themselves in the welfare of that experimental island.“69 Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass Haiti keinesfalls als gleichberechtigter Staat galt, sondern auch nach knapp sechzig Jahren nach der Staatsgründung weiterhin als ein unsicheres Experiment verstanden wurde, das jederzeit schief gehen konnte, und dessen „welfare“ jederzeit gefährdet war. Dementsprechend wurde Haiti und die haitianische Bevölkerung als zwar reformierbar, aber grundsätzlich rückständig dargestellt: „A number of great and much needed reforms have been inaugurated, though it is manifest, that progress and reform in that country has all the sluggishness and uncertainty natural to the tropics. The natives are as slow in their social and political progress as they are in their habits.“70
Mit „tropics“ wurde dabei ein Begriff benutzt, der bei vielen schwarzen und weißen US-Amerikanerinnen und Amerikanern ganz konkrete Vorstellungen von der Karibik und Südamerika als einer rückständigen, zu Degeneration neigenden Region aufrief, wie ich in Kapitel zwei ausführlicher darlege. Trotz dieser überaus rassistischen Vorbehalte informierte der Artikel aber auch über die Reisemodalitäten nach Haiti: „To such as are not able to pay their passage or have no capital, aid is given from the Public Treasury. All the needs of emigrants upon their arrival will be furnished by the government. Land or work, with good pay is offered to all who may come.“71
Nicht nur in den USA wurde über die Emigration nach Haiti berichtet. Auch in Europa und der Karibik wurden die Pläne der haitianischen Regierung kommentiert. So druckte beispielsweise im Oktober 1860 die in Bridgetown, Barbados in den britischen West Indies erscheinende Zeitung The Barbadian einen weiteren zuvor in der haitianischen Zeitung La Republique veröffentlichten Emigrationsappell des Ministers Dubois vom 22. August 1859 ab, in der dieser „[M]en of
69 Daily Ohio Statesman, 27. September 1859. 70 Ebd. 71 Ebd.
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our race, dispersed throughout the United States“ nach Haiti einlud und die Hilfsangebote der Regierung darlegte.72 Das Netzwerk von Informationen über Emigration nach Haiti überschritt damit also nicht nur die nationalen Grenzen von Haiti und den USA, sondern wirkte auch in anderen Regionen wie etwa den britischen West Indies nach.
J AMES R EDPATH ALS D IREKTOR DES H AYTIAN B UREAU OF E MIGRATION Der organisatorische und finanzielle Aufwand, den die Haitianischen Regierung betrieb, um freie African Americans für die Migration nach Haiti zu gewinnen, kulminierte in der Gründung des Haytian Bureau of Emigration in Boston, Massachusetts unter der Direktion des euroamerikanischen Journalisten und Abolitionisten James Redpath. Redpath war ein 1833 in Schottland geborener USAmerikaner, der zum Zeitpunkt der Eröffnung des Bureau in den USA eine gewisse Bekanntheit als radikaler Abolitionist, Journalist und Publizist erreicht hatte. Redpath schrieb unter anderem für die New York Tribune und Chicago Tribune, also für Zeitungen, die für ihre kritische Haltung gegenüber der Sklaverei in den Südstaaten der USA bekannt waren.73 Außerdem hatte Redpath 1859 unter dem Titel „The Roving Editor: Or Talks With Slaves in the Southern States“ Interviews mit Versklavten publiziert, denen er auf verschiedenen Reisen in den Süden begegnet war.74 Redpath war im Januar 1859 zum ersten Mal nach Haiti gereist, „for the purpose of describing the country and its people“ wie er in dem von ihm im ab Dezember 1860 veröffentlichten „Guide to Hayti“ rückblickend bemerkte.75 Emigration von den USA nach Haiti zu organisieren, stellte er demnach nicht als das Anliegen seiner Reise dar. Während Redpaths knapp zweiwöchiger Überfahrt von Boston nach Cap Haïtien im Januar 1859 war es, wie bereits erwähnt, in Ha-
72 The Barbadian, 15. Oktober 1860. 73 McKivigan, Forgotten Firebrand. 74 Redpath, The Roving Editor: Or Talks With Slaves in the Southern States. New York: A.B. Burdick, 1859. 75 Redpath, „Introduction“, in: ders. (Hg.), A Guide, S. 9-11, hier S. 9. Von seiner ersten Reise nach Haiti berichtete Redpath außerdem in einer Reihe von Zeitungsartikeln, die er sukzessive während des Aufenthaltes in Haiti verfasste und die in den USA in der New York Tribune und dem National Anti- Slavery Standard erschienen. Vgl. McKivigan, Forgotten Firebrand, S. 61f.
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iti zu einem Regierungswechsel gekommen, in dem Soulouque dazu gezwungen worden war, das Präsidentschaftsamt an Fabre Geffrard abzugeben.76 Redpaths erster Reise nach Haiti folgten zwei weitere im Juni 1859 und Juli 1860. Als er im September 1860 wieder aus Haiti abreiste, war er von Geffrard mit der Gründung des Haytian Bureau of Emigration beauftragt worden. Die Emigrationsorganisation sollte African Americans in den USA über Haiti informieren und die Reise der Emigrantinnen und Emigranten nach Haiti organisieren. Falls sich Personen die Überfahrt nach Haiti nicht aus eigener Kraft leisten konnten, übernahm das Bureau die Kosten, wenn sich die Emigrierten im Gegenzug verpflichteten, einige Zeit in Haiti zu bleiben. Außerdem stellte die haitianische Regierung den Emigrierten Land kostenlos zur Verfügung.77 Um die Emigrationspläne umzusetzen, hatte die haitianische Regierung das Bureau mit der vergleichsweise großen Summe von 20.000 US-Dollar als erste Anstoßfinanzierung des Unternehmens ausgestattet und Redpath zum General Agent of Emigration in den USA ernannt. Vor Ort in Haiti waren der Außenminister Victorien Plésance und Auguste Élie als Generaldirektor für die Organisation der Migrationsbewegung verantwortlich.78 Die Tatsache, dass ausgerechnet der Euroamerikaner James Redpath von der haitianischen Regierung damit beauftragt wurde das umzusetzen, was James Holly bereits 1855 bei seinem Besuch in Haiti in ähnlicher Form versucht hatte anzustoßen, wurde von vielen African Americans äußerst kritisch gesehen. So bemerkte beispielsweise Martin Delany in einem Brief an Holly im Januar 1861: „I have nothing to say against Haytian emigration, except that I am surprised that in the face of the intelligent black men [Herv.i.O.] who favor it […] the government would appoint over them [Herv.i.O.], to encourage black emigration, a white man. […] I object to a black government appointing over black men, a white, when black were competent to act and no policy requires the appointment of a white. I object to white men in such cases, getting all the positions of honor and emoluments [Herv.i.O.], while the blacks receive only the subordinate with little or no pay!“79
76 Vgl. Dubois, Haiti, S. 154; Heinl, Written in Blood, S. 194-197. 77 Siehe „Laws in Favor of Emigration“, in: Redpath (Hg.), A Guide, S. 123f; „Circular VI“, wöchentlich veröffentlicht in der Pine and Palm. 78 Vgl. Dixon, African America, S. 145f; McKivigan, Forgotten Firebrand, S. 67f. 79 Delany, „Letter to James Theodore Holly, Januar 1861“, in: Levine/Delany (Hg.), Martin R. Delany, S. 366.
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In Delanys Kritik wird zunächst vor allem deutlich, dass er die Position, die Redpath von der Regierung erhalten hatte, als überaus wichtig einschätzte. Die Bedeutung der Position des Sprechers für die Regierung Haitis äußerte sich laut Delany nicht nur über gesellschaftliche Anerkennung in Form von „honor“ sondern auch in ganz konkreten materiellen Privilegien, nämlich einem Einkommen („emoluments“). In ihrer Kombination bestimmten immaterielle Anerkennung und materielles Einkommen wiederum in Wechselwirkung den Zugriff und die Teilhabe von Personen auf gesellschaftliche Ressourcen und entfalteten so ihre Wirkmacht. Durchkreuzt wurde die Wirkmacht von „honor and emoluments“ in erheblichem Maße durch die Kategorie race. So lehnte Delany Redpath in seiner Position als Sprecher für die haitianische Regierung dezidiert deshalb ab, weil dieser als „white man“ galt. Dies ist insofern von großer Bedeutung, als dass im zeitgenössischen Kontext die Kategorie race neben einer Reihe anderer sich häufig überlagernder Kategorien in der Regel in hohem Maße den Zugang von Menschen zu eben jenen gesellschaftlichen Ressourcen wie etwa politischen Ämtern, oder auch gut bezahlten Berufen strukturierte. So erhielten African Americans im Vergleich zu European Americans häufig, wie Delany es beschrieb, bestenfalls „subordinate [positions] with little or no pay“. Dass er statt der Einsetzung eines „white man“ die Berufung von „black men“ in solche Positionen forderte, die mit „honor and emoluments“ verknüpft waren, muss deshalb als emanzipatorische Strategie verstanden werden. Außerdem zeigt sich in der Reaktion Delanys auf die Ernennung von James Redpath als „General Agent of Emigration“ durch die haitianische Regierung, dass Delany Schwarz-sein als Voraussetzung dafür verstand, sich angemessen und kompetent über Emigration nach Haiti äußern zu können. So schrieb er weiter, dass er weder Redpath noch irgend einen anderen „white man“ dafür in der Lage hielt, „to judge or decide upon the destiny of the colored people.“ Sein Unverständnis darüber, dass mit Redpath ein Euroamerikaner von der haitianischen Regierung als offizieller Sprecher für Emigration nach Haiti benannt worden war, rührte zudem auch daher, dass ausgerechnet die Regierung eines schwarzen Staates diese Entscheidung getroffen hatte. So ging er im Umkehrschluss davon aus, dass gerade ein „black government“ ein genuines Interesse daran haben müsse, einen schwarzen Vertreter zu benennen.80
80 Neben Delany kritisierte beispielsweise auch die afrokanadische Journalistin und Aktivistin Mary Ann Shadd Cary die Benennung von Redpath als General Agent of Emigration und darüber hinaus Emigration nach Haiti im Allgemeinen. Vgl. Rhodes, Jane, Mary Ann Shadd Cary. The Black Press and Protest in the Nineteenth Century. Bloomington [u.a.]: Indiana University Press, 1998, S. 139.
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Vieles spricht dafür, dass sich Redpath der Angreifbarkeit seiner Position als weißer Sprecher für schwarze Emigration überaus bewusst war. Eine Strategie, mit der er dieser Situation begegnete, war wieder und wieder darauf hinzuweisen, dass nicht er der Initiator der Zusammenarbeit zwischen ihm und der Regierung gewesen war, sondern dass stattdessen Vertreter der Regierung auf ihn zugegangen und zur Mitarbeit aufgefordert hatten. In der von ihm verfassten Einleitung im „Guide to Hayti“ legte Redpath deshalb detailliert dar wie es zu seiner Benennung als General Agent of Emigration durch die haitianische Regierung gekommen war. „Brought into correspondence with the Goverment of Hayti, I suggested a number of guarantees to immigrants that should be officially announced“ beschrieb Redpath seine Zusammenarbeit mit der Regierung und implizierte möglicherweise, dass die Kooperation ihm von außen angetragen worden sei.81 Auch in der weiteren Beschreibung der Kooperation stellte sich Redpath als zurückhaltend und lediglich auf Anfragen der Regierung reagierend dar. Er fuhr fort: „Requested to indicate the measures that should be employed to inform the class of immigrants invited […] I suggested, among other measures, the publication of a Guide Book, the establishment of a corresponding office in the United States, and the appointment of Agents to visit the various localities in the Union and Canada in which there are settlements of men of African descent.“82
Nachdem die Regierung diesen Vorschlägen zugestimmt habe, sei es seinem Bericht zufolge wiederum die Regierung gewesen, die auf ihn zugegangen war: „I was asked to take charge of its execution. I accepted the position and prepared this book“83 fuhr Redpath fort und schrieb sich damit selber die Rolle des Ausführenden zu, keinesfalls aber des Initiators der Unternehmung. In einem Artikel in einer Ausgabe der Pine and Palm, dem Presseorgan der Emigrationsorganisation, legte Redpath im Mai 1861 zudem sein Selbstverständnis über seine Position in der Emigrationsbewegung dar: „Let us not be misunderstood. We do not believe in a distinctive Nationality, founded on the preservation of any race, as a finality. We believe in Humanity, not in black men or white men, for the fusion of the human races is the destiny of the future. We stand by man
81 Redpath, „Introduction“, in: ders. (Hg.), A Guide, S. 9-11, hier S. 10. 82 Ebd. 83 Ebd, S. 10-11.
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as man; not by the Saxon because we are Saxon, nor by the Negro because we are an Abolitionist.“84
Dabei zeigte sich einerseits, dass Redpath ein essentialistisches Verständnis von race nicht grundsätzlich in Frage stellte, sondern vielmehr die Vorstellung von der Existenz von distinktiven „human races“ in seiner Argumentation anrief. Gleichzeitig behauptete er aber von sich, der Aufteilung von Menschen in „black“ und „white“ nicht folgen, sondern diese zugunsten einer gemeinsamen Bezeichnung als „Humanity“ aufgeben zu wollen. Er begründete dies unter anderem damit, dass er eine zukünftige „fusion of the human races“ hervorsagte – womit er ein biologistisches Verständnis von race weiter fortschrieb. Deutlich wird auch, dass Redpaths selbsterklärter Anspruch lautete, nicht als European American gegenüber African Americans aufzutreten, sondern als „man“ gegenüber „man“. Dabei übersah er, dass er sich keinesfalls in einem macht- und diskursfreien Raum befand, sondern sich in Kontexten bewegte, in denen es von ganz erheblicher Signifikanz sein konnte, ob eine Person als schwarz oder weiß (oder etwa männlich oder weiblich/ vermögend oder arm) wahrgenommen wurde. Indem er sich selbst als Mann/Mensch unter aus seiner Perspektive gleichberechtigten Männern/Menschen präsentierte, verneinte er rassifizierte und sozial bedingte Hierarchien, innerhalb derer er zwangsläufig operierte. Dabei stritt er gleichzeitig die enorme Wirkmächtigkeit ab, die soziale Konstrukte wie race im Leben von Menschen entfalteten. Der Versuch, sich selbst in seiner privilegierten Subjektposition als weißer Mann aus diskursiven Machtstrukturen auszuklammern, musste zwangsläufig vergeblich sein, und die Verneinung seiner Privilegiertheit Personen wie Martin Delany in hohem Maße verärgern. Gründe dafür, weshalb die haitianische Regierung Redpath gegenüber afroamerikanischen Kandidaten für das Amt bevorzugt hatte, können hier nicht eindeutig geklärt werden. Dixon argumentiert überzeugend, dass sich hinter dieser Entscheidung möglicherweise eine sehr bewusste Strategie der Regierungsvertreter erkennen lässt, die eng verknüpft war mit den Aufgaben, die Redpath abdecken solle. So war er neben der Organisation von Emigration auch dafür verantwortlich, mehr als fünfzig Jahre nach der Gründung der Republik endlich die formelle Anerkennung Haitis als eigenständiger Staat von Seiten der USRegierung durchzusetzen. Dabei spielte die rassifizierte Subjektposition der Akteure in einem rassistisch strukturierten Kontext eine wichtige Rolle. So war anzunehmen, dass dem European American Redpath eher Gehör geschenkt werden würde, als etwa dem African American James Holly. „[W]ithin the racist culture
84 Pine and Palm, 18. Mai 1861.
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of the United States, a white man was more likely to be able to advocate successfully on Haiti’s behalf“, bemerkt Dixon.85 Dass sich die Arbeit von Vertretern der haitianischen Regierung in den USA vor allem in den Südstaaten als überaus beschwerlich gestalten konnte, wenn diese als schwarz wahrgenommen wurde, zeigte sich in einem Zeitungsbericht, der im März 1860 in der Georgia Weekly Telegraph veröffentlicht wurde, die sich an eine weiße, Sklaverei befürwortende Leserschaft richtete. In dem Artikel wird der Besuch eines nicht weiter identifizierten „Haytien Emissary“ in Mobile, Alabama auf überaus rassistische Weise beschreiben: „We learn that a full grown and blown Haytien, black as ebony […] made his appearance in Mobile yesterday […] His business here was to promote the emigration of free negroes to Hayti.“86 Wie sich einige Abschnitte später lesen lässt, führte der Besuch des Emigrationsagenten zu dessen Verhaftung und Deportation aus Alabama. So hieß es: „We understand the agent waited upon his honor the Mayor, who politely directed him to the His Worship the Sheriff of Mobile county, who informed him that the laws of the State of Alabama did not recognize or look favorably upon the objects of his embassy, and advised him that a speedy departure from within the limits of this Commonwealth, would probably best comport with the tenor and statutes thereof. The Haytian improved the hint, made his way, under escort of the Chief of Police, to the mail boat, and by the time his reaches the eye of the reader, will probably be in the Crescent City.“87
Der rassistische und gleichzeitig satirische Ton der Darstellung lag vor allem in der übertriebenen und nicht zutreffenden Verwendung von Amts- und Autoritätsbezeichnungen. Diese zielten darauf ab, den „Haytien Emissary“ in seiner Funktion als Vertreter der Regierung Haitis lächerlich zu machen. Die konnte vor allen Dingen deshalb funktionieren, weil für die Verfasser und die Leserin-
85 Dixon, African America, S. 146. Haiti wurde im Februar 1862 zusammen mit Liberia offiziell durch die USA anerkannt. Inwiefern die Arbeit des Bureau darauf einen Einfluss hatte, kann nicht genau geklärt werden. Fest steht, dass sich ein Vertreter des Bureau 1860 mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits gewählten, aber noch nicht eingeschworenen Präsidenten Lincoln traf, um für die Anerkennung Haitis zu werben. Vgl. Dixon, African America, S. 147. 86 Georgia Weekly Telegraph, 10. April 1860. Möglicherweise handelte es sich bei dem beschriebenen Agent um Emile Desdunes, der seit 1858 in Louisiana um Emigration nach Haiti warb. Crescent City ist ein Spitzname der Stadt New Orleans. 87 Ebd.
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nen- und Leserschaft der Zeitung schwarze Menschen als Autoritätspersonen von vorn herein unglaubwürdig und undenkbar erschienen. Dabei zeigte sich: für den anonym bleibenden Verfasser war es offensichtlich nicht vorstellbar, dass ein schwarzer Mensch offizieller Gesandter eines Staates sein konnte. Gleichfalls war für ihn so vermutlich auch die Existenz eines schwarzen Staates undenkbar. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Verhaftung und Deportation des Agenten keinesfalls so höflich und formell ablief, wie in dem satirischen Bericht dargestellt, sondern vermutlich wesentlich gewaltsamer vollzogen hatte. In jedem Fall zeigt sich, dass vor allem im Süden der USA die Arbeit von schwarzen Emigrationsagenten überaus beschwerlich und vermutlich gefährlich war. Unmittelbar nachdem James Redpath im September 1860 in die USA zurückgekehrt war, begann er damit, die oben dargelegten Pläne umzusetzen. Zum einen mietete er Büros in der Washington Street in Boston und in der Beekman Street in Lower Manhattan in New York City an. Zunächst befand sich die von Redpath geleitete Hauptgeschäftsstelle des Bureau in Boston, bevor im Herbst 1861 der Standort in New York City zum neuen Hauptquartier ernannt wurde.88 Auch in Saint Marc in Haiti, wurde ein Büro eingerichtet, von wo aus die in Haiti eingetroffenen Emigrantinnen und Emigranten betreut wurden.89 Außerdem bereitete er die Herausgabe des Emigrationsratgebers „A Guide to Hayti“, der im Dezember 1860 in erster Auflage erschien, und der Emigrationszeitung Pine and Palm vor, die ab Mai 1861 veröffentlicht wurde. Zu Redpaths unmittelbaren Tätigkeiten nach seiner Rückkehr in die USA gehörte auch die Anwerbung einer Reihe von Personen als Emigrationsagenten und offizielle Mitarbeiter des Haytian Bureau of Emigration, um die es in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels gehen soll. Ähnlich wie Emile Desdunes zuvor in Louisiana sollten die Mitarbeiter des Bureau dazu beitragen, African Americans in den USA über die Möglichkeit der Emigration nach Haiti zu informieren. Sie sollten zum einen Vorträge über Haiti und die Emigrationsbewegung halten, und Informationsmaterial wie etwa den vom Bureau veröffentlichten „Guide“ verteilen. Zum anderen sollten die Agenten ganz konkret Emigran-
88 Siehe Pine and Palm, November 30, 1861; Redapth in seinem „Weekly Report“ an Plésance, 6. Mai 1861, in: Letters and Reports of James Redpath, General Agent of Emigration to Hayti, to M. Plésance, Secretary of State of External Relations of the Republic of Hayti (Microfilm), Manuscript Division, Library of Congress, Washington, DC. Im Folgenden wird diese Sammlung als Letters and Reports of James Redpath, LOC bezeichnet. 89 „Decree“, in: Redpath (Hg.), A Guide, S. 120.
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tinnen und Emigranten für Haiti rekrutieren und so zu der Formierung der transnationalen Gemeinschaft von Menschen in Haiti und den USA beitragen.
D IE „ AGENTS “ DES H AYTIAN B UREAU
OF
E MIGRATION
Der folgende Abschnitt geht zwei Zielen nach. Erstens wird dargelegt, wer für das Bureau arbeitete, und welche Subjektpositionen diesen Mitarbeitern zugeschrieben wurden. Zweitens wird aufgezeigt, dass neben den offiziell für das Bureau arbeitenden Personen auf inoffizieller Ebene auch andere, nicht direkt mit der Emigrationsorganisation assoziierte Menschen Informationen über Haiti verbreiteten. James Theodore Holly war einer der ersten gewesen, der im November 1860 von Redpath als Agent für das Bureau rekrutiert wurde, wie Redpath in einem der Bericht vermerkte, die er wöchentlich an die Regierungsvertreter in Haiti schickte.90 Zu den Mitarbeitern des Haytian Bureau of Emigration gehörten neben Holly auch andere afroamerikanische Aktivisten wie William Wells Brown, William J. Watkins, Henry Highland Garnet, Joseph Dennis Harris oder H. Ford Douglas. Während die Mehrheit der Agents African Americans waren, gab es auch euroamerikanische Mitarbeiter, wie etwa der Engländer Henry Melrose, oder John Brown Jr., Sohn des Anführers des Aufstandes von Harpers Ferry.91 Redpath zahlte den Agenten des Bureau ein Gehalt von durchschnittlich zwanzig US-Dollar pro Woche, sowie eine zusätzliche Belohnung von zwei US-Dollar für jede rekrutierte Emigrantin und jeden rekrutierten Emigranten.92 Dass fast alle Mitarbeiter des Bureau Männer waren, sei hier nachdrücklich erwähnt und wird in einem späteren Abschnitt dieses Kapitels weitergehend besprochen.
90 Wöchentlicher Bericht Nr. 1 von Redpath an Plésance, 3. November 1860, in: Haiti. Bureau of Emigration, Reports and Correspondence, 1860-1861, Special Collections, Boston Public Library, Boston. Im Folgenden wird diese Sammlung als Haiti. Bureau of Emigration, BPL bezeichnet. 91 McKivigan gibt an, dass insgesamt vier der Agenten weiß waren, nämlich Melrose, Brown, Richard J. Hinton und Adolphus Ackerman. Siehe McKivigan, Forgotten Firebrand, S. 71. Vermutlich als ebenfalls weiß galt Elizabeth Howard, die als Übersetzerin und publishing agent für das Bureau arbeitete. Leider finden sich weder bei McKivigan noch bei Dixon Informationen über sie. 92 Vgl. Wöchentlicher Bericht von Redpath an Plesance, 24. Juni 1861, in: Letters and Reports of James Redpath, LOC. Siehe auch: McKivigan, Forgotten Firebrand, S. 71.
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Neben den beiden bereits oben erwähnten Haupteinrichtungen in New York City und Boston gab es in mehreren größeren Städten in den nordöstlichen und Mid-Atlantic Staaten der USA, wie etwa in Washington, DC, Newark, New Jersey, Indianapolis, Indiana, Portland, Maine, Chicago, Illinois und auch in Windsor, Kanada Mitarbeiter des Bureau.93 Das Bureau war offiziell für die gesamten USA zuständig, und mit Adolphus Ackermann, den Redpath während seines Aufenthaltes in Port-au-Prince kennengelernt hatte, bereiste ein Schwede Staaten wie South Carolina und Louisiana.94 In diesem Kontext sei darauf hingewiesen, dass auch euroamerikanische Fürsprecher für Emigration nach Haiti im Süden der USA in Schwierigkeiten geraten konnten. So wurde Ackermann im Frühjahr 1861 in New Orleans, das nach der Sezession der Südstaaten von der Union zu diesem Zeitpunkt bereits Teil der Konföderierten Staaten war, mit der Begründung verhaftet, ein abolitionistischer Spion zu sein, wie es in einem kurzen Bericht in der Pine and Palm hieß. Der Bericht schätzte ein, dass Ackermann sich aufgrund dieser Anschuldigungen in großer Gefahr befunden habe, gelyncht zu werden.95 Allerdings war Ackermann unter der Bedingung, den Staat zu verlassen, freigelassen worden, wie er in einem Brief aus Port-au-Prince, wohin er geflüchtet war, darlegte. In den Staaten des oberen Südens, also dem District of Columbia, Maryland und Virginia wurden James Holly und der Engländer Henry Melrose eingesetzt, auf den ich in einem späteren Teil dieses Kapitel zu sprechen kommen werde. Nach dem Beginn des Bürgerkrieges legte Redpath im März 1861 die Tätigkeiten des Bureau in den Konföderierten Staaten allerdings gänzlich nieder, so dass sich die Arbeit der Agents auf die Union und Kanada beschränkte.96 Dabei zeigte sich, dass die potentiellen Emigrantinnen und Emigranten längst nicht nur in den USA vermutet wurden, sondern dass im Kontext der Arbeit der Emigrationsorganisation Menschen in den USA, Kanada und Haiti miteinander verknüpft werden sollten.
93 Im Juni 1861 werden in der Pine and Palm so genannte local agents für Chicago, Illinois, Troy, New York, Newark, New Jersey, Leavenworth City, Kansas, Indianapolis, Indiana, Portland, Maine und Windsor, Canada West gelistet. 94 Brief von Redpath an Ackermann, 20. November 1860, Wöchentliche Berichte von Redpath an Plesance, 9. Dezember 1860, 18. Dezember 1860, 12. Januar 1861, alle in: Haiti. Bureau of Emigration, BPL. Siehe auch McKivigan, Forgotten Firebrand S. 71. 95 Pine and Palm, 8. Juni 1861. 96 Brief von Redpath an Plesance, 15. März 1861, in: James Redpath Letterbook, David. M. Rubenstein Rare Book & Manuscript Library, Duke University. Im Folgenden wird diese Sammlung als Redpath Letterbook, Duke Univ. bezeichnet.
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Informationen über Haiti wurden dabei nicht nur per Post verschickt. Zusätzlich besuchten Mitarbeiter des Bureau afroamerikanische Gemeinden in den USA und Kanada, wie etwa Arbeitsanweisungen an James Holly dokumentieren, die Redpath in einem Brief vom 3. November 1860 darlegte. So wies er Holly folgendermaßen an: „[T]ravel to such states as may be indicated for your operations by this Bureau, and there put yourself in communication with their citizens of African descent […] and inform them of the offers of the Haytian Government, and the advantages of Hayti as a home for the colored races of America.“97
Darüber hinaus sollte Holly die Adressen aller „families of good character […] who may be induced to emigrate“ zusammentragen und an das Bureau übermitteln, während seiner Reisen die Publikationen des Bureau großzügig verteilen, und darüber hinaus wöchentliche Berichte über den Stand seiner Arbeit an Redpath schicken.98 Diese an Holly gerichteten Anweisungen beschrieben grundsätzliche Praktiken der Informationsverbreitung über Haiti als Emigrationsziel.99 Viele Agenten waren in der Pine und Palm, dem Presseorgan des Bureau, mit einer festen Adresse gelistet, unter der sie für potentielle Emigranten und Emigrantinnen persönlich oder postalisch zu erreichen waren. Neben diesen fest angesiedelten Agenten gab es aber auch reisenden Mitarbeiter, deren Hauptaufgabe dezidiert darin bestand, die ihnen zugeteilten Gebiete zu bereisen um Reden über Haiti zu halten, für Emigration zu werben, Publikationen des Bureau wie den „Guide to Hayti“ zu verteilen und schlussendlich die Emigration von Individuen aus der jeweiligen Gegend zu organisieren. Öffentlich sichtbar zu machen, wer offiziell zum Bureau gehörte, war ein weiterer wichtiger Aspekt in der Arbeit der Organisation. Die Pine and Palm druckte in jeder ihrer Ausgaben den sogenannten Circular II ab, in dem die Namen, Aufgaben, Adressen und Zuständigkeitsgebiete der aktuellen Agenten des Bureau festgehalten wurden. Außerdem wurden den Mitarbeitern der Emigrationsorganisation Papiere ausgestellt, die bezeugten, dass sie für das Bureau und damit für die haitianische Regierung tätig waren. So hieß es beispielsweise in einem solchen für Isaac N. Carey ausgestellten Dokument:
97 Redpath an Holly, 9. November 1860, in: Haiti. Bureau of Emigration, BPL. 98 Ebd. 99 Vgl. Brief von Redpath an Harris, 12. November 1860, Haiti. Bureau of Emigration, BPL.
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„This is to testify that Isaac N. Carey […] is the authorized agent for this Bureau; and through it, of the Government of the Republic of Hayti. […] This cerificate shall be esteemed valid as long as his name appears in Circular No II of the Haytian advertisements of the Pine&Palm.“100
Die Zeitung veröffentlichte zudem auch die Daten und Lokalitäten, an denen Agenten des Bureau Informationsveranstaltungen über Emigration nach Haiti abhalten würden. Diese Maßnahmen können einerseits als Strategien verstanden werden, Menschen über Veranstaltungen und Erreichbarkeiten des Bureau aufmerksam zu machen. Gleichzeitig können sie auch als Strategien der Authentifizierung und Autorisierung durch die Organisation gelesen werden. Denn die Möglichkeit, dass sich unautorisierte Personen für Mitarbeiter der Emigrationsorganisation ausgaben, wurde von James Repath als überaus problematisch wahrgenommen. So wurde vor unautorisierten Agenten des Bureau in der Pine and Palm wiederholt gewarnt.101 Redpath gab die Reiseruten der Agenten in der Regel im Detail vor. Holly beispielsweise erhielt im November 1860 Anweisungen, ein „public meeting“ in Philadelphia abzuhalten, und danach „colored agricultural settlements“ im ländlichen Pennsylvania zu besuchen. Danach sollte er nach New Jersey und von dort aus nach Maryland und Delaware weiterreisen.102 Ging den Agenten unterwegs das publizierte Material aus, so konnten sie per Post Nachschub aus Boston anfordern. Holly beispielsweise konnte so auf insgesamt fünfhundert Exemplare des „Guide to Hayti“ zur Distribution auf seinen Reisen zurückgreifen.103 Darüber hinaus waren auch viele der als „resident“ oder „local agents“ geführten Mitarbeiter des Bureau überaus mobil. Ähnlich wie die „travelling agents“ besuchten sie zum Beispiel Kirchengemeinden oder andere Zusammenkünfte von Menschen, um Vorlesungen über Haiti zu halten, Emigrationsinteressierten Auskünfte zu erteilen und im Idealfall die Emigration nach Haiti in die Wege zu leiten. Die Tatsache, dass die Agenten in direkten Kontakt mit den möglichen Emigrantinnen und Emigranten traten und im wahrsten Sinne
100 Siehe James Redpath am 31. Dezember 1861, Correspondence of James Redpath, December 1861-May 1862, Schomburg Center for Research in Black Culture, New York Public Library, New York City. Im Folgenden abgekürzt mit: Correspondence of James Redpath, Schomburg Center. 101 Siehe beispielsweise: Pine and Palm, 30 November 1861; Pine and Palm, 28. Dezember 1861. „Echte“ Agenten bekamen zudem von Redpath eine Art Ausweis ausgestellt, der sie als offizielle Mitarbeiter des Bureau identifizierte. 102 Redpath an Holly, 12. November 1860, Haiti. Bureau of Emigration, BPL. 103 Ebd.
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des Wortes ansprechbar waren, wurde wahrscheinlich als überaus wichtig betrachtet. Dass die Agenten nicht nur als Mitarbeiter, sondern zugleich auch als Repräsentanten der Bewegung fungierten und verstanden wurden, zeigt sich in den Unterlagen des Bureau auf vielfache Weise. Redpath begründete die Auswahl der Agenten oft detailliert. Charakter und Biographie der Personen wurden dabei genau überprüft und ihre Eignung für die ihnen zugewiesenen Aufgaben dargelegt. Wie ich im Folgenden diskutieren möchte, spielte eine Reihe von Faktoren in der Auswahl von Personen, die im Namen des Bureau Werbung für Emigration nach Haiti machen sollten, eine Rolle. Race, aber auch Geschlecht waren dabei zweifelsohne überaus wichtige Kategorien. Zwar argumentierte Redpath wenig überzeugend, dass seine eigene whiteness keine Rolle in seiner Arbeit für das Bureau spielte. Gleichzeitig ließ er aber durchblicken, dass die Kategorie race bei der Auswahl der für Redpath arbeitenden Agenten sehr wohl zum Tragen kam.104 So war es kein Zufall, dass in einer Organisation, die unter African Americans Werbung für Emigration nach Haiti machen sollte, die Mehrheit der Agenten African Americans waren. Sowohl in den internen Unterlagen des Bureau als auch in der Pine and Palm wurde der „rassische“ Status der Agenten häufig explizit vermerkt – allerdings in der Regel nur, wenn es sich bei den Personen um African Americans handelte.105 Gleichzeitig galt whiteness, ebenso wie übrigens Männlichkeit, in den Unterlagen des Bureau interessanter Weise als normativer, unmarkierter Zustand, denn wenn eine Person als weiß und männlich galt, wurde dies in der Regel nicht explizit aufgeführt. Whiteness und Männlichkeit zeichnen sich so „durch eine Unsichtbarkeit aus, die sich aus einem binären System der Gegensätzlichkeit ergibt“, während blackness und Weiblichkeit explizit sichtbar gemacht und damit als Abweichung von der weißen, männlichen Norm markiert wurden.106 Die Benennung von Personen als „black“ oder „colored“ funktionierte häufig als Legitimation, aufgrund derer die so markierten Personen adäquat zu African Americans über Emigration nach Haiti sprechen konnten. Die Tatsache, dass hauptsächlich African Americans als Agenten für das Bureau arbeiteten, sollte möglicherweise Redpaths whiteness wieder wettmachen und die Organisation als schwarze Unternehmung darstel-
104 Siehe u.a. Redpath an C.B. Cellow[?], 21. Mai 1861, in: Redpath Letterbook, Duke Univ. 105 Siehe beispielsweise Eintrag über Rev. Smith in wöchentlichem Bericht No. 1 von Redpath an Plesance, 3. November 1860, Haiti. Bureau of Emigration, BPL. 106 Poole, Ralph J., Gefährliche Maskulinitäten. Männlichkeit und Subversion am Rande der Kulturen. Bielefeld: Transcript, 2012, S. 13.
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len.107 Damit gestand Redpath zumindest indirekt ein, dass race die Subjektposition von Menschen zweifellos strukturierte und gleichzeitig festlegte, wer auf welche Weise sprechen konnte und vor allem wie und ob jemand gehört wurde. Gleichzeitig galt Weiß-sein in den Unterlagen des Bureau interessanter Weise als normativer Zustand, denn wenn eine Person als weiß galt, wurde dies in der Regel nicht explizit aufgeführt. Henry Melrose: „I tell them that I am an Englishman“ Der Engländer Henry Melrose wies mehrfach darauf hin, dass seine whiteness in seiner Arbeit für das Bureau zwar nicht unbedingt problematisch war, auf jeden Fall aber eine Rolle spielte. Melrose war Anfang 1861 zunächst als Agent für Washington, DC und die sogenannten border states zuständig. Unter die border states fielen die Staaten Maryland, Kentucky, Delaware, Missouri und West Virginia, in denen Sklaverei zwar als legal galt, die sich nach der Sezession der Konföderierten Staaten aber trotzdem nicht von der Union getrennt hatten. Nachdem Redpath die Aktivitäten des Bureau in den Konföderierten Staaten im März 1861 eingestellt hatte, waren die Grenzstaaten die einzigen Sklavenstaaten, für die es mit Henry Melrose eine offizielle Vertretung der Emigrationsorganisation gab. Melrose hatte in Washington, DC eine Geschäftstelle eingerichtet und bereiste die ihm zugeordnete Region, um für Haiti und die Möglichkeit der Emigration zu werben. Außerhalb des District of Columbia wurde Melroses Aktionsfeld durch den Bürgerkrieg allerdings erheblich eingeschränkt, wie er in einem in der Pine and Palm veröffentlichten Brief an Redpath bemerkte: „Had the country been in its usual state of quiet, I would have gone to Richmond and Baltimore with a view of procuring emigrants; but in the present excited state of the country, it would be highly dangerous.“108
Bei Melrose Begegnungen mit potentiellen Emigranten spielte seine Sprecherposition eine entscheidende Rolle. Melrose war zunächst von anderen Euroamerikanern davor gewarnt worden, dass es für ihn problematisch sein würde, von African Americans als glaubhaft und vertrauenswürdig wahrgenommen zu werden. So stellte er in einem weiteren in der Pine and Palm veröffentlichten Brief an Redpath fest:
107 Vgl. auch Dixon, African America, S. 147. 108 Pine and Palm, 2. Juni 1861.
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„Both Dr. Beard and Miss Minor […] told me that I would have the greatest difficulties winning the confidence of the colored folk: - that they had so often been impressed upon, that they knew not whom to trust and that never I could win their confidence.“109
Zwar kam dabei nicht explizit zur Sprache, dass es Melroses whiteness war, die es verhinderte, dass der Agent von African Americans als vertrauenswürdig wahrgenommen werden konnte. Es ist aber anzunehmen, dass race in der Frage, wer als vertrauenswürdig wahrgenommen wurde, eine wichtige Rolle spielte. Melrose vermutete, dass ihm von vielen African Americans Misstrauen entgegengebracht werden würde, und so seine Bemühungen, Personen für die Emigration nach Haiti zu gewinnen, grundsätzlich vergeblich sein würden. Um dennoch das Vertrauen von potentiellen Emigrantinnen und Emigranten zu gewinnen, entwickelte Melrose eine Reihe von Strategien. Zum einen empfand er es als überaus hilfreich in der Begegnung mit African Americans seine Nationalität zu offenbaren. So schrieb er: „I have penetrated the secret which wins their confidence at once. I tell them that I am an Englishman. They know what England has done to abolish slavery, and they feel assured that one of that nation will not betray them.“110
Seine Aussage implizierte, dass Melrose in seiner Position als Engländer grundsätzlich eine andere Position zu Sklaverei hatte, als etwa weiße US-Amerikaner. Melrose legitimierte demnach die Glaubwürdigkeit seines Sprechens über Emigration nach Haiti über den Umstand, dass er Engländer war. Dies bedurfte aber auch der Anerkennung durch andere, um Wirkung zu zeigen. So setzte Melrose seinen Bericht damit fort, die Effektivität seines Vorgehens darzulegen, indem er einen schwarzen Geistlichen zitierte, gegenüber dem er sich als Engländer offenbart hatte: „‚My heart warms to the English‘ said a colored minster to me the other day“ berichtete Melrose. Darüber hinaus offenbarte er, dass auch andere Geistliche ihm dazu geraten hätten, sich als Engländer zu präsentieren, um das Vertrauen potentieller Emigrantinnen und Emigranten zu gewinnen: „Tell them you are an Englishman […] They’ll believe you then“ zitierte er einen weiteren Geistlichen um den Erfolg seiner Strategie zu bekräftigen. Afroamerikanische Geistliche waren nicht nur in Melroses Darstellung zentrale Schlüsselfiguren, sondern spielten grundsätzlich innerhalb der Emigrationsbewegung eine zentrale Rolle. Die Geistlichen erreichten in ihren Kirchen eine
109 Ebd. 110 Ebd.
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große Anzahl von Menschen und konnten Räumlichkeiten für mögliche Informationsveranstaltungen zur Verfügung stellen. Sie fungierten außerdem als vertrauenswürdige Autoritäten innerhalb der afroamerikanischen Gemeinden.111 Darüber hinaus verstanden sich, wie ich bereits angedeutet habe, viele der historischen Akteurinnen und Akteure als christliche Missionare in Haiti, und die Rekrutierung von Emigrantinnen und Emigranten innerhalb von Kirchengemeinden korrespondierte mit dieser Vorstellung. James Redpath bewertete Melroses Bemühungen um schwarze Kirchengemeinden als überaus gelungen. „All the coloured clergymen of Washington are in favor of the enterprise [Herv.i.O.]“ bilanzierte er in einem Brief gegenüber seinen Vorgesetzen in Haiti.112 Eine weitere Strategie, auf die Melrose zurückgriff, um gegenüber potentiellen Emigrantinnen und Emigranten als glaubwürdiger Sprecher über Emigration nach Haiti aufzutreten, war das Vorlesen von persönlichen Briefen von Emigrantinnen und Emigranten, die bereits in Haiti waren. So schrieb er: „Last Monday evening, I met about half a dozen young men […] I addressed a few words to them, and read some letters received from emigrants. I have seldom seen people so much delighted. They wish me to address a meeting in the Chapel on Capitol Hill, on Monday evening next, and I have consented to do so.“113
Die Anerkennung von Melrose als einem glaubwürdigen Sprecher für Emigration nach Haiti spielte nicht nur in der Begegnung mit potentiellen Emigrantinnen und Emigranten eine wichtige Rolle. Auch gegenüber der Regierung in Port-auPrince galt es, Melrose als angemessenen Vertreter der Unternehmung darzustellen. So bezeichnete Redpath in einem seiner regelmäßigen Statusberichte, die er an die Zuständigen in Haiti schrieb, Melrose als „[h]onourable, faithful and intelligent“.114 Inwiefern Melroses Strategie im Werben für Emigration tatsächlich fruchtete, kann allerdings nicht beantwortet werden. Zwar schilderte Redpath Melroses Arbeit gegenüber den Autoritäten in Haiti als überaus erfolgreich. Er vermutete, dass Melrose einen großen Teil der freien African Americans in der Region mit
111 Vgl. George, „Widening the Circle“, S. 153-176. 112 Siehe Brief von James Redpath an Plesance, 16. April 1861, in: Letters and Reports of James Redpath, LOC. 113 Pine and Palm, 2. Juni 1861. 114 Siehe Brief von James Redpath an Plesance, 16. April 1861, Letters and Reports of James Redpath, LOC.
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Wissen über die Emigrationsbewegung erreicht hatte.115 Allerdings schätzen sowohl Melrose als auch Redpath die Lage in der Region um Washington aufgrund des Bürgerkrieges und Reisen in der Umgebung als so unsicher ein, dass von hier zunächst keine Emigration stattfinden würde. Melrose wurde deshalb im Frühling 1861 nach Boston versetzt, um bei der Veröffentlichung der Pine and Palm mitzuwirken, bevor er ein Jahr später nach Haiti aufbrach, um bereits emigrierte African Americans zu besuchen.116 Alexandre Tate, „educated Haytian gentleman“ In Haiti gewesen zu sein, war nicht zwangsläufig Voraussetzung für die Mitarbeit in der Organisation. Wie auch der Engländer Melrose, der erst lange nach Beginn seiner Tätigkeit für das Bureau zum ersten Mal nach Haiti gereist war, waren viele der Agenten nie in Haiti gewesen.117 Außer den beiden haitianischen Ministern Auguste Élie und Victorien Plésance, die sich um die Betreuung der Emigranten in Haiti kümmerten und Redpaths Vorgesetzte waren, beschäftigte die Emigrationsgesellschaft in den USA mit Alexandre Tate lediglich einen einzigen haitianischen Mitarbeiter. Redpath hatte im November 1860 in einem Brief an Plésance ausdrücklich um die Entsendung eines haitianischen Mitarbeiters gebeten. Er hatte dabei nach einem „educated Haytian gentleman“ gefragt, der möglichen Emigrantinnen und Emigranten Auskunft über die Emigrationsbewegung geben sollte.118 Dem zugrunde lag die Idee, dass Tate aufgrund seiner Nationalität und Herkunft authentisch über Haiti berichten konnte. Aber nicht nur die Kategorie Nationalität, sondern auch Klasse spielte in Redpaths Anfrage eine wichtige Rolle. Tates Bildung und sein als „gentleman“ beschriebener Status wa-
115 Siehe etwa Brief von James Redpath an Auguste Élie, 6. Mai 1861, ebd. 116 Ebd. Von seinem Besuch in Haiti berichtete Melrose in der Pine and Palm, siehe beispielsweise die Ausgabe vom 29. Mai 1862. 117 In Haiti gewesen waren neben Redpath: James Holly 1855, William Wells Brown in den 1840er, und Elizabeth Howard zum Ende der 1840er und Anfang der 1850er Jahre. J. Dennis Harris hatte 1860 eine Schiffsreise durch die Karibik gemacht und dabei u.a. Santo Domingo besucht, allerdings nicht Haiti. Vgl. Dixon, African America, S. 155. Dennoch wurde ein Aufenthalt in Haiti für die Mitarbeit in der Emigrationsorganisation als vorteilhaft angesehen. Elizabeth Howards Beschäftigung für das Bureau wurde damit begründet, dass sie in Haiti gewesen war, siehe beispielsweise Pine and Palm, 30. November 1861. 118 Redpath an Plésance, 20. November 1860, 24. November 1860, Haiti. Bureau of Emigration, BPL.
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ren Ausdruck einer Zugehörigkeit zu einer „höheren“ gesellschaftlichen Klasse. Diese Einordnung entsprach in der Regel nicht dem gesellschaftlichen Status der potentiellen Emigrantinnen und Emigranten. Sie verweist aber darauf, dass die Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs als ein Aspekt verstanden werden kann, der Menschen zur Emigration nach Haiti motivieren sollte – war es in Haiti schwarzen Menschen doch scheinbar möglich, eine allgemein anerkannte Subjektposition als „gentlemen“ oder respektive „ladies“ einzunehmen. Mit Alexandre Tate, der am 19. Februar 1861 per Schiff in Boston in den USA eintraf, schickte die haitianische Regierung also einen „gentleman“ und Offizier der Präsidentengarde, wie Redpath feststellte.119 Tates Tätigkeiten für das Bureau waren vielfältig. So übernahm er beispielsweise in der Bostoner Niederlassung Korrespondenz mit den Zuständigen in Haiti. Außerdem sollte er Personen, die an der Emigrationsbewegung interessiert waren, persönlich beraten und informieren.120 Gleichzeitig war Tate überaus mobil und bereiste die neuenglischen Staaten sowie Kanada. Anfang Mai 1861 hielt er sich beispielsweise in New Haven, Connecticut auf, um dabei zu helfen, die Abreise des Schiffes Madeira nach Haiti zu organisieren, auf dem James Theodore Holly mit einer größeren Gruppe von Menschen nach Haiti übersetzte. Kurz nachdem Tate aus New Haven nach Boston zurückgekehrt war, brach er nach Rochester, New York auf, von wo er zusammen mit dem Agenten John Brown Jr. weiter nach Kanada reiste, um dort Emigrantinnen und Emigranten für Haiti zu rekrutieren.121 „It would not be overstating, on my part, to say that I was generally met with the greatest enthusiasm, merely by being a Haytian“122 berichtete Tate von seinen Begegnungen mit African Americans in Kanada und den USA und bestätigte damit die Wirkmächtigkeit seiner Nationalität in der Arbeit für das Bureau. In Rochester traf Tate nicht nur auf Brown, sonder auch auf Frederick Douglass, der dort seit Ende der 1850er Jahre mit einigen Unterbrechungen gelebt hatte. Zwar gilt Douglass als grundsätzlicher Gegner von Emigration als Mittel afroamerikanischer Emanzipation. Allerdings beschäftigte sich Douglass nach dem Urteil im Fall Dred Scott intensiv mit Haiti und der Möglichkeit der Emigration dorthin. Er berichtete über Haiti und das Haytian Bureau of Emigration bei-
119 Brief von Anonym, 19. Februar 1861, Redpath Letterbook, Duke Univ.; Brief von Redpath am 1. März 1861, ebd. 120 Siehe Brief von Tate an Plésance, 26. Februar 1861; ebd., Brief von Elizabeth Howard an Dr. J.M. Hawks, 23. Februar 1861, ebd. 121 Siehe Brief von Redpath and Élie, 6. Mai 1861, Letters and Reports of James Redpath, LOC. Zu Hollys Abreise siehe auch Dean, James Theodore Holly, S. 80. 122 Pine and Palm, 15. Juni 1861.
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spielsweise in seiner Zeitung Douglass’ Monthly.123 Auch stand er mit James Redpath in Briefkontakt, der hoffte, den berühmten Abolitionisten als Führsprecher der Bewegung gewinnen zu können.124 In der Januarausgabe der Douglass’ Monthly hatte Douglass sogar verlauten lassen, dass es für African Americans in den USA immer schwerer werde, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und er angesichts dieser Tatsache nichts gegen „the present movement towards Hayti“ einwenden könne.125 In einem Essay mit dem Titel „A Trip to Hayti“, das im Mai 1861 in der Douglass’ Monthly erschien, verkündete er, selbst bald nach Haiti reisen zu wollen. Die Reise war mithilfe des Haytian Bureau of Emigration geplant und finanziert worden. Wie er allerdings noch im selben Artikel verlauten ließ, veranlasste ihn die soeben eingetroffene Nachricht vom Ausbruch des US-amerikanischen Bürgerkrieges sich kurzfristig gegen die Reise zu entscheiden. Denn die Ereignisse versprachen dramatische Änderungen für die Situation der African Americans in den USA, stellte er fest.126 „I am not an Emigrationist“ bekräftigte Douglass zudem im Juli 1861 einmal mehr.127 Trotz seiner Entscheidung gegen die Reise nach Haiti erlöschte Douglass Interesse an Haiti und der Emigrationsbewegung offensichtlich nicht. Davonberichtet zumindest ein in der Pine and Palm, dem Presseogran des Haytian Bureau of Emigration veröffentlichter Artikel von Frederick Douglass, der zuvor in der Juniausgabe der Douglass’ Monthly erscheinen war. In dem Artikel berichtete Douglass angetan von seinem Treffen mit Tate:
123 Siehe das Kapitel „Frederick Douglass’ Hemispheric Nationalism, 1857-1893“, in: Levine, Dislocating Race and Nation. Episodes in Nineteenth-Century American Literary Nationalism. Chapel Hill, NC: UNC Press, 2008, S. 179-236. Zu Douglass Reiseplänen siehe vor allem S. 194-200. Vgl. auch Dixon, African America, S. 16768. 124 Dixon, African America, S. 167. 125 Douglass’ Monthly, Januar 1861, zitiert nach Dixon, African America, S. 168. 126 Levine, Dislocating Race and Nation, S. 197-98. Aufgrund des Hinweises auf den Ausbruch des Krieges lässt sich der Verfassungszeitpunkt des Textes auf Mitte April 1861 datieren. Tatsächlich nimmt Douglass’ Artikel eine plötzliche Wendung und erweckt so den Eindruck, als habe er noch während des Schreibens und Setzens des Artikels von den Nachrichten erfahren. Levine nimmt an, dass Douglass sich bewusst dafür entschied, seine plötzliche Umentscheidung gegen die Reise nach Haiti und für das Verbleiben in den USA öffentlich zu machen. 127 Douglass’ Monthly, Juli 1861, zitiert nach Alexander, „The Black Republic“, S. 75.
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„Our interview with Captain Tate, though brief, has left a very agreeable impression, both of the man, and of the present government of Hayti, with which he is understood to be connected. He has the dignity and polish of a real gentleman. […] Captain Tate converses easily and fluently in English, as well as in French and Spanish. No one can converse with him without feeling respect for the government he represents. We hope to see and hear more from Captain Tate before he shall finish his tour of observation through the United States and Canada.“128
In der Bewunderung durch Douglass zeigt sich zunächst, dass Tate, wie durch das Bureau angestrebt, als respektabler „gentleman“ angesehen wurde, dessen Subjektposition sich in seiner Bildung, seinen Umgangsformen und seiner Assoziation mit der haitianischen Regierung manifestierte. Gleichzeitig wird dabei deutlich, dass der Reisende Tate in der Wahrnehmung von Douglass längst nicht nur „für sich selbst“ stand, sondern zugleich die haitianische Regierung und sogar Haiti generell repräsentierte. Der Anlass von Tates Reise wurde in dem Artikel als „tour of observation in the United States and Canada“ beschrieben. Gehen wir davon aus, dass Tate gegenüber Douglass das Anliegen seiner Reise möglicherweise selbst als „tour of observation“ beschrieben hatte, lässt sich dies gleichzeitig als emanzipatorischer Moment Tates lesen. Demnach verstand er sich möglicherweise nicht vornehmlich als Mitarbeiter des Bureau unter Plésance, Élie und Redpath, sondern als beobachtender Reisender in den USA und Kanada. Tates Tätigkeit für das Bureau machte dabei deutlich, dass der Austausch von Menschen zwischen den USA und Haiti nicht einseitig, sondern wechselseitig verlief. Indem Tate hier als Beobachter der USA und Kanada beschreiben wurde, wurden nicht zuletzt auch Rollenzuschreibungen umgekehrt. So war es im Kontext der Emigrationsbewegung in den USA stets Haiti, das einer ständigen Beobachtung und Untersuchung durch die Agenten des Bureau und der Emigrantinnen und Emigranten standhalten musste und dabei zu einem Objekt wurde, um das sich eine Reihe von Zweifeln rankten: War die Regierung stabil? War das Land fruchtbar? War das Klima erträglich? War Haiti zivilisiert genug, um dort zu leben? Dabei machte allein die Infragestellung das Untersuchungsobjekt zu einem hierarchisch untergeordneten Anderen. Indem es allerdings in dem Artikel hieß, Tate sei auf einer „tour of observation in the United States and Canada“, drehte sich dieses Verhältnis um. Denn aus seiner Perspektive waren es die USA und Kanada, die sich der kritischen Beobachtung unterziehen mussten.
128 Ich beziehe mich hier auf den Abdruck des Artikels in der Pine and Palm, 15. Juni 1861.
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Elizabeth Howard, „publishing agent“ Mit Elizabeth Howard beschäftigte das Haytian Bureau of Emigration eine einzige weibliche Mitarbeiterin. Während die meisten Mitarbeiter des Bureau wie Tate und Brown reisend und öffentlich sprechend zur Verbreitung von Information über Emigration nach Haiti beitrugen, lässt sich anhand der Quellenlage vermuten, dass Howard hauptsächlich innerhalb der Räumlichkeiten der Organisation in der Washington Street in Boston agierte. Howard hatte zum Ende der 1840er Jahre mehrere Jahre als protestantische Missionarin in Haiti gelebt. In den Unterlagen des Bureau blieb Howards „rassischer“ Status bleibt unbenannt. Wie ich oben bereits dargelegt habe, funktionierte allerdings whiteness in den Aufzeichnungen und Veröffentlichungen des Bureau als normativ. Afroamerikanische Mitarbeiter der Emigrationsorganisation wurden in der Regel dezidiert als „colored“ oder „black“ beschrieben. Da Howard „rassisch“ unmarkiert blieb, liegt die Vermutung nahe, dass sie als weiß galt. Dies deuten auch Selbstbeschreibungen in einem Reisebericht an, den ich in Kapitel vier dieser Studie bespreche. Eingestellt worden war Howard zunächst, um Übersetzungstätigkeiten zu übernehmen.129 In Howards Person und ihren Tätigkeiten zeigt sich einmal mehr, dass Redpath der Vermittlung von Authentizität in der Auswahl der Agenten eine große Bedeutung beimaß, wie ich im Folgenden diskutieren möchte. Howards Beschäftigung in der Emigrationsorganisation begründete Redpath in einem seiner wöchentlichen Briefe an die Minister in Haiti damit, dass diese in Haiti gelebt habe und deshalb mit dem karibischen Staat vertraut sei.130 Diese Vertrautheit sollte Howard gegenüber den Ministern in Haiti als kompetente Mitarbeiterin des Bureau etablieren, konnte sie doch aufgrund ihres Aufenthalts in Haiti vermeintlich unverfälscht und objektiv Auskünfte über das Land erteilen. Diese Kompetenz der Mitarbeiterin korrespondierte damit mit einem zentralen Anspruch der Publikationen des Bureau an, die sich ihrer Korrektheit und Authentizität rühmten.131 Zudem zeigt sich in Howards Mitarbeit in der Emigrationsorganisation, dass die Darstellung von Authentizität in hohem Maße geschlechtlich strukturiert war. Die Tatsache, dass Howard die einzige weibliche Angestellte des Bureau war, entspricht der Tatsache, dass Emigration nach Haiti in den Publikationen des Bureau vornehmlich männlich beschrieben wurde, wie ich in größerer Aus-
129 Redpath in einem Bericht an Victorien Plésance vom 24 Juni 1861, Letters and Reports of James Redpath, LOC. 130 Ebd. 131 Siehe Redpath, „At the Eleventh“, in: ders. (Hg.), A Guide, S. 4.
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führlichkeit in den Kapiteln zwei und drei darlege. So sollten in Haiti schwarze Männer dominante Entwürfe von Männlichkeit ausleben können, die sich in den USA aufgrund von alltäglicher rassistischer Repressionen häufig nicht umsetzen ließen. Dies soll allerdings keinesfalls bedeuten, dass Frauen nicht als Teil einer globalen Gemeinschaft schwarzer Menschen verstanden wurden, oder dass sie nicht nach Haiti emigrierten oder emigrieren sollten. Ganz im Gegenteil warb das Bureau um heteronormativ strukturierte emigrierende Familien, innerhalb derer Frauen als Mütter, Haus- und Ehefrauen unter der Anleitung von Männern nach Haiti emigrieren sollten. Frauen wurden dabei vornehmlich als Personen dargestellt, die Männern hierarchisch untergeordnet waren und in der Emigrationsbewegung vor allem unterstützende Funktionen einnehmen, keinesfalls aber als Initiatorinnen der Emigration auftreten sollten. Dass männliche und weibliche Rollenzuschreibungen als grundsätzlich unterschiedlich verstanden wurden, zeichnet sich auch in Howards Aufgaben ab. So war sie neben ihren Übersetzungstätigkeiten auch dafür zuständig, „to converse with the women intending to migrate“, wie Redpath in einem seiner wöchentlichen Berichte an die Minister in Haiti erläuterte.132 In dieser zweigeschlechtlich gedachten Aufgabenzuteilung manifestiert sich die Idee, dass Frauen und Männer in Haiti unterschiedliche Emigrationserfahrungen machen, und dass emigrierende Frauen dezidiert andere Fragen und Anliegen haben würden als männliche Emigranten. Zugleich lag diesen Überlegungen vermutlich die Idee zugrunde, dass Howards Weiblichkeit ihren Darstellungen über Haiti Authentizität verleihen würde, und emigrierende Frauen sie als weibliche Ansprechpartnerin in der Organisation deshalb gegenüber einer männlichen Ansprechperson bevorzugen würden. Diese Vorstellungen entsprachen zudem den im zeitgenössischen Diskurs dominanten Ideen einer Gesellschaftsordnung, in der Männern und Frauen idealer Weise unterschiedliche Lebensbereiche zugeschrieben wurden.133 Inwiefern Howard den oben skizzierten Aufgaben tatsächlich nachging, geht aus den Unterlagen des Bureau nicht hervor. So bleibt auch offen, ob und mit welchen Fragen Emigrierende auf sie zukamen und wie die Beratung durch Howard vonstatten ging. Welche Rolle Geschlecht dabei spielte, und ob sie es möglicherweise auch mit männlichen Migranten zu tun hatte, bleibt ebenso offen. In Howards Arbeitsaufgaben für das Bureau zeigen sich eine Vielzahl von Brüchen
132 Redpath in einem Bericht an Victorien Plésance vom 24 Juni 1861, Letters and Reports of James Redpath, LOC. 133 Dass eine Aufteilung in „seperate spheres“ in den Lebenswirklichkeiten vieler Menschen aus verschiedensten Gründen allerdings nicht zutraf, ist in der Forschung vielfach dargelegt worden und wird in Kapitel drei und vier ausführlich besprochen.
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mit geschlechtlich strukturierten Rollenidealen. Wurde Howard im Circular II in der Pine and Palm zunächst als „translator“ geführt, änderten sich ihre Aufgabengebiete im Sommer 1861: sie wurde nun als „publishing agent“ der Pine and Palm gelistet.134 Ihre genauen Aufgaben als „publishing agent“ wurden in den Aufzeichnungen des Bureau zwar nicht weiter umschrieben. Allerdings ist zu vermuten, dass sie zusammen mit George Lawrence, der offiziell als Herausgeber der Zeitung fungierte, James Redpath, der als Vorgesetzter von Lawrence die Inhalte der Pine and Palm weitestgehend kontrollierte, und dem zu diesem Zeitpunkt als „Office Editor of the Pine and Palm“ beschäftigten Henry Melrose im Bereich der Redaktion der Zeitung in Boston tätig war.135 Bei einem Gehalt von 7.50 US-Dollar pro Woche verdiente sie dabei genau halb so viel wie Melrose. Ihre vergleichsweise niedrigere Bezahlung lässt zwar annehmen, dass ihre Arbeit eine geringere Wertschätzung und Anerkennung erfuhr als die ihrer männlichen Kollegen. Gleichzeitig deutet aber vieles darauf hin, dass sie auf praktischer Ebene als „publishing agent“ der Pine and Palm Aufgaben übernahm, die für das Erscheinen der Zeitung dringend notwendig waren. Dabei überschritt Howard auf den ersten Blick geschlechtlich definierte Grenzziehungen, die Frauen idealer Weise den Haushalt als Tätigkeitsfeld zuschrieben. Wie beispielsweise Bruce Dorsey dargelegt hat, boten aber gerade reformistische Tätigkeitsfelder, zu denen die Mitarbeit beim Haytian Bureau of Emigration gezählt werden kann, Frauen eine Möglichkeit, sich öffentlich und politisch zu betätigen.136 Howards öffentliche Sichtbarkeit in der Pine and Palm kulminierte mit der Veröffentlichung einer Reihe von insgesamt sieben Berichten über ihren Aufenthalt in Haiti zum Ende der 1840er Jahre, die ab März 1862 sukzessive unter dem Titel „Reminiscences of a Sojourn in Hayti“ in der Zeitung des Bureau veröffentlicht wurden, und deren Inhalt in Kapitel vier ausführlicher besprochen wird.137 Die Tatsache, dass sie geringer bezahlt wurde und als „publishing agent“ nur als eine Assistentin der offiziellen Herausgeber war, verwies allerdings darauf, dass Howard der sogenannten public sphere nicht im gleichen Maße und mit der gleichen Berechtigung angehörte wie etwa James Redpath.
134 Redpath in einem Bericht an Victorien Plésance vom 24 Juni 1861, in: Letters and Reports of James Redpath, LOC. 135 Siehe „Circular No. II“, in: Pine and Palm, 8. Juni 1861. Zur Rolle von Redpath und der Mitarbeit von Lawrence siehe auch Rhodes, Mary Ann Shadd Cary, S. 140. 136 Siehe: Dorsey, Reforming Men and Women: Gender in the Antebellum City. Ithaka: Cornell University Press, 2002. 137 Siehe: Howard, „Reminiscences of a Sojourn in Hayti“, in: Pine and Palm, 8. März 1862.
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D IE R ÄUMLICHKEITEN DES H AYTIAN B UREAU OF E MIGRATION Als Hauptquartier des Emigrationsorganisation fungierten zunächst Räumlichkeiten in der Washington Street in Downtown Boston, bis dieses im Herbst 1861 in Beekman Street in Lower Manhattan verlegt wurde.138 Sowohl die Offiziellen in Haiti als auch Redpath legten allergrößten Wert darauf, dass die Räumlichkeiten als repräsentabel und dem Anspruch der Unternehmung entsprechend galten. So bemerkte Redpath gegenüber Plésance: „I cannot rent a fine office, worthy of the dignity of the cause of the Government [Haitis], for less than $500 or $600 per annum. I will not hesitate to pay this amount, as it is necessary for the success of the mission with which you have instructed me.“139
Redpath war von den Zuständigen in Haiti auch dazu angehalten worden, auf eine repräsentable Ausstattung der Räumlichkeiten zu achten. Deshalb waren Möbel aus kostbarem Mahagoni angeschafft worden, die die Besucherinnen und Besucher beeindrucken und von der großzügigen finanziellen Ausstattung der Emigrationsbewegung durch die haitianische Regierung zeugen sollten. In einem Finanzbericht, den Redpath im Juni 1861 an Plésance schickte, legte Redpath dar, dass diese Strategie aufging: „I could have bought cheaper furniture as I could have hired a cheaper office, but your instructions were explicit that I should so fit out the Bureau as favorably to impress the friends who might come to visit it + seek information with reference to Hayti. And certainly those who have visited the Bureau have been most favorably impressed.“140
Dass gerade auch Gegner der Emigrationsbewegung sich von der Ausstattung des Bureau beeindruckt zeigten, erfüllte Redpath mit besonderer Genugtuung: „And ‚Rev‘ Mr. Pennington […] a bitter enemy of Hayti, inferred that you had placed half a million of dollars at my disposal. […] And Mr. Downing, at the meeting he called in
138 Zur Begründung der Verlegung des Hauptquartiers siehe u.a. Wöchentlicher Bericht, Redpath an Plesance, 6. April 1861, Letters and Reports of James Redpath, LOC. 139 Wöchentlicher Bericht, Redpath an Plésance, 3. November 1860, Haiti. Bureau of Emigration, BPL. 140 Financial Report, Redpath an Plésance, June 24, 1861, in: Letters and Reports of James Redpath, LOC.
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Boston, to denounce emigration […] violently exclaimed in the course of his speech that the manner in which I had fitted out the office was enough to deceive poor emigrants who came to it! ‚Never‘, he exclaimed, ‚was such a thing seen before as an emigration office to be fitted out like Mr. Redpath’s. Go there + look at the fine mahagony desks + pictures and books -!‘“141
Die Tatsache, dass das Bureau ausgerechnet mit Möbeln aus Mahagoni ausgestattet war, ist dabei vermutlich nicht nur dem persönlichen Geschmack von Redpath geschuldet, sondern beruhte auf einem ganz konkreten zeitgenössischen Raumkonzept. So kann die Verwendung beispielsweise des Mahagonis als eine bewusste Entscheidung gelesen werden. Denn dieses Holz war einerseits ein Rohstoff, der allgemein mit den Tropen assoziiert wurde und damit dem Raum die stets angestrebte Authentizität verleihen und das Bureau als Teil der exotischen Karibik markieren sollte. Gleichzeitig repräsentierte die Ausstattung der Räumlichkeiten Haiti als einen Ort des Reichtums und des Überflusses, der sich allerdings nicht etwa in technischen Errungenschaften äußerte, sondern vielmehr in einem Naturrohstoff wie dem Tropenholz. Dies korrespondierte mit dominanten zeitgenössischen Vorstellungen von der Karibik als einem rückständigen Raum, der gemäß US-amerikanischen Vorstellungen von Manifest Destiny modernisiert und dabei nutzbar gemacht werden sollte, wie ich in Kapitel zwei ausführlicher darlege. Gleichzeitig stand der so repräsentierte Überfluss in großem Kontrast zu den doch überwiegend eher bescheidenen Lebensumständen der afroamerikanischen Emigrationsanwärterinnen und Anwärter. In dem von Redpath herausgegebenen Emigrationsratgeber und Reiseführer „Guide to Hayti“ wurden die Räumlichkeiten in der Washington Street als Ort beschrieben, an dem sich Interessierte über Haiti informieren konnten. So wurden Menschen, die die Emigration nach Haiti erwägten, dazu aufgefordert, sich persönlich oder per Brief an das Bureau in Boston zu wenden, wo offizielle Emigrationsverträge der haitianischen Regierung, haitianische Zeitungen, Referenzwerke, Karten, Gesteins- und Metallproben, sowie Ansichtsexemplare von Agrargütern aus Haiti zur Inspektion durch potentielle Emigrantinnen und Emigranten auslagen.142 Außerdem hatte Redpath eine Bibliothek mit Büchern über und aus Haiti eingerichtet, die Interessierten zur Benutzung offenstand.143
141 Ebd. 142 Redpath, „Introduction“, S. 11. 143 Financial Report, Redpath an Plésance, June 24, 1861, in: Letters and Reports of James Redpath, LOC. Die Bücher waren eine Leihgabe des Abolitionisten Wendell
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Scheinbar wurden die Räumlichkeiten zumindest zum Anfang der Gründung der Organisation überaus häufig frequentiert. „Numbers come daily and absorb our time“ bemerkte Redpath in einem Bericht an Victorien Plésance.144 Allerdings muss festgehalten werden, dass längst nicht jede und jeder die Informationsangebote des Bureau in Anspruch nehmen und damit auf gleiche Weise an der Verknüpfung von Menschen in Boston und anderen Orten in Nordamerika mit Haiti teilhaben konnte. So konnten die wenigsten das Bureau in Boston persönlich aufsuchen, da die meisten der potentiellen Emigrantinnen und Emigranten eben nicht in Boston oder der näheren Umgebung lebten und sie eine längere Anreise nicht auf sich nehmen konnten oder wollten. Auch die Bibliothek war letztendlich nur von solchen Leuten nutzbar, die lesen konnten. Unter den Adressen in New York und Boston konnten die Mitarbeiter des Bureau von Interessentinnen und Interessenten schriftlich erreicht werden, wobei eine Vielzahl von Personen die Beantwortung der Post im Auftrag von Redpath übernahm. Antworten auf die so erhaltenen Anfragen wurden von den Angestellten des Bureau archiviert, in dem sie entweder in gebundenen Briefbüchern abgeschrieben oder mithilfe von Durchschlagspapier kopiert wurden. Viel der Korrespondenz, die das Bureau verließ, ist so erhalten geblieben, und lässt aufgrund der darin enthaltenen Antworten indirekt Aufschlüsse über die Fragen zu, die potentielle Emigrantinnen und Emigranten äußerten. Die ausgehenden Briefe beantworteten häufig Fragen nach Reisemodalitäten oder der Finanzierung der Überfahrt nach Haiti. Nicht selten wurden den Antwortschreiben Publikationen des Bureau beigefügt. Ausgaben des „Guide to Hayti“ waren gratis erhältlich. Die potentiellen Emigrierenden wurden lediglich dazu aufgefordert, das Porto nachträglich zu erstatten.145 Während zwar die Mehrheit der Anfragen offenkundig von Männern verfasst worden waren, kam ein nicht unerheblicher Teil der Korrespondenz von Frauen, die sich für Emigration nach Haiti interessierten. Ein Antwortbrief des Agenten A.E. Newton an die Korrespondentin Lewis lässt vermuten, dass Lewis sich als alleinstehende Frau für Emigration nach Haiti interessierte, aber befürchtete, als Frau keinen Anspruch auf das durch die Regierung Haitis zur Verfügung gestellte kostenlose Land zu haben. Newton konnte diese Befürchtung entkräften: „[F]emales who emigrate to Hayti are equally eligible to grants of land with
Phillips. Redpath bat Plésance nachdrücklich darum, ihm eigene Bücher zur Verfügung zu stellen. 144 Redpath an Plésance, 20. November 1860, Haiti. Bureau of Emigration, BPL. 145 Vgl. beispielsweise Brief von A.E. Newton, Agent des Bureau, an die Korrespondentin Lewis, 14. März 1861, in: Redpath Letterbook, Duke Univ.
