Islamischer Feminismus in Deutschland?: Religiosität, Identität und Gender in muslimischen Frauenvereinen [1. Aufl.] 9783839416778

Die deutsche Integrationsdebatte über den Islam wird in den letzten Jahren vom Thema »Unterdrückung der muslimischen Fra

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German Pages 354 Year 2014

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Inhalt
Dank
1. Einleitung
2. Islam in Deutschland: Zahlen und Fakten
2.1 Herkunft und Migrationsgeschichte
2.2 Muslimische Organisationen
2.3 Rechtsform des Islam
3. Islam im Blickpunkt der Forschung
3.1 Islambild in den deutschen Medien
3.2 Einstellungsdaten zum Islam
3.3 Islam und Islamismus
3.4 Islam und Integration
3.5 Islam und religiöse Identität
3.6 Islam und Geschlecht
4. Identität und Kultur: Eine theoretische Verortung
4.1 Individualisierung, Globalisierung und Kulturdifferenz
4.2 Individuelle und kollektive Identität
4.3 Dynamische Identitäten
4.4 Kritische Würdigung der dynamischen Identitätsansätze
5. Zwischenbetrachtung, Hypothesen und Fragestellungen
6. Methodik, Untersuchungsfeld und Zugang
6.1 Qualitatives Vorgehen
6.2 Quantitatives Vorgehen
7. Empirische Ergebnisse: Religion – Geschlecht – Identität
7.1 Vereinsgeschichte, -struktur und -ziele
7.2 Allgemeine Angaben zu den Mitgliedern
7.3 Mitgliedschaftsgründe
7.4 Religiosität
7.5 Diskriminierung und Stigmatisierung
7.6 Islam und Integration
7.7 Wertvorstellungen und Lebensziele
7.8 Partnerschaft, Familie und Geschlechterrollen
7.9 Geschlecht und Islam
7.10 Zusammenfassung
8. Fazit, Bewertung und Ausblick
Literatur
Anhang
A) Leitfaden: Vereinsmitglieder
B) Leitfaden: Vorstandsmitglieder
C) Fragebogen
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Islamischer Feminismus in Deutschland?: Religiosität, Identität und Gender in muslimischen Frauenvereinen [1. Aufl.]
 9783839416778

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Markus Gamper Islamischer Feminismus in Deutschland?

Globaler lokaler Islam

Markus Gamper (Dr. phil.) ist Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters »Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke« an der Universität Trier. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Religions- und Migrationssoziologie, empirische Sozialforschung sowie der Netzwerkforschung.

Markus Gamper

Islamischer Feminismus in Deutschland? Religiosität, Identität und Gender in muslimischen Frauenvereinen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Markus Gamper Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1677-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Dank | 7 1. Einleitung | 9 2. Islam in Deutschland: Zahlen und Fakten | 17

2.1 Herkunft und Migrationsgeschichte | 17 2.2 Muslimische Organisationen | 20 2.3 Rechtsform des Islam | 24 3. Islam im Blickpunkt der Forschung | 27

3.1 Islambild in den deutschen Medien | 31 3.2 Einstellungsdaten zum Islam | 37 3.3 Islam und Islamismus | 48 3.4 Islam und Integration | 51 3.5 Islam und religiöse Identität | 55 3.6 Islam und Geschlecht | 63 4. Identität und Kultur: Eine theoretische Verortung | 81

4.1 Individualisierung, Globalisierung und Kulturdifferenz | 82 4.2 Individuelle und kollektive Identität | 85 4.3 Dynamische Identitäten | 90 4.4 Kritische Würdigung der dynamischen Identitätsansätze | 99 5. Zwischenbetrachtung, Hypothesen und Fragestellungen | 103 6. Methodik, Untersuchungsfeld und Zugang | 107

6.1 Qualitatives Vorgehen | 110 6.2 Quantitatives Vorgehen | 116

7. Empirische Ergebnisse: Religion – Geschlecht – Identität | 119

7.1 Vereinsgeschichte, -struktur und -ziele | 121 7.2 Allgemeine Angaben zu den Mitgliedern | 136 7.3 Mitgliedschaftsgründe | 144 7.4 Religiosität | 153 7.5 Diskriminierung und Stigmatisierung | 196 7.6 Islam und Integration | 212 7.7 Wertvorstellungen und Lebensziele | 236 7.8 Partnerschaft, Familie und Geschlechterrollen | 243 7.9 Geschlecht und Islam | 256 7.10 Zusammenfassung | 282 8. Fazit, Bewertung und Ausblick | 287 Literatur | 299 Anhang | 327

A) Leitfaden: Vereinsmitglieder | 327 B) Leitfaden: Vorstandsmitglieder | 331 C) Fragebogen | 334

Dank

Eines der wohl wichtigsten Dinge, die man während eines solchen Großprojekts zweifelsohne lernt ist, dass es ohne die Unterstützung von Familie, Freunden, Kollegen und Hilfskräften nie erfolgreich zu Ende gebracht worden wäre. Auch wenn man bei einer Dissertation meist als Einzelkämpfer agiert, ist derartiger Support von allergrößter Bedeutung. Deshalb möchte ich mich zuerst bei all jenen bedanken, die mich über die Jahre »ertragen« mussten, mir Kraft, Ideen und andere Unterstützung haben zukommen lassen. Ein großer Dank gilt den Frauen der untersuchten Vereinen, hier besonders den Vorstandsmitgliedern, die mir geholfen haben Interviewpartner zu finden und die mich die ganze Zeit über tatkräftig unterstützt haben. Bedanken möchte ich mich besonders bei Frau Miyesser Ildem (ZIF), Rabea Müller (ZIF), Sulaika Kaiser (HUDA), Karimah Körting-Mahran (HUDA), Hamideh Mohagheghi (HUDA) und Frau Verena Bayram (IMAN). Aber auch bei den zahlreichen Interviewpartner, die mir entweder im qualitativen oder auch im quantitativen Interview Rede und Antwort standen. Ohne ihre Mitarbeit und freiwillige Teilnahme hätte ich die Studie nie so durchführen können, wie dies geschehen ist. Ich bedanke mich beim Exzellenzcluster »Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke«, das mich finanziell unterstütze und die Studie somit erst möglich machte. Bedanken möchte ich mich speziell bei meinen beiden Betreuern Prof. Dr. Julia Reuter (Universität Trier) und Prof. Dr. Helmut Willems (Universität Luxemburg) für ihre tatkräftige Unterstützung, ihre Ratschläge und Anregungen für die Überarbeitung der Dissertation. Meiner Familie – Elisabeth Gamper und Andreas Gamper – die mir stets Rückhalt gegeben haben und mich in den letzten Jahren sehr

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selten zu Gesicht bekommen haben. Bei Annette Stürmer für das Lektorat. Prof. Dr. Michael Schönhuth war in der ganzen Zeit ein Freund und Kollege, der immer ein offenes Ohr hatte und mich mit seiner konstruktiven Kritik immer wieder auf den richtigen Weg zurückbrachte, wenn ich mich im Dschungel der Theorien verloren hatte. Ich bedanke mich auch bei Sebastian Körtels, Matthias Klaes, Linda Reschke, Stefanie Braun, Ruth Bollinger und Verena Lellig (und ihrer Familie), für die tatkräftige Unterstützung. Vielen Dank. Ich möchte mich auch bei allen anderen Freunden bedanken, die mir halfen, Kosten für den Psychologen zu sparen und die mich immer wieder aufgebaut haben als ich alles hinwerfen wollte. Sie waren sehr rücksichtsvoll und haben immer kontrolliert, dass ich Nahrung zu mir nahm und neben der Dissertation noch andere Aktivitäten wahrnahm: Danke Nobbi, Martina, Christina, Maren, Karo und Jürgen. Ich hoffe, dass ich niemanden vergessen habe. Wenn es dennoch der Fall sein sollte, bitte ich dies zu entschuldigen. Markus Gamper

1. Einleitung

»Der Islam« ist schon seit geraumer Zeit ein Teil der deutschen Gesellschaft, dennoch reißen die in der in der Öffentlichkeit geführten Debatten über die Integration von Muslimen, über die Vereinbarkeit von Demokratie und Islam, den Islamismus sowie die Existenz von islamischen Parallelgesellschaften in Deutschland nicht ab. Häufig wird angeführt, dass der Islam und demokratische Werte nicht in Einklang stehen, da Gewaltenteilung, die Grundlage der modernen westlichen Staatlichkeit, im Islam so nicht vorgesehen ist (vgl. Nagel 2007). In den letzten Jahren rücken verstärkt Frauenrechtsfragen in den Mittelpunkt der Diskussion. Diese Thematik wird meist vor dem Hintergrund der Kopftuchdebatte, Zwangsehen oder Ehrenmorden thematisiert und dient einzelnen Islamkritikern regelmäßig als Beispiel für die generelle Rückständigkeit oder fehlende Reformfähigkeit »des Islams«. Auch wenn eine solche Generalisierung abzulehnen ist, zeigen Erfahrungsberichte von Muslima, wie beispielsweise Serap Cileli (1999), Seyran Ates (2003) und Ayaan Hirsi Ali (2005), dass Gewalt gegen Frauen auch in westlichen Gesellschaften immer noch religiös begründet wird. Viele der Gewalttaten werden beispielsweise mit Suren1 im Koran, wie Sure 4:34, Sure 2:223 und Sure 2:2282, in denen Aussagen über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern dokumentiert sind, legitimiert. Ob und inwieweit

1

Als Suren werden die einzelnen Kapitel des Korans bezeichnet. Diese sind wiederum in einzelne Verse unterteilt.

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In ihnen wird die Behandlung der Frau bei Ungehorsam, die sexuelle Beziehungen zwischen Mann und Frau und die Hierarchie zwischen Mann und Frau religiös geregelt.

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diese Suren die Unterdrückung der Frau rechtfertigen, ist theologisch nicht unumstritten. Es ist jedoch festzuhalten, dass die rechtliche Situation von muslimischen Frauen immer von kulturellen Eigenheiten der bestimmten Staaten, der Auslegung der religiösen Texte, der rechtlichen Situation der einzelnen Länder, in denen Muslime leben, und der individuellen Gläubigkeit des einzelnen abhängig ist. Eine generelle Antwort auf die Frage, inwiefern »der Islam« im Allgemeinen frauenfeindlich ist, kann daher nicht gegeben werden. Dennoch zeigen die oben aufgezählten Fallbeispiele, dass immer noch religiöse Argumente genutzt werden, um androzentrische Strukturen zu reproduzieren, Frauen zu unterdrücken und ihre Rechte einzuschränken. Auch wenn keine generalisierenden und fundierten Daten über muslimisch begründetet Gewalt gegen Frauen in Deutschland vorliegen, sind die Taten, die »im Namen Mohammeds« begangen werden, nicht zu leugnen, nicht zu bagatellisieren und sollten auch nicht als Einzelfälle abgetan werden. Die Konzentration der Berichterstattung auf diese speziellen Phänomene wie beispielsweise Ehrenmorde und häusliche Gewalt, erwecken aber den Anschein eines Generalverdachts und lässt die Vielschichtigkeit der muslimischen Religion zunehmend in den Hintergrund rücken (vgl. Schiffer 2004). Es überrascht daher nicht, dass nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (2004) 93% der Befragten den Islam mit der Unterdrückung der Frau in Verbindung bringen. »Der Islam« ist für viele Deutsche demnach eine androzentrische Religion, die durch ihre religiösen Vorgaben die Unterdrückung der Frau rechtfertig. Neben dem immer stärkeren öffentlichen Interesse, rückt die muslimische Frau auch immer stärker in den Mittelpunkt der sozialwissenschaftlichen Forschung. Ergebnisse von Einzelfallstudien offenbaren, dass ein Teil der muslimische Frauen nicht nur als Mitglieder einer anderen, häufig als fremd empfundenen Religionsgemeinschaft, sondern auch als integrierte und selbständige Subjekte anerkannt werden wollen. Der Islam dient ihnen dabei als Mittel zur Bildung einer eigenen positiven Identität und zur Verteidigung eines individuellen Lebensstils (vgl. Gamper/ Reuter 2007b; Klinkhammer 2000; Klein-Hessling/ Nökel/ Werner 1999). Es wird weiter deutlich, dass sich diese Muslima durch ihre intensive Beschäftigung mit ihrer Religion von muslimischen Männern emanzipieren und nicht mehr nur als unterdrückte Wesen wahrgenommen werden möchten. Sie befassen sich mit religiösen Praktiken, Regeln und Vorschriften und setzen sich explizit mit Fragen zu Geschlecht und Islam auseinander (vgl. bei-

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spielsweise Stauch 2004; Schröter 2002; Tietze 2001; Karakasoglu 1999). Andere Frauen gehen sogar noch weiter und wehren sich aktiv mit Hilfe des Islams gegen »frauenfeindliche« Stigmatisierungen, patriarchalische Strukturen in Teilen der muslimischen Gesellschaft und auch gegen Vorurteile in Teilen der Aufnahmegesellschaft. Es handelt sich hierbei nicht mehr nur um einzelne Personen, die sich für mehr Frauenrechte einsetzen. Einzelne Studien aus Indonesien und Marokko zeigen, dass sich muslimische Frauen zunehmend in selbstorganisierten Gemeinschaften und Netzwerken zusammenschließen, um ihrer feministischen Haltung stärkeren Rückhalt zu verleihen (vgl. Geertz 1988). Hingegen liegt der Fokus der Islamforschung eher auf Einzelfallstudien und der Portraitierung der muslimischen Frau (vgl. beispielsweise Klinkhammer 2002a; Nökel 1996), umfassende empirische Untersuchungen über Zusammenschlüsse und Organisationsformen von muslimischen Frauen bilden noch ein Desiderat. Nicht nur empirisch rückt die Stellung von Minderheiten seit den 1990er Jahren verstärkt in den Mittelpunkt der Sozialwissenschaften. Seit dem cultural turn sind es vor allem neuere kulturtheoretische Ansätze, mit denen diese sozialen Phänomene neu beleuchtet werden. Kultur bildet ein Sinnsystem und ein Bindeglied zwischen Identität und Alltagspraktiken (vgl. Reckwitz 2003). Mit Hilfe dieses kulturzentrierten Ansatzes werden gesellschaftliche Erscheinungen wie beispielsweise Segregation, Konflikte und Exklusion analysiert: »Ein neues, ernstzunehmendes Interesse an kollektiven Identitäten kommt heute [...] von den postkolonialen3 und feministischen Theorien. Diese theoretischen Neuformulierungen stellen nicht mehr das Zentrum der politischen Macht in den Mittelpunkt der Betrachtung. Sie werden vielmehr getragen von Minoritäten und unterdrückten Gruppen, die im Gefüge politischer Hierarchien marginalisiert oder zur Unsichtbarkeit verurteilt werden.« (Assmann/ Friese 1998: 13).

In der vorliegenden soziologischen, triangulativen Studie werden anhand kulturtheoretischer Ansätze unabhängige muslimische Frauenvereine und ihre Mitglieder untersucht und beschrieben. Damit schließt sie eine bestehende Forschungslücke und leistet einen Beitrag für die Migrations- und Religionssoziologie sowie die Geschlechterforschung. Der Schwerpunkt

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Auf diesen Begriff wird in Kapitel 4 noch detailliert eingegangen.

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der Arbeit liegt vor allem auf der Beschreibung der Vereine und deren Mitgliederstruktur. Bei Letzterem interessieren beispielsweise die Rollenbilder, die Religiosität, die eigene und die empfundene Fremdwahrnehmung der Frauen. Auf der Ebene der Vereine soll eruiert werden, warum sich spezielle Frauenvereine gegründet und wie sich diese in den letzten Jahren verändert haben. Speziell die Rolle »des Islam« innerhalb der Vereine und dessen Bedeutung in der Identitätskonstruktion, bzw. Stabilisierung der Identität der Mitglieder stehen hierbei im Mittelpunkt. Darüber hinaus werden die Ziele und die Angebote der einzelnen Organisationen untersucht. Im ersten Teil (Kapitel 2) wird zuerst ein allgemeiner Überblick über die in Deutschland lebenden Muslime gegeben. Dies macht einen Abriss der Migrationsgeschichte der Muslime in Deutschland, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht, unabdingbar. Anschließend werden allgemeine Statistiken angeführt, die Aufschluss darüber geben, wie viele Muslime heute in Deutschland wohnhaft sind und welcher islamischen Richtung diese angehören. Den Abschluss dieses Kapitels bildet eine kurze Beschreibung der Organisationsstrukturen von muslimischen Vereinen, die Muslime in Deutschland repräsentieren und deren Interessen nach außen vertreten. Das zweite Kapitel gibt damit einen allgemeinen Überblick über wichtige Kennzahlen und über die muslimische Vereinsstruktur in Deutschland. Daran anknüpfend widmet sich das folgende Kapitel (Kapitel 3) dem momentanen Untersuchungsstand der Islamforschung. Dafür werden aktuelle qualitative und quantitative Studien zusammenfassend dargestellt. Zuerst widmet sich das Kapitel den Arbeiten zum Islambild in den deutschen Medien. Anhand der vorliegenden Studien soll gezeigt werden, welches Bild die Medien über den Islam bzw. die Muslime vermitteln. Thematisch daran anschließend werden Einstellungsstudien zum Thema »Islam in Europa« und hier speziell dem »Islam in Deutschland« überblicksartig rezensiert. Es wird gezeigt, welches Meinungsbild über Muslime vorherrscht und welche Eigenschaften Muslimen und dem Islam zugeschrieben werden. Weiterhin werden Untersuchungen zum Thema »Islam und Islamismus« vorgestellt sowie eruiert, inwieweit dort ein Zusammenhang zwischen Religiosität und Gewalt diskutiert wird. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob der Islam die Integration in die deutsche Gesellschaft fördert oder behindert. »Islam und Identität« ist Gegenstand des nächsten Abschnitts. Schwerpunkt der zusammengefassten Studien ist die Relevanz der Religion für die in

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Deutschland lebenden Muslime. Zum Schluss werden Studien ausführlich vorgestellt, die sich speziell mit Fragen zu Geschlecht und Religiosität auseinandersetzen. Es wird untersucht, ob die angeführten Studien Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf Religiosität oder kulturelle Identität feststellen konnten. Den beiden letzten Abschnitten – »Islam und religiöse Identität« und »Islam und Geschlecht« – ist in dieser Arbeit besonders viel Raum eingeräumt worden, da diese Studien einen sehr engen Bezug zur vorliegenden Forschungsarbeit aufweisen. Im Verlauf der Arbeit werden diese Ergebnisse immer wieder aufgegriffen. Nach dem Überblick über den Forschungsstand bezüglich der Themen Religiosität, Kultur und Geschlecht werden im vierten Kapitel theoretische Modelle zur kulturellen und kollektiven Identität vorgestellt. Zuerst werden die Phänomene des Individualismus und der Globalisierung beschrieben und anschließend die Besonderheit der Migrationsströme für die Bildung von Identitäten herausgearbeitet. Bevor die Bedeutung der Kultur für die Identitätskonstruktion erörtert wird, wird vorab der soziologische Begriff der kollektiven Identität allgemein definiert. Für die Analyse der unabhängigen muslimischen Frauenvereine scheinen besonders die dynamischen und beschreibenden Theorien der Postcolonial und Cultural Studies von großer Erklärungskraft. Diese stellen den Diskurs um die Deutungsmacht von kollektiven Identitäten der Migranten in der Diaspora in den Mittelpunkt. Hierauf wird im Fazit nochmals näher eingegangen. Im fünften Kapitel wird auf Basis der theoretischen Ansätze und Studien eine kurze Zwischenbetrachtung vorgenommen. Aufbauend auf diesem Resümee werden dann bestimmte Fragestellungen und Hypothesen abgeleitet, die im Fazit nochmals aufgegriffen und diskutiert werden. Im sechsten Kapitel wird das methodologische Vorgehen beschrieben. Aufgrund der komplexen Fragestellung wurde hier auf ein triangulatives Verfahren zurückgegriffen. Dafür wurden qualitative und quantitative Methoden miteinander kombiniert, um verschiedene bzw. mehrere Facetten des vorliegenden Forschungsgegenstands nachzeichnen zu können. Im konkreten Fall wurden das problemzentrierte Interview und ein standardisierter Fragebogen mit geschlossenen Fragen ausgewählt. Das problemzentrierte Interview lässt durch seine Offenheit viel Spielraum für subjektive Deutungen und ist daher besonders gut geeignet, um die religiösen Bedeutungen, persönlichen Sinngebungen und Strategien sowie Identitätsmuster adäquat abzubilden. Der strukturierte Fragebogen wurde gewählt, um unter

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anderem Daten über die Mitgliedschaft und Motive für die Mitgliedschaft zu quantifizieren. Geschlossene Fragen ermöglichen es, Vergleiche sowohl zwischen den befragten Muslima als auch zwischen den hier erbrachten Befunden und den Ergebnissen anderer Studien zu ziehen. Zusätzlich werden in diesem Kapitel der Forschungsverlauf erläutert und die Zielgruppe sowie die Interviewsituation näher beschrieben. Das Hauptaugenmerk dieser Forschungsarbeit liegt schließlich auf dem siebten Kapitel, der Darstellung der gewonnen Forschungsergebnisse. Dieses wurde aufgrund der thematischen Schwerpunkte in zehn Unterkapitel aufgeteilt. Auf Basis der qualitativen Daten sowie einer Dokumentenanalyse werden zuerst Geschichte, Struktur und Ziele der hier untersuchten Vereine dargestellt und beschrieben, anschließend werden quantitative Daten zu den Mitgliedern erfasst. Hierbei handelt es sich um allgemeine Informationen wie beispielsweise Alter, Bildungsstand, berufliche Tätigkeit, Dauer der Mitgliedschaft, ethnische Zugehörigkeit und Konfession. Im dritten Teil des siebten Kapitels wird untersucht, welche Motive für die Partizipation am Angebot dieser Vereinen vorzufinden sind. Der nächste Abschnitt befasst sich mit dem Aspekt der Religiosität der hier untersuchten Muslima. Es wird zum Beispiel den Fragen nach dem subjektiven Religionsempfinden, der religiösen Praxis und dem religiösen Einfluss nachgegangen. Anschließend werden die Diskriminierungs- und Stigmatisierungserfahrungen der Frauen eruiert. Im Fokus stehen besonders die subjektiv empfundene religiöse Stigmatisierung und die Wahrnehmung der Berichterstattung in den Medien. Vor dem Hintergrund der häufig emotional geführten Debatte über Islam und Integration wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit sich Integrationsbereitschaft und Religiosität widersprechen. Im Fokus der Betrachtung stehen insbesondere das Demokratieverständnis und die Partizipation am gesellschaftlichen Zusammenleben der religiösen Muslima. Im darauf folgenden Abschnitt wird nach den Lebenszielen gefragt. Hierzu wurden den Frauen Aussagen zu bestimmten Werten und Lebenszielen (z. B. eine gute Partnerschaft, Freiheit usw.) vorgelegt, deren jeweilige Wichtigkeit die Muslima subjektiv bewerten mussten. Daran anknüpfend werden die Auffassungen zu Partnerschaft, Familie und Geschlechterrollen dargestellt. Insbesondere wird hier nach der Rollenverteilung innerhalb der Familie, nach dem Männerbild und der Kindererziehung gefragt. Es sollte dabei untersucht werden, ob und inwiefern sich die Vorstellungen mit anderen Vergleichsgruppen unterscheiden. Im Anschluss wird nochmals explizit

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der Frage nachgegangen, ob es sich hier um eine Bewegung in Deutschland handelt, die unter den Begriff des »islamischen Feminismus« zusammenzufassen ist und ob sich die Frauen selbst auch als Teil dieser Bewegung sehen. Am Ende soll nochmals ein kurzer Überblick über die zentralen Ergebnisses dieses Kapitels gegeben werden, bevor Schlussfolgerungen auf Basis der Ergebnisse dieser Arbeit gezogen und diskutiert werden. Die Schlussfolgerungen erfolgen in zwei Schritten. Auf der theoretischen Ebene wird erörtert, wie sinnvoll die Ansätze der »Hybridität« und des »dritten Raumes« sind, um die hier untersuchten Vereine zu beschreiben und zu untersuchen, inwiefern die Muslima hybride Identitäten entwickelt haben. Auf gesellschaftlicher Ebene wird diskutiert, welche Position die untersuchten kollektiven Identitäten im lokalen, nationalen, globalen und politischen Diskurs um Religion, Integration und Geschlecht einnehmen. Im Fokus steht hierbei der Einfluss dieser kollektiven Identitäten auf die Aufnahmegesellschaft und die muslimische Gemeinschaft. Dabei richtet sich das Augenmerk besonders auf die Thematik des islamischen Feminismus. Abschließend wird erörtert, inwieweit diese kollektiven Identitäten beschrieben werden können und ob es sich hier um ein einheitliches und globales Phänomen handelt.

2. Islam in Deutschland: Zahlen und Fakten

2.1 H ERKUNFT

UND

M IGRATIONSGESCHICHTE

Auch wenn Muslime heutzutage aus der deutschen Öffentlichkeit kaum noch wegzudenken sind, geht der Ursprung der Wanderbewegung von Migranten mit islamischen Hintergrund viel weiter zurück, als es das Anwerbeabkommen in den 1950er Jahren vermuten lassen würde. Die ersten Muslime kamen bereits im 17. Jahrhundert als Kriegsgefangene nach Deutschland. Sie waren Kriegsbeute der deutschen Fürsten, die den Wienern bei der zweiten Belagerung durch die Osmanen im Jahre 1683 zu Hilfe eilten. Die Anzahl der Gefangenen an den verschiedenen Höfen wird auf mehrere Hundert geschätzt. Einige starben in der Gefangenschaft, andere wurden getauft oder kehrten in die Heimat zurück (vgl. Lemmen 2000: 15). Im Laufe des 18. Jahrhunderts kamen Muslime als Soldaten nach Preußen, wo sie in der Diaspora ihren Glauben zum größten Teil frei ausleben konnten. 1732 nahm der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. türkische Soldaten in seine Garde auf, die ihrem Glauben nachgehen konnten (vgl. Grübel/ Rademacher 2003: 623). Um das Jahr 1760 desertierte eine große Zahl muslimischer Soldaten aus der russischen Armee und lief zu den Preußen über. Grund dafür waren Gerüchte, nach denen der Sultankalif plante, sich aus Freundschaft zu Preußen gegen das russische Reich zu wenden. Darauf aufbauend bildete sich ein muslimisches Regiment innerhalb der preußischen Armee, welches an verschiedenen Schlachten teilnahm. Aber auch auf der politischen Ebene kam es zu Annäherungen: 1763 wurde eine ständige osmanische Gesandtschaft in Berlin eingerichtet. Als der Botschafter Ali-Aziz-Effendi 1798 starb, erwarb König Friedrich Wilhelm III. für diesen Botschafter eine Grabstätte, welche dem osmanischen Reich unterstand.

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Im Ersten Weltkrieg kamen erneut muslimische Kriegsgefangene nach Deutschland. Kaiser Wilhelm II. ließ für diese die erste Moschee in Brandenburg bauen, welche 1925/ 1926 aufgrund von Einsturzgefahr abgerissen werden musste. Nach dem Ersten Weltkrieg blieben einige Muslime in Deutschland, wo sie Gemeinden und Vereine gründeten. Hervorzuheben ist hier besonders die Gründung der deutschen Sektion des islamischen Weltkongresses 1932 in Berlin. Unter deren Dach schlossen sich im Jahr 1933 muslimische Vereinigungen zusammen. Das Islam-Kolloquium ist heute Teil des Zentralinstituts Islam-Archiv Deutschland (vgl. Mohagheghi 2007). Die Situation von Muslimen im »Dritten Reich« wurde kaum beleuchtetet, dennoch kann behauptet werden, dass ein Großteil der Muslime und ihrer Vereine wie z.B. das Islamische Zentral-Institut in Berlin mit den Nazis sympathisierte (vgl. Höpp o. J.). Am stärksten wurde das heutige Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen durch Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und islamisch dominierten Ländern geprägt. Zu nennen wären hier unter anderem die Türkei (1962), Marokko (1963), das ehemalige Jugoslawien (1968) und Tunesien (1965). Tausende von Muslimen kamen in der Folge als so genannte »Gastarbeiter« nach Deutschland, die den damaligen großen Bedarf an Arbeitskräften decken sollten. Viele der Muslime blieben nach Beendigung der Abkommen im Jahre 1973 im Land und holten ihre Familienangehörigen nach (vgl. Goldberg et al. 2004). Neben den Arbeitsmigranten flohen auch politische Flüchtlinge aus dem Libanon (ab 1975), dem Iran (ab 1979), Afghanistan (ab 1979), Bosnien-Herzegowina (ab 1992), dem Kosovo (1999) sowie dem Irak (besonders ab 2003) nach Deutschland. Die dritte größere Gruppe von Zuwanderern mit muslimischem Hintergrund bilden die Studenten aus unterschiedlichen muslimischen Ländern, die aufgrund eines Studiums nach Deutschland kommen (vgl. Lemmen 2000: 17). Wie viele Muslime heute in Deutschland leben und wie sich ihre Anzahl verändert hat, ist jedoch nicht genau dokumentiert. Es handelt sich bei den öffentlichen Zahlen in der Regel um Schätzungen. Hauptgründe hierfür sind, dass die Meldebehörden Muslime unter der Religionszugehörigkeitskategorie »Verschiedene« führen und muslimische Gemeinden sowie Moscheen keine genauen Statistiken über alle Gemeindemitglieder erheben. Schätzungen erlauben aber eine Annäherung. Waren es im Jahr 1972 noch ca. 500.000 Muslime, stieg die Zahl bis 2008 durch den Familiennachzug

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und die in der Diaspora geborene zweite und dritte Generation sowie die konvertierten Muslime auf 3,8 bis 4,3 Millionen an (vgl. Haug et al. 2009: 11). Die tatsächliche Anzahl der Muslime ist somit größer als nach bisherigen Schätzungen vermutet, die sich zwischen 3,1 und 3,4 Millionen bewegten (vgl. Tworuschka 2003). Der Anteil an der gesamten deutschen Bevölkerung beträgt demnach zwischen 4,6% und 5,2%. Die ethnische Zusammensetzung ist sehr heterogen. Der größte Teil der in Deutschland lebenden Muslime, etwa 2,5 bis 2,7 Millionen, besitzen einen türkischen Hintergrund. Im Durchschnitt entspricht dies etwa 63% der muslimischen Bevölkerung in Deutschland. Der Prozentsatz der Personen aus den südosteuropäischen Ländern wie Bosnien, Bulgarien und Albanien macht rund 14% aus. In absoluten Zahlen sind dies zwischen 496.000 und 606.000 Personen. Sie stellen somit die zweitgrößte ethnische Gruppe. Gefolgt von Muslimen aus dem Nahen Osten mit 292.000 bis 370.000 Muslimen, die rund 8% an allen Muslimen in Deutschland ausmachen. Aus Nordafrika stammen ungefähr 259.000 bis 302.000, die Mehrzahl davon aus Marokko. Dies entspricht einem Anteil von ca. 7%. Die verbleibenden 8% stammen aus Zentralasien/ GUS, dem Iran, Süd-/ Südostasien sowie den übrigen afrikanischen Staaten (vgl. Haug et al. 2009: 11f). Der Anteil der Muslime aus den hier genannten Ländern, die eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, liegt zwischen 1,65 und 2,04 Millionen. Wie auch bei den ausländischen Muslimen stammt die Majorität der Muslime mit deutscher Staatsangehörigkeit aus der Türkei (vgl. Haug et al. 2009: 78ff). Genaue Statistiken hinsichtlich der Konversionen existieren nicht. Die Zahl schwankt zwischen 15.000 und 100.000 Personen (vgl. REMID 2008; Zentralinstituts Islam-Archiv-Deutschland 2007; Haug et al. 2009: 58).4 Hinsichtlich der unterschiedlichen Konfessionen der in Deutschland lebenden Muslime kann resümiert werden, dass die Sunniten mit ungefähr 74% die größte Gruppe bilden. Die Aleviten5 stellen mit einem Anteil von

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Hierbei soll der Islam besonders bei jüngeren Menschen und bei Frauen auf großes Interesse stoßen. Bei den Übertrittsgründen zeigen sich daneben aber auch nationale Unterschiede, wie ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland nahe legt (vgl. Wohlrab-Sahr 1999).

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Die Aleviten werden hier dem muslimischen Glauben zugerechnet. Sie verstehen sich überwiegend selbst als Muslime (vgl. Haug et al. 2009: 135f).

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ca. 14% die zweitgrößte muslimische Glaubensgemeinschaft innerhalb des Islams. Mit fast 7% sind die Schiiten die drittgrößte Vergemeinschaftung. Weitere kleine Gruppen bilden die Ahmadiyya (2%), die Sufi/ Mystiker oder Ibaditen (0,2%) und andere nicht näher spezifizierte Konfessionen (5%) (vgl. Haug et al. 2009: 97).

2.2 M USLIMISCHE O RGANISATIONEN Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehen muslimische Frauenvereine. Daher wird im Folgenden ein kurzer und allgemeiner Überblick über die muslimische Organisationsstruktur in Deutschland gegeben. Dieser hilft, die Rolle der untersuchten Frauenvereine im deutschen Diskurs besser einordnen zu können. Bereits in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wurden die ersten muslimischen Gemeinden in Deutschland gegründet. Diese waren zunächst eher unbedeutend. Erst in den 1960er Jahren konnte ein bedeutsamer Zuwachs von Vereinen registriert werden. »Die Zusammenschlüsse erfolgten aufgrund der gemeinsamen Sprache und Kultur meist entlang ethnischer Grenzen. Die ersten Selbstorganisationen konstituierten sich als »Arbeitsvereine«, die als Begegnungszentren für ihre Landsleute nach Feierabend fungierten. Mit der zunehmenden Verstetigung der Einwanderung kam es jedoch zu einer Ausdifferenzierung der Migrantenselbstorganisationen und ihrer Funktionen. Neben den erwähnten Arbeitsvereinen haben sich bereits sehr früh auch religiöse Zusammenschlüsse formiert, und es wurden vermehrt Vereine gegründet, die sich konkret der Lebenshilfe ihrer Bevölkerungsgruppe in Deutschland widmeten.« (Hunger 2004: 2)

Ziel der religiösen Organisationen war es, den Muslimen einen Ort zur Verfügung zu stellen, an dem sie ihre Religion in Deutschland aktiv praktizieren konnten. Ein Auslöser dafür war der Anwerbestopp Ende der 1970er Jahre, der zwei Konsequenzen nach sich zog: Zum einen konnten die Migranten nicht mehr uneingeschränkt zwischen Heimatland und Deutschland pendeln, zum anderen wurde der Familiennachzug erschwert, der die religiöse Erziehung der Kinder in der Diaspora zu einem wichtigen Thema werden ließ. Religiosität in all ihren Facetten wurde somit immer stärker in

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die »neue Heimat« verlegt (vgl. Feindt-Riggers/ Steinbach 1997: 14). Die Gründung der Gemeinden verlief hierbei auf eine andere Art und Weise als bei den ebenfalls von Migranten gegründeten christlichen Gemeinden: Im Jahr 1973 wurden die ersten Vorrausetzungen für die Ausländerseelsorge geschaffen. Die katholische Kirche in Deutschland stellte neben pastoralen Strukturen auch katholische Auslandsmissionen für katholische Migranten zur Verfügung. Außerdem übernahmen die Sozialdienste der Caritas die soziale Betreuung dieser Migrantengruppen. Vergleichbare Prozesse existierten im Hinblick auf die Muslime in dieser Weise nicht. Die soziale Unterstützung der Arbeiterwohlfahrt, die eher eine neutrale Position hinsichtlich religiöser Belange einnahm und für die Betreuung der Muslime verantwortlich war, konnte wenig zu deren Integration beitragen. Die Strukturen mussten somit durch die muslimischen Migranten selbst geschaffen werden, wobei sie von verschiedenen Organisationen aus den jeweiligen Ausreiseländern unterstützt wurden (vgl. Lemmen 2001). Heute umfassen diese Vergemeinschaftungen kleine lokale, regionale, aber auch bundesweite Organisationen. Über die Anzahl der Gotteshäuser gibt es keine genauen Angaben, die Bundesregierung geht aber von ca. 2.600 muslimischen Gebetsstätten in Deutschland aus. Davon können ca. 150 als klassische Moscheen mit Kuppel und Minarett bezeichnet werden. Der Bau von Moscheen nimmt nach Angaben der Bundesregierung in den letzten Jahren stetig zu. Aktuell kann von mehr als 100 Bauvorhaben im Bundesgebiet ausgegangen werden (vgl. Bundesregierung 2006).6 Ein großer Teil der lokalen Moscheengemeinden untersteht größeren Dachverbänden. Unabhängige Gemeinden bilden eher die Ausnahme und spielen nur bei kleineren muslimischen Zuwanderergemeinden eine Rolle (vgl. Sen/

6

Der Bau von Moscheen ist nicht unumstritten wie beispielsweise der Konflikt um den Bau der Moschee in Köln seit 2002 verdeutlicht. Kritik äußern dabei Vertreter ganz unterschiedlicher Lager: Die am rechten Rand agierende NPD sowie die konservative Vereinigung »Pro Köln« argumentieren mit der Angst vor Überfremdung und sehen in dem Moscheebau ein Signal der stetigen Islamisierung Deutschlands. Der jüdische Journalist, Schriftsteller und Regisseur Ralph Giordano mahnt einen kritischen, reflektierten Umgang der Öffentlichkeit mit solchen Vorgängen an. Eine Mehrheit steht dem Projekt jedoch eher positiv gegenüber und spricht von einem Zeichen der Religionsfreiheit und der Integration des Islams in die Mitte der Gesellschaft.

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Aydin 2002: 51). Hierbei üben besonders fünf große Spitzenverbände den bedeutsamsten politischen Einfluss aus. Sie nahmen aktiv an den Islamkonferenzen teil und sind damit die direkten politischen Gesprächspartner der Bundesregierung. Bei diesen fünf Zusammenschlüssen handelt es sich um die »Türkisch-Islamische Union«, den »Islamrat«, den »Zentralrat der Muslime in Deutschland«, den »Verband der Islamischen Kulturzentren« sowie die »Föderation der Alevitengemeinden in Deutschland«. Die »Türkisch-Islamische Union« (DITIB) wurde 1984 in Köln gegründet. Schätzungen zufolge gehören bundesweit mehr als 870 Mitgliedsvereine dieser Organisation an. Sie zählt darüber hinaus mehr als 130.000 Mitglieder (vgl. Kandel 2005). Als Ableger des »Staatlichen Amts für religiöse Angelegenheiten« in der Türkei sind die Mitglieder fast ausschließlich türkischer Abstammung und die Vereine werden finanziell von der Regierung in Ankara unterstützt. So werden beispielsweise die ca. 490 Imame aus der Staatskasse der Türkei bezahlt. Für Kirchen und Behörden ist die DITIB oft der bevorzugte Ansprechpartner auf islamischer Seite. Der »Islamrat« wurde 1987 in Berlin gegründet. Ihm gehören 32 Mitgliedsverbände an. Die Mitglieder werden auf 130.000 geschätzt (vgl. REMID 2005). Die mitgliederstärksten Vereine gehören der islamischen Gemeinschaft »Milli Görüs« (ca. 26.500 Mitglieder) an (vgl. Bundesministerium des Inneren 2007: 221). Diese wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Der »Zentralrat der Muslime in Deutschland« (ZMD) ging 1994 aus dem »Islamischen Arbeitskreis in Deutschland« hervor. Der ZMD vertritt eine größere Anzahl kleinerer, meist nicht-türkischer Moscheenverbände in Deutschland. Dazu gehören u. a. deutsche, arabische, albanische, bosnische und persische Muslime. Nach eigenen Angaben gehören dem ZMD 19 Organisationen mit vielen hunderten Moscheegemeinden an (vgl. Zentralrat der Muslime in Deutschland).7 Die Mitgliederzahl wird auf ca. 12.000 geschätzt (vgl. REMID 2005). Bereits 1973 wurde das islamische Kulturzentrum in Köln gegründet, welches 1980 in »Verband der Islamischen Kulturzentren« (VIKZ) umbenannt wurde. Schätzungen zufolge hat der Verein ca. 100.000 türkische

7

Im Jahr 2000 ist der Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ) aus dem kleinsten Spitzenverband ausgeschieden.

2. I SLAM IN D EUTSCHLAND: Z AHLEN UND F AKTEN | 23

Mitglieder, die meist der sufistischen Bewegung angehören (vgl. Kandel 2005). Die »Föderation der Aleviten Gemeinden in Deutschland« (AABF) stellt hier eine Sonderform dar, da innerhalb der alevitischen Vereinigung ein Diskurs geführt wird, inwiefern dieser überhaupt als muslimisch bezeichnen werden kann.8 Die Aleviten kommen zwar aus einem muslimischen Kulturraum, ihre religiösen Anschauungen weichen jedoch von anderen muslimischen Richtungen deutlich ab.9 Es wird geschätzt, dass der Verein aus 95 Mitgliedervereinen mit ca. 30.000 türkischen und kurdischen Mitgliedern besteht (vgl. Kandel 2005). Auch wenn die hier genannten Organisationen Teil der deutschen Islamkonferenz sind, ist ihr Bekanntheits- und Vertretungsgrad unterschiedlich zu bewerten. Aus einer Studie, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführt wurde, geht hervor, dass 66% der Befragten mindestens einen der an der Islamkonferenz teilnehmenden Verbände kennen. Der bekannteste ist der auch von der türkischen Regierung mitfinanzierte Verband DITIB. Dieser wurde von 44% genannt.10 Gefolgt von der ZMD mit 26,6%, der AABF mit 26,8%, dem VIKZ mit 25,1% und den IR mit 16,1% (vgl. Haug et al. 2009: 173ff).11 Von diesen Vereinen fühlen sich weniger als ein Viertel der befragten Muslime in Deutschland vertreten. Der größte Teil (ca. 15,8%) durch die DITIB, gefolgt von der VIKZ mit ca. 7,2%, AABF mit 3,5%, ZMD mit 2,7% und IR mit 2,2% (vgl. Haug et al. 2009: 179). Neben diesen großen Institutionen haben sich in vielen Städten und Gemeinden zusätzlich »Schuras« gegründet, die auf dem islamischen Bera-

8

In der Türkei existiert der Versuch, als eigene religiöse Gruppe anerkannt zu werden.

9

Beispielsweise verehren sie Ali, den Schwiegersohn und Cousin des Propheten Mohammed, lehnen aber die fünf Säulen des Islam ab und der Konsum von Alkohol ist ihnen nicht explizit verboten. Sie besuchen keine Moschee sondern ein »Cem-Haus« um ihre Gebete zu verrichten.

10 Bei den türkischen Muslimen sogar von ca. 59%. 11 Nach der Gemeinde Milli Görüs wurde nicht explizit gefragt.

24 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND?

tungsgedanken12 beruhen. Diese stehen allen Muslimen offen, d. h. es können auch alle muslimischen Organisationen daran teilnehmen. Die Mitgliedschaft in diesen hier vorgestellten Organisationen und Verbänden ist schwer zu fassen, da im Islam eine Art von expliziter Mitgliedschaft – wie beispielsweise in der christlichen Kirche – so nicht vorzufinden ist. Nach einer repräsentativen Umfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist die Mitgliedschaft in religiösen Vereinen aber schwächer ausgeprägt als bei Mitgliedern anderer Religionen. Demnach sind insgesamt ca. 20% der Muslime in religiösen Gemeinden oder Vereinen organisiert. Unter den Sunniten (22%) ist die Mitgliedschaft um 10% stärker ausgeprägt als bei den Aleviten und den Schiiten. Auffällig ist, dass speziell von den Angehörigen anderer kleinerer islamischer Konfessionen wie beispielsweise den Ibaditen oder der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya 29% Mitglied eines Vereins sind (vgl. Haug et la. 2009: 14 und 166f).

2.3 R ECHTSFORM

DES I SLAM

Im Gegensatz zu katholischen, evangelischen und jüdischen Gemeinden sind islamische Organisationen in Deutschland überwiegend als eingetragene Vereine organisiert, da sie bis heute nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Abs. 5 WRV anerkannt sind. Damit können sie beispielsweise nicht als Träger der freien Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe gebilligt werden, können keine Steuern von ihren Mitgliedern einfordern und auch keine steuerlichen Vergünstigungen bzw. Befreiungen bekommnen. In vielen Bundesländern wurden schon vor Jahrzehnten Anträge auf Anerkennung als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts gestellt, die bisher jedoch immer abgelehnt wurden. Als Begründung gibt die Bundesregierung unter anderem das Fehlen einer mitgliedschaftlichen Struktur (insbesondere das Problem, keinen Nachweis über die Anzahl der Mitglieder sowie die Dauer der Religionsgemeinschaft führen zu können) und zum Teil die mangelnde Verfassungstreue an (vgl.

12 Hiernach sollte sich der Kalif mit seinen Bürgern beraten, um Gerechtigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu erzeugen bzw. zu erhalten.

2. I SLAM IN D EUTSCHLAND: Z AHLEN UND F AKTEN | 25

Bundesregierung 2006: 38). Ferner wird kritisiert, dass kein verlässlicher Ansprechpartner existiert, der alle muslimischen Strömungen vertritt. Ein weiterer Grund für die Nicht-Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts sind aber auch die meist unterschiedlichen Interessen der im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Spitzenverbände. Um die Anerkennung durch die Regierung zu erlangen, haben sich die Verbände DITIB, IR, ZMD und der VIKZ im Jahr 2007 zu dem Koordinierungsrat KRM (Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland) zusammengeschlossen, der die Funktion als zentraler Ansprechpartner übernehmen soll.13 Noch lässt sich keine genaue Prognose darüber abgeben, ob dieses Ziel in Zukunft erreicht wird. Auf politischer Ebene wird der Zusammenschluss widersprüchlich kommentiert. Während das Innenministerium ihn positiv bewertet, wird der Zusammenschluss von Omid Nouripour (Grüne) und Lale Akgün (SPD) aufgrund der angeblich konservativen Ausrichtung kritisiert (vgl. Krupp 2007).

13 In der Studie von Haug et al. (vgl. Haug et al. 2009: 179) wird festgestellt, dass sich lediglich 1,9% der befragten Muslime von diesen vertreten fühlen.

3. Islam im Blickpunkt der Forschung

Wolf-Dietrich Bukow und Erol Yildiz leiten ihren Sammelband »Islam und Bildung« mit den Worten ein, dass es längst überfällig sei, »[...] den Islam als eine dritte Religion tatsächlich anzuerkennen und ihm in der Zivilgesellschaft eine gleichberechtigte Rolle zuzuweisen.« (Bukow/ Yildiz 2003: 11). Scheint dieses Ziel im Alltag noch nicht erreicht, wie Diskussionen über Moscheebau und das Recht auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zeigen, hat es im Gegensatz dazu jedoch den Anschein, dass die Wissenschaft »den Islam« als Forschungsgegenstand für sich (neu) entdeckt hat (vgl. Gamper/ Reuter 2007a). Dies spiegelt sich besonders in der Vielzahl an Studien wider, die allein in den letzten Jahren erschienen sind (beispielsweise Brettfeld/ Wetzels 2007; Meng 2004; Hafez 2002; Nökel 2002; Klinkhammer 2000). In dieser Arbeit werden nun ausschließlich neuere Studien vorgestellt, die eine Relevanz zu den hier vorgestellten Forschungsergebnissen besitzen und/ oder Hypothesen/ Fragestellung für das Forschungsvorgehen liefern.14 Auffallend ist, dass die Islamforschung sehr heterogen ist. Die Wissenschaftler beleuchten den Islam aus Sicht verschiedener Disziplinen, verwenden unterschiedliche Methoden und widmen sich unterschiedlichen Forschungsfragen. Die Forschungsfelder umschließen beispielsweise die Darstellung des Islams bzw. der Muslime in den Medien, Erforschung von Einstellungen gegenüber Muslimen, Studien über den islamischen Terrorismus bzw. Islamismus, Studien über die Integrationsbereitschaft von Muslimen sowie Untersuchungen über religiöse Identität und Geschlechterfragen. Auffällig ist, dass die jeweiligen Forschungsfelder häufig auf einer

14 Hierbei wurden induktiv vorgegangen.

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eigenen theoretischen und methodischen Tradition basieren. Die hier vorgestellten Studien zu den Themen Islamismusforschung, Einstellungsforschung und Migrations- bzw. Integrationsforschung sind methodisch meist sehr stark quantitativ ausgerichtet und besitzen eine Makroperspektive auf den Islam bzw. die Muslime, d. h. dass sie versuchen verallgemeinernde Ergebnisse zu erzielen, um allgemeingültige Aussagen zu treffen. In der Islamismus- bzw. Terrorismusforschung kommt es zu einer starken Anlehnung an die Anomie-Theorie von Émil Durkheim (vgl. Durkheim 1973) oder an die Theorie des abweichenden Verhaltens von Robert K. Merton (vgl. Merton 1974). Ziel dieser Studien ist es, die Gewaltbereitschaft von Muslimen zu erklären, Gründe für politisch motivierte Aggression zu erforschen oder das Gewaltpotential von Muslimen einzuschätzen. Die Migrations- und Integrationsforschung ihrerseits bedient sich häufig der Theorien der Chicago-School um Robert Ezra Park (vgl. Park 1950), der Integrationstheorie von Milton Gordon (vgl. Gordon 1964) oder des Assimilationskonzepts von Hartmut Esser (vgl. Esser 2001). Der Schwerpunkt dieser Forschungsrichtung liegt auf der Eingliederung der unterschiedlichsten ethnischen Minoritäten in beispielsweise das Wirtschaftsoder Bildungssystem innerhalb der Aufnahmegesellschaft. »There is a process that goes on in society by which individuals spontaneously acquire one another’s language, characteristic attitudes, habits, and modes of behaviour. There is also a process by which individuals and groups of individuals are taken over and incorporated into lager groups.« (Park 1950: 204).

Die Forschung über die Akzeptanz von und die Meinungen über Muslime nimmt starken Bezug auf die Einstellungsforschung, die ihre Ursprünge in der Sozialpsychologie hat und beispielsweise auch in den Bereichen politische Soziologie und Marktforschung Anwendung findet. Das Ziel der Einstellungsforschung ist es, Aussagen über tatsächliches Verhalten und über die Zukunft zu treffen (beispielsweise Wahlprognosen, Fremdenfeindlichkeitseinstellungen). »Without guiding attitudes the individual is confused and baffled. Some kind of preparation is essential before he can make a satisfactory observation, pass suitable judgment, or make any but the most primitive reflex type of response. Attitudes determine for each individual what he will see and hear, what he will think and he will

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

DER

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do. [...] They draw lines about and segregate an otherwise chaotic environment; they are our method for finding our way about in an ambiguous universe.« (Allport 1967: 806)

Im Vergleich zu dem makroperspektivischen Vorgehen der oben genannten Forschungsausrichtungen gehen die Medienanalyse sowie die Identitätsund Geschlechterforschung hingegen eher mikroperspektivisch und mit qualitativen Methoden vor. Die ersten Ansätze der soziologische Identitätstheorie finden sich bereits bei Georg Simmel (1992), Georg H. Mead (1995) und Erwin Goffman (1975).15 Die neue Identitätsforschung verortet sich eher im Rahmen des Poststrukturalismus.16 Hinsichtlich der Identität von Migranten bezieht sich die Forschung häufig auf die angloamerikanische Forschungstradition der Cultural Studies und Postcolonial Studies17 und lehnt sich an die theoretischen Ansätze von Stuart Hall oder Homi K. Bhabha an. Beide Autoren widmen sich beispielsweise den Fragen der Entstehung von Identitäten, der Positionierung zu anderen Individuen und Gruppen sowie Fragen der Konkurrenz, Macht und Herrschaft (vgl. Hall 1999b: 416; Bhabha 2000). Die heutige Geschlechterforschung thematisiert die soziale Konstruktion bzw. Dekonstruktion der Geschlechter, wobei in den hier vorgestellten Studien auch teilweise Postcolonial Studies miteinbezogen werden. Die so genannten Geschlechterstudien widmen sich dem sozial konstruierten Männer- bzw. Frauenbild, den Erziehungsstilen, dem Unterschied zwischen den »[...] Geschlechtern bezogen auf beispielsweise bestimmte Verhaltensmuster oder der sozialen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Geschlecht ist (hierbei) als Effekt mannigfaltiger Herrschaftsverhältnisse in ihrer zeitlichen und örtlichen Strukturiertheit zu begreifen.« (Rodríguez 1999: 40).

15 Ein Gesamtüberblick findet sich beispielsweise bei Abels 2006 16 Der Poststrukturalismus hat seine Ursprünge in den 1960er Jahren in der Literaturwissenschaft in Frankreich. Heute finden sich die Ansätze in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen wieder. Auch wenn kein einheitlicher Ansatz existiert, kritisieren seine Anhänger, wie beispielsweise Michel Foucault, Jacques Derrida und Judith Butler, die Strukturalisten und ihre Idee der Stabilität von Strukturen und festen Normen. Ihr Fokus liegt eher auf Spannungen und Diskontinuitäten innerhalb der Gesellschaft (vgl. Münker/Roesler 2000). 17 Eine detaillierte Darstellung dieser Ansätze findet sich in Kapitel 4.

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Die hier vorgestellten Studien zum Thema »Islam in den Medien« haben ihre Wurzeln in der Diskursanalyse nach Foucault (vgl. Foucault 1977). Wahrheiten sind demnach nicht von Anfang an gegeben, sondern werden in einen Machtraum konstruiert: »Wirklichkeit wird gedeutet, nicht »erkannt«. Und sie wird unterschiedlich gedeutet, je nach Interessenlage, nach Zielvorstellungen, Traditionen und unterschiedlichen Geschichten. Daher gibt es immer Streit um Wahrheit, um die Geltung von Normen, Werten und Gültigkeiten.« (Jäger/ Jäger 2007: 7f).

Diskurse sind folglich immer von politischen Deutungskämpfen geprägt. Diese und die durch sie erzeugten Gewissheiten sollen aufgedeckt, problematisiert und selbst wieder zur Diskussion gestellt werden. Die vorgestellten Medienanalysen versuchen den Diskurs über den Islam somit zu analysieren und die als »wahr« vermittelten Selbstverständlichkeiten über den Islam bzw. Muslime zu hinterfragen. Neben der dargestellten Ausdifferenzierung der Forschungsfragen und -felder fällt die ebenso differenzierte wie reflektierte Ergebnisdarstellung auf, die sich u. a. darin ausdrückt, dass allzu einfache Gleichsetzungen wie die von »Islam« mit »Islamismus« oder »islamischer Religionszugehörigkeit« mit »Religiosität« vermieden werden. Auffällig ist zudem, dass anstelle der von Pädagogik und Politologie in den vergangenen Jahrzehnten fokussierten Integrations- und Organisationsprobleme »des Islam« nun die Sozialgestalt und die Ausdrucksweisen des Patchworks »islamische Identität« selbst im Vordergrund der Untersuchung stehen (Gamper/ Reuter 2007a). Was sind aber nun die zentralen Ergebnisse der unterschiedlichen Forschungsrichtungen? Dieser Frage soll im vorliegenden Kapitel nachgegangen werden. Hierzu wurden die Studien, wie bereits oben angedeutet, nach ihrem zentralen Forschungsgegenstand kategorisiert: (1) Islambild in den deutschen Medien, (2) Islamophobie, (3) Islam und Islamismus, (4) Islam und Integration, (5) Islam und religiöse Identität und (6) Islam und Geschlecht.

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

3.1 I SLAMBILD

IN DEN DEUTSCHEN

DER

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M EDIEN

»Massenmedien filtern für die individuelle Meinungsbildung wichtige Informationen und beeinflussen auf diese Weise das Bewusstsein der Menschen, für die sich Realität zunehmend über die Rezeption von Medien erschließt.« (Butterwegge 1999: 67).

Dies gilt besonders für Phänomene, zu denen das Subjekt keinen unmittelbaren Zugang hat. Gerade für die Deutschen, die oftmals keinen direkten Kontakt zu muslimischen Gemeinden oder kaum soziale Beziehungen zu Muslimen besitzen, spielen Medien als Informationsquelle eine bedeutende Rolle. Für diesen Personenkreis sind die Medien die einzige Möglichkeit, sich ein Bild über ihre muslimischen Mitmenschen zu erschließen bzw. zu konstruieren. Welches Bild wird nun aber vermittelt und beeinflusst die Vorstellung über den Islam? Dieser Frage gehen das »Deutsch-Islamische Institut für wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit« sowie die Autoren Kai Hafez, Sabine Schiffer und Reza Yousefi nach. Mittels einer qualitativen und quantitativen Analyse untersuchte das »Deutsch-Islamische Institut für wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit« (DII) Artikel in deutschen Tages- und Wochenzeitungen zum Thema Islam und Islamismus.18 Die Themenschwerpunkte der verschiedenen Zeitungsartikel, die einen Bezug zum Islam aufwiesen, wurden gesammelt, analysiert und dann verschiedenen Kategorien wie z. B. »Kindergarten«, »Feiertage«, »Terror« usw. zugeordnet (vgl. DII 2001). Als quantitatives Ergebnis wurde festgestellt, dass es vor allem nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 zu einem explosionsartigen Anstieg der Artikel über den Islam kam. In diesem und in den zwei darauf folgenden Monaten wurden knapp 60% aller Artikel verortet. Speziell in den Kategorien »Veranstaltungen«, »Terrorismus«, »Islamisten« und »Kalif« wurde ein starker Anstieg gemessen. Die Qualität der Berichterstattung zeigt ein ambivalentes Bild. Ungefähr 30% der analysierten Artikel fokussierten auf den kritischen Dialog der Kulturen oder auf die Begegnungen zwischen muslimischen Migranten und Einheimischen. »Auffallend ist die Tatsache,

18 Die Studie begann im Jahr 2000 und musste im Jahr 2001 aufgrund der extrem gestiegenen Anzahl der Artikel und der geringen Personalkapazität beendet werden.

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dass es nach dem 11. September einige Stimmen gab, die nicht nur, wie bis dahin üblich, Dialog forderten, sondern ausdrücklich von kritischem Dialog sprachen und vor blauäugigem Dialog warnten.« (DII 2001: 2). In der Kategorie des »islamistischen Terrorismus« stellen die Forscher heraus, dass in den Artikeln häufig eine Verbindung zwischen den Begriffen Terror und Islam hergestellt wurde, was den Eindruck erweckt, beide Begriffe seien komplementär und bildeten eine Art Symbiose. Ferner wurden in vielen Fällen Behauptungen aufgestellt, wonach der Islam kausale Ursache für die terroristischen Anschläge sei. Des Weiteren waren die untersuchten Berichterstattungen von Verallgemeinerungen geprägt und durch Begriffe wie Fundamentalismus, Islamismus etc. gekennzeichnet. Es wird davon ausgegangen, dass »sich hier die tiefer gehende Problematik einer Gesellschaft widerspiegelt, die nicht weiß, wie sie mit einer Religion und ihren Anhängern umgehen soll, für die ihr Glauben Rechtleitung in allen Bereichen des Lebens bedeutet.« (DII 2001: 6). Während in allen gebildeten Kategorien Zeitungsartikel mit antiislamischen Zügen zu finden sind, zeigt sich eine spezielle Islamfeindlichkeit in der Kategorie »Islam-Allgemein«. Hier finden sich nach Angabe der Forscher generalisierende Aussagen und Stereotype. Dabei zeigt sich: »Je weiter weg Journalistinnen und Journalisten sich vom tatsächlich erlebten Islam in der Nachbarschaft bewegen, je weniger sie über direkten Kontakt mit Muslimen berichten, desto unsachgemäßer werden die Aussagen, desto wilder die Urteile. Mit dem Abstraktionsgrad steigt die negative Beurteilung der Religion des Islam.« (DII 2001: 8).

Nach den Ergebnissen der Studie waren die Qualitätszeitungen zwar bemüht, die Thematik »Islam« sachlich aufzubereiten, jedoch gelang es ihnen nicht immer. Vor allem die Kombination von bestimmten, negativ besetzten Inhalten (z.B. »Unterdrückung der Frau«) mit eigentlich neutralen Bildern (verschleierte Frauen) führt zu Stereotypisierung und wird deswegen kritisiert. Ein Grund dafür ist, dass auch die Qualitätszeitungen versuchen, ein Massenpublikum durch einfache und pauschalisierende Berichte anzusprechen. Qualitativ hochwertige Berichte, die sich der Thematik differenziert und auf einem hohen Niveau nähern, sind nur in seltenen Fällen auszumachen.

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

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Der Kommunikationswissenschaftler Hafez nähert sich der Darstellung des Nahost- und Islambildes in deutschen Zeitungen und Zeitschriften mit Hilfe eines sozial- und kulturwissenschaftlichen Rekonstruktivismusansatzes. Seine Langzeituntersuchung19 basiert dabei auf einer qualitativen inhaltsanalytischen Methode (vgl. Hafez 2002). Der Autor stellt heraus, dass seit der iranischen Revolution in den Jahren 1978/ 79 das Interesse am islamisch-orientalischen oder islamisch-türkischen Fremdheitsbild in den Printmedien wächst, wobei sich die Berichterstattung hauptsächlich auf den politischen Islam konzentriert und dabei (immer noch) die kulturellen Unterschiede zwischen »dem Westen« und »den Muslimen« sowie Gewalt, Kriege und Konflikte in muslimischen Staaten in den Mittelpunkt stellt (vgl. Hafez 1999: 132). Zwischen einem Drittel und der Hälfte der untersuchten Berichte besitzen demnach einen sehr negativen Charakter. Dieser Negativismus in den hier untersuchten Printmedien, der mit einer Unterbewertung positiver Aspekte des Islams einhergeht, überschreitet ein solches Maß, dass Hafez von einem Grenzfall der Konfliktperspektive spricht (vgl. Hafez 2002: 296). »There is a strong tendency in Western mass media to characterize Islam as a fanatic and violent religion cutting-off hands, repressing women, and representing a clear antagonism towards Western ideas of freedom, human rights and democracy.« (Hafez 2000: 5).

Im Speziellen wird kritisiert, dass eine generelle Einheit von Religion und Politik durch die Medien vermittelt wird, so dass politische Handlungen entweder religiös gedeutet werden oder ihnen eine religiöse Motivation unterstellt wird (vgl. Hafez 2002: 300). Außerdem wird die Sicht auf den Islam durch eine Konzentration auf radikalen Islamismus oder Terrorismus eingeengt, was den Eindruck erzeugt, der Islam sei ausschließlich kriegerisch und mit den modernen westlichen Vorstellungen niemals vereinbar (vgl. Hafez 1999: 125). Kulturelle, theologische wie auch Alltagsaspekte bleiben hingegen meist unberücksichtigt, was zur Folge hat, dass ganze zivilgesellschaftliche Informationsbereiche (beispielsweise Geschichte, So-

19 Ausgewertet wurden Zeitungen und Zeitschriften ab dem Zweiten Weltkrieg bis zum Jahr 1995.

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ziales, Umwelt), die sich als erkenntnis- und verständnisfördernd erweisen könnten, marginalisiert oder sogar vollständig ausgeblendet werden. Auch wird der Islam in den Medien als Gegenmodell zu dem westlichen Wertesystem (z. B. Individualismus, Freiheit und Gleichheit etc.) inszeniert, wobei den Muslimen gleichzeitig eine Lernfähigkeit und Wandelbarkeit, auch bezüglich einer Hinwendung zu diesen Werten, abgesprochen wird. Die Medien werfen Muslimen häufig Irrationalität oder sogar Fanatismus vor, was die Idee des Islam als Gegenkultur weiter zementiert, da der Anschein erweckt wird, dass er mit anderen Kulturen und Religionen nicht kompatibel sei. Hinzu kommt, dass muslimische Frauen als unmündige Wesen und Opfer des Islams dargestellt werden. Ihnen wird meist die Fähigkeit eines aktiven und politischen Handelns abgesprochen. In vielen Medienberichten wird die politische Führung muslimischer Länder mit ihrer Bevölkerung gleichgesetzt, was dazu führt, dass staatliche Konflikte »islamisiert« und auf die muslimische Bevölkerung generalisiert werden (vgl. Hafez 2002: 301f). Das Bild des Islams und seiner Anhänger ist damit in manchen Bereichen mit dem Bild der Juden im 19. bzw. 20. Jahrhundert in Deutschland vergleichbar. »Wie Juden früher sind Muslime gegenwärtig dem Verdacht ausgesetzt, über eine Ideologie – den Islam, insbesondere den politischen Islam – zu verfügen, die sie zur Vernichtung der westlichen Kultur oder zur Eroberung des christlichen Abendlandes einsetzen.« (Hafez 1999: 129).

Diese Form der Islamdarstellung ist kein Einzelfall, sondern ein nahezu flächendeckendes Phänomen in der deutschen Presselandschaft (vgl. Hafez 1996: 432). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer (vgl. Schiffer 2004; 2005). Sie untersucht, wie bestimmte Eindrücke durch den Konsum von Medienberichte zustande kommen, wie mediale Wahrheiten produziert und auf welche Weise Informationen über den Islam vermittelt werden. Nach den Ergebnissen ihrer Studie ist das primäre Problem der Islamberichterstattung, dass die Medien selten zwischen Islam, Islamismus und islamistischem Terrorismus unterscheiden. Infolgedessen entsteht in der Öffentlichkeit ein negatives Islambild:

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»In weiten Kreisen der nichtmuslimischen deutschen Bevölkerung herrscht ein Negativbild über den Islam vor, das durch wenig konkrete Sachkenntnis über Kultur und Religion sowie die geo-politischen Verhältnisse in der so genannten islamischen Welt geprägt ist, sondern vornehmlich aus emotionalen Komponenten besteht. Neben Gewaltassoziationen herrschen zudem stereotype Vorstellungen über das Frauenbild vor sowie die Idee von Rückschrittlichkeit und Weltmachtstreben bis hin zum Empfinden eines starken Bedrohungspotentials von Seiten des Islams.« (Schiffer 2005: 4).

Nach Schiffer scheint dieses Bild vor allem auch durch die Vermittlung von Halbwissen gestützt zu werden. So werden ihren Ergebnissen zufolge meist nur solche Themen (z.B. Frauenrechte im Islam, Selbstmorde) aufgegriffen, die eine hohe Einschalt- oder Leserquote garantieren, während gleichzeitig andere Fakten oder Erklärungsansätze ausgeblendet werden (vgl. Schiffer 2005: 35ff). Als Beispiel nennt sie den Israel-Palästina-Konflikt, der oft als religiöser Konflikt dargestellt wird ohne auf die historischen Hintergründe oder auf die allgemeine Lebenssituation der Betroffenen hinzuweisen (vgl. Schiffer 2005). Darüber hinaus kommt es zu Verallgemeinerungen. So wird beispielsweise im Fall der Muslima ein Bild der unmündigen Frau vermittelt, während widersprechende Fakten als Ausnahme abgetan werden. Gerade das Kopftuch gelte als Symbol der Unterdrückung. »Es genügt bereits, eine verschleierte Muslima über den Bildschirm huschen zu lassen oder sie in einem Text zu erwähnen, um alle damit in Verbindung gebrachten Assoziationen auftauchen zu lassen. Damit ist dem Diskurs über den Islam ein sehr argumentations-ökonomisches Mittel gegeben, die gesamte Kultur als negativ zu identifizieren, ohne dies begründen zu müssen.« (Schiffer 2005: 85)

Diese Stereotypisierungen und Verallgemeinerungen von Muslimen machen es für die Betroffenen sehr schwierig, die verzerrte Darstellung ihrer selbst aufzubrechen. Wie Hafez (s. oben) stellt auch Schiffer Ähnlichkeiten zwischen der Darstellung und der Diskussion über den Islam mit der antisemitischen Berichterstattung im 19. Jahrhundert fest, da Mitglieder des muslimischen Glaubens auch durch die Medien entmenschlicht werden (vgl. Schiffer 2005: 237). Die negative Darstellung des Islams ist nach der Kommunikationswissenschaftlerin nicht erst seit dem 11. September 2001 festzustellen, sondern hat schon früher begonnen.

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Zusammenfassend weist die Autorin darauf hin, dass es zu einem Zusammenspiel zwischen Meinungsbildung und Mediendarstellungen kommen kann. Dabei gelten die publizistischen Grundsätze »veröffentlichen ist überzeugen« und »wiederholen ist beweisen«, was dann zu Halbwahrheiten und zu Stereotypenbildung über Muslime in der Gesellschaft führt (vgl. Schiffer 2005: 238). »So nährt die Summe der Einzelfälle, die pars-pro-toto als Gruppenphänomen wahrgenommen werden, die Vorstellung einer Bedrohung durch die Mitglieder der islamischen Gemeinschaft, der Merkmale der Zivilisation abgesprochen wird.« (Schiffer 2005: 240).

Wie bei Schiffer nehmen auch bei Yousefi und Braun die Massenmedien eine zentrale Rolle bezüglich der Vermittlung von Wissen und Informationen ein. Allgemein gehen die Autoren davon aus, dass ein »Feinbild Islam« durch die Medien konstruiert wird (vgl. Yousefi/ Braun 2005: 139). Dies geschehe in manchen Fällen aufgrund schlecht ausgebildeter Journalisten, die aus islamischen Ländern berichten, jedoch kaum Kenntnisse über den Islam bzw. über die kulturellen Eigenheiten des Landes besäßen. Vor allem die Tatsache, dass die Medien dem Prinzip der Gewinnmaximierung unterworfen sind, führt nach Yousefi zu einer Fokussierung auf Konflikte und Krisen. Damit rücken gerade Ereignisse, die in die Deutungskategorie »Kampf der Kulturen« eingeordnet werden können – etwa die Golfkriege, die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder der Palästina-IsraelKonflikt – in den Mittelpunkt der Berichterstattung und drängen andere Bilder über den Islam, beispielsweise das Alltagsleben von Muslimen, in den Hintergrund. Nicht nur die verkürzte Darstellung der Realität, sondern auch die unreflektierte Verwendung von Begrifflichkeiten wie beispielsweise »Islam« und »Koran« wird kritisiert. Solche Begriffe werden nicht mehr wertneutral gebraucht, sondern häufig in einen Kontext von Krieg, Unterdrückung und Terrorismus gestellt (vgl. Yousefi et al. 2005: 153ff). Hinzu kommt, dass angeblich religiöse Werte verallgemeinert und in Kontrast zu westlichen Geltungen positioniert werden, was das Bild eines einheitlich aggressiven Islam erhärtet. Zugleich werden die ethnische und religiöse Vielfältigkeit des Islams unterschlagen und die Glaubensrichtung dadurch homogenisiert (vgl. Yousefi et al. 2005: 146). Ständige Wiederholungen konstruieren eine

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DER

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Wahrheit, die sich nicht auf Fakten, sondern auf Verallgemeinerungen stützt. Dieses Phänomen ist nicht nur ein Kennzeichen der so genannten »Regenbogenpresse«, sondern auch der »Qualitätspresse«, des Fernsehens und der populärwissenschaftlichen Literatur. Zwar zieht der Autor kein direktes Fazit, aber eine allgemeine Kritik an der Darstellung des Islams in der deutschen Presselandschaft wird deutlich artikuliert. Die Medien vermitteln seiner Einschätzung nach den Eindruck, dass Gewalt eine anthropologische Konstante des Islams sei und dass Muslime eine problembehaftete Gruppe darstellen. »Dass das in den Medien gepflegte Islambild eine Islamophobie, d.h. eine Furcht vor dem Islam nach sich zieht, ist gewollt.«(Yousefi et al. 2005: 152). Die hier vorgestellten Studien zur Medienberichterstattung gelangen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass ein negatives Image des Islams und der Muslime vermittelt wird. Demnach kommt es zu Verallgemeinerungen und Stereotypisierung. Auch weisen die Autoren darauf hin, dass der Islam häufig mit Konflikten, Terrorismus und unmündigen Muslima in Zusammenhang gebracht wird; auf lokaler Ebene kann von einer Art »Negativismus« gesprochen werden (vgl. Weiß 1994). Dieses Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die lokale Presse oder die so genannte Regenbogenpresse, sondern zieht sich wie ein roter Faden auch durch die qualitativ anspruchsvollen Medien.20 Pinn geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass das von den Medien transportierte negative Bild der Muslime in Deutschland auf der einen Seite zu Islamophobie und auf der anderen Seite zu einem Rückzug der Muslime in fundamentalistische Gruppen führen kann (vgl. Pinn 1997).

3.2 E INSTELLUNGSDATEN

ZUM I SLAM

Die folgenden Ergebnisse basieren auf Daten der empirischen Sozialforschung in dem Themenbereich, der hier als »Islamophobie« umrissen werden soll. Es wird versucht, auf der Grundlage der hier zusammengefassten

20 Auch wenn die Studien die Medienberichterstattung heftig kritisieren, muss darauf hingewiesen werden, dass besonders Fernsehsender wie 3Sat und Arte oder Radiosender wie Deutschlandfunk häufig sehr differenzierte Filme und Dokumentationen ausstrahlen, die diesen Ergebnissen widersprechen.

38 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND?

Untersuchungen herauszuarbeiten, wie ein im europäischen und deutschen Raum gängiges Islambild aussieht. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass zu diesem Themenkomplex keine kontinuierliche, einheitliche und systematische Datenerfassung existiert. Infolgedessen wird auf verschiedene Untersuchungen zurückgegriffen: auf europäischer Ebene auf die Daten des EUMC (The European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia), der »Internationalen Helsinki Föderation für Menschenrechte« (IHF), der »GFK-Studie (Growth from Knowledge)«, des »Pew Global Attitudes Project 2005« und »2006«, auf deutscher Ebene auf die Studien des »Allensbacher Instituts«, die Studie von Heitmeyer (Deutsche Zustände) und die der »Forschungsgruppe Wahlen«. Das EUMC hielt es nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 für notwendig, die Einstellungen gegenüber Muslimen zu untersuchen (vgl. EUMC 2001). Die Daten stammen aus den Länderberichten der unterschiedlichen EU-Staaten. Es zeigt sich, dass in den meisten EU-Staaten lediglich eine geringe Zahl tätlicher Angriffe gegen Muslime zu verzeichnen war. Ausnahme bildeten hierbei Dänemark und die Niederlande. Aus den meisten Ländern wird jedoch von zahlreichen verbalen Attacken berichtet (Beleidigungen, direkte verbale Angriffe usw.). Die Ergebnisse scheinen darauf hinzudeuten, dass immer noch eine große Kluft zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung besteht. »Most assessments of current situation come to the conclusion that Muslims see themselves confronted with an increased subliminal mistrust by the German population.« (EUMC 2002: 19). Muslime verweisen in diesem Zusammenhang auf die Tatsache, dass sie sich permanent aufgefordert fühlen, ihre Missbilligung des islamistischen Terrorismus zum Ausdruck zu bringen. Neben diesen negativen Aspekten zeigt sich aber bei Teilen der einheimischen Bevölkerung in Europa auch ein neues Interesse an der fremden, islamischen Kultur. Es kam beispielsweise zu einer Vielzahl von öffentlichen Diskussionen, zu Neuauflagen von Büchern und zu Tagungen. Auch nach den Anschlägen in London im Jahr 2005 veröffentlichte das EUMC einen Bericht über deren Auswirkungen auf muslimische Gemeinden in Europa (vgl. EUMC 2005). Darin wird festgestellt, dass es in der EU zu einer nur relativ geringen Anzahl von Übergriffen kam. Ausnahme sind

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

DER

FORSCHUNG | 39

verschiedene Teile Großbritanniens.21 Die vom EUMC im Mai 2005 gesammelten Datenerhebungsberichte wurden im Jahr 2006 auf den neuesten Stand gebracht, indem im November 2005 und im Januar 2006 zusätzliche Daten und weiteres Material einbezogen wurden. Die gesammelten Daten auf EU-Ebene zeigen, dass Muslime Vorurteilen und Hass ausgesetzt sind, deren Auswirkungen von verbalen Drohungen über Sachbeschädigungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen auf Personen reichen. In Deutschland kam es beispielsweise zu gewalttätigen Übergriffen auf Imbissstände, die von Muslimen betrieben wurden oder zu Angriffen auf Moscheen (vgl. EUMC 2006: 83). Kritisiert wird weiter, dass viele junge Muslime von der Gesellschaft ausgeschlossen und diskriminiert werden, was bei ihnen zu Resignation und Entfremdung führen kann. Die Daten offenbaren außerdem, dass Muslime überproportional in Wohnvierteln mit schlechten Bedingungen leben und ihr Bildungsstand unter dem Durchschnitt liegt, während die Arbeitslosenquote überproportional hoch ist. Auch sind sie in den schlechter bezahlten Wirtschaftzweigen vergleichsweise häufig vertreten und üben häufig Berufe aus, für die eine geringe Qualifikation ausreichend ist (vgl. EUMC 2006: 9f). Zu kritisieren ist, dass die Aussagen des EUMC zumeist auf Näherungsdaten basieren, da Muslime wie auch andere religiöse Gruppen statistisch nicht ausreichend erfasst werden. Weiter handelt es sich meist um inoffizielle Zahlen (Zeitungsartikel, Interviews), die erheblich variieren und keine verallgemeinernden Aussagen zulassen. Nichtsdestoweniger können diese Zahlen – vorsichtig interpretiert – Tendenzen aufzeigen. Die Nichtregierungsorganisation »Internationale Helsinki Föderation für Menschenrechte« (IHF) veröffentlichte im Jahr 2005 einen Bericht über die Diskriminierung von und Intoleranz gegenüber Muslimen. Ihre vorgestellten Daten basieren auf »[...] second-hand information, including statements by Muslim and antiracist groups, material published by international human rights organizations and monitoring bodies, research findings, media reports and official documents.« (IHF 2005: 6). Die Studie geht von einer Zunahme von Feindseligkeiten und erhöhtem Misstrauen gegenüber Muslimen in der EU aus. Viele Muslime erfahren eine Stigmatisierung aufgrund ihrer Religion. In Deutschland wird von verba-

21 Großbritannien ist das einzige Land der EU, welches Kriminalstatistiken veröffentlicht, die Muslime gesondert als Opfer ausweist.

40 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND?

len wie auch physischen Übergriffen auf Muslime und islamische Einrichtung berichtet. Sowohl der Umgang der bundesdeutschen Regierung mit den islamischen Organisationen oder mit muslimischen Mitbürgern nach dem 11. September 2001 als auch die Medienberichterstattung wird anhand des vorliegenden Datenmaterials kritisiert (vgl. IHF 2005: 77f). Aber auch hier muss angemerkt werden, dass das Datenmaterial nicht repräsentativ ist, sondern auf einzelnen Beispielen basiert und damit kein eindeutiges Bild über die Situation liefern kann. Der Growth from Knowledge (GfK) Custom Research stellte im Jahr 2004 21.102 Personen in 21 verschiedenen Ländern die Frage: »Wie schätzen Sie die heutzutage bestehende Ablehnung gegenüber Muslimen ein, die in der europäischen Gesellschaft leben?« (vgl. GFK 2004) Die Autoren der Umfrage merken an, dass über 50% der befragten Westeuropäer glauben, dass Muslime, die in europäischen Gesellschaften leben, eher abgelehnt werden. Außerordentlich groß ist die Einschätzung der Ablehnung in Schweden (75%) und in den Niederlanden (72%). In Belgien, Dänemark, Österreich und der Schweiz stimmen zwei von drei Befragten dieser Ansicht zu. In Deutschland sind es ca. 61%, die davon ausgehen, dass Muslime abgelehnt werden. Briten und Befragte aus Zentral- und Osteuropa sehen die Lage der Muslime am positivsten. Anzumerken ist, dass aufgrund der eher allgemeinen Fragestellung lediglich indirekt auf die Akzeptanz der Muslime geschlossen werden kann, da die Einstellung der Befragten nicht direkt ermittelt wird. Die Umfrage zeigt jedoch, dass die Interviewten zum großen Teil davon ausgehen, dass Muslime grundsätzlich benachteiligt werden. Das »Pew Global Attitudes Project« untersuchte unter anderem die Einstellungen von Mitgliedern der vier größten Religionen (Christentum, Islam, Judentum und Hinduismus) zueinander. Einen Schwerpunkt bildeten hierbei die Einschätzung der Gewaltbereitschaft der unterschiedlichen Anhänger dieser Religionen und die Angst vor islamistischem Terrorismus. Dabei wurden 17.766 Menschen in 17 unterschiedlichen Staaten befragt. Darunter befanden sich auch fünf europäische Staaten inklusive Deutschland. Bei der Frage, wie sympathisch die Muslime eingeschätzt werden, zeigt sich, dass speziell die Niederländer und die Deutschen ein negatives Islambild besitzen (vgl. Tabelle 1). Die befragten Briten vertreten hingegen eine positivere Einstellung. Ein Grund dafür ist wahrscheinlich der Zeitpunkt der Durchführung der Untersuchung: Sie wurde vor den Anschlägen

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

DER

FORSCHUNG | 41

auf die öffentlichen Verkehrsmittel in London erhoben. Die Auswirkungen der Anschläge auf die Meinungsbildung wurden damit nicht mehr erfasst. Die bereits zitierte Studie des EUMC weist allerdings darauf hin, dass es nach den terroristischen Übergriffen im Jahr 2005 zu einem drastischen Anstieg von Feindseligkeiten in Großbritannien kam (vgl. EUMC 2005). Ein Grund für die negative Meinung über die Muslime in den Niederlanden könnte mit dem Anschlag auf den Regisseur Theo van Gogh, zusammenhängen, der vor dem Zeitpunkt der Erhebung von einem jungen Muslim erstochen wurde. Tabelle 1: Positives bzw. negatives Meinungsbild zu Muslimen in ausgewählten westlichen Staaten Positive Meinung über Muslime (very and somewhat favorable)

Negative Meinung über Muslime (somewhat and very unfavorable)

Großbritannien

72%

14%

Frankreich

64%

34%

Polen

46%

30%

Spanien

46%

37%

Niederlande

45%

51%

Germany

40%

47%

Länder

Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Pew Global Attitudes Project 2005. S. 11.

Zusätzlich wurde gefragt, welche der drei Religionen Gewalt am ehesten legitimieren. Hierbei wird ersichtlich, dass besonders die christlich geprägten Staaten den Islam als besonders aggressiv empfinden. Von allen Befragten aus den untersuchten EU-Staaten, die der Meinung waren, Religionen besäßen Gewaltpotential, geht ein Großteil davon aus, dass der Islam die gewalttätigste der vier Religionen ist. Auch hier zeigt sich, dass die befragten Niederländer (88%) ein sehr negatives Bild von Muslimen besitzen,

42 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND?

was – wie bereits erwähnt – mit dem Anschlag auf van Gogh zusammenhängen könnte. Obwohl es in Deutschland bisher noch keinen islamistischen Anschlag gab, gehen auch hier 79% davon aus, dass Anhänger der muslimischen Glaubensrichtung eher zu Gewalt neigen (vgl. Tabelle 2).22 Nach dem Anschlag in London und dem Karikaturenstreit kam es im Jahr 2006 zu einer weiteren Erhebung durch das »Pew Global Attitudes Project«. Diesmal wurden 14.030 Menschen in 13 unterschiedlichen Staaten befragt, unter denen sich Spanien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland befanden. Bei dieser Auflage der Befragung führte man eine Quotierung des Muslim-Anteils unter den Befragten durch, was es erlaubte, die Einstellungen der in den untersuchten Ländern lebenden Muslime abzubilden. Tabelle 2: Einstellungsdaten zur Vereinbarkeit von Islam und Gewalt in ausgewählten westlichen Staaten Länder

Ist der Islam gewaltsam?

Niederlande

88%

Frankreich

87%

Spanien

81%

Deutschland

79%

Polen

77%

Großbritannien

63%

Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Pew Global Attitudes Project 2005. S. 12.

Im Allgemeinen wird das Verhältnis zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den Muslimen von allen Beteiligten als eher schlecht bewertet (vgl. Pew Global Attitudes Project 2006: 47), wobei in Deutschland insgesamt 39% der nicht-muslimischen Befragten den Muslimen, 17% den Einheimischen und 27% beiden Seiten die Schuld für diese Situation zusprechen.

22 In den muslimischen Staaten gelten hingegen die Juden als sehr gewaltbereit.

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

DER

FORSCHUNG | 43

Die Schuldfrage sehen die Mitglieder der in Deutschland lebenden muslimischen Gemeinschaft gegensätzlich: 6% weisen den Muslimen, 46% den Einheimischen und 35% beiden Seiten die Schuld zu (vgl. Pew Global Attitudes Project 2006: 47). Bezüglich der Frage, ob sich modernes westliches Leben und muslimischer Glaube vereinbaren lassen, legen die untersuchten Deutschen von allen befragten Europäern die größte Skepsis an den Tag (vgl. Tabelle 3). Für sie scheint festzustehen, dass muslimische Werte, Regeln und Verhaltensmuster mit modernen Lebensweisen nicht in Einklang gebracht werden können.23 Tabelle 3: Einstellungsdaten zur Unvereinbarkeit von Islam und modernem Leben in ausgewählten westlichen Staaten Nation

Ja

Nein

Spanien

58%

36%

Großbritannien

54%

34%

Frankreich

26%

74%

Deutschland

70 %

26%

Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf Pew Global Attitudes Project 2006. Anlehnung an die Grafik auf S. 49.

Hinzu kommt, dass die meisten befragten Deutschen mit Muslimen eher negative Aspekte wie Gewalt, Fanatismus, Intoleranz und Frauenfeindlichkeit assoziieren. Positive Attribute wie beispielsweise Großzügigkeit finden bei der Bewertung des Islams kaum Berücksichtigung. Wie die Tabelle 4 verdeutlicht, gehen knapp 85% davon aus, dass Muslime streng gläubig sind. Knapp 78% der befragten Deutschen sehen Muslime als fanatisch und 52% bringen mit Anhängern des islamischen Glaubens Gewalt in Verbindung. Positive Aussagen über Muslime sind von allen untersuchten EUStaaten in Deutschland und Spanien am geringsten ausgeprägt. So sind nur

23 57% der Muslime sehen keinen Widerspruch zwischen Moderne und Islam.

44 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND?

21% der befragten Deutschen der Meinung, dass Muslime tolerant sind und wiederum 17% schreiben den Muslimen respektvolle Haltung gegenüber Frauen zu. Im Vergleich dazu zeigt sich trotz der Anschläge in Großbritannien und den gewalttätigen Auseinandersetzungen in den »banlieues« in Frankreich, bei denen auch Muslime beteiligt waren, ein eher positives Islambild. Tabelle 4: Einstellungsdaten nach ausgewählten Charaktereigenschaften in ausgewählten westlichen Staaten

Spanien

Großbritannien

Frankreich

Deutschland

großzügig

29%

34%

63%

40%

gewalttätig

60%

32%

41%

52%

fanatisch

83%

48%

50%

78%

streng gläubig

86%

84%

69%

85%

Toleranz

20%

35%

45%

21%

Respekt gegenüber Frauen

12%

26%

23%

17%

Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Pew Global Attitudes Project 2006. Anlehnung an die Grafik von S. 51.

Die Einstellungen zu Muslimen in den europäischen Ländern sind sehr heterogen. Während in Frankreich und Großbritannien der Islam nicht ausschließlich negative Assoziationen hervorruft, werden in Spanien und Deutschland überwiegend negative Verknüpfungen herausgestellt. In Spanien könnte das auf den islamistischen Anschlag am 11. März 2004 in Madrid zurückgeführt werden, bei dem viele Menschen starben. Hier scheint es daher zu einer Sensibilisierung der Befragten gekommen zu sein. Obgleich in der Zeit der Befragung in Deutschland kein islamistischer Anschlag stattfand, besitzen die Befragten auch hier ein eher negatives Bild vom Islam. Gründe dafür könnte der Karikaturenstreit sein, der in den Me-

3. I SLAM IM BLICKPUNKT

DER

FORSCHUNG | 45

dien einen großen Platz eingenommen hat, oder der geringe Kontakt zwischen den verschiedenen Religionsgruppen an sich. Aber auch die negative Berichterstattung über den Islam, die in Kapitel 3.1 dargestellt wurde, könnte einen Einfluss auf die Befragten gehabt haben. Bisher wurden nur Studien vorgestellt, die Einstellungsdaten im europäischen Kontext erhoben haben. Im folgenden Abschnitt rücken nun ausschließlich auf Deutschland bezogene Untersuchungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. So führte beispielsweise das Allensbacher Institut in den Jahren 2004 und 2006 im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mündliche, repräsentative Umfragen zur Einstellung der Deutschen gegenüber dem Islam durch. Dabei stellten die Forscher fest, dass 61% nicht an eine friedliche Koexistenz zwischen Christen und Muslimen glauben, 56% sprechen sogar von einem Kampf der Kulturen (vgl. Noelle/ Petersen 2006: 5). Auch bei der Frage, welche Eigenschaften den Islam prägen, werden hauptsächlich negative Aspekte genannt (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1: Meinungsdaten zum Islam nach zugewiesenen Attributen in Deutschland in %

Wenn Sie das Wort »Islam« hören, woran denken Sie?

0

20

40

60

80

100

93

Unterdrückung der Frau

83

Terror

82

Fanatisch, radikal

70

Gefährlich

66

Rückwärtsgewandt

45

Gastfreundschaft

39

Bedeutende kulturelle Leistungen

16

Faszinierend

12

Nächstenliebe Offenheit/ Toleranz

6

Sympathisch

6

Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach nach Noelle 2004. S. 5.

46 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND?

Die Abbildung 1 macht deutlich, dass ein großer Prozentsatz der Interviewten den Islam als grundsätzlich negativ, wenn nicht gar als Bedrohung empfindet: Der Islam führt nach Meinung der Befragten zur Unterdrückung der Frau (93%); er unterstützt den Terrorismus (83%); er ist radikal (82%) und gefährlich (70%). Erst an sechster Stelle erfolgt die Nennung einer positiven Assoziation, nämlich die Gastfreundschaft (45%). Der Behauptung, dass der Islam bedeutende kulturelle Errungenschaften hervorgebracht hat, stimmen 39% der Befragten zu. Die Aussagen, dass der Islam faszinierend ist (16%) sowie dass er Nächstenliebe (12%) und Offenheit (6%) postuliert, erhalten nur von einer Minderheit Zustimmung. Sympathisch finden den Islam nur 6% (vgl. Noelle 2004: 5). Damit wird hier das Ergebnis der vorangegangenen Studien nochmals bekräftigt. Es scheint, dass die befragten Deutschen den Islam eher als eine feindselige und antidemokratische Religion bewerten, welche besonders die Rechte der Frauen beschneidet. Auch Heitmeyer geht in seiner repräsentativen Untersuchung der Frage nach, welche Einstellungen die Deutschen zum Islam besitzen (vgl. Leibold/ Kühnel/ Heitmeyer et al. 2006; Leibold/ Kühnel 2007). Hierbei ist es möglich, Daten aus den Jahren 2003 bis 2005 miteinander zu vergleichen. Der Studie zufolge hat sich in diesen drei Jahren die generelle Ablehnung gegenüber Muslimen kaum verändert. Der Anteil der Befürworter einer Zuwanderungsregulierung von Muslimen sank von 26,5% auf 24,3%. Der Anteil derjenigen, die sich durch Muslime fremd im eigenen Land fühlen, stieg hingegen leicht an (2003: 31%; 2005: 34%) (vgl. Leibold et al. 2006: 4). Deutsche scheinen der muslimischen Kultur eher skeptisch gegenüber zu stehen. Auch besitzen sie selten eine differenzierte Sicht auf den Islam. Darüber hinaus gehen 60% der Befragten davon aus, dass islamistische Terroristen einen großen Rückhalt unter den in Deutschland lebenden Muslimen besitzen. Ungefähr zwei Drittel (64%) sind außerdem der Ansicht, dass islamistische Terroristen von vielen Muslimen als Helden verehrt werden. Bezogen auf das Zusammenleben zwischen islamischer Minorität und – im weitesten Sinne christlicher – Majorität, machen die Ergebnisse deutlich, dass derzeit ein großer Vorbehalt herrscht, in der Nähe von Muslimen zu leben. Die Mannheimer »Forschungsgruppe Wahlen« hat im Jahr 2006 1.306 Wahlberechtigte in Deutschland telefonisch zum Thema »Muslime in Deutschland« befragt (vgl. Forschungsgruppe Wahlen 2007). Die Interviewpartner geben mehrheitlich an, nur wenig über Muslime in Deutsch-

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

DER

FORSCHUNG | 47

land zu wissen: 61% sind der Meinung, einen weniger guten beziehungsweise überhaupt keinen guten Kenntnisstand zu besitzen. Insgesamt 37% bezeichnen sich als sehr gut bzw. gut über das Leben von Muslimen informiert. Die jüngeren Befragten, größtenteils Interviewte aus Großstädten und aus dem Westen Deutschlands, besitzen nach eigenen Angaben das umfangreichste Wissen über die hier lebenden Muslime. Bezogen auf den Bau von Gotteshäusern wird ersichtlich, dass 50% der Befragten dies prinzipiell befürworten, während 29% gegen Moscheen sind. Fast jedem Fünften (19%) ist dieses Thema egal (vgl. Forschungsgruppe Wahlen 2007). Hinsichtlich des Kopftuchs wird erkennbar, dass sich 70% nicht an muslimischen Frauen stören, die ein Kopftuch in der Öffentlichkeit tragen. Hingegen antworteten 29% aller befragten Deutschen, dass sie dieses Kleidungsstück ablehnen. Während das Kopftuch von einer breiten Masse akzeptiert wird, bezweifelt ein großer Anteil den Integrationswillen der Muslime: 79% der Befragten sind der Meinung, dass die in Deutschland lebenden Muslime einen sehr geringen Willen zur Eingliederung in die deutsche Gesellschaft zeigen. Für 10% reichen die Bemühungen der Muslime gerade aus. Im Unterschied zu den anderen hier vorgestellten Studien wird ersichtlich, dass die Befragten bezüglich des Moscheenbaus und des Kopftuchtragens doch eher eine liberale Ansicht vertreten. Dennoch zweifeln viele Deutsche am Integrationswillen der hier lebenden Muslime (vgl. Forschungsgruppe Wahlen 2007). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass viele der vorgestellten Studien zur Fremdzuschreibung nicht repräsentativ sind und zum Teil auch widersprüchliche Ergebnisse liefern. Diese fehlende und diskrepante bzw. lückenhafte Datenbasis macht es schwer, präzise oder verallgemeinernde Aussagen zu treffen. Dennoch können Tendenzen abgeleitet werden: Zum einen zeigen die Studien über die Medienberichterstattung in Deutschland, dass große Teile der Medien eine Stereotypisierung forcieren und es hier zum Teil auch zu einer Stigmatisierung von Muslimen kommt. Ferner wird der Islam besonders in der »Yellow-Press«, aber auch in der seriösen Presse, sehr häufig mit Konflikten, Terrorismus und unmündigen muslimischen Frauen in Verbindung gebracht. Zum zweiten offenbaren Einstellungsdaten, dass Deutschland im europäischen Vergleich zu den Ländern gehört, bei denen sich eine ausgeprägte »Islamophobie« der Befragten diagnostizieren lässt. Der Islam wird über-

48 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND?

wiegend als frauenfeindlich, gewalttätig, intolerant und als Religion wahrgenommen, die mit einem modernen, westlichen Leben nicht in Einklang zu bringen ist. Muslime gelten als gewalttätig und fanatisch.24 Alle hier vorgestellten Studien deuten darauf hin, dass Muslime durch einen großen Teil der christlich geprägten Gesellschaft in Deutschland eine Abwertung ihres religiösen Kapitals erfahren und dass es in der Folge zu Ausgrenzungen und Benachteilungen kommt: »Unterstützt wird Deprivation [...], wenn diese (die Migranten) sich in einem Kulturkonflikt zwischen der Herkunfts- und Aufnahmekultur befinden und in einem Identitätsdilemma stehen bzw. in einer Identitätsdiffusion befinden, sich weder der einen noch der anderen Gesellschaft zugehörig fühlen (kulturelle Marginalisierung).« (Sauer 2003: 65).

