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German Pages 369 Year 1990
FRANZ WIESDERGER
Bausteine zu einer soziologischen Theorie der Konversion
Sozialwissenschaftliche Abhandlungen der Görres-Gesellschaft in Verbindung mit Martin Albrow, Cardiff · Hans Bertram, München· Karl Martin Bolle, München· Lotbar Bossle, Würzburg · Waller L. Bühl, München · Lars Clausen, Kiel · Roland Eckert, Trier · Friedrich Fürstenberg, Bonn · Dieter Giesen, Berlin · Alois Hahn, Trier · Robert Hettlage, Regensburg · Werner Kalteneiter, Kiel · Franz-Xaver Kaufmann, Dielefeld · Henrik Kreutz, Nürnberg · Heinz Laufer, München · Wolfgang Lipp, Würzburg · Thomas Luckmann, Konstanz· Kurt Lüscher, Konstanz· Rainer Mackensen, Berlin · Georg Mantzaridis, Thessaloniki · Norbert Martin, Koblenz · Julius Morel, Innsbruck · Peter Paul Müller-Schmid, Freiburg i. Ü. · Elisabeth Noelle-Neumann, Mainz · Horst Reimann, Augsburg · Walter Rüegg, Bern · Johannes Schasching, Rom · Erwin K. Scheuch, Köln · Gerhard Schmidtchen, Zürich · Helmut Schoeck, Mainz · Dieter Schwab, Regensburg · Hans-Peter Schwarz, Bonn · Mario Signore, Lecce · Josef Solaf, Brno · Franz Stimmer, Lüneburg · Friedrich H. Tenbruck, Tübingen · Paul Trappe, Basel · Laszlo Vaskovics, Bamberg · Jef Verhoeven, Leuven · Anton C. Zijderveld, Rotterdam · Valentin Zsitkovits, Graz Herausgegeben von Horst Jürgen Helle, München · Jan Siebert van Hessen, Utrecht Wolfgang Jäger, Freiburg i. Br. · Nikolaus Lobkowicz, München Arnold Zingerle, Bayreuth
Band 19
Bausteine zu einer soziologischen Theorie der Konversion Soziokulturelle, interaktive und biographische Determinanten religiöser Konversionsprozesse
Von
Franz Wiesherger
Duncker & Humblot · Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Wiesherger, Franz:
Bausteine zu einer soziologischen Theorie der Konversion:. soziokulturelle, interaktive und biographische Determinanten religiöser Konversionsprozesse I von Franz Wiesbergero - Berlin: Duncker Uo Humblot, 1990 (Sozialwissenschaftliche Abhandlungen der Görres-Gesellschaft; Bdo 19) Zugl.: München, Univo, Disso, 1989 ISBN 3-428-06854-8 NE: Görres-Gesellschaft zu Pflege der Wissenschaft: Sozialwissenschaftliche Abhandlungen der 0
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Alle Rechte vorbehalten
© 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41
Druck: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0935-4999 ISBN 3-428-06854-8
Vorbemerkung Diese Arbeit wurde im Wintersemester 1988 I 89 mit dem Titel 'Soziokulturelle, interaktive und biographische Determinanten religiöser Konversionsprozesse' als Inauguraldissertation an der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht Ich danke Herrn Professor Horst Jürgen Helle für seine Betreuung und Unterstützung sowie für sein Einverständnis zur Drucklegung der Dissertation. Ebenso danke ich den Verantwortlichen der Görres-Gesellschaft für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe 'Sozialwissenschaftliche Abhandlungen' und für die Gewährung eines Druckkostenbeitrags. Zu danken habe ich schließlich Frau Michitsch vom Verlag Duncker & Humblot für die vorbildliche Betreuung des Manuskripts. Franz Wiesherger
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion . . . . .. . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . .. . .. . . . . . .. . 1 1.1 Vorbemerkung........................................................................................... 1 1.2 Die späte Beschäftigung der Soziologie mit dem Thema 'Konversion'................... 5 1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung .............................................. 9 1.3.1 Das erste Paradigma der Konversionsforschung, die plötzliche Bekehrung'.... 9 1.3.2 Die Klassiker der religionspsychologischen Konversionsforschung ............. 11 1.3.3 Modifikationen des klassischen Konversionsmodells................................ l7 1.3 .4 Die Relativierung des Jarnesschen Paradigmas seit den fUnfziger Jahren ....... 19 1.3.5 Kritik des religionspsychologischen Konversionsbegriffs ..........................20 1.3.6 Die psychoanalytische Konversionsforschung .........................................23 1.3.6.1 Freuds Einschätzung von Religion und religiöser Konversion.......23 1.3.6.2 Psychoanalytische Konversionsforschung nach Freud..................25 1.3.6.3
Neuere psychoanalytische Arbeiten zum Thema Konversion .........28
1.3.7 Die Entstehung der 'Gehirnwäsche'·These ...................................... ........31 1.3.8 Die Entwicklung der soziologischen Konversionsforschung ...... ..... ... ........34 2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulte'......................37 2. 1 Theoretische Annahmen und empirische Belege für den Prozeß der 'erzwungenen Bekehrung' ................................................................... .....38 2. 1.1 llitons Modell der Gedankenreform ............... .......................................38 2.1.2 Singers Modell der 'coercive persuasion' ................................... ..... ........39 2.1.3 Qarks 'künstlich gesteuerter Wahnsinn' ........... ........................ ..... ........39 2.1.4 Auswirkungen der 'erzwungenen Bekehrung'...........................................40 2.1.5 Daten und Belege flir die Prozesse destrukliver Bewußtseinsveränderung.......42 2.2 Zur Kritik der 'zwanghaften Bekehrung' in destruktiven Kulten............................49 2.2.1 Der Mythos der Gehirnwäsche ..................................................... ....... .49 2.2.2 Das Verheimlichen der Gruppenzugehörigkeit seitens der Missionare ........ ..50 2.2.3 Plötzliche Bekehrung in sozialer Isolierung........................................... .50 2.2.4 Totale Abhängigkeit und gesundheitliche Schäden als Folge der zwanghaften Bekehrung ................................................ ... .51 2.2.5 Die neuen religiösen Gruppierungen als Gefahr fllr Jugend und Gesellschaft...... .... ............. .......... ... ............... ........... ....56 2.2.6 Zur Entstehung und Funktion des Mythos der'zwanghaften Bekehrung' ........................ .......................... ..............58 2. 2. 7 Gründe fUr die Akzeptanz der Gehirnwäsche-Metapher ................ ........ ......58 2.3 Zusammenfassung ............... .................................................. .................. ...61
Inhaltsverzeichnis
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3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsformen ........................ ..............62 3.1 Das Konversionsmodell von Lotland und Stark .................................. ..............63 3.2 Kritik am Konversionsmodell von Lotland und Stark ........................................67 3.2.1 Zur Problematik der Annahme von Spannungen als Ursache fUr Konversionen ..............................................................68 3.2.2 Einwände gegen die Kritik an 'Predisposing Conditions' und 'Tension' ........70 3.2.3 Zur Problematik des rekonstruktiven Charakters der Berichte von Konvertiten ...............................................................74 3.2.3.1 Argumente gegen die 'rekonstruktiven' Positionen......................79 3.2.3.2 Empirische Belege fl1r die Gllltigkeit der Tension-Hyp0these ........8l 3.2.4 Zur Bedingung von religiöser Problemlösungsperspektive und religiöser Sucherschaft ............................................................ .....86 3.2.4.1
Konversion und Disposition ............................................. .....87
3.2.4.2 Perspektiven und Konversionskarrieren ....................................88 3.2.4.3 Exkurs: Perspektiven und Konversionskarrieren beim Meher Baba Movement .................................................92 3.2.4.4 Die Rolle desreligiösen Suchers ..............................................96 3.2.5 Situational Contingencies ..................................................................98 3.2.5.1 Zur Problematik des Turning Point. ........................................98 3.2.5.2 Exkurs: Krisenerfahrung, Krisendefinition und Schlüsselerlebnisse ............................................................ 100 3.2.5.3 Affektive Beziehungen zum Kult .......................................... 102 3.2.5.4 Funktional äquivalente Kombinationen von Deutungskongruenz und affektiven Beziehungen .......... ............ 103 3.2.5.5 Exkurs: Beispiele experimenteller Formen der Alternation beim Tyus des religiösen Suchers ......................................... 104 3.2.5.6 Abschwächung der emotionalen Beziehungen zu Personen außerhalb des Kults ........................................... 107 3.2.6 Intensive Interaktion ........................................................................ 110 3.2.6.1 Die interaktionsorientierte Bekehrungsstrategie der Mormonen.... l11 3.2.6.2 Zur Kritik der Annahme von 'intensiver Interaktion' als notwendige und hinreichende Bedingung................................. 113 3.3 VernachlässigteDimensionen von Konversionsprozessen .................................. 114 3.3.1 Die aktive Rolle des Konvertiten ................................................. ...... 114 3.3.1.1 Kritik an der Perspektive von Straus ....................................... 117 3.3.1.2 Das Konversionsmodell von DowntonVersuch einer Synthese von Drift Konzeption und aktiver Rolle des Konvertiten ......................................... 117 3.3.1.3 Zum Stellenwert des Modells von Downton............................ 120 3.3.1.4 Exkurs: Drogenerfahrung als konversionsfördernder Faktor......... 120 3.3.1.5 Kritik am Modell von Downton ........................................... 122 3.3.2 Konversion undCharisma ................................................................. 123 3.3 .3 Konversion als Rollenübernahme ....................................................... 128 3.3.4 Konversion als Sozialisation ............................................................. 130
lnhaltsveneichnis
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3.3.5 'Patterns ofConversion' als Vermittlung von objektiven und subjektiven Momenten .................................................................. .. 133 3.3.5.1 lntellectual Conversion ......................................... ..... ....... .. 134 3.3.5.2 Mystical Conversion .......................................................... 135 3.3.5.3 3.3.5.4 3.3.5.5 3.3.5.6
Experimental Conversion .................................................... 136 Affectional Conversion ....................................................... 137 Revivalist Conversion ........................................................ 137 Coercive Conversion .......................................................... 138
3.3.6 Zur Problematik der Typologie von Lotland und Skonvod die Notwendigkeit der Entwicklung einer konversionsspezifischen Sozialisationstheorie als mögliche Lösung .................. ........................ 139 4. Konversion als Rekrutierungsprozeß .................................................................... 145 4.1 Strukturelle Verfiigbarkeit und Rekrutierungsformen ....................................... 145 4. 1. 1 Empirische Studien zu Rekrutierungsformen in religiöse Gruppierungen ... 146 4.1.2 Mängel der Konzeptionen von 'Rekrutierungsnetzwerken' ................ ....... 154 4. 1.3 Hintergrundannahmen der Theorien von Snow et al. und Stark/Bainbridge ... 157 4.2 Versuch einer Neukonzeption von 'structural availability' und 'social networks': Dimensionen der Erreichbarkeit ..................................... 160 4.3 Thesen zur Rekrutierung durch Netzwerke ..................................................... 162 4.3.1 Die Ausdifferenzierung von Netzwerken als Basis von Rekrutierung ......... 170 4.3.2 Beispiele flir mobilisierende Netzwerke ...... ... .. ................... ................. 172 4.3.2.1 Ein konversionsförderndes Netzwerk bei Rekrutierungsprozessen zur ISKCON .................................... 172 4.3.2.2 Konversionsfördernde Netzwerke am Beispiel der Neosannyas-Bewegung des Bhagwan Shree Rajineesh ............... 174 4.4 Rekrutierungskanäle als Funktion des Verhältnisses von religiöser Gruppierung und gesellschaftlicher Umwelt ..................................... 180
5. Organisationsentwicklung, Rekrutierung und Konversion
bei unkonventionellen religiösen Gruppierungen ....... ............................................ 182
5.1 Rekrutierung und Konversion bei den Zeugen Jehovas ..................................... 182 5.1.1 Beckfords Modell von Konversionsprozessen in das Watch Tower Movement. ..................................................... ............ 184 5.1 .2 Der kognitive Charakter der Konversion als 'gradual awakening'............... 186 5.1.3 Zusammenfassung .......................................................... ................ 188 5.2 Der Wandel von Rekrutierungsformen und Konversionsprozessen bei der Unification Church .......................... ........... 189 5.2.1 Die Biographie des Gt1inders und die Lehre der Unification Church ....... .... 189 5.2.2 Die Anfangsphase (1959-1965) .......................................................... 190 5.2.3 Die Umstellung der Missionierung von der spirituellen auf die utopisch-kommunale Thematik (1966-1971) ................. ....... ...... 192 5.2.4 Professionalisierung der Missionierungsstrategien (1971-1975)................ 192
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Inhaltsverzeichnis 5.2.5 Rekrutierungstechnik und Konversion in die U.C. seit1975 ................... 193 5.2.5.1 Die soziodemographische und sozialpsychologische Typik der Konvertiten in die U.C ................................................... 194 5.2.5.2 Erste Kontaktaufnahme ....................................................... 196 5.2.5.3 Initiierung der Sozialisation ................................................. 198 5.2.6 Zusanunenfassung .......................................................................... 204 5.3 Rekrutierungskanäle, Missionierung und Konversion bei der ISKCON ............... 205 .5.3.1 Weltbild und Lebensform der Krishna-Bewegung................................... 205 5.3.2 Die Biographie des Guru .................................................................. 207 5.3.3 Untersuchungen zur Entwicklung der ISKCON..................................... 208 5.3.3.1 Kritische VorbeiD!Ikungen zu den Analysen von Rochford und Shinn ..................................................... 209 5.3.3.2 Das Mehrerenen-Modell der Rekrutierung von Rochford............ 210 5.3.3.3 Demographische Merkmale der Konvertiten zur ISKCON .......... 211 5.3.3.4 Religiöser Hintergrund als Basis fUr Konversionen und Alternationen .............................................................. 213 5.3.4 Soziostrukturelle Konflikte als Basis fm Rekrutierungsprozessedie Entstehung der 'counterculture'...................................................... 214 5.3.4. 1 Drogen als konversionsffirdemder Faktor ................................ 216 5.3.4.2 Der mikrostrukturelle Ansatz der Konversionsforschung: Erreichbarkeit, Kontakt und Interaktion .......................... ........ 218 5.3.5 Entwicklung der ISKCON und Wandel der Rekrutierungsformen .............. 220 5.3.5.1 Erste Missionsversuche der ISKCON in New York ..... ............. 222 5.3.5.2 Erste Re.krutierung aus der 'counterculture' in San Francisco....... 222 5.3.5.3 Phase der Ausbreitung und Anpassung ................................... 223 5.3.5.4 Die Phase nach dem Tod des Gründers.................................... 223 5.3.5.5 Geschlechtsspezifische Re.krutierungs- und Konversionsformen... 225 5.3.5.6 Missionierungstechniken und Konversionen............................ 229 5.3.6 Konversion als Rollenübernahmedie Perspektive des konvertierenden Subjekts ........................................ 232 5.3.6.1 Krisen und Dekanversionen ................................................. 233 5.3.6.2 Zukünftige Entwicklungen der ISKCON ................................ 234 5.3.7 Zusanunenfassung .......................................................................... 236 5.4 Organisationsentwicklung und Rekrutierungsstrategien der Scientology Church ... 237 5.4.1 Der Werdegang von Ron Hubbard, dem Gründer der Scientology Church ... 237 5.4 .2 Die Entstehung der Dianetik .................................................. ........... 23 7 5.4.3 Die ersten Sozialstrukturen der dianeti.schen Bewegung: kultisches Milieu und Therapienetzwerke............................................. 238 5.4.4 Krise und organisatorische Wandlungen ............................................... 239 5.4.4.1 Soziodemographische und sozialpsychologische Merkmale der ersten Mitglieder der Dianetik-Phase ................................. 240 5.4.4.2 Struktur der Dianetik-Anhängerschaft und gesellschaftliche Reaktion .............................................. 242
Inhaltsverzeichnis
XI
5.4.5 Die 'Neue Lehre Scientology' ...................................................... ...... 242 5.4.5.1 Rekrutierung in der Scientology ........................................... 244 5.4.5.2 Einstellung und Krisen als Voraussetzungen von Konversionen ... 246 5.4.5.3 Methoden zur Festigung der neuen Realität ............................. 246 5.4.5.4 DerStatus des 'Clear'........................................................... 248 5.4.6 Zusammenfassung .......................................................................... 250
5.5 Organisationswandel und Wandel der Rekrutierungsstrategien bei der Transzendentalen Meditation ............................................................. 251 5.5 .1 Zur Entstehungsgeschichte der TJaJISzendentalen Meditation .................... 251 5.5.2 Entwicklungsphasen der TM-Bewegung in Amerika .............................. 252 5.5.2.1 Die spirituelle Phase 1959-1965 ........................................... 252 5.5.2.2 Die Phase der Konzentration auf Studenten und Gegenkultur ...... 253 5.5.2.3 Die säkulare Phase 1969-1976.......................................... .... 254 5.5.2.4 Die magische Phase ab 1976................................................ 257 5.5.3 Interne Rekrutierung, Ausbau der Hierarchie und ideologische Überhöhung als Problemlösung .................................... ... 259 5.5.3.1 Die Wirkungen des Siddha Programms................................... 261 5.5.3.2 Änderung der Zielgruppe ......................................... ............ 263 5.5.3.3 Die Entwicklung der TM in Deutschland ................................ 266 5.5.3.4 Die TM in der deutschen Öffentlichkeit. ................................. 267 5.5.4 Zusammenfassung .................................................................... ...... 268 5.6 Entwicklung von religiöser Gemeinschaft, Rekrutierungsformen und Konversionen beim 'Neo Sannyas International Movement' des Bhagwan Shree Raijneesh ..................................................................... 270 5.6.1 Die Biographie des Guru .................................................................. 271 5.6.1.1 Kindheit und Jugend ........................................................... 271 5.6.1.2 Phase der Krise und Erleuchtungseriebois ............................... 274 5.6.1.3 Raijneeshs Mißerfolg als Kulturrevolutionär........................... 275 5.6.1.4 Die Wandlung vom kulturkritischen Lehrer zum spirituellen Meister ................................. .................... 276 5.6.2 Konzentration auf westliche Anhängerschaft......................................... 277 5.6.2.1 Der Wandel von der spirituellen zur religiös-therapeutischen Bewegung ........................................ 278 5.6.2.2 Merlanale der Konvertiten um 1980 ...................................... 281 5.6.2.3 Demographische Merkmale der Sannyasin .............................. 282 5.6.2.4 Erfahrungen in Kindheit und Familie ...................... ............... 282 5.6.3 Analyse zehn eigenerzählter Konversionsberichte .................................. 283 5.6.3.1 Biographie Deuter .............................................................. 283 5.6.3.2 BiographieRabben ............................................................. 284 5.3.6.3 Biographie Winter .............................................................. 285 5.6.3.4 Biographie Vimalkirti, Prinz von Hannover ............................ 286 5.6.3.5 PremPrasad ...................................................................... 287
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Inhaltsverzeichnis 5.6.3.6 Biographie Ashita .............................................................. 288 . 5.6.3. 7 Biographie Sadhai1i ............................................................ 289 5.6.3.8 Biographie AltJnann ........................................................... 291 5.6.3.9 BiographiePetersen ............................................................ 291 5.6.3.10 Biographie Frank ............................................................... 292 5.6.4 Mobilisierungsphase und Drift durch verschiedene Lösungsperspektiven .... 293 5.6.4.1 Die soziale Situation vor da Konversion ................................. 294 5.6.4.2 GenerelleEinstellung daSannyasins ...................................... 296 5.6.4.3 Die Phase der Suche ........................................................... 297 5.6.4.4 Der erste Kontakt mit der Bhagwan Bewegung......................... 298 5.6.4.5 Therapeutische Methoden der Destruktion von personaler Identität ....................................................... 302 5.6.4.6 Die Konununale Phase ....................................................... 308 5.6.4.7 Krise in Amerika und letzte Wandlung der Bewegung................ 310 5.6.5 Zusanunenfassung ........................................................................ .. 310
6. Prozesse der Oe-Konversion .............................................................................. 312 6.1 Exiting: Die freiwillige Oe-Konversion ........................................................ 313 6.1.1 Soziale und affektiv geprägte Oe-Konversion ........................................ 313 6.1.2 Kulturelle und kognitive Dimensionen der Oe-Konversion ...................... 315 6. 1.3 Modifizierende Faktoren bei Oe-Konversionsprozessen ........................... 318 6.1.4 Gruppenspezifische Differenzen ......................................................... 320 6.2 Expulsion: Der Ausschluß durch die Gruppe.................................................. 323 6.3 Von außen veranlaßte freiwillige Oe-Konversion ............................................ 324 6.4 Unfreiwillige Oe-Konversion durch De-Programrnieren .................................... 324 6.5 Vergleich: Freiwillige und unfreiwillige Oe-Konversion .................................. 326 6.6 Zusammenfassung.................................................................................... 328 7. Fazit...................................................................................................... ....... 329 Literaturverzeichnis .............................................................................................. 335
1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion 1.1 Vorbemerkung Thema dieser Arbeit ist die soziologische Analyse religiöser Konversionen. In der Geschichte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema 'Konversion' läßt sich ein deutlicher Wandel in der Auffassung vom Wesen dieses Vorgangs feststellen. Von der Theologie übernahm die frühe amerikanische Religionspsychologie die 'paradigmatische' Form der paulinischen Bekehrung als leitende Perspektive der empirischen Konversionsforschung. Die Grundzüge des paulinischen Paradigmas wurden in den Jahrzehnten psychologischer Konversionsforschung durch die theoretischen Konsequenzen aus den empirischen Befunden relativiert.