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males. It is very common there for females to cultivate the soil, and it is much more easily done than in this country.“146 Dass Lewis befürchtet hatte, als alleinstehende Frau nicht für den Erhalt von kostenlosen Land zu qualifizieren, verwundert kaum, da in den Publikationen des Bureau permanent und ausschließlich Männer als Initiatoren der Migration angesprochen und alleinstehende Frauen zumindest ab 1862 ausdrücklich nicht als Emigrantinnen erwünscht waren, wie ich ausführlicher in Kapitel drei darlege. Erneut zeigt sich an diesem Beispiel, dass Geschlecht die Teilnahme an Vernetzungsprozessen in erheblichem Maße strukturierte. Gleiches galt für Bildung: Um mit dem Bureau direkt in schriftliche Kommunikation zu treten, die Publikationen des Bureau zu Rate zu ziehen, oder die Bibliothek in Boston zu konsultieren, war es unabdingbar, lesen und schreiben zu können. Die Möglichkeit, an der transnationalen Konstitution von Gemeinschaft mitzuwirken war demnach in hohem Maße exklusiv, wenngleich diese Exklusivität zumindest teilweise dadurch reduziert wurde, dass die Agenten auf ihren Reisen mündlich mit potentiellen Emigrantinnen und Emigranten kommunizierten. Darüber hinaus erhielten Emigrierende, die nicht lesen und schreiben konnten, häufig Hilfe von denjenigen, die dieser Fähigkeiten mächtig waren. So gehörte beispielsweise zu der Gruppe aus Windsor, mit denen die Proctors emigrierten, mindestens eine Person, die nicht lesen und schreiben konnte. Es handelte sich dabei um den ehemals versklavten William Turner, wie in einer durch das Bureau angefertigten Liste festgehalten wurde.147 Es ist davon auszugehen, dass Turner von den Personen in der Gruppe, die alphabetisiert waren, Informationen und Unterstützung erhalten hatte. Dennoch konnte nicht jede und jeder gleichermaßen an der Konstitution von Gemeinschaft teilhaben, die sich eben auch durch den Umgang mit Artefakten wie den Broschüren des Bureau ergab.
146 Ebd. 147 Liste der Gruppe aus Windsor, Proctor Papers, Folder I. Interessanter Weise war nur bei Turner explizit vermerkt, dass dieser weder lesen und schreiben konnte. Gleichzeitig war bei zwei weiteren Personen vermerkt, dass diese lesen konnten, was möglicherweise darauf hindeutet, dass sie allerdings nicht schrieben. Bei einem einzigen Reisenden war vermerkt, dass dieser sowohl lesen, als auch schreiben konnte. Da die anderen Emigrierenden auf der Liste unmarkiert blieben, bleibt offen, wie es um ihre Alphabetisierung bestellt war.
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D IE P UBLIKATIONEN DES H AYTIAN B UREAU OF E MIGRATION Die Fähigkeit, lesen zu können, war selbstverständlich auch dann von Nöten, wenn Menschen sich mithilfe der Publikationen des Bureau über Haiti informieren wollten. Um eine größere Öffentlichkeit kurzfristig auf die Emigrationsorganisation aufmerksam zu machen, hatte Redpath unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Haiti im September 1860 damit begonnen, in Zeitungen wie etwa der New York Tribune sogenannte Circulars zu veröffentlichen, die knapp über die Emigrationsbewegung informieren sollten.148 Gleichzeitig hatte Redpath damit begonnen, einen Informationsratgeber über die von der haitianischen Regierung finanzierte Emigration nach Haiti herauszugeben. Das knapp 200-seitige Buch mit dem Titel „A Guide to Hayti“ setzte sich aus Aufsätzen und Kapitel unterschiedlicher Autoren zusammen, die von einer von James Redpath verfassten Einleitung begleitet wurden. Die Erstausgabe erschien im Dezember 1860.149 In späteren Ausgaben wurde eine von Präsident Geffrard verfasste Einladung nach Haiti abgedruckt. Bis Ende 1861 gab es mehr als zehntausend Kopien des „Guide“, das nun in elfter Auflage vorlag.150 Das Buch beinhaltete Kapitel zur Geschichte, zur Geographie und zum Klima Haitis. Außerdem wurden neben der Verfassung des Staates unter anderem verschiedene die Emigrationsbewegung betreffende offizielle Dokumente zusammengetragen. Andere Abschnitte hatten eher einen praktischen Charakter. Sie befassten sich mit der Bevölkerung Haitis, der Sprache, Religion und der Wirtschaft. Es ließ sich eine Übersicht über die haitianischen Münzen finden, und zudem ganz konkrete Hinweise zur Emigration und den Dienstleitungen des Haytian Bureau of Emigration. Zwar betonte Redpath in seiner Einleitung die Korrektheit des Emigrationsführers. Er machte aber gleichzeitig deutlich, dass das Buch nur die „essential facts“ beinhalte. Deshalb forderte er potentielle Emigrantinnen und Emigranten dezidiert dazu auf, sich für weitere Informationen an das Bureau in Boston zu wenden.151 Das Buch wurde sowohl von den Agenten auf ihren Informationsreisen verteilt, als auch per Post an interessierte Personen verschickt. Im Februar 1861 versandte beispielsweise der Agent Newton zweihundert Ausgaben des
148 Siehe: Wöchentlicher Bericht Nr. 1 von Redpath an Plésance, 3. November 1860, Haiti. Bureau of Emigration, BPL. 149 Redpath (Hg.), A Guide to Hayti. Boston: Thayer & Eldridge, 1860. 150 Redpath, „At the Eleventh“, S. 4. Vergleiche auch McKivigan, Forgotten Firebrand, S. 69. 151 Redpath, „Introduction“, S. 11.
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Ratgebers an einen gewissen J.E. Williams, dessen Aufenthaltsort und Funktion leider nicht weiter beschrieben wurden. Redpath hatte in diesem Zusammenhang angeordnet, dass der „Guide“ nicht an „weiße“ Personen auszuteilen sei. „Mr. Redpath directs me to say that you are to sell guides only to colored people“, hieß es so in jenem Schreiben von Newton an Williams.152 Durch die Versendung per Post wurden auch solche Regionen erreicht, die von Agenten der Emigrationsorganisation nicht bereist wurden. Eine solche Region war beispielsweise der Staat Kalifornien, der erst 1850 ein Teil der USA geworden war und im Zuge des sogenannten Goldrausches neben weißen Siedlerinnen und Siedlern auch tausende African Americans angezogen hatte. Ebenfalls per Post verschickt wurde die Pine and Palm, die offizielle Zeitung der Emigrationsorganisation. Hervorgegangen war die Pine and Palm aus der afroamerikanischen Zeitung Weekly Anglo-African, die seit 1859 in New York City erschienen war und die so renommierte Verfasser und Verfasserinnen vorzuweisen hatte wie etwa Mary Ann Shadd Cary.153 Im März 1861 hatte Redpath die Zeitung gekauft und den Afroamerikaner George Lawrence als Herausgeber eingesetzt, bevor er die Zeitung schließlich im Mai in Pine and Palm umbenennen ließ und zum offiziellen Presseorgan154 der Emigrationsorganisation ernannte. In der Pine and Palm wurden neben Berichten über Haiti auch Informationen über Reisemodalitäten veröffentlicht, so etwa wann das nächste Schiff nach Haiti auslaufen sollte. Die Pine and Palm wurde im Abonnement innerhalb der USA und nach Kanada sowie Haiti verschickt. Vermutlich noch mehr als der „A Guide to Hayti“ trug die Zeitung dazu bei, Menschen in unterschiedlichen Regionen in Nordamerika und darüber hinaus in Haiti mit einander in Verbindung zu bringen. Die so konstituierte Gemeinschaft gründete sich dabei auf die Vorstellung, dass schwarze Menschen aufgrund ihrer race zusammengehörten. So war, wie
152 A.E. Newton an J.E. Williams, 19. Februar 1861, Redpath Letterbook, Duke Univ. 153 Vgl. Rhodes, Mary Ann Shadd Cary, S. 141-147; siehe auch: McHenry, Elizabeth, „‚An Association of Kindred Spirits‘ Black Readers and their Reading Rooms“, in: Augst, Thomas/Carpenter, Kenneth E. (Hg.), Institutions of Reading: The Social Life of Libraries in the United States. Amherst: University of Massachusetts Press, 2007, S. 99-118. Die Zeitung unterhielt, wie McHenry darlegte, in New York City einen sogenannten Reading Room, der sowohl als Bibliothek als auch als Veranstaltungsraum diente. 154 Siehe Wöchentlicher Report Nr. 28, Redpath an Plesance, 31 März 1861, in: Letters and Reports of James Redpath, LOC. Vgl. auch McKivigan, Forgotten Firebrand, S. 69.
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Tiffany Patterson und Robin D. Kelley mit Blick auf historische Vorstellungen der Black Diaspora festhalten, die Formation der Gemeinschaft schwarzer Menschen, die im Kontext der Emigrationsbewegung angerufen und hergestellt wurde, „both process and condition“ und dabei unmittelbar an Macht- und Herrschaftsstrukturen geknüpft.155 Neben verschiedenen Editorials und den oben bereits erwähnten Circulars, in denen die Agenten der Emigrationsorganisation gelistet waren oder die Bedingungen der Emigration knapp dargestellt wurden, wurden hier Briefe von Menschen veröffentlicht, die sich entweder für Emigration interessierten oder sogar schon nach Haiti emigriert waren und ihre Erfahrungen schilderten. Während einige der veröffentlichten Briefe als Leser- und Leserinnenbriefe explizit an die Pine and Palm gerichtet waren, handelte es sich bei einer Vielzahl der Briefe um Ausschnitte aus persönlicher Korrespondenz entweder an das Bureau oder an Freunde und Verwandte in den USA. Habhaft wurden die Herausgeber der Zeitung dieser persönlichen Korrespondenz wenn ihnen Korrespondenten oder die Adressaten diese zusandten und darum baten, sie in der Zeitung zu veröffentlichen, um ihre Inhalte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Viele meinten, das Geschriebene könne eine Relevanz auch für einen größeren Personenkreis haben. So nutzen Leserinnen und Leser der Pine and Palm die Zeitung ganz bewusst dazu, einen größeren Personenkreis zu erreichen und ihre Meinungen und Erfahrungen kundzutun, oder Grüße an eine größere Personengruppe öffentlich auszusprechen.156 Allerdings wurden sie zweifellos von den Herausgebern der Pine and Palm dazu ermutigt, ihre Korrespondenz öffentlich zu Verfügung zu stellen. Ebenfalls in der Pine and Palm veröffentlicht wurden Berichte, die die Rekrutierungsversuche der Agenten auf ihren Reisen durch verschiedene Regionen in den USA und Kanada darlegen sollten. So schrieb H. Ford Douglas am 5. Mai 1861 aus Chicago von seinen Bemühungen, Emigrierende zu rekrutieren: „My company of seventy-five is now complete […] They will sail in the month of September, but I intend to go out in June in order to get a good location and make such other arrangements as the comfort and convenience of our little party shall require on their arrival in this land of promise.“157
155 Patterson/Kelley, „Unfinished Migrations“, S. 11. 156 Über den Inhalt dieser veröffentlichten Briefe wird in Kapitel drei detaillierter berichtet. 157 Pine and Palm, 29. Juni 1861.
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Zudem wurden in der Zeitung auch die Namen solcher Personen veröffentlicht, die sich bisher lediglich zur Emigration entschlossen, aber die USA noch nicht verlassen hatten.158 Neben solchen Erfolgsmeldungen und den Briefen potentieller Emigrantinnen und Emigranten wurden außerdem in den Ausgaben der Pine and Palm vom 1. und 8. Mai 1861 detaillierte Listen über bereits emigrierte Personen veröffentlicht. Darin wurde unter anderem die Namen der einzelnen Emigrantinnen und Emigranten, ihr Geburtsstaat, ihr letzter Aufenthaltsort in den USA, sowie das Datum ihrer Reise, der Abreisehafen und das Schiff, mit denen die Menschen die USA verlassen hatten festgehalten und für die Leserinnen und Leser der Pine and Palm öffentlich gemacht.159 Vermutlich sollte anhand dieser Veröffentlichungen gezeigt werden, wie umfangreich die Bewegung war, und wie geographisch weit verstreut das Emigrationsbüro wirkte. So wurde das in der Pine and Palm dargelegte Bild über Haiti und Migrationserfahrungen dorthin in hohem Maße durch die Auswahl der zu veröffentlichenden Texte durch die Herausgebenden vorstrukturiert. Die meisten Darstellungen gaben ein äußerst positives Bild über die Emigrationsbewegung wieder.160 Gleichzeitig rühmte sich die Pine and Palm allerdings ihrer vermeintlich authentischen, objektiven Berichterstattung. Die Herausgeber versuchten so, die Zeitung als objektives und korrekt berichtendes Presseorgan darzustellen, das Kritik an der Emigrationsorganisation zulassen konnte. Tatsächlich erfuhr das Bureau schon bald erhebliche Kritik von Seiten bereits Emigrierter. Schon ab dem Frühjahr 1861 zeichnete sich ab, dass viele Menschen mit ihrer Situation in Haiti völlig unzufrieden waren. In Reaktion auf die Unzufriedenheit vieler Emigrantinnen und Emigranten in Haiti veröffentlichte die Pine and Palm am 28. Dezember 1861 unter dem Titel „All Sides Speak Out“ Briefe verschiedener Kritikerinnen und Kritiker der Emigrationsorganisation: „We have published, and are willing to publish in full, the statements of any emigrant who will speak the truth, whether their testimony is favorable or unfavorable to Hayti, and the emigration project of its President. For two or three months past we have had only the most meagre and unsatisfactory accounts from emigrants – unsatisfactory, we mean in as
158 Ebd., 14. Dezember 1861. 159 Vgl. etwa Ausgaben der Pine and Palm am 1. Mai; 8. Mai 1861. 160 McKivigan spricht dementsprechend über James Redpath als „the guiding voice of propaganda on behalf of Haitian emigration“ und macht deutlich, dass die Pine and Palm ein im hohem Maße positives Bild über die Emigrationsbewegung hervorbringen wollte, McKivigan, Forgotten Firebrand, S. 69.
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much, as the slight testimony was so conflicting that is was impossible to form a correct judgement from it. Some were all praises – others were all curses.“161
Dieser Erklärung folgten Briefe Emigrierter. Während hier auf die einzelnen Briefe nicht weiter eingegangen werden soll, zeichnet sich schon in dem Kommentar der Herausgeber deutlich der Versuch ab, eine Vielzahl von Meinungen über die Bewegung zuzulassen und damit ein vermeintlich umfassendes, objektives und authentisches Bild über Haiti abzubilden. Vermutlich kann davon ausgegangen werden, dass die Herausgeber die hier veröffentlichten Briefe selektiert hatten und somit die Möglichkeiten der Leserinnen und Leser sich ein „correct judgement“ zu bilden in ihrem Sinne vorstrukturierten. Darüber hinaus hatten die Herausgeber viele der veröffentlichten Briefe mit Kommentaren versehen, die die Wahrnehmung der Leserinnen und Leser zumindest zu einem gewissen Grad bedingten.162 Nichtsdestotrotz kann ist anzunehmen, dass die Pine and Palm wie auch die Publikation „A Guide to Hayti“ konstitutive Bestandteile in der Verbreitung von Information über Emigration nach Haiti und den damit einhergehenden Formierungen einer Gemeinschaft waren. Diese Gemeinschaft erstreckte sich nicht nur über die verschiedensten Regionen der USA, sondern überschritt mit ihrer Verbreitung in Kanada und Haiti auch nationale Grenzen. Für Menschen in Nordamerika boten beide Publikationen die Möglichkeit, sich über Emigration nach Haiti zu informieren. Dabei trugen sowohl der Inhalt der Publikationen als auch ihre Verbreitung zur Formierung eines Netzwerkes von Menschen bei. Insbesondere die Pine and Palm diente als ein Mittel, mithilfe dessen Menschen in Nordamerika und Haiti miteinander in Kontakt treten konnten.
D IE P ROCTORS
IN H AITI : „E MIGRATION TO FROM THE TOWNSHIP OF S ANDWICH “
H AYTI ,
Wie sich die Proctors über Emigration nach Haiti und das Haytian Bureau of Emigration informierten, kann hier nicht eindeutig geklärt werden. Möglicherweise begegneten die Proctors den Agenten des Bureau Alexandre Tate und John Brown Jr., als diese Ende Mai 1861 Windsor in Kanada besuchten, wohin die Familie erst Ende 1860 gezogen waren. In einem seiner wöchentlichen Be-
161 Pine and Palm, 28. Dezember 1861. 162 Ebd.
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richte an Auguste Plésance hatte Redpath von dem Verlauf des Besuches der beiden Agenten in Windsor berichtet. Es hieß in seinem Bericht: „Mr. Tate reports that 40 to 50 Emigrants will leave Windsor in Canada on the 8th to sail from Boston on the 15th of June. Mr. Tate writes the colored men of Canada are the very class Haiti needs laborious, frugal, enterprising, intelligent.“163
Möglicherweise hatten Alexandre Tate und seine Berichte über Haiti auch Margret und Alexander Proctor begeistert, denn sie gehörten zu eben jener Gruppe von Emigrantinnen und Emigranten, die am 15. Juni an Bord des Schoners Pearl von Boston in Richtung Saint Marc, Haiti auslaufen sollte.164 Möglicherweise hatten die Proctors sich aber schon lange vor dem Besuch von Tate und Brown im Mai 1861 für die Emigration nach Haiti entschieden. Diese Vermutung gründet sich unter anderem auf eine leider undatierten Liste des Bureau, die sich heute im Nachlass der Familie Proctor befindet. Auf dieser Liste sind insgesamt 24 Personen aus Sandwich in Windsor, Kanada verzeichnet, die beabsichtigten im Frühsommer 1861 nach Haiti zu emigrieren.165 Ich möchte hier kurz auf diese Liste eingehen. Denn obwohl die Liste nicht datiert ist, lässt sie Rückschlüsse über die Emigration der Proctors, sowie auf die Dokumentationspraktiken des Haytian Bureau of Emigration zu. In der zum Teil vorgedruckten Überschrift der Liste, die „Emigration to Hayti, from the township of Sandwich, County of Essex, Canada West 1861” lautete, waren einzelne Komponenten, die hier kursiv markiert sind, handschriftlich nachgetragen worden.166 Zudem wurden auf der Liste in fünfzehn vorgegebenen Spalten persönliche Daten der Emigrierenden handschriftlich festgehalten. Neben dem Namen, dem Alter, dem legalen Status, der Anzahl möglicher Kinder sowie der Konfessionszugehörigkeit der Personen wurde nach der Erwerbstätigkeit sowie zusätzlichen beruflichen Qualifikationen gefragt. Außerdem wurde dargelegt, ob die Personen in der Vergangenheit auf einer Plantage gearbeitet hatten, und wenn ja, welchen Aufgaben sie dort nachgekommen waren. Zuletzt wurde festgehalten, ob die Emigrantinnen und Emigranten finanzielle Unterstützung durch das Bureau in Anspruch nehmen wollten, und ab welchem Zeitpunkt die Personen ihre derzeitigen
163 Report Repath to Plésance, 27 Mai 1861, Letters and Reports of James Redpath, LOC. 164 Vgl.„Articles of Agreement“, Proctor Papers, Folder I. Siehe auch Krause, „Color Scales“, S. 28. 165 Ebd. 166 Township of Essex bezeichnet einen Ortsteil von Windsor, Kanada.
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Wohnorte verlassen konnten. Eine zusätzliche Spalte bot Raum für weitere Bemerkungen.167 Die ersten vier Personen auf der Liste waren Alexander Proctor, Margaret Proctor, deren Alter jeweils mit 47 vermerkt war, sowie zwei ihrer Söhne, William A. Proctor, 21 Jahre alt und unverheiratet, und Samuel L. [?] Proctor, 14 Jahre alt. Dass Alexander Proctor in der Aufzählung der Familie als erstes auftauchte, vermag kaum zu verwundern, korrespondierte dies doch mit der Vorstellung, dass Männer als Ehepartner und Väter die Position des Familienoberhauptes einnahmen und die Familien nach außen repräsentierten und leiteten. Vergleichen wir die Auflistung der Proctors mit denen anderer Familienverbände, so ist allerdings auffällig, dass Margaret Proctor als einzige verheirate Frau mit vollem Namen genannt wurde, während die anderen Ehefrauen unter dem Kürzel „Mrs.“, aber ohne eigene namentliche Nennung unter den Namen ihrer Ehemänner auftauchten. Über die Gründe für die von dieser Praxis abweichende volle Nennung des Namens von Margaret Proctor kann letztendlich nur spekuliert werden. Möglicherweise deutete die Nennung ihres vollen Namens darauf hin, dass Margaret innerhalb der Gruppe eine hervorgehobene Stellung zugeschrieben wurde. Vielleicht wurde dies zum einen durch die Seniorität Margarets bedingt, denn sie und Alexander waren mit Abstand die ältesten genannten Personen. Vielleicht waren die Proctors auch Initiatoren der Emigration dieser Gruppe gewesen und hatten eine Art Führungsposition eingenommen. Bemerkenswert ist auch die Berufsbezeichnung der beiden. Alexander Proctor wurde als „clergyman“ geführt, während Margaret als einzige Frau auf der Liste als „housekeeper“ gelistet wurde. Im Vergleich dazu wurden alle anderen erwachsenen männlichen Personen auf der Liste als Farmer geführt. Bei den übrigen gelisteten Ehefrauen blieb die Spalte „Profession or Trade“ sogar leer. Dass Alexander Proctor ebenfalls Kenntnisse als Farmer und außerdem Schreiner hatte, ging lediglich aus der Spalte hervor, in der zusätzliche berufliche Qualifikationen vermerkt waren. Daraus lässt sich schließen, dass Alexander Proctor sich selbst haupttätig als Geistlicher verstand beziehungsweise von anderen so wahrgenommen wurde. Auf dem Formular ebenfalls nicht namentlich genannt wurden jüngere Kinder. Hier wurde lediglich die Anzahl jeweils männlicher und weiblicher Kinder, ihr Alter, sowie unabhängig vom Faktor Geschlecht die Gesamtanzahl der emigrierenden Kinder festgehalten. Die Aufzählung der Kinder war in der Liste hinter
167 Auf der mir vorliegenden Liste, auf der auch die Proctors verzeichnet waren, wurde in dieser Spalte bei einigen Personen vermerkt, ob diese lesen und schreiben konnten. Bei den Proctors blieb diese Zeile allerdings leer.
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dem Namen ihrer Väter festgehalten, was einmal mehr zur Konstituierung der Männer als Familienoberhaupt beitrug. Auf der Liste ist Mai 1861 als Zeitpunkt vermerkt, ab dem die Emigrantinnen und Emigranten Windsor in Ontario frühestens verlassen konnten. Bevor Menschen die Emigration nach Haiti antreten konnten, gab es eine Vielzahl von Dingen zu erledigen. Viele der Emigrierenden waren, wie in Kapitel drei besprochen wird, Farmer, die entweder Land pachteten oder sogar selbst besaßen. Vor der Ausreise nach Haiti mussten deshalb beispielsweise Pachtverträge beendet oder Land und dazu gehörende Gebäude verkauft werden, oder eine entsprechende Ausrüstung für die angestrebte Tätigkeit in Haiti sorgfältig zusammengestellt werden.168 Oft hielten zudem ausstehende Ernten die Menschen von einer kurzfristigen Abreise nach Haiti ab. Wann genau die Proctors Windsor in Kanada verließen, um am 15. Juni 1861 an Bord des Schoners Pearl in Boston gehen zu können, ist nicht klar. Ebenso wenig ist klar, wie und auf welche Weise die Familie von Ontario nach Boston reiste. Eine Möglichkeit, von Windsor an die US-amerikanische Ostküste zu gelangen, war per Boot über den Eriesee und den Erie Kanal von Buffalo bis zum Hudson River nach New York City, von wo aus Boston sowohl per Schiff als auch per Zug zu erreichen war.169 Allerdings riet das Bureau Emigrierenden beispielsweise aus Toledo in Ohio, das knapp einhundert Kilometer südlich von Windsor am US-amerikanischen Ufer des Eriesees lag, die Reise aus dem Mittleren Westen per Zug zurückzulegen.170 Egal, ob sie per Zug oder Schiff nach Boston reisten: aufgrund alltäglicher rassistischer Schikanen waren auch im US-amerikanischen Norden Reisen für African Americans oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. In einer 1881 erschienenen Fassung seiner vielfach überarbeiteten Autobiographie beschrieb beispielsweise Frederick Douglass in einem extra diesem Thema gewidmetem Kapitel ausführlich zahlreiche Formen rassistischer Diskriminierung, die er auf seinen häufigen Reisen im Nordosten der USA gemacht hatte. Darunter befand sich auch eine Beschreibung eines Zwischenfalls während einer Schiffsreise auf dem Hudson River in Richtung New York City, also jener Rute, die
168 Wie in Kapitel drei ausführlicher besprochen, machte das Haytian Bureau of Emigration sehr elaborierte und konkrete Vorschläge darüber, welche Ausrüstungsgegenstände Menschen im Idealfall mit nach Haiti nehmen sollten. 169 Für eine Geschichte des Erie Kanals siehe Sheriff, Carol, The Artificial River: The Erie Canal and the Paradox of Progress, 1817-1862. New York: Hill and Wang, 1996. 170 Pine and Palm, 8. Juni 1861.
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eventuell auch die Proctors auf ihrem Weg von Windsor nach New York bereist hatten: „On my way down the Hudson river, from Albany to New York, at one time, on the steamer Alida, […] I ventured, like any other passenger, to go, at the call of the dinner bell, into the cabin and take a seat at the table; but I was forcibly taken from it and compelled to leave the cabin. My friends, who wished to enjoy a day’s trip on the beautiful Hudson, left the table with me, and went to New York hungry and not a little indignant and disgusted at such barbarism.“171
Auch in anderen Verkehrsmitteln mussten African Americans damit rechnen, dass ihnen beispielsweise der Zugang zu Sitzplätzen verweigert wurde, oder dass sie Restaurants nicht besuchen konnten. Auch eine Übernachtung in Hotels oder Pensionen, die weiße Amerikanerinnen und Amerikaner beherbergten, wurde African Americans häufig versagt. Als geschäftstüchtige Reaktion auf diese rassistischen Praktiken waren in vielen größeren Städten im Norden der USA von African Americans sogenannte Boarding Houses eröffnet worden, die sich darauf spezialisiert hatten, schwarze Reisende zu beherbergen.172 Auch in der Pine and Palm wurde in zahlreichen Inseraten für solche Übernachtungsmöglichkeiten geworben. Falls die Proctors auf ihrer Reise von Windsor nach Boston in einer der Orte entlang ihrer Reiserute übernachten mussten, hätten sie sich also in der Pine and Palm oder in einer anderen afroamerikanischen Zeitung über entsprechende Angebote informieren können.173 Während die Anreise von den jeweiligen Wohnorten der Menschen in eine der Hafenstädte der Nordostküste der USA von dem Emigrierenden individuell und eigenständig organisiert werden musste, kümmerte sich das Haytian Bureau of Emigration um die Überfahrt nach Haiti. Dazu charterte das Bureau Segelschiffe, die größere Gruppen von Emigrantinnen und Emigranten nach Haiti transportierten. Die Überfahrt beispielsweise von New York nach Saint Marc konnte je nach Wind- und Wetterlage bis zu drei Wochen dauern und wurde von
171 Douglass, Life and Times, S. 467. 172 James Oliver Horton legt dar, dass es für afroamerikanische Haushalte in den Städten des Nordens nicht unüblich war, Zimmer an andere schwarze Menschen zu vermieten. Siehe Horton, Free People of Color, S. 30. 173 Siehe beispielsweise Pine and Palm vom 18. Mai 1861 für Anzeigen für verschiedene Übernachtungsangebote in New York City und New York State; Pine and Palm vom 14. Dez. 1861 für eine Anzeige für ein Boarding House in Harrisburg, Penn; Pine and Palm vom 6. März 1862 für Übernachtungsangebote in New York City.
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vielen Emigrierenden als äußerst belastend wahrgenommen. Viele litten während der langen Überfahrt an der Seekrankheit oder anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der lange Aufenthalt in der relativen Enge an Bord mit sich brachte. Nicht selten kam es zu Todesfällen unter den Passagieren, wobei häufig ältere Menschen, Kinder oder bereits zuvor gesundheitlich beeinträchtigte Personen zu Tode kamen.174 Bevor die Proctors an Bord der Pearl von Boston nach Saint Marc übersetzten, hatten sie möglicherweise die Räumlichkeiten des Bureau in der Washington Street besucht. In jedem Fall unterzeichnete Alexander Proctor vor dem Auslaufen des Schiffes eine Vereinbarung über die Bedingungen der Emigration. Die Vereinbarung bestand aus einem standardisierten Vordruck, in der Redpath, der das Dokument in seiner Funktion als Direktor der Emigrationsgesellschaft ebenfalls unterzeichnet hatte, die persönlichen Daten der Emigrierenden in das Formular eingefügt hatte. Auf dem Kopf des Formulars waren die Nationalembleme Haitis abgebildet. Aus dem Inhalt der Vereinbarung geht unter anderem hervor, dass die Familie von der Emigrationsorganisation Tickets für die Überfahrt erhalten hatte, und sich im Gegenzug dazu verpflichtete, die durch das Bureau getragenen Kosten zurückzuzahlen, falls sie Haiti vor Ablauf von einer Frist von drei Jahren wieder verlassen würden. Die Vereinbarung sah außerdem vor, dass die Proctors die Kosten für die Überfahrt innerhalb von drei Jahren nach Unterzeichnung der Vereinbarung zurückzuzahlen hatten, wenn sie sich von der Regierung Haitis Land gratis zuweisen ließen.175 Wie vom Haytian Bureau of Emigration festgelegt, konnten nur Personen, die sich als „LABORERS and FARMERS“ qualifizierten, finanzielle Unterstützung durch die Emigrationsorganisation erhalten.176 Es ist anzunehmen, dass das Ausbleiben von finanzieller Unterstützung erhebliche Effekte auf die Möglichkeit der Emigration haben konnte, waren doch ein nicht unerheblicher Teil der Menschen, die sich möglicherweise für Emigration nach Haiti interessierten, ehemalige Sklavinnen und Sklaven, die meist kaum über finanzielle Mittel verfügten. Darüber hinaus richteten sich, wie ausführlicher in Kapitel zwei und drei diskutiert wird, die Angebote des Haytian Bureau of Emigration ohnehin ganz dezidiert an freie African Americans im Norden der USA und in Kanada, während Sklavinnen und Sklaven zumindest nicht direkt angesprochen wurden. Die Überfahrt nach Haiti auf einem Segelschiff wurde mit achtzehn Dollar pro Er-
174 Vgl. beispielsweise Hollys Darstellung der Übersiedlung nach Haiti, in: Pine and Palm, 14. Dez. 1861. 175 Siehe „Articles of Agreement“, Proctor Papers, Folder 1. 176 Siehe beispielsweise „Circular VI“, in Pine and Palm, 18. Juli 1861.
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wachsenem veranschlagt. Darin war die Verpflegung an Bord enthalten. Mitzubringen hatten die Migrierenden für die Überfahrt aber zusätzlich: „[A] mattress, two feet wide, and bedding, a gallon tin can (for water), a tin cup, a tin plate, knife and fork, a few pounds of soap, and towels, with such extra utensils as may deemed necessary to hold the daily rations.“177
Es ist davon auszugehen, dass diese Auflagen völlig unvermögenden Personen die Überfahrt nach Haiti zumindest erschwerte. Die Überfahrt der Proctors von Boston nach Saint Marc in Haiti dauerte knapp drei Wochen. Nachdem die Passagiere der Pearl am 9. Juli in Saint Marc an Land gegangen waren, wurden sie dort von Angehörigen der Emigrationsorganisation in Empfang genommen und mit einer vorläufigen Unterkunft sowie Lebensmitteln versorgt. Dies geht aus einem in Auszügen in der Pine and Palm veröffentlichten Brief der Emigrantin Anna J. McIndoe hervor, den diese an ihre Verwandten in den USA gerichtet hatte: „We did not go ashore until late in the afternoon. Then we went to a house where they gave us a good dinner of beef, wild sweet potatoes, and boiled bananas. Then after a little while we went to the house where we were going to stay. […] The rooms are large. […] Two other families stop in the same room – Mrs. Proctor’s and Mrs. William’s families, who came on the small vessel we did.“
178
Dabei wird deutlich, dass der Prozess der Reise nach Haiti ein Moment war, indem Menschen, die sich vorher nicht begegnet waren, zueinander in Beziehung kamen. Wie viele andere Personen, die mithilfe des Haytian Bureau of Emigration nach Haiti auswanderten, siedelten die Proctors im Tal des Flusses Artibonite, der im Westen in den Golf von Gonâve mündete. Dort stellte die Regierung Haitis den Emigrierten Flächen zur landwirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung und verschaffte einigen Häuser. Welche Erfahrungen die Proctors in Haiti machten, ist leider bestenfalls bruchstückhaft überliefert. Im Nachlass der Familie Proctor findet sich ein auf den 12. März 1864 datierter Brief, der von einer nicht weiter identifizierten Person Namens J. A. Retham unterzeichnet worden ist. Dieser erwähnte, dass Alexander Proctor beim Aufbau einer Baptistenkirche mit dazugehöriger Schule in
177 Diese Angaben wurden regelmäßig im „Circular IV“ in der Pine and Palm veröffentlicht, siehe beispielsweise 18. Juni 1861. 178 Pine and Palm, 24. August 1861.
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Port-au-Prince mitwirkte. Über diese Unternehmung hieß es in dem Brief: „He goes to Port-au-Prince to effect certain missionary ideas, which if fully carried out will be, or may be, beneficial to a country even at this moment to suffer in more than midnight darkness.“179 Die Tatsache, dass Alexander Proctor am Aufbau einer missionarischen Einrichtung arbeitete, deutet auf die engen Verknüpfungen der Emigrationsbewegung mit religiösen Praktiken und einem damit verbundenen Selbstverständnis vieler Emigrantinnen und Emigranten als christlich-missionarische Aktivisten hin.180 Ich habe zu Beginn dieses Kapitels dargelegt, dass Religion die Gemeinschaft schwarzer Menschen, die im Kontext von Emigration nach Haiti imaginiert wurde, bedingte und strukturierte. So verstanden sich viele Emigrierende als Teil einer missionarischen Bewegung, die im Sinne einer Manifest Destiny Protestantismus und Fortschrittlichkeit von den USA nach Haiti tragen sollte. Wie in Kapitel drei ausführlicher dargelegt wird, erlebten viele der Emigrantinnen und Emigranten Krankheiten und den Verlust von Familienangehörigen, engen Freunden und Nachbarn. Bei vielen stellten sich zudem ökonomische Schwierigkeiten ein, denn die erfolgreiche Bewirtschaftung des ihnen zugeteilten Lands gelang vielen in den ersten Monaten in Haiti nicht im gleichen Maße wie erhofft.181 Andererseits schrieben auch viele Emigrantinnen und Emigranten dem Umzug nach Haiti emanzipatorische Effekte zu, und bewerteten ihre Situation in Haiti als überaus positiv. Wie sich der Alltag der Proctors in Haiti gestaltete, und wie sie ihre Emigrationserfahrung bewerteten, kann leider nicht weiter rekonstruiert werden. Eine Bemerkung in einem Brief von Margaret Proctors Schwester Elisabeth Jackson an die Proctors in Haiti im Januar 1865 deutet allerdings darauf hin, dass die Emigrantin in ihren Briefen aus Haiti in die USA das Gefühl von Fremdheit und Einsamkeit artikuliert hatten. Dies deutet ein Brief von Margarets Schwester Elisabeth an, in dem diese Haiti als „far away country“ be-
179 Brief von J. A. Retham, 12. März 1864, Proctor Papers, Folder 1. 180 Vgl. Krause, S. 31. 181 Dies soll keinesfalls andeuten, dass alle Emigrierten in Haiti „scheiterten“. Die Pine and Palm vermeldete auch zahlreiche Erfolge von Emigranten und Emigrantinnen in Haiti. Dabei sollte allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass die Pine and Palm möglicherweise gezielt gerade solche Erfolgsmeldungen veröffentlichte. Gegnerinnen und Gegner der Emigrationsorganisation wiederum nahmen die Schwierigkeiten der Emigrierten zum Anlass, um ihre Kritik zu untermauern.
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schrieb, und als einen Ort, an dem die Familie „away from kindhood & good friends“ lebe.182 Die Arbeit des Haytian Bureau of Emigration sowie seine Publikationen wurden im September 1862 eingestellt.183 „The Haitian movement ended not with a bang, but with a whimper“ beschreibt Chris Dixon das Ende der Emigrationsorganisation.184 Als ein möglicher Grund für die Schließung des Bureau muss die generelle Unzufriedenheit der Emigrantinnen und Emigranten in Haiti genannte werden. Parallel dazu erfuhr das Bureau enorme Kritik von Seiten der afroamerikanischen Presse.185 Außerdem richtete sich jetzt die Aufmerksamkeit vieler Emigrationisten und Emigrationistinnen verstärkt auf den Verlauf des USamerikanischen Bürgerkrieges, der die Abschaffung der Sklaverei in den USA in greifbare Nähe rücken ließ.186 Einige Emigrierte entschlossen sich möglicherweise dazu, in die USA zurückzukehren und in die Unionsarmee einzutreten und auf diese Weise gegen Sklaverei und Rassismus zu kämpfen. Alexander Proctor kehrte nicht in die USA zurück. Er starb im Mai 1865 in oder in der Nähe von Saint Marc.187 Seine Witwe Margaret allerdings blieb weiterhin in Bewegung. Sie und ihre Söhne verließen Haiti innerhalb eines Jahres in Richtung USA, wo Margaret zunächst bei Elisabeth in Oxford, Ohio, dann bei ihrem Sohn William in Kalamazoo, Michigan und schließlich in Detroit lebte,
182 Brief von Elizabeth Jackson an „Nephew“ in Haiti, 3. Januar 1865, Proctor Papers, Folder 1. 183 Siehe Pine and Palm, 4. September 1862, vgl. auch Dixon, African America, 2000, S. 207. 184 Dixon, African America, S. 205. 185 Vgl. ebd. 186 Abraham Lincoln hatte im September 1862 den Konföderierten Staaten ein Ultimatum gesetzt: Mit dem 1. Januar 1863 sollte die Sklaverei in allen Staaten abgeschafft werden, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht in die Union zurückgekehrt waren. Da keiner der Konföderierten Staaten Lincolns Ultimatum nachkam, wurde die sogenannte Emancipation Declaration offiziell mit dem 1. Januar 1863 und faktisch zu dem Zeitpunkt wirksam, an dem Unionstruppen Kontrolle über Gebiete der Konföderierten Staaten übernahmen. Darüber hinaus befreiten sich viele Versklavte selbst, indem sie beispielsweise die Plantagen verließen um sich den Unionstruppen anzuschließen. Vgl. Finzsch, Von Benin nach Baltimore, S. 298-309. 187 Siehe Todesurkunde ausgestellt durch das Bureau de l'État Civil in Saint Marc, Haiti am 30. Mai 1865, in Proctor Papers, Folder 1. Vgl. auch Krause S. 31.
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wo sie 1886 erneut heiratete.188 Auch über die Gründe für die Rückkehr von Margaret und ihren Söhnen in die USA kann hier letztlich nur spekuliert werden. Sicherlich beeinflusste das bereits oben angedeutete Gefühl von Heimweh und Einsamkeit in Haiti ihren Entschluss, zu ihrer Familie in den USA zurückzukehren. Möglicherweise hatten die Proctors zudem in Haiti nicht die wirtschaftlichen Erfolge erzielen können, die sie sich erhofft hatten. Außerdem hatte sich das Land, in das die Proctors zurückkehrten, verändert. „I see […] large numbers of slaves, but now free men, coming in from the South, shouting, singing and praising god“ hatte Margarets Schwester ihre Eindrücke von den Folgen des sich abzeichnenden Ende der Konföderierten Staaten und der Selbstbefreiung der versklavten Menschen beschrieben.189 Möglicherweise hatte sie dabei bei ihrer Schwester und ihren Neffen die Hoffnung geweckt, dass nun ein besseres und freieres Leben in den USA möglich sei.
188 Vgl. ebd., S. 31-32. Offensichtlich war zumindest Margarets Sohn William bereits kurz nach oder sogar schon vor Alexanders Tod im Mai 1865 in die USA zurückgekehrt, denn in einem auf den 11. Mai 1866 datierten Brief, in dem er Bezug auf den angekündigten Umzug seiner Mutter nach Kalamazoo nimmt, gibt er an, selbst schon knapp ein Jahr in Michigan zu leben. Aus Williams Brief wird außerdem deutlich, dass Isaac zu diesem Zeitpunkt bereits in Kanada lebte. Margaret hingegen verließ Haiti im April 1866, wie das Schreiben des US-amerikanischen Konsuls belegt. Dass sie spätestens am 7. Mai in den USA eingetroffen war, lässt sich aus einem auf den 11. Mai datierten Antwortschreiben ihres Sohnes auf einen auf den 7. Mai datierten Brief erkennen. Hätte Margaret den Brief am 7. Mai aus Haiti losgeschickt, wäre er auf keinen Fall bis spätestens dem 11. Mai bei ihrem Sohn in Michigan eingegangen. Margarets ältester Sohn Joseph war, wie aus Elizabeth Jacksons Brief vom 3. Januar 1865 (in Proctor Papers) hervorgeht, in die Unionsarmee eingetreten und als Teil des 54th Massachusetts Regiments in der Nähe von Charleston von Truppen der Konföderierten Staaten gefangen genommen worden. Krause legt dar, dass Joseph Proctor beim Kampf um Fort Wagner ums Leben kam, siehe Krause, S. 31. 189 Brief von Elizabeth Jackson an „Nephew“ in Haiti, 3. Januar 1865, in: Proctor Papers, Folder 1.
2 „Hayti, the home of the Black race“: Positionen Haitis in einer globalen Diaspora
„Hayti will soon regain her ancient splendor. This marvellous soil that our fathers, blessed by God, conquered for us, will soon yield to us the wealth hidden in its bosom. Let our black and yellow brethren, scattered throughout the Antilles, and North and South America, hasten to co-operate with us in restoring the glory of the Republic. Hayti is the common country of the black race. […] [A]ll the descendants of Africans, and of the inhabitants of the West Indies, belong by right to the Haytian family. […] Listen, then, all ye negroes and mulattoes who, in the vast continent of America, suffer from the prejudice of caste. The Republic calls you; she invites you to bring to her your arms and your minds. The regenerating work that she undertakes interests all colored people and their descendants, no matter what their origin, or where their place of birth. Hayti, regaining her former position, retaking her ancient sceptre of Queen of the Antilles, will be a formal denial, most eloquent and peremptory, against those detractors of our race who contest our desire and ability to attain a high degree of civilization.“1
Unter dem Titel „Invitation“ konnten Leserinnen und Leser den obigen von Fabre Geffrard, Präsident Haitis unterzeichneten Text in verschiedenen Publikationen des Haytian Bureau of Emigration finden. Geffrards Darlegungen können als programmatischer Text gelesen werden, in dem sowohl die Zielsetzungen der Migrationsbewegung aus Perspektive der Regierung Haitis ebenso wie auch die Position Haitis in einer globalen Diaspora dargelegt wurden. Das folgende Kapitel befasst sich dem entsprechend zum einen mit den Zielen von Migration nach Haiti und stellt dabei also zunächst ganz konkret die Frage, was anhand von
1
Siehe beispielsweise Geffrard, „Invitation“, in: Redpath (Hg.), A Guide, S. 5; ders., Pine and Palm, 6. Juli 1861 und weitere Ausgaben der Zeitung.
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Migration aus den USA nach Haiti erreicht und welche Veränderungen herbeigeführt werden sollten. Dabei greift das Kapitel grundsätzliche Fragen dieser Arbeit auf und untersucht, wie Haiti und seine Position innerhalb einer schwarzen Diaspora im atlantischen Raum in verschiedenen programmatischen Texten verortet wurden, die von Befürwortenden von Emigration nach Haiti verfasst und veröffentlicht wurden. Schon in Geffrards Einladung zeigt sich, dass Haiti gleichzeitig eine Vielzahl von komplexen und teilweise divergierenden Positionen zugeschrieben wurde. Zukunft und Vergangenheit, Geschlecht und race, Emanzipation, Zivilisiertheit, Staatsbürgerlichkeit und Fortschritt, die Kontinente Afrika und Amerika – all dies sind Themen, die in der Einladung zu einer komplexen Erzählung verwobenen wurden. Im Folgenden geht es darum, die möglichen diskursiven Verortungen dieser Erzählung aufzuzeigen und sie dabei zu dekonstruieren. Ich argumentiere, dass die Darstellungen von Migration nach Haiti sich sowohl als Teil eines Dekolonisierungsdiskurses als auch eines Kolonisierungsdiskurses verstehen lassen. Haiti war ein Ort, der sowohl als Symbol erfolgreicher schwarzer Dekolonisierung, Unabhängigkeit und Emanzipation gefeiert wurde, auf den aber gleichzeitig auch Kolonisierungsabsichten abzielten, die nicht zuletzt als Teil eines Diskurses um Manifest Destiny und protestantisch-christliche Missionierung verstanden werden müssen.2 Gehen wir von Michel Rolph Trouillots überzeugender These aus, dass die Haitianische Revolution als ein undenkbares Ereignis wahrgenommen wurde3 und übertragen diese auf die marginalisierte Position des Staates Haiti in dominanten Diskursen der 1850er und 60er Jahre, zeigt sich folgendes: einerseits zogen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen den Staat Haiti vielfach heran, um die Politikfähigkeit und Staatsbürgerlichkeit schwarzer Menschen unter Beweis zu stellen und beispielsweise unter African Americans Werbung für Migration nach Haiti zu machen. Andererseits verknüpften viele Befürworter und Befürworterinnen der Emigrationsbewegung Haiti mit Vorstellungen von Rückständigkeit und Unzivilisiertheit, die die Zugeständnisse an die Gleichwertigkeit Haitis in einem in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch jungen globalen Staatengefüge un-
2
Zu Emigration nach Haiti als Missionierungsbewegung, siehe Maffly-Kipp, Laurie, „The Serpentile Trail: Hatian Missions and the Construction of African American Religious Identity“, in Bays, Daniel H./ Wacker, Grant (Hg.), The Foreign Missionary Enterprise at Home: Explorations in North American Cultural History, Tuscaloosa [u.a.]: Univ. of Alabama Press, 2003, S. 29-42; dies., Setting Down the Sacred Past, S. 109-153.
3
Trouillot, Silencing the Past.
P OSITIONEN H AITIS IN EINER
GLOBALEN
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abhängiger Republiken zumindest zu einem gewissen Grad relativierte. Der Staat Haiti blieb so nur eingeschränkt und nicht unhinterfragt denkbar. Ich habe bereits angedeutet, dass Haiti im Kontext der Migrationsbewegung als ein Teil eines komplexen globalen Gefüges verstanden wurde. In Geffrards Einladung sind auf den ersten Blick gleich mehrere Orte zu identifizieren, die in diesem globalen Gefüge von Bedeutung waren: Haiti, Nord- und Südamerika, die Antillen und nicht zuletzt Afrika. Fragen wir also nach der Position Haitis innerhalb dieser Formation, müssen wir diesen Ort in seinem relationalen Verhältnis zu anderen Orten betrachten. Die dabei imaginierte transatlantische Gemeinschaft war keinesfalls eine Gemeinschaft von Gleichen, sondern eine überaus hierarchisch strukturierte Formation, „situated within global race and gender hierarchies“, wie Patterson und Kelley in ihrem einflussreichen Aufsatz „Unfinished Migrations: Reflections on the African Diaspora and the Making of the Modern World“ bemerken.4 In der Imagination und Herstellung dieser Gemeinschaft wurden, Haiti, und darüber hinaus in ganz anderer Qualität auch Afrika, zum kolonialen Anderen.5
„S CATTERED “: H AITI
ALS DIASPORISCHER
O RT
Wie oben bereits angedeutet, wurde in Geffrards Einladung nach Haiti eine Vielzahl von Orten erwähnt. Fremdheit und Zugehörigkeit innerhalb eines transatlantischen Raums, der sich entlang dieser Orte aufspannte, spielten in der Einladung von Migrantinnen und Migranten nach Haiti eine wichtige Rolle. Die Eingeladenen wurden als „black and yellow brethren scattered throughout the Antilles, and North and South America“ beschrieben. Bleiben wir bei diesem Bild: In der Beschreibung der Gruppe als „scattered“ deutet sich zunächst der Zustand von Dislokation an. Dabei wird eine fast beliebige Verstreuung von Menschen jenseits und außerhalb eines Raumes, zu dem sie vermeintlich eigent-
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Patterson/Kelley, „Unfinished Migrations“, S. 11. Während Geschlecht in Überlegungen zu der Formation von imaginierten Gemeinschaften wie etwa Nationen oder der African Diaspora keine Rolle gespielt hat (prominente Beispiele sind etwa die Untersuchungen von Anderson oder Gilroy), plädieren Kelley und Patterson in ausdrücklich dafür, Geschlecht in die Analyse mit einzubeziehen.
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Eine Beschreibung des Prozesses des „othering“ hat beispielsweise Mary Louise Pratt vorgelegt, siehe: Pratt, Mary Louise, „Scratches on the Face of the Country; or, what Mr. Barrow saw in the Land of the Bushmen“; in: Critical Inquiry, 12/1 1985, S. 138162, hier S. 139.
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lich und essentiell gehörten, beschrieben. Eng damit verknüpft deutet die Beschreibung „scattered“ eine willkürliche Verteilung von Menschen an, die auf den Verteilungsprozess keinen aktiven Einfluss nehmen konnten, sondern ihm passiv unterlagen. Ohne Zweifel beschrieb Geffrards Text hier den transatlantischen Menschenhandel, in dessen Folge seit dem 16. Jahrhundert Millionen von Afrikanerinnen und Afrikanern in die sogenannte Neue Welt verschleppt worden waren, um dort auf gestohlenem Land Profite für europäische Kolonisatoren zu erwirtschaften. Geffrards Einladung stellt dieses Ereignis als eines dar, dem Menschen sich nicht widersetzen und auf das sie kaum Einfluss nehmen konnten. Dabei wurden die Antillen sowie Nord- und Südamerika zu einem Raum diasporischen Fremdseins, in dem schwarze Menschen im Verlauf des transatlantischen Sklavenhandels ohne Kontrolle ergreifen zu können, verstreut worden waren und in dem sie letztendlich fremd waren. Das Bild der Verstreuung und des Fremdseins wurde in der Einladung allerdings nicht auf Afrikanerinnen und Afrikaner selbst, sondern in erster Linie auf ihre als „black and yellow brethren“ bezeichneten Nachkommen angewandt. Gleichzeitig zeigte sich neben der Idee des Fremdseins auch die Vorstellung von dezidierten Zugehörigkeiten und Zusammengehörigkeiten dieser Gruppe. So stellte Geffrard überhaupt erst eine Verbindung zwischen schwarzen Menschen in den Amerikas und dem Kontinent Afrika her. Er knüpfte dabei an populäre zeitgenössische Vorstellungen an, nach denen Afrikanerinnen und Afrikaner und jene Menschen in den Amerikas, die als ihre Nachkommen galten, eine Gemeinschaft bildeten, obwohl sie durch die Versklavung räumlich voneinander getrennt waren. Ihre Gemeinsamkeit wurde über ihren vermeintlichen afrikanischen „Ursprung“ definiert. In diesem Kontext möchte ich auf die Tatsache eingehen, dass die Gruppe der Eingeladenen in Geffrards „Invitation“ in „negroes“ und „mulattoes“ beziehungsweise Mittels der gängigen zeitgenössischen Beschreibung und Kategorisierung von Hautfarbe in „black and yellow brethren“ unterteilt wurden. Vor allem in Haiti, und in einem geringeren Maße auch in den USA spielte Hautfarbe in der gesellschaftlichen Positionierung von Menschen, die auf irgendeine Art und Weise als „afrikanisch“ identifiziert wurden und/oder sich selbst identifizierten, eine enorme Rolle. So stellten in der Geschichte Haitis mit wenigen Ausnahmen solche Menschen die gesellschaftliche Elite, die als „mulattoes“ galten. Dabei hatten sich teilweise divergierende politische Positionen und Herrschaftsansprüche sowie aus diesen resultierende Konflikte häufig entlang der gleich-
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wohl überaus fluiden Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen angeordnet.6 Indem die Einladung „negroes“ und „mulattoes“ als unterschiedliche Gruppen erwähnte, wurde einerseits eine Differenz zwischen den beiden hergestellt. Andererseits wurden dennoch beide Gruppen als Angehörige einer als „black race“ bezeichneten Gruppe klassifiziert. Dabei wurde eine Gemeinschaft hergestellt, die sich über den gesamten amerikanischen Kontinent erstreckte und die darüber hinaus unmittelbar mit Afrika verknüpft war. Die Verknüpfung von schwarzen Menschen in den Amerikas mit dem Kontinent Afrika findet sich auch in James Redpaths Kapitel „A Parting Word“, das am Ende des „Guide to Hayti“ erschien. Darin hieß es: „Hayti, the home of the Black race, the only country in which it has successfully competed in arms against the Slavery to which Europe condemned, and in which America has held it, invites you, common children of her ancient Motherland, to become a part of her household, and share equally with her own sons the destiny which the Almighty Overruler has marked out from the beginning for her and for you!“7
Wie Geffrard verwies Redpath auf die historische Erfahrung der Versklavung in den Amerikas und zeigte auf Afrika als Ursprungsort einer als „black race“ bezeichneten globalen Gemeinschaft. Ich habe bereits zuvor darauf hingewiesen, dass diese Gemeinschaft überaus hierarchisch strukturiert war, und möchte diesen Gedanken aufnehmen, um im Folgenden Afrikas Position innerhalb dieser Gemeinschaft zu beleuchten.
AFRIKA
ALS
„ ANCIENT
MOTHERLAND “
Wenn es in diesem Kapitel also um die Positionen Haitis innerhalb der als Black Diaspora bezeichneten Formation gehen soll, warum taucht dann Afrika hier so prominent auf? Wie ich bereits dargelegt habe, muss die Diaspora als eine Formation verstanden werden, die meist unter Einbeziehung verschiedener Orte als
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Vgl. Nicholls, David, From Dessalines to Duvalier: Race, Colour and National Independence in Haiti, London: MacMillan Caribbean, 31996 (1979); Foner, „The Free People of Color“. Eine ähnliche Aufteilung findet sich auch Jamaica, siehe Heuman, Gad, Between Black and White: Race, Politics, and the Free Coloreds in Jamaica, 1792-1865, Westport, Conn.: Greenwood, 1981. Zur rassifizierten Aufteilung der Bevölkerung Saint Domingues vor der Revolution siehe: Garrigus, Before Haiti.
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Redpath, „A Parting Word“, in: Redpath, S. 171-175, hier S.175.
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relevante Bezugspunkte hergestellt wurde. Fragen wir also nach der Position Haitis innerhalb dieser Formation, müssen wir diesen Ort in seinem relationalen Verhältnis zu anderen Orten betrachten. Als ein solcher Ort ist Afrika zu nennen, dem in verschiedenen Vorstellungen von Diaspora ebenso verschiedene Bedeutungen zugeschrieben werden. Welche Rolle also spielte Afrika in den von Geffrard und Redpath beschriebenen Konstellationen? Oder, um eine weitere von Kelley und Patterson formulierte Frage aufzugreifen, „how [is] […]Africa conceptualized in relation to its diaspora“?8 Mit dem Verweis auf die afrikanische „Abstammung“ der Gruppe in Geffrards „Invitation“ wurde Afrika zwar einerseits als Ursprungsort der Verstreuung markiert. Darüber hinaus traten allerdings andererseits weder Afrika als Kontinent, noch Afrikanerinnen und Afrikaner aktiv in Erscheinung. Stattdessen wurden als potentielle Emigrantinnen und Emigranten nach Haiti ganz explizit Menschen angesprochen, die sich in den Antillen und Nord- und Südamerika, und damit außerhalb Afrikas aufhielten. Ähnliches gilt für Redpaths „Parting Word“. Zwar sprach Redpath die Eingeladenen ganz allgemein als „Black race“ an. Afrikanerinnen und Afrikaner traten in seiner Darstellungen jedoch ebenfalls nicht aktiv auf. Deutlich tritt dabei eine Hierarchisierung zutage, die Haiti gegenüber Afrika begünstigte. Um dies weiter auszuführen, möchte ich zunächst bei dem Verhältnis der zur Emigration nach Haiti aufgeforderten Gruppe zu dem Kontinent Afrika bleiben. Bemerkenswert ist dabei zunächst, dass Redpath dieses Verhältnis als ein familiäres darstellte, indem er schwarze Menschen in den Amerikas als „common children“ eines „ancient motherland“ beschrieb. Diese Bezeichnung verwies darauf, dass Afrika zwar als Ursprung der Gruppe galt, gleichzeitig aber weit in der Vergangenheit zurücklag. Der Kontinent trat in den Emigration- und Emanzipationsplänen dem entsprechend kaum aktiv zutage. Afrika nahm als „ancient motherland“ und Ursprung demnach zwar eine wichtige, aber dennoch hierarchisch untergeordnete Rolle in der schwarzen Diaspora ein, die Redpath in seinem „Parting Word“ imaginierte. Das Verhältnis von Afrika zu seiner Diaspora muss gerade in diesem Kontext als geschlechtlich strukturiert verstanden werden. Dabei wurden nicht nur Menschen geschlechtlich kategorisiert und auf bestimmte gesellschaftliche Positionen verwiesen, sondern geschlechtliche Zuschreibungen auch auf Orte und Räume übertragen. Afrika wurde mit der Bezeichnung „ancient motherland“ mit einem weiblich konnotierten Begriff beschrieben und gleichzeitig in einer zeitlichen Terminologie als etwas Altes und Vergangenes dargestellt. Dass Weiblichkeit und Vergangenheit in der Imaginati-
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Patterson/Kelley, „Unfinished Migrations“, S. 11.
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on von Gemeinschaften zusammengedacht werden, ist bemerkenswert, aber keinesfalls ungewöhnlich. So verweist beispielsweise Anne McClintock darauf, dass Geschlecht und Zeit in der Konstruktion von Nationen häufig mit einander verknüpft wurden: „Women are presented as the atavistic and authentic body of national tradition (inert, backward-looking, and natural), embodying nationalism’s conservative principle of continuity. Men, by contrast, represent the progressive agent of national modernity (forwardthrusting, potent, and historic), embodying nationalism’s progressive, or revolutionary, principle of discontinuity.“9
Während also nationale Gemeinschaften in der Regel immer dann in einer männlichen Terminologie als aktiv und progressiv beschrieben wurden, wenn es um die Zukunft der Gemeinschaft ging, wurde die Vergangenheit mit Begriffen und Verhaltensweisen beschrieben, die als typisch weiblich galten. Verstehen wir Geffrards und Redpaths Texte als Beiträge zu einem nation-building, das allerdings nationale Grenzen überschritt, so repräsentierte Afrika als „ancient motherland“ die passive und weibliche Seite der imaginierten Gemeinschaft. Als Mutter der verstreuten Gemeinschaft bedeutete Afrika Herkunft und Ursprung, aber auch Inaktivität und Rückständigkeit. Sowohl Geffrard als auch Redpath stellten Afrika demnach als Ort da, der zwar in einer direkten und familiären Beziehung zu schwarzen Menschen in den Amerikas stand, aber kaum mehr eine aktive und gegenwärtige Rolle spielte und stattdessen in Passivität verharrte.
„B LACK
AND YELLOW BRETHREN “: MÄNNLICHER E MANZIPATION
H AITI
ALS
O RT
In welchem Verhältnis stand Haiti zu der geschlechtlich strukturierten Darstellung Afrikas? Zunächst sei festgehalten, dass Geffrard Haiti als „Queen of the Antilles“ beschrieb, die Reichtümer in ihrer weiblichen Brust versteckt halte.
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McClintock, „‚No Longer in a Future Heaven‘: Gender, Race and Nationalism“, in: dies. (Hg.), Dangerous Liaisons, S. 98-112, hier. S. 92. Siehe auch: Wenk, Silke, „Gendered Representations of the Nation’s Past and Future“, in: Blom, Ida [u.a.], Gendered Nations: Nationalisms and Gender Order in the Long Nineteenth Century, Oxford: Berg, 2004, S. 63-77, hier S. 66. Für eine grundsätzliche Diskussion der Konstrukte Nation und Geschlecht und ihrer Verknüpfungen, siehe: Yuval-Davis, Nira, Gender & Nation. London [u.a.]: SAGE, 1997.
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Auch wurde Haiti dementsprechend immer dann mit Begriffen beschrieben die auf Weiblichkeit verweisen, wenn es darum ging, einen passiven, rückständigen und zugleich ursprünglichen Zustand darzustellen, der nutzbar gemacht, oder um hier selbst eine männlich sexualisierte konnotierte Formulierung aufzugreifen, befruchtet werden konnte. Gleichzeitig wurde die in der „Invitation“ und dem „Parting Word“ angesprochene Gruppe der potentiellen Emigrantinnen und Emigranten nach Haiti ausschließlich männlich adressiert. Beispielsweise wurden die von der haitianischen Regierung nach Haiti Eingeladenen als „black and yellow brethren“, also als Brüder bezeichnet, die, wie es in Redpaths „Parting Word“ hieß, in der Karibik mit den Söhnen Haitis zusammentreffen sollten. Auf den ersten Blick stellte sich die Emigrationsbewegung deshalb als Unternehmung dar, die sich vor allem an Männer richtete. Wie in Kapitel drei ausführlicher besprochen wird, emigrierten auch Frauen von den USA nach Haiti, und ihr Zuzug war, wenn sie als Teil von Familien kamen, sogar überaus erwünscht. Nichtsdestotrotz waren die in der „Invitation“ und dem „Parting Word“ Angesprochenen männlich. Die Emigrationsbewegung zielte darauf ab, schwarzen Männern die Möglichkeit zu geben, dominante Ideale von Männlichkeit auszuleben – etwas, das vielen in den USA verwehrt blieb, wie ich später noch ausführlicher darlege. „The association of the white race with masculine characteristics was common during the nineteenth century. Equally common was the depiction of the black race in feminine terms“ konstatiert in diesem Zusammenhang Chris Dixon.10 Er weist darauf hin, dass schwarze Menschen beispielsweise von zeitgenössischen Verfasserinnen und Verfassern häufig als „domestic race“ beschrieben und dabei als immobil und wenig dynamisch verstanden wurden.11 Dies korrespondierte wiederum mit Charakteristika, die auch als typisch weiblich gedacht wurden. Vorurteile über diese vermeintlichen „domestic characteristics of dark-skinned people“ und die damit verknüpfte Feminisierung sollten, so Dixon, anhand der Emigration nach Haiti widerlegt werden.12 In dieser dezidiert männlichen Konnotation der Emigrationsbewegung zeigt sich zugleich auch das emanzipatorische Potential des Umzuges in die karibische Republik. Haiti, in dessen jüngerer Geschichte schwarze Menschen sich während der Revolution in einem bewaffneten Kampf erfolgreich gegen weiße Kolonialbesatzer und europäische Armeen durchgesetzt hatten, galt als Symbol von Wehrhaftigkeit und Unabhängigkeit. Haiti qualifizierte sich also vor allem auch
10 Dixon, African America, S. 165. 11 Dixon zitiert hier einen Brief von James Theodore Holly an Frank P. Blair, Jr. vom 30. Januar 1858, siehe ebd. 12 Ebd.
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deshalb als „home of the Black race“, weil, wie James Redpath in seinem „Parting Word“ verdeutlichte, Angehörige dieser Gruppe von Menschen sich hier „successfully“ und „in arms“ gegen Versklavung aufgelehnt hatten. Diese Feststellung barg auf zweierlei mit einander verschränkten Ebenen emanzipatorisches Potential. Erstens hatte der bewaffnete Kampf der Revolutionäre ganz konkret zur Abschaffung der Sklaverei und der Emanzipation von Sklavinnen und Sklaven geführt. Zweitens hatte auch die Vorstellung, dass schwarze Männer in Haiti dominante zeitgenössische Ideale von Männlichkeit ausleben konnten einen enormen emanzipatorischen Wert. Während schwarze Männlichkeiten in den USA in der Regel marginalisiert wurden, wurde Haiti gerade deshalb als Heimat für African Americans verstanden, weil hier die Auslebung dominanter Entwürfe von Männlichkeit möglich zu sein schien. Zweifellos gab es in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA wie zu allen anderen Zeiten eine ganze Reihe von Männlichkeitsentwürfen. Diese stellten Ideale dar und konnten von den wenigsten tatsächlich eingelöst werden. Allerdings war ein wichtiges Thema in dominanten US-amerikanischen Entwürfen von Männlichkeit die Vorstellung, dass das Tragen von Waffen in Verteidigung von Familie, Besitz und Nation männliches Verhalten charakterisiere.ϭϯ Wenn allerdings die wenigsten euroamerikanischen Männer in den USA diese Idealvorstellungen erfüllen konnten, so gilt dies erst recht für afroamerikanische Männer. Viele von ihnen lebten als Versklavte im US-amerikanischen Süden und hatten selten und keinesfalls öffentlich Zugang zu Waffen. Dies muss deshalb als besonders prekär verstanden werden, weil das Tragen von Waffen nicht nur als ideelle Anerkennung verstanden wurde, sondern auch auf praktischer Ebene
13 Zu Idealen von Männlichkeit in den USA in der Mitte des 19. Jahrhunderts siehe u.a. Greenberg, Manifest Manhood; Carnes, Mark C./Griffe, Clyde (Hg.), Meanings for Manhood: Constructions of Masculinity in Victorian America. Chicago: University of Chicago Press, 1990; Finzsch/Hampf, Michaela, „Männlichkeit im Süden, Männlichkeit im Norden. Zur Genese moderner amerikanischer Männlichkeitskonzepte in der Epoche des Bürgerkriegs (1861-1865)“, in: WerkstattGeschichte 29, 2001, S. 43-59; Speziell zu afroamerikanischen Männlichkeiten, siehe: Hine, Darlene/Jenkins, Earnest (Hg.), The Construction of Black Male History and Manhood, 1750-1870. A Question of Manhood: A Reader in U.S. Black Men’s History and Masculinity; 2 Bde. Bloomington: Indiana University Press, 1999; Cullen, Jim „‚I’s a Man Now‘: Gender and African American Men“, in: Clinton, Catherine/Silber, Nina (Hg.), Divided Houses: Gender and the Civil War. New York [u.a.]: Oxford University Press, 1992, S. 76-91; Friend, Craig T./Glover, Lorri, „Rethinking Southern Masculinity: An Introduction“, in: dies. (Hg.), Southern Manhood, S. vii-xvii.
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ganz konkret zu einer Privilegierung solcher Menschen führte, die Waffendienst für den Staat leisten konnten oder/ und mussten – also weiße männliche Staatsbürger.14 Auch galten schwarze Männer im hegemonialen Diskurs nicht als unabhängige Familienoberhäupter, sondern vielmehr als Personen, die von weißen Sklavenbesitzern auf einer Vielzahl von Ebenen abhängig waren. Auch vielen freien African Americans blieb aufgrund von rassistischen Repressalien eine Lebensweise versagt, die diesen Männlichkeitsidealen entsprach.15 Ausgenommen von den Privilegien voller Staatsbürgerschaft waren neben anderen Gruppen und Individuen grundsätzlich und allgemein Frauen und African Americans jedweden Geschlechts. Die Privilegierung einer Gruppe von Menschen gegenüber anderen hatte zudem ganz konkrete, materielle Effekte. Denn Staatsbürger einer Nation zu sein, galt spätestens seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert als wichtig. Ob und zu welchem Grad jemand als Staatsbürger galt, regelte nicht zuletzt den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen wie Bildung, Vermögen und Rechten und entfaltete darüber seine ganz konkrete alltägliche Wirkmacht. Dabei zeigt sich auf besondere Weise auch die Perfidie sowie das Unterdrückungs- und Herrschaftspotential dieser Männlichkeitsideale. Denn es soll hier ausdrücklich betont sein, dass schwarze Männer in der Regel auch dann nicht als gleichwertige Staatsbürger wahrgenommen wurden, wenn sie eine mit dominanten Männlichkeitsidealen verknüpfte Lebensweise erfüllten. So war blackness letztendlich ein marginalisierender Faktor, der andere Faktoren wie Bildung, Klasse und sonstige Lebensumstände überlagerte. Gleichzeitig zeigt sich das Un-
14 Zu den Verknüpfungen von Männlichkeit, Waffendienst und Staatsbürgerlichkeit siehe: Snyder, R. Claire, Citizen-Soldiers and Manly Warriors: Military Service and Gender in the Civic Republic Tradition. Lanham [u.a.]: Rowman & Littlefield, 1999; Dudink, Stefan/Hagemann, Karen, „Masculinity in Politics and War in the Age of Democratic Revolutions, 1750-1850“, in: Dudink [u.a.], Masculinities in Politics and War: Gendering Modern History. Manchester [u.a.]: Manchester University Press, 2004, S. 3-21. Siehe einführend: Martschukat, Jürgen/Stieglitz, Olaf, Geschichte der Männlichkeiten. Frankfurt (u.a.): Campus, 2008, vor allem S. 112-136. Zur Verknüpfung von Männlichkeit, Whiteness und Citizenship in der frühen US-amerikanischen Republik, siehe Kann, Mark E., A Republic of Men: the American Founders, Gendered Language, and Patriarchal Politics. New York [u.a.]: NYU Press, 1998; Nelson, Dana D., National Manhood: Capitalist Citzenship and the Imagined Fraternity of White Men. Durham [u.a.]: Duke University Press, 1998. 15 Horton, Free People, S. 80-97.
