Narrative islamischer Konversion: Biographische Erzählungen konvertierter Muslime in Ostafrika [1. Aufl.] 9783839421840

Der Konvertit - das unbekannte Wesen. Anhand von verschiedenen autobiographischen Erzählungen ostafrikanischer Konvertit

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German Pages 404 Year 2014

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Religiöse Konkurrenz und die Rolle von Konversionen
1.2 Forschungsansätze
1.3 Die Forschungsregion
1.4 Aufbau der Arbeit
I ISLAM IN OSTAFRIKA
2 Gesellschaftliche Einbindung und politische Organisation von Muslimen in Ostafrika
2.1 Die Etablierung des Islam in Ostafrika und die Veränderung seiner Rolle in der Kolonialzeit
2.2 Politische Einbindung von Muslimen in Tansania und Kenia
Weichenstellung in der Zeit der Unabhängigkeit
Tansania und Kenia in den Zeiten der Blockbildung
»Marx is dead, Jesus and Allah are back in style« – der religiöse Faktor nach der Liberalisierung
Streitpunkt Demographie
2.3 Politische (Selbst-)Organisation von Muslimen
Tansania
Kenia
8/7/1998 und 9/11/2001
3 Islamische Missionsbewegungen und Konkurrenz
3.1 Strömungen islamischer Mission
Salafiyya und Wahhabiyya
Tablighi Jama'at
Schiitische Missionsbestrebungen
Wahubiri wa Kiislamu (Muslim Bible Preachers)
3.2 Abgrenzungen und Zuordnungen – Die Komplexität islamischer Mission
3.3 Konkurrenz religiöser Missionsbewegungen
Christliche Mission
Klima der Mission und Konkurrenz
Bedeutung von Konversionen
II THEORETISCHE UND METHODISCHE GRUNDLAGEN
4 Religiöse Vorstellungen von Konversion und wissenschaftliche Konversionstheorien
4.1 Annäherungen an den Begriff der Konversion
Christentum
Islam
Konversionskonzepte in Ostafrika
4.2 Sozialwissenschaftliche Konversionstheorien
Warum konvertieren Menschen?
Wie verlaufen Konversionen?
Was ändert sich bei einer Konversion?
4.3 Erzählungen als Zugang zu Prozessen der Konversion
Herstellung eines Umbruchs durch Konversionserzählungen
Konversionserzählungen als Matrix für Konversionserlebnisse
Konversionsnarrative als kommunikative Gattung
4.4 Zwischenfazit
5 Zugang zur Empirie: Theorie und Praxis biographischer Interviews
5.1 Zur Problematik biographischer Interviews in der ethnologischen Forschung
Biographie als Abbild der Realität
Biographie als Interaktion
Biographie als reiner Text
›Life Story‹
Analysemethoden
Universalität biographischer Erzählung
5.2 Biographisches Erzählen in Ostafrika
5.3 Praxis – Vorgehensweise bei Feldforschung und Auswertung
Feldforschung
Auswertung der biographischen Interviews
Darstellung der Forschungsergebnisse
III FORMEN VON NARRATIVEN ÜBER DIE KONVERSION ZUM ISLAM IN OSTAFRIKA
6 Konversion als soziale Reorientierung
6.1 Badia: »I had to convert, it’s my children who changed me«
Externalisierung – Konversion aufgrund äußerer Faktoren
Zwiespalt und Rechtfertigung – »Even if my heart is cheating me, I have to follow it«
Selbstvergewisserung – »You know, when I changed, I took it seriously«
Verortung innerhalb der islamischen Gemeinde
Spiritualität als Grenzüberschreitung – »That means God loves me not just because I am Muslim«
6.2 Bilal: »I knew nothing about Islam. So I started going to church«
Weder Muslim noch Christ – »I was just between there«
Sündhaftes Leben – »I wanted to become a good man«
Suche nach einem Ausweg – »I was a blind man asking questions«
Begegnung mit dem schiitischen Islam
Konversion als Marginalisierung – »To become a Shia is not a joke«
Der Konvertit als Missionar – »Christian-Muslim dialogue«
6.3 Einfluss persönlicher Netzwerke auf Konversionen
Adhäsion oder Konversion?
Konversion durch soziale Netzwerke
Konversion durch materielle Anreize
Mehrfachkonversionen
6.4 Zusammenfassung
7 Konversion als moralische Festigung
7.1 Nuru: »There is more discipline in Islam than in Christianity«
Heirat – »For me I wasn’t converted, I was just getting married«
Konversion – »Why don’t try your new religion?«
Selbst-Disziplinierung
Selbstlose Hilfe
Regelhaftigkeit des Islam – »You have to have rules«
7.2 Aushandlung von Geschlechterrollen durch Konversion
Aufwertung von Männlichkeit
Frauen und die Konversion zum Islam
7.3 Zusammenfassung
8 Konversion als intellektuelle Entscheidung
8.1 Ibrahim: »Becoming a Muslim just by studying«
Bildungsambitionen
Konversion als rationale Entscheidung
Konversion als individuelle Entscheidung
8.2 Veröffentlichte Konversionserzählungen aus Ostafrika
»Al Hajj Abu Bakr John Mwaipopo – The Amazing story of how the Arch Bishop who became Muslim, married a Nun«
Sheikh Said Mwaipopo
Gemeinsamkeiten der Erzählungen
8.3 Der Bibel-Koran-Vergleich im intellektuellen Konversionsnarrativ
Trinitätslehre und Jesus als Gottessohn
»It is the prophecies in the Bible which were fulfilled in the Koran that made me become a Muslim.« (Ibrahim)
Die Bibel als Fälschung
8.4 Die Wurzeln des intellektuellen Konversionsnarrativs
Intellektuelle Erzählung durch den privatisierten Umgang mit Religion
Prägung des Narrativs durch die islamischen Missionsbewegungen in Ostafrika
Veränderung der Wissensvermittlung
8.5 Zusammenfassung
9 Konversion als Grenzziehung
9.1 Isa – Einteilung der Welt in Gruppen
Spontane Konversion – »I came to Islam in a jocular manner«
Einsamkeit durch Konflikte in seiner Familie
Ablehnung des Islam durch die Gesellschaft
Konvertiten als die ›besseren‹ Muslime
9.2 Nidal: »Those who reverted to Islam are the ones who uplifted Islam«
Mission um eine ›eigene‹ Gemeinde aufzubauen
9.3 Gemeinschaft und Ideologie
Abgrenzung nach außen
Abgrenzung nach innen
Exkurs: Grenzziehung durch die Praxis der Namensgebung
9.4 Zusammenfassung
10 Fazit
10.1 Konversion im Lebensverlauf
10.2 Männerfreundschaften: verwobene Erzählungen
10.3 Grundstruktur der islamischen Konversionserzählungen in Ostafrika
10.4 Die Narrative in ihrer Anwendung
Anhang
Liste der wichtigsten Interviewpartner
Schriftliche Quellen
CDs und Videos
Bibliographie
Danksagung
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Narrative islamischer Konversion: Biographische Erzählungen konvertierter Muslime in Ostafrika [1. Aufl.]
 9783839421840

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Tabea Scharrer Narrative islamischer Konversion

Globaler lokaler Islam

Für Lini

Tabea Scharrer (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-PlanckInstitut für ethnologische Forschung in Halle (Saale) in einem Forschungsprojekt über somalische Migranten in kenianischen Städten.

Tabea Scharrer

Narrative islamischer Konversion Biographische Erzählungen konvertierter Muslime in Ostafrika

Gedruckt mit Unterstützung des Max-Planck-Institutes für ethnologische Forschung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Kisumu, 2007 © Tabea Scharrer Lektorat & Satz: Tabea Scharrer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2184-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

1

1.1 1.2 1.3 1.4

I

Einleitung | 11 Religiöse Konkurrenz und die Rolle von Konversionen | 12 Forschungsansätze | 15 Die Forschungsregion | 17 Aufbau der Arbeit | 23

ISLAM IN OSTAFRIKA 2

Gesellschaftliche Einbindung und politische Organisation von Muslimen in Ostafrika | 31

2.1 Die Etablierung des Islam in Ostafrika und die Veränderung seiner Rolle in der Kolonialzeit | 32 2.2 Politische Einbindung von Muslimen in Tansania und Kenia | 45 Weichenstellung in der Zeit der Unabhängigkeit | 46 Tansania und Kenia in den Zeiten der Blockbildung | 47 »Marx is dead, Jesus and Allah are back in style« – der religiöse Faktor nach der Liberalisierung | 51 Streitpunkt Demographie | 54 2.3 Politische (Selbst-)Organisation von Muslimen | 56 Tansania | 56 Kenia | 61 8/7/1998 und 9/11/2001 | 66 3

Islamische Missionsbewegungen und Konkurrenz | 69

3.1 Strömungen islamischer Mission | 79 Salafiyya und Wahhabiyya | 83 Tablighi Jama'at | 92 Schiitische Missionsbestrebungen | 101 Wahubiri wa Kiislamu (Muslim Bible Preachers) | 104 3.2 Abgrenzungen und Zuordnungen – Die Komplexität islamischer Mission | 111 3.3 Konkurrenz religiöser Missionsbewegungen | 115 Christliche Mission | 115 Klima der Mission und Konkurrenz | 117 Bedeutung von Konversionen | 121

II

THEORETISCHE UND METHODISCHE G RUNDLAGEN 4

Religiöse Vorstellungen von Konversion und wissenschaftliche Konversionstheorien | 129

4.1 Annäherungen an den Begriff der Konversion | 131 Christentum | 131 Islam | 134 Konversionskonzepte in Ostafrika | 137 4.2 Sozialwissenschaftliche Konversionstheorien | 141 Warum konvertieren Menschen? | 142 Wie verlaufen Konversionen? | 147 Was ändert sich bei einer Konversion? | 154 4.3 Erzählungen als Zugang zu Prozessen der Konversion | 160 Herstellung eines Umbruchs durch Konversionserzählungen | 162 Konversionserzählungen als Matrix für Konversionserlebnisse | 164 Konversionsnarrative als kommunikative Gattung | 166 4.4 Zwischenfazit | 170 5

Zugang zur Empirie: Theorie und Praxis biographischer Interviews | 173

5.1 Zur Problematik biographischer Interviews in der ethnologischen Forschung | 174 Biographie als Abbild der Realität | 175 Biographie als Interaktion | 176 Biographie als reiner Text | 177 ›Life Story‹ | 178 Analysemethoden | 179 Universalität biographischer Erzählung | 181 5.2 Biographisches Erzählen in Ostafrika | 183 5.3 Praxis – Vorgehensweise bei Feldforschung und Auswertung | 188 Feldforschung | 189 Auswertung der biographischen Interviews | 198 Darstellung der Forschungsergebnisse | 201

III FORMEN VON NARRATIVEN ISLAM IN OSTAFRIKA

ÜBER DIE

KONVERSION

ZUM

Konversion als soziale Reorientierung | 209 6.1 Badia: »I had to convert, it’s my children who changed me« | 210 Externalisierung – Konversion aufgrund äußerer Faktoren | 212 Zwiespalt und Rechtfertigung – »Even if my heart is cheating me, I have to follow it« | 216 Selbstvergewisserung – »You know, when I changed, I took it seriously« | 220 Verortung innerhalb der islamischen Gemeinde | 222 Spiritualität als Grenzüberschreitung – »That means God loves me not just because I am Muslim« | 225 6.2 Bilal: »I knew nothing about Islam. So I started going to church« | 227 Weder Muslim noch Christ – »I was just between there« | 229 Sündhaftes Leben – »I wanted to become a good man« | 232 Suche nach einem Ausweg – »I was a blind man asking questions« | 235 Begegnung mit dem schiitischen Islam | 237 Konversion als Marginalisierung – »To become a Shia is not a joke« | 241 Der Konvertit als Missionar – »Christian-Muslim dialogue« | 242 6.3 Einfluss persönlicher Netzwerke auf Konversionen | 244 Adhäsion oder Konversion? | 244 Konversion durch soziale Netzwerke | 245 Konversion durch materielle Anreize | 247 Mehrfachkonversionen | 248 6.4 Zusammenfassung | 250 6

7

Konversion als moralische Festigung | 253

7.1 Nuru: »There is more discipline in Islam than in Christianity« | 254 Heirat – »For me I wasn’t converted, I was just getting married« | 255 Konversion – »Why don’t try your new religion?« | 257 Selbst-Disziplinierung | 259 Selbstlose Hilfe | 262 Regelhaftigkeit des Islam – »You have to have rules« | 264 7.2 Aushandlung von Geschlechterrollen durch Konversion | 265 Aufwertung von Männlichkeit | 266

Frauen und die Konversion zum Islam | 268 7.3 Zusammenfassung | 272 Konversion als intellektuelle Entscheidung | 275 8.1 Ibrahim: »Becoming a Muslim just by studying« | 276 Bildungsambitionen | 277 Konversion als rationale Entscheidung | 279 Konversion als individuelle Entscheidung | 285 8.2 Veröffentlichte Konversionserzählungen aus Ostafrika | 289 »Al Hajj Abu Bakr John Mwaipopo – The Amazing story of how the Arch Bishop who became Muslim, married a Nun« | 289 Sheikh Said Mwaipopo | 293 Gemeinsamkeiten der Erzählungen | 295 8.3 Der Bibel-Koran-Vergleich im intellektuellen Konversionsnarrativ | 297 Trinitätslehre und Jesus als Gottessohn | 298 »It is the prophecies in the Bible which were fulfilled in the Koran that made me become a Muslim.« (Ibrahim) | 301 Die Bibel als Fälschung | 302 8.4 Die Wurzeln des intellektuellen Konversionsnarrativs | 305 Intellektuelle Erzählung durch den privatisierten Umgang mit Religion | 305 Prägung des Narrativs durch die islamischen Missionsbewegungen in Ostafrika | 306 Veränderung der Wissensvermittlung | 309 8.5 Zusammenfassung | 312 8

9

Konversion als Grenzziehung | 315

9.1 Isa – Einteilung der Welt in Gruppen | 316 Spontane Konversion – »I came to Islam in a jocular manner« | 317 Einsamkeit durch Konflikte in seiner Familie | 321 Ablehnung des Islam durch die Gesellschaft | 325 Konvertiten als die ›besseren‹ Muslime | 327 9.2 Nidal: »Those who reverted to Islam are the ones who uplifted Islam« | 330 Mission um eine ›eigene‹ Gemeinde aufzubauen | 333 9.3 Gemeinschaft und Ideologie | 336 Abgrenzung nach außen | 336

Abgrenzung nach innen | 342 Exkurs: Grenzziehung durch die Praxis der Namensgebung | 344 9.4 Zusammenfassung | 346 Fazit | 349 10.1 Konversion im Lebensverlauf | 350 10.2 Männerfreundschaften: verwobene Erzählungen | 356 10.3 Grundstruktur der islamischen Konversionserzählungen in Ostafrika | 360 10.4 Die Narrative in ihrer Anwendung | 364 10

Anhang | 367

Liste der wichtigsten Interviewpartner | 367 Schriftliche Quellen | 379 CDs und Videos | 380 Bibliographie | 381 Danksagung | 401

Abbildungen:

Abbildung 1: Die Feldforschungsorte in Kenia und Tansania | 20 Abbildung 2: Railway Mosque Kisumu, 2007 | 74 Abbildung 3: Zwei Prediger der Tablighi Jama'at in Moshi, 2007 | 98 Abbildung 4: Masjide Bilal Nakuru, 2007 | 103 Abbildung 5: Bibel und Koran in Badias Wohnzimmer | 227 Abbildung 6: Islamische Konversionserzählungen im Internet | 290 Abbildung 7: Zertifikat über eine Konversion zum Islam | 378

1 Einleitung

Laut eines Artikels in der kenianischen Sunday Nation vom 19. April 2009 versuchten Prediger der Siebenten-Tags-Adventisten am Vortag die 87-jährige Muslima Mama Sarah Obama, die Großmutter des amerikanischen Präsidenten, bei einer Großveranstaltung im Kenyatta Sports Ground in Kisumu zu taufen.1 Nur durch das Einschreiten ihrer Familie sei dieser Schritt verhindert worden. In den darauf folgenden Tagen gaben christliche und muslimische Organisationen, wie auch die im Mittelpunkt Stehende selbst, differierende Verlautbarungen und Stellungnahmen an die Presse. Während islamische Publikationen von einem Versuch sprachen, Sarah Obama gegen ihren Willen und ohne ihr Wissen zu taufen und ein Eingreifen des Staates forderten, gaben die beteiligten christlichen Gruppen an, sie zusammen mit anderen Familienangehörigen lediglich als Ehrengast der Abschlusszeremonie eingeladen zu haben. Die von der Presse wiedergegebenen Aussagen Sarah Obamas ergeben kein eindeutiges Bild. Sie scheint die Veranstaltung aber vor allem deshalb in letzter Minute abgesagt zu haben, weil ihr erzählt wurde, sie solle dort getauft werden. Dies wiederum geht vermutlich auf eine Aussage des australischen Geschäftsmannes und Predigers John Jeremic zurück, der in der Februarausgabe der Publikation ›Report‹ verlautbarte: »If Mrs Obama’s plans and prayers are realised, she will be baptised during an Amazing Discoveries Crusade planned for the west Kenyan region in March.«2 Nur wenige Tage später erschien ein weiterer Artikel in der Daily Na-

1

Der Artikel Imams resist bid to convert Mama Sarah erschien am 19.04.2009 in der Sonntagsausgabe der Daily Nation und wurde weit über Ostafrika hinaus rezipiert. So erschien am 20.04.2009 zum Beispiel auf der Webseite der Süddeutschen Zeitung der Artikel Obama-Oma wird von Missionaren belagert. Dieser basierte ebenfalls auf den Informationen der kenianischen Daily Nation.

2

Zitat von John Jeremic, Direktor der ›Amazing Discoveries‹, in Record, 07.02.2009, 7 (http://record.spdwebministry.org/site_data/88/assets/0015/1540/rec-04_09_02_7.pdf;

12 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION

tion, der von der Einladung Sarah Obamas zur diesjährigen Hajj nach Mekka durch einen Milliardär aus Abu Dhabi, Sulaiman al-Fahim, der vor allem als Käufer des Fußballklubs Manchester City bekannt wurde, berichtete.3

1.1 R ELIGIÖSE K ONKURRENZ VON K ONVERSIONEN

UND DIE

R OLLE

Wie anhand dieses Beispiels deutlich wird, spielt religiöse Mission eine große Rolle in Kenia. Ähnliches lässt sich für Tansania feststellen. Dabei versuchen jedoch nicht nur christliche Gruppen Einfluss zu gewinnen, sondern auch islamische Missionsbewegungen werben um neue Anhänger. Auch nicht-christliche Gruppen wie die Bhagwan Bewegung versuchen ihre Gefolgschaft zu vergrößern. Manche Autoren sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einem regelrechten Konversionsmarkt (vgl. z.B. Ahmed 2009). Das dabei entstehende Konkurrenzverhältnis der einzelnen Missionsbewegungen führt zu einem inter-religiösen Spannungsfeld, das in Afrika so höchstens noch in einigen anderen Staaten zu beobachten ist, in denen weder Christen noch Muslime eine eindeutige Bevölkerungsmehrheit stellen, wie beispielsweise in Nigeria (vgl. Loimeier 2007, 137-138). Trotz der zum Teil stark polemisch geprägten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen religiösen Bewegungen und insbesondere den beiden miteinander konkurrierenden Religionen mündeten diese bislang in Ostafrika nur in Ausnahmefällen in Gewalt. Die Frage nach dem prozentualen Anteil von Christen und Muslimen an der Bevölkerung ist dennoch spannungsgeladen, da von ihr Ansprüche an politische, wirtschaftliche und soziale Teilhabe abgeleitet werden. Weder für Kenia noch für Tansania gibt es dazu genaue Angaben. Als vorsichtige Schätzung kann für Kenia von einem Anteil von etwa 10-15% Muslimen und für Tansania von etwa 30% Muslimen an der Bevölkerung ausgegangen werden (vgl. dazu auch Kapitel 2.2, Streitpunkt Demographie).4 Die überwiegende Mehrzahl der Muslime in beiden Ländern ist sunnitisch. Das numerische Verhältnis zwischen Christen und Muslimen ist in beiden Ländern zudem

14.01.2010). Die Zeitschrift Record wird von Siebenten-Tags-Adventisten im Südpazifik herausgegeben. 3

Man City mogul lines up Obama kin for Hajj, Daily Nation, 24.04.2009.

4

Ebenso existieren keine verlässlichen Zahlen zu Konversionen in Ostafrika. Diese sind jedoch nicht als so zahlreich anzusehen, dass sich das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in den letzten Jahren deutlich verschoben hätte.

E INLEITUNG

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regional unterschiedlich. Während Muslime an der Küste die Bevölkerungsmehrheit stellen, dreht sich das Verhältnis im Hinterland, mit Ausnahme des wenig besiedelten Nordostens Kenias und des Südens Tansanias, deutlich um. Im ostafrikanischen Hinterland ist die Minderheitenposition von Muslimen somit noch stärker ausgeprägt als auf nationaler Ebene. Im Rahmen dieser Forschung wurde der Fokus auf die vor allem seit den 1980er Jahren aktiven neuen islamischen Missionsbewegungen gelegt, wie von wahhabitischen und salafitischen Ideen beeinflusste Gruppen, die aus Südasien kommende Tablighi Jama'at, die lokal entstandene Bewegung der Wahubiri wa Kiislamu (Muslim Bible Preachers) und die schiitische Bilal Muslim Mission. Häufig wird an dieser Stelle eingewendet, die islamische dawa (Einladung)5 könne nicht mit der christlichen Mission gleichgesetzt werden. In der Tat ist die Etablierung und Institutionalisierung organisierter islamischer Mission, ob eingesetzt zur Konversion von Nicht-Muslimen oder für die Werbung für spezifische islamische Ideen und Bewegungen, ein verhältnismäßig neues Phänomen (vgl. dazu z.B. Janson 2002 und Racius 2004).6 Sie hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten, auch in Auseinandersetzung mit christlichen Missionsbemühungen, stark verändert und ähnelt letzterer in vielen Punkten.7 Die Bezeichnung neue islamische Missionsbewegungen bezieht sich aus diesem Grund nicht nur auf ihr verstärktes zeitliches Auftreten, sondern auch auf die Form der Mission, die in stärkerem Maße institutionalisiert ist als zuvor und bei der die mediale Öffentlichkeit eine große Rolle spielt. In diesen Bewegungen nahm zudem die den klassisch ausgebildeten islamischen Gelehrten zugeschriebene Bedeutung bei der Verbreitung des Islam ab. Stattdessen wurden zunehmend alle Muslime in der Pflicht gesehen, diese Aufgabe zu übernehmen. Diese islamischen Missionsbewegungen stehen nicht nur in Konkurrenz zur christlichen Mission, sondern sie treffen auch auf lokal etablierte Praktiken des Islam und gefestigte muslimische Netzwerke. Zudem stehen sie untereinander ebenfalls im Wettbewerb. Diese Rivalität wird hauptsächlich um inhaltliche Fragen ausgetragen, schließt jedoch Auseinandersetzungen die über die Aus-

5

Die verwendeten arabischen Bezeichnungen sind in einer vereinfachten Umschrift angegeben. In den Fällen, in denen sie in Ostafrika in einer Kiswahili Version weit verbreitet sind, wird diese verwendet.

6

Racius (2004) zeigt, dass sich die Interpretation des Begriffes dawa seit der Entstehung des Islam verändert hat. Seit der Auseinandersetzung mit christlichen Bewegungen im 19. Jh. hat der Begriff dabei immer mehr die Bedeutung von Mission angenommen.

7

Zur dawa in Afrika vgl. zum Beispiel Ahmed 2009; Miran 2000 oder Haron 2005.

14 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION

handlung von Autorität und Definitionsmacht hinausgehen ein. Die in Konkurrenz zueinander stehenden Lager positionieren sich häufig entlang ethnischer oder regionaler Linien. Im ostafrikanischen Hinterland werden so oft Muslime von der Küste, die als ›Araber‹ oder ›Swahili‹ bezeichnet werden, als Sufis angesehen, während die wahhabitischen und salafitischen Gruppen eher mit Somalis in Verbindung gebracht werden. So einfach lässt sich die Situation jedoch nicht beschreiben, dazu ist es durch seine inhaltlichen und personellen Überlappungen viel zu diffus. In diesem religiösen Feld der Konkurrenz, zu den inner-religiösen Rivalitäten kommen Auseinandersetzungen mit neuen christlichen Missionsangeboten hinzu, insbesondere in Form der zahlreich entstehenden Pfingstkirchen, spielen Symbole der Abgrenzung eine große Rolle. Diese kristallisieren sich insbesondere an Fragen bezüglich der alltagspraktischen Auslegung der christlichen bzw. islamischen Glaubenslehre heraus. Die inter-religiöse Konkurrenz spiegelt sich auch in der Raumordnung wider. So werden beispielsweise Kinos zu religiösen Zentren der charismatischen christlichen Kirchen umgewandelt und die neue Moschee in Nakuru (Kenia) wurde direkt neben der katholischen Kirche im Zentrum der Stadt errichtet. Konversionen und Konversionserzählungen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle auf dieser symbolischen Ebene, wie im Laufe der Arbeit gezeigt werden wird. Selbst bei muslimischen Gruppierungen die eher innerhalb der islamischen Gemeinden missionarisch aktiv sind, gilt eine erfolgreiche Mission von Christen als ein besonderer Erfolg. Deshalb wirkt ihre Arbeit zum Teil stärker nach außen auf das Christentum gerichtet, als dies ihren eigentlichen Zielen entspricht. Insbesondere Erzählungen über und von Konvertiten nehmen dabei eine zentrale Rolle ein, sie werden von Bekannten weitererzählt und zum Teil für Missionszwecke veröffentlicht. Unter Konversion wird heute in Ostafrika vor allem ein formaler Übertritt von einer klar abgegrenzten Religion zu einer anderen bezeichnet, zum Beispiel vom Christentum zum Islam. In selteneren Fällen wird das Konzept jedoch auch für eine Intensivierung des Glaubens oder für die verstärkte Aktivität in einer der Gruppen der neuen islamischen Missionsbewegung, wie der Tablighi Jama'at, verwendet. Dieser emischen Sichtweise folgend werden als Konversion hier diejenigen Phänomene bezeichnet, denen eine bewusste, und somit zeitlich einzugrenzende Annahme oder Wandlung religiöser Weltsichten zugrunde liegt und die von den Interviewpartnern selbst als Wandlungsprozesse beschrieben wurden. Unbewusste Lernprozesse, bei denen eine Wandlung ohne die Annahme der Rolle eines Konvertiten vor sich geht, werden hier somit nicht betrachtet. Durch diesen Fokus auf die bewusste Annahme einer (neuen) religiösen Weltsicht und die Schilderung dieser Veränderung wird im

E INLEITUNG

| 15

Laufe dieser Arbeit gefragt wie diejenigen, die zum oder innerhalb des Islam konvertieren diesen Prozess erleben und beschreiben. Dabei wird gezeigt, dass diese Erzählungen stark von spezifischen in Ostafrika vorherrschenden Narrativen geprägt sind. Die darin genannten Begründungsmuster für Konversionen bilden entgegen gängiger Vermutungen nicht deren Ursache ab, sondern sind vielmehr von den aktiven islamischen Missionsbewegungen einerseits und durch die Minderheitenposition von Muslimen im multi-konfessionellen Ostafrika andererseits beeinflusst.

1.2 F ORSCHUNGSANSÄTZE Ostafrika ist insbesondere durch letzteren Punkt ein interessantes Untersuchungsfeld. Zudem ist bisher nur wenig über den (Alltags-)Islam in Afrika bekannt, obwohl 15 Prozente aller Muslime im subsaharischen Afrika leben. Kenia und Tansania wurden bei bisherigen Forschungen meist getrennt betrachtet. Dies führt dazu, dass die Ergebnisse oft nur schwer zusammenzuführen sind, da der Fokus auf unterschiedlichen Untersuchungsfeldern bzw. -ebenen liegt. In dieser Arbeit werden beide Länder zusammen analysiert, da die aktiven islamischen Missionsbewegungen in beiden Regionen zugleich aktiv sind und viel Austausch zwischen ihnen stattfindet. Zudem wurde der Islam bisher meist nur an der ostafrikanischen Küste untersucht, das Hinterland, in dem Muslime eine Minderheit darstellen, wurde dagegen kaum betrachtet. Dies führte dazu, dass in vielen bisherigen Untersuchungen die Wahrnehmungen der Konkurrenz zwischen verschiedenen Bekehrungsangeboten, die im lokalen Kontext in Bezug auf religiöse Diskurse und Praktiken auftreten, nicht untersucht wurden. Ausgeblendet blieb auch, wie sich die multikonfessionelle Gesellschaft durch islamische und christliche Missionierungsbemühungen verändert. Gerade die Sichtweise von Rezipienten dieser konkurrierenden Missionsbewegungen stellen einen interessanten Zugang zur Betrachtung der religiösen Landschaft Ostafrikas dar, insbesondere zur aktuellen Dynamik der Intensivierung und Pluralisierung des Islam. Bisherige Arbeiten über islamische Bekehrungsbemühungen, bzw. Konversion zum Islam, in den multikonfessionell geprägten Ländern Kenia und Tansania, vernachlässigten zudem oft die Sicht der Adressaten von Mission. Dies liegt zum einen daran, dass in Bezug auf Afrika häufig Ansätze der Konversionsforschung bemüht wurden, die größere soziale Einheiten in den Mittelpunkt der Untersuchung stellten (z.B. Fisher 1973; Horton 1971; Clarke 2004 oder Droz 2004). So wurden z.B. historische Entwicklungslinien der Ausbreitung des Islam in Ostafrika anhand der Konversion größerer Gruppen entlang der Handelswege

16 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION

von der ostafrikanischen Küste ins Gebiet der großen Seen nachgezeichnet (vgl. z. B. Nimtz 1980 oder Trimingham 1964). Zum anderen beschränkten sich bisherige Untersuchungen aktueller Missionierungs- und Konversionsprozesse zum beziehungsweise im Islam Ostafrikas weitgehend auf die Perspektive geistlicher Organisationen und Gelehrter (z.B. Chande 2000; Kresse 2007 oder Oded 2000). Dabei kamen Fragen der individuellen alltäglichen Lebensperspektive zu kurz. So gibt es wenige Forschungen darüber, in welcher Weise die Adressaten missionarischer Bestrebungen mit der zunehmenden Vielfalt islamischer Glaubensrichtungen und der unterschiedlichsten Bekehrungsangebote umgehen und diese beeinflussen, etwa indem sie selbst missionarisch aktiv werden. Eine Folge der Konzentration auf geistliche Organisationen und Gelehrte ist eine stark auf Differenzdenken basierende Perspektive der bisherigen Analysen, die auf der einen Seite sufistische Bewegungen und auf der anderen Seite radikale ›Reformer‹ betrachtet. Dabei werden die sogenannten ›Generic Muslims‹ (Soares 2005, 224 ff.) vernachlässigt, die nicht unbedingt einer dieser Strömungen zuzuordnen sind. Der hier vorgenommene Perspektivwechsel auf die Rezipienten religiöser Missionsbemühungen verspricht einen breiteren Ansatz um zur Forschung über das Phänomen der Konversion beizutragen und ermöglicht somit Schlüsse, die nicht an spezifische religiöse Bewegungen gebunden sein müssen. Derartige Fragestellungen können mit biographischen Forschungsansätzen untersucht werden. Zugänge zu Konversionsprozessen mit Hilfe der soziologischen Biographieforschung waren bisher allerdings weitgehend auf Europa beziehungsweise Nordamerika beschränkt. Die vorliegende Arbeit schlägt hier eine Brücke und untersucht religiöse Wandlungsprozesse anhand von biographischen Interviews mit Konvertiten zum Islam beziehungsweise innerhalb des Islam. Dabei wird auf der einen Seite der individuelle Umgang mit Konversion verdeutlicht, auf der anderen Seite werden Rückschlüsse über den auf gesellschaftlicher Ebene stattfindenden religiösen Wandel innerhalb des Islam in Ostafrika gezogen. Konversion wird somit in Bezug auf zwei verschiedene Ebenen betrachtet. Dies wird auch in den in dieser Arbeit untersuchten Konversionserzählungen deutlich, in denen spezifische Narrative, gesellschaftlich akzeptierte Arten über Konversion zu sprechen, mit den individuellen Erlebnissen und Erfahrungen der Konvertiten verwoben sind.

E INLEITUNG

| 17

1.3 D IE F ORSCHUNGSREGION Die in dieser Arbeit untersuchten biographischen Erzählungen von Konvertiten wurden ausschließlich im ostafrikanischen Hinterland von Kenia und Tansania erhoben. Diese regionale Akzentuierung erfolgte aus mehreren Gründen. Bisherige Untersuchungen zum Islam in Ostafrika befassten sich fast ausschließlich mit den von Muslimen dominierten Küstenregionen. Die Untersuchungen vor Ort haben aber gezeigt, dass die einflussreichen Missionsbewegungen im Hinterland ebenso aktiv sind wie an der Küste. Durch die Konzentration auf die Küstenregionen wurde bisher der spezifische Kontext islamischer Gemeinden im Hinterland, in dem Muslime eine Minderheitenposition einnehmen, von der Forschung ausgeblendet. Eine Konversion zum Islam im Hinterland bedeutet somit auch eine Abkehr von der Mehrheitsgesellschaft. Dieses Phänomen der Konversion zu einer Minderheitenreligion lässt sich durch die vorgenommene Wahl untersuchen. Zudem kann die Konkurrenzsituation zwischen christlichen und islamischen Gruppierungen und Bewegungen im Hinterland besser beobachtet werden, als an der ostafrikanischen Küste. Da ländliche Gebiete häufig eine deutlich homogenere religiöse Landschaft als Städte aufweisen, beschränkte sich die Wahl der Orte auf Städte im Hinterland. Da die Forschung im Rahmen eines größeren Projektes zu islamischer Mission in Kenia und Tansania stattfand8, wurden drei verschiedene Städte in beiden Ländern (Nakuru und Kisumu in Kenia, sowie Moshi in Tansania) als Feldforschungsorte ausgewählt. Dieser grenzübergreifende Ansatz unterscheidet die vorliegende Arbeit von bisherigen Untersuchungen zum Islam in Ostafrika, die sich in der Regel entweder auf Kenia oder auf Tansania konzentrierten. Da es aber viele Überschneidungen und Interaktionen zwischen den islamischen Missionsbewegungen beider Länder gibt, erschien es sinnvoll die Region als gesamtes zu betrachten. Diese Herangehensweise wird bereits durch die Entstehungsgeschichte der islamischen Zentren an der Küste nahegelegt, die von Beginn an eng miteinander verwoben waren (siehe Kapitel 2).9 Auch wenn sich nach der Unabhängigkeit beide Staaten in unterschiedliche Richtungen entwickelten, stellen sich die Problemlagen der islamischen Gemeinden in ähnlicher Weise dar.

8

Sie beruht auf einer im Rahmen eines zweijährigen DFG-Projektes am Zentrum Moderner Orient in Berlin über Islamische Mission in Ostafrika durchgeführten Forschung. Ein weiterer Feldaufenthalt wurde durch das Evangelische Studienwerk e.V. finanziert.

9

Uganda wurde nicht betrachtet, da hier andere Problemlagen als in Kenia und Tansania zu beobachten sind.

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Ebenso existieren große Überschneidungen bei der Etablierung der neuen islamischen Missionsbewegungen, die in beiden Ländern in analoger Weise erfolgte (vgl. Kapitel 3). Die für diese Arbeit ausgewählten Forschungsorte weisen strukturelle Ähnlichkeiten auf. Sie entstanden während der Kolonialzeit und entwickelten sich in der folgenden Zeit zu landwirtschaftlichen und merkantilen Zentren. Die islamischen Gemeinden entstanden mit der Gründung der Städte und sind somit ebenso lang vor Ort präsent wie die lokalen christlichen Kirchengemeinden. Der erste Feldforschungsort Nakuru wurde 1904 im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau von Mombasa nach Kisumu (1896-1901) gegründet und liegt rund 160 km nordwestlich von Nairobi auf einer Höhe von etwa 1700 Metern über dem Meeresspiegel am Nakuru-See im östlichen Teil des Ostafrikanischen Grabenbruchs. In der Kolonialzeit entwickelte sich Nakuru zu einem wichtigen landwirtschaftlichen Zentrum. Heute werden im Umland vor allem Kaffee, Weizen, Mais, Gerste und Bohnen angebaut. Zudem ist der Tourismus zu einer Einnahmequelle geworden. Nakuru ist mit mehreren öffentlichen und privaten Hochschulen und Colleges auch wichtiges Bildungszentrum. Die Hauptstadt der Provinz Rift Valley, die in einem Bericht des UN-Habitat von 2008 als am schnellsten wachsende Stadt Afrikas aufgeführt wurde10, ist inzwischen mit fast 300.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes. Nakuru liegt in der Grenzregion zwischen den Gebieten dreier großer Bevölkerungsgruppen Kenias, den Kikuyu, Kalenjin und Luo. Zudem leben in Nakuru Menschen aus vielen Regionen des Landes wie auch Flüchtlinge aus den umliegenden Ländern, wodurch die Stadt von vielen ihrer Bewohner als kosmopolitisch beschrieben wird. Allerdings gab es hier auch immer wieder schwere Ausschreitungen und Kämpfe zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Die Mehrheit der Einwohner Nakurus ist einer der vielen verschiedenen christlichen Kirchen zuzuordnen. Allerdings gibt es keine Statistiken zur Bevölkerungszusammensetzung in den drei Städten, so dass hier nur auf Schätzungen zurückgegriffen werden kann. Nach Angaben des Vorsitzenden der Muslim Association in Nakuru leben

10 Nach diesen Angaben wuchs die Stadt zwischen 1990 und 2006 jährlich durchschnittlich um 13 % (vgl. UN-Habitat 2008, S. 16). Es ist allerdings nicht klar, ob dies nur auf einen tatsächlichen Bevölkerungszuwachs oder auch auf eine Veränderung der Stadtgrenzen zurückzuführen ist. Die in anderen Publikationen verwendeten Zahlen gehen häufig über das Stadtgebiet Nakurus hinaus und beziehen sich zum Bsp. auf den gesamten Distrikt.

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rund 20.000 Muslime in Nakuru, damit stellen sie etwa 7% der Einwohner.11 Die überwiegende Mehrzahl der Muslime sind, wie in den anderen zwei Städten auch, Sunniten. Während sich die schiitischen Gemeinden bis auf wenige Ausnahmen (hier ist vor allem die in Kapitel 3 besprochene Bilal Muslim Mission zu nennen) ausschließlich aus indischen Muslimen rekrutieren, sind die sunnitischen Gemeinden heterogen aus Muslimen von der kenianischen Küste, lokalen Konvertiten, Arabern, Somalis, Indern, ›Nubiern‹ und anderen nicht-lokalen afrikanischen Muslimen zusammengesetzt. 2004 gab es in Nakuru acht größere Moscheen, inzwischen sind eine schiitische und eine sunnitische hinzugekommen. Neben diesen gibt es weitere kleinere Moscheen, die zum Teil unabhängig von der Muslim Association, zum Beispiel von Privatpersonen, gebaut und geleitet werden. Die erste Moschee in Nakuru, die so genannte Railway Mosque, wurde 1906 direkt an der Eisenbahnlinie von indischen Arbeitern errichtet und 1955 durch einen Neubau ersetzt. Die zentrale Jamia Moschee wurde ebenfalls maßgeblich von einem Inder, dem Sunniten Al-Hajj Ibrahim Karimbux, erbaut und 1933 fertiggestellt. In Bondeni, einem Viertel das vor allem von afrikanischen Muslimen bewohnt war, wurde schon 1912 eine weitere Moschee errichtet (Ahmed 2008a, 240). Auch diese wurde 1969 durch einen Neubau ersetzt. Die zweite Stadt, die in Kenia für die Feldforschung ausgesucht wurde, Kisumu, wurde ebenfalls im Zuge des Eisenbahnbaus an der Stelle einiger kleiner Siedlungen gegründet. Am Viktoriasee gelegen, stellt sie einen Knotenpunkt für die Transport-Verbindungen nach Uganda, Tansania und Sudan dar. 1901, noch unter dem Namen Port Florence, bildete die Stadt den damaligen Endpunkt der Uganda Railway. Dadurch ließen sich viele am Eisenbahnbau beteiligte Arbeiter, insbesondere Inder und Muslime von der ostafrikanischen Küste, in dieser Stadt nieder. Kisumu ist administrativer und kommerzieller Knotenpunkt Westkenias. Seine Bedeutung als Handelsplatz für die agrarischen Güter der Umgebung und als Knotenpunkt für den Handel mit Tansania, Uganda, Ruanda und Burundi ist großen Schwankungen unterworfen. In den 1930er Jahren entwickelte sich Kisumu zum Zentrum der Luftfahrt für das britische Empire in Ostafrika. Die Stadt wurde in dieser Zeit praktisch komplett neu errichtet (vgl. Anyumba 1995, 3). Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges stagnierte diese Entwicklung, sie konnte sich jedoch in den 1950er Jahren fortsetzen. Im Zuge der Unabhängigkeit wuchs Kisumu stark, wurde jedoch wirtschaftlich sehr vom Scheitern der East African Community 1977 getroffen.

11 Interview mit Faiz Nasher 2010 in Nakuru. Die muslimische Gemeinde ist dabei in etwa im gleichen Maße gewachsen, wie die Stadt. Wird diese Schätzung auf den gesamten Distrikt ausgeweitet, sinkt der Anteil der Muslime auf etwa 3,5%.

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gsorte in Keniaa und Tansania a Abbbildung 1: Die Feldforschung

Quellle: MPI für ethnnologische Forschung, Jutta Turnner

d die zunehmenden Impoorte Ugandas wirtschaftlich w Momentan ist die Stadt durch wieder erfoolgreich, da fasst alle Produktte über Kenia und damit übeer Kisumu als letzte großee Stadt vor derr Grenze eingeeführt werden.. Allerdings lieegt die städtische Armuut in Kisumu (48%) deutlich h über dem Duurchschnitt Keenias (29%).12 Dies ist aucch dadurch beddingt, dass in der d Region um m Kisumu Aidss ein sehr viel

12 Diese A Angaben stammeen aus den Kisu umu City Develoopment Strategiees (2004-2009) des UN H Human Settlemeent Programme (S.8).

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größeres Problem darstellt, als in allen anderen Regionen Kenias. So leben in dieser Provinz ein Drittel der Aids-Waisen des Landes. Heute hat die im Nordosten des Victoriasees gelegene Hafenstadt etwa 260.000 Einwohner und ist damit die viertgrößte Stadt Kenias.13 In der Provinz Nyanza, deren Hauptstadt Kisumu ist, leben vor allem Luo und Luhya. Auch in Kisumu wird das religiöse Leben von christlichen Kirchen bestimmt. Aus dieser Region kommen viele der unabhängigen afrikanischen Kirchen (vgl. dazu Barrett 1968). Ähnlich wie in Nakuru ist der Prozentsatz von Muslimen an der Bevölkerung eher gering und kann auf etwa 3% geschätzt werden.14 Nach Angaben in Ahmed (2008a, 258) gibt es allerdings 21 Moscheen in der Stadt.15 Die zwei wichtigsten Moscheen sind die 1912 errichtete Railway Moschee, und die 1919 fertig gestellte Jamia Moschee an der heutigen Mosque Road. Zwei weitere frühe Moscheen sind die schon Ende des 19. Jh. in einer arabischen Ansiedlung erbaute Manyatta Arab Moschee und die 1925 gebaute und hauptsächlich von Luo genutzte Kaloleni Mosque.16 Das in Tansania als Feldforschungsort ausgewählte Moshi liegt im Nordosten von Tansania am Südhang des Kilimanjaro und unweit der Grenze zu Kenia. Die Stadt befindet sich ebenfalls an einer Bahnlinie, die 1912 die Region mit der Küste und mit der wichtigsten Stadt Tanganyikas, Dar es Salaam, verband. 1929 wurde die Strecke nach Arusha verlängert, das etwa 80 km entfernt liegt. Auch wenn heute die Eisenbahnlinie ihre Bedeutung verloren hat, ist Moshi durch seine Anbindung an die Straße von Dar es Salaam über Arusha nach Nairobi ein wichtiges Verkehrszentrum. Allerdings unterscheidet sich die Stadt in einigen Punkten von den beiden vorhergehenden. Zum einen ist sie deutlich kleiner – in Moshi leben etwa 150.000 Menschen. Im Gegensatz zu Kisumu und Nakuru bestand unweit Moshis schon vor der Kolonialzeit ein politisches Zentrum. Mit Beginn der Kolonialzeit wurde die Region wichtiger Ausgangspunkt katholi-

13 Die Angaben beziehen sich auf den Zensus von 2009 auf http://opendata.go.ke (Zugriff am 12.03.2011). Wird die Bevölkerung im peri-urbanen Raum hinzugerechnet, steigt Kisumu zur drittgrößten Stadt mit fast 400.000 Einwohnern auf. 14 Zur Schätzung des Anteils der Muslime an der Gesamtbevölkerung wurden wissenschaftliche Studien, insbesondere zum Thema HIV und Benutzung von Kondomen herangezogen, da diese meist mit selbst erhobenem statistischen Material arbeiten. Diese Schätzung ist natürlich sehr grob und auch durch das Thema bedingt nicht unproblematisch. 15 Er beruft sich hier auf einen Artikel, der von einem muslimischen Prediger geschrieben wurde. 16 Zu den Moscheen in Kisumu siehe Ahmed, 2008a und Mwakimako 2007.

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scher und lutherischer Missionare. Der Stadtkern wurde durch den Bau der Eisenbahnlinie vom heute ›Old Moshi‹ genannten Zentrum etwa 6 km nach Süden verlegt. Viele der Einwohner haben enge Verbindungen zu ihren Familien in der umliegenden Region, in der vor allem Chagga, Pare und Maasai leben. Auch Moshi ist eine Universitätsstadt. Der Bildungsstandard in der Stadt kann als relativ hoch angesehen werden. Ökonomisch spielen ebenfalls Landwirtschaft und Tourismus eine wichtige Rolle. Allerdings steht Moshi dabei im Schatten der aufstrebenden Stadt Arusha. Der zweite Unterschied zwischen den zwei kenianischen Städten und Moshi ist im Anteil der Muslime an der Bevölkerung festzustellen. Ebenso wie christliche Missionare waren seit etwa 1920 auch islamische walimu in der Kilimanjaro Region aktiv (vgl. Iliffe 1979, 257). Somit sind im Gegensatz zu Nakuru und Kisumu Muslime auch in den umliegenden Dörfern und nicht nur in der Stadt ansässig. Der heutige Anteil von Muslimen an der Bevölkerung scheint bei etwa 25 bis 30% zu liegen.17 In Moshi gibt es ebenso wie in Nakuru und Kisumu mehrere verschiedene schiitische Moscheen18, sowie drei wichtige sunnitische Moscheen. Die bekannteste ist die 1957 fertig gestellte Jamia Moschee im Zentrum der Stadt, die von südasiatischen Muslimen erbaut wurde und nach wie vor von ihnen unterhalten wird. Daneben ist die Riyadha Moschee zu nennen, die den Mittelpunkt sunnitischen Lebens in Moshi darstellt. Die islamischen Missionsbewegungen erreichen vorrangig die urbane Bevölkerung. Das ist vor allem darin zu begründen, dass die muslimischen Gemeinden in den größeren Städten eine starke Konzentration aufweisen (vgl. Mwakimako 2007, 5) und die Missionsbewegungen häufig dort angesiedelt sind. Die städtische Bevölkerung ist zumeist besser gebildet als die Bewohner ländlicher Gebiete. Zudem haben alle drei Städte gut funktionierende Bildungseinrichtungen. Dies brachte auch mit sich, dass ein relativ großer Teil der Interviewpartner die Sekundarschule besucht hatte. Insgesamt wurden zwischen 2004 und 2007 über 100 längere Interviews mit rund 50 verschiedenen Interviewpartnern, davon rund 30 Konvertiten, durchgeführt. Im Anhang ist eine Auflistung mit den wichtigsten Interviewpartnern zu finden. Etwa die Hälfte dieser Interviewpartner rechne ich der urbanen Mittelschicht zu. Andere kamen aus urbanen und ruralen armen Familien.

17 In McCloskey et al. 2005 gaben von 1444 befragten Frauen sogar rund 35% an, dem Islam anzugehören. Eine andere Studie über Schulverweigerer mit insgesamt 1007 Befragten (allerdings auch aus den ruralen Gebieten um Moshi) gab einen Anteil von rund 21,5% Muslimen an (Bastien 2008). 18 Die erste imambara der Ithnasheria wurde 1932 errichtet (vgl. Rizvi 1973, 18).

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1.4 A UFBAU

DER

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A RBEIT

Die Arbeit beginnt im Kapitel 2 mit einem Überblick über die Geschichte des Islam in Ostafrika vor der Entstehung der Staaten Kenia und Tansania und die später erfolgende gesellschaftliche Einbindung von Muslimen in den zwei Ländern. Dadurch wird der Grundstein für das Verständnis der heutigen Situation von Muslimen gelegt. Es wird vor allem gezeigt, dass das unter Muslimen in Ostafrika weit verbreitete Gefühl der Marginalisierung mit dem Verlust ihrer bis zum Ende des 19. Jh. dominierenden Rolle und dem gleichzeitigen Aufstieg anderer, meist christlicher, Bevölkerungsgruppen verbunden ist. Trotzdem stellen Muslime in beiden Staaten eine wichtige Minderheit dar. Auch deshalb versuchten die Regierungen in Tansania wie in Kenia schon früh, Muslime über staatlich kontrollierte Zentralverbände einzubinden. Nach Einführung der Mehrparteiensysteme zu Beginn der 1990er Jahre gewannen muslimische Interessenvertretungen an politischer Relevanz. Nach den Bombenanschlägen 1998 und 2002, sowie dem 11. September 2001 kam es jedoch wieder zu einer Verengung religiöser Handlungsoptionen. Es wird gezeigt, dass die Konkurrenz zwischen Christen und Muslimen nicht auf den religiösen Raum begrenzt ist, sondern vielmehr auch auf politischer Ebene eine große Rolle spielt und von Muslimen vor allem als Kampf gegen eine politische und gesellschaftliche Marginalisierung wahrgenommen wird. In Kapitel 3, das als erstes stark auf empirischem Material beruht, wird gezeigt, wie sich die neuen islamischen Bewegungen auch in Ostafrika etablieren konnten. An dieser Stelle werden im Folgenden die vier wichtigsten momentan in Ostafrika aktiven islamischen Missionsbewegungen vorgestellt, Gruppen die von salafitischen und wahhabitischen Ideen beeinflusst sind, die aus Südasien kommende Tablighi Jama'at, die schiitische Bilal Muslim Mission sowie die in Tansania entstandene Bewegung der Wahubiri wa Kiislamu. Dabei wird verdeutlicht, dass diese neuen islamischen Bewegungen in sich sehr komplex und vielfältig sind, gleichzeitig jedoch miteinander interagieren und Ideen und Praktiken der jeweils anderen Bewegungen übernehmen. Diese Interaktion geht über den Bereich der islamischen Gemeinden hinaus und betrifft ebenso die christlichen Kirchen und Missionsbewegungen. In diesem Feld der Konkurrenz spielen das Narrativ des Vergleichs zwischen Christentum und Islam ebenso wie Konversionen und Konversionserzählungen eine große Rolle. Im vierten Kapitel werden zunächst die in Ostafrika aufeinander treffenden islamischen wie christlichen Vorstellungen von Konversion beschrieben und gezeigt, wie diese lokal zu spezifischen Konversionsbegriffen verbunden wurden. Im folgenden Schritt werden wissenschaftliche Konversionstheorien anhand

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verschiedener Fragestellungen und Forschungsinteressen vorgestellt. Dabei wird herausgearbeitet, warum für diese Arbeit der Fokus auf biographischen Erzählungen als Zugang zum Thema Konversion gelegt wurde. Diese Konversionserzählungen werden jedoch nicht als Tatsachenbericht behandelt, sondern als kommunikative Rekonstruktion analysiert. Im dritten Teil dieses Kapitels werden die Besonderheiten des Untersuchungsfeldes der Konversionserzählungen herausgearbeitet und gezeigt, dass dieser Zugang deutlich über die Verlaufs- und Ursachenforschung hinausgeht. In Kapitel 5 werden die Schwierigkeiten dargestellt, die mit der ethnologischen Biographieforschung einhergehen. Zum einen werden die historische Weiterentwicklung der dementsprechenden Methoden und Lösungsmöglichkeiten für bisher ungelöste Probleme aufgezeigt. Zum anderen werden lokale Besonderheiten biographischen Erzählens in Ostafrika dargestellt. Im dritten Teil des Kapitel wird die Praxis der Forschung beschrieben – von den während des Feldaufenthaltes verwendeten Methoden, über die Auswertung des erhobenen Materials bis zur Darstellung der Ergebnisse in dieser Arbeit. In den Kapiteln 6 bis 9 werden vier verschiedene Konversionsnarrative vorgestellt, die in den in Kenia und Tansania erhobenen biographischen Erzählungen eine große Rolle spielten. Diese sind mit den individuellen Erlebnissen und Deutungen der Konvertiten verbunden und dienen zum einen der Sinngebung und Begründung der Konversion zum Islam und zum anderen der Erzählbarmachung der Konversionserfahrung. In allen vier Kapiteln werden zunächst einzelne Biographien vorgestellt und interpretiert. An diese dichte Fallbeschreibung anschließend werden mit dem jeweiligen Narrativ verbundene Themenfelder präsentiert. Das in Kapitel 6 beschriebene Narrativ der ›Konversion als soziale Reorientierung‹ fokussiert auf der Suche nach einer neuen Position, die Menschen nach ihrer Konversion innerhalb von sozialen und religiösen Netzwerken einnehmen. Diese Position wird in diesem Falle vor allem über die Herstellung von Verbindungen zwischen verschiedenen religiösen Ideen, Praktiken und Netzwerke beschrieben. Damit wird eine Diskussion der Begriffe Adhäsion und Konversion für den Kontext der untersuchten Konversionsbiographien verbunden. Ebenfalls auf einer Selbstverortung innerhalb von Netzwerken, hier allerdings mit der Konnotation der Abgrenzung, beruht das in Kapitel 9 vorgestellte Narrativ der ›Konversion als Grenzziehung‹. Diese Darstellung von Ausgrenzung und Zugehörigkeit ist zum Teil stark politisch aufgeladen. Das im siebenten Kapitel vorgestellte Narrativ der Konversion zum Islam als ›moralische Festigung‹ wird im Zusammenhang mit normativen Genderrollen und den gesellschaftlichen Spielräumen von Konversion betrachtet. Im achten Kapitel wird das in Ostafrika in den islamischen Konversionserzählungen am häufigsten verwen-

E INLEITUNG

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dete Narrativ der ›Konversion als intellektueller Entscheidung‹ präsentiert. Es wird zudem gezeigt, welchen Einfluss die in Ostafrika aktiven islamischen Missionsbewegungen auf dieses Konversionsnarrativ und die sich darin widerspiegelnden Veränderungen des Verständnisses von Wissen haben. Im Schlusskapitel wird zum einen dargestellt, welche unterschiedliche Rolle Konversionen im Lebensverlauf spielen können und wie die vorgestellten Narrative in die jeweiligen Konversionserzählungen eingewoben sind. Zum anderen wird gezeigt, dass die Art und Weise über Konversion zum Islam in Ostafrika zu sprechen, sich deutlich von anderen lokalen, zum Beispiel europäischen, Erzählweisen unterscheidet. Trotz der Unterschiede in den Erzählweisen sollten diese religiösen Wandlungsprozesse ebenso als Konversion betrachtet werden.

I Islam in Ostafrika

Einführung

Im ersten Teil der Arbeit wird die Grundlage für das Verständnis der heutigen Situation von Muslimen in Ostafrika gelegt. Zugleich wird verdeutlicht, welche Rahmenbedingungen die erzählten Biographien wie auch die biographischen Erzählungen beeinflussen. Es wird zudem gezeigt, wie sich islamische Mission vom 19. Jahrhundert bis heute verändert hat und wodurch die neuen, seit den 1980er Jahren in Ostafrika aktiven, islamischen Missionsbewegungen charakterisiert sind. Der Islam etablierte sich in Ostafrika zunächst als Religion der Elite, entwickelte sich aber seit der Kolonialzeit immer mehr zur Religion einer, in den Augen der Muslime marginalisierten, Minderheit, während das Christentum viele Anhänger gewann. Das von Wissenschaftlern in Bezug auf Afrika häufig verwendete Argument einer ›pragmatischen Konversion‹ kann im Falle Ostafrikas also nur bedingt herangezogen werden. Seit den 1980er Jahre kam es durch verstärkte christliche wie muslimische Missionsbemühungen zu einer weiteren Pluralisierung des religiösen Feldes mit zunehmender Konkurrenz zwischen den verschiedenen Bewegungen. Diese Konkurrenz wird in Kapitel 3 anhand von erhobenen Daten in Bezug auf die Feldforschungsorte dargestellt. Sie ist intern als noch stärker anzusehen als in Bezug auf das Christentum. Wie in Kapitel 2 gezeigt wird, sind die innerislamischen Auseinandersetzungen entlang regionaler und ethnischer Linien, zwischen der tradierten Gelehrtenschaft der Küste, zum Teil eingebunden in Sufi-Orden und häufig aus arabischen Familien stammend, und afrikanischen Muslimen und Konvertiten aus dem Hinterland sowie indischen, z.T. schiitischen, Muslimen; zwischen Muslimen, die sich kaum an politischen Fragen beteiligen und Gruppen, die einen dezidiert politischen Islam unterstützen, sowie zwischen konservativen Muslimen und reformistischen Bewegungen, historisch angelegt. Zwischen diesen verschiedenen Gruppen und Lagern finden immer wieder neue Aushandlungsprozesse darüber statt, was ›guter‹ und ›richtiger‹ Islam bedeutet.

2 Gesellschaftliche Einbindung und politische Organisation von Muslimen in Ostafrika

Die Situation der Muslime in Ostafrika hat sich in den letzten 150 Jahren stark verändert. Waren Muslime im 19. Jahrhundert noch die Machthaber in der Region, stellen sie heute in Tansania wie in Kenia eine, wenn auch bedeutsame, gesellschaftliche Minderheit dar. Mit der Veränderung der Machtposition ging gleichzeitig eine Veränderung des Bildes der Gruppe der Muslime einher. In diesem Kapitel wird diese Entwicklung nachgezeichnet, um zu verstehen, was die Zugehörigkeit zur islamischen Gemeinde und somit auch die Konversion zum Islam in beiden Ländern heute bedeutet. Dabei wird gezeigt, dass die gesellschaftliche Stellung der Muslime nach wie vor sehr komplex und regional verschieden ist. Während einige muslimische Gebiete als die ärmsten in Ostafrika gelten, erhielten islamische Gemeinden, vor allem in den Städten, seit den 1980er Jahren viele Gelder aus arabischen Ländern. von denen einige Muslime profitierten. Besonders im Hinterland leben viele arme Muslime ohne gesellschaftlichen Einfluss, während an der Küste nach wie vor gut vernetzte, arabische und Swahili-Familien leben, die wichtige politische und wirtschaftliche Positionen einnehmen. Zunächst wird ein Überblick über die Etablierung des Islam in Ostafrika und seine spätere Entwicklung hin zu einer Minderheitenreligion gegeben. In Bezug auf die Veränderungen in der Kolonialzeit werden für Kenia und Tansania unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, um die vielfältigen Entwicklungen zu verdeutlichen. Während am Beispiel Tansanias gezeigt wird, dass Kolonialpolitik auch zu einer Stärkung des Islam beitragen konnte, direkt durch eine Einbindung von Muslimen in die Administration und indirekt durch die einigende Wirkung des Islam im Kampf gegen die Kolonialherrschaft, wird am Beispiel Kenias die Heterogenisierung des religiösen Feldes, durch christliche Mission einerseits und durch das Hinzukommen neuer islamischer Gruppen an-

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dererseits, dargestellt. Anschließend wird die politische Einbindung von Muslimen und der Ursprung ihres Gefühls relativer Marginalisierung näher betrachtet. Am Schluss wird gezeigt, wie Muslime versuchen, durch eigene Organisationen eine größere gesellschaftliche Teilhabe zu erreichen.

2.1 D IE E TABLIERUNG DES I SLAM IN O STAFRIKA UND DIE V ERÄNDERUNG SEINER R OLLE IN DER K OLONIALZEIT Schon in vorislamischer Zeit bereisten Händler von der arabischen Halbinsel die ostafrikanische Küste.1 Durch ihre Heirat mit Frauen aus den herrschenden afrikanischen Familien entstand nach und nach die Swahili Kultur.2 Diese neue gesellschaftliche Gruppe erwarb sich bald hohen sozialen, politischen und ökonomischen Status (vgl. Herterich-Akinpelu 1991, 12-16.). Zwischen dem 10. und dem 15. Jh. verbreitete sich der Islam, von der nördlichen Küstenregion ausgehend, entlang der Küste nach Süden. Frühe Stadtstaaten zwischen Mogadischu (im heutigen Somalia) und Kilwa (Tansania) wurden gegründet (Horton & Middleton 2000, 157-178). Diese prosperierten insbesondere zwischen dem 13. und dem 15. Jh. und bildeten einen integralen Bestandteil des weit gespannten Handelssystems im Indischen Ozean. Um 1500 war der Islam bereits die Mehrheitsreligion der städtischen Küstenbevölkerung und somit ein zentrales Element der Swahili Gesellschaft (Pouwels 2000, 251). Bereits im Reisebericht Ibn Battutas, der um 1330 die ostafrikanische Küste besuchte, wird die schafiitische Rechtsschule (madhhab, Pl. madhahib) des Islam als vorherrschend angegeben (Freeman-Grenville 1962, 27-32).

1

Berühmt geworden ist vor allem die Beschreibung der ostafrikanischen Küste in Periplus Maris Erythraei (Küstenfahrt des Roten Meeres), einem griechischen Reisebericht, vermutlich aus dem 1. Jh. u. Z., der unter anderem arabische Siedlungen an der Küste des heutigen Tansania aufführt (vgl. dazu Horton & Middleton, 2000, 33). Zur Vertiefung des historischen Überblicks über die Geschichte Ostafrikas: z.B. FreemanGrenville 1988, Horton & Middleton 2000, Coupland 1938 oder Herterich-Akinpelu 1991.

2

Das Wort Swahili ist auf das arabische sawahila (Pl., Küste) zurückzuführen und kann als Küstenbevölkerung übersetzt werden. Wer allerdings zu dieser Küstenbevölkerung hinzugerechnet werden kann, ist umstritten und von den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen abhängig (vgl. Horton & Middleton 2000, 14-17, Eastman 1971).

G ESELLSCHAFTLICHE E INBINDUNG

VON

M USLIMEN

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Horton & Middleton (2000) schreiben dazu: »What this [...] shows is that Islam was long established among the Bantu-speaking inhabitants of the coast and that there have been local Muslims communities in this part of Africa for as long as in many of the more ›central‹ areas of the Islamic world. Over this very considerable period of time, a distinctive regional character developed which should now be recognized as a distinctively African contribution to the Islamic world.« (Horton & Middleton 2000, 71)

Wie im Folgenden immer wieder aufscheint, gab es seit dem Beginn der Islamisierung der ostafrikanischen Küste bis heute unterschiedliche Phasen der Aneignung wie auch von Reinigungsbestrebungen, die von Wissenschaftlern häufig als ›Afrikanisierung‹ des Islam und ein Zurückdrängen eben dieser ›afrikanischen Elemente‹ des Islam in Ostafrika diskutiert wurden (vgl. etwa Freeman-Grenville 1988, VI, 193-207).3 Der Islam blieb zunächst auf die Küstenregion beschränkt. 1498 erreichte die portugiesische Flotte die ostafrikanische Küste und versuchte durch den Aufbau von Stützpunkten den Handel im Indischen Ozean zu kontrollieren (vgl. Pouwels 2000, 258). Allerdings gelang es ihnen nur schwer in der Region Fuß zu fassen und so zogen sie sich zum Großteil bald auf ihre Stützpunkte an der südlich gelegenen mosambikanischen und an der indischen Küste zurück (Freeman-Grenville 1988, VI, 205). Der Kampf gegen die Machtbestrebungen der christlichen Portugiesen stärkte die religiöse Identifikation der Swahili mit dem Islam und ihre Verbindungen zu muslimischen Herrschern im Raum des indischen Ozeans (Pouwels 2000, 251). Einige Muslime ordneten sich dem Osmanischen Reich zu und beteten die khutba, die freitägliche Predigt, im Namen des osmanischen Sultans, der gleichzeitig als Kalif angesehen wurde (Pouwels 2000, 259).4

3

Zur kritischen Diskussion der Idee eines ›afrikanischen Islam‹ vgl. Loimeier 2002.

4

1585-1588 kamen Schiffe der osmanischen Flotte unter Amir Ali Bey in einige Küstenstädte mit dem Ziel die Portugiesen aus Ostafrika zu vertreiben. »No document warrants that this was official Turkish policy, but the northern coast rose as one in revolt.« (Freeman-Grenville 1988, IV, 137-138). Der Bau des Forts in Mombasa 1593 kann als Antwort auf diese und weitere gewaltsame Auseinandersetzungen in dieser Zeit gesehen werden (Freeman-Grenville 1988, IV, 140). Sogar Richard Reusch, der Anfang des 20. Jh. durch Ostafrika reiste, berichtete noch von einer an den Kalifen von Istanbul gerichteten khutba (Reusch 1931, 14). Die osmanischen Sultane beanspruchten den Kalifentitel von 1517 bis zur Abschaffung des Kalifats durch die Türkische Republik 1924.

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Vertrieben wurden die Portugiesen jedoch ab 1652 durch omanisches Militär. Kurz nachdem die Omanis 1650 (mit britischer Hilfe) ihre von den Portugiesen besetzte Hauptstadt Muscat zurückgewinnen konnten, erreichte sie ein Schreiben aus Mombasa, mit der Bitte um Unterstützung gegen die portugiesische Vorherrschaft. Damit begann die omanische Intervention im Indischen Ozean (Freeman-Grenville 1988, IV, 141). Nach der endgültigen Vertreibung der Portugiesen 1729 wurde die Swahili Kultur immer stärker arabisiert (Pouwels 2000, 261). Dazu trug vor allem die zweite große Wanderungsbewegung jemenitischer shurafa-Familien aus dem Hadramaut im 16./17. Jh. bei, die sich in der darauf folgenden Zeit als islamische Gelehrtenschaft etablieren konnten.5 1832 wurde sogar der Sitz des omanischen Sultanats durch Said bin Sultan nach Sansibar verlegt (Horton 2000, 86). Insbesondere an der Küste dienen noch heute diese frühen Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Machthabern, sowie deren jeweiliges Verhältnis zur lokalen Bevölkerung und ihr Erfolg bei der Verbreitung ihrer Religion, als Diskussions- und Referenzpunkt. Die Verlegung des Machtzentrums der omanischen Herrscher im 19. Jh. nach Ostafrika brachte einige Veränderungen mit sich, insbesondere im Bereich des religiösen Lebens. War vor dieser Zeit die Einhaltung islamischer Praxis und Administration eher an lokale Regelungen gebunden, wurde nun eine stärkere Kontrolle islamischer Institutionen eingeführt, insbesondere durch die Berufung von Qadis.6 Insgesamt kann für diese Zeit, aufbauend auf die von Sultan Bargash initiierten Veränderungen, eine stärkere Formalisierung religiöser Ämter (z.B. des obersten Qadi) konstatiert werden, die nun dem Staat direkt unterstellt waren (Pouwels 2000, 263). Das religiöse Leben in Ostafrika wurde aber nicht nur durch die administrative Umstrukturierung innerhalb des omanischen Sulta-

5

Der Hadramaut ist eine Region im Jemen, aus der schon seit vielen Jahrhunderten Händler den gesamten Raum des indischen Ozeans bereisten und insbesondere in Ostafrika eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Islam spielten (vgl. Freitag 1999, Desplat 2003). Shurafa-Familien (Sg. sharif) leiten ihre Abstammung von der direkten Linie des Propheten Mohammed, bzw. genauer seinem Enkel Hassan ibn Ali, her.

6

Da die omanischen Herrscher nicht dem sunnitischen Islam zuzurechnen sind, wurde bei der Benennung jeweils ein ibaditischer Qadi für die Omanis berufen, sowie ein schafiitischer für die Swahili Bevölkerung (vgl. z.B. Pouwels 2000, 262), letzter stammte zumeist aus einer shurafa-Familie aus dem Hadramaut. Die Ibaditen stellen (als einzige verbliebene charidschitische Strömung) neben dem sunnitischen und schiitischen Islam eine weitere frühe Ausdifferenzierung des Islam dar.

G ESELLSCHAFTLICHE E INBINDUNG

VON

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nats verändert, sondern auch durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Region mit Sansibar als Hauptumschlagplatz vieler Waren im Indischen Ozean. In der Zeit der omanischen Herrschaft wurden zudem Handelsrouten ins Landesinnere etabliert, entlang derer sich der Islam verbreitete. Dies betraf vor allem Tanganyika und Uganda. Insbesondere in der Nähe der großen Handelszentren wie Tabora oder Ujiji entstanden muslimische Siedlungen. Ab Mitte des 19. Jh. wurde die Insel Sansibar zum neuen Zentrum des religiösen und kulturellen Lebens. Die arabische Lebensweise wurde zum Synonym für Zivilisation. Dies wird an der Ablösung des Swahili-Begriffes für die Zivilisation der Stadtstaaten, uungwana, durch den neuen Begriff, ustaarabu, deutlich. Die Arabisierung wurde auch in der materiellen Kultur sichtbar, wie beispielsweise bei der Wahl der Kleidung sowie der Form des Hausbaus. Eine arabische Lebensweise war eng mit Prestige- und Statusgewinn verbunden (Pouwels 2000, 265; Alpers & Aguilar 1972, 182). Lokale Händler und Machthaber versuchten die Swahili-Kultur zu imitieren, z.B. durch die Art der Kleidung, aber auch durch die Konversion zum Islam.7 Glassman (1995) schreibt über zwei Nyamwezi, die in der Mitte des 19. Jh. als Karawanenträger nach Sansibar gelangten8: »Thus these two Nyamwezi porters became Swahili townsmen in order to claim what they considered their fair share of the towns’ commercial wealth. When townborn Muslims threatened to marginalize their participation in the commercial economy, these men defended their autonomy by manipulating elements of the patricians’ own hegemonic ideology: the sanctity of Islam, and the prestige of urban life. But I do not mean to suggest that these brothers’ conversion to Islam and their embrace of coastal culture were cynically calculated for material advantage. On the contrary, the evidence suggests that they genuinely identified themselves as coastal people, to the point of scorning the customs of their non-Muslim, nonurban kinsman whom they had left in the interior.« (Glassman 1995, 63)

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Alpers & Aguilar (1972) zitieren António Enes, der als portugiesischer Royal High Commissioner in Mosambik lebte und in den frühen 1890er schrieb: »A Makua who served me for a long time and was himself a monhé [i.e. Islamized] did not call Mohammedanism a religion, he called it a fashion (moda), and it has the power of spreading like a fashion. Especially in the North the natives become Muslims by imitation, [...], because the white cabia [kanzu] carries with it (I do not know why) prestige (artes), privileges of distinction.« (S. 189).

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Statt ihren Lohn ausgezahlt zu bekommen, wurde ihnen gedroht, als Sklaven verkauft zu werden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen entschieden sie sich, zum Islam zu konvertieren.

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Reiche Händler und Plantagenbesitzer trugen zum Aufschwung des Islam bei, indem sie Moscheen und Koranschulen errichteten. Pouwels (2000) schreibt dazu: »It was the new ›bourgeoisie‹ who were responsible for this ›unofficial‹ expansion of Islam, driven as they were by piety and a desire to leave named memorials and endowments for their descendants.« (Pouwels 2000, 263) Im 19. Jahrhundert gelang es zudem populär orientierten Sufi-Bruderschaften (tariqa, Pl. turuq) sich in den muslimischen Gemeinden Ostafrikas zu etablieren. In den 1880er Jahren gründete die Qadiriyya von Somalia kommend in Sansibar ein weiteres Zentrum. Weitere aktive Sufi-Orden waren die ebenfalls populär ausgerichtete Shadhiliyya, die von den Komoren zum Ende der deutschen Kolonialzeit nach Tanganyika gelangte, die eher unbekannte und in sich geschlossene Askariyya (1930 in Dar es Salaam gegründet), sowie die unter aus dem Jemen stammenden Hadrami (aus der Region Hadramaut) verbreitete, ethnisch geschlossene, Alawiyya (vgl. z.B. Desplat 2003, 75 ff.)9. Die Qadiriyya und die Shadhiliyya waren ein wichtiges Medium der Verbreitung des Islam im ostafrikanischen Hinterland.10 Konversionen zum Islam erfolgten dabei zum größten Teil auf individueller Ebene.11 Den Bruderschaften gelang es oft, afrikanische Muslime zu integrieren und diesen eine religiöse Plattform zu bieten, die sich in der arabisch geprägten Gelehrtenschaft kaum eröffnet hätte. So waren Frauen stärker am öffentlichen religiösen Leben und an islamischer Bildung beteiligt und konnten wichtige Positionen innerhalb der turuq einnehmen, auch wenn die Seklusion beibehalten wurde. Zudem ähnelten einige der sufistischen Praktiken Besessenheitsritualen12,

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Hier wird auch gezeigt, dass Ende des 19. Jh. in Lamu eine Öffnung der Alawiyya stattfand, die insbesondere die für diesen Orden typische maulidi-Feiern popularisierte. Zudem öffnete der Orden den Zugang zu islamischer Bildung, die für ihn zentraler war als die Praxis des dhikr, für nicht-Hadrami.

10 Die drei großen Sufi-Orden entstanden alle zu einer ähnlichen Zeit im 12./13. Jh., die Qadiriyya in Bagdad, die Shadhiliyya im heutigen Marokko und die Alawiyya im Hadramaut. Wie bei vielen Sufi-Orden im 19. Jh. auf dem afrikanischen Kontinent waren in dieser Zeit auch in Ostafrika verstärkte missionarische Tendenzen unter Nicht-Muslimen zu beobachten. 11 Untersuchungen über diese Zeit heben meist die Attraktivität der islamischen Lebensweise und die Wirkung der weithin sichtbaren Feste, wie zum Beispiel der maulidi-Feiern, hervor (siehe zum Beispiel Nzibo 1995, 40). 12 Besessenheitsrituale (wie zum Beispiel upepo), die vor allem an der Küste verbreitet sind, werden z.T. als Kompensation für den Statusverlust von Frauen und deren Exklusion von der öffentlichen religiösen Praxis interpretiert, da Besessenheit scheinbar

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wurden aber im Gegensatz zu diesen von islamischen Gelehrten legitimiert. Während innerhalb der turuq diese Praktiken bis zu einem gewissen Grade akzeptiert wurden, da sie eine gute Möglichkeit darstellten, neue Konvertiten zu gewinnen, kritisierten andere Gelehrte diese in ihren Augen zu nachsichtige Umgangsweise mit Geisterglauben und die sichtbare, öffentliche Rolle, die Frauen zum Teil einnahmen. So schrieb Glassman (1995): »Plebeian ritual practices even raised the eyebrows, and the ire, of several of the Sufi sheikhs themselves. The Qadiri leaders intended to win new converts to the faith and to intensify the religious devotion of people who hitherto had been marginal to established religious institutions. But once such people had been brought into the fold as active participants in the Sufi orders, they tended to alter Islamic rites in ways that the sheikhs never intended. Some Sufi clerics complained that in the hands of women, slaves and urban newcomers, zikri [dhikr] had become dangerously disruptive of what they considered legitimate religious authority, including their own.« (Glassman 1995, 143)

Die Verlagerung des Machtzentrums des omanischen Sultanates nach Ostafrika, der damit verbundene wirtschaftliche Aufschwung sowie die verstärkte Aktivität von sufistischen Bewegungen waren nicht die einzigen Veränderungen im 19. Jahrhundert die eine große Bedeutung für die Entwicklung des Islam und die gesellschaftliche Einbindung und Relevanz von Muslimen hatten. Ende des 19. Jahrhunderts bekam die Islamisierung Konkurrenz von christlichen Missionaren. Die europäischen Kolonialmächte England und Deutschland breiteten ihren Einfluss über immer weitere Teile des ostafrikanischen Festlandes aus. Dabei bauten die Kolonialmächte zunächst auf die von den Omanis geschaffene administrative Struktur auf. Mit zunehmender Etablierung im 20. Jh. wurde das muslimische Verwaltungspersonal schrittweise durch Nichtmuslime ersetzt, die in lokalen christlichen Missionsschulen ausgebildet worden waren. Mit dem Personalwechsel wurde auch die Verwaltung umstrukturiert. Bereits während der deutschen Kolonialzeit wurde der Einfluss der Qadis beschränkt, unter der britischen Herrschaft waren sie nur noch für Familien- und Erbrecht zuständig (vgl. Pouwels 2000, 262). Die mit der kolonialen Herrschaft einhergegangene Christianisierung trug zur Zunahme der religiösen Vielfalt im 19. Jh. grundlegend bei. Sowohl die Anzahl der Christen als auch die der Muslime erhöhte sich maßgeblich infolge der Aktivitäten von christlichen und muslimischen Missionaren. Obwohl sich die Situation für Muslime zunächst aufgrund der zwei unterschied-

hauptsächlich von Frauen erlebt wird (vgl. z.B. Herterich-Akinpelu 1991, 64-68). Ähnliche Tendenzen wurden später auch im Christentum beobachtet.

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lichen Kolonialmächte verschieden darstellte, kam es später in beiden Gebieten zu einer relativen Marginalisierung von Muslimen. Während der deutschen Kolonialherrschaft in Tanganyika von 1885 bis 191913 gab es viele Konversionen zum Islam. Dafür sind insbesondere zwei Gründe zu nennen. Zum einen wurde die muslimische Swahili Elite von den Deutschen bevorzugt in der Kolonialverwaltung eingesetzt und der Islam blieb mit einem hohen Status verbunden. Zum anderen diente der Islam als einigendes Element im Kampf gegen die Kolonialherrschaft. Bereits die während der von Carl Peters geleiteten Expedition 1884-1886, mehr oder minder freiwillig, abgeschlossenen Schutzverträge der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) mit lokalen Herrschern führten zu Konflikten (vgl. Koponen 1995, 68-76). Das Abkommen mit dem Sultan von Sansibar, der damit der DOAG die Verwaltung des unter omanischer Herrschaft stehenden Küstenstreifens gegen eine jährliche Pacht übertrug, führte 1888 zu einem Aufstand, der große Teile von Deutsch-Ostafrika erfasste.14 Zur brutalen Niederschlagung des so genannten ›Araber-Aufstandes‹ setzten die Deutschen entlassene Truppen aus der Ägyptischen Armee im Sudan ein, die bis auf wenige Ausnahmen Muslime waren.15 Im Zuge dieser Ereignisse mussten die Deutschen anerkennen, dass sie, bis zu einem gewissen Grad, zur Kooperation mit den lokalen Eliten gezwungen

13 Das Gebiet Deutsch-Ostafrikas umfasste die heutigen Länder Tansania (ohne Sansibar), Burundi und Ruanda. 1891 wurde Deutsch-Ostafrika offiziell der Verwaltung durch das Deutsche Reich unterstellt. 14 Der örtliche Repräsentant der DOAD Freiherr von Zelewski wollte den mit ihm im Machtkonflikt stehenden omanischen Repräsentanten des Sultans, Abdulgawi bin Abdallah, am Tag des Idd al Hajj festnehmen. »When the Germans were told that Abdulgawi was at prayer (the uncomprehending Zelewski had no idea that the day was a holiday), they forced their way into the mosque, disrupting the service by loudly demanding the governor’s whereabouts. Wearing shoes and accompanied by one of Zelewski’s hunting dogs, the Germans desecrated the mosque.« (Glassman 1995, 5) Siehe auch Pesek 2002, 214. 15 »This early dominance of Muslims in the German Schutztruppe created a pattern which lasted over many years. To be a soldier in the Schutztruppe and to be a Muslim was nearly the same.« (Pesek 2002, 215). Die heute als ›Nubier‹ bezeichneten Nachkommen der Soldaten, die auch von den Briten in Kenia eingesetzt wurden, sind in Tansania nicht mehr als eigenständige Gruppe erkennbar. In Kenia hingegen gelten viele von ihnen als staatenlos. Sie stellen eine weitere marginalisierte muslimische Gruppe dar (vgl. de Smedt 2011, 11).

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waren. Selbst islamische Feiertage, wie das Ende des Ramadan, wurden nun genutzt, um die Kontakte mit der muslimischen Elite zu verbessern, sehr zum Leidwesen deutscher Missionare (vgl. Pesek 2002, 217). In dieser Phase wurden nicht nur für militärische Aufgaben vor allem Muslime eingesetzt, sondern auch für die Kolonialverwaltung, deren Amtssprache Kiswahili war und deren Amtsbezeichnungen, wie liwali oder akida16, ebenfalls aus der schon bestehenden Verwaltung übernommen wurden. In diese Positionen wurden zumeist gebildete Muslime von der Küste eingesetzt, also Angehörige der Elite. Zum Teil stiegen aber auch Bürgermeister, jumbe, aus dem Hinterland zum akida auf. Einige von ihnen konvertierten in diesem Zusammenhang zum Islam.17 Außerdem wurden entlang der Küste öffentliche Schulen eingerichtet, mit der Unterrichtssprache Kiswahili, die in Konkurrenz zu den Missionsschulen standen, in denen in den jeweiligen lokalen Sprachen unterrichtet wurde (Lodhi & Westerlund 1999, 99). So ist es wenig verwunderlich, dass weithin angenommen wurde, die deutsche Kolonialverwaltung fördere und verbreite den Islam aktiv (vgl. Koponen 1995, 583; Swantz 1976, 136). Im Gegensatz zu einem Großteil der lokalen muslimischen Elite, deren ökonomische Position zwar durch das Verbot des Sklavenhandels eingeschränkt war, die aber trotzdem viele ihrer Privilegien behielt und mit den Deutschen kooperierte (Rasmussen 1993, 22), litten andere stark unter der Kolonialherrschaft und den damit verbundenen Repressionen, wie der Zwangsarbeit. Dies wurde im Süden Tanganyikas durch den Maji Maji Aufstand 1905-1907 noch verschärft. Getragen von einer prophetischen, milleniaristischen Bewegung, zum Teil unterstützt durch islamische Wanderprediger, richtete er sich gegen die Deutschen Kolonialherren und die lokale arabische Elite.18 Zugleich wurde der Aufstand von einer Islamisierungswelle begleitet (Becker 2008, 53). Der zu Beginn des Aufstandes im Mittelpunkt stehende ›Prophet‹ Kinjikitile trat häufig in einem

16 Beide Bezeichnungen wurden aus der vorkolonialen Administration übernommen, allerdings wurden die Zuständigkeiten weitgehend verändert (Koponen 1995, 119; vgl. auch Gwassa 2005, 286). 17 Siehe zum Beispiel Wright 1995, 136, über Hilalio, einen Ex-Sklaven, der in einer christlichen Missionsschule ausgebildet wurde, im Zuge seines Aufstiegs aber zum Islam konvertierte. 18 Auch wenn die anti-kolonialen Elemente sehr klar erscheinen, gibt es in der Forschung divergierende Erklärungsansätze für den Ausbruch dieses Aufstandes. Siehe hierzu: Iliffe 1979; Sunseri 1999; Wright 1995; Monson 1998 und Becker 2004. Zum nach seiner Ansicht eher geringen Einfluss islamischer Prediger siehe Gwassa 2005, 51-54.

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weißen kanzu auf und verbreitete den Slogan »We, all of us, are Mkina Seyyid!«, mit dem er an die Zeit unter Seyyid Saids Herrschaft und an die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht erinnern wollte (vgl. Gwassa 2005, 110-111). Nach seiner blutigen Niederschlagung hinterließ der Aufstand eine zerstörte Gesellschaft.19 Die Situation der Entvölkerung wurde durch den auch in Deutsch-Ostafrika ausgetragenen ersten Weltkrieg und zunehmende Arbeitsmigration in einigen der betroffenen Gebiete noch verschärft. Die Angst der Kolonialherren vor einem weiteren Aufstand führte zu einer misstrauischen Haltung gegenüber islamischen Erneuerungsbewegungen, vor allem den schon genannten Sufi-Orden, die immer stärker an Bedeutung gewannen (Gwassa 2005, 124-125). Dies wurde vor allem im Zuge der Mekkabrief-Affäre 1908 deutlich, als in den Moscheen der Küstenregion Briefe verteilt wurden, die vor dem Nahen des Jüngsten Gerichtes warnten und zum Teil anti-europäische Tendenzen aufwiesen.20 Daraufhin verbot die deutsche Kolonialverwaltung 1909 die sufistische dhikr Zeremonien, da angenommen wurde, eine der Bruderschaften, die Qadiriyya, sei mitverantwortlich für die Verbreitung der Briefe (Rasmussen 1993, 22). Aber auch jetzt nahm die deutsche Kolonialverwaltung keine eindeutig anti-muslimische Haltung ein, sondern versuchte während des 1. Weltkrieges die Allianz der Deutschen mit dem Osmanischen Reich zu nutzen, um Muslime gegen die Britische Armee aufzubringen (Rasmussen 1993, 23). Neben den zwei genannten Gründen des nach wie vor hohen gesellschaftlichen Status von Muslimen und der gleichzeitigen anti-kolonialen Rolle des Islam, trug auch die Versklavung von Afrikanern aus dem Hinterland durch arabische und Swahili-Händler direkt und indirekt zu Konversionen zum Islam während der deutschen Kolonialzeit bei. Schon vor dem Verbot des Sklavenhandels sahen Sklaven in der Konversion zum Islam und dem Memorieren des Korans die Chance ihre Freiheit zu erlangen, da die Versklavung von Muslimen nach islamischen Recht nicht erlaubt ist (vgl. z.B. Horton 2000, 49).21 Nach dem Ver-

19 Die Schätzungen der Todesopfer durch die Niederschlagung des Aufstandes und damit verbundene Spätfolgen liegen zwischen 75.000 und 250.000-300.000 Menschen (Iliffe 1979, 200). In einigen Gebieten verlor annähernd die Hälfte der Bevölkerung durch Kämpfe, die Vernichtung von Lebensmitteln (durch beide Seiten) und darauf folgende Hungersnöte und Epidemien, ihr Leben (Koponen 1995, 597-599). 20 Unter anderem wurde im Zuge dieser Vorkommnisse der Maji Maji Aufstand von einem anonym verbleibenden Benediktinermönch als Kampf von Muslimen gegen die christlichen Europäer gedeutet (Gwassa 2005, 235). 21 Auch wenn die Versklavung von Muslimen verboten war, war die Konversion von Sklaven zum Islam nicht zwangsläufig mit ihrer Freilassung verbunden.

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bot des Sklavenhandels diente der Islam als eine Art neues, verbindendes und identitätsstiftendes Merkmal, das es leichter machte, mit der gesellschaftlichen Marginalisierung und Isolation weit entfernt von der Herkunftsregion umzugehen. In Abkehr von dem Ideal der umma, der weltweiten Gemeinschaft aller Muslime, wurden viele der neuen Muslime von der Swahili Elite, die sich häufig auf ihr Wissen über den Islam und ihre arabische, oder auch persische, Herkunft berief, abgelehnt. Für letztere waren diese Neuankömmlinge noch immer die Ungläubigen, washenzi (Swahili, auch mit Barbar zu übersetzen), die noch dazu ›afrikanische Elemente‹ in den Islam hineintrugen. Die Verbreitung der turuq verhalf auf der einen Seite zu einer Ausbreitung und Popularisierung des Islam. Die von der urbanen Elite herablassend als shamba walimu (Dorflehrer) oder wanazuoni wadogo (kleine Gelehrte, Intellektuelle; vgl. Pouwels 2000, 265) Bezeichneten, gewannen viel Einfluss an den Rändern der urbanen Gesellschaft. Gerade deshalb trug die Verbreitung der turuq aber auch zu Spannungen und Konflikten innerhalb der städtischen Bevölkerung bei: »The old elite complained that the low-caste ›shamba walimu‹ or ›waungwana‹ preachers were winning respect beyond their proper station in life, whereas they, the Arabs and patricians, were losing their old religious prestige.« (Glassman 1995, 141)22 Diese Konflikte zwischen der alten Swahili Elite in den Küstenstädten und Konvertiten aus dem Hinterland prägten die koloniale Periode stark und können in ähnlicher Form auch heute beobachtet werden (vgl. Pouwels 2000, 265).23 Im Gegensatz zu Tanganyika standen Kenia (seit 1895) und Sansibar (seit 1890) unter britischer Herrschaft. In Kenia gewann nicht so sehr der Islam, sondern vor allem das Christentum viele neue Anhänger. Insbesondere die Grün-

22 ›Waungwana‹ ist eine Selbstbezeichnung geflohener oder freigelassener Sklaven, die sich somit einen Namen gaben, der sie als unversklavte Swahili darstellte und sie nicht mit ihrer nicht-muslimischen Herkunft aus dem Hinterland bezeichnete (ebd.). 23 So ging das Verbot der sufistischen dhikr Zeremonien nach der so genannten Mekkabrief-Affäre 1908 darauf zurück, dass es lokalen Gelehrten gelang, die deutsche Kolonialadministration von der ›Gefährlichkeit‹ bestimmter Sufi Praktiken zu überzeugen (Pesek 2002, 222-226). Insbesondere die Konkurrenz zwischen der Swahili-Gelehrtenschaft der Küste und Muslimen aus dem Hinterland ist auch heute noch zu spüren. In den erhobenen Interviews wurde dieses Thema immer wieder angesprochen. So sagte eine Konvertitin aus Kisumu über arabische Muslime von der Küste: »And you know, these are the guys who started slavery, don’t forget that. I think it’s still somewhere in their minds.« Dieses Argument wird auch von christlichen Missionaren verwendet, um den Islam zu diskreditieren. Von Muslimen wird dieses Thema dagegen selten so direkt angesprochen.

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dung vieler Missionsschulen und die zunehmende Bedeutung europäischer Bildung spielten dafür eine entscheidende Rolle. Englisch löste Kiswahili als Sprache des Aufstiegs ab. Die durch christliche Missionsschulen ausgebildete neue Elite besetzte von Anfang an die wichtigsten politischen Positionen. Die bisher von Muslimen besetzten Posten in der vom sansibarischen Sultanat aufgebauten Administration (liwali, akida etc.) wurden hingegen abgeschafft (Hiskett 1994, 167; Oded 2000, 65). Muslime verloren so ihre bisher dominierende Rolle (Lodhi & Westerlund 1999, 99). Der politische und wirtschaftliche Schwerpunkt verlagerte sich vom muslimischen Mombasa zum eher christlich geprägten, neu entstandenen Nairobi. Außerdem stärkte das britische System der ›indirect rule‹ lokale Herrschaftssysteme, wodurch die an der Küste lebenden Muslime, die vorher in die arabische Verwaltungsstruktur involviert waren, ihren Einfluss ins Hinterland verloren (vgl. dazu Lodhi & Westerlund 1999, 99; Hiskett 1994, 167; Oded 2000, 64-65 und Rasmussen 1993, 23). Vor Beginn der britischen Kolonialherrschaft 1895 blieb der Islam in Kenia, bis auf die Ausnahme des Gebietes um Mumias, einem Handelsstützpunkt der Karawanen, auf die Küstengebiete beschränkt. Anfang des 20. Jh. entwickelten sich insbesondere entlang der zwischen 1896 und 1901 von Mombasa nach Kisumu gebauten Eisenbahnlinie urbane islamische Zentren. Viele Muslime siedelten sich, vorrangig in als majengo (Swahili-Dorf) benannten Siedlungen, innerhalb der neu gegründeten Städte an, um Handel zu treiben oder in der Kolonialadministration zu arbeiten (Nzibo 1995, 42). Der Eisenbahnbau und die damit verbundene erhöhte Mobilität ermöglichte zudem die Arbeitsmigration an die islamisch geprägte Küste (Nzibo 1995, 41). Dies bedeutete jedoch auch, dass Muslime in der wichtigsten Stadt an der Küste, Mombasa, im Laufe der Kolonialzeit zu einer Minderheit wurden (Cruise O’Brien 2003, 102-103). Viele der am Eisenbahnbau beteiligten indischen Migranten blieben nach deren Fertigstellung in Ostafrika (Vgl. Bakari 1995a und Mangat 1969). Neben den am Eisenbahnbau beteiligten Indern siedelten sich weitere aus Gujarat, Punjab und Goa stammende Inder zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Gründen in Ostafrika, in Kenia wie in Tansania, an. Zumindest schon seit der Machtübernahme durch den omanischen Sultan kamen einige von ihnen als Händler in die Region, andere wurden als Teil des britischen Militärs in Ostafrika stationiert. Von den rund 40.000 ›Asians‹, die im Report über den kenianischen Zensus von 1931 aufgeführt sind, waren etwa ein Drittel Muslime (vgl. Salvadori 1989, 7)24, der überwiegende Teil gehörte hierbei jedoch nicht zum

24 Etwas weniger als 50% waren Hindus und Jains, etwa 10% Sikhs und ebenso viele Christen. Beim Zensus von 1962, bei dem rund 175.000 ›Asians‹ gezählt wurden,

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sunnitischen Islam (von den Sunniten sind die meisten dem Hanafi madhhab zuzurechnen, vgl. Pouwels 2000, 257), sondern zu einer der verschiedenen Richtungen des schiitischen Islam. Die schiitische Minderheit ist in viele verschiedene Gruppen aufgeteilt. Die Mehrheit der ostafrikanischen Ismailis, auch als ›Seveners‹ (Sab'iya) bekannt, gehört zur Untergruppe der Nizaris mit dem Aga Khan als Oberhaupt.25 Sie bilden eine exklusive islamische Gemeinschaft, die sehr gut organisiert und zum Teil sehr einflussreich ist, aber keine missionarischen Aktivitäten ausübt. Ebenso halten sie sich von politischer Einflussnahme fern. Die von ihnen 1945 gegründete EAMWS (East African Muslim Welfare Society, vgl. S. 56) wurde deshalb nicht als politische Organisation, sondern als Hilfsorganisation für Muslime in Ostafrika gegründet. Viele Krankenhäuser und Schulen sind auch heute noch durch die ismailische Gemeinde finanziert. Eine Abspaltung der Ismailis ist die deutlich kleinere und ebenso exklusiv lebende Gruppe der Bohras, die seit dem 18. Jh. in Ostafrika leben. Abdulhussein (1995) schreibt über sie: »They are easily recognizable by their dress: men wear beards and white gold-rimmed caps, and women wear a colorful two-piece head-to-toe dress called a rida'.« (Abdulhussein 1995, 225; vgl. auch Amiji 1975) Auch sie sind politisch kaum involviert, allerdings gibt es Ausnahmen wie A. M. Jeevanjee, der als erster Südasiate in der kolonialen Verfassungskommission mitarbeitete, den East African Indian National Congress sowie 1901 die erste wichtige nicht-europäische Zeitung, den African Standard (heute East African Standard), gründete. 26 Die von Bohras betriebene, weltweit agierende, Burhani Foundation ist auch in Kenia und Tansania aktiv. Die größte schiitische Gruppe in Ostafrika, die Ithnasheria, auch 12er Schia genannt, ist dahingegen nicht nach Südasien ausgerichtet, sondern sieht ihr in-

hatte sich das Verhältnis zwischen Hindus (nun 55%) und Muslimen (23%) verschoben, der Anteil von Sikhs und Christen blieb in etwa so wie 30 Jahre zuvor (Salvadori 1989, 7). 25 Da die meisten Ismailis in Ostafrika zu den Khojas gehören, wird auch dieser Name verwendet. Nicht alle Khojas gehören jedoch zum ismailischen Islam. Der Name Khoja wird von einem islamischen Ehrentitel abgeleitet und bezeichnete in Südasien eine ethnisch-religiöse Gemeinschaft. 26 1865 in Pakistan geboren, wanderte Alibhai Mulla Jeevanjee 1890 nach Ostafrika aus. Seine politische Arbeit wurde von der Bohra Gemeinde sehr kritisch gesehen. Eine Biographie über A.M. Jeevanjee wurde 2002 von seiner Enkelin Zarina Patel herausgegeben (Patel 2002). Vgl. auch Oded 2000, 18.

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tellektuelles Zentrum im Irak, Iran und Libanon.27 Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten sind sie missionarisch in Ostafrika mit der Bilal Muslim Mission aktiv. Diese wird in Kapitel 3 genauer vorgestellt. Südasiatische Muslime, insbesondere die Sunniten unter ihnen, waren finanziell an vielen der frühen Moscheebauten und islamischen Gemeindezentren beteiligt (vgl. Einleitung) und spielten somit eine wichtige Rolle für die islamischen Gemeinden während der Kolonialzeit. Allerdings wird den zum großen Teil wohlhabenden südasiatischen Muslimen, die zudem nicht in dem Maße wie arabische Muslime in die Gesellschaft integriert sind, heute von vielen Ostafrikanern Misstrauen entgegen gebracht. Immer wieder wurde mir berichtet, sie versuchten, alle Gelder zu kontrollieren und damit ihren Reichtum und ihre Macht zu festigen, um diese nicht den ›Afrikanern‹ zu überlassen. Zu den afrikanischen und arabischen Muslimen, die miteinander um religiöse Deutungshoheit und Einfluss innerhalb der islamischen Gemeinschaft konkurrieren, kam somit noch eine dritte Gruppe hinzu, die der südasiatischen Muslime, die ebenfalls in Konkurrenz zu den zwei anderen Gruppen steht. Mit der sich abzeichnenden Unabhängigkeit Kenias hofften viele Muslime auf eine engere Verbindung zu Sansibar, vielleicht sogar die Bildung eines unabhängigen Staates, getrennt vom kenianischen Hinterland (Brennan 2008). Diese Forderung wurde insbesondere seit Mitte der 1950er Jahre von der mwambao Bewegung (mwambao heißt auf Kiswahili ›Küste‹) und später der daraus hervorgegangenen Partei Mwambao United Front vertreten. Einige der daran Beteiligten gingen sogar soweit, eine Aufschiebung der Unabhängigkeit zu fordern, bis für Muslime die gleichen Ausgangsbedingungen wie für Christen geschaffen seien (Chande 2008, 107). Durch ein 1963 geschlossenes Abkommen zwischen der britischen Regierung und dem Sultan von Sansibar wurde der Küstenstreifen jedoch Kenia zugeordnet, im Gegenzug wurde den kenianischen Muslimen eine Beibehaltung der islamischen Qadi Gerichte zugesichert. Auch im Gebiet Tanganyikas, das nach dem 1. Weltkrieg 1919, mit Ausnahme der Belgien zugeschlagenen Gebiete Burundi und Ruanda, ebenfalls unter britische Herrschaft fiel, nahm ähnlich wie in Kenia der Einfluss des Islam ab. Im Gegensatz zur deutschen Kolonialregierung, die aufbauend auf die arabische Verwaltungsstruktur bevorzugt Muslime eingesetzt hatte, wurden nun vor allem an Missionsschulen nach europäischen Systemen ausgebildete Afrikaner einge-

27 Ein großer Teil der ostafrikanischen Ithnasheries kommt aus Familien, die bis in 19. Jh. zu den Ismailischen Khojas gehörten, bis der Streit über den Machtanspruch des Aga Khan diese Gemeinschaft spaltete (Penrad 1988; Voigt-Graf 1998, 65).

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stellt. Muslime mieden diese Schulen lange Zeit und sind bis heute im Bildungssystem unterrepräsentiert.28 Im Gebiet Kenias wie auch Tansanias kann somit eine ähnliche Entwicklung des Islam beobachtet werden, wenn auch der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung in Tansania deutlich höher ist als in Kenia. In beiden Regionen etablierte sich der Islam zunächst als Religion der Machthabenden und der ›zivilisierten‹ Städter und erfuhr unter dem Einfluss des omanischen Sultanats einen weiteren Aufschwung. Konversionen zum Islam bedeuteten in dieser Zeit häufig eine Teilhabe an eben diesen gesellschaftlichen Positionen. Im Zuge der Kolonialherrschaft Deutschlands und Großbritanniens und damit einhergehend der Ausbreitung des Christentums verloren Muslime ihre dominante Rolle. Während die islamischen Gemeinden in Tanganyika, direkt und indirekt durch die deutsche Politik beeinflusst, zunächst stark wuchsen, breitete sich auch hier das Christentum, ähnlich wie in Kenia, unter britischer Herrschaft stärker aus. Konversionen zum Islam wurden dadurch zu Konversionen hin zu einer Minderheitengruppe.

2.2 P OLITISCHE E INBINDUNG T ANSANIA UND K ENIA

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Während durch die britische Kolonialherrschaft relativ ähnliche Ausgangsbedingungen entstanden sind, entwickelten sich die Staaten Kenia und Tansania nach der Unabhängigkeit in sehr unterschiedliche Richtungen. Trotzdem existieren viele Parallelen in Bezug auf die gesellschaftliche Position der Muslime – in beiden Staaten ist unter den Muslimen ein Gefühl der Marginalisierung in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht entstanden. Die omanische Ära, wie auch die Kolonialzeit, werden dagegen von einigen Muslimen als ›goldene Zeit‹ stilisiert (vgl. Kresse 2006).

28 Wenn in Ostafrika über die gesellschaftliche Marginalisierung von Muslimen gesprochen wird, wird meist auf die Bildungssituation verwiesen. Die christliche Orientierung der Schulen mit ihren Gebeten und der vorgeschriebenen Schulkleidung habe es Muslimen unmöglich gemacht, diese zu besuchen. Oft wir auch argumentiert, dass Kinder zum Christentum konvertieren mussten, um diese Schulen zu besuchen. Dieser, z.T. selbstgewählte, Ausschluss trug zu einer Selbstdarstellung von Muslimen, in Tansania z.B. als »country’s underdogs«, bei (Ludwig 1995, 230).

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Weichenstellung in der Zeit der Unabhängigkeit Der zunehmende Einflussverlust der Muslime führte im britischen Mandatsgebiet Tanganyika zu einer starken Beteiligung von Muslimen an der Unabhängigkeitsbewegung, in Kenia hingegen waren Muslime daran kaum beteiligt. Schon in der 1954 gegründeten TANU (Tanganyika African National Union) spielten Muslime von der Küste eine große Rolle und bildeten die Mehrheit in diesem Zusammenschluss (Rasmussen 1993, 23-24). Viele Christen dagegen standen der Unabhängigkeitsbewegung eher reserviert bis ablehnend gegenüber. Durch die alles überragende Figur Julius Nyereres, eines Katholiken, wurde die Rolle, die Muslime beim Aufbau eines afrikanischen Sozialismus in Tansania in den 1960ern spielten, jedoch häufig übersehen. 29 Nach der Unabhängigkeit Tanganyikas am 19. Dezember 1961 besetzten Christen, durch ihre Ausbildung in europäischen Schulen bevorzugt, viele Positionen in der Verwaltung. Diese Prozesse führten zu einem Gefühl der Marginalisierung unter Muslimen, das durch die Entwicklungen auf Sansibar noch verstärkt wurde. Nachdem Sansibar zunächst 1963 zu einem unabhängigen muslimischen Staat unter einem eigenen Sultan wurde, fand wenig später 1964, mit Unterstützung des Festlandes, eine Revolution gegen die omanischen Machthaber statt.30 Im gleichen Jahr wurde Sansibar durch eine Union mit Tanganyika Teil des neu geschaffenen Tansania. Von vielen Muslimen wurde dies als Zerstörung der Jahrhunderte alten islamischen Tradition und Unabhängigkeit Sansibars durch die Christen Nyerere und John Okello angesehen (Hiskett 1994, 169-171), auch wenn die politische Macht in Sansibar in den Händen von Muslimen blieb.31 Sansibar blieb zunächst relativ autonom, bei Beibehaltung einer eigenen Exekutive, Legislative (Zanzibar House of Representatives) und Judikative, und war vor allem über Sicherheits-

29 Lodhi & Westerlund (1999) sprechen von einer Ähnlichkeit der entwickelten politischen Modelle mit Entwicklungen des Islamischen Sozialismus, insbesondere dem ägyptischen Nasserismus. In einer Biographie über Abdulwahid Sykes wird die Nichthonorierung des muslimischen Widerstandes gegen die Kolonialherren besonders beklagt und Islam als Religion des Widerstandes stilisiert (Said 1998). 30 Die Angaben über die Todesopfer variieren stark und reichen von ›weniger als 1000‹ bis zu 13.000, die meisten von ihnen arabischer Herkunft. Zudem kam es zu vielen Verhaftungen. Im Zuge der Revolution verließen viele arabische, aber auch indische, Familien Sansibar. Zur umstrittenen Deutungsgeschichte des Aufstandes siehe Loimeier 2006 und Speller 2007. 31 Abeid Karume war bis zu seiner Ermordung 1972 als erster Präsident von Sansibar gleichzeitig Vizepräsident von Tansania.

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und Außenpolitik mit dem Festland verbunden. Schrittweise verlor Sansibar in den folgenden Jahren immer mehr an Autonomie, bis 1977 auch die regierenden Parteien der sansibarischen Afro-Shirazi Partei (ASP) und der TANU offiziell zur Chama cha Mapinduzi (CCM, Partei der Revolution) vereinigt wurden. In Kenia hingegen hatte sich die politische Machtbasis in sehr viel stärkerem Maße von der Küste ins Zentrum des Landes bewegt. Während des antikolonialen Mau-Mau Aufstandes 1952-1959 spielten Muslime so gut wie keine Rolle. Sie wollten weder mit der englischen Kolonialverwaltung ein Bündnis eingehen, noch sich auf die Seite der Kikuyu Rebellen schlagen. Kenia erreichte seine Unabhängigkeit 1963, nachdem schon die ersten allgemeinen Wahlen stattgefunden hatten, aus denen die KANU (Kenya African National Union) unter Jomo Kenyatta als Sieger hervorging. Der noch bis 1967 dauernde Unabhängigkeitskampf von, durch die Mwambao Bewegung inspirierten, ethnischen Somalis in der North Eastern Province32 von Kenia, die eine Abspaltung der Region vom Staat und den Anschluss an Somalia (das schon 1960 unabhängig geworden war) erreichen wollten, führte eher zu einer Entfremdung der Muslime vom frühen kenianischen Staat (vgl. Oded 2000, 64-65). Tansania und Kenia in den Zeiten der Blockbildung Während in Tansania unter dem Staatspräsidenten Julius Nyerere das Modell eines ›afrikanischen Sozialismus‹ durchgesetzt wurde, ordnete sich Kenia im Zuge der Blockbildung eher dem westlichen Lager zu. In beiden Staaten herrschte bis zur Liberalisierung Anfang der 1990er Jahre ein Ein-Parteien-System. Darin spielte die Zugehörigkeit zur muslimischen Minderheit eine untergeordnete Rolle. Das in der Grundlage der tansanischen Variante des Sozialismus, der Arusha Deklaration von 1967, vorgestellte Konzept von Ujamaa (Gemeinschaft) sah zum einen die Gründung von Dorfgemeinschaften vor, die in den 1970er Jahren, zum Teil gewaltsam, durchgesetzt wurde. Zum anderen wurde eine Verstaatlichungspolitik durchgeführt, die sich vor allem auf Unternehmen, aber auch auf Krankenhäuser, Schulen und Wohnprojekte religiöser Gemeinden bezog. Für die hauptsächlich in Wirtschaft und Handel tätige südasiatische Minderheit in Tansania, unter ihnen viele Muslime, brachten diese Maßnahmen große Schwierigkeiten mit sich. Trotzdem wurde insbesondere die Verstaatlichung des Schulwe-

32 Dieses Gebiet wurde in der Kolonialzeit Northern Frontier District genannt und hatte ebenfalls einen Sonderstatus inne (Oded 2000, 79). Bis heute ist diese fast ausschließlich von Muslimen bewohnte Provinz eine der ärmsten in Kenia.

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sens 1969 von vielen Muslimen begrüßt. Obwohl davon ebenso muslimische Schulen betroffen waren, versprachen sie sich eine größere Teilhabe am Bildungssektor (Rasmussen 1993, 56).33 Die Politik der Ujamaa beruhte auch auf der Einbeziehung aller Bevölkerungsteile, die sich nicht mehr als ethnische Gruppen oder religiöse Gemeinschaften begreifen sollten, sondern als zugehörig zum tansanischen Gemeinwesen. Dies schlug sich nicht nur im Umgang mit Religion nieder – unter der Maxime ›Don’t mix religion with politics!‹ (vgl. z.B. Lodhi & Westerlund 1999, 104) wurde Religion als private Angelegenheit angesehen – sondern zum Beispiel auch in der Verwendung des Kiswahili als Gemeinsprache, die die lokalen Sprachen ablöste. Die acht anerkannten religiösen Feiertage teilen sich gleichmäßig auf christliche und muslimische auf. In Bezug auf Sansibar war die Politik der Inklusion jedoch nur wenig erfolgreich. Immer wieder gab es von sansibarischer Seite Bestrebungen, die Union mit Tanganyika aufzulösen. Schon 1972 wurde die Partei Maendeleo Zanzibar (Fortschritt Sansibar) gegründet, die sich die Unabhängigkeit Sansibars zum Ziel gesetzt hatte. Die TANU versuchte den Autonomiebestrebungen mit einer stärkeren Einbindung Sansibars, zum Beispiel durch den Zusammenschluss der Parteien zur CCM, zu begegnen. Aber schon Anfang der 1980er Jahre wurde erneut über Abspaltungstendenzen diskutiert. So wurde 1982 berichtet, dass die Partei Maendeleo Zanzibar wiedergegründet worden sei. 1988 wurde der erste Minister von Sansibar aufgrund von Vermutungen, er wolle die sansibarische Regierung mit Hilfe von Söldnern aus den Golfstaaten stürzen, entlassen (zu diesen Entwicklungen vgl. Ludwig 1995, 219). Für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zeigte sich die Ujamaa Politik kontraproduktiv, so dass in den 1980er Jahren Strukturanpassungsprogramme (SAPs) durchgeführt werden mussten, die für die Bevölkerung vor allem in einem Rückzug des Staates im sozialen Bereich, Bildung und Gesundheitswesen bestanden. Zudem wurde sowohl der politische, als auch der wirtschaftliche Sektor des Landes geöffnet. Nyerere überließ 1985 das Präsidentenamt Ali Hassan Mwinyi, blieb aber bis 1990 Vorsitzender der CCM. Die politische Entwicklung Kenias war dagegen nicht von großen gesellschaftspolitischen Entwürfen, sondern einer stark von Klientelismus entlang eth-

33 Nach der politischen Liberalisierung 1992 sollten die in den 1970er Jahren verstaatlichten Schulen und Krankenhäuser an ihre früheren Besitzer, zumeist kirchliche Gemeinden, zurückgegeben werden. Nach einigen Diskussionen blieben die Schulen in staatlicher Hand, religiöse Gemeinschaften wurden jedoch ermutigt neue Schulen aufzubauen (Ludwig 1995, 218). Seitdem sind einige muslimische Schulprojekte entstanden.

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nischer Linien geprägten Politik gekennzeichnet. Dies erschwerte die politische Teilhabe der Muslime.34 Die KANU stellte unter Jomo Kenyatta keine politische Partei mit eigenständigem Programm dar, sondern eher eine lose Vereinigung von Politikern. Innerhalb dieser Machtbasis bildeten sich Klientelfraktionen zumeist entlang ethnisch-regionaler Grenzen heraus (Mair 1994, 14). 35 Muslime spielten dabei nur eine untergeordnete Rolle. Zunächst war die politische Landschaft von relativ freien Debatten, einer offenen Presselandschaft, einer unabhängigen Justiz und der Etablierung verschiedener politischer Verbände gekennzeichnet, allerdings ging Kenyatta kompromisslos gegen Herausforderer seiner Macht vor.36 Die mysteriöse Ermordung Tom Mboyas, eines Luo, 1969 führte zudem zu einem Bruch der Allianz zwischen Kikuyu und Luo und damit zu einer Verkleinerung der Machtbasis (Mair 1994, 16-17). Auch in den folgenden Jahren blieben politische Morde ein Teil kenianischer ›Politik‹. Nach Kenyattas Tod 1978 wurde Daniel Arap Moi Präsident. Zunächst lockerte Moi die politische Repression, lies einige Regierungsgegner frei und reduzierte die Dominanz der Kikuyu im öffentlichen Dienst (Mair 1994, 17-18). Nach dem vereitelten Putschversuch 198237 wurde die Verfassung geändert und die KANU zur einzigen legalen Partei, so dass Kenia nun auch de jure zum Einparteienstaat wurde. Auch die meisten politischen Verbände, wie zum Beispiel die Central Organisation of Trade Unions (COTU) und die Frauenorganisation Maendeleo ya Wanawake wurden unter die Kontrolle der KANU gebracht (Mair 1994, 38). Die Verhärtung des Regimes wurde im verstärkten Vorgehen gegen nicht ins System integrierbare politische Kritiker, insbesondere während der Verhaftungswellen 1986/87 deutlich. Die wachsende politische Repression

34 Vgl. Mazrui 1993 zur Darstellung der politischen Marginalisierung von Muslimen in Kenia. 35 Kenia wurde zum Teil auch als ›Keinparteienstaat‹ bezeichnet (Mair 1994, 16). 36 Als zum Beispiel Oginga Odinga, der zunächst Generalsekretär der KANU und VizePräsident Kenias war, 1966 aus der KANU austrat und die Kenia People’s Union (KPU) gründete, wurde diese nach ersten Erfolgen unter den Luo 1969 verboten. 37 Der Putschversuch am 1. August 1982 wurde hauptsächlich von Luftwaffenoffizieren geplant, allerdings schnell von regierungstreuen Soldaten, insbesondere Einheiten der General Service Unit (GSU), einem paramilitärischen Flügel der Polizei, niedergeschlagen. Nach diesem Ereignis wurde die gesamte Luftwaffe aufgelöst und viele ihrer Mitglieder verurteilt bzw. unehrenhaft entlassen. Insgesamt starben über 100 Menschen, mehr als 3000 wurden festgenommen, unter ihnen viele Luo. Vereitelt wurde der Putsch u.a. von einem Muslim.

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schlug sich auch in Anschlägen und Überfällen auf Gegner, zum Teil ausgeführt von Kriminellen, und wirtschaftlichen Sanktionen nieder (Mair 1994, 32). Die kenianischen Regierungen versuchten seit der Unabhängigkeit ein starkes wirtschaftliches Wachstum zu erreichen und unterstützen Investitionen in kleine Unternehmen. Bis in die Mitte der 1970er Jahre war diese Politik erfolgreich, danach wurde Kenia ebenso wie andere afrikanische Staaten von steigenden Ölpreisen und sinkenden Einnahmen für landwirtschaftliche Produkte getroffen. Selbst nach der schweren wirtschaftlichen Krise Ende der 1980er/ Anfang der 1990er Jahre wurde Kenia 1993 von der UNDP (United Nations Development Programme) als eines der zehn erfolgreichsten Länder Afrikas bezüglich der kollektiven Lebensqualität aufgeführt (Mair 1994, 21-22), allerdings waren dabei die Unterschiede zwischen armen und reichen Bevölkerungsschichten deutlich größer als im benachbarten Tansania. Muslime spielten innenpolitisch in dieser Zeit kaum eine Rolle. Die Kirchen hingegen waren wichtige Kanäle politischer Kritik und Opposition (Oded 2000, 73). Die öffentliche Zuwendung zum Christentum wurde jedoch auch zum Machterhalt genutzt. So ließ sich Moi von der Presse gerne als gottesfürchtiger Mann darstellen. Die erste Meldung der Abendnachrichten im kenianischen Fernsehen KBC TV beschäftigte sich häufig mit Mois Gottesdienstbesuch (Gifford 1995, 204). Durch eine an ein Gottesgnadentum erinnernde mediale Darstellung nahm Religion in Kenia für die politische Öffentlichkeit eine sehr viel größere Bedeutung ein als in Tansania.38 Das politische System Kenias wurde zunehmend von Unsicherheit und Kurzlebigkeit geprägt. Erst nach heftiger internationaler Kritik39 und auf Druck

38 Allerdings waren hier die Pfingstkirchen nicht in den politischen Zusammenschlüssen der dem Staat gegenüber loyalen ›traditionellen‹ Kirchen vertreten und präsentierten sich, insbesondere seit Einführung des Mehrparteiensystems als Opposition (Ludwig 1995, 224). 39 Die in dem in Kenia entstandenen klientelistischen politischen System immanente Korruption wurde durch die politische Unsicherheit noch verschärft, da diese eine schnelle Bereicherung begünstigte (Mair 1994, 31). Von westlichen Geberländern wurde dies als Haupthindernis für Entwicklung gesehen. Aus diesem Grund wurden Anfang der 1990er Jahre einige große Entwicklungshilfeprojekte gestoppt. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes kam es nicht nur in Osteuropa, sondern auch in Afrika zu einer Liberalisierungswelle, der sich Kenia zunächst verweigerte. Schließlich beugte es sich jedoch dem Druck der einstigen verbündeten westlichen Staaten und gab seine Isolation auf.

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einer größer werdenden internen Demokratisierungsbewegung40 zu Beginn der 1990er Jahre kam es zu einer Lockerung der politischen Repression. Zudem wurde 1991 das Einparteiengesetz wieder aufgehoben. »Marx is dead, Jesus and Allah are back in style« – der religiöse Faktor nach der Liberalisierung41 Im Zuge der wirtschaftlich und politisch notwendig gewordenen Liberalisierung wurden Anfang der 1990er Jahre in Tansania und Kenia Mehr-Parteien-Systeme eingeführt. Die muslimische Minderheit gewann im Zuge dessen deutlich an Gewicht, in Kenia als wichtige und möglicherweise entscheidende Wählerschaft, in Tansania als Faktor im Konflikt um Sansibar. Während es 2002 in Kenia erstmals zu einem Machtwechsel durch Wahlen kam, ist Tansania durch das schwierige Konstrukt der Union weit davon entfernt. Im Zuge der Gründung von Oppositionsparteien und durch umstrittene Wahlergebnisse kam es in beiden Staaten zu schweren Konflikten. Schon kurz nach der Einführung des Mehrparteiensystems in Tansania wurde 1992 in Sansibar die CUF (Civic United Front) gegründet, die für eine größere Autonomie der Region eintritt. Auch wenn die meisten Mitglieder Muslime sind, ist sie dezidiert keine islamische Partei, sondern vertritt eher regionale Interessen. Allerdings werden zum Teil Forderungen nach größerer politischer Unabhängigkeit vom Festland mit Forderungen nach stärkerer Ausrichtung der Politik an islamischen Prinzipien verbunden (Rasmussen 1993, 100). Ende des Jahres 1992 bewarb sich Sansibar um eine Mitgliedschaft bei der Organisation of Islamic Conference (OIC).42 Begründet wurde dieser Schritt vor allem mit ökonomischen Interessen, insbesondere dem Zugang zur Islamic Development Bank (IDB), die günstige Kredite unter relativ weichen Konditionen zur Verfügung stellt. Nach großer öffentlicher Diskussion um die Zukunft des Staates Tansania

40 Zu dieser gehörte zum Beispiel das Forum for the Restauration of Democracy (FORD), das 1991 eine Großdemonstration organisierte. 41 So betitelte Okema einen Artikel über die politische Entwicklung in Tansania (The East African, Opinion, 29.03.2004). 42 Der Ablauf dieser Bewerbung, die zunächst ohne eine öffentliche Bekanntmachung abgegeben wurde, ist nicht ganz klar, insbesondere ob sie ohne vorherige Absprache mit der tansanischen Regierung erfolgte. Nachdem der Schritt öffentlich gemacht wurde, stellte sich die Unionsregierung jedoch sofort gegen eine Mitgliedschaft in der OIC (vgl. Tanzania: Zanzibar Says No Oil Sharing, The Citizen (Dar es Salaam), 17.07.2008 und Baehr et al. 1994, 407).

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zog das Zanzibar Revolutionary Government im August 1993 den Antrag wieder zurück (Ludwig 1995, 220). Seitdem gibt es jedoch immer wieder neue Diskussionen um eine mögliche Mitgliedschaft. Die ersten Wahlen 1995 stellten auf dem Festland kaum eine Gefahr für die regierende CCM dar, auf Sansibar kam es jedoch zu weitreichenden Wahlfälschungen. Die CUF boykottierte daraufhin die Regierung, diese reagierte mit Verhaftungen und Entlassungen43 auf den ihr entgegengebrachten Widerstand. Nach Verhandlungen begannen beide Parteien wieder zu kooperieren. Die Wahlen 2000 und 2005 führten jedoch wieder zu ähnlichen Problemen, wobei die Auseinandersetzungen eher zunahmen. Auch in Kenia wurden Muslime im Zuge der politischen Liberalisierung zu einer wichtigeren politischen Kraft, da sie einen nicht unerheblichen Teil der Wählerschaft darstellen. Daniel Arap Moi versuchte zunächst seine Macht durch eine ›Herrsche und Teile‹ Taktik zu sichern, was zu ethnisierter Politik und lokalen Machtkämpfen, Konflikten und Unruhen im Umfeld der Wahlen 1992 und 1997 führte. Davon war insbesondere das Rift-Valley betroffen. Nachdem er zu den Wahlen 2002 nicht mehr antreten durfte, gewann die oppositionelle National Rainbow Coalition (NARC) unter Mwai Kibaki die Wahlen. Fünf Jahre später, 2007, kam es nach einem der engsten Wahlergebnisse in der Geschichte Afrikas zu schweren Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die erst durch die Schaffung einer Einheitsregierung im Frühjahr 2008 aufhörten.44 Neben der stärkeren Präsenz von Muslimen in Parlament und Regierung zeigt auch das 2007 zwischen Muslimen und der ODM unter Raila Odinga abgeschlossene Memorandum of Understanding45 die gewachsene Bedeutung von Muslimen in der kenianischen Politik.