Verstanden die Klassiker der Religionspsychologie Bekehrung noch als Vorgang psychischer Reifung, so wurde Konversion unter dem Einfluß psychoanalytischer Theorie als Prozeß pathologischer Regression interpretiert. Soziale Faktoren von Konversionsprozessen werden erstmals in Theorien der erzwungenen Bewußtseinsveränderung thematisiert. Die dabei vertretene Auffassung von Konversion als Manipulation verdankt ihre Entstehung einem außerwissenschaftlichen Impuls: der ideologischen Auseinandersetzung mit dem totalitären Weltbild des Kommunismus. Nicht mehr Gnade, Reifung oder Regression als Anstoß innerpsychischer Wandlung, sondern die psychische oder physiologische Manipulation des Bewußtseins einer Person durch soziale Techniken war die grundlegend neue 'Entdeckung'. Vertreter der Soziologie befaßten sich erst seit Mitte der sechziger Jahre in größerem Umfang mit der Thematik religiöser Konversion: Mit der paradigmatischen Arbeit von Lofland und Stark kamen in der Konversionsforschung erstmals sozialpsychologische und mikrosoziologische Aspekte des Phänomens zum tragen. Das Modell von Lofland und Stark war leitende Perspektive in einer neuen Phase intensiver empirischer Konversionsforschung. Das plötzliche starke Interesse vieler Sozialwissenschaftler an religiöser Konversion wurde durch außerwissenschaftliche Entwicklungen verursacht. Die Resultate der empirischen Forschung führten schließlich zu einer Relativierung des Modells von Lotland und Stark. 'Konversion' wurde nun als Sammetbezeichnung für eine Anzahl sehr heterogener Prozesse verwendet. Die Verschiedenartigkeit dieser Entwicklungen erschien als das Resultat unterschiedlicher sozialpsychologischer Vorausset-
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1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
zungen bei verschiedenen Typen von Konvertiten sowie den unterschiedlichen Intentionen religiöser Gruppierungen. Auch die in der soziologischen Analyse bis dahin vernachlässigten Phänomene sozialer Netzwerke und spezifischer subkultureilen Milieus als mobilisierende Faktoren bei Konversionen kamen nun ins Blickfeld der Forschung. In dem Maße, in dem sich die Entwicklung der Sicht von Konversion als rein innerpsychischen Vorgang hin auf Einflußfaktoren demographischer, sozialpsychologischer und gruppenspezifischer Art erweiterte und sich damit eine endgültige Trennung von der Vorstellung eines autonom ablaufenden innerpsychischen Vorgangs als zentralem Moment von Konversion, wurde auch der Beitrag des kQnvertierenden Individuums als ein seine Wandlung aktiv vollziehendes Subjekt erkennbar. Allerdings steht die Theoriebildung bei dem Versuch, die empirisch ermittelten differierenden Typen religiöser Konversion über die mikrosoziologische Ebene hinaus in einen systematischen Bezug zu verschiedenen kulturellen, sozialen und historischen Entwicklungen zu bringen, noch in den Anfängen. Der Argumentationsgang dieser Arbeit ist der wissenschaftlichen Entwicklung der Konversionsforschung analog aufgebaut, versucht aber, in der kritischen Auseinandersetzung mit den aktuellen Konzepten über den gegenwärtigen Stand der Theoriebildung hinauszukommen und systematische Bezüge zwischen biographischen, interaktiven, soziokulturellen und historischen Dimensionen von Konversionsprozessen herzustellen. Von der Darstellung der Anfänge der religionspsychologischen Forschung verfolgt die Argumentation die Relativierung des 'paulinischen Paradigmas' über die Entstehung des Gehirnwäschemythos zum ersten eigentlich 'sozialpsychologischen' Modell der soziologischen Konversionsforschung. Anband der Analyse und der Auseinandersetzung mit den aktuellen Versuchen der Kritik und Modiflkation dieses Modells führt der Argumentationsgang über die sozialpsychologische Ebene hinaus und bezieht historische, kulturelle und soziale Strukturen und Prozesse in die Analyse ein: Mit der Dimension der Rekrutierung in Kapitel 4 wird die Funktion sozialer Netzwerke bei Konversionsprozessen untersucht, wobei nach einer kritischen Auseinandersetzung mit den herrschenden Netzwerkkonzepten der Konversionsforschung eine Modiflkation dieser Ansätze versucht wird. Im fünften Kapitel werden die historischen und soziokulturellen Bedingungen bei Entstehung und Entwicklung von sechs religiösen Gruppierungen analysiert. Die Untersuchungen der einzelnen Gruppierungen sollen die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und religiöser Gruppierung, den daraus resultierenden Einfluß auf den Charakter der Gruppe und damit auf die Rekrutierung spezifischer Zielgruppen sowie auf die Form der Konversion verdeutlichen. Die Ergebnisse der Analysen des 5. Kapitels ermöglichen es schließlich, die im Verlauf der Argumentation durch den stetigen Einbezug neuer, umfassen-
1.1 Vorbemerkung
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derer Einflußebenen entstandene Komplexität an unterschiedlichen Typen von Konversionsprozessen auf einige für die gegenwärtige soziale Realität bedeutsame Typen zu reduzieren. Familiale Sozialisation und biographische Entwicklung einer Person in verschiedenen sozialen Milieus bis hin zur Konversion werden zu den jeweiligen Angeboten der untersuchten Gruppierungen in Bezug gesetzt. Dabei lassen sich im wesentlichen drei Formen von Angeboten ausmachen, denen auf Seite der Konvertiten drei unterschiedliche Bedürfnislagen entsprechen: Theistische Gruppen aktivieren und transformieren im Prozeß von Rekrutierung und Konversion traditional-religiöse Wertmuster auf der Basis von Diskrepanzerlebnissen der potentiellen Konvertiten. Gruppen der 'Selbstvergötüichung' rekrutieren, legitimiert durch das moderne Wertmuster 'Wissenschaftlichkeit' in einem zweistufigen Prozeß gesellschaftskonforme Personen auf der Basis von Diskrepanzerlebnissen zwischen Karriere- und Aufstiegshoffnungen und den Schwierigkeiten ihrer Realisierung. Die untersuchte Gruppe vom Typus der Selbsterlösung legitimiert ihr Angebot durch das Charisma des erleuchteten Lehrers und einer Synthese aus Mystik, Weisheitslehren und moderner humanistischer Psychologie. Rekrutierung und Konversion basieren auf einem Erklärungs- und Lösungsangebot der von der Zielgruppe erfahrenen Sinn- und Identitätskrisen. Die Analyse der Entwicklung späterer Konvertiten, von familialer Sozialisation über Schule und Ausbildung und der Mobilisierungsphase vor der Konversion, macht auch einige empirienahen Aussagen über Einflußfaktoren kulturellen und sozialen Wandels auf Prozesse der Konversion sowie über mögliche kulturellen Folgen einer großen Anzahl von Konversionskarrieren möglich. Dies wird im letzten Kapitel der Arbeit versucht. Bevor nun die Entwicklung der Konversionsforschung dargestellt wird, ist noch zu klären, was genau unter Konversion verstanden werden soll. Bis in jüngster Zeit wurde soziologische Konversionsforschung betrieben ohne klar umrissenen Begriff dessen, was Konversion eigentlich bedeutet. Diese Konfusion hatte seinen Grund in der allmählichen Relativierung des paradigmatischen Modells von Lotland und Stark, ohne daß schließlich an dessen SteUe ein neues Paradigma getreten wäre. So läßt sich der Gehalt des zentralen Begriffs der Konversionsforschung nur grob umreißen. Der psychologische Konversionsbegriff stellt die grundlegende Wandlung der personalen Struktur, ob als Reifung oder Regression, als zentrales Moment von Konversion dar. Der soziologische Begriff von Konversion betont dagegen den Wandel von Weltanschauung, Selbstbild, sozialer Identität und Lebenspraxis sowie den Wechsel von Bezugsgruppen und formalen Mitgliedschaften. Der Bedeutungskern aller Verwendungen des Begriffs Konversion ist ein radikaler Wandel, der ursprünglich als plötzliches Ereignis konzipiert, später überwiegend als kontinuierlicher Prozeß mit Vorbedingungen, Krisenphase und dem eigentlichen Wandlungserlebnis interpretiert wurde. Allerdings war und ist un-
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1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
klar und variiert denn auch von Autor zu Autor, 'wieviel' Wandel erforderlich ist, um von Konversion im Gegensatz zu sonstigen Formen von Entwicklungsprozessen zu sprechen. Um den unterschiedlich weit reichenden Formen und d,e n verschiedenen Richtungen von Wandlungsprozessen begrifflich Rechnung zu tragen. wurden Konversion von Alternation, Konsolidation und regenerativer Bekehrung unterschieden. So nützlich diese Differenzierung auch sein mag. so stellt sich doch das Problem der Abgrenzbarkeil dieser unterschiedlichen Formen (vgl. Kap. 3). Problematisch ist hier auch die Rolle der unterschiedlichen Perspektiven. die bei allen Bekehrungsprozessen eine konstitutive Rolle spielen: die Sicht des Konvertiten, die Perspektive der alten und neuen sozialen Umgebung und schließlich die Perspektive des untersuchenden Wissenschafters. So werden in dieser Arbeit Formen des Wandels dargestellt, die der Konvertit als kleinen Schritt empfindet, während sie der alten sozialen Umwelt dagegen als plötzlicher und radikaler Umbruch erscheinen. Andere Entwicklungen, die nach Meinung des Konvertiten gewaltige personale Änderungen bedeuten. stellen für den beobachtenden Wissenschaftler und die konventionelle soziale Umwelt lediglich einen Statuswechsel im hierarchischen Gefüge einer Gruppe dar. Die unterschiedlichen Perspektiven von 'Akteuren' und 'Publikum' sind in ihrer Konsequenz für Einstellung und Verhalten oft formender Bestandteil des Wandlungsprozesses selbst. Mit Snow und Machalek (1984) kann man den soziologischen Aspekt von Konversion als Wechsel des Diskursuniversums definieren, ein Wechsel, der bedeutsame Änderungen in der Weltanschauung einer Person, ihrer personalen und sozialen Identität, ihrer Lebenspraxis sowie eine neue. für die Person in zentraler Weise bedeutsame Bezugsgruppe beinhaltet. Die Bezugsgruppe ist in der Regel eine reale soziale Gruppe. Aber auch ideale Bezugsobjekte können die Basis von Konversionen darstellen. Formale Mitgliedschaft ist häufige Begleiterscheinung. aber weder notwendige noch hinreichende Bedingung für Konversion. Die Fälle instrumenteller Übernahme der Mitgliedsrolle ohne Einstellungswandel dürften nicht selten sein, ebenso können Fälle von grundlegendem Einstellungswandel ohne die Übernahme einer expliziten Mitgliedsrolle, verkörpert in der Rolle des Sympathisanten, auftreten. Schließlich stellt sich das Problem der empirischen Indikatoren für eine Konversion: Da fonnale Mitgliedschaft ebensowenig wie demonstrative Ereignisse, wie z.B. ein Bekehrungserlebnis oder demonstrative Äußerungen, wie Bekenntnisse, Änderung des Äußeren, eindeutige Kriterien für einen Wandel der Einstellung darstellen, bieten nur dauerhafte Verhaltens- und Einstellungsänderungen zuverlässige Hinweise für eine Konversion. So läßt sich ein Wandel in der Weltanschauung an einer dauerhaften Änderung von verwendeter Begrifflichkeit und gewandeltem Sprachverhalten ablesen. Auch müssen Änderungen in der Alltagspraxis, wenn vom neuen Weltbild gefordert, tatsächlich vollzogen
1.2 Die späte Beschäftigung der Soziologie mit dem Thema 'Konversion'
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werden, wenn aus dem 'verbalen' ein 'tolaler' Konvertit werden soll. Wechsel im sozialen Kontakt bzw. die zentrale Orientierung an einer neuen 'Bezugsgruppe sind ebenfalls empirisch feststellbare Indikatoren. Für die wissenschaftliche Methodik ergibt sich aus den genannten Indikatoren, daß vor allem die Methode des verstehenden Zugangs zum Forschungsgegenstand gewählt werden muß. Da Konversion in vielen der im folgenden dargestellten Arbeiten auf sehr unterschiedliche Formen personaler Entwicklungen angewendet wird, erfolgt der Gebrauch dieses Terminus auch in meiner Argumentation notgedrungen oftmals sehr oberflächlich für Prozesse, die präziser als Alternation, probeweise Rollenübernahme, Gruppenanschluß, Bekehrung u.a. bezeichnet werden müßten. Da aber ein Überbegriff für diese unterschiedlichen Formen des Wandels fehlt, wird Konversion oftmals als Sammelbezeichnung für Prozesse verschiedener Intensität und Reichweite verwendet. Ich hoffe aber, in allen Fällen, bei denen die Differenzen für die Argumentation bedeutsam werden, den vagen Begriff 'Konversion'durch eine genauere Bezeichnung ersetzt zu haben. Diese Arbeit beschäftigt sich überwiegend mit religiöser Konversion, also mit Wandlungen von Weltanschauungen und Verhaltensmustern, bei denen außeralltägliche und überweltliche Deutungsmuster eine zentrale Rolle spielen. Denkbar wären ähnliche Überlegungen zu politischen Konversionen·oder anderen grundlegenden Wandlungen nichtreligiöser Art. Eine Soziologie der Konversion könnte für die Religionssoziologie einen Beitrag zur Analyse der Entstehung neuer Formen von Religiosität und der Entwicklungslogik religiöser Gruppierungen leisten. Für die Soziologie als Gesellschaftswissenschaft könnte eine Theorie der Konversion einen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten, wie Individuen in modernen Gesellschaften, bei tiefgreifenden Erschütterungen ihrer Deutungsmuster, personale und soziale Identität zu verändern und in einer neuen Sinnwelt zu stabilisieren suchen.
1.2 Die späte Beschäftigung der Soziologie mit dem Thema 'Konversion' Religiöse Konversion wurde zum Thema der Erfahrungswissenschaften erst um die Jahrhundertwende in Amerika. Dort wurde sie bis in die frühen dreißiger Jahre fast ausschließlich innerhalb der Religionspsychologie abgehandelt. Gegen Ende dieses Jahrzehnts erlischt das psychologische Interesse an Konversion, abgesehen von einigen psychoanalytischen Arbeiten, die in den dreißiger und vierziger Jahren geschrieben werden, weitgehend'· In den fünfzig er 1 Daß die Psychoanalyse sich zu dieser Zeit weit intensiver als die Religionspsychologie mit dem Phänomen der Konversion befaßt liegt m.E. an zwei Gründen: Zum
6
1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
Jahren tritt wieder ein verstärktes Interesse an Bekehrungen auf. Ausgehend von dem Phänomen 'erzwungener' politisch-weltanschaulicher Bekehrungen an kriegsgefangenen amerikanischen Soldaten während des Koreakriegs werden Theorien zu Techniken der 'Gehirnwäsche' populär. Diese Theorierichtung ist bis in die Gegenwart aktuell geblieben. Erst seit Mitte der sechziger Jahre schließlich lcann von einer nennenswerten soziologischen Konversionsforschung gesprochen werden. Die neuere soziologische Konversionsforschung verdankt ihren Gegenstand, ihren Aufschwung und ihre Erkennblisse dem Phänomen der 'neuen religiösen Bewegungen': So zeigt die 1982 von Rambo veröffentlichte Bibliographie zur Konversionsforschung, daß 62% der dort aufgeführten Arbeiten nach 1973 erschienen sind. Die übrigen 38% reichen zurück bis zur klassischen Schrift der amerikanischen Religionspsychologie, zu William James 1902 erschienenen 'Varieties of Religious Experience'. Die bei L. Rambo aufgeführten soziologischen Arbeiten zum Thema 'religiöse Konversion' datieren mit drei Ausnahmen (K. Land und G.E. Lang 1961, D.J. Nash und P.L. Berger 1962, K.H. Wolff 1962) alle nach der für die soziologische Konversionsforschung paradigmatischen Arbeit von Lofland und Stark aus dem Jahr 1965. Auch die von Beckford und Richardson 1983 herausgegebene Bibliographie weist von den 145 aufgeführten soziologischen Arbeiten zum Thema religiöser Konversion 95% als nach 1973 erschienen aus. Seit 1983 reduziert sich die Zahl der soziologischen Veröffentlichungen zum Thema religiöse Konversion deutlich. 1984 und 1985 erscheinen drei, die Ergebnisse der etwa fünfzehnjährigen Forschungsaktivität zusammenfassende Arbeiten: die interaktionistisch angelegte Interpretation von Greil und Rudy (1984), die entscheidungstheoretischen Ausführungen von Gatrell und Shannon (1985) und schließlich der Überblick von Snow und Machalek (1984), in dem die Ergebnisse und ungelösten Probleme der soziologischen Konversionsforschung dargestellt werden. Gegenwärtig (1988) finden sich einige wenige Arbeiten zur Thematik der 'Defection' oder 'Oe-Konversion', d.h. zu den Prozessen, die zum Verlassen einer religiösen Sinnwelt führen. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß gegenwärtig die Phase der empirischen soziologischen Konversionsforschung zu Ende geht, ohne daß bis jetzt der Versuch einer umfassenden Aufarbeitung der gewonnenen Ergebnisse unternommen wurde. Dieser Versuch wird mit der vorliegenden Arbeit gemacht ersten war die Psychoanalyse eine noch junge Disziplin, die in den dreißiger Jahren daran ging, alle Bereiche menschlichen Handeins von ihrer Perspektive her zu deuten. Zum zweiten unterliegt die arnerikanische Gesellschaft dieser Zeit, zumindest im Bewußtsein der Sozialwissenschaften, einem Säkularisierungsschub. In diesen Trend paßt das Bemühen der Psychoanalyse, individuelles religiöses Erleben als 'regressiv' auszuweisen.
1.2 Die späte Beschäftigung der Soziologie mit dem Thema 'Konversion'
7
Warum hat sich die Soziologie erst in den letzten beiden Jahrzehnten intensiver mit dem Phänomen der Konversion beschäftigt und dieses Gebiet im wesentlichen der Psychologie und der Psychoanalyse überlassen? Ich sehe hierfür folgende Gründe: 1. Bis Mitte der fünfziger Jahre wurden Konversionen fast ausschließlich unter der klassischen 'paulinischen' Perspektive2 betrachtet. Diese Sicht ließ den Gegenstand für eine soziologische Fragestellung ungeeignet erscheinen. Erst die Diskussion um die Gehirnwäsche Mitte der fünfziger Jahre machte, wenngleich in mystifizierender Form, die soziale Dimension bei der 'Herstellung' von Bekehrungen deutlich.3 2. Die meisten amerikanischen Soziologen sahen bis Anfang der sechziger Jahre die Soziologie4 als aktives Moment des Prozesses der Säkularisierung und Rationalisierung.s Die Auseinandersetzung um das 'Religious 2
Vgl. Kapitel 1.
3 Vgl. Kapitel2. Der Mythos der Gehirnwäsche spiegelt zwei Grundströmungen des damaligen Zeitgeistes wieder: den kalten Krieg mit der Dämonisierung des kommunistischen Gegners (als untermenschlich und übermächtig) und den ungebrochenen Fortschrittsglauben der schrankenlosen Beherrschbarkeit, d.h. Manipulierbarkeil von Natur und Mensch wieder. 4 Vgl. Hadden 1987, S.592 ff., der nachweist, daß die überwiegende Mehrzahl der amerikanischen Soziologen der ersten und zweiten Generation areligiös waren. Sie ignorierten die Religion wie E.A. Ross oder beklagten einen 'culturallag' bei 'noch' exisitierenden Formen religiösen Lebens in Amerika, wie H.E. Bames 1936 (vgl. Hadden, S.593). Für die meisten amerikanischen Soziologen dieser Zeit war Religion kein Gegenstand, der ihnen der wissenschaftlichen Erforschung wert zu sein schien. Religion trug nichts mehr zur Entwicklung der Gesellschaft bei und unterlag dem Prozeß der Säkularisierung, der für so selbstverständlich gehalten wurde, daß auch er nicht mehr genauer erforscht werden mußte. Noch G. Allport, J. Fichterund M . Yinger schrieben in den vierziger und fünfziger Jahren lange Einleitungen zu ihren empirisch-religionssoziologischen Arbeiten, in denen sie die empirische Erforschbarkeil von Religion zu belegen suchten. Nach dem zweiten Weltkrieg erlebte Amerika ein 'religious revival', eine Wiederbelebung, der als erster Soziologe G. Lenski 1961 Rechnung trug. Die oben skizzierte Richtung der Soziologie steht durch die Gedanken der unausweichlichen Säkularisierung und Rationalisierung von Gesellschaft in der Tradition Webers ohne allerdings seine ambivalente Sicht der Modeme zu teilen. Die Durkheimsehe Tradition (z.B. Bellah und Parsons) sah in den fünfzigerund frühen sechziger Jahren einen grundlegenden Wertekonsens als gegeben an. Abweichende Sinnwelten trugen dysfunktionalen, sozialpathologischen Charakter. Konversionen in diese alternativen Realitäten konnten nur durch persönliche Pathologie (Sozialisationsdefizite bei Parsons) erklärt werden. Mit dem Prozeß der rapiden Pluralisierung seit Mitte der sechziger Jahre wird von dieser Seite eine Kulturkrise postuliert. Konversionen in alternative Sinnwelten werden in der Regel nur als Krisenphänomene thematisiert.
s Beide obengenannten Entwicklungen beginnen Mitte bis Ende der sechziger Jahre. In diesen Zeitraum fällt auch der Beginn der 'Jugendrevolte', die wiederum den Anstoß für das rasche Anwachsen der neuen religiösen Bewegungen bildete.
1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
8
Revival' nach dem zweiten Weltkrieg erschütterte ersunals die bis dahin als fraglos gültig angenommene Säkularisierungsthese. 3.
Mit dem Verblassen des Fortschrittsmythos6 Ende der sechziger Jahre wurde naturwissenschaftlich-technische Rationalität gesellschaftlich-praktisch und durch interaktionistische und ethnomethodologische Strömungen innerhalb der Soziologie theoretisch relativiert. Fremde Sinnwelten und Konversionen in diese Welten traten nun als würdige Objekte der Forschung in den Blick.
4.
Durch das Anwachsen der neuen religiösen Bewegungen sehen sich ab Anfang der siebziger Jahre junge Studenten und Sozialwissenschaftler mit dem Phänomen der Konversion in ihrer eigenen Generation, oft sogar in ihrem eigenen Bekanntenkreis, konfrontiert.7
Die theoretische Basis und leitende Perspektive für das neu entstandene Interesse der Soziologie an Konversionsprozessen bilden die beiden Arbeiten von Lofland und Stark 1965 und Lofland 1966. Allerdings bleibt dieses Modell, das in vielen Fällen unkritisch als Ordnungsschema für erhobene Daten benutzt wurde, anstatt jeweils selbst einer empirischen Überprüfung unterzogen zu werden, wie schon oben angeführt, in einigen impliziten Grundannahmen dem klassischen Konversionsmodell verpflichtet. Eine ausführliche Darstellung, Kritik und Modifikation dieses Modells wird in Kapitel 4 'Konversionsprozesse- Voraussetzungen und Verlaufsformen' geleisteL
Die theoretische Entwicklung von der klassischen Perspektive religionspsychologischer Konversionsforschung bis hin zur Theorie der 'zwanghaften Bekehrung' bildet das Thema der folgenden Abschnitte dieses Kapitels. Darstellung und Analyse dieser Positionen ist notwendig, da: I.
die in diesen Modellen angelegten Vereinfachungen und Mystiftzierungen auch heute noch im wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen
6 Unter Fortschrittsmythos werden die mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt einhergehenden überzogenen Hoffnungen quasi-religiöser Art verstanden. Beispielhaft dafür ist die 1965 erschienenene Schrift des Futurologen Kahn, der u.a. die Probleme von Überbevölkerung, Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen in einem Zeitraum von zwanzig Jahren (also bis 1985) bewältigt sieht und eine Art irdisches Paradies voraussagt.
Vgl. Hadden 1987, S.604. Damit einhergehend ergab sich ein Wandel: 1. in der Methodik, von der quantitativen zur qualitativen Sozialforschung auf der Basis teilnehmender Beobachtung. 2. Diese Verlagerung der Methodik veränderte auch zunehmend den Schwerpunkt der Forschung weg von der an den Ursachen orientierten Forschung, 'warum konvertiert eine Person' hin zur Frage 'wie es geschieht'. 3. Daß diese Beobachtung problemlos eher von Altersgenossen der Studienobjekte vollzogen werden konnte und auch wurde, weist darauf hin, daß zudem ein Generationenwechsel bei den Sozialforschern stattfand (vgl. Richardson 1985, S.168). 7
1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung
9
Bereich nachwirken (man denke an die Gehirnwäsche- und Deprogrammierungsdebatte in den Vereinigten Staaten Anfang der achziger Jahre); 2.
auch in dem für die soziologische Konversionsforschung paradigmatischen Modell von Lofland und Stark Annahmen der 'klassischen' Perspektive eingegangen sind, die eine zureichende Analyse von Konversionsprozessen verhindern.
1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung 1.3.1 Das erste Paradigma der Konversionsforschung, die 'plötzliche Bekehrung' Die christliche Theologie beschäftigt sich seit ihren Anfängen mit dem Phänomen der Konversion unter dem Blickwinkel von Bekehrung und Heilsfindung, bei der vor allem die für die christliche Heilsgeschichte zentrale Wandlung des Saulus zum Paulus als prototypisch gelten kann. Die formale Struktur dieser Konversion bildet auch das Paradigma der erfahrungswissenschaftliehen Konversionsforschung, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts überwiegend aus psychologischer bzw. psychoanalytischer Sicht betrieben wurde. Konversion bedeutet gemäß dieser Struktur einen radikalen persönlichen Wandel, der folgende Aspekte impliziert: 1.
Ausschlaggebend sind die innerpsychischen Erlebnisse des Konvertiten.
2.
Das Erleben der Wandlung tritt plötzlich und unvorhersehbar ein, es trägt übernatürliche (außeralltägliche) Züge. Der Anstoß zum Erlebnis wird als von einer äußeren Instanz kommend erfahren.
3. 4.
Die Rolle des Erlebenden ist vollständig passiv, er gibt seinen eigenen Willen auf.
5.
Durch das Erleben einer höheren Wirklichkeit wird jeder Zweifel ausgeschaltet. Die so gewonnene, bedingungslose Gewißheit führt zu einer radikalen Wandlung von Weltsicht und Lebensführung, ein 'neuer Mensch' ist entstanden.
6.
7. 8. 9.
Damit geht die Glaubensänderung der Verhaltensänderung voraus. Der Wandel ist eindeutig positiv zu bewerten, er ist der Weg zum Heil. Der Wandel ist lange andauernd bzw. nicht rückgängig zu machen, d.h. die Konversion ist ein einmaliges, das ganze Leben hindurch wirksames Ereignis.
10
1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
10. Der Glaube bleibt Wl.verändert Wld determiniert das weitere Verhalten, das nWl ganz auf den Heilsweg ausgerichtet ist 11. Der Konvertit beginnt selbst zu missionieren. Dabei kann der Konvertit Anhänger gewinnen, die selbst kein außeralltägliches Heilserlebnis erfahren müssen. Sein ZeugnisS reicht aus. Auch im christlichen Kontext ist also eine aprupte, mystische Form9 der Konversion und die stetige BekehrunglO durch Lernen am Beispiel vorgezeichnet. Die stetige Form der Bekehrung wird mittels Überzeugung durch das Beispiel und die Rede des Missionars eingeleitet. Prägenden Einfluß auf die klassische Konversionsforschung übte die paulinische Form der Konversion aus.
Die Entwicklung der psychologischen, und vor allem der soziologischen Konversionsforschung, kann als schrittweise Relativierung der formalen Struktur dieses Modells gesehen werden. Den beiden Formen der plötzlichen bzw. stetigen Heilsfindung entsprechend fmden sich in der christlich-theologischen Tradition spiegelbildlich zwei Varianten des Weges ins Verderben: die dämonische Besessenheit und die Verführung durch den Widersacher.l 1 Die säkularisierte Variante der Metaphern 'Besessenheit' und 'Verführung' findet sich in den Theorien der 'Gehirnwäsche' wieder.
8 'Zeugnis' bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur der Inhalt der Predigt, sondern das gesamte Verhalten des Missionars, der als Modell des 'neuen Menschen' fungiert. 9 Diese Form der Bekehrung ist nun weder als einzigartiges, nur dem Saulus widerfahrenes Erlebnis, noch als reines Produkt der Theologie auf der Basis der Berichte des Paulus zu verstehen. Zur Zeit der Bekehrung des Apostels war 'mystische Konversion' ein geläufiges Erlebnismuster im religiösen Leben der städtischen Zentren des römischen Reichs (vgl. Kee 1982, S.79 ff.). 10 Augustinus jahrelanger Entwicklungsprozeß hin zum Christentum kann als stetige, intellektuelle Form der Konversion gesehen werden. Da seine Mutter dem christlichen Glauben angehörte, scheint seine Bekehrung zum Christentum den Charakter der Rückkehr zu tragen. Vgl. die 'Confessiones' des Augustinus. Auch Johnson und Malony (1982) kommen in ihrer zusammmenfassenden Darstellung der Konversion zum Christentum nach den Schriften des neuen Testaments und der Apostelbriefe zu folgendem Schluß: "Conversion involves a turn of the part of a person to God. The preconversion condition differs from person to person, but the Bible gives certain factors that are involved in the awakening of the person to his/her need. These are the work of the Holy-Spirit and the exposure of the person to the Word ofGod (the Scriptures). Conversion is accompanied by repentance (a change of mind toward God and sin) as weil as faith (a surrender to Jesus Christ). The turn may be either sudden with great emotion (the jailer at Philippi) or gradual with no great emotion." 11 "So unterscheidet Origenes zwei Arten von Besessenheit, die totale der Energumenen, die den Menschen seiner Sinne beraubt, und die partielle, in der der Mensch zwar vom Teufel verführt wird, aber Verstand und Sinne behält" (Haag 1980, S.393).
1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung
11
1.3.2 Die Klassiker der religionspsychologischen Konversionsforschung Der erste amerikanische Gelehrte, der systematische Beobachtungen und Analysen zum Phänomen religiösen Erlebensund religiöser Konversion unternahm, war wohl Jonathan Edwards, Philosoph und Theologe, bis 1758 Präsident der Princeton University. Als Geistlicher der Presbyterian Church von Amerika erlebte er zwei wichtige religiöse Erneuerungsbewegungen in den Jahren 1734 und 1740. Er veröffentlichte über diese, von ihm sorgflUtig beobachteten Vorgänge, zwei Arbeiten. Gemäß der damals noch nicht vollzogenen Trennung von Philosophie und Psychologie thematisierte Edwards das Ergebnis von genauer Beobachtung und Introspektion in der Terminologie der Bewußtseinsphilosophie seiner Zeit.l2 Edwards Werk blieb mehr als ein Jahrhundert fast unbeachtet, bis 1882 Stanley Hall in seiner Arbeit 'The Moraland Religious Training of Children' einige Gedanken von Edwards aufgriff und eine empirisch fundierte Schule der Religionspsychologie begründete.l3 Hall wurde vor allem durch seine Beschäftigung mit dem Phänomen der Adoleszenz zu seinen Forschungen angeregt. Seine und seiner Studenten Forschung war vor allem aus einem pädagogischen Interesse heraus verfaßt und konzentrierte sich auf religiöse Phänomene des Jugendalters. Zwei Schüler von Hall sind hervorzuheben: Edwin Starbuck, der das Interesse seines Lehrers an religiösen Phänomenen der Adoleszenzphase übernahm, und J.H. Leuba, der sich mit Konversion im allgemeinen beschäftigte. J. Leuba unterschied als erster drei, auf empirische Beobachtung gestützte Aspekte von Konversionsprozessen: die psychischen Bedingungen vor der Konversion, die Krise selbst und die Gefühlslage nach der Konversion. Er charakterisierte drei Phänomene, die er bei Konversionen immer gegeben sah: die Notwendigkeit der Selbstaufgabe, den schockartigen Charakter der Umwandlung und die vollständig passive Haltung des Individuums kurz vor dem Eintritt der Krise. Diese von Leuba 1896 veröffentlichten Gedankenl4 wurde von E. Starbuck 1897 übernommen und weiter ausgearbeitet.IS Die Ergebnisse von Starbucks Untersuchungen wiederum fanden Eingang in die Überlegungen von William James, dem wohl bekanntesten und meistgelesenen Klassiker der Amerikanischen Schule der Religionspsychologie.
12
Vgl. Uren 1928, S.2 ff.
13
Uren 1928, S.S.
14
Leuba 1896, S.309-370.
1S So zieht er folgendes Fazit aus seine empirischen Untersuchungen: "the typical experience has three features, namely, dejection and sadness, a point of transition, and lastly joy and peace" (Starbuck in Uren 1928, S.27).
12
1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
William James, der sich 1901/ 1902 in seinen 'Gifford Lectures' mit religiöser Erfahrung und Bekehrung auseinandersetzte, gilt heute zusammen mit E. Starbuck (1897, 1912) als Klassiker der modernen Konversionsforschung. Seine Charakterisierung der Konversion steht auch in der eindeutig positiven Bewertung des Konversionserlebnisses noch ganz im Rahmen des theologischen Paradigmas: "Bekehrung, Wiedergeburt, Gnadenempfang, religiöse Erfahrung, Erlangung von Gewißheit: Dies sind verschiedene Ausdrücke zur Bezeichnung des gradweisen oder plötzlichen Prozesses, durch den ein bisher geteiltes und bewußtermaßen schlechtes, unterlegenes und unglückliches Selbst seine Einheit erlangt und bewußtermaßen rechtschaffen, überlegen und glücklich wird, infolge seines stärkeren Haltes an religiösen Realitäten" (1979, S .185). Aus dieser Perspektive heraus interessiert sich James vor allem für die plötzliche Bekehrung: "Ich könnte die Fälle ins Unendliche vermehren, aber die gegebenen werden genügen, Ihnen zu zeigen, wie eine plötzliche Bekehrung für denjenigen, der die Erfahrung macht, ein reales, endgültiges und denkwürdiges Ereignis sein kann. Auf dem ganzen Höhepunkt des Geschehens sieht er sich selbst zweifellos als passiver Zuschauer und Erdulder eines höchst erstaunlichen Prozesses, der von oben her an ihm vollzogen wird. Die Evidenz hierfür ist zu stark, als daß irgendein Zweifel an dem Sachverhalt möglich wäre" (1979, S.219). Plötzliche Konversionen fmden nach James dann statt, wenn bei einer Person ausgesprochene emotionale Sensibilität, Neigung zu Automatismus und passive Beeinflußbarkeit gegeben sind (S.232). Die plötzliche Konversion wird ebenfalls von einer außerhalb des bewußten Selbst stehenden Instanz veranlaßt, allerdings im Gegensatz zum theologischen Modell nicht durch göttliche Intervention, sondern durch das 'subliminale' Bewußtsein, welches durch sein plötzliches Wirken das Selbst auf einer neuen Stufe integriert Damit ist auch der eindeutig positive Charakter der dauerhaften Wandlung gegeben. Der schrittweisen religiösen Entwicklung widmet W. James geringe AufJames ging es um lebendige religiöse Erfahrung, und die glaubte er nicht beim konventionellen Gläubigen zu fmden, sondern nur beim 'religiösen Virtuosen•16: "I speak not now of your ordinary religious believer, who follows the conventional observances of his country, whether it be Buddhist, Christian or Mohammedan. His religion has been made for him by others, communicated him by tradition, determined to flxed forms by imitation, and rem~rksamkeit:
16 Dieser von Schleiermacher stammende Begriff wurde von Max Weber soziologisch gewendet. In Bezug auf die Einschätzung individuellen religiösen Erlebens ist eine deutliche Parallele in den Auffassungen von W. James und M. Weber zu fmden. Auch Weber sah einige wenige charismatische Propheten, die erste charismatische Jüngerschaft und religiöse Virtuosen der großen Zahl konventioneller Gläubiger gegenüber, die sich in praktischer Alltagsrationalität in bestehende religiöse Kulturmuster und Sozialstrukturen einfügen.