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terdrückungspotential dieser Männlichkeitsideale auch in dem grundsätzlichen Ausschluss von Frauen aus vielen Bereichen von Staatsbürgerlichkeit.
„B Y
RIGHT “:
H AITI
ALS SCHWARZER
N ATIONALSTAAT
Obige Überlegungen lassen sich ohne weiteres auf die Wahrnehmung des Staates Haiti durch viele US-amerikanische Zeitgenossinnen und Zeitgenossen übertragen. Obwohl schwarze Menschen in Haiti in einem bewaffneten Kampf erfolgreich Widerstand gegen Versklavung und europäische Kolonialherrschaft geleistet hatten, konnte die Haitianische Revolution von vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen nicht als politisches Ereignis und Haiti nicht als vollwertiger Staat im Sinne der jungen Republiken in der atlantischen Welt wahrgenommen werden. Hier zeigt sich erneut, dass race und blackness alle anderen Kriterien überlagerte – Haiti konnte nämlich deshalb von den meisten nicht als vollwertiger Staat wahrgenommen werden, weil blackness konträr zu Vorstellungen von Staatsbürgerlichkeit gedacht wurde.16 Ich habe bereits angedeutet, dass Bewaffnung, Männlichkeit und Staatsbürgerlichkeit in den USA eng miteinander verknüpft waren. Dies galt in anderer Form auch für Haiti. In ihrem Aufsatz „Sword-Bearing Citizens: Militarism and Manhood in Nineteenth-Century Haiti“ weißt Mimi Sheller darauf hin, dass sich der Staat Haiti noch viele Jahrzehnte nach der Revolution in ständiger militärischer Alarmbereitschaft oder sogar Aktivität befand: „In these difficult circumstances of state-formation, a martial image of the male citizen took on special salience; indeed, building black masculinity became a central task in the construction of Haitian national identity.“17
Sheller zeigt in ihrer Untersuchung auf, dass in Haiti Ideale von Männlichkeit und Staatsbürgerlichkeit eng mit der Partizipation an militärischem Waffendienst geknüpft waren. Dieser Verknüpfung wurde zugleich eine enorme emanzipatorische Bedeutung zugeschrieben:
16 Trouillot, Silencing the Past. 17 Sheller, Mimi, „Sword-Bearing Citizens: Militarism and Manhood in NineteenthCentury Haiti“, in: Plantation Society in the Americas, 4/2&3 (1997), S. 233-278, hier S. 233.
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„[A] fundamental aspect of the Haitian nation-building project was the elevation of the black man out of the depths of slavery into his rightful place as father, leader, and protector of his own people. Familial imagery was closely allied with a masculine call to arms and a protection of women as grateful recipients of male protection.“18
Folgen wir diesen Überlegungen, kann es nicht überraschen, dass Verweise auf erfolgreichen bewaffneten Kampf während der Revolution in den Schriften der Emigrationisten immer wieder auftauchten und dabei mit Männlichkeit und Staatsbürgerlichkeit verknüpft wurden. So beschrieb Geffrards Einladung Haiti als „marvellous soil that our fathers, blessed by God, conquered for us“. Auch Redpaths Schlussworte identifizierten Haiti bekannter Maßen als „home of the Black race, the only country in which it has sucessfully competed in arms against the Slavery to which Europe condemned, and in which America has held it“. So galt Haiti im Gegensatz zu beispielsweise Liberia gerade deshalb als ideales Emigrationsziel für African Americans, weil dort schwarze Menschen im bewaffneten Kampf ihre Unabhängigkeit erreicht hatten. Auch James Theodore Holly hatte den Aspekt der Bewaffnung als Kennzeichen für Staatsbürgerlichkeit und Männlichkeit in seinen Äußerungen über Haiti vielfach aufgegriffen. Für ihn stellte der bewaffnete Kampf einen zentralen Aspekt in der Bedeutung Haitis für schwarze Emanzipationsbewegungen in den Amerikas dar. Er war allerdings der Meinung, dass African Americans Haitianern in diesem Aspekt bei weitem unterlegen seien, da sie seiner Ansicht nach niemals aktiven Widerstand gegen Versklavung und Unterdrückung geleistet hätten. Stattdessen schlug er vor: „[L]et the American emigrants be content to be the industrial civilizers of Hayti. Let them be satisfied to occupy the same position in the country as the Bourgeoise do in Europe.“19 Der Auftrag von African Americans in Haiti war deshalb allerdings nicht weniger männlich oder weniger emanzipierend: „[C]olored Americans will find among the Haytians the most favourable field in which to obtain their manly growth to the full stature of free and independent men; and thereby vindicate their capacity to be the architects of their own fortunes, the shapers of their own destinies, and equal in every respects to the demands of the nineteenth century of modern civilization.“20
18 Sheller, 1997, S. 241. 19 Holly, „Thoughts on Hayti, Part V“, in: Anglo African Magazine I, no. 10, October 1859, S. 327-329. 20 Ebd.
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So schlussfolgerte Holly und zeigte dabei auf, dass es mehrere Möglichkeiten gab, staatsbürgerliche Männlichkeit darzustellen. In diesen Verknüpfungen von Staatsbürgerlichkeit und Männlichkeit und funktionierte blackness keinesfalls als Ausschlusskriterium. Stattdessen wurde die Staatsbürgerlichkeit, wie sie von vielen Emigrationisten imaginiert wurde, explizit mit blackness verknüpft. Sehr deutlich wird dies zunächst in der Einladung Geffards. Darin wird Haiti, wie oben bereits erwähnt, als „marvellous soil“ beschrieben, als Land, das die ausdrücklich männlich gedachten Vorväter der Zeitgenossen während der Revolution eroberten. Weiter hieß es: „Our ancestors, in taking possession of it, were careful to announce in the constitution that they published, that all the descendants of Africans, and of the inhabitants of the West Indies, belong by right to the Haytian family.“21 In diesem kurzen Abschnitt wurde eine Gründungsgeschichte Haitis beschrieben, von der erfolgreichen Innbesitznahme von Land, das zuvor von französischen Kolonialmächten kontrolliert worden war bis hin zur Veröffentlichung der Konstitution im Jahre 1804. Während in diesem kurzen Abschnitt viel passiert, möchte ich vor allem auf zwei Dinge hinweisen: Erstens benutzte Geffrard in der Beschreibung der haitianischen Revolution Familienmetaphern. Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anrufung von Familienmetaphern, wie beispielsweise auch Shellers oben zitierter Aufsatz argumentiert, in einem emanzipatorischen Kontext gelesen werden können. Auf diesen Punkt werde ich allerdings erst in einem späteren Kontext ausführlicher eingehen. Zweitens, und das erscheint mir für die Analyse unmittelbar wichtig, wurde hier darauf verwiesen, dass Schwarz-sein und Staatsbürger-sein sich nicht nur nicht ausschlossen, sondern vielmehr unmittelbar mit einander verknüpft waren. So gehörten doch „all the descendants of Africans […] by right to the Haytian family“ beziehungsweise zur haitianischen Nation.22 Hier verwies Geffrards Einladung auf eine Passage der Verfassung, die schon in der ersten Verfassung Haitis von 1804 gültig gewesen war: Alle Inhaber der haitianischen Staatsbürgerschaft galten als schwarz, und Anspruch auf die haitianische Staatsbürgerschaft konnte jeder erheben, der als Nachkomme von „Africans“ oder von „inhabitants of the West Indies“ identifiziert wurde. Gleichzeitig waren weiße Menschen in der Regel von Landbesitz und Staatsbürgerschaft ausgeschlossen.23 In einer dominanten Weltordnung, die schwarzen Menschen staatsbürgerliche Subjektpositionen absprach, musste dies sicherlich als subversiv und eman-
21 Geffrard, „Invitation“, S. 5. 22 Ebd. 23 Vgl. Nicholls, From Dessalines to Duvalier, S. 5.
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zipatorisch wahrgenommen werden, wurden hier doch eben Schwarz-sein und Staatsbürger-sein explizit miteinander verknüpft. Blieb den „black and yellow brethren scattered througout the Antilles and North- and South America“24 der Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten in den USA versagt, stand ihnen der Zugang zur haitianischen Staatsbürgerschaft hingegen offen. Von Geffrard als „common country of the black race“ bezeichnet, wurde Haiti so zu einem Ort der rechtmäßigen nationalen Zugehörigkeit schwarzer Menschen.25 Die weitläufig in den Amerikas verstreute Gemeinschaft Nation- und Heimatloser wurden dabei zu Mitgliedern einer „Haytian family“, und Haiti zu einer Heimat, an dem die Dislokation der „black and yellow brethren, scattered throughout the Antilles, and North and South America“ zu einem Ende kommen würde.26
H AITI
ALS AMERIKANISCHE
H EIMAT
Abgesehen davon, dass in Haiti schwarze Menschen überhaupt rechtmäßigen Anspruch auf Staatsbürgerlichkeit und Heimat erheben konnten, was machte darüber hinaus den karibischen Staat zu einer Heimat? Welche Qualitäten wurden diesem Ort zugeschrieben? Diesen Fragen möchte ich in den folgenden Schritten nachgehen, und dabei aufzeigen, dass Haiti als dezidiert amerikanischer Ort imaginiert wurde, an dem die „black and yellow brethren“ ihre Zugehörigkeit zum amerikanischen Kontinent in Anspruch nehmen konnten. Viele Emigrationistinnen und Emigrationisten vertraten die Idee, dass sich afroamerikanische Emigration innerhalb des amerikanischen Kontinents abspielen sollte. So hatte etwa Martin Delany, der später zu einem Befürworter von Emigration nach Afrika werden sollte, in seiner 1852 erschienenen Publikation „The Condition, Elevation, Emigration, and Destiny of the Colored People of the United States“ vehement insistiert, dass African Americans Bürger der USA seien. Da ihnen staatsbürgerliche Rechte aber vorenthalten wurden, schlug er Emigration von African Americans aus den USA dezidiert innerhalb des amerikanischen Kontinents als Mittel zur Emanzipation vor. Er argumentierte: „We must not leave this continent. America is our destination and our home.“27 Viele Ab-
24 Geffrard, „Invitation“, S. 5. 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Delany, „Condition, Elevation, Emigration, and Destiny of the Colored People of the United States“, in: Moses, Classical Black Nationalism: From the American Revolution to Marcus Garvey. New York: NYU Press, 1996, S. 101-124, hier S.115. Zu
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schnitte aus „Condition“ waren unter dem Titel „Political Destiny of the Colored Race, on the American Continent. To the Colored Inhabitants of the United States“ auf der bereits in Kapitel eins angesprochenen Cleveland Convention 1854 von Delany vorgetragen und in den „Proceedings of the National Emigration Convention of Colored People“ erneut veröffentlicht worden.28 In der Veröffentlichung hatten neben Delany auch mehrere andere männliche Emigrationisten ihren Namen unter den Text gesetzt, darunter James Theordore Holly. In den „Proceedings“ der Versammlung konnte folgendes nachgelesen werden: „[W]e predicate the claims of the black race, not only to the tropical regions and South temperature zone [Herv.i.O.] of this hemisphere, but to the whole Continent, North as well as South.“29 Dieser Ankündigung folgte eine Darstellung historischer Leistungen und Beiträge von African Americans auf dem amerikanischen Kontinent. Dabei wurde explizit die rechtmäßige Zugehörigkeit schwarzer Menschen zu den Amerikas und im speziellen zu den USA dargestellt: „The African or negro was the first available contributor [Herv.i.O.] to the country [USA], and consequently is by priority of right, and politically should be, entitled to the highest claims of an eligible citizen.“30 Da Staatsbürgerlichkeit und Freiheit schwarzen Menschen in den USA aber verwehrt blieben, sei Emigration zwingend notwendig. Nachdrücklich wurde dabei auf Emigration innerhalb des amerikanischen Kontinents und der „Western hemisphere“ gesetzt.31 Die Aktivistinnen und Aktivisten, die auf der Cleveland Convention zusammen gekommen waren, schlugen Emigration in solche Regionen vor, in denen „the black and the colored man compromise, by population, and constitute by
Delanys „Condition“ siehe: Harvey, Bruce A., American Geographics: U.S. National Narratives and the Representation of the Non-European World, 1830-1865. Stanford: Stanford University Press, 2001, S. 194-242. Wie Levine darlegt, begründete auch Frederick Douglass seine gleichwohl verhaltene Befürtwortung von Emigration nach Haiti mit der Nähe des Landes zu den USA: „By emigrating to Haiti, Douglass remarks, African Americans remain ‚within hearing distance of the wails of our brothers and sisters in bonds.ǥ“ Siehe Levine, Dislocating Race and Nation, S. 195. Levine zitiert hier aus Douglass Artikel „Emigration to Hayti“ in Douglass Monthly, Januar 1861. 28 Proceedings of the National Emigration Convention, 1854, S. 33-70. Vgl. auch Moses, Classical Black Nationalism, S. 101. 29 Proceedings of the National Emigration Convention, 1854, S. 47. 30 Ebd., S. 48. 31 Ebd. S. 53.
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necessity of numbers, the ruling element of the body politic.“32 Dabei protestierten sie zwar einerseits gegen die Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund der Kategorie race, stellten aber eine klare Aufteilung von Menschen in schwarz und weiß nicht in Frage. Als Emigrationsziele wurden verschiedene Länder in Südamerika und der Karibik, in jedem Fall aber auf dem amerikanischen Kontinent genannt. Auch James Redpath teilte in seinem „Parting Word“ im „Guide to Hayti“ Menschen in unterschiedliche Gruppen ein, die über die Kategorie race definiert wurden. Ich möchte hier zunächst darauf eingehen, welches Verständnis von race sich darin zeigte: „[I]t belongs to the same blind and false philosophy that disputes about the relative superiority of the sexes, to enquire whether the Black man or the White is more capable of a glorious future. Their missions in the world are different; and, until these are fulfilled, their identity must be preserved.“33
So argumentierte Redpath in seinen Schlussworten und offenbarte dabei ein äußerst essentialistisches Verständnis nicht nur von race, sondern darüber hinaus auch Geschlecht. Dabei ging er davon aus, dass Menschen sich in unterschiedliche rassifizierte Gruppen aufteilen ließen, und dass diese Gruppen unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen hatten. Indem er den vom ihm postulierten Unterschied zwischen „the Black man“ und „the White“ mit vermeintlich naturgegebenen geschlechtlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen verglich, unterstrich er sein biologistisch-essentialistisches Verständnis von race, denn im 19. Jahrhundert galten die Lebensaufgaben von Männern und Frauen als ebenso unterschiedlich wie natürlich vorbestimmt.34 Dem entsprechend ging Redpath davon aus, dass es eine grundsätzliche und natürliche Differenz zwischen als weiß und schwarz kategorisierten Menschen gebe und dass jede Gruppe eine dezidierte Identität habe. Dabei brachte er die Meinung zum Ausdruck, dass diese Gruppen unterschiedliche, vorbestimmte Aufgaben zu erfüllen hätten, die sie nur dann erfolgreich erledigen könnten, wenn es ihnen gelänge, ihre jeweiligen Identitäten zu bewahren. Aber genau dies könne African Americans auf dem nordamerikanischen Kontinent nicht gelingen, so Redpaths Vorhersage. Er konstatierte, dass die Gruppe in Nordamerika ihre vorbestimmte Aufgabe bereits erledigt habe, und deshalb dort als distinktive Gruppe keine Zukunft haben werde. Stattdessen prophezeite Redpath das Ver-
32 Ebd., S. 38. 33 Redpath, „A Parting Word“, S. 174. 34 Siehe auch Kapitel drei.
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schwinden der Gruppe der schwarzen Menschen in Nordamerika: „Has the Black accomplished his destiny in America? I think that in North America he has; for he is threatened with extinction here. His future is – annihilation.“35 Trotz dieser Prophezeiung sah Redpath die Zukunft der Gruppe dezidiert in den Amerikas. Denn einige Zeilen später schlug er eine Lösung vor, die sich zwar außerhalb der USA, aber dennoch innerhalb der amerikanischen Hemisphäre abspielte: „To preserve the African race in America, emigration from it is the first condition.[…] In Hayti, a far different future is open to the colored race. There, it can develop itself in freedom; there, exhibit its capacity and genius.“36
Hier zeigt sich einmal mehr, dass Redpath eine direkte Verbindung zwischen schwarzen Menschen in Nordamerika und Afrika herstellte, bezeichnete er doch die zur Emigration aufgeforderten als Angehörige einer „African race“. Gleichzeitig wird deutlich, dass Redpath African Americans als Teil der Amerikas begriff. Zwar sagte er den Untergang dieser Gruppe in Nordamerika voraus. Allerdings verlagerte er ihre Zugehörigkeit und Zukunft in den Amerikas von Nordamerika nach Haiti, das als Antilleninsel zwar nicht Teil des amerikanischen Festlandes war, aber geographisch als Teil des amerikanischen Kontinents verortet wurde. In Haiti, so seine Idee, würden African Americans eine Zukunft innerhalb der amerikanischen Hemisphäre haben. Wie aber sah die von Redpath prophezeite Annihilation aus? „Too strong to perish beneath the white man’s lash, the black race here will disappear in his arms“, postulierte er in den Schlussworten im „Guide“.37 Wie Dixon argumentiert, spielte Redpath dabei explizit auf ein von den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen überaus kontrovers diskutiertes Thema an: nämlich auf sexuelle Beziehungen zwischen Menschen, die in unterschiedlichen rassifizierten Kategorien verortet wurden.38 Redpath ging in seiner Darstellung also davon aus, dass nicht
35 Redpath, „A Parting Word“, S. 172. 36 Ebd., S. 174. 37 Ebd., S. 173. 38 „Redpath’s reference to miscegenation raised a theme prominent in abolitionist and proslavery thought“, schreibt Dixon, African America, S. 164. Der Begriff kann unter anderem deshalb als überaus problematisch kritisiert werden, da der Begriff nicht auf die Konstruiertheit von race hinweist, sondern vielmehr vermeintliche biologistische Unterschiede zwischen Menschen fortschreibt. Zur Entstehung des Begriffs siehe Hodes, White Women, Black Men: Illicit Sex in the Nineteenth-Century South. New
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etwa Gewalt, sondern vielmehr sexuelle Beziehungen zwischen schwarzen und weißen Menschen zur Annihilation der sogenannten „black race“ führen würde. Er fuhr fort: „Even the pride of giving birth to a new race will be denied to him, for the disproportion, daily becoming greater, between the Blacks and the Whites, gives the future also to the ruler of to-day.“39 Da die Anzahl weißer Amerikaner im Vergleich zu der Anzahl der afroamerikanischen Bevölkerung wesentlich höher war, ging Redpath davon aus, dass African Americans letztlich in der weißen Bevölkerung aufgehen würden. „You are trying to fight back an ocean, which, by its mere physical superiority, will throw up the bodies of your children, after a generation or two, pale and unrecognizable, on its Saxon shores.“40
So warnte er jene Menschen, die Emigration ablehnten und es für sinnvoller hielten, in den USA zu bleiben und vor Ort für Gleichberechtigung zu kämpfen. Dabei werden mehrere Dinge deutlich. Zum einen zeigt sich einmal mehr Redpaths biologistisch-essentialistisches Verständnis von race. Außerdem wird deutlich, dass Redpath die Vorstellung, jene vermeintliche „black race“ könne nach einigen Generationen „pale and unrecognizable“ innerhalb der weißen USamerikanischen Bevölkerung verschwinden, für wenig wünschenswert hielt. Dies lehnte er allerdings keineswegs ab, weil er um die vermeintliche rassische „Reinheit“ der weißen US-amerikanischen Bevölkerung besorgt war. Ganz im Gegenteil: er hielt die „fusion of the human races“ für eine unumgängliche „destiny of the future“ wie er in einem programmatischen Artikel in der Pine and
Haven: Yale University Press, 1997, S. 2. Siehe auch Pascoe, Peggy, What Comes Naturally: Miscegenation Law and the Making of Race in America, Oxford [u.a.]: Oxford University Press, 2010. Redpath war im Übrigen nur einer von vielen Zeitgenossen, die gerade im Kontext US-amerikanischer Expansion die Auflösung der races nicht nur für wünschenswert, sondern unumgänglich hielten. So hatte beispielsweise der Abolitionist und Aktivist Henry Highland Garnet bereits 1848 in seiner berühmten Rede „The Past and Present Condition, and the Destiny, of the Colored Race“ argumentiert: „the Western World is destined to be filled with a mixed race.“ Hier zitiert nach Dain, Bruce R., A Hideous Monster of the Mind: American Race Theory in the Early Republic, Cambridge, Mass. [u.a.]: Harvard University Press, 2003, S. 256. Für weitere Ausführungen zu dem Thema, das den Zeitgenossen und Zeitgenossen unter dem Begriff „amalgamation“ bekannt war, siehe ebd., vor allem S. 227-263. 39 Redpath, „A Parting Word“, S. 173. 40 Ebd. S. 174.
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Palm vom 18. Mai 1861 gegenüber seinen Leserinnen und Lesern darlegte.41 Seiner Vorstellung nach sollten dabei African Americans keinesfalls „weiß werden“ und verschwinden, sondern vielmehr zur Geburt einer neuen race beitragen, die dezidiert amerikanisch war. Außerdem imaginierte Redpath den Zusammenschluss der Amerikas und seiner Bevölkerungen zu einer Föderation unter einem „Cosmopolitan Government of the Future“.42 In dieser Formation, dessen Einflussbereich sich über den gesamten amerikanischen Kontinent erstrecken sollte, würden race und Nationalität keine Rolle mehr spielen, proklamierte Redpath. Wie fügt sich dieses vermeintliche Verwerfen von race und Nationalität ein in die Idee, dass African Americans aus den USA nach Haiti emigrieren sollten, wenn doch Haiti dezidiert als Heimat und Nation einer „black race“ beworben wurde, und Redpath darauf insistierte, dass schwarze Menschen eine dezidierte Identität bewahren sollten? Wie ließ sich dieser scheinbare Widerspruch vereinbaren? Auch darüber gab er in der Pine and Palm Aufschluss. Die Emigration von African Americans nach Haiti präsentierte Redpath als einen ersten und überaus pragmatisch gedachten Schritt in der Umsetzung eben dieser Programmatik. Mithilfe von afroamerikanischen Emigrantinnen und Emigranten, so argumentierte er, sollte Haiti in den Stand einer „great American power“ gehoben werden. „We must create a great Negro Nation“ argumentierte er, und begründete dies folgendermaßen: „Let us not be misunderstood. We do not believe in a distinctive Nationality, founded on the preservation of any race, as a finality. […] What we assert […] is this only – that, at this stage of the world’s progress, the fact of a powerful Negro Nation is a lesson imperatively needed in order that the African race, wherever it exits, may be respected as the natural equal of other families of man.“43
Hier stellte Redpath Nationalität einerseits als ein hinfälliges Konzept dar, das es zu überwinden galt. Gleichzeitig verwies er aber auch auf die Wirkmächtigkeit des Konstrukts. Tatsächlich sind Nationalismus und spezifischer „black nationa-
41 Pine and Palm, 18. Mai 1861. Aus dem programmatischen Artikel erklärt sich auch der dezidiert amerikanische gedachte Titel der Zeitung Pine and Palm: „Our policy […] is continental in scope – it embraces both the North and the South – the Arctic region and the Torrid Zone – the land of the Pine and Palm“ erklärte Redpath bezüglich des Titels des Blattes. 42 Pine and Palm, 18. Mai 1861. 43 Ebd.
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lism“ innerhalb der kritischen Black Diaspora Studies vielfach als eine wichtige politische Strategie des 19. und 20. Jahrhunderts dargestellt und dabei gleichzeitig dekonstruiert worden. Seit dem 19. Jahrhundert war die Zugehörigkeit von Menschen zu einer Nationalität mit einem vermeintlich identifizierbaren Ursprung und einer einheitlichen authentischen Kultur immer wichtiger geworden. Sie regulierte in nicht unerheblichem Maße den Zugang von Personen und Gruppen zu gesellschaftlichen Ressourcen. Gleichzeitig wurde schwarzen Menschen häufig die Fähigkeit zu „cultural integrity“ und die „capacity […] to bear and reproduce any culture worthy of the name“ ebenso abgesprochen wie Ansprüche auf die Zugehörigkeit zu nationalen Formationen.44 Die Forderung nach einer „powerful Negro Nation“ wie Redpath sie hier äußerte, muss deshalb als Strategie verstanden werden, genau diesen marginalisierenden Zuschreibungen entgegenzuwirken. Sie war zudem ein Zugeständnis an die Wirkmächtigkeit des Konzeptes Nation und unabdingbar für die Wahrnehmung von schwarzen Menschen als respektable und gleichberechtigte Partner auf dem amerikanischen Kontinent. In diesem Kontext ist es gewinnbringend, sich Redpaths Verständnis von Haitianerinnen und Haitianern zuzuwenden. Entsprechend der Verortung von Haiti als Teil der Amerikas wurden die Bewohner Haitis von Redpath als eine genuin amerikanische Gruppe dargestellt, die sich von Afrikanerinnen und Afrikanern wesentlich unterschied. So bezeichnete er zwar einerseits die zur Emigration aufgeforderten African Americans ebenso wie die Bewohner Haitis als Angehörige einer „African race“. Andererseits war er der Meinung, dass diese den Afrikanerinnen und Afrikanern überlegen waren. Redpath bediente sich einmal mehr dezidiert rassistisch-biologistischer Vorstellungen, wenn er argumentierte: „In Africa, the various races are still separate and hostile. In Hayti, they are all represented and united. The black Haytian, therefore, is the result of the mingling of all of the African bloods, and in him, as is the case with other families of men, this union has produced the best specimen of the race.“45
Einer der Gründe, weshalb Haiti als Heimat für African Americans demnach besser geeignet schien als etwa Afrika, war die Idee, dass die dort lebenden Menschen Afrikanerinnen und Afrikanern rassisch überlegen seien. Schwarze Menschen in den Amerikas stellten laut Redpath darüber hinaus eine genuin
44 Gilroy, The Black Atlantic, S. 97, siehe auch Kelley/Patterson, „Unfinished Migrations“, S. 19. 45 Redpath, „A Parting Word“, S. 174.
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neue Gruppe dar, die sich von Afrikanerinnen und Afrikanern wesentlich unterschied. Redpath stellte diesen Unterschied als ein unmittelbares Resultat der afrikanischen Diaspora in den Amerikas dar und definierte die Gruppe gerade deshalb als explizit amerikanisch. Die Idee, in Haiti die Zugehörigkeit schwarzer Menschen zum amerikanischen Kontinent reklamieren zu können, lässt sich möglicherweise auch in dem Umstand erkennen, dass Geffrard in seiner in den Publikationen des Bureaus veröffentlichten Einladung darauf verwies, dass sowohl „all the descendants of Africans“ als auch „the inhabitants of the West Indies“ zur „Haytian family“ gehörten.46 Sowohl schwarze Menschen in den Amerikas, als auch Angehöriger sogenannter indigener Bevölkerungsgruppen in der Karibik wurden hier als Teil einer größeren Gemeinschaft verstanden. Diese Gemeinschaft wurde an anderer Stelle sogar noch um Native Americans in Nordamerika erweitert. So hieß es in dem von Redpath verfassten „Circular No. I“, der regelmäßig in der Pine and Palm veröffentlicht wurde: „To the Blacks, Men of Color, and Indians in the United States and the British North American Provinces: Friends – I am authorized and instructed by the Government of the republic [Haiti] to offer you individually and by communities a welcome, a home, and a free homestead in Hayti.“47
46 Geffrard, „Invitation“, S. 5. 47 Der „Circular No. I“ war auf den 3. November 1860 datiert und wurde vor dem Erscheinen der Pine and Palm bereits in anderen Zeitungen veröffentlicht. Der Gebrauch des Begriffes „homestead“ ist hier äußerst bemerkenswert. Er verweist auf die Bedeutung, die unabhängigen Farmern in zeitgenössischen Diskursen zugeschreiben wurden. Wie ich in Kapitel drei ausführlicher darlege, galten diese als Verkörperung republikanischer Ideale. Zugleich war die sogenannte Free Soil Bewegung in den 1850er Jahren in den USA äußerst aktiv. Sie forderte unter anderem die kostenlose Zuteilung von unbebautem Land im Westen an unabhängige Farmer. Zugleich sollte auch verhindert werden, dass vermögende Sklavenbesitzer aus dem Süden der USA Land erwerben und zur bewirtschaftung druch versklavte Menschen nutzen würden. Tatsächlich erließ Präsident Lincoln 1862 den Homstead Act, der es Famern möglich machte, potentielles Farmland für sich zu beanspruchen, wenn es vermeintlich nicht genutzt wurde. Dabei wurden allerdings häufig Native Americans ihrer Ansprüche auf Land beraubt. Die Tatsache, dass Redpath hier ebenfalls den Begriff „homestead“ benutzt, verknüpft die Emigrationsbewegung mit Diskursen zu Free Soil und Republicanism in den USA. Zur Verknüpfung von Landwirtschaft und Republikanismus, siehe u.a.: Lause, Mark A., Young America: Land, Labor, and the Republican Community.
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Nicht nur African Americans, sondern auch Native Americans sollten demnach in Haiti eine Heimat finden. Dem zugrunde lag einerseits das Anliegen, eine Allianz zweier marginalisierter rassifizierter Gruppen gegen weiße Dominanz zu formieren. Gleichzeitig kann der Zusammenschluss beider Gruppen einmal mehr als eine Inanspruchnahme der Zugehörigkeit schwarzer Menschen zu den Amerikas verstanden werden. Denn schließlich wurden hier zwei Gruppen miteinander verknüpft, von denen die eine als diasporische „outsider“ markiert wurde, während die „inhabitants of the West Indies“ als indigene und eigentliche Bevölkerung des amerikanischen Kontinents galt. Die Idee, dass Haiti und seine Bewohnerinnen und Bewohner ein genuiner Teil der Amerikas waren, korrespondiert zudem mit der Tatsache, dass beispielsweise in Publikationen des Haytian Bureau of Emigration immer wieder auf die geographische Nähe Haitis zu Städten an der amerikanischen Ostküste verwiesen wurde.48 Die Verknüpfung von beispielsweise Manhattan und Haiti anhand von Verkehrsmitteln wie dem Dampfschiff ließen Haiti aus dieser Perspektive umso mehr zu einem Teil Amerikas werden.
„Q UEEN OF THE ANTILLES “: H AITI ALS W IRTSCHAFTSKRAFT Während Haiti sowohl in Geffrards Einladung als auch in Redpaths Schlussworten des „Guide to Hayti“ als Heimat schwarzer Menschen in den Amerikas dargestellt wurde, argumentierten beide Texte gleichzeitig auch, dass der Staat Haiti sich keinesfalls in einem perfekten Zustand befand, sondern verbesserungswürdig sei. So wurde in der Einladung auf Regenerierungsarbeit („regenerating work“) verwiesen, der sich Haiti unterziehen müsse, und an der afroamerikanische Emigranten aktiv teilnehmen sollten. Am Ende sollte Haiti aus diesem Prozess als „Queen of the Antilles“ hervorgehen. Auffällig ist dabei zunächst, dass in dieser Darstellung die Zukunft Haitis mit Verweisen auf die koloniale Vergangenheit des Staates beschrieben wurde. So hatte die französische Kolonie Saint Domingue unter vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen als „Queen of the Antilles“ gegolten, weil hier mehr Zucker produziert worden war, als in irgend einer anderen europäischen Kolonie in der Kari-
Urbana, Ill. [u.a.]: Univ. of Illinois Press, 2005; Phillips, Sarah, „Antebellum Agricultural Reform, Republican Ideology, and Sectional Tension“, in: Agricultural History, 74/4 (2000), S. 799-822. 48 Siehe beispielsweise Pine and Palm, 6. März 1862.
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bik.49 Geadelt hatte dies die Kolonie nach Meinung der Zeitgenossen insofern, als dass karibischer Zucker eines der erfolgreichsten Agrarprodukte der Plantagenwirtschaft der Neuen Welt war, und in Europa und Nordamerika enorme Profite einfuhr.50 Die versklavten Produzentinnen und Produzenten europäischen Reichtums dürften dies anders empfunden haben, galten doch die Arbeits- und Lebensbedingungen für versklavte Arbeiterinnen und Arbeit als eine der härtesten in der Karibik.51 Nach der Zerschlagung von Sklaverei und Plantagenwirtschaft, Landreformen und den gewaltsamen Auseinandersetzungen im Kontext der Revolutionskriege war die Menge an Zucker, die in Haiti produziert wurde, enorm zurückgegangen. Unter anderem aufgrund der politischen Isolation Haitis sowie der unruhigen innenpolitischen Lage des Staates war Haiti wirtschaftlich relativ arm geblieben. Dies versuchte die Regierung Geffrards in den frühen 1860er Jahren mit einer Reihe von Maßnahmen zu ändern, zu denen unter anderem die Einladung von African Americans nach Haiti gehörte. Diese sollten dazu beitragen, Haiti zu wirtschaftlichem Erfolg zu führen. Um dies zu erreichen, wurde vor allem auf die Produktion von landwirtschaftlichen Rohstoffen wie Zucker, Kaffee, Tabak und Baumwolle gesetzt, die in Europa und Nordamerika überaus gefragt waren. Ziel war es, den Umfang der Produktion auf gleiches Niveau zu bringen wie zu Kolonialzeiten und Agrargüter auf den Weltmärkten gewinnbringend zu verkaufen.52 Diese Maßnahmen wurden in vielerlei Hinsicht als emanzipatorische Strategien verstanden. Erstens sollten sich, wie oben bereits dargestellt, African Americans durch den Umzug nach Haiti von rassistischer Diskriminierung in den USA befreien. Zweitens wurde beispielsweise in Geffrards Einladung auch die Erwirtschaftung von materiellem Wohlstand mit einer emanzipatorischen Komponente verknüpft. So hieß es:
49 Die Kolonie Saint Domingue wurde sowohl als „Pearl of the Antilles“, als auch als „Queen of the Antilles“ oder respektive „Queen/Pearl of the Caribbean“ bezeichnet. Zu Saint Domingue als kolonialer Zuckerproduzent siehe neben vielen anderen: Fick, The Making of Haiti, S. 15-45; Girard, Haiti, S. 17-38; Geggus, „Sugar and Coffee Cultivation“, S. 73-98; Dubois, Avengers of the New World, hier vor allem die Kapitel eins-drei. 50 Nach wie vor als ein Standardwerk zur globalen Kulturgeschichte des Zuckers gilt: Mintz, Sweetness and Power. 51 Fick, The Making of Haiti, S. 15-45; Girard, Haiti, S. 17-38. 52 Vgl. Dixon, African America, S. 166.
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„Hayti, regaining her former position, retaking her ancient sceptre of Queen of the Antilles, will be a formal denial, most eloquent and peremptory, against those detractors of our race who contest our desire and ability to attain a high degree of civilization.“53
Demnach sollte also durch die von Geffrard beschriebene zu leistende Regenerierungsarbeit jenen Stimmen widersprochen werden, die schwarzen Menschen die Fähigkeit selbstbestimmt und zivilisiert zu leben absprachen, und deshalb Haiti als gleichwertigen Staat für undenkbar hielten. Als Markierung und Beweis für Zivilisiertheit wurde in Geffrards Einladung vor allem wirtschaftlicher Erfolg und Fortschritt dargestellt. Der Vorstellung, dass schwarze Menschen in Haiti einen Beweis für den vermeintlichen Grad ihrer Zivilisiertheit erbringen mussten, widersprach er dabei gleichwohl nicht. Drittens sollte der mithilfe der explizit männlich gedachten afroamerikanischen Emigranten erzielte wirtschaftliche Erfolg Haitis direkt zur Bekämpfung von Sklaverei in den USA und darüber hinaus beitragen. Redpath erklärte diese Strategie in seinen Schlussworten im „Guide“ gegenüber potentiellen Emigrantinnen und Emigranten genauer. Es hieß darin: „[Haiti] presents you the opportunity of not only exhibiting the capacity of your race, but of creating a new Eden in the most fertile of the Antilles; and, at the same time, of checking the Slave Labor System of the South at its source. Would you fight Virginia with a weapon that she will fear as much as she dreaded the rifles of John Brown? Grow tobacco in Hayti, then fight her with it at the Liverpool exchange. Would you retaliate on the Carolinas the punishment that they have often inflicted upon your friends? The way is open. Tar and cotton them in England. Hayti will enable you to do it by producing both staples, and hemp enough to boot to hang every friend of slavery in Missouri and Kentucky. Hayti, which could produce sugar enough to drive Louisiana out of every market in the world; which could raise cotton enough every year to corrupt the morals of a hundred generations of American politicians; which could raise rice enough to bury Wilmington, Charleston and Savannah out of sight; which if properly and scientifically cultivated, could raise coffee enough to supply all the wants of Christendom.“54
In dieser Darstellung forderte Redpath potentielle Emigrantinnen und Emigranten dazu auf, in Haiti solche Agrargüter anzubauen, von denen viele zu den traditionellen Anbaupflanzen des US-amerikanischen Südens gehörten und dort die wichtigsten Exportgüter stellten. Er konstatierte, dass es möglich sein würde,
53 Geffrard, „Invitation“, S. 5. 54 Redpath, „A Parting Word“, S. 174-175.
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diese Güter in Haiti weitaus erfolgreicher und in größeren Mengen zu produzieren als in den US-amerikanischen Südstaaten. Deren Exportwirtschaft basierte bekannter Maßen zu einem großen Teil auf der Arbeit versklavter Arbeiterinnen und Arbeiter. Mit im großen Stil produzierten Agrargütern wie Zucker, Tabak und Baumwolle sollte Haiti die globalen Absatzmärkte des US-amerikanischen Südens übernehmen. So sollte sowohl die wirtschaftliche Grundlage der Region, als auch ihr „Slave Labor System“ attackiert werden.55 Es sollte so bewiesen werden, dass Sklaverei weniger profitabel war als freie Arbeit. Dies sollte letztlich dazu führen, dass Sklaverei nicht nur im Süden der USA, sondern überall in den Amerikas abgeschafft werden würde.56 Auch diese Idee war gleichwohl keinesfalls neu. Vielmehr war sie von Abolitionisten und Abolitionistinnen vielfach in ähnlicher Form geäußert worden. So hatte beispielsweise James Theodore Holly bereits 1851 einen Plan zur Gründung einer North American League of the Colored People of the United States and the Canadas vorgelegt.57 Die Vereinigung, die allerdings über den Entwurf einer Verfassung hinaus nie operierte, sollte unter anderem als Handelsunion tätig werden. Schwarze US-Amerikaner sollten nach Kanada oder die britische Karibik emigrieren, dort in die landwirtschaftliche Produktion einsteigen und ihre Produkte auf den US-amerikanischen Markt bringen, um direkt mit der heimischen Produktion zu konkurrieren und so unter anderem aufzuzeigen, dass wirtschaftlicher Erfolg auch ohne Sklavenarbeit
55 Mit fortschreiten des Sezessionskrieges wurde vom Haytian Bureau of Emigration ein besonderes Gewicht auf den Anbau von Baumwolle in Haiti gelegt, da die politisch und wirtschaftlich isolierten Konföderierten Staaten als Produzent von Baumwolle auf den nordamerikanischen sowie europäischen Märkten fehlten. Siehe Artikel „Hayti as a Cotton Country“, in: Pine and Palm, 26. Oktober 1861. 56 Diese Ideen hatte Redpath unter anderem in einem am 18. Mai 1861 erschienenen programmatischen Artikel in der Pine and Palm ausführlicher dargelegt. 57 Zur League siehe unter anderem: Voice of the Fugitive, 30. Juli, 27. August, 24. September 1851 und 26. Februar 1852. Vgl. auch: Miller, „The Search for a Black Nationality“, S. 111-115; Dean, James Theodore Holly, S. 18-19. Dean stellt fest, dass die League zum letzten Mal am 1. Juli 1852 in der Voice of the Fugitive erwähnt wurde. Die Idee, dass sich über Konsumverhalten und Produktion gegen Sklaverei abolitionistische Absichten ausdrücken und umsetzen ließen, existierte freilich schon länger. Der Boykott von Produkten, die von versklavten Arbeiterinnen und Arbeitern produziert worden waren, wurde spätestens seit den 1820er Jahren als eine mögliche Strategie herangezogen, um gegen Sklaverei zu protestieren, wie Carol Faulkner aufzeigt: Faulkner, Carol, „The Root of the Evil. Free Produce and Radical Anti-Slavery, 1820-1860“, in: Journal of the Early Republic, 27/3 (2007), S. 377-405.
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möglich war. Demnach sollte die Emigrationsbewegung nicht nur die Emanzipation der Emigrierenden mit sich bringen, sondern darüber hinaus zu einer globalen Emanzipation versklavter schwarzer Menschen beitragen. Diese Emanzipationsstrategie wurde dabei im „Guide to Hayti“ von Redpath bemerkenswerter Weise als ebenso radikal dargestellt, wie etwa der abolitionistisch motivierte bewaffnete Überfall auf den Ort Harper’s Ferry in Virginia unter der Leitung von John Brown. Als radikal wurde sie möglicherweise deshalb eingeschätzt, weil selbstständiger wirtschaftlicher Erfolg etwas war, was die allerwenigsten Zeitgenossen und Zeitgenossinnen freien schwarzen Menschen zutrauten. Mit der Widerlegung dieser Einschätzung sollte an den Grundfesten dieser überaus rassistischen Weltordnung gerüttelt werden.58 Ich möchte an diesem Punkt nochmals zu Geffrards Einladung nach Haiti zurückkommen. Wenn der Präsident Haitis darin argumentierte, Haiti solle sich einem Regenerierungsprozess unterziehen, deutet dies wie gesagt darauf hin, dass er den Staat in seinem Zustand zur Mitte des 19. Jahrhunderts für alles andere als perfekt hielt. Die Vorstellung, Haiti müsse „verbessert“ werden, fand sich in unterschiedlicher Form in programmatischen Schriften von zahlreichen Befürwortern von Emigration nach Haiti. In seiner 1857 erstmals veröffentlichten Rede „Vindication of the capacity of the Negro race“, die er außerdem bereits in den Jahren 1855 und 1856 vor verschiedenen Versammlungen in Connecticut, Ohio, Michigan und Kanada vorgetragen hatte, hatte James Theodore Holly darauf hingewiesen, dass er den Zustand Haitis für verbesserungswürdig hielt. Ziel seiner Rede war es zunächst, wie schon der Titel andeutete, am Beispiel von Haiti „the negro’s equality in carrying forward the great principles of self-government and civilized progress“ darzulegen.59 Holly interpretierte die Haitianische Revolution und die Gründung des Staates Haiti als heroischen, staatsbürgerlichen und zivilisierten Akt und reagierte dabei auf solche Stimmen, die weder bereit waren, Haiti als Staat anzuerkennen, noch schwarze Menschen für politikfähig und zivilisiert hielten. Auch Holly markierte Haiti dabei als dezidiert amerikanischen
58 Zur sogenannten John Brown Insurrection siehe neben vielen anderen: McGlone, Robert E., John Brown’s War Against Slavery. New York, NY [u.a.]: Cambridge University Press, 2009; Nudelman, Franny, John Brown’s Body. Slavery, Violence & the Culture of War. Chapel Hill, NC [u.a.]: Univ. of North Carolina Press, 2005. 59 Holly,„A Vindication of the Capacity of the Negro Race for Self-Government, and Civilized Progress, as Demonstrated by Historical Events of the Haytian Revolution; and the Subsequent Acts of That People Since Their National Independence“, in: Bell (Hg.), Black Separatism, S. 17- 66, hier S. 64.
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Ort.60 Allerdings ging Holly trotz dieser überaus positiven Beschreibung Haitis davon aus, dass das Land zivilisatorische Hilfe benötige. So war er der Meinung, dass Haiti als Nation sich in einem imperfektem Zustand befinde und „advancement“ bedürfe.61 Diese Gedanken führte er in seiner Aufsatzreihe „Thoughts on Hayti“, die im Laufe des Jahres 1859 im Anglo-African Magazine veröffentlicht worden war und auch in verschiedenen Ausgaben der Pine and Palm 1861 erneut abgedruckt wurde, detaillierter aus.62 So zeigte er beispielsweise im zweiten Kapitel dieser Reihe nationale „disabilities“ Haitis auf.63 Dabei identifizierte er zunächst „sound religious morality“ und „the cultivation of Literature, the Arts and Sciences“ als Grundstützen von „true national greatness“ und stellte fest: „These things Hayti does not and could not possess.“64 Gründe dafür sah Holly zum einen in der kolonialen Vergangenheit des Staates und dem System der Sklaverei. Haiti, argumentierte er, „sprang into being from the lowest depths of degradation and slavery“. Er betonte: „[T]he cultivation of polite learning Literature, the Arts and Sciences, can find no congenial home amidst minds overspread with the dark pall of chattel slavery.“65 Ebenso habe es in Haiti an seiner Meinung nach angemessenem religiösen Einfluss gemangelt, wie ich später noch ausführlicher besprechen werde. Holly sah die Gründe für die von ihm diagnostizierten Probleme aber nicht nur in der kolonialen Vergangenheit des Landes. Stattdessen machte er auch die politische Isolation Haitis seit der Unabhängigkeit für das von ihm konstatierte Fortbestehen von Haitis „disabilities“ verantwortlich. „Powerful and enlightened nations […] failed to give her a hearty welcome among the family nations […] and thus have contributed to keep her back in the career of a progressive civilization“konstatierte er.66 Allerdings sah er die Migration von schwarzen US-Amerikanerinnen und Amerikanern nach Haiti als eine Strategie an, genau diese Mängel zu beseitigen. Folgendes forderte Holly in seinem Text „Vindication“:
60 Siehe Maffly-Kipp, Setting Down the Sacred Past, S. 147. 61 Holly, „A Vindication“, S. 65. 62 Holly, „Thoughts on Hayti“, in: Anglo-African Magazin, Juni 1859, S.185; Teil 2 in: Anglo-African Magazin, Juli 1859, S. 219-221; Teil 3: Anglo-African Magazin, August 1859, S. 241-243; Teil 4: Anglo-African Magazin, September 1859, S. 363-367; Teil 5: Anglo-African Magazin, Oktober 1859, S. 327-329. 63 Holly, „Thoughts on Hayti II“ in: Anglo-African Magazin , Juli 1859, S. 219. 64 Ebd. 65 Ebd. 66 Ebd., S. 221.
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„[G]o and identify our destiny with our heroic brethren in that independent isle of the Caribbean Sea, carrying with us such of the arts, sciences and genius of a modern civilization, as we may gain from this hardy and enterprising Anglo-American race, in order to add to Haytian advancement.“67
Ähnliches findet sich auch in Redpaths Schlussworten im „Guide to Hayti“, in dem der Direktor des Haytian Bureau of Emigration argumentierte: „In Africa, the various races are still seperate and hostile; in Hayti they are all represented and united. The Black Haytian, therefore, is the result of the mingling of all of the African bloods; and in him, as is the case with other families of men, this Union has produced the best specimen of the race. The men of color there, also, in point of intelligence, ask no favors in any comparison between themselves and their ancestors. [Hier im Original ein Absatz] But still another element is needed in Hayti – the Saxon character, which the men of African descent, to a greater or less extend, in the United States and the Canadas, possess.“68
Zum einen wurde hier der grundlegende Rassismus deutlich, auf den sich Redpaths Überlegungen stützten. Außerdem zeigt sich, dass die hier von Redpath imaginierte globale Gemeinschaft schwarzer Menschen überaus hierarchisch strukturiert war und sich keinesfalls aus Gleichen zusammensetzte. Nicht nur zwischen Afrikanerinnen und Afrikanern und ihren Nachkommen in Haiti gab es dabei Ungleichheiten, sondern explizit auch zwischen African Americans und Haitianern. Redpath implizierte, dass Haitis Bevölkerung zwar „the best specimen of the race“ darstellte. Gleichzeitig aber sei Haiti insofern imperfekt, als dass ein „element“ noch gebraucht würde: „the Saxon character.“ „Saxon character“ schrieb er dabei „to a greater or less extend“ schwarzen Menschen in Nordamerika zu. Dabei wird deutlich, dass er, wie übrigens auch James Theodore Holly, Ungleichheiten auch innerhalb der Gruppe schwarzer Menschen in den USA und Kanada ausmachte, auf die in Kapitel drei ausführlicher eingegangen wird.69 Hier soll zunächst festgehalten werden, dass Redpath African Americans grundsätzlich eine Wesenseigenschaft zuschrieb, die er als „Saxon character“ bezeichnete, und von der er ausging, dass es an ihr in Haiti mangle.
67 Holly, „A Vindication“, S. 65. 68 Redpath, „A Parting Word“, S. 174. 69 Vgl. auch Dixon, African America, S. 163-164.
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„S AXON CHARACTER “ UND DIE USA ALS „ MATURE AND BETTER DEVELOPED CIVILIZATION “ Obwohl sowohl Redpath als auch Holly African Americans und Haitianer als „brethren“ einer gemeinsamen Familie beschrieb, zeigt sich, dass den schwarzen US-Amerikanern in dieser transnationalen Emanzipationsbewegung eine Rolle zugeschrieben wurde, die sie von den haitianischen Familienmitgliedern in wesentlichen Punkten unterschied. Beide verknüpften in ihren Schriften jene Eigenschaften und Fähigkeiten, an denen es in Haiti mangle, die aber African Americans besäßen, dezidiert mit der nordamerikanischen Herkunft der potentiellen Emigrantinnen und Emigranten. Zugegebener Maßen benutzten Redpath mit „Saxon character“ beziehungsweise „Saxon race“ und Holly mit „AngloAmerican race“ unterschiedliche Begriffe. Ebenso gab es unter Zeitgenossinnen und Zeitgenossen unendlich viele Vorstellungen und Variationen davon, was diese jeweiligen Begriffe meinten. Dennoch möchte ich argumentieren, dass beide Verfasser hier auf eine diskursive Figur zurückgriffen, die in der Forschungsliteratur häufig als Anglo-Saxonism identifiziert wird. Der Begriff war, wie der Historiker Reginald Horsman in seinem grundlegenden Buch „Race and Manifest Destiny: the Origins of American Racial Anglo-Saxonism“ feststellt, spätestens seit den 1850er Jahren von vielen Menschen dazu benutz worden, um weiße, protestantische Briten und darüber hinaus US-Amerikaner vornehmlich nordwesteuropäischer „Abstammung“ zu beschreiben, denen viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen in einer sich globalisierenden Welt ganz bestimmte Aufgaben zuschrieben: „Anglo Saxons as a separate, inately superior people […] were destined to bring good government, commercial prosperity and Christianity to the American continents and to the world. This was a superior race, and inferior races were doomed to subordinate status or extinction.“70
Wie jede soziale Konstruktion beschrieb Anglo-Saxonism ein Idealbild, das mit einer Vielzahl unterschiedlicher Attribute aufgeladen wurde. Fleiß, protestantische Christlichkeit und Geschäftstüchtigkeit, Bildung, Fortschrittswillen und Aufgeklärtheit konnten ebenso als fundamentale Bestandteile von AngloSaxonism verstanden werden wie Durchsetzungsvermögen und auch Gewalttä-
70 Horsman, Race and Manifest Destiny, S. 2. Zu race, Anglo-Saxonism und USamerikanischer Aussenpolitik siehe auch: Krenn, Michael L., The Color of Empire: Race and American Foreign Relations, Washington, DC: Potomac Books, 2006.
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tigkeit. Es liegt auf der Hand, dass die Idee des Anglo-Saxonism in hohem Maße geschlechtlich strukturiert war und gerade in der Mitte des 19. Jahrhunderts verschiedene, zum Teil divergierende Geschlechterideale vereinen konnte.71 AngloSaxonism beschrieb also menschliche Charakteristika, die vornehmlich weißen, männlichen Menschen zugeschrieben wurden. Redpath wandte die Beschreibung „Saxon character“ in seinem Kapitel „A Parting Word“ im „Guide to Hayti“ aber auch auf Menschen an, die als „men of African descent“ und damit als grundsätzlich nicht weiß galten.72 „Have not the slaves, for two centuries, exhibited these Christian qualities? No man denies it. And yet, what is the opinion that these traits have created in the hearts of the majority of the nation? Two words give it: ‚Damned niggers‘ [Herv.i.O.].“73
So konstatierte Redpath und beschrieb dabei gleichzeitig die für ihn unverständliche und rassistisch begründete Exklusion schwarzer Menschen aus eben jener Nation. Darauf, dass Redpath dabei die Eigenschaft des „Saxon character“ mit Christlichkeit verknüpfte, sei hier nachdrücklich hingewiesen. Ich komme darauf in einem späteren Teil des Kapitels zurück. Wie sich oben bereits mehrfach andeutete, liegt es nahe, die Texte der Emigrationisten im Kontext einer größeren US-amerikanischen Expansionspolitik zu lesen, die als Manifest Destiny bekannt worden war. Diese Form von Expansion galt als eine protestantische und für viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen explizit weiße und männliche Unternehmung, in der Zivilisierung und Modernität in die Welt getragen und nicht-weißen, nicht protestantischen Menschen nahe gebracht werden sollte. Allerdings ging man davon aus, dass diese nur einen sehr
71 Vgl. Greenberg, Manifest Manhood, S. 9-14. 72 Was konkret Redpath mit „Saxon Character“ beschrieb, erklärte er im Kapitel „A Parting Word“ im „Guide to Hayti“ nicht. Dies läßt den Schluss zu, dass Redpath davon ausgehen konnte, dass die meisten seiner Leserinnen und Leser sehr konkrete Vorstellungen davon hatten, was sich hinter dem Begriff „Saxon character“ verbarg. Über „the Saxon race“ hatte er geschrieben: „The Saxon race is a race of fighters, - its real religion is an evangel of pluck; to men, long-suffering, slow to anger, who return a kiss for a blow, patient and enduring to the end, it exhibits no compassion“. Ebd. S. 172. Dies läßt allerdings den Schluss zu, dass Redpath davon ausgehen konnte, dass die meisten seiner Leserinnen und Leser sehr konkrete Vorstellungen davon hatten, was sich hinter dem Begriff „Saxon character“ verbarg. 73 Ebd.
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imperfekten Zustand von Zivilisiertheit erreichen würden.74 Ich möchte hier argumentieren, dass Holly, Redpath und andere Stimmen African Americans als aktive Umsetzende von Manifest Destiny in den Diskurs einschrieben, und damit nicht-weißen Menschen einen aktiven Part in der Gestaltung von Modernität und Zivilisiertheit in Haiti zugestanden. Um Redpaths und Hollys Ausführungen in einem größeren Kontext zu verorten, möchte ich nochmals auf den oben bereits zitierten Text „Condition“ von Martin Delany zurückkommen, indem dieser dezidiert den amerikanischen Kontinent als Emigrationsziel von African Americans darstellte. „We must not leave this continent. America is our destination and our home“, argumentierte Delany darin.75 Der Literaturwissenschaftler Bruce Harvey schlägt folgende Lesart dieser Aussage vor: „Delany decoupled the meaning of ‚America‘ from the specific U.S. geobody, reconceptualizing the non-U.S. New World as the future space for non-Caucasian, non Anglo-Saxon enterprise.“76 Diese Lesart läßt sich auf die Texte von Emigrationisten wie Holly und Redpath allerdings nicht übertragen. Im Gegenteil: Ganz offensichtlich wurden African Americans hier als Menschen verstanden, die zumindest zu einem gewissen Grad Anglo-Saxonism in sich trugen und transportierten. Dem entsprechend wurde der Umzug dieser Menschen nach Haiti von vielen eben gerade deshalb als so wichtig empfunden, weil sie Eigenschaften nach Haiti bringen sollten, die als typisch „Anglo-Saxon“ galten. Redpath und Holly definierten dabei African Americans als Träger von AngloSaxonsim. Damit waren sie zweifellos nicht die einzigen. So läßt sich beispielsweise der Name des im Januar 1859 erstmals erschienen Anglo-African Magazine, das von den Verlegern Thomas und Robert Hamilton herausgegeben wurde, und in dem Holly über den Sommer seine „Thoughts in Hayti“ veröffentlichen sollte, als Ausdruck eines (möglicherweise nicht so) neuen schwarzen USamerikanischen Selbstverständnisses lesen: schwarze Menschen in Nordamerika
74 Vgl. Greenberg, Manifest Manhood, S. 46. Ein zentrales Element von Manifest Destiny war auch die Idee, dass ein Einfluss einer spanischen Kultur auf dem amerikanischen Kontinent eingedämmt werden sollte. James Redpath griff diese Idee in seinem einführenden programmatischen Artikel vom 18. Mai 1861 in der Pine and Palm auf und erklärte: „This policy of course, involves the expulsion of the Spaniards from America. They have long enough corrupted and blood besmeared our soil – sacred soil set apart by the Devine Father for Democracy and Fraternity. At any cost of blood and treasure, this pitiless people should be banished“. 75 Delany, „Condition, Elevation, Emigration“, in: Moses, Classical Black Nationalism, hier S. 115. 76 Harvey, American Geographics, S. 217.
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und insbesondere die Leserinnen und Leser und Autoren des Magazins wurden als „Anglo-Africans“ bezeichnet und damit intellektuell und physisch als ein Teil amerikanisch-angelsächsischer Kultur und Zivilisation markiert.77 Wie bereits angedeutet, war die Art und Weise, wie African Americans als Vertreter von Anglo-Saxonism und Teilhabende an der Umsetzung von Manifest Destiny gedacht wurden, in hohem Maße von Abstufungen und Hierarchien durchzogen. Nicht nur in Redpaths, sondern auch in Hollys Ausführungen und denen vieler anderer afroamerikanischer Emigrationisten zeigte sich dies deutlich. In „Vindication“ hatte Holly potentielle Emigrierende bekannter Maßen dazu aufgefordert, „such of the arts, sciences and genius of a modern civilization“ nach Haiti zu bringen, „as we may gain from this hardy and enterprising Anglo-American race“.78 „The colored race in the United States is […] in contact with a mature and better developed civilization than can be found in Hayti“ hatte er zudem in seinen „Thoughts in Hayti“ verlauten lassen.79 In beiden Texten deutete sich an, dass Holly schwarze Menschen in Nordamerika nicht grundsätzlich und uneingeschränkt als konstitutive Teilhabende in der Produktion jener Fähigkeiten sah, die viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen für typisch „anglo-saxon“ und als Merkmal von „civilization“ hielten. Denn Hollys Ausführungen gaben zu verstehen, dass African Americans in Nordamerika die von ihm beschriebene „civilization“ nicht selbst aktiv hervorgebracht hätten. Stattdessen, so zumindest lässt sich der Text hier lesen, stünden sie mit ihr lediglich in Kontakt und hätten dabei die als anglo-amerikanisch beschriebenen Tugenden erlernt und übernommen. Dabei konstatierte er, ähnlich wie Redpath, dass es innerhalb der Gruppe der African Americans erhebliche Unterschiede gäbe. Erst kürzlich emanzipierte Sklavinnen und Sklaven zum Beispiel hielt er für wenig zivilisiert. Er hielt sie deshalb für ungeeignet, zivilisatorische Eigenschaften von den USA in die Welt zu tragen. So bezeichnete er die Kolonisierungspläne der American Colonization Society in Liberia als „graveyard system“. Er argumentierte: „[S]laves just emancipated on the plantations of Alabama, Mississippi and Louisiana, are sent off ship loads, steeped in all the ignorance and degradation of slavery, to add to the darkness and superstition of Africa, making her ancient confusion worse confounded.“80
77 Vgl. Dain, A Hideous Monster of the Mind, S. 257. 78 Holly, „Vindication“, S. 65. 79 Holly, „Thoughts on Hayti III“, in: Anglo African Magazine, August 1859, S. 241. 80 Holly, „Thoughts in Hayti IV“, in: The Weekly Anglo-African, April 1861.
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Holly stellte dabei offensichtlich nicht nur der Zivilisierungsgrad ehemaliger Sklavinnen und Sklaven in Frage. Er beschrieb auch den Kontinent Afrika als völlig unzivilisiert. Als Konsequenz lehnte Holly die Migration von Afrikanerinnen und Afrikanern nach Haiti kategorisch ab: „The barbarism of the inhabitants of that savage continent could do not otherwise than retard, instead of promoting, the national development of that people [Bevölkerung Haitis]“.81 Dixon konstatiert in seiner Studie: „The utterances of the bureau’s representatives indicate the influence of America on African Americans – indeed, aspects of Haitian emigrationism paralleled the racial and social values of many whites.“ Er fährt fort: „It was predictable that Redpath would betray such attitudes, but the black agents of the bureau shared many of his assumptions regarding the black race.“82 Dixon schlägt dabei also vor, „America“ habe African Americans in ihren Ansichten beeinflusst. Ich halte diese Feststellung in mehrerer Hinsicht für problematisch. Denn er impliziert hier, es gäbe eine als „America“ bezeichnete, vermutlich weiße Gruppe, Kultur oder, abstrakter formuliert, Einheit, die auf die andere, hier als African Americans bezeichnete Gruppe einwirken könne. Dieses Verständnis greift meiner Meinung nach zu kurz. Es suggeriert nämlich, dass es deutlich verschiedene, klar voneinander abzugrenzende Diskurse und Teilnehmende an Diskursen gäbe. Ich möchte allerdings dafür plädieren, James Theodore Holly und andere afroamerikanische Emigrationisten ebenso wie weiße US-Amerikaner als Teilhabende ein und desselben Diskurses zu verstehen. Zwar sprachen sie aus einer Vielzahl unterschiedlicher Positionen. Trotzdem verhielten sie sich dabei zu einem Set variierender Aussagen, die der Diskurs als Wahrheiten hervorgebracht hatte. Ich möchte dabei keinesfalls andeuten, Menschen könnten nicht auch Äußerungen formulieren, die dem, was als Wahrheit galt, völlig widersprachen. Allerdings mussten sie dann damit rechnen, dass ihre Äußerungen nicht ernst genommen wurden und sich verliefen, ohne unmittelbare diskursive Entfaltung zu erfahren und sich zu einer Aussage zu verdichten. Im Moment der Besprechung konnten sich die Bedeutungen von Aussagen gleichwohl unter Umständen verschieben und brechen. Und genau in diesem Moment der Verschiebung und Brechung liegt auch das emanzipatorische Potential von Hollys Aussagen. Indem nämlich Holly Sklavinnen und Sklaven oder Afrikanerinnen und Afrikaner als unzivilisiert beschrieb, griff er zwar die von den meisten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen akzeptierte und als wahr empfundene Aussage auf, nach der vermeintlich unterschiedliche Gruppen von Menschen zu einem unterschiedlichen Grad zivilisiert seien. Allerdings klammerte er potenti-
81 Holly, „Thoughts on Hayti III“, in: Anglo African Magazine, August 1859, S. 243. 82 Dixon, African America, S. 163.
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elle Emigrantinnen und Emigranten – und dabei sich selbst- aus dieser Gruppe aus, indem er konstatierte, diese hätten bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten von „Anglo-Americans“ übernommen. Dabei zeigt sich einerseits ein vehementer Widerspruch zu der populären Annahme, dass nicht-weiße Menschen nicht in der Lage seien, zivilisiert und darüber hinaus zivilisierend zu agieren. Anderereseits wurde in der Diskussion darüber, wer überhaupt in der Lage sei, zivilisierend und dabei gleichzeitig modernisierend zu wirken, Angelsächsischsein weiterhin als normativ verstanden und als Ideal angesetzt, an dem nichtweiße Akteure gemessen wurden. Weiß-sein und darüber hinaus Mann-sein galt damit weiterhin als privilegierter Zustand, der in einer Hierarchie des Zivilisiertseins ganz oben stand. Indem nun Holly sich und andere African Americans als Menschen beschrieb, die in der Lage waren, zivilisatorisches Wissen aus Nordamerika in die Welt zu tragen, bestätigte er zwar einerseits die Idee, es gäbe unterschiedliche Stufen von Zivilisiertheit. Gleichzeitig widersprach er allerdings der dominanten Vorstellung, alle schwarzen Menschen seien grundsätzlich und immer als unzivilisiert zu verstehen. Er de-essentialisierte dabei also blackness als Signifikante für Unzivilisiertheit und machte Zivilisierung zu etwas kulturell Erlernbarem. Somit emanzipierte er sich und andere African Americans; allerdings auf Kosten anderer ebenfalls als schwarz markierter Gruppen von Menschen.
H AITI
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Wie sich in den obigen Ausführungen bereits vielfach angedeutet hat, waren die zivilisierenden Fähigkeiten und Kenntnisse, die Emigrantinnen und Emigranten nach Haiti bringen sollten, eng mit Vorstellungen von protestantischer Christlichkeit verknüpft. Darüber hinaus speiste sich auch die Äußerungen und Praktiken vieler Aktivistinnen und Aktivisten der Emigrationsbewegung nach Haiti aus einem christlich-protestantisch informierten Selbstverständnis, das Laurie Maffly-Kipp als „Protestant bedrock“ bezeichnet hat.83 US-amerikanische Emigration nach Haiti wurde deshalb auch als Programm verstanden, das gegen die Dominanz von Religionen wie dem römischen Katholizismus oder Voudou in dem karibischen Staat vorgehen sollte, die von vielen als rückständig und kor-
83 Maffly-Kipp, Setting Down the Sacred Past, S. 3. Zur Verstrickung von Moderne, race und Religion siehe auch den programmatischen Aufsatz von Hickman: „Globalization and the Gods“.
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rumpierend verstanden wurden.84 James Theodore Holly, der 1855 Diakon der Protestant Episcopal Church in New Haven, Connecticut geworden war, äußerte sich in dieser Angelegenheit explizit. So beschrieb er im zweiten Teil seiner „Thoughts on Hayti“ Holly die religiöse Situation in Haiti als überaus desperat: „[T]he only form of Religion that had shed its influence over the people of this island was Romanism; and even this Church, which is at best covered over with the superstitions of the dark ages, has never been introduced there under its most favorable circumstances.“85
Wenig später fuhr er fort: „Protestant Christianity, with her thousands of missionaries penetrating everywhere else, has dared to almost totally neglect these benighted people, who are perishing for want of the light of Gospel; and thus they have been left to swelter in darkness, deprived of the enlightening influences of the pure Religion of Jesus.“86
Dabei machte er zum einen deutlich, dass er die römisch-katholische Kirche für eine Institution hielt, die kaum aufgeklärt war, sondern in „superstitions of the dark ages“ verhaftet geblieben sei. Zudem sei auch der römische Katholizismus in Haiti nie richtig eingeführt worden. Und während protestantische Missionierende überall auf der Welt tätig waren, genau diesen ungünstigen Zuständen entgegenzuwirken, sei Haiti fast völlig übersehen worden. Haitianerinnen und Haitianer befänden sich deshalb in einem Zustand, den Holly mit als „benighted“ als überaus problematisch beschrieb. Religion war dabei eines von mehreren Elementen, das die transnationale Gemeinschaft schwarzer Menschen wie sie in verschiedenen Texten zu Emigration nach Haiti imaginiert wurde, hierarchisierte. Wie viele andere Emigrationisten verknüpfte Holly die Kolonisierung von Haiti zum Zweck der Zivilisierung und Modernisierung Haitis mit protestantischer Christianisierung. Afroamerikanische Migranten und Migrantinnen sollten dabei in Haiti missionarische Arbeit leisten. In seinen „Thoughts on Hayti“ schlug Holly vor:
84 Dem entsprechend galt als eine der Hauptaufgaben von Expansion im Sinne von Manifest Destiny die Christianisierung der Welt. Siehe u.a. Guetin, Religious Ideology, hier vor allem S. 65-80. In Haiti herrschte Religionsfreiheit; allerdings wurden die dominierenden Formen religiöser Praktiken als Katholizismus, Voudou oder hybridisierte Formen beider Religionen identifiziert. 85 Holly, „Thoughts on Hayti II“, in: Anglo African Magazine, Juli 1859, S. 220. 86 Ebd.