3.3 I SLAM

UND I SLAMISMUS

Nach den terroristischen Anschlägen in den USA, Großbritannien sowie dem Irak und auch den vereitelten islamistischen Attentaten in Deutschland wird der Islam in den Medien häufig mit Konflikten in Verbindung gebracht (vgl. Kapitel 3.2). Vor diesem Hintergrund gehen Wissenschaftler der Frage nach, welche Auswirkung eine religiöse Identität auf das Konfliktpotential der Muslime besitzt. Es wird untersucht, wie groß das Gewaltpotential von Muslimen ist und welche Gefahr von gläubigen Muslimen in Deutschland ausgeht.

24 Ein Hauptgrund dafür könnte der fehlenden Kontakt zwischen Muslimen und Einheimischen und das daraus resultierende geringe Wissen über den Islam sein. So zeigen beispielsweise die Zahlen des Sozioökonomischen Panels (SOEP), dass sich unter den drei besten Freunden der befragten Muslime weniger als ein deutscher Freund (0,7) befindet. Dieser Wert ist von 1988 bis 2001 fast konstant geblieben. Der Zuwachs beträgt gerade 0,1 Personen (vgl. Leibold et al. 2006: 7). Nach der Kontakthypothese könnten aber gerade soziale Kontakte dazu beitragen, Vorurteile und Feindseligkeiten zwischen den Gruppen abzubauen (vgl. Allport 1954). Unter optimalen Bedingungen hätte der persönliche Kontakt damit »[...] einen fördernden Effekt auf den Abbau von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit.« (Dollase 2001: 19).

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

DER

FORSCHUNG | 49

Die wohl erste und wohl auch am häufigsten zitierte wie kritisierte Studie im Bereich der Islamismusforschung ist diejenige von Heitmeyer et al. aus dem Jahr 1997 (vgl. Heitmeyer et al. 1997).25 In ihrer quantitativen Umfrage unter türkischen Jugendlichen im Alter von 15 bis 21 Jahren versuchten die Forscher die Ausbreitung und Ursachen islamisch-fundamentalistischer Einstellungen in dieser Altersgruppe der türkischen Migranten zu analysieren. Heitmeyer stellt die Hypothese auf, »[...] daß ein erhebliches Ausmaß an islamzentriertem Überlegenheitsanspruch und religiös fundierter Gewaltbereitschaft [...]« (Heitmeyer et al. 1997: 183) bei jugendlichen Türken zu beobachten ist. Modernisierungsprozesse und die daraus entstehende Anomie führen zu einer Re-Islamisierung, welche wiederum das Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen in Deutschland vor eine schwere Belastungsprobe stellt (vgl. Heitmeyer et al. 1997: 191). Wie bei Heitmeyer stehen auch bei Wetzels und Brettfeld die allgemeine Bedeutung von Religion und Religionszugehörigkeit sowie der Zusammenhang zwischen religiöser Identität und Gewaltbereitschaft im Zentrum der Forschung. Die Autoren befragten in ihrer repräsentativen Studie 11.819 Schüler der 9. Jahrgangsstufe und des Berufsvorbereitungsjahrs. Das Alter der Befragten lag zwischen 14 und 17 Jahren. Die Stichprobe besteht – anders als bei Heitmeyer – aus Personen mit unterschiedlichen Nationalitäten, ethnischer Herkunft (Aussiedler, Türkei, ehemaliges Jugoslawien, Südeuropa) und Religionszugehörigkeit (katholisch, evangelisch, orthodox, jüdisch, islamisch und andere). In der Stichprobe befand sich ein Anteil von 8,3% der Jugendlichen, die einer islamischen Religionsgemeinschaft angehören (vgl. Wetzels/ Brettfeld 2003: 62). Insgesamt hat die Religion für jugendliche Muslime eine weitaus größere Bedeutung als für Jugendliche anderer Religionsgemeinschaften: 73,1% der befragten Muslime stufen ihre Religion als »wichtig« bzw. »sehr wichtig« ein (vgl. Wetzels/ Brettfeld 2003: 74), unabhängig davon, welcher ethnischen Gruppierung sie angehören und wie lange sie bereits in Deutschland leben. Abhängig ist die Einstufung hingegen vom Bildungsniveau der Eltern: Je höher die elterliche Bildung, desto geringer die Religiosität der muslimischen Jugendlichen (vgl. Wetzels/ Brettfeld 2003: 107). Weiteren Einfluss

25 Hier werden nur die Ergebnis der Erhebung kurz vorgestellt. Zur ausführlichen Kritik an der Studie vgl. Karakasoglu (1998) und Frese (2001: 32ff.).

50 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND?

hat nach Wetzels und Brettfeld die Bildung der Jugendlichen selbst. Die Autoren stellen fest, dass muslimische Jugendliche mit einer hohen Bildung weniger religiös sind als Muslime mit einem niedrigeren Bildungsstand. Hier lassen sich zudem Geschlechterunterschiede feststellen: Im Gegensatz zu den anderen Religionsgemeinschaften ist die Religiosität bei den muslimischen Jungen im Durchschnitt stärker ausgeprägt als bei muslimischen Mädchen. Letztere besuchen beispielsweise seltener ein Gotteshaus als muslimische männliche Jugendliche, während in anderen Religionsgemeinschaften ein geradezu gegenläufiger Trend erkennbar ist (vgl. Wetzels/ Brettfeld 2003: 85). Darüber hinaus stellen die Autoren heraus, dass die befragten Muslime Gewalt stärker befürworten als Jugendliche aus den anderen Religionsgruppen, so dass die Forscher davon ausgehen, dass in dieser Gruppe gewaltsames Handeln in Konfliktsituationen wahrscheinlicher ist als in anderen. »Dies scheint vor dem Hintergrund kulturell und insofern partiell auch über religiöse Traditionen beschreibbare Konzepte von Ehre und Selbstwertbehauptung mittels Gewaltanwendung erklärlich zu sein.« (Wetzels/ Brettfeld 2003: 195). Dennoch bleiben die Aussagen der Autoren in diesem Punkt bewusst vorsichtig. Sie weisen darauf hin, dass weitere Faktoren, die hier nicht explizit abgefragt wurden, einen Einfluss haben können. Auch im Jahre 2007 führten Wetzels und Brettfeld eine Studie zum Thema »Muslime in Deutschland« durch. Hier standen neben dem Religions- und Demokratieverständnis auch Integrationsfaktoren und das Gewaltpotential von Muslimen im Mittelpunkt. Die umfangreiche Untersuchung setzte sich aus folgenden Elementen zusammen: (1) qualitative Interviews mit Fokus-Gruppen, (2) standardisierte Telefonumfragen, (3) standardisierte schriftliche Befragung von jugendlichen Schülern, standardisierte schriftliche Befragung von Studierenden und (5) qualitative Befragung von religiös orientierten Muslimen im Umfeld von islamischen Organisationen und Vereinen (vgl. Wetzels/ Brettfeld 2007: 60). Zusammenfassend wurde festgestellt, dass Religion für die Identität der befragten Muslime eine große Bedeutung besitzt, auch wenn diese sich kaum in ihren religiösen Praktiken widerspiegelt (vgl. Brettfeld/ Wetzels 2007: 110f). Bezüglich des Gewaltpotentials stellten die Forscher fest, dass knapp 6% der Muslime als »[...] gewaltaffin im Sinne einer Akzeptanz massiver Formen politisch-religiös motivierter Gewalt zu kennzeichnen sind [...]« (Brettfeld/ Wetzels 2007: 494). Hinzu kommt, dass 14% der Befragten eine Distanz zu

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

DER

FORSCHUNG | 51

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und/ oder eine hohe Akzeptanz von politisch motivierter Gewalt besitzen. Hierbei ist der Anteil jedoch nicht höher als bei einheimischen Nichtmuslimen.

3.4 I SLAM

UND I NTEGRATION

Nicht nur die Studien zur Einstellung gegenüber Muslimen zeigen unterschiedliche Ergebnisse, auch unter den Wissenschaftlern selbst herrschen verschiedene Meinungen über die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit von Muslimen vor: Die Migrationsforscher Yasemin Karakasoglu und Mark Terkessidis stritten in der Wochenzeitschrift »Die Zeit« zu Beginn des Jahres 2006 öffentlich mit der Sozialwissenschaftlerin und Bestsellerautorin Necla Kelek über deren Darstellung des Islams als reaktionäre Religion (vgl. Karakasoglu/ Terkessidis 2006; Kelek 2006). Karakasoglu und Terkessidis warfen Kelek eine einseitige und klischeebeladene Interpretation des Islams als rückschrittliche, wenn nicht gar »gefährliche« Religion vor, die eine Integration in die deutsche Gesellschaft erschwere. Zudem beruhe diese Interpretation vorwiegend auf autobiographischen und damit sehr subjektiven Erfahrungen. Kelek übersehe die Kreativität muslimischer Religiosität, wie sie vor allem von Studien der neueren Islamforschung vermittelt werde. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion wurden unter der Überschrift »Islam und Integration« Studien rezipiert, die empirisch der Frage nachgehen, inwiefern sich die Muslime in Deutschland integrieren und welche Rolle dabei ihr Glauben einnimmt. Auf Basis empirischer Forschungsliteratur und der Auswertung des repräsentativen Datensatzes (EFFNATIS) über die zweite Generation türkischstämmiger und ex-jugoslawischer Migranten im Alter von 16-25 Jahren untersuchten Worbs und Heckmann den Integrationsprozess von Muslimen in die deutsche Gesellschaft (vgl. Worbs/ Heckmann 2003). Es wird also der Frage nachgegangen, inwieweit Religion die Eingliederung, d. h. Identifikation mit Deutschland oder auch das Knüpfen von sozialen Netzwerken von Muslimen fördert bzw. behindert. Die Autoren stellen in Bezug auf EFFNATIS fest, dass der Islam das Alltagsleben der Jugendlichen sehr stark prägt. »Dies äußert sich darin, dass Muslime die Bedeutung eigener religiöser Feste höher einschätzen, dass ihnen die gleiche religiöse Zugehörigkeit des Lebenspartners wichtig

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ist und dass islamische Speisevorschriften (inklusive des weitgehenden oder völligen Vermeidens von Alkohol) von der Mehrheit nach eigenen Angaben tatsächlich befolgt werden.« (Worbs/ Heckmann 2003: 148). Zudem sind die muslimischen Jugendlichen tendenziell »konservativer« in Wertfragen und besitzen ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland. Die Autoren weisen aber zu Recht darauf hin, dass die Differenzen der religiösen von ethnischen Merkmalen überlagert werden (Worbs/ Heckmann 2003: 161). Bezüglich ihrer ethnischen Zugehörigkeit besitzen ca. 50% der Befragten eine trans-ethnische Identität, d. h. sie fühlen sich sowohl dem Heimatland der Eltern als auch Deutschland zugehörig. (vgl. Worbs/ Heckmann 2003: 174). Gegenüber den muslimischen wie auch nicht-muslimischen Institutionen lässt sich, wie auch bei den Einheimischen, zum Teil eine allgemeine Skepsis feststellen. Nur 6,8% der Befragten gaben an, Mitglied in einem religiösen Verein zu sein. Im Vergleich dazu gehören 72% einem Sportverein an (vgl. Worbs/ Heckmann 2003: 153). Unterschiede zeigen sich hier hinsichtlich des Geschlechtes. Erstens besuchen muslimische Frauen seltener als die Männer Moscheen und sind auch seltener Mitglied in Vereinen jeglicher Art (vgl. Worbs/ Heckmann 2003: 210). Zweitens nehmen die Muslima öfter die deutsche Staatsangehörigkeit an oder haben einen Einbürgerungsantrag gestellt als die männlichen Muslime. Drittens lehnen sie häufiger traditionelle Rollenbilder ab und stimmen einer Scheidung zu, wenn die Ehe unglücklich ist. Viertens ist es ihnen häufiger wichtig als den männlichen Probanden dass der (Ehe-) Partner die gleiche Religion besitzt (vgl. Worbs/ Heckmann 2003: 172). Als Ergebnis stellen Worbs/ Heckmann heraus, dass bei den jungen Muslimen eine emotionale Distanz zu Deutschland vorherrscht, dass aber zugleich auch ein lokaler Patriotismus und eine pragmatische Ausrichtung auf das Leben in Deutschland bei den Jugendlichen vorzufinden sind (vgl. Worbs/ Heckmann 2003: 174). Die qualitative Studie von Öztürk geht der Frage nach, welche Rolle der Islam bei der Integration in die deutsche Gesellschaft einnimmt und ob Religiosität beispielsweise die Übernahme von Werten oder das Knüpfen von sozialen Beziehungen in Deutschland inhibiert. Hierbei steht vor allem die Religiosität von Jugendlichen im Mittelpunkt. Die befragten muslimischen Jugendlichen waren zwischen 16 und 25 Jahre alt, setzten sich zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern zusammen und gehörten eher der bil-

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dungsnahen Schicht an (vgl. Öztürk 2007). Übereinstimmend mit anderen Studien (vgl. Kelek 2002, Tietze, Frese 2002, Karakasoglu-Aydin 1999). wurde auch hier festgestellt, dass es zu einer Individualisierung des Religiösen kommt, wobei sich die befragten Jugendlichen meist zu den muslimischen Normen und Werten bekennen. Bezüglich der Integration merkt der Autor an: »Einerseits geht mit der islamischen Religiosität zwingend die Integration einher, andererseits öffnet die Integration eine Schneise zur islamischen Religiosität.« (Öztürk 2007: 255). Halm und Sauer untersuchen in ihrer Studie über die Integration von Muslimen in Deutschland, inwieweit eine (türkische) Parallelgesellschaft in NRW existiert und welche Konsequenzen solche Parallelgesellschaften für die Integration dieses Personenkreises bedeuten. Unter Parallelgesellschaft verstehen die Autoren (1) eine ethnokulturelle bzw. kulturell-religiöse Homogenität, (2) eine fast vollständige lebensweltliche und zivilgesellschaftliche Segregation sowie weitgehende Möglichkeiten der wirtschaftlichen Schließung, (3) eine nahezu komplette Verdopplung der mehrheitsgesellschaftlichen Institutionen, (4) formal freiwillige Segregation und (5) geographische oder nur sozial-interaktive Segregation. Diese spielt eine Rolle, sofern die anderen Merkmale alle erfüllt sind (vgl. Halm/ Sauer 2006: 16). Als Ergebnis stellen die Autoren fest, dass »[...] die Religiosität unter den Migranten offensichtlich im Zeitverlauf zunimmt.« (Halm/ Sauer 2006: 21). Hinsichtlich der lebensweltlichen und zivilgesellschaftlichen Segregation ergibt die Studie, dass ca. 44 % der Befragten enge freundschaftliche Beziehungen zu Deutschen (»fast täglich«: ca. 23%/ »häufig«: ca. 20%) pflegen. Ein weiteres knappes Viertel hat ab und zu Freizeitkontakt zu Deutschen (mindestens einmal im Monat) (vgl. Halm/ Sauer 2006: 21). Hier zeigt sich ein kontinuierlicher Anstieg der sozialen Kontakte. Im Bereich der zivilgesellschaftlichen Segregation zeigt sich, dass die türkische Einbindung in deutsche Vereine zunimmt. Der größte Teil der Befragten ist Mitglied in einer religiösen Gemeinschaft. Somit erfüllen türkische Organisationen eine Komplementär- und keine Dopplungsfunktion zu deutschen Angeboten. Bei der freiwilligen Segregation zeigt sich, dass die befragten Türken häufig bereits Deprivationserfahrungen gemacht haben. In Bezug auf die siedlungsräumliche Segregation wird deutlich, dass sich ethnisch verdichtete Wohnquartiere herausgebildet haben, dies aber meist nicht freiwillig geschieht. Das einzige Merkmal, welches auf parallelgesellschaft-

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liche Strukturen verweist, ist die Religion. Die anderen Daten sprechen eher dafür, »[...] dass es bei der Integration der Türkeistämmigen eher an Möglichkeiten als am Willen der Betroffenen fehlt.« (Halm/ Sauer 2006: 24). In der repräsentative Studie von Sonja Haug et al. (vgl. Haug et al. 2009) wurden im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz ca. 6.000 Personen telefonisch interviewt. Ziel der Untersuchung war es, Aussagen über die Struktur der in Deutschland lebenden Muslime im Allgemeinen sowie den Zusammenhang zwischen Religiosität und Integration im Speziellen zu treffen (vgl. Haug et al. 2009: 49f). Die Muslime kamen dabei aus unterschiedlichen muslimischen Ländern. Die Autoren zeigen, dass die Mehrzahl der Muslime religiös ist. 50,4% der Befragten gaben an, eher gläubig und 36% sehr stark gläubig zu sein. Bezüglich der religiösen Praxis wird erkennbar, dass 43,3% der Befragten mindestens mehrmals in der Woche beten26; 68,9% geben an, die religiösen Feste zu feiern und 56,7% halten sich an das Fastengebot (vgl. Haug et al. 2009: 141ff). Hinsichtlich der Mitgliedschaft in religiösen Gemeinden bzw. Vereinen zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei der nicht-muslimischen Bevölkerung. Insgesamt gaben 20% an, Mitglied in einer muslimischen Organisation zu sein. Auch bei der aktiven Beteiligung (14%) zeigt sich kein Unterschied zu den Personen mit anderer Religionszugehörigkeit (Haug et al. 2009: 167ff). Zu den Themen Kopftuch, Bildungschancen und soziale Kontakte wird ein sehr differenziertes Bild gezeichnet. Es wird deutlich, dass der größte Teil der Muslima kein Kopftuch trägt (ca.72%). In diesem Zusammenhang zeigen sich Unterschiede hinsichtlich der Konfessionsrichtungen, des Alters und dem Grad der Gläubigkeit. Bezüglich der Konfessionen zeigt sich, dass die befragten Aleviten ihr Haupt fast nie verschleiern. Bei Muslima aus den anderen Gruppen variiert der Anteilswert zwischen 21,4% bei den Schiiten und 50,8% bei den Ahmadiyya. Bei der größten muslimischen Gruppe in Deutschland, den Sunniten, tragen 34,8% der Frauen ein Kopftuch. Ein Zusammenhang findet sich auch zwischen dem Alter und dem Anteil der kopftuchtragenden Frauen. Der Anteil steigt mit dem Alter der Muslima. Auch zwischen der Bedeutung der Religiosität und dem Anteil der Frauen,

26 Der Unterschied zu Angehörigen (ca. 37%) anderer religiöser Gruppen liegt bei ca. 6%. Er ist damit nur unwesentlich höher.

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die ein Kopftuch tragen, besteht eine Verbindung, die jedoch keinen Automatismen unterliegt (vgl. Haug et al. 2009: 194ff). Im Hinblick auf die Integration in das Bildungssystem zeigen die Autoren, dass die Muslime im Vergleich zur deutschen Bevölkerung und Teilen der nicht-muslimischen Bevölkerung aus den gleichen Herkunftsländern einen niedrigen Integrationswert aufweisen. Im Vergleich zur ersten Generation wird aber eine Verbesserung sichtbar (vgl. Haug et al. 2009: 209ff). Hinsichtlich der sozialen Kontakte konnte keine explizite Abgrenzung festgestellt werden. 52,3% der Befragten sind Mitglied in einem deutschen Verein. Hinzu kommt, dass die befragten Muslime häufig soziale Kontakte zu Einheimischen besitzen und auch eine hohe Bereitschaft zur Kontaktschließung mit Deutschen aufweisen (vgl. Haug et al. 2009: 17).

3.5 I SLAM

UND RELIGIÖSE I DENTITÄT

Die bisher dargestellten Forschungsstudien über Muslime konzentrierten sich meist auf kritische Aspekte des Islam: androzentrischen Ausrichtung, ideologisch-extremistischen Instrumentalisierung oder demokratiefeindlichen Positionierung und die Frage nach der Integrationsfähigkeit. Die nun rezensierten Studien stellen eher die progressiven Wirkungen der ReIslamisierung in den Mittelpunkt. Der Islam kann beispielsweise als Ressource genutzt werden, sich zu emanzipieren und eine authentische religiöse Identität zu finden, um sich damit in einer christlich geprägten Welt zu positionieren. Dies soll hier unter dem Aspekt »Islam und religiöse Identität« verdeutlicht werden. Polat führte im Winter 1994/95 eine schriftliche Befragung unter den in Hamburg lebenden türkischen Migranten der zweiten Generation durch (vgl. Polat 1997). Verteilungsorte der Fragebögen waren unter anderem türkische und islamische Studentenvereinigungen, die Universität Hamburg, Jugendzentren, türkische Kultur- und Sportvereine und türkische Elterninitiativen. Insgesamt hatten die Befragten ein recht hohes Bildungsniveau (vgl. Polat 1997: 95ff), wobei die Frauen höhere Bildungsabschlüsse und berufliche Qualifikationen besaßen als die befragten Männer (vgl. Polat 1997: 140). Von den Teilnehmern gehörten 70% einer sunnitischen Glaubensgemeinschaft an, während ca. 30% den alevitischen Glauben besaßen. Bezüglich der religiösen Praxis zeigt sich, dass mehr als die Hälfte (53%)

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angaben, nie zu beten, 17% beteten mehrmals im Jahr, 4,6% rund einmal im Monat, 16,4% einmal in der Woche und 9,8% täglich. In der Kategorie »wöchentlich beten« sind Männer deutlich stärker vertreten. Auch hinsichtlich des Moscheebesuchs werden Unterschiede zwischen den Geschlechtern erkennbar, denn auch hier waren es die Männer, die häufiger in die Moschee gingen, um das Freitagsgebet zu verrichten (vgl. Polat 1997: 104). Polat stellte weiter fest, dass die zweite Generation der muslimischen Migranten ihre religiösen Pflichten weniger ernst zu nehmen scheint: Nur 6,9% erfüllten ihre religiösen Pflichten; 14,9% erfüllten diese häufig; 33,7% erfüllten sie gelegentlich und 44,6% erfüllten sie nie.27 Im Auftrag des damaligen Ausländerbeauftragten des Berliner Senats wurde im Oktober 1997 unter 1.000 türkischen Jugendlichen im Alter von 16 bis 25 Jahren eine repräsentative Telefonumfrage durchgeführt, die bedingt mit Untersuchungsergebnissen aus den Jahren 1989 und 1991 vergleichbar ist (vgl. Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 1997). Im Allgemeinen deuten die Ergebnisse auf eine reflektierte und individuelle Religiosität bei den Jugendlichen hin, was vermutlich auf die Sozialisation in Deutschland und auf die Steigerung des kulturellen Kapitals in Form von Bildung zurückgeführt werden kann. Die Zahl derjenigen, die sich von der Religion völlig abwenden, nimmt jedoch ab. Religion scheint daher zum Zeitpunkt der Untersuchung immer noch ein großes identitätsstiftendes Merkmal zu sein. Allerdings gab nur eine sehr geringe Anzahl der Befragten an, religiöse Einrichtungen zu besuchen. Eine Mitgliedschaft in religiösen Vereinen fiel dabei sogar von 2,3% im Jahr 1991 auf 1,7% im Jahr 1997. Auffällig ist auch, dass die Teilhabe an Frauengruppen verschwindend gering ist (1991: 1,4%) und diese sogar noch weiter abgenommen hat (1997: 0,5%) (vgl. Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 1997: 11). Sackmann greift bei ihrer Studie über die Bedeutung der Religion bei türkischen Migranten auf die Daten der Universität Bremen zurück, welche die kollektive Identität türkischer Migranten in Deutschland untersucht hatte. Dabei wurden 112 themenzentrierte Leitfadeninterviews durchgeführt und Fragebögen verteilt (vgl. Sackmann 2000: 190).

27 Angemerkt werden muss aber, dass die Kategorie »religiöse Pflichten« nicht weiter differenziert wurde nach z. B. »Pilgerfahrt machen«, »kein Schweinefleisch essen« usw. Exakte Aussagen darüber, welche Regeln nun eingehalten werden und welche nicht, können daher nicht gemacht werden

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

DER

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Allgemein stellt die Autorin fest, dass die Religion für einen großen Teil der Befragten eine wichtige Rolle spielt. Auch hinsichtlich der religiösen Lebensgestaltung zeigt sich eine starke Hinwendung zur Religion. So gaben 60% der Befragten an, den ganzen Ramadan hindurch zu fasten; 16% fasten mindestens an mehreren Tagen. Hier gibt es keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern und Kohorten. Bezüglich der Moscheenbesuche zeigt sich, dass 42% der Befragten diese mehrmals im Monat oder wöchentlich besuchen. Ein Anteil von 36% geht hingegen nie in die Moschee. Darunter fallen besonders die Frauen. »Hier wirkt sich vermutlich die überwiegend auf die männlichen Muslime ausgerichtete Praxis des Moscheenbesuchs aus.« (Sackmann 2000: 191). Das heterogene Bild setzt sich auch bei der Bedeutung der Religion für den Einzelnen fort. Religion wird von den Interviewten als »[...] innere Empfindung und Weg zur Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit aufgefaßt, als ein Bestandteil der türkischen Kultur, als eine die Generationen verbindende Tradition, als Lebenshilfe und moralische Orientierung in der Welt oder als der Weg, der in ein glückliches Jenseits führt. Für viele, das ist nochmals hervorzuheben, ist die Religion zwar ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens, aber nicht der dominierende Bezugspunkt [...].« (Sackmann 2000: 195f)

Es zeigt sich somit, dass die hier befragten Muslime eine sehr heterogene Gruppe bilden, deren Kennzeichen im Allgemeinen aber ein starker Bezug zum Islam ist, wobei Religion unterschiedlich interpretiert und ausgelebt wird. In der Shell-Studie aus dem Jahr 2000 finden sich auch Informationen über den Merkmalsbereich »Religion« (vgl. Fuchs-Heinritz 2000; von Streif 2000). Diese Angaben wurden aus einer quantitativen Erhebung, aus Gruppendiskussionen sowie exploratorischen und biographischen Interviews gewonnen. Die befragten Jugendlichen waren zwischen 15 und 24 Jahre alt. Von allen jugendlichen Teilnehmern bezeichnen sich vor allem die Muslime als religiös. Besonders religiös empfinden sich die jungen muslimischen Frauen (vgl. Fuchs-Heinritz 2000: 158). Schaut man sich nun die Profile aller befragten Gruppen hinsichtlich der religiösen Praktiken und Einstellungen an, wird deutlich, dass in fast allen Bereichen Frauen dominieren. Die geringsten Unterschiede hinsichtlich der Merkmale Geschlecht und Alter finden sich hier innerhalb der muslimischen Untersu-

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chungsgruppe. Die religiöse Praxis stellt sich folgendermaßen dar: Von allen Muslimen beten 11% sehr oft den Koran (oft: 30%; selten: 32%; nie: 27%) (vgl. Fuchs-Heinritz 2000: 167). Die qualitative Erhebung ergänzt diese Ergebnisse und unterstreicht die individuelle Lebensführung der befragten Muslime, die von streng gläubig bis hin zum Atheisten reichen kann. Allgemein kann als Fazit der Studie gelten: »Die islamische Religionsgemeinschaft bildet ein Milieu in dem Sinne, daß sie nicht nur religiöse Haltungen und Praktiken prägt, sondern auch in andere Dimensionen ausstrahlt.« (Fuchs-Heinritz 2000: 161). Auch in der Shell-Studie aus dem Jahr 2006 spielte Religion für Migranten und hier speziell für Muslime eine bedeutende Rolle. Die Studie stellt im Vergleich zur Shell-Studie 2000 explizit heraus, dass eine besondere heterogene Situation der Religiosität unter den Jugendlichen herrscht, wobei bei den muslimischen Jugendlichen die »klassisch-traditionelle« Gottesvorstellung am stärksten ausgeprägt ist (vgl. Gensicke 2006: 211). Eine Längsschnittstudie, die im Auftrag der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats im Jahr 1993, 2000 und 2002 durchgeführt wurde, enthält Fragen zur Religiosität von türkischen Berlinerinnen und Berlinern über 18 Jahren (vgl. Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 1993, 2000 und 2002). Auch in ihr wird eine starke Identifikation mit dem Islam deutlich. Bei den religiösen Verpflichtungen zeigt sich jedoch, dass nur knapp ein Drittel in allen Erhebungszeiträumen regelmäßig die Moschee besucht hat (vgl. Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 2002: 27), wobei dieser Wert bei den interviewten Männern (44,3%) wiederum höher ist als bei den Frauen (29%). Im Vergleich zu 1993 ist bezüglich des Moscheenbesuchs ein Anstieg zu erkennen. Die Zahl der regelmäßigen Moscheenbesucher nahm geringfügig von 34,2% (1993) auf 36% (2001) zu. Dieser Anstieg ist ausschließlich auf die Kohorte der unter 30jährigen zurückzuführen, deren Anteil von 28% auf fast 38% zugenommen hat (vgl. Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 2002: 18). Die meisten Moscheenbesucher findet man in der Altersgruppe der über 60jährigen, auch wenn es hier zu einem Rückgang von ca. 5% kam. (vgl. Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 2000: 18f.) Ein größerer Teil der Befragten (61,1%) findet es wichtig, eine zentrale Moschee in der Stadt zu haben, in der sie beten oder sozialen Kontakt aufbauen bzw. pflegen können (vgl. Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 2000: 20). Dies erachten mehr Frauen (37,6%) als Männer (26,3%) als sehr wichtig.

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Bezüglich der Kindererziehung zeigt sich, dass es 81,8% ablehnen, ihre Kinder auf eine Koranschule zu schicken, wobei diese Zahl im Vergleich zu 1993 leicht abgenommen hat. Dennoch befürworten 64,6% einen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache an Schulen (Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 2002: 18). Das Tragen eines Kopftuches empfindet die Mehrzahl der Befragten als unproblematisch (70%). Knapp ein Viertel der Befragten sieht es hingegen als unangemessen an. Nur 1% betrachtet das Tragen eines Kopftuches als individuelle und persönliche Entscheidung (Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 2002 Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin: 31). Die Studie von Hasan Alacacioglu setzt sich mit religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Existenzformen von Muslimen in Deutschland auseinander.28 Ziel seiner Untersuchung ist es, die Lebenspraxis, die Zukunftsvorstellung, die kulturellen Wurzeln, das Schwanken zwischen Säkularität und Religiosität sowie die Funktion der Religion im Alltagsleben der deutschen Muslime abzubilden (vgl. Alacacioglu 2001: 76). Dabei arbeitete der Autor mit einem größtenteils standardisierten Fragebogen. Um aber die Nachteile der geschlossenen Fragen zu kompensieren, wurde zusätzlich noch auf halbstandardisierte und offene Fragen zurückgegriffen. Befragt wurden junge Muslime in Schulen sowie Muslime in lokalen und großen islamischen Gemeinden (beispielsweise IGMG, ADÜTDF, AABF) in Nordrhein-Westfalen. Außerdem wurden Migranten in einem Café, in einem türkischen Sportclub und in einem kommunalen Jugendzentrum interviewt. Die Befragung ist nicht repräsentativ.29 Die soziale Streuung ist breit und umfasst Schüler, Rentner und Muslime mit verschiedenem beruflichem Status. Mit 68,1% stellen die türkischen Migranten den größten Teil der Befragten, gefolgt von Muslimen aus Nordafrika und aus dem ehemaligen Jugoslawien. Bezüglich der Intensität der Gläubigkeit zeigt sich, dass sich die überwiegende Mehrheit als mindestens »eher gläubig« bezeichnen würde. Zwischen den Geschlechtern gibt es dabei kaum einen Unterschied (Männer: 85,6%/ Frauen 85,5%). Differenzierungen zeigen sich aber hinsichtlich der Altersgruppe. Hier nimmt die subjektive Religiosität mit dem Alter deutlich zu (vgl. Alacacioglu 2001: 108). Gläubigkeit wird aber nicht nur an der Be-

28 Ähnliche Ergebnisse finden sich auch in Alacaioglu (vgl. Alacaioglu 2000). 29 Die Frauen sind bei der Gemeindebefragung deutlich überrepräsentiert.

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folgung der religiösen Vorschriften gemessen. Für einen großen Teil der Befragten bedeutet Gläubigsein eine vorbildliche Lebensführung. Dazu gehören Werte wie Ehrlichkeit, Toleranz, Respekt, Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft etc. (vgl. Alacacioglu 2001: 111). Diese Religiosität spiegelt sich auch im Alltagsleben wider. Den stärksten Einfluss auf den Alltag hat der Islam bei den Jugendlichen bis 17 Jahren (92,3%). Der Glaube hilft besonders beim Aufbau einer positiven Identität und eines Selbstbildes. Die Auffassung, dass der Islam die einzige und wahre Religion sei, wird nur von einer kleinen Minderheit vertreten (vgl. Alacacioglu 2001: 115f). In Bezug auf die religiöse Praxis zeigt sich ein ähnliches Ergebnis. Vor allem das Fastengebot, das Gebot zur Almosenabgabe und das Gebetsgebot sind für die befragten Muslime wichtig. Die große Pilgerfahrt (Hadsch) und die kleine Pilgerfahrt (Umra) spielen eine geringere Rolle (vgl. Alacacioglu 2001: 121ff). Die religiösen Verbote (Alkoholverbot, Schweinefleischverbot und Verbot von vor- und außerehelichem Geschlechtsverkehr) werden von einem sehr großen Teil der Befragten eingehalten. Bezüglich einer Mitgliedschaft in einer islamischen Gemeinde geben 52,1% an, einer solchen anzugehören. Je älter die Befragten sind, desto höher wird der Anteil derer, die Gemeindemitglied sind. Differenziert nach Geschlecht wird deutlich, dass gerade ein Drittel der Muslima Mitglied in einer islamischen Gemeinde ist, wohingegen zwei Drittel der befragten Männer eine Mitgliedschaft besitzt. Die Frauen besuchen die Gemeinde nicht so häufig wie ihre männlichen Glaubensgenossen. Diese Geschlechterdifferenz zeigt sich ebenfalls in der Kategorie »Funktionsträger«. Besitzen 33,5% der männlichen Gemeindemitglieder eine Funktion in der Gemeinde, sind es gerade 22% bei den Frauen (vgl. Alacacioglu 2001: 196). Insgesamt stehen Frauen der Gemeinde und deren Einfluss auf ihr eigenes religiöses Leben eher skeptisch gegenüber. Im Allgemeinen zeigt sich eine Individualisierungs- und Pluralisierungstendenz, ohne dass diese jedoch zu einer Abkehr von der muslimischen Gemeinschaft führt. Von den befragten Gemeindemitgliedern führen 57,4% in diesem Zusammenhang an, dass der Islam zur Integration in die deutsche Gesellschaft beiträgt (behindert die Integration: 3,4%) (vgl. Alacacioglu 2001: 139f). Auch sehen 73,1% von ihnen keinen Widerspruch zwischen Islam und Demokratie . Sen formuliert in seinem Aufsatz »Euro-Islam – Eine Religion etabliert sich in Europa« die These, dass sich innerhalb Europas ein europäisch ge-

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prägter Islam entwickelt, der keine Abwendung vom Glauben, aber auch keine Verfestigung traditioneller Strukturen und Glaubensvorstellungen zur Folge hat. Die dargebotenen Statistiken können dabei kein vollständiges Bild über die Gesamtheit der deutschen Muslime liefern, da es sich bei den Probanden ausschließlich um türkischstämmige Immigranten in NordrheinWestfalen handelt. Dennoch zeigen sich deutliche Trends bezüglich der Religiosität der größten ethnischen Gruppe in Deutschland. Wie bei den Studien von Ellers und Seitz (vgl. Ellers/ Seitz 2005) und Worbs und Heckmann (vgl. Worbs/ Heckmann 2003) ist auch hier erkennbar, dass sich ein großer Anteil der türkischstämmigen Migranten von ca. 71% als religiös definiert (vgl. Sen 2004: 26), wobei die Religiosität mit steigendem Alter zunimmt. Bei allen befragten Personen zeigt sich unabhängig von ihrer Religiosität außerdem, dass viele an ihrer muslimischen Identität festhalten. Fasten, Spenden, Beteiligung am Opferfest bzw. die Einhaltung von Speisevorschriften wird von einer sehr großen Anzahl von Probanden aktiv praktiziert (vgl. Sen 2004: 28). Bezüglich des Besuchs der muslimischen Organisationen wird erkennbar, dass zwar mehr als die Hälfte eine Mosche besucht, jedoch nur 36% aller Befragten Mitglied in einem Verein sind. Im Vergleich zur Studie von Worbs und Heckmann (2003) liegt hier also ein höherer Wert vor. Dies könnte nach Sens Angabe darauf zurückzuführen sein, dass sich die Mitgliedschaft eines Familienmitglieds auf die ganze Familie erstreckt und die Befragten daher nicht zwischen einer formalen und emotionalen Mitgliedschaft unterscheiden (vgl. Sen 2004: 32). Den befragten Muslimen fällt es schwer, das Leben in der deutschen Gesellschaft mit ihrer Religiosität in Einklang zu bringen. Dies könnte auf den Assimilationsdruck der Aufnahmegesellschaft, auf fehlende Reformen in den muslimischen Gemeinden sowie auf die neue Lebenssituation in der Diaspora zurückzuführen sein. Eine deutsch-islamische Identität wird somit von zwei Seiten erschwert. Die Forschungsarbeit von Meng ist hauptsächlich von drei zentralen Leitfragen geprägt. Erstens: Welche Relevanz nimmt der Islam im Referenzsystem der organisierten Trägergruppen ein, mit welchen Deutungen des Selbst ist diese Identifikation verbunden und welche Rolle spielt Religiosität im Alltag? Zweitens wird den Fragen nachgegangen, welche Sozialisation und Lebenserfahrung der islamischen Identität zugrunde liegen, warum diese für die Personen interessant ist und wie sich die Lebenslage durch die Selbstreflexion verändert. Der Autor untersucht drittens, welche

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Folgen eine islamische Selbstkonstruktion für die gesellschaftliche Integration hat, welche Rolle dabei der Politik zukommen kann und welche Entwicklungslinien sich hier bereits abzeichnen. Die Untersuchung ist dabei zweistufig angelegt (vgl. Meng 2004: 73f). Zuerst wurde eine standardisierte Umfrage unter türkischen Schulabsolventen des Jahres 1989 im Bundeslandland Bremen durchgeführt, die bei der Befragung zwischen 25 und 32 Jahre alt waren.30 Der Anteil derjenigen mit einem hohen Bildungsabschluss überwiegt auch hier (vgl. Meng 2004: 95). Die Ergebnisse wurden dann mit den Erfahrungen, Lebenslagen, sozialen Ressourcen und Kontakten von islamisch organisierten und anderen türkischen Migranten der zweiten Generation verglichen. Im zweiten Schritt wurden Gruppeninterviews mit Anhängern der islamischen Organisation Milli Görüs ausgewertet. Als Untersuchungsgruppe dienten dabei die organisierten Muslime von Milli Görüs, die Vergleichsgruppe bestand aus den übrigen Befragten. Bezüglich einer Bindung der Befragten an den Islam stellt Meng fest, dass die Relevanz der Religion unter den Migranten im Generationenvergleich gegensätzlich ist. Auf die Frage, wie wichtig die Religion für die Befragten und ihre Eltern ist, stellt sich heraus, dass 95,9% der Eltern den Islam als wichtig bzw. als sehr wichtig erachten. Im Vergleich dazu sind es gerade 54,9% der zweiten Generation. Die große Bedeutung des Islam auch für die praktische Lebensführung nimmt bei der zweiten Generation ab, wobei der Anteil derjenigen in der Untersuchungsgruppe, die sich an die religiösen Handlungsvorgaben halten, größer ist als bei der Vergleichsgruppe. Aber auch bei den organisierten Muslimen ist, im Vergleich zu deren Eltern, eine deutliche Abnahme beim Einhalten der Handlungsvorgaben zu beobachten (vgl. Meng 2004: 105f). Hinzu kommt, dass die Zugehörigkeit zu den Dachverbänden schwindet. Ein weiteres Ergebnis offenbart, dass die Muslime in der Diaspora – und dies gilt für die zweite Generation stärker als für ihre Eltern – ihr Streben nach religiöser Anerkennung mit der Aufgabe konfrontiert sehen, islamische Normen und Werte selbst zu erarbeiten und diese dann der Situation in der Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Dies passiert aber nicht in einem wertfreien Raum. In der Schule, beim Übergang in die Arbeitswelt und in anderen Lebensbereichen (z.B. im Umgang mit Behörden) geben organisierte Muslime häufiger als nicht organisierte Muslime an, massive Diskriminierungserfahrungen gesammelt zu haben

30 Die Rücklaufquote betrug gerade 20%.

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

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(vgl. Meng 2004: 161), was darauf hindeuten kann, dass der enge Bezug zum Islam möglicherweise zu Stigmatisierung führt. Göle Nilüfers gemeinsam mit Ludwig Ammann herausgegebener Sammelband »Islam in Sicht« behandelt in erster Linie das Auftreten von Muslimen im öffentlichen Raum. Die Verfasser der einzelnen Beiträge, von denen viele selbst aus muslimischen Ländern stammen, berichten über öffentliche Lebensräume der Muslime in der Türkei, im Iran und in Europa (Deutschland, Frankreich). Die Fallstudien veranschaulichen, wie sich die Grenzen zwischen Öffentlichem und Religiösem in diesen Gesellschaften langsam wandeln und durch die Individuen neu definiert werden. Göle Nilüfer zeigt, dass sich die Muslime nicht einfach in die Gesellschaft assimilieren, sondern dass sie sowohl das »Gleich-« als auch das »Anderssein« betonen (vgl. Göle 2004: 22). Hierbei wird das Muslimsein offen zur Schau gestellt. Dies geschieht in einem Kollektiv, welches den Muslimen eine gebündelte Handlungsmacht verleiht. Es zeigen sich hier Merkmale einer globalen sozialen Bewegung, die verdeutlichen, dass sich ein modernes und religiöses Leben nicht unbedingt widersprechen müssen.

3.6 I SLAM

UND

G ESCHLECHT

Die folgenden rezensierten Studien stehen in der Tradition der so genannten Geschlechterforschung. Im Mittelpunkt dieses sehr heterogenen Forschungszweigs stehen beispielsweise Geschlechterkonstruktion, Machtverhältnisse, die Erzeugung und der Erhalt von Geschlechterunterschieden und die Auswirkungen dieser Unterschiede auf die Alltagspraxis. Im Folgenden werden zuerst Studien vorgestellt, bei denen männliche Muslime im Mittelpunkt stehen. Daran anknüpfend wird näher auf Studien über Muslima und deren Selbstzuschreibung eingegangen. Frese befragte in seiner Studie »Den Islam ausleben« 29 männliche türkische Jugendliche zwischen 14 und 26 Jahren. Alle waren in Deutschland aufgewachsen und Mitglieder muslimischer Vereine; die meisten besaßen ein hohes Bildungsniveau. Mit qualitativen Gruppeninterviews als gegenstands-, problem- und prozessorientierter Methode widmet sich der Autor den Fragen des Gemeindelebens und der spezifischen Alltagsituation der Jugendlichen in Bremen (vgl. Frese 2002: 58ff). Die untersuchten Themenkreise umfassen im Speziellen »Bilder von Familie und Freundes-

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kreis«, »Türkei und Türkentum« und das »Bild vom richtigen Muslim«. Wie in den bereits vorgestellten Studien besitzt auch hier der Islam bei allen befragten Jugendlichen einen hohen Stellenwert. Dies zeigt sich darin, dass der muslimische Glauben der nationalen Identität vorgezogen wird und dass sich das Ausleben des Islams durch alle Lebensbereiche zieht, wobei der eigenständige Erwerb von religiöser wie auch sonstiger Bildung als zentrales Ziel angesehen wird. Der Selbsterwerb von »religiösem Kapital« und die Rationalisierung der Normen und Vorschriften führt bei den Jugendlichen zu einem selbstbewussten Umgang mit der Religion, der sich beispielsweise darin äußert, dass der in vielen Gemeinden angebotene Koranunterricht als unreflektiert kritisiert wird (vgl. Frese 2002: 285). Ferner stellt Frese fest, dass die selbst angeeignete muslimische Identität von den jungen Männern als Unterscheidungsmerkmal eingesetzt wird, um sich von der breiten Masse abzuheben und um zu verdeutlichen, dass man sich nicht vollständig in die deutsche Gesellschaft assimilieren möchte. Dennoch liegt nach Frese gerade hierin die integrative Kraft »des Islam«: »[D]er Islam – präzise: eine aus »alten« und »neue« Versatzstücken kreierte islamische Lebensführung – [ist] aus ihrer Sicht [...] ein mögliches Integrationsmedium, mit dessen Hilfe sich die Jugendlichen als Teil der Aufnahmegesellschaft begreifen können.« (Frese 2002: 11)

Ähnlich wie Kelek (2002) begreift auch Frese Religion als »Identitätsstabilisator«, auch wenn sich der Identitätsentwurf von christlichen Jugendlichen in Deutschland von Jugendlichen, die in der Türkei sozialisiert wurden, unterscheidet. »Wenn sich die Jugendlichen positionieren, tun sie das in Relation zu türkischen und deutschen Gegebenheiten.« (Frese 2002: 278). In dieser Neuordnung ihres Verhältnisses zur Herkunftskultur, den Traditionen der Eltern, dem Verhältnis innerhalb der Familie und der Religion unterscheiden sich die muslimischen Jungen und Männer nicht von den muslimischen Mädchen und Frauen. Lediglich in der Frage der Einbindung in muslimische Gemeinden und Vereine lassen sich Geschlechterdifferenzen erkennen. Denn während sich die muslimischen Mädchen eher eigene Räume z. B. in Form von Mädchentreffs in Privatwohnungen oder so genannten »Schwesterngruppen« für das Ausleben ihrer Religion suchen, (vgl. Tietze 2003; Klinkhammer 2000b) spielt die Mitgliedschaft in muslimischen Gemeinden für die muslimischen jungen Männer als Zufluchts-

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

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und Rückzugsraum eine große Rolle (vgl. Frese 2002: 289). Zwar sind die männlichen Jugendlichen, wie Frese zeigt, in der Hierarchie noch nicht weit vorgedrungen, dennoch besitzen sie schon ein gewisses Mitspracherecht innerhalb der Gemeinden. Anhand einer Gegenüberstellung vergleicht Nikola Tietze die islamische Identität von jungen Männern zwischen 16 und 30 Jahren aus Frankreich und Deutschland (vgl. Tietze 2001). Die Muslime, die in qualitativen Interviews befragt wurden, befinden sich in einer schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Situation und fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen (vgl. Tietze 2004: 240ff). Die Autorin stellt fest, dass es durch die verschiedenen staatlichen Organisationsformen – laizistische Bürgernation in Frankreich bzw. ethnisch-kultureller Kontext in Deutschland – zu Parallelen und Unterschieden bei den Identitätskonstruktionen kommt. So zeichnen sich die deutschen Muslime dadurch aus, dass sie sich hinsichtlich ihrer Religiosität eher mit Hilfe türkischer Kategorien ideologisieren und das Bild von unterdrückten Muslimen konstruieren (vgl. Tietze 2001: 14). Die französischen Befragten hingegen gründen ihre Auffassung des Islam auf ihren sozialen Erlebnissen innerhalb der Aufnahmegesellschaft, in der sie zum großen Teil vom wirtschaftlichen Leben ausgeschlossen und als Bewohner der banlieues (Vororte) stigmatisiert werden (vgl. Tietze 2001: 16). In beiden Fällen kann aber gerade Religion zu einer identitätsstiftenden Ressource für die jungen Männer werden. »Mittels ihres Muslimseins thematisieren sich die jungen Erwachsenen gleichzeitig als gleich und als anders. Sie sind immer beides zugleich.« (Tietze 2004: 250). Nach Tietze haben sich vier Formen31 muslimischer Religiosität bei jungen Männern he-

31 In der ersten Kategorie »Ethisierung« wird die Religiosität so rationalisiert, dass der Glauben zu einer Handlungsanleitung für das Subjekt wird. »Religiosität verliert ihre ethnische, nationale oder kulturelle Dimension. Die religiöse Praxis orientiert sich an dem Ziel, Ordnung herzustellen. Die religiösen Vorschriften werden so hierarchisiert, daß das Individuum soziale Handlungsfähigkeit entwickeln kann.« (vgl. Tietze 2001: 157) Zwei der befragten jungen Männer sehen den Islam eher als Gefühl, die Wahrheit für sich gefunden zu haben. Der Glaube besitzt für diese Männer eine utopische Akzentuierung (»Utopisierung«) (vgl. Tietze 2004: 246). Das selbst angeeignete theologische Wissen bestimmt die Lebensführung, wobei Religionsausübung eine persönliche Herausforderung darstellt.

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rauskristallisiert, wobei auch hier die Flexibilität der Gläubigen mit dem Umgang der verschiedenen religiösen Dimensionen akzentuiert wird, da diese in verschiedenen Lebensphasen und -situationen von unterschiedlicher subjektiver Wichtigkeit sind. Muslime sind nicht immer auf die gleiche Art Muslime, sie können die Identifikation mit dem Islam in gewissen Situationen sogar gänzlich aufgeben oder zwischen den hier vorgestellten Dimensionen hin und her wechseln. Festzuhalten ist damit, »[...] dass sich die Identifikation mit der islamischen Tradition in der so genannten zweiten und dritten Generation der Einwanderer in Deutschland und Frankreich individualisiert und somit gleichzeitig vervielfältigt haben.« (Tietze 2003a: 122). Trotzdem wollen die befragten Muslime in beiden Ländern in den Dialog mit der Gesellschaft treten, der aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage jedoch kein gleichberechtigter ist. Innerhalb der Islamforschung offenbart sich eine überdurchschnittliche Konzentration auf muslimische Frauen und Mädchen als Untersuchungsgruppe, so dass fast schon von einer »Feminisierung der Islamforschung« gesprochen werden kann. Einige Studien sollen in diesem Abschnitt exemplarisch vorgestellt werden. Basierend auf Tiefeninterviews mit 26 türkischen Lehramts- und Pädagogikstudentinnen untersuchte Karakasoglu die Zusammenhänge zwischen religiösen Norm- und Wertvorstellungen sowie Bildungs- und Erziehungs-

Die »Ideologisierung« betont drittens, die Zugehörigkeit zum Islam und hat die Schaffung einer Art »Umma« (muslimische Gemeinschaft) im Aufnahmeland zum Ziel. »Die Religion gewinnt für das Individuum Sinn durch ein bestimmtes soziales und politisches Denken. Die Religionsausübung hat einen eher mechanischen Charakter.« (vgl. Tietze 2001:158) Religion ist hier ein Instrument, um sich von der Aufnahmegesellschaft abzugrenzen. Gleichzeitig kommt es auch zur Demarkation (Abgrenzung) von der Religiosität der ersten Einwanderergeneration. Die »Kulturalisierung« der Religiosität wird hier durch die Identifikation mit gegebenen Kulturen (z.B. Jugendkultur wie Hip Hop) bestimmt, in der der Islam eine Dimension unter mehreren darstellt. Hier dient der Glauben nicht zur Selbstvergewisserung einer Gruppe, sondern ist eher an Gewohnheiten gekoppelt. Diese Dimension hilft nicht, eine Beziehung zur Gesellschaft aufzubauen, sie dient vielmehr zur Integration in ein bestimmtes Milieu (Hip Hop Clique, Stadtviertel).

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idealen. Dabei geht die Autorin von einem Religiositätsbegriff aus, der aus temporären wie auch prozesshaften Faktoren besteht. Religiosität ist somit nicht statisch, sondern anpassungsfähig und wandelbar (vgl. Karakasoglu 1999: 119ff). Anhand ihrer Aussagen können bei den befragten Studentinnen eine Vielzahl von religiösen Orientierungen unterschieden werden: Unter ihnen befinden sich Atheistinnen, (alevitische) Spiritualistinnen, sunnitische/ alevitische Laizistinnen, pragmatische Ritualistinnen und idealistische Ritualistinnen. Vertreterinnen eines Volksislam bzw. des traditionalistischen Islam und des Islamismus sind hingegen in der untersuchten Gruppe nicht vorhanden. Der Islam wird, außer von den Atheistinnen, als Bereicherung empfunden und ausschließlich positiv bewertet (vgl. Karakasoglu 1999: 415).32 Der Glauben bietet Geborgenheit, Glück sowie Lebenssinn und stellt somit auch eine emotionale Bereicherung dar. Darüber hinaus ist er ein kultureller Bezugspunkt und stiftet ein Gemeinschaftsgefühl mit der Bezugsethnie. In manchen Fällen besitzt er, besonders bei den Atheistinnen, auch eine gemeinschaftsverpflichtende Wirkung, d.h. er übt einen Druck aus, sich zur Umma zu bekennen. Wie auch beispielsweise von Nökel (vgl. Nökel 1996; 2002), Schröter (vgl. Schröter 2002) und Frese (vgl. Frese 2002) festgestellt wird, spielt religiöses Kapital für die Probandinnen eine zentrale Rolle. »Die Grundlage von Bildung ist hierbei Wissen, das für die religiös orientierten Probandinnen auch ausgedehnt wird auf ein fundiertes Wissen über die eigene Religion. Erst Wissensaneignung zieht die angestrebte Mündigkeit (auch in religiösen Fragen) nach sich, die sowohl eine Abgrenzung gegenüber der älteren Generation wie auch gegenüber den Assimilationsanforderungen der Mehrheitsgesellschaft ermöglicht.« (Karakasoglu 2003: 4)

Durch diese Bildung entwickeln die Frauen Selbstbewusstsein gegenüber ihren Eltern, dem in einigen Gemeinden patriarchalisch ausgelegten Islam und Teilen der Aufnahmegesellschaft. Gleichberechtigungsforderungen werden dabei im Bezug auf den Islam argumentativ begründet und ggf. auch durchgesetzt (vgl. Karakasoglu 1999: 417).

32 Wobei Religiosität nicht nur am Befolgen religiöser Pflichten festgemacht wird.

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Klinkhammer untersuchte die Lebensformen sunnitischer, türkischer Frauen zwischen 20 und 31 Jahren, von denen fast alle einen hohen Bildungsgrad besitzen. Die Forschung basiert auf einer qualitativen Untersuchung von 7 Interviewten. Allen befragten Frauen ist gemeinsam, dass ein Generationenkonflikt, besonders in der Pubertät, Auslöser für eine intensive, wissensbasierte Auseinandersetzung mit dem Islam war (vgl. Klinkhammer 2000a: 251). Religionsausübung, Traditionen, androzentrische Geschlechterrollenverteilung und Lebensweise der Eltern werden hinterfragt und zum Teil auch kritisiert (vgl. Klinkhammer 2000a: 137).33 Begünstigt wird dieser Prozess zusätzlich durch die Fremdwahrnehmung und -zuschreibung des deutschen Umfelds (z. B. in der Schule). Unstimmigkeiten über Regeln und Normen im Islam zwischen den Generationen sowie Fremdzuschreibungen (sowohl positive als auch negative) führen zu einer Reflexion und individuellen Deutung des Islams und zur Suche nach einem authentischen Selbstbild als Muslima und Türkin. Die Aneignung des Islam ist nicht als eine einfache Kombination von Religion und ethnischer Zugehörigkeit zu verstehen; vielmehr wird der Islam als eine Art Medium genutzt, um familiäre Herkunft und biographische Selbstverortung im Rahmen der individuellen Sozialisation zu verbinden. Der Glaube hilft dabei, eine eigene individuelle Biographie und Identität zu verwirklichen und sich gleichzeitig auch in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Bezüglich der Lebensführung, vor allem was die religiöse Lebensführung der in Deutschland lebenden Türkinnen angeht, zeigt sich eine umfassende Pluralität, wobei es zu keiner reinen religiösen Bricolage kommt, sondern die Identität flexibel gestaltet wird (vgl. Klinkhammer 2000a: 283). Am Ende bildet die Autorin, ähnlich wie Tietze, idealtypische Kategorien der Lebensführung.34 Zusammenfassend wird ersichtlich, dass »[...] (d)ie Frauen [...] weder die durch die erste Generation institutionalisierten Traditionsmuster (übernehmen), noch entwerfen sie selbst neue theologische Ideensysteme. Es zeigt sich [...] vielmehr, dass die Frauen mit ihren alltagsweltlichen Selbstdeutungen nach einer sinnvollen Einbettung des Islam in ihren je besonderen le-

33 Wobei dies stärker auf diejenigen Frauen zutrifft, die ein Kopftuch tragen. 34 Klinkhammer unterscheidet zwischen der »traditionalisierenden islamischen Lebensführung«, der »exklusiv islamischen Lebensführung« und der »universalisierenden islamischen Lebensführung«.

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bensgeschichtlichen Problem- und Interessenlagen suchen.« (Klinkhammer 2000a: 254)

Gabriele Swietlik untersucht in ihrer Studie sechs junge muslimische Frauen der zweiten Generation, die aus verschiedenen Ländern (vorwiegend aus der Türkei) kommen. Anhand biographischer Interviews versucht die Autorin die Frage zu beantworten, welche Identität muslimische Frauen in einer christlichen Welt ausbilden (vgl. Swietlik 2000: 139f). Für fast alle befragten Frauen spielt der Islam eine wichtige Rolle in ihrem Leben, wobei die Religionserfahrung sehr stark von den Eltern geprägt ist. Für religiöse Wissensdefizite werden explizit die Eltern verantwortlich gemacht. Die jungen Muslima setzen sich intensiv mit ihrer Religion auseinander. Motive dafür sind allgemeines Interesse an der Religion, der Wunsch, sich ein eigenes Urteil über den Koran bilden zu können, aber auch oft die fehlenden Antworten auf religiöse Fragen der Eltern und die Konfrontation mit Fragen durch Teile der Aufnahmegesellschaft (z.B. Mitschüler, Kollegen). Die Intensität der Auseinandersetzung mit dem Islam nimmt mit dem Älterwerden zu und wird von einer Befragten als »Selbst-Aufklärung« bezeichnet (vgl. Swietlik 2000: 142). Dieser Wissenserwerb und die darauf aufgebaute Identität führen zu keinem stabilen Zustand, der an irgendeinen Zeitpunkt abgeschlossen ist, sondern es handelt sich hierbei um einen stetigen Veränderungsprozess (vgl. Kelek 2002; Tietze 2000). Auffallend ist, dass alle Studienteilnehmerinnen in der deutschen Gesellschaft aufgrund ihrer Religion Ausgrenzungserfahrungen erfahren haben, wogegen in ihrem eigenen Kulturkreis jedoch ihre westliche Lebensweise Grund zur Ausgrenzung gab (vgl. Swietlik 2000: 145f). Somit sehen sich die Muslima einer zweifachen Exklusion und einem doppelten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Diesem Druck entgehen die Frauen, indem sie sich Schonräume (z.B. Freundeskreis, Meditation) schaffen. Dies könnte ein Grund sein, warum die Befragten kaum Kontakt zu religiösen Vereinigungen besitzen. Hier kann von einem Individualisierungs- und Anonymisierungsprozess gesprochen werden; Religiosität ist nicht mehr allein von Sozialstrukturen vorgegeben, sondern steht für jede einzelne Frau zur Disposition und muss selbst erarbeitet werden. Religiöse Normen werden somit in einem hohen Maße hinterfragt, reflektiert und interpretiert (vgl. Swietlik 2000: 148ff). Die Probanden versuchen, einen Mittelweg zwischen der Kultur der Eltern, dem Wissen über den Islam und den Normen der deutschen Gesellschaft zu

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finden, so dass sie sich sowohl in einem christlichen als auch in einem muslimischen Kontext zurecht finden können und dabei gleichzeitig ihre Authentizität wahren. Dorothee Palm zeichnet das religiöse Leben und den Alltag von 10 muslimischen Frauen zwischen 25 und 67 Jahren in Deutschland nach. Diese kommen aus verschiedenen muslimischen Ländern wie z.B. dem Iran, Tunesien oder der Türkei. Unter ihnen befinden sich aber auch deutsche Frauen, die zum Islam konvertiert sind. Alle Frauen haben einen hohen Bildungsstatus und sprechen sehr gut Deutsch. Die Religionswissenschaftlerin bedient sich hauptsächlich der Methode des Leitfadeninterviews, zieht zum Teil aber auch geschlossene Frage heran. Die Interviews werden von der Autorin ohne theoretischen Hintergrund oder Interpretation dargeboten. Wie bei Nökel (2002) und Karakasoglu (1999) zeigt sich auch in ihrer Studie, dass die befragten Frauen eine starke religiöse Identität besitzen. Die Art der Religionsausübung ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Biographien überaus heterogen. Auch die Probandinnen dieser Studie eigenen sich den Islam selbst an (vgl. Palm 2000: 78), was zu einer individuellen Auslegung der religiösen Inhalte und Regeln führt (vgl. Palm 2000: 53). Den Interviewten ist hierbei wichtig, dass ihr Handeln mit der religiösen Einstellung identisch und in diesem Sinne authentisch ist, d. h. dass die ausgeübte Religion im Einklang mit den eigenen Vorstellungen über die wahre Religion steht.35 Obwohl Necla Kelek durch ihre Islamkritik mittlerweile zu einer der umstrittensten Islamforscherinnen in Deutschland zählt, greift sie in ihrer Dissertation »Islam im Alltag« von 2002 die Idee eines vielseitigen und modernen Islams auf. In ihrem Buch beschreibt sie das Selbstkonzept, die Orientierung und das soziale Handeln von türkischen muslimischen Jugendlichen im deutschen Alltag. Religion wird hierbei grundsätzlich als kulturelles Subsystem gesehen, welches bei den Jugendlichen eine orientierungsstiftende Stellung einnimmt (vgl. Kelek 2002: 84). Die Autorin bedient sich dabei der Methoden des problemzentrierten Interviews, der teilnehmenden Beobachtung sowie der Gruppengespräche (vgl. Kelek 2002:

35 Die Ausnahme stellt hier die Aussage einer konvertierten Muslima dar. Diese setzt oft Praktiken um, von denen sie nicht überzeugt ist. Gleichzeitig weist sie aber darauf hin, dass diese Riten nicht auf den Islam, sondern auf die alten arabischen Traditionen ihres Mannes zurückzuführen sind.

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96). Als ein Ergebnis stellt Kelek fest, dass alle Befragten ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zum Islam besitzen, wobei die Religiosität unterschiedlich ausgeprägt ist. Fast alle Befragten lassen eine subjektive Gläubigkeit erkennen, was wiederum zu einer subjektiven Modifizierungen der religiösen Praxis sowie einer starken Ich-Identität führt. Diese erlaube es den muslimischen Jugendlichen, in kulturellen Diskursen mit den Eltern oder durch »Einheimischung« ihre eigene Position zu vertreten (vgl. Kelek 2002: 179). Nach Kelek führt dieser Prozess bei den Jugendlichen zu einer Erhöhung der Integrationsfähigkeit und gerade nicht zu Segregation, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. Weiterhin macht sie deutlich, dass die muslimische Identität, die autonom reflektiert und angeeignet wird, die Jugendlichen befähigt, eigene Maßstäbe zu entwickeln und selbst zu bestimmen, welchen Bezug sie zur Religion haben und wie sie Regeln im Alltag ausleben möchten. Das Verhältnis zu Gott und die religiöse Praxis werden auf diese Weise individuell bestimmbar. »Dabei treten Identitätsentwürfe auf, die patchworkartig die unterschiedlichen Kulturmuster neu zusammensetzen und sie in den Diskurs des türkisch-muslimischen Common Sense einbringen.« (Kelek 2002: 186). Diese vom offiziellen türkischmuslimischen Common Sense »abweichende« Praxis findet sich bei fast allen Jugendlichen, wird aber unterschiedlich begründet. Während diejenigen, die ein subjektives Verhältnis zu Gott besitzen, ihre individuelle Umsetzung der Regeln selbstbewusst begründen, halten die anderen an traditionellen Auffassungen fest und rechtfertigen »nur« ihre abweichende Praxis, ohne diese selbst zu hinterfragen. Nur für die erste Gruppe findet nach Kelek somit ein emanzipatorischer Prozess statt. Insbesondere diese emanzipatorische Bedeutung des Islams für die junge Generation muslimischer Migrantenkinder ist Thema der Dissertation der Soziologin Sigrid Nökel. Allerdings interessiert sie sich für eine bestimmte Gruppe, nämlich für die »Töchter der Gastarbeiter« (vgl. Nökel 2002). Nökel beschäftigt sich mit der muslimischen Religiosität, der Identität und der Alltagswelt junger muslimischer Frauen zwischen 18 und 28 Jahren. Die Autorin befragt Frauen der zweiten Generation, die in Deutschland sozialisiert wurden, deren Eltern aber aus unterschiedlichen muslimischen Ländern (Türkei, Marokko und anderen arabischen Ländern) stammen. In den biographischen Erzählungen wird erkennbar, dass sich bei den befragten Gastarbeitskindern insbesondere im Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter eine neue islamische Praxis und ein verändertes Selbst-

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verständnis entwickelt haben, die Nökel als »Neo-Islam« bezeichnet. Sie beschreibt dieses Phänomen als eine »[...] private, alltagsorientierte Politik der Differenz, die, basierend auf der Konstituierung eines distinguierten islamischen Habitus, Integration und Selbstbehauptung aufs engste miteinander verknüpft.« (Nökel 1996: 176f). Hierbei kommt es einerseits in der Spätpubertät zu einer Rückbesinnung auf die religiösen Wurzeln, andererseits werden traditionelle Regeln und Normen neu interpretiert und gegebenenfalls umgedeutet (vgl. Nökel 2002: 263). Ihr daraus hervorgehendes Konzept der »Neo-Muslima« formiert sich auf zwei Ebenen, nämlich auf der privaten Ebene der individuellen religiösen Praxis (z.B. Beten, Essen) und auf der Ebene des öffentlichen Raums (z.B. Kleider, Beruf) mit durchaus unterschiedlichen Handlungslogiken. So werden beispielsweise Vorschriften wie das Hosenverbot für Frauen gezielt angefochten (vgl. Nökel 2002: 87ff), während das Tragen des Kopftuchs im Prinzip als unverzichtbar bewertet wird. Am deutlichsten kommt das neue muslimische Selbstverständnis der jungen Frauen jedoch in der intellektuellen und selbstorganisierten Auseinandersetzung mit den heiligen Schriften zum Ausdruck. Die eigenständige Aneignung des Koran stellt nicht nur ein wichtiges Moment der Identitätsentwicklung und -erfahrung junger Muslima dar, sondern zieht laut Nökel auch eine feminine Selbststeuerung und Begrenzung des maskulinen und konservativen Einflusses des Elternhauses nach sich. Die Frauen entwickeln eine Identität, die weder eine vollständige Assimilation an die Aufnahmegesellschaft noch eine unhinterfragte Übernahme von Werten der Elterngeneration ist. Die Neo-Muslima wird somit zum Subjekt ihrer selbst: Sie bestimmt eigenständig, welche Normen und Werte sie als islamisch erachtet. Ähnlich wie Kelek zeichnet auch Nökel in ihrer Arbeit die komplizierte Neuinterpretation des Islams innerhalb der zweiten Generation muslimischer Einwanderer nach. Allerdings sieht sie darin mehr als nur eine emanzipatorische Alltagspraxis junger Muslima. Nökel spricht von einer neuen Form der Identitäts- und Anerkennungspolitik, die über die von ihr betrachteten Einzelfälle hinausgehe. Diese löse sich zunehmend von den Anerkennungspolitiken muslimischer Vereine und Gemeinden, ja wende sich teilweise sogar gegen sie. Die meisten der von ihr befragten Frauen besitzen lediglich eine schwache organisatorische Bindung an muslimische Verbände. Als Ursache hierfür verweisen die muslimischen Frauen auf die grundsätzliche Deprivation von Mädchen und Frauen in den Moscheen, in denen eine strikte Geschlechtertrennung sowohl im organisatorischen bzw.

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entscheidungspolitischen wie auch im religiösen Bereich (z.B. Trennung der Beträume) herrsche. Frauen sei es zwar erlaubt, an manchen religiösen Angeboten teilzunehmen (z.B. Pilgerfahrten, Beratungsstunden), eine regelmäßige Einbindung wie bei den Männern sei aber kaum vorzufinden (vgl. Nökel 2002: 44). Dies führe bei den muslimischen Frauen zu ambivalenten Empfindungen: Auf der einen Seite sehen sie sich als gläubige Muslima, die das Recht haben, die Einrichtungen der Moscheen zu nutzen, auf der anderen Seite empfinden sie sich aber auch als eine Art Fremdkörper, da sie nur ein sehr geringes Gestaltungsrecht bezüglich der Themen oder der Räumlichkeit besitzen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch einheimische Räumlichkeiten aufgrund der Etikettierung und negativen Bewertung der kopftuchtragenden Frauen meist gemieden werden. »Das Bestreben der jungen Muslima nach Eigenkontrolle und das Verständnis der Islamisierung als Akt der persönlichen Selbstsouveränität bei der gleichzeitigen Suche nach einer angemessenen, Traditionalismus transzendierenden islamischen Form, […] lässt sich mit dem Ungleichgewicht schwer vereinbaren.« (Nökel 2002: 49)

Nicht nur im Titel ähnelt die Studie »Mohammeds deutsche Töchter« von Schröter der Arbeit von Sigrid Nökel. Auch inhaltlich lassen sich viele Parallelen aufzeigen: So nähert sich Schröter ebenfalls über biographische Interviews der Frage, welche Wandlungen muslimische Frauen aus verschiedenen muslimischen Staaten infolge ihres Migrationsprozesses in ihrem Handeln, Denken und ihrer Religiosität durchlaufen oder durchlaufen haben (vgl. Schröter 2002: 11). Es fällt auf, dass die befragten Frauen eine durchgehend hohe Bildungsmotivation besitzen, die oft größer ist als bei ihren Brüdern. Auch hier führt der Erfolg im Bildungssystem zu einer selbstbewussten Kritikfähigkeit; »alte« bzw. von den Eltern vorgegebene Traditionen, Normen und Werte werden vor dem Hintergrund deutscher Rechtsnormen hinterfragt und teilweise sogar überwunden. Auch die Rückkehrillusion, die noch bei vielen Frauen der ersten Generation vorhanden ist, wird aufgegeben. Dies zeigt sich u. a. darin, dass die Muttersprache an Bedeutung verliert und in fast allen Fällen nur noch als Kommunikationsmittel zwischen Eltern und Kindern dient (vgl. Schröter 2002: 81ff). Der von Schröter diagnostizierte Wertewandel unter »Mohammeds deutschen Töchtern« betrifft aber nicht nur das Eltern-Kind-, sondern vor allem auch das

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Geschlechterverhältnis. »Durch zunehmende Rationalisierung der Lebenspraxis in Verbindung mit der Gleichberechtigung der Frauen, und folglich ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, verändert sich auch die Moral.« (Schröter 2002: 273). Auch wenn traditionelle Werte wie beispielsweise die »Ehre des Mannes« oder die »Reinheit der Frau« ihre Bedeutung im Zusammenhang von individualisierten Lebensformen der muslimischen Frauen verlieren, ist es ein langsamer Prozess, der in vielen Fällen mit Generationskonflikten einhergeht. Schröter zeigt weiter, dass sich der Weg der Individualisierung auch auf die Religiosität auswirkt. Nach der Autorin kommt es zu einer Säkularisierung im Sinne einer Abwendung von religiösen Autoritäten und Institutionen. Nur ein geringer Teil der befragten Frauen besucht mehr oder weniger freiwillig die muslimische Gemeinde und hält sich an muslimische Vorschriften (vgl. Schröter 2002: 275). Ebenso wie das Generationen- und Geschlechterverhältnis betrachten die Frauen auch die Religiosität nicht als bloße Vorgabe, sondern zunehmend als einen Gegenstand eigener Gestaltungsmöglichkeiten. So werden beispielsweise islamische Bekleidungsvorschriften von den meisten Frauen mit der Begründung abgelehnt, dass die Männer lernen müssten, ihren Trieb zu beherrschen. Interessant an Schröters Studie ist vor allem, dass sie den Wandel »des Islam« und der muslimischen Religiosität innerhalb der weiblichen Lebensverläufe nicht als simple »Erfolgsgeschichte der Emanzipation« weich zeichnet, sondern Emanzipation selbst als konflikthaften und keinesfalls linearen Prozess darstellt. Widerstände und Hindernisse sieht Schröter dabei vor allem auf Seiten der muslimischen Männer. Nach wie vor komme es vor, dass Mädchen, die kein Kopftuch tragen, von männlichen Muslimen Gewalt angedroht werde. Aber auch fundamentalistisch orientierte Gemeinden verbreiteten nach wie vor antiquierte Vorstellungen von Verhalten, Pflichten und Normen bezüglich der Frauen- und Mädchenerziehung. Gerade diese beschnitten die Rechte der Frauen. Die Autorin sieht hierin nicht nur eine extreme Reaktion auf die Emanzipationsprozesse muslimischer Frauen, sondern eine grundsätzliche Tendenz islamischer Gemeinschaften: »Die wachsende islamische Gemeinde und Religionsgemeinschaften, […], haben in den letzten Jahren den Druck auf ihre Mitglieder massiv erhöht.« (Schröter 2002: 276). Weniger aus Erkenntnisinteresse, sondern der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch auf die Studie »Die Entwicklung einer islamischen Kultur in Deutschland« von Stauch verwiesen. Auch in dieser Studie geht

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es um das Verhältnis von Religiosität, Geschlecht und muslimischen Organisationen bzw. Gemeinden. Mit Hilfe eines Fragebogens, der zum Teil aus offenen und geschlossen Fragen besteht, befragte Stauch 15 muslimische Frauen, die in Deutschland sozialisiert wurden und eine gute Schulausbildung besitzen (vgl. Stauch 2004: 52). Ihre Ergebnisse bezüglich der Besonderheiten muslimischer, weiblicher Identität in Deutschland sind nahezu identisch mit den Ergebnissen der Studien von Nökel (2002) und Schröter (2002): Der Islam spielt im Alltag der Frauen als »Orientierungsgröße« und »Kraftquelle« eine besondere Rolle (vgl. Stauch 2004: 57f). Er wird nicht nur im Elternhaus und muslimischen Organisationen, sondern auch von deutschen Muslima im Selbststudium »erlernt« (vgl. Stauch 2004: 63f). Dabei werden Regeln und Vorschriften von den Frauen nicht einfach unreflektiert übernommen, sondern zum größten Teil der Lebenssituation in Deutschland angepasst bzw. neu interpretiert (vgl. Stauch 2004: 111). Dies betrifft vor allem die Frage der »Gleichberechtigung der Geschlechter«, die als islamische Grundregel gedeutet wird. Frauenfeindliche Ansichten und Auslegungen werden demnach nicht mehr dem Islam an sich, sondern traditionell-kulturellen Erklärungsmustern der Elterngeneration zugeschrieben und als »nicht islamisch« abgelehnt. Stauch betont, dass die Sozialisation der Frauen in Deutschland dazu geführt hat, dass sich ihre islamische Überzeugung zwar gefestigt habe, aber sie gleichzeitig alte Traditionen kritisch hinterfragen könnten (vgl. Stauch 2004: 68). Dieses Zusammenspiel zwischen Religion, Herkunftsland der Eltern und Deutschland spiegele sich auch in der ethnisch-religiösen Identität der Frauen wider. Viele der Frauen sehen sich nicht mehr als »Migrantin« oder »Türkin«, sondern viel mehr als »Deutsche mit muslimischem Glauben« (vgl. Stauch 2004: 70). Interessant an der Studie von Stauch ist sicherlich, dass sie nicht nur die individuelle Glaubenskonzeption der Frauen betrachtet, sondern auch explizit die Frage nach dem Anschluss an religiöse Gruppierungen und Organisationen stellt. Dabei stellt sie fest, dass das Verhältnis zwischen Muslima und muslimischen Organisationen und Moscheen durch Ambivalenz geprägt ist: Zwar fühlen sich fast alle der Befragten einer islamischen Gemeinde zugehörig und sind mit der Situationen in ihrer Organisation oder Gruppe zufrieden (vgl. Stauch 2004: 92), die Arbeit der Moscheen wird demgegenüber jedoch als eher schlecht bewertet. Speziell wird kritisiert, dass Frauen in den Moscheen nur wenige Aufgaben erfüllen können und insbesondere von Führungspositionen ausgeschlossen sind (vgl. Stauch

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2004: 97). Gleichzeitig weisen die Frauen darauf hin, dass dies nicht unbedingt auf Böswilligkeit, sondern auf Routine und Überforderung der älteren Generation zurückgeführt werden könne. Die Situation wird aus Sicht der Probandinnen allerdings immer besser. Nichtsdestotrotz fordern sie, soziale und Bildungsangebote für und von Frauen stärker zu fördern (vgl. Stauch 2004: 103). Muslimische Organisationen, besonders Frauenvereine, werden als wichtige Bildungsinstanz wahrgenommen. Insgesamt werden mehr Partizipationschancen bezüglich der Führungspositionen in den muslimischen Organisationen, aber auch im »deutschen« öffentlichen Leben gefordert, denn schließlich wollen die Frauen in beiden Gesellschaften – in der muslimischen wie auch der deutschen – als gleichberechtigt wahrgenommen werden. Da ein Großteil der neueren Migrations- und Islamforschung aus qualitativen Studien besteht, ist die quantitative Studie von Boos-Nünnig und Karakasoglu, die 2005 unter dem Titel »Viele Welten leben« erschienen ist, schon allein aufgrund ihres standardisierten Designs und ihrer hohen Fallzahl besonders hervorzuheben. Boos-Nünning und Karakasoglu befragten insgesamt 967 Mädchen zwischen 15 und 21 Jahren aus der ehemaligen UdSSR, Griechenland, Italien, dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei; auch hier waren die Probandinnen durchschnittlich hoch gebildet. Auch wenn diese sehr umfassende Studie nicht im engeren Sinne zur Islamforschung zählt und »Glaubensfragen« nur ein Bestandteil unter vielen sind, liefert sie interessante Ergebnisse im Hinblick auf die Religiosität muslimischer Mädchen und Frauen im Vergleich zur Religiosität nicht-muslimischer, d. h. katholischer, evangelischer oder orthodoxer Frauen. Grundsätzlich zeigt sich, dass Religion bei allen vier untersuchten Gruppen eine unterschiedliche Bedeutung besitzt. Den höchsten Stellenwert nimmt sie bei den Muslima in, gefolgt von den orthodoxen und an dritter Stelle den katholischen Frauen. Die Protestantinnen messen der Religion die geringste Bedeutung bei (vgl. Boos-Nünnig/ Karakasoglu 2005: 383). Religiöse Einrichtungen spielen für alle befragten jungen Frauen kaum eine Rolle und das Bedürfnis, sich in einem religiösen Milieu zu bewegen, ist ebenfalls sehr gering (vgl. Boos-Nünnig/ Karakasoglu 2005: 406). Nicht nur in der Frage der subjektiven Religiosität zeigen sich Differenzen; Trennlinien werden auch bei der religiösen Praxis deutlich. Die religiöse Praxis ist bei den muslimischen Mädchen stärker ausgeprägt als bei den anderen untersuchten Gruppen (vgl. Boos-Nünning/ Karakasoglu 2005:

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383ff). Ferner zeigen die Autorinnen, dass die jungen Muslima, die sich am stärksten ihrer eigenen Religion zuwenden und für die diese ein wichtiger Teil ihrer praktischen Lebensführung ist, sich nicht segregieren, sondern an einem interreligiösen Austausch interessiert sind. Schließlich sind auch in der Frage der Stellung der Frau in der Religion Unterschiede zwischen den Gruppen auszumachen. Besonders akzeptiert fühlen sich die orthodoxen und die katholischen Frauen, während muslimische Frauen eher im Mittelfeld zu verorten sind. Dabei haben die türkischen Mädchen den höchsten Zustimmungswert zu der Aussage »Ich fühle mich als Frau in meiner Religion unterdrückt«, gefolgt von den bosnischen Muslima (vgl. Boos-Nünnig/ Karakasoglu 2005: 415). Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung wurden kopftuchtragende, türkischstämmige Muslima zu ihrer Partnerschaft, ihren Emanzipationsvorstellungen und zu ihrer Einstellung zur Demokratie befragt. In der Studie wurden 315 türkischstämmige Frauen zwischen 18 und 40 Jahren interviewt.36 Die Probandinnen stammen hierbei aus verschiedenen muslimischen Gemeinden in Deutschland und besitzen ein überdurchschnittliches Bildungsniveau (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 13ff). Von den Frauen gaben 88% an, vollständig oder überwiegend die religiösen Regeln zu befolgen (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 28). Sie besitzen damit einen starken Bezug zu ihrer Religion, was sich auch im Tragen des Kopftuches widerspiegelt. Zwar sind die Gründe für das Kopftuchtragen vielfältig, das Hauptmotiv stellt aber die religiöse Pflicht dar und nicht der Zwang von Seiten Dritter. Es ist die eigene Entscheidung der Frauen, die in dem Kopftuch ein Objekt sehen, welches ihr Selbstbewusstsein stärkt (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 24). In den Familien der Befragten tragen fast alle weiblichen Mitglieder ein Kopftuch. Der Druck durch die Familien auf die Frauen, ihren Kopf zu bedecken, ist aber eine Ausnahme. Im Freundeskreis spielt das Kopftuch eine untergeordnete Rolle. Bei den Lebenszielen sind religiöse und kollektive Werte am wichtigsten (»Meinen Glauben leben«: 95%/ »Harmonisches Familienleben«: 93%), individualistische und emanzipatorische Ziele (»Dass man sich als freier Mensch fühlen kann/ Möglichst frei und unabhängig sein«: 79%) sind den

36 Die Erhebung ist auf Grund einer fehlenden Grundgesamtheit nicht repräsentativ.

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Frauen jedoch ebenso wichtig (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 31). Es scheint, als würde hier für die Frauen kein Widerspruch bestehen. Traditionelle Rollenmuster, nach denen beispielsweise der Mann die Familie versorgt und die Frau sich um den Haushalt kümmert, werden von den meisten befragten Frauen abgelehnt. »Insgesamt zeigt sich ein familienorientiertes Leitbild mit einer durchaus modernen Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern.« (Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 33). Bezüglich der Beziehung zwischen dem Christentum und dem Islam geben die Autoren an, dass viele befragte Muslima von einer Überlegenheit des Islam ausgehen (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 45). Je religiöser die Frauen sind, desto ausgeprägter ist dieses Phänomen. »Offenbar führt die starke Hinwendung zur Religion bei einer starken Minderheit zu Überlegenheitsgefühlen und zu Gefühlen der Auserwähltheit.« (Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 36). Diese Interpretation ist jedoch nur eine von vielen Erklärungen, denn neben diesem Ansatz sind weitere Sinndeutungen möglich. Im Allgemeinen können religiöse Menschen andere danach bewerten, wie gläubig diese sind. Sie gehen davon aus, dass sehr gläubige Menschen von Gott besser beurteilt werden, als diejenigen, die sich nicht an religiöse Regeln halten. Dabei ist es für die transzendente Macht gleichgültig, welcher Religion der Mensch angehört, es ist nur von Bedeutung inwieweit die jeweiligen Regeln befolgt werden und inwieweit der Mensch frei von Sünden ist. Die meisten der oben besprochenen Studien machen deutlich, dass der Islam von den jungen Muslima in Deutschland als Herausforderung verstanden wird. Viele lehnen es ab, Glaube und Glaubenspraxis der Eltern zu übernehmen oder die Vorgaben muslimischer Gelehrter in den Moscheen und Vereinen unhinterfragt zu befolgen. Sie wollen sich selbst ein Bild von »Gott und der Welt« machen und gerade nicht mit den Angehörigen der älteren Generationen gleichgesetzt werden. Ihre Beziehung zur Religion ist reflektierter und selbstbestimmter. Dies äußert sich gerade nicht in einer Abkehr, sondern in einer Rückkehr zur Religion. Der Islam ist aber nicht nur die Religion von Migranten. Jedes Jahr nehmen Christen und Mitglieder anderer Religionen den muslimischen Glauben in Deutschland an. Über die Konvertitinnen existieren bislang nur wenige Studien, von denen im Folgenden zwei exemplarisch vorgestellt werden.

3. I SLAM IM B LICKPUNKT

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Gabriele Hofmann interviewte 15 konvertierte Frauen zwischen 25 und 53 Jahren. Sie ging den Fragen nach: Welche Bedeutung hat der Islam im Denken dieser Frauen und wodurch gewinnt er seine Plausibilität? Im Fokus stehen vor allem die Identitätsbildung vor dem Hintergrund einer individualistischen Gesellschaft mit speziellen Anforderungen sowie die spezifischen weiblichen Identitätskonstruktionen (vgl. Hofmann 1997: 62). Vor der Konversion fühlten sich die befragten Frauen als Außenseiterinnen bzw. als »etwas Besonderes«, aber dennoch zerrissen und leer. Der Übertritt kann als ein »Übergang von einem »leeren« zu einem »gefüllten« Leben« (Hofmann 1997: 118) bezeichnet werden. Er wird von den Befragten als Befreiung, Erwachen oder Heimkehr bezeichnet. Mit der neuen Religion fühlen sie sich zwar nach wie vor als Außenseiterinnen, allerdings eher als ein authentischer und selbstbewusster »Anderer«. Dieses ist für sie hauptsächlich durch die »Umma« (die Gemeinschaft aller Muslime) und das damit verbundene Zusammengehörigkeitsgefühl möglich. Die Suche bzw. das Heimkehren wird dabei als Reaktion auf die extreme Individualisierung der Moderne und den damit einhergehenden Verlust der Deutungsmuster »Mann« und »Frau« gesehen. Der Islam stellt hier eine sichere Insel dar, die von den Frauen als gegeben angenommen wird. Er ist ein übergeordnetes Sinnsystem, das faszinierend, plausibel und authentisch erscheint und in das sich die Muslima selbst einordnen können (vgl. Hofmann 1997: 125). Auf der praktischen Ebene zeigt sich, dass sich die konvertierten Frauen sehr stark mit dem Islam, mit dem Koran oder weiteren islamischen Texten beschäftigen. Dabei erlebten die Frauen ein Gefühl der Evidenz und der Plausibilität, welches in den Interviews wissenschaftlich-theologisch artikuliert wird (vgl. Hofmann 1997: 142). Neben der Hinwendung zum Hochislam sind die Frauen auch Mitglied in verschiedenen Gruppen und Vereinen, wobei es sich nur in zwei Fällen um feste Gruppierungen handelt. Fünf Frauen besuchen regelmäßig und drei Frauen sporadisch eine Frauengruppe, zwei besuchen allgemeine Veranstaltungen über den Islam oder eine Moschee, eine Frau hat gar keinen Kontakt zu muslimischen Organisationen und vier sind fest in eine muslimische Gemeinschaft (Sufi/ AhmadiyyaBewegung) integriert. Auch hier gestaltet sich der Umgang mit islamischen Normen und Regeln sehr heterogen. Für eine Gruppe stellen die historischen Veränderungen des Islam eine Verfälschung kultureller Traditionen und falsche Interpretationen dar. Als Ideal gilt stattdessen der Urislam der

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Frühzeit, wobei gegenwärtige Phänomene aus der Sicht der islamischen Frühgeschichte gedeutet werden. »Es wird versucht den Sinn der islamischen Regeln in der heutigen Zeit aufzudecken.« (Hofmann 1997: 80.) Diese Gruppe bezeichnet die Autorin als »deutschsprachige Muslime«. Die zweite Gruppe versucht den Islam und die Sunna37 an die gegenwärtige Gesellschaft anzupassen. Im Vergleich zur ersten Gruppe erfolgt die Interpretation in umgekehrter Richtung. Die dritte Gruppe, dazu gehören die Anhänger der Ahmadiyya-Bewegung, vertreten im Grunde die gleichen Ansichten wie die erste Gruppe. Eine völlig andere Sicht findet man bei der Sufi-Gemeinschaft. Im Mittelpunkt stehen die Liebe zu Gott und die spirituellen Erfahrungen, wohingegen Regeln und Normen nur geringe Priorität besitzen. Auch die Religionswissenschaftlerin Maria Baumann widmet sich dem vernachlässigten Phänomen der Konvertitinnen. Im Mittelpunkt der 25 Fallgeschichten stehen die Gründe des Übertritts zu einer anderen Religion. Deutlich wird, dass auch hier die Konvertierten die Entscheidung sehr bewusst und freiwillig treffen. Ihre neue Religion bietet ihnen eine neue Identität, die sie lange gesucht haben, aber im Christentum so nicht finden konnten. Als positiv empfinden sie speziell die spirituelle Anerkennung und das Gefühl, einer Gemeinschaft anzugehören (vgl. Baumann 2004: 184). Wie bei vielen der anderen vorgestellten Studien eignen sich auch hier die Frauen den Islam selbst an und entwickeln eine religiöse Frauenkultur, welche die Gleichwertigkeit der Geschlechter unterstreicht (vgl. Baumann 2004:194).

37 Die Sunna gibt die gewohnten Handlungsweisen und Bräuche des Propheten wieder. Damit ist sie nach dem Koran die wichtigste Quelle für religiöse Normen und Pflichten.

4. Identität und Kultur: Eine theoretische Verortung

Die theoretische Annährung an Themen wie Religion, Migration, Identität und Kultur erfolgt durch unterschiedliche Disziplinen. Ansätze finden sich beispielsweise in der Psychologie, Politikwissenschaft, Literaturwissenschaft, Religionswissenschaft, Pädagogik und Soziologie. In diesem Kapitel sollen nun soziologische und kulturtheoretische Konzepte vorgestellt werden, die für das empirische Vorgehen den größten (Mehr-)Wert besitzen. Im Mittelpunkt dieser Forschung stehen die Ansätze der kollektiven, kulturellen Identität. Das Konzept der kulturellen Identität scheint besonders vor dem Hintergrund der meist auf den Islam bezogenen Debatte über Leitkultur, Ehrenmorde und die terroristischen Anschläge eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Nicht nur in der Öffentlichkeit sondern auch in der Wissenschaft wird auf das heftigste diskutiert, ob der Islam überhaupt mit westlichen Werten vereinbar ist (vgl. Bielefeldt 2003), ob sich ein »Euro-Islam« (vgl. Sen et al. 2004) entwickeln kann, ob die Muslime in vielen Welten leben (vgl. Boos-Nünning/ Karakasoglu 2005) oder ob sie sich zwischen allen Stühlen befinden (vgl. Otyakmaz 1995). Zweitens zeigen die Ergebnisse im Kapitel 3.5, dass sich eine breite Mehrheit der Muslime zum Islam bekennt und sich auch über ihren Glauben definiert. Der Glauben scheint eine wichtige Stütze im Leben der Muslime zu sein. Drittens wird deutlich, dass auch die Ausrichtung der Migrationsforschung einen »cultural turn« erfahren hat. Die hier vorgestellten Studien zielen besonders auf den Faktor Kultur ab (vgl. Baumann 2000) und vertreten somit eine Strömung der neueren

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Soziologie, die den Fokus ihres Interesses auf das »doing culture« legt (vgl. Hörning/ Reuter 2004). Um der Notwendigkeit und der Bedeutung von kollektiven Identitäten nachzugehen, wird nun die theoretische Herangehensweise vorgestellt. Das Kapitel ist folgendermaßen gegliedert: Der erste Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über die Auswirkungen der Globalisierung, Migration und Individualisierung auf moderne Gesellschaften und die daraus resultierende Bedeutung der kollektiven Identität. Danach soll der Unterschied zwischen individueller und kollektiver Identität herausgearbeitet werden, bevor anschließend der Begriff der kollektiven Identität allgemein definiert wird. Eine Erörterung der theoretischen Ansätze der Cultural Studies und der Postcolonial Studies, die besonders kulturelle Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Abhandlungen stellen, schließen das Kapitel ab. Das allgemeine Ziel dieses Abschnittes ist es somit, den Begriff der kollektiven, kulturellen Identität und die daraus entstehenden Identitätsdiagnosen zu rekonstruieren, um der Frage nachzugehen, ob und wie Kulturen für kollektive Identitäten von Bedeutung sind. Speziell die vorgestellten Kulturtheorien zur Fremdheit und Identitäten sowie die von ihnen postulierten dynamischen Kulturansätze dienen hier als Grundlage für das weitere empirische Vorgehen.