43 So wurde zum Beispiel nach den Wahlen 2005 der Vertrag des Wissenschaftlers Abdul Sheriff als Kurator der staatlichen Museen auf Sansibar kurzfristig aufgelöst. Er durfte zudem seine Einladung als Delegierter des UNESCO’s World Heritage Committee nicht wahrnehmen (Rundbrief nachzulesen auf http://www.utexas.edu/ conferences/africa/ads/1263.html; vom 13.08.2009). 44 Dabei bilden der bisher regierende Mwai Kibaki (Party of National Unity) als Präsident und Raila Odinga (Orange Democratic Movement, ODM) als Premierminister die Spitze des Staatsapparates. 45 Das zweiseitige MoU ist eine Vereinbarung zwischen Raila Odinga und der NAMLEF (siehe S. 62), der dieses Abkommen als Stärkung der eigenen Position gegenüber anderen muslimischen Verbänden dient. Die NAMLEF sicherte darin Odinga die Unterstützung als Kandidat der Muslime zu, Odinga erkennt im Gegenzug die NAMLEF als einzigen muslimischer Partner an und verspricht den Muslimen, deren gesellschaftlicher Marginalisierung entgegenzuwirken, z.B. durch Infrastrukturentwicklung in den

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Während sich in Tansania der politische Konflikt zwischen Muslimen und dem Staat vor allem am Status Sansibars entzündet, ist dieser regionale Konflikt in Kenia seit dem Ende der Mwambao Bewegung eher nebensächlich. Hauptstreitpunkt ist hier die Stellung islamischer Gerichtsbarkeit. Die Verfassung und der Qadis’ Courts Act von 1967 regeln die Durchsetzung des islamischen Familien- und Erbrechts durch sogenannte Qadi-Gerichte. Schon in der Kolonialzeit wurde die Position des Obersten Qadi Richters geschaffen, der auch heute noch von der Regierung berufen wird.46 Die muslimischen Gemeinden haben keinen Einfluss auf seine Wahl. Er ernennt wiederum Qadis für einzelne Regionen, die allerdings vom Präsidenten bestätigt werden müssen. Die Qadi Gerichtshöfe sind Teil der kenianischen Verfassung. Während es anfangs, 1967, nur sechs Qadi Gerichte gab, ist ihre Zahl inzwischen deutlich gestiegen. 47 Ebenfalls 1967 wurde eine Reformkommission zur Schaffung einer nationalen Gesetzeskonformität eingesetzt, die das komplexe Familien- und Erbrecht, das neben dem öffentlichen und dem islamischen auch noch lokales, tribales Recht anerkannte, zu vereinigen. Für letzteres sind wiederum staatliche Gerichte verantwortlich, die lokale Regelungen durch Zeugenaussagen oder andere Beweise ihrer Gültigkeit, z.B. wissenschaftliche Arbeiten, in die Rechtsprechung einbeziehen. Das vereinfachte Gesetz sollte das Erbe allein über Testamente regeln. Die Opposition insbesondere von muslimischen Gruppen gegen dieses Gesetzt war so groß, dass es nicht wie geplant 1981 eingeführt wurde, sondern seit dem der Status quo aufrechterhalten wird (Oded 2000, 92-93; vgl. auch Stockreiter 2002, 45). Nach dem Regierungswechsel 2002 wurde die Debatte über eine neue Verfassung angestoßen, die diejenige von 1969 ersetzen sollte. Der seit 2003 von der National Constitutional Conference ausgearbeitete Entwurf scheiterte jedoch im November 2005 in einem Referendum, unter anderem an der Frage der muslimischen Gerichtsbarkeit. Insbesondere die Anglikanische Kirche hatte gegen eine vermeintliche Bevorzugung von Muslimen in der Verfassung protestiert. Die Regierung hat das Projekt einer neuen Verfassung jedoch nicht aufgegeben und ar-

hauptsächlich von Muslimen bewohnten Regionen im Norden und an der Küste Kenias. 46 Er ist offizieller Regierungsberater in allen islamischen Rechtsfragen (dem Familienund Erbrecht, sowie waqf, islamischen Stiftungen). Zu seinen Aufgaben gehört auch die Bestimmung des Anfangs- und Endzeitpunktes des Ramadan (Fastenmonat). 47 Auf der kenianischen Webseite http://www.judiciary.go.ke/biographies wurden 2009 insgesamt 17 Qadis, inklusive des Obersten Qadis, genannt.

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beitet an einer neuen Vorlage. Auch über diese gab es bereits erhitzte Diskussionen.48 Während in Sansibar ein ähnliches Qadi-Gerichtssystem existiert, das allerdings nicht einem staatlichen Obersten Gerichtshof untergeordnet ist, besteht auf dem Festland Tanganyika nur das säkulare Gerichtswesen, das allerdings auch islamische Regelungen mit einbezieht. So ist im 1971 eingesetzten Law of Marriage Act, das unterschiedliche Rechtsregelungen miteinander verbindet, im Falle muslimischer Ehepartner die Aufrechterhaltung der idda, einer meist dreimonatige Warteperiode nach Scheidung oder Tod des Ehemanns vor erneuter Heirat einer Frau, vorgesehen (vgl. Rwezaura & Wanitzek 1988, 7). Versuche seit 1983 das Erbrecht ebenso zu vereinheitlichen scheiterten wie in Kenia (Ellis & Cutura 2007, 53).49 Inzwischen gibt es auch in Tansania Überlegungen, Qadi-Gerichte einzuführen. Auch hier sind Konflikte zu erwarten. Streitpunkt Demographie Schon seit 1981 fordern einige Gruppen, dass Tansania ein islamischer Staat wird, da die Mehrheit der Einwohner Muslime seien. Dabei werden Zahlen von bis zu 60% Muslime genannt, die jedoch als stark übertrieben angesehen werden können (Ludwig 1995, 228-229). Diese werden jedoch von Muslimen übernommen und verwendet, um eine relative Marginalisierung darzustellen und die Unterdrückung von Muslimen in Tansania zu konstatieren. Wie umstritten der Anteil der einzelnen Bevölkerungsgruppen an der Zusammensetzung der Bevölkerung ist, zeigt auch, dass die letzten offiziellen Angaben Tansanias von 1967 stammen und je rund ein Drittel der Bevölkerung Christen, Muslimen und ›traditionellen‹ Religionen zuordnen. In welchem Maße sich diese Angaben verändert haben, lässt sich schwer feststellen. Klar scheint nur, dass die von christlichen wie von muslimischen Organisationen herausgegebenen Zahlen meist stark verzogen sind (vgl. z.B. Lodhi & Westerlund 1999). Heute leben in Tansania rund 40 Mio. Menschen, davon rund 1 Millionen auf Sansibar und Pemba.

48 So titelte die Daily Nation am 28. Juli 2009 Clerics clash over Qadis courts, nachdem ein Konflikt zwischen muslimischen und christlichen Geistlichen bei einer Anhörung des Committee of Experts on Constitutional Review (CECR) in Mombasa ausgebrochen war. 49 Allerdings werden viele Streitfälle in Tansania außergerichtlich beigelegt. In diesen Fällen werden von Muslimen auch Qadis eingeschaltet, die allerdings nicht ins staatliche Gerichtswesen eingebunden sind.

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Auch in Kenia gehen die Angaben über den Anteil der muslimischen Bevölkerung weit auseinander. Die meisten Schätzungen gehen bei einer etwas geringeren Bevölkerung als in Tansania (rund 39 Mio.) von einer deutlichen christlichen Bevölkerungsmehrheit aus (rund 80%), der Anteil der muslimischen Bevölkerung wird meist mit 10% angegeben.50 Muslime sprechen häufig von rund 15 bis 20% muslimischer Bevölkerung, zum Teil gehen die Angaben sogar darüber hinaus. Im Norden Kenias und an der Küste stellen Muslime die Bevölkerungsmehrheit. Insbesondere diese Gebiete sind jedoch stärker als andere von schlechter Infrastruktur, niedrigem Bildungsniveau, Arbeitslosigkeit und Armut betroffen. Dies ist einer der Gründe für das Gefühl der Marginalisierung unter Muslimen. In Tansania wie in Kenia sehen Muslime sich gesellschaftlich benachteiligt. Obwohl die Küstenregionen sowie Sansibar (Unguja) durch ihre Tourismusindustrie für den wirtschaftlichen Erfolg Ostafrikas bedeutend sind, haben Muslime den Eindruck, dass die dadurch erwirtschafteten Gelder den Bewohnern dieser Regionen nicht zu Gute kommen. Insbesondere der schlechte Zustand der Infrastruktur oder des Bildungswesens in dieser Region wird hierbei als Beispiel aufgeführt. In den letzten Jahren gab es viele Versuche, Muslime mehr am Bildungssystem zu beteiligen, zum einen durch die Einführung westlicher Bildung in islamischen Einrichtungen (wie madaris, Pl. von madrasa) und die Gründung islamischer Schulen, zum anderen durch die Schaffung religiöser Unterrichtsfächer an staatlichen Schulen.51 In diesem Zusammenhang ist auch die schon seit langem anhaltende Planung einer Islamischen Universität zu sehen, die 2004 durch die Eröffnung der Muslim University of Morogoro (MUM) von Erfolg gekrönt war.52

50 Nach einer 2003 durchgeführten demographischen Studie stellen Muslime sogar nur rund 7 Prozent der Bevölkerung dar (Central Bureau of Statistics 2003, 8-9). 51 Da in Kenia Religion ein Pflichtfach darstellt, wird zum Beispiel versucht, die Islamic Religious Education (IRE) an den Schulen zu stärken. Wird dieser Unterricht nicht angeboten, müssen die Kinder den christlichen Gegenpart, die Christian Religious Education (CRE) besuchen (vgl. Svensson 2006, 5). In Tansania gehört das Fach Religion nicht zum offiziellen staatlichen Lehrplan, kann aber auf freiwilliger Basis unterrichtet werden (Bureau of Democracy 2008a). 52 In Kenia ist eine in Mombasa angesiedelte Islamische Universität bisher nicht über eine Planungsphase hinausgekommen (vgl. z.B. Muslims push for proposed Islamic university, The Standard, 26.10.2009).

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2.3 P OLITISCHE (S ELBST -)O RGANISATION VON M USLIMEN Die Regierungen in Tansania wie in Kenia versuchten schon früh Muslime über staatlich kontrollierte Zentralverbände einzubinden. In den 1980er Jahren wurde Religion zu einem immer größeren politischen Faktor und in den 1990er Jahren kam es im Zuge der politischen Liberalisierung zu vielen Neugründungen muslimischer Interessenvertretungen bei gleichzeitigem Legitimitätsverlust der staatlich eingebundenen Organisationen Bakwata und SUPKEM. Zu einer Verschiebung der relativen gesellschaftlichen Position der Muslime kam eine inner-islamische Konkurrenz durch ›neue‹ muslimische Gruppen. Dabei spielten auch regional unterschiedlich gelagerte Interessen eine Rolle. Tansania Die große Beteiligung von Muslimen in der Unabhängigkeitsbewegung ging einher mit einer größeren Verbreitung reformistischer und antikolonialer Ideen in den muslimischen Gemeinden.53 Dazu führte insbesondere die starke Unterstützung der TANU durch Sufi-Bruderschaften (Rasmussen 1993, 23). Eine der Vorgängerorganisationen der TANU, die 1934 gegründete Muslim Association of Tanganyika (MAT), hatte neben antikolonialer Politik eine Stärkung afrikanischer gegenüber asiatischen Muslimen zum Ziel (ebd.). Da allerdings nicht alle Muslime die TANU unterstützten, wurde 1957 die All-Muslim National Union of Tanganyika (AMNUT) als Gegenbewegung gegründet, viele ihrer Mitglieder waren arabische Muslime. Nachdem ihre Forderung nach einer Aufschiebung der Unabhängigkeit, bis Muslime das gleiche Bildungsniveau erreicht hätten wie Christen, viel Ablehnung hervor rief, wurde die Partei nach der Unabhängigkeit nicht mehr weiter geführt und 1964 aufgelöst (Rasmussen 1993, 24; Ludwig 1995, 229). Ihre Rolle wurde von der EAMWS (East African Muslim Welfare Society) übernommen, die schon 1945 in Mombasa durch den damaligen Aga Khan gegründet und 1961 nach Dar es Salaam54 verlegt wurde. Allerdings geriet auch die EAMWS durch ihre panislamische und kapitalismusorientierte Ausrichtung in Konflikt mit der TANU und deren Unterstützern. 1968, nach einem

53 Insbesondere in den 1950er Jahren predigten pakistanische Prediger als Reaktion auf koloniale Unterdrückung und den Aufstieg des Christentums, muslimische Erneuerung und politisches Bewusstsein (vgl. Lodhi & Westerlund 1999, 99). 54 Dabei ging der Vorsitz der Organisation an Abdallah Fundikira, den innerparteilichen Hauptgegner von Nyerere (Lodhi & Westerlund 1999, 102).

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Versuch der Verstaatlichung, wurde sie, ebenso wie weitere islamische Organisationen, für illegal erklärt.55 Zeitgleich wurde durch der TANU nahestehende Muslime, unter ihnen einige wichtige Qadiriyya Sheikhs, eine neue staatsnahe Organisation BAKWATA (Baraza Kuu la Waislam wa Tanzania, Tansania Supreme Islamic Council) gebildet. Das staatliche Ein-Parteien-System wurde auf der Ebene der religiösen Gemeinschaften reproduziert, die ebenso in zentralen Verbänden organisiert wurden (Constantin 1993, 48). Allerdings wurde die BAKWATA, trotz der Möglichkeit sich dadurch Zugang zur politischen Ebene zu verschaffen, von manchen Muslimen aufgrund dieser engen Verknüpfung mit der TANU, bzw. wegen der Dominanz sunnitischer Muslime, abgelehnt (Rasmussen 1993, 58). Außerdem beschränkte sich der Einfluss der BAKWATA aufs Festland (Constantin 1995, 27). In den 1980er Jahren, bei zunehmender Kritik an der tansanischen Politik und vermehrten Forderungen nach Liberalisierung, wurde auch Kritik an und innerhalb der Bakwata lauter. Zunächst bildete sich schon 1975 innerhalb der BAKWATA die Gruppe Warsha (Warsha wa Waandishi wa Kiislam, Islamic Writers Workshop), deren Mitwirkende nach internen Konflikten 1982 aus der Bakwata ausgeschlossen wurden und dann als eigenständige Gruppe auftraten (vgl. Lodhi & Westerlund 1999, 106; Loimeier 2007 143 oder auch Rasmussen 1993).56 Zudem wurde versucht, die von der Muslim World League57 finanzierte BAMITA (Baraza wa Miskita wa Tanzania, Forum der Moscheen in Tansa-

55 Dieser Konflikt wird auch als ›Islamic crisis‹ bezeichnet (z.B. Rasmussen 1993, 58). 56 Unter anderem kam es 1982 bei einer maulidi Feier in Tabora, organisiert von der BAKWATA zu Auseinandersetzungen (Ludwig 1995, 217). Auf S. 226 schreibt Ludwig, dass die Gruppe Warsha 1982 bei maulidi Feiern in Tabora das erste Mal öffentliches Aufsehen erregte. Es ist anzunehmen, dass damit die gleichen Feierlichkeiten gemeint sind, auch wenn er dies nicht explizit ausführt. 57 Die Muslim World League (Rabitat al-alam al-islami) wurde 1962 im Rahmen eines Treffens in Mekka während der Hajj nach einer Diskussion über die Zukunft der umma im Angesicht der ›kommunistischen Gefahr‹ gegründet. Diese neue transnationale islamische Organisation sollte verschiedene salafitische und wahhabitische Strömungen vereinen. Sie wird durch die Saudische Regierung finanziert, als deren Sprachrohr sie auch wahrgenommen wird. Manchmal agiert die League allerdings auch entgegen saudischen Interessen. Weitere zur Muslim World League gehörende Organisationen sind unter anderem das World Supreme Council for Mosques, die International Islamic Relief Organisation und die Commission on Scientific Signs in the Quran and Sunna. Eine der Hauptaufgaben besteht in der Ausbildung und Koordination islamischer Prediger.

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nia) in Konkurrenz zur Bakwata zu etablieren. Dies scheiterte jedoch trotz der Unterstützung durch den damaligen sansibarischen Präsidenten und Vize-Präsidenten Tansanias Jumbe. Nach seinem Rücktritt 1984 verlor die BAMITA, die auf dem Festland nie in Erscheinung getreten war, auch ihren Rückhalt auf Sansibar.58 Die Pluralisierung der islamischen politischen Landschaft nahm in den folgenden Jahren zu, die neu gegründeten Organisationen standen zumeist in Konkurrenz zur Bakwata. Die Union of Muslim Youths, Union of Muslim Students und Union of Muslim Preachers sind alle drei ebenfalls mit dem Büro der Muslim World League in Dar es Salaam verbunden (vgl. Rasmussen 1993, 101). Die Muslim Students Association der Universität in Dar es Salaam (MSAUD, Jumuiya ya Wanafunzi wa Kiislamu) wurde in den 1990er Jahren bekannt, unter anderem durch die Herausgabe einer der einflussreichsten islamischen Zeitschriften des Festlandes, an-Nuur (Loimeier 2007, 144). Der Dar es Salaam University Muslim Trusteeship hatte insbesondere zum Ziel, die Bildungsmöglichkeiten für Muslime zu verbessern und wies durch Statistiken auf die Marginalisierung von Muslimen an Schulen und Universitäten hin (Lodhi & Westerlund 1999, 106-107). Diese Entwicklungen führten seit Anfang der 1980er Jahre zu einer Zunahme religiöser Konflikte, die sich zunächst innerhalb der muslimischen Gemeinschaft abspielten, aber bald auch darüber hinausgingen. So zog 1986 eine Gruppe junger muslimischer Gelehrter aus der BAKWATA durch Tansania und hielt eine Reihe öffentlicher Vorträge, die sich zum Teil gegen Christen und christliche Kirchen wandten (Rasmussen 1993, 101). Das öffentliche Ausbrechen religiöser Konflikte veranlasste Julius Nyerere 1985, im Jahr der Machtübergabe an Ali Hassan Mwinyi, auf die Gefahr hinzuweisen, dass ein religiöser Konflikt in Tansania wahrscheinlicher sei als ein ethnischer (Lodhi & Westerlund 1999, 105). In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu religiös begründeten (aber häufig politisch oder wirtschaftlich bedingten) Auseinandersetzungen. 1987 wurde von Sheikh Yahya Hussein die Balukta (Baraza la Uendelezaji Kuran Tanzania, National Association for the Promotion of the Quran in Tanzania) als Organisation zur Verbreitung des Islam gegründet (Loimeier 2005b, 143). Nachdem einige Mitglieder (u.a. Sheikh Yahya Hussein) 1993 in Angriffe auf drei Fleischereien in Dar es Salaam verwickelt waren, die Schweinefleisch verkauft hatten, wurde diese Gruppe jedoch aufgelöst. Zudem wurden die Regelun-

58 Sheikh Mwinyi Aboud Jumbe trat aufgrund von Konflikten innerhalb der CCM zurück. Auf Sansibar wurde nun die eigentlich für die BAMITA vorgesehene Arbeit von einer staatlichen waqf Kommission übernommen (Constantin 1995, 29).

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gen zur Anerkennung religiöser Organisationen verschärft.59 1992 wurde eine weitere Gruppe, die Baraza Kuu la Jumuia na Taasisi za Kiislam (Supreme Council of Islamic Organisations) gegründet, die versuchte die Position der Bakwata zu übernehmen (Lodhi & Westerlund 1999, 107).60 Immer wieder kam es auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Im Februar 1998 begannen nach der Verhaftung islamischer Prediger der Khidmat Dawa Islamiya (Service for Islamic Propagation) schwere Unruhen im Umfeld der Mwembechai Moschee in Dar es Salaam, die von der Polizei blutig niedergeschlagen wurden.61 Auf Sansibar gab es 2004 Ausschreitungen und Anschläge, deren Gründe wiederum in der Machtverteilung zwischen Muslimen lagen. Die Gruppe Uamsho (vgl. auch Kapitel 3, S. 90) rief zunächst zu Demonstrationen auf, unter anderem gegen die neue, im Mufti Law 200162 eingeführte, Zulassungspflicht für religiöse Gruppen. Der Protest richtete sich auch gegen den von der sansibarischen Regierung eingesetzten Mufti Harith bin Khelef. Auf dessen Haus wurde kurze Zeit später ein Anschlag verübt, ebenso wie auf verschiedene katholische Einrichtungen und ein vor allem von ausländischen Gästen besuchtes Restaurant.63 Interne Unzufriedenheit und externe Konkurrenz führte zu einer Neuausrichtung der Politik der BAKWATA, die immer mehr an Rückhalt unter den

59 Alle religiösen Organisationen müssen seitdem innerhalb eines Dachverbandes anerkannt werden (Ludwig 1995, 219). 60 Die Baraza Kuu hat enge Verbindungen zu sufististischen Bruderschaften und ist zudem mit der Warsha und dem Islamic Propagation Centre (IPC) in Dar es Salaam vernetzt (Loimeier 2007, 143 und Bruinhorst 2007, 99). 61 Die Verhaftungen standen im Zusammenhang mit christlichen und islamischen Predigten im Vorfeld. Die verhafteten Prediger sollen dabei anti-christliche Inhalte propagiert haben. Bei den Unruhen kamen mindestens 2 Menschen ums Leben (vgl. Oded 2000, 167; Rubanza 2008 und Njozi 2000). Letzteres Buch, das sich ganz dem Vorgehen der Polizei gegen die protestierenden Muslime widmet, ist in Tansania verboten. 62 Darin wird dem vom sansibarischen Präsidenten ernannten Mufti weitreichende Autorität in islamischen Fragen eingeräumt, wie zum Beispiel auch die Beilegung von Konfliktfällen innerhalb der islamischen Gemeinden, die Zulassung islamischer Feste und Aktivitäten, die Aufsicht über alle sansibarischen Moscheen und die Genehmigung von Veranstaltungen mit ausländischen Predigern sowie der Import islamischer Literatur nach Sansibar. Der Mufti verweigerte so zum Beispiel die Zulassung der Ahmadiyya und der Gruppe der Bahai in Sansibar (Bureau of Democracy 2008b). 63 Vgl. z.B. http://www.zanzibarhistory.org/2004_news.htm vom 31.01.2010.

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Muslimen verlor. Dieser Versuch, sich eine eigene Position zu erarbeiten, wurde auch durch die vermehrte Unterstützung durch arabische Staaten ermöglicht, die Geld für Moscheen, Schulen und Stipendien zur Verfügung stellten (Lodhi & Westerlund 1999, 103). Immer wieder wurden nun, zum Beispiel in der BAKWATA, Stimmen nach einer Wiedereinführung islamischer Gerichte, wie in kolonialer und vorkolonialer Zeit, und nach stärkerer Förderung islamischer Bildung laut. Der Grund für den Legitimitätsverlust der BAKWATA und die Etablierung oppositioneller islamischer Gruppen, die sich auch gegen den tansanischen Staat richteten, wurde vor allem in äußeren Einflüssen gesucht. Die Iranische Revolution 1979, der mit dem Öl-Boom verbundene Reichtum einiger arabischer Länder und das gestärkte Selbstbewusstsein in manchen islamischen Ländern (wie zum Beispiel Libyen unter Gaddafi), die wiederum durch ihre Botschaften auf andere Regionen wirken, werden oft als Erklärung herangezogen. Dies kann aber nicht alles erklären, da eine parallele Entwicklung im Christentum mit einer ähnlichen Stärkung von neuen religiösen Gruppen und Konflikten mit etablierten Gemeinden zu beobachten war (Ludwig 1995, 231). So spaltete sich in der Mount Meru Krise 1992 eine Region gewaltsam von ihrer Diözese, um eine eigene zu erhalten (Ludwig 1995, 219). Betrachtet man die internen Entwicklungen in Tansania, so scheint durch den wirtschaftlichen Niedergang in den 1980er Jahren, den Rückzug des Staates aus dem Sektor der sozialen Versorgung im Zuge der Strukturanpassungsprogramme und dem damit verbundenen Schwinden der Ujamaa Ideologie eine Lücke entstanden zu sein, an deren Stelle die Religion rückte (Ludwig 1995, 231).64 In den islamischen Gemeinden war dieser neue Trend insbesondere seit Ende der 1980er Jahre zu beobachten: »Apart from the usually limited political demands, Muslim revival in Tanzania, [...], has been noticeable in the growing number of mosque-goers and in the increased popularity of Islamic-style clothing.« (Lodhi & Westerlund 1999, 108) Gleichzeitig gab es, wie gezeigt wurde, zahlreiche Auseinandersetzungen innerhalb der religiösen Gemeinschaften, zum Beispiel zwischen der BAKWATA und ihren Konkurrenten. Im gleichen Jahr, in dem

64 Etwas anders drücken es Lodhi & Westerlund (1999) aus. Auch sie sehen eine Tendenz zu stärkerer Konflikthaftigkeit. Allerdings begründen sie dies damit, dass der Kommunismus als Feind weggefallen sei und Christen bzw. Muslime diese Lücke füllen (Lodhi & Westerlund 1999, 105) Vgl. auch Davis 2004, der argumentiert, islamische und christliche Bewegungen hätten im Zuge der SAPs eine ähnliche Position eingenommen wie sozialistische und anarchistische Bewegungen Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jh.

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auch das Mehrparteiensystem eingeführt wurde, verbot die Regierung jegliche öffentlichen Predigten (Ludwig 1995, 217). Kenia 1968 wurde die National Union of Kenya Muslims (NUKEM) gegründet, die eine Einigung aller Muslime und die Stärkung der Muslime der Coast Province gegenüber den christlichen Herausforderern in der KANU erreichen wollte (Oded 2000, 22-23). Außerdem setzte sie sich für die Beibehaltung des bisherigen Rechtssystems ein. 1973 wurde dann ein der KANU nahestehender Dachverband aller Muslime, die SUPKEM (Supreme Council of Kenya Muslims) gegründet.65 1996 hatte die SUPKEM rund 50 Distriktzweige und 150 Gruppen waren in ihr registriert (Oded 2000, 24). Allerdings sind nicht alle Muslime, wie einige südasiatische (meist schiitische) und lokale bzw. regierungskritische muslimische Gruppen, tatsächlich in dem Dachverband vertreten (Constantin 1995, 27; Oded 2000, 24). Ihre Staatsnähe und die damit verbundene Zurückhaltung bei bestimmten politischen Diskussionen, z.B. über die angesprochene Revision des Erbrechtes (›Succession Law Crisis‹) Anfang der 1980er Jahre wurde von vielen Muslimen kritisiert (Constantin 1995, 26). Durch das Fehlen eines Rückhaltes in der muslimischen Bevölkerung kommt es immer wieder zu finanziellen Engpässen, so dass geplante Projekte nicht umgesetzt werden können (Oded 2000, 24). Auch die Position des durch die Regierung eingesetzten Chief Qadis verlor seit den 1980er Jahren an Einfluss. Während Sheikh Abdallah al-Farsy66 als Chief Qadi bis 1982 relativ anerkannt war, wurde die Position unter seinen Nachfolgern geschwächt. Als Sheikh Nassor al-Nahdi die Nachfolge antrat, verschärften sich die Konflikte unter den Muslimen. In der Zeit der Liberalisierung Anfang der 1990er Jahre wurde die Position weiter in Frage gestellt. Zu seiner Regierungsnähe kamen Auseinandersetzungen mit dem neuen Imam der zentra-

65 Nicht nur die KANU war an dieser Gründung interessiert, sondern auch die Islamic Foundation, die die SUPKEM von Anfang an finanzierte (Constantin 1995, 26). 66 Sheikh Abdallah al-Farsy (1912-1982) wurde auf Sansibar geboren, ging aber nach der Revolution 1964 nach Kenia, wo er später auch eingebürgert wurde. Die Position des Chief Qadi hatte er von 1968 bis 1982 inne. Er wurde vor allem durch seine Koranübersetzung ins Swahili, die erste durch einen Sunniten, und seine Hinwendung zu islamischer Reform (d.h. gegen lokale Praxen) bekannt. Aus der kenianischen Politik hielt er sich weitestgehend heraus.

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len Jamia Moschee in Nairobi, Sheikh Ali Mohammed Shee.67 Deutlich wird dieser Machtkonflikt an einem Streit 1994. Sheikh Ali Mohammed Shee erklärte 1994 selbst den Beginn des Idd al Fitr (des Feiertages am Ende des Ramadan), nachdem er Meldungen von Somalis aus der North Eastern Province erhalten hatte. Er warf dem Obersten Qadi vor, er würde die Meinung der Somalis nicht anerkennen. Weiterhin wurde ihm vorgeworfen, nicht von Muslimen gewählt worden zu sein. Shee forderte stattdessen einen von Muslimen ernannten Kalifen (Oded 2000, 49-51). Um diese Konflikte zu lösen, wurde ein Majlis al-Ulamaa (Rat religiöser Führer)68 einberufen, der allerdings erfolglos blieb. Wie hier deutlich wird, verschärften sich die Konflikte zwischen Muslimen und dem Staat in Zeiten politischer Krisen und Auseinandersetzungen. Während Muslime beim Putschversuch 1982 eher eine pro-staatliche Position einnahmen69, kam es 1987 erstmals zu großen Spannungen, nachdem fünf tansanische Imame ausgewiesen worden waren, die in Kenia Veranstaltungen organisiert hatten (Oded 2000, 81). Nach der Ausweisung wurde eine Protestdemonstration organisiert, bei der viele Muslime festgenommen wurden. Zu den schwersten Auseinandersetzungen kam es allerdings 1992-1994 in Mombasa. Direkt nach der Bekanntgabe des Mehrparteiensystems wurde 1992 von muslimischen Aktivisten die IPK (Islamic Party of Kenya) gegründet, die zunächst großen Rückhalt in der Bevölkerung hatte70, zur Wahl jedoch nicht zugelassen wurde, da auf Religion basierende Parteien in Kenia verboten sind. Als im Mai 1992 einige Imame und Aktivisten der IPK festgenommen wurden, kam es zu den ersten gewalttätigen Konflikten in Mombasa. Bei den Protesten wurden Polizeistationen und andere öffentliche Einrichtungen, aber auch Geschäfte und Eigentum regierungstreuer Muslime angegriffen. Die brutale Niederschlagung der Proteste durch kenianische Sicherheitsbeamte, insbesondere der GSU (General Service

67 Durch Sympathien mit iranischen Schiiten verlor er seine politische Basis und musste 1996 als Imam der Moschee zurücktreten (Oded 2000, 54). 68 Unter anderem mit Sheikh Ustath Harith Swalih, Ali Shee, Ahmad Muhammad Msallam von der Saudischen Botschaft, als Gast war ein kuwaitischer Botschafter anwesend (vgl. Oded 2000, 50-51) Nach einer Reise einiger muslimischer Gelehrter nach Südafrika wurde 2005 einer neuer Versuch gestartet, eine Majlis Ulamaa ins Leben zu rufen, die, geleitet von Sheikh Khalfan Khamis Ismail, bis heute existiert. 69 Ein ethnischer Somali und Muslim war maßgeblich an der Verhinderung des Putschversuches beteiligt (vgl. Seesemann 2005b). 70 Die IPK ließ zum einen Forderungen der Mwambao Bewegung nach einer Autonomie der Küstenregion wieder aufleben. Zum anderen kritisierte sie die Dominanz christlicher Politiker in den kenianischen Parteien.

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Unit) war der Beginn einer längeren Zeit der Auseinandersetzungen (Oded 2000, 135). Die IPK radikalisierte sich zunehmend, auch durch einen Wechsel in der Führungsebene, in der nun Sheikh Khalid Balala71 zum Sprecher der Bewegung geworden war. Die Regierung reagierte nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit einem Eingehen auf einige von der IPK angesprochenen Probleme.72 Darüber hinaus unterstützte sie die Gründung einer Gegenbewegung, der UMA (United Muslims of Africa) durch afrikanische, regierungstreue Muslime. Diese stellten den Konflikt als eine Auseinandersetzung zwischen ›arabischen‹ (»brown«) und ›afrikanischen‹ Muslimen dar (vgl. Oded 2000, 155). Die Spannung wurde durch diese neue Gruppe noch größer und es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der IPK und der UMA, bis hin zu Mordaufrufen und Anschlägen auf Parteibüros (der KANU) und Wohnhäuser von Aktivisten, z.B. Balala (Oded 2000, 156). Diese Radikalisierung führte innerhalb der IPK zu Auseinandersetzungen um Extremismus. Nachdem Balala erklärte, er habe mehrere Selbstmordattentäter unter seinem Kommando, die nur noch auf seinen Befehl warteten, eskalierte der Konflikt und die IPK verlor immer mehr Anhänger. Balala wurde 1994 aus der Partei ausgeschlossen73, was schließlich zu deren Untergang führte (Oded 2000, 159). Die SUPKEM richtete sich im Zuge der Auseinandersetzungen gegen beide Organisationen, da sie darin Konkurrenten sah. Ähnlich wie in Tansania entstanden auch in Kenia einige neue islamische Organisationen, die die Rolle der SUPKEM in Gänze, bzw. zum Teil, übernehmen wollten. Schon in den 1980er Jahren entstanden Zusammenschlüsse muslimischer Studenten und Intellektueller, wie die Muslims Students Association of the University of Nairobi (MSAUN)

71 Vgl. das Kapitel über Balala in Oded 2000, 149-162, einem aus einer Hadrami Familie stammenden, in Mombasa geborenen und insbesondere in Saudi Arabien ausgebildeten Straßenprediger. 72 Die kenianische Regierung stellte in der Folgezeit mehr Geld für muslimische Organisationen zur Verfügung und vereinfachte die Regularien zur Hajj. Zudem trat Moi, der zuvor immer wieder durch anti-muslimische Bemerkungen (die er zum Beispiel bei öffentlichen Auftritten als Sklavenhändler bezeichnete, vgl. Seesemann 2005b) aufgefallen war, in mit dem Islam und der ostafrikanischen Küste verbundenen Kleidung, in kanzu und kofia auf, und beteiligte sich häufiger an islamischen Festen (Oded 2000, 153-54). 73 Balala gründete daraufhin die Islamic Salvation Front, die nach algerischem Modell agieren sollte. Er nannte sich später Sheikh General Balala oder auch Simba (Löwe) Balala (Oded, 2000, 160-162). Dieser zunehmende Größenwahn wird von Einigen seinem Aufenthalt in kenianischen Gefängnissen zugeschrieben.

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oder 1986 die Muslim Education Welfare Association (MEWA), die sich zum Ziel gesetzt hatte, säkulare Fächer an muslimischen Schulen und madaris zu verankern. Damit wollten sie gleichzeitig dem Bild des Islam als einer von moderner Bildung ausgeschlossenen Religion entgegentreten. Seit Beginn der 1990er Jahre kamen viele verschiedene NGOs hinzu, wie zum Beispiel 1994 die Maahad Daawah Organisation, die Bildungseinrichtungen und Projekte zur Armutsbekämpfung betreibt74, oder die Ummah Foundation (Nairobi), die 2003 als Koordinationsstelle für Moscheen in Nairobi gegründet wurde, ihre Aktivitäten inzwischen jedoch stark ausgeweitet hat.75 In Konkurrenz zur SUPKEM stehen aber vor allem all jene Organisationen, die sich seit den frühen 1990er Jahren zur politischen Repräsentation von Muslimen in Kenia gegründet haben. Diese vertreten meist unterschiedliche Interessengruppen und versuchen ihren Einfluss gegeneinander auszuweiten. Einigung wird nur bei bestimmten Themen erreicht, etwa politischen Ereignissen, die als weitere Marginalisierung von Muslimen interpretiert werden (wie etwa die Diskussionen um die neue Verfassung). Das 1997 gegründete Council of Imams and Scholars (CIPK) arbeitet von Mombasa aus und dient damit auch der Stärkung der Position der Muslime von der Küste. Der erste Chairman, Sheikh Ali Shee, war Anfang der 1990er Jahre an den Auseinandersetzungen mit dem Chief Qadi beteiligt. Er wurde von Sheikh Muhammad Dor abgelöst, der seit 2008 als erster Imam im kenianischen Parlament sitzt. Diesen Sitz konnte er durch das schon erwähnte Memorandum of Understanding des National Muslim Leaders Forum (NAMLEF) mit der ODM erringen.76 NAMLEF wurde erst im Vorfeld der Wahlen 2007 gegründet, mit der Unterzeichnung des MoU traten die Initiatoren an die Öffentlichkeit und positionierten sich so gegen die regierungsnahe SUPKEM. Gegen das MoU wiederum protestierte eine Gruppe namens United Congregation of Imams aus Nakuru, die damit Kibaki stärken wollte und nur in

74 Darüber hinaus bietet das von dieser Organisation betriebene Maili Tisa Centre (in der Nähe von Namanga) Stipendien für Konvertiten zum Islam an (vgl. Activity Report 2007/08; http://www.maahad.org/userfiles/file/Activities%20Report%202007%20-% 20Alfurqan.pdf ; 14.01.2010). 75 Die Aufgaben der Stiftung reichen vom Sammeln und Verteilen von Spenden, über Prison Rehabilitation Programmes (PRP), bis zur Mitarbeit an der Halal-Zertifizierung von Produkten. 76 Zu Muhammad Dor vgl. Muslim unity brought big results – NAMLEF chairman, Friday Bulletin 286, 24.10.2008.

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diesem Zusammenhang in Erscheinung trat.77 Zu diesen Gruppen kommen weitere hinzu, wie die schon erwähnte 2005 gegründete Majlis Ulamaa (z.T. auch als National Council of Muslim Scholars of Kenya bezeichnet) oder das Kenya Council of Imams and Ulamaa (KCIU). Auch die 2003 gegründete, der SUPKEM nahe stehende, Kenya Muslim Youth Alliance (KMYA), sieht sich als Vertretung aller Muslime in Kenia.78 Die Gründe für die Pluralisierung politischer islamischer Organisationen und die Entwicklung hin zu einem stärker politisch konnotierten Islam sind ähnlich zu denen in Tansania. Zum Einfluss globaler Prozesse, die durch Verbindungen zu arabischen und afrikanischen Staaten auch in Kenia zum Tragen kamen (in den 1960er Jahren spielte hier besonders Ägypten eine Rolle, in den 1970er und 1980er Jahren Libyen, später auch die arabischen Golfstaaten und der Sudan, sowie der Iran, vgl. Oded 2000, 112), kam die wirtschaftliche und politische Krise in den 1980ern sowie die Liberalisierung der 1990er Jahre hinzu. In Kenia spielte jedoch noch ein weiterer Faktor eine Rolle. Als 1991, im Zuge des Zusammenbruchs des Systems Siad Barres und dem damit auf das gesamte Gebiet Somalias übergreifenden Bürgerkrieg, hunderttausende Somalis nach Kenia flohen, wurden sie in den muslimischen Gebieten im Norden und an der Küste mit offenen Armen empfangen (Farah 2000, vi). Immerhin bedeuteten diese Migranten eine Stärkung der muslimischen Gemeinden.79 In den darauf folgenden Jahren entwickelten sich jedoch viele Konfliktlinien innerhalb der muslimischen Gemeinden zwischen kenianischen und somalischen Muslimen, letztere werden dabei für eine Zunahme eines fundamentalistischen Islam in Kenia verantwortlich gemacht. Der nach wie vor anhaltende Bürgerkrieg führt zudem zu großen Unsicherheiten in den vor allem von Muslimen bewohnten Grenzregionen.80

77 Muslims Leaders Split On Presidential Choice, The East African Standard (Nairobi), 04.10.2007. 78 Die KMYA gibt zudem die monatliche Zeitschrift New Dawn heraus, die sich mit einem breiten Spektrum an politischen und religiösen Themen befasst. 79 1991 flüchteten rund 400.000 somalische Muslime nach Kenia, das entsprach rund 15% der gesamten kenianischen muslimischen Bevölkerung. 80 So wurde der Regierung nach dem Bagalla Massaker 1998, bei dem zwischen 100 und 200 Kenianer in der North Eastern Province in einem Konflikt um Vieh vermutlich unter Mithilfe äthiopischer OLF (Oromo Liberation Front) Kämpfer ermordet wurden, vorgehalten, sich nicht um die Sicherheit der muslimischen Bevölkerung zu kümmern. Verbunden wurde dieser Vorwurf mit der Erinnerung an zwei weitere Massaker 1980 (Garissa Massaker) und 1984 (auch als Wajir Massaker oder als Wagalla Massaker

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8/7/1998 und 9/11/2001 Nach der Zunahme innenpolitischer Spannungen zwischen muslimischen Interessenvertretungen und staatlichen Institutionen seit dem Beginn der 1990er Jahre und einer stärkeren Positionierung von Muslimen als oppositionelle Kraft verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Muslimen und Staat weiter. Am 7. August 1998 explodierten vor den US-Botschaften in Nairobi und Dar es Salaam zeitgleich zwei Bomben. In Nairobi starben 258 Menschen, über 5.000 Menschen wurden verletzt, in Dar es Salaam kamen 12 Menschen ums Leben.81 Verantwortlich für die Tat waren muslimische Terroristen.82 Auch wenn die Hauptverdächtigen aus dem Ausland kamen, so hatten sie doch Unterstützer in Ostafrika und konnten die schlechte Sicherheitslage zum einen und Spannungen zwischen Muslimen und dem Staat zum anderen ausnutzen. In Ostafrika wird dieses Datum (in US-amerikanischer Schreibweise) ähnlich wie der 9/11 als 8/7 bezeichnet und stellt für diese Region den eigentlichen Beginn des ›Krieges gegen den Terror‹ dar (Seesemann 2007, 158).83 In Tansania wie in Kenia reagierte der Staat durch eine Verschärfung der Gesetzgebung und das Verbot einzelner islamischer Gruppen. Während in Tansania vier Jahre nach dem Anschlag ein ›Prevention of Terrorism Act‹ in Kraft trat, verhinderten in Kenia 2003 Menschenrechtsgruppen und religiöse, darunter auch christliche, Interessenvertretungen die Verabschiedung des ›Suppression of Terrorism Bill‹.84 Trotzdem wurden in Kenia als Folge der Anschläge einige islamische NGOs verboten, denen eine Zusammenarbeit mit fundamentalistischen Netzwerken nachgesagt wurde.85 Die muslimischen Gemeinden sahen in dem Verbot einen Versuch zur

bezeichnet), bei denen kenianische Sicherheitskräfte jeweils mehrere Tausend ethnische Somalis umbrachten (Oded 2000, 141). 81 Scheinbar sollte ein dritter Sprengsatz in Kampala (Uganda) explodieren, der aber rechtzeitig entdeckt wurde (Oded 2000, 82). 82 Vgl. zur juristischen Aufarbeitung der Bombenanschläge Hirsch 2006. 83 Die nach dem 11. September in Tansania und Kenia eingeleiteten Maßnahmen werden eher als Wiederholungen der Situation nach 1998 angesehen (Seesemann 2005a, 6). 84 Hauptsächlich wurde daran kritisiert, dass Terrorismus zu ungenau definiert sei und der Polizei zu großer Spielraum eingeräumt würde (Seesemann 2007, 169). 85 Darunter befanden sich die Mercy Relief International Agency, die al-Haramain Foundation, Help African People, International Islamic Relief Organization, die Ibrahim bin Abd al-Aziz al-Ibrahim Foundation. Auch die illegal operierende Rabitat al-Islam wurde geschlossen (Oded 2000, 84).

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Schwächung ihrer Lage.86 Sogar die SUPKEM setzte sich gegen dieses Verbot ein. Am Ende wurde ein Kompromiss gefunden, der vorsah, dass auch einige andere, nicht-muslimische NGOs nicht mehr in Kenia arbeiten durften und das Verbot nach Ablauf einer Frist einer Prüfung unterzogen werden solle. Eine Normalisierung der Verhältnisse war durch den 11. September 2001 auf der einen und weiteren Anschläge in Ostafrika, wie dem Anschlag auf das einem Israeli gehörende Hotel Paradise in der Nähe Mombasas am 28. November 2002, bei dem 15 Menschen starben87, auf der anderen Seite lange Zeit nicht möglich. Insbesondere in den Gebieten der kenianischen Küste wurden Verhaftungen und Razzien gegen mutmaßliche Terroristen durchgeführt, darunter auch gegen mögliche Beteiligte am Bürgerkrieg in Somalia, die große Empörung unter den Muslimen Kenias hervorriefen. Die kenianische Regierung arbeitete dabei eng mit amerikanischen Kräften zusammen. Da viele Muslime Terrorismus als ein von außen kommendes Problem betrachten, fühlen sie sich von den nach 1998 und verstärkt wieder nach 2001 eingeleiteten Maßnahmen in ungerechtfertigter Weise verfolgt und werten diese zum Teil als ›globalen Krieg der USA‹ gegen den Islam (Seesemann 2005a, 9). Allerdings wurden Muslime seit den Wahlen 2002 in Kenia und 2005 in Tansania stärker in die politische Entscheidungsstruktur eingebunden. In Tansania regiert seit 2005 wieder ein muslimischer Präsident.88 In Kenia sind in der 2008 geschaffenen Koalitionsregierung von 42 Kabinettsmitgliedern 13 Muslime. Im Parlament stellen Muslime 33 von 222 Abgeordneten. Dadurch wird auch die Situation muslimischer Interessenvertretung komplexer. So fordern zum Beispiel in Kenia Muslime die Auflösung der 2003 geschaffenen Anti-Terror

86 Schon Daniel Arap Moi hatte 1997 aus Angst vor islamischer Mission und islamistischer Politik mit einem Verbot bestimmter Organisationen gedroht, sollten diese sich in die Politik einmischen (Oded 2000, 84). 87 Über 80 Personen wurden verletzt. Kurz zuvor hatten Unbekannte mit Raketen auf ein israelisches Flugzeug, mit 275 Menschen an Bord, geschossen, das Flugzeug aber knapp verfehlt. Neben einer bis dahin unbekannten ›Army of Palestine‹ (Libanon) bekannte sich die al-Qaeda für den Anschlag verantwortlich (Seesemann 2007, 160-161). Die in Kenia angeklagten Verdächtigen wurden 2004 aus Mangel aus Beweisen freigesprochen (ebd, 170). 88 Seit dem Rücktritt Nyereres vom Präsidentenamt, wurde jeweils abwechselnd ein christlicher und ein muslimischer Präsident der Union bestimmt, die bisher auch immer zwei volle Amtszeiten (jeweils 5 Jahre) regierten. Da der Vizepräsident gleichzeitig Präsident von Sansibar ist, war dieser bisher immer ein Muslim.

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Police Unit, die zeitweilig wiederum einem Muslim, Major General Hussein Ali, unterstellt war.

3 Islamische Missionsbewegungen und Konkurrenz

Nicht nur die politische Situation und der gesellschaftliche Status von Muslimen und den muslimischen Gemeinden innerhalb der beiden ostafrikanischen Staaten haben sich in den letzten Jahren verändert, sondern auch das Verhältnis verschiedener muslimischer Strömungen zueinander. Zu den oben schon vorgestellten divergierenden politischen Interessenvertretungen kommen weitere, hauptsächlich im religiösen Feld tätige, Gruppen und Bewegungen hinzu.1 Zusammen ergeben diese unterschiedliche Lager, die sich immer wieder neu formieren, sich gegenseitig beeinflussen und in Konkurrenz zueinander stehen. Nachdem im letzten Kapitel gezeigt wurde, wie sich der Islam in Ostafrika etablierte und ein Überblick über verschiedene, schon lange in Ostafrika angesiedelte islamische Strömungen gegeben wurde, werden in diesem Kapitel vier der in den letzten 30 Jahren neu hinzugekommenen islamischen Missionsbewegungen, von wahhabitischen und salafitischen Ideen beeinflusste Gruppen, die Tablighi Jama'at, die schiitische Bilal Muslim Mission sowie die in Ostafrika entstandene Gruppe der Wahubiri wa Kiislamu (Islamische Prediger), vorgestellt. Anhand von empirischen Daten, die während der Forschung erhoben wurden, wird verdeutlicht, welche Veränderungen und Spannungen die missionierenden Gruppen und Bewegungen in den muslimischen Gemeinden bewirkt haben. Weiter wird beschrieben, wie diese Missionsbewegungen in Ostafrika tätig sind. Zum Schluss werden die islamischen Missionsbewegungen im allgemeinen

1

Die Begriffe ›Bewegung‹, ›Strömung‹ und ›Gruppe‹ bzw. ›Gruppierung‹ werden hier deskriptiv und nicht in Zusammenhang mit theoretischen Ansätzen, wie die zu ›neuen sozialen Bewegungen‹ oder ›neuen religiösen Bewegungen‹, verwendet. In Ostafrika werden zur Unterscheidung häufig Bezeichnungen wie ›sect‹ (im Sinne einer abgegrenzten Gruppe), ›movement‹ oder ›school of thought‹ (als religiöse/ideologische Ausrichtung) verwendet.

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Klima der religiösen Mission in Ostafrika verortet und es wird auf die spezifische Rolle, die Konversionen in diesem Feld der Konkurrenz zukommt, eingegangen. Bei meiner Rückkehr nach Kisumu 2007 erzählten mir einige meiner Interviewpartner von einem Konflikt, der sich ein Jahr zuvor in der Stadt entwickelt hatte. Anfang April zogen hunderte Muslime tanzend und begleitet von Ausrufen wie »Allahu Akbar« (Gott ist groß) von Kaloleni, einem Stadtteil Kisumus zur Jamia Moschee, der Hauptmoschee des Ortes, um dort den Geburtstag des Propheten Mohammed, maulidi, zu feiern. In der Moschee hatten sich jedoch schon andere Muslime versammelt, unter anderem der erst vor kurzem von der Gemeinde angestellte Imam Shaaban Yusuf, die die Neuankömmlinge davon abhalten wollten, die Moschee zu betreten und die Feier dort fortzuführen. In einem Zeitungsartikel2 wurde der Konflikt folgendermaßen beschrieben: »Hundreds of Muslims opposed to his [Shaaban Yusuf] leadership tried to storm the mosque, and hold parallel prayers. The protesters earlier marched through the streets to mark the Maulid, but were barred by police from entering the mosque where their rivals conducted prayers. Police had earlier cancelled their planned procession ›to avert chaos‹ after it emerged that the two factions had planned separate celebrations. Yesterday, a group led by the SUPKEM Kisumu branch chairman Abdulaziz Ayatola Komeini, defied the police order, saying they did not need a permit to celebrate the birth of the Prophet. [...] Chaos erupted after they broke through the police cordon and tried to enter the mosque, as their rivals used missiles like stones to repulse them. [...] The fight that lasted 10 minutes disrupted the procession, forcing the faithful, who included children, to retreat to the Kaloleni Mosque. [...] Yesterday’s skirmishes was the culmination of deep running hostilities between two factions of Muslim leaders in Kisumu. The group led by Mr Komeini claimed the Imam had been imposed on them, and wanted him removed. It claimed the Imam had brought in anti-Islam ideologies. Mr Khomeini said the Imam was support-

2

Violence at Muslims ceremony, Daily Nation, veröffentlicht auf der Webseite www.nation.co.ke am 17.04.2006. Der Artikel taucht auch in einem Internetdiskussionsforum von schiitischen Muslimen aus der indischen Kutch-Region (z.T. auch Kachchh geschrieben) auf (http://www.shiachat.com/forum/index.php?act=Print& client=printer&f=43&t=73081 vom 19.02.2009) Der Verfasser des Beitrages führte diesen mit folgenden Worten ein: »Mabrook, I congratulate the Kenyans on board the forum. Have a read through this and you’ll know exactly why.« Die Kutch-Region ist schon seit dem 19. Jh. durch Migration mit Ostafrika verbunden (vgl. Simpson 2008, 96).

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ing a group which had forced themselves on the leadership of the Kisumu Muslim Association. But members of the association and the supreme council accused police of favouring the other group. An official, Mr Abdul Gafoor, who led yesterday’s procession said a clique of Muslim officials were trying to bar them from using the mosque.«

Die kurz andauernde gewaltsame Auseinandersetzung forderte mehrere Verletzte. Auf den ersten Blick handelt es sich bei diesem Konflikt um eine der vielen Auseinandersetzungen, die sich um die Frage, ob und wie maulidi gefeiert werden sollte, entwickelten. Allerdings wird schnell deutlich, dass diese Feiern zwar Kulminationspunkt, aber nicht unbedingt einziger Auslöser der Konflikte zwischen verschiedenen Personen und Gruppen sind. Die Zuspitzung in Kisumu scheint mit der Anstellung von Shaaban Wegulo Yusuf durch die Kisumu Muslim Association zum neuen Imam begonnen zu haben. Dieser war zuvor in Nakuru tätig und hatte dort die Dominanz der salafitisch geprägten Muslime verstärkt.3 Ähnliches geschah nun in Kisumu und führte damit zu Konflikten innerhalb der Gemeinde. Die Kisumu Muslim Association stellt eine von der SUPKEM unabhängige Struktur dar, die die meisten Angelegenheiten der islamischen Gemeinden in Kisumu organisiert und regelt. Assoziationen wie diese gibt es in allen größeren Städten in Kenia. Alle Muslime können Mitglied der Kisumu Muslim Association werden und somit über die Leitung der Organisation mitbestimmen. Obwohl der Jahresbeitrag eher gering ist, er beträgt 60 KSh. (etwa 0,50 €), scheint nur ein geringer Teil der muslimischen Gemeinde die Beteiligungsmöglichkeit wahrzunehmen. Zur Kisumu Muslim Association gehören die meisten Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen (wie islamische Schulen und madaris) in Kisumu. Darüber hinaus ist sie im Besitz einiger Grundstücke und Immobilien (in Form eines waqf, einer islamischen Stiftung), deren Einkünfte wiederum für die Gemeinde bestimmt sind und von denen die Gehälter für Imame bezahlt werden. Vor einigen Jahren wurde dieser Rat von jüngeren Geschäftsleuten neu besetzt. Mir wurde erzählt, sie seien mit ihren Ideen zur Veränderung auf starken Widerstand gestoßen. 2004 wurde der bisherige Vorsitzende, der somalische Kenianer Haji Mohammed Isa Matani nach internen Konflikten abgesetzt. An seiner Stelle sollte ein aus der Region Kisumu kommender Muslim gewählt

3

Shaaban Yusuf wurde 1971 im Nordwesten Kenias bei Busia geboren. Nachdem er seine Ausbildung an einer madrasa in der Heimatregion abgeschlossen hatte, setzte er sie an der Küste an verschiedenen madaris, unter anderem in Kisauni, fort. Von 1992 bis 1997 studierte er in Medina, Saudi Arabien. Nach Nakuru kam er nach dem Tod des bisherigen Imams aus Lamu 2003 (vgl. Ahmed 2008a, 216-223).

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werden.4 Haji Mohammed Matani legte dagegen Widerspruch ein, dem auch stattgegeben wurde, durfte allerdings selbst das Amt nicht weiterführen (Ahmed 2008a, 277). Bei meinem letzten Aufenthalt 2007 hatten noch keine Neuwahlen stattgefunden und die Gemeinde blieb ohne wirkliche Leitungsstruktur.5 Der Vertreter der regierungsnahen SUPKEM (Supreme Council of Kenya Muslims) in Kisumu, Abdulaziz Ayatola Komeini, zog dagegen mit den Feiernden der Kaloleni Moschee durch die Stadt und widersetzte sich polizeilichen Anweisungen. Das zeigt auch, dass die SUPKEM innerhalb der muslimischen Gemeinde Kisumus nicht genügend Einfluss hat, um ihre eigene Politik durchzusetzen. Nicht in dem Artikel genannt, aber indirekt auch in die Konflikte verwickelt war Sheikh Muhammad Yunus Kamoga6 aus Nairobi. Der in Uganda geborene Mohammad Yunus kam 1979, nach der Vertreibung Idi Amins, nach Kenia und arbeitete als islamischer Prediger. Er gründete und leitete das Dar-al-Irshad Centre in Nguluni (Nairobi), das Kurse für Konvertiten zum Islam anbietet, und war als Imam an der Juja Road Mosque tätig. Ende 2008 musste er Kenia nach 30 Jahren verlassen, da ihm Kontakte zu somalischen Terroristen vorgeworfen wurden.7 Über ihn wurde erzählt, er sei ein ›Extremist‹, der seine ›Sekte‹, die

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Haji Isa war schon seit vielen Jahren in der Kisumu Muslim Association aktiv. Etwa 1935 in Nairobi geboren, zog er 1974 nach Kisumu. Schon kurze Zeit später wurde er stellvertretender Vorsitzender der Assoziation (vgl. Mwakimako 2007, 81). Er zeigte durchaus Sympathien für islamische Missionsbewegungen, wie die Tablighi Jama'at (siehe S.92) solange diese nicht zu radikal vorgingen und nicht zu sehr von salafitischen Ideen beeinflusst waren. Verdrängt wurde er jedoch nicht von der Gruppe, die später Shaaban Yusuf nach Kisumu holten, sondern eher aus anti-somalischen Ressentiments heraus (Gespräch mit Chanfi Ahmed, 2009). Ein in dieser Zeit erschienener Zeitungsartikel lässt, ohne Nennung von Namen, vermuten, dass Haji Isa neben Korruption auch sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde (Chief Qadi intervenes in case of embattled cleric, Daily Nation, 08. Juni 2004).

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Interview mit Nidal, 2007.

6

Persönliche Gespräche in Kisumu, 2007.

7

Neben Mohammad Yunus wurden Ende 2008 weitere muslimische Aktivisten aus Kenia ausgewiesen. Im Friday Bulletin Nr. 293 wurde unter der Überschrift Muslim Scholars now targeted in Terror war und auch in der folgenden Ausgabe 294 (12./ 19. Dezember 2008) über Sheikh Muhammad Osman Egal berichtet, einen britischen Staatsbürger, der ebenso wie Mohammad Yunus der Majlis Ulamaa Kenya angehörte. Auch er war missionarisch aktiv und stand der Al Manar Stiftung vor. Darüber hinaus hatte er den Bau einer islamischen Universität in Nairobi, Al-Andalus, geplant. Nach seiner Ausweisung zog er nach Abu Dhabi. Zwei weitere britische Staatsbürger,

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ahlu as-sunna wa al-jamaa, über andere Muslime stelle. Schon 2005 traf ich ihn zufällig, als er mehrere Vorträge in Kisumu hielt. 2007, bei meinem zweiten Aufenthalt, war auch er wieder in der Stadt. Mohammad Yunus gehörte in seiner Zeit in Kenia der Majlis Ulamaa (National Council of Muslim Scholars) an, die 2012 bei einem erneuten Versuch den Stillstand innerhalb der Kisumu Muslim Association durch eine Wahl aufzulösen gegen die Fraktion Haji Isas antrat. Die unterschiedlichen religiösen, politischen und ethnischen Fraktionen haben häufig eine Anbindung an einzelne Moscheen. Die Kaloleni Moschee wird hauptsächlich von lokalen Luo genutzt und ist die einzige der größeren Moscheen, die noch mit Sufi-Praktiken in Verbindung gebracht wird (Mwakimako 2007, 81). Die lange Zeit ebenfalls als Sufi-Moschee geltende Manyatta Arab Moschee wird von jemenitischen Arabern dominiert, von denen einige weiterhin an sufistischen Praktiken festhalten, andere diese inzwischen jedoch streng ablehnen. Die Railway Moschee hingegen gilt als wahhabitisch dominierte Moschee. Sie wurde erst 2003/2004 neu errichtet8, zur Hälfte finanziert durch einen Geschäftsmann aus Kisumu und zur anderen Hälfte von der saudischen NGO International Islamic Relief Organization9. Letzterer gehört auch das Gelände und darauf angesiedelt ein Büro, eine kleine Klinik sowie ein Waisenhaus. Nach dem gewaltsamen Konflikt 2006 wurde den Erzählungen einer Interviewpartnerin zufolge bei einem Treffen religiöser Führer (›elders‹) eine Nichteinmischung ausgehandelt. Die Railway Moschee in Kisumu steht wie bisher den maulidi-Gegnern zur Verfügung, während die Jamia Moschee als zentrale Moschee für alle Muslime offen bleiben soll.10 Trotz dieses Kompromisses haben sich die Kräfteverhältnisse in der Gemeinde in Richtung der maulidi-Gegner verschoben. Der Gemeindesekretär, den ich bei meinem ersten Forschungsaufenthalt in Kisumu 2005 kennengelernt hatte, gab 2007 seine Stelle aufgrund der Konflikte auf. Er sah sich zu sehr zwischen die Fronten gestellt.11 Auch eine gute Freundschaft mit Isa, einem meiner Interviewpartner (siehe Kapitel 9), beide waren zusammen in der Tablighi Jama'at aktiv, zerbrach über diesen Kon-

Sheikh Ibrahim Shariff Atass und Sheikh Ismail Rufai, mussten Kenia ebenfalls verlassen. 8

Schon 1912 wurde auf dem Gelände die erste Moschee Kisumus von am Eisenbahn-

9

Die IIRO ist die Hilfsorganisation der Muslim World League (vgl. auch S.66).

bau beteiligten Muslimen, zum Großteil aus Südasien, gebaut (Ahmed 2008a, 259). 10 Interview mit Nuru, 2007. 11 Auch er wurde als ›Extremist‹ bezeichnet, obwohl er sich selbst eher in einer ausgleichenden Rolle sah, und diese Bezeichnung auf andere anwendete. Von der Art wie dieser Konflikt ausgetragen wurde, war er persönlich sehr enttäuscht.

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flikt. Allerddings gab es 2007 2 eine starke pro-mauliddi Bewegung im i Hinterland Kenias. Grruppen von der Küste reisten n in verschieddene Orte, um m dort maulidi Feiern abzuuhalten. Auchh in Kisumu wurde w 2007 daas erste Mal seit s mehreren Jahren in deer Jamia Moscchee maulidi geefeiert. Abbbildung 2: Raillway Mosque Kisumu, K 2007

Quellle: Tabea Scharrrer

Konflikte warenn in Moshi und Nakuru zu bbeobachten.12 In I Nakuru erÄhnliche K fuhr ich zuuerst von Ausseinandersetzun ngen zwischenn der mehrheiitlich sunnitischen Gem meinde und scchiitischen Ko onvertiten. Zw wei zum schiittischen Islam konvertiertee Interviewparrtner erzählten mir, dass ihneen eines Tages im Jahr 2000 verboten w wurde, in der Hauptmoschee H in Nakuru zu beten.13 Allerrdings werden

12 In der L Literatur lassen sich weitere Beeispiele finden ((z.B. Ludwig 19 995, Bruinhorst 2007). E Eine 2006 durchhgeführte Forsch hung über Moschheen in Kenia stellte s fest, dass von den 103 untersuchteen Moscheen 62% heftige Konfllikte über Fragen n der religiösen Ausleguung und Praxis errlebt hatten (vgl. Mwakimako 20007, 6). 13 Beide geehörten zur Gem meinde der 12er Schia (auch 112er Khoja oderr Imamiten genannt), ddie zu diesem Zeitpunkt Z keine eigene Moscheee besaß. Zur Hauptgebetszeit H konnten sie die Moscheee der ismaelitisschen Khoja-Geemeinde nutzen,, die allerdings M bestan nd (Interview miit Bilal und Tariiq, 2004). 2007 nur aus ssüdasiatischen Muslimen hatten diie 12er Schiiten eine eigene Mosschee, gebaut voon der Bilal Musslim Mission.

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diese Konflikte nur sehr selten offen ausgetragen, auf der Straße grüßten sich alle Muslime. Für einen Fremden seien diese Aversionen also nicht offensichtlich. Aber wenn sie versuchten zur Hauptmoschee zu gehen, um dort am Gebet teilzunehmen, müssten sie Angst haben, verprügelt zu werden. Die Situation habe sich zwar mittlerweile entspannt, aber zur Hauptgebetszeit gingen sie immer noch nicht in diese Moschee. In ihren Augen ist dies aber kein Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten, sondern ein ›Wahhabiyya Problem‹. Diese ›Sekte‹ würde sich in der sunnitischen Gemeinde verstecken.14 Die Veränderung in der Gemeinde habe sich wenig später mit dem Umbau der zentralen Jamia Moschee vor drei bis vier Jahren fortgesetzt.15 Der Prozess der Umstrukturierung sei immer ein ähnlicher. Zunächst würde Geld, nach ihren Vermutungen in diesem Fall aus Saudi-Arabien, für die Veränderung der Bausubstanz der Moschee verwendet, dann würde der Imam bezahlt und nach und nach der Qadi und die Lehrer in den madaris. Dies sei ein schleichender Prozess, viele wüssten gar nicht selbst, dass sie dieser Sekte zuzurechnen sind, zumindest bezeichneten sie sich nicht so.16 Allerdings wurden auch in Nakuru 2007 maulidi Feiern veranstaltet. Dabei schien vor allem eine Hadrami Familie stark in die Organisation eingebunden zu sein.17 Eine meiner Interviewpartnerinnen, Badia, erzählte, sie hätten sogar eine verschlossene Moschee aufbrechen müssen, um maulidi zu feiern, da versucht wurde, ihnen den Zugang zu verweigern. Nach ihren Angaben wurden die maulidi Befürworter dabei durch Schiiten unterstützt. Auch in Nakuru wird schnell deutlich, dass diese Konflikte um religiöse Auslegungen und Praktiken eng mit Autoritäts- und Machtansprüchen Einzelner verbunden sind. Ähnlich wie in Kisumu werden diese über die Kontrolle der schon 1930 gegründeten Muslim Association of Nakuru ausgehandelt. Dabei stehen sich zwei Fraktionen gegenüber: eine Gruppe um den Sohn des früheren Vorsitzenden der Muslim Association aus einer arabischen Familie, und eine andere Gruppe um einen indischen Händler, der seit rund 40 Jahren in der Muslim

14 Dieses »They are hiding in the Sunni community« ist ein viel verwendetes Bild, das stark an verschwörungstheoretische Ideen erinnert. Allerdings kommt damit auch zum Ausdruck, dass sich nicht die gesamte sunnitische Gemeinde gegen Schiiten richte, sondern nur Einzelne, diese aber aus dem Schutz der Gemeinschaft heraus handelten. 15 Mit dem Umbau ist vor allem die Verstärkung der äußeren Mauer des Moschee-Geländes gemeint. Auch der abgetrennte Frauentrakt scheint in dieser Zeit errichtet worden zu sein. 16 Ihre Schätzungen gingen davon aus, dass schon 60% der sunnitischen Muslime in Nakuru den ›Wahhabis‹ zuzuordnen sei und diese Zahl eher größer als kleiner werde. 17 Zur Bedeutung der Familien aus dem Hadramaut vgl. Kapitel 2.

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Association in Nakuru aktiv ist.18 Nach dem Tod des langjährigen Vorsitzenden 1997 begann ein Machtkampf in der Gemeinde, der bis heute nicht gelöst ist. Immer noch sind mehrere Gerichtsverfahren, zur Rechtmäßigkeit der Wahl des Vorsitzenden wie auch zu Vorwürfen der Unterschlagung, anhängig. Auch wenn offiziell der indische Händler als Vorsitzender der Muslim Association genannt wird, haben die Fraktionen inoffiziell die Einflussgebiete, Moscheen und madaris, aber auch die zur Association gehörenden Immobilien, die monatlich immerhin rund 400.000 KSh. (rund 3500 €) an Mieteinkünften erbringen, untereinander aufgeteilt.19 Die ›arabische‹ Fraktion übernahm dabei vor allem Moscheen, in denen sufistische Elemente weiterhin praktiziert werden, während die ›indische‹ Fraktion für Moscheen zuständig ist, die eher einer wahhabitischen Ausrichtung nahe stehen. Die Kontrolle über die Einnahmen der Muslim Association ist wiederum wichtig für die Einstellung von Imamen und damit die religiöse Ausrichtung der Gemeinde. Der arabische inoffizielle Vorsitzende der ersten Fraktion erzählte mir 2010 stolz, in der Jamia Moschee sei es wieder gelungen ›ihren‹ Imam einzustellen, der sich nicht gegen Sufi-Praktiken wende. Beide Fraktionen versuchten die seit den 1990er Jahren neu in die Gemeinde hinzugekommenen somalischen Muslime (Flüchtlinge aus Somalia wie auch kenianische Somalis aus North Eastern Province) für sich zu gewinnen, die inzwischen etwa die Hälfte aller Muslime in Nakuru ausmachen (vgl. auch Scharrer 2011). Auch wenn diese eher den offiziellen Vorsitzenden der Muslim Association unterstützen, hatten viele von ihnen in dem oben beschriebenen Konflikt das Gefühl, nicht angemessen vertreten zu werden. Zunächst wechselte eine Gruppe somalischer Muslime in die nicht zur Muslim Association gehörende Railway Moschee. Etwas später begannen sie eine neue Moschee zu errichten. Die 2006 neu eröffnete große Al-Rahma Moschee, die direkt neben dem Katholischen Kirchenzentrum erbaut wurde, kann somit als Resultat der Konflikte in Nakuru angesehen werden. Nach Aussage von Bilal habe die Moschee, mit angeschlossener Internatsschule, etwa 10 Mio. KSh. (etwa 100.000 €) gekostet und sei vor allem von Somalis als Wahhabiyya Moschee gebaut worden.20 Anfangs wurde

18 Diese Angaben sind einer Festschrift der Muslim Association Nakuru von 1975 entnommen. 19 Interview mit einem Muslim, der allerdings kein Mitglieder der Muslim Association ist, 2010 in Nakuru. 20 Interview mit Bilal und Tariq, 2004. Diese Gleichsetzung von Somalis und ›Wahhabiyya‹ ist in Kenia sehr häufig anzutreffen. Dies unterstreicht noch einmal, dass als negativ betrachtete Formen des Islam als von außen ins Land getragen dargestellt werden. Allerdings wird in der Moschee in Kambi Somali, die vor allem von Somalis

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das Freitagsgebet in Arabisch und Somali abgehalten. Dies führte zu Vorwürfen der Abspaltung, so dass nun nur noch Arabisch verwendet wird. Allerdings nutzen Somalis auch andere Moscheen, die näher an ihrem Arbeits- oder Wohnort liegen, so dass unter nicht-somalischen Muslimen weiterhin die Angst besteht, dass ›ihre‹ Moscheen von somalischen Muslimen ›übernommen‹ werden.21 In Moshi hingegen zog sich ein Konflikt in der Riyadha Moschee, neben der großen hanafitischen Jamia Moschee am Busbahnhof die wichtigste Moschee in Moshi22, über rund 15 Jahre und eskalierte schließlich in einem Anschlag auf einen Muslim der BAKWATA. Mehrere Muslime erzählten mir, sie gingen zum Beten nicht mehr in die Riyadha Moschee. Dies sei ihnen zu gefährlich, denn dort würden die Männer mit Messern und Pangas die Moschee betreten, die sie beim Gebet neben sich legten.23 Bashir fragte zudem, warum solle er neben jemandem beten, der ihn am liebsten umbringen würde. Auch in Moshi wurde die Moschee Ende der 1990er umgebaut, um den Frauen- und Männerbereich stärker voneinander zu trennen.24 Die Auseinandersetzungen betrafen weniger das Abhalten bestimmter Feiern, sondern eher Machtstrukturen und damit verbunden die Verteilung und Verwendung von Spenden und anderer finanzieller Mittel.25 Inzwischen sei der Konflikt dadurch gelöst, dass eine neue Moschee in Pasua (einem armen Stadtteil in Moshi), das Answar Muslim Youth Centre, gebaut

genutzt wird die schon während der Kolonialzeit als Angehörige der britischen Armee und Administration nach Nakuru gekommen sind, maulidi weiterhin gefeiert (Interview mit dem Imam der Kambi Somali Moschee 2010). 21 Interview mit einem Mitglied der Parents and Teachers Association der an die AlRahma Moschee angegliederten Darul Ilmi Academy 2010. 22 Den meisten Touristen ist nur die Hanafi Moschee bekannt, die schon 1955-57 von südasiatischen Muslimen gebaut wurde. Sie gilt als die Moschee der Eliten und wird nach wie vor stark von südasiatischen Muslimen finanziert. Selbst der Imam kommt aus Indien. In der Riyadha Moschee dagegen finden die wichtigen internen Diskussionen statt. 23 Interviews mit Basim, 2004 und Bashir, 2007, beide in Moshi. Letzterem, einem somalischen Muslim, wurde mit Mord gedroht, nachdem er selbstverfasste Texte gegen die »followers of the hadith« (der Begriff Hadith bezeichnet die Überlieferungen über Mohammed, deren Summe die Sunna des Propheten bilden) publik machte. Diese Argumentation erinnert an Muhammad al-Ghazalis Kritik an Wahhabis als »hadith hurlers« (vgl. El Fadl 2007, 90). 24 Interview mit Bakri, 2007, Moshi. 25 Interviews mit Basim, 2007, und Bakri, 2007, Moshi.

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worden ist.26 Diese seien darüber hinaus in interne Konflikte verstrickt und haben daher an Einfluss verloren. Streitigkeiten um maulidi Feiern gab es zumindest in der Jamia Moschee nicht.27 Die Sufibruderschaften, die für diese Feiern lange Zeit verantwortlich waren, spielen jedoch auch in Moshi keine große Rolle mehr. Nur eine kleine Gruppe, die nach dem Gründer der Qadiriyya ›Gilanis‹ genannt werden, betet in einem privaten Wohnhaus jeden Mittwoch von abends bis in die Morgenstunden.28 Auch wenn die jeweiligen Darstellungen der Konflikte in den verschiedenen Orten von unterschiedlichen Interessen geprägt sind, ergibt sich ein ähnliches Bild der muslimischen Gemeinden im Hinterland Kenias und Tansanias. Die internen Konflikte scheinen ebenso hart ausgefochten zu werden, wie die problematischen Beziehungen zu staatlichen Institutionen oder gegenüber christlichen Gemeinden. Die Konflikte machen sich an religiösen Fragen fest (wie das Feiern von maulidi, die Bestimmung des Idd al Fitr und der Beziehung zwischen Sunniten und Schiiten), beziehen sich darüber hinaus aber auch auf Machtinteressen, im politischen wie im religiösen Feld, die vor allem über finanzielle Ressourcen und einflussreiche Positionen in den Gemeinden gesichert werden sollen. Entwickeln sich die Konflikte zu einer gewaltsamen Form, kommt es häufig zu Abspaltungen, d.h. eine der Gruppen baut für sich eine eigene Moschee oder ein eigenes Gemeindezentrum.

26 Über deren Versuche, Muslime von anderen Moscheen abzuwerben und zu ihrer Moschee zu bringen, gibt es vielfältige Gerüchte – unter anderem, dass junge Männer als Geschenk ein kleines Motorrad erhielten. Außerdem erzählte Basim, dass dort Karate-Unterricht statt fände. 27 In der Jamia Moschee wird maulidi zwar gefeiert, aber in einer eher ruhigen Form ohne Trommeln oder andere Musikinstrumente. 28 Der Name der Gruppe wird manchmal auch als ›Delanis‹ ausgesprochen und bezieht sich auf den Gründer der Qadiriyya Abdulkader Gilani (1088-1166). Das Wohnhaus, in dem sie beten, gehört einem Familienmitglied eines hochrangigen Politikers (Basim, 2007). Bashir sah in dieser Gruppe zwar diejenigen, die den Islam nach Moshi brachten, machte sich jedoch gleichzeitig über ihr Auftreten mit lautem Singen, Trommeln und Lautsprechern lustig: »Only people who are not intelligent follow this, others know they don’t have to shout, so that God is listening.« (Interview mit Bashir, 2007).

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3.1 S TRÖMUNGEN

ISLAMISCHER

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M ISSION

Wie in Kapitel 2 gezeigt wurde, bestimmten in Ostafrika lange Zeit sufistische Praktiken und Auslegungen die Art wie Islam gesellschaftlich wahrgenommen und eingebunden wurde. Die Islamisierung ab Mitte des 19. Jh. ging vor allem auf das Wirken der großen Sufi-Orden Qadiriyya und Shadhiliyya zurück, lokal waren weitere Orden wie zum Beispiel die Alawiyya einflussreich. Im heutigen ostafrikanischen Hinterland spielt sufistischer Islam jedoch nur noch eine untergeordnete Rolle. Seit Ende des 20. Jh. gewannen andere islamische Bewegungen an Bedeutung und verdrängten zum großen Teil die vorherrschenden Sufibruderschaften. Diese neuen Bewegungen existieren parallel zueinander, stehen häufig in einem konfliktiven Verhältnis, beeinflussen sich jedoch auch gegenseitig in ihren Ideen und missionarischen Praktiken. Neben global agierenden Bewegungen, wie der Tablighi Jama'at, der salafitischen Muslim Brotherhood oder von wahhabitischen Ideen geprägten Bewegungen sind auch in der Region entstandene Gruppierungen aktiv. Diese Strömungen werden im Folgenden dargestellt. Die Ahmadiyya29 als Vorläuferbewegung war die erste der in der zweiten Hälfte des 20 Jh. in Ostafrika missionierenden islamischen Gruppierungen. Der von ihr ausgesandte Missionar, Mubarak Ahmad, kam 1934 nach Mombasa und war bis 1962 Leiter (Amir) der Ahmadiyya Muslim Mission für Kenia, Tansania und Uganda.30 Das Zentrum der Missionsbewegung, mit angeschlossener Druckerei,

29 Die Ahmadiyya ist eine messianische Bewegung, die 1889 von Mirza Ghulam Ahmad gegründet wurde, dem zudem der Status eines Messias und Propheten zugesprochen wird. Sie ist eine der aktivsten und kontroversesten islamischen Bewegungen. Sie entwickelte sich in Auseinandersetzung mit den sunnitischen ulama, christlichen Missionaren sowie der hindu-nationalistischen Bewegung Arya Samaj. Vor allem seit der Verlegung des Hauptquartiers der Bewegung von Indien nach Pakistan 1947 (nach der Teilung der beiden Staaten), in die eigens erbaute Stadt Rabwah, kam es zu starken Konflikten mit Sunniten, die zunehmend gewaltsam ausgetragen wurden. 1974 wurde die Ahmadiyyah formal von der pakistanischen National Assembly als nicht-islamisch erklärt. Nach dem Tod von Ahmad (1908) und seinem Nachfolger Nuruddin (1914) splittete sich die Ahmadiyya in zwei Fraktionen auf, die Qadiani und die Lahori, die keine Verbindung untereinander haben (Friedmann 1995). 30 Vgl. http://www.alislam.org/holyprophet/critique.html vom 01.11.2006. Ahmed Mubarak war nach seiner Zeit in Ostafrika in weiteren Ländern, u.a. in Großbritannien und den USA, aktiv. Er starb 2001.

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befand sich zuerst in Tabora, wurde später aber nach Nairobi verlegt. Die Missionsarbeit bestand vor allem im Aufbau islamischer Zentren, Moscheen und Schulen sowie in der Verbreitung islamischer Schriften. Mubarak Ahmed begann 1936 als erster Muslim den Koran ins Swahili zu übersetzen.31 Weiterhin begann er die Herausgabe einer monatlichen Zeitschrift in Swahili, Mapenzi Ya Mungu (Liebe zu Gott), die 1957 nach Aufforderung aus Rabwah, durch die englischsprachige East African Times erweitert wurde. Darüber hinaus publizierte die Ahmadiyya Muslim Mission einen Koran-Kommentar, der auf Schriften von Mahmud Ahmad basierte und ebenfalls von Mubarak Ahmad ins Swahili übersetzt wurde.32 Diesem 1953 erschienenen Band ist deutlich die Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensgrundsätzen anzumerken (Fisher 1963, 192). Hierin ist auch die eigentliche Bedeutung der Ahmadiyya in Ostafrika zu sehen – sie fungierte als ein neues Modell zur islamischen Missionierung und zur Auseinandersetzung mit christlichen Bekehrungsbestrebungen. Auch wenn die Ahmadiyya seit den 1970er Jahren kaum neue Anhänger gewinnen konnte, gilt sie immer noch als Konkurrent anderer islamischer Bewegungen. In diesem Kontext ist auch die Verweigerung staatlicher Anerkennung durch den Mufti von Sansibar zu sehen, der als Begründung angab, ihre Lehre widerspräche dem Islam (Bureau of Democracy 2008b).33 Der Zeitpunkt verstärkter islamischer Missionsbewegungen von sunnitischer Seite lässt sich nicht genau bestimmen. Neben dem Einfluss islamischer Reformbewegungen durch Schriften und einzelne Gelehrte34 waren hierbei frühzeitig staatliche Strukturen in die Verbreitung des Islam eingebunden.35 Schon

31 Dieser wurde jedoch erst 1953 als »Kurani Tukufu« veröffentlicht. Zuvor, 1923, publizierte schon Godfrey Dale, ein christlicher Missionar, eine Koranübersetzung ins Swahili (Lacunza-Balda 1997, 96-102). 32 Dieser Koran-Kommentar wurde unter anderem in den Mau Mau Internierungslagern verteilt (Fisher 1963, 191-192.) 33 Die Ahmadiyya ist durch ihren Alleingeltungsanspruch ohnehin unter vielen Muslimen umstritten, dies verstärkt das Misstrauen ihren Missionsbemühungen gegenüber noch mehr. 34 Abdallah Saleh Farsy (1989) berichtet zum Beispiel in seiner Hagiographie der schafiitischen ulama über Sayyib Mansab, der Ende des 19. Jh. viele der von Reformern herausgegebenen Zeitschriften, wie ›Al-Manar‹ las, dadurch aber auch zum Außenseiter unter den Gelehrten Sansibars wurde (Farsy 1989, 24). 35 Auch diese standen häufig in einem Konkurrenzverhältnis. Oded (1987) schrieb dazu: »In Kenya, for example, there is open competition, mainly between Saudi Arabia und Libya, and between Iraq and Iran, for influence among the local Muslims.« (Oded

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in den 1950er Jahren entdeckte der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser die Möglichkeiten politischer Einflussnahme durch die Unterstützung islamischer Aktivisten (Oded 1987, 281). So wurde 1964 der islamische Radiosender Saut al-Islam (Stimme des Islam) eingerichtet, der ein Jahr später auch in das subsaharische Afrika sendete. Dabei spielte die Al-Azhar University eine aktive Rolle (Oded 1987, 296).36 Die Iranische Revolution von 1979 stellt einen weiteren Einschnitt dar, da danach sowohl die schiitische Mission deutlich intensiviert wurde (vor allem über Botschaften, zum Teil auch durch die später ausführlicher beschriebene Bilal Muslim Mission), als auch Saudi-Arabien im Gegenzug sunnitische Missionsbemühungen in sehr viel stärkerem Maße unterstützte als zuvor. Bedeutsam für die Verbreitung dieser neuen Ideen ist die erhöhte Mobilität von Menschen, Ideen und Finanzen. Seit den 1970er Jahren studieren junge islamische Gelehrte zunehmend im arabischen oder asiatischen Ausland. Inzwischen hat sich auch die Islamic University in Khartoum, Sudan, zu einem Zentrum des Austauschs zwischen West- und Ostafrika entwickelt.37 Die dadurch entstandenen Veränderungen in der islamischen Lehre sind so oder ähnlich auch in anderen afrikanischen (wie auch nicht-afrikanischen) Ländern zu beobachten.38 Nicht nur Studienreisen tragen jedoch zur Verbreitung bestimmter Ideen bei, sondern auch Geschäftsreisen oder die Hajj nach Saudi Arabien. Diese ist noch in anderer Hinsicht ein wichtiger Faktor – für die Vereinbarung von Kooperationen (vgl. Oded 1987, 298) und den Transport finanzieller Mittel aus der arabischen Welt nach Ostafrika. Darüber hinaus sind seit den 1960er Jahren in Ostafrika sehr viele verschiedene islamische NGOs39 wie auch staatliche Orga-

1987, 304) Allerdings ist seine dabei getroffene Unterteilung zwischen moderaten (Saudi Arabien und Kuweit) und extremistischen (Ägypten und Libyen) Ansätzen fragwürdig (vgl. ebd., 303 f.). 36 Auch Libyen war seit al-Gaddafis Machtübernahme 1969 sehr aktiv an der Unterstützung des Islam in Afrika beteiligt (Oded 1987). Allerdings ist seit den frühen 1990er Jahren eine Abkehr von Pan-Arabischen Ideen hin zu innerafrikanischer Politik zu konstatieren, begleitet von einer Neuinszenierung Gaddafis als Friedensstifter und Wohltäter (Huliaras 2001), wobei er diese Rolle nicht immer aufrecht erhält (vgl. S. 119). 37 Gespräch mit Chanfi Ahmed, 2007. 38 Zu Südafrika z.B. Tayob 1999, zu Westafrika Schulz 2008b oder Janson 2005, zum Sudan vgl. Mahmood 2005 sowie zu Nordafrika Hirschkind 2006. 39 Nach Ahmed (2009) sind diese NGOs stark vom »Red Cross complex« geprägt – das Rote Kreuz wird als christlich-westliche Missionierungsinstitution gesehen, die es zu

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nisationen aktiv, die sich vor allem in den Bereichen der sozialen Versorgung und Bildung angesiedelt haben. So können muslimische Studenten, wenn sie nicht die Möglichkeit eines Auslandsstudiums erhalten, auch in ihrem Land eine islamische (Hoch-)Schule besuchen.40 Mohammed Bakari beschreibt für Kenia, wie sich die Zusammensetzung und Ausrichtung der ulama41 seit den 1960er/70er Jahren änderte. Wie Kapitel 2 unter anderem zeigte, wurden die ulama in Ostafrika lange Zeit mit bestimmten shurafa-Familien assoziiert, aus der ein Großteil der Gelehrten kamen und die auch für die islamische Ausbildung bestimmend waren. Dies änderte sich durch die neuen Bildungsmöglichkeiten im Nahen Osten, sowie Ägypten, Libyen oder dem Sudan, die durch finanzielle Unterstützung nun einer größeren Gruppe von Muslimen zur Verfügung standen. Bakari (1995) schrieb dazu: »To many, the traditional pursuit of knowledge for its own sake is no longer the ideal; the ideal is to secure a Saudi Shahadah or degree which will ensure a job with one of the Saudi missionary organizations as one of the Mab'uthin [Gesandter, hier auch Missionar, Pl. von Mab'uth] and thus earn a salary that is the envy of many Western educated graduates.« (Bakari 1995b, 172)42

bekämpfen gilt, deren Methoden auf der anderen Seite nachgeahmt werden, um ebenso erfolgreich agieren zu können (vgl. Ahmed 2009, 426-427). 40 Wichtige Institutionen sind zum Beispiel das 1971 in Dar es Salaam gegründete ägyptische Islamic cultural center, das später mit Hilfe der Al-Azhar University (Kairo) ausgebaut wurde, sowie die 1988 von der Organisation of the Islamic Conference (OIC) gegründete Islamic University in Kampala, Uganda (vgl. Oded 1987). 41 Bakari definierte den Begriff ›ulama‹ in folgender Weise: »Within the Kenyan context, the Ulama can be defined as that collective body of individuals who have been schooled, either formally of informally in the Islamic disciplines and who, on formally completing their studies, have pursued careers or keep an interest in Islamic studies.« (Bakari 1995b, 173). 42 Insbesondere über das Studium in Saudi-Arabien schrieb er weiterhin: »Within the East African context, Medina has played an integrative role among Muslim Ulama of diverse ethnic backgrounds. They have met, studied together and shared a common experience not only with fellow East African but scholars from other parts of the Islamic world.« (Ebd., 193) Das im oben stehenden Zitat auftauchende Argument des finanziellen Anreizes wird allerdings auch gerne von Gegnern der Salafiyya verwendet, um ihre Widersacher zu diffamieren.

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Die Graduierten kamen mit neuen, von den alten schafiitischen, hadramitischen Sichtweisen variierenden, zurück und waren zum Teil glühende Verfechter salafitischer und wahhabitischer Ideen. Der Einfluss der alten ulama wurde immer mehr verringert und es kam zu heftigen Konflikten innerhalb der islamischen Gelehrtenschaft, die eine Polarisierung in ›pro- und anti-Wahhabiyya‹ Lager zur Folge hatte (Bakari 1995b, 172). Neben ›traditionellen‹ ulama gab somit konkurrierende ›moderne‹, die allerdings in sich wieder heterogen sind.43 Zudem bildete sich in Ostafrika ein neuer Typ des islamischen Missionars (dai oder seltener da'iya, Pl. duat, abgeleitet von dawa) heraus (Oded 1987, 294).44 Salafiyya und Wahhabiyya Die salafitischen und wahhabitischen Strömungen setzen sich aus vielen verschiedenen Akteuren – Einzelpersonen, Gruppen, NGOs und Geldgebern – zusammen, die eine große Bandbreite von Ideen vertreten. Allerdings gibt es Ähnlichkeiten in der Ideologie, die hier zunächst kurz vorgestellt wird. Danach wird auf einige in Ostafrika besonders aktive Akteure näher eingegangen.

43 Einige der ›modernen‹ ulama kommen jedoch auch aus alten Swahili Familien. 44 Hirschkind (2006) beschreibt für Ägypten vor allem seit den 1950er Jahren eine ähnliche Entwicklung. Mit der Professionalisierung der Aufgabe des khatib (demjenigen, der die khutba, die Predigt während des Freitagsgebets, hält) und seiner stärkeren Einbindung in staatliche Strukturen ging seine normative religiöse Autorität verloren. Gleichzeitig bildete sich die neue Figur des religiösen Aktivisten heraus, der häufig eine eher säkulare Ausbildung erhalten hatte und somit nicht zu den ulama gehörte, sondern eher eine Figur moderner privater Frömmigkeit darstellte. Statt als 'alim (Gelehrter) wurden sie zunehmend als da'iya bezeichnet (Hirschkind 2006, 39-59). Der Begriff des dai ist jedoch nicht neu. Schon früh wurden damit religiöse Führungsfiguren abtrünniger islamischer Gemeinschaften bezeichnet. Gaffney (1987) unterscheidet Weber folgend zwischen drei Typen islamischer Prediger: dem Heiligen oder wali assoziiert mit Sufibruderschaften, dem Gelehrten oder 'alim, dessen Autorität sich aus seinem Wissen speist und dem Aktivisten, der historisch mit dem heiligen Krieger oder mujahid und heute mit Laienbewegungen wie den Muslimbrüdern (Ägypten) verbunden werden kann (Gaffney 1987, 204-205) und somit mit dem dai gleichgesetzt werden könnte. Ein ostafrikanisches Beispiel für einen dai kann in Capt. (Rtd) Yahya Atei Ondigo (Nairobi) gesehen werden, einem früheren Angehörigen der kenianischen Armee und Konvertiten zum Islam, der seine Konversionserzählung als Epilog in einem Buch über »Muslim-Christian Interaction Past, Present and Future« festhielt.

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Die Wahhabiyya ist eine der frühen Formen des modernen islamischen Fundamentalismus45, die sich weniger in Auseinandersetzung zur europäischen Moderne (und Kolonialismus) herausbildete, sondern eher eine Reaktion auf politische Veränderungen, die Fragmentierung und den Einflussverlust des Osmanischen Reiches im 18. Jh., darstellte (Voll 1994, 349). Die Lehren von Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (1703-1792) beruhten auf der Ablehnung aller aus seiner Sicht ›nicht-islamischen Praktiken‹ als bid'a, (hier unerlaubte) Neuerung. Dies leitete er aus einer Neuinterpretation der Grunddoktrin der Einheit Gottes (tawhid) her, die sich seiner Ansicht nach nicht nur im Glaubens-Bekenntnis, sondern vor allem in den Taten von Muslimen ausdrücken sollte. Alle religiösen Praktiken, die sich nicht ausschließlich an Gott richteten, wie zum Beispiel der Besuch von Heiligengräbern (ziyara), wurden von ihm als Polytheismus bzw. als Gleichsetzung anderer Wesen oder Dinge mit Gott (shirk), eingeordnet. Anhänger dieser Praktiken wurden von ihm somit als außerhalb des Islam stehend angesehen, auch wenn sie die ›fünf Säulen des Islam‹46 einhielten. Das Verständnis des Islam sollte vor allem durch eigenständige Meinungsfindung (ijtihad) auf der Grundlage von Koran und Hadith (der Überlieferungen über das Leben und Wirken Mohammeds, die in ihrer Summe die Sunna des Propheten abbilden) erlangt werden. Es wurde abgelehnt, einer der vier Rechtsschulen zu folgen, da die Gläubigen nur auf Gott hören sollen, anstatt sich blind an der Tradition (taklid) zu orientieren. Die wahhabitische Bewegung gewann auf der arabischen Halbinsel Mitte des 18.Jh. an Einfluss, als die Al-Saud-Familie ihre politische Macht mit den religiösen Lehren von (Muhammad) Ibn Abd al-Wahhab

45 Der Begriff Fundamentalismus wurde 1920 von Curtis Lee Laws, einem Baptisten-Prediger, geprägt, der schrieb, »... that a ›fundamentalist‹ is a person willing to do ›battle royal‹ for the fundamentals of the faith.« (Ammerman 1994, 2) Ammerman (1994) stellt weiter fest, im Kern fundamentalistischer Theologie stünde der Versuch im Angesicht der Moderne nicht die religiöse Praxis daran zu adaptieren, sondern eine ›Reinheit des Glaubens‹ wiederherzustellen. Von orthodoxen und konservativen Strömungen unterscheidet sich der Fundamentalismus insofern, als dass »[...] it is a movement in conscious, organized opposition to the disruption of those traditions and orthodoxies.« (Ammerman 1994, 14) Es geht also nicht um die Bewahrung einer bestimmten Ordnung, sondern um den Wandel hin zu einer als ideal gedachten Struktur. In Betrachtung dieser Definition können auch einige islamische Reformbewegungen unter den Begriff des Fundamentalismus gefasst werden. 46 Die ›fünf Säulen des Islam‹ stehen für das Glaubensbekenntnis, die fünf täglichen Gebete, die Gabe von Almosen, das Fasten während des Ramadan und wenn möglich die Hajj nach Mekka.

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verbanden. 1773 wurde Riyadh eingenommen und damit die politische Herrschaft gefestigt. Als Salafiyya wird eine Ende des 19. Jh./ Anfang des 20 Jh. von Jamal al-Din al-Afghani (1839-1897) und Muhammad Abduh (1849-1905) begründete intellektuelle Reformbewegung gegen eine ›Mentalität der blinden Imitation und Stagnation‹ bezeichnet. Aufbauend auf Ideen von Ibn Taymiyyah (1263-1328) wurde an einer Reformation der moralischen, kulturellen und politischen Grundlagen der Muslime und einer Revitalisierung des Islam, in Abgrenzung zu einer empfundenen westlichen Vorherrschaft, gearbeitet. Später wurden Muhammed Rashid Rida (1865-1935) und die von ihm herausgegebene Zeitschrift al-Manar wichtige Ideengeber. Diese stellte gleichzeitig die ideelle Verbindung zur ägyptischen Muslimbruderschaft (al-Ikhwan al-Muslimun) dar.47 Einige Vertreter der Salafiyya versuchten nachzuweisen, dass der Islam als holistische Religion, die alle Aspekte des Lebens umfasse, auch für die Moderne kompatibel sei und die Grundlage für Fortschritt darstellen könne (aus diesem Grund kann die Salafiyya als Teil des ›Islamic modernism‹ bezeichnet werden). Ziel der Bewegung, insbesondere in der Auslegung von Muhammad Abduh, war die Rückkehr zum als ›goldenes Zeitalter‹ angesehenen ursprünglichen Islam der Vorväter (der ersten drei Generationen), der salaf. Neben der Revitalisierung des Islam stellte die Reinterpretation eine zweite wichtige Komponente dar. Neben unveränderlichen Elementen, die im Koran und in der Sunna vorgeschrieben sind und die in Kampagnen gegen Sufis und bid'a wieder hergestellt werden sollten, wurde auch die

47 Die Muslimbrüderschaft (al-Ikhwan al-Muslimun) wurde 1928 in Ägypten von Hassan al-Banna (1906-1949) gegründet, um die Ideen der Salafiyya unter der Bevölkerung zu verbreiten. Aus der ursprünglich rein religiösen Vereinigung wurde schnell ein politischer Machtfaktor. Schon Ende der 1940er Jahre stellten die Muslimbrüder mit einer sehr dichten Organisationsstruktur und rund 1 Mio. Mitglieder und Sympathisanten einen Staat im Staate dar. Den Auseinandersetzungen mit der Regierung 1948/1949 fielen der ägyptische Premierminister sowie al-Banna selbst zum Opfer. Nachdem Hoffnungen auf politische Teilhabe nicht erfüllt wurden, kam es 1954 und 1965 zu weiteren Auseinandersetzungen. Unter Sayyid Qutb radikalisierte sich die Bewegung noch stärker. Sein ideologisches Kernkonzept der djahiliyya (Unwissenheit der vorislamischen Zeit, das auch für eine neue Ära der moralischen Ignoranz steht) war wiederum beeinflusst von Ideen Ibn Taymiyyas und Sayyid Abul Ala Maududi. Ausweg aus der djahiliyya bietet einzig die Anerkennung der totalen Souveränität und Herrschaft Gottes. Die Verbreitung der Ideologie der Muslimbrüder begann über ihre Schriften schon relativ früh. Zudem stellten sie während der Hajj in den 1940er/ 1950er Jahren spezielle Zelte in Mekka auf, um Pilger zu konvertieren (Ayubi 1995).

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Veränderlichkeit der Welt gesehen, zum Beispiel in Gesetzen, die das soziale Miteinander regeln. Dies ist die Domäne des ijtihad, der unabhängigen Auslegung von Inhalten. Daher spielte Bildung eine zentrale Rolle für die Herausbildung eines neuen Typs von islamischer Elite, die islamisches Wissen und moderne (Natur-)Wissenschaft verbinden sollte. Ein weiterer wichtiger mit diesen Bewegungen verbundener Begriff ist islah (Reform). Damit ist allerdings nicht eine Reform des Islam an sich gemeint, sondern es geht um die Behebung von ›Missverständnissen‹ (wie den unerlaubten Neuerungen, bid'a) und damit um die Wiederherstellung der als ursprünglich angenommenen Bedeutung, um eine Re-Formierung des Islam. Durch diese Bewegung wurde ein neues Vokabular zur ›Verteidigung‹ des Islam geschaffen, das von Fundamentalisten aufgegriffen wurde (Voll 1994, 356). Insbesondere seit den 1970er Jahren vermischten sich salafitische und wahhabitische Ideen immer stärker, so dass heute keine klare Trennlinie zwischen diesen beiden Orientierungen mehr gezogen werden kann (vgl. hierzu El Fadl 2007, 79). In Ostafrika wurde Sheikh Abdallah Saleh Farsy (1912-1982), der spätere Oberste Qadi von Kenia, zum Vorreiter der Reformisten. Schon in den 1950er/ 1960er Jahren wendete er sich gegen die Ahmadiyya und weitete in den 1960er/ 1970er Jahren seine Kritik gegen bid'a und Heiligenverehrung aus.48 Bakari (1995) schrieb über ihn: »For the first time the term ›Wahabbi‹ began not only to gain currency but be closely associated with the style of scholarship of Sheikh Abdallah Saleh Farsy.« (Bakari 1995b, 180)49 Nicht nur in Kenia führten die

48 Eine 1969 von ihm herausgegebene Koranübersetzung ins Kiswahili (Qurani Takatifu) sollte die bisher verwendete Übersetzung durch die Ahmadiyya (Kurani Tukufu, 1953) ablösen. Die Arbeit an der Publikation wurde durch Kuweit finanziert. Zudem war geplant, ein Vorwort von Maulana Maududi hinzuzufügen, das allerdings aufgrund seiner verspäteten Fertigstellung erst in späteren Ausgaben enthalten ist (Lacunza-Balda 1993, 234-235). Maulana Sayyid Abul Ala Maududi (1903-1979) war ein sunnitischer, nach der Teilung Indiens in Pakistan lebender Journalist und Theologe, der als einer der einflussreichsten islamischen Denker des 20 Jh. gilt. Er gründete 1941 die Jama'at-i-Islami, die die Errichtung eines islamischen Staates zum Ziel hatte (vgl. Ahmad 1994). Sein Name wird in der Arbeit noch häufiger genannt werden. 49 Einer seiner stärksten Gegner, Sayyid Ali Badawi Jamalil-Lail aus Lamu, hatte eine ähnliche Ausbildung auf Sansibar genossen, kann aber im Gegensatz zu al-Farsy nach Bakari als »traditional `alim in the strictest sense« bezeichnet werden. Die Fraktion um Sayyid Ali wiederum lehnte Sheikh Abdallah Saleh Farsy als Fremden, nicht von der kenianischen Küste Stammenden, ab (ebd.).

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Einflüsse von Sheikh Abdallah Saleh Farsy und Muhammad Kasim Mazrui (1912-1982), einem Freund von Sheikh Abdallah Saleh Farsy, zum Erstarken einer Reformbewegung, sondern auch in Tansania. Ein Schüler Saleh Farsys, Sheikh Said Musa, verbreitete diese Ideen in Dar es Salaam weiter (Chande 1998, 216). Die von ihm propagierten Vorstellungen waren stark beeinflusst vom oben dargestellten ›Islamic modernism‹ ägyptischer Prägung.50 Neben dem dort genannten Streitpunkt der maulidi Feiern, insbesondere wenn diese mit Tanz und Musik verbunden sind, wurden weitere populärere islamische Praxen, wie zum Beispiel dhikr (ritualisierte Erinnerung Gottes), tawassul na dua (Bittgebete, insbesondere wenn diese durch Dritte durchgeführt werden), ziyara (Besuch von Gräbern von Sufi Heiligen), lokale Beerdigungsriten, Heiratspraxen und Besessenheitskulten kritisiert, wie Kresse (2003) anhand einer 1970 veröffentlichten Lehrschrift von Sheikh Muhammad Kasim Mazrui der »Hukumu za sharia« (»Gerichtsbarkeit nach islamischem Recht«) zeigt (vgl. Kresse 2003).51 Die Kritik gegen bid'a richtete sich über die inhaltliche Kritik hinaus auch gegen die mit diesen Praktiken verbundenen sharifu Familien, die ihre Tradition auf die Abstammung von der Familie Mohammeds zurückführen und ihre Anhänger (Kresse 2003, 280). Deren Auslegungshoheit und damit verbundene Macht wurde somit in Frage gestellt. Kasim Mazrui unterstrich vor allem die Gleichheit aller Muslime und richtet sich damit nicht nur gegen die masharifu, sondern auch gegen die waungwana, die lokalen Aristokraten der Swahili Städte (Kresse 2003, 297). Die Reformbewegung steht also oft einem konservativen (Sufi-)Islam, der sehr viel stärker von Hierarchien geprägt ist, gegenüber. Junge afrikanische Gelehrte aus dem Hinterland, wie Shaaban Yusuf Wegulo, nutzen die Reform-Bewegung als Chance, der anerkannten Gelehrtenschaft von der Küste, die zudem oft eng mit staatlichen Strukturen verbunden ist, etwas entgegen zu setzen. Diese wiederum versucht ihre Macht zu erhalten. Die inhaltliche Ebene ist dabei immer verbunden mit der Frage nach Ämtern, Einfluss und Durchsetzungsmöglichkeiten. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Konflikte um die Sichtung des Mondes, durch die der Beginn von wichtigen Feiertagen wie dem Idd al Fitr und dem Idd al Hajj, sowie der Beginn der Fastenzeit bestimmt wird. Wie das Beispiel der Auseinandersetzung 1994 zwischen dem Chief Qadi

50 Die von ihm initiierte Reformbewegung stützte sich zudem auf Schriften von Sayyid Qutb, Muhammad Qutb, Abdulqadir Auda, Yusuf Al-Qardhawi, Said Hawaa and Zeinab al-Ghazal (Bakari 1995b, 183). 51 Beide hatten zudem bei Sheikh al-Amin bin Ali al-Mazrui (1891-1947) auf Sansibar gelernt, dem ersten wichtigen Vertreter eines modernen Reform-Islam in Ostafrika und Chief Qadi in Kenia von 1937-1947 (Pouwels 1981, 332).

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Sheikh Nassor al-Nahdi und dem Imam der Jamia Moschee in Nairobi, Sheikh Ali Shee, zeigte (vgl. S. 61), ging es dabei ganz klar auch um die Infragestellung eines Machtanspruches, nicht nur um inhaltliche Auslegung. 2007 wurde sogar vom Chief Qadi und der Majlis Ulamaa ein gemeinsames Komitee, mit Sitz in Nairobi und Mombasa, ins Leben gerufen, um die inzwischen zur Norm gewordenen Auseinandersetzungen zu beenden.52 Aber schon im Dezember 2007 feierten Muslime in Kenia den Idd al Hajj wieder an zwei unterschiedlichen Tagen.53 Neben der indirekten und übersetzten Wirkung salafitischer und wahhabitischer Ideen, wurden diese in Ostafrika auch direkt über verschiedene Institutionen vermittelt. So wurde die Ideologie der Ikhwan Muslima durch die 1981 gegründete African Muslim Agency54 in Ostafrika weiter verbreitet55. Junge wahhabitische Gelehrte erhielten dagegen Unterstützung von Organisationen wie der World Assembly of Muslims Youth (WAMY)56, Rabitah (Muslim World League) und der Al-Haramayn Foundation57 oder direkt durch die Saudische Botschaft58.

52 Friday Bulletin 229, 14. 09. 2007. 53 Vgl. Muslim Clerics Differ With Chief Kadhi Over Idd, Daily Nation, 16. 12. 2007. 54 Ein lokaler Zweig der Muslimbrüder in Kuweit schuf diese Organisation zur Unterstützung afrikanischer Muslime. Sie ist in mehr als 40 afrikanischen Ländern aktiv, der ostafrikanische Zweig wird heute von Saudi Arabien aus geleitet. In Ostafrika stellen (Aus-) Bildungsangebote den Hauptteil der Arbeit dar. So wurde in Thika (in der Nähe von Nairobi) eine Fakultät für islamisches Recht eröffnet, in Sansibar leitet die African Muslim Agency ein College of Education. Der Fokus auf Bildung soll der christlich-westlichen gebildeten Elite eine muslimisch-gebildete gegenüberstellen und so die Marginalisierung von Muslimen im politischen Sektor beenden. Neben dieser Arbeit im Bildungsbereich ist die African Muslim Agency auch aktiv am Bau und Betrieb von Moscheen, Grundschulen, medizinischen Einrichtungen und Brunnen beteiligt (Ahmed 2008a, 139-150). 55 Sogar die takfir wal-hijra, eine radikale Abspaltung der Muslimbrüderschaft, wurde von einem Interviewpartner als in Ostafrika aktiv, jedoch an Bedeutung abnehmend, genannt (Interview mit Isa, 2005). 56 Die WAMY wurde 1972 in Saudi Arabien als muslimische Jugendorganisation gegründet und hat ihren Sitz in Riyad. Wie anderen saudischen Organisationen wurde auch der WAMY Vernetzungen zu terroristischen Gruppen vorgeworfen. 57 Die Al-Haramayn Foundation (AHF) wurde noch während des Afghanistan Krieges 1988 in Pakistan gegründet und 1991 nach Riyad, Saudi Arabien verlegt. Nachdem sie mehrfach mit der Unterstützung terroristischer Anschläge in Verbindung gebracht wurde, verbot die Saudische Regierung die Organisation 2004. Allerdings scheint die

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Zum Beispiel arbeitet die WAMY in Kenia auch durch die schon 1964 gegründete Young Muslims Association (YMA), die die Jamia Mosque in Nairobi finanziert. Letztere wird aus diesem Grund von einigen Muslimen als WAMY Mosque bezeichnet (Ahmed 2008a, 205).59 Die YMA hat großen Einfluss auch auf andere Moscheen und Gemeinden, wie z.B. in Nakuru. Daher gelten einige Moscheen, madaris und Schulen, wie das Kisauni Muslim Institute, das unter anderem Studenten für das Studium in Medina vorbereitet, als Zentren salafitischer bzw. wahhabitischer Muslime (Bakari 1995b, 193). Die in Ostafrika gegründeten salafitisch und wahhabitisch geprägten Gruppierungen sind unter verschiedenen Namen, in Selbst- wie Fremdzuschreibung, bekannt. Während Begriffe wie watu wa bida (Menschen der bid'a, diejenigen die andere der bid'a bezichtigen, vgl. Abun-Nasr & Loimeier 2005, 433) oder ›Wahhabi‹ meist abwertend und nicht als Selbstbezeichnung verwendet werden60, ist diese Bewegung heute vor allem als ansar al-sunna (Unterstützer der Sunna, der überlieferten Praxis Mohammeds), ahl-as sunna (Leute der Sunna)

Stiftung zuvor auch von Teilen der Saudischen Regierung getragen worden zu sein. (Ahmed 2008a,178) Nach dem Verbot der Organisation gab es Vermutungen, dass sie, z.T. unter anderem Namen, ihre Arbeit fortsetze. In Kenia arbeitete die Al-Haramayn Foundation vor allem in den von Muslimen bewohnten nördlichen Gebieten, unter anderem auch in dem von Somalis bewohnten Flüchtlingslager Dadaab. Außerdem unterstützte sie die Sakina Moschee von Sheikh Ali Shee (Vorsitzender des 1997 gegründeten Council of Imams and Preachers of Kenia, CIPK). Auch in Tansania wird ihr vorgeworfen, in ihren Schulen und in 136 von ihr finanzierten Moscheen fundamentalistische Ideologie zu verbreiten. Sie soll auch in die Unruhen und Anschläge 2003/2004 auf Sansibar verwickelt gewesen sein. (http://www.observatoirehumanitaire.org/fusion.php?l=GB&id=73 vom 06.05.2009) Nach den Bombenanschlägen 1998 musste die Stiftung ihre Arbeit in Kenia zunächst zeitweilig und Ende 2003 gänzlich einstellen. In Tansania konnte sie noch bis 2004 arbeiten. 58 Wie zum Beispiel durch Sheikh Ahmad Msallam, der in der saudischen Botschaft arbeitete und dessen polemische Übersetzungen arabischer Texte gegen den schiitischen Islam ins Swahili durch die Dar-A-Iftah finanziert wurden (Bakari 1995b, 185-186). Die Dar-A-Iftah wurde schon 1895 in Ägypten als oberstes Konzil maßgeblicher religiöser Auslegung und Entscheidung gegründet. 59 Die 1987 in Tanga (Tansania) gegründete Ansar al-Sunna Youth ist ebenfalls Mitglied der WAMY (Ahmed 2008a, 298). 60 Gleichzeitig werden die als ›Wahhabiyya‹ bezeichneten Gruppen mit finanzieller Unterstützung aus Saudi Arabien, sowie in Kenia mit einem hohen personellen Anteil somalischer Muslime gleichgesetzt.

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oder sunna wa jama'at bekannt.61 Diese Begriffe stehen wiederum für unterschiedliche Gruppen und Positionen (Loimeier 2007, 143). Auf dem tansanischen Festland ist insbesondere das Ansaar Muslim Youth Centre (AMYC) aus Tanga bekannt62, das 1987/88 aus der Ende der 1970er Jahre gegründeten UVIKITA (Umoja wa Vijana wa Kiislamu Tanzania, Vereinigung islamischer Jugendlicher in Tansania) hervorging.63 Schon bei der Gründung der UVIKITA waren in Saudi Arabien studierende Tansanier beteiligt, so dass diese Bewegung von Anfang an von wahhabitischer Ideologie geprägt war. In den 1980er Jahren war sie in den internen Auseinandersetzungen zwischen der BAKWATA und deren kritischer Abspaltung warsha involviert. Auch wenn sie nach van de Bruinhorst (2007) die moralische über die politische Reform stellen, rief der derzeitige Leiter des Zentrums, Salim Barahiyan (vgl. van de Bruinhorst 2007, 97), im Vorfeld der Wahlen 2000 zum Boykott auf. Chande (1998) geht davon aus, dass es in Tansania relativ wenig Unterstützung für die Reform-Bewegung gibt. Die meisten der Anhänger seien unter jungen Muslimen zu finden. Allerdings hat das Ansaar Muslim Youth Centre durch mehrere von ihm betriebene Schulen, Kindergärten, Waisenhäuser und Kliniken in Tanga, aber auch in anderen Orten wie Arusha (vgl. dazu Ahmed 2008a, 298) oder Moshi durchaus keinen geringen Einfluss. Zudem ist es Teil eines größeren Netzwerkes von Ansaar Sunna Gruppen, meist gegründet von Tansaniern, die in Saudi Arabien studiert haben (van de Bruinhorst 2007, 96). In Kenia ist diese Bewegung eher als al-sunna wa jamma oder ahlu as-sunna wa al-jamaa bekannt. Der an dem Konflikt in Kisumu maßgeblich beteiligte Sheikh Muhammad Yunus Kamoga wurde so zum Beispiel als Vertreter dieser Strömung bezeichnet. Auch die Railway Mosque in Kisumu wird von ihnen kontrolliert, zum Forschungszeitpunkt vor allem in der Person des Imam Khalfan

61 Gegen diese richtete sich die Bezeichnung von Bashir aus Moshi, der sie »followers of the hadith« nannte und ihnen vorwarf, sich mehr nach dem Wort Mohammeds als nach dem Wort Gottes zu richten, indem er eine Unterscheidung traf zwischen »those who follow the words of God and those who follow the words of Mohammed«. 62 Eine weitere wichtige Gruppe der ansar al-sunna in Tansania ist die Jumuia ya Uamsho Na Mihadhara (The Association of Revival and Propagation of the Islamic Faith), auch bekannt als Uamsho (vgl. Loimeier 2007, 144). 63 Zum Zeitpunkt der offiziellen Gründung, bzw. Registrierung, existieren unterschiedliche Angaben. Während Ahmed den 14. April 1987 als Datum nennt (Ahmed 2008a, 298), gehen van de Bruinhorst und Chande von 1988 als Gründungszeitpunkt aus (Chande 1998, 218; van de Bruinhorst 2007, 96).

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Khamis, der zugleich seit 2005 als amir der Majlis Ulamaa Kenya tätig war.64 Außerdem üben auch in Kisumu die Young Muslims Association (YMA) und damit verbunden Muslime der Jamia Mosque in Nairobi einen Einfluss aus (Ahmed 2008a, 276). Kresse (2003) bezeichnet diese Reformbewegung auch als »Swahili Enlightenment« (Kresse 2003, 285), da es nicht nur um die Wiederbelebung »... of basic principles of Islam into popular Muslim consciousness, against a Eurocentric perspective and its implicit threat of Christianity« (Kresse 2003, 287), sondern auch um ein rationaleres Verständnis des Koran ginge. Auch Lacunza-Baldas (1993) Argumentation geht in eine ähnliche Richtung – er spricht von einem »intellectual jihad«, mit dem die zu dieser Bewegung gehörenden Gruppen den Islam ins öffentliche Leben bringen und das religiöse Wissen von Muslimen verbessern wollen (vgl. Lacunza-Balda 1993, 237). Beide Interpretationen lassen auf eine Veränderung der Bedeutung von Wissen im ostafrikanischen Islam durch die Reform-Bewegung schließen. In eine etwas andere Richtung zeigt die Einordnung von van de Bruinhorst (2007), der sie vor allem als Pietisten betrachtet, also als Vertreter einer neuen Frömmigkeit (van de Bruinhorst 2007, 96-97)65. Die innerhalb dieser Bewegung versammelten Akteure (Einzelpersonen wie auch Gruppen) sind so heterogen und haben so unterschiedliche Interessen, dass beide Interpretationen zutreffend sind. Hinzu kommt eine Etablierung von Teilen dieser Bewegung als politische Opposition und eine Überschneidung religiöser Gruppen mit politischen Interessenvertretungen (vgl. auch Kapitel 2). Mit der Etablierung der verschiedenen Akteure in ihren jeweiligen Nischen und dem wachsenden Einfluss jüngerer, an arabischen Universitäten ausgebildeter Gelehrter, sind die dargestellten Reformbemühungen nach Kresse zum Teil jedoch erstarrt zu einem »... dogmatic, largely rhetorical argument between the activists of various Islamic groups with little perspective of resolution ... .« (Kresse 2003, 282)

64 Von 2006 bis 2008 arbeitete Khamis als Imam an der Jamia Mosque in Nairobi. (Friday Bulletin 253) Er ist gut mit dem neuen Imam Shabaan Yusuf Wegulo befreundet. Beide haben zusammen an der Küste studiert und kommen aus der gleichen Region um Kisumu (Gespräch mit Chanfi Ahmed, 2009). 65 Er kritisiert zugleich die Bezeichnung dieser Gruppe als Fundamentalisten (wenye itikadi kali) oder als Wahhabiyya.

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Tablighi Jama'at Die Tablighi Jama'at66 wurde 1926 von Maulana Mohammad Ilyas Kandhalvi (1885-1944) als Reaktion auf hinduistische Missionsbewegungen wie die shuddhi (Reinigung) und sangathan (Konsolidierung), die zum Islam Konvertierte zu ihrer ›ursprünglichen‹ Religion zurückführen wollten, gegründet. Sie richtete sich insbesondere an sogenannte »borderline« Muslime, die zwar noch muslimische Namen trugen, aber hinduistische religiöse und soziale Praktiken pflegten, und setzte sich bei diesen für eine Revitalisierung des Islam ein (Ahmad 1994, 511).67 Zusätzlich wurde die Tablighi Jama'at durch das Denken geprägt, das an der nordöstlich von Delhi 1867 gegründeten konservativen Deoband-Madrasa (vgl. Reetz 2007, 144)68, an der Maulana Ilyas zeitweilig lehrte, vermittelt wurde. Auch diese Schule wandte sich gegen sufistisch beeinflusste religiöse Praktiken wie zum Beispiel die Heiligenverehrung.69 Nach dem Tod von Maulana Ilyas und der Weiterführung der Bewegungen durch seinen Sohn Maulana Yusuf (1917-1965) wurden die Aktivitäten ausgeweitet. Die Tablighi Jama'at ist inzwischen, mit Ausnahme der arabischen Region, die größte globale islamische Bewegung. Die jährlichen Konferenzen (ijtima) in Südasien (Tongi, Bangladesh und Raiwind, Pakistan) sind die meist besuchten islamischen Treffen nach der Hajj.70 Die Tablighi Jama'at ist eine Bewegung, die durch die Belebung individueller islamischer Praxis und die Verbesserung persönlicher Sittlichkeit eine Erneu-

66 Das Wort ›Tabligh‹ ist nicht dem Koran entlehnt, sondern wurde erst im 19. Jh. als Wort für Mission etabliert. Wörtlich kann es mit »jemanden erreichen, kommunizieren, berichten« übersetzt werden (vgl. Masud 1995). 67 Das späte 19. und frühe 20 Jh. waren in Indien von starken Rivalitäten zwischen christlichen, hinduistischen und muslimischen Missionsbewegungen geprägt, die wie die Arya Samaj zum Teil auch erst als Antwort auf missionarische Aktivitäten der anderen Seite entstanden. 68 Die Deobandi Schule beeinflusste neben der Tablighi Jama'at auch andere Bewegungen wie die afghanische Taliban (Metcalf 2002, 1-2). 69 Allerdings gehörte Ilyas gleichzeitig zum Chishtiyya Sufi Orden und verband einige ihrer Praktiken mit dem puristischen Denken der Deobandi (Wario 2012, 90). 70 2007 wurden in Tongi mehr als 1,5 Millionen Teilnehmer für die jährliche Bishwa Ijtima (world congregation) erwartet (vgl. Millions of Muslims gather in Bangladesh, Reuters, 02.02.2007).

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erung muslimischer Gesellschaften erreichen will (vgl. Ahmad 1994, 511).71 Sie richtet sich nicht an islamische Gelehrte, ulama, sondern an ›gewöhnliche‹ Muslime, die in dieser Bewegung aktiv werden können, ohne vorher eine langjährige Ausbildung erfahren zu haben (Ahmad 1994, 516; Metcalf 2002, 12). Die stark zentralisierte und bürokratische Organisationsstruktur wird nach außen nicht offen gelegt. Die Bewegung erscheint dadurch relativ egalitär und informell. Der amir wird auf Lebenszeit von den ›elders‹ der Jama'at bestimmt und von einem Gremium (shura) beraten. Ein besonderes Kennzeichen und zentrales Anliegen der Tablighi Jama'at ist die Bildung von freiwilligen Predigtgruppen (jama'ats). Diese bestehen aus fünf bis zehn Muslimen, meist Männern, die in verschiedene Orte reisen, um dort in den Moscheen zu predigen. Neben diesen längeren Missionsreisen (khuruj), können Muslime auch Nachbarn und Gemeindemitglieder besuchen. Diese Form der Mission (jaula) wird von Männern wie von Frauen durchgeführt. Das Predigen dient nicht nur der Überzeugung lokaler Muslime, sondern soll auch den Glauben der Tablighis stärken und ihre moralischen und spirituellen Qualitäten steigern. Verbreitet werden bei diesen Missionsreisen vor allem sechs Grundsätze: jeder Muslim sollte 1) fähig sein die shahada, das Glaubensbekenntnis, zu sprechen und den Inhalt zu verstehen, auch in seiner Konsequenz für das tägliche Leben, 2) die täglichen Gebete (salat) durchführen, 3) sich morgens und abends Zeit zum Lernen der grundlegenden Glaubensinhalte, wie sie in den Schriften der Tabligh Jama'at zusammengestellt wurden, und für rituelles Gedenken an Gott (hauptsächlich durch das Beten mit dem tasbih, einer Gebetskette) nehmen, 4) Respekt für andere Muslime zeigen, 5) diese Grundsätze zum Wohlgefallen Gottes und zur eigenen Entwicklung und nicht zur Mehrung irdischen Glücks einhalten und 6) sich selbst als Missionar (dai, auch muballighun genannt) sehen und sich einer der Predigtgruppen anschließen (vgl. Reetz 2006, 327-328.). Diese Idee, dass sich jeder Muslim als Missionar sehen sollte, ist einer der großen Unterschiede zu anderen Bewegungen. Die Predigt ist somit nicht mehr als Aufgabe der ulama, sondern als die jedes einzelnen Muslims, zu verstehen. Das Buchwissen der islamischen Gelehrten wird eher kritisch betrachtet und der Fokus auf Praxis und Lebensführung gelegt (vgl. Ahmad 1994, 516).72 Auch Ler-

71 Metcalf (2002) vergleicht diesen Fokus der Tablighi Jama'at auf die individuelle Verantwortung mit der zur gleichen Zeit entstandenen Bewegung der Anonymen Alkoholiker (Metcalf 2002, 8). 72 Hierin besteht eine Parallele zu vielen sufistischen Bewegungen.

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nen beruht weniger auf Büchern als auf face-to-face Kommunikation und Predigten.73 Mit der Konzentration auf individuelle religiöse Erneuerung ist auch eine apolitische Haltung der Tablighi Jama'at verbunden, die ihr wiederum eine relativ freie Entfaltung ermöglichte. Die Zuordnung von Religion allein zur Privatsphäre und die Verantwortung jedes Einzelnen entheben Staat und ulama aus der Verantwortung: »Effectively by this focus, as in the original Deoband movement, religion, in practice, became a matter of personal, private life, separate from politics.« (Metcalf 2002, 12) Allerdings wurde durch die Tablighi Jama'at ein aktives Bekenntnis zum Islam gefördert, eine Entwicklung die wiederum parallel zum Aufschwung anderer islamischer und islamistischer (im Sinne eines politischen Islam) Bewegungen verlief und in Wechselwirkung mit diesen steht. So stellte zum Beispiel die Tablighi Jama'at für einige an terroristischen Anschlägen beteiligte Muslime, wie z.B. Mohammed Siddique Khan and Shahzad Tanweer (London 2005), den Einstieg in islamische Erneuerungsbewegungen dar. Der eher anti-intellektuelle und unpolitische Ansatz der Laienbewegung stellt für manche Muslime einen Grund dar, sich anderen, zum Teil radikaleren Bewegungen zuzuwenden: »Islamists, thus, enjoy an ambiguous relationship with the TJ. While some condemn it for allegedly being apolitical and thus helping the ›enemies of Islam‹, others welcome its role in promoting Islamic awareness among Muslims.« (Sikand 2003, 43)74 Über die Entwicklung dieser Bewegung in Ostafrika ist, auch durch die Zurückhaltung der Tablighi Jama'at in der Öffentlichkeit, bisher relativ wenig bekannt. Eine 2012 eingereichte Dissertation von Wario wird einen großen Teil dieser Lücke schließen können. Entgegen anderen Angaben (Beckerleg 1995; Oded 2000) scheint die Tablighi Jama'at (nicht zu verwechseln mit der schiitischen Dar Tabligh oder dem in Uganda aktiven Tablik Youth Movement75) schon seit den 1950er Jahren in Ostafrika aktiv zu sein. Allerdings wurde sie erst spä-

73 Auch wenn die Beschäftigung mit Lehrmaterialien der Tablighi Jama'at zu den Grundpfeilern ihrer Arbeit gehört, scheinen Vorträge eine deutlich wichtigere Form der Wissensvermittlung, zumindest in Ostafrika, einzunehmen. Im Gegensatz zu den anderen hier vorgestellten Bewegungen wurde mir zur Tablighi Jama'at kein einziger religiöser Text genannt oder gezeigt. 74 Siehe auch Ahmed 2008a, 308-320, der die Kritik des Leiters der ansar as-sunna in Tanga, Barahiyan, an der Bewegung darstellt. 75 Das Tablik Youth Movement wird zwar häufig als ein Ableger der Tablighi Jama'at bezeichnet (Kayunga 1993; Haynes 2005), es scheint jedoch lediglich eine Namensähnlichkeit erhalten geblieben zu sein.