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„The leading motive and the actual spirit of this Emigration Movement should be that of religion [Herv.i.O.], as in the case of the Pilgrim settlers of New England. […] [It] should assume the shape of well organized religious communities, headed by an educated ministry, and backed and sustained by learned laymen.“87
Wie ich in Kapitel eins aufzeige, materialisierte sich diese Vorstellung in den Emigrationspraktiken des Haytian Bureau of Emigration und insbesondere auch in der Gruppe von Menschen, in deren Kreis Holly 1861 schließlich nach Haiti emigrieren sollte. So rekrutierten sich viele der Emigrierenden aus aktiven Mitgliedern protestantischer Kirchengemeinden. In seinen Schriften verglich Holly die Emigrierenden nach Haiti mit puritanischen Siedlern in Neuengland. Dabei schrieb er nicht nur sich und andere Angehörige der Bewegung in einen Zivilisierungsdiskurs ein, sondern bediente sich in abgewandelter Form auch einer US-amerikanischen Gründungserzählung, die nicht zuletzt im Kontext von Manifest Destiny immer wieder angerufen wurde, um den vermeintlichen Exzeptionalismus und die göttliche Vorhersehung des US-amerikanischen Staates und seiner Expansion zu beschreiben. So wie die Puritaner Amerika als paradisisch beschrieben hatten, bezeichnete auch Holly Haiti als „Eden of the Americas“.88 Dabei zeigt sich erneut, dass afroamerikanische Emigrationisten in Haiti explizit als amerikanische Akteure galten. Haiti wurde dabei nicht nur als amerikanischer Ort gedacht, sondern sogar als karibisches Neuengland, wie auch Laurie Maffly-Kipp in ihrer Studie „Setting Down the Sacred Past: African American Race Histories“ aufzeigt hat.89 Holly bemühte das Bild der Puritaner Neuenglands vielfach und machte Haiti damit zu einer „sacred site“ und somit zu einem Ort, an dem ein göttlich vorbestimmtes Schicksal schwarzer Menschen im atlantischen Raum umgesetzt werden würde.90 Kurz vor seiner Abreise aus Connecticut etwa vereinbarte er mit der Gruppe seiner Mitreisenden einen sogenannten Madeira Compact, indem die Zielsetzung der Emigration festgehalten wurde. Der Madeira Compact war nach dem Schiff benannt, mit dem die Migrantinnen und Migranten von New Haven nach Saint Marc übersetzten, und verwies dabei auf den Mayflower Compact, das als erstes Regierungsdokument der berühmten Plymouth Colony ebenfalls nach dem Schiff benannt war, mit dem die Puritaner die Überfahrt über den Atlantik bewältigt hatten. Als viele Mitglieder der Gruppe während oder kurz nach der Überfahrt an
87 Holly, „Thoughts on Hayti IV“, in: The Weekly Anglo-African, April 1861. 88 Holly, „Vindication“, S. 64f. 89 Maffly-Kipp, Setting Down the Sacred Past, S. 150. 90 Ebd., S.11.
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Krankheiten starben, verglich er diese menschlichen Tragödien mit den Todesfällen, die auch die Siedler in Neuengland erlitten hatten.91 Wenn Haiti New England war, war dann die Rolle der Bevölkerung Haitis vergleichbar mit der der Native Americans in Massachusetts, die als passive Empfänger zivilisierender und missionierender Wohltätigkeit verstanden worden waren, nicht aber als aktiv Umsetzende des Plans, den Gott den Puritanerinnen und Puritanern auferlegt hatte? Ja und nein, stellt Maffly-Kipp fest, und verweist auf „the coexistence of multiple understandings of black identity, and of overlapping narratives that attempted to incorporate racial, religious, and national themes.“92 Ich stimme dem zu, wobei ich hier nicht von einer singulären „identity“ sondern von Identifikationen als einer Reihe von gleichzeitigen und sich stetig wandelnden Prozessen sprechen möchte. Wie ich oben aufgezeigt habe, setzten Emigrationistinnen und Emigrationisten Haiti und die Emigrationsbewegung gleichzeitig zu einer Reihe von Narrativen in Bezug, deren Bedeutungen variierten. So konnte Haiti gleichzeitig mehrere Orte sein: vorbildlicher Leuchtturm schwarzer Emanzipation und Dekolonisation in der atlantischen Welt, aber auch ein Ort, auf den die Kolonisierungsbemühungen schwarzer US-Amerikaner abzielten, die sich so als aktive Ausführende eines göttlich vorbestimmten amerikanischen Expansions- und Missionierungsplans in den Diskurs einschrieben. Vornehmlich männlich gedachte Haitianer wurden dabei sowohl als heldenhafte Revolutionäre und Republikaner, aber auch als passive Empfänger von afroamerikanischer beziehungsweise angloafrikanischer Religiosität und Modernität verstanden. In Hollys Darstellungen wurden Haiti dem entsprechend gleichzeitig passive und aktive Rollen zugeschrieben. Denn trotz der von ihm konstatierten zivilisatorischen „disabilities“ des Staates, die mithilfe von Migranten aus den USA korrigiert werden sollten, imaginierte er Haiti als einen Ort, von dem aus letztendlich Zivilisierung in die gesamte (schwarze) Welt bis nach Afrika getragen werden sollte. So hieß es in seiner bereits 1857 veröffentlichten „Vindication“:
91 Pine and Palm, 28. September 1861. 92 Maffly-Kipp, Setting Down the Sacred Past, S. 151. Zur enormen Bedeutung von christlicher Religion für viele African Americans im 19. Jahrhundert und darüber hinaus, siehe neben vielen anderen auch Fulop/Raboteau (Hg.), African American Religion; Glaude, Eddie S., Exodus!: Religion, Race, and Nation in Early NineteenthCentury Black America. Chicago: Univ. of Chicago Press, 2000; May, Cedrick, Evangelism and Resistance in the Black Atlantic, 1760-1835. Athens: University of Georgia Press, 2008.
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„Civilization and Christianity is passing from the East to the West; and its pristine splendour will only be rekindled in the ancient nations of the Old World, after it has belted the globe in its westward course, and revisited the Orient again. The serpentine trail of civilization and Christianity, […] must coil backwards to its fountain head. God, therefore in permitting the accursed slave traffic to transplant so many millions of the race, to the New World, and educating therefrom such a negro nationality as Hayti, indicates thereby, that we have a work now to do here in the Western World, which in his own good time shall shed its orient beams upon the Fatherland of the race.“93
Holly äußerte hier die Annahme, dass Zivilisierung und Christianisierung sich in einer Westwärtsbewegung serpentinenartig um den Globus bewegten. Diese Vorstellung war, wie unter anderem Reginald Horsman aufgezeigt hat, zentrales Motiv eines US-amerikanischen Selbstverständnisses seit dem 18. Jahrhundert und US-amerikanischer Expansionsbemühungen spätestens seit dem 19. Jahrhundert. So Horsman: „In moving west American pioneers were perceived, both in Europe and America, as continuing a movement of civilization that had been continuous since the earliest times. […] Civilization appeared to be passing from Asia Minor to Greece, to Rome, to England, and across the Atlantic to the New World.“94
Gerade die USA wurden dabei als ein herausragendes Beispiel angesehen, denn der Kontinent galt als ungewöhnlich fruchtbar und der Fortschritt der Besiedlung als außerordentlich schnell und erfolgreich, so dass US-Amerikaner von vielen als von Gott Auserwählte in der Ausführung eines vorbestimmten Plans gesehen wurden.95 Hollys Verständnis der Zivilisierungsbewegungen ließ folgendes zu: Ersten schrieb er African Americans als Ausführende dieses göttlich vorbestimmten Zivilisierungsprogramms in den Diskurs ein und machte dabei Haiti zu einer überaus wichtigen Station in der globalen Wanderung von Zivilisation in Richtung Westen. Er beschrieb zweitens an anderer Stelle die räumliche Situiertheit von African Americans in den Amerikas als „practical vantage ground which Providence has raised up for us out of the depths of the sea.“96 Dementsprechend hielt er schwarze Menschen in Nordamerika und Haiti für auserwählte Ausführende
93 Holly, „Vindication“, S. 65. 94 Horsman, Race, S. 83. 95 Ebd. 96 Holly, „Vindication“, S. 65.
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eines göttlichen Plans. Zudem sei die Gruppe dezidiert als Teil einer von Gott begünstigten sogenannten westlichen Welt zu verstehen. Und drittens gelang es Holly, die diasporische Gemeinschaft schwarzer Menschen in der atlantischen Welt und insbesondere in Haiti mit Afrika zu verknüpfen. Um dies zu erklären, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Holly, wie übrigens viele zeitgenössische afroamerikanische Intellektuelle, African Americans häufig mit der diasporischen Gruppe der biblischen Israeliten in Ägypten verglich, die nach langer Zeit der Versklavung in einem Exodus wieder in ihre vermeintliche Heimat zurückkehrten.97 Die Rückkehr nach Afrika, wie Holly sie beispielsweise in der oben zitierten „Vindication“ imaginierte, verlief dabei dezidiert in Richtung Westen über Haiti. So stellt auch Maffly-Kipp fest: „As participants in a history that had moved from Ethiopia and Egypt and later to Haiti, African Americans were now called upon to bring true Christianity to the Caribbean republic, so that someday it could be brought back to Africa.“98
So gelang es Holly in seinen Ausführungen, schwarze Menschen in Afrika, Haiti und Nordamerika zu einer Gemeinschaft zu verknüpfen, und dennoch Migration von African Americans nach Liberia entschieden abzulehnen. Die Pläne der ACS setze, wie er in „Vindication“ darlegte, „at the wrong end of human progress“ an und müssten schon deshalb „fruitless“ bleiben. Denn sie widersprächen der göttlich vorbestimmten und damit einzig erfolgreichen Wanderungsrichtung von Zivilisation und Christlichkeit in Richtung Westen.99 So würde sich erst mit der westwärts verlaufenden Zivilisierungsbewegung der Kreis einer sich ebenfalls in Richtung Westen bewegenden afrikanischen Diaspora schließen. Haiti galt als eine zentrale Zwischenstation dieser Bewegung. Haiti wurden demnach in dem von mir untersuchten Zeitrahmen und Kontext zentrale, aber teilweise divergierende Positionen in der Formation dieses Black Atlantic zugeschrieben. Aufgrund seiner Geschichte und seiner geographischen Zugehörigkeit zu den Amerikas galt das Land als amerikanische Heimat der diasporischen Gemeinschaft schwarzer Menschen in der Hemisphäre. Es symbolisierte einerseits die heroische Selbstbefreiung von Sklavinnen und Sklaven. Andererseits galt Haiti als rückständiger, tropischer Raum, der modernisiert
97 Zum Bild des biblischen Exodus als Motiv afroamerikanischer Identifikationen, siehe: Glaude, Exodus!, u.a. S. 8. Glaude argumentiert dabei unter anderem, dass christlicher Glaube African Americans eine Arena bot, innerhalb derer politisch agieren konnten. 98 Maffly-Kipp, Setting Down the Sacred Past, S. 148. 99 Holly, „Vindication“, S. 65.
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werden müsse. Vorstellungen davon, was von Seiten der afroamerikanischen Emigrierenden in Haiti zu tun sei, zielten in jeglicher Hinsicht auf die Emanzipation schwarzer Menschen weltweit ab. Wie die Vorstellungen von den emanzipatorischen Tätigkeiten dieser Gruppe sich in den Debatten um das Bild der idealen Emigrierenden niederschlug, steht im Mittelpunkt des folgenden Kapitels.
3 „The right kind of people“: Auseinandersetzungen um die idealen Emigrierenden
„To the Blacks, Men of Color, and Indians in the United States and the British North American Provinces: Friends – I am authorized and instructed by the Government of the republic to offer you individually and by communities a welcome, a home, and a free homestead in Hayti.“1
Dies kündigte James Redpath, Leiter des Haytian Bureau of Emigration, im ersten sogenannten „Circular No. I“ an, der ab Mai 1861 in jeder Ausgabe der Pine and Palm abgedruckt wurde.2 Der „Circular No. I“ legte in der Kürze von einer Spalte von knapp sechzig Zeilen die wichtigsten Informationen zur Emigration nach Haiti dar und war möglicherweise in vielen Fällen die erste konkrete Informationsquelle und Anleitung, die Menschen über die Emigration nach Haiti lasen. Der oben zitierte eröffnende Abschnitt aus dem „Circular“ lässt zunächst vermuten, dass sich die Einladung der haitianischen Regierung grundsätzlich an alle Personen richtete, die als „Blacks, Men of Color, and Indians“ klassifiziert wurden. Allerdings formulierte das Schreiben bereits wenige Zeilen später einige nicht unerhebliche Einschränkungen dahingehend, wer willkommen sei, mithilfe des Bureau nach Haiti zu emigrieren: „Two classes of emigrants are especially invited – laborers and farmers. None of either class, or any class, will be furnished with passports, who cannot produce, before sailing, the proofs of good character for industry and integrity.“
1
Der Circular No. I war auf den 3. November 1860 datiert und wurde in jeder Ausgabe der Pine and Palm abgedruckt.
2 Ebd.
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Wie sich in den kurzen Ausführungen des „Circular No I“ zeigt, wurde die Emigration nach Haiti demnach als eine exklusive Unternehmung verstanden, die bei Weitem nicht allen Personen offen stehen sollte. Diese Meinung wurde nicht zuletzt auch von den Migrantinnen und Migranten selbst geteilt und hervorgebracht. So bemerkte beispielsweise der US-Amerikaner W.M. Kellogg, der kürzlich nach Saint Marc gereist war: „God has signally blessed the people with such a country, and all that is wanting is the emigration of the right kind of people, with the arts and science of a civilized nation.“3 Kellogg verknüpfte dabei die Emigrationsbewegung mit jenem bereits im vorherigen Kapitel diskutierten religiösen Verständnis vieler Emigrationistinnen und Emigrationisten, die Haiti die Stellung einer „sacred site“ in der diasporischen Gemeinschaft schwarzer Menschen in der atlantischen Welt zuschrieben.4 Zudem verknüpfte er afroamerikanische Emigration nach Haiti mit Vorstellungen, die im Kontext von Manifest Destiny formuliert wurden. So sollten Fortschritt, Christlichkeit und Zivilisierung von den USA aus in die Welt getragen werden. Kellogg betonte explizit, dass es Menschen mit bestimmten Fähigkeiten und Eigenschaften bedürfe („the right kind of people“), um diese zivilisierenden Aufgaben in Haiti umzusetzen. Ausgehend von diesen einführenden Überlegungen soll in diesem Kapitel untersucht werden, wie „the right kind of people“ im Kontext der Emigrationsbewegung imaginiert wurden, und welche Wirkmächtigkeiten diese Vorstellungen mit sich brachten. Bereits in den vorherigen Kapiteln habe ich aufgezeigt, dass die Gemeinschaft von Menschen, die im Kontext der Emigrationsbewegung imaginiert und gleichzeitig produziert wurde, durch Kategorien wie Geschlecht und race, aber auch Klasse, Religion und Bildung hierarchisiert wurde. Im folgenden Kapitel nehme ich zwei miteinander verschränkte Ebenen in den Blick, auf denen diese Hierarchisierungen Effekte entfalteten. Wie ich herausarbeite, strukturierten sie erstens Vorstellungen davon, wer am besten geeignet sei nach Haiti zu emigrieren. Zweitens gaben sie vor, wie die Emigrierenden in Haiti leben sollten, um die Ziele der Emanzipation und der Modernisierung zu erreichen. Dementsprechend untersucht das Kapitel, wie das Bild der idealen Emigrierenden aussah, wie diese sich in Haiti verhalten sollten, und welche Attribute und nicht zuletzt Subjektpositionen ihnen dabei zugeschrieben wurden. In ihrer wechselseitigen Verschränkung strukturierten die oben genannten Kategorien also Vorstellungen davon, wer überhaupt befähigt war, nach Haiti zu
3
Pine and Palm, 14. Dezember 1861. Kellogs Ehefrau Charlotte hatte den Brief dem
4
Vgl. Maffly-Kipp, Setting Down the Sacred Past, S. 11.
Bureau zur Verfügung gestellt, das ihn in der Pine and Palm abdruckte.
A USEINANDERSETZUNGEN
UM DIE IDEALEN
E MIGRIERENDEN
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emigrieren. Wie das obige Zitat aus dem „Guide to Hayti“ dokumentiert, wurden dabei sowohl berufliche Fähigkeiten genannt als auch eng mit diesen Fähigkeiten verschränkte charakterliche Eigenschaften wie „integrity“ und „industry“.5 Grundsätzlich wurden Vorstellungen davon, wer „the right kind of people“ seien und wie sie leben und sich verhalten sollten in hohem Maße davon bestimmt, was in den USA zur Mitte des 19. Jahrhunderts als „respektables“ Verhalten galt.6 Häufig orientierten sich die Akteurinnen und Akteure der Emigrationsbewegung dabei an Idealen, die in den USA bestenfalls von Mitgliedern der weißen Mittelklasse eingelöst werden konnten, die aber gleichzeitig in zeitgenössischen Diskursen häufig als einzig „richtige“ Lebensweisen verstanden wurden. In der Umsetzung einer Lebensweise, die als respektabel galt, schien für vielen Emigrationisten und Emigrationistinnen der Schlüssel zur Anerkennung als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft zu liegen.7 Allerdings soll dies nicht suggerieren, dass die Akteure und Akteurinnen das Streben nach Respektabilität lediglich aufgrund der Suche nach Anerkennung durch die weiße Gesellschaft verfolgten, und sie „eigentlich“ gar kein Interesse daran gehabt hätten, Lebensweisen nachzugehen, die als respektabel galten. Ganz im Gegenteil muss festgestellt werden, dass es gerade die Momente der Umsetzung respektabler Lebensweisen waren, die von den meisten als schlechthin emanzipatorisch wahrgenommen wurden. Wie ich zeigen werde, galt bei den gleichwohl variierenden Annahmen davon, was respektabel sei, eine zentrale Grundannahme: Nämlich, dass Männer und Frauen grundsätzlich unterschiedliche Aufgaben zu verrichten und distinktive und vermeintlich biologisch vorgegebene Rollen zu erfüllen hatten. Haiti galt vor diesem Hintergrund als Ort, an dem das Ausleben dieser scheinbar natürlich vorbestimmen Geschlechterrollen für Afri-
5
„Circular No I“.
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Zu Bedeutungen von Respektabilität in den USA im 19. Jahrhundert siehe u.a.: Kasson, John F., Rudeness & Civility: Manners in Nineteenth-Century Urban America. New York: Hill and Wang, 1990; Bushman, Richard L., The Refinement of America: Persons, Houses, Cities. New York: Knopf, 1992 (hier vom Anfang des 17. Jahrhunderts bis 1850). Zur Entwicklung einer Kultur der Mittelklasse und ihren Idealen von Respektabilität siehe unter anderem: Halttunen, Karen, Confidence Men and Painted Women: a Study of Middle-Class Culture in America, 1830-1870. New Haven, Conn. [u.a.]: Yale University Press, 1982; Blumin, Stuart M., The Emergence of the Middle Class: Social Experience in the American City, 1760-1900. Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1989; Ryan, Mary P., Cradle of the Middle Class: The Family in Oneida County, New York, 1790-1865. Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1998.
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Robinson, Black Nationalism, S. 8-9.
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can Americans erst möglich werden sollte. Die Idee, dass die Emigrierenden aus den USA als Träger nordamerikanischer Tugenden Fortschritt, Christlichkeit, und letztlich Zivilisierung nach Haiti bringen sollten, war untrennbar mit diesen geschlechtlich strukturierten Vorstellungen verwoben. Um mich den oben aufgeführten Untersuchungsfragen zu nähern, werde ich mich im Folgenden zunächst dem Tätigkeitsfeld der potentiellen Emigranten zuwenden.
„W E WANT THE FARMER “: L ANDWIRTSCHAFT UND Z IVILISIERUNG Wer geeignet war nach Haiti zu emigrieren und wie diese Personen idealer Weise in Haiti leben sollten, wurde häufig dann am deutlichsten formuliert, wenn Pläne scheiterten. Nachdem seit dem Frühjahr 1861 mehrere Schiffe mit Emigrantinnen und Emigranten von Städten der nördlichen US-amerikanischen Ostküste nach Haiti aufgebrochen waren, zeichnete sich bereits im Sommer ab, dass viele der Emigrierten nach einigen Wochen oder Monaten in Haiti enttäuscht in die USA zurückkehren wollten. Viele fanden in Haiti nicht vor, was sie sich erhofft hatten. Einige beklagten sich über das Desinteresse der vor Ort tätigen Emigrationsagenten, die die neu Angekommenen in den ersten Wochen begleiten und mit Land und finanziellen Mitteln versorgen sollten. Andere bemängelten die Qualität des ihnen zur Bewirtschaftung zugeteilten Lands und das Fehlen von geeignetem Baumaterial für Häuser. Viele Menschen litten nach den Strapazen der Schiffsreise und dem Ortswechsel an Krankheiten, an denen einige, vor allem Kinder und ältere Menschen, starben. Andere klagten über Sprachprobleme, Ablehnung durch die haitianische Bevölkerung, die vermeintliche Rückständigkeit des Landes und seiner Bewohner, unbekanntes Essen und ein zu heißes Klima.8 Wie in Kapitel eins dargelegt, spielten auch die Entwicklungen im US-amerikanischen Bürgerkrieg eine wahrscheinlich nicht unerhebliche Rolle bei dem Entschluss, in die USA zurückkehren zu wollen. Die Pine and Palm berichtete über die vermeintlich missglückten Emigrationen und suchte ausgiebig nach Gründen für ihr Scheitern. Während einige der in die USA Zurückgekehrten das Haytian Bureau of Emigration der Fehlinformation und Irreführung beschuldigten, suchte die Emigrationsorganisation die Fehler nicht bei sich selbst und seinen Repräsentanten in den USA und Haiti, sondern
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Zu diesen Beschwerden siehe beispielsweise die Pine and Palm vom 14. Dezember 1861.
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vor allem bei den Migrantinnen und Migranten, wie ich später in diesem Kapitel diskutieren werde. Vermutlich um weiteren Enttäuschungen und Missverstände vorzubeugen, wurde in der Pine and Palm im August 1861 in einer Frage-undAntwort-Sektion deutlich zugespitzt, wer überhaupt befähigt sei, nach Haiti zu reisen: „We want the farmer, who will till the soil, build up himself, and be an honor to the country as well as a benefit to the community. We don’t want a wholesale emigration of all sorts of people, with no purpose and no intention.“9
Nachdem auch im darauffolgenden Jahr die Anzahl enttäuschter Migrantinnen und Migranten eher noch zunahm und das Bureau deshalb vielfach in die Kritik geriet, informierte es ab Juli 1862 zudem ganz spezifisch darüber, welche Gruppen von Menschen in Haiti erwünscht waren und vor allen Dingen welche nicht: „[A]ll mechanics, tradespeople, hairdressers, waiters, teachers, clergy-men, single women, and persons over fifty, unless accompanied by families, will be refused a passage. […] These exceptions do not exclude men who have been farmers, or who intent to become farmers.“10
„Single women“ waren von der Migration nach Haiti also grundsätzlich ausgeschlossen, während Männer unter fünfzig, solange sie die Absicht hatten, dort Landwirtschaft zu betreiben, grundsätzlich zuglassen wurden. Ideale Migranten für Haiti waren den Ausführungen des Bureau zufolge männliche Farmer, die allerdings im Idealfall nicht alleine nach Haiti reisten, sondern zusammen mit ihren Familien. Die Rubrik „Laws of Emigration“, die in der Pine and Palm regelmäßig veröffentlichten wurde führte die von der haitianischen Regierung gesetzten Emigrationsvorgaben auf. Darin hieß es dementsprechend: „[F]ive carreaux of land will be granted, free of charge, to every family of laborers or cultivators of the African or Indian race who shall arrive in the Republic. This grant will be reduced to two carreaux when the laborer or cultivator is unmarried.“11
Somit wurden alleinreisende, unverheiratete Männer bei der Landvergabe zu einem gewissen Grad benachteiligt, während zugleich reisende Familien als er-
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Pine and Palm, 10. August 1861.
10 Pine and Palm, 3. Juli 1862. 11 Siehe beispielsweise Pine and Palm, 29. Juni 1861.
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wünschter Normalfall dargestellt wurden.12 Wie in Kapitel zwei diskutiert wird, sah die Programmatik des Bureau vor, wirtschaftlichen Aufschwung in Haiti über den Anbau von Kulturpflanzen wie Zucker, Kaffee, Baumwolle oder Kakao zu erreichen. Mithilfe der Arbeitskräfte aus den USA sollte das verarmte Land langfristig solchen Nationen wirtschaftliche Konkurrenz machen, in denen diese Produkte überwiegend von versklavten Menschen erwirtschaftet wurden. So sollte zum einen die Institution der Sklaverei in den USA und der Karibik herausgefordert werden. Zu anderem hoffte man, durch wirtschaftlichen Erfolg der rassistischen Diskriminierung schwarzer Menschen die Grundlage zu entziehen. Der Erfolg der Emigrationsbewegung sollte die Befähigung schwarzer Menschen unter Beweis stellen, selbstbestimmt und produktiv agieren zu können. Das Ziel, vor allem Farmer für die Emigration nach Haiti zu gewinnen, beruhte also vordergründig genau auf diesem wirtschaftlichen und zugleich emanzipatorischen Vorhaben. Emanzipation wurde dabei direkt mit dem Thema der upward mobility verknüpft. Demnach konnte der gesellschaftliche Aufstieg von Individuen nur durch harte Arbeit und ein entsprechendes Durchhaltevermögen erreicht werden. Er bedeutete zugleich immer auch eine Arbeit am Selbst.13 Wie das Beispiel der Emigration von African Americans nach Haiti verdeutlicht, war Mobilität dafür in vielfacher Hinsicht von Bedeutung. So ging es im metaphorischen Sinne einerseits um eine Aufwärtsbewegungen innerhalb der Gesellschaft. Im Kontext der Emigrationsbewegung wurde diese soziale Mobilität andererseits ganz konkret mit der Bewegung von Menschen von einem Ort an den anderen verknüpft. Erst durch die Bewegung nach Haiti konnte der Vorstellung der Emigrationistinnen und Emigrationisten entsprechend überhaupt eine upward mobility erreicht werden. Versklavten Menschen im Süden der USA, die gesetzlich an die von ihnen bewirtschafteten Plantagen gebunden und somit in ihrer Mobilität eingeschränkt waren, blieb upward mobility dabei in der Regel verwehrt und konnte bestenfalls durch die Flucht in den Norden der USA, also einer konkreten physische Bewegung erreicht werden. Als eng mit Vorstellungen von upward mobility verknüpft lässt sich die in den Publikationen des Haytian Bureau of Emigration präsentierte Tätigkeit des „farming“ lesen. Dem „farming“ wurde eine Lebensweise zugeschrieben, die als besonders erstrebenswert und emanzipatorisch erachtet wurde. Nicht ohne Grund
12 Zwar sind die Bezeichnungen „labourer“ und „cultivator“ im Englischen geschlechtsneutral. Dennoch liegt die Vermutung nahe, dass hier explizit Männer angesprochen wurden, keinesfalls aber alleinreisende Frauen. 13 Vgl. Cullen, The American Dream: A Short History of an Idea that Shaped a Nation. Oxford [u.a.]: Oxford University Press, 2003, S. 59-111.
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beschrieb das Bureau in der oben bereits erwähnten Frage-und-Antwort-Sektion vom August 1861 den erwünschten Migranten in Haiti als jemanden „who will till the soil, build up himself, and be an honor to the country as well as a benefit to the community.“14 Das Bearbeiten des Ackers wurde mit Vorstellungen von Eigenständigkeit und Selbsthilfe sowie mit Ehre und Nutzen für Nation und Gesellschaft verknüpft. Diese Ideen waren in den USA seit dem späten 18. Jahrhundert vielfach ähnlich geäußert worden. Unabhängige männliche Farmer galten als Rückgrat demokratischer Gesellschaften und die mit der Tätigkeit des „farming“ verknüpfte Lebensweise gegenüber dem Leben in der Stadt als erstrebenswerter. Bereits 1785 hatte Thomas Jefferson in seinen „Notes on the State of Virgina“ erklärt, dass „farming“ vor moralischem Verfall schütze, da nur Farmer ein eigenständiges, unabhängiges Lebens führen könnten: „Corruption of morals in the mass of cultivators is a phenomenon of which no age nor nation has furnished an example. It is the mark set on those, who not looking up to heaven, to their own soil and industry, as does the husbandman, for their subsistence, depend for it on the casualties and caprice of customers. Dependence begets subservience and venality, suffocates the germ of virtue, and prepares fit tools for the designs of ambition.“15
Diese von Jefferson formulierte Idee des Agrarianism wurde von vielen Menschen geteilt. Im Zuge der gewaltsamen US-amerikanischen Expansion in Richtung Westen und Süden in den 1850er Jahren war es nun für viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen erstrebenswerter und gleichzeitig leichter realisierbar geworden, den Städten an der Ostküste der USA den Rücken zu kehren, um in den Gebieten im Westen, aus denen die indigene Bevölkerung fast gänzlich vertrieben worden war, Farmer zu werden. „Agrarianism became a key component in constructing white masculine definitions of citizenship and republicanism“, stellt die Historikerin Rebecca Hartman fest und erläutert weiter: „Throughout the nineteenth century, Jefferson’s agrarian vision of manly land ownership and independence fueled a national expansion with people migrating westward in search of more land and greater economic opportunity […] By the mid-nineteenth century […] proponents of agrarianism came to associate city occupations with emasculating weakness
14 Pine and Palm, 10. August 1861. 15 Jefferson, Thomas, Notes on the State of Virginia. Philadelphia: Prichard and Hall, 1788, S. 175.
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and dependence, while a closeness to the land and to nature was associated with masculine qualities such as courage, virility, and independence.“16
Zwar konstatiert Hartman explizit, dass Agrarianism eine Schlüsselfunktion in der Konstruktion weißer Männlichkeiten einnahm. Allerdings plädiere ich dafür, African Americans und European Americans als Teilhabende ein und desselben Diskurses zu verstehen, zumal auch innerhalb dieser ohnehin schwer zu definierenden Gruppen Menschen von sehr unterschiedlichen Positionen sprachen und gehört wurden. So macht es auch keinen Sinn, von klar voneinander zu trennenden weißen und schwarzen Männlichkeiten zu reden, als bewegten sich diese in hermetisch abgeriegelten Räumen und nicht innerhalb derselben diskursiven Felder. Stattdessen ist davon auszugehen, dass die Ideen des Agrarianism sich in einer Vielzahl von Männlichkeitsidealen niederschlugen, die ständig neu inszeniert und in der Wiederholung sowohl bestätigt als auch modifiziert wurden.17 Das als unabhängig und moralisch erhebend idealisierte Leben als Farmer stellte sich auch für viele Migrantinnen und Migranten in Haiti als überaus verlockend dar. Dies zeigt sich beispielsweise in den Aufzeichnungen von W.M. Kellogg, der kürzlich in Saint Marc, Haiti, angekommen war. In einem im Oktober 1861 verfassten Brief an seine in Boston zurückgebliebene Ehefrau Charlotte beschrieb er, wie er sich seine Zukunft und die seiner Familie in Haiti vorstellte: „Just fancy yourselves a situation about six or seven miles from town – a settlement of all Americans – with your cows and hogs, sheep, goats and poultry all around you. […] There, each family with his sixteen acres, William with his, Aaron with his, - Terry, and all our children are together in a row […] we plant our cotton, corn, potatoes, and other things, and in six months, at the outside, we begin to realize the fruits of our labor. […] I like the city life, were everything is in splendour, but I am convinced that there is no life so happy, so independent as that of the farmer.“18
Nicht nur verknüpfte Kellogg in seiner Beschreibung das Erreichen von Glück („no life so happy“) mit Unabhängigkeit und selbstständiger körperlicher Arbeit. Auch grenzte er sich vom Leben in urbanen Räumen ab. Zur Erfüllung der von ihm anvisierten Lebensweise gehörte außerdem, dass seine Kinder mit ihren Familien in unmittelbarer Nähe leben und sie gemeinsam „the fruits of [their] la-
16 Hartman, Rebecca, „Agrarianism“, in: Carroll, Bret E. (Hg.), American Masculinities: A Historical Encyclopedia, Thousand Oaks: Sage Publ., 2003, S. 20-22. 17 Siehe Butler, Körper von Gewicht, S. 37. 18 Pine and Palm, 14. Dezember 1861.
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bor“ genießen könnten. Eine solche Lebensweise war, wie bereits mehrfach dargelegt, für die große Mehrheit von African Americans in den USA und Kanada kaum erfüllbar und machte Haiti als Emigrationsland deswegen vermutlich umso attraktiver. Es ist anzunehmen, dass der Aspekt der Unabhängigkeit zudem durch die Tatsache aufgewertet wurde, dass Haiti als unabhängige schwarze Republik galt. Viele Menschen hielten das Leben als Farmer für besonders ehrenhaft und gewinnbringend für die Gesellschaft und verstanden es als Inbegriff demokratischer Staatsbürgerlichkeit.19 Deshalb können Kelloggs Pläne von seiner Zukunft in Haiti auch als Strategie gelesen werden, sich solchen Stimmen zu widersetzen, die schwarzen Menschen die Befähigung staatsbürgerlich und zivilisiert zu agieren vielfach absprachen. Wie bereits zuvor angesprochen, war Kellogg zudem der Meinung, Haiti brauche „the emigration of the right kind of people, with the arts and science of a civilized nation.“20 Damit führte er einerseits die Vorstellung fort, dass längst nicht alle Menschen per se zivilisiert seien. Andererseits widersprach er gleichzeitig der häufig geäußerten Idee, dass African Americans grundsätzlich nicht in der Lage seien, zivilisiert zu handeln. So positionierte er sich und andere African Americans als Teil einer zivilisatorischen Bewegung, die im Sinne einer US-amerikanischen Manifest Destiny „arts and sience of a civilzed nation“ in die Welt tragen sollte und konnte. Auch andere Migrantinnen und Migranten, deren Briefe in der Pine and Palm veröffentlicht wurde, verknüpfte Ideen eines staatsbürgerlichen Agrarianism mit einem Zivilisierungsnarrativ und gleichzeitig mit der Vorstellung von US-amerikanischer Expansion. James Theodor Holly, der sich im Spätsommer 1861 mit einer Gruppe von Emigranten in der Nähe von Port-au-Prince niedergelassen hatte, beschrieb beispielsweise in einem Brief an die Pine and Palm den Anblick von gerodeten Feldern in der Siedlung der Amerikaner folgendermaßen: „It is indeed a grateful sight to behold, on these beautiful evenings of October, the blazing fires that are lightened on the several lots, and the curling smoke there arising, which attests the preparations being made thereon for the plough, and give witness to the advancing tide of Northern civilization over-running the tropics.“21
Holly verknüpfte dabei die Tätigkeit des Brandrodens und der Vorbereitung von Ackerflächen zur Bepflanzung mit zivilisatorischen und modernisierenden Zie-
19 Siehe Lause, Young America. 20 Brief von Kellog an seine Ehefrau, Pine and Palm, 14. Dezember 1861. 21 Holly, James Theodore, „Letter from James Theodore Holly – A candid statement, Oct. 28, 1861“, in: Pine and Palm, 14. Dezember 1861.
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len und schrieb sich und andere afroamerikanische Emigranten und Farmer als Protagonisten einer von den USA ausgehenden Modernisierung der sogenannten Tropen in den Diskurs ein. Dabei wurde Haiti als Teil der Tropen zu einem Ort, dessen natürliche Ressourcen es zu kultivieren und auszubeuten galt.
„W HAT TO TAKE TO H AYTI “: G ESCHLECHTLICHE S TRUKTURIERUNGEN Wie ich im Folgenden darlegen werde, gab das Haytian Bureau of Emigration auf vielerlei Ebenen direkt und indirekt vor, wie African Americans leben sollten, nachdem sie nach Haiti auswandert waren. In dem von James Redpath herausgegebenen Emigrationsratgeber und Reiseführer „A Guide to Hayti“ informierte das Kapitel „How to Go, and What to Take to Hayti“ mögliche Migrantinnen und Migranten zum einen über Reiseformalitäten nach Haiti. Zum anderen legte es dar, welche Gegenstände die Emigrierenden nach ihrer Einreise nach Haiti brauchen würden, um dort erfolgreich der Landwirtschaft nachzugehen. Gleichzeitig gab der Text zu einem gewissen Grad vor, wie sich der Alltag der Menschen in Haiti idealerweise gestalten sollte. Vor allem mit Blick auf die Auflistung der nach Haiti mitzunehmenden Gegenstände ist Andreas Reckwitz zuzustimmen, wenn dieser darauf hinweist, dass „der Umgang mit und die Wirkung von Artefakten“ in der Hervorbringung von Subjektpositionen von großer Bedeutung ist.22 Wie Menschen also beispielsweise mit den Gegenständen umgingen, die sie mit nach Haiti bringen sollten, und ob und wie sie in der Lage waren, sie zu nutzen, strukturierte neben anderen Faktoren ihre Subjektposition. James Redpath riet den Reisenden nach Haiti: „Take all your books with you; for English books can seldom be had either for love or money. […] Take such carpenter tools as you will need. Every family ought to have a saw, hammer, and nails. Take all the agricultural implements you will require, - handcarts, yokes, ploughs, shovels, rakes, hoes, spades, harness, saddles, churns, and hives. Washing-machines, tubs, and sewing machines would be in-valuable for you womenfolk; for you can find none of those useful allies of the housewife in Hayti.“23
22 Reckwitz, „Habitus oder Subjektivierung?“, S. 57. 23 Redpath, „How to Go, and What to Take to Hayti“, in: ders. (Hg.), A Guide, S. 169170.
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Wie in Kapitel eins dargelegt, schlossen die Praktiken des Haytian Bureau of Emigration Menschen mit geringer Bildung und wenig Vermögen von der Emigration nach Haiti zu einem gewissen Grad aus. Dieser Ausschluss von Menschen ohne finanzielle Mittel spitzte sich in der im „Guide“ veröffentlichten Auflistung noch erheblich zu. Zwar war diese Auflistung nur als Vorschlag zu verstehen und galt im Detail vermutlich kaum als verpflichtend. Dennoch hatte diese Auflistung mehrere Effekte und brachte dabei Mechanismen der Ausgrenzung und Privilegierung hervor. Auf einer praktischen Ebene schloss sie möglicherweise Menschen aus finanziellen Gründen vom Umzug aus, verlangte doch die Anschaffung der oben vorgeschlagenen Ausstattung ein gewisses finanzielles Vermögen. Auch detaillierte landwirtschaftliche Kenntnisse waren bei der Anschaffung der Gegenstände vonnöten. Die Aufforderung, möglichst viele englischsprachige Bücher mitzunehmen, grenzte zudem solche Personen aus, die nicht Lesen und Schreiben konnten oder aus finanziellen Gründen keine Bücher besaßen. Somit wurden also bestimmte Menschen vor allem aufgrund finanzieller Gründe oder aufgrund von fehlender Bildung als für das Emigrationsprojekt weniger geeignet dargestellt. Auf einer zweiten, abstrakteren Ebene offenbarten sich, wie ich im Folgenden diskutieren möchte, ganz explizite Vorstellungen davon, wie Menschen in Haiti leben sollten. Auch diese Idealvorstellungen hatten ohne Zweifel Effekte im Leben von Menschen, wenngleich diese Mechanismen der Ausgrenzung subtiler und weniger unmittelbar funktionierten als etwa das Fehlen finanzieller Mittel. In den Vorgaben durch das Bureau zeichnete sich deutlich ab, welche Lebensweisen als „anständig“ und „respektabel“ galten, und wie sie die Subjektpositionen von Menschen strukturierten. Wie oben dargelegt, verknüpfte das Bureau Respektabilität dabei augenscheinlich mit der Bildung der Reisenden. Implizit mit der Auflistung von Gegenständen, die die Migrantinnen und Migranten mit nach Haiti bringen sollten, war die Vorstellung verknüpft, dass Menschen in Haiti in heteronormativen Familienstrukturen leben sollten. So nahm der „Guide to Hayti“ eindeutig aufgeteilte geschlechtliche Rollenzuschreibungen vor, in denen männliche Migranten als Familienoberhaupt galten. Redpaths Darstellung sprach dezidiert Männer als Initiatoren der Emigration an. Es wurde ein Männlichkeitsideal angerufen, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts überaus dominant war: „Wahre“ Männer wurden häufig als kontrollierte und willensstarke Ehemänner und Väter beschrieben, die ihnen untergebene Frauen und Kinder ver-
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sorgten und anleiteten.24 Beispielsweise trat in der Formulierung „your women folk“ die Vorstellung zutage, dass migrierende Frauen nach Haiti lediglich als hierarchisch untergeordneter Teil einer Familie „mitreisten“, nicht aber als selbstständige Akteurinnen oder gar Initiatorinnen des Ortswechsels verstanden wurden. Alleinstehende Frauen, aber auch alleine reisende Männer oder in Gesellschaft anderer Männer und Frauen reisende Personen wurden in der Auflistung des Bureau nicht angesprochen. Die grundsätzliche Ablehnung von alleinstehenden Frauen als Emigrantinnen verweist auf dominante Narrative von Respektabilität und Geschlecht in der Mitte des 19. Jahrhunderts. „Respectability“ ist von Historikerinnen und Historikern als eine zentrale politische Strategie von African Americans des 19. (und auch des 20.) Jahrhunderts identifiziert worden.25 Der Historiker Patrick Rael bemerkt: „Respectability functioned among northern blacks and whites as what many termed a master value. […] Everyone knew the basics: respectability had to do with achieving a state of inner integrity (most often virtues associated with Christian morality and a new capitalist work ethic) and with cultivating an exterior that accurately represented that inner character.“26
Einer respektablen Lebensweise nachzugehen wurde dabei nicht nur als geeignete und überdies notwendige Strategie empfunden, um die gleichberechtigte An-
24 Hierzu grundlegend: Bederman, Gail, Manliness & Civilization: A Cultural History of Gender and Race in the United States, 1880-1917. Chicago: Univ. of Chicago Press, 1995, S. 11f. 25 Siehe u.a: Rael, Patrick, Black Identity and Black Protest in the Antebellum North. Chapel Hill, NC: UNC Press, 2001, vor allem Kapitel fünf, S. 157-207; White, E. Frances, Dark Continent of our Bodies: Black Feminism and the Politics of Respectability. Philadelphia: Temple University Press, 2001; Dunbar, Erica Armstrong, A Fragile Freedom: African American Women and Emancipation in the Antebellum City. New Haven, Conn. [u.a.]: Yale University Press, 2008. Wie W. Caleb McDaniel darlegt, waren gerade reformistische und abolitionistische Bewegungen enorm auf das respektable Auftreten ihrer Anhängerinnen und Anhänger bedacht. Sie wollten so Stimmen entgegenwirken, die die Aktivistinnen und Aktivisten aufgrund der Radikalität ihrer Forderungen, wie etwa der Abschaffung der Sklaverei, für anstößig oder sogar verrückt erklärten. McDaniel, Caleb W., „The Fourth and the First: Abolitionist Holidays, Respectability, and Radical Interracial Reform“, in: American Quarterly, 57/1, 2005, S. 129-151. 26 Rael, Black Identity, S. 201.
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erkennung durch die weiße Bevölkerung zu erwirken. Vielmehr war es eben die Umsetzung respektabler Lebensweisen selbst, die von vielen als ultimativer emanzipatorischer Moment empfunden wurde. Denn Versklavung und rassistische Diskriminierung machten es für die große Mehrheit der afroamerikanischen Bevölkerung so gut wie unmöglich, eine an weißen Mittelklasseidealen orientierenden Lebensweise zu führen.27 Respektabilität beschrieb vor allem auch vermeintlich private Angelegenheiten wie Familienleben, Freizeitverhalten oder sexuelles Verhalten. Dabei wurde, wie ich später noch ausführlicher darlegen werde, das vermeintlich Private zu einem höchst öffentlichen Schauplatz, an dem sich der Subjektstatus von Menschen ablesen ließ. Wie ich bereits angedeutet habe, wurde das was als respektabel galt in hohem Maße von der Kategorie Geschlecht strukturiert. Dies ist mit Blick auf die Situation von African Americans in den USA zur Mitte des 19. Jahrhunderts von besonderer Brisanz, da respektable Männlichkeiten oder Weiblichkeiten von African Americans stets besonders angezweifelt und marginalisiert wurden. So argumentiert E. Francis White in ihrer Studie „Dark Continent of Our Bodies. Black Feminism and the Politics of Respectability“: „White bourgeois nationalism has repeatedly portrayed African Americans as a threat to respectability. Specifically, white nationalists have described both black men and women as hypersexual. In addition, black family life has consistently served as a model for abnormality.“28
Um einen Gegendiskurs zu solchen Annahmen zu schaffen, bedienten sich African Americans „ironically, though not surprisingly“, wie White bemerkt, mit der Politik der Respektabilität eben jenem Instrument, das die Mechanismen der Unterdrückung überhaupt ermöglichte. Demzufolge ging es bei der Ablehnung von alleinstehenden Frauen als Migrantinnen in Haiti um weit mehr als die Befürchtung, dass diese sich als Farmerinnen wirtschaftlich nicht durchsetzen würden – ganz im Gegenteil hatten beispielsweise versklavte Frauen in den USA lange unter Beweis gestellt, dass sie selbstverständlich ebenso erfolgreich harte Arbeiten verrichten konnten wie Männer. Doch genau darin lag der Stein des Anstoßes, denn gerade die Erfüllung normativer Familienstrukturen war eine wichtige Voraussetzung für die Anerkennung von Menschen als respektabel und dabei gleichberechtigt. Eng damit verknüpft war eine Idealisierung unterschiedlicher Lebens- und Aufgabenbereiche von Männern und Frauen, die mit den vermeint-
27 Vgl. ebd., S. 157-207. 28 White, Dark Continent of Our Bodies, S. 122.
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lichen natürlichen Charaktereigenschaften und Fähigkeiten von männlichen und weiblichen Personen korrespondierten. Auch im „Guide to Hayti“ orientierte sich die dargestellte Verteilung von Arbeitsbereichen zumindest vordergründig stark an dominanten Zuschreibungen dezidiert männlicher und weiblicher Sphären. Männer sollten also idealerweise als Familienoberhaupt fungieren, während Frauen der Haushalt als Tätigkeitsbereich zugedacht wurde. Geräte wie Waschund Nähmaschinen hielt Redpath für wichtige Bestandteile einer Ausstattung von emigrierenden Familien. Dabei idealisierte er den Arbeitsbereich Haushalt und benannte diesen als das primäre Tätigkeitsfeld von emigrierenden Frauen, die in Haiti als Hausfrauen („housewife[s]“) agieren sollten. Er ging dabei nicht darauf ein, dass kaum eine Familie finanziell in der Lage sein würde, luxuriöse Geräte wie etwa Waschmaschinen anzuschaffen, die auch in den USA den allerwenigsten Menschen zur Verfügung standen. Zwar sprach, wie ich bereits in den vorherigen Kapiteln angedeutet habe, das Haytian Bureau of Emigration grundsätzlich Mitglieder schwarzer Eliten an. Luxusgegenstände wie Näh- oder Waschmaschinen konnten sich aber vermutlich die allerwenigsten leisten.29 Dass es sich bei den dominanten zeitgenössischen Vorstellungen davon, wie Männer und Frauen zu leben hatten, um Entwürfe und Idealvorstellungen handelte, die in den seltensten Fällen die Lebenswirklichkeit von Menschen abbildeten, ist in der Forschung mittlerweile vielfach herausgearbeitet worden.30 Es gab nicht nur je-
29 Zur Geschichte von Geschlecht, Hausarbeit und Technologisierung siehe u.a. Strasser, Susan, Never Done: A History of American Housework. New York: Pantheon Books, 1982; Cowan, Ruth Schwartz, More Work for Mother: the Ironies of Household; Technology from the Open Hearth to the Microwave, New York: Basic Books, 1983, und im weiteren Sinne auch Pursell, Carol, The Machine in America: A Social History of Technology. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Press, 1996. 30 Die scheinbar so starre Trennung in männliche und weibliche beziehungsweise damit korrespondierende öffentliche und private Sphären wurden mit Begriffen wie „cult of true womanhood“ oder „cult of domesticity“ bezeichnet. Vgl. Welter, Barbara, „The Cult of True Womanhood: 1820-1860“, in: American Quarterly 18/2, 1966, S. 151174. Längst haben zahlreiche Studien festgestellt, dass Konzepte von männlichen und weiblichen Sphären zwar Wirkmacht entfalteten, aber eine klare Auftrennung von privaten und öffentlichen Sphären keinen Sinn machte. Erstens fanden Frauen immer wieder Möglichkeiten, öffentlich und politisch zu agieren. Zweitens war schon das Konzept des scheinbar privaten Haushalts ein höchst politisches und öffentliches, denn hier wurden, so die Idee der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, durch den Einfluss von Frauen republikanische Söhne und Männer geformt. Siehe Kerber, Linda, „The Republican Mother: Women and the Enlightenment. An American Perspective“,
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derzeit Männer und Frauen, die außerhalb von vermeintlich starren Lebens- und Arbeitsbereichen agierten – auch im übertragenen Sinne lässt sich eine Aufteilung in private und öffentliche und damit korrespondierend weibliche und männliche Sphären bei genauerem Hinsehen kaum aufrecht erhalten. So galten Familien, wie Jürgen Martschukat betont, als „die ersten und wichtigsten Orte für die Ausbildung guter republikanischer Staatsbürger, die […] zuvorderst männlich gedacht waren.“31 Dabei brachte, wie bereits zuvor erläutert, häufig erst die Teilhabe an heteronormativ strukturierten Haushalten und Familienzusammenschlüssen eben jene Respektabilität hervor, die wiederum als Schlüssel zur Teilhabe an republikanischer Staatsbürgerschaft funktionierte und damit den Zugriff auf gesellschaftliche Ressourcen ermöglichte. Scheinbar Privates war daher immer auch eine höchst öffentliche und politische Angelegenheit. Diese Argumentation ist im Kontext der Emigrationsbewegung nach Haiti, die von vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen als Beitrag zur Umsetzung einer afroamerikanischen beziehungsweise angloafrikanischen Version von Manifest Destiny verstanden wurde, von besonderer Bedeutung, wie ich hier kurz dar-
in: American Quarterly 28/2, 1976, S. 187-205. Kerber hat den Begriff der Republican Mother geprägt, der in der Historiographie mittlerweile vielfach aufgegriffen worden ist. Für kritische Diskussionen des Konzeptes der separate spheres, siehe u.a. Ryan, Mary P., Women in Public: Between Banners and Ballots, 1825-1880. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1990; Zagarri, Rosemarie, „Morals, Manners, and the Republican Mother“, in: American Quarterly 44/2 1992, S. 192-215; Ryan, Cradle of the Middle Class; Brown, Gillian, Domestic Individualism: Imagining Self in Nineteenth-Century America. Berkeley, Calif. [u.a.]: University of California Press, 1990; Davidson, Cathy N., „Preface: No More Separate Spheres!“, in: American Literature 70/3, 1998, S. 443-463; Kaplan, Amy, „Manifest Domesticity“, in: American Literature 70/3, 1998, S. 581-606; Kaplans Aufsatz ist in überarbeiter Form erschienen in dies., The Anarchy of Empire in the Making of U.S. Culture, Cambridge, Mass. [u.a.]: Harvard Univ. Press, 2002, S. 479-499; Kerber, Linda [u.a.], „Beyond Roles, Beyond Spheres: Thinking about Gender in the Early Reapublic“, in: William and Mary Quarterly 46, 1989, S. 565-585; dies., „Separate Spheres, Female Worlds, Woman’s Place: The Rhetoric of Women’s History“, in: The Journal of American History 75/1, 1988, S. 9-39; Martschukat, „Vaterfigur und Gesellschaftsordnung um 1800“, in: Martschukat/Stieglitz, Väter, Soldaten, Liebhaber, hier S. 89. 31 Martschukat, „Vaterfigur und Gesellschaftsordnung“, S. 89; Vgl. auch ders., Die Ordnung des Sozialen. Väter und Familien in der Amerikanischen Geschichte Seit 1770. Frankfurt/New York: Campus, 2013, hier vor allem S. 17-42.
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legen werde. Dabei möchte ich zunächst erneut auf Amy Greenbergs Studie „Manifest Manhood and the Antebellum American Empire“ verweisen, in der die Historikerin überzeugend darlegt, dass US-amerikanischer Expansionismus zur Mitte des 19. Jahrhunderts als eine Unternehmung gelesen werden muss, in der Geschlecht eine konstitutive Kategorie darstellte.32 Sie zeigt auf, dass territoriale Expansion und Entwürfe von Männlichkeiten und Weiblichkeiten eng miteinander verschränkt waren und sich gegenseitig hervorbrachten. Wie zudem die Literaturwissenschaftlerin Amy Kaplan argumentiert hat, muss in diesem Kontext die Trennung in Öffentliches und Privates ebenso aufgehoben werden wie die Vorstellung, dass US-amerikanischer Expansionismus eine rein männliche Angelegenheit war. So weist Kaplan zunächst darauf hin, dass beispielsweise in zeitgenössischen Darstellungen des Westward Movement keinesfalls nur alleinstehende männliche Siedler eine Rolle spielten, sondern vielmehr nicht selten ganze Siedlerfamilien inklusive Frauen und Kindern erschienen, die inmitten der vermeintlichen Wildnis einem „geordneten“ Familienleben nachgingen.33 Kaplan liefert dafür folgende Erklärung: „The ideology of separate spheres configures the home as a stable haven or feminine counterbalance to the male activity of territorial conquest. […] [H]owever, […] these gendered spaces were […] complexly intermeshed; […] ‚woman’s true sphere‘ was in fact a mobile and mobilizing outpost that transformed conquered foreign lands into the domestic sphere of the family and nation.“34
Die Vorstellung, dass Frauen dezidiert femininen Tätigkeiten als Hausfrauen und Mütter nachgehen und dabei „woman’s true sphere“ bedienen sollten, wurde damit allerdings nicht aufgelöst. Vielmehr wurde der Haushalt als weibliche Aktionssphäre in die vermeintliche Wildnis des amerikanischen Kontinents transportiert. Daran anschließend stellt Kaplan einige Überlegungen zu der Bedeutung des englischen Wortes „domesticity“ (Häuslichkeit) an. Sie weist darauf hin, dass der Begriff nicht nur den privaten Haushalt einer Familie beschreibt, sondern als Adjektiv domestic gleichzeitig auch benutzt wurde, um das zu beschreiben, was im Gegensatz zur ausländischen Fremde als einheimisch galt. Zudem verweist das Verb to domesticate nicht zuletzt auch auf die Zähmung und Zivilisierung von etwas Wildem. Die Verpflanzung des Haushaltes als weibliche Sphäre in die amerikanische und/oder tropische Wildnis kann deshalb als Maß-
32 Greenberg, Manifest Manhood. 33 Kaplan, The Anarchy of Empire, S. 23-25. 34 Ebd., S. 25.
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nahme verstanden werden, durch die das Fremde und Wilde domestiziert und dabei sowohl zivilisiert als auch schlussendlich zu einem Teil des USamerikanischen Haushalts gemacht werden sollte. Wie Kaplan argumentiert, galt in diesem Kontext, dass sich der Grad der Zivilisierung eines Landes daran ablesen ließ, wie domestiziert es zu sein schien: „Domestic in this sense is related to the imperial project of civilizing, and the conditions of domesticity often become the makers that distinguish civilization from savagery.“35 Demnach lassen sich Haushalt, Familie und damit Frauen in ihrer Funktion als Mütter und „housewifes“ als Kernstücke US-amerikanischer Expansionsdiskurse zur Mitte des 19. Jahrhunderts lesen – Kaplan beschreibt diesen Diskurs treffend als „Manifest Domesticity“.36 Das vermeintlich Private des Haushalts wurde dabei durch und durch politisiert und zu einem öffentlichen Schauplatz gemacht. So lässt sich vor diesem Hintergrund auch die Bevorzugung von emigrierenden Familien gegenüber alleinreisenden Männern durch das Haytian Bureau of Emigration verstehen. Afroamerikanische Familien wurden aufgefordert, das bisher vermeintlich wilde, tropische, rückständige Haiti zu modernisieren und zu zivilisieren. Im Rahmen heteronormativer Familienstrukturen wurde nicht nur jene Respektabilität hergestellt, die es bedurfte, um in der US-amerikanischen Öffentlichkeit als Staatsbürger anerkannt zu werden – gleichzeitig sollte aus dem Haushalt der Emigrierenden heraus das vermeintlich wilde und unzivilisierte Haiti domestiziert werden. Demnach ließe sich zugleich auch der Grad der Zivilisiertheit der Emigrierenden an dem Zustand ihrer Haushalte ablesen. Diese Vorstellung ist auch deshalb von ganz besonderer Bedeutung da African Americans sich schließlich hartnäckig und grundsätzlich dem Verdacht ausgesetzt sahen, selbst unzivilisiert zu sein. Wie der Vorwurf der Unzivilisiertheit mit Geschlechteridealen und Respektabilität verknüpft war, welche marginalisierenden Wirkungen diese Verknüpfungen entfalteten, und wie sich vor diesem Hintergrund die Vorgaben des Haytian Bureau of Emigration lesen lassen, lege ich im Folgenden dar. Zunächst sei hier erneut darauf hingewiesen, dass sich in den Äußerungen rund um das Bureau eine Vielzahl von Geschlechterentwürfen finden lassen, die keinesfalls eindeutig oder permanent fixiert waren, sondern vielmehr ständig neu ausgehandelt wurden. Dies soll aber keinesfalls in Abrede stellen, dass das Streben nach Erfüllung bestimmter Ideale und damit verbundener Lebensweisen nicht äußerst wirkmächtig im Leben von Menschen waren. Dominante Entwürfe
35 Ebd. 36 Ebd. S. 23.
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von Geschlechterrollen konnten als Herrschaftsinstrumente funktionieren, eben weil sie immer auch als Wahrheiten galten und darüber ihre Wirkmacht entfalteten. Dies ist gerade mit Blick auf die Geschichte von African Americans von besonderer Brisanz. Wie bereits angedeutet, konnte die Erfüllung dominanter Geschlechterideale in den USA allenfalls von der weißen Mittelschicht eingelöst werden und ließ sich auf die Lebensrealitäten von anderen Bevölkerungsgruppen häufig nicht übertragen. Mit den Lebensumständen von Sklavinnen und Sklaven im US-amerikanischen Süden waren sie beispielsweise kaum vereinbar. Dennoch, beziehungsweise gerade deshalb, wurden diese Ideale von den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen häufig als Maßstab herangezogen, an dem die Zivilisiertheit und Staatsbürgerlichkeit von Personen abgelesen werden könne. Menschen, die gegen die scheinbar so starre und vermeintlich natürliche Aufteilung weiblicher und männlicher Lebensbereiche verstießen, wurde häufig mit großer Ablehnung begegnet. Das dokumentiert etwa eine Reiseschilderung von Frederick Law Olmsteds zeigt, der in den 1850er Jahren verschiedene Orte im Süden der USA besuchte. Auf seiner Reise traf er auf eine Gruppe versklavter Männer und Frauen, die im Straßenbau tätig waren: „The women were in the majority, and were engaged at exactly the same labor as the men; driving the carts, loading them with dirt, and dumping them upon the road; cutting down trees, and drawing wood by hand, to lay across the miry places; hoeing, and shovelling. […] Clumsy, awkward, gross, elephantine in all their movements; pouting, grinning, and leering at us; sly, sensual, and shameless, in all their expressions and demeanor; I never before had witnessed, I thought, anything more revolting than the whole scene.“37
Die von Olmsted beschriebenen Frauen standen zweifelsohne außerhalb dominanter Geschlechterideale und damit verknüpfter Respektabilität. Allerdings weist unter anderem die Historikerin Martha S. Jones darauf hin, dass schwarze Frauen – und diese These ist auf ähnliche Weise auch auf schwarze Männer übertragbar – von vielen auch dann nicht als respektable Mitglieder der Gesellschaft anerkannt wurden, wenn sie formal alle Kriterien bürgerlicher Lebensweisen erfüllten. So argumentiert Jones:
37 Olmsted, Frederick Law, Journey in the Seaboard Slave States. New York (u.a.): Dix and Edwards; Sampson Low, Son & Co., 1856, S. 387-88. bell hooks bezeichnet dies als „masculinisation of the black female“, siehe hooks, bell, Ain’t I a Woman: Black Women and Feminism. London: Pluto Press, 1982, S. 22.
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„Blackness marked them as outside the boundaries of middle-class circles, and caricatures depicting black women’s fataly flawed attempts to appear to be ‚ladiesǥ were used to fix such lines of demarcation. Whatever their ambitions, free black women could never achieve the pious, refined, demure, and modest brand of womanhood reserved for their white counterparts.“38
Das Streben von African Americans nach Anerkennung als respektable Bürgerinnen und Bürger war demnach in der Regel vergeblich. Perfiderweise schien es gleichzeitig die einzige Möglichkeit, gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen.39 Ein weiterer Grund, weshalb alleinstehende Frauen nicht nach Haiti reisen sollten, mag die Befürchtung gewesen sein, dass diese sich prostituieren oder zumindest in den Ruf geraten könnten, dieser marginalisierten Profession nachzugehen. Alleinstehende, wenig vermögende Frauen galten zur Mitte des 19. Jahrhunderts als höchst gefährdet, zu sogenannten fallen women zu werden. Viele reformerische und feministische Akteurinnen und Akteure argumentierten, dass Frauen aus freien Stücken und von sich aus niemals der Prostitution nachgehen würden, sondern nur aufgrund harscher ökonomischer Bedingungen und der Verführung durch Andere diesen Weg einschlügen.40 Reformerinnen und Reformer setzten deshalb auf „protection rather than punishment, which translated into policies that imposed strong controls over young women’s lives, work, lei-
38 Jones, Martha S., All Bound up Together: The Woman Question in African American Public Culture, 1830-1900, Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2007, S. 18. Zu Vorstellungen von schwarzer, respektabler Weiblichkeit siehe auch: Dabel, Jane E., A Respectable Woman: The Public Roles of African American Women in 19th-century New York. New York: NYU Press, 2008. 39 Wie Jürgen Martschukat darlegt, gründete die abolitionistische Bewegung ihre Kritik an der Sklaverei deshalb auch darauf, dass sie den Versklavten die Umsetzung dominanter Geschlechterideale verwehre: „Eine der abolitionistischen Kritiken an der Sklaverei war die Nivellierung von Geschlechterunterschieden, die Auflösung der ,seperaten Sphären‘ und die Angleichung von Männern und Frauen in ihren Tätigkeiten, ihren Funktionen in der community und ihrem gesamten Sein: Sklavenmänner lebten nicht so, wie Männer leben sollten, Sklavenfrauen nicht so, wie Frauen leben sollten, lautete die Kritik“. Siehe: Martschukat, Die Ordnung des Sozialen, S. 95. 40 Dies illustriert beispielsweise der 1831 veröffentlichte Magdalen Report der reformerischen New Yorker Magdalen Society, in dem Prostitution in New York City und ihre Ursachen beschrieben wurden. Siehe Horowitz, Helen L., Attitudes Toward Sex in Antebellum America: A Brief History with Documents. Boston [u.a.]: Bedford/St. Martin, 2006, S. 126-127.
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sure, and relationships.“41 Eine reformerische Maßnahme war beispielsweise die Einrichtung von Wohnheimen für junge, alleinstehende Frauen in urbanen Zentren. Allerdings soll hier nicht der Eindruck entstehen, schwarze Frauen seien tatsächlich überdurchschnittlich häufig der Prostitution nachgegangen. Stattdessen sei vielmehr darauf hingewiesen, dass schwarze Frauen in den Augen vieler Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ohnehin als überaus promiskuitiv und unmoralisch galten und deshalb schneller in den Verdacht gerieten, sich zu prostituieren: „[B]lack women were naturally seen as the embodiment of female evil and sexual lust. They were labeled jezebels and sexual temptresses and accused of leading white men away from spiritual purity into sin“, beschreibt bell hooks ein dominantes Bild von schwarzen Frauen in der Mitte des 19. Jahrhunderts.42 Ich möchte keinesfalls implizieren, dass die mit dem Bureau reisenden oder die für das Bureau arbeitenden Menschen den Stereotypen der Hypersexualität schwarzer Frauen zustimmten. Ganz gewiss aber waren sich viele der Akteure und Akteurinnen dieser Stereotypen bewusst. Die Politik, alleinstehende Frauen von der Emigration nach Haiti zumindest formell auszuschließen, kann deshalb einmal mehr als Versuch gelesen werden, die Bewegung gegenüber kritischen Stimmen als moralisch einwandfrei darzustellen. Diese Überlegungen dürfen nicht aus dem Blick geraten, wenn es zu diskutieren gilt, welche Rolle Respektabilität in der Imagination der idealen Migranten und Migrantinnen durch das Bureau spielte. Die Ablehnung von alleinreisenden Frauen und die weniger massive aber dennoch angedeutete Marginalisierung alleinreisender Männer kann als Strategie
41 Vgl. Hobson, Barbara M., Uneasy Virtue: The Politics of Prostitution and the American Reform Tradition. Chicago: University of Chicago Press, 21990 (1987), S. 5. Für eine geschlechtergeschichtliche Perspektive auf Reformbewegungen im 19. Jahrhundert siehe u.a.: Ginzberg, Lori D., Women and the Work of Benevolence: Morality, Politics, and Class in the Nineteenth-Century United States. New Haven: Yale Univ. Press, 1990; Dorsey, Reforming Men and Women. Auch Jugendliche waren die Zielgruppe solcher Besserungsmaßnahmen, die Werte der weißen Mittelklasse an Mitglieder der Unterschicht vermitteln sollte. Gunja S. Gupta argumentiert, dass diese Wohlfahrtsangebote von Mitgliedern der schwarzen Unterschicht im viktorianischen New York zwischen 1840 und 1890 aus ganz unterschiedlichen Gründen genutzt wurden. Menschen deuteten die Maßnahmen im Sinne selbstgesetzter Ziele um und eigneten sie sich an. Vgl. Gupta, Gunja S., „Black and ‚Dangerous‘?: African American Working Poor Perspectives on Juvenile Reform and Welfare in Victorian New York, 1840-1890“, in: The Journal of Negro History, 86/2, 2001, S. 99-131. 42 hooks, Ain’t I a woman, S. 33.
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gelesen werden, die Emigrationsbewegung nach Haiti gegenüber weißen Kritikern mit Respektabilität zu ummanteln – dies war eben deshalb von besonderer Dringlichkeit, da es sich um eine schwarze Bewegung handelte, deren Erfolg von vielen allein schon aufgrund der race ihrer Akteurinnen und Akteure angezweifelt wurde. Der Begriff Strategie soll allerdings nicht als Vorgehen verstanden werden, das autark und intentional aus den jeweiligen Akteuren und Akteurinnen heraus entstand. Vielmehr agierten Menschen innerhalb eines Diskurses, der Wahrheiten und Wissen hervorbrachte und dabei strukturierte, wie Menschen handelten und sprachen, während umgekehrt Menschen und ihre Sprechund Handlungsmöglichkeiten Diskurse strukturierten. Strebten Menschen Respektabilität an, so bewegten sie sich dabei immer innerhalb dessen, was als wahr und damit sag- und machbar galt.
„M EN AMONGST MEN “: M ÄNNLICHKEIT UND E MANZIPATION Wie zahlreiche Beiträge in der Pine and Palm zeigten, wurde der Umzug nach Haiti von vielen Emigrierenden als Chance begriffen, der Erfüllung dominanter Ideale von Männlichkeiten und Weiblichkeiten näher zu kommen und sich dabei zu emanzipieren. Der Emigrant William H. Crawford etwa, der im Frühsommer 1861 mit seiner Familie von Philadelphia nach Haiti gereist war, empfand den Umzug nach Haiti als überaus maskulinisierend. In einem Brief an seinen Freund J.H. Standard, der den Brief zur Veröffentlichung an die Pine und Palm weiterleitete, bekannte er: „I must say that I never felt that I was a man until now. I felt myself oppressed and a minor in the States, but now I am a Haytian citizen, and am recognized as a man [Herv.i.O.].“43 Crawford verknüpfte dabei Mann-sein eng mit der Vorstellung, Staatsbürger zu sein. Dabei zeigt sich zudem, dass Mann-Sein nach Crawfords Verständnis kein immerwährender und naturgegebener Zustand war. Vielmehr deutete sich an, dass Männlichkeit einer gelungenen und von anderen lesbaren Performanz bedurfte. Die Bedingungen für die gelungene Performanz von Männlichkeit waren dabei im Gegensatz zu den USA in Haiti gegeben, wie Crawfords Schilderung verdeutlicht. Denn hier markierte, anders als in den USA, blackness keinen Ausschluss von Staatsbürgerlichkeit. Crawfords Männlichkeit entstand zudem nicht aus ihm heraus, sondern erst mit der Anerkennung durch andere. Die Per-
43 Der Brief ist auf den 20. Juni 1861 datiert und wurde in der Ausgabe der Pine and Palm vom 28. September 1861 veröffentlicht.
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formanz von Männlichkeit galt also erst in dem Augenblick als gelungen, in der ihr durch andere Anerkennung gezollt wurde. Bemerkenswert ist zudem, dass die Editoren der Pine and Palm den Begriff „man“ in der abgedruckten Version des Briefes in der Zeitung kursiv setzten und damit zum Ausdruck brachten, dass auch sie die Auslebung von Männlichkeitsidealen als überaus emanzipatorisch verstanden. In einem ebenfalls in der Pine and Palm veröffentlichten Brief an „his colored friends“, die in den USA geblieben waren, schrieb der kürzlich nach Haiti emigrierte James J. Dudley: „Allow me to say that all men are free and equal here. They will die in defence of their country, and I feel to unite with them to defend this country and nationality. I find a manlike spirit among the emigrants I came with to the land of the free and equal. Liberty and Equality. […] [C]ome and join us and be men amongst men.“44
Es zeigte sich, dass Dudley die Performanz von Männlichkeit mit der Möglichkeit verknüpfte, in Verteidigung von Staat und Nation Waffen zu tragen. Dies wiederum beschrieb er dezidiert als eine emanzipatorische Erfahrung. So forderte Dudley explizit Männer auf, nach Haiti zu emigrieren und stellte ihnen in Aussicht, dort Mann-Sein und Staatsbürgerlichkeit erfahren zu können. Er bezog sich in seinem Brief vermutlich konkret auf den drohenden militärischen Konflikt zwischen Haiti und Spanien. Denn Spanien hatte 1861 auf Einladung des dominikanischen Präsidenten Pedro Santana Haitis Nachbarland Santo Domingo re-kolonisiert. Viele Menschen in Haiti befürchteten, dass die spanische Kolonialmacht Haiti angreifen und versuchen könnte, die Sklaverei wieder einzuführen. Das haitianische Militär befand sich deshalb in erhöhter Alarmbereitschaft.45 Ähnlich wie Dudley bekundeten zahlreiche Emigranten ihre Verbundenheit mit Haiti und die Bereitschaft, den Staat gegen Angreifer zu verteidigen. So schrieb Henry Mathews Emmerly in einem Brief vom 3. Juni 1861 aus Saint Marc: „When I entered the harbor of Hayti, I was more than surprised to see such a glorious country. This is the country for every man of the Indian or African race. I feel myself real-
44 Pine and Palm, 27. Juli 1861. 45 Dubois, Haiti, S. 177-178. Siehe auch Logan, Rayford W., Haiti and the Dominican Republic. London: Oxford University Press, 1968, S. 39-46; Polyné, From Douglas to Duvalier, S. 34.