4.1 I NDIVIDUALISIERUNG , G LOBALISIERUNG UND K ULTURDIFFERENZ In welcher Gesellschaftsform Individuen leben und welche speziellen Merkmale diese Gesellschaften auszeichnen, ist ein Schwerpunkt der soziologischen Forschung und Theorieentwicklung. Schlagwörter wie beispielsweise Hochkultur, Moderne, Postmoderne, Spätmoderne, zweite Moderne oder Neomoderne beschreiben dabei Konzepte, die gesellschaftliche Veränderungen adäquat beschreiben sollen. Welcher Begriff für die heutige Gesellschaftsform geeignet ist, soll in diesem Kapitel nicht diskutiert werden. Es gilt vielmehr festzuhalten, dass die zunehmende Individualisierung aller Lebensbereiche (vgl. Beck 1986) sowie der Prozess der Globalisierung (vgl. Giddens 2001; Beck 2001) als wesentliche Merkmale der heutigen westlichen Gesellschaften gelten. Es sind vor allem diese beiden Prozesse, die »[...] Diskontinuität, Fragmentierung, Bruch und Zerstreuung« (Hall

4. I DENTITÄT

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1999b: 399) in Gesellschaften bewirken. Vor ihrem Hintergrund soll eine Diagnose durchgeführt werden, die verdeutlichen soll, welche Rollen kulturelle Identitäten und Migrationsbewegungen in der Gegenwart spielen. Was kann aber nun unter diesen theoretischen Konstrukten wie »Individualisierung« und »Globalisierung« verstanden werden? Wie Simmel geht auch Beck von einer »starken individualisierten Gesellschaft« (Simmel 1989: 520) aus. Im Mittelpunkt der Beck’schen Theorie steht besonders die Individualisierung des Subjekts aufgrund des Wirtschaftsaufschwungs in den 1960er und 1970er Jahren. Der Soziologe geht davon aus, dass Bildungsexpansion, Reichtumsentwicklung, Arbeitsteilung und die Übernahme von politischen und sozialen Grundrechten zu einer Herauslösung der Individuen aus ihren festen gesellschaftlichen Strukturen führt. »Dies ist eine Dynamik des Individualisierungsprozesses, der im Zusammenwirken aller genannten Komponenten – mehr arbeitsfreie Zeit, mehr Geld, Mobilität, Bildung usw. – seine strukturverändernde Intensität entwickelt und die Lebenszusammenhänge von Klassen und Familien aufbricht« (vgl. Beck 1986: 130).

Die Institutionen, die in der Industriegesellschaft Strukturen vorgaben, bieten heute keine Sicherheit mehr bzw. fallen vollkommen weg: »Individualisierung »verflüssigt« die »Sozialstruktur« der modernen Gesellschaft« (Beck 2001: 3). Das Subjekt wird nun selbst Zentrum seines Lebens und seiner Lebensführung und befreit sich von seinem vorbestimmten Schicksal. Auf der einen Seite hat das Individuum damit die Freiheit, einen eigenen Lebensweg zu wählen, auf der anderen Seite ist es dadurch aber auch mit einer beinahe unüberschaubaren Fülle an Wahlmöglichkeiten konfrontiert. Es herrscht eine permanente Qual der Wahl oder wie es Giddens treffend beschreibt: »Man hat keine Wahl, außer zu wählen.« (Giddens 1998: 49). Jeder wird zum Architekten seines eigenen Lebens, was aber auch dazu führt, dass das Individuum immer einsamer wird (vgl. Berger 1994). Der Prozess konstruiert eine Modernisierungsfalle, die zu psychischen Dispositionen und zu Sehnsucht nach Sinn führen kann (vgl. Beck 1986: 158). Dieser Prozess wird durch die Globalisierung noch verstärkt. Obwohl meist die weltweite wirtschaftliche Vernetzung im Mittelpunkt der Diskussion über die globale Welt steht, umfasst der Globalisierungsprozess »[...] nicht nur Ökonomie, sondern in gleichem Maße Politik, Technologie und

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Kultur.« (Giddens 2001: 21). Globalisierung kann – bezogen auf die Kultur – definiert werden als »[...] jene(r) historische(r) Prozess zur Herausbildung einer Weltgesellschaft und einer globalen Kultur, in der transkontinentale Vernetzung und Mobilität einen strukturellen Wandel herleiten würden, der das enge Korsett nationalstaatlicher Beschränkungen aufsprengt.« (Hall 2004: 77)

Besonders die immer größeren Wanderungsbewegungen führen zu einem intensiveren Aufeinandertreffen sehr unterschiedlicher nationaler, ethnischer und religiöser Vergemeinschaftungen. Immer mehr Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Sozialisationen stehen in einem sozialen, wirtschaftlichen und kommunikativen Austausch. Der stetige Wandel von Werten, der durch Migrationsströme und die damit verbundene Kulturpluralisierung geprägt ist, führt verstärkt zu einem permanenten Aushandeln von Werten zwischen den Minoritäten und den Majoritäten. »Migration has undermined the myth of culture or ethnic homogeneity, despite some demagogic attempts at resistance.« (Eder/ Giesen et al. 2002: 1). In Bezug auf Deutschland wird dies besonders am Beispiel der Religion deutlich. In Deutschland scheint sich die Religion aus dem Öffentlichen zurückziehen, sei es nun durch Säkularisierungstendenzen (vgl. Pollack 1996: 61) oder den Rückzug der Religion ins Private (vgl. Luckmann 1991: 141). Dies gilt aber nicht für alle in Deutschland lebenden religiösen Gruppen in gleichem Maße. Speziell bei muslimischen Migranten hat es den Anschein, dass es hier zu einer »Rückkehr der Religion« (vgl. Riesebrodt 2001) kommt. Wie Kapitel 3.5 zeigt, stellt gerade der Islam einen wichtigen Faktor für einen großen Teil der Muslime dar. Für viele wird der Alltag durch das Religiöse bestimmt und dieses explizit im öffentlichen Raum ausgelebt. Religion wird damit zu einem bedeutenden Bestandteil der Identität und eines öffentlichen Diskurses wie beispielsweise der Kopftuchstreit verdeutlicht. Dies hat zur Folge, dass Identität, Kultur, Religion und Politik miteinander verknüpft und nicht mehr so einfach voneinander getrennt werden können. Sie bilden eine Symbiose, wobei Machtverhältnisse die Vernetzung dieser einzelnen Kategorien beeinflussen. Vor diesem Hintergrund müssen sich insbesondere Minderheiten wie etwa Muslime häufig mit fremdzugeschriebenen Identitätslabeln auseinandersetzen, da sie in Anzahl, Kohäsionsgrad und sozialem Status im Ver-

4. I DENTITÄT

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gleich zur etablierten Mehrheit über weniger (Definitions-)Macht verfügen (vgl. hierzu klassisch die Etablierten-Außenseiter-Figuration von Elias und Scotson 1990). Diese Labels sind zum Teil bereits institutionalisiert, d. h. sie werden in gesellschaftlichen Teilsystemen wie Politik, Recht oder Wirtschaft benutzt und bestimmen dort Rechte, Pflichten und Ansprüche. Hierzu zählen z. B. der Militärdienst, die Arbeitserlaubnis, das Aufenthaltsrecht usw. (vgl. Beck-Gernsheim 1999: 127). Vor diesen Kontext werden die Sinnsuche und ihre Erfüllung durch die Konstruktion einer Identität immer wichtiger. »Identität, so scheint es, wird in Alltag und Wissenschaft zum Dauerthema, weil die tradierten gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen für eine stabile soziale Verortung und eine Einbindung der Menschen zunehmend wegbrechen.« (Eickelpasch/ Radmacher 2004: 5)

Daher ist es nicht verwunderlich, dass für Eder die kollektive Identität die Antwort auf die Frage der Verflüssigung dieser Sinnhaftigkeit darstellt. Für ihn bietet diese Stabilität und Handlungssicherheit (vgl. Eder 1990a: 33f). Was lässt sich aber unter Identität im Allgemeinen und unter kollektiver Identität im Speziellen verstehen?

4.2 I NDIVIDUELLE

UND KOLLEKTIVE I DENTITÄT

Identität ist ein weit verbreiteter Begriff, der neben der wissenschaftlichen Verwendung auch Einzug in den alltäglichen Sprachgebrauch gefunden hat. Dadurch kommt es häufig zu einem inflationären Einsatz dieses Begriffs, oft ohne die Bedeutung genau zu kennen. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn der Begriff wird in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verwendet: Ich-Identität, Gruppen-Identität, ethnische Identität, um nur einige zu nennen. Was ist Identität und wie lässt sich Identität nun beschreiben? Welche Rolle spielt sie vor dem Hintergrund der Migration und dem Zuzug von Fremden? Nach Giesen kann zwischen individueller bzw. persönlicher und kollektiver Identität unterschieden werden (vgl. Giesen 1999). Da individuelle und kollektive Identitäten jedoch sehr eng miteinander verwoben sind, soll an dieser Stelle auch eine kurze Darstellung des Konzeptes der individuel-

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len Identität erfolgen. Im Fokus der kurzen Abhandlung zu persönlichen Identitäten stehen hier ausschließlich Theorien, die speziell die Beziehung zwischen dem Eigenen und dem Fremden in den Mittelpunkt stellen38 Individuelle Identität kann nach Abels wie folgt definiert werden: »Identität ist ein Bewusstsein, ein unverwechselbares Individuum mit einer eigenen Lebensgeschichte zu sein, in seinem Handeln eine gewisse Konsequenz zu zeigen und in der Auseinandersetzung mit anderen eine Balance zwischen individuellen Ansprüchen und sozialen Erwartungen gefunden zu haben.« (Abels 2004: 347)

Hierbei scheinen die Identitäten in Zeiten der Individualisierung und Globalisierung immer fluider und zu einer Sache der Aushandlung zu werden. Stabile Vorgaben, wie wir sie in traditionellen Gesellschaften (z.B. Klasse, Geschlecht) vorfinden, fallen weg. Heute müssen wir uns Identität in neuen Begriffen und als einen Prozess der Identifizierung denken. »Es ist etwas, das sich mit der Zeit ereignet, das niemals völlig stabil ist, das dem Spiel der Geschichte und dem Spiel der Differenz unterliegt.« (Hall 1999a: 91). Nach Reuter (2002) wird die persönliche Identität speziell durch die Differenz mit anderen konstruiert. Welche Rolle der Fremde dabei spielt, wird in der Soziologie ganz unterschiedlich bewertet. Bei Simmel ist der Fremde ein Händler, der heute kommt und morgen bleibt und dabei trotzdem einen integrativen Charakter besitzt (vgl. Simmel 1992). Bei Park ist der Fremde ein »marginal man« (Mulatte), der aufgrund seiner ambivalenten Situation zwischen Ausgegrenztheit und Integration psychischen Krisen ausgesetzt ist, deren Bewältigung jedoch Innovation und sozialen Wandel hervorbringt (vgl. Park 1928). Der wissenssoziologische Ansatz von Schütz geht davon aus, dass mit der Anwesenheit des Fremden (Immigrant) unterschiedliche Wissenssysteme aufeinander treffen, die deutlich die Grenzen des Fremdverstehens aufdecken, da beide Akteure auf der Basis unterschiedlicher kultureller Codes handeln (vgl. Schütz 1972). Auch wenn unterschiedliche soziologische Ansätze existieren, lässt sich hier zusammenfassend feststellen, dass ein Selbst ohne den Vergleich mit dem Fremden gar nicht vorstellbar ist.

38 Eine vollständige Abhandlung von allgemeinen Identitätstheorien wie beispielsweise von Mead (1995), Erikson (1973), Parsons (1937) und Krappmann (1993) würde den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen.

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Warum wir unsere »Identität anderen verdanken« macht der Soziologe Hahn anhand von fünf Aspekten deutlich. Erstens ist der Körper als bewusstseinsfremder Tatbestand gleichzeitig ein Zeichen der eigenen Identität. Zweitens ist das Bewusstsein der anderen ein System, welches nie völlig durchschaut werden kann, aber dennoch ein Spiegel und Gedächtnis unserer eigenen Identität ist. Drittens wollen wir auch immer sein, was die anderen sind. Aus diesem Grunde sind wir nicht lediglich das, was die anderen nicht sind, sondern auch, was die anderen auch sind. Viertens muss die Identität auch immer gegen andere abgegrenzt werden. Auch wenn unterschiedliche theoretische Ansätze in der Soziologie vorliegen, lässt sich festhalten: Wir benötigen Fremde, um zu sagen, was wir nicht sind. Gleichzeitig artikulieren wir damit, was wir sind. Und letztens ist unsere Persönlichkeit kein statisches Phänomen. Die Identität verändert sich mit der Zeit. »Um sie zu vergegenwärtigen, müssen wir sie darstellen. Dazu aber benötigen wir Zuhörer oder Leser und soziale institutionalisierte Formen biographischer Erzählungen. Wir brauchen mit anderen Worten Kriterien für die Auswahl dessen, was wir erzählen und was wir vergessen oder verschweigen müssen.« (Hahn 1999: 63)

Neben den Selbstzuschreibungen, die auf individuellen Merkmalen aufbauen, können Identitäten auch aufgrund von Zuschreibungen zu einer Vergemeinschaftung aufgebaut werden. Die Selbstzuschreibung kann aber auch in Zugehörigkeiten verankert werden. Man beschreibt sich dann beispielsweise als Mann, Frau, Kind, Schuster, Hebamme, Katholik, Deutscher, Franzose (Hahn 1997: 117). Giesen spricht hier von kollektiven Identitäten39, die er wie folgt definiert:

39 Anzumerken ist, dass der Begriff der kollektiven Identität nicht unumstritten ist. Für Niethammer gilt der Begriff als wissenschaftlich untragbar. Seiner Ansicht nach ist in ihm die Gefahr angelegt, für politische Ziele missbraucht zu werden. Der Begriff diene dazu, Minderheiten auszugrenzen bzw. zu unterdrücken. Er gehe mit Gewalt und Fundamentalismus Hand in Hand und besitze kein theoretisches Fundament (vgl. Niethammer 2000). Straub weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass besonders die normative Begriffsverwendung zu einer Bildung von »Pseudoidentitäten« führt, die Grenzen zwischen Fremden und Eigenen, Freunden und Feinden ziehen und damit ideologisch-manipulierten Zwecken dienen können (vgl. Straub 1998: 100).

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»Kollektive Identitäten gründen sich [...] auf eine gemeinsame Vergangenheit, an der Außenstehende nicht teilhaben, oder auf eine gemeinsame Vorstellung der Zukunft, die von Außenstehenden nicht geteilt wird. Aber ein solches Anreichern von Bedeutung bleibt nicht auf die Ebene elementarer Operationen beschränkt. Es können sehr spezielle Embleme und die Erinnerung an ganz bestimmte Ereignisse sein, mit denen die Angehörigen einer Gemeinschaft sich wechselseitig auszeichnen und von den Außenstehenden unterscheiden.« (Giesen 1999: 24)

Kollektive Identität wird somit auf Basis von Symbolen bzw. kulturellen Codes konstruiert. Diese Codes können beispielsweise Sprache, Religion, Volkszugehörigkeit sein, wobei gilt, dass diese nicht naturell gegeben sind, sondern von den Individuen konstruiert werden. »Collective identities such as ethnic, national and class identities are neither naturally given nor logical defined. They are socially constructed.« (Eder/ Giesen 2002: 20). Mit der Zuschreibung zu einer kollektiven Identität, macht man eine Identität geltend, die man mit anderen teilt. »Zugleich aber aktiviert man eine Unterscheidung: Man identifiziert sich durch ein Merkmal oder eine Klasse von Merkmalen, die andere – so wird jedenfalls unterstellt – nicht haben. [...] Die Identifikation, die hier vorgenommen wird, macht also einerseits den Anspruch auf eine Zugehörigkeit geltend und schließt gleichzeitig andere von dieser Zugehörigkeit aus.« (Hahn 1998: 145)

Wenn eine Zugehörigkeit angenommen wird, bedeutet das nicht, dass die anderen wie »Jacken an der Garderobe« abgegeben werden. Vielmehr rücken sie in den Hintergrund und spielen in dieser gewissen Situation nur eine untergeordnete Rolle. Sie können aber in einer anderen Konstellation wieder aktiviert werden. Individuen können demnach eine multiple Mitgliedschaft besitzen. Besonders durch die fluide Identität des Subjekts können Individuen nun Konstituenten verschiedener Kollektive sein, solange sie sich beispielsweise mit den Werten, Ideen, Normen, Ziele dieser kollektiven Identitäten identifizieren und diese auch in ihrem Handeln berücksichtigen (vgl. Straub 2004: 299f). Auch wenn die Gleichheit zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern als eine Vorraussetzung für kollektive Identität gilt, kann diese nicht als eine Art von Uniformierung von Individuen verstanden werden. Kollektive Identität muss nicht unbedingt eine uneingeschränkte Egalität zwischen den

4. I DENTITÄT

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einzelnen Mitgliedern bedeuten. Meist sind es zentrale Aspekte der Individuen, die von Mitgliedern mehr oder weniger geteilt werden, die eine soziale Identität bestimmen. Kollektive Identitäten sind nicht unbedingt feste und stabile Gebilde. Auch innerhalb von diesen können wiederum Diskurse, Dialoge und Konflikte entstehen, die zu Veränderungen führen (vgl. Giesen 1999: 119f). Ferner sind kollektive Identitäten immer ein Konstrukt von Selbst- und Fremdzuschreibungen, die Giesen als situative Elemente der kollektiven Identifizierung beschreibt. Hierbei ist eine Identifikation mit einer konstruierten Gemeinschaft immer von den Beziehungen zwischen den Strukturpositionen abhängig. Mit anderen Worten kommt eine eindeutige kollektive Identität erst zustande, wenn die Identitätsgrenzen durch die Strukturpersonen Ego, Alter und Dritte eindeutig und für alle gleichermaßen bestimmt sind: »Für die soziale Konstruktion von Grenzen und kollektiver Identität wird das Einverständnis von mindestens zwei Strukturpositionen in einer Situation benötigt; wenn die dritte Strukturperson nicht zustimmt, steht die Grenze immer noch zu Debatte und ist umstritten. Eine Grenze ist fest und unzweifelhaft etabliert nur dann, wenn alle drei Strukturpositionen über die Grenzziehung übereinstimmen.« (Giesen 1999: 78)

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass kollektive Identitäten ein Konstrukt der Gemeinsamkeiten von Selbst- und Weltbildern sind, die mit anderen Menschen geteilt bzw. nicht geteilt werden. »Kollektive oder WirIdentität existiert [somit] nicht außerhalb der Individuen, die dieses »Wir« konstituieren und tragen. Sie ist eine Sache individuellen Wissens und Bewusstseins.« (Assmann 1992: 131). Als Voraussetzung einer kollektiven Identität benötigt man somit zum einen subjektive Gemeinsamkeiten (beispielsweise Werte, Normen, Ideen), welche die einzelnen Personen verbinden und sie, zumindest für eine kurze Zeit, als eine Art Einheit nach außen erscheinen oder sich selbst als ein Kollektiv beschreiben lassen. Zum anderen benötigt man Interaktion und einen Grad von Organisation, die stabilisierend wirkt und zwischen innen und außen vermittelt (vgl. Rucht 1995: 10). Demnach basiert kollektive Identität hauptsächlich auf kulturellen Codes, die in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Wertungen besitzen können. »Kultur bestimmt als ein solcher nicht mehr hinterfragbarer

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oder begründungsbedürftiger Horizont die Konstruktion von Gemeinschaftlichkeit und kollektiver Identität.« (Giesen 1999: 18). Durch die klare Grenzziehung zwischen Innen und Außen wird der Begriff der kollektiven Identität auch zu einem Kampfbegriff im Rahmen von Identitätspolitik (vgl. Eder 1990a: 25), bei dem besonders kulturelle Codes eine bedeutende Rolle einnehmen. Wie der Identitätsbegriff unterliegt auch der Kulturbegriff unterschiedlichen theoretischen Annahmen. Im nächsten Schritt werden nun Cultural Studies und der Postcolonial Studies vorgestellt, bei denen die hier untersuchten Aspekte Kultur, Identität und Macht (Diskurs) miteinander verwoben sind.

4.3 D YNAMISCHE I DENTITÄTEN Da sich dieses Forschungsvorhaben speziell mit der kollektiven Identität und dem »doing identity« (vgl. Reuter 2004) von Muslima befasst, soll in diesem Abschnitt geklärt werden, vor welchem kulturtheoretischen Hintergrund dies geschieht. In der Migrationsforschung werden besonders Integrationstheorien (vgl. Oswald 2007; Han 2005) oder Kulturtheorien (vgl. Hall 1992; Hall 1994a; Bhabha 2001; Huntington 2004; Taylor 1993), die sich speziell mit Identitätskonstruktion auseinandersetzen, als Erklärungsmodelle herangezogen. Auf Basis der theoretischen Annahmen der Individualisierung und Globalisierung und ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaftsstrukturen, wie sie in Kapitel 4 dargelegt wurden, wird im Folgenden auf Kulturtheorien zurückgegriffen, da diese speziell die kulturellen Aspekte (wie Religion und Sprache) und die Bedeutung dieser kulturellen Codes bei der Identitätskonstruktion von Migranten in der Diaspora in den Mittelpunkt ihrer theoretischen Abhandlungen stellen. Wie schon in Kapitel 4.2 gezeigt wurde, sind gerade diese kulturellen Codes für die Identifikation mit einer Gemeinschaft von essentieller Bedeutung. Das Konzept von kultureller, kollektiver Identität ist in der Wissenschaft aber keinesfalls einheitlich; vielmehr existieren unterschiedliche theoretische Ansätze, die von unterschiedlichen Prämissen, Definitionen und Formen der kulturellen kollektiven Identität ausgehen. Hier wird auf die Theorien der Cultural Studies und der Postcolonial Studies zurückgegriffen. Anders als bei den klassischen theoretischen

4. I DENTITÄT

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Herangehensweisen wie beispielsweise der von Huntington (Huntington 1993, 1996, 2004), welcher von einem konfliktbehafteten, geschlossenen, monolithischen und homogenen Kulturbegriff ausgeht, der durch Abgrenzung und Negativierung entsteht oder der von Taylor (Taylor 1992, 1993a, 199b), welcher zwar einen multikulturellen Ansatz, aber dennoch ein »pluralistisches Homogenitätsmodell« (Reckwitz 2001: 183) verfolgt, gehen die Ansätze der Cultural Studies und Postcolonial Studies von veränderbaren, dynamischen sowie hybriden Identitäten aus. Diese theoretischen Konzepte bilden die Grundannahmen des vorliegenden Kapitels, wobei die Theorien von Stuart Hall (vgl. exmpl. 2002a) und Homi K. Bhabha (vgl. exempl. 2000) und speziell deren Konzepte der »Hybridität« und des »third space« im Fokus der theoretischen Abhandlung stehen. Der Ursprung der Cultural Studies ist im Birmingham der 1960er Jahre zu verorten. Die erste intensive Beschäftigung mit den kulturtheoretischen Ansätzen fand in Deutschland dagegen erst in den 1990er Jahren statt. Aufgrund ihrer multiplen Ausrichtung ist eine Definition der Cultural Studies nicht unproblematisch. Hepp und Winter plädieren deshalb auch dafür, die Cultural Studies nicht einfach mit der deutschen Kulturwissenschaft gleichzusetzen, da dies eine Vereinfachung ihrer komplexen Ausrichtung darstellt. Ihrer Ansicht nach ist es zielführender, »Cultural Studies als ein transnationales Projekt der kritischen Kulturanalyse zu begreifen.« (Hepp/ Winter 2006: 10). Hierbei stehen besonders kulturelle Fragen im Mittelpunkt der Analyse, die immer vor einem politischen Hintergrund diskutiert und auf Machtstrukturen hin untersucht werden. »Im Bereich Kultur werden Machtverhältnisse etabliert, legitimiert, aber auch in Frage gestellt.« (Hepp/ Winter 2006: 10). Der theoretische Ursprung der Postcolonial Studies lässt sich auf das Buch »Orientalism« von Edward Said (1978) und seine Kritik an der Konstruktion des Orients durch die westliche Literatur zurückführen. Seither stehen die Geschichte des Kolonialismus und dessen Auswirkungen im Mittelpunkt der Postcolonial Studies. Kritisiert wird vor allem die physische und psychische Ausbeutung der indigenen Bevölkerung durch die Kolonialherrn und die daraus entstandenen Folgen. »Dabei beschäftigt sie sich heute längst nicht mehr nur mehr mit den Wirkungen der Kolonialisierung, sondern bezieht auch die aktuell bestehenden neokolonialen Machtverhältnisse und die diversen kulturellen Formationen, die in Folge von Kolo-

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nialisierung und Migration in den Metropolen entstanden sind, in ihre Betrachtung mit ein.« (Varela/ Dhawan 2005: 25)

Den Kulturtheorien ist gemein, dass beide Ansätze die Begriffe Kultur, Identität und Macht in den Mittelpunkt ihrer Analyse stellen. Es geht hierbei um die Untersuchung, »[...] wie soziale und politische Identitäten qua Macht in Felder der Kultur (re-)produziert werden« (Machart 2008:35). 4.3.1 Hybridformen der kulturellen Identität von Stuart Hall Der Soziologe Stuart Hall, der auf Jamaika geboren wurde, widmet sich vor allem der Frage nach Kultur und Identität, wobei er besonders auf Annahmen der Sprachwissenschaft, der Psychoanalyse und der Anthropologie zurückgreift. Identitätsdebatten können nach Hall in drei idealtypische Phasen eingeteilt werden: In der Aufklärungsphase entwickelt sich die Identität des Individuums um einen festen Kern, der sich innerhalb einer Lebenspanne nicht verändert. Die Entwicklung des Subjekts ist hierbei immer stärker von der eigenen Vernunft, den eigenen Handlungen und Erkenntnisgewinnen geprägt. »Das essentielle Zentrum des Ichs war die Identität einer Person.« (Hall 1999b: 395). Das soziologische Subjekt hingegen bildet sich im Zusammenspiel zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Die Identität fungiert hier als eine Art Brücke zwischen dem Selbst und der Umwelt. Die Identität ist hierbei stark an gesellschaftliche Faktoren gebunden, deren Veränderungen sich auch auf diese auswirken. Obwohl es dadurch zu einer Flexibilität kommt, wird hier immer noch von einem »Kern« ausgegangen, wobei dieser jetzt nicht mehr wie in der Aufklärungsphase via Geburt absolut ist (vgl. Hall 1994a: 182). Hall geht davon aus, dass die Phase, in der sich das soziologische Subjekt bildet, stark von einem Interaktionismus geprägt wird, den er nach der Theorie von Mead verstanden sehen will. In heutigen Gesellschaften kommt es nun zu einem Bruch der Verbindung zwischen Individuum und Gesellschaft, was eine Fragmentierung des Subjekts zur Folge hat. Die stabilen Identifikationsobjekte, wie sie in der soziologischen Phase noch zu finden waren, werden vielfältiger bzw. lösen sich auf.

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»In dem Maße, in dem sich die Systeme der Bedeutung und der kulturellen Repräsentation vervielfältigen, werden wir mit einer verwirrenden, fließenden Vielfalt möglicher Identitäten konfrontiert, von denen wir uns zumindest zeitweilig mit jeder identifizieren können.« (Hall 1994a: 183)

Die Identität setzt sich damit aus multiplen Identitäten zusammen, die unter bestimmten Umständen auch widersprüchlich sein können. Dieses Schicksal erschwert es dem Individuum, sich als stabile Person wahrzunehmen. Für diese Destabilisierung der Identität führt Hall fünf Gründe an. (1) Als erstes bezieht sich Hall auf Marx, der durch seine Idee der fortschreitenden Geschichte im 19. Jahrhundert verdeutlichte, dass Subjekte zwar Geschichte machen können, dies aber nicht zu ihren eigenen Bedingungen stattfindet: »Wir werden zum Teil stets von den Handlungsweisen und Diskursen konstruiert, die uns ausmachen, so daß wir in uns selbst als individuelle Ichs oder Subjekte oder Identitäten nicht an den Ursprungspunkt finden können, von dem Diskurs oder Geschichte oder Handeln ausgehen.« (Hall 1999a: 85)

Das Individuum ist damit stärker als zuvor durch äußere Umstände determiniert, welche es selbst nicht kontrollieren kann. (2) Zweitens beruft sich Hall auf Freud und die Theorie der Psychoanalyse. Durch das verstärkte Hervortreten des Unbewussten kommt es zu einem weiteren Unsicherheitsfaktor bei der Identitätskonstruktion. Das Selbst kann sich nicht mehr vollständig reflektieren, da es unbewussten Trieben, Lüsten und Machtstreben ausgesetzt ist (Vgl. Hall 1994a: 194 ff). Dies verhindert die Stabilisierung eines Identitätskerns. (3) Drittens bezieht sich Hall auf den »linguistic turn« und speziell auf Sassure. Demnach sind sprachliche Zeichen nicht stabil. Kommunikative Symbole verändern ihren Sinn, da ihre Bedeutung immer an Zeit und Raum gebunden ist. »Was Neues zu sagen, bedeutet zuallererst, erneut die Spuren der Vergangenheit zu bestätigen, die in den von uns benützten Wörter eingeschrieben sind.« (Hall 1999a: 86). Für das Subjekt bedeutet dies, dass es sich nie darüber im Klaren sein kann, welche Aussagen durch das Bedeutungssystem vermittelt werden, da es den zeitlichen und örtlichen Kontext nie zur Gänze reflektieren kann. Es bleibt immer eine »kommunikative Unbekannte«.

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(4) Ein weiterer Aspekt, der nach Hall zur Dezentrierung des Subjekts beiträgt, ist der Fakt, dass sich die Institutionen, die zur Kontrolle und Disziplinierung des Individuums und seines Körpers beitragen, immer stärker ausdifferenzieren. So hat eine Vielzahl von Institutionen, die das Subjekt von Geburt an kontrollieren, bewachen und beurteilen, einen Einfluss auf die Identitätskonstruktion des Subjekts. In Anlehnung an Foucault geht Hall davon aus, dass je differenzierter und stärker die Institutionalisierung voran schreitet, dies umso stärker eine Dezentralisierung des Subjekts nach sich zieht (vgl. Hall 1994a: 197f.). (5) Hall nennt außerdem zwei weitere Aspekte, die hier als »Einfluss der Minderheiten« bezeichnet werden sollen. Erstens weist er darauf hin, dass das Geschlecht nicht mehr als vordeterminiert gelten kann, sondern in einem politischen und sozialen Diskurs ausgehandelt wird (Vgl. Hall 1994a: 198f.). Als zweites wirkt sich auch der Kontakt zwischen unterschiedlichen Ethnien auf die Dezentrierung des Subjekts aus. »Dies ist die große Dezentrierung der Identität, die eine Folge der Relativierung der westlichen Welt darstellt – der Entdeckung andere Welten, anderer Völker, anderer Kulturen und anderer Sprachen.« (Hall 1999a: 87). In diesem Zusammenhang verweist Hall auf die besondere Situation der Migranten in der Diaspora, die durch ihre Wanderung neue Kulturen importieren, aber auch gleichzeitig neuen ausgesetzt sind. Hall geht, anders als beispielsweise Huntington (1993, 2004) und Taylor (1993a), von einer eher dezentrierten Identität des Subjekts aus. Eine bedeutende Rolle spielt hier besonders die Erfahrung der Differenzen mit dem Anderen. Zum einen hilft sie dem Individuum, sich darüber klar zu werden, wer es nicht ist bzw. sein möchte. Durch die Abgrenzung gegenüber Alter wird Ego aber auch bewusst, wer es ist. Es konstruiert damit seine individuelle Identität. Auf der anderen Seite produziert Alter ein befremdliches Bild, welches beispielsweise bei Ego zu Angst und Aggression führen kann. Nach Hall ist der Andere damit auch immer ein Teil des Subjekts selbst (Vgl. Supik 2005: 48ff). Ferner ist Identität kein stabiler Faktor mehr, sondern ergibt sich aus einem nie endenden Diskurs und ist damit ständigen Aushandlungsprozessen ausgesetzt. Dennoch ist kollektive Identität für Hall keine leere Hülle, die sich zwecks Vielfalt im Chaos verliert. Identität wird nun vielmehr zu einem politischen Begriff, bei dem es um den umkämpften Bereich der Repräsentation geht, in dem Gruppen um Deutungsmacht und Handlungsmacht konkurrieren. Hierbei bieten sich aber auch

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Minderheiten Möglichkeiten, sich in diesen Diskurs einzubinden und sich zu positionieren (vgl. Hall 1999a: 95). Bei Hall bedeutet Dezentralisierung der Identität somit nicht gleichzeitig Aufgabe des Identitätsbegriffs an sich; dieser befindet sich allerdings in einem Diskursraum und muss stetig ausgehandelt werden. Besonders Ethnizität spielt bei der Positionierung in diesem Raum eine bedeutende Rolle, da hier die Beziehung zwischen Identität und Differenz am stärksten zum Vorschein tritt. »Ethnizität ist der notwendige Ort oder Raum, von dem aus Menschen sprechen. Die Wiederentdeckung der eigenen Ethnizität ist ein wichtiges Moment für die Geburt und Entwicklung all der lokalen und marginalen Bewegungen, die die letzten zwanzig Jahre verändert haben.« (Hall 1994b: 61)

Ethnizität wird dabei zu einem »Kampfbegriff« im Prozess der politischen Positionierung gegen Marginalisierung (vgl. Hall 1999a: 97). Hierbei basiert ethnische Identität nicht mehr auf einem geschlossenen und universalistischen Modell der Kultur, sondern ist stark durch Hybridität und durch die Situation der Migranten in der Diaspora geprägt. Mit Hybridität werden in diesem Zusammenhang die Vermischung von Kulturen und eine aktive Präsentation von »Unreinheit« bezeichnet. Sie steht der Vorstellung von einem hegemonialen Diskurs gegenüber. »Hybridität bezieht sich nicht auf hybride Individuen, [...], die entweder traditionell oder modern sind. Sie ist ein Prozess kultureller Übersetzung, der qualvoll ist, weil er nie abgeschlossen ist, sondern immer unentscheidbar bleibt.« (Hall 2004: 208). Hybridität ist auf der einen Seite ein schmerzhafter Prozess, der mit Erlebnissen von Diskriminierung, Entwurzelung und Unterjochung verbunden ist, aber auf der anderen Seite bietet er den marginalisierten Gruppen ein Widerstandspotential. 4.3.2 Der »Third space « von Homi K. Bhabha Neben Stuart Hall beschäftig sich auch der Literatur- und Kulturtheoretiker Homi K. Bhabha mit einem sehr dynamischen Begriff der Identität. Auch bei Bhabha stehen zwar Migranten, jedoch vor allem das Verhältnis zwischen Kolonialherren und Kolonialisierten im Blickpunkt seiner Identitäts-

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theorie. Grundlage seines theoretischen Vorgehens sind postkoloniale, globale Strukturen, in denen er auch die Migrationsbewegungen verortet. Bhabha stützt sich dabei auf unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen. Neben dem psychoanalytischen Vorgehen von Lacan und Fanon bezieht sich Bhabha auf die Konzepte von Said, Heidegger, Foucault und auf den Dekonstruktivisten Derrida. Kultur bzw. Kulturen werden bei Bhabha durch Symbole konstruiert und befinden sich immer in Bewegung. Kultur und auch Identität sind damit immer einem nicht endenden Prozess ausgesetzt. »Bhabha kommt zu dem Schluss, dass Kulturen zwar durch das Begehren nach Stabilität und Determination, beispielsweise im Sinne einer Nation, gekennzeichnet sind, sie aber gerade in der Instabilität, der Gleichzeitigkeit von inkommensurablen Geschichten (Narrativen und Historizitäten) und Orten gedacht werden müssen.« (Bonz/ Struve 2006: 141)

Allen Kulturen ist dabei gemeinsam, dass sie sich aus symbolischen Zeichen konstruieren. Diese kulturellen Bedeutungen können dann durch Kommunikation weitergegeben werden. Bedeutungen liegen hierbei nie ganz offen, was dazu führt, dass diese Diskursen ausgesetzt sind, die wiederum neue Symbole konstruieren. Somit ist Kultur bei Bhabha ein semiotischer Prozess, der nie abgeschlossen und, im Gegensatz zu Huntington (1993, 1996), kreativ und konstruktiv ist. Wichtig ist auch hier, dass sich die Bedeutung immer durch die Differenz zum jeweils Anderen konstruiert. Hierdurch kommt es zu einem Unterschied zwischen den Kulturen und auch zwischen verschiedenen Machtstrukturen. Beispielhaft bezieht sich Bhabha auf die postkolonialen Gesellschaften, die durch eine spezifische Erfahrung und Geschichte gekennzeichnet sind. Sie stehen exemplarisch für das Individuum der modernen Gesellschaft. Das Verhältnis zwischen den Kolonialherren und den ethnisch Anderen ist dabei sehr ambivalent. Zum einen ist es das Untertanenvolk, welches durch die Kolonialisten unterdrückt wird und welches ausgebeutet werden soll, auf der anderen Seite lösen die Unterdrückten aber auch Interesse und Neugierde bei den Kolonialherren aus (Vgl. Bhabha 2000: 121f). Das kolonialisierte Subjekt zeichnet sich damit nicht nur durch das Anderssein aus, sondern besitzt auch immer eine Ähnlichkeit zum Kolonialherrn selbst. Umgekehrt gilt dasselbe. Im übertragenden Sinn bedeutet dies, dass Identitäten nie durch uneinge-

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schränkte Differenz und unveränderliche Machtsstrukturen determiniert sind. Vielmehr sind sie zwei Seiten einer Medaille. Bhabha spricht hier von Mimikry. Dies ist ein Prozess, bei dem sich Kulturen annähern bzw. angleichen, aber auf der anderen Seite wiederum Differenzen erzeugen. Kolonialherren und die Kolonialisierten sind damit »[...] almost the same but not quite [...].« (Bhabha 1994a: 89). Ob es sich hierbei um einen reflektierten, beabsichtigten Prozess oder um einen eher unbewussten Vorgang handelt, wird aus den Abhandlungen Bhabhas nicht deutlich (vgl. Castro Varela/ Dhawan 2005: 105f). Wo nun zwei oder mehrere Kulturen aufeinander treffen, entsteht ein Zwischenraum, den Bhabha als »third space« bezeichnet (vgl. Bhabha 1990: 211). Diesen »dritten Raum« beschreibt er als eine Art »Treppenhaus«, in dem sich neue hybride Identitätsformen herausbilden: »Das Treppenhaus als Schwellenraum zwischen den Identitätsbestimmungen wird zum Prozeß symbolischer Interaktion, zum Verbindungsgefüge, das den Unterschied zwischen Oben und Unten, Schwarz und Weiß konstituiert. Das Hin und Her des Treppenhauses, die Bewegung und der Übergang in der Zeit, die es gestattet, verhindern, daß sich Identitäten an seinem oberen und unteren Ende zu ursprünglichen Polaritäten festsetzen. Dieser zwischenräumliche Übergang zwischen festen Identifikationen eröffnet die Möglichkeit einer kulturellen Hybridität [...].« (Bhabha 2000: 5)

Bhabha verwendet den Begriff der Hybridität im Kontext der Kolonialisierung und vor dem Hintergrund der Migration: Besonders in den Kolonien treffen die Kulturen in einem solchen Maße aufeinander, dass die Originale nicht mehr von den Kopien zu unterscheiden sind. Doch auch wenn in diesem Raum keine Hierarchien mehr deutlich werden, ist es kein unpolitischer Raum des Kontakts. Vielmehr werden das Eigene und das Fremde zugespitzt dargestellt, was zu einer Entlarvung der asymmetrischen Diskursmacht zwischen Kolonialisten und Kolonialisierten führt. Unterdrückungsmechanismen werden dadurch aufgedeckt und aufgehoben. Der Zwischenraum als »dritter Raum« hebelt damit zeitlich und geographisch kulturelle Symbole und Strukturen aus. Bhabha beschränkt sich bei seiner theoretischen Abhandlung jedoch nicht allein auf das Beispiel der Kolonien. So bezieht er das Verhältnis zwischen Kolonialherren und Unterdrückten auch auf die Situation der Migranten. Er nimmt an, dass die hybri-

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den Formen der kulturellen Identitäten der Kolonialisierten sich durch die Wanderung auch auf die Aufnahmegesellschaften auswirken. »Their very presence there changes the politics of the metropolis, its cultural ideologies and its intellectual traditions, because they – as a people who have been recipients of colonial cultural experience – displace some of the great metropolitan narratives of progress and law and order, and question the authority and authenticity of those narratives.« (Bhabha 1990: 218)

Das Model der Hybridität ist damit ein Konzept des Widerstands und einer politischen Positionierung von Minderheiten innerhalb eines zeitlich und räumlich konstruierten Kulturraums. Als Beispiel führt Bhabha den Roman »Die Satanischen Verse« von Salman Rushdie an, der nach der Veröffentlichung durch den iranischen Glaubensführer Khomeini mittels einer Fatwa40 im Jahr 1989 zum Tode verurteilt wurde. Für ihn ist der Vorgang ein Exempel für Hybridität, da durch Rushdies Umdeutung der islamischen Suren eine neue Leseart entstanden ist, die der orthodoxen Auslegungen widerspricht. Dieses Phänomen bezeichnet Bhabha explizit als »Metapher der Migration«: »What is interesting is how, using another kind of language of representation – call it the migration metaphor [...] – and giving a context of other forms of allegorisation, the metropolitanism of modern city, contemporary sexuality etc., the knowledges and disputes about the status of the Koran become quite different things in the Satanic Verse. Trough that transformation, trough that form of cultural translation, their values and effects (political, social, cultural) become entirely incommensurable with the traditions of theological or historical interpretation which formed the received cultural of Koran reading and writing.« (Bhabha 1990: 218)

Identität ist demnach durch Differenz, Brüche und Prozesshaftigkeit gekennzeichnet. In diesem Zusammenspiel bietet besonders der »dritte Raum« politischen Spielraum für Minderheiten, sich in den Diskurs einzubringen und neue Identitäten zu entwickeln. Hierzu ist jedoch anzumerken, dass das Hybriditätskonzept von Bhabha dazu neigt, nahezu alle Kulturen als hybride Produkte zu definieren. Der Sozialwissenschaftler Ha stellt so-

40 Unter einer Fatwa ist ein islamisches Rechtsgutachten zu verstehen.

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mit zu Recht die Frage, wie sich die Subjekte überhaupt zu einander positionieren können und wer der Unterdrückte und wer der Unterdrücker ist (vgl. Ha 2005: 96). Ferner wird kritisiert, dass Bhabha in seinem identitätstheoretischen Vorgehen Genderaspekte nicht berücksichtigt (vgl. Loomba 1994: 316f).

4.4 K RITISCHE W ÜRDIGUNG DER DYNAMISCHEN I DENTITÄTSANSÄTZE In den letzten Abschnitten wurden der Unterschied zwischen persönlicher bzw. individueller und kollektiver Identität sowie ihre Bedeutung und Konstruktion vorgestellt. Auch wurden die unterschiedlichen Bedeutungen der kulturellen Codes bei der Konstruktion und Stabilisierung der kollektiven Identitäten bezüglich Migranten herausgearbeitet. Im Fokus der kritischen Würdigung stehen vor allem der jeweilige Kulturbegriff und dessen Bezug zur kollektiven Identitätsentwicklung, während andere Aspekte aufgrund des engen Rahmens ausgeblendet werden. Besonderen Mehrwert für die vorgestellte Forschungsarbeit scheinen die Ansätze zu besitzen, die unter der Überschrift »Identität und Diskurs« zusammengefasst wurden. Im Folgenden sollen nochmals die wichtigsten Aspekte der Ansätze von Hall und Bhabha kurz dargestellt und anschließend kritisch gewürdigt werden. So unterschiedlich die beiden Ansätze auch sein mögen, zeigen sich doch deutliche Parallelen. Identität konstruiert sich immer aus den Differenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden (vgl. Kapitel 4.2). In diesem Punkt sind die Ansätze deckungsgleich mit den klassischen Modellen von Taylor (1993a, 1993b) und Huntington (1993, 1996). Ansonsten grenzen sich die Modelle der beiden Kulturtheoretiker der Cultural Studies und der Postcolonial Studies jedoch deutlich von den klassischen Modellen des Multikulturalismus und dem kulturpessimistisch-deterministischen Ansatz ab. Indem sie den DiskursAspekt von Identität in den Mittelpunkt rücken, zeigen Hall und Bhabha, dass kulturelle Hierarchien nicht mehr durch naturalistische und vorbestimmte Zugehörigkeiten determiniert werden, sondern sich immer im Aushandlungsprozess befinden. Minderheiten – besonders Migranten – sind damit nicht mehr reine Objekte einer vorstrukturierten Umwelt, die über ihr Handeln bestimmt. Nach dem Verständnis beider Kulturwissenschaftler tre-

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ten Minderheiten vielmehr aus der defensiven und passiven Rolle heraus und bestimmen den politischen Diskurs über (ihre) Identität aktiv mit. Dadurch werden Identitäten nicht nur immer wieder neu entworfen, dekonstruiert und wieder neu zusammengesetzt, sondern können nicht zuletzt auch als ein Kampfbegriff aufgefasst werden, der unterschiedlichen Machtkonstellationen unterworfen ist und der zur Durchsetzung von Interessen dient, um Machtstrukturen zu verändern. Im Kampf um Positionen innerhalb dieses Identitätsdiskurses kommt dem Konzept des »in-between-space« eine große Bedeutung zu, der marginalisierten Kulturen die Möglichkeit einer machtvollen Repräsentation bietet. »Sie pflanzen damit der Mehrheitskultur unwiderruflich den Keim des Bewusstseins der Differenz ein und entlarven die Idee homogener und festgefügter Verortungen und Zugehörigkeiten als Fiktion.« (Nederveen Pieterse 1998: 110). Hall und Bhabha kritisieren den essentialistischen Identitätsbegriff und gehen, anders als die klassischen Ansätze wie beispielsweise von Huntington (2004) und Taylor (1993a, 1993b), von einer Durchlässigkeit der kulturellen Identität aus. Ebenso wird das einst negativ konnotierte Verständnis von Hybridität, wonach jede Vermischung mit fremden Kulturen eine Schwächung der eigenen bedeutete, in diesen Theorien transformiert und als die Möglichkeit der Repräsentation marginalisierter Kulturen umgedeutet. Hybride Identitäten stellen nun eine Ressource dar, die dazu genutzt werden kann, um sich gegen die Unterdrückung der eigenen kulturellen Besonderheit zu behaupten. »Hier bezeichnet die Metapher »Hybridität« die Brüchigkeit und Unsicherheit entwurzelter und sich ständig verändernder Identitäten als Produkt kolonialer Willkür, aber auch die Chancen und produktiven Momente, die sich aus den Fragmentierungen und Brüchen und aus dem aus dieser Erfahrung hervorgehenden Bewusstsein für Heterogenität ergeben.« (Eickelpasch/ Rademacher 2004: 104f)

In kultureller Hinsicht bezeichnet der Begriff Hybridbildung somit die Tatsache, dass sich Normen, Gebräuche und Sitten von bereits bestehenden Praktiken lösen, um sich mit neuen kulturellen Aspekten zu neuen Praktiken zu verbinden (vgl. Nederveen Pieterse 1998: 94). Anders als bei den anderen hier vorgestellten Theorien besitzen Migranten nun nicht mehr nur die Optionen der Assimilation oder der Marginalisierung, vielmehr werden die Grenzen zwischen »Entweder-oder« aufgelöst. Sie sind das Ergebnis

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verschiedener aufeinander treffender kultureller Codes und geschichtlicher Abläufe. Die hybriden Identitäten sind nicht nur in einer Kultur beheimatet, sondern können sich aufgrund der Vermischung in vielen Kulturen zu Hause fühlen. Auf einen weiteren Aspekt, der besonders für das empirische Vorgehen von Bedeutung ist, weist die Soziologien Reuter hin (vgl. Reuter 2004). Ihrer Ansicht nach bieten Cultural und Postcolonial Studies das nötige Instrumentarium, um speziell die gelebte Alltagskultur von Minderheiten zu untersuchen, da sie sich für die Entstehung neuer translokaler Kulturräume sowie die Frage interessieren, wie diese mit Alltagshandlungen gekoppelt sind. Damit kann der Begriff der Kultur von der theoretischen Ebene auf die Handlungspraxis herunter gebrochen werden. Dies macht den Begriff »kulturelle Identität« auch für die empirische Analyse greifbar und hilft, die Alltagspraxis von Migranten besser zu verstehen. Obwohl die beiden Ansätze des »dritten Raums«41 und der »Hybridität« von Bhabha und Hall für das weitere empirische Vorgehen einen geeigneten Deutungsrahmen liefern, sollten sie jedoch nicht unkritisch übernommen werden. Nach Fauser benutzen die Cultural Studies und Postcolonial Studies einen grenzenlosen Kulturbegriff, was eine Kontextualisierung auf der Theorieebene verhindert. Der Begriff scheint ein Auffangbecken für alle möglichen Themen wie beispielsweise Rasse, Cyberkulturen, Jugendkulturen etc. zu sein. Ferner führt Fauser an: »Das methodische Verfahren lässt Komplexität nur auf der unteren Ebene zu, eben bei der Beobachtung von kulturellen Praktiken.« (Fauser 2003: 35). Damit bleiben die Theorien seiner Ansicht nach bei der Analyse zwischen Herrschenden und Beherrschten stehen und gehen nicht darüber hinaus. Auch wenn diese Ansätze bestimmte Desiderate aufweisen, bieten sie für die Analyse der muslimischen Frauenvereine dennoch einen adäquaten Rahmen, da hier speziell die kulturelle Konstruktion sozialer Identitäten von Minderheiten im Mittelpunkt steht. Fruchtbar sind sie, weil untersucht wird inwieweit kulturelle Bedeutungsmuster wie beispielsweise Religiosität, vor dem Hintergrund dieser Konstruktion herangezogen bzw. artikuliert werden. Im Fokus stehen hierbei Machtverhältnisse wie beispielsweise Zu-

41 Eine empirische Perspektive auf soziale Aushandlungsprozesse findet sich bei den von Bhabha vorgeschlagenen Konzepten von drittem Raum und Hybridität nicht (vgl. Bauschke-Urban 2010: 102).

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schreibungen und Ausgrenzungserfahrungen. Um diese Triade nachzeichnen zu können, wird deshalb versucht die hier vorgestellten Ansätze des »dritten Raums« von Bhabha sowie der »Hybridität« von Hall empirisch greifbar zu machen, um ein Bild der Identität der untersuchten Frauen nachzeichnen zu können. Welche konkreten Hypothesen und Fragestellungen dabei im Fokus stehen, soll im nächsten Schritt (Kapitel 5) detailliert beschrieben werden.

5. Zwischenbetrachtung, Hypothesen und Fragestellungen

Wie in den Kapiteln 3 und 4 erörtert wurde, bestimmen speziell die Diasporasituation, der schnelle globale Wandel und die teilweise vorzufindende Stigmatisierung das Zusammenleben von Minorität und Majorität im Algemeinen und die Identitätskonstruktion der Muslime in Deutschland im Speziellen. Wie der aktuelle Forschungstand zeigt, lassen sich vor allem drei idealtypische Entwicklungsstränge bezüglich der religiösen Identität beobachten (vgl. hierzu speziell Kapitel 3.1, 3.2 sowie Kapitel 3.5): Erstens findet bei vielen Muslimen eine Loslösung von den ursprünglich einflussreichen religiösen Führern und Institutionen im Herkunftsland statt (vgl. Kapitel 3.5 oder auch Schiffauer 1984). Zweitens kommt es bei Teilen der zweiten und dritten Generation zu einer Trennung von den einstigen sozialen Milieus und damit auch von deren meist traditionellen religiösen Vorgaben (vgl. Kapitel 3.5 oder Nökel 1996). Religion, auch der Islam, wird zur Privatsache und kann individuell gedeutet werden. »Ist die Religion erst einmal zur »Privatsache« geworden, kann das Individuum nach freiem Belieben aus dem Angebot »letzter« Bedeutungen wählen. Geleitet wird es dabei nur noch von den Vorlieben, die sich aus seiner sozialen Biographie ergeben.« (Luckmann 1991: 141)

Drittens stellen die negativen Etikettierungen (vgl. Kapitel 3.1 und 3.2) und eine in der breiten Masse der Gesellschaft vorzufindende Unwissenheit die Muslime häufig unter einen generellen Rechtfertigungsdruck für Taten, die im Namen Mohamed begangen werden, was nicht selten mit einer massi-

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ven Abwertung ihres religiösen Kapitals einhergeht. Gerade diese drei Aspekte sind es, welche die neue Lebenssituation von Muslimen in der Diaspora kennzeichnen und das Zugehörigkeitsgefühl zur »Umma«, der globalen muslimischen Religionsgemeinschaft, neu definieren. Wie bereits im Theoriekapitel erörtert wurde, werden hier speziell kollektive Identitäten für Minoritäten und unterdrückte Gruppen von großer Wichtigkeit. Diese Identitäten »[...] werden [...] getragen von Minoritäten und unterdrückten Gruppen, die im Gefüge politischer Hierarchien marginalisiert oder zur Unsichtbarkeit verurteilt werden.« (Assmann/ Friese 1998: 13). Durch die Bündelung der Interessen können Individuen nun als Gruppe auf subjektiv erfahrene wie auch auf objektive Deprivation aufmerksam machen und zeigen, dass die Erfahrungen über bloße Einzelschicksale hinaus reichen. Ferner wird es einfacher, ihre Interessen in der Öffentlichkeit zu vertreten, Lobbyarbeit zu leisten und in der Folge möglicherweise Verbesserungen für die einzelnen Mitglieder zu bewirken und die Situation für das Kollektiv zu verbessern. »Der Widerstand gegen eine sich universalistisch gebärdende Fremdbestimmung verlangt den Rekurs auf die eigene Kultur, weil es nur kollektiv möglich ist – als Einzelner ist man notwendigerweise zum Scheitern verurteilt.« (Schiffauer 1997: 147). In Kapitel 4 wurde theoretisch dargestellt, dass die kulturelle Identität und die damit zusammenhängende Repräsentation nie in einem machtfreien Raum konstruiert werden. Die Konstruktion der Identität geschieht somit in einem asymmetrischen Dominanzverhältnis zwischen Minorität und Majorität bzw. zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung. Die Majorität bemüht sich hierbei, kulturelle Differenzen zu relativieren, um über den Ausschluss des »Anderen« das vermeintlich »Eigene« wahren zu können. Eine Möglichkeit, sich gegen dieses Unterordnungsprinzip zu behaupten, könnte das theoretische Konzept des »Zwischenraum« (»third space«) von Homi K. Bhabha bieten, von dem aus die Marginalisierten ihre Stimmen erheben können. »Third space is where we negotiate identity and become neither this nor that but our own. Third is used to denote the place where negotiation takes place, where identity is constructed and re-constructed [...].« (English 2002: 109). Aus diesem Zwischenraum heraus können Muslima in der Diaspora neue Formen kultureller Artikulation entwickeln, da diese denjenigen Ort bezeichnen,

5. ZWISCHENBETRACHTUNG , H YPOTHESEN UND F RAGESTELLUNGEN | 105

»[...] von dem aus Strategien – individueller oder gemeinschaftlicher – Selbstheit ausgearbeitet werden können, die beim aktiven Prozess, die Idee der Gesellschaft selbst zu definieren, zu neuen Zeichen der Identität sowie zu innovativen Orten der Zusammenarbeit und des Widerstreits führen.« (Bhabha 1994b: 124)

Im vorliegenden Kontext wird untersucht, inwieweit der Zusammenschluss der muslimischen Frauen als »third space« verstanden werden kann. In anderen Worten, ob es sich um einen Raum handelt, in dem sich die Muslima austauschen, ihre Identität definieren und sichern sowie den Widerstand organisieren können. Nach Diehl können gerade diese Vergemeinschaftungen Sicherheit für die Minderheiten bieten. Durch einen solchen Zusammenschluss kann die gesellschaftliche Stellung der zugehörigen Gruppe und damit auch der eigene Status innerhalb der Gesellschaft verbessert werden. Darüber hinaus kann das Individuum durch einen kollektiven Zusammenschluss Bestätigung durch andere Mitglieder erfahren. Besonders attraktiv wird dieser Zugang, wenn individuelle Lösungsstrategien aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich sind (vgl. Diehl 2002). Zwar existieren bereits Studien über religiöse Identität bei muslimischen Frauen, aber Forschungsergebnisse bezüglich der kollektiven Identität liegen in Deutschland nicht vor. Die hier vorgestellte Studie knüpft an die bereits vorliegenden Einzelfallstudien (vgl. Kapitel 3.6) an und versucht ein Bild der Vergemeinschaftungsform von muslimischen Frauen zu zeichnen. Hierfür wurden drei unabhängige Frauenvereine als Beispiel ausgewählt. Die Ziele der Studie können wie folgt zusammengefasst werden: Erstens sollen allgemeine Erkenntnisse über die Vereine gewonnen werden. Im Mittelpunkt stehen beispielsweise die Angebote der Vereine, die Zusammensetzung der Mitglieder, die Rolle der Religion innerhalb des Vereins und die Probleme bezüglich der Vereinsgründung und der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Auch soll der Hypothese nachgegangen werden, dass die von Nökel beschriebenen »Neo-Muslima« (vgl. Kapitel 3.6) kollektive Identitäten gebildet haben. In anderen Worten: Es soll versucht werden, ein Porträt der Vereine, ihrer Probleme, ihrer Ziele und ihrer Rolle innerhalb der muslimischen Gemeinschaft wie auch in der deutschen Gesellschaft zu erstellen. Losgelöst von der Vereinsebene sollen auf der Ebene des Individuums die kulturellen Inhalte der Identitätskonstrukte detailliert nachgezeichnet werden. Nach Giesen bilden diese den Schwerpunkt jeder Analyse:

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»Werden diese kulturellen Inhalte der Identitätsbestimmung übersehen, so riskiert der Beobachter das Eigentümliche von Identifikation und Identität im Unterschied zu bloßen sozialstrukturellen Gruppenmerkmalen, die die Gruppenmitglieder selbst nicht kennen, zu verfehlen.« (Giesen 1999: 19)

Im Allgemeinen wird somit untersucht, wer diese muslimischen Frauen sind und was ihre kulturellen Muster auszeichnet. Im Fokus stehen hier speziell Aspekte wie Religiosität, Rollenverständnis und Vereinsmitgliedschaft. Hinzu kommen Fragen zur Selbst- und der empfundenen Fremdzuschreibung, Partnerschaft und Geschlechterrollenverteilung. Bezüglich der dargestellten Theorien wird untersucht, inwiefern diese im Stande sind, das untersuchte Phänomen der muslimischen Frauen adäquat zu beschreiben und einen Deutungsrahmen zu liefern. Wenn die Cultural und Postcolonial Studies für eine Deskription geeignet sind, soll anschließend geklärt werden, inwieweit diese Vereine wirklich eine Art Zwischenraum im Sinne Bhabhas (Bhabha 2000: 5) darstellen und ob in diesen Räumen hybride Identitäten (Hall 1999a) konstruiert werden. Damit diese Ansätze nicht auf einer abstrakten Ebene verbleiben, soll am Ende erörtert werden, welchen gesellschaftlichen Einfluss diese Zusammenschlüsse besitzen. Im Speziellen soll der Frage nachgegangen werden, welche Rolle sie im lokalen, nationalen und globalen Diskurs über Islam, Geschlecht und Selbstbestimmung einnehmen bzw. einnehmen könnten. Ein weiteres Hauptaugenmerk liegt auf dem Phänomen, welches hier als »islamischer Feminismus« beschrieben werden soll. Es soll nachgeprüft, ob sich eine Art feministischer Islam konstruiert und wie dieser gegebenenfalls beschrieben werden kann.

6. Methodik, Untersuchungsfeld und Zugang

Zur Darstellung der Vereinsstruktur und zur Identitätsbestimmung ihrer Mitglieder bieten sich verschiedene Methoden an. Um die hier vorgestellten Forschungsfragen wissenschaftlich ausführen zu können, wurde auf die so genannte Methodentriangulation zurückgegriffen.42 Nach Flick kann dies folgendermaßen definiert werden: »Vereinfacht ausgedrückt bezeichnet der Begriff der Triangulation, dass ein Forschungsgegenstand von (mindestens) zwei Punkten aus betrachtet – oder konstruktivistisch formuliert: konstruiert – wird. In der Regel wird die Betrachtung von zwei und mehr Punkten aus durch die Verwendung verschiedener methodischer Zugänge realisiert.« (Flick 2004: 11)

Nach Denzin können vier verschiedene Arten von triangulativen Herangehensweisen unterschieden werden (vgl. Denzin 1970): (1) Bei der »Data Triangulation« bestimmen die Parameter Zeit, Person und Ort die Untersuchung. Ein bestimmtes Phänomen wird zu verschiedenen Zeitpunkten durch die Befragung unterschiedlicher Personen an verschiedenen Orten untersucht. Zur Data Triangulation könnten beispielsweise mehrere problemzentrierte Interviews, Personen an verschiedenen Orten bzw. verschiedene Probanden gezählt werden. (2) Bei Verwendung der

42 Der Begriff der Triangulation kommt ursprünglich aus der Seefahrt und wurde als wissenschaftliche Untersuchungsmethode von Webb et al. 1966 in die Sozialwissenschaft eingeführt.

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»Investigator Triangulation« tauschen sich Forscher untereinander aus und minimieren damit die Gefahr einer zu einseitigen Dateninterpretation. »Investigator triangulation simply means that multiple as opposed to single observers are employed.« (Denzin 1970: 297). (3) Die »Theory Triangulation« »[...] basiert auf der Annahme, dass unterschiedliche theoretische Hintergrundannahmen oder Zugänge unterschiedliche Perspektiven auf das Material und differenzierte Analyseergebnisse herstellen.« (Griese 2005: 3). Die Zuhilfenahme von verschiedenen Theorien soll verhindern, dass alternative Interpretationsmöglichkeiten unberücksichtigt bleiben. Gleichzeitig sollen sie den Erkenntnishorizont erweitern. (4) Die wohl bekannteste Vorgehensweise ist die »methodologische Triangulation«. Diese kann in die so genannte »within-method« und »between-method« unterschieden werden. Während bei der »within-method« verschiedene Techniken einer Methode herangezogen werden, kommen bei der »between-method« zwei oder mehrere verschiedene Verfahren zum Einsatz. Diese methodologische Triangulation, vor allem die between-methodStrategie, wird in der vorliegenden Studie angewandt.43 »Die Chancen eines solchen Vorgehens liegen in der Verschränkung verschiedener Perspektiven, die jeweils unterschiedliche Facetten des Gegenstandes beleuchten [...].« (Pfaff 2005: 264). Weiterhin können mit Methodentriangulation die Vorteile der jeweiligen Forschungsvorgehensweisen kumuliert werden. Aufgrund dessen gehen Forscher sogar davon aus, dass die Validität der erhobenen Daten gesteigert werden kann.44 Hierfür muss die Triangulation aber unter dem Postulat der Angemessenheit stehen und an das Forschungssubjekt angepasst werden. »Eine Kombination qualitativer und quantitativer Methoden wird über eine substanzwissenschaftliche Einbettung realisiert, in der der gewählte Gegenstandsbereich

43 Um die Dominanz einer Wissenschaft in Bezug auf die Erforschung eines bestimmten Phänomens zu verhindern, kann nach Janesick (vgl. Janesick 1994) noch die »Interdisciplinary Triangulation« als eigenes Verfahren herangezogen werden. Darunter versteht der Autor den Versuch, verschiedene Disziplinen (z. B. Geschichte, Psychologie und Soziologie) und die dort gesammelten Erfahrungen zu kombinieren, um damit einen Mehrwert zu erhalten. 44 Zu den Anhängern dieser These gehören beispielsweise Jakob (vgl. Jakob 2001) und Lamnek (vgl. Lamnek/Luedtke 1998).

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und die Fragestellung der Untersuchung die Art der Methodenverknüpfung beeinflusst.« (Treumann 2005: 215)

Diese Angemessenheit gilt es auf zwei Ebenen zu realisieren: Zum einen muss ein geeigneter Forschungsablauf ausgewählt werden. Hierbei kann die Kombination der verschiedenen Methoden in unterschiedlichen Phasen des Forschungsdesigns stattfinden, was wiederum Einfluss auf die Datenerhebung und die Ergebnisse hat. Zum anderen existieren innerhalb der beiden großen methodischen Paradigmen wiederum einzelne methodische Verfahren (z.B. narratives Interview, problemzentriertes Interview, schriftliche Befragung), die dem Forschungsgegenstand entsprechend miteinander kombiniert werden können. Bezüglich des Forschungsablaufs unterscheiden Miles und Huberman (vgl. Miles/ Huberman 1994) vier Vorgehensmöglichkeiten: (1) Die Feldforschung kann so konzipiert sein, dass beide Methoden parallel eingesetzt werden. Hier kann je nach Bedarf zwischen den unterschiedlichen Methoden gewählt werden. (2) Zweitens können während einer fortdauernden qualitativen Forschung parallel dazu in mehreren Wellen quantitative Erhebungen durchgeführt werden. (3) Bei dem dritten Verfahren wird zunächst auf quantitative Methoden zurückgegriffen, deren Ergebnisse anschließend durch qualitative Daten vertieft bzw. ergänzt werden. Diese neuen Thesen werden dann in einem dritten Schritt durch experimentelle quantitative Verfahren erneut getestet. (4) Mittels der ausgewählten qualitativen Methode werden bei der vierten Variante zunächst Daten gesammelt, deren Ergebnisse im weiteren Verlauf in die abschließende Fragebogenkonzeption einfließen. Im zweiten Schritt werden dann die Ergebnisse der quantitativen Erhebung vertieft bzw. nochmals überprüft (vgl. Miles/ Huberman 1994: 41). Die vorliegende Studie basiert auf dem unter Punkt (4) vorgestellten Untersuchungsplan, wobei das gewählte Vorgehen einen starken Bezug zur »grounded theory« aufweist (vgl. Glaser/ Strauss 1996). Dies bedeutet in der Praxis, dass während der quantitativen Erhebung noch weitere qualitative Interviews geführt werden und diese dem Forschungsvorhaben und -gegenstand schrittweise angeglichen werden. Bezogen auf die methodischen Verfahren ergeben sich unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten. Die hier verwendeten Verfahren sollen nun in den folgenden Abschnitten vertiefend dargestellt werden.

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6.1 Q UALITATIVES V ORGEHEN Aufgrund bislang fehlender wissenschaftlicher Abhandlungen zu Identität, Struktur und Veränderungen von muslimischen Frauenvereinen oder zu deren Geschlechterverständnis und zur Religiosität ihrer Mitglieder muss die Beschreibung des Subjekts und seiner konstruierten Wirklichkeit am Beginn dieser Forschung stehen. Speziell für die Beschreibung von kollektiven, kulturellen Identitäten (vgl. Kapitel 4.2) scheint daher ein deskriptiver Ansatz besonders geeignet (vgl. Mayring 1990: 11). Um beispielsweise die subjektiven Sinngebungen, religiösen Bedeutungen und Strategien sowie Alltagsbewältigungen und Identitätsmuster, abbilden zu können, die nur partiell offen liegen und von unterschiedlichen Beurteilungen abhängen, wurde hier auf Methoden der qualitativen Sozialforschung zurückgegriffen. Ein rein quantitatives Vorgehen, welches sich auf standardisierte, geschlossene Fragen stützt, könnte diesen Bedeutungsnuancen in ihrer Ganzheit nicht gerecht werden. In dieser Studie wurde zum einen auf das problemzentrierte Leitfadeninterview zurückgegriffen (vgl. Witzel 1982). Diese spezielle Interviewform wurde gewählt, da sie folgende essentielle Merkmale erfüllt (vgl. Witzel 2000): Erstens erlaubt sie die Zentrierung auf bestimme relevante Themen (Problemzentrierung) und eine Fokussierung auf Aspekte wie beispielsweise religiöse Identität, Benachteiligungserfahrungen und Vereinsgründungsaspekte. Daneben können andere Themen, die für die Studie unbedeutend sind bzw. keine Rolle spielen, durch den Leitfaden von vornherein ausgeschlossen werden. Vor dem Hintergrund der hier angewandten Theorien, den aufgestellten Forschungsfragen und der Eingrenzung auf die Themenbereiche Geschlecht, Identität, Migration und Religiosität ist das problemzentrierte Interview das geeignete Instrument, um diese Phänomene adäquat abzubilden. Zweitens bietet das problemzentrierte Leitfadeninterview, trotz der starken Gegenstandsorientierung, eine gewisse Flexibilität, um den Forschungsfragenkatalog gegebenenfalls nochmals zu ergänzen. Das Forschungsvorgehen kann am Befragten konzipiert, orientiert und immer wieder abgeändert werden. Somit ist das Verfahren gut geeignet, Meinungsinhalte, Einstellungen und Verhaltensmuster vor einem religiösen Hintergrund zu erfassen und Kategorien für eine quantitative Erhebung zu konzipieren, ohne den Forscher in ein zu enges Korsett von Vorgaben zu zwängen. Genau diese Vorteile vereinfachen die Darstellung von Prozessen

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wie beispielsweise Vereinsentwicklung und Strukturveränderungen innerhalb der hier vorgestellten Vereinigungen. Dabei ist drittens nicht nur der gesamte Forschungsablauf, sondern auch die Vorinterpretation prozessorientiert und sensibel gestaltet, was zu einer größeren Offenheit bei den Antworten führt. Vor dem Hintergrund der Debatte über den Islam und sein Verhältnis zu Frauenrechten und Islamismus ist besonders dieses Forschungsvorgehen von großer Bedeutung, da nur auf Grundlage des aufgebauten Vertrauensverhältnisses tiefer gehende und ehrlichere Aussagen etwa über die persönliche Religiosität gesammelt werden können. Hinzu kommt, dass ein aufgebautes Vertrauensverhältnis beim Befragten eine Selbstreflexion erzeugt. Dies trägt darüber hinaus zu einer besseren Rekonstruktion von Erinnerungen bei. Viertens kann der Interviewer in der Befragungssituation überprüfen, ob Fragen richtig verstanden wurden. Damit kann Missverständnissen bei sensiblen Themenbereichen wie Deprivation direkt entgegengewirkt werden (vgl. Schnell/ Hill/ Esser 1999: 356). Nach der Entscheidung für das leitfadengestützte Interview als geeignete Methode der qualitativen Sozialforschung, wurde der entsprechende Leitfaden entwickelt und konzipiert. Bevor dieser im Forschungsfeld angewendet werden konnte, wurde ein Pretest durchgeführt, um Fehlentwicklungen schon früh entgegenzuwirken. Dabei erklärten sich Muslime aus dem Bekanntenkreis des Autors bereit, als »Versuchsobjekte« zu dienen. Trotzdem wurde der Leitfaden im Zuge des weiteren Forschungsverlaufes immer wieder den jeweils vorhandenen Gegebenheiten der Praxis angepasst und ggf. erweitert (vgl. Glaser/ Strauss 1996). Nach der Festlegung der Methodik und der Durchführung des Pretests wurden die zu untersuchenden Vereine nach folgenden Kriterien ausgewählt: Erstens mussten die Vergemeinschaftungen institutionalisiert sein, z. B. über den Status eines eingetragenen Vereins mit Satzung und Vorstand verfügen. Die Organisationen sollten darüber hinaus eine gewisse Medienpräsenz besitzen, etwa in Form einer Webseite oder der Herausgabe einer Zeitung. Drittens sollten die Vereine von Frauen gegründet worden sein, wobei auch der jeweilige Vorstand aus Frauen bestehen musste. Diese Merkmale wurden gewählt, da Aussagen über kollektive Identitäten generiert werden sollten, die von den Dachverbänden unabhängig und speziell frauenspezifisch sind. Die Organisationen wurden zunächst mittels einer ausführlichen und gründlichen Internetrecherche ausfindig gemacht, bevor sie vom Autor zu-

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erst schriftlich, später per Telefon und persönlich kontaktiert wurden. Die Kontaktaufnahme stellte sich am Anfang als schwierig heraus, denn es musste erst eine Vertrauensbasis zwischen Forscher und Vereinsvorständen geschaffen werden. Alle Vereine hegten aufgrund der derzeit doch recht heftig geführten Islamismusdebatte Skepsis gegenüber Dritten und waren anfangs distanziert. Die Zweifel konnten bei den Vorstandsmitgliedern jedoch durch intensive persönliche Gespräche und Telefonate beseitigt werden. Die konkreten Interviewnachfragen leiteten die Vorstände dann an die Vereinsmitglieder weiter. Mehrere Frauen signalisierten daraufhin ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der hier vorliegenden Studie. Aus dieser Gruppe wurden nochmals 25 Muslima ausgewählt und zwecks Interviewdurchführung kontaktiert (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: Anzahl der problemzentrierten Interviews nach Vereinen HUDA

ZIF

IMAN

Verein 4

6 Muslima

5 Muslima

10 Muslima

4 Muslima

Quelle: Eigene Darstellung

Von den insgesamt 25 Interviews wurden 21 ausgewertet. Obwohl der vierte Verein, der nicht genannt werden möchte, nicht quantitativ untersucht wurde, fließen drei qualitative Interviews ergänzend in die Auswertung mit ein. Bezogen auf die ethnische Herkunft der Befragten zeigte sich ein sehr heterogenes Bild. Die befragten Frauen kamen aus der Türkei, Syrien, Marokko und Deutschland. Diese ethnische Zusammensetzung spiegelt sich auch auf ähnliche Weise in der quantitativen Erhebung wider. Auch die Alterszusammensetzung der Befragten war sehr heterogen. Die Jüngste der Befragten war 17 Jahre, die Älteste 59 Jahre alt. Die qualitativen Interviews wurden hauptsächlich in Süd- und Westdeutschland (z. B. Köln, Stuttgart, Bonn, Saarbrücken usw.) durchgeführt und fanden in den Privatwohnungen der Muslima, in Cafés, auf muslimischen Festen oder in den einzelnen Vereinsheimen statt. Die Interviews waren bis auf zwei Ausnahmen Einzelinterviews. Im ZIF mussten aufgrund des großen Arbeitsaufwandes für die befragten Frauen zwei Gruppeninter-

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views durchgeführt werden. Ein Verein stieg aus dem Forschungsvorhaben aus.45 In Bezug auf die einzelnen Interviews können die Atmosphäre wie auch der Gesprächsablauf bei fast allen als gut bzw. als sehr gut bewertet werden. Die Probandinnen waren sehr offen und antworteten auf jede Frage des Leitfadens.46 Abschließend wurde mit jedem Interviewpartner ein Feedbackgespräch geführt. Darin wurden der Interviewleitfaden und dessen Durchführung thematisiert und die Befragten dazu ermutigt, etwaige Kritik zu äußern. Der Forscher stieß hierbei auf keinerlei negative Resonanz. Der Leitfaden sowie das Vorgehen wurden entweder positiv bewertet oder die Befragten gaben kein direktes Feedback. Besonders gelobt wurde die Tatsache, dass endlich »mit« Ihnen und nicht nur »über« sie gesprochen wurde. Viele Muslima schienen ihre Situation explizit schildern zu wollen. Die Tatsache, dass ein christlicher Mann die qualitativen Interviews durchführte, wurde nicht negativ beurteilt bzw. kritisiert. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet und vom Gesprochenen ins Schriftliche transkribiert (vgl. Kowal/ O’Connell 2000), wobei auf die Dokumentation von nonverbalen Aussagen verzichtet wurde. Der überwiegende Teil unverständlicher Wörter konnte durch häufige Wiederholungen der Textbausteine, die Rekonstruktion der Zusammenhänge und durch Sinnesrückfragen an die Befragten beseitigt werden.47 Anschließend wurden die Interviews anonymisiert. Bezüglich der Interpretation der hier erhobenen Daten existieren unterschiedliche Verfahren, die jeweils auf unterschiedlichen theoretischen Interessen aufbauen. Die Prämisse jeglicher Dateninterpretation ist aber bei allen gleich. Sie setzt voraus, dass es eine Analogie zwischen vergangenem, tatsächlichem Erleben und der retrospektiv-narrativen Darstellungen des Erlebens gibt. Diese Erzählungen sind hierbei Beschreibungen und sollen

45 Die Gründe des Ausstiegs wurden leider nie mitgeteilt. 46 Eine Ausnahme bildet lediglich ein während eines Sufi-Festes geführtes Interview. Die Hintergrundkulisse und der enorme Geräuschpegel hatten negative Auswirkungen auf die Konzentration der Interviewten und des Interviewers und machten eine Transkription unmöglich. 47 Die in dieser Arbeit verwendeten Interviewauszüge wurden in einigen Fällen aus Gründen des Sinnverständnisses geringfügig orthographisch bearbeitet.

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Nichtbeteiligte an der Geschichte der Befragten teilnehmen lassen (vgl. Honer 1993). Tabelle 6: Beispiel für das Kategoriensystem der durchgeführten qualitativen Dateninterpretation Kategorie: Religiosität

Islam und Identität

Interviewauszug

Person Zeile

Inhalt

Hm, also…mein Leben ist be- Tasmina, Æ Islam als wichtigsstimmt durch den Islam in vieler- 208-226 ter Faktor lei Hinsicht. In meinem Leben Æ Hybride Kultur such ich den Islam ständig. Ich Æ Islam als Bindetrage ihn ständig mit mir, durch glied zwischen den mein Kopftuch. Also das ist meiKulturen ne Lebensweise, könnte man das vielleicht so sagen? [...] Der Islam wird hier als wichtigster Faktor Worüber ich mir meine Identität für die Identitätskonsrecht sicher suchen kann, ist truktion beschrieben. dann der Islam. Also ich kann sie Er ist stärker als die über Nationalitäten nicht definieethnische Zugehörigren. Es gibt keine Kultur der ich keit. mich eindeutig zugehörig fühlen könnte oder würde. So werde ich ja auch wahrgenommen von außen. Und der Islam ist halt schon was, was mir hilft so eine Identität zu finden. Ich hab so eine gewisse islamische Identität. Aber das kann ich auch nicht so eindeutig sagen.

Quelle: Eigene Darstellung

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In der vorliegenden Studie wurde hauptsächlich mit der qualitativen Inhaltsanalyse gearbeitet. Dieses Dateninterpretationsverfahren erlaubt es, größere Texte kontrolliert auszuwerten. Die Interviews und die darin dokumentierten Kommunikationszusammenhänge wurden nach inhaltsanalytischen Regeln untersucht und analysiert. Von den drei Grundformen der Inhaltsanalyse wurde auf die zusammenfassende und strukturierende Inhaltsanalyse zurückgegriffen. Durch Anwendung dieser Analyseform wurde der Inhalt der Interviews so weit reduziert, dass eine überschaubare Textmenge geschaffen werden konnte, die wesentlichen Inhalte jedoch bewahrt blieben. Die angesprochenen Themen der ausgewählten Textpassagen repräsentierten exemplarisch den Inhalt aller geführten Interviews. Des Weiteren wurden nach bestimmten Vorgaben besondere Aspekte aus dem Material herausgefiltert und unter Kategorien subsumiert (vgl. Mayring 2003). Den Kern dieser Vorgehensweise bildet damit ein Kategoriensystem, bei dem die einzelnen Untersuchungsaspekte im Vorfeld der Analyse theoriegeleitet (deduktiv) festgelegt wurden (vgl. Mayring 2000). Anhand dieses Kategoriensystems wurde das sprachliche Material nachträglich systematisch analysiert (vgl. Tabelle 6). Zur Einordnung des Textmaterials wurde ein Kodierungsleitfaden als Orientierungshilfe erstellt, der explizit definiert, welche Textbausteine welcher Kategorie zugeordnet werden können (vgl. Mayring 1990: 88). Mit dem qualitativen Vorgehen werden vier unterschiedliche Ziele verfolgt: Erstens wird versucht, das Phänomen der muslimischen Frauenvereine exploratorisch zu ergründen und zu verstehen. Darunter fallen beispielsweise die Motive zur Bildung dieser Organisationen, die thematische Veränderung der Angebote, die unterschiedlichen Vereinsstrategien sowie die spezifischen Probleme, mit denen die Vereine in Deutschland konfrontiert sind. Dies kann nur durch einen qualitativen Ansatz erfolgen, da zu diesem Forschungsfeld noch keine Studien vorliegen und inhaltliche Veränderungen kaum mit standardisierten Methoden erfasst werden können (vgl. Barton/ Lazarsfeld 1993). Zweitens werden das Rollenverständnis und die Religiosität der Befragten untersucht. Beispielsweise die Gründe für die Einhaltung von religiösen Vorschriften oder das Verständnis von Rollenbildern innerhalb der Umma sollten mit dieser Methode nachgezeichnet und verstanden werden. Aufgrund von fehlenden standardisierten Antwortvorgaben dienten die einzelnen Interviews auch als Basis für die Entwicklung des quantitativen Frage-

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bogens. Drittens konnten mithilfe der qualitativen Interviews Daten, die durch die schriftliche Befragung eruiert wurden, interpretiert und vertieft werden.

6.2 Q UANTITATIVES V ORGEHEN Eine pauschale Trennung zwischen qualitativen und quantitativen Erhebungsmethoden ist in der Praxis nicht so einfach, wie es häufig postuliert wird (vgl. Mayring 2001). Dennoch lassen sich bei dem hier vorgestellten Vorgehen Unterschiede zwischen beiden Methoden herausstellen. Während das qualitative Vorgehen auf einer kleinen Fallzahl beruhte und eher darauf abzielte, Theorieaussagen zu explorieren, besaß die quantitative Befragung einen größeren Stichprobenumfang. Die Erhebung erfolgte, anders als beim problemzentrierten Interview, nach einem genauen Erhebungs- und Auswertungsplan, der eng vorstrukturiert war (vgl. Brüsemeister 2000: 21ff). Dadurch sollten bestehende Hypothesen, die hauptsächlich aus Theorien bzw. aus qualitativen Forschungen abgeleitet wurden, verifiziert bzw. falsifiziert werden. Die hier herausgearbeiteten Fragestellungen basierten sowohl auf der eigenen qualitativen Erhebung als auch auf den Ergebnissen der in Kapitel 3 dargestellten Studien zur Fremd- und Selbstzuschreibung. Das Ziel des quantitativen Vorgehens war es, vergleichbare Daten zu produzieren. Wie bei der qualitativen Methode stand auch hier eine Vielzahl von verschiedenen quantitativen Erhebungsverfahren zur Verfügung. In diesem Fall wurde auf die vollstandardisierte, schriftliche Befragung zurückgegriffen (vgl. Kromrey 2006: 206ff). Von schriftlicher Befragung wird dann gesprochen, »[...] [w]enn Untersuchungsteilnehmer schriftlich vorgelegte Fragen [Fragebogen] selbständig beantworten [...].« (Bortz/ Döring 2006: 252). Dieses quantitative Verfahren wurde aus folgenden Gründen gewählt: Erstens sollte eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse geschaffen werden. Zweitens ist eine schriftliche Befragung in der Regel kostengünstiger als andere quantitative Erhebungsmethoden. Hier kann mit wenig Personalaufwand eine große Zahl an Probanden erreicht werden. Drittens gibt es keine Einwirkung des Interviewers, der damit als mögliche Fehlerquelle wegfällt (vgl. Atteslander 2003: 147). Viertens erweckt das Zusenden der

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Fragebögen den Anschein, dass die Anonymität noch besser gewährleistet werden kann als bei Interviews, an denen der Interviewer persönlich teilnimmt. Als Letztes gibt es dem Befragten eine gewisse Flexibilität. Dieser kann selbst entscheiden, wann, wo und in welcher Zeit er den Fragebogen ausfüllen möchte. Dies kann zu überlegteren Antworten führen (vgl. Schnell/ Hill/ Esser 2005: 359). Welche für die Erhebung wesentlichen Aspekte wurden mit dem Fragebogen nun abgedeckt? Um den Aufwand für den Befragten so gering wie möglich zu halten und das Ausfallrisiko zu verringern, wurde der Fragebogen auf folgende Aspekte beschränkt: soziodemographische Daten, Genderaspekte, Familienleben, Diskriminierungserfahrungen, Lebensziele, Vereinsmitgliedschaft und religiöse Verhaltensmuster. Hierbei wurden hauptsächlich geschlossene Fragen gestellt, da offene Fragen zu höheren Verweigerungsraten führen (vgl. Hippler/ Hippler 1984: 3f). Dies ist bei dieser Studie von besonderer Bedeutung, da die Samplegröße sehr klein war und die Dropout-Quote deshalb so niedrig wie möglich gehalten werden musste. Die Beantwortungszeit der Fragebögen lag zwischen 30-45 Minuten. Die Zielgruppe der Erhebung bestand aus den Vorstandsmitgliedern, den Vereinsmitgliedern und Personen, welche die Angebote der Vereine wahrnehmen. Vor Verteilung des Fragebogens wurde auch dieser ausführlich getestet. In diesem Fall ist der Pretest von besonderer Bedeutung, da der Fragebogen aufgrund der Prämisse der Vergleichbarkeit nicht mehr verändert werden kann. Der Fragebogen wurde mit den Vorständen aller Vereine sowie mit muslimischen Freunden des Forschers besprochen. Hierbei kam es in der Folge zu Veränderungen einzelner Antwortkategorien. Speziell bei den religiösen Fragen gab es kleine Veränderungsvorschläge, die z. T. auch umgesetzt wurden. Die Verteilung der Fragebögen erfolgte auf unterschiedliche Weise. Der vollstandardisierte Fragebogen konnte an die HUDA-Mitglieder auf postalischem Weg versendet werden, während er beim IMAN und dem ZIF durch den Vorstand an alle Mitglieder weitergegeben wurde. Dies lag daran, dass die Adressen nicht zugänglich gemacht wurden. Die Nachteile, die sich aus dieser Situation ergeben, sind evident. Erstens kann nicht garantiert werden, dass jede der interessierten Frauen auch erreicht wurde. Zweitens kann, wie auch bei der postalischen Befragung, nicht garantiert werden, ob Dritte auf den Probanden eingewirkt haben (vgl. Mayer 2006: 99).

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Insgesamt konnten 131 Fragebögen ausgewertet werden. Am Ende wurden die erhobenen quantitativen Daten in das Statistikprogramm SPSS übertragen und mit dessen Hilfe ausgewertet. Die statistischen Verfahren umfassten beispielsweise die Berechnung von Häufigkeiten, Kreuztabellen sowie die Faktorenanalyse.

7. Empirische Ergebnisse: Religion – Geschlecht – Identität

Bisher wurden der Forschungsstand sowie das theoretische und methodische Vorgehen erörtert. Im Anschluss wird der Hauptteil dieser Arbeit, die empirischen Ergebnisse der Untersuchung, dargestellt. Die Annäherung an den Forschungsgegenstand erfolgt unter verschiedenen Gesichtspunkten, die wie folgt gegliedert sind: (1) Um einen ersten Überblick über die untersuchten kollektiven Identitäten zu geben, werden die muslimischen Frauenvereine auf Basis qualitativer Daten und einer Dokumentenanalyse charakterisiert. Der Fokus liegt auf den Aspekten der Vereinsstruktur, der religiösen Angebote sowie der Vereinsziele. Hierbei werden die ersten Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten zwischen den Vereinen herausgestellt. (2) Im zweiten Schritt werden allgemeine, quantitative Informationen über die Mitgliederstruktur präsentiert. Im Mittelpunkt der Beschreibung stehen insbesondere Merkmale wie Alter, Bildung, Berufstand, ethnische Zugehörigkeit und Konversion. (3) Daran anknüpfend werden die Mitgliedschaftsgründe der Frauen in den jeweiligen Vereinen herausgearbeitet. Es wird untersucht, welche Aspekte für die Mitgliedschaft in den muslimischen Frauenvereinen ausschlaggebend sind und die Frauen motivierten, diese speziellen Vereine aufzusuchen. Hier wird auf das triangulative Verfahren zurückgegriffen. (4) Ein Hauptaugenmerk der Untersuchung liegt auf der subjektiven und der praktizierten Religiosität der Muslima. Ihr subjektives Religionsverständnis wird im vierten Abschnitt detailliert erörtert, wobei die indivi-

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duelle religiöse Praxis im Blickpunkt der qualitativen wie quantitativen Darstellung steht. (5) Im Anschluss wird fünftens auf subjektive Stigmatisierungserfahrungen der Muslima eingegangen. Die Fragen zu diesem sensiblen Bereich konzentrieren sich besonders auf die Verbindung zwischen religiöser Praxis und Diskriminierung bzw. der Frage, inwieweit sich die Frauen aufgrund ihrer Religiosität exkludiert fühlen und welche Konsequenzen dies für die Frauen nach sich zieht. (6) Im sechsten Abschnitt werden die Integrationsbemühungen bzw. die Integrationsbereitschaft der Muslima untersucht. Konkret wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die Frauen dem Islam – der in der Öffentlichkeit häufig als Integrationshindernis verstanden wird – in diesem Prozess zuschreiben. Ferner wird der Frage nach der Vereinbarkeit von Demokratie und Islam nachgegangen. (7) Siebtens wird nach Werten und Lebenszielen der Frauen gefragt. Dafür wurden 13 Fragen zu Lebensbereichen wie Beruf, Partnerschaft und Erziehung gestellt und die Antworten darauf quantitativ ausgewertet. Diese Analyse wurde zusätzlich durch Interviewauszüge ergänzt. Die herangezogenen qualitativen Daten dienen dazu, einen tieferen Einblick in das Wertesystem jeder einzelnen Muslima zu erhalten. (8) Dem Thema Geschlechtrollen widmet sich der achte Abschnitt dieses Kapitels. Hier stehen Fragen zu Familie, Partnerschaft, Rollenverständnis, Kindererziehung und Rollenverteilung im Zentrum der Untersuchung. Auch hier wurde auf quantitative wie auch qualitative Auswertungsverfahren zurückgegriffen. (9) Was bedeutet der Begriff »islamischer Feminismus«? Dieser Frage wird im neunten Unterkapitel nachgegangen. Es wird dargestellt, welche globalen Ausprägungen dieser Bewegung existieren und welche Position die hier untersuchten Muslima vor dem Hintergrund des Diskurses um Religiosität, Definitionsmacht und Frauenrechte einnehmen. (10) Aufgrund des großen Informationsgehalts und des umfangreichen Datenmaterials in diesem Kapitel, werden schließlich die zentralen Ergebnisse am Ende des Hauptteils nochmals komprimiert abgebildet.