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ter, seit den 1980ern, zu einer der wichtigsten missionierenden Gruppierungen. Insbesondere unter Konvertiten zum Islam ist sie sehr erfolgreich. Ein Drittel der für diese Arbeit interviewten Konvertiten zum Islam war, zumindest zeitweilig, in der Tablighi Jama'at aktiv. Die meisten von ihnen berichteten, seit Ende der 1990er Jahre76 in die Gruppierung involviert zu sein. Aber auch andere Muslime, die ich während der Forschung kennenlernte, waren im Rahmen der Bewegung aktiv. Bereits 1956 kamen die ersten Laienprediger der Tablighi Jama'at nach Kenia und Tansania. In Kisumu, das zunächst eines der Zentren der Bewegung in Ostafrika darstellte, wurde die Tablighi Jama'at von Sheikh Darwesh (oder Darwish) um das Jahr 1964 eingeführt77, einem südasiatischem Muslim, der auf den Komoren geboren wurde und in Sansibar bekannt wurde (Ahmed 2008a, 269). Auch die in Nairobi von der al-momin Foundation betriebene Landhies Mosque (Muthurwa) war schon frühzeitig ein wichtiges Zentrum der Tablighi Jama'at in Ostafrika.78 Sheikh Darwesh war gleichzeitig der amir der Bewegung in Ostafrika in den 1970er und 1980er Jahren, die von Kisumu aus auch in Tansania Fuß fasste. Durch seinen Tod bei einem schweren Autounfall 1987, bei dem weitere führende Vertreter der Gruppe starben, verlor die Tablighi Jama'at zunächst an Bedeutung (Ahmed 2008a, 269). Zur gleichen Zeit verstärkten salafitische Gruppen ihr Engagement, so dass heute die Tablighi Jama'at in Kisumu nicht mehr eine ganz so große Rolle spielt. Die Tablighi Jama'at ist in allen größeren Städten Ostafrikas vertreten. In Dar es Salaam hat sie beispielsweise ihren Hauptsitz in der Fiysabili-lah Tabligh Markaz (On the Path of Allah Propagation Centre; vgl. Loimeier 2007, 144). In Moshi betreibt die Tablighi Jama'at einen kleinen Stand am Busbahnhof, in der Nähe der großen Hanafi Moschee. Dieser dient ihnen auch als privater Treffpunkt. Die Tablighi Jama'at in Ostafrika scheint sich bereits in den 1970er oder 1980er Jahren in zwei Zweige aufgespalten zu haben (vgl. Wario 2012, 104).

76 Dieses Erstarken der Tablighi Jama'at Ende der 1990er Jahre könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie mit ihrem unpolitischen Ansatz nicht in dem Maße durch Verbote eingeschränkt wurden, wie etwa salafitische und wahhabitische Missionsbemühungen. Allerdings wurde berichtet, dass es nach dem 11. September 2001 in Kenia schwieriger wurde, Reisen von Predigtgruppen (auch aus dem Ausland) zu organisieren. Jetzt würden nur noch etwa zwei größere Treffen im Jahr in Kenia stattfinden (Interview mit Nadeem, 2004). 77 Interview mit Bilal, 2005. 78 So wurden 1970 und 1979 große Treffen der Tablighi Jama'at in dieser Moschee durchgeführt (http://almominfoundation.org/html/history.html vom 12.05.09)

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Einer der Zweige wird dabei nach wie vor von südasiatischen Muslimen dominiert, die die wichtigsten Positionen in der Leitungsebene einnehmen und in engem Kontakt zum indischen Zentrum in Nizamuddin (Delhi) stehen. Der andere Zweig hingegen scheint stärker von afrikanischen Muslimen beeinflusst zu sein.79 Badia erzählte mir von einem Besuch von zwei Missionaren, die in ihrem Wohngebiet in Nakuru predigten. Sie sind die Söhne eines wichtigen pakistanischen Muslims in Nairobi und scheinen somit eher der ursprünglichen Bewegung anzugehören. 80 Dieser Zweig habe seine markaz in Eastleigh, einem Stadtteil Nairobis. 81 Zwei meiner Interviewpartner nannten diesen Zweig baitumal, ein Name der von der Baitul Maal Mosque in Eastleigh hergeleitet ist.82 Er wurde als eher streng beschrieben, vor allem in der Frage der Geschlechtertrennung. Zudem muss hier, wie in der Tablighi Jama'at üblich, jeder für seine eigenen Kosten, auch für die Reisen, aufkommen. Beide Interviewpartner benannten andere Symbole, um die Strenge der Bewegung zu verdeutlichen – Badia indem sie Somalis als eine wichtige Gruppe dieses Zweiges benannte, Bilal dagegen sprach von den Anhängern dieses Zweiges als Wahhabiyya.83

79 Die folgenden Angaben stützen sich auf Gespräche mit Muslimen in Kenia und Tansania und auf eine kurze Notiz in Ahmed 2008a, (270). In Wario (2012) werden einige der Informationen bestätigt, allerdings konnte auch er nur wenige Daten über die Splittergruppe sammeln. Die Spaltung der Bewegung erinnert stark an die von Barrett (1968) beschriebenen Spaltungen christlicher Kirchen. 80 Diese predigten bei ihrem kurzen Aufenthalt erst in der Jamia Moschee und dann in der neuen Rama Moschee und gingen von dort in die Shabab Moschee, die in einem ärmeren Teil Nakurus angesiedelt ist. 81 Badia sprach über eine weitere markaz in Kibera, dem größten Slum in Nairobi. Diese könnte der Treffpunkt des ›afrikanischen‹ Zweiges der Tablighi Jama'at sein. Nach Wario (2012) versuchte die Splittergruppe von der Landhis Moschee ausgehend vor allem in Kibera missionarisch zu arbeiten, also scheinen diese Angaben übereinzustimmen. 82 Interviews mit Badia, 2005 und 2007 sowie mit Bilal 2005 in Nakuru. 83 Wie schon erwähnt werden somalische Muslime häufig als besonders streng oder radikal betrachtet und zum Teil als Wahhabiyya bezeichnet. Wie allerdings Ahmed (2008) zeigt, gibt es von Gruppen, die von der Wahhabiyya beeinflusst sind, starken Widerstand gegenüber der Tablighi Jama'at. Daran wird deutlich, dass diese Zuschreibungen eher eine bestimmte, von außen wahrgenommene, Form Islam zu leben bezeichnen, als die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen.

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Die abgespaltene Fraktion wurde hingegen nicht als markaz, sondern als hikaf bezeichnet. Dieser Begriff ist vermutlich von i'tikaf abgeleitet, das aus dem Arabischen mit spiritueller Zurückgezogenheit (insbesondere in die Moschee), aber auch als religiöses (meist nächtliches) Treffen, übersetzt werden kann. Die großen Zusammenkünfte, die Badia bisher besucht hatte, wurden ihrer Meinung nach von mehr Frauen als Männern frequentiert. Zudem hatte sie den Eindruck, dass hier die Geschlechtertrennung weniger streng gehandhabt wurde. Außerdem gäbe es die Möglichkeit, Gelder für Reisen zur Verfügung gestellt zu bekommen.84 Die großen, von beiden Fraktionen durchgeführten, Treffen der Tablighi Jama'at wurden ijtima genannt und von einigen Interviewpartnern mit den christlichen ›crusades‹ oder Kongressen verglichen. Ähnlich wie die christlichen Treffen würden die ijtima Menschen verändern und ›reinigen‹. Auch wenn sich diese Veranstaltungen in erster Linie an Muslime richteten, könnten alle Interessenten teilnehmen. Manchmal gäbe es sogar Besucher, die sich dort zu einer Konversion entscheiden würden. Die Ankündigung dieser Treffen erfolgt allerdings ausschließlich in den Moscheen oder durch persönliche Netzwerke. Gäste kommen nicht nur aus der Region, sondern aus allen ostafrikanischen Staaten und, je nach Größe der ijtima auch aus anderen islamischen Ländern. Badia erzählte von zum Teil über 10.000 Teilnehmern.85 Auch in Ostafrika ist die Tablighi Jama'at vor allem für ihre reisenden Missionare bekannt, die zudem durch ihre Kleidung auffallen. Zusätzlich zum kanzu, der langen, oft weißen, Robe, tragen sie häufig einen Turban nach südasiatischem Vorbild.

84 Auch Wario (2012) berichtet von der ›unorthodoxen‹ Art, mit der die Splittergruppe missionarisch aktiv war (S. 104 f.). 85 Diese Angaben bezogen sich auch eine ijtima in Kibera, wirken jedoch etwas übertrieben. Allerdings spricht Wario (2012) sogar von 15.000 Teilnehmern der jährlichen großen ijtima der Baitul Maal Moschee (S. 150).

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Abbildung 3: 3 Zwei Predig ger der Tablighhi Jama'at in Moshi, M 2007

Quelle: Tabeaa Scharrer

Tansania, wurde mir von ein nem Marsch eeiniger Mission nare der TabIn Moshi, T lighi Jama'at über verschhiedene Dörferr erzählt. Vonn Moshi aus seien sie nach d kleinen Döörfer am Wegeesrand gepreArusha gelaufen und hättten in jedem der i ein paar Menschen anggeschlossen, so o dass sie statt digt. Überaall hätten sich ihnen wie am Annfang zu fünft am Ende überr hundert gew wesen seien. Einer der Interviewten in Nakuru, Nadeeem, der beson nders aktiv beei der Tablighii Jama'at mit01 fast ausschlließlich im Raahmen dieser wirkte, reisste zwischen 1997 und 200 Bewegung durch Ostafrikka und kam dabei d bis nach Hargeysa in Nordsomalia. n seiner letztenn oder bevorsttehenden ReiWenn ich iihn traf, erzähllte er meist von se, häufig vverbunden mitt romantischen n Schilderungen en von erlebten n Abenteuern. Bei meinem m letzten Aufeenthalt in Nak kuru konnte ichh ihn nicht an ntreffen, da er sich auf einner 40-tägigenn Missionsreisee (chilla) in Keenia befand. Um U diese Reisen zu finaanzieren, versuuchte er sich als a Händler relligiöser Kleidu ung.86 In diesem Versucch religiöses Leben L und ökonomische Akti tivitäten zu verrbinden, ist er kein Einzellfall. So ist diee ijtima nicht nur n ein Ort dess Gebetes und der Diskussion, sondernn auch ein Maarkt, auf dem Islamische Koonsumgüter, wie w Kleidung, Bücher odeer Kassetten geehandelt werdeen. Sogar Vortträge die währrend des Treffens gehaltten werden, köönnen kurze Zeit Z später als Mitschnitte errworben werden. Als ich ihn fragte, ob o auch Frauen n durchs Landd reisten und predigten, p antworte er, ees gäbe vielleicht zwei oderr drei, aber siee würden kaum m unterstützt:

86 Auch weenn er meinte dies d sei nicht seh hr teuer, da sie jja in Moscheen übernachteten, musste eer nach 2001 docch seine Reisen aus Geldmangell etwas einschrän nken.

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»We do not encourage them. If we allow women to move, then many things happen.«87 Auch wenn diese Art der missionarischen Arbeit, die khuruj, hauptsächlich von Männern durchgeführt wird, sind auch Frauen aktiver Teil der Bewegung, vor allem bei der Durchführung der jaula. Dabei besuchen sie andere Frauen und sprechen mit ihnen über den Islam, beziehungsweise darüber, wie sie im Alltag in Übereinstimmung mit religiösen Regeln leben können. Oft stehen dabei Eheprobleme, der richtige Umgang mit dem Ehemann und die Pflichten als Ehefrau sowie moralisches Verhalten in der Öffentlichkeit im Vordergrund. Auch Männer gehen zu anderen Muslimen und fordern diese auf, sich wieder mehr am religiösen Leben zu beteiligen: »If say, you’ve not seen somebody in the mosque for three days. We send one or two brothers to go and we call him. We are coming here just to preach. We can now even go with a small token, a small gift. We give him, we don’t talk. We go back. Then the next time we invite him, so it will be easier for him. We asked if there is a problem. Maybe he is out of job or has not paid his rent. You’ll assist him then. There are many ways of approaching that.«88

Auffällig war in diesem Interview die starke Betonung der positiven Aspekte der Bewegung auf die Missionare selbst. Niemand wisse, wann er sterben werde, deshalb sei »doing Tabligh« ein wichtiger Weg, um ein guter Muslim zu werden: »Islam in total means you must practice. Once you practice Islam then it brings you near to God, it brings you to understand your God. And it makes you a changed person. So Islam without practice, you will just remain a Muslim in name. Practice means to follow the fundamentals of Islam, you follow the five pillars of Islam, You also do dawa. It’s the duty of Muslims to propagate Islam. And to propagate Islam to non-Muslims. So in the process of doing that, you become a stronger Muslim. The first effects will be on you. Once I tell you about the beauty or the good values of Islam, it will make me change first before it changes you.«89

Trotz des immer bevorstehenden Endes dürften die Gläubigen sich nicht wie Sufis von der Welt abwenden. Sufismus und Mystizismus seien im Koran verboten, da der Glaube unter den Menschen gelebt werden müsse. Die Tablighi Jama'at,

87 Interview mit Nadeem, 2004, Nakuru. 88 Interview mit Najib, 2005, Nakuru. 89 Interview mit Najib, 2005.

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»our kind of sufism«, sei dagegen eine gute Balance zwischen dem sozialen und dem religiösen Leben.90 Abweichend von den im südasiatischen Kontext entwickelten Prinzipien richtet sich die Missionsarbeit der Tablighi Jama'at in Ostafrika nicht ausschließlich an Muslime, sondern auch an die christliche Bevölkerung. Ein Aktivist der Bewegung sagte dazu: »We clean our house before we invite others.«91 Durch die Benutzung der Reinigungs-Metapher wird deutlich, dass die Missionsarbeit unter Muslimen nur als erster Schritt gesehen wird, dem die Konversion von Christen zum Islam folgen soll. Über dieses Ziel wird nicht nur bei Treffen der Tablighi Jama'at gesprochen,92 es werden auch öffentliche Predigten abseits der Moscheen, auf öffentlichen Plätzen wie Straßen oder Märkten, veranstaltet.93 So nutzten die Besucher Badias ihren Stromanschluss, um mit einem Verstärker öffentlich predigen zu können. Ihr Erfolg wird sehr unterschiedlich dargestellt. Während die Missionare erzählen, die Tablighi Jama'at sei vor allem für Konvertiten aus dem Christentum interessant, da sie so besonders gut über den Islam lernen könnten und sich zudem anfangs oft allein gelassen fühlten, schilderte ein Nachbar von Badia, dass zwar viele Menschen zuhörten, aber kaum jemand in solch einer Situation konvertiere. Andere berichteten sogar von Feindseligkeiten gegenüber den Missionaren. In einigen Dörfern in der Region Nakurus seien sie mit Steinen beworfen und davon gejagt worden. In Gesprächen und Interviews mit Muslimen wurde die Tablighi Jama'at meist sehr positiv dargestellt – sie sei diplomatischer, freundlicher und offener als andere muslimische Strömungen. Sie stünde nicht in Konkurrenz zu anderen Gruppen und jeder könne sich je nach den eigenen Möglichkeiten beteiligen.94 Deshalb könne die Tablighi Jama'at auch nicht als Sekte, sondern höchstens als

90 Interview mit Isa, 2005. Auch wenn zahlreiche Vertreter von Sufibruderschaften alles andere als eine sich von der Welt abwendende Haltung vertreten, kommt hier ein interessantes Bild des Sufismus im Vergleich zur Tablighi Jama'at zum Ausdruck. 91 Interview mit Nazim, 2005. 92 Interview mit Nazim, 2005. 93 Sie verwenden hier den gleichen missionarischen ›style‹, dieser Begriff lehnt sich an die Idee eines »pentecostalite style« von Meyer (2004) an, wie die Wahubiri wa Kiislamu (siehe S. 104) 94 Allerdings stehen wie schon erwähnt wurde insbesondere salafitische Muslime der Tablighi Jama'at eher kritisch gegenüber. Im wöchentlich von der Jamia Moschee in Nairobi veröffentlichten »Friday Bulletin«, der am weitesten verbreiteten muslimischen Publikation in Kenia (vgl. Mwakimako 2007, 8), wird die Tablighi Jama'at mit keinem Wort erwähnt.

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Denkschule oder als Bewegung bezeichnet werden. Für Arbeitslose sei es eine Chance, ihre Zeit sinnvoll zu verbringen. Für Menschen die viel arbeiten, böte sich dagegen eine Chance, ihren Anteil am religiösen Leben zu leisten. So erzählte der Besitzer eines Restaurants neben der Jamia Moschee in Nakuru, man müsse ja auch nicht immer auf Reisen sein, einige Male reichten zur Konzentration aufs Wesentliche. Es sei auch nicht nötig, sich der Bewegung ein Leben lang zu verschreiben. Allerdings ist es nicht jedem Muslim möglich, diese Reisen ohne weiteres zu finanzieren, beziehungsweise sich die Zeit dafür zu nehmen, so dass hier eine gewisse Zugangsbeschränkung besteht. Trotzdem ist der Wunsch solch eine Reise zu unternehmen unter vielen Muslimen verbreitet, es wäre doch ein Abenteuer so durch die Welt zu ziehen.95 Die Vorstellung, jeder einzelne Muslim müsse sich als Prediger sehen und diese Aufgabe nicht anderen, ulama oder professionellen duat, übertragen, hat zudem weit über die Tablighi Jama'at Einzug in das Denken vieler Muslime in Ostafrika gehalten. Der geringe Bildungsgrad, der zum Predigen legitimiert, spiegelt zudem eine soziale Transformation wider. Schiitische Missionsbestrebungen Die Bilal Muslim Mission wurde 1964 bei einem Treffen der Federation of Khoja Shia Ithna Asheri Jama'ats of Africa in Tanga (Tansania) nach den Ideen von Marhum Syed Allama Akhtar Rizvi96 gegründet. Der Name der Organisation geht auf eine wichtige Figur in der islamischen Tradition, Bilal ibn Rabah, zurück. Der Überlieferung folgend wurde dieser, wahrscheinlich aus Ostafrika stammende, Sklave nach seiner Konversion zum Islam und der Befreiung durch Abu Bakr einer der ersten Gefährten (sahib) des Propheten Muhammed. Er wurde später, auch aufgrund seiner schönen Stimme, zum Gebetsrufer (muezzin), der Gemeinde in Medina. Das Hauptziel der Bilal Muslim Mission besteht in der Verbreitung der 12er Shia unter nicht-muslimischen wie auch muslimischen Afrikanern. Nachdem sich die Organisation in Tansania etabliert hatte, wurde 1971 ein weiterer Zweig in Kenia gegründet. Inzwischen existieren Büros auch in anderen ostafrikanischen Staaten wie Burundi oder Kongo, im südlichen Afrika (z.B. in Madagaskar), aber auch in Thailand, Japan, Indonesien und Europa, sowie in den USA (vgl. Ahmed 2008a, 286).

95 Gespräch mit Nadia und Bishr 2007, Moshi. 96 Sayyid Akhtar Rizvi wurde 1927 in Indien geboren und kam 1959 als dai nach Ostafrika. Er starb 2002 in Dar es Salaam (Ahmed 2008a, 285-297).

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Die wichtigsten Zentren in Tansania sind Dar es Salaam, Arusha und Lindi, aber auch in der Region um Kigoma wurden viele neue Projekte initiiert. In Kenia ist die Bilal Muslim Mission vor allem in Mombasa und Nakuru stark vertreten. Aber auch in anderen Städten existieren Moscheen, Schulen und Gemeindezentren der Organisation. Neben diesen Bildungs- und Gemeindeeinrichtungen spielen für die Mission die vielen von der Bilal Muslim Mission herausgegebenen Schriften und andere Veröffentlichungen eine Rolle. Die regelmäßig erscheinende Zeitschrift »Sauti ya Bilal« (The Voice of Bilal) erscheint schon seit 1965 auf Kiswahili, in den 1980er Jahren kam die englische Publikation »The Light« hinzu. Außerdem werden viele weitere Bücher und Heftchen publiziert, die die Ansichten der Ithnasheria verbreiten sollen. So wurden in Tansania 2007 rund 20.000 Hefte vertrieben, fast die Hälfte davon wurde kostenlos verteilt.97 Da die 12er Shia ihr religiöses Zentrum nicht in Südasien, sondern im Irak, Iran, Libanon und Syrien hat, sind auch die Verbindungen der Bilal Muslim Mission in diese Region stark.98 Dies intensivierte sich durch die Islamische Revolution im Iran 1979 und die damit verbundene größere Aktivität der iranischen Botschaften und Kulturzentren in der Organisation (Ahmed 2008a, 296). Von den im Rahmen dieser Forschung ausgewählten Orten spielte die Bilal Muslim Mission insbesondere in Nakuru eine große Rolle. Zum einen konnten hier drei zum schiitischen Islam konvertierte Muslime interviewt werden. Zum anderen war für diese der eingangs erwähnte Konflikt mit sunnitischen Muslimen ein wichtiges Thema. Die Probleme begannen 1994, als die Bilal Muslim Mission einen neuen Repräsentanten, Sheikh Idi Abdallah99, nach Nakuru sand-

97 Annual Report 2007, Bilal Muslim Mission of Tanzania. Darin wurde auch die Zahl der Konvertiten im letzten Jahr genannt: »37 families with a total of 98 persons embraced the true faith in the year 2007.« 98 So war zum Beispiel bei der Schulfeier der von Khoja Ithnasheri gegründeten Schule Rasul Al Akram Academy Nakuru (eine weitere Schule mit diesem Namen wurde in Nairobi gebaut) auch ein Vertreter der iranischen Botschaft anwesend (Feldforschungstagebuch, 06.06.2004). 99 Sheikh Idi wurde 1947 in der Tana River Region geboren. Da seine Familie sehr arm war, musste er nach der vierten Klasse seine Schullaufbahn abbrechen. Stattdessen setzte er diese als islamische Ausbildung fort. Mitte der 1970er Jahre konvertierte er zum schiitischen Islam. 1981 erhielt er ein Stipendium für ein dreijähriges Studium im iranischen Qum (vgl. Ahmed 2008a, 297). Neben Sheikh Idi wurde es seit 1964 weiteren angehenden Gelehrten und Predigern von der Bilal Muslim Mission ermöglicht, im Iran, Irak (Najaf) und im Libanon ihre Ausbildung fortzusetzen (Ahmed 2009, 433).

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te,, um dort diee neugegründeete Markaz Qu uran Hakim uund die dazug gehörige ma adrasa zu leitten. Zu der bisher in Nakurru ansässigen Ithnasheria Gemeinde geehörten fast aussschließlich süüdasiatische Muslime. Sheikhh Idi wollte, deem Prinzip p der Bilal Muuslim Missionn folgend, einee Verbindung zwischen schiitischen un nd sunnitischenn Muslimen heerstellen und so omit nicht wiee bisher in der südasiatisschen Khoja M Moschee, sondeern in der groß ßen Jamia Mosschee beten. Dies D stieß au uf Widerstand insbesonderee bei den sallafitisch-wahhhabitisch beein nflussten Muslimen in Naakuru, die den Schiiten darau ufhin verboten in der Jamia Moschee M u beten. Trotz dder Konflikte versuchte v Sheik kh Idi, im Geggensatz zu den meisten zu an nderen Muslim men seiner Gem meinde, weiterrhin die Jamiaa Moschee zu u nutzen. Ah hmed (2008a) beschreibt wiie er ihn immeer wieder vor der Moschee bei dem Veersuch gesehenn habe, mit sunnnitischen Musslimen ins Gesspräch zu komm men und siee von den Ideeen der Bilal Muslim Missiion zu überzeeugen, auch wenn w die meeisten ihn nichht einmal grüßtten.100 2006 erröffnete die Billal Muslim Mission im Staadtgebiet LanggaLanga eine neue n Moschee mit angrenzennder Klinik un nd Schule.. B Nakuru, 2007 2 Abbildunng 4: Masjide Bilal

Quelle: Tabbea Scharrer

100 Nicht die gesamte sunnitischhe Gemeinde ricchtete sich gegenn Sheikh Idi. Ihm m gegenüber tolerantt war zum Beisspiel der Imam Sheikh Muhsin Isa Alamoudy, der eher den Ideen deer Ikhwan al-Muuslimun nahe stan nd (vgl. Ahmed 2008a, 229-232 2).

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Auch wenn die relativ kleine Bilal Muslim Mission sehr aktiv in den Gemeinden arbeitet, wird ihr von afrikanischen Schiiten ein starkes Misstrauen entgegen gebracht. Dies rührt vor allem daher, dass gegenüber den südasiatischen Begründern und Leitern der Organisation viele Vorurteile existieren. Die Hilfe sei zwar gut gemeint, käme aber bei den Bedürftigen nicht wirklich an, da ›Asians‹ das Geld verteilen würden.101 Wahubiri wa Kiislamu (Muslim Bible Preachers) Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Gruppen konzentrieren sich die Wahubiri wa Kiislamu fast ausschließlich auf die Konversion von Christen zum Islam. Diese von Muslimen aus Westtansania begründete Bewegung hat die von christlichen Missionaren bekannte Straßenpredigt übernommen und versucht Menschen zum Islam zu bekehren, indem sie auf öffentlichen Plätzen die Bibel und den Koran ›vergleichen‹ (sie sind auch unter dem Stichwort ›comparative religion‹ bekannt) und eine muslimische Lesart der Bibel propagieren. Diese Form der Missionierung, die heute in Ostafrika eine große Rolle spielt, entwickelte sich aus verschiedenen Einflüssen heraus. Eine der Gründer der Umoja wa Wahubiri wa Kiislamu102, Sheikh Musa Hussein, wurde 1918 in Ujiji (Westtansania) geboren und studierte unter Sheikh Songoro Marjami Lweno, der aus der gleichen Region stammte. Lweno war für seine kontroversen Ansichten über die Bibel bekannt, die wiederum durch die Ahmadiyya beeinflusst wurden (Lacunza-Balda 1993, 229-230). Diese, seit den 1930er Jahren in Tabora ansässig, setzte die in Auseinandersetzung mit christlichen Predigern in Indien entwickelte polemische Dekonstruktion biblischer Texte als Mittel zur Mission in Ostafrika erstmalig ein (Ahmed 2008b, 5-6). Auch andere wichtige Vertreter der Bewegung, wie Sheikh Muhammad Ali Kawemba103 und Sheikh Musa Fundi Ngariba104, kommen aus der Region Westtansanias.105 In den 1970er Jahren gab

101 Einer meiner schiitischen Interviewpartner, Tariq, erzählte, die Bilal Muslim Mission stünde zwischen den Geldgebern und den Bedürftigen (Interview am 11.03.2005, Nakuru). 102 Seit 1990 als UMWADI, Umoja wa Wahubiri wa Kiislamu wa Mlingano wa Dini (Vereinigung Islamischer Prediger des Religionsvergleiches), bekannt. 103 Muhammad Ali Kawemba lebt heute im Oman (Ahmed 2008b, 6). 104 Der 2001 verstorbene Sheikh Musa Fundi Ngariba war vor seiner Konversion zum Islam als christlicher Prediger tätig (Ahmed 2008b, 6). 105 Ahmed (2008) nennt als weitere Vertreter dieser Bewegung Sheikh Mussa Hussein, Ustadh Swaleh Athumani Ngoy (der eine Zeitlang als Generalsekretär fungierte) und

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es immer wieder sunnitische Missionare, die mit der Ahmadiyya kooperierten und gemeinsam mit ihnen Diskussionsveranstaltungen mit christlichen Predigern organisierten (Ahmed 2008b, 6). Die Gründung der Wahubiri wa Kiislamu erfolgte 1984 nach einem Auftritt des südafrikanischen Predigers Ahmed Deedat in Dar es Salaam (Chesworth 2006, 169).106 Seine Publikationen, mit Titeln wie zum Beispiel »Christ in Islam«, »Resurrection or Resuscitation« oder »What the Bible Says about Muhammed«, hatten schon seit den 1960er Jahren weite Verbreitung in Ostafrika gefunden.107 Auch von ostafrikanischen Muslimen wird diese Gruppe im Zusammenhang mit Ahmed Deedat gesehen, dessen Schriften jedem der von mir interviewten Konvertiten bekannt waren. Ein dritter Einflussfaktor scheinen die Ideen von Sheikh Said Musa (siehe S. 87) gewesen zu sein, mit dem der Begründer der Bewegung eng verbunden war (Loimeier 2007, 144). Dieser stieß mit seiner Unterstützung der Iranischen Revolution jedoch auf Kritik. Der darüber entstandene Streit innerhalb der Wahubiri wa Kiislamu führte zur Abspaltung einer neuen Gruppe, der Al-MALLID (die Abkürzung steht für die arabische Bezeichnung al Markaz al-Islami li-tanbih al-ghafilin an al-din – Islamisches Zentrum zur Erweckung derer, die die Religion vernachlässigt haben), die 1992 offiziell registriert wurde. Diese ist, wenig verwunderlich, stärker salafitisch orientiert als die Wahubiri wa Kiislamu und richtet ihre Missionsbemühungen zudem wieder mehr auf Muslime als auf Christen aus (Ahmed 2008b, 8; Loimeier 2007, 144). Die Wahubiri wa Kiislamu sind nicht nur in Tansania, sondern auch in Kenia aktiv, insbesondere in großen Städten wie Nairobi, Kisumu oder Nakuru. Interessanterweise ist ihre Präsenz besonders stark in Momba-

Ustadh Habib Uthman Mazinge (aus Mwanza) (Ahmed 2008b, 5-8). Lacunza-Balda (1993) nennt außerdem O. Matata, der sich für den Zusammenschluss aller (von Deedat beeinflussten) dawa Gruppen einsetzte (Lacunza-Balda 1993, 93). 106 Bei seinem von der Muslim Students Association der Universität von Dar es Salaam (MSAUD) organisierten Auftritt 1991 in der Lumumba Halle sprach er über das Thema »Muhammad in the Bible«. (Njozi 2000, 6) Njozi beschreibt, wie danach einige der Zuhörer aufgrund der Rede zum Islam konvertiert seien. 107 Ahmed Deedat wurde 1918 in Indien geboren, wuchs aber in Südafrika auf und lebte dort bis zu seinem Tod 2005. Seine Missionstätigkeit war ebenfalls stark von der Ahmadiyya beeinflusst (vgl. auch Sadouni 2007 und Westerlund 2003). Von ihm geschriebene Artikel sind nicht nur in gedruckter Form, sondern auch im Internet publiziert, z.B. auf der Webseite des 1957 von ihm gegründeten Islamic Propagation Centre International (http://www.ahmed-deedat.co.za). Seine Schriften wiederum waren inspiriert durch den Text »Izhar ul-Haqq« von Maulana Rahmat Allah Kairanawi (1810-91) (vgl. Chesworth 2007, 115).

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sa, einer eher muslimischen Stadt. Dort halten sie täglich nach dem so genannten al-Asr, dem Nachmittagsgebet, öffentliche Predigten im Uhuru Garden ab.108 Trotz dieser Spaltung verwenden beide eine sehr ähnliche Form der Missionierung. Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Bewegungen, sowie den (›konservativen‹, ›modernen‹ wie auch ›reformorientierten‹) ulama predigen sie hauptsächlich außerhalb von Moscheen an öffentlichen Plätzen – auf Märkten, in Parks, an Bushaltestellen und in großen Stadien. Zudem werden diese öffentlichen Diskussionen und Predigten (mhadhara, Pl. mihadhara, Kiswahili: Lesung, öffentliche Rede, Diskussion ) in Kiswahili durchgeführt, Arabisch spielt nur eine untergeordnete Rolle.109 Auch die von ihnen publizierten Texte werden meist auf Kiswahili, einige auch auf Englisch herausgegeben. Eine deutlich größere Rolle spielen jedoch von ihnen vertriebene Audio- und Videotapes, meist Aufnahmen eben dieser öffentlichen Veranstaltungen. Der Ablauf dieser standardisierten öffentlichen Gegenüberstellungen von Bibel und Koran wirkt wie die Aufführung eines Lehr- bzw. Theaterstückes.110 Zwei Männer sitzen zusammen an einem Tisch, einer von ihnen ist durch die Kleidung als Muslim zu erkennen (er trägt eine kofia, manchmal zusätzlich auch einen kanzu), der andere trägt westliche Kleidung. Vor ihnen liegen die Bibel und der Koran. Ihnen gegenüber steht oder sitzt ein, immer wieder wechselnder, muslimischer Moderator, der Fragen an die beiden stellt. Nun entwickelt sich durch die Fragen des Moderators eine Diskussion über die Auslegung bestimmter Glaubensgrundsätze, in der die beiden anderen mit Hilfe ›ihrer‹ heiligen Schriften versuchen, Antworten zu finden. Bei allen mir bekannten Beispielen

108 Dass gerade hier die wichtigste Veranstaltung der Muslim Bible Preachers stattfindet, erklärt Ahmed mit der gewachsenen christlichen Bevölkerung aus dem Hinterland, die sich in den letzten Jahrzehnten in Mombasa niedergelassen hat (Ahmed 2008a, 332). 109 Diese abweichenden Vorgehensweisen resultieren sicherlich auch daraus, dass diese Bewegung geographisch einen anderen, den bisher besprochenen Bewegungen entgegengesetzten, Weg, aus dem Hinterland Ostafrikas an die Küste, ging. 110 Damit weichen diese Veranstaltungen erheblich vom Vorbild Ahmed Deedats ab, dessen Bibel-Koran-Vergleiche und Diskussionen mit christlichen Predigern die Form von Vorträgen hatten. Auch in dieser Art gibt es international bekannte Nachahmer wie Zakir Naik (vgl. auch S. 295) und lokal in Ostafrika auftretende, wie zum Beispiel Sheikh Ibrahim Abdullahi. In Nakuru gibt es seit 2011 ein stark von dem Vorbild Deedats beeinflusstes Islamic Propagation Centre, das jede Woche vor der Jamia Moschee eine öffentliche Veranstaltung in Form eines Vortrags organisiert. Der Leiter des IPC in Nakuru ist ein ›nubischer‹ Kenianer.

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wurde dabei insbesondere der westlich gekleidete Mann, der das Christentum vertrat, in ein regelrechtes Kreuzverhör genommen. Die Moderatoren versuchten ihn zu verunsichern, in Widersprüche zu verstricken und zu zeigen, dass er sich weniger gut in der Bibel auskannte, als sein muslimischer ›Konkurrent‹. Diesem blieb meist die Rolle des Zuhörers überlassen, der an einigen passenden Stellen selbst ein Zitat aus der Bibel vorlas. Von den Diskutanten wurde erwartet, dass sie zum einen alle Aussagen mit einem Zitat belegen können und zum anderen die entsprechenden Bibelstellen auswendig kennen, wobei der Vertreter des Christentums dabei meist etwas unbeholfen wirkte. Die widersprüchlichen Aussagen des christlichen Diskutanten werden nicht nur seiner Unwissenheit zugeschrieben, sondern auch den Widersprüchlichkeit der Bibel, insbesondere im Vergleich zum Koran. Diese werden auf von Menschen vorgenommene Veränderungen an der Bibel zurückgeführt (diese Betrachtungsweise wird ausführlich in Kapitel 8 besprochen). Um diese Annahme zu untermauern verwenden die Prediger das so genannte »Barnabas-Evangelium«, das eine große Nähe zu islamischen Sichtweisen aufweist.111 Im Laufe der Veranstaltung treten immer wieder Einzelne nach vorne und bekunden ihren Willen zu konvertieren. Danach sprechen sie die shahada, das islamische Glaubensbekenntnis, auf Kiswahili und/oder Arabisch, indem sie die Worte des Predigers wiederholen.112 Dieses Schauspiel wird von vielen Anwesenden, meist Muslimen, mitverfolgt und lebhaft kommentiert. In einer in Ostafrika verkauften Video-Aufzeichnung von einer Veranstaltung mit dem Titel »Wacha Biblia Iseme (Let the Bible speak) Yesu Haombei Ulimwengu« (Lasst die Bibel sprechen – Jesus betet nicht für die Welt) geleitet von Mazinge und

111 Das vor allem unter Muslimen bekannte und verbreitete »Barnabas-Evangelium« wird von seinen Verfechtern als einziges Zeugnis eines Zeitgenossen Jesu gesehen, dass zudem weder die Gottessohnschaft Jesu beinhaltet (und somit auch nicht zur Begründung der Trinitätslehre herangezogen werden kann) noch von seinem Kreuzestod oder seiner Auferstehung berichtet. Auch weitere Inhalte, wie zum Beispiel die Darstellung Adams als Gesandter Gottes, weisen große Ähnlichkeiten zum Islam auf. Nach Ansicht vieler Muslime wurde es deshalb 325 beim Konzil von Nicäa verboten. Allerdings lässt sich die Geschichte des »Barnabas-Evangeliums« nur bis ins 16. Jahrhundert, in Form von zwei Manuskripten in italienischer bzw. spanischer Sprache, zurückverfolgen und entspricht weder dem Inhalt des biblischen Barnabasbriefs noch den Apokryphen nach Barnabas. 112 »Ich bezeuge, dass es keine Götter außer Gott gibt, und ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist.«

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Yahya113 erklärte sogar einer der christlichen Diskutanten, er wäre bereit, zum Islam zu konvertieren. Der eigentliche Star der Veranstaltung, ein kleiner Junge, der erhöht auf einem Stuhl saß, sprach daraufhin gemeinsam mit den Konvertiten die shahada.114 Als danach zwei weitere Konvertiten vortraten, gab es Jubel

113 Leider ist es nicht möglich, die Aufnahme genau zu datieren. Aus dem Alter eines der Protagonisten lässt sich jedoch schließen, dass sie Ende der 1990er Jahre (vielleicht auch 2000) stattgefunden haben muss. Den Titel »Wacha Biblia Iseme« trägt auch ein Buch von Sheikh Ali Muhsin Al Barwani (1919, Stone Town - 2006, Muscat/ Oman). Nach seinem Abschluss 1942 von der Makerere University in Kampala, Uganda, war Ali Muhsin vor allem als sansibarischer Politiker und Diplomat im Dienste des omanischen Sultanats aktiv. Zudem war er Herausgeber der Zeitschrift Mwongozi (vgl. Glassman 2000, 405) und aktiv in der Zanzibar Nationalist Party (ZNP). Nach dem politischen Umsturz 1964 und einer längeren Zeit im tansanischen Gefängnis floh Ali Muhsin 1974 nach Kenia. Später ging er nach Dubai, wo er an einer Koranübersetzung ins sansibarische Swahili, kiunguja, arbeitete, dem »Qurani Tukufu«, der zwischen 1995 und 2000 veröffentlicht wurde. 114 Immer wieder wurde ein erklärendes Plakat in die Luft gehalten »10 years old – miracle of God – Kijana – Kiujiza ya mungu« (Letzteres ist eine Übersetzung der englischen Version). Nazim erzählte mir 2005 von diesem Jungen, Sheikh Shariff Idd, der seiner Meinung nach die Ursache für viele der Konversionen ab der Mitte der 1990er Jahre gewesen sei. Dieser käme aus einer nicht-muslimischen Familie in Tansania und habe mit drei Jahren beschlossen Muslim zu werden und mit 5 oder 6 Jahren seine gesamte Familie missioniert. Danach sei er in ganz Ostafrika herumgereist, um den Islam zu verbreiten. Bei diesen Veranstaltungen seien sehr viele Menschen konvertiert, allerdings sprach keiner der von mir interviewten Konvertiten von diesem Jungen. Inzwischen studiere er in Saudi Arabien. 1999 erschien im Scotland on Sunday, ein Artikel mit dem Titel Boy, 5, converts 1000 to Islam (08.08.1999), der die Geschichte des Jungen in ähnlichen Worten schildert. Shariff sei im Dezember 1993 in einer katholischen Familie in Arusha (Nord-Tansania) geboren worden. Schon im Alter von vier Monaten habe er begonnen Verse aus dem Koran zu zitieren. Seine ersten Worte habe er auf Arabisch gesprochen. Seine besorgten Eltern vermuteten, er sei von Dämonen besessen und riefen einen Pastor zur Hilfe. Schließlich erkannten muslimische Nachbarn der Familie die von ihm gesprochene Sprache. Neben Kiswahili und Arabisch könne Shariff Idd in drei weiteren Sprachen, Englisch, Französisch und Italienisch sprechen und weitere einfach durch Zuhören erlernen. Viele Muslime sind sich nicht sicher, ob sie der Geschichte dieses Jungen Glauben schenken sollten. Auf der einen Seite entspricht die Wundererzählung nicht dem eher rationalen Denkstil der salafitischen und wahhabitischen Muslime. Auf der

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im Publikum. Auch wenn es den muslimischen Diskussionspartnern gelang, den christlichen sichtbar zu verunsichern oder ihm die Argumente zu nehmen, reagierte das Publikum mit Gelächter und Siegerposen, wie nach oben gestreckten Armen oder zu Fäusten geballten Händen. Der von Zeit zu Zeit von den Moderatoren angestimmte Wechselruf »Takbir« (»sagt Allahu akbar«), der vom Publikum mit »Allahu akbar« erwidert wurde, wirkte wie ein Sprechchor bei einem sportlichen Wettkampf. Ahmed (2008) schreibt dazu: »The ambience during a mihadhara is always theatrical, full of word-battles and jokes. Listening to the Muslim preachers can be great fun.« (Ahmed 2008b, 11) Immer wieder gibt es Gerüchte, die zuvor genannten ›Konvertiten‹ seien in Wirklichkeit Muslime.115 Dadurch wird noch einmal der Performance-Charakter dieser Veranstaltungen unterstrichen. Somit könnte die öffentliche Zur-Schau-Stellung von Religiosität und Konversion auch als Stärkung des Selbstbewusstseins der eigenen religiösen Gruppe interpretiert und nicht unbedingt nur in Hinblick auf missionarische Aktivitäten betrachtet werden.116 Auch dass diese Inszenierungen vor allem von Muslimen besucht werden, stärkt diesen Eindruck. Allerdings stellen sich Christen durchaus diesem Wettstreit, wie die Teilnahme verschiedener christlicher Prediger an den Veranstaltungen zeigt, und versuchen ihre Positionen zu verteidigen.117 Die öffentlichen Veranstaltungen der Wahubiri wa Kiislamu führten schon in den 1980er Jahren zu Auseinandersetzungen mit christlichen Gruppierungen.

anderen Seite werden durch ihn ausgelöste Konversionen trotz allem begrüßt. Selbst über den ostafrikanischen Kontext hinaus wird die Geschichte des Jungen diskutiert. So wurde die Erzählung auf einer Webseite als Falschmeldung bezeichnet, mit der Vermutung: »... that the entire thing is an elaborate scam done by either the Christians or the Sufis with the intent to hoodwink the Muslims.« (http://www.themodern religion.com/misc/hoax/convert_boy5.htm; 19.05.2009) So könne er weder viele Sprachen, nur jeweils ein paar Formulierungen, noch den ganzen Koran auswendig. Auch sein Vater sei nach wie vor Christ und der ganze Auftritt habe eher wie eine Werbeveranstaltung gewirkt. 115 Gespräch mit Hassan Mwakimako, 2007. 116 Westerlund kommentiert in analoger Weise die Arbeit des Südafrikaners Ahmed Deedat: »... his polemical attacks against Christians and others were a way of defending the vulnerable Muslim minority in South Africa.« (Westerlund 2003, 271f.). 117 Vor allem die Siebenten-Tags-Adventisten beteiligen sich an diesen Diskussionen (Ahmed 2008b, 11). Die Einladung christlicher Prediger ist allerdings nicht die Regel. In vielen Fällen sprechen nur Muslime auf diesen Veranstaltungen, bzw. nichtausgebildete christliche Laien (vgl. auch Wandera 2007).

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Diese warfen den Muslimen vor, Unfrieden zu stiften, christliche Lehren in der Bibel anzugreifen und das Christentum im Allgemeinen zu beleidigen. Von Muslimen dagegen wurde dies als Angst vor den aus den Veranstaltungen resultierenden Konversionen interpretiert: »Since the adoption in 1984 by Muslim preachers of the method of propagating Islam using comparative religious study, and the corresponding rise of conversions to Islam from Christianity, the Catholic clergy has been instigating the government to ban Muslim preaching popularly known as ›Mihadhara‹ (public debates), alleging that they were defamatory and insulting to Christianity.«118

Obwohl es nur in einzelnen Fällen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam (z.B. 2003 in Mwanza, vgl. Hofmeier & Hirschler 2004, 313), verschärften sich die Spannungen zwischen Christen und Muslimen. Der Staat reagierte darauf mit der Ausweisung von Predigern119 und in Tansania 1992 (vgl. auch Kapitel 2.3) mit dem Verbot dieser Veranstaltungen. Muslime beklagten daraufhin, ihnen bliebe das Recht auf öffentliche Predigten, das christlichen Gruppierungen zugestanden würde, verwehrt und sahen dies als weiteren Beweis ihrer Marginalisierung.120 Aber nicht nur von christlicher, sondern auch von muslimischer Seite werden die Wahubiri wa Kiislamu kritisch betrachtet. Zum einen vermuteten einige meiner Interviewpartner, dass die dort zu beobachtenden schnellen Konversionen nur in wenigen Fällen von Dauer seien. Auch das zum Teil geringe religiöse Wissen der Prediger wurde kritisiert. Hier kommt sicherlich hinzu, dass die Wahubiri wa Kiislamu von Muslimen aus dem Hinterland dominiert werden, die weniger in die islamische Gelehrtenschaft der Küste eingebunden sind. Zum anderen ist vielen Muslimen der konfliktive Inhalt der Veranstaltungen durchaus bewusst. Einer der Interviewpartner, der sich später um ein politisches Amt bewarb, erzählte, er würde sich nicht so sehr in die Öffentlichkeit begeben wollen, um Probleme zu vermeiden.121 Hier kommt hinzu, dass die Veranstalter der mihadhara, zumindest in Tansania, auch in Auseinandersetzungen mit der regie-

118 Brief von Abdul Aziz an den Attorney General von Tansania, in dem er gegen Einschränkungen islamischer Prediger durch die tansanische Regierung protestiert. Abgedruckt in Njozi 2000, 90. 119 So wurden 1987 drei Prediger, die in Mombasa auf einer Veranstaltung sprechen wollten, nach Tansania ausgewiesen (vgl. Lacunza-Balda 1993, 231). 120 Interview mit Bakri, 2004, Moshi. 121 Interview mit Bakri, 2004, Moshi.

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rungsnahen Bakwata verstrickt sind (Lacunza-Balda 1993, 228) und somit gleich in zwei Konfliktfeldern eine aktive Position einnehmen. Während die meisten Wissenschaftler eher von einer negativen Wirkung der Muslim Bible Preacher ausgehen, versucht Ahmed (2008) zu zeigen, dass diese Bewegung auch positive Effekte haben kann. Für viele seien diese Veranstaltungen eine Möglichkeit sich zum ersten Mal mit der jeweils anderen Religion auseinanderzusetzen und Grundzüge kennenzulernen, wenn auch in Form einer häufig provozierenden Diskussion. Die von den Wahubiri wa Kiislamu in Ostafrika etablierte Form des religiösen Vergleiches hat inzwischen viele Nachahmer gefunden. Dies ist zum einen auf die Spaltung der Bewegung zurückzuführen, die nicht nur die zwei Hauptzweige betraf, sondern sich darüber hinaus fortsetzte. Ahmed (2008) schrieb dazu: »... so what the preachers lose in organization they gain in diffusion.« (Ahmed 2008b, 12) Zum anderen greifen viele muslimische Prediger und Gelehrte die Methode der Prediger und ihrer Veranstaltungen auf, um von deren Beliebtheit zu profitieren. Aber auch christliche Gruppierungen verwenden inzwischen diese Form der Missionierung und versuchen wiederum Unstimmigkeiten im Koran nachzuweisen (vgl. Chesworth 2007).

3.2 A BGRENZUNGEN UND Z UORDNUNGEN – D IE K OMPLEXITÄT ISLAMISCHER M ISSION Trotz der Unterschiede zwischen den verschiedenen Bewegungen und Gruppierungen existieren zwischen ihnen viele Ähnlichkeiten und Überlappungen. Die oben geschilderten Konflikte treten gleichzeitig mit dem Gemeinschaftsgefühl der umma auf, allerdings unter dem Vorbehalt, wer in diese Gemeinschaft eingeschlossen wird und wer nicht.122 Diese Komplexität erschwert Gläubigen wie Forschern gleichermaßen die Orientierung im Feld des Islam. Wie aus dem Beispiel der Wahubiri wa Kiislamu deutlich wird, ist die Bandbreite der einzelnen Bewegungen unter Umständen sehr groß und ihre Wirkung darüber hinaus diffus und damit schwierig zu beschreiben. Unterscheidungen zwischen verschiedenen Gruppierungen und Zuordnungen Einzelner zu bestimmten Gruppen sind oft nicht eindeutig, beziehungsweise ändern sich im Laufe der Zeit. Einzelne Grup-

122 Zu Beginn meiner Forschung wurde mir häufig gesagt, es gäbe nur einen Islam. Die Unterschiede wären eine Erfindung westlicher Medien. Die auftretenden Konflikte werden meist nicht offen diskutiert, auch da sich viele Muslime bewusst sind, dass diese dem Ideal der umma, und der damit verbundenen Selbstdarstellung eines alle Grenzen überwindenden Islam, widersprechen.

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pierungen und deren Aktivisten sind häufig von verschiedenen Ideen beeinflusst und interagieren in Netzwerken, die auch über die jeweilige Bewegung hinausreichen kann. Zudem gibt es immer wieder wechselnde Allianzen und Zuordnungen, wie zum Beispiel die Zusammenarbeit insbesondere salafitischer Gruppen mit den verschiedenen nationalen muslimischen Verbänden in Kenia verdeutlicht. Zu diesen inhaltlichen und personellen Überschneidungen zwischen den verschiedenen Bewegungen kommen Ähnlichkeiten in der Art und Weise der Missionsarbeit. Viele Gruppen unterhalten eigene Moscheen, Schulen, Madaris, Bibliotheken, Kindergärten, Waisen- und Krankenhäuser, Kliniken und in kleineren Orten Brunnen. Während des Ramadan werden Spenden an Bedürftige ausgegeben, die Missionare kümmern sich um Gefangene und im Rahmen des religiösen Unterrichtes werden Schulkinder angesprochen. Darüber hinaus werden Kurse für Konvertiten angeboten. In Bezug auf die Wahubiri wa Kiislamu und die Tablighi Jama'at ist dies etwas einzuschränken, bezogen auf die erste Gruppierung da weniger Finanzen zur Verfügung stehen, bezogen auf die zweite da die Missionsarbeit auf einer niedrigeren öffentlichen Ebene stattfindet. Die Tablighi Jama'at arbeitet stärker über informelle Ankündigungen und Predigten in der Moschee, da sie sich zunächst vor allem an Muslime richtet. Die anderen drei beschriebenen Bewegungen sind deutlich präsenter in der Öffentlichkeit. Im Falle der salafitisch geprägten Gruppen kommt zum Teil eine Einbindung in politische Aktivitäten hinzu, die wiederum ihr Selbstbild prägen. Die Bilal Muslim Mission hingegen hält sich in der politischen Sphäre zurück, arbeitet stattdessen aber zum Beispiel in Schulen. So nutzte in Nakuru Sheikh Idi Abdallah den Islamischen Religionsunterricht (Islamic Religious Education, IRE), um den schiitischen Islam vorzustellen.123 Eine gezielte Ansprache von Jugendlichen war jedoch bei allen vier Missionsbewegungen zu beobachten. Weitere Unterschiede werden auf den Ebenen der internen Struktur, der verwendeten Medien und der Formen öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen deutlich. Die Verbreitung salafitischer Gruppen und der Wahubiri wa Kiislamu beruhen stark auf einer ideellen Einbindung von Muslimen durch Schriften, den Besuch bestimmter Prediger und Moscheen, sowie durch persönliche Netzwerke und weisen verglichen mit der Tablighi Jama'at eine relativ lose Struktur auf. Auch bei dieser ist zunächst eine lose Anbindung möglich, bei zunehmender Aktivität ist jedoch ein interner Aufstieg in stärker verfestigte Strukturen möglich. Auch die Beteiligung an der Bilal Muslim Mission ist durch die mit ihr verbundene Konversion zum schiitischen Islam stärker formalisiert. Alle Bewegungen nutzen mediale Möglichkeiten intensiv, wobei die Tablighi Jama'at ihre Schriften vor allem intern

123 Interview mit Sheikh Idi Abdallah, 2007.

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veröffentlicht und die Wahubiri wa Kiislamu stark über nicht-schriftliche Medien, wie Kassetten, arbeitet. Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, wie zum Beispiel maulidi Feiern, wurden durch den Einfluss der salafitischen Bewegung im Hinterland Ostafrikas stark eingeschränkt. Allerdings kann argumentiert werden, dass diese Veranstaltungen lediglich von anderen Möglichkeiten der Feier, bzw. der Präsentation, abgelöst wurden. Insbesondere die ijtima der Tablighi Jama'at und die miadhara der Muslim Bible Preacher sind hier zu nennen. Auch die Diskussionsveranstaltungen salafitischer Gruppen sind, insbesondere nach Einladung berühmter Prediger, Treffpunkte vieler Muslime und, wenn auch nüchterne, Feierlichkeiten. Wie gezeigt wurde, sind auch maulidi Feiern noch, bzw. wieder, präsent. Im Falle der Bilal Muslim Mission wurde sogar die Schulfeier in Rasul als maulidi Feier veranstaltet.124 Bei muslimischen Aktivisten der einzelnen Strömungen lässt sich häufig ein bestimmter Habitus, der sie von anderen abgrenzt, erkennen.125 Sie ordnen sich bewusst bestimmten Gruppierungen und Netzwerken zu, zum Teil auch durch offensichtliche Abgrenzungen von anderen, und zeigen ihre Positionierung durch geeignete ›Marker‹. Leicht nach außen ersichtlich ist das Zeigen einer Gruppen-Identität durch Kleidung. Dies kann vom Tragen einer kofia (der früheren Kopfbedeckung der Küste, die anzeigte, dass der Träger bereits eine Hajj absolviert hatte) oder eines kanzu als Zeichen einer Zuordnung zur Gemeinschaft der Muslime über den Turban der Tablighi Jama'at, das Tragen der arabischen kufiya (auch als Palästinensertuch bekannt, das als Kennzeichen der Nähe zum politischen Islam interpretiert werden kann) bis zu den genauen Kleidungsvorschriften der Salafiyya reichen. Letztere sind vor allem durch die kürzeren etwa wadenlangen Hosen der Männer erkennbar126, die damit eine rituelle Verschmutzung ihrer Kleidung durch den Boden zu vermeiden suchen. Zudem sind sie bemüht, ihre Bärte wachsen zu lassen. Frauen in dieser Bewegung sind häufig komplett verschleiert, das heißt sie tragen auch Gesichtsschleier, Handschuhe und Socken, um kein Stück ihrer Haut unbedeckt zu lassen (vgl. van de Bruinhorst 2007,

124 Zu dieser Jahresfeier der Schule 2005 wurde auch ein Koran-Rezitations-Wettbewerb veranstaltet und es wurden Qaswidas (islamische Gedichte) rezitiert, bzw. gesungen. 125 Vgl. auch Starrett 1995, der in diesem Text das bourdieusche Konzept der »body hexis« im Hinblick auf den Islam in Ägypten betrachtet. 126 Das Tragen von Kleidungsstücken die über das Fußgelenk hinaus reichen wird bei Männern als isbaal bezeichnet und ist nach Meinung einiger Muslime der Überlieferung zufolge haraam (verboten, diese Auslegung bezieht sich unter anderem auf eine Hadith in Sahih al-Bukhari Band 7, Buch 72, Hadith 678).

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96-97). In der Moschee werden die Unterschiede vor allem durch die Gebetshaltungen, die beim Gebet verwendeten Formeln und die Häufigkeit der Gebete deutlich (van de Bruinhorst 2007, 332)127. Auch wenn die Unterschiede von außen betrachtet nur gering erscheinen, erhalten sie durch ihre Abgrenzungsfunktion und die hinten den Symbolen stehende Interpretation des Islam großes Gewicht. Aber auch der Besuch bestimmter Moscheen oder Prediger weist auf die Positionierung von Muslimen hin. Ebenso wird an den persönlichen Netzwerken, beziehungsweise daran, wer aus diesen explizit ausgeschlossen wird, oft eine Selbst-Verortung deutlich. Hinzu kommen das Interesse für bestimmte islamische Autoren, die Abgrenzung von anderen Lesegewohnheiten sowie die Annahme eines bestimmten Lebensstiles. So werden zum Beispiel von Muslimen, die eher von der salafitischen Strömung beeinflusst sind, häufig Romane kritisiert mit dem Hinweis, diese würden nicht die Realität widerspiegeln und dienten lediglich der Zerstreuung. Auf der anderen Seite werden Kampfsportarten als sehr positiv für Muslime dargestellt, da sie deren Selbstbewusstsein und Widerstandsfähigkeit förderten. Diese Bezugnahmen tauchen immer wieder in Gesprächen auf und werden von Muslimen genutzt um ihre Nähe oder Ferne von dieser Strömung darzustellen. Die Mehrheit der Muslime ist jedoch kaum in diese Strukturen eingebunden. Besuchen diese eine Veranstaltung eines salafitischen Predigers, kann dies auch aus reinem Interesse oder aus Neugier geschehen, oder auch ein Anlass sein, Bekannte zu treffen. Ebenso gehen Muslime auch in die Ansar al-Sunna Moschee, wenn diese zur Gebetszeit am nächsten liegt. Gerade an diese nicht eingebundene Mehrheit der Muslime richten sich die oben vorstellten konkurrierenden Missionsbewegungen. Durch regelmäßige Besuche bestimmter Moscheen und Prediger kann es zu einer graduellen Änderung des Verständnisses des Islam kommen, einem Lernprozess, an dem am Ende eine andere Sicht darauf steht, was ›normaler‹ bzw. ›richtiger‹ Islam bedeutet. Diese Muslime nehmen somit die Sicht einer bestimmten Strömung des Islam an, ohne sich unbedingt bewusst dafür zu entscheiden, bzw. ohne sich als dieser Strömung angehörig oder eine andere Strömung verlassend zu fühlen. Inwiefern auch in diesem Falle von Konversion gesprochen werden kann, wird im Laufe dieser Arbeit untersucht. Auch wenn sich diese Bewegungen meist an Muslime wenden, spielen sie auch für Konvertiten aus dem Christentum eine große Rolle, da diese häufig ihre erste islamische Bildung von den besonders aktiven Bewegungen erhalten.

127 Er verweist an gleicher Stelle auch darauf, dass sich trotz dieser Unterschiede der Großteil der Muslime zum gemeinsamen Gebet trifft.

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3.3 K ONKURRENZ

RELIGIÖSER

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M ISSIONSBEWEGUNGEN

Christliche Mission Die muslimischen Missionsbewegungen bewegen sich im gleichen religiösen Feld wie christliche Bewegungen, bei denen ähnliche Spaltungstendenzen und Einflusszunahmen fundamentalistischer Strömungen zu beobachten sind.128 1844 wurde von Johann Ludwig Krapf, einem Missionar der Church Missionary Society (CMS), nördlich von Mombasa die erste englische Missionsstation in Ostafrika gegründet. Schon im 19. Jh. wurden von dieser modernen Missionsgesellschaft öffentliche, meist gut besuchte, Straßenpredigten eingesetzt, auf die die Bevölkerung mit parodierenden Antworten reagierte.129 Ab den 1940er Jahren nahm diese Praxis durch zunehmende Konflikte mit Muslimen ab. Schon seit Beginn des 20 Jh. spalteten sich immer wieder Gruppen, die unter dem Begriff der African Independent Churches gefasst werden, von den Missionskirchen ab. Den Höhepunkt erreichte diese Bewegung in den 1960er Jahren (vgl. Gifford 2004). In den 1950er und 1960er Jahren begannen internationale Evangelisten, wie Billy Graham (1960) oder T. L. Osborn (1957), in Ostafrika zu predigen. Die charismatische Pfingstkirchenbewegung mit ihren großen öffentlichen Messen wurde insbesondere in Kenia immer stärker und ab Mitte der 1980er zur Normalität.130 Gifford (2004) schreibt dazu: »In all African major cities now there are charismatic prayer centres, all-night services, conventions, crusades and Bible schools. They make themselves evident in new buildings, bumper stickers and banners, and particularly, the posters that everywhere advertise an enormous range of forthcoming activities. No one with a radio or television can avoid

128 Gifford zufolge seien im Prinzip fast alle Christen in Afrika als fundamentalistisch zu beschreiben, da viele afrikanische Christen von einer Unfehlbarkeit der Bibel ausgingen (Gifford 1995, 198). In Betrachtung des zuvor eingeführten weitergehenden Fundamentalismus-Begriffes (vgl. S. 84) muss diese Aussage allerdings eingeschränkt werden. 129 Schon von 1894 gibt es Berichte über open-air meetings auf Marktplätzen (Chesworth 2006, 161). Die CMS demonstrierte diese öffentliche Predigt auch den Deutschen Missionaren der Neukirchner Mission in Lamu, denen diese Form der Mission bis dahin nicht vertraut war (ebd., 162). 130 Diese fielen insbesondere durch ihre starke Anlehnung an die westliche Kultur auf. Anstelle von Roben trugen sie Anzüge und statt in den lokalen Sprachen beteten sie in Englisch (Gifford 2004, 170).

116 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION their media productions. Above all, everyone knows of the new religious superstars, and the burgeoning crop of new ›prophets‹.« (Gifford 2004, 170)

Auch in Tansania hat sich die Kirchenlandschaft durch die neue Stärke der bis in die 1970er Jahre hinein marginalen Pfingstkirchen deutlich, wenn auch nicht so stark wie in Kenia, geändert (Ludwig 1995, 221). Die gleichzeitig stattfindende Aufspaltung dieser Bewegung vergrößerte ihren Einfluss eher noch (vgl. Ludwig 1995, 222). Der Einfluss der charismatischen Bewegung mit der Betonung von Visionen, Prophezeiungen und Heilungen durch Gebete geht weit über die Pfingstkirchen hinaus und ist auch stark in anderen protestantischen Gemeinden und zum Teil auch in der katholischen Kirche anzutreffen.131 Dies resultiert auch aus deren Angst, Gemeindeglieder und somit Einfluss zu verlieren, falls sie sich dem Trend des Klatschens, Singens, Tanzens und Zeugnis-Ablegens verweigerten (Ludwig 1995, 223). Die große Anziehungskraft der charismatischen Kirchen ist zum einen in deren Fokus auf persönlichen Erfolg, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, zu sehen. Durch die individuelle Entscheidung der Hinwendung zu Gott und den damit verbundenen Neuanfang (›born again‹) wird der Gläubige schon im diesseitigen Leben belohnt. Dieses »faith gospel« wird auch damit verbunden, den Glauben an Gott mit finanzieller Unterstützung der Gemeinden und seiner Repräsentanten sichtbar zu machen, entsprechend des biblischen Bildes des Säens und Erntens (vgl. Gifford 2004, 174 und Ludwig 1995, 221-222). Die in Kenia wie in Tansania weit verbreitete Gleichsetzung der Pfingstkirchen mit Unternehmen132 rührt nicht nur aus deren Fokus auf persönlichen Erfolg. Christliche Kirchen sind zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor aufgestiegen. Gifford (2004) schätzt, dass Kirchen in vielen afrikanischen Ländern nach dem Staat und den Hilfsorganisationen zum drittwichtigsten Arbeitgeber aufgestiegen sind (Gifford 2004, 174). Zum anderen argumentiert Gifford, dass die Vorstellung göttlicher Präsenz im täglichen Leben, die nur durch das Eingreifen dämonischer Mächte blockiert seien können, die wiederum besiegt werden müssen, afrikani-

131 Interviews mit Fahamu und Theresia 2004 und 2007 in Moshi. In diesem Zusammenhang kann von einer »charismatization« der historischen oder Missionskirchen gesprochen werden (Gifford 2004, 174). Vgl. auch hier Meyer (2004) zum »pentecoastalite style«. 132 Dies wird zum Teil auch verallgemeinert als »religion is money« ausgedrückt (z.B. in einem Gespräch mit Christen und Muslimen in Moshi 2004).

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scher Religiosität entsprächen (Gifford 2004, 175).133 Während diese Erlösung (›deliverance‹) durch die Austreibung dämonischer Geister bis etwa Mitte der 1990er Jahre vor allem in ›prayer camps‹ stattfand, geschieht dies heute vor allem auf den so genannten ›crusades‹ durch sich selbst als Propheten stilisierende Prediger (Gifford 2004, 172-173).134 Der Erfolg der Pfingstkirchen liegt aber auch in deren sehr starken Missionsbemühungen begründet. So stehen hinter vielen der neuen ›church grow‹ Initiativen Ideen und Ressourcen des AD2000 & Beyond Movement, dass sich »A Church for Every People and the Gospel for Every Person by AD 2000« zum Ziel gesetzt hatte. Diese Initiative setzte einen besonderen Fokus auf von Muslimen bewohnte Gebiete, in dem es die Idee des ›10/40 Fensters‹ (dem Gebiet zwischen dem 10ten und dem 40ten Breitengrad nördlich des Äquators, das das nördliche Afrika, den Nahen Osten, Südasien, China und Japan umfasst) verbreitete, da dieses Gebiet »... the largest spiritually bankrupt ethnolinguistic megapeoples« umfasse und es »numerous strongholds of Satan« einschließe (Gifford 1994, 530-531).135 Klima der Mission und Konkurrenz Bei Betrachtung der unterschiedlichen Missionsbewegungen, zu den muslimischen und christlichen kommen, wie in der Einleitung dargestellt, weitere Bewegungen hinzu, wird die Komplexität und Vielfalt des religiösen Feldes in

133 Hier ist allerdings zu fragen, warum charismatische Kirchen auch außerhalb Afrikas so große Erfolge zu verzeichnen haben. 134 Diese als ›Kreuzzüge‹ bezeichneten Treffen finden meist über mehrere Tage hinweg in öffentlichen Räumen wie Stadien oder Parks statt. Häufig werden sie von mehreren Kirchen gemeinsam organisiert, die vor allem Chöre und bekannte Prediger einladen. Letztere bedienen sich dabei zum Teil einer sehr aggressiven Sprache (Ludwig 1995, 221-222). Dies lässt sich zum Beispiel bei den Auftritten von Pastor Pius Muiru (Leiter des Maximum Miracle Centre, Nairobi) einem der bekanntesten Prediger in Kenia beobachten, insbesondere in seiner vom kenianischen Staatsfernsehen KBC übertragenen Sendung Kuna Nuru Gizani (Es gibt Licht in der Dunkelheit). 135 Dort stellt Gifford auch fest, dass »[...] for Africa’s mushrooming new churches, Muslims are part of the empire of Satan; for them, the only properly Christian attitude to a Muslim is to convert him.« Inzwischen werden diese Ziele durch das Joshua Project weiter verfolgt.

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Ostafrika deutlich. Diese marktähnliche Konkurrenzsituation136 führt wiederum, nach Ansicht insbesondere der amerikanischen Religionssoziologie, zu einer Belebung von Religion (Pollack 2002, 374) und könnte somit die weitere Intensivierung religiöser Diskurse und Deutungsmuster in Ostafrika erklären. Die verschiedenen Bewegungen arbeiten aber nicht nur gegeneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig, insbesondere im Hinblick auf die Formen der Missionierung. Wie gezeigt wurde, griffen Muslime nicht nur den von christlichen Gemeinden verbreiteten Stil der öffentliche Predigten auf: »The practice of inviting foreign ›revivalists‹, spreading tracts and pamphlets, as well as putting stickers on vehicles and distributing cassettes and videos has become more common among Muslims.« (Lodhi & Westerlund 1999, 108-109) Die Aushandlung der Konkurrenz erfolgt sehr stark über öffentliche Sicht- und Hörbarkeit der unterschiedlichen Gruppen. So war bei meinem ersten Aufenthalt in Nakuru 2004 der Ruf des Muezzins zum Freitagsgebet in der gesamten Innenstadt deutlich zu vernehmen. Ein Jahr später hatte sich in etwa einem Kilometer Entfernung eine kleine Kirche in der Innenstadt niedergelassen, die jeden Mittag, parallel zum islamischen Gebet, zu einem Lunch hour meeting einlud und mit Gospelsongs darauf aufmerksam machte. Da beide Gemeinden Lautsprecher verwendeten, übertönte die Einladung zum christlichen Gottesdienst nun die der islamischen Gemeinde zum Gebet in diesem Teil der Stadt. Im Vergleich zu den von Hirschkind (2006) beschriebenen »Islamic soundscapes«137 in Ägypten, durch die islamische Predigten in das alltägliche Stadtleben verwoben werden, wird auch dieses Ringen um akustische Dominanz als Wettkampf ausgetragen. Dieses Bemühen um Hörbarkeit wird in Ostafrika jedoch auch kritisch betrachtet und zum Teil als »noise pollution« bezeichnet.138 Örtlich werden immer wieder Verbote, vor allem der nächtlichen kirchlichen Veranstaltungen, gefordert.139

136 Die immer wieder verwendeten Begriffe des ›religiösen Marktes‹ oder des ›Konversionsmarktes‹ werden hier nicht verwendet, da sie als reine Metaphern keinen analytischen Wert besitzen. Lediglich Vertreter von Rational Choice Ansätzen benutzten diese Konzepte als aussagekräftige Modelle. Diese Ansätze werden hier aber nicht vertreten. 137 Mit »Islamic soundscape« bezeichnet er »ways of reconfiguring urban space acoustically through the use of Islamic media forms« (Hirschkind 2006, 6). 138 So wurde schon 2001 in einem Zeitungsartikel geschrieben: »Public reading is becoming a threat to security. Worse still, it has become a public nuisance, causing noise pollution.« (Let’s Ban Public Preaching, The East African, 05.11.2001) 139 In Kenia wurde 2009 ein solches Gesetz verabschiedet, dass von der National Environmental Management Authority durchgesetzt werden soll (vgl. Negotiate with re-

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Bisher ist diese Konkurrenz in Ostafrika, im Gegensatz zu anderen vergleichbaren Regionen Afrikas wie zum Beispiel Nigeria, selten in Gewalt zwischen Christen und Muslime umgeschlagen. Auch wenn gewaltsame Konflikte wie zum Beispiel in Nairobi (2000), als die Vertreibung von Händlern vom Grundstück einer Moschee im Slumgebiet South B zunächst zur Brandstiftung an der Moschee und später zu einem Vergeltungsschlag gegen eine Katholische Kirche im gleichen Stadtgebiet führten140, oder die Zerstörung einer Katholischen Kirche in Sansibar 1997 durch Muslime (Oded 2000, 170) sporadisch auftreten, war damit bisher nie eine ähnlich ausufernde Gewalt wie bei christlich-muslimischen Auseinandersetzungen in Nigeria oder bei politischen Auseinandersetzungen in Ostafrika, wie zum Beispiel nach der Wahl in Kenia 2007/ 2008, verbunden. Zudem waren diese inter-religiösen Konflikte von vergleichbarer Bedeutung wie die immer wieder auftretenden internen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen muslimischen Fraktionen oder unterschiedlichen Abspaltungen christlicher Gemeinden. Allerdings ist eine latente Angst vor einem Umschlagen der Konkurrenz in gewaltsame Konflikte durchaus vorhanden, wie öffentliche Diskussionen und immer wieder erfolgende Aufrufe zu einem friedlichen Umgang miteinander zeigen. Als zum Beispiel der libysche Präsident Muammar al-Gaddafi 2008 in Uganda während einer Rede anlässlich der Einweihung der nach ihm benannten größten Moschee im subsaharischen Afrika die Bibel zur Fälschung erklärte, da der Name des Propheten Mohammed darin nicht vorkäme, wurde ihm das Schüren eines inter-religiösen Konfliktes vorgeworfen.141 Muslime dagegen sehen in

ligious groups on ›noise‹ rules, The Standard, 25.11.2009). Muslime befürchteten daraufhin, in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt zu werden, wenn auch der Ruf zum Gebet von diesem Gesetz betroffen sei (z.B. Friday Bulletin, 20.07.2009). 140 Pleas For Calm As Church Burns, The Daily Nation, 02.12.2000. In Kenia gab es weitere, ähnliche Fälle z.B. 2003, als fünf Kirchen im Tana River Gebiet niedergebrannt wurden, nachdem ein zum Islam konvertierter ehemaliger christlicher Prediger aufgrund von anti-christlichen Predigen verhaftet worden war (Five Churches Torched in Tana River District, The East African Standard, 20.06.2003) oder 2006, als die christliche Radiostation Hope FM von unbekannten Tätern überfallen wurde (Muslims Condemn Attack On Radio Station, The East African Standard, 15.05.2006) 141 Religionism a Threat to East African Unity, The East African Standard, 30.03.2008. Gaddafi griff mit dieser Argumentationsweise ostafrikanische Diskussionsmuster auf, jedoch in einer anderen Weise als diese normalerweise verwendet werden. Die Wahubiri wa Kiislamu führen, ähnlich wie Ahmed Deedat, eher Stellen in der Bibel

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der zum Teil militanten Sprache christlicher Prediger, wie zum Beispiel des bekannten Predigers Reinhard Bonnke und deren uneingeschränkte Möglichkeiten des öffentlichen Auftretens, eine Gefahr für den religiösen Frieden: »The widely-heralded, seemingly unstoppable advance of Christianity, exemplified by Bonnke and his seemingly limitless resources, personnel and technology, appears as the ultimate threat to Muslims. To Muslims, Bonnke’s aim is the elimination of every mosque from Africa in the shortest possible time. This elimination is to be achieved through evangelisation and not through arson [...] but in Muslim eyes the ultimate effect is the same, their cultural annihilation.« (Gifford 1992, 17)

Lissi Rassmussen (1993) erklärt diese bisher eher friedliche Konkurrenz zwischen Christentum und Islam in Bezug auf Tansania damit, dass Religion historisch nicht wie in Nigeria im Zentrum gewaltsamer Auseinandersetzungen (wie z.B. in den westafrikanischen jihads nach dem Vorbild Usman dan Fodio im 19. Jh.) stand oder als Trennlinie von Konfliktparteien (im Bürgerkrieg nach der Abspaltung der selbsternannten Republik Biafra 1967-1970) diente. In Tansania dagegen sieht sie Religion eher als ein vereinendes Element, wie sie am Beispiel der Debatte über die Reform des Familienrechtes zwischen 1969 und 1971 darstellt (vgl. Rasmussen 1993, 107-111). Auch die politische Einbindung von Muslimen in Tansania wie in Kenia führe dazu, dass in den meisten Fällen Konfliktlinien nicht zwischen religiösen Lagern, sondern zwischen Parteien bzw. personellen Netzwerken verlaufen. Bei Betrachtung des in Ostafrika so präsenten Bibel-Koran-Vergleiches lässt sich zudem argumentieren, dass tradierte Spielregeln des Wettkampfes auf den Bereich der christlich-muslimischen Konkurrenz übertragen wurden. Das in Ostafrika, vor allem im Raum der Swahili Gesellschaft, verbreitete Prinzip der kompetitiven Opposition, upinzani, wurde bereits von verschiedenen Wissenschaftlern auf den Gebieten der Tanzgesellschaften (Ranger 1975), Musik (Gunderson 2000), von Fußballklubs (Tsuruta 2003) und den in ›Moieties‹ unterteilten Swahili Städten (Horton & Middleton 2000) untersucht. Insbesondere in Bezug auf die Tanzgesellschaften wurde beschrieben, wie die Verspottung der anderen zur Aufwertung der eigenen Gruppe genutzt wurde (vgl. Tsuruta 2003, 199). Askew schrieb dazu:

an, die als Hinweise auf das spätere Erscheinen des Propheten gedeutet werden (vgl. Kap. 8).

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»Upinzani is clearly a major aesthetic tenet of Swahili society. While I would avoid essentializing it as ›part of the coastal character‹, there is no denying the attraction it holds now, as in times past, for many Swahili individuals and groups. This generates the need to acquire a competitive advantage through continual innovation, inventive appropriation and [...] skilled application of figurative language.« (Askew 2003, 619)

Auch im Falle der missionierenden Gruppen wird die Konkurrenz zwischen Christentum und Islam eher als Wettkampf dargestellt und gelebt. Es geht nicht um die Vernichtung des anderen, sondern um den Beweis der eigenen Stärke. So wie die mihadhara der Wahubiri wa Kiislamu als Selbstbestätigung der muslimischen Gemeinden interpretiert werden können, lässt sich ähnliches bei den Heilungszeremonien der christlichen ›crusades‹ beobachten. Die erfolgreiche Inszenierung des Konfliktes im Falle des Bibel-Koran-Vergleiches wurde von christlichen Gruppen aufgenommen und angepasst. Der Begriff des ›christlich-muslimischen Dialogs‹ ist inzwischen eher zu einem Euphemismus für eben diese Inszenierung geworden.142 Bedeutung von Konversionen Neben öffentliche Diskussionen, Predigten und Heilungen zählen Konversionen ebenfalls zum Spielraum religiöser Mission. Konversionen dienen in diesem Ringen um mehr Einfluss als wichtiges Mittel zur Aushandlung der Konkurrenz. Missionare nutzen Erzählungen über Konvertiten, um zu zeigen, wie einfach es ist zu ihrer Religion zu wechseln, wie viele Menschen sie schon überzeugen konnten und wie über Konversion gesprochen werden sollte. Zahlen über Konvertiten sollen den Erfolg einer Bewegung zeigen, deshalb werden sie wie im Falle der Bilal-Muslim-Mission sogar im Jahresbericht festgehalten. Da Konversionen eine Verkörperung der Stärke einer religiösen Gemeinschaft darstellen, existiert gleichzeitig eine große Angst vor dem Missionserfolg der jeweils Anderen. Dies wird nicht nur an der Resonanz der Geschehnisse um Mama Sarah Obama deutlich, sondern zum Beispiel auch an den Kontroversen, die durch Hilfsorganisationen ausgelöst werden. Immer wieder wird christlichen

142 Diese Verwendung ist jedoch nicht auf Ostafrika beschränkt. So beschreibt zum Beispiel Razaq 2004, ähnliche Beispiele für den europäischen Raum. Allerdings verwendet er selbst die Begriffe ›Dialog‹ und ›Polemik‹ immer wieder deckungsgleich.

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Hilfsorganisationen vorgeworfen, das eigentliche Ziel ihres Engagements sei die Missionierung von Muslimen.143 Bei meinem ersten Aufenthalt in Nakuru wurde ich sogar Zeugin einer Konversion. Der Ende 20jährige Konvertit gehörte zuvor einer evangelikalen Gruppe an und sei ursprünglich in das Büro der islamischen Gemeinde gekommen, um über Religion zu diskutieren, nicht aber um zum Islam zu konvertieren. Er stellte sich selbst als Abraham vor, man könne ihn aber auch Ibrahim nennen, das sei ja das gleiche. Der Sekretär der islamischen Gemeinde wies ihn sogleich zurecht und sagte, dass Gott Abraham befohlen habe, sich Ibrahim zu nennen. Somit sei der zweite Name ›gottvoller‹. Dann bat er den Mann in sein Büro. Einige Zeit später kam der Imam Shabaan Wegulo Yusuf dazu, der sich vorher in der Bibliothek aufgehalten hatte. Als der Gemeindesekretär mich hinein rief, war der Imam gerade dabei, die shahada, das islamische Glaubensbekenntnis, zu erklären. Der Mann konnte es kaum richtig aussprechen, aber hielt bald Jibrils Hand und dieser schärfte ihm wiederholt den Inhalt des Bekenntnisses ein. Dann stand der Mann, strahlend übers ganze Gesicht, auf, gab uns allen die Hand, bedankte sich herzlich und ging. Der Imam sagte, ab morgen würde er die Grundlagen des Islam lernen. Allerdings erhielt der Konvertit kein Zertifikat, das normalerweise ausgegeben wird.144 Die Moscheen führen zudem ein Register über die Anzahl der ausgestellten Zertifikate. Mir kam die ganze Situation sehr unwirklich vor. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob die Konversion dieses Mannes, den ich leider nie wieder gehen habe, für mich organisiert worden war oder ob sie auch ohne mich stattgefunden hätte. Selbst bei muslimischen Gruppierungen die eher innerhalb der islamischen Gemeinden aktiv sind, gilt eine erfolgreiche Mission von Christen als ein besonderer Erfolg. Deshalb wirkt ihre Arbeit zum Teil stärker nach außen, auf das

143 Dies wurde zum Beispiel World Vision International im Friday Bulletin in Bezug auf ihre Arbeit in Kilifi vorgeworfen. Gleichzeitig wurde dabei zum Ausdruck gebracht, dass diese Hilfslieferungen eher von Muslimen als von Christen verteilt werden sollten (vgl. auch Muslims Claim They’re Sidelined in Food Distribution, The East African Standard, 5.12.2004). 144 Diese werden allerdings auch dann ausgegeben, wenn Menschen eine Bescheinigung über eine Konversion brauchen, ihre Konversion jedoch schon länger zurück liegt, bzw. es keine Zeugen für diese Konversion gibt. So kam 2005 eine Familie in das Büro des Gemeindesekretärs in Kisumu und verlangte solch eine Bescheinigung. Sie seien vor zwei Jahren zum Islam konvertiert und bräuchten die Unterlagen nun. Ohne eine Nachfrage wurde ihnen das Zertifikat ausgehändigt.

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Christentum, gerichtet, als dies ihren eigentlichen Zielen entspricht. So schreibt Ahmed (2008) über muslimische Bewegungen in Ostafrika: »Conversion publicity has become a tradition. After the collective prayer in the main mosque in Nairobi (Jama'at Mosque), the imam often announces over the microphone the name of a person who has just converted to Islam. The new convert then takes the microphone and repeats after the imam the words of the Shahada, the Islamic profession of faith, in Kiswahili and occasionally in Arabic. [...] They [Muslims] enjoy the conversions that take place during the mihadhara and like to listen to the stories new converts relate and the confessions they make ̃ edifying tales on how they found the right path toward Islam. The reenactment of conversion, or rather of the narrativity of conversion, affects the spectators all the more because they see those concerned constantly in the streets, at work or at the market.« (Ahmed 2008b, 11)

Erzählungen über und von Konvertiten nehmen eine zentrale Rolle ein, sie werden von Bekannten weitererzählt und zum Teil für Missionszwecke veröffentlicht. Auch im Umfeld der christlichen Missionsbewegungen stellen sie, wie Gifford (2004) zeigt, ein wichtiges Medium dar: »Testimonies are an important aid in establishing what this new Christianity is about. Besides the continual stream of testimonies over the airwaves and the readily proffered testimonies of Christians you meet, a good many of these churches have time within services for testimonies from members. The testimonies almost invariably focus on the material realm, on finances, marriage, children, visas, jobs, promotion, travel. Only a small fraction, perhaps 10%, refer to moral reform or deliverance from laziness or drink. Testimonies support the contention that these churches are about success in the way described above.« (Gifford 2004, 173)

Folgt man dieser Beschreibung Giffords spiegeln sich in den Konversionserzählungen vor allem die Inhalte der charismatischen Kirchen wider, weniger aber individuelle Erfahrungen der Konvertiten. Im Laufe dieser Arbeit wird deshalb gefragt, welche Narrative der Konversion zum Islam in Ostafrika zurzeit vorherrschen und wie diejenigen, die zum oder innerhalb des Islam konvertieren diesen Prozess erleben und beschreiben.

II Theoretische und methodische Grundlagen

Einführung

Nachdem im ersten Teil der Arbeit die Grundlage für das Verständnis islamischer Konversionsbiographien in Ostafrika gelegt wurde, wird in den zwei folgenden Kapiteln gezeigt, warum Autobiographien im Zentrum dieser Forschung standen und wie mit ihnen gearbeitet wurde. Zunächst wird der von Christentum und Islam beeinflusste emische Konversionsbegriff in Ostafrika herausgearbeitet. Dabei wird deutlich, dass mit Konversion heute vor allem ein formaler Übertritt von einer klar abgegrenzten Religion zu einer anderen bezeichnet wird. In selteneren Fällen wird das Konzept jedoch auch für eine Intensivierung des Glaubens verwendet. Im nächsten Schritt wird die wissenschaftliche Forschung zum Thema Konversion ausführlich dargestellt, wobei Arbeiten zu Europa und Nordamerika mit Untersuchungen zu Afrika in Beziehung gesetzt werden. Dabei wird erkennbar, dass auch hier häufig eher über Religionswechsel geforscht wurde, als über Bekehrung im Sinne einer Intensivierung des Glaubens. Während dabei für Europa und Nordamerika auch der individuelle Umgang mit Konversion betrachtet wurde, stand für Afrika zumeist die Konversion von Gruppen im Fokus. In Bezug auf Ansätze, die das Individuum in den Mittelpunkt stellten, waren für diese Arbeit besonders diejenigen interessant, die nicht den kaum erfassbaren äußeren Gründen für Konversionen nachgehen, sondern eher die Perspektive der Konvertiten selbst untersuchen. Zu deren Erfassung eignen sich insbesondere Konversionserzählungen, deren verschiedene Dimensionen am Ende des Kapitels dargestellt werden. Konversionserzählungen sind eine Form der (auto-)biographischen Narration, die in Kapitel 5 vorgestellt wird. Zunächst wird in ethnologische Ansätze zur Untersuchung von Biographien eingeführt. Daran anschließend werden verschiedene Formen des biographischen Erzählens in Ostafrika erläutert. Schließlich wird detailliert dargestellt, wie bei der Erhebung der Daten und bei ihrer Auswertung vorgegangen wurde. Dabei wird die zu Beginn dargestellte Kritik an der ethnologischen Biographieforschung zum Anlass genommen, neue Wege bei

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der Auswertung und Darstellung autobiographischer Erzählungen zu beschreiten.

4 Religiöse Vorstellungen von Konversion und wissenschaftliche Konversionstheorien »The study of conversion must take into account, in addition to the personal dimension, the social, cultural, and religious matrices with which personal life is embedded.« (RAMBO 1992, 160)

Während meiner Feldforschung in Ostafrika wurde ich von Muslimen häufig zu Beginn der Interviews darauf hingewiesen, dass sie den Prozess des Übertritts zum Islam nicht als Konversion, sondern als »reversion« bezeichneten.1 Dies impliziert keine Umwandlung zu etwas Neuem, sondern eine Rückkehr zu etwas Altem. Der Eintritt in die islamische Gemeinschaft wird als Rückkehr zur fitra, dem natürlichen, reinen, gottgegebenen Urzustand, interpretiert. Reversion wird somit verstanden als der Schritt hin zum Eigentlichen, zu dem der Mensch bestimmt ist. Verbunden ist damit die Vorstellung, alle Menschen würden als Muslime geboren, manche entfernten sich aber durch ihr Aufwachsen in nicht-muslimischen Familien von der Religion und müssten diese erst wieder finden. Diese Interpretationsweise ist auf eine Hadith und damit auf eine so genannte überlieferte Aussage Mohammeds zurückzuführen: »Every child is born with a true faith (i.e. to worship none but Allah Alone) but his parents convert him to Judaism or to Christianity or to Magainism.«2 Allerdings ist der davon abgeleitete 1

Dies bezieht sich auf die in Englisch geführten Interviews (zur Forschungspraxis vgl. S. 187 ff.), im Kiswahili gibt es dafür keine Entsprechung. Ich habe diese Bezeichnung zum Teil beim Führen der Interviews übernommen.

2

Bukhari, Funerals (Al-Janaa'iz), Vol. 2: 440 (Narrated Ibn Shihab ) & 2:441 (Narrated Abu Huraira). Über die Interpretation dieser Aussage besteht jedoch keine Klarheit. Während es zum Teil so wie oben stehend interpretiert wird, gehen andere Gelehrte

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Begriff der Reversion wesentlich jünger. Leider gibt es bisher keine wissenschaftlichen Aufsätze zur Entstehungsgeschichte dieser Bezeichnung.3 In Bezug auf Ostafrika ist möglich, dass sie durch den südafrikanischen Prediger Ahmed Deedat geprägt wurde, der darunter, wie die meisten ostafrikanischen Konvertiten zum Islam, die Rückkehr zum wahren, ursprünglichen Glauben verstand und diesen Vorgang daher grundsätzlich vom Prozess der Konversion unterschied. In dieser scheinbar vordergründigen Diskussion um Begrifflichkeiten spiegeln sich Definitionsprobleme wider, die sich in Kontexten religiöser Erneuerung in nichtchristlichen Zusammenhängen stellen und Ausdruck der Auseinandersetzung um religiöse Deutungshoheit (siehe auch Asad 1996b) sind. Während er in Ostafrika von nahezu jedem Muslim verwendet wird, ist er scheinbar in anderen Regionen, wie z.B. Europa, nicht so präsent.4 Dies könnte unter anderem auf die politische Bedeutung von Konversion durch die Konkurrenzsituation der religiösen Gemeinschaften in Ostafrika zurückgeführt werden. Durch die Verwendung des Begriffs Reversion erfolgt eine Abgrenzung vom christlich konnotierten Begriff der Konversion.5 Diese Abgrenzung ist nicht nur auf begrifflicher sondern auch auf inhaltlicher Ebene bedeutsam, da er andere Bedeutungen, die Rückkehr zur gottgegebenen Gemeinschaft und zum wahren, ursprünglichen Glauben, transportiert. Es ist hierbei zu fragen, ob trotz der Verwendung unterschiedlicher Begriffe die Vorstellungen und Erfahrungen in Bezug auf Konversion bzw. Reversion vergleichbar bleiben. Dieses Kapitel dient dazu, Definitionsprobleme in Kontexten religiöser Erneuerung in nicht-christlichen Zusammenhängen aufzuzeigen und sich durch eine Gegenüberstellung verschiedener Terminologien und Theorien zum Thema Konversion einem verwendbaren Konzept anzunähern. Nach einer Einführung in Konversionsvorstellungen im religiösen islamischen und christlichen Kontext, und im regionalen ostafrikanischen Kontext werden wissenschaftliche Versuche, Konversion theoretisch zu fassen, vorgestellt. Aus dieser Übersicht kristallisiert sich das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis

davon aus, dass fitra nur einen Zustand der allgemeinen Gesundheit, bzw. der Möglichkeit des Glaubens beschreibt (vgl. MacDonald 1965, 932). 3

Nieuwkerk vermutet, dass die Bezeichnung zuerst von afro-amerikanischen Konverti-

4

Zumindest war er Talal Asad, der sich in seiner Forschung über Religion auch mit

ten zum Islam verwendet wurde (vgl. van Nieuwkerk 2006, 161). dem Phänomen der Konversion auseinandergesetzt hat, nicht bekannt. Persönliches Gespräch, 30. März 2007, Berlin. 5

Allerdings versuchen auch hier christliche, insbesondere pfingstkirchliche, Gruppierungen diesen Begriff für sich einzunehmen.

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von Konversion heraus, das im dritten Teil des Kapitels durch näheres Eingehen auf die für diese Untersuchung relevanten Ansätze aufgezeigt wird.

4.1 A NNÄHERUNGEN AN

DEN

B EGRIFF

DER

K ONVERSION

Christentum Der aus dem christlichen Kontext stammende Begriff der Konversion (von convertere, lat.: hinwenden, bekehren) hat zwei Bedeutungsebenen. Zum einen wird er als Bekehrung zu Gott verwendet, zum anderen steht er für einen Übergang von einer Religion zu einer anderen. Das archetypische Modell für die Vorstellung von (christlicher) Konversion stellte über lange Zeit die Wandlung Paulus dar. Auch wenn diese oder das Bekehrungserlebnis Luthers das christliche Verständnis von Konversion zu bestimmen scheinen, werden in der Bibel doch sehr unterschiedliche Bilder Konversion betreffend verwendet. Im Alten Testament sind prophetische Aufforderungen zur Rückkehr (subh) zu Gottes Glauben vorherrschend. Konversion im Sinne eines Wechsels hin zu einer anderen religiösen Gemeinschaft kommt jedoch kaum vor (vgl. Gaventa 1992, 41-44).6 Die Rückkehr zum Glauben ist dabei mit einer Reue gegenüber den alten Taten und einem großen Vertrauen in Gott verbunden. Dies wiederum ermöglicht, dass auch Gott sich den Gläubigen wieder zuwendet. Im Neuen Testament wird von Johannes dem Täufer in prophetischer Tradition vor allem von der Abkehr vom alten Leben und der Reue dieses betreffend gesprochen, verbunden allerdings mit einem radikalen Wandel der Lebenseinstellung und des Verhaltens. Aber auch im Neuen Testament bedeutet Konversion zunächst keinen Wechsel der religiösen Gemeinschaft. Paulus zum Beispiel bezieht sich auch nach seinem Bekehrungserlebnis auf seine jüdischen Wurzeln.7 Der Religionswechsel stand nicht im

6

Als Ausnahmebeispiel wird immer wieder die Entscheidung von Rut angeführt, Noomi zurück zur jüdischen Gemeinschaft zu begleiten, obwohl sie selbst keine Jüdin ist: »Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott« (Das Buch Rut 1, 16). In Bezug auf den jüdischen Glauben wurde in einer relativ späten Phase (1. Jh. u.Z.) der Begriff ›proselytos‹ (griech.: jmd. der angekommen ist) für diejenigen verwendet, die zum Judentum konvertierten.

7

Eine Abspaltung der neuen Gemeinden vom Judentum erfolgt erst später im Zuge der verstärkten Mission unter Heiden (Nicht-Juden), wodurch die Christusgläubigen immer weniger als ein Teil des Judentums anerkannt und stattdessen Christen genannt

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Vordergrund und so ist aus der Bibel auch nur wenig über das Verständnis von Konversion auf dieser Bedeutungsebene aus der Zeit der ersten christlichen Gemeinden zu erfahren (vgl. ebd.). Die im griechischen Neuen Testament verwendeten Begriffe metanoun (sich bekehren, Buße tun) und epistrephein (umkehren, zurückkehren)8 können für sich auch noch nicht für ein christliches Konversionsverständnis herangezogen werden. Daher müssen zusätzlich biblische Konversionserzählungen betrachtet werden. Die berühmteste ist sicherlich die des jüdischen Pharisäers Paulus zum Apostel. Die bekannteste Beschreibung dieser Wandlung während einer Reise nach Damaskus stammt aus der Apostelgeschichte des Lukas (Apostelgeschichte 9,1-19). Die Bekehrung scheint für Paulus unerwartet und plötzlich gewesen zu sein. Trotz dieser Erfahrungen bleibt Paulus in seiner persönlichen Haltung wie in seinem theologischen Denken Jude (vgl. Römer 9,1-5). Was sich verändert hatte, war seine Anerkennung der Bedeutung von Jesus und damit die gesamte religiöse Perspektive auf das Leben.9 Die Briefe des Paulus gehen im Gegensatz zur Apostelgeschichte nur sehr selten und kurz auf dieses Erlebnis ein. Paulus führt hier vor allem sein eigenes Beispiel an, um Nachahmer zu finden (vgl. etwa Philipper 3,12-17). Darüber hinaus geht er auch auf die Konversionen anderer ein. Dabei spielt vor allem der Einfluss Gottes auf die Konversion eine Rolle, die weniger vom Konvertiten selbst als von einem Ruf Gottes und der ›Ausschüttung des Heiligen Geistes‹ initiiert wird. Antwortet der Mensch auf diesen Ruf mit einer Hinwendung zu Gott, so führt dies zu einer immer wieder zu erneuernden und nie vollständigen Transformation des Menschen. Die in der Apostelgeschichte beschriebenen Konversionen, neben Paulus folgen weitere Menschen wie der Hauptmann Kornelius (ein Nicht-Jude), ein zum Judentum konvertierter äthiopischer Kämmerer oder die Griechin Lydia den Aposteln, sind nicht das Ende, sondern der Anfang eines Prozesses; ein Neubeginn für das Individuum selbst10, aber vor allem auch der

wurden (Apostelgeschichte 11,26). Diese Entwicklung zog sich über einen längeren Zeitraum. 8

Das dazu gehörige Substantiv Epistrophe wird zum Teil ins Englische mit Konversion übersetzt. Das Lateinische convertere (umkehren, verwandeln) wurde erst im Spätlatein mit ›zum christlichen Glauben bekehren‹ übersetzt.

9

Mit diesem Offenbarungserlebnis ist der Ausspruch ›Vom Saulus zum Paulus‹ verbunden. Dieser Namenswechsel ist jedoch ein Mythos, Saulus ist lediglich die hebräische Variante des griechisch-römischen Namens Paulus.

10 Das Thema der neuen Geburt (›born again‹) kommt schon in nach-exilischen Texten im Judentum in Bezug auf Konversionen vor. Der Vers im Evangelium nach Johannes

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Beginn der christlichen Kirche. Alle diese Konversionen beruhen auf Interaktionen mit der Gemeinde, sind aber auch für Lukas in erster Linie ein Akt Gottes. Neben den in der Bibel beschriebenen Bekehrungserlebnissen gibt es weitere, die zum Archetypus einer christlichen Vorstellung von Konversion beitrugen. Die von Augustinus (345-430) in 13 Bücher eingeteilten »Confessiones«11 (397) können als dominierender Text der katholischen Konversionsvorstellung angesehen werden, auch wenn in diesem Fall erneut kein Übertritt von einer Glaubensgemeinschaft zu einer anderen zu beobachten ist. Dieses Werk wird als erste Autobiographie angesehen, die zugleich die erste religiöse, christliche Betrachtung der eigenen Lebensgeschichte darstellt. Augustinus beschreibt darin auch seine Entwicklung zum christlichen Glauben, die durch ein Konversionserlebnis in einem mailändischen Garten abgeschlossen wird. Während einer Meditation, die seine Verzweiflung zum Vorschein brachte, hörte er eine Kinderstimme, die ihn aufforderte im Neuen Testament zu lesen (vgl. Augustinus 2008, 8. Buch, 12. Kapitel.). Er schlug die Bibel an der Stelle Römer 13,13 auf: »Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.«12 Ein Jahr später, 387, lies er sich zusammen mit seinem Freund Alypius, der ihn auf dem Weg der Suche nach dem ›richtigen‹ Leben begleitet hatte, taufen. Ein weiteres, vor allem für protestantische Vorstellungen von Konversion einflussreiches, Beispiel ist das Leben Martin Luthers. Darin lassen sich mehrere Bekehrungserlebnisse ausmachen. Während seines Jurastudiums wurde er 1505 eines Tages von einem Gewitter überrascht, welches ihn so verängstigte, dass er Gott versprach Mönch zu werden, würde er aus diesem Unwetter gerettet. Nachdem er gegen den Willen seines Vaters diese religiöse Laufbahn eingeschlagen hatte, ging er später nach Wittenberg, wo er Theologie studierte und ab 1512 auch lehrte. In den folgenden Jahren entfernte er sich inhaltlich immer stärker von der römisch-katholischen Kirche. Auch wenn diese Entwicklung eher als ein langsamer Prozess aufgefasst werden sollte, erklärte Luther die Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes sola gratia (allein aus Gnade), einem Grundprinzip seiner

(3,3) impliziert zum einen Diskontinuität zum alten Leben und eine neue Verbindung mit Jesus, bzw. Gott. 11 Der Begriff kann als ›Schuldbekenntnis‹, wie auch als ›Glaubensbekenntnis‹ übersetzt werden. 12 Alle Bibel-Zitate sind der Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, gedruckt 1984, entnommen.

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Lehre, mit einer Erleuchtung, die er in einem Turmzimmer im Wittenberger Augustinerkloster erfahren habe.13 An diesen Beispielen wird deutlich, dass die heute von vielen als christliches Konversionsmodell eingeordnete spontane Bekehrung mit darauf folgendem Wechsel von einer Konfession zu einer anderen deutlich zu kurz gegriffen ist. In allen vorgestellten Fällen wird zwar ein spirituelles Bekehrungserlebnis geschildert, dieses ist jedoch in einen längeren Prozess der Auseinandersetzung mit der Religion eingebettet. Die Erzählung des Erlebnisses erfolgt häufig lange Zeit nach dem eigentlichen Ereignis und folgt dabei Mustern vorhergehender, tradierter Berichte. Darüber hinaus betreffen diese Beispiele Bekehrungen innerhalb einer Religion, auch wenn sie zum Teil die Entstehung neuer religiöser Gruppen zur Folge hatten. Islam Islamwissenschaftler, wie zum Beispiel Brinner (1995), heben immer wieder hervor, dass das auf einen inneren Wandel fokussierende christliche Konzept der Konversion so nicht auf den Islam anwendbar sei, da dieser die Einhaltung von Gesetzen und rechtmäßiges Handeln, also eine äußere Dimension, ebenso wie den Glauben in den Mittelpunkt stellt (vgl. Brinner 1995, 318-321). Dazu gilt allerdings einzuwenden, dass auch die ›christliche‹ Konversionsvorstellung nicht so eindeutig zu fassen ist, wie im vorherigen Unterkapitel gezeigt wurde. Die Einschätzung Brinners könnte daher stammen, dass im islamischen Kontext lange kein Begriff existierte, der dem Konzept der Konversion umfassend entsprach. Es lassen sich im Koran allerdings verschiedene Termini zur Beschreibung der Hinwendung zu Gott finden, die jeweils Teilaspekte religiöser Wandlungs- und Übertrittssprozesse darstellen, wie zum Bespiel die Begriffe islam (Unterwerfung unter Gottes Wille) oder ihtida (den richtigen Weg finden, gewiesen werden).14 Auch wenn es keinen zur christlichen Taufe äquivalenten formalen Akt der Konversion im Islam gibt, so kann das Sprechen des Glaubensbekenntnisses, der shahada, dieser Funktion gleichgesetzt werden. Die shahada wird dabei in Arabisch im Beisein zweier Zeugen gesprochen und zwar nach einer großen Waschung, ghusl.15 Damit verbunden ist außerdem die Er-

13 Diese Episode wird auch als Turmerlebnis bezeichnet. 14 Der Begriff ihtida wird auch im Türkischen verwendet und ins Englische direkt mit Konversion übersetzt. 15 Wie das Beispiel der Konversion in Nakuru (vgl. S. 122f. oder auch bei den miadhara der Wahubiri wa Kiislamu) zeigt, wird von dieser Regelung zum Teil abgewichen.

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wartung, dass der Konvertit von nun an die fünf Säulen des Islam (vgl. S. 84) einhält. Bei Männern ist zudem die Beschneidung vorgesehen, wobei nicht klar ist, ob diese immer eingefordert wird. In der im Koran beschriebenen Frühphase des Islam bedeutete die Aufnahme in die islamische Gemeinschaft zum einen eine äußerliche Anpassung des Verhaltens in Form eines Bekenntnisses des Glaubens16, der regelmäßigen rituellen Gebete und der Almosengabe, zum anderen aber auch eine innere Abkehr vom alten Leben, oft durch den Terminus tawba beschrieben, der Rückkehr zu Gott bedeutet und die Reue im Angesicht alter Sünden mit umfasst (Rubin 2004, 426-430). Neben den Begrifflichkeiten für eine Beschreibung der Hinwendung zu Gott finden sich im Koran eine Reihe Termini, die vergleichbar mit der Bedeutung des Begriffes der Konversion (Umwandlung) sind. So wird beispielsweise von Eintritt in die Religion (yadkhuluna), Wandel (ghayyara) und Reue (tawba) gesprochen. Diese Begriffe beinhalten eine ähnliche räumliche Metapher der Wendung wie der Begriff Konversion, weg vom alten, sündhaften Leben hin zu einem besseren, gottgefälligen. Der Terminus tawba, Hinwendung oder auch Rückkehr zu Gott (und damit stark an den alttestamentarischen Begriff des subh erinnernd), der im Koran als häufigstes für das Zeigen von Reue steht, wurde Woodberry zufolge von Verfassern alter Wörterbücher manchmal direkt mit Konversion übersetzt, da er zum Teil gleichbedeutend mit der Abkehr vom Polytheismus hin zum Islam verwendet wurde (vgl. Woodberry 1992, 25). Im Unterschied zu vielen Interpretationen des im Christentum etablierten Begriffs Konversion handelt es sich bei den im Koran verwendeten Termini, wie tawba oder islam, nicht um die Beschreibung einer einmaligen Handlung, sondern diese stehen für einen dauerhaft anhaltenden Prozess der Verbesserung und Selbsthinterfragung (vgl. Rubin 2004, 426-430). Darüber hinaus impliziert tawba ein reziprokes Verständnis des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch in dem Sinne, dass sich im Moment der Reue Gott dem Menschen als Akt der Gnade zuwendet (vgl. EI2 tawba). Ein weiterer Begriff, der in diesem Zusammenhang wichtig ist, ist Glaube (iman)17, der sowohl für die ›Handlung‹ des Glaubens wie auch für seinen Inhalt stehen kann. In Bezug auf die Frage was es heißt ›zu glauben‹, spielen drei Ele-

Andererseits gibt es in Berichten aus der Zeit Ende des 19. Jh. bzw. Anfang des 20 Jh. Hinweise, dass mit der Konversion zum Islam in Ostafrika eine Art Taufe verbunden war (vgl. z.B. Klamroth 1912, Reusch 1931 oder auch Becker 2008). 16 Im Koran kommt das Glaubensbekenntnis noch nicht in seiner späteren liturgischen Form, der shahada, vor (vgl. Woodberry 1992, 25). 17 Der Gläubige wird als mu'min bezeichnet.

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mente eine Rolle: die innere Überzeugung, das mündliche Bekenntnis des Glaubens und die Ausübung der vorgeschriebenen Handlungen (»action of the limbs«, vgl. EI2 iman). Die innere Hinwendung zeigt sich also im persönlichen Verhalten, das dem Glauben entsprechen soll und seine Gültigkeit durch die ursächlichen Intentionen erhält. Bei der genauen Auslegung dieser drei Elemente gibt es jedoch Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechtsschulen und auch innerhalb dieser werden divergierende Interpretationen sichtbar. Die Basis für den Glauben ist Wissen (ma'rifa), also die Kenntnis des Inhaltes des Glaubens. Letztere, der Glaube an die Einzigkeit Gottes und die Anerkennung Muhammads als seinen Propheten (und damit der Glaube an die Lehren des Korans), wiederum finden ihren Ausdruck in der shahada.18 Die Konzepte der Unterordnung unter Gott (islam) und des Glaubens (iman) überlappen einander, islam kann dabei als konkreter Ausdruck von iman, dem inneren Glauben, angesehen werden (vgl. EI2 islam). Die darauf aufbauende Debatte, in wieweit islam ohne Glaube (iman), bzw. iman ohne eine Unterwerfung unter Gottes Wille und Gesetz (islam) möglich sind, erinnert an wissenschaftliche Diskussionen um die Feststellbarkeit von Konversion anhand äußerer Merkmale sowie um die Möglichkeit der Messung des Glaubens (vgl. Kap. 4.2). Im Laufe der Geschichte des Islam wurde der Terminus iman in der Häufigkeit seiner Verwendung von dem Begriff islam abgelöst. Letzterer erweiterte dabei seine Bedeutung von der Unterordnung unter Gottes Wille, hin zur Benennung einer empirischen Realität einer islamischen Gesellschaft und zu einer Bezeichnung für ein ideales allumfassendes religiöses System (nizam, vgl. Smith 1978, 110-117).19 Diese Begriffe werden von weiteren wichtigen Termini umrahmt, die die islamische Konzeption von Konversion vervollständigen: als erstes ist dabei die göttliche Führung (huda) zu nennen, die den richtigen Weg, in Form von obligatorischen und fakultativen Regeln (sharia – Weg) festlegt. Diese göttliche Führung kann auch von einem Gelehrten gegenüber dem einfachen Gläubigen weitervermittelt werden (irshad), wie im Falle der Sufibruderschaften, die im arabischen ebenfalls als Weg (tariqa) bezeichnet werden. Mit einer Konversion geht der Eintritt in die islamische Gemeinschaft (umma) einher, welcher ideal-

18 Eine ähnliche Funktion erfüllt im Christentum das apostolische Glaubensbekenntnis, das ebenfalls die wichtigsten Grundsätze der christlichen Lehre beinhaltet. 19 Während im Koran das Wort iman mehr als fünfmal häufiger vorkommt als der Begriff islam, verschiebt sich das Verhältnis (in Bezug auf arabische Buchtitel) in der klassischen Zeit in etwa zu einem Gleichgewicht und kippt ab dem 19. Jh. hin zu einem deutlichen Übergewicht des Terminus islam gegenüber iman (etwa im Verhältnis 10 zu 1, vgl. Smith 1978, 116).

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erweise mit einem Gefühl der Zugehörigkeit verbunden sein sollte. Folgt man diesem Weg, resultieren daraus Wohlstand (tawfiq), Erfolg (fawz) und Gesundheit (falah) im hiesigen Leben und, so die Hoffnung, im Paradies. Wie gezeigt wurde, existieren viele Ähnlichkeiten in der Beschreibung der Bekehrung als Hinwendung zu Gott zwischen Christentum und Islam. Auch die durch diese innere Transformation ausgelösten Veränderungen, insbesondere im gottgefälligen Lebensstil werden ähnlich aufgefasst. Die im Christentum stattfindende Fokussierung auf ein göttliches Bekehrungserlebnis, dass von außen auf den Konvertiten einwirkt, ist so im Islam jedoch nicht zu finden. Hier ist dagegen eine größere Betonung religiösen Wissens für eine gottgefällige Lebensweise zu finden. Ein Wechsel der religiösen Gruppe spielt in den Konzepten von religiöser Konversion bei beiden eine eher untergeordnete Rolle. Trotz der großen Ähnlichkeiten in den christlichen und islamischen Vorstellungen von Konversion wurden in ihrer Erforschung vor allem die Unterschiede betont. Während sich die Untersuchungen zur christlichen Konversion schon frühzeitig mit individuellen Erlebnissen auseinandersetzten, ging es der Forschung zum Islam lange Zeit fast ausschließlich um gesellschaftliche Prozesse der Islamisierung. Wie gezeigt wurde, lässt sich diese Unterscheidung zwischen einer christlichen, inneren Wandlung und eines islamischen, äußeren Gruppenwechsels so jedoch nicht aufrechterhalten. Konversionskonzepte in Ostafrika In Ostafrika lässt sich ein Zusammenspiel verschiedener Vorstellungen zur Konversion beobachten. Die einzelnen Bestandteile dieser Mixtur aus regionalen, christlichen und islamischen Begrifflichkeiten lassen sich nicht mehr voneinander lösen. Schon frühzeitig waren lokale Vorstellungen von Konversion und Mission jedoch stark von religiöser Konkurrenz zwischen Islam und Christentum geprägt. In einer Untersuchung verschiedener Aspekte von Konversion zum Islam in der Swahili-Literatur seit der Mitte des 17. Jahrhunderts stellt Knappert (1979) einige Werke vor und arbeitet Motive und Argumentationen aus der Sicht von Muslimen heraus. Eines der Hauptmotive war die Darstellung der Überlegenheit Muhammeds als einem von Gott bevorzugten Propheten. Deutlich wird dies zum Beispiel im Miiraji, einem Heldenepos, das die Reise Mohammeds in den Himmel beschreibt. Dieses Epos basiert auf einer tradierten Erzählung, die bereits im Koran erwähnt wird (insb. Sure 17,1) und in verschiedenen ahadith

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weiter ausgeführt wird.20 An der ostafrikanischen Küste existieren verschiedene Versionen dieser Erzählung in Gedichtform. In der von Knappert vorgestellten (die vermutlich aus dem 19. oder 20 Jh. stammt), reist Muhammad zur Makadisi, einer Moschee nach Jerusalem (gemeint ist hier die Ende des 7. Jh. errichtete al-Aqsa Moschee). Gott bringt alle (islamischen) Propheten, darunter Moses, Jesus und Abraham, zurück ins Leben, damit diese gemeinsam mit Mohammed beten können. Diese wählen Mohammed dazu aus, das Gebet zu leiten. Die Geschichte impliziert somit nach Knappert, dass die Propheten in diesem Moment zum Islam konvertierten oder schon immer Muslime waren (vgl. Knappert 1979, 179). Auch das Herekali, das älteste bekannte epische Gedicht in einer Bantu-Sprache, hat eine didaktische, wenn nicht sogar propagandistische Ausrichtung. Seine Entstehungszeit wird am Beginn des 18. Jh. angesiedelt, rund 200 Jahre nach der Besetzung Ostafrikas durch die Portugiesen und genau in der Zeit ihrer Vertreibung. Das Epos könnte somit auch als politisches Instrument für die Veränderung von Machtstrukturen gedient haben (vgl. Knappert 1999, 54).21 Mohammed wird darin als ständig auf die Konversion anderer bedacht dargestellt. Das Epos berichtet, wie Mohammeds Cousin Jaafar von Christen getötet wird, als er versuchte, unter ihnen zu missionieren. Der Engel Gabriel wird daraufhin von Gott zu Muhammad geschickt, um ihm zu sagen, er solle einen Krieg gegen den christlichen Herrscher Heraklios beginnen. Muhammad schreibt zunächst einen Brief an ihn, in dem er ihn auffordert, zum Islam zu konvertieren. Der Brief wird von einem Bischof gelesen, der darüber in Zorn gerät. Diese Darstellung ist nach Knappert typisch für die Beschreibung von Europäern, und damit von Christen die mit ihnen gleichgesetzt werden – sie werden in vielen Texten als ungeduldig, jähzornig und brutal dargestellt.22 Dies steht den islamischen Idealen von Geduld und Maßhaltung gegenüber, Ungeduld wird dagegen als Zeichen des Unglaubens gesehen. In dem Epos geht die abwertende Darstellung des christlichen Glaubens aber darüber hinaus, so macht sich die Geschichte zum Beispiel über die Verehrung eines kleinen Kindes lustig. Nur Ältere verdienten diese Art der Aufmerksamkeit. Außerdem wird hier das erste Mal in der Swahi-

20 Hierbei ist insbesondere die Überlieferung in Sahih Muslim, Buch 1 (Der Glaube – kitab al-iman), Kapitel 75 (Die nächtliche Reise des Gesandten Allahs zu den Himmeln und die Erteilung des Befehls, das Gebet zu verrichten), zu nennen. 21 Es basiert allerdings ebenso auf einer lange tradierten Erzählung über den Krieg zwischen byzantinischen Truppen und der Gefolgschaft Mohammeds im 7. Jh. 22 Knappert (1979) geht hier auch auf den Poet Muyuka aus Mombasa ein, der das Wort kizungu, europäisch, verwendet, um damit Hartnäckigkeit, Rücksichtslosigkeit und Unverfrorenheit auszudrücken (Knappert 1979, 180).

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li-Literatur ein Argument verwendet, dass auch heute noch von großer Bedeutung ist: auf Mohammed würde schon in der Bibel hingewiesen (vgl. Knappert 1979, 181). Am Ende des Epos kommt es zu einer Entscheidungsschlacht, bei der Gott auf der Seite von Mohammed steht, wodurch die Muslime, dargestellt als unerschütterlich in ihrem Vertrauen auf Gott, die Schlacht gewinnen. Weitere Texte der Swahili Kultur, mündlich wie auch schriftlich überlieferte, behandeln die durch Mohammed gewirkten Wunder. Diese werden auch von dem Koran-Text selbst erwartet, der z.B. in Form von Amuletten dem persönlichen Schutz dienen soll. Im Falle Mohammeds wird aber auch erzählt, allein seine Persönlichkeit, seine Schönheit, Freundlichkeit, Geduld und Glaube, hätten als Grund für die Konversion zum Islam ausgereicht. Die Konversion selbst wird beschrieben als ›Erwachen‹, ›das Licht sehen‹ und ›den richtigen Weg finden‹.23 In den während meiner eigenen Forschung geführten Interviews war zunächst auffällig, dass als Konversion vor allem der formale Übertritt von einer Religion zu einer anderen bezeichnet wurde. Dies wurde besonders deutlich bei klar voneinander zu unterscheidenden religiösen Gruppierungen wie dem Christentum und dem Islam, aber auch zwischen dem schiitischen und dem sunnitischen Islam. In den auf Englisch geführten Interviews wurden dabei vor allem die Begriffe »conversion« oder im Falle des Übertrittes zum Islam »reversion« verwendet. Auf Kiswahili wurden hauptsächlich die Redewendung »kubadilisha dini« für einen Religionswechsel im Allgemeinen und der Begriff »kusilimu« für einen Wechsel zum Islam im Besonderen verwendet. Beides sind eher beschreibende, deskriptive Begriffe und können als Übersetzungen von arabischen, bzw. europäischen Begriffen, angesehen werden. Für eine Intensivierung der Religiosität bzw. für die Hinwendung zu bestimmten Gruppen innerhalb des Islam, wie der Tablighi Jama'at, existieren jedoch keine festen Begriffe. Zum Teil wurde dieses Erlebnis als »reawakening«24 im Englischen und »kuzindua« (aufwecken) im Swahili bezeichnet. Ein bei der Tablighi Jama'at aktiver Interviewpartner erklärte den Begriff folgendermaßen: »Kuzindua is to change, or to rejuvenate somebody’s faith. So if somebody was in Islam, he was asleep, to reawaken. His faith comes back to his former state.«25

23 Leider erwähnt Knappert hier nicht, auf welche Bergriffe im Swahili er sich bezieht. 24 Interview mit Isa, 2005, Kisumu. 25 Interview mit Najib, 2005, Nakuru. Auch Felicitas Becker (2008) nennt diesen Begriff als einen der stark mit dem Islam verbunden sei (Becker 2008, 87). In ihrer Dissertation von 2001 über die Geschichte Südost-Tansanias von 1890-1950 beschreibt sie kuzindua als ein der Taufe ähnliches Reinigungs-Ritual durch das Menschen Anfang des 20. Jh. Muslime wurden. In dieser Zeit stand noch nicht der Wechsel, sondern das

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Interessanterweise scheint der Wechsel zur Tablighi Jama'at in anderen Regionen Afrikas, wie zum Beispiel Gambia, als Konversion bezeichnet zu werden (vgl. Janson 2005). Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass in dem mehrheitlich muslimischen Land Gambia religiöse Grenzen anders definiert werden, als im multireligiösen Ostafrika. Auch bei Übertritten innerhalb der christlichen Religion wird kaum der Begriff Konversion verwendet. Statt dessen werden zur Beschreibung Ausdrücke wie »to be born again« (Pfingstkirchen), »to be saved« (in Swahili kulokoka)26, »finding the right way to God«, bzw. »to join a group« im Sinne eines Ausprobierens anderer Wege religiösen Zugangs innerhalb der christlichen Religion gewählt. Über diese formalen Aspekte hinaus verglichen die Interviewten aber sehr wohl die Übereinstimmung ihres (inneren) Glaubens mit dem formalen Übertritt. So begann Badia (vgl. Kapitel 6), die mit 40 Jahren von einer Baptistengemeinde zum sunnitischen Islam konvertierte, einige Jahre nach ihrem Übertritt zum Islam an ihrer Entscheidung zu zweifeln. Sie sprach davon, dass sie eigentlich gar nicht ›richtig‹ konvertiert sei, obwohl sie als Muslima lebte. Die jeweils verwendeten Deutungen hängen auch stark davon ab, wer über wessen Konversion spricht. So bezeichnete ein weiterer Interviewpartner Religionswechsel aus materiellen Gründen oder durch eine Heirat nicht als Konversion, sondern als Reaktion.27 Zudem kursieren immer wieder Gerüchte, wie das über eine Frau die in Nakuru zum Islam konvertieren wollte. Allerdings sei sie von einem der Anwesenden erkannt worden, der sie eine Woche zuvor mit dem gleichen Ansinnen in Kericho (zwischen Nakuru und Kisumu gelegen) erlebt hatte.28 Sie sei also nur wegen der zu erwartenden Unterstützungsleistungen in die islamischen Gemeinden gekommen. Diese pragmatischen Gründe werden allerdings vor allem bei der Konversion zu jeweils anderen Gruppen gesehen, was deren niedrigen An-

Erhalten (kupata), von Religion im Vordergrund, was durch die Verwendung der Formulierung kupata dini deutlich wird (Becker 2001). Weitere Bedeutungen des Wortes kuzindua sind (vom Zauber) befreien oder auch aufklären. 26 Daraus leitet sich auch der Name einer bekannten christlichen Bewegung, der walokole, ab (vgl. Larsson 1991, 146). 27 Bakri, 2004, Moshi. 28 Ibrahim, 2004, Nakuru. Außerdem erzählte er davon, dass islamische Kleidung als Tarnung benutzt werde. So trügen Prostituierte auf der Straße einen buibui, um nicht belästigt zu werden und als respektabel zu gelten. Zudem berichtete er über einen Mann, der mit einem buibui bekleidet Diebstähle (v.a. Handtaschen) beging.

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erkennungswert deutlich macht.29 Auch die häufig anzutreffende Diskussion, welche Muslime nur nominal als solche anzusehen seien und welche tatsächlich ihren Glauben leben (vgl. Kapitel 9), lassen sich hier einordnen.

4.2 S OZIALWISSENSCHAFTLICHE KONVERSIONSTHEORIEN Die folgende Übersicht über wissenschaftliche Konversionstheorien widmet sich der Aufgabe den schon auf theologischer Ebene nicht leicht zu fassenden Begriff wissenschaftlich greifbarer zu machen. Die Konversionsforschung hat sich in Europa, und somit mit dem Hintergrund christlicher Konversion entwickelt, dementsprechend viele wissenschaftliche Untersuchungen gibt es hier. Eine der ersten, veröffentlicht als »Psychology of Religion« (1899). wurde von Edwin Starbuck in Harvard durchgeführt.30 Diese wegweisende Forschung fand in einem Klima erstarkende Erweckungsbewegungen statt, demzufolge standen plötzliche Bekehrungen (meist von Teenagern) im Vordergrund. Dies hat das Bild von Konversionen, das in der Wissenschaft verwendet wurde, über lange Jahre hinweg geprägt. Die wenigen älteren Untersuchungen zur Rolle von Konversion im Islam beschäftigen sich dagegen mit der Islamisierung gesellschaftlicher Gruppen (vgl. Yavari 2000, 228). Der Historiker Bulliet (1979) untersuchte Konversion vor allem als sozialen Prozess. Dabei stellte er der sozialen Konversion, einer Bewegung von einer religiös definierten sozialen Gemeinschaft zu einer anderen31, eine formale Konversion, die sich auf das Aussprechen des Glaubensbekenntnisses und die Ausführung von Riten beschränkt, gegenüber. Die Arbeit Levtzions (2007), ebenfalls ein Historiker spezialisiert auf Afrika, beschäftigte sich

29 Wenn Muslime wie Ibrahim über den Übertritt zum Islam aus materiellen Gründen sprechen, fügen sie oft hinzu, dass es sich dabei um ein Missverständnis handelte. Insbesondere seit den Anschlägen auf die Botschaften 1998 stünde den muslimischen Gemeinden gar nicht mehr so viel Geld zur Verfügung. Zudem seien Konvertiten nur dann erwünscht, wenn sie aus Überzeugung und nach reiflicher Überlegung den Glauben wechselten. 30 Die Abhandlung von William James über »Varieties of Religious Experience« (1902) nutzte die Ergebnisse dieser Forschung mit und wurde zu einem Klassiker der Religionspsychologie. 31 Voraussetzung hierfür ist eine Gesellschaft, in der soziale Identität vor allem über Religion definiert wird (vgl. Bulliet 1979).

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dagegen mit der Islamisierung in verschiedenen Regionen, kulturellen Kontexten und Zeiten. Dabei untersuchte er unter anderem Händler und Sufi-Bewegungen als Träger von islamischer Mission. Auch bei Forschungen zu zeitgenössischen Konversionen überwiegen Arbeiten zu nicht-islamischen Gruppierungen. Eine der Ausnahmen stellt zum Beispiel der Religionswissenschaftler (und frühere christliche Missionar) Poston (1992) dar, dessen Forschung über moderne dawa in Europa und den USA sich vor allem auf die Untersuchung von Konversionserzählungen stützt. Allerdings werden dabei von ihm selbst in Form von schriftlichen Interviews erhobene Konversionserzählungen mit denen in Missionsmaterialien veröffentlichten gleichgesetzt und gleichermaßen ausgewertet, was die Einordnung der Ergebnisse erschwert. Außerdem vergleicht Poston diese mit christlichen Konversionserzählungen aus verschiedenen Untersuchungen, um Besonderheiten islamischer Konversion herauszuarbeiten.32 In Bezug auf die westlichen Industriegesellschaften besteht eine schier unüberschaubare Menge an verschiedenen theoretischen Ansätzen zur Konversion. Vor allem in den Fachgebieten der Psychologie, der Soziologie, der Theologie und der Religionswissenschaft sind im 20 Jh., insbesondere seit den 1970er Jahren sehr viele unterschiedliche Theorien entwickelt worden. Die Soziologen Snow & Machalek (1984) sehen den Anstieg der Forschungen als eine Reaktion auf die weite Verbreitung ›Neuer Religiöser Bewegungen‹ seit den 1960ern. Hinzu kommen einige stark interessengeleitete Publikationen aus dem Missionsumfeld, die zum Teil weniger der theoretischen Beschäftigung mit Konversion dienen als vielmehr selbst Untersuchungsgegenstand empirischer Forschung darstellen könnten. Im Folgenden werden die im christlichen Kontext entstandenen Ansätze mit denen für nicht-europäische Gebiete entwickelten zusammengebracht. Dabei werden die drei Grundfragen der Konversionsforschung, a) Warum konvertieren Menschen, b) Wie laufen Konversionen ab, und c) Was ändert sich eigentlich durch bzw. bei einer Konversion, einzeln betrachtet und die verschiedenen Forschungsperspektiven herausgearbeitet. Warum konvertieren Menschen? Die Untersuchung von Gründen für eine Konversion stützt sich zumeist entweder auf intrinsische Ursachen, die in der Person des Konvertiten liegen, oder auf den Einfluss des Umfeldes auf den Konvertiten.