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ly indebted for the invitation that they have extended so freely, and hope that every man feels as I do – every ready to stand by the red and blue.“46
Während der Brief des Emigranten Emmerly erneut von der erfolgreichen Verortung als Mann kündete, zeigen Berichte über den Lebensalltag der Migrantinnen und Migranten in Haiti zahlreiche Brüche mit diesen Idealen auf. Bisher habe ich vor allem solche Momente betrachtet, in denen die Performanz von Männlichkeitsidealen und Respektabilität als gelungen betrachtet wurde, weil sie mit dem kompatibel war, was der Diskurs als akzeptabel hervorbrachte. Im Folgenden zeige ich auf, wie Menschen in ihrem Lebensalltag vielfach mit diesen Idealen brachen. Zweitens untersuche ich, wie diese Brüche rationalisiert wurden.
„T HERE WAS A LONE LADY “: ABWEICHUNGEN UND R ATIONALISIERUNGEN Die weitaus überwiegende Mehrzahl der in der Pine and Palm veröffentlichten Briefe wurde von Männern verfasst. Dies gilt sowohl für solche Briefe, die als Leserbriefe direkt an die Redaktion der Zeitung oder an den Herausgeber James Redpath gerichtet waren, als auch für solche, die zunächst für Familienangehörige und Freunde in den USA bestimmt und erst im Nachhinein in Auszügen in der Zeitung veröffentlicht wurden. Während Frauen vermutlich ebenso wie Männer Briefe an Angehörige in den USA verfassten, wurden ihre Schreiben bei der Auswahl zur Veröffentlichung möglicherweise seltener berücksichtigt. Was das Verfassen von solchen Briefen angeht, die von Anfang an als Leserbriefe direkt an das Bureau und seinen Direktor Redpath verfasst wurden, scheint es zudem wahrscheinlich, dass tatsächlich häufiger Männer das Wort ergriffen.47 So schrieb der Emigrant D.E. Powell in einem Brief an Redpath: „Mr. Redpath – Dear Sir- with pleasure I drop you a few lines to inform you that I and my litter landed safe at the place of our destiny, with good health and happy hearts – glad to stand again on the land of Toussaint and Christophe. […] We were received with much kindness. Let them come by the thousands! This is the only country were we can become a people.“48
46 Pine and Palm, 27. Juli 1861. Mit „the red and blue“ ist die Flagge Haitis gemeint. 47 Vgl. Kapitel eins, in dem die Praktiken des Haytian Bureau of Emigration näher beleuchtet werden. 48 Pine and Palm, 14. Dezember 1861.
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In seinem Brief stellte sich der Mann als wohlwollender Patriarch dar, der seine Familie, die er einerseits liebevoll und andererseits herablassend und hierarchisierend als „Wurf“ bezeichnete, sicher nach Haiti geleitet habe. Gleichzeitig nahm er mit seinem Verweis darauf, dass Haiti das „land of Toussaint und Christophe“ sei, direkt Bezug auf die sogenannten Gründerväter Haitis und bezog sich dabei ganz explizit auf die Haitianische Revolution. Zudem forderte er andere African Americans auf, es ihm nachzutun und wertete so seine Entscheidung nach Haiti zu emigrieren möglicherweise auf. Damit positionierte er sich nicht zuletzt als aktiver Teilhaber an einer emanzipatorischen Bewegung. Doch auch jenseits der konkreten inhaltlichen Ebene lässt sich schon das Verfassen des Leserbriefes als performativer Akt lesen, mit dem sich der oder die Schreibende beispielsweise als Anführer ihrer Familien positionierten. Waren die meisten Briefe von Männern verfasst, die so im Akt des Briefschreibens als Familienoberhaupt agierten, lassen sich in den an das Bureau gerichteten Briefen eine Reihe von Fällen finden, in denen Menschen mit diesen Rollenvorstellungen zumindest zu einem gewissen Grad brachen. So schrieb beispielsweise eine Migrantin namens Maria Hamilton im November 1861 aus Port-auPrince an Redpath: „Sir – I embrace this opportunity of writing to inform you that we have arrived safe in Port-au-Prince. All the passengers were very much pleased with the captain. We had plenty of everything to eat. I went ashore in St. Mark; I witnessed, personally, the debarkation of all the emigrants. They were given a very nice house.“49
Abschließend verwies sie auf ihren Ehemann, der offensichtlich mit ihr nach Haiti gereist war: „My husband sends his best respect to you.“ Vermutungen darüber, warum in diesem Fall Maria Hamilton und nicht ihr offensichtlich mitgereister Ehemann den Brief an Redpath verfasste, müssen zwangsläufig spekulativ bleiben. Möglicherweise konnte Hamiltons Ehemann schlicht nicht lesen und schreiben, was zum Beispiel dann der Fall sein konnte, wenn dieser früher versklavt gewesen war oder in einem Bundesstaat aufgewachsen war, in dem African Americans aufgrund rigider rassistischer Gesetze grundsätzlich nicht lesen und schreiben lernen durften. Vielleicht hatte sich die Familie auch aus anderen Gründen dafür entschieden, dass Maria Hamilton den Brief verfassen sollte, oder Hamilton hatte die Entscheidung ohne Rücksprache zu halten getroffen. Sie ließ Redpath in ihrem Brief wissen: „At the request of a good many friends, I wish to have this letter published, with my name attached.“ Mit diesem Hinweis machte
49 Ebd.
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sie deutlich, dass sie sich sehr bewusst für das öffentliche Briefschreiben entschieden hatte. So trat sie in der Pine and Palm und gegenüber James Redpath als Sprecherin für ihre Familie auf und brach damit mit den vom Bureau propagierten dominanten Rollenvorstellungen bis zu einem gewissen Grad. Auch der überaus deutlich formulierten Forderung des Bureau, laut der keine alleinstehenden Frauen nach Haiti reisen sollten, widersetzten sich Menschen vereinzelt. So zitierte die Pine and Palm die Migrantin Hannah Jackson: „I have got a small piece of land cleared. This young woman, my daughter, cleared it all. I could have done more if I had had my house up sooner. […] I like the country very well.“50
Die Schilderung lässt nicht nur vermuten, dass Jackson und ihre Tochter ohne männliche Begleitung nach Haiti gereist waren, sondern deutet auch darauf hin, dass die beiden Frauen auch außerhalb eines männlich geführten Familienmodels in Haiti gut zurechtkamen. Dabei erfüllten sie die Vorgaben, die das Bureau den Emigrantinnen gab, in vollem Maße, hatten sie doch ein Haus errichtet, Land in Ackerflächen umgewandelt und bewerteten ihre Situation insgesamt als überaus positiv. Auch andere Fälle von erfolgreichen alleinstehenden Frauen tauchten in der Pine and Palm auf. Eine Emigrantin, die in der Zeitung als Mrs. Robes bezeichnet wurde, und deren Ehemann kurz nach der Ankunft in Haiti verstorben war, wurde von Henry Melrose in einem Bericht über die Situation in Port-au-Prince folgendermaßen zitiert: „I am perfectly happy here, and would not go home again on any account. I have got my land and a beautiful clearing on it, and my sons are covering my house with shingles. […] I am telling you the truth, as the Lord lives, Mr. Annoual, the Director [ein Vertreter der Regierung vor Ort] gives me Government allowance since my husband’s death. […] I have hardly missed him.“51
Der Migrant Spencer Waters schrieb in einem Brief an die Pine and Palm, der am 27. Februar 1862 veröffentlicht wurde: „There was a lone lady, that landed when we did, from Canada. She has got her land cleared and her house built on it, while others have been here from five or six month and
50 Pine and Palm, 12. Juni 1862. 51 Ebd.
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have done nothing but quarrelled about Government maintenance. She is one of the smartest women that has landed here.“52
Der Erfolg der alleinreisenden Frau aus Kanada wurde herangezogen, um im Vergleich weniger erfolgreiche männliche und/oder in heteronormativ strukturierten Familiengruppen organisierte Emigrierende zu belehren. So lässt sich einerseits in der Schilderung Spencers ein Widerspruch finden zu den vom Bureau propagierten Vorstellungen, laut derer alleinstehende Frauen in Haiti zwangsläufig scheitern würden. Andererseits stellten trotz dieser Zugeständnisse des Verfassers alleinreisende Frauen in den Darstellungen des Bureau die Ausnahme und eine von männlichen Reisenden gesonderte Kategorie dar. Sie wurden an anderen Maßstäben gemessen als Männer und heteronormativ strukturierte Familien, die im Idealfall von Männern geleitet werden sollten. So wurde die erfolgreiche Migrantin aus Kanada zwar als „one of the smartest women“ beschrieben, die sich in Haiti niedergelassen habe. Mit denen erfolgreicher männlicher Reisender wurden ihren Fähigkeiten allerdings nicht verglichen. Auch Redpath fand den Fall der Migrantin aus Kanada offensichtlich überaus bemerkenswert. Er kommentierte ihn in der Pine and Palm folgendermaßen: „Let us have her name to shame the masculine imbeciles who come back and whine because they did not get horses to ride out to their lands, as well as free farms, and because they did not pick up gold without trouble in the streets of the Haytian cities.“53
So wurde in dem Leserbrief und dem beigefügten Kommentar der Erfolg der Kanadierin zwar als anerkennungswürdig dargestellt. Gleichzeitig aber blieb ihre Geschichte eine Ausnahmeerscheinung, die letztlich vor allem dazu benutzt werden konnte, weniger erfolgreiche Männer darüber zu beschämen, dass sie im Vergleich mit einer Frau den Kürzeren zogen. Dem Scheitern der Emigration nach Haiti wurde dabei eine ent-männlichende Wirkung zugeschrieben, die im Vergleich mit dem Erfolg der Frau aus Kanada noch schwerwiegender ausfiel, weil den Rückkehrern nicht gelungen war, was ausgerechnet eine Frau erreicht hatte. Männliche Migrierende, die in die USA zurückkehrten, wurden von Redpath dementsprechend nicht als Männer bezeichnet, sondern als „masculine imbeciles“ verunglimpft. Indem Redpath und andere den Erfolg der Kanadierin als kuriose Ausnahme dargestellten, schrieben sie letztlich die Annahme fort, dass Männer besser geeignet seien, nach Haiti zu emigrieren. So stellte der Be-
52 Pine and Palm, 27. Februar 1862. 53 Ebd.
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richt über die erfolgreiche alleinstehende Migrantin aus Kanada zwar einerseits einen Bruch mit dominanten Geschlechterkonventionen dar. Andererseits wurde das Beispiel aber doch herangezogen, um eben diese Geschlechterkonventionen wieder herzustellen, die im zeitgenössischen Diskurs als einzig richtige, wahre und respektable Lebensweisen hervorgebracht wurden. Ambivalenzen wurden damit zumindest zu einem gewissen Grad aufgehoben und wieder in dominante Narrative eingefügt. Aber auch schwerwiegendere Abweichungen davon, was als respektables Verhalten galt, mussten innerhalb dieses Narrativs rationalisiert werden, ohne es grundsätzlich in Frage zu stellen. Indem Redpath die oben angesprochenen gescheiterten Emigranten nicht als Männer sondern als „masculine imbecilies“ bezeichnete, sprach er ihnen auch ganz explizit ihren Anspruch auf die Wahrnehmung als „wahre“ Männer ab. Damit blieb die Vorstellung, dass „wahre“ Männer in Haiti erfolgreich sein würden vom Scheitern der Emigranten unbeschadet. Bereits mehrfach habe ich in diesem Kapitel dargelegt, dass es dem Bureau ein wichtiges Anliegen war, die Emigrantinnen und Emigranten nach Haiti als respektable Subjekte darzustellen, um so der Emigrationsbewegung gegenüber anderen Glaubhaftigkeit zu verleihen. Normativierungen, die darauf abzielten, Respektabilität hervorzubringen, verzweigten sich bis in die verschiedenste Lebensbereiche und entfalteten dort ihre Wirkmacht. Gleichzeitig wurden sie erst in diesen Verzweigungen und alltäglichen Lebensbereichen hervorgebracht, bestätigt und verändert. Zu diesen Bereichen gehörte, wie ich im Folgenden darlegen werde, unbedingt die Abstinenz von als sündhaft markiertem Verhalten, die Beachtung bestimmter hygienischer Maßnahmen und nicht zuletzt auch Kleiderordnungen.
„W HAT TO TAKE TO H AYTI “ II: ANLEITUNGEN ZU R ESPEKTABILITÄT In dem Kapitel „How to go, and what to take to Hayti“ in dem vom Haytian Bureau of Emigration veröffentlichten „Guide to Hayti“ wurden Emigrierende dazu aufgefordert, folgende Kleidungsstücke und Haushaltstextilien nach Haiti mitzunehmen: „For clothing, take as many summer suits as you can afford to buy; for every kind of manufactured goods is dearer in Hayti than in the United States“, empfahl James Redpath. Er fuhr fort: „Light-colored linen or cotton clothing is best; with the high-crowned straw or Panama hats. Those who design to cultivate coffee, and must therefore live in the high lands, will
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need woollen clothing and blankets; for it is often quite chilly in the mornes [Herv.i.O] of Hayti. Every one should wear flannel undershirts always. Sheetings, mosquito nettings, all kinds of female costume and of household ware – such as tablecloths, towels, and the likemay advantageously be taken by the emigrant.“54
Dabei ging es vordergründig darum, die Migrantinnen und Migranten darüber zu informieren, dass „manufactured goods“ in Haiti teurer waren als in den USA und es sich deshalb lohne, diese Gegenstände nach Haiti zu importieren anstatt sie dort zu kaufen. Gleichzeitig zeigte sich, welche Art von Kleidung respektable Subjekte und Staatsbürger in Haiti tragen sollten. Dabei lässt sich argumentieren, dass die Emigration nach Haiti als gemäßigte, bürgerliche Bewegung inszeniert wurde, die rassistischen Stereotypisierungen schwarzer Menschen zu widersprechen suchte. Allerdings lässt Redpaths Auflistung darüber hinaus auch den Schluss zu, dass der Verfasser die Emigrierenden für nicht in der Lage hielt, Entscheidungen bezüglich der Auswahl der Bekleidung selbst zu treffen. Wie unter anderem Shane White und Graham White gezeigt haben, bezogen sich Stereotypisierungen schwarzer Menschen häufig auch auf ihre Kleidung.55 Dies lege ich im Folgenden an einigen Beispielen kurz dar. Sklavinnen und Sklaven beispielsweise wurden häufig als schlecht und ärmlich gekleidet stereo-
54 Redpath, „How To Go and What to Take to Hayti“, in: ders. (Hg.), A Guide, S. 168. 55 White, Shane/White, Graham, „Slave Clothing and African-American Culture in the Eighteenth and Nineteenth Centuries“, in: Journal of Southern History, 61/1 (1995), S. 45-76. Der Aufsatz untersucht, wie Sklavinnen und Sklaven Kleidung als widerständige Technologie benutzten. Shane und Graham White argumentieren auch in einer breiter angelegten Studie dass die Arten und Weisen, wie African Americans in den USA sich historisch gekleidet haben, als widerständige Praktiken gegen rassistische Stereotype funktionieren. Siehe dies., Stylin’: African American Expressive Culture, from its Beginnings to the Zoot Suit, Ithaca, NY [u.a.]: Cornell University Press, 1998; Für Überlegungen zu Style als politischer Technologie schwarzer Menschen, siehe auch Mercer, Kobena, „Black Hair/Style Politics“, in: ders.: Welcome to the Jungle. New Positions in Black Cultural Studies, New York (u.a.): Routledge, 1994, S. 97-128; Miller, Monica, L, Slaves to Fashion: Black Dandyism and the Styling of Black Diasporic Identity. Durham: Duke University Press, 2009 und Dorestal, Philipp, Style Politics. Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943-1975. Bielefeld: Transcript, 2012. Für eine Geschichte über die Produktion und die kulturelle Bedeutung von Kleidung in den USA zwischen 1760 und 1860, siehe: Zakim, Michael, Ready-made Democracy: A History of Men’s Dress in the American Republic, 17601860. Chicago: University of Chicago Press, 2003.
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typisiert, was sowohl den prekären ökonomischen Umständen geschuldet galt, in denen sie lebten, zugleich aber in der Vorstellung vieler auch mit vermeintlichen charakterlichen Eigenschaften der Versklavten korrespondierte. In dem abolitionistischen Protestwerk „American Slavery As It Is: Testimony Of A Thousand Witnesses“, das 1839 von der American Anti Slavery Society herausgegeben wurde, und in dem vornehmlich weiße, männliche Zeugen über die Sklaverei im Süden der USA berichteten, widmete sich ein ganzes Kapitel der Bekleidung von Sklavinnen und Sklaven. „[T]he clothing of the slaves by day, and their covering by night, are inadequate, either for comfort or decency“, lautete es dort in der Einleitung, der dutzende Beschreibungen ärmlich gekleideter Personen folgten. So hieß es beispielsweise: „[I]n Lower Tennessee, Mississippi and Louisiana, the clothing of the slaves is wretchedly poor. […] I have frequently seen them with nothing but a tattered coat, not sufficient to hide their nakedness. […] I never saw or heard of masters allowing them stockings. A small poor blanket is generally the only bed-clothing [Herv.i.O.], and this they frequently wear in the field when they have not sufficient clothing to hide their nakedness or to keep them warm.“56
Eine andere Person gab zu Protokoll: „It is an everyday sight to see women as well as men, with no other covering than a few filthy rags fastened above the hips, reaching midway to the ankles. I never knew any kind of covering for the head [Herv.i.O.] given. Children of both sexes, from infancy to ten years are seen in company on the plantations, in a state of perfect nudity.“57
Diese Stereotypisierung schwarzer Menschen als ärmlich und nur unzureichend bekleidet wurde von Abolitionisten und Abolitionistinnen häufig herangezogen. Sie versuchten so, gegen die Sklaverei zu protestieren. Darstellungen wie die oben zitierten hatten gerade deshalb erhebliches Protestpotenzial, weil sie offenbarten, dass die Sklaverei keineswegs jene wohltätige Institution war, als die sie ihre Befürworter darstellten. Wie bereits zuvor angedeutet, behaupteten viele Befürworter der Sklaverei nämlich, dass Sklavenbesitzer Sklavinnen und Sklaven wohltätig versorgten und sie nicht nur mit materiellen Dingen wie Nahrung, Kleidung und Wohnraum ausstatteten, sondern sie auch an eine zivilisierte Le-
56 Weld, Theodore Dwight (Hg.), American Slavery, As It Is. New York: American Anti-Slavery Society, 1839, S. 42. 57 Ebd., S. 41.
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bensweise heranführten. Berichte über schlecht bekleidete Sklavinnen und Sklaven widersprachen dabei sowohl der Idee der materiellen Versorgung als auch des zivilisierenden Einflusses der Sklaverei.58 Besonders schwerwiegend war dabei, dass die Nacktheit der oben Beschriebenen als Merkmal von „Unanständigkeit“ galt. Die ökonomischen Umstände der Versklavung, so der Tenor der Beschreibung, führten so zu einer moralischen Degradierung der Versklavten. Gleichzeitig zeigte sich in zeitgenössischen Darstellungen auch immer wieder die Vorstellung, dass schwarze Menschen sich zu flamboyant und extravagant kleideten, um als respektabel zu gelten. So beschrieb die britische Schauspielerin Fanny Kembel in einem Tagebuch, das in abolitionistischen Kreisen als beliebte Lektüre zirkulierte und 1863 unter dem Titel „Journal of a Residence on a Georgia Plantation, 1838-1839“ veröffentlicht wurde, Sklavinnen und Sklaven, die sich für eine Fest zurecht gemacht hatten, folgendermaßen: „A huge boat had just arrived from the cotton plantation at St. Simon’s, laden with the youth and beauty of that portion of the estate who had been invited to join the party; and he greetings among the arrivers and welcomers, and the heaven defying combinations of color in the gala attire of both, surpass all my powers of description.“59
Neben der Kleidung markierte Kemble auch die Körperbewegungen der Feiernden als faszinierend aber auch lächerlich und vor allem „rassisch“ anders: „It is impossible to describe the things these people did with their bodies, and, above all, with their faces, the whites of their eyes, and the whites of their teeth, and certain outlines which either naturally and by the grace of heaven, or by the practice of some peculiar artistic dexterity, they bring into prominent and most ludicrous display.“60
Zu ärmlich gekleidet, oder zu opulent: beides wurde in der Stereotypisierung von Menschen herangezogen, um gesellschaftliche und rassifizierte Hierarchien herzustellen. Wie White und White explizit darlegen, konnten jedoch gleichzeitig über die Kleidung und nicht zuletzt die Körpersprache von Menschen auch Widerstand zum Ausdruck gebracht werden. So fochten African Americans, wenn
58 Siehe hierzu u.a. Finkelman, Defending Slavery; Faust, The Ideology of Slavery; Ford, Lacy K, Deliver Us from Evil: The Slavery Question in the Old South, New York [u.a.]: Oxford Univ. Press, 2009, S. 143-205. 59 Kemble, Frances Anne, Journal of a Residence on a Georgian Plantation in 18381839. New York: Harper, 1864, S. 96. 60 Ebd., S. 96-97.
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sie beispielsweise besser gekleidet auftraten als European Americans, nicht nur die oben angedeuteten Stereotype an, sondern stellten zugleich auch eine rassistische Gesellschaftsordnung in Frage, in der weiße Menschen in der Regel als kultivierter und eleganter und damit überlegen galten. Dass es selbstverständliche eine Frage der Perspektive war, was als elegant und kultiviert galt, und dass die Emigrierenden sich nicht zwangsläufig den Vorgaben des Bureau unterwarfen, muss hier kaum erwähnt werden. Mit vermeintlich ärmlich und schlecht, oder aber übermäßig flamboyant und deshalb „anstößig“ gekleideten Sklavinnen und Sklaven hatten jedenfalls jene Menschen, die sich so kleideten, wie das Bureau es vorschlug, nichts gemein. Die von Redpath beschriebenen Textilien waren weder übermäßig extravagant und bunt, noch waren sie ärmlich und entblößten den Körper. Gleichzeitig schrieb Redpath die Migrantinnen und Migranten mit der Aufforderung, helle Leinenkleidung und sogenannte Panamahüte zu tragen, in einen kolonialen Tropendiskurs ein. Wie ist dies zu verstehen? Verschiedene Studien sind dem Tragen einer bestimmten Art von Kleidung als kulturelle koloniale Praxis in verschiedenen kolonialen Kontexten und Epochen nachgegangen. So macht die Historikerin Margaret Maynard in ihrer Studie „Fashioned from Penury: Dress as Cultural Practice in Colonial Australia“ darauf aufmerksam, dass das Tragen von Kleidung als eine kulturelle Praxis verstanden werden muss, die den gesellschaftlichen Status von Menschen in hohem Maße signifiziert. Dabei werden nicht zuletzt immer auch Machtverhältnisse verhandelt, die rassifiziert, klassifiziert oder geschlechtlich strukturiert sein können.61 Mit Blick auf Siedlungs- und Kolonisierungspraktiken im tropischen Australien in den 1830er bis 1850er Jahren stellt sie fest, dass helle Kleidung aus Naturfasern und Strohhüte zur Standardausrüstung der britischen Emigranten in Australien gehörten.62 Auch in anderen durch Briten oder US-Amerikaner kolonisierten Gebieten, wie etwa Indien oder den Philippinen war ein solcher Kleidungsstil unter den Kolonisierenden üblich.63 Selbstverständlich galt das Tragen leichter und heller Na-
61 Maynard, Margaret, Fashioned from Penury: Dress as Cultural Practice in Colonial Australia. Cambridge [u.a.]: Cambridge University Press, 1994, S. 2; vgl. auch Anderson, Warwick, The Cultivation of Whiteness: Science, Health and Racial Destiny in Australia. Melbourne: Melbourne Univ. Press, 2003. 62 Ebd., S 83. 63 Siehe u.a.: Ross, Robert, Clothing: A Global History or, The Imperialists. Cambridge [u.a.], Polity, 2008. James S. Duncan zeigt am Beispiel Ceylon auf, wie Kleidung als einer von vielen Aspekten biopolitischer Hygienemaßnahmen funktionierte. Siehe:
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turfasern in warmen Gebieten vor allem auch als praktisch. Gleichzeitig legte diese Praktik die Zugehörigkeit zur Gruppe der Kolonisierenden dar und markierte dabei nicht zuletzt auch eine Abgrenzung von den Kolonisierten. Somit wurde über das Tragen der im „Guide“ beschriebenen Kleidung nicht nur Respektabilität für alle lesbar aufgeführt, sondern zugleich auch die Position der Emigrierenden als Kolonisierende des tropischen Raums zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig weisen die Regulierungen durch das Haytian Bureau of Emigration auch darauf hin, dass die Offiziellen den Emigrierenden möglicherweise nicht zutrauten, Entscheidungen bezüglich einer angemessenen Kleidung selbst zu treffen. Dies korrespondierte mit der rassistischen zeitgenössischen Idee, laut der schwarze Menschen nicht in der Lage seien, einfachste Entscheidungen zu ihrem eigenen Wohle selbstbestimmt zu treffen. So schrieb beispielsweise Samuel A. Cartwright, ein Arzt aus den US-amerikanischen Südstaaten und einer der bekanntesten Fürsprecher der Sklaverei: „[T]he black man requires government even in his meat and drink, his clothing, and hours of repose. Unless under the rule of one man to prescribe rules of conduct to guide him, he will eat too much meat and not enough bread and vegetables; he will not dress to suit the season for the kind of labor he is engaged in, nor retire in due time to get sufficient sleep.“64
Bezeichnenderweise bezogen sich auch die Regulierungsversuche der Emigrierenden durch James Redpath auf viele der von Cartwright aufgegriffenen Lebensbereiche, wie ich im Folgenden diskutieren möchte. Um dies zu verdeutlichen, wende ich mich zunächst einem Konflikt zwischen James Redpath und James Holly zu, der sich an der Deutung zahlreicher krankheitsbedingter Todesfälle in Hollys Umfeld entzündete.
Duncan, James S., In the Shadows of the Tropics: Climate, Race and Biopower in Nineteenth Century Ceylon. Ashgate: Gower House, 2007. 64 Cartwright, Samuel A., Slavery in the Light of Ethnology, in: Cotton is King, and ProSlavery Arguments. Elliot, E.N. et.al. (Hg.), Augusta, GA: Pritchard, Abbott & Loomis, 1860, S. 727.
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„N OBLE CAUSE “ UND „ FATAL FOLLY “: G ESUNDHEITLICHE R EGULIERUNGEN Sowohl schwere Krankheiten als auch Todesfälle waren unter den nach Haiti emigrierten Personen nicht unbekannt und stellten für viele Menschen einen Grund dar, Haiti wieder zu verlassen beziehungsweise gar nicht erst zu emigrieren. Die sogenannte New Haven Colony, eine Gruppe von Menschen, mit denen sich James Theodore Holly im Spätsommer 1861 in der Nähe von Port-au-Prince niedergelassen hatte, hatte seit der Ausreise aus den USA mehrere Todesfälle zu verzeichnen gehabt. Unter den Toten waren auch engste Familienangehörige Hollys gewesen, wie seine Mutter und eine Tochter. In einem offenen Brief an die Pine and Palm bezog Holly folgendermaßen Stellung zu den Todesfällen in der Gruppe: „Some of our stoutest arms and hearts have fallen [...] But they died like men at the post of duty. Their very deaths were a triumphant witness in behalf of the noble cause of Haytian emigration.“65
Indem er militärische Ausdrücke wie „post of duty“ bemühte, verknüpfte er einmal mehr Männlichkeit mit Wehrhaftigkeit und der Emigration nach Haiti. Bezeichnend für diese Verknüpfung ist auch, dass Holly in seinem Bericht wohl die Namen einiger der verstorbenen Männer aufzählte, die er dabei als „[s]ome of our stoutest arms and hearts“ bezeichnete. Die Namen von Frauen und Kindern unterschlug er hingegen gänzlich. So zeigte sich erstens, dass Holly der Emigration nach Haiti ein enormes emanzipatorisches Potenzial zuschrieb, das überaus männlich markiert war. Indem er zweitens die emanzipatorische Bedeutung der Emigrationsbewegung heranzog, rationalisierte er zudem den Tod von Freunden und Familienangehörigen als äußerst bedauernswert, aber keinesfalls vergeblich. Stattdessen bezeichnete er die Todesfälle als „triumphant witness in behalf of the noble cause of Hayian emigration“ und verknüpfte sie somit mit dem emanzipatorischen Anliegen der Emigrationsbewegung. Die Ursache für die Todesfälle legte er folgendermaßen dar: „Our mortality has been caused by the typhus fever. The close apartments that many of us occupy until our houses are built, the ignorance of our people of the necessity of ventilation, especially while sleeping; and their want of carefulness in removing promptly from
65 Holly, „A Candid Statement“, in: Pine and Palm, 21. September 1861.
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their rooms whatsoever gives forth an offensive effluvia, are causes that have created on the spot the typhus fever.“66
Hatte er die Todesfälle zuvor als heroische Opfer der Emigrationsbewegung bezeichnet, deutete er hier zugleich an, dass die Krankheit seiner Meinung nach möglicherweise hätte vermieden werden können, wenn die Emigrierenden sorgfältiger gehandelt und bestimmte Hygieneregeln befolgt hätten. Diese Widersprüchlichkeit löste er allerdings keinesfalls auf, sondern verknüpfte sie in den folgenden Zeilen erneut mit der heldenhaften Bereitschaft in und für Haiti zu sterben: „Nevertheless let no one be discouraged. We who survive here are not disheartened at the prospects before us. […] Come on, then, brave stout-hearted emigrationists – friends of a colored nationality who are not afraid to die, if needs be, and here is a home and a wide field of development for you!“67
James Redpath kommentierte Hollys Bericht in der Pine and Palm. Dabei zeichnete sich deutlich ein hierarchisierter Konflikt zwischen den beiden prominenten Fürsprechern von Emigration nach Haiti ab. Redpath bemerkte: „Mr. Holly will permit us to say that we do not regard the deaths of which he speaks as a ‚triumphant witness in behalf of the noble cause of Haytian emigrationǥ but as a sad evidence of the fatal folly of refusing to obey the rules of living which experience has laid down for the tropics.“68
Dabei implizierte Redpath ein überaus fahrlässiges Verhalten der Emigrantinnen und Emigranten. Seiner Meinung zeugten die Todesfälle keinesfalls von Heldenhaftigkeit, sondern waren lediglich traurige Ereignisse, die hätten vermieden werden können, wenn sich die Gruppe um Holly an bestimmte Regeln gehalten hätte. Die öffentliche Attacke des weißen Redpaths gegen den African American Holly war rassistisch enorm aufgeladen. Zum einen untergrub Redpath öffentlich die Autorität Hollys, in dem er sich dazu ermächtigte, Hollys Einschätzung seiner persönlichen tragischen Lage grundlegend zu widersprechen. Der vermeintlich heldenhafte Aspekt, mit dem Holly den Todesfällen Sinn zu verleihen suchte, und der im Kontext der Emigration nach Haiti eine überaus emanzipatorische
66 Ebd. 67 Ebd. 68 Redpath, James, „Response“, in: Pine and Palm, 21. September 1861.
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Konnotation hatte, wurde von Redpath völlig untergraben. Zwar hatte auch Holly eingeräumt, dass die tödlichen Erkrankungen möglicherweise durch unzureichende hygienische Maßnahmen hervorgerufen wurden. In seiner privilegierten Sprechposition als männlicher European American hatte Redpaths Angriff aber eine zutiefst rassistische Konnotation, warf doch hier ein weißer Mann einer Gruppe von African Americans vor, den Tod von Freunden und Familienangehörigen durch „fatal folly“ verursacht zu haben. Dabei knüpfte Redpath mit seinem Vorwurf, die Emigrantinnen und Emigranten hätten fahrlässig und töricht gehandelt, an eben jenen Diskurs an, der davon ausging, dass schwarze Menschen nicht in der Lage seien, selbstbestimmt und zu ihrem eigenen Wohl zu handeln. Redpath setzte seine harsche Kritik an Holly folgendermaßen fort: „Mr. Holly himself and his family were warned of the effects of eating fruit in the afternoon by guests at his own table. […] In fact this excellent colony seems, by their own confession, to have neglected to all the rules which experience lays down for health in Hayti.“69
Hier machte er Holly direkt für den Tod der Mitglieder der Gruppe verantwortlich und proklamierte für sich Überlegenheit gegenüber Holly. Damit untergrub er die Kompetenz des African American Holly als legitime Führungsperson. Das vermeintliche Fehlverhalten Hollys nahm Redpath zudem zum Anlass anzukündigen, eine verbindliche Übersicht über Gesundheitsregulierungen für Emigrierende in Haiti herausbringen zu wollen. So stellte er sich selbst als Autorität dar, während er die Emigrierenden als Personen beschrieb, die es zu regulieren galt. Damit rief er eine deutliche Hierarchisierung zwischen sich und den Emigrierenden auf. Er merkte an: „These rules we shall have printed and given to every emigrant to hang up in his house, with the warning that a neglect of them is good for a fever or a death.“70 Offenbar ging er davon aus, dass alle nach Haiti emigrierten Africans Americans bestimmte Regulierungen benötigen würden, um sich in Haiti korrekt zu verhalten. Wie ich im Folgenden diskutiere, schrieben die von Redpath vorgegebenen Regulierungen die Emigrationsbewegung nicht zuletzt in US-amerikanische Diskurse zu Temperance ein und zielten einmal mehr darauf ab, die Respektabilität der Bewegung unter Beweis zu stellen. Zudem zeigt sich erneut, dass James Redpath die Emigrierenden zu einem gewissen Grad für unfähig hielt, richtige Entscheidungen bezüglich ihrer Gesundheit zu treffen.
69 Ebd. 70 Pine and Palm, 21. September 1861.
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„D RINKING AND ANY OTHER VICE “: T EMPERANCE UND Z IVILISIERTHEIT Tatsächlich wurde Redpaths Ankündigung entsprechend in der gleichen Ausgabe der Pine and Palm eine umfangreiche und detaillierte Sektion mit dem Titel „Health Hints for Emigrants“ veröffentlicht.71 Der Artikel versuchte, das Leben der Emigrierenden in Haiti bis ins kleinste Detail zu regulieren. Unter anderem wurden folgende Themenbereiche als problematisch dargelegt: „Intemperance“, „The Use of Tobbacco“, „Over-Eating“, „The Want of Cleanliness“ und „Exposure to the Sun“. So empfahl der Artikel unter anderem täglich zu baden und zweimal täglich die Unterwäsche zu wechseln. Mangelnde Körperhygiene wurde häufig herangezogen, wenn es darum ging, Personen, die mit ihrer Situation in Haiti unzufrieden waren zu beschreiben und sie als unrespektabel und ungeeignet für die Umsetzung der Anliegen der Emigrationsbewegung dazustellen. So hieß es über sogenannte „discontented ones“ beispielsweise in einem in der Pine and Palm veröffentlichten Bericht von Henry Melrose aus Port-au-Prince: „They have done no good for themselves or the country, and will never do anything. […] One of these individuals, named Mr. George C. Anderson, [...] I found him living in a house as dirty as a pig-stye, and smelling just about as savory. A copy of the Guide, which he produced, emitted a still more disagreeable odor, from having been kept about his person and premises. It nearly made me sick.“72
Anderson wurde von Melrose zur Gruppe der Unzufriedenen gezählt. In seinem Bericht verknüpfte Melrose vermeintliche Unreinheit und Untätigkeit um die Unzufriedenheit des Emigranten zu erklären, ihn vor den Leserinnen und Lesern der Pine and Palm als gänzlich unrespektabel darzustellen, und dabei gleichzeitig auch zu etablieren, was als akzeptables Verhalten galt. Als Repräsentanten der Emigrationsorganisation hatten sich auch die Agenten des Bureau respektablen Verhaltensregeln zu unterwerfen. Anderenfalls drohte ihnen die Entlassung. So hieß es in einem Brief von James Redpath an den Mitarbeiter der Organisation James P. J. Spencer im Februrar 1862: „Sir […] [i]t is alledged that you kept bad company, got drunk, gambled, + threat-
71 Ebd. 72 Pine and Palm, 2. Mai 1862.
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ened to use your knife in a quarrel.“73 Nachdem ein weiterer Mitarbeiter die Anschuldigungen bestätigt hatte, wurde Spencer aus dem Dienst entlassen.74 Alle vom Bureau präsentierten Verhaltensregeln wirkten zudem darauf hin, Überfluss in jeglichem Maße zu unterlassen und fügten sich damit in einen Diskurs ein, der Mäßigung als Zeichen von protestantischer Zivilisiertheit verstand. In diesem Kontext wurde unkontrolliertes Essen mehr noch als Alkoholkonsum als höchst gesundheitsschädigend angesehen. Alkoholkonsum war in der Regel vornehmlich männlich belegt. Unverantwortliches Essverhalten hingegen galt als eine Gefährdung nicht nur von Männern sondern auch von Frauen und Kindern. So hieß es in den „health hints“: „Over-Eating causes more diseases than liquor drinking, because all ages, sexes and conditions are its victims, while intemperance is chiefly conflicted to adult males.“75 Das Verlangen nach scheinbar übermäßigem oder vermeintlich luxuriösem Essen wurde dazu genutzt, Emigrantinnen und Emigranten lächerlich zu machen und als undankbar darzustellen. Henry Melrose beschrieb in seinen in der Pine and Palm veröffentlichten Berichten die Lage der Emigrierten in Haiti. Obwohl Melrose auf weiten Strecken seiner Berichte vorgab Personen zu zitieren, die er besucht und gesprochen hatte, nahm er zuweilen sehr offensichtliche editorische Maßnahmen vor. So zitierte er einen Mr. James, der unter anderem die Verpflegung kritisierte, die die Passagiere auf der Überfahrt von den USA nach Haiti bekommen hatten, folgendermaßen: „We had plenty of food such as it was. All that I complain of is that it was badly cooked. We had soft bread only twice, biscuit twice, and corn bread twice. We had rice twice, we never had any pudding either, and we had no desert. (!!!) [Einf.i.O] You may think we emigrants don’t know anything, but we do.“76
Offensichtlich hatte Melrose in der Niederschrift des Gespräches mit Mr. James hinter dessen Bemerkung darüber, dass auf der Überfahrt nach Haiti kein Dessert angeboten worden sei, eine Reihe von Ausrufungszeichen hinzugefügt. Diese sollten die Beschwerde als bemerkenswert markieren. Bemerkenswert erschien sie Melrose vermutlich deshalb, da der Verzehr von Dessert überflüssig und extravagant galt und die Forderung deshalb unangemessen zu sein schien. Mit den
73 Brief von James Redpath an James P.J. Spencer, 4. Februar 1862, Correspondence of James Redpath, Schomburg Center. 74 Siehe Brief von James Redapth an A.J. Morris, 7. Februar 1862, Correspondence of James Redpath, Schomburg Center. 75 Pine and Palm, 21. September 1861. 76 Pine and Palm, 19. Juni 1862.
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auf Mäßigung ausgerichteten Regulierungen, die das Bureau den Emigrantinnen und Emigranten versuchte vorzugeben, war James Beschwerde jedenfalls nicht zu vereinbaren. James Unzufriedenheit mit seiner Situation in Haiti konnte so darauf zurückgeführt werden, dass dieser nicht in der Lage sei, sich an die erwarteten Verhaltensweisen anzupassen. Gleichzeitig lässt sich in der Widergabe von James Aussage „You may think we emigrants don’t know anything, but we do“ ein erhebliches Maß an Widerständigkeit gegen die Regulierungen des Bureau lesen, die James offensichtlich nicht unhinterfragt zu akzeptieren bereit war. Einige der Emigrierten stimmten zu, dass übermäßiges Essen schädlich sei und sogar zum Tode führen könne. Die Emigrantin Mrs. Robes, deren Ehemann kurz nach der Ankunft in Haiti gestorben war, wurde in der Pine and Palm zum Thema „over-eating“ wie folgt zitiert: „A great many people have died of gluttony here. They eat coconut and oranges at night, against all advice, and then when they become sick they blame the place for it.“77 Dass der nächtliche Verzehr von Früchten aus heutigen Gesichtspunkten kaum zur Erkrankung beziehungsweise dem Tod der Menschen geführt haben dürfte, macht die Regulierungen zum Verzehr von Essen einerseits umso absurder. Die Stellungnahme der Emigrantin Robes verweist aber auch darauf, dass die Vorstellung von einer gesundheitsschädigenden Wirkung von übermäßigem Essen als wahr akzeptiert wurde. Essen war bei weitem nicht das einzige Genussmittel, dessen Konsum das Bureau zu regulieren suchte. Alle in den „health hints“ angesprochenen Punkte wirkten darauf hin, übermäßigen Konsum in jeglicher Hinsicht zu unterlassen. Dies fügte sich in einen in den USA immer lauter werdenden Diskurs zu Temperance ein, der Mäßigung als Zeichen von Zivilisiertheit verstand und vor allem, aber nicht nur, auf den Konsum von Alkohol abzielte. Der Umgang mit Alkohol wurde auch in den „health hints“ problematisiert: „Intemperance is a very common and dangerous error that prevails in the tropics, to the effect that stimulating drinks are beneficial to the health. It is a fatal mistake to suppose destilled, fermented or brewed liquors are any improvement on water as a drink. They are occasionally of service as a medicine; but as now used they destroy a thousand lives where they save one.“78
Auch der Gebrauch von Tabak wurde schon allein deswegen überaus kritisch bewertet, weil er doch vermeintlich zum übermäßigen Konsum von Alkohol füh-
77 Ebd., 12. Juni 1862. 78 Ebd., 21. September 1861.
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re: „The use of tobacco, either by eating it or breathing it as smoke is a filthy habit, but not as dangerous in itself as drinking to which it almost always leads.“79 Zwar wurde hier explizit vor Alkoholgenuss in den sogenannten Tropen gewarnt. Grundsätzlich galt übermäßiger Alkoholkonsum aber auch dann als schädlich, wenn er in anderen Klimazonen konsumiert wurde. Mit dem Ziel, dem übermäßigen Genuss von Alkohol entgegen zu wirken, hatte sich seit dem späten 18. Jahrhundert in den USA die sogenannte Temperance Bewegung formiert, die spätestens ab den 1840er Jahren enormen politischen Einfluss gewonnen hatte und zu einer Massenbewegung geworden war. In der Annahme, Alkoholkonsum sei der Grund für viele gesellschaftliche Übel, schlossen sich viele Menschen in Clubs und Vereinen zusammen, um gegen den vermeintlich sündhaften Konsum vorzugehen. Hatte die Bewegung in ihren Anfängen lediglich einen gemäßigten Konsum von Alkohol propagiert, radikalisierte sie sich ab den 1820er Jahren zunehmend, so dass viele Aktivisten und Aktivistinnen den völligen Verzicht auf Alkohol einforderten. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Temperance zunehmend mit protestantischen Werten und Mittelklasseidealen assoziiert. Als „touchstones of middle class respectability“ galten protestantische Frömmigkeit und der Verzicht auf Alkohol.80 Die Historikerin Holly Berkley Fletcher argumentiert, dass exzessiver Alkoholkonsum in den Augen vieler Zeitgenossinnen und Zeitgenossen eine erhebliche Bedrohung der dominanten Geschlechterordnung darstellen konnte. Wenn Männer scheinbar naturgegeben als Familienoberhaupte und Ernährer fungierten, und Frauen als finanziell abhängige und untergebene Mitglieder der Familie den Haushalt bestellten, konnte der übermäßige Alkoholkonsum von Männern dazu führen, dass diese Ordnung aus den Fugen geriet. Konsumierte ein Mann zu viel Alkohol, brachte dies unter Umständen mit sich, dass er seiner Aufgabe als Ernährer der Familie nicht mehr nachgehen und seine Familie finanziell nicht mehr unterstützen konnte. Alkohol wurde deshalb eine feminisierende Wirkung zugeschrieben, wie Fletcher beschreibt: „Strong drink robbed men of full use of the mental faculties so crucial in a competitive marketplace and thereby endangered male independence. This mental degeneration was
79 Ebd., 21. September 1861. 80 Gusfield, Joseph R., Symbolic Crusade: Status Politics and the American Temperance Movement. Urbana, Ill. [u.a.]: Univ. of Illinois Press, 21986 (1980), S. 5, vgl. auch Frick, John W., Theatre, Culture and Temperance Reform in Nineteenth-Century America. Cambridge [u.a.]; Cambridge Univ. Press, 2003, S. 18-46.
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often described in feminine terms that underscored the conflation of failure and dependence with a loss of manhood.“81
Temperance Clubs waren zudem Räume, in denen Frauen ganz offen politisch aktiv werden konnten, ohne dabei die ihnen zugeschriebenen Rollenzuschreibungen und sozialen Verortungen zu verlassen. So verfassten Aktivistinnen beispielsweise Pamphlete, hielten Reden oder versuchten Abstinenz in ihren eigenen Haushalten oder denen anderer Frauen durchzusetzen.82 In der Regel waren Männer die Objekte der Reformbemühungen, da Frauen als von Natur aus abstinent galten. Allerdings gingen viele Frauen deshalb gegen Alkohol vor, weil Alkoholabhängigkeit von Männern als verheerend für das Familienleben galt. So sollte beispielsweise verhindert werden, dass Männer ihre Gehälter vertrinken und ihre Angehörigen mittellos dastünden. Auch häusliche Gewalt wurde mit übermäßigem Alkoholgenuss in Verbindung gebracht. Zu einer Zeit, in der Gewalttätigkeiten in der Ehe gesetzlich nicht geahndet und öffentlich kaum besprochen wurden, war der Einsatz gegen Alkohol eine Möglichkeit, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen und zumindest indirekt gegen sie zu protestieren.83 Viele Aktivistinnen und Aktivisten setzten sich auch gegen die Sklaverei in den Südstaaten der USA ein, die in den Augen vieler unter anderem deshalb so anstößig war, weil sie gegen vermeintlich naturgegebene Geschlechterrollen verstieß, indem sie schwarze Männer feminisierte und schwarze Frauen maskulinisierte. Sie stellte zudem eine Situation dar, in der sexuelle Übergriffe weißer Männer auf schwarze Frauen ungeahndet blieben und zugleich überaus gängige Praxis waren. Ab den 1840er Jahren galten Abolitionismus und Temperance als „intertwined and inseperable“, und African Americans, Männer wie Frauen, waren aktive Mitgestalter beider Bewegungen.84
81 Fletcher, Holly Berkley, Gender and the American Temperance Movement of the Nineteenth Century. New York [u.a.]: Routledge, 2008, S. 14. 82 Vgl. ebd., S. 16. 83 Zur Geschichte von Temperance in den USA bis zum Bürgerkrieg siehe auch: Dorsey, Reforming Men and Women. Dorsey verknüpft aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive die Temperance Bewegung mit der Anti-Sklaverei Bewegung und weiteren reformistischen Aktivitäten. 84 Frick, Theatre, Culture and Temperance Reform, S. 37. Zu African Americans und der Temperance Bewegung, siehe auch: Yacovone, Donald, „The Transformation of the Black Temperance Movement, 1827-1854: An Interpretation“, in: Journal of the Early Republic, 8/3 1988, S. 281-297.
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Die Temperance Bewegung wird zudem mit einer Vielzahl weiterer reformerischer Bewegungen des 19. Jahrhunderts in Verbindung gebracht, die sich unter anderem gegen solche sozialen Missstände einsetzte, die als sündhaft galten, wie etwa Prostitution, Ehebruch oder gesellschaftlich nicht akzeptierte sexuelle Praktiken. Das Schlagwort Temperance stand dabei für eine aufgeklärte, progressive politische Bewegung, die immer darauf bedacht war, sich nicht nur innerhalb des Rahmens bürgerlicher Respektabilität zu bewegen, sondern die Herstellung und Bewahrung von Respektabilität sogar zu einer ihrer Hauptaufgaben machte. In dem Streben, die Emigrationsbewegung nach Haiti als möglichst respektabel darzustellen, bot Temperance deshalb einen Raum, in dem sich aufgeklärtes und bürgerliches Verhalten abbilden und erproben ließ. Dementsprechend waren Menschen, die einem Leben nachgingen, das gegen dieses Verhalten verstieß, in Haiti nicht erwünscht. „No person who has not borne a good character, will be accepted as an emigrant. No person addicted to drinking or any other vice, therefore, needs to apply“, hieß es in dem bereits zuvor erwähnten „Circular“, den das Bureau 1862 in der Pine and Palm veröffentlichte.85 Die Regulierungen implizierten zudem indirekt, dass sich Trunkenheit und „good character“ grundsätzlich ausschlossen. Was als „any other vice“ galt, wurde dabei nicht weiter erläutert, bezog sich aber möglicherweise auf andere Drogen oder auch sexuelle Praktiken. Auch der Vorwurf des Lügens, der Unehrlichkeit und der Unwissenheit wurde herangezogen, um Menschen als unrespektabel und damit als ungeeignet für die Emigration darzustellen, wie der Fall des Emigranten George Wells zeigt, mit dem ich mich im folgenden Teil des Kapitels auseinandersetze.
„A TISSUE OF LIES ”: D IE D ISKREDITIERUNG
VON
G EORGE W ELLS
Obwohl viele der Emigrantinnen und Emigranten den Umzug nach Haiti als überaus erfolgreich und emanzipierend empfanden, kehrten zahlreiche Menschen wieder in die USA zurück. Einige von ihnen äußerten sich in den USA öffentlich zu ihren Erfahrungen in Haiti und warnten andere African Americans vor der Emigration und den Praktiken des Haytian Bureau of Emigration. Das Bureau wies in der Regel jegliche Vorwürfe von Seiten der Emigrierenden von sich und suchte die Schuld für eventuelle Missstände bei den Migrierenden. Wie bereits oben aufgezeigt, wurden die rückkehrenden und/oder scheiternden Emig-
85 Pine and Palm, 22. Mai 1862.
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rantinnen und Emigranten häufig durch das Bureau und andere Emigrierte kritisiert und für ihr Scheitern selbst verantwortlich gemacht. Den betroffenen Personen wurde eine Reihe von Fehlverhalten wie Faulheit, aber auch übermäßiger Alkoholkonsum unterstellt. Sie galten damit als unrespektabel und für die Emigration nach Haiti gänzlich ungeeignet. Auch Wells und seine Ehefrau hatten im Winter 1861/62 einige Wochen in Haiti verbracht, bevor sie in die USA zurückkehrten. Dort sprach Wells sich öffentlich vehement gegen Emigration von African Americans nach Haiti aus. So veröffentlichte die abolitionistische Zeitung Christian Recorder am 8. März 1862 einen von Wells verfassten kritischen Bericht über ihren Aufenthalt in Haiti.86 Der Bericht warnte eindringlich vor der Emigration. Zudem hatte Wells nach seiner Rückkehr nach New York einige der für das Schiff Wilhelmina gebuchten Emigrantinnen und Emigranten persönlich vor der Reise nach Haiti gewarnt und sie von ihrem Emigrationsvorhaben abgebracht, weshalb das Bureau auf Kosten von ca. 150$ sitzengeblieben war.87 Wells Vorgehen versetzte die Emigrationsorganisation offensichtlich in Aufruhr. Es veranlasste die Mitarbeiter, einerseits Wells als Lügner darzustellen und andererseits die eigene Glaubwürdigkeit zu rehabilitieren. Welche Strategien dabei herangezogen wurden, lege ich im Folgenden dar. Wie dringlich dem Bureau das Anliegen der Diskreditierung von Wells war, deutet schon allein der Raum an, der der Besprechung des Falles in der Pine and Palm eingeräumt wurde. Unter der Überschrift „Sketches of the Returned Emigrant“ in der Ausgabe vom 1. Mai 1862 verhandelte die Pine und Palm auf immerhin zweieinhalb Spalten die Vorfälle. Das Bureau reagierte auf Wells Kritik, indem es den zuvor im Christian Recorder veröffentlichten Bericht sowie mehrere dazu Stellung nehmende Kommentare abdruckte. Diese zweifelten Wells Autorität und Glaubwürdigkeit an und stellten seine Eignung als Emigrant grundsätzlich in Frage. Mit dem Bericht sollte darüber hinaus nicht nur Wells angegriffen werden. Vielmehr diente die öffentliche Diskussion über Wells dazu deutlich zu machen, wer als Emigrant in Haiti grundsätzlich nicht erwünscht war. Dies machte schon die Überschrift der Sektion deutlich, die sich offensichtlich nicht auf George Wells allein bezog, sondern vielmehr suggerierte, dass sich Rückkehrer und ihre Verhaltensweisen unter der Rubrik „Returned Emigrant“ verallgemeinernd zusammenfassen ließen. Wells Bericht wurde dabei zunächst wie folgt wiedergegeben:
86 Christian Recorder, 8. März 1862. 87 Siehe Pine and Palm, 1. Mai 1862.
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„This is to certify that HAYTI [Herv.i.O.] is a place not fit for any person to live in, who have been accustomed to a residence in the North. I, George Wells, (and wife) have been to Goniyes, Jackmais, Trinidad, Lackaha, Dueryer, St. Marks, and Port au Prince. The natives subsist on pine-apples, sweet potatoes, persimmons, yams, plantains, figs, bananas, and other fruits and vegetables. The spiders are as large as a medium-sized cat - walking wonders in fact. One vessel, called the Truxillia sailed from New York, with one hundred persons on board, and at the present time there is not one of them living. Another vessel called the Flight also went from New York with twenty five emigrants on board, and only three survive.“88
Unterschrieben hatten den Text neben Wells selbst zudem Emeline Wells, vermutlich Wells Ehefrau, und eine weitere Person namens Ben Bacon. Die Pine and Palm reagierte auf den Bericht, indem sie Wells der Lüge bezichtigte und seinen Aussagen sowohl über die vermeintlichen Toten, die Ablehnung Haitis als Emigrationsland sowie über die Ernährungsweisen der Haitianer und sogar über die Größe der Spinnen widersprach. So hieß es beispielsweise: „It is not true that there are any spiders in any country of the world, Hayti included, either as large as medium-sized cats, or one-tenth as large.“ Darüber hinaus wurde nicht nur Wells vermeintlichen Falschaussagen widersprochen, sondern auch seine Schreibweise haitianischer Orte korrigiert: „There is no place in Hayti as Jackmain or Trinidad, and if Mr. Wells visited L’ Archaie, Drouillard, and Gonaïves, it may be of some interest to him that they should never be spelled Lackaha, Dueryer, and Gonives. Trinidad is several hundred miles from Hayti. Mr. Wells, therefore, must be a marvellous traveller, if, never having been to any other West Indian Island than Hayti, he nevertheless visited Trinidad. Like the spiders he speaks of, he and his friend Ben, must be ‚walking wondersǥ in fact – or in fancy. […] Wells card, therefore, contains six sentences, each sentence contains at least one falsehood, making a total of eight lies.“89
In dem Kommentar wurden also Wells Bildung und seine orthographische Sorgfalt angezweifelt und er des Lügens bezichtigt. Wells wurde dabei als unglaubwürdig dargestellt und lächerlich gemacht, und somit seine Autorität als Informant in Frage gestellt beziehungsweise gänzlich demontiert. Wells Ehefrau Emeline, die den Bericht ebenfalls signiert hatte, wurde in dem Kommentar des Bureau interessanterweise gar nicht erwähnt und somit auch nicht hinterfragt.
88 „Sketches of the Returned Emigrant“, in: Pine and Palm, 1. Mai 1862. 89 Ebd.
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Um Wells Aussagen als unglaubwürdig darzustellen, fügte die Pine and Palm neben dem oben genannten Kommentar die Stellungnahmen zweier Anghöriger des Bureau bei, die sich zu diesem Zeitpunkt in Haiti aufhielten. Auguste Elié, gebürtiger Haitianer und Mitglied der Regierung unter Präsident Geffrard, war einer der beiden zitierten Agenten. Er wurde als „General Director of Emigration in Hayti, a man of energy and integrity, thoroughly familiar with all the facts relating to the Movement“ vorgestellt.90 Waren die Erfahrungen, die Wells geschildert hatte, nicht als Fakten sondern im Gegenteil als „fancy“ abgeurteilt worden, legte das Bureau bei der Vorstellung Eliés offensichtlich großen Wert darauf, ihn als Menschen zu präsentieren, der im Gegensatz zu Wells „facts“ liefern konnte. Die Pine and Palm fügte eine Passage aus einem Brief Eliés bei, in dem dieser klarzustellen versuchte, dass die Passagiere des Schiffes „Flight“, von denen Wells behauptete, dass alle bis auf drei gestorben waren, gesund und lebendig waren. Wenig später fuhr er fort: „Mr. Wells is the type of those men who propagate false stories without having seen, and without having made any effort to learn the truth. It is for them an excuse for their indolence to have recourse to falsehoods. […] They are ungrateful and malignant. [...] Nearly all the men who came by the Flight will succeed, because they have shown that they are energetic and honest.“91
Dabei verknüpfte Elié Ehrlichkeit und energetisches Verhalten mit wirtschaftlichem Erfolg und führte damit in der Umkehrung das Scheitern vieler Emigrierender auf ein mangelndes Vorhandensein dieser Eigenschaften zurück. Neben Eliés Brief wurde auch eine Stellungnahme der sogenannten Danville colony abgedruckt, in der die Namen der lebenden Mitglieder dieser Gruppe von Emigrierten aufgelistet waren – 19 Namen inklusive Wells und seiner Frau. Zudem wurde explizit das wirtschaftliche und gesundheitliche Wohlergehen der Gruppe geschildert. Wells wurde in der Stellungnahme als Außenseiter dargestellt, der niemals wirklich zu der Gruppe der sonst unbescholtenen Emigrantinnen und Emigranten gehört habe. So wurde Wells von Mitgliedern der Gruppe folgendermaßen beschrieben: „He is quite young. – He was never on good terms with the rest of us, and left here, soon after his arrival, for Port-au-Prince.“92 Indem sie Wells als Außenseiter darstellten, etablierte sich die Aussagenden in
90 Ebd. 91 Ebd. 92 Ebd.
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Abgrenzung zu ihm als erfolgreiche und respektable Emigrantinnen und Emigranten. Das Original der Stellungnahme könne übrigens, wie es in der Pine and Palm hieß, in den Räumlichkeiten des Haytian Bureau of Emigration in Boston eingesehen werden. Auch ein Brief von Henry Melrose, einem Mitarbeiter des Bureau, der sich zu diesem Zeitpunkt in Haiti aufhielt, wurde in der Darlegung herangezogen. Melrose wurde folgendermaßen zitiert: „It is this whining class who have returned and uttered no end of calumnies about the country. Take Wells, for instance: That rascal’s statements about the deaths of twenty out of the twenty-three of the Danville Colony dying of fever, is a sheer fabrication – A TISSUE OF LIES FROM BEGINNING TO END [Herv.i.O.]. I have a document from this very colony before me, and they are doing well – have had no sickness worth mentioning, and the only death among them was a little child twelve month old.“93
Schließlich kündigte die Pine and Palm an, noch weiteres Beweismaterial heranziehen zu können, um Wells Aussagen zu widerlegen. In den Beschreibungen des Emigranten Wells wird deutlich, dass Wells aus der Perspektive der Emigrationsorganisation keinesfalls als Einzelfall galt. Er wurde als Angehöriger einer ganzen „whining class“ von Rückkehrern betrachtet, die häufig als grundsätzlich unrespektabel dargestellt wurden und als ungeeignet galten, zivilisierenden Fortschritt nach Haiti zu bringen.
ABGRENZUNGEN
VON
„ LES
HABITANTS “
Nicht nur von rückkehrenden Emigrierten grenzte sich das Bureau zum Teil deutlich ab. Auch die vermeintliche Lebensweise der haitianischen Bevölkerung wurde durch die Emigrationsorganisation sehr kritisch dargelegt. Die oben dargelegten Vorgaben, mit denen das Bureau den Alltag der Migrierenden zu regulieren suchte, müssen so einerseits als Versuch gelesen werden, gängigen Stereotypisierungen von African Americans in den USA etwas entgegenzusetzen und sie als respektabel darzustellen. Andererseits müssen diese Regulierungen auch als eine Strategie verstanden werden, die Emigrierenden von der sogenannten „uneducated class“ Haitis abzugrenzen.94 Die haitianische Bevölkerung wurde im „Guide“ folgendermaßen beschrieben:
93 Ebd. 94 „The People of Hayti“, in: Redpath (Hg.), A Guide, S. 129.
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„[T]he people of Hayti are divided into two distinct parties, – the enlightened class and the uneducated mass. In Hayti we can discover, side by side with the highest intelligence and culture, many traces of the primitive superstitions and ideas. [...] The enlightened class may be described in three words: They are Frenchmen. All the distinguishing traits of the Parisian gentleman are reproduced in the educated Haytian. The uneducated class and particularly the people of the country – les habitants [Herv.i.O.] – have the characteristics that are attributed to the inland Irish; they are hospitable, superstitious, of a never-failing good-nature, thoughtless of the morrow, with quaint and prompt mother-wit, polite and sociable, but without ambition, and with little disposition to regular work. Their vices are contentment, petty theft, and a tendency to polygamy.“ 95
Der „Guide“ beschrieb die sogenannten „habitants“ mit überaus rassistischen Stereotypisierungen. Bemerkenswerterweise ähnelten diese Darstellungen eben jenen Stereotypisierungen, die in den USA häufig auch von Befürwortern der Sklaverei herangezogen wurden. Diesen diente Haiti oft als abschreckendes Beispiel dafür, was passieren würde, wenn die versklavte Bevölkerung des USamerikanischen Südens emanzipiert werden würde. So hieß es beispielsweise in einem 1858 erschienenen Artikel über Haiti in dem Magazin DeBow’s Review, das in New Orleans erschien: „The physical and moral condition of the mass of the inhabitants of Hayti is poor indeed. [...] [M]ost of their time is passed in idleness. […] They live in a state of promiscious intercourse, the meaning of morality being almost unknown to them. […] They are generally very ignorant and supersticious.“96
Die Publikation sprach als Zielpublikum sklavenhaltende Südstaatler an und war als Pro-Sklaverei Blatt weithin bekannt. Grundsätzlich sollte der Artikel davor warnen, was passieren würde, sollte die Sklaverei in den Südstaaten der USA abgeschafft werden. Dann würden sich dort ähnliche Verhältnisse einstellen wie in Haiti, hieß es. Zwar unterschieden sich die beiden oben genannten Darstellungen in ihrem Ton durchaus – die Darstellung der Masse der haitianischen Bevölkerung verwies aber in beiden Fällen auf Faulheit, auf von vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen als anstößig empfundene sexuelle Praktiken und nicht zuletzt auf Aberglaube. An dieser Stelle sei auch auf den Vergleich der haitianischen „habitants“ mit den sogenannten „inland Irish“ im „Guide to Hayti“ ver-
95 Ebd. 96 „The Model Negro Empire of Hayti“, in: DeBow’s Review, March 1858, Vol. 24/Issue 3, S. 206-207.
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wiesen. Dieser ist insofern nicht ungewöhnlich, als dass Iren in den USA im 19. Jahrhundert häufig als nicht-weiß galten und vielfach auf ähnliche Weise rassifiziert und stereotypisiert wurden wie schwarze Menschen.97 Gleichzeitig gaben die Stereotypisierungen der sogenannten „habitants“ in Redpaths Artikel viele jener Verhaltensweisen wieder, gegen die das Bureau in seinen Regulierungen der Emigration vorging. Das Bureau zog also gängige Stereotypisierungen von schwarzen Menschen heran, um so die idealen Emigrantinnen und Emigranten von der haitianischen Bevölkerung abzugrenzen. Gleichzeitig wurde dabei eine Hierarchie zwischen ihnen und den Einwohnern Haitis hergestellt. Denn die vom Bureau imaginierten idealen Emigrantinnen und Emigranten repräsentierten als monogame Ehemänner und Ehefrauen Vorstellungen von Respektabilität, die die „habitants“, wie sie im „Guide“ und in DeBow’s Review überaus rassistisch beschrieben wurden, vermeintlich nicht erfüllten. Wie dieses Kapitel gezeigt hat, wurde Emigration nach Haiti als eine Unternehmung verstanden, an der bei Weitem nicht alle als „Blacks, Men of Color, and Indians“98 klassifizierten Personen teilhaben sollten. Vielmehr wurde die exklusive Gruppe der idealen Emigrantinnen und Emigranten durch eine Vielzahl von Hierarchien strukturiert, die gleichzeitig auch die Subjektpositionen der Menschen bedingten. Eng verknüpft mit den Auseinandersetzungen um das Bild der idealen Emigrierenden waren auch die Tätigkeiten, denen die Emigrierten in Haiti nachgehen sollten. Anknüpfend an Diskurse um Manifest Destiny sollten die afroamerikanischen Emigrierenden Fortschritt, Christlichkeit und Zivilisierung von den USA nach Haiti bringen. Als Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung dieser komplexen Aufgaben galten Eigenschaften und Fähigkeiten wie Fleiß, Tatkraft, Mäßigung und Bildung. Untrennbar damit in Zusammenhang gebracht wurde ein Lebenswandel, der im zeitgenössischen Diskurs als respektabel galt. Indem sie auf einer Vielzahl von Feldern ihre Respektabilität unter Beweis stellten, sollten die männlichen Emigranten schließlich als vollwertige und gleichberechtigte Staatsbürger wahrgenommen werden. Wie ich dargelegt habe, waren es so gerade die Momente der Umsetzung respektabler Lebensweisen, die von vielen als schlechthin emanzipatorisch wahrgenommen wurden. Emanzipatorische Momente und vielfältige Hierarchisierungen zeigen sich auch in den Darstellungen Haitis in den Berichten von vier Reisenden, die im Zentrum des nächsten Kapitels stehen werden.
97 Siehe zu der Rassifizierung der Iren in den USA als nicht-weiß: Ignatiev, How the Irish Became White. 98 Siehe „Circular No. I.“
4 Kontaktmomente: Haiti in Reiseberichten
Im Zentrum des folgenden Kapitels stehen Reiseberichte aus Haiti. Diese Berichte beschreiben den Prozess des Reisens, müssen aber gleichzeitig auch als Darstellungen des Selbst verstanden werden, in denen die Reisenden sich selbst im Verhältnis zu den bereisten Kontexten positionierten. Ausgehend von dieser Prämisse nimmt dieses Kapitel Reiseberichte von vier Personen in den Blick, die in den unmittelbaren Kontext von Emigrationismus nach Haiti einzuordnen sind.1 James Redpath, der ab dem Herbst 1860 Direktor des neugegründeten Haytian Bureau of Emigration fungierte, war 1859 und 1860 mehrfach für einige Wochen nach Haiti gereist, um sich dort über den Staat zu informieren. Berichte über seine Aufenthalte wurden konsekutiv und in Briefform unter anderem in der New York Tribune veröffentlicht. Joseph Dennis Harris, der nach der Gründung des Haytian Bureau of Emigration als Agent der Organisation arbeitete, bereiste im Sommer 1860 per Schiff verschiedene karibische Länder. Darstellungen dieser Reise hielt er in Briefform fest, die im Herbst desselben Jahres gesammelt unter dem Titel „A Summer on the Borders of the Caribbean Sea“ bei einem
1
Das Material, das ich in diesem Kapitel untersuchen werde ist mit persönlichen Briefen und veröffentlichten Reiseberichten relativ divers. Mit Marguerite Helmers und Tilar Mazzeo gehe ich allerdings von einer weit gefasste Definition von Reiseberichten aus, die „tales of exploration, ships’ logs, private journals und letters, magazine articles“ und auch Fiktion umfassen können. Siehe Helmers, Marguerite/Mazzeo, Tilar, „Unraveling the Traveling Self“, in: Helmers/Mazzeo, The Traveling and Writing Self, 2007, S. 1-18, hier S. 1. Inwiefern die mir vorliegenden Berichte der „Realität“ oder tatsächlich gemachter Erfahrungen entsprechen, ist dabei also nicht relevant, da es vorrangig darum geht, die Berichte als Selbstdarstellungen im Kontext der Reise nach Haiti zu lesen.
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New Yorker Verlag veröffentlich wurden.2 Rassistische Diskriminierungen in den USA gab John Rapier Jr. in Briefen an seine Familie als einen Hauptgrund an, weshalb er Ende 1860 auf der Suche nach einer neuen Heimat nach Haiti reiste. Seine Erfahrungen in der Karibik hielt er in einer Reihe von unveröffentlichten Briefen fest, die er an Verwandte in Nordamerika schickte.3 Elizabeth Howard, die einzige weibliche Mitarbeiterin des Haytian Bureau of Emigration, verbrachte zwischen 1848 und 1852 einige Jahre als protestantische Missionarin in Haiti.4 Ihre Erinnerungen wurden in einer Reihe von Aufsätzen unter dem Titel „Reminiscences of a Sojourn in Hayti“ 1862 in der Pine and Palm veröffentlicht.5 Die Briefe und Berichte dieser vier Personen bilden die Materialgrundlage des folgenden Kapitels. Ich nähere mich den Reiseberichten mit der grundlegenden Annahme, dass hier Identitätsformationen in hohem Maße sichtbar wurden. In seiner 1993 erschienenen Studie „The Black Atlantic“ betont Paul Gilroy die konstitutive Bedeutung von Reisen und Migrationen für die Hervorbringung von Identitätsformationen. Gilroy plädierte für ein Verständnis von Identität, das mit jener „rhizomorphic, fractal structure of the transcultural, international formation“ korrespondierte, die er als Black Atlantic bezeichnete.6 Er forderte uns des-
2
Einführend zu Harris siehe: Bell, „Introduction“, in: ders., (Hg.), Black Separatism, S. 1-16; zu Harris Rolle in der Emigrationsbewegung und seine Arbeit für das Haytian Bureau of Emigration, siehe auch Dixon, African America.