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7.1 V EREINSGESCHICHTE , - STRUKTUR

UND - ZIELE

7.1.1 HUDA – Netzwerk für muslimische Frauen e.V. Das politisch und ethnisch unabhängige Netzwerk »HUDA – Netzwerk für muslimische Frauen e.V.« wurde, wie alle anderen untersuchten Organisationen, Mitte der 1990er Jahre (1996) in Deutschland gegründet und wird durch ehrenamtliche Arbeit getragen. Am Anfang stand die eher vage Idee, eine Plattform für deutschsprachige Muslima zu entwickeln, auf der sich die Frauen austauschen und vernetzen können. Folgender Interviewauszug verdeutlicht dieses Anliegen der Vereinsgründer: »Das war die anfängliche Idee eigentlich. Für die muslimischen Frauen, dass die bundesweit miteinander in Austausch kommen, [in] Kontakt kommen miteinander, Erfahrungen austauschen können. Da waren wir auch beide [Gründer] damals sehr engagiert und haben uns gesagt: Ja, machen wir. Ohne irgendein Konzept zu haben und ohne uns vorher wirklich Gedanken gemacht zu haben, was wir eigentlich wirklich machen müssen. Und dann ging es mit der Herausgabe der Zeitschrift HUDA los.« (Mitraa/ HUDA)

Das Hauptziel des Netzwerks, das als eingetragener Verein institutionalisiert ist, liegt in der Stärkung der muslimischen Frau in ihrer Identitätsentwicklung innerhalb der »Umma« wie innerhalb des nicht-muslimischen Umfelds in Deutschland. Dabei stehen die religiöse Emanzipierung sowie eine individuelle religiöse Lebensführung im Mittelpunkt der Vereinsarbeit, wie ein Vorstandmitglied erklärt: »Am Anfang ging es mehr um muslimische Frauen. Wie kann man religiös leben hier in dieser Gesellschaft und um – ich sage es ganz banal – nicht ganz unterzugehen? Religiös sein, aber auch ein Teil dieser Gesellschaft sein? Das waren sehr stark die anfänglichen Fragen. Nach und nach haben wir auch theologische Themen zu unseren Themen gemacht. Was auch für mich als Theologin selber ganz wichtig ist, weil wir jetzt nicht unbedingt diese Mehrheitsmeinung vertreten, sondern doch eine Minderheitsmeinung, wenn es dann so um Theologieverständnis vom Koran geht, haben. Dass wir das vermehrt thematisieren, einfach auch, dass die Frauen mehr Mut

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kriegen, eigene Ideen und eigene Glaubensverständnisse zu entwickeln.« (Mitraa/ HUDA)

Ein weiteres Anliegen des Vereins besteht darin, einen Beitrag zur Entwicklung und Praktizierung islamischer Erziehungskonzepte zu leisten. Darüber hinaus macht es sich das Netzwerk zur Aufgabe, den innerislamischen Dialog durch Informations- und Meinungsaustausch zu fördern. Zur Verwirklichung dieser Ziele wird neben einer Informationsplattform im Internet auch vierteljährlich die gleichnamige Zeitschrift (HUDA) herausgegeben, die sich als ein Podium bzw. Austauschmedium für muslimische Frauen, aber auch für andere muslimische Organisationen sowie Experten versteht. Die Herausgeberinnen wollen regelmäßig über ihre Aktivitäten und Themen in Bezug auf den Islam berichten. Schwerpunkte sind beispielsweise Stellungnahmen zu ausgewählten Koranversen, zu aktuellen tagespolitischen Ereignissen wie etwa »islamistischen« Terroranschlägen oder auch Meinungen zu spezifischen Geschlechterfragen. Neben der Herausgabe der Zeitschrift HUDA betreibt der Verein Aufklärungsarbeit für sowohl Nicht-Muslime als auch für Muslime. Es wird versucht, Fragen zum Islam »im weitesten Sinne«, aber auch Fragen zur muslimischen Lebensführung »im engeren Sinne« zu beantworten bzw. bei speziellen Fragen an andere Organisationen mit besonderen religiösen Kompetenzen weiterzuleiten. Der Schwerpunkt liegt aber vor allem auf der Beratung von muslimischen Frauen bei Familienproblemen, Partnerschaftsfragen, Kindererziehung sowie Berufintegration. Hierfür bietet die Organisation Hilfe und Unterstützung durch eine qualifizierte Familientherapeutin, durch Mitarbeiterinnen im Frauenhaus sowie die Bereitstellung eines Sorgenbriefkastens und eines Sorgentelefons an. Spezielle Beratung besteht bezüglich der Themen »Ehe im Islam« sowie »bikulturelle Partnerschaft«. So wird z. B. in Zusammenarbeit mit dem Institut für Islamstudien die Beratung für einen Ehevertrag nach islamischen Maßstäben offeriert. Daneben finden Mütter Unterstützung zu den Themen der Säuglingspflege (Stillen) sowie in allgemeinen Gesundheitsfragen. Auch im Hinblick auf Fragen zu Zugangsvoraussetzungen, Qualifizierungsmöglichkeiten oder auch speziellen Konfliktkonstellationen auf dem Arbeits- bzw. Bildungsmarkt werden muslimische Frauen etwa durch Studien- und Berufsberatung unterstützt. Neben diesen – eher personenspezifischen – Angeboten engagiert sich der Verein auch in einem größeren gesellschaftlichen Kontext: Es werden Frauenprojekte in

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Ägypten gefördert und es besteht eine internationale Zusammenarbeit mit Frauengruppen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Thailand, England und Bosnien. Diese Zielausrichtung und die damit zusammenhängenden Angebote, die vom Vorstand – je nach personeller Besetzung und situativem Bedarf – offeriert werden, decken sich mit dem Wunsch bzw. der Vorstellung vieler beteiligter Frauen nach einem frauengerechten und pragmatischen Islamverständnis, was sich auch in der Nachfrage der verschiedenen Angebote niederschlägt. Dennoch ist dieser vereinsspezifische Umgang mit »dem Islam« immer wieder auch Anlass für Reibungen mit bestimmten Gruppen aus der muslimischen Community, jedoch auch der deutschen Gesellschaft, wie ein Vorstandsmitglied beschreibt: »Wir stehen zwischen zwei Stühlen. Bei den Christen stehen wir im Dialog und müssen uns rechtfertigen für alle Fehler, die Muslime auf dieser Welt machen, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stehen wir in einem schlechten Licht bei extrem traditionellen Muslimen, die von unserer offenen Sichtweise nicht viel halten.« (Mayer/ HUDA)

Ein wichtiges Motiv für die Gründung des Vereins, waren die meist doch traditionellen und androzentrischen Strukturen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft. Die Frauen fanden keine Organisation, die einen feministischen und offenen Umgang mit dem Islam offerierten und mit denen sie sich hätten identifizieren können. Ferner kam hinzu, dass die Moscheen häufig ethnisch geschlossen waren. Dies spiegelte sich speziell bei der sprachlichen Integration von deutschen Muslimen bzw. Muslimen, die sich mit Deutschland identifizieren, in die Moscheengemeinden wider. Ein Gründungsmitglied weist wie folgt auf das damals bestehende Problem der Kommunikation hin: »Die deutschstämmigen muslimischen Frauen konnten sich rein sprachtechnisch gar nicht unbedingt in diese Moscheegruppen integrieren und sich irgendwelches Wissen über Literatur aneignen, weil sie einfach die Sprache nicht verstehen konnten.« (Mayer/ HUDA)

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Ebenfalls wollten die Vereinsgründer dem Vorurteil der unmündigen muslimischen Frau aktiv entgegentreten, das in großen Teilen der deutschen Bevölkerung vorherrscht (vgl. Kapitel 3.2). Wie sieht die Situation des Vereins HUDA heute aus? Nach der anfänglich großen Resonanz auf die HUDA-Zeitschrift, die zwischenzeitlich eine Auflage von ca. 600 Ausgaben erreichte, hat sich die Mitgliederzahl im Laufe der Jahre kontinuierlich reduziert und umfasst heute ca. 158 Personen. Der Hauptgrund dafür liegt aus Sicht des Vorstands in der Tatsache begründet, dass es in Zeiten digitaler Medien sehr viele Foren und kostenlose Angebote gibt, die in ihrer politischen wie auch religiösen Ausrichtung der von HUDA ähneln und die somit in Konkurrenz zu ihnen getreten sind. Neben der rückläufigen Mitgliederzahl zeigt sich aber auch, dass die Vereinsarbeit nach wie vor in den Händen weniger Personen liegt, so dass bei dem Ausscheiden eines oder mehrerer Vorstandsmitglieder gleich das Fortbestehen des gesamten Netzwerkes HUDA gefährdet ist. 7.1.2 IMAN – Bildungs- und Freizeitzentrum muslimischer Frauen e.V. Auch das zweite Muslimanetzwerk »IMAN – Bildungs- und Freizeitzentrum muslimischer Frauen e.V.« ist politisch und ethnisch unabhängig und wird durch das Ehrenamt getragen. Der eingetragene gemeinnützige Verein wurde im Jahr 2001 gegründet und ging aus dem früheren »Deutschsprachigen Islamischen Mädchentreff« (DIM) hervor, der 1994 ins Leben gerufen wurde. Die Gründung des Netzwerkes entstand aus einer spontanen Idee von befreundeten muslimischen Mädchen aus verschiedenen Nationen, die kein adäquates religiöses Angebot innerhalb ihres lokalen Umfeldes finden konnten und die damals bereits Diskriminierungserfahrungen gesammelt hatten, wie ein Gründungsmitglied in einem Interview unterstreicht: »Das Mädchentreff hat sich gegründet aufgrund von Multinationalität, das war uns sehr wichtig, also von Anfang an. Das heißt, die meisten Gruppen, die hier ortsansässig sind, sind sehr stark traditionell oder eben national verwurzelt. Und die Mädchengruppe hat sich damals mit dem Thema Religion beschäftigt. [...] Also alle Frauen, die jetzt im Frauenzentrum sind, die damals im Mädchentreff waren, [...] waren welche, die sich sozusagen als Deutsche verstanden haben, die aber einen re-

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ligiösen Hintergrund hatten oder eben Migrationshintergrund. Und die Sprache Deutsch war die große Verbundenheit und eben vor allem die Religion und nicht irgendwie die Heimat, also das hat für die meisten keine große Rolle gespielt – also zur Stärkung von Selbstbewusstsein. Also viele haben früh angefangen, Kopftuch zu tragen, viele wurden dann von den Lehrern diskriminiert, von den Eltern auch diskriminiert, die nicht wollten, dass die Kinder religiös wurden und ja, dadurch hat sich so eine starke Gemeinschaft entwickelt und das war eigentlich das, warum die Mädchen alle gekommen sind. Also nicht, dass man von oben herab einen Lerneffekt hat, sondern, dass man sich irgendwie austauschen kann.« (Hibba/ IMAN)

Auslöser für die Gründung des Netzwerkes waren damit das Gefühl der Exklusion aus Teilen der Aufnahmegesellschaft, aber auch eine Ablehnung der starken Verbindung vieler muslimischer Vereine zu den jeweiligen Herkunftsländern ihrer Mitglieder und deren eher konservativer sowie androzentrischer Angebote, wie der folgende Interviewauszug illustriert: »Ich meine, die Moscheen gab es, aber das war halt nichts, was uns in dem Moment und in dem Alter irgendwie hätte ansprechen können. Wir waren mitten in der Pubertät und hatten da einfach unsere Interessen und haben halt einfach auch unser Weltbild gehabt und das hat nicht so zu den Moscheen gepasst. Vor allem war das Angebot der anderen Vereine oder der Moscheen auch nicht immer in Deutsch. [...] Und es gab für Jugendliche so richtig eigentlich nichts. Da mussten wir halt selbst aktiv werden.« (Tasmina/ IMAN)

Die Gründerinnen, die bei der Implementierung noch Teenager waren, konnten sich weder mit den religiösen Offerten der deutschen Mehrheitsgesellschaft, noch mit denen der muslimischen Community identifizieren. Um ihre eigene Identität entwickeln bzw. verfestigen zu können errichteten sie ihre eigene »Keller-Moschee«: »Also angefangen hat das Ganze damit, dass eine Freundin und ich uns entschieden haben, den Islam zu praktizieren und dann aber gesehen haben, dass wir hier ganz alleine auf weiter Ebene sind und überhaupt keinen kennen, der so ist wie wir und dann haben wir eben überlegt was wir machen sollen. Wie waren dann grade in der Stadt und dann sagte meine Freundin: »Hey, da vorne sind welche mit Kopftuch, los komm, ich spreche die an und dann können wir uns mit denen treffen.« Und dann ist sie hingegangen und hat die angesprochen und von dem Zeitpunkt an haben wir uns

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einmal in der Woche getroffen. Am Anfang bei mir im Keller zu Hause, da hat meine Mutter so einen Raum für uns zur Verfügung gestellt und gesagt, wir sollen da ruhig mal reingehen. Und durch Mundpropaganda hat sich dann irgendwie weiter gesprochen, dass wir 20-30 Mädchen geworden sind, also wir waren da 17 Jahre, also noch ganz jung. Und dann sind wir aber so groß geworden, dass wir gesagt haben wir sprengen irgendwie den Rahmen dieses Kellers, wir brauchen was anderes.« (Canan/ IMAN)

Im Laufe der Zeit kam es durch den rapiden Anstieg der Mitgliederzahlen und den Wechsel in das Erwachsenenleben – manche Mitglieder bekamen Kinder, andere begannen eine Ausbildung oder ein Studium – zu einem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Generationen und religiöser Ausrichtungen sowie zu Debatten über die richtige Angebotstruktur. Um der Gefahr der Auflösung entgegenzuwirken beschlossen die Mitglieder den Mädchentreff in ein Frauenzentrum umzuwandeln und das Angebot zu erweitern. »Wir waren ja erstmal eine ziemlich kleine Gruppe und dann ist die stetig gewachsen und auch recht schnell. Und dann haben wir von einer [...] Moschee hier [in der Stadt D.] Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen, um uns da zu treffen. Dann hat das dann schon organisatorische Strukturen annehmen müssen, wir haben dann eine Vorsitzende gewählt und so weiter. Da hat das schon so Vereinsstrukturen bekommen.« (Tasmina/ IMAN)

Im Jahre 2001 wurde eine Satzung verfasst und ein gemeinnütziger Verein gegründet. Dafür wurden neue Mitglieder geworben und eigene Räumlichkeiten angemietet. Gleichzeitig kam es auch zu einer Erweiterung des Angebots, um die Interessen der verschiedenen Generationen und der religiösen Ausrichtungen zu vereinen. Das Hauptziel des IMAN-Netzwerkes besteht darin, das Selbstbewusstsein und die Identitäten der muslimischen Frauen zu stärken und sie dahingehend zu befähigen, dass sie ihren Platz in der »Umma« selbständig, selbstbewusst und reflektiert einnehmen können. Die Aufgabe des Vereins beschreibt ein Vorstandsmitglied dementsprechend: »Dass es das Islamverständnis des Einzelnen irgendwie verändert und verändern kann und auch die Frauen einfach öffnet für die eigenverantwortliche Rolle als mus-

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limische Frau. Es ist einfach was anderes als die Erziehung, die viele zu Hause bekommen oder das, was sie außerhalb so hören und wie sie es verstehen. [...] Es ist glaube ich so, dass man eine bewusste muslimische Frau wird, nicht nur eine Frau, die halt betet und fastet und Kopftuch trägt und all das macht, was halt jeder macht. Sondern sie ist sich hier bewusst als eigenverantwortlicher, selbstständiger Mensch, der sich entwickelt in seiner Persönlichkeit und seiner Rolle und so.« (Tasmina/ IMAN)

Zweitens möchte das IMAN mit seinen Angeboten das Gemeinschaftsgefühl der Muslime über Sprachbarrieren, Altersunterschiede und religiöse Schulen hinweg stärken. Gleichzeitig soll muslimischen Mädchen und Frauen die Möglichkeit geboten werden, sich zu vernetzen, zu diskutieren und sich über unterschiedliche Themen auszutauschen. Hierfür wird einmal pro Woche das »Café-Kontakt« organisiert, welches für alle Frauen bzw. Mädchen offen steht. Die Treffen sind generations- und religionsübergreifend und multinational. Als Basis für die Diskussion dienen Vorträge der Teilnehmer zu religiösen Themen. Außerdem werden Ausflüge und Kochkurse mit landestypischen Speisen angeboten. Daneben existiert ein freizeitbasiertes Bildungsangebot für Mädchen ab 12 Jahren: »Wir treffen uns jeden Sonntag von 13 bis 16 Uhr und haben erstmal so einen Kaffeekontakt. Also wir reden, trinken Kaffee, unterhalten uns. Danach haben wir meistens eine pädagogische Stunde, in der wir über aktuelle Themen reden und versuchen uns auch in Rollenspielen in andere Situationen zu versetzen. Und dann in der letzten Stunde, von 15 bis 16 Uhr, reden wir über den Islam allgemein, die Mädchen halten Vorträge, um somit auch zu lernen mit dem Islam umzugehen und selbstbewusster zu werden. Aber wir machen halt auch andere Sachen, wir fahren in einen Freizeitpark, wir besuchen die Eissporthalle, wir besuchen uns gegenseitig.« (Fatima/ IMAN)

Wie die Offerten zeigen, steht der Faktor »Bildung« im Fokus des Vereins. Der Vorstand ist bestrebt, allgemeine Fragen zum Islam, aber auch spezifische Fragen zur muslimischen Lebensführung zu beantworten. Hierbei richtet sich das Angebot ausschließlich an muslimische Frauen, Mütter bzw. Erziehende und Mädchen. Das Hauptanliegen ist es, den Frauen Wissen über den Islam und religiöse Schriften zu vermitteln. Hierfür bietet der Verein einen »Quran-Kreis« für Anfänger und Fortgeschrittene an, in dem

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der arabische Wortschatz vergrößert, die arabische Aussprache verbessert und das inhaltliche Verständnis erweitert werden können. Neben dem Angebot für Erwachsene gibt es zusätzlich Islamunterricht für Kinder, der den spielerischen Erwerb von islamischem Wissen zum Ziel hat. Ein weiteres Bedürfnis ist es, Hilfestellung bei der Praktizierung islamischer Erziehungskonzepte zu geben. Hierfür können Mütter eine »Mutter-Baby«- oder »Mutter-Kind-Gruppe« besuchen, die von einer pädagogischen Fachkraft betreut wird. In diesen Gruppen erhalten sie beispielsweise Antworten und Unterstützung in den Bereichen Säuglingspflege, Gesundheit und Ernährung. Die Mütter können Kontakte knüpfen und sich über Erziehungsfragen austauschen. In nächster Zeit soll das Programm um Informationsangebote über den Islam für Nicht-Muslime sowie Alphabetisierungskurse und Hausaufgabenbetreuung für Migranten erweitert werden. Die Frauen sind sich ihrer Sonderstellung »zwischen den Stühlen« bewusst. Aber ein Ziel des Vereins ist es, explizit auf seine Art den »Islam zu leben« aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass Religiosität und gesellschaftliche Partizipation sich nicht widersprechen müssen. Den besonderen Status beschreibt ein Vorstandmitglied wie folgt: »Wir sind schon so eine besondere Gruppe eigentlich – also bilden jetzt nicht so die Masse ab. Wir sind schon, also wir wollen definitiv auch der Allgemeinheit zeigen, dass es auch uns gibt als Muslima. Dass es eben nicht nur die unterdrückte türkische Frau, die da mit ihren Aldi-Tüten fünf Schritte hinter ihrem Mann läuft, gibt. Dass es eben auch junge Muslime gibt, die sich bewusst für den Islam entschieden haben, die vielleicht sogar konvertiert sind, die studieren, danach Berufe ergreifen.« (Lena/ IMAN)

Wie lässt sich die Situation des IMAN heute beschreiben? Nach der spontanen Idee zu einer Vereinsgründung haben sich langsam, auch mit professioneller Hilfe eines Organisationsberaters (einem Ehemann eines Mitgliedes), semiprofessionelle Strukturen entwickelt: »Der ist ja Unternehmensberater. Und der hat sich wirklich mit uns hingesetzt und hat so ein Konzept erarbeitet und daraufhin haben wir dann auch die vier Bereiche entwickelt, also Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen, Mitgliederverwaltung und – Betreuung. Und Kurse und Angebote und halt jetzt dieses Mädchentreff, das ist noch dazu gekommen, das war nicht von Anfang an dabei. Und das läuft jetzt – oh Gott,

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ich hab immer so ein schlechtes Zeitgedächtnis – seit zwei Jahren ungefähr läuft das jetzt in dieser Art und das ist wirklich gut.« (Martina/ IMAN)

Neben der Professionalisierung wurden die Angebote erweitert. Gleichzeitig stieg auch die Zahl der Mitglieder von 1994 bis heute stetig an. Der eingetragene gemeinnützige Verein für muslimische Frauen, Mädchen und Kinder umfasst heute ca. 60 weibliche Mitglieder zwischen 12 und 50 Jahren. Die Kooperationsversuche mit deutschen Organisationen werden von den Mitgliedern des IMAN häufig als mühsam und die Dialoge als asymmetrisch empfunden. Dennoch zeigt sich eine Intensivierung und Verbesserung der Zusammenarbeit mit lokalen staatlichen Stellen: »Und da sind wir noch lange nicht da, wo wir hin wollen. Aber wir sind auf einem, denke ich, wirklich guten Weg. Also vor allem die Zusammenarbeit mit dem Frauenbüro hier in D. [Stadt], das ist wirklich eine richtig gute Sache. Wir haben aber auch das Glück, dass wir da eine echt gescheite Frauenbeauftragte haben und es auch von unserer Seite eine offene Diskussion und [ein] Dialog ist. [...] Aber, was uns ganz wichtig ist, dass es auch wirklich gleichberechtigt ist.« (Martina/ IMAN)

Aber nicht nur auf der deutschen Seite wird der Willen zu Kooperation kritisiert. Auch eine Zusammenarbeit mit muslimischen Stellen erweist sich oft als schwierig. Der Verein nimmt auch innerhalb der muslimischen Community eine Zwischenposition ein, die einen Dialog erschwert. Bei den traditionell verhafteten Muslimen wird die Vergemeinschaftung als zu modern wahrgenommen. Bei den nicht gläubigen Muslimen besteht auf der anderen Seite die Angst, dass hier nur eine Scheinemanzipation der Frauen stattfindet. »Bei den Muslimen. [...] Die ganz Lockeren sagen halt, die sind zu streng und die, die wirklich alles sehr streng nehmen, die sagen dann, guck mal, die sind total locker. Wir versuchen halt so eine Mitte zu bilden und damit möglichst viele anzusprechen, aber man kann es nie allen recht machen.« (Lena/ IMAN)

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7.1.3 ZIF – Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung e.V. Der dritte Verein, das »Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung e.V.« (ZIF), basiert auf einem Gesprächskreis von Theologinnen, Islamwissenschaftlerinnen und Pädagoginnen sowie Studierenden aus diesen erwähnten Fachrichtungen und geht auf das Jahr 1993 zurück. Zu einem eingetragenen gemeinnützigen Verein wurde dieser Arbeitskreis im Jahr 1996 umgewandelt. Wie die anderen Organisationen ist er multireligiös und multiethnisch ausgerichtet und gehört keinem Dachverband an.48 Die Geschichte des Vereins begann damit, dass einige Vorstandsmitglieder neben dem Studium eine islamisch-wissenschaftliche Akademie besuchten. In dieser befassten sie sich mit allgemeinen theologischphilosophischen Themen, aber häufig mit Fokus auf den Islam und dessen Auslegung. Obwohl die philosophisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit religiösen Texten bei den Frauen auf große Resonanz stieß, bemängelten sie das Ausklammern von Geschlechteraspekt bei der Analyse und Auslegungen: »Und daraus hat sich das eigentlich dann so herauskristallisiert, dass wir gesagt haben: »Gut dann erlernen wir diese Methodik, wir erlernen Möglichkeiten wie man

48 Es soll hier erwähnt werden, dass eine der Gründerinnen und Mitglieder des ZIFs die Schwägerin des türkischen Islamisten Necmettin Erbakan, dem Gründer der »Milli-Görüs-Bewegung«, und die Mutter des ehemaligen Vorsitzenden der »Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs«, Mehmet Sabri Erbakan, ist. Nach der Ideologie der Milli-Görüs-Bewegung soll die säkulare Demokratie abgeschafft und durch islamische Herrschaftsordnung ersetzt werden. Die »Islamische Gemeinschaft Milli Görüs« (IGMG) in Deutschland wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Ihr wird vorgeworfen islamistische Strukturen zu schaffen (vgl. Bundesministerium des Inneren 2007: 221). Nach Schiffauer (2004a) kommt es durch die zweite und dritte Generation von Muslime aber seit geraumer Zeit zu einer Hinwendung der IGMG zu Europa und einen europäischen Islam. Seiner Ansicht nach versuchte speziell Mehmet Sabri Erbakan einen solchen Weg einzuschlagen (Schiffauer 2004a: S. 86ff). Auf Basis der erhobenen Daten kann nicht davon ausgegangen werden, dass der untersuchte Verein ideologische Verbindung zur Milli-Görüs-Bewegung besitzt.

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mit Texten umgeht und werden uns dann mit diesen Frauenthemen beschäftigen.«« (Bach/ ZIF)

Die Gründung eines gemeinnützigen Vereins, beruhte auf rein praktischen bzw. finanziellen Motiven und führte zu einer Erweiterung des Angebots. Heute kommt es dem Netzwerk nicht mehr alleine darauf an, lediglich wissenschaftlich theoretische Erkenntnisse über muslimische Texte zu diskutieren und zu veröffentlichen. Der Verein unterstützt Frauen dabei, ihren individuellen religiösen Weg zu wählen und eine eigene weibliche muslimische Identität zu entwickeln. Die Grundüberzeugung wird von der Idee getragen, dass eine bewusste Lebensgestaltung der muslimischen Frau nicht auf Bevormundung und Traditionen beruhen darf, sondern von den Frauen selbst erarbeitet werden muss. Wie bei den anderen Frauenvereinen stehen somit auch hier die muslimische Frau und ihre Identitätsstärkung im Mittelpunkt der Arbeit, wie ein Mitglied zusammenfasst: »Also Motto würde ich eher sagen, dass Frauen selbstbewusst sein sollen; sich selber erst einmal bewusst werden sollen, was in ihnen steckt und was sie können und, dass sie dann auch lernen, in die Gesellschaft zu gehen und sich darin zu behaupten – also Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung.« (Sevil/ ZIF)

Um diese Ziele zu erreichen, hat der Verein zwei Arten von Angeboten für Mitglieder und Interessierte eingerichtet: Es besteht die Möglichkeit, den Koran (Quran) durch die Methode der Hermeneutik gender- und frauengerecht zu interpretieren. Dieses Angebot entstand aus der Kritik an den traditionellen muslimischen Gelehrten, die Suren dogmatisch interpretieren und die Sichtweise muslimischer Frauen kaum berücksichtigen. Um dieser Praxis entgegenzuwirken, werden religiöse Schriften mit Hilfe der Hermeneutik situationsbezogen ausgelegt. Die Ergebnisse der Interpretationsarbeit werden dann in verschiedenen Broschüren und Büchern veröffentlicht, die jeweils einem thematischen Schwerpunkt gewidmet sind. Großes Aufsehen erregte so die Publikation zur Sure 4, Vers 34, die für viele Gelehrte als Begründung und Legitimation für die Züchtigung der Frau durch den Mann herangezogen wird (vgl. ZIF 2005a, vgl. hierzu auch Kapitel 7.9.3). Darüber hinaus werden in den Veröffentlichungen Themen und allgemeine Fragen etwa zum Islam in den Medien und zu Gewalt gegen Frauen wissenschaftlich ausgearbeitet (vgl. ZIF 2005b).

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Dieser Umgang mit den heiligen Schriften bleibt aber nicht nur auf einer theoretischen Ebene verhaftet, sondern spiegelt sich auch in der praktischen Arbeit des ZIF wider. Die Mitarbeiter bieten Betroffenen Hilfe bei persönlichen Problemlagen an. Dies geschieht durch telefonische bzw. persönliche Beratung, durch Planung eines therapeutischen Ansatzes oder durch Kontaktvermittlung zu Dritten, beispielsweise zu Mitarbeiterinnen eines Frauenhauses. Beratungsschwerpunkte finden sich in den Bereichen familiäre Konflikte, Gewalt gegen Frauen, psychische und psychosomatische Probleme (z. B. Ausgrenzung in der Herkunftsgesellschaft, Diskriminierung), Erziehungsprobleme und Glaubensfragen. Letztere sind meist eng an das Thema Religion gekoppelt. Neben den Beratungen werden auch Selbstbehauptungstrainings für muslimische Mädchen und Frauen angeboten, in denen die Betroffenen ihre eigene Lebenssituation reflektieren, um dann im nächsten Schritt eine selbstbewusste Identität aufzubauen. Ziel ist eine Integration in die muslimische wie auch in die Mehrheitsgesellschaft. Die Angebote richten sich teilweise auch an Teile der Mehrheitsgesellschaft. Als Beispiel können Informationsmaterialien wie beispielsweise ein Leitfaden für den Dialog zwischen muslimischen Frauen und NichtMuslimen angeführt werden, die helfen sollen Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen (vgl. ZIF 2004). Ein weiteres Angebot besteht in interkulturellen Trainings, die interkulturelle Konflikte innerhalb von Organisation und Institutionen verhindern oder schlichten sollen. Neben diesen personenbezogenen Angeboten kommt es auch zu einem gesellschaftlichen interreligiösen Engagement. Hierfür bestehen lokale (Dialogforum Christentum-Islam), nationale (inter religion(e)s – Forum für interreligiöse Bildung; Zusammenarbeit mit feministischen Zeitschriften) und europaweite (Empowering Women to active European Citizenship) Kooperationen mit anderen Vereinen, zumeist Frauen-Gruppen. Im Allgemeinen stößt der Verein bei seiner Arbeit hauptsächlich auf zwei Barrieren: Zum einen sind es die traditionellen, androzentrischen Strukturen innerhalb eines Teils der muslimischen Gemeinschaft und deren Definitionsmacht, zum anderen das verfestigte Bild der unterdrückten muslimischen Frau, welches durch die Medien kommuniziert wird: »Aber sehr fest ist verankert, dass der Islam die Frauen unterdrückt. Das ist so verankert in den Köpfen – also um das wieder richtig zu stellen – man kann da einfach auch, um nicht selbst einer Frustration zu erliegen, sagen, dort wo ich stehe, diese

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Möglichkeiten die ich hier in diesem Verein habe, da arbeite ich zäh daran.« (Graf/ ZIF)

Wie bei den anderen vorgestellten Vereinen stellt sich auch hier die Frage, in welcher Situation sich diese Organisation heute befindet. Bezogen auf die Verantwortlichen zeigt sich, dass sich die Anzahl kaum verändert hat und mit elf Personen sehr klein gehalten wird. Grund ist die Befürchtung, dass sich der Einfluss von Außen bei Zunahme der Mitglieder verstärken könnte. Neben diesen Entscheidungsträgern gibt es zwar weitere Mitglieder, Kursteilnehmer und Spender, deren Zahl jedoch nicht genau bestimmt werden kann. Die Zusammenarbeit mit staatlichen Trägern und anderen Organisationen in Deutschland wird heute immer noch als eher schwierig bewertet, obwohl sich die Situation seit der Gründung teilweise verbessert hat, was die beiden Interviewauszüge verdeutlichen: »Am Anfang hatten wir es wirklich sehr schwer, auch hier in der interreligiösen, nichtmuslimischen Szene – sag ich mal – allein in K. [Stadt], überhaupt Gehör zu finden. Es war dann so: »Ja ihr seid ja ein Frauenzentrum« wer steckt denn hinter euch. Wie viele Massen habt ihr hinter euch, wie viel Macht? Richtig auch in diesem hierarchischen Denken. Also wir mussten uns quasi als Frauen durch Qualität hervortun, was zum Beispiel von den anderen Organisationen überhaupt nicht gefragt ist. Es reicht, wenn sie da sind. [...] Es war zum Beispiel von dem Netzwerk hier in K., von den autonomen Frauengruppen die Diskussion, ob wir dabei sein dürfen, weil wir den Begriff islamisch drin haben. Weil islamisch per se eigentlich frauenfeindlich ist. Die Diskussion ging ja nicht darum das es eine religiöse Frauengruppe ist – dann hätte ich das ja verstanden – es ging ja darum, weil da islamisch stand. Weil der Islam ja per se frauenunterdrückend ist. Aber ich weiß noch, dass wir zwei Jahre bei jeder Sitzung dabei waren, bis wir uns überhaupt vorstellen durften.« (Öztürk/ ZIF)

Nicht nur auf Organisationsebene kommt es laut den Vorstandsmitgliedern zu Diskriminierungserfahrungen. Auch das Bild der muslimischen Frau in der deutschen Öffentlichkeit wird als zu einseitig und stereotypisch kritisiert. Wie bei den anderen Vereinen auch wird versucht gegen derartige Vorurteile vorzugehen. Mit Vorträgen, aktiver gesellschaftlicher Teilhabe sowie Vernetzung mit religiösen und anderen Institutionen wird versucht

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dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Auch wenn sich der Vorstand selbst nicht explizit als progressiv bezeichnen würde, vertreten die Frauen doch emanzipatorische Werte, die in Teilen der muslimischen Gemeinde, besonders bei den »Orthodoxen«, als Häresie bezeichnet werden. »Aber von der Außensicht her, da sind wir schon die Progressiven, die auch mal wagen Fragen zu stellen, die die anderen nicht stellen. Wir fragen eben nach dem Kontext, oder fragen eben nach dem Selbstverständnis der Texte. Diese Fragen, die werden nicht gestellt, in der konservativen Szene. [...] Also wenn man das antastet, dann kommt man sehr schnell in diesen Bereich der Häresie, während das im nichtislamischen Verein noch lange nicht häresieverdächtig wäre. Also das ist heute üblich. Insofern fühlen wir uns keineswegs als radikal. Im Gegenteil, wir haben auch eine Auffassung, dass das jetzt nicht gegen das Männliche gerichtet ist, sondern, dass die im Sinne der quranischen Grundtexte erkennbare Gerechtigkeit wieder ins Lot kommen muss. Dass eben dieses hierarchische Denken, das einer männlichen Überlegenheit, dass es Zeit ist, das aufzugeben.« (Graf/ ZIF)

7.1.4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der muslimischen Frauenvereine Welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede weisen die muslimischen Frauennetzwerke nun auf und welche Ziele verfolgen sie? Die Berührungspunkte können nun auf Basis der Dokumentenanalyse und den Interviews folgendermaßen zusammengefasst werden: (1) Die Vereine wurden von Frauen für Frauen aus verschiedenen Nationen und unterschiedlichen muslimischen Ausrichtungen gegründet. (2) Die Idee wurde institutionalisiert (z.B. eingetragener Verein, Satzung mit Vorstand, Normen und Wertekanon, kollektive Identität), wobei die untersuchten Netzwerke nicht Mitglied eines Dachverbandes sind. (3) Alle Vereine besitzen einen starken Bezug zu einem »weiblichen Islam«, auch wenn dieser zwischen den Vereinen unterschiedlich ist. (4) Die Angebote der Netzwerke sind spezifisch weiblich (Erziehung) bzw. religiös (Koranschule usw.). (5) Der Vorstand besteht nur aus Frauen und ist damit von männlichen Einflüssen, wie das bei gemischten Organisationen der Fall sein kann, losgelöst.

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(6) Die Gründungsmotivation und das Selbstverständnis der Vereine basiert auf einer Kritik am androzentrischen Islam sowie an der Stereotypisierung und dem Assimilationsanspruch durch die Aufnahmegesellschaft. Auch die deutsche Sprache spielt eine entscheidende Rolle und die Angebote richten sich an alle muslimischen Frauen bzw. Mädchen, die einen starken Bezug zu Deutschland besitzen, und die dennoch ihre muslimische Identität nicht aufgeben wollen. (7) Es kommt zu einer Vernetzung mit anderen Organisationen (z.B. Frauenbeauftragte, interreligiöse Vereinigungen), welche durch die Vorstandsmitglieder aber durchaus als kompliziert und nicht als ein gleichberechtigter Dialog bezeichnet wird. Nichtsdestotrotz ist erkennbar, dass sich die Zusammenarbeit in Bezug auf einzelne Organisationen langsam verbessert. (8) Ferner setzen alle Vereine auf eine Medienpräsenz (z. B. Webseite, Herausgabe einer Zeitung oder von Forschungsberichten). Die Angebote besitzen jedoch eine unterschiedliche Ausrichtung und setzen jeweils andere Schwerpunkte. Während HUDA eine Zeitung publiziert, die mehrmals jährlich erscheint, und das ZIF ein Buch und Broschüren zu verschiedenen religiösen Themen anbietet, beschränkt sich die Medienpräsenz des IMAN hauptsächlich auf die Webseite. (9) Das Ziel der untersuchten Vereinigungen ist es, die muslimische Identität der Muslima zu stärken, so dass sie sich selbstbewusst und aufgeklärt in die deutsche wie auch muslimische Gemeinschaft integrieren können. Im Mittelpunkt steht hierbei speziell die Individualität der einzelnen Frauen und nicht der Zwang zur Assimilation. (10) Als letztes zeigen die empirischen Daten, dass die konvertierten Muslima in diesen Vereinen nicht nur stark vertreten sind, sondern auch Schlüsselpositionen im Vorstand einnehmen. Dies liegt daran, dass sie zum einen ein großes Wissen über die Religion, zum anderen aber auch über die rechtlichen und verwaltungstechnischen Abläufe in Deutschland besitzen. Neben den Parallelen zeigen sich allerdings auch Unterschiede: (1) Auch wenn die Vereine die gleichen Ziele verfolgen, sehen sich das IMAN und ZIF eher als aktive Organisationen, die in die Öffentlichkeit treten, indem sie beispielsweise Demonstrationen organisieren

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oder auf Tagungen ihre Werte offensiv vertreten. HUDA möchte hier eher eine Plattform liefern, auf die Interessierte bei Bedarf zurückgreifen können, um verschiedene Standpunkte und Ansichten – hauptsächlich über religiöse Themen – auszutauschen. Zwar sind auch hier einige der Mitarbeiterinnen öffentlichkeitswirksam aktiv, indem sie beispielsweise Vorträge auf Tagungen etc. halten, jedoch tun sie dies als Privatpersonen und nicht im Namen des Vereins: (2) Des Weiteren existieren Unterschiede hinsichtlich der Angebote und der Vermittlung von religiösen und identitätsbezogenen Inhalten. Der IMAN ist eher freizeit- und bildungsbezogen, während das ZIF eine sehr starke hermeneutische und damit wissenschaftlich-theoretische Ausrichtung besitzt. HUDA kann viel eher als religionsbasierte Diskussionsplattform beschrieben werden, die sich verschiedener Methoden bedient. Alle Vereine verfolgen damit zwar die gleichen Ziele, gestalten aber unterschiedliche Angebote und besetzen damit jeweils eine eigene Nische, wodurch sie nicht in Konkurrenz zu einander stehen. (3) Bezüglich der lokalen Verortung zeigt sich, dass die Vorstandsmitglieder von HUDA in ganz Deutschland verteilt sind und auch das Angebot einen translokalen Charakter besitzt. Die Vereinszentrale des ZIF ist in Köln ansässig. Hier und in der näheren Umgebung wohnen auch die meisten Vorstandsmitglieder. Dadurch besteht ein stärkerer lokaler Bezug. Nichtsdestotrotz besitzt der Verein besonders durch die wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Konferenzteilnahmen und seine überlokale Vernetzung auch einen überregionalen Bezug. Den stärksten lokalen Bezug besitzt das IMAN. Hier sind das Angebot und das politische Engagement deutlich auf eine einzige Stadt und deren Umgebung zugeschnitten.

7.2 ALLGEMEINE ANGABEN

ZU DEN

M ITGLIEDERN

Um die Angaben in den nächsten Kapiteln besser in einem Gesamtkontext stellen zu können, werden hier anhand der erhobenen quantitativen Daten allgemeine Angaben zum Alter, Bildungstand, zur beruflichen Tätigkeit, Dauer der Mitgliedschaft, ethnischen Zugehörigkeit und Konversion der untersuchten Frauen aus den ausgewählten Vereinen abgebildet.

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Wie zu erwarten, sind 96,6% der Befragten weiblich. Ihr Durchschnittsalter betrug zum Zeitpunkt der Befragung 35,5 Jahre (SD=13,6). Die jüngste Frau war 15, die älteste 77 Jahre alt. Insgesamt haben 57,8% der Befragten einen Migrationshintergrund, d. h. mindestens eines der beiden Elternteile stammt aus dem Ausland. 77,1% der befragten Frauen besaßen im Untersuchungszeitraum einen deutschen Pass. Die Verteilung der Probandinnen auf die verschiedenen Vereine bezüglich der Art ihrer Mitgliedschaft ist in Tabelle 7 dargestellt. Tabelle 7: Art der Mitgliedschaft in % (n=130) Vorstand

Mitglieder

Nehme am Angebot teil

HUDA

2,1%

97,9%

0%

IMAN

12,9%

56,5%

30,6%

ZIF

20%

45%

35%

Gesamt

10%

70%

20%

Quelle: Eigene Darstellung

7.2.1 Alter der Mitglieder Bezüglich des Alters der Mitglieder zeigt sich, dass knapp zwei Drittel (über 60%) zwischen 20 und 39 Jahre alt sind (vgl. Abbildung 2). Der Mittelwert beträgt hierbei 35,5 Jahre; die Mitglieder sind im Durchschnitt also eher mittleren Alters, wobei die Altersstruktur zwischen den einzelnen Vereinen freilich stark variiert. Ein Blick auf die Altersstruktur von HUDA zeigt, dass es sich bei den Abonnentinnen ausschließlich um Erwachsene handelt: Das jüngste Mitglied war zum Zeitpunkt der Befragung 21 Jahre, das älteste 72 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt liegt bei ca. 42,2 Jahren, wobei Frauen, die erst seit kurzer Zeit eine Vereinsmitgliedschaft hatten, eher sehr jung waren, während ältere Mitglieder schon seit längerer Zeit die Zeitung HUDA abonnierten. Die Altersstruktur des IMAN unterscheidet sich deutlich von der des ZIF und derjenigen der HUDA.

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Das Durchschnittsalter liegt hier bei 26,7 Jahren. Das jüngste Mitglied war zum Befragungszeitpunkt 15 Jahre und das älteste 68 Jahre alt. Die Mitglieder sind damit weitaus jünger als die der anderen beiden untersuchten Vereine. Dies könnte darauf zurückgeführt werden, dass das Angebot des Vereins vor allem jüngere Menschen anspricht. Speziell der vom IMAN angebotene Mädchentreff führt dazu, dass der Anteil von jungen Frauen größer ist als bei den anderen beiden Vereinen. Im Vergleich zu den Mitgliedern von HUDA und IMAN liegt das Durchschnittsalter der Befragten des ZIF bei 38,9 Jahren. Damit sind die Mitglieder im Durchschnitt jünger als die von HUDA, dennoch um ca. 10 Jahre älter als die des IMAN. Abbildung 2: Altersstruktur in % (n=129)

40

34,9

35 28,7

30 25 20

16,3

15 10

7,8

7 3,9

5

1,6

0 15-19 Jahre

20-29 Jahre

30-39 Jahre

40-49 Jahre

50-59 Jahre

60-69 Jahre

70-77 Jahre

Quelle: Eigene Darstellung

7.2.2 Bildung und Beruf Einen großen Einfluss auf die gesellschaftliche Teilhabe in einer Wissensgesellschaft besitzt der Faktor Bildung. Wie die repräsentative Studie von Haug et al. zeigt, weisen gerade Muslime ein signifikant niedrigeres Bildungsniveau auf als die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften (vgl. Haug et al. 2009: 211). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Bildungsniveau der hier befragten Frauen.

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Auf die Frage, welchen höchsten Bildungsabschluss sie besitzen, gaben 27,3% an, Abitur oder einen ähnlichen Abschluss erreicht zu haben. Hinzu kommen 42,2% die einen Fach- oder Hochschulabschluss ihr Eigen nennen. Im Vergleich dazu verfügen relativ wenige Frauen über einen Hauptschulabschluss (vgl. Abbildung 3). Während nach Angaben der repräsentativen Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) von 2006 39,3% der Gesamtbevölkerung die Hauptschulabschluss besitzen, sind es hier nur deren 8,6%. Abbildung 3: Bildungsabschlüsse in % (n=128)

45 40 35 30 25 20 15 10 5 0

42,2

27,3 19,5 8,6 2,4 Hauptschule Realschule oder eine oder eine ähnliche ähnliche Schulart Schulart

(Fach-) Gymnasium oder eine Hochschule ähnliche Schulart

Sonstige Schule

Quelle: Eigene Darstellung

Nicht nur im Vergleich zur deutschen Bevölkerung sondern auch im Vergleich zu den in Deutschland lebenden Muslimen besitzen die Frauen ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau. Nach Haug verlassen 13,5% der Muslime die Schule ohne einen Abschluss. 27,4% besitzen einen Hauptschul- und 30,6% einen Realschulabschluss. Ein Abitur oder einen Fachhochschulreife besitzen 28,5% (vgl. Haug et al. 2009: 212). Auch wenn kein direkter Vergleich möglich ist, wird dennoch deutlich, dass es sich bei den hier befragten Muslima um eine besondere Gruppe handelt, vor allem in Hinblick auf die Tatsache, dass muslimische Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Glaubensbrüdern die Schule meist mit einem niedrige-

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ren Schulabschluss verlassen (vgl. Haug et al. 2009: 221). Das Bildungsniveau der untersuchten Gruppe kann insofern als überdurchschnittlich hoch bezeichnet werden. Bei den Mitgliedern scheint es sich um eine bildungsnahe Schicht zu handeln, die großen Wert auf kulturelles Kapital legt. Abbildung 4: Berufliche Beschäftigung in % (n=127) Sonstiges; 2,4 Arbeitslos; 7,9

Haus frau; 25,2

Berufs tätig; 29,9

Rentnerin; 5,5 Schülerin; 7,1

Auszubildende; 3,1

Studentin; 18,9

Quelle: Eigene Darstellung

Wirft man nun einen Blick auf die berufliche Situation der Befragten (Abbildung 4) und vergleicht sie mit den repräsentativen Daten von ALLBUS, so zeigt sich folgendes Bild: 26% der Frauen sind Schülerinnen oder Studentinnen. Dieser Wert ist fast vierfach so hoch wie der bei der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage (ALLBUS 2006: 8,1%). Bezahlter Arbeit gehen 29,9% der Muslima nach und 3,1% befinden sich in einer Ausbildung. Die Arbeitslosenzahl liegt bei 7,9% und fällt damit geringer aus als bei der ALLBUS-Umfrage. Dort gaben 13,5% an, arbeitslos zu sein. Weitere 25,2% sind als Hausfrauen tätig und 5,5% sind Rentnerinnen. Auch hier zeigen sich also Unterschiede zur deutschen Gesamtbevölkerung. Während die Schülerinnen/ Studentinnen und Hausfrauen überpräsentiert sind, fällt die Zahl der Rentnerinnen und Arbeitslosen geringer aus.

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7.2.3 Dauer der Mitgliedschaft Wie bereits erwähnt wurde, gründeten sich alle Vereine Mitte der 1990er Jahre und haben seitdem vielerlei Veränderungen erfahren. Umgestaltungen gab es beispielsweise bei den Angeboten, bei der Mitgliederzahl oder auch bei den Räumlichkeiten (vgl. Kapitel 7.1). Bezogen auf die Mitgliedschaftsdauer (vgl. Abbildung 5) zeigt sich folgendes Bild: Fast 60% der befragten Mitglieder sind schon über drei Jahre bzw. schon seit der Gründung im Verein. Dies zeigt auf der einen Seite, dass eine große Zahl dem jeweiligen Verein schon lange Zeit die Treue hält. Auf der anderen Seite aber deckt es auch ein Problem der Vereine auf, die alle Schwierigkeiten bei der Akquisition neuer Mitglieder haben. Davon besonders betroffen ist HUDA, wo es in den letzten Jahren auch zu Austritten kam. Abbildung 5: Dauer der Mitgliedschaft in % (n=127) 37,2

40 35 30 25 20 15 10

23,3

22,5

6 Monate bis 1 bis 3 Jahre über 3 Jahre 1 Jahr

seit der Gründung

8,5

8,5

5 0 0 bis 6 Monate

Quelle: Eigene Darstellung

Ein Hauptgrund für die nachlassende Nachfrage oder die Austritte ist wohl in dem Faktum begründet, dass im digitalen Zeitalter sehr viele Internetforen bzw. Webseiten und andere kostenlose Angebote existieren, welche die gleichen Inhalte wie die hier vorgestellten Vereine bereithalten. Darüber hinaus stehen die Vereine nicht nur in Konkurrenz mit anderen unabhängigen muslimischen Frauenorganisationen, sondern auch mit sozialen Organisationen wie z. B. der Caritas oder mit einzelnen Angeboten muslimi-

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scher Dachverbände. Auffällig ist bei letzteren, dass auch sie in den 1990er Jahren eigene Frauenbeauftragte oder Frauenverbände etabliert haben, was zum einen mit der steigenden Nachfrage der Frauen nach frauenspezifischen Angeboten zusammenhängt, zum anderen aber auch mit dem Konkurrenzkampf auf dem Markt der unzähligen Offerten für die Muslima. Dies kann als Zeichen gedeutet werden, dass sich diese großen Verbände verstärkt den Interessen von Frauen widmen möchten. Auffallend ist, dass hier von einer regelrechten muslimischen Institutions-Oligarchie (vgl. Berger 1973: 136f) gesprochen werden kann, die es den kleineren Vereinen erschwert, neue Mitglieder zu rekrutieren, wobei dies dem IMAN, der sehr lokal und migrantenbezogen arbeitet, noch am besten gelingt. 7.2.4 Ethnische Zugehörigkeit und Konversion Insgesamt weisen 59,4% der befragten Muslima, für die verwertbare Fragebögen vorliegen, einen Migrationshintergrund auf (vgl. Abbildung 6). Der größte Anteil der Personen mit Migrationshintergrund stammt aus der Türkei und Marokko. Aber auch Frauen, deren ethnische Wurzeln in Ländern wie z. B. Syrien, Afghanistan, Palästina und den Staaten des ehemaligen Jugoslawien liegen, sind Teil der Stichprobe. Auffallend ist der große Anteil von Konvertierten (vgl. Abbildung 6). 46% gaben an, zum Islam konvertiert zu sein. Wie verteilen sich nun die Mitglieder auf die jeweiligen Vereine? Abbildung 6: Personen mit Migrationshintergrund nach Vereinen in % (n=75)

100 80

82,5 60

60 40 20

26,7

0 HUDA

Quelle: Eigene Darstellung

IMAN

ZIF

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT | 143

HUDA weist den geringsten Anteil an Migranten auf (26,7%). Von diesem stammt wiederum der größte Teil aus Bosnien, wohingegen Migranten aus der Türkei kaum vorzufinden sind. Überraschend ist auch die Tatsache, dass der Anteil der Konvertierten unter den Mitgliedern sehr hoch ist: ca. 84,8% der Befragten sind zum Islam konvertiert. Da HUDA einer der ersten Anbieter war, der eine theologisch ausgerichtete und islambezogene Zeitung auf Deutsch herausgab, die zudem Frauenthemen in den Mittelpunkt stellte, interessierten sich vor allem Konvertierte oder Islaminteressierte dafür. Auch wenn die Mitgliederzahl insgesamt abnimmt, scheinen sich die Relationen bezüglich der Konvertierten nicht verändert zu haben. Unter den Mitgliedern des IMAN findet sich der größte Anteil an Personen mit einem Migrationshintergrund: Knapp 82,5% besitzen einen ausländischen Pass bzw. mindestens ein Elternteil stammt aus einem anderen Land. Die meisten Frauen stammen dabei aus Marokko. Der Anteil der Konvertierten hingegen liegt bei 21,3%. Die zum Islam konvertierten Frauen stellen mit ca. 40% auch den größten Teil der Neumitglieder. Es wird daher angenommen, dass das IMAN als erste Anlaufstelle für Konversionswillige angesehen wird und dass sein Angebot auch immer mehr Frauen anspricht, die zum Islam konvertieren wollen. Außerdem wurde bekannt, dass einige Moscheengemeinden konvertierte Frauen explizit an das IMAN verweisen. Von den Mitgliedern des ZIF haben rund 60% einen Migrationshintergrund, wobei der Hauptteil der Befragten einen Bezug zur Türkei besitzt. Beim ZIF ist auffällig, dass die Personen mit Migrationshintergrund, eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Ihr Anteil macht hier ca. 80 % unter den Migranten aus. Ferner bestehen die Gründungsmitglieder hauptsächlich aus Konvertierten, während die neuen Mitglieder hauptsächlich Muslime qua Geburt sind. Zusammenfassend wird deutlich, dass (1) die Vereine eine starke multikulturelle Ausrichtung besitzen. Die Mitglieder kommen aus ganz unterschiedlichen muslimischen Staaten. Daneben befindet sich aber auch eine sehr große Zahl von Deutsch-Muslime unter den Mitgliedern, die zum Islam konvertiert sind. (2) Deutlich wird ferner, dass bei allen drei Organisationen speziell die Konvertierten und Muslime der zweiten Generation bei der Gründung eine sehr bedeutende Rolle eingenommen haben (vgl. hierzu auch Kapitel 7.1).

144 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND ?

7.3 M ITGLIEDSCHAFTSGRÜNDE Seit den 1980er Jahren hat die Institutionalisierung des Islam immer stärker zugenommen. Hierbei kam es zu einer immer stärkeren Ausdifferenzierung der Angebote (vgl. Kapitel 2.2). Die hier untersuchten Vereine besetzen mit ihren Angeboten eine Nische in der muslimischen Vereinslandschaft. Der Schwerpunkt liegt bei allen vor allem auf der Stärkung einer individuellen religiösen Identität der rein weiblichen Mitglieder. Im folgenden Abschnitt wird nun die Sicht der Mitglieder auf ihre Mitgliedschaft abgebildet. Es wird untersucht welche Gründe für die Partizipation an den Angeboten ausschlaggebend sind. Dies soll einen ersten Einblick in die Einstellungen der Mitlieder geben. Viele der Ergebnisse werden in den anschließenden Kapiteln wieder aufgegriffen und vertiefend dargestellt. Auf Basis der qualitativen Interviews wurden Kategorien gebildet und anschließend für den quantitativen Fragebogen operationalisiert. Bei den Kategorien handelte es sich um (1) »Religiosität/ Glauben«, (2) »Unabhängigkeit des Vereins«, (3) »Interkulturalität/ Multireligiosität«, (4) »Frauenrechte«, (5) »sozialer Kontakt«, (6) »Weiterbildung« sowie (7) »Kritik an anderen muslimischen Organisationen«. Jede dieser Kategorien wurde dann anhand von Beispielen operationalisiert. So fanden sich in der Kategorie »Religiosität« die Aussagen: »Weil ich neue Impulse für meinen Glauben erhalten kann.« oder »Weil ich mehr über den Islam herausfinden kann«. Dabei konnten die Befragten bei der subjektiven Bedeutung für ihre Teilhabe zwischen »sehr wichtig«, »wichtig«, »teils-teils«, »eher unwichtig« oder »völlig unwichtig« wählen. Mit der Kategorie »Kritik an anderen muslimischen Organisationen« sollte eine ablehnende Haltung gegenüber den traditionellen muslimischen Institutionen erfasst werden, während die anderen Angaben eher das eigene Engagement und die positiven Effekte des jeweiligen Frauenvereins für die Mitgliedschaft in den Mittelpunkt der Befragung stellten. Um die allgemeine Bedeutung des Religiösen für die Mitglieder abzubilden, wurde zuerst gefragt, welchen subjektiven Wert die Befragten dem Islam im Verein zuschreiben. Die Sonderstellung des Religiösen für die Mitglieder unterstreicht die Antwortverteilung. Für 90,4% spielt der Islam die Hauptrolle. Für 6,4% spielt er eine untergeordnete und für gerade 3,2% keine Rolle (vgl. Tabelle 8).

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT | 145

Tabelle 8: Subjektive Bedeutung des Islams innerhalb der Vereine (n=126)

Welche Rolle spielt der Islam in diesem Verein für Sie?

in %

Er spielt für mich im Verein die Hauptrolle.

90,4

Er spielt für mich im Verein eine eher untergeordnete Rolle.

6,4

Der Islam spielt für mich im Verein keine Rolle.

3,2

Quelle: Eigene Darstellung

Ein detaillierter Blick auf die Mitgliedsgründe legt folgendes Bild offen. Wie oben schon angedeutet wurde, sind es vor allem die Aspekte in der ersten Kategorie »Religiosität/ Glauben«, die die muslimischen Frauen zu einer Mitgliedschaft bewegen (vgl. Tabelle 9). 83,5% der Befragten finden es wichtig bzw. sehr wichtig neue Impulse für ihren Glauben sammeln zu können. 78,9% wiederum möchten mehr über den Islam herausfinden und ihr religiöses Wissen erweitern. Islam und hier speziell die Erweiterung des eignen religiösen Kapitals ist für die Frauen von aller größter Bedeutung wie das folgende Zitat eines Vorstandsmitglieds nochmals unterstreicht: »Also allgemein, [...] das war einfach, dass so einige Mädchen sich gesagt haben: »Was ist denn eigentlich der Islam?« Entweder das, weil sie den Islam nicht gekannt haben, aber wussten es ist ihre Religion oder eben von der anderen Perspektive: »Stimmt das denn, was da der Hodscha in der Moschee sagt, der keine Ahnung von dem Leben hier hat? Stimmt das was meine Oma mir sagt? Meine Oma kann mir keine Begründung geben, warum ich das Kopftuch tragen soll. Warum soll ich fasten, meine Mutter auch nicht, mein Vater auch nicht?« Also dieser Bedarf wirklich selber nachzuforschen in den authentischen Schriften, also nicht nur zu hören, was sagt meine Mutter, was sagt mein Vater, sondern was steht im Koran – was steht in der Hadith und in der Sunna. « (Martina/ IMAN)

Wie der Interviewauszug und die quantitativen Daten zeigen, sind es besonders junge Muslima mit Migrationshintergrund, die in Deutschland sozialisiert wurden, und Konvertierte, die auf der Suche nach dem richtige Islam sind und der Frage nachgehen, wie der Islam in Deutschland gelebt werden kann (vgl. hierzu auch Kapitel 3.6). Sie versuchen das Muslim-Sein

146 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND ?

mit dem Deutsch-Sein zu verbinden und dabei gleichzeitig ihren eigenen Weg zu finden. Es sind ganz praktische Alltagsfragen mit denen sie sich dabei beschäftigen. Im Fokus stehen beispielsweise Themen wie das Tragen des Kopftuchs und die Teilnahme am Schwimmunterricht, die für viele Muslima in Bezug auf ein Leben unter Nicht-Muslimen von großer Bedeutung sind, jedoch von Verwandten oder hohen muslimischen Würdeträgern (z. B. Hodscha, Großmutter) in vielen Fällen nicht adäquat beantwortet werden können. Dies führt dazu, dass die hier untersuchten Frauen in diesen Vereinen nach Lösungen suchen. Durch den Besuch erhoffen sie sich eine subjektive religiöse Authentizität zu gewinnen und ihren individuellen Islam selbst zu gestalten. Für 76,4% ist die »Unabhängigkeit des Vereins« (Kategorie 2) von den traditionellen bzw. androzentrischen Organisationen von großer Bedeutung. Wie Tabelle 9 am Ende dieses Kapitels zeigt, ist es die Autonomie von patriarchalischen Strukturen die als sehr wichtig bzw. wichtig eingestuft wird. Von vielen Vereinsmitgliedern wird eine Skepsis gegenüber traditionellen Organisationen gehegt. Durch ihre Unabhängigkeit unterliegen die Vereine keiner Weisungsgebundenheit und können eigene religiösen Ansichten jenseits von männlichen Vorgaben entwickeln. »Vor allen Dingen, es gibt nur diese wenigen unabhängigen Frauengruppierungen. Alle anderen sind irgendwo an bestimmte männliche Gruppierungen gebunden. Und damit eigentlich auch weisungsgebunden.« (Sevil/ ZIF)

Neben der Unabhängigkeit von den traditionellen Organisationen ist es die »Interkulturalität/ Multireligiosität« (Kategorie 3) die die Mitglieder am Verein schätzen. Der Austausch von unterschiedlichen Ansichten und Meinungen spielt für die Frauen eine wichtige Rolle. 70,9% der Befragten geben an, dass es sehr wichtig bzw. wichtig ist, dass die Vereine von Frauen aus unterschiedlichen Nationen besucht werden. Der kulturelle Austausch findet dabei fast immer vor dem Hintergrund der Integration in die deutsche Gesellschaft statt. Diese interkulturellen Strukturen und deren Aushandlungsprozesse erzeugen bzw. verfestigen hybride Identitäten, wie sie in Kapitel 4.3.1 theoretisch herausgearbeitet wurden und auf die später noch genauer eingegangen wird. Die Wichtigkeit des interkulturellen und religiösen Austausches beschreibt ein Mitglied wie folgt:

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT | 147

»Also, die Gruppe hat mir sehr gut gefallen, weil die halt alle so unterschiedlich waren und eben nicht irgendjemandem angehörten und so kulturell, also so komplett durchgemischt und so, vom Horizont und von den Gedanken her halt, die auch so wie ich waren und hier aufgewachsen sind und so, die zwei Kulturen so mehr oder weniger vereint haben. Und das hat halt einfach gepasst, weil so die anderen Gruppen, die dann nur arabisch oder nur türkisch oder so sind, da passen wir halt einfach nicht rein und das war jetzt ne Gruppe wo ich reingepasst hab.« (Adila/ IMAN)

Aber nicht nur die kulturelle bzw. nationale Offenheit, sondern auch die religiöse Vielfalt ist für 59,5% der Frauen ein sehr wichtiger bzw. wichtiger Faktor (vgl. Tabelle 9). Dass Muslime aller Glaubensrichtungen (z. B. Sunniten, Alleviten, Schiiten) Mitglied sind, wird von knapp 60% als bereichernd empfunden. Auch hier zeigt sich, dass der Austausch mit anderen religiösen Ansichten explizit gesucht wird und Konflikte, die in manchen Herkunftsländern zwischen den unterschiedlichen islamischen Richtungen (beispielsweise Irak, Türkei) existieren, keine Rolle spielen. »Im Verein habe ich keine Probleme mit denen, hier sind auch Schiiten dabei. Ich habe auch irakische Freundinnen hier. In der Türkei teilt sich das ja auf. Ich bin ja von der Westküste. Die Schiiten sind ja meistens von der Ostküste. Also ich hatte hier in Deutschland nie Probleme gehabt. Es spielt keine Rolle, glaube ich. Man ist ja mit diesen Problemen nicht andauernd konfrontiert. Ich sag mal, man hat eine Freundin, und wenn sie Schiitin ist, dann ist sie halt Schiitin.« (Alara/ anonymer Verein)

Es lässt sich resümieren, dass die Mitglieder die kulturelle und religiöse Offenheit der Vereine sehr schätzen. Es hat den Anschein, dass der Austausch zwischen Kulturen und allen muslimischen Richtungen explizit gesucht wird. Ferner ist dabei ein Bezug zu Deutschland, in dem die Frauen sozialisiert wurden und leben, immer ein fester Bestandteil der Vereinskultur und den in den Vereinen häufig geführten Debatten. Eine wichtige Frage ist, wie der Islam in Deutschland gelebt werden kann ohne seine religiöse Identität zu verlieren und dennoch ein Teil der deutschen Gesellschaft zu sein. Neben dem sehr starken religiösen und internationalen bzw. interreligiösen Bezug, nehmen besonders die Faktoren Frauenrechte, Emanzipation und Geschlechtergerechtigkeit eine bedeutende Stellung ein (Kategorie 4: »Frauenrechte«). Es zeigt sich, dass sich 70,6% der Mitgliedschaft mit ih-

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rer Mitgliedschaft aktiv für die Frauenrechte einsetzen. Wiederum 68,8% finden es sehr wichtig bzw. wichtig, dass sich der Verein für Frauenrechte stark macht. Hierbei wird besonders hervorgehoben, dass die Angebote speziell von muslimischen Frauen für muslimische Frauen zugeschnitten sind, was zu einem besseren Verständnis der Problemlagen der Betroffenen führt. Ein Mitglied von HUDA beschreibt dies anhand eines Beispieles wie folgt: »Ich fand das toll mit dem muslimischen Frauennetzwerk. [...] Und ich fand es einfach wichtig, dass die muslimischen, eigenständig denkenden Frauen, die sich jetzt abheben von einem totalen, sturen »Nachplappern« und »traditionellem Nichtdenken« zusammentun, aktiv sind und einfach Wissen und Unterstützung für andere Frauen anbieten, die möglicherweise nicht in der Lage sind irgendwelche Infos zu bekommen oder die in irgendwelchen Problemsituationen sind. [...] Es gibt natürlich Sorgentelefone, die nicht von Muslimen, sondern von Christen oder von öffentlichen Einrichtungen gehalten werden, aber unser muslimisches Sorgentelefon ist einfach noch mal was anderes, weil wir einen muslimischen Hintergrund haben und wenn eine muslimische Frau mit speziellen Problemen anruft – in ihrer Familie oder wo auch immer – können [wir] diese Frauen möglicherweise besser verstehen, oder die Frauen fühlen sich in ihrer Eigenschaft als Muslimin besser verstanden.« (Mayer/ HUDA)

64,3% der Frauen finden es mindestens wichtig, dass in den Netzwerken explizit ein weiblicher Islam vermittelt wird. Also einen Islam, der hinsichtlich praktischer Fragen wie beispielsweise Partnerschaft, Berufe und Schule geschlechtergerecht interpretiert wird. Mit Hilfe der Vereine lernen die Frauen, sich argumentativ auf Basis von Glaubenschriften gegen Unterdrückung durch das muslimische Umfeld zur Wehr zu setzen. Fatima beschreibt dies folgendermaßen: »Das ist nur dieses traditionelle Denken: Die Frau gehört in die Küche. Ich denke es ist sehr wichtig, dass es diese Frauenvereine gibt. Im Mädchentreff sehe ich immer wieder Mädchen, die hierher kommen und Streit mit ihren Eltern hatten oder ähnliches und deren Eltern vielleicht auch nicht ganz so islamisch leben, sondern eher traditionell denken. Und hier erfahren sie dann, dass die Frau das und das doch darf und dass sie doch ihr Abitur machen sollte und so ein Selbstbewusstsein gewinnen, mit dem sie gegenüber ihren Eltern auch mal antreten können. Das ist auf jeden Fall

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wichtig. Es ist wichtig Frauenvereine zu haben, wo sich die Frauen einfach hinwenden können, frei von allem traditionellen Denken.« (Fatima/ IMAN)

Neben den hier bereits erwähnten Kategorien »Religiosität/ Glauben«, »Unabhängigkeit des Vereins«, »Interkulturalität/ Multireligiosität« sowie »Frauenrechte«,, ist das Knüpfen von neuen sozialen Kontakten für die Mitglieder eher von mittelgroßer Bedeutung (Kategorie 6: »sozialer Kontakt«). 61,7% finden es sehr wichtig bzw. wichtig, dass sie im Verein Freunde treffen können. Knapp die Hälfte der Befragten besucht den Verein, weil es für sie sehr wichtig/ wichtig ist hier neue Freunde kennen zu lernen. Auch der Austausch über Alltagsprobleme hat eher eine mittelgroße Bedeutung für die Frauen. 48% der Frauen besuchen den Verein, weil sie es als sehr wichtig/ wichtig erachten, mit anderen Frauen über Alltagsprobleme zu sprechen. »Soziale Kontakte« spielen somit für die Frauen eine eher untergeordnete Rolle. Hinsichtlich der Kategorie »soziale Kontakte« muss aber stark zwischen den Vereinen differenziert werden. Während beispielsweise für Mitglieder des IMAN, der einen starken lokalen Bezug besitzt, die soziale Komponente sehr wichtig ist, spielt es bei HUDA, das national ausgerichtet ist, eine untergeordnete Rolle.49 Auch wenn die sozialen Kontakte im Allgemeinen von den Befragten als eher unwichtig bewertet werden, spielen sie bei der Konstruktion von kollektiven Identitäten eine essentielle Rolle (vgl. Hall 1999a: 95). Denn erst durch den interkulturellen und interreligiösen Austausch entstehen neue Strukturen und Umdeutungen von religiösen Texten. Sie bilden erst die Basis für die Herausbildung von hybriden Identitäten, wie noch zu zeigen sein wird. Im Vergleich zu den anderen genannten Aspekten spielt die reine »Weiterbildung« (Kategorie 7), die nicht mit dem Faktor Religion in Verbindung steht, eine eher sekundäre Rolle. Zwar wird vor dem Hintergrund des hohen Bildungsniveaus der Mitglieder Bildung an sich als wichtig deklariert, dennoch scheinen die Vereine nicht die Funktion von klassischen Fortbildungsstätten zu besitzen.50 Der Faktor Bildung spielt hauptsächlich nur eine Rolle in Verbindung mit dem Islam bzw. dem Religiösen.

49 Diesbezüglich kommt es zu einer Verzerrung der Stichprobe. 50 Ein muslimischer Frauenverein, der eine solche Weiterbildungsorientierung besitzt, ist das BFMF (Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen e.V.) in Köln. Das Zentrum dient für manche Frauen des IMAN als Vorbild

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Während die vorangegangenen Fragen auf die Motive für das Aufsuchen der Frauenvereine gerichtet waren, zielt die Kategorie (8) »Kritik an anderen muslimischen Organisationen« auf die Bewertung anderer muslimischen Vereinen ab. 57,5% der Befragten gaben an, Mitglied eines dieser Frauenvereine geworden zu sein, da andere muslimische Organisationen meist auf einzelne Nationalitäten beschränkt sind. Mehr als jede zweite Muslima kritisiert somit die ethnische Schließung der traditionellen Vereinigungen. Wiederum 55,9% beanstanden, dass die meisten muslimischen Organisationen von Männern dominiert werden. Exemplarisch für diesen Unmut und das Misstrauen, welches einige Frauen den traditionellen muslimischen Institutionen entgegenbringen, ist folgender Interviewauszug: »Abgesehen davon sind diese ganzen Bekenntnisse seitens der patriarchal besetzten Verbände zu den Rechten der Frau eigentlich ohne Kenntnisse. Solange bestimmte Dinge nicht paritätisch besetzt sind, solange nicht in den Moscheen klar und deutlich, in jeder Freitagspredigt erklärt wird: Das Schänden von Frauen ist eine unislamische Angelegenheit und das gilt nicht und das ist ein Verbrechen, solange können die viel in die Kameras reden: was sie auch gerne tun.« (Bach/ ZIF)

Vor diesem Hintergrund sind auch mehr als die Hälfte der Frauen (54%) mit der Interessenvertretung der Frauen in traditionellen muslimischen Verbänden nicht zufrieden. Deutlich wird dies am Beispiel einer Konvertierten, die die Rolle der Frau in traditionellen Organisationen kritisiert: »Also, dass man wirklich erst den Islam kennen lernt, weil wenn man sich so anguckt was in der Welt oder hier – muss man ja nur nach Deutschland gucken – teilweise los ist [...] Ich bin so dankbar, dass ich in dieses Mädchentreff gekommen bin. Wenn ich meinen ersten Kontakt zu einer türkisch-marokkanischen Moschee hätte und die Frauen da gesehen hätte, hätte ich gesagt »o. k., das war´ s mit meinem Ausflug zum Islam« und da hat sich halt ein völlig anderes Bild ergeben.« (Martina/ IMAN)

für Struktur und Akquise von Drittmittelprojekten und offeriert explizit Sprachkurse, berufsorientierte Bildung usw. für muslimische Frauen. Hinzu kommt, dass es Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder dieser Frauen gibt. Das BFMF ist damit ein großer Bildungsträger, der die Lücke zu den hier vorgestellten Vereinen schließt und das Angebot ergänzt.

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Knapp jede zweite Frau (53,5%) kritisiert den Einfluss der nationalen Politik der muslimischen Länder auf die muslimischen Organisationen in Deutschland. Darunter zählt z.B. die Entsendung von Imamen oder auch die finanzielle Unterstützung. Viele Frauen sehen dies als Einflussnahme aus dem Ausland, was eine Integration des Islam in die deutsche Gesellschaft erschwert oder sogar verhindert. Zusammenfassend lässt sich nun festhalten, dass der Faktor Religion im Allgemeinen und der Islam im Speziellen der Hauptantriebsmotor der Mitglieder für eine Partizipation an den Vereinsangeboten ist. Dies ist aber nicht der alleinige Grund. Auch die Unabhängigkeit von traditionellen und auch androzentrisch geführten Vereinen sowie die interkulturelle und interreligiöse Öffnung mit einem starken Deutschlandbezug spielt für viele eine bedeutende Rolle. Hinzu kommt, dass der Verein eine Möglichkeit zum kulturellen Austausch bietet, da hier Frauen aus unterschiedlichen Nationen sowie islamischen Ausrichtungen zusammenkommen. Auch bilden sie einen Schutzraum, wo Frauen ein ganz eigenes Verständnis des Islams entwickeln, wie eine Iranerin nochmals betont: »Das ist ja ein muslimischer Frauenverein, natürlich spielt die Religion eine ganz große Rolle. Dass wir dann versuchen, dem was wir tun, schon eine religiöse Grundlage dafür zu geben. Nach unserem Verständnis natürlich.« (Mitraa/ HUDA)

Neben diesen positiven Aspekten der Angebote der Frauenvereine werden aber auch die Strukturen der etablierten muslimischen Organisationen kritisiert. Für knapp die Hälfte der Frauen sind diese zu sehr auf die Herkunftsländer bezogen, ethnisch geschlossen und noch zu sehr von Männern dominiert. Tabelle 9 fasst die bisher vorgestellten Gründe, den Vereinen beizutreten, wie folgt zusammen:

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Tabelle 9: Vereinsmitgliedschaft nach Gründen

Gründe für die Mitgliedschaft (sehr wichtig/ wichtig)

in %

Weil ich Impulse für meinen Glauben sammeln kann.

83,5

Weil ich mehr über den Islam herausfinden kann.

78,9

Weil dieser Verein unabhängig ist.

76,4

Weil hier Menschen aus vielen Nationen (z.B. Türkei, Iran usw.) sind.

70,9

Weil ich mich für muslimische Frauenrechte stark machen möchte.

70,6

Weil sich der Verein für Frauenrechte stark macht.

68,8

Weil hier ein weiblicher Islam im Mittelpunkt steht.

64,3

Weil ich Freunde treffen kann.

61,7

Weil dieser Verein für alle muslimischen Richtungen (z. B. Sunniten, Alleviten, Schiiten) offen ist.

59,5

Weil in anderen muslimischen Organisationen meist nur Muslime sind, die einer Nation angehören.

57,5

Weil die anderen muslimischen Organisationen meist von Männer dominiert werden.

55,9

Weil die Interessen der Frauen in den meisten muslimischen Organisationen kaum berücksichtigt werden.

54

Weil andere muslimische Organisationen stark von der nationalen Politik eines muslimischen Landes beeinflusst werden.

53,5

Weil ich neue Bekanntschaften schließen kann.

49,2

Weil ich mich hier mit anderen Frauen über Alltagsprobleme austauschen kann. Weil ich mich weiterbilden möchte. Quelle: Eigene Darstellung

48 41,6

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7.4 R ELIGIOSITÄT Der wissenschaftliche Religionsdiskurs hat seit der Veröffentlichung des Buches »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« von Emile Durkheim (1912 [1981]) viele Facetten angenommen und ist Forschungsgegenstand verschiedener Wissenschaften geworden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Begriff Religion unterschiedlichste Definitionen erfährt und auch der Stellenwert des Religiösen in einer globalisierten Welt unterschiedlich interpretiert wird. Hierbei haben sich drei idealtypische Ansichten herauskristallisiert. Anhänger der so genannten Säkularisierungstheorie sind der Auffassung, dass sich die Religion aus dem modernen Leben der Menschen – vor allem in den Industrieländern – zurückzieht und immer mehr aus dem Alltag entschwindet: »Die Säkularisierungsthese51 geht davon aus, daß Religion und Moderne in einem Spannungsverhältnis stehen und daß in dem Maße, wie sich die Gesellschaft modernisiert, der gesellschaftliche Stellenwert der Religion sinkt.« (Pollack 1996: 61). Demnach büßt religiöse Sinnhaftigkeit in einer funktional differenzierten Gesellschaft immer weiter an Bedeutung ein und besitzt für die Menschen kaum noch eine identitätsstiftende Relevanz. Es wird behauptet, dass die Wissenschaft (speziell die Naturwissenschaften) das »Göttliche entzaubert« und damit die Religion aus den modernen Gesellschaften verdrängt (vgl. Weber 1988: 204). Für diese These wird beispielsweise angeführt, dass sich eine große Zahl Gläubiger von den institutionalisierten religiösen Organisationen lossagt, immer seltener an Gottesdiensten teilnimmt oder sich aus der Institution Kirche zurückzieht (z.B. Pollack 2003: 162). Anhänger der Individualisierungsthese behaupten hingegen, dass Religiosität nicht in Auflösung begriffen ist, sondern in der Moderne zunehmend individualisiert wird. Speziell Luckmanns funktionalistische Definition von Religion geht davon aus, dass das menschliche Leben, im Unterschied zu anderen Lebensformen, immer in elementaren Aspekten vom Religiösen geprägt ist (vgl. Luckmann 1980: 176f).

51 Der Begriff Säkularisierung kann in verschiedenen Kontexten verwendet werden: Im ökonomischen Sinn (Enteignung von Kirchengütern), in einem politischen Sinn (Trennung zwischen Kirche und Staat) und in einem kulturellen Sinn.

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»»Religion« findet sich also überall, wo Zugehörige der Gattung Mensch in Handelende innerhalb einer sie als »natürliche« Organismen transzendierenden, geschichtlich entstandenen gesellschaftlichen Ordnung verwandelt werden.« (Marhold 2004: 138).

In anderen Worten: Der Mensch transzendiert somit sein biologisches Dasein, da ihm Gesellschaft aufgezwungen ist und er die Geschichte selbst gestaltet (vgl. Luckmann 1972: 5f). Nach Luckmann ist der Sozialisationsprozess immer an das Religiöse gebunden, da dieses die Weltansicht des Individuums als Ganzes prägt, wodurch das eigene Handeln erst gedeutet werden kann. Glauben kann demnach an sich nie an Bedeutung verlieren, das Religiöse wird vielmehr nur unsichtbar und individuell gestaltet (vgl. Luckmann 1991). Es kommt eben nicht zu einem Vakuum, vielmehr verlieren nur die religiösen Institutionen an Deutungsmacht und andere, selbst gewählte Formen der Religion nehmen ihren Platz ein. Das Religiöse bleibt also, auch wenn die Religion verschwindet (vgl. dazu auch Simmel 1912: 38). Geprägt wird der »Zwang der Häresie« (vgl. Berger 1992: 42) besonders durch die Pluralisierung auf dem Markt der Religionen. Da Religion nun zur Privatsache jedes einzelnen geworden ist, kann das Individuum nun aus der Vielfalt der religiösen bzw. spirituellen Angebote (z.B. Joga, Kirchengang, Pilgern) frei wählen (Luckmann 1991: 141). Individuen suchen sich demnach diejenigen religiösen Puzzelteile zusammen, welche ihnen ein ganzheitliches Bild von Bedeutung vermitteln. Religion und religiöse Praktiken werden damit aus einem Topf vieler Angebote gezielt, individuell und je nach Bedarf ausgewählt. So kommt es zu einer Privatisierung und Pluralisierung der Religion und nicht zu jenem Bedeutungsverlust, den die Anhänger der Säkularisierungsanhänger proklamieren (vgl. Gabriel 1992). Die Revitalisierungstheoretiker wiederum glauben erkannt zu haben, dass die Religion ihren Weg in die Gesellschaft »zurückerkämpft« hat. Sie verweisen auf fundamentalistische Anschläge, beispielsweise in New York, London, Madrid und dem Irak. Die Religion (vgl. Riesebrodt 2001: 50) oder Götter (vgl. Graf 2004) scheinen ihrer Ansicht nach das Denken und Handeln vieler Menschen wieder zu bestimmen. Für die Rückkehr werden Ausgrenzungserfahrungen, Diskriminierung, Armut und das damit zusammengehörige Gefühl der Ohnmacht bei einer großen Zahl von Menschen – besonders in muslimischen Staaten – angeführt. Diese Revitalisierungsbewegungen entwickeln eine kritische und in manchen Fällen auch aggressive

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Gegenbewegung gegen Globalisierung und speziell gegen den Kapitalismus. Als Alternativlösung dient ihnen die Rückbesinnung auf religiöse Normen und Werte (vgl. Riesebrodt 2001: 53). Auch wenn Daiber, wie Riesebrodt (2001) und Graf (2004), von einer Rückkehr des Religiösen ausgeht, vertritt er die Auffassung, dass gerade die starken Individualisierungstendenzen eine Rückkehr in religiöse Gemeinschaften hervorrufen: »Je stärker in einer Gesellschaft Individualisierungsprozesse zu beobachten sind, desto mehr kommt es auch zu gewollten und geplanten Formen der Kollektivbildung auf Basis individueller Bedürfnislagen und Interessen. Dies gilt nicht zuletzt für den Gesamtbereich der Sinndeutungssyteme.« (Daiber 1996: 97).

Auch wenn die Gründe unterschiedlich sind, gehen die Revitalisierungstheoretiker von einem stetigen Einfluss der Religion auf gesellschaftliche Abläufe aus, der sich besonders in muslimischen Vergemeinschaftungen widerspiegelt. Zu beachten ist hierbei, dass als Ergebnis dieser Kollektivbildung nicht zwangsläufig eine fundamentalistische, demokratiefeindliche oder antikapitalistische Vergemeinschaftung bzw. Identität entstehen muss. Vor diesen unterschiedlichen Erklärungsansätzen stellt sich die Frage, wie die untersuchten Frauen das Religiöse leben. Welche Praktiken werden ausgeführt? Zeigen sich Individualisierungstendenzen? Diesen Fragen soll in den anschließenden Abschnitten nachgegangen werden. 7.4.1 Religionszugehörigkeit Um Aussagen über die Religiosität der Muslima treffen zu können, soll zunächst auf die allgemeine religiöse Zugehörigkeit eingegangen werden (vgl. Tabelle 10). Von den 131 Befragten gaben 84,7% an, der sunnitischen und 3,1% der schiitischen Glaubensrichtung des Islam anzugehören.52 Diese Verteilung weicht von der Gesamtverteilung der in Deutschland lebenden Muslimen ab. Nach Schätzungen des Religionswissenschaftlichen Medienund Informationsdienstes (REMID 2008) und des Bundesamts für Migrati-

52 In den qualitativen Interviews wurde jedoch in manchen Fällen darauf hingewiesen, dass die Konfession für die Befragten keine besondere Rolle spielt. Einige könnten sich keiner dieser muslimischen Ausrichtungen direkt zuordnen. Sie bezeichneten sich einfach als »Muslima«.

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on und Flüchtlinge verteilen sich die Glaubensrichtungen der Muslime in Deutschland wie folgt: Sunniten ca. 72%, Aleviten ca. 14%, Schiiten ca. 7% und Sonstige etwa 7% (vgl. Haug et al. 2009: 135). Im Vergleich zu den hier untersuchten Frauen zeigen sich zwei markante Unterschiede. Erstens findet sich in den Vereinen ein kleiner Überhang sunnitischer Anhänger. Auffallender ist zweitens das Fehlen von alevitischen Mitgliedern. Obwohl sie mit ca. 14% die zweitgrößte muslimische Gruppe in Deutschland stellen (vgl. Haug et al.: 135), sind sie in der hier erhobenen Stichprobe überhaupt nicht vertreten. Dies könnte auf unterschiedliche Aspekte zurückzuführen sein. Erstens praktizieren die Aleviten einen Islam, der sich vom sunnitischen und schiitischen Glauben deutlich unterscheidet, was dazu führen kann, dass sie speziell auf Angebote alevitischer Vereinen zurückgreifen. Hinzu kommt, dass in Teilen der sunnitischen wie auch schiitischen Gemeinschaft Vorbehalte gegenüber der alevitischen Glaubensrichtung existieren und die Aleviten deshalb zwangsläufig andere Vereine meiden. Ein weiterer Grund könnte die starke Revitalisierungsbewegung innerhalb der alevitischen Gemeinschaft seit den 1990er Jahren sein, bei der die Abgrenzung zu anderen muslimischen Glaubensrichtungen und die Eigenständigkeit im Mittelpunkt stehen. Tabelle 10: Religionszugehörigkeit (n=131)

Religionszugehörigkeit

in %

sunnitisch

84,7

andere Religionsgemeinschaft

6,1

katholisch

3,8

schiitisch

3,1

evangelisch

1,5

keiner

0,8

Gesamt

100

Quelle: Eigene Darstellung

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT | 157

Neben den muslimischen Mitgliedern partizipieren auch Frauen aus anderen Religionen am Angebot der untersuchten Vereine (vgl. Tabelle 10). 3,8% gehören der katholischen, 1,5% der evangelischen Konfession und 6,1% anderen religiösen Gemeinschaften an. Insgesamt lassen sich also 11,4% der Befragten einer nicht muslimischen Religion zurechnen. Auffallend ist, dass sich nur eine Person keiner religiösen Vergemeinschaftung zurechnet. Im Kontext der muslimischen Frauenvereine ist dies erstaunlich, vor allem wenn bedacht wird, dass der Anteil der Konfessionsfreien in Deutschland im Jahre 2005 auf »nur« ca. 32,5% geschätzt wurde (vgl. Frerk 2007). Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch bei der Studie von Wetzels und Brettfeld, in der sich ca. 30% der Jugendlichen keiner Konfession zuordneten (Wetzels/ Brettfeld 2003, S. 64). Allgemein kann festgehalten werden, dass sich der größte Teil der Befragten einer religiösen Gemeinschaft zurechnet. Augenfällig ist, dass – auch wenn es sich hier um rein muslimische Vereine handelt – auch ein Anteil von Nicht-Muslimen an den Angeboten partizipiert. Der Prozentsatz liegt immerhin bei ca. 11,4%. Die Offerten der Vereine scheinen folglich auch religionsinteressierte Frauen aus anderen Religionsgemeinschaften anzusprechen. Besonders die Angebote von HUDA (12,6%) und dem ZIF (20%) werden von Nicht-Muslima nachgefragt. Somit liegt hier keine rein muslimisch geschlossene Vereinsstruktur vor. 7.4.2 Subjektiv empfundene Religiosität Neben der allgemeinen Religionszugehörigkeit wurde auch nach dem subjektiven Religionsempfinden gefragt. Die Frage lautete: »Als wie religiös würden Sie sich bezeichnen?« Dabei konnten sich die Befragten auf einer 5-stufigen Likert-Skala von »sehr religiös« bis »gar nicht religiös« einordnen. Die folgende Darstellung zeigt die Verteilung dieser subjektiven Einschätzungen unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit (vgl. Abbildung 7). 26% der befragten Muslima geben an, »sehr religiös« und 55,7% »religiös« zu sein. 81,7% bezeichnen sich demnach mindestens als »religiös«. Als »nicht religiös« bzw. »gar nicht religiös« betrachten sich hingegen nur 1,6% der befragten Personen. Bei einer Differenzierung nach der religiösen Gemeinschaft ergeben sich kaum Unterschiede. Unabhängig davon, ob die

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Befragten sunnitisch, schiitisch, katholisch oder evangelisch sind, empfindet sich der weitaus größte Teil als religiös. Abbildung 7: Subjektive Religiosität nach Stärke der Ausprägung in % (n=131) 55,7

60 50 40 30

26 16,8

20 10

0,8

0,8

nicht religiös

gar nicht religiös

0 sehr religiös

religiös

teils-teils

Quelle: Eigene Darstellung

Die essentielle Bedeutung des Religiösen für die Mitglieder zeigt sich auch in den qualitativen Interviews, mithilfe derer die jeweilige subjektive Bedeutung des Islams für die Befragten nochmals genauer untersucht wurde. Für Fatima stellt der Glauben eine Art »Berufung« und gleichzeitig eine Leidenschaft dar. Religiöse Werte und Normen fließen in ihr Alltagsleben ein und beeinflussen ihr Handeln und Denken. Sie sieht den Islam als ihren »Beruf«, den sie mit voller Hingabe ausübt und den nur sie auf ihre Weise praktizieren kann. Durch ihre individuelle Art, dem Glauben nachzugehen, konstruiert sie ihre eigene Identität: »Für mich spielt der Islam eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben. Es ist für mich so was wie ein Hauptberuf, den ich 24 Stunden ausübe – und ausüben möchte. Einen Hauptberuf, den niemand anderes hat als ich, weil alle anderen vielleicht mal darüber meckern, aber ich kann nicht darüber meckern, weil ich diese Religion, diesen Beruf leidenschaftlich ausübe. Deswegen bedeutet der Islam für mich alles und er ist auch mein Lebensweg. Alles verbinde ich mit dem Islam, die Schule, das Ak-

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT | 159

tivsein in anderen Vereinen – das ist alles mit dem Islam verbunden.« (Fatima/ IMAN)

Auch in Sevils Leben nimmt der Islam eine wichtige Stellung ein. Ihr Glauben ist für sie ein Anker, der ihrer bikulturellen Identität Halt und Sicherheit bietet. Bei der Suche nach Orientierung zwischen türkischer und deutscher Kultur bildet er für sie den Faktor, der die Ambivalenz zwischen diesen beiden Polen aufhebt. Die Religion ist damit der Mittler zwischen beiden Gesellschaften. Von ihrem Glauben aus positioniert sie sich zu den unterschiedlichen kulturellen Anforderungen, die von ihrem sozialen Umfeld (z. B. Freunden, Kommilitonen und Familie) an sie herangetragen werden: »Und wenn man sich in der Gesellschaft selbst bewegt, dann kommen die Fragen auf einen zu, mit denen man sich dann auseinandersetzen muss. Die werden an einen herangetragen, aber dieses Herantragen ist der zweite Schritt gewesen. Der erste Schritt war einfach, dass ich zu meiner eigenen Identität finden wollte und da war für mich die Religion eine Lösung gewesen, weil ich mich sonst immer zwischen den Stühlen gefühlt habe: Bin ich jetzt Deutsche? Bin ich jetzt Türke? Aber ich bin doch hier geboren – aber nein – meine Abstammung ist türkisch.« (Sevil/ ZIF)

Bei der Konvertitin Frau Schneider zeigt sich ein ähnliches Bild. Im Vergleich zu den bisher zitierten Interviewpartnerinnen besitzt sie jedoch ein strengeres Religionsverständnis. Für sie ist der Islam ein transzendierendes Phänomen mit festen Vorschriften, denen sie sich unterwirft. Gott steht über dem Individuum und gibt ein festes Regelwerk vor, dem sie folgt. Die Konvertitin sieht sich als Dienerin dieser Macht, die für sie aber gleichzeitig eine Energiequelle darstellt, mit der sie Selbstzweifel und Ängste bezwingt: »Das hat schon eine ganz große Bedeutung. Mittlerweile habe ich halt verstanden, dass der Islam halt, dass man sich unterwirft oder Gott dient. Das ist ganz wichtig, auch für jeden Tag, den ganzen Alltag. Wenn ich Zweifel oder Ängste oder irgendwas hab, dann macht mir das auch Mut.« (Schneider/ HUDA)

160 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN DEUTSCHLAND ?

7.4.3 Religiöse Praxis Neben der subjektiven Religiosität steht auch die religiöse Praxis der muslimischen Frauen im Fokus der vorliegenden Studie. Da diese viele Facetten des Muslimseins umfasst, war es für ihre Erforschung notwendig, einen Fokus zu setzen. Als Ausgangspunkt wurden hier einige Verbote und Gebote aus den muslimischen Glaubensschriften herangezogen. Das Einhalten der Verbote wurde über folgende Fragen erhoben: »Ich halte mich an das Schweinefleischverbot« und »Ich halte mich an das Alkoholverbot«. Bei den Geboten wurde sich auf vier Vorschriften der fünf Säulen des Islam konzentriert: das Fasten während der Zeit des Ramadan, das fünfmalige Beten am Tag, die Gabe von Almosen (Zakat) und die Pilgerfahrt nach Mekka (Hadsch). Um die Integration der Muslima in die muslimische Gemeinschaft näher abbilden zu können, wurde zusätzlich nach dem Moscheenbesuch gefragt (»Ich gehe jede Woche in die Moschee«). Abbildung 8: Einhaltung des Schweinefleisch- bzw. des Alkoholverbots in %

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

94,2 83,5

immer

0,8 1,7

0 2,5

0 0,8

häufig

ab und zu

selten

Schweinefleischverbot (n=112)

5

11,8

nie

Alkoholverbot (n=113)

Quelle: Eigene Darstellung

Bevor auf die Gebote und den Moscheenbesuch eingegangen wird, werden zuerst die Ergebnisse zur Kategorie »religiöse Verbote« näher eruiert. Abbildung 8 macht deutlich, dass die genannten Verbote zu einem sehr großen

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT | 161

Teil eingehalten werden: 94,2% der Frauen verzehren ihren Angaben zufolge nie Schweinefleisch. Das Schweinefleischverbot ist damit die Vorschrift, die am stärksten befolgt wird. Das Alkoholverbot wird von 83,5% der Befragten befolgt. Auffällig ist die U-förmige Verteilung in Abbildung 8. Sie zeigt, dass die Kategorien »häufig«, »ab und zu« und »selten« eine zu vernachlässigende Rolle spielen. Bei der Einhaltung der Verbote scheint es sich folglich um eine Entweder-oder-Entscheidung zu handeln, die keine Kompromisse zulässt. Bezüglich der Verbote zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Vereinen. Während sich alle Mitglieder des ZIF und des IMAN an das Schweinefleischverbot halten, sind es bei HUDA ca. 85% Auch beim Alkoholverbot treten Unterschiede zum Vorschein. Die Mitglieder des IMAN halten sich strikt an diese Vorgabe, während sie bei HUDA und beim ZIF nicht so streng befolgt wird. Ca. 80% der ZIF-Mitglieder trinken demnach nie Alkohol, bei HUDA sind es 61,9%. Gleichzeitig gaben bei HUDA 33% der Befragten an, sich nie an das Alkoholverbot zu halten. Damit stellt dieser Verein den größten Teil an Personen, die Alkohol konsumieren. Neben den oben genannten Verboten wurden auch nach der Einhaltung von islamischen Geboten gefragt. Hierfür wurden vier der fünf Säulen des Islam herangezogen. Diese fünf Säulen beinhalten die wichtigsten Gebote für einen gläubigen Muslim, zu denen das Glaubensbekenntnis (Schahada)53, das Fasten während der Zeit des Ramadan, das fünfmalige Beten am Tag, die Gabe von Almosen (Zakat) und die Pilgerfahrt nach Mekka (Hadsch) zählen (vgl. Elger 2002). Abgefragt wurden die letzten vier der hier vorgestellten fünf Säulen. Neben der Teilnahme an der Hauptpilgerfahrt (Hadsch), die jeder Muslim einmal im Leben durchgeführt haben sollte, wurde zusätzlich nach der Durchführung der kleineren Pilgerfahrt, der Umra, gefragt. Während des Fastenmonats Ramadan wird für eine gewisse Zeit am Tag keine Nahrung zu sich genommen, was den Muslimen das schwere Leben armer Menschen vor Augen führen soll. Neben diesen Speiseregeln ex-

53 Mit der »SchahƗda« bekennt man sich zu Mohamed, den monotheistischen Glauben und dem Koran als Offenbarung Allahs. Wenn vor zwei Zeugen das Glaubensbekenntnis gesprochen wird, gilt man als Muslim.