1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung
13
tained by habil It would profit us little to study this second-hand religious life. We must make search rather for the original experiences which were the pattemsetters to all this mass of suggested feeling and imitated conduct. These experiences we can only fmd in individuals for whom religion exists not as a dull habit but as an acute fever rather" (1902, S.6). James empfand die willentlichen (stetigen) Prozesse der Bekehrung "weniger interessant als die vom Typ der Selbstpreisgabe, bei denen die unterbewußten Wirkungen reichlicher und häufig erstaunlich sind" (1979, S.201). Für ihn waren beide Formen, plötzliche Bekehrung und graduelle Entwicklung, lediglich unterschiedliche Varianten desselben psychischen Reifungsprozesses, bei dem das 'subliminale Bewußtsein' neue Ebenen der persönlichen Entwicklung erreicht (vgl. 1979, S.194, S.201). Er unterschied nicht zwischen 'gesunden' und 'pathologischen' Formen religiösen Erlebens, auch hier noch vollständig dem theologischen Modell verhaftet.17 Die Konzentration auf spektakuläre Formen plötzlicher Bekehrung kritisierte W. James Zeitgenosse G. Hall (1904, S.292-293). Er wirft James vor, daß die Erlebnisse, die dieser zur Begründung seiner Sicht von religiöser Bekehrung heranzieht, größtenteils abnormal seien: "These pathological varieties of religious experience can explain piety itself no more than the mental and physical freaks of hysteria explain true womanhood" (1904 Bd.2, S.292-293). Das empirische Material, an dem W. James seine Theorie der Konversion entwickelte, stammt größtenteils von E. Starbuck18, einem seiner Schüler, der Ende des 19. Jahrhunderts eine vergleichende Untersuchung der Entwicklung religiösen Bewußtseins von Jugendlichen durchführte. E. Starbock arbeitete wohl als erster Religionspsychologe mit empirischen und statistischen Methoden. Er war auch der erste, der die These, religiöse
17 Diese fehlende Differenz warfen ihm Mitte der sechziger Jahre Vertreter der Religions- und Pastoralapsychologie vor. Ihr impliziter Vorwurf scheint dahin zu gehen, daß James mit seiner mangelnden Unterscheidung zwischen pathologischem und gesundem religiösen Verhalten die Freudsche Einschätzung von religiösem Erleben als generell pathologisch erleichtert habe: "When William James enlarged religious experience to include religious pathology, and Freud extended psychopathology to include religion, the boundaries between normal and pathologic were submerged in the process" (E.H. Furgeson 1965, S.6). Entsprechend dieser Einschätzung versuchte die Religionspsychologie um 1965 Typologien von normalem und ungesundem religiösem Erleben zu entwickeln. 18 Starbuck war ein Schüler von W. James an der Universität von Harvard. Er wurde selbst Professor für Psychologie an der Universität von Stanford in Kalifomien. 1899 schreib er sein Werk 'The Psychology of Religion'. Vor der Durchführung seiner Untersuchung mittels Fragebogen unterbreitete er W. James seinen Plan. Dieser war aber wenig angetan. Allerdings war er von den Ergebnissen so beeindruckt, daß er sich in den 'Varieties of Religious Experience' weithin auf die Erfahrungsberichte Starbucks stützt, wenngleich seine Interpretation der Phänomene eine etwas andere ist.
14
1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
Konversionen würden arn häufigsten in der Adoleszenz (den Höhepunkt dieser Phase sieht Starbock im 16.Lebensjahr) auftreten, empirisch zu belegen suchte. Starbock entwickelte einen umfangreichen Fragebogen, der von 192 Personen vollständig genug ausgefüllt wurde, um auswertbar zu sein (Uren, 1928, S.25). Starbock verglich Jugendliche, die eine Konversion (personaler Typus der Selbstpreisgabe) erlebt hatten, mit Jugendlichen, die eine religiöse Entwicklung ohne dramatische Umschwünge erlebten {dem willentlichen Typus) von 'plötzlichen' mit 'schrittweisen' Bekehrung anstellte: "the conversion group are persons, who are more impressionable, and accordingly, more liable to undergo mental crises" (Starbuck 1912, S.364). Aber auch Starbock war der Ansicht, Konversion und Reifung seien lediglich zwei Varianten desselben Entwicklungsprozesses: "Der wesentliche Unterschied scheint der zu sein, daß die Bekehrung die Periode intensiviert, aber abkürzt, indem sie die Person zu einer entscheidenden Krise bringt" (S.224/226, Übers. vom Verf.). Starbock wie Jarnes arbeiteten beide mit einem Erfahrungsmaterial, das "so gut wie ausschließlich protestantischer Herkunft war, und zwar vorherrschend evangelikaler Ausprägung" (Hardy 1975, S.87, Uren 1928, S.45).19 Starbock wie Jarnes stimmen in ihrer Sicht von Konversion mit dem theologischen Modell in den Punkten 1, 2, 3, überein (vgl. Schema arn Ende des Abschnitts). Die äußere Instanz 'Gott' des theologischen Modells (vgl. Punkt 4) wird bei Jarnes und Starbock zu einer unbewußten, dem Selbst äußerlichen Instanz (Jarnes, S.203), die in der Konversion eine reifere Neuordnung der Person bewirken.20 Damit wird die Geltung der Aspekte 6, 7 und 8 nicht von transzendentaler Gnade, sondern durch Reifung erklärt. l9 James selbst betonte, wie wichtig der Vergleich mit entsprechendem Erfahrungsmaterial aus dem katholischen, jüdischen, islamischen, buddhistischen und hinduistisehen Kulturkreis wäre. Hier ist hinzuzufügen, daß nicht nur der kulturelle Hintergrund die Art der Konversion, einschließlich des spezifischen Konversionserlebnisses bestimmt, sondern auch die spezifische Ausrichtung unterschiedlicher religiöser Organisationen im gleichen kulturellen Kontext. So finden z.B. Bekehrungen bei Gruppierungen christlich fundamentalistischer Ausrichtung der Zeugen Jehovas und Gruppen der Pfmgstbewegung entsprechend der organisationsspezifischen Vorstellung von Bekehrung zwn einen Mal als kontinuierlicher Lemprozeß (bei den Zeugen Jehovas), 2llli1 anderen als plötzliches Bekehrungserlebnis (bei charismatischen Gruppen) statt. Ähnlich unterschiedlich dürften Bekehrungen im hinduistischen Kulturkreis verlaufen, je nach Ausrichtung der jeweiligen Gruppierung, die vom ekstatischen Bhakti-Joga über die apathische Versenkung des Hata Joga zu eher rationalen Formen des Lemens bei den philosophisch-spekulativ orientierten Richtungen im Brahmanismus (z.B. der Vedanta) reichen. 20 James wie auch Starbuck waren Vertreter des protestantischen Liberalismus mit einem optimistischen, auf das Individuum zentrierten Begriff von Religion. Diese Variante des optimistischen liberalen Protestantismus reicht bis hin zu Allport und Maslow und deren positiver Einschätzung von sogenannten Gipfelerlebnissen. Eine Perspektive, die bis hin zur hwnanistischen und transpersonalen Psychologie der Gegenwart führt.
1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung
15
Neu ist bei Starbuck und James, daß dieser Prozeß als allgemeiner, in jedem lndviduum stattfindender Reifungsvorgang angesehen wird. Ein Vorgang der schrittweise oder auch plötzlich vonstatten gehen kann. James wie Starbuck versuchen zudem konversionsfördernde Charaktereigenschaften zu ermitteln, beim theologischen Modell geben innerweltliche Gründe als Voraussetzung für das Konversionserlebnis keine zureichende Erklärung. Starbuck bringt schließlich die Bekehrung mit der Lebensphase der Adoleszenz in Verbindung21, eine These, die auch heute noch vertreten wird22 und Bekehrungen in anderen Lebensphasen als deviant erscheinen lassen kann. Damit wird bei den Erklärungen von James und Starbuck die Instanz Gott durch unterbewußte Kräfte und der vorherbestimmte Heilsweg durch psychische Reifungsprozesse ersetzt, Form und Wirkung der Konversion bleiben dem theologischen Modell verhaftet. Die formale Struktur bleibt also weitgehend dieselbe, nur die Ursachen werden ausgetauscht. Auch die im theologischen Modell implizite Zweiteilung des Heilsweges von religiösen Virtuosen mit starken Konversionserlebnissen und den durch nachfolgende Einsicht bekehrten Anhängern fmdet sich psychologisch gewendet in der Annahme, daß plötzliche Bekehrung wie stetige Entwicklung Varianten desselben Reifungsprozesses darstellen. James wie Starbuck unterscheiden nicht zwischen Konversionen, die einen radikalen persönlichen Wandel mit der Annahme neuer Kulturmuster verbinden und andersgearteten Formen der Bekehrung, die lediglich eine Re-Aktivierung von früh ansozialisierten Mustern darstellen. James geht in seiner Vorstellung über die psychischen Grundlagen der Bekehrung von einem Modell der Psyche aus, in dem "Vorstellungen, Ziele und Objekte innerlich verschiedene Gruppen und Systeme bilden, die relativ unabhängig voneinander bestehen" (1979, S.189). Wenn nun eines dieser Systeme so dauerhaft in den Aufmerksamkeitsfokus der Person rückt, "daß es seine früheren Rivalen defmitiv aus dem Leben des Individuums vertreibt" (1979, S.l90), spricht James von einer 'Transformation' der Person. Wenn diese Transformation einen dauerhaften Wechsel auf eine religiöse Thematik hin darstellt, "nennen wir ihn eine Bekehrung, besonders, wenn er durch eine Krise oder wenn er plötzlich eintritt"
Diese Definition macht deutlich, daß Bekehrung bei James vor allem die dauerhafte Aktivierung bereits ansozialisierter Deutungsmuster und weniger den Erwerb einer neuen Weltsicht bedeutet. Ebenso gilt dies für Starbuck, der Be21 Die Konzentration auf die Adoleszenz und ein Fehlen eindeutiger Kriterien, was als Konversionserlebnis gelten soll, führt Starbuck dazu, das Durchschnittsalter bei Konversionen mit 16,4 Jahren anzugeben. "Again Starbucks definition of the conversion experience is too wide. The term 'conversion' is used in the loosest sense". Leuba kommt hingegen auf ein Durchschnittsalter von 25 Jahren (vgl. Uren 1928, S.44). 22 Von den Vertretern der Gehimwäschethese, z.B. von Singer, wird dies mit der besonderen Anfälligkeit dieser Altersstufe für Verführungen jeglicher Art erklärt.
16
1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
kehrungen überwiegend bei Jugendlichen ausevangelikalenKreisen untersucht (vgl. James 1979, S.195).
Damit lassen sich zusammenfassend drei Gründe für die Übernahme der theologischen Perspektive in die klassische Religionspsychologie angeben: 1.
DiePioniere der empirischen Konversionsforschung wie J. Edwards, St. Hall und W.James u.a. standen meist selbst aktiv in der christlichen Tradition.
2.
Zudem existierte in dieser Zeit außerhalb der Theologie weder empirische noch theoretische Vorarbeiten zum Phänomen der Bekehrung. Die ersten Religionspsychologen waren also auf die theologischen Berichte und Deutungen angewiesen und übernahmen damit die implizite christlichtheologische Perspektive.
3.
Auch die empirische Forschung von Starbuck konnte diese Perspektive nicht relativieren, da er sein Material fast ausschließlich von evangelikalen Protestanten der Methodistischen Kirche gewann. Bei derartigen Gruppierungen ist die plötzliche Bekehrung ein erwartetes und erwünschtes Ereignis (vgl. Uren 1928, S.44).
Vergleich der theologischen mit der klassischen religionspsychologischen Form von Konversion
Merlemale
Theologie
James! Starbuck
1.
Konzentration auf innerpsychische Vorgänge
+
+,daneben aber die Reflektion auf konversionsfördernde Charaktermerkmale
2.
Spontaner, außeralltäglicher Charakter
+
+
3.
Passive Rolle des Konvertiten
+
+
4.
Äußere Instanz
Gott
subliminales Bewußtsein
5.
Erleben höherer Wirklichkeit
Transzendenzerfahrung
Integrationserfahrung
6.
Neuer Mensch
durch Gnade Gottes
durch plötzliche Reifung
7.
Glaubensänderung vor Verhaltensänderung
+
+,Reaktivierung oder Wandel
8.
Eindeutig positiver Wandel
Heilsweg
persönliche Reifung
9.
Irreversible Wirkung
Stand der Gnade
neue Stufe personaler Integration
+
nicht notwendie:
10. Missionierune:sversuche
1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung
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1.3.3 Modifikationen des klassischen Konversionsmodells Die religionspsychologische Forschung zum Thema Konversion steht, von geringen Akzentverschiebungen abgesehen, bis in die fünfziger Jahre in der von James und Starbuck formulierten Perspektive. Zwar wird von einigen der im folgenden besprochenen Autoren Kritik an der durch Starbuck und James vollzogenen Verabsolutierung eines Typus von Konversion geübt, die Konsequenzen aus dieser Relativierung verbleiben aber bis in die fünfziger Jahre innerhalb der Dichotomie 'stetige' versus 'plötzliche' Konversion. G.A. Coe (1900) versteht unter Konversion "a revaluation of values, a reconstruction of lifes enterprise" (S.171). In seiner 1916 veröffentlichten 'Psychology of Religion' werden erstmals soziologische Aspekte religiöser Konversionen thematisiert. Konversion sieht Coe wie Starbuck als Adoleszenzphänomen und bezieht den Wandel ursächlich auf sexuelle Reifungsvorgänge, konzentriert sich aber auf die sozialen Implikationen dieses Sachverhalts. Er betont die essentielle Rolle früherer Erfahrungen, die ein soziokulturell vermitteltes psychologisches Set vorbereiten, innerhalb dessen das Konversionserlebnis stattfmdet. Konversionen der aprupten, heftigen Art geschehen nach seiner Meinung (die er auf die Untersuchung von 77 Konversionsberichten stützt) vor allem in den Denominationen, die diese Art der Bekehrung anstreben. Da aber auch nicht alle untersuchten Mitglieder einer derartigen Gruppierung, trotz der dort institutionalisierten Erwartung, eine aprupte Konversion erlebten, muß nach Coe auch das persönliche Temperament eine entscheidende Rolle spielen. Coe teilte eine Gruppe Studenten nach erfolgter bzw. erwarteter und nicht erfolgter Konversion und setzte beide Teilgruppen hypnotischer Suggestion aus. Die Bekehrten erwiesen sich durchweg als passive Personen von geringer Spontanität und hoher Suggestibilität, während die Gruppe derer, die ein Bekehrungserlebnis zwar erwartet, aber nicht erfahren hatte, sich als weniger suggestibel und spontaner erwies.23 In seiner 1916 erschienenen 'Psychology of Religion' erklärt Coe Konversionen mit drei gesetzmäßig ablaufenden Pro23 Vgl. Uren, S.SS. Er bestätigt damit W. James Annahme über die Charaktereigenschaften von Personen, die eine plötzliche Konversion erleben. Befunde dieser Art fmden sich noch 1972 bei Kildahl der eine Gruppe von vierzig Studenten, Konvertiten zwn Christentum, nach stetiger und plötzlicher Konversion unterscheidet, und bei den 'plötzlichen Konvertiten' niedrigere Intelligenz, aber höhere Werte auf der Hysterieskala des Tests entdeckt. C. Johnson und J. Fantuzzo überprüften 1977 diese Befunde durch eine Wiederholung des Versuchs von Kildahl. Sie untersuchten zehn 'plötzliche' und zehn 'stetige' Konvertiten mit dem '16 Personality Factors Test' und fanden keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Intelligenz oder Neigung zur Hysterie. Auch Wilson (1976) fand in seiner Untersuchung keinen Zusammenhang zwischen der Schnelligkeit von Konversionen und dem Grad an Neurotizismus (vgl. Johnson /Malony, S.64).
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zessen: 'law of suggestion', 'law of subconscious incubation', 'law of habit formation', die Aspekte von Persönlichkeit, allgemein menschliche Entwicklungs- und Reifungsprozesse und die Entwicklung von sozialen Erwartungsmustern zum Inhalt haben. J.B. Pratt (1920) kritisiert wie Coe an James und Starbuck, daß diese ihre Aufmerksamkeit nur auf Konversionsprozesse evangelikaler Art gerichtet hätten und deswegen zu einer Verabsolutierung der schockartigen Konversion neigten. Ähnlich wie Starbuck und James versteht er unter Konversion den Prozeß der Synthese eines geteilten moralischen Selbst. Allerdings kann dieser Prozeß auch in anderer Form vonstatten gehen, als in der von Starbuck und James favorisierten Form der Selbstaufgabe. Pratt hebt gegen James und Starbuck die bewußte Form der Konversion hervor, bei der das Individuum eine aktive Rolle spielt. Der 'volitional type of conversion' trägt im wesentlichen Züge eines Entwicklungs- und Lernprozesses, "a gradual and almost imperceptible process" (S.153). R.H. Thouless ( 1923) weist Starbucks Ansicht des überwiegend adoleszenten Charakters von religiöser Konversion zurück. Er unterstellt wie Coe Sexualität als primäre Triebkraft des Erlebnisses, verbleibt aber in der formalen Struktur des klassischen Paradigmas, wenn er schreibt: "the inner necessity, which drives the convert. ..seems to him to be a driving force which he would be wrong to resist" (S.l19). S. De Sanctis (1927) sieht Konversion als einen psychischen Vorgang, in dem Krise und folgendes Konversionserlebnis nur einen, wenngleich den auffiilligsten Moment eines langandauernden Prozesses darstellt. Eine Abschwächung, die nach Meinung seiner Kritiker24 durch die Betonung des Prozeßhaften den Unterschied zwischen religiöser Entwicklung und Konversion verwischt. E.T Clark (1929) unternahm, eine Generation nach Starbuck, eine ähnlich ausgerichtete Untersuchung, welche die umfangreichste Einzelstudie zum Thema darstellt. Clark postuliert eine Abnahme der plötzlichen Konversionen bei Jugendlichen. Sein Bezugsrahmen ist vollständig an Starbuck orientiert. Um Konfusionen durch die Mehrdeutigkeit des Begriffs Konversion zu vermeiden, empfiehlt er, den Terminus nach Möglichkeit nicht zu verwenden (S.39).
A. Boisen (1936) betonte das Moment der Krise bei religiöser Konversion. Das Krisenerlebnis sah er aus psychologisch beschreibbaren Konflikten resultieren. Boisen unterschied zwei mögliche Resultate dieser Krise: einen Verlauf mit personaler Reorganisation und Reifung und eine scheiternde, in der Psychose endende Verlaufsform. Damit wird die eindeutig positive Wirkung relativiert, die Annahme einer in jedem Fall bedeutsamen Nachwirkung, Reifung oder Psychose, aber aufrecht erhalten. Die Möglichkeiten folgenloser Er24
So z.B. E.H. Furgeson 1965, S.ll.
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nüchterung oder einer Sequenz von Bekehrungen im Sinne einer 'Konversionskarriere' bleiben ausgeblendet J. Mc Kenzie (1940) schreibt: "conversion occurs when the subject is given full control of all his psychological processes. (It is the coming to conscious control of the soul.)" (S.l13-114). Er folgt hier James und Starbuck, macht allerdings einen fundamentalen Unterschied zwischen psychischer Krankheit und einem echtem religiösen Konflikt, der die dramatische Form einer Konversion annehmen kann. Nach Mc Kenzie versucht der Neurotiker, seinen Konflikten zu entfliehen, während der religiös Leidende danach strebt, seinen Konfliktzu lösen.
1.3.4 Die Relativierung des Jamesschen Paradigmas seit den fünfziger Jahren Ende der fünfziger Jahre wird das Paradigma der plötzlichen Konversion von einigen Psychologen und praktischen Seelsorgern angegriffen und aus dem religiösen Bereich im engeren Sinn auf andere Formen der Änderung personaler Weltsicht übertragen. Damit wird die klassische Form der Konversion zumindest definitorisch relativiert. Zudem versuchen, wohl unter dem Einfluß der psychoanalytischen Konversionsforschung (siehe Abschnitt 1.3.6), einige Autoren zwischen 'gesunder', stetiger religiöser Entwicklung und abrupter, 'pathologischer' Konversion zu unterscheiden. L. Salzmann (1954) sieht Konversion generell als (regressiven) Perspektivenwechsel, verursacht nicht durch Lernprozesse, sondern durch interpersonellen Stress: "Any change of religion or of moral, political, ethical or aesthetic views which ....is motivated by strong pressures within the person" (S.45).
W. Hili (1955) prägt eine weite, nicht auf den religiösen Bereich beschränkte Defmition: "Actually, all the word means is 'change', and the converted person is one, who has changed his way of life" (S.45). Eine Sicht, die die praktische Seite von Konversionen betont, aber, wie Furgeson (1965) kritisch anmerkt, zu weit gefaßt ist, um als Definition brauchbar zu sein. Nach Hills Charakterisierung können Hochzeit, Umzug, Pensionierung oder Berufswechsel als Konversionen bezeichnet werden. 0. Brandon (1959) unterscheidet zwischen plötzlicher und gradueller Konversion, meint aber, noch jeweils zwei Subtypen unterscheiden zu können (S.ll). W. Barclay (1964) bestreitet schließlich generell die Möglichkeit einer exakten Definition von Konversionserlebnissen und meint "there will no be no one standardized conversion experience; but the experience of conversion will be as infinitely varied as human experience itself' (S.92-93).
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F. Furgeson (1965) setzt sich kritisch mit den seit W. James Arbeit entwickelten Defmitionsversuchen von Konversion auseinander und kommt zu dem Schluß: "Religious conversion, from the psychological point ofview is an aprupt, involuntary change in personality in which the subject, under the pressure of resolving intemal conflict or tension, surrenders the control of his life to beliefs and sentiments previously peripheral or repressed; the change occurs suddenly at a time of crisis and ist not psychologically identical with the gradual process of growth or development; the results of the change may be regenerative and progressive, partly regenerative and progressive, or regressive and degenerative" (S.8). Furgeson behält den 'plötzlichen' Charakter der Konversion sowie die individuum-zentrierte Sichtweise bei. Zwar bezweifelt er die von James angenommene Identität von Konversion und personeller Entwicklung, sieht auch mögliche regressive Folgen einer Konversion, aber er verbleibt noch im Banne des Jameschen Denkens, wenn er die plötzliche Bekehrung immer als von tiefgreifenden Folgen positiver oder negativer Art begleitet sieht.25
1.3.5 Kritik des religionspsychologischen Konversionsbegriffs Festzuhalten bleibt, daß die Problematik und Konfusion der religionspsychologische Perspektive auf das Phänomen der Konversion nicht durch die spezifische Konzentration auf die Psyche des konvertierenden Individuums bedingt ist. Schon Coe und Pratt bezogen das individuelle Erleben auf den prägenden Einfluß religiöser Traditionen, ohne deshalb die psychologische Betrachtungsweise aufzugeben. Der religionspsychologische Konversionsbegriff deutet Konversion als Vorgang, in dem zwei Momente wirksam werden: die Übernahme neuer Deutungsmuster durch den Konvertiten im Zusammenhang mit einer gravierenden Änderung seiner personalen Struktur. Dabei gewinnt der Aspekt des personalen Wandels den zentralen Stellenwert, die Übernahme neuer Perspektiven stellt in allen besprochenen Konzeptionen ein nicht systematisch reflektiertes 'Anhängsel' dar. Deswegen kann es zu der von Furgeson beklagten Begriffskonfusion kommen: zwar wird Konversion formal als Einheit von Perspektivenwechsel und gravierender Veränderung der Persönlichkeitsstruktur gesehen, im Forschungsprozeß aber steht ausschließlich der personale Wandel, der überdies 2S Konversionserlebnisse können vom Individuum als tief beeindruckend erlebt werden, aber langfristig völlig folgenlos bleiben. Individuen können in ihrem Leben eine Reihe von Konversionen vollziehen und dabei jedesmal glauben, ein neuer Mensch geworden zu sein, oder aber diese Konversionen in einer experimentellen Haltung vollziehen. Die lebenslang dauernde, grundlegende, einmalige Wandlung ist nur eine mögliche Form der Konversion (vgl. Kapitel 3).
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unter normativen Gesichtspunkten betrachtet wird26 im Vordergrund (der Konvertit wandelt sich zum reiferen Individuum oder er regrediert). Durch die Konzentration auf die personale Entwicklung und die Vernachlässigung des Moments der Perspektivenübernahme werden von den verschiedenen Autoren, je nach persönlicher Vorliebe, Bekehrung, Reaktivierung, die soziale Defmition von Reifungsprozessen oder auch die Übernahme neuer Rollen als soziokulturelles Moment der Konversion verstanden.27 Wenn aber gilt, daß die Art der Konversion entscheidend durch das soziale Umfeld mitgeformt wird, wie dies schon Coe und Pratt bei ihrer Kritik an James und Starbock formulierten, so darf die soziokulturelle Dimension von Konversionsprozessen nicht als zweitrangig behandelt werden. Damit lassen sich bei Konversionsphänomenen analytisch zwei Momente, die in verschiedenen Kombinationen auftreten können, klar voneinander trennen: Perspektivenwechsel und Identitätswandel (ob Synthese bzw. Reifung, bloße Veränderung oder Regression).28 Diese beiden Variablen sind theoretisch-systematisch zueinander in Beziehung zu setzen und empirisch zu überprüfen. Tiefe, Radikalität und Dauer des persönlichen Wandels sind damit keine definitorisch festzulegenden konstitutiven Momente des Konversionsprozesses, sondern variable Größen, die je nach Konversionstypus in verschiedenen Ausprägungen auftreten können. Daß jede Konversion eine tiefgreifende Umwandlung der Persönlichkeit des Konvertiten impliziert, ist schon aufgrund empirischer Befunde fragwürdig: So konnte P. Lindgren (1977) bei adoleszenten Konvertiten eines mehrwöchigen christlichen Camps keine zur Vergleichsgruppe signifikante Änderung nach dem 'Dean Scale of Alienation' feststellen. Zu ähnlichen Schlüssen kommt Simmonds (1978), der 53 Mitglieder einer fundamentalistischen Gruppe der 'Jesus People' bei ihrem Eintritt in die Gruppe und nach etwa zwei Monaten erneut mit Gough's Adjective Check List (ACL) und Spielhergers State Trait Anxiety Inventory (STAI) testete, und feststellte: "...across time in the group during an intensive resocialization experience, there was no evidence of the personality change which might have been expected to occur" (S.124). Er kommt zu dem Schluß: "There is some evidence to soggest, however, that most of these people may not have under26 Als Reifung bei positiver Sicht von Konversion, wie bei James und Starbuck, als Zerfall der Persönlichkeit bei psychotischen Verläufen, vgl. Boisen und Furgeson, als Regression in der psychoanalytischen Theorie, vgl. Freud, Salzmann. 27 Zur Kritik Furgeson 1965, S.8 ff. Sein Lösungsvorschlag, unter Konversion nur die aprupte Variante von Persönlichkeitswandel zu sehen, stellt aber eine 'Regres-sion' auf die paulinische Variante dar. 28 Wir lassen hier vorläufig die Schwierigkeit der Operationalisierung von 'grundlegendem personalen Wandel' und die Gefahr des stigmatisierenden Gebrauchs von Regression beiseite.