3
Zu John Rapiers Reise nach Haiti siehe auch meinen 2009 erschienenen Aufsatz: Kreuzenbeck, Nora, „Racial Identifications im Wandel: John Rapier als Grenzgänger in den USA und Haiti“, in: WerkstattGeschichte 53, 2009, S. 28 - 45. Zu Rapiers Familiengeschichte siehe Franklin, John Hope/Schweninger, Loren, In Search of the Promised Land: A Black Family and the Old South. New York: Oxford University Press, 2006. Die meiner Analyse zugrunde liegenden Briefe und andere Manuskripte befinden sich im Moorland-Spingarn Research Center der Howard University in Washington, DC.
4
Dies bemerkt James Redpath in einem Bericht an Victorien Plésance vom 24. Juni
5
Zu Elizabeth Howards Tätigkeiten für das Haytian Bureau of Emigration, siehe auch
1861, James Redpath Papers, Manuscript Division, LOC. Kapitel eins. Elizabeth Howards Geschichte und ihre Veröffentlichungen sind, zumindest nach meinem derzeitigen Erkenntnisstand bisher nicht untersucht worden. Chris Dixon beispielsweise erwähnt die einzige weibliche Mitarbeiterin des Haytian Bureau of Emigration in seiner Studie nicht, vgl. Dixon, African America. 6
Gilroy, The Black Atlantic, S. 4. Ausführlicher siehe Einleitung dieser Arbeit. Vgl. Wiegmann/Kreuzenbeck, „Being on the Move“, S. 7-10.
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halb dazu auf, Identitäten nicht als feststehend und angeboren, sondern als fluide, vielschichtige und prozesshafte Entitäten zu begreifen, die wandelbaren historischen Situationen und Kontexten unterliegen. Dabei kritisierte er, wie bereits in der Einleitung ausführlicher dargelegt, ein bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschendes Verständnis von schwarzen Identitäten und Kulturen im Atlantischen Raum, das Afrika als zentralen Ursprung dieser Formationen begriff. So Gilroy: „[M]odern black political culture has always been more interested in the relationship of identity to roots and rootedness than seeing identity as a process of movement and mediation that is more appropriately approached via the homonym routes.“7
Dabei verneinte er freilich keinesfalls die ganz konkrete und häufig enorme Wirkmacht, die die Vorstellung von Ursprüngen und Zugehörigkeiten in historischen Identitätsformationen mit sich bringt. Vielmehr forderte er uns auf, genau diese Wirkmacht zum Gegenstand von historischen und kulturwissenschaftlichen Analysen zu machen. Er argumentierte, dass die komplexe und wandelbare Bedeutung von „roots“ für Identitätsformationen gerade in solchen Momenten besonders deutlich zu Tage trete, in denen Menschen sich von einem kulturellen Kontext in einen anderen bewegten, also in solchen Momenten, in denen Menschen „routes“ zurücklegten. Das Zurücklegen dieser Wegstrecken, die die reisenden Menschen nicht zuletzt von einem sozialen Kontext in einen anderen transportierten, identifizierte Gilroy als Momente, die sich in ganz besonderem Maße in dem Verständnis der Reisenden von sich selbst und anderen niederschlagen. Das Bereisen von „routes“ bringt dabei gleichzeitig „roots“ hervor, denn Vorstellungen von Gemeinschaft, (Nicht-)Zugehörigkeit, und Identifikationen werden durch den Prozess des sich Bewegens angerufen und re-konfiguiert. Eine Beschäftigung mit Momenten des Reisens erlaubte es also, sowohl die Wirkmacht historischer Vorstellungen von Zugehörigkeit und Ursprung in den Blick zu bekommen, als auch auf ihre Wandelbarkeit und Kontextabhängigkeit innerhalb der mit ihnen verknüpften wechselhaften Identifikationsprozesse aufmerksam zu machen. Kristi Siegel macht dementsprechend auf die dringende Notwendigkeit aufmerksam, Kontexte mit in die Analyse von Reiseberichten einzubeziehen. Sie schreibt: „Without sufficient attention to determinants such as race, class, location, historical circumstance, and power – to name just a few – any conclusions
7
Gilroy, The Black Atlantic, S. 19.
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drawn about women’s travel become meaningless.“8 Gleiches gilt, wie ich in diesem Kapitel darlegen werde, selbstverständlich auch für die Auseinandersetzung mit Berichten männlicher Reisender. Wenngleich die hier zu untersuchenden Texte relativ divers sind, haben sie eine grundsätzliche Gemeinsamkeit: sie beschreiben Kontakte, die im Prozess des Reisens zustande kamen. In der Analyse der Reiseberichte soll das Augenmerk vor allem auf diese Momente des Kontakts gelegt werden. Denn in der Beschreibung solcher Momente verdichten sich Vorstellungen der Schreibenden von sich selbst und von den anderen, und die Wandelbarkeit und Kontextabhängigkeit ihrer Identifikationen wird in besonderem Maße sichtbar. In ihrer einflussreichen Studie „Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation“ hat Mary Louise Pratt mit den contact zones ein Konzept eingeführt, das hier ein wichtige Rolle spielen soll. Die contact zones beschreiben laut Pratt ganz grundsätzlich Räume, „in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other and establish ongoing relations.“9 Natürlich macht es wenig Sinn, dieses Konzept, das Pratt benutzt, um koloniale Kontakte zwischen europäischen Reisenden und kolonisierten Anderen zu beschreiben, als identisches Schema auf die Erfahrungen Reisender nach oder in Haiti zu übertragen. Stattdessen greife ich vielmehr eine analytische Perspektive auf, die in Pratts Konzept der contact zones eine wichtige Rolle spielt. So untersucht Pratt „how subjects get constituted in and by their relations to each other.“10 Gleichzeitig, so Pratt, erlaube der Blick auf contact zones Beziehungen zwischen „travelers and ‚travelees‘ not in terms of separatedness, but in terms of co-
8
Siegel, Kristi, „Introduction: Intersections. Women’s Travel and Theory“, in: dies. (Hg.), Gender, Genre & Identity in Women’s Travel Writing. New York: Lang, 2004, S. 1-11, hier S. 1. Die Forschungslandschaft zum Genre der Reiseberichte ist weitläufig. Zu Forschungsarbeiten, die sich in diesem Sinne ebenfalls mit Reiseberichten und der Wirkmacht sozialer Kategorien wie race und gender auseinandersetzen, siehe beispielsweise: Whatley, Virginia Smith, „African American Travel Literature“, in: Bendixen, Alfred/Hamera, Judith (Hg.), The Cambridge Companion to American Travel Writing, Cambridge 2009, S. 197-213; Fish, Cheryl J., Black and White Women’s Travel Narratives. Antebellum Explorations, Gainesville: University of Florida Press, 2004; Steadman, Jennifer B., Traveling Economies: American Women’s Travel Writing. Columbus: Ohio State University Press, 2007.
9
Pratt, Mary Louise, Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation. London [u.a.]: Routledge, 1992, S. 6.
10 Ebd.
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presence, interaction, interlocking understandings and practices“ zu verstehen.11 Oft spielten sich diese, so Pratt, „within radically asymmetrical relations of power“ ab.12 Aus diesen Annahmen ergeben sich folgende konkrete Fragen an die mir vorliegenden Reiseberichte: Welche Vorstellungen von sich selbst und von den „Anderen“ zeigen sich in den Darstellungen der Kontaktmomente? Wie wurden diese Vorstellungen gerade durch den Moment der Begegnung bedingt? Welche hierarchisierten Machtstrukturen treten dabei zutage, und an welche Kategorien sind diese geknüpft? In meiner Analyse wende ich einen sehr weit gefassten Kontaktbegriff an. Kontakt umfasst für mich einerseits die Begegnung von Menschen, wie etwa in meiner Analyse der Reisebeschreibungen von John Rapier Jr., Joseph Dennis Harris und James Redpath deutlich wird. Vor allem mit Blick auf den Text von Elizabeth Howard lässt sich aber auch die Begegnung mit Landschaften oder auch Essen als Kontaktmoment lesen. Ich frage danach, welche Artikulationen des Selbst im Moment des Kontakts und in der Relation zu einem „konstitutive[n] Außen“, als das Haiti in den Reiseberichten fungiert, produziert und sichtbar werden.13 Wie also stellten sich die Reisenden in ihren Texten selbst dar? Wie nahmen sie sich im Verhältnis zu der bereisten Umgebung wahr, und wie beschrieben sie Haiti? Es geht also darum aufzuzeigen, welche Vorstellungen in den mir vorliegenden Reiseberichten „der Andere, das fremde Subjekt und wie
11 Ebd. S. 7. Für eine aktuelle kritische Einordnung und Erweiterung von Pratts Konzept siehe: Lindsay, Claire, „Beyond Imperial Eyes“, in: Edwards, Justin D./Graulund, Rune (Hg.), Postcolonial Travel Writing. Critical Explorations. Basingstoke [u.a.]: Palgrave Macmillan, 2011, S. 17-35. 12 Pratt, Imperial Eyes, S. 7. 13 Hall, Stuart, „Wer braucht Identität“, in: ders./Koivisto, Juha/Merkens, Andreas (Hg), Ideologie, Identität, Repräsentation. Hamburg: Argument Verlag, 2004, S. 167-187, hier S. 171. Identitäten sind dabei als „Punkte temporärer Verbindungen mit Subjektpositionen“ zu verstehen. Siehe: Ebd., S. 173. Für die englische Originalversion des Textes, siehe Hall, Stuart, „Who needs identity?“, in: ders./Gay, Paul du (Hg.), Questions of Cultural Identity. London [u.a.]: Sage, 1996, S. 1-17. Hier soll nicht impliziert werden, es gäbe in Opposition zu diesem „Außen“ ein unabhängiges Innen. Ganz im Gegenteil formiert sich das vermeintliche Innen immer über die Begegnung mit dem diskursiven Außen. So argumentiert Homi Bhabha: „The ‚other‘ is never outside or beyond us; it emerges forcefully, within cultural discourse, when we think we speak most intimately and indigenously between ourselves“, siehe: Bhabha, Homi, „Introduction“, in: ders. (Hg.), Nation and Narration. London [u.a.] : Routledge, 1990, S. 16, hier S. 4.
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[…] umgekehrt die ‚eigene‘ Subjektform textuell dargestellt und in dieser Darstellung hergestellt“ wird.14 Dabei verstehe ich die bereisten und sich wandelnden gesellschaftlichen Kontexte sowie die Kontakte zwischen den Reisenden und den Bereisten als „konstitutives Außen“ und frage, von welchen gesellschaftlichen Kontexten die Selbstdarstellungen der Reisenden und die Darstellungen Haitis informiert waren. Denn keiner der Reisenden kam ohne „Gepäck“ nach Haiti, sondern war verhaftet in Diskursen, innerhalb derer sie sich in den USA bewegt hatten und zu dem Zeitpunkt bewegten, als sie ihre Berichte verfassten.
J AMES R EDPATH : „A V ISIT
TO
H AYTI “
James Redpath, der spätere Direktor des Haytian Bureau of Emigration, reiste im Januar 1859 an Bord des Schiffes Laurillia in den Hafen von Cap Haitien ein, um sich, wie er später im „Guide to Hayti“ zu Protokoll gab, über den freien schwarzen Staat und die Effekte der Emanzipation der Bevölkerung zu informieren.15 Von dieser ersten von insgesamt drei Reisen nach Haiti berichtete Redpath in einer Reihe von Zeitungsartikeln, die er während des Aufenthaltes in Haiti verfasste und die in den USA unter dem Titel „A Visit to Hayti“ unter anderem in der New York Tribune erschienen.16 Redpath bereiste während seines Aufenthaltes das Land ausgiebig per Pferd und zu Fuß und berichtete in seinen Reportagen von einer Vielzahl unterschiedlichster Kontaktmomente mit Menschen, Landschaften und Orten. Seine Reiseberichte stellen die Grundlage meiner folgenden Überlegungen dar. Ich möchte dabei insbesondere jene Kontaktmomente in den Blick nehmen, die sich während und kurz nach der Einreise von Redpath in den Hafen von Cap Haïtien ereigneten, und über die der Verfasser in dem ersten Artikel seiner Reihe mit dem Titel „A Sunday in Hayti“ berichtete.17 Dabei untersuche ich – und hier lehne ich mich nicht zuletzt an das Konzept der oben beschriebenen contact zone an – wie Redpath Haiti als das Andere darstellte und wie er sich selbst darstellte. Wie oben bereits angedeutet geht es dabei vor allem darum, die Aushandlung von race und damit verbundene Differenzierungen zu untersuchen. Welche Rolle spielte also race in Redpaths Verständnis von sich
14 Reckwitz, Subjekt. Bielefeld: Transcript, 2008, S. 98. 15 Redpath, „Introduction“, S. 9-10. 16 Die Artikel wurden außerdem im National Anti-Slavery Standard veröffentlicht. Meiner Untersuchung liegen die Artikel aus der New York Tribune zugrunde. 17 Redpath, „A Visit to Hayti“, in: New York Daily Tribune, 12. April 1859, S. 8.
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selbst und dem Anderen? Dem entsprechend diskutiere ich im Folgenden, wie in Redpaths Schilderung an den Orten und Momenten der Einreise nach Haiti rassifizierte Zuschreibungen artikuliert und ausgehandelt wurden. „A high reputation“: Schwarze Autorität Redpath war an Bord des Schiffes Laurillia von Boston aus nach Haiti ausgereist. Nach zwei Wochen auf See erreichte die Laurilla den Hafen der Stadt Cap Haïtien am Vormittag des 23. Januar 1859. Da der Hafen nicht ausgebaut war, waren einlaufende Schiffe auf Hafenlotsen angewiesen. Die Tätigkeit der Hafenlotsen galt im 19. Jahrhundert als überaus verantwortungsvolle und schwierige Aufgabe. Ab Betreten des Schiffes waren die Lotsen in der Rangfolge an Bord lediglich dem Kapitän unterstellt. Die Lotsen erteilten während des Einlaufens der Besatzung Kommandos und manövrierten damit Schiffe vorbei an Untiefen und anderer Hindernisse zum Ankerplatz. Die Lotsen waren in dieser Zeit verantwortlich für die Sicherheit der Menschen an Bord, als auch für die Unversehrtheit des Schiffes und der Ladung.18 Nach Redpaths Bericht vergingen zwischen dem Zeitpunkt, an dem der sogenannte „Pilot“ das Schiff betrat und dem Moment des Ankerwerfens etwa zwei Stunden. Redpath beschrieb die Ankunft des Lotsen der die Laurilla in den Hafen manövrierte folgendermaßen: „About 10 o’clock the pilot boarded us. […] The pilot bears the sacharrine cognomen of Honey. A young man, black, with an intelligent, „smart“ and good humored face, he wore an old dusty Panama hat, a blue marine jacket, with coast-guard buttons, coarse white pants and vest, and a pair of shoes made of common canvas. He stands at the head of his profession here, and has deservedly, the Captain told us, a high reputation.“19
Bemerkenswert an diesem kurzen Abschnitt ist zunächst die überaus detaillierte Beschreibung des als „young“ und „black“ bezeichneten Lotsen. Wie bereits dargelegt, fragt das Konzept der contact zone danach, „how subjects get constituted in and by their relations to each other.“20 Mit Blick auf die Begegnung zwischen Redpath und dem Lotsen lassen sich dabei folgende Überlegungen anstel-
18 Zu der Stellung und den Handlungsräumen schwarzer Lotsen, siehe: Bolster, Jeffrey W., Black Jacks: African American Seamen in the Age of Sail. Cambridge, Mass. [u.a.]: Harvard Univ. Press, 1998, S. 131-140. Gerade in karibischen Häfen waren als schwarz oder „colored“ identifizierte Lotsen nicht ungewöhnlich. 19 Redpath, „A Visit to Hayti“, in: New York Daily Tribune, 12. April 1859, S. 8. 20 Pratt, Imperial Eyes, S. 6.
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len: Zunächst scheint Redpaths Schilderung mit einer positiven Konnotation der beschriebenen Person verbunden zu sein. Jenseits dieser Bewertung lässt sich allerdings festhalten, dass die rassische Identifizierung des Lotsen durch Redpath eine wichtige Rolle spielte. Die Bedeutung von race in der Erzählung äußerte sich dabei bei weitem nicht nur darin, dass der Lotse als „black“ beschrieben wurde. Vielmehr lassen vor allem die genaue Beschreibung der Kleidung, des Gesichtsausdrucks und der Verweis auf die Reputation des Lotsen einiges an Rückschlüssen zu. Wie bereits zuvor geschildert, war mit der Person des Lotsens ein erhebliches Maß an Verantwortung und Autorität in der Rangfolge an Bord eines Schiffes geknüpft. Für viele Leser und Leserinnen der New York Daily Tribune, aber auch für Redpath selbst mag die Tatsache, dass eine als schwarz bezeichnete Person eine solche Position innehatte, ungewöhnlich gewesen sein.21 In der Detailliertheit der Beschreibung äußert sich daher die Notwendigkeit, den schwarzen Lotsen für die Leserinnen und Leser der Tribune glaubhaft zu machen, da diese sich in gesellschaftlichen Kontexten bewegten, in denen als schwarz bezeichnete Menschen in den seltensten Fällen als Autoritätspersonen galten. Einen Hinweis auf den Rang des Lotsen allein reichte daher nicht aus, um ihm in der Erzählung Autorität und Glaubhaftigkeit zu verleihen. Die vom Lotsen verkörperte schwarze Autoritätsperson wurde in Redpaths Erzählung zu einer Kuriosität stilisiert, die in ihrer Andersartigkeit einer genauen Betrachtung unterziehen und standhalten musste. Die Figur des schwarzen Lotsen muss dabei als Symbol für den Staat Haiti gelesen werden, der aus der Perspektive von Redpath und seiner Leserinnen und Leser alles andere als der Normalität entsprach. Als einer Repräsentation des Staates Haiti begegnete Redpath dem Lotsen mit einer ähnlichen Mischung aus Befremden und Neugierde wie die mit der er dem Staat Haiti begegnete. Zunächst unterzog Redpath dabei den Gesichtsausdruck des Mannes einer gründlichen Musterung und beschrieb ihn als „intelligent, smart“ und „good humored“. Auch die Beschreibung der Kleidung des Lotsen scheint die Rechtmäßigkeit seines Ranges zu bestätigen, allen voran die „coast-guard buttons“ seiner Jacke. Zuletzt zog Redpath die Aussage des weißen Kapitäns heran, dessen Au-
21 Schwarze Menschen waren, wie nicht zuletzt Paul Gilroy in seiner Studie zum Black Atlantic immer wieder betont, als Seeleute seit langem auf US-amerikanischen Schiffe auf den Ozeanen unterwegs. Vgl. Gilroy, Black Atlantic, Scott, The Common Winds; Bolster, Black Jacks; Lindebaugh, Peter/Rediker, Marcus, The Many-headed Hydra: Sailors, Slaves, Commoners, and the Hidden History of the Revolutionary Atlantic. Boston: Beacon Press, 2000; Rediker, The Slave Ship: A Human History. London: John Murray, 2008.
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torität im Gegensatz zu der des schwarzen Seemanns scheinbar keiner Erklärung oder Rechtfertigung bedurfte. Dieser bestätigte ebenfalls mit einem Verweis auf das hohe Ansehen des Lotsen dessen Legitimität. Zwar erkannte Redpath in seiner Erzählung die Autorität des Lotsen an. Gleichzeitig drückte er aber aus, dass diese Anerkennung nicht selbstverständlich sei. Um ihn trotz der Markierung als schwarz vor den Lesenden der New York Daily Tribune als Autoritätsperson glaubhaft zu machen, bedurfte es neben der Beschreibung des formellen Rangs des Lotsen der Beschreibung einer Reihe weiterer Merkmale von Autorität. Dies fällt besonders ins Gewicht, wenn man berücksichtigt, dass in Redpaths Bericht weder der weiße Kapitän der Laurillia noch ein anderes Mitglied der Besatzung in irgendeiner Weise beschrieben wurden. Demnach passierten in der Beschreibung mehrere Dinge gleichzeitig: Zum einen versuchte Redpath durch seinen Bericht Vorurteile der überwiegend weißen, reformistischen Leserinnen und Leser der New York Daily Tribune gegenüber Haiti als unabhängigem schwarzem Staat zu entkräften. Die eingehende Prüfung des Lotsen, der gewissermaßen auch den Staat Haiti verkörperte, kann darüber hinaus auch als Moment verstanden werden, in dem Redpath sich selbst des Funktionierens schwarzer Autorität und Staatsbürgerlichkeit vergewisserte. Schwarze Menschen als Verantwortungsträger und letztlich Staatsbürger wurden ebenso wie der schwarze Staat selbst in der Erzählung also zunächst normalisiert und glaubhaft gemacht. In dem von Redpath beschriebenen Kontaktmoment an Bord der Laurillia im Hafen von Cap Haïtien wurden so rassifizierte Hierarchien in Frage gestellt und dabei zu einem gewissen Grad verschoben. Gleichzeitig wurden diese Hierarchisierungen erneut hergestellt, denn der schwarze Lotse und seine Position wurden erst durch die Autorität des weißen Erzählers Redpath und des Kapitäns legitimiert. Dabei wird deutlich, dass sich der schwarze Lotse einer genauen Untersuchung zu unterziehen hatte, bevor seine Legitimität und Befähigung vor Redpath und seiner vermutlich überwiegend progressiven Leserinnen und Leser Bestand haben konnte. Mit Blick auf Redpath zeigt sich dabei, dass dieser sich als Berichterstatter verstand der objektiv Auskunft geben konnte, und dessen Urteil angemessen war. Redpath hatte sich in den USA als Abolitionist und Aktivist einen Namen gemacht und verstand sich selbst als „devoted friend“ schwarzer Menschen.22 Wie die Beschreibung des Lotsen allerdings zeigt, begegnete er zugleich dem schwarzen Staat Haiti mit Skepsis.
22 Redpath, „A Visit to Hayti“, in: New York Tribune, 12. April 1859.
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Bemerkenswert ist auch der heiter anmutende Charakter der Erzählung, der sich unter anderem in der Erwähnung des Spitznamens des Lotsen ausdrückte, der Honey genannt wurde – „a saccharine cognomen“, wie Redpath bemerkte. Dies lässt sich als zuckersüßer oder zuckerhaltiger Spitzname übersetzen. Der heitere Tonfall, der sich auch durch den Rest des Berichtes zieht, vermittelt die Vorstellung, dass das Beschriebene letztlich nicht allzu ernst genommen werden müsse. Redpath wurde dabei zu einem amüsierten und gleichzeitig herablassenden Beobachter, der mit einiger Distanz auf die von ihm beschriebene Begegnung blickte. Gerade in seiner Heiterkeit stellte Redpath Hierarchien her, denn letztlich vermittelte er den Eindruck, als stehe er „über den Dingen“, als beträfen in die beschriebenen Vorgänge nicht wirklich. Der Besuch Haitis wurde dabei zu einer kuriosen, wenngleich bemerkenswerten Anekdote, und der schwarze Staat und die beschriebenen Akteure zu Figuren, die aus einer wohlwollenden, aber zugleich herablassenden Perspektive betrachtet werden konnten. Haiti, verkörpert durch den Lotsen, wurde dabei zu einem Ort, der letztendlich nicht ernst genommen werden konnte, wie die amüsierte Beschreibung Redpaths verdeutlicht. Dass der „black pilot“ den Erwartungen Redpaths an ein respektables, staatsbürgerliches Verhalten letztlich nicht standhalten konnte, zeigt sich im weiteren Verlauf seiner Erzählung: „All Haytians are beggars, was the sweeping statement of a New England traveler in speaking of the inhabitants of this glorious island of the Gulf. I don’t believe it yet, but am afraid that I will think so of Haytian officers ere long. The first thing that the pilot did when he boarded the ship, was to seek were the steward was and to give him broad hints for lunch. Then he begged for tobacco. Finally he begged for a piece of beef – and received it.“23
Zwar distanzierte sich Redpath zunächst von der generalisierenden negativen Beschreibung aller Haitianerinnen und Haitianer als „beggars“ durch einen anderen Reisenden aus Neuengland. Zugleich übertrug er diese äußerst negative Charakterisierung allerdings nicht nur auf den Lotsen, der sich an Bord vom Proviantmeister mit Tabak und einem Stück Rindfleisch versorgen ließ, sondern darüber hinaus generell auf alle „Haytian officers“. Die Respektabilität des schwarzen Staates und seiner Bediensteten erfuhr in diesem Moment eine enorme Abwertung. Gleichzeitig stellte Redpath sich selbst in seiner Schilderung als vorurteilsfreier, neutral beobachtender Reisender dar, den erst eigene Erfahrungen dazu brachten, sich eine Meinung zu bilden. Dabei erhob sich Redpath sowohl über
23 Ebd.
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den anderen Reisenden aus Neuengland, als auch über den Lotsen, der sich seiner Meinung nach wie ein „beggar“ verhielt. Redpaths ambivalentes Verständnis von Haiti, das in der obigen Darstellung von dem Lotsen verkörpert wurde, lässt sich nicht zuletzt mit Michel Foucaults Konzept der Heterotopie beschreiben. Während Utopien „Orte ohne realen Ort“ seien, versteht Foucault Heterotopien als „reale, wirkliche, zum institutionellen Bereich der Gesellschaft gehörige Orte, die gleichsam Gegenorte darstellen, tatsächlich verwirklichte Utopie, in denen die realen Orte […] zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden.“24
Als Gegenorte sind Heterotopien Orte, die das im Gegensatz zum eigenen stehende andere verkörpern. Je nachdem, welchen Gegensatz sie verkehren, können sie sowohl Chaos, als auch totale Ordnung abbilden. Als ein solcher Gegenort lässt sich Haiti verstehen. Für die einen war der schwarze Staat, wie Michel Rolph Trouillot argumentiert, schier undenkbar. Denn er schien ein Ort der Unordnung und des Chaos zu sein, der in hohem Maße gegen eine Weltordnung verstieß, in der sich Schwarz-sein und Politikfähigkeit gegenseitig ausschlossen. Für die anderen war Haiti Ausdruck von Emanzipation und Wehrhaftigkeit, und damit ein Gegenort beispielsweise zu den USA, die in hohem Maße jene oben beschriebene Weltordnung verkörperte. James Redpaths ambivalente Haltung gegenüber Haiti macht genau dies deutlich. So war Haiti einerseits Ort schwarzer Staatsbürgerlichkeit. Gleichzeitig war die „schwarze Republik“ aber auch ein Ort, dem mit Skepsis zu begegnen war, und sich der genauen Beobachtung unterziehen musste. James Redpaths „Imperial Eyes“ Dass Praktiken des Beobachtens Machtverhältnissen herstellen und wiedergeben, ist von Michel Foucault grundlegend dargelegt und unter anderem im Bereich der Postcolonial Studies vielfach aufgegriffen worden. Beobachten wird in diesem Kontext als eine zentrale Strategie kolonialer Herrschaft verstanden.25 Im
24 Foucault, „Von anderen Räumen“, in: Dünne, Jörg/Günzel, Stephan, Raumtheorie: Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt: Suhrkamp, 2
2008 (2006), S. 317-329, hier S. 320.
25 Vgl. u.a. Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt: Suhrkamp, 2008; ders.,„Das Auge der Macht“, in: ders., Dits et Écrits. Schriften 3, S. 250-271. Siehe auch Pratt, Imperial Eyes; Spurr, David, The Rethoric of Empire: Co-
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Akt des Beobachtens weist der oder die Beobachtende den Beobachteten einen Subjektstatus zu. „[I]dentification, objectification, and subjection of the subject are simultaneously enacted.“26 Dabei werden nicht zuletzt Herrschaftsverhältnisse aufgerufen, in denen der oder die Beobachtende gegenüber den durch den Blick Objektifizierten und Unterworfenen eine dominierende Stellung einnimmt Der oder die Beobachtende weist den Beobachteten dabei eine Subjektivität zu, die derjenigen der oder des Beobachtenden hierarchisch untergeordnet ist: „[T]he imperial gaze defines the identity of the subject, objectifies it within the identifying system of power relations and confirms its subalternity and powerlessness.“27 Meine Studie greift diese Überlegungen auf. Wie oben bereits angedeutet, unterlag die Glaubhaftigkeit und Denkbarkeit Haitis als real gewordener Ort beziehungsweise Gegenort erfolgreicher schwarze Emanzipation und Staatsbürgerschaft der kritisch-skeptischen Beobachtung. Wie stark Blicke an Macht und Herrschaft gebunden waren, zeigt sich unter anderem auch in folgendem Abschnitt, in dem Redpaths die gens de couleur und die als schwarz kategorisierten Haitianerinnen und Haitianer als zwei distinktive Bevölkerungsgruppen beschrieb. Über die gens de couleur schrieb er: „The mulattoes, I should roughly guess, constitute one-tenth of the population. I was told that they have the entire wholesale trade of the city in their hands, and are also the owners of the principal retail stores. They are all shades of color; many of them handsome, both in feature and form; highly accomplished, agreeable in conversation, in manners engaging, and exceedingly polite. This remark applies equally to both sexes. I have seen several very handsome, young mulatto ladies, or creoles, as they are called; and among the men a number of as graceful figures as ever strutted on the Boulevards or in Broadway.“28
Die Gruppe der „Blacks“ beschrieb er daran anschließend folgendermaßen: „I never believed in the existence of black beauties. I never could admire the African style or face; I had no prejudice against it, but no prepossession for it; but within the last two
lonial Discourse in Journalism, Travel Writing and Imperial Administration. Durham: Duke University Press, 1993; Edney, Matthew H., Mapping an Empire: the Geographical Construction of British India, 1765-1843. Chicago: Chicago Univ. Press, 1997. 26 Ashcroft, Bill et.al., Post Colonial Studies. The Key Concepts. London [u.a.]: Routledge, 2007, S. 207. 27 Ebd. 28 Redpath, „A Visit to Hayti“, in: New York Tribune, 12. April 1859.
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days I have seen handsome faces – black as coal- glossy and plump, which compel me to dispel my doubts.“29
Hierin stellte sich Redpath als wohlwollender Beobachter dar, der vermeintlich vorurteilsfrei und deshalb angemessen über den Staat Haiti und seine Bewohner berichten konnte. Doch vor allem entlarvte sich dabei sein Blick einmal mehr als überaus rassistisch. Redpath teilte die Beobachteten ein in schön und hässlich, respektabel und unrespektabel. In welch enormen Maße Praktiken des Blickens Menschen an den Subjektstatus von Menschen gebunden war, machte Redpath selbst einige Zeilen später nachdrücklich deutlich. Er verglich im folgenden Abschnitt sogenannte „negroes“ in Haiti mit „blacks“ in den sklavenhaltenden Südstaaten der USA: „[T]he negroes here impress every unprejudiced mind with the fact that they are a more developed race than the blacks of the Southern States. Their expression of countenance, their carriage, their address, bespeak a class who are imbued with the spirit of independence and the sentiment of equality. One sees in Cap Haitien none of those languid movements and that abject carriage, that timid glancing at the white passer-by, which are universal in our Southern States.“30
Zunächst ist zu bemerken, dass Redpath ein hierarchisches Gefälle zwischen den beiden beschriebenen Gruppen konstatierte. Dieses fiel zugunsten der „negroes“ in Haiti aus, die der Verfasser als „more developed race“ beschrieb. Den hierarchischen Unterschied zwischen den beiden Gruppen machte Redpath an der Körperhaltung und vor allem auch am Blick der Beschriebenen fest. „Blacks“ im Süden der USA zeigten, so Redpath, gegenüber Weißen typischer Weise eine niedergeschlagene Körperhaltung und einen schüchternen, ausweichenden Blick. bell hooks hat festgestellt, dass dieses von Redpath beschriebene Verhalten eine bewusste Überlebensstrategie vieler African Americans in der rassistischen Macht- und Herrschaftsordnung des US-amerikanischen Südens im 19. ebenso wie im 20. Jahrhundert darstellte. Wie hooks feststellt: „Black slaves, and later manumitted servants, could be brutally punished for looking, for appearing to observe the whites they were serving, as only subjects can observe or see.“31 Wie wirkmächtig dieses Bild von Sklavinnen und Sklaven war, die den Blick nicht erwiderten, zeigt sich auch darin, dass Redpath es in seiner Beschreibung auf-
29 Ebd. 30 Ebd. 31 hooks, Belonging. A Culture of Place. New York [u.a.]: Routledge, 2009, S. 93.
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griff. Laut Redpath legten Haitianerinnen und Haitianer diese Verhaltensweisen allerdings nicht an den Tag. Ihre Körperhaltung und ihr Blick signifizierten vielmehr, wie Redpath erklärte, „the spirit of independence and the sentiment of equality.“ Diese Eigenschaften markierten in Redpaths Darstellung die Blickenden als gleichberechtigte Subjekte. „[T]o look directly was an assertion of subjectivity, equality“ vermutet dem entsprechend auch bell hooks mit Blick auf den US-amerikanischen Süden, auf den sich Redpath in seinem Vergleich mit Haiti bezog.32 Als Beobachter von Menschen in Haiti, der das Beobachtete zudem in Reiseberichten festhielt, kann Redpath als ein kolonisierendes Subjekt verstanden werden, dessen „Imperial Eyes“ um hier Pratts Formulierung aufzugreifen, die Beobachteten zumindest zu einem gewissen Grad objektifizierten.33 Wie schon zuvor der schwarze Lotse mussten die beschriebenen Menschen einer genauen Untersuchung und Beschreibung standhalten, um als gleichberechtigte Subjekte und Staatsbürger identifiziert werden zu können. Dabei wurden sie allerdings zumindest für den Moment der Betrachtung zu Objekten, und ihre Gleichheit bereits in dem Moment, indem sie sich überhaupt der Beobachtung unterziehen und ihr standhalten mussten, eingeschränkt. Die körperliche Attraktivität und die Befähigung der Betrachteten wurde dabei zunächst ebenso grundsätzlich in Frage gestellt wie auch ihre „manners“ und ihre Fähigkeit, angemessen Konversation zu führen. Erst nach einer genauen Prüfung kam Redpath zu dem Ergebnis, dass die von ihm beobachteten Menschen als „handsome“, „highly accomplished, agreeable in conversation, in manners engaging and exceedingly polite“ zu beschreiben seien. Die Vorstellung einer gleichwertigen Subjektposition der nicht-weißen und nicht-amerikanischen Beschriebenen war demnach grundsätzlich zu hinterfragen. Gleichzeitig stellte sich der beobachtende Redpath selbst im Moment des Beobachtens als aufgeklärt und jeder Anzweiflung überlegen dar. Auch W.E.B. DuBois verwies in seinem Werk „The Souls of Black Folk“ auf die hierarchsierende Wirkmacht des Blickes: „It is a peculiar sensation, this double-consciousness, this sense of always looking at one’s self through the eyes of others, of measuring one’s soul by the tape of world that looks on in amused contempt and pity. One ever feels his twoness, - an American, a Negro; two
32 Ebd. Vgl. in diesem Kontext auch Mirzoeff, Nicholas, „The Right to Look“, in: Critical Inquiry 37, 2011, S. 473-496, hier S. 482. 33 Pratt, Imperial Eyes, S. 7.
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souls, two thoughts, two unreconciled strivings; two warring ideals in one dark body whose dogged strength alone keeps it from being torn asunder.“34
DuBois zeigte dabei auf, dass für viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen Schwarz-sein und Amerikanisch-sein nicht miteinander vereinbar und nicht als Einheit denkbar waren.35 Auch Joseph Dennis Harris, um dessen Reisebericht es im Folgenden gehen soll, thematisierte die vermeintliche Unvereinbarkeit des Schwarz-seins und des Amerikanisch-seins durch weiße US-amerikanische Betrachterinnen und Betrachter. Wie ich im Folgenden aufzeige, ermöglichte ihm die Darstellung seiner Reise in die Karibik, sich als unternehmerischer, aufgeklärter US-amerikanischer Staatsbürger zu präsentieren. Gleichzeitig markierte er die Bevölkerung „Haytis“ als zu kolonisierende Andere.
J OSEPH D ENNIS H ARRIS : „H AYTI
IN THE DISTANCE “
„Summer on the Borders of the Caribbean Sea“ lautete der Titel der im Herbst 1860 bei einem New Yorker Verlag erschienenen Veröffentlichung des Emigrationisten Joseph Dennis Harris. In seinem Buch berichtete dieser von einer Reise nach Santo Domingo, die er im Sommer des gleichen Jahres unternommen hatte.36 Harris Bericht war in sechzehn, als „Letters“ bezeichnete Kapitel unterteilt,
34 DuBois, W.E.B., The Souls of Black Folk. Essays and Sketches. London: Longman, 1965, S. 4. 35 Nicht zuletzt Paul Gilroy ist in „Black Atlantic“ dem Konzept der doubleconsciousness bis ins 20. Jahrhundert weiter nachgegangen. Gilroy, The Black Atlantic. 36 Harris, Joseph Dennis, „Summer on the Borders of the Caribbean Sea, 1860“, in: Bell (Hg.), Black Separatism, S. 67-184. Meiner Analyse zugrunde liegt die von Bell publizierten Edition von „Summer“. Obwohl auf Harris Text in vielen historischen und literaturwissenschaftlichen Arbeiten vor allem zu afroamerikanischem politischem Aktivismus und schwarzen Nationalismus immer wieder verwiesen wird, und trotz der erneuten Veröffentlichung in Bells Publikation von 1970 ist „Summer on the Borders of the Caribbean Sea“ nach meinem Erkenntnisstand bisher kaum umfassend untersucht worden. Am umfassendsten beschäftigt sich John Ernest mit Harris Reisebericht. Er liest „Summer“ unter anderem als eine Kritik an race als biologistische Entität. Diesem Verständnis von Harris Text möchte ich unbedingt zustimmen. Siehe Ernest, John, Liberation Historiography: African American Writers and the Challenge of History, 1794-1861. Chapel Hill: UNC Press, 2004, S. 50-53. Zu vereinzelten Ver-
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in denen er verschiedenen Stationen und Aspekte seiner Reise besprach. Zumindest teilweise waren diese bereits vor der Veröffentlichung in Buchform im Sommer 1860 in der Zeitung The Weekly Anglo African erschienen.37 Im Anschluss an die Reisebeschreibung fand sich außerdem ein als „Appendix“ bezeichneter Aufsatz mit dem Titel „The Anglo-African Empire“, in welchem der Autor Pläne für die Emigration von African Americans in die Karibik und Zentral-Amerika darlegte. Das komplexe und interdependente Verhältnis von „roots“ zu „routes“ in den Identifikationsprozessen historischer Akteurinnen und Akteure zeigt sich auch in Harris Reisebericht. Harris war am 19. Mai 1860 per Segelschiff in New York City gestartet und hatte auf seiner mehrwöchigen Reise durch die Region des karibischen Meers vor allem die Dominikanische Republik, aber auch die britischen Insel Turks und Caicos sowie Honduras besucht. An Land war er per Pferd unterwegs gewesen. In seinem Bericht beschrieb Harris unter anderem seine Schiffsreise, Orte und Landschaften die er besuchte, sowie Begegnungen mit Menschen auf seinem Weg. Einen nicht unerheblichen Teil seines Textes widmete er außerdem der Darlegung der Geschichte der bereisten Länder sowie der aktuellen politischen Situation. Haitianisches Staatsgebiet betrat Harris auf seiner Reise durch die nordöstliche Karibik nicht.38 Dennoch spielte Haiti in Harris Reisebeschreibung eine wichtige Rolle, wie dieses Teilkapitel zeigt. Obwohl Harris sich während seiner Reise nicht im Staat Haiti aufhielt, widmete er ein gesamtes Kapitel seines Reiseberichtes mit insgesamt fünf Briefen einer Darstellung der Geschichte Haitis von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart.39 Harris lebte in den 1850er Jahren in Cleveland, Ohio, wo er als Stuckateur arbeitete und in verschiedenen afroamerikanischen politischen Organisationen wie der Ohio Anti-Slavery Society aktiv war.40 Emigration als ein Mittel schwar-
weisen auf Harris Text siehe unter anderem Sollors, Werner, Neither Black nor White yet Both: Thematic Explorations of Interracial Literature. Cambridge: Harvard University Press, 1999; Pamphile, Haitians and African Americans, S. 53. Hier liegt eine Forschungslücke vor, die meine Beschäftigung mit dem Text in diesem Kapitel allerdings keinesfalls schließen kann. 37 Vgl. Bell, „Introduction“, S. 11. 38 Vgl. Dixon, African America, S. 155. 39 Siehe Harris, „Summer“, S. 117-149. 40 Vgl. Dixon, African America, S. 150; 153; Bell, „Introduction“, S. 11. Die bis dato umfangreichste Darstellung von Harris Lebensweg und seinen Aktivitäten als Emigrationist legt Bell in seiner Einleitung dar: Bell, „Introduction“, vor allem S. 11-14.; In-
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zer Emanzipation hatte er schon länger favorisiert. Allerdings richtete sich sein Interesse nicht speziell auf Haiti, sondern auf verschiedene karibische und südamerikanische Länder.41 Nach der Gründung des Haytian Bureau of Emigration 1860 arbeitete er, wie in Kapitel eins dargelegt, als Agent für die Emigrationsorganisation. Auffallend in Harris Reisebericht sind die Bezeichnungen, die er den Inselräumen verlieh. Statt den von Columbus geprägten Namen Hispaniola zu verwenden, bezeichnete er die Insel, die sich das im östlichen Teil gelegene Santo Domingo und der westlich gelegene Staat Haiti teilten, mit dem Namen „Hayti“. Damit lehnte er sich an die indigene Bezeichnung für diesen Raum an.42 So schrieb er: „When the island was discovered by Columbus, it received from him the name Hispaniola – ‚Little Spain‘. It was afterwards called Santo Domingo; but the original name given it by the natives, and revived by Dessalines, is said to be Hayti. The Haytian territory, however, is but about two-fifth of the island, the greater part being owned by the Dominicans.“43
Den Staat Haiti bezeichnete er der üblichen US-amerikanischen Schreibweise folgend ebenfalls mit dem Namen „Hayti“, während er Santo Domingo unter anderem „Dominicana“ nannte.44 Trotz dieser Differenzierung zwischen dem „Haytian territory“ und Santo Domingo bezeichnete Harris in seinem Bericht überwiegend die gesamte Insel als „Hayti“. Er fasste also beide Inselteile unter einem Namen zusammen. Dies kann nicht zuletzt auch als programmatische Absicht verstanden werden, die Harris wie folgt darlegte: „[I]n the opinion of the writer […] the destiny of the island is union; one government, wants, and interest, brought about by the introduction of the English language, and by oth-
formationen zu Harris Arbeit für das Haytian Bureau of Emigration finden sich auch in Dixon, African America, siehe vor allem S. 150-154. 41 Vgl. Dixon, African America, S. 153-154. 42 „When western Europeans arrived in what they termed the new world, tropical America was known primarily as Haiti, or Ayti-Quisequeya-Boyo in the native language“ heißt es so bei Joachim, Benoît, „Colonisation“, in: Arthur, Charles/Dash, J. Michael (Hg.), A Haiti Anthology: Libète. London: Latin American Bureau, 1999, S. 24-25, hier S. 24. 43 Vgl. Harris, „Summer“, S. 81-82. 44 Vgl. Ebd., S. 83-84.
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er peaceful and benignant mean, such language wants, and interests to be introduced by the emigration hither of North Americans, – some white, but principally colored.“45
Harris sagte also die Vereinigung beider Staaten und die Einführung gemeinsamer „wants and interests“ vornehmlich durch als „colored“ markierte nordamerikanische Migranten voraus. Die Tatsache, dass Harris Text nicht immer eindeutig zwischen den beiden Staaten Haiti und der Dominikanischen Republik unterschied, lässt sich somit als eine Bekräftigung seiner Vorstellung von dem Zusammenschluss beider Staaten unter vornehmlich afroamerikanischer Dominanz verstehen. Indem Harris die von ihm anvisierte politische Agenda in seinem Reisebericht unterbrachte, beanspruchte er für sich eine Sprecherposition, von der aus er scheinbar objektiv, da aus nächster Nähe informiert über die besuchte Region berichten und damit zugleich seine politischen Absichten kenntnisreich und glaubwürdig darlegen konnte. Seine Reiseberichte lassen sich in diesem Sinne nicht zuletzt als Performanz von Authentizität lesen: die Reise in die Region und der scheinbar unmittelbare körperlich-sinnliche und deshalb authentische Kontakt mit dem Bereisten befähigte ihn dazu, sich gegenüber Anderen vermeintlich authentisch und glaubhaft über „Hayti“ zu äußern. Die Tatsache, dass Harris Bericht in Briefe untergliedert waren, die zumindest zum Teil vor Ort und während der Reise produziert worden waren, lässt sich als stilistisches Mittel lesen, mit dem der Anschein der Authentiziät und Unmittelbarkeit seiner Aussagen noch verstärkt werden sollte.46 In diesem Sinne lässt sich auch Harris Beschreibung der Überfahrt von New York nach Porto del Plata lesen: „A comparatively quiet sameness characterized the voyage“ schrieb Harris und bemerkte kurz darauf: „Would there had been a storm, if only for description’s sake!“ Dabei drückte der Verfasser den Wunsch nach einem beschreibenswerten Ereignis aus, dessen Darstellung interessantes Material für seinen Bericht geliefert hätte. Mit dieser Bemerkung machte er deutlich, dass sein Bericht auf Tatsachen beruhte und nicht im Sinne einer interessanteren Erzählung verfälscht worden war. Seine Erzählung deklarierte er aufgrund des bewussten Verzichts auf fiktionale Elemente also als authentisch, objektiv und deshalb für seine Leserinnen und Leser glaubhaft.
45 Ebd., S. 87. 46 Vgl. hierzu Kingsley, Zoë, Women Writing the Home Tour, 1682-1812. Aldershot [u.a.]: Ashgate, 2008, S. 59-60. Authenizität ist dabei freilich unbedingt als etwas konstruiertes und gemachtes zu verstehen, dem aber beispielsweise in der Erfahrung von Reisen eine enorm wichtige Bedeutung beigemessen wurde und weiterhin wird.
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Wie oben angedeutet, war ein Hauptanliegen von Harris Text die Emigration von African Americans in die Karibik zu diskutieren. Welche Rolle Harris sich selbst und anderen Afroamerikanern in „Hayti“ zuschrieb, werde ich im Folgenden ausführlicher diskutieren. Gleichzeitig möchte ich Harris Reisebericht im Sinne Gilroys als einen Text lesen, dessen Darstellung der bereisten „routes“ in hohem Maße auch einen Einblick in Harris Vorstellungen von „roots“ zulässt.47 Ich frage deshalb in diesem Teilkapitel: Welche Vorstellungen von Herkunft und Zugehörigkeit werden in der Darstellung der Reise sichtbar? Wie verortete Harris sich selbst im Verhältnis zu den bereisten Orten und ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten? Die Tatsache, dass Harris aus den USA kam und dort als schwarz identifiziert wurde, spielt bei der Beantwortung dieser Fragen zweifellos eine große Rolle. Deshalb möchte ich im Folgenden zunächst auf Harris komplexes und ambivalentes Selbstverständnis als US-Amerikaner eingehen, das in seinem Bericht über die Reise in die Karibik immer wieder sichtbar wurde. „The author of this book is an American“ In dem von dem euroamerikanischen Journalisten George William Curtis verfassten Vorwort des Reiseberichtes wurde Harris seinen Leserinnen und Lesern folgendermaßen vorgestellt: „The author of his book is an American as much as James Buchanan. He is more so: for the father of Mr. Buchanan was born in Ireland, and the father of Mr. Harris was born in North Carolina. But the one becomes president; the other is officially declared to have no rights which white men are bound to respect.“48
Curtis präsentierte Harris also einerseits als ebenso „amerikanisch“, wenn nicht sogar noch „amerikanischer“ als den US-amerikanischen Präsidenten James Buchanan. Den Grad des Amerikanisch-seins beider Männer verknüpfte er dabei nicht zuletzt auch mit dem Geburtsort ihrer Väter, ein Maßstab, der zugunsten von Harris ausfiel. Gleichzeitig protestierte Curtis gegen die Tatsache, dass Harris trotz seines expliziten Amerikanisch-seins aufgrund seiner blackness in den USA keine staatsbürgerlichen Rechte eingeräumt wurden. Mit der Formulierung „no rights which white men are bound to respect“ zitierte Curtis direkt und für
47 Siehe Gilroy, The Black Atlantic, S. 19. 48 Curtis, George William, „Introduction“, in: Bell, Black Separatism, S.73-75, hier S. 73.
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viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen vermutlich leicht identifizierbar aus dem Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofes im Fall Dred Scott vs. Sanford im Jahre 1857, der African Americans einen Anspruch auf Bürgerrechte und auf die US-amerikanische Staatsbürgerschaft grundlegend absprach. Das Urteil war nur wenige Tage nach Buchanans Inauguration verkündet worden.49 Dabei wird ein Dilemma deutlich, auf das viele Emigrationistinnen und Emigrationisten immer wieder verwiesen: Sie verstanden sich ganz explizit als US-Amerikaner, die die USA nur deshalb verließen, weil ihnen ihr Amerikanisch-sein unter teilweise schwerwiegenden Konsequenzen aberkannt wurde. Dieses von Curtis vermutlich in Absprache mit Harris aufgezeigte Dilemma wurde auch in den von Harris verfassten Reiseberichten immer wieder aufgegriffen. Die Beschreibung seiner Ankunft in Porto del Plata ist ein Beispiel, an dem dieses Dilemma deutlich wird: „Morning did come, and with it came the pilot (black). We entered the ‚port of silver‘ (Puerto del Plata). The harbor is a poor one; but if there be one thing on earth deserving the epithet ‚sublime‘ it is the surrounding scenery. We anchored, and there awaited the coming of the custom house officers. The officers came – some white, some colored – and with them Mr. Collins, an American gentleman to whom I was addressed. He received me liberally, invited me to stop with him, promising me to show me around the country, introduced me to the General, (black) and do a variety of other things decidedly unAmerican, but very gentlemanly indeed.“50
Harris beschreibt hier also einen Kontaktmoment, in dem er neben einer Reihe weiterer Personen unter anderem dem aller Wahrscheinlichkeit nach weißen USAmerikaner Collins begegnete. Offensichtlich empfing Collins Harris nach der Landung in Porto del Plata auf eine Art und Weise, die dieser positiv als „liberally“ und „gentlemanly“ empfand. Gleichzeitig beschrieb Harris die Begegnung mit Collins als „völlig un-amerikanisch“, und machte dabei deutlich, dass eine freundschaftliche und respektvolle Begegnung zwischen einem als weiß und einem als schwarz identifizierten Mann in den USA sich so nicht hätte ereignen können oder zumindest außergewöhnlich gewesen wäre. Pratt stellt mit Blick auf die contact zones fest, dass hier Machtverhältnisse sichtbar werden, sich aber auch verschieben. Dies lässt sich auch für die Begegnung zwischen Collins und Harris konstatieren. So wurde Harris zumindest während seiner Reise in die Karibik zu einer Person, die in den beiden geschilderten Situationen als „amerikanisch“ identifiziert wurde. Anders formuliert: die Tatsache, dass Harris ebenso
49 Vgl. Finzsch, Von Benin nach Baltimore, S. 283. 50 Harris, „Summer“, S. 79-80.
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wie Collins aus den USA kamen, wurde in diesem Moment zu einer Gemeinsamkeit, die die unterschiedliche und in den USA nach Harris Einschätzung vermutlich separierend wirkende Kategorisierung der beiden Männer aufgrund ihrer race überwog. Dabei wurden die Subjektposition der beiden Männer verschoben. Vorstellungen von Zugehörigkeit ordneten sich in diesen Kontaktmomenten ebenso neu an wie auch die Machtstrukturen, die diese Zugehörigkeiten in den USA bestimmt hatten. Gleichzeitig nutzte Harris seinen Reisebericht, um sich von den USA zu distanzieren. Indem Harris die Begegnung mit Collins als freundschaftlich und gerade deshalb als unamerikanisch darstellte, übte er nicht zuletzt Kritik an der USamerikanischen Gesellschaft, innerhalb derer ein solches gleichberechtigtes Aufeinandertreffen vermutlich kaum möglich gewesen wäre. Denn erst das Verlassen des US-amerikanischen Kontexts machte die oben beschriebene Begegnung möglich. „God grant that I may not die in the United States of America“51 wünschte sich Harris. Trotz dieser deutlichen Distanzierung von den USA erhob Harris aber auch einen Anspruch auf sein Amerikanisch-sein. Gerade das Beharren auf seinem Amerikanisch-sein lässt sich als massive Kritik an der rassistischen USamerikanischen Gesellschaftsordnung lesen, die sich durch große Teile des Reiseberichtes zog. Dabei verwies Harris nicht zuletzt auch auf die offensichtliche Absurdität und Konstruiertheit dominanter US-amerikanischer Vorstellungen von race und Staatsbürgerlichkeit. Deutlich wird dies beispielsweise in folgendem Abschnitt, in dem er die Formalitäten der Einreise in die Dominikanische Republik beschrieb: „The meanest thing I have been obliged to do, and the greatest sin I have committed, has been the registering my name as an American citizen. I presented myself to the United States consul (whose son and clerk, by the way, is a mulatto). The nice correspondence of Mr. Marcy was produced, not with any evil intent at all, but just to show what indefinable definitions there are between colored and black and white and negroes as American citizens. I should like to find out how a man knows he is an American citizen! There are members of Congress who can no more tell this than they can tell who are their fathers.“52
Zunächst sei hier darauf hingewiesen, dass es sich bei „Mr. Marcy“ um den demokratischen Außenminister der USA William L. Marcy aus New York handelte, der während der Amtszeit von Präsident Pierce zwischen 1853 und 1857 im
51 Ebd., S. 88. 52 Ebd. S. 90-91.
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Amt gewesen war. Harris spielte hier vermutlich auf die äußerst kontrovers diskutierten Praktiken des US-amerikanischen Außenministeriums bei der Ausstellung von Reisepässen für Menschen an, die als schwarz identifizierte wurden.53 Bis Mitte der 1850er Jahre konnte die Ausstellung von Reisepässen durch verschiedene Behörden und Amtsträger erfolgen.54 Die Ausstellung von Reisepässen an African Americans war dabei zwar ungewöhnlich, aber nicht völlig ausgeschlossen gewesen. In einigen Fällen waren von African Americans gestellte Anträge auf Reisepässe abgelehnt, während in anderen Fällen die beantragten Dokumente ausgestellt worden waren.55 Diese uneindeutige Handhabung verwies darauf, dass sowohl nationale Zugehörigkeit, race und Staatsbürgerschaft und die mit ihnen verknüpften Bedeutungen ebenso wie das Dokument des Reisepasses lange überaus unklar und verhandelbar waren. Wer war eigentlich Staatsbürger der USA? Und war der Pass eine Bescheinigung der USamerikanischen Staatsbürgerschaft? Seit dem sogenannten Passport Act von 1856 galt allerdings, dass Reisepässe nur an Bürger der USA ausgestellt werden durften.56 Zudem oblag die Ausstellung von Reisepässen nun exklusiv dem Außenministerium, das unter Marcy noch vor der Verkündung des Urteils im Fall Dred Scott vs. Sanford damit begonnen hatte, Anträge von freien African Americans auf die Ausstellung von Reisepässen grundsätzlich und kategorisch abzulehnen. Diese Ablehnungen wurden damit begründet, dass schwarze Menschen, selbst wenn sie frei waren, nicht als Bürger der USA galten und somit kein Anrecht auf einen Pass hatten.57 African Americans, die wie Harris ins Ausland reisten, führten statt eines Reisepasses ein Schriftstück des US-amerikanischen Außenministeriums oder eines seiner Konsulate mit sich, das sie als den USA zugehörig auswies, ohne ihnen allerdings die Staatsbürgerschaft zu bescheini-
53 Vgl. Robertson, Craig, The Passport in America: the History of a Document. New York: Oxford Univ. Press, 2010, S. 125-159. 54 Ebd., S. 131. 55 Laut Litwack wurde 1854 zum letzten Mal vor Ausbruch des US-amerikanischen Bürgerkriegs ein Reisepass an einen afroamerikanischen Mann aus Massachusetts ausgestellt. Vgl. Litwack, Leon F., North of Slavery: The Negro in the Free States, 1790-1860. Chicago: Univ. of Chicago Press, 1961, S. 56. 56 Siehe Robertson, The Passport in America, S. 131 und S. 141-148. Vgl auch Rule, James B. [u.a.], „Documentary Identification and Mass Surveillance in the United States“, in: Social Problems 31/2, 1983, S. 222-234, hier S. 225. 57 Siehe hierzu: Wong, Edlie L., Neither Fugitive nor Free: Atlantic Slavery, Freedom Suits, and the Legal Culture of Travel. New York [u.a.]: New York Univ. Press, 2009, S. 251-256; Litwack, North of Slavery, vor allem S. 54-57.
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gen.58 „The State Department recognized blacks in powerfully ambivalent ways, as it upheld a ‚duty to protect‘ them ‚if wronged by a foreign Government‘ while withholding the document certifying their political inclusion“ stellt die Literaturwissenschaftlerin Edlie L. Wong in ihrer 2009 erschienenen Studie „Neither Fugitive nor Free“ fest.59 Wenn Harris im obigen Zitat von „the nice correspondence of Mr. Marcy“ sprach, dann bezog er sich vermutlich auf ironischkritische Weise auf ein solches Schriftstück, das ihm statt eines Reisepasses ausgestellt worden war und das eben jene Ambivalenz symbolisierte, die Wong betont. Ich möchte in diesem Kontext darauf hinweisen, dass die Praktik sich auszuweisen für viele African Americans in den USA im 19. Jahrhundert alltäglicher und zentraler Bestandteil eines marginalisierenden Systems war, das ihre Berechtigung, sich an bestimmten Orten aufzuhalten oder sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, ständig und grundsätzlich in Frage stellte. Versklavte Menschen im Süden der USA brauchten beispielsweise von ihren „Besitzern“ ausgestellte Passierscheine, die darlegten, dass die ausgewiesene Person Erlaubnis hatte, eine Plantage zu verlassen um etwa Freunde oder Familienmitglieder auf einer anderen Plantage zu besuchen. Eine undokumentierte Bewegung von einem Ort zum anderen galt als eine illegale Handlung, die horrende Strafen mit sich ziehen konnte. Freie African Americans mussten häufig Manumissionspapiere mit sich tragen, um sich als rechtmäßig frei auszuweisen und einer (erneuten) Versklavung zu entgehen. Viele freie African Americans, wie etwa auch Margaret Proctor und ihr Ehemann Alexander, deren Reise nach Haiti und zurück in die USA in Kapitel eins dieser Arbeit dargestellt wird, ließen sich Empfehlungsschreiben von wohlgesonnenen weißen Staatsbürgern ausstellen, die für den einwandfreien Charakter der Beschriebenen bürgten. Diese Praktiken finden sich auch im autobiographischen Schreiben. Veröffentlichten schwarze Menschen beispielsweise autobiographische Texte, so bezeugten häufig weiße Mentoren oder Mentorinnen die Integrität der Verfassenden und ihrer Darstellungen, wie auch William Curtis in seinem Vorwort zu Harris „Summer on the Borders of the Caribbean Sea“. Sich auszuweisen war also eine Praktik die, wie nicht zu-
58 Kunal M. Parker spricht von „special certificates“, die als Ersatz von Pässen ab 1847 für ins Ausland reisende African Americans ausgestellt wurden. Vgl. Parker, Kunal M., „Citizenship and Immigration Law, 1800-1924. Resolutions of Membership and Territory“, in: Grossberg, Michael/Tomlins, Christopher (Hg.), The Cambridge History of Law in America; 3 Bde. Cambridge [u.a.]: Cambridge Univ. Press, 2008, Bd. 2, S. 168-244, hier. S. 179. Siehe auch Robertson, The Passport in America, S. 131. 59 Wong, Neither Fugitive Nor Free, S. 252.
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letzt auch die Ablehnung der Ausstellung von Reisepässen unter Außenminister Marcy zeigt, von Macht durchzogen war. Die obige Passage aus „Summer“ verwies demnach einerseits darauf, dass Harris von den Behörden in den USA kein Reisepass ausgestellt worden war, weil dieser als „black“ oder „colored“ und damit in den USA nicht als Staatsbürger galt. Mit der Reise in die Karibik änderte sich diese Fremdwahrnehmung allerdings. So registrierte er sich bei dem US-amerikanischen Konsul vor Ort als US-amerikanischer Staatsbürger. In seiner Schilderung machte er darauf aufmerksam, dass diese wortwörtliche Einschreibung als Amerikaner in den USA als „meanest thing“ und „greatest sin“ und damit als nicht akzeptabel wahrgenommen worden wäre. Erst in der Karibik, und damit außerhalb der USA, wurde Harris Selbstwahrnehmung als Amerikaner durch andere Personen, wie etwa den Konsul oder auch den oben erwähnten Collins, bestätigt und durch die Bestätigung überhaupt erst wirkmächtig. Dies soll nicht heißen, dass es nicht auch in den USA eine Vielzahl von Personen gab, die der Meinung waren, dass African Americans ebenso wie European Americans einen Anspruch auf die amerikanische Staatsbürgerschaft hätten. In Porto del Plata entfaltete diese Beanspruchung des Amerikanisch-seins aber insofern Wirkmacht, als das Harris hier von Collins oder auch dem Konsul und damit von Personen in hierarchisch höhergestellten Positionen bestätigt wurde. Harris konnte sich deshalb unbehelligt im USKonsulat in Porto del Plata als US-amerikanischer Staatsbürger registrieren. Jenseits des abstrakten Aktes des Registrierens wurde er außerdem sowohl von Collins als auch vom US-amerikanischen Konsul wie ein US-Amerikaner behandelt. In diesem Kontext lässt sich überdies vermuten, dass auch die staatsbürgerliche Integrität des US-amerikanischen Konsuls in den USA gefährdet gewesen wäre. Denn dieser bekannte sich, wie uns Harris Reisebericht wissen lässt, öffentlich zu einem von Harris als „mulatto“ bezeichneten Sohn und damit letztendlich auch zu einer sexuellen und familiären Beziehung zu einer vermutlich als nichtweiß identifizierten Frau bekannte. Harris verwies in seiner Beschreibung der Registrierung als Amerikaner zudem auch auf die enorme Uneindeutigkeit und Fluidität rassifizierter Markierungen hin. Richtlinien, anhand derer Menschen eindeutig in unterschiedliche rassifizierte Gruppen aufgeteilt werden sollten, bezeichnete er als „indefinable definitions“. Und eben weil es unmöglich sei, Menschen eindeutig in biologistischrassisch unterteilte Gruppen aufzuteilen, seien auch Definitionen amerikanischer Staatsbürgerschaft und der Zugehörigkeit zur amerikanischen Nation überaus uneindeutig. „I should like to find out how a man knows he is an American citizen! There are members of Congress who can no more tell this than they can tell
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who are their fathers“, erklärte er.60 Damit verwies er nicht zuletzt auch auf die Praktik des racial passing und dekonstruierte dabei letztlich „the moral and racial foundation of the ‚Anglo-American‘ empire“61 wie John Ernest bemerkt. Harris schrieb sich mit „Summer on the Borders of the Caribbean Sea“ also als US-amerikanischer Staatsbürger in den Diskurs ein und kritisierte dabei gleichzeitig die rassistische Gesellschaftsordnung der USA. Dies zeigt sich außerdem sowohl in seinem Verständnis von der Dominikanischen Republik und Haiti als Emigrationsziel für African Americans, als auch in der Rolle, die Mitglieder diese Gruppe dort spielen sollten. Harris betrachtete Haiti und die dominikanische Republik als Teil der sogenannten American Tropics, innerhalb derer als nicht-weiß markierte Menschen im Sinne einer Manifest Destiny ein transnationales „Anglo-African Empire“ gestalten sollten.62 „The American tropics“ Wie bereits oben dargelegt, imaginierte Harris eine Vereinigung der beiden Staaten Haiti und der Dominikanischen Republik unter der Führung von vornehmlich afroamerikanischen Emigranten. So erklärte er: „[T]he destiny of the island is union; one in government, wants, and interest, brought about by the introduction of the English language, and by other peaceful and benignant mean, such language wants, and interests to be introduced by the emigration hither of North Americans, - some white, but principally colored.“63
Was sich hinter den einzuführenden Maßnahmen konkret verbarg, legte Harris in diesem Abschnitt zwar nicht dar. Deutlich wurde in seinem Text allerdings, dass die Emigrantinnen und Emigranten Fähigkeiten und Eigenschaften mit in die Karibik bringen sollten, die Harris dezidiert Nordamerikanern zuschrieb. Ähnlich wie auch James Holly und James Redpath, deren Schriften ich in Kapitel zwei bespreche, stellte Harris „Hayti“ sowohl als einen amerikanischen, als auch
60 Harris, „Summer“, S. 90-91. 61 Zur Ambiguität von race und die Praktiken des racial passing, siehe neben vielen anderen teils schon in dieser Arbeit zitierten Studien: Davis, F. James, Who is black?: One Nation’s Definition. University Park, Pa.: Pennsylvania State Univ. Press, 102001 (1991); Smith, How Race is Made, u.a. S. 96-106. Zitat: Ernest, Liberation Historiography, 2004, S. 51. 62 Harris, „Summer“, S. 172. 63 Ebd., S. 87.
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als einen „anderen“ Ort dar. Diese Ambivalenz wird im Folgenden besonders deutlich: „I am standing now on the line of 19° 45' of north latitude, or but 20° 15' south of the city of New York, and but 3° of longitude east, a distance not greater, I think, than by river from St. Louis to New Orleans, a distance made by steamers within four days, and a distance which may be travelled over on railroads in the States at the rate of three times per week! Yet there are many persons who, were you to speak to them concerning this portion of the American tropics, you would find, regard it as being somewhere away on the coast of Africa, and the voyage hither long and tediously disagreeable. It is in reality but a small pleasure trip.“64
Harris betonte dabei einerseits die geographische Nähe der Insel zu den USA. Er setzte seinen Aufenthaltsort in der Karibik unmittelbar mit der Distanz nach New York City in Bezug. Die USA wurde in dieser Beschreibung zum zentralen Referenzpunkt, um den herum sich andere Orte gruppierten. Er verglich außerdem die Distanz seinem Aufenthaltsort und den USA mit der Distanz zwischen den beiden US-amerikanischen Städten New Orleans und St. Louis. Mit Dampfschiffen und vor allem der Eisenbahn rief Harris dabei Transportmittel auf, die als zentrale zeitgenössische Symbole von Fortschritt und US-amerikanischem Expansionswillen im Kontext von Manifest Destiny galten.65 Indem er die Distanz zwischen New York und „Hayti“ mit der Distanz zwischen St. Louis und New Orleans gleichsetzte, platzierte Harris Haiti als einen Ort innerhalb Amerikas. Andererseits wies er jedoch darauf hin, dass viele Menschen die von ihm beschriebene Region trotz der geographischen Nähe zu den USA für einen weit entfernten und nur schwer zu erreichbaren Ort hielten. So stellte Harris kritisch fest: „[T]here are many persons who, were you to speak to them concerning this portion of the American tropics, you would find, regard it as being somewhere away on the coast of Africa, and the voyage hither long and tediously disagreeable.“66
Während er die Nähe Haitis zu den USA darzulegen versuchte, markierte er als Kontrast gleichzeitig Afrika als einen weit entfernten, schwierig erreichbaren
64 Ebd., S. 82. 65 Vgl. Nye, David E., American Technological Sublime. Cambridge: MIT Press, 1994, siehe vor allem S. 37-39; 58-59. 66 Harris, „Summer“, S. 82.
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und fremden Ort. Diese Wahrnehmung von Afrika schien ihm nachvollziehbar und legitim. Eine ähnliche Wahrnehmung Haitis hielt er jedoch für problematisch und ungerechtfertigt. Damit gab Harris Haiti als Emigrationsziel für African Americans gegenüber Afrika deutlich den Vorzug. Dies machte er auch in dem programmatischen Text „The Anglo-African Empire“ deutlich, der seinem Reisebericht in der Veröffentlichung aus dem Herbst 1860 beigefügt war. Der populären zeitgenössischen Vorstellung, Afrika als „Vaterland“ von African Americans zu verstehen, mit dem diese Gruppe essentiell verbunden sei, widersprach er dabei vehement: „[I]t is not their fatherland“, beschrieb er das Verhältnis von African Americans zu dem Kontinent.67 Um die Nähe Haitis zu den USA darzulegen, bezeichnete Harris die Reise zwischen den beiden Regionen als „small pleasure trip“, der mit modernen Transportmitteln problemlos, komfortabel und schnell zu erledigen sei. Indem Harris die nach seinen Plänen von vornehmlich schwarzen Reisenden zurückzulegende Distanz als „small pleasure trip“ bezeichnete, verwies er einerseits auf die relative Kürze der Reise und die Nähe der Insel zur US-amerikanischen Metropole New York City. Gleichzeitig machte er nachdrücklich darauf aufmerksam, dass schwarze Menschen bei Weitem nicht nur als Versklavte oder Vertriebene mehr oder weniger fremdbestimmt transportiert wurden. Stattdessen stellte er sich selbst und andere schwarze Menschen als selbstbestimmte, aktive, zu ihrem eigenen Vorteil Reisende dar. Völlig selbstverständlich nutzen diese moderne Fortbewegungsmittel, genossen die Bequemlichkeiten dieser Art des Reisens mit „pleasure“, und konnten sie sich zudem finanziell leisten.68 Wie oben bereits besprochen, wies Harris in seinem Reisebericht vielfach auf die Uneindeutigkeit rassischer Kategorisierungen hin. Race spielte auch in seinen im Anhang zu „Summer on the Borders of the Caribbean Sea“ dargelegten Emigrationsplänen eine nicht unerhebliche Rolle. So verstand Harris die von ihm als „American Tropics“ bezeichnete Region als einen Raum, der maßgeblich durch „colored people“ geprägt sei.69 Harris schrieb: „The history of Hayti and Jamaica, and of the American Tropics generally, indicates the propagation, exclusive of whites or blacks. […] The colored race […] is perfectly well
67 Ebd., S. 173. 68 Diese Überlegung ist maßgeblich durch Patricia Wiegmanns Arbeit zu schwarzen Reisenden zwischen den USA und der Karibik im frühen 20. Jahrhundert inspiriert. Siehe: Wiegmann, Patricia, „Amy Jacques Garvey: On a Trip from Coast to Coast“, in: Comparativ 21/5 (2011) S. 88-105. 69 Harris, „Summer“, S. 174.