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istieren weitere Verhaltensregeln. Beispielsweise sollten sexuelle Handlungen, Fluchen und das Verletzen Anderer vermieden werden. Demnach ist der Ramadan mehr als nur der Verzicht auf Speisen. Wie Abbildung 9 zeigt, hält sich der größte Teil der Muslima an das Fastengebot: Knapp 90% geben an, ihm immer nachzukommen. Es stellt somit das von den Vereinsmitgliedern am strengsten befolgte Gebot dar. Beim »Zakat« handelt sich um eine monetäre Abgabe an Bedürftige, beispielsweise Arme, Obdachlose, Witwen und Waisen. Die Höhe des Zakat richtet sich nach dem Vermögen der spendenden Person, wobei der Prozentsatz und die Vermögenswerte umstritten sind. In diesem Fragebogen wurde nach dem »Zakat–ul–Fitr« gefragt, also der Abgabe, die am Ende des Ramadan bezahlt werden muss. Diese besondere Art der Zakatpflicht wird von knapp 80% der Befragten immer eingehalten. Wenn die Personen, die diese Regeln »häufig« befolgen, hinzugerechnet werden, nähern sich die Zahlen hier sogar den 100%. Demnach nehmen die befragten Muslime auch ihre soziale Pflicht, die von einem gläubigen Moslem verlangt wird, sehr ernst. Abbildung 9: Befolgen des Fastengebots, des Zakats und des Gebots des fünfmaligen Betens in %

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10

89,3 81,4 66,1

10,2 5

14

14 2,5

5,9

0 immer Fasten (n=121)

Quelle: Eigene Darstellung

häufig

ab und zu

Zakat (n=118)

0,8

2,5 5

selten

2,5

0 0,8

nie

5 mal Beten (n=121)

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT | 163

Die dritte Variable, das fünfmalige Beten, unterliegt bestimmten vorgeschriebenen Ritualen. Zuerst muss eine genau festgelegte Waschzeremonie befolgt werden. Anschließend richtet sich der betende Muslim gen Mekka. Der Zeitpunkt des Gebets orientiert sich nach der Sonne und wird in Morgen-, Mittags-, Nachmittags-, Abend- und Nachtgebet unterschieden. Wie Abbildung 9 zeigt, wird das fünfmalige Gebet deutlich seltener eingehalten als die übrigen Kategorien: Zwei Drittel der Befragten (66,1%) befolgen dieses Gebot. Besonders Schüler/ Studenten und Berufstätige sind hier unterrepräsentiert. Es hat den Anschein, dass diese Gruppen dem Gebot nicht Folge leisten können, da das Beten nicht mit ihrem Tagesablauf kompatibel ist. Da die Arbeits- bzw. Pausenzeiten in einem christlich geprägten Land wie Deutschland nicht auf die muslimischen Gebetszeiten ausgerichtet sind, ist es vielen der Befragten nicht möglich, die Gebete in ihr Schul-, Universitäts- oder Berufsleben zu integrieren. In den qualitativen Interviews äußerten sich viele Frauen detailliert über die subjektive Bedeutung ihrer religiösen Praxis und die Schwierigkeiten, diese mit ihrem Alltag in Einklang zu bringen. Bei der Konvertitin Frau Schneider waren es speziell zwei Gründe, die sie von der Praktizierung ihrer Religion abhielten. Als Mutter von zwei Kindern wollte sie sich auf die Erziehung konzentrieren und empfand die festen Gebetszeiten als behindernd. Zweitens wurde sie atheistisch erzogen und kam erst durch ihren muslimischen Mann zur Religion. Die Umstellung auf ein religiöses Leben fiel ihr dadurch im Allgemeinen schwer. Ferner kam der Umstand dazu, dass sie eine zeitlang bei ihren atheistischen Eltern lebte, was das Beten nochmals erschwerte: »[...] Zwischendurch war mir das alles zu schwierig und habe dann zwei Jahre auch wieder gar nichts gemacht, auch gar nicht gebetet. [...] Also der Grund warum ich es nicht mehr gemacht habe war, dass meine Tochter da gerade zwei, zweieinhalb war und ist dann überall rumgekrabbelt und hat dann auch öfters mal geweint. Mir war das dann irgendwie zu blöd dann einfach so stur zu beten. Also ich kam irgendwie nicht so richtig zu Recht mit der ganzen Sache und hab dann gesagt, gut, wenn meine Tochter älter ist, dann kann ich es ja wieder machen. Gut, dann habe ich noch ein Kind gekriegt und dann dachte ich, mit zweien geht das ja sowieso gar nicht. Wir haben zwischendurch auch bei meinen Eltern gewohnt und das war auch ganz schwierig. Und als wir dann endlich eine neue Wohnung hatten dachte ich, gut jetzt habe ich nun wirklich keine Ausrede mehr. Dann habe ich mich auch wieder mehr

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damit beschäftigt, also ich hab auch wieder Bücher gelesen, hab wieder den Koran gelesen. Dann habe ich auch irgendwie gemerkt, ich will das jetzt auch oder das muss jetzt auch so sein.« (Schneider/ HUDA)

Andere Interviewpartnerinnen hingegen vereinbaren Alltag und religiöse Praxis ohne große Komplikationen. Hier kann Canan angeführt werden. Die Türkin hält sich nicht an alle religiösen Vorschriften, sondern sucht die heraus, die sie als bedeutsam empfindet. Dazu gehört das Gebet, welches im Zentrum ihrer Tagesplanung steht. Für Canan stellt das Gebet eine Art Meditation dar, die ihr hilft Kraft zu finden. Der Alltag wird von ihr um das Gebetsritual herum gestaltet: »Für mich gibt es einfach so ein paar Grundsachen und der Rest ist halt so drumrum, wie z.B. das Gebet: Es gibt fünf Gebete am Tag und der Rest mit Terminen und alles drum herum wird eben um diese Zeiten herum organisiert. Und für mich ist das einfach ein unheimlich wichtiger Punkt in meinem Leben – das ist ja klar, weil ich auch darin meine seelische Erfüllung gesehen habe und deswegen hat das für mich einfach einen sehr hohen Stellenwert.« (Canan/ IMAN)

Neben den Muslima, die das Gebet aus unterschiedlichen Gründen nicht praktizieren und denen, die den Alltag um das Gebet herum strukturieren, weisen einige Befragte auf eine weitere Möglichkeit hin: Sie halten sich nicht strikt an die zeitlichen Gebetsvorgaben, da diese mit beruflichen, schulischen oder anderen Zeitabläufe kollidieren, sondern holen die Gebete zu einem späteren Zeitpunkt nach. Neben dem Beten ist für Gläubige vieler Religionen eine Pilgerfahrt ein weiteres Zeichen für ihre Gläubigkeit und ihre Hinwendung zur Religion. Bei Muslimen nimmt die Stadt Mekka, die Geburtsstadt Mohammeds, einen hohen Stellenwert ein und ist gleichzeitig der bekannteste und wichtigste islamische Pilgerort. Vom achten bis zum zwölften Tag des letzten Monats im islamischen Kalender, »Dhu l-hiddscha«, findet die Pilgerfahrt, die so genannte Hadsch, statt. Jeder gläubige Muslim sollte in seinem Leben – wenn er gesundheitlich und finanziell dazu in der Lage ist – diese Pilgerfahrt mindestens einmal unternehmen. Nach den Angaben des arabischen Ministeriums Hajj (Hadsch) nahmen im Jahr 2006 2.130.594 Muslime daran teil (vgl. Saudi-Arabisches Ministerium für Hadsch o.J.). Aber nicht nur während der »Dhu l-hiddscha« ist Mekka ein beliebtes Pilgerziel.

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT | 165

Auch außerhalb dieses Zeitraums kann der Gläubige nach Mekka pilgern, um seine Religiosität zu bezeugen. Auch wenn diese Reisen, die so genannte Umra, nicht unbedingt erforderlich sind, sind sie für Muslime dennoch verdienstvoll. Vor diesem Hintergrund wird der Frage nachgegangen, ob die untersuchten Muslima bereits an solchen Pilgerfahrten teilgenommen haben. Abbildung 10: Teilnahme an Pilgerfahrten (Hadsch/ Umra) in % (Mehrfachnennungen)

80

70,6

70 60

52,9

50 40 30 20 10 0 Umra

Hadsch

Quelle: Eigene Darstellung

Die Auswertung ergibt, dass etwa ein Viertel der Befragten (27,9%) schon eine oder beide dieser Pilgerfahrten unternommen hat. Obwohl die Hadsch einen höheren Stellenwert hat, wurde sie von einem kleineren Teil der befragten Muslima vollzogen als die Umra. 70,6% gaben an, die religiösen Stätten in Mekka außerhalb des Monats »Dhu l-hiddscha« besucht zu haben, wohingegen 52,9% bereits an einer Hadsch teilgenommen haben (vgl. Abbildung 10). Der insgesamt relativ geringe Anteil an Pilgerinnen lässt sich damit erklären, dass diese Reisen mit hohen Kosten verbunden sind. Internetangeboten zufolge, reichen die Preise einer 14-tägigen Hadsch von ca. 2.500€ für eine einfache Reise bis zu 25.000€ für eine VIP-Version mit Privat Flugzeug und Übernachtung in einem fünf Sterne Hotel. Besonders für Schüler, Studenten, Arbeitslose und im Allgemeinen jüngere Menschen,

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die einen großen Teil der hier erhobenen Stichprobe stellen, ist eine solche Pilgerfahrt kaum finanzierbar. Auch hinsichtlich der hier untersuchten Gebote und deren Einhaltung zeigen sich Unterschiede zwischen den Vereinen. Das Fastengebot wird von 95% der Mitglieder des IMAN, von 87,5% der Mitglieder des ZIF und von 79,1% der HUDA-Mitglieder immer eingehalten. Bezüglich des Zakats zeigt sich ein einheitlicheres Bild. Das Almosengebot wird am stärksten von den Mitgliedern des Vereins HUDA (83,3%) und des IMAN (83,3%) immer eingehalten. 73,3% der Mitglieder des ZIF führen Abgaben an Hilfsbedürftige ab. Das IMAN weist bei allen hier untersuchten Geboten die höchsten Zustimmungsraten auf und ist somit bezüglich der hier beschriebenen religiösen Vorschriften am homogensten zusammengesetzt. Im Allgemeinen wird deutlich, dass die Gebote und Verbote, wie die Abbildungen 8 und 9 zeigen, von dem überwiegenden Teil eingehalten werden. Bei aller Bedeutung, die die Ver- und Gebote für den Einzelnen besitzen, wird deren Umsetzung von einigen Befragten durchaus mit Nachsicht betrieben. Beispielsweise sieht sich Tasmina als Mensch, der Fehler macht, aber immer daran arbeitet, eine bessere Muslima zu werden: »Ja, die Regel, die Gebote und so, das sind schon Dinge nach denen ich mich richte und da versuche auch besser zu werden – Dinge die ich nicht so gut einhalte und befolge. Aber ich bin ein Mensch und ich bin – ja – fehlerhaft, ja, wenn man es so sagen will. Also ich bin auch nicht immer so, dass ich 100% alles befolge.« (Tasmina/ IMAN)

Ein wichtiger Faktor zur Beurteilung der Integration von Gläubigen in ihre religiöse Gemeinschaft ist die Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Gotteshausbesuchs. Wirft man einen Blick in die repräsentativen Statistiken, zeigt sich hinsichtlich der beiden großen christlichen Religionen folgendes Bild: Die Teilnahme der Katholiken an der sonntäglichen Eucharistiefeier ist seit den 1960er Jahren um fast 49% zurückgegangen. Im Jahr 2006 besuchten ca. 3,6 Millionen Menschen regelmäßig den Sonntagsgottesdienst. Auch wenn die evangelische Kirche tendenziell stärker von Kirchenausritten betroffen ist, nahm die Beteiligung am Abendmahl von 1972 bis 1985 zu und ging bis ins Jahr 2006 um 13% zurück. Im Jahr 2006 wurden in Deutschland rund 10,7 Millionen Abendmahlsgäste gezählt (vgl. Statistisches Bundesamt 2008: S.389f).

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT | 167

Abbildung 11: Wöchentlicher (einmal/ mehrmals) Besuch des Gotteshauses (Kirche/ Moschee) in %

50 39,9 40 30 17,3

20 10

9,9

8,3

0 ALLBUS Gesamt

ALLBUS Muslime

Brettfeld/ Wetzels

eigene Erhebung

Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf: ALLBUS (2006); ALLBUS-Muslime (2006); Brettfeld/ Wetzels (2007); eigener Erhebung

Die repräsentative Umfrage des ALLBUS aus dem Jahr 2006 zur Frage »Wie oft gehen sie allgemein in die Kirche?« zeigt folgendes Bild (vgl. Abbildung 11): Der Anteil der Personen, die einmal oder mehrmals in der Woche das Gotteshaus besuchen, beträgt ca. 8,3% der deutschsprachigen Wohnbevölkerung (ALLBUS-Gesamt). Wird die Gruppe der deutschsprachigen Muslime herausgerechnet, wird ersichtlich, dass der Anteil der Moscheengänger mit 17,3% (ALLBUS-Muslime) etwa doppelt so groß ist wie der der gesamten deutschsprachigen Wohnbevölkerung (ALLBUS-Gesamt). Im Vergleich dazu zeigt die Erhebung von Brettfeld und Wetzels aus dem Jahr 2007, dass knapp 40% der befragten Muslime die Moschee einmal oder mehrmals in der Woche aufsuchen. Der Wert ist damit mehr als doppelt so hoch als bei der ALLBUS-Befragung. Der Anteil der hier befragten Muslima liegt bei knapp 10%. Er ist damit mit der deutschsprachigen Wohnbevölkerung (ALLBUS-Gesamt) vergleichbar und liegt deutlich unter dem Anteil der deutschsprachigen Muslime (ALLBUS-Muslime) und der Muslime, die von Brettfeld und Wetzels untersucht wurden. Eine genauere Betrachtung des Besuchsverhaltens der hier befragten Muslima legt folgendes Ergebnis zu Tage: Es wird deutlich, dass der Mo-

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scheebesuch im Gegensatz zu den hier untersuchten Geboten und Verboten eine untergeordnete Rolle spielt (vgl. Abbildung 12). 9,9% der Befragten geben an, wöchentlich bzw. häufig die Moschee aufzusuchen. 60,4% besuchen das Gotteshaus »ab und zu« bzw. »selten«, 24% gehen »nie« in die Moschee. Auch hier zeigen sich Parallelen zur deutschsprachigen Wohnbevölkerung. Ca. 60% der deutschsprachigen Wohnbevölkerung besuchen das Gotteshaus »eher selten« (1 bis 3-mal im Monat; mehrmals im Jahr, seltener) und ca. 31% »nie« (vgl. ALLBUS 2006). Abbildung 12: Moscheebesuch nach Häufigkeit in % (n=121)

33,1

35 30

27,3 24

25 20 15 9,9 10 5,8 5 0 wöchentlich

häufig

ab und zu

selten

nie

Quelle: Eigene Darstellung

Die Integration der Befragten in die muslimische Gemeinde ist offensich t lich eher schwach ausgeprägt. Religiosität und Moscheebesuch müssen demnach nicht automatisch miteinander zusammenhängen. Vielmehr ist das Religiöse von den religiösen Institutionen abgekoppelt. Hierbei handelt es sich um bewusste Entscheidungen, wie viele nachfolgende Interviewausschnitte zeigen. Die geringe Häufigkeit der Moscheenbesuche kann auf vielfältige Aspekte zurückgeführt werden. Lena weist beispielsweise darauf hin, dass das Bildungsniveau in »ihrer« Moschee niedrig sei und es deshalb für sie kaum Gesprächsthemen mit den Frauen gäbe. Sie ist auch der Ansicht, dass be-

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züglich der Glaubensvorstellung und Religionsausübung keine Gemeinsamkeiten zwischen ihr und den Moscheebesuchern bestehen. Ferner kritisiert sie, dass es in der Moscheegemeinde zu einer Vermischung von traditionellen Werten und Normen mit dem »reinen Islam« komme. In diesem Fall werden Riten und Vorschriften, die in Marokko durch die Sozialisation erlernt wurden, in der Moschee weitervermittelt und nicht reflektiert beleuchtet. Sie beklagt diese Art der kulturgebundenen Religionsausübung, die auch häufig zu androzentrischen Strukturen führe. Darüber hinaus kritisiert sie, dass die religiösen Angebote in arabischer Sprache stattfinden, da sie diese Sprache nicht ausreichend beherrscht: »Also, die marokkanische Moschee hat ein sehr, sehr geringes Bildungsniveau. Ich würde mal sagen 90% der Frauen die dort hingehen sind sehr ungebildet und können meistens nicht mal Deutsch. Das heißt, ich hätte da überhaupt nicht hingehen können, weil die meisten Lehrangebote eben auf Arabisch oder meistens auf Berberisch sind. Die vermitteln auch meist Kultur mit – also keinen reinen Islam. Das war dann doch nicht das, was ich wollte. Ich habe eigentlich damit auch angefangen mich mit dem Islam zu beschäftigen, weil ich es eben so seltsam fand, wie Marokkaner sich verhalten haben. Ich wollte herausfinden, ist das der Islam oder ist das das Marokkanische. Das hätte ich dort ja nicht herausfinden können.« (Lena/ IMAN)

Auch für die Türkin Nilgül ist die arabische Sprache und Konzentration auf die Herkunftskultur innerhalb der Moschee ein Kritikpunkt. Besonders für den Fall, dass sie Kinder bekommen sollte, sei eine Moschee, in der auf Deutsch gepredigt wird, unabdingbar. Sie möchte für ihre Kinder, die in Deutschland sozialisiert werden, eine Moschee, in der nachfolgende Generationen auch die Predigten verstehen und reflektieren können. Nilgül plädiert daher für eine stärkere Verbindung zwischen der deutschen Kultur – hier besonders der Sprache – und dem Islam: »Wenn mein Mann und ich vielleicht auch mal Kinder haben, werden die mit Sicherheit deutschsprachig erzogen werden. Da ist es wichtig, dass man auf jeden Fall eine Moschee hat, wo halt auf jeden Fall auf Deutsch gepredigt wird und wo sie sich auf Deutsch Informationen herholen können. Dass es auch mehr Literatur dann auf Deutsch gibt.« (Nilgül/ IMAN)

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Zwar würden die meisten Interviewpartnerinnen deutschsprachige Angebote in den Moscheen sehr begrüßen und viele erachten diese für sich persönlich auch als wichtig, dennoch sei an dieser Stelle betont, dass viele der befragten Muslima es ablehnen, die deutsche Sprache in den Moscheen gesetzlich vorzuschreiben. Als Begründung wird angeführt, dass viele Migranten der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind. Ein Verbot anderssprachiger Predigten und Angebote würde diesen Personenkreis aus den Moscheengemeinden exkludieren und zu einem Rückzug in traditionellere, religiös geprägte Parallelgesellschaften führen. Die Marokkanerin Adila kritisiert die androzentrischen Strukturen innerhalb der Moscheen. Ihrer Ansicht nach handelt es sich um kulturelle, von Migranten aus muslimisch geprägten Ländern importierte Eigenheiten, die sich auch in Deutschland verfestigt haben und Frauen wenig Gestaltungsspielraum zubilligen. Aber auch der fehlende Wille der Frauen – der durch diese vorgegebenen Strukturen verstärkt wird – sich aktiv an Prozessen innerhalb der Moschee zu beteiligen, um damit diese Strukturen zu verändern, wird von der Marokkanerin bedauert. Sie vermisst dieses eigenständige Handeln: »Aber ich find es schon schade, dass sich wenige Frauen engagieren und auch sich engagieren, ohne die Männern im Nacken zu haben – sag ich jetzt mal. Also so ein bisschen Eigenständigkeit fehlt mir bei den Frauen. So, dass die irgendwie nichts auf die Reihe kriegen, ohne dass irgendwie ein Mann hinter ihnen steht oder so. Dass ist schon was, was mir fehlt einfach. Und das ist auch zum Beispiel so was halt, in den arabischen Ländern ist das halt ganz normal, das ist Gang und Gäbe und hier ist das eben nicht so und deswegen teilt sich dann so mehr der Weg, sag ich mal.« (Adila/ IMAN)

Hibba vertritt die Ansicht, dass sich viele Frauen in Moscheen engagieren, dabei jedoch wenige Gestaltungsmöglichkeiten besitzen. Ihrer Meinung nach handelt es sich um unflexible Strukturen, die sich in Laufe der Zeit verfestigt haben, die es Frauen nicht erlauben wichtige Positionen einzunehmen. Hier sieht sie einen Vorteil der Struktur von Vereinen, die durch jüngere Muslime der zweiten Generation gegründet wurden, da diese von alten Strukturen losgelöst sind:

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»Witzigerweise sind die Frauen in den Moscheen unserer Meinung auch besser organisiert und auch fleißiger als die Männer. Also, die sind da schon ziemlich gut dabei. Also, wenn man jetzt zum Beispiel eine Moscheeführung in der Sultan-Moschee mitmacht, die meisten, die dort wirklich aktiv sind, sind die Frauen. Oder die Jugendlichen. Also von der Männerseite, die sind zwar im Vorstand [...] und es ist eben unsere Meinung, dass im Vorstand nicht eben die qualifizierten Leute sitzen, wie man sie eigentlich gerne hätte. Also, das ist das Problem, das wir mit den Moscheen sehen. Aber das ist ein alteingesessenes Problem, das ist ein Problem, das sich irgendwie 30/ 40 Jahre lang aufgebaut hat und dadurch sind es halt nicht so junge Vereine wie wir und nicht so flexibel.« (Hibba/ IMAN)

Nicht nur die androzentrischen Strukturen werden kritisiert, sondern auch, dass in vielen Moscheen die Interessen und Rechte der Frauen nicht entsprechend vertreten werden. Die Konvertitin Frau Bach prangert an, dass führende Personen in den Gemeinden den Frauen keine Unterstützung zu kommen lassen und Themen, die Frauen tangieren (z.B. Zwangsehe, Gewalt gegen Frauen) nicht öffentlich gemacht werden. Sie berichtet beispielsweise von Fehlverhalten der islamischen Gemeinden und ihren Vorstehern, die im Fall von häuslicher Gewalt selten adäquat und frauengerecht handeln: »Wenn wir ganz ehrlich sind muss man auch sagen, dass viele Frauen es auch aufgegeben haben in der Moschee nach Hilfe zu suchen bei Gewalt in der Ehe oder in der Familie. Das tun viele einfach nicht mehr. Die gehen dann zu Frauenberatungsstellen oder zu Frauenzentren, weil – berichtigt mich wenn das nicht stimmt – aber meine Erfahrung ist, dass vielfach die Hodschas oder die Imame immer wieder versuchen zu kitten und dabei grundsätzlich der Frau Geduld abverlangen. Und nicht der Meinung sind, dass man zum Beispiel diese Sache tatsächlich mal in der Moschee absprechen müsste und sie zum Beispiel auch mal zum Thema einer Freitagspredigt machen müsste. Und, für mich ist die andere Frage – wir gehen da etwas weiter – wenn das bekannt wird, dass ein Mann das tut, müsste er normalerweise nach islamischer Auffassung Sanktionen erfahren in der Gemeinde. Aber auch das passiert nicht. Und ich denke, solange ist es einfach blauäugig zu behaupten wir haben damit nichts am Hut. Sie haben es den Frauen lange genug ausgetrieben hinzugehen und um Hilfe zu bitten. Sie gehen hin und tun nichts dagegen, außer von den Frauen Geduld einzufordern und sie sanktionieren es nicht, wenn Männer das tun. Andererseits hat eine muslimische Frau auch keine Möglichkeit das einzuklagen, es

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sei denn sie geht an das säkulare, tatsächliche Gericht und lässt sich scheiden.« (Bach/ ZIF)

Auch wenn die Kritikpunkte der Frauen nicht verallgemeinert werden können, zeigt sich bezüglich der Teilnahme am Gemeindeleben folgendes Bild: Viele der befragten Muslima fühlen sich von den Gemeinden nicht adäquat vertreten. Wie die Interviewauszüge zeigen, kritisieren sie besonders die asymmetrischen Machtverhältnisse innerhalb der Moscheenvereine und die Nichtberücksichtigung von Frauenthemen wie beispielsweise häuslicher Gewalt und Eheverträgen. Ferner weisen sie auf die ethnisch geschlossenen Strukturen hin, die ihrer Meinung nach zu einer Vermischung von Traditionen der jeweiligen Herkunftskulturen mit dem Islam und zu Integrationsproblemen führen. Stattdessen machen sich die Frauen für einen Islam stark, der seine Wurzeln in Deutschland hat, der gendergerecht ist und der befreit ist von Normen und Vorgaben, die aus den Herkunftsländern importiert wurden. Neben den hier bereits angesprochenen Aspekten des Religiösen, ist in den öffentlich geführten Debatten vor allem das Tragen eines Kopftuches ein Zeichen für die Gläubigkeit von muslimischen Frauen. In den Fokus der Diskussion geriet das Kopftuch besonders im Jahr 1998, als das Land Baden-Württemberg der Lehrerin Fereshda Ludin die Ausübung ihres Berufes untersagte, weil die Muslima ihr Kopftuch während des Schulunterrichts nicht ablegen wollte. Der Streit ging bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses entschied 2003, dass ein Kopftuchverbot an Schulen ohne eine besondere Rechtsgrundlage nicht möglich sei; hierfür sollten die einzelnen Bundesländer eigene Gesetze beschließen. Auch wenn die Verfassungsrichter eine Entscheidung getroffen haben, geht der Streit um die Kopfbedeckung auf juristischer, politischer, religiöser sowie Geschlechter-Ebene weiter. In dieser Kopftuchdiskussion können drei idealtypische Argumentationslinien ausgemacht werden. Frauenrechtlerinnen wie beispielsweise Alice Schwarzer betrachten das Tragen des Kopftuches als ein generelles Zeichen der Unterdrückung. Alice Schwarzer äußert sich in einem Interview mit Schirrmacher über das Kopftuch wie folgt. Für sie ist »[...] das Kopftuch [...] die Flagge des Islamismus. Das Kopftuch ist das Zeichen, das die Frauen zu den anderen, zu Menschen zweiter Klasse macht. Als Symbol ist es eine Art »Branding«, vergleichbar mit dem Judenstern.« (Schirrmacher 2006).

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Andere wiederum sehen im Tragen des Kopftuches eine individuelle Entscheidung und plädieren gegen eine Einmischung des Staates und für die persönliche Freiheit. Anhängerinnen dieser These sind beispielsweise Rita Süssmuth und die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi, die in einem Interview ihre Ansicht folgendermaßen beschreibt: »Wenn eine Frau in Europa ein Kopftuch tragen möchte, dann muss man ihr das zubilligen. Männern steht es auch frei, eine Krawatte umzubinden.« (Bednarz/ Preuß 2003). Eine dritte Gruppe ist auf der einen Seite der Meinung, dass das Kopftuch eine religiöse Pflicht sei. Auf der anderen Seite dürfe jedoch niemand dazu gezwungen werden, da im Islam ihrer Ansicht nach kein Zwang besteht (vgl. Karakasoglu 2005). Vielmehr sind Frauen und Männer gleich. Wenn sich eine Frau trotzdem dazu entschließt, ein Kopftuch zu tragen, dann unterwirft sie sich höchstens Gott und sonst niemandem. Ein Zwang, ausgeübt vom sozialen Umfeld, wird als Unterdrückung empfunden und gebrandmarkt. Anhängerinnen dieser Argumentationslinie sind beispielsweise Rabina Müller vom ZIF und Hamideh Mohageheghi von HUDA. Überträgt man die vorgestellten drei Positionen auf die Aussagen der Interviewpartnerinnen, so zeigt sich, dass keine der Frauen der ersten Position zuzurechnen ist: Niemand äußert die Meinung, das Kopftuch sei ein Zeichen der weiblichen Unterdrückung und sollte deshalb verboten werden. Konsens besteht vielmehr in der Überzeugung, dass es jeder Frau selbst überlassen sei, ein Kopftuch zu tragen oder eben nicht. Es finden sich aber auch Anhänger der dritten Argumentationslinie, wie folgende Interviewsauszüge exemplarisch verdeutlichen. Frau Mayer, eine Konvertitin, die selbst kein Kopftuch trägt, kann der zweiten Position zugeordnet werden. Für sie sollte jede Frau selbst entscheiden, ob sie die Kopfbedeckung tragen möchte, oder nicht. Für sie ist es jedoch kein politisches Symbol und ebenso wenig eine religiöse Pflicht, sondern lediglich ein Kleidungsstück. »Grundsätzlich in allen Themen, jeder Mensch muss selbst entscheiden, die Religion kann ja nur eben die Grundwerte weitergeben. Nur weil Frau M. und ich kein Kopftuch tragen, heißt das nicht, dass wir gegen das Kopftuch wären. Das ist ein Kleidungsstück für uns. Der eine trägt es, der andere nicht. [...] Für uns ist das kein Entscheidungskriterium dafür, wie die Frau unter dem Kopftuch denkt. Das sagt für uns noch nichts aus. Die Frau soll tun, was sie möchte, aber sie soll wissen, warum sie es

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tut oder nicht und soll sich selber dafür oder dagegen entscheiden. Nicht weil irgendjemand anders es Ihr gesagt hat. Deswegen sagen wir, denk einfach darüber nach und mach dann das, was du für richtig hältst – auch beim Thema Kopftuch. Ich finde die Diskussion sollte nüchterner werden. [...] Die Nicht-Muslime sagen: »Jetzt legt doch endlich dieses bescheuerte Kopftuch ab, weil das ein Zeichen der Frauenunterdrückung ist.« Und die Muslime sind aber genauso stur und sagen: »Nein, wir legen nicht ab, weil wir müssen es tragen.« Würden wir Muslime sagen: »Ok, sehen wir die Sache doch mal ein bisschen locker – ist doch echt bloß ein Kopftuch und lasst uns doch wirklich allen unseren muslimischen Frauen zugestehen es so zu handhaben, wie sie es wollen.« Dann würde es meines Erachtens auch keine Konfrontationen mit der deutschen Öffentlichkeit geben. Das Problem liegt in der gegenseitigen Sturheit.« (Mayer/ HUDA)

Die meisten Befragten vertreten die dritte Position. Exemplarisch sei hier ein Auszug aus dem Interview mit Adila angeführt. Sie sieht im Tragen des Kopftuchs eine religiöse Pflicht und vertritt die Ansicht, dass es eine Sünde sei, dies nicht zu tun. Nichtsdestotrotz ist auch sie der Meinung, dass man einer Frau nicht vorschreiben dürfe, ihren Kopf zu bedecken und dass die Entscheidung hierzu von jedem Individuum selbst gefällt werden müsse. »Die Kopftuchdiskussion fand ich immer ganz doof, weil das immer so mit dem Symbol verglichen wurde von den Christen oder den Juden, so mit der Mütze oder dem Kreuz und das ist bei uns nicht so. Bei uns ist das Pflicht. Es ist nicht so, dass wir sagen, ja, wir können es auch ablegen wenn wir jetzt mal keine Lust haben, sondern es ist einfach Pflicht und wenn wir´s nicht tragen, begehen wir ne Sünde, sag ich jetzt mal. [...] Das ist jedem seine eigene Sache, jeder muss das für sich entscheiden ob der den Schritt gehen will oder nicht und ob er bereit dazu ist oder nicht ob er´s für sich gut findet oder nicht. Es steht im Koran und wer´s nicht macht, das ist seine Sache.« (Adila/ IMAN)

Wie verteilen sich nun die kopftuchtragenden Frauen auf die hier erhobene Stichprobe? Wie die Abbildung 13 zeigt, tragen 61,2% der befragten Muslima immer oder häufig ein Kopftuch in der Öffentlichkeit. Etwas mehr als ein Viertel – genau: 27,5% – trägt selten oder sogar nie ein Kopftuch. Als sporadische Kopftuchträgerinnen bezeichnen sich 8,3%.

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Abbildung 13: Tragen eines Kopftuches in der Öffentlichkeit nach Häufigkeit in % (n=120)

70 60

59,2

50 40 30 21,7 20 10

5

8,3

5,8

0 immer

häufig

ab und zu

selten

nie

Quelle: Eigene Darstellung

Das Tragen eines Kopftuches in der Öffentlichkeit beruht neben der Dimension der religiösen Praxis auch auf der Wahrnehmung und Stigmatisierung von dritter Seite. Speziell letzterer Aspekt kommt in den Einzelinterviewaussagen deutlich zum Ausdruck. Der Schritt, das Kopftuch regelmäßig anzulegen, erfolgt bei den meisten Frauen daher nicht ohne vorheriges Überdenken und Abwägen von Vor- und Nachteilen. Einige Frauen befürchten speziell Isolation und Stigmatisierung. In einem Interview mit einer Konvertitin wird deutlich, dass diese Ängste zuweilen dazu führen, das Kopftuch gar nicht erst zu tragen, obwohl der Wunsch vorhanden ist: »Ich will eigentlich tragen. [...] Ich habe einfach Angst das zu tragen. Ich habe Angst vor Diskriminierung – ich habe Angst anders angeguckt zu werden. Ich will das eigentlich schon ganz, ganz lange, aber ich trau mich nicht. Und manchmal habe ich auch so Zweifel, ist das so richtig, weil, ich habe mein Studium abgebrochen und ich habe zwischendurch überlegt, ob ich nicht noch ein Studium mache, um Grundschullehrer zu werden, aber wenn ich ein Kopftuch trage, dann kann ich das sowieso vergessen. Ich kämpfe halt immer so mit mir, was mache ich jetzt eigentlich. [...] Also einmal hab ich mir beim Einkaufen so ein Kopftuch umgebunden. Und da habe

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ich mich selbst erwischt, wie ich versucht habe möglichst viel zu reden, also möglichst viel auch auf Deutsch zu sagen – das ich auch erkannt werde sozusagen. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich dann für jemand völlig anderes gehalten werde, der ich nicht bin.« (Schneider/ HUDA)

Ein längerer Auszug aus dem Interview mit Munja zeigt exemplarisch einen Weg der Entscheidungsfindung. Ihre detaillierte Schilderung wird im Folgenden ausführlich wiedergegeben, da nicht nur ihre subjektiven Beweggründe herausgearbeitet, sondern auch Konsequenzen einer solchen Entscheidung exemplarisch dargelegt werden können. Sie beschreibt sich selbst als gläubige Frau, die religiös erzogen wurde und das Kopftuch bis zu ihrem 16. Lebensjahr völlig selbstverständlich trug. In diesem Alter, Anfang der 1960er Jahre, immigrierte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Deutschland, wo zu diesem Zeitpunkt nur wenige Muslime lebten und sie daher zunächst kaum Kontakt zu solchen aufbauen konnte. Sie fühlte sich mit ihrem Kopftuch sehr unwohl, insbesondere da sie der deutschen Sprache nicht mächtig war und daher keine Möglichkeit besaß, ihre Gründe für das Tragen der Kopfbedeckung zu artikulieren. Als sie ihrem Mann von ihrem Unbehagen erzählte, riet dieser ihr, das Kopftuch abzulegen, was sie daraufhin auch tat: »Ich muss dazu sagen, ich bin hier nach Deutschland gekommen, da war ich noch nicht ganz 16 und ich komme aus einer religiösen Familie. Aber damals, im Januar 1964, da war ich alleine in dem Ort wo ich gewohnt habe und da hatte ich niemanden mit dem ich mich über dieses Thema unterhalten konnte. Und ich hatte ja mein Kopftuch getragen solange es kalt war. Und wie es dann wärmer wurde und ich hatte immer noch das Kopftuch an wenn ich herumgelaufen bin, da hat jeder sich umgedreht und gedacht, wieso trägt sie Kopftuch, ist doch nicht mehr kalt. Die Sprache war ja noch nicht da, dass ich mal was erklären konnte und ich kannte die Leute ja noch gar nicht und ich war ja noch so jung. Das hat mich auch gestört, dass die Leute mich so angucken. Und dann hab ich das meinem Mann gesagt, dass die mich so angucken und dann hat der gesagt: »Haja, dann lass es weg.« So einfach war das. Dann hab ich es dann weggetan.« (Munja/ IMAN)

Erst viele Jahre später entschied sich Munja das Kopftuch wieder zu tragen. Wie sie sagt, war dies für sie persönlich ein bedeutender Schritt, dem ein langer Entscheidungsprozess vorausging. Dabei musste sie zwischen Reli-

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giosität auf der einen und dem Wunsch nach Akzeptanz durch das soziale Umfeld in Deutschland auf der anderen Seite abwägen. Auch dieses Mal wollte sie sich zunächst bei ihrem Ehemann vergewissern, bevor sie eine endgültige Entscheidung traf. Als der Lebenspartner keinen Einfluss auf ihre Entscheidung nahm, entschied sich Munja aus eigenem Bedürfnis für das Kopftuch. Zum einen führte dies bei ihr zu einer subjektiven Erhöhung des Wohlbefindens. Zum anderen kam es aber auch zu stigmatisierenden Reaktionen in ihrer direkten Nachbarschaft, die davon ausging, dass sie sich auf Wunsch ihres Mannes verhüllte. Indirekt wurde ihr damit die Mündigkeit, selbst Entscheidungen treffen zu können, abgesprochen. »Ich habe eineinhalb Jahre nach meiner Tochter Kopftuch getragen, nachdem ich stark genug war. Bei ihr ging es anders, viel schneller. Ich konnte nur, als ich gefühlt habe, so, ich bin jetzt soweit, jetzt kann ich. Ich kann mich erinnern an den Tag, wo ich das erste Mal Kopftuch getragen habe. Wir wollten auf den Flughafen jemanden verabschieden und ich stand vor dem Spiegel und ich wusste nicht, soll ich, oder soll ich nicht. Ich stand zwischen beidem. Kann ich das, schaff ich das, hab ich diese Stärke das zu machen. Ich habe meinen Mann gefragt, was ich machen soll und er hat gesagt: »Ja, das ist deine Sache. Das geht mich nichts an. Wenn du’s machen willst, dann mach’s, wenn nicht, dann nicht.« Dann habe ich mich doch entschlossen und dann habe ich es getragen. Ich muss sagen, ich fühle mich viel wohler als vorher. Weil ich zu dem, was ich bin, stehe. Vorher bin ich geschminkt und mit allem drum und dran raus gegangen und jetzt, wenn ich ein schönes Kopftuch schön stecke, fühle ich mich schöner als vorher. Ich hatte ja eine ganz tolle Nachbarschaft. Ich verstand mich sehr, sehr gut mit denen, wir hatten einen sehr guten Kontakt. [...] Ich war ja dann auch mal draußen und ich wusste nicht, dass diese Frau mich mit Kopftuch gesehen hat. Ich war im Garten Wäsche aufhängen und da hat sie durch die Sträucher geguckt. Da hab ich gesagt: »Na, Frau Sowieso, wie geht’s und so? « Guckt sie mich an und sagt: »Frau X, wer hat das so gemacht? Wieso haben Sie das gemacht? « Und dann fängt sie an zu weinen. Ich hab schon lang gesagt, ich möchte mit Ihnen reden, ich will mit Ihnen reden. Hab ich gesagt: »Komm, dann reden wir.« »Nein, Sie hängen jetzt die Wäsche, ich will nicht reden. « Hab ich gesagt: »Ich häng nicht mehr die Wäsche, wir reden jetzt.« Dann ist sie gekommen, die hat mich umarmt, hat mich gedrückt und hat geweint. [...] Sie hat gedacht, ich hätte Probleme mit meinem Mann und mein Mann hat mich dazu gezwungen das zu machen, oder ich wäre zu irgendeiner Sekte. Sie hat sich Sorgen gemacht um mich, weil sie mich mochte, dass ich so viele Probleme hatte und sie hätte sich nicht um mich geküm-

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mert. Hab ich zu ihr gesagt: »Nein, das stimmt nicht. So und so ist die Sache.« Wir haben lange darüber diskutiert, sie hat geweint, ich hab geweint und zum Schluss hab ich gemerkt, es kommt zu keinem Punkt. Dann hab ich zu ihr gesagt: »Wenn Sie mich mögen, dann akzeptieren Sie mich bitte, so wie ich gerade bin. Dann bin ich glücklich. Wenn Sie mich so akzeptieren, dann bin ich glücklich und dann haben Sie mir sehr geholfen.« Dann hat sie gemeint: »Ja wenn das so ist, dann werde ich das akzeptieren.«« (Munja/ IMAN)

Eine noch schlimmere Reaktion auf ihr Kopftuch erfuhr Munja bei einer weiteren Nachbarin. Diese brach den – vorher sehr guten – Kontakt zu der Muslima ab und ignorierte sie plötzlich aufgrund des Kopftuchs. Diese Exklusion empfand sie als äußerst verletzend: »Andere Seite, andere Nachbarin: Früher kam sie – sie kommt immer an unserem Haus vorbei mit dem Auto – wenn sie mich gesehen hat mit den Kindern im Hof, hat sie immer angehalten und mit mir geredet: »»Hallo und wie geht’s Ihnen?« Nachdem ich Kopftuch getragen habe – drei Tage davor haben wir uns noch unterhalten, dass ihre Tochter schwanger ist – und dann habe ich Kopftuch getragen und nachdem gab es kein Hallo mehr. Wenn sie mich gesehen hat, hat sie den Kopf gedreht. Da wollte sie nichts mehr mit mir zu tun haben. Einmal, hat sie mich von weitem gesehen und dann hat sie gesagt: »Ach, ich hab gedacht, eure Oma ist bei euch.« Hab ich gesagt, »Nee, das bin ich, nicht die Schwiegermutter.« Und da hat sie keinen Ton gesagt. Das war aber lange, bestimmt sieben, acht Monate her und können Sie sich vorstellen, wie es mir gegangen ist? Wie oft kamen mir die Tränen, wenn ich sie gesehen hatte. Egal wie ich gewunken habe, wenn sie vorbeigefahren sind, die haben den Kopf gedreht.« (Munja/ IMAN)

Um das Verhalten der Nachbarin zu ergründen, stellte sie diese eines Tages zur Rede. Das darauf folgende Gespräch vermittelte ihr den Eindruck, als wäre sie zuvor nur aufgrund von Assimilation bzw. eines Angleichungsprozesses von dieser akzeptiert worden. Munja sah ihr religiöses Kapital einer Entwertung ausgesetzt der sie nicht entgegensetzen konnte: »Sie kam von einer Seite und dann habe ich sie angesprochen: »Na, Frau Sowieso, was ist los? Wieso gucken Sie mich nicht mehr an, was habe ich denn getan? Was habe ich für einen Fehler gemacht, hab ich Ihnen was getan?« »Ja, nein, Sie haben mir nichts getan. Aber wissen Sie, wenn ich Sie sehe, wie Sie da rumlaufen, das tut

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mir richtig weh. Sie sind doch so eine hübsche Frau, so modern, auf einmal sind Sie so.« Dann habe ich gesagt: »Ja, wie laufe ich jetzt rum? Wie sehen meine Kleider aus, vergammelt, verdreckt, wie sehe ich aus? Ich fühle mich wohl.« »Ja, das ist doch der Mann nicht wert, dass man das seinetwegen macht.« Hab ich gesagt: »Aber mein Mann hat mich gar nicht dazu gezwungen. Das ist meine Sache und ich würde gerne mich mit ihnen mal ein bisschen unterhalten.« »Nee, nee, das kann ich nicht.« Und dann haben wir doch fast eineinhalb Stunden vor der Tür gestanden und haben geredet. Aber das hat mir so wehgetan, das glaubt, mir kein Mensch. Ich hab gedacht, Mensch, vorher war ich die gute Nachbarin, die sich angepasst hat. Ich hab genauso ausgesehen wie die anderen, konnte mich mit ihnen unterhalten, aber dann kam das und dann bin ich nicht mehr diejenige, die ich mal war. Und das tut einem weh. Aber was kann ich da tun?« (Munja/ IMAN)

Wie bei Munja, war auch bei Fatima der Wunsch vorhanden, ein Kopftuch als Ausdruck religiöser Zugehörigkeit und Pflichterfüllung zu tragen. Diesem Schritt ging aber auch bei ihr ein langer Auseinandersetzungsprozess voraus. Fatima stellte sich ebenfalls die Frage, welche Reaktionen sie in ihrem sozialen Umfeld auslösen würde. Die Vorstellung machte ihr zuerst Angst und stellte eine große Hürde dar. Erst als sie Argumente für das Kopftuchtragen gefunden hatte, welche ihre Entscheidung religiös und logisch absicherten, entschied sie sich nach längerer Zeit für das Kopftuch: »Es war für mich auch am Anfang eine große Hürde, dass ich es gewagt habe, diesen Schritt zu wagen. Ich habe Tage vorher noch so gezittert und gedacht, okay, mache ich es, mache ich es nicht. Und ich muss auch dazu sagen, ich hatte es eine Woche vorher immer wieder aufgehabt, dann wieder ausgezogen. Irgendwann habe ich mich dann überwunden, dadurch dass ich gelesen habe, es ist ein Schutz für euch, es hilft euch nicht belästigt zu werden, es gibt auch keinen Machtkampf zwischen den Frauen, was manchmal auch passiert und ähnliches.« (Fatima/ IMAN)

Bei der Konvertierten Lena zeigt sich ein ähnliches Phänomen. Auch sie war sich sehr wohl bewusst, dass einerseits das Kopftuch an sich für die Mehrheit der deutschen Gesellschaft problembehaftet ist, und dass sie andererseits mit Kopftuch anders wahrgenommen und behandelt würde. Die Entscheidung zum Kopftuchtragen wurde diesen Umständen angepasst, etwa indem ein geeigneter Zeitpunkt abgewartet wurde, bei dem die Konsequenzen nicht mehr so einflussstark erschienen. Für Lena war dieser Zeit-

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punkt nach dem Abitur gekommen, da sie davor befürchtete, Diskriminierungen durch die Lehrer ausgesetzt zu werden, die sich beispielsweise in schlechten Noten widerspiegeln würden. Obgleich die Vorrausetzungen aufgrund ihrer Konversion andere waren, kam es auch hier zu einem Abwägen der Vor- und Nachteile und einer sehr individuellen sowie überlegten Entscheidung. »Ich war ungefähr ein Jahr hier im Frauenzentrum, da hab ich dann beschlossen zu konvertieren. Damals war ich aber gerade in der 13. Klasse und ich hatte ein bisschen die Befürchtung, dass die Lehrer sich doch so durch ihre persönliche Meinung beeinflussen lassen. Auch wenn sie immer sagen, wir machen das nicht, aber am Ende ist es doch so, dass man sich persönlich irgendwie beeinflussen lässt. Ich wollte mir dadurch nicht mein Abitur gefährden. Dann habe ich beschlossen, dass ich direkt nach dem Abitur anfange, das war so ein guter Zeitpunkt. Von den Leuten in der Schule, da sieht man nur noch die, die einem wirklich wichtig waren und im Studium lernt man die alle wieder neu kennen. Das ist ein neuer Lebensabschnitt und wenn er auch gleich so beginnt, dann muss ich gar niemanden irgendwie groß erklären, warum ich jetzt vom einen Tag auf den nächsten Kopftuch trage.« (Lena/ IMAN)

Wie die Interviews exemplarisch zeigen, ist für viele Frauen das »Für oder Wider« des Kopftuchtragens keine einfache Entscheidung. In den hier vorgestellten Interviewauszügen werden die Vor- und Nachteile sehr individuell bewertet und entschieden. Nicht nur die Entscheidungsmechanismen sind sehr spezifisch, auch auf welche Art und Weise das Kopftuch getragen wird, ist bei den Muslima unterschiedlich. Während einige einen Tschador tragen, der nicht immer unbedingt schwarz sein muss, tragen andere wiederum ein einfaches Tuch, welches sie individuell binden. Einige wiesen in Gesprächen darauf hin, dass sie das Kopftuch auf ihre persönliche Weise tragen, da sie damit explizit provozieren wollen aber auch deutlichen machen, dass sie sich von niemandem vorschreiben lassen, auf welche Art sie sich bedecken sollen. Neben den hier genannten religiösen Gründen exstieren noch weitere Motive. Neben der Befolgung der religiösen Vorschrift, möchte Hibba explizit als Muslima in der Öffentlichkeit erkannt werden. Das Kopftuch hilft ihr, ihre Identität zu stabilisieren und gleichzeitig macht es sie als gläubige Muslima erkennbar, was für sie einen schönen Nebeneffekt darstellt:

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»Also, erst mal trage ich es, weil ich der Meinung bin, dass es Pflicht ist und dass es Gott mir befohlen hat, sozusagen. Es ist halt fest. Genau so, wie ich kein Schweinefleisch esse, wie ich keinen Alkohol trinke, trag ich ein Kopftuch. Das gehört für mich dazu, das gehört zur Religion dazu, es gehört für mich dazu, also für meine Identität. Und als Nebeneffekt – sag ich jetzt mal – find ich es positiv, dass ich als Muslima wahrgenommen werde.« (Hibba/ IMAN)

Ein weiteres wichtiges Motiv, das von den Frauen bezüglich der Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen, angeführt wird, ist die Sicherheit nicht als reines Sexobjekt wahrgenommen zu werden. So gibt Nilgül an, dass das Kopftuch für sie eine Möglichkeit ist, sich gegen eine Sexualisierung ihrer Person zu wehren. Auch sie betont aber, dass sich die Frau aus freien Stücken für das Kopftuch entscheiden müsse: »Die Leute, die mich zum Beispiel ohne Kopftuch dann sehen – bei irgendwelchen privaten Feiern unter Frauen oder so – die sagen dann, oh, du bist so schön und deine Haare und du hast dich geschminkt und du hast dich sexy angezogen, sag ich mal. Da sag ich, ja das ist ja das. Das ist das, was meine Religion eigentlich für mich vorsieht. Wenn du raus gehst, sollst du dich halt verhüllen, damit die anderen Menschen dich nicht als Sexobjekt oder als Objekt der Begierde sehen. Also ich mache es für Gott und für die Gesellschaft auch irgendwo, dass ich mich halt verhülle. Ich habe mich natürlich selber dazu entschieden. Das ist auch wichtig. Du musst dich selber dazu entschließen, nicht wegen den Eltern, nicht wegen den anderen Sachen, weil dann ist der Hintergrund total falsch. Dann sollen diese Leute wieder das Kopftuch abnehmen, weil die in dem Punkt etwas total Falsches gemacht haben. Weil man nur das befolgen soll, was Gott einem sagt.« (Nilgül/ IMAN)

Auch Adila erklärt in diesem Zusammenhang, dass das Kopftuch eine präventive Wirkung habe. Sie führt aus, dass der Islam voreilige Beziehungen deshalb verbiete, weil diese zu emotionalen Verletzungen führen können, falls sie wieder beendet werden. Mann und Frau sollten sich daher zuerst richtig kennen lernen und dabei auf innere Werte anstelle rein äußerlicher Aspekte achten, bevor sie eine Beziehung eingehen. Nach Adilas Auffassung sorgt das Kopftuch dafür, dass sich Männer nicht nur aufgrund optischer Eindrücke für eine Frau interessieren. Gleichzeitig hilft es aber auch den Frauen dabei, sich zurückzuhalten. Wie auch bei den vorangegangen

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Interviewauszügen, schreibt Adila dem Kopftuch somit eine Schutzfunktion zu: »Also dieses Kopftuch tragen, da muss man ja eigentlich ganz weit ausholen [...] wir dürfen ja auch keine voreiligen Beziehungen haben und das Kopftuch, das hilft uns einfach dabei, also das schafft so ne, das haben mir auch viele Mitschüler damals gesagt, das schafft so ne Distanz zu dem anderen Geschlecht, wo die Jungs sagen, da trau ich mich nicht richtig ran und für uns ist es eben was uns auch hilft, uns zurückzuhalten, selber. Und dann kommt es dann eben irgendwann dazu, dass man sich für jemanden interessiert. Und bei uns ist es dann eben auch ganz wichtig, dass man nicht nach dem Äußeren guckt erst mal, also dass die Männer da nicht nach dem Äußeren gucken. Es ist ja oft so, also auch die Frauen, dass man sagt: »Ja, ich probier´ s jetzt mal mit der oder mit dem und wenn´ s nicht klappt, dann klappt´ s halt nicht« und dass man das so ein bisschen auf die leichte Schulter nimmt und auch oft Gefühle verletzt werden – ich mein bei uns ist das oft so, dass man sagt, das Herz ist ganz empfindlich und um so öfter das verletzt wird, umso kälter wird es und es bleiben halt Narben einfach. Und der Islam, der ist ja immer präventiv, also versucht, präventiv zu sein und sagt halt, ich schütze euch so ein bisschen davor, die Männer sollen ja auch ihre Blicke senken und versuchen, sich da auch ein bisschen zurückzuhalten und dass man dann eben, wenn man den Entschluss fasst und sagt, ich interessiere mich für diese Person, dass man das auch ernst meint und dass das dann nicht ein Lebensabschnittspartner wird, sondern dass man sagt, ich will diesen Menschen kennen lernen und auch richtig kennen lernen und gucken, ob ich mit dem ne Zukunft aufbauen kann und wenn man eben keinen voreiligen Beziehungen haben darf, dann überlegt man sich das drei Mal, ob man was mit diesem Menschen anfängt, weil man sagt, wenn, dann wird´ s was Ernstes und so sollte man damit halt auch umgehen, mit diesen ganzen zwischenmenschlichen, zwischengeschlechtlichen Beziehungen.« (Adila/ IMAN)

Im Gegensatz dazu erklärt Tasmina, dass sie das Kopftuch nicht trägt, weil sie der Meinung ist, Männer würden sie sonst als Sexobjekt betrachten. Ihrer Ansicht nach ist es nicht die Pflicht der Frauen ihre Reize zu bedecken, vielmehr müssen die Männer ihre sexuellen Begierden kontrollieren. Für sie ist das Kopftuch eine Pflicht sowie ein permanent »Reminder«, der ihr hilft sich immer wieder aufs Neue mit der Religion und ihrer religiösen Identität auseinander zu setzen.

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»Es ist für mich eigentlich nur die Erfüllung einer religiösen Pflicht. Ich mach da eigentlich keinen so großen Hickhack daraus. Warum und wieso und weshalb und so weiter. Es ist für mich eine religiöse Pflicht und es ist für mich eine der kleineren religiösen Pflichten und ich sehe mich in der Lage sie zu erfüllen und dann mach ich das einfach. Mein Hintergrund ist jetzt auch nicht, ich bin jetzt so ein reizvolles Objekt und ich muss jetzt meine Reize bedecken, damit die ganzen gestörten, perversen Männer nicht auf die Idee kommen irgendwie – ja, das sind die Argumente die oft genannt werden, die Frauen sollen ihre Reize bedecken. Ich sehe mich nicht verantwortlich dafür, wenn irgendwelche Männer sich nicht zügeln können. Darum geht’s mir halt gar nicht. Sondern es ist etwas, was mir halt einen islamischen Rahmen gibt, also ich erfülle eine Pflicht und ich halt mich durch das Kopftuch so an den Islam. Das ist so was wie, ich leg mir das auf, was mich immer wieder daran erinnert auch Muslimin zu sein und mich immer wieder dazu bringt, mich mit mir selbst, mit meiner Religion, mit meiner islamischen Identität auseinanderzusetzen. Das bedeutet es für mich persönlich eher.« (Tasmina/ IMAN)

Der Aspekt des Emanzipation, der sich wie ein roter Faden durch alle Interviews zieht, ist auch für Fatima von großer Bedeutung. Auch wenn ihre Mutter ein Kopftuch getragen hat, reichte dies für Fatima selbst als Grund nicht aus, ihren Kopf zu bedecken. Sie suchte selbstständig nach überzeugenden Argumenten für und gegen das Kopftuch. Ihre Informationen bezog sie dabei zum einen aus Büchern, zum anderen besuchte sie Vorträge zum Thema Kopftuch. Überzeugt wurde sie durch die bereits genannten Aspekte: dass sie als Muslima erkannt, vor Sexualisierung geschützt und ihr Respekt entgegen gebracht wird: »Bei mir war es einfach so, dass ich, mein Vater hat es mir nie richtig verboten mich freizügig zu kleiden, aber trotzdem. Mit der Zeit wurde mir dann bewusst, warum meine Mutter Kopftuch trägt. Mit der Erklärung meiner Mutter hab ich mich aber nie zufrieden gegeben. Ich habe selbst versucht zu horchen, habe verschiedene Bücher gelesen. War bei verschiedenen Vorträgen von verschiedenen Referenten. Irgendwann hab ich dann ein Buch in der Hand gehabt, das heißt: »Warum muslimische Mädchen weinen« und da geht es um ein Mädchen, die anfängt Kopftuch zu tragen, die schon Probleme hatte, aber wie gut es ihr danach ging – das sie etwas getan hat für Gott. Und dann habe ich gelesen, was für einen Zweck es hat, was für Vorteile es hat. Zum Beispiel, ich werde beschützt, man erkennt mich als Muslima, ich werde nicht belästigt, ich bekomme Respekt dadurch. Zumindest hab ich das Ge-

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fühl, ich bekomme Respekt dadurch. Als ich die ganzen Vorteile aufgezählt habe, wurde mir bewusst, dass es eigentlich nur gut ist, wenn ich es trage.« (Fatima/ IMAN)

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass knapp 60% der Frauen immer ein Kopftuch in der Öffentlichkeit tragen. Wie beim Schweinefleisch- und Alkoholverbot, zeigt sich auch hier eine leichte u-förmige Verteilung der Antworten. Dies deutet wieder darauf hin, dass es auch hier zwei unterschiedliche Ausrichtungen der Mitglieder gibt: Eine große Gruppe, die das Kopftuch trägt und eine kleinere Gruppe, die dies nicht tut. Für viele, die sich für das Kopftuch entschieden haben, stellte die Entscheidung einen langwierigen und schweren Prozess dar. Es wurden Vor- und Nachteile abgewogen, bevor es zu einem Entschluss kam. Hierbei handelt es sich um einen sehr reflektierten Entwicklungsgang, wobei den Frauen wichtig ist, dass die Entscheidung auf überzeugenden Argumenten und nicht auf Zwang beruht. Die Frauen entscheiden damit selbst und dies oft auch gegen die Ansichten des sozialen Umfelds. Keine der Frauen berichtet von einem Zwang durch die Familie oder den Ehepartner, auch wenn sie das enge soziale Umfeld in den Entscheidungsprozess einbeziehen. Die Gründe sind meist religiös bedingt. Entweder wird es als ein Gebot von Gott gesehen oder man möchte sich als Muslima in der Öffentlichkeit darstellen. Auch der Schutz gegen eine Sexualisierung der Person spielt eine große Rolle. Hervorzuheben ist die Tatsache, dass eindimensionale Begründungen von den Frauen fast nie herangezogen werden. Vielmehr sind die Argumente immer gekoppelt und können sich auch je nach Situation verändern. Somit handelt es sich hier um einen dynamischen Entscheidungsprozess. Auf einen weiteren Aspekt sei hier ebenso hingewiesen: In Einzelfällen wurde die Verhüllung als bewusste Provokation der deutschen Öffentlichkeit angeführt. Hier wird absichtlich eine iranische Form des Tschadors oder auch eine ganz individuelle Form des Kopftuchs getragen. Dabei wird explizit mit Vorurteilen gespielt. Es wird das Bild der unterdrückten Frau anhand der Kleidung suggeriert, um später dieses Vorurteil wieder aufzulösen. 7.4.4 Religiöser Einfluss Wie gezeigt wurde, bezeichnen sich die Frauen als sehr religiös (vgl. Kapitel 7.4.2) und ein überwiegender Teil hält sich auch strikt an religiöse Vor-

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gaben (vgl. Kapitel 7.4.3). Es kann behauptet werden, dass der Islam für den überwiegenden Teil der Befragten ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens ist. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung zu erfahren, wodurch ihr Verhältnis zum Islam positiv beeinflusst wurde (vgl. Abbildung 14). Abbildung 14: Positives Verhältnis zum Islam durch positive Einflussfaktoren in % (Mehrfachnennungen)

Durch mein persönliches Interesse

82,2

Durch meine Freunde

55,7

Durch die eigene Institution

50

Durch meinen Partner

50

Durch meine Familie

41,8

Durch eine muslimische Organisation

32

Durch den Koranunterricht

22,1

Durch einen Imam

13,9 0

20

40

60

80

100

Quelle: Eigene Darstellung

Es überrascht nur wenig, dass die autodidaktische Auseinandersetzung mit dem Islam insgesamt einen sehr großen Einfluss hat. Das Lesen von Büchern, der Besuch von Seminaren und Vorträgen oder ein theologisches Studium waren für 82,8% diejenigen Aktivitäten, welche die Beziehung zur eigenen Religion besonders stärkten. Da es sich hier um eine subjektive Einschätzung handelt und das eigene Interesse meist mit anderen Faktoren wie beispielsweise anderen Organisationen oder Gesprächen mit dem sozialen Umfeld verknüpft ist, muss dieses Item jedoch mit Vorsicht betrachtet werden. Nichtsdestoweniger wird ersichtlich, dass sich ein sehr großer Teil der Frauen intensiv und autodidaktisch mit dem Islam beschäftigt.

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Ein Beispiel für eine solch intensive Auseinandersetzung mit der Religion ist Adila. Sie beschäftigt sich aktiv und kritisch mit dem Islam. Zu diesem Zweck besucht sie Seminare oder liest den Koran bzw. die Sunna. Sie versucht ihr religiöses Kapital aktiv zu vergrößern. Hierbei zieht sie ihre eigenen subjektiven Bedeutungen aus den heiligen Schriften. Durch diese subjektive Sinnstiftung kommt es bei Adila zu einer Löslosung von den Interpretationen religiöser Würdenträger. Für sie ist es von größter Wichtigkeit, neben den Interpretationen der klassischen, d. h. männlichen Gelehrten, auch auf alternative, meist deutschsprachige Quellen zurückzugreifen. Dabei werden Vorträge, aber auch Bücher sehr kritisch betrachtet und reflektiert. Durch diese eher wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Islam entwickelte sie eine subjektive Vorstellung von guter und schlechter Literatur. Neben der autodidaktischen Aneignung von religiösem Kapital versucht sie auch ihre Sicht auf den Islam durch Vorträge weiter zu geben: »Also ich geh halt wie gesagt ins Frauenzentrum und hör mir da die Vorträge an und les auf jeden Fall auch selber den Koran und mach mir da meine Gedanken dazu. Ich tu ja auch die Vorträge, die ich mach, aus dem Koran rausziehen meistens, weil ich halt einfach denke, klar, es gibt ganz viele Gelehrte und die ziehen auch viel aus dem Koran raus und kennen halt die Geschichte und die Hintergründe, die ich nicht so kenne. Aber der Koran ist ein Buch für jeden, das steht auch immer wieder drin und dass auch jeder das lesen muss, weil´ s für jeden in einer bestimmten Lebenssituation was anderes sagt, also jeder kann daraus was ziehen und deswegen les ich halt auch auf jeden Fall den Koran und die Sunna, also Bücher, die halt grad auch aktuell sind, wo ich halt auch durch andere erfahre, dass die ganz gut sind und zuverlässig sind. Also ich les nicht alles, weil es gibt ganz viel Schrott.« (Adila/ IMAN)

Auch Munja beschäftigt sich aus eigenem Antrieb mit dem Islam. Obwohl sie religiös erzogen wurde, vernachlässigte sie nach der Geburt ihrer Kinder ihre religiösen Pflichten. Hinzu kam, dass die eher schlechte religiöse Infrastruktur in ihrer näheren Umgebung eine Integration in eine muslimische Organisation erschwerte. Aufgrund dessen begann sie sich selbst mit den muslimischen Schriften auseinander zusetzten. »Ich konnte ja nirgends hingehen um mir dieses Wissen anzueignen. Wohin hätte ich gehen sollen. R. war für mich zu weit. Ich hab gearbeitet, ich hatte Kinder, ich

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habe mich zu wenig mit diesen Sachen beschäftigt. Durch die Vorträge und so, was ich dann gehört habe, habe ich mir selber Wissen angeeignet. Ich hatte ja schon von zuhause Wissen. Ich komme ja aus einer religiösen Familie. [...] Aber wenn man es hat, dann kommt es automatisch wieder. Dann kam es halt wieder. Ich war halt nur schwach.« (Munja/ IMAN)

Auffallend ist, dass 96,2% der Konvertierten angeben, durch eine autodidaktische Auseinandersetzung mit dem Islam positiv beeinflusst geworden zu sein. Es hat den Anschein, dass sich fast alle aktiv mit dem Islam auseinandergesetzt haben, bevor sie konvertiert sind. Im Vergleich dazu geben 68,3% der »Nicht-Konvertierten« an, durch eigenes Interesse an der Religion positiv beeinflusst worden zu sein. An zweiter Stelle der positiven Einflussfaktoren folgen die Freunde. 55,7% der muslimischen Frauen gaben an, von diesen inspiriert worden zu sein. Auch bei dieser Antwortkategorie zeigen sich Unterschiede zwischen Konvertierten und »Nicht-Konvertierten«: 48,1% der Konvertierten gaben an, dass die Freunde einen positiven Einfluss auf ihr Islamverständnis hatten. Im Vergleich dazu sind es 66,7% der »Nicht-Konvertierten«. Freunde scheinen für ein positives Islamverständnis speziell für gebürtige Muslime eine wichtige Rolle zu spielen. An dritter Stelle der positiven Einflussfaktoren folgt der jeweilige Frauenverein: 50% der Frauen gaben an, dass der Verein, in dem sie Mitglied sind, sie positiv beeinflusst hat. Die Konvertierte Martina stieß beispielsweise im Jahr 1996 ganz zufällig auf das Angebot des IMAN. Nach einer einjährigen Mitgliedschaft konvertierte sie dann zum Islam: »Ich bin praktisch ziemlich genau vor zehn Jahren, also im Herbst 1996, bin ich durch einen schönen Zufall – ganz lustig – ich weiß noch genau durch ne Freundin, die gesagt hat, sie geht da mal hin, sie hat gehört da gibt´ s so ein Mädchentreff und da hab ich mit dem Islam noch überhaupt nichts am Hut gehabt, aber ich hab gesagt: »Sag mir das mal, das interessiert mich, wie´ s dir halt dort gefällt«, ja, und es hat ihr gefallen und da bin ich im Herbst 1996 dazu gekommen und im Sommer 1997 konvertiert und seitdem auch wirklich die ganze Zeit dabei und auch aktiv.« (Martina/ IMAN)

Als ein weiteres Beispiel wäre hier auch Zehra zu nennen. Sie war zwar immer an ihrer Religion interessiert, konnte diese aber nie ausleben. Wie

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auch Martina nahm sie zufällig an einem Vortrag des IMAN teil. Von der guten Kinderbetreuung, der interkulturellen Zusammensetzung sowie der freundlichen Atmosphäre war sie so angetan, dass sie Mitglied im Verein wurde. Die Gemeinschaft, die sie hier verspürte, verhalf ihr dazu, sich dem Islam anzunähern. »Also den Frauenverein IMAN hab ich – die hatten so einen Aushang in einem türkischen Laden‚ Vortrag des Monats: Liebe zu Allah und das hat mich gleich fasziniert, dieser Titel und ich wollte schon immer eine Frauengruppe, wo international ist, also wo nicht nur türkisch ist, sondern international, weil ich wissen wollte, wie denken die anderen über den Islam und Islam hat mich schon immer fasziniert – schon als kleines Kind – aber ich konnte nicht oder ich wollte nicht praktizieren. Ich denke, weil ich zu wenig Wissen hatte. Ich hab mir dann die Adresse aufgeschrieben, wo dieser Vortag sein sollte, bin dann zu IMAN hin und hab mir den Vortrag angehört und war dann noch mal da und noch mal da und ich hab mir gedacht ja, das ist es, das ist genau das, was ich gesucht habe. Weil die Vorträge, die waren sehr anspruchsvoll und die hatten auch gewisse – wie soll ich sagen – zum Beispiel von 5 bis 6 war Vortrag und danach war Kaffee, das war alles schön organisiert. Und das mit den Kindern und so und Kinderbetreuung. Und dann wurde ich Mitglied. Aber mich am meisten fasziniert hat, war, dass da so viele Konvertierte waren, so viele hatte ich noch nie gesehen, nirgendwo. Und da hab ich gemerkt, dass Islam eine Religion war zum Leben und zum Spüren. Also, die haben diese ganzen Sachen, die ich auch gespürt habe, zum Beispiel Liebe zum Propheten, zu Gott, also zu Allah, die haben das genauso gespürt wie ich. Das hat mich sehr fasziniert.« (Zehra/ IMAN)

Bei Lena waren es die eigene Beschäftigung mit religiösen Schriften im Internet und der Mädchentreff des Vereins IMAN, die ihr Verhältnis zum Islam positiv beeinflusst haben. Die autodidaktische Auseinandersetzung mit der Religion und die Diskussionen innerhalb einer religiösen Gemeinschaft mit Gleichaltrigen führten im Nachhinein zur Konversion: »Ja, also ich hab auch parallel mich informiert über das Internet und ich habe auch viel darüber gelesen, aber ich hab halt auch immer hier am Mädchentreff teilgenommen, bei dem auch Vorträge gehalten werden. Donnerstags war gerade dieses Café-Kontakt, das war gerade neu und da bin ich dann auch immer hingegangen.« (Lena/ IMAN)

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Wie hier deutlich wird, besteht speziell bei Konvertierten ein Zusammenhang zwischen autodidaktischer Auseinandersetzung mit der Religion und dem Einfluss des jeweiligen Vereins. Der enge Zusammenhang zwischen beiden Faktoren kann darin begründet sein, dass die Frauen einen (religiösen) Weg einschlagen, der sie zunächst zu Außenseiterinnen macht. Dies trifft sowohl auf Konvertierte wie auch auf Muslime mit Migrationshintergrund aus der zweiten und dritten Generation zu. Die Mitgliedschaft in einem muslimischen Frauenverein und das damit einhergehende »in-group«Phänomen können helfen, die Identitätssuche zu vereinfachen und die Selbstwahrnehmung als Muslima zu stabilisieren. Die Vereine tragen hier in variierendem Maße zur Identitätsbildung bei. So besteht ein großer Unterschied zwischen konvertierten Frauen und »Nicht-Konvertierten«: Während lediglich 28,8% der Konvertierten angeben, durch den Verein, in dem sie Mitglied sind, beeinflusst worden zu sein, sind es 68,3% der »NichtKonvertierten«. Es scheint so zu sein, dass die Konvertierten sich autodidaktisch über den Islam informieren und sich dann erst den ihnen geeignet erscheinenden Verein auswählen. Bei den Muslimen, die nicht konvertiert sind, scheint gerade der Verein bei der Suche nach dem richtigen Islam eher am Anfang zu stehen. Als drittgrößter positiver Einflussfaktor findet sich der Lebenspartner mit 50%. Besonders bei den Konvertitinnen spielt der Ehemann eine bedeutende Rolle. Nach dem starken Eigeninteresse hat der Partner den zweitgrößten positiven Einfluss auf das Religionsverständnis der Konvertierten. 69,2% gaben an, von ihrem Partner positiv beeinflusst worden zu sein. Bei den gebürtigen Muslimen sind es lediglich 31,7%.54 Damit zeigt sich, dass für die Konvertierten der Partner eine weit wichtigere Rolle spielt als bei den »Nicht-Konvertierten«, was auch damit zusammenhängt, dass wohl ein großer Teil erst durch den Partner mit dem Islam in Kontakt kam. Das Beispiel von Lena illustriert jedoch, dass dieser religiöse Einfluss keineswegs nur einseitig sein muss. In ihrem Fall war ihr Ehemann zwar Moslem, hatte sich jedoch nie intensiv mit der Religion auseinandergesetzt. Erst nach der Konversion seiner Frau setzte auch beim Partner eine Hinwendung zum Islam ein. Allerdings ist es für Lena wichtig, dass ihr Ehemann nicht nur die

54 Es muss hierbei beachtet werden, dass nicht alle der Befragten liiert sind, was zu einer Verzerrung führen kann.

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Vorschriften einhält, sondern die Regeln auch reflektiert und nicht einfach als gegeben übernimmt: »Er selber hatte den Islam nicht so richtig praktiziert und wir haben eigentlich dann zusammen angefangen. Das merkt man ja alleine schon daran, dass ich seine Freundin war jahrelang. Er hat sich zwar schon an so Regeln gehalten, er hat keinen Alkohol getrunken, er hat gefastet, er hat auch gebetet, aber das war es irgendwie. Aber er hat sich damit nicht so auseinandergesetzt. Freundin und in die Diskotheken gehen, das war für ihn vollkommen vereinbar damit, da hat er sich jetzt nicht so Gedanken darüber gemacht.« (Lena/ IMAN)

Als viertwichtigste Einflussgröße wurde die Familie genannt. Insgesamt gaben 40% der Befragten an, dass die Familie einen positiven Einfluss auf die eigene Religion besitzt. Bei den Konvertierten spielt der Faktor Familie allerdings eine sehr unbedeutende Rolle. Lediglich 5,8% von ihnen gaben an, dass ihre Familie eine positive Auswirkung auf ihr religiöses Leben hat. In vielen Gesprächen mit Konvertierten wurde berichtet, dass das Verhältnis zu den Eltern schwierig war bzw. immer noch durch den Übertritt zum Islam belastet ist. In einem Fall wurde der Kontakt zu den Eltern vollständig abgebrochen. In einem anderen Beispiel besteht kein Kontakt zwischen dem Ehemann und den Eltern der befragten Muslima. Im Gegensatz dazu gaben 71,7% der nicht konvertierten Muslima an, dass ihre Eltern einen positiven Einfluss auf ihr Religionsverständnis besitzen. Ein Beispiel dafür ist Tasmina. Für sie ist der Vater sogar ein Vorbild, da er sich sehr kritisch mit den heiligen Schriften auseinandersetzt und sie zu einem reflektierten Umgang mit dem Koran erzogen hat: »Mein Vater ist ein großes Vorbild für mich. Aber mein Vater ist auch ein Modernist, könnte man so sagen. Er beschäftigt sich auch viel theoretisch mit dem Islam. Und er hat auch Meinungen, die bestimmt viele andere, konservative, Muslime nicht haben. Insofern ist er einfach ein Mensch, der sich viel auseinandersetzt, sehr kritisch ist. Was den Islam anbelangt ist er definitiv für mich ein absolutes Vorbild. [...] Aber es ist so, dass ich oftmals bestimmte Dinge ganz detailliert haben will, warum ist das so und das kann doch nicht sein, wenn wir jetzt über bestimmte Dinge sprechen, zum Beispiel, warum Frauen anders gesehen werden als Männer und so. Und dann möchte ich das auch wirklich bis ins Letzte diskutiert haben und das ist dann manchmal schon anstrengend. Und dann werd ich dann manchmal auch ein bisschen

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aggressiv, was heißt aggressiv, aber, aber mein Vater findet das gut, weil er sagt, dieses absolute Verstehen-wollen, das bringt dich dazu, dich weiterzuentwickeln. Mit ihm kann man das auch. Er ist nicht so einer, der dann sagt, ja so ist das dann halt, das haben wir schon immer so gemacht.« (Tasmina/ IMAN)

Der religiöse Einfluss der Familie zeigt sich auch in der religiösen Erziehung. Im Allgemeinen zeigt sich, dass die Muslima im Unterschied zu den Konvertierten religiöser erzogen wurden. Auf die Frage »Wie religiös sind Sie zu Hause erzogen worden?« zeigt sich folgende Verteilung. 59% der »Nicht-Konvertierten« gaben an religiös bzw. sehr religiös sozialisiert worden zu sein. Im Vergleich dazu sind es gerade 23% der Konvertierten. Auch wenn 41,8% angeben, dass die Eltern einen sehr positiven Einfluss auf die eigene Religion haben (vgl. Abbildung 15), äußern einige Interviewpartnerinnen Kritik am Erziehungsstil der Eltern: Während die Eltern bei einigen als Vorbild gelten (s. oben), wird bei anderen Interviewten die religiöse Erziehung häufig mit strikten Verboten in Verbindung gebracht. Bei Nilgül beispielsweise führten die unzähligen Verbote zu einer Konstruktion verschiedener Alltagswelten. Auf der einen Seite war es die Familie, die nach eigenen Vorgaben lebte und ihr religiös begründete Verbote auferlegte. Auf der anderen Seite gab es das nicht türkische soziale Umfeld. Hervorzuheben ist hierbei die Schule, wo ihre Mitschüler andere Erwartungen an Nilgül stellten. »Ich bin religiös erzogen worden. Irgendwann kam eine Phase, wo man so zurückgeworfen wird und irgendwo guckt man auch und vergleicht man auch. Irgendwann kam aber so eine Welle wieder zurück, wo ich dann meine Religion wieder für mich selbst gefunden habe. Irgendwann kommen halt die ganzen Verbote, du darfst nicht, du darfst nicht, du darfst nicht. Meine Eltern wollten uns auch irgendwo ein bisschen schützen vor der Gesellschaft. Du bist in der Schule, da hast du eine Gesellschaft, du kommst nach Hause und mit der Familie hast du eine ganz andere Gesellschaft – das heißt, ich war auch selber unterschiedlich. Ich habe einmal den Charakter in der Schule gehabt, dass ich total anders war und in der Familie wieder anders war. Ich glaube, irgendwann kam der Bruch, wo ich gesagt habe, hey, warum machst du das eigentlich. Ich fand das auch sehr gut, dass mein Vater mir auch irgendwann gesagt hat, es ist wichtig, dass du selbst zu dir findest.« (Nilgül/ IMAN)

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Abbildung 15: Religiöse Erziehung nach Konversion in %55 (n=131)

45

38,5

40 35 30

31,1 27,9 23,1

25

19,2

20 15 10 5 0

19,7 15,4

14,8 6,6

3,8

sehr religiös

religiös

Konvertierte

teils-teils

nicht religiös

gar nicht religiös

Nicht-Konvertierte

Quelle: Eigene Darstellung

An fünfter Stelle der positiven Einflussgrößen folgen andere Organisationen. 32% der Frauen gaben an, dass andere Organisationen einen starken Einfluss auf ihre Religiosität haben. Dabei wurden in den Interviews von einigen Muslima meist unabhängige Institutionen genannt wie z. B. die muslimische Jugend. Für Nilgül war der Besuch dieser entscheidend für ihre Identitätsfindung. Hier traf sie auf andere muslimische Jugendliche, welche sich mit den gleichen Themen beschäftigten wie sie selbst. Die Gespräche und das Zugehörigkeitsgefühl halfen ihr, ihre religiöse Identität zu leben: »Irgendwann kam eine Freundin mal und die ist zur muslimischen Jugend gegangen. Da bin ich dann mal mit. Das waren vier Tage, wo man mit anderen muslimischen Jugendlichen zusammen war und da konnte man halt über die Probleme reden. Das waren alles Jugendliche, die hier in Deutschland aufgewachsen sind. Man hat halt über die Probleme geredet und viele Parallelen gefunden. Die hatten auch sehr gute Vorträge gehabt. Diese vier Tage waren eigentlich schon so eine Art Schlüsselerleb-

55 Chi-Quadrat nach Pearson: 0,000/Cramer-V: 0,488.

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nis. Das hat mich dann richtig weg geschlagen, wo ich gesagt habe, okay, das ist wichtig. Es ist auch wichtig, dass man gerade als Jugendlicher irgendwo Halt findet, weil das wirklich schwer ist.« (Nilgül/ IMAN)

Auch Canan berichtet über positive Erfahrungen, die sie in der muslimischen Jugend sammelte. Auch hier waren das Gemeinschaftserlebnis und das Gefühl, Teil der Umma zu sein, von großer Bedeutung: »Und dann bin ich über eine Freundin zu einer Freizeit gekommen im Haus des Islam. [...] Das sind auf jeden Fall auch Muslime, die alles deutschsprachig anbieten und die haben auch eine Mädchenfreizeit angeboten und da bin ich mit meiner Freundin hingegangen und war dann das erste Mal mit so vielen Muslimen konfrontiert, die auch was mit dem Islam zu tun haben, das war mir vorher nicht bewusst. Ich dachte halt, das sind Mädchen und es wird bestimmt ganz lustig. Und da fing es dann an, dass ich mich auch damit auseinandergesetzt habe und auch gedacht habe, das ist genau das, was mir so gefehlt hat in meinem Leben. Ich habe mich dann ganz schnell innerhalb von 6 Wochen in den Sommerferien entschieden, dass das mein Ding ist, dass ich das mache.« (Canan/ IMAN)

Bezüglich der Variable »andere Organisationen« zeigt sich ebenso ein Unterschied zwischen Konvertierten und »Nicht-Konvertierten«. Während 23,2% der Konvertierten angaben, dass sie durch sonstige muslimische Organisationen positiv beeinflusst wurden, sind es 40% der »nicht-konvertierten« Muslima. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die Muslime, die nicht zum muslimischen Glauben übergetreten sind, schon in ihrer Jugend mit islamischen Organisationen in Kontakt gekommen sind, was bei den Konvertierten erst zu einem späteren Zeitpunkt stattgefunden haben könnte. Viele Konvertierte merkten in den Interviews zudem an, dass sie in den muslimischen Organisationen häufig auf Sprachbarrieren trafen (vgl. Kapitel 7.4.3). Ein positiver Einfluss des Koranunterrichts (Rang 6) wurde von 22,1% der Befragten bejaht. Wie auch bei den »anderen Organisationen«, der Familie und dem Partner zeigen sich auch hier Unterschiede zwischen Konvertierten und »Nicht-Konvertierten«. Während 13,5% der zum Islam übergetretenen Muslima den Koranunterricht als beeinflussende Größe angeben, sind es bei den »Nicht-Konvertierten« 28,3%. In den Gesprächen wurde kritisiert, dass der Koranunterricht in vielen Institutionen ausschließlich in

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arabischer Sprache gehalten wird. Außerdem wird beanstandet, dass der Fokus im Unterricht meist auf dem Auswendiglernen von Suren liegt und eine kritische Betrachtung von religiösen Texten kaum oder gar keine Berücksichtigung findet. Wiederum andere beurteilen die Koranlehrer, die meist aus muslimischen Ländern kommen und weder die deutsche Sprache, noch die Probleme der hier lebenden Gläubigen nachvollziehen können, sehr kritisch. Daher seien diese nicht kompetent, adäquate Ratschläge zu erteilen. Exemplarisch können zwei Interviewauszüge von Canan und Frau Schmidt-Barami angeführt werden, die genau diesen Aspekt anführen: »Also das machen die da, diese normalen Koranunterrichte, die stehen für mich außer Frage. Das sind keine Pädagogen, die ich meine, das sind irgendwelche Leute, die ihre Religion gelernt haben in ihrem Land und dann hierher kommen und keinen Plan davon haben, wie es hier so läuft, wie wir hier leben, wie unsere Kinder hier groß werden.« (Canan/ IMAN)

Auch Frau Schmidt-Barami kritisiert das fehlende Wissen der Koranlehrer über die deutsche Kultur, weshalb sie ihre Kinder nicht auf eine solche Schule schicken würden. »Nicht mehr. Früher als sie kleiner waren ja, aber jetzt nicht mehr. Jetzt gibt es auch kein Angebot, wo ich sagen würde das wäre interessant, wenn sie das mitkriegen würden. [...] Ich werde meine Kinder nicht in eine Koranschule schicken, wo sie lernen, du musst, du darfst – Himmel und Hölle, das Schwarz-Weiß-Denken.« (Schmidt-Barami/ HUDA)

Von allen Antwortvorgaben ist der positive Einfluss des Imam (Vorsteher der Moschee) am geringsten; er beträgt gerade mal 13,9%. Muslimische Institutionen, als deren Repräsentant der Imam auftritt, haben dabei auf die konvertierten Frauen einen noch geringeren Einfluss (7,7%). Demgegenüber ist der Anteil bei den nicht konvertierten Frauen mit 16,7% mehr als doppelt so hoch. Die Kritik am Imam ist mit der an den Organisationen oder am Koranunterricht zu vergleichen. Zusammenfassend kristallisieren sich zwei Aspekte besonders heraus: Erstens besitzen traditionelle Institutionen – sowohl als Körperschaft als auch repräsentiert durch ihre Vorsteher – einen geringen Einfluss auf das religiöse Empfinden der Befragten. Stattdessen kommt es hier zu einer

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starken Selbstaneignung des Religiösen durch das Individuum. Neben der autodidaktischen Komponente hat besonders das engere soziale Umfeld (Freunde, Ehepartner, Familie) einen großen Einfluss. Zweitens zeigt sich ein Unterschied zwischen den konvertierten und »nicht-konvertierten« Mitgliedern. Die Antworten der Konvertierten zeigen, dass sich die positiven Einflussfaktoren auf das Eigeninteresse (96,2%), Partner (69,2%) und Freunde (48,1%) beschränken lassen. Muslimische Institutionen spielen bei ihnen hingegen eine untergeordnete Rolle. Bei den nicht konvertierten Muslima zeigt sich ein anderes Bild. Durch ihre Sozialisation besitzen sie mehr Ressourcen, die ihre Religiosität positiv beeinflusst haben. Wichtig sind die Familie (71,1%), das persönliche Interesse (68,3%), der Frauenverein (68,3%), die Freunde (66,7%), andere muslimische Organisationen (40%) und der Partner (31,7%). Insgesamt konnte für den Abschnitt »Religiöse Praxis« gezeigt werden, dass religiöse Vorgaben sehr ernst genommen werden. Besonders die Interdikte (Schweinfleisch- und Alkoholverbot) werden von einem sehr großen Teil eingehalten. Das Antwortverhalten führt hier zu einer U-Verteilung, d. h. es existieren zwei Pole: Einen Teil, der sich strikt an die Verbote hält und einen, der dies nicht tut. Zwischenwege werden fast überhaupt nicht gewählt. Bei den Geboten, den vier der fünf Säulen, kommt es zu einer rechtsschiefen Verteilung. Ein sehr großer Anteil hält sich an das Fasten, an die Almosenabgabe (»Zakat–ul–Fitr«), das fünfmalige Beten und die Pilgerfahrt nach Mekka. Anders als bei den Verboten existieren hier mehr Personen, die diese religiösen Gebote unregelmäßig ausüben. Dafür ist die Gruppe derjenigen, welche die Gebote gar nicht umsetzen, sehr klein. Das fünfmalige Beten und auch die Pilgerfahrt werden am wenigsten streng befolgt. Auch der Moscheenbesuch stößt bei einer großen Zahl der Frauen auf ein eher geringes Interesse. Es scheint eine Art Selbstaneignung und ausübung des Islam vorzuherrschen, welche lieber unabhängig von traditionellen Institutionen praktiziert wird. Das Kopftuch wird von 60% der Frauen in der Öffentlichkeit getragen. Hier kommt es – wie beim Schweinefleisch- und Alkoholverbot – zu einer u-förmigen Verteilung. Die Entscheidung für das Kopftuch ist ein schwerer und langwieriger Prozess. Dieser kann als sehr durchdacht charakterisiert werden: Es werden Vor- und Nachteile abgewogen. Wichtig ist hierbei die Freiwilligkeit der Entscheidung. Die Gründe für das Kopftuch sind meist religiöse, aber auch das Provozieren der Öffentlichkeit wird von einzelnen

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Frauen als Grund geäußert. Bedeutsam ist, dass eindimensionale Erklärungen fast nie herangezogen werden, vielmehr werden die Argumente miteinander verzahnt und können sich je nach Sachlage wandeln.

7.5 D ISKRIMINIERUNG

UND

S TIGMATISIERUNG

7.5.1 Medien und wahrgenommene Diskriminierung Die Studie des »Deutsch-Islamischen Instituts für wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit« sowie diejenigen der Autoren Kai Hafez (2002), Sabine Schiffer (2004) oder Reza Yousefi (2005) deuten darauf hin, dass europäische bzw. deutsche Medien ein sehr einseitiges Bild des Islams als aggressive und feindselige Religion vermitteln (vgl. Kapitel 3.1). Hafez vermeidet es zudem, in diesem Kontext lediglich von »Einzelfällen« zu sprechen, da sich der Negativismus in der Berichterstattung durch einen großen Teil der deutschen Presselandschaft zu ziehen scheint (vgl. Hafez 1996: 432). Terrorismus, Islamismus und die kopftuchtragende Muslima werden häufig als Illustration für eine angeblich aggressive und frauenfeindliche Ausrichtung des Islam herangezogen. Besonders Frauen scheinen durch die Religion zur Unmündigkeit verdammt. Emanzipation und Empowerment von muslimischen Frauen spielen in der Berichterstattung eine eher untergeordnete Rolle (vgl. Schiffer 2005: 85). Dagegen stieg besonders nach dem 11. September 2001 die Anzahl der Berichte über islamischen Terrorismus an. In manchen Berichten wurde sogar eine direkte kausale Verknüpfung zwischen Islam und terroristischen Anschlägen behauptet (vgl. Deutsch-Islamisches Institut 2001). Der größte Teil der Medienberichterstattung verbreitet demnach ein negatives Bild von Muslimen, das mit Verallgemeinerungen und Stereotypisierung einhergeht. Auch wenn die diesbezüglich ausgewerteten Studien in Kapitel 3.1 deutlich auf dieses Phänomen hinweisen, ist es von ebenso großer Relevanz, die Betroffenen selbst zu ihrer Wahrnehmung der Medienberichterstattung zu befragen. Es stellt sich hier die Frage, ob die Studien über die Medienberichterstattung und deren Wahrnehmung kohärent sind. Daran anschließend kann die Frage gestellt werden, welche Auswirkungen die Medienberichte auf das Verhalten der Frauen besitzen.