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gone the radical change in personality which is implied by usual definitions of conversion" (S.124). Simmonds vermutet, daß die Personen, die dieser Gruppe beitraten und deren Perspektive übernahmen, damit eine soziale Umgebung und eine Perspektive gefunden hatten, die ihren Bedürfnissen (nach Einbindung in eine Gruppe, klarer Hierarchie und einem eindeutigen Weltbild) besser entsprach als die frühere soziale Umwelt. Trifft die Interpretation von Simmonds zu, so liegt hier eine Form der Konversion vor, die zwar eine Übernahme neuer Deutungsmuster, den Beitritt in eine neue soziale Struktur und damit eine grundlegende Änderung der Lebensform29 beinhaltet, aber keinen Wandel der Persönlichkeitsstruktur zur Folge hat.
Diese von Simmonds beschriebenen Prozesse würden nach den bisher besprochenen psychologischen Standards keine Konversionen darstellen. Umgekehrt ist aus der soziologischen Perspektive ein innerhalb einer kulturellen Form stattfindender personaler Reifungsvorgang (wie in den 'stetigen' Konversionen bei Starbuck, Coe u.a.) nicht als Konversion zu bezeichnen. So ist der psychologische und der soziologische Konversionsbegriff nur zum Teil deckungsgleich. Während der psychologische Konversionsbegriff die personale Entwicklung unter normativen Aspekten der Reifung bzw. Regression in den Mittelpunkt stellt, steht für den soziologischen Konversionsbegriff in nicht-normativer Weise der Wechsel von Deutungsmustern sowie die Änderung von Bezugsgruppen, Lebensformen und Verhaltensmustern im Vordergrund. Das Insistieren auf persönliche Wandlung als wesentlicher Bestandteil von Konversionen ist aus der Sicht der gegenwärtigen soziologischen Konversionsforschung 'letzte Bastion' des paulinischen Paradigmas.Ja
29 Die Mitglieder dieser KommWle lebten vor der Konversion in einer städtischen UmgebWlg und hatten Kontakt oder waren Mitglied von politischen GruppiefWlgen bzw. der Gegenkultur. Fast alle Konvertiten waren ehemalige Drogenkonsumenten. Das neue Leben fmdet in einer ländlichen, von der Umwelt isolierten AgrarkommWle statt, impliziert eine fundamentalistische Ausrichtung an der Bibel, einen asketischen, durch harte Landarbeit geprägten Alltag in hierarchischer Struktur.
3° Fraglich ist die ÄndefWlg der personalen Struktur selbst beim paradigmatischen Prozeß der WandiWlg des SauJus zum Paulus. Der Eifer des 'neuen Menschen' Paulus, eine gewisse Intoleranz und Konfliktbereitschaft, die sich in seinem konfliktreichen Verhältnis zu den Aposteln des jüdischen Urchristentums wiederspiegelt, bieten eine Reihe von Hinweisen, daß viele Charakterzüge des Saulus auch dem Paulus zu eigen waren.
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1.3.6 Die psychoanalytische Konversionsforschung Auch die psychoanalytische Konversionsforschung behält fonnal das klassische Konversionsmodell bei. Allerdings ändern sich die Vorzeichen der Bewertung: Aus einem eindeutig positiven Erlebnis wird ein ebenso eindeutig negativ zu bewertendes Regressionsphänomen. 1.3.6.1 Freuds Einschätzung von Religion und religiöser Konversion Freud sieht seine Religionskritik in der Tradition wissenschaftlicher Aufklärung (vgl. Zirker 1982, Rattner 1987).31 Schon 1904, in der 'Psychopathologie des Alltagslebens', sieht er die mythologische Weltauffassung als Projektion auf die Außenwelt an. In seiner Schrift 'Zwangshandlungen und Religionsübung' (1907) vergleicht er neurotische Zwänge und religiöse Rituale. Zwangshandlungen und religiöse Übungen stellen beides Versuche der Bewältigung von Lebensangst dar. Freud sieht "die Neurose als individuelle Religiosität, die Religion als eine universelle Zwangsneurose" an. Die Neurose "vertritt in unserer Zeit das Kloster, in welches sich alle die Personen zurückzuziehen pflegten, die das Leben enttäuscht hatte oder die sich für das Leben zu schwach fühlten".32 Diese irreale Befindlichkeit wird in 'Totem und Tabu' (1912) konkretisiert: Der Neurotiker, den Freud in dieser Schrift mit dem Wilden' vergleicht, "lebt in einer Welt, in der nur die neurotische Währung gilt, in der das intensiv Gedachte, im Affekt Vorgestellte wirksam, die Übereinstimmung mit der äußeren Realität aber nebensächlich ist". Ursachenfür die religiöse 'Illusion'
Freud verortet die Entstehung der religiösen Gebilde in 'Totem und Tabu' im Ödipuskomlex.33 In seinem Alterswerk 'Die Zukunft einer Illusion' (1927) 31 Die wissenschaftliche Aufklärung fügte dem Menschen eine Reihe von Kränkungen zu. Der kosmologischen Kränkung durch Galilei, Kopemikus und Keppler, die nachwiesen, daß die Erde nicht das Zentrum des Kosmos ist, folgte die biologische Kränkung durch Darwin, die den Menschen seiner Sonderstellung als Krone der Schöpfung beraubt und schließlich die psychoanalytische Kränkung, die den freien Willen groSteils durch unbewußte Prozesse determiniert sieht Freud hält den Kern seiner Religionskritik nicht für neu: "Außerdem habe ich nichts gesagt, was nicht andere, bessere Männer, viel vollständiger, kraftvoller und eindrucksvoller vor mir gesagt haben" (Die Zukunft einer Illusion, S.115). 32
S. Freud "Über Psychoanalyse", 1938, Anm. 4, S.95.
Auf die genauere Ausführung dieser Theorie Freuds wird hier verzichtet. Eine ausführliche Darstellung fmdet sich bei Rattner 1987, S.16 ff., dem zuzustimmen ist, wenn er diese Theorie als abenteuerlich bezeichnet (S.l6). 33
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versucht er, die anthropologischen Grundlagen religiöser Gebilde allgemeiner aus der Hilflosigkeit des Menschen gegenüber der Natur herzuleiten. Die Religion tröstet den Menschen angesichts von Ohnmacht gegenüber Leid, Kummer und Tod, indem sie dem All einen "quasihumanen Hintergrund" (Rattner, S.29) gibt. Da diese Tröstung den ältesten und dringendsten Wünschen der Menschheit entsprechen, behalten religiöse Vorstellungen ihre Macht, auch wenn sie wissenschaftlich die "allerschwächste Beglaubigung haben" (S.31). Freud sieht allerdings in der menschlichen Geschichte die Hoffnung auf die Durchsetzung der Vernunft und damit die Möglichkeit einer in geringem Maße möglichen Verbesserung des realen Lebens: Werden keine Energien mehr an das illusionäre Jenseits gebunden, stehen die dadurch freigewordenen Kräfte der Verbesserung des realen Lebens zur Verfügung.34
Freuds Analyse eines Konversionserlebnisses Freud selbst macht 1924 einige kurze Bemerkungen zum Phänomen religiöser Konversion: Er kommentiert das Konversionserlebnis eines Mediziners im Sektionssaal als ödipale Regression, hervorgerufen durch den Streß beim Anblick der nackten Leiche einer älteren Frau, die den Mediziner an seine Mutter erinnerte. Allerdings beschäftigen sich Freuds Arbeiten zur Religion überwiegend mit dem Phänomenen von Mythologie und Ritual und weniger mit dem individuellen religiösen Erleben. Er steht auch damit im Gegensatz zu W. James, der vom persönlichen religiösen Erleben ausging.35 Freud sieht wie James die individuelle Erfahrung von Abhängigkeit und Machtlosigkeit als Vorbedingung für den Prozeß der Konversion. Während aber James gemäß seiner liberalen protestantischen Herkunft einem 'individuellen Optimismus' huldigt und als Resultat der Konversion eine weitere Stufe personaler Reorganisation annimmt, kann Konversion für Freud nur die Aufgabe der Vernunft bedeuten.36
34
Vgl. Freud 1927, S.l54.
Freud nahm so ÜTWldzüge der eigenen jüdischen religiösen Tradition, einer Religion, die Wert auf rituelle Pflichterfüllung legt und den Ritus durch die Schriften des Alten Testaments belegt, während W. James, als Vertreter des liberalen Protestantismus, dem Individuum und seinem Erleben zentralen Wert einräumt. Freud, der geprägt von der AufkläTWlg in der Religion eine Illusion sah, mußte doppelt negativ über individuelles religiöses Erleben denken, denn die jüdische Religion ist Stammesreligion, es gibt keine Bekehrung, keine Konversion mystischer Art! 35
36 "Generally speaking, the psychoanalytic model inteprets conversion as a coping device with the goal of guilt resolution, hostility management, and the identification of the person with the father figure. The family ist the matrix in which conflict is generated and theresolution is achieved by an unconscious process" (Rambo 1928, S.I55).
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Individuelles religiöses Erleben stellt für ihn lediglich ein Regressionsphänomen dar, das durch die bestehende 'Kollektivneurose' Religion vorgezeichnet ist. 37 Auch die von James postulierten positiven psychischen Wirkungen religiösen Erlebens würdigt Freud aus dieser Perspektive: "Um diesen Preis, durch gewaltsame Fixierung eines psychischen Infantilismus und durch Einbeziehung in einen Massenwahn, gelingt es der Religion, vielen Menschen eine individuelle Neurose zu ersparen." 38 1.3.6.2 Psychoanalytische Konversionsforschung nach Freud Die weitere Entwicklung der psychoanalytisch orientierten religionspsychologischen Forschung ist durch die grundlegende Ausrichtung an Freud bestimmt. So erwies eine quantiative Analyse von 400 psychoanalytischen Studien zur Religion, daß weniger als 10% der Arbeiten sich mit dem individuellen religiösen Erleben befassen, 50% sich mit Mythologie beschäftigen und der Rest Dogma und Ritual zum Thema hat. Ein erstaunliches Ergebnis bei einer Psychologie, die der Ausdeutung individuellen Erlebens so großen Wert beimißt L. Salzman (1953) kann als typisch für die Sicht psychoanalytisch orientierter Konversionsforschung seit Freud gelten, wenn er schreibt: "In the case histories I have presented, the conversion experience has represented a method of solving the conflict arising from the hatred toward the father. I should make it clear that, in my opinion, conversion experiences may be used for conflict with any authority figure, whether the father, the mother, or significant persons" (S.183). Die eindeutig negativen Veränderungen durch regressive Konversion stellt Salzmann an sechs 'post-conversion characteristics' dar: "1. The convert has an exaggerated, irrational intensity of belief. 2.
The convert is concemed more with form and doctrine than with the greater principle of the new belief.
3.
Hisattitude toward bis previous belief is one of contempt, hatred and denial, and the rejects the possibility that mere might be any truth in it.
4.
He is intolerant toward all deviates, with frequently acting by denouncing and endangerlog previous friends and associates.
5.
He shows a crusading zeal and a need to involve others by seeking new converts.
6.
he engages in masochistic and sadistic activities, displaying a need for martyrdom and self-punishment." 37
Vgl. Preuss 1971, Zirker 1982, Pronun 1966.
38
S. Freud 1927, S.443.
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B. Weininger (1955) betont den bedeutsamen Faktor sozialer Isolation gekoppelt mit missionarischer Interaktion. Der potentielle Konvertit ist sozial nicht angepaßt und bemerkt dies in Form von dem Gefühl, das Leben falsch zu führen, von Emotionen der Wertlosigkeit und Hilflosigkeit. Wenn der potentielle Konvertit in Kontakt zu einer missionarisch agierenden Person kommt, die Interesse an ihm zeigt, ihm verdeutlicht, daß er von ihr als Individuum akzeptiert wird und ihm eine religiöse Lösung seiner Probleme in Aussicht stellt, wirkt sie als Katalysator für den Konversionsprozeß. Durch die positive soziale Beziehung mit dem katalytisch wirkenden Gruppenmitglied wird der Konvertit aus seiner Isolation befreit Die·Entwicklung freundschaftlicher sozialer Beziehungen reduzieren die intensiven negativen Gefühle, die das Individuum während seiner Isolation erfuhr. C.W. Christensen (1965) stellt resümierend fest, jeder Autor defmiere Konversion von seinem eigenen Erfahrungshintergrund und von seinen subjektiven Ernpfmdungen her. Generell festzustellen sei, daß die Theologie bei der Defmition mehr den positiven Wandel hervorhebe, während Psychologie und Psychiatrie die psychopathalogischen Momente in den Vordergrund stellten. Er selbst definiert das religiöse Konversionserlebnis als "an acute haluncinatory episode occurring within the framework of religious belief and characterized by its subjective intensity, apparent suddenness of onset, brief duration, auditory, and, sometimes, visual haluncinations, and an observable change in the subsequent behavoir of the convert" (1965, S.207). Das Modell von Christensen steht zwar noch weitgehend im Bann des klassischen Konversionsparadigmas, nimmt aber in seiner Differenzierung nach Vorbedingungen und situationalen Faktoren einige Gedanken des Modells von Lotland und Stark vorweg. Deshalb soll es an dieser Stelle ausführlicher dargestellt werden. Christensen differenziert, gestützt auf eigene klinische Erfahrung und die Arbeiten von Salzmann, den Prozeß der Konversion in: Pre-Determining Conditions Initiating Events Religious Conversion Types of Solution
Pre-Determining Conditions existieren für den Autor in der Umgebung des Individuums (Vergangenheit und Gegenwart) sowie in der Psyche des Individuums selbst Bei der Untersuchung von dreiundzwanzig Personen, die eine religiöse Konversion erlebten, tauchten gewisse Gemeinsamkeiten auf: In jeden Fall litten die Probanden unter einem unbewußten Konflikt auf Grund gestörter Identifikation mit den Eltern und einem geringen Selbstwertgefühl, zudem an einer Form der sexuellen Pathologie. Die akute Reaktion
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ereignete sich in der Phase der späten Adoleszenz, einer Periode psychischen und sozialen Wandels. Jede der untersuchten Personen kam aus einer fundamentalistisch-religiösen Umgebung und war in einer Kirche aktiv gewesen. In der Kirche fanden sie die Akzeptanz und Unterstützung, die ihnen in der Familie versagt blieb. Die Lehre der Kirche ließ überdies ein Bekehrungserlebnis erwarten. Auch bei den von Christensen untersuchten Fällen handelt es sich, wie bei den meisten der von James und Starbuck angeführten Beispielen, eher um 'revivalist conversions', d.h. um die Aktivierung ansozialisierter Deutungsmuster. Christensen gesteht den religiösen Überzeugungen des Individuums die Funktion einer prädisponierenden Matrix zu, innerhalb derer das religiöse Erleben geformt wird.
lnitiating Events 1.
2.
Voraussetzung ist ein bewußter in Verbindung mit einem unbewußten Konflikt. Beide Konflikte verstärken wechselseitig den psychischen Streß. (Christensen sieht hier meist bewußte sexuelle Strebungen in Zusammenhang mit unterbewußten Inzestgefühlen, die durch eine 'seductive mother' ausgelöst wurden.) Ein Schlüsselereignis, das die akute Reaktion hervorruft. Hier nimmt Christensen die geladene Abnosphäre religiöser Veranstaltungen als Auslöser an. Religiöse Feiern und Rituale haben in Bekehrungsprozessen eine Doppelfunktion: sie verursachen eine Aktualisierung und Steigerung der Konfusion und stellen zugleich einen Interpretationsrahmen bereit, der die Lösung der Krise anzeigt. 39
Religious Gonversion Hier verbleibt Christensen völlig im Bereich des Jameschen Typus von Konversion: starke Gefühle von Konfusion und Depression gehen dem eigentlichen Konversionserlebnis voraus. Der Konvertit gibt seine Suche nach Lösungen schließlich auf: "In each case, however, the individuals gave up trying to fmd a 39 Dieser Erfahrung der Doppelfunktion religiöser Muster konnte ich bei meiner Analyse der Missionsbemühungen der KRISNA-Bewegung machen. Das religiöse Deutungsmuster wird verwendet, um dem potentiellen Konvertiten sein bisheriges Leben als Irrweg vor Augen zu führen. Dies verschärft dessen bereits bestehendes Krisenbewußtsein. Mit demselben Interpretationsraster wird gleichzeitig ein Weg aus der Misere eröffnet. In den emotional geladenen religiösen Veranstaltungen werden dann Schlüsselerlebnisse 'hergestellt' (vgl. Wiesherger 1980). Im Falle der KRISNABewegung tragen Missionare ihren Teil zur Ingangsetzung des Prozesses bei. In den Fällen der Jameschen Bekehrungen und auch noch bei Christensen handelt es sich nicht um die Übernahme von neuen Deutungsmustern, sondern um die Aktivierung bereits einsozialisierter Muster. Deswegen wird hier kein Missionar benötigt, er ist im Über-Ich der Person bereits vorhanden.
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1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
solution to their problem" (S.26). In jedem der untersuchten Fälle trat nach Christensen ein auditives oder visuelles halluzinatorisches Erlebnis als eigentliche Konversionserfahrung auf.
Types of Solution Auch Christensen übernimmt die Annahme des klassischen Paradigmas, das als Folge diesesErlebenseine dauerhafte Verhaltensänderung des Konvertiten annimmt. Er formuliert allerdings vorsichtiger: "the change modifies bis subsequent behavior" (S.29). Christensen sieht vier mögliche Typen der Wirkung von Konversionserlebnissen: " 1. 2. 3. 4.
reintegration of the ego with maturation; reintegration at the previous Ievel of function; reintegration at a less optimum Ievel of function; no reintegration" (S.30).
Er hebt sich dadurch von Salzman ab, der als mögliche Effekte des Konversionsprozesses nur Reifung oder Regression unterscheidet. Christensen relativiert damit die bis dahin unbefragt geltende Annahme einer dauerhaften Veränderung positiver oder negativer Art. 1.3.6.3 Neuere psychoanalytische Arbeiten zum Thema Konversion Die neuere psychoanalytische Konversionsforschung40 in den siebziger und achziger Jahren ist von der sozialpsychologischen und soziologischen Diskussion des Phänomens der Konversion nicht unberührt geblieben: So unternehmen J. Allison (1969), M.E. Murphey (1979) und L.R. Rambo (1982) den Versuch, innerhalb des psychoanalytischen Denkens die möglichen integrativen und heilenden Wirkungen von Konversionsprozessen darzustellen. Zudem finden, zumindest am Rande, soziale Faktoren Eingang in die Erklärungsmuster. M.E. Murphey (1979) beschreibt in einer seiner Analysen der 'Psychodynamik' von Konversionen (The Psychodynamics of Puritan Conversion) eigentlich personale Wandlungen vom Typus der Bekehrung, d.h. Aktivierung bereits ansozialisierter Glaubensmuster, die sich beim potentiellen Konvertiten in Gefühlen der Sündigkeil und drohenden Verdammnis gepaart mit Verzweiflung und Hilflosigkeit äußern. Vernimmt der Verzweifelte nun die rettende Bot-
40 In der Zeit zwischen den Veröffentlichungen von Christensen und Allison wurden weitere Arbeiten u.a. von H. Fingarette 1963, J.R. Scroggs und W.G.T. Douglas 1967, R.L. Bushman 1966/1969, D. Capps 1968/1970, H. Bagwell 1969, C.M. Speilman 1971 zum Thema Konversion verfaßt. Diese Arbeiten tragen aber zu der hier skizzierten Entwicklungslinie nichts neues bei.
1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung
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schaft, so tritt der Prozeß der Änderung des gesamten Lebensstils ein. Diese Wandlung beruht auf folgenden drei psychischen Mechanismen:
Identifikation, der inneren Vereinigung mit einem mächtigen charismatischen Führer, Introjektion meint die Übernahme von göttlichen oder charismatischen Eigenschaften in die eigene Persönlichkeit, vor allem in den Bereich des Über-Ich, Verdrängung bedeutet die Übertragung von negativen Emotionen von einer Person oder einem Gegenstand auf eine andere Person bzw. auf einen anderen Gegenstand. Murphey sieht im Gegensatz zu Freud Parallelen zwischen Konversion und der Lösung des Ödipuskomplexes und kommt damit fast zur Annahme einer psychischen 'Nachreifung•.4t Als Ergebnisse des Konversionsprozesses sieht der Autor: Eine Dominanz von 'Über-Ich' über die Instanzen 'Es' und 'Ich'. Der typische Konvertit erscheint sehr moralisch, dichotom denkend und um die reine Lehre bemüht Eine Auslagerung der Selbstkontrolle, das 'Über-Ich' dominiert, das 'Ich' erhält einen geringeren Wirkungsbereich, als dies den Vorstellungen der meisten Amerikaner entspricht. Der Konvertit fühlt, daß weniger Bereiche des Lebens unter der eigenen Kontrolle stehen, Gott oder externe Kräfte werden als primär verantwortlich für das eigene Leben und die Geschehnisse in der Welt gesehen. Die starke Bindung an die jeweilige Gemeinschaft (communalism) geht einher mit feindlichen Gefühlen gegen die Umwelt, die bis hin zur Paranoia reichen. Die Notwendigkeit von hierarchisch gestufter Autorität, die von Gott oder dem charisamtischen Führer sich herleitet und jeden auf eine Stufe über oder unter den Konvertiten stellt Die Entwicklung bzw. Betonung rituellen Verhaltens mit selbstverleugnendem Charakter zur Verbindung mit Gott. Dabei degeneriert ursprüngliche Demut oftmals zu Selbstdestruktivern Verhalten. L.R. Rambo (1982) versucht psychoanalytisches und sozialpsychologisches Denken zu verbinden, wenn er die Rolle charismatischer Beziehungen als zentrales Moment bei Konversionen hervorhebt Charisma, so stimmt er mit Camic (1980) überein, ist eine außergewöhnliche Eigenschaft oder Kraft, die einer 41 Er ist sich natürlich des Unterschiedes zwischen psychischer Entwicklung und Konversion bewußt, ein Konvertit wird für Murphey nicht vollständig erwachsen. Vgl. die Folgen der Konversion bei Murphey.
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I. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
Person von seinen Anhängern zugeschrieben wird. Die Ursachen der Zuschreibung liegt nach Rambo aber in tiefliegenden Bedürfnissen der Zuschreibenden selbst: "The need for charisma is directly related to the intensity of the potential converts distress" (S.IOI). Im allgemeinen wird der Konvertit nicht durch den charismatischen Führer selbst missioniert. Meist fungiert nach Rambo, der sich hier auf Weiningers Ausführungen bezieht, ein Mitglied einer Gruppierung als 'Brücke' für den Neuling. Da aber auch der Missionar auf den Neuling positive Eigenschaften wie Aufrichtigkeit, Energie, verbale Geschicklichkeit, Führungsqualitäten und Intelligenz ausstrahlen muß, Eigenschaften, die charismatischen Persönlichkeiten generell zukommen müssen, spielen auch in den ersten Phasen des Konversionsprozesses charismatische Momente eine Rolle, bevor der Konvertit noch den eigentlichen Charismaträger kennenlernt
Der eigentliche Charismaträger, der religiöse Führer dient dem Konvertiten unter anderem42: Als Verkörperung des Glaubens durch die Aura von Macht, Kraft und Energie, die der Konvertit am Führer wahrnimmt. Der Führer, der vom Neuling meist innerhalb einer durch die Gruppe strukturierten Situation wahrgenommen wird, fungiert so als zentrale Verbindung zwischen Konvertit, Gruppe und dem Übernatürlichen. Als Modell, der Führer zeigt dem Konvertiten explizit und implizit wie zu handeln, zu fühlen und zu denken ist, um die Umwandlung, das Ziel des Konversionsprozesses, zu erreichen. Diese Modellfunktion verläuft oft unbewußt und resultiert oft in einer Übernahme der Gestik, des Sprachverhaltens sowie der spezifischen Manierismen des Führers. 43 Diese beiden Aspekte der Rolle des charismatischen Führers werden durch die Mechanismen der Identifikation und Introjektion aktiviert Da der Führer aber auch als öffentliche, symbolische Figur fungiert und so die Beziehungen der Gemeinschaft zur gesellschaftlichen Umwelt defmiert, bietet er die Basis für 42 Zu den weiteren Aspekten der Rolle, die der Charismaträger für den Konvertiten spielt, vgl. Abschnitt über Charisma und Konversion. 43 Diese Übernahme bleibt nicht auf religiöse Gruppierungen beschränkt. Mitglieder einer von 1975-1985 an den Hochschulen verbreiteten politischen Gruppierung versuchten in zahlreichen Veranstaltungen 'bürgerlicher' Wissenschaft zu agitieren. Obwohl regelmäßig anonym auftretend, wurden die Agitatoren nach kurzer Zeit durch ihre Stereotypie an Einwänden von Lehrpersonal und Studenten erkannt. Diese Stereotypie erstreckte sich nicht nur auf die Argumentation, sondern auch auf Wortwahl und Betonung beim Vortrag. Hier fand eine Übernahme der durch die Führer geprägten Sprechweise bis hin zur Sprachmelodie statt Ähnlich bei den Mitgliedern der ISKCON: Die meisten Missionare ahmten Argumentation und Sprechweise ihrer Meister bis zu den füllenden äh's hin (die entsprechend der Herkunft der Leader amerikanisiert vorgetragen wurden) nach.
1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung
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die Verschiebung negativer Gefühle auf die 'feindliche' Umwelt. Charisma ist eine doppelseitige Beziehung zwischen Anhängern und der Person, die sich von Anhängern als Führer behandeln läßt. Genauso wie der Anhänger in den charismatischen Eigenschaften des Führers seine starken Sehnsüchte und Hoffungen projiziert, benötigt der Führer oftmals die Verehrung seiner Gefolgschaft, um sein grandioses Selbstkonzept aufrecht zu erhalten. Rambo meint hier zwischen wachstumsfördernden und wachstumshemmenden religösen Führern unterscheiden zu können: Religiöse Lehrer, welche die religiöse Entwicklung des Schülers fördern, akzeptieren dessen Übertragung auf sich selbst als charismatische Figur solange, wie dies dem Wachstum des Anhängers förderlich ist. Eigentliches Ziel ist aber die Entlassung des Schülers in die Selbständigkeit.44 Destruktive charismatische Führer dagegen versuchen ihre Anhänger 'lebenslänglich' in Abhängigkeit zu halten, um ihre grandiose Selbstkonzeption zu stützen. Diese Unterscheidung von Rambo wirft einige Probleme auf: Sie kann nur sinnvoll bei Gruppierungen angewendet werden, die letztlich das Ziel individueller, diesseitiger Erlösung durch das Indviduum selbst haben. Will eine religiöse Gruppierung weltverändernd wirken, wird der Führer seine Anhänger vor der Erreichung dieses Ziels nicht in die Selbständigkeit entlassen bzw. werden überzeugte Anhänger ihre Selbständigkeit garnicht wahrnehmen wollen. Dies ist ebenso der Fall, wenn individuelle Erlösung z.B. ein lebenslanges Streben in klösterlicher Abgeschiedenheit zur Voraussetzung hat. Durch seine psychoanalytische Perspektive kann Rambo nur diesseitig religiös-therapeutische Lehrer oder Gruppierungen, die die moderne Trennung von öffentlich-politischer und religiös-privater Rolle akzeptieren, als 'wachstumsfördernd' begreifen.
1.3.7 Die Entstehung der 'Gehimwäsche'-These Ende der fünfziger Jahre beiebt sich das Interesse an Bekehrungen von neuem, nunmehr allerdings unter der Perspektive der 'erzwungenen' Bewußtseinsveränderung. Ursache war das Faktum der Existenz einer dem amerikanischen Wertgefühl diametral entgegengesetzten Form ideologischen Totalitarismus in den Ländern des Ostblocks. Bewußt wurde die Fremdheit dieser Ideologie mit dem Bekanntwerden der unmenschlichen Formen des Stalinismus nach dem 2.Weltkrieg. (Während des 2. Weltkriegs hatte 'Onkel' Stalin als Verbündeter im Kampf gegen HitlerDeutschland große Popularität genossen.) Konkreter Anlaß für Entwicklung 44
Vgl. auch J. Wach 1962 und A.M. Hidas 1981, K. Wilber 1980.