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adapted to this region, and luxuriates in it; and it is only through their agency that some small portion of the torrid zone has been brought within the circle of civilized people.“70
Harris glaubte zudem, dass die Gruppe der „colored people“ in der zukünftigen Gestaltung der Karibik eine dominierende Rolle spielen würde. Die von Harris vorgebrachte Aufteilung von Menschen in drei rassisch definierte Gruppen wirkt zunächst ebenso starr und essentialisierend wie die klare Aufteilung von Menschen in „schwarz“ und „weiß“. Allerdings lehnte Harris gerade diese generalisierende und binäre Aufteilung von Menschen explizit ab, wie er etwas später deutlich machte: „I believe it would be actually more proper, numerically speaking, to call at least the free persons of African descent in America, colored or mulattoes, rather than negroes. Yet, how often do we hear respectable men of all parties, talk the ‚Negro nationalities‘, and regarding the two races as ‚two negative poles mutually repelling each other‘, leaving no middle ground for the great mass of the colored people or mulattoes.“71
Die Kategorie „colored“ oder „mulatto“ funktionierte demzufolge für Harris als „middle ground“, auf dem solche Menschen verortet werden konnten, die sich weder als schwarz noch weiß identifizierten oder identifiziert wurden. Dabei löste Harris die Kategorisierung von Menschen über race zwar nicht völlig auf, hob aber die strikte Einteilung von Menschen in die häufig als oppositionell verstandenen Kategorien schwarz und weiß zugunsten einer fluideren dritten Kategorie auf. Es waren die sogenannten American Tropics und nicht etwa Afrika, die ihm als primäres Aktionsfeld dieser dezidiert amerikanischen Gruppe galten und Raum für ein „Anglo-African Empire“ boten. Harris lehnte also, wie oben dargelegt, die Vorstellung von Afrika als „Vaterland“ ab. Stattdessen verortete er die Zugehörigkeit der „colored people“ in den American Tropics. Allerdings stellte Harris auch die American Tropics als einen Ort da, der im Vergleich zu den USA weniger fortschrittlich und zivilisiert sei. Wie schon in den vorherigen Kapiteln dargelegt, schrieben viele Befürworter von Emigration Haiti eine sehr ambivalente Bedeutung zu. Haiti galt aufgrund seiner Revolution einerseits als ein heroischer Ort schwarzer Selbstbefreiung. Gleichzeitig wurde dem Staat Haiti aber keine politische und zivilisatorische Gleichwertigkeit mit anderen Nationalstaaten wie beispielsweise den USA zugestanden. Vielmehr wurde Haiti als Ort dargestellt, den es zu kolonisieren und anhand einer ganzen
70 Ebd. 71 Ebd., S. 181.
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Reihe von Maßnahmen zu zivilisieren und modernisieren galt. Haiti hatte dabei auf zweifache Weise eine emanzipatorische Funktion: So galt es aufgrund seiner Geschichte als das Symbol schwarzer Selbstbefreiung schlechthin. Darüber hinaus wurden die Emigrierenden von Befürwortern der Migration wie etwa Harris als progressive Boten betrachtet, die im Sinne von Manifest Destiny Verbesserungen von den USA nach Haiti brachten. Die Selbstbeschreibung dieser Menschen als fortschrittlich und progressiv muss dabei als emanzipatorischer Akt verstanden werden, mit dem dominanten zeitgenössischen Vorstellungen von der grundsätzlichen Unzivilisiertheit schwarzer Menschen widersprochen wurde. Indem sie sich als Vermittelnde von Modernisierung und Zivilisierung in Haiti verstanden, stellten sich die Emigrationistinnen und Emigrationisten als Träger eben jener Modernität und Zivilisiertheit dar, die ihnen abgesprochen wurde. Es überrascht kaum, dass eine Besprechung der Haitianischen Revolution in Harris Reisebericht eine relativ prominente Positionierung erfuhr. Im zweiten Brief sowie in fünf weiteren Briefen seines Reiseberichtes legte Harris die Geschichte der Republik Haiti von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart dar. Allerdings machte Harris explizit klar, dass seine Darstellung als „homeopathic sketch“ zu verstehen sei, die die Geschichte der Insel keinesfalls vollständig wiedergebe.72 Brief elf trug bezeichnenderweise den Titel „Tragedy of the Revolution – A Chapter of Horrors (which the delicate reader may, if he pleases, omit)“ während Brief zwölf mit „Tragedy of the Revolution – continued“ überschrieben war.73 Dies ist insofern bemerkenswert, als dass Harris mit dieser Beschreibung der revolutionären Ereignisse als „Horrors“ und „Tragedy“ an dominante Erzählungen andockte, die aufgrund ihrer Fokussierung auf die vermeintlich außergewöhnliche Brutalität und Grausamkeit der schwarzen Revolutionäre die Revolution letztendlich banalisierten und entpolitisierten.74 Obwohl
72 Ebd. S. 86. 73 Ebd. S. 127. 74 Harris berief sich in seiner Darstellung in weiten Teilen auf: Edwards, Bryan „The History, Civil and Commerical, of the British West Indies, With a Continuation to the Present Time. London: G. und W.B. Whittaker, 1818-19; Rainsford, A Memoir of the Transactions That Took Place in St. Domingo, in the Spring of 1799. London: R.B. Scott, 1802; und Coke, Thomas, A History of the West Indies. Liverpool: Nuttall, Fisher, Dixon, 1808-11. Bezeichnender Weise gab Harris in Summer auch eine Szene wieder, die fast ikonographisch in vielen Darstellungen der Revolution als Beispiel für die unmenschlichen Grausamkeiten herangezogen wurde, die schwarze Revolutionäre an weißen Pflanzern verübt hätten. Sie beschrieb er die Ermordung einer weißen Pflanzerfamilie und die Verstümmelung ihrer Leichen: „In the neighborhood of Jeri-
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Harris diesem Diskursmuster einerseits folgte, bezeichnete er Haiti gleichzeitig als „land of historical facts, and the field of unparalleled glory“ und fügte hinzu: „There is nothing low or cowardly in the history of Hayti.“75 Trotz der umfangreichen und verklärten Beschreibung der Geschichte des Landes wurde Haiti in Harris Reisebericht nicht als primäres Emigrationsziel für African Americans dargestellt. Stattdessen plädierte Harris für die Emigration in die Dominikanische Republik, die allerdings mit Haiti vereinigt und grundlegend modernisiert werden sollte. Denn wie bereits erwähnt, galten Harris weder Haiti noch die Dominikanische Republik als gleichwertig zu den USA. Stattdessen war Harris der Meinung, dass die Insel der Ansiedlung durch Menschen bedürfe, die in der Lage waren, dort Fähigkeiten zu implementieren, die zur Modernisierung der Region beitragen sollten. Diese Notwendigkeit der Modernisierung legte Harris in seinem Reisebericht vielfach dar, indem er immer wieder auf die Rückständigkeit des Landes und auch seiner Bevölkerung verwies. Dabei schrieb er den Menschen eine klimatisch bedingte Apathie und Degeneration zu, die als typisches Merkmal tropischer Bevölkerungen galt. Die Beschreibung tropischer Bevölkerungen als apathisch und degeneriert funktionierte dabei auch als Mittel, um potentiellen Siedlern aus den USA ökonomischen Erfolg zu versichern. „By picturing the Central American as lazy, travelers highlighted the success a non-lazy man was to find“ bemerkt Amy Greenberg.76 Auch Harris be-
mie, M. Sejourne and his wife were seized. The lady was materially enciente. Her husband was first murdered before her eyes. They then ripped open her body, took out the infant and gave it to the hogs; after which they cut of her husband’s head and entombed it in her bowels“, siehe Harris, „Summer“, S. 134. Gleichzeitig gab Harris auch detaillierte Beschreibungen von körperlichen Misshandlungen wieder, die von Weißen an „blacks“ und „mulattoes“ verübt worden waren. Trouillot folgend argumentiert Clavin, dass Erzählungen über die Haitianische Revolution in der Atlantischen Welt wie Horrorgeschichten funktionierten, die das Ereignis letztendlich trivialisiert, beziehungsweise de-politisierten. Siehe Clavin, „Race, Rebellion, and the Gothic“, S. 1-29. 75 Harris, „Summer“, S. 117. 76 Vgl. Greenberg, Manifest Manhood, S. 109. Dabei wurde häufig angenommen, dass die degenerierende Wirkung des tropischen Klimas nach einem längeren Aufenthalt in den Tropen letztlich alle Bevölkerungsgruppen befallen würde. Es überrascht aber kaum, dass nicht-weiße Menschen ebenso wie auch weiße Frauen als besonders empfänglich für die degenerierendne Einflusse der Tropen galten. Vgl. dazu auch Endfield, Georgina H./Nash, David J., „‚Happy Is the Bride the Rain Falls on‘: Climate,
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diente sich in seinem Reisebericht über die Dominikanische Republik dem Bild der apathischen, faulen und indifferenten tropischen Bevölkerung, wie beispielsweise in der Beschreibung des folgenden Kontaktmoments deutlich wird: „A large portion of the cargo of the vessel in which I came consisted of lumber for the erection of a store-house. The same vessel will be freighted back with timber of a superior quality. Indeed, the shores are lined with yellow-wood and mahogany; but it is not sawed. [Herv.i.O.] A gentleman is reported to have built a house in one of the interior towns which would have cost in Northern Ohio about $800, at a cost of $25,000. Inquire why this is so – why this listless inactivity prevails – and you receive the answer, ‚Well, waat (sic!) is the use?‘“77
Harris brachte in der Schilderung dieser Episode sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass auf der Insel vorhandene Ressourcen nicht genutzt würden, sondern stattdessen beispielsweise Baumaterial für Häuser aus den USA importiert werden müsse. Er beklagte sowohl die Teilnahmslosigkeit und Geschäftsuntüchtigkeit des von ihm beschriebenen Mannes, als auch der dominikanischen Bevölkerung im Allgemeinen und schlussfolgerte: „[T]he apathy of stupidity is incurable.“78 Die vermeintliche Gleichgültigkeit und „stupidity“ der Bevölkerung stellte Harris dabei ganz explizit als eine unheilbare Krankheit dar, die die Befähigung der Menschen zu Fortschritt, Wohlstand und Modernisierung erheblich behindere. Auch seine Darstellung von Landwirtschaft auf der Insel war eine Kritik an der vermeintlichen Unwirtschaftlichkeit und Ineffizienz der tropischen Bevölkerung. So beschrieb er landwirtschaftliche Siedlungen, wie er sie auf einem Ausflug ins Hinterland von Porto Plata wahrgenommen hatte, folgendermaßen: „Here the country settlements begin again, called estancias, which, if you will get a blackboard and a piece of chalk, I will explain. Mark off, say four acres of land, clear it up – let the fruit trees stand of course – enclose it, but plant nothing therein. In the center of this piece erect a shanty. […] Now go through the woods, say a mile and a half, clear up four acres more and plant tobacco. The next year or two, this will be gone to weeds; you then (not knowing the use of a plow) go another half mile, clear up another piece and plant a new crop. The old place has gone to wreck, the new place is in its vigor; but neither is in
Health and ‚The Woman Question‘ in Nineteenth-Century Missionary Documentation“, in: Transactions of the Institute of British Geographers 30/3, 2005, S. 368-386. 77 Harris, „Summer“, S. 83. 78 Ebd.
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sight of the house. This together is called an estancia, and I should have said before meant a farm, but it does not mean a farm in English by a good deal.“79
Diese Darstellung war offensichtlich nicht als ernstzunehmende Anleitung zur erfolgreichen Landbewirtschaftung gedacht, sondern formulierte ganz im Gegenteil eine Kritik an der Art und Weise des Tabakanbaus in der Dominikanischen Republik. Dabei markierte Harris einerseits die Farmer vor Ort als rückständig und ineffizient, und beschrieb gleichzeitig sich und potentielle afroamerikanische Emigranten als Akteure, die die vermeintlichen Missstände erkennen und aus ihnen Profit schlagen würden. Dabei wurden die von Harris als angloafrikanisch bezeichneten Siedler ebenso wie Harris selbst zum Träger von USamerikanischer Fortschrittlichkeit und Modernität. Ökonomischen Erfolg stellte Harris letztendlich auch als eine grundsätzliche und überaus wirkungsvolle Bedingung für die erfolgreiche Emanzipation schwarzer Menschen heraus. Dies wird in der Schilderung einer weiteren Episode deutlich, in der Harris die Begegnung mit Mr. Smith, einem ehemaligen Sklaven aus South Carolina beschreibt. Smith war, so Harris, von seinen „Besitzer“ in South Carolina als Arbeitskraft an die Besatzung eines Segelschiffes ausgeliehen worden. Bei einem Aufenthalt des Schiffes in Key West war er geflohen und hatte sich schließlich in der Dominikanischen Republik niedergelassen, wo er erfolgreich Mais, Kartoffeln und die qualitativ sehr hochwertige Sea Island Baumwolle anbaute, die in den Küstenregionen der Carolinas gezüchtet und entwickelt worden war. Sie erzielte auf den Weltmärkten höchste Preise.80 Harris bewunderte den ökonomischen Erfolg des ehemaligen Sklaven aus den USA. Er vermutete, dass erfolgreiches Wirtschaften die wirkungsvollste Waffe im Kampf gegen Versklavung und rassistische Diskriminierung von als „colored“ identifizierten Menschen sei: „The query is this: give half a dozen such men as Smith a cotton gin ($350), send them out here, and would they not accomplish more for the elevation of the colored race by the successful cultivation of cotton, in eighteen months, than all the mere talkers in as many years?“81
In seinem Reisebericht stellte sich Harris nicht zuletzt auch selbst als eine Person dar, die einen scharfen Blick für ökonomische Angelegenheiten und mögliche
79 Ebd., S. 93. 80 Vgl. Ebd., S. 90. 81 Ebd.
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Profite hatte und den Geist von Modernisierung und Fortschritt in sich trug. Dementsprechend beschrieb er einen Dialog zwischen sich und einem Einwohner auf einer Reise in den Ort Porto Cabello an der Nordküste der Insel folgendermaßen: „These old Spaniards are all the time saying to me, ‚My son, you never look pert.‘ ‚Perfectly happy, uncle‘, I reply. ‚Look long time away – studying.‘ ‚Nothing, uncle – only an American.‘ ‚Only an American? Well, what do they different from other people?‘ ‚Lay out towns one day, and build them the next; own lands, and improve them.‘ Now, this is genuine American talk; whether it will be American practice remains to be seen.“82
Dieser Dialog zwischen Harris und dem als „Spaniard“ beschriebenen Mann kann als Kontaktmoment gelesen werden, in dem Harris Selbstverständnis als „American“ sichtbar wird. Harris stellte sich als Person dar, die seine Reise nicht unbeschwert genießen konnte oder wollte, sondern stattdessen die besuchte Umgebung eindringlich studierend und kalkulierend beobachtete und sich dabei Verbesserung, Tatkräftigkeit und ökonomischen Fortschritt verschrieb. Er verstand dieses Verhalten als ein grundsätzliches Kennzeichen seines Amerikanisch-seins, beschrieb er sich doch gegenüber seinem Gesprächspartner und darüber hinaus vor allem auch gegenüber den Leserinnen und Lesern seines Reiseberichtes als „only an American“. Als solcher legte er dieses Verhalten scheinbar unumgänglich und völlig selbstverständlich an den Tag. Dabei stellte er gleichzeitig den bezeichnender Weise als „old Spaniard“ beschriebenen Gesprächspartner als Person dar, die dieses fortschrittsorientierte Verhalten erstens nicht an den Tag legte und zweitens nicht richtig zu deuten wusste. So präsentierte er sich zumindest in diesem Aspekt gegenüber dem „old Spaniard“, der überdies stellvertretend für viele „Spaniards“ zu verstehen war, als überlegen. Allerdings relativierte Harris seine Vorstellung von der Überlegenheit und Selbstverständlichkeit US-amerikanischen Fortschrittwillens zu einem gewissen Grad. So wies er darauf hin, dass abzuwarten sei, ob der an den Tag gelegte Willen zum Fortschritt auch in die Tat umgesetzt werden würde. Gerade diese Relativierung kann wiederum als Moment gelesen werden, in dem sich Harris erneut als über-
82 Ebd. S. 103.
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legt und rational darstellte. Er stellte keine vorschnellen Vermutungen an, sondern nahm eine beobachtende, bedächtige Haltung ein. In seiner Beschreibung von Kontaktmomenten auf seiner Reise durch „Hayti“ präsentierte Harris demnach sich selbst und darüber hinaus andere African Americans als US-Amerikaner und damit als Träger von vermeintlichen amerikanischen Tugenden wie Geschäftstüchtigkeit, Progressivität und Rationalität. Damit widersprach er dominanten rassistischen Vorstellungen, laut derer schwarze Menschen grundsätzlich als unzivilisiert und rückständig galten. Er verortete die Insel „Hayti“ und ihre Bevölkerung als Teil der American Tropics. Gleichzeitig wurde die Insel von Afrika abgegrenzt. Allerdings wurde „Hayti“ auch als Ort dargestellt, der der modernisierenden Hilfe durch vornehmlich afroamerikanische Männer bedurfte. Damit schrieb Harris sich nicht zuletzt als aktiver Teilhabender einer Kolonisierungs- und Modernisierungsbewegung in den Diskurs um Manifest Destiny ein. Darüber hinaus kritisierte Harris in seinem Reisebericht auch dominante US-amerikanische Vorstellungen, laut derer sich Menschen eindeutig in die vermeintlich binären Gruppen „schwarz“ und „weiß“ aufteilen ließen. Stattdessen plädierte er dafür, African Americans als Personen zu verstehen, die sich auf einem fluiden und uneindeutigen „middle ground“ zwischen diesen beiden vermeintlich scharf voneinander zu trennenden Gruppen bewegten.
J OHN R APIER J R .: „I N
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Die Fluidität von rassischen Grenzziehungen zeigt sich auch in der Reiseaufzeichnungen des US-Amerikaners John Rapier Junior. Rapier war im Dezember 1860 auf der Bark Laura von New Orleans nach Saint Marc in Haiti gesegelt. In einem Brief an seinen Vater in Alabama, den er wenige Tage nach seiner Ankunft verfasste, beschrieb Rapier die Schiffsreise als „as monotonous as anything well can be“, beklagte sich über seine anhaltende Seekrankheit und verlor darüber hinaus über die Zeit auf See kaum ein weiteres Wort. „I do not believe that a description of the voyage would be interesting to you“, teilte er seinem Vater mit.83 Auch während seines übrigen Aufenthaltes in der Karibik verfasste Rapier
83 Brief von John Rapier Jr. an John Rapier Sr., 31. Dezember 1860, Thomas-RapierPapers, Box 84-1, Folder 39, Manuscript Division, Moorland-Spingarn-ReserachCenter, Howard University. Eine Bark ist ein meist dreimastiges Schiff, das im 19. Jahrhundert zu den weitesten verbreiteten Hochseefrachtschiffen gehörte. Aufgrund von Rapiers Brief lässt sich vermuten, dass die Bark Laura regelmäßig zwischen New
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eine Reihe von Briefen, die er an seinen Onkel James in St. Louis und an seinen Vater in Alabama schickte und in denen er ausführlich seine Gedanken und Erfahrungen schilderte.84 Ich nehme im Folgenden Rapiers Aufzeichnungen zu Emigration nach Haiti zum Untersuchungsgegenstand und diskutiere das Ineinandergreifen von Reisen, Kontaktmomenten und Identifikationsprozessen. Entlang Rapiers Wegstrecke von den USA nach und durch Haiti möchte ich aufzeigen, wie sich Rapiers Selbstwahrnehmung und sein Verständnis von Zugehörigkeit und Herkunft veränderte. Gleichzeitig wird auch sichtbar, dass sich die Art und Weise, wie Rapier von anderen wahrgenommen wurde, auf seinem Weg zwischen den USA und Haiti veränderte. Die Kategorie race spielte in diesen Wahrnehmungsprozessen eine bedeutende Rolle. Rapier erfuhr im Verlauf seines Aufenthaltes in Haiti, dass sich rassifizierte Kategorisierungen in Haiti anders gestalteten als etwa in den USA. Seine Erfahrungen verweisen darauf, dass race und die Zugehörigkeit zu einer rassisch definierten Gruppe in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich gedacht wurde. Mein Hauptanliegen ist es deshalb, im Folgenden solche Momente in Rapiers Migrationserfahrung aufzuzeigen, in denen Prozesse der Selbst-Identifikation in Bezug auf den Faktor race sichtbar werden. An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Familie John Rapiers eingehen, denn in der Geschichte dieser Familie zeichnen sich mannigfaltige Effekte rassifizierter Kategorisierungen in den USA im 19. Jahrhundert ab. Entlang der Familiengeschichte wird deutlich, wie divers Erfahrungen und Lebenssituationen, sowie der Zugriff auf Handlungsräume und Ressourcen sein konnten. Die Familie bestand zur Mitte des 19. Jahrhunderts aus freien und versklavten Menschen, aus Sklavinnen und Sklaven, aber auch aus Lehrern und Journalisten. John Rapier Jr., dessen Reise nach Haiti im Zentrum dieser Untersuchung steht, war 1835 in Florence, Alabama als Sohn freier Eltern geboren worden. Sein Vater, John Rapier Sr., der in Florence einen barbershop betrieb, war der Sohn der Sklavin Sally und eines weißen Sklavenhalters. Zwar war John Rapier Sr. als Sklave geboren worden, wurde aber als junger Mann von einem Freund der Familie freigekauft. Da es in Florence keine Schule für African Americans gab, wuchs John Rapier Jr. bei seiner Großmutter Sally in Nashville, Tennessee und
Orleans und Saint Marc verkehrte und hauptsächlich Fracht, vereinzelt aber auch Reisende transportierte. 84 Heute sind Rapiers Aufzeichnungen und Briefe Teil des Nachlasses der RapierThomas Familie, welcher sich im Moorland Spingarn Research Center der Howard University in Washington, DC befindet. Der Nachlass wird im Folgenden RapierThomas Papers genannt.
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bei seinem Onkel Henry in Buxton, Kanada auf. Rapiers Brüder zogen als junge Männer unter anderem nach Kalifornien und Kanada. Rapiers Onkel James Thomas, mit dem Rapier übrigens 1856 nach Nicaragua gereist war, wurde von Sally, die in Nashville eine Wäscherei betrieb und deshalb trotz ihres Status als Sklavin eigenes Geld erwirtschaften konnte, als junger Mann freigekauft.85 Er zog nach St. Louis, Missouri. Henry, ein weiterer Onkel lebte nach seiner erfolgreichen Flucht aus der Sklaverei zunächst in Buffalo, New York und ließ sich nach Verabschiedung des Fugitive Slave Act 1851 in Kanada nieder.86 John Rapiers Stiefmutter und ihre Kinder waren Sklaven in Alabama. John Rapier Jr. selbst lebte nach der Rückkehr aus Nicaragua im Minnesota Territory, wo er unter anderem als freier Journalist für verschiedene lokale Zeitungen arbeitete. Abgrenzungen zu den USA und Afrika Im Laufe meiner Arbeit ist deutlich geworden, dass das hier zugrunde liegende Verständnis von race als etwas Gemachtem und Fluidem keinesfalls bedeutet, die enorme Wirkmächtigkeit der Kategorie im Leben von Individuen zu unterschätzen oder gar in Absprache zu stellen. Wie oben bereits angedeutet, spielte die Kategorie race im Leben von John Rapier und seiner Familie eine enorm wichtige Rolle. In der Familiengeschichte äußerte sich die Wirkmächtigkeit der Kategorie zum Beispiel ganz konkret darin, dass Teile der Thomas RapierFamilie Sklaven waren, dass Henry Thomas nach dem Fugitive Slave Act nach Kanada fliehen musste, oder dass John Rapier Jr. in Alabama, einem sklavenhaltenden Staat, in dem die Rechte von African Americans drastisch beschnitten waren, nicht zur Schule gehen konnte. In seinen Aufzeichnungen hatte Rapier alltägliche rassistische Diskriminierungen als Grund dafür angegeben, weshalb er die Emigration aus den USA in Erwägung zog. Im Oktober 1857 notierte Rapier in einem Tagebuch:
85 John Rapier Jr. und sein Onkel waren im Kontext von William Walkers NicaraguaExpedition nach Mittelamerika gereist. Mit Walker waren die beiden seit ihrer Kindheit in Nashville befreundet. Zur Walker Expedition siehe u.a.: Harrison, Brady, Agent of Empire: William Walker and the Imperial Self in American Literature. Athens: University of Georgia Press, 2004; Greenberg, Manifest Manhood, S. 135169. 86 Für eine Überblick über die Geschichte der Thomas-Rapier-Familie siehe: Franklin/Schweniger, In Search of the Promised Land.
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„I feel that I am destined to rise to a point far above my present low and menial capacity and that fate will culminate only when I have inscribed my name in imperishable letters by the side of a Bolivar, a Carreras and a Crummel. […] then how is this to be accomplished? Will it be by living and drudging for others in the United States? No! It must be by emigration.“87
Selbstbewusst verglich Rapier sich dabei mit dem schwarzen Abolitionisten Alexander Crummel und den südamerikanischen Unabhängigkeitskämpfern Bolivar und Carreras. Er war der Meinung, seine Fähigkeiten in den USA nicht angemessen entfalten zu können, und sah Emigration als einen Weg der Emanzipation. Interessant ist zudem, dass er sich dabei in eine Linie von Menschen stellte, die antikolonialen Widerstand leisteten. Bereits 1854 hatte John Rapier Informationsmaterial über Liberia bei der American Colonization Society angefordert. „Believe me, Sir, that I am serious in my idea of Emigrating. In this Country I can not live“ schrieb er, vielleicht um die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit seiner Emigrationsabsichten zu betonen.88 Allerdings entschied sich Rapier letztlich gegen die Emigration nach Liberia. Er begründete dies unter anderem mit der Abhängigkeit der Kolonie von weißen US-Amerikanern. In seinem Tagebuch legte er im Oktober 1857 seine Ablehnung der Emigration nach Liberia dar: „Shall I emigrate to the parched and arid coast of Africa and live under the rule of a Board of Merchants who reside in Washington or other cities? In a climate in which none whose veins contain Anglo Saxon blood can feel for a moment safe from the deadly attacks of fever and other diseases peculiar to the country, and where even the common necessaries of life are inaccessible. No!!“89
In seiner Ablehnung von Afrika spielte zum einen die Vorstellung eine Rolle, er könne sich so in eine wirtschaftlicher Abhängigkeit von weißen USAmerikanern begeben.
87 John Rapier Jr., „Diary“, 2. Oktober 1857, Rapier-Thomas Papers, Box 84-3, Folder 110. 88 Zitiert nach: Franklin/Schweninger, In Search of the Promised Land, S.141. 89 John Rapier Jr., „Diary“, 2. Oktober 1857, Rapier-Thomas Papers Box 84-3, Folder 110.
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Aber auch Überlegungen zu rassischer Zugehörigkeit spielten in der Begründung seiner Ablehnung von Afrika eine wichtige Rolle: „None whose veins contain Anglo Saxon blood can feel for a moment safe from the deadly attacks of fever and other diseases peculiar to the country“ befürchtete er, und schloss auch deshalb die „parched and arid coast of Africa“ als Emigrationsziel aus. Mit der Bemerkung, dass er „Anglo-Saxon blood“ in sich trüge, und deshalb aus gesundheitlichen Gründen nicht in Afrika leben könne, stellte Rapier eine Differenz zwischen sich und Afrika her. Er verwies darauf, dass er neben afrikanischer auch europäischer Abstammung sei. Damit löste er sich nicht von einem essentialistischen Verständnis von race, sondern äußerte die Vorstellung, „rassische“ Zugehörigkeit sei anhand von Blut messbar. Darüber hinaus war für ihn aber erfolgreiches Angelsächsisch-Sein auch an bestimmte Verhaltensweisen geknüpft. „Will I fill my destiny in a manner worthy of one of Anglo-Saxon descent?“ fragte er sich im selben Tagebucheintrag im Oktober 1857 und deutet damit an, dass er die Anerkennung als „Anglo-Saxon“ als etwas verstand, das erfolgreicher Performanz bedurfte, um Anerkennung und Glaubhaftigkeit zu erfahren.90 Mit diesen Aussagen schrieb er sich auch in jene Diskurse ein, die African Americans dezidiert als amerikanische und zu einem gewissen Grad angelsächsische Gruppe verstanden.91 John Rapier äußerte immer wieder seine Solidarität und Zugehörigkeit mit einer sogenannten „black race“. In einem Manuskript, das vermutlich nach Rapiers Ankunft in Haiti entstanden ist, begründete er sein Interesse an Haiti unter anderem damit, dass Haitis Regierung die einzige „freely and fully controlled by the descendants of Africa for the exclusive benefits of men of our race“ sei. Er notierte im gleichen Eintrag: „The interest is intensified and increased, when we remember that within [two?] days of this Negro Independency lies the Southern Confederacy, in which there are over 2 ½ millions of the same race subject to the most appalling system of slavery.“92
90 Ebd. 91 Vgl. u.a. Kapitel drei. 92 Manuskript, John Rapier Jr. 1861, Rapier-Thomas Papers, Box 84-3, Folder 111. Zwar ist der Textabschnitt nicht auf den Tag oder Monat datiert, aber es lassen sich einige Vermutungen anstellen, die den Entstehungszeitraum weiter einschränken. Ich vermute, dass der Text unmittelbar nach Rapiers Ankunft in Haiti im Dezember oder Januar 1861 entstanden ist. Aus einem Brief an seinen Vater in Alabama, den er nur wenige Tage nach seiner Ankunft in Haiti verfasste, geht hervor, dass die Seereise zwischen den beiden Häfen achtzehn Tage dauerte und dass Rapier am 26. Dezember
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Dabei drückte er mit der Formulierung „our race“ nicht nur seine Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der „descendants of Africa“ aus, sondern verwies auch auf die „Southern Confederacy“, also die kürzlich aus der Union ausgetretenen sklavenhaltenden Südstaaten. Damit nahm Rapier eine transnationale Perspektive auf die Geschichte der Karibik und Nordamerika ein, denn er betonte, dass historisch produzierte Räume wie die USA oder Haiti eben keine in sich geschlossenen nationalen Geschichtsräume darstellten. Stattdessen verstand er ihre Geschichten als verschränkt und über die Ebene der Nation hinaus wirksam. Race in den USA und Haiti Nach der Vorstellung vieler Zeitgenossen hatte John Rapier sowohl europäische als auch afrikanische Vorfahren. Damit war er, wie ich bereits mehrfach dargelegt habe, als nicht-weiß markiert, schlossen sich doch in dominanten USamerikanischen Diskursen „African ancestry“ und „whiteness“ gegenseitig aus.93 Afrikanische Vorfahren zu haben führte dazu, als schwarz klassifiziert und rassistischer Marginalisierung ausgesetzt zu werden.94 Dass diese Klassifizierung allerdings alles andere als eindeutig und objektiv sein konnte, liegt auf der Hand. Historikerinnen und Historiker haben in letzter Zeit vermehrt untersucht, wie und unter welchen Umständen rassische Klassifizierungen von Menschen sich wandeln konnten. Mit Blick beispielsweise auf die Geschichte der USA erweist sich race dabei als etwas, das überaus instabil war (und ist) und beständig ausgehandelt werden musste.95 Anstelle der letztlich nicht messbaren Abstammung spielten andere, ebenso wenig messbare und instabile Indikatoren wie etwa Aussehen, Sprache, Verhalten oder gesellschaftliches Ansehen eine Rolle in der Aushandlung von race. Zudem funktionierten auch, wie ich bereits dargelegt ha-
in Saint Marc eingetroffen war. Die angesprochene „Southern Confederacy“ gründet sich auf den Austritt South Carolinas aus den USA am 20. Dezember 1860. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Rapier auf See, er konnte also frühestens am 26. Dezember nach seiner Ankunft in Saint Marc von dem Ereignis erfahren haben. Darüber hinaus ist seine Darstellung Haitis überwiegend positiv – dies schlug bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft in Haiti um. Im April 1861 verließ Rapier Haiti bereits wieder. 93 Hodes, Martha, „The Mercurial Nature and Abiding Power of Race: A Transnational Family Story“, in: American Historical Review, 108/1, 2003, S. 84-118, hier S. 89. 94 Davis, Who is Black?, S. 34. 95 Siehe Fields, „Slavery, Race and Ideology“. Zur Instabilität und Aushandlung rassischer Kategorisierungen in den USA siehe einmal mehr auch Smith, How Race is Made; Sharfstein, The Secret History of Race; Hodes, „The Mercurial Nature“.
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be, Kategorisierungen von Menschen in den USA und der Karibik unterschiedlich. Während sich, wie bereits oben angedeutet, in den USA ein eher binäres System der Unterscheidung in „black“ und „white“ gebildet hatte, erfuhr Rapier, dass es in der Karibik mit „blacks“, „mulattos“ und „whites“ mindestens drei Gruppen gab, denen Menschen zugeordnet werden konnten. Er deutete in einer handschriftlichen Notiz, die er mit dem Titel „Mulattoes in Haiti“ versah an, dass ein breites Spektrum unterschiedlichster Hautfarben unter dem Begriff „mulatto“ vereint werden konnten. Er schrieb: „In Hayti all persons of mixed blood or the descendents of white and black or Indian and black ancestry is thus classified. They run through every shade of complexion from the brown Sambo, with his soft-wool like hair, and dark brown eyes to the fairest Octoroon, prosessing the light-flaxy hair, blue eye, Roman nose and [Wort unleserlich] of his Saxon or Gallic progenitors.“96
Dabei war die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Gruppierungen nicht nur an physische Merkmale gebunden, sondern konnte in besonderem Maße auch durch die Kategorie Klasse bestimmt werden und daraus ihre Fluidität erfahren.97 Die in Rapiers Notiz genannten „mulattoes“ wurden in Haiti oft als gens de couleur bezeichnet, die schon während der Kolonialzeit häufig gegenüber als schwarz bezeichneten Personen privilegiert gewesen waren, wobei sich die Aufteilung dieser beiden Gruppen sowohl an der Klassifizierungslinie race als auch Klasse vollzog.98 Rapier reiste im Dezember 1860 von New Orleans nach Saint Marc, Haiti. Rapier verließ Saint Marc einige Tage nach seiner Ankunft in Haiti und mietete sich in Port-au-Prince bei einem wohlhabenden kubanischen Emigranten ein, der mehrere Tabakplantagen auf der Insel besaß. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, nahm er eine Stelle als Englischlehrer an. Hatte Rapier die Schiffsreise
96 Manuskript, John Rapier Jr., 1861, Rapier-Thomas Papers, Box 84-3, Folder 111. Auch in diesem Fall ist eine exakte Datierung schwierig. Allerdings lassen sich folgende Vermutungen anstellen: Rapier schrieb Teile seiner Überlegungen auf eine Einladung zur Beerdigung der verstorbenen Tochter eines Mr. Decimus Nazere am 6. April 1861, so dass sich daraus möglicherweise eine zeitliche Einschränkung ergeben könnte. Dabei ist allerdings keinesfalls ausgeschlossen, dass Rapier die Notiz nicht auch später verfasst haben könnte. 97 Hodes, „The Mercurial Nature“. Siehe außerdem: Heuman, Between Black and White, vor allem Kapitel eins und sechs. 98 Hodes, „The Mercurial Nature“.
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nach Haiti, wie bereits anfangs angesprochen, als „monotonous“ abgetan und nicht weiter beschrieben, war er in der Beschreibung seiner ersten Eindrücke von Haiti im selbigen Brief vom 31. Dezember 1861 an seinen Vater in Alabama um einiges wortreicher. Die Nacherzählung einer Unterhaltung mit einem Schwiegersohn des Präsidenten Geffrard, dem Rapier in Saint Marc begegnete, ist ein zentraler Punkt im Brief. Rapier schrieb: „I had a conversation a few days since with a son in law of the President. Mon. [Basseau?], who began by congratulating me upon my safe arrival and then remarked how glad the mulattoes were, when they saw their brethren from the States come among them to live, saying that that it makes us so much the stronger and then added, that the blacks are not fit […] to live as freemen. I replied something to the effect that I hoped a good feeling existed, and would continue to exist between all parties – He asked would you marry a black woman – I avoided the question – he added no true mulatto will and ever does.“99
Leider ist der genaue Ort und auch der Zeitpunkt des Gesprächs im Verhältnis zu Rapiers Ankunft in Haiti aus dem Material nicht konkret ableitbar. Stattgefunden hat das Gespräch aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen dem 26. Dezember, an dem Rapier in Saint Marc in Haiti ankam, und dem 31. Dezember, auf den der Brief datiert ist. Vielleicht begegneten sich Rapier und sein Gesprächspartner unmittelbar nach der Ankunft der Bark Laura im Hafen von Saint Marc, wo dieser Rapier beim Verlassen des Schiffes als US-Amerikaner identifiziert haben und ein Gespräch gesucht haben könnte. Ich möchte den Ort und den Moment der Begegnung der beiden Personen als contact zone verstehen.100 Im Moment des Kontaktes zwischen Rapier und seinem Gesprächspartner manifestierte sich zum einen erneut die Fluidität rassistischer Kategorisierungen in den unterschiedlichen Kontexten Nordamerikas und der Karibik. Zugleich dokumentiert die Beschreibung dieses Kontaktes einen wichtigen Moment in Rapiers sich im Laufe der Reise stetig wandelnden identitären Verortungen und Vorstellungen von sich als Subjekt. Zunächst vermittelte der Gesprächspartner demnach seine Freude darüber, dass Rapier sich auf Haiti niederlassen wolle. In seiner Freude und Anerkennung über Rapiers Ankunft spielte die Kategorie race eine wichtige Rolle. Der Mann stellte in seiner Unterhaltung mit Rapier die Unterscheidung zwischen „mulattoes“ und „blacks“ als überaus deutlich und rigide dar. Er selbst verstand sich offensichtlich als „mulatto“ und adressierte auch John Rapier mit
99
Brief John Rapier Jr. an John Rapier Sr., 31. Dezember 1860, Rapier-Thomas Papers, Box 84-1, Folder 39.
100 Pratt, Imperial Eyes, S. 6-7.
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der Bezeichnung „brethren“ als solchen. Seine Freude über die Ankunft Rapiers gründete sich vor allem darauf, dass Rapier sich als ein vermeintlicher Angehöriger der Gruppe der „mulattoes“ auf Haiti niederlassen wolle. Von der Gruppe der „blacks“ hingegen behauptete er, sie seien zu einem Leben als freie Menschen nicht in der Lage und griff damit Vorstellungen von Schwarz-sein auf, wie sie auch Befürworter der Sklaverei zur Verteidigung der Institution benutzten. Aus der Nacherzählung wird deutlich, dass Rapier auf diese Abgrenzung zu „blacks“ zurückhaltend und zögernd, vielleicht sogar mit Verunsicherung und Überraschung reagierte. Offensichtlich war Rapier, der aus den USA eher eine Aufteilung in schwarz und weiß kannte, die klare Aufteilung und Abgrenzung von „Blacks“ und „Mulattos“ fremd. So drückt sich möglicherweise in der Aussage „I replied […] that I hoped a good feeling existed and would continue to exist between all parties“ der Versuch aus, der Aufteilung in „blacks“ und „mulattoes“ zwar nicht zu widersprechen, aber der negativen Konnotierung von Schwarz-sein nicht zu folgen. Zugleich äußerte Rapier den Wunsch nach einem guten Verhältnis zwischen beiden Gruppen. Die sehr zurückhaltende Reaktion Rapiers auf die Aussagen des anderen Mannes veranlassten diesen durch gezieltes Nachfragen zu einer eindeutigeren Selbstpositionierung Rapiers als Angehöriger der Gruppe „mulatto“. Da Rapier der Beantwortung seiner Nachfrage „would you marry a black woman?“ auswich und damit erneut auch der eindeutigen Selbstabgrenzung zu der Gruppe der „blacks“ entging, bestätigte der haitianische Gesprächspartner seine Meinung von der Trennung zwischen „blacks“ und „mulattoes“. Er betonte, dass „no true mulattoe“ jemals eine Ehe mit einer Angehörigen der Gruppe der „blacks“ eingehen würde. Die Benutzung des Wortes „true“, die ich hier mit „wahrhaftig“ oder „echt“ übersetzen möchte, treibt dabei die Vorstellung einer absoluten, einer „wahrhaftigen“ Trennung zwischen „mulattoes“ und „blacks“ auf die Spitze. Die Echtheit und Wahrhaftigkeit der Gruppenzugehörigkeit wird in dieser Vorstellung nicht nur über Hautfarbe und Familienabstammung geregelt, sondern definiert sich auch über das Verhalten und die Entscheidungen einer Person – etwa der Entscheidung, keine Ehe mit einer als „black“ bezeichneten Frau einzugehen. Somit verdeutlicht auch dieser Gesprächsauszug letztlich, dass race und die Zugehörigkeit zu einer rassischen Gruppe etwas war (und ist) das gemacht wurde, also der Performanz und Inszenierung bedurfte, um Validität zu haben. Allerdings: Wenngleich der Haitianer die Idee von einer Gemeinschaft aller Menschen irgendeiner afrikanischen „Abstammung“ nicht vertrat, stellte er in der Unterhaltung mit Rapier dennoch Gemeinschaft her. Allerdings sah er das verbindende Element nicht im Afrikanischsein sondern im exklusiveren „mulatto“-sein. In der haitianischen Gesellschaftsordnung, wie sie sich Rapier darstellte, war race nicht nur von großer Bedeu-
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tung, sondern funktionierte darüber hinaus wie in den USA hierarchisierend und exklusiv. Die Kategorie race stiftete keinesfalls eine Gemeinschaft aller Menschen afrikanischer Abstammung. Stattdessen lernte John Rapier, dass von vielen Haitianern zwischen „mulattoes“ und „blacks“ unterschieden wurde und, dass diese Unterscheidung mit einer Hierarchisierung zugunsten der Gruppe der „mulattoes“ verbunden war. Wie oben bereits angedeutet, hatte Rapier sicherlich bereits aus den USA ein Bewusstsein für die Aufteilung von als Menschen in beispielsweise „blacks“ und „colored“ mitgebracht. Diese Aufteilung war aber überaus fließend, und letztlich galt in den USA die Aufteilung von Menschen in schwarz und weiß und die daraus resultierende Diskriminierung in der Regel auch für Individuen wie John Rapier. Aus seinen Aufzeichnungen geht dies mehrfach hervor. In einem Brief an James Thomas aus Jamaika etwa erinnerte sich Rapier an die Omnipräsenz der Marginalisierung in den USA und kontrastiert diese Erfahrungen mit der Erfahrung, in der Karibik eine andere Subjektposition innezuhaben: „To tell you the truth a very different kind of [feeling?] and ideas pervades ones heart and head, when he can meet every man on equal terms, and converse without restraint with them upon every topic of the day, agreeing and disagreeing, upon themes and subjects just as you think or feel inclined, without feeling all the time that you are only heard because you are a pretty clever nigger, and can read and write – Where you can go to all places of amusement, instruction or interest without a hundred eyes being turned upon you while their minds are busy wondering what the hell [Herv.i.O.] is that nigger doing here.“101
Die Verwendung des enorm rassistisch konnotierten Begriffes deutet zum einen an, dass Rapier in den USA erfahrene Diskriminierung als alltäglich, stetig präsent und überaus drastisch empfand. Zum anderen zeichnet sich ab, dass Rapier die Erfahrung gemacht hatte, in den USA unabhängig von seiner hellen Haut und seiner Bildung als „black“ wahrgenommen worden zu sein. In der Karibik hingegen qualifizierten ihn diese Eigenschaften für die Zugehörigkeit zur Gruppe der „mulattoes“. Wie schon erwähnt enthielten Rapiers Aufzeichnungen Verweise darauf, dass Rapier sich zumindest teilweise als angelsächsisch verstand. Bereits in den USA hatte er sich möglicherweise in einer Kategorie zwischen schwarz und weiß verortet. Allerdings war dieses Selbstverständnis in seinen alltäglichen Erfahrungen scheinbar kaum zum Tragen gekommen. Erst seine Reise in die Karibik und die sich dabei ergebenen Kontaktmomente machten es Rapier
101 Brief John Rapier Jr. an James Thomas, 29. Januar 1861, Rapier-Thomas Papers, Box 84-1, Folder 39.
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möglich, seine Vorstellungen von schwarzer Gemeinschaft und seine Position im Verhältnis zu dieser Gemeinschaft neu zu denken und vor allem auch umzusetzen. So hatte er sich vermutlich aufgrund der permanenten Erfahrung rassistischer Diskriminierung im US-amerikanischen Kontext durchaus als Angehöriger einer schwarzen Gemeinschaft verstanden, der seine Solidarität und sein Mitgefühl galt. In Haiti kam er in Kontakt mit Menschen, die zwar Schwarz-Sein als ähnlich negativ darstellten wie viele US-amerikanische Stimmen. Allerdings wurde er in Haiti durch die Bezeichnung als „mulatto“ in einer alternativen Gruppe verorteten und mit Privilegien ausstatteten, die ihm in den USA verwehrt blieben. Rassifizierte Identifikationen im Wandel Trotz dieser Erfahrungen dokumentieren Rapiers Briefe an seine Verwandten in den USA aus den folgenden Wochen einen zunehmenden Verdruss über die Entscheidung, nach Haiti gekommen zu sein. Er wurde gegenüber der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zuständen in Haiti immer kritischer und sah seine Zukunft nicht mehr auf der Karibikinsel. Seine Unzufriedenheit mit Haiti verknüpfte er mit einer äußerst rassistischen Stereotypisierung der Bevölkerung. Er bezeichnete die schwarze Bevölkerung Haitis als faul, unzivilisiert, hypersexualisiert, unmoralisch und barbarisch. Er bediente sich dabei der Vorstellung, dass schwarze Menschen sich nur durch den erzieherischen Einfluss durch Weiße – in Haitis Fall französische Kolonialisten - bis zu einem gewissen Grad zivilisieren könnten. Diesen Wandel dokumentiert ein Brief, den er Ende Februar 1861 an seinen Onkel James Thomas schrieb. Darin hieß es: „The negro race, removed from presence and influence of the white race, is incapable of self government, and today the Haytians are more barbarous, and primitive in their habits and customs and far less intellectual then they were, when they achieved their independence.“102
Mit Äußerungen wie diesen knüpfte Rapier an Diskursmuster an, die er bereits aus den USA gekannt haben dürfte. Die Äußerung, schwarze Menschen seien nicht fähig zu zivilisiertem Leben und „self government“, tauchte, wie in den vorherigen Kapiteln bereits mehrfach dargelegt, in Diskursen zu Sklaverei und der Rolle von African Americans in der US-Gesellschaft immer wieder auf. In
102 Brief John Rapier Jr. an James Thomas, 25. Februar 1861, Rapier-Thomas Papers, Box 84-1, Folder 62.
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letzter Konsequenz wurde Rapier in der Karibik letztlich selbst zu einem Gegner schwarzer Freiheit. In seinem Brief fuhr er fort: „I came here considerably tinctured and spotted with abolitionism […] but I am now entirely cured of these symptoms of insanity […] I am now ultra pro-slavery, and am certain that a greater curse could not be imposed upon the United States or any other country than the emancipation of the Negro slaves. For once free, he literally lays down the shovel and the hoe, takes his fiddle banjo and tambour, and devotes his time to dancing and drinking and playing, only interrupting these occupations to steal something to eat to support him in idleness.“
Die Freiheit schwarzer Menschen, die doch zunächst Rapiers Entscheidung nach Haiti auszuwandern überhaupt erst befruchtet hatte, wurde hier äußerst negativ dargestellt. Bemerkenswert in diesem Kontext erscheint die Verwendung der Begriffe „tinctured“ und „spotted“. „Tinctured“ kann dabei als „eingefärbt“ und „spotted“ als „gesprenkelt“ verstanden werden; es handelt sich also um Begriffe, die unmittelbar etwas mit Farbe beziehungsweise Verfärbung zu tun haben, die aufgetragen wird und in der Schlussfolgerung auch wieder entfernbar ist. Gereinigt von dieser Verfärbung, die möglicherweise auf blackness verweisen könnte, schrieb sich Rapier in der Karibik scheinbar in die Kategorie „mulatto“ ein und verortete sich damit außerhalb der Gruppe der „negroes“, deren Versklavung er befürwortete. Dabei drückt sich in Rapiers Briefen die Kontextabhängigkeit rassifizierter Kategorisierungen aus. Diese wurden über das Bereisen der von Gilroy nachdrücklich in den analytischen Mittelpunkt gerückten „routes“ verschoben, und im Moment der Verschiebung umso sichtbarer. Denn erst indem sie sich verschoben, fanden sie in Rapiers Bericht so ausführlich Erwähnung. Rapier selbst kommentierte diese Verschiebung folgendermaßen „This is strange language for a negro to use, but it is as true [Herv.i.O.] as strange.“103 Diese Formulierung ist auch deshalb bemerkenswert, weil Rapier sich damit in demselben Brief, in dem er sich zunächst völlig von der Gruppe der „negroes“ abzugrenzen schien, seine eigene Abgrenzung relativierte, indem er sich wiederum als „negro“ bezeichnete. In diesem Kontext ist es wichtig, sich dem Adressaten des Briefes und seiner Situation erneut gewahr zu werden. Rapiers Brief richtete sich an seinen Onkel James Thomas, der sich zu diesem Zeitpunkt in St. Louis, Missouri aufhielt. Vermutlich schrieb Rapier den Brief in dem Bewusstsein, dass rassistische Kategorisierungen in den USA anders funktionierten als in der Karibik. Dabei war
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ihm offensichtlich bewusst, dass sich sein Onkel in einem Referenzrahmen und Kontaktraum bewegte, auf den sich Erfahrungen, die Rapier in Haiti machte, nicht ohne weiteres übertragen ließen. Vielmehr mussten sie als „strange“ empfunden werden. Rapier hatte sich also mit der Reise in die Karibik in einen Kontext begeben, innerhalb dessen es ihm möglich war, sich neu zu verorten. Dies bedeutete allerdings nicht, dass er ohne Gepäck reiste und in den USA gemachte Erfahrungen und Referenzen völlig hinter sich ließ. Vielmehr zeichnet sich in seinen Briefen und Aufzeichnungen ein Bewusstsein für die Kontextabhängigkeit seiner Fremd- und Selbstverortungen ab. Er war sich darüber bewusst, in einem US-amerikanischen Kontext als „negro“ verortet zu werden. Die Kritik Rapiers an den Zuständen in Haiti deutet darauf hin, dass er in Haiti zu einem Verständnis von sich selbst kam, das sich nicht primär über race, sondern auch über Herkunft und kulturelle Sozialisation konstituierte. Denn wie bereits oben geschildert, richtete sich seine Kritik an Haiti nicht nur gegen die sogenannten „negroes“, sondern auch gegen die Gruppe der „mulattoes“. Zwar unterschied Rapier deutlich zwischen den beiden Gruppen. Seine Abneigung aber richtete sich letztlich gegen alle „Haytians“. Letztlich war Rapiers Aufenthalt in Haiti nur von kurzer Dauer. Ein konkreter Grund, weshalb er Haiti bereits nach einigen Wochen wieder verließ, wird in den mir vorliegenden Briefen nicht genannt. Möglicherweise war es Furcht vor dem drohenden Konflikt zwischen Haiti und Spanien, oder auch vor Konflikten innerhalb der haitianischen Bevölkerung. Im April 1861 reiste Rapier nach Jamaika, wo er als Assistent eines kanadischen Zahnarztes arbeitete. Im Sommer 1862 kehrte er schließlich in die USA zurück.104 Die Erfahrungen Rapiers lassen die Brüchigkeit von rassischen Kategorisierungen und gleichzeitig die Produktivität der historischen Untersuchung von Kontaktmomenten sichtbar werden: Zwar verschoben sich im Zuge der Migration seine Subjektpositionen. Zugleich zeigt sich in Rapiers Aufzeichnungen aber auch, dass der räumliche Wechsel
104 In den USA begann Rapier ein Medizinstudium, das er im Sommer 1864 abschließen konnte. Ohne an dieser Stelle auf Rapiers Erfahrungen nach seiner Rückkehr in die USA weiter eingehen zu wollen, sei darauf hingewiesen, dass sich seine Haltung gegenüber sogenannten schwarzen Menschen und der Frage der Sklaverei nach der Rückkehr nach Nordamerika erneut wandelte. So arbeitete er nach seinem Studium als Arzt im Freedmen’s Hospital, einem von der Unionsarmee geführten Krankenhaus für ehemalige Sklavinnen und Sklaven im Nordwesten von Washington, DC und engagierte sich für die Belange dieser Menschen. Dort starb Rapier 1866 im Alter von knapp 31 Jahren. Siehe Franklin/Schweniger, In Search of the Promised Land.
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keinesfalls einherging mit der völligen Loslösung von bisherigen Verortungen. Vielmehr treten Verschiebungen, aber auch Gleichzeitigkeiten hervor. So fand niemals eine absolute und fixe Verortung in rassisch definierten Gemeinschaften statt. Stattdessen blieben der Reisende Rapier und seine Selbst- und Fremdwahrnehmungen stets abhängig von einem sich ständig wandelnden Außen. Die Reiseberichte von Elizabeth Howard stehen im Zentrum des folgenden Kapitelabschnitts. Die vermutlich weiße, weibliche Mitarbeiterin des Haytian Bureau of Emigration veröffentlichte unter dem Titel „Reminisences of a Soujourn in Hayti“ 1862 in einer Reihe von Artikeln in der Pine and Palm Erinnerungen an einen zehn Jahre zurückliegenden Aufenthalt als Missionarin in Haiti.
E LIZABETH H OWARD : „R EMINISCENCES OF A S OJOURN IN H AYTI “ „The appearance of the Island of Hayti, on approaching it, is at once sublime and imposing.“105 So begann Elizabeth Howard ihre Berichte über den Aufenthalt in Haiti. In ihren Schilderungen stellten üppige und unberührte Landschaften sowie Naturphänomene ein Außen dar, zu dem die Verfasserin sich selbst verhielt und verortete, wie ich in den folgenden Abschnitten darlege. Über den konkreten Entstehungszeitpunkt der Texte ist nichts bekannt. Der Titel der Reihe deutet allerdings darauf hin, dass Howard sie erst für die Veröffentlichung in der Pine and Palm und somit zehn Jahre nach dem Aufenthalt in Haiti verfasst hatte. Die Tatsache, dass Howard ihren Bericht mit einer Beschreibung der „appearance“ Haitis beginnt, verweist bereits auf den Charakter des übrigen Textes: Zwar war Howard in Haiti in der Stadt Jacmel an der Südküste Haitis als Missionarin und Lehrerin tätig gewesen. Allerdings dominieren Beschreibungen von Naturphänomenen und Landschaften über weite Strecken die Erzählung. Obwohl der Titel der Reihe ankündigte, Erinnerungen an Haiti wiederzugeben, ging es in Howards Berichten letztlich nur vordergründig um ihren Aufenthalt in Haiti in den späten 1840er beziehungsweise frühen 1850er Jahren. Gelesen werden muss der Text stattdessen vor allem als eine Fortschrittsgeschichte, die weniger über die Vergangenheit berichtete, sondern vielmehr über die Gegenwart, in der sie entstand. Darüber hinaus ist der Bericht nicht zuletzt als eine Selbstdarstellung zu verstehen, in der die Verfasserin ihre eigene identitäre Verortung deutlich machte. Während sich bei der Untersuchung ihrer Schilderungen eine ganze Reihe von Perspektiven aufmachen ließe, zeige ich im Folgenden vor al-
105 Howard, „Reminiscences“, in: The Pine and Palm, 8. März 1862.
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lem, wie in den Darstellungen der Missionarin Religion, Naturschilderungen und Modernisierung miteinander verknüpft wurden, und wie Howard sich als Teil dieser Verknüpfung selbst positionierte. Ich argumentiere, dass sich die ehemalige Missionarin in ihren Berichten über die Kontakte mit der haitianischen Natur und Landschaft als aufgeklärtes, vernunftvolles weibliches Subjekt und Teil einer christlichen und gleichzeitig technologisierten Modernisierungsbewegung konstituierte. „Sublime and imposing“: Die Figur des Erhabenen Ich möchte zunächst noch einmal Howards einleitende Beschreibung Haitis aufgreifen: Ihren ersten Eindruck von Haiti, das sie 1848 von Bord eines Schiffes am Horizont erblickte, beschrieb sie als „at once sublime and imposing.“106 Mit dieser Beschreibung knüpfte sie an zeitgenössische Diskursmuster an, in denen die Figur des Erhabenen eine zentrale Position einnahm. Seit dem 18. Jahrhundert waren in Europa und Nordamerika Vorstellungen davon, was Erhabenheit sei, wie diese sich äußere und darüber hinaus sich erfahren ließe, vielfach diskutiert worden.107 So unterschiedlich Äußerungen zur Beschaffenheit des Sublimen allerdings auch sein mochten, orientierten sie sich zunächst im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert dennoch zumeist an der Idee, dass Erhabenheit sich vor allem in Naturphänomenen und Landschaften zeige.108 Allerdings konnte Erhabenheit nicht per se existieren, sondern entstand erst im Moment der Wahrnehmung durch aufgeklärte Subjekte. Anders ausgedrückt: es galt, dass längst nicht
106 Ebd. 107 Die Figur des Sublimen wurde auch außerhalb abgesteckter Felder wie etwa der Philosophie von Zeitgenossinnen und Zeitgenossen auf vielfache Weise angerufen, wie beispielsweise die Historiker David E. Nye und Jürgen Martschukat aufzeigen. Siehe Nye, American Technological Sublime, hier insbesondere S. 9; Martschukat, „‚The Art of Killing by Electricity‘: The Sublime and the Electric Chair“, in: The Journal of American History, 89/3, 2002, S. 900-921. 108 Zu den Niagara Falls als die Ikone amerikanischer Sublimität siehe u.a. grundlegend McKinsey, Elizabeth, Niagara Falls: Icon of the American Sublime. Cambridge: Cambridge University Press, 1985. Siehe auch McGreevy, Patrick, Imagining Niagara: The Meaning and Making of Niagara Falls. Amherst: Univ of Massachusetts Press, 2009; Nye, American Technological Sublime.
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alle Menschen in der Lage seien, Erhabenheit zu empfinden. Vielmehr setzte dies die Fähigkeit zur (Selbst)reflektion voraus.109 Im 19. Jahrhundert waren es zunächst vermeintlich göttlich geschaffene Naturphänomene, Landschaften und Naturgewalten, in denen in den Augen der Zeitgenossen das Sublime erkennbar wurde. Elizabeth Howards Beschreibung ihrer Anreise auf einem Segelschiff nach Haiti folgt diesem Diskursmuster: „Suddenly, the cry of ‚land, ho!‘ [Herv.i.O.] is heard from the masthead and the mate calls out, ‚St. Domingo in right‘.‚Where?‘ [Herv.i.O.] exclaim the eager and impatient passengers, stepping hastily on deck. ‚Don’t you see the dark ridge at the southwest?‘ ‚O, I thought it was a cloud‘, we all exclaim; and we continue to gaze until we are quite sure that it is a cloud, and that it will eventually dissolve itself into a storm.“110
In dieser Darstellung der Insel Hispaniola überlagern sich mehrere Merkmale des Sublimen. Landschaftliche Phänomene wie Berge und Klippen, ebenso wie Stürme und Gewitter gelten als zentrale Figuren in Darstellungen des Sublimen im 19. Jahrhundert. Gerade die Bedrohlichkeit dieser Naturgewalten war ein konstitutives Element des Sublimen. Edmund Burke hatte dies in seinen einflussreichen Werk „A philosophical enquiry into the origin of our ideas of the sublime and the beautiful“ dargelegt.111 Er schrieb: „Indeed terror is, in all cases what so ever, either more openly or latently the ruling principle of the sublime.“ Die bewusste Auseinandersetzung mit auf den ersten Blick abschreckenden und furchterregenden Phänomenen waren demnach zentrale Momente in der Empfindung des Erhabenen. Sowohl der vom Steuermann benutzen Bezeichnung „dark ridge“ als auch der Beschreibung dieses Bergmassivs als „cloud“ und
109 So hatte Kant in seiner 1790 veröffentlichten Kritik der Urteilskraft konstatierte: „Also ist die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, sondern nur in unserm Gemüte enthalten, sofern wir der Natur in uns, und dadurch auch der Natur (sofern sie auf uns einfließt) außer uns, überlegen zu sein uns bewußt werden können. […] nur unter der Voraussetzung dieser Idee in uns, und in Beziehung auf sie, sind wir fähig, zur Idee der Erhabenheit […] zu gelangen.“ Siehe Kant, Immanuel, Kritik der Urteilskraft. Mit Einleitung und Bibliographie herausgegeben von Heiner F. Klemme. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 2006, S. 133. 110 Howard, „Reminiscences“, in: Pine and Palm, 8. März 1862. 111 Burke, Edmund, A Philosophical Enquiry Into the Origin of Our Ideas of the Sublime and the Beautiful: With an Introductory Discourse Concerning Taste. New York: Harper 1844, S. 73.
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„storm“ hängt eine Bedrohlichkeit an, die in Howards Berichten über Haiti immer wieder eine Rolle spielte. So beschrieb sie in einer anderen Episode eine Reise innerhalb Haitis, die sie zusammen mit einigen anderen Missionarinnen und Missionaren unternahm. An einen Ritt durch eine bewaldete Berglandschaft am Golf von Gonâve nördlich von Port-au-Prince am frühen Morgen erinnerte sich Howard folgendermaßen: „O! that daybreak upon those mountain cliffs! who shall describe its beauty? The shadowy light of the dawning, the rainbowy hues that enveloped the green summit of the mountains as they arose one above another as far as the eye could reach, giving them the appearance of Angelic forms shrouded in a halo of glory, the gorgeous coloring of the rain-drops that hung on the boughs over and around us, these [Herv.i.O.] were objects on which the eye rested with sweet and silent delight as we advanced.“112
Die Erzählung vermittelte zunächst den Eindruck paradiesischer Schönheit und der expliziten Friedlichkeit einer Landschaft, auf der der Blick der Betrachterin mit „sweet and silent delight“ zur Ruhe kam, und in der es nichts Beunruhigendes wahrzunehmen gab. Sublimität stellte sich in der Wahrnehmung Howards erst bei einem Blick in die entgegengesetzte Richtung ein, die kontrastreicher nicht sein konnte: „But on turning to look back on the plain below, we were struck with amazement at the sublimity and grandeur of the scene. The ocean lay like a mirror at our feet stretching far to the north, the Island of Gonâve arose at the entrance of the bay immediately before us, the rising mist hung like a white veil around the distant mountains […] The shadows in the valleys began to hide themselves in the recesses of the mountains, and appeared in their flight like armed warriors fleeing before the coming of the ‚Mighty King of Day‘.“113
Die beschriebene Landschaft barg für die sinnliche Wahrnehmung eine enorme Komplexität und erhebliches Täuschungspotential, denn nichts schien sich hier auf den ersten Blick eindeutig identifizieren zu lassen: Der Golf von Gonâve in der Ferne glich einem Spiegel, Dunst verschleierten die Berge, und Schatten nahmen die Gestalt von fliehenden Kriegern an. Die Unterscheidung zwischen Imagination und Realität wurde dabei hier, wie auch in der vorherigen Beschreibung der Insel Hispaniola von Bord des Schiffes „Hayti“ aus als überaus schwierig dargestellt. Dort erschien die Landmasse Hispaniolas beispielsweise sowohl
112 Howard, „Reminiscences“, in: Pine and Palm, 17. April 1862. 113 Ebd.
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als „dark ridge“ als auch als sich eventuell in einen Sturm verwandelnde „cloud“. Die Tatsache, dass es für die Passagiere an Bord des Schiffes „Hayti“ nur schwer möglich war, zwischen der Massivität der Landmasse und der sich beständig wandelnden Formation eines heraufziehenden Sturm zu unterscheiden, macht die Darstellung der Insel umso unwirklicher und bedrohlicher. Aber gerade dadurch, dass sich Naturerscheinungen nicht eindeutig einordnen ließen, erhielten die beschriebenen Szenen eine übernatürliche Dimension, die sich als wichtiges Merkmal der Darstellung von Erhabenheit lesen lässt. Denn die aufgeklärte und besonnene Auseinandersetzung mit bedrohlichen und scheinbar übernatürlichen Phänomenen galt, wie Jürgen Martschukat in einem Aufsatz zum Elektrischen Stuhl und der Figur des Sublimen in den 1890er Jahren darlegt, als „source of individual and collective inspiration and development“114. Die kontrollierte, überlegte Konfrontation mit furchterregenden Naturphänomenen ließ es zu, dass Menschen sich als aufgeklärte Subjekte wahrnehmen konnten, die sich mittels ihres Verstandes über zunächst scheinbar überwältigende Gefühle von Furcht und Angst hinweg zu setzen vermochten. Denn erst wer Erhabenheit empfinden konnte, entzog sich der Beschreibung als roh und unkultiviert. Die bewusste und aufgeklärte Auseinandersetzung mit dem Sublimen wurde dabei auch zu einem Moment, in dem der Subjektstatus eines Menschen geprüft und überhaupt erst hervorgebracht wurde.115 Diese Prüfung war insofern notwendig, und konnte darüber hinaus auch durchaus fehlschlagen, da, wie ich bereits mehrfach dargelegt habe, nicht jeder Mensch uneingeschränkt als vernunftvolles Subjekt galt. Weibliche Subjektwerdung gestaltete sich beispielsweise grundsätzlich anders als männliche Subjektwerdung, und weibliche Subjektivität galt als eine Abweichung von normativer männlicher Subjektivität. In einer zweigeschlechtlich gedachten und von Rassismen durchzogenen Gesellschaftsordnung wurde weißen Männern zudem ein weitaus stabilerer und höherwertiger Subjektstatus zugestanden als Frauen. Diese Hierarchisierung schlug sich auch in Vorstellungen von der Figur des Erhabenen nieder, womit wir wieder bei Howards Beschreibungen angelangt wären: So beschrieb sie die Natur um sie herum zwar als komplex und voller Täuschungspotential. Letztlich war die ehemalige Missionarin allerdings souverän in der
114 Martschukat, „‚The Art of Killing‘“, S. 900. 115 Vgl ebd.; Nye, „The Electrified Landscape: A New Version of the Sublime“, in: Gidley, Mick/Lawson-Peebles, Robert (Hg), Modern American Landscapes. Amsterdam: VU University Press, 1995, S. 77-100, hier S. 78; Wehle, Winfried, „Das Erhabene. Aufklärung durch Aufregung“, in: Geyer, Paul (Hg.), Das 18. Jahrhundert. Aufklärung, Pustet: Regensburg, 1995, S. 9-22, hier vor allem S. 14-15.
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Lage, diese Täuschungen zu entlarven und die Dinge bei ihrem Namen zu nennen. Howard generierte sich in ihrer Erzählung demnach als aufgeklärte, sensible und dennoch vernunftvolle Person, als welche sie überhaupt erst fähig war, Erhabenheit wahrzunehmen und der Bedrohlichkeit der Landschaft reflektiert und mit Räson zu begegnen. Dabei entzog sie sich gleichzeitig zu einem gewissen Grad auch dominanten Beschreibungen von dem Verhältnis von Weiblichkeit und Sublimität. Denn es galt, dass die Wahrnehmung von sublimen Phänomenen eine vornehmlich männliche Fähigkeit sei, wie beispielsweise David Nye in seiner Studie „American Technological Sublime“ darlegt: „the sublime was for men; the beautiful and picturesque were suited to effiminate men, women, and preachers.“116 Indem also Howard die Empfindung von Erhabenheit für sich beanspruchte, positionierte sie sich als Subjekt in einem überaus umstrittenen Hoheitsgebiet, und höhlte damit gängige Vorstellungen von Weiblichkeit aus. Ihre Selbstdarstellung lässt sich in diesem Kontext als Moment lesen, in dem sie sich von weniger besonnenen und aufgeklärten Menschen abgrenzte, die beim Anblick des heraufziehenden Sturms oder der fliehenden Schatten mangels des Einsatzes von aufgeklärter Räson von schierer Furcht überwältigt worden wären. Was ist bemerkenswert daran, dass Howard sich ausgerechnet in einer Erzählung über Haiti als aufgeklärtes, rationales Subjekt darstellte? Wie wurde Haiti dabei beschrieben? Um mich diesen Fragen zu nähern, möchte ich mich zunächst einem weiteren Aspekt zuwenden, der in den Ausführungen der Missionarin eine zentrale Position einnahm: Die Bedeutung von Essen und Essbarem. Wie zuvor bereits angesprochen, dominiert die Beschreibung von Naturphänomenen über weite Strecken Howards Erzählung. Dies verweist nicht zuletzt auf die Idee, dass Haiti, wie auch viele andere „tropische“ Länder, vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen als überaus naturbelassen, ursprünglich und gleichzeitig als unzivilisiert und rückständig galten. Howards Naturschilderungen waren verknüpft mit Beschreibungen von Früchten, Pflanzen und darüber hinaus Mahlzeiten, die die Missionarin auf ihren Reisen in Haiti sah und verspeiste. Der Kon-
116 Nye, American Technological Sublime, S. 30. Wie Nye darglegt, hatten diese Vorstellungen große Wirkmacht. Nye beschreibt beispielsweise, wie der Geologe Clarence King sich in einer 1864 herausgegebenen Schrift explizit daran störte, dass er bei der Besichtigung von spektakulären Naturschauplätzen häufig auf Frauen traf, da diese die Erhabenheit der Szenerie ohnehin nicht zu erfassen und damit angemessen zu schätzen vermochten. So stellten anwesende Frauen letztendlich lediglich eine Störung im sublimen Erlebnis des männlichen Betrachters dar, da sie die Sicht störten und die erhabene Szenerie mit unangemessenen Bemerkungen zu beschreiben versuchten. Siehe dazu: Ebd., S. 31.