32 Auch hierbei geht er relativ breit vor, und bezieht zum Beispiel Daten einer Untersuchung von Starbuck ein.

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(a) Krisen und Persönlichkeitsstrukturen als Ursachen für Konversion Ein großer Theoriekomplex beschäftigt sich mit länger anhaltenden oder zeitweiligen biographischen Krisen und sieht darin die Hauptursache für Konversionen. Die »Strain Theory« erklärt die Hinwendung zur Religion als eine Folge relativer (manchmal auch in Verbindung mit absoluter) Benachteiligung (vgl. Bainbridge 1992, 179). Diese im Vergleich zu anderen Menschen empfundene soziale und ökonomische Schlechterstellung wird insbesondere mit Anhängern fundamentalistischer Bewegungen in Verbindung gebracht. Allerdings kann das Gefühl von Benachteiligung bzw. einer Abweichung vom idealen Leben als Teil der menschlichen Existenz angesehen werden, und ist damit als Erklärungsansatz nur wenig tauglich (ebd., 181). In eine ähnliche Richtung weisen auch Studien, die situationelle Stressfaktoren (zum Beispiel durch den Verlust des Arbeitsplatzes und durch Scheidung) für Konversionen verantwortlich machen. Diesbezügliche Beschreibungen nehmen in Konversionserzählungen zum Teil eine große Rolle ein. Wie gezeigt werden wird, könnte dies jedoch auch mit der Besonderheit von Konversionserzählungen und dem Bestreben, darin eine Abkehr und Verbesserung gegenüber dem alten Lebensstil darzustellen, zusammenhängen. Es ist zudem zu fragen, warum diese Stresssituationen bei einigen zu einer Konversion führen, bei anderen aber nicht. Außerdem impliziert diese Herangehensweise, dass Menschen nur unter Stress konvertieren (vgl. Snow & Machalek 1984, 181), eine These zu hinterfragen ist. Weitere theoretische Ansätze beschäftigen sich mit veranlagten konversionsaffinen Persönlichkeitsmerkmalen. Sie sehen den Grund für die Konversion somit in der Psyche des Individuums verankert. Zum Teil werden diese Persönlichkeitsmerkmale als psychologische Dysfunktion angesehen und zum Beispiel als Anfälligkeit bezeichnet, »as if conversion were a disease« (ebd., 180). Der Soziologe Simmonds (1978) beschrieb Anhänger des Jesus Movements als Abhängige, die somit durch die Konversion keine Änderung ihrer Persönlichkeit erlebt, sondern lediglich eine Droge gegen eine andere ausgetauscht hätten. Eine Weiterentwicklung dieser These ist die Theorie einer »seekership orientation« (vgl. Snow & Machalek 1984), wobei hier zwar der besonderen, für Konversion empfänglichen, Persönlichkeitsstruktur ein Name gegeben wurde, die Frage, wie diese entsteht, jedoch auch nicht beantwortet werden konnte. Die These der religiösen Sucherschaft geht u.a. zurück auf die Untersuchung von Lofland & Stark (1965), die ebenfalls Soziologen sind. Die von ihnen interviewten Konvertiten teilten schon vor ihrer Konversion bestimmte Glaubensgrundsätze über die »nature of ultimate reality«. Zum einen setzten sie die Existenz von Geisterwesen und übersinnlichen Kräften voraus. Diese könnten ihre Welt verlassen und Ein-

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fluss auf die erlebte materielle Welt der Menschen nehmen und somit auch das Leben Einzelner beeinflussen. Zum anderen teilten sie ein teleologisches Weltbild. Alles hatte für sie einen tieferen Sinn und ein Ziel, das der Mensch erkennen und erfüllen muss. Nach Lofland & Stark waren dies die einzigen zwei Punkte in denen der Glaube zuvor eine Rolle für die Konversion selbst spielte: »Seekership provided the minimal points of ideological congruence to make these people available for D.P. conversion.« (Lofland & Stark 1965, 870)33 In einer späteren Veröffentlichung von 1977 revidierte Lofland diese Aussagen jedoch teilweise. Durch eine Veränderung der Mitgliedsstruktur, auch vorher nicht-religiöse Menschen traten vermehrt der D.P. bei, hatte die religiöse Sucherschaft ihre universale Bedeutung verloren. Er schlug daher vor, Sucherschaft in einem weiteren Sinne zu denken und fragte, ob diese nicht sogar als eine Modeerscheinung, »seeker chic«, zu verstehen sei (Lofland 1977, 815). (b) Veränderte soziale Beziehungen als Konversionsauslöser Theorien zum sozialen Einfluss beschäftigen sich mit der Rolle, die persönliche Beziehungen für Konversionen spielen. Dies kann aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden. Die Theorie der sozialen Kontrolle nimmt an, dass solange funktionierende Verbindungen zur herkömmlichen Gesellschaft und sozialen Ordnung bestehen, sich der Mensch daran orientieren wird. Diese Verbindungen können durch jegliche Veränderungen im Lebensumfeld, wie Heirat, Scheidung, Umzug oder Jobverlust aufgelöst werden. Das wiederum führt dazu, dass die Betroffenen freier sind, andere Lebensstile auszuprobieren. Konvertiten wären demzufolge vor allem unter Menschen zu finden, deren soziale Netzwerke weniger verfestigt sind (vgl. Bainbridge 1992, 182). Die Subkulturtheorie geht hingegen davon aus, dass starke persönliche Verbindungen zu anderen schon Involvierten aufgebaut werden müssen, um Teil einer Subkultur (oder einer religiösen Gemeinschaft) zu werden (ebd.). In diesem Umfeld sind auch Studien anzusiedeln, die Zusammenhänge zwischen Migration und Religiosität aufzuzeigen versuchen. So zeigen Untersuchungen, dass geographische Mobilität eine der Hauptursachen für zurückgehende Kirchenbesuche in amerikanischen Städten darstellt, da die sozialen Verbindungen zu den Gemeinden durch die Migration verloren gegangen sind (ebd., 183). Auf der anderen Seite kann der Verbindungsverlust durch Migration auch zu einer Offenheit für neue (religiöse) Gruppen und damit zu einer Konversion führen. In diesem Zusammenhang sozialer

33 Die Abkürzung D.P. (Divine Precepts) steht für die von ihnen untersuchte Unification Church, die in Deutschland auch als Moon-Sekte bekannt wurde. Sie wurde verwendet, um die Anonymität dieser Gruppe zu schützen.

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Netzwerke sind auch Religionswechsel in Folge von Heiraten, der Konversion des Partners, der Eltern usw. anzusiedeln. Dieser Ansatz betrachtet somit eine große Bandbreite an sozialen Einflüssen, insbesondere durch soziale Netzwerke, über die neue Anhänger gewonnen werden. Diese intensiven und emotionalen Interaktionen spielen eine sehr wichtige Rolle für Konversionen, die aber von der Forschung noch nicht vollständig verstanden wurde (vgl. Snow & Machalek 1984, 184). Hier können auch Theorien eingeordnet werden, die Konversion und Religionswechsel als Folge von Beeinflussung und Zwang (»brainwashing theory«) erklären. Durch diese Einwirkungen von außen, gewissermaßen einem bewusst herbeigeführten Verbindungsverlust, würden Menschen besonders empfänglich für neue Ideen gemacht. Dieses insbesondere in den 1950ern entwickelte ›coercive persuasion model‹ wurde von Erlebnissen amerikanischer Soldaten in chinesischen Kriegsgefangenenlagern während des Koreakrieges inspiriert. Allerdings konnte gezeigt werden, dass diese Form der Konversion kaum eine Rolle spielt, da sie sehr Ressourcen intensiv ist und wenig nachhaltig wirkt.34 Es ist zu vermuten, dass viele verschiedene Faktoren für Konversionen eine Rolle spielen, die sich überlappen, überlagern und einander abwechseln. Zum einen kann sich innerhalb des Konversionsprozesses die Gewichtung der zugrunde liegenden Faktoren verschieben, zum anderen werden die Motive oft im Nachhinein von den Konvertiten umgedeutet. Somit ist es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, die Gründe voneinander zu trennen und zu bestimmen, welche nun wirklich ausschlaggebend für die Konversion waren. Es gibt zwar Versuche mit Hilfe der objektiven Hermeneutik (z.B. Wohlrab-Sahr 1999) ursächliche Grundmuster herauszuarbeiten. Dies erscheint für den hier untersuchten Kontext allerdings schwierig und nur bedingt aussagekräftig. (c) Konversion im Zuge gesellschaftlicher Modernisierung und Globalisierung Die Rolle des sozialen Umfeldes ist aber nicht nur auf der Ebene individueller Konversionen untersucht worden, sondern wurde auch auf gesellschaftlicher Ebene betrachtet. Insbesondere die auf Afrika bezogenen Konversionsforschungen haben bisher meist Ansätze bevorzugt, die größere soziale Einheiten in den Mittelpunkt der Untersuchung stellten (z.B. Fisher 1973; Horton 1975; Clarke

34 Vgl. zum Komplex der »brainwashing theory« und zu den oben dargestellten Argumenten Snow & Machalek (1984, 178-179) sowie Wiesberger (1990, 32). Neben anderen haben sich auch Wohlrab-Sahr (1998) und Lofland & Skonvod (1983) kritisch mit diesem Thema auseinandergesetzt und kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen.

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2004; Droz 2004). So wurden zum Beispiel historische Entwicklungslinien der Ausbreitung des Islam in Ostafrika anhand der Konversion größerer Gruppen entlang der Handelswege von der ostafrikanischen Küste ins Gebiet der großen Seen nachgezeichnet (vgl. Trimingham 1964 und Nimtz 1980). Viele dieser Ansätze teilten eine modernisierungstheoretische Grundausrichtung und sahen die Islamisierung, bzw. die Christianisierung, als eine Anpassung an globale Strukturen und die Moderne an (vgl. von Oppen 2010). Trimingham, Islamwissenschaftler und christlicher Missionar (eine doch relativ häufig anzutreffende Kombination), erklärte die Islamisierung durch einen Kollaps der Strukturen der traditionalen afrikanischen Gesellschaften35 und Weltsichten, die seiner Ansicht nach nur eine lokale Reichweite und Relevanz für small-scale societies (wie ländliche Dorfgemeinschaften) hatten, durch den Einfluss europäischer Gesellschaften, deren politische Dominanz und die dadurch bewirkte gesellschaftliche Restrukturierung. Die, im Vergleich zu islamischen Akteuren, dogmatische Haltung christlicher Missionare verhinderte nach Trimingham eine Verbindung afrikanischer und christlicher Elemente und führte zur Entstehung unabhängiger Kirchen. Der Ethnologe Horton (1971) stellte aufbauend auf Peel (1968) eine Theorie auf, die zeigen sollte, dass die Hinwendung zum Monotheismus in den afrikanischen Religionen selbst schon angelegt war (vgl. Horton 1975; siehe auch Ikenga-Metuh 1987). Er unterschied in der traditionellen afrikanischen Kosmologie zwei verschiedenen Ebenen, den lokalen Mikrokosmos der Geister und den eher globalen Makrokosmos einer Hochgottheit. Durch die Konfrontation mit der Moderne wurde die erste Ebene in ihrer Bedeutung zurückgedrängt, dafür wurde die zweite immer wichtiger. Die Konversion zu einer der Weltreligionen nahm also nur eine Entwicklung vorweg, die seiner Meinung nach sowieso eingetreten wäre. Islam und Christentum erscheinen somit als Katalysatoren.36 Dies schließt auch mit ein, dass nur diejenigen Praktiken und Glaubensinhalte akzeptiert werden, die in die traditionellen Konzepte passen. Somit erklärt er das Auftreten der ›independent churches‹ ähnlich wie Trimingham. Insgesamt weisen beide Ansätze in ihrer modernisierungstheoretischen Ausrichtung große Ähnlichkeiten auf. Konversionen zum Christentum und Islam

35 Ikenga-Metuh fasste seinen Erklärungsansatz entsprechend als »shattered microcosm« zusammen (Ikenga-Metuh 1987). 36 Horton scheiterte allerdings daran, sein ›Gedankenexperiment‹ mit konkreten Daten belegen. Fisher, ein Historiker, präsentierte im Zuge der berühmt gewordenen Debatte zwischen den beiden Autoren eine Reihe von Gegenbeispielen (vgl. auch Ikenga-Metuh 1987).

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erscheinen als unentrinnbare Konsequenz einer linearen historischen Wandlung, des Eintretens in die Moderne.37 Parkin (1970), ebenfalls ein Ethnologe, untersuchte in seiner Forschung zu den Giriama in Kenia rituellen und symbolischen Synkretismus als Funktion innergesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Er beschreibt, wie sich bestimmte gesellschaftliche Gruppen, wie zum Beispiel wirtschaftlich erfolgreiche junge Bauern, durch die Annahme oder auch nur die Behauptung der Annahme islamischer Elemente gegen andere, in diesem Fall vor allem die bis dahin dominierende kleine Gruppe ausgewählter alten Männer, durchsetzen konnten, welche weiterhin durch die alte Religion versuchten, ihren Einfluss zu bewahren. Langfristig kann diese Übernahme einzelner Elemente zur Annahme einer anderen Religion führen. Wie verlaufen Konversionen? (a) Prozessmodelle der Konversion Um kausale Zusammenhangsketten des Ablaufes von Konversionen darzustellen wurden häufig Prozess-, Stufen- oder Phasenmodelle verwendet. Insbesondere seit den Veröffentlichungen von Lofland & Stark (1965)38 wurden darauf aufbauend viele neue Modelle entwickelt, die nicht mehr unbedingt als deterministisch verstanden wurden. Auffällig ist hierbei, dass die Phasenmodelle die im vorherigen Abschnitt dargestellten Gründe für Konversion aufgreifen und zusammenführen, was im Folgenden deutlich werden wird. Aus der großen Vielfalt unterschiedlicher Modelle wird hier eines, das die wesentlichen Elemente beinhaltet, beispielhaft kurz vorgestellt. Dieses sieben-stufige Modell von Rambo (1992), der sich zuvor vor allem mit Theologie und Psychologie beschäftigt hatte, ist nicht nur in eine Richtung zu durchlaufen und nicht sequentiell, jede Phase ist von bestimmten Themen und Prozessen gekennzeichnet. 1) Kontext: Als erste Stufe wird das Umfeld des Konvertiten angesehen. Dabei werden sowohl die gesellschaftliche Makroebene, wie auch das individuelle Umfeld als Mikroebene, sowie Wechselwirkungen zwischen diesen Ebenen einbezogen. Als Beispiel dafür stellt Rambo die Arbeit von Lifton (vgl. z.B. Lifton 1993) vor, der davon ausgeht, dass Modernisierung zu einem fragilen und unklar definierten Individuum führen kann. Nach Ansicht Rambos kann dieses

37 Vgl. Ikenga-Metuh 1987 und von Oppen 2010. 38 In diesem richtungsweisenden Artikel über die Unification Church stellten die Autoren 1965 ein qualitatives Prozessmodell der Hinwendung zu einer unbekannten und sozial nicht anerkannten Gruppierung auf.

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wiederum bei fundamentalistischen Bewegungen klare Antworten und eindeutige Glaubenssyteme und »relief from the overwhelming multiplicity of options, the cacophony of voices pulling in different directions« (Rambo 1992, 164) finden. 2) Krise: Diese Phase der akuten Krise und der Orientierungslosigkeit wird sehr unterschiedlich interpretiert, wobei Konversion meistens entweder als Korrektur eines Missstandes oder als die Folge einer Suche nach Erfüllung angesehen werden. Die in diesem und dem vorhergehenden Punkt zusammengefassten Argumentationen weisen große Ähnlichkeiten mit den unter der Frage ›Warum konvertieren Menschen‹ genannten auf. 3) Suche: In dem langen Prozess der Suche geht es vor allem um die Entdeckung und Erfüllung von Lebenssinn und Lebenszielen, sie intensiviert sich in Krisenphasen. Diese Suche, die zum Teil als unbewusst, zum Teil als aktiv interpretiert wird, wird neben den in 1) und 2) aufgeführten Punkten auf weitere Ursachen zurückgeführt. Eine normative Konversionstheorie sieht z.B. den Grund in einem allen Menschen innewohnenden Drang zur Weiterentwicklung (ebd., 167-168). Inwiefern die Rolle des Konvertiten hierbei eine aktive oder passive ist, wird in der wissenschaftlichen Diskussion nach wie vor diskutiert. Lofland (1977) geht in seiner Rückschau auf die Forschung von 1965 davon aus, dass die vermutete Passivität der Akteure in seinem »world-saver model« so nicht aufrecht gehalten werden kann und fordert stattdessen, dass: »... how people go about converting themselves« (Lofland 1977, 817) stärker untersucht werden sollte. Asad (1996) dagegen sieht den Verweis auf die Aktivität oder agency der Konvertiten als eine Abwehr des Nicht-Vorstellbaren: »Conversion is regarded by moderns as an ›irrational‹ event or process, but resort to the idea of agency renders it ›rational‹ and ›freely chosen‹.« (Asad 1996b, 272) 4) Kontakt: Auf der vierten Stufe ist der Kontakt zwischen potentiellem Konvertiten und Advokat angesiedelt. Dabei müssen neben den Bedürfnissen des Konvertiten nun auch die des Advokaten mit betrachtet werden. Eine wichtige Rolle für den Prozess der Konversion spielt auf dieser Stufe das Charisma des Advokaten. Gerlach & Hine (1970) setzen in ihrem Modell diese Stufe ganz an den Anfang des Konversionsprozesses. Durch den Kontakt wird ihrer Ansicht nach schon der interpretative Rahmen des Konvertiten beeinflusst und eine Krise generiert. 5) Interaktion: Auf den Kontakt folgt die Interaktion mit und das Lernen über die Gruppe. Hier spielen vor allem Vorbilder und deren persönliche Anleitung, Rituale und damit verbunden Verhaltensänderungen, körperliche Erlebnisse (wie zum Beispiel das Fasten) sowie Metaphern des Todes und der Wiedergeburt eine Rolle. Interessant sind dabei auch gruppenspezifische Kontrollmechanismen, wie

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sie von Lofland (1977) beschrieben wurden und die wesentlich zu einer Bindung der Konvertiten an die inzwischen bekanntere und besser strukturierte D.P. beitrug. 6) Bindung: Die Bindung des Konvertiten an die neue Gruppe erfolgt zum einen über die Veränderung seiner sozialen Netzwerke und zum anderen über explizite und öffentliche Äußerungen der Zugehörigkeit. Diese erfolgen häufig über die Umgestaltung der biographische Erzählung, sowie über Beichten und Rituale, zum Beispiel über solch öffentliche wie die Taufe. Insbesondere in Gruppen, die öffentliche Bekenntnisse des Konvertiten einfordern, wird die persönliche Lebenserzählung mit dem Narrativ der Gruppe verbunden. Allerdings wurde häufig kritisiert, dass diese offensichtlichen Äußerungen der Zugehörigkeit nicht unbedingt mit einer tatsächlichen Konversion gleichzusetzen seien, sondern auch auf Anpassungsdruck zurückzuführen seien (vgl. Snow & Machalek 1984, 171-173). 7) Konsequenzen: Auf der letzten Stufe sind die Folgen der Konversion anzusiedeln, insbesondere fallen darunter die Veränderungen von Menschen durch die Konversion. Diese können aus dem Blickwinkel des Konvertiten oder von außen betrachtet werden. Teil dieser Frage ist auch, wie lange ein Konvertit bei der neu gewählten Gruppe bzw. Religion bleibt, oder ob er diese eventuell wieder verlässt. Ein davon abweichendes Stufenmodell stellte der Theologe Fowler (1986) mit seiner »faith development theory« auf. Er stellte den Stufen der allgemeinen psychosozialen Entwicklung sechs Stufen der Glaubensentwicklung gegenüber und untersucht deren Auftreten in bestimmten Altersabschnitten. Mit dem Erreichen einer neuen Stufe der Glaubensentwicklung können Konversionsprozesse, die er als einschneidenden Wandel in den Glaubensinhalten fasst, einhergehen. Bei einer Konversion kommt es zudem zu einer Rekapitulation, einem erneuten Durchleben, der Phasen der Glaubensentwicklung (vgl. Fowler 1986, 290). Snow & Machalek (1984) kritisieren die Herangehensweise über Prozessmodelle, da diese ihrer Ansicht nach lediglich »natural histories of conversion« darstellen und somit nur einen geringen Beitrag zur Erklärung von Konversionen leisten können. Dies ist bei den sehr allgemein gehaltenen Modellen, wie zum Beispiel dem oben vorgestellten von Rambo, sicherlich der Fall. Konkretere Prozessmodelle wie das von Lofland (1977) beschriebene, das sich speziell mit der Aufnahme und Bindung von Konvertiten an die D.P. beschäftigte, sind dagegen sehr aufschlussreich, allerdings weniger im Hinblick auf die Konversionsforschung, als mehr in der Abbildung der Missionsarbeit der entsprechenden Gruppierung.

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(b) Stufenmodelle der Verbreitung und Veränderung von Religionen Neben diesen Theorien des Ablaufs der Konversion bei Individuen existieren auf eine Makroebene orientierte Modelle der Ausbreitung von Religionen und damit der Konversion großer Bevölkerungsgruppen. Diese Theorien wurden vor allem für Gebiete außerhalb Europas entwickelt. Im Hinblick auf die Durchsetzung des Islam versuchte Poston (1992) mit dem »high church/ low church model«39 zwei unterschiedliche Möglichkeiten seiner Verbreitung zu erklären. Während im »high church« Modell die Konversionen von der Spitze aus durchgesetzt werden, in der Abfolge militärischer Eroberungen, politischer Kontrolle, Schaffung eines islamischen Umfeldes, und dann erfolgender Konversion (die Woodberry zudem in Anpassung und Reform unterteilt, vgl. Woodberry 1992, 36), erfolgt die Islamisierung im »low church« Modell von unten, durch die langsame Konversion Einzelner aufgrund von »witness through word and lifestyle«. Danach erst findet die Schaffung eines muslimischen Umfeldes statt und später die Erringung politischer Macht. Das sicherlich bekannteste Stufenmodell für die Islamisierung Afrikas stammt von Trimingham (1959). Es wurde in Bezug auf West-Afrika entwickelt und 1964 von ihm auf Ostafrika übertragen und angepasst. Trimingham unterscheidet dabei drei Stufen der Islamisierung 1) »Germination« (Reifung) – islamische Elemente werden in die Lebenswirklichkeit integriert, z.B. in Form von Amuletten, Kleidungsstücken, dem Namen Allahs für die Hochgottheit oder der Beschneidung, die alte Religion und Islam koexistieren friedlich, weder das religiöse noch das soziale Leben ändern sich, 2) »Crisis« – islamische Prinzipien werden stärker angenommen und traditionelle Riten werden bewusst verdrängt, mehr Menschen konvertieren zum Islam und 3) »Gradual reorientation« (Tri-

39 Vgl. Woodberry 1992, 36-37, der dieses Modell aus der 1988 erschienenen Ph.D. Arbeit von Poston zitiert. In Poston (1992) sind die Begriffe der »high church« und »low church« durch die Begriffe »external-institutional« und »internal-personal« ausgetauscht worden, obwohl nach wie vor eine inhaltliche Parallele zwischen den Modellen besteht. Bei der Durchsetzung von Religion im »external-institutional« Modus liegt der Fokus auf Orthodoxie, Liturgie, Doktrin und Strukturen, während beim zweiten, »internal-personal« Modus der Fokus stärker auf dem inneren Erleben, Pietismus, dem individuellen moralischen Lebensstil und einer Abkehr von externen Beeinflussungen durch Politik und Wirtschaft ruht.

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mingham 1964, 60)40 – die Annahme der neuen, islamischen Lebensart führt zur Aufgabe der alten Rituale und der Zerstörung der Kultstätten, zur Einhaltung des Ramadan und des Alkoholverbotes, sowie der Etablierung des Freitagsgebetes und der Einführung der Sharia: »This results in a new attitude which in time profoundly modifies social and individual behaviour.« (Ebd.) In Bezug auf Afrika wurden, wie oben dargestellt, häufig modernisierungstheoretisch geprägte Theorien verwendet. Verdeutlichen lässt sich das besonders anhand der von Horton angestoßenen Debatte über ›African Conversion‹ (vgl. auch von Oppen 2010). Als Antwort auf diesen Versuch eine Kontinuität bei dem Übergang zum Christentum und zum Islam aufzuzeigen, veröffentlichte Fisher 1973 einen Artikel, der eher den Bruch und die Innovation durch Islamisierung oder auch Christianisierung darstellte. In Fishers Modell, das wiederum auf Triminghams Drei-Stufen-Modell zurückgeht, folgt auf eine Phase der religiösen Orthodoxie (»quarantine«), bei der die Religion von Neuankömmlingen repräsentiert wird durch die zunehmende Pluralisierung der Religion durch Konversionen eine Phase der Vermischung (»mixing«, Fisher 1973, 31). Das »mixing« wird als Übergangsstadium angesehen, das wiederum zu Reformbewegungen und in Folge dessen zu einer neuen Orthodoxie führt. Die Phase der Reform wird dabei als zweite und höhere Stufe des Konversionsprozesses angesehen. Fisher unterscheidet, Nocks (1933) Modell der Konversion folgend (siehe S. 154), zwischen Adhäsion und Konversion, sowie zwischen verschiedenen Stufen der Konversion und erstellt daraus eine Matrix verschiedener Formen religiösen Wandels. Konversion ist bei ihm ein immer währender Prozess. Allerdings kann mit Ikenga-Metuh (1987) kritisiert werden, dass mit diesem Modell nicht erklärt werden kann, wie es überhaupt zu individuellen Konversionen zum Islam kommt, ohne die eine Islamisierung der Gruppe nicht möglich wäre (vgl. Ikenga-Metuh 1987, 17). (c) Ostafrika – Islamisierung oder Konversionen zum Islam? Die, nicht sehr reichlich vorhandene, empirische Literatur zu Ostafrika folgt meist diesem linearem Modell. Den Akteuren kommt dabei häufig eine eher passive Rolle zu, was auch an den zur Beschreibung von Konversion zum Islam meist synonym verwendeten Begriffe ›Islamisierung‹, ›Ausbreitung‹ (spread) oder ›Durchdringung‹ (penetration) abgelesen werden kann (vgl. von Oppen 2010). Bungers (1980) ethnologische Arbeit über die Pokomo in Kenia wendet

40 Das für Westafrika entworfene und länger ausgeführte Drei-Stufen-Modell »preparation« – »acceptance/conversion« – »assimilation« verwendet zwar andere Begrifflichkeiten, entspricht dem oben gezeigten Modell aber inhaltlich (Trimingham 1959).

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Triminghams Stufen-Modell auf dieses empirische Beispiel an. Bunger verortet die Upper Pokomo in der dritten Stufe, der »gradual reorientation«, allerdings mit der Einschränkung, dass der Konsum von Bier nach wie vor weit verbreitet ist (und sich sogar verstärkt hat, da das Biertrinken nun nicht mehr ein den Alten vorbehaltenes Privileg ist) und die Sharia nur eine Nebenrolle spielt. Er schließt seine Betrachtungen mit der Bemerkung: »there has been almost no accommodation in matters of religious belief and ritual.« (Bunger 1980, 166) Auf der religiösen Ebene hat also seiner Einschätzung nach kaum Wandel stattgefunden. Hortons Distanzierung vom christlich-theologischen Ursprung des Begriffs der Konversion (und der Verwendung dieses Paradigmas in der Forschung) und die daraus resultierende Verwendung eines formalen, deskriptiven Begriffes der Konversion als Übertritt um eine Übertragung auf nicht-christliche Religionen zu erleichtern, scheint hier noch nachzuwirken. Becker (2008) geht in ihrer historischen Forschung über Konversionen auf dem tansanischen Festland davon aus, dass: »Religious change, in this sense, can be described as part of a search for ways to improve life.« (Becker 2008, 8) Konversion dient ihrer Ansicht nach also vor allem der Befriedigung von Bedürfnissen, auch wenn sich die Konvertiten darüber nicht unbedingt bewusst sind.41 Mit der Islamisierung sieht sie ähnlich wie Horton vor allem einen religiösen Wandel hin zum Monotheismus, und damit auch eine Neudefinition von Wissen, verbunden. Die Autorin betont wie Bunger immer wieder, dass Islam eher als Zusatz in die religiöse Praxis aufgenommen wurde, bei Beibehaltung der bisherigen Praxen. Das Nebeneinander von lokalen und islamischen Praktiken stellt sie als relativ konfliktfrei dar (vgl. ebd., 147). Auch Roger (1998), der sich mit individuellen Konversionen beschäftigte, geht in seiner Untersuchung in Tansania davon aus, dass Konversionsprozesse in Afrika stärker von Pragmatismus, als von europäisch-individualistischer ›Selbsterfahrung‹ bestimmt seien. Er sieht Konversionen zwar ebenfalls als individuell ablaufenden Prozess der Neudefinition an, doch die Selbstthematisierung steht nicht im Vordergrund der Überlegungen für einen Glaubensübertritt. Die Wahl auf eine Religion fiele dagegen oft nach Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen verschiedenen Angeboten (vgl. Roger 1998, 72). Schilderung von Bekehrungserlebnissen im klassischen Sinne lassen sich seiner Ansicht nach kaum finden. Statt eines »change of mind« konstatiert Roger eher einen »change of status«. Der pragmatische Umgang mit Religion erleichtere auch den wiederholten

41 »It is likely that many new Muslims confronted the question whether to become Muslim or not privately, [...] , and relying on sentiment more than reflection [...].« (Becker 2008, 86)

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Wechsel zwischen unterschiedlichen Gruppierungen. Auch er betont somit eher die Kontinuität des religiösen Lebens, als einen mit der Konversion verbundenen Bruch. Aus der oben vorgestellten Literatur wird eine offensichtliche Diskrepanz zwischen Konversionstheorien in Bezug auf Europa, die den individuellen Wandel herausheben, und Untersuchungen zu Afrika, die eher auf die strukturelle Anpassung fokussieren, deutlich. Anders formuliert scheint das wissenschaftliche Hauptinteresse in Bezug auf Afrika meist der Islamisierung zu gelten, und nicht den individuellen Konversionen zum Islam. Diese Diskrepanz speist sich aus zwei verschiedenen Richtungen. Zum einen gibt es zur Konversion zum Islam im Allgemeinen kaum sozialwissenschaftliche oder psychologische Arbeiten, die die Forschungstradition hätten prägen können. Die Untersuchungen hierzu kamen meist von Historikern oder Islamwissenschaftlern, die sich eher auf längerfristige gesellschaftliche Entwicklungen fokussierten. Zum anderen sind auch die regionalen Forschungstraditionen von unterschiedlichen Schwerpunkten gekennzeichnet. Während für die Forschung zu Europa zur (meist christlichen) Konversion auf das Individuum ausgerichtete Ansätze aus der Psychologie und der Soziologie eine große Rolle spielten, waren die in Afrika tätigen Ethnologen und Historiker (einige von ihnen agierten auch als Missionare) viele Jahre vor allem an Abläufen und Strukturen innerhalb von Gruppen interessiert. Das daraus resultierende Religionsverständnis scheint sich lange Zeit erhalten zu haben. Mit einem weniger gutwilligen Blick könnte man auch unterstellen, die Literatur traute afrikanischen Konvertiten keine spirituelle Hinwendung zu einer neuen Religion zu, sondern diese wird hauptsächlich aus pragmatischen Gesichtspunkten erklärt. Außerdem erscheint Konversion in Afrika leicht und fluide zu sein. Ihr wird keine Veränderungskraft zugesprochen, nur äußerlich könne sich der Mensch (für die gegebene Zeit) wandeln. So stellte Faulkner (2006), ein ehemaliger katholischer Missionar und späterer Afrikanist, in seiner Untersuchung der Boni in Kenia fest: »Just as individuals can switch codes of behaviour and thinking depending on the situation in which they find themselves and the social mores to which they are expected to conform, so too in the religious sphere individuals and groups can comfortably switch between, for example the mosque and traditional practices with ease.« (Faulkner 2006, 29)

Allerdings betonte schon Trimingham in seiner Untersuchung der Islamisierung in Afrika, dass Konversion sehr wohl einen starken Einschnitt darstellt: »This point, therefore, marks conversion, a real break with the past and a beginning of

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a process of becoming an Islamic community.« (Trimingham 1959, 38)42 Auch Austin-Broos (2003) stellt im Vorwort eines Sammelbandes zur »Anthropology of Religious Conversion« fest, dass Konversion robuster ist als nur hybrides Ausprobieren oder »cultural flow«: »It involves a process of continual embedding in forms of social practice and belief, in ritual dispositions and somatic experiences.« (Austin-Broos 2003, 2) Außerdem warnt sie davor, die religiöse Komponente zu vergessen, auch wenn Konversion in einem politischen Umfeld stattfindet. Was ändert sich bei einer Konversion? Diese Diskrepanzen in der Forschung führen zu der Frage, wann von einer Konversion gesprochen werden kann. Was ist mit dem Begriff Konversion genau gemeint? Daran schließt sich die Frage an, welche Veränderungen in bzw. mit einem Menschen vorgehen, wenn er konvertiert. Viele Autoren sprechen nur dann von einer Konversion, wenn dadurch ein radikaler persönlicher Wandel vollzogen wird. Wird allerdings, wie zum Beispiel durch den Soziologen Bainbridge, zwischen verschiedenen Ebenen – einer sozialen Verhaltensebene, der religiösen-ideologischen Ebene des Glaubens und einer Veränderung auf der Gefühlsebene (vgl. Bainbridge 1992, 187-188) – unterschieden, so ist zu fragen, ob diese Veränderungen auf allen drei Ebenen und mit einer bestimmten Intensität stattfinden müssen, um von einer Konversion sprechen zu können. Hinzu kommt die Frage, wie dieser Wandel überhaupt festgestellt werden kann. (a) Konversion versus Adhäsion Um das Problem der Zuordnung, ob es sich im konkreten Fall um eine sozial-psychologische Veränderung oder doch eher um einen Statuswechsel (Snow & Machalek 1984, 185) handelt, zu lösen, griffen viele Autoren auf die Unterscheidung Nocks zwischen Konversion und Adhäsion zurück, die in dessen religions-historischem Standardwerk von 1933 eingeführt wurde. Während Konversion zu prophetischen Religionen, wie dem Judaismus und dem Christentum, die Aufgabe der alten Religion verlangten, könne bei nicht-prophetischen Religio-

42 Trimingham betonte in seiner Arbeit zu Ostafrika außerdem, dass individuelle Konversionen zum Islam deutlich wichtiger und häufiger sind als Gruppenkonversionen. Leider bezog er dies jedoch nicht in seine theoretischen Modelle mit ein (Trimingham 1964, 63).

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nen, die er auch als primitive Religionen bezeichnete,43 trotz der Teilnahme an neuen Ritualen die alte Religion beibehalten werden. Elemente des neuen Glaubens werden der alten Religion ergänzend hinzugefügt, ohne dass eine Substitution stattfindet. Deshalb schlug er vor, diesen Vorgang in Abgrenzung als Adhäsion zu bezeichnen. Konversion beschrieb er dagegen als: »reorientation of the soul of an individual, his deliberate turning from indifference or from an earlier form of piety to another, a turning which implies a consciousness that a great change is involved, that the old was wrong and the new is right.« (Nock 1961 [1933], 7) Auch wenn dieses Modell häufig als zu starr kritisiert wurde44, wurde es von Wissenschaftlern immer wieder aufgegriffen und prägte die wissenschaftliche Theoriebildung (bis heute) stark. In der Soziologie wurde dieses Modell weiterentwickelt. Travisano (1970) fügte dem das Konzept des Wechsels (Alternation) hinzu, das einen reversiblen Rollenwechsel, der im Gegensatz zur Konversion nicht zu einem inneren Bruch der persönlichen Weltsicht führt, bezeichnet. Gordon (1974) stellte der Konversion die Konsolidierung gegenüber, die eine Kombination aus zwei vorher schon vorhandenen aber widersprüchlichen Weltsichten bzw. Identitäten darstellt. 45 Eine weitere Art des persönlichen Wandels beschreibt das ebenfalls von Nock (1933) verwendete Konzept der Regeneration, das sich auf die enthusiastische Annahme eines zuvor nicht ernst genommenen oder sogar abgelehnten Glaubenssystems bezieht. Diese Unterscheidungen zeigen, dass persönlicher Wandel viele Dimensionen aufweist. Die Unschärfen, die mit dem Versuch der Bestimmung verbunden sind, wann eine Konversion beginnt bzw. endet und ob nur der stärkste dieser Wandlungsprozesse Konversion genannt werden kann, bleiben jedoch erhalten. Zudem bleibt auch hier unklar, was sich durch diesen Prozess ändert – Glauben, Identitäten, Verhalten oder Loyalitäten?

43 Nock beschäftigte sich in dieser Arbeit auch mit der Konversion zur Philosophie. Wichtig ist für seine Unterscheidung vor allem, ob ein verbindlicher Kanon bestimmter, für wahr gehaltener Ideen existiert. 44 Es ist hier auch zu fragen, ob der allen Religionen inhärente Synkretismus, gesehen als Vermischung religiöser Ideen, nicht als Zeichen dafür gesehen werden muss, dass auch im Falle der Buchreligionen nach dem Konzept Nocks die Adhäsion vorherrschend war. So argumentiert zum Beispiel MacMullen (1986) für eine Neubewertung des frühen Christentums zwischen 100-400, da er einen Großteil der Konversionen als pragmatische Entscheidungen einordnet. 45 »An example would be a person raised as a Catholic, who rejected his Catholicism for the youth culture, and later became a Jesus Person.« (ebd., 166)

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(b) Über die Messbarkeit des Glaubens Viele Forschungen stellten bei der Unterscheidung zwischen Konversion und anderen Formen religiösen Wandels die formale Mitgliedschaft in einer Gemeinde oder die öffentliche Demonstration von Zugehörigkeit in den Vordergrund. Snow & Machalek (1984) kritisierten jedoch beide Indikatoren als sehr problematisch. In Bezug auf die formale Zugehörigkeit (membership status) wird die Stärke der persönlichen Bindung zu wenig beachtet, die unter Umständen sehr gering sein kann, zum Beispiel bei einem Übertritt aufgrund einer Heirat. Die öffentliche Demonstration von Zugehörigkeit (demonstration events) dient ihrer Ansicht nach in erster Linie der rituellen Bestätigung der Konversion für den Konvertiten selbst und für die neue Gruppierung, der dadurch die Ernsthaftigkeit der Konversion gezeigt werden soll. Aufgrund ihrer Dramatik und der scheinbaren Spontaneität werden diese Demonstrationsereignisse von vielen, Gläubigen wie Außenstehenden, als verlässliche Beweise für Konversion angesehen (Snow & Machalek 1984, 172). Allerdings ist zu fragen, ob diese Zurschaustellung Folgen eines anhaltenden inneren Wandel oder der jeweiligen Situation und ihres intensiven normativen Drucks geschuldet sind. Snow & Machalek nehmen zur Verdeutlichung eine Unterscheidung Moscovicis zwischen Konversion und willfährigem Verhalten (compliance) auf, mit dem ein öffentlich gezeigtes Verhalten gemeint ist, das jegliche private Akzeptanz vermissen lässt. Konversion dagegen beruht auf einer privaten Internalisierung, die nicht unbedingt eine öffentliche Demonstration nach sich zieht (ebd.). Ähnlich argumentiert auch Bainbrigde (1992), der christliche Revival Meetings, z.B. des Amerikaners Billy Graham, als Beispiel benennt, bei denen die Konversion immer wieder von den gleichen Individuen durchlebt werden (Bainbridge 1992, 189).46 Hier können zum Teil auch die immer wieder auftretenden Konvertiten bei den Veranstaltungen der Wahubiri wa Kiislamu eingeordnet werden. Snow & Machalek schlagen nach dieser Kritik äußerer Zeichen für Konversion vor, rhetorische Muster zu untersuchen, anhand derer sich ein innerer Wandel, den sie als radikalen persönlichen Wandel im Diskursuniversum des Konvertiten auffassen, erkennen ließe. Der von Mead 1934 eingeführte Begriff des »universe of discourse« beschreibt zusammengehörende, als selbstverständlich betrachtete Annahmen, die einen (sozial konstruierten) Rahmen für Bedeutung

46 Bainbridge spricht hier von »confirmations« statt »conversions«. Als Grund für dieses wiederholte Erleben der rituellen Konversionserfahrung sieht er die Betonung der Transformation innerhalb der Pfingstkirchen.

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schaffen.47 Konversion betrifft somit nicht nur eine Veränderung von Werten, Glaubensinhalten und Identitäten, sondern impliziert einen fundamentaleren Wandel bei dem sich das Diskursuniversum des Konvertiten, und damit einhergehend die Art und Weise wie die Welt betrachtet wird, ändert. Dabei muss es nicht unbedingt zu einem Austausch durch ein ganz neues Diskursuniversum kommen, auch ein im Hintergrund schon peripher vorhandenes kann in den Vordergrund rücken: »Such a conception does not restrict conversion only to changes from one religion to another or to the adoption of a religious world view where one was previously absent.« (Snow & Machalek 1984, 170) Diese Perspektive scheint somit besonders dafür geeignet, auch Fälle von Konversion innerhalb des Islam zu betrachten, da zwar aus emischer Sicht nicht von Konversion gesprochen wird, sehr wohl aber ein Wandel des Diskursuniversums zu beobachten ist. Snow & Machalek schlussfolgern »that if it is the universe of discourse that undergoes change during conversion, then that change should be discernible in converts’ speech and reasoning« (ebd., 173). Dabei identifizieren sie vier verschiedene Merkmale, die einen Konvertiten von anderen Gruppenmitgliedern unterscheiden und somit auf einen Wandel des Diskursuniversums hindeuten: a) die Rekonstruktion der Biographie – dabei wird die Vergangenheit im Sinne und mit den Mitteln des nun dominierenden Diskursuniversums uminterpretiert, b) die Adaption eines leitenden Attributionsschemas. Durch die Annahme eines einzigen Interpretationsschemas scheint eine Klarheit in das Denken des Konvertiten einzutreten, die auch vorher vorhandene Unklarheiten verständlich macht. Dieser Prozess ist häufig mit einem Wandel der Zuschreibung kausaler Zusammenhänge (von einer internen zu einer externen Schuldzuschreibung und vice versa) verbunden, c) die Herausstellung der Besonderheit des eigenen Glauben (von ihnen Suspension analoger Begründungen genannt) folgt aus der Wahrnehmung des eigenen Glaubens als einzigartig und unvergleichbar und zeigt sich insbesondere in der Ablehnung von analogischen Metaphern beim Sprechen über den Glauben. Dies steht in Kontrast zu der immer noch akzeptierten Verwendung bildlicher (iconic) Metaphern wie zum Bsp. »God is love« und d) die Annahme der Rolle als Konvertit sogar im täglichen Leben (vgl. ebd., 173-174). Der Konvertit agiert dabei nicht mehr nur aus eigenem Interesse heraus, sondern behält immer die Interessen der Gruppe im Hintergrund.

47 Auch wenn in der deutschen Übersetzung des Werkes »Mind, Self, and Society« (1934) der Begriff »universe of discourse« als »logisches Universum« übersetzt wurde (Mead 1995, 129-130), wird in den meisten deutschsprachigen wissenschaftlichen Arbeiten das Wort »Diskursuniversum« verwendet.

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Zu fragen ist hier, inwieweit graduelle Veränderungen des Diskursuniversums, sei es Einzelpersonen oder auch ganze religiöse Gruppierungen betreffend, auch als Konversion aufzufassen sind, obwohl dieser Wandel eher passiv und unbewusst erfolgt. Snow & Machalek insbesondere in ihrem letzten Punkt folgend könnte argumentiert werden, dass Konversion eine bewusste Entscheidung zu etwas Neuem bzw. zwischen verschiedenen Alternativen voraussetzt und es sich somit weniger um einen Wandel an sich als um einen durch den Konvertiten selbst vorangetriebenen (teilweisen) Austausch des Diskursuniversums handelt. Wie stark die Annahme der Rolle als Konvertit über die Zeit hinweg bleibt, wurde von den Autoren nicht untersucht. Zudem können Sprache und Verhalten genauso ritualisiert sein wie die kritisierten äußerlichen Indikatoren. Die Soziologen Staples & Mauss (1987) greifen diese Konzeption auf, koppeln jedoch diesen Wechsel nicht an das individuelle Bewusstsein, sondern schlagen den Begriff der Selbsttransformation vor, der den Konvertiten als alleinigen Akteur in den Mittelpunkt stellt.48 Die Konversionserzählung wird dabei zur Methode, diesen Schritt zu vollziehen. Außerdem erkennen sie den rhetorischen Indikator der »biographischen Rekonstruktion«, der von ihnen nicht mehr nur als Zeichen für einen Bewusstseinswandel gedeutet wird, sondern vor allem notwendig ist, um die Selbsttransformation zu vollziehen, als den einzig signifikanten an. Die anderen drei Indikatoren sehen sie lediglich als Zeichen religiöser Verbundenheit (»commitment«), die zur Aufrechterhaltung der Selbsttransformation jedoch eine wichtige Funktion erfüllen. Auch wenn ihr Ansatz, der die Selbsteinschätzung der Konvertiten in den Vordergrund stellt, in dieser Arbeit aufgegriffen wird, kann er nicht als einzige theoretische Grundlage dienen, da Konversion von den Autoren vor allem als subjektives Phänomen verstanden und somit die Verbindung zur Gesellschaft vernachlässigt wird. Wie im Verlaufe dieses Kapitels gezeigt wurde, nahmen viele Autoren der auf Afrika bezogenen Forschung diese Abstufung auf der individuellen Ebene gar nicht vor. Zur Untersuchung von religiösem Wandel wurden hauptsächlich äußerliche, empirische Indikatoren herangezogen. Meist werden dabei noch dazu soziokulturelle und keine religiösen Faktoren betrachtet. Ikenga-Metuh (1987) konstatierte, dass die meisten der von ihr behandelten Autoren eigentlich nicht über Konversion sondern über Adhäsion sprechen. Diese vorwiegende Betrachtung von sozio-kulturellen und die Missachtung religiöser Faktoren könnte ihrer Meinung nach an der Position der Wissenschaftler liegen, die dem Religiösen

48 »... by viewing conversion as a self-transformation – the creation of a new vision of who we really believe we are when all our social roles and self-presentations are stripped away.« (Staples & Mauss 1987, 137).

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nur wenig Relevanz und somit auch Erklärungskraft zusprechen. Neu eingeführte religiöse Konzepte scheinen demgegenüber aber einen großen Einfluss auf individuelle Konvertiten gehabt zu haben. Als Bespiel dafür führt sie die Bedeutung der christlichen Eschatologie auf die afrikanischen Kosmologien wie auch die Vorstellungswelten von Individuen an. Die intensive Auseinandersetzung afrikanischer Christen mit dieser Thematik spiegele die Abwesenheit dieser Dimension in den traditionalen afrikanischen Religionen wider (Ikenga-Metuh 1987, 23). Weiterhin waren, wie Barrett (1968) zeigte, die Veröffentlichungen von Heiligen Schriften in den Regionalsprachen und die damit mögliche inhaltliche Auseinandersetzung über den Text ein wichtiger Faktor für Kirchenabspaltungen in Afrika.49 Bezieht man die religiöse Komponente der Weltsicht mit ein, ist es vielleicht in einigen der untersuchten Fälle möglich von einer Änderungen des Diskursuniversums auch auf gesellschaftlicher Ebene, und somit von Konversion, zu sprechen. Austin-Broos (2003) beschreibt die eigenen Dynamiken die Weltreligionen haben. Sie sind nicht nur homogenisierend, sondern öffnen auch neue Möglichkeitsräume und kreieren wiederum Unterschiede. Diese Dynamiken der Weltreligionen kreuzen sich mit denen des Nationalstaates, einer weiteren Form der modernen imagined community. Zusammen bewirkten sie Veränderungen in der Konzeption von Wissen über die Welt. Auch Asad (1996b) weist auf die neuen Möglichkeiten ›for constituting themselves‹ die durch Konversion entstanden, während andere wegfielen. Er spricht dabei von einer Veränderung der ›epistemic structure‹, die durch eine einfache Gegenüberstellung passiver Rezeption und aktiven Widerstandes, von einfacher Reproduktion oder synthetischer Vermischung nicht erfasst werden kann. Die bewusste Selektion einzelner Elemente im Sinne von Synkretismus oder Hybridität ist schon zentraler Punkt dieser neuen Möglichkeit. Daran anschließend kann die Frage gestellt werden, wie Menschen diese neuen Möglichkeitsräume nutzen, beziehungsweise den Verlust von alten kompensieren: Wie gestalten Menschen die mit der Konversion einhergehende Veränderung ihres Lebens? Als Konversion werden hier also diejenigen Phänomene bezeichnet, denen eine bewusste, und somit zeitlich einzugrenzende Annahme oder Wandlung religiöser Weltsichten zugrunde liegt und die von den Interviewpartnern selbst als

49 Barrett versuchte als anglikanischer Priester und studierter Mathematiker Faktoren für die Durchsetzung des Christentums und für die Tendenz zur Entstehung lokaler unabhängiger Kirchen festzustellen.

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Wandlungsprozesse beschrieben wurden.50 Unbewusste Lernprozesse, bei denen eine Wandlung ohne die Annahme der Rolle eines Konvertiten vor sich geht, werden hier somit nicht betrachtet. Gleichzeitig ist Konversion auch immer als soziales Phänomen zu betrachten, da sie nie vom gesellschaftlichen Kontext zu lösen ist: »conversion appears as an experience that is rooted in both self and society. It involves a personally acknowledged transformation of self and a socially recognized display of change.« (Jules-Rosette 1976, 132) In Konversionserzählungen verbinden sich diese beiden Aspekte, da zum einen aus den biographischen Angaben die soziale Strukturiertheit von Konversionen deutlich wird, die Nacherzählung der Konversion jedoch andererseits den Ausdruck und die Reproduktion eines inneren Wandlungsprozesses darstellt.

4.3 E RZÄHLUNGEN ALS Z UGANG DER K ONVERSION

ZU

P ROZESSEN

Zugänge zu Konversionsprozessen mit Hilfe der soziologischen Biographieforschung waren bisher weitgehend auf die Industriestaaten der nördlichen Hemisphäre beschränkt. Dagegen betrachteten Forschungen in Afrika Konversionen zum Islam meist aus der Gruppenperspektive und fokussierten auf äußerliche Merkmale einer Islamisierung. Die vorliegende Arbeit geht hier einen anderen Weg und untersucht individuelle Wahrnehmungen und Handlungsweisen in Bezug auf die Konversion zum Islam in Ostafrika mit soziologischen und ethnologischen Methoden. Der Ethnologe (und Sohn eines Konvertiten) Asad (1996) schlägt vor, dass Studium der Konversion als die Untersuchung von Narrativen von Menschen zu begreifen, die darin einen radikalen Wandel in der Bedeutung ihres Lebens wahrnehmen und beschreiben: »it would be better to say that in studying conversion, one was dealing with the narratives by which people apprehended and described a radical change in the significance of their lives.« (Asad 1996b, 266)51 Zur kommunikativen Rekonstruktion dieses Erlebnisses eines radikalen Wandels scheinen Konversionserzählungen der zunächst einzig mögliche Zugang zu sein. Dabei ist das individuelle Erleben nicht mit dem Ereignis der Konversion zu verwechseln: »Vielmehr erweist sich das, was als Konversion erfahren wird, davon abhängig, wie es sprachlich und kommunikativ

50 Der Vorschlag Asads, in diesem Zusammenhang auch die Abkehr von Religion zu betrachten, bleibt mit diesem Ansatz möglich, wurde für die vorliegende Arbeit jedoch nicht aufgegriffen. 51 Dieser Wandel kann, muss aber nicht, religiös sein.

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dargestellt wird.« (Wohlrab-Sahr 1998, 17) Dieser Wechsel hin zur Perspektive der Konversionserzählung wird auch als ›linguistic turn‹ (vgl. z.B. Wohlrab-Sahr 1998), bzw. Wechsel zum ›kommunikativen Paradigma‹ (Knoblauch 1995) bezeichnet. Um noch weitere Aspekte der Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit der Konvertiten zu betrachten, wurden die Konversionserzählungen zu biographischen Interviews erweitert, d.h. nicht nur der Konversionsprozess spielte nunmehr eine Rolle, auch wenn er in den meisten Fällen im Vordergrund stand. Bei der Auswertung der Konversionserzählungen konnten so zum einen biographische Muster und typische Lebensverläufe (vgl. Schütze 1983) untersucht werden, die zum Teil auch als Konversionskarrieren bezeichnet werden (z.B. Richardson 1978). Andererseits konnte besondere Aufmerksamkeit auf die Narrative der Konversion gelegt werden, also darauf, wie die Befragten ihre Erfahrungen ausdrücken und darstellen, wie sie ihr altes und neues Leben beschreiben (vgl. Jules-Rosette 1976; Ulmer 1988). Über das Erleben der Konversion hinaus konnten aus den biographischen Interviews auch Daten über die Wahrnehmung religiöser Konkurrenz, Auseinandersetzungen in religiösen Gemeinden und das Auftreten verschiedener islamischer Missionsbewegungen gewonnen werden. Bei der Arbeit mit Autobiographien steht immer auch die Frage im Hintergrund, wie viel diese von dem Leben und den Erfahrungen des Erzählenden tatsächlich wiedergeben. Die auf Europa bezogene Konversionsforschung verwendete, insbesondere zur Untersuchung der Ursachen von Konversion, häufig Interviews und Erzählungen der Konvertiten als Hauptquellen. Snow & Machalek kritisieren, dass diese verbalen Äußerungen der Konvertiten in der wissenschaftlichen Literatur häufig »as valid and reliable records of past events and experiences.« (Snow & Machalek 1984, 175) behandelt werden und dabei ihre soziale Konstruktion vernachlässigt wird. Dies führt zu der von Bourdieu kritisierten ›biographischen Illusion‹ – einem Entwurf der Lebensgeschichte, der diese in eine geradlinige, eindimensionale Logik presst. Stattdessen sollten erzählte Biographien als Artefakte begriffen werden, deren Analyse die Besonderheiten biographischen Erzählens (siehe Kapitel 5) und die Eingebettetheit der Lebensgeschichte einschließen sollte. Dies gilt auch für Konversionserzählungen, die eine spezielle Art der biographischen Erzählung darstellt. Ähnlich wie im Falle biographischer Erzählungen müssen die drei Ebenen Ereignis, individuelles Erlebnis und Erzählung unterschieden werden. Konversionserzählungen dienen zudem (wie auch biographische Erzählungen) als Vermittlung zwischen individueller Erfahrung und Erwartungen der Gesellschaft. Konversionserzählungen weisen jedoch weitere, über die biographische Erzählung hinausgehende, Besonderheiten auf, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

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Herstellung eines Umbruchs durch Konversionserzählungen Sprondel, ein Soziologe, sieht im Falle einer Konversion drei verschiedene Darstellungsprobleme: gegenüber dem eigenen Selbst, dem früheren signifikanten Anderen und dem neuen signifikanten Anderen (vgl. Sprondel 1985, 555f.). Wie die Forschungen von Snow & Machalek (1984) sowie von Staples & Mauss (1987) zeigen konnten, stellt die biographische Rekonstruktion ein wichtiges (bzw. das wichtigste) Element des Konversionsprozesses dar. Zudem werden Konvertiten, wie im empirischen Teil der Arbeit deutlich werden wird, immer wieder dazu angehalten, ihren Wandel zu rechtfertigen. Da es jedoch schwierig ist, diese individuellen Erlebnisse der Konversion für andere verständlich zu erzählen, greifen viele Konvertiten auf kommunikative Paradigmen und archetypische Beispiele zurück, um ihre Erfahrungen erzählbar und glaubwürdig zu machen. Sprondel betont, dass Konvertiten somit im Zuge der Rechtfertigung ihrer Konversion lernen müssen, die ›richtigen‹ Symptome ihrer Veränderung zu identifizieren und über ihre neue Religion (in angemessener Art und Weise) zu denken und zu reden. Für ihn sind Konversionen vor allem ein »Mechanismus zur Steuerung und Regulierung von Interaktionen« (Sprondel 1985, 551), der den Zugang zu einer neuen Gemeinschaft plausibel macht und somit ermöglicht. Konversionen setzen die Existenz von Weltanschauungstheorien und einer wahrnehmbaren Vergemeinschaftung als Träger voraus. Da die Menschen bereits eine Weltsicht internalisiert haben, ist ein hoher Artikulationsaufwand zur Begründung der Wandlung notwendig. Erfolgsbeweise sind schwierig zu erbringen, aber wichtig um stabile Loyalität zu sichern. Insbesondere besteht die Notwendigkeit die beanspruchte Wandlung als ernsthaft, glaubwürdig und dauerhaft zu zeigen und nicht als Laune oder Strategie. Zu den von Sprondel genannten Rezipienten von Konversionserzählungen kommen weitere hinzu. Wie in Kapitel 3 gezeigt wurde, nutzen Missionsbewegungen Konversionen und Konversionserzählungen als Argumente für ihre eigene Stärke und Attraktivität. Peterson (2001) stellt in seiner historischen Arbeit zu Kenia dar, wie durch diese Erzählungen jedoch auch Kritik an der Gesellschaft zum Ausdruck gebracht werden kann: »It is the politically creative nature of conversion that current scholarship on Revival obscures. By accepting uncritically converts’ highly personal accounts of their religious transformation, historians have ignored the ways that the language of conversion served very public social and political purposes for the ›saved‹. [...] By treating conversion as a critical action that comments on social and political relationships, [Gauri] Viswanathan

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makes it possible to think of conversion not as an inward, subjective experience but as a grammar of dissent.« (Peterson 2001, 471)

Beckford (1978), der ebenfalls von der (Religions-)Soziologie beeinflusst war, stellte bei seiner Untersuchung der Zeugen Jehovas in England fest, dass deren Konversionsberichte zum einen stark vom christlichen Ideal abwichen und zum anderen eine große strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Erzählungen und allgemeiner Gruppenideologie aufwiesen. Er zeigt, dass »Witnesses internalize specific views of their organization and that these views are rationally used by them as resources when constructing their personal and collective experiences of religious conversion.« (Beckford 1978, 251) Aus diesem Grund benutzte er Konversionserzählungen nicht als objektive Quelle, sondern als Untersuchungsgegenstand. Die soziale Konstruiertheit von Konversionserzählungen wird nicht nur in ihrer Struktur deutlich, sondern auch in den darin verwendeten Argumenten und Redewendungen: »A number of studies have shown that converts’ accounts tend to be constructed in accordance with group-specific guidelines for interpreting certain experiences as religious conversions.« (Snow & Machalek 1984, 176) Konversionserzählungen sind somit auch Ausdruck individueller Aufnahme von wichtigen Themen derjenigen Gruppe, zu der die Konversion erfolgt. Im Falle der Zeugen Jehovas war zum einen auffällig, dass Konversion als langer Prozess des verbesserten Verständnisses dargestellt wurde, bei dem kein einzelner Moment der Wandlung (also ein einzelnes Konversionserlebnis) ausgemacht werden konnte. Plötzliche emotionale Aufwallungen wurden eher als suspekt dargestellt (bzw. ihre Authentizität später entwertet). Grundbedingung der Konversion war eine Wissensanhäufung über Religion und Gott, dies spiegelt die kognitive Orientierung der Gruppenideologie wider. Auch wenn emotionale Faktoren zumeist kritisch betrachtet wurden, konnten z.T. langfristige Persönlichkeitsänderungen als Bestätigung der Authentizität der Konversion gewertet werden: »she had to admit that they had made me a better person«. (Beckford 1978, 255) Ein korrektes Verständnis der Bibel wurde als Kern des Glaubens angesehen. Die Erzählungen kreisten um die Begriffe ›truth‹, ›falsity‹, ›scripture‹, ›evidence‹ und ›proof‹. Schließlich wurde die Konversion als ein Erfolg angesehen, der erarbeitet werden muss, nicht einfach als ein Geschenk Gottes. Glaube, Erlösung oder Spiritualität spielten kaum eine Rolle, die Gruppe dafür umso mehr. Beckford konnte in seiner Forschung zudem nachweisen, dass es eine zeitliche Übereinstimmung zwischen bestimmten Typen von Konversionserzählungen und Veränderungen des Charakters der Bewegung gibt. Allerdings werden diese Unterschiede nur bei Befragungen zu verschiedenen Zeitpunkten deutlich, »because even the longest-serving Witnesses draw upon the

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present-day rationale of the Watchtower Society and in this way tend to conceal the actual period of their conversion.« (Beckford 1978, 260) Diese Wechselwirkung zwischen individuellem Konversionserlebnis und Gruppenideologie darf aber nicht simplifiziert werden: »These observations should not be interpreted as suggesting that converts merely parrot the official script when constructing their conversion account. Thus, specific ideologies do not strictly determine the character of converts’ accounts: rather, they provide the basic algorithms upon which the convert constructs an ›appropriate‹ account of his or her conversion experience.« (Snow & Machalek 1984, 176)

Diese Art der Interpretation wendet sich von der Suche nach Abläufen und Ursachen von Konversionen ab und konzentriert sich auf die Konversionsnarrative. Die Erzählungen werden jedoch nicht als unhinterfragte Abbildung von vergangenen Geschehnissen und Erlebnissen der Konvertiten behandelt, sondern als deren kommunikative Rekonstruktion. Aus diesem Grunde müssen »symbols and forms of articulation, in which religious and identity change is expressed« (Wohlrab-Sahr 1999, 353) besonders ernst genommen werden. Dabei muss beachtet werden, dass diese Darstellungen insbesondere die derzeitigen Erlebnisse und Denkweise des Konvertiten widerspiegeln. Publikationen wie die von Poston (1992) oder Köse (1996), die Konversionserzählungen als Material für die Erforschung von Gründen und Motivationen von Konversionen verwenden, müssen dagegen kritisch betrachtet werden. Das heißt auch, dass die Konstruktion und Komposition der Konversionserzählungen stärker in den Vordergrund gerückt werden sollte, da diese interessante Aufschlüsse über die Rekonstruktion von Biographie, die Zentralität dieser Rekonstruktion für Konversionen und die Abhängigkeit der Konversionserzählungen von den ideologischen Grundkomponenten der untersuchten Gruppen geben könnten. Konversionserzählungen als Matrix für Konversionserlebnisse Lofland & Skonvod (1983) sehen ebenso wie Beckford Unterschiede in Konversionserzählungen. Sie gehen jedoch davon aus, dass die Ursache dafür nicht nur in unterschiedlichen Mustern der Erzählungen oder durch den Forscher herbeigeführten Ungleichgewichtigkeiten begründet sind, sondern auch in sich tatsächlich unterscheidenden Konversionserfahrungen. Sie gehen zudem davon aus, dass das Konversionserlebnis selbst von Vorstellungen darüber beeinflusst wird, so dass die Erzählung über die Konversion dem tatsächlich Erlebten sehr nahe

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kommt (vgl. Lofland & Skonvod 1983, 3).52 Um die von Beckford aufgeworfenen Fragen trotzdem zu beantworten, wählen sie einen anderen Ansatz, indem sie verschiedene Typen von Konversionen herausarbeiten. Dabei stützen sie sich auf zentrale Erfahrungen (oder auch Schlüsselerlebnisse oder »motif experiences«) der Konversion. Neben diesen Leitmotiven der Konversionserfahrung, Aspekte der Konversion die dem Konvertiten besonders in Erinnerung bleiben und die die Konversion besonders prägen, fließen auch auch objektive Faktoren, die Einbindung der Konversion in soziale Gegebenheiten, in die Typenbildung ein. Sie unterscheiden dabei sechs Typen der Konversion (oder auch »conversion careers«, »styles«), die anhand verschiedener Dimensionen, z.B. der subjektiven und objektiven zeitlichen Dauer des Konversionsprozesses oder dem Level der emotionalen Erregung, unterschieden werden. Die intellektuelle Konversion verläuft ohne Interaktion mit anderen Anhängern durch individuelle, private Beschäftigung mit Religion durch Bücher, Fernsehen, Internet und anderen unpersönlichen (»disembodied«) Formen der Auseinandersetzung mit Religion. Unter dem Begriff der mystischen Konversion verstehen sie die Konversion durch ein religiöses Erlebnis, die ihrer Auffassung nach in Europa die bekannteste Form darstellt. Die frühe Konversionsforschung bezog sich auch fast ausschließlich auf diese auch als »paulinisches Bekehrungserlebnis« bekannte Form. Sie zeichnet sich durch eine kurze Zeitdauer des Konversionserlebnisses aus, die mit hoher, emotionaler Intensität, der Abwesenheit von äußerem Druck und einem stark empfundenen (Lebens-)Wandel einhergeht. Die experimentelle Konversion ist gekennzeichnet durch Neugier und Interaktion, durch ausprobieren und antesten, bevor eine wirkliche Bindung erfolgt. Eine wirkliche Überzeugung entwickelt sich erst später, nachdem der Konvertit die äußerlichen Handlungen der neuen Religion mitgetragen hat. Bei der »affectional conversion«, deren Beschreibung auf eine frühere Forschung von Lofland & Stark (1965) zurückgeht, erfolgt die Konversion durch positive Einbindung in Netzwerke der neuen Religion. Das kognitive Element tritt dabei in den Hintergrund, Glaube ist eher ein Resultat von Partizipation. Die »revivalist conversion« wird durch religiöse Massenveranstaltungen und ekstatische Erlebnisse ausgelöst. Wie am Beispiel der Arbeiten über Billy Graham gezeigt wurde, erschien diese Form in der Forschung z.T. als reine Simulation oder Darstellung von Konversion, und nicht als deren Ursache. Die zum Schluss beschriebene Form der »coersive conversion«

52 Trotz dieser Erklärung bleibt ihre Auffassung des Verhältnisses zwischen Erfahrung und Erzählung unscharf. Die Autoren versuchen vielmehr den Faktor der Erzählung aus der Analyse herauszunehmen. Dies ist aufgrund der sozialen Funktion der Konversionserzählungen problematisch.

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geht auf die »brainwashing« und »mind control« Theorien zurück. Auch wenn dieser Typus nach Ansicht der Autoren nur sehr selten vorkommt, stellt er doch eine Möglichkeit der Konversion dar. Die Autoren vermuten, dass die vorgestellten Leitmotive zwischen historischen Epochen und unterschiedlichen Gesellschaften und Subkulturen divergieren. Die Massenmedien fördern intellektuelle und experimentelle Konversionen, während Erweckungskonversionen ihrer Ansicht nach eher abnehmen. Die jeweiligen Trends hängen dabei von Organisationsstrukturen und rituellen Praktiken ab, bestimmte religiöse Ideologien und Organisationen können Affinitäten zu bestimmten Leitmotiven aufweisen. Allerdings können Lofland & Skonvod hier nur darauf verweisen, dass dieser Punkt weiter untersucht werden muss. Wie schwierig es ist, die Ebenen der Erzählung und der Erfahrungen der Konvertiten zusammen zu bringen, zeigt auch die soziologische Arbeit von Jules-Rosette (1976), die ihre eigene Konversion zu den »Apostles of John Maranke« beschreibt und analysiert und eine der wenigen Forschungen darstellt, die die Subjektivität der Konversion auch in Afrika betrachtet. In der Zeit vor ihrer Taufe wurde sie immer wieder mit Erzählungen anderer Mitglieder dieser Kirche konfrontiert, die ihre eigenen Konversionserfahrungen schilderten. Diese Erzählungen wiederum orientierten sich zum Teil an den Visionen des Kirchengründers, die dieser schriftlich festhielt. Bei sich selbst und denjenigen, die mit ihr zusammen getauft wurden, beobachtete sie: »The accounts themselves are formulated simultaneously with the indoctrination process. With respect to this learning, it becomes practically impossible to determine when the conversion experience begins and how distinct it is from the tales and doctrines presented to the already baptized initiate. The conversion experience merges with personal history and its record changes accordingly.« (Jules-Rosette 1976, 145)

Konversionsnarrative als kommunikative Gattung Die Vermittlung der Konversion stellt ein kommunikatives Problem dar. Im Mittelpunkt steht dabei die Notwendigkeit den Wechsel der Zugehörigkeit von einer, mehr oder weniger eng definierten, religiösen Gruppe und von einem ›universe of discourse‹ (Mead) zu einer bzw. einem anderen zu begründen. Um ihre Erlebnisse mitteilungsfähig und potentiell glaubwürdig darzustellen, bedienen sich Konvertiten ›kommunikativer Lösungen‹ und richten sich an kommunikativen Modellen des Erzählens von Konversionserfahrungen aus. Der Soziologe Luckmann (1987) bezeichnete die Konversionserzählung in diesem Zusammenhang als rekonstruktive Gattung: »ohne die Gattung ›Konversionserzählung‹

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mit dem Muster ›wirklicher‹ Konversionen auch keine ›wahre‹ Konversionserzählung im Einzelfall« (Luckmann 1987, 41-42).53 Wie ›wahr‹ die Erzählung ist, interessiert an dieser Stelle nicht, sondern dass und wie der Anspruch erhoben wird. Luckmann bemängelt zu wenig Analysen in dieser Richtung und verwies auf ein Forschungsprojekt, dass er gemeinsam mit Ulmer durchgeführt hatte, um zur Weiterentwicklung dieses Untersuchungsfeldes beizutragen. Ulmer (1988) beschrieb als Ergebnis dieser Untersuchung eine besondere Struktur, die viele Konversionserzählungen teilen. In seine Analyse bezog er verschiedene, christliche wie auch islamische Konversionserzählungen ein, alle stammen jedoch aus dem europäischen Kontext. Konversionserzählungen zeichnen sich nach Ulmer durch ihre dreigliedrige Zeitstruktur aus. Diese manifestiert sich in den Strukturen der erzählten Zeit54, auf der Ebene der Erzählzeit wie auch auf der thematischen Ebene. Einer Beschreibung der vorkonversionellen Biographie folgt ein biographisch relativ genau verorteter Zeitpunkt der Wende, dem wiederum die Narration der Zeit ›danach‹ folgt. Lebensabschnitte die außerhalb des Konversionsprozesses liegen werden dabei meistens geraffter dargestellt. Biographische Gegebenheiten, die im Zusammenhang mit der Konversion stehen, können als typisch ›vor-‹ oder ›nachkonversionell‹ charakterisiert werden. Durch die Beschreibung der vorkonversionellen Biographie wird die Konversion als für die gesamte Biographie zentrales Element vorbereitet. Vor allem wird die Diskrepanz der damaligen Lebenspraxis von der nachkonversionellen dargestellt. Diese rückblickende Negativ-Bewertung fällt allerdings gemäßigt aus, so dass auch diese Zeit als notwendige Vorstufe in die Biographie integrierbar bleibt. Betont wird hingegen die Begrenztheit der damaligen Perspektive. Ein weiterer Aspekt dieses Erzählabschnittes ist die Benennung dessen, was zur Konversion geführt hat. Nach Angabe Ulmers wird hierbei immer eine biographische Krise als Anlass für Konversion dargestellt. Wie an den Ergebnissen dieser Arbeit zu sehen sein wird, ist diese Aussage, zumindest in Bezug auf Ostafrika, zu hinterfragen. In Ulmers Text scheint die Krisenerfahrung ursäch-

53 Nach Luckmann sind kommunikative Gattungen gesellschaftlich vorgeprägte komplexe Abläufe (»Muster«), die sich zu einem gewissen Grad formal verfestigt haben und sich zweitens als Lösungsmuster für relevante gesellschaftliche Probleme etabliert haben. Rekonstruktive Gattungen sind solche, in denen vergangene Ereignisse dargestellt werden. 54 Die Unterscheidung zwischen »Erzählzeit«, als Zeitebene des Erzählvorgangs, und »erzählter Zeit«, im Sinne der Zeit des dargestellten Erlebnisses, folgt der literaturwissenschaftlichen Erzählforschung.

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lich und auslösend für die Konversion zu sein. Auch dies ist aus den bisher vorgestellten Konversionstheorien so nicht ableitbar. Vorkommen oder Fehlen dieser Schilderungen von Krisenerfahrungen könnte neben einer tatsächlich empfundenen Krise somit auch mit der Erzählpraxis der jeweiligen Region bzw. der religiösen Gruppe zusammenhängen. Nach Angaben Ulmers gehen diese Krisen meist auf Ereignisse in der Alltagswelt (wie Scheidung, soziale Diskriminierung, das Aufkommen von Minderwertigkeitskomplexen) zurück. Allerdings wird in der Erzählung deutlich, dass diese Krise nicht mit sozial anerkannten Strategien zu lösen ist, sondern auf existentielle Probleme hindeutet.55 Die Grenzen der Alltagswelt werden somit deutlich. Dadurch erscheint eine Lösung der Krise nur im religiösen Bereich möglich. Daneben weisen die Darstellungen der Krisenerfahrungen eine weitere Gemeinsamkeit auf – die Verinnerlichung der biographischen Krise. Im ersten Schritt wird die Krise als individuelles Problem beschrieben, das sich darauf physisch (in Form von Krankheiten oder einer passiven Lebensweise) manifestiert und im letzten Schritt auch zu psychischen Problemen führt und somit zu einem ›inneren‹ Problem wird. Mit dieser Fokussierung wird der Raum für die Konversion und zugleich eine Folie für einen ›Vorher-Nachher‹ Vergleich vorbereitet. Auf sprachlicher Ebene ist eine Verschränkung und Überlagerungen der Darstellungsperspektiven, von Vergangenheit und Gegenwart, typisch für die Rekonstruktion der vorkonversionellen Biographie: »Alle vorkonversionellen biographischen Ereignisse müssen einerseits so geschildert werden, dass deren Deutung sichtbar wird, wie sie vor der Konversion Gültigkeit hatte. Andererseits aber muß auch die Revisionsbedürftigkeit dieser Interpretationsweise zum Ausdruck gebracht werden [...].« (Ulmer 1988, 25)

Das Konversionsereignis selbst ist nach Ulmer Höhepunkt der Erzählung. Es wird ausgelöst durch persönliche religiöse Erfahrung des Konvertiten. Für den Konvertiten ist es besonders schwierig dieses Erlebnis darzustellen, da sich das Geschehen einem unmittelbaren Zugriff entzieht. Dieses Dilemma, der Vermittlung zwischen Wirklichkeitsanspruch und persönlicher religiöser Erfahrung, wird durch verschiedene Plausibilisierungsverfahren aufgelöst. 56 Zum einen wird die Konversion als primär individuelle Erfahrung dargestellt. Die soziale Umwelt erscheint wenn anwesend als ausgegrenzt und das Geschehen wird in

55 Auch das Ulmer eine religiöse Lösung von Krisen als nicht sozial anerkannt einordnet, deutet auf eine eher eurozentrische Perspektive hin. 56 »Die Auflösung dieses Dilemmas steht im Mittelpunkt aller Konversionserzählungen.« (Ebd., 26).

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die Innenwelt als Ort der Konversion verlagert. Diese Innenwelt wird dabei als Zwischenbereich dargestellt, die dort stattfindenden Geschehnisse sind nur teilweise vermittelbar: »einerseits dann, wenn ›äußere‹ Ereignisse sich im Innenbereich manifestieren (vgl. die ›inneren‹ Aspekte der vorkonversionellen biographischen Krise), andererseits dann, wenn ›innere‹ Vorgänge äußerlich in Erscheinung treten.« (Ebd., 27) Die Beschreibung dieser inneren Vorgänge weist vier zeitlich geordnete thematische Schwerpunkte auf. Zu Beginn wird die Öffnung des Konvertiten auf das Religiöse hin dargestellt. Danach wird die Konversion als außergewöhnliches Ereignis beschrieben, die mit einer gewissen Zwangsläufigkeit abläuft und den Konvertiten zu einem passiven Subjekt einer unbekannten Macht werden lässt. Diese Passivität setzt sich in der nächsten Phase fort, in der eine starke, den Konvertiten durchdringende, emotionale Erschütterung, z.T. verbunden mit Gefühlsausbrüchen, als äußerer Indikatoren der innerlichen Aufwallung dargestellt wird. Zum Schluss wird erzählt, wie das religiös Erfahrene reflektiert verarbeitet wurde und somit die Entscheidung zugunsten eines neuen, religiös bestimmten Lebens getroffen wurde. Auch diese Entscheidungssequenz lässt sich in drei Teile untergliedern, eine Anbindung des Reflexionsprozesses an die Konversionserfahrung, eine retrospektive Bewertung des bisherigen Lebens und einen prospektiven Ausblick auf die Konsequenzen aus der Konversionserfahrung. Das Konversionserlebnis wird zu einem Beginn einer »neuen biographischen Zeitrechnung« (ebd., 29), die mit einem neuen Lebensstil und einem neuen Maßstab für die Bewertung bisheriger und zukünftiger Lebenserfahrungen verbunden ist. Die Darstellung der nachkonversionellen Biographie beschäftigt sich vor allem mit den unmittelbaren Auswirkungen der Konversion und erfolgt spiegelbildlich zur vorkonversionellen Biographie. Durch eine Darstellung psychischer und physischer Wirkungen der Konversion und später auch einem Hereintragen in die soziale Mitwelt wird das Konversionsereignis veräußerlicht. Die Beschreibung biographischer Veränderungen folgt dabei einem Vorher-Nachher-Vergleichsschema, insbesondere wird dabei auf die Lösung der beschriebenen Krisen Bezug genommen. Die Religiosität steht im Mittelpunkt der Handlungen und es werden individuelle religiöse Betätigungen wie auch Kontakte mit der neuen religiösen Gruppe dargestellt: »Nunmehr deuten sie alle Ereignisse in ihrem Leben unter einer religiösen Perspektive und erkennen darin das Wirken religiöser Mächte.« (ebd., 31) Die Schilderung zeigt, dass die Konversion zu einer dauerhaften, stabilen religiösen Orientierung führte. Über Ulmer und Sprondel hinausgehend vermutete Luckmann (1987) unter Verweis auf die Arbeit von Beckford, dass es verschiedene Subtypen der Gattung Konversionserzählung gibt, die jeweils eine eigene Kanonisierung be-

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stimmter ›inhaltlicher‹ Erzählmomente auszeichnet. Auch Luckmann betont, dass Konversionen einen Kanon voraussetzen, der den Kern der Wirklichkeitsauffassung festlegt, zu der der Mensch konvertiert. Seiner Vermutung nach wird dieser Kanon dann besonders genau befolgt werden, wenn es nicht um eine Darstellung nach außen (zum Beispiel im Rahmen missionarischer Arbeit), sondern um den Erwerb von Legitimation innerhalb der neuen Gruppe geht, um den Nachweis der ›richtigen‹ Zugangserfahrung.

4.4 Z WISCHENFAZIT Wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, hat der Begriff der ›Konversion‹ zwei verschiedene Bedeutungsebenen. Zum einen beschreibt er eine Bekehrung zu Gott. Dabei findet eine Transformation sowohl des Glaubens und der Denkmuster als auch des Lebensstiles statt. Zum anderen wird der Terminus für den Übergang von einer Religion zu einer anderen verwendet. Obwohl hier eine ähnliche Transformation impliziert ist, fokussiert diese Nutzung häufig verstärkt auf soziale Veränderungen und Gruppenprozesse. Im Christentum wie auch im Islam standen zunächst Konzepte im Mittelpunkt, die der ersten Bedeutungsebene nahe stehen. Im Christentum wurde eine Rückkehr zum Glauben mit einem radikalen Wandel der Lebenseinstellung und davon abgeleitet des Verhaltens verbunden. Eine besondere Rolle spielt hier das unerwartete religiöse Erlebnis, im christlichen Verständnis die Wirkung des ›heiligen Geistes‹, das am Anfang dieser Transformation steht, diese jedoch nicht abschließt. Die eigentliche Konversion, die insbesondere als innerliche Veränderung dargestellt wird, ist also ein nie abgeschlossener Prozess. Im Islam wird die Bekehrung ebenfalls als Rückkehr zum Glauben aufgefasst, also zunächst ebenfalls nicht als Religionswechsel verstanden. Allerdings ist mit der Bekehrung auch, wie beim Christentum, ein Eintritt in die Gemeinschaft der Gläubigen (hier: umma) verbunden. Der Glaube spiegelt sich auf unterschiedlichen Ebenen wider, der inneren Überzeugung, dem mündlichen Bekenntnis und der Ausübung der vorgeschriebenen Handlungen. Zum Glauben zu finden ist auch hier keine einmalige Handlung sondern ein Prozess. Die häufig anzutreffende Unterscheidung zwischen Christentum und Islam als stärker eine innere bzw. stärker eine äußere Wandlung betonend, lässt sich somit nicht aufrechterhalten. In Ostafrika lassen sich schon frühzeitig Vorstellungen von Konversion und Mission nachweisen, die stark von religiöser Konkurrenz geprägt sind. Auch heute wird unter ›Konversion‹ vor allem der formale Wechsel von einer Religion

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zu einer anderen gefasst, insbesondere wenn diese klar unterschieden werden können wie das Christentum und der Islam. Nur hierfür existieren feststehende Begriffe, nicht aber für eine Intensivierung des Glaubens. Die Diskussion unter Christen wie auch Muslimen geht dagegen stärker in die Richtung eines inneren Wandels. Nur dieser wird wirklich positiv bewertet und in Gegensatz zum pragmatischen Gruppenwechsel gestellt. In der wissenschaftlichen Konversionsforschung wird häufig nicht zwischen den beiden Bedeutungsebenen von Konversion unterschieden. In den zunächst stark christlich beeinflussten Forschungen wurde die plötzliche Bekehrung betont. In den seit den 1960er Jahren erscheinenden Arbeiten, die durch das Aufkommen der neuen religiösen Bewegungen beeinflusst waren, wurde dagegen eher über einen Religionswechsel geforscht und weniger über die Bekehrung im Sinne einer Hinwendung zu Gott. Die Fragen nach kausalen Zusammenhängen, nach innerer Suche und äußerer Erlösung durch den Beitritt zu einer neuen Gruppe, blieben dabei häufig nicht zufriedenstellend beantwortet. Dies liegt vor allem darin begründet, dass einzelne Ursachen für eine Konversion, im Sinne einer Bekehrung wie auch eines Religionswechsels, nur schwer bestimmbar sind und sich zudem im Laufe des Transformationsprozesses ändern können. Die Frage danach, wann tatsächlich von einer Konversion, einem radikalen persönlichen Wandel, oder doch eher einem Statuswechsel zu sprechen ist, kann auf drei Ebenen betrachtet werden: der formalen Mitgliedschaft, der öffentlichen Demonstration von Zugehörigkeit und einem inneren Wandel des ›Diskursuniversums‹. Diese drei Elemente erinnern interessanterweise stark an die islamische Diskussion des Begriffes des Glaubens (tawba). Für die vorliegende Arbeit wurde ein gradueller, unbewusster Wandel von dem Forschungsbegriff der Konversion ausgenommen und hierunter nur eine aktive, bewusste Entscheidung zur Bekehrung bzw. zu einem Religionswechsel, und somit eine Selbsttransformation, gefasst. Die hier untersuchten Konversionserzählungen, die als Form des Bekenntnisses oder auch der öffentlichen Demonstration angesehen werden können, dienen dabei als Mittel zur Selbsttransformation. Als Konversion werden hier also diejenigen Phänomene bezeichnet, denen eine bewusste, und somit zeitlich einzugrenzende Annahme oder Wandlung religiöser Weltsichten zugrunde liegt und die von den Interviewpartnern selbst als Wandlungsprozesse beschrieben wurden. Im Fokus stehen dabei Wandlungsprozesse, die mit einem Religionswechsel zum Islam einhergingen. Die Beschreibung dieser Konversionserlebnisse ist jedoch von der Schwierigkeit geprägt, dieses sehr persönliche Erlebnis nach außen zu kommunizieren. Dabei muss zwischen einer von dem Konvertiten erwarteten Rechtfertigung seiner Wandlung und damit auch seiner Abkehr von bzw. Zuwendung zu den je-

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weiligen Gemeinden und der individuellen Erfahrung vermittelt werden. Diese Plausibilisierung erfolgt durch die Konversionserzählung. Durch diese Funktion ist sie neben den sehr unterschiedlichen Konversionserfahrungen stark von vorhanden kommunikativen Darstellungsmustern, insbesondere der Gruppen zu denen die Menschen konvertieren, beeinflusst. Dadurch, dass die Vorstellungen über Konversion deren Erlebnis stark beeinflussen, kann jedoch davon ausgegangen werden, dass das Erzählte dem Erlebten sehr nahe kommt.

5 Zugang zur Empirie: Theorie und Praxis biographischer Interviews

In dem nun folgenden Kapitel wird demonstriert, dass die für diese Forschung so geeigneten biographischen Interviews ihrerseits einige Spezifika aufweisen, die bei der Untersuchung beachtet werden müssen. Zunächst wird auf den Umgang mit der Biographieforschung in der Ethnologie eingegangen, in der Biographien in verschiedenster Form, als möglichst reales Abbild des Lebensverlaufes wie auch als von den individuellen Erlebnissen und den lokalen Erzähltraditionen stark eingefärbte autobiographische Narration, immer wieder eine Rolle spielten. Allerdings kann im Gegensatz zur Soziologie heute nicht von einer ethnologischen Methode der Biographieforschung gesprochen werden, da die Ansätze insbesondere in der Auswertung zu stark divergieren. Aus diesem Grund werden für die vorliegende Arbeit Anleihen bei der soziologischen Biographieforschung genommen, die dieses Feld stärker systematisiert hat. Im zweiten Teil des Kapitels wird gezeigt, dass der ohnehin fragwürdige Einwand biographisches Erzählen sei nicht universal und somit nur bedingt für die ethnologische Forschung einsetzbar, für das Untersuchungsfeld keine Relevanz hat. Die (auto-)biographische Erzählung hat eine lange Tradition in Ostafrika und kann sowohl in der Form der Biographie als Vorbild, bzw. als idealtypischer Lebensverlauf, wie auch des autobiographisches Erzählens als eine Art Beichte, als dramatisiertes ›Abbild‹ des Erlebten, vorgefunden werden. Im dritten Teil dieses Kapitels werden die dieser Arbeit zugrunde liegenden Forschungsschritte von der Erhebung der Daten, über ihre Auswertung bis zu ihrer Darstellung veranschaulicht. Dabei wird auch gezeigt, welche Probleme sich immer wieder während der Forschung stellten, die nicht in allen Fällen eine Lösung finden konnten.

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5.1 Z UR P ROBLEMATIK

BIOGRAPHISCHER I NTERVIEWS IN DER ETHNOLOGISCHEN F ORSCHUNG »Life stories seem such promising material because they are important to so many processes; in such stories there is something for everyone – the positivist, the hermeneuticist, the folklorist, and so forth. But this strength is also a weakness. Life-stories studies have failed to achieve their potential contribution because of the sheer variety of approaches yield results that are confusing and unarticulated.« (PEACOCK & HOLLAND 1993, 377)

Die Biographieforschung stellt nach wie vor ein wenig systematisiertes Gebiet ethnologischer Forschung dar. Sie ist als Methodik, gelebte Geschichte und Kultur und deren Deutung zu untersuchen, bisher nur unzureichend in die ethnologische Analyse und Theorie integriert (vgl. Peacock & Holland 1993, 367). Auch wenn sie sich gerade in der amerikanischen Ethnologie, in der es schon frühzeitig großes Interesse an Indianerbiographien gab (stärker als z.B. an afrikanischen, vgl. Paul 1996, 183-184) zu einer wichtigen Stütze der Forschung entwickelt hat, wird ihre wissenschaftliche Relevanz noch immer kontrovers diskutiert. Die unterschiedliche Betrachtung ihrer Bedeutung reicht von der Bezeichnung der Biographieforschung als ›Datengrab‹1 bis hin zur Aufwertung autobiographischer Zeugnisse von Ethnologen als Teil der Forschung (Okely & Callaway 1995). Die Vorbehalte gegenüber der Biographieforschung innerhalb der Ethnologie und der Zweifel an ihrer Aussagekraft werden deutlich in der Debatte, die Ende der 1980er Jahre im American Anthropologist über dieses Thema zwischen Crapanzano und Runyan geführt wurde (vgl. Crapanzano 1986 und Runyan 1986). Im Folgenden werden deren Diskussionspunkte genutzt, um die Entwicklung der Biographieforschung in der Ethnologie nachzuzeichnen und Auswege aus den angesprochenen Problemen aufzuzeigen. Crapanzano, der selbst durch eine ethnologische Biographie (»Tuhami«) bekannt geworden ist (vgl. Crapanzano 1980), sieht die Lebenslaufforschung als konzeptionellen und emotionalen Schwachpunkt der akademischen Ethnologie. Obwohl Lebensgeschichten faszinieren und einige von ihnen sehr populär geworden sind, führte die Unsicherheit über die Reichweite aus Biographien abgeleiteter Forschungs-

1

So die Aussage eines Wissenschaftlers zu Beginn meiner Forschung.

M ETHODE

DER

BIOGRAPHIEFORSCHUNG

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ergebnisse dazu, dass dieser Forschungsbereich eher ein Randgebiet der Disziplin geblieben ist (Crapanzano 1984, 954). Im Folgenden werden unterschiedliche Ansätze der Biographieforschung, von der Lebensverlaufsforschung anhand biographischer Daten bis zur Untersuchung von mündlichen Autobiographien, und damit verbundene Probleme aufgezeigt. Wurden einige dieser Schwächen durch neue Ansätze innerhalb der Ethnologie aufgehoben, blieben andere Fragen bisher unbeantwortet. Es wird gezeigt werden, dass durch die Einbindung soziologischer Erhebungs- und Analysemethoden und philosophischer Überlegungen eine Weiterentwicklung der ethnologischen Biographieforschung möglich ist. Biographie als Abbild der Realität Auch wenn die ersten afrikabezogenen biographischen Publikationen schon im 18. Jh. erschienen, so blieb ihre Bedeutung für die ethnologische Forschung bis in die Mitte des 20. Jh. eher gering (Paul 1996, 185). Das Interesse der europäischen Leserschaft bezog sich eher auf exotische Lebensgeschichten, die zumeist von westafrikanischen Sklavenschicksalen handelten. Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jh. begannen nordamerikanische Wissenschaftler, Autobiographien von Sklaven aus den USA zu sammeln und auszuwerten, beeinflusst durch die Anfänge der soziologischen Biographieforschung in Chicago (vgl. ebd., 187-188). Obwohl einige frühe deutschsprachige Autoren, wie Schmidt und Thurnwald, eine verstärkte Forschung über biographisches Material anmahnten (vgl. Spülbeck 1997, 15-16 und Paul 1996, 183), blieb die ethnologische Biographieforschung zunächst vor allem ein amerikanisches Phänomen. Die unter dem Einfluss von Franz Boas entstandenen Forschungen waren auf den Lebensverlauf fokussiert und sahen biographische Darstellungen als Abbild der Realität und damit als zu überprüfende Daten an. Wichtig waren daher der Wahrheitsgehalt und die Repräsentativität der erhobenen Biographien, ihre Validität und ihre Reliabilität. Die als Spiegel historischer Fakten aufgefassten Lebensgeschichten wurden neben anderen Quellen als exemplarische Beispiele zur Illustration herangezogen: »The narratives breathe life into the facts.« (Peacock 1993, 370) Kritik an der Biographieforschung beschränkte sich deshalb vor allem auf die Hinterfragung des Wahrheitsgehaltes und der Vollständigkeit der erhobenen Biographien. Den Interviewpartnern bzw. Informanten wurden zum Teil bewusste Falschdarstellungen unterstellt, bzw. unbewusste Veränderungen ihrer Erinnerung wurden als Hindernis der Wahrheitsfindung angesehen. Crapanzano (1984) übt heftige Kritik an der Vorstellung von Langness, Validität und Reliabilität könnten durch lange ethnologische Erfahrung in der Region sichergestellt wer-

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den (vgl. Crapanzano 1984, 955; Langness & Frank 1981, 44). Seiner Ansicht nach könnte genau der entgegengesetzte Fall eintreten. Die vorgestellten Lebensläufe sollten zudem typisch2 für die untersuchte Kultur sein. Sinnhaft dafür steht die 1922 von Parsons unter dem Titel »American Indian Life« herausgegebene Sammlung fiktiver Biographien – die Individuen traten hinter ihre Funktion als Kulturträger zurück (vgl. Parsons 1922, Spülbeck 1997, 17). Crapanzano folgend sind diese Forderungen als problematisch einzuordnen: »Behind this notion of being typical is a peculiarly homogeneous (in my opinion, distorted) view of culture, society, and the individual. It can lead to ridiculous truisms.« (Crapanzano 1984, 954) Während also über die Validität und Reliabilität der biographischen Daten nachgedacht wurde, fanden dagegen Methodendiskussionen zur Auswertung und zur theoretischen Einbettung der erhobenen Biographien nur wenig Beachtung. Erstmals wurden dahingehende Überlegungen in der 1926 erschienenen Monographie »Crashing Thunder« von Paul Radin geäußert, die daher auch einigen Autoren als der eigentliche Beginn der ethnologischen Biographieforschung gilt (vgl. Crapanzano 1984, 954). Eine Weiterentwicklung dieser dort das erste Mal zusammenhängend beschriebenen theoretischen und methodischen Probleme blieb jedoch lange Zeit aus. Popularisiert wurde die Erhebung von Biographien Mitte des 20. Jahrhunderts durch die Forschung von Oscar Lewis. Insbesondere das von ihm in Mexiko entwickelte Konzept der ›Kultur der Armut‹ basierte unter anderem auf dieser Herangehensweise (vgl. Lewis 1961; Lewis 1959). Allerdings rief seine Vorgehensweise gemischte Reaktionen hervor. Einige Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass seine Werke dem Ansehen der Methodik der Biographieforschung eher schadeten. Insbesondere die starke Veränderung von Texten um der Lesbarkeit willen und die fehlende Auswertung wurden ihm vorgeworfen (vgl. Spülbeck 1997). Dennoch orientierten sich viele Ethnologen in der nachfolgenden Zeit an diesem Beispiel. Biographie als Interaktion Seit den 1950er Jahren gewannen selbstreflexive Ansätze in der Ethnologie an Bedeutung, beeinflusst vor allem durch das 1954 von Laura Bohannan unter dem Pseudonym Elenore Smith Bowen herausgegebene Buch »Return to Laughter«

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Unterschieden werden müssen hier der Anspruch Biographien zu erheben die ›typisch für eine Kultur‹ sind und die Typenbildung im Rahmen der Auswertung der Interviews (was ist typisch für eine Art Narrativ).

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und die 1967 veröffentlichten Malinowski Tagebücher. Diese Entwicklung spiegelte sich auch in der Biographieforschung wider. Die Interaktion mit Informanten wurde stärker beachtet und Reaktionen auf die Anwesenheit des Forschers im Feld spielten nun auch eine Rolle. Die Interaktion zwischen Interviewpartnern und Forschern bzw. der Leserschaft wurde vor allem von der Symbolischen Interaktionsforschung (hier insbesondere vertreten durch Angrosino) 3 sowie von der Ethnopsychoanalyse (z.B. Devereux 1967 oder Nadig 1992) methodisch in die Forschung eingebunden. Insgesamt rückte das Gegenüber stärker ins Blickfeld der Biographieforschung (Spülbeck 1997). Allerdings wurden die erhobenen Texte meist nach wie vor als Abbild der Realität behandelt. So wurden die Interaktionen zwar beschrieben, eine Interpretation fehlte jedoch immer noch häufig. Die Diskussion um eine angemessene Darstellungsweise wurde in den 1980er Jahren durch die ›Writing Culture‹ Debatte (Clifford & Marcus 1986) neu belebt. Durch eine polyphone Darstellungsweise sollten alle Beteiligten zu Wort kommen und dem Leser sollte der Spielraum zu eigenen Interpretationen eröffnet werden. Allerdings blieb die Auswahl der vorgestellten Interviewteile immer noch beim Forscher, so dass von einigen Wissenschaftlern die Kritik geäußert wurde, es käme hier zu einer bloßen Änderung der Darstellungskonventionen (vgl. Spülbeck 1997, 159). Biographie als reiner Text Seit den 1960er Jahren ist ein neu erwachtes Interesse an Biographien zu beobachten.4 Dabei entstand auch ein der Lebensverlaufsforschung entgegengesetzter Ansatz, der sich nur auf die Erzählung selbst konzentriert und die erzählte Geschichte in den Vordergrund stellt. Manche Vertreter gingen sogar soweit, der Erzählung keinerlei Realitätsbeschreibung zuzuschreiben, sondern die Realität

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Die Theorie des Symbolischen Interaktionismus wurde von Herbert Blumer, einem Schüler von G.H. Mead herausgearbeitet. Angrosino (1989) fordert, die Interaktion während der Entstehung des Textes genauso in die Forschung einzubeziehen, wie den Inhalt des Textes: »This perception leads to a suggestion of yet another possible role for the life history method – a role in which the act of interviewing, the process of active re-creation of that metaphor of self, comes to be as much a matter of emphasis and analysis as is the ›factual‹ text itself.« (S. 103).

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Als Indikator für das bis dahin eher geringe Interesse an der Biographieforschung in der Ethnologie kann angesehen werden, dass bis 1965 lediglich zwei theoretische Abhandlungen zu diesem Themengebiet erschienen sind (Langness 1965).

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erst durch die Erzählung neu geschaffen anzusehen.5 Peacock fasste die Grundidee dieser Autoren folgendermaßen zusammen: »the narration defines and, indeed, constructs the life of self [...]« (Peacock 1993, 370).6 Formalistische Ansätze, die sich vor allem auf die Form des Narrativs konzentrierten, stützten sich insbesondere auf die französische Sprachphilosophie und wurden im Hinblick auf nicht-biographisches Material entwickelt, aber auch auf dieses angewendet. Allerdings wurde die auf Foucault basierende Diskursanalyse bisher noch nicht systematisch genutzt, zumal der Autor sich selbst eher abweisend auf den modernen Identitäts- und Subjektdiskurs bezogen hatte (vgl. Schäfer & Völter 2005, 161). Diese Sichtweise der Biographie als Text wurde hergeleitet aus einer Transformation, der die Lebensgeschichte während ihrer wissenschaftlichen Erhebung unterworfen ist – der Transformation vom gesprochenen Wort zum geschriebenen Text: »It becomes a text and carries with it all the ontological and epistemological burdens of the text.« (Crapanzano 1984, 957) Textverzerrungen durch diese Transformation müssen bei Präsentation und Auswertung deutlich werden. Insbesondere das Editieren von Biographien, um sie unseren literarischen Lesegewohnheiten anzupassen, ist hierbei kritisch zu betrachten. So wurde zum Beispiel Shostak’s (1981) berühmte und gut lesbare Biographie »Nisa – the life and words of a !Kung woman« zu Recht dafür kritisiert, dass der »stark überformulierte Text« (Spülbeck 1997, 76), Nisas Geschichte verschwinden lässt.7 Diese Schreibweise brachte dem Buch zwar eine hohe Popularität ein, dieser Erfolg sei aber ähnlich wie der Lewis’ zu bewerten. Nach Ansicht Spülbecks (1997) trug die fehlende Trennung zwischen Primärtext und Auswertung der ethnologischen Biographieforschung den Ruf der Unwissenschaftlichkeit ein. ›Life Story‹ Neben diesen einander entgegenstehenden Richtungen, der auf den Lebensverlauf fokussierten auf der einen und der die Erzählung in den Mittelpunkt stellen-

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Beispiele hierfür sind Linde 1993; White 1986 oder Peacock 1984.

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Interessant ist hier die große Nähe zu der Interpretation der Rolle der Konversionser-

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Gleichzeitig gibt es auch sehr positive Stimmen über diese Biographie, die für einige

zählung bei Staples & Mauss (1987). Wissenschaftler eine Vorbildfunktion hatte. So wurde zum einen die Darstellung der Involviertheit und Position der Autorin, ihrer Konflikte und Interessen, und zum anderen die Erzählung aus der Perspektive Nisas hervorgehoben (vgl. Mirza & Strobel 1989 und Paul 1996).

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den auf der anderen Seite, hat sich in den letzten Jahren ein dritter Ansatz herausgebildet, der die Lebensgeschichte oder ›life story‹ ins Zentrum der Forschung rückt (vgl. Peacock & Holland 1993, 371). Dieser in sich heterogene und noch relativ wenig entwickelte Zugang, versucht die beiden älteren Perspektiven miteinander zu verbinden, indem er sowohl der erzählten Biographie wie auch der Erzählung selbst Bedeutung zumisst. Neben psychokulturellen Ansätzen, die die Bedeutung der kulturell konstruierten Erzählung für den Einzelnen (Identitätsbildung und -darstellung, ›self-formation‹) bzw. für die Gemeinschaft (Schaffung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen, kollektive Identität) betonen, existieren hermeneutische Ansätze, die die ›life story‹ als Produkt der Interaktion von Forscher und Befragten untersuchen und die Interaktionssituation in die Auswertung einbeziehen. So schrieb zum Beispiel der der dialogisch arbeitenden Biographieforschung zuzurechnende Vincent Crapanzano: »When we analyze a life history, we are analyzing a text, not social reality, and this text is itself the product of a complex collaboration.« (Crapanzano 1984, 959) Hinzu kommen Ansätze, die sich auf kulturelle und kollektive Dynamiken konzentrieren, die die Erzählung also als Ausdruck einer der kulturellen Tradition zu Grunde liegenden Denkweise und Wertvorstellung begreifen (vgl. Peacock & Holland 1993, 371-373). Analysemethoden Wie aus dieser kurzen Übersicht ersichtlich wird, bezieht sich die Diskussion über die ethnologische Biographieforschung vor allem auf die Auswertung und Darstellung und weniger auf die Erhebung biographischer Daten. Selbst die zuletzt genannten Ansätze, die versuchen Autobiographien gleichzeitig unter den Gesichtspunkten des Lebensverlaufes, der Interaktion zwischen Forscher und Befragten wie auch Spezifika der Erzählung selbst zu untersuchen, konnten diese Kritik noch nicht überwinden. All diese Ansätze verorten Lebenserzählungen in sozialen Prozessen (kollektiven Bedeutungssystemen, Kommunikation, sozialen Beziehungen, Gemeinschafts- und Ich-Bildungsprozessen), und erkennen die multidimensionale Bedeutung der Lebenserzählung als kulturelle, soziale und psychologische Konstruktion innerhalb eines bestimmten Kontextes. Als problematisch sieht Peacock jedoch die fehlende Verbindung dieser Ansätze miteinander an. Diese bleiben dadurch partial und können die Komplexität und die vielfältigen Bedeutungsfacetten der Erzählung nicht fassen. Die fehlende methodologische Einordnung und Nachvollziehbarkeit des Auswertungsprozesses äußert sich auch in der Unzufriedenheit mit Ansätzen und Interpretationen ande-

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rer Forscher. Die Resultate der Forschung können deshalb von außen betrachtet verwirrend und undeutlich erscheinen (vgl. Peacock & Holland 1993, 377).8 Crapanzano sieht als Ursache für diese methodologische Schwäche die fehlende kritische Reflexion über den Text bzw. das Material, für ihn eines der Grundprobleme ethnologischer Biographieforschung. Er erklärt diesen fehlenden kritischen Abstand zum Material (er bezeichnet dies als Sentimentalität) vieler ethnographischer Biographien, die in seinen Augen häufig ein »memorial to an informant-become-(distant-) friend, a commemoration of a field experience, and an expiation for abstraction and depersonalization – for ruthless departure.« (Crapanzano 1984, 954) darstellen, mit ihrer Entstehungssituation, also mit den Spezifika der Feldforschung. Auch Langness & Frank (1981) nennen in ihrem Buch »Lives«, das eine theoretische Abhandlung über die Methodik der Biographieforschung in der Ethnologie darstellt, die Analyse der Lebensgeschichten den unterentwickeltsten Aspekt der ethnologischen Biographieforschung. Allerdings gelingt es auch ihnen nicht eine grundlegende Systematik aufzustellen (vgl. Langness & Frank 1981, 78). Während ein ethnographischer Hintergrund in vielen Arbeiten gegeben wird9, bleibt die Auswertung meist unterbelichtet. Einen Ausweg bieten hier die in der soziologischen Theorie sehr viel weiter entwickelten methodischen Ansätze. Auch in der soziologischen Biographieforschung, die im Zusammenhang mit der Chicago School10 in den 1920ern be-

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Dieser Kritikpunkt scheint mir allerdings nicht nur die Biographieforschung zu be-

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Auch dieser ist nicht unbedingt unkritisch zu sehen, wie zum Beispiel Crapanzano

treffen, sondern ein Problem ethnologischer Forschung im Allgemeinen darzustellen. (1984) feststellte: »This ›ethnographic background‹ is the anthropologist’s construct, and the individual, implicitly, at any rate, is ›contained‹ in it – in ›his culture‹.« (Crapanzano 1984, 958). 10 Mit »The Polish Peasant in Europe and America« von Thomas & Znaniecki (1920), beide gehörten zur Chicagoer Schule (1918-1933), entstand die bekannteste und einflussreichste biographische Forschung zu dieser Zeit. Verwendet wurden dabei keine Interviews, sondern persönliche Dokumente. In den folgenden Jahren entstanden weitere biographische Studien, oft mit politischem Hintergrund. Das Hauptinteresse lag dabei häufig auf dem persönlichen Erleben und der individuellen Wahrnehmung sozialer Wirklichkeit. Allerdings konnte sich diese Methode nicht in der Soziologie durchsetzen, sondern wurde von quantitativen Ansätzen verdrängt. Eine Besonderheit stellt dabei Polen dar, da hier Autobiographien eine große gesellschaftliche Rolle spielten und biographische Wettbewerbe weit verbreitet waren. (Spülbeck 1997, 28) Solch ein biographischer Wettbewerb wurde von polnischen Forschern auch im Kon-

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gann, gab es lange Zeit das ungelöste Problem des Umgangs mit den vorliegenden Daten und deren Aussagekraft. Insbesondere die Widerspiegelung von tatsächlichen Erinnerungen, persönlichen Erfahrungen und historischen Ereignissen im Material wurde hinterfragt. Einen Ausweg aus diesem Dilemma boten die in der deutschen Soziologie durch die Mitte der 1970er Jahre von Fritz Schütze entwickelten Techniken des narrativen Interviews und der Narrationsanalyse. Diese Techniken ermöglichten die Schaffung einer Interviewsituation, die einem bestimmten Muster folgt, also eine gewisse Vergleichbarkeit bietet, aber dem Interviewten gleichzeitig größtmögliche Erzählfreiheiten gibt, die nur durch seine eigene Erzählung eingeschränkt werden. Schütze selbst schrieb über das so gewonnene Forschungsmaterial: »Das autobiographische Interview erzeugt Datentexte, welche die Ereignisverstrickungen und die lebensgeschichtliche Erfahrungsaufschichtung des Biographieträgers so lückenlos reproduzieren, wie das im Rahmen systematischer sozialwissenschaftlicher Forschung überhaupt nur möglich ist.« (Schütze 1983, 285)

Die Anwendung dieser Methode wird in Kapitel 5.3 ausführlich beschrieben. Auf der Technik des narrativen Interviews und seiner Auswertung aufbauend entstanden methodische Weiter- und Neuentwicklungen wie die Dokumentarische Methode (z.B. Bohnsack u.a. 2007) oder die Konversionsanalyse (Wohlrab-Sahr 1999). Da sich Soziologen nur in einigen wenigen Ausnahmefällen mit afrikanischen Gesellschaften beschäftigen, blieb die Theoriebildung zur soziologischen Biographieforschung bisher mehr oder weniger auf die westlichen Industriegesellschaften beschränkt. Dies zu ändern ist eines der Anliegen dieser Arbeit. Damit soll auch der Appell Shalini Randerias unterstützt werden, die »Emanzipation der Sozialwissenschaften aus ihrem nordamerikanischen und westeuropäischen Parochialismus« (Randeria 1999, 373) voranzutreiben und somit die Konturen einer möglichen ›globalisierten Sozialtheorie‹ zu verfestigen. Universalität biographischer Erzählung Diese Vorgehensweise ist natürlich nur dann vertretbar wenn angenommen werden kann, dass biographisches Erzählen ein universales Phänomen ist. Diese Universalität von biographischem Erzählen (bzw. dem dafür notwendigen Ich-Bewusstsein) und der Wirkung biographischen Erzählens wird jedoch immer

go durchgeführt und wurde zu einem der größten biographischen Erhebungen in Afrika (vgl. Paul 1996, 203-204).

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wieder hinterfragt (vgl. Peacock & Holland 1993, 374). Ochs & Capps (1996) argumentieren, dass sich Ich-Bewusstsein und Erzählung gegenseitig bedingen – das Ich-Bewusstsein (im Sinne eines Bewusstseins der eigenen Person in Welt, Raum und Zeit) wird durch die Erzählung konstituiert, die Erzählung wiederum setzt ein bewusstes Ich voraus. Ihrer Ansicht nach lässt diese phänomenologische Annahme, dass dem Dasein erst durch Erleben Sinn gegeben wird und Narrative notwendig sind, um dieses Erleben bewusst zu machen, darauf schließen, dass es einige Besonderheiten der biographischen Erzählung gibt, die als universell angesehen werden können.11 Zum einen schafft die Erzählung eine sinnhafte Ordnung, einen Zusammenhang von Erlebnissen. Diese ›chronologische Dimension‹ (Ricoeur) oder Temporalität geht sogar noch weiter, indem Narrative die Gegenwart (von der aus erzählt wird) mit Vergangenheit und möglicher Zukunft verbinden. Sprachliche Stilmittel können die Verbindung der heutigen Perspektive mit vergangenen Ereignissen und damit verbundenen Denkweisen und Interpretationen (und z.B. die anhaltende Gültigkeit bestimmter Einstellungen) anzeigen. Thematische Kohärenz wird jedoch nicht nur durch die zeitliche Dimension hergestellt, sondern auch durch eine inhaltliche Perspektive (nach Ricoeur die ›configurational dimension‹), die der Erzähler zu vermitteln sucht. Diese spiegelt sich vor allem in der Struktur der Erzählung wider: »In recounting their tales, narrators construct a dual landscape, one of action and one of consciousness.« 12 (Ochs & Capps 1996, 26) Bei letzterer kommt der Bezug zu Normen deutlich zum Ausdruck. Dabei hat sich gezeigt, dass Narrative meist um einschneidende Lebenswendungen kreisen (vgl. ebd., 26-27). Die Ursache hierfür sehen Ochs & Capps vor allem in der Diskrepanz zwischen Erwartung und tatsächlich Erlebtem. Die Erzählenden stellen im Narrativ ihre eigene Theorie der Ereignisse auf (z.B. über Ursachen ihrer Lebensprobleme und daraus abgeleiteten Lösungsmöglichen). Während die Universalität der (auto-)biographischen Erzählung mit der ihr verbundenen inneren Logik also gegeben ist, kann sich die Art der Erzählung jedoch von Region zu Region unterscheiden, da sie durch die zur Verfügung stehenden linguistischen Mittel (›codes‹) realisiert wird. Somit ist es wichtig,

11 Ochs & Capps (1996) führen hier Autoren wie Heidegger, Husserl und Schütz an (S. 21). Andererseits könnte argumentiert werden, dass diese Autoren aus einem spezifischen kulturellen und sozialen Kontext stammen, in dem auch ihre theoretischen Überlegungen verortet sind und somit nicht unbedingt von einer Universalität dieser Annahme auszugehen ist. Ochs & Capps versuchen dies in ihr Konzept aufzunehmen. 12 Somit lassen sich beide Aspekte durch die Biographieforschung untersuchen.

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nicht nur den Kontext der biographischen Erzählung herauszuarbeiten und darzustellen, um die Erzählung verorten zu können, sondern auch die Erzähltradition muss beachtet werden: »The story itself partakes of a cultural genre that differs from place to place.« (Peacock & Holland 1993, 376) Wie in Kapitel 4 gezeigt wurde, gilt dies insbesondere im Fall von Konversionsbiographien, da sie ein weiteres Genre darstellen, das zusätzlich von überregionalen Darstellungsformen beeinflusst ist.

5.2 B IOGRAPHISCHES E RZÄHLEN

IN

O STAFRIKA

»We should also like to know something about indigenous notions of authorship, rhetoric, style, and narrative techniques-figurative language, imagery, allegory, double entendre, humor, irony, ›beginnings and endings,‹ conventional silences, suspense, and denouement.« (CRAPANZANO 1984, 957)

Leider gibt es nur wenige ostafrikabezogene literaturwissenschaftliche und linguistische Arbeiten, die die (auto-)biographische Erzählung in den Vordergrund stellen. Somit sind die oben aufgeworfenen Fragen nur schwer in Gänze zu beantworten. Topan (1997) nennt drei Einflüsse auf das biographische Schreiben an der Swahili-Küste: arabische literarische Traditionen, das im Swahili-Raum als Fertigkeit verbreitete Erzählen von Heldenepen sowie die durch Missionare und in der Kolonialzeit hinzugekommene europäische Art der (auto-)biographischen Darstellung. Etwa Mitte des 17. Jahrhunderts gab es erste Übersetzungen arabischer Gedichte ins Swahili, das in dieser Zeit noch mit arabischen Schriftzeichen geschrieben wurde. Diese Orientierung an arabischer Poesie wird auch in Bezug auf die Anfang des 18. Jh. vermehrt geschriebenen Gedichte deutlich. Aus den arabischen literarischen Traditionen entwickelten sich zudem Schreibformen wie habari (Chroniken über Orte oder Bevölkerungsgruppen im Sinne einer ›ethnohistory‹) und wasifu (Beschreibung oder auch Biographie).13 Letzterer Begriff wurde zum Beispiel von Shaaban Robert 1958 für den Titel seiner berühmten

13 Geider führt hier eine andere Kategorisierung an, bei der zusätzlich zu den Historiographien, Ethnographien und Reiseberichten auch (Auto-)Biographien zu den habari gezählt werden (Geider 2002, 256).

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Biographie der ersten professionellen Swahili Sängerin Siti binti Saad verwendet. Das Erzählen von Biographien kann darüber hinaus als lang etablierte Fertigkeit im Swahili-Raum angesehen werden. Diese Erzählungen handelten meist von wichtigen Persönlichkeiten wie dem Krieger und Herrscher Liongo Fumo aus dem 15. Jahrhundert oder dem Propheten Mohammed. Erzählungen seines Lebens stehen zum Beispiel im Mittelpunkt der maulidi-Feiern, bei denen in Ostafrika zumeist Auszüge aus der biographischen Dichtung von Ja'afar b. Hasan Barzanji (gest. 1766) in der Swahili Übersetzung rezitiert werden. Biographische Darstellungen sind häufig als utenzi, als stark formalisierte narrative Heldengedichte14, überliefert. Auch hier widmen sich die meisten Erzählungen Mohammed und seiner Gefolgschaft.15 Es existieren aber auch utenzi über die Geschichte der Staaten Tansania und Kenia, bzw. der CCM. Mündliche Überlieferungen und schriftliche Versionen gingen dabei Hand in Hand: »It should be noted that the biographies of both Liongo and Muhammad are transmitted from the written to the oral medium.« (Topan 1997, 301) Spätestens seit dem 19. Jh. wurden Afrikaner von christlichen Missionaren angeregt, ihre Biographie niederzulegen. Diese Biographien wurden zum Teil später thematisch geordnet und herausgegeben.16 Auch aus dem ostafrikanischen Raum sind solche Biographie-Sammlungen bekannt (vgl. Kiesel 2005). In der Kolonialzeit verbreitete sich zudem, vor allem über das Bildungssystem, eine neue, europäische Art der (auto-)biographischen Erzählung. Diese ähnelt in ihrer chronologischen Struktur stark dem westlichen Vorbild. Das spiegelt sich auch im Titel wieder, der häufig die Redewendung maisha ya (das Leben von) bzw. den Namen der porträtierten Person beinhaltet.17 Peterson (2006) geht davon aus, dass die Autobiographie die am weitesten verbreitete Literaturform des kolonialen Kenia darstellte (ähnliches ist für das Gebiet des heutigen Tansania anzunehmen). Allerdings wurde diese bisher von der literaturwissenschaftlichen Forschung nicht besonders beachtet, und wenn sie herangezogen wurde, so zu-

14 Jede Strophe des utenzi besteht aus vier Zeilen, die jeweils acht Silben beinhalten. Zu zwei der bekannteren utenzi vgl. Kapitel 4.1. 15 Weitere utenzi über Figuren islamischer Gelehrter können aus wissenschaftlicher Sicht auch zum Genre der Hagiographie gezählt werden. 16 Diese Autobiographien dienten darüber hinaus als Grundlage wissenschaftlicher Forschungen (z.B. Wright 1993). Viel Material liegt allerdings auch noch unausgewertet in Missions- und anderen Archiven. 17 Als Beispiel hierfür führt Topan zwei Biographien von Dale und Farsy über Mohammed (Maisha ya Muhammad, 1909; Maisha ya Nabii Muhammad, 1942) an.

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meist auch hier als Abbild der Realität. Manche Autoren sahen darin sogar eine Möglichkeit, eine afrikanische mentalité herauszulesen (z.B. Olney 1974, 10; vgl. auch Peterson 2006,176-177). Individuelle Autobiographen standen in ihren Augen für das kollektive Ganze. Neben diesen im Umfeld der Missionen aufgezeichneten Biographien entstanden im 19 Jh. weitere Autobiographien von Afrikanern, die durch engen Kontakt mit europäischen Händlern, Verwaltungsbeamten, Reisenden und Forschern dazu angeregt wurden, ihre Lebensgeschichten festzuhalten (vgl. Paul 1996, 191). Bekannte Beispiele hierfür sind die in Zusammenarbeit mit dem Sprachforscher Schön Ende des 19. Jh. entstandene Lebensgeschichte von Dorugu, dem Diener und Begleiter Heinrich Barths, die von Carl Velten publizierten Memoiren von drei Männern aus dem Swahili-Raum18 und die Anfang des 20. Jh. in Kiswahili verfasste Autobiographie von Tippu Tip (Maisha ya Hamed bin Muhammed el-Murjebi).19 Im 20. Jh. verbreiterte sich das Feld biographischen Schreibens in Afrika. Zu den oben genannten (Auto-)Biographien kamen neue hinzu: ethnologische Informantenportraits entstanden, ›afrikanische Heimatkundler‹ (vgl. Paul 1996, 194) und europäische ›Hobbyethnlogen‹ sammelten Portraits, die mit mündlich überlieferten Texten verwoben wurden. Darüber hinaus entstanden wissenschaftliche Sammelbände, wie Margery Perhams »Ten Africans« (1936), die dem verallgemeinernden Bild Afrikas ›Einzelschicksale‹ von Individuen gegenüberstellen wollten. Diesen Texten waren zum Teil Hintergrundinformationen beigefügt. Die Biographien selbst wurden jedoch kaum ausgewertet – somit wurden auch die Erzähltraditionen nicht untersucht. Ab Mitte des 20. Jh. wurden Biographien auch in der ethnologischen Forschung wichtiger, oft standen sie jedoch nicht im Zentrum der Forschung, sondern dienten als illustrative Beispiele. Die Beschäftigung mit afrikanischen Biographien wurde vor allem von Afrikahistorikern vorangetrieben, die mit der Methode der ›oral history‹ arbeiteten. Während in Südafrika im Rahmen des »Oral Documentation Project« von mehreren, zusammen arbeitenden Forschergruppen etwa 1000 Biographien erhoben wurden (vgl. Paul 1996, 204-205)20, gab es für Ostaf-

18 Die Memoiren umfassten Salim b. Abakaris Reisen nach Russland und Sibirien 1896, Selemani Mwenye Chandes Reise ins Hinterland und die Beschreibung der Swahili-Kultur durch Mtoro Bakari (vgl. Topan 1997). 19 Einen Sonderfall stellt die von Emily Ruete (aufgewachsen als Sayyida Salme) für ein deutsches Publikum verfasste Autobiographie »Leben im Sultanspalast. Memoiren einer arabischen Prinzessin« dar (Ruete 1886). 20 Im Rahmen dieses Projektes entstanden mehrere Bücher, z.B. Bozzoli & Nkotsoe 1991 sowie Keegan 1988.

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rika einzelne kleine Projekte in denen mit selbst erhobenen Biographien gearbeitet wurde.21 In die in Ostafrika entstandenen (auto-)biographischen Berichte flossen zum Teil andere Genre (insbesondere die Ethnographie und historische Darstellungen) ein (vgl. Geider 2002, 259).22 Die verschiedenen Erzähl- und Berichtstile verbanden sich zu einer lokalen Melange. Geider (2002) stellt in Bezug auf die Form habari fest: »Models for the composition of habari texts apparently follow the oral tradition of narrating events, the genealogical listing as e.g. found in Arabic literacy and the writing of reports as acquired in the colonial bureaucracy.« (Geider 2002, 265) Als wichtige Beispiele für ostafrikanische (Auto-)Biographien des 20 Jh. sind die oben schon genannte auf Swahili erschienene Autobiographie von Shaaban Robert (1966) »Maisha Yangu« (»Mein Leben«), die Sammlung von islamischen Gelehrtenbiographien durch Abdalla Saleh Farsy (1989) sowie die auf Englisch publizierten Autobiographien von Jomo Kenyatta »Facing Mount Kenya« (1938) und von Sheikh Hyder Kindy »Life and Politics in Mombasa« (1972) zu nennen. Wie schon in Bezug auf islamische Biographien deutlich wurde, ob Hagiographien islamischer Heiliger oder auch Lebensbeschreibungen Mohammeds im Rahmen von utenzi oder maulidi Rezitationen, können biographische Darstellungen und Religion eng verknüpft sein. Das konnte auch für die christliche Mission beobachtet werden: »Ist man sich der streng protestantischen Tradition bewusst, die eigene Entwicklung, besonders die geistliche Erweckung oder Konversion, in Form einer Autobiographie zu überdenken, so verwundert es nicht, dass Afrikaner im Zuge der Missionierung ebenfalls dazu angeregt wurden.«23 (Paul 1996, 188)

21 Als wichtige Beiträge sind hier unter anderen Beattie 1964, Mirza & Strobel 1989, Caplan 1997, Mitzlaff 1988 oder Wright 1993 zu nennen. 22 Viele Texte waren dabei Versuche, Geschichte und ›Traditionen‹ zu konservieren, bevor sich die Lebensweise durch die Moderne verändere. Während in der Kolonialzeit Genealogien vor allem zur Befestigung von Machtansprüchen innerhalb des System der ›indirect rule‹ dienten, wurden wichtige Persönlichkeiten nach der Unabhängigkeit in den Biographien eher als Vorbilder dargestellt. 23 Foucault hat die Bedeutung der Beichte für europäische Gesellschaften und damit auch für die Geschichte der Autobiographie herausgearbeitet (z.B. Foucault 1983). Insbesondere für den Protestantismus in Europa spielte die selbständige Hinterfragung des eigenen Lebens eine große Rolle. Da die in Afrika aktiven Missionen zumeist protestantische waren, wird die Bedeutung autobiographischer Zeugnisse umso deutlicher.