1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
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und Verbreitung der Theorien erzwungener Bewußtseinsveränderung war der Koreakrieg, während dem einige tausend amerikaDisehe Soldaten in Kriegsgefangenschaft gerieten. In den chinesischen Kriegsgefangenenlagern wurde versucht, die Gefangenen durch politische Indoktrination für den Kommunismus zu gewinnen. Die im ersten Drittel dieses Jahrhunderts untersuchten Konversionen waren, wie in den letzten Abschnitten dargestellt, überwiegend Bekehrungen innerhalb gesellschaftlich akzeptierter Kulturmuster. Diese Tatsache in Verbindung mit der Übernahme des klassischen Paradigmas aus der christlich-theologischen Tradition, stellte das konvertierende Individuum ins Zentrum der Analyse und blendete die sozialen Komponenten des Konversionsprozesses weitgehend aus. Bei der Konfrontation mit einer der amerikanischen Weltanschauung fremden Ideologie in der Phase des kalten Krieges und der Auseinandersetzung in Korea mußte die manipulative, fremdbestimmte Form der Bekehrung in den Blick gelangen. Denn ein freier Mensch konnte von sich aus kein Kommunist werden. Dazu bedurfte es der zwangsweisen Anwendung von Techniken der Bewußtseinsmanipulation; die Dämonisierung des ideologischen Gegners als widernatürlicher, übermächtiger Manipulator und der Glaube an die unbeschränkte technische Manipulierbarkeit von Natur und Mensch bildeten den mythischen Kern der Theorien zur erzwungenen Bewußtseinsveränderung. Diese Theorien stellen säkularisierte Varianten der theologischen Besessenheits- und Verführungsmetapher dar. 4S Der realistische Beitrag der Gehirnwäschetheorien zum Fortschritt der Konversionsforschung war die Konzentration auf die Dimension aktiver sozialer 'Herstellung' von Bekehrungen. Die klassischen Arbeiten zur Gehirnwäsche von R. Lifton (1963) und W. Sargant (1957)46 beschreiben die 'erzwungene Bewußtseinsveränderung' mit Ausnahme der Konzentration auf die soziale Dimension der Manipulateure formal immer noch als Extremfall der Paulinischen Konversion (vgl. J .T . Richardson 1980,S.6). Trotz der verschiedenen theoretischen Ausrichtung der vier klassischen Gehirnwäschemodelle, Lifton ist Neofreudianer, Sargant Physiologe, Merloo verbindet Freudsches und Pavlovsches Gedankengut, Schein et.al. sind Vertreter einer kognitiven Sozialpsychologie, stimmen alle Richtungen darin überein: Der Wechsel des Glaubens geht einer Verhaltensänderung voraus. Die einer Gehirnwäsche unterzogenen Individuen sind vollkommen passiv den Veränderungen unterworfen. 4S
Vgl. Shupe/ Bromley 1980, S.61.
46 V gl. auch Hunter 1951, Merloo 1956, Schein, Sehneier und Becker 1961 sowie Somit 1968.
1.3 Kurzer Überblick über die Konversionsforschung
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Ein vollständiger Zusammenbruch des alten Selbst fmdet statt. Durch die omnipotenten Techniken der Gehirnwäsche entsteht eine neue Persönlichkeit. Die Veränderung ist eindeutig negativ zu bewerten. Der Wandel ist kaum rückgängig zu machen. Die empirische Basis der Modelle allerdings war äußerst schmal: Biderman (1962) führt aus, daß Lifton nur 40 Personen studierte und insgesamt lediglich 11 detaillierte Studien vorlegte, während Schein sogar nur 15 aus chinesischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte amerikanische Soldaten interviewte. Überdies scheint die chinesische Technik der Gehirnwäsche nicht sehr effektiv gewesen zu sein. A. Scheflein und E. Opton weisen in ihrer Arbeit 'The Mind Manipulators' nach, daß von den über 3500 amerikanischen Kriegsgefangenen des Korea-Krieges nur 50 jemals prokommunistische Äußerungen von sich gaben, und sich nur 25 weigerten, in die Staaten zurückzukehren. Der Ruf der Wirksamkeit, auf die sich ältere wieneuere Vertreter der Gehirnwäsche-These im Zusammenhang mit den 'neuen religiösen Bewegungen' beziehen, ist eher ein Produkt von Hollywood Filmen wie 'The Manchurian Candidate', als der Realität. Auch viele der neuen religiösen Gruppierungen, die mit dem Zusammenbruch der Jugendrevolte Ende der sechziger Jahre rapiden Zuwachs erhielten und so in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerieten, waren den herkömmlichen amerikanischen Kulturmustern fremd. Die neuen Kulte warfen die Frage auf, was junge, wohlerzogene und gut ausgebildete amerikanische Angehörige der Middle-Class dazu bewegen konnte, ihre guten Karriereausssichten dem Leben in einer autoritär geführten Gruppierung mit dubioser Weltanschauung wegen aufzugeben. Was lag näher, als in den Aussteigern idealistisch-naive Opfer skrupelloser Manipulationstechniken zu sehen? DieGehirnwäschemetapher wurde von der sich zu Beginn der siebziger Jahre entwickelnden Anti-Kult-Bewegung als Rechtfertigungsstrategie für die eigenen Aktivitäten (Versuch der Einwirkung auf den Gesetzgeber und zahlreiche OeProgrammierungen) herangezogen: "An uncomfortable reality has atlast come home to the American public: brainwashing, which once seemed exclusively a communisttechnique, is her in America and used by cult" (Verdier 1977, S.l3). Die Gehirnwäschethesen zu den neuen religiösen Bewegungen wurden erst nach Mitte der siebziger Jahre publiziert, als die neuere soziologische Konversionsforschung schon auf eine etwa zehnjährige Erfahrung zurückblicken konnte. Deswegen konnte sich der Mythos Gehirnwäsche im Falle der sogenannten 'destruktiven Kulte' nicht mit derselben Selbstverständlichkeit etablieren wie in den fünfziger und frühen sechziger Jahren bei den kommunistischen Indoktrinationsversuchen.
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1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
Zwar entstand eine starke, organisierte Opposition gegen die neuen religiösen Bewegungen47, aber zugleich wurde von seitens der Soziologie und auch z.T. der Psychologie und Psychiatrie harte Kritik an den Thesen zur Gehirnwäsche und an der durch sie legitimierten Tätigkeit der 'Oe-Programmierung' formuliert. Mit der Zurückweisung der Gehirnwäschemetapher geht bei vielen Psychologen allerdings eine Betonung der individuellen Defizite der Konvertiten einher, m.E. ein Rückfall, der die Gründe für Konversionen wieder ausschließlich im 'kranken' oder 'anfälligen' Individuum sucht. Basis dieser Erklärungsversuche bildet meist die psychoanalytische Narzißmustheorie (vgl. Gascard 1984, Ziehe 1975, Heimbrack 1983).
1.3.8 Die Entwicklung der soziologischen Konversionsforschung Soziologische und sozialpsychologische Aspekte von Konversionsprozessen finden sich bei einigen der bisher vorgestellten Autoren, z.B. bei Coe, Pratt, Weininger und Christensen. Von einer explizit soziologischen Konversionsforschung kann aber erst seit den sechziger Jahren gesprochen werden. T. Shibutani formulierte 1962 eine interaktionistische Perspektive zu Konversionsprozessen, die später von P. Bergerund Tb. Luckmann weiterentwickelt wurde. Shibutani begreift Konversionen unter der Perspektive menschlicher Kommunikation in den drei Etappen: Kommunikationsstörung, Suche nach neuen Kommunikationsmöglichkeiten, Aufbau neuer, stabiler Kommunikationsmuster: Eine lange Phase der Krise, die durch Störungen in den interpersonalen Beziehungen charakterisiert werden kann, stellt die Voraussetzung für jede Konversion dar. Der (zufällige) Kontakt mit einem neuen Kommunikationskanal, das Kennenlernen einer neuen Lebensauffassung ist ebenfalls eine notwendige Vorbedingung für eine Konversion, andernfalls bliebe nur das 'Durchwursteln' in der alten krisenhaften Umwelt oder der Rückzug in die Isolation. Der neue Kommunikationskanal ermöglicht eine Reinterpretation der Erfahrungen aus einer anderen Perspektive sowie die Bildung einerneuen Identität Die Verstärkung und Unterstützung dieses Prozesses durch signifikante Andere der neuen Sinnwelt ist konstitutiv für diesen Prozeß der Wandlung.
47 Vgl. A. Shupe und D. Bromley 1980, D. Bromley und A. Shupe 1981, Bromley und Richardson 1983.
1.3 Kuner Überblick Uber die Konversionsforschung
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P. Berger48 und Th. Ludemann (1966, 1969) nennen radikale Konversionen 'Verwandlungen'. Über die von Shibutani formulierten Gedanken hinaus, betonen die Autoren die zentrale Rolle der Sozialisation: Eine Verwandlung setzt Resozialisationsprozesse voraus, die der Primärsozialisation ähnlich sind, weil sie 'radikal neue Wirklichkeitsakzente' setzen müssen (Berger/ Luckmann 1969, S.168). Diese Prozesse bedingen eine affektive Identifikation mit dem sozialisierenden Personal. Im Gegensatz zur Primärsozialisation beginnen diese Vorgänge jedoch nicht 'ex nihilo', sondern müssen von der Auflösung früherer nomischer Strukturen begleitet sein. Die Schaffung neuer Plausibilitätsstrukturen vollzieht sich nach Berger und Luckrnann durch die tiefe Identifikation des Konvertiten mit signifikanten Anderen, ein Vorgang, der die frühen Kindheitserlebnisse der Gefühlsabhängigkeit wiederholt. Die signifikanten Anderen repräsentieren in ihren Rollen, die sie als vis a vis des Konvertiten spielen (meist ausdrückliche Resozialisierungsrollen), die neue Plausibilitätsstruktur. Alle signifikanten Beziehungen und Interaktionen sind auf die neue Gruppe als Trägeein der Plausibilitätsstruktur ausgerichtet. Das Konversionserlebnis kann dem Gruppenbeitritt vorangehen. Entscheidend für die Aufrechterhaltung einerneuen Sicht von Wirklichkeit ist aber der Bezug zu einer Gruppierung, welche die neue Plausibilitätsstruktur trägt und aufrechterhält: "Mit anderen Worten, Saulus mag in der Einsamkeit seiner religiösen Ekstase Paulus geworden sein. Paulus bleiben konnte er nur im Kreis der christlichen Gemeinde, die ihn als Paulus anerkannte und sein neues Sein, von dem er nun seine Identität herleitete, bestätigte" (1969, S.169). Die Perspektive von Shibutani und Berger/ Luckmann zielt auf eine gegenüber der psychologischen Konversionsforschung tieferliegende interpersonale Ebene: persönliche Krisen erscheinen als Moment von Beziehungskrisen. Das Konversionserlebnis kann die 'paulinische' Form annehmen (Berger und Luckrnann nehmen diese Bekehrung auch als prototypisches Beispiel), dies ist aber sekundär gegenüber den Prozessen, die sich auf der interpersonellen Ebene vollziehen und das Bekehrungserlebnis als Epiphänomen erscheinen lassen. Wichtig ist die Initiierung der Konversion durch interpersonelle Krisen, die erfolgreiche Suche nach neuen sozialen Beziehungen und vor allem die Stabilisierung der Konversion durch die neue Interaktionsstruktur. Damit wird auch die naive Annahme der dauerhaft lebenverändernden Wirkung des Konversionserlebnisses per se abgetan. Der 'neue Mensch' kann seine gewandelte Identität nur in der Bestätigung durch die neue Gemeinschaft aufrechterhalten. Da das eigentliche Bekehrungserlebnis, auf das sich die Religionspsychologie konzentrierte, in der interaktionistischen Perspektive eher den Stellenwert eines vom Interaktionskontext abhängigen Schwellenerlebnisses gewinnt, wird 48 P. Berger formulierte diese Gedanken zur Konversion bereits 1963 in seiner 'Einladung zur Soziologie'.
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1. Einleitung zu einer soziologischen Theorie der Konversion
der Blick auf mögliche, vorn interaktiven Umfeld beeinflußte Varianten von Konversionsprozessen frei: Konversionen müssen nicht immer in der Form mystisch überwältigenden Erlebens ablaufen, sie können auch als Lemprozeß, als probeweises Einlassen auf die neue Gerneinschaft und ihre Perspektive vonstattengehen. Radikale Formen von Konversion, 'Verwandlungen' im Sinne von Berger und Luckrnann, können ebenso wie weniger tiefgreifende Bekehrungen als Sozialisationsprozesse analysiert werden. Je tiefgreifender der Wandlungsprozeß sich darstellt, desto mehr ähnelt er dem Prozeß der Primärsozialisation, je mehr die neue Perspektive der alten Weltsicht ähnelt, umso eher können diese Formen der Konversion als sekundäre oder tertiäre Sozialisation in den Begriffen des Rollenlemens beschrieben werden. Auch die Rolle des konvertierenden Individuums erhält in der interaktionistischen Perspektive neue Dimensionen: der Konvertit erscheint nicht mehr nur als passives Objekt transzendenter Kräfte (wie in der Theologie), intrapsychischer Reifungs- bzw. Regressionsprozesse, wie in der Religionspsychologie und in der Psychoanalyse, oder übermächtiger Manipulationstechniken, wie in den Theorien zur Gehirnwäsche. Vor allem bei Shibutani wird deutlich, daß das konvertierende Individuum aktiv nach neuen Kommunikationskanälen sucht, die seiner Situationsdefmition angebrachter erscheinen als die bisherigen lnteraktionsstrukturen. Eine umfangreiche empirische Forschung zum Thema Konversion, die Vergleichsmöglichkeiten und Differenzierungen bereitstellte, existiert in der Soziologie erst seit den bahnbrechenden Arbeiten von Lofland und Stark. Der seit dieser Zeit erreichte theoretische und empirische Forschungsstand wird im dritten Abschnitt der Arbeit behandelt Dieses Drift-Modell ist konkreter foonuliert als die Perspektive von Shibutani oder Berger/ Luckrnann, es enthält eindeutig formulierte Voraussetzungen für Konversionsprozesse und eine präzise definierte Abfolge der Etappen des Konversionsprozesses selbst Die Präzision des Modells beruht allerdings auf zwei Fehlannahrnen: Zum ersten sind einige der angeführten Bedingungen und Stationen des Prozesses nur für eine bestimmte Gruppierung in einem bestimmten Zeitraum gültig. Zum zweiten wird das konvertierenden Individuum wieder zum passiven Objekt sozialer Kräfte. Damit wurden einige der bei Shibutani und Berger und Luckrnann formulierten Einsichten, in den Anfängen der durch das Lofland/ Stark-Modell stimulierten empirischen Konversionsforschung ausgeblendet und erst in der Phase der kritischen Auseinandersetzung mit diesem Modell nach etwa zehnjähriger empirischer Forschungsaktivität wieder eingeführt
2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive' Kulte In diesem Kapitel findet eine, bezogen auf die Thematik der Arbeit, sehr ausführliche Auseinandersetzung mit den Theorien zur zwanghaften Bewußtseinsveränderung statt. Dies hat folgende Gründe: Der Glaube an Gehirnwäsche als übermächtige Technik der Bewußtseinsmanipulation existiert nicht nur bei vielen sozialwissenschaftliehen Laien, sondern auch im sozialwissenschaftliehen Bereich. Der Mythos der Gehirnwäsche stellt die Weltanschauung der Anti-Kult Bewegungen dar und wurde dadurch in der sozialen Praxis wirksam. Der Mythos fungierte zudem als Basis für Konversionen verstörter Eltern in die Anti-Kult Bewegung (vgl. Abschnitt 4.2.1) sowie als Grundlage von Prozessen des De-Programming (vgl. Kapitel 7). Die Anti-Kult Bewegung war in Nordamerika deutlich aktiver als im Europäischen Raum. Im folgenden konzentriert sich die Auseinandersetzung mit Theorie und Empirie zur These er. zwungener Bewußtseinsveränderung auf den Bereich der Bundesrepublik Deutschland. Seit etwa 1975 mehrten sich warnende Berichte in Massenmedien, Dokumentationen von 'Sektenexperten' und Elterninitiativen, die vor den 'Gefahren' der 'neuen Jugendreligionen' warnten) Im Jahre 1978 fand eine vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit finanziell geförderte, von der Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie durchgeführte Fachtagung statt, die vom damaligen Vertreter der Elterninitiativen, Dr. Karbe angeregt wurde (vgl. Müller-Küppers und Specht 1979, S.l). Auf dieser Tagung nahmen auch Vertreter der Psychologie und Psychiatrie Stellung zum Problem der 'Jugendreligionen'. Mangels eigenem empirischen Materials wurden zur Begründung des destruktiven Charakters der neuen 'Jugendreligionen' die Arbeiten der amerikanischen Psychiater und Psychologen J.G. Clark, R. Lifton und M. Singerund L. West herangezogen.
1 Zur Entwicklung der Anti-Kult Bewegung vgl. Hardin und Kuner 1981, Beckford 1981, Shupe/ Bromley 1980, für die Bundesrepublik Deutschland vgl. Flasche 1987, S.256 ff.
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2 Zur Kontroverse wn 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulle'
2.1 Theoretische Annahmen und empirische Belege für den Prozeß der 'erzwungenen Bekehrung' 2.1.1 Liftons Modell der Gedankenrefonn R.J. Lifton entwickelte sein Modell der 'Gedankenrefonn' 1961 durch eine Rekonstruktion der in chinesischen Gefangenenlagern verwendeten Methoden weltanschaulicher Umerziehung (Lifton 1979, S.73). Folgende acht Merkmale sind nach Lifton für die Technik der 'thought reform' charakteristisch: Milieukontrolle (Überwachung der Kommunikation zur Umwelt und Unterbinden der Reflektion) Mystische Manipulation (Herstellung von Erlebnissen anscheinend spontanen Charakters, z.B. durch Fasten und Reduktion der Schlafdauer) Forderung nach Reinheit (Dichotomisierung der Welt in Gut und Böse, Forderung nach persönlicher Läuterung, Weckung von Schuld- und Schamgefühlen) Heilige Wissenschaft (die allem überlegene Einsicht in die Gesetzmäßig-. keit der Dinge) Aufladen der Sprache (Klischees, Emotionalisierung) Personenbeherrschende Doktrin (Unterordnung eigener Erfahrung unter eine absolut geltende Lehre) Existenzverleihung (Trennung der Menschen in existenzberechtigte und rechtlose Individuen) Bekenntniskult (öffentliche Darstellung begangener Fehler, Selbstkritik) Lifton bescheinigt den neuen religiösen Bewegungen totalitären Charakter und glaubt, daß Rekrutierungen in diese Gruppen durch Praktiken der 'Gedankenreform' stattfinden. Er sieht jedoch Kulte und Konversionen nicht als primär psychiatrisches Problem: "es fällt vielmehr in den sozialen Bereich, den man sowohl aus psychiatrischer wie auch aus vielerlei anderer Sicht betrachten muß" (Lifton 1979, S.83). Psychische Gefahrdung sieht Lifton beim Rückzug eines Individuums aus einer totalitären Umwelt, da neben dem dort aufgeprägten 'Ich' sich nun das alte 'Ich' bemerkbar macht und zwei 'Ich'-Zustände nebeneinander bestehen, ein "schmerzlicher und psychologisch oft schädlicher Zustand" (Lifton, S.76).
2.1 Annahmen und Belege fUr den Prozeß der 'erzwungenen Bekehrung'
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2.1.2 Singers Modell der 'coercive persuasion' M. Singer (1979a) vergleicht die Rekrutierungsmethoden der 'destruktiven Kulte' mit den in chinesischen und koreanischen Gefangenenlagern angewendeten Methoden der Gehirnwäsche und sieht folgende Charakteristika als zentral an: soziale Isolation absolute Informationskontrolle Schlafdefizit (führt zur Schwächung des Urteilsvermögens) proteinanne Kost (verursacht Unwohlsein) Unterdrückung negativer Einstellungen in der Gruppe pausenlose Beschäftigung der Novizen (unterbindet die Reflexion und führt zu tranceähnlichen Zuständen) Veränderung des Äußeren "Auf diese Weise werden die jungen Leute in einen veränderten Bewußtseinszustand versetzt, so daß sie in ihrem eigenen Denken und Nachdenken immer beschränkter werden, d.h. selbst immer weniger nachdenken" (Singer 1979a, S.107). Die Eliminierung von Zufällen in der Deutung der Bekehrung sowie die Uminterpretation der Beziehungen zu Eltern und früheren Freunden beschließt den Prozeß der 'coercive persuasion'.
2.1.3 Clarlcs 'künstlich gesteuerter Wahnsinn' J.G. Clark sieht in seinem Artikel 'Der künstlich gesteuerte Wahnsinn' (1979) den Beitritt zu 'destruktiven Kulten' als Resultat einer "erzwungenen und fortdauernden Bekehrung" (S.85), die zu einem "schwerwiegenden Zerfall der Bewußtseinsphänomene" (S.86) führen soll. Erreicht wird die Bekehrung durch "Methoden der geistigen Manipulation" (Clark 1983a, S.95), als da sind: "vorsätzlicher eklatanter Betrug, Verzerrung der Wirklichkeit(?), intensiver Gruppendruck, Mißbrauch von kirchlichen und erzieherischen Methoden und andere zwischenmenschliche Zwänge" (Clark 1979, S.91). Die Anwendung dieser Methoden führt beim Konvertiten zu einem Zustand "eingeengter Aufmerksamkeit und hochgradiger Suggestibilität" (S.91), einem Geisteszustand "völlig ohne Bewußtseinszusammenhänge" ,ja sogar zu "Trance" oder zu "Bewußtseinszerfall" (S.91). Der Konvertit gibt "in jeder Beziehung seine Selbständigkeit auf' und wird nun einer weiteren Stufe der "schädigenden
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2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulte'
Bekehrung" unterzogen, der "gedanklichen Umerziehung", einem "Programm von ungeheuerer Intensität", durchgeführt fern der vertrauten Umgebung: "ihr Körper und ihr Geist werden in eine so fremde Umgebung versetzt, daß man es sich kaum vorstellen kann" (Clark 1978, S.57). In dieser Phase erreichen die Bekehrer durch "verstärkten Gruppendruck, Nahrungsänderung und Einführung von Schuld und Terror sehr rasch eine ideologische Bewußtseinsänderung und Indoktrination" (Clark 1979, S.91). Strafen, verdeckte und offene physische Drohung, pausenlose Überwachung und tage-, aber auch wochenlange "Verweigerung jeder Intimsphäre für Geist und Körper" sind nach Clark weitere Mittel der Bekehrung. Resultat dieser Prozesse ist beim Opfer eine neue Mentalität, die zu reglementierten, schablonenhaften Beziehungen zu anderen Menschen und einem weitgehenden Verlust des Bewußtseins von der Zeit vor dem Beitritt führt. "Bei den meisten Bekehrten wird diese Mentalität durch Gruppentechniken der Kontrolle wie Meditation, Tanzen, Beten, Schlafentzug aufrechterhalten, und zwar aufunbegrenzte Zeit" (Clark 1983, S.l01). Nach gelungener Bekehrung steigen die Konvertiten in der Hierarchie auf, sie wirken nun "meist als Bekehrer, Geldsammler, Abfallsammler oder möglicherweise als Terrorist" (Clark 1979, S.94).
2.1.4 Auswirkungen der 'erzwungenen Bekehrung' M. Singer behauptet, die Loslösung vom Kult sei für viele aus eigenem Antrieb nicht möglich: "so habe ich von vielen Leuten gehört, die einem Kult angehörten, daß sie nicht hätten aussteigen können, selbst wenn sie gewollt hätten, wenn nicht jemand gekommen wäre und sie geholt hätte" (1979 A, S.l09). Deswegen vollzieht sich nach Singer die Rückkehr ins normale Leben "viel leichter, wenn die Jugendlichen auf sogenannte 'Deprogrammers' oder Re-entry-councillors' treffen, d.h. Leute, die sie über den Kult aufklären und sie beim Wiedereintritt, der Rückkehr ins normale Leben, beraten" (Singcr 1979 A, S.llO). Nach Angaben von Singer traten nur etwa 10% der von ihr Befragten aus eigenem Willen aus (S.109). Mitglieder, die über ein Jahr in einem Kult waren, brauchen nach Singer etwa einen Monat Ruhe, "um sich wieder an gutes Essen, Schlaf usw. zu gewöhnen" sowie weitere 8 bis 18 Monate, um die "frühere Geisteshaltung zurückzugewinnen" (S.llO). Die größten Probleme in der Phase nach dem Austritt sieht Singer in Einsamkeit, Anforderungen an Selbständigkeit, Umstellung auf ein Leben ohne meditative Bewußtseinszustände, Depressionen, Schuldgefühle, Angst vor dem Kult, enttäuschtem Idealismus, der ständigen mißtrauischen Beobachtung durch
2.1 Annahmen und BelegefiirdenProzeßder'erzwungenen Bekehrung'
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die Familie ('fish bowl effect') sowie der geringen Möglichkeit der Verarbeitung (auch positiver Aspekte) des Aufenthalts im Kult. Größtes Problem stellt die "gleichsam beschnittene geistige Aktivität, die Eindämmung des Denkens" dar (S.114). "Die meisten von ihnen beginnen während des ersten Monats nach Verlassen des Kults zu erkennen, wieviel mehr sie denken und nachdenken. Dann werden sie sich bewußt, wie träge und inaktiv ihr Geist war. Ich habe mit vielen Ehemaligen hier in der Bay Aera Kontakt. Das Erstaunliche ist immer wieder, daß viele noch ein oder zwei Jahre nach ihrem Austritt über ihr Leben und ihre Fortschritte verblüfft sind, darüber, daß ihr Geist neu erwacht ist und sie im Leben wieder Fuß gefaßt haben" (S.110). Trotz ihrer permanenten Verblüffung gelingt es, laut Singer, den meisten Ex-Mitgliedern mit Hilfe von Rehabilitationszentren wieder im 'normalen' Leben Fuß zu fassen. Singer betont ausdrücklich, daß die Aussteiger nicht psychisch krank sind. Ein Drittel sind ihres Erachtens "ein wenig verwirrt, ohne nun etwa geisteskrank zu sein oder ein psychiatrisch diagnostizierbares Leiden zu haben" (Singer 1979A, S.118). "Der Durchschnittspsychologe oder-psychiaterkann ihnen überhaupt nicht helfen, weil er diese jungen Menschen auf schreckliche Neurosen behandelt, die sie überhaupt nicht haben" (Singer 1979 A, S.l18). J.G. Clark sieht als mögliche Folgen längerdauernder Kultmitgliedschaft Depressionen, psychotische Reaktionen, psychosomatische Störungen, ernste physische Erkrankungen (Clark 1978, S.59). Das Gesundheitsrisiko hält er für "extrem groß", es bestehen "lebensbedrohende Gefahren für die physische Gesundheit" (S.55) wie "ungeheure Schwankungen des Gewichts, des Antriebs und der Sexualfunktion" (Clark 1979, S.97), "aufgezwungene Psychosen" (S.97), wodurch "stolze und begabte Individuen ... zu Knechtschaft und Abfallessern reduziert" werden (S.97). Denn: "in diesem Zustand scheint der Verstand eine ganze Anzahl von 'IQ' zu verlieren" (Clark 1978, S.58). Bei längerer Mitgliedschaft, etwa nach vier bis sieben Jahren, ist die "Rückentwicklung durch Sekteneinwirkung unwiderruflich" (Clark 1979, S.57). Die Kulte zerstören nicht nur ihre Anhänger, sondern auch die Kultur, die sie toleriert (Clark 1983b, S.364). "Wir im Westen haben es heute mit einer Epidemie destruktiver Anwerbungen zu unzähligen bösartigen Kulten zu tun (Clark 1983a, S.98), "sie sind eine potentielle Gefahr für Gesellschaft und Staat, in dem sie ihr Unwesen treiben" (Clark 1978, S.59). L. West behauptet "Es gibt viele Menschen, die als Ergebnis ihrer Kultzugehörigkeit starben oder im Sterben liegen, die krank sind, gestört oder in ihrer Entwicklung gehemmt; sie werden ausgebeutet, mißbraucht, ihre Gesundheit leidet, man verlangt von ihnen Unrecht zu tun, was vom Lügen bis zum Mord reicht" (West 1983, S. 51). Diese Kulte sind nach West "Scheinreligionen", sie sind "bösartige Zellen" (S.57), gegen die "eine Sozialmedizin zu finden ist, die sie tötet" (S.57).