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takt mit Haiti stellte sich demnach nicht nur als visuelles Erlebnis dar, sondern sprach unter anderem auch den Geschmackssinn an. Ich diskutiere im Folgenden, welche Funktion Essen in ihrer Darstellung einnahm. „Eating the other“: Essen und Exotik Bereits in der Schilderung der Anreise nach Haiti nahm Essen einen bedeutenden Platz ein. Howard beschrieb detailliert, wie sie an Bord des Schiffes „Hayti“ zum ersten Mal eine ihr unbekannte Frucht aß: „‚See what a fine pear‘, says the Captain, holding up the largest and most beautiful bell pear I ever saw. With an odd twinkle of the eye, he handed it over to me, but as I set my teeth into its tempting side, I was greeted with a hearty burst of laughter from the Captain and other officers, and also some of the passengers, who had been to Hayti. Of course I dropped the piece I had in my mouth, expecting to be poisoned; but was assured that it was perfectly harmless. I then began to sensible that I had tasted of something very much like fresh lard, and was told by the steward, that I might be able to eat a portion of it, if I would but some salt on it , and take a piece of bread to eat with it. He further informed me that it was called the Butter Pear, and was really quite a substitute for butter.“117
Der Verzehr der Frucht wird in diesem Abschnitt mit einer Reihe von Bedeutungen aufgeladen: Zunächst stellte sich die „Butter Pear“ als etwas Vertrautes dar, das sich nach dem ersten Bissen aber als unbekannt erwies und deshalb von Howard als möglicherweise sogar gefährlich und giftig eingeschätzt wurde. Ich möchte mit Victor Turner argumentieren, dass die Missionarin hier eine „rite de passage“ durchlief.118 Initiiert wurde das Ankunftsritual durch die höchste Autoritätsperson an Bord, dem Kapitän. Das Ritual war eine Aufführung, die vor einem größeren Publikum stattfand, nämlich den übrigen Passagieren und Mitgliedern der Besatzung. Es entsteht der Eindruck, als führe der Kapitän diese Inszenierung nicht zum ersten Mal auf, sondern als habe er seinen Streich bereits auf früheren Reisen mehrfach an Passagieren ausprobiert, so dass er aus seiner Perspektive ein ritueller Teil der Anreise nach Haiti war. Das Publikum wurde in
117 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 17. April 1862. Möglicherweise handelte es sich bei der Frucht um eine Avocado. 118 Turner, Victor, Structure and Anti-Structure, New York: Adeline de Gruyter, 1995. Speziell zum Konzept der Liminalität siehe auch: ders, „Betwixt and Between: The Liminal Period in Rites de Passage“, in: Spiro, Melford (Hg), Symposium on New Approaches to the Study of Religion. Seattle: American Ethnological Society, 1964, S. 4-20.
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Howards Erzählung in zwei Gruppen aufgeteilt: solche Personen, die zum ersten Mal nach Haiti reisten, und solche, die bereits zuvor in Haiti gewesen waren, und deshalb die „Butter Pear“ kannten. Mit dem Hinweis, es handle sich um „a fine pear“ provozierte der Kapitän bewusst die Täuschung der Missionarin. Lediglich „an odd twinkel“ im Gesicht des Kapitäns deutete aus Howards Perspektive darauf hin, dass dieser wusste, dass sich etwas Unerwartetes ereignen würde. In dem Moment, in dem sie in die „Butter Pear“ biss, von ihrem unerwarteten Geschmack überrascht wurde und das Gelächter der erfahrenen Passagiere auf sich zog, begab sich Howard in einen Schwellenzustand zwischen „Outsider“ und „Insider“.119 Sie gehörte in diesem Moment weder zur einen, noch zur anderen Gruppe, sondern wurde kurzfristig zu einer „liminal persona“.120 Erst nachdem sie von der Mannschaft über die Ungefährlichkeit und den Gebrauch der „Butter Pear“ aufgeklärt worden war, konnte sie den Moment der Liminalität hinter sich lassen und zur Gruppe der „Insider“ wechseln. Gleichzeitig wurde in dieser eröffnenden Episode die Andersartigkeit Haitis betont. Die scheinbar vertraute Frucht erwies sich im Moment der Einverleibung als etwas völlig anderes als erwartet. Es stellte sich heraus, dass sie nicht das war, was sie zunächst zu sein schien. So wurde über die Erzählung von der „Butter Pear“ Howard durch den Prozess der Einverleibung des Exotischen als Insider initiiert, und Haiti dabei gleichzeitig exotisiert. Auch nach der Schilderung der Einreise nach Haiti blieb der im wahrsten Sinne des Wortes körperliche Kontakt mit exotischen Früchten und Pflanzen ein zentrales Motiv in dem Bericht der ehemaligen Missionarin: „We often saw fields of rice, plantations of bananas and coffee in our rides about the country“121 erinnerte sie sich. „The shady mango, the feathery cocoa, and the broad-leafed banana grew here and there“ berichtete sie.122 An anderer Stelle hieß es: „We […] pursue our winding way among sugar cane, coffee-trees, and orange-trees, the fragrant blossoms and green fruit of the latter are seen among the ripe golden fruit that hangs temptingly over our pathway.“123 Zudem zählte Howard an unterschiedlichen Stellen in ihren Berichten detailliert Lebensmittel auf, die sie verspeiste. „[S]ugar cane“, „[o]ranges, bananas, and fresh fish“, „vegetable melons, fruits, eggs, fowls or something of the kind“ oder „bananas, boiled eggs,
119 Ebd. 120 Ebd. 121 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 3. April 1862. 122 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 17. April 1862. 123 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 27. März 1862.
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melons, and fruits“ hatte sie gegessen.124 Mit Bananen, Mangos und Orangen zählte Howard Früchte und Pflanzen auf, die zwar in Nordamerika bekannt waren, aber eindeutig mit den sogenannten Tropen assoziiert wurden und im Norden der USA und in Kanada nicht oder nur sehr eingeschränkt gediehen. Sie beschrieb zudem keine aufwändig zubereiteten Gerichte, sondern einfache und trotzdem üppige Speisen, die sich aus kaum weiter verarbeiteten frischen Produkten zusammensetzten und scheinbar jederzeit und im Überfluss vorhanden waren. Haiti wurde demnach aus der Perspektive Howards als Ort der unbegrenzten Fülle von Nahrungsmitteln und deren freien Verfügbarkeit imaginiert. Die vermeintliche Exotik und Andersartigkeit der haitianischen Speisen wurde nicht zuletzt auch durch die Kategorie race in erheblichem Maße hervorgebracht, waren es doch nicht-weiße Haitianerinnen und Haitianer, die die von Howard konsumierten Nahrungsmittel anbauten, ernteten und zubereiteten. Vorstellungen von Andersartigkeit zeigen sich deutlich in der stark rassifizierten Darstellung eines Mannes, der Howard eine Stange Rohrzucker schenkte: „One very large and very black man from the country tried to make me understand that he had something for me which he would bring next week. I was surprised, however, when he came, by the sight of an enormous stalk of sugar cane.“125
In diesem Kontaktmoment zeigt sich überaus deutlich eine Abgrenzung zu Haiti und seiner Bevölkerung als andersartigen, exotischen und gleichzeitig konsumierbaren Ort. Im Übrigen wurde auch die Sprache, die die Menschen um sie herum benutzten, von Howard zu einem essbaren Konsumgut stilisiert. Als „spice“ bezeichnete sie beispielsweise das Kreyòl, das die haitianischen Reisebegleiter der Missionarin miteinander sprachen.126 als Diese Verflechtung von race und Nahrungsmitteln in Howards Text funktioniert als eine „commodification of otherness“, um mit bell hooks zu sprechen.127 Indem sie explizit mit Nah-
124 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 3. April 1862; 8. März 1862; 3. April 1862. 125 Ebd. 126 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 17. April 1862. 127 hooks, „Eating the other. Desire and Resistance“, in: dies. Black Looks. Race and Representation. Boston: South End Press, 1992, S. 21-39, hier S. 21. In ihrem einflussreichen Aufsatz benutzt hooks Essen als eine Metapher um sexualisiertes Verlangen nach den Körpern von „dark Others“ zu beschreiben, welches sie als ein zentrales Thema einer zeitgenössischen „mass culture“ identifiziert. „Mass culture“ gilt hooks dabei als „location that both publicly declares and perpetuates the idea
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rungsmitteln verknüpft wurden, wurden Exotik und Andersartigkeit konsumierbar und körperlich erfahrbar. Die Aufnahme der andersartigen Speisen stellte den ultimativen Kontakt mit dem als exotisch markierten Anderen dar. Trotz dieses körperlichen Kontaktes mit Haiti und dem exotischen Anderen wurde allerdings Howards rassischer Status als vermutlich weiße Frau nicht gefährdet, denn die Missionarin sprach aus einer privilegierten Position als Reisende, die die scheinbar frei verfügbaren exotischen Produkte bedenkenlos konsumieren und genießen konnte. So bewegte sich Howard mit ihrer Beschreibung von Essbarem in einem Rahmen, der gesellschaftlich akzeptiert war. „Conveniences for traveling“: Transportmittel und Fortschrittlichkeit Mit der Beschreibung Haitis als Konsumgut exotisierte Howard das Land und präsentierte die dortigen Lebensweisen als ländlich, naturverbunden und tendenziell rückständig. Denn es waren letztlich einfache, frische und im Norden der USA zumeist nicht gedeihende Konsumgüter, die beschrieben wurden. Raffinierte, aufwendig zubereitete Speisen erwähnte Howard kaum und zeichnete so das Bild einer einfachen, naturverbundenen, kaum technologisierten Lebensweise. In diesem Kontext möchte ich die eingangs vorgestellte Idee aufgreifen, laut derer Howard sich ihren Leserinnen und Lesern in ihren Berichten über ihren Aufenthalt in Haiti als Teil einer Modernisierungsbewegung präsentierte und sich in dieser Selbstdarstellung als ein dem Fortschritt verschriebenes Subjekt generierte. Dabei möchte ich zunächst erneut darauf verweisen, dass die Missionarin in ihren Berichten für die Pine and Palm eine Vergangenheit beschrieb, nämlich Haiti während eines etwa zehn Jahre zurückliegenden Aufenthaltes. Da es, wie in den vorherigen Kapiteln ausführlich diskutiert, eines der Hauptanlie-
that there is pleasure to be found in the acknowledgement and enjoyment of racial difference.“ Siehe ebd. Ein Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist ein von ihr überhörtes Gespräch zwischen weißen, männlichen Studierenden, indem die jungen Männer sich gegenseitig versicherten, vor ihrem Abschluss mit möglichst vielen nicht-weißen Frauen sexuelle Handlungen eingehen zu wollen. Von diesem Gespräch ausgehend argumentiert hooks, dass der so öffentlich zelebrierte Konsum der Körper der Anderen als ein Moment gelesen werden kann, der den Konsumierenden „white males“ als „ritual of transcendence“ galt, als „a movement out into a world of difference that would transform [them], an acceptable rite of passage. The direct objective was not simply to sexually possess the Other; it was to be changed in some way by the encounter.“ Ebd., S. 23-24.
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gen des Haytian Bureau of Emigration war, eine gebildete, fortschrittliche schwarze Elite zur Emigration von den USA nach Haiti zu bewegen, scheint die Beschreibung von Vergangenheit auf den ersten Blick denkbar ungeeignet. Aus diesem Grund verließ Howard die Erzählebene tatsächlich immer wieder, um sie mit der Gegenwart und Zukunft des Landes zu vergleichen und zu kontrastieren. Im folgenden Abschnitt aus Howards Reisebericht verglich die Verfasserin die Art und Weise des Reisens in Haiti in den 1850er mit den 1860er Jahren: „During the reign of the Emporer Souloque, the conveniences for traveling in Hayti were very few. Indeed, he declared that no person should be allowed to invent or construct anything for convenience or labor-saving, as that would be a move toward civilization, and all who were suspected of desiring to make any advance in that direction, fell under the immediate displeasure of his Majesty […] This state of things may account for the sad plight in which we found ourselves on board a Haytian coaster, in January, 1849, as we were trying to get from Port-au-Prince to Port-de-Paix, and also the sufferings I endured one year later, as I attempted to go from Port-de-Paix to Cape Hayti.“128
Dabei attestierte Howard der Regierung des Kaisers Faustin Soulouque, der von 1847 bis 1859 an der Macht gewesen und dann von Präsident Geffrard abgelöst worden war, eine bewusste Verweigerung gegenüber zivilisatorischen Neuerungen. Zivilisierung drückte sich ihrem Bericht nach in der Erfindung und Einführung von Maßnahmen aus, die „convenience“ mit sich brachten und als „laborsaving“ galten. Wenn Howard auf diese Art in den 1860er Jahren ein Haiti der 1840er und 1850er Jahre schildert, implizieren diese Beschreibungen daher gleichzeitig immer auch die Rückständigkeit Haitis zu dieser beschriebenen Zeit. Dies war ein Thema, das sich wie bereits zuvor besprochen in vielen zeitgenössische Darstellungen von Haiti zeigt. Howards in der Pine and Palm abgedruckten Berichte müssen immer auch als Werbung für Emigration nach Haiti verstanden werden. Ziel der Emigration war nicht zuletzt die Modernisierung Haitis durch African Americans. Um Haiti trotz der von ihr beschriebenen Rückständigkeit dennoch in einen Fortschrittsdiskurs einzuschreiben, stellte Howard deshalb das vergangene Haiti mit dem gegenwärtigen gegenüber. Sie schrieb: „I indulge a hope that I may visit that splendid Island again, in these days of progress, when swift steamboats ply those waters, and steam packets direct from New York touch at Port-au-Prince. In these days of rapid civilization, when the great and good Geffrard not
128 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 3. April 1862.
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only allows his people to invent and construct all manner of machinery, but actually invites his brethren from this country to go over and aid them in this work of progress.“129
Wie oben besprochen, spielte Technologie in Howards Darstellungen von Haiti in den 1850er Jahren nur insofern eine Rolle, als dass sie kaum auftauchte und sich durch diese Abwesenheit das Bild von Haiti als Ort von naturbelassener Rückständigkeit verstärkte. Indem die ehemalige Missionarin in der obigen Beschreibung des Reisens in den 1860er Jahre ausgerechnet Dampfschiffe heranzog, bediente sie sich einem zentralen Symbol von fortschrittlicher Technologisierung und stellte über diesen Zugriff den Modernisierungswillen sowohl des Landes als solches als auch explizit seines Präsidenten Fabre Geffrard dar. Wenn ich zuvor argumentiert habe, dass sich in der Wahrnehmung der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen Sublimität meist in Landschaften und Naturphänomenen zeigte, soll dieser Gedanke an dieser Stelle ergänzt werden. So veröffentlichte Howard ihre Erinnerungen an Haiti zu einer Zeit, als sich dominante Vorstellungen von Erhabenheit in den USA in einem verstärkten Wandlungsprozess befanden, wie etwa Nye aufgezeigt hat.130 Nye konstatiert, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend auch Technologie als erhaben galt, vor allem wenn sie sich in Naturphänomene einfügte und diese darüber hinaus in irgendeiner Form kontrollierbar oder nutzbar machte.131 In diese Kategorie fielen auch moderne Transportmittel wie etwa Eisenbahnen, die sich schnell durch die Landschaft bewegten, oder auch Dampfschiffe. Beide Fortbewegungsmittel trugen dazu bei, weniger dicht besiedelte Gebiete auf dem US-amerikanischen Kontinent und darüber hinaus mit den industrialisierten Zentren an der US-amerikanischen Ostküste zu verbinden.132 Nicht mehr die Natur alleine stand im Zentrum der Be-
129 Ebd. 130 Nye, American Technological Sublime; siehe auch Martschukat, „The Art of Killing“, S. 903f. 131 Ebd. Zu den oft divergierenden Narrativen der Technologisierung der USA siehe u.a. auch: Nye, David, America as Second Creation. Technology and Narratives of New Beginnings, Cambridge, MA: MIT Press, 2003. Zu geschlechtlichen Dimensionen von Technologisierung in den USA zwischen 1850 und 1950 siehe u.a: Lerman, Nina [u.a.] (Hg.), Gender and Technology. A Reader. Johns Hopkins Univ. Press, 2003. 132 Hillstrom, Kevin/Hillstrom, Laurie Collier (Hg.), The Industrial Revolution in America: Steam Shipping. Santa Barbara: ABC Clio, 2007, S. xi-xii. Die Eisenbahn löste die Dampfschiffe als wichtigstes Fortbewegungsmittel zur Mitte des 19. Jahrhunderts ab.
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wunderung, sondern stattdessen Technologien, die eben diese Naturphänomene zu bezwingen vermochten. Untrennbar mit der Bewunderung für die technologischen Neuerungen verbunden war eine verstärkte Anerkennung der menschlichen Fähigkeiten, die diese Erfindungen hervorgebracht hatten.133 Dass Howard sich im obigen Textabschnitt dem Bild der Dampfschiffe bediente, um die Zivilisierung und den beginnenden Fortschritt Haitis in den 1860er Jahren darzustellen, verwundert deshalb nicht. In Howards Erzählung war es dementsprechend nicht die See, die das Schiff beherrscht, sondern umgekehrt das Dampfboot, das die See unterwarf und sogar pflügte. Diese Darstellung der mächtigen, die Natur bezwingenden Dampfboote steht in einem frappierenden Kontrast zu einer Episode, in der Howard die beschwerliche Überfahrt mit einem Segelboot, einem sogenannten „coaster“, von Port au Prince nach Port de Paix und ein Jahr später von Port de Paix nach Cap-Haitien an der Nordküste Haitis beschrieb: „I will only say that in both instances we were some three days longer in accomplishing the desired object, than we anticipated, and we consequently got out of provisions, and suffered much from hunger. In both instances I was very much exposed to the weather, both the rain and the sunshine, and quite prostrated by fatigue and want of food when the voyage was accomplished.“134
Machten sich die „swift steamboats“ das Meer zum Untertan und verbanden Port au Prince und New York schnell und zuverlässig, so war Howard als Passagierin auf dem Segelboot unberechenbaren Naturgewalten mehr oder weniger hilflos ausgeliefert gewesen und hatte die Nachteile dieser veralteten Art zu Reisen am eigenen Körper erfahren, der dabei an Hunger und Erschöpfung litt. Das Dampfschiff hatte das Potential, scheinbar weit entfernt voneinander liegende Orte zu
133 Nye, „The Electrified Landscape“, S. 78. Siehe auch David E. Nye, American Technological Sublime. Als Erfinder von technologischen Errungenschaften galten zumeist weiße Männer. Die fortschreitende Technologisierung wurde daher von vielen einmal mehr als Beweis für die vermeintliche Überlegenheit dieser Gruppe über beispielsweise nicht-weiße Menschen herangezogen. „To look at a steamboat […] is to see the sublime progress of the race“, beschreibt der Historiker Leo Marx einen Eindruck, den etwa Dampfschiffe auf viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen machten. Siehe: Marx, Leo, The Machine in the Garden: Technology and the Pastoral Idea in America. New York: Oxford University Press, 22000 (1967), S. 197. 134 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 3. April 1862.
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verbinden und wurde in Howards Erzählung so zu einem Gegenstand, an dem sich die Fortschrittlichkeit Haitis messen ließ. Darüber hinaus manifestierte das Schiff Haitis Zugehörigkeit zum amerikanischen Kontinent. Dabei wurden in Howards Darstellung nicht nur die USA und Haiti als solche durch „swift steamboats“ eng miteinander verknüpft, sondern es war sogar explizit die Metropole New York, die nun gewissermaßen direkt bis nach Port au Prince expandierte, Modernität und Zivilisierung nach Haiti brachte, und weitere Territorien und natürliche Ressourcen zur Nutzung durch schwarze US-Amerikaner als Teil einer transnationalen Kolonisierungs- und Modernisierungsbewegung zugänglich machte.135 Wie bereits dargelegt, verstanden viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen US-amerikanische Expansionsabsichten auf dem amerikanischen Kontinent und der Karibik als eine explizit weiße Unternehmung. Weiße Menschen sollten dabei nicht-weißen Menschen zu einer gewissen Zivilisierung verhelfen, wenngleich auch die Annahme populär war, dass nicht-weiße Menschen sich nur bis zu einem gewissen Grad würden zivilisieren lassen. Howards Ausführungen schrieben solche Annahmen fort, brachen aber gleichzeitig auch mit ihnen. So wurden in ihren Texten explizit African Americans benannt, die nach Haiti reisen sollten, um dort den Haitianerinnen und Haitianern dabei zu helfen Modernisierung und Zivilisierung voran zu bringen. Schwarze Menschen wurden demnach von Howard als aktive Akteure verstanden, die zur Modernisierungsbewegung beitrugen. Allerdings implizierte diese Aussage ebenfalls, dass die haitianische Bevölkerung allein nicht in der Lage war, Fortschritt voranzutreiben, sondern sie der Unterstützung durch ihre US-amerikanischen „brethren“ bedurften.136 Zwar wurden dabei African Americans als aktive Träger von US-amerikanischem Fortschritt und Zivilisiertheit verstanden. In der Diskussion darüber, wer überhaupt in der Lage sei, modernisierend und zivilisierend zu wirken, wurde Angelsächsisch-sein allerdings weiterhin als das Ideal angesetzt, an dem nicht-weiße Akteure gemessen wurden.
135 Die Nähe und Verknüpfung mit den Metropolen Nordamerikas war auch ein wichtiges Argument für Haiti und gegen Liberia in den Debatten um Emigration in den USA. Dabei gingen Realität und Idealvorstellung oft weit auseinander: Obwohl sich James Redapth als Leiter des Haytian Bureau of Emigration vehement für eine regelmäßig verkehrende Dampfschifflinie zwischen New York und Port au Prince einsetzte, reisten viele der Emigranten und Emigrantinnen des Bureau mit Segelschiffen nach Haiti. Die Dauer der Überfahrt auf diesen Schiffen konnte von wenigen Tagen bis zwei Wochen dauern, wurde von Stürmen und Flauten zum Teil heftig beeinträchtigt. 136 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 3. April 1862.
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Auch in Howards Bericht zeigt sich diese Hierarchisierung, denn Haitianerinnen und Haitianer waren nach ihrer Darstellung zwar fortschrittswillig, letztlich aber auf die Hilfe ihrer vermeintlichen Brüder aus den USA angewiesen, um Modernisierung zu implementieren. Dass Howard mit der Formulierung „brethren“ den Modernisierungsprozess auf den ersten Blick eindeutig männlich konnotierte, soll an dieser Stelle zwar nachdrücklich erwähnt, aber nicht ausführlicher diskutiert werden. Stattdessen sei auf die Kapitel zwei und drei dieser Arbeit verwiesen, in denen Geschlechtervorstellungen im Kontext der Emigration von African Americans nach Haiti ausführlich diskutiert werden. Allerdings möchte ich hier festhalten, dass Howard die Vorstellung von Modernisierung als ein rein männliches Aufgabenfeld unterhöhlte, in dem sich als weibliches Subjekt als Teil eben dieser Modernisierungsbewegung generierte. „A kind of religious awe“: Missionierungsarbeit als Zivilisierungsarbeit Ihre Teilhabe an der Modernisierung und Zivilisierung Haitis proklamierte Howard nicht zuletzt über ihre Tätigkeit als protestantische Missionarin. Wie bereits zuvor dargelegt, hielten viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen die Einführung von Protestantismus in Gebieten, die durch beispielsweise Katholizismus und Voodoo geprägt waren, für einen der wichtigsten Aspekte von Zivilisierung und Fortschrittlichkeit. Indem Howard in Haiti ausgerechnet als protestantische Missionarin agierte, trug sie zur Umsetzung dieser Idee bei. Ihr Selbstverständnis als Missionarin in Haiti zeichnet sich in der Darstellung des folgenden Kontaktmoments deutlich ab. Sie zitierte darin einen als „Haytian gentleman“ bezeichneten Mann, der sich in einem Gespräch ihr gegenüber folgendermaßen geäußert hatte: „All that there is of man is his body; this splendid physical structure, with the intelligence which the creator has given him, to teach him that it is his duty to develop himself physically, in every possible manner“137. So gab Howard seine Worte wieder und fuhr fort: „Thus argued an intelligent Haytian gentleman, as we were riding along the banks of a cool murmuring stream, in the purple twilight of a summer morn.“138 In dieser Darstellung reduzierte der „Haytian gentleman“ Menschen auf ihre körperliche Existenz und plädierte dafür, die physische Entwicklung des Menschen an oberste Stelle zu setzen. Howard widersprach dieser Vorstellung:
137 Howard, „Reminisences“, in: Pine and Palm, 8. Mai 1862. 138 Ebd.
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„I felt thankful that we, the teachers of the mission school at Jacmel, had some of his bright young daughters under our care, and hoped that our instructions might help to keep the dark system of materialism from their young minds, which our arguments failed to remove from his.“139
Howard beschrieb also den „haytian gentleman“ als verloren an ein „dark system of materialism“. Um zumindest seine Töchter vor dem Unheil des Materialismus zu bewahren, bedurfte es explizit den „instructions“ und der „care“ durch Howard und andere Missionarinnen und Missionare. Die Missionarin Howard, und die Menschen, die sie zu unterrichten versuchte, waren demnach keinesfalls gleichberechtigt, sondern befanden sich in einem hierarchischen Verhältnis zueinander. Diese Hierarchisierung verstärkte sich noch dadurch, dass Howard den beschriebenen Mann als „gentleman“ bezeichnete. Mit dieser Bezeichnung markierte sie ihn zunächst zwar als gesellschaftlich besserstehend und möglicherweise sogar ihr ebenbürtig. Gleichzeitig untergrub sie allerdings seine gesellschaftliche Position als „gentleman“, indem sie ihn als materialistisch beschrieb und ihn somit als ihr moralisch unterlegen markierte. Dabei erhob sie Anspruch auf die Fähigkeit andere geistig unterrichten und dabei positiv beeinflussen zu können. Ohne Howards Zutun waren die beschriebenen Personen demnach an die Kräfte des Materialismus verloren. Wurde der oben zitierte „haytian gentleman“ als rein materialistisch dargestellt, verwies Howard in einer Beschreibung des Friedhofes der Stadt Jacmel auf die Religiosität vieler Haitianerinnen und Haitianer und erkannte dabei ihre Spiritualität bis zu einem gewissen Grad an: „The cemetery at Jacmel is finely situated on a hill about a mile from the centre of the town, and like most of the cemeteries in Hayti, is well laid out, shaded with beautiful trees, ornamented with everblooming […] flowers, and kept in very good order. The graves are usually walled up at the sides […] There is always a little niche left in the wall […] where friends of the deceased burn candles at certain seasons to light the soul of the deceased through purgatory.“140
Howard bezog sich dabei auf den mit der römisch-katholischen Kirche assoziierten Glauben, nach dem die Seelen von Verstorbenen im Fegefeuer Läuterung erfuhren, bis sie in den Himmel aufsteigen konnten. Howards Beschreibung der an den Gräbern aufgestellten Devotionalien spielte auf die Vorstellung an, dass Ge-
139 Ebd. 140 Ebd.
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bete von Lebenden dazu beitragen könnten, den Aufenthalt der Seelen im Fegefeuer zu verkürzen und sie in Richtung Himmel zu lenken. Als Protestantin musste Howard diese Praktiken als Aberglauben ablehnen. Trotzdem gestand sie zunächst ein, dass der Anblick der Devotionalien religiöse Ehrfurcht auslösen konnte: „A walk in the cemetery, just at daybreak, when these little lights from the candles of the devotees are twinkling among the roses and flowers about the grave, is very pleasing and inspires a kind of religious awe notwithstanding the absurdity of the thing.“141
Dabei erkannte sie zwar die Spiritualität der Szene zu einem gewissen Grad an, distanzierte sich aber gleichzeitig von diesem Zugeständnis, indem sie die beschriebenen Praktiken als „absurdity“ bezeichnete. Sie verwies so einmal mehr darauf, dass der Protestantismus dem Katholizismus wie er in Haiti praktiziert wurde, überlegen und sie selbst zudem rational genug sei, um den Charme der beschriebenen Szene zwar wahrzunehmen, ihm aber nicht zu unterliegen. Wie das Kapitel gezeigt hat, wurde Haiti in allen vier Reiseberichten als Kontaktzone imaginiert und repräsentiert. Die Begegnungen mit Haiti und seiner Bevölkerung boten Anlässe zu unterschiedlichen und zum Teil höchst gegensätzlichen Selbstverortungen der Reisenden. Allen gemeinsam ist, dass die beschriebenen Kontaktmomente durch eine Vielzahl von verschränkten Kategorien wie race, Geschlecht, Klasse und Nationalität und Religion strukturiert wurden. James Redpaths Beschreibungen seiner Einreise nach Cap Haïtien offenbaren die befremdete Skepsis und Neugierde, mit der der Direktor des Haytian Bureau of Emigration dem Staat Haiti und den als nicht-weiß klassifizierten Bürgern und Bürgerinnen begegnete und verweisen auf die „Undenkbarkeit“ des schwarzen Staates.142 Joseph Dennis Harris stellte sich in seinem Reisebericht als Träger dezidiert nordamerikanischer Tugenden da, die er für notwendig hielt, um die Karibik als tropischen Raum zu Modernisieren. Seine Beschreibungen von Kontaktmomenten legen dabei nicht zuletzt sein Selbstverständnis als USAmerikaner dar, das auf seiner Reise durch die Karibik vielfach auch durch andere bestätigt wurde. Dabei kritisierte Harris gleichzeitig auch die rassistische Gesellschaftsordnung in den USA, in denen als schwarz klassifizierte Menschen von Bürgerrechten ausgeschlossen waren. John Rapiers Gespräch mit dem Schwiegersohn des Präsidenten Geffrard kurz nach seiner Ankunft in Port-auPrince, das er in einem Brief an seinen Onkel in den USA nacherzählte, zeigt die
141 Ebd. 142 Trouillot, „Undenkbare Geschichte“, S. 85.
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Kontextabhängigkeit und Fluidität rassifizierter Kategorisierungen auf. Während Rapier in den USA grundsätzlich als schwarz wahrgenommen und diskriminiert worden war, wurde er in Haiti als Mitglied der Gruppe der „mulattoes“ identifiziert. Rapier war in den USA ein entschiedener Gegner von Sklaverei gewesen. In seinen Briefen aus der Karibik präsentierte er sich schließlich als Befürworter der Versklavung schwarzer Menschen, denen er als Mensch mit sowohl afrikanischen als auch europäischen Vorfahren in dem von ihm bereisten gesellschaftlichen Kontext nicht länger angehörte. Elizabeth Howard schließlich stellte sich in ihren „Reminiscences of a Sojourn in Haiti“ als rationales, aufgeklärtes und empfindsames Subjekt dar. Als ehemalige Missionarin und Mitarbeiterin des Haytian Bureau of Emigration verstand sie sich als Teilhaberin einer Modernisierungsbewegung, die zivilisatorischen Einfluss auf Haiti nehmen sollte. Haiti in den 1850er Jahren wurde in ihrer Darstellung als ein exotischer, natürlicher und zu einem gewissen Grad primitiver Ort dargestellt, der sich allerdings in den 1860er Jahren erheblich modernisiert hatte und weiterhin modernisierte.
Fazit
Wenngleich die Anzahl der Personen, die in den 1850er und 1860er Jahren von Nordamerika nach Haiti emigrierten relativ klein war und viele außerdem nach einiger Zeit wieder in die USA zurückkehrten, berührten die Debatten und Praktiken rings um die Emigrationsbewegung zentrale Aspekte überaus wirkmächtiger historischer Diskurse. In meiner vorliegenden Studie bin ich diesen Diskursen und ihren Effekten im Leben einzelner Emigrierender nachgegangen. Im Folgenden werde ich die zentralen Ergebnisse der Untersuchung zusammenfassen und diese in einem zweiten Schritt mit einem kurzen Ausblick bis ins 21. Jahrhundert verknüpfen. Wie ich in der Einleitung meiner Studie deutlich gemacht habe, löste die Haitianische Revolution sowie die Existenz des Staates Haiti bei vielen weißen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen eine erhebliche Irritation aus. Wie Michel Rolph Trouillot 1993 argumentierte, stellte die Haitianische Revolution in zeitgenössischen hegemonialen Diskursen eine „Undenkbarkeit“ dar.1 Obwohl sie tiefgreifende gesellschaftliche und politische Veränderungen mit sich brachten, wie etwa die Abschaffung der Kolonialherrschaft und die Befreiung aller Sklavinnen und Sklaven, konnten viele Menschen die revolutionären Entwicklungen in Haiti nicht als politische Ereignisse verstehen. Denn politisches Handeln war als weiß und männlich markiert. Dagegen galten schwarze Menschen als unfähig, rationale und politisch motivierte Entscheidungen zu treffen und als Staatsbürger und selbstständige freie Subjekte aufzutreten. Vielmehr herrschte die Meinung, dass schwarze Menschen zu selbstbestimmten und emanzipatorischen Handlungen nicht in der Lage seien. Diese Vorstellungen von blackness korrespondierten zudem mit der Idee, dass Versklavung und die anleitende Beaufsichtigung durch Weiße der einzig angemessene Zustand für schwarze Menschen sei. Die Tatsache, dass sich in Haiti Sklavinnen und Sklaven selbst befreit und eine
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Trouillot, „Undenkbare Geschichte“, S. 85.
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Republik gegründet hatten, verstieß deshalb gegen genau jene Vorstellungen, auf die sich nicht zuletzt die Gesellschaftsordnung des US-amerikanischen Südens gründete. Haiti war somit ein Staat, der deshalb nicht sein konnte, weil seine Existenz den herrschenden Vorstellungen von blackness widersprach. Um die Existenz Haitis zu rationalisieren, stellten viele weiße Zeitgenossinnen und Zeitgenossen die Haitianische Revolution als einen gewalttätigen Aufstand zutiefst unzivilisierter Personen dar, der jeglicher politischer Bedeutung entbehre. Andere gingen davon aus, dass die Sklavinnen und Sklaven von weißen französischen Revolutionären angestiftet worden seien. Dementsprechend galten auch schwarze Menschen in den USA keinesfalls als Staatsbürger und gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft. Gerade vor dem Hintergrund von Versklavung und dem rassistisch begründeten Ausschluss von gesellschaftlicher Teilnahme betrachteten viele African Americans die Haitianische Revolution deshalb als heroisches Ereignis und Haiti wurde zum Vorbild zahlreicher Widerstandshandlungen. Vorstellungen von Gemeinschaft spielten in diesem Kontext eine zentrale Rolle. Viele weiße Zeitgenossinnen und Zeitgenossen betrachteten schwarze Menschen weltweit als eine zusammengehörige Gruppe, die sich aufgrund vermeintlicher gemeinsamer biologischer und kultureller Merkmale grundsätzlich von ihnen unterschied und dabei inferior war. Auch viele African Americans verstanden sich und die schwarze Bevölkerung Haitis als Mitglieder einer globalen Gemeinschaft von Menschen, die durch einen gemeinsamen Ursprung in Afrika und die gemeinsame Erfahrung von Versklavung und Rassismus miteinander verbunden seien, und sich in ihrem fortwährenden Kampf für Emanzipation und Gleichberechtigung gegenseitig beistehen müssten. Gleichzeitig galt der schwarze Nationalstaat Haiti als Ort, an dem African Americans endlich vollen Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten haben würden. Die Emigration von den USA nach Haiti war deswegen für viele eine naheliegende Entscheidung. Mithilfe von Paul Gilroys Konzept des Black Atlantic habe ich die Vorstellungen und Formierungen von Gemeinschaft, die im Kontext der Emigrationsbewegung sichtbar wurden untersucht.2 Meine Untersuchung hat Menschen in den Blick genommen, die sich zwischen den USA, Kanada, Haiti und anderen Teilen der Karibik bewegten. Durch ihre Reisen, aber auch anhand von Briefen, die sie verschickten, oder Reiseberichten und Pamphleten, die sie veröffentlichten, stellten sie Verknüpfungen von Menschen und Regionen her, die den Rahmen nationalstaatlich orientierter Geschichtsschreibungen sprengen. Die Akteurinnen und Akteure produzierten im Zuge dessen Gemeinschaften, die diese
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Gilroy, The Black Atlantic.
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Verknüpfungen einerseits bedingten, und die andererseits durch sie rekonstituiert wurden. Sie formierten sich dabei nicht in einem leeren Raum, sondern waren eng verknüpft mit dominanten zeitgenössischen Diskursen. So habe ich aufgezeigt, wie im Rahmen der Emigrationsbewegung Gemeinschaft imaginiert wurde, an welche historischen Kontexte dies geknüpft war, und wie sich diese Imaginationen ganz konkret in Praktiken niederschlugen. Ich bin zu folgenden Befunden gekommen: Die im Kontext der Emigrationsbewegung formulierten Vorstellungen von der weltweiten Zusammengehörigkeit schwarzer Menschen und die gleichzeitige Produktion von Gemeinschaft waren durch eine Vielzahl von Hierarchien strukturiert. Wie ich in Kapitel eins unter anderem am Beispiel der Familie Proctor und den Akteurinnen und Akteuren im Kontext des Haytian Bureau of Emigration dargelegt habe, müssen die Beziehungen von Menschen in dem von Gilroy als Black Atlantic bezeichneten Raum als machtdurchzogen, ungleich und zugleich beweglich verstanden werden. Indem sie reisten, durch das Versenden von Briefen miteinander in Kontakt traten, oder durch Veröffentlichungen ihre Meinung zu Emigration einer größeren Anzahl von Menschen kundtaten, formten die Akteurinnen und Akteure im Kontext der Emigrationsbewegung ein flexibles und machtdurchzogenes Netzwerk von Menschen in verschiedenen Regionen der USA, Kanada, Haiti und darüber hinaus. Sozial konstruierte Kategorien wie race, Geschlecht und Klasse aber auch Herkunft, Bildung und Religion strukturierten in wechselseitiger Verschränkung die Art und Weise der Teilhabe an Emigrationspraktiken und formten die Subjektpositionen von Menschen innerhalb dieses Netzwerkes. Dabei wurde Männern eine aktive, leitende Position zugesprochen während Frauen eher im Hintergrund agieren sollten. Mit diesen Zuschreibungen wurde in der Praxis gleichwohl immer wieder gebrochen. Neben Geschlecht spielte auch race eine Rolle dahingehend, welche Position Menschen innerhalb der Emigrationsbewegung zugeschrieben wurde. Es galt, dass potentielle Emigrierende bei der Entscheidung nach Haiti zu emigrieren sich eher von schwarzen Menschen beeinflussen lassen würden als durch weiße. Dem zugrunde lag darüber hinaus auch die Idee, dass schwarze Menschen sich authentisch über die Belange anderer schwarzer Menschen äußern könnten. Die meisten Mitarbeiter, die vom Haytian Bureau of Emigration eingestellt worden waren, waren dieser Logik folgend African Americans. Wie ich gezeigt habe, waren zudem auch Fähigkeiten im Umgang mit Artefakten überaus wichtig. Ob jemand beispielsweise lesen oder schreiben konnte, strukturierte nicht nur die Art und Weise der Teilhabe an der Produktion von Gemeinschaft, sondern zudem auch ihre oder seine Position darin. Zudem wurde auch dem Emigrationsziel Haiti im Kontext transatlantischer schwarzer Gemeinschaftsformationen eine Vielzahl äußerst ambivalenter Positi-
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onen zugeschrieben. Diese bewegten sich auf einem Feld, das sich zwischen der Wahrnehmung von Haiti als einem rückständigen und hilfebedürftigen Ort und als Stätte heroischer schwarzer Selbstbefreiung aufspannte. Wie ich unter anderem in Kapitel zwei verdeutliche, wurde Haiti vor diesem Hintergrund als Teil eines komplexen globalen Gefüges verstanden, das Nord- und Südamerika, die Antillen und nicht zuletzt Afrika umfasste. Gleichzeitig war dieses Gefüge äußerst hierarchisch angeordnet. Haitis Position innerhalb dieser Formation stand in einem relationalen Verhältnis zu anderen Ländern und Regionen, die als Orte einer schwarzen Diaspora im atlantischen Raum begriffen wurden. Wie ich aufgezeigt habe, waren viele Emigrationistinnen und Emigrationisten der Meinung, dass schwarze Menschen in Nord- und Südamerika aufgrund rassistischer Repressalien letztlich Fremde geblieben seien. Afrika galt zwar als Ursprung der schwarzen Diaspora. Der Kontinent wurde allerdings als unzivilisiert und rückständig beschrieben, und deshalb als Emigrationsziel gänzlich ausgeschlossen. Stattdessen wurde Haiti als neue Heimat schwarzer Menschen in den Amerikas präsentiert. Es galt nicht nur aufgrund seiner heroischen Geschichte als ein besonders geeigneter Lebensort für African Americans, sondern auch aufgrund seiner Lage in der amerikanischen Hemisphäre. Denn obwohl sie in den USA wie Fremde behandelt würden, verstanden sich die Emigrationistinnen und Emigrationisten als amerikanisch. Dementsprechend wurde auch Haiti als dezidiert amerikanischer Ort beschrieben. Der Umzug dorthin schien es zu ermöglichen, Teil Amerikas zu bleiben. Durch den Zuzug von African Americans nach Haiti sollte einerseits die Modernisierung des vermeintlich rückständigen Landes erreicht werden. Gleichzeitig wurde die Emigrationsbewegung als Emanzipationsbewegung verstanden. Durch den Umzug nach Haiti sollten sich Emigrantinnen und Emigranten der rassistischen und repressiven Gesellschaftsordnung der USA entziehen, um in Haiti Staatsbürgerlichkeit und politische Teilhabe zu erlangen. Darstellungen von Emigration nach Haiti lassen sich demnach sowohl als Teil eines Dekolonisierungsdiskurses als auch eines Kolonisierungsdiskurses lesen. Haiti wurde als Ort verstanden, der sowohl als Symbol schwarzer Dekolonisierung, Unabhängigkeit und Emanzipation galt, auf den aber gleichzeitig auch Kolonisierungsabsichten abzielten, die Teil eines Diskurses um Manifest Destiny und protestantisch-christliche Missionierung waren. So verbanden viele Emigrationistinnen und Emigrationisten Haiti mit Vorstellungen von tropischer Rückständigkeit und Unzivilisiertheit, die sich unter anderem in der schlechten wirtschaftlichen Lage des Landes zeigten und durch Haitis politische Isolation aber auch durch kulturelle und religiöse Gründe bedingt seien. Katholizismus und Voudou wurden dabei als hinderlich für die Prosperität des Landes verstanden, und die Emigrati-
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onsbewegung zielte darauf ab, den Protestantismus in Haiti zu etablieren, der mit Fortschritt und Modernität verknüpft wurde. Wenn diese Ziele erreicht seien, sollte in einem zweiten Schritt von Haiti aus die Modernisierung und Christianisierung Afrikas in Angriff genommen werden. Diese Vorstellungen strukturierten auch die Aufgaben, die potentiellen Emigrantinnen und Emigranten in Haiti zugeschrieben wurden. Als Träger vermeintlich angelsächsischer Tugenden sollten sie die haitianische Bevölkerung missionieren und Fortschritt nach Haiti bringen. Dabei sollten sie letztendlich auch ihre Befähigung unter Beweis stellen, politisch und staatsbürgerlich handeln zu können. Denn es war gerade diese Befähigung, die ihnen als schwarzen Menschen in US-amerikanischen Diskursen oft aberkannt wurde. Damit korrespondierend sollte auch gezeigt werden, dass Haiti entgegen aller Vorbehalte und Zweifel weißer Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ein gleichberechtigter Ort im globalen Gefüge unabhängiger Nationalstaaten darstelle. Wie ich in Kapitel drei dargelege, galten allerdings längst nicht alle African Americans als geeignet, diese emanzipatorischen Aufgaben erfolgreich umzusetzen. Auch hier zeigten sich eine Vielzahl von Hierarchien, die zudem regelten, wie die Emigrantinnen und Emigranten idealerweise in Haiti leben sollten. So forderte das Haytian Bureau of Emigration explizit Farmer und ihre Familien zur Emigration nach Haiti auf. Alleinreisende Frauen und Angehörige anderer Berufsgruppen etwa galten von Seiten der Emigrationsorganisation offiziell als ungeeignet für die erfolgreiche Emigration. Auch kürzlich befreite Sklavinnen und Sklaven galten als wenig geeignet. Zudem konnten fehlende finanzielle Mittel den Kreis der Teilnehmenden beschränken. In Haiti sollten die Zugezogenen Landwirtschaft betreiben und sich so selbst versorgen. Gleichzeitig sollten sie auch Rohstoffe für den Export erwirtschaften. Die Vorstellungen von der Umsetzung dieser Pläne und der idealen Lebensweise in Haiti wurden erheblich davon bestimmt, was in den USA zur Mitte des 19. Jahrhunderts als anständiges und respektables Verhalten galt. Dabei orientierten sich Emigrationistinnen und Emigrationisten an Idealen, die in den USA bestenfalls von der weißen Mittelklasse eingelöst werden konnten, aber dennoch als einzig richtig galten. Es waren die Momente der Umsetzung respektabler Lebensweisen, die von den meisten als schlechthin emanzipatorisch wahrgenommen wurden. Viele Menschen äußerten in diesem Kontext ganz explizit die Absicht, in Haiti modernisierend wirken zu wollen und grenzten sich somit auch von der Bevölkerung Haitis ab. Annahmen davon, was respektabel sei, variierten allerdings. Trotzdem gab es eine zentrale Grundannahme: es galt, dass Männer und Frauen grundsätzlich unterschiedliche Aufgaben zu verrichten und distinktive und vermeintlich biologisch vorgegebene Rollen zu erfüllen hätten. Haiti wurde vor diesem Hinter-
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grund als Ort präsentiert und verstanden, an dem das Ausleben dieser vermeintlich natürlich vorbestimmen Geschlechterrollen für African Americans erst möglich werden sollte. Männer sollten als Versorger ihrer heteronormativ strukturierten Familien auftreten, während Frauen vor allem als Hausfrauen und Mütter aktiv werden sollten. Die Idee, dass die Emigrierenden aus den USA als Träger nordamerikanischer Tugenden Fortschritt, Christlichkeit und letztlich Zivilisierung nach Haiti bringen sollten, war untrennbar mit diesen geschlechtlich strukturierten Vorstellungen verwoben. Tatsächlich sollte aus der heteronormativ strukturierten Kernfamilie heraus Haiti modernisiert und reformiert werden. Gleichwohl lassen sich im Kreis der Emigrierten eine Vielzahl von Brüchen mit diesen Vorgaben finden, die höchst unterschiedliche Rationalisierungen erfuhren. Wenn Emigrierte in Haiti vermeintlich scheiterten, wurden Gründe für das Scheitern dem Charakter und dem Verhalten der Betroffenen zugeschrieben und diese in der Öffentlichkeit diskreditiert. Vier Reiseberichte aus Haiti beziehungsweise der Dominikanischen Republik stehen im Zentrum von Kapitel vier. Die analysierten Texte beschreiben Reiseprozesse. Allerdings müssen sie gleichzeitig vor allem auch als Darstellungen des Selbst verstanden werden, mit denen die Reisenden sich selbst im Verhältnis zu den bereisten Kontexten positionierten. Wie ich dargelegt habe, wurden dabei nicht zuletzt Identitätsformationen sichtbar, die vor dem Hintergrund von Gilroys Black Atlantic Konzept nicht als feststehend und angeboren sondern als fluide, vielschichtige und prozesshafte Entitäten verstanden werden müssen, die je nach Situation und Kontext überaus wandelbar sind. Die von mir untersuchten Berichte zeigten äußerst unterschiedliche Sprechpositionen und Selbstverortungen auf. Dennoch hatten sie eine grundsätzliche Gemeinsamkeit, denn sie berichteten von Kontakten, die im Prozess des Reisens zustande kamen. Wie ich dargelegt habe, zeigten sich Vorstellungen der Schreibenden von sich selbst und von den anderen in besonderem Maße im Moment des Kontaktes. Die Analyse hat gezeigt, dass die Kontaktmomente durch eine Vielzahl von miteinander verschränkten Kategorien wie Klasse, race, Geschlecht, Nationalität und Zugehörigkeit sowie Religion strukturiert wurden. Die Reisenden verstanden sich als Teilhabende an einer Modernisierungsbewegung, die von den USA nach Haiti verlief und sogar Rückwirkungen auf Nordamerika haben sollte. Die Analyse ihrer Berichte machte deutlich, dass auch sie Haiti äußert ambivalente Positionen zuschrieben. Haiti wurde als Ort heroischer schwarzer Selbstbefreiung beschrieben, aber auch als exotischer, rückständiger tropischer Raum und bestenfalls zweifelhafter Staat. Wie oben dargelegt, hat meine Studie die von Trouillot formulierte These von der „Undenkbarkeit“ der Haitianischen Revolution zum Ausgangspunkt ge-
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nommen.3 Ich habe aufgezeigt, dass es im Kontext der Emigrationsbewegung in den 1850er und 60er Jahren vielen weißen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen kaum möglich war, Haiti als gleichberechtigten Staat und seine Bevölkerung als politisch handlungsfähige Akteure wahrzunehmen. Diesen Aspekt meiner Untersuchung möchte ich noch einmal aufgreifen. Denn der Frage, wie der Staat Haiti und seine bewegte Geschichte in dominanten zeitgenössischen Diskursen rationalisiert wurden, lässt sich bis in die Gegenwart nachgehen. Tatsächlich haben eine ganze Reihe von Studien dargelegt, dass Haiti in den USA auch lange nach den 1860er Jahren äußerst ambivalente Positionen zugeschrieben wurden, die eng verknüpft waren mit wandelbaren rassistischen Diskursen.4 Die Zuschreibungen, die Haiti dabei erfuhr, variierten und waren in überaus komplexe historische Kontexte und Zusammenhänge eingebunden. Sie können deshalb hier keinesfalls umfassend wiedergegeben werden. Wie ich im Folgenden in einem kurzen Ausblick bis ins 21. Jahrhundert skizzieren möchte, deutet sich allerdings grundsätzlich an, dass auch nach den 1860er Jahren die politische Geltung des Staates Haiti in variierender Form beständig infrage gestellt wurde. Dies zeigte sich beispielsweise in der Berichterstattung der US-amerikanischen Presse über Frederick Douglass Tätigkeit als Generalkonsul der USA in Haiti zwischen 1889 und 1891. Während seiner Amtszeit war Douglass in einen Konflikt zwischen den Regierungen der USA und Haitis um den Hafen Môle Saint-Nicolas im Norden des Landes geraten, den die USA aufgrund seiner günstigen Lage in der Karibik für wirtschaftliche und militärische Zwecke unter ihre Kontrolle bringen wollten. Trotz des enormen Drucks, den die US-amerikanische Regierung auf Haiti ausübte, scheiterten die Bemühungen letztendlich. Eine US-amerikanische Präsenz in Haiti war damit vorläufig abgewehrt.5 In der US-amerikanischen Presse wurde Douglass für das Scheitern der Expansionsab-
3
Trouillot, „Undenkbare Geschichte“, S. 85.
4
Siehe u.a. Polyné, From Douglass to Duvalier; Corbould, Clare, Becoming African Americans: Black Public Life in Harlem, 1919-1939. Cambridge [u.a.]: Harvard Univ. Press, 2009, S. 163-195; Dubois, Haiti, S. 163-370; Pamphile, Haitians and African Americans, für das 20. Jahrhundert vor allem ab S. 80; Trouillot, Silencing the Past, S. 98-99.
5
Vgl. Polyné, From Douglass to Duvalier, S. 44-55; Dubois, Haiti, S. 187-193. Um die haitianische Regierung zur Abgabe der Kontrolle des Hafens an die USA zu bewegen, waren beispielsweise im April 1891 vier Kriegsschiffe der US-amerikanischen Marine in den Hafen von Port-au-Prince eingelaufen. Vgl. Ebd., Haiti, S. 193. Die Vertreter der Regierung Haitis lehnte die Verpachtung des Hafens an die USA ab, weil sie um die Unabhängigkeit des Landes von den USA fürchteten.
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sichten mitverantwortlich gemacht. So hieß es in einem Artikel der New York Times im März 1891: „[Frederick Douglass] is a sentimentalist and is carried away by the idea of a free and enlightened republic of his own race. His sympathies are naturally with these people […] He does not see, and his color prevents him from detecting, the barbarism that is rampant about him, and from acknowledging […] what a travesty of democracy is the so-called Republic of Hayti.“6
Dabei zeigten sich nicht zuletzt auch enorme Vorbehalte gegenüber dem Staat Haiti, der als barbarisch und als Travestie eines demokratischen Staatengebildes beschrieben wurde. Douglass machte die politische Marginalisierung Haitis durch US-Amerikaner zum Thema seiner Rede anlässlich der Eröffnung des haitianischen Pavillons auf der Weltausstellung in Chicago im Jahr 1893. Er hielt die Tatsache, dass es sich bei Haiti um einen schwarzen Staat handle, für den entscheidenden Grund für die problematische Wahrnehmung Haitis in den USA. So erklärte er: „Haiti is black, and we have not yet forgiven Haiti for being black.“7 Auch mit Blick auf die Okkupation Haitis durch die USA zwischen 1915 und 1934 deutet sich an, dass Haitis Funktionsfähigkeit als eigenständiger Staat weiterhin in hohem Maße angezweifelt wurde.8 Im September 1915 besetzten USamerikanische Marines das nach horrenden Reparationszahlungen an Frankreich hoch verschuldete und aufgrund interner Spannungen politisch instabile Land, um die profitable wirtschaftliche und politische Vormachtstellung der USA in Haiti und der amerikanischen Hemisphäre gegenüber europäischen Mächten zu sichern. Die Vorstellung, dass das Land der paternalistischen Führung durch die
6
„Haiti’s Broken Promise“, in: New York Times, 25. März 1891. Zum Ablauf der Verhandlungen um den Hafen und Douglass Rolle dabei, siehe Dubois, Haiti, S. 190-195; Polyné, From Douglass to Duvalier , S. 50-53; Himelhoch, Myra, „Frederick Douglass and Haiti’s Mole St. Nicolas“, in: The Journal of Negro History 56/3 (1971), S. 161-180.
7
Frederick Douglass, „Lecture on Hayti, 2. Januar 1893“, in: Foner, Philip S. (Hg.), The Life and Writings of Frederick Douglass; 4 Bde. New York: International Publishing, 1955, S. 478-490, hier S. 484.
8
Zur Besetzung Haitis durch die USA siehe u. a.: Nicholls, From Dessalines to Duvalier, S. 142-164; Renda, Mary A., Taking Haiti: Military Occupation and the Culture of U.S. Imperialism, 1915-1940, Chapel Hill: UNC Press, 2001; Dubois, Haiti, S. 204-264.
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USA bedürfe, spielte dabei eine zentrale Rolle.9 Viele Haitianer und Haitianerinnen wehrten sich vehement gegen die weißen US-amerikanischen Truppen, deren Umgang mit der Bevölkerung Haiti als überaus rassistisch beschrieben wurde.10 Bewaffnete haitianische Widerstandskämpfer und US-Truppen gerieten immer wieder in gewaltsame Auseinandersetzungen. In der Berichterstattung der US-amerikanischen Presse über diese Ereignisse wurden häufig die Grausamkeiten der haitianischen Seite betont.11 Unter dem Titel „Natives in Haiti ate Marine Officer“ berichtete etwa die New York Times im Januar 1921 von Gewalttätigkeiten, die Haitianer an US-amerikanischen Marines verübt hätten. Der Artikel zitierte aus einem Bericht einer Untersuchungskommission aus dem Herbst 1920, laut dem Widerständige das Herz und die Leber eines getöteten Marines verspeist hätten. „[T]he report of the court of inquiries states that the Haitian bandits practiced voodooism, and marine officers in Washington assert that some of the bandits, in their ignorance, believe that eating the heart of a white man will give them wisdom, while eating a white man’s liver will bring them courage, and smearing the sights of their rifles with the brains of a white man will bring accuracy in shooting.“12
Unter Berufung auf vermeintliche Voudou Praktiken, die hier explizit mit Kannibalismus verknüpft wurden, wurde in der Öffentlichkeit ein Bild der haitianischen Widerstandskämpfer gezeichnet, das diese als gewalttätig, ignorant, unzivilisiert und „rassisch“ anders darstellte.13 Nicht zuletzt die Tatsache, dass diese
9
Corbould, Becoming African American, S. 164.
10 Vgl. zum Beispiel Dubois, Haiti, S. 225-230; Plummer, Brenda Gayle, „The Afro American Response to the Occupation of Haiti, 1915-1934”, in: Phylon 43/2 (1982), S. 125-143, hier S. 125. Widerstand gegen die US-amerikanischen Truppen kam beispielsweise aus den Kreisen des haitianischen Militärs. Siehe hierzu: Dubois, Haiti, S. 223. Je länger die Besetzung anhielt, und je mehr über die häufig äußerst rassistischen und gewalttätigen Vorgehensweisen der Marines in Haiti bekannt wurde, desto lauter wurde die Kritik etwa von Seiten der schwarzen Presse und afroamerikanischen Intellektuellen und Aktivisten und Aktivistinnen am Vorgehen der US-Truppen. Die Erfahrung rassistischer Praktiken durch weiße US-Amerikaner wurde dabei als verbindendes Element zwischen schwarzen Menschen in den USA und Haiti empfunden. 11 Dubois, Haiti, S. 276. 12 New York Times, 04. Januar 1921, S. 14. 13 Wie Mary A. Renda aufzeigt, wurde während der Besatzungszeit von Seiten der USAmerikaner immer wieder der rassistisch aufgeladene Vorwurf geäußert, dass die Be-
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als „bandits“ bezeichnet wurden, also als Personen, die kriminellen Tätigkeiten vor allem zur persönlichen Bereicherung nachgingen, verwies auf Vorstellungen von der Politikunfähigkeit schwarzer Menschen, die in US-amerikanischen Diskursen weiterhin zentral waren. Dementsprechend hatte auch Robert Lansing, US-amerikanischer Außenminister unter Woodrow Wilson schon 1918 bemerkt: „The experience of Haiti and Liberia show that the African race are devoid of any capacity for political organization and lack genius for government. Unquestionably there is in them an inherent tendency to revert to savagery and to cast aside the shackles of civilization which are irksome to their physical nature.“14
Die von vielen Weißen geäußerten Vorstellungen von der grundsätzlichen Unzivilisiertheit schwarzer Menschen wurden, wie das obige Zitat bezeugt, dabei nicht nur auf Haitianerinnen und Haitianer angewandt, sondern auf schwarze Menschen allgemein.15 Viele weiße US-Amerikanerinnen und Amerikaner waren weiterhin der Meinung, dass schwarze Menschen aufgrund von biologistisch
völkerung Haitis Praktiken des Kannibalismus nachginge. Wie sich auch in dem obigen Zitat aus der New York Times zeigt, wurden Kannibalismus und Voudou dabei häufig explizit mit einander verknüpft. „Cannibalism reminded marines […] to be vigilant about maintaining boundaries“, vermutet Renda bezüglich der Funktion des Vorwurfes in diesem Kontext. Sie weist darauf hin, dass diese „boundaries“ entlang rassischer Linien verliefen. Vgl. dies. Taking Haiti, hier S. 175. Zweifellos deutet sich auch mit Blick auf das 19. Jahrhundert an, dass Haiti in verschiedensten Darstellungen immer wieder mit Kannibalismus in Verbindung gebracht wurde. Dies scheint in engem Zusammenhang zu stehen mit der „Undenkbarkeit“ Haitis als unabhängiger, gleichberechtigter Staat. Haiti wurde durch den Kannibalismus-Vorwurf zu einem Ort gemacht, den es zu kolonisieren und zu zivilieren galt. Denn wie beispielsweise Ralph Poole mit Blick auf Beschreibungen kannibalischer Akte in literarischen Darstellungen vom 19. bis ins späte 20. Jahrhundert darlegt, funktionierte in kolonialen Kontexten die „Kannibalismus-Zuschreibung als Waffe kolonialer Kontrolle: die Wilden (=Kannibalen) müssen unter die Obhut christlicher Autorität gestellt werden, so lautet die Mission.“ Siehe: Poole, Kannibalische (P)akte. Autoethnograpische und satirische Schreibweisen als interkulturelle Verhandlungen von Herman Melville bis Marianne Wiggins. Trier: WVT, 2005, hier S. 256. Den historischen Verknüpfungen von Kannibalismus, Unzivilisiertheit und blackness in historischen US-amerikanischen Darstellungen über Haiti nachzugehen, wäre die Aufgabe einer weiteren Studie. 14 Zitiert nach Corbould, Becoming African American, S. 166. 15 Ebd.
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determinierten Eigenschaften eine Gemeinschaft bildeten und dabei essentiell anders seien als sie selbst.16 Sowohl die Gruppe schwarzer US-Amerikanerinnen und Amerikaner als auch die Bevölkerung Haitis wurden also häufig als primitiv und unzivilisiert und deshalb als gänzlich ungeeignet für die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe dargestellt. Dies korrespondierte mit der Tatsache, dass schwarze Menschen in den USA bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nicht oder nur bedingt als Staatsbürger galten. Während der sogenannten Reconstruction, der Phase des Wiederaufbaus nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg, die auf die Zeit zwischen 1863 und 1877 datiert wird, hatte sich die rechtliche Situation der afroamerikanischen Bevölkerung zwar zunächst kurzfristig verbessert.17 Ab den späten 1870er Jahren wurden die mühsam erwirkten Rechte der African Americans insbesondere in den Südstaaten allerdings erheblich eingeschränkt. So wurden schwarze Menschen beispielsweise aus politischen Ämtern verdrängt und ihnen das Wahlrecht auf einzelstaatlicher Ebene mithilfe sogenannter Jim Crow Laws systematisch verweigert. Dieser erneute Ausschluss von Bürgerrechten ging einher mit der systematischen Terrorisierung von African Americans.18 Blackness und volle staatsbürgerliche Partizipation schlossen sich in der Wahrnehmung vieler weißer Zeitgenossinnen und Zeitgenossen weiterhin aus, und African Americans wurden als Personen verstanden, die nicht wirklich amerikanisch seien. Erst die Erfolge der Bürgerrechtsbewegungen in den 1950er bis 1970er Jahren trugen dazu bei, diese Missstände langsam zu verändern. Abgeschlossen ist dieses Projekt allerdings noch nicht. Auch während des Regimes des Diktators François Duvalier (1957-1971) war die Berichterstattung der US-amerikanischen Presse über Haiti häufig äußerst rassistisch.19 Dabei wurde nicht nur Duvalier rassifiziert dargestellt. Rassistische Stereotype wurden auf die gesamte haitianische Bevölkerung übertragen, wie Dubois bemerkt: „Many in the United States decided that the Haitian population as a whole was primitive and irrational.“20 Bereits im Jahr 1957 beschrieb
16 Bezeichnender Weise wurde in diesem Kontext das schwarze Harlem mit Haiti verglichen, das drohe, in ein unzivilisiertes Chaos abzurutschen. Vgl. Ebd. 17 Siehe als Standardwerk: Foner, Reconstruction. 18 Siehe neben vielen anderen Beiträgen: Litwack, Trouble in Mind: Black Southerners in the Age of Jim Crow, New York: Knopf, 1998. 19 Zur Diktatur Duvaliers siehe beispielsweise: Dubois, Haiti, S. 311-359; Heinl, Written in Blood, S. 539-608; Nicholls, From Dessalines to Duvalier, S. 212-238; zur rassifizierten Wahrnehmung Haitis durch US-Amerikaner/innen, vgl. Dubois, Haiti, S. 345347. 20 Dubois, Haiti, S. 345.
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vor dem Hintergrund der Wahlen in Haiti ein Artikel in der New York Times die Bevölkerung des Landes als „highly emotional people, who have little but tribal rule and superstition to guide their thinking.“21 Die Anerkennung der Haitianerinnen und Haitianer als gleichberechtigte Subjekte und politikfähige Staatsbürger schien dabei weiterhin undenkbar. Nicht zuletzt zeigt sich auch in der Berichterstattung über das Erdbeben in Haiti vom 12. Januar 2010 und seine katastrophalen Folgen, dass die Bedeutung des karibischen Staates und seiner Kultur und Geschichte weiterhin äußerst umstritten ist. Rassismus und Vorstellungen von einer grundsätzlichen kulturellen und zivilisatorischen Inferiorität von Haitianerinnen und Haitianer spielten, wie viele kritische Beobachterinnen und Beobachter festgestellt haben, bei der Berichterstattung über die Katastrophe und die sich anschließende internationale humanitäre Hilfe eine zentrale Rolle.22 Einigen Berichterstattenden gelang es nicht, den durch das Erdbeben noch verschlechterten Zustand des von Armut und internen Konflikten geprägten Landes als eine Folge komplexer historischer
21 Kennedy, Paul P., „Haiti’s Woes: Poverty and Political Violence“, in. New York Times, 23. Juni 1957, S. 165. Siehe auch Dubois, Haiti, S. 345f. 22 Vgl. Mullings, Beverly et. al., „Fear and Loathing in Haiti: Race and Politics of Humanitarian Dispossession“, in: ACME: An International E-Journal for Critical Geographies,
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(2010),
S.
282-300,
hier
S.
283,
nach:
http://www.acme-
journal.org/vol9/Mullingsetal2010.pdf (aufgerufen am 12.02.2012). Der Artikel arbeitet bei seiner Analyse der Berichterstattung über Haiti auch Parallelen zu der Berichterstattung über Hurricane Katrina im Jahre 2005 heraus. In beiden Fällen seien die überwiegend schwarzen Betroffenen der Naturkatastrophen beispielsweise als kriminelle Plünderer beschrieben worden. Zur Rassifizierung der Bereichterstattung über Haiti siehe z.B. auch Murali, Balaji, „Racializing Pity: The Haiti Earthquake and the Plight of ‚Others‘“, in: Critical Studies in Media Communication, 28/1 (2011), S. 5067; Wenngleich erste Untersuchungen mittlerweile vorliegen, muss eine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema noch erfolgen. Laurent Dubois zitiert im Fazit seines Buchs über die Geschichte Haitis den damaligen Vorsitzenden der brasilianischen Sektion der Organisation of American States (OAS), Ricardo Seitenfus, der das Vorgehen internationaler Institutionen in Haiti nach dem Erdbeben kritisierte. Seitenfus verknüpfte die gegenwärtigen Probleme Haitis, die durch das Erdbeben noch verstärkt worden waren, direkt mit der historisch überaus rassistischen Marginalisierung Haitis, die sich zudem in politischer Isolation und wirtschaftlicher Ausbeutung manifestiert hatte. Laut Dubois bemerkte Seitenfus: „Haiti’s original sin, in the international theatre, was its liberation. […] Haitians committed the unacceptable in 1804.“ Siehe Dubois, Haiti, S. 368.
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Ereignisse und Abläufe wie etwa kolonialer und neokolonialer Ausbeutung und jahrhundertelanger rassistisch begründeter politischer Isolation und Marginalisierung zu lesen. Bereits am 15. Januar 2010, also wenige Tage nach dem Erdbeben, veröffentlichte beispielsweise die New York Times unter dem Titel „The Underlying Tragedy“ einen Kommentar ihres konservativen Kolumnisten David Brooks.23 Der Artikel war wenig an der Darlegung der Ereignisse oder etwa einem Bericht über die Rettungsarbeiten in Haiti interessiert. Stattdessen suchte Brooks nach einer Erklärung für Haitis Armut und seine schwache Infrastruktur. Denn es seien diese Mängel gewesen, die die Folgen des Erdbebens um ein Vielfaches verschlimmert hätten. „Why is Haiti so poor?“ fragte Brooks in seinem Artikel. Auf die historischen Erfahrungen von Kolonialismus, Sklaverei, Kriegen, Diktaturen, innerer Spannungen und externer Besatzung könne dieser Zustand nicht zurückzuführen sein, argumentierte Brooks, denn Staaten wie Barbados oder auch die Dominikanische Republik könnten auf eine ähnliche Geschichte zurückblicken und prosperierten. Stattdessen zog der Verfasser folgende Gründe zur Erklärung von Haitis Armut heran: „There is the influence of the voodoo religion, which spreads the message that life is capricious and planning futile. There are high levels of social mistrust. Responsibility is often not internalized. Child-rearing practices often involve neglect in the early years and harsh retribution when kids hit 9 or 10.“24
Brooks schlussfolgerte: „We’re all supposed to politely respect each other’s cultures. But some cultures are more progress-resistant than others, and a horrible tragedy was just exacerbated by one of them.“25 Dabei griff der Verfasser auf Vorstellungen zurück, die schon seit dem 18. Jahrhundert benutzt wurden, um Haitianerinnen und Haitianer als anders und inferior zu markieren. Und obwohl Brooks das vermeintliche Scheitern Haitis explizit mit angeblichen kulturellen Gründen verknüpfte und nicht etwa mit race, müssen seine Vorwürfe vor dem Hintergrund einer rassistischen Tradition gelesen werden, die die Befähigung
23 Brooks, David, „The Underlying Tragedy“, in: New York Times, 15.01.2010, S. A27. Brooks Artikel löste zahlreiche Proteste aus, bekam aber auch Zuspruch. Siehe hierzu unter anderem die überaus umfangreiche Kommentarsektion in der online Version des Artikels: http://community.nytimes.com/comments/www.nytimes.com/2010/01/15/opinion/15b rooks.html (aufgerufen am 12.02.2012). 24 Ebd. 25 Ebd.
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schwarzer Menschen zu politikfähigem Handeln jahrhundertelang verneint hat. Insofern können die Darlegungen meiner historischen Studie letztlich dazu beitragen, die Marginalisierung, die Haiti erfahren hat und weiterhin erfährt, zu historisieren und zugleich zu problematisieren. Denn die „Undenkbarkeit“ des Staates Haitis scheint mehr als zweihundert Jahre nach der Haitianischen Revolution noch immer nachzuwirken.26
26 Trouillot, „Undenkbare Geschichte“, S. 85.
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Histoire Bernd Hüppauf Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs 2013, 568 Seiten, kart., 29,90 €, ISBN 978-3-8376-2180-8
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