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Diejenigen, die eine europäische Schulbildung genossen, insbesondere in Missionsschulen, waren von Biographien und vom biographischen Schreiben umgeben, da diese ein wichtiges Medium der christlichen Erziehung nach Vorbildern darstellten: »Biographies were the means by which missionaries modeled morality, good conduct, and self-sacrifice for their students.« (Peterson 2006, 178) Nach Angaben von Peterson war das in vielen Missionsschulen als Unterrichtsmaterial genutzte Buch »Mohoro ma Tene Tene« (Kikuyu: Geschichten von vor langer Zeit), das einige Legenden des Alten Testamentes enthielt und dabei bestimmte Figuren wie Samson in den Mittelpunkt stellte, in der Kolonialzeit das meistverkaufte Buch nach dem Neuen Testament (vgl. ebd., 178). Schüler wurden auch dazu angehalten, selbst Biographien zu schreiben. Peterson führt in seiner Arbeit zwei Beispiele für religiöse Autobiographien auf, die einen sehr unterschiedlichen Charakter haben.24 Die Biographie des Reverend Charles Muhoro Kareri (Presbyterianer) stellt eigentlich eine Kollektion verschiedener Texte (v.a. Autobiographien anderer Missionare und Christen) und Genres (Kirchenbücher, Biographien, Heimatkunde, Bibeltexte u.ä.) dar. Diese Intertextualität führt dazu, dass die eigentliche Autobiographie relativ unpersönlich bleibt. Sie ist vielmehr eine im Stile einer Vorbild-Biographie gehaltene Schilderung. Im Gegensatz dazu steht die von Cecilia Muthoni Mugaki in einem sehr persönlichen Stil gehaltene Erzählung ihrer Verfehlungen und ihrer Erlösung. Den größten Teil nimmt darin die Geschichte ihrer Konversion zur East African Revival Bewegung ein. Öffentliche Beichten privater Sünden sind ein wichtiger Teil der revival meetings, aber auch von conventions und privaten Gesprächen von Revivalists. Insbesondere der Topos des Ehestreits oder der sexuellen Verfehlungen wird, ähnlich wie in der besprochenen Autobiographie, oft verwendet: »Testimonies were a carefully practiced literary form.« (Ebd., 183) Bestimmte genretypische Strukturen und Konventionen mussten eingehalten werden. Lebhafte Beichten wurden mit Schlagwörtern verbunden, die die Gläubigen von Baganda Missionaren gelernt hatten, die das ›revivalist movement‹ im Kikuyu-Land verbreiteten. Diese Autobiographie »is a transcript of a testimony she composed, practiced, and polished in dozens of public gatherings.« (Ebd., 184) Die öffentliche Darstellung von Familienverhältnissen in einer Gesellschaft, in der über private Probleme normalerweise nicht öffentlich geredet wurde, führte zu Konflikten zwischen Revivalists und den bestehender Kirchen (z.B. den Presbyterianer), die unter anderem zu Kirchenverboten und nachfolgenden Kirchenspaltungen führten.

24 Beide Biographien wurden zu einer ähnlichen Zeit geschrieben, die erste wurde in den 1970er Jahren verfasst, die zweite rund 10 Jahre später.

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In den von Topan wie von Peterson verwendeten Beispielen spielt das Verhältnis zwischen Biographien und Religion eine große Rolle. Während Biographien vor allem eine Vorbildwirkung haben sollen, werden Autobiographien im christlichen Kontext auch zur Veränderung des eigenen Lebens und als Mittel zur Zugehörigkeit zu bestimmten Denominationen genutzt. Auch wenn es für den ostafrikanischen Raum hierzu noch keine weitere Forschung gibt, kann angenommen werden, dass ähnliches auch für den islamischen Kontext zutrifft. Die Anzahl der unter dem Einfluss der Missionen religiös geprägten Lebensgeschichten nahm zwischenzeitlich, insbesondere in der Zeit der Unabhängigkeitsbewegungen, etwas ab. Dies änderte sich jedoch wieder durch im Bereich der christlichen charismatischen Bewegungen entstandenen (Auto-)Biographien. Christliche Heilsgeschichten und Prophetenbiographien wurden nun auch in Buchform oder als Tonbandkassetten auf Märkten verkauft (Paul 1996). Später kamen auf den Märkten islamische Konversionserzählungen bzw. -biographien hinzu, zum Beispiel über das Leben von Malcom X.25 Diese Lebensgeschichten wurden so als ›Mittel der sozialen Kommunikation‹ eingesetzt (vgl. Paul 1996, 203; auch Jewsiewicki 1993).26 Neben diesen religiösen und politischen Einflüssen auf das Genre Biographie sind durch die Massenmedien neue hinzugekommen. In Fernsehtalkshows werden Biographien öffentlich diskutiert und Soap Operas, die zum Teil an lokale Erzählgewohnheiten anknüpfen, stellen neue Modelle des ›Über-sich-redens‹ zur Verfügung. Das biographische Erzählen ist somit keine in Ostafrika fremde Form der Reflexion, sondern kann sowohl als idealtypische Darstellung von Lebensverläufen wie auch als sehr persönlicher Bericht über individuelle Erfahrungen und Deutungen, bzw. eine Mischform aus beidem, vorgefunden werden.

5.3 P RAXIS – V ORGEHENSWEISE UND A USWERTUNG

BEI

F ELDFORSCHUNG

Wie in den beiden vorangehenden Unterkapiteln verdeutlicht wurde, ist weder der Bereich der ethnologischen Biographieforschung noch das Gebiet der (bio-

25 Vgl. darüber hinaus die im Rahmen dieser Arbeit gesammelten, in Ostafrika publizierten, Konversionsbiographien. 26 Auch die im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung entstandenen Autobiographien ostafrikanischer Politiker und anderer historischer Persönlichkeiten können so interpretiert werden. Hier sind zum Beispiel für Kenia die Autobiographien von Odinga 1969; Mboya 1963 und Kariuki 1964 zu nennen.

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DER

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graphischen) Narrationsforschung zu Ostafrika ausreichend systematisiert, so dass sich während der Forschung immer wieder Momente der Improvisation ergaben. Im dritten Teil dieses Kapitels werden die dieser Arbeit zugrunde liegenden Forschungsschritte von der Auswahl der Feldforschungsorte, über die Erhebung der Daten, ihre Auswertung bis hin zu ihrer Darstellung aufgezeigt. Dabei werden auch Probleme angesprochen, die sich während der Forschung stellten und die nicht in allen Fällen eine Lösung finden konnten. Zudem wird hier darstellt, wie in dieser Arbeit mit den im ersten Unterkapitel aufgeworfenen methodischen Problemen der Auswertung und Darstellung der erhobenen Daten umgegangen wird. Wie in der Einleitung der Arbeit beschrieben wurde, stellte die diesem Buch zugrunde liegende Forschung einen Teilbereich eines größeren Projektes dar. Die Auswahl der im Fokus der Forschung liegenden Städte erfolgte so, dass eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Städten wie auch innerhalb des Projektes gegeben war. Alle drei Städte liegen im ostafrikanischen Hinterland und weisen im Hinblick auf Geschichte, Größe, Bevölkerungszusammensetzung und wirtschaftlichen Status strukturelle Parallelen auf. Nakuru und Kisumu in Kenia und Moshi in Tansania sind urbane Zentren, in denen seit rund 100 Jahren islamische und christliche Gemeinden existieren. Christen stellen dabei eine deutliche Bevölkerungsmehrheit dar. Alle drei Städte weisen eine große Anzahl verschiedener aktiver Missionsbewegungen auf, christlicher wie islamischer. Ihre Auswahl erfolgte ohne vorherige Kenntnisse und ohne Kontakte in den Städten, diese mussten also vor Ort hergestellt werden. Auch wenn die Probleme von ›multi-sited fieldwork‹ durchaus bekannt waren, wurde diesem Umstand im Gesamt-Projekt nur bedingt Beachtung geschenkt, um eine möglichst große Forschungsregion abzudecken und etwaige lokale Besonderheiten besser herausfiltern zu können. Feldforschung Nach der Ankunft im jeweiligen Forschungsort wurde die islamische Gemeinde kontaktiert, erster Ansprechpartner war zumeist der Sekretär der Hauptmoschee des Ortes. Dieser vermittelte weitere Kontakte zu Repräsentanten der Gemeinde auf der einen Seite und Konvertiten zum Islam auf der anderen Seite. Über beide Gruppen wurden über das Schneeballsystem weitere Kontakte hergestellt, um eine möglichst große Bandbreite an Interviewpartnern zu gewinnen. Hierbei war es wichtig, alle für das Thema wichtigen Gruppierungen zu erreichen, insbesondere alle zurzeit aktiven islamischen Missionsbewegungen. Alle drei Städte wurden während des Forschungszeitraumes (2004-2007) mehrmals besucht. Die

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Aufenthaltsdauer betrug dabei zwischen einem und zwei Monaten am Stück in einer Stadt. Wichtiger als ein langer kontinuierlicher Aufenthalt erschien mir dabei die Möglichkeit mit den Konvertiten nach einem größeren zeitlichen Abstand noch einmal sprechen zu können, um mögliche Veränderungen in ihrem religiösen Selbstverständnis wahrnehmen zu können. Die Forschung wurde ohne die Hilfe von Feldforschungsassistenten durchgeführt, da einige der Konversionserzählungen so viele konfliktive Elemente enthielten, dass es fragwürdig ist, ob sie auch im Beisein eines Assistenten zustande gekommen wären. Im Zentrum der empirischen Forschung stand eine größere Serie narrativer, autobiographischer Interviews mit Anhängern verschiedener muslimischer Missionsbewegungen. Von den insgesamt über 100 durchgeführten Interviews waren rund 30 autobiographische Interviews. Hintergrundinterviews wurden vor allem mit Angestellten, Aktivisten und Angehörigen der islamischen Gemeinden, mit Vertretern christlicher Gemeinden und natürlich mit Konvertiten und deren Familien geführt. Hierbei ging es vor allem um die Stellung von Muslimen in den drei Forschungsorten, die Aktivitäten islamischer Missionsbewegungen und die Position von Konvertiten innerhalb der Gesellschaft und der islamischen Gemeinde. Sofern Konvertiten in ein biographisches Interview eingewilligt hatten, wurden sie in einem Vorabgespräch über die Forschung und die beabsichtigte Vorgehensweise informiert. Das eigentliche biographische Interview wurde wenige Tage später durchgeführt und nach Möglichkeit aufgenommen. Es hat sich dabei gezeigt, dass im Aufbau der Interviews kein Unterschied bestand zwischen dieser Vorgehensweise und anderen spontan entstandenen Interviews. Leider war eine Aufnahme des Gespräches nicht immer möglich, entweder bedingt durch einen zu großen umgebenden Lärmpegel oder auf Wunsch der Interviewten. In jedem Fall wurden weitreichende Gesprächsnotizen gemacht. Diese Aufzeichnungen und zusätzliche Beobachtungen wurden direkt nach dem Interview in das Feldforschungstagebuch übertragen. Als Ort für die Interviews wurden möglichst neutrale, ungestörte Räumlichkeiten ausgewählt (wie zum Beispiel wenig besuchte Restaurants). Einige Interviews wurden auch in Räumen der islamischen Gemeinden durchgeführt, was aber je nach Anwesenheit bestimmter Personen im Raum zu großen Veränderungen im Gesprächsverhalten führte. Frauen konnten auch in privaten Räumlichkeiten interviewt werden, im Falle von Männern war dies aufgrund lokaler Geschlechternormen und -vorstellungen nur schwer möglich. In einigen Situationen wurden mir Konvertiten ›präsentiert‹, die ich dann an Ort und Stelle befragen sollte, beziehungsweise Menschen begannen spontan mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen, wenn sie von meiner Forschung erfuhren. In diesen Fällen konnten nur schriftliche Aufzeichnungen gemacht

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werden oder es musste ein Gedächtnisprotokoll erstellt werden. Diese Interviews konnten zwar nicht in die Feinauswertung einbezogen werden, dienen aber, auch aufgrund ihrer häufig vorkommenden strukturellen Ähnlichkeit mit den auf Tonband aufgezeichneten Interviews, als Hintergrundinformationen für die Interpretation der Ergebnisse. Der Ablauf der biographischen Interviews orientierte sich an dem von Schütze (1983) entwickelten narrativen Interview. Das narrative Interview ist in drei zentrale Teile gegliedert, die freie Erzählung, Nachfragen zur Vertiefung und die Erfragung der Sicht des Interviewpartners auf die geschilderten Ereignisse. Zuerst wird das Interview durch eine dem Forschungskontext angepasste Erzählaufforderung, hier mit der Aufforderung zur Erzählung des Lebensweges, begonnen. Diese Anfangserzählung wird vom Forscher nicht unterbrochen und wird idealerweise erst durch eine das Ende anzeigende Erzählkoda beendet. Auch wenn die verwendete Erzählaufforderung sich nicht auf die Konversion beschränkte, gingen einige meiner Interviewpartner im Hinblick auf mein Forschungsinteresse fast ausschließlich auf ihre Konversion ein. Daraus resultierte auch, dass die Abschlusssequenz der biographischen Erzählung häufig mit der Schilderung der Konversion des Interviewpartners korrelierte, selbst wenn diese schon viele Jahre zurücklag. Deshalb wurde abweichend vom Modell Schützes an dieser Stelle darum gebeten, die Erzählung bis zur heutigen Zeit fortzuführen. Im zweiten Interviewteil wird das ›tangentielle Erzählpotential‹ ausgeschöpft, also in der Erzählung selbst angelegte, aber noch nicht weiter ausgeführte Inhalte. Dies geschieht vor allem durch die Aufforderung zur narrativen Schilderung unklarer Stellen und von Lebensphasen, die bisher noch nicht angesprochen wurden. Zum Schluss des Interviews wird versucht, die individuelle Sichtweise des Interviewten auf sein Leben oder bestimmte Situationen und Entscheidungen zu erfragen. Diese kann in Form von abstrahierenden Beschreibungen, Erklärungsaufforderungen oder argumentativen Beantwortungen von Fragen geschehen (vgl. Schütze 1983, 285). Hier wurden differierend von Schütze zusätzlich vier Leitfragen gestellt, die sich mit der Veränderung der Lebenssituation der Interviewpartner durch ihre Konversion beschäftigten. Die biographischen Interviews dauerten zwischen 30 Minuten und 3 Stunden. Wenn es möglich war, wurden die Interviews noch vor Ort mit Hilfe eines Journalisten transkribiert. Dies erleichterte es sehr, weitere Nachfragen zu stellen. Während der lokalen Feldforschungsaufenthalte entstanden durch den häufigen Kontakt freundschaftliche Beziehungen zu einigen der Interviewpartner, insbesondere den Frauen. Dies ermöglichte ergänzende Beobachtungen zu religiösen Praktiken, bis hin zur Teilnahme an religiösen Veranstaltungen (wie zum

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Beispiel einer maulidi-Feier in einer schiitischen Schule), und die Beobachtung privater Frömmigkeit. Analog zu den in Kapitel 5.1 vorgestellten Ansätzen zum Umgang mit Biographien in der Ethnologie wird immer wieder die Frage nach der Reliabilität der biographischen Angaben gestellt. Auch wenn in dieser Arbeit die Analyse des Lebensverlaufes (also der biographischen Angaben) mit der Untersuchung der Erzählung verbunden wird, liegt der Fokus auf der Interpretation des Lebensweges durch die Interviewpartner. Abgesehen von weiteren Interviews oder Nachfragen bei den Interviewpartnern und eher zufälligen Begegnungen mit deren Familien wurden keine Versuche unternommen, die biographischen Angaben zu überprüfen bzw. nachzuverfolgen. Dieses Unterfangen wäre aus mehreren Gründen auch kaum möglich gewesen. Erstens ist diese Forschung stark von einem ex post Charakter geprägt. Konversionen mit ihrer Vorgeschichte lassen sich nicht systematisch in Realzeit beobachten, sondern können immer nur in einem späten Stadium untersucht werden.27 Das heißt, dass die Konversionen zum Teil schon lange zurück lagen. Häufig gibt es nur wenige Dokumente, die überhaupt zur Überprüfung von ›Fakten‹ herangezogen werden könnten und ob diese nach einem so langen Zeitraum auffindbar sind, ist eher ungewiss. Aussagen von Familienmitgliedern oder Nachbarn, sofern überhaupt ein intensiverer Kontakt bestand, sind oft ebenso zeitlich überformt und von den dominanten Narrativen über Konversion zu sprechen beeinflusst wie die der Konvertiten und können somit zum Test von biographischen Daten nur bedingt herangezogen werden. In der vorliegenden Forschung wurden so gelagerte Darstellungen lediglich als weitere Interpretationen zur biographischen Konstruktion der Interviewpartner einbezogen. Mit dem ex post Phänomen zusammenhängend ist als zweiter Grund für diese Vorgehensweise die Forschung in der Stadt zu nennen, die wiederum eine Nachverfolgung einzelner biographischer Daten sehr schwierig macht. Viele der in den Feldforschungsorten lebenden Interviewpartner haben lange Abschnitte ihres Lebens an anderen Orten verbracht und sind erst später, auch als Folge der stattfindenden Urbanisierung, in die Städte gezogen. Zudem sind Städte deutlich größer als die klassischen ethnologischen Feldforschungsorte. Das Leben der Interviewpartner in den Städten ist anonymer und somit vor Dritten, bzw. der lokalen Gesellschaft, stärker verborgen. Als letzter und dritter Grund ist hier der bereits benannte Umstand zu erwähnen, dass die Untersuchung an mehreren Orten durchgeführt wurde, was eine Vertiefung der lokalen Beziehungen erschwerte.

27 Die Möglichkeit den Weg einer Konversion mitverfolgen zu können, ist nur in zufälligen Situationen gegeben.

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Für die Forschung war es wichtig, kontrastierende Fälle biographischer Interviews zu sammeln, um zu verhindern, dass bestimmte Aspekte unterbelichtet bleiben. Deshalb wurden nicht nur biographische Interviews mit Konvertiten vom Christentum zum Islam, sondern auch mit Konvertiten vom Islam zum Christentum und von einer islamischen Denomination zu einer anderen (zum Beispiel vom sunnitischen zum schiitischen Islam) geführt. Ebenso wurde darauf geachtet, möglichst viele Frauen für Interviews zu gewinnen. Dies erwies sich jedoch als nicht so einfach, da viele von ihnen den mir gegenüber häufig geäußerten Anspruch, eine interessante Geschichte erzählen zu können, in ihren Augen nicht erfüllten. Darüber hinaus habe ich nur wenige Frauen kennengelernt, deren Konversion zum Islam in einem gewissen Rahmen unabhängig und bewusst erfolgte, also eine Rolle in ihrer Biographie spielte; meist wechselten Frauen durch eine Heirat oder die Konversion ihres Mannes zum Islam. Insgesamt waren rund ein Drittel der Interviewten Frauen. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Auswahl der Interviewpartner war die Strömung innerhalb des Islam, mit der die Konvertiten affiliiert waren. So wurden mir in Nakuru zunächst nur eine Reihe junger, erfolgreicher Männer vorgestellt, die der salafitischen Strömung des sunnitischen Islam zuzurechnen sind. Einer von ihnen drückte mir ein Heft der saudi-arabischen Botschaft in die Hand und sagte, ich müsse ihn gar nicht interviewen sondern einfach nur das Heft lesen, dann würde ich verstehen, warum er zum Islam konvertiert sei. Erst auf Nachfrage und etwas widerwillig wurden mir weitere Kontakte, z.B. zu Schiiten vermittelt.28 Die Interviews wurden entweder in Englisch oder Kiswahili durchgeführt. Während der Forschung wurde deutlich, dass der größte Teil der interviewten Konvertiten aus der urbanen, gebildeten (d.h. in diesem Falle Sekundarschulabschluss) Mittelschicht kamen.29 Dadurch wurde es, insbesondere in Kenia, mög-

28 In Bezug auf die Konflikte innerhalb der islamischen Gemeinden in Nakuru und insbesondere die Probleme schiitischer Muslime vgl. Kapitel 3. 29 In der im Hinblick auf die westlichen Industriegesellschaften entwickelten Soziologischen Theorie bezeichnet der Begriff Mittelschicht eine Gruppe von Personen, die in der vertikalen Struktur einer Gesellschaft der Mitte zuzurechnen sind. Ausschlaggebende Merkmale sind hierbei Ähnlichkeiten in Bildungsstandard, Einkommen und ausgeübten beruflichen Tätigkeiten (sowie damit verbundenem Prestige), aber auch in Lebensstandard und Lebensweise. Aus der daraus hergeleiteten These schichtenspezifischer Verhaltensformen entwickelte Bourdieu seine Habitustheorie. Trotz der durchaus problematischen Übertragung soziologischer Begriffe (und der damit ver-

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lich, Englisch als Interviewsprache zu verwenden. Dies war vor allem in den Fällen hilfreich, in denen sich Konvertiten ihr Wissen über den Islam hauptsächlich auf Englisch angeeignet hatten (zum Beispiel durch das Lesen eines Korans in englischer Übersetzung). Im kenianischen Hinterland stellt Kiswahili genau wie Englisch eine Zweitsprache dar, wobei der Schulunterricht hauptsächlich auf Englisch (oder in der Lokalsprache, aber nicht in Kiswahili) erfolgt. Interviews nur in den Muttersprachen zu führen, wäre nahezu unmöglich gewesen, da die Interviewpartner aus vielen verschiedenen Teilen des Landes kamen. In Tansania hingegen hat Kiswahili eine viel größere Bedeutung, was sich auch in den Interviews widerspiegelte. Hier wurden auch einige Interviews in Kiswahili durchgeführt. Inwiefern die Interviewsprache die Ergebnisse der Forschung beeinflusst hat, ist schwer abzuschätzen. Das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass keine systematischen Untersuchungen zu biographischen Erzählweisen in Ostafrika und schon gar nicht zu den verschiedenen Lokalsprachen vorliegen. Es könnte eingewendet werden, dass die Interviewsprache bei der Auswahl der Interviewpartner unter Umständen verzerrend wirkte. Auch wenn diese Möglichkeit nicht ganz außer Acht gelassen werden kann, spielen bei der vorliegenden Gewichtung, in der die Mittelschicht überwiegt, weitere Faktoren eine Rolle. Zum einen kommen, wie in den folgenden Kapiteln deutlich werden wird, in Städten lebende Menschen mit höherer Mobilität und mit Bildungsambitionen eher in Kontakt mit islamischer Mission als gering gebildete Menschen, die in ihrer ländlichen Herkunftsregion verbleiben. Zum anderen wurden mir viele Kontakte zu Interviewpartnern von anderen Muslimen vermittelt. Diese präsentierten mir häufig potentielle Gesprächspartner, die sie selbst für reflektiert und ›gebildet genug‹ betrachteten mir ein ›richtiges‹ Bild des Islam zu vermitteln. Trotz dieser Zuspitzung des Forschungsfeldes wurden weiterhin auch Interviews mit Konvertiten in ländlicher Umgebung und aus ärmeren Bevölkerungsschichten geführt. Die mit ihnen realisierten Interviews unterscheiden sich nicht grundlegend von anderen in Bezug auf Alter, Geschlecht und Region vergleichbaren Interviewpartnern. Die große Altersspanne der Interviewten, deren Alter von 17 bis zu 64 Jahren reichte, erklärt sich daraus, dass zwar die meisten der Befragten im Alter von 25 bis 30 Jahren zum Islam konvertierten, diese Konversion aber sehr unterschiedlich lange zurück liegt. Die anfänglichen Schwierigkeiten, Zugang zu Interviewpartnern in bestimmten islamischen Gruppierungen zu gewinnen, verdeutlichen meine Rolle als Forscher innerhalb der islamischen Gemeinde. Zum einen bestand durch Koopera-

bundenen Theoriegebäude) auf afrikanische Realitäten wird der Begriff der Mittelschicht hier genutzt, da er das vorgefundene Phänomen am besten beschreibt.

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tion mit dem Forscher und die Zustimmung zur Durchführung eines Interviews die Möglichkeit, eine ganz bestimmte Sichtweise des Islam zu präsentieren, bzw. andere, konkurrierende Perspektiven zu kommentieren oder totzuschweigen. Die Vielfalt dieser Ansichten und Interpretationen, der angesprochenen Themen und des Schweigens, wird aber erst durch die kontrastierenden Interviews mit Anhängern sehr unterschiedlicher Strömungen deutlich. Für die Untersuchung von Hintergrundinformationen habe ich deshalb in Interviews getroffene Aussagen an andere Interviewpartner zurückgespiegelt und deren Reaktionen wieder an den Urheber der Aussagen zurückgetragen. Das dadurch gewonnene Netz an Aussagen spiegelt vor allem Geschehnisse in den islamischen Gemeinden, insbesondere Konflikte zwischen verschiedenen Gruppierungen, und die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten dieser Ereignisse wider. Schließlich hatten einige Interviewpartner auch die Hoffnung, mich durch lange Diskussionen zum Islam konvertieren zu können. Zum anderen stieß ich als weiße Europäerin immer wieder auf Misstrauen innerhalb der islamischen Gemeinden. Insbesondere am Anfang meiner Aufenthalte in den drei Städten wurde ich jeweils mit dem Vorwurf, Spionin zu sein, konfrontiert.30 Durch den längeren Aufenthalt vor Ort, viele Gespräche und meine Rückkehr zu den Interviewten während eines weiteren Feldforschungsaufenthaltes verschwand dieses Misstrauen jedoch. Es ist hierbei auch möglich, dass ich als Frau als weniger gefährlich eingeschätzt wurde als männliche Kollegen, was mir den Zugang zum Feld erleichterte.31 Dieses mir entgegengebrachte Misstrauen stellte auch dadurch ein Problem dar, da dies die Schwierigkeit, geeignete Interviewpartner zu finden, erhöhte, bzw. die Interviews selbst davon beeinflusst wurden. Ein Interviewpartner aus Moshi verweigerte mir zum Beispiel bei meinem ersten Aufenthalt die Aufnahme eines sehr spannenden Interviews. Bei meiner Rückkehr traf ich ihn wieder und brachte ihm erste Forschungsergebnisse (einen kurzen Artikel) mit. 32 Dadurch änderte sich seine Einstellung mir gegenüber entscheidend, er lud mich nun zu sich nach Hause ein und erlaubte mir sogar, ihn vor der Moschee zu fo-

30 Dieser Vorwurf trifft jedoch auch einheimische, islamische Wissenschaftler (vgl. z.B. Mwakimako 2007, 15). 31 Damit kann ich die mir häufig gestellte Frage, ob ich als Frau Probleme hatte, Zugang zu Konvertiten zum Islam zu finden, verneinen. 32 Ich habe während meines letztes Forschungsaufenthaltes allen erreichbaren Interviewpartnern diese zwei kurzen Artikel mitgebracht und sie um ihre Meinung dazu gebeten, es wurde (leider) nur sehr wenig Kritik geäußert. In gleicher Weise verfuhr ich mit transkribierten Interviews, mit denen ich die jeweiligen Interviewpartnern im zeitlichen Abstand von 2 Jahren noch einmal konfrontierte.

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tografieren. Eine größere Nähe ist jedoch nicht immer gleichbedeutend mit offeneren beziehungsweise inhaltlich tieferen, weniger von lokal bedeutsamen Narrativen oder ›scripts‹ beeinflussten Gesprächen. Die im nächsten Kapitel vorgestellte Interviewpartnerin Badia erzählte mir zum Beispiel im ersten Gespräch, das für sie in einer Phase des Umbruchs stattfand, sehr private, intime Details. In späteren Alltagsunterhaltungen blieb sie hingegen oft auf einer sehr viel allgemeineren Ebene. Fehlende Vertrautheit muss also nicht zu einer ›offizielleren‹, unpersönlicheren Darstellung führen, da sie auch die Freiheit mit einem der Gesellschaft Außenstehendem zu sprechen bedeutet, dem unter Umständen intimere Details anvertraut werden können. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass bei Badia die Interviewsituation selbst zu einer genaueren Schilderung ihrer Erlebnisse und den damit verbundenen Emotionen geführt hat. Wenn auch Vertrautheit für die Interviewsituation nur bedingt eine Rolle spielt, ist eine größere Nähe wichtig um die Erzählung einzuordnen und zu interpretieren. Wie gezeigt wurde, ist die wissenschaftliche Erhebung von Lebensgeschichten immer als eine Koproduktion zwischen Interviewtem und Forscher anzusehen. Nicht nur die Forschungssituation und die damit verbundene Themenfindung an sich beeinflussen den Verlauf des Interviews, sondern auch das Verhältnis zwischen Forscher und Interviewten, ihre gegenseitigen Erwartungen und Interessen. So kann zum Beispiel die Erwartung einer Gegenleistung, zu erlangen durch eine ›richtige‹, also den vermuteten Erwartungen des Forschers entsprechende, Erzählung, auf Inhalt und Stil wirken. Dabei ist auch zu beachten, dass die dem Forscher zugeschriebenen Rollen und Erwartungen sich während der Feldforschung immer wieder verändern können (vgl. dazu Nadig 1992). Die Aufforderung zur biographischen Erzählung kann auch als Bedrohung empfunden werden, insbesondere wenn die Forschung ökonomisch oder, wie in diesem Falle, politisch relevante Themen betrifft. Aber nicht nur Forscher und Interviewte sind an der Produktion des Textes beteiligt, sondern auch ihre jeweilige Umwelt, die bestimmte dominante Narrative und Erzählkonventionen favorisiert, bzw. alternative Erzählungen nicht zur Kenntnis nimmt (zu diesem Themenkomplex des ›silencing‹ vgl. Ewick & Silbey 1995). Auch die Fragen wer, wann, wo berechtigt zum Erzählen und/oder Zuhören ist, bzw. die Inhalte, den Ort und die Zeit des Gespräches bestimmen darf, spielt hier eine Rolle. In diesen Rahmen ist auch die Anmerkung Bourdieus in seinem Essay »Die biographische Illusion« einzuordnen, Lebenserzählungen würden dem Modell der offiziellen Selbst-Präsentation umso stärker ähneln, je mehr sich die gestellten Fragen und der Forschungskontext denen offizieller Befragungen annäherten (Bourdieu

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1986, 79).33 Die narrative Praxis reflektiert und schafft somit Machtbeziehungen. Im Umkehrschluss kann sich auch narrativer Widerstand in den Interviewsituationen formieren. Dieser kann Widerspruch, Gegenversionen oder Spott beinhalten (vgl. Ochs & Capps 1996). Auch die Verweigerung ist eine Form des narrativen Widerstandes, die unterschiedliche Züge annehmen kann. Eine Interviewpartnerin, die über einen Kontakt zu einer gemeinsamen Freundin in ein Interview eingewilligt hatte, sagte immer wieder kurz vor den vereinbarten Treffen ab, beziehungsweise kam so spät, dass nicht mehr ausreichend Zeit für ein längeres Interview blieb. Als ich sie nach einigen vergeblichen Versuchen fragte, ob sie denn wirklich zu diesem Interview bereit wäre, sagte sie ja. Am Ende gelang es mir, ein sogar sehr interessantes biographisches Interview ›light‹ mit ihr durchzuführen. Erst viel später erfuhr ich, dass sie Angst hatte, sie könne mir nichts ›Interessantes‹ erzählen, sich aber durch die persönliche Verpflichtung nicht traute, das Interview abzusagen. In einem anderen Interview sagte mir ein junger Mann gleich zu Beginn, er würde mir in seiner Biographie nichts Persönliches erzählen, sondern nur wie er zum Islam gekommen sei. Die Feststellung, dass die erhobenen autobiographischen Erzählungen von der Interviewsituation beeinflusst sind, wirft die Frage auf, ob sie sich dadurch grundlegend von in anderen Situationen entstandenen vergleichbaren Darstellungen unterscheiden. Schon die in Kapitel 4 beschriebene Rolle, die biographische Erzählungen in Bezug auf die Konversion spielen, lässt vermuten, dass dies nicht der Fall ist. Zudem gab es in vielen Interviews Passagen, die flüssiger als andere erzählt wurden und die damit auf tradierte Erzählungen hinwiesen. Allerdings gibt es bisher keine vergleichbaren Forschungen zu Konversionserzählungen im zeitgenössischen Ostafrika, die die Erzählungen in einen weiteren Kontext einordnen könnten. Die Schaffung und Verfestigung von Machtbeziehungen endet natürlich nicht nach dem Interview, sondern wird bei der Veröffentlichung und der Interpretation und der Auswahl von Textteilen weiter fortgeführt. Die gesamte ›ethnologische Begegnung‹, also der Verlauf der Beziehung zwischen Ethnologen und Informanten, muss bei der Auswertung der gesammelten Materialien berücksichtigt werden (vgl. Spülbeck 1997, 94). Neben biographischen Interviews und Hintergrundgesprächen wurde während der Feldforschung weiteres Material gesammelt. Zum einen ist hier von islamischen Missionsbewegungen publiziertes Material zu nennen, wie Hefte, CDs, Zeitschriften oder Audiotapes. Der Fokus lag hierbei insbesondere auf im ostafrikanischen Raum veröffentlichten Konversionserzählungen, unter anderem

33 Wie zuvor gezeigt wurde, ist diese Einschätzung allerdings nicht in jedem Fall zutreffend.

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auch im Internet publizierten.34 Hinzu kamen Zeitungsartikel und Fotos, die tagespolitische Ereignisse dokumentieren. Zum anderen flossen weitere Beobachtungen in die auszuwertenden Materialien ein – insbesondere während meiner Aufenthalte auf Moscheegeländen und in den Islamischen Gemeindezentren. So wurde ich zum Beispiel einmal Zeugin einer Konversion zum Islam.35 Darüber hinaus konnten Videos öffentlicher Predigten und Konversionen erworben werden, die noch einmal Aufschluss über die Arbeitsweise islamischer Missionsbewegungen und die Funktion von Konversionen für diese gaben. Ein Teil der Feldforschung wurde zusammen mit einem Kollegen aus dem Forschungsprojekt am ZMO durchgeführt. Dies ermöglichte einen Austausch von ersten Forschungshypothesen und -ergebnissen, sowie eine Zusammenarbeit bei der Suche nach möglichen Interviewpartnern. Auch mit Forschungseinrichtungen in Ostafrika wurde zusammengearbeitet, zum Beispiel mit dem British Institute for Eastern African Studies (Nairobi). Ebenfalls in Nairobi gab es ein langes Treffen mit dem kenianischen Islamwissenschaftler Hassan Mwakimako, der später auch am ZMO in Berlin arbeitete. Auswertung der biographischen Interviews Die Kritik an der bisherigen ethnologischen Biographieforschung aus Kapitel 5.1 aufnehmend, wurde der Auswertung der Daten viel Aufmerksamkeit gewidmet. Um die Schlussfolgerungen nachvollziehbar zu gestalten, wird im Folgenden die Vorgehensweise detailliert beschrieben. Alle Beobachtungen, Interviewnotizen, aufgeworfenen Fragen und andere Forschungsfragmente wurden, z.T. mehrmals, täglich in einem Feldforschungstagebuch festgehalten. Nach der Rückkehr nach Deutschland wurden auf Basis der Tagebuchaufzeichnungen Interviewbögen für jeden (wichtigen) Interviewpartner angelegt.36 Dies ermöglichte einerseits eine bessere Übersicht über die verschiedenen Interviews, die mit einem Menschen geführt wurden und verdeutlichte dabei auch eventuelle situations- oder zeitabhängige Abweichungen (z.B. inhaltliche Unterschiede zwischen zwei verschiedenen Feldforschungsaufenthalten oder auch die Auswirkungen der Anwesenheit bestimmter Personen). Andererseits konnte durch das entworfene Deckblatt ein schneller Überblick über die verschiedenen Interviewpartner gewonnen werden. Trotz des zeitlichen Mehraufwandes hat sich das Anlegen der Interviewbögen

34 Eine Auflistung dieser Materialien ist im Anhang zu finden. 35 Vgl. Kapitel 3. 36 Alle Tagebuchnotizen, die hier nicht festgehalten werden konnten, wurden in einem extra Dokument gesammelt und geordnet.

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als große Hilfe erwiesen. Auch die, sofern eine Tonbandaufnahme vorhanden war, vollständig transkribierten biographischen Interviews, sowie deren Auswertung und Interpretation wurden an die Interviewbögen angehängt. Alle Interviews wurden einer Themenanalyse (welche Themen werden angesprochen, wie werden diese diskutiert) und einer Gesprächsanalyse (warum werden wann von wem welche Themen/Argumente eingebracht) unterzogen. Hier konnten auch weitere Beobachtungen während der Interviewsituation eingebunden werden. Diese Analysen wurden wiederum in den Interviewbögen festgehalten. Die in den verschiedenen Interviews gegebenen Informationen wurden dabei auch miteinander verglichen, wenn sie ein ähnliches Thema betrafen. Die soziale Position des Interviewpartners wurde dabei in der Analyse immer beachtet. Die geführten biographischen Interviews wurden in unterschiedlicher Hinsicht ausgewertet. Auf der einen Seite wurden die in den autobiographischen Erzählungen zum Ausdruck kommenden Muster, über die Konversion zum Islam zu sprechen, untersucht. Zur Ausarbeitung dieser Konversionsnarrative wurden alle biographischen Interviews herangezogen. Der Fokus dieser Analyse lag allerdings auf den Konversionen zum Islam. Genauer betrachtet wurden dabei 21 biographische Interviews, bei denen keine Konversionen zum Christentum vorlagen (die zwar als Hintergrundinformationen und kontrastive Vergleichsmöglichkeit in die Arbeit einflossen, in den folgenden Schritten aber die Komplexität noch mehr erhöht hätten) und genügend Datenmaterial vorhanden war. Von diesen 21 biographischen Interviews lagen 11 in transkribierter Form vor. Zum Teil wurde die Gewichtung der einzelnen Sequenzen und Erzählungsinhalte auch quantitativ erfasst. Dabei wurden Wörter und einzelne Passagen gezählt, um deren Gewichtung innerhalb des Interviews festzustellen. Zusätzlich zu den biographischen Interviews wurden hier auch andere, in Buchform, als Audiokassetten oder auch im Internet publizierte Konversionserzählungen von Muslimen aus Ostafrika ausgewertet. Dadurch wurden diskursive Grundmuster und Praxen herausgearbeitet, die die Konversionserzählungen der Muslime in Ostafrika beeinflussen und prägen. Aus allen erhobenen Autobiographien wurden auf der anderen Seite standardisierte Kurzbiographien erstellt (auch diese wurden in den Interviewbogen integriert), aus denen einige demographische Daten (Alter bei der Konversion, religiöse Prägung, Schulabschluss, Häufigkeit des Religionswechsels etc.) auch quantitativ ausgewertet wurden. Diese Lebensverläufe und die daraus ableitbaren Konversionskarrieren dienen als wichtiges Material, um Konversion zum Islam im heutigen Ostafrika zu verstehen und die genauer ausgewerteten Interviews im religiösen, sozialen und politischen Kontext zu verorten. Zur genaueren Einord-

200 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION

nung der Lebensverläufe wurde eine Zeitlinie der politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen in Ostafrika entworfen, um den Kontext der Biographie, also der erzählten und erlebten Lebensgeschichte, herauszuarbeiten. Die vollständig transkribierten biographischen Interviews wurden einer feineren Auswertung unterzogen. Hierbei wurden die biographischen Angaben in den Interviews, die von den jeweiligen Konvertiten verwendeten Konversionsnarrative und weitere während der Feldforschung gewonnene Informationen und Beobachtungen gegenübergestellt. Um den Lebensverlauf und seine Deutung zusammen zu erfassen, orientierte sich die Auswertung der transkribierten Interviews an der von Gabriele Rosenthal entwickelten Methode der ›biographischen Fallrekonstruktion‹, bei der die erzählte und erlebte Lebensgeschichte getrennt ausgewertet und diese zwei Stränge anschließend miteinander kontrastierend verglichen werden (vgl. dazu Rosenthal 1995).37 Zudem wurden die individuellen Entscheidungsprozesse, die in einer Konversion endeten, und die Folgen dieser Veränderung untersucht. Diese Auswertungsmethode der rekonstruktiven Fallanalyse beruht auf dem Prinzip der Abduktion, einer hermeneutischen Rekonstruktion, bei der die temporale wie auch die thematische Struktur der Lebenserzählung sequentiell analysiert wird. Jede Handlung wie auch Erzählung stellt eine Auswahl zwischen möglichen Alternativen dar. Diese Vielzahl der Möglichkeiten muss erfasst werden, um eine »Kontrastfolie der ›objektiven Möglichkeiten‹ ...« (Rosenthal 1995, 214) zu generieren. Dieser Schritt erfolgte teilweise in Kooperation mit einer Forschungswerkstatt. Nach einer Durchsicht aller Interviews wurden einige (unter anderem die in Kapitel 6-9 dargestellten) auszuwertende Biographien ausgewählt, um anhand dieser die verwendeten Konversionsnarrative weiter auszuarbeiten und ihre Stellung innerhalb der erzählten Biographie genauer zu untersuchen. Die Auswertung der einzelnen Interviews begann wiederum mit der Analyse derjenigen biographischen Daten, die kaum an eine Interpretation gebunden sind, wie Geburt, Familiengröße, Bildung etc. in ihrem zeitlichen Ablauf. Hier können bereits Ausgangsprobleme festgestellt und der Handlungshorizont beschrieben werden. Im zweiten Schritt wurde das Interview Sequenz für Sequenz nach der jeweiligen Textsorte (Argumentation, Beschreibung und Erzählung) und Funktion der Darstellung im Interview analysiert. Dadurch konnte eine systematische Einbettung von Erlebnissen in spezifische Felder und die Nicht-Thematisierung von kopräsenten Themen herausgearbeitet werden. Im dritten Schritt wurde die Fallgeschichte rekonstruiert. Die im ersten Schritt nicht beachteten biographischen Daten wurden mit den Selbstdeutungen des Biographen kontrastiert. Der Fokus lag dabei auf der bio-

37 Die Methode baut auf der von Fritz Schütze entwickelten Narrationsanalyse auf.

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DER

BIOGRAPHIEFORSCHUNG

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graphischen Bedeutung von Erlebnissen in der Vergangenheit, das heißt wann und in welcher biographischen Konstellation geschieht etwas und wie wird dies in die erzählte Lebensgeschichte eingebunden. Im letzten Schritt erfolgte die Kontrastierung der erzählten mit der erlebten Lebensgeschichte. Die Aufmerksamkeit galt dabei besonders den Mechanismen der Auswahl von Erlebnissen und deren Präsentation, sowie der Funktion der Präsentation für den Biographen aber auch der biographischen Erfahrungen, die zu dieser Präsentation geführt haben. Darstellung der Forschungsergebnisse Wie bei der Analyse der erhobenen Daten wurde bei der Darstellung der Ergebnisse versucht, die zu Beginn des Kapitels darstellte Kritik an bisheriger ethnologischer Biographieforschung zu berücksichtigen. Auch wenn die Darstellung natürlich nicht mit der Auswertung gleichzusetzen ist, wurde die Interpretation aus den Interviewpassagen heraus entwickelt wiedergegeben, um sie besser nachvollziehbar zu machen. Für jedes Kapitel wurden einzelne biographische Interviews ausgewählt, in denen das jeweils besprochene Narrativ eine besonders große Rolle spielt. Die Interviews werden jeweils ausführlich dargestellt, insbesondere durch Ausschnitte aus dem Interviewtext, und interpretiert. Dabei wird gezeigt werden, dass mit den dominierenden Narrativen und der damit verbundenen Sinngebung für die Konversion zum Teil auch ein bestimmter Umgang mit den daraus resultierenden Veränderungen und neuen Möglichkeitsräumen verbunden ist. In die Interpretation der Interviews fließen auch Beobachtungen und Erlebnisse mit den Interviewpartnern während der Feldforschung ein. Zudem wurde versucht, implizit angesprochene Motive mit aufzunehmen. Diese Art der Auswertung und Darstellung erhebt dabei keinen Anspruch auf eine Erklärung der Gründe der Konversion, diese werden zu sehr von der Erzählung selbst überlagert und verändern sich zudem über die Zeit hinweg. Dahingegen soll gezeigt werden, wie der Konversion Sinn verliehen wird. Allerdings lassen sich, wie in Kapitel 4 gezeigt wurde, die Ebenen des Erzählens und des Erlebens nicht trennscharf auseinanderhalten, sondern fließen ineinander. Durch die hier dargestellten Interviewtexte, Beobachtungen und Interpretationen des Interviews lässt sich jedoch eher auf die Umgangsweise mit dem Islam nach der Konversion schließen, als auf die zum Teil vielfältigen Gründe bzw. Ursachen der Konversion. In einem zweiten Teil der Kapitel werden Phänomene betrachtet, die eng mit dem jeweiligen Konversionsnarrativ zusammenhängen und somit eine weitere Einordnung ermöglichen sollen.

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Einige weitere in Ostafrika vorkommenden Arten über Konversion zu sprechen, wurden in diese Arbeit nicht mit aufgenommen. So wurde das vor allem in christlichen Konversionserzählungen in Ostafrika vorkommende Narrativ der ›Konversion als Heilung‹ nicht betrachtet. Es wurde nur ein einziges Mal, in einem Interview mit einem Muslim, der über die Konversion seiner Mutter zur Legio Maria sprach, angeführt.38 Ebenso wurde ein Narrativ, das als ›Konversion als innere Befriedung‹ bezeichnet werden könnte, nicht aufgenommen, da es nur in einem der geführten Interviews (und zusätzlich in einem im Internet publizierten Interview) eine Rolle spielte. Schließlich wurde das Narrativ der ›Konversion als Aufstieg‹ oder aus materiellen Gründen nicht mit in die Darstellung übernommen, da dieses Narrativ lediglich in Erzählungen über Konvertiten verwendet wurde, aber nicht von ihnen selbst. Dies ist dadurch verständlich, da Konversionserzählungen immer auch die Plausibilität und Ernsthaftigkeit der Konversion bezeugen und deren Anerkennung durch die religiösen Gemeinschaften gewährleisten sollen. Da eine Konversion, die nicht aus Glauben, sondern aus materiellen Gesichtspunkten heraus erfolgt, eher abschätzig betrachtet wird, wird dieses Narrativ meist in Erzählungen über Konversionen zur jeweils anderen Religion verwendet. Soziale Netzwerke, und zum Beispiel der Glaubenswechsel aus Gründen der Heirat, werden hier nicht als wichtiger Faktor gerechnet und fallen aus dieser Gegenüberstellung zwischen ›richtiger‹ und ›falscher‹ Konversion heraus. Die Namen der Interviewten wurden im Text geändert, um ihre Privatsphäre zu wahren. Ebenso wurden Ortsbezeichnungen verändert, wenn dies Rückschlüsse auf die Betreffenden ermöglichen würden, natürlich ohne den Sinngehalt der Darstellung zu verändern. In dieser Arbeit sind daher auch keine Fotos der Interviewpartner zu finden, da ihnen Anonymität zugesichert worden ist. Zitate und Textauszüge wurden, wenn diese vorlagen, eingesetzt. In anderen Fällen wurden die Aussagen sinngemäß wiedergegeben und entsprechend markiert. Die Zitate wurden so genau wie möglich dargestellt, nur einige leseerschwerende Wiederholungen und Füllworte wurden entfernt. Deshalb wurden zum Teil auch grammatikalische Fehler in den Interviewpassagen stehen gelassen. Es wurde eine einfache Transkription verwendet, die zwar Pausen, Verhaspeln, stockendes Sprechen sowie nicht verständliche Passagen (--) verdeutlichen, aber nicht darüber hinausgehen. Wurden einige Passagen des Interviewteiles herausgenommen, wurde dies mit Auslassungszeichen ([...]) gekennzeichnet. Nicht alle in den Interviewpassagen auftauchenden Aspekte wurden in den folgenden Interpreta-

38 Jumah, 2005, Kisumu. Die ›Legio Maria‹ ist eine in Westkenia in den 1960er Jahren entstandene afrikanische Abspaltung von der römisch-katholischen Kirche.

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DER

BIOGRAPHIEFORSCHUNG

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tionsteilen beleuchtet, sondern nur die Aussagen, die für die biographische Darstellung und die Interpretation der Narrative eine Rolle spielen.

III Formen von Narrativen über die Konversion zum Islam in Ostafrika

Einführung

Die erhobenen und gesammelten Autobiographien und Konversionserzählungen unterscheiden sich voneinander deutlich im Hinblick auf die erzählten individuellen Lebensverläufe und Konversionserlebnisse. Sie folgen aber einer ähnlichen Grundstruktur, dem zeitlichen Ablauf, der Erzählung. Des Weiteren lassen sich vier verschiedene Narrative der Erzählung auf thematischer Ebene unterscheiden, die die Erzählungen beeinflussen und formen. Ähnlich wie von Ulmer (1988) beschrieben (vgl. 167 ff.), wurde in den von mir erhobenen biographischen Interviews die Konversion als zentrales Element für die gesamte Biographie dargestellt. Um sie herum baut sich die Grundstruktur der Erzählungen auf. In fast allen Fällen folgt die Erzählung einer zeitlichen Chronologie von der Kindheit, hört aber häufig abrupt mit der Konversion auf. Erst auf Nachfrage wurde über die durch die Konversion ausgelösten Veränderungen, individuelle Wandlungsprozesse wie auch Reaktionen der Familien und des weiteren Umfeldes, erzählt. Insbesondere in Bezug auf die Familie wurde meist eine anfängliche Ablehnung der Konversion geschildert, die aber bald nachgelassen habe, da kaum eine Veränderung stattgefunden habe. Diese Kontinuität wird aber nicht nur in Bezug auf die Zeit nach der Konversion geschildert, sondern spielt auch für die vorkonversionelle Erzählung eine große Rolle. Eine deutliche Mehrheit der Interviewpartner in Ostafrika gab an, Religion sei schon in der Zeit vor der Konversion ein wichtiges Thema für sie gewesen. Dies wird zum einen durch die Teilnahme an religiösen Gruppen und den Besuch von Bibelstunden, zum anderen durch die häufige Beschäftigung mit dem Christentum oder der Bibel illustriert. Häufig wird dieses Interesse schon in der Kindheit angesiedelt. Die Beschreibung der Nähe zur Religion ist meist relativ kurz gehalten, findet sich jedoch sogar in Erzählungen wieder, in denen Religion sonst nur eine geringe Rolle spielt. Der Prozess der Konversion wird dann als individuelle Auseinandersetzung mit Religion beschrieben. Nur selten wird der Einfluss von Freunden oder durch Literatur erwähnt. Biographische Krisen stellen

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dagegen in dem von mir erhobenem Material nur in wenigen Fällen ein wichtiges Element der Konversionserzählung dar. In einigen Interviews wurden private Veränderungen (wie zum Beispiel ein Ortswechsel) benannt, die aber nicht als krisenhaft charakterisiert wurden. Die Schilderung der eigentlichen Konversion nimmt nur sehr wenig Erzählzeit und keine zentrale Rolle ein. Auffällig war dabei, dass es häufig keine Erinnerung an das Datum des bewussten und öffentlichen Glaubenswechsels gab und über den Akt des Übertrittes nur in sehr allgemeinen Aussagen gesprochen wurde, meist ohne jede Emotionalität. Der Höhepunkt der islamischen Konversionserzählungen in Ostafrika ist dagegen die Darstellung des Weges hin zur Konversion. Betont wurde aus diesem Grunde häufig die Prozesshaftigkeit der Konversion, Durch die Auswertung der Konversionsbiographien wurden die vier wichtigsten Narrative, über Konversion zum Islam im heutigen Ostafrika zu sprechen, herausgearbeitet: 1) Konversion als soziale Reorientierung, 2) Konversion als moralische Festigung, 3) Konversion als intellektuelle Entscheidung und 4) Konversion als Grenzziehung. Diese werden jeweils in einem eigenen Kapitel vorgestellt. Diese Narrative sind in den einzelnen Konversionsbiographien jedoch selten einzeln vorzufinden, sondern überlagern sich in den Erzählungen. Dies geschieht in etwa wie bei Druckplatten in einem Mehrfarbendruck. Diese ergeben erst zusammen ein Gesamtbild, in dem allerdings einzelne Farben stark dominieren können.

6 Konversion als soziale Reorientierung

Konversionen bedingen neben einem mehr oder weniger starken innerlichen Wandel auch immer eine Veränderung der sozialen Positionierung. In einigen Erzählungen stehen diese Prozesse der Einrichtung oder Suche und der damit verbundenen Reorientierung innerhalb des sozialen Feldes1 im Vordergrund. Im Rahmen dieses Narrativs werden Versuche der Positionierung beschrieben, die stets in Veränderung begriffen sind. Es wird weniger die Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe in den Vordergrund gerückt, wie dies bei dem im Kapitel 9 besprochenen Narrativ der ›Konversion als Grenzziehung‹ der Fall ist, sondern es geht um Grenzüberschreitungen und die Verbindung verschiedener Perspektiven in einem Lebensmodell. Dieses Narrativ ist besonders wichtig in biographischen Erzählungen, in denen religionsübergreifende soziale Netzwerke eine Rolle spielen. Deshalb werden eher Gemeinsamkeiten zwischen Religionen und Glaubensrichtungen als Unterschiede erwähnt. Der Bezug auf eine, zum Teil als religionsübergreifend beschriebene, Spiritualität stellt eine der Möglichkeiten dar, unterschiedliche religiöse Systeme zu vereinigen. Die stellenweise sehr persönlichen Erzählungen sind geprägt von Beschreibungen, die zeigen wie auch in der neuen Religion versucht wird, das eigene Leben beizubehalten, ohne sich

1

Die Begriffe ›soziales Feld‹ bzw. ›religiöses Feld‹ werden in dieser Arbeit rein deskriptiv verwendet. Die bourdieusche Konzeption der verschiedenen sozialen Felder (vgl. zum Feldbegriff im Allgemeinen Bourdieu & Wacquant 1996, 126-137 und zum religiösen Feld im Besonderen Bourdieu & Egger 2000) ist stark auf eine Wechselwirkung zwischen den Feldern zugeschnitten und damit auf die Fragen nach Herrschaft, Definitionsmacht und den in diesen Auseinandersetzungen eingesetzten Kapitelsorten. Diese Herangehensweise kann spannend für die Untersuchung einzelner islamischer Gruppen, bzw. Missionsbewegungen, innerhalb des religiösen Feldes sein (vgl. z.B. Schiffauer 2006 über die Religionsgemeinschaft Milli Görüs), entspricht aber nicht der Fragestellung dieser Arbeit.

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nur einem Weg zu verschreiben. Konvertiten, die dieses Narrativ stärker verwendeten, waren häufig auf einer ständigen aktiven Suche nach Nischen und Bündnispartnern innerhalb des religiösen Feldes. Sie nutzten die muslimische Gemeinde als neues Aktivitätsfeld, um ihre eigenen Ideen umzusetzen. Dieses Narrativ wurde insbesondere von vielen Frauen verwendet, die durch die Heirat zum Islam konvertiert sind. Hier wird also ein Umgang mit Religion beschrieben, der von anderen Wissenschaftlern oft nicht als Konversion, sondern als Alternation (z.B. Wohlrab-Sahr 1999) oder Synkretismus bzw. ›bricolage‹ (vgl. Comaroff 1985; Comaroff 1991) bezeichnet wird. Dabei wird oft übersehen, dass die Konvertiten, trotz des Bemühens um äußerliche Stabilität, sehr wohl über die religiösen Implikationen ihres Handels nachdenken und es so auch zu inneren Wandlungsprozessen kommen kann, selbst wenn am Anfang ein Austesten der neuen Religion steht. Zuerst wird die Konversionserzählung Badias vorgestellt, die die Fokussierung auf soziale Reorganisationsprozesse besonders verdeutlicht. In ihrer Erzählweise lassen sich zudem Verschiebungen erkennen, die mit ihrem immer wieder veränderten Verhältnis zu Islam und Christentum zusammenhängen. Danach folgt die Konversionserzählung Bilals, der zwar, wie fast alle Männer, stark das Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ verwendet, zugleich aber auch verdeutlicht, dass Konvertiten versuchen, in den sich ihnen bietenden Möglichkeitsräumen ihre Position zu finden. Abschließend werden diese Konversionserzählungen mit einer Einordnung als Alternation kontrastiert, um zu zeigen, dass solch eine klare Grenzziehung zwischen Konversion und Alternation, wie sie von vielen Wissenschaftlern aufgenommen wurde (vgl. Kapitel 4), nur sehr schwer anwendbar ist. Gleichwohl wird gezeigt, dass in einigen Fällen materielle Gesichtspunkte einen wichtigen Einfluss auf Konversionen haben können. Allerdings reicht dies nicht dafür aus, hier eine Konversion auszuschließen. In diesem Kapitel wird auch auf das Phänomen der Mehrfachkonversionen eigegangen.

6.1 B ADIA : »I

HAD TO CONVERT , IT ’ S MY CHILDREN WHO CHANGED ME «

Badia war eine meiner wichtigsten Kontaktpersonen in Nakuru. Ich habe sie während meiner drei Aufenthalte in Kenia mehrfach besucht. Sie hat mich oft an die Hand genommen und mir neue Kontakte, derer sie eine schier unerschöpfliche Anzahl zu haben scheint, vermittelt sowie mich auf neue Entwicklungen in der Stadt und der islamischen Gemeinde hingewiesen. Kennengelernt hatte ich

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Badia durch die damalige ›womens chairperson‹ der SUPKEM in Nakuru. Durch unseren engen und häufigen Kontakt habe ich bei Badia auch eine Veränderung ihrer Rolle als Muslima verfolgen können. Badia wurde 1962 in Nakuru geboren und wuchs in einem armen Elternhaus auf. Ihr Vater arbeitete als Tagelöhner bei der KFA (Kenya Farmers Association). Beide Elternteile waren katholisch, da ihr Vater wegen seiner Ehefrau zur katholischen Kirche gewechselt war. Sie war das Älteste von 13 Kindern und ging bis zur 9. Klasse in die Schule2, musste dann aber wegen fehlender finanzieller Mittel für Schulgebühren die Schule verlassen, obwohl sie gerne Journalismus studiert hätte. Ihr Vater drängte sie, einen Geschäftsmann ihrer ethnischen Gruppe zu heiraten. Badia half ihrem Mann ein Handelsunternehmen aufzubauen und zusammen erarbeiteten sie sich einen gewissen Wohlstand. Nach einer Weile kauften sie zwei Lastwagen, um mehr Waren (v.a. Mais) transportieren zu können. Später besaßen sie einen Metallwarenladen, Land und eine Tankstelle. Badia arbeitete nach der politischen Liberalisierung in Kenia 1992 in den 1990er Jahren außerdem eine Zeit lang als Politikerin, unter anderem als regionale Koordinatorin der NDP (National Development Party) fürs Rift Valley. Badia hatte vier Kinder, drei Söhne (2004 waren sie zwischen 15 und 19, 2009 starb einer von ihnen) und eine ältere Tochter. 1998 trennte sich Badia jedoch von ihrem Ehemann und verlor dabei fast den gesamten während der Ehe erarbeiteten Besitz. Allerdings besaß sie 2004 in einem armen Stadtteil, in dem sie selbst auch wohnte, zwei kleine Wohnungen, die sie vermietete.3 1999 wurde Badia für eine Zeit Mitglied einer Baptistengemeinde. Im Jahr 2000 konvertierten zwei ihrer Söhne zum Islam. Nach nicht ganz zwei Jahren folgte ihnen Badia. Bis auf ihre zwei muslimischen Söhne reagierte ihre Familie mit Ablehnung auf ihre Konversion. Dies wurde durch eine 2004 geschlossene zweite Ehe mit einem sechs Jahre jüngeren Aktivisten der Tablighi Jama'at noch verschärft. Unsere ersten Gespräche waren stark von den Eindrücken dieser neuen Ehe geprägt. Bei unserem Wiedersehen 2005 hatte sie sich mit ihrer Mutter versöhnt. Grund dafür war, dass auch Badias zweite Ehe gescheitert war. Badia war immer noch in der Tablighi Jama'at aktiv, daneben arbeitete sie in einer Umweltgruppe

2

Das damalige Bildungssystem orientierte sich stark am englischen und war nach dem Muster 7-4-2-3 (Grundschule - zweistufige Sekundarschule - Universität) aufgebaut. Badia verließ die Schule nach Form 2.

3

Diese Miteinnahmen in Höhe von rund 20.000 KSh/Monat (zum Zeitpunkt der Forschung 2004/2005 entsprach das rund 200 €), die ihren Angaben zufolge nicht unbedingt regelmäßig gezahlt werden, stellen ihre gesamten Einnahmen dar.

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in der Nachbarschaft mit. Nach wie vor hatte sie ein großes Netzwerk, bestehend hauptsächlich aus Muslimen, Nachbarn und ein paar Freunden aus ihrer Zeit als Politikerin. Als ich sie 2007 das letzte Mal traf, war sie in ein Hausbauprojekt involviert, das auf ›revolving saving funds‹ und günstigen Krediten der Regierung basierte. Da viele Muslime letztere allerdings als ›haram‹ (verboten, Tabu) ansähen, seien kaum Muslime in das Projekt eingebunden. Zudem war sie nicht mehr so stark in der Tablighi Jama'at aktiv, hatte dafür aber Beziehungen zur schiitischen Gemeinde und zu sunnitischen Sufi-Gruppen aufgebaut. Darüber hinaus traf sie sich wieder verstärkt mit christlichen Freunden, z.T. auch aus ihrer Zeit als Politikerin. Zu einem von diesen sagte sie fast verschämt: »I am not really converted«. Auch wenn sie sich etwas von der islamischen Gemeinde weg bewegt hat, lebt und kleidet sie sich aber noch immer als Muslima. Externalisierung – Konversion aufgrund äußerer Faktoren Badia wurde mir als eine Frau vorgestellt, die nicht wegen ihres (zukünftigen) Ehemanns zum Islam konvertiert sei. Sie selbst betonte immer wieder im Laufe verschiedener Treffen, dass sie nur aufgrund ihrer Söhne Muslima geworden sei: »It’s my children. My two boys converted into Islamic. When ..., whenever I slaughtered a chicken (leise Stimme, Hintergrundgeräusche) they wanted a Muslim man or woman to pray for it. If they didn’t, they were not going to eat. [...] During Ramadan, you know, they have to fast so they don’t cook in the days of fasting. [...] So I started also getting used to it. It’s me who cooks for them. Because I know what they want. [...] So it’s me who cooks for them. So I used to fast with them. (Pause) Until ... one day I decided also to become a Muslim because I, I feel ... . Sometimes I cook for them a sausage, when they ask. [...] They refused and they don’t eat until… . I had to convert. It’s my children who changed me, not somebody else.« (2004)

Ihre Angst vor einer Enttäuschung und Entfremdung der zwei Söhne scheint alle anderen Konsequenzen der Konversion zu überlagern. Während sich Badia meist als aktiv handelnde und eigenverantwortliche Frau darstellt, wirkt diese Entscheidung zum Islam zu konvertieren von außen herangetragen. Für sie schien keine andere Möglichkeit offen zu bleiben, als ihren Söhnen in den Islam zu folgen und sich in diesem Feld so gut wie möglich zu orientieren und zurecht zu finden.

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Ihre Söhne waren zum Zeitpunkt der Konversion noch sehr jung, gerade einmal 10 bzw. 12 Jahre alt.4 Selbst Badia wusste nicht genau wie und wodurch sie zum Islam konvertiert sind, wahrscheinlich hätten Freunde da eine große Rolle gespielt. Statt wie ausgemacht in die Sonntagsschule seien sie mit ihren Freunden zur madrasa gegangen. 2005 erzählte sie mir diese Geschichte noch einmal, mit nur gering geändertem Wortlaut: »But those who went to become Muslims were my boys. When I used to slaughter a hen they could not eat, they said I am a kafir [Ungläubige]. [...] When I bought them samosas they could ask where I bought them. I told them in a hotel and unless it’s a Muslim hotel they could not eat. It took me a long time to know why they could not eat sausages. Even if you tell them this is not pork they could not eat. These children are the ones who made me become Muslim, because when they fasted I used to fast with them. You cannot just cook and your children don’t eat. My children were very serious. It took me almost two years and I used to do what they wanted, but you know, it’s so difficult because you don’t know what to cook for them, what they don’t want, because sometimes you cooked and they said ›Thank you Mama‹. You feel guilty because they are small kids and they don’t want to eat, then I joined Islamic and I enjoyed because as per now the way I am feeling, I am lonely but I have God with me.« (2005)

Während sie die Rolle ihrer Söhne für ihre eigene Konversion explizit anspricht, erwähnt sie weitere Umbrüche ihres Lebens, die sich in der Zeit der Konversion abgespielt haben, nur am Rande, bzw. bringt diese nicht mit ihrer Konversion zusammen. Das Scheitern ihrer Ehe 1998 wirkte noch stark in den Interviews von 2004 und 2005 nach. Badia hatte ihren Ehemann auf Druck ihres Vaters hin und gegen ihren eignen Willen mit Anfang 20 geheiratet. Trotzdem blieben sie rund 15 Jahre zusammen. Sie sprach nie explizit über die Zeit ihrer Ehe, machte aber immer wieder Andeutungen über erlebte Enttäuschungen: »My husband, my former husband didn’t have time for me. He came at night when he was drunk.« Auch über den Ablauf und die Gründe der Trennung von ihrem Mann sprach sie selten. Mal betonte sie, er habe sie verlassen: »But when he knew that I know business, he left me.« (2004). An anderer Stelle scheint sie wiederum die treibende Kraft hin zur Trennung gewesen zu sein: »So you know, when you

4

Auch wenn dies sehr jung erscheint, ist es durchaus möglich, dass beide sich selbst als Muslime darstellten. Vier Jahre später konnten sie diesen Prozess nicht mehr genau nacherzählen.

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break up with somebody, and you didn’t know that you are going to stay without money just like that, you know, you get sick.«5 (2004). Am meisten sprach sie jedoch im Zusammenhang mit der Trennung von ihrer enttäuschten Hoffnung, dass er zu ihr zurückkehren möge (er hatte wieder eine andere Frau) und davon, dass er ihr fast allen während der Ehe erwirtschafteten Besitz vorenthielt. »Then I said I can’t go back to him again. But ... you know, women go to a man who is rich. They don’t know where he got that money from, but it’s me. I was buying maize, I was looking outside with the lorry. At night moving maize from the shamba [Feld] to Nairobi and yet he got this property. And even the wealth that he has is from me.« (2004) »So when my father heard that I came out without anything, he knew where we had reached and he was more affected than my mother. She said as long as he didn’t kill me. I told my mother that he could have given me my share. You know I have children. I cannot throw them away. God is there, I need to work hard till I bought these clothes. It was God’s grace that I bought things and this is where I am.« (2005)

Mit dieser Ungerechtigkeit haderte sie auch noch lange nach der Trennung. Ihr Wechsel erst zur Baptistengemeinde 1999, und ihre spätere Konversion zum Islam 2001 sind auch aus dieser Enttäuschung und dem Versuch eines Neuanfanges zu erklären. In die Baptistengemeinde trat sie ein, nachdem Freunde sie dorthin mitgenommen hatten. Sie begann dort im Chor mitzusingen. Beim Singen habe sie oft unglaublich intensive Gefühle gehabt, so dass andere sie sogar baten, sie wegen dieser starken Spiritualität zu segnen. Sie sei »very serious« gewesen und sei dies nun auch im Islam (»no lies, no gossip«). Allerdings erzählte sie, sei sie skeptisch geworden als ihr Pastor plötzlich Spenden für ein eigenes Auto sammelte. Dabei seien die Gemeindeglieder genauso arm wie er. Kurz vor ihrer Konversion zum Islam habe sie dann gar nichts mehr gespendet. Diese Erfahrung stellte für Badia die zweite Enttäuschung innerhalb einer relativ kurzen Zeit dar. Für beide Versuche einer religiösen und sozialen Neuorientierung gilt aber, dass Badia zwar ihre Eheprobleme im Hintergrund benennt, diese aber nicht als

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Auch wenn hier von einer Krankheitserfahrung gesprochen wird, ordnet Badia diese nicht in den Kontext der Konversion ein, sondern sieht eine Lösung in der neuen Ehe, die sie 2004 eingegangen war.

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Auslöser der Konversion thematisiert. Nur in einem kurzen Gesprächsabschnitt kam dieser Zusammenhang zur Sprache: »Then people have been coming to me wondering, just staring now at me, because they said, this woman just became a Muslim. So I have been telling them, that I’m still waiting for my husband. But if they asked me not to convert to a Muslim, I said let him come first.« (2004)

Der Wechsel zu einer anderen religiösen Gemeinschaft im Zusammenhang mit dem Warten auf ihren Ehemann erscheint hier fast als eine Trotzreaktion und als eine Strafe für die Gesellschaft bzw. Gemeinschaft. Auch an dieser Stelle macht Badia ihre Konversion an äußeren Einflüssen, dem Verhalten ihres Ehemannes, fest. Allerdings wirkt diese Variante der Erzählung selbstbezogener als die von Badia gewählte ›offizielle‹, nach außen gerichtete, Darstellung ihrer Konversion, die ihre mütterliche Liebe als Ursache in den Mittelpunkt stellt. Nicht nur in familiärer, sondern auch in politischer Hinsicht waren die Jahre 1998-2002 eine einschneidende Umbruchszeit in Badias Leben. Auch hier verlor sie durch die Ereignisse ein Stückchen Heimat. Nachdem sie lange Zeit in den 1990er Jahren für die oppositionelle NDP (National Development Party), die ab 1994 durch den Beitritt Raila Odingas an politischem Gewicht gewann, gearbeitet hatte, verließ sie die Partei als diese zwischen 2000 und 2002 immer stärker mit der regierenden KANU zusammenarbeitete. Badia schloss sich danach der überparteilichen Bewegung Muungano wa Mageuzi (Movement for Change) an, die Ende 2000, unter anderem von James Orengo (SDP, Social Democratic Party, seit 2008 Landminister als ODM Abgeordneter) gegründet wurde und sich für eine neue, nicht von der Regierung beeinflusste, Verfassung einsetzte. Diese Bewegung zog große Menschenmassen an, wurde allerdings von Regierungsseite (Moi, aber auch durch seinen Konkurrenten Odinga) aufs schärfste bekämpft und hielt nur bis kurz vor der Wahl 2002. Diese wechselnden Koalitionen und die Korrumpierbarkeit von Politikern durch Macht haben Badia enttäuscht. Sie sei nach wie vor sehr interessiert an Politik, aber nicht mehr aktiv6: »But things changed. There is NAK, LDP, KANU ... . So you don’t know where to join. So you have to wait and see where that is leading to.« Diese Nicht-Thematisierung der Krisen, Enttäuschungen und Umbrüche als Ursache der Konversion steht in Gegensatz zu anderen Art und Weisen über

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2005 beteiligte sie sich noch einmal an einer Diskussion über eine neue Verfassung, allerdings nicht als Vertreterin einer Partei, sondern als Mitglied der Maendeleo Ya Wanawake, der 1952 gegründeten größten kenianischen Frauenorganisation.

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Konversion zu sprechen (vgl. Kapitel 4.3 und hier insbesondere Ulmer 1988). In Ulmers Theorie dient die Konversionserzählung dazu zu zeigen, dass die erlebte Krise, die für ihn immer grundlegend für eine Konversion ist, nicht mit herkömmlichen Mitteln zu lösen ist. Somit bleibt nur eine religiöse Lösung, um die Krise zu überwinden. Badia hingegen verhandelt ihre krisenhaften Erlebnisse nicht einmal ansatzweise in dieser Form. Im Vergleich zu anderen erhobenen biographischen Erzählungen werden hier die persönlichen Krisen zwar thematisiert, auch dies ist in Ostafrika nicht selbstverständlich, aber sie werden nicht ursächlich für die Konversion dargestellt. Auch Krankheitserfahrungen, die Ulmer anhand seiner Beispielen als Internalisierung der Krisen darstellt, werden von Badia in keiner Weise mit ihrer Konversion im Besonderen oder Religion im Allgemeinen verbunden. Sie sind vielmehr Ausdruck der Sorge um finanzielle Sicherheit. Sie stellt ihre Konversion dagegen als Reaktion auf äußere Faktoren, die Konversion ihrer Söhne sowie die Abkehr von ihrem Mann, dar. Diese Art der Schilderung kann auch damit erklärt werden, dass die Krise von Badia vor allem außen zu verorten ist, nicht in ihrem Inneren. Ihre Werte wandeln sich nicht, aber sie ist auf der Suche nach dem Ort und der Gemeinschaft, wo sie diese Werte leben kann. Zwiespalt und Rechtfertigung – »Even if my heart is cheating me, I have to follow it« Während unseres ersten Treffens 2004 nannte Badia mir als erstes ihren ›alten‹ Namen (den sie offiziell noch nicht geändert hatte), dann erst ihren ›neuen, muslimischen‹ Namen, den sie zwei Jahren zuvor im Zuge ihrer Konversion gewählt hatte: »You know, ok, I’m, I’m still ..., I’ve never even changed my name.« (2004) Mit diesem Geständnis ganz am Anfang des Interviews begann Badia ihre Erzählung. Die Formulierung einer Selbstbeschreibung fällt ihr schwer. Fast scheint es, als ob sie den Satzanfang »You know, I’m still ... « mit einem Geständnis fortsetzen würde, sie sei immer noch eine Christin. Auch wenn sie noch von dem ursprünglich gewählten Wortlaut abweicht und statt einer nicht erfolgten Konversion nun nur einen nicht erfolgten Namenswechsel angibt, wirkte dieser Interviewanfang stark entschuldigend, als ob sie selbst den Eindruck hätte, sie hätte den Namen schon längst ändern müssen. Einige andere der Interviewten befanden sich in einer ähnlichen Situation, benannten dies aber nicht so offensiv oder machten dies gar nicht zum Thema. Badia unterschied im Folgenden zwischen ihrem (eigentlichen) Namen und ihrem muslimischen Namen, als ob sie immer noch irgendwie dazwischen stünde. Hinzu kommt, dass viele Menschen

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sie auch nicht mit ihrem muslimischen Namen benennen, sondern nur ihren Namen aus der Zeit vor der Konversion verwenden. Auch bei unserem Wiedersehen nach einem Jahr meldete sich Badia am Telefon mit ihrem christlichen Namen.7 In der biographischen Erzählung und auch in ihren Handlungen versuchte sie dann jedoch zu zeigen, dass sie sich wirklich bemüht eine gute Muslima zu sein. Auch in ihren Erzählungen über ihren Ablösungsprozess von der Baptistengemeinde im Zuge ihrer Konversion zum Islam wird deutlich, wie schwierig und aufreibend die Rechtfertigung ihrer neuen religiösen Positionierung war und ist. In dieser Zeit der Entscheidung zwischen Christentum und Islam übte die Baptistengemeinde einen großen Druck auf Badia aus, um sie umzustimmen und zurückzuholen. Sie sei oft in der Nacht aufgewacht und habe geweint. »When you convert to another religion this changes a lot. First my pastor and all church [members] came because they were not expecting this from me. Because I was a very good singer [im Kirchenchor]. So when they heard that, they said maybe something was wrong with me or I was sick. The whole church fasted because of me. [...] I said that I don’t know which way to follow, but my heart is telling me to be Muslim, so I have to follow it. So even if my heart is cheating me, I have to follow it. I fast and pray for it, he [der Pastor] said. They were only giving me one day and the following day the women were to come. When the women came, they entered the gate and started singing ›Cha kutumaini sina ila damu yake yesu sina wema wakutosha…‹ [›My hope is built on nothing less than Jesus’ blood and righteousness‹ von Edward Mote] because I liked singing, you know. I felt like falling down and crying. I wanted to hide, but I could hide nowhere, because I had been waiting for them. They came without even greeting me, started to pray until they went down on their knees and cried. It took me another month of not knowing where to follow, Muslim or Christian. I cried to God to show me which way to follow. When I was praying my feeling told me to pray the way Muslims prayed. [...] Then after one week my pastor came and told me I want you to come to church on Sunday because you are our child and we love you and you are Gods child. Then I told him I would go to church. I went and sat at the back. I don’t know who saw me but one of the elders. I was watching them singing praise songs. I did not rise. The pastor told me to greet the congregation. I did not know how to greet them whether in the name of Jesus or what? (lacht) Then I said I greet you all in the name of God, but before I sat the pastor requested me to say goodbye to the members of the church. I said I was baptized in the church and nobody was going to baptize me again. Even if I was going to heaven I would say I was baptized

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In ihrer schriftlichen Korrespondenz verwendet sie sowohl ihren christlichen wie ihren muslimischen Namen.

218 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION in Baptist church. They said ›Amen!‹ (lacht) ›But as you know there was one day I told you to pray for me and my children, they were converted to Islam. And you prayed, thank you for the prayers, but I think God ascended me to Islam. I thank God because this is my church, I built it, [we] prayed together, but I am still praying for God if he is going to change me.‹ Then they asked me to go and collect sadaka [Swahili: Spende, Almosen]. I went round, everybody looking at me. When I finished, when we took the offerings, it was me to pray. You see the situation they put me through. I prayed in the name of Jesus. When I finished I went to sit. I watched them as they sang for the offering because the pastor wanted to come and start the sermon. I left. I think when they finished, they looked for me and could not see me. I had to leave.« (2005)

Im Gegensatz zu vielen anderen Interviewten macht Badia ihre Religiosität und die Ernsthaftigkeit ihres Glaubens an einer tiefen Spiritualität fest. Andere baten sie sogar sie zu segnen, ob dieser starken Spiritualität. Auch im oben stehenden Interviewausschnitt stellt sie in ihrer Erzählung dar, dass sie sich ganz in den Glauben hineingeben kann. Gleichzeitig zeigt dieses Zitat, wie schwer zum einen die Auseinandersetzung mit der christlichen Gemeinde und dem durch sie ausgeübten sozialen Druck war und welche Entscheidungsprozesse auf der anderen Seite von einem Menschen in solch einer Situation abverlangt werden. Insbesondere die Formulierung »even if my heart is cheating me, I have to follow it« verdeutlicht diese Unsicherheit, ob der neue auch der richtige Weg ist. Wie wichtig dieses Erlebnis für Badia war, wurde auch daran deutlich, dass sie mir diese Geschichte zweimal erzählte, einmal in kurzer Form 2004 und dann in ausführlicher Weise 2005. In diesem Interviewausschnitt wird darüber hinaus offensichtlich, welchen Stellenwert ihre Konversionserzählung auch für den Ablösungsprozess von ihrer alten Gemeinde einnimmt. Ihre Kinder und deren Konversion werden auch hier wieder genannt. Aber nicht nur gegenüber ihrer alten Gemeinde stand Badia unter dem Druck sich zu rechtfertigen und zu erklären. Auch ihre politischen Freunde und Aktivitäten wurden von ihrem neuen Lebensstil beeinflusst. Vor ihrer Konversion zum Islam ging sie häufig zu politischen Treffen, bei denen oft auch Alkohol getrunken wurde. Nach ihrer Konversion habe sich dies sehr verändert. Sie blieb nun zu Hause, auch dies sicherlich ein Grund politisch nicht mehr aktiv zu sein. »You know, before I became a Muslim, I used to come here (spricht sehr leise, fast flüsternd) You know I was a politician. [...] I don’t know what then happened, because I couldn’t go out. Even my friends, when they called me to come here, I said no, I’m committed. I’m ..., even if I’m not committed, I’m not going to come back.« (2004)

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Badia weiß selbst nicht so richtig, was nun genau geschehen ist. Mit diesen Folgen ihrer Konversion hatte sie offenbar nicht gerechnet. Die veränderte Lebenssituation, die ein Ausgehen wie bisher nicht zulässt, da sie ihre Konversion ernst nimmt und glaubhaft vertreten möchte, scheint auch hier wie von außen an sie herangetragen zu sein. Bei der Schilderung dieser Erlebnisse ringt Badia immer wieder nach Worten, sie scheinen ihr noch immer sehr nahe zu gehen: »I lost ... I lost a lot of friends. A lot of friends. You know, whenever they call me to go to certain places, I don’t go. Even if I didn’t drink, even if I could have sodas. (Pause) Even the men that used to call me like [Name eines Politikers mit dem sie bei Mageuzi eng zusammen gearbeitet hatte]. He used to call me, can we meet for lunch. But since I became a Muslim he didn’t call me. (lacht) Since I became a Muslim he didn’t call me. You know I ... (Pause) [Q: And do you feel sorry about this?] No. No, no,. Because I know I have God.« (2004) »Yes it’s lonely, I read books. I have a lot of books. I read, pray and sleep. But I have seen so many changes, because there’s nobody who comes and says, you know ... . A Christian woman cannot come to a Muslim woman and say I want a tape [Musik] because they fear Muslims, they say they are ›holy‹ [streng gläubig bzw. eng mit Gott verbunden und damit unnahbar]. They can’t even give you a tape. (lacht). And my mother is a Christian, Catholic, you can’t change her from catholic religion. I have tried to tell her to come to Muslim.« (2005)

Die Familie ist nach ihrer alten Gemeinde und ihrem Freundeskreis der dritte Ort der Auseinandersetzung und Aushandlung im Zusammenhang mit ihrer Konversion zum Islam. Nicht nur ihre Mutter reagierte eher negativ, sondern auch zwei ihrer vier Kinder. Insbesondere ihre Ehe mit dem islamischen Missionar Mahmud 2004 führte zu starken Konflikten innerhalb der Familie (ihr Vater war bereits 2003 gestorben): »The other two children are Christians. The point is that I … wanted to get my daughter. Even now, she has not agreed. She went away because she was annoyed. (Pause) She was annoyed when I, I was getting married. (Pause) She was praying, praying, screaming and [...] then she said, my mother is getting lost.« (2004) »He [ihr Sohn] is also a Christian and he was not arguing. He was angry when the knot was being tied [ihre Heirat]. He shouted. [Q: But he is still living with you?] No. He went to the grandmother’s house.« (2004)

220 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION »I love them because I have been trying to tell them to convert to Muslim, but they have refused. [...] I fast for them for God to give or change them, because I want us to be in one religion. You know, right now people are dying. They will not burry me as a Christian but as a Muslim. You know if one dies and is not a Muslim you will have to buy a coffin. I can’t neglect her, she’s part of you. This is why I have been trying for us to be in one religion. Maybe if God wants us to be converted into Muslim, we have to wait, we will have to call him to come and if he is not going to come ... . Because I don’t want..., its God who knows the right thing to do.« (2005)

Während ihre zwei christlichen Kinder also zu Verwandten gezogen sind, lebten ihre zwei muslimischen Söhne in der Zeit unseres Kennenlernens in einer Internatsschule.8 Badia war somit ganz allein zu Hause. Die Art wie sie mich zu sich eingeladen hat, wirkte als ob ihr das Alleinsein sehr schwer fiele. Badia möchte gerne, dass die ganze Familie konvertiert und somit in einer Religion ist, bzw. sie nicht mehr allein im Islam lebt. Dieser Einsamkeit versucht sie mit einer gesteigerten Religiosität zu begegnen, auch um anderen zu zeigen, dass ihre Konversion ihr Leben nicht verschlechtert hat.9 Selbstvergewisserung – »You know, when I changed, I took it seriously« Badia muss ihre Entscheidung, zum Islam zu konvertieren, jedoch nicht nur gegenüber der alten Gemeinschaft (der christliche Gemeinde, dem politischen Netzwerk und ihrer Familie) verteidigen, sondern sich ihrer auch immer wieder selbst vergewissern. Während die Rechtfertigung gegenüber den alten Gruppen im Falle Badias meist über die Konversionserzählung geschieht (erleichtert durch die Externalisierung des Grundes der Konversion), findet die Selbstverortung eher in einem Zwiegespräch und Vergleich von Lebenspraxen statt. Für diesen Vergleich zwischen christlicher und islamischer Praxis dienten ihr insbesondere 2004 vor allem ihre gescheiterte Ehe auf der einen Seite und ihre neue Ehe mit Mahmoud auf der anderen Seite als Rahmen. Der Vergleich be-

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Diese schiitische Sekundarschule befindet sich nur wenige Kilometer von ihrem Wohnort entfernt, trotzdem ist dieser Kontakt nicht mehr so eng, als wenn ihre Söhne noch in ihrem Haushalt leben würden.

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Im Falle ihrer Familie führt sie zudem einen praktischen Grund an, der für eine gemeinsame Religion spricht – die einfachere Bestattung. Auch wenn sie immer wieder betont, auch ohne Geld glücklich zu sein, spielt die Sorge um finanzielle Sicherheit für Badia eine große Rolle.

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zieht sich fast ausschließlich auf den Umgang zwischen Männern und Frauen. Von ihren eigenen Erlebnissen ausgehend verallgemeinert sie, um ihre derzeitige Positionierung darzustellen. »You know with Christianity, they don’t love each other. You know that, they don’t love each other. If you are poor … in Christianity, nobody comes to you. They only go to the rich. (Pause) But in Muslims we are all equal. Whether you are rich or not.« (2004)

Auch dieser Textabschnitt bezieht sich auf ihre Ehe und den Konflikt um den ehelichen Besitz, sowie ihre Klage, dass sie ihren Mann an eine andere verloren hat, die ihn nur des Geldes wegen geheiratet habe. Ebenso wird hier deutlich, dass sie sich nach der Trennung von ihrem Mann im Stich gelassen fühlte. Selbst für ihre Freunde und die christliche Gemeinde bedeute Geld sehr viel. Im Islam dagegen würden diese Unterschiede keine Rolle spielen. Kurze Zeit vorher hatte sie gesagt, »Only when I got into Mahmud’s life, I thought I’ll better marry somebody who does not have money, we start a new life.« Sie fühlte sich als Frau akzeptiert, auch ohne reich zu sein. Aber nicht nur das: »So that’s what I can say, that’s a good thing about Muslims. They don’t see your age, they don’t see your children. Because my children now are big. (Pause) And they accepted Mahmud. And he is 36. (lacht) The good thing about Muslims, they don’t see your tribe, because now Mahmud the mother is a Kikuyu and the father is from Tanzania.« (2004)

Weder Geld, noch Alter, noch Herkunft spielten eine Rolle. Außerdem erfüllte der Altersunterschied Badia sichtlich mit Stolz, sie wiederholte diesen Umstand sehr häufig. Vermutlich bedeutete dies für sie so etwas wie eine Wiedergutmachung für die Erlebnisse der ersten Ehe. Dass diese mit vielen Problemen verbunden war, lässt sich auch aus weiteren Andeutungen Badias (2004) schließen: »Also in Islam, your husband, if you are not ready for sex, he cannot force you. He cannot force you. He has to ask you and then you agree.« Badia sieht (unter dem Verweis auf Muslime) islamische Praxis und neue Handlungsmuster als Beweis wahrer Konversion an: »You know we the Muslims like each other very much, like we are friends, not even sisters. I don’t know if you are a Kikuyu or a German. When I cook I don’t cook little food, so other Muslims can come and we just eat. [...] We have no boundaries, we share what we have. They say just give and you become really converted into Muslim, so I give in the neigbourhood.« (2005)

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Neben der Hilfsbereitschaft nach islamischem Vorbild war es ihr immer sehr wichtig, zur richtigen Zeit zu beten. An einem der Tage, an denen sie mich eingeladen hatte, begann Badia ihr Gebet mitten in ihrem kleinen Zimmer unter drei Pilau essenden Menschen (mit großen, gut gefüllten Tellern in der Hand), immerhin schaltete sie den Fernseher aus. Danach erzählte sie mir, mit vollem Magen könne sie nicht gut beten, und nahm sich auch eine Portion. Auch wenn in solch einer Situation nicht unbedingt Muslime anwesend sind, so dient das Gebet doch als eine Demonstration der Ernsthaftigkeit ihrer Konversion. Ihr Wissen über den Islam hatte sich Badia selbst angeeignet. Sie ist nach ihrer Konversion nicht in eine madrasa gegangen, auch als ihre neuer Ehemann sie dazu aufforderte, sondern begann den Koran auf Englisch zu lesen: »Many Muslims don’t know Arabic, they only pray in Arabic, but they don’t know the meaning. Then I said, I have to get the meaning first. So that when I am reading, I can understand even when reading the story. But others only like the Koran. I bought a Koran in English. So I can translate as I read.« (2005)

Badia fühlte sich in ihrem Vorgehen und ihrem Bemühen, eine gute Muslima zu sein, von anderen Muslimen bestätigt und anerkannt. »They [Muslime] see me as if I was converted a long time ago because of the way I took myself. Even the Imams are saying, I know Islam. But I don’t know anything, only my faith. You know, when I changed, I took it seriously.« (2005)

Auch hier betont sie wieder, dass dies vor allem mit ihrem starken Glauben und ihrer Ernsthaftigkeit, und weniger mit dem Wissen, dass sie sich bereits angeeignet hatte, zusammenhinge. Verortung innerhalb der islamischen Gemeinde Auch wenn Badia, wie oben gezeigt wurde, von vielen Muslimen als eine der ihren anerkannt wurde, veränderte sich ihre Position in der Gemeinde im Verlauf der Zeit. Obwohl ich ihren Weg in der islamischen Gemeinde nur zwischen 2004 und 2007 mitverfolgen konnte, wurden schon in diesen drei Jahren sowohl in ihren Äußerungen als auch in ihren Netzwerken einige Verschiebungen deutlich. Bei unserem ersten längeren Interview 2004 erzählte Badia ihre Lebensgeschichte quasi von ›hinten‹, da die Ereignisse der letzten beiden Monate einen sehr großen Platz in ihrem Denken einnahmen. Sie hatte nur eine Woche vor unserem Interview geheiratet. Ihren um einige Jahre jüngeren Ehemann hatte sie

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erst einen Monat zuvor bei einer Veranstaltung der Tabligh Jama'at (vgl. Kapitel 3.1) kennengelernt, bei der sie seit kurzem aktiv war: »And I married the other day, Mahmud (Pause) who is younger than me. I am 42 and he is 36. They call it kusitiri.10 Kusitiri means that you cannot go and look for other men. It’s like protecting you not to have feelings when you see a man. We were in a jitimai. And he greeted me and said ›How are you?‹ I said ›Fine.‹ ›What’s your name?‹ I said ›Badia‹ ›And where are you living?‹ I told him and then he said ›Can you give me your telephone number?‹ And he called me. I don’t know what happened. Because it’s only a month. We had not even finished a month and we got married. Just like that. [...] He said ›You want to think?‹ I gave him two weeks. Two weeks later he came again to my house. I said ›I cannot. I have decided. This is not marriage. I have decided to sitiri you.‹ Then he went back. (lacht) Then he prayed and said he has to fast. He started fasting. For that marriage. So when he was fasting he called me again. He said ›I can. I can marry you tonight. (beide lachen) That was on the twenty-ninth of last month.« (2004)

Das Zusammentreffen mit Mahmud stellte aber auch noch in anderer Hinsicht ein signifikantes Erlebnis dar. Vor dieser Ehe hatte Badia zwar schon begonnen, sich intensiver mit dem Islam zu beschäftigen, durch ihren neuen Ehemann wurde sie jedoch viel aktiver in der Tablighi Jama'at. Unter anderem leitete sie später eine Frauengruppe und stellte ihren Stromanschluss für Missionsveranstaltungen in ihrem Stadtteil zur Verfügung. Seine Arbeit bei dieser Gruppe charakterisierte sie folgendermaßen: »And he is a preacher for the Muslims. He wants to come to Nakuru, but he cannot. Because he’s an ..., he has been going ..., you know, the group that he has something called markas. Markas. They build something. Like these ones of the … converted, those they can even give their lives. They are said, they are even in Iraq and ... [unverständlich]. These are those fundamental Muslims. I think he is doing that.« (2004)

Deutlich wurde diese Veränderung auch in den Interviews. 2005 hatten religiöse Inhalte und Erklärungsmuster eine deutlich größere Gewichtung als noch 2004,

10 Kusitiri (Swahili: verbergen, verstecken, schützen) wird eher umgangssprachlich verwendet (im Sinne von ›unter die Haube kommen‹) als Heirat bei der nicht materielle Interessen im Vordergrund stehen, sondern die Frau durch ihre Heirat eine bessere gesellschaftliche Position erreicht und z.B. vor Gerüchten und übler Nachrede (Prostitution) geschützt werden soll. Die Heirat ist zwar formell gleichwertig mit anderen, aber nicht unbedingt mit Zahlungen eines Brautpreises verbunden.

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als ihre Begründungsmuster eher auf der Ebene des menschlichen Zusammenlebens angesiedelt waren. Badia betonte 2005 immer wieder, stärker als noch ein Jahr zuvor, dass sie zwar einsam sei, dafür aber den Weg zu Gott gefunden habe. Während sie Gott in unserem langen Interview 2004 ein einziges Mal erwähnte, benannte sie ihn 2005 in einem vergleichbar langen Interview über 50 Mal. Sie band in diesem Gespräch auch stärker islamische Wörter, wie kafiri (Ungläubiger) oder sadaka (Spende), in ihre Erzählungen ein. In den 2004 geführten Gesprächen stellte sie sich zum Teil eher distanziert von Muslimen dar und bezeichnetet diese als »they« oder »the Muslims«. 2005 benutzte sie in den Gesprächen dagegen sehr viel häufiger die Wir-Form, wenn sie von Muslimen sprach. Diese Veränderung war zu beobachten, obwohl ihre Ehe mit Mahmud nur rund einen Monat gehalten hatte. Nachdem Badia von seiner Untreue erfahren hatte, forderte sie sofort von ihm die Scheidung: »The day I told her [einer Freundin] about Mahmud, when we were breaking up. Even my mother did not know that we broke, because she ..., because she doesn’t like him, she did not want Mahmud. I had to end it that way. I wanted to marry him and stay with him. [...] So I said no mum, I can’t stay without a man. If you come to stay in my house and you find a man coming from my bedroom, what can you say. I have to love someone. And I have been waiting, thinking that maybe things will work out with my former husband, but they did not. I told my mother about the feelings I had and she got shocked. So when we were breaking up I had to tell her [ihre Freundin], because she’s my confider. And I even went to the wife of the Qadi and I had to tell her. And then my mum came and I told her, I was not going back that man and I immediately told him to give me my talaka (Scheidung).« (2005)

Allerdings hatten beide auch ein Jahr später noch Kontakt, wobei Badia versuchte, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen. Als Badia hörte, dass Mahmud zu einem Treffen der Tablighi Jama'at fahren wollte, verzichtete sie auf eine Teilnahme. Sie fügte hinzu, er sei auch gleich wieder abgereist, als er feststellte, dass sie nicht dort war. Die Beziehung zu Mahmud bewirkte jedoch nicht nur eine Veränderung Badias hin zum Islam, sondern rief bei ihr auch Enttäuschungen und damit verbundene Kritikpunkte hervor. Diese waren wieder stark auf die Rollen von Männern und Frauen bezogen. Während sie hervorhob, wie sehr sie Tablighis im Allgemeinen und richtige Tablighi-Männer im Besonderen mögen würden, da diese versuchten so rein zu sein, dass sie nicht mal einer Frau in die Augen sehen (da sie daran sündhaftes Gefallen finden könnten), hatte sie doch immer das Ge-

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genbeispiel ihres Ex-Mannes Mahmud vor Augen. Gleichzeitig kritisierte sie den Schleier, da es ihr unfair erschien, dass Männer so vor sündhaften Gedanken geschützt seien, Frauen jedoch nicht, da sie ja die Männer ansehen könnten: »I am sinning, but not the man«. Außerdem hatte sie durch ihre Arbeit mit der Tablighi Jama'at einige Frauen kennengelernt, von denen sie sagte, sie lebten wie im Gefängnis. Auch die Ungebildetheit vieler Muslimas empfand Badia als negativ. Während sich nach der Trennung von Mahmud über einen längeren Zeitraum diese Kritikpunkte am Islam herausbildeten, wurde gleichzeitig ihre Distanz zum Christentum wieder geringer. Statt Unterschiede zu benennen, versuchte sie nun eher zu zeigen, dass sich ihr Verhältnis zum Glauben durch die Konversion kaum geändert hat. Als ich Badia 2007 wieder traf, hatte sich ihre Position im sozialen Feld des Islam stark gewandelt. Sie hatte zwar immer noch eine, inzwischen eher lose, Verbindung zur Tabligh Jama'at, hatte ihr Netzwerk aber sehr erweitert. Zum einen stellte sie mir eine Familie aus dem Hadramaut (Jemen) vor, die versuchen würden, maulidi Feiern wieder in den großen Moscheen zu etablieren.11 Sie erzählte von den, zum Teil gewaltsamen, Kämpfen die dabei ausbrachen und wie sie es doch geschafft hätten, eine dieser Feiern durchzusetzen. Zwei Jahre zuvor hatte sie noch erklärt, sie wäre an solchen Gruppen nicht beteiligt. Zum anderen nahm sie mich mit zur neuen Moschee der schiitischen Bilal Muslim Mission, deren Imam sie gut zu kennen schien. Auch hier jedoch schien sie sich nicht festlegen zu wollen, sondern diese Moschee als eine weitere Option anzusehen. Daneben hatte sie mit anderen Frauen begonnen, ein Hausbauprojekt zu initiieren. Dabei spielte die islamische Gemeinde keine Rolle mehr. Spiritualität als Grenzüberschreitung – »That means God loves me not just because I am Muslim« Unter Betrachtung des von ihr angegebenen Grundes für die Konversion und ihrer Erlebnisse als Muslima scheint diese Entwicklung nur folgerichtig. Das Muslima-Sein hat für Badia stark an Sinn verloren, seit die Söhne gewissermaßen aus dem Haus sind. Trotzdem versuchte sie über all die Jahre innerhalb der islamischen Gemeinde zu bleiben und dort ihren Platz zu finden. Um den Zwiespalt zwischen dem alten Glauben (mit dazugehöriger Praxis und Gemeinde, für Badia schienen beide Elemente noch große Bedeutung zu haben) und der neuen Religion mit ihren Verpflichtungen (und Badias Willen, diese Konversion wirklich ernst zu nehmen) zu überbrücken, betonte Badia immer wieder die Beziehung zu

11 Vgl. Kapitel 3, S. 75.

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Gott hinge nicht von einer bestimmten Religion ab, sondern vom Individuum. Es kämen immer wieder Menschen zu ihr, damit sie für sie betet. Dies habe sich durch die Konversion nicht geändert, da ihre Beziehung zu Gott ja immer noch stark sei: »When I was a Christian, I used to pray until so many women used to come to me. Sometimes when we were in church, after the sermon, some used to ask me to pray for them and their husbands when they had problems. It had not come to my mind why they asked me to pray for them. And now as a Muslim so many tell me to pray for them and I think there’s something in me that ..., I don’t know. Most women’s problems are their men wanting to marry or they don’t give resources. Now you find I am a single woman, they tell me to pray for them and they don’t know my problems. But I thank God, for that means God loves me not just because I am Muslim.« (2005)

Sie sieht sich von Gott geliebt, nicht nur weil sie Muslima ist, sondern weil sie intensiv betet und auf ihn vertraut. »You have to believe in God and your life will change. Actually many people are not Christians or Muslims, their life is not the same as those converted to Muslim or Christian. [...] But I know, those who have changed their lives to God are happy, because God takes care of them. You have to believe and do what God wants you to do. It doesn’t mean that you have to be in the religion, but you obey God fully. No, you have to do what God wants you to do. You have to know what God doesn’t want you to do. You are Christian or Muslim and these commandments are indicated. [...] You know, somebody who loves God has to put himself down, let God lift you, to be happy. You have to go down and confess. So I have been down to a level that only God can lift me. There are so many who have their own rituals, but for me I am still learning. I always believe in God only. Even the Somali lady who was here was asking me, you have a case in court why don’t you tell the Imam to pray for you. And I said I don’t believe that. I believe in myself and my God. Because the Imam who was to pray for me was to ask God as I had to ask God myself. At those who want me to pray for them I pray for them.« (2005)

Deutlich wird dieser Versuch, ihren Glauben in dieser ›inklusiven‹ Weise zu leben, auch in ihrem Haushalt. Zum einen hört sie selbst noch manchmal christliche Musik. Zum anderen hat sie in ihrem türkis gestrichenem Zimmer eine kleine Ecke eingerichtet, in der über der Bibel noch ein Koran liegt.

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Abbildunng 5: Bibel undd Koran in Bad dias Wohnzimm mer

Quelle: Tabbea Scharrer

6..2 B ILAL : »I

AM . KNEW NOTHING ABOUT A I SLA START ED GOING TO CHURC CH «

SO I

Biilal lernte ich üüber einige Um mwege kennen n. Nachdem m mir in Nakuru zunächst z nu ur sunnitische K Konvertiten eiiner eher fundaamentalistischeen Prägung vo orgestellt wu urden, bat ich den Gemeindesekretär mir doch auch schhiitische Musliime vorzu ustellen, da docch nach seinenn Angaben allee zusammen inn der Moschee beteten. Ettwas unwillig fführte er michh daraufhin zu einem Teppicchladen, der als Treffpu unkt der afrikannischen12 schiiitischen Konv vertiten in Nakkuru diente. Deer Besitzer des Teppichlladens wollte allerdings selb bst kein Intervview geben, wo ohl auch weeil er stark lisppelte. Stattdesssen bat er Bilall und Tariq zuu sich. Mit beid den ging ich h daraufhin zuu einem Vorgesspräch in ein nahe n gelegeness Restaurant, auch a dieses kann mit zuu dem schiitiscchen Netzwerk k gezählt werdden. Bei diesem m ersten Geespräch sprachh hauptsächlichh Tariq. Mit Bilal traf ich miich später noch h einmal

12 Die Mehrzahl der Schiiten in Kenia gehört zu u den eher endoogen lebenden klleinen indisch-pakistannischen Gemeindden (siehe Kap. 2 und 3), die siich an den größeeren politischen und religiösen Diskusssionen kaum betteiligen.

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zu einem längeren Interview, aus dem die nachfolgenden Textpassagen stammen. 2005 und 2007 sahen wir uns erneut einige Male. Auch Bilals Erzählung ist geprägt von einem Hin-und-Her-Gerissen-Sein zwischen verschiedenen Religionen. Er wurde 1955 in Nakuru geboren und wuchs in einem armen, als muslimisch geltenden Stadtteil auf.13 Seine Eltern waren noch vor seiner Geburt vom Christentum zum sunnitischen Islam konvertiert. Er beschrieb sie jedoch als nicht besonders religiös. In der Schule fühlte er sich eher zur christlichen Kirche hingezogen, allerdings ohne getauft zu sein. 1972, mit 17, beendete er die Schule und lebte einige Jahre als Straßentänzer und -sänger. Ende der 1970er Jahre erhielt er Arbeit in einer Mühle und verdiente dort relativ gut. Kurze Zeit später heiratete er. In der folgenden Zeit suchte er engen Kontakt zu einem christlichen Pastor, den er schon länger kannte und spielte mit dem Gedanken ganz zum Christentum zu konvertieren. Zu dieser Entscheidung konnte er sich jedoch nicht durchringen. Durch seinen Bruder, der in dieser Zeit als Angestellter in der indischen Schia-Gemeinde in Nakuru arbeitete und durch den Kontakt zu einem Wissenschaftler begann er über die Unterschiede zwischen schiitischem und sunnitischem Islam und dem Christentum nachzudenken. Emotional fühlte er sich stärker zur christlichen Kirche hingezogen. Auch wenn er sich nach wie vor nicht taufen lassen wollte, fuhr er mit dem Pastor auf mehrere ›crusades‹14. In der islamischen Gemeinde fühlte er sich in dieser Zeit eher fremd. Trotzdem begann er 1984 intensiv den Koran zu lesen, außerdem ging er in eine madrasa, um Arabisch zu lernen. Nach zwei Jahren verglich er seiner Erzählung nach alles, was er gelernt hatte, fand den schiitischen Islam am Überzeugendsten und konvertierte zum 12er-Schiismus. 1987 verlor er durch Krankheit seine Arbeit. Die Abfindung benutzte er, um einen Kleinhandel aufzubauen. Einige Zeit später fing er an, auf öffentlichen Plätzen zu predigen, von 1992 an sogar mit Mikrofon und Lautsprecher. Er war nach eigenen Angaben somit einer der ersten ›Straßenprediger‹ in Nakuru. 1997 hörte er damit auf, auch da sein Sponsor inzwischen nach Kanada ausgewandert war. Als wir uns kennenlernten verdiente er mit kleineren Arbeiten seinen Unterhalt. Nur einer seiner drei Söhne konvertierte auch zum schiitischen Islam. Dieser lebt momentan in Tansania. Die zwei anderen Söhne leben in Nakuru. Einen der beiden bezeichnete er als ›Rasta-Boy‹, der andere arbeitet als Mechaniker in einer Autowerkstatt. Besonders stolz ist er auf seine Tochter, die in Khartoum (Sudan) an der islamischen Universität studiert.

13 Der Anteil an Muslimen ist dort höher als in anderen Stadtteilen. 14 Als ›crusades‹ (Kreuzzüge) werden die großen öffentlichen christlichen Veranstaltungen bezeichnet (vgl. z.B. Chesworth 2006 oder Gifford 1992 sowie Kap. 3.3).

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Weder Muslim noch Christ – »I was just between there« Bilal begann seine Erzählung mit einer Frage: »Which type of history do you want?«, damit implizierend, dass er mehrere Geschichten über sich erzählen könne, je nach meinem Interesse. Darüber hinaus lässt dieser Beginn auch die Vermutung zu, er habe sich selbst noch nicht für eine Version seiner Geschichte entschieden und sei noch unschlüssig, welcher Variante er mehr Bedeutung zumessen solle. Zudem wirken manche Passagen des Interviews, als habe er seine Lebensgeschichte schon häufiger erzählt. Auf meine Antwort hin, dass ich es ihm überlasse, was er für besonders wichtig in seinem Leben halte, begann er über seine Kindheit zu erzählen: »My father and my mother they are all converters, they are revertees [zum Begriff vgl. Kapitel 4] from Christianity to Islam. So I was born in an Islamic house. I think they converted before I was born, because I found them, they are Muslims. But 50’s, in the 50’s. And at that time we were not very strong Muslims. I was just seeing Islam as a way of, like a family, like a family in Islam. I was not versed in Islam. I knew nothing about Islam. So I started going to church.«

Dabei verortet er seine Familie zwar im Islam, »I was born in an Islamic house«, dies bleibt jedoch passiv, er selbst hat damit nichts zu tun. Auch wenn der Islam als »way of life« zum Alltag gehört, ist er kein dominanter Faktor im Familienleben. Weder beschäftigt sich Bilal bewusst mit der Religion, noch lernt er etwas darüber von den Eltern oder in der madrasa. Immer wieder setzt er sich vom Islam ab, »At that time we were not very strong Muslims«, gleichzeitig deutet er hier den Beginn eines Prozesses an. In der Erzählung wird keinerlei Bezug auf islamische Feste und Rituale deutlich. Mit der provokanten Aussage »I knew nothing about Islam. So I started going to church.« leitet er über zur Erzählung seiner ersten emotionalen Berührung durch Religion. Auch dieser inszenierte erzählerische Bruch lässt darauf schließen, dass Bilal diese Geschichte schon mehrmals erzählt hat. Während seiner Schulzeit, Bilal war ungefähr 15 Jahre alt, kam ein Priester in die Schule und erteilte christlichen Unterricht.15

15 Er begann seine Erklärung mit »We were, we were sup ..., we were sup ..., a pastor was coming to that school.« Statt dem eher zwanghaften »we were supposed« benutzte er also am Ende eine offenere und freundlichere Variante seines ersten Zusammentreffens mit dem christlichen Glauben.

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Insbesondere die Lieder beeindruckten Bilal: »I was singing so many songs there. And I found these songs were very sweet. So I decided that I will be going on Sundays to the Catholics. I was going to Catholics first. Then I went to P.C.E., it is a protestant church. So I stayed for a while. My father was not very strictly. That I should follow. He was a very democratic father. Who gave me chance to choose what I want.«

Im Unterschied zur Eingangsschilderung über seine muslimische Familie zeigt sich Bilal hier als aktiver Gestalter seines Lebens. Die theologische Ausrichtung ist ihm zunächst nicht vordergründig wichtig. Für ihn scheinen keine gravierenden Unterschiede zwischen den christlichen Kirchen zu bestehen. Sein Vater ließ ihn zu diesem Zeitpunkt gewähren, in einem deutlichen Gegensatz zu einem späteren Teil der Erzählung, vielleicht weil hier Konversion und damit die tatsächliche Abkehr vom sunnitischen Islam noch keine Rolle spielte. Die Schilderung der auf diese Phase folgenden Zeit als Straßensänger und -tänzer, die im deutlichen Widerspruch zur christlichen Lebensweise dargestellt wird, unterbricht er durch die Erzählung eines Erlebnisses mit einem muslimischen Prediger: »One day a preacher came. From Tanzania. A Muslim preacher. At that time I was not a very staunch Muslim. Either I was not a Christian. Because my way of living was not in Christianity and it was not in Islam. I was just between there. Because I was doing everything. I was eating miraa [Khat, eine in Ostafrika und Jemen verbreitete, stimulierende Droge]. I was doing some things you know. This and this and this and this. Enjoying like other people, what they are doing. Without understanding that there is a law which is guiding me to live in this world. So one day … a preacher came. A Muslim preacher. He asked my father if he can get somebody to take him to some Mosques to start preaching in these Mosques. So I took him around. (Pause). But when he preached in a place called Mogotio [Siedlung rund 35 km nördlich von Nakuru an der Straße zum Lake Baringo] (Pause, räuspert sich) that man stood up and gave a sermon. And he said that … people always sometimes invite devils on their wedding day. People can invite devils on their wedding day. So I was surprised to know. How can someone invite devils in his wedding. But that man told the congregation that before the wedding, people call a musician, so he sings at the wedding. After that they call a mwalimu or a sheikh … and they do the ceremony for marriage. So that devil is a, is a musician. A musician (lacht). A musician is a devil because he speaks lies. So at that time I started thinking. What shall I do? That was in 1975.« (2004)

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Auch diese Episode erzählte Bilal wieder sehr flüssig, sie scheint also eine Erzählung in Traditionsbildung zu sein. Seine Selbstpositionierung als weder christlich noch muslimisch ist hier noch ohne große Wertung, er hat sein Leben genossen, sich treiben lassen und alles ausprobiert, wie andere auch. Er bleibt bei dieser Beschreibung etwas vage, als wäre es ihm unangenehm darüber zu sprechen.16 Der Genuss scheint für ihn im Widerspruch zum christlichen bzw. islamischen Lebensstil zu stehen. Die Beschreibung seiner ›Naivität‹ kann als Vorgriff auf seine spätere Entwicklung verstanden werden. Das Kennenlernen des Predigers aus Tansania war einem Zufall geschuldet, hier wird Bilals Leben wieder durch einen Eingriff von außen beeinflusst. Ein eigener biographischer Plan ist in dieser Kernerzählung nicht erkennbar. Sein derzeitiges Leben wird jedoch durch die Begegnung völlig in Frage gestellt. Die Musik, die für ihn bisher einen Lebensmittelpunkt darstellte, wird moralisch abgewertet. Der Musiker sei ein Teufel, da er Lügen verbreite oder wie Bilal später sagte: »Music is evil, because it is misleading people.« Der Musiker wird dabei dem Gelehrten gegenüber gestellt, der im Gegensatz zu diesem nicht mit Lügen, sondern mit Wissen und Wahrheit in Zusammenhang gebracht wird. Aufgrund der Erzählung kann davon ausgegangen werden, dass der tansanische Prediger eine Form des salafitischen bzw. pietistischen Islam vertrat und diese auch im Hinterland Kenias verbreiten wollte. Eines der Felder der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Strömungen des Islam (in Ostafrika, aber auch global) ist Musik.17 Für Bilal bedeutete diese Aussage jedoch eher eine Auseinandersetzung mit dem

16 Während all unserer Gespräche war zu beobachten, dass Bilal viele Dinge nur kurz anspricht, auf diese jedoch immer wieder zurückkommt. Dies könnte auch damit zusammen hängen, dass er nach wie vor miraa konsumiert. Diesen Eindruck, der sich immer mehr verstärkte, hatte ich schon bei unseren ersten Treffen. 2007 ging es Bilal zudem gesundheitlich schlecht. Zu den Auswirkungen des Khat-Konsums vgl. z.B. Cox & Rampes 2003. 17 Neben dieser auf dem Koran beruhenden Darstellung der Musik als ›idle talk‹, und damit als Sphäre des ›Shaytan‹, wird Musik und die damit verbundene Lebensweise von ihren Gegnern auch für einen kulturellen und religiösen Niedergang verantwortlich gemacht (vgl. hierzu Otterbeck 2008). Für Südafrika beschreibt Sesanti (2009), dass die Ablehnung von Musik durch islamische Prediger zu Spannungen innerhalb der Gemeinden führte, da einige der Muslime Musik als Teil der ›afrikanischen Kultur‹ verstanden. DeAngelis (2003) sieht in Bezug auf den Rai in Algerien die scharfe Verurteilung von Musik auch darin begründet, dass islamische Gruppierungen ihre Anhänger genau in den Bevölkerungsgruppen suchten, in denen Rai besonders populär war.

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eigenen Lebensstil, für den Musik bisher zentral und bestimmend war. Zum einen war gerade die Musik ein anziehender Aspekt am christlichen Glauben: »I was loving Christianity, I love Christianity. Yes, I love it. I wanted to be in Christianity. [...] I want people who can sing and dance.« und damit sehr positiv besetzt. Diese positive Interpretation der christlichen Musik hat er auch heute noch beibehalten, wie sein Wechsel zur Präsens-Form oben zeigt. Zum anderen prägte Musik seinen areligiösen Lebensstil als Straßenmusiker, eben diesen sieht er jedoch durch diese Begegnung negativ bewertet und in Frage gestellt. Dass diese Verunsicherung bis heute wirkt, wird auch durch die Wortwahl in dieser Erzählung deutlich, wenn Bilal davon spricht, dass Menschen »always sometimes« den Teufel18 in Form des Musikers zur Hochzeit einladen würden. Auch jetzt noch scheint Bilal sein eigenes Leben gegenüber einem ›puristischen‹ Islam verteidigen zu müssen. Dieses Erlebnis wird von Bilal als Anfangspunkt seines Nachdenkens über sein eigenes Leben und den Islam als Religion dargestellt. Dem Prediger stellt er dabei keine großen Zweifel entgegen, obwohl er sich vorher nicht mit Islam beschäftigt hat. Er nimmt die Kritik an, da er suchend und leicht beeinflussbar ist. Sündhaftes Leben – »I wanted to become a good man« Kurze Zeit später hört Bilal auf zu singen und nimmt eine Arbeit in einer Mühle an. Diese ›Normalisierung der Biographie‹ hat aber kaum Folgen für seinen sonstigen Lebensstil. Im Gegenteil betont er, dass er begann Alkohol zu trinken und zur Disko zu gehen: »that money turns me against the will of God.« Auch hier stellt er sich wieder als passiven Nicht-Akteur dar, der der Macht des Geldes unterlegen sei. Geld ist neben Musik ein zweites Motiv, das sich durch die Erzählung zieht und für das leichte, aber unislamische Leben steht. Immer wieder betont er, dass religiöse Gemeinschaften den Menschen etwas bieten müssen. Auch Jesus habe nur so viele Anhänger gehabt, weil er heilen konnte. Die islamischen Gemeinden in Kenia könnten dagegen nicht viel bieten, da sie nicht reich seien, und würden deshalb auch nicht wachsen. Diese geringen finanziellen Mittel sind für Bilal jedoch nicht negativ besetzt, ihm scheint diese Außenseiterposition zu gefallen. Auch Geld wird von ihm mit dem Teufel gleichgesetzt. Für Bilal zwingt der Teufel jedoch nicht Menschen dazu etwas Böses zu tun, er

18 Interessant ist hieran auch, dass die einzigen beiden Interviewpartnern (Bilal und Bakri), die in ihren Konversionserzählungen über den Teufel sprachen, von der römischkatholischen Kirche beeinflusst waren.

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verwirrt sie lediglich. Für ihre Taten sind die Menschen also selbst verantwortlich. 1978, mit 23, heiratete er eine Muslima. Immer wieder betont er seine Schlechtigkeit, die später auch negativ bewertet wird. Diese Erzählung eines sündhaften Lebens vor der Konversion und einer heutigen aufgeklärteren Sicht dazu ist eine relativ typische und häufig anzutreffende Darstellung in Konversionserzählungen. Sie könnte genauso gut in Richtung einer christlichen Konversion deuten, auch hier ist diese Erzählweise weit verbreitet (vgl. z.B. Larsson 1991 oder Peterson 2006). Im Falle Bilals scheint dies jedoch nicht nur einer Darstellungsform geschuldet, im Gegensatz zu anderen ist er nicht nur in der Erzählung, sondern auch in seinem Lebensstil extrovertiert. »I was not a good person in Islam. [...] I was just a buggerer in the street. (lacht) But when I get my last born which I got in 1979 … I started thinking where I am going. I had a pastor called Pastor Mwendo.«19

Diese Infragestellung seines Lebensstils steht am Anfang des nun von Bilal beschriebenen mehrjährigen Wandlungsprozesses. Er stellt sich das erste Mal als Akteur dar, der steuernd eingreift und sich mit verschiedenen Positionen auseinandersetzt. Auch wird hier deutlich, dass für Bilal das christliche Umfeld in dieser Zeit sehr viel entscheidender war als das islamische. Er wendet sich nicht an muslimische Freunde oder Gelehrte, sondern an einen bekannten christlichen Pastor20: »He was doing his ministry, the rock. There’s a church called the rock. So we started having with him Christian and Muslim dialogue. He wanted me to become a Christian. So I was very good in asking some questions.«

Bilal exponiert sich hier als besonders gefragter Gesprächspartner. Er ist stolz auf seine Wissbegierde und die Fähigkeit Fragen zu stellen. Immer wieder habe er sich mit dem Pastor getroffen, und mit ihm diskutiert. Später fragte ich ihn

19 Das englische Wort ›bugger‹ bedeutet auf Deutsch Sodomit, Homosexueller, aber auch herumgammeln. Ob Bilal all diese Bedeutungen kennt, kann ich nicht sagen, vermutlich verwendete er das Wort vor allem im letzteren Sinne als Herumtreiber. 20 Der Pastor arbeitete hauptberuflich in einer Fleischerei. Die Kirche, die zu der charismatischen Bewegung hinzu gerechnet werden kann, leitete er eher ehrenamtlich. Allerdings könnte sie auch als zweite Erwerbsquelle angesehen werden, da die Prediger von der Gemeinde finanziert werden.

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verwundert, wie er so viel Zeit für diesen Lernprozess aufwenden konnte. Darauf antwortete er: »I was led. I wanted to. I want to become a good man. I was a very bad man. So I wanted to be out of those things. You know I was a dancer. I was a joker. I was eating mairungi [ein anderes, vor allem in Uganda verwendetes, Wort für miraa, Khat]. (lacht) So many things. [...] I could do so many of these things, many bad. So I did not like myself. Because I knew one day I’ll die. And if I die, the people were telling me that you will go to answer. They have given me so many signs which it appears maybe Jesus Christ. Let us come to Jesus. When Jesus came here, he taught us that the last day we will stand the judgment. Not everyone who is calling me ›father, father‹ is going to enter this kingdom of God. But whoever will do the will of the ... my father in heaven. So I found that there is will which I am supposed to do. [...] But in Islam. The Is ..., the kind of Islam I was going ... . I was staying in a place called Bondeni. If you look at those people. [...] They are Islam but they don’t look like Islams. What they are doing is different with what Islam is teaching.«

In diesem kurzen Abschnitt bringt Bilal drei verschiedene Aussagen zusammen, die jedoch in dem von ihm formulierten Sinnzusammenhang und damit seiner Selbsttheoretisierung sehr aufschlussreich sind. Wieder betonte er seine schlechte Lebenshaltung und wie wenig er diese mochte. Diese Abscheu vor sich selbst scheint auch in einer Einsicht, wie schlecht er sich seiner Familie gegenüber verhalten hat, zu liegen. Dies explizierte er jedoch erst auf Nachfrage. Als Letztbegründung seiner begonnenen Suche taucht hier zum ersten Mal das Motiv der Rechenschaft auf, die am Tag des Jüngsten Gerichtes abgelegt werden müsse. Das Leben nach dem Tod scheint für Bilal eine große Rolle zu spielen. Auch in seiner Zeit als Missionar, nach der Konversion zum schiitischen Islam, argumentierte er damit: »His [Gott] guarantee to enter heaven. Just confess that none is to be worshipped but only one God. That man has got a guarantee of entering … heaven. What is remaining is that, it’s only this.« Um diese Prüfung zu bestehen, so Bilal, müsse man sich an bestimmte Regeln halten und nicht so ein Leben führen, wie er es in dieser Zeit lebte: »Then I come to a conclusion that I should go study more to know who is God. Before I know the laws. You know before you know the laws you should know who is the owner of these laws.«

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Suche nach einem Ausweg – »I was a blind man asking questions« Im letzten Teil dieses Interviewausschnittes macht Bilal deutlich, dass er sich nicht vorstellen konnte einen Ausweg aus seinem jetzigen Leben im sunnitischen Islam seines Umfeldes zu finden. Er bezeichnete die Gespräche mit Pastor Mwendo unter Aufgreifen des durch die Wahubiri wa Kiislamu in Ostafrika verbreiteten missionarischen ›style‹ (vgl. S. 104 ff.) als ›christlich-muslimischen Dialog‹. In diese Aussage ist eingeschlossen, dass dieser ihn als Muslim anerkannte, auch wenn sich Bilal selbst gar nicht als solcher sah. Im Gegenteil stellte er auch die Lebensweise der Muslime in seinem Stadtbezirk als unislamisch dar. Wie auch schon am Anfang des Interviews unterscheidet Bilal zwischen Muslimen als Gläubigen und Islam als Lebensstil, die Zuordnungen erfolgen jedoch nicht eindeutig. An anderer Stelle stellte er dem Begriff ›Islamic‹ den Ausdruck ›Sunni‹ gegenüber, dabei verwendet er ›Sunni‹ als Synonym für Glauben, ›Islamic‹ steht für ihn dagegen für eine unreflektierte Lebensart: »I was raised as ... in a house which claims that they are Sunnis, which at long last I found out they were not Sunnis, they were just Islamic. They were claiming that they were Sunnis.«

Diese Unterscheidung impliziert in Bilals Fall die Ablehnung der eigenen Familie, die in seinen Augen nur ›Islamic‹, nicht aber als ›Sunni‹ gelebt habe, obwohl sie letzteres von sich behauptete. Diese Unterscheidung machte er vor allem am fehlenden Wissen seiner Eltern fest. So erzählte er über seine Mutter, sie sei Muslima nur dem Namen nach. Sie habe zwar religiöse Hingabe (›devotion‹) gezeigt, wisse aber nichts über den Islam.21 Auch sein eigenes Leben vor der Konversion wertet Bilal ab, da er nicht gelebt habe, was er eigentlich war. In den Gesprächen mit Pastor Mwendo hatte Bilal zunächst Antworten auf seine Fragen gefunden. Er wiederholt immer wieder die Beschreibung seiner damaligen Unwissenheit und seine Versuche mehr über das Christentum zu lernen. »When I asked him questions about salvation, this and this, I found some things are very clear in Christianity. He was giving me so many things, which was very clear to me in Christianity [more than] in Islam. But why I found it was like easy, because I was not well

21 Auffällig ist hier der Unterschied zu Badias Darstellung, für die die Hingabe der entscheidende Faktor war, nicht das Wissen.