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Wie Abbildung 16 zeigt, scheint die Medienwahrnehmung der befragten Muslima mit den Ergebnissen der in Kapitel 3.1 vorgestellten Studien überein zu stimmen. Im Allgemeinen empfinden die Frauen die Darstellung des Islams in den Medien als sehr einseitig: 83,5% stimmen der Aussage zu, dass über andere Religionen besser berichtet wird als über den Islam. Wie nehmen nun die Frauen die Berichterstattung bezüglich des islamischen Terrorismus wahr? In diesem Zusammenhang sollten die Probandinnen Stellung zu der Aussage »Der Islam wird häufig mit dem Terrorismus gleichgesetzt« beziehen; die Zustimmung betrug 93%. Abbildung 16: Subjektive Wahrnehmung des Islambilds in den Medien in %

100

93

90 80 70 60

90,6

89,1

83,5

50 40 30 20 10 0

Der Islam wird häufig mit Terrorismus gleichgesetzt (n=129)

Die muslimische Der Islam wird Über andere Frau wird in den immer als Religionen wird Medien immer Feindbild des besser berichtet als unterdrückte Westens als über den Frau dargestellt dargestellt Islam (n=127) (n=128) (n=127)

Quelle: eigene Darstellung

Auch in den qualitativen Interviews wird deutlich, dass die Befragten eine solche kausale Verknüpfung zwischen Islam und Terrorismus in den Medien kritisieren. Übereinstimmend berichten die Interviewpartnerinnen, dass die Medienberichterstattung überwiegend negativ, einseitig und polarisierend sei und sie dies als herabwürdigend und beleidigend empfinden. Nilgül empfindet die Darstellung des Islam in den Medien als Entwertung

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ihres religiösen Kapitals und fühlt sich dieser hilflos ausgeliefert. Während sie anfangs noch versuchte, sich aktiv damit auseinanderzusetzen, resigniert sie später: »In den Medien ist es eigentlich immer wieder eine Beleidigung. Ich habe mir früher oft Diskussionsrunden angeschaut und habe versucht mich da auch so weit wie möglich reinzuhaken. Irgendwann hab ich mich dann zurückgezogen, weil mich das einfach immer wieder irgendwo verletzt hat. Weil es nicht das war, was eigentlich der Islam ist. Der Islam heißt selber Frieden und die vergleichen das nur mit Terrorismus und so und bringen es auf denselben Stand. Da habe ich mich irgendwann zurückgezogen.« (Nilgül/ IMAN)

Die Türkin Sevil geht einen Schritt weiter und sieht in der Berichterstattung eine Art Medienhetze. Sie kritisiert die Gleichsetzung von Islam und Terrorismus, was die Arbeit der Vereine für mehr Gleichberechtigung erschwert, da diese Art von Medienberichterstattung Ressentiment erzeugt: »Im Moment sehr unsachgemäß und auch als eine Art Medienhetze würde ich es durchaus beschreiben. Wenn sich von sechs Nachrichten fünf damit beschäftigen, dass Muslime Terroristen seien, in welchen Zusammenhängen auch immer, das ist eine unsachgemäße Berichterstattung. Die führt dazu, dass in Deutschland eine Angst und Panik gegen den Islam auftritt und das erschwert uns die Arbeit, weil alles, was wir aufgebaut haben und das Miteinander sowie die Verständigung untereinander, werden dadurch einfach kaputt gemacht.« (Sevil/ ZIF)

Die befragten Frauen empfinden die Darstellung des Islams als gewaltsame Religion in den Medien nicht nur als Entwürdigung ihrer Religion und als verletzend. Viele machen darüber hinaus darauf aufmerksam, dass diese Vorurteile seitens der deutschen Bevölkerung schürt, die zu Diskriminierungen und Exklusion führen. Die Türkin Frau Öztürk weist darauf hin, dass sich die Situation für Muslime geändert habe, was sie selbst an ihren Arbeitsplatz erfahren musste. Arbeitskollegen, die dem Islam früher positiv gegenüber standen, wurden durch die Medien negativ beeinflusst: »Das Leben für die Muslime in Deutschland hat sich in den letzten Jahren verschärft. [...] Dadurch, dass bekannt wird, dass sie Muslime sind, bestimmte Fragen gestellt werden, bestimmte Bemerkungen gemacht werden oder sogar Anfeindungen

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT |

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gemacht werden. Viele Leute spüren dann, es ist hier härter geworden, das Leben. Lebensalltag, Berufsalltag, Schulalltag, das wirkt sich ja überall aus, was in den Medien für ein Bild verkörpert wird und es wird immer schwieriger. Ich merke das in meinem eigenen beruflichen Umfeld, auch Kollegen die sehr tolerant waren, dass das bei denen das Bild auch verändert hat. Die sonst eher kritisch gegenüber dieser ganzen Geschichte waren, bei denen wandelt sich das langsam auch.« (Öztürk/ ZIF)

Auch die Konvertierte Frau Hilgert kritisiert die Berichterstattung als einseitig und entwürdigend, insbesondere, da religiöse Handlungen als aggressiv sowie demokratiefeindlich dargestellt würden. Dies erwecke den Anschein, dass der Islam nicht mit Werten der Verfassung in Einklang stehe. Gerade die Gleichsetzung von Islam und Islamismus führe dazu, dass diese Religion von Teilen der deutschen Gesellschaft abgelehnt werde. »Es ist ja auch so, jeder Mensch liest oder sieht fern und es wird immer in letzter Zeit von Islamisten berichtet. Für die anderen Menschen sind die Muslime sehr nah bei den Terroristen – egal jetzt wer. Ich finde die Medien übernehmen keine Verantwortung, die Politiker übrigens auch nicht. Der ganze Tenor ist so diffamierend und so einseitig negativ, dass wir uns nicht wundern müssen, wenn Jugendliche auf die Idee kommen und meinen gegen die darf man einfach vorgehen, die sind ja auch jenseits von allem. In der Rundschau war so ein Artikel als das mit dem Kopftuchurteil war, da stand dann drin, äußere Erscheinungen können interpretiert werden oder erwecken den Eindruck der Träger oder die Trägerin sei gegen die Menschenrechte und gegen die Demokratie und all diese Dinge. Das hat mich so verletzt. Das heißt jeder auf der Straße darf mich jetzt angreifen, weil ich ja gegen Menschenrechte bin? Ich meine, als Deutscher würde ich auch gegen jeden kämpfen der gegen die Menschenrechte ist. So, jetzt bin ich aber selber plakatiert dadurch, dass ich ein Kopftuch trage und das heißt, dass ich gegen die Menschenrechte bin. Und jeder der mir gegenüber feindselig ist, der ist eigentlich im Recht.« (Hilgert/ anonymer Verein)

In seinem Buch »Muslime im säkularen Rechtsstaat« geht der Autor Heiner Bielefeldt der Frage nach, inwieweit der Islam mit westlichen Werten vereinbar ist (vgl. Bielefeldt 2003). Vor diesem Hintergrund wurden die Frauen in der vorliegenden Untersuchung gefragt, wie sie die diesbezügliche Medienberichterstattung wahrnehmen. 89,1% der Frauen sind der Ansicht, dass die Medien ein Bild des Islam als Religion vermitteln, die westlichen

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Werten wie beispielsweise Freiheit, Gleichheit und Menschenrechten widerspricht und somit demokratie- und verfassungsfeindlich ist. In den qualitativen Interviews wiesen Vorstandsmitglieder darauf hin, dass diese angebliche Inkompatibilität Auswirkungen auf die interreligiöse Vereinsarbeit mit anderen Organisationen besitzt. Sie berichten von Widerständen und Misstrauen, die sie zum Teil auch auf die einseitige Medienberichterstattung zurückführen: »Also das ist jetzt meine Erfahrung im interreligiösen Dialog und meine Erfahrung mit Menschen. Ich versuche ja auf theologischer Ebene den Islam darzustellen. Und da habe ich dann immer wieder damit zu kämpfen, dass sie sagen: Das ist toll, schön, aber das ist nicht der Islam. Das heißt, vom Islam haben die Menschen nur ein Bild im Kopf. Menschen, die dann losziehen und die ganze Welt islamisieren wollen. Und das beeinflusst sehr stark den interreligiösen Dialog in den letzten Jahren – negativ. Wenn ich dann immer wieder höre: »Ja das ist ja toll was sie sagen, aber das ist nicht der Islam.« Dann sage ich: »Ja aber ich lebe danach. Oder die Frauen bei HUDA leben auch danach. Und ich habe genug Leute, mit denen ich dann arbeite, mit denen ich im Kontakt bin, die leben auch danach. Ich bin nicht eine Person auf einer einsamen Insel.« Das ist auch eine Seite vom Islam, die man auch bitte wahrnehmen sollte.« (Mitraa/ HUDA)

Die als negativ empfundene Berichterstattung beeinflusst auch den privaten Bereich der hier untersuchten Muslima. Frau Mayer beispielsweise sieht die Darstellung des Islam in den Medien als so negativ an, dass sie ihre muslimische Identität in der Öffentlichkeit ungern zu erkennen geben möchte, da sie negative Konsequenzen befürchtet. Um Stereotypisierungen zu entgehen, gibt sie ihre muslimische Religionszugehörigkeit z. B. im Reisepass nicht an: »Es gibt zwar mittlerweile so circa, die öffentlichen Statistiken sprechen meines Wissens von so um die hunderttausend konvertierten Muslimen, wir sind jedoch in keiner Statistik erfasst. Ich muss ja nirgendwo meine Religionszugehörigkeit angeben. Wenn ich mir einen Pass machen lasse, kann ich das Thema Religion freilassen. Ich gebe in der Regel nicht an, dass ich Muslima bin, weil das Bild des Islams in der Öffentlichkeit zu schlecht ist. Und ich möchte einfach nicht in irgendeine Schublade gesteckt werden. Ich muss keine islamische Steuer bezahlen, insofern ist das nicht notwendig. Wenn es nicht notwendig ist, muss ich das nicht nach außen »brüllen«,

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dass ich ein Muslima bin. Sonst habe ich eines Tages noch irgendwelche Briefbomben im Briefkasten oder ähnliches.« (Mayer/ HUDA)

Neben der Gleichsetzung von Islam und Terrorismus kritisieren Hafez (1996) und Schiffer (2004) in ihren Studien die einseitige Darstellung der Muslima als unterdrückte Frau. Besonders das Kopftuch wird in den Medien als Symbol der Unterdrückung herangezogen. Es zeigt sich auch diesbezüglich eine Parallele zwischen den Ergebnissen der Studien von Hafez und Schiffer und den Wahrnehmungen der hier befragten Frauen. Ein großer Teil der Vereinsmitglieder (90,6%) ist der Ansicht, dass über die muslimischen Frauen immer als unterdrückte Wesen berichtet wird (vgl. Abbildung 16). Viele der Interviewten sehen hier eine Stereotypisierung und damit auch eine Verzerrung der Realität, die sich auf die Wahrnehmung ihres sozialen Umfeldes auswirkt und die Frauen häufig in eine Verteidigungshaltung zwingt, wie die Türkin Adila in dem folgendem Interviewauszug präzisiert: »Ja, das ist genau das, was die Medien halt so schüren, ja, dass die armen dummen Frauen mit dem Kopftuch, die alle unterdrückt werden von ihren Männern und tralala, das ist das halt. Und das wird so verbreitet und das glaubt auch jeder. Also ich mein, wenn ich mich mit den Leuten auf der Straße unterhalte und die hören dann, dass ich ganz anders lebe, die sind dann immer total verdutzt und ich find das so schlimm, weil ich bin hier aufgewachsen und ich leb ja hier unter den Leuten und dass es dann immer noch so wenige Leute gibt, die wissen, dass wir nicht unterdrückt werden. Und ich mein, wenn mir jemand sagen würde, ich soll das ausziehen, dann würde ich mich unterdrückt fühlen. Und so hab ich meine eigene Entscheidung getroffen, die nichts mit meinem Vater und meiner Mutter zu tun hat.« (Adila/ IMAN)

Die befragten Frauen wie auch die Vereine fühlen sich mit ihrem Engagement weder wahrgenommen, noch entsprechend gewürdigt, obwohl sie ein Gegenmodell zur weit verbreiteten Annahme der unterdrückten, in einer Parallelgesellschaft lebenden Muslima darstellen. Sie wünschen sich eine mediale Berichterstattung, in der religiöse, emanzipierte Frauen stärker zu Wort kommen, die sich gegen androzentrische Strukturen zur Wehr setzen. Beispielsweise kritisiert Adila, dass zu Talkshows, Diskussionsrunden etc. selten kompetente weibliche Vertreter des Islams eingeladen werden.

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»Also, das wird echt nur noch geschürt und Mist erzählt und die Leute, die interviewt werden, haben überhaupt keine Ahnung und die stehen auch gar nicht hinter ihrem Glauben und ich find´ s einfach nur traurig, also echt. [...] Also, es gibt ganz wenige Vertreter der Muslime, die eingeladen werden, die auch kompetent sind, das ist meine Meinung. Also ganz selten ist echt mal jemand dabei, der halt Ahnung hat und der sich auch auszudrücken weiß, aber so meistens, wie gesagt, ich kann´ s mir schon gar nicht mehr angucken. [...] Wenn sie dann mal jemanden von den Frauen einladen, dann ist das nicht mehr das, was ich kenne. Ich kenn ja jetzt durch das Frauenzentrum und auch so durch mein ganzes Umfeld gebildete muslimische Mädchen, die halt echt ihren Weg gehen und so in den Medien, da ist das echt noch so das Alte. Die Frauen, die sich keine Gedanken machen, die das halt leben, weil sie´ s leben müssen, weil sie da ´reingewachsen sind oder so und das ist für mich gar nicht mehr aktuell.« (Adila/ IMAN)

Frau Mayer beanstandet, ähnlich wie Adila, dass im Fernsehen meist nur zwei Arten von Muslime zu Wort kommen: Zum einen Vertreter konservativer Strömungen und zum anderen sehr liberale Personen, für die Religion keine Rolle spielt. Frauen, die Religion und Emanzipation miteinander verbinden, sieht sie in den Medien nicht vertreten. »Leute, die Muslime sind und auf ihren Glauben großen Wert legen, aber dazu noch eine logische und vernunftorientierte Denkweise haben, werden ignoriert. Es werden entweder solche Muslime eingeladen, die nicht bereit sind, über den Tellerrand zu gucken oder total liberale Leute, die eigentlich nur noch Kulturmuslime sind, die den Koran eigentlich gar nicht mehr leben. Leute, die aber vernünftig und religiös sind, werden einfach nicht gehört.« (Mayer/ HUDA)

Einige Interviewpartnerinnen äußern die Vermutung, dass die Berichterstattung durch die Medien bewusst einseitig und negativ gestaltet wird. Ihrer Ansicht nach besteht die Intention, Klischees zu bedienen bzw. den Islam als Feindbild aufzubauen. Mit diesen Beweggründen erklären sich die befragten Muslima auch die oben bemängelte Tatsache, dass öffentlich fast nie fachkundige Personen oder Vertreterinnen muslimischer Frauenvereine zu Wort kommen, die das vorherrschende Bild vom Islam bzw. der Frau im Islam relativieren könnten. Exemplarisch für diese Ansicht steht beispielsweise Tasmina.

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»Ja. Und die Muslime als Terroristen darzustellen und als nicht integrationsfähig, westen-feindlich und demokratiefeindlich, das ist natürlich – klar, da bedienst du dieses Feindbild und schürst es einfach. So bleibt das dann auch bestehen. Da hat man dann irgend so einen Buhmann und das sind die Muslime momentan.« (Tasmina/ IMAN)

Obwohl sie die Medien kritisieren, ist den interviewten Muslima durchaus bewusst, dass eine Unterdrückung von Frauen durch muslimische Verbote existiert. Im Blickpunkt stehen hier vor allem die traditionellen, konservativen Institutionen und auch die erste Generation von Migranten. Entsprechende Missstände werden speziell in der eigenen Vereinsarbeit wahrgenommen. Daher empfinden die Befragten eine kritische Berichterstattung als angemessen und wichtig, solange keine Generalisierung auf den Islam als Religion stattfindet. Praktiken der Frauenunterdrückung seien vielmehr auf falsche Auslegungen von Normen und Vorschriften zurückzuführen. Diese seien durch kulturelle Eigenheiten überformt und damit nicht mehr im eigentlichen Sinn als originär muslimisch zu bezeichnen. Für Fatima ist es speziell die ältere Generation, die diese androzentrischen Werte vertritt und damit den Islam in schlechte Bild rückt. »Aber ich denke es liegt auch an den Muslimen selbst, dadurch, dass es immer noch diese ältere Generation gibt, die mit traditionellen Einflüssen, traditionellem Denken zu sehr verknüpft ist und zu sehr nach dieser Tradition handelt und nicht nach dem Islam. Dadurch entsteht dieses negative Bild und dadurch können die sich auch nicht richtig repräsentieren. Dadurch repräsentieren sie nur: Okay ich zwinge meine Tochter, den und den zu heiraten, ich erlaube meiner Tochter nicht, das und das zu tun und so entsteht dieses negative Bild. Und durch die ganzen Anschläge und so.« (Fatima/ IMAN)

Aber nicht nur die ältere Generation wird kritisiert, sondern ebenso das Verhalten junger Muslime. Die Marokkanerin Saime thematisiert im Interview beispielsweise, dass sie häufig mit jungen Migranten aus islamisch geprägten Ländern konfrontiert wird, die durch schlechtes Benehmen in der Öffentlichkeit auffallen. Ihrer Ansicht nach wirft dies ein negatives Bild auf den Islam, da ein Fehlverhalten entsprechender Migranten in der öffentlichen Sicht auf die Religion zurückgeführt wird.

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»Aber wir Muslime sind ja eigentlich unser Problem. Wenn jeder Ali oder Mehmet sich da hinstellt und sagt, bei uns im Islam ist das so und so, selber aber keine Ahnung davon hat, dann geschieht uns das Recht. Wenn ich im Bus fahre und die ganzen Halbstarken da ´rumgröhlen höre, dann krieg ich die Krise. Und die meisten sind Araber, Marokkaner, Türken und sagen: »Ich bin Moslem. « Meistens sag ich dann was. »Sie haben mir gar nichts zu sagen«, hat ein Mädchen zu mir gesagt. »Du meinst du bist Muslima. Und ich habe sehr wohl die Aufgabe dir zu sagen, du benimmst dich unmöglich.« Da werde ich stocksauer. Die zeigt einem den Finger. So einem Typen der da vorbeifährt. Erst macht sie den an: »Ey du, fahr hier nicht so nah ran. « So ganz dämlich. Auch noch ein Tuch. Wenn sie wenigsten keins hätte. Da kriegst du die Krise. Da hab ich gesagt, »Nimm dein Tuch ab. Denkt jeder du bist Muslima und benimmst dich wie der letzte Assi.«« (Saime/ anonymer Verein)

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Frauen die Medienberichterstattung generell als sehr negativ und zum großen Teil als stigmatisierend wahrnehmen. Sie empfinden die Darstellung ihrer Religion als zu einseitig und kritisieren die Gleichsetzung des Islam mit Aspekten wie Terrorismus, Frauenunterdrückung und Krieg. Konkret wünschen sie sich, dass auch die positiven Seiten ihrer Religion häufiger in den Medien berücksichtigt werden. Für die Frauen ist es von besonderer Wichtigkeit, dass auch ein anderes Bild der muslimischen Frau vermittelt wird, ohne gleichzeitig kritische Aspekte zu verharmlosen. Einige Muslima machen zudem deutlich, dass die vorherrschende Art der Berichterstattung für sie reale Konsequenzen für ihre Arbeit und ihr Alltagsleben besitzen. Derartige Stigmatisierungserfahrungen werden im nächsten Kapitel nochmals deutlich herausgearbeitet. 7.5.2 Subjektive Diskriminierungserfahrung im Alltag Wie Elias und Scotson in ihrer Studie in Winston Parva über EtabliertenAußenseiter festgestellt haben, kam es durch den Zuzug von Fremden in einen englischen Vorort zu einer Aufwertung des »Eigenen« und »Abwertung« des Fremden. In dem kleinen, von Industriearbeiten bewohnten Dorf herrschte eine Machthierarchie sowie ein Gruppenzwang vor, die zum einen monopolisiert und zum anderen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wurden (vgl. Elias/ Scotson 1990: 241ff). Die neuen Arbeiterfamilien, die sich in ihrer sozialen Schichtung kaum von der der Altein-

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gesessenen unterschieden, wurden stigmatisiert. Auch der Kontakt zu ihnen wurde mit Machtverlust sanktioniert (vgl. Elias/ Scotson 1990: 238). Wie Elias und Scotson zeigen konnten, handelt es sich bei Stigmatisierung nicht um eine objektive, sondern um eine subjektive Zuschreibung, die auf Relationen innerhalb sozialer Strukturen basiert und die eine, von der allgemein definierten Norm abweichende Eigenschaft beschreibt (vgl. Goffman 1975: 13). Ein Stigma führt im Allgemeinen dazu, dass ein Individuum oder eine Gruppe marginalisiert oder exkludiert wird und ihr die volle soziale Akzeptanz verwehrt bleibt.56 Konsequenz ist die Akzeptanz der Entwertung der eigenen Identität durch den Stigmatisierten. Nach Goffman können drei Stigmatypen unterschieden werden: Unter die erste Gruppe fallen Individuen oder Gruppen, die durch rein äußerliche Missbildungen erkennbar sind. Als zweiten Typ identifiziert Goffman »charakterliche Defizite« und psychische Probleme (z.B. Drogensucht und Depression). Der letzte und für diese Studie relevante Typ ist der des phylogenetischen Stigmas. Darunter fallen nach Goffman Rasse sowie ethnische und religiöse Zugehörigkeit (vgl. Goffman 1975: 13f). Vor diesem Hintergrund, wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich Muslime durch ihre religiöse, und von vielen als fremd empfundene Identität stigmatisiert und sozial exkludiert fühlen. Studien zu Diskriminierung und Stigmatisierung zeigen folgendes Bild: Wetzels und Brettfeld stellen in ihrer Studie fest, dass etwa ein Drittel (34,5%) der befragten Muslime Diskriminierungserlebnissen im Alltag ausgesetzt waren. 22,6% berichteten über leichte und 20,9% über mittelgradige Diskriminierungserfahrungen. Von schweren (18,6%) bzw. sehr schweren (3,5%) Diskriminierungserlebnissen berichteten 22,1% (vgl. Brettfeld/ Wetzels 2007: 106). Auch Meng (vgl. Meng 2004) stellt in seiner Studie fest, dass besonders Muslime, die ihre Religion im öffentlichen Raum zeigen, häufiger Diskriminierungserlebnissen ausgesetzt sind als Muslime, die ihre Religion im Privaten ausleben. Im nächsten Abschnitt wird der Frage nachgegangen, welchen Stigmatisierungen die hier befragten Muslima, die sich überwiegend als sehr gläubig bezeichnen, ausgesetzt waren? Um dieses Phänomen adäquat abbilden zu können, wurde nach ihren Stigmatisierungserfahrungen in den Katego-

56 In dieser Arbeit wird nicht zwischen Stigmatisierung und Diskriminierung unterschieden.

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rien Geschlecht, soziale Herkunft, ethnische Herkunft, äußere Erscheinung, Alter und Religion gefragt.57 Abbildung 17: Subjektive Diskriminierungserfahrung nach ausgewählten Merkmalen in % (»sehr oft«/ »oft«)

46,2

Religion (n=130)

44,5

Äußere Erscheinung (n=126) 27,8

Ethnische Herkunft (n=119) 20

Geschlecht (n=125)

19,1

50

40

30

20

Soziale Herkunft (n=126) 7,2

Alter (n=126)

6,7

Sonstiges (n=7)

10

0

Quelle: eigene Darstellung

Wie die Abbildung 17 zeigt, fühlen sich 46,2% der Befragten aufgrund ihrer Religion »sehr oft« oder »oft« benachteiligt. Ein ähnliches Ergebnis (44,5%) zeigt sich auch in der Kategorie »äußere Erscheinung«. Speziell kopftuchtragende Frauen sind Stigmatisierungen ausgesetzt (vgl. hierzu auch Kapitel 7.4.3). Wiederum 27,8% gaben an, aufgrund ihrer ethnischen Herkunft »sehr oft/ oft« stigmatisiert worden zu sein; 20% gaben an, dass das Geschlecht der Anlass für eine Stigmatisierung war. Geschlecht liegt als Grund für Diskriminierungen noch vor der sozialen Herkunft mit 19,1%. 7,2% fühlten sich aufgrund ihres Alters diskriminiert, was damit zusammenhängen könnte, dass die befragten Personen relativ jung sind. Um ein genaueres Bild über die Stigmatisierungserfahrungen zeichnen zu können, wurde nach dem Ort gefragt, an dem die Diskriminierung stattfand. In der Abbildung 18 wird erkennbar, dass 76,9% der Befragten im öf-

57 Hierbei handelt es sich um subjektive Bewertungen, die nicht unbedingt auf tatsächlichen Tatbeständen beruhen müssen. Jedoch ist zu beachten, dass gerade empfundene Diskriminierungen reale Konsequenzen nach sich ziehen können.

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fentlichen Raum Stigmatisierung ausgesetzt waren, gefolgt von der Kategorie »Jobsuche« mit ca. 58,7%. Abbildung 18: Ort der subjektiv empfundenen Diskriminierung in % (Mehrfachnennungen)

100

80

60

40

20

0 Öffentlichkeit

76,9

Jobsuche

58,7

Staatliche Behörden

52,1

Wohnungssuche

47,9

Beruf/Schule/Universität

44,6 20,7 16,5 15,7

Moschee Christliche Organisation Muslimische Organisation

Quelle: eigene Darstellung

In den qualitativen Interviews wiesen die Frauen sehr häufig auf das Einstellungshindernis »Kopftuch« hin. Beispielsweise berichtet Hibba von einem Bewerbungsgespräch, in dem ihr deutlich mitgeteilt wurde, dass das Tragen eines Kopftuchs während der beruflichen Tätigkeit nicht erwünscht sei. Als Grund wurde der direkte Kundenkontakt genannt, bei dem das Kopftuch von den Kunden mit negativ besetzten Attributen assoziiert werden könnte. »Ich hab mich auch schon mal für einen anderen Job beworben und dann haben die mir ganz klar gesagt, also mit Kopftuch, was stellst du dir eigentlich vor, unsere

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Kundschaft sind Versicherungen und Banken und so weiter, für die hätten wir gearbeitet und das geht halt mit dem Kopftuch nicht.« (Hibba/ IMAN)

Von einem ähnlichen Beispiel berichtet auch die Nilgül. In ihrem Fall waren die Arbeitgeber von den Noten und der Persönlichkeit sehr angetan, allerdings war auch hier das Kopftuch ein Einstellungshindernis: »Dass die Leute zum Beispiel sagen, ja, ihre Zeugnisse sind gut und wir finden Sie als Persönlichkeit auch ganz gut, aber ihr Kopftuch ist halt ein Problem. Wenn Sie es abnehmen würden, würden wir Sie auch gerne einstellen. Ich meine, das ist auch eine Beleidigung für mich. Da muss ich dann auch sagen, ich habe meine Bewerbungsunterlagen schon mit Kopftuch geschickt, was erwarten die denn? Dass das ein Spielzeug ist?« (Nilgül/ IMAN)

52,1% der Frauen gaben an in staatlichen Stellen Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt gewesen zu sein (Rang: 3). Bezüglich der Wohnungssuche gaben 47,9% an, bereits schlechte Erfahrungen gesammelt zu haben. Canan schildert in diesem Zusammenhang, dass sich die Suche nach einem Vereinsheim für das IMAN besonders schwierig gestaltete. Viele Vermieter hatten Vorbehalte und wollten gewerbliche Räume nicht an religiöse kopftuchtragende Frauen vermieten. Dies führte soweit, dass die Frauen einen Makler einschalten mussten, der die Wohnungssuche übernahm: »Ich glaube wir haben ein ganzes Jahr gesucht. Das war unheimlich schwierig, denn wir haben ja gewerbliche Räume gesucht und sobald die uns gesehen haben, haben sie gefragt, wofür wir die Räume bräuchten und ob wir dann alle mit Kopftuch seien und so und nur Frauen und dann hieß es: »Nee, danke.« Es war unheimlich schwierig. Also am Ende waren wir so verzweifelt, dass wir gesagt haben: O. k., wir machen es über einen Makler, der soll uns was organisieren, aber auch das war echt ein Ding der Unmöglichkeit. Sobald die uns gesehen haben war direkt Schicht, weil die dann Angst hatten unterwandert zu werden oder was weiß ich.« (Canan/ IMAN)

44,6% der Frauen gaben an am Arbeitsplatz, in der Schule oder an der Universität Diskriminierungen ausgesetzt gewesen zu sein. Beispielsweise berichtet Nilgül von einer Diskussion mit einem Kollegen aus einem Weiterbildungskurs, der davon ausging, dass sie das Kopftuch auf Druck ihres Mannes trug und selbst nicht fähig war zu entscheiden:

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»Das ist genau das, dass sie ihre Vorurteile haben […] zum Beispiel auch letztens: Ich mache zurzeit einen Weiterbildungskurs und da ist ein älterer deutscher Mann im Kurs. Wir sind gemeinsam in der Mittagspause raus spazieren gegangen und da meinte er: »Ja, hat dir dein Mann oder dein Vater dein Kopftuch aufgezwungen. « Und da habe ich gesagt: »Ja.« Ich hab gesagt: »Er schlägt mich auch und so.« Da hat er gelacht und gesagt: »Ich glaub Ihnen das nicht.« Hab ich gesagt: »Warum stellen Sie dann die Frage?« Ich denke mir immer, diese Vorurteile kommen daher, weil die uns Frauen eigentlich noch nicht so kennen. Die wissen auch gar nicht, warum wir eigentlich das Kopftuch tragen.« (Nilgül/ IMAN)

Interessanterweise erstreckt sich die Diskriminierungserfahrung auch auf die Institutionen der eigene Religionsgemeinschaft: 20,7% der Frauen gaben die Moschee als Ort an, an dem sie sie sich nicht gleichberechtigt behandelt fühlen. Kritisiert wird vor allem, dass sie aus Führungspositionen ausgeschlossen werden und damit kaum Gestaltungsmacht besitzen. Ferner beanstanden sie, dass Frauenthemen nicht auf der Agenda stehen und die Rechte der Frauen von Führungspersonen innerhalb von Moscheen nicht adäquat vertreten werden. Im Vergleich dazu fühlen sich 16,5% der Frauen von christlichen Organisationen benachteiligt. Dass dieser Wert so gering ausfällt, hat damit zu tun, dass viele Muslime kaum Kontakt mit christlichen Organisationen besitzen. Auf Vereinsebene zeigt sich aber, dass es in vielen Fällen zu einem fairen und gleichberechtigten Austausch kommt. Am wenigsten diskriminiert fühlen sich die Muslima in anderen muslimischen Organisationen (15,7%). Im nächsten Schritt soll der Frage nachgegangen werden, welche Gründe für Diskriminierung an welchen Orten am stärksten zum Vorschein getreten sind. Die folgende Kreuztabelle ergibt folgendes Bild (vgl. Tabelle 11): Das Gefühl, wegen seiner Religion stigmatisiert worden zu sein, findet sich in allen der ortsbezogenen Kategorien wieder, besonders aber in den Kategorien »christliche Gemeinde« (65%), »Beruf/ Schule/ Universität« (64,8%), »muslimische Organisationen« (63,2%), »Öffentlichkeit« (60,9%) und »Jobsuche« (57,7%). Hingegen spielt die äußere Escheinung besonders in den Bereichen »Wohnungssuche« (61,4%), »Beruf/ Schule/ Universität« (60,4%), in der »Öffentlichkeit« (60,9%), »Moschee« (60%) und bei der »Jobsuche« (57,1%) eine bedeutende Rolle. Das Stigma der ethnischen Herkunft kommt speziell in den Bereichen »Beruf/ Schule/ Universität« (51%) und »muslimische Organisationen« (47,1%) zum Tragen.

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Das Geschlecht spielt hinsichtlich eigener Diskriminierungserfahrungen besonders in religiösen Organisationen – christlichen (52,6%) wie muslimischen (47,4%) –, in Moscheen (52%) und in den staatlichen Behörden eine Rolle. Dagegen sind die Merkmale soziale Herkunft und das Alter nur von rudimentärer Bedeutung. Bei einigen Frauen führt die Angst vor Stigmatisierung dazu, dass bestimmte religiöse Handlungen beispielsweise am Arbeitsplatz nicht praktiziert werden. Durch die Angst vor Stigmatisierung betete die Türkin Nilgül heimlich, so dass sie nicht von ihren Arbeitskollegen beobachtet werden konnte. »Früher habe ich sehr viele Probleme damit [ihrem religiösen Erscheinungsbild] gehabt – aber mittlerweile – ich habe halt nicht mehr Angst vor den Leuten, dass ich das irgendwie verstecken muss. Zum Beispiel früher, als ich gearbeitet habe, wo ich auch meine Ausbildung gemacht habe, da habe ich das halt eher vor den Leuten versteckt. Da habe ich heimlich gebetet, weil ich nicht wollte, dass die das sehen. Mittlerweile ist es so, dass ich das nicht mehr vor den Leuten verstecke, sondern eben auch zu mir stehe. Ich muss mich nicht dafür schämen, dass ich bete, weil es etwas ist, was Gott irgendwo für mich auferlegt hat.« (Nilgül/ IMAN)

In den Interviews wurde aber nicht nur von schlechten Erfahrungen berichtet, einige Frauen wiesen ausdrücklich darauf hin, dass sie in ihrem sozialen Umfeld positive Erlebnisse hatten. Tasmina berichtet beispielsweise von gemeinsamem Verzehr von Süßigkeiten im Kindergarten. Dort wird auf gelatinehaltige Nahrungsmittel verzichtet oder auch auf andere religiöse Regeln Rücksicht genommen. »Also in meinem [Kindergarten] ist das total cool, weil die so offen sind. Ich kauf zum Beispiel Gummibärchen für die Gruppen und das finden die total toll, weil dann können auch alle daran teilhaben. Für das gemeinsame Frühstück kauft eine Mutter zum Beispiel Wurst, die islamisch verzehrbar ist. Die sind total offen und die machen da kein Problem draus. Es ist eher so eine positive Auseinandersetzung damit und das ist ganz, ganz toll.« (Tasmina/ IMAN)

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Religion

Äußere Erscheinung

Ethnische Herkunft

Geschlecht

Soziale Herkunft

Alter

Tabelle 11: Art der subjektiv empfundenen Diskriminierung nach Orten in % (Mehrfachnennungen)

Öffentlichkeit

60,9

57,1

33,3

20,5

24,7

6,8

Jobsuche

57,7

60

39,4

22,1

23,2

13,2

54

55,7

40

52,6

29

11,7

Wohnungssuche

51,7

61,4

41,1

16,4

28,1

10,7

Beruf/ Schule/ Universität

64,8

60,4

51

28,6

32,1

9,4

Moschee

60

36

40,9

52

28

8

Christliche Organisationen

65

40

42,1

52,6

31,6

11,7

Muslimische Organisationen

63,2

31,6

47,1

47,4

26,3

5,3

Staatliche Behörden

Quelle: eigene Darstellung

Auch hinsichtlich des Tragens eines Kopftuches berichten die Interviewten von Situationen und Begebenheiten, in denen sie Interesse an ihrer Religion erleben und sich als kopftuchtragende Muslima wahrgenommen und respektiert fühlen. Tasmina berichtet beispielsweise von positiven Erfahrungen am Arbeitsplatz, wo Vorgesetzte Diskriminierungen seitens Kollegen sanktionieren.

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»Ich habe mal bei einer Personalberatungsagentur gearbeitet und das war richtig cool. Man hat mir ganz klar gesagt, ich dulde hier keine dummen Sprüche, wir sind hier alles erwachsene Leute und er möchte, dass ich sofort zu ihm komme und ihm davon berichte, falls irgendwie einer der Kollegen dumme Sprüche ablassen würde wegen meinem Kopftuch. Ich meine, die negativen Erfahrungen sind halt viel härter, die brennen aber ich erinnere mich auch immer an all die positiven Erfahrungen, die ich gemacht habe. Es hat auch viel mit Persönlichkeit zu tun, wie du damit umgehst, wie du auch auftrittst. Wenn man mich sieht und dann mache ich den Mund auf, dann, oh, das passt ja gar nicht.« (Tasmina/ IMAN)

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich ca. 45% der befragten Muslima besonders aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit und religiösen Außendarstellung benachteiligt fühlen. Gerade in religiösen Einrichtungen (muslimischen wie auch christlichen), im öffentlichen Raum, bei der Jobsuche oder in Beruf/ Schule/ Universität ist dies verstärkt der Fall. Das Geschlecht tritt bezüglich der subjektiven Benachteiligungserfahrung hauptsächlich nur in den religiösen Organisationen zum Vorschein. Die Merkmale soziale Herkunft und das Alter spielen hingegen kaum eine Rolle. Darüber hinaus berichten Frauen auch von positiven Erfahrungen, in dem ihnen als Muslim viel Interesse entgegen gebracht wurde.

7.6 I SLAM

UND I NTEGRATION

Nachdem im vorangegangenen Abschnitt subjektive Stigmatisierungserfahrungen der Muslima erörtert wurden, wird nun der Frage nach der Eingliederung von Minderheiten in die deutsche Gesellschaft nachgegangen. In der Migrationssoziologie befasst sich in erster Linie die Integrations- und Assimilationsforschung mit dem Thema der Inklusion von Minoritäten. Hierbei reichen die Theorien von den klassischen Ansätzen der Chicago-Schule (vgl. Park/ Burgess et al. 1925) bis hin zu neueren differenzierten Modellen wie etwa von Hartmut Essers (vgl. Esser 2001). Auch wenn die Ansätze in ihrem theoretischen Vorgehen sehr unterschiedlich sind, ist ihnen alle gemein, dass sie sich mit der Frage der Eingliederung von Minderheiten in eine Majorität auseinandersetzen. Nach Halm können solche Ansätze in zwei Idealtypen unterschieden werden:

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»Entweder werden mögliche Integrationsverläufe im Spannungsfeld von Akkulturation (also die Übernahme kultureller Standards der Aufnahmegesellschaft) und gesellschaftlicher Teilhabe verortet oder aber durch die Nähe oder Distanz zur Herkunfts- bzw. Aufnahmecommunity beschrieben.« (Halm 2006: 19).

Verfolgt man die öffentliche Debatte zum Begriff der Integration, so wird deutlich, dass der Islam in den letzten Jahren immer stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt ist. Der Diskurs dreht sich dabei um die mögliche Rolle der Muslime in einem säkularen Rechtsstaat (vgl. Bielefeldt 2003) und damit auch um die Frage, ob starke Religiosität eine Integration bzw. Assimilation fördert oder eher zu einer Segmentation, also zu einer religiösen (meist ethnisch-religösen).58 Schließung führt. Um die Problematik der Integration bzw. Assimilation am Beispiel der hier untersuchten Frauen zu analysieren, sollen diese beiden Begriffe zuerst für den Kontext der vorliegenden Studie definiert werden, da beide in der Soziologie z. T. unterschiedlich gebraucht oder häufig synonym verwendet werden (vgl. Esser 1980, 2001). Dennoch besteht zwischen ihnen ein deutlicher Unterschied. So bedeutet der Begriff Assimilation für Oswald die Anpassung an die bestehende Kultur, während sie unter Integration eine Eingliederung in gesellschaftliche Teilbereiche versteht (vgl. Oswald 2007: 93). Beiden Begriffen ist bei ihrer unterschiedlichen Begriffsverwendungen trotz allem gemein, dass sowohl Integration als auch Assimilation die Anpassung von Minderheiten an bestehende kulturelle Vorgaben beschreibt. Gerade vor dem Hintergrund der hier erwähnten Integrationsdebatte wird dabei folgenden Fragen nachgegangen: Welche Rolle spielt die starke Religiosität der Frauen für den Integrationsprozess? Kommt es zu einer Segmentation oder Assimilation? Werden in Anlehnung an Hall vielleicht durch den Prozess der Integration neue hybride Identitäten gebildet, die sich aus vielen kulturellen Facetten zusammensetzen wie bereits in Kapitel 4.4 erörtert wurde?

58 Da der Islam eine Religion ist, die durch die Migrationsbewegung nach Deutschland gekommen ist, wird er meist mit ethnischer Zugehörigkeit in Verbindung gebracht.

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7.6.1 Integrationsbereitschaft und Religiosität Nach Esser besteht der Prozess der Integration59 aus den Abläufen soziale Kulturation, Interaktion, Platzierung und Identifikation. Die Sozialintegration umfasst dabei den Einbezug der Akteure in das Geschehen der Majorität, etwa in Form der Gewährung von Rechten, der Beteiligung am Bildungssystem und am Arbeitsmarkt, der Entstehung sozialer Akzeptanz, der Aufnahme von Freundschaften, der Beteiligten am öffentlichen und am politischen Leben und auch der emotionalen Identifikation mit dem Mehrheitskultur (Esser 2001: 8). Esser unterscheidet vier mögliche Ergebnisse der Sozialintegration: Bei der »Assimilation« kommt es zur einseitigen Anpassung an die Kultur der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Esser 2001: 21). Die »Mehrfachintegration« bezeichnet eine Integration in mehrere Kulturkreise oder eine gleichzeitige Mitgliedschaft in unterschiedlichen Gruppen. Als Kennzeichen für Mehrfachintegration können z. B. die Kriterien Mehrsprachigkeit oder sozialer Kontakt (Freundschaften, Ehen) mit Personen aus verschiedenen Kulturkreisen herangezogen werden. Bei der »Marginalität« findet sich das Individuum in beiden Vergemeinschaftungen nicht zurecht und ist somit immer ein Fremder in beiden Welten. Mit »Segmentation« ist das kulturelle »Nichtankommen« in die Majorität gemeint. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was die untersuchten Frauen unter dem Begriff Integration verstehen und welche Rolle ihre stark ausgeprägte Religiosität beim Prozess der Integration spielt. Hierbei muss zwischen muslimischen Migrantinnen und konvertierten deutschen Frauen unterschieden werden. Der Grund ist evident. Während deutsche Muslima, die zum Islam konvertiert sind und kein Kopftuch tragen, von der Mehrheit auf den ersten Blick häufig nicht als »Fremde« wahrgenommen werden, trifft dies auf die Muslima mit Migrationhintergrund, speziell auf diejenigen, die ein Kopftuch tragen, nicht zu. Diese sind in der Öffentlichkeit als (gläubige) Fremde erkennbar. Ferner kann es durch die Sozialisation, die auch von der Herkunftskultur mitbestimmt wird, zu interkulturellen Missverständnissen kommen. Sie können damit ein Gefühl der Unvertrautheit und Fremdheit erzeugen (vgl. Schütz 1972; Reuter 2002) und z. T. auch

59 Essers theoretisches Konstrukt kann generell auf die Integration von Minderheiten in eine Majorität angewandt werden. Hauptsächlich werden damit aber Prozesse von Migranten analysiert.

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negativen Zuschreibungen durch »Einheimische« ausgesetzt sein (vgl. Kapitel 3.2). Für Muslime, die zum Islam konvertiert sind, die auch in Deutschland sozialisiert wurden und dies nach außen deutlich kommunizieren, gilt dasselbe (vgl. Kapitel 3.2). Was bedeut nun Integration für die hier untersuchten Muslima und wie würden sie diesen Prozess beschreiben? Für Fatima stellt Integration einen Balanceakt zwischen den beiden Polen Assimilation und Segmentation dar: Sie versucht, sich einerseits an die deutschen Werte und Normen anzupassen, gleichzeitig aber ihre Religion auszuleben. Sie wählt den Weg einer hybriden Identität, wobei auch die ethnische Herkunft eine Rolle spielt. Eine totale Assimilation oder Segregation lehnt sie ab: »Integration bedeutet für mich, sich in die Gesellschaft zu integrieren aber ohne sich selbst zu verlieren – dass man sich integriert ohne seine Religion zu verlieren, seine religiösen Hintergründe irgendwie beiseite zu schieben. Ich hab Integration in zwei Schichten unterteilt. Das hat ein Gelehrter aus Ägypten gemacht, der hat auch zwei Gruppen unterteilt, dass es einmal die Gruppe gibt, die sich nicht integriert und auch gar nicht erst versucht sich zu integrieren. Die sagt, okay, ich komme hierher, ich lerne nicht die Sprache, ich hasse alles Deutsche, also ich dreh das jetzt mal ins Krasse. Und dann die, die hierher kommen, sich selbst verlieren, nie wieder ihr Heimatland besuchen und versuchen der perfekte Deutsche zu sein oder ähnliches. Ich versuche den mittleren Weg zu gehen. Mich zu integrieren, aber ohne mich selbst zu verlieren. Trotzdem religiös zu bleiben, aber trotzdem die Gesetze anzunehmen. [...] Ich finde es einfach schrecklich, wenn man jemanden zwingt, sich so zu integrieren, dass man zum Beispiel seine Religion nicht mehr praktizieren kann. Man muss auch akzeptiert werden.« (Fatima/ IMAN)

Hierbei wird der Islam nicht als Hindernis begriffen. Adila beispielsweise sieht zwischen Integration und Religiosität keinen Widerspruch. Gerade gläubige Menschen könnten sich besser in einer neuen Gesellschaft eingliedern als Menschen, die sich nicht an religiösen Werten orientieren. Ihrer Ansicht nach lehren gerade Glaubenschriften, wenn sie »richtig« interpretiert werden, eine Rücksichtnahme und Toleranz gegenüber Anderen und bilden damit die Basis für eine interkulturelle Verständigung. »Ich sehe halt, dass die Muslime, die wirklich Ahnung vom Islam haben, dass die sich viel besser integrieren können als die anderen, weil die wissen halt, wie der Is-

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lam ist und die wissen auch, dass der Islam sagt, haltet euch an die Gesetze von dem Land, in dem ihr lebt und seid freundlich zu allen Mitmenschen und nehmt Rücksicht und was man halt so machen muss. Und wenn man das weiß und den Islam lebt, dann ist das überhaupt kein Problem, sich irgendwo zu integrieren. Weil das, was man macht, das macht man für sich und alles, was den Islam betrifft, betrifft dann in erster Linie mich und mein Verhalten. Und das, was ich nach außen trage soll alles nur positiv sein.« (Adila/ IMAN)

Anders als Adila ist die Konvertierte Martina nicht der Ansicht, dass eine intensive Beschäftigung mit dem Islam generell integrationsfördernd wirkt. Ihrer Meinung nach kann sich eine hohe Religiosität positiv wie auch negativ auf die Einstellungen zum Leben in Deutschland auswirken. Dies hänge von den sozialen Umständen und der jeweiligen Person ab. Dennoch geht Martina davon aus, dass die Auseinandersetzung mit Werten des Islam dazu führt, dass man sich mit der Gesellschaft sowie den Normen und Werten des sozialen Umfeldes auseinandersetzen muss und dadurch sein Verhalten hinterfragt. Religion führt somit zu einer kulturellen Sensibilität. Ferner ist sie der Meinung, dass der Islam besonders viel Wert auf Bildung und Wissen legt und diese Faktoren ein wichtiger Schlüssel für eine positive Integration sind: »Ich denke auf jeden Fall, dass Religion helfen kann, weil ein bewusster Umgang mit Religion – so wie wir das ja auch bei uns erleben – setzt auch voraus, dass man mit sich selbst bewusst umgeht. Dass man sich klar macht: Wo lebe ich überhaupt? Wie will ich meinen Islam leben. Man muss sich, wenn man das ernst nimmt, sehr, sehr bewusst auseinandersetzen mit sich selbst, mit seinem Umfeld und mit dem Islam. Was ist der Islam? Kann ich den Islam hier leben? Kann ich das überhaupt hier und wenn ja, wie? Ich denke, dass der Islam auf jeden Fall integrationsfördernd sein kann. Er kann aber auch ganz genau das Gegenteil sein. Aber das kommt, wie gesagt, auf die einzelne Frau an, es kommt auf die Situation an, in der die Frau ihren Islam lebt. Also das sind sehr viele Faktoren, die da eine Rolle spielen. Man kann das nicht so pauschal sagen. Auch da ist es wieder ganz wichtig, dass man eben differenziert drauf blickt und nicht pauschalisiert. Ich erlebe das so, dass es bei uns, bei unseren Frauen auf jeden Fall integrationsfördernd wirkt. Allein schon ein Punkt, dass wir den Mädchen sagen, ihr sollt euch so weit wie möglich – natürlich euren Fähigkeiten entsprechend – bilden, also im Schulsystem. Weil es einmal eure Pflicht ist – islamisch. Das Zweite ist aber auch, weil wir außer einem Studium überhaupt

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keine Chance haben mit dem Kopftuch. Einen Ausbildungsplatz zu bekommen, das kannst du gleich vergessen. Es ist fast unmöglich eine außerschulische Bildung zu bekommen, da ist das Studium die einzige Möglichkeit. Mehr Bildung heißt ja auch gleichzeitig mehr Chancen an der Partizipation in der Gesellschaft. Deswegen ist es in dem Punkt auf jeden Fall integrationsfördernd.« (Martina/ IMAN)

Für sie ist der Islam nicht ein reines normatives Gerüst von Vorgaben, sondern ein Kulturframe, der durch die Zeit, gesetzliche Vorgaben sowie kulturellen Austausch mit anderen Religionen veränderbar ist. Somit kann er auch an politische und gesellschaftliche Strukturen in Deutschland angepasst werden: »Wirklich selber die Religion dann kennenzulernen. Und ein Aspekt, der immer noch eine Rolle spielt, auch damals zu gucken, wie können wir den Islam hier leben? Und was können wir davon leben? Ist das möglich, ist das realisierbar und wie? Also in unser Leben einfach integrieren.« (Martina/ IMAN)

Auch für Canan steht der Islam einer erfolgreichen Integration nicht unbedingt im Weg. Für sie bedeutet Integration, ihre Religion zu leben, einer Arbeit nachzugehen und sich gleichzeitig politisch wie auch sozial zu engagieren. Dies fordert sie von allen Muslimen, daher versucht sie auch andere Angehörige ihrer Religion zur gesellschaftlichen Teilhabe und Verantwortungsübernahme zu bewegen. Eine Assimilation bzw. Anpassung an die Majorität lehnt sie hingegen ab. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass von der Mehrheitsgesellschaft eine Assimilation gefordert werde und nur diese zu einer Akzeptanz führe. Ihrer Ansicht nach ist es die Angst der Ablehnung dieser hybriden Identität, die viele Muslime abschreckt sich stärker an politischen Prozessen zu beteiligen. »Ja, aber Deutsch sein und Muslima sein, das steht für mich in keinem Widerspruch und das ist halt so mein Ding. Ich lebe halt hier in Deutschland und versuche, mein Leben als Muslima zu leben und bin auch hier voll integriert in die Gesellschaft, wenn ich mal die politischen Begriffe benutzen darf. [...] Integration ist für mich, dass ich mich einbringe, im Kindergarten, in der Schule, ich arbeite und studiere und bin also ein ganz normaler Teil dieser Gesellschaft. Aber Integration im politischen Sinne, wie er eigentlich gemeint ist, ist eher so in Richtung Assimilation: »Sei so wie alle Anderen und dann bist du gut, dann bist du ein guter Ausländer.« [...] Für

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mich bedeutet das Teil dieser Gesellschaft zu sein und auch seinen Beitrag dazu zu leisten. Sich eben nicht in irgendeinem Ghetto zu isolieren und sich nur mit Gleichgesinnten zu umgeben. Es bedeutet für mich z.B. im Kindergarten, dass ich die muslimischen Eltern ständig irgendwie versuche in diese Ausschüsse zu schicken, zu sagen, ihr müsst da was machen, das geht doch so nicht, dass da nur Deutsche drinsitzen und so viele von uns auch da sind. Das geht einfach nicht. Das ist für mich Integration, dass die Muslime sich in diese Gesellschaft einfügen und auch Aufgaben wahrnehmen und auch Positionen beziehen, sich nicht einfach nur zurückziehen aus Angst oder Unverstandenheit oder warum auch immer. [...] Trotzdem Muslime sein – aber das ist ja auch der Punkt – weil viele das Gefühl haben oder die Angst haben, dass das eben nicht geht. Dass sie eben sehen, akzeptiert werden sie sowieso nicht, wirste eh nur, wenn du so bist wie alle anderen und sie wollen sich eben nicht selber aufgeben, nur damit ich akzeptiert werde. [...] Ich empfinde das nicht so. Also ich finde es genau umgekehrt. Ich finde, die Menschen müssen lernen mit uns umzugehen und uns als Teil ihrer Gesellschaft wahrzunehmen.« (Canan/ IMAN)

Für Nilgül stellt sich ebenfalls die Frage inwieweit Integration eine Anpassung an die deutschen Werte, Normen und Kultur darstellt. Ihrer Ansicht nach müssen Migranten versuchen die deutsche Sprache zu lernen und sich strukturell integrieren. Allerdings müsse es ihnen erlaubt sein, kulturelle oder religiöse Praktiken beizubehalten, sofern diese nicht mit der deutschen Verfassung in Konflikt stehen. Sie kritisiert in diesem Zusammenhang, dass beispielsweise ein Kopftuchverbot gegen die Religionsfreiheit verstoße und dem Konzept einer Integration widerspreche: »Man muss auch gucken, was das Wort Integration eigentlich mit sich hat. Integration heißt ja eigentlich, dass man sich irgendwo anpasst. Aber inwiefern anpasst? Dass man die persönlichen Sachen total in den Hintergrund stellt? Wenn ich den Islam zum Beispiel mit der Integration hier in Deutschland vergleiche, ist, dass der Islam im Hinblick auf Recht auf Demokratie aufgebaut ist. Und in Deutschland ist eine Demokratie. Das heißt, ich sehe da nirgendwo ein Problem. Auf jeden Fall die Sprache lernen, finde ich sehr, sehr wichtig. Gerade wenn man als Ausländer hier nach Deutschland kommt. Das ist für mich Integration, dass die Person zum Beispiel die Sprache lernt. Aber nicht dass du deinen Glauben für das Land aufgibst. Das ist für mich keine Integration. Das ist dann irgendwo, wenn es dann Richtung Glaube kommt und ich dann in der Öffentlichkeit beleidigt werde mit diesen ganzen Kopftuchdiskussionen. Das ist dann irgendwo schon nicht mehr dasselbe, wenn sie sagen,

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ja, du hast Religionsfreiheit hier in Deutschland, aber du musst dein Kopftuch abnehmen wenn du das und das machen willst. Das ist dann für mich eigentlich genau das Gegenteil von dem was im Recht steht.« (Nilgül/ IMAN)

Dass die Muslima mit Migrationshintergrund sich als Teil der deutschen Gesellschaft sehen, spiegelt sich auch in den quantitativen Daten wider. Der überwiegende Teil von ihnen sind keine Fremden, die kamen, um wieder zu gehen. Vielmehr identifizieren sich viele – besonders solche der zweiten Generation – mit Deutschland. Wie Abbildung 19 zeigt, besitzen 88% der befragten Frauen mit Migrationshintergrund einen deutschen Pass und identifizieren sich mit dem deutschen Staat. Abbildung 19: Muslimische Migranten nach deutscher Staatsangehörigkeit in % (n=75)

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

88

12

Migranten mit deutschem Pass

Migranten ohne deutschen Pass

Quelle: eigene Darstellung

Das Beispiel Fatimas bringt die Haltung der Muslime zu Deutschland nochmals zusammenfassend zum Ausdruck. Sie spricht explizit von »ihrem« Land und davon, dass man sich als Muslima in diese Gesellschaft integrieren soll. Obwohl sie Deutschland als ihre Heimat ansieht, artikuliert sie jedoch auch ein Gefühl der Ambivalenz. Sie will sich integrieren, möchte aber ihre Identität als gläubige Muslima nicht aufgegeben. Darüber hinaus sieht es Fatima als religiöse Pflicht für alle Muslime an, sich in die Gesellschaft, in der sie leben, einzugliedern. Dennoch strebt sie keine voll-

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ständige Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft an, sondern versucht deutsche und muslimische Eigenheiten zu einem neuen Ganzen zu verbinden. »Ich meine, das ist unser Land [Deutschland], wir versuchen uns zu integrieren. Integration muss von beiden Seiten kommen. Die Muslime müssen versuchen, die Sprache zu erlernen und ähnliches und auch allgemein sich an die Gesetze anpassen. Was auch der Prophet von uns erwartet. Ich würde niemals von jemandem erwarten, dass er seine alte Identität abgibt, um eine neue anzunehmen.« (Fatima/ IMAN)

Wie folgende Daten zeigen, möchten die befragten Frauen ein Teil der deutschen Gesellschaft sein, aber ihre Art den Islam zu leben nicht aufgeben, was für viele eine konfliktbehafteter Prozess ist (vgl. Kapitel 7.4.3 und Kapitel 7.5). Neben den Konflikten lassen die kulturellen Unterschiede jedoch genügend Raum, um die Kulturen in einen Austausch- und in einen Verhandlungsprozess eintreten zu lassen. Eben diesen Grenzraum bezeichnet Homi K. Bhabha als »third space«: »The third space, the histories that constitute it, sets up new structures of authority, new political initiatives, which are inadequately understood through received wisdom.« (Bhabha 1990: 211) Demnach können in diesem Raum Erfahrungen neu gedeutet werden. Die Identität wird dabei in Differenz zu anderen konstruiert. In diesem Beispiel wird die Bedeutung der eigenen muslimischen Identität über die Differenz zur deutschen Mehrheit entwickelt und ist keine reine Anpassung an die Herkunfts- oder auch an die muslimische Gesellschaft. Die Frauen versuchen ihren eigenen Weg zu gehen und beide kulturellen Frames für sich selbst in Einklang zu bringen. Ziel ist es, eine subjektive Authentizität zu erzeugen, die sich zwischen deutscher Kultur, Islam und Herkunftskultur verortet. Eine große Bedeutung nehmen für die Frauen dabei die Vereine ein. Wie Hibba beschreibt, machen die Organisationen einen Spagat zwischen der deutschen, weitgehend christlich geprägten Kultur und dem von den Frauen gelebten Islam. Hierbei werden keine strengen Vorgaben gegeben, sondern es existieren Spielräume, um die eigene religiöse Identität zu konstruieren, die sich beispielsweise in der individuellen Kleiderordnung ausdrückt. Hibba betont, dass in ihrem Verein immer ein Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Ansichten gesucht wird. Dies gilt aber nicht nur für die deutsche und die verschiedenen Herkunftskultu-

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ren, sondern auch für die diversen muslimischen Strömungen innerhalb der Vereine. »Also, wir versuchen schon, den Islam zu kombinieren mit dem, was wir hier machen können. Also, wir lassen uns da nicht zu stark einschränken. Also, wir leben jetzt keinen türkischen Islam oder sonst irgendwas. Also, wir versuchen da schon so weit es uns möglich ist uns anzupassen. Und diese Grenzen, die setzt bei uns ja jeder ein bisschen anders, was die Kleiderordnung angeht, also es gibt auch welche bei uns, die kein Kopftuch tragen.« (Hibba/ IMAN)

7.6.2 Teilhabe am Vereinsleben in Deutschland Partizipation in Vereinen oder anderen Organisationen stellt einen Indikator für die Teilhabe und damit die Integration in die deutsche Gesellschaft dar. Bei der Betrachtung der Einbindung von türkischen Migranten in Nordrhein-Westfalen zeigt sich, dass 64% von ihnen Mitglied in einer Organisation sind. Davon engagiert sich ein gutes Viertel in türkischen oder deutschen Vereinen und knapp die Hälfte in deutsch-türkischen Vereinen. Die rein türkischen Vereine dienen vor allem der Ausübung der Religion und dem Erhalt der Kultur aus dem Herkunftsgebiet (vgl. Goldberg/ Sauer 2003: 178). Was die türkischen Migranten, bezogen auf die Vereinsmitgliedschaft, deutlich von der deutschen Bevölkerung unterscheidet, ist der Umstand, dass 29% der befragten Türken angeben, sich aktiv religiös zu beteiligen, wogegen die Deutschen dies gerade mal zu 10% tun (vgl. Halm/ Sauer 2005: 3). Hierbei muss aber auch beachtet werden, dass die Moscheevereine neben der Vermittlung von religiösen Inhalten auch andere soziale Aufgaben übernehmen. Sie dienen dem Erhalt der Herkunftskultur und tradierter Bräuche, sind soziale Treffpunkte – oft mit Einkaufsladen, Aufenthaltsraum oder einem Friseur – und dienen manchen Jugendlichen als ein Ort für die eigene Identitätsfindung (vgl. Frese 2003). Wie Alacacioglu in einer qualitativen Studie herausfand, nehmen die islamischen Traditionsvereine bei den von ihm befragten Jugendlichen eine bedeutende Rolle ein. Sie gelten als Stütze und dienen den Jugendlichen dazu, den Kontakt zur Herkunftskultur und zu traditionellen Lebensbezügen nicht zu verlieren. Sie besuchen die Gemeinden in erster Linie aufgrund der kulturellen und sportlichen Angebote und um soziale Kontakte zu knüpfen bzw. zu pflegen. Im Gegensatz zu den Ergebnissen Heitmeyers

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(vgl. Heitmeyer 1997), lehnten diese Jugendlichen politische Einflussnahme und Indoktrination durch die Gemeinden weitgehend ab (vgl. Alacacioglu 2000: 97). Wird die Vereinsgebundenheit unter Türken genauer betrachtet, fällt auf, dass diese nicht immer gleichermaßen ausgeprägt ist. Meng stellt beispielsweise in seiner Untersuchung fest, dass das Interesse an den religiösen Vereinen in der zweiten Generation abnimmt (vgl. Meng 2004). Standen noch ca. 31,1% der Elterngeneration einem Verband nahe, sind es bei der zweiten türkischen Generation 22,5%. Auch bezüglich der Geschlechter zeigen sich Unterschiede: In einer vom Berliner Senat beauftragten Untersuchung türkischer Jugendlicher wurde ermittelt, dass viel mehr Männer eine Vereinsmitgliedschaft besitzen als Frauen (vgl. Ausländerbeauftragte des Senats von Berlin 1997). Auch in der vorliegenden Studie wurden die Frauen der muslimischen Vereine danach gefragt, welche Vereinsmitgliedschaften sie zusätzlich besitzen. Dadurch sollten Rückschlüsse auf ihr weiteres Engagement gezogen werden. Es stellt sich die Frage, ob die Frauen neben dem religiösen Engagement auch noch anderweitig an der deutschen Gesellschaft partizipieren. Hierzu wurde eine offene Frage zu weiteren Mitgliedschaften in anderen Organisationen gestellt, die auch Mehrfachantworten zuließ. Die Ergebnisse wurden im Anschluss induktiv zu einzelnen Kategorien zusammengefasst (vgl. Abbildung 20). Hierbei zeigt sich, dass 35,9% der befragten Frauen mindestens in einem weiteren Verein Mitglied sind. 16% besitzen in mindestens zwei weiteren Vereinen eine Mitgliedschaft. Damit liegt die Mitgliedschaftsrate – unabhängig von der untersuchten Mitgliedschaft in einem der muslimischen Frauenvereine – höher als bei türkischen Migranten in Nordrhein-Westfalen (vgl. Sen/ Sauer 2006). Während Forscher davon ausgehen, dass der Partizipationswille von muslimischen Frauen am religiösen Vereinsleben im Allgemeinen eher gering ist (vgl. Swietlik 2000: 66), scheint dieses Phänomen auf die hier untersuchten Muslima nicht zuzutreffen. Wie die Abbildung 20 zeigt, sind 68,1% der Befragten Mitglied in einem weiteren religiösen bzw. interreligiösen Verein. Wiederum 19,1% sind Mitglied in einer religiösen Institution, die sich speziell mit Frauenthemen beschäftigt. Die Frauen scheinen damit eine Ausnahme bezüglich (religiöser) Vereinpartizipation darzustellen.

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Abbildung 20: Mitgliedschaft in anderen Vereinen in % (Mehrfachnennungen)

68,1

religiöse, interkulturelle Organisation 19,1

Religiöser Frauenverein Politik

17

Schule und Kindergarten

12,8

Sozialer Bereich

8,5

Interkultureller Verein

8,5

Unfall-, Rettungsdienst

6,4

Gewerkschaft

6,4

Sportverein

6,4

Frauenbewegung

6,1

Umweltschutz und Natur

4,3

Musik und Kultur

4,3 2,1

Bürgerinitiative vor Ort 0

20

40

60

80

Quelle: eigene Darstellung

Dieses religiöse Engagement wird aber unterschiedlich akzentuiert und wurde deshalb in die Kategorien »muslimisch« und »interreligiös« unterteilt. Wie die Angaben über die Mitgliedschaft in den Kategorien religiöser/ interreligiöser Gemeinschaften zeigen, sind nur wenige Muslima Mitglied in einem rein muslimischen Verein, der einen bestimmten nationalreligiösen Bezug aufweist. Mitgliedschaften in beispielsweise dem »Islamisch-Albanischen Bildungs- und Kulturzentrum« oder der »Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine« sind sehr selten. Ein viel größerer Teil der Befragten besucht muslimische Organisationen wie z. B. »Muslimische Jugend in Deutschland (MJD)«, »Deutsche Muslim-Liga Bonn

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e.V.«, »Verein für islamische Religionspädagogik« und »Islamische Religionsgemeinschaft Hessen« (IRH), die für alle Muslime, egal welcher ethnischen Herkunft, offen stehen.60 Außerdem lässt sich erkennen, dass die Frauen, wenn sie am islamischen Vereinsleben partizipieren, dies meist in einem Verein tun, der für schiitische, sunnitische oder andere Gruppierungen offen ist. Der Austausch mit anderen islamischen Richtungen wird damit nicht von vorneherein ausgeschlossen. Damit sind zwar 87,2% der Frauen religiösen Organisationen gegenüber nicht abgeneigt, aber wie schon Schröter (vgl. Schröter 2002) und Sackmann (vgl. Sackmann 2001) konstatieren, spielt die institutionelle Einbindung in eine Moscheegemeinde dabei kaum eine Rolle. Nur vier Frauen geben explizit an, Mitglied in einer Moschee zu sein. Die Gründe, die gegen eine solche Mitgliedschaft sprechen, sind unterschiedlich. Häufig werden die enge Verbindung zwischen Religion und Politik in den Herkunftsländern, die ethnische Geschlossenheit, die kaum vorhandenen Partizipationsmöglichkeiten und die Dominanz der Männer kritisiert (vgl. auch Kapitel 7.3). Canan äußert sich hierzu folgendermaßen: »Ich will nicht irgendwo so ein Anhängsel hintendran sein in so einem kleinen Bereich, wo wenige Frauen sind gegenüber drei Viertel Männeranteil. Ich finde, dass man da ziemlich schnell einfach außen vor ist, sich zu engagieren. Das finde ich so einfach besser, wenn sich Frauen entfalten können.« (Canan/ IMAN)

Während sich ein kleiner Teil der Frauen in rein muslimischen Vereinen engagiert, wendet sich der größere Teil interreligiösen Vereinen zu. Die meisten Befragten sind Mitglied in einer interreligiösen Institution wie beispielsweise der »Europäischen Arbeitsgemeinschaft für Weltreligionen«, der »Islamisch-christlichen Arbeitsgruppe«, »inter religion(e)s« und der

60 Allerdings muss angemerkt werden, dass die Projekte des MJD, welche durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert wurden, seit 2003 nicht mehr finanziell unterstützt werden. Auch wenn die Evaluation des von dem Entimon finanzierten Projekts nicht beanstandet und auch durch Teile der Presse gelobt wurde (vgl. Berliner Morgenpost 2003), gehen Baden-Württembergische und Berliner Verfassungsschützer davon aus, dass die MJD mit islamistischen Gruppen vernetzt ist (vgl. Gärtner 2004; Innenministerium Baden-Württemberg 2005).

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»Gesellschaft für christlich-islamische Begegnung und Zusammenarbeit«. Es zeigt sich, dass die befragten Muslima sehr stark an einem interislamischen und interreligiösen Dialog interessiert sind. Nur in Einzelfällen scheint eine rein ethnische oder religiös geschlossene Vergemeinschaftung präferiert zu werden. Dies zeigt sich nicht nur darin, dass Interkulturalität als Hauptgrund für die Mitgliedschaft in den jeweiligen Frauenverein angeben wurde, es drückt sich auch in der Mitgliedschaft in anderen Vereinen aus. Über das Engagement in rein muslimischen bzw. interreligiösen Vereinen hinaus, geben 19,1% an, sich in religiösen Frauenvereinen zu engagieren, beispielsweise im »Forum muslimischer Frauen«, »IMAN«, »FACIT« (Feministischer Arbeitskreis christlicher und muslimischer Theologinnen), »BFMF-Köln«, »HUDA«, »Schlangenbrut« und »Interreligiöse Konferenz europäischer Theologinnen«. Das Thema Religion und Frau reicht damit für einige noch weit über eine Mitgliedschaft in einem muslimischen Frauenverein hinaus. Sie engagieren sich in Vereinen, die ihre Tradition in einem frauenzentrierten Theologieverständnis besitzen. Sie behandeln religiöse Regeln und Menschenbilder aus dem Blickwinkel der Frau und setzen sich damit für deren stärkere Berücksichtung in den religiösen Gemeinschaften ein. Neben den theologischen und spirituellen Schwerpunkten spielen hier somit feministisch-politische Themen wie Gewalt gegen Frauen und die Rolle der Frau im Alltag eine bedeutende Rolle. Viele der hier untersuchten Frauen engagieren sich politisch. Es scheint, dass die Durchsetzung von politischen Interessen aktiv gestaltet wird. Die Muslime – besonders die hier befragten Frauen – wünschen sich ganzheitliche Partizipation, zu der auch politische Teilhabe gehört. Von der Politik wird das politische Engagement häufig kritisch beobachtet, da die Sorge besteht, dass Islamisten auf legalem Weg versuchen, die Demokratie zu unterwandern. Fälle von Missbrauchsversuchen des demokratischen Systems mögen zwar existieren, aber für den Hauptteil der Muslime treffen derartige Absichten nicht zu. Für sie stehen Islam, Demokratie und Verfassung nicht im Widerspruch zueinander. Vielmehr nehmen sie die Möglichkeiten des politischen Parteiensystems wahr, um ihre Interessen zu artikulieren. Die repräsentative Umfrage des »Zentrums für Türkeistudien«, welches türkischstämmige Deutsche befragt hat, zeigt in diesem Zusammenhang folgende Ergebnisse: Die Zahl der Nichtwähler nahm zwischen 1999 und 2002 von 15% auf zehn Prozent ab. In der politischen Ausrichtung zeigte

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sich im Jahr 2002, dass 60% der Befragten die SPD, 17% die Grünen, 12% die CDU/ CSU und jeweils 5% die FDP und PDS wählen würden (vgl. Emmerich 2002). Damit liegen die eher linksorientierten Parteien in der Gunst der Deutschtürken weit vorne. Ging die Mitgliedschaft der deutschen Wahlberechtigten in politischen Parteien von 3,8% (1990) auf 2,5% (2004) zurück (vgl. Statistisches Bundesamt 2007: 624), zeigt sich bei den hier befragten muslimischen Frauen ein anderes Bild. 17% der Muslima gaben an, in politischen Parteien Mitglied zu sein. Dies zeigt, dass die Muslima daran interessiert sind, ihre Wertvorstellungen und ihre Wünsche in politische Entscheidungen einzubringen. Ähnlich den Ergebnissen der Studie des »Zentrums für Türkeistudien« (vgl. Halm/ Sauer 2005: 3) scheinen hier ebenso Parteien aus der Mitte bzw. der linken Mitte sehr beliebt zu sein. Die befragten Muslima besitzen häufig eine Mitgliedschaft bei den Grünen oder der SPD. Andere wiederum sind Mitglied in politischen Parteien mit muslimischem Hintergrund, so zum Beispiel in der Islamischen Partei Deutschlands (IPD). 12,8% der befragten Muslima sind Mitglieder eines Vereins, der sich im Bereich Schularbeit oder Kindergarten engagiert. Darunter fallen beispielsweise die Kindergemeinde, Schulpflegschaft und der Waldorfschulverein. Vereine, die sich mit Kindern und Jugendlichen beschäftigen, spielen nach der Mitgliedschaft in religiösen Frauenvereinen und dem politischen Engagement die viertwichtigste Rolle. Dies hängt wohl damit zusammen, dass einige bereits Kinder haben, kulturelles Kapital sehr schätzen und einen starken Familienbezug besitzen. Im sozialen Bereich sind 8,5% der Frauen organisatorisch tätig. Eine der Frauen ist Mitglied in einem Verein für Senioren-Studenten, eine andere engagiert sich für »Muslime helfen«.61 Neben dem starken interreligiösen Dialog befassen sich einige der Muslima explizit mit dem interkulturellen Austausch (unabhängig von religiösen Motiven): 8,5% der Befragten geben an, Mitglied in einem Verein zu sein, der sich für die Verständigung

61 Diese 1985 gegründete Organisation unterstützt hilfsbedürftige Menschen, vor allem Opfer von Kriegen, Hungersnöten und Naturkatastrophen. Hierfür werden beispielsweise Krankenstationen aufgebaut bzw. renoviert, Zuschüsse zu Betriebskosten geleistet und Medikamente sowie medizinisches Gerät bereitgestellt. Einsatzgebiete sind beispielsweise Afghanistan, Ghana, Palästina, Türkei, Ägypten, Guyana und die Philippinen.

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zwischen den Kulturen engagiert. Diese Organisationen besitzen, wie die untersuchten muslimischen Frauenvereine auch, einen Bezug zu Deutschland wie die Vereinsnamen »Deutsch-arabische Gesellschaft«, »Verband binationaler Familien und Partnerschaften« und »Deutsch-jemenitische Gesellschaft« verdeutlichen. Neben der Mitgliedschaft in religiösen Frauenvereinen engagieren sich die befragten Muslima auch in Organisationen, bei denen explizit nur Frauenrechte im Mittelpunkt stehen. 8,5% der Muslima gaben an, in Vereinen wie beispielsweise »Kooperation Frauen e.V.« Mitglied zu sein. Zusammen mit ihrem Engagement in religiösen Frauenorganisationen (19,1%) kann festgehalten werden, dass sich insgesamt 27,6% – unabhängig von ihrer Tätigkeit in den hier untersuchten Vereinen –für Fraueninteressen stark machen. Bei Salm und Sauer beteiligten sich 4% der Befragten aktiv im Bereich »Unfall-, Rettungsdienst, Feuerwehr« (vgl. Salm/ Sauer 2005: 3), in der vorliegenden Untersuchung ist der Anteil mit 6,4% ein wenig höher. Bezüglich der Kategorie »Beruf« zeigt sich, dass 6,4% der befragten Muslima in Gewerkschaften wie beispielsweise »ver.di« und »Gewerkschaft Chemie« tätig sind. Im Vergleich zu den Deutschen liegt dies weit unter dem Wert von 13,1% im Jahre 1998 (vgl. ALLBUS 2006). Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass viele der befragten Frauen nicht berufstätig sind und folglich eine Mitgliedschaft in solchen Organisationen (noch) nicht interessant ist. Für Umweltthemen engagieren sich 4,3% der Muslima, und zwar in Organisationen wie »Greenpeace«, »Global 2000« aus Österreich oder in Tierschutzvereinen. Resümierend kann festgestellt werden, dass sich das Interesse der Frauen – neben dem Engagement in den hier untersuchten religiösen Frauenvereinen – sehr stark auf religiöse Themen bezieht und diese mit GeschlechterFragestellungen verknüpft werden. Der Hauptteil der Vereine, in denen die Frauen tätig werden, weist eine interreligiöse und interkulturelle Offenheit auf und hat einen Bezug zur deutschen Gesellschaft. Beispiele dafür sind die »Interreligiöse Konferenz europäischer Theologinnen« oder der »Feministische Arbeitskreis christlicher und muslimischer Theologinnen«. Auch politisches Engagement zeigt sich bei den hier befragten Frauen, wobei Mitte-Links-Parteien wie die »Grünen« und die »SPD« präferiert werden.

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7.6.3 Religiöser Dialog und Wertekonsens Nicht erst nach dem 11. September 2001 stellt sich im Zeichen der globalen Vernetzung die Frage, ob Religionen friedlich nebeneinander existieren können und ob sich ein Kampf der Kulturen verhindern lässt (vgl. Huntington 1993). Der Einfluss von fundamentalistischen Bewegungen und deren Intoleranz gegenüber Nicht- oder Andersgläubigen scheint immer stärkeren politischen Einfluss zu gewinnen. So spricht Hoffman von einer exponentiellen Zunahme religiös-terroristischer Gruppen seit dem Jahr 1992 und davon, dass die Religion als Triebkraft für Gewalt an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Hoffman 1999: 112 ff). Einen Ausweg aus dieser Situation kann der interreligiöse Dialog darstellen, wie Bittner in seinem Aufsatz »The Need for a Christian-Islamic Dialogue as a Method of Peace Assurance« beschreibt (vgl. Bittner 2006). Für diesen Dialog sind jedoch ein Interesse an der jeweils anderen Religion und eine Begegnung auf Augenhöhe unabdingbar. Vor diesem Hintergrund wurde der Frage nachgegangen welche Rolle der interreligiöse Dialog bei den untersuchten Vereinen spielt. Wie in Kapitel 7.6.2 schon angedeutet, scheinen die Frauen stark an einem Austausch mit Mitgliedern aus anderen Religionen interessiert zu sein. Hibba ist der Ansicht, dass Glaube ein verbindendes Merkmal ist. Für die Marokkanerin teilen gläubige Muslime mit Christen mehr als mit »Nicht-Gläubigen«. Trotz ähnlicher Ansichten, weist sie darauf hin, dass der religiöse Austausch auf Grenzen stößt. »Wenn ich jetzt als muslimische Frau mit einer nicht muslimischen, nichtgläubigen Frau rede und über das Thema Religion rede, da habe ich natürlich enorme Probleme, da überhaupt anzuknüpfen, weil jemand, der nicht religiös ist, überhaupt nicht nachvollziehen kann was überhaupt Glaube bedeutet. Wenn ich jetzt mit jemand rede, der christlich geprägt ist, da habe ich das zuerst einmal einfacher, habe aber das Problem – die ganze Vergangenheit und was einem da alles an den Kopf geschmissen wird und umgekehrt. Also so dieses »Unsere Religion ist ja besser«, das hat man schnell.« (Hibba/ IMAN)

Das Verhältnis zwischen Islam und Christentum war Teilbereich zweier Untersuchungen der Konrad-Adenauer-Stiftung. Hierzu wurden im Jahr 2001 in Deutschland lebende Türken (vgl. Wilamowitz-Moellendorff 2001)

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und im Jahr 2006 kopftuchtragenden Frauen gefragt, inwieweit zwischen beiden Religionen ein Wertekonsens existiere (vgl. Jessen/ WilamowitzMoellendorff 2006: 35). Diese Fragestellungen wurden in der vorliegenden Studie aufgenommen, um einen Vergleich ziehen zu können.62 Zusätzlich wurden die Probandinnen gebeten, zu der Frage »Die christliche Religion ist der islamischen Religion überlegen« Stellung zu beziehen. Wie Abbildung 21 zeigt, gehen 55,9% der hier befragten Muslima davon aus, dass Islam und Christentum die gleichen Werte vertreten. Im Vergleich zu der Erhebung der Konrad-Adenauer-Stiftung im Jahre 2001 und 2006 zeigen sich damit kaum Unterschiede. Der Wert ist nur geringfügig höher als bei der Erhebung im Jahre 2001 (50%) (vgl. Wilamowitz-Moellendorff 2001) und bei den kopftuchtragenden Frauen (52%) (vgl. Jessen/ WilamowitzMoellendorff 2006: 35). In allen drei Studien geht ungefähr die Hälfte der Befragten davon aus, dass zwischen beiden Religionen ein Wertekonsens besteht. Bezüglich der zweiten Frage »Die islamische Religion ist der christlichen überlegen« zeigen sich deutliche Unterschiede. Während 2001 60% der türkischen Befragten dieser Aussage zustimmten (vgl. WilamowitzMoellendorff 2001), tun dies 87% der kopftuchtragenden Frauen (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 35). Im Vergleich dazu stimmen 52,5% der hier befragten Muslima dieser Aussage zu (vgl. Abbildung 21). Dies allein mit einem bloßen Überlegenheitsanspruch gleichzusetzen, würde dem Phänomen nicht gerecht werden. Es ist nicht zu leugnen, dass manche Befragte mit ihrer Antwort eine Hierarchie zwischen den Religionen ausdrücken, dennoch können daneben noch andere Argumente herangezogen werden. In den Interviews weisen die Muslima nämlich auf logische Widersprüche in der christlichen Theologie hin, die sie als nicht nachvollziehbar bezeichnen. Als Beispiel wird etwa die Dreifaltigkeit angeführt. Besonders für die hier befragten konvertierten Frauen scheint der Islam logischer, schlüssiger, besser nachvollziehbar zu sein, was sich mit ersten Befunden über Konvertierte deckt (vgl. Hofmann 1997). Frau Schmidt-Barami beispielsweise war auf der Suche nach einem Sinnstiftungssystem, welches ihr Halt und Handlungssicherheit vermitteln konnte. Diskussionen mit

62 Während in der Studie neben der Aussage »Stimme voll zu« die Aussage »Stimme überwiegend zu« gegeben war, wurde in dieser Studie das »Stimme überwiegend zu« durch »Stimme ziemlich zu« ersetzt.

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Glaubensvertretern der christlichen Kirche konnten sie aber nicht überzeugen. Die Konversion zum Islam war dann am Ende eine sehr emotionale Angelegenheit: »Ich war davon überzeugt. Ich war schon auf der Suche gewesen und habe auch viel mit unserem Gemeindepfarrer diskutiert. Die Dreifaltigkeit konnte er mir nicht schlüssig erklären. Das war auch ausschlaggebend, da habe ich ihn wohl in die Enge getrieben. Für mich war das einfach so vom Herzen her, dass ich gesagt habe: »Das ist das Richtige. « Das ganze Wissen und sich mit dem Frauenrecht dann beschäftigen, das kam erst mit den Jahren. Und jetzt ist es für mich – bin ich sozusagen fundamental – dass es mir um Gerechtigkeit und Wahrheit geht, von dem ich halt überzeugt bin. Wie gesagt, diese Äußerlichkeiten, sei es Kopftuch, was die Leute von einem erwarten, dass finde ich überhaupt nicht maßgebend.« (Schmidt-Barami/ HUDA)

Abbildung 21: Einstellung zum Verhältnis zwischen den Religionen in % (trifft voll zu/ trifft zu) 90

77,7

80 70 60

55,9

52,5

50 40 30 20 10

0,8

0 Islam und Die islamische ist Die christliche ist Alle Menschen Christentum der christlichen der islamischen unabhängig von vertreten die Religion Religion ihrer Religion gleichen Werte überlegen überlegen sind vor Gott (n=127) (n=122) (n=118) gleich (n=130)

Quelle: eigene Darstellung

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Frau Mayer war schon als Jugendliche gläubig und betont, dass sich an ihrem Glauben seit ihrer Konversion nicht geändert habe. Die Schriften des Islam erschienen ihr logischer als die Bibel und insbesondere das Neue Testament. Zum Islam zu konvertieren war das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Koran, der sie nicht nur überzeugen, sondern sogar begeistern konnte: »Ich sag immer, mein Glaube hat sich eigentlich nicht verändert. Ich habe schon vorher an Gott geglaubt - ich war katholisch – und glaube nach wie vor an Gott. Ich fand nur den Koran total überzeugend. Der hat mich komplett überzeugt. Vor allem die Stellen über Jesus, die haben mich damals besonders beschäftigt.63 Ich fand ihn [Koran] so logisch und eben einfach toll. Ich war irgendwann völlig begeistert und dann war es eigentlich klar, dass ich Muslima bin. Ich denke zwar schon immer in dieser Art und Weise über Gott, wusste eben nur vorher nichts vom Islam.« (Mayer/ HUDA)

Während also der muslimische Glaube von mehr als der Hälfte der Befragten höher bewertet wurde als der christliche, stimmt der Aussage »Die christliche Religion ist der islamischen überlegen« nur eine Person zu. Dass alle Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, vor Gott gleich seien, meinten 77% der türkischen Migranten (vgl. Wilamowitz-Moellendorff 2001), 68% der Kopftuchträgerinnen (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 35). Das Antwortverhalten der hier befragten Muslime ist mit 77,7% fast identisch mit der Befragung im Jahr 2001. Der größte Teil der Befragten gehen davon aus, dass alle Menschen vor Gott gleich sind. Auf Basis der Daten kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige der Befragten davon überzeugt sind, dass Menschen mit muslimischen Glauben für Gott mehr wert sind als Personen mit einer anderen religiösen Zugehörigkeit. Auf Basis der hier erhobenen Daten und den Gesprächen mit den Mitgliedern, kann aber davon ausgegangen werden, dass es sich nur um Einzelfälle handelt. Vielmehr geht der größte Teil der Befragten davon aus, dass Menschen, die religiöser sind und sich strenger an die Gebote und Verbote religiöser Schriften halten, vor Gott einen größeren Stellenwert auf

63 Jesus nimmt auch im Koran eine bedeutende Rolle ein. Anders als im christlichen Glauben ist er aber nicht Sohn Gottes sondern ein Prophet.

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der Erde und auch nach dem Tod besitzen, als diejenigen, die nicht glauben. Dies ist aber unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass die Frauen ein sehr starkes Bedürfnis nach religiöser Sinnstiftung besitzen. Der Islam wird von ihnen als unwidersprüchliche Religion ansehen, die große Hilfe bei dieser Sinnsuche bietet. Dies dürfte wohl bei den meisten streng gläubigen Menschen, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit, der Fall sein. Dies hängt wohl damit zusammen, dass Religion sehr eng mit Transzendenz und der religiös empfundenen Wahrheit in Verbindung steht. In anderen Worten, wer an eine Religion glaubt, hat das subjektive Empfinden, dass das, was er glaubt, richtig ist. Erst die Überzeugung, den richtigen Glauben zu leben, macht Religion zu einem Identitätsfaktor und einem Sinnstiftungssystem (zur Funktion von Religion vgl. Knoblauch 1999: 115f). Dies bedeutet aber nicht automatisch, dass dies wie von Jessen und WilamowitzMoellendorff (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 36) als ein »Überlegenheitsgefühl« an sich interpretiert werden sollte, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei Einzelnen tatsächlich das Empfinden vorherrschen kann, der Islam sei besser als andere Religion. Dagegen spricht aber die hohe Zustimmung (77%) der Befragten auf die Frage, dass alle Menschen vor Gott gleich sind. Zudem stehen sehr viele von ihnen – wie in Kapitel 7.6.2 gezeigt – im Austausch mit anderen Religionsgemeinschaften und engagieren sich in interreligiösen bzw. interethnischen Vereinen. Ein Großteil der Frauen scheint Religion und gläubige Menschen an sich sehr wertzuschätzen. 7.6.4 Demokratieverständnis Häufig wird die Debatte über die Integrationsfähigkeit von Muslimen unter dem Aspekt der Vereinbarkeit des Islam mit den Werten des Grundgesetzes diskutiert, wobei eine Kompatibilität mit der freiheitlichen Demokratie und den Menschenrechten nicht selten in Zweifel gezogen wird.64 Verschiedene muslimische Gelehrte und Islamisten lehnen Demokratie auch tatsächlich ab. Sie argumentieren, dass Demokratie den Geboten Gottes bzw. der Scharia widerspricht (zur Diskussion vergleiche Khan 2007). Andere Autoren

64 Beispielsweise behauptet Lewis, dass es keine Vereinbarkeit zwischen Demokratie und Islam geben kann (vgl. Lewis 1996)

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sind wiederum der Ansicht, dass der Islam nicht mehr oder weniger demokratiefähig und tolerant ist als andere Religionen auch (vgl. Schlumberger 2001). In diesem Zusammenhang interessieren nun die konkreten Einstellungen der hier untersuchten Frauen zu den demokratischen Werten. Bezüglich der Vereinbarkeit des Islams mit der Demokratie gehen die Befragten überwiegend davon aus, dass der Islam nicht demokratiefeindlich ist. Lena kritisiert beispielsweise, dass einige Muslime den Islam demokratiefeindlich leben, der muslimische Glauben an sich aber mit den Werten der Verfassung in Einklang steht: »Ich sehe vielleicht die Praxis, wie manche Muslime den Islam leben, als demokratiefeindlich. Das gibt es auf jeden Fall. Es gibt auch Muslime, die den Islam so leben, dass die Menschenrechte definitiv nicht gewahrt sind. Aber was die Muslime machen und was der Islam ist, das ist ja immer ein Unterschied. Das muss man halt sehen. Der reine Islam ist definitiv damit vereinbar. Ich meine, ich lebe ja hier in einem demokratischen Staat und wenn ich das jetzt nicht vereinbar fände, dann würde ich mich – glaube ich – hier gezwungen sehen, hier irgendwie auszureisen.« (Lena/ IMAN)

Diese Aussage stellt keinen Einzelfall dar. Wie Abbildung 22 zeigt, plädieren 88,4% der Befragten dafür, dass eine Regierung demokratisch legitimiert sein muss. Es scheint, dass der überwiegende Teil der Befragten eine demokratische Staatsordnung unterstützt, auch wenn bei der Beantwortung dieser Frage der Faktor der sozialen Erwünschtheit einen großen Einfluss haben könnte.

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Abbildung 22: Angaben zur Legitimierungsart der Regierung eines Staates in % (n=129) Die Regierung eines Landes sollte... 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

88,4

10,7 0,8 ...durch das Volk gewählt werden

...durch eine Gruppe ...von Gottes Gnaden von Menschen sein bestimmt werden

Quelle: eigene Darstellung

Hibba zieht im Interview Parallelen zwischen Demokratie und Islam. Auch wenn Kalifen nicht gewählt wurden, haben sie trotzdem auf die Wünsche der Untertanen Bezug genommen. Somit seien diese in ihrer Machtausübung demokratisch orientiert gewesen. Zwar konnten sie auch gegen den Willen des Volkes handeln und damit Rechte durchsetzen, die nicht von der Majorität getragen wurden. Hier sieht die Interviewte jedoch Parallelen zur heutigen Demokratie in Deutschland, wo die durch Wahlen legitimierte Administration auch gegen den Willen der Mehrheit handeln kann. Die Schura65 die Hibba als eine Art Vorläufer der Demokratie und als Beratungsinstitution für die Kalifen beschreibt, wird als Beispiel zur Demokratiekompatibilität herangezogen:

65 Die Schura kann als eine Ratsversammlung beschrieben werden. Sie wird auf Suren zurückgeführt, in denen der Brauch Mohammeds beschrieben wird, sich mit seinen Gefolgsleuten zu beraten. Viele muslimische Staaten und Denker sehen darin eine erste islamische Variante der Demokratie (vgl. Röhrich 2005: 26).

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»Also, ich denk, die Demokratie ist eine super Sache und wenn man jetzt so die islamische Entwicklung sieht, also von den Anfängen her, also wir sind ja eigentlich diese Fundis, das sind ja die, die zu den Wurzeln zurückgehen, wenn man da mal schaut wie die Muslime damals waren, dann sieht man eigentlich den demokratischen Ansatz ganz stark. Also es gab zwar dieses Kalifat, aber es gab diese Schura, also dieses Beratungsprinzip sozusagen und wenn man sieht, wie sich diese Führer verhalten haben, wenn alle gesagt haben »das wollen wir nicht«, dann haben die es in der Regel auch nicht gemacht, es sei denn, sie haben sich durchgesetzt, wie der Schröder sich auch oft durchgesetzt hat. Obwohl es sind auch Schranken gesetzt, die es damals nicht gab – das ist klar – also von daher sehe ich Demokratie da nicht im Gegenspruch zum Islam.« (Hibba/ IMAN)

Auch hier können Parallelen zu den Ergebnissen von Jessen und Wilamowitz-Moellendorff über kopftuchtragende Frauen im Jahre 2006 gezogen werden. 90% stimmten der Aussage zu, dass eine Regierung demokratisch gewählt werden muss (vgl. von Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 39). Die Staatsform der Aristokratie, also die Herrschaft von wenigen Auserwählten, wird von 0,8% der Befragten unterstützt. Ein »Gottesstaat« wie beispielsweise den Iran, befürworten 10,7% der hier befragten Muslima. Nicht nur, dass ca. 88% der Befragten (vgl. Abbildung 22) eine vom Volk gewählte Regierung befürworten und damit das demokratische System unterstützen, wird eine Konvertitin bezüglich der Grenzen der Religion sogar noch deutlicher: Religionsfreiheit sollte dort eingeschränkt werden, wo sie die Grenzen der Verfassung überschreitet. Auf die Frage, wann religiöse Regeln denn keine Anwendung in Deutschland finden sollten, antwortet sie: »So weit wie die Gesetze das zulassen. Wenn es jetzt gegen die Grundgesetze verstößt, also Beispiel vielleicht Polygamie, wenn es hier verboten ist, mehrere Frauen zu heiraten, dann ist da auch die Grenze. Dann muss man das nicht tolerieren.« (Schneider/ HUDA)

Im Allgemeinen zeigen die Ergebnisse, dass die Befragten die Demokratie schätzen und auch unterstützen. Islam und Demokratie sind demnach für die Frauen keine Gegensätze.

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7.7 W ERTVORSTELLUNGEN

UND

L EBENSZIELE

Da unzählige Definitionen des Wertebegriffs existieren, die das empirische Vorgehen beeinflussen, soll zunächst der Wertbegriff aus der Sicht der Soziologie kurz vorgestellt werden. In der Soziologie wird nach Präferenzen und nach Normen von Gesellschaftsgruppen gefragt, die von diesen als wichtig empfunden werden (vgl. Klages 1992). Im Fokus steht hierbei die gesellschaftlichpolitische Veränderung von Werten in Gesellschaften bzw. in gesellschaftlichen Subsystemen. Um die Wertvorstellungen und Lebensziele der befragten Muslima zu eruieren, wurde ihnen ein Fragenkatalog mit 13 Einstellungen, Werten und Zielen vorgelegt, deren jeweilige Relevanz sie für ihre persönliche Lebensgestaltung einschätzen sollten. Dabei wurden aus verschiedenen Aussagen vier Kategorien gebildet. Diese umfassen Selbstverwirklichung, materialistische, religiöse und kollektive Werte. Die Kategorie Selbstverwirklichung beinhaltet Werte, wie beispielsweise Ungebundenheit und Eigenständigkeit (zu dem Wertbegriff der »Selbstverwirklichung« vgl. Klages 1993). Im konkreten Fall sind es: (1) »Frei und unabhängig sein«, (2) »Sich selbst verwirklichen« und (3) »Gutes Aussehen«. Mit materialistischen Werten sind dagegen solche Handlungsziele gemeint, die mit Sicherheit und Versorgung von (besonders materiellen) Bedürfnissen einhergehen. Dazu gehören nach Ingelhart beispielsweise wirtschaftliches Wachstum, wirtschaftliche Stabilität, materielle Güter und die Sicherung des erreichten Lebensstandards (zu dem Begriff der materialistischen Werte vgl. Ingelhart 1977). Die Items, die der materialistischen Kategorie zugeordnet wurden sind: (1) »Es im Leben zu etwas bringen«, (2) »Beruflicher Erfolg« und (3) »Mein Heim und meine Gemütlichkeit«. Zusätzlich wurde nach religiösen Werten gefragt. Dabei handelt es sich um Einstellungen, die einen starken Bezug zu religiösen Wertvorstellungen besitzen (zu dem Begriff der religiösen Werte vgl. Spranger 1966). Konkret wurden folgende Aussagen zur Auswahl gestellt: (1) »Den Glauben ausleben« und (2) »Ein religiöses Leben führen«. Als letztes wurde nach kollektivorientierten Werten gefragt (zu dem Begriff der kollektivorientierten Werte vgl. Klages 1993), die beispielsweise Begriffe wie Familie, Partnerschaft und Freundschaft umfassen. Im konkreten Beispiel sind das: (1) »Eine gute Partnerschaft führen«, (2) »Ein harmonisches Familienleben«, (3) »Kinder haben« und (4) »Freundschaften haben«.