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2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'desttuktive Kulte'
2.1.5 Daten und Belege für die Prozesse destruktiver Bewußtseinsveränderung Auf welche Beweise stützen die zitierten Autoren nun ihre Anschuldigungen?
R. Lifton, der seine Theorie der Gedankenreform durch Interviews mit 40 Ehemaligen in koreanischer oder chinesischer Kriegsgefangenenschaft entwickelte, belegt seine Thesen mit der Behauptung, die neuen Kulte (die er nicht benennt) seien 'totalitär'. Da sein Modell nun für alle Formen der Bekehrung zu ideologischem Totalitarismus gelten soll, entsprechen Konversionen zu diesen Kulten ebenfalls dem Prozeß der Gedankenreform (Lifton 1979, S.73 ff.). M. Singer schreibt über ihre Daten: "Ich habe fast 300 Ex-Cult Members interviewt, vorwiegend aus der Unification Church. Sie sind zwischen 16 und 42 Jahre alt und haben zum Teil einer Vielzahl (!) von Kulten angehört "2 (Singer 1979a, S.104, 1979b, S.72) Näheres ist nicht zu erfahren. Da nach Singer nur etwa 10% der Mitglieder freiwillig austraten, dürften also ca. 270 'deprogrammierte' Personen unter ihren Befragten sein. J.G. Clark schreibt über seine empirischen Erhebungen: "Es wurden Untersuchungen an 27 Personen aller Grade der Verstrickung in sechs verschiedenen Sekten vorgenommen. Es wurden Interviews mit wesentlich mehr informierten und interessierten Beobachtern gemacht. Der Überblick, der sich ergibt, ist wohlfundiert, wenn auch noch unvollständig" (Clark 1978, S.59). In seinem Vortrag von 1979 spricht Clark von einer klinischen Untersuchung "unter schwierigen Bedingungen" über einen Zeitraum von vier Jahren, wobei 50 Einzelpersonen und über 75 Elternpaare untersucht wurden. Weiteres Material von "150 anderen Personen" stand zur Verfügung (Clark 1979. S.85). Die Mehrheit kam aus der Mittelschicht, das Alter lag zwischen 15 und 31 Jahren, das Durchsclmittsalter betrug 19 bis 20 Jahre. Noch 1983 schreibt Clark: "Wir haben auch viele Beweise gesammelt in Büchern. Essays, Memoiren, Untersuchungen, die die betreffenden Prozesse detailliert beschreiben. sie sind eine Fundgrube. aber die meisten Folgerungen, die man daraus ziehen kann. können wissenschaftlich nicht bewiesen werden, es sei denn als nützliche Hilfe zur Meinungsbildung oder als Hinweise auf bessere Beweise und genauere Beobachtungen" (Clark 1983a. S.102), bzw. "however. the most of the interferences once can draw from this evidence cannot be substained scientifically" (Ciark 1983b, S.366). Clark hält weitere Beobachtungen aus 'erster Hand' für notwendig, um die "Methoden. wie die Ergebnisse einer unter Zwang herbeigeführten Bekehrung eindeutig" zu enthüllen (Ciark 1983a, S.102. 1983b, S.366), aber stellt 2 Sillger widerspricht sich hier: Wenn die Befragten einer Vielzahl von Kulten angehört haben, wie kann die Psychologin dann behaupten, Kultmitglieder könnten ohne fremde Hilfe den Kult nicht verlassen ?
2.1 Annahmen und BelegeftlrdenProzeßder'enwungenen Bekehrung'
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zugleich fest: "wir können nicht in die Kulte gehen, um unsere Forschung zu betreiben" (Clark 1983a, S.l02). Eine Begründung für die Unmöglichkeit der Forschung in Kulten bleibt Clark schuldig. L.J. West nennt als einzig nachprüfbare Daten den Massenselbstmord der Jones-Sekte in Guyana (West 1983, S.53). Ansonsten stellt er fest: "Es ist schwer, wissenschaftlich zu arbeiten in einem Bereich, wo direkter Zugang und unmittelbare Beobachtung verboten(?) sind" (S.51). Außerdem können seiner Ansicht nach direkte Ermittlungen kaum stichhaltige Tatsachen erbringen, da "die Kulte systematisch die Öffentlichkeit täuschen. Sie halten Material, das informieren könnte, zurück, verfolgen Kritiker, schüchtern ihre Mitglieder ein und beherrschen sie völlig, all dies, um einen freien Informationsfluß zu verhindern" (West, S.50). Sozialwissenschaftler, die neue religiöse Bewegungen in teilnehmender Beobachtung untersuchten und die beschriebenen Folgen nicht beobachten konnten, werden durch West als von "kaum glaublicher Naivität" (S.50), als Romantiker, als Getäuschte, als 'merkwürdige Bundesgenossen' charakterisiert. Daß die katastrophalen Folgen der Kultzugehörigkeit nicht an die Öffentlichkeit dringen, liegt nach West an den naiven oder von der Werbung der Sekten abhängigen Medienleuten, an der Einschüchterung von Nachrichtenredakteuren (S.53), Justizbeamten und Personen in der Regierung, die um ihre Karriere, ja sogar um ihre persönliche Sicherheit fürchten müssen (S.55). West bringt es hier fertig, das eingestandene Fehlen von Belegen für seine Behauptungen in Diskriminierung sowohl der Kulte (gerade daß man nichts Genaues über ihre schrecklichen Aktivitäten weiß, belegt ihren bedrohlichen Charakter) als auch der Beobachter, die nicht seiner Ansicht sind, umzuwandeln. Wanda von Beyer-Katte war die einzige Wissenschaftlerin aus dem deutschen Raum, die 1979 eine eigene Deutung des Erfolgs 'destruktiver Kulte' vorlegte. "Es ist so wie bei einer Infektion. Die Infektionen kommen von außen, so wie diese Kulte von außen kommen. Unser Kulturraum ist an sich gesund. Ohne das Eindringen dieser Kulte hätten wir diesen Aussteigertypus nicht. Eine Mitschuld unserer Kultur und Gesellschaftsentwicklung liegt nicht vor". Die Ursache des Erfolgs der destruktiven Kulte, unter Jugendlichen Anhänger zu rekrutieren, liegt in den bei der Missionierung verwendeten Trancemitteln und Erschöpfungsriten, die generelle Folgen zeigen: "der Anhänger übernimmt die Erklärungen, gleichgültig, ob das nun Dämonenglaube, Maoismus oder sinnentleertes Nirvana wäre oder Jugendprotest und totale Kapitalismuskritik" (v. Beyer-Katte 1979, S.68). Neben prophylaktischer Aufklärung sieht W. v. Beyer-Katte als Abwehrmittel "die Rückbesinnung auf das Sportethos des durchtrainierten, satten, gutschlafenden Normalmenschen" (1979, S.70). Die einzige differenziertere Argumentation stammte von Gerd Wartenberg. Er warnte u.a. davor, Jugendliche durch Kidnapping aus den religiösen Grup-
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2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulte'
pen herauszuholen, da Identitätszusammenbrüche die Folge sein könnten. "Ein kaputter Mensch kann auch das Produkt einer falschen Hilfeleistung sein" (Wartenberg 1979, S.l74 f.). Erste eigene Daten zu den 'destruktiven Kulten' präsentierten deutsche Psychiater 1981 auf der von der 'Aktion für geistige und psychische FreiheitArbeitsgemeinschaft der Elterninitiativen e. V.' in Bonn veranstalteten Tagung: M. Müller-Küppers berief sich zwar immer noch auf die Arbeit von Clark aus dem Jahr 1978, um die Gefllhrlichkeit der Kulte zu belegen. Außerdem zitierte er zum Beleg der krankmachenden Wirkung von Sekten M. Singer, obwohl deren Fazit das genaue Gegenteil beinhaltet (siehe oben). Auch mußte er (auf der 2. sogenannten 'Fachtagung zu den destruktiven Kulten'!) feststellen, daß "empirisch abgesicherte Literatur erst im Entstehen begriffen" sei (Müller-Küppers 1983, S.66). Zur Verdeutlichung des 'Sektenproblems' legte er eine Befragung vor, die er bei niedergelassen Ärzten und psychiatrischen Kliniken durchgeführt hatte. Die schriftliche Befragung einer aus der Adressenliste des deutschen Ärzteverbandes erhobenen Zufallsstichprobe von 1000 niedergelassenen psychiatrischen Fachärzten sowie der zusätzlichen Befragung an 69 Universitätskliniken und Landeskrankenhäusern erbrachte 507 Antworten, von denen 435 auswertbar waren. Gefragt wurde nach der Vertrautheit mit dem Problem der Jugendreligionen, nach der Behandlung von Angehörigen dieser Gruppierungen sowie der Anzahl dieser Patienten in den Jahren 1977 bis 1980, schließlich nach einer diagnostischen Einordnung der Erkrankung. Die Antworten ergaben eine Zahl von 388 Patienten, von denen 47 stationär behandelt wurden. 98 der 435 Nervenärzte hielten sich durch eigene Kontakte zu Kult-Mitgliedern bzw. zu deren Angehörigen für sehr gut über die Problematik informiert. 290 Ärzte hatten sich hauptsächlich durch Beiträge in Massenmedien informiert, 47 der Befragten hielten sich für nicht informiert. Diese Daten veranlaßten Müller-Küppers zu dem Schluß, die überwiegende Mehrzahl der angeschriebenen Ärzte sei mit dem Problem der Jugendreligionen gut bzw. sehr gut vertraut, nur ca 10% der Befragten hätten keine eigenen Kenntnisse und keine eigene Erfahrung (S.69). Müller-Küppers schloß aus den Ergebnissen der Befragung auf ein deutliches Anwachsen der Patientenzahlen aus den neuen religiösen Bewegungen. So wurden von 1977 bis 1980 312 Personen behandelt, davon 263 Patienten stationär, wobei die Diagnose 'Schizophrenie' 177 mal gesteiJt wurde, 129 Diagnosen auf neurotische Entwicklung lauteten und 55 Psychosen genannt wurden. Neun klinischen Aufnahmen aus dem Jahr 1975 stehen 41 im ersten Halbjahr 1980 gegenüber. Eine generelle Einschätzung des Problems der Jugendsekten traute sich die Mehrzahl der befragten Ärzte nicht zu.
2.1 Annahmen und Belege fl1r den Prozeß der 'erzwungenen Bekehrung'
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Was beweisen nun die Ergebnisse der Befragung? Erst einmal nur die Selbsteinschätzung der angeschriebenen Ärzte bezüglich ihrer Informiertheil über Jugendsekten. Zum zweiten die Tatsache, daß psychisch kranke Jugendliche von den befragten Ärzten als in einer wie auch immer gearteten Beziehung zu einer wie auch immer gearteten Jugendreligion gesehen werden. Keinerlei Rückschlüsse läßt die Befragung auf die Ursachen der Erkrankung zu, damit ist die von Müller-Küppers vermutete 'krankmachende' Wirkung in keiner Weise erhärtet. Mit der gleichen Logik hätte Müller-Küppers die niedergelassenen Ärzte nach der Anzahl der behandelten Jugendlichen, die nicht das Merkmal der Mitgliedschaft in einer religiösen Gruppe aufweisen, fragen können, um so das überwältigende Ausmaß psychischer Gefllhrdung von Jugendlichen ohne kultische Bindung zu belegen. Mit ähnlicher Logik verfährt H. Lang (1980, 1983). Auch er beruft sich auf die 1978 erschienene Arbeit von J.C. Clark. Er selbst untersuchte 12 ehemalige Sektenangehörige, die er alle in 'psychiatrischen Kliniken' vorfand (Lang 1983, S.85). Unter den 12 Patienten waren fünf ehemalige Mitglieder der 'Divine Light Mission', zwei ehemalige Mitglieder der 'ISKCON', drei Anhänger der 'Transzendentalen Meditation', ein ehemaliger 'Scientologe' (Lang 1980, S.68). Drei der Patienten waren schon vor ihrem Eintritt in die Gruppe als schizophren diagnostiziert worden. Den neun anderen Patienten, die nach Lang erstmals innerhalb "der Sekte und deren Riten psychotisch entgleist" sind, attestiert Lang zwar eine präpsychotische Persönlichkeitsstruktur mit "basaler Schwäche der Ich-Konstitution, Identitätsunsicherheit hinsichtlich der Geschlechtsrolle, Introvertiertheit, Kontaktschwäche, dynamische Insuffizienz sowie persistierende symbiotische Primärbeziehungen" als vorgegebene Faktoren (S.l85). Die Tatsache einer psychotischen Reaktion während ihrer Sektenmitgliedschaft veranlaßt Lang zu der Feststellung, "die Sektenzugehörigkeit gewinnt damit offensichtlich den Charakter einer pathogenen Situation" (S.l84). Dabei faßt Lang das Merkmal 'Mitgliedschaft' überaus großzügig. Die Krankheitsgeschichte einer Frau, der schon 1968 eine schizophrene Erkrankung mit religiöser Wahnsymbolik diagnostiziert wurde, stellt den einzigen Beleg seiner Thesen dar. Lang schreibt "1968, während eines Kirchenbesuchs überkam sie plötzlich der Gedanke, ein Kind zu bekommen. Als am nächsten Tag zuflUlig die Sonne schien, wurde für sie zur Gewißheit, daß ihr Gott auf die gleiche Weise ein Kind schenken wolle, wie der Jungfrau Maria... , 1973 dann erstmals Bekanntschaft mit der Hare Krishna Bewegung. Zwei Jahre später (!) zieht sie in unmittelbare Nähe (!) des Hare Krishna Tempels auf Schloss Rettershof bei Königstein im Taunus. Mehr und mehr gerät sie in einen maniformen Erregungszustand, singt und betet unaufhörlich, eilt mitten in der Nacht barfuß zum Tempel und sucht sich von der Balustrade zu stürzen, um sich, wie sie nachträglich sagt, 'in Krishna' fallen zu lassen" (S.184).
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2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulte'
Diese Schilderung zeigt zum einen, daß die Frau von der ISKCON nicht als Mitglied akzeptiert wurde, sonst hätte sie nicht in der Nähe des Tempels, sondern im Tempel gewohnt, wie alle übrigen Mitglieder zu dieser Zeit (Frauen sollten nach den Vorstellungen der ISKCON nie alleine leben, sondern entweder bei ihren Eltern, im Haushalt ihres Mannes oder, streng separiert von den männlichen Mitgliedern, in der Tempelgemeinschaft). Zum anderen, warum sieht Lang nicht im 1968 stattfindenden Kirchenbesuch eine 'pathoplastische' Situation? Der Fall dieser bedauernswerten Person, die offenbar von den verschiedensten religiösen Symbolen zur Produktion eigenwilliger Vorstellungen angeregt wird, ist die einzige konkrete Fallbeschreibung, die Lang präsentiert. Zudem ist, selbst wenn Lang überzeugendere Fallbeschreibungen zu bieten hätte, der Aufbau seiner Argumentation mit einem grundlegendem logischen Fehler behaftet: Lang fmdet alle 'kultgeschädigten' Personen als Patienten in psychiatrischen Kliniken vor. Wenn nun, wie wir hoffen wollen, psychische Erkrankung die notwendige Bedingung für den Klinikaufenthalt darstellt, so ist Krankheit zunächst die einzige Bedingung für den Klinikaufenthalt und damit auch für die Zugehörigkeit zur von Lang untersuchten Gruppe. Alle weiteren Merkmale, die Lang sonst noch an seinen Patienten feststellt, sind Eigenschaften, deren Zusammenhang mit dem Merkmal Krankheit unabhängig von der Tatsache des Klinikaufenthalts zu belegen wäre. Gäbe es z.B. eine Reihe von Kranken, die das Merkmal 'rote Haare' besitzen oder Lokomotivführer sind, so könnte Lang mit derselben logischen Berechtigung 'rote Haare' bzw. den Beruf des Lokführers als 'pathogene Bedingungen' bestimmen, da er in der Klinik defmitionsgemäß ja nur kranke Rothaarige und kranke Lokomotivführer als Patienten antreffen wird. Beweiskraft hätte nur eine Untersuchung, die eine Gruppe präpsychotischer Sektenmitglieder und präpsychotischer Jugendlicher in gewohntem sozialem Umfeld auf die höhere Auftrittsrate von Erkrankungen hin vergleicht. Daß seine Untersuchungen nichts über die globale Zusammensetzung der Jugendreligionen aussagen können, bemerkt auch Lang. Da, wie er sagt (und wir wollen dies gerade in diesem Fall hoffen), nur psychotisch entgleiste Mitglieder von 'destruktiven Kulten' in die Psychiatrie kommen. Auch stellt er, ebenso wie Lungershausen (1983) fest, daß gerade schizophrene Personen sich zur religiösen Vorstellungswelt im besonderen Maße hingewgen fühlen. In seinem Aufsatz von 1983, mit einer auf 15 Personen erweiterten Kohorte, kommt Lang wieder zu dem Ergebnis, "daß diese Zugehörigkeit bei einer entsprechenden Vorbedingung zu einer mitverursachenden Situation für eine Psychose werden kann", wobei der Grund für diese Verursachung in den 'üblichen Psychotechniken wie Schlafentzug, Fasten und meditativen Techniken' sieht.
Das Ergebnis der Langsehen Untersuchungen läßt sich auf Grund des oben Gesagten folgendermaßen zusammenfassen: Es gibt psychotische Sektenmitglieder, die allerdings aus der Zeit vor der Sektenmitgliedschaft herrührende,
2. 1 Annahmen und Belege fl1r den Prozeß der 'enwungenen Bekehrung'
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psychotische oder präpsychotische Persönlichkeitsstrukturen aufweisen. Der behauptete Zusammenhang von Sektenmitgliedschaft und Erkrankung in einem mitverursachenden Sinn wird durch einen Fehlschluß belegt. Die Behauptung, Fasten, Schlafentzug und Meditation hätten als eine Psychose auslösende Faktoren gewirkt, ist reine Spekulation. C. Haring schließlich beginnt seine Beweisführung mit der Behauptung: "Jeder Psychiater kennt junge Menschen, bei denen nach Kontakt mit Sekten oder totalitären Gemeinschaften psychische Störungen auftraten" (Haring 1983, S.87). Dies stimmt nun auf keinen Fall, selbst wenn Haring unter 'kennen' auch die Fälle des 'vom Hörensagen kennen' mit einbezieht, denn, wie MüllerKüppers feststellte (siehe oben), hatten nur etwa 20% der antwortenden Ärzte Kontakt zu einem SektenmitgJied oder zu dessen Angehörigen, während 80% keinerlei Erfahrung mit der Problematik besaßen.
Harings Kenntnisse resultieren aus 'Beobachtungen', die er von 1968 bis 1977 an 12 Personen machte (vier Frauen, acht Männer, davon sieben Personen stationär behandelt). Alter und spezifische Mitgliedschaft gibt C. Haring nicht an, denn "die Sekten sind austauschbar" (Haring 1983, S.88). "Sechs der stationär Behandelten und ein ambulant behandelter Patient hatten eine akute paranoid-hallunzinatorische Psychose, bei vier der sieben erstgenannten Patienten ließ sich nachweisen, daß die Symptome bereits vor dem Kontakt mit der Sekte bestanden. Die Sektenzugehörigkeit war in diesem (?) Fall eine Folge der Schiwphrenie". Denn: "es ist gar nicht so selten, daß Patienten mit einer beginnenden Schizophrenie sich zeitweilig religiösen oder politischen Gruppen anschließen. Die Flucht in die Gemeinschaft hat für diese Patienten eine ähnliche Bedeutung wie der Rückgriff auf Alkohol oder Drogen" (S.91). Bei erstmals in der Sekte auftretenden psychotischen Erkrankungen sieht Haring die Möglichkeit einer schizophrenen Reaktion auf einen kulturellen Wechsel, "einem aus der transkulturellen Psychiatrie bekanntem Phänomen" (S.53). Weitere Forschungen sollten seiner Ansicht nach die inhärenten Faktoren von Persönlichkeitsstrukturen ermitteln, die eine Bereitschaft zum Sektenbeitritt wahrscheinlich machen sowie eine Analyse der Bedürfnisse, deren Erfüllung von den Sekten erwartet wird. Zusammenfassend muß gesagt werden, daß die Ergebnisse der psychiatrischen Untersuchungen in Deutschland, die unter dem Titel 'Destruktive Kulte' veröffentlicht wurden, keinerlei Belege für die im Umschlagtext behauptete "massive Bedrohung der psychischen Gesundheit" von Jugendlichen und jungen Erwachsenen darstellen. Von den Psychiatern aus Deutschland hat auch keiner diese These aufgrund seiner eigenen Forschungsergebnisse aufgestellt; jeder der Autoren belegt diese Behauptungen mit dem Bezug auf die Arbeiten von Clark und Singer, wobei Clarks oben zitierte Auslassungen nicht mehr Gegenstand einer argumentativen Auseinandersetzung sein können, und M. Singer betont, die Kulte würden keine psychischen Erkrankungen hervorrufen.
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2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulte'
In der letzten Zeit scheint sich ein neuer Stil im Aufweis der Gefahrliehkeil destruktiver Kulte einzubürgern. Da aufgrund der oben dargestellten 'Belege' die Gefährlichkeit der Kulte 'erwiesen' ist, verzichtet man nun auf die weitere Gewinnung empirischer Beweise und bezieht sich nur mehr auf die dargestellte Literatur; so z.B. in den beiden 1983 erschienenen Berichten, ein vom Berliner Senat veranlaßter 'Bericht über die Tätigkeit von sogenannten Jugendsekten u. pseudotherapeutischen Gruppen in Berlin' und ein von H. Köhrer herausgegebener Sammelband zu zwei 'Internationalen Aufklärungsseminaren' in Österreich. Der Berliner Bericht bezieht sich auf "die sich häufenden Hinweise der vielfach zerstörensehen Wirkung von neuen Jugendreligionen" (1983, S.l) und schlägt vor, den Begriff 'Jugendreligionen' durch den einzig angemessenen Begriff der "destruktiven Kulte", wie er sich "in den USA durchgesetzt habe"3, zu ersetzen. H. Köhrer zitiert als Beleg gar nicht mehr näher bestimmbare 'Schlagzeilen', die lange Zeit die Massenmedien in Europa 'beherrschten', wie "Jugendsekte kassiert Erbschaft" und "Sekte trieb jungen Mann in den Selbstmord", "Junge Mädchen zur Prostitution gezwungen". Mir scheint diese Beweisführung weniger ein Beleg für die Gefahrliehkeil der Sekten, als für die Redlichkeit und den Intellekt des Autors, der auch eigene Erfahrungen als Sektenbeauftragter der Evangelischen Kirche in Österreich 1975 bis 1982 ins Feld führt. Während dieser Zeit wurde Köhrer nach eigenen Aussagen mit 'erschreckenden' Familienschicksalen konfrontiert: "In den wenigsten Fällen war eine Hilfe in der Form möglich, daß der oder die Angehörige auf den rechten Weg zurückfand. Ohnmächtig mußte ich mit ansehen, wie die jungen Menschen immer tiefer in die Fänge der Sekten gerieten, bis sie schließlich zur Gänze dort verschwanden" (Köhrer 1983, S.3).
Die einzige Ausnahme im stereotypen Beschwören der Gefahrliehkeil von Jugendsekten macht bezeichnenderweise der Bericht von E. Brunmayr, der zwei auf teilnehmender Beobachtung basierende Untersuchungen zur Sektenproblematik durchführte. Seiner Ansicht nach treffen Begriffe wie Gesinnungsterror, Gehirnwäsche oder Seelenwäsche nicht zu, er sieht Phänomene starker Gruppenkohäsion, "wie es etwa die Elterngeneration in der Zeit des Nationalsozialismus erlebt hat". Er hatte bei "einigen Gruppen von Jugendsekten den Eindruck, mich in einer Aktivistenrunde einer traditionellen religiösen Jugendorganisation zu befinden, wie sie vor etwa 20 Jahren existierten" (Brunmayer, in Köhrer 1983, S.l29).
3 Dies trifft nicht zu. Der Begriff destruktive Kulte wird nur von den der Anti-Kult Bewegung nahestehenden Psychiatern gebraucht. Die meisten Wissenschaftler verwenden den neutralen Begriff "new religious movements".
2.2 Zur Kritik der 'zwanghaften Bekehrung' in destruktiven Kulten
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2.2 Zur Kritik der 'zwanghaften Bekehrung' in destruktiven Kulten 2.2.1 Der Mythos der Gehirnwäsche Der Begriff 'Gehirnwäsche' wurde in den 50iger Jahren durch E. Hunters 'Brainwashing in Red China' 'The calculated Destruction of Mens Mind' (1951) populär. Er wurde von dem Psychiater Lifton und dem Psychologen E.H. Schein kritisiert. Die beiden Autoren versuchten den Vorgang der Einstellungsänderung in totalitärer Umgebung mit dem oben dargestellten Konzepten der 'coercive persuasion' oder 'thought reform' zu erklären. In den Theorien zu Prozessen 'zwanghafter Überzeugung', die T. Solomon als psycho-physiologische StreBtheorie bezeichnet (1983, S.164), ist nichts, was nicht durch herkömmliche sozialpsychologische Theorien erklärt und dargestellt werden könnte (vgl. auch Bromley und Shupe 1981 B, S.97); auch ist diese Prozedur nicht von der diabolischen Effektivität, wie die Verwender des Begriffs dies im Zusammenhang mit den Rekrutierungstechniken der destruktiven Kulte suggerieren wollen: So führen Alan Scheflin und Edward Opton aus, daß nur 50 von den 3500 amerikanischen Kriegsgefangenen in Korea jemals prokommunistische Statements von sich gegeben hätten, und nur 25 bei Kriegsende nicht nach Hause zurück wollten. Der Psychologe E. Schein, der in den frühen 50igern zurückgekehrte, in chinesischer Gefangenschaft einer Gehirnwäsche unterzogene Kriegsgefangene untersuchte, kommt zu dem Schluß, daß die Versuche der Chinesen, ideologische Konversionen mit den Mitteln der Gehirnwäsche zu erzeugen, ein Fehlschlag waren (Schein et al. 1961, S.332).
Auch der Psychiater J.D. Frank (1985) kommt in seiner Analyse von Prozessen der Gedankenreform zu folgendem Fazit: "Die wichtigste Lehre also, die wir aus der 'Gedankenreform' ziehen können, ist nicht, daß es ihr gelingt, falsche Geständnisse zu erwirken, sondern daß es ihr nicht gelingt, dauerhafte Einstellungsänderungen zu erzielen" (Frank, S.l51). Bromley/ Shupe (1981 B) bemerken hierzu: "Die Mitglieder der Anti-Kult Bewegung, die psychiatrische Literatur zur Gehirnwäsche zitieren, scheinen diese nicht sorgfaltig gelesen zu haben. Der diabolische Gehirnwäscher, der den freien Willen des Mensehen rauben kann, ist eher eine Erfindung Hollywoods, als Realität" (S.99, Übers. vom Verfasser). '1n sum, a process resembling brainwashing, wich requires imprisonment and a high degree of coercion, is relatively rare and has questionable effectiveness. 'Thought reform' is a more common phenomenon but requires voluntary partizipation by the target of attitude change" (S.100). Zudem sei, so die Autoren, an den verwendeten Techniken nichts geheimnisvolles, sie werden in vielen therapeutischen Situationen, in Release-Gruppen u.a.angewendet und können unter bestimmten Bedingungen relativ effektiv sein, sind aber weit davon entfernt, narrensicher zu wirken (S.101).