236 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION versed in Islam. Ok? (lacht) So I was a blind man asking questions, which in Islam I cannot answer you…and in Christianity I cannot answer you.«

Allerdings seien diese Gespräche mit dem Pastor nach einiger Zeit unbefriedigend gewesen, da sie keine Einigung bei der Frage »Who is God«, bzw. »Is Jesus God?« erzielen konnten. Er habe nun viele Fragen gestellt, auf die er keine Antworten erhielt. In dieser Beschreibung der Diskussionen verwendet Bilal immer wieder Bibel-Koran-Vergleiche und Bibelzitate, die nach seiner Schilderung selbst der Pastor nicht kannte, um seine Argumentation abzusichern und seinen zur Konversion führenden Lern- und Denkprozess zu verdeutlichen. Die Bibel dient hierbei als Autoritätsbeweis, mit Hilfe dessen eine Plausibilität der Erzählung und Erfahrung hergestellt werden kann. Da diese Erzählweise in Kapitel 8 (Konversion als intellektuelle Entscheidung) genauer untersucht wird, konzentriert sich die Analyse der Erzählung Bilals auf andere wesentliche Punkte. 1979 begann er aus dieser Unzufriedenheit heraus, die Bibel zu lesen: »So these things made me go and read the Bible. I bought my own Bible. I went to the church, Jehovah witnesses church … to study the Bible there. In the evening sometimes. This and this and this. But I did not need their assistance too much because I was reading Swahili. So I don’t need any assistance from anybody to tell me that this thing means this. Because it was written in Swahili. So I read my Swahili books.«

An dieser Stelle der Erzählung wird Bilal wieder zum Akteur. Um mehr über die Bibel zu lernen, ging er sogar zu Bibelstunden, die von den Zeugen Jehovas angeboten wurden.22 Er betont trotzdem seine Selbständigkeit und erzählt, er habe diese Unterstützung eigentlich gar nicht benötigt, da er das Gelesene auch so verstünde. Dabei ist zu vermuten, dass er schon in der Schule eine rein wörtliche Auslegung der Bibel gelernt hatte, die nun durch den Unterricht noch bestärkt

22 Während die Zeugen Jehovas in den USA und Europa eher als ›Sekte‹ oder ›cult‹ betrachtet werden, weisen sie in Afrika mit ihrer literalistischen Lesart der Bibel eine große Nähe zu christlich-fundamentalistischen Kirchen auf (vgl. Gifford 1995). Allerdings waren die Zeugen Jehovas in einigen Teilen Afrikas für längere Zeit verboten und ihre Anhänger wurden insbesondere im südlichen Afrika verfolgt (siehe v.a. Hodges 1976). In Ostafrika war diese Bewegung nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Regionen, wurde aber auch kurzzeitig in Tansania (1965) und Kenia (1973) verboten (Wilson 1973, 129; Höschele 2007, 400).

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wurde. Hier ist auch eine gewisse Selbstüberschätzung zu vermuten.23 An anderen Stellen betont Bilal seine Eigenständigkeit und dass er sich ungern fest einzelnen Gruppen anschließt – so sagte er von sich »I don’t stay in groups«. Dies lässt auf eine gewisse Kultivierung eines Einzelgänger- und Außenseitertums schließen. Im letzten Satz spricht Bilal zudem von »Swahili books« in Pluralform, es kann also davon ausgegangen werden, dass er neben der Bibel noch weitere Bücher las, die ihm den religiösen Inhalt verständlich machen sollten. Obwohl sich Bilal zum Christentum hingezogen fühlt, kann er sich nicht für eine Taufe entscheiden, sondern bleibt Muslim. Er begründet dies allein theologisch mit der christlichen Trinitätslehre, der er nicht zustimmen könne. Allerdings scheinen auch noch andere Aspekte eine Rolle gespielt zu haben. Zum einen war er mit einer Muslima verheiratet. Wäre sie nicht mit ihm zum Christentum konvertiert, wäre ihre Ehe ungültig gewesen (vgl. dazu Kapitel 10.1). Zum anderen wären die weiteren familiären Konsequenzen einer Konversion zum Christentum erheblich gewesen. Der als Apostasie (oder arab. ridda) bezeichnete Abfall vom (islamischen) Glauben gilt als ein Verbrechen, das nach der klassischen islamischen Rechtsprechung mit dem Tode bestraft werden kann (vgl. hierzu z.B. Bälz 1997 oder El Fadl 2001). Auch wenn die Konsequenzen in Kenia weniger drastisch ausfallen, so kann solch eine Konversion vom Islam zum Christentum doch schwerwiegende Veränderungen nach sich ziehen. Auch heute ist eine Konversion eines Muslims zum Christentum für ihn nur sehr schwer vorstellbar: »A Muslim can not become a Christian. I have never seen a Muslim become a Christian, unless he is not well versed in Islam.« Begegnung mit dem schiitischen Islam Somit befand sich Bilal zu diesem Zeitpunkt in einem gewissen Dilemma. Er wollte sein derzeitigen Leben verändern, das für ihn eng verbunden mit dem sunnitischen Islam war, konnte aber nicht zum Christentum konvertieren, zu dem er sich hingezogen fühlte. Er bezeichnete sich immer wieder als einer »who was not worshiping. Someone who was not doing anything.« Mit dieser negativen Selbstpositionierung (bzw. Selbstdarstellung) als ein Mensch, der nichts gemacht habe, die einen Perspektivwechsel zu seiner anfänglichen Beschreibung als »doing everything« beinhaltet24, leitet er über zu der

23 Von anderen Interviewpartnern wurde auch die Zugänglichkeit der Bibel als Gegenteil zum auf Arabisch geschriebenen Koran benannt. 24 Das »doing everything« stellt dabei die frühere Perspektive auf sein Leben dar, das »not doing anything« hingegen eine Evaluation aus heutiger Sicht.

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Vorstellung eines möglichen Auswegs abseits des Christentums, der sich für ihn ergeben hatte: »I had a brother who was working at the Shia’s Mosque. He was employed. But he was not a Shia. So that boy was coming with a lot of questions. Every time [he comes] from the job he comes to me with some questions. These questions I tried to ask our maalims, our scholars.«

Nun bot sich ihm die Möglichkeit, sich aktiv mit dem Islam auseinanderzusetzen. Sein Bruder kommt zu ihm, um mit ihm Fragen über den Islam zu diskutieren, obwohl dieser im Gegensatz zu Bilal auf einer madrasa gelernt hatte und praktizierender Muslim war. Nun wendet sich Bilal auch an die Gelehrten der islamischen Gemeinde. »So I start researching [Islam] and the same time I’m researching Christianity. It’s a very good religion because I found people who were very honest, good people. I found out that there’re some people who are they’re ready to talk with you. They are ready to stay with you. But at the same time when we were talking about God ... . Now which God did you talk about? Then I went back to pastor Mwendo. I left. I left my brother. I went back to pastor Mwendo. Because now here I am confused about Islam. [...] Now I find there is Shia here and Sunni here, there’s this and this and this. For me those things confused me.«

Noch immer fühlt sich Bilal zum Christentum hingezogen. Hier fühlte er sich sicher und seine persönlichen Kontakte scheinen hier stärker und positiver besetzt gewesen zu sein. Diese inhaltliche Auseinandersetzung Bilals mit dem Christentum und dem schiitischen und sunnitischen Islam fand nicht nur vor dem Hintergrund seines persönlichen Umfeldes statt, sondern wurde auch durch äußere Faktoren beeinflusst. Zum einen wurde die schiitische Mission nach der islamischen Revolution im Iran 1979 deutlich ausgeweitet und die Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten wurde auch in Kenia hitziger und öffentlicher geführt. Dabei spielten berühmte Konvertiten vom sunnitischen zum schiitischen Islam eine große Rolle. Bekannt wurden hierbei vor allem Ahmed Khatib, der in den 1970er Jahren während seines Pariser Studiums Kontakt mit Sympathisanten des Ayatollah Khomeini bekam und bald darauf konvertierte und Sheikh Abdilahi Nassir, einem islamischen Gelehrten aus einer wichtigen Swahili-Familie, der in den 1980er Jahren zum Schiismus übertrat (vgl. Kresse 2004; Desplat 2003, 103-107 und Oded 2000, 68). Neben diesen bekannt gewordenen Konversionen gab es noch weitere, wenn auch nicht in großem Ausmaß. Allerdings gab es auch

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Muslime, die als »crypto-Shia« lebten, aus Angst vor sozialem Ausschluss (»social ostracisation«, Bakari 1995a, 66). Aber nicht nur die Veränderung des religiösen Feldes beeinflusste die Beschäftigung Bilals mit bestimmten Themen, sondern auch die wissenschaftliche Forschung wirkte direkt auf diesen Prozess: »So I said, I’ve done the Bible. So let me do Koran. In 1984 I started learning Koran. I said let me do Koran. Then someone else give me a Torah. He was a Jew. Even himself he was doing research the way you are doing research. He wanted to know why the Jews and Christians and Muslims are fighting all over. So I started studying Thora and Koran.«25

Auch wenn an dieser Stelle eine Beschäftigung mit der Thora genannt wird, so spielt diese im Folgenden keine Rolle mehr. Die Beschäftigung mit dem Glauben wurde jedoch verstärkt und der Koran wird nun zum Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Auch Bilal hatte ihn auf Englisch gelesen und wie er sagte: »Within eight months I knew Koran completely. But it was still disturbing me. Because there were some things I’m supposed to know. I’m supposed to know the laws of the Koran. What should I do? I should start to read the Arabic language. I didn’t want someone to be telling me ›This one means bread‹. No. I started learning Arabic. I went to a madrasa.« »But on the way I found that there are so many things which I can understand in English better than in Arabic. Because there are so many books in Arabic which have been translated to English. So I started combining these things. Two books [Bibel und Koran]. Then I started Christian and Muslim dialogue. Then I started Shia Sunni dialogue. [...] Then there’s a Sunni and a Shia and there’s a Wahhabi dialogue. But when I come to the Shia’s school of thoughts ... I found that those people, they are more well understanding than Sunnis and Wahhabis. So I try to know why do these people become violent, like ... because this man, he wanted to do that research. I wanted to answer him. So, people got teachings from people who are not their leaders and they give them so many bad teachings. That’s why there is so many violence.«

In dieser Darstellung begründet Bilal seine Entscheidung für den schiitischen Islam. Die Schiiten hätten ein besseres Verständnis für die Religion und wären durch ihre Form der Führerschaft weniger gewaltvoll, Bilal antwortet somit auf

25 Leider gelang es mir nicht, den Namen dieses Wissenschaftlers in Erfahrung zu bringen.

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die Frage des Wissenschaftlers. Der wichtigste Unterschied läge in der Frage der Gefolgschaft: während die Sunniten den Begleitern Mohammeds folgen, würden die Schiiten der Familie (dem ›household‹) Mohammeds folgen, wie es der Prophet selbst gewünscht habe.26 Deutlich wird in diesem Abschnitt, dass sich Bilal auch mit salafitischen und wahhabitischen Argumentationen auseinandergesetzt hat. Er versuchte also, seine Möglichkeiten innerhalb des sunnitischen Islams auszuloten. Dabei stellt sich die Frage, warum er hierbei nicht auch den Sufismus betrachtet hat, der zu den Beschreibungen seines Sich-Hingezogen-Fühlens zum Christentum in Bezug auf Musik und Tanz am nächsten käme. Es ist davon auszugehen, dass sufistische Gruppen in dieser Zeit im Hinterland Kenias kaum eine Rolle spielten und Nicht-Eingeweihten nicht bekannt waren (vgl. Kapitel 3). Hinzu kommt, dass weder das Christentum noch der Sufismus Bilal die Möglichkeit boten, sich so von seinem bisherigen Lebensstil abzuwenden, der zu seiner Unzufriedenheit geführt hatte, wie ein Übertritt zum schiitischen Islam. Auch hier gibt Bilal wieder eine rein theologische Begründung für seine Entscheidung. Wie oben ist aber zu vermuten, dass darin nur der öffentlich akzeptierte Ausdruck für einen komplexeren Entscheidungsprozess zu finden ist. Bilal suchte einen Ausweg aus dem sunnitischen Islam seiner Familie, in dem er sein Leben nicht verbessern konnte. Der christliche Glaube schien ihm aber durch mehrere Problemfelder versperrt. Der schiitische Islam kann somit als einziger Ausweg für Bilal angesehen werden.

26 Um mir dies zu ›beweisen‹, zeigte er mir die Hadith ›Sahih Muslim‹ Vol. IV (p. 1286, Hadith 5920), Book 031: »[...] One day Allah’s Messenger (may peace be upon him) stood up to deliver sermon at a watering place known as Khumm situated between Mecca and Medina. He praised Allah, extolled Him and delivered the sermon and. exhorted (us) and said: Now to our purpose. O people, I am a human being. I am about to receive a messenger (the angel of death) from my Lord and I, in response to Allah’s call, (would bid good-bye to you), but I am leaving among you two weighty things: the one being the Book of Allah in which there is right guidance and light, so hold fast to the Book of Allah and adhere to it. He exhorted (us) (to hold fast) to the Book of Allah and then said: The second are the members of my household I remind you (of your duties) to the members of my family. He (Husain) said to Zaid: Who are the members of his household? Aren’t his wives the members of his family? Thereupon he said: His wives are the members of his family (but here) the members of his family are those for whom acceptance of Zakat [obligatorische Spende] is forbidden. And he said: Who are they? Thereupon he said: Ali and the offspring of Ali, Aqil and the offspring of Aqil and the offspring of Ja'far and the offspring of Abbas [...].«

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Konversion als Marginalisierung – »To become a Shia is not a joke« 1986 entschied er sich zum schiitischen Islam zu konvertieren. Dies habe auch eine vollständige Veränderung seines Lebensstiles bewirkt. »When I start to go to Shia I was a bad person more than when I am a Muslim. (spricht sehr schnell und zum Teil unverständlich). Now I don’t drink anymore. [...] When I became a Shia I stopped things completely. I don’t want to go to a bar again, I didn’t go to the disco anymore.«27

Allerdings stieß seine Konversion in seiner Familie auf große Vorbehalte: »So I leave Sunnism and I leave Wahhabism and become a Shia. My father knew that I had become a Shia, he told me don’t come even to my burial. (klopft auf den Tisch) Don’t come. I don’t want you to become Shia. You know? [Q: So your family was against it?] Yes. Completely. My friends. I had friends, now they see me as a lost person. (Pause). [...] So my family did not want to ... (unverständlich) because I’m a Shia. But I kept on telling them that the Shia thing is the right path. They did not want hear it.«

Die oben genannten Probleme stehen in Kontrast zu der Darstellung seiner Eltern zu Beginn der Erzählung.28 Dort wurden sie als nicht besonders gläubige Konvertiten und offen gegenüber dem Ausprobieren anderer Religionsgemeinschaften vorgestellt. Dies kann sich jedoch über die Jahre hinweg geändert haben. Zudem unterscheidet sich das spielerische, nicht festgelegte Ausprobieren doch deutlich von einer Konversion in eine andere religiöse Gemeinschaft und dem damit verbundenen Aufgeben der alten Gemeinde. Auch die Eltern eines Konvertiten werden durch den damit verbundenen sozialen Druck beeinflusst. Auch manche seiner Freunde wandten sich von ihm ab. Es ist seiner Meinung nach sehr schwierig vom Christentum zum Islam und vom sunnitischen zum schiitischen Islam zu konvertieren, es sei denn ein Mensch ist unabhängig von

27 Interessanterweise erwähnt Bilal an dieser Stelle nicht den Konsum von Khat. Von Muslimen wird diese Droge häufig als nicht verboten betrachtet. 28 Während der Forschung hat sich gezeigt, dass eine Konversion der Eltern häufiger thematisiert wird. In insgesamt acht Konversionserzählungen wurde darüber gesprochen. Allerdings handelte es sich nur in zwei Fällen um Konversionen zwischen dem Christentum und dem Islam. Alle anderen Konversionen betrafen entweder Wechsel zwischen verschiedenen Kirchen oder Christianisierungen aus lokalen Religionen.

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der Familie oder diese abhängig von ihm. Dabei vergleicht er seinen eigenen Schritt der Konversion mit dem eines Christen zu einer ›born again‹ Kirche und stellt ihn damit als nicht so groß dar. Trotzdem ist bis auf einen seiner Söhne niemand aus seiner Familien zum schiitischen Islam konvertiert: »To become a Shia is not a joke. People are going to hate you. People are going to hit you. It’s not a joke to become a Shia, it’s not.« Die sozialen Implikationen innerhalb der islamischen Gemeinde seien sehr stark, da die Schia als besonders radikal dargestellt werde, dies vor allem unter dem Einfluss der Wahhabiyya (vgl. Kapitel 3 über die Konflikte in den islamischen Gemeinden). Die Stellung der Schiiten, insbesondere der afrikanischen Konvertiten, unter den Muslimen in Kenia nahm einen großen Raum vieler unserer Gespräche ein. Schon im ersten Gespräch mit Bilal und Tariq positionierten sich beide sehr stark als Schiiten und in Abgrenzung zu anderen Gruppen. Der wahrnehmbare Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten sei in Wirklichkeit einer zwischen der Wahhabiyya, die sich unter den Sunniten verstecken würden, und der Schia. Auf der Straße grüße man sich zwar, für einen Fremden ist der Konflikt also nicht offensichtlich. Aber wenn sie versuchten zur Hauptmoschee zu gehen, um dort am Gebet teilzunehmen, müssten sie Angst haben, verprügelt zu werden. Es sei ja auch kein Wunder, dass die Sunniten so reagieren, denn »We are on the right path. That’s why they hate us.«29 Für Bilal stellt diese marginalisierte Position jedoch keinen Grund dar, sich wieder vom schiitischen Islam zu lösen. Im Gegenteil, sie scheint zu seiner Selbststilisierung als Außenseiter zu passen. Der Konvertit als Missionar – »Christian-Muslim dialogue« Nachdem er 1987 seinen Job aufgrund von gesundheitlichen Problemen verloren hatte, versuchte er mit der erhaltenen Abfindung einen Kleinhandel aufzubauen. Außerdem ließ ihn auch jetzt die Frage des Glaubens nicht los, er hatte weiterhin Kontakt und Diskussionen mit Pastor Mwendo und ging auch in andere Gemeinden um einen »Christian-Muslim dialogue« zu starten: »So I went all around, to all those churches. [...] And do Christian and Muslim dialogue with them. [...] And then it wasn’t like so many Shia people. When they [Christen] are worshiping they are doing this, they are clapping hands (klatscht in die Hände) and all

29 Diese Angst ginge sogar so weit, dass ›sie‹ Bücher fälschten und so zum Beispiel die entscheidende Hadith ganz herausnehmen oder unauffindbar an eine andere Stelle des Buches setzten.

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this. Which you cannot find in Islam. Islam is very serious. So I wanted to become one of those people. [...] But wherever I go, I found that these people they don’t have God. They don’t have God.«

Trotz der Konversion fühlte er sich nach wie vor zum Christentum hingezogen. Statt aber weiter über eine Taufe nachzudenken, versucht er die ihm sympathischen Menschen in ›seine‹ Gemeinschaft zu holen, also Christen vom Islam zu überzeugen. »So I check this. I started … they become my friends, I started greeting them. I started deep preaching to them to become Muslims. So I bought … I went to someone [...] and asked him for a help. So he bought for me one amplifier and two speakers. Public address. (lacht) And he accepted to give me some little money. He was an optician here, now he has gone to Canada. [...] I went to the market place. (Pause) I started preaching Christian and Muslim dialogue on the streets. I was the first starting that thing here in Nakuru. Yes. I started that thing. Went to the street and starting ›God is one‹. (lacht) So I preached that God is one, one you should not do this and this. That’s in 1992 you know?«

Hier wird der »Christian and Muslim dialogue« zu einem Euphemismus für ›Mission‹. Aus einem Austausch über ›Wissen‹ wird eine Behauptung zu wissen. Bilal trat bei dieser Missionstätigkeit allerdings nicht als schiitischer Prediger auf, es wird nicht einmal deutlich, ob sein Sponsor wusste, dass Bilal Schiit war, sondern er versuchte die Menschen allgemein vom Islam zu überzeugen. »I tried to convert them to fear one God. You know prophet Mohammed, he is saying that none to be worshiped but one God. [...] So I was just calling people to accept. [...] So after you have become a Muslim, I’ll start now convincing you to become a Shia. Now that’s all. So I did not want to show the revertees to feel there’s anything wrong in becoming a Muslim. Because Prophet Mohammed has taught us whoever goes to the Mosque and does this because of God, God is going to reward him.«

Die wichtigsten Schriften, der Koran und die Hadith-Sammlung seien ja auch gleich, einzig in der Frage der Führerschaft gäbe es Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten. Bilal ist sehr stolz auf seine Erfolge als Missionar, immer wieder erzählte er, er habe mehr als 70 Menschen in der Region für den Islam gewonnen. Zum Teil nannte er sogar Namen einiger in der Stadt bekannter Konvertiten. Über die heute im Hinterland aktiven Missionare sagte er: »They don’t preach. They just speak. To preach you should know what you have to say.« Sie würden viel zu konfrontativ vorgehen und das Christentum abwerten,

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er dagegen habe einfach nur über Gott gesprochen. Wegen dieser offensiven Art zu predigen würden die Missionare zum Teil sogar mit Steinen beworfen und davon gejagt. 1997, nach fünf Jahren als Prediger, bekam er keine Unterstützung mehr von seinem Sponsor. Er war nun in einem finanziellen Dilemma, da er Haus und Kinder zu unterhalten hatte, aber kaum Geld verdiente. Jetzt versucht er mit kleinen Aufträgen Geld zu verdienen, zeitweilig arbeitet er als LKW Fahrer. 2002 versuchte er zusammen mit Tariq eine Zeitschrift, »Ubongo wa Mzalendo« (Patriot’s Mind), herauszugeben, die vierteljährlich auf Swahili und English erscheinen sollte. Dieses von der schiitischen Gemeinde unterstützte Projekt sollte eine Vielzahl von Themen behandeln, sich aber vor allem mit politischen Problemen und deren Lösungsmöglichkeiten, die alle auf den schiitischen Islam hinauslaufen, beschäftigen. Bis 2004 scheint es aber bei nur einer Ausgabe geblieben zu sein. Später sprach er nicht mehr von diesem Projekt. Öffentlich ist Bilal jetzt nicht mehr aktiv, er beschäftigt sich jedoch nach wie vor regelmäßig mit religiösen Themen. Abends zwischen 8 und 10 läse er im Koran und anderer islamischer Literatur: »I know God by reading him«. Die Gebete seien für ihn eine wichtige Zeit des Tages. Er sei zwar Kikuyu, aber während des Gebets könne man ihn als Somali bezeichnen, so sehr würde sich sein Gesichtsausdruck verändern. Seine religiöse Suche ist nach wie vor nicht zur Ruhe gekommen. Zum Beispiel erzählte er, dass er gerne Treffen der sunnitischen Tablighi Jama'at besuche. Außerdem berichtete er mir stolz, dass er sehr häufig Family TV30 sähe, um sich weiterzubilden. Zwei Jahre nach unserem Kennenlernen bat er mich außerdem um Geld für einen 10-monatigen Bibelkurs in Tansania.

6.3 E INFLUSS PERSÖNLICHER N ETZWERKE AUF K ONVERSIONEN Adhäsion oder Konversion? In den Erzählungen Badias und Bilals findet sich eine Beschreibung der Konversion wieder, bei der Elemente aus verschiedenen Religionen verbunden werden, ohne dass ein »universe of discourse« vollständig durch ein anderes ersetzt würde. Dies entspricht also dem, was andere Autoren als Adhäsion, Alternation oder Synkretismus bezeichnen. Auch wenn zwischen diesen Begriffen jeweils leichte

30 Family TV ist ein christlich-fundamentalistischer Sender aus den USA, der im kenianischen Fernseh-Netz gezeigt wird.

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Unterschiede bestehen, Nocks ( 1961 [1933]) Adhäsion steht für ein ergänzendes Hinzufügen von Elementen des neuen Glaubens zur alten Religion, während Travisano (1970) von Alternation als einem reversiblen Rollenwechsel spricht, so haben diese Ansätze gemeinsam, dass hier nicht von Konversion gesprochen wird, da dieser Prozess nicht zu einem inneren Bruch der persönlichen Weltsicht führe. Das Narrativ der ›Konversion als soziale Reorientierung‹ zeigt jedoch deutlich, dass auch in diesen Fällen eine starke Auseinandersetzung mit der neuen Religion stattfinden kann und sich zudem die Akteure zu ihrer Rolle als Konvertiten verhalten. Sie agieren somit in dieser Rolle mit ihrer Mitwelt und handeln diese Rolle gleichzeitig für sich selbst aus. Deshalb sollte auch in diesen Fällen von Konversionen gesprochen werden. Dieses Narrativ wurde vor allem von denjenigen Konvertiten gewählt, bei denen die Konversion stark durch soziale Netzwerke beeinflusst waren, wie im Falle Badias und Bilals. Bei ihnen spielte die Neuorientierung innerhalb des sozialen und religiösen Feldes eine deutlich größere Rolle, als bei Konvertiten, bei denen der Eintritt in ein neues religiöses Feld unabhängig von anderen gewählt wurde. Neben dem Einfluss sozialer Netzwerke auf den Religionswechsel, wie zum Beispiel durch familiären Druck (oder auch durch Freunde), kann dieser auch aufgrund von finanziellen Anreizen stattfinden. Während dies für einige Konvertiten einen starken Bruch ihres bisherigen Lebens und Glaubens darstellt, hat er für die Selbstwahrnehmung anderer Akteure keine große Bedeutung, bzw. kann auch zur Ablehnung der ›neuen‹ Religion führen. In den Erzählungen wird dies entweder sehr klar benannt oder die Konversion, bzw. die Religion, spielt so gut wie keine Rolle. Konversion durch soziale Netzwerke Familiärer oder sozialer Druck kann in vielen verschiedenen Situationen ausgeübt werden. Insbesondere Frauen konvertieren häufig durch die Heirat mit einem Muslim zum Islam31, zum Teil konvertieren aber auch Männer bei der Heirat einer Muslima. Manche Frauen wählen diesen Schritt auch nach der Konversion ihres Ehemannes oder wie im Falle Badias ihrer Söhne. Die Frage, ob und welcher der beiden Ehepartner bei einer Heirat die Religion ändert, hängt zum einen von der Religiosität der Beteiligten bzw. deren Familien, zum anderen aber von regionalen und lokalen Praxen ab. Während für Einige Religion eine private Angelegenheit und somit eine persönliche Wahl

31 Vielen Frauen ist dabei nicht klar, dass dies nicht zwangsläufig erforderlich ist.

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darstellt, ist es für Andere wesentlich wichtiger, dass der Ehepartner dem gleichen Netzwerk angehört. So erzählte Tariq (der Freund Bilals), seine Frau sei ein Jahr nach ihm zum Islam konvertiert, nachdem er ihr jeden Abend etwas über die Religion beigebracht habe. Dadurch sei es sehr leicht gewesen, sie zu überzeugen. Als ich ihn fragte, ob sie auch zum schiitischen Islam konvertiert sei, antwortete er: »I wouldn’t say that. Because to say that somebody has converted to Shia Islam is for you to make your own research and come to your own conclusion. It’s not something that I can tell you, ›Can you now believe that the prophet led somebody as a Shia or not?‹. I cannot tell you that. So it is up to you. I give you the facts, you read history, you learn, you reason, you ask questions and then you decide on your own. So I wouldn’t say she’s a Shia. I wouldn’t. But being my wife, of course, well she’s bound to be looked on that way. And of course anytime that she would have, any argument to try and go to the other side, I am sure I would actually overcome this through answers and reasoning.«

Hier steht der Schilderung seiner eigenen aktiven Suche eine passive Darstellung des Religionswechsels seiner Frau gegenüber. Aber auch andere familiäre Abhängigkeiten können die Konversion als sinnvolle Handlungsmöglichkeit erscheinen lassen. So konvertierte ein weiterer Interviewpartner, Asif 1995 mit 15 aus Dankbarkeit und Pflichtgefühl heraus zum Islam, da er über lange Jahre von einem muslimischen Freund der Familie unterstützt wurde. Nach dem Tod seines Vaters lebte Asif im Haushalt dieses Mannes bis zum Abschluss seiner Schulausbildung. Dieser half ihm mit Schulgebühren und den Hausaufgaben und unterstützte ihn später, ein eigenes Kleinunternehmen (den Verkauf von Kerosin) aufzubauen. Asifs Konversion war vor allem mit der Loyalität zu seinem Förderer verbunden. Er begründete zwar, wie alle interviewten Männer seine Konversion inhaltlich mit dem am weitesten verbreiteten Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹, jedoch nur an einer einzigen, sehr kurzen Stelle unseres Interviews. Religion scheint in seinem jetzigen Leben eine eher geringe Rolle zu spielen. Zudem tauchten in dem Interview immer wieder christliche Denkmuster auf. Ein weiterer Einfluss sozialer Netzwerke ist wiederum bei der Konversion von Männern zu beobachten. In mehreren Fällen konvertierten diese nicht alleine zum Islam, sondern gemeinsam mit einem guten Freund. Dieser Themenkomplex wird hier nur benannt und im Schlusskapitel noch einmal aufgegriffen.

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Konversion durch materielle Anreize Auch in Fällen in denen die Konversion zum Islam scheinbar aus der Hoffnung auf finanziellen Aufstieg oder eine gesellschaftliche Neu-Positionierung heraus erfolgt, wird zwar oft das dominante Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ verwendet, jedoch passt es häufig nicht zu den biographischen Daten. Dies wurde sehr deutlich im Falle eines Interviews mit Abdallah. Er teilte mir gleich zu Beginn mit, er wolle nicht, dass seine Konversionserzählung aufgenommen würde. Außerdem würde er mir nichts Biographisches erzählen, nur die Gründe für seine Konversion zum Islam. Fast das gesamte Interview war dann von dieser sehr unpersönlichen, unnahbaren Stimmung geprägt. 1989 wurde er nach Abschluss der Sekundarstufe arbeitslos. Zunächst einmal wechselte er für kurze Zeit in eine ›life celebration church‹, eine Pfingstgemeinde. 1994 konvertierte er zum Islam32 und besuchte gleich nach seiner Konversion drei Jahre lang verschiedene madaris an die Küste in Mombasa, Lamu und Malindi. Für den Aufenthalt und den Unterricht an diesen Institutionen musste er nichts bezahlen, da dies komplett finanziert worden sei. Nach Abschluss dieser Zeit besuchte er ein Teachers College, danach begann er in Nakuru als Lehrer zu arbeiten, wo er mit seiner christlichen Frau und zwei kleinen Kindern lebt. Beim Lernen über den Islam stellten sich ihm jedoch einige Fragen, zum Beispiel warum das Haus des Propheten (und damit Araber) höher angesehen sei als andere Muslime. Die Lehren seien für ihn zum Teil veraltet, insbesondere die Kleidungs- und Essensvorschriften, und der generelle Lebensstil zu strikt. Auch wenn der Koran sehr rein sei, so könne man dies von der Sunna nicht behaupten. Bezöge man all diese Unklarheiten mit ein, könne man feststellen, dass der Unterschied zwischen Christentum und Islam gar nicht so groß sei. Am Ende des Interviews erzählte er, er habe angefangen sich mit dem Buddhismus zu beschäftigen. Auch wenn Abdallah versuchte, nur wenig Persönliches preiszugeben, so wurde doch klar, dass er mit seiner Konversion zum Islam nicht ohne Einschränkungen zufrieden ist. Die Verweigerung einer persönlichen, biographischen Erzählung und der versuchte Rückzug auf ideologische Erklärungsmuster

32 Abdallah hatte seine eigene Theorie über die Konversion zum Islam. Neben Werbung und Heirat nannte er ökonomische Unsicherheit. Damit meine er jedoch keine direkten materiellen Vorteile durch die Konversion, sondern den Versuch Gott zu gefallen, um so ein besseres Leben zu führen. Allerdings sagte er im nächsten Satz, zwischen 1995-1998 seien besonders viele Menschen zum Islam konvertiert, da Muslime in dieser Zeit viel Geld besessen hätten. Heute sei dies anders. Mit der Verortung seiner eigenen Konversion 1994 setzt er von diesen Konvertiten ab.

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könnte in diesem Falle als Versuch angesehen werden, ein von ihm selbst als opportunistisch eingestuftes Verhalten und seine persönliche Unzufriedenheit zu verbergen. Mehrfachkonversionen Die religiösen Möglichkeitsräume in Ostafrika sind sehr vielfältig und der Übergang zwischen ihnen nicht immer so schwierig wie in den Fällen von Badia und Bilal. Im Gegensatz z.B. zu Deutschland ist die religiöse Konversion in Ostafrika als Handlungsoption weit verbreitet. Im Hinblick darauf ist es interessant, insbesondere Mehrfachkonversionen zu betrachten. Dabei ist zu fragen, ob die Möglichkeit der Konversion insbesondere dann offen steht, wenn auch die Eltern schon von einer Religion zu einer anderen konvertiert waren, wenn Konversion also ein gängiges Verhaltensmuster innerhalb des sozialen Netzwerkes darstellt. Es müsste somit auch sehr viel einfacher sein, mehrmals die Religion zu wechseln, beziehungsweise Religionen ›auszuprobieren‹. Ein extremes Beispiel solch einer Mehrfachkonversion erzählte mir ein zwanzigjähriger Tour-Unternehmer aus Moshi. Er wuchs zunächst bei seiner muslimischen Mutter als Muslim auf. Seine Eltern waren jedoch nicht verheiratet und sein Vater, ein Katholik, holte ihn mit 12 Jahren zu sich – so wurde auch er Katholik. Mit 16 wechselte er zur protestantischen Kirche, da sich die Protestanten stärker auf die Bibel bezögen. Später wurde er für kurze Zeit Mitglied zweier Pfingstkirchen. Allerdings habe er in diesen Gruppen nicht das finden können, was er suchte – die Wahrheit. Nachdem er in einem Buchladen der katholischen Kirche in Dar es Salaam ein Buch von Roy Masters gefunden habe, folge er dessen Lehre, die auf einer Mischung von Bibel und Meditation beruhe. Wahrheit könne dabei nur durch eigene Erkenntnis erfahren werden und sei nicht allein durch Wissen zu finden. Die Erzählungen der meisten meiner Interviewpartner ähnelten jedoch nicht diesem Extrembeispiel. Etwa jeder Dritte der von mir Interviewten hatte in seinem Leben Erfahrungen mit mehr als zwei verschiedenen religiösen Gemeinden gesammelt. Die meisten von ihnen haben allerdings nur in der Phase des Suchens andere religiöse Zugehörigkeit ausprobiert, meistens sehr kurz, bis sie zu der jetzigen Gruppe gefunden hatten und bei dieser blieben. Geht man also davon aus, dass die Akzeptanz von Konversion auch vom Umgang mit Religion und unterschiedlicher Religionszugehörigkeit in der Familie abhängt, so müsste Konversion sehr viel einfacher sein, wenn die Eltern selbst konvertiert sind, beziehungsweise eine ›mixed family‹ bildeten. Von den 21 genauer ausgewerteten Erzählungen über Konversionen zum Islam kamen

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sechs Biographien von Interviewpartnern, die aus Familien stammten, in denen sie selber Konversionen erlebt hatten (so waren vor ihrer eigenen Konversion die Eltern oder Geschwister konvertiert). Sechs weitere kamen aus einer christlichen ›mixed marriage‹. Das heißt, etwa über die Hälfte der Konvertiten kamen aus ›multi-religiösen‹ Familien. Nur sieben kamen aus Familien, in denen Konversion bisher keine Rolle gespielt hatte, zwei Gesprächspartner äußerten sich nicht näher dazu. Sechs dieser 21 Interviewten erzählten dabei von eigenen Mehrfachkonversionen. Sie kamen jedoch nicht alle aus multi-religiösen Familien, sondern teilen sich relativ gleichmäßig über alle drei Familientypen auf. Allerdings waren bei Konvertiten, deren Eltern selbst konvertiert waren, ein höherer Prozentsatz an Mehrfachkonversionen zu beobachten, bei ›mixed marriages‹ dagegen ein niedrigerer. Allerdings lässt sich das vorhandene Datenmaterial nicht quantitativ verwerten, da die Zahl der Fälle viel zu gering ist. Dennoch könnten diese Feststellungen einen Hinweis auf mögliche Fragestellungen geben. Ein scheinbar leichtfertiger Umgang mit Konversionen bedeutet nicht, dass diese ohne Relevanz für den Einzelnen sind, wie das Beispiel Theresias (vgl. auch Kapitel 7.2 für eine ausführlichere Darstellung) zeigt. Obwohl ihre Eltern erst spät zum Christentum konvertiert waren und alle Geschwister ihre Religionen dem Schultyp (protestantisch oder katholisch) nach gewählt haben, war Theresia nach ihrer Heirat nicht bereit diesen eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen. Ob Familien multi-religiös sind oder nicht scheint somit keine direkte Rolle für die Konversionen der Kinder zu spielen. Auch die durch die Konversion bedingten Konflikte in der Familie, wie im Falle Badias und Bilals, scheinen von der in der Familie vorhandenen Option der Konversion weniger beeinflusst gewesen zu sein als von anderen Faktoren.33 Allerdings sind Konversionen als Option in manchen Teilen der Gesellschaft Ostafrikas präsent und prägen somit eine gewisse religiöse Freiheit, Neues auszuprobieren. Die Beschäftigung mit Religion ist ein wichtiges und viel diskutiertes Thema. Bilals Erzählung zeigt, dass in vielen Fällen jedoch nur bestimmte Möglichkeitsräume offen stehen. Deren Nutzung oder Nicht-Nutzung wird nicht unbedingt thematisiert.

33 In manchen Fällen können auch vor der Konversion vorhandene Konflikte zwischen Eltern und Kindern mit Fokus auf den Religionswechsel weiter ausgetragen werden (vgl. Kapitel 9).

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6.4 Z USAMMENFASSUNG Das Narrativ der ›Konversion als soziale Reorientierung‹ wird vor allem dann verwendet, wenn die Konversion durch den Einfluss sozialer Netzwerke erfolgte und der Konvertit vor allem seine eigene, neue Position innerhalb des religiösen Feldes suchen und bestimmen muss. Dieses Narrativ dient also stärker der eigenen Verortung und weniger der Rechtfertigung gegenüber der alten und neuen religiösen Gruppe. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Religionswechsel zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Religiosität führt oder mit der Zeit eine Verstärkung der religiösen Erfahrung stattfindet. Die zum Teil konflikthafte Verbindung christlicher und muslimischer Ideen und Lebensweisen kann im Falle Badias nicht als Synkretismus im Sinne eines ›leichteren Weges‹ gedeutet werden, sondern ist einer tiefen Gläubigkeit geschuldet. Wenn wie im Falle Bilals die Frage des Lebens nach dem Tod eine große Rolle spielt, wird deutlich wie groß die Unsicherheit vieler Konvertiten sein muss, ob ihre Entscheidung zur Konversion richtig war. Auch Badias Überlegung, was wohl mit den Menschen in den ganzen kleinen Kirchen geschähe, in denen es doch nur ums Geld ginge, deutet in diese Richtung. Was, wenn die Entscheidung der Zuwendung zu einer bestimmten religiösen Gruppe und Ordnung am Ende eine Abwendung von Gottes Wille bedeutet? Die Selbstvergewisserung durch das hier darstellte Narrativ erfolgt über den Vergleich religiöser Praxen und die Darstellung der eigenen Verortung innerhalb des religiösen Feldes. Wie bei Badia zu sehen war, werden die unterschiedlichen Positionierungen nicht nur mit Hilfe der Konversionserzählung vorgenommen, sondern auch über die Praxen selbst und über religiöse Netzwerke. Auch für Bilal sind religiöse Praxen ein wichtiges Moment der Erzählung. Allerdings führt die Bewunderung des christlichen Singens und Tanzens nicht zu einer Konversion, sondern eher zur Beschreibung eines positiv besetzten Gegenbildes zum Islam, der aber theologisch als überlegen dargestellt wird. Manche Frauen versuchen, meist vermutlich unbewusst, diesem Loyalitätskonflikt zwischen alter und neuer religiöser Gemeinschaft durch das Aufstellen von Parallelen und somit Brücken zwischen den Religionen zu entgehen. Auf meine Frage nach den Unterschieden zwischen Islam und Christentum zählten in Moshi zwei zukünftige Christinnen (Grace und Veronica), beide konvertierten aufgrund einer Heirat vom Islam zum Katholizismus34, fast nur Ähnlichkeiten auf. Eine sagte sogar

34 Während ein katholischer Mann nach kanonischem Recht nur eine getaufte Frau heiraten darf, wird bei nicht-katholischen Männern eher auch eine ›mixed-marriage‹ ak-

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ganz konkret »hamna tofauti« (Swahili: es gibt keine Unterschiede), sie würden doch sowieso alle zum gleichen Gott beten. Der einzige Unterschied bestünde in der Sprache (Arabisch bzw. Kiswahili), ansonsten sei alles gleich. In der Kirche riefen die Glocken zum Gebet, in der Moschee der Muezzin. Heiliges Wasser gäbe es auch in beiden Religionen. Auch vor dem Essen dankten die Angehörigen beider Religionen Gott. Im Islam reiche ein bismillah, das christliche Gebet und das Schlagen des Kreuzes dauere etwas länger. Badias Darstellung ihrer eigenen Religiosität als unabhängig von einem bestimmten Glauben kann auch hier eingeordnet werden. Diese Aufstellung von Parallelen dient also einer leichteren individuellen Verortung im sozialen und religiösen Raum des Islam. Im Gegensatz zu Bilal hinterfragte Badia ihr eigenes Handeln und ihre Selbstpositionierung immer wieder sehr offen und bewusst. Diese Frage nach einer ›wirklichen‹ Konversion ist eng verbunden mit Definitionen des gläubig Seins. Für Badia ist Spiritualität und eine besondere Lebensführung dafür ein Zeichen, für Bilal dagegen das religiöse Wissen. Badia löst ihre Zwischenposition durch die Betonung einer individualisierten, religionsunabhängigen Spiritualität und einer internalisierten spirituellen Erfahrung. Die Konversion hat sich somit zwar auf die Gruppenzugehörigkeit ausgewirkt, aber keine Veränderung der Religiosität und des Verhältnisses zu Gott nach sich gezogen. Bilal wiederum betont seinen Glauben zur theologisch richtigen Gruppe zu gehören, auch wenn diese seinem Lebensgefühl nicht entspricht.

zeptiert. Wie streng diese Regelungen gehandhabt werden ist sicherlich unterschiedlich.

7 Konversion als moralische Festigung

Dieses insbesondere für Frauen wichtige Konversionsnarrativ stellt die innerliche Wandlung als eine moralische Festigung in den Mittelpunkt der Erzählung. Dabei wird Moral vor allem im Sinne von Sittlichkeit verwendet und betrifft sowohl eine äußerliche Haltung, geprägt von einer sittsamen Lebensweise, ›modesty‹ (Kleidung) und Hilfsbereitschaft, als auch eine innerliche Veränderung, die vor allem als neue Stärke empfunden wird. Hingegen wird in den Erzählungen, die diese moralische Veränderung in der Vordergrund stellen, der intellektuellen (vgl. Kapitel 8) oder spirituellen Komponente weniger Platz eingeräumt. Während dieses Narrativ von allen Frauen, die sich selbst als Konvertitinnen sehen, verwendet wurde, spielte es bei Männern eine geringere Rolle und wurde immer durch das Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ überlagert. Zudem spielte bei Männern die Idee von ›modesty‹ kaum eine Rolle. Der Fokus lag dagegen, wie z.B. bei Bilal, auf einer Abkehr von einer bestimmten, mit dem Konsum von Alkohol und dem Besuch von Bars verbundenen, Lebensweise. Außerdem definierten Männer die innere Veränderung nicht als einen Gewinn an Selbst-Disziplin, sondern als eine Erlangung neuer Klarheit, erworben durch Regeln, aber auch durch ›klareres Wissen‹. Mit dieser Klarheit verbunden ist auch das Gefühl der Sicherheit in Zeiten der Komplexität. Im ersten Teil dieses Kapitels wird die Konversionserzählung von Nuru vorgestellt, die durch die Ehe mit einem Muslim zum Islam konvertierte und die ihre Konversion erst einige Zeit nach dieser Heirat ansiedelt. In ihrer Erzählung kommen beide Komponenten der moralischen Festigung, nach außen sowie nach innen, zur Sprache. Im zweiten Teil wird gezeigt, wie über Konversionen und Konversionserzählungen Geschlechterrollen in Ostafrika ausgehandelt werden. Männer verwiesen häufig auf die Nähe zwischen ›afrikanischen‹ und ›islamischen‹ Heiratsvorstellungen. Insbesondere das Thema Polygamie wurde von ihnen häufig angesprochen. Für Frauen ist genau dies jedoch ein Anhaltspunkt zu einer eher negativen Einschätzung ihrer Möglichkeitsräume innerhalb des Is-

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lam. Eine aus einer strengeren Sexualmoral gewonnene neue Stärke wird von Frauen dagegen positiv bewertet. Am Ende wird die Beobachtung erläutert, dass bestimmte Konversionsnarrative vor allem von Frauen, andere dagegen verstärkt von Männern ins Zentrum der Erzählung gerückt werden.

7.1 N URU : »T HERE IS IN C HRISTIANITY «

MORE DISCIPLINE IN I SLAM THAN

Nuru lernte ich 2005 in Kisumu über den damaligen Gemeindesekretär kennen. Nach langem beharrlichen Warten meinerseits, stimmte sie erst am letzten Tag meines Aufenthaltes einem Interview zu. Seitdem haben wir ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Auch zwei Jahre später trafen wir uns einige Male. Ihre anfängliche Zurückhaltung lag vor allem in ihrer konfliktiven familiären Situation begründet, die sie durch eine öffentliche Darstellung nicht noch verschärfen wollte. Die nachfolgenden Zitate stammen alle aus dem 2005 durchgeführten biographischen Interview. Nuru wurde 1965 im östlichen Teil Kenias geboren, wuchs aber in Nairobi auf. Ihr Vater arbeitete als LKW-Fahrer, ihre Mutter als Rezeptionistin. Nuru besuchte eine katholische Grundschule, da ihre Mutter, wie auch ihre Großmutter Katholiken waren. Ihr Vater gehörte dagegen der African Inland Church an. Beide Elternteile nahmen ihren Glauben sehr ernst. Nuru beschrieb sich und ihre Geschwister als irgendwie dazwischen stehend, da beide Elternteile sie in ihre Richtung ziehen wollten. Dies führte jedoch zu einem relativ geringen Stellenwert von Religion im Elternhaus, »Because at the end of the day everybody ended up going where they felt like.« Trotzdem fühlte sich Nuru eher der katholischen Kirche nahestehend und erzählte von ihrer regelmäßigen Teilnahme an Messfeiern. Nach Abschluss der Sekundarschule (Form 4, 11. Klasse)1, bewarb sich Nuru an verschiedenen Colleges. Als Älteste und einziges Mädchen, mit sieben kleineren Brüdern, wurde sie dabei von der Familie kaum unterstützt: »But now at this point I lacked proper advice. I didn’t know what I could choose and what I could do. [...] So it was like I was fighting for my own. Nobody was helping me. And I was also too young. So I tried to find myself a college.« Entgegen dem Willen der Eltern bewarb sie sich für eine Ausbildung im Tourismussektor und wäre dort auch angenommen worden. Da sie aber nicht das notwendige Geld von den Eltern erhielt, ihr Vater ging davon aus, dass »a woman should either be a teacher or a nurse«, musste sie diesen Wunsch aufgeben und

1

Bis 1985 galt ein 7-4-2-3 Schulsystem.

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bewarb sich für eine Ausbildung als Krankenschwester, die sie 1986 abschloss. Danach nahm sie eine Stelle an der kenianischen Küste an. Dort lernte sie ihren zukünftigen Ehemann kennen, der aus einer alten arabischen Familie stammte. Für die Heirat mit ihm konvertierte sie 1989, rund ein Jahr nach ihrem Kennenlernen, zum Islam. Nuru arbeitet momentan als Krankenschwester in einer von einer islamischen NGO finanzierten Klinik. Sie hat zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann, der als Manager in einem Unternehmen arbeitet, zusammen. Beide führen eine relativ gleichberechtigte Beziehung und können zur oberen Mittelschicht gerechnet werden. Heirat – »For me I wasn’t converted, I was just getting married« Der Beginn der Arbeit an der kenianischen Küste, in Lamu, bedeutete für Nuru einen großen Einschnitt in ihrem Leben: »When I went to Lamu, that was where my life changed to now. It was the first time that I came to contact with you know, with Islam, with Muslims, with a completely different way of life from mine. This one, it’s mainly a Muslim town. And everywhere there is Islam and Muslims. So that’s where I met my husband.«

Nurus Familie reagierte zunächst etwas kühl auf ihren zukünftigen Ehemann. Ihre Eltern befürchteten, dass er sie nach einiger Zeit im Stich lassen würde: »He [ihr Vater] told me, I hope you know what you are doing. Because don’t mess up your life and come back crying. And my mum was like these guys can’t be trusted. They marry hundred and one women. They keep on marrying. (lacht) [...] For me, I was in love, that was enough. So it really didn’t matter what they were telling me. It didn’t really matter.«

Diese Ängste waren für die anfängliche Ablehnung der Ehe sehr viel wichtiger als Nurus Konversion zum Islam. Hierzu sagte ihre Mutter nur: »Just make sure you keep this Islam business to yourself.« Nachdem ihre Eltern ihn kennengelernt hatten, hätten sie ihn aber sehr gemocht. Vor allem seine Reife, er ist einige Jahre älter als Nuru, habe sie überzeugt. Sehr viel größere Probleme bereitete Nuru das Verhältnis zu ihren Schwiegereltern, die aus einer politisch und religiös vormals sehr einflussreichen arabischen Familie kommen:

256 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION »Because his parents could not stand for him to marry a Non-Muslim. And someone from outside their community that was of Arab origin. And you know they call us Africans. And them the Arabs. So it was, it was, it was hell.«

Immer wieder erzählte sie von den Schwierigkeiten und ihrem Gefühl des Ausgestoßenseins, zum einen als Nicht-Muslima und zum anderen als Afrikanerin. »My in-laws were the problem. Because to them I was just an outsider. And there was no way I could be accepted into their family. And especially it was the ..., they were regarded also as high-class. You know? After being Arabs, even among their community they are on the higher side. You know? And then here comes an, a, an African, and, you know. It was completely unheard of.«

Nuru wurde als unwürdig für eine Heirat in diese Familie angesehen und kaum einer sprach mit ihr. Insbesondere ihre Schwiegermutter stellte sich sehr gegen diese Beziehung. Erst fünf Jahre nach der Heirat konnten sie sie das erste Mal besuchen. Nur durch die enge Verbundenheit und den Einsatz ihres Ehemannes merkte die Familie, dass sie Nuru akzeptieren mussten. Wie tief die durch diese Behandlung verursachten Verletzungen sind, wurde deutlich, als sie über Afrikaner in Saudi Arabien als Beispiel für die innerislamische Ungleichbehandlung sprach: »But Africans really have it rough there. Sometimes I even wonder why people go there. They are not even treated as a human being.« Und ich solle nicht vergessen, das waren diejenigen, die die Sklaverei begannen. Da seine Eltern dieser Beziehung nicht zustimmten, entschieden sich die beiden in eine andere Stadt umzuziehen und dort, unbeeinflusst von den Familien, zu heiraten und ein gemeinsames Leben aufzubauen: »And that’s where we started our life again. So at least with that we had moved away from everybody. It was just us.« Die Heirat war für Nuru verbunden mit einem Übertritt zum Islam. Für sie stellte das Sprechen der shahada aber zunächst keine Konversion dar, in ihren Augen war dies nicht einmal ein Religionswechsel, sondern lediglich eine Hürde die zu überspringen war, um zu heiraten: »Becau ..., in fact me, I think if my husband hadn’t been a staunch Muslim, if he was a type to fool around before getting married, I don’t think even I had converted. But you know, we couldn’t get into any kind of a relationship before I had converted.«

Sie geht sogar davon aus, dass sie diesen Schritt nicht gegangen wäre, wenn dies nicht unabdingbare Vorbedingung für eine Beziehung gewesen wäre. Für sie

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hatte dieser Akt anfangs keine weiteren Implikationen, es war einfach ein Teil der Heirat. Deshalb praktizierte sie den Islam in der Anfangszeit nicht. Konversion – »Why don’t try your new religion?« Ihre eigentliche Konversion erfolgte dann erst sehr langsam: »First of all my husband is a very staunch Muslim. [...] But anyway, so he started teaching me. Slowly he converted me. And also the good thing about it was, that he never pressurized me about being Muslim. You know, at first, in fact he only told me how to pray. And read a few verses from the Koran. What I needed, you know the basics. To so that I could perform my prayer. And eh, he bought me a lot of books. After that he told me everything was up to me. He never told me, do this, don’t do that … . Or wear this, don’t wear that. In fact I was just free wearing my cloth as usual. I never wear, wore the veil. I still wore my trousers. Even if I felt like wearing shorts, I wore. You know, so long as I was decently dressed. So I continued that way, you know, he never asked me anything. Slowly by slowly I started reading these books. You know even ..., even after we had married, I still read the Bible once in a while. So he could find me reading the Bible, asking, why are you reading this? And I tell him, I just want to help myself with a few things. And he told me, why don’t try your new religion? I have to understand the old one before I can understand the new one. (lacht) Ok, mm. So he left me to it. Even so, I continued like that and I started getting interested. I started reading, reading the other book, I tried reading in the Koran, at first I wasn’t understanding. So, they have other books, of Hadith, about ways of Islam. So I started to do those ones.«

Deutlich wird hier, dass ihr Ehemann sie zwar zu nichts zwingt, trotz allem aber ein beständiger leichter Druck auf ihr lastet und ihre religiösen Handlungen von ihm hinterfragt werden. Insbesondere hält er sie dazu an, sich mit dem Islam zu beschäftigen, nicht nur durch die Praxis des Betens, sondern auch durch das Lesen von Sekundärliteratur. Bis auf ein Buch »The Key to Paradise«2 erwähnt sie jedoch keinerlei Literatur in ihrer Erzählung. Noch deutlicher wird dieser Druck in einer anderen Aussage Nurus:

2

Damit ist vermutlich das von Shaykh Habib Ahmad Mashhur al-Haddad, einem sufistischen Gelehrten aus dem Hadramaut, geschriebene »Miftah al-Jannah« (auch als »Schlüssel zum Garten« übersetzt) gemeint. Das Buch erhielt sie von demjenigen, der ihre Trauung durchführte.

258 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION »So, ok, you can say when I really felt, that I’ve actually become a Muslim it was maybe after two years. After I’ve been reading, mm ... (Pause) And then I’m always around [in the house], he’s ever reading the Koran, he’s ever praying and me I’m just there. You know? It’s hard. Or rather it’s awkward. Because he ..., not a session is passing. And he won’t ask me whether I’ve prayed or not. He just takes ablution [Waschung], goes and prays. Until at last I found myself ..., I said let me try also. And when I started, I found that each time a session passes without me I feel very guilty. Yet nobody is telling me. So after that I just found myself in the system. (lange Pause) I found myself, you know. Doing everything that I’m supposed to do, practicing Islam.«

Den Zeitpunkt ihrer inneren Konversion kann sie nicht genau bestimmen, siedelt ihn aber etwa zwei Jahre nach ihrer Heirat an. Beim Nachdenken darüber geht sie noch einmal auf den dahin führenden Prozess ein. Im Gegensatz zu der eher aktiven Darstellung, sie habe angefangen sich mit dem Islam zu beschäftigen, stellt sie hier den Prozess passiver dar und sagt, sie habe sich irgendwann in dem ›System des Islam‹ wiedergefunden. Die Schilderung des Lesens islamischer Literatur ist in ihrem Fall nicht verbunden mit einem Vergleich zwischen Christentum und Islam, sondern mit einer Beschäftigung mit den neuen Inhalten und Praxen. Die innere Hinwendung zum Islam trug dazu bei, dass sich das Verhältnis zur Familie ihres Mannes nach sehr langer Zeit etwas normalisierte. »After some time, they warmed up a bit. [...] At least now, it has changed and especially with my mother in law. Like last December [2004] we were at home and I got this feeling that she was really sorry about the … way she had treated me, initially. I don’t know, maybe because she’s growing old. I don’t know. But I also realised, even before we went, every time she travels she brings me a present. You know, and I’m not there. But she’ll send it somehow. She’ll buy me a dress, she’ll buy me a pair of shoes. [...] You know, it tells you a lot. So when we went, it was like .... You know she, she really wanted to do everything for me. And I sensed, I sensed a very big difference. She wanted to sit and talk to me, something that has never happened. [...] And I had no ..., I have been praying to God that this happens. I remember when I really started praying it was one of the things I prayed for. I asked God, that if this is right, let, let the whole family accept me. Because I am who I am, I am that way. I can’t change that. (Pause) And somehow I felt my prayers have been answered.«

Die Akzeptanz und Verinnerlichung des Islam stellte somit ihre Möglichkeit dar, Anerkennung und Zugang zur Familie ihres Mannes zu finden. Ihre Genugtuung dieses Ziel, eben diese Anerkennung, erreicht zu haben, die Ablehnung über-

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wunden und in der Familie angekommen zu sein, ist sehr groß. Nun da sich die Schwiegermutter, die von Beginn an im Zentrum der Auseinandersetzungen stand, nicht mehr so feindselig verhält, sieht es so aus, als ob sich Nurus Zähigkeit ausgezahlt habe. Diese Beschreibung einer langsamen Konversion durch die Anpassung an das Alltagsleben ähnelt stark der Erzählung Badias im vorigen Kapitel. Allerdings sucht Nuru den Grund für die Konversion letztendlich nicht in ihrem Ehemann (oder anderen Angehörigen), sondern in sich selbst und den von ihr empfundenen persönlichen Veränderungen. Auch wenn Nuru davon spricht, dass sie sich irgendwann im ›System des Islam‹ wiedergefunden habe, so nennt sie doch zur Begründung zwei Faktoren, die für sie die Attraktivität des Islam ausmachen. Zum einen nennt sie dabei eine neue innere Stärke, die sie im Islam gefunden habe, zum anderen habe sie durch die Konversion einen Blick für andere, über die eigene Person hinaus, erlangt. Selbst-Disziplinierung Insbesondere das Erlernen einer größeren Selbst-Kontrolle stand für Nuru im Vordergrund: »The more I read, I felt an ..., what was it ... . I was more in touch with myself. I realized that ..., there is more discipline in Islam than in Christianity. You are ..., you are more able to control yourself, to ..., you know, to ..., you are more in charge of your life, of your body, of everything than the other way round. Because I’m sure if I had been born a Muslim and if I had ..., if I had grown up a Muslim, …it wouldn’t have been easy for anyone to convert me to Christianity. Because of the believes, you grow up strong in faith. And that’s something that I found lacking in Christianity.«

Anfangs noch nach Worten und Formulierungen suchend, nannte sie als erstes ›mit sich selbst in Einklang leben‹ als Folge der stärkeren Beschäftigung mit dem Islam. Diese Erfahrung führt sie zurück auf eine größere Bedeutung von Disziplin im Islam. Diese Disziplin betrifft nicht nur das Leben im Allgemeinen und den Körper im Besonderen, sondern auch den Glauben. Deshalb macht sie die größere Disziplin im Islam auch daran fest, dass es überhaupt möglich war, sie vom Christentum zur Konversion zum Islam zu bewegen. Die von ihr beschriebenen Prozesse könnten auch als Folge ihres Erwachsenwerdens oder der Adoleszenz verstanden werden, sie ordnet sie jedoch in den Bereich der Konversion ein. Auffällig ist, dass der ungefähre Zeitpunkt ihrer inneren Konversion, etwa zwei Jahre nach ihrer Heirat, mit der Geburt ihres ersten Kindes 1991 zu-

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sammen fällt. Auch dies könnte als Hinweis darauf gesehen werden, dass der von ihr beschriebene Reifungsprozess nicht nur ein religiöser war. Außerdem könnte der Gedanke darüber, wie das Kind erzogen werden solle, eine Hinwendung zur Religion ihres Mannes verstärkt haben. Zudem zog die Familie kurz darauf in die Stadt, in der es eine aktive muslimische Gemeinde gab. Die Betonung »to be more in charge of your life« ist auch insofern erstaunlich, als dass es so scheint, dass Nuru eigentlich immer schon relativ große Kontrolle über ihr Leben hatte. Ihre Ausbildungssituation versuchte sie in einer Situation in der die meisten schon längst aufgegeben hätten gegen den Willen der Eltern zu verbessern, sie ging dann 21-jährig nach Lamu, um dort zu arbeiten und auch ihre Heirat setzte sie gegen Widerstände durch. Als einziges Mädchen mit sieben Brüdern musste sie sicherlich auch zu Hause schon einen starken Willen entwickeln. Als wichtigste Übung, und gleichzeitigen Beweis der Selbst-Disziplin, sieht sie die Zeit des Fastens, das von ihr auch nicht scherzhaft wie von anderen als ihre ›Diät‹ beschrieben wurde. Das Fasten steht für eine größere Kontrolle des eigenen Lebens, der eignen Wünsche und Bedürfnisse. »And then the best test for what I called more discipline in all this is fasting. Because it’s like the ultimate test. Because this really tests your will. You see, nobody is there watching you. Nobody is telling you don’t drink, you know? You just know, that you are not supposed to. You have the food there, you have the drinks there and you can’t. [...] And sometimes you are very thirsty. And water is there and you can’t drink it. [...] You know, you find that you can actually control yourself. And this is the beginning of ..., it’s not just the food or the drink. You find that you can control yourself in many other things. You know you can discipline yourself in any other field, if you can discipline yourself in this, just the fasting. (Pause). So. Basically I found ..., I found Islam more useful to me. As a person, as a family, as a community. So long as you follow the teachings, you follow the pillars.«

Disziplinierung erscheint in dieser Aussage von Nuru eher als Selbstzweck, sie wird nicht genutzt um etwas Weiteres zu erreichen. Sie bewirkt gleichsam automatisch eine Besserung des Menschen, darin liegt ihre für Nuru wichtige Nützlichkeit. Das diese Selbst-Disziplinierung eng mit einer bestimmten Auffassung von Weiblichkeit einhergeht, wird an einer Erzählung über die Konversion der Familie ihres Onkels deutlich: »But now the interesting thing is that in my uncle’s family…they are all converted. And you know how this happened? It’s very interesting. Because it was after about six years I

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have been married. One day we went home with my family and then my uncle came over. So he asked me, how came, you stayed with your husband all this time. I asked him, what do you need. So he told me, look at your sisters, my cousins, ... . They are, they are … He has daughters who are my age-mates. But by then they have been into about three, four marriages each. And each has a child with you know, with a different men. Others have left him with the kids. So I told him (Pause), I told him I don’t know. I mean I got married for better or worse. I mean it wasn’t like I was going in with a different agenda. I got married to bring up a family and not you know to go in and out. So he asked me, is this part of Islam? So I told him, I can’t say really it’s part of Islam. But of course, a good Muslim will try to preserve the marriage. I didn’t make much out of it by then. But after that he called his daughters. You know, he was giving them an example of me. So he asked them, why can’t you be like her? You know, they still called me ... [benutzten den christlichen Namen]. Why can’t you be like her? (beide lachen). So there was one who joked about it, now you want us all to go and wear buibuis [Schleier] or what? He told her, if that is what it will take it for you to be disciplined, then I would rather you wear it. Look at you, you already have two kids here. This one, I don’t know who the father is, this one I don’t know who is the father is. And I don’t know what’s going to happen next. You know, he said it out of anger. But I don’t know what happened. Somewhere along the line, she converted and she was entrusted from that. And now the whole family are Muslims.«

Hier geht es jedoch nicht wie in Nurus Konversionserzählung um eine Herausbildung innerlicher Stärke und Strenge, sondern um die Disziplinierung weiblicher Sexualität. Die eigene Erfahrung religiöser Pluralität in ihrem Elternhaus bewertet Nuru negativ, als religiöse Uneinigkeit und dadurch entstandene Schwäche religiöser Zuordnung: »And there was a sort of a conflict of ... of religion. Because mum felt very strongly about Catholic. And dad the same [with Protestantism]. So it was like we were in the middle. So you could first of all go either way. Because mum was pulling us to go to the Catholic Church. (lacht) And dad wanted us to go to the Protestant Church. So it was, I don’t remember a very strong ..., as having a very strong religious background at home.«

Diese Aussage wirkt fast, als bedauere Nuru der Religiosität ihres Mannes (bzw. seiner Familie) nichts entgegensetzen zu können. Am Beispiel des Betens verdeutlicht sie im Gespräch einmal mehr den von ihr empfundenen Unterschied zwischen ihrer Zeit vor und nach der Konversion zum Islam.

262 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION »You know, when we were growing up, it didn’t really matter. It was for example to just cook and sit on the table and eat without saying my prayer. You could just wake up and start your business, you don’t remember that there is a creator. You go to bed the same. You know, life is just ... . But once I became a Muslim, I was more aware of these things. I have never forget to pray. Something that too long, in Christianity I rarely did.«

Obwohl Nuru beide Elternteile als sehr religiös beschreibt, scheint es, als ob der christliche Glaube ihrer Familie eher im öffentlichen Rahmen praktiziert worden ist und nicht innerhalb des Hauses. Für Nuru scheint dagegen die große Bedeutung des Islam vor allem im Privaten zu liegen, in ihrer eigenen Weiterentwicklung und Selbst-Disziplinierung. Diese möchte sie auch an ihre Kinder weitergeben. »If you want to become a good Muslim, then you definitely become a better person. I realized that. (Pause) And these words said I want to give that to my children. Because I don’t want them to grow up the way I did. You know, without religion. Right from the start they are Muslims and they have to be good Muslims.«

Auch hier ist wieder ein impliziter Vergleich mit dem Elternhaus herauszulesen und das Gefühl Nurus, dass sie eine bestimmte innerliche Stärke dort nicht gelernt habe bzw. diese dort nicht anerkannt worden sei. Selbstlose Hilfe Das zweite große Thema, das Nuru nutzt um ihre Konversion und die dadurch ausgelösten persönlichen Veränderungen zu beschreiben, ist die nachbarliche Hilfe. »And then of course there is the aspect of caring for one another. Caring for the poor. Giving 'ilm [Wissen] and zakat [obligatorische Spende]. This is just a complete way of life. And once you are into it (lange Pause) I think it’s good. [...] So. I think if I wasn’t a Muslim I wouldn’t be doing that.«

Als sie das erste Mal davon sprach, fehlten ihr noch etwas die Worte, um diese Aspekte zu beschreiben. Erst auf die Frage nach einem persönlichen Wandel durch die Konversion begann sie zu erzählen. »You know, I don’t know. But ... I, I ... just felt like a different person. I felt, I became a ..., I became more disciplined. In everything I did. You know that carefree attitude. You

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know, I don’t know ... . But generally my whole life changed. Because ... there are so many things in Islam that you have to consider. (Pause) Like for example you have to know who your neighbour is, you have to know how they are. You know, before that I, it really didn’t matter to me. I just went on with my life. I didn’t know whether my neighbour had eaten or not.«

Auch die Rücksichtnahme auf andere verbindet Nuru mit dem Prozess der Selbst-Disziplinierung. Allerdings geht sie an dieser Stelle über die Fokussierung auf die innere Stärke hinaus und stellt eine weitere Veränderung ihrer Lebenshaltung dar. Als Beispiel führte sie die Hilfestellung für eine Nachbarin an. Die Entscheidung dieser zu helfen, sieht Nuru als Beginn eines Prozesses und damit mitbestimmend für ihre Hinwendung zum Islam an. »I had a neighbour next door. She was a lady. Her husband was in jail, I came to learn later. Because the first thing that struck me was, that there were so many kids there and they are not going to school. I wondered, what’s happening? Something that I would never have bothered before. So I called her one day and asked her over and made tea. I asked her what’s ..., why aren’t your kids going to school? So she told me about her story. Her husband had gotten in the jail. He was working in some shop I think and then, I don’t know, they stole or I don’t know. I don’t know exactly what happened, but he ended up in jail. So she had these kids there. I asked her, how do you provide for these kids. And she told me, she grows some vegetable ... take them to the market. So obviously it’s not enough. So how do you intend to take care of them? You have anyone to help you? And she told me no one is willing to help. What about your people? She told me everyone has their own burden. So it’s up to her. She can only sell those to earn money. So after that I discussed it with my husband and we started assisting her. So we helped her, with school uniforms for these kids, bought the books and they started going to school. And I told her, anytime she has a problem, she doesn’t have food, she can always come up. But I think she was also a decent person. Because she never bothered me on that. She was very grateful for … for the school. The only thing she could come to me for was sickness. So anytime when a child was sick she came up and I helped her.«

In einer weiteren Passage bezeichnet Nuru auch die nachbarschaftliche Hilfe als Test, ähnlich wie das Fasten. Nachdem sie ihr erstes Kind bekommen hatte und in die Stadt umgezogen war, weitete sie ihre Hilfsbereitschaft aus und begann armen Muslimen in Slumgebieten zu helfen. In dieser Zeit gründete sie auch eine Frauengruppe, die heute noch aktiv ist. Nuru beklagte zwar die geringen Einflussmöglichkeiten und die Gefahr immer wieder übervorteilt zu werden, trotz-

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dem gibt ihr diese Arbeit große Befriedigung. Als entscheidenden Aspekt der Hilfe sieht sie ihre Selbstlosigkeit an: »The fact that I could help someone. I think that was ..., that was really something for me. And it really cemented my faith. I felt like ... I felt like life was not just about me, it was not just about my problems and you know. There are other things. All through it was just about my goals. At first I wanted to do this, I want to do this, you know, I have always focused on, on myself. On what to do to achieve this. But then I realised, you know, I was aware of others, my surrounding. Other problems around me that didn’t even concern me.«

Die von ihr hier beschriebene Hilfsbereitschaft und Aufopferung wird somit auch zu einer Disziplinierung, hinzielend auf ein ›weibliches‹ Rollenmuster, dass nicht Zielstrebigkeit und Erfolg zum Inhalt hat, sondern ›charity‹ und selbstlose Hilfe. Regelhaftigkeit des Islam – »You have to have rules« Schon Nurus Bezeichnung des Islam als »complete way of life« (vgl. dazu auch Kapitel 7), als Religion die alle Lebensbereiche umfasse und keine Unklarheiten lasse, deutet darauf hin, wie wichtig klare Regeln für sie sind. Dies explizierte sie noch einmal in der Erzählung über einen ihrer Brüder, der sich zwar zum Islam hingezogen fühle, aber nicht wie ein Muslim leben möchte. »I tell them in life you have to ..., you have to have rules. Because that’s the only way you can discipline a human being. Because why ..., I really think about it. Where did all these rules come from and why did even God give Moses rules. Because man can’t do without them. Man has to be told always not to do. Always. One has always to know that there are limits.«3

Bei Betrachtung all dieser Aussagen erscheint Nuru als sehr streng lebender, einer fundamentalistischen Auslegung des Islam nahe stehender Mensch. Dies entspricht aber in keiner Weise ihrem Auftreten und Lebensstil. Sie trägt keinen buibui (schwarzes Ganzkörpergewand) oder nikab (Gesichtsschleier), sondern

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Als ich Nuru später den transkribierten Interviewtext zeigte, war dies die einzige Stelle, an der sie fragte, ob sie das wirklich so gesagt habe. Sie relativierte dann ihre Aussage dahingehend, dass sie eher von »guiding principles«, aber auch von »discipline« sprach.

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ein nicht allzu strenges weißes Kopftuch, bei dem die Haare immer ein wenig herausschauen. Nur auf dem abendlichen Weg von der Arbeit nach Hause wirft sie sich einen schwarzen Mantel (abaya oder jilbab) über. Die Darstellung der von Nuru angesprochenen Disziplin nach außen scheint für sie nicht im Vordergrund zu stehen, obwohl ihr die Regelhaftigkeit und die Betonung der SelbstKontrolle im Islam sehr wichtig sind. Schließlich hat ihre ausdauernde Disziplin im Rahmen ihrer Familienprobleme schlussendlich zum Erfolg geführt. Nicht nur in der Konversionserzählung Nurus spielte das Thema Disziplin eine große Rolle, auch von anderen Frauen wurden ähnliche Entscheidungsgründe für den Islam geäußert. Während in Badias Erzählung die nachbarschaftliche Hilfe eine große Rolle spielte, betont Maryam, die auch aufgrund einer Heirat (mit einem Konvertiten) zum Islam übergetreten ist, die durch diesen Prozess gewonnene Stärke: »I became, ok I became … stronger. In family values. I like the Muslim way of … they really value family life. They are stronger. And then like, there are places now I cannot frequent. That I can’t to, I can’t go to a …, a discotheque. Just like that, because I don’t drink. It has made me actually stronger in aspects like that, in values and marriage. I find those things more serious by the way.«

Auch Maryam benennt hierbei nicht nur die gewonnene innere Stärke. Die Wirkung der Konversion auf das eigene Leben beschrieb sie vor allem mit externen Regelungen, die sich positiv auf das Wertesystem auswirkten. Sie wurde 1966 in eine wohl situierte Familie geboren, ist also etwa gleichaltrig mit Nuru und heiratete ungefähr zur gleichen Zeit. Auch bei ihr spielt das Thema Wohltätigkeit eine Rolle. Seit ihrer Konversion 1988 ist sie nach eigenen Angaben sehr aktiv in der islamischen Gemeinde. Maryams nach außen präsentierte Begeisterung für Religion und der dargestellte Aktivismus in der islamischen Gemeinde scheinen jedoch zum Teil etwas überbetont zu sein. Als ich sie nach anderen in der Gemeinde aktiven Frauen fragte, schränkte sie sofort ihrer eigene Rolle ein.

7.2 A USHANDLUNG VON G ESCHLECHTERROLLEN DURCH K ONVERSION Wie Gabbert (2001), Hodgson (2005) und Peterson (2001) für das Christentum zeigten, können religiöse Konversionen und Spiritualität als Räume der Aushandlung geschlechtlicher Rollenvorstellungen und Ehemodelle dienen. So zeigt zum Beispiel Petersons Forschung, dass die Konversion zum ›Revivalism‹

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Kikuyu in den 1940er Jahren eine Möglichkeit bot, eheliche Ordnungen neu herzustellen. Aufwertung von Männlichkeit In einigen Interviews mit männlichen Konvertiten zum Islam betonten diese, der Islam sei im Gegensatz zum Christentum den ›afrikanischen‹ Religionen sehr viel ähnlicher. Iqbal, ein 1988 zum Islam konvertierter Maasai, der seitdem als islamischer Missionar und Funktionär tätig ist, stellte dies folgendermaßen dar: »That’s the goodness of the Maasai culture, it’s somehow similar to Islamic culture. It’s almost similar… you don’t have to leave some of the practices. I can say Islam is somehow natural after that. Because it takes care of most of the converters, that ..., that the church forgets. For instance the... , the marrying more than one wife. In Islam it’s two, two to four wifes. For example. (Pause) It cares for the protection of somebody’s wifes and property. It’s the same in Islam and Maasai Culture, to protect the ..., the community’s wifes and whatever.« (Nairobi, 2004)

Beim Versuch zu zeigen, welche großen Ähnlichkeiten zwischen der Kultur der Maasai und islamischen Vorstellungen bestünden, geht er vor allem auf die Polygamie ein. Er versucht zwar noch weitere Beispiele zu nennen, aber dies ist das einzige, das er klar beschreiben kann. Iqbal stellte sich gleich zu Beginn als Maasai vor, er war damit einer der wenigen, die eine ›tribale Identität‹ angaben. Auch wenn seine Familie zur Zeit seiner Geburt 1968 im südlichen kenianischen Rift-Valley noch zur Siebenten-Tags-Adventisten Kirche gehörte, orientierten sich seine Eltern wenig später wieder zur Maasai-Kultur. Er besuchte kurzzeitig zwei andere protestantische Kirchen, wurde jedoch in den letzten Schuljahren Moran (Maasai-Krieger)4 und zog sich aus der Kirche zurück. Gleich nach seinem Schulabschluss 1987 ging Iqbal nach Nairobi, und konvertierte dort nach einigen Monaten zum Islam.5 Im Anschluss kündigte er seine Stelle und ging als Missionar zurück in seine Heimatregion. Seinen Angaben zufolge ist seine ganze Familie inzwischen zum Islam konvertiert. Er erzählte, dies sei auf die Maasai-

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Im Altersklassensystem der Maasai werden Jungs nach der Initiation und Beschneidung zunächst Schäfer, danach folgt die Altersklasse des Kriegers. Mit ungefähr 30 Jahren wechseln die Männer in die Klasse der Ältesten (ilmoruak) (vgl. von Mitzlaff 1988).

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Auch er kritisierte am Christentum die Vielfalt der Glaubenssätze und die fehlende Richtungsweisung (»did not provide direction«).

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Kultur zurückzuführen, in der er als Erstgeborener die Richtung für die Familie vorgäbe. Dabei sind Konversionen zum Christentum und zum Islam bei den Maasai nach wie vor nicht so stark verbreitet wie in anderen Bevölkerungsteilen Ostafrikas.6 Auch in den Erzählungen anderer männlicher Konvertiten, zum Beispiel den beiden Luo Isa und Nidal, spielte das Thema Polygamie eine große Rolle. So erzählte Isa (vgl. Kapitel 9): »I have a single wife. I hope to have two. [sagte dies relativ leise] Because I believe that is the way our predecessors lived. By the way you know Christianity, when it came to Africa, it came along with the culture of the purist. They intend to believe in a monogamous culture, which is not Christian any way. This cannot be backed up by the Bible.« (2005, Kisumu)

Diese Betonung des Themas Polygamie ist nicht neu und führte insbesondere im Zusammenhang mit christlichen Missionsbewegungen zu vielen Konflikten (vgl z.B. Presley 1992). Die häufige Benennung in den Interviews kann aber auch in Zusammenhang mit der stetigen Veränderung von männlichen Rollenvorstellungen gesehen werden, die im 19. und 20. Jh. mehrfache Umdeutungen erfahren haben. Dabei sind die Prozesse, die in den verschiedenen Regionen Ostafrikas abliefen, sehr ähnlich und miteinander vergleichbar.7 Mit der Einführung von Steuern in der Kolonialzeit Ende des 19. Jahrhunderts, begann Lohnarbeit eine große Rolle zu spielen. Durch die Beendigung kriegerischer Auseinandersetzungen wurde weiträumige Migration möglich, außerdem nahm die Bedeutung großer verwandtschaftlicher Verbünde zum Schutz der Familien ab. Männer wurden vom Verteidiger mehr und mehr zum Ernährer der Familie. Nach der Unabhängigkeit wurde es für ungelernte Wanderarbeiter immer schwerer Arbeit zu finden, da es in der Industrie mehr Bedarf an gelernten Arbeitern gab. Au-

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Über die Missionsarbeit christlicher Kirchen in den 1960er Jahren stellte Hodgson (2005) fest: »Although by the 1960s Maasai elders were more tolerant of education, they were deeply troubled by the idea of baptism and religious conversion. These men asserted that their religious belief was integral to their cultural identity, so that religious conversion was as much a matter of culture as of faith. The baptism of boys threatened the increasingly rigid parameters of normative masculinity: a man could not be both a Christian and a Maasai.« (S. 122).

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Vgl. Literatur zu Maasai: von Mitzlaff 1988; Kikuyu: Peterson 2001 & Presley 1992; Chagga: Pietilä 2007; Kisii: Silberschmidt 1999 und Nyakyusa: Gabbert 2001. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf diese Forschungen.

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ßerdem führte das Bevölkerungswachstum zu Landknappheit und es gab vermehrt landlose Bauern. Beides führte dazu, dass Männer nicht mehr in der Lage waren Ehen zu schließen, da sie kein Kapital für den Brautpreis hatten. Diese Tendenzen wurden in den 1970er und 1980er Jahren durch die wirtschaftlichen Krisen noch verstärkt. Statt in Ansehen versprechender Polygamie leben viele Paare nun in unehelichen Verhältnissen, die die Frauen durch ihre Kinder zu stabilisieren suchen. Nach Ansicht von Silberschmidt (1999) verstärkte sich die Macht von Frauen in den Familien auch durch die sinkende Zahl polygamer Ehen, da sie keine Konkurrenz durch die Ko-Ehefrauen zu fürchten hatten. Die Autorin spricht im Zusammenhang mit den Veränderungen in Westkenia (Kisii) von einer »emasculation of traditional male roles« (Silberschmidt 1999, 18). Die Fokussierung einiger Konversionsnarrative von Männern auf das Thema der Polygamie und die Nähe des Islam zur ›afrikanischen Kultur‹ könnte als eine Umdeutung und positive Neubesetzung von Rollenvorstellungen, die durch ökonomische und soziale Veränderungen abgewertet wurden, interpretiert werden. Frauen und die Konversion zum Islam Der Faktor Geschlecht spielt eine entscheidende Rolle dafür, welche religiösen Wahlmöglichkeiten für Konvertiten existieren, wie diese genutzt werden können und damit wie darüber gesprochen wird. Keine der von mir interviewten Frauen in Ostafrika ist unabhängig von einer männlichen Person zum Islam konvertiert.8 Vorausgegangen war meist die Absicht der Heirat mit einem Muslim oder die Konversion ihres Ehemannes, ihrer Eltern, bzw. im Falle Badias ihrer Söhne zum Islam. Frauen sind in größerem Maße als Männer von ihren Familien abhängig. Sie heiraten früher und sind deshalb früher an einen Ehepartner gebunden, gegen dessen Willen sie nicht konvertieren können bzw. stehen bei unehelichen Beziehungen weiter in Abhängigkeit zu ihren Eltern. Ähnliches gilt auch für die Konversion zum Christentum, wobei hierbei scheinbar mehr Frauen ein direktes Interesse an einer Konversion zeigen. Als prominentes Beispiel in Kenia gilt die Sängerin Princess Farida Maria Migwalah, die seit ihrer Konversion 2003 zum Christentum statt Chakacha (Musik

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Dieses Phänomen ist nicht auf Ostafrika beschränkt. So zeigte Dresch (2004) in ihrer Forschung über eine Sufi-Gemeinde in Berlin-Zehlendorf, dass auch hier fast alle Frauen durch eine Heirat zum Islam konvertiert waren.

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der Swahili-Küste) Gospel-Lieder singt.9 Obwohl sie erst 2004 heiratete, ist dennoch nicht klar, ob sie wirklich unabhängig zum Christentum konvertierte. Eine Rolle für ihre Entscheidung könnte sicherlich auch der große Markt für Gospelmusik in Kenia gespielt haben, auch wenn sie auf eine erfolgreiche Zeit als Popmusikerin zurückblicken konnte. Andere Forschungsergebnisse (z.B. Gabbert 2001; Hodgson 2005; Keefe 2006a oder Presley 1992) deuten ebenfalls darauf hin, dass Frauen im Christentum größere Chancen für eine persönliche Entwicklung sehen. So zitiert Keefe (2006a) eine Frau, die aufgrund einer Heirat zum Islam konvertierte: »[...] we are still a family. My children are Muslim, but they celebrate both Christian and Muslim holidays. They even go to the Lutheran church, but they know they are Muslim because of their father, and they know Islam is not really in my heart. The children, especially the girls, like Christianity better than Islam. They will probably marry Christians.« (Keefe 2006a, 425)

Wie hier deutlich wird, kann ein Religionswechsel aufgrund der Heirat, der zunächst als einfacher Schritt erscheint, viele Probleme für die betroffenen Frauen mit sich bringen: sie fühlen sich wie in diesem Beispiel noch als Christin und nicht als Muslima, eine Entfremdung von Familie und Freunden kann aus der Konversion resultieren, ein Unbehagen mit verschiedenen islamischen Praktiken, wie das Verschleiern oder die Waschungen vor dem Gebet in der Moschee10 kann entstehen und nicht zuletzt kann der Wunsch des Ehemannes eine weitere Frau zu heiraten zu Auseinandersetzungen führen. Insbesondere das Thema der zweiten Ehefrau ist ein höchst konfliktreiches, nicht nur im heutigen Hinterland Ostafrikas.11 Frauen stehen verschiedene Umgangsweisen mit diesen Problemfeldern offen: eine, wie auch immer geartete Akzeptanz der Situation, eine Aus-

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The lure of gospel music, Forumsbeitrag von Amos Ngaira vom 22.10.2004, http://www.amefufuka.com/baraza/viewtopic.php?p=1617&sid=c8cff929ea99ed0f765 6c7241b9a46cf vom 02.03.2009; My Take – Farida Maria, The Nation (Nairobi), 05.11.2004.

10 Damit ist nicht die Waschung im Allgemeinen gemeint, sondern deren öffentliche Sichtbarkeit in der Moschee. 11 Vgl. Keefe 2006b über die sich wandelnden Rollen- und Heiratsvorstellungen an der Swahili-Küste.

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handlung zwischen den Ehepartnern die es beiden ermöglicht ihre Religion zu leben oder, wenn auch dies nicht geht, die Scheidung.12 Die zweite Option der Aushandlung wurde von Theresia genutzt, der es so gelang, ihre Religion gegen den Willen ihres Mannes beizubehalten und nicht zu konvertieren. Obwohl von ihr nach ihrer Heirat mit einem Muslim erwartet wurde, dass auch sie zum Islam konvertierte, kehrte sie nach einer Phase der religiösen Zurückhaltung zur christlichen Kirche zurück. Theresia wurde 1945 in einem Dorf in der Nähe von Moshi (Tansania) geboren. Ihre Eltern waren kurze Zeit vorher zum Christentum konvertiert und sie wuchs, nachdem sie auf eine katholische Schule ging, als Katholikin auf. Nach ihrer Heirat mit einem Muslim gab es keinerlei Diskussionen über eine Konversion ihrerseits – ihr Name sei einfach von Theresia zu Tahiya geändert worden. Gleichzeitig wurde von ihr verlangt ein ›muslimisches Leben‹ zu führen. Sie aber wollte nichts über den Islam lernen und lebte lange Zeit gar keine Religion. Sie sei in dieser Zeit »very depressed« gewesen, bis sie schließlich zum Christentum zurückkehrte. Dies führte zu starken Konflikten mit ihrem Ehemann, dem sie aus diesem Grund sogar die Scheidung anbot. Es habe lange gedauert, bis sie stark genug war, ihren Willen durchzusetzen. Von 1978 bis 1987 habe sie dann mit ihrem Ehemann um ihre Religionszugehörigkeit gekämpft. Schließlich handelten sie eine Vereinbarung aus, welche ihr offiziell zugestand wieder in die Kirche gehen zu können. Diese Vereinbarung wurde von beiden unterschrieben. Ihr einziger Kummer ist, dass im Gegenzug alle ihre Kinder Muslime geblieben sind13, wobei sie keinerlei religiöse Ausbildung erhalten haben. Sie habe auch versucht, ihren Mann zum Christentum zu konvertieren, aber selbst wenn er gerne wollte, würde ein Mann nicht zur Religion seiner Frau konvertieren.14 Sie sei »proud and happy to be a Christian«. Dies wird auch deutlich an ihren vielfältigen Aktivitäten innerhalb der Kirche, zum Beispiel arbeitet sie in einem ›prayer group committee‹15 mit.

12 Letztere Option wurde von einer jungen Frau in Nakuru gewählt. Für sie stellte die von ihrem Ehemann von ihr geforderte Konversion ein so großes Hindernis dar, dass sie ihn, trotz eines Kindes aus dieser Ehe, nach etwa zwei Jahren, verlies. Ihr Ehemann war selbst erst 1996 zum Islam konvertiert und versuchte nun eine besonders strenge Lebensführung in der Familie durchzusetzen. 13 Auch dies ein Anrecht des Mannes, dem im islamischen Rechtssystem die Kinder zugesprochen werden und der somit auch über ihre Erziehung bestimmen darf. 14 Diese Haltung ist in dem Gebiet um Moshi sehr häufig anzutreffen, allerdings nicht zwangsläufig auf andere Gebiete Ostafrikas zu übertragen. 15 Gruppen wie das ›prayer group committee‹ versuchen pfingstlerische Elemente, zum Beispiel die Heilung durch das Gebet, in den katholischen Gottesdienst zu integrieren.

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Die meisten Frauen, die in die Familie ihres Mannes eingeheiratet haben, waren Christen. Allerdings sind sie alle, z.T. auf Druck hin, zum Islam konvertiert. Als Folge dessen, sind sie ihrer Meinung nach auch keine guten Muslime, sondern »somewhere in between«. Im Falle Theresias wurde deutlich, wie sehr von ihr erwartet wurde, die Religion ihres Mannes zu übernehmen.16 Dies ist jedoch eher mit einer lokalen (Chagga) Auffassung der Rolle von Männern und Frauen zu erklären, die von einigen Interviewpartnern mit der Bemerkung »women don’t have a religion« zusammengefasst wird.17 Verbunden ist damit die Auffassung, dass für Frauen Religion nichts wirklich Wichtiges sei, sie diese häufig wechselten und somit auch im Falle einer Heirat ändern könnten. Männer dagegen konvertieren in dieser Region nur in den allerwenigsten Fällen aus Heiratsgründen. Auch Theresia versuchte ihren Mann dazu zu bewegen, Christ zu werden, aber »A man is not supposed to convert to the religion of his wife. People would laugh about him.« Es sei für ihn schon schwer genug, dass sie nicht zum Islam konvertierte, wie es eigentlich vorgesehen war. »Women are expected to convert, because men are considered to be superior«. Dabei sei es völlig egal »if women like to change their religion or not, if they are able to follow their new religion or not.« Dagegen ist es nahezu undenkbar, dass eine in Kenia lebende somalische Frau aufgrund einer Heirat vom Islam zum Christentum konvertiert, da dies als Abwendung vom Islam, als Apostasie, angesehen würde. Da muslimische Frauen (eigentlich) keinen Nicht-Muslim heiraten dürfen, müssen die Männer in solch einem Fall zum Islam konvertieren. Unterschiedliche Einstellungen von Männern und Frauen werden vor allem in Bezug auf islamische Missionsbewegungen, die eine striktere Sexualmoral hervorheben, deutlich. Diese Gruppen, wie zum Beispiel die Tablighi Jama'at, die vor allem bei Männern Erfolg haben, grenzen sich durch ihre strenge Haltung von anderen Gläubigen ab. So gilt es zum Beispiel bei dieser Bewegung für ei-

16 Nach islamischem Recht kann ein muslimischer Mann sehr wohl eine nicht-muslimische Frau heiraten, solange sie einer der anderen beiden Buchreligionen, Christentum und Judentum angehört. Dies gilt nicht im umgekehrten Falle. Allerdings wissen viele Ehefrauen, und um kein böswilliges Verschweigen zu unterstellen, vermutlich auch einige der Ehemänner, nicht, dass für eine Heirat kein Religionswechsel nötig ist. 17 Interessant ist hierbei die Feststellung in Hodgson 2005, 78, dass auch in den Zeiten der frühen Katholische Mission in diesem Gebiet fast nur Männer und Jungen in die Kirche gingen und Klassen für Frauen und Mädchen nur gegen den Widerstand der Chagga Führungsschicht eingerichtet wurden.

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nen Mann als Zeichen tiefen Glaubens, einer Frau nicht in die Augen zu sehen oder ihr auch nur die Hand zu geben. Frauen verschleiern sich möglichst vollständig. Wie weit die propagierte Sittsamkeit jedoch von der Praxis entfernt liegen kann, zeigt das Beispiel von Badias zweitem Ehemann. Über die Rigidität der Einhaltung der Sexualmoral gibt es zudem immer wieder Auseinandersetzungen. So scheint es in der Tablighi Jama'at Konflikte über die Beteiligung von Frauen und die Aufrechterhaltung der Geschlechtertrennung bei größeren Treffen gegeben zu haben. Viele Frauen sind eher skeptisch gegenüber der allzu strikten Handhabung von auf ›decency‹ hinzielenden Praktiken. So werden vollständig verschleierte Frauen, die einen nikab (Gesichtsschleier) tragen, von anderen Muslimas immer wieder als ›Ninjas‹ bezeichnet.

7.3 Z USAMMENFASSUNG Wie gezeigt wurde, haben Frauen im Gegensatz zu Männern meist nicht die nötige Unabhängigkeit und Eigenständigkeit von ihren Familien, um eine individuelle Entscheidung zur Konversion zum Islam treffen zu können. Die unterschiedlichen Erzählweisen von Frauen und Männern könnten als Ergebnis dieser fehlenden Autonomie religiöser Entscheidungsfindung interpretiert werden. Auch wenn das Narrativ der ›Konversion als moralische Festigung‹ von Frauen wie von Männern verwendet wird, erfolgt dabei doch eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung innerhalb des Narrativs, sowie eine divergierende Gewichtung des Narrativs in der Konversionserzählung. Von Frauen wie von Männern wird Islam als Halt-gebend dargestellt. Ein sehr häufig, zum Beispiel auch von Nuru, verwendeter Ausdruck ist dabei »Islam is a complete way of life«. Diese Idee des Islam als juristisches System »that covered and regulated every aspect of life« wurde vor allem in Sayyid Qutbs Buch »Milestones on the Road« (1964) formuliert und ist somit relativ neu.18 Alle für das Leben in Betracht kommenden Regeln seien im Islam enthalten, dies führe zu einer Einfachheit, die sonst nirgendwo zu finden sei. Der Wunsch nach Einfachheit in Zeiten der Komplexität wird auch in Aussagen über die verschiedenen Religionen, insbesondere die vielen christlichen

18 Qutb verband in diesem Buch salafitische, wahhabitische und faschistische Ideen (vgl. El Fadl 2007, 82-83). Zur weiteren Verbreitung von Qutbs Ideen in Afrika siehe auch Hunwick 1996, 235. Eine ähnliche Verbindung salafitischer und wahhabitischer Ideen ist auch in den Bücher Maududis zu finden (vgl. El Fadl 2007, 80).

K ONVERSION

ALS MORALISCHE

F ESTIGUNG

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Kirchen in Ostafrika deutlich. So dient die Verwirrung durch Vielfalt Maryam als Argument für den Islam: »Here there are so many of this new churches! In fact where I live if I count the streets there are more than ten churches. Ten! [...] You see that confusion, that brings along a lot of confusion. You really want something to follow. You see it’s as if you have missed something. When you go to Islam you pray, everybody follows one thing. You really don’t get confused.«

Auch Isa (vgl. Kapitel 9) betonte die Grenzen, die ihm durch den Islam gesetzt worden seien und ihn zu größerer Ernsthaftigkeit führten. Dadurch schreckten ihn auch Schwierigkeiten im Leben nicht mehr so wie vor seiner Konversion. Allerdings sei dies ein langsamer Lernprozess, der auch mit den durch die Konversion verbundenen Problemen hervorgerufen wurde. Die Betonung liegt bei dieser Form des Narrativs auf der äußeren Regelsetzung bzw. Grenzsetzung im Islam und somit auch einer Änderung der Lebensführung. Dieser Fokus auf ein alles durchziehendes Regelungssystem ist auf den Einfluss der neuen islamischen Missionsbewegungen zurückzuführen, die die Schriften Qutbs, Maududis und anderer salafitischer und wahhabitischer Aktivisten verbreiteten.19 Die Suche nach strengeren Regeln ist jedoch nicht unbedingt mit einer Hinwendung zu einer strikteren Praxis verbunden, sondern kann auch als Ordnungsmuster in einer unübersichtlich werdenden Welt dienen (vgl. hierzu Schielke 2009). Wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, nannten Frauen dagegen innere Disziplin und Selbstkontrolle als Zugewinn ihrer Konversion. Für Maryam wie auch für Nuru wirkte das Leben als Muslima viel ernsthafter als das als Christin. Welches dieser beiden bisher vorgestellten Narrative hauptsächlich gewählt wird, könnte mit den den Frauen entgegengebrachten Erwartungen zusammenhängen. Im Gegensatz zu den Frauen, die ihre Konversion eher als soziale Reorientierung schilderten, beschrieben Maryam und Nuru ihre Ehemänner als strenge Muslime, denen auch die religiöse Praxis ihrer Frauen wichtig sei. Gamal, der Ehemann von Maryam, erzählte in unserem letzten Gespräch, seine Frau habe ihn erst dann so richtig überzeugt, als sie den buibui anzog. Die positive Betonung von Kleidungsvorschriften für Frauen erfolgte dabei nur in den

19 Diese Interpretation des Islam, als ein alle Lebensbereiche durchziehendes System, kann durchaus als totalitäre Auffassung des Islam bezeichnet werden. Damit ist jedoch nicht Islam im Allgemeinen (wie z.B. bei Gellner 1981, 47-48; vgl. hierzu auch Asad 1996a) gemeint, sondern diese spezielle Interpretation, die allerdings inzwischen großen Einfluss auf Muslime in Ostafrika hat.

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Narrativen von Männern, Frauen erwähnten dagegen vor allem die inneren Veränderungen die die Konversion in ihnen hervorgerufen hatten.20 Es wurde deutlich, dass Männer dagegen kaum auf die Idee von ›modesty‹, im Sinne einer inneren Haltung, eingingen. Vielmehr benannten sie die Abkehr von einer unislamischen Lebensweise als Resultat ihrer Konversion. Dieser äußerliche Wandel wurde sogar von Konvertiten vorgetragen, die schon vor ihrer Konversion einen nahezu tadellosen Lebensstil gepflegt hatten und nicht benennen konnten, worin ihre ›Sünden‹ in der Zeit vor der Konversion bestanden haben. Obwohl dieses Narrativ somit auch zur Konversionserzählung von Männern dazu gehörte, nahm es in den Erzählungen stets nur einen sehr geringen Raum ein und wurde immer durch das dominante Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ überlagert. Dies wird auch an der anderen Betrachtungsweise der inneren Veränderung deutlich, die von Männern als ein Erwerb neuer Klarheit, auch im Sinne einer besser zu fassenden Ordnung, definiert wurde. So sagte Jibril, ihm habe der Islam vor allem gefallen, da er einfache und klare Antworten erhalten habe. Während Männer ihre Konversion meist als aktive Suche darstellten, stand bei Frauen die Wirkung der eher passiven Annahme des Islam im Vordergrund. Eine Ausnahme stellt hier Maryam dar, die angab auch schon vor ihrer Ehe, in der Schulzeit, sehr am Islam interessiert gewesen zu sein. Allerdings sei sie in dieser Zeit noch nicht konvertiert, sondern eben erst nachdem sie ihren Mann getroffen hatte. Dies könnte zum einen als ein Versuch, eine biographische Kontinuität herzustellen und zum anderen als eine Umdeutung der Konversion als eine aktive21, gesehen werden.

20 Zu weiteren Forschungen über Gender und islamische Erneuerungsbewegungen in Afrika, die allerdings nicht die Konversion zum Islam in den Mittelpunkt stellen, siehe Mahmood 2005; Schulz 2008a oder Willemse 2007. 21 Es wird hier auch deutlich, dass es nicht unbedingt möglich ist, Ursache und Wirkung voneinander zu unterscheiden. Frauen können sowohl zum Islam konvertieren, weil sie einen Muslim heiraten, als auch sich einen muslimischen Ehemann suchen, um zum Islam zu konvertieren.

8 Konversion als intellektuelle Entscheidung

In den ersten Tagen meiner Forschung in Nakuru 2004 stellte mir der Sekretär der islamischen Gemeinde den Geschäftsführer eines großen Supermarktes vor. Auch Ashim sei ein Konvertit, den ich befragen könne. Meine Frage, ob ein längeres Treffen mit ihm möglich sei, kommentierte Ashim damit, dass er mir ein von der saudischen Botschaft in Kenia publiziertes und vertriebenes Heft1 in die Hand drückte und sagte, »You don’t have to take an interview. Read this and you know why I converted. Everything is in there.« Später erfuhr ich, dass er als Hauptfinanzier der islamischen Fundamentalisten vor Ort gilt. Wie er begründeten die meisten der Interviewpartner ihre Konversion zum Islam teilweise, bzw. ausschließlich, mit dem Lesen von Büchern und Lernen über den Islam. Alle Erzählungen der männlichen Interviewpartner, sowie die Erzählung von Maryam, enthielten mehr oder weniger stark ausgeprägte Elemente des im Folgenden vorgestellten Narrativs der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹. Diese ›intellektuelle‹ Konversionserzählung ist zum einen

1

In diesem Heft finden sich zwei Texte: Mababaya, Mamarinta-Umar P. (1988) Oneness of God. The Ultimate Solution to The Trinitarian Controversy, im Original herausgegeben vom International Islamic Publishing House mit der Unterstützung der WAMY (World Assembly of Muslim Youth) in Riyadh, Saudi Arabien sowie Sheikh Idris, Jaafar (1975) The Pillars of Faith, herausgegeben von der Presidency of Islamic Research, Ifta and Propagation, ebenfalls ansässig in Riyadh. Mababaya (geb. 1955) ist ein philippinischer Ökonom. Er verwendete für den obigen Text unter anderem eine kommentierte Übersetzung des sogenannten ›Barnabas-Evangeliums‹. Seine Argumente baut er vor allem auf »Jesus – a Prophet of Islam« von Muhammad Ata Ur Rahim (1977) auf. Sheikh Idriss wurde 1931 im Sudan geboren und erhielt seine islamische Bildung nach eigenen Angaben unter anderem von einer ›Ansar al-Sunna‹ Gruppe. Eine Liste weiterer in dieser Arbeit verwendeter islamischer Missionsmaterialien findet sich im Anhang.

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charakterisiert durch eine Beschreibung des Vergleichs verschiedener Religionen und deren Schriften, insbesondere der Bibel und des Koran, und zum andern durch die Bedeutung, die religiöses ›Wissen‹ in diesem Narrativ einnimmt. Zunächst wird die Konversionserzählung von Ibrahim vorgestellt, die von dieser Erzählweise von allen erhobenen Interviews am stärksten geprägt war. Insbesondere das erste Interview mit ihm bestand zu zwei Dritteln der Zeit aus theologischen Argumentationen. Danach werden zwei in Ostafrika veröffentlichte Konversionserzählungen präsentiert, die eine ganz ähnliche Argumentationslinie verfolgen und verdeutlichen, wie Medien zur Verbreitung dieses Narrativs als das am meisten verwendete beitragen. Im dritten Teil dieses Kapitels werden die von Ibrahim genannten Argumente einer inhaltlichen Überlegenheit des Islam gegenüber dem Christentum dargestellt und mit Aussagen anderer Konvertiten vervollständigt. Am Ende des Kapitels wird auf die gesellschaftlichen Veränderungen eingegangen, die zu dieser starken Verbreitung des ›intellektuellen‹ Konversionsnarrativs beitrugen.

8.1 I BRAHIM : »B ECOMING BY STUDYING «

A

M USLIM

JUST

Ibrahim wurde 1965 in Südwestkenia in der Nähe von Kisii als viertes von sechs Kindern geboren. In dieser in der Nähe des Viktoriasees gelegenen Region bezeichnen sich die meisten Bewohner als Christen (vgl. Silberschmidt 1999, 17). Seine Eltern waren arme Bauern. Da seine Mutter sehr früh starb und sein Vater im Gegensatz zu ihr der Kirche gegenüber eher kritisch eingestellt war, ging Ibrahim nach dem Tod seiner Mutter nur noch selten zur Kirche. Ibrahim besuchte erst eine Grundschule am Wohnort eines Onkels, bei dem er lebte, später dann in seiner Heimatregion. Ab der Sekundarschule ging er auf eine Internatsschule. Diese schloss er nach vier Jahren ab und studierte Agraringenieurswesen. Da er keine Anstellung in diesem Beruf fand, arbeitete er zunächst als ungelernter Lehrer. Nach sieben Jahren entschloss er sich eine zusätzliche Lehrerausbildung zu machen, um danach langfristig in diesem Beruf arbeiten zu können. Kurz nach Abschluss des dafür notwendigen einjährigen Kurses an der Kenyatta Universität in Nairobi, wurden jedoch Stellen für Agraringenieure ausgeschrieben. Ibrahim bewarb sich und wurde angenommen. Daraufhin wurde er auf eine Stelle in Mandera versetzt, einer kleinen Stadt in der von Trockenheit gekennzeichneten North Eastern Province von Kenia, in der Nähe der somalischen und äthiopischen Grenze. Die Region ist hauptsächlich von ethnischen Somalis bewohnt. Ibrahim war dort zunächst neben seiner Arbeit auch in der Kirche aktiv,

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dabei begann er sich inhaltlich mit dem Islam auseinanderzusetzen. Nach ungefähr zwei Jahren in der Region konvertierte er 1999 zum Islam. Nach drei Jahren Arbeit in Mandera ging er nach Nakuru, wo er zunächst arbeitete und ab 2003 erneut die Universität besuchte, um einen Master in Agrarwissenschaften, spezialisiert auf Bodenbearbeitung in trockenen Gebieten, zu erwerben. Ibrahim wurde mir in der Bibliothek der islamischen Gemeinde als ein Mann vorgestellt, den ich unbedingt kennen lernen müsse. Mit ihm habe ich mehrere Interviews durchgeführt, alle in Englisch, davon zwei längere (jeweils über 2 h) 2004 und 2005. Dabei trafen wir uns immer in Restaurants oder anderen öffentlichen Räumen.2 Am Ende meines zweiten Aufenthaltes 2005 gab er mir eine Diskette mit vier von ihm geschriebenen Texten über den Islam.3 Auch diese waren auf Englisch verfasst. 2006 zog er in einen anderen Ort im Rift Valley und war dadurch nur noch selten in Nakuru anzutreffen. Die verwendeten Interviewausschnitte stammen fast alle aus einem 2004 durchgeführten Interview. In abweichenden Fällen ist dies vermerkt. Ibrahim ist seit 1992 mit einer Christin verheiratet. Zusammen haben sie vier Kinder, auch sie leben noch als Christen. Bildungsambitionen Nachdem Ibrahim im Eingangsstatement sein Geburtsdatum genannt hatte, sprach er als nächstes über den Tod seiner Mutter. Obwohl er erst 4 Jahre alt war als sie starb, war sie, auch in religiöser Hinsicht, sehr wichtig für ihn. Sie gehörte, wie nach seinen Angaben die meisten Menschen in seiner Heimatregion, zu den Siebenten-Tags-Adventisten (Seventh-Day-Adventist Church, SDA)4. Sie nahm ihn oft mit in die Kirche und führte ihn so in die Welt des Religiösen ein.

2

Im Gegensatz zu den interviewten Frauen, habe ich von Männern kaum persönliche Einladungen erhalten.

3

Die Titel der jeweils 30-40 Seiten langen Texte lauten »The Riddle of Crucifixion«, »The Spirits of God (A Functional Dichotomy)«, »Salvation by Jesus (pbuh). Teachings & Practice« und »Pillars of Islamic Faith (A Biblical Testimony)« – alle vier sind Darstellungen der ›Überlegenheit‹ des Islam gegenüber dem Christentum.

4

Die Nyanza-Region war seit 1906 eines der wichtigsten Missionierungsgebiete der Siebenten-Tags-Adventisten in Ostafrika. Von Anfang an spielte Bildung eine wichtige Rolle in der Mission (Amayo 1995). Heute stellen sie dort neben den Katholiken die zweitgrößte Religionsgemeinschaft (vgl. Silberschmidt 1999, 13).

278 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION »So, I’ve been ..., when I was young we used to attend the Seventh Day Adventist Church. Mum used to take us there for Sabbath School and all that. I can remember, when I was young … . At times when I tell people what I saw once she passed away, they say I’m lying. But I remember. I think I have a very good memory. I remember what happened. How she was taken to hospital, how she was brought at night. I mean the screams and all that ... then she was buried, I saw all this. I couldn’t know what was going on. Then later on we came together with the family, all the children, members of the tribe and all that. Because I would deliberately call her by name … they say no, don’t disturb her. [...] But I remember very vividly what happened that day and ever during her burial.«

Es ist ihm sehr wichtig, zeigen zu können, dass er sich tatsächlich an seine Mutter und die gemeinsamen Kirchenbesuche erinnert. Ihr Tod war ein prägendes und einschneidendes Ereignis. Er spricht, mit Ausnahme seiner Ehefrau, über sie mehr als über alle anderen Familienangehörigen. Sein Vater dagegen gehörte zwar zur Katholischen Kirche, ging aber nur sehr selten zum Gottesdienst. Er schickte seine Kinder eher zur Schule, als zur Kirche: »He used to tell us school was first, finish your studies and when you are an adult you can decide what to do and go to church.« Darüber hinaus scheint er durch die zweite Heirat seines Vater (zu den sechs Kindern von der ersten Frau kamen noch sieben aus zweiter Ehe hinzu) ein ziemlich einsames Leben geführt zu haben. In seiner Erzählung tauchen keine weiteren Bezugspersonen aus dieser Phase auf. Stattdessen beschreibt er seinen Ausbildungsweg seit dem ersten Schulbesuch 1974 sehr detailliert. Mit Beginn seiner Highschool Zeit stieß er immer wieder auf Probleme. Insbesondere fühlte er sich, ähnlich wie Nuru, von seiner Familie allein gelassen. Trotz guter Noten sei er deshalb nicht zur richtigen Highschool zugelassen worden, um später wie geplant Medizin zu studieren: »The issue was, nobody was willing to assist me to find another school. So you see my dreams now went. I was so discouraged.« Trotz dieser Enttäuschung, und dadurch zunächst schlechter Noten, gab er seine Bildungsambitionen nicht auf und entschied sich ein anderes Universitätsstudium aufzunehmen. 1987 ging er an die Egerton University (Njoro, in der Nähe von Nakuru) und schloss nach drei Jahren als Agrar-Ingenieur ab. Genau zu dieser Zeit verfügte die kenianische Regierung jedoch einen Einstellungsstopp für Agrarwissenschaftler. Also musste Ibrahim erneut umdenken, da er zu stolz war, um zu seinen Eltern zurückkehren und sie um Geld zu bitten. Er begann in seiner Heimatregion als Aushilfslehrer zu arbeiten und entschied sich 1995, bei diesem Beruf zu bleiben und eine einjährige Zusatzausbildung (Post-Graduate Diploma in Education) zu absolvieren.

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In diesem Teil seiner biographischen Erzählung stellt sich Ibrahim als ernsthafter und nüchterner Mensch vor, der unabhängig denken und Entscheidungen treffen kann. Hier wird deutlich, wie sehr Bildungsambitionen sein Leben prägten. Auch in Bezug auf seine Familie ging er vor allem auf deren Bildungskarrieren ein. Er ist sehr stolz, der am besten Gebildete in seiner Familie zu sein. Dabei ist Bildung für ihn vor allem eine Sache des Willens und der Anstrengung. Wie sein eigenes Beispiel zeige, spielte auch Geld nur eine untergeordnete Rolle dafür. Durch seine Bildungsambitionen grenzt er seinen Lebensstil von dem der anderen Familienangehörigen ab. Auf Nachfragen über seine Familie ging er jeweils nur sehr kurz ein und leitete mit der Aussage »So let me probably concentrate on my personal life now« zum nächsten Teil seiner Erzählung, seiner religiösen Entwicklung, über. Die Zeit an der Universität war nicht nur für seinen Bildungs- und Arbeitsweg entscheidend. Schon in den ersten Semestern begann er, wenn auch zunächst heimlich, wieder zu den Sieben-Tags-Adventisten zu gehen. Da er innerhalb dieser Studentengemeinde bald einer der ›youth group leader‹ wurde und sich während der vorlesungsfreien Zeiten an der Missionsarbeit (›outreach programme‹), auch in seiner Heimatregion, beteiligte, sprach er bei einem längeren Aufenthalt zu Hause mit seinem Vater darüber: »One day I approached my dad and told him, I know why probably he does not want us to go to church. But I wanted to give me a try. Because … I remember mum used to take us to church … and then I was thinking probably when I became an adult maybe I get married. I wished that I, my family be confirmed to the church rather than … follow the typical teachings and all that … . So I talked to him. It took about an hour or more. We talked, he said, well, I’ll allow you to go. I’ve no problem. I know you have grown up and all that. It’s ok you go. So I started to go to church.«

Während eines ›preaching programme‹ lernte er außerdem seine jetzige Frau kennen, die auch zu den Sieben-Tags-Adventisten gehörte und als Predigerin in seine Heimatgemeinde kam. Später, nach der Universität und der Weiterbildung zum Lehrer stieg Ibrahim sogar zum ›church leader‹ in seinem Heimatort auf. Konversion als rationale Entscheidung 1997 ergab sich für Ibrahim erneut die Chance als Agrar-Ingenieur zu arbeiten. Dafür wurde er nach Mandera in die North Eastern Province von Kenia versetzt. Nach seiner Ankunft stellte er fest, dass es dort keine Siebenten-Tags-Adven-

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tistische Gemeinde gab. So begann er selbst eine aufzubauen.5 Diese Aktivitäten führten zu Diskussionen mit lokalen somalischen Muslimen, die die Bevölkerungsmehrheit in der Region stellen: »Like any other Christian I went to tell others about Jesus. What he can do for you or what he has done for you. I mean something which has to do with God. But then as we were discussing, I discovered that some of them were asking me ... . You know they were telling me about some of the prophets in the Bible. Like Moses for example, Abraham. Me, you know, I was wondering. I thought these people don’t know about kabisa [Swahili, hier: gar nichts]. (lacht) I thought exactly. And then I remember one of them once told me, a colleague now at the place of work, he told me that, you know … ›With Jesus you are telling us, we know him. We know about the other prophets and all that. It is you who does not know one of the prophets. There is one you have left out‹.«

Nach den ersten Diskussionen nahm er sich vor, ein Buch zur Verteidigung der christlichen Lehre (»In defence of faith«) zu schreiben, das auf der Persönlichkeit von Jesus beruhen sollte. Den nun folgenden Prozess bezeichnete er als ›Forschung‹. Immer wieder betonte er, dass er diese ohne Hilfe oder Einfluss von außen durchführte: »You see I’m doing the study alone. I told my wife. I’m ..., I want to find a way of ... talking to the Muslims. I’m doing some research. I even told my friends, even the great church in Mandera. I told them, I’m doing a research.« »And so I wanted to start right from the Old Testament. Look at the ..., how he was prophesied, what he could have done, where he could have come and you know ... . And then relate to ..., now we got this recorded in the New Testament. As support and evidence for my faith, as I wanted to defend the Christian faith (Pause). But after putting the different topics together [...]. I mean I was half down to do the actual research now, I discovered that there were quite a number of discrepancies. In the Old and New Testament. This is serious. All these years I’ve been a Christian I’ve never noted this!«

Während der nächsten Stunde des Interviews sprach Ibrahim fast ausschließlich über diese ›Widersprüche‹ in der Bibel und belegte seine Argumente mit der Angabe verschiedener Bibelstellen. Insgesamt ging er dabei auf viele verschie-

5

Die mit diesem Schritt sicherlich auch verbundenen Aufstiegsambitionen wurden hier nicht näher analysiert. Die Mitglieder der Gemeinde kamen vor allem aus der nicht somalischen Bevölkerung.

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dene Themen ein, die im nächsten Unterkapitel (8.2.) ausführlich vorgestellt werden. »Then I said I have to be serious now. I’m ..., what I’ve been believing looks to be very different from what is actually in the Bible. [...] So I continued with studying. It’s because of the discrepancies. And the disagreements within the New Testament and the Old Testament. And the actual teachings of Jesus himself. I decided I need to read. I need to know more. So … a neighbour in Mandera, I asked him to help me with the Koran, so that I can read it. At times you know we are now arguing who is Jesus what he did and so on. Things about Yusuf, Joseph, Moses and all those prophets. [...] So he said I cannot give you the Koran because … it’s not just to be read by anybody like that … . Why? You are not a Muslim. (Pause). What am I supposed to do? So he told me that this is this purification. Every time a Muslim goes to pray he must prepare himself and wash hands and all that. Even all those aspects are not a part in the Bible, I discovered that they actually are. Within the Bible.«

Beim Vergleich der beiden Texte erschien ihm der Koran viel klarer und stringenter als die Bibel. Ibrahim verglich aber nicht nur Aussagen aus dem Koran und der Bibel miteinander, sondern eben auch religiöse Regeln und Rituale, zum Beispiel Vorschriften zu rituellen Waschungen, Fastenregeln, und Gebete, wie sie in den beiden Schriften beschrieben und heute in der Praxis umgesetzt werden. Aus seiner Sicht sind die darin festgehaltenen grundlegenden Riten sehr ähnlich, werden von den Christen jedoch nicht mehr durchgeführt. »The fact then still remains that this [der Koran] is a better book than the Bible. And therefore Christians have no reason to reject it. We could not say per se that it [die Bibel] is a bad book. But I cannot condone the discrepancies. [...] So when I looked at some of these aspects I felt we are misleading people in the Christian faith.«

Im April 1999, mit 34 Jahren und ungefähr ein Jahr nachdem er begonnen hatte, an seinem Buch zu schreiben, entschied er sich zur Konversion zum Islam: »It took me a year, because I didn’t want to leave loop holes.« Zuerst ging er zu einem muslimischen Freund und Arbeitskollegen, um diesem seine Entscheidung mitzuteilen. Zusammen suchten sie dann einen Qadi auf, der ein Büro im gleichen Gebäude nutzen durfte. »He was also very surprised. I mean how ..., we have not seen that you have been serious about this. So I told them I’ve been studying these things and I have come to the conclu-

282 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION sion that this is the right religion. [...] So the Qadi said well it’s ok and we have no objection, but we are sorry. In fact quite a number of my colleagues were very sorry about it. They said we have been together here. We actually know there is something wrong in the Bible, but we are sorry, we have not been telling you.«

Die meisten Menschen reagierten sehr erstaunt auf seine Entscheidung. Sogar in der Moschee waren viele verwundert, als er dort als Konvertit und ehemaliger christlicher Gemeindeleiter vorgestellt wurde. »The sermon was over and so we stood up for prayer. And after finishing the prayers I was introduced. My name is Joseph. I am a graduate of a Christian Youth Service. So I was welcomed and they … I was introduced to the congregation and told that you have been a Christian all through and leader of the church and we even know that you have been a church leader and all that. But now according to what is surprising to all of us, is that he is becoming a Muslim just by studying. Many people heard it because of the loudspeaker. Others even were at home and heard it. So they were sending books to me. I have quite a number of books which I was given. I even don’t know who gave them.«

Am Freitag, noch vor seinem ersten Gebet in der Moschee sprach er mit seiner Kirchgemeinde in Mandera, und sagte ihnen, dass er ab jetzt nicht mehr mit ihnen beten und auch nie zur Kirche zurückkehren würde. »I told them on Saturday I will not be with you. You know the research, I’ve been doing? Because even the church had learnt. When I preached I used to give them some examples from the Koran. Because I was studying it. So whatever was similar I just incorporated into my preaching. They were so surprised, they did not believe it and I told them I have no (--). So the books of records and all that I had of the church I gave them. And hear, I will never come back to church. Of course there were different reactions. Others said I have died. Others saying, no I think he wants to become a Muslim so he can have many wives. Others said he is confused. You know several things. [...] So I told them well that is my decision … I don’t think anybody is going to change it. It has been a whole year, intensive study and I don’t think, anybody can convince me. But if you feel like trying, you are free.«

Beim nächsten Aufenthalt in seiner Heimatregion erzählte er auch seiner ehemaligen Kirchgemeinde vor Ort von seiner Konversion zum Islam. Dort wurde neben den oben genannten Vermutungen gerätselt, ob er ein ›witchdoctor‹ gewor-

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den sei.6 Darüber hinaus geriet er in einen Konflikt mit den Kirchenführern, die ihn nicht mit seinen ehemaligen Gemeindegliedern sprechen lassen wollten, er vermutete aus Angst, er könne diese auch dazu bewegen, zum Islam zu konvertieren: »After I had become a Muslim, I was approached by my former comrades in faith, that is the Christians. And they were very harsh on me. But I was ... . I knew what I’ve known is one thing you have not known. So however much they could argue, it didn’t bother me much.« »I’m still leading you. In my belief, in my understanding I’ve no secret to be in the better route. I usually tell them, to me I consider Christianity like a nursery school. That you call kindergarten in your place. (lacht) Because if you read the Bible well, if you read it to understand … the problem Christians have, I’m sorry if you are one, is that they never concentrate to understand what the Bible says. And if you say that this and that do not agree, they say that one is not important. A long as he died for me.«

Auffällig ist hier besonders seine scharfe Kritik am unselbständigen und passiven Umgang seiner ehemaligen Gemeindemitglieder mit der christlichen Religion. »Because later on as time went by they now started to understand what my beliefs are. Because some could come and even chat. We would look at the Bible and study it. I think we don’t read the Bible, we have this book called. Yes! Most of you simply carry it to church and come back with it. [...] When the pastor says open, let’s say, Mark 3:14, you never open. You say, the pastor will read and then we know what, let him explain whatever that is.«

6

Dieser Zusammenhang zwischen Islam und Hexerei wird folgendermaßen hergestellt: uganga, Swahili Heilpraktiken, die verschiedene Formen von Besessenheitspraktiken, aber auch utabi, ›islamische‹ Heilung durch Amulette u.ä. einschließen, werden zum Teil, auch von manchen Muslimen, mit uchawi, Hexerei, gleichgesetzt. Aus diesem Grund werden Muslime von der Küste von Afrikanern aus dem Hinterland zum Teil als waganga betrachtet und Islam somit in Verbindung zur Hexerei gebracht. (Kresse 2003, 299) Ibrahim erzählte mir in etwas abgeschwächter Form, dass ›witchcraft‹ mit ›herbal medicine‹, die man an der Küste, also bei den Muslimen lernen könne, gleichgesetzt würde. Diese Assoziationskette habe ich nicht nur in Kenia, sondern auch in Tansania angetroffen.

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Aber nicht nur das Fehlen einer Suche nach wirklichem Verständnis kritisierte Ibrahim am Christentum, sondern auch die in seinen Augen feststehende Interpretation der Bibel: »In fact in Islam, different interpretations are accepted. But let’s say in a particular Christian faith, let’s say SDA or Catholics or something like that. What the church has said … is fixed. You cannot argue with it. You are not allowed to argue about it. You see which means you are restricted to reason out.«

Diese Umgangsweise ist Ibrahim, dessen Leben von Bildungsambitionen geprägt war, zu eng. Er stellte sich immer wieder als einen sehr ernsthaften und nüchternen Menschen dar, dessen Denken stets von Unabhängigkeit und Rationalität geprägt ist. Zur Unterstreichung seiner Rationalität betonte er zum Beispiel, dass er niemals Weihnachten gefeiert habe, sondern stattdessen aufs Feld gegangen sei, um Mais zu pflanzen.7 Zudem betonte er seine Ablehnung von Wundererzählungen und Heiligenverehrungen. Dementsprechend hob er im Interview die Nüchternheit des Islam im Vergleich zum Christentum hervor: »It seems like Christians, they spend a lot of time singing and just praising without knowing the reality of the whole thing. (Pause) So I continued with studying.« Zur Beschreibung seines Konversionsprozesses benutzte Ibrahim oft Begriffe wie »research«, »discovery«, »reasoning«, »conclusion« oder »study«. All diese Begrifflichkeiten sind aus einem wissenschaftlichen, universitären Kontext abgeleitet. Als Wissenschaftler oder Gelehrter (»scholar«), wie er sich selbst immer wieder bezeichnete8, grenzt er sich von anderen in seiner Familie und seiner ehemaligen Gemeinde ab, die unwissend und naiv seien und deshalb diese Fragen einfach nicht stellen würden. Diese könnten aber somit auch nie genug Wissen erlangen, sondern würden im oberflächlichen Glauben verharren. Während dieses Gesprächsabschnittes über seine Konversionserlebnisse und die Reaktionen seiner Umwelt sprang er immer wieder zurück zu einer religiösen Argumentation, die die Unterschiede zwischen Islam und Christentum und seine

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Diese Aussage kann auch auf die Praktiken der Siebenten-Tags-Adventisten zurück-

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Dies kann sowohl dem Versuch eine Verbindung zu mir als Wissenschaftlerin herzu-

geführt werden, da viele Kirchenmitglieder Weihnachten nicht feiern. stellen als auch dem Selbstbild als ›Theologe‹ im Gegensatz zu dem eines Gläubigen geschuldet sein. So sagte er zum Beispiel auch »I was just doing exactly what you are doing now – I did a research.« Auch ich wurde immer wieder gefragt, ob ich diese Forschung durchführen würde, um zum Islam zu konvertieren.