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237

Tabelle 12: Wichtigkeit der Lebensziele in % und Rangliste nach Mittelwerten (1= sehr wichtig/ 2 eher wichtig) sehr wichtig

eher wichtig

Rangliste nach Mittelwerten

Frei und unabhängig sein

70,1

17,3

5 (Mittelwert: 1,44)

Sich selbst verwirklichen

39,4

33,9

10 (Mittelwert: 1,93)

Gutes Aussehen

29,7

34,4

13 (Mittelwert: 2,16)

Finanzielle Sicherheit

42,4

36,2

9 (Mittelwert: 1,88)

Im Leben zu etwas bringen

38,3

30,5

11 (Mittelwert: 2,05)

Beruflicher Erfolg

30,7

36,2

12 (Mittelwert: 2,13)

Mein Heim und meine Gemütlichkeit

54,7

24,2

8 (Mittelwert: 1,73)

Glauben leben

83,1

13,1

2 (Mittelwert: 1,22)

Ein religiöses Leben führen

69,5

21,1

4 (Mittelwert: 1,43)

Gute Partnerschaft

88,4

4,7

1 (Mittelwert: 1,19)

Harmonisches Familienleben

76,9

15,4

3 (Mittelwert: 1,32)

Kinder haben

63,6

19,4

7 (Mittelwert: 1,63)

Freundschaften haben

58,5

33,1

6 (Mittelwert: 1,52)

Lebensbereiche Selbstverwirklichung

Materielle Verwirklichung

Religiöse Verwirklichung

Kollektive Werte

Quelle: Eigene Darstellung

238 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

Betrachtet man Tabelle 12, so zeigt sich, dass eine »Gute Partnerschaft«, »Ein harmonisches Familienleben führen« und »Den Glauben leben« von den meisten als sehr wichtig erachtet wird. Dann erst kommt ein Wert aus der Kategorie Selbstverwirklichung, nämlich »Frei und unabhängig sein«. Ein Blick auf die Mittelwerte der Zustimmungen, macht deutlich, dass religiöse und kollektive Werte bei den hier befragten Muslima in der Rangliste der Wichtigkeit die ersten vier Positionen einnehmen. An fünfter Stelle folgt schließlich die Aussage »Frei und unabhängig sein« in der Kategorie Selbstverwirklichung. Eine untergeordnete Rolle spielen die materiellen Werte und der größte Teil der Items in der Kategorie Selbstverwirklichung. Wie lassen sich die Ergebnisse nun einordnen? Ein Vergleich mit türkischen kopftuchtragenden Frauen (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006) und mit wahlberechtigten Frauen in Deutschland (vgl. Infratest/ dimap 2005) kann nur zum Teil gezogen werden. Grund hierfür ist, dass nur gewisse Items in den drei unterschiedlichen Studien auf gleiche Weise abgefragt wurden (vgl. Abbildung 23). 70% der hier befragten Muslima, 79% der kopftuchtragenden Türkinnen und 78% der wahlberechtigte Frauen bewerteten die Aussage »Frei und unabhängig sein« als sehr wichtig. Eine sehr bedeutende Rolle spielt auch das Ziel eine gute Partnerschaft zu führen (Muslima: 88%; kopftuchtragende Frauen: 82%; wahlberechtigte Frauen: 78%). Kinder scheinen ebenfalls für alle drei Gruppen von großem Belang zu sein. 64% der untersuchten Muslima, 52% der kopftuchtragenden Türkinnen und 63% der wahlberechtigten Frauen gaben an, dass dies ein sehr wichtiges Ziel in ihrem Leben sei. Hierbei sticht ins Auge, dass nur ca. jede zweite kopftuchtragenden Türkin einen Kinderwunsch hegt. Das sind ca. zehn Prozentpunkte weniger als bei den anderen beiden Vergleichsgruppen. Auffallend ist, dass bei diesen drei Items eine große Ähnlichkeit zwischen den drei Gruppen vorzufinden ist. Es zeigt sich, dass das Familienleben für alle drei Gruppen gleichermaßen wichtig ist. Darüber hinaus wollen die Frauen jedoch auch unabhängig sein und ihr Lebens selbst gestallten.

7. E MPIRISCHE E RGEBNISSE: R ELIGION , G ESCHLECHT , I DENTITÄT |

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Abbildung 23: Ausgewählte Lebensziele im Vergleich in % (sehr wichtig) 66 0

20

40

60 52

Kinder haben

80 64 63

88 82 78 83

Gute Partnerschaft Glauben leben

95

30 55

Mein Heim und meine Gemütlichkeit Es im Leben zu etwas bringen

38

Frei und unabhängig sein

Muslima

Kopftuchtragende Muslima

70 68 71

35 42

Finanzielle Sicherheit Gutes Aussehen

100

30 45

67

78

68 70

79 78

Wahlberechtigte Frauen

Quelle: eigene Darstellung, basierend auf: eigener Erhebung (Muslima), Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006 (Türkische kopftuchtragende Frauen) und Infratest/ dimap 2005 (Deutsche wahlberechtigte Frauen)

Hinsichtlich der Kategorie »den Glauben leben können« werden Parallelen zwischen den hier befragten Muslima (Muslima: 83%) und den türkischen Kopftuchträgerinnen (kopftuchtragende Frauen: 95%) deutlich. Diese beiden Gruppen unterscheiden sich deutlich von den befragten wahlberechtigten Frauen (30%). Religion scheint im Gegensatz zu den deutschen Frauen

66 Aufgrund der Prozentangaben ohne Kommazahlen in den herangezogenen Studien von Jessen/Wilamowitz-Moellendorff und Infratest/dimap wurden hier die Prozentzahlen auf ganze Zahlen aufgerundet.

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eine weitaus größere Rolle zu spielen, wobei die türkischen kopftuchtragenden Frauen ihren Glauben als mit Abstand am wichtigsten einstufen. Im Unterschied dazu zeigen sich Ähnlichkeiten zwischen den wahlberechtigten Frauen (35%) und den hier untersuchten Muslima (38%) bezüglich der Variablen »Es im Leben zu etwas bringen«. Während der Zustimmungswert bei diesen beiden Gruppen ca. ein Drittel beträgt, scheinen türkische kopftuchtragende Frauen ehrgeiziger zu sein. 71% geben an das sie es sehr wichtig finden im Leben etwas zu erreichen. Bei den Items »Finanzielle Sicherheit«, »Mein Heim und meine Gemütlichkeit« und »Gutes Aussehen« werden große Unterschied zwischen den hier befragten Muslima und den beiden anderen Gruppen deutlich. Finanzielle Sicherheit scheint den befragten Muslima (42%) nicht so wichtig zu sein wie den anderen beiden Gruppen, die sich in ihrem Antwortverhalten sehr ähnlich sind (kopftuchtragende Frauen: 67%; wahlberechtigte Frauen: 68%). Der gleiche Effekt findet sich in der Kategorie »Mein Heim und meine Gemütlichkeit«. 55% der Muslima gaben an, dass sie dieses Item als sehr wichtig empfinden. Im Vergleich dazu sind es 70% der kopftuchtragenden Frauen und: 68% der wahlberechtigten Frauen. In der Kategorie »Gutes Aussehen« kommt es zu einer Differenzierung zwischen allen drei Gruppen: Während für die meisten kopftuchtragenden Türkinnen (68%) dieser Aspekt sehr wichtig ist, scheint er für lediglich 45% der deutschen und 30% der hier befragten muslimischen Frauen von sehr großer Bedeutung zu sein. Im Allgemeinen scheint es, dass den hier befragten Muslima individuelle und materialistische Werten weniger wichtig sind als den anderen beiden Gruppen, die zum Vergleich herangezogen wurden. Gleichzeitig kommt es in einigen Kategorien zu Übereinstimmung mit einer oder sogar mit beiden Gruppen. Im Allgemeinen zeigt sich, dass die Muslima doch eher eine hybride Position einnehmen. Neben einem Vergleich mit türkischen kopftuchtragenden und wahlberechtigten Frauen, wurden die Ergebnisse noch weiter verdichtet. Hierdurch sollten weitere Aussagen über Ähnlichkeiten innerhalb der hier untersuchten Gruppe getroffen werden. Durch eine Faktorenanalyse wurden Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Items ermittelt, d. h. es wurden diejenigen Werteangaben zusammengefasst, die tendenziell eher gemeinsam genannt wurden. Anschließend wurden die jeweils zusammengehörenden Items zu Typen komprimiert.

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Wie die Komponentenmatrix zeigt, lassen sich 4 Gruppen bilden (vgl. Tabelle 13). Gruppe 1 lädt auf den Faktoren: (a) »Finanzielle Sicherheit für die Zukunft«, (b) »Es im Leben zu etwas bringen«, (c) »Erfolg im Beruf haben«, (d) »Gute Freundschaften haben« und (e) »Sich selbst verwirklichen«. Diese Gruppe könnte hier als »freundschaftsbasierter Materialist« bezeichnet werden, da neben allen Selbstverwirklichungsitems auch der Faktor Freundschaften eine wichtige Rolle spielt. Die Gruppe möchte beruflichen Erfolg haben und es im Leben zu etwas bringen. Die zweite Gruppe lädt auf den religiösen Faktoren (a) »Meinen Glauben leben« sowie (b) »Ein religiöses Leben führen«. Hinzu kommt ein kollektiver Wert: (c) »Eine gute Partnerschaft führen«. Der letzte Faktor lädt, im Vergleich zu den anderen, aber eher schwach. Zusammenfassend kann diese Gruppe als »religiöser Familientyp« bezeichnet werden, für den speziell das Religiöse von immenser Wichtigkeit ist. Der Dritte Faktor lädt auf den Items (a) »Mein Heim und meine Gemütlichkeit«, (b) »Kinder haben« und (c) »Ein harmonisches Familienleben« führen. Dieser Typ kann als reiner »traditioneller Familientyp« bezeichnet werden. Der letzte Faktor lädt ausschließlich auf dem Item (a) Möglichst frei und unabhängig sein. Entsprechend kann diese Gruppe kann als »reiner Freiheitstyp« eingeordnet werden. Dieses Ergebnis spiegelt die Heterogenität innerhalb der untersuchten Frauenvereine wider. Auch wenn Religion (vgl. Kapitel 7.4) eine bedeutende Rolle einnimmt, zeigt die Faktorenanalyse, dass die Muslima unterschiedliche Wertvorstellungen und Lebensziele vertreten. Für eine Gruppe sind materielle Werte, für andere Familie oder Freiheit und für wiederum andere religiöse Werte von Bedeutung. Bezogen auf die Lebensziele zeigen sich damit vier Idealtypen: Der »freundschaftsbasierte Materialist«, der »religiöse Familientyp«, der »traditionelle Familientyp« sowie der »reine Freiheitstyp«.

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Tabelle 13: Rotierte Komponentenmatrix von Lebenszielen67 Komponente 1

Eine gute Partnerschaft

2

3

,512

Möglichst frei und unabhängig sein.

,839

Mein Heim und meine Gemütlichkeit Finanzielle Sicherheit für die Zukunft.

,717 ,512

Kinder haben

,737

Meinen Glauben leben Es im Leben zu etwas bringen

4

,840 ,800

Gutes gepflegtes Aussehen

Ein harmonisches Familienleben

,643

Erfolg im Beruf haben

,836

Gute Freundschaften haben

,594

Sich selbst verwirklichen

,645

Ein religiöses Leben führen

,843

Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse; Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. Die Rotation ist in 11 Iterationen konvergiert. Quelle: Eigene Darstellung

67 Das Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium beträgt 0,73. Die Ergebnisse können demnach als ziemlich gut bezeichnet werden. Chi-Quadrat: 496,109.

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7.8 P ARTNERSCHAFT , F AMILIE UND G ESCHLECHTERROLLEN 7.8.1 Partnerschaft und Familienstand Seit den 1960er Jahren ist die klassische Großfamilie in den meisten westlichen Industriestaaten einem starken Veränderungsprozess unterworfen. Vorgegebene Abläufe, bei denen noch vor 40 Jahren beispielsweise auf das Kennenlernen die Heirat folgte und dann ein gemeinsamer Haushalt mit Kindern gegründet wurde, sind in dieser Form heute kaum noch existent. Vielmehr kommt es zu einer Individualisierung der Lebensläufe und einer Verlängerung der Jugendphase. Das traditionelle Familienbild wird den modernen Ansprüchen der Gesellschaft angepasst, die Ehe stellt anscheinend ein Auslaufmodell dar. Anhaltspunkte für eine zunehmende Distanz zur Ehe sind die abnehmende Anzahl an Eheschließungen und der Anstieg des Scheidungsrisikos. Außerdem lässt sich feststellen, dass immer mehr Menschen ledig bleiben. Waren zu Beginn des Jahres 2000 noch 11% der Frauen und 18% der Männer im Alter von 40 bis 44 Jahren ledig, ist die Ledigkeitsrate seit 1991 in dieser Altersgruppe bei den Männern um 6% und bei den Frauen um 7% angestiegen. (vgl. Engstler/ Menning 2003: 63ff). Anfang der 1960er Jahre lag die Zahl der Eheschließungen noch bei circa 700.000. Seitdem ist die Rate rückläufig. Im Jahr 2006 schlossen insgesamt 374.000 Paare in Deutschland eine Ehe (vgl. Statistisches Bundesamt 2008: 32). Auch das Scheidungsrisiko ist seit den 1960er Jahren angewachsen. Im Jahr 2006 belief sich die Zahl der Scheidungen auf 191.000. Berücksichtigt man die Dauer der geschiedenen Ehen, so wäre bei einem Anhalten der derzeitigen Scheidungshäufigkeit damit zu rechnen, dass etwa jede dritte Ehe im Laufe der Zeit wieder geschieden wird (vgl. Statistisches Bundesamt 2008: 32f). Bevor nun das Partnerschaftsverhalten der hier untersuchten muslimischen Frauen eruiert wird, soll zunächst allgemein der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich die Eheschließungen der Muslime von denen der allgemeinen Bevölkerung unterscheiden. Um diese Fragen zu beantworten, wurden die Frauen der vorliegenden Untersuchung zum Familienstand befragt und die Ergebnisse mit den Daten des ALLBUS verglichen. Die ALLBUS-Befragung ergab, dass 60,3% der deutschen Bevölkerung verheiratet sind und mit ihrem Partner zusammenleben. 22,2% sind ledig, 7,9%

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geschieden, 1,9% verheiratet, leben jedoch von ihren Partner getrennt, und 7,7% sind verwitwet (vgl. Abbildung 24). Werden die ALLBUS-Muslime aus der Gruppe aller Befragten isoliert, wird deutlich, dass diese weitaus häufiger verheiratet und seltener geschieden sind (vgl. Abbildung 24). Der Familienreport 2005 stellt in diesem Zusammenhang fest, dass nichteheliche Formen des Zusammenlebens bei türkischen Familien mit ca. 2% nur marginal vorkommen (Henry-Huthmacher/ Hoffmann 2006: 27). Auf Basis dieser Daten lässt sich folgern, dass Muslime im Allgemeinen eher in traditionellen Familienverbänden leben. Abbildung 24: Familienstand in % 0

20

40

60

80

100

60,2 78,7

verheiratet und zusammen lebend 60,3 26,6 13,8 22,2

ledig

geschieden

verheiratet und getrennt lebend

verwitwet

Muslima

7,8 4,3 7,9 3,1 1,1 1,9 2,3 2,1 7,7

ALLBUS Muslima

ALLBUS Gesamt

Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf: ALLBUS-Gesamt (2006); ALLBUSMuslima (2006); Muslima (eigene Erhebung)

Ein Vergleich zu der vorliegenden Studie zeigt folgendes Bild. Im Gegensatz zu den »ALLBUS-Muslimen« stimmen die Antworten der hier befragten Muslima eher mit denen der allgemeinen Bevölkerung überein. Unterschiede existieren lediglich in den Kategorien »ledig« und »verwitwet«, was zu einem großen Teil auf die Alterstruktur der vorliegenden Stichprobe zurückzuführen ist: Darunter befindet sich nur eine geringe Anzahl älterer

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Frauen und gleichzeitig eine größere Zahl sehr junger Frauen (vgl. Kapitel 7.2.1). Bei letzterer Gruppe ist eine Ehe insofern rechtlich entweder nicht möglich oder spielt in der Lebensplanung noch keine bedeutende Rolle. Dass Witwen in der vorliegenden Stichprobe unterrepräsentiert sind, ist auf den geringen Anteil von Personen in den höheren Alterklassen zurückzuführen. Ein markanter Unterschied zwischen der Erhebung von ALLBUS und der hier erhobenen Stichprobe zeigt sich in der Kategorie »Verheiratet und lebe von meinem Ehepartner getrennt«. Mit 3,1% fällt die Ausprägung bei den hier befragten Muslima zwar im Allgemeinen sehr gering aus, allerdings ist sie dreimal so groß wie bei den »ALLBUS-Muslimen« (1,1%) und liegt über dem Wert der allgemeinen Bevölkerung (»ALLBUS-Gesamt« 1,9%). Dies ist überraschend, da die befragten Frauen im Vergleich zur ALLBUS-Stichprobe durchschnittlich jünger sind und das Risiko einer Trennung daher eher als geringer einzustufen wäre. Die Scheidungsrate ist mit der der allgemeinen Deutschenbevölkerung zu vergleichen, liegt aber um knapp drei Prozentpunkte höher als bei den befragten Muslimen des ALLBUS. Damit ist die Trennungsrate (Scheidung und vom Partnergetrennt leben) bei der hier untersuchten Gruppe am höchsten. In den qualitativen Interviews wurde deutlich, dass manche Beziehungen an den unterschiedlichen Vorstellung von Geschlechterrollen in der Ehe zerbrochen sind. Einige Frauen erzählten, dass es zu Konflikten kam, weil ihre Männer ein sehr traditionelles Frauenbild vertraten. Dies wurde auf eine Sozialisation der Ehepartner zurückgeführt, die eine Vormachtstellung des Mannes suggeriert. Diese Erziehungsinhalte stellen nach Ansicht der Befragten allerdings keine muslimischen Normen, sondern vielmehr Traditionen der Herkunftsländer (z. B. Marokko) dar, die mit religiösen Regeln vermischt werden. 7.8.2 Rollen- und Familienverständnis Neben der Veränderung von Partnerschaft und Ehe, kommt es auch zur Veränderung der traditionellen Rollenmuster innerhalb deutscher Familien seit dem 20. Jahrhundert. Männer haben zu einem großen Teil die Rolle des klassischen Ernährers und die des Familienoberhaupts verloren. Demgegenüber lösen sich Frauen zunehmend aus den festgelegten Rollenerwartungen, beispielsweise Hausfrau und Mutter zu sein. Rüdiger Peuckert stellt

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drei Gründe für die neue Stellung der Frau innerhalb der Familie heraus: Individualisierung der Lebenszusammenhänge, Vereinbarkeitsprobleme von Familie und Beruf sowie Destandardisierung der weiblichen Lebensläufe (vgl. Peuckert 2005: 259ff). Mit der »Individualisierung der Lebenszusammenhänge« ist aktive und individuelle Rollenaneignung durch die Frauen selbst gemeint. Frauen können heute – stärker als früher – aus zugeschriebenen Rollen und Rollenerwartungen ausbrechen. Dies führt einerseits zu einer größeren Freiheit der Lebensplanung, andererseits löst diese neue Freiheit die Frauen jedoch stärker aus dem Familienverband heraus. Beck-Gernsheim beschreibt den Wandel des weiblichen Lebenszusammenhangs als einen Weg fort von einem »Dasein für andere« hin zum Anspruch auf ein Stück »eigenes Leben« und Selbstverwirklichung (vgl. Beck-Gernsheim 1983). Der Hauptgrund für diese Veränderung sind die verbesserten Bildungschancen für Frauen bzw. junge Mädchen. Nach dem Datenreport aus dem Jahre 2006 erreichten Frauen 2004, wie auch schon in den vorangegangenen zehn Jahren, im Bereich der allgemeinbildenden Schulen deutlich bessere Abschlüsse als ihre männlichen Altersgenossen. Nur 6,1 % der Frauen verließen die allgemeinbildende Schule ohne Abschluss, jedoch 10,5% der Männer (vgl. Statistisches Bundesamt 2006: 58, 71). Hinzu kommt, dass im Jahr 2006 mehr Frauen die Schule mit der allgemeinen Hochschulreife verließen als Männer. Dies gilt sowohl bei Deutschen (Männer: 28%; Frauen: 36,3%) wie auch bei Ausländern (Männer: 8,9%; Frauen: 11,4%) (vgl. Klieme/ Eckhard 2008: 274). Auch bei der Zahl der Studienanfänger zeigt sich eine positive Veränderung. Die Zahl der Frauen, die ein Studium anfangen, stieg von 45,1% (1994) auf 48,8% (2004), womit die Zahl fast das gleiche Niveau erreicht wie bei den männlichen Studienanfängern. Auch bezüglich der Absolventen zeigt sich eine Veränderung: Waren im Jahr 1994 noch 40,6% der Universitätsabsolventen weiblich, sind es im Jahr 2004 schon 48,7% (vgl. Statistisches Bundesamt 2006: 58, 71). Diese Bildungsexpansion führt für Frauen auf der einen Seite zu einer Erweiterung des Handlungsspielsraums, erhöht die Chancen für eine Durchsetzung der eigenen Interessen und steigert die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Auf der anderen Seite kann es zu Vereinbarungsproblemen zwischen Beruf und Familie kommen. Frauen entscheiden sich nun öfter für den Weg des beruflichen Erfolgs und der individuellen Selbstverwirklichung, was sich auf die Familienplanung und Rollenverteilung innerhalb der Familie auswirkt und zu Zielkonflikten

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führen kann. Dies trifft speziell auf Beziehungen zu, in denen einer der Partner an einer klassischen Rollenverteilung festhält. Zwar hat sich das Konzept des Zweiverdiener-Modells als Leitbild im Allgemeinen durchgesetzt, die tatsächliche Realisierung ist aber noch nicht vollständig vollzogen. Die gewünschte Work-Life-Balance kann häufig noch nicht hergestellt werden (vgl. Peuckert 2005: 268). Mit dem Begriff der destabilisierten Lebensläufe wird das Phänomen der unterbrochenen Erwerbstätigkeit bis zum Ruhestand beschrieben. Im Vergleich zu Männern sind die Lebensläufe von Frauen immer noch heterogener. Ein Wechsel zwischen beruflichem und familialem Bereich innerhalb einer Lebensspanne ist bei Frauen viel häufiger vorzufinden als bei Männern. Dies kann zu einem permanenten Entscheidungsdruck sowie zu einer Diskrepanz zwischen beruflicher Entfaltung und familiären Anforderungen im Lebenslauf führen. Die Vorstellungen von verschiedenen Partnerrollen und dem Geschlechterverhältnis haben sich somit in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert; Frauen lösen sich von traditionellen Lebensentwürfen und ersetzen diese – oft auch gezwungenermaßen – durch individuelle Lebensplanungen (vgl. Knothe 2002). In folgenden Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, welches Rollen- und Familienverständnis Muslime und speziell die hier untersuchten Frauen besitzen. Erste Anzeichen für ein traditionelleres Rollenbild bei Muslimen bieten die Daten zum Heiratsverhalten des ALLBUS. Der Frage »Meinen Sie, dass man heiraten sollte, wenn man mit einem Partner dauerhaft zusammen lebt?« stimmen 55% aller Befragten der ALLBUS-Erhebung zu. 31,7% gehen davon aus, dass dies nicht unbedingt notwendig ist. Im Gegensatz dazu gehen 80,8% der befragten Muslime davon aus, dass bei einer solchen Konstellation doch geheiratet werden sollte. Für den größten Teil der befragten Muslime scheint erst ein Eheverhältnis eine langjährige Beziehungen zu legitimieren (vgl. hierzu auch Hense et al. 2008). Jessem et al. kommen in ihrer Studie zu ähnlichen Ergebnissen: Der Aussage »Wenn man ein Kind haben möchte, muss man auch heiraten« stimmten 89% der türkischen kopftuchtragenden Frauen zu (vgl. Jessem/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 34). Weidacher stellt in seiner Studie bezüglich der Rollenverteilung ebenfalls heraus, dass besonders sehr gläubige türkische Jugendliche zu einer eher traditionellen Rollenverteilung tendieren. Diese Gruppe geht am stärksten davon aus, dass der Mann eine dominie-

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rende Rolle innerhalb der Partnerschaft einnehmen sollte (vgl. Weidacher 2000: 127). Welches Rollen- und Familienverständnis vertreten nun die hier befragten Muslima? Der Aussage »Wenn man ein Kind haben möchte, muss man auch heiraten« stimmten 77,9% der Muslima mindestens ziemlich zu (vgl. Tabelle 14). Ehe scheint für den größten Teil der Befragten das legitimierende Merkmal zu sein, um eine Elternschaft zu beginnen. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich auch bei kopftuchtragenden Muslimen mit türkischen Migrationshintergrund (vgl. dazu auch Jessem/ Wilamowitz-Moellendorff 2006: 34). Im Allgemeinen hat es den Anschein, dass besonders gläubige Frauen die Ehe als die wahre und richtige von Gott gegebene Institution verstehen, die es erst erlaubt Kinder zu bekommen. Tabelle 14: Einstellungen zum Geschlechterverhältnis in % (stimme voll zu/ stimme ziemlich zu)

Vorgegebene Aussagen

in %

In einer Ehe/ Partnerschaft ist es heute wichtig, dass sich auch die Frau ihre beruflichen Wünsche erfüllen kann.

83,3

Wenn man ein Kind haben möchte, muss man auch heiraten.

77,9

Männer sind für die Kindererziehung genauso gut geeignet wie Frauen.

68,5

Wenn Kinder da sind, sollte der Mann weniger arbeiten und sich mehr um die Familie kümmern.

40

Auch wenn eine Frau arbeitet, sollte der Mann der »Hauptverdiener« sein und die Frau sollte die Verantwortung für den Haushalt tragen.

39,5

Wenn Kinder da sind, sollte die Frau zu Hause bleiben und die Kinder versorgen und nicht berufstätig sein.

27,5

Ein Mann, der nur das Haus führt und nicht arbeiten geht, ist kein richtiger Mann.

17,7

Quelle: Eigene Darstellung

Kaum überraschend ist hingegen, dass der überwiegende Teil der Muslima ihre Selbstverwirklichung nicht ausschließlich an das familiäre Glück koppeln. Der Aussage »In einer Ehe/ Partnerschaft ist es heute wichtig, dass

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sich auch die Frau ihre berufliche Wünsche erfüllt« stimmen 83,3% der Frauen zu. Demnach scheint der größte Anteil keinen Widerspruch zwischen Ehe und beruflicher Entwicklung zu sehen. Vielmehr möchten die Frauen beruflich weiterkommen und einen Partner, der diese Entscheidung mit trägt. Dieser hohe Wert liegt noch unter dem Ergebnis der Studie von Jessen und Wilamowitz-Moellendorff (vgl. Jessen/ Wilamowitz-Moellendorff 2006). Die von ihnen interviewten kopftuchtragenden Türkinnen gaben zu 94% an, dass sie in einer Partnerschaft nicht auf eine berufliche Entwicklung verzichten möchten. Diese Frauen widersprechen damit dem Bild der unmündigen Muslima, die sich dem Mann unterzuordnen hat. Vielmehr haben sich bei den hier untersuchten Frauen das ZweiverdienerModell und die berufliche Selbstverwirklichung als Partnerschaftsmodell durchgesetzt. Inwieweit dieses aber in der praktischen Lebensgestaltung verwirklicht wird, kann nicht vollständig geklärt werden. Der Wunsch nach beruflicher Entfaltung ist meist kein konfliktloser Prozess, in vielen Fällen muss eine Selbstverwirklichung ausgehandelt oder auch gegen Widerstände durchgesetzt werden. So berichtet eine konvertierte Muslima von kulturellen Unterschieden zwischen ihren eigenen Rollenerwartungen und denen ihres Partners, die notwendigerweise zu einem Aushandlungsprozess führten, was sie am Beispiel der Zubereitung des Essens verdeutlicht: »Und alles, was so negativ ist, dann ist es eigentlich immer so, dass ich dann sage, da hättest du eine Marokkanerin heiraten müssen, bei mir gibt es so was nicht. Also bei mir gibt es das nicht, das ich als Hausfrau leben werde, nur damit er abends wenn er von Studium kommt ein warmes Essen hat. Dann muss er sich halt einen Döner holen, weil ich bin selber beschäftigt mit meinen Sachen.« (Lena/ IMAN)

Ein Blick auf das Antwortverhalten zu der Behauptung: »Auch wenn eine Frau arbeitet, sollte der Mann der Hauptverdiener sein und die Frau sollte die Verantwortung für den Haushalt tragen«, zeigt sich ein etwas anderes Bild. 39,5% der befragten Muslima äußerten hierzu ihre Zustimmung, die gleiche Anzahl lehnte die Aussage ab (39,5%). Es überrascht nicht nur, dass das Ergebnis dem vorangegangenen z. T. widerspricht, sondern sich auch von den Ergebnissen der Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) unterscheidet. In dieser Erhebung stimmten 26,1% der westdeutschen und 30,2% der ostdeutschen Frauen zwischen 24 bis 29 Jahre diesem Statement

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zu (vgl. Knothe 2002: 123). Die Zustimmungsbereitschaft der Muslima ist somit größer als die der vom DJI untersuchten Frauen. Nicht nur, dass sich die Frauen von dieser Gruppe abheben, auch innerhalb der Muslima scheint es deutliche Unterschiede zu geben. Es kristallisieren sich zwei Hauptgruppen heraus. Die erste fordert die Gleichberechtigung in den Bereichen Haushalt und Beruf, wenn beide beruflich tätig sind. Ihrer Meinung nach sollten alle Aufgaben gleich verteilt werden, während die zweite Gruppe eine geschlechterorientierte Arbeitsteilung bevorzugt. Ihrer Ansicht nach sollte der Mann immer noch Hauptverdiener sein und die Frau sich eher um den Haushalt kümmern. Der Aussage »Wenn Kinder da sind, sollte die Frau zu Hause bleiben und die Kinder versorgen und nicht berufstätig sein.« stimmten 27,5% der Frauen mindestens ziemlich zu. Zieht man einen Vergleich zur DJI-Studie von 1997 wird ersichtlich, dass 35% der westdeutschen Frauen zwischen 24 und 29 Jahren dieser Aussage beipflichten. Im Osten sind es 31,2%. Das Statement wird damit von den hier befragten Muslima stärker abgelehnt als von deutschen Frauen. Hierbei ist auffallend, dass der größte Anteil der in der vorliegenden Studie befragten muslimischen Frauen dieser Aussage nur teilweise zustimmt (41,2%). Die Frage kann offensichtlich von vielen nicht eindeutig beantworten werden. Es hat den Anschein, dass dieser Teil der Frauen eine solche Entscheidung von der jeweiligen Lebenssituation abhängig macht. Nilgül beschreibt wie sich Destabilisierung ihres Lebenslaufs auf eine solche Entscheidung auswirkt und daher immer situationsbedingt bewertet werden sollte: »Also ich mache zurzeit eine Weiterbildung im Rechnungswesenbereich, dass ich mich da mehr spezialisiere. Mein Ziel ist es, Buchhalterin zu werden, dafür brauche ich halt noch drei Jahre Berufserfahrung. Dann überlegt man natürlich schon, naja, jetzt bin ich schon an die 30 und wenn du dann noch drei Jahre Berufserfahrung dazu zählst, 33, und wenn du dann auch noch ein paar Kinder im Leben haben willst, dann ist das natürlich schwer. Deshalb. Mal entscheidet man sich für die Familie irgendwo und mal entscheidet man sich eben für die Weiterbildung oder für die Arbeit. Das ist auch wichtig, dass man sich selbst diese Entscheidung gut überlegt.« (Nilgül/ IMAN)

Die nächsten Aussagen zielen auf die Rollenverteilung bei der Kindererziehung ab. Zuerst wurde gefragt, ob Männer genauso gut für die Kindererzie-

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hung geeignet sind wie Frauen. Von den Befragten sind 68,5% dieser Ansicht. Demnach ist ein großer Teil der Untersuchungsgruppe der Meinung, dass die Kinderzeihung von beiden Geschlechtern in gleichem Maße geleistet werden kann. Der Aussage »Wenn Kinder da sind, sollte der Mann weniger arbeiten und sich mehr um die Familie kümmern« stimmen 40% der Frauen zu. Demnach ist Erziehung für viele keine reine Frauensache, sondern eine Aufgabe, die von beiden Partnern gleichermaßen geleistet werden sollte. Dennoch existiert ein relativ großer Prozentsatz (42,3%), der dem Statement nur teilweise zustimmt (vgl. Tabelle 14). Als Beispiel kann hier der Interviewauszug von Frau Mayer angefügt werden. Ihrer Ansicht nach besitzen Frauen in den ersten Lebensjahren der Kinder die Hauptverantwortung für deren Erziehung, da diese Rolle – zumindest am Anfang – der Frau durch Allah zugeteilt wurde. Danach ist die Rollenverteilung frei verhandelbar. Hierbei kann der Mann dann auch die Rolle im Haushalt übernehmen. In einem Ehevertrag sollten derartige Sachverhalte vorab festgelegt werden. »Wir sagen einfach, es gibt Männer und Frauen, so hat Allah das gewollt. Die Frauen bekommen die Kinder und sind ca. in den ersten zwei Jahren, auch wegen des Stillens, die Hauptversorger für das Kind. Das ist eben biologisch so vorbestimmt. Aber nach dieser Zeit ist alles möglich. Alle Möglichkeiten stehen offen. Es gibt keine Rollen, die grundsätzlich von Männern oder grundsätzlich von Frauen zu erfüllen sind, so nach dem Motto: Frau für Kind, Küche, Herd und Mann für draußen, Arbeit, große Macht, Politik und so weiter. So was, sagen wir, existiert eigentlich nicht. Es gibt eine totale Freiheit im Islam. Wenn sich eine Familie bildet im Islam, sollte es so sein, dass ein Ehevertrag gemacht wird zwischen den Ehepartnern und da kann in totaler Vertragsfreiheit von beiden Partnern alles vereinbart werden, was diese beiden, die sich da zusammentun, individuell wollen – jede. Es mag zwei Menschen geben, die dann vereinbaren, dass die Frau lieber auf die Kinder aufpassen, bzw. sie hauptsächlich erziehen möchte und daher lieber zuhause bleiben möchte. Es kann aber auch mit dem Mann so ausgemacht werden, dass sich beide die Kindererziehung und die Hausarbeit teilen, oder dass er die Kindererziehung zum großen Teil übernimmt und sie den Lebensunterhalt verdient. Solche Dinge werden im Prinzip vor der Eheschließung ausgemacht, damit dann, wenn die Ehe stattfindet, solche Konflikte, solche Themen eigentlich nicht mehr auftreten sollten.« (Mayer/ HUDA)

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Die von Frau Mayer angesprochene Rollenteilung findet sich bei Canan. Während der ersten Lebensjahre ihrer Kinder übernahm sie deren Versorgung. Anschließend verspürte sie jedoch ein Bedürfnis nach beruflicher Selbstverwirklichung, weshalb ihr Ehemann sich beruflich umorientierte, so dass er von zu Hause aus arbeiten konnte. Seitdem hat sich die traditionelle Rollenverteilung in Canans Haushalt umgekehrt. Während die Frau einer Ganztags-Beschäftigung nachgeht, kümmert sich ihr Ehemann um den Haushalt sowie die Kinder. In diesem Fall ist der Mann der Doppelbelastung durch Beruf und Hausarbeit ausgesetzt. »Bei uns ist es eher so, dass mein Mann eigentlich zu Hause ist mit den Kindern und eben von zu Hause aus arbeitet. Er hat ein Home-Office und kümmert sich auch um alles, was die Kinder anbelangt. Ich gehe morgens um 8.00 Uhr aus dem Haus und komme um 17.00 Uhr nach Hause und habe damit so eigentlich nicht mehr so viel zu tun mit der Hausarbeit und was da noch anfällt. Also das macht eigentlich alles er im Moment. Ich meine am Anfang habe ich das halt gemacht, als er noch fest angestellt war. [...] Er macht das halt und ich brauche das halt auch. Und dementsprechend hat er sich dann halt auch umorientiert beruflich und ich denke das macht eigentlich eine Partnerschaft aus – dass man sieht was der andere braucht und ich denke ich habe jetzt lange genug meine Zeit den Kindern gewidmet und gearbeitet hier, ich will jetzt einfach mal ich sein. Ein bisschen Egoismus muss einfach sein.« (Canan/ IMAN)

Völlig anders sieht die Situation hingegen bei Frau Schneider aus. Diese erzählt im Interview, dass sie seit der Geburt ihres ersten Kindes Hausfrau und Mutter sei, während ihr Mann einer beruflichen Tätigkeit nachgehe. Im Interview kritisiert sie, dass in Deutschland die Meinung vorherrsche, die Frau solle einem Beruf nachgehen und gleichzeitig Mutter sein. Dabei handele es sich um eine Doppelbelastung, die nicht dauerhaft funktionieren könne. Frau Schneider empfand die »klassische« Rollenverteilung zunächst als völlig natürlich. Im Nachhinein war es ihr zusätzlich möglich, diese durch den Koran zu legitimieren. Ihrem islamischen Verständnis zufolge sieht sie es als Pflicht, sich ausschließlich der Hausfrauen- und Mutterrolle zu widmen: »Seitdem ich mein Kind gekriegt habe und ich bin dann zuhause geblieben und habe mein Kind gestillt und fand einfach, dass das dann ganz natürlich ist, dass wir das so

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gemacht haben – also, dass ich zu Hause geblieben bin und mein Mann arbeiten gegangen ist, weil das einfach praktischer war. Ich hätte das gar nicht anders gewollt. Und als ich dann später mehr über den Islam gelesen habe und erfahren habe, dass das eigentlich auch die Aufgabe der Frau sein soll, fand ich das eigentlich schon beruhigend. Dass ich das darf, dass ich das sozusagen soll und dass das gut ist. Schwierig finde ich halt an dem Frauenbild in Deutschland, dass man von den Frauen erwartet, dass sie Karriere machen, arbeiten gehen und dabei aber auch gleichzeitig gute Mütter sind. Ich bin halt der Meinung, das haut alles nicht hin. Das kann man nicht zusammen machen.« (Schneider/ HUDA)

Die quantitativen Ergebnisse zeigen, dass eine hierarchische Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern zum großen Teil abgelehnt wird. Besonders hinsichtlich der beruflichen Entwicklung wünschen sich die Frauen eine größere Chancengleichheit und mehr Rechte zur Selbstentfaltung. In Bezug auf die qualitativen Interviews können im Groben drei verschiedene Gruppen unterschieden werden. Es gibt zum einen Muslima, welche die Rollen von Mann und Frau als von Gott vorbestimmt akzeptieren, wobei in der Argumentation explizit auf die von Allah gegebenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern Bezug genommen wird. Dieser Gruppe ist beispielsweise Saime zuzurechnen. Sie befürwortet eine von Gott vorbestimmte Rollentrennung. Ihrer Ansicht nach haben Frauen und Männer unterschiedliche Rechte und Pflichten, was für sie jedoch nicht bedeutet, dass ein Geschlecht in der Hierarchie unter dem anderen Geschlecht stehe. Sie vertritt zwar die Meinung, dass sich Männer häufiger um die Kindererziehung kümmern sollten, findet es aber inakzeptabel, diese den Männern alleine zu überlassen, da sie von Natur aus nicht dazu in der Lage seien, die Bedürfnisse der Kinder adäquat zu erfüllen. »Ich glaube, dass Frauen näher am Leben dran sind – dadurch, dass sie einfach gebären können. Das ist jetzt keine Sache, die wir uns erobert haben, die Position haben wir vom Schöpfer zugewiesen gekriegt. Das ist so. Ich glaube, dass Frauen eine andere Empfindung haben, was die Bedürfnisse von Menschen sind, von Kindern insbesondere. So einfach ist das. Deswegen sind die Aufgabenbereiche auch so unterschiedlich. Ich habe lange gebraucht. Wie gesagt, in der Frauenbewegung habe ich mich abgestrampelt, aber dann hab ich das kapiert. Wir haben nicht die gleichen Rechte und nicht die gleichen Pflichten, aber wir sind auf einer Ebene. Wir sind nicht weniger wert als die Männer und die Männer nicht weniger wert als wir. Wenn

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wir das kapieren, dass jeder einen bestimmten Bereich hat und jeder eine bestimmte Funktion zu erfüllen hat in dieser Welt. Ich bin dafür, dass die Männer sich mehr um die Erziehung kümmern sollen. Das ist was anderes, die vernachlässigen das sträflich. Aber ein Modell, dass Männer Kinder adoptieren können, finde ich völlig daneben.« (Saime/ anonymer Verein)

Andere Muslima verfolgen eine pragmatische, situationsbezogene Gleichheitsvorstellung, worauf der hohe Prozentsatz an »teils-teils«-Angaben bei der quantitativen Auswertung hindeutet. Diese Gruppe passt die Geschlechterrollen den gegebenen Lebenssituationen an, die beispielsweise durch Berufstätigkeit bestimmt werden. Rollen werden den Geschlechtern nicht von Anfang an zugeschrieben, sondern sie werden ausgehandelt und der gegebenen Situation angepasst. Ein Beispiel hierfür stellt Hibba dar. In ihrer Ehe waren die Rollen während des Studiums egalitär verteilt – ein Verhältnis, das sich durch ihre Schwangerschaft nur geringfügig änderte: »Zum Beispiel Familie – da bin ich eher so – da ist es zum Beispiel eher so, dass ich arbeiten gehe und mein Mann eben auch arbeiten geht und also, jetzt ist es eine bisschen traditionellere Rollenverteilung, aber beim Studium war das eben total gleich. Also, je nachdem wer früher zu hause war hat gekocht und wer halt mehr Zeit hatte, hat halt den Haushalt gemacht und also es hat sich jetzt ein bisschen geändert, weil wir bald ein Kind erwarten.« (Hibba/ IMAN)

Die dritte Gruppe vertritt eine absolute Gleichstellung der Geschlechter. Alara sieht beispielsweise überhaupt keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, weshalb der Mann sich auch an der Kinderziehung beteiligen kann und muss. Ihrer Ansicht nach schreibt der Islam der Frau keine Hausfrauenrolle zu, derartige Rollenbilder sind vielmehr kulturell geprägt. Die Frau kann sich jedoch für diese entscheiden, wenn sie das möchte. »Also ich würde jetzt nicht Mann und Frau unterscheiden, ich würde jetzt die Kulturen unterscheiden. Also, wenn ich als Beispiel die Türkei nehme, da werden ja die Söhne wie Paschas erzogen. Und die Frauen werden so erzogen, dass sie alles machen müssen. Von dieser Erziehung kommt dann der Islam mit dazu. Dann mischt sich das. Ich würde nicht sagen dass sich Frauen und Männer dann unterscheiden. Das kommt mehr von der Kultur, wenn die sich dann mit reinmischt. Und das mischt sich immer ein. Ich vertrete halt die Meinung, dass im Islam die Frau zu

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Hause nichts machen muss. Ich muss nicht putzen, ich muss nicht kochen, ich muss auf meine Kinder nicht aufpassen.« (Alara/ anonymer Verein)

Auffallend ist, dass alle drei Gruppen bei ihrer Argumentation vor allem auf religiöse Argumente zurückgreifen. Dies wiederum spiegelt die Vielschichtigkeit der Vereine und das unterschiedliche Religionsverständnis der Mitglieder wieder. Welche Rollenbilder die Lebenspartner der Frauen besitzen, inwieweit eine Umsetzung der vorgestellten Meinungen tatsächlich stattfindet und wie die Alltagspraxis der Frauen aussieht, kann hier nicht geklärt werden. Andere Studien zeigen aber, dass Männer eher zu einem traditionellen Rollenbild neigen, was wiederum zu Konflikten bei der Durchsetzung von Gleichheitsvorstellungen führen kann (vgl. Knothe 2002: 124f). Berücksichtigt man nun die hohe Trennungsrate (vgl. Abbildung 24) unter den hier befragten Muslima, drängt sich die Vermutung auf, dass es bei vielen zu Rollenkonflikten innerhalb der Partnerschaft kommt. Eine große Zahl der Frauen ist in Deutschland sozialisiert worden und fordert eine Gleichstellung der Geschlechter, was mit den Traditionen einiger Herkunftsländer ihrer Männer nicht immer in Einklang zu bringen ist. Auch wenn dieser Zusammenhang hier nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, deuten die vorgestellten Daten darauf hin. Um ein Umdenken in der muslimischen Gesellschaft zu bewirken und die muslimische Frauen zu stärken, setzten die Vereine mit ihren Angeboten an dieser Schnittstelle an. Die Frauenvereine sehen ihre Aufgabe gerade darin, die Muslima auf ihrem Weg zu mehr Chancengleichheit zu unterstützend zu begleiten (vgl. Kapitel 7.1). Mit ihren Angeboten soll die Identität der Frauen stabilisiert und die Muslima gleichzeitig sensibilisiert werden. »Ich sehe es als eine sehr große Rolle, in der Gesellschaft, als auch bei den muslimischen Verbänden, weil sie sehen, dass Frauen doch was leisten können und das verwundert sie am Anfang noch: »Oh, das kann doch gar nicht sein, die wollen ja frei sein.« Besonders bei den traditionellen Denkern. Ich hab zum Beispiel Freunde aus S., die Frauenvereine gegründet haben und wo es hieß, was macht ihr da, das darf man nicht, das ist gegen den Islam und so. Dann versucht man ihnen durch Überlieferungen zu beweisen, das es total legitim ist, aber, das ist nur dieses traditionelle Denken: Die Frau gehört in die Küche. Ich denke es ist sehr wichtig, dass es diese Frauenvereine gibt. Und hier erfahren sie dann, dass die Frau das und das doch darf

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und dass sie doch ihr Abitur machen sollte und so ein Selbstbewusstsein gewinnen, mit dem sie gegenüber ihren Eltern auch mal antreten können. Das ist auf jeden Fall wichtig. Es ist wichtig Frauenvereine zu haben, wo sich die Frauen einfach hinwenden können – frei von allem traditionellen Denken.« (Fatima/ IMAN)

Dennoch besitzen die Vereine auch Prinzipien, die sehr eng an religiöse Vorgaben gekoppelt sind und die nicht unbedingt als emanzipatorisch im herkömmlichen Sinne verstanden werden können. Saime verdeutlicht dies am Beispiel Abtreibung. Wie viele religiöse Vereine, egal welcher Religionsgemeinschaft, lehnt ihr Verein Abtreibungen kategorisch ab. »Wenn jemand, der wirklich hier im Verein ist, für Abtreibung demonstrieren würde, würde ich beantragen dass der ausgeschlossen wird. Da bin ich aber sicher, weil das nicht die Sache ist, die der Schöpfer vorgesehen hat für uns. Das geht nicht. Privat kann sie machen, was sie will, aber offiziell geht das nicht.« (Saime/ anonymer Verein)

7.9 G ESCHLECHT

UND I SLAM

Den muslimischen Frauenbewegungen in Deutschland wird von der Öffentlichkeit kaum Beachtung geschenkt. Der größte Teil der Bewegungsforschung, besonders der den Frauenbewegungen gewidmete, befasst sich intensiv mit Gemeinschaften in den westlichen, christlich geprägten Staaten Europas und Nordamerikas. Eine Ausnahme bildet hier die postkolonialfeministische Bewegung, die sehr stark durch den Feminismus der schwarzen Frauen in den Vereinigten Staaten beeinflusst wurde. Schon Ende des 19. Jahrhunderts kritisierten Anhängerinnen des »schwarzen Feminismus« die Frauenbewegung, die ihrer Ansicht nach hauptsächlich von weißen Frauen aus der Mittelschicht dominiert wurde. Die schwarzen Frauenrechtlerinnen wehrten sich gegen die homogene Kategorie »Frau« und kämpften für die Berücksichtigung der speziellen Umstände von Frauen mit Migrationshintergrund im Allgemeinen und der »women of colour« im Speziellen (vgl. Dhawan 2004). Die Kategorie »Frau« wird im postkolonialistischen Feminismus als Konstruktion verstanden, die keinen beschreibenden Charakter besitzt, sondern die Differenzen aus sich heraus produziert (vgl. Rodríguez 2004). Dies

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führt einerseits dazu, dass Frauen und damit ihre Lebensumstände homogenisiert und unterschiedliche kulturelle und religiöse Aspekte ausgeblendet werden. Andererseits werden vorherrschende Geschlechterstrukturen gefestigt. »Geschlecht ist (hierbei) als Effekt mannigfaltiger Herrschaftsverhältnisse in ihrer zeitlichen und örtlichen Strukturiertheit zu begreifen.« (Rodríguez 1999: 40). Damit wehrt sich die postkoloniale Frauenbewegung gegen die Homogenisierung der Frau und kämpft für die Berücksichtigung ethnischer, kultureller und religiöser Aspekte. »Der Blick liegt nun nicht mehr ausschließlich auf der Differenz zwischen den Geschlechtern, sondern hat sich verschoben auf die Differenz innerhalb des Geschlechtes »Frau««. (Dietrich 2000: 19). Zu den postkolonialen Frauenbewegungen zählen auch Gruppierungen in den muslimischen Ländern, die sich mit religiösen Mitteln für mehr Frauenrechte in muslimischen Gesellschaften einsetzten. Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts war die Frauenrechtsfrage für die Kolonialherren wie auch für die Frauen in den arabischen Ländern von großer Bedeutung. Während die Kolonialherren die Bedeutung von Frauenrechten unter anderem betonten, um ihre kulturelle Überlegenheit zu demonstrieren, versuchten beispielsweise die Ägypterin Huda Shaarawi und die Libanesin Nazira Zain ad-Din mehr Rechte für die Frauen zu erkämpfen (vgl. Kreile 2006). Hierbei machten sich besonders Frauen aus der Oberschicht, zu der Huda Shaarawi und Nazira Zain ad-Din gehörten, die neuen Bildungschancen zu nutze, um sich Wissen über den Islam anzueignen. Derart theologisch gebildet begannen sie, durch Islam und Tradition legitimierte Beschränkungen mit einer religiösen Argumentation zu entkräften. »Die Diskussion wurde zunächst von islamischen Reformern initiiert, dann von Frauen aufgegriffen und fortgesetzt. Frauen gründeten Gruppen und Organisationen, stellten Analysen an und Forderungen auf, und auch diese Diskussionen fanden ihren Widerhall in religiösen/ islamischen Kreisen.« (Rosen 1998: 15).

Besonders ägyptische Frauenrechtlerinnen zählen hier zu den Vorreitern. So organisierte schon Huda Shaarawi Frauentreffen in ihrem Haus, um sich im Kollektiv besser zur Wehr setzen zu können (vgl. Badran 1995). Diese Frauentreffen können wohl als eine der ersten feministischen Bewegungen im islamisch geprägten Raum bezeichnet werden. Im Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen entwickelten die muslimischen Feministinnen

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unterschiedliche Strategien, die sich zum Teil stark von denen westlicher Frauenbewegungen unterschieden beziehungsweise immer noch unterscheiden. Geprägt war die Frauenbewegung in islamischen Staaten durch unterschiedliche Ideologien und durch die Verankerung in unterschiedlichen sozialen Schichten. Eine entscheidende Rolle spielten hierbei Frauen, die sich bei ihrer Argumentation auf ihre Glaubensschriften, also hauptsächlich den Koran, bezogen. Damit begannen muslimische Frauenrechtlerinnen zum ersten Mal, die im Islam idealisierte und postulierte innere Einheitlichkeit der Muslime in Frage zu stellen. Sie kritisierten die internen patriarchalischen Machtverhältnisse und die daraus entstehenden Geschlechterkonflikte innerhalb der muslimischen Gemeinde (vgl. Kreile 2003). »Der Zugang der Frauen zu moderner, westlich geprägter Bildung löste Impulse für gewisse Verbesserungen der traditionellen Stellung der Frau aus, allerdings sind patriarchalische Machtmechanismen nach wie vor wirksam, so daß die Frauen infolgedessen eine diskriminierte, von patriarchalischen Zwängen belastete Stellung in Familie und Öffentlichkeit hinnehmen müssen.« (Müller 1998: 128).

Einzelfallstudien in Deutschland zeigen, dass sich auch hier Frauen mit dem Islam gegen Ungleichbehandlung zur Wehr setzen (vgl. Klinkhammer 2000b, Nökel 2002; Stauch 2004). In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, welche Rolle der Islam und die deutsche Sozialisation bei der Konstruktion der weiblichen Identität spielen und ob es sich hier um reine Einzelfälle handelt. Darüber hinaus soll im anschließenden Abschnitt diskutiert werden, ob es sich hier um einen islamischen Feminismus, also um eine kollektive Identität handelt sowie was unter diesem Begriff verstanden werden kann. Am Ende soll eruiert werden, inwieweit sich die Befragten Frauen selbst als Feministinnen bezeichnen würden und welche Einstellungen sie gegenüber dem Feminismus vertreten. 7.9.1 Identitätskonstruktion, Geschlecht und der » reine Islam« Wie bereits gezeigt wurde, hält sich ein großer Teil der Frauen an die religiösen Gebote und Verbote (vgl. Kapitel 7.4.3). Aber welche identitätsstiftenden Wirkungen haben nun der Islam sowie der Faktor des Geschlechts

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für diese Frauen und welche Rolle spielt der Aspekt, einer »doppelten Minderheit« anzugehören, für ihre Identitätskonstruktion? Qualitative Einzelfallstudien machen deutlich, dass muslimische Mädchen mit Migrationshintergrund den Islam häufig in der Pubertätsphase entdecken bzw. wiederentdecken (vgl. hier zum Beispiel Nökel 2002: 127; 263f; Klinkhammer 2000b; Swietlik 2000: 139f). In diesem Lebensabschnitt kommt es zu einer Suche nach einer authentischen Identität und nach stabilisierenden Faktoren. Auslöser sind oftmals ein Generationenkonflikt mit den Eltern oder ein Minderheitsstatus in der deutschen Gesellschaft. Religiöse Normen und Vorgaben, Traditionen, vorgegebene Geschlechterrollen und eine androzentrisch ausgerichtete Lebensweise der Eltern werden hinterfragt und kritisiert (vgl. Klinkhammer 2000a: 137). Ferner werden durch die Fremdwahrnehmungen und -zuschreibungen des deutschen sozialen Umfelds (z. B. in der Schule) Fragen über den Islam und das Muslimsein an das Individuum herangetragen, auf die aktiv Antworten gesucht werden müssen. Das gestiegene Interesse am Islam hängt wohl auch mit dem 11. September 2001 zusammen, als diese Religion durch Gewaltakte von Islamisten in den Mittelpunkt der Berichterstattung gerückt wurde (vgl. Hafez 2002). In der Folge wurde der Islam als sehr konfliktbehaftete Religion in der Öffentlichkeit dargestellt (vgl. Hafez 1999: 132 ; Schiffer 2004) und viele Muslime wurden mit Fragen über die Vereinbarkeit des Islam mit Demokratie, Geschlechtergleichheit und westlichen Werten konfrontiert. Muslimische Migranten der zweiten und dritten Generation, besonders junge Frauen, sind häufig Widersprüchen zwischen den Regeln und Normen der Aufnahmegesellschaft und denen der Elterngeneration ausgesetzt, die meist im Ausland sozialisiert wurde und die bestimmte Werte aus der Heimat in die Erziehung einfließen lässt. Diese Widersprüche führen zu einer Suche nach einem authentischen muslimischen Selbstbild in der Diaspora. Verstärkt wird dieser Prozess durch Fremdzuschreibungen (positive wie auch negative) des deutschen sozialen Umfelds. Nökel bezeichnet das Ergebnis dieser Suche nach Identität als »Neo-Islam«. Darunter versteht sie eine »[...] private, alltagsorientierte Politik der Differenz, die, basierend auf der Konstituierung eines distinguierten islamischen Habitus, Integration und Selbstbehauptung aufs engste miteinander verknüpft.« (Nökel 1996: 176).

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Das Ausschauhalten nach Authentizität, wie es bei Nökel beschrieben wird, zeigt sich in ganz besonderer Weise bei den hier untersuchten Frauen mit Migrationhintergrund. Als Beispiel kann Fatima angeführt werden. Sie beschreibt im Interview, dass sie von ihrer Familie sehr religiös erzogen wurde und immer ein Interesse am Islam hatte. Nach den Anschlägen des 11. September wurde sie in der Schule mit Fremdzuschreibung durch ihre Mitschüler konfrontiert, die sie an der Religion zweifeln ließen. Daraufhin besuchte sie den Mädchentreff des IMAN. Der Austausch mit gleichaltrigen Mädchen, die sich in einer ähnlichen Situation befanden, half ihr ihre individuelle Identität tatsächlich zu leben. Der Mädchentreff war für sie ein geschützter Raum, in dem sie sich intensiv mit dem »reinen« Islam, ohne herkunftslandspezifische, traditionelle Färbungen, auseinandersetzen konnte. »Als ich dann so 13, 14 wurde, fing es auch mit mir an, dass ich langsam nach Gott suchte. Das kommt daher, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, in der Gott eine wichtige Rolle spielt. Dadurch wollte ich auch verstehen, wie, was, wo. Und damals gab es ja diese Anschläge vom 11. September und ich war an einer Schule, wo es sehr viele amerikanische Schüler gab und die haben mich manchmal ein bisschen, ja, geärgert. Da habe ich mich immer gefragt: »Ist das der Islam? Will der Islam so was? Wollten meine Eltern so eine Religion für mich?« Damals war meine Schwester schon nicht mehr in diesem Mädchentreff, ich kam aber dann hierher. Wurde hier gut aufgenommen und habe hier meine Religion richtig gut kennen gelernt, ohne traditionelle Aspekte oder ähnliches. Und das war auch der Grund, warum ich dann auch hier geblieben bin – seit drei Jahren jetzt.« (Fatima/ IMAN)

Ein ähnlicher Prozess der Identitätsfindung zeigt sich auch im Interview mit Adila. Um ihre eigene Art des Islams zu leben, musste sie häufig Debatten mit ihren Eltern führen. Es kam oft zu konfliktbehafteten Diskussionen über die richtige Einhaltung und Durchführung von religiösen Vorgaben und Verboten. Hierbei unterstellt sie den Eltern keine böse Absicht, kritisiert aber dennoch, dass diese den Koran-Interpretationen der traditionellen Gelehrten unhinterfragt folgen. Diese traditionsverhaftete Denkweise führte dazu, dass die Eltern Adilas Art den Islam auszuleben nur schwer akzeptieren konnten. »Ja, aber das ist das Schwierige mit der Elterngeneration, die sind da total unflexibel – also, da hab ich auch schon Diskussionen gehabt, aber das ist wie gesagt schwie-

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rig. Also, die kann man ganz schwer überzeugen, besonders wenn es darum geht, dass sie, wenn es um uns [Kinder] geht, wenn es um entscheidende Sachen geht, da ist es schwierig. Die sind da nicht so offen, sag ich mal. Die hängen halt noch so an diesen alten Gelehrten und was die gesagt haben ist richtig und die sind da halt ganz vorsichtig zu sagen: »Ja, man kann das vielleicht auch anders sehen oder anders interpretieren.«« (Adila/ IMAN)

Canan beschreibt den Prozess ihrer Identitätsfindung als eine Art Wanderung zwischen kulturellen Welten. Als Kind interessierte sie sich kaum für ihre Religion. Von Familie und Freunden wurden unterschiedliche Rollenerwartungen an sie herangetragen, denen sie zunächst gerecht zu werden versuchte. In der Pubertät wurde ihr bewusst, dass sie sich in dieser Position nicht wohl fühlte und eine Suche nach individueller Identität setzte ein. Mit 16 Jahren wurde der Islam der Anker, den sie gezielt wählte um Sicherheit und Stabilität zu erfahren. Ihre Religiosität half ihr, sich zwischen den Kulturen und auch zu ihren Eltern zu positionieren: »Ja und für mich war das halt immer so, dass ich es wusste – auf meinem Pass steht ja auch ich bin Muslima – aber ich hatte dafür auch einfach kein Interesse. Und dann, mit 16 ungefähr fing es dann an, dass ich angefangen habe zu denken, dass ich so wie ein Fähnchen im Wind bin, wenn »Die« was machen schwimme ich in die Richtung, wenn die »Anderen« was machen schwimme ich in die andere Richtung und irgendwie habe ich dann halt angefangen ein bisschen zu suchen, wie das dann halt auch so ist in der Pubertät.« (Canan/ IMAN)

Die Frage nach der eigenen Identität ist für viele der untersuchten Frauen sehr schwer zu beantworten. Bei einer sehr großen Gruppe der Befragten spielen die Eigenschaften »Deutsch-sein«, »Migrant-sein« und gleichzeitig »Muslima-sein« eine bedeutende Rolle. Die Kombination dieser Faktoren ist individuell und auch temporär unterschiedlich. Die folgenden Interviewausschnitte illustrieren, dass verschiedene Elemente der Identität wahrgenommen und zu einem Ganzen vereint werden, dass aber auch je nach situativem Kontext mal der eine, mal der andere Aspekt betont wird. Als Migrantin der zweiten Generation fühlt sich beispielsweise Tasmina weder als Deutsche noch als Marokkanerin. Bei der Konstruktion ihrer Identität greift sie daher auf den Islam zurück: Sie hat nach eigenen Angaben eine islamische Identität, die von nationalen Aspekten losgelöst ist:

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»Überhaupt die Frage nach Identität: Vor allem, wenn sie an so Leute wie mich gestellt wird, die Muslime sind, das auch nach außen tragen – Leute, die einen gewissen Migrationshintergrund haben, Eltern haben, die aus anderen Ländern kommen. Es ist wirklich kompliziert. Worüber ich mir meine Identität recht sicher suchen kann, ist dann der Islam. Also, ich kann sie über Nationalitäten nicht definieren. Es gibt keine Kultur der ich mich eindeutig zugehörig fühlen könnte oder würde. So werde ich ja auch wahrgenommen von außen. Und der Islam ist halt schon was, was mir hilft so eine Identität zu finden. Ich hab so eine gewisse islamische Identität.« (Tasmina/ IMAN)

Auch für die Türkin Fatima ist die Frage nach der eigenen Identität schwer zu beantworten. Sie schreibt dem Islam eine bedeutende Kraft zu, was auch darauf zurückzuführen ist, dass sie zwischen den Kulturen wandelt und der Islam ihr die Möglichkeit gibt die unterschiedlichen Kulturen zu verbinden: »Letztendlich würde ich sagen: ‚Okay, ich bin einfach nur Muslima, die versucht in Deutschland, zwar immer noch versucht, stolz Marokkanerin zu sein, aber dennoch versucht ein paar Dinge von den Deutschen zu übernehmen, ein paar Eigenschaften. Und in Marokko bin ich die Marokkanerin, die ihr Land liebt, aber trotzdem noch versucht, ein paar deutsche Aspekte zu vertreten. Letztendlich denke ich, dass ich vom Herzen Muslima bin – arabischer Herkunft.« (Fatima/ IMAN)

Die Möglichkeit zwischen den Identitäten zu wechseln wird von einigen ausdrücklich zu ihrem Vorteil genutzt (vgl. dazu auch Kapitel 4.3.3). Das Beispiel der Konvertitin Lena macht deutlich, wie sie die Ungebundenheit von kulturellen Zwängen nutzt, um einen Islam zu proklamieren, der ihrer Ansicht der richtige ist und der ihr hilft ihre Interessen durchzusetzen. Dabei ist sie sich ihrer Sonderstellung bewusst: »Ich glaube, ich bin beides. Ich glaube, ich bin auf jeden Fall so eine Sonderstellung. Zum Beispiel immer, wenn mir jemand mit so kulturellen Sachen kommt, zum Beispiel wenn jetzt mein Schwiegervater sagt: »Ja, du musst das aber so machen. « Da habe ich immer so diese Stellung, dass ich sage: »Nee, muss ich nicht.« Weil, ich bin ja keine Marokkanerin. Ich bin nur Muslima und der Islam sagt das nicht, also mach ich das auch nicht. Also da habe ich es ziemlich leicht, dadurch dass ich überhaupt keinen kulturellen Sachen unterworfen bin. Ich sehe mich eigentlich als beides: Als Muslima und als Deutsche.« (Lena/ IMAN)

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Auch wenn die vorangegangenen Interviewauszüge veranschaulichen, dass sich die Identitäten von Muslima in Deutschland aus Elementen verschiedener Kulturen zusammensetzen und deutsche Werte wie beispielsweise Gleichheit, Meinungsfreiheit für einen großen Teil –wenn bei vielen auch nur latent – eine Rolle spielt, lehnen viele Frauen den Begriff »DeutschIslam« ab. Es wird besonders von den gebürtigen Muslima drauf hingewiesen, dass eine Beschreibung oder Einteilung in derlei Kategorien für sie nicht zutreffend sei. Attribute, die mit dem »Deutsch-Islam« in Verbindung gesetzt werden, sind beispielsweise für Adila nicht ausreichend, um ihre Identität exakt zu beschreiben. Vielmehr werden alte Sitten und Gebräuche von althergebrachten Praktiken gelöst und mit neuen Sitten zu neuen Praktiken verbunden. Eine hybride Identität entsteht: »Also, für mich ist das eigentlich so ein ganzes Gemisch irgendwie aus Syrisch, Jemenitisch, Deutsch, Muslima, mit der deutschen Kultur – meiner Prägung. [...] Also ich hab so das Gefühl, dass ich mich aus so ganz vielen verschiedenen Sachen so rausgebildet hab und jetzt so was Neues bin eigentlich. Ich könnte nie sagen, ich bin Araberin oder nur Deutsche oder Mannheimerin oder so was. Das passt alles nicht. [...] Also ich bin Muslima und die anderen Sachen sind dann halt so außen rum, die dann alle so mit reinspielen.« (Adila/ IMAN)

Die Muslima vollziehen die Aneignung des Islam also nicht als eine einfache Verbindung von Religion und ethnischen Zugehörigkeiten. Vielmehr nutzen sie den Islam als eine Art Medium, um die unterschiedlichen Anforderungen, die von der Familie, dem politischen und rechtlichen System in Deutschland sowie dem sozialen Umfeld an sie gestellt werden, in Einklang zu bringen und sich im gesellschaftlichen Gefüge zu verorten. Dies gilt sowohl für Konvertierte als auch für Menschen, die von Geburt an Muslime sind und einen Migrationshintergrund besitzen. Wie schon in Kapitel 7.1 dargestellt wurde, besitzen die Vereine hier eine essentielle Rolle. Da die Frauen mit ihren Ansichten sowohl bei den traditionellen Muslimen als auch bei großen Teilen der deutschen Gesellschaft auf Unverständnis oder auch Ablehnung stoßen, helfen die Vereine ihnen, ihre eigene individuelle Identität zu konstruieren und zu stabilisieren. Durch ähnliche historisch geprägte Erfahrungen der Mitglieder wird in den hier untersuchten Vergemeinschaftungen ein »in-group«-Gefühl produziert, welches einen multikulturellen und multiislamischen Sicherheitsraum zur Verfügung stellt, in

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dem hybride Identitäten kreiert werden. Nilgül stellt diese Funktion nochmals explizit heraus. Für sie war die Erfahrung wichtig mit ihrer Form der Religiosität nicht alleine, sondern ein Teil einer kollektiven Identität zu sein und gemeinsam mit anderen Kraft zu schöpfen. Das Zugehörigkeitsgefühl, was sich seit der Gründung des Mädchentreffs ausbildete, gaben ihr – und auch anderen – Selbstvertrauen und Stabilität: »Das ging bei mir so bis ich 18 oder 19 war, bis ich dann mit meinen Geschwistern so eine Mädchengruppe gegründet habe, wo ich gesehen habe, dass vielleicht andere Leute daraus auch ein bisschen Kraft schöpfen können oder für sich einen eigenen Weg finden. Was sie bei ihren Eltern ja nicht richtig machen können, weil die Eltern ja nicht hier zur Schule gegangen sind und die Gesellschaft gar nicht kennen.« (Nilgül/ IMAN)

Vor dem Hintergrund des rein theoretischen Konzepts des »dritten Raums« von Bhabha (vgl. Bhabha 1994b: 124), der dadurch entsteht, dass Ideen und Vorstellungen für individuelle Identitäten in einem machtdurchsetzten Diskurs ausgehandelt werden, konnte dieser empirisch nachgewiesen werden. Wie schon in Kapitel 4.3.3 beschrieben wurde, erzeugen der kulturelle Austausch und die Zuschreibungen von Aufnahmegesellschaft und muslimischer Community einen Zwischenraum, in dem Aspekte wie beispielsweise Ethnizität und Religion zu einer neuen kulturellen, hybriden Identität formiert werden (Bhabha 2000: 5). In Anlehnung an Bhabha, der einen rein erkenntnistheoretischen Ansatz zur Beschreibung heranzieht, wird der Raum hier als empirische Größe aufgefasst, die sich in der Form von Vereinen manifestiert. Diese Vergemeinschaftungen bieten eine Art Schutzund Diskussionsraum für die Entwicklung dieser neuen islamischen, weiblichen Identität. Diese ist jedoch keine Konstante. Sie steht, nach einer Konstruktion in diesen Raum selbst, beim Austritt in den öffentlichen Raum immer wieder zum Diskurs mit dem deutschen wie auch dem muslimischen Umfeld. Wie wichtig dieser Raum für die hier untersuchten Frauen ist, zeigt folgendes Beispiel. Für Fatima waren die Treffen mit den anderen Mädchen bzw. Frauen und die Diskussion über das Leben von Mohammed von großer Bedeutung. Der Austausch gab ihr Halt und Selbstbewusstsein. Ihr wurde dadurch deutlich, dass sie nicht alleine ist, sondern es Menschen gibt, die das gleiche empfinden und für sie da sind:

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»Man weiß erstmal, man hat seinen Gott, man hat seine Glaubensgeschwister und man liest auch den Koran und weiß dann, was der Prophet alles durchgemacht hat. Wenn man sich dann so was durchliest, dann gibt es einem Kraft. Im Islam gibt es das Vertrauen zu Gott. Dieses Vertrauen in Gott gibt mir auch Stärke in meinem Leben, diese Standhaftigkeit, die ich meistens habe. Deswegen ist das Mädchentreff auch so wichtig. Weil gerade hier die Mädchen zur Religion gefunden haben und dadurch auch Selbstbewusstsein bekommen haben – gelernt haben, mit sich selbst umzugehen, sich selbst zu akzeptieren und immer denken, dass es jemanden gibt, der einen liebt und das ist Gott. Dieses Denken, dass es immer jemanden gibt, der dir vertraut, dem du vertrauen kannst.« (Fatima/ IMAN)

Der Aufgabe, einen solchen Raum anzubieten, sind sich die hier untersuchten Vereine bewusst (vgl. Kapitel 4.3.3). Mit ihren Angeboten wollen sie das Selbstverständnis und die Identitätssuche von deutschen Muslima, die das »Deutschsein« und das »Religössein« verbinden wollen, unterstützen: »Also Zielgruppe ist schon das, was ich vorhin gesagt habe: Also muslimische Frauen, die sich als Teil der Gesellschaft hier in Deutschland sehen und mit der Religion stark verbunden fühlen.« (Hibba/ IMAN)

Die Vereine sehen ihre Bestimmung darin den Frauen religiöses Wissen zu vermitteln, mit dem sie sich dann beispielsweise gegen traditionelle Einschränkungen zur Wehr setzen können. Dieser Aspekt ist von großer Bedeutung, da speziell das muslimische Umfeld Einschränkungen hauptsächlich mit religiösen Verboten begründet. Religiöse Mündigkeit und das Zugehörigkeitsgefühl können helfen, sich im Diskurs selbstbewusst zu verorten. Die Vereine bieten den Frauen eine Chance, in einem Diskurs unter Ähnlichen eine individualisierte Identität zu kreieren, wie Frau Bach nochmals beschreibt: »Das sind meistens gar nicht unbedingt immer Frauen, die – wie soll man sagen – sehr stark religiös sind, aber doch dann gern religiös bleiben wollen, die sagen: »Mit den Traditionen meiner Eltern, damit komme ich überhaupt nicht mehr klar.« Die aber auf der anderen Seite sagen: »Wir möchten uns von der Gesellschaft hier nicht assimilieren lassen.« Also suchen die einen dritten Weg, also etwas was dazwischen liegt. Und unsere Aufgabe sehen wir jetzt nicht unbedingt darin, den Leuten diesen Weg vorzugeben, sondern ihnen zu helfen ihn selber zu finden.« (Bach/ ZIF)

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Muslima sich nicht für ein »Entweder-oder« bezüglich ihrer Identität entscheiden: Die Mehrheit der hier befragten Frauen besitzt, wie die Interviews verdeutlichen, vielmehr eine hybride, aus mehreren kulturellen und religiösen Versatzstücken zusammengesetzte Identität. Hierbei nimmt das Religiöse einen großen Stellenwert ein. Der Islam ist für viele ein Verbindungsglied zwischen den Kulturen und hilft diese harmonisch zu verschmelzen. Einen Widerspruch zwischen Aspekten wie Frauenrechten und Islam, sehen sie nicht. Widersprüche werden der kulturüberformten Interpretationen der Glaubenschriften, die eine Gleichheit der Geschlechter verhindert, zugeschrieben. Die Mitglieder versuchen kulturelle Eigenheiten und den wahren Islam unabhängig voneinander zu betrachten. Diese empfundene Loslösung des Islam von der Migrationskultur der Elterngeneration bietet den Frauen einen Freiraum, ihre subjektive Identität losgelöst von traditionellen Zwängen zu konstruieren. 7.9.2 Islamischer Feminismus In jüngster Zeit rücken Frauenrechte aufgrund der kaum verbesserten Situation der Frauen in Staaten wie z. B. dem Iran, aber auch durch die Konflikte im Irak und in Afghanistan, wieder stärker ins Blickfeld von Medienberichterstattung und politischer Diskussion. Der »Arab Human Development Report« des United Nations Development Programme aus den Jahren 2002 und 2005 stellt in diesem Zusammenhang die häufig fehlende Selbstbestimmung von Frauen in den Bereichen Bildung und politische Partizipation heraus (vgl. United Nations Development Programme 2002; 2005). Im Schatten dieser negativen Berichte bildet sich aber auch eine neue Generation von Frauen heraus, die seit den 1990er Jahren die durch Tradition legitimierte Machtposition der Männer aufzubrechen versucht und die sich dabei an den ersten Bewegungen des 20. Jahrhunderts orientiert. Für viele dieser Frauen ist die »[...] Religion im ausgehenden Jahrhundert wieder zu einer starken und einflussreichen Quelle für Identität [...]« (Berktay 2001: 71) und damit auch zu einer Quelle des Widerstandes geworden. Mit der Umdeutung und Neuinterpretation des Korans im Sinne einer die Frauenrechte berücksichtigenden Theologie versuchen sie, festgefahrene Strukturen und Legitimationen zu durchbrechen. Beispiele sind hier die »Sisters in Islam« und die Vereinigung »Rahima«.

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Die malaysischen »Sisters in Islam« kämpften beispielsweise gegen eine juristisch gültige Scheidung per SMS. Ein Scharia-Gericht wertete für einen Muslim das dreimalige Verschicken einer SMS an das Handy seiner Frau als ausreichend, um eine Trennung vollziehen zu können. Die Frauenrechtlerinnen kritisierten hier eine durch muslimische Oberhäupter gestützte Ungleichbehandlung mit dem Argument, dass die Trennung laut Koran (Sure 2:229) in Güte stattfinden muss. Dies sei per SMS nicht gegeben. Männern wird es ihrer Meinung nach in Malaysia leichter gemacht, sich von ihren Frauen zu trennen, während Frauen dieser Schritt von den Richtern erschwert wird. Die Proteste der »Sisters in Islam« führten schließlich auch dazu, dass die Scheidung per SMS in Malaysia verboten wurde. Der Kampf ist jedoch noch nicht endgültig ausgefochten, denn in anderen Ländern wie beispielsweise in Singapur ist eine solche Trennung immer noch erlaubt. Bewegungen wie die »Sisters in Islam« in Malaysia oder die indonesische Frauenorganisation »Rahima« ringen schon seit geraumer Zeit und »im Namen Allahs« um mehr Rechte von Frauen (vgl. Geertz 1988). »Rahima« bietet Seminare zu Frauenrechten aus einem muslimischen Blickwinkel an, veröffentlicht ein Journal, welches sich mit Themen wie Frauenrechten, der Kopftuchdebatte u. a. befasst und führt öffentlichkeitswirksame Kampagnen gegen Polygamie und Gewalt in der Ehe durch. Nicht nur diese zwei Frauenvereinigungen kämpfen aktiv für mehr Frauenrechte, auch Tagungen zum Thema »islamischen Feminismus« machen auf globaler Ebene auf vorhandene Missstände aufmerksam. Im Jahre 2005 fand in Barcelona die erste internationale Tagung zum »islamischen Feminismus« statt. Anwesend waren mehr als 400 Delegierte aus muslimischen und nicht-muslimischen Ländern. Die Veranstaltung wollte auf die androzentrischen, frauenfeindlichen und sexistischen Strukturen und Lesarten der heiligen Schriften in bestimmten Kreisen der muslimischen Gemeinschaft hinweisen. 2006, 2008 sowie 2010 wurden drei weitere Konferenzen abgehalten. Hierbei standen Themen wie Familienrechte und die Scharia sowie ökonomische und politische Benachteiligung muslimischer Frauen im Fokus. Konsens ist, dass die Scharia vom Menschen geschaffen ist und auch von diesen interpretiert und angewandt wird. Das »fiqh« (islamische Rechtsprechung) ist nicht auf alle Zeiten zementiert, sondern geht immer mit den Deutungen von Individuen in verschiedenen zeitlichen Epochen einher (vgl. Junta Islàmica Catalana o.J.). Im Allgemeinen hat sich

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hier gezeigt, dass zum ersten Mal das Thema »Frauenrechte« von den Muslima selbstbewusst und aktiv aufgegriffen und auf internationaler Ebene diskutiert wird. Hierbei fordern die Frauen das Recht, islamische Schriften hermeneutisch und geschlechtergerecht umdeuten zu dürfen. Die Historikerin Margot Badran und die Literatur- und Sprachwissenschaftlerin Miriam Cooke sprechen in diesem Zusammenhang von einem islamischen Feminismus. Badran beschreibt diese Zusammenschlüsse wie folgt: »Islamischer Feminismus ist ein Diskurs über Frauen und Gender, der sich auf religiöse Texte gründet, von denen der Koran natürlich der wichtigste ist; es geht aber auch um das vom Koran bestimmte Alltagsverhalten und Rituale, die in diesen Diskurs einfließen.« (Badran 2005).

Cooke präzisiert den Begriff des islamischen Feminismus folgendermaßen: »Islamic feminism is not a coherent identity, but rather a contingent, contextually determined strategic self-positioning. Actions, behaviours, pieces of writing that bridge religious and gender issues in order to create conditions in which justice and freedom may prevail do not translate into a seamless identity. Indeed, Islamic feminism works in a way that may be emblematic of postcolonial women's jockeying for space and power through the construction and manipulation of apparently incompatible, contradictory identities and positions. The term »Islamic feminist« invites us to consider what it means to have a difficult double commitment: on the one hand, to a faith position, and on the other hand, to women's rights both inside the home and outside. The label Islamic feminist brings together two epithets whose juxtaposition describes the emergence of a new, complex self-positioning that celebrates multiple belongings. To call oneself an Islamic feminist is not to describe a fixed identity but to create a new, contingent subject position.« (Cooke 2001: 59f).

Bei dem Begriff des »islamischen Feminismus« handelt es sich um eine Bewegung, welche sich mit Hilfe islamischer Glaubenschriften gegen die Vormachtstellung und den androzentrisch ausgelegten Islam zur Wehr setzt. Mit politischen sowie pädagogischen Aktionen, wie sie oben beschrieben wurden, versuchen Frauen eine Gleichstellung zu erreichen. Die angeführten Beispiele aus Indonesien und Malaysia machen deutlich, dass es sich um ein globales Phänomen handelt, welches aber von nationalen

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und regionalen Eigenheiten durchsetzt ist. Es kann im Sinne Roland Robertsons von Glokalisierung gesprochen werden, bei der globale Ziele (beispielsweise Emanzipation sowie Geschlechtergerechtigkeit) lokalen Normen, Werten sowie Maßnahmen unterworfen sind (vgl. Robertson 1998). Die Kritik an dem sehr häufig androzentrisch gelebten Islam ist daher nicht nur ein Phänomen der muslimischen Welt. Seit längerer Zeit wird auch die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Deutschland kritisiert, weil sie das 2002 von der türkischen Religionsstiftung veröffentlichte Buch »Erlaubtes und Verwehrtes« in den Räumen ihrer Institutionen auslegt (vgl. Hayrettin 1999). In dem Buch wird u. a. die Auffassung vertreten, dass dem muslimischen Ehemann die körperliche Züchtigung seiner Frau in bestimmten Fällen erlaubt sei. Während der Geschäftsführer der DITIB versichert, dass die Lektüre seit 2005 Jahre nicht mehr veräußert werde, behaupten Pressemitteilungen das Gegenteil (vgl. Welt Online 2008; Wandschneider 2008). Den Berichten zufolge unterstützt die DITIB ein androzentrisches Rollenbild, welches sie aus Glaubenschriften ableitet. Die hier vorgestellte Auseinandersetzung um das genannte Buch machen deutlich, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Islam, die in der Geschlechterforschung unter dem Phänomen des »Gender Mainstreaming« diskutiert wird (vgl. Pinl 2003), auch in Deutschland noch lange nicht erreicht ist. Diese fehlende Chancengleichheit und Gleichberechtigung in Teilen der muslimischen Gemeinschaft wird von den hier untersuchten Vereinen öffentlich angemahnt. Frau Bach spricht beispielsweise von einem latenten Gefühl der Überlegenheit, das bei vielen männlichen Muslimen vorherrsche, auch wenn zum Teil eine gewaltsame Züchtigung abgelehnt werde:

»Gut, können die Männer sagen, dass es für sie klar ist, dass sie Frauen nicht schlagen, aber trotzdem ist dieses Gefühl der Hierarchisierung und dieses: »Ich habe die Macht über das andere Geschlecht«, sehr verankert. Sie gehen ja davon aus, das ist Gottes Wort. Wenn sie damit kein Problem haben, dann frage ich mich, warum sie seit Jahrzehnten keine neue Erschließung dafür erzielt haben. Und viele Frauen, wenn man erstmal Vertrauen zu ihnen hat, sagen, ich komme mit diesem Vers nicht klar: »Wieso darf ein anderes Geschlecht mich schlagen dürfen und dann auch noch gottgewollt? « Also ich kann schon die Männer verstehen, die sagen, darüber haben wir uns nie Gedanken gemacht. Aber viele Sachen laufen ja auch im Unterbewusstsein. Dieser Machtanspruch, der ist bei vielen trotzdem da.« (Bach/ ZIF)

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Wie der Interviewauszug zeigt, ist es aus religiöser Sicht besonders die Sure 4:34, an der häufig Anstoß genommen wird, da erklärte Traditionalisten sie als Begründung für eine gottgewollte Hierarchisierung der Geschlechter bemühen. Nicht nur nach Ansicht von Frau Bach vom ZIF zementiert eine entsprechende Auslegung dieser Sure die Überlegenheit der Männer. Mit dieser vermeintlich religiösen Argumentation wird ihres Erachtens eine Gleichberechtigung verhindert. Frau Öztürk kritisiert ferner den fehlenden Willen diese Sure fundamental zu verändern und den heutigen Gegebenheiten anzupassen. Sie bemängelt, dass nie über die hermeneutische Verwendung der Sure 4:34 nachgedacht wird, sondern immer nur kleine Anpassungen vorgenommen werden, die eine Hierarchie zwischen den Geschlechtern weiter legitimieren: »Aber es geht ja nicht nur um dieses Schlagen. Ich würde es nicht nur darauf reduzieren. Es geht ja wirklich um die Hierarchisierung. Und dieser Vers wird ja dazu benutzt. Auch wenn gesagt wird: »Schlagen war für uns nie ein Thema.« Aber diese Hierarchisierung, die davor in dem Vers drin ist, die ist so in den Köpfen verankert. Die hörst du in allen unterschiedlichen Positionen immer wieder und es wird heute noch in den Moscheen ähnlich ausgedrückt. Sie versuchen es irgendwie – wie soll ich sagen – leichter auszudrücken und irgendwie das ein bisschen anzupassen, aber der Gedanke, dass der Mann der Frau vorsteht, der ist sehr verbreitet. Und darum geht es ja in dem Vers.« (Öztürk/ ZIF)

Was sind die Inhalte der Sure 4:34, deren Anwendung bei den befragten Frauen auf großen Widerstand stößt? In der allgemeingültigen Übersetzung von Paret wird die Koranstelle folgendermaßen gedeutet (vgl. auch Hepperle 2006: 30): »Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie (von Natur vor diesen) ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihren Vermögen (als Morgengabe für die Frauen?) gemacht haben. Und die rechtschaffenen Frauen sind (Gott) demütig ergeben und geben Acht auf das, was (den Außenstehenden) verborgen ist, weil Gott (darauf) Acht gibt (d.h. weil Gott darum besorgt ist, daß es nicht an die Öffentlichkeit kommt). Und wenn ihr fürchtet, daß (irgendwelche) Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie. Wenn sie euch (daraufhin wieder) gehorchen, dann unternehmt (weiter) nichts gegen sie! Gott ist erhaben und groß. « (Koran Sure 4:34 nach Paret 1996: 218)

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Das ZIF bedient sich der Hermeneutik, um islamische Texte neu zu interpretieren. Unter anderem nahm sich der Verein auch der Sure 4:34 an, um diese geschlechtergerecht auszulegen. Die Sure bekommt damit eine neue Bedeutung. Im Vergleich zur Übersetzung von Paret (1996: 218) zeigen sich deutliche Unterschiede. Erstens stehen hier Männer nicht mehr über den Frauen sondern sie stehen für Frauen ein. Zweitens wird das Wort »Schlagen« durch »Trennung« ersetzt. Das ZIF spricht auch von »Loyalität« anstelle von »Gehorsam«. Mit dieser textkritischen und hermeneutischen Interpretation ist es dem Ehemann nicht mehr gestattet, seine Ehefrau mit Gewalt zu züchtigen: »Die Männer stehen ein für die Frau, wegen dem, womit Allah die jeweils einen vor den jeweils anderen ausgezeichnet hat, und weil sie (als die wirtschaftlich Unabhängigen) aus ihren Vermögen (Unterhalt und Versorgung) ausgeben. Darum sind loyale Frauen (Allah gegenüber) ergeben. (Sie sind) diejenigen, welche die Geheimnisse (der Ehe, was nicht öffentlich gemacht wird und Außenstehenden verborgen bleiben soll), gemäß Allahs begeben, besprecht euch mit ihnen (falls keine Veränderung eintritt) zieht euch (zunächst) aus dem Privatbereich zurück (meidet Intimität) und (als letztes) trennt euch von ihnen (adrubuhunna). Wenn sie zur loyalen Haltung zurückkehren, so sucht gegen sie keine Handhabe (um ihnen zu schaden). Wahrlich, Allah ist erhaben, größer (als alles Vorstellbare).« (ZIF 2005: 1)

An den Neuinterpretationen, wie sie von den drei Vereinen vertreten werden, werden zwei Punkte kritisiert. Erstens wird argumentiert, dass eine gendergerechte Interpretation von Suren in bestimmten Fällen nicht möglich ist, da einzelne arabische Worte eine feste Bedeutung besitzen und somit im Umkehrschluss nicht umgedeutet werden können.68 Beispielsweise argumentiert Hildegard Becker (2007), dass das arabische Wort »dharaba« in der Sure 4:34 nur mit dem Begriff des »Schlagens« (»adhribu« bedeutet demnach so viel wie »schlagt«) und nicht mit »sich von jemandem abwen-

68 Hier handelt es sich nicht allein um die richtige bzw. wahre Bedeutung der Wörter sondern es entsteht ein Diskurs um Deutungsmacht. Da viele arabische Wörter Unmengen von Bedeutungen besitzen, stellt sich die Frage wer die Macht besitzt, diesen Wörtern seinen Sinn zuzuschreiben.

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den« übersetzt werden kann. Es handelt sich bei der ersten Kritik somit um die Frage der richtigen Deutung und Übersetzung von heiligen Schriften, die je nach Kontext und Sure neue Aushandlungsprozesse in Gang setzten. Der Weg der Neuinterpretation wird grundsätzlich nicht abgelehnt. Damit wird das geschriebene Wort als von Gott gegeben akzeptiert, aber gleichzeitig auch die androzentrische sowie die unzeitgemäße Darstellung in bestimmten Fällen umgedeutet. Der zweite Kritikpunkt geht weiter und teilt die muslimische Frauenrechtler in zwei Lager, die sich zum Teil kontrovers gegenüber stehen. Auf der einen Seite die Gruppe (dazu gehören beispielsweise die drei untersuchten Frauenvereine), die den Koran als gegeben akzeptiert, aber in bestimmten Fällen eine gendergerechte Umdeutung der heiligen Schriften verlangt. Auf der anderen Seite die Gruppe, die frauenfeindliche Überlieferung generell als Fälschungen ablehnt. Ihrer Ansicht nach handelt es sich nicht um originale Texte, sondern es sind Schriften, die von Männern mit dem Ziel der Erniedrigung der Frau niedergeschrieben wurden. Diese Frauenrechtler kritisieren nun, dass Muslima, die frauenfeindliche Schriften neu interpretieren, keine Veränderung bewirken, da sie sich den Spielregeln der Männer unterwerfen. Durch die große Deutungsmacht dieser sei das Vorgehen somit zum Scheitern verurteilt. Diese Gruppe lehnt einen islamischen Feminismus, also einen Feminismus, der auf islamischen Interpretationen beruht, grundlegend ab. Als Beispiel kann die Frauenrechtlerin Nahed Selim angeführt werden. In ihrem Buch mit dem Titel »Nehmt den Männern den Koran!« stellt sie die Forderung auf, frauenfeindliche Verse in ihrer Bedeutung ganz zu streichen, wie es ihrer Ansicht nach häufig geschieht. Als Beispiel führt die Ägypterin die Sklaverei an, die im Koran erlaubt, aber heute nicht mehr existent ist (Selim 2006). Vor dem Hintergrund der vorgestellten Diskussion über Geschlechtergleichheit im Islam und der damit zusammenhängenden Debatte über einen feministischen Islam – auch als islamischer Feminismus (vgl. Badran 1995; Cooke 2001) oder »Gender Jihad« (vgl. Wadud 2006) bezeichnet – scheint es wichtig, das Bild zu untersuchen, welches die hier untersuchten Muslima von der Geschlechtergerechtigkeit besitzen und welche Rolle der Islam dabei spielt. Ein erster Anhaltspunkt bezüglich des Geschlechterrollenverständnisses wurde schon in Kapitel 7.9.1 behandelt. In diesem Abschnitt wird speziell zu klären sein, wie weit sich die Frauen mit dem Begriff »islamischer Feminismus« identifizieren und wie dieser überhaupt definiert werden könnte.

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Als erstes wird überprüft, inwieweit religiöse und »feministische« Werte bei der quantitativen Erhebung gemeinsam auftreten. Erst dann kann überhaupt von einem islamischen Feminismus innerhalb der Vereine ausgegangen werden. In Kapitel 7.9.1, in dem die Identität der Frauen bereits analysiert wurde, zeigten die qualitativen Interviews, dass der Faktor Islam und der Wunsch nach Gleichberechtigung miteinander verwoben sind. Durch eine Faktorenanalyse der Gründe für die Mitgliedschaft69 sollte untersucht werden, ob religiöse und feministische Aspekte auch in der quantitativen Untersuchung in Kombination auftreten. Ziel war es, mehrere Variablen zu einigen wenigen Faktoren zusammenzufassen, damit geklärt werden konnte, ob religiöse Faktoren alleine oder mit Geschlechteraspekten laden. Gleichzeitig sollten untereinander unabhängige Beschreibungs- und Erklärungsvariablen entdeckt werden. Mithilfe der Faktorenanalyse konnten aus vorgegebenen Gründen für eine Mitgliedschaft drei Gruppen gebildet werden (vgl. Tabelle 15). Der erste Faktor lädt bei den Variablen »Weil ich mich hier mit anderen Frauen über Alltagsprobleme austauschen kann« sowie »Weil ich neue Bekanntschaften schließen kann« hoch. Die Korrelation zwischen den Variablen lässt sich auf die Beurteilungsvariable »soziale Kontakte« zurückführen, d. h. diese Gruppe sucht die Vereine besonders wegen sozialer Kontakte auf. Wie die Interviews schon gezeigt haben, ist für einige Frauen der Austausch über Alltagsprobleme von großer Bedeutung. Der Faktor 2 ist gekennzeichnet durch die Ladung der Items: • »Weil die Interessen der Frauen in den meisten muslimischen Organisa-

tionen kaum berücksichtig werden« • »Weil die anderen muslimischen Organisationen meist von Männer do-

miniert werden« • »Weil dieser Verein für alle muslimischen Richtungen (z. B. Sunniten,

Alleviten, Schiiten) offen ist« • »Weil hier Menschen aus vielen Nationen (z. B. Türkei, Iran usw.) sind« • »Weil andere muslimische Organisationen stark von der nationalen Poli-

tik eines muslimischen Landes (z. B. Türkei) beeinflusst werden«

69 Die Items »Weiterbildung« und »Freunde treffen« wurden für die Auswertung nicht berücksichtigt.

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• »Weil in anderen muslimischen Organisation meist nur Muslime sind,

die einer Nation angehören« • »Weil dieser Verein unabhängig ist«.