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2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulte'
2.2.2 Das Verheimlichen der Gruppenzugehörigkeit seitens der Missionare Ein weiterer, oft geäußerter Vorwurf ist die Behauptung, die potentiellen Konvertiten würden im Unklaren über die Gruppenzugehörigkeit der Missionare gelassen und so in den Bereich der Kulte gelockt. Auch das ist bis auf eine später zu besprechende Ausnahme schlicht unwahr. So kann über die Identität eines ISKCON-Missionars keinerlei Unklarheit bestehen, die exotische Aufmachung dieser Gruppe wurde geradezu das 'Markenzeichen' der Bewegung. Zudem sind deren Mitglieder geradezu begierig, jedem, der ihnen zuhören will, ihre Philosophie und die Regeln ihrer Lebensführung zu erklären. Auch die Identität der Straßenwerber der Scientology steht bei den Anwerbungsversuchen außer Zweifel. Die 'Children of God' konnten, schon der Lektüre, die sie verteilten wegen, nicht mit konventionellen religiösen Gruppen verwechselt werden (vgl. Levine 1981). Eine Ausnahme bildeten zeitweise die Methoden der Oakland Family, einer kaliforniseben Kommune der Unification Church, die ihre Zugehörigkeit zu dieser Gruppierung in den ersten Stadien des Rekrutierungsprozesses verschwieg (vgl. Abschnitt 5.2). Die Vertreter der Anti-Kult Bewegung verallgemeinem nun diese Episode auf alle nicht-konventionellen religiösen Gruppierungen wie ISKCON, Scientology Church und Divine Light Mission. Ebenso wird in den oben referierten Theorien zur 'destruktiven' Bekehrung stets undifferenziert von den Kulten gesprochen. 2.2.3 Plötzliche Bekehrung in sozialer Isolierung Unzulässig verallgemeinert wird auch das Moment der sozialen Isolierung, in der die Bekehrungen stets stattfmden sollen. So läßt sich eine soziale Isolierung weder bei der Scientology Church, noch bei der Divine Light Mission feststellen, die Mitglieder beider Bewegungen leben nicht in Kommunen und üben großteils normale konventionelle berufliche Tätigkeiten aus. Auch der 'plötzliche' Charakter der Bekehrung ist nach Bromley und Shupe ein Mythos. Für offenen Zwang bei Bekehrungen wurde kein Beweis erbracht (vgl. auch Solomon 1983, Galanter 1978 u. 1980, Levine 1981). Empirische Untersuchungen zu Konversionsprozessen zeigen, daß Konversionen kein 'plötzliches' Ereignis darstellen, sondern als Prozesse individueller und sozialer Art zu fassen sind (vgl. den Abschnitt 'Konversionsprozesse'). Keine der zahlreichen Studien teilnehmender Beobachtung, die von Sozialwissenschaftlern in diesen als 'destruktiv' bezeichneten Gruppen durchgeführt wurden, erbrachten einen Beleg für Bekehrungen durch Gehirnwäsche. Die von Clark, Patrick u.a. beschriebenen 'Zombies' konnten in keiner der untersuchten Gruppen gefunden werden.
2.2 Zur Kritikcb"'zwanghaftenBekehrung' in destruktiven Kulten
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2.2.4 Totale Abhängigkeit und gesundheitliche Schäden als Folge der zwanghaften Bekehrung F. Daner (1976) und St. Judah (1974) beschrieben die hohe Austrittsrate bei der ISKCON. Judah wies anband einer Zufallsauswahl von 200 Mitgliedern der Unification Church (im folgenden U.C.) nach, daß 55% der Konvertiten die U.C. nach einem Jahr verlassen (diese hohe Austrittsrate besteht bei der Gruppierung, der von den Kritikern der destruktiven Kulte die effektivsten Methoden der Bewußtseinsmanipulation unterstellt werden). M. Galanter (1983) und E. Barker (1981) belegten in ihren Studien ebenfalls die hohen Austrittsraten bei der U.C.. Diese Daten lassen sich kaum mit der behaupteten totalen Abhängigkeit in Einklang bringen. Als der Guru der Divine Light Mission 1974 seine Sekretärin heiratete, hatte dies eine Austrittswelle unter den Anhängern zur Folge; in der konfliktreichen Phase nach dem Tode des Gründers der Krishna-Bewegung, traten ca. 25% der Langzeitdevotces aus (Bromley/ Shupe 1981, S.112, vgl. auch Galanter 1980). Im Gegensatz zu den fragwürdigen Belegen von Singer, Clark und West bezüglich der schädigenden Wirkung der Kulte existiert also eine Reihe von Untersuchungen, die keine Hinweise für eine Schädigung durch diese Gruppen feststellen konnten. Darüber hinaus weisen einige Befunde dieser Studien auf therapeutische Wirkungen von Gruppenmitgliedschaft hin (z.B. Nicoli 1974, Galanter, Rabkin, Rabkin & Deutsch 1979, Kilbourne & Richardson 1984, Robbins &Anthony 1982, Richardson 1983, Kuner 1982).
Anthony/ Robbins (1980, S.41) berichten von einer Untersuchung, die A. Gersbon zusätzlich an den von Singeruntersuchten ehemaligen Mitgliedern der U.C. durchführte. Die von Gersbon ermittelten Test-Ergebnisse lagen in allen Dimensionen im normalen Bereich. Ungerleider und Wellish (1979) untersuchten 50 Mitglieder und Ex-Mitglieder der Unifikation Church, der ISKCON und der Children of God. Sie verwendeten strukturierte Interviews sowie drei psychologische Standardtests, den 'Welscher Adult Intelligence Scale', den 'Minnesota Mulltiphasic Personality Inventory (MMPI) sowie die 'Interpersonal Check List' von La Forge und Suscek (Ungerleider und Wellish 1979, S.280). Neben einigen noch später zu diskutierenden Ergebnissen kamen die Autoren zu dem Schluß: "no date emerged from intellectual, personality oder mental status testing to suggest, than any of these subjects are unable to or even limited in their ability to make sound judgements and legal decisions as related to their persons and property" (S.283). D. Levine untersuchte 1979 hundertsechs Mitglieder von neun Gruppen in einem Zeitraum von sechs Monaten (ISKCON, Div. Light Mission,·Children of God, Scientology u.a.) mittels strukturierter Interviews und fand weder Hinweise auf Gehirnwäsche bzw. der Degeneration von Jugendlichen zu blinden
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2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destru.k:tive Kulte'
Automaten, noch Belege für ein rapides Anwachsen der Sekten. In einer Veröffentlichung von 1981 lassen ihn weitere Untersuchungen, nun gestützt auf die Daten von 453 interviewten Mitgliedern sowie 83 Ex-Mitgliedern zu folgenden Thesen kommen: "Cults do not attract a more clinically disturbed population (than any other intense, demanding, dedicated movement). Cults attract a group of individuals who experience specific painful feelings prior their joining. Cults significantly reduce stresses of anxiety, depression, confusion in those members who experienced these; Cults can serve as a haven, and even a therapeutic milieu for members with serious psychiatric or behavioural disorders; Cults do not adversly affect their members clinically any more than any other intense, dedicated demanding movement "(Levine 1981, S.534). Die Behauptung, Kulte verwendeten Methoden der Gehirnwäsche oder der Hypnose, weist Levine zurück. Zwar werden wirksame Methoden der Rekrutierung benützt, jedoch: "the major determinant often individual's commitment to a group is his own suspectibility needs and even 'autohypnosis'. That is, he often comes in 'preprogrammed', with an a priori conviction, search, and heightend expectations" (Levine 1981, S.338). Nach Levine verwenden die von ihm untersuchten Kulte keine Lügen oder Verschleierung ihrer wahren Identität bzw. ihrer Lehren bei ihren Rekrutierungsversuchen. Sie konzentrieren sich bei ihrer Missionierung nicht auf verletzliche Personen, sie versuchen nicht die Entfremdung zu den Eltern zu verschärfen, noch verlangen sie die Übereignung aller Besitztümer an den Kult. Ebensowenig fordern sie eine vollständige Auslieferung der Person, noch praktizieren sie Gruppendruck als inhärenten Teil des Rekrutierungsprogramms (Levine 1981, S.539). Galanter et al. (1979) untersuchten 272 Mitglieder der U.C. mit einem auf der Basis von Tiefeninterviews mit 20 Mitgliedern entwickelten, 216 ltems umfassenden Fragebogen, der die Dimensionen neurotische Spannungen, religiöse Einstellung und 'allgemeines Wohlbefinden' (general well-being) zu fassen suchte. Bei den Mitgliedern schien im Vergleich zu der Zeit vor ihrer Konversion eine Verringerung der neurotischen Spannungen stattgefunden zu haben, obwohl die Werte in der Dimension des allgemeinen Wohlbefindens signifikant niedriger lagen als bei einer studentischen Vergleichsgruppe. 1980 studierte Galanter acht 'Workshops' der U.C. (die zentralen Rekrutierungsveranstaltungen der Gruppe) und interviewte 104 eingeladene Personen. Von den 104 zum '2-Tage-Workshop' erschienenen Gästen blieben zum folgenden '7-Tage-Workshop' 30 Gäste (24%); 74 (die frühen drop-outs) verließen die Gruppe. Nach dem '7-Tage-Workshop' blieben 18 Gäste, um an der folgenden, 21 Tage dauernden Veranstaltung teilzunehmen, d.h. 60% derer,
2.2 Zur Kritik der 'zwanghaften Bekehrwlg' in destruktiven Kulten
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die die zweite Veranstaltung besucht hatten, damit 17% der Eingangskohorte. Am Ende des '21-Tage-Workshops' wollten 9 Personen (50% der Teilnehmer und 9% der Eingangskohorte) in eine Wohngemeinschaft der U.C. aufgenommen werden. Nach vier weiteren Monaten waren von diesen 9 Personen noch 6 in der Gruppe. 4 In seinen beiden Untersuchungen kam Galanter zu dem Schluß, daß Gehirnwäsche nicht angewendet wurde, ebenso kein Zwang, wenn Personen die Veranstaltung verlassen wollten. Die Testwerte der Konvertiten, die nach den 21 Tagen zur Gruppe stießen, lagen auf der allgemeinen Wohlbefmdensskala signifikant niedriger als die Werte der Langzeibnitglieder, ebenso niedriger als bei den Personen, die Galanter als frühe 'drop-outs' bezeichnet.
M. Ross (1983) untersuchte mit dem bereits erwähnten 'MMPI', dem 'General Health Questionaire' und dem 'Eysenck Personality Questionaire' 42 Mitglieder der ISKCON. Die Testergebnisse lagen durchweg im normalen Bereich. Ross konnte keinen Hinweis auf psychische Störungen finden. W. Kuner (1983 A) legte eine Untersuchung für deutsche Mitgliederdreier 'Kulte' vor. Er untersuchte 517 Personen (271 Frauen, 246 Männer), davon waren aus der U.C. 303 (171 Frauen, 132 Männer), von der Gruppe Ananda Marga 47 (15 Frauen, 32 Männer), von den 'Children of God' 42 (19 Frauen, 23 Männer) sowie einer studentischen Vergleichsgruppe von 125 Personen (66 Frauen, 59 Männer). Kuner hatte damit nach eigenen Angaben 84% der deutschen Mitglieder der Children of God, 57% der U.C. und 47% der Ananda Marga erfaßt. Testinstrument war der 'MMPI', die Ergebnisse lagen alle im normalen Bereich, Abnormalität oder Betrugsverhalten ließen sich nicht feststellen, ebensowenig krankhafte Ausprägungen klinischer Art, die eine Anfälligkeit für Kultkonversionen erkennen ließen. Die Mitgliedschaftsdauer wirkte sich generell positiv auf das psychische Wohlbefinden der Anhänger aus. Der Psychoanalytiker J.R. Gascard (1984, S.31) kommt in seiner auf teilnehmender Beobachtung basierenden Untersuchung zu dem Schluß: "Von einer praktisch alle versklavenden Gehirn- oder Seelenwäsche kann also angesichts der geringen Beitritts-, und erst recht angesichts der beträchtlichen Austrittsraten, keine Rede sein. Dem Verfasser, der in allen in Frage kommenden Gruppen ein- und ausgegangen ist, ist auch kein einziger derartiger 'Psycho-Zombie' begegnet". Zu ähnlichen Ergebnissen kommt E. Barker (in Stark/ Roberts 1982, S.57): Von 100 Gästen, die der Einladung zum '2-Tage Workshop' Folge leisteten: 87% blieben bis zwn Ende des '2-Tage Workshops', 45% kamen zum 7-Tage Workshop', 33% vollendeten den '7-Tage Workshop', 22% kamen zum '21-Tage Workshop', 11% vollendeten den '21-Tage Workshop', 4,6% waren ein Jahr später noch Mitglieder der U.C.. Von denen, die im Fragebogen beim '2-Tage Workshop' angegeben hatten, sie glaubten nicht an Gott, kam keiner mehr zum '7-Tage Workshop' (S.58). 4
54
2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekeluungen' durch 'destruktive Kulte'
Ähnlich äußern sich (Röllgen/ Scheel1985, S.78) die, die in teilnehmender Beobachtung Identitätsstrukturen von Mitgliedern der Kölner U.C.-Gruppe erforschten: "Wir rechneten mit einer sogenannten 'Gehirnwäsche', mit PsychoTerror, massiver Indoktrination, einem autoritärem Leiter, permanenter Kontrolle, einem starren Tagesablauf und einer in sich geschlossenen starren Gruppe mit völlig gleichgeschalteten Mitgliedern....Als wir schließlich die VK (Unification Church, Anm. d. Verf.) verließen, hatte sich unser Bild von ihr von Grund auf neu strukturiert....Was den Vorwurf der 'Gehirnwäsche' anbelangt, so setzt man entweder bewußt verzerrte Informationen in die Welt oder man überschätzt die Ambitionen und die Möglichkeiten der 'Geschwister'. Wenn es dennoch eine Methode gibt, Mitglieder, und vor allem Neulinge an die Gruppe zu binden und einen faszinierenden Eindruck bei ihnen zu hinterlassen, so ist das vor allem auf das positive emotionale Klima zurückzuführen" (S.78/ 79). Ähnlich argumentiert W. Pölz (1981, S.129): "Die neuen Jugendreligionen arbeiten nicht mit Gehirnwäsche oder mit Drogen, obwohl solche Vermutungen immer wieder angestellt werden. Zwar werden in vielen Fällen Praktiken angewandt, die einen privaten Reflektions- und Verarbeitungsprozeß und eine Individualisierung im Hinblick auf Kontaktierung von Freunden und Bekannten erschweren und verhindern, doch ergeben sich diese Praktiken aus einer starken Betonung des Gemeinschaftsgefühls mehr oder minder selbstverständlich." Auch die von Conway und Siegelman (1982) vorgelegten Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen Dauer der Kultmitgliedschaft, der täglichen Zeitdauer von Indoktrination und Ritual in jeder Gruppe und psychischen Schädigungen erweisen sollen, weisen neben methodischen Mängeln (vgl. Kilbourne 1983, S.381) unhaltbare Interpretationen der Daten auf. Kilbourne unterzog die Daten von Conway und Siegelman einer Sekundäranalyse, indem er unter Verwendung der Maße 'Spearmans rho' und 'Kendalls tau' eine Korrelationsmatrix der 12 von Conway und Siegelman präsentierten Variablen erstellte (Kilbourne S.382). Die Berechnungen ergaben keinen signiflkanten Zusammenhang zwischen durchschnittlicher Mitgliedschaftsdauer und psychischen Schädigungen, und damit eine eindeutige Widerlegung der These, es bestünde "a direct relationship between the number of hours spent per week in cult ritual and indoctrination and the number of long term-effects" sowie "between hours per week spent in ritual and indoctrination and the reported length of rehabilitation time" (Conway/ Siegelrnan, S.90). Darüber hinaus fand Kilbourne eine auf dem 1% Niveau signifikante negative Korrelation zwischen täglicher Ritual- bzw. lndoktrinationsdauer und Hallunzinationen oder Wahnzuständen. Kilbourne kommt zu dem Schluß: "These findings suggest that altered states, chanting and cult ritual may actually safeguard the cult convert from certain long term mental and emotional defects.
2.2 Zur Kritik drz 'zwanghaften Bekehrung' in destrukti ven Kulten
55
This is exact opposite of what would be expected to occur if the Conway and Siegelman 'infonnation desease' hypothesis were correct" (Kilbourne, S.384). Der Mediziner Th. Sauks (1981) verglich den Gesundheitszustand von 47 Sekten-Mitgliedern (Durchschnittsalter 27,7 Jahre}, die aufs geralewohl aus sechs Sekten (darunter Scientology Church, ISKCON, Unification Church) ausgewählt worden waren, mit der körperlichen Kondition einer 26 Personen umfassenden Kontrollgruppe (Durchschnittsalter 25,7 Jahre). Er fand "keine Abnormitäten der Sektenversuchspersonen, die man auf eine Sektenzugehörigkeit zurückführen könnte." Die wichtigsten medizinischen Probleme der Sekten-Mitglieder rührten nach Sauks aus dem Leben vor ihrer Sekten-Mitgliedschaft her (Sauks, S.ll}. Sein zusammenfassender Befund lautet, daß keine Hinweise auf Gesundheitsprobleme als Folge der Sektenmitgliedschaft bestehen (Sauks, S.l2}. Häufig fmdet sich die Behauptung, Jugendreligionen wirkten süchtigmachend wie Drogen, bzw. 'Drogen' und 'Sekten' stellten Äquivalente dar. Dieser Annahme widerspricht die Untersuchung von Pölz (1981, S.215), der mittels Fragebogen drei Gruppen von Jugendlichen (konventionelle Jugendliche, Sektenmitglieder und drogenabhängige Jugendliche) untersuchte und zu folgenden Ergebnissen kam: "Die Sektengefährdeten können also, zusammengefaßt, als jene Personengruppe betrachtet werden, die eine ausreichende emotionale Basisversorgung in ihrer Herkunftfamilie erlebt hat, die aber in ihrem bisherigen Leben ein starkes Auseinanderklaffen zwischen den eher hochgesteckten ideellen Zielen und Erwartungen an verschiedenen Lebensbereiche und den tatsächlichen Lebenserfahrungen in diesen Bereichen hinnehmen mußten. Es sind durchwegs hochidealistische Jugendliche, die sich für etwas einsetzen wollen, die aber weitestgehend noch nicht wissen, wofür sie sich denn einsetzen sollen oder wofür es sich lohnt, sich in solchem Maße anzustrengen. Gleichzeitig suchen diese Jugendlichen in hohem Maße Gemeinschaft und das Gefühl des emotionalen Angenommenseins, wofür sowohl das hohe Familienideal einerseits, als auch andererseits das Motiv spricht, daß die sektengefllhrdeten Jugendlichen eben Personen suchen, mit denen sie ihre 'Lebensfreude' gerne teilen könnten. Die Drogengefährdeten sind im Gegensatz dazu ganz andere Menschen. Sie scheinen fast am anderen Kontinuum einer bipolaren Skala auf' ... , "so daß ein Jugendlicher, der sich bei den Jugendsekten (mit Ausnahme der Hare Krishna) engagiert, mit größter Sicherheit nicht in die Drogenszene abwandern wird bzw. von der Drogenszene ganz sicherlich nicht gefahrdet ist, und umgekehrt, daß ein Jugendlicher, der als drogengefahrdet bezeichnet wurde, sich nicht einer Jugendsekte (ebenfalls mit Ausnahme der Hare Krishna) anschließen wird. Die drogengefährdeten Jugendlichen sind jene Jugendlichen, die ganz massive Defizite aufzuweisen haben, bei denen die emotionale Fundierung offensichtlich
56
2. Zur Kontroverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulte'
nicht in ausreichendem Maße geschehen ist, die in ihrer Herkunftsfamilie nicht entsprechend positive Erfahrungen machen konnten, die sie auf andere Lebensbereiche übertragen könnten" (Pölz, S.216).
2.2.5 Die neuen religiösen Gruppierungen
als Gefahr für Jugend und Gesellschaft
Feige (1982) stellte in einer 1980 durchgeführten nicht-repräsentativen Befragung von 1725 Jugendlichen fest: 47,5% der Befragten hatten noch nie etwas von den neuen Jugendreligionen gehört. 35,2% der Befragten wissen, daß es so etwas wie 'Jugendreligionen' gibt, können aber keine konkrete Gruppierung benennen. D.h., etwa 83% der befragten jungen Erwachsenen wußten nicht einen Namen einer derartigen Gruppierung zu nennen. 16,4% nannten Gruppierungen, unter denen auch Gruppen wie die Zeugen Jehovas, CVJM (vennutlich 'christlicher Verein junger Männer') u.ä genannt wurden. Ca. 7% der Befragten (125) erklärten, sie hätten Kontakt zu einer 'Jugendreligion' gehabt. >Ein Drittel dieser Gruppe hatte den Namen vergessen, lediglich 77 Personen konnten einen Namen nennen, 11 Personen verweigerten die Angabe. Von den 77 wiederum gaben 60 an, ihr Kontakt sei ganz unverbindlich und locker gewesen" (1982, S.42). davon: Kinder Gottes
32 Nennungen
Hare Krishna
8 Nennungen
Zeugen Jehovas
6 Nennungen
Sonstige TM, Jesus People, CVJM, Freie Christen, Mormonen, Gemeinde Christi
14 Nennungen
Die 15 Befragten mit beendetem Kontakt umfassen Nennungen wie Elim Sekte, CVJM, KolpingFamilie. Ein hochsignifikanter Zusammenhang besteht zwischen Wissen um die Gruppen und Schulbildung: je höher die Schulbildung, desto häufiger die Fähigkeit, einen Namen zu nennen. 15 Personen sagten, sie hätten Kontakt gehabt, 2 sagten, der Kontakt bestünde fort, eine Nennung war KJG, die andere EC Jugend ('Entschiedenes Christentum'). "Es bleibt festzuhalten, daß auf der Basis dieser Erhebung zumindest jene Gruppierungen 'kein Thema' zu sein scheinen, die in der Massenpublizistik den breiten Raum einnehmen (1982, S.43). Wenn man berücksichtigt, daß, wie Bromley/ Shupe (1981 B, S.l09) feststellten, von den Missionaren der U.C. etwa hundert Personen (überdies aus einer Gruppe mit bestimmten Merkmalen, vgl. Rekrutierungstechniken bei der U.C.) angesprochen werden müssen, um einen Besucher zu bekommen. Le-
2.2 Zur Kritik lb''zwanghaften Bekehrung' in destruktiven Kulten
57
vine (1981) geht von einer Rate von 1000 zu 8 ausS, so ist das Verhältnis von Angesprochenen zu Bekehrten 10.000 zu 6. Dies macht die immer behauptete generelle Anfälligkeit von Jugendlichen sowie die Wirksamkeit der Rekrutierungsmethoden sehr fragwürdig. Die Angaben über die Mitgliederzahlen bei den neuen religiösen Bewegungen schwanken beträchtlich. Die Angaben von erklärten Sektengegnern und die von den Bewegungen selbst genannten hohen Zahlen stimmen meist überein, da die beiden Kontrahenten damit die Gefährlichkeit bzw. die eigene Bedeutsamkeil und den Erfolg ihrer Gruppierung belegen wollen. Neutrale Sozialwissenschaftler und ehemalige Führungsmitglieder geben meist wesentlich niedrigere Zahlen an. So spricht Flöther (1985, S.177), erklärter Kultgegner, von 280.000 initiierten Anhängern des Bhagwan. Sheela Silverman, ehemalige Direktorin des Neo-Sannyas Movement, gab nach ihrem Austritt in einem Interview an, daß die Bewegung in ihrer besten Zeit über höchstens fünfzigtausend Anhänger verfügt habe. "Nach Schätzung des bayerischen Sozialministeriums gab es bereits 1982 in Bayern etwa 20.000 Mitglieder von Jugendsekten." (Deutsche Jugend,1985). Pölz kommt in einer Untersuchung von 1294 Jugendlichen zu dem Schluß, daß 3,94% der befragten Jugendlichen als stark sektengefährdet und 3,8% als schwach sektengefährdet anzusehen sind (S.127). Stark/ Roberts (1982, S.159) kommen für England zu einem Potential von unter 5%.6 Nach Reimer (1984, S.3) bleibt die Zahl der Mitglieder der Vereinigungskirche "in Deutschland seit acht Jahren etwa konstant bei 900; zusammen mit 'Freunden' ca. 2500." Weltweit beträgt die Zahl der Mitglieder der Vereinigungskirche etwa 130.000, die überwiegende Zahl der Mitglieder lebt in Korea und Japan. Die 'Children of God' umfassen weltweit etwa 6000 erwachsene Mitglieder und 4000 Kinder. In der Bundesrepublik gab es 1981 noch ca. 180 Mitglieder mit ihren Kindern. Die Zahl der in Deutschland praktizierenden Scientologen dürfte zwischen 10.000 und 20.000 liegen. Die ISKCON in Deutschland hat ca.l20 'Full-Time' Mitglieder und einige tausend Sympathisanten. Levine (1984 S.64 ff.) kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Obwohl die Missionare der U.C. nicht wahllos alle Personen, sondern eine bestimmte Gruppe ansprechen: "the first step in recruiting a new member is to approach a youth of the same age and apparently of the same background as the members themselves", folgt doch nur ein geringer Prozentsatz der Einladung: "For every 1000 young people, approched, perhaps 250 ar at a critical juncture in their lives. And of those 250 only 75 are willing to Iisten. Ofthose who stay to Iisten, a mere eight might feel so attracted to these new friends that they consent to the frrst visit." 5
6 Stark und Roberts weisen an Wachtsumsberechnungen die schiere Unmöglich keit für neue religiöse Bewegungen nach, größere Anteile der Mitglieder einer Gesellschaft zu missionieren (1982, S.l66).
58
2 Zur Konttoverse um 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulte'
2.2.6 Zur Entstehung und Funktion des Mythos der 'zwanghaften Bekehrung' Analysen der Theorien zur 'zwanghaften Bekehrung', die Überprüfung ihrer empirischen Basis sowie Untersuchungen von neutralen Psychiatern, Psychologen, Medizinern und Sozialwissenschaftlern lassen die Vorwürfe der 'AntiKult-Psychiater' als gegenstandslos erscheinen. Zu fragen ist daher, warum der Gehirnwäschemythos so weite Verbreitung fand. Basis für die öffentliche Meinung über destruktive Kulte stellen Berichte der Sensationspresse dar. Diese Berichte wiederum basieren auf den Aussagen von 'Sektenexperten' und von Eltern aktiver oder ehemaliger Kultmitglieder. Deren Gründe für die Akzeptanz der These von der Gehirnwäsche gilt es zu untersuchen.
2.2.7 Gründe für die Akzeptanz der Gehirnwäsche-Metapher Robbins (1984, S.242) arbeitete die Gründe für die weit verbreitete Akzeptanz der Gehirnwäsche-Metapher heraus:
1.
Die monopolistischen Wahrheitsansprüche der Gruppen widersprechen der relativistisch moderaten Form von Religiosität, die in modernen Gesellschaften üblich ist. Zudem akzeptieren diese Gruppen nur widerwillig die Dominanz der Rolle des Staatsbürgers als Basis der Sozialität.
2.
Die absolute Bindung eines Individuums an eine Gruppe widerspricht der westlichen Norm der personalen Autonomie.
3.
Mittelstandsfamilien erwarten von ihren Kindem meist konventionelle Karriere-Ziele und sind über die defizienten Laufbahnen von Kultisten verstört.
4.
Zudem ist die andere Realität für wohlsozialisierte Mitglieder einer Gesellschaft unverständlich und bedrohlich.
5.
Religiöse Bewegungen vermindern die Zahl der Personen, die aktiv in den konventionellen Kirchen und Denominationen teilnehmen würden.
6.
Gurus und Therapie-Bewegungen stellen eine Konkurrenz für herkömmliche Therapeuten dar.
7
Deprogrammierer und Anti-Kultbewegung verdienen nicht schlecht an der Verbreitung des Gehirnwäsche Mythos.7
7 Theodore Roosevelt Patrick, bekanntester Oe-Programmierer, ist der Meinung daß zwanzig Millionen Amerikaner gehirngewaschen seien. "Er begründete eine Millionen-Dollar-Umsatz starke 'deprogramming' Industrie" (Jennrich 1984, S.ll9).
22 Zur Kritikdez 'zwanghaften Bekehrung' in destruktiven Kulten
59
8.