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daraufhin getroffene Entscheidung für den Islam verdeutlichen sollte. Immer wieder versuchte ich deshalb, ihn von der Aufzählung theoretischer Grundlagen zur Erzählung praktischer Folgen seiner Konversion zu bewegen. Neben dem Einfluss von islamischen Missionsmaterialien und der darin präsenten Argumentation der ›Konversion als intellektueller Entscheidung‹ könnte diese Gewichtung der Gesprächsinhalte und die Fokussierung auf diese Begründungen auch damit zusammenhängen, dass die Konversion für Ibrahim weder eine einschneidende Änderung der Lebensumstände, seines Charakters, noch in der Art seines Glaubens bedeuteten. Sein Freundeskreis hat sich kaum verändert, auch liest er heute noch sehr oft in der Bibel und im Koran (morgens und abends nach dem Gebet). Der Prozess der Konversion begann für ihn nicht erst in der Mandera-Region, sondern in dem Moment, in dem er während seines Studiums seine Religiosität wiederentdeckte und an der Universität der Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten beitrat. Seine spätere Konversion zum Islam beschreibt er lediglich als einen Glaubenswechsel: »The actually knowing who God is and all that has always been a kind of aspect in me.« Bei Betrachtung der biographischen Daten und deren Bewertung durch Ibrahim, scheint es, als ob durch die Wiederentdeckung des Christentums in der Studienzeit und die später folgende intellektuelle Beschäftigung mit Religion sowie die sich daran anschließende Konversion zum Islam, eine Versöhnung der frühkindlichen Erfahrung der Religion seiner Mutter mit den später entwickelten Bildungsambitionen stattfand. Insbesondere das Gefühl Ibrahims, im Christentum nicht genug intellektuelle Weiterentwicklung zu erfahren, diese aber auch nicht außerhalb von Religion zu suchen, spricht für diese Hypothese. Konversion als individuelle Entscheidung Ibrahim betonte immer wieder seine persönliche Initiative, und dass er unabhängig von anderen die christliche Lehre hinterfragt und zum Islam gefunden habe. »I think my change of faith was not dependent on [other] people. That’s the interesting part of it. Unlike what should happen, somebody comes, preaches to you and then you agree. Mine was very different. Because even the initiative I took when I talked to my dad. When I started becoming a committed member of the church. It was a personal initiative. Yeah. So that urge from within has always been there.«

Dabei unterstrich er, dass dies ein eher ungewöhnlicher Weg sei. Er hebt damit seine eigene Konversion von der anderer ab und unterstellt ihr implizit auch einen höheren Wert.

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Obwohl sich Ibrahim immer als nüchtern und rational darstellte, spielt dennoch ein Traum eine wichtige Rolle in seiner Erzählung, den er in Mandera in der Zeit vor seiner Konversion gehabt habe.9 Eine Frau aus seiner Gemeinde habe ihn später daran erinnert. »She has told me that, one time you gave us a story in the church about a dream you had. That you were lifted up from the church. And then you looked around in order to see another member. And then you walked up this way and then you found people in white. Others in circles, others standing, other seated and all that. And then you passed through some magnificent buildings and all that. How does that react to your life now? (Pause) So I told her according to me my interpretation there is up to now not a single person from that church that has become a Muslim. Two. The people I saw in white, in robes, white robes. This was when I went to madrasa I found them there. I joined them and now I’m a Muslim. So I think in a way while I was still a Christian I was being told that I will finally end up here.«

Ibrahim lässt seinen Traum gewissermaßen von einem Gemeindemitglied erzählen, setzt die Erzählung also in die dritte Person, und begibt sich damit auf eine weitere Ebene der Abstraktion. Seine Konversionserzählung bekommt mit dieser Aussage jedoch eine gewisse Wendung, da er seine Konversion nicht nur als richtigen Weg, den er durch Lernen gefunden hat, darstellt, sondern auch als Erfüllung des Willens Gottes. Dieser Prozess betrifft nur ihn, nicht seine Familie und nicht seine Gemeinde. Gleichzeitig sieht er durch seine Konversion kaum Veränderungen seiner Persönlichkeit und damit auch keine Auswirkungen auf seine Umwelt: »I mean that my character has always been like that. So in terms of my character I can’t say that it has changed. What has changed is my manner of God. And even those who

9

Dies ist eine von insgesamt nur zwei Erzählungen von Träumen in dieser Arbeit. Dass es sich dabei um so wenige Fälle handelt ist eher erstaunlich, da Träume eine wichtige Rolle in vielen islamischen Gebieten, in Afrika (siehe z.B. Fisher 1979, 217), wie auch in der Lehre der Siebenten-Tags-Adventisten spielen. Als Grund für diese Nicht Benennung von Träumen in den meisten biographischen Interviews könnte die Selbst-Positionierung der aktiv missionierenden islamischen Gruppierungen als nüchtern und nicht-mystisch angesehen werden. Beide in dieser Arbeit behandelten Träume traten in einer Zeit auf, in der die Träumenden noch zur christlichen Kirche gehörten.

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know me, they tell me why, I think it’s only that he goes to the mosque [now]. My character has always been the same.«

Der Glaube spielt für ihn eine sehr große Rolle, der religiöse Inhalt wird deshalb den jeweiligen Netzwerken übergeordnet. Ibrahim setzte sich dabei über Konventionen hinweg und traf seine Entscheidungen individuell. Da seine Konversion für ihn jedoch keinen großen sozialen Einschnitt bedeutete, behielt er seine alten Netzwerke, wie Familie und Freunde bei.10 Dazu kam, dass seine Familie im Gegensatz zu den ehemaligen Gemeindegliedern kaum auf seine Konversion reagierte. Lediglich seine Stiefmutter betrachte ihn auch heute noch mit Misstrauen. Da dies nun aber schon fünf Jahre her sei, hätten langsam alle gemerkt, dass sie seine Entscheidung nicht ändern könnten: »And the one thing is that when I make a decision, it’s very rare I can change. Because I don’t just make a decision.« Die Individualität, die er für sich beansprucht, gesteht er auch anderen, zum Beispiel seiner Ehefrau, zu. Er erzählte ihr erst nach seiner Konversion von seiner Entscheidung, überließ es ihr aber, wie sie darauf reagiert: »I called her on phone. I told her you are aware of my studies. I have now come to the conclusion that Islam is the right religion for me and as from this Friday on I will be ... . I’ll be going to the mosque. Never again to the church. She was surprised, I mean why ... . Are you confused or what? I said no you have always known me, I am a very sober man. (lacht) So we will talk later if you feel there is something wrong. [...] So when I went home, you know, she told me she didn’t tell anybody. She didn’t know how to handle that. [...] My wife was told, that man, he must have married in Mandera. So I told her, I think the best thing to do, I’ll pay for your airfare from Nairobi to Mandera. We will take you back home. I don’t want you to use a single coin. I’ll use my money. Because all these years you have never known me to be a liar and all that. But for your sake, I want you to come home. So I paid her from my arrangements from Mandera. So she was taken by plane from Nairobi. She came there.«

Sie ist heute noch Christin, wie auch ihre vier gemeinsamen Kinder, die jedoch noch nicht alt genug sind, um sich selbst zu entscheiden. Beide diskutieren immer wieder über Religion. Er erhebt jedoch nicht den Anspruch, dass sie zum Islam konvertieren solle.

10 Dass gerade in diesem Punkt sehr große Unterschiede zwischen den einzelnen Konvertiten bestehen, wird im nächsten Kapitel (Kap. 9) verdeutlicht.

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Einen deutlichen Unterschied zu seinem Leben vor der Konversion gibt es allerdings schon. Er ist lange nicht mehr so aktiv wie früher am Gemeindeleben beteiligt. Es gäbe auch keine Gruppen wie im Christentum, die sich treffen und Zeit miteinander verbringen, nur missionierende Gruppierungen, an denen er aber noch nicht teilgenommen habe: »Well if there would be a change maybe one. Because when I was a Christian I was very involved. These outreach programs. You know studying with the people and all that. But when I became a Muslim ... (Pause). Generally, unlike in Christianity where you could have for example a youth group , I don’t know parents’ group, I don’t know, or a church meeting, like that. It’s not a common feature in Islam. I think it’s more of a personal thing with God. The faith is more of individual.«11

Er lebt seinen Glauben nicht nur in der islamischen Gemeinde und der Familie sehr individuell, sondern ist auch einer der wenigen Muslime in seiner Heimatregion und seinem Wohngebiet in Nakuru: »I am almost the only Muslim there. So if you come and ask I want to come to a Muslim house you would easily find me. If you go, just where is the Muslim house, you’ll be brought.« Er streicht damit die Individualität dessen was er tut noch einmal besonders heraus. Ähnlich wie Bilal scheint ihn diese augenscheinliche Marginalisierung jedoch nicht zu stören. Als er mir am Ende des ersten Interviews seinen Namen aufschrieb, gab er mir auch seine christlichen Namen und meinte, er habe noch nicht alle Dokumente geändert. Auch im E-Mail Verkehr benutzt er noch seinen christlichen Namen. Die von ihm geschriebenen islamischen Texte sind jedoch mit einer arabisierten Kombination12 aus seinen islamischen und afrikanischen Namen unterschrieben. Für Ibrahim ist diese unterschiedliche Verwendung seiner Namen, im Gegensatz zu Badias Erfahrungen, allerdings nicht mit Problemen verbunden: »It’s not my name that makes me a Muslim.«

11 Sehr interessant ist hier auch die eher ›protestantische‹ Idee des Islam als einer individuellen Zuwendung zu Gott (vgl. Loimeier 2005a). 12 Er verwendet darin die Bezeichnung bin (Sohn des ...).

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8.2 V ERÖFFENTLICHTE K ONVERSIONSERZÄHLUNGEN AUS O STAFRIKA Auf den folgenden Seiten werden zwei weitere kontrastierende Konversionserzählungen präsentiert – eine, die im Internet zu finden ist und eine andere, die auf einer in Ostafrika produzierten und verkauften CD erzählt wird. Auch wenn diese Erzählungen von verschiedenen Quellen stammen, teilen sie bestimmte Aspekte der Erzählweise. Genau wie die Konversionserzählung Ibrahims stammen sie aus der Region Ostafrikas und beschreiben die Konversion von afrikanischen Männern, die eine Zeit lang sehr aktiv in der Kirche waren, aber, nach mehreren Monaten oder sogar Jahren des Nachdenkens über Religion, zum Islam konvertiert sind. Ebenso wie im Falle Ibrahims wird hier vor allem das Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ verwendet. Diese publizierten Konversionserzählungen kursieren in Ostafrika und beeinflussen somit die Erzählweisen von Konvertiten zum Islam. »Al Hajj Abu Bakr John Mwaipopo – The Amazing story of how the Arch Bishop who became Muslim, married a Nun« Diese Konversionserzählung kann, neben vielen anderen, auf der Webseite: www.themodernreligion.com13 gefunden werden. Die private Webseite »Islam – the modern religion« wurde 2000 von Fareena Alam, später eine der Editoren des britischen muslimischen Magazin »Q-News« , ins Leben gerufen. Verlinkt war die Webseite hauptsächlich mit anderen westlichen Webseiten, in Nordamerika, aber auch in Großbritannien. Unter der Rubrik »Let’s visits converts around the world« werden mehr als einhundert verschiedene Konversionserzählungen, nach Ländern und Regionen geordnet, vorgestellt. Hier ist auch der Bericht über die Konversion eines früheren tansanischen Erzbischofs zu finden, »Al Hajj Abu Bakr John Mwaipopo – The Amazing story of how the Arch Bishop who became Muslim, married a Nun«, der für die Analyse ausgewählt wurde.

13 Bei einer Google-Suche zu den Stichworten ›conversion‹ und ›Islam‹ befand sich diese Webseite zwischen 2004 und 2011 immer mit unter den auf der ersten Seite aufgeführten Ergebnissen.

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Abbilddung 6: Islamissche Konversioonserzählungen n im Internet

Quelle:: http://www.theemodernreligion..com/convert/isllam_ converssion_main.htm (12.03.2010) (

we Sesanti anAls Autor ddieses Artikelss wurde der Al Qalam14Repoorter Simphiw gegeben. L Leider ist es nicht n klar, wan nn der Text ggeschrieben wurde, w aber er scheint im Internet erstmaalig 1997 verö öffentlicht wordden zu sein. Viele V Angaben b genauen Lesen als Übeertreibungen heraus, die dain dem Texxt stellen sich beim zu dienen, der Konversioon durch die ho ohe gesellschafftliche Stellung eine höhere Gewichtungg zu geben. Es E wird allerdiings nicht klarr, ob dieses Bild B von John Mwaipopo selbst oder voon dem Reporrter erzeugt wuurde. Die Erzäählung taucht onsforen etc.) im Internett an den verscchiedensten Sttellen (Webseiiten, Diskussio immer wiedder auf und wiird zumeist alss Zeichen für ddie Überlegenh heit des Islam verwendet, ohne seinen Innhalt zu hinterfragen. n Mwaipopo aals gebildeter Mann, M der im Zu Begginn der Erzählung wird John Westen studdierte und sehrr einflussreichee Positionen inn der Kirche (u unter anderem Generalsekkretär des Welltkirchenrates in i Ostafrika15) inne hatte, dargestellt. d Er wurde in deen 1930ern in der Bukoba Region R in Tansaania in der Nähe des Viktoria-Sees gebboren, unweit der Grenzen zu z Uganda undd Ruanda. Sein n Vater drängte ihn dazuu, zuerst Altarrjunge zu werrden und spätter Theologie zu studieren. Weiter ist bbeschrieben, dass d er 1964 in n England ein Studium zur KirchenadmiK nistration aabschloss und dann d nach Deu utschland gingg, um dort eineen B.A. zu er-

14 Al Qalam m ist eine südaafrikanische musslimische Zeitunng, die in KwaZ Zulu Natal von asiatischhen Muslimen heerausgegeben wiird. 15 Diese Poosition gab es allerdings a ebenso o wenig, wie diee des Erzbischo ofs der Lutherischen Kiirche in Tansaniia (dieser wird alls vorsitzender B Bischof oder mkkuu bezeichnet), die er auuch inne gehabt haben h soll.

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werben. Nach seiner Rückkehr sei er Bischof in Tansania geworden. Später, in den 1980ern, sei er zurück nach Berlin gegangen, um dort seinen Master und Doktorarbeit zu schreiben.16 Über diese Erlebnisse sagte er: »All this time, I was just doing things, without questioning. [...] I started wondering … there is Christianity, Islam, Judaism, Buddhism each different religions claiming to [be] the true religion. What is the truth? I wanted the truth.«17

Daraufhin begann er den Koran zu lesen und entschied, dass der Islam die einzig wahre Religion sei. »It was then that he discovered that the Qur'an was the only scripture book that had been untampered with, by human beings since its revelation.« Er kontaktierte seinen Professor in Deutschland um auch ihn zu fragen, welches in seinen Augen die wahre Religion sei, auch dieser antwortete der Islam. Aber er sei aus zwei Gründen noch ein Christ: »One, I hate Arabs, and two, do you see all this luxuries that I have? Do you think that I would give it all up for Islam?« Mwaipopo dachte über diese Aussagen nach, traute sich aber aufgrund seiner Stellung in der Kirche und seine damit verbundene ökonomische Absicherung nicht, zum Islam zu konvertieren. »But then dreams haunted him, the verses of the Qur'an kept on appearing, people clad in white kept on coming, ›especially on Fridays‹, until he could take it no more.«18 Am 22. Dezember 1986 entschied er sich doch dazu, Muslim zu werden. Einen Tag später erzählte er der Gemeinde in seiner Kirche von diesem Schritt, die darauf sehr hart reagierte. Seine Frau nahm ihre gemeinsamen Kinder und verließ ihn kurze Zeit später. Auch seine Eltern wollten von seiner Konversion nichts wissen: »They were just old people who did not know. They could not even read the Bible…all they knew was what they had heard the priest reading.« Nachdem er sein Haus und sein Auto verloren hatte, ging er zurück in die Region Kyela, die Herkunftsregion seiner Eltern nahe der Grenze zu Malawi. Auf seiner Reise traf er seine zukünftige Frau, eine katholische Nonne. Auch sie konvertierte zum Islam und wurde ähnlich wie Mwaipopo von ihrer Familie verstoßen. Er begann nun Islam

16 Das deutsche Universitätssystem unterschied sich zu dieser Zeit allerdings deutlich von dem anglo-amerikanischen System und enthielt keine Bachelor- oder Masterabschlüsse. 17 Alle Zitate in diesem Unterkapitel stammen von der Webseite: http://www.themodernreligion.com/convert/convert_bishop.htm vom 04. 03. 2007. 18 Dies ist nach der Traumerzählung von Ibrahim die zweite, die im Rahmen dieser Untersuchung gesammelt wurde.

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auf öffentlichen Plätzen zu predigen, was zu Widerstand und einigen Verhaftungen wegen »preaching blasphemy against Christianity« führte. 1988, während er in Medina zur Hajj war, wurde sein Haus »bombed« und mehrere Angehörige seiner Familie starben. Insbesondere wird der verarmte Lebensstil betont und diesem der missionarische Erfolg seiner Arbeit gegenübergestellt. 1992 wurde er in Zusammenhang mit Angriffen auf Schweinefleischverkäufer in Dar es Salaam festgenommen, aber bald wieder freigelassen.19 Danach floh er nach Sambia, da zudem gegen ihn eine Morddrohung vorlag. Seine Erzählung endet mit einer Botschaft an alle Muslime: »There is war against Islam…Flood the world with literature. Right now, Muslims are made to feel ashamed to be regarded as fundamentalists. Muslims must stop their individualistic tendencies, they must be collective.«

Während meiner Feldforschung traf ich Nidal20, ebenfalls ein früherer Pastor, der später zum Islam konvertiert war (er wird näher in Kapitel 9 vorgestellt). Nidal erzählte, er habe John Mwaipopo persönlich kennen gelernt. Er bestätigte meine Vermutungen, die Erzählung sei an einigen Stellen übertrieben. Weder habe Mwaipopo in Europa studiert noch hatte er solch hohe Ämter inne, wie in dem Artikel geschildert. Trotz allem war er ein Pastor, der zum Islam konvertierte. Im Gegensatz zur Schilderung des schweren Schicksals in der Erzählung beschrieb ihn Nidal allerdings als einen Menschen, der viel Glück gehabt habe: in Malawi traf er den muslimischen Präsidenten Bakili Muluzi (von 1994 bis 2004 im Amt), der ihn als Beauftragten für die Organisation der Hajj-Reisen in Malawi einsetzte. Diese Position gab ihm nach Karanis Angaben Zugang zu sehr viel

19 Vermutlich spricht er hier über die ein Jahr später stattfindenden Angriffe auf Fleischereien, die beschuldigt wurden, Schweinefleisch zu verkaufen, in Zuge deren 38 Muslime verhaftet wurden (Vgl. Ludwig 1995, 219; siehe auch Kapitel 2). In der in Dar es Salaam herausgegebenen Zeitschrift »Family Mirror« wurde berichtet, die Übergriffe 1993 seien von der KwaMtoro Moschee in Kariakoo ausgegangen, in der »Sheik Abubakar Mwaipopo, a Christian-turned Moslem« die Anwesenden aufrief, das Verbot, weiterhin Fleischereien anzugreifen, zu ignorieren. (vgl. http://www. tu-chemnitz.de/phil/english/chairs/linguist/independent/kursmaterialien/AfricaSS04/I CE-EA/corpus/rep-splash-T.txt vom 06.03.2009). 20 Nidal, der selbst als islamischer Missionar sehr aktiv ist, ist einer der wenigen, die ihre Konversionserzählung schriftlich veröffentlichten. Zudem gab er Radiointerviews über seine Konversion zum Islam.

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Geld, was ihm Vorwürfe der Korruption einbrachte. Sein Lebensstil war nach Aussage Nidals am Ende sehr von Reichtum geprägt. Sheikh Said Mwaipopo Diese Konversionserzählung von einem Sheikh Said Mwaipopo stammt von einer CD, die in Tansania produziert und in Moscheen und auf Märkten Ostafrikas verkauft wurde.21 Auf dieser CD, die in Kiswahili aufgenommen wurde, erzählt Said Mwaipopo vor einem Publikum von seiner Konversion zum Islam. Leider ist es nicht klar, wann dieser Vortrag aufgenommen wurde. Auch wenn der Name Mwaipopo in Tansania relativ häufig vorkommt, ist es doch erstaunlich, dass es zwei publizierte Konversionserzählungen unter diesem Namen gibt. Es scheint durchaus möglich, dass Sheikh Said Mwaipopo, der deutlich jünger ist als sein Namensvetter John Martin, diesem in dessen Fußspuren folgt, um die CD besser zu verkaufen. Der oben erwähnte Nidal nannte John Mwaipopo das Original und kannte den jüngeren Mann überhaupt nicht, wunderte sich aber auch über dessen Namen. Auch die Verwendung des Namenszusatzes Sheikh kann vermutlich in ähnlicher Weise als Marketing Strategie angesehen werden. Sheikh Said Mwaipopo erzählt, wie er auf verschiedenen christlichen Colleges in Kigoma und Arusha lernte und nach einigen Jahren als Prediger und Missionar abschloss. Nach seiner Ausbildung reiste er nach Kenia um dort in Gebieten, die vor allem von Muslimen bewohnt sind, zu missionieren und Menschen vom Islam zum Christentum zu konvertieren. Er beschreibt Diskussionen mit Muslimen in Garissa22, wo er zu einem vorwiegend aus Somalis bestehenden Publikum predigte. Dabei verwendete er den Koran um zu zeigen, dass dies nicht das Wort Gottes sein könne, eine eher von Muslimen verwendete Methode der Mission (vgl. Kap. 3). Das Geld für diese Reisen sei von einer schwedischen evangelikalen Kirche gekommen. Nach dieser Zeit in Kenia reisten sie weiter nach Malawi zu einer weiteren Predigtmission, dieses Mal wurden sie von Missionaren aus Schweden begleitet. Innerhalb der Gruppe der Missionare führten sie oft Diskussionen über den Glauben. Während einer dieser Gespräche sagte der schwedische Missionar: »If Muslims pray five times a day and Christians once a week which of these was the true religion?« Während dieser Reise begannen sie nun weitere Fragen zu erörtern, wie zum Beispiel die, ob Jesus Gott

21 Ich habe die CD in Kisumu in einem kleinen Laden an der Jamia Moschee gekauft. 22 Garissa liegt wie Mandera in der North Eastern Province, allerdings ein ganzes Stück weiter südlich im Fluss Tana. Auch in Garissa ist die Mehrheit der Bevölkerung muslimisch.

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sei, und nutzten dazu Materialien wie Bibel, Koran, Enzyklopädien und Bücher der Zeugen Jehovas. »The Swede told us to start doing research to find out who was the first prophet to live in the world. We told him it was Adam. He asked us where Adam lived and we said we did not know. He told us to open the encyclopaedia and we found out that Adam was living in a city called Baghdad, in present day Iraq where the Kurds used to live and his grave is still in that country.«23

Im weiteren Verlauf beschreibt er die Überlegenheit des Islam, indem er unter Zuhilfenahme des Koran und der Bibel zeigt, dass alle wichtigen Propheten aus der Region des Nahen Ostens kamen. Die ganze Zeit über wird der schwedische Missionar als derjenige dargestellt, der in der Diskussion besonders stark in Richtung Islam argumentiert. In dem nun folgenden Abschnitt spricht Said Mwaipopo über die Ankündigung Mohameds in der Bibel. Auch dabei nutzt er beide kanonischen Schriften als Quelle. Nach weiteren Diskussionen seien alle Missionare aus dieser Gruppe bei einem Aufenthalt in Sansibar zum Islam konvertiert. Leider wird nicht klar, ob auch der schwedische Missionar unter ihnen war. Nach ihrer Konversion führten die Missionare ihre Reise durch Ostafrika fort, dieses Mal fuhren sie nach Mosambik und Swaziland. Dort wandten sie sich an muslimische Gemeinden und organisierten mit diesen zusammen Diskussionen mit Christen. Christen werden dabei im Gegensatz zu den Muslimen stereotyp als reich und gebildet dargestellt, sie haben aber unzureichende Argumente wenn es zu religiösen Diskussionen kommt: »In all these we proved to them beyond doubt that Islam had an upper hand.« Am Ende der Präsentation gibt er eine kurze Beschreibung der drei einzigen islamischen Länder, die nach seiner Sicht zurzeit existieren: Afghanistan, Iran and Somalia. In Bezug auf diese Länder steht ›Islamisch zu sein‹ in seinen Augen vor allem für ihren Kampf gegen Ungläubige, sogar wenn dies bedeutet, » to die for the sake of the faith«, und zweitens für die Art mit Geld umzugehen, dass sie nicht für einen strahlenden Lebensstil, sondern für die ›Verteidigung‹ des Islam verwendeten. Iran wird besonders hervorgehoben für seine Forderung, Israel von der Karte der Erde zu lö-

23 Hier wird der Antagonismus zwischen hervorgehobener Suche nach Wahrheit und Wissen und gleichzeitigem Fehlen kritischer Methoden und großes Unwissen über Religion deutlich. Darüber hinaus ist der Blickpunkt der Argumentation ein rein muslimischer, wie an der Benennung von Adam als Prophet deutlich wird, einer Idee, die nur im Islam, nicht aber im Christentum, vertreten wird (vgl. z.B. Schöck 1993).

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schen. Er endet mit einem Statement, dass es drei »fundamentals of Islam« gäbe: Glaube, Wissen und Ressourcen. Gemeinsamkeiten der Erzählungen Alle drei Konversionserzählungen in diesem Kapitel stellen Konversionsprozesse von christlichen Predigern und Missionaren zum Islam dar, die sich zu diesem Schritt nach langer Zeit des Nachdenkens über verschiedene Religionen entschlossen haben. Die Texte weisen zudem eine ähnliche Struktur auf, obwohl sie auf sehr unterschiedliche Weise entstanden sind. Zuerst wird ein Bild des Konvertiten entworfen, das ihn als gebildet und religiös darstellt. Danach wird der Weg zur Konversion zum Islam als eine, mehr oder weniger, lange Zeit der Forschung und Wissenssuche beschrieben. Diese Passagen nehmen einen langen und wichtigen Teil aller der in diesem Kapitel besprochenen Konversionserzählungen ein. Insbesondere die Diskussion der Unterschiede zwischen Christentum und Islam, Bibel und Koran, steht dabei im Mittelpunkt. In allen drei Fällen wird mehr als die Hälfte der Erzählzeit über die Konversion mit diesen Argumentationen ausgefüllt. Diesem Teil folgt dann eine relativ kurze Beschreibung der eigentlichen Konversion. Nur der darauf folgende Schluss unterscheidet sich zwischen den Erzählungen grundlegend. Während John Mwaipopo und Ibrahim über die Reaktionen ihrer Umwelt auf diese Konversion sprechen, erwähnt Sheikh Said Mwaipopo dies an keiner einzigen Stelle. Alle drei sind nach ihrer Konversion jedoch in der einen oder anderen Art missionarisch aktiv, auch wenn sich dies bei Ibrahim auf das Abfassen von Texten beschränkt. Die zwei veröffentlichten Konversionserzählungen enden mit einem Statement an eine breitere muslimische Öffentlichkeit, während im Falle Ibrahims, dies, aufgrund des Fehlens dieses Rahmens, nicht vorkommt. Der Glaubenswechsel wird begründet mit einem Studium der Bibel und des Koran. Als wichtiges Argument für den Islam werden die Widersprüche in der Bibel aufgeführt, die ein Beweis dafür seien, dass die Bibel nicht das Wort Gottes beinhalte. In den Interviews wurde meist betont, dass der Erzähler selbst auf die Widersprüchlichkeiten in der Bibel gestoßen sei und nicht durch die Hinweise aus anderen Quellen. Erst später, so erzählen sie, haben sie Unterstützung für ihre Ideen in islamischen Schriften gefunden. Ein weiteres Kriterium für Wahrheit ist in dieser Argumentationslinie das Alter. Aus der Sicht Ibrahims ist Arabisch die älteste Sprache und damit die Sprache Gottes. Aber auch Abstammung wird als Beweis für die Wahrheit verwendet, wie die Erzählung von Sheikh Mwaipopo zeigt. Die geographische Herkunft der Propheten aus der Region des Nahen Ostens wird als Indikator gesehen, dass Islam die wahre Religi-

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on Gottes sei. Dabei werden zum Teil Argumente herangezogen, die in keiner Weise dem eigenen Anspruch an kritischer Hinterfragung genügen. So argumentierte ein anderer Interviewpartner, Isa (vgl. Kapitel 9), auf den Abbildungen in der Bibel sei sichtbar, dass die Menschen, über die die Bibel spricht, Muslime gewesen seien.24 Diese vom ›intellektuellen Narrativ‹ geprägten Konversionserzählungen zeigen, dass von diesen Konvertiten Wissen als (gott)gegebenes Ganzes aufgefasst wird, zu dem durch Lesen und Lernen der kanonischen Schriften ein Zugang erlangt werden kann. Dieses ›richtige‹ Wissen zu finden ist notwendig, um Gott zu gefallen. Allerdings gibt es Hindernisse auf diesem Weg, da das Wissen und damit die Wahrheit oft von anderen verborgen wird. So erzählte Said Mwaipopo über seine Zeit auf einem Bibel College in Arusha, dass sie beim Lesen der Bibel immer wieder bestimmte Stellen übersprungen hätten: »Our teachers told us that we would read the section in heaven. We later realised that the sections we were told to skip were talking about prophet Mohammed.« Religion wird von vielen der Interviewten als eine Art Wettkampf erlebt und die Fragen, wer mehr über Religion weiß und welche Gruppe mehr Anhänger vorweisen kann, spielen eine wichtige Rolle. Religiosität wird dabei über das akkumulierte Wissen bestimmt und der Wahrheitsgehalt einer Religion über die Größe der Anhängerschaft. Mission wird somit zu einer Möglichkeit zu beweisen, auf dem ›besseren Weg‹ zu sein, wie Ibrahim es ausdrückte. ›The West‹ wird dabei als archetypischer, mächtiger, gut gebildeter und reicher christlicher Gegenpol dargestellt, der damit als Fokus der Differenzierung dient. In den zwei publizierten Konversionserzählungen stellten westliche Theologen jeweils eine wesentliche Rolle im Konversionsprozess, in dem sie zugaben, Islam sei die ›bessere‹ Religion, aber weiterhin am bisherigen Status quo und ihrem christlichen Lebensstil festhalten. Die Konversion zum Islam der beiden Protagonisten wird dagegen als wirtschaftliche und soziale Marginalisierung dargestellt und erhält somit einen höheren Status und größere Legitimation.

24 »One time my brothers, they are Christians, my real brothers, you know one day ... . When you see the back of the Holy Bible, you see some pictures there. The city of Jerusalem. Then one of them was saying to me that these people really look like Muslims (imitiert eine andere Stimme, lacht). With robes and shawls. These people really look like Muslims. I told them they are Muslims. The prophet was taking us back to where those people began.«

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8.3 D ER B IBEL -K ORAN -V ERGLEICH IM INTELLEKTUELLEN K ONVERSIONSNARRATIV In allen drei hier dargestellten Konversionserzählungen und darüber hinaus allen Erzählungen, in denen das Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ eine Rolle spielte, wurden inhaltliche Argumente aus dem Komplex des Bibel-Koran Vergleiches genannt.25 Über die im Folgenden vorgestellten Themen gibt es in Ostafrika unzählige Bücher, Heftchen und Kassetten zu kaufen. Besonders beliebt und bekannt in der Region sind die Publikationen des Südafrikaners Ahmed Deedat mit Titeln wie »Crucifixion or Cruci-fiction?« oder »Is the Bible God’s Word?«. Aber auch andere Publikationen, von Autoren wie Bilal Phillips26, sowie Texte herausgegeben zum Beispiel von der saudi-arabischen Botschaft, der vom Iran unterstützten Bilal Muslim Mission, Bücher aus Bibliotheken27 oder privat zusammengetragene Materialen28 zirkulieren unter Musli-

25 Eine der ersten Autobiographien eines Konvertiten zum Islam im ostafrikanischen Raum, die ebenfalls diese Argumente verwendete, stammt von Abbas Gombo Kanoni (geboren 1933). Der Text »Sikumkana Yesu Bali Mtume Paulo« (Ich verneine nicht Jesus, sondern den Apostel Paulus), herausgegeben von The Islamic Dawah and Irshad in Nairobi, wurde vermutlich ebenfalls von Ahmed Deedat beeinflusst (vgl. eine längere Abhandlung dazu in Chesworth 2007, 171-176). 26 Abu Ameenah Bilal Philips wurde 1947 in Jamaika geboren, wuchs aber in Kanada auf, wo er 1972 zum Islam konvertierte. Er studierte später in Medina und Riyadh. 1994 gründete er das Islamic Information Center in Dubai. Neben Lehrtätigkeiten, Publikationen und Vorträgen (u.a. eine Tour in Kenia vom 24.-26. Juli 2009) ist er außerdem bei Peace TV involviert, einem islamischen Fernsehsender. Das Peace TV Network (Untertitel: The Solution for Humanity) wird von der Islamic Research Foundation (IRF), beide gegründet von Zakir Naik, von Mumbai aus betrieben. Das nur auf religiösen Themen basierende Programm, das zu rund 75% aus englischen Beiträgen besteht, versteht sich als ein Gegenprogramm zum westlich dominierten Mediensektor und christlichen Sendern wie Family TV. Auffällig ist die große Präsenz internationaler Konvertiten im Programmverlauf (vgl. http://www.peacetv.in; Eintrag in Wikipedia; 25.08.2008.) Peace TV ist auch in Ostafrika zu empfangen und bildet einen Teil der islamischen medialen Landschaft (Interview mit Bakri, 2007, Moshi). 27 Siehe zum Beispiel die online einsehbare Liste der Bibliothek der Jamia Mosque in Nairobi (http://www.islamkenya.com/html/bookscat.html vom 10.02.2010). 28 Der Sekretär der islamischen Gemeinde in Kisumu gab mir 2007 eine CD mit mehr als 150 Texten von verschiedenen Autoren und Quellen, die er während der letzten

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men. So drückte mir ein Interviewpartner, Bakri, als ich ihn fragte, ob er auch Texte über die Bibel gelesen habe, bejahend als Beispiel Ahmed Deedats »What the Bible says about Mohammed« in die Hand und gab mir sein einziges Exemplar als Geschenk. Er sei sehr viel gereist, um diese Bücher zu finden – nach Dar es Salaam, Mombasa und Nairobi. Dort sei er in alle möglichen öffentlichen, sowie in Moschee- und Kirchenbibliotheken gegangen. Er habe zudem mit vielen Leuten gesprochen und sie um Hilfe gebeten. Auch an größeren Treffen habe er teilgenommen. Das Buch, das er mir in die Hand drückte, hatte er im Laufe der Zeit ins Kiswahili übersetzt, um dieses ›Wissen‹ auch anderen Menschen zugänglich zu machen. Aber nicht nur Publikationen von Autoren außerhalb Ostafrikas werden von Muslimen gelesen, sondern auch viele lokal entstandene, zum Teil sehr stark an den berühmten Vorbildern orientierte.29 Eine Liste der für diese Arbeit verwendeten Texte findet sich im Anhang. Für die folgende Übersicht wurden die von Ibrahim im Verlauf der Interviews und in seinen Texten verwendeten Argumentationslinien als Ausgangspunkt verwendet, da hier schon fast alle wichtigen, auch in anderen Erzählungen verwendeten, Themen genannt werden. Allerdings wird darauf verzichtet, diese Argumentation im Detail nachzuzeichnen, da dies über den Rahmen dieser Arbeit hinausginge. Es werden nur die großen Themenkomplexe und besonders häufig genannten Argumente aufgeführt (für eine ausführliche Diskussion vgl. Chesworth 2007). Trinitätslehre und Jesus als Gottessohn Das erste Argument für den Islam, dass von zwei Dritteln aller Interviewten benannt wurde, war die Ablehnung der christlichen Dreieinigkeitslehre, die mit einem Glauben an verschiedene Götter gleichgesetzt wird. Ibrahim sagte dazu: »When I look at the concept of the Trinity for instance. I think I discovered that it was a pagan way of worship.«30 Wie am Beispiel Bilals deutlich wurde, be-

Jahre gesammelt hatte. Ihn hatten dabei besonders die Ideen und Darstellungen von Haroun Yahya aus der Türkei beeindruckt. 29 So zum Bsp. Ngariba, Mussa Fundi & Mohammed Ali Kawemba (1987), Uislamu Katika Biblia [Der Islam in der Bibel] publiziert von der Al-Khayria Press Ltd. auf Sansibar. Beide gehörten zu den Begründern der Wahubiri wa Kiislamu (vgl. Kapitel 3) und waren stark durch die Texte Ahmed Deedats beeinflusst. 30 Für eine ähnliche Aussage in einem der von ihm geschriebenen Texte verwendete Ibrahim als Quelle »Illuminati 666« von William Josiah Sutton (1995), das von Teach Services Inc., einem Verlag der Siebenten-Tags-Adventisten, veröffentlicht wurde.

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zieht sich die Kritik an der christlichen Dreieinigkeitslehre vor allem auf die Darstellung von Jesus als Sohn Gottes. Deshalb wird die Trinitätslehre von Muslimen zum Teil mit der Aussage »Jesus is God« gleichgesetzt, die wiederum dazu dient, sich von ihr abzugrenzen.31 In Bilals Fall begründete er die Unmöglichkeit, zum Christentum zu konvertieren, allein mit der Unstimmigkeit in dieser Frage: »If I want to become a Christian what should I do? He told me it is very easy for you to become a Christian. First of all you should believe and confess that Jesus Christ is the Lord. I told him what does it mean to say that Jesus is the Lord? So he told me that you should accept that Jesus is God.«

Alle Argumente zielen darauf ab, Jesus wie im Islam als Propheten und nicht als Sohn Gottes oder Messias darzustellen. Ibrahim geht dazu zunächst auf Prophezeiungen im Alten Testament ein, die für ihn deutlich von dem abweichen, was im Neuen Testament geschrieben steht und somit nichts mit Jesus zu tun haben können. So könne die Prophezeiung der Ankunft des Immanuel in Jesaja 7,14 (und dann wieder aufgegriffen in Mt 1,23) nicht Jesus gemeint haben, da ein Namensunterschied bestehe: »There are two different names. And they have different meanings. So I said I think there is a trick here. There is something here, people are not telling us the truth.«

Ibrahim argumentiert weiter, dass Jesus sich selbst nicht als Gottes Sohn gesehen hätte, sondern nur im übertragenen Sinne als Gläubiger. Zudem glauben Muslime im Gegensatz zu Christen nicht an den Kreuzestod von Jesus. Für Ibrahim sind vor allem die widersprüchlichen (Zeit-)Angaben im Markus- und Johannesevangelium32 ein Indiz dafür, dass die biblische Schilderung nicht stimmen

31 Diese Abgrenzung ist vor allem im Hinblick auf einige der charismatischen Pfingstkirchen zu verstehen, die nur den göttlichen Aspekt von Jesus benennen, den menschlichen hingegen nicht erwähnen. Sie setzen Jesus tatsächlich gleich mit Gott (vgl. z.B. Gifford 1987, 71). Insbesondere die Befreiung von Sünden durch den Tod am Kreuz und das Vergießen seines Blutes spielt dabei eine zentrale Rolle. So sind in Ostafrika häufig Aufkleber, z.B. an Autos, zu finden, mit Sprüchen wie »I’m covered with the blood of Jesus«. 32 Im Markusevangelium wird die dritte Stunde (9 Uhr vormittags) als Zeit der Kreuzigung angegeben (Mk 15, 25), im Johannesevangelium steht geschrieben, dass Jesus zur sechsten Stunde (12 Uhr mittags) erst verurteilt wurde (Joh 19,14): »The Bible

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könne. Auch sei Jesus ja nicht der Einzige der gekreuzigt wurde, deshalb sei diese Betonung eher unverständlich. Gott habe Jesus auch nicht am Kreuz sterben lassen, denn schon im Alten Testament lehne er das von Abraham angebotene Menschenopfer ab. Auch dieses Thema wurde von vielen der Konvertiten angesprochen, zum Beispiel von Maryam: »Muslims they also preach humility … They also preach love. And also peace. It is not different from the Christian faith. What made me not follow Christianity very much is that I didn’t believe in the crucifixion of Jesus Christ. Because I was saying if God really wanted to protect his son he wouldn’t have let him fall. So that he would be living. You know God is God. When he says ›be‹, he only needs to say ›be‹ and it is. [...] But in Islam it was different. We don’t believe that Jesus Christ died. We just believe that Jes… ok the crucifixion, people had planned to kill him; they planned ..., but we believe that God is the best planner of all, he saved him. He didn’t die.«

Der Kreuzestod und die damit verbundene Auferstehung kann als Symbol für die besondere Rolle von Jesus als Sohn Gottes verstanden werden. Sie spielt somit für den Glaubensgrundsatz des Christentum eine ähnliche Rolle wie die Diktation des Koran durch Gott an Mohammed für den Islam. Werden der Kreuzestod und die Auferstehung von Jesus negiert, wird damit das ganze Christentum in seinen Grundsätzen hinterfragt. Der christlichen Trinitätslehre wird die Einheit Gottes im Islam als reine Form des Monotheismus gegenüber gestellt. Ein weiterer Interviewpartner, Nadeem, der ebenfalls die Dreieinigkeitslehre als Auslöser seiner Konversion darstellte33, benutzte dazu ein Beispiel aus dem von Sayyid Abu Ala Maududi ge-

cannot convince anybody of this, that Jesus died. Because if you look at for example Mark. Mark says he was crucified at the third hour. (Pause) I think John talks of that he was still in the judgment hall by the sixth hour. You see this means he was crucified after that, isn’t it. You see these times do not agree.« 33 Bei dieser Erläuterung schlich sich allerdings ein Fehler ein: er sprach an einer Stelle von Gott als Vater, Mutter und Heiligem Geist, korrigierte sich jedoch schnell. Dieser Versprecher könnte von den sehr unterschiedlichen Materialien herrühren, mit denen viele der Konvertiten arbeiten. Von einigen Wissenschaftlern wird angenommen, dass die im Koran geäußerte Kritik sich gegen die Lehre einer Dreieinigkeit von Gott, Maria und Jesus wende (Thomas 2006, 370). Nadeem äußerte zudem, es sei ja auch nicht schwierig im Heiligen Geist den Engel Gabriel zu erkennen, auch dies eine islamische Sichtweise.

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schriebenen Text The road to peace and salvation: »Have you heard of a single school with two headmasters, a department with two directors, an army with two commanders-in-chief, or a country with two presidents? Could any institution under such dual control function efficiently?«34 Die darauf folgende Darstellung der Schöpfung endet mit der Feststellung, dass dies nur auf einen einzigen Gott zurückzuführen sein könne. Isa, der im nächsten Kapitel vorgestellt wird, argumentierte, dass Allah ein besserer Name für Gott sei, da es hier keine Pluralform gäbe. Diese Betonung des Monotheismus und der Ablehnung der Dreieinigkeitslehre ist auch im Koran zu finden. Allerdings wurde dies erst mit dem Aufstieg des Wahhabismus zum zentralen Element eines puritanischen Islam. Abd al-Wahhab stellte tawhid (Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes) in den Mittelpunkt seiner Kritik an verschiedenen Formen von Mystizismus und Sektarianismus im Islam. Die Anerkennung von ›Vermittlergestalten‹ zu Gott, darunter fasste er sowohl den Glauben an die Dreieinigkeitslehre, die weit verbreitete Verehrung von Heiligen im Islam35, wie auch die Beschäftigung mit Rationalismus oder Kunst, genügten für ihn, einen Muslim zum Ungläubigen zu erklären (vgl. El Fadl 2007, 46-51). Mit einem ähnlichen Argument, der Abkehr vom Monotheismus, argumentieren heute salafitisch und wahhabitisch beeinflusste Muslime gegen maulidi, die Feier des Geburtstages des Propheten Mohammeds. »It is the prophecies in the Bible which were fulfilled in the Koran that made me become a Muslim.« (Ibrahim) Ein weiterer Versuch, die Überlegenheit des Islam gegenüber dem Christentum darzustellen, beruht darauf, zu zeigen, dass Mohammed schon in der Bibel angekündigt wurde. Aus dem Alten Testament werden vor allem zwei Bibelstellen immer wieder als Beweise für solch eine Prophezeiung herangezogen. Die erste stellt die Geschichte der zwei Söhne Abrahams ins Zentrum. Neben Isaak, mit dem Gott den ewigen Bund schloss (1. Moses 17,19) und aus dessen Linie Jesus abstammt, wird die Geburt Ismaels hervorgehoben, der als ›Stammvater der Araber‹ angesehen wird und aus dessen Linie damit Mohammed stamme. Bilal sah in dieser Bibelstelle sogar eine Vorhersage des schiitischen Islam (Imamiten):

34 Die erste Übersetzung von Khurshid Ahmad erschien 1966 in Lahore. 35 Nach der Eroberung von Mekka und Medina durch die Truppen der, mit der Wahhabiyya Bewegung verbundenen, königlichen Saud-Familie, wurden sogar Gräber der Familie Mohammeds und seiner Gefährten zerstört (El Fadl 2007, 67).

302 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION »But about Ishmael, I’m happy about you. He’s going to ..., I I’ll bless him. I’ll bless him. And he will have, he’ll bear 12 saints, 12 princes, 12 ... . So when it comes from Ishmael to prophet Mohamed you find no saint was born, then we come back to Isaac. No saint was born. But after prophet Mohammed, he bear 12 princes. The 12. He’s the one who had 12 Imams from him.«

Die zweite Bibelstelle, die häufig genannt wurde, war Jesaja 21, 7: »Und sieht er einen Zug von Wagen mit Rossen, einen Zug von Eseln und Kamelen, so soll er darauf achtgeben mit allem Eifer.« Diese Stelle ist Teil einer Prophezeiung des Unterganges Babels und damit einer Sammlung verschiedener Sprüche Jesajas, die gegen benachbarte Reiche gerichtet waren. Ibrahim argumentiert, dass dies eine Prophezeiung des Islam sei, da der Esel die Ankunft von Jesus und das Kamel die von Mohammed symbolisieren würden. Nachdem er mir dies auseinandergesetzt hatte, fiel es mir schwer, mir vorzustellen, er sei auf solch eine Argumentation tatsächlich nur durch eigenes Lesen und nicht durch Hinweise aus anderen Quellen gekommen. Auch im Neuen Testament befindet sich eine Stelle, die Ibrahim als Vorhersage des Islam interpretiert, das Weinberggleichnis im Matthäusevangelium (Mt. 21, 33-46). Darin spricht Jesus davon, dass der Weinberg anderen Arbeitern gegeben werde, und in Ibrahims Verständnis, dass nach ihm noch ein weiterer Prophet kommen würde. Auch im Koran spielt Jesus eine wichtige Rolle, sogar Mohammed spricht über ihn. Für Ibrahim ist dies die Erfüllung der Prophezeiung. »So to me I saw that as a fulfillment of that prophecy. And then when I actually considered comparing their teachings, what prophet Mohammed gives us and the other prophets, they are very consistent. And there are no differences here.«

Jesus wird vor allem in die Tradition der Propheten im Alten Testament gestellt. Durch ihn sei keineswegs eine neue Botschaft verbreitet worden, sondern er habe ganz im Rückgriff auf die alten Propheten gepredigt. Die Bibel als Fälschung Der Islam wird als die ursprüngliche Religion angesehen. Dadurch, dass Jesus mit Mohammed in eine prophetische Linie gestellt wird, müssen die Unterschiede zwischen der Bibel und dem Koran erklärt werden. Denn wenn es eine göttliche Lehre gibt, die er den Propheten mitteilt, dann müssen auch die dargelegten Schriften diese Lehre in gleicher Weise enthalten. Deshalb wird argumen-

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tiert, dass in der Bibel, im Gegensatz zum Koran, der gottgegebene Inhalt verfälscht wurde. Ibrahim sieht in Jeremia 8, 8 einen Beweis dafür, dass auch schon in dieser Zeit wichtige Teile des Alten Testamentes verändert wurden und die Bibel nicht mehr den Originaltext enthält. Ähnlich beschreibt er die Entwicklung des Neuen Testaments: »So the Jews were given the book first and then the Christians were given it during the time of Jesus which for some strange reasons the Jews destroyed. And then started writing another book. In the manner of the whole New Testament. I also discovered one thing, that some records tell us there were over 70 … gospels. Others say they were over 100.«

Diese Art der antisemitischen Erklärung sieht Juden nicht als die Mörder von Jesus (wie der vor-moderne christliche Antisemitismus), sondern als diejenigen, die die Lehre Gottes zerstörten. Ibrahim war nicht der einzige Interviewpartner, der in dieser Art argumentierte. Auch Bilal erzählte mir: »And if you go to those books, [...] because the Jew were jealous they changed those books and put some other words into that book. [...] People have put their hand into that book. So if you go for the Bible, you find that really there is some hand. Because you find there is Mathew, Mark, Luke, …which there were not prophets of God. You find acts of Apostles, other fun…other letters which people have put in there. Jesus, even Jesus did not read those words.«

Isa erklärt die Verfolgung Jesus damit, dass er die Fehler in der Torah korrigieren wollte. Seine Lehren erschienen neu, da sie andere Ideen beinhalteten, als die schon ›verfälschte‹ Torah. Nicht nur Juden werden als Zerstörer der von Jesus überbrachten Lehren Gottes angesehen, sondern auch Paulus. So erzählte Ibrahim: »According to my study the person who contradicts Jesus is St. Paul. For example Jesus stresses about the law. He says I have not come to destroy but fulfill the law. Then Paul later on says that, I don’t know, the laws were crucified. So we are no longer under the law. That’s the contradiction.«

Ein weiterer Interviewpartner, Tariq, argumentierte, Jesus habe Petrus zu seinem Nachfolger bestimmt, die Kirche aber sei Paulus gefolgt. Nur so konnte sich, diesem Narrativ folgend, die Dreieinigkeitslehre durchsetzen.

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Hinzu kommt, dass Evangelien, die eine andere Sicht auf Jesus darstellen könnten, nicht in den Kanon aufgenommen wurden.36 Die kanonischen Evangelien sind für Ibrahim aber auch mit Problemen belastet, da die Namen der Autoren ungeklärt seien. Es sei nicht sicher, dass das Markusevangelium tatsächlich vom echten Markus geschrieben wurde, wir hätten es also mit »deep loose authorship« zu tun. Durch diese Probleme sieht Ibrahim das Neue Testament eher wie eine Textsammlung über das Leben von Jesus an und setzt es damit mit der islamischen Hadith-Sammlung mit Texten über das Leben und Wirken von Mohamed gleich. Wenn im Islam die Hadith dem Koran widerspräche, wird sie abgelehnt. Die Christen dagegen hätten keine Vergleichsmöglichkeit. Im Gegensatz zur Bibel stellt er den Koran als rein und unberührt dar: »You see that was my understanding now. When I came to the Koran and discovered it is giving a similar message but the former revelations were corrupted. You know, torn into pieces. So I said that this must be the final revelation that Jesus was speaking of.«

Während die Bibel somit ein Produkt menschlichen Handelns ist, wird der Koran als gottgegeben dargestellt. Alle Wahrheiten der Bibel seien im Koran enthalten, nicht jedoch die menschlichen Einflüsse. Isa sah Mohammeds Aufgabe somit darin, eine zerstörte Religion wieder herzustellen und die Heilige Schrift zu reinigen. Als ein Beweis für die Gottgegebenheit des Koran versuchten einige der Interviewpartner zu zeigen, dass in ihm einige wissenschaftlich korrekte Feststellungen zu finden sind, die mit damaliger wissenschaftlicher Erkenntnis noch nicht beschrieben werden konnten.37 Zudem werden die Widersprüche in der Bibel als Beweis für ihre Unechtheit gesehen. Basierend auf der Idee, dass »the religion of God has been the same all through« zeigt die nachvollziehbare Übereinstimmung der Aussagen im Koran nach Ibrahim, dass die »source of the message [Gott] is the same«. Der Koran wird als einfach zu verstehen und schön charakterisiert. Der alleinige Akt des Lesens kann ausreichen, um zu verstehen,

36 Hiermit ist insbesondere das so genannte ›Barnabas-Evangelium‹ (vgl. S. 107) gemeint, dass zum Beispiel von den Wahubiri wa Kiislamu zur Argumentation gegen die Bibel verwendet wird. Es wurde von Ibrahim ebenso erwähnt wie von Bilal. 37 Diese Argumentation basiert auf Büchern wie: Iqbal, Muzaffar (2002), Islam and Science, Ashgate (Aldershot) oder Bucaille, Maurice (1976), La Bible, le Coran et la science: Les écritures saintes examinées à la lumière des connaissances modernes, Seghers (Paris) einem französischen Autor, dem ebenfalls eine Konversion zum Islam zugeschrieben wird. Auf letzteren stützt sich zum Beispiel das Argument, dass im Koran die Raumfahrt bereits vorhergesagt würde.

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dass er der Bibel überlegen ist. Zudem sei er nicht nur ›den Juden‹ geschickt worden, sondern allen Menschen. Einer der Interviewten, Amir, schloss aus dieser Argumentation, »there is more about Jesus in Islam than in Christianity«.

8.4 D IE W URZELN DES INTELLEKTUELLEN K ONVERSIONSNARRATIVS Intellektuelle Erzählung durch den privatisierten Umgang mit Religion Die in diesem Kapitel vorgestellten Konversionserzählungen sind typische Beispiele für einen Erzählstil, der als ›intellektuelles Konversionsnarrativ‹ bezeichnet werden kann. Lofland & Skonvod beschrieben in ihrer Forschung von 1983, die sich auf Europa beschränkte, das intellektuelle Konversionsmotiv38 als eine relativ neue Form der Konversion, die durch eine zunehmende Privatisierung der Religion in westlichen Gesellschaften bedingt sei. Sie beginnt mit einer individuellen Auseinandersetzung mit Religion, z.B. durch das Lesen von Büchern oder den Besuch von Lesungen und »other impersonal or ›disembodied‹ ways« (Lofland & Skonvod 1983, 5). Die Autoren bezeichnen sie auch als ›aktivistische‹ Art der Konversion. Nur wenig oder gar kein sozialer Druck führt am Ende zur Konversion, die nach mittlerer bis langer Zeit der Entscheidungsfindung erfolgt. Charakteristisch ist, dass »a reasonably high level of belief occurs prior to actual participation in the religion’s ritual and organisational activities« (Lofland & Skonvod 1983, 6). Das Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ für den Islam kann in Ostafrika allerdings nicht (allein) auf eine Privatisierung von Religion und damit auf eine strukturell andere Art und Weise der Beschäftigung mit Religion zurückgeführt werden.39 Vielmehr wird dieses Narrativ von den momentan

38 Lofland & Skonvod beschäftigen sich nicht mit Gründen, Phasen oder Funktionen von Konversion, sondern mit Typen von Konversionserfahrungen. Konversionsmotive sind bei ihnen dementsprechend Leitmotive der Konversionserfahrung – Aspekte der Konversion, die dem Konvertiten besonders in Erinnerung bleiben und die Konversion besonders prägen (vgl. S. 162). 39 Für eine Privatisierung der Religion sprechen Beispiele wie Bilal, der trotz seiner Konversion zum schiitischen Islam weiterhin gerne Treffen der Tablighi Jama'at oder Bibelkurse besucht. Diese Beobachtung korrespondiert mit Theorien über die Privati-

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in Ostafrika aktiven islamischen Missionsbewegungen verbreitet. Da der Großteil der Konvertiten, insbesondere der männlichen Konvertiten, aufgrund dieser Bewegungen zum Islam konvertierten, bzw. nach ihrer Konversion bei diesen Bewegungen über den Islam unterrichtet wurden, ist dieses Narrativ bei den Erzählungen über die Konversion zum Islam dominant. Prägung des Narrativs durch die islamischen Missionsbewegungen in Ostafrika Wie im vierten Kapitel über Konversionstheorien gezeigt wurde, tendieren Konvertiten in den biographischen Erzählungen dazu, die mit der Konversion verbundenen Erlebnisse und Erfahrungen mithilfe von gruppenspezifischen Mustern und Narrativen zu interpretieren und darzustellen. Dabei werden grundlegende, immer wieder auftauchende, Themen in individuelle, persönliche Erzählungen eingewoben. Die Betonung einer ›intellektuellen Konversion‹, der Vergleich verschiedener religiöser Wahlmöglichkeiten und die darauf folgende Entscheidung für den Islam, der als logische, eindeutige und vollkommene Religion dargestellt wird (»Islam as a complete way of life«), resultiert aus dem Selbstbild der in Ostafrika aktiv missionierenden islamischen Gruppen und Bewegungen, die in Kapitel 3 vorgestellt wurden. Ostafrikanische wie auch globale Diskurse über Islam und Konversion zum Islam werden somit in individuelle Konversionserzählungen eingebunden. Die Betonung des islamischen Buchwissens, die strenge Auslegung der Lehre und die Abkehr von eher mystischen, spirituellen Annäherungen an den Islam ist kein neues Phänomen, im Gegenteil. Wie im zweiten und dritten Kapitel gezeigt wurde, veränderten sich islamische Auslegung und Praxis in Ostafrika im Verlaufe der Zeit immer wieder. Die dabei zu beobachtenden Auseinandersetzungen wurden von Wissenschaftlern wie Muslimen selbst als Aneignungsprozesse und Reinigungsbestrebungen, als ›Afrikanisierung‹ des Islam und ein Zurückdrängen eben dieser ›afrikanischen‹ Elemente diskutiert und interpretiert. Die derzeitigen Auseinandersetzungen sind mit theologischen Deutungsansprüchen und zum Teil mit politischem Agenda-Setting verbunden, auch gegenüber der christlichen Bevölkerung. Für die Entwicklung dieses Selbstbildes islamischer Missionsbewegungen und die von ihnen verbreitete Sichtweise auf den Islam sind mehrere, zum Teil ineinandergreifende, Prozesse verantwortlich. Neben einer Schwächung der is-

sierung von Religion, die von der Heterogenität religiöser Vorstellungen und dem Fehlen eines kanonisierten Dogmas gekennzeichnet ist (Luckmann 1999, 253-256).

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lamischen Gelehrtenschaft (ulama) führte die starke Verbreitung salafitischer und wahhabitischer Ideen dazu, dass sich die Auffassung und Verbreitung von islamischem Wissen stark veränderte. Die damit zusammenhängenden Prozesse werden im Folgenden dargestellt. Wie im dritten Kapitel beschrieben wurde, gewann seit Mitte der 1970er Jahre weltweit, und damit auch in Ostafrika, eine Mischform aus salafitischen und wahhabitischen Ideen stark an Einfluss. Diese islamische Strömung stellt sich nicht als einheitliche Denkschule dar, sondern weist in sich eine große Variationsbreite auf. Allerdings gibt es einige grundlegende Ideen, die von allen darin involvierten Gruppierungen geteilt werden. Ein wesentliches Kennzeichen stellt die Ablehnung des taqlid dar, ein Begriff der islamischen Rechtspraxis (fiqh), worunter die blinde Nachahmung von Überlieferungstraditionen verstanden wird, die nach der Zeit des Propheten und seiner Gefährten entstanden sind. Zugleich wird die Stärkung des ijtihad gefordert, also eine eigenständige Rechtsfindung auf der ausschließlichen Grundlage des Korans und der Sunna. Die wichtigste Forderung dieser islamischen Strömung stellt somit eine ›Rückkehr‹ zu den Wurzeln des Islam dar. Somit kommt der Problematik der Überlieferung des Wissens aus dieser Zeit und damit der Kategorisierung von Hadithen in ›sichere‹ und ›unsichere‹ eine besondere Rolle zu. Einige Wissenschaftler argumentieren, dass die salafitisch-wahhabitische Bewegung das selbständige Denken betonen würde. Beispielsweise charakterisierte Kresse (2003) in seiner Forschung zu Kenia den Anspruch dieser Strömung als »emphatic insistence on reason, rationality and self-reliance« (Kresse 2003, 305). Dies weist auf die wesentliche Problematik dieser Denkrichtung hin, denn durch die Ablehnung von taqlid wurde die Autorität der lokalen ›traditionellen‹ Gelehrtenschaft angegriffen, die sich auf die Überlieferungstraditionen einzelner Rechtsschulen berief. Einhergehend mit einer Popularisierung des islamischen Wissens, wie sie von einigen salafitisch und/oder wahhabitisch inspirierten Bewegungen praktiziert wird, entsteht leicht der Eindruck, dass nun jeder imstande sei, den Koran und die Hadith zu lesen und auszulegen, auch ohne die Kenntnis der verschiedenen Auslegungstraditionen. El Fadl (2007) stellte dazu fest: »Taken to the extreme, this meant that each individual Muslim could fabricate his own version of Islamic law« (El Fadl 2007, 76). Was El Fadl hier in extremer Form zu Ende denkt, weist deutlich auf den reformerischen Gehalt der salafitischen und wahhabitischen Ideen hin. Durch die Betonung des ijtihad und der Schwächung des taqlid wurden die etablierten Autoritätshierarchien der Gelehrtenschaft angriffen und somit argumentativ ein Raum für den Zugang neuer Eliten zu den Gelehrtenkreisen geschaffen.

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Welchen wichtigen Stellenwert das islamische Wissen und die Fähigkeit zur Aneignung eines solchen Wissens innerhalb dieser Strömungen darstellen, verdeutlichte sich auch bei zahlreichen meiner Interviewpartner. So betonten einige, dass die Mitglieder der Siebenten-Tags-Adventisten und der Zeugen Jehovas deswegen besonders gute Christen seien, da sie sich durch ihr großes Wissen auszeichnen würden. Diese beiden Religionsgemeinschaften sind für ihre literalistische Lesart der Bibel bekannt.40 Die Betonung des Textes und die Reduktion der Auslegung auf den Text an sich, lässt sich somit als vergleichbare Gemeinsamkeit zwischen diesen islamischen und christlichen Bewegungen feststellen. Die Behauptung strenger Literalität und Objektivität beinhaltet aber ein paradoxes Moment, schließlich wird bei der Auslegung in der Regel selektiv und subjektiv vorgegangen. Kresse (2003) führte das oben angegebene Zitat folgendermaßen weiter: »[the] emphatic insistence on reason [...] turns into an (irrational) absolutism of a certain kind of rationality, a rationalism that has become dogmatic and unreasonable. As encapsulated by Horckheimer and Adorno [...] there is a dialectic twist within enlightenment itself, from liberation and self-reliance to dogmatic and destructive dominance.« (Kresse 2003, 305)

Der Betonung von Wissen und Fakten steht eine Ablehnung der Heiligenverehrung und des Glaubens an Wunder gegenüber. Einige der Konvertiten, zum Beispiel Nadeem, erzählten, sie hätten sich schon vor ihrer Auseinandersetzung mit dem Islam sehr an der Idee des Übernatürlichen (›supernatural‹) im Christentum gestört. Während bis in die 1970er Jahre hinein die islamischen maulidi-Feiern zu Ehren des Geburtstags des Propheten Mohammed (z.B. in Lamu) Anziehungspunkt für viele Menschen waren, werden diese Feiern von den zur Zeit aktiven, eher puritanischen, islamischen Gruppen als unerlaubte Neuerung (bid'a) verworfen. Dale Eickelman beschreibt diese Entwicklung auch in anderen islamischen Ländern (vgl. Eickelman 1999). Das Christentum hingegen, das lange

40 Interessant ist es hierbei auch, dass vier der 21 tiefer ausgewerteten Konversionsnarrative von einer Konversion von den Siebenten-Tags-Adventisten zum Islam berichten. Allerdings stellte diese Kirche 1995 lediglich 1,3% aller in christlichen Glaubensgemeinschaften organisierten Mitglieder (vgl. Barrett et al. 2001). Die Gründe für diese hohe Anzahl adventistischer Konvertiten konnten jedoch nicht eindeutig festgestellt werden – sie können zum einen mit der starken Verbreitung der Siebenten-Tags-Adventisten im Westen Kenias, aber auch mit der Ähnlichkeit der Auslegungspraxen zusammenhängen.

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Zeit als ernst und textbezogen galt, wird nun eher mit charismatischen Feiern und Heilungszeremonien in Verbindung gebracht (vgl. Kapitel 3). Veränderung der Wissensvermittlung Eine weitere Veränderung im Bereich des Islamischen Wissens war der Einflussverlust der islamischen Gelehrtenschaft. Zwei Phänomene sind, zumindest teilweise, für diese Entwicklung verantwortlich. Zum einen verlor die islamische Gelehrtenschaft durch den Kolonialismus und die Einführung westlicher Rechtssysteme sowie den Aufstieg von an westlichen Universitäten ausgebildeten Staatsbediensteten an Bedeutung. Diese Entwicklung setzte sich nach der Unabhängigkeit fort, auch durch den Versuch, die islamischen Gemeinden stärker staatlich zu kontrollieren (vgl. El Fadl 2007, 28-44).41 Auch der Einflussgewinn salafitischer und wahhabitischer Ideen und ihre Ablehnung der Gelehrtenschaft trugen zum Niedergang der bisher dominierenden ulama bei. Zum anderen verbesserte sich das Bildungssystem, so dass nun deutlich mehr Menschen in der Lage sind, sich mit religiösen Texten zu beschäftigen. In Ostafrika kommt hinzu, dass viele Konvertiten den Koran nicht auf Arabisch, sondern in einer Übersetzung in Englisch oder Kiswahili lesen. Das individuelle, private Lesen, das dadurch ermöglicht wird, resultiert in einer Verbreiterung der Leserschaft des Koran und anderer religiöser Texte. Somit bleibt religiöses Wissen nicht mehr einer kleinen Gruppe von religiösen Gelehrten vorbehalten. Dieser Wechsel in der Leserschaft führt zu Autoritätskonflikten über Auslegungen islamischen Wissens und verbunden damit zu Veränderungen sozialer Hierarchien.42 In jüngerer Zeit fand noch eine weitere Transformation statt. Eickelman (1992) und Anderson (2003) beschreiben die Entwicklung von Medien, Kommunikation und öffentlichem Raum in der islamischen Welt vor dem Hintergrund eines sozio-kulturellen und technologischen Wandels. Urbanisierung und Migrationsprozesse verstärken die oben genannte Veränderung der Leserschaft. Die parallele Entwicklung translokaler Netzwerke und Kommunikationssphären führen zu einer Vermischung verschiedener Konzeptionen. Anderson (1997)

41 So wurde zum Beispiel in Ägypten die Kontrolle des Staates über Ausbildung und Aufgaben von Predigern seit Unabhängigkeit 1952 verstärkt, was zu einem religiösen Autoritätsverlust der in diesem System ausgebildeten Gelehrten führte (Hirschkind 2006, 44-47). 42 An dieser Stelle könnte zudem mit Bourdieu (2000) argumentiert werden, dass religiöse Konflikte meist dann entstehen, wenn sehr viele junge Gelehrte ausgebildet werden.

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nennt dies »creolization«. Einer der wichtigsten Aspekte scheint dabei die Vermischung religiöser Diskurse mit naturwissenschaftlichen Konzepten und Denkweisen zu sein: »A characteristic of these efforts is mixed intellectual techniques – classically but not only met in the application of modes of reasoning and organisation drawn from science and engineering and applied to cultural, political and religious issues. The result is a re-intellectualisation of otherwise popular political and religious ideas in a space legitimating the values of engineering and applied science rather than those of traditional learning and conventional authority.« (Anderson 1997)

Als Beispiel hierfür können Ibrahim oder auch Mababaya, der Autor des Textes »Oneness of God« (vgl. S. 275), gesehen werden. Letzterer hatte eine ökonomische Ausbildung abgeschlossen. Somit änderten sich nicht nur der Kreis der Leserschaft, sondern auch der der Autoren und zugleich die Argumente, Themen und Konzepte islamischen Wissens. Die Verbreitung dieser globalen Diskurse geschieht, wie gezeigt wurde, durch in Printmedien (Bücher & Hefte, Zeitschriften) publizierte missionarische Texte, aber auch durch Predigten in den Moscheen. Gerade die jüngeren Gelehrten wurden häufig im Ausland ausgebildet und verbreiten die dort erworbenen Ideen in Ostafrika. In den letzten Jahren kamen weitere Medien der Verbreitung hinzu, wie Audio- und Videotapes, Radio, (Satelliten-)Fernsehen und Internet. Die Verbreitung dieser Medien ist auch in Ostafrika sehr weit, insbesondere seit dem Beginn der 1980er Jahre und den verstärkten islamischen Missionstätigkeiten in dieser Zeit. Die großen Treffen der Tablighi Jama'at zum Beispiel, dienen nicht nur als Möglichkeit der Versammlung und des Gedankenaustausches, sondern auch als großer Marktplatz, auf dem die neuesten Kassetten (meist aus Tansania), in Afrika, Asien, Europa oder arabischen Ländern produzierte religiöse Literatur oder Kleidungsstücke, mit denen die religiöse Zugehörigkeit ausgedrückt werden kann, verkauft werden. Allerdings ist es häufig nicht möglich, die verschiedenen Materialien einzelnen islamischen Bewegungen zuzuordnen, beziehungsweise klar zwischen ihnen zu unterscheiden. Natürlich transportieren die von der saudi-arabischen Botschaft gedruckten und vertriebenen Heftchen der Wahhabiyya nahestehende Inhalte. Autoren wie Ahmed Deedat, dessen Publikationen von sehr vielen verschiedenen islamischen Gruppen verwendet werden, obwohl ihr Hauptfokus auf der polemischen Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam liegt, können jedoch nicht so einfach verortet werden. Das vorhandene Material wird von vielen Muslimen eher eklektisch verwendet, solange es den eigenen Blick auf den Islam unterstützt. Erzählungen über Kon-

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vertiten und von Konvertiten spielen für diese missionierenden Bewegungen ebenfalls eine große Rolle. Konvertiten und ihre Aktivitäten formen dabei Ideen und Praxen im Islam mit. Ibrahim zum Beispiel nutzte die gleiche Art von Medien, die für seine eigene Konversion zum Islam wichtig waren, um seine eigenen Gedanken und Vergleiche zu Bibel und Koran zu publizieren. Obwohl nur wenige Menschen direkten Zugang zu den neuen Quellen ›islamischen Wissens‹, wie Internet, Bücher oder Kassetten haben, so fungieren diese als Vermittler dieser Ideen und sind somit wichtig für deren Verbreitung. Auffällig ist insbesondere, dass Erzählungen des religiösen Vergleiches, die häufig sehr polemisch sind, dabei eine große Rolle spielen.43 Dies ist vor allem auf die von den Wahubiri wa Kiislamu geprägten wettkampfartigen Veranstaltungen des Bibel-Koran-Vergleiches zurückzuführen, die anderen Formen der kompetitiven Opposition im ostafrikanischen Raum ähneln (vgl. S. 120). Lacunza-Balda (1993) sprach im Zusammenhang mit salafitischen Gruppen von einem ›intellectual jihad‹, der das Ziel habe, das religiöse Wissen von Muslimen zu verbessern. Auch diese nutzen zum Teil ähnliche polemische Texte. Bei Betrachtung der hier untersuchten Konversionserzählungen wird deutlich, dass polemische Literatur in Ostafrika nicht nur für die Aufwertung des Selbstwertgefühls von Muslimen eine Rolle spielt (wie dies für Europa von Razaq 2004 und Zebiri 1997, 89, festgestellt wurde). Sie haben ebenfalls große Bedeutung für die islamische Mission, zum einen unter Christen und zum anderen für inner-islamische Frömmigkeitsbewegungen. Das ›intellektuelle Konversionsnarrativ‹ war insbesondere in Konversionserzählungen von Männern zu finden, die aufgrund der in Ostafrika tätigen Missionsbewegungen konvertiert sind, bzw. später bei diesen aktiv mitarbeiteten. So konvertierte der als Katholik aufgewachsene Tariq, der Freund Bilals, 1994 mit 31 Jahren zum Islam, nachdem er in Nakuru muslimische Straßenprediger aus Tansania44 erlebt hatte. Ihr Vergleich von Bibel und Koran habe ihn dazu bewegt, sich wieder stärker mit der Bibel zu beschäftigen, um die Aussagen der Straßenprediger zu verstehen. Auch wenn Muslime zu einer der innerhalb des Islam missionierenden Bewegungen wechseln, verwenden sie unter Umständen diesen Typ der Konversionserzählung. Im Fall Najibs macht sich besonders be-

43 In den Erzählungen wird dabei nicht nur das Christentum als Gegenpol genannt, sondern zum Beispiel auch der Hinduismus (jedoch keine afrikanischen Religionen). Der Fokus auf dem Hinduismus könnte einen Hinweis auf das Wirken von Missionsbewegungen aus dem asiatischen Raum sein, da dort ein dem christlich-islamischen Vergleich ähnlicher Textkorpus zum Hinduismus und Islam existiert. 44 Die in Kapitel 3 besprochenen Wahubiri wa Kiislamu.

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merkbar, dass Konversionserzählungen immer vom jetzigen Standpunkt aus die Vergangenheit betrachten. Seine persönliche, biographische Erzählung ist zum Teil stark mit dem Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ überlagert, was auf seine Aktivität seit Ende der 1990er Jahre in der Tabligh Jama'at zurückzuführen sein kann. Nachdem sein Traum Priester zu werden Anfang der 1970er Jahre zerplatzte, zog er sich aus dieser Enttäuschung und dem Gefühl ungerecht behandelt worden zu sein45 aus der Kirche zurück. Nach der Schulzeit kam er in Nakuru das erste Mal mit dem Islam in Berührung und konvertierte nach etwa fünf Jahren zum Islam.46 Seine Frau, die bis zur Zeit ihrer Heirat sehr aktiv in der Katholischen Kirche war, konvertierte erst im Jahr 2000, nach Beginn seiner Aktivität bei der Tablighi Jama'at, zum Islam.47

8.5 Z USAMMENFASSUNG Das Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ zeichnet sich durch die Darstellung einer religiösen Wissenssuche aus, bei der die Unterschiede zwischen Christentum und Islam, bzw. Bibel und Koran, im Mittelpunkt stehen. Zum Teil nehmen die Passagen, in denen diese Unterschiede diskutiert werden, einen langen und wichtigen Teil der Konversionserzählung ein. Meist wird ein längerer Lernprozesses beschrieben, der ohne Einfluss von außen stattgefunden habe. Ein Großteil der Konvertiten, bei denen dieses Konversionsnarrativ eine Rolle spielte, konvertierte aufgrund islamischer Missionsbewegungen zum Islam. Aber auch Konvertiten, bei denen andere Faktoren eine Rolle gespielt haben

45 Er wurde dort als zukünftiger Priester abgelehnt, mit der Begründung seine Eltern seien nicht gläubig genug. Immer wieder betonte er, dass er sich durch »double-standards«, »hypocracy«, fehlende Fairness (darunter zählte er unter anderem die Auswahl von Priestern nach ethnischen Gesichtspunkten) und die Nichteinhaltung von Gelübden betrogen fühlte. 46 Er beschrieb dabei seine Lektüre der Biographie von Malcom X als wichtigen Grund für die Konversion. In seiner Darstellung der Person Malcom X vermischen sich soziale und theologische Argumente. Insbesondere hob er Eigenschaften wie Stärke, Widerspruchsgeist, Ehrlichkeit, Gemeinschaft, aber auch Ähnlichkeiten in der Erziehung, z.B. die Strenge der Eltern in Bezug auf Disziplin und auf die religiöse Erziehung, hervor. 47 Er habe sie selbst unterrichtet und auch noch andere Lehrer mit ihr arbeiten lassen, »Now she knows her duties«.

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E NTSCHEIDUNG

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könnten, verwendeten, mit Ausnahme von Frauen, dieses Narrativ. Das kann zum einen damit begründet werden, dass andere, z.B. pragmatische Ursachen für Konversionen, gesellschaftlich nicht anerkannt werden (vgl. Kapitel 6) und somit nicht für eine glaubhafte Darstellung der Konversion verwendet werden können. Die ›intellektuelle Konversionserzählung‹ dagegen ist der momentan in Ostafrika, vor allem für die Konversion von Männern, anerkannte Erzähltypus. Zum anderen ist Lernen über den Islam für Konvertiten meist auch mit dem Kontakt zu islamischen Missionsbewegungen verbunden. Diese sind in den meisten Fällen von salafitischen und wahhabitischen Ideen beeinflusst. Wie stark deren Sicht auf den Islam unter den Konvertiten verbreitet ist, wird bei dem Vergleich des Konversionsnarrativs mit den Ideen des puritanischen Islam deutlich. Das eigenständige Denken, das von den puritanischen Bewegungen ins Zentrum gerückt wurde, spiegelt sich in der Betonung eines Lern- und Forschungsprozesses ohne fremde Hilfe in den Konversionserzählungen wieder. Die angestrebte Literalität und Objektivität sowie das Primat des Textes stehen dabei in diesem Narrativ ebenso wie in der salafitischen und wahhabitischen Strömung einem eklektischen Umgang mit Texten und Quellen gegenüber. Ein weiteres Motiv, das in diesem Narrativ auftaucht, ist die Betonung von Ursprung und Authentizität. Auch dies kann auf die salafitische Ideologie der Rückkehr zum unverfälschten und reinen Ursprung, dem ›goldenen Zeitalter‹ des Islam, zurückgeführt werden. Ebenso kann die Idee, dass islamisches Recht für alle Aspekte menschlichen Lebens eine Antwort bietet, auf die puritanischen Bewegungen zurückgeführt werden. Nach El Fadl ist dies sogar eines der zwei Kennzeichen des islamischen Puritanismus (vgl. El Fadl 2007, 96.).48 Das zeigt, dass sich bestimmte Ideen des puritanischen Islam, insbesondere im Hinblick auf die Vermittlung von Wissen und die Bedeutung islamischen Rechts für den Alltag unter den Konvertiten größtenteils durchgesetzt haben. Konvertiten lernen zumeist nur diese Sicht des Islam kennen. Dies spiegelt sich im Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ wider.

48 Das andere bezieht sich auf die Frage, ob es durch Ästhetik oder eine dem Menschen immanente Fähigkeit möglich ist, über ›das Gute‹ zu reflektieren und es zu realisieren (ebd.).

9 Konversion als Grenzziehung

Im Gegensatz zu dem in Kapitel 6 vorgestellten Narrativ der ›Konversion als soziale Reorientierung‹ stehen bei den in diesem Kapitel vorgestellten Konversionserzählungen Abgrenzungsprozesse und nach außen deutlich gemachte Identifikationen mit bestimmten Gruppen im Vordergrund. Diese Beschreibung einer äußeren Zuordnung geht zum Teil einher mit einer Verortung des Islam als politische Opposition zum ›Westen‹, aber auch zu den Regierungen in Kenia und Tansania. Konvertiten, die dieses Narrativ verwenden, sehen Muslime oft als politisch benachteiligt und sich selbst als Kämpfer gegen diese Ungerechtigkeit an. Auffällig ist, dass Konvertiten, bei denen dieser Erzähltypus eine wichtige Rolle einnahm, sehr häufig ihre persönlichen Netzwerke nach der Konversion komplett veränderten und diese nun völlig auf ihr neues islamisches Umfeld ausrichteten. Alle Ehefrauen von Konvertiten bei denen dieses Narrativ eine Rolle spielte, gehören zum Islam. Häufig sind sie jedoch nicht zum Islam konvertiert, sondern als Muslima aufgewachsen. Die Identifikation mit dem Islam, bzw. bestimmten islamischen Bewegungen, und die damit einhergehende Abgrenzung von anderen wird auch über das Interview hinaus, zum Beispiel durch die gewählte Kleidung, verdeutlicht. Wichtiger noch als der Glaube schien eine gesellschaftliche Positionierung als Muslime. Die Zugehörigkeit zu diesem Netzwerk wurde aber über Glaubensinhalte ausgedrückt. Im ersten Teil dieses Kapitels wird die Erzählung Isas vorgestellt, die diese narrativen Grenzziehungsprozesse besonders gut verdeutlicht. Zwar begründete auch er seine Konversion stark mit dem in Kapitel 8 besprochenen Narrativ, aber bei ihm spielte die Abgrenzung von anderen Menschen und Gruppen eine überaus große Rolle. Danach wird eine weitere Konversionserzählungen von Nidal kurz präsentiert, die die Außenseiter-Position, die Konvertiten innerhalb der islamischen Gemeinde zum Teil einnehmen, deutlich werden lässt. Am Ende des Kapitels werden die dargestellten Abgrenzungsprozesse vertieft herausgearbeitet und analysiert.

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9.1 I SA – E INTEILUNG

DER

W ELT

IN

G RUPPEN

Isa, der von Freunden aufgrund seiner Kleidung auch ›Osama‹ genannt wurde, er trug immer kanzu, wadenlange Hosen und Turban, lernte ich 2005 über den damaligen Gemeindesekretär von Kisumu kennen. Beide waren zu dieser Zeit eng befreundet und zusammen in der Tablighi Jama'at aktiv. Isa wurde 1972 in Mombasa geboren, zog aber schon vier Jahre später mit seiner Familie nach Nairobi, wo er die nächsten 8 Jahre verbrachte. Sein Vater arbeitete bis zu seiner Pensionierung 1984 als Zollbeamter auf dem Jomo Kenyatta Flughafen. Danach zog die Familie nach Kisumu. Auch die meisten seiner Geschwister, er ist das viertgeborene von neun Kindern, arbeiten im Staatsdienst. Seine Eltern gehören beide einer Pfingstkirche an, zu der zunächst die gesamte Familie gegangen sei. Jedoch sieht Isa nur seinen Vater, und mit Abstrichen seine Mutter, als wirklich gläubig an. Isa konvertierte 1991 während seiner Schulzeit auf einem College in Eldoret spontan während einer Veranstaltung islamischer Prediger zum Islam. Nach seiner Ausbildung arbeitete er als Grundschullehrer im Kisumu Distrikt (»I have never moved«). Seit 1999 ist er mit einer Muslima (»a Muslim not by faith but by descent«) aus Mumias1 verheiratet. Zusammen haben sie zwei Söhne. Immer wieder betonte er, dass er gerne noch eine zweite Ehefrau heiraten würde. Nach dem Interview besuchte er mich, wie ich es jedem Interviewpartner angeboten hatte, fast jeden Abend im Hotel, um mir Fragen über Europa zu stellen und mit mir zu diskutieren. Die Gespräche mit ihm waren jedes Mal sehr unterhaltsam. Allerdings gerieten wir durch seinen immer wieder aufflackernden Antisemitismus und seine sehr konservative Haltung auch in heftige Diskussionen. Einmal wies er mich darauf hin, dass auf dem Zettel mit möglichen Interviewpartnern, den mir der Gemeindesekretär gegeben hatte, Menschen stünden, die mir ein ›falsches‹ Bild vom Islam vermitteln würden, da sie zu ungebildet seien und sich nicht genug mit dem Islam beschäftigt hätten. Manche von ihnen hatten sicherlich einfach nur eine weniger dogmatische Art über Religion zu denken, als Isa. Als ich zwei Jahre später wieder nach Nakuru kam, war die Freundschaft zwischen Isa und dem damaligen Gemeindesekretär über die Auseinandersetzungen in Kisumu 2006 (vgl. Kapitel 3) zerbrochen. Dadurch verlor ich leider auch den Kontakt zu Isa und es war nicht möglich, später noch einmal mit ihm zu sprechen.

1

Die einzige Region im Hinterland Kenias, in der Nähe von Kisumu, die mehrheitlich von Muslimen bewohnt ist.

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Spontane Konversion – »I came to Islam in a jocular manner« Isas biographische Erzählung war sehr stark auf seine Konversion zum Islam ausgerichtet. In einer sehr kurzen Einleitung gab er einen schnellen Überblick über seine bisherigen Wohnorte. Im Vergleich zu anderen Erzählungen war auffällig, dass er so gut wie nichts über seine Kindheit und Schulzeit erzählte. Nach einer kurzen Einführung und Verortung seines Vaters ging er direkt dazu über, von seiner Konversion zu berichten. Während des Ramadan 1991 kamen muslimische Prediger der Moi Universität, Nairobi, an das Lehrer-College in Eldoret, auf dem er lernte: »I can’t say they said something that brought me to Islam, but I can say I can’t understand how I came to Islam. I came to Islam in a jocular manner. I was somebody extrovert, outgoing. In college I was known. I was participating in different activities, good drama, good music or whatever. So when the Muslims gathered in a hall doing a lecture, I strayed in. [...] I was clownish in nature, I can say that.«

Isa stellt sich hier als junger Mann dar, der gerne neue Dinge ausprobiert, sehr aktiv ist und gerne provoziert. Seine Extrovertiertheit stellt er jedoch nicht nur als eine spaßhafte dar, ebenso sind angriffslustige Elemente in seiner Risikobereitschaft und der Freude an der Provokation auszumachen. Auch wenn er seine Konversion zum Islam selbst rational nicht begründen kann, versucht er über die Erzählung des Ablaufes der Konversion den Schritt biographisch nachvollziehbar zu machen. Nach der Vorlesung habe er drei provokante Fragen gestellt. »Number one: I understand your book, which is the Holy Koran, seems to be a carbon copy of the Bible. What can you say about it? (lacht) I asked him that question. Then they told me, the lecturer told me just carry on and ask all questions then we’ll answer them one by one. You know I thought they could be provoked. And seemingly he was not provoked. I asked the second question. I understand the reason why Muslims don’t like pigs and dogs, is because when Mohammed died, as we were taught in Sunday school, his body was eaten up by pigs and dogs. So that’s the reason why you people hate pigs and dogs. Question number two. (lacht) They just told me, carry on. They moved to the third question. The third question (Pause) in relation to the second one was that, I understand there was a day that Jesus and Mohammed were seated in a temple eating. And then suddenly when the food was brought, Jesus had realised that it was meat that was not to be eaten. You know even in the Deuteronomy in the Old Testament, it is forbidden, this meat

318 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION is forbidden. But Mohammed ate that meat and realised later that he had eaten that [forbidden] meat. What can you say about this story?«2

Die Nacherzählung dieser Veranstaltung, die zu seiner Konversion führte, ist die Kernerzählung seiner biographischen Darstellung. Die in diesem Rahmen von ihm gestellten Fragen kamen alle aus dem Umfeld des Wettbewerbs zwischen Christentum und Islam, nach Angaben Isas von der christlichen Seite. Er wollte mit diesen Fragen vor allem provozieren und die Prediger herausfordern. Zu seinem Erstaunen und gegen seine Absichten seien seine Fragen aber ganz ruhig beantwortet worden: »Then they started answering me. You know, what I expected was to provoke the congregation. But they were not provoked. That is what brought me to them, they were not provoked. You know, you are brought up to believe that the Muslims are hostile people, you know you cannot interrupt them.«

Das Bewahren der Ruhe und der Freundlichkeit setzt Isa mit Stärke gleich, die wiederum nicht mit dem negativen Bild von Muslimen übereinstimmte, dass er in seiner Kindheit gelernt habe. Die negative Darstellung von Muslimen durch sein christliches Umfeld betonte er immer wieder im Laufe des Interviews. Nach diesem Einschub kam Isa wieder zurück zur Erzählung seiner Konversion und beschrieb, wie er trotz (oder wegen) dieser Erziehung am Ende der Veranstaltung zu den Predigern ging und sie, auch wieder eher auf spaßhafte Art, fragte, wie er denn Muslim werden könne. »How does somebody become a Muslim, because as a Christian I knew that somebody is baptised you know? [...] And then they told me, come forward. (lacht) Come forward! I’m telling you sincerely that I can’t understand how I became a Muslim. I am still repeating this thing. As you see I was being called, you see. Then I came forward. I sat down and they told me, we don’t baptize. Then they gave me a brief history about this. Baptising is a way the Jews were usually using. When somebody became a Jew, he had to be dipped into

2

Leider war es mir nicht gelungen, mehr über diese Erzählungen herauszufinden. In der wissenschaftlichen Literatur scheinen sie bisher noch keine Rolle gespielt zu haben. Allerdings kursieren diese Erzählungen des Vergleichs unter Muslimen, zumindest in Kenia. In Nakuru wurde mir eine, der letzten Darstellung ähnliche, Geschichte erzählt, auch hier mit dem Verweis, dies würden Christen über Muslime lernen. Das Treffen von Jesus und Mohammed im Tempel erinnert jedoch eher an eine andere, aus dem muslimischen Kontext stammende, Überlieferung – die Himmelfahrt Mohammeds.

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water. It was a symbol. Although water does not remove sins, but it was a symbol that the Jews were doing. It was carried on to Christianity. Then I told them ok, I now understood the right perspective what baptism is all about. It’s just a ritual.«

Nach dieser Unterrichtung sprach er die shahada auf Arabisch, die ihm zuvor ins Englische und ins Kiswahili übersetzt worden war. Dabei wurde er nach eigener Aussage jedoch nicht nur aufgefordert, das Glaubensbekenntnis zu sprechen, sondern gleichzeitig sich von seinem bisherigen Glauben loszusagen: »Then I said, I bear witness that there is no God but Allah and that Mohammed is the last and final messenger of Allah. And then they told me, bear witness that all these prophets were messengers of God, that Jesus was never God, but was a messenger of God, that Abraham was not a God, but was a messenger of the God, you know and so on.«

Danach wurde er willkommen geheißen und aufgefordert, gleich mit dem Fasten zu beginnen. »I had never fasted in my life. And you know, staying without food from dawn around five until say around seven [in the evening]. If it’s something you had never done, you feel it is very hard. I couldn’t believe that somebody stays without food all this time. And they told me, don’t worry, just start fasting. Immediately I started fasting. The following day by one, by seven I was tired, I was gasping for breath, you know. Then they prepared my juice very fast, my food everything and then they gave me. So they were very close to me I can admit. They were very close to me. And I really saw some brotherhood. [...] So when I left, they told me just continue practising Islam, don’t waver. You know, there will be temptations. You know, you will be persecuted and so on, but don’t waver.«

Der sofortige Beginn des Fastens nach der Konversion und die dadurch entstandene enge Verbindung zu dieser Gruppe von Muslimen bildeten den Grundstein für sein Verbleiben im Islam. Einige hätten ihn sogar Jahre später kontaktiert, »we have heard your story, we have heard that you are practicing.« Isa versucht zu zeigen, dass keineswegs alle Konvertiten diesen Weg durchhalten. Nicht nur Versuchungen würden Konvertiten von ihrem Weg abbringen, sondern sie müssten zudem mit Verfolgung rechnen. Für Isa war mit der Feststellung, dass er den Islam nach wie vor praktiziert, die Konversionserzählung beendet und er bat um eine neue Frage. Die Konsequenzen seiner Konversion standen für ihn also nicht in einem direkten Zusammenhang mit seiner Entscheidung. Allerdings begann er von sich aus sofort weiter zu sprechen. Dabei begründete er religiös/theologisch, in Form der ›intellektuellen Konversionserzählung‹,

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warum er Muslim geblieben sei und nicht wieder zum Christentum, in dem er nie sehr aktiv war, zurückkehrte. Auch er spricht über den Islam als logische, klare, eindeutige Religion, über Widersprüche in der Bibel und die Dreieinigkeitslehre. Die Worte (und damit die ›heiligen Schriften‹) hätten deshalb so eine große Bedeutung, da wir an Gott glauben, auch ohne ihn gesehen zu haben. Nur über das Studieren der Schrift könne man ihm nahe kommen. Ein weiteres wichtiges Argument für Isa war die Polygamie (vgl. Kapitel 7), die auch in der Bibel beschrieben sei und deren Verbot somit vom Christentum falsch gelehrt würde. Es fiel ihm zunächst schwer, auf die von mir gestellte Frage nach einem Wandel seines Lebens durch die Konversion zu antworten. Sowohl über sein Leben vor wie auch nach der Konversion sprach er wiederum unter Verwendung einer sehr religiösen Argumentation und wenig biographischer Daten oder Erzählungen. Sein Glaube habe sich durch die Konversion kaum geändert, er habe lediglich die Dinge ›richtig‹ verstanden und erkannt, dass es einen wahren Weg zu Gott gäbe. Allerdings führe er jetzt ein viel besseres Leben, indem er auf das Trinken, Rauchen und Tanzen verzichte. Außerdem habe er keine Angst mehr vor dem Leben verspürt: »The turbulent life of this world. Islam gave me some support. Confidence.« Als Christ habe er jedoch schon ähnliche religiöse Vorstellungen über die Welt vertreten wie heute: »I can say that God guides those whom he loves. And God guides those who strive towards him. Even if I was a Christian, my idea I had is that this world is a passive world. (Pause) The idea that was embedded in my mind, deep down in my mind, is that this is a passive world. This world did not come by chance. This world is a test. [...] So I can say that if I examine myself, God even knows me better, but if my examine myself, I had an idea of resurrection, I had an idea of the here-after. It was somehow embedded in my mind. I had an idea that these people. You know when I came to Islam (Pause) the Koran teaches me about ... . Perhaps I have known about Jesus, so I’ll got the correct picture ... about him in the Koran. Perhaps I’ve known about David, he’s now Daud in the Koran and the right picture about him. So I didn’t say that I came into Islam from – just nowhere.«

Auffällig ist hier die inkonsistente Selbst-Darstellung Isas, der sich auf der einen Seite am Anfang der Erzählung als ein dem Christentum nicht stark verbundener, extrovertiert lebender junger Mann präsentiert, an dieser Stelle jedoch zu verdeutlichen versucht, dass sich seine Wahrnehmung von Gott kaum geändert habe. Dies ist zum einen auf das dominante Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ zurückzuführen, in dem eben diese Beschäftigung mit Religion schon vor der Konversion zum Islam häufig betont wird. Zum anderen

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kann diese Erzählung der Relevanz von Religion auch von der Aktivität Isas bei der Tablighi Jama'at hergeleitet werden. Seit Beginn seiner Mitwirkung an dieser Bewegung 1999, also acht Jahre nach seiner Konversion zum Islam, habe er eine neue Dimension des Lebens und des Glaubens erfahren: »Tabligh is a ... , is a movement that really puts you thinking about God all the time. Thinking about anything you do, any step you do (klatscht in die Hände). Even how you eat, even how you go to toilet. You do it according to the precepts of the Prophet. I can say I got another new dimension in my life when I joined this movement. [...] And I have seen my Islam adopting a very radical and different perspective. [...] Because you are brought back to the real core, how the Prophet lived. His simple life and what he’s strong for. And his companions, you see. And the spiritual aspect of everything that he did. [...] It’s a total reversion. It’s a re-awaking, a realization.«

Auffällig an dem Interview mit Isa war seine beständige Aufteilung der Welt in Gruppen und Kategorien, sowie die Versuche alles Erzählte in klar umrissene Strukturen einzuordnen. Dies wurde zum Beispiel deutlich, als er im Interview begann zwischen ›Caucasians‹ und ›Africans‹ zu unterscheiden, und sich selbst dabei herab setzte: »Especially you know I like Caucasians for one reason. Let me call them Caucasians. [...] I like Caucasians in one way. That they strike to know, they are not people to be told. They are not people to be told, that this is good and this is bad. They would ask one why. Why do you say this is good and this is bad. There they are not like Africans.«

Auf drei dieser von ihm hauptsächlich verwendeten Abgrenzungen werde ich im Folgenden genauer eingehen, erstens auf die biographisch begründete Darstellung seines Gefühls des Abgelehnt-Seins innerhalb der Familie, die darauf aufbauende Einteilung der Welt in Muslime und deren Feinde und schließlich die Konfrontationen innerhalb der muslimischen Gemeinde. Einsamkeit durch Konflikte in seiner Familie Schon ganz zu Beginn des Interviews, noch bevor er auf sein eigenes Leben eingeht, erzählt er über seinen Vater, erst über dessen Beruf und dann über dessen religiöse Ausrichtung. Seinen Vater bezeichnete Isa dabei als »staunch, saved Christian« und unterscheidet ihn, indem er eine Kategorisierung seines Vaters aufnimmt, von den »nominal Christians«. Schon seine Abwendung vom

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Christentum begründet Isa als Opposition zu seinen Eltern »As you become adult, you started rejecting. When we were young, our father could force us to go to church, we had go to. As soon as we became adults, we have our families, you can’t force anybody to go now.« Gleich darauf erzählt er von den, nach wie vor andauernden, Konflikten mit seinem Vater durch seine Konversion zum Islam. Dieser kann diesen Schritt bis heute nicht akzeptieren, auch wenn Isa immer wieder versucht, mit ihm zu diskutieren und seine Anerkennung zu erlangen: »He still hasn’t, he hasn’t just come up to the realization that I’m a Muslim. And if anything, he doesn’t even address me with my Islamic name. He feels it is better to address me with my African names. Because you know, indigenous names do not interfere with religion. So he prefers calling me the African name. And I also don’t object, because the African meaning is not forbidden in any religion«

Im Laufe des Interviews spricht Isa immer wieder von dieser Konfrontation, die erfahrene Ablehnung durch seine Familie, insbesondere durch seinen Vater und seine Versuche, mit ihm zu diskutieren. Bei allen Nachfragen über seine Familie geht Isa immer vor allem auf seinen Vater ein, dieser scheint also eine große Rolle für ihn zu spielen. In seinen Beschreibungen der Diskussionen mit seinem Vater gibt er zwar eher den in Kapitel 8 behandelten allgemeinen Diskurs über den Bibel-Koran Vergleich wider, der Vater dient hier jedoch als Projektionsfläche und Möglichkeit der Abgrenzung.3 »You see I have tried to ask even my father. We have been having debates. With my dad. I have been trying to ask him, Dad we Muslims don’t reject your book, the Bible. But the truth in it we accept. [...] For example I asked him, there was a day when we were discussing the issue, you know the point of contestation between us and Christians is mostly the issue of Jesus. Whether he was God or a prophet. [...] And I told him I’m not coming here to change you into a Muslim. But I’m coming to tell you if you can see ..., if God can guide you to find, if you can get a little bit of resurrection.«

3

Solch eine Figur des ›Anderen‹, der als Gegenpol der eigenen Position dient, gab es zum Beispiel auch bei Bilal (Kapitel 6) und Sheikh Said Mwaipopo (Kapitel 8). Dort nahmen jeweils christliche Prediger, die nicht aus dem direkten persönlichen Netzwerk der Konvertiten stammten, diese Rolle ein.

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Auch in der für Isa so wichtigen Frage der Polygamie stellt sein Vater, der nur mit einer Frau verheiratet ist (»he is monogamous«)4 einen Gegenpol dar. Hier bot die Konversion zum Islam eine Möglichkeit sich abzusetzen. Isa selbst beschreibt diese Auseinandersetzung als eine Art Generationenkonflikt: »And I asked my father. I asked him hard questions. You know as an adult person he doesn’t want challenge from a ..., a child. That you brought up, you know. He brought me up, he paid for my school. So he sees what challenge he can get from this young boy.«

Aber nicht nur von seinem Vater, sondern auch von seiner Mutter fühlt er sich bedrängt und verlassen: »I’ve got steep resistance from my mother. Really steep. And ..., she even goes to an extent by even saying if this boy passes away now I would not be sad. You know, me, me. Despite the fact that I am her son. And she does give us deep hatred, deep animosity. My father is cunning. I can call him cunning. At the face of things he says that I don’t have any objection (klatscht in die Hände) to Islam. I have lived with them [Muslimen] in Mombasa. I know them. I respect them. But that I would just call a wolf in sheep’s clothing. You know, he’s cunning by nature. But when he is aside with his friends and contemporaries, under them he speaks (klatscht in die Hände) bad about Islam. How he hates Muslims and so on and so on. But I’ve learned to accommodate. In time. Also I’ve learned painfully. Because I also love my thing. And this are my parents? Because I ought to respect them, the Koran says. But if they order you to something which is not godly valued [...], you have a ..., you have a reason tell him, no. With respect to my father because I respect my God more than you , I honour God more than I honour you. But otherwise God says be kind to them. Lower to them the wings of submission and care for them. As they did you when you were young. So I’ve been trying to balance these two, but it’s hard (klatscht in die Hände). Because you have the awesome duty to them, you also have ..., you are addicted to your religion and truth (klatscht in die Hände), your thing and to … your Almighty.«

Auch wenn sein Vater in seiner Ablehnung ihm gegenüber diplomatischer ist, so fühlt sich Isa doch gerade von ihm stark abgelehnt und vermutet, dass er hinter seinem Rücken negativ über ihn und seine Religion spricht. Den Kampf um den Respekt seiner Eltern schildert Isa hier sehr offen, aber selbst an dieser Stelle versuchte er die Vorzüge des Koran gegenüber der Bibel zu zeigen. Als Beispiel

4

Einige der Brüder seines Vaters leben polygam. Die Brüder von Isa haben jedoch auch jeweils eine Ehefrau, werden jedoch in diesem Zusammenhang nicht genannt.

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der familiären Konfrontation erzählte er mir eine Geschichte, die sich vor einiger Zeit abgespielt habe: »For example (klatscht in die Hände) there was a day I remember. On a Friday, I told my wife, prepare yourself, wash yourself and go to the mosque to pray. And on that day my mother wanted to send her somewhere by force. Then my father asked my mother, to help me, don’t you remember today is their Sabat?5 And she said sarcastically, no, I understand it’s their Sabat. (imitiert weibliche Stimme) So I’ve been trying to balance the two. So I shall try at times and talk to them. When I have some money I buy something. (spricht sehr leise) Do some shopping in the supermarket for them. Even if those don’t become Muslims, but to be sure that they ..., I do not have any problems over that. So I can say, it has not been pain saving. I’ve been living a lonely life for the last thirteen years. Very lonely. Extremely lonely. (Pause)«

Die Betonung seiner Einsamkeit am Ende des Erzählabschnittes wird mit jeder Benennung stärker und emotionaler. Es ist zu vermuten, dass er nicht oft Gelegenheit hat, über diese Erfahrung zu sprechen. Die Vergegenwärtigung dieser Probleme scheint ihn tief zu berühren. Im Gegensatz zu Badia, die eine ähnliche Einsamkeit nach ihrer Konversion äußerte, versucht er jedoch weniger Brücken zu schlagen, als vielmehr seine Position durchzusetzen und seine Eltern von der Richtigkeit seiner Religion zu überzeugen. Sein Kampf darum, Respekt von den Eltern zu erhalten, ist zugleich ein Machtkampf innerhalb der Familie. Zum Teil versuchte Isa, die Rückschläge innerhalb der Familie positiv umzuwerten. So erzählte er zum Beispiel über das Problem der Erbschaft: »I had ups and downs since I became a Muslim. I had some ups and downs. I suffered…, because of my faith you know. There are some things that even I’ve been denied at home. You know in Africa here we have such laws of inheritance where ..., when somebody’s father passes away you inherit. But fortunately I told my parents that when somebody becomes a Muslim, straight away he loses succession rights. From non-Muslims. My father is not a Muslim, that means I cannot inherit property from him. If he gives me things as a gift, but not inheritance. Similarly he cannot inherit property from me. But I have some confidence in what we call the ..., the weight of the soul. You are wealthy even though you are not wealthy. Not wealthy in terms of materialism.«

5

Zuvor hatte Isa gesagt »let me call it sabat« und diese Aussage abgeleitet von al-sabah, was er mit Freitag auf Swahili begründete. Saba ist korrekt übersetzt ›sieben‹, für Freitag wird normalerweise das Wort ›ijumaa‹ (abgeleitet vom arabischen jumu'ah) verwendet.

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Wenn seine Eltern ihm aufgrund der Konversion sein Erbe verweigerten, so sei dies kein Problem für ihn, da er ohnehin nicht von einem Nicht-Muslim erben könnte.6 Während des Interviews sprach Isa immer wieder über die Ablehnung des Propheten durch seine Familie und seine Verwandtschaft und stellte damit eine Parallele zu seiner eigenen Lebenserfahrung her. Welche wichtige Rolle für ihn die Wahrnehmung der Ablehnung innerhalb der Familie spielt, wird auch daran deutlich, dass er meine Frage nach seiner Akzeptanz als Konvertit in der muslimischen Gemeinde als Frage der Akzeptanz der Konversion in seiner Familie übersetzte. Einige aus seiner Familie hätten ihn gegenüber seinen Eltern verteidigt, diese würden ihn auch bei seinem islamischen Namen Isa nennen. Eine zweite Gruppe hält sich seit seiner Konversion von ihm fern, eine dritte jedoch lässt ihn deutliche Ablehnung spüren: »Ok, I can say that my whole clan, not just my family, there is no Muslim. So it was something very strange to them. Strange, I can say that. [...] Some outright hated me. A hatred that they cannot justify. A hatred that if you could ask them why, they will not answer. Islam is a strange religion. Islam is feared or hated which word can I use. All over the world. (lacht). [...] Many people just fear it by virtue of the fact that they don’t know about it. [...] So, the first reason is that they don’t know. They just happen to hate it, number two, or fear it for that matter, number two lack of information.«

Als Gründe für diese Ablehnung und dem ihm entgegen getragenen Hass sieht er Unwissenheit und eine anti-islamische Haltung der Medien. Ablehnung des Islam durch die Gesellschaft Letztere ist seiner Meinung nach begründet durch eine Kontrolle der Medien durch Juden: »And also by virtue of the fact that most of the media today is dominated by anti-Islamic sentiments. Remember when I began, I told you that most of the media organizations are Jewish. CNN. AFB [ABC?], Reuters, you name it. The Jews are controlling around the world in such a way you don’t understand. They are few in number, about 80 million, but they control Germany, America, Israel (lacht), Britain … .«

6

Zu den verschiedenen Regelungen des Erbes vergleiche Kapitel 10.

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Aber auch durch Christen sieht er den Islam falsch betrachtet und bedroht. Schon die drei von ihm gestellten Fragen in der Kernerzählung seiner Konversionsgeschichte zeigt diese von ihm wahrgenommene und reproduzierte Konfrontation. Seine Überraschung darüber, dass die Prediger trotz dieser Aussagen nicht provoziert waren, verdeutlichte er durch die Erzählung seiner anti-muslimischen Erziehung in seiner Kindheit und Jugend. Dabei stellt er sich selbst als Muslim den Christen (mich eingeschlossen) gegenüber. Als Beispiel erzählt er von seinem jüngeren Bruder, der sich nicht einmal trauen würde, eine Moschee zu betreten: »I have my younger brother. When they went in town here and it was prayer time around noon, usually we pray around one. I told him, give me five minutes and let me go and pray and I’ll come back. My younger brother, little brother. So I told him just come in the mosque. He refused! No I don’t want. (imitiert die Stimme des Bruders) I told him we don’t eat people! We don’t keep snakes inside the mosque. Come and observe. They are not real, simply a carpet on the soil. Have you seen? Now have ..., can you ... , I mean have you, what can I say, have you confirmed that what you have been told and what is here is different?«

Die Betonung, er sei erzogen worden, Muslime zu fürchten und zu hassen, wird hier überspitzt durch die Darstellung der Angst seines Bruders, eine Moschee zu betreten. Diese Angst wird fast ins Lächerliche gezogen durch die Bemerkung Isas, die Schlangen in der Moschee seien nicht lebendig, sondern nur Muster des Teppichs. Das Thema der Konfrontation taucht jedoch nicht nur an dieser Stelle der Konversionserzählung auch, sondern ebenso bei der Schilderung der Zeit nach seinem Übertritt zum Islam. Die Prediger, die mit ihm einen Teil des Ramadan verbrachten, warnten ihn vor Problemen und Benachteiligungen durch die Konversion, die somit nicht als eine mögliche Auswirkung, sondern als logische Folge dieses Schrittes dargestellt werden. Isa arbeitet sehr stark mit Gegenüberstellungen zwischen ›uns‹ (»we«) und ›den anderen‹, wie zum Beispiel in der Darstellung der Diskussionen mit seinem Vater als »discussing the issue between us and Christian«. Dabei ist sich Isa, im Gegensatz zu Badia, immer sicher, zu welcher Gruppe er gehört. Trotz dieser Selbstverortung innerhalb einer Gruppe von Muslimen, die sich mit der Feindseligkeit der sie umgebenden Welt konfrontiert sehen, ist für Isa,

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im Gegensatz zu anderen Interviewpartnern7 der Islam kein Mittel der politischen Opposition: »In America most Muslims are black Americans, not white Americans. Because they have taken Islam as a method of fighting domination. So they have taken it wrongly. You get the point? That’s why Malcolm X King was killed. He wanted to revise the idea of the Blacks about Islam.«

Diese Ablehnung des politischen Einflusses des Islam resultiert aus der Aktivität Isas bei der Tablighi Jama'at, die sich als unpolitisch darstellt (vgl. Kapitel 3). Interessant ist dieses Zitat auch im Hinblick auf die Darstellung von Malcom X, der trotz der Ablehnung eines politischen Islam durch Isa seine positive Bewertung erhält und als ›Retter‹ des Islam umgedeutet wird. Außerdem wird er durch den Zusatz King mit der historischen Persönlichkeit Martin Luther Kings zusammengeführt und somit doppelt positiv besetzt. Konvertiten als die ›besseren‹ Muslime Eine dritte Abgrenzung, die in der Erzählung Isas eine wichtige Rolle einnimmt, ist die zwischen Muslimen, die durch ihre Eltern in diesem Glauben aufgewachsen sind und Konvertiten zum Islam, oder wie Isa sie bezeichnete »Muslims by descent« und »Muslims by faith«.8 »Anyway I came into Islam and I found the Muslim community. One strange thing about these Muslims, who are born Muslims, let me use the word ›born Muslims‹, meaning that you come into Islamic ancestry, is that first of all they know very little about Islam. [...] That is one group. They have a little knowledge about Islam. Secondly, honestly, if we say the truth, those whom we found in Islam not a good number practices Islam. They take it as just a ritual and as a routine. The spiritual aspect they don’t get the joy of it. As something that takes you out of this world. And into a tranquil world. [...] Even though I can’t

7

Einige Interviewpartner nannten zum Beispiel die Iranische Revolution (Iqbal) oder das Vorbild von Malcom X (Najib) als wichtige Faktoren ihrer Konversion. Die Anziehungskraft des Islam kann in diesen Fällen auch im Bild von Muslimen als politisch aktiver Gruppe gesehen werden.

8

Ihm ist durchaus bewusst, dass solch eine Einteilung problematisch ist. Auch wenn er zunächst relativ offen darüber sprach, zögerte er bei meiner Nachfrage, da er nicht als Angeber erscheinen wolle. Dies sei im Islam verboten.

328 | N ARRATIVE ISLAMISCHER K ONVERSION dismiss all of them. And even there are devoted ones. Who are born as our Muslim brothers.«

Die in muslimischen Familien Aufgewachsenen wüssten nur wenig über den Islam und würden ihn auch kaum praktizieren. In diesem Zusammenhang warnte mich Isa auch wie in der Einleitung geschrieben vor ›schlechten‹ Interviewpartnern: »But I wanted to tell you this research, do it from the correct people. Those who have the real knowledge about Islam and those who can even compare different things.« Auch Isa betrachtet Wissen somit als ein Zeichen für Glauben, aber nur wenn es das ›richtige‹ Wissen sei. Der Hinweis auf die Fähigkeit zum Vergleich (zwischen Christentum und Islam) deutet zudem auf eine Höherbewertung von Konvertiten hin. Isa besuchte keine madrasa, da er diese als seltsam empfand. Auch hier sondert er sich inhaltlich von anderen Muslimen ab. Er lernte viel alleine, vor allem durch Bücher und Kassetten, die er sich kaufte. Auch das arabische Alphabet habe er zu Hause gelernt, so dass er den Koran im Original lesen könne, wobei er nach eigenen Angaben aber nur wenig versteht. Im Interview zitierte er jedoch immer wieder kurze Passagen aus dem Koran auf Arabisch, die er dann versuchte, für mich ins Englische zu übersetzen.9 In einem anderen Abschnitt stellt Isa dar, was seiner Meinung nach die Gründe für diesen ungleichen Umgang mit dem Islam seien. »And at times I usually tell these Muslims, who are born from Muslim homes, that the people who get the clear understanding of Islam were former Christians. Formerly Christian. And I usually tell them that I’m proud that I was once a Christian. We are the people that get a clear understanding of Islam not like you! [...] When you came to Islam and discover something new. I really wanted to dwell so much deeply on it, draw it clearly, practice it and get a benefit out of it. But the people who are born here. [...] So usually I tell them, I feel good that first of all I wasn’t a Muslim and then I came to Islam. Because these religions are somehow related. Get the point? I really know the history of these characters in the Bible. Only some few corrections here and there.«

Zum einen sei der Islam für die Konvertiten vom Christentum neu und damit aufregend. Sie würden sich viel mehr mit dem neuen Glauben beschäftigen, im

9

Allerdings übersetzte Isa einige Worte in sehr eigener Weise. So sprach er zum Beispiel über die Salafiyya: »Ok Salafi, the word Salafi means ›good‹. That’s the origin of the word Salafi. The prophet and his companions and those who followed him immediately, leading a puritan life. So the word Salafi essentially means ›good‹.«

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Gegensatz zu anderen Muslimen, denen er gewohnt und langweilig erscheint. Zum anderen aber bringen die Konvertiten durch ihre christliche Perspektive zusätzliches Wissen mit in den Islam, das andere Muslime nicht teilen können.10 Die Kenntnis der Bibel und das Vorhandensein anderer, aber mit dem Islam verbundener religiöser Wurzeln setzt Konvertiten somit in dem so wichtigen Faktor des Wissens von anderen Muslimen ab.11 Konvertiten, die in vielen Fällen nicht die klassische islamische Ausbildung genießen können, schaffen sich so eine Nische. In diesem Zusammenhang ist auch die schon zuvor zitierte Aussage Isas: »so I didn’t say that I came into Islam from – just nowhere« (vgl. S. 320) einzuordnen. Natürlich führt diese Haltung zu Konflikten mit in muslimischen Familien Aufgewachsenen: »So when I came here, when I told them that this, what you’re practising is not Islam ... . And I have to tell them, this is not what the Prophet said. Please, and if you want to ..., to succeed, just follow the full steps of the Koran. You see? You get some resistance. That also happens. They take you as somebody who adopted Islam what ..., what can he tell us. Because you came recently and you adopted, it’s just ten, twelve years. What can you tell us, we are people who are born in Islam.«

Seit wann Isa diese Trennung in Muslime durch Geburt und Muslime durch Glauben vornimmt, wurde in den Gesprächen nicht klar. Es ist zu vermuten, dass seine Aktivität in der Tablighi Jama'at seit 1999 dazu wesentlich beigetragen hat, da bei dieser Bewegung die Mission unter Muslimen und deren Rückführung zum Glauben im Mittelpunkt der Arbeit steht. Isa beschrieb seine Erlebnisse zu Beginn seiner Teilnahme an der Missionstätigkeit als Vervollkommnung seiner Konversion zum Islam: »Many people have joined this group and admitted that indeed we were half Muslims. We have now become Muslims.« Aber auch die Auseinandersetzung mit Materialien aus dem Bereich der ›comparative religion‹ (Deedat) und der Kontakt zu anderen Konvertiten, bzw. die Ablehnung durch in der islamischen Gemeinde aufgewachsenen Muslime, kann zu dieser Aufteilung und Selbstverortung geführt haben.

10 Diese Argumentation muss einen gewissen Zwiespalt überbrücken, da auf der einen Seite der Unterschied zwischen Bibel und Koran als eher gering dargestellt wird, auf der anderen Seite jedoch die Bibel als Fälschung angesehen wird. 11 Hier ist auch zu bedenken, dass Isa mit einer als Muslima geborenen Frau verheiratet ist. Somit setzt er sich sogar von ihr und ihrer Familie ab.

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9.2 N IDAL : »T HOSE

WHO REVERTED TO I SLAM ARE THE ONES WHO UPLIFTED I SLAM «

Auch in Nidals Konversionserzählung spielte das Verhältnis zwischen Konvertiten und anderen Muslimen eine wichtige Rolle. In seinem Fall hätte ich keine Anonymisierung vornehmen müssen, da er mit seiner Konversion zum Islam sehr offensiv umgegangen ist. Er ist der einzige der Interviewten, der seine Konversionserzählung selbst veröffentlichte und auch im Radio darüber sprach. Seine auf Englisch verfasste, schriftliche Biographie12, die mir schon vor dem Interview vorlag, ist zum Teil in einem sehr klagenden Ton geschrieben. Er betont dabei vor allem seine schlechte Aufnahme in die muslimischen Gemeinschaft. Nidal ist ein in Kisumu bekannter Aktivist, der viel über seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse spricht und dessen Selbstdarstellung sehr unterschiedliche Reaktionen in der muslimischen Gemeinde hervorruft. Die folgende kurze Darstellung seiner Konversionserzählung wird sich vor allem auf diesen Punkt konzentrieren. Nidal wurde 1950 im Busia Distrikt in der Western Province in Kenia geboren. Seine Eltern gehörten zur Katholischen Kirche und er wurde auf den Namen Thomas getauft. Die Familie lebte zeitweise in Uganda, wo sein Vater in einer Zuckerfabrik arbeitete. Seine Mutter bezeichnete er als strenge Katholikin, allerdings wechselte sie später zu einer Pfingstkirche. Kurz vor ihrem Tod konvertierte auch sie zum Islam (»she was very old, but it was her own decision«). Sein Vater scheint nicht sehr religiös gewesen zu sein. Sein älterer Bruder hingegen gehört nach wie vor der Katholischen Kirche an, seine Schwester einer Pfingstkirche. Nidals aktive Zeit in der Kirche begann in Uganda, wo er das College besuchte. Dort wechselte er von der Katholischen Kirche zur EUM Evangelistic Church13, einer pietistischen protestantischen Kirche, und begann in den Vororten von Kampala zu predigen. Die aktive Mission und die damit verbundenen Gespräche über Religion, er nannte das »soul-winning«, faszinierten ihn. Schon während der Schulzeit habe er die Religionsstunden besonders gemocht. Nach der Zeit auf dem College schickte ihn die Kirche in Kampala 1972 zum Studium

12 »From the CROSS to the CRESCENT«. Leider ist das Erscheinungsdatum dieser schriftlichen Erzählung nicht bekannt. Allerdings sprach Nidal bei verschiedenen Radiosendungen Ende der 1980er Jahre über seine Konversion. Daher könnte auch dieser sieben-seitige Aufsatz aus dieser Zeit stammen. 13 Die Evangelical United Methodist Church (auch United Methodist Church) ist eine der größten methodistischen Kirchen.

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in die USA. In seiner Biographie schrieb er, dass er sein Theologie-Studium mit einem Diplom in »Comparative Study of Religion« abschloss und 1980 als Reverend von der South-Eastern Christian Bible Assembly College of Greenwood, South Carolina, in Ostafrika eingesetzt wurde. Während eines Interviews 2005 erzählte er jedoch, dass er und die anderen rund 30 Afrikaner nur wenig Zeit zum Studieren hatten, sondern vor allem zum Predigen eingesetzt worden seien, insbesondere in Slums und Gegenden mit einem hohen Anteil von Afroamerikanern. Auch nach seinem Examen sollte er weiter predigen und auf ›crusades‹ aktiv mitwirken, um Gelder für den Aufbau seiner eigenen Kirche nach der Rückkehr nach Afrika zu sammeln. Die Enttäuschung aufgrund dieses Gefühl des Ausgenutzt-Werdens sowie Erfahrungen des Rassismus in den USA, die er in dem Interview äußerte, wurden in seiner schriftlichen Biographie nicht thematisiert. Nach der Rückkehr nach Ostafrika begann er in seiner Heimatregion in West-Kenia eine Kirche aufzubauen. Daran angeschlossene waren eine Schule, eine Bibelschule, ein Hospital und ein Wohnhaus für ihn selbst. In den folgenden Jahren weitete er seine Missionstätigkeit aus. Er erzählte, er habe danach weitere Missionare ausgebildet und sie in ihrer Tätigkeit angeleitet. Außerdem habe er Gelder von verschiedenen Quellen, zum Beispiel aus Skandinavien akquiriert, um die Mission für die Free Pentecostal Fellowship Church14 voranzutreiben. Allerdings ergaben sich Konflikte mit den seine Missionsarbeit unterstützenden Kirchen, da diese eine Abwendung von polygamen Ehen forderten. In der Region Westkenias gab es allerdings viele Haushalte mit mehreren Ehefrauen, darunter auch einige, die viel für die Kirche arbeiteten. Die Missionare aus Skandinavien, seiner Ansicht nach aus Norwegen, baten Nidal 1984, Überzeugungsarbeit unter den Mitgliedern der Kirche zu leisten. Als Ergebnis seiner dreimonatigen Reise durch die Region stellte er jedoch dar, dass die Menschen ihn gebeten hätten, er solle doch einfach den Missionaren nichts von ihren Ehen erzählen. Dies sei schließlich ein Problem der Weißen. Deshalb könne er ihnen einfach das berichten, was sie hören wollten. Auch diese Episode, die Nidal in der mündlichen Erzählung als Auslöser der Konversion zum Islam darstellte, taucht in der schriftlichen Biographie nur sehr verkürzt auf. Während dieser Reise hielt sich Nidal einige Tage in Kisumu auf. An seinem letzten Tag in der Stadt sei er in einen islamischen Buchladen gegangen und ha-

14 Nach Barrett (2001) existiert diese Kirche in Kenia seit 1960. Sie ist Mitglied in der Pentecostal World Conference. Nidal schien die Zugehörigkeit zu den einzelnen Gemeinden stark von der materiellen Unterstützung für seine Missionsarbeit abhängig zu machen.

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be zu lesen begonnen. Über eines der Bücher, das er sich ins Hotel mitnahm, um es dort weiter zu lesen schrieb er später in seiner kurzen Autobiographie: »My conversion or rather reverting to Islam cannot be attributed to any cause other than the Gracious direction of Almighty Allah! It was on Friday morning, when I embraced Islam after reading an Islamic book - ›TOWARDS - UNDERSTANDING ISLAM‹ [Herv. i.O.] by the late Sheikh Sayyid Abu'Ala Maududi (May Allah rest his soul in peace). For the first time in life, to come in contact with the Islamic literature, and discovering the Submission Surrender and Obedience to the will of Allah, the blessings of Islam, what is Kufur [kufr, meist übersetzt mit Unglaube] and who is a Kafir [Ungläubiger]. I came to learn that the first step of how to acquire the knowledge of Allah is to embrace Islam. It took me two hours to go through the book after which I was so anxious to see the ›Text Book of Islam‹ of course, the HOLY QUR'AN. When I could not get it in Kisumu, I decided to search for it from the Qur'an House in Nairobi. I bought the Abdullah Yusuf Ali translation.«

In dem Interview erzählte Nidal, in Nairobi habe er nicht nur eine, sondern zwei Kopien des Korans gekauft, eine für sich und eine für den Übersetzer, mit dem er zusammenarbeitete. Dieser sollte sich das Buch auch anschauen und ihm am nächsten Tag seine Meinung darüber mitteilen. Am nächsten Morgen habe der Übersetzer gesagt: »You know, Thomas, we should leave this church, and build our own and we use this book as the Bible.« Erst dann, so erzählte Nidal, sagte er dem Übersetzer was er da in der Hand habe und beide entschieden sich, eine Woche nach Nidals erstem Besuch im islamischen Buchladen in Kisumu, zum Islam zu konvertieren. Viele Passagen der Erzählung der Konversion Nidals klingen etwas unwahrscheinlich. So wirkt die Reaktion seines Übersetzers sehr erstaunlich, da zu vermuten ist, dass der Koran auch als solcher erkennbar war. Nidal verwendet an dieser Stelle weniger das dominante Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ als vielmehr eine Art Wundererzählung. Er fährt in seiner schriftlichen Beschreibung der Konversion damit fort, er habe den neu erstandenen Koran an zufälligen Stellen aufgeschlagen, die jeweils davon sprachen, dass Mohammed als Prophet für alle Menschen gesandt worden sei, nicht wie Jesus »who just came for the JEWS ONLY! [Herv. i.O.] Of which I am not«. Diese Erzählung einer Art Wunder wurde von Nidal wiederum mit Argumenten des ›intellektuellen Konversionsnarrativs‹ verbunden. Interessant ist hierbei, dass Nidal, ebenso wie Isa, eine sehr schnelle Konversion schildert. Damit bilden beide eine Ausnahme. Hinzu kommt, dass beide die einzigen der von mir interviewten Konvertiten waren, die über längere Zeit von Pfingstkirchen (im Falle

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Isas durch seinen Vater) beeinflusst waren. Möglicherweise hat somit der pfingstlerische Fokus auf die eher schnellen Ereignisse der ›Heilungen‹ und des ›Wieder-Geboren-Werdens‹ (im Sinne von ›born again‹) auf die Erzählungen der beiden Konvertiten einen Einfluss. Als ich ihn im Interview fragte, was sich durch seine Konversion zum Islam geänderte habe, erzählte er zunächst lediglich, er sei »more saved than before«, dies würde sich im Glauben, aber auch in den Taten widerspiegeln. Danach kam er jedoch auf die vielen Versuchungen zu sprechen, die er habe bestehen müssen. Seine Frau und seine Kinder wollten in kirchlichen Institutionen (und durch deren Finanzierung) studieren, »all this we had to change«. Nur langsam hätten sie die neue Lebensausrichtung akzeptiert. Nidal jedoch betonte, dass er nichts bereuen würde.15 Mission um eine ›eigene‹ Gemeinde aufzubauen Große Probleme bereitete es ihm jedoch nicht nur, eine neue materielle Lebensgrundlage aufzubauen, sondern auch die Ablehnung durch andere Muslime in der Gemeinde zu spüren. In seiner schriftlichen Konversionserzählung schrieb er dazu: »While in Kisumu, which was a very different environment set up, I was misunderstood by my family members, at the same time was very much disappointed to learn that the Muslims in Kisumu were reluctant to receive me, that they decided not to co-operate and teach me about Islam. The Muslim leaders feared that they started rumours that I was a CIA spy sent by Americans to detect on them. All the Madrasa teachers were commanded no to teach me anything or else they would lose their jobs, with the Association. [...] The Muslims pushed me back to the church and, they did not want me in ›their religion‹. I remained at NO MANS LAND [Herv. i.O.] area.«

15 In seiner schriftlichen Biographie geht er darauf detaillierter ein und beschreibt den Verlust von Geld, Haus und Sicherheit. Die amerikanische Botschaft in Nairobi habe ihm sogar ein Flugticket in die USA und eine Verdreifachung seines Gehaltes geboten, würde er nur wieder zur Kirche zurückkehren. An dieser Stelle weist die Erzählung Nidals interessanterweise gewisse Ähnlichkeiten mit der Darstellung John Mwaipopos auf, den er ja auch kennengelernt hatte (vgl. Kapitel 8).