Die Zusammensetzung der vielen unterschiedlichen Variablen macht eine Interpretation schwer. Bei einer genaueren Analyse wird deutlich, dass zum einen die eher traditionelle Ausrichtung der muslimischen Organisationen kritisiert wird, zum anderen wird die religiöse wie auch ethnische Offenheit der Frauenvereine positiv bewertet. In diesem Fall handelt es sich um den multireligiösen und multikulturellen Typ. Dieser Typ ist an der religiösen und ethnischen Vielfalt interessiert und kritisiert gleichzeitig die traditionelle Ausrichtung der von Männern dominierten und ethnisch geschlossenen muslimischen Organisationen. Hier wird die erste feministische Ausprägung sichtbar. Für die Fragestellung eines islamischen Feminismus ist aber vor allem der Faktor 3 von Interesse. Dieser ist gekennzeichnet durch hohe Ladungen der Variablen: • • • • •

»Weil ich neue Impulse für meinen Glauben erhalten kann« »Weil ich mich für muslimische Frauenrechte stark machen kann« »Weil ich mehr über den Islam herausfinden kann« »Weil hier ein weiblicher Islam im Mittelpunkt steht« »Weil sich der Verein für Frauenrechte stark macht«.

Auffallend ist, dass hier ein Zusammenhang zwischen religiösen und feministischen Variablen besteht. Beide Faktoren sind eng miteinander verknüpft und bilden die Kategorie »islamischen Feminismus«. Damit belegen die quantitativen Daten, was im Kapitel 7.9.1 bereits zu vermuten war. Wie die Angebotsanalyse (vgl. Kapitel 7.1), qualitative Interviews (vgl. Kapitel 7.9.1) sowie die Faktorenanalyse zeigen, handelt es sich hier um eine Art »islamischen Feminismus«, der sich an der Definition von Margot Badran orientiert: »Islamischer Feminismus ist ein Diskurs über Frauen und Gender, der sich auf religiöse Texte gründet, von denen der Koran natürlich der wichtigste ist; es geht aber auch um das vom Koran bestimmte Alltagsverhalten und Rituale, die in diesen Diskurs einfließen.« (Badran 2005)

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Tabelle 15: Rotierte Komponentenmatrix von Mitgliedsgründen70 Faktoren 1

2

3

Impulse für den Glauben sammeln

,758

Für Frauenrechte aktiv stark machen

,550

Wenige Frauen in anderen muslimischen Organisationen

Alltagsprobleme besprechen

,681

,759

Mehr über den Islam herausfinden

,806

Weil Weiblicher Islam im Mittelpunkt steht

,755

Weil der Verein sich für Frauenrechte stark machen möchte

,668

Gegengewicht zur Männerdominanz

,707

Offenheit für alle muslimischen Richtungen

,671

Weil der Verein für alle Ethnien offen ist

,681

Protest gegen ethnische Schließung anderer muslimischer Vereine

,723

Gegenbewegung zur nationalen Homogenität anderer muslimischer Vereine

,748

Bekanntschaften schließen Weil der Verein unabhängig ist

,866 ,625

Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse; Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. Die Rotation ist in 6 Iterationen konvergiert. Quelle: Eigene Darstellung

70 Fehlende Werte wurden paarweise ausgeschlossen. Der Kaiser-Meyer-OlkinWert beträgt 0,757, was auf ein gutes Ergebnis schließen lässt. Chi-Quadrat: 578,950.

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Da, wie schon gezeigt wurde, Identität aus Selbst- und Fremdzuschreibungen besteht, soll im folgenden Abschnitt der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich die Frauen selbst als Feministinnen bezeichnen würden. Um dies zu eruieren, wurde folgende Frage gestellt: »Der Verein, in dem Sie Mitglied sind, ist ein muslimischer Frauenverein. Würden Sie sich daher auch als Feministin bezeichnen?«. Wie die Antwortverteilung in Tabelle 16 zeigt, sind es 6,4% der Muslima, die sich uneingeschränkt und explizit als Feministinnen bezeichnen würden. Diese gehen aktiv gegen die Vormachtstellung der Männer vor. Es handelt sich um eine sehr kleine Gruppe, die im Sinne Jaggars (1988) als »radikale Feministinnen« bezeichnet werden könnten, von denen jede Beziehung zwischen Mann und Frau als eine Art Herrschaftsverhältnis verstanden wird. Tabelle 16: Selbstbezeichnung der Frauen als Feministinnen in % (n=129) Der Verein, in dem Sie Mitglied sind, ist ein muslimischer Frauenverein. Würden Sie sich daher auch als Feministin bezeichnen?

in %

Ja, uneingeschränkt. Denn man muss etwas gegen die Vormachtstellung der Männer tun.

6,4

Ja, ich will mehr Rechte für Frauen, aber ich habe nichts gegen Männer.

29,4

Nein, aber ich bin für mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern bzw. zwischen Menschen an sich.

56

Nein, ich finde, die Feministinnen übertreiben. Es ist gut wie es ist.

8,3

Quelle: Eigene Darstellung

29,4% würden sich einer abgeschwächten Form des Feminismus zuordnen. Sie würden sich selbst als Feministinnen bezeichnen, die mehr Rechte für Frauen fordern und sich für Gleichberechtigung stark machen. Dennoch lehnen sie die Ansicht einer unweigerlichen Unterdrückung der Frau durch den Mann ab. Der größte Anteil, nämlich 56%, setzt sich für mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ein, lehnt jedoch gleichzeitig den Be-

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griff des Feminismus ab. Nur 8,3% sehen die Chancengleichheit gegeben und möchten an der Situation nichts ändern. Wie die Ergebnisse zeigen, kann sich der größte Teil der Befragten nicht mit dem Begriff der Feministin identifizieren. Obwohl die Frauenvereine spezielle Angebote für die Stärkung der weiblichen, muslimischen Identität anbieten, scheint der Begriff des Feminismus negativ besetzt zu sein. Im nächsten Schritt sollen mit Hilfe der qualitativen Interviews die Gründe dieser Renitenz analysiert werden. Die Erörterung des FeminismusBegriffs ist von Zurückhaltung geprägt. Mitraa etwa schätzt die emanzipatorische Arbeit der westlichen Feministinnen, da durch dieses Engagement androzentrische Strukturen aufgebrochen wurden. Gleichzeitig ist sie jedoch der Meinung, dass es sich heute mehr um die Exklusion von Männern drehe als um einen Kampf für mehr Frauenrechte. Für sie ist eine Zusammenarbeit mit Männern, die sie den westlichen Feministinnen abspricht, von großer Wichtigkeit. Im Islam gibt es ihrer Ansicht nach viele Männer, die sich für Frauenrechte einsetzten und dies mit mehr Hingabe tun als manche muslimische Frauen. Sie ist sich darüber bewusst, dass ihrem Verein durch insbesondere muslimische Organisationen feministische Bestrebungen zugeschrieben werden, lehnt diese jedoch demonstrativ ab: »Weil die Emanzipation der Frauen, also die Frauenbewegungen, vor allem die westliche Emanzipation, diese Frauenbewegungen, die haben wunderbare Arbeit geleistet – das will ich überhaupt nicht abwerten – aber auch teilweise sehr stark diese nur auf Frauen bezogen und dann hat man manchmal das Gefühl, dass hier die Männer dann benachteiligt werden. Weil auch für manche Frauenorganisationen eine Zusammenarbeit mit Männern überhaupt nicht vorstellbar ist. Das hat für mich eine – in Anführungsstrichen – negative Seite. Von daher möchte ich auch selber nicht damit identifiziert werden. Ich setze mich für die Rechte der Frauen ein, arbeite auch teilweise sehr gerne mit Männern, die vielleicht viel emanzipatorischer sind als manche muslimische Frauen. Muslimische Männer – das muss man auch sagen – also, die sich wirklich für die Rechte der Frauen einsetzen. Von daher – der Begriff – kann ich mich nicht damit identifizieren. Vielleicht werden wir schon von außen so gesehen, gerade von muslimischen Vereinen.« (Mitraa/ HUDA)

Ein weiterer Kritikpunkt, der von vielen Frauen angebracht wird, spiegelt sich in den Interviewauszügen von Martina und Zehra wider. Martina vermeidet den Begriff »Feministin«, da zwischen manchen Frauenrechtlerin-

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nen71 und den hier untersuchten Frauenvereinen unterschiedliche Meinungen bezüglich der Definition der Begriffe »Gleichberechtigung« und »Geschlechtergleichheit« existieren. Ihrer Ansicht nach behindert beispielsweise die Diskussion über das Kopftuch und die in diesem Kontext behauptete Unterdrückung der muslimischen Frau gläubige Frauen in ihrer emanzipatorischen Arbeit. Beide kritisieren, dass sie sich somit nicht nur gegen traditionelle Strukturen innerhalb der muslimischen Gemeinde, sondern auch gegen die Kritik der Feministinnen zur Wehr setzen müssen. Durch die generelle Kritik am Islam, welche sich besonders am Kopftuch entfacht (vgl. Kapitel 7.4.3), sehen sie ihre Arbeit entwertet. Ihrer Ansicht nach ist der Islam keine Religion, die Frauen im Generellen unterdrückt, sondern er wird vielmehr von Männern als Instrument der Unterdrückung missbraucht: »Den Begriff Feminismus benutze ich nicht gerne – der ist so behaftet irgendwie – für uns auch mit negativen Sachen, weil gerade von dieser Ecke, da kriegt man immer viele Sachen, die muslimischen Frauen nicht viel nutzen auf ihrem Weg zur Emanzipation. Es ist sehr, sehr kontraproduktiv, was aus dieser Ecke meistens kommt.« (Martina/ IMAN) »Ja, statt uns zu unterstützen, die türkischen Frauen, damit sie noch mehr Rechte bekommen und noch mehr integriert werden, stellt sie [Alice Schwarzer] sich auf den Weg. Und stellt sich zur Seite der Menschen, die genau so denken wie sie, also wie die Gesellschaft, die Vorurteile hat gegen das Kopftuch. Also, statt uns zu helfen und uns zu fördern, macht sie das Gegenteil.« (Zehra/ IMAN)

Auch wenn sich die untersuchten Vereine und ihre Mitglieder für eine Geschlechtergerechtigkeit einsetzten, würden sich die meisten von ihnen nicht als Feministinnen bezeichnen. Dieser Begriff besitzt für sie eine eher negative Konnotation. Ferner sehen sie auch Unterschiede zu den klassischen Feministinnen wie z.B. Alice Schwarzer oder auch der Islamkritikerin Necla Kelek. Durch deren generelle Kritik am Islam fühlen sie sich in ihrer Arbeit behindert. Ihrer Ansicht nach führt diese Kritik die von den Frauen erarbeiteten Neudeutungen der religiösen Schriften ad absurdum. Auch wenn die Muslima sich nicht als reine Feministinnen bezeichnen, stellt sich im Anschluss die Frage, inwieweit sie für sich den Begriff der

71 Kritisiert wurden z.B. Alice Schwarzer und Necla Kelek.

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»islamischen Feministin« akzeptieren würden. Obwohl Canan androzentrische Strukturen in einem großen Teil der muslimischen Gemeinschaft sowie die patriarchalischen Interpretationen der heiligen Schriften kritisiert, würde sie die Art wie sie den Islam lebt nicht als islamischen Feminismus bezeichnen. Ihrer Ansicht nach ist der westlich geprägt Begriff des Feminismus nicht mit dem Islam kompatibel: »Es passt nicht so ganz mit dem Begriff Feminismus zusammen, der hier so herrscht, aber es ist einfach für uns die Art den Islam zu leben, wie er für logisch erscheint. Ich meine für uns war klar, dass der Islam, oder die Art wie die Muslime den Islam leben, total patriarchal ist und dass wir einfach seit Jahrhunderten von Männern dominiert werden und da ist es auch klar, dass die ganzen Auslegungen, die ganzen Übersetzungen einfach ein bisschen gefärbt sind.« (Canan/ IMAN)

Auch Frau Mayer vom HUDA lehnt jede Verbindung zwischen Islam und Feminismus strikt ab. Sie führt aus, dass es sich beim Feminismus um einen Begriff handele, der aus einem anderen Kulturkreis stamme und für sie nicht mit dem Islam in Einklang zu bringen sei. Ihrer Ansicht nach wird in ihrem Verein ein eher offener Islam vermittelt, der auf die Wurzeln ihrer Religion und den Propheten Mohammed zurückgeführt wird. Mohammed habe bereits versucht die Situation der Frau in der Gesellschaft zu verbessern. Auch wenn diese Errungenschaften aus der heutigen Sicht als nicht weit reichend kritisiert werden, schlägt sie vor, die Texte hermeneutisch auf den gegenwärtigen Kontext zu übertragen. »Also ich denke, zum einen sollte man diese Begriffe nicht für den Islam verwenden, wie etwa feministisch oder emanzipiert, da das Begriffe sind, die aus anderen Kulturkreisen kommen. Die Art wie wir über den Islam berichten und wie wir über den Islam denken, ist eine sehr offene Art, das ist richtig. Ich würde es aber eher so bezeichnen: Es ist eine offene Art und Weise, aber es ist keine neue Erfindung, sondern eine, die auf den Propheten zurückgeht. Zum einen, weil auch er das in seiner Zeit gemacht hat, er hat auch in der Gesellschaft, die geschlechtermäßig total verfahren war, wo die Frauen unterdrückt wurden und keine Rechte hatten, den Frauen diese Rechte gegeben. Wie zum Beispiel das Erbrecht, das gab es damals nicht. Wenn ich das jetzt aus der heutigen Sicht angucke, wenn ich die Regelungen im Koran wörtlich nehme, dann erscheinen diese auf den ersten Blick nicht besonders fortschrittlich. Aber damals war das eine große Errungenschaft und wir sagen, dass man

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den Geist dieser Offenbarungen natürlich in die heutige Zeit tragen muss, das heißt, also nicht wörtlich, sondern den Sinn dieses Gleichstellens aller Menschen im Prinzip. Das ist das, was Gott will, aber das ist auch das, was der Prophet vorgelebt hat, in dieser Gemeinschaft, in der er eben aktiv war. Und deswegen sagen wir einfach, wir sind für Geschlechtergerechtigkeit, nicht für »Feminismus«, wo man den Frauen mehr Rechte geben muss als den Männern, wo man irgendwie spezielle Frauenrechte erkämpfen muss. Da sagen wir, das brauchen wir nicht, wir sind einfach für Geschlechtergerechtigkeit.« (Mayer/ HUDA)

Tasmina lehnt zwar den Begriff des »islamischen Feminismus« ab, dennoch würde sie den Islam, den sie lebt, als »weiblichen« Islam charakterisieren: »Ich würde jetzt nicht sagen, es gibt einen weiblichen und es gibt einen männlichen Islam, so nicht. Aber wir sind halt Frauen und wir – sagen wir mal in Anführungszeichen – leben wir vielleicht auch so ein bisschen etwas, was man weiblichen, in Anführungszeichen, Islam nennen könnte.« (Tasmina/ IMAN)

Wie die Ergebnisse verdeutlichen, lehnen die Befragten den Begriff des islamischen Feminismus wie auch den Begriff des Feminismus zum überwiegenden Teil ab. Die Angebote der Vereine wie beispielsweise Aufklärung über religiöse Rechte, Unterstützung von weiblichen Gewaltopfern und die Hilfe bei der Aushandlung eines islamischen Ehevertrags sind dennoch emanzipatorisch ausgerichtet. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich der größte Teil der Muslima nicht als Feministinnen bezeichnen würde und dem Begriff eines »islamischen Feminismus« kritisch gegenüber steht. Dennoch setzen sich die Vereine wie auch die Frauen intensiv für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Es handelt sich hier also um eine Frauenrechtsbewegung, welche eine weibliche, muslimische Identität stärken möchte, indem sie beispielsweise, wie das konkrete Beispiel des ZIFs gezeigt hat, Glaubensschriften hermeneutisch interpretiert, religiöse Eheberatungen durchführt und interreligiösen Austausch forciert. Damit wird eine kollektive Identität konstruiert und stabilisiert, die besonders jungen Muslima der zweiten und dritten Generation hilft, sich gegenüber ihrem traditionellen islamischen Umfeld (z.B. Eltern, Organisationen) sowie Teilen der deutschen Gesellschaft zu positionieren.

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Dieses Vorgehen stößt auch innerhalb der Frauenbewegung auf Widerstand. Zum einen bei deutschen Feministinnen, die den Islam generell als frauenfeindliche Religion einstufen, was meist am Beispiel des Kopftuches und der Sure 4:34 festgemacht wird. Diese argumentieren, dass der Islam und Frauenrecht nicht vereinbar seien. Viele der hier befragten Muslima merken an, dass eine solche generelle Ablehnung ihre emanzipatorische Arbeit entwerte und der interreligiöse Austausch dadurch erschwert werde. Denn ihrer Ansicht nach können Veränderungen in Vergemeinschaftungen, in denen Religion als zentrales Kommunikationsmedium dient, nur mit Hilfe religiöser Gegenargumente stattfinden. Nicht der Islam an sich, sondern die androzentrischen Strukturen und deren Interpretationsmacht seien der Grund für die Situation der muslimischen Frau. Ein Erneuerung der Umma könne demnach nur auf Basis eines religiösen Diskurses geschehen und nicht durch eine Loslösung von religiösen Schriften. Kritik kommt jedoch nicht nur von Teilen der deutschen Frauenrechtlerinnen. Auch muslimische Frauen merken an, dass eine Neuinterpretation des Korans kaum dazu verhelfen werde, die Situation der Frau innerhalb der Umma zu verbessern. Da Männer über weitaus größere Macht hinsichtlich der Interpretationen von Schriften verfügen, dürften sie mit dieser Vorgehensweise keinen Erfolg erwarten. Ihrer Ansicht sollten alle Textauszüge, die frauenfeindlich sind, als nichtig und nicht islamisch definiert werden. Bei den untersuchten Vereinen handelt sich somit um eine Form eines islamischen Feminismus, bei dem »der Islam« den Frauen als Emanzipationsressource, als Quelle der Argumentation im Kampf um »Selbstbestimmung« dient. Hierbei zeigt sich, dass es sich hier weder um ein rein deutsches, noch um ein neues Phänomen handelt. Vielmehr existiert eine globale Bewegung mit unzähligen Ausprägungen in verschiedenen Ländern, die sich lokal unterscheiden können. Das verbindende Element besteht darin, dass sie weder anti-islamisch sind, noch sich ausschließlich an »westlichen Werten« orientieren. Ihre Anhängerinnen besitzen vielmehr eine eigenständige religiöse Identität sowie muslimische Überzeugungen und setzten sich gleichzeitig für die Gleichberechtigung und für mehr Rechte der muslimischen Frau ein.

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7.10 Z USAMMENFASSUNG Im folgenden Kapitel sollen die empirischen Ergebnisse nochmals kurz zusammengefasst werden, bevor diese im Anschluss in den Kontext der theoretischen Vorgehensweise gestellt werden. Vergleicht man die Vereine untereinander, so zeigen sich Gemeinsamkeiten bei der ethnischen Heterogenität der Mitglieder, ihrer Institutionalisierungsform als Verein, ihrem Bezugs zu einem »weiblichen gelebten Islam«, der Unabhängigkeit von muslimischen Verbänden sowie der Kritik an den androzentrischen Strukturen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft. Ferner berichten alle Vorstandsmitglieder über Vorbehalte von religiösen – muslimischen wie auch anders religiösen – sowie nicht-religiösen Vereinigungen, einer breiten deutschen Öffentlichkeit wie auch öffentlicher Einrichtungen. Weitere Ähnlichkeiten zeigen sich hinsichtlich des starken kulturellen Deutschlandbezugs und der deutschen Sprache. Auffallend ist weiter, dass eine relativ große Zahl an Konvertierten im Vorstand ist und an den Angeboten partizipiert. Ferner ist ein großer Teil sehr hoch gebildet. Unterschiede zeigen sich bezüglich der Art der religiösen Wissensvermittlung sowie der Angebote. Der IMAN ist eher freizeit- und bildungsbezogen, das ZIF ist eher wissenschaftlich-theoretisch ausgerichtet und HUDA bietet eine religiöse Plattform zum Austausch an, wobei auch hier ein starker Wissenschaftsbezug vorzufinden ist. Disparitäten zeigen sich auch hinsichtlich der geographischen Verortung der Vereine und der Intensität der Öffentlichkeitsarbeit bzw. der Publikmachung der eigenen Arbeit und Ansichten. Bezüglich der subjektiven Religiosität wird deutlich, dass sich ein sehr großer Teil der Mitglieder, egal welcher Religion sie angehören, als sehr religiös bezeichnet. Dies spiegelt sich auch in der Ausübung von religiösen Praktiken wider. Während sich der überwiegende Teil der Befragten an religiöse Vorgaben hält, wird deutlich, dass es bei den Verboten (Schweinefleischverbot/Alkoholverbot) zu einer stärkeren Einhaltung kommt als bei den Geboten. Dabei werden die Pflichten der Pilgerfahrt sowie des fünfmaligen Betens am Tag von den Frauen am ehesten vernachlässigt. Die starke religiöse Identität wird von vielen durch das Tragen des Kopftuchs zum Ausdruck gebracht. 60% geben an, dieses immer in der Öffentlichkeit zu tragen. Als Anlass werden vor allem religiöse Gründe angeführt. Von den meisten wird das Kopftuch als eine religiöse Pflicht verstanden, dennoch

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wurde in den Gesprächen häufig darauf hingewiesen, dass keine Frau zum Tragen gezwungen werden kann, da der Islam keinen Zwang kennt. Bei der Frage zum religiösen Einfluss, zeigt sich folgendes Bild: Traditionelle religiöse Institutionen besitzen kaum einen Einfluss auf das Religionsverständnis der Frauen. Hingegen geben die Befragten an, dass besonders das eigene Interesse, der Partner oder die Familie ihr Verhältnis zum Islam positiv beeinflusst haben. Deutliche Unterschiede zeigen sich zwischen den Konvertierten und »Nicht-Konvertierten«: Während die Konvertierten das Eigeninteresse, den Partner und Freunde als starke Einflussgröße angeben, sind es bei den »Nicht-Konvertierten« die Familie, das Eigeninteresse und der Frauenverein. Es kann vermutet werden, dass das Interesse am Islam und an Geschlechtergleichheit bei einem großen Teil der Frauen schon vor der Mitgliedschaft vorhanden war, der Verein jedoch die Möglichkeit bietet, dies nun auch in einer Gruppe auszuleben und das eigene Identitätskonstrukt zu stabilisieren. Die Angebote der Moscheen haben einen kaum nennenswerten Einfluss und werden von den Frauen auch kaum aufgesucht. Viele Interviewte äußern hingegen deutliche Kritik an den klassischen muslimischen Vereinen. Diese Kritik umfasst einerseits inhaltliche, andererseits strukturelle Aspekte. Letztere drücken sich etwa darin aus, dass die befragten Muslima die Vormachtstellung der Männer und den geringen Einfluss der Frauen beanstanden. In den Interviews wurde deutlich, dass sie das Problem des Ausschlusses der Frauen von Verkündigungsämtern und Führungspositionen als einen Prozess der Machterhaltung durch die männlichen Mitglieder verstehen. Zweifel existieren auch gegenüber den neu eingeführten Frauenbeauftragen, da diese in den muslimischen (Groß-) Organisationen und Verbänden kaum Veränderungen bewirken können. In den Interviews wird angemerkt, dass sich diese nur in einem durch Männer vorgegebenen Definitionsrahmen und Machtraum bewegen können und somit keinen von diesen Strukturen losgelösten Gestaltungsspielraum besitzen. Inhaltlich kritisieren die befragten Frauen, dass in vielen Moscheen und auch in Teilen der ersten Generation Religion mit Tradition, Normen sowie Werten der Herkunftsländer vermischt werden. Hierbei werden traditionelle Geschlechterrollen, Verbote oder Reglementierungen mit religiösen Glaubenssätzen gerechtfertigt, die nach dem Religionsverständnis der Frauen nicht mit muslimischen Schriften gerechtfertigt werden können. Eine Anzahl von Konvertierten – aber nicht nur diese Gruppe – schilderten Integrationsprobleme in Moscheenvereinen aufgrund von Sprachbarrieren.

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Die Analyse der Diskriminierungserfahrungen zeigt folgendes Ergebnis: Der überwiegende Teil der Muslima kritisiert die allgemeine Berichterstattung über den Islam in den Medien. Nach Ansicht der Frauen werden Muslima aufgrund ihrer Religion bzw. ihrer Auslebung des Islams stigmatisiert. Viele fühlen sich durch die einseitige Darstellung verletzt. Wiederum wird von Situationen berichtet, in denen sich die Frauen für ihre Religion und die Taten, die im Namen Allahs begangen werden, rechtfertigen müssen. Diese Meinungen stimmen stark mit den in Kapitel 3.1 vorgestellten Studien zur medialen Berichterstattung überein. Auch hinsichtlich der Stigmatisierung im Alltag berichtet ein großer Teil der Frauen, bereits solche Erfahrungen gesammelt zu haben. Als Stigmatisierungsgrund werden hauptsächlich religiöse Motive angeführt. Speziell in der Öffentlichkeit und auch bei der Arbeitssuche, berichten Frauen von negativen Erfahrungen. Ein weiter Punkt, der bemängelt wird, ist die Zusammenarbeit zwischen den Frauenrechtlerinnen untereinander. Einige verweisen etwa auf populäre Frauenrechtlerinnen wie Necla Kelek, Ayaan Hirsi Ali, Alice Schwarzer oder Seyran Ates, die durch ihre generelle Islamkritik, und hier besonders die Kopftuchkritik, die Arbeit der Frauenvereine erschweren. Sie merken an, dass diese generellen Vorwürfe ihre Stellung als kopftuchtragende Frau in der deutschen Gesellschaft verkompliziert, da sie stets einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sind und dabei erklären müssen, dass Geschlechtergerechtigkeit und Islam generell nicht inkompatibel sind. Ihrer Ansicht nach ist es die androzentrische Auslegung durch männlich dominierte Identitätsstiftungsinstanzen, die die Frau entmachtet. Auch weisen sie daraufhin, dass bei theologischen Debatten um die richtige Interpretation des Korans im Hinblick auf brisante Themen wie »körperliche Gewalt« oder »Zwangsehe« auch Frauen zu Wort kommen sollten, die den Islam nicht explizit als frauenfeindlich deklarieren, sondern versuchen, den Sinn der heiligen Schriften hermeneutisch und geschlechtergerecht zu deuten. Bezüglich der Integration zeigt sich, dass die Frauen Integration nicht als Assimilation in die christliche Gesellschaft verstehen. Gleichzeitig lehnen sie eine Abschottung in muslimische Parallelgesellschaften ab. Ihrer Ansicht nach muss hier ein Zwischenweg gewählt werden. Wie die Ergebnisse zeigen, entwickeln sich demnach auch hybride Identitäten, die als religiöse, in Deutschland lebende Muslima – z. T. mit Migrationshintergrund – anerkannt und auch akzeptiert werden möchten. Für die hybride Identitätskonstruktion spielt bei den hier untersuchten Muslima die Religion eine

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bedeutende Rolle, wobei für die Frauen kein Widerspruch zwischen Islam und »westlichen« Werten existiert. Beispielweise geben 77,7% der Frauen an, dass alle Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, vor Gott gleich sind. Hinzu kommt, dass 88,4% die Demokratie als eine sehr gute Staatsform betrachten. In den Interviews wird deutlich, dass für die Frauen der Glaube sowie das Einhalten religiöser Regeln das soziale Zusammenleben in Deutschland eher fördert und keinesfalls ein Hindernis darstellt. Hervorgehoben wird immer wieder der Faktor Wissen, dessen Aneignung, nach dem Verständnis der Frauen, eine zentrale Aufgabe im Islam darstellt. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich ein großer Teil der Frauen in weiteren interreligiösen Vereinen aktiv engagiert. Hinsichtlich der Lebensziele werden unterschiedliche Identitätsentwürfe deutlich. Bei bestimmten Lebenszielen zeigen sich Parallelen zu kopftuchtragenden Türkinnen und zu wahlberechtigten Frauen aus Deutschland (z.B. »Gute Partnerschaft«, »Frei und unabhängig sein«). Wiederum andere Ziele zeigen nur Ähnlichkeiten mit den Zielen von kopftuchtragenden Türkinnen (z.B. »Glauben leben«) oder von wahlberechtigten Frauen (z.B. »Kinder haben«). Bei anderen Items kristallisieren sich aber auch Alleinstellungsmerkmale heraus (z.B. »gutes Aussehen«; »Heim und Gemütlichkeit«). Auch wird der hybride Charakter der untersuchten Muslima deutlich. Das Ergebnis hinsichtlich des Aspektes »Familie, Kinderziehung und Partnerschaft« zeigt, dass eine egalitäre Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern zum großen Teil abgelehnt wird. Aufgrund der qualitativen Interviews können drei Gruppen unterschieden werden. Die erste Gruppe sieht die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau als von Gott gegeben an. Die zweite und größte Gruppe besitzt demgegenüber, wie die quantitative Erhebung zeigt, eine sachliche Gleichheitsvorstellung. Diese Muslima sind der Ansicht, dass das Rollenbild der aktuellen Lebenssituationen angepasst werden muss. Für diese Frauen sind Geschlechterrollen nicht absolut gegeben sondern müssen diskutiert und ausgehandelt werden. Eine weitere Gruppe vertritt eine uneingeschränkte Gleichheitsvorstellung bezüglich der Geschlechter. Dennoch spielen in der Argumentation – egal bei welcher Gruppe – religiöse Argumente eine bedeutende Rolle. Es wird deutlich, dass die Frauen den Islam als Argumentationsquelle für den aktiven Kampf für mehr Selbstbestimmung und gegen androzentrische Strukturen heranziehen. Hierfür werden religiöse Schriften umgedeu-

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tet bzw. neu interpretiert. Geschlechtergerechtigkeit steht im Mittelpunkt dieser Neudeutungen. Auch wenn sich empirisch ein islamischer Feminismus nachzeichnen lässt, lehnen die Frauen den Begriff der »Feministin« und der »islamischen Feministin« zum überwiegenden Teil ab. Sie kritisieren, dass viele Feministinnen den Islam generell als frauendfeindlich einstufen und Feminismus ein westlicher Begriff ist, der mit dem Islam nicht vereinbar ist. Die Neuinterpretationen von religiösen Schriften stoßen in der muslimischen Community sowie bei westlichen wie auch muslimischen Frauenrechtlerinnen jedoch auch auf Widerstand. Muslimische wie auch deutsche Frauenrechtlerinnen merken an, dass bestimmte Begriffe nicht gendergerecht umgedeutet werden können, da ihre Bedeutung offen liegt. Andere wiederum finden, dass dieses Vorgehen keine Veränderung bewirkt, da sich diese Frauen religiöser Texte bedienen, die bereits von Männern zu ihrem Nutzen verändert wurden und die Deutungsmacht immer noch bei den Männern liegt.

8. Fazit, Bewertung und Ausblick

Für muslimische Migranten, aber auch für Konvertierte nimmt der Islam eine wichtige Rolle bei ihrer Identitätskonstruktion ein. Besonders Frauen scheinen sich am »Markt der Religionen« (vgl. Berger 1973) zu bedienen und ihre Religion nach ihren Wünschen zu gestalten. Parallel dazu entstehen unzählige neue religiöse Vergemeinschaftungsformen, welche dem Individuum die Möglichkeit eröffnen, seine individuelle muslimische Identität nach den eigenen Wünschen zu konstruieren. Dies gilt speziell für Muslime in der Diaspora. Durch den Migrationsprozess kommt es besonders bei der zweiten und dritten Generation zu einer Löslosung des Islam von Nationalstaaten, Konfessionen und speziellen kulturellen Eigenheiten des Herkunftslandes. War der Islam einst eine bindende Kraft für lokale, konfessionelle oder nationalstaatliche Gemeinschaften, wandelt er sich in der Diaspora zu einem sozialen Netzwerk zwischen »entwurzelten« Muslimen. »Statt sich von überkommenen religiösen Strukturen, Autoritäten oder nationalen bzw. konfessionellen Abhängigkeiten abzuleiten, funktioniert die islamische Erfahrung heute als Instrument einer horizontalen imaginären Vergemeinschaftung, die zahlreiche, in den verschiedensten Zusammenhängen lebende Muslime als gemeinsam und im Gleichtakt Handelnde zusammenbringt.« (Nilüfer 2006).

Allerdings wirft diese Loslösung nicht nur die Frage nach dem richtigen, wahren Islam auf, sondern gleichzeitig auch die Frage nach der Definitionsmacht innerhalb der islamischen Gemeinschaft, die einer ständigen Aushandlung bedarf. Strukturen sind nicht mehr naturalistisch und durch einen historischen Prozess vorgegeben, sondern unterstehen einem neuen Diskurs (vgl. Kapitel 4). Demnach kann streng genommen nicht von »dem

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Islam« als einem homogenen Block gesprochen werden. Vielmehr existieren unzählige Facetten, wie die rezitierten Studien in Kapitel 3 wie auch die Sonderform des hier untersuchten islamischen Feminismus zeigen. Die Religion ist für die Identität gläubiger Muslime in der Diaspora (vgl. Kapitel 3.5) von ausschlaggebender Bedeutung. Dies gilt besonders für Migranten der zweiten Generation, da die Identitätsbildung hier meist vor dem Hintergrund eines Konflikts mit den »traditionellen« Werten der Eltern oder anderer religiöser Institutionen stattfindet, der häufig mit Hilfe religiöser Argumente ausgetragen wird. Erschwerend kommt hinzu, dass der Islam von vielen Deutschen als unvereinbar mit westlichen Werten gilt (vgl. Kapitel 3.2). Vor allem Mädchen und Frauen, die mehr Partizipationsrechte in der muslimischen Gemeinschaft fordern und die gleichzeitig an die deutsche Gesellschaft appellieren, sie als gläubige Muslima zu akzeptieren, stellt dies vor Identitätskonflikte. Hierbei handelt es sich, wie die Studie zeigt, nicht nur um Einzelfälle, sondern um eine Bewegung, die sich selbst das Gesicht einer sozialen kollektiven Identität gibt um sich im Diskurs Gehör zu verschaffen. Als Grundlage dieser Bewegung dienen hierbei zum einen die starke Religiosität und zum anderen das Selbstbild einer selbstbewussten in Deutschland sozialisierten Frau. Auf Basis der Ergebnisse kann jedoch vermutet werden, dass dieser spezifischen kollektiven Identität hauptsächlich Muslima aus einer hohen Bildungsschicht angehören, die sich im Allgemeinen politisch wie auch religiös engagieren. Die Antwort auf die »alte« postkoloniale Frage: »Can the Subaltern speak?« (vgl. Spivak 1988), fällt in diesem Fall eher negativ aus. So lässt der durchweg hohe Bildungsstand der Mitglieder vermuten, dass es sich beim islamischen Feminismus um eine Bewegung handelt, die nur einen gewissen Teil der muslimischen Frauen repräsentiert. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass durch bestimmte Angebote (z.B. Mädchentreff) versucht wird vielen Frauen, und hier besonders jungen Mädchen, die Möglichkeit zu geben für sich selbst zu sprechen. Vor dem Hintergrund des theoretischen Vorgehens in Kapitel 5, werden nun die empirischen Ergebnisse verortet. Hiermit soll der Kreis zwischen Theorie und empirische Daten geschlossen werden. Im Fokus stehen zum einen die Fragen nach der Existenz eines dritten Raumes, der Konstruktion von hybriden Identitäten und danach, ob solche Ansätze helfen können diese adäquat zu analysieren. Zum anderen wird versucht eine Antwort auf die Fragen nach der Existenz eines islamischen Feminismus sowie dem Ein-

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fluss der untersuchten Identitäten auf lokaler, nationaler bzw. globaler Ebene zu geben. Bevor nun die Bedeutung der hier untersuchten Identitäten für die Gesellschaft erörtert und am Schluss ein Forschungsausblick gegeben wird, soll zuerst der Frage nach der Anwendbarkeit der verwendeten theoretischen Konzepte nachgegangen werden. Im Fokus der ersten Schlussfolgerungen stehen speziell die Cultural Studies bzw. Postcolonial Studies und ihre Konzepte des »third space« und der »Hybridität«. Können diese theoretischen Entwürfe mehr an die Hand geben als nur reine Beschreibungen über kulturelle Vermischung oder ein Zusammenleben abgeschirmter kollektiver Identitäten? Können mit ihrer Hilfe Aussagen getroffen werden, die handlungsleitenden Charakter besitzen und dabei helfen, Machtstrukturen aufzudecken, um den betroffenen Minderheiten somit ein Instrument an die Hand zu geben, sich in diesen zu behaupten? Am Beispiel der untersuchten muslimischen Frauen wird das Phänomen der Hybridität deutlich. Die islamischen Frauenvereine unterstützen mit ihren Angeboten die politische Identitätskonstruktion einer ganz bestimmten in Deutschland lebenden Minderheit. Sie tragen durch ihre speziell zugeschnitten Offerten zur Bewusstseinsbildung der muslimischen Frau bei, was nach Hall den Charakter des Hybriditätsbegriffs auszeichnet. Hinzu kommt, dass sich die Vereine – neben den speziellen Angeboten – aktiv in die deutsche Islamdebatte einbringen. Im Diskurs über die »unterdrückte muslimische Frau« vertreten sie die Position der mündigen und religiösen Muslima, die auf Basis religiöse Schriften, ihre Rechte proklamiert. Damit unterscheiden sie sich von den deutschen Frauenrechtlerinnen, den weiblichen Islamkritikerinnen, den traditionellen Muslima, einem großen Teil der deutschen Bevölkerung und den meisten androzentrisch geführten muslimischen Vereinigungen. Auf diese Weise brechen die kollektiven Identitäten der Vereine die kulturelle Homogenität und Essentialismen auf. Sie lassen sich den Diskurs nicht nur aufzwingen, sondern werden selbst aktiver Teil der Auseinandersetzung, indem sie sich aktiv einbringen. Aber nicht nur das politische Engagement der Muslima ist ein Zeichen der Hybridität. Im Sinne Bhabhas sind auch die geschlechtergerechten Neuinterpretationen der Glaubensschriften ein weiterer Aspekt, welcher den hybriden Charakter der untersuchten kollektiven Identitäten unterstreicht. Die Vereine hinterfragen das religiöse Deutungsmonopol der Religionsführer und proklamieren eine geschlechtergerechte Interpretation des Korans.

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Sie verbinden damit zwei angebliche Gegensätze – Geschlechtergerechtigkeit und Religiosität – und versuchen damit, den traditionellen androzentrischen Auslegungen entgegenzuwirken. Hier können damit Parallelen zu den »Satanischen Versen« von Salman Rushdie, die Bhabha als »Metapher der Migration« bezeichnet, gezogen werden. Aufgrund der Bewusstseinsbildung von Mitgliedern der muslimischen wie auch der deutschen Gesellschaft, der Neuinterpretation der heiligen Schriften und der aktiven Teilnahme am politischen wie auch öffentlichen Islamdiskurs können die Frauenvereine somit als »hybrid« im Sinne des Hybriditätskonzeptes verstanden werden. Sind die hier vorgestellten Vereine im Sinne Bhabhas aber auch als »Zwischenräume« zu betrachten, in denen Selbstheit und Identität definiert werden können und von denen Widerstand gegen Fremdzuschreibungen ausgeht? Oder sind es Vereine, in denen »nur« der reine soziale Kontakt gepflegt und die Gemeinschaft im Mittelpunkt der Vereinigung steht? Die Ergebnisse machen deutlich, dass es sich bei den Vereinen nicht nur um hybride Identitäten handelt, sondern auch um einen »third space«. Der »dritte Raum« (vgl. Kapitel 4.3.3) hilft den Muslima ihre abweichende bzw. neu zusammengesetzte religiöse Weltanschauung zu legitimieren. Die Vereine geben den Frauen Halt sowie Sicherheit und helfen ihnen, ihre religiösen Ansichten zu stabilisieren und neues religiöses Kapital zu vermehren. Für viele Muslima bietet das Identitätsangebot Zuflucht und hilft ihnen, Solidaritätserfahrungen zu sammeln, aus denen sie Sicherheit und Authentizität gewinnen. Mit anderen Worten: Die Vereine stellen Orte dar, die den Frauen Schutz vor Vorurteilen, Stigmatisierungen der Aufnahmegesellschaft und gegen Widerstände von Seiten der muslimisch-androzentrischen Meinungen bieten und in denen neue hybride Identitäten gebildet werden. Die dort erworbene Wir-Identität ist damit für die Muslima eine politische Selbstdefinition, aber gewissermaßen auch ein Kampfbegriff im Rahmen von unterschiedlichen Identitätspolitiken in einem vorgegebenen Machtgefüge. Der »third space« bietet damit einen Ort, der genutzt wird, um den Widerstand gegen die derzeitige Islamdiskussion der Mehrheitsgesellschaft zu organisieren und nach außen hin zu repräsentieren. Diese kollektive Identität kann sich jedoch nicht dem öffentlichen Diskurs entziehen. Auch wenn gezeigt werden konnte, dass die untersuchten Ansätze der Cultural Studies und Postcolonial Studies einen starken Bezug zur vorliegenden Studie aufweisen, muss gleichzeitig aber auch auf ihre Defizite

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aufmerksam gemacht werden. Ein Kritikpunkt ist, dass Religion als Grundlage für Identität immer mit Ethnizität gekoppelt wird bzw. nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dieses Phänomen spiegelt sich auch in manchen der rezensierten Studien in Kapitel 3 wider. Hier kommt es häufig zu einer Gleichsetzung von nationaler Zugehörigkeit und Religion. Wie die vorliegenden Ergebnisse jedoch zeigen, ist Religion ein eigener Faktor der Identitätskonstruktion. Dies wird speziell bei den konvertierten Muslima deutlich, auch wenn diese nur einen geringen Teil der muslimischen Bevölkerung ausmachen. Diese sind zwar von ihrer ethnischen Zugehörigkeit her der Majorität angehörig, sind aber durch ihre Religiosität ähnlichen Stigmatisierungen ausgesetzt wie islamische Migrantinnen. Entgegen den Annahmen von Hall und Bhabha muss eine konfliktträchtige Religiosität daher nicht zwangsweise mit einer bestimmten Nationalität oder Ethnizität verbunden sein. Durch hybride Prozesse können sich religiöse von ethnischen identitätsstiftenden Aspekten lösen und somit ein Alleinstehungsmerkmal bieten. Auch wenn die Studie zeigt, dass sozioökonomische Faktoren bezüglich der Stigmatisierung für die Frauen kaum eine Rolle spielen, muss dennoch darauf hingewiesen werden, dass eine reine Konzentration auf die Alltagskultur als alleinstehender Erklärungsfaktor nicht ausreicht. Hier könnten die Integrationstheorien, speziell von Esser (2001), eine Erweiterung bieten, die versuchen, Sprache, sozioökonomische und identitätsstiftende Faktoren in die Analyse einzubeziehen. Allerdings wird hier Identität nur rudimentär berücksichtigt und Kultur als eine Art »Container« begriffen. Von einer Kombination beider Ansätze würden zukünftige Studien in der Migrationssoziologie, aber auch der Religionssoziologie profitieren. Darüber hinaus wird deutlich, dass der Faktor Geschlecht im Migrationsprozess wie auch im religiösen Kontext eine besondere Rolle spielt. Während Bhabha diesem Faktor keine Aufmerksamkeit schenkt, schließt Hall Geschlechteraspekte in seine Theorie ein. Eine detaillierte Auseinandersetzung findet aber auch bei ihm kaum statt. In diesem Zusammenhang könnten beispielsweise die Ansätze der Intersektionalitätsforschung einen bedeutenden Beitrag leisten.72

72 Anhänger von Intersektionalitätsansätzen setzten Formen der Ungleichheit in Verbindung mit Aspekten wie beispielsweise Geschlecht, Klasse, sozialem Status, Ethnizität, Religion und Alter (vgl. Klinger/ Knapp/ Sauer 2007).

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Im Allgemeinen entsteht somit der Eindruck, dass Religion in den gewählten theoretischen Abhandlungen kaum oder nur geringe Beachtung findet. Wie jedoch gezeigt wurde, kann bei Personen, die sich zwischen nationalen Kulturen befinden, gerade der Faktor Religion eine bedeutende Funktion für die Identitätskonstruktion übernehmen. Unter dem Dach der Religion scheint es möglich, ethnische Identitäten zu verbinden. Eine Verbindung zwischen Religionssoziologie, Cultural Studies bzw. Postcolonial Studies und Genderstudies – wie sie zum Teil in der Intersektionalitätsdebatte postuliert wird – besitzt damit einen deutlichen Mehrwert. Für Bhabha und Hall sind ihre theoretischen Annahmen aber nicht nur reine abstrakte Konstrukte, vielmehr entstehen aus konkreten kulturellen Alltagspraktiken neue kulturelle Identitäten die gegebene Machtstrukturen aufdecken. Besonders das Konzept der »Hybridität« soll Prozesse beschreiben, die an der Auflösung von klassischen und scheinbar naturalistischen Herrschaftsverhältnissen beteiligt sind. Welche gesellschaftlichen Veränderungen erfolgen nun durch den Eintritt der hybriden Identitäten in den Islamdiskurs? Wie die Ergebnisse zeigen, verkörpern die Frauen eine Art des islamischen Feminismus, bei dem die muslimischen Schriften geschlechtergerecht umgedeutet und als Ressource für die Selbstbestimmung herangezogen werden. Mit der Umdeutung und Neuinterpretation des Korans im Sinne einer die Frauenrechte berücksichtigenden Theologie versuchen sie, festgefahrene androzentrische Strukturen und Legitimationen zu durchbrechen. Bei diesem Vorhaben spielen besonders die neuen Kommunikationsund Informationsmedien eine bedeutende Rolle. In Kombination mit den verstärkten Migrationsbewegungen erlauben sie es, sich lokal, national sowie global zu vernetzen und auszutauschen. Damit ist der Widerstand gegen patriarchalische Strukturen nicht mehr nur ein Kampf einzelner Frauen in einem bestimmten eng begrenzten Raum, sondern ist durch soziale Vernetzungen geprägt. »So finden zwischen den einzelnen nationalen Frauenbewegungen zunehmend regionale Vernetzungs- und Austauschprozesse statt, nicht zuletzt mithilfe der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien.« (Kreile 2003: 143). Durch ihr kollektives Auftreten sind sie in der Lage, mediale Aufmerksamkeit auf bestimmte gesellschaftliche Aspekte zu lenken. So wird beispielsweise das Thema »Gewalt gegen Frauen« auch außerhalb der Vereine zunehmend öffentlich diskutiert (vgl. Moghadam 1998: 17). Welche Einfluss haben diese Bewegungen allerdings konkret auf die politische wie auch öffentliche Debatte und welches Verände-

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rungspotential kann ihnen zugeschrieben werden? Um den Einfluss dieser Vereine auf die Gesellschaft bewerten zu können, wird zwischen lokalem, nationalem und globalem Einfluss unterschieden. Trotz anfänglicher Akzeptanzprobleme auf lokaler Ebene scheinen die hybriden Identitäten gerade hier immer stärker wahrgenommen zu werden. Es kommt zu stärkeren Vernetzungen mit Lokalpolitikern und anderen religiösen Gemeinschaften. Ebenso üben die Frauen Einfluss auf die Moscheevereine aus, da sie durch ihre Mitgliedschaft neue Ideen in die Vereine tragen. Dies war und ist allerdings immer noch eine schwierige Aufgabe, da in einigen Fällen noch deutliche Skepsis vorzufinden ist. Besonders in der Öffentlichkeit und in den traditionellen muslimischen Organisationen kommt es zu Exklusionserfahrungen. Bezogen auf die kollektive Identität zeigen erste Anzeichen, dass Vereinigungen mit einer verbindlichen Mitgliedschaft – wie beispielsweise die untersuchten Vereine – mit einem Mitgliederschwund zu kämpfen haben. Jedoch hier von einer Schwächung der ganzen Bewegung zu sprechen wäre verfrüht, da die Gründe für einen Mitgliederschund nicht ganz offen liegen. Zum ersten könnte es sein, dass viele muslimische Frauen auf die Offerten der Vereine nicht mehr angewiesen sind, da die spezielle Form der hybriden Identität der autonomen gläubigen Muslima nun durch das soziale Umfeld stärker akzeptiert wird. Dadurch würden die Vereine an Bedeutung verlieren, während gleichzeitig die Identität der selbstbewussten und gläubigen Muslima im Alltag immer mehr an Bedeutung gewinnt. Hinzu kommt, dass im World Wide Web unzählige ähnliche Offerten wie beispielsweise Webseiten, Chatrooms und Foren bestehen, die virtuelle Konkurrenten für die eher lokal angesiedelten Vereine darstellen. Im Unterschied zu den festen Strukturen zeichnen sich die Internetangebote durch eine lose Mitgliedschaft aus. Der bindende Charakter entfällt, was für viele Frauen ein Anreiz sein dürfte, sich eher für das Internetangebot zu entscheiden. Auf Basis dieser beiden Hypothesen könnte von einer Stärkung der hier untersuchten kollektiven Identität gesprochen werden. Für eine Schwächung der Bewegung könnte angeführt werden, dass die Angebote der Vereine die betroffenen, »unterdrückten« Frauen nicht erreichen oder das Angebot für diese nicht adäquat ist. Frauen fühlen sich von dieser Art des Widerstandes nicht mehr angesprochen und bleiben den Vereinen fern. Welche der beiden Behauptungen zutreffend ist, kann auf Basis der vorliegenden Daten nicht beantwortet werden. Vielmehr zeigt sich hier ein weiterer

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Forschungsbedarf zu den Einstellungen von Muslimen zu solchen Vereinen. Angesichts einer wachsenden Zahl von Menschen mit muslimischem Hintergrund – Migranten oder auch Konvertierte – stellen die in Kapitel 3.2 präsentierten Stigmatisierung, die mit einer großer Identifikation der Muslime mit ihrem Glauben einhergeht, ein großes Konfliktpotential für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland dar. Um das Zusammenleben zwischen Muslimen und anderen Gruppen zu verbessern, wurde im Jahr 2006 die erste nationale Islamkonferenz einberufen. Auch dort stehen die Rechte der Frau innerhalb der muslimischen Gemeinschaft im Mittelpunkt des Dialogs. An diesem Beispiel soll der Stellenwert der hier untersuchten hybriden Identitäten auf nationalpolitischer Ebene exemplarisch erörtert werden. Wie im öffentlichen Diskurs wurde bis ins Jahr 2009 auf der Islamkonferenz hauptsächlich den Islamkritiker und den eher von Männern dominierten Dachverbänden viel Platz eingeräumt.73 Daneben waren es Vertreter der Ministerin, die den Diskurs auf nationaler Ebene bestimmten. Im Frühling des Jahres 2010 kam es zu einer Umgestaltung des Plenums. Jetzt sitzen mit Frau Hamideh Mohagheghi, Theologin und Mitglied von HUDA, und mit Frau Tuba Isik-Yigit, religiöse Muslima im Ausschuss. Auch auf nationaler Ebene scheinen die hier untersuchten hybriden Identitäten immer mehr Berücksichtigung zu finden. Es hat den Anschein, als könnten sie in eine Vermittlerposition zwischen den Islamkritikern, den islamischen Organisationen und den deutschen Vertretern einnehmen. Die hybriden Formen sind durchaus in der Lage, einen neuen Standpunkt in die politische Diskussion einzubringen und zu zeigen, dass es in der Identitätsdebatte nicht immer um ein reines »Entweder-oder« geht. Vielmehr werden traditionelle Zugehörigkeiten in Frage gestellt. Sie zeigen auf, dass eine Muslima religiös, selbstbewusst und eigenständig zugleich sein kann. Daneben machen sie deutlich, dass islamische Regeln und demokratische und verfassungsrechtliche Teilhabe sich nicht widersprechen müssen. Damit eröffnet sich besonders heranwachsenden Frauen ein »dritter Raum« auf nationaler

73 Diese Kritik wurde auch von den Teilnehmern der Islamkonferenz, den Schriftsteller Feridun Zaimoglu sowie der Lerherin Havva Yakar geäußert. Feridun Zaimoglu bot seinen Platz in der Islamkonferenz für eine selbstbewusste religiöse Frau an.

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Ebene, in dem sie eine neue Form des Islam in den Diskurs einbringen können. Vor diesem Hintergrund kann das Umdenken von Politik befürwortet werden. Der doch ansteigende nationale Einfluss der islamischen Frauenrechtlerinnen, zeigt sich auch auf der Ebene der muslimischen Gemeinschaften. Als Beispiel können Frauenbeauftragte oder auch spezielle Frauenangebote bei den Dachverbänden herangezogen werden. Hier kam es zu einem Umdenken, und dies auch aufgrund der Kritik und dem Druck der hier beschriebenen Frauenvereine. Ferner zeigt die Nachfrage nach explizit weiblichen Angeboten, z. B. der untersuchten Frauenvereine, dass hier ein religiöser Markt vorliegt, den die großen Organisationen auch bedienen müssen, wenn sie ihre Muslima nicht verlieren wollen. Darüber hinaus sind diese Frauen ein Evaluationsorgan, das die Frauenarbeit der Dachverbände beobachtet und gegebenenfalls auch kritisiert. Welchen Einfluss können solche kollektive Identitäten auf den globalen Prozess besitzen? Können die Frauen durch ihre globalen Vernetzungen politische bzw. androzentrische Strukturen verändern und damit die Implementierung bzw. die Durchsetzung von Frauenrechten fördern? Nach den islamistischen Terroranschlägen und dem Einmarsch im Irak und in Afghanistan zeichnet sich der Dialog zwischen westlicher und muslimischer Welt hauptsächlich durch seine Konflikthaftigkeit aus. Es hat den Anschein, dass der Islam und »der Westen« unvereinbar sind, doch gerade hier besteht auch die Chance dieser hybriden Identitäten, die eine Verbindung beider »Kulturräume« darstellt. Die Bewegungen können zeigen, dass so genannte westliche Werte und der Islam keinen Widerspruch an sich darstellen müssen. Doch auch wenn hybriden Identitäten damit eine kreative Kraft unterstellt werden kann, zeigt sich in der politischen Praxis ein anderes Bild. Die Form des hier untersuchten Islam spielt auf der globalen Ebene eine untergeordnete Rolle. Dennoch zeigt der vierte »Annual International Congress on Islamic Feminism«, dass auch hier Veränderungen einsetzen. Auf der Internationalen Konferenz kommen Frauen aus unterschiedlichen Ländern zusammen, um über ihre Arbeit zu diskutieren und ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Auch wenn diese Treffen bisher kaum öffentlich Wahrnehmung erfahren, kann die globale Vernetzung dieser Frauenrechtlerinnen Auswirkungen auf lokale Begebenheiten haben. Durch den globalen Austausch fließen neue Ideen in die verschiedenen Regionen zurück, in denen die Frauen bislang noch häufig einen Spagat zwi-

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schen Selbstbestimmung und androzentrischen Strukturen ausführen müssen wie beispielsweise im Iran oder Malaysia. So versuchen sie einerseits, das traditionelle Rollenbild der Mutter und Hausfrau aufzuwerten, obwohl oder sogar indem sie verschleiert im öffentlichen Raum auftreten. Andererseits tun sie dies jedoch in Abgrenzung von Traditionen und in ihrer Eigenschaft als berufstätige, gut gebildete und selbstbewusste Frauen. Auf diese Weise lockern sie traditionelle Geschlechterordnungen und schützen sich gleichzeitig durch die Einhaltung religiöser Normen. Die Verschleierung dient etwa in diesem Fall dazu, nicht als untugendhaft abgestempelt zu werden (vgl. Najmabadi 1991). Bezüglich der Vernetzung geht Badran davon aus, dass der islamische Feminismus die Trennlinie zwischen West und Ost auflöst, da als Ziel das »Empowerment« der Frauen im Mittelpunkt steht und nicht deren jeweilige Religionszugehörigkeit. Sie hofft, dass der muslimisch geprägte Feminismus den Frauen in der Diaspora dabei helfen kann, androzentrische Strukturen und Islam zu entwirren: »(I)t gives them Islamic ways of understanding gender equality, societal opportunity, and their own potential.« (Badran 2006) Bei der Positionierung der Frauen in der Diskussion über islamischen Feminismus zeigt sich allerdings, dass eine vollständige Identifikation weder mit der »muslimischen« Kultur, noch mit der »westlichen« Kultur möglich ist: »This realization leads them to feel – at least for some time – isolated and alone.« (Hassan 2002: 208). Lamya´al Faequi geht sogar davon aus, dass der westliche Feminismus mit dem muslimischen aufgrund interkultureller Unterschiede inkompatibel ist; die Ziele der Frauen in der westlichen, christlichen Welt seien andere und in diesen Ländern lägen differente kulturelle wie politische Vorraussetzungen vor: »In other words, if feminism is to succeed in an Islamic environment, it must be an indigenous form of feminism, rather than one conceived and nurtured in an alien environment with different problems and different solutions and goals.« (Lamya´al Faequi 2003)

Festzuhalten bleibt, dass eine globale muslimische Frauenbewegung existiert, in der Frauen religiöses Kapital für ihre Identitätsbildung – auch gegen Widerstand – zu ihren Gunsten nutzen. Als Expertinnen eines demonstrativ religiösen Lebensstils konstruieren sie auf der Grundlage ihres religiösen Wissens neue Öffentlichkeiten und arbeiten an der Neudefinition von

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sozialen Räumen. Die Frauen zeigen somit nicht nur, dass Öffentliches und Privates dynamische Konstrukte darstellen, welche auch im islamischen Diskurs einer ständigen Aushandlung unterliegen, an der sowohl die Generationen wie auch die Geschlechter beteiligt sind, sondern werfen auch ihren Statusgewinn, den sie durch die Beachtung religiöser Praktiken erhalten, selbstbewusst in die Wagschale (vgl. Klein-Hessling 2000: 259). Innerhalb des islamischen Feminismus gibt es somit keine kohärente und leicht identifizierbare Ideologie. Vielmehr zeichnet sich der neue muslimische Feminismus durch seine Heterogenität aus. Auch wenn sich die Bewegungen stark auf religiöse Argumente stützen, sind sie dennoch nicht traditionalistisch und antimodernistisch, sondern müssen eher als spezifische Form der Modernisierung, der hybriden Identität oder als postmoderne Reaktion betrachtet werden (vgl. Berktay 2001: 73). Schlussendlich kann behauptet werden, dass im Zuge der kulturellen Globalisierung die Hybridbildung einen dritten Weg zwischen Traditionalismus und Assimilation darstellt. Es wird deutlich, dass nicht nur ein »Entweder-oder« existiert, sondern auch ein »dritter Weg« jenseits des »Kampfes der Kulturen«, des Multikulturalismus und der kulturellen Homogenisierung. Ebenso wird deutlich, dass diese Form der Identität im Machtdiskurs zwar zum Teil eingebunden ist, jedoch noch kaum Definitionsmacht besitzt. Eine Forderung lautet deshalb, kulturelle Hybridität bei politischen Diskursen beispielsweise im Bereich der Migrations-, Assimilations- sowie Entwicklungspolitik stärker zu berücksichtigen. Besonders auf nationaler Ebene, wo beispielsweise ein »deutscher Islam« gefordert wird, sollten diese Identitäten stärker beachtet werden. Denn folgt man der Ansicht des Soziologen Jan Nederveen Pieterse (1998), kann die Bejahung von Hybridität auch Einfluss auf das politische Engagement besitzen und ein friedliches Zusammenleben fördern.

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multizentrischen Studie in städtischen Lebensräumen, Berlin, http://www.bmi.bund.de/cae/servlet/contentblob/139732/publicationFil e/14975/Muslime%20in%20Deutschland.pdf vom 12.06.2010. Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von (2001): Türken in Deutschland. Einstellungen zu Staat und Gesellschaft, Sankt Augustin, http://www. kas.de/db_files/dokumente/arbeitspapiere/7_dokument_dok_pdf_12_1. pdf vom 23.09.2009. Williams, Patrick (Hg.) (1994): Colonial discourse and post-colonial theory. A reader, Harlow. Witzel, Andreas (1982): Verfahren der qualitativen Sozialforschung. Überblick und Alternativen, Frankfurt am Main: Campus. — (2000): Das problemzentrierte Interview, in: Forum Qualitative Sozialforschung 1, http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/ viewArticle/1132/2519 vom 23.06.2009 Wohlrab-Sahr, Monika (1999): Konversion zum Islam in Deutschland und den USA, Frankfurt: Campus. Worbs, Susanne/Heckmann, Friedrich (2003): Islam in Deutschland: Aufarbeitung des gegenwärtigen Forschungsstandes und Auswertung eines Datensatzes zur zweiten Migrantengeneration, in: Bundesministerium des Inneren (Hg.), Islamismus, Berlin, S. 133–220. Wössner, Jakobus/Deschwanden, Leo von (Hg.) (1972): Religion im Umbruch. Soziologische Beiträge zur Situation von Religion und Kirche in der gegenwärtigen Gesellschaft, Stuttgart. Yousefi, Hamid R./Braun, Ina (2005): Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen. Das Islambild im christlichen Abendland, Nordhausen: Bautz. Zentralinstituts Islam-Archiv-Deutschland Stiftung e.V. (2007): Mehr Konvertiten als vermutet?, http://www.islamarchiv.de/akver/in_online.html vom 07.12.2008. Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (o.J.): Gremien und Mitglieder, http://zentralrat.de/2593.php#beauftragte vom 20.07.2007. ZIF (Zentrum für Islamische Frauenforschung) (2004): Gegenseitige Wertschätzung im Dialog. Informationsmaterial. Köln: Zentrum für islamische Frauenforschung und Frauenförderung. — (2005a): Gesammelte Aufsätze, Köln: Zentrum für islamische Frauenforschung und Frauenförderung.

326 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND?

— (2005b): Ein einziges Wort und seine große Wirkung. Eine hermeneutische Betrachtungsweise zu Koransura 4, Vers 34, mit Blick auf das Geschlechterverhältnis im Islam, Köln: Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung.

Anhang

A) L EITFADEN : V EREINSMITGLIEDER 1. Vereinsmitgliedschaft • Wie und warum sind Sie Mitglied in diesem Verein geworden? Wie ka-

men Sie dazu gerade in diesen Verein einzutreten? • Wie lange sind Sie Mitglied in diesem Verein? • Welche Vereinsangebote nehmen Sie wahr? • Wie wirken sich die im Verein gesammelten Erfahrungen auf Ihren All-

tag aus? • Haben Sie im Verein neue Freunde kennengelernt? Verbringen Sie mit

diesen Freunden Ihre Freizeit? • Sind Sie noch Mitglied in anderen Vereinen (auch deutschen Vereinen)? Wenn ja: Warum gerade diese Vereine? Wenn nein: Warum nicht? • Besuchen Sie weitere religiöse Vereine? Wie sieht Ihre Aktivität in der Gruppe aus? Welche Aktivitäten nehmen Sie dort wahr? • Glauben Sie, dass die muslimischen Vereine zu stark von Männern bestimmt werden? Wenn ja: Welche Konsequenzen hat dies für die muslimischen Frauen?

328 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

2. Religion 2.1 Personenbezogene Fragen • Welche Bedeutung hat der Islam für Sie? Wie streng halten Sie sich an

die Regeln? • Lesen Sie den Koran? Wie gut kennen Sie ihn? Halten Sie sich an die

Gebote des Koran? • Wie streng befolgen Sie die 5 Pfeiler des Islams? • Besuchen Sie eine Moschee?

Wenn ja: Warum? Wenn nein: Warum nicht? • Wie sehen sie Ihre Rolle als muslimische Frau? ƒ In der deutschen Gesellschaft? ƒ In der muslimischen Gesellschaft? ƒ In Ihrer Familie? ƒ In Ihrer Partnerschaft. • Wie sehen Sie Ihre Religion in der Öffentlichkeit (z.B. Medien, Politik) repräsentiert? • Wie stehen Sie zu dem Begriff des »Islamischen Feminismus«? 2.2 Kopftuch • Tragen Sie ein Kopftuch? • Warum tragen Sie ein Kopftuch, bzw. warum tragen Sie kein Kopftuch? • Seit wann tragen sie eins? Geschah dies freiwillig? Hatten Sie ein beson-

deres Erlebnis, das Sie zum Tragen eines Kopftuches bewogen hat? • Haben Sie schon Probleme aufgrund des Tragens ihres Kopftuches er-

lebt? Wie sahen diese aus? • Hatten Sie das Gefühl, dass sie in Deutschland durch das Tragen des

Kopftuches falsch verstanden werden? • Wie fühlen sie sich als Trägerin des Kopftuches in den Medien repräsen-

tiert? • Hat das Kopftuch für sie über die religiöse Bedeutung hinaus noch weite-

re Bedeutungen? • Wie stehen Sie zum Kopftuchverbot?

A NHANG |

329

3. Identität 3.1 Personenbezogene Fragen • Kann man unterschiedliche Identitäten besitzen?

Wie würden Sie sich bezeichnen? Als Deutsche oder z.B. Türkin, Muslima, Deutsch-Muslima, Europäische Muslima? Was zeichnet Ihre Identität besonders aus? Welche Rolle spielt dabei die Religion? Sehen Sie Ihre kulturelle Identität in Deutschland gefährdet oder können Sie diese hier ohne Kompromisse ausleben? Gibt es Konflikte zwischen Ihnen und Ihren Eltern, Institutionen oder anderen Personen, die mit Religion zu tun haben? ƒ

• • • •

3.2 Allgemeine Fragen • Welche weiteren muslimischen Identitäten, neben Ihrer eignen, kennen

Sie noch? Wie würden Sie diese bezeichnen? • Worin sehen Sie die Aufgaben einer modernen muslimischen Frau in

Deutschland?

4. Familie 4.1 Eltern • Sind Ihre Eltern religiös? Unterscheidet sich deren Religiosität von Ihrer? • Reden Sie mit ihren Eltern über Ihre religiösen Ansichten? • Gibt es religiöse Konflikte mit Ihren Eltern?

Wenn ja: Können Sie den Standpunkt Ihrer Eltern verstehen • Sind Ihre Eltern Vorbilder für Sie? In welcher Hinsicht? 4.2 Eigene Familie • Leben Sie in einer Partnerschaft? • Kommt es mit Ihrem Partner zu Streitigkeiten bezüglich religiöser The-

men? • Wie sind bei Ihnen in der Familie die Geschlechtsrollen Verteilt? • Haben Sie Kinder? • Erziehen Sie Kinder streng nach dem Islam?

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären? Gibt es dabei Widerstände (Kindergarten, Schule)? • Glauben Sie, dass es in Deutschland überhaupt möglich ist, Kinder nach dem Islam zu erziehen? ƒ ƒ

330 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

5. Alltag in Deutschland • • • •

Wie empfinden Sie das Frauenbild in Deutschland? Wie kommen Sie mit dem Religionsverständnis der Deutschen zurecht? Was denken Sie über deutsche Moralvorstellungen und Werte? Wie finden Sie sieht das Bild einer islamischen Frau in Deutschland aus? Wie stehen Sie dazu?

6. Bildung und Beruf • Haben Sie selbst einmal Diskriminierungserfahrungen gesammelt?

Haben Sie Probleme in Ihrem Beruf/ Schule aufgrund Ihrer Religion/ Ethnizität/ Kopftuch? • Welchen Stellenwert hat Bildung für Sie? ƒ

7. Integration • Was bedeutet für Sie der Begriff »Integration«? • Von Migranten wird erwartet, dass sie sich an das Leben in Deutschland

anpassen (Assimilation). Wie stehen Sie dazu? • Wann kann man in Ihren Augen von Integration sprechen? • Welche Rolle nimmt für Sie Religion bei der Integration ein? ƒ Sehen Sie Religion als einen Integrationsfaktor oder als ein Hindernis für die Integration? • Wie weit sollte/darf religiöse Toleranz und Integration gehen?

8. Demographische Daten • Alter • Familienstand ƒ

ledig, verlobt, verheiratet, geschieden

• Nationalität • Herkunftsland • Muslimischem Glauben ƒ

Schiit, Sunnit?

A NHANG |

331

B) L EITFADEN : V ORSTANDSMITGLIEDER 1. Fragen über den Verein 1.1 Allgemeine Fragen • Warum wurde der Verein gegründet? ƒ

Wie sah die Gründung aus?

• Wie hat sich der Verein entwickelt? • Gab es Probleme bei der Gründung? ƒ

Wie sahen diese aus?

• Welches Motto, bzw. welche Identität hat der Verein?

Wo sehen Sie die Rolle der Frauenvereine innerhalb der öffentlichen Diskussion? Hat Ihr Verein eine bestimmte Zielgruppe? Hat sich diese geändert? Warum? Wie sind Sie organisiert? Wie sind die Zuständigkeiten verteilt? Wer bestimmt das inhaltliche Profil des Vereins? Wie sieht die ethnische Zusammensetzung aus? Wie viel Mitglieder haben Sie? Hat sich das geändert? Warum? Wie sieht Ihr Angebot aus? Was ist das Besondere an Ihrer Organisation im Vergleich zu anderen? Welche Stellung nimmt ihr Vereine innerhalb der muslimischen Gemeinschaft ein? Welche Rolle besitzt ihr Verein innerhalb der deutschen Gesellschaft? ƒ

• • • • • • • •

1.2 Vernetzung • Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen? • Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen bzw. Äm-

tern? • Mit welchen anderen muslimischen und nicht-muslimischen Organisa-

tionen ist Ihr Verein eng vernetzt? ƒ Warum gerade diese Organisationen?

2. Religiosität 2.1 Vereinsbezogene Fragen • Welche Rolle spielt der Islam im Verein? • Welches Frauenbild wird im Verein vertreten? Gibt es Vorbilder? • Wie würden Sie die Religiosität Ihrer Mitglieder beschreiben?

332 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

• Hat die Tatsache, dass es ein Verein von und für Frauen ist, Auswirkun-

gen auf das Islamverständnis? Wie äußert sich dies? • Wie sieht das religiöse Angebot des Vereins aus? • Welche religiösen Aspekte stellt der Verein in den Vordergrund im Ver-

gleich zu anderen? Warum? 2.2 Gesellschaftsbezogene Fragen • Wie beurteilen Sie den Umgang mit dem Islam in Deutschland?

z.B. Darstellung der Muslima in den Medien, Politik, öffentlicher Raum ƒ Welche Aspekte werden Ihrer Ansicht nach in der Öffentlichkeit vernachlässigt? Wo sehen Sie Handlungs- und Aufklärungsbedarf? ƒ Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, dass viele Migranten gar nicht den Willen zeigen, sich in Deutschland zu integrieren? ƒ Worin unterscheidet sich die muslimische Frau von einer deutschen Frau? Sehen Sie neben der Zielgruppe muslimischer Frauen auch eine umfassendere gesellschaftliche Funktion/Auftrag Ihres Vereins? Worin könnte diese/dieser bestehen? Wie schätzen Sie die Stellung der Muslime in Deutschland grundsätzlich ein? Würden Sie sagen es gibt geschlechtliche Unterschiede? Welche Rolle spielt Ihr Verein innerhalb der islamischen Gemeinde in Deutschland? Gibt es überhaupt eine islamische Gemeinde in Deutschland? Warum ist es so wichtig ein Informationsangebot, bzw. Anlaufstellen speziell für muslimische Frauen anzubieten? Sind andere muslimische Angebote nur für Männer? Welche Rolle spielt das Geschlecht in anderen muslimischen Vereinen? ƒ



• •



3. Gender • Besitzen Frauen einen unterschiedlichen Status innerhalb der muslimi-

schen Gemeinschaft als Männer? ƒ Wenn ja: Spielte dies eine Rolle bei der Vereinsgründung? • Rolle bei der Vereinsgründung? • Haben Frauen grundsätzlich einen anderen Bezug zur Religion als Männer? • Wie steht Ihr Verein zu den Begriffen Feminismus und Emanzipation? ƒ Wie sehen Sie die Rolle der muslimischen Frau?

A NHANG |

333

4. Fragen zur Person 4.1 Fragen zur Stellung im Verein • Welche Stellung haben Sie im Verein? Wie lange besitzen Sie diese Stel-

lung schon? • Waren Sie vorher Mitglied in diesem Verein? Wie lange waren Sie Mitg-

lied? 4.2 Persönliches Interesse/Engagement • In welcher Weise/Funktion/Rolle beschäftigen Sie sich mit dem Thema

»Die Rolle der Frau im Islam?« (Betroffene, Lehrerin, Vorstandsmitglied, Leiterin einer Gruppe, etc.) • Worauf gründet Ihr persönliches Engagement? (persönliche Erfahrungen, Erlebnisse, etc.) • In welchem Umfang beschäftigen Sie sich mit dem Thema Islam und Frauen? 4.3 Demographische Daten • Alter • Familienstand ƒ

ledig, verlobt, verheiratet, geschieden

• Nationalität • Herkunftsland • Muslimischem Glauben ƒ

Schiit, Sunnit?

5. Ausblick • Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Wo sehen Sie die Zukunft Ihres

Vereins?

334 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND?

C) F RAGEBOGEN 1. Vereinsmitgliedschaft/Vereine V1

V2

V3

V4

Welche Position haben Sie innerhalb der HUDA?

Ich bin im Vorstand

1

Ich bin Mitglied bzw. Abonnent aber nicht im Vorstand

2

Ich bin kein Mitglied, aber nehme an den Angeboten teil (Z.B. Unterricht, Vorträge)

3

Wie lange sind Sie schon Mitglied bzw. Abonnent?

Bin neu hier (seit max. 6 Monaten)

1

6 Monate bis 1 Jahr

2

1 Jahr bis 3 Jahre

3

seit über 3 Jahren

4

seit der Gründung

5

Wie häufig haben Sie Kontakt zum Verein bzw. besuchen Sie die Hompage? einmal die Woche

1

mehrmals die Woche

2

mehrmals im Monat

3

einmal im Monat oder weniger

4

Haben Sie Kontakt mit anderen Mitgliedern bzw. Abonnenten? Î Wenn nicht, bitte weiter mit Frage V7. Ja

1

Nein

2

A NHANG |

V5

V6

335

Mit welchen Vereinsmitgliedern haben Sie auch privat regelmäßigen (mindestens einmal die Woche) Kontakt (z.B. Telefon, E-Mail)? Nur mit den Vorstandsmitgliedern/Leiterinnen

1

Mit wenigen (nicht mehr als 5) Mitgliedern

2

Mit vielen (5 und mehr) Mitgliedern

3

Mit dem Vorstand und den anderen Mitgliedern

4

Wie würden Sie den Kontakt zu den anderen Mitgliedern des Netzwerks/Vereins beschreiben? Antwortmöglichkeiten: 1 = Stimme voll zu 2 = Stimme zu 3 = Teils-teils 4 = Stimme eher nicht zu 5 = Stimme nicht zu

V6a

eher freundschaftlich: wir reden viel über unsere privaten Gefühle und Sorgen im Alltag

1

2

3

4

5

eher professionell: wir reden viel über berufliche Qualifikationen und Perspektiven des Vereins

1

2

3

4

5

eher religiös: wir reden viel über religiöse Themen und Einstellungen

1

2

3

4

5

V6d

eher politisch: wir sprechen über politische Themen aller Art

1

2

3

4

5

V6e

eher frauenbezogen: wir sprechen viel über die Frau im Islam oder über allgemeine Frauenthemen

1

2

3

4

5

V6b

V6c

336 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

V7

V8

Der Verein, in dem Sie Mitglied sind, ist ein muslimischer Frauenverein. Welche Rolle spielt der Islam in diesem Verein für Sie persönlich? Er spielt für mich im Verein die Hauptrolle.

1

Er spielt für mich im Verein eine eher untergeordnete Rolle.

2

Der Islam spielt für mich im Verein keine Rolle.

3

Wie ausschlaggebend waren die hier aufgeführten Gründe für Sie diesem Verein beizutreten? Antwortmöglichkeiten: 1= Sehr wichtig 2= Eher wichtig 3= Teils-teils 4= Eher unwichtig 5= Völlig unwichtig

V8a

Weil ich mich weiterbilden kann (Sprachkurs, Computerkurs usw.)

1

2

3

4

5

V8b

Weil ich hier Freunde treffen kann

1

2

3

4

5

V8c

Weil ich neue Impulse für meinen Glauben erhalten kann.

1

2

3

4

5

V8d

Weil ich mich für muslimische Frauenrechte stark machen kann.

1

2

3

4

5

V8e

Weil die Interessen der Frauen in den meisten muslimischen Organisationen kaum berücksichtig werden.

1

2

3

4

5

V8f

Weil ich mich hier mit anderen Frauen über Alltagsprobleme austauschen kann.

1

2

3

4

5

V8g

Weil ich mehr über den Islam herausfinden kann.

1

2

3

4

5

A NHANG |

337

V8h

Weil hier ein weiblicher Islam im Mittelpunkt steht.

1

2

3

4

5

V8i

Weil sich der Verein für Frauenrechte stark macht.

1

2

3

4

5

V8j

Weil die anderen muslimischen Organisationen meist von Männern dominiert werden.

1

2

3

4

5

V8k

Weil dieser Verein für alle muslimischen Richtungen (z.B. Sunniten, Alleviten, Schiiten) offen ist.

1

2

3

4

5

V8l

Weil hier Menschen aus vielen Nationen (z.B. Türkei, Iran usw.) vertreten sind.

1

2

3

4

5

V8m

Weil andere muslimischem Organisationen stark von der nationalen Politik eines muslimischen Landes (z.B. Türkei) beeinflusst werden.

1

2

3

4

5

V8n

Weil in anderen muslimischen Organisationen meist nur Muslime sind, die einer Nation angehören.

1

2

3

4

5

V8o

Weil ich neue Bekanntschaften schließen kann.

1

2

3

4

5

V8p

Weil dieser Verein unabhängig ist.

1

2

3

4

5

V8q

Weil hier ein »weiblicher Islam« im Mittelpunkt steht.

1

2

3

4

5

338 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

V9

Hier werden nun einige wenige Organisationen/Institutionen aufgezählt. Schätzen Sie bitte ein, wie sehr Sie diesen Organisationen vertrauen? Antwortmöglichkeiten: 1 = Sehr großes Vertrauen 2 = Ein wenig Vertrauen 3 = Eher kein Vertrauen 4 = Überhaupt kein Vertrauen

V9a

Gewerkschaften

1

2

3

4

V9b

Zentralrat der Muslime

1

2

3

4

V9c

unabhängige muslimische Frauenvereine

1

2

3

4

V9d

Moscheen

1

2

3

4

V9e

Gerichte

1

2

3

4

V9f

Politische Parteien in Deutschland

1

2

3

4

V9g

Milli Görüs

1

2

3

4

V9h

Bundeswehr

1

2

3

4

V9i

Bundesregierung

1

2

3

4

V9j

Islamrat

1

2

3

4

V9k

Polizei

1

2

3

4

V9l

Greenpeace

1

2

3

4

V9m

Ausländerbehörde

1

2

3

4

V9n

DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion)

1

2

3

4

V9o

Christliche Gemeinden

1

2

3

4

A NHANG |

V10

339

Der Verein, in dem Sie Mitglied sind, ist ein muslimischer Frauenverein. Würden Sie sich daher auch als Feministin bezeichnen? Ja, uneingeschränkt. Denn man muss etwas gegen die Vormachtstellung der Männer tun.

1

Ja, ich will mehr Rechte für Frauen, aber ich habe nichts gegen Männer.

2

Nein, aber ich bin für mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern bzw. zwischen Menschen an sich.

3

Nein, ich finde die Feministinnen übertreiben. Es ist gut wie es ist.

4

340 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

2. Religion V11

V12

Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an? katholisch

1

evangelisch

2

schiitisch

3

sunnitisch

4

allevitisch

5

andere Religionsgemeinschaft Name der Religionsgemeinschaft:________________

6

Unabhängig davon, ob Sie einer Religionsgemeinschaft angehören: Als wie religiös würden Sie sich bezeichnen? sehr religiös 1

V13

gar nicht religiös 2

3

4

5

Wie religiös sind Sie zu Hause erzogen worden? sehr religiös 1

gar nicht religiös 2

3

4

5

A NHANG |

V14

341

Nun eine paar Fragen, die sich nur an Muslime richtet. Wenn Sie dieser Glaubensgemeinschaft nicht angehören, machen Sie bitte mit Frage V19 weiter. Sind Sie zum Islam konvertiert?

V15

Ja

1

Nein

2

Religion kann man auf verschiedene Weise ausüben. Wie intensiv halten Sie sich an die folgenden Handlungen? Antwortmöglichkeiten:

1 = Immer 2 = häufig 3 = ab und zu 4 = selten 5 = nie V15a

Ich halte mich an das Schweinefleischverbot.

1

2

3

4

5

V15b

Ich halte mich an das Zakat.

1

2

3

4

5

V15c

Ich halte mich an das Alkoholverbot.

1

2

3

4

5

V15d

Ich halte mich an das Fastengebot.

1

2

3

4

5

V15e

Ich bete fünfmal am Tag.

1

2

3

4

5

V15f

Ich gehe jede Woche in die Moschee.

1

2

3

4

5

V16

Haben Sie schon mal an einer Pilgerfahrt teilgenommen?

Ja

Nein

V16a

Ich habe schon an der »Umra« teilgenommen.

1

2

V16b

Ich habe schon an der »Hadsch« teilgenommen.

1

2

342 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

V17

Tragen Sie ein Kopftuch in der Öffentlichkeit? Antwortmöglichkeiten: 1 = immer 2 = häufig 3 = ab und zu 4 = selten 5 = nie

1

2

3

4

5

V18

Wodurch ist Ihr Verhältnis zum Islam nachhaltig (positiv) beeinflusst worden? Mehrfachnennungen sind möglich.

V18a

Durch meine Familie

1

V18b

Durch meine Freunde

1

V18c

Durch meinen Partner

1

V18d

Durch die HUDA-Zeitschrift

1

V18e

Durch den Koranunterricht

1

V18f

Durch eine muslimische Organisation

1

V18g

Durch einen Imam

1

V18h

Durch mein persönliches Interesse (z.B. Bücher, Studium usw.)

1

V18i

Durch diesen Verein hier

1

V18j

Sonstige: _____________________

1

A NHANG |

V19

343

Wie sehr stimmen Sie den folgenden Aussagen zu? Antwortmöglichkeiten: 1 = Stimme voll zu 2 = Stimme zu 3 = Teils-teils 4 = Stimme eher nicht zu 5 = Stimme überhaupt nicht zu

V19a

Islam und Christentum vertreten die gleichen Werte

1

2

3

4

5

V19b

Die islamische Religion ist der christlichen Religion überlegen.

1

2

3

4

5

V19c

Die christliche Religion ist der islamischen Religion überlegen.

1

2

3

4

5

V19d

Alle Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, sind vor Gott gleich.

1

2

3

4

5

V20

Die Regierung eines Landes sollte ...

durch das Volk gewählt werden.

1

durch eine kleine Gruppe von Menschen bestimmt werden.

2

von Gott bestimmt werden.

3

344 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

3. Identität V21

In der nächsten Frage geht es um die Situation von Männern und Frauen im Alltagsleben. Inwieweit stimmen Sie persönlich den folgenden Thesen zu? Antwortmöglichkeiten: 1 = Trifft voll zu 2 = Trifft zu 3 = Teils-teils 4 = Trifft eher nicht zu 5 = Trifft überhaupt nicht zu

V21a

Auch wenn eine Frau arbeitet, sollte der Mann der »Hauptverdiener« sein, und die Frau sollte die Verantwortung für den Haushalt tragen.

1

2

3

4

5

V21b

Es sollte viel mehr Frauen in politischen und öffentlichen Führungspositionen geben.

1

2

3

4

5

V21d

Frauen sollten kein hohes religiöses Amt besetzen.

1

2

3

4

5

V21e

Ein Mann, der nur das Haus führt und nicht arbeiten geht, ist kein richtiger Mann.

1

2

3

4

5

V21f

Männer sind für die Kindererziehung genauso gut geeignet wie Frauen.

1

2

3

4

5

V21g

Wenn Kinder da sind, soll der Mann weniger arbeiten und sich mehr um die Familie kümmern.

1

2

3

4

5

V21h

Wenn man Kinder haben möchte, muss man auch heiraten.

1

2

3

4

5

V21i

In einer Ehe/Partnerschaft ist es heute wichtig, dass sich auch die Frau ihre beruflichen Wünsche erfüllen kann.

1

2

3

4

5

A NHANG |

345

4. Diskriminierung V22

Im Leben kann man aufgrund verschiedener Merkmale benachteiligt werden. Wie häufig wurden Sie aufgrund der hier genannten Merkmale schon benachteiligt? Antwortmöglichkeiten: 1 = sehr oft 2 = oft 3 = gelegentlich 4 = selten 5 = nie

V22a

Wegen meines Geschlechts

1

2

3

4

5

V22b

Wegen meiner sozialen Herkunft

1

2

3

4

5

V22c

Wegen meiner ethnischen Herkunft (z.B. Kurde, Türke, Iranerin)

1

2

3

4

5

V22d

Wegen meines Aussehens (z.B. Kleidung, Kopftuch)

1

2

3

4

5

V22e

Wegen meines Alters

1

2

3

4

5

V22f

Wegen meiner Religion

1

2

3

4

5

V22g

Sonstiges: _________________

1

2

3

4

5

346 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

V23

Wenn sie schon einmal diskriminiert wurden, können Sie sich noch erinnern, wo das war? Mehrfachnennungen sind möglich

V23a

In der Öffentlichkeit (z.B. auf der Straße, Kino)

1

V23b

Wohnungssuche

1

V23c

Beruf/Schule/Universität

1

V23d

Muslimische Organisationen

1

V23e

Jobsuche

1

V23f

Moschee

1

V23g

In staatlichen Behörden (z.B. Auslandsamt, Sozialamt, Anstellung im öffentl. Dienst usw.)

1

V23h

Christliche Organisation

1

V23i

Kirche

1

A NHANG |

347

4.1 Medien V24

In den deutschen Medien wird in letzter Zeit viel über Ausländer/Migranten und andere Kulturen bzw. Religionen berichtet. Welche Aussagen treffen Ihrer Meinung nach auf die Berichterstattung zu? Antwortmöglichkeiten: 1 = Trifft voll zu 2 = Trifft zu 3 = Teils-teils 4 = Trifft eher nicht zu 5 = Trifft überhaupt nicht zu

V24a

Der Islam wird immer als Feindbild des Westens dargestellt.

1

2

3

4

5

V24b

Es gibt kaum Berichte über den Alltag von Ausländern.

1

2

3

4

5

V24c

Der Islam wird häufig mit dem Terrorismus gleichgesetzt.

1

2

3

4

5

V24d

Ausländer werden als Bereicherung der deutschen Gesellschaft dargestellt.

1

2

3

4

5

V24e

Über andere Religionen wird besser berichtet als über den Islam.

1

2

3

4

5

V24f

Die muslimische Frau wird in den Medien immer als unterdrückte Person dargestellt.

1

2

3

4

5

348 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND ?

5. Alltag/Familie V25

Wie wichtig sind für Sie die folgenden Lebensziele auf dieser Liste? Antwortmöglichkeiten: 1 = sehr wichtig 2 = Eher wichtig 3 = Teils-teils 4 = Eher unwichtig 5= Völlig unwichtig

V25a

Eine gute Partnerschaft

1

2

3

4

5

V25b

Dass man sich als freier Mensch fühlen kann/ möglichst frei und unabhängig sein

1

2

3

4

5

V25c

Mein Heim und meine Gemütlichkeit

1

2

3

4

5

V25d

Finanzielle Sicherheit für die Zukunft.

1

2

3

4

5

V25e

Kinder zu haben

1

2

3

4

5

V25f

Meinen Glauben leben

1

2

3

4

5

V25g

Vorwärtskommen, es im Leben zu etwas bringen

1

2

3

4

5

V25h

Gutes gepflegtes Aussehen

1

2

3

4

5

V25i

Ein harmonisches Familienleben

1

2

3

4

5

V25j

Erfolg im Beruf

1

2

3

4

5

V25k

Gute Freundschaften

1

2

3

4

5

V25l

Sich selbst verwirklichen

1

2

3

4

5

1

2

3

4

5

V25m Ein religiöses Leben führen

A NHANG |

349

6. Netzwerkfragen V26

Als Person kann man in vielen Organisationen Mitglied sein. In welchen Organisationen sind Sie noch Mitglied oder arbeiten mit (z.B. DITIP, Milli Görüs, Fußballverein, Frauenverein, Parteien [z.B. CDU] usw.)? Nennen Sie bitte maximal 6 Organisationen in denen Sie noch Mitglied sind.

V26a

Ich bin nur Mitglied in diesem Verein

V26b

Organisation:

____________________

V26c

Organisation:

____________________

V26d

Organisation:

____________________

V26e

Organisation:

____________________

V26f

Organisation:

____________________

V26g

Organisation:

____________________

1

350 | I SLAMISCHER F EMINISMUS IN D EUTSCHLAND?

7. Allgemeine Demographische Daten V27

V28

Welches Geschlecht haben Sie?

weiblich

1

männlich

2

Wann sind Sie geboren? Wann sind sie geboren?

V29

Geburtsjahr:

Welche Staatsangehörigkeit besitzen Sie? Wenn Sie mehrere Staatsbürgerschaften besitzen, nennen Sie bitte alle.

Staatsangehörigkeit: a)

V30

V31

b)

Bitte geben Sie Ihren Familienstand an:

Verheiratet und lebe mit meinem/r Ehepartner/in zusammen

1

Verheiratet und lebe von meinem/r Ehepartner/in getrennt

2

Nicht verheiratet, aber lebe mit meinem Partner zusammen

3

Ledig

4

Geschieden

5

Verwitwet

6

Nationale Herkunft der Eltern:

Herkunft: Mutter: Herkunft: Vater:

A NHANG |

V32

V33

351

Welche Schule /Hochschule besuchen Sie bzw. welchen höchsten Bildungsabschluss haben Sie?

Hauptschule oder eine ähnliche Schulart

1

Realschule oder eine ähnliche Schulart

2

Gymnasium oder eine ähnliche Schulart

3

Gesamtschule

4

Sonder- bzw. Förderschule

5

(Fach-) Hochschule

6

Sonstige Schulart:

7

Ihre derzeitige Beschäftigung?

Schüler/in

1

Student/in

2

Auszubildende/

3

berufstätig, und zwar als:

4

arbeitssuchend/arbeitslos

5

Hausfrau/Hausmann

6

Rentner/in

7

Sonstiges:

8

Globaler lokaler Islam Schirin Amir-Moazami Politisierte Religion Der Kopftuchstreit in Deutschland und Frankreich 2007, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-410-2

Sabine Berghahn, Petra Rostock (Hg.) Der Stoff, aus dem Konflikte sind Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2009, 526 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-959-6

Nilüfer Göle, Ludwig Ammann (Hg.) Islam in Sicht Der Auftritt von Muslimen im öffentlichen Raum 2004, 384 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-237-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Globaler lokaler Islam Irka-Christin Mohr, Michael Kiefer (Hg.) Islamunterricht – Islamischer Religionsunterricht – Islamkunde Viele Titel – ein Fach? 2009, 240 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1222-6

Abbas Poya, Maurus Reinkowski (Hg.) Das Unbehagen in der Islamwissenschaft Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien 2008, 336 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-715-8

Georg Stauth Ägyptische heilige Orte II: Zwischen den Steinen des Pharao und islamischer Moderne. Konstruktionen, Inszenierungen und Landschaften der Heiligen im Nildelta: Fuwa – Sa al-Hagar (Sais) Mit ägyptologischen Studien von Silvia Prell. Fotografische Begleitung von Axel Krause 2008, 246 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-432-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Globaler lokaler Islam Heiner Bielefeldt Muslime im säkularen Rechtsstaat Integrationschancen durch Religionsfreiheit 2003, 146 Seiten, kart., 13,80 €, ISBN 978-3-89942-130-9

Hans-Ludwig Frese »Den Islam ausleben« Konzepte authentischer Lebensführung junger türkischer Muslime in der Diaspora 2002, 350 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-933127-85-3

Gerdien Jonker Eine Wellenlänge zu Gott Der »Verband der Islamischen Kulturzentren in Europa« 2002, 282 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-933127-99-0

Ruth Klein-Hessling, Sigrid Nökel, Karin Werner (Hg.) Der neue Islam der Frauen Weibliche Lebenspraxis in der globalisierten Moderne. Fallstudien aus Afrika, Asien und Europa 1999, 324 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-933127-42-6

Irka-Christin Mohr Islamischer Religionsunterricht in Europa Lehrtexte als Instrumente muslimischer Selbstverortung im Vergleich 2006, 310 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-453-9

Sigrid Nökel Die Töchter der Gastarbeiter und der Islam Zur Soziologie alltagsweltlicher Anerkennungspolitiken. Eine Fallstudie 2002, 340 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-933127-44-0

Mechthild Rumpf, Ute Gerhard, Mechtild M. Jansen (Hg.) Facetten islamischer Welten Geschlechterordnungen, Frauen- und Menschenrechte in der Diskussion 2003, 319 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-153-8

Georg Stauth Islamische Kultur und moderne Gesellschaft Gesammelte Aufsätze zur Soziologie des Islams 2001, 320 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-933127-47-1

Georg Stauth Ägyptische heilige Orte I: Konstruktionen, Inszenierungen und Landschaften der Heiligen im Nildelta: ’Abdallah b. Salam Fotografische Begleitung von Axel Krause 2005, 166 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-260-3

Georg Stauth Herausforderung Ägypten Religion und Authentizität in der globalen Moderne 2010, 276 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1201-1

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