Eltern und ehemalige Kult-Mitglieder können sich mit dem Postulat der Gehirnwäsche von der Verantwortlichkeit für Erziehungsfehler bzw. vom Vorwurfpersönlicher Inkompetenz befreien (vgl. dazu auch Kapitel6).
9.
Glaubensinhalte und religiöse Selbstdarstellung der Kulte entsprechen nicht den konventionellen Vorstellungen von geistiger Gesundheit
10. Eine letztlich säkulare Gesellschaft kann in den Motiven der Gurus kaum religiöse Intentionen sehen. sondern nur das in ihr Übliche in besonders perverser Form: die Aneignung unbezahlter Arbeit der einfachen Mitglieder. Ausbeutung. 11.
Die Dämonisierung devianter und in der Regel machtloser Gruppierungen ist ein beliebtes. weil ungefährliches Thema des Sensations-Journalismus.
12. Religiöse Bewegungen stellen dankbare. weil wehrlose Sündenböcke dar. Vervollständigt wird die Anwendung des Mythos durch eine Separierung der Perspektiven: Die Interpretationen der Geschehnisse innerhalb des 'Kults' werden extrem kritisch vorgenommen. Wie ein amerikanischer Zivil-Richter feststellte: "A religion becomes a cult. proselytization becomes brainwashing; persuasion becomes propaganda; missionaries become subversive agents; retreats, monasteries and convents become prisons; holy ritual becomes bizarre conduct religious observance becomes aberant behavoir; devotion and meditation become psychopathic trances" (Gutman 1977, S.1025-1026). Dagegen werden die Methoden der Oe-Programmierung als "nothing more than an intense period of information giving" (Singer 1979 B, S.7) verharmlost.S Anthony/ Robbins sehen in der Gehirnwäsche-Metapher eine soziale Waffe, die. da sie ja nicht die entsprechende Lehre, sondern nur die Art ihrer Vermittlung angreift. unter dem Schein der Liberalität zur Unterdrückung abweichender Glaubenssysteme dient. Einen Beleg dieser These sehen sie in der Schilderungen prominenter Oe-Programmierer, die als ihre zentrale Aktivität den Nachweis der 'Falschheit' eines Glaubenssystems beschreiben (Anthony/ Robbins 1982, S.290).
8 Vgl. Coleman 1985, S.71-81, der darstellt, daß Oe-Programmierungen der von Lifton beschriebenen Gedankenreform weitaus ähnlicher sind als die Konversionen. Die Periode intensiver Informationsvermittlung bei Patrick stellt sich, nach seinen eigenen Angaben folgendermaßen dar: "I took him by the arms and flung him into a comer up against the wall, and I said, 'All right, you hatched-head son of a bitch, you move out there and I'll knock your goddamned head off!' .. .l had a picture of Prahbupad and I tore it up in front of him and said, there's the no-good son of a bith you worship. And you call him God" (vgl. Coleman S.76). Dies ist nach Aussage von Patrick selbst die übliche Vorgehensweise.
60
2 Zm Kontroverse mn 'erzwungene Bekehrungen' durch 'destruktive Kulte'
Die Gehirnwäschemetapher bietet auch die Legitimation, Mitglieder der Kulte als Nicht-Personen zu deklarieren und völlig ohne Rücksicht auf deren Intentionen zu verfahren. So weist Patrick (Patrick/ Dulak 1976, S.ll) die Eltern von Konvertiten an: "You're not dealing with your son at this point. You're dealing with a zombie. You have to do whatever is necessary to get him back". Damit legitimieren die Deprogrammierer ihrerseits ein Vorgehen, das sie den Kulten unterstellen: Bekehrung unter Zwang. Die Konvertiten werden gekidnappt, realer Zwang wird ausgeübt, um den Konvertiten am Deprogrammierungsort zu halten, Beschimpfungen, Demütigungen und Beschuldigungen, Entzug der Privatsphäre sowie Schlafentzug sind die Methoden, die zwar bei den Kulten nicht nachgewiesen werden konnten, die aber zum Repertoire der Deprogrammierer zu gehören scheinen (vgl. die Schilderung einer Deprogrammierung in Bromley/ Shupe 1981 B, S.177 ff. und Hammerstein 1980 sowie die Analyse von 17 Deprogrammierungsprozessen von Kim 1979). Bromley/ Shupe(1981 B, S.179 ff.) kommen allerdings in einer Analyse von Deprogrammierungsprozessen zu dem Schluß, daß realer Zwang und physische Gewalt auch hier nicht die Regel sind und im Wesentlichen dieselben Techniken der systematischen Überredung eingesetzt werden, wie sie die Missionare der Kulte verwenden. Da die Mitglieder der neuen Religionen zudem in unterschiedlichem Maße von der Lehre des Kults, dem sie angehören, überzeugt sind sowie in unterschiedlichem Maße Wissen und Kenntnisse vom Kult besitzen, sind die Versuche der Deprogrammierer auch von unterschiedlichem Erfolg begleitet (zur Analyse von Prozessen der Deprogrammierung unter dem Aspekt des Perspektivenwechsels in Interaktion mit signifikanten Anderen (vgl. Kim 1979). Deprogrammierungsversuche sind überdies oft das beste Mittel, um die Bindung an die Gruppe zu festigen. Ungerleider/ Wellisch (1979, S.280) und Levine (1981, S.600) zeigen, daß die Zahl der Deprogrammierten, die zur Sekte zurückkehren, sehr hoch liegt. Gascard (1984, S.129) sieht die negativen Folgen von Deprogrammierungsversuchen folgendermaßen: "Das Ergebnis ist nämlich in der Regel keineswegs die von Verteidigern des Deprogramming behauptete Befreiung aus dem Joch geistiger Sklaverei, sondern vielmehr eine bloße Umpolung in einen neuen Fanatismus oder eine sog. mitunter lebensgefährliche 'Floating'-Periode."
2.3 Zusammenfassung
61
2.3 Zusammenfassung 1.
Begriffe wie Gehirnwäsche und Gedankenreform bzw. zwanghafte Überredung sind Metaphern, denen in der Realität keine klare kognitive Bedeutung zukommt Diese Ausdrücke stellen eher eine moralische Abqualiftzierung von Prozessen sozialer Einflußnahme dar: "We do not call not all types of personal or psychological influences 'brainwashing'. We reserve this term for influences of which we disaprove" (Szasz 1976, S.lO).
2.
Überdies fehlt bei Prozessen der Bekehrung das für Gehirnwäsche zentrale Moment des körperlichen Zwangs.
3.
Die krankmachende Wirkung von Sekten ist nicht erwiesen. Die Belege der Anti-Kult Psychologen und Psychiater sind nicht von wissenschaftlicher Beweiskraft, was z.B. von Clark selbst zugegeben wird.
4.
Das wissenschaftliche Vorgehen enthält eine Reihe von Denkfehlern und fehlerhafte Argumentationsgänge.
5.
Die Behauptung, man könne nicht selbst in die Kulte gehen und forschen, ist angesichts der zahlreichen Arbeiten, die auf der Basis teilnehmender Beobachtung beruhen, absurd.
6.
In Bezug auf psychotische Personen, die von Sekten angezogen werden, verfährt die Antikult-Bewegung unseriös: Nehmen religiöse Gruppen psychisch gestörte Personen auf, wird ihnen vorgeworfen, sie deformierten ihre Mitglieder zu Psychopathen. Versuchen die Gruppenaufgrund dieser Vorwürfe ihre psychisch gestörten Mitglieder in die Psychiatrie zu bringen oder psychotische Personen erst gar nicht aufzunehmen, wird ihnen vorgeworfen, nicht an psychisch kranken Mitgliedern interessiert zu sein bzw. erkrankte Mitglieder skrupellos aus der Gruppe zu entfernen.
7.
Zustände 'herabgesetzten' Bewußtseins wurden von keinem der am Gruppenleben teilnehmenden Psychiater, Psychologen oder Soziologen festgestellt, alle Sozialwissenschaftler, die in direktem Kontakt mit den jeweiligen Gruppen standen, lehnen Theorien von Gehirnwäsche oder zwanghafter Überredung ab.
8.
Standardisierte psychologische Tests brachten keinerlei Hinweise auf psychische Abnormalltäten von Sekten-Mitgliedern, außer in den Fällen, in denen Personen schon vor dem Eintritt in die Gruppierung Merkmale psychischer Störungen aufwiesen.
9.
Die behauptete Unfähigkeit der Mitglieder, sich aus eigenem Willen vom Kult zu lösen, ist angesichts der hohen Austrittsraten absurd.
10. Die Behauptung, die neuen Kulte gefährdeten die Gesellschaft, ist angesichtsder absoluten Zahlen ihrer Mitglieder sowie der allgemeinen Stagnation der Zuwächse nicht aufrecht zu erhalten.
3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsformen Theoretischer und empirischer Forschungsstand Mit den beiden Arbeiten von Lotland und Lofland/ Stark (1965) kann der Beginn einer umfangreichen soziologischen Konversionsforschung datiert werden. Das von den beiden Autoren entwickelte Konversionsmodell ist eher sozialpsychologisch als soziologisch angelegt und weist in seiner Charakterisierung des Konvertiten als passives Objekt einer Drift hin zur Konversion sowie der Annahme, die Einstellungsänderung müsse der Verhaltensänderung stets vorausgehen, noch Züge des paulinischen Paradigmas auf. Zudem wurde das Modell in der ersten Phase der soziologischen Konversionsforschung (1965 bis ca. 1977) mehr als Interpretationsraster für erhobene Daten benutzt, statt empirisch überprüft zu werden. Da dieses Modell die soziologische Forschung anregte und lange Zeit entscheidend beeinflußtel, soll es hier kurz dargestellt, kritisiert und in den folgenden Abschnitten modifiziert werden.2 1 Allerdings nicht immer zu Gunsten theoretischen bzw. empirischen Fortschritts in der Analyse von Konversionsprozessen. So bemerken D.A. Snow und C.L. Phillips: "Aithough the Lofland-Stark model is the most widely cited conversion scheme in the sociological literature, it has rarely been subjected to rigorous empirical examination. Jnstead most studies have uncritically used the modell as a post-factum ordering scheme for classifying data pertaining to the group under investigation" ( 1980, S.431 ). Richardson (1985 B, S.168), dagegen sieht mit der Formulierung des Modells von Lofland und Stark ein neues Paradigma der soziologischen Konversionsforschung sowie den Beginn der soziologischen Beschäftigung mit den neuen religiösen Bewegungen. Zudem ist nach Richardson (S.l75) ein Wandel der Wissenschaften, die sich mit dem Phänomen der Konversion beschäftigen (früher Psychologen und Psychiater, ab Mitte der sechziger Jahre Sozialpsychologen und Soziologen), der Methodik (qualitative Sozialforschung basierend auf teilnehmender Beobachtung), und der Generation der Feldforscher (jüngere Forscher, z.T. aus derselben Generation wie die untersuchten Konvertiten mit ähnlichen generationsspezifischen Erfahrungen und ähnlichen Wertvorstellungen) festzustellen. Eine weitere Ursache für die Entwicklung des neuen Paradigmas ist m. E. in der Entwicklung unterschiedlicher Teilkulturen seit Anfang der siebziger Jahre zu sehen. Dieser Prozeß machte die Existenz alternativer Realitäten zur gewohnten 'sozialen Tatsache' .
2 Die Modifikation basiert auf empirischer soziologischer Forschung zu Konversionsprozessen, die in der überwiegenden Mehrzahl nach 1973 veröffentlicht wurde (vgL Rambo 1982, Beckford/ Richardson 1983). Ab 1983 scheint die Zahl der neuer empirischer Arbeiten zu Konversionsprozessen zurückzugehen. Dieses Abflauen des wissenschaftlichen Interesses geht einher mit Stagnation und Rückgang der Mitgliederzahlen der neuen religiösen Bewegungen.
3.1 Das Konversionsmodell von Lotland und Stark
63
In diesem Kapitel wird das Phänomen der Konversion entsprechend der am Modell von Lofland und Stark orientierten Arbeiten primär auf sozialpsychologischer und mikrosoziologischer Ebene abgehandelt. Dabei soll in Auseinandersetzung mit den ungeklärten Fragen des gegenwärtigen Forschungsstandes die Notwendigkeit der Einbeziehung runfassenderer sozialer Dimensionen zur Erklärung des Phänomens der Konversion verdeutlicht werden.
3.1 Das Konversionsmodell von Lofland und Stark Lofland und Stark verstehen unter 'Konversion' die Aufgabe einer weltordnenden Position3 zugunsten einer anderen (1965, S.862). Dieser Perspektivenwechsel wird als Prozeß mit folgenden Phasen gesehen: For a conversion a person must: 1. Experience enduring, acutely feit tensions 2. whithin a religious problem-solving perspective 3. which Ieads him to defme hirnself as a religious seeker 4. encountering the D.P.4 at a turning point in his life 5. wherein an affective bond is formed (or pre-exists) with ... one or more converts 6. where extra-cult attachments are absent or neutralized 7. and, where, if he is to become a deployable agent, he is exposed to intensive interaction Zusammengeraßt enthält das Modell drei notwendige Vorbedingungen, die der Person bzw. der Herkunft des Konvertiten zuzurechnen sind sowie vier Stufen des eigentlichen Prozesses der Konversion:
3 All men and all human groups have ultimate values, a world view, or a perspective fumishing them a more or less orderly and comprehensible picture of the world....When a person gives up one such perspective or ordered view of the world foranother we refer to this process as conversion" (Lotland/ Stark 1965, S.862). Di~ Defmition verfehlt ihres rein kognitiven Charakters wegen die Intention der Autoren. Lotland und Stark betonen an anderer Stelle (S.864), daß erst die Änderung der Lebenspraxis aus dem verbalen einen totalen Konvertiten mache. Die Reihenfolge gedankliche Übernahme - Verhaltensänderung kann allerdings keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. In den Fällen experimenteller Konversion verläuft die Sequenz umgekehrt. 4 D.P. ist bei Lotland und Stark das Pseudonym für die Unification Church des Rev. Moon und wird im Folgenden abgekürzt als U.C. bezeichnet.
64
3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsformen
Predisposing Conditions Tension Religious problem-solving perspektive Seekership
Situational Contingencies
Turning point Cult affective bonds (high) Extra-cult affective bonds (weak) Intensive interaction
Tension Als erste Vorbedingung für Konversionen nennen Lofland/ Stark Spannungen, die sie definieren als "Diskrepanz zwischen den Idealvorstellungen von Individuen und den Verhältnissen, in denen sie sich vorzufinden glauben" (1965, S.869, Übersetzung vom Verf.). Die Autoren betonen, daß die von ihnen beschriebenen, Spannungen erzeugenden Bedingungen, nicht nur von konvertierenden Personen erlebt werden. Nur empfmden die potentiellen Konvertiten diese Spannungen drängender und sind ihnen über längere Perioden ausgesetzt als andere Menschen.
Hier müßte systematisch zwischen 'objektiven', Spannungen verursachenden Faktoren und subjektiver Verarbeitung differenziert werden, um so persönlichkeitsspezifische Voraussetzungenfür Konversionen herauszuarbeiten. Lofland/
Stark verfolgen diese Möglichkeit aber nicht weiter, sondern zählen unsystematisch Krisen aus verschiedensten Bereichen auf: mißglücktes Streben nach Wohlstand, Wissen, Prestige oder Ruhm, hallunzinatorische &lebnisse, für die eine Person keine befriedigende Erklärung weiß, frustrierende sexuelle oder eheliche Beziehungen, homosexuelle Neigungen, Angst vor direkter Interaktion, körperliche Handicaps, frustrierte Sehnsucht nach einem gesichterten religiösen Status, der Wunsch, ein Agent göttlicher Pläne zu sein.
Religious problem-solving perspektive Zur Lösung dieser Spannungen, so die Autoren, verfügen moderne Gesellschaften über drei generelle Perspektiven: 1. 2. 3.
die psychiatrisch/ psychologische, die politische, die religiöse Perspektive,
welche die Ursachen der erlebten Krisenjeweils
1. 2. 3.
in der eigenen Psyche, in der Sozialstruktur oder in überweltlichen Bedingungen ausmachen.
3.1 Das Konversionsmodell von Lotland und Stark
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Lofland/ Stark behaupten nun, daß die von ihnen befragten Konvertiten über die beiden säkularen Perspektiven nicht oder nur wenig informiert waren und erklären dies mit der kleinstädtischen Herkunft ihrer Probanden, die eine lange Gewöhnung an den Gebrauch religiöser Deutungsmuster mit sich bringe. Zwar lehnten die Konvertiten konventionelle religiöse Formen als 'tot', inadäquat oder ohne 'spirit' ab, behielten aber eine religiöse Perspektive bei. Nun existieren neben expliziten Problembewältigungsversuchen im Rahmen der drei genannten Perspektiven auch alltägliche Formen des Umgehens mit Spannungen, wie z.B. schlichtes Aushalten, sich 'durchwursteln' bzw. Verdrängungsmanöver, wie exzessiver Konsum von Massenmedien, Flucht in Arbeit, Drogen und Alkohol oder Promiskuität (1965, S.868). Viele der Konvertiten hatten diese Formen der Spannungsbewältigung erprobt, dabei aber keine Erleichterung erfahren. Mißglückt nun bei einer Person mit ursprünglich religiöser Perspektive der Spannungsabbau mittels alltäglicher, sozial anerkannter Methoden, so entwickelt sich diese nach Meinung von Lofland/ Stark zum religiösen Sucher. Seekership In dieser Phase wird die religiöse Perspektive aktiviert, religiöse Alternativen werden getestet. Bei der von Lofland/ Stark untersuchten Kohorte reichten die Versuche von der Teilnahme an traditionellen Formen unkonventioneller Religiosität, wie z.B. an der Pfmgstbewegung hin bis zum Okkultismus. Während dieser Phase der Sucherschaft entwickelten die Konvertiten innerhalb ihrer religiösen Perspektive zwei grundlegende Annahmen:
Geistwesen irgendeiner Art kommen aus einer übernatürlichen Welt, um in der materiellen Welt zu intervenieren, das Universum trägt teleologischen Charakter, jedes Objekt in ihm ist zu einem bestimmten Zweck geschaffen, jeder Mensch hat eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Diese Annahmen waren im allgemeinen nicht spezifischer ausgeprägt, die Suche hatte das Ziel, diese vagen Axiome durch detailliertere Deutungen zu ersetzen. Viele Konvertiten glaubten auch an ein irgendwie geartetes 'neues Zeitalter•s, eine ausgesprochen apokalyptische, prämillenarische Einstellung entwickelten alle untersuchten Personen erst während oder nach vollzogener Konversion. Lofland/ Stark sehen in der Annahme der Existenz aktiver
s Die Idee des neuen Zeitalters findet sich in den verschiedensten inhaltlichen Ausprägungen seit der Beatnik Aera nach dem zweiten Weltkrieg und erreicht ihre größte Verbreitung ab Mitte der siebziger Jahre in der New Age Bewegung (vgl. Hemrninger (Hg.) 1987). Die New Age Bewegung, deren Kontinuität sich bis zur Hippie und Gegenkultur der späten sechziger Jahre zurückverfolgen läßt, bildet auch die Basis für das erste Anwachsen der neuen religiösen Bewegungen sowie Ausgangspunkt und Auffangbecken für den Typus des religiösen Suchers.
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3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsformen
Geistwesen und des teleologischen Charakters des Universums 'gross points' (S.869), auf deren Basis die Lehre der U.C. als wahr vennittelt werden konnte. Den Konvertiten wurde durch die Lehre der U .C. eine systematische Deutung aller Ereignisse gemäß den beiden Grundprämissen geboten, zudem wurde durch die Mitgliedschaft in der U.C. eine Lösung der erlebten Krisen in Aussicht gestellt, da ein Beitritt zur Gruppe vor der Errichtung des himmlischen Reiches mit einer halbgottähnlichen Position in der künftigen göttlichen Hierarchie belohnt werden sollte. Sucherschaft und religiöse Deutungsmuster stellen
für Lofland und Stark die 'minimal points ojideological congruence', eine notwendige Bedingung für Konversionen dar. Turning Point
Kurz vor ihrer Begegnung mit der U.C. oder parallel zu den ersten Kontakten hatten alle Konvertiten Erlebnisse, die einen Wendepunkt in ihrem Leben darstellten. Lofland und Stark definieren Wendepunkte folgendennaßen: "Turning points were situations in which old lines of action were diminished, and new involvements became desirable and possible" (S.870). Konkret bedeutete dies bei der untersuchten Population das Eintreten von Ereignissen wie: Schulabschluß, Arbeitslosigkeit, Umzug, Tod einer nahestehenden Person, Abbruch einer Ausbildung, gravierende Fehlentscheidungen im Geschäftsleben (S.870). Da die meisten Konvertiten relativ jung waren, stand die Mehrzahl der von den Autoren ennittelten Wendepunkte in Bezug zu den Bereichen Schule, Studium und Berufsausbildung.
Cult affective Bonds Ein weiterer notwendiger Entwicklungsschritt ist das Bestehen oder die Entwicklung von positiven emotionalen Beziehungen zwischen dem potentiellen Konvertiten und einem oder mehreren Mitgliedern der Gruppe. Eine bedeutende Rolle bei Rekrutierung und Konversionsprozessen spielen Paarbeziehungen oder soziale Netzwerke, die in Verwandtschafts- bzw. Freundschaftsbeziehungen bestehen. Lofland und Stark betonen, daß die Notwendigkeit der vollen intellektuellen Akzeptanz der von der Gruppe vertretenen Lehre auf dieser Stufe nicht besteht
Extra-cult affective Bonds Eine weitere notwendige Bedingung für eine erfolgreiche Konversion besteht im Fehlen bzw. dem Abbau gegensteuernder, sozial-emotionaler Beziehungen zu Personen außerhalb des Kults. So waren einige der befragten Konvertiten vor ihrem Beitritt sozial isoliert gewesen, die meisten anderen pflegten zwar soziale Kontakte, die aber nie intensiv genug waren, um emotionale Bindungen zu beinhalten. Eine dritte Gruppe hatte emotionale Beziehungen zu anderen Suchern, diese Bindungen hatten aber eher einen konversionsfördernden Effekt.
3.2 Kritik am Konversionsmodell von Lotland und Stark
67
Intensive Interaction Das Entstehen emotionaler Beziehungen führt zu der letzten Sequenz vor der Konversion, zur Intensivierung der Interaktion mit Mitgliedern der neuen Sinnwelt. Erst durch intensive Interaktion, in der Weltbild und Praktiken der U.C. verinnerlicht werden, wird aus einem 'verbalen' Konvertiten ein 'totaler' Konvertit. Lofland/ Stark entwickelten ihr Modell, gestützt auf teilnehmende Beobachtung und Interviews in der Anfangsphase der Unification Church des Reverend Moon in Kalüornien in den Jahren 1962 bis 1964. Zur Verfügung standen die Daten von 21 Konvertiten, die bis Mitte 1963 der U.C. beigetreten waren. Die kleine Zahl der Probanden sowie die Beschränkung auf die Konversionen zu einer Gruppe in einem historisch kurzen Zeitraum sind die Gründe für die Mängel des Modells6, die im folgenden besprochen werden sollen.
3.2 Kritik am Konversionsmodell von Lofland und Stark Snow und Phillips (1980) bemängeln an der in Anlehnung an die Arbeit von Lofland und Stark durchgeführten Forschung zu Konversionsprozessen, daß deren Modell meist nicht empirischer Prüfung unterzogen, sondern lediglich als Ordnungsrahmen für die gefundenen Daten benutzt wurde. Keine Berücksichtigung fanden nach Meinung der Autoren in diesen Arbeiten differierende Varianten von Konversionsverläufen in Abhängigkeit von gruppenspezifischer Wertorientierung, Organisationsstruktur und Reaktion der gesellschaftlichen Umwelt auf die jeweilige Gruppierung.
6 Zur Kritik der unreflektierten Anwendung des Modells auf alle Formen von Konversion, Lotland in Richardson 1978, S.10 ff. Lotland bemerkt hier, daß die Charakteristiken der Konversion in eine konkrete Gruppe zu einer bestimmten Zeit im Modell von 1965 adäquat dargestellt, aber später unzulässig verallgemeinert wurde. So entwickelten sich seiner Meinung nach die Rekrutierungstechniken der Unification Church in den Jahren nach 1965 weiter (vgl. Abschnitt 'Rekrutierungsmethoden der Unification Church'). Die von Lotland und Stark vorgefundenen 'typischen' Konvertiten Mitte der Sechziger Jahre, religiöse Sucher mit fundamentalistischen Hintergrund, führten die Autoren zur unzulässigen Verallgemeinerung von religiöser Sucherschaft als notwendiger Bedingung für Konversion, daß der Status religiöser oder weltanschaulicher Sucherschaft in den folgenden Jahren eine ganze Generation erfaßte (Lofland, S.20), wurden von den beiden Autoren um 1965 noch nicht vorausgesehen. Als Folge dieser Fehleinschätzungen wurde religiöse Sucherschaft als notwendige Bedingung formuliert und der Konvertit als eher passives 'Objekt' des Konversionsprozesses konzipiert.
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3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsformen
Zudem zweifeln Snow/ Phillips an der Möglichkeit der Verwendung von selbsterlebten Konversionsberichten als objektive Daten für die Erklärung von Konversionsprozessen an: nach Meinung der Autoren haben die Elemente einer biographischen Situation keine intrinsische Qualität, sondern sind, inklusive des 'Selbst', in einem Diskursuniversum konstituierte Objekte, ebenso wie das Selbstbild und die Struktur von religiösen Gruppen in dauerndem Wandel begriffen, was zur Folge hat, daß personale Biographie und vergangene Situationen des Lebens ständig im Lichte neuer Erfahrungen umdefmiert werden. Snow/ Phillips überprüften zum Beleg ihrer Kritik deshalb das Lofland/ Stark Modell (stellvertretend auch für die vielen, eng an diesem Modell orientierten folgenden Untersuchungen) auf theoretische Stringenz und empirische Gültigkeit.7 Zur empirischen Überprüfung zogen die Autoren eigene Forschungen bei der Nichiren-Sohsu, eines amerikanischen Ablegers der japanischen neubuddhistischen Bewegung Soka Gakai heran. Die Bewegung begann 1960 in Amerika zu missionieren. In den frühen Sechzigern umfaßte die Gruppe weniger als 500 Anhänger, meist japanische Frauen und Bräute amerikanischer Gis. 1980 gehörten der Nichiren-Sohsu 200.000 verschieden fest integrierte Anhänger an, wovon über 90% westlicher Abstammung und erst nach 1966 zur Bewegung konvertiert waren. Die theoretische Analyse erfolgte in Anlehnung an Meadsche und phänomenologische KonzeptionenB der biographischen Erinnerung als Rekonstruktion und ReDefinition früherer Ereignisse aus dem Licht gegenwärtiger Erfahrungen.
3.2.1 Zur Problematik der Annahme von Spannungen als Ursache für Konversionen Auch 69% der von Snow/ Phillips befragten zur Nichiren Sohsu konvertierten Personen charakterisierten ihre Lebenssituation vor dem Beitritt zur Bewegung als krisenhaft Im Schnitt nannte jedes Mitglied drei belastende Konflikte:
7 Vgl. zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Lofland/ Stark Modell auch: Seggar/ Kuntz 1972, Austin 1977, Richardson/ Stewart 1978, Greil/ Rudy 1984, Heirich 1977, Bankston/ Forsyth/ Floyd 1981. Mir scheint die Arbeit der Autoren Snow und Phillips alle wesentlichen, bisher publizierten Kritikpunkte zu beinhalten, auf die weiteren Arbeiten wird in einzelnen Aspekten im Verlauf der Diskussion eingegangen. 8 Snow/ Phillips, S.431, beziehen sich auf Meads Arbeiten 'The Philosophy of the Present' und 'The Philosophy of the Act' sowie auf Berger und Luckmanns "The Social Construction of Reality".
3.2 Kritik am Konversionsmodell von Lotland und Stark
69
Personal Problems Retrospectlvely Refered to as Characterlzlng Llfe Situation Prior to Converslon Number of Members Refering lo Category Problems Spiritual Interpersonal Cbaracter Material Physical
N=504 346 244 262 214 151
Numbers of Problems Refered lo within Category (69%) (48%) (52%) (43%) (30%)
N=1580 526 309 284 255 206
(33%) (20%) (18%