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Durch diese Schilderungen der Verdächtigungen Nidals als CIA-Agent durch Muslime in Kisumu und seine Interpretation, dies sei einer Angst vor den ›Neuen‹ geschuldet, unterscheidet sich seine Erzählung deutlich von allen anderen.16 Kurze Zeit später erhielt er eher durch Zufall die Möglichkeit zur Hajj nach Mekka zu reisen. Nach seiner Rückkehr nach Kenia begann er den Islam aktiv zu verbreiten, auch hier stieß er allerdings auf Unverständnis und Gegenwehr aus der islamischen Gemeinde. »When I came back people never believed that I had been for Hajj. When I gave a lecture in the Masjid [Moschee] on a Friday about the Pilgrimage, my enemies were disgusted, how I could know what they did not know, yet I was only a baby in Islam. I told them that if a baby can talk in the cradle (like Jesus (A.S.) did), what will he do when he grows up?«

An dieser Stelle zeigt Nidal, dass seine Gegner durchaus einen Grund für die Angst vor ihm gehabt hätten, denn er wüsste durch seine Hajj nach kurzer Zeit schon mehr über den Islam als sie. Seine Entscheidung, sich nun ganz auf die missionarische Arbeit zu konzentrieren, brachte ihm finanzielle Probleme ein. Nach Nidals Angaben verhinderten die wichtigsten Sprecher der islamischen Gemeinde, dass ihm Unterstützung zuteilwurde. Als Grund gaben sie seine Ablehnung einer Stelle in einer Brauerei an, obwohl er diese aus religiösen Gründen nicht habe annehmen können. So wie er vor seiner Konversion zum Islam neue Kirchen und Gemeinden aufbaute, begann Nidal nun, neue Moscheen zu gründen: »From that time I went out in the street corners, at the bus terminals and public parks to publicly proclaim and propagate Islam to the non-Muslims. [...] From this experience I know that there are thousands of Muslim Reverts who have and are suffering, due to the ignorant so called ›Muslim leaders‹ in this country and elsewhere around the globe, that is why I have given up all but to set up the Muslim Reverts Consultancy Centre in this Country.«

Die von Nidal erlebten Auseinandersetzungen innerhalb der islamischen Gemeinde trugen dazu bei, dass er sich vor allem um Konvertiten kümmerte. Als Grund dafür gab er an, er wolle ihnen helfen, ähnlichen Konflikten aus dem Weg

16 Dies könnte zum einen damit zusammenhängen, dass seine schriftliche Konversionserzählung deutlich vor dieser Forschung verfasst wurde. Zum anderen scheint diese Darstellung stark den Erlebnissen von Nidal geschuldet, da er seine Haltung im Interview nicht revidierte.

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zu gehen. Hinzu kommt meiner Ansicht nach, dass er von diesen Konvertiten weder angegriffen noch in Frage gestellt wird. Bei meinem ersten Aufenthalt in Kisumu zeigte er mir die von ihm aufgebaute Moschee, in die nach seinen Angaben vor allem Konvertiten gingen. Sie war in einem kleinen Wohnhaus untergebracht und bestand aus einem Betsaal und einer Art Büro. Dort warteten sieben oder acht junge Männer, alle waren um die zwanzig Jahre alt, die Nidal dorthin bestellt hatte, um mit mir Interviews durchzuführen. Insgesamt war das ›Zentrum‹ eher ruhig und klein. Nidal erzählte, früher seien mehr Menschen dort gewesen. In dem Büro standen viele Schulbänke. Diese wurden aufgrund von alten Plänen, eine ›integrated school‹ einzurichten, angeschafft. Zu Moi’s Zeiten seien diese Pläne gefördert worden, aber jetzt wüsste er nicht so richtig, wie es zu finanzieren sei. Insgesamt schien die Finanzierung der Moschee problematisch. Zuerst habe ein Mann aus Pakistan die Miete, den Imam und den Lehrer der madrasa bezahlt. Nach einer Beschwerde von Muslimen aus Kisumu habe der Pakistani die Zahlungen eingestellt. Danach habe ein reicher Asiate aus Nairobi Geld gegeben und wieder trat das gleiche Problem auf, so dass auch er nach drei Jahren die Zahlungen einstellte.17 Dann übernahm der Sohn des Hausbesitzers die Zahlungen für den Imam, aber der Sohn hatte finanzielle Schwierigkeiten, so dass unklar war, wie es weiterginge. Als ich Nidal zwei Jahre später wieder traf, war er inzwischen aus Kisumu fortgezogen, da sein Moscheeprojekt an den finanziellen Schwierigkeiten gescheitert war. Dabei musste er zusehen, wie ›seine Moschee‹ nun von einer neuen Gruppe, er sagte Somalis aus Nairobi (und meinte damit vermutlich salafitisch und wahhabitisch ausgerichtete Muslime), mitsamt seiner Zöglinge übernommen wurde. Er wohnt jetzt in einem kleinen Dorf im Nachbardistrikt und hat auch dort begonnen, eine Mosche zu bauen. 2009 versuchte er Gelder für den Aufbau eines ›New Muslim Life Centre‹ in dieser Region zu akquirieren, das als Zentrum für ›Muslim Preachers of Comparative Study of Religions‹ dienen solle. Bei Betrachtung der biographischen Erzählung von Nidal stellt sich die Frage, warum er diese selbst gewählte, scheinbare Marginalisierung weiter aufrechterhält. Die nicht nur bei ihm zu beobachtende Darstellung als Außenseiter ist unter Umständen eher Ausdruck dieser Marginalisierung als Grund für die Konversion. Auch andere in Kapitel 4 vorgestellte Ansätze liefern hier keine be-

17 Nidal machte aus seiner Abneigung gegenüber Indern und Pakistanis kein Geheimnis, nahm deren Geld jedoch trotzdem an. An anderer Stelle sagte er, sie versuchten zu verhindern, dass Gelder aus Saudi Arabien von Afrikanern genutzt werden könnten. Letztere machten es ihnen dabei sogar leicht, indem sie immer wieder Gelder veruntreuten (Interview mit Nidal, Kisumu, 20.04.2007).

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friedigenden Erklärungen. Wie dort schon festgestellt, spielen so viele Faktoren in den Prozess der Konversion hinein, dass diese Frage wohl unbeantwortet bleiben muss.

9.3 G EMEINSCHAFT

UND I DEOLOGIE

Ähnlich wie bei der Thematisierung von ›Konversion als soziale Reorientierung‹ (Kapitel 6) geht es bei der ›Konversion als Grenzziehung‹ um die SelbstPositionierung der Konvertiten. Während im ersten Fall jedoch überschneidende und verbindende Elemente betont wurden, liegt hier der Fokus auf Ab- und Ausgrenzungsprozessen. El Fadl sieht die Abgrenzung gegenüber allen Nicht-Gläubigen oder zu ungläubig erklärten Muslimen und den daraus resultierenden »insularism« bzw. »moral isolationalism« (vgl. El Fadl 2007, 50)18 als weiteres Kennzeichen der puritanischen Bewegung an. Im Folgenden werden die inhaltlichen Aspekte der Abgrenzung nach außen, gegenüber Nicht-Muslimen, und nach innen, gegenüber anderen Muslimen, vorgestellt. Dabei wird deutlich gemacht, dass die Grenzziehung zwar stark beeinflusst ist von salafitischen und wahhabitischen Ideen, jedoch auch auf die besondere Situation der Muslime in Ostafrika sowie auf die speziellen Probleme von Konvertiten zurückgeführt werden kann. Abgrenzung nach außen Die Abgrenzung nach außen erfolgt in den Erzählungen auf mehreren Ebenen. Auf allen wird dabei Islam als eine Identität vertreten, die den Konvertiten allen Nicht-Muslimen gegenüberstellt. Dieser Bezug zur umma, Gemeinschaft (häufig übersetzt als Gemeinschaft aller Muslime),19 erfolgt allerdings nicht auf eindeutige Weise, sondern ist in seiner Ausprägung sehr vielfältig und situationsabhängig. Auf der ersten Ebene der Abgrenzung wird dem Islam der europäische und amerikanische ›Westen‹ gegenübergestellt (vgl. auch die Konversionsdarstellungen in Kapitel 8.2). Neben einem Vergleich der Praktiken des Islam und des Christentums, bei dem zum Teil Europa als Gegenpol imaginiert wird, und einem Vergleich der Lebensweisen (insbesondere auf der Ebene des moralisches Handelns) erfolgt diese Gegenüberstellung als Abgrenzung von der ›imperialis-

18 Hier bezieht er sich auf die Anfänge der wahhabitischen Bewegung. 19 Der Begriff kann allerdings auch für andere Gemeinschaften verwendet werden.

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tischen‹ Politik des Westens und der wahrgenommenen Marginalisierung des Islam. Muslime ordnen sich demgegenüber einer Gemeinschaft von Außenseitern und Kämpfern gegen Ungerechtigkeit zu und sehen sich häufig selbst als Opfer westlicher Bevormundung. Der Islam wird somit auch zu einer politischen Gemeinschaft. Die Zuordnung zum Islam als Opposition gegen den (weißen) Westen geschieht nicht nur in den Erzählungen, sondern auch über die Benennung von Vorbildern wie Malcom X oder Khomenei. Nach El Fadl wird bei dieser Darstellung des Islam als Antithese zum Westen ein »supremacist thinking« (El Fadl 2007, 79) deutlich. Das damit zum Ausdruck gebrachte Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Gruppen sieht er jedoch lediglich als Kompensation eines Gefühls der Unterlegenheit und Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft. Was bleibt ist ein polarisierender Blick auf die Welt. An dieser Stelle wäre interessant gewesen, ob Muslime auch schon in den 1990er Jahren, vor den Anschlägen auf die Botschaften in Kenia und Tansania 1998 und vor dem Beginn des ›Kriegs gegen den Terror‹ nach dem 11. September 2001 den ›Westen‹ so stark als Gegenpol stilisierten. Die Bedrängung des Islam durch westliche Politik und das dementsprechend nach Ansicht der Muslime dem Islam zugeschriebene negative Bild wird gleichzeitig als Auslöser von Interesse für den Islam dargestellt. So sprach Isa über eine Zunahme der Konversionen zum Islam in den USA nach dem 11. September 2001: »That’s why you see in America today people becoming Muslims. They like to know why are they hiding, we would like to know about these people. Especially after Nine Eleven, this September eleven, was the attack on New York.«

Dieses Argument zunehmender Konversionen nach dem 11. September 2001 in den USA und Europa wird häufig geäußert, allerdings nicht nur in Ostafrika, sondern zum Beispiel auch in Deutschland.20 Bei näherer Betrachtung dieser Darstellungen wird deutlich, dass die angegebenen Zahlen mit Vorsicht zu behandeln sind. So scheint in den USA nach 2001 die Anzahl der Muslime eher zu

20 So meldeten Anfang 2007 einige Zeitungen und Zeitschriften, wie der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung, unter Berufung auf eine durch das Bundesministerium des Innern finanzierte Studie des Zentralinstituts Islam Archiv Deutschland Stiftung e.V., Soest, einen sprunghaften Anstieg der Konversionen zum Islam seit 2001. Die vorgelegten Zahlen wurden jedoch, zum Beispiel von der Zeit (Meinungsstark, aber ahnungslos, 17/2007), hinterfragt. Die Studie scheint nicht in endgültiger Fassung veröffentlicht worden zu sein, kann aber als Entwurf eingesehen werden.

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stagnieren (vgl. Kosmin & Keysar 2009, 6).21 Allerdings kann dieses Argument auch als Aufwertung der eigenen Position angesehen werden und als Versuch, sich trotz dieses negativen Bildes zu behaupten. Einer ähnlichen Argumentation folgt auch die Aussage von anderen Interviewpartnern, wie zum Beispiel Ahmad, sie seien als Christen sehr islamfeindlich erzogen worden und gerade dies habe ihr Interesse für den Islam geweckt. Wie das Interview mit Isa zeigt, richtet sich diese Abgrenzung nicht nur gegen den christlichen Westen, sondern auch gegen Juden, denen unterstellt wird, eigentliche Quelle dieser Ablehnung des Islam zu sein. Antisemitische Verschwörungstheorien wurden sehr häufig verwendet. Damit wurde nicht nur die wahrgenommene islamfeindliche Haltung der westlichen Presse erklärt, sondern Juden wurden auch für die Verfälschung der Bibel, wie in Kapitel 8 gezeigt wurde, oder sogar die Spaltung der umma in Sunniten und Schiiten verantwortlich gemacht.22 Zudem wurde, zum Beispiel von Talib, mit dem Alten Testament argumentiert, Juden könne man nicht trauen, da sie schon damals Gott verraten hätten. Lewis (1986) stellt den Einzug eines islamischen (oder »Islamized«, vgl. Kiefer 2006) Antisemitismus in das Weltbild von Muslimen als relativ neues Phänomen seit Mitte des 20 Jh. dar, das vor allem mit der Verbreitung des europäischen Antisemitismus auf der einen und dem relativen Nieder-

21 Wenn Arbeiten wie Nieuwkerk (2006) oder Aidi (2003) ebenfalls von einer erhöhten Zahl von Konversionen sprechen, benennen sie zumeist Zeitungsartikel als Quelle. Diese wiederum berufen sich meist auf Aussagen von muslimischen Gemeinden oder Instituten, wie dem Soester Islam Archiv. 22 Dieses Argument wurde von Nadeem während einer längeren Diskussion vorgebracht. Zunächst erzählte er mir, er habe das Buch »Dajjal« (›Der falsche Prophet‹, z.T. auch als ›Der Antichrist‹ übersetzt) gelesen. Vermutlich meinte er damit einen Text von Ahmad Thomson (1997). Darin sei beschrieben, wie Juden während des ersten Weltkriegs Unwahrheiten über Deutsche verbreitet hätten. Dass ich davon noch nichts gehört habe, läge daran, dass dies alles vertuscht worden sei. Zudem hätten Juden doch genau wie Hitler die Weltherrschaft angestrebt – es habe sich also um einen reinen Machtkampf gehandelt. Das würde doch auch zeigen, dass Hitler gar nicht so schlecht war, wie immer behauptet wird. Daraufhin bat er mich, ich solle nicht denken er sei antisemitisch und erzählte mir ausführlich, wie der Verrat eines Juden zur inner-islamischen Spaltung geführt habe. Als kurz vor Ende dieses Gesprächsabschnittes der Gemeindesekretär, Jibril, den Raum betrat, änderte Nadeem sofort das Gesprächsthema, so als wäre ihm gerade bewusst geworden, dass er zu offenherzig mit mir gesprochen habe.

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gang der von Muslimen bewohnten Regionen im Vergleich zum christlichen Westen auf der anderen Seite verbunden werden kann. »Compared with Christendom, its rival for more than a millennium, the world of Islam had become poor, weak, and ignorant. The primacy and therefore the dominance of the West was clear for all to see, invading every aspect of the Muslim’s public and even – more painfully – his private life.« (Lewis 2002, 43)

Die Frage ›What went wrong‹ wurde nach Lewis (2002) häufig mit der Suche nach Sündenböcken beantwortet, neben Nationalismus und westlichem Imperialismus auch die USA oder ›die Juden‹. Allerdings betrifft seine Darstellung verstärkt die arabischen Länder. Aber auch in Ostafrika sind diese Denkmuster vorhanden.23 Reid-Pharr (1996) sieht in seiner Untersuchung eines ›black anti-Semitism‹ der Nation of Islam in den USA Antisemitismus vor allem als Ausdruck für »an antipathy for the structures of reason and civility by which anti-Semitic speech has been deemed destructive, dangerous, and, most important, irrational« (Reid-Pharr 1996, 136) – also für einen Gegenentwurf zum etablierten westlichen politischen System. Zygmunt Baumann folgend stellt er zudem fest: »Moreover, it is this very desire for clear definition that marks the movement as precisely a modern phenomenon, caught up, interestingly enough, in the same ideological structures of modernity against which it purports to struggle.« (Ebd., 139) Diese Feststellung lässt sich auch auf Ostafrika übertragen. Auf der nächsten Ebene positionieren sich Muslime gegen den kenianischen bzw. tansanischen Staat, der von ihnen ebenso als islamfeindlich betrachtet wird. Die in den beiden ostafrikanischen Ländern unterschiedlich gelagerten Konfliktlinien zwischen muslimischen Gemeinden und dem Staat wurden schon in Kapitel 2 besprochen. Die dort aufgezeigten Gefühle der Marginalisierung tauchen auch regelmäßig in den Konversionserzählungen auf und werden vor allem von tagespolitischen Publikationen der muslimischen Gemeinden, aber auch durch Predigten in den Moscheen verbreitet. Diese Gegenüberstellung von Muslimen gegen den Staat ist keineswegs einseitig. So werden in Kenia Muslime oft allgemein als Fremde, Araber oder Somalis, behandelt. Zum Teil wird über den Islam auch als ›arabische Religion‹ gesprochen. Das Misstrauen gegenüber Muslimen ist insbesondere seit den Terroranschlägen 1998, den politischen Konflik-

23 Zur Wirkungsgeschichte antisemitischer Denkmuster unter Muslimen siehe auch Kiefer (2006) und Krämer (2006) in der zu diesem Thema erschienenen Ausgabe der »Welt des Islams« (46, 3).

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ten seit Anfang der 1990er Jahre und in Kenia mit der Einwanderung vieler somalischer Flüchtlinge seit 1992 deutlich gestiegen. Weniger vom Ausdruck der Marginalisierung als mehr vom Gefühl der Konkurrenz und des Wettkampfes ist die Darstellung der Abgrenzung von Christen in Ostafrika geprägt (vgl. auch Kapitel 2 & 3). Wie die Kernerzählung Isas, seine drei Fragen an die muslimischen Prediger, verdeutlicht, sind diese Erzählungen der Konkurrenz ein wichtiges Medium in der Auseinandersetzung um Einfluss. Der Islam wird dabei als große Gefahr für das Christentum stilisiert, der sich die christlichen Kirchen nur mit Abschottung und politischer Einflussnahme erwehren könnten. So erzählte mir Ibrahim, dass die europäische Kolonisation Afrikas vor allem die Ausbreitung des Islam stoppen sollte. Ein wichtiges Medium der Selbstbehauptung sind dabei Mitglieds- und Konversionszahlen. Während offizielle Schätzungen (auch diese sind, wie in Kapitel 2 gezeigt, umstritten) von rund 10% Muslimen in Kenia und etwa 30-40% Muslimen in Tansania ausgehen, nannten einige der Konvertiten deutlich höhere Zahlen. So sprach Talib von rund 30% Muslimen in Kenia und 70% in Tansania. In ähnlicher Weise sind Berichte über Konvertiten einzuordnen. Auch diese sollen die Stärke der eigenen Gemeinschaft zeigen. In diesem, von den Konvertiten empfundenen, religiösen Wettstreit werden Muslime meist als materiell und politisch unterlegen, moralisch und religiös jedoch als Sieger dargestellt (vgl. auch Kapitel 8.2). So grenzte sich Jibril in Bezug auf die christlichen Kirchen zum einen von den Katholiken ab, in dem er das englische ›catholics‹ mit Betonung auf der zweiten Silbe als [kat’holiks], also mit einem immanenten Bezug auf Alkohol, aussprach. Die Pfingstkirchen bezeichnete er dagegen als »kiosk churches«, um deren wirtschaftlichen Charakter zu betonen.24 Für viele Konvertiten war es wichtig, das Gefühl zu haben, »to be on the right path« (Najib) oder »to be on the better route« (Ibrahim). Die bisher genannten Gegenpole sind eng miteinander verwoben. So wird das Christentum, vor allem in seiner evangelikalen Ausprägung, häufig mit dem ›Westen‹, und insbesondere den USA, in Verbindung gebracht. Gleichzeitig werfen Muslime christlichen Gruppen eine Usurpation staatlicher Macht vor, wie dies zum Beispiel gegenüber Julius Nyerere vorgebracht wurde (vgl. z.B. Hiskett 1994). Für gefährlicher als Christen, mit denen ja viele Inhalte und Ansichten geteilt werden, sehen einige Muslime die Ideen des Atheismus bzw. des Kommunismus an. Auch diese können als Konkurrenz angesehen werden, sind aber laut Jibril

24 Er wollte nicht, dass ich diesen Begriff aufschreibe, vermutlich weil ihm seine Schärfe bewusst war.

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die schlimmsten Feinde, da darin Religion im Allgemeinen abgelehnt wird.25 Zeidan (2001) zeigt für innerislamische Diskussionen eine vergleichbare Ablehnung des Säkularismus, der zum Teil als Plan zur Unterminierung des Islam betrachtet wird. Als weiterer Grund für den Einflussverlust von Religion wird Materialismus, im Sinne einer Konsumkultur, gesehen. So erzählte Najib, in seiner Herkunftsregion seien immer weniger Menschen in der Kirche aktiv. Die neue Form der Erfüllung sei der Materialismus, anstatt »fear of god« – ganz wie in Europa. Dies sei besonders seit den 1970er und 1980er Jahren zu beobachten. Die Leute träumten nur noch von Geld und nicht davon, ihre Seele zu retten. Diese Abgrenzungen (gegenüber Nicht-Muslimen) nach außen und die gesellschaftliche Positionierung als Muslim bzw. die Identifikation mit dem Islam sind häufig widersprüchlich und nicht einfach mit einer Feindseligkeit gegenüber den Gegenpolen gleichzusetzen. Neben der Ablehnung des Westens ist eine gleichzeitige Bewunderung herauszulesen, wie zum Beispiel in der Bezugnahme Isas auf die ›Kaukasier‹. Der Westen bildet das Gegenüber, den Spiegel, dieser Positionierung und wird so zum notwendigen Bestandteil der Identifikation mit dem Islam. Neben einer Darstellung von Muslimen als den ›Anderen‹ gegenüber Überlegenen (vor allem in Bezug auf Religion und Moral) steht die gleichzeitige Präsentation von Muslimen als Opfer. Verbunden mit dieser Opferrolle ist, wie am Beispiel Isas oder Nidals zu sehen ist, die Angst vor Verfolgung und Benachteiligung. Die gesellschaftliche Marginalisierung von Muslimen sei jedoch nicht immer offensichtlich, da sich die ›Feinde‹ in Verstellung (›hiding‹) übten. Das Vorgehen der Gegner des Islam wird mit Falschheit und Feigheit charakterisiert. Verschwörungstheorien rufen großes Misstrauen hervor. Wie in Kapitel 8 gezeigt wurde, werden selbst Diskrepanzen in der Lehre als beabsichtigte Tricks und Unwahrheiten interpretiert. Dem Gefühl der Marginalisierung wird die Stärke des Islam gegenübergestellt. Die moralische und intellektuelle Überlegenheit führte nach Meinung einiger der Interviewten zu einer Hochzeit oder ›revival‹ des Islam. Diese Mischung aus einem Überlegenheitsgefühl auf der einen und dem Gefühl der Verfolgung durch Nicht-Muslime auf der anderen Seite wurde insbesondere in der Begegnung mit dem Gemeindesekretär in Nakuru, Jibril deutlich. Auch wenn er in seinem Auftreten sehr selbstbewusst wirkt, ist er zugleich extrem misstrauisch. Nicht nur einmal fragte er mich, ob ich für den Geheimdienst oder die deutsche Botschaft arbeite. Auch die frühe Abreise meines Kollegen führte zu weiteren Verdächtigungen, ob es denn so aussehen solle, als ob wir gar

25 Ich hatte ihm zuvor von meinem Aufwachsen in der DDR erzählt.

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nicht zusammen forschen.26 Von der konkreten Forschungssituation abgesehen, wurde in seinen Äußerungen immer wieder deutlich, wie sehr sein Weltbild von Verschwörungstheorien, hier auch wieder antisemitischen, bestimmt ist. Auch fragte er mich gleich zu Beginn, ob ich Angst vor Muslimen habe, alle hätten doch Angst vor Muslimen, er würde das nicht verstehen. Dieses Gefühl des Verfolgtseins ist im Falle Jibrils nicht ganz unbegründet, da er im Zentrum einiger Konflikte innerhalb der islamischen Gemeinde und auch im (lokal)politischen Umfeld stand. Seine ideologische Positionierung in Richtung eines salafitischen Islam27 wurde von ihm zwar nicht offen in den Interviews benannt, aber durch einzelne seiner Bemerkungen deutlich. Auch seine (damit verbundene) Abneigung gegen Schiiten, sowie seine Ablehnung von Somalis28 wurden nur in Gesprächen mit Dritten deutlich. Bei unserem ersten Treffen hatte mir Jibril noch erzählt, unter den Muslimen in Nakuru gäbe es keine Konkurrenz um Inhalte oder um Anhänger. Die Gläubigen gingen in die Moschee, die am nächsten liegt und es existierten keine Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Gruppen. Im Islam seien alle gleich. Erst später erlebte ich, wie stark dieses Ideal von der von Jibril mitbestimmten Realität abwich. Insgesamt war er sehr bemüht, Konflikte innerhalb der muslimischen Gemeinde zu kaschieren, auch jene an denen er selbst beteiligt war. Wenn er das Gefühl hatte, er sei mit einer Äußerung etwas unvorsichtig gewesen, stellte er den Zusammenhang so bald wie möglich anders dar. Abgrenzung nach innen Auch gegenüber anderen Muslimen werden in den Konversionserzählungen Abgrenzungen vorgenommen. Innerhalb des hier untersuchten Narrativs beschäftigen sich diese Argumentationen hauptsächlich mit der unterschiedlichen Wahrnehmung in Bezug auf Wissen und Praxis von Konvertiten zum Islam und im Islam aufgewachsenen Muslimen. Auch diese Kategorisierung anderer Muslime als nicht-rechtgläubig bzw. ungläubig, die Praxis des takfir, ist auf Ideen der puritanischen Bewegungen zurückzuführen. In Ostafrika werden dabei weitere

26 Ich versuchte durch Kontinuität und Offenheit (z.B. die Vorstellung von Forschungsergebnissen oder Einblicke in den Forschungsverlauf) zu zeigen, dass diese Vorbehalte unbegründet sind. 27 Die meisten durch ihn vermittelten Kontakte würde ich einem politischen bzw. salafitischen Islam zuordnen. 28 Ein weiterer Gesprächspartner, ein ethnisch somalischer Kenianer, kannte ihn noch als Lehrer an einer madrasa und sagte über ihn »he hates Somalis«.

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spezifische Konflikte indirekt mitverhandelt, die zum Großteil schon in Kapitel 2 und 3 besprochen wurden. Zum einen ist in Bezug auf Konvertiten eine Trennung zwischen afrikanischen Muslimen auf der einen Seite und arabischen und indischen auf der anderen Seite zu nennen. In Gesprächen mit einigen Konvertiten, wie zum Bespiel Nidal, entsteht der Eindruck, Indern (Hindus wie Muslimen) werden in Ostafrika zum Teil ähnliche Verschwörungsmuster zugewiesen wie Juden. Zum zweiten werden Konflikte zwischen Muslimen von der Küste, die sich zum Teil der arabischen Bevölkerungsgruppe zuordnen, und Muslimen aus dem Hinterland, darunter viele afrikanische Konvertiten, deutlich. Hinzu kommt, dass wie das Beispiel Nidals zeigte, Muslime, die nicht aus den regionalen islamischen Netzwerken kommen, wie Konvertiten oder Migranten, häufig einen schweren Stand gegenüber ›lokalen Eliten‹ haben, das heißt Muslimen, die Angst um ihre Position innerhalb dieser sich verändernden Netzwerke haben. Schließlich werden immer wieder Konflikte zwischen dem Staate nahestehenden Muslimen, die häufig als lokale Elite etabliert und in den staatlich beeinflussten islamischen Institutionen (BAKWATA und SUPKEM) organisiert sind und oppositionellen Muslimen, unter ihnen viele aus dem Hinterland kommende, afrikanische Muslime, die zum Teil im arabischen Ausland studiert haben, deutlich. Überwunden wird diese Abgrenzung nach innen vor allem durch eine Abgrenzung nach außen, im Angesicht eines Problems, dass die muslimische Gemeinschaft zu bedrohen scheint, wie zum Beispiel die immer wiederkehrenden Festnahmen islamischer Prediger oder des Terrorismus verdächtigter Muslime.29 Im Falle der Konvertiten zum Islam ist diese Abgrenzung nach innen stark mit ihrem ehemaligen Christ-Sein verbunden. Zum einen ist die Trennung zwischen ›nominal‹ bzw. ›born Christians‹ und denen, die sich als ›saved‹ bzw. ›Christians by faith‹ bezeichnen wie am Interview mit Isa deutlich wurde, auch bei den Pfingstkirchen weit verbreitet (vgl. hierzu auch Meyer 2009). Die von den Konvertiten verwendeten Begriffe werden also sowohl von christlichen wie auch von islamischen Debatten und Ideen beeinflusst. Zum anderen geschieht die Grenzziehung innerhalb des Islam auch durch die Mitnahme alter Konfliktlinien. Die eigene Positionierung wird somit unter Bezugnahme auf bestimmte christliche Kirchen verdeutlicht. So wurden die Siebenten-Tags-Adventisten und die Zeugen Jehovas insbesondere von denjenigen besonders für ihr Wissen gelobt, bei denen intellektuelle Erklärungen einen großen Raum einnahmen. Aber auch deren religiöse Strenge wurde hervorgehoben. Die römisch-katholische Kirche wird dagegen eher mit einer Stärke des Glaubens verbunden. Dadurch sei

29 Wobei auch in diesen Fällen häufig große interne Meinungsverschiedenheiten zu beobachten sind.

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es schwieriger einen Katholiken zur Konversion zum Islam zu bewegen. Die jeweils mit diesen Abgrenzungen verbundenen normativen Ideen und Wertungen speisen sich zum einen aus Diskursen innerhalb der islamischen Gemeinden und des multi-religiösen Kontextes Ostafrikas und zum anderen aus persönlichen Erlebnissen. So wurden von einigen Interviewpartnern ihre früheren christlichen Gemeinden als positive Beispiele innerhalb des Christentums angeführt, wohingegen heftige Kritik an den Lehren und Praktiken anderer christlicher Kirchen geübt wurde. Hier ist auch Jibrils Polemik einzuordnen, der sich aus der Sicht eines früheren Siebenten-Tags-Adventisten über die katholische Kirche und die Pfingstgemeinden äußerte. Exkurs: Grenzziehung durch die Praxis der Namensgebung Besonders deutlich werden die Prozesse des Sich-Zuordnens und ZugeordnetWerdens, der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Zuge der Konversion, in der Praxis des Benennens und der Namensgebung. Bruck & Bodenhorn (2006) zeigen in ihrer Einführung in eine ›Anthropology of Names and Naming‹, dass mit Namen nicht nur die Möglichkeit einhergeht, Grenzen des sozialen Status zu markieren, sondern auch diese zu überbrücken. Damit werden Namen zu einem »vehicle for crossing boundaries« (Bruck & Bodenhorn 2006, 4). Dies trifft insbesondere dann zu, wenn im Zuge von Konversionen neue Namen angenommen werden. So beschreibt Jules-Rosette (1976), wie durch die Namensgebung im Konversionsprozess gleichzeitig Teile der persönlichen Herkunft abgeschnitten werden: »Each is given a biblical name that erases some of the traces of personal history held through family, clan and tribe. [...] They view themselves as bringing initiates into homogeneous neotribal communities in urban Africa.« (Jules-Rosette 1976, 144) Aber nicht nur die Möglichkeit des ›self-naming‹ ist hier zu betrachten, sondern auch die Verwendung von Namen des Konvertiten durch die alten und neuen religiösen Gemeinschaften sowie die persönlichen Netzwerke. Mit der Konversion zum Islam wählen Konvertiten einen, manchmal auch zwei muslimische Namen aus.30 Ihren christlichen Namen lassen sie zumeist fallen, behalten aber den afrikanischen, da dieser religiös neutral sei. Innerhalb der islamischen Gemeinden werden zudem häufig die afrikanischen Namen zur besseren Erkennung genutzt. Sehr häufig bestehen diese neuen Namen neben den ›alten‹, offiziellen, da zu deren Änderung in den Papieren ein großer büro-

30 Der zweite Name orientiert sich dabei an dem Menschen, der maßgeblich an der Konversion beteiligt war (Interview mit Bahir, 2005, Kisumu).

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kratischer Aufwand nötig ist. Der von den Konvertiten verwendete Name entspricht also häufig nicht dem in den (auch nicht immer vorhandenen) Ausweispapieren. Hinzu kommt, dass, wie gezeigt wurde, Verwandte und Bekannte der Konvertiten deren neue Namensgebung oft nicht anerkennen oder einfach ignorieren. Die Namensgebung in persönlichen Netzwerken kann also auch noch einmal von der eigenen sowie der offiziellen Bezeichnung abweichen. Dies führt zum Teil dazu, dass, wie im Falle von Badia, neben dem afrikanischen auch noch der christliche Name in der Eigenbezeichnung verwendet wird, da ihn sowieso alle benutzen. Von Frauen, die aufgrund einer Hochzeit konvertieren, wird erwartet, dass sie einen islamischen Namen annehmen und diesen auch verwenden. So erzählte mir eine junge Frau: »I wanted ..., my husband gave me a list of names to choose from. Of course he told me, I can choose any name I wanted. I picked a few names. But he kept on going back to Rashida. And by the way his mother is Rashida. So I said, why ..., why do you want me to take your mother’s name? Oh, it’s a beautiful name, you know, the meaning was good. So (lacht) you know, by then it didn’t really matter to me. [...] So anyway, he seemed to like it. I said to myself, maybe later on, I can make it Rachel. Since I have some Catholic roots. If I don’t like this Islam thing, I can become Rachel or something like that. So that’s why I accepted Rashida.«

Bei der Betrachtung der unterschiedlichen Umgangsweisen mit der Namensgebung werden ähnliche Sinngebungs- und Zuordnungsprozesse deutlich, wie auch in den verschiedenen Konversionsnarrativen. Badia, die ihre Konversion als soziale Reorientierung beschreibt, war sich zum Zeitpunkt der Interviews noch nicht sicher, wie diese genau aussehen könnte. Diese Unsicherheit wurde auch im Umgang mit ihrem Namen deutlich. Sie verwendet sowohl ihren muslimischen, afrikanischen, wie auch ihren christlichen Namen. Dabei veränderte sich immer wieder die Reihenfolge in der sie diese Namen nannte und welchen Namen sie besonders häufig verwendete. Sie entschuldigte sich sogar dafür, noch nicht festgelegt zu sein. Maryam dagegen, wählte ihren Namen aufgrund der Biographie eines moralischen Vorbildes. Sie erzählte mir, wie stark sie von Literatur über Konversionen inspiriert worden sei, unter anderem von dem Buch einer Jüdin, Maryam Jameelah, die 1961 zum Islam konvertiert ist.31 Für Ibra-

31 Maryam Jameelah wurde 1934 in New Rochelle, NY, als Margaret Marcus geboren und konvertierte 1961, unter anderem beeinflusst von den Büchern Muhammad Asads (»The Road to Mecca«, »Islam at Crossroads«) zum Islam. Kurz vor ihrer Konversion

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him ist es nicht der Name, der ihn zum Muslim macht, sondern sein Glaube – der Inhalt ist wichtiger als das Äußere. Ganz anders hingegen für Isa, dem die Zuordnung zum Islam über seinen Namen so wichtig ist, dass er die Verweigerung seines Vaters ihn so zu benennen noch vor der Konversion thematisiert. Die Nicht-Anerkennung des Namens wird für ihn zu einer Nicht-Anerkennung der eigenen Zuordnung und Grenzziehung.

9.4 Z USAMMENFASSUNG In dem hier vorgestellten Narrativ der ›Konversion als Grenzziehung‹ stehen Abgrenzungsprozesse gegenüber anderen Menschen und religiösen Gruppen im Vordergrund. Eine äußere Abgrenzung findet dabei vor allem in einer Verortung des Islam als politische Opposition gegenüber dem ›Westen‹, aber auch zu den Regierungen in Kenia und Tansania, statt. Auf religiöser Ebene grenzen sich Konvertiten mit Hilfe dieses Narrativs sowohl von christlichen Kirchen als auch von anderen Muslimen ab. Stehen für einen Konvertiten Abgrenzungsprozesse im Mittelpunkt seiner Konversionserfahrungen werden diese nicht nur in der Erzählung ausgedrückt und reproduziert. Es werden weitere Marker verwendet, um diese Grenzziehung zu verdeutlichen und immer wieder aufs Neue zu etablieren. Neben der oben dargestellten inhaltlichen Abgrenzung gegenüber Nicht-Muslimen und Muslimen im Gespräch oder der Erzählung, hier häufig über die Figur des ›Anderen‹, geschieht die Grenzziehung hauptsächlich über eine Veränderung des Habitus. Konvertiten bei denen dieses Narrativ eine besonders große Rolle spielte, kennzeichneten sich deutlich als Muslime durch ihre Kleidung, die von ihnen gelesene Literatur (sie lasen ausschließlich islamische religiöse Literatur, aber keine Romane etc.) und einen als islamisch angesehenen Lebensstil. Auch ihre alten Netzwerke hatten sie meist verlassen und völlig neue Kontakte innerhalb der islamischen Gemeinde aufgebaut. Häufig hatten sie muslimische Ehepartner (oder besser -frauen) geheiratet, bzw. ihre Ehefrauen dazu bewegt, zum Islam zu konvertieren. Hinzu kommen Spezifikationen und immer wieder erneuerte Grenzziehungen durch Entscheidungen, welche Moscheen oder Veranstaltung besucht werden, welchem Prediger zugehört wird, welche Kassetten gekauft werden und

lernte sie zudem Maulana Sayyid Abu Ala Maududi, den Gründer der Jama'ati Islami (Islamic Party) in Pakistan kennen, mit dem sie in den folgenden Jahren, vor allem nach ihrem Umzug nach Pakistan 1962, eng zusammenarbeitete. In dem Buch »Islam and Modernism« ist eine Erzählung ihrer Konversionserfahrung zu finden.

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wer auf der Straße gegrüßt wird und wer nicht. Sogar auf der Ebene des Sports findet diese Selbstpositionierung statt – so wird die Wehrhaftigkeit des Islam betont, indem wie im Falle Jibrils die Vorliebe für Kampfsportarten geäußert wird.

10 Fazit

Wie in dieser Arbeit gezeigt wurde, nutzen Konvertiten spezifische Narrative, um ihre Erlebnisse und Erfahrungen der Konversion erzählbar und verständlich zu machen. Diese Narrative entwickeln sich aus den Bedingungen heraus, in denen diese Konversionen stattfinden. Faktoren, die dabei eine Rolle spielen, reichen von regionalen Besonderheiten des religiösen, politischen und wirtschaftlichen Raumes über die jeweils aktiven Missionsbewegungen hin zu lokal beeinflussten Möglichkeitsräumen der Konversion und speziellen Formen biographischen Erzählens. Wie in Kapitel 2 und 3 gezeigt wurde, herrscht in Ostafrika ein Klima der religiösen Konkurrenz, in dem Konversionen und Konversionserzählungen eine besondere Bedeutung zukommt. Ähnlich wie in anderen Regionen der Welt, insbesondere in arabischen Ländern, nehmen viele Muslime einen relativen Einflussverlust und eine politische sowie wirtschaftliche Marginalisierung wahr. In Tansania wie in Kenia fühlen sich Muslime gesellschaftlich benachteiligt. Gleichzeitig sehen sie sich mit einer gewachsenen gesellschaftlichen Machtposition der christlichen Kirchen konfrontiert. Mission ist somit nicht nur auf religiöser Ebene zu verorten, sondern sie spielt auch für den politischen und wirtschaftlichen Bereich eine Rolle. Dies wird in den Konversionsnarrativen deutlich. Die Abgrenzung von einer Gruppe und die gleichzeitige Hinwendung zu einer neuen Gruppe wird in der Erzählung durch die Zuschreibung bestimmter Eigenschaften der Gruppen plausibilisiert. In Ostafrika stehen den auf Wissen, Rationalität und Moral (auch im Sinne politischer Aufrichtigkeit) fokussierenden islamischen Bewegungen die verschiedenen Ausprägungen der Pfingstkirchen gegenüber, die den diesseitigen Erfolg und mystische Religiosität in den Vordergrund stellen. In Kapitel 4 wurde verdeutlicht, dass im Rahmen dieser Arbeit ein Konversionsbegriff verwendet wird, der stark auf die emische Selbstbeschreibung als Konvertit zurückgreift. Zudem wurde festgestellt, dass Konversion als bewusste Entscheidung zu betrachten ist. Unbewusste Lernprozesse werden somit hier nicht als Konversion bezeichnet, da dabei keine Übernahme der Rolle als Kon-

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vertit zu beobachten ist. Die Fokussierung auf diese emische Perspektive bringt auch mit sich, dass in dieser Arbeit vor allem Konversionen zwischen klar abgegrenzten Gruppen betrachtet werden. Schließlich wurde im Hinblick auf die Selbstverortung als Konvertit die Konversionserzählung in den Vordergrund dieser Arbeit gestellt. Dabei sind allerdings die Besonderheiten biographischer Erzählungen im Allgemeinen und von Konversionserzählungen im Besonderen in Betracht zu ziehen. Durch die Komplexität des Konversionsprozesses und die damit verbundenen Schwierigkeiten über Konversionen zu sprechen, nutzen Konvertiten ihre Erzählungen und darin verwobene, gesellschaftlich anerkannte Narrative, um ihre eigene Position innerhalb der religiösen Öffentlichkeit wie auch in sozialen Netzwerken zu erklären und zu behaupten. Zur Plausibilisierung der eigenen Rolle spielten dabei insbesondere die vier in dieser Arbeit dargestellten, hauptsächlich verwendeten Narrative eine Rolle. Allerdings weisen auch Erzählungen, die stark von den vorgestellten Narrativen geprägt sind, darüber hinaus viele Widerspiegelungen individueller Erfahrungen der Konvertiten auf. Im Schlusskapitel wird zu Beginn gezeigt, dass über die Faktoren der Familie und des Geschlechts auch das Alter die Möglichkeitsräume der Konversion und die Erwartungen an den Konvertiten prägen. Im nächsten Schritt wird am Beispiel zweier Männer, die gemeinsam zum Islam konvertiert sind, beschrieben, wie die jeweiligen individuellen Erzählungen durch soziale Netzwerke geprägt sind. Im darauf folgenden Abschnitt wird gezeigt, dass islamische Konversionserzählungen in Ostafrika nicht nur von spezifischen Narrativen geprägt sind, sondern auch einer speziellen Struktur folgen, die sich in wesentlichen Punkten von der von Ulmer (vgl. Kapitel 4.3) beschriebenen unterscheidet. Schließlich wird dargestellt, warum in den Konversionserzählungen die hier präsentierten Narrative eine unterschiedlich große Rolle spielen.

10.1 K ONVERSION

IM

L EBENSVERLAUF

Konversionen zu einer anderen Religionsgemeinschaft führen häufig zu Auseinandersetzungen und Konflikten innerhalb der Familien und persönlichen Netzwerke. Wie diese ausgetragen werden und welche Position der Konvertit darin einnimmt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. So erzählte mir Isa (vgl. Kap. 9.1.) wie einige seiner Verwandten mit seinen Eltern diskutierten, weil diese strikt gegen seine Konversion zum Islam waren: »Some of them have been going to my parents and told them not fight. If anything he is an adult. He decides what to do. He has a family, you can’t control him now! He’s an old

F AZIT

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man. (klatscht in seine Hände) Ok, old in the sense of not old, but old in the sense of eh, having my decisions, you see? He has a family, he has kids. He has his own home, he has his own property and the money (klatscht in die Hände), what can you do about it? So he leave him alone. He’s (--) by a different law. After all, he’s a ..., he’s still your child.«

Oder anders ausgedrückt mit den Worten Bilals: »When you become a Muslim when you are a Christian, the family does not accept. Christianity into Islam and Islam into Christianity. Unless ... the family depends on you. Unless you can stand for your own.«

Hier wird deutlich, dass die Wahlmöglichkeiten für eine Religion insbesondere aus der Unabhängigkeit der Person resultieren. Diese wiederum hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie dem Alter, der ökonomischen und familiären Eigenständigkeit, dem Machtgefüge innerhalb der Familie sowie dem Geschlecht. Hat ein Mensch seine eigene Familie, Kinder, Haus und Einkommen, so hat die Herkunftsfamilie keine Kontrolle mehr über ihn. Diese die Konversion beeinflussenden Faktoren, die in allen oben vorgestellten Biographien eine Rolle spielen, werden im Folgenden zusammenfassend dargestellt. Die religiöse Aktivität von Kindern wird maßgeblich von den Eltern beeinflusst und bestimmt. Wie im Falle Ibrahims deutlich wurde, kann dies auch bedeuten, dass die Eltern sich gegen den Kirchenbesuch aussprechen. Auch ein Priester in Moshi erzählte, dass sein Vater ihn als kleinen Jungen nicht zur Kommunion gehen ließ. Erst als er, nach Meinung des Vaters, alt genug war, darüber nachzudenken (mit etwa 12 Jahren), durfte er daran teilnehmen. Insbesondere in ›mixed marriages‹, bei denen die Eltern zu unterschiedlichen religiösen Gruppen gehören, kann die religiöse Erziehung der Kinder Konflikte mit sich bringen. Wie Theresia beschrieb, kann diese Uneinigkeit dazu führen, dass die Kinder kaum eine religiöse Bildung erhalten. In muslimischen Familien gelten die Kinder meist als dem Vater zugehörig, sie werden somit muslimisch erzogen, was sich in Namensgebung und Schulbildung niederschlägt. 1 Auch Grace, eine junge Frau aus Moshi, die sich 2004 wegen einer Heirat mit einem Christen taufen lies, stammt aus solch einer ›mixed marriage‹. Da ihr Vater Muslim war, ihre Mutter gehörte der Lutherischen Kirche an, wuchsen die Kinder als Muslime auf, auch nachdem ihre Eltern sich getrennt hatten. Nach dieser Trennung lebte Grace bei ihrer Schwester. Auch Grace hat ein sechsjähriges Kind aus einer Beziehung mit einem Katholiken. Obwohl beide nicht miteinan-

1

Auch hier gibt es starke regionale Abweichungen.

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der verheiratet waren, die Beziehung scheiterte nach drei Jahren, ist das Kind getauft und wird christlich erzogen.2 Es kann dabei zu so undogmatischer Fortführung familiärer ›Traditionen‹ kommen wie im Falle einer Familie aus Nordtansania, in der eine Tochter zum Islam übertrat, da ihre muslimische Tante keine Kinder bekommen konnte und jemanden in der Familie gesucht hatte, der die Religion weiterträgt.3 In den meisten Fällen scheint der Umgang mit verschiedenen Religionen in einer Familie jedoch nicht so einfach zu sein. Deshalb wird es häufig, wie zum Beispiel von Jumah, als einfacher angesehen, wenn die Ehepartner der gleichen Religion angehören. Insbesondere im Falle von Scheidungen steht die Frage im Raum, wer für die Kinder verantwortlich ist – dabei können unterschiedliche Rechtssysteme aufeinander treffen. Wie in Kapitel 2 gezeigt wurde, gelang es bisher weder in Kenia noch in Tansania das komplexe Familien- und Erbrecht, das neben dem öffentlichen und dem islamischen auch noch lokales, tribales Recht anerkennt, zu vereinigen. In vielen Interviews wurde erwähnt, dass es ein Alter gäbe, in dem sich ein Mensch für eine Religion entscheiden müsse bzw. könne. Die Angaben über den genauen Zeitpunkt unterschieden sich jedoch. Die Altersangaben reichten von etwa 14 oder 15 Jahren bis zu 20 Jahren. Im Laufe der Forschung wurde jedoch deutlich, dass es auch Konversionen unterhalb dieser Altersgrenze gibt. Leben diese Konvertiten ihre Konversion offen aus, kann das zum Ausschluss aus der Familie führen. Deshalb konvertieren einige von ihnen auch heimlich und offenbaren sich ihren Familien erst, wenn sie das entsprechende Alter erreicht haben. Ein Interviewpartner, Bahari, wurde in der Region um Mumias in einer muslimischen Familie geboren. Da die meisten Schulen von Kirchen finanziert wurden, ging er auf eine christliche (Quäker) Grund- und Sekundarschule in seinem Distrikt und später auf ein katholisches College in Nairobi. Während der Schulzeit ging er regelmäßig in die madrasa und in die Moschee, seine ganzen Freunde waren jedoch Christen. Mit 13 Jahren ›entschied‹ er sich für den christlichen Glauben.4 Allerdings machte er seine Entscheidung sieben Jahre lang

2

Im Falle von Grace könnte diese Praxis jedoch auch mit den regionalen Besonderhei-

3

Dies wurde mir von einer deutschen Praktikantin erzählt, die ich 2004 in Moshi ken-

4

Von einem ähnlichen Beispiel erzählte mir eine amerikanische Missionarin 2007 in

ten des Gebietes um Moshi zusammen hängen. nengelernt hatte. Moshi. Ein zu diesem Zeitpunkt 18 jähriger junger Mann sei schon mit ungefähr 14 Jahren vom Islam zum Christentum konvertiert, nachdem er im schulischen Englischunterricht etwas über die Bibel gelernt habe. Er sei der einzige in seiner Klasse gewesen, der darauf sehr interessiert reagiert habe. Er habe sich in der folgenden Zeit

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nicht öffentlich, da er Angst vor der Reaktion seiner Familie hatte. Dann sei es aber einfach zu offensichtlich gewesen und so sprach er mit seinem Vater darüber, was viele Diskussionen auslöste. Getauft wurde er erst drei Jahre später 1988. Auch Badias Söhne waren mit 10 bzw. 12 Jahren eigentlich zu jung, um sich schon selbst für eine Religion zu entscheiden. Sie jedoch reagierte nicht mit Ausschluss oder Negierung, sondern versuchte sich der Situation anzupassen. Von den 21 in die Feinanalyse aufgenommenen Konversionserzählungen stammten acht von Männern, die im Alter von 15 bis 20 Jahren zum Islam konvertierten. Zwei weitere, Talib und Abdallah, die beide direkt nach ihrer Konversion eine Ausbildung an einer madrasa finanziert bekamen, konvertierten mit Anfang zwanzig. Auch drei der vier Frauen wechselten in diesem Alter zum Islam. Die andere große Gruppe von Konvertiten, sieben Männer und eine Frau, traf mit Ende zwanzig bzw. Anfang dreißig ihre Entscheidung. Konversionen bei Teenagern waren durch biographische Interviews schwieriger zu ergründen als die der älteren Konvertiten, da die Erzählungen der bis zu zwanzigjährigen Konvertiten oft sehr unpersönlich waren und zum Beispiel Konflikte kaum thematisiert wurden. Daher können an dieser Stelle nur einige Vermutungen angestellt werden. Betrachtet man diese Zeit des Erwachsen-Werdens als eine Orientierungsphase so wird deutlich warum persönliche Enttäuschungen (Badias Söhne), Vorbilder (Khomenei im Falle Iqbals), Aufstiegs-Chancen (Ahmad) oder einfach der Versuch etwas Neues auszuprobieren (Isa) mit dem Einschlagen eines neuen, von den Eltern unterschiedlichen, Lebensweges und neuen Netzwerken verbunden wird. Konsequenter als bei den über Dreißigjährigen wird das Leben dann an den neuen Netzwerken ausgerichtet, so gehören bis auf eine Ausnahme die Ehepartner der gleichen Religion an. Insbesondere bei Isa wurde der innerfamiliäre Konflikt mit seinem Vater und sein Versuch sich vom Leben der Eltern abzusetzen deutlich. Die Konversionen der über Dreißigjährigen waren dagegen oft geprägt von einer allgemeinen Unzufriedenheit mit ihrer eigentlich guten Lebenssituation, die man auch mit dem Begriff der ›midlife-crisis‹ erfassen könnte. Hinzu kommt in den Erzählungen älterer Konvertiten ein Bewusstsein der Sterblichkeit, die bei den jüngeren noch keine Rolle spielt. Najib, der mit 28 zum Islam konvertierte,

immer mehr mit christlichen Freunden umgeben, sogar als ihm seine Eltern dies verboten. Nach seiner Konversion zum Christentum, entzogen ihm nach Angaben der Missionarin seine Eltern jegliche finanzielle Unterstützung. Nun habe er einen Sponsor aus den USA. An diesem Beispiel des Englischunterrichtes mithilfe religiöser Materialien wird auch deutlich, wie stark Missionsbewegungen im Alltagsleben vertreten sind.

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begann seine Erzählung mit der Feststellung, er sei nun in der ›final phase of life‹.5 Deshalb sei ihm Religion wichtiger geworden. Als Jugendlicher würde man ja eher herum experimentieren und habe große Träume von Reichtum, Ruhm und ähnlichem. Später sähe man, dass dies zu nichts führt, ›its not useful‹. Das Thema des Lebens nach dem Tod spielt eine wichtige Rolle in den Erzählungen. Die Neu-Positionierung erfolgt somit nicht nur im Angesicht der Gesellschaft, sondern auch im Hinblick auf den Tod und das erwartete Jüngste Gericht.6 Diese Suche nach dem ›guten‹ Leben, auch im Hinblick auf die Konsequenzen für ein Leben nach dem Tod, spielte eine große Rolle in Bilals Erzählung (vgl. Kapitel 6). Während die persönliche Religiosität bei dieser Gruppe eine größere Rolle spielt, fällt die Neuausrichtung der Netzwerke nicht ganz so stark aus, wie bei den jüngeren Konvertiten. Ein Neubeginn würde in diesem Falle auch einen viel stärkeren Einschnitt bedeuten, da die Konvertiten nicht erst im Aufbau eigenständiger persönlicher Netzwerke begriffen sind und somit eher gefestigte Netzwerke betroffen wären. Auch wenn die Familie bis zu einem gewissen Alter einen großen Einfluss hat, scheint sie Konversionen später mehr oder weniger machtlos gegenüber zu stehen. Der oben erwähnte Priester in Moshi erlebt es häufig, dass Eltern strikt gegen Ehen sind, wenn durch diese eine Konversion zu erwarten ist. Die jungen Paare setzten sich aber einfach über den Willen der Eltern hinweg. Zum Teil versuchten Eltern sogar, eine Ehe zu verbieten, aber meist erfolglos. Die innerfamiliäre Auseinandersetzung über Konversionen geht über den Tod hinaus. Beerdigungen sind in vielen Konversionsfällen Konfliktpunkte. So erzählte Bilal: »Even last week we went to bury a person... There’s a friend of mine who had a wife. And she passed away. But we asked the family to come from Nairobi. When they came from Nairobi we told them that now this, your sister was a Muslim. They say no, we don’t know if she was a Muslim. We will take our (--). So this problem is there.«

5

Zum Zeitpunkt des Interviews war Najib 48, seine Eingangsbemerkung kann auch darauf zurückgeführt werden. Außerdem macht sich bei seiner Erzählung, wie oben gezeigt, seine Aktivität bei der Tabligh Jama'at bemerkbar. Wenn er wie vermutet seit Ende der 1990er Jahre, also mit Anfang 40, Teil dieser ›pietistischen‹ Bewegung geworden ist, würde das dieses Argument jedoch noch verstärken.

6

Hier könnte eine dritte Altersgruppe von Konvertiten verortet werden, die im hohen Alter oder wie Nidals Mutter kurz vor dem Tod zum Islam konvertieren.

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Stirbt ein Mensch, muss er nach einem bestimmten Ritus beerdigt werden. Dieser Ritus wiederum wird von den Angehörigen bestimmt. Wenn diese die Konversion eines Menschen nicht anerkennen, beziehungsweise die Angehörigen unterschiedliche Ansichten darüber haben, zu welcher Religionsgemeinschaft ein Mensch gehörte, kann die Beerdigung zur symbolischen Auseinandersetzung über diese Frage werden. Die Beerdigung wird somit zur letzten Gelegenheit ein Zeichen zu setzen und damit eine bestimmte Deutung zu etablieren, wer dieser Mensch eigentlich war. Ein bekanntes Beispiel für solch einen Kampf um Einflussnahme stellte 1987 der lange Prozess um die Beerdigung des kenianischen Rechtsanwaltes S.M. Otieno dar. Dieser »... became the eye of a storm about customary law, women’s rights, and intertribal marriages.« (Stamp 1991, 808)7 Während Otienos Ehefrau aus einer Kikuyu Familie stammte, kam er selbst aus einer Luo Familie. Diese wollte ihn, entgegen dem Willen seiner Frau, nach entsprechendem Ritus beerdigen. In ähnlicher Weise werden vor Gericht auch immer wieder Fälle verhandelt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Konversionen stehen. So standen sich in einem Fall von 1995, der sich insgesamt länger als ein halbes Jahr hinzog, zwei Frauen gegenüber, die sich jeweils als rechtmäßige Ehefrau und somit als berechtigt sahen, die Beerdigung durchzuführen.8 Der Verstorbene war als Muslim aufgewachsen und seit 1967 mit seiner ersten Frau nach muslimischem Recht verheiratet. Nachdem diese Beziehung auseinandergegangen war, lernte er 1974 seine zukünftige Ehefrau kennen. Im Zuge dieser Beziehung konvertierte er 1976 zum Christentum und heiratete 1977 seine zweite Ehefrau. Auch wenn diese Ehe im Einverständnis beider Familien geschlossen wurde, kamen kaum Gäste aus der Familie seines Vaters, da dieser die Apostasie seines Sohnes nicht gut hieß. Kurz vor seinem Tod durch eine Krebserkrankung hatte dieser jedoch mit der Familie seines Vaters vereinbart, auf dessen Farm nach christlichem Ritus, aber in Abstand zu den dort schon bestatteten muslimischen Familienmitgliedern, begraben zu werden. Seine muslimische erste Ehefrau wollte ihn hingegen auf ihrer eigenen Farm bestatten und forderte zudem eine Auflistung der Eigentumsverhältnisse. Das Gericht urteilte nach Anhörung zweier islamischer Rechtsexperten, einer von ihnen war Ali Shee, der Imam der Jamia Mosque in Nairobi, dass nach muslimischem Recht eine muslimische Frau nicht mit einem nicht-muslimischen Mann verheiratet sein kann und somit die erste Ehe des Verstorbenen durch seinen Übertritt zum Christentum automatisch ungültig geworden sei.

7

Vgl. dazu auch Gordon 1995.

8

Kaittany & another v Wamaitha, Court of Appeal at Nairobi, 21.08.1995, Civil Appeal No 108 of 1995.

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Auch Badia gab in einem Gespräch die Beerdigung als Grund für ihren Wunsch an, der Rest ihrer Familie möge doch auch zum Islam konvertieren. Verbunden mit der Frage der Beerdigung ist auch die Frage des Erbes. Je nachdem welcher Gruppe ein Mensch zugeordnet wird (hier ausgedrückt über den verwendeten Ritus), nach deren Regeln wird meist auch das Erbe verteilt. Ähnlich wie im Falle von Scheidungen treffen hierbei in Ostafrika konfliktive Regelungsmechanismen und Rechtssysteme aufeinander. So wäre es für Theresia aus materiellen Gesichtspunkten günstiger gewesen, zum Islam zu konvertierten, da sie im Fall des Todes ihres Mannes als Christin keinen Anspruch auf ein Erbe hat, sondern in diesem Falle Chagga Regeln für sie gelten.9 Sie vertraute in dieser Hinsicht aber völlig ihren Kindern, die in solch einem Fall die volle Verantwortung für ihre Eltern tragen. Einige der interviewten Konvertiten erzählten, dass sie durch diesen Schritt und die darauf folgenden Konflikte von ihren Familien enterbt wurden. In anderen Fällen wurden Erbschaften nicht unbedingt nach islamischem Recht geregelt. Dies funktioniert so lange es keine Konflikte innerhalb der Familien gibt und kein Streit um das Erbe entsteht. Die (berechtigte) Angst vor einer Enterbung und dem Ausschluss aus der Familie ist dennoch groß und zeigt, welche direkten Auswirkungen eine Konversion zum Islam haben kann. Auch wenn die aus der Konversion folgenden Konflikte und deren Implikationen zum Teil negiert werden10, wird die Angst vor diesen Auseinandersetzungen auch als Grund angegeben, nicht zu konvertieren.

10.2 M ÄNNERFREUNDSCHAFTEN : E RZÄHLUNGEN

VERWOBENE

Während der Forschung traf ich immer wieder Männer, die zusammen mit einem Freund oder Bekannten zum Islam konvertiert waren. Dieses Phänomen scheint altersunabhängig zu sein, da sowohl der Anfang zwanzig konvertierte Talib davon erzählte (auch Badias Söhne konvertierten als Teenager gleichzeitig zum Islam), als auch die erst mit rund 30 zum Islam konvertierten Nidal (vgl. Kap. 9), Amir und Bakri. Insbesondere die Konversionserzählungen der letzten beiden, Amir und Bakri, sind besonders aufschlussreich, da ich mit beiden Interviews führen konnte. Zum einen wird an diesem Beispiel deutlich, dass das soziale

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Nach diesen würde nicht sie, sondern ihre Söhne, beziehungsweise die Brüder ihres Mannes erben. Allerdings sind diese dann auch für ihr Wohlergehen verantwortlich.

10 Sie fallen sicherlich auch unterschiedlich stark aus, je nachdem welche Rolle Religion in der Familie spielt und welche Position der Konvertit in der Familie einnimmt.

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Umfeld einen größeren Einfluss auf die Konversionen spielen kann, als dies in den Erzählungen zum Ausdruck kommt. Eine getrennte Betrachtung individueller Konversionen von sozialen Zusammenhängen kann also in keinem Falle zielführend sein, sondern verhindert eine genauere Analyse. Zum anderen wird gezeigt, dass Konversionserzählungen nicht nur von den jeweiligen akzeptierten und verbreiteten Narrativen geprägt werden, sondern ebenso von individuellen Erfahrungen und dem gemeinsamen Erleben des Konversionsprozesses. Zunächst traf ich Amir 2004 eher zufällig in der Werkstatt eines muslimischen Freundes in Moshi, Tansania. Als dieser mich und mein Projekt vorstellte, fing Amir an zu sprechen und war nicht mehr zu stoppen. Während des gesamten Gesprächs, das fast zwei Stunden dauerte, standen wir im Eingangsbereich der Werkstatt und wurden immer wieder von hinein- oder hinaus gehenden Kunden gestört. Obwohl ich einige Versuche unternahm, das Gespräch abzubrechen und auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen, gelang mir dies nicht. Sogar Basim, der das Gespräch vermittelt hatte, war erschrocken über die Vehemenz und Aggressivität des Auftretens seines Freundes, den er so noch nie erlebt hatte. Da ich leider keinen anderen Termin mit Amir ausmachen konnte, er arbeitet als Tour-Unternehmer und ist dadurch immer wieder unterwegs, blieb dies das einzige Interview mit ihm. Amir stammt aus einer lutherischen Familie und ist 1991 mit etwa 30 Jahren zum Islam konvertiert. Seine Erzählung folgt dem Narrativ der intellektuellen Erzählung, einer wachsenden Unzufriedenheit mit dem Christentum und ein daraus folgendes Interesse für den Islam. Allerdings blieb er dabei sehr unpersönlich. Trotz mehrmaligen Nachfragens habe ich nicht herausfinden können, wann und weswegen er sich von der Kirche abwandte. Insgesamt war es sehr schwer, ihn nach chronologischen Abläufen zu fragen, da das Gespräch und damit auch seine Lebensgeschichte stark mit religiösen Inhalten überlagert war. Das Interview blieb für sich genommen dadurch relativ unklar. Allerdings werden einige Passagen verständlicher, wenn sie im Zusammenhang mit der Erzählung von Bakri betrachtet werden. Bakri traf ich das erste Mal 2004 wenige Tage nach dem Interview mit Amir.11 Er wurde 1960 geboren, wuchs in Moshi in einer katholischen Familie auf und konvertierte 1991 zusammen mit Amir zum Islam. Er beschrieb sich selbst als einen von Anfang an sehr religiösen Menschen. Vorbild war ihm dabei

11 Zu diesem Zeitpunkt wollte er nicht, dass das Interview aufgenommen wird. Später erzählte mir ein Freund, er habe Angst gehabt, jemand könne seine Stimme erkennen. Inzwischen ist Bakri in der Politik aktiv, hier könnte der Grund für seine damalige Zurückhaltung liegen. Bei einem späteren Treffen 2007 war er deutlich aufgeschlossener als beim ersten Interview.

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sein großer Bruder, der Priester geworden sei und ihm Bibelstunden gegeben habe. Schon als Teenager habe er viel über Religion nachgedacht und keine einzige Messe versäumt. Nach dem Abschluss der ›secondary school‹ half Bakri seinem Vater in der Werkstatt, die er später auch übernahm. Als eigentlichen Start seiner Auseinandersetzung mit dem Christentum gab er seinen Wunsch an, ›to be the best with the Bible‹ – und nach 3 Jahren sei er Muslim geworden. Auch er benannte für diesen Aufbruch zur Veränderung bzw. Nachforschung keinen Auslöser.12 Bei seinen Nachforschungen habe er herausgefunden, dass sein eigener Vater, der in der Kilimanjaro-Region aufgewachsen ist, mit 28 Jahren vom Islam zum Christentum konvertiert sei.13 Besonders interessant war bei beiden Interviews, dass in den individuellen Erzählungen die gemeinsame Konversion mit keinem Wort erwähnt wurde. Beide Interviewpartner sprachen lediglich von ihrer individuellen Suche. Die Freundschaft zwischen beiden, von der ich zunächst nur durch einen gemeinsamen Bekannten wusste, spielte keinerlei Rolle. Erst auf direkte Nachfrage erzählte mir Bakri, sie seien den ganzen Weg gemeinsam gegangen.14 Er sprach dann sehr lebhaft über seinen Freund, den er seit der Kindheit kennt – sie hätten so viel gemeinsam. Beide haben einen nahen Verwandten der Priester ist und beide seien die einzigen Muslime in der Familie.15 Zum einen wird daran deutlich, dass Freunde und andere Personen im sozialen Umfeld eine große Rolle für religiöse Konversionen spielen können, auch wenn diese in der Konversionserzählung nicht thematisiert werden. Nicht nur Kontakte zu Anhängern der neuen Gruppe können dabei entscheidend sein (vgl. Kapitel 4), sondern eben auch Menschen, die ebenfalls zu der anderen Religion konvertieren. Es ist einfacher ein altes Netzwerk zu verlassen, wenn man dabei nicht ganz alleine ist. Auch wenn es für Männer leichter erscheint, unabhängig von anderen die Religion zu wechseln, treffen sie doch zum Teil auf starke Wi-

12 Auch Bakri verwendete neben dem Narrativ der ›Konversion als intellektueller Entscheidung‹ das Narrativ der ›Konversion als Grenzziehung‹. Ebenso wie in der Erzählung Isas spielten dabei Konflikte zwischen ihm und seiner Familie eine Rolle. 13 Auch in dieser Re-Konversion nach einer Generation wird ein gewisser Antagonismus zu seinem Vater deutlich. 14 Zunächst hatte er meine Frage, ob er noch andere Konvertiten kennen würde, verneint. Daraufhin sprach ich ihn auf Amir an, von dem ich wusste, dass sie befreundet waren und dass sie im gleichen Jahr zum Islam konvertiert sind. 15 Auch vom Auftreten und von der Kleidung her gibt es Gemeinsamkeiten bei beiden – beide tragen eine kofia (eine vor allem von Muslimen getragene Mütze), die von ihrer Gestaltung her eher der Reggae Szene als dem Islam zugerechnet werden kann.

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derstände, denen durch eine gemeinsame Konversion leichter begegnet werden kann. Zum anderen zeigt dieses Beispiel erneut, dass die Nichtthematisierung einer gemeinsamen Konversion und die damit verbundene Darstellung der Konversion als individuelle Auseinandersetzung mit Religion, ein strukturelles Element der zeitgenössischen islamischen Konversionserzählungen in Ostafrika ist. Das individuelle Erleben der Konversion wird in der Erzählung in ein Muster der Glaubwürdigkeit übersetzt, um die Konversion zu rechtfertigen. Im Falle der Erzählungen von Amir und Bakri wirkt sich deren intensiver Austausch auch auf Erzählmotive aus, die so nur in ihren Erzählungen vorkommen. Besonders deutlich wird dies bei der Ablehnung des Katholizismus durch den ehemals lutherischen Amir16 (dies lässt wiederum Bakri als treibende Kraft vermuten) und durch das Motiv der Suche nach dem Koran, die für Amir sogar die Schlüsselerzählung der Konversionsbiographie darstellte, auf die er immer wieder zu sprechen kam. Seine Nachforschungen über den Islam hätten ihn so neugierig gemacht, dass er unbedingt den Koran lesen wollte. Er habe seine zahlreichen muslimischen Freunde gefragt, ob sie ihm einen Koran leihen könnten, was diese aber ablehnten. Er meinte, manche hätten ihm sein Interesse nicht geglaubt, andere hätten ihm den Koran nicht gegeben, da er kein Muslim gewesen sei. Deshalb sei er nach Mombasa gefahren, um einen Koran zu kaufen. Beim ersten Mal habe er keinen bekommen, also musste er noch eine zweite Reise an die kenianische Küste unternehmen. Als er ihn dann in die Hand bekam, sei er für ihn das wichtigste Buch gewesen, schon weil er so darum kämpfen musste. Auch Bakri erzählte von ähnlichen, wenn auch nicht in allen Punkten übereinstimmenden Reisen, die also eine direkte inhaltliche Verbindung zur Erzählung von Amir darstellen. Auch diese Erzählungen waren jedoch nur auf die eigene Person bezogen. Für Amir schien die Erfahrung der Suche und des Findens zusammen mit Bakri wichtiger gewesen zu sein als inhaltliche Aspekte. Dies wird vor allem deutlich, wenn beide Interviews zusammen betrachtet werden. Beide sind nach

16 So erzählte Amir zum Beispiel, ihm sei in der Zeit vor der Konversion die Differenz zwischen ›teaching‹ und ›living‹ aufgefallen. Als Beispiel nannte er ›promiscuity‹ und erzählte von Bars, in denen sich Priester und Nonnen träfen, um Sex zu haben. Schon hier wunderte ich mich über den starken Bezug auf die katholische Kirche, der auch zu einem späteren Zeitpunkt des Interviews wieder deutlich wurde. Dabei sprach er davon, dass Protestanten viel stärker versuchten nach der Bibel zu leben, als die Katholiken. Für ihn sei die katholische Kirche auch nicht richtig christlich, sondern eine ›römische Religion‹.

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wie vor eng mit dem Islam verbunden. Der Lebensstil von Amir scheint im Vergleich zu Bakris jedoch ein eher westlicher zu sein. Er hatte (noch) keine Familie und lebte zusammen mit Freunden, z.T. auch aus Europa. Bakri dagegen heiratete nach seiner Konversion eine Muslima.

10.3 G RUNDSTRUKTUR DER ISLAMISCHEN K ONVERSIONSERZÄHLUNGEN IN O STAFRIKA Bei Betrachtung der am Beginn des dritten Teils dieser Arbeit vorgestellten Grundstruktur der erhobenen (Auto-) Biographien und Konversionserzählungen (vgl. S. 207) wird jedoch offensichtlich, dass sich die Art und Weise über Konversion zum Islam in Ostafrika zu sprechen in wesentlichen Punkten deutlich von anderen, zum Beispiel dem von Ulmer beschriebenen Grundmuster (vgl. Kap. 4, S. 167) unterscheidet, das von ihm anhand von in Deutschland erhobenen Konversionserzählungen aufgestellt wurde. Ulmer geht davon aus, dass die einer dreiteiligen Struktur folgende Konversionserzählung eine biographische Krise in den Mittelpunkt stellt. Diese resultiert häufig aus einem Ereignis in der Alltagswelt, wie Scheidung oder soziale Diskriminierung, scheint aber nicht mit anderen sozial anerkannten Strategien zu lösen zu sein und mündet schließlich in eine religiöse Konversion. Dabei stellen die vorkonversionelle und die nachkonversionelle Erzählung spiegelbildliche Beschreibungen der Lebensweise und Perspektive dar, die sich durch einen biographisch relativ genau verortbaren Zeitpunkt der Wende grundlegend verändert haben. Das Konversionsereignis stellt den Höhepunkt der Erzählung dar und wird durch persönliche religiöse Erfahrungen des Konvertiten ausgelöst. Erst zu diesem Zeitpunkt erfolgt eine Hinwendung des Konvertiten zum Religiösen. Diese wird vom Erzählenden in Form der Schilderung eines außergewöhnlichen Ereignisses wiedergegeben, bei der der Konvertit zum passiven Subjekt einer unbekannten Macht wird. In der Erzählung der nachkonversionellen Zeit wird gezeigt, dass mit Hilfe von Religion die vorher beschriebene Krise gelöst werden konnte. Während auch in den von mir erhobenen biographischen Interviews die Konversion als zentrales Element für die gesamte Biographie dargestellt wurde und die Erzählstruktur anfangs mit der von Ulmer beschriebenen viele Ähnlichkeiten aufweist, ändert sich dies bei der Beschreibung der eigentlichen Konversion. Abgesehen davon, dass Ulmers Verständnis von Konversion stark am Paulinischen Modell orientiert ist und er Religion als nicht sozial anerkannten Krisenlösungsmechanismus einordnet, weisen die islamischen Konversionserzäh-

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lungen in Ostafrika zwei weitere wichtige Unterschiede zu der von ihm vorgeschlagenen Struktur auf. Zum einen stellen biographische Krisen nur in wenigen Fällen (Badia, Bilal, Nuru, Najib und Nidal) ein wichtiges Element der Konversionserzählung dar.17 In einigen weiteren Interviews wurden private Veränderungen (wie zum Beispiel im Falle Ibrahims ein Ortswechsel) benannt, die aber nicht als krisenhaft charakterisiert wurden. Die von Ulmer beschriebene Internalisierung der Krise ist dabei nur in der Schilderung Badias wiederzufinden. Allerdings bezieht sich bei ihr die Schilderung der Krise und der möglichen Lösung weniger auf die Konversion, sondern eher auf die neu eingegangene Ehe mit Mahmud. In Nurus Erzählung ist die von ihr erlebte Anfeindung innerhalb der Familie von Beginn an mit ihrem Glaubenswechsel durch die Hochzeit verbunden. Die eigentliche Konversion ist sicherlich mit dieser Krise verbunden, diese wäre ohne Religionswechsel jedoch gar nicht erst entstanden. Im Vergleich zu allen anderen Interviewpartnern spielte für Najib vermutlich eine Krise die größte Rolle für die Konversion zum Islam. Diese war eine Möglichkeit seine Enttäuschung durch das Scheitern seiner Priesterlaufbahn zu überwinden. Bilals langjährige Krisenerfahrung scheint dagegen auch nach der Konversion nicht der Vergangenheit anzugehören. Die Darstellung in seiner Erzählung könnte zudem eher als Externalisierung der Krise in den Bereich des Religiösen und der Zugehörigkeit betrachtet werden. Die Schilderung von Krisenerfahrungen ist somit kein zwangsläufiges Element von Konversionserzählungen. Auch wenn sich durch Veränderungen im Leben von Individuen, seien diese nun als krisenhaft erfahren oder nicht, das Verhältnis zu Religion und religiösen Gemeinschaften verändern kann, scheint die Schilderung oder Nichtthematisierung persönlicher Krisen vor allem den von Ort, Religion und Zeit abhängigen Erzähltraditionen geschuldet. Im multireligiösen Kontext Ostafrikas scheint eine Dramatisierung der Konversion in Form einer existenziellen Krise nicht notwendig für eine glaubhafte Darstellung der Veränderung zu sein. Der zweite auffällige Unterschied betrifft die Schilderung der Religiosität im Konversionsprozess. Während Ulmer die Öffnung hin zu Religion als Folge der Konversion beschreibt, erzählten etwa zwei Drittel der Interviewpartner in Ostafrika, Religion sei schon in der Zeit vor der Konversion ein wichtiges Thema für sie gewesen. Dies wird zum einen durch die Teilnahme an religiösen Gruppen und den Besuch von Bibelstunden, zum anderen durch die häufige Beschäftigung mit dem Christentum oder der Bibel illustriert. Häufig wird dieses

17 Alle Interviewpartner, bei denen eine Krise in den Erzählungen erwähnt wurde, waren bei ihrer Konversion älter als 20.

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Interesse schon in der Kindheit angesiedelt, wie zum Beispiel in den Erzählungen von Ibrahim oder Bilal. Die Beschreibung der Nähe zur Religion ist meist relativ kurz gehalten, findet sich jedoch sogar in Erzählungen wieder, in denen Religion sonst nur eine geringe Rolle in der Erzählung spielt. Durch diese Beschäftigung mit Religion und dem christlichen Glauben seien einige Zeit vor der Konversion Fragen aufgetaucht, die zumeist bestimmte christliche Dogmen, wie die Dreieinigkeitslehre oder widersprüchliche Aussagen in der Bibel betrafen. Wie gezeigt wurde, wird dieser Prozess als individuelle Auseinandersetzung beschrieben.18 Nur selten wird der Einfluss von Freunden oder durch Literatur erwähnt. Daraus sei dann der Wunsch erwachsen, das Christentum besser zu verstehen, beziehungsweise mehr über andere Religionen zu lernen, um diese in Vergleich zum christlichen Glauben zu setzen. An dieser Stelle beginnt in vielen Erzählungen der eigentliche Bruch mit den bisherigen religiösen Glaubensgrundsätzen und Gemeinden. Zudem ist dieser Erzählabschnitt häufig sehr stark von religiösen Gegenüberstellungen, Rechtfertigungen, beziehungsweise Begründungen der Konversion geprägt. Religion spielt also, bis auf Ausnahmen wie Isa, nicht erst mit der Konversion eine Rolle, sondern wird vielmehr als Ausgangsbedingung der Konversion dargestellt.19 Die Betonung der Religiosität ist somit Ausgangspunkt für das in Kapitel 8 vorgestellte momentan stärkste Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹. Spielte Religion vor der Konversion nur eine geringe Rolle, wird die Erzählung des Vergleiches zum Teil nach der Konversion (zum Beispiel von Isa), bzw. wie im Falle Tariqs im Schritt vom sunnitischen zum schiitischen Islam, angesiedelt. Entgegen Ulmers Darstellung der Schilderung eines außergewöhnlichen, am Paulinischen Muster orientierten Konversionsereignisses als Höhepunkt der Erzählung, stellt dies in den islamischen Konversionserzählungen in Ostafrika eine seltene Ausnahme dar. Regelrechte Bekehrungserlebnisse wurden nur in wenigen Fällen erzählt (z.B. Nidal, vgl. S. 330), selbst wenn Träume, wie zum Beispiel der von Ibrahim (siehe Kapitel 8) hinzugezählt werden. Meist nimmt die Schilderung der eigentlichen Konversion nur sehr wenig Erzählzeit und keine zentrale Rolle ein. Auffällig war dabei, dass es häufig keine Erinnerung an das Datum des eigentlichen Glaubenswechsels gab und über den Akt der Konversion nur in sehr allgemeinen Aussagen gesprochen wurde, meist ohne jede Emotiona-

18 Auch Ulmer spricht davon, dass Konversion als primär individuelle Erfahrung dargestellt wird. Er bezieht sich dabei aber eher auf persönliche religiöse, z.T. mystische, Erlebnisse, die die Innenwelt des Konvertiten betreffen. 19 Ähnliches stellten Staples & Mauss (1987) in ihrer Kritik am Konversionsmodell von Snow & Machalek (1984) fest.

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lität. Dies widerspricht nicht Ulmers Darstellung, der das Unvermögen der Schilderung der Konversion betont, die sich einem unmittelbaren Zugriff entzieht. Es zeigt allerdings, dass die von ihm beschriebenen erzählerischen Methoden der Auflösung dieses Dilemmas nicht die einzig möglichen darstellen. Erzählerischer Höhepunkt der islamischen Konversionsbiographien in Ostafrika ist die Darstellung des religiösen Vergleiches, der Weg hin zur Konversion. Betont wurde meist die Prozesshaftigkeit der Konversion, möglicherweise auch in Abgrenzung zum europäischen, christlich geprägten Paulinischen Konversionsmodell der plötzlichen, mystischen Konversion. Mit der Benennung der Konversion endeten viele Erzählungen abrupt. Auch dies steht im Gegensatz zu Ulmers Beschreibungen der nachkonversionellen Erzählung. Erst auf Nachfrage wurde über die durch die Konversion ausgelösten Veränderungen, individuelle Wandlungsprozesse wie auch Reaktionen der Familien und des weiteren Umfeldes, erzählt. In Bezug auf die individuellen Wandlungsprozesse wurde meist ein äußerlicher Wandel der Lebensweise dargestellt (vgl. Kapitel 7), bei gleichbleibender Religiosität. Eine Ausnahme stellen hierbei diejenigen Konvertiten dar, bei denen Religion vor der Konversion nur eine geringe Rolle spielte. Hier variieren die Darstellungen. Zumeist nehmen religiöse Themen jedoch während der gesamten Erzählung weniger Raum ein, als bei der Mehrzahl der Konvertiten. Das dieses ein starkes erzählerisches Element ist, wird auch dadurch deutlich, dass der äußerliche Wandel sogar von Konvertiten wie Ahmad vorgetragen wurde, die schon vor ihrer Konversion einen nahezu tadellosen Lebensstil gepflegt hatten und nicht benennen konnten, worin ihre ›Sünden‹ in der Zeit vor der Konversion bestanden haben. Auch hier ist also eine Externalisierung von Prozessen zu beobachten, die unter Umständen auch als innere Veränderung beschrieben werden könnten. Die Widersprüchlichkeiten in der Beschreibung der Veränderungen wurden durch die Betonung der Kontinuität im Konversionsprozess noch gestärkt. Auch wenn ein Konvertit wie Nadeem für sich selbst Veränderungen in der Lebensführung oder seiner Weltsicht, zum Beispiel in Form der Abkehr vom Materialismus (im Sinne der Konsumkultur) feststellen konnte, wurde eine gesellschaftliche Akzeptanz der Konversion meist damit begründet, dass der Konvertit sich kaum verändert habe. Insbesondere in Bezug auf die Familie wurde meist eine anfängliche Ablehnung der Konversion geschildert, die aber bald nachgelassen habe, da ja keine Veränderung oder eben eine leichte zum Guten stattgefunden habe.

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10.4 D IE N ARRATIVE

IN IHRER

A NWENDUNG

Die oben dargestellte Struktur ist besonders eng mit dem Narrativ der ›Konversion als intellektuelle Entscheidung‹ verzahnt, die ausnahmslos von allen interviewten Männern verwendet wurde. Aber auch die drei weiteren in den Kapiteln 6, 7 und 9 beschriebenen Konversionsnarrative können an diese Erzählstruktur angebunden werden. Mit Hilfe der Konversionsnarrative versuchen Konvertiten in den Schilderungen ihrer Erlebnisse mit den ihnen entgegen gebrachten Erwartungen umzugehen. Sowohl die von ihnen verlassene Gemeinschaft, als auch die neue Gemeinschaft, ihre Familien und nicht zuletzt sie selbst transportieren bestimmte Vorstellungen davon, was eine ›gute‹ und ›richtige‹ Konversion sei. Dabei werden, um glaubwürdig zu bleiben, vor allem öffentlich anerkannte Narrative, wie im Falle von Männern das Narrativ der intellektuellen Konversion (zur Herleitung dieses Narrativs vgl. Kap. 8) verwendet. Damit können auch andere hier einfließende, aber nicht anerkannte Faktoren des komplexen Konversionsprozesses verdeckt werden, insbesondere Religionswechsel die mit dem Zugang zu materiellen Vergünstigungen oder sozialen Netzwerken in Verbindung gebracht wurden.20 Wie zu Beginn des Schlusskapitels gezeigt wurde, existieren je nach Alter und Geschlecht unterschiedliche Möglichkeitsräume der Konversion und Erwartungen an den Konvertiten. Von Frauen wurden in den durchgeführten Interviews vor allem die Narrative der ›Konversion als soziale Reorientierung‹ (Kap. 6) und der ›Konversion als moralische Festigung‹ (Kap. 7) verwendet. Frauen, die zumeist als Reaktion auf Ehemänner, Väter oder Söhne konvertieren, müssen sich zunächst nicht so stark von ihrer alten Gemeinschaft abgrenzen. Allerdings kann auch von ihnen im Zuge des Hineinwachsens in die islamische Gemeinde eine stärkere Abgrenzung gefordert werden. Hinzu kommt bei ihnen, dass die durch Heirat zum Islam konvertierten Frauen oft nicht so stark wie Männer mit den missionierenden islamischen Bewegungen in Berührung kommen, die das Narrativ der intellektuellen Konversion weiter verbreiten. Das in den Interviews von vielen Konvertiten transportierte Bild von Weiblichkeit lässt zudem vermuten, dass bei Frauen individuelle, unabhängige Konversionen eher kritisch betrachtet werden. Daher wird in ihrem Falle weniger die aktive Entscheidung aufgrund einer inneren reli-

20 Vgl. dazu Kapitel 6. Eine andere Möglichkeit der Darstellung wählte Abdallah, der diese Art von Konversionen zeitlich nach seiner eigenen einordnete und somit auch nichts mit solch einer Konversion zu tun haben möchte.

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giösen Überzeugung in den Vordergrund gerückt, als stärker eine Anpassung an richtiges moralisches Verhalten. Männer hingegen müssen ihren, nach außen hin, selbst gewählten Schritt der Konversion stärker plausibilisieren, damit ihnen nicht opportunistisches Verhalten, das negativ betrachtet wird, unterstellt werden kann. Insbesondere Biographien, in denen sich durch die Konversion Aufstiegschancen ergaben (wie zum Beispiel Jibril), sind von einem unpersönlichen Erzählstil und einer stärkeren Verwendung der vorgestellten Narrative geprägt. Auch Konversionen aus Heiratsgründen kommen unter Männern vor, werden jedoch nicht thematisiert. Während Frauen somit eher die Erzählweisen der ›Konversion als soziale Reorientierung‹ und ›Konversion als moralische Festigung‹ wählen, begründen Männer ihre Konversion viel stärker als eine ›intellektuelle Entscheidung‹ oder die Hinwendung zur ›Gemeinschaft der Muslime‹. Aber auch Männer gehen in ihren Erzählungen auf moralische Normen ein. Insbesondere die Abkehr von einem unmoralischen Lebensstil wird fast immer, dabei aber relativ kurz und knapp, erwähnt. Die unterschiedliche Gewichtung der Erzählschwerpunkte hängt also zum einen mit unterschiedlichen Rollenvorstellungen von Frauen und Männern und zum anderen mit den individuellen Konversionserfahrungen zusammen. Die gesellschaftlich anerkannten und damit für die Erzählungen zur Verfügung stehenden Narrative fokussieren dabei auf unterschiedlichen Bereichen. Während sich die Narrative der ›moralischen Festigung‹ und der ›intellektuellen Entscheidung‹ auf die Person des Konvertiten beziehen, rücken die beiden anderen Narrative der ›sozialen Reorientierung‹ und der ›Grenzziehung‹ soziale Netzwerke und die jeweilige Position des Konvertiten in den Mittelpunkt. Wie in dieser Arbeit deutlich wurde, unterscheidet sich die Art und Weise über die Konversion zum Islam in Ostafrika zu sprechen, von anderen Konversionserzählungen. So wurde zum Beispiel die in vielen Konversionsdefinitionen in den Mittelpunkt gestellte Krisenerfahrung kaum benannt. Trotzdem ist in den hier präsentierten Fallbeispielen von Konversion zu sprechen. Dies deutet darauf hin, dass häufig verwendete Zugänge zu Konversionsprozessen zu eng gewählt und zudem zu nah an europäischen Konversionsmodellen orientiert sind. Diese sind jedoch ebenso wie die hier untersuchten Narrative als regional und zeitlich spezifische Idealbilder von Konversion aufzufassen.

Anhang

L ISTE

DER WICHTIGSTEN I NTERVIEWPARTNER

Abdallah (siehe S. 247 ff.) konvertierte 1994 mit Anfang 20 zum Islam. Er stammt aus der Western Province, lebt aber schon seit einigen Jahren in Nakuru. Abdallah begann seine Erzählung mit der Schilderung seines Nachdenkens über die Aussage ›Jesus ist Gott‹. Er habe sich auf der Suche nach der Wahrheit mit der Bibel beschäftigt und es sei zu Meinungsverschiedenheiten mit seinem Pastor der African Inland Church (AIC) gekommen. Später erzählte er, dass er nach Beendigung der Secondary School 1989 (nach Form 2) einige Zeit arbeitslos war und anschließend als Kellner arbeitete. In dieser Zeit wechselte er auch seine kirchliche Gemeinschaft (›changed sect‹, nannte dies also nicht Konversion) und ging ein halbes Jahr lang zu einer ›life celebration church‹ (eine der vielen verschiedenen Pfingstgemeinden). Allerdings gelang es ihm dabei nicht, selbst Erfahrungen wie das Zungenreden zu machen, für ihn ein Beweis, dass er etwas nicht verstanden habe, bzw. diese Art des Glaubens nicht für ihn geeignet sei. Er habe sogar gefastet, um den heiligen Geist zu empfangen, aber ohne Erfolg. Zur AIC habe er außer in der Art des Gottesdienstes und der Verehrung von Jesus keine großen Unterschiede wahrgenommen. Nach seiner Konversion zum Islam wurde ihm für einige Zeit der Aufenthalt an verschiedenen madaris finanziert. Inzwischen arbeitet Abdallah als Lehrer. Er ist mit einer Christin verheiratet. Ahmad wurde 1982 in einer christlichen Familie geboren. Er konvertierte 1999 mit 17 Jahren zum Islam. Er erzählte, er sei in einer streng christlichen Familie aufgewachsen. Seine Mutter gehörte zu den Siebenten-Tags-Adventisten, sein Vater zur Church of God.1 Auch er begründete seine Konversion mit einem 1

Die Church of God gehört zu den Pfingstkirchen und hat ihren Hauptsitz in Cleveland, Tennessee. Sie gilt als eine der größten Pfingstkirchen weltweit (nach der Assemblies of God). Allerdings wird der Name Church of God auch von anderen mit dieser Kir-

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Lernprozess, ausgelöst durch die negative Darstellung von Muslimen in seinem persönlichen Umfeld. Bei seinem ersten Gebet als Muslim sei er zufällig in eine schiitische Moschee gegangen. Er blieb mit den dort anwesenden Muslimen in Kontakt und sei somit Schiit geworden. Nach seiner Schulzeit begann er für die Bilal Muslim Mission und als Lehrer zu arbeiten. Er betonte jedoch, dass er dort nicht gegen Bezahlung, sondern nur auf freiwilliger Basis arbeitete. Das 2007 mit ihm durchgeführte Interview hatte ich in keiner Weise geplant. Badia hatte mich in die neue Moschee der Bilal Muslim Mission mitgenommen. Dort wurde mir Ahmad als Konvertit vorgestellt, den ich interviewen könne. Da ich nur noch wenige Tage in der Stadt war, führten wir das Interview gleich in einem Nebenraum durch. Amir (vgl. auch S. 357) stammt aus einer lutherischen Familie und ist 1991 mit etwa 30 Jahren gemeinsam mit Bakri zum Islam konvertiert. Amir ist nicht verheiratet und arbeitet als Tour-Unternehmer. In seiner Kindheit sei die ganze Familie jeden Sonntag in die Kirche gegangen und er habe sehr viel in der Bibel gelesen, ›I loved the Bible, really‹. Später erwähnte er, dass sein Onkel lutherischer Bischof sei und auch ein Bruder bei der Kirche arbeitet. Auch seine Erzählung folgte dem Narrativ der intellektuellen Erzählung. An einem Punkt seines Lebens sei er unzufrieden mit der christlichen Lehre geworden und habe begonnen, sich mit dem Islam zu beschäftigen. Durch die eher ungewöhnliche Interviewsituation war es nicht möglich, weitere biographische Details zu erfragen. Ashim (vgl. S. 275) leitet in Nakuru ein Kaufhaus, das sich in Besitz von Muslimen befindet. Er gilt nach Aussagen anderer Muslime als Finanzier der salafitischen und wahhabitischen Bewegung in der Stadt. Mit Ashim konnte ich kein Interview führen, da er dies ablehnte. Sein Name tauchte jedoch immer wieder auf und begleitete somit die Forschung. Asif (siehe S. 246 ff.) konvertierte 1995 mit 15 Jahren in Kisumu von der Holy Trinity Church in Africa, einer unabhängigen Abspaltung von der anglikanischen Kirche, zum sunnitischen Islam. Er wurde 1980 als siebentes Kind geboren, seine Mutter war in einer polygamen Ehe die zweite Frau seines Vaters. Dieser starb 1993 (auch die anderen beiden Ehefrauen des Vaters sind inzwischen verstorben), woraufhin Asif die Familie verließ und bei einem muslimischen Freund des Vaters lebte, der als Lehrer an einer ›primary school‹ arbeitete. Sein Vater

che nicht verbundenen Gemeinschaften verwendet, mehrere davon sind in Kenia tätig, die jedoch meist in einer ähnlichen religiösen Strömung angesiedelt sind.

A NHANG

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hatte diesen Freund zuvor als Waisenkind in seine Familie aufgenommen. In der Folgezeit besuchte Asif keine Gottesdienste mehr und konvertierte einige Zeit später zum Islam. Ein weiterer Bruder, der einige Jahre früher auch mit diesem Mann zusammenlebte, konvertierte 1993 ebenfalls zum Islam und ging danach auf eine madrasa in Mombasa. Allerdings hat er zu diesem Bruder kaum Kontakt, auch über die Konversion oder Religion im Allgemeinen haben sie nie gesprochen. Asif schloss die Schule nach Form 4 (Sekundarschule) ab, war allerdings nie auf einer madrasa. Trotz dieses Schulabschlusses ist sein Bildungsstand eher niedrig einzuschätzen. Inzwischen betreibt er einen Kleinhandel und lebt in einem relativ armen Teil Kisumus. Er gehörte zu der Moschee von Nidal, der 2005 auch unseren Kontakt in die Wege leitete. Badia (zu einer ausführlichen Biographie siehe S. 210 ff.) wurde 1962 geboren. Nachdem zwei ihrer Söhne im Jahr 2000 zum Islam konvertiert waren, folgte sie ihnen rund zwei Jahre später. Sie lebt seit einigen Jahren in Nakuru und war dort eine Zeitlang als Politikerin tätig. Obwohl sie in einer katholischen Familie aufgewachsen war, ging sie, nach der Trennung von ihrem Mann 1998, einige Zeit in eine Baptistengemeinde und sang dort im Chor mit. Zwei Jahre nach ihrer Konversion zum Islam war sie für rund einen Monat mit einem Prediger der Tablighi Jama'at verheiratet. Bahari wurde 1965 in der Region um Mumias (Westkenia) in einer muslimischen Familie geboren. Obwohl dort sehr viele Muslime wohnen, seien die meisten Schulen von christlichen Kirchen, hauptsächlich von Katholiken und Quäkern, finanziert worden. Auch wenn er als Kind regelmäßig in die Moschee und in die madrasa ging, seien die meisten seiner Freunde Christen gewesen. In der Schule lernte er die Grundzüge des Christentums kennen und fand nach seinen Angaben Gefallen daran, in einer Sprache zu beten, die er verstand. 1978 entschied er sich, mit 13, für den christlichen Glauben. Allerdings machte er seine Entscheidung lange Zeit nicht öffentlich und ging heimlich in die Quäkergemeinde. Erst 1985 sprach er mit seinem Vater darüber. Bis zu seiner Taufe seien noch einmal drei Jahre vergangen. Bahari erzählte, er sei nicht der einzige Konvertit in seiner Familie. Seine drei Brüder seien zwar Muslime geblieben, aber von seinen acht Schwestern haben sieben einen christlichen Mann geheiratet und sind dadurch zum Christentum konvertiert. Als ich Bahari 2004 kennenlernte, bekleidete er eine hohe öffentliche Position im Rift Valley. Er hatte in all den Jahren seinen arabischen Namen beibehalten und keinen christlichen Namen angenommen.

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Bakri (vgl. auch S. 357) wurde 1960 in Moshi geboren und wuchs in einer katholischen Familie auf. Er konvertierte 1991 zusammen mit Amir zum Islam. Er beschrieb sich selbst als einen von Anfang an sehr religiösen Menschen. Vorbild war ihm dabei sein großer Bruder, der Priester geworden sei und ihm Bibelstunden gegeben habe. Schon als Teenager habe er viel über Religion nachgedacht und keine einzige Messe versäumt. Nach dem Abschluss der ›secondary school‹ half Bakri seinem Vater in der Werkstatt, die er später auch übernahm. Mit 28 Jahren habe er angefangen über Religion nachzudenken und sei etwa drei Jahre später zum Islam konvertiert. Sein Vater, der in der Kilimanjaro-Region aufgewachsen ist, war in einem ähnlichen Alter, mit 28 Jahren, vom Islam zum Christentum konvertiert. Bakri ist mit einer Muslima verheiratet. Seit 2006 bekleidet er ein öffentliches Amt in Moshi. Basim habe ich 2004 in Moshi kennengelernt. Er ist als sunnitischer Muslim aufgewachsen. Seine Familie kommt aus der südasiatischen Kutch-Region, lebt aber nun schon seit drei Generationen in Ostafrika. Die Familie besitzt in Moshi mehrere kleine Geschäfte, die hauptsächlich von Basim betrieben werden. Er ist zwar regelmäßig freitags in der sunnitischen Moschee, aber eher aus einem gewissen Pflichtgefühl heraus. Er ist gut mit Amir und Bakri befreundet. Zu Basim hatte ich sehr häufigen Kontakt. Zudem konnte er mir eine Sichtweise vermitteln, die weder von einer Konversion, noch von einer verstärkten Aktivität in der islamischen Gemeinde geprägt war. Bilal (zu einer ausführlichen Biographie siehe S. 227) wurde 1955 in Nakuru geboren und wuchs in Bondeni auf. Seine Eltern waren noch vor seiner Geburt vom Christentum zum sunnitischen Islam konvertiert. Im Schulunterricht kam Bilal mit dem Christentum in Berührung und entwickelt große Sympathien für diese Religion. Nach der Schulzeit verdiente er sich zunächst als Straßentänzer und -sänger seinen Unterhalt. Rund fünf Jahre später trat er eine Stelle in einer Mühle an. Kurze Zeit danach heiratete er eine Muslima. Immer wieder spielte er mit dem Gedanken zum Christentum zu konvertieren. Durch seinen Bruder, der bei der schiitischen Gemeinde arbeitete, kam er mit dieser Form des Islam in Berührung und beschloss nach etwa zwei Jahren Schiit zu werden. 1987 musste er aus Krankheitsgründen seinen Beruf aufgeben. Seit Anfang der 1990er Jahre predigte er an öffentlichen Plätzen den Islam. 1997 hörte er mit damit jedoch aus finanziellen Gründen auf und verdient jetzt mit kleineren Arbeiten Geld. Darweshi ist ein katholischer Priester in Moshi, den ich ebenfalls 2004 über Basim kennenlernte. Er wurde 1971 in der Kilimanjaro Region geboren und war

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nur zum Studium vier Jahre lang in Dar es Salaam. Er lebt in der katholischen Diözese im Zentrum Moshis. Über ihn habe ich einige Konvertiten zum Christentum kennengelernt. Zudem hat er mich mehrmals zu seinen Gemeindebesuchen in den Dörfern rund um Moshi eingeladen. Gamal kommt aus einer katholischen Familie und konvertierte 1981 mit etwa 20 Jahren zum Islam. Ihn habe es beeindruckt, wie ernst Muslime ihren Glauben nähmen. Die einzigen Christen die ähnlich handelten seien die Zeugen Jehovas und die Siebenten-Tags-Adventisten. Gegen das Christentum spräche auch die Milde gegenüber Homosexuellen, die seiner Meinung nach gesteinigt werden müssten. Nach ungefähr einem Jahr des Lesens sei er zum Islam konvertiert. Allerdings ging er nie in eine madrasa. Auch wenn bei Gamal das Narrativ der ›Konversion als Grenzziehung‹ eine große Rolle spielte, drückte er seine Zugehörigkeit zur muslimischen Gemeinde nicht über seine Kleidung aus. Diese war vielmehr ›afrikanisch‹. Gamal arbeitet in Nairobi in einem Unternehmen. In dem Hochhaus, in dem sich das Büro befindet, habe er sogar einen Gebetsraum angemietet. Grace konvertierte 2004 aufgrund einer Heirat zum katholischen Glauben, Sie wurde als letzte von sechs Geschwistern 1981 in der Nähe von Moshi geboren. Ihr Vater ist Muslim, ihre Mutter gehörte dagegen zur lutherischen Kirche. Außer einer Schwester, die ebenfalls einen Christen heiratete, sind alle anderen Geschwister Muslime geblieben. Nach der Trennung ihrer Eltern lebte Grace mit Unterbrechungen bis 2001 bei ihrer Schwester. Zwischen 1996 und 1999 lebte sie schon einmal mit einem Katholiken zusammen, ohne jedoch verheiratet zu sein. Bevor sie konvertieren konnte, sei die Beziehung aber auseinander gegangen. Aus dieser Beziehung hat sie ein 6 Jahre altes Kind, das getauft ist und christlich erzogen wird. Grace ist nur drei Jahre zur Schule gegangen, da es nach der Trennung ihrer Eltern viele Probleme gab. Sie habe Moshi eine Zeitlang verlassen und habe als Hilfe in einem hoteli (einem kleinen Restaurant) gearbeitet, sei dafür aber nur unregelmäßig bezahlt worden. Sie verdient jetzt ihr eigenes Geld mit der Herstellung von ›local brew‹. Ibrahim (zu einer ausführlichen Biographie siehe S. 276) wurde 1965 in Südwestkenia als viertes von sechs Kindern geboren. Seine Eltern waren arme Bauern. Trotzdem gelang es Ibrahim zu studieren. Seine Mutter, die ihn zur Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten mitgenommen hatte, starb sehr früh. Da sein Vater gegen den Kirchenbesuch war, konnte Ibrahim erst während der Zeit auf der Universität wieder in der Kirche aktiv werden. Nach seinem Studium ar-

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beitete Ibrahim für einige Jahre in der muslimisch geprägten Region Nordwestkenias. Nach ungefähr zwei Jahren in der Region konvertierte er 1999 zum Islam. 2004 studierte Ibrahim wieder in Nakuru. Er ist seit 1992 mit einer Christin verheiratet. Zusammen haben sie vier Kinder, auch sie leben als Christen. Iqbal (siehe auch S. 266) konvertierte 1988 in Nairobi nicht ganz 20jährig zum Islam. Er wurde 1968 im südlichen kenianischen Rift-Valley in eine Maasai Familie geboren. Diese habe zwar kurzzeitig zu den Siebenten-Tags-Adventisten gehört, sich später dann aber wieder zur Maasai-Kultur gewendet. Er bezeichnete sie als ›strong maasai practising family‹. Iqbal besuchte kurzzeitig als Teenager zwei protestantische Kirchen, wurde jedoch in den letzten Schuljahren moran und zog sich aus der Kirche zurück. Nach seinem Schulabschluss 1987 in Eldoret (Form 4) ging Iqbal nach Nairobi und arbeitete erst in einem Restaurant und später bei Kenya Airways. Nach einigen Monaten in Nairobi konvertierte Iqbal zum Islam. Ihn habe die islamische Revolution im Iran stark beeindruckt. Nach seiner Konversion lernte er kurzzeitig in einer madrasa. Allerdings habe er den Koran von Anfang an auf Englisch gelesen und somit keine Hilfe benötigt, ihn zu verstehen. Im Anschluss kündigte er seine Stelle und ging als Missionar zurück in seine Heimatregion. Dort war er zudem für einige Jahre in der KANU aktiv. Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitete er bei der SUPKEM. Im Rahmen dieser Arbeit organisierte er 1999 einen 72-tägigen Marsch aus seiner Region über Nairobi nach Mombasa, um Geld für eine Moschee im Maasai Gebiet zu sammeln. Inzwischen arbeitet Iqbal wieder in Nairobi und baut dort eine Jugendstruktur der SUPKEM auf. Isa (zu einer ausführlichen Biographie siehe S. 316) wurde 1972 in Mombasa geboren. Er wuchs in Nairobi auf und konvertierte 1991 während seiner Zeit auf dem College innerhalb eines Tages zum Islam. Sein Vater arbeitete als Zollbeamter auf dem Jomo Kenyatta Flughafen. Auch die meisten seiner Geschwister, er ist das vierte von neun Kindern, sind im Staatsdienst tätig. Seine Eltern gehören einer Pfingstkirche an. Nach seiner Ausbildung arbeitete er als Grundschullehrer im Kisumu Distrikt. Seit 1999 ist er mit einer Muslima verheiratet. Zusammen haben sie zwei Söhne. Isa war sehr aktiv in der Tablighi Jama'at involviert. Jibril (siehe auch S. 341) wurde 1962 als Ältester von 8 Geschwistern in Nakuru geboren. Seine Familie gehörte zu den Siebenten-Tags-Adventisten. Jibril begann sich während der Schulzeit durch den Kontakt mit Muslimen mit dem Islam auseinanderzusetzen und konvertierte 1981 mit 19 Jahren zum Islam. Alle

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seine nahen Verwandten seien aber Christen geblieben. Jibril ist verheiratet und hat sieben Kinder. 2004 arbeitete er als Sekretär der Muslim Association in Nakuru. Zudem ist er auch darüber hinaus an dawa Aktivitäten beteiligt. Jumah wandte sich ähnlich wie Najib durch eine Enttäuschung von der christlichen Kirche ab, allerdings scheinen bei ihm materielle Aspekte eine größere Rolle für die Konversion zum Islam gespielt zu haben. Jumah wurde 1958 in Kisumu in eine arme Familie geboren. Sein Vater gehörte zur Anglikanischen Kirche, seine Mutter war Katholikin (konvertierte allerdings später zur Legio Maria). Während der Schulzeit sei er sechs Jahre lang als Altarjunge bei einem Priester aus Holland tätig gewesen, der ihn materiell unterstützte. Kurz vor den ›Secondary school‹ Abschlüssen im Dezember 1975 habe er sich jedoch mit ihm über religiöse Themen zerstritten – danach habe er keinerlei Hilfe mehr erwarten können. Zum Islam sei er vor allem über Publikationen gekommen. Er konvertierte 1977 nach etwa einem Jahr des Lesens. Später arbeitete er lange Zeit als Kellner in einem von Muslimen geführten Hotel. Er hat zwei Frauen, die eine heiratete er 1980, die andere 1994. Beide waren Christinnen und konvertierten für die Heirat zum Islam, das sei einfacher wegen der fünf Kinder. Nadeem (siehe auch S. 98) wurde 1978 in Nakuru geboren. Seine Eltern waren beide Christen, der Vater gehörte zur Katholischen Kirche und seine Mutter zu einer Independent Church. Er wechselte mit 16 Jahren zunächst von der Katholischen Kirche zu einer evangelikalen Gemeinschaft und konvertierte schließlich 1997, ein Jahr nach seinem Schulabschluss, mit 19 Jahren zum Islam. Zuvor war er einige Zeit arbeitslos. Nach seiner Konversion reiste er bis 2001 sehr viel herum, hauptsächlich im Rahmen der Tablighi Jama'at. In dieser Zeit versuchte er sich als Händler religiöser Kleidung zu etablieren, dies scheiterte jedoch seinen Angaben nach an fehlendem Enthusiasmus. Zum Zeitpunkt des Interviews hatte er nicht vor, sich neue Arbeit zu suchen. Er verdient etwas Geld mit Verkauf von Schuhen an einen festen Kundenstamm. Nadeem ist durch seine Aktivität in der Tablighi Jama'at weit über Nakuru hinaus bekannt. Er ist der letztgeborene von 4 Brüdern, zwei sind Christen geblieben. Er und der zweitgeborene sind unabhängig voneinander zum Islam konvertiert. Er ist seit 2002 mit einer Muslima aus Mumias verheiratet und hatte 2004 eine 1 Jahr alte Tochter. Najib (siehe auch S. 311) wurde 1956 als erstes Kind einer römisch-katholischen Familie in einem kleinen Dorf in Westkenia geboren. Er hatte 9 weitere Geschwister. Sein ursprünglicher Wunsch Priester zu werden scheiterte jedoch nach seine Angaben an dem unfairen Zugang zum Pries-

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ter-Seminar. Er zog sich in der folgenden Zeit immer stärker aus der Kirche zurück. Nach Abschluss der Sekundarschule arbeitete er zunächst in einer kleineren Stadt und zog 1979 nach Nakuru. Dort kam er das erste Mal mit dem Islam in Berührung und konvertierte nach etwa fünf Jahren. Auch er ist heute sehr aktiv in der Islamischen Gemeinde und gehört zu einer der Prediktgruppen der Tablighi Jama'at. Seine Frau, die er in Nakuru geheiratet hatte und mit der er 6 Kinder hat, war zur Zeit ihrer Heirat sehr aktiv in der Katholischen Kirche. Nach seiner Konversion ließ ihre Aktivität zwar nach, sie konvertierte jedoch erst 2000, nach Beginn seiner Aktivität bei der Tablighi Jama'at, zum Islam. Als ich ihn 2004 über Jibril kennenlernte, arbeitete er in einem Telekommunikationszentrum. Während des ersten längeren Interviews saß mein nächster Gesprächspartner, Nadeem, die ganze Zeit dabei und hörte zu. Nia ist in einer christlichen Familie, die zur African Inland Church gehört, aufgewachsen. 2000 kam sie nach ihrem Abschluss an der Sekundarschule nach Nakuru, um dort zu arbeiten. Kurze Zeit später lernte sie in Nakuru einen Mann kennen, der 1996 zum Islam konvertiert war. Vor ihrer Heirat verlangte er von ihr, dass auch sie zum Islam konvertieren müsse. Zwei Jahre lang habe sie versucht, eine gute Muslima zu sein, aber diese Religion sei für sie zu befremdlich gewesen. Sie sei sogar einen Monat lang zur madrasa gegangen, aber auch das Arabisch lernen sei ihr sehr schwer gefallen. Sie sei doch als Christin aufgewachsen, da verstünde sie wenigstens alles. Aufgrund dieser religiösen Unstimmigkeiten zerbrach nach etwa zwei Jahren ihre Ehe und sie kehrte zum Christentum zurück. Ihr 10 Monate altes Kind lebt bei ihr. Nia habe ich über eine Kellnerin kennengelernt, sie selbst arbeitet in einem Supermarkt. Nidal (zu einer ausführlicheren Darstellung siehe S. 330) wurde 1950 im Busia Distrikt in der Western Province in Kenia geboren. Seine Eltern gehörten zur Katholischen Kirche, seine Mutter wechselte später wie Nidal jedoch erst zu einer Pfingstkirche, dann zum Islam. Sein älterer Bruder hingegen gehört nach wie vor der Katholischen Kirche an, seine Schwester einer Pfingstkirche. Nidal wurde während der Zeit auf dem College in Uganda in einer pietistischen protestantischen Kirche aktiv und begann in den Vororten von Kampala zu predigen. Nach dieser Zeit erhielt er ein Stipendium zum Studium in den USA. Nach der Rückkehr nach Ostafrika war er weiterhin als Missionar aktiv und begann in seiner Heimatregion Kirchgemeinden aufzubauen. Allerdings ergaben sich Konflikte mit den seine Missionsarbeit unterstützenden Geldgebern. In dieser Zeit sei er mit islamischer Literatur in Verbindung gekommen und wenige Tage später zum Islam konvertiert. Sein Leben veränderte sich allerdings kaum, auch heute

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ist er als Missionar aktiv, allerdings baut er nun muslimische Gemeinden auf. Seine Frau und seine sieben Kinder hätten sich allerdings nur langsam an die neue Lebensausrichtung gewöhnt. Nidal ging sehr offen mit seiner Konversion um und publizierte sogar eine kurze Autobiographie. Nuru (zu einer ausführlichen Biographie siehe S. 254) wurde 1965 im östlichen Teil Kenias geboren, wuchs aber in Nairobi auf. Ihr Vater arbeitete als LKW-Fahrer, ihre Mutter war Rezeptionistin. Während Nurus Mutter zur katholischen Kirche gehörte, war ihr Vater Mitglied der African Inland Church. Beide Elternteile nahmen ihren Glauben sehr ernst, gaben dies jedoch nach Aussage Nurus nicht an die Kinder weiter. Nach Abschluss der Sekundarschule absolvierte Nuru bis 1986 eine Ausbildung als Krankenschwester. Sie erhielt eine Stelle an der kenianischen Küste, wo sie ihren zukünftigen Ehemann, einen Muslim, kennenlernte. Für die Heirat mit ihm konvertierte sie 1989 zum Islam. Ich lernte Nuru 2005 über den damaligen Gemeindesekretär in Kisumu kennen. Dort arbeitet sie inzwischen als Krankenschwester in einer von einer islamischen NGO finanzierten Klinik. Sie hat zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann in einer relativ gleichberechtigten Beziehung. Ihre Familie kann zur oberen Mittelschicht gerechnet werden. Maryam (siehe auch S. 265) wurde 1966 in Nairobi geboren und konvertierte 1988 aufgrund der Heirat mit einem Muslim zum Islam. Allerdings erzählte sie, sie habe sich schon vorher zum Islam hingezogen gefühlt. Ihre Mutter stammte aus Tansania, ihr Vater aus Malawi. Sie ist eines von 4 Kindern. Maryam schloss die Schule nach 13 Jahren ab und ging danach 2 Jahre aufs College. Dort wurde sie zur Fremdsprachensekretärin (Englisch/Französisch) ausgebildet. Bevor sie in Nakuru bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber anfing, war sie in Nairobi beim ›meteorological department‹ angestellt. Sie ist verheiratet und hatte 2004 drei Kinder, die zwischen 11 und 15 Jahre alt waren. Kennengelernt habe ich Maryam über den Vater einer Freundin, bei dem sie als Sekretärin arbeitete. Beim zweiten Treffen hatte sie ihren Mann Gamal mitgebracht, auch er ein Konvertit. Allerdings sprach sie bei diesem Treffen kaum. Talib konvertierte 2004, etwa ein Jahr vor unserem Kennenlernen, mit 22 Jahren zum Islam. Er wurde 1982 in einer armen Familie geboren. Seine Eltern waren Katholiken, gingen aber sehr selten zur Kirche. Seine Mutter starb früh, auch von seinen zehn Geschwistern sind vier bereits verstorben. Er ist der Jüngste von allen. Talib hat nur die Grundschule besucht, die er 1996 abschloss. Danach hatte er längere Zeit keine Arbeit. In dieser Zeit begann er Shotokan Karate zu trai-

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nieren. Vor einigen Jahren gewann er sogar die Silbermedaille bei nationalen Meisterschaften und ist nach wie vor aktiv. Zum Islam konvertiert sei er, da ein Freund ihn davon überzeugte habe. Nach der Konversion zum Islam begann er auf einer madrasa zu lernen, zuerst in Nairobi (finanziert von Nidal), später in Mumias und dann in Mombasa (finanziert von einem anderen Sponsor). Zur Zeit des Interviews plante er, seine islamische Ausbildung fortzusetzen. Auf jeden Fall wolle er auch heiraten. Es sei aber schwierig eine Arbeit zu finden, die gut bezahlt würde. Talib war einer der jungen Muslime, die in Nidals Moschee auf mich warteten. Er erschien in kanzu und kofia. Tariq wurde 1963 in Nakuru geboren. Seine Eltern sind Katholiken, gingen aber ebenfalls nicht regelmäßig in die Kirche. Nach der Sekundarschule besuchte Tariq ein College und studierte Elektrotechnik. 1987 fing er zunächst in Nairobi an, bei Kenya Railways zu arbeiten. Nach einem Jahr zog er zunächst nach Eldoret und drei Jahre später nach Nakuru. Dort erlebte er Anfang der 1990er Jahre eine Gruppe tansanischer Straßenprediger, die die Bibel und den Koran verglichen. In den folgenden zwei Monaten habe er viel in der Bibel gelesen, um deren Argumentation nachzuverfolgen und entschied sich dann dazu, zum Islam zu konvertieren. In der folgenden Zeit habe er sich intensiv mit dem Islam beschäftigt und sei dabei auf die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten gestoßen. Zwei Jahre nach seiner Konversion zum Islam wurde der dann mit 33 Jahren Schiit. Seine Frau konvertierte etwa ein Jahr nach ihm zum Islam. Seine Kinder, die zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens 7 und 12 Jahre alt waren, seien noch nicht alt genug, um sich zu entscheiden. Tariq ist mit Bilal befreundet und hat mit ihm zusammen versucht, eine Zeitung herauszugeben. Im Gegensatz zu ihm ist er inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann. Theresia (zu einer ausführlicheren Darstellung siehe S. 270) wurde 1945 in einem Dorf in der Nähe von Moshi geboren. Ihre Eltern waren kurz zuvor zum Christentum konvertiert. In ihrer Familie gab es acht Kinder, fünf gingen wie Theresia auf eine katholische ›primary school‹ und wurden katholisch, drei gingen auf eine lutherische Schule und wurden lutherisch. Durch ihre Heirat mit einem Muslim sollte Theresia zum Islam konvertieren. Sie fühlte sich damit aber nicht wohl und lebte lange Zeit gar keine Religion. Ende der 1970er Jahre bekam ihr Mann eine Stelle bei einer UN-Organisation in Nairobi. Dort ging sie zuerst in eine anglikanische, später wieder in eine katholische Kirche. Danach lebten sie einige Zeit in Mogadischu. Dort habe sie erlebt, dass Menschen gezwungen würden, zum Islam zu konvertieren. An diesem Punkt sei ihr klar gewesen, dass sie sich wieder ganz dem Christentum zuwenden wolle. In der folgenden Zeit

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kämpfte sie mit ihrem Mann um ihre Religionszugehörigkeit. Schließlich trafen sie die Vereinbarung, dass sie offiziell wieder in die Kirche gehen könne. Allerdings sind ihre Kinder Muslime geblieben. Theresia ist sehr aktiv in der Kirche, zum Beispiel arbeitet sie in einem ›prayer group committee‹ mit. Veronica wurde 1984 in Moshi geboren. 2004 besuchte sie bei Darweshi einen Kurs zur Vorbereitung einer Taufe. Ihre Mutter wurde als Christin geboren, wurde aber Muslima als sie einen Mann aus Tanga heiratete. Ihre Mutter starb sehr früh, so dass sie nun mit ihrem Vater und einer drei Jahre jüngeren Schwester zusammen lebte. Ihr Vater arbeitet in Arusha in einem Büro einer Bergbaufirma. 2002 musste sie die Sekundarschule aufgrund einer Krankheit vorzeitig verlassen. Als Kind hat sie eine madrasa besucht, in ihrer Familie sei der Islam richtig gelebt worden. Katholikin würde sie nun wegen ihrem zukünftigen Ehemann. Sie habe sich entschieden, seiner Religion zu folgen. In ihrer Familie seien alle damit einverstanden. Sie hätten zwar darüber diskutiert, aber schließlich beten sie alle zum gleichen Gott ›hamna shida‹ (kein Problem). Momentan arbeitet sie in einem kleinen Lebensmittelladen, den ihr zukünftiger Ehemann für sie eröffnet hat.

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ü eine Konvversion zum Islam Abbildungg 7: Zertifikat über

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Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen bedanken, die zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben. Zunächst gilt mein Dank allen, die durch das Lesen von Kapiteln, das Beantworten meiner Fragen und durch die Diskussion einzelner Thesen und Gedanken, Anteil an dieser Dissertation haben, insbesondere jedoch Britta Frede, Chanfi Ahmed, Katrin Bromber, Dyala Hamzah, Axel Harneit-Sievers, Axel Klein, Kai Kresse, Katharina Lange, Frauke Lehmann, Heike Liebau, Roman Loimeier, Hassan Mwakimako, Lutz Rogler, Donate Scharrer, Samuli Schielke und Katharina Zöller. Mein Dank geht darüber hinaus an alle noch nicht genannten Kollegen am Zentrum Moderner Orient, Berlin, und am Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin für die freundliche Aufnahme und die anregende Arbeitsatmosphäre. Vielen Dank auch allen Beteiligten am Doktorandenkolloquium für ihre wertvollen Anregungen und Hinweise. Insbesondere möchte ich mich bei meinen zwei Betreuern Prof. Dr. Ute Luig und Prof. Dr. Achim von Oppen bedanken, die mich während der gesamten Zeit begleitet und umfangreich unterstützt haben. Ein großer Dank für die ideelle, aber auch für die finanzielle, Unterstützung geht an das Evangelisches Studienwerk, das mich in der Phase der Niederschrift der Dissertation mit einem Stipendium unterstützte und an das Max-PlanckInstitut für ethnologische Forschung in Halle, das mir nicht nur weiterführende Forschungen, sondern auch die Publikation dieses Buches ermöglichte. Ein weiterer Dank gilt den vielen BibliothekarInnen, ohne die wissenschaftliches Arbeiten nur schwer möglich wäre. Vor allem bei den immer hilfsbereiten und freundlichen BibliothekarInnen am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin möchte ich mich bedanken. Schließlich möchte ich allen Gesprächs- und Interviewpartnern in Kenia und Tansania danken, die mich mit großer Freundlichkeit, zum Teil auch mit Neugierde, empfangen und aufgenommen haben.

Globaler lokaler Islam Schirin Amir-Moazami Politisierte Religion Der Kopftuchstreit in Deutschland und Frankreich 2007, 294 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-410-2

Sabine Berghahn, Petra Rostock (Hg.) Der Stoff, aus dem Konflikte sind Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2009, 526 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-959-6

Markus Gamper Islamischer Feminismus in Deutschland? Religiosität, Identität und Gender in muslimischen Frauenvereinen 2011, 354 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1677-4

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Globaler lokaler Islam Nilüfer Göle, Ludwig Ammann (Hg.) Islam in Sicht Der Auftritt von Muslimen im öffentlichen Raum 2004, 384 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-237-5

Abbas Poya, Maurus Reinkowski (Hg.) Das Unbehagen in der Islamwissenschaft Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien 2008, 336 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-715-8

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Gerdien Jonker Eine Wellenlänge zu Gott Der »Verband der Islamischen Kulturzentren in Europa« 2002, 282 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-933127-99-0

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Irka-Christin Mohr, Michael Kiefer (Hg.) Islamunterricht – Islamischer Religionsunterricht – Islamkunde Viele Titel – ein Fach? 2009, 240 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1222-6

Sigrid Nökel Die Töchter der Gastarbeiter und der Islam Zur Soziologie alltagsweltlicher Anerkennungspolitiken. Eine Fallstudie

Mechthild Rumpf, Ute Gerhard, Mechtild M. Jansen (Hg.) Facetten islamischer Welten Geschlechterordnungen, Frauen- und Menschenrechte in der Diskussion 2003, 319 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-153-8

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Georg Stauth Ägyptische heilige Orte I: Konstruktionen, Inszenierungen und Landschaften der Heiligen im Nildelta: ’Abdallah b. Salam Fotografische Begleitung von Axel Krause 2005, 166 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-260-3

2002, 340 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-933127-44-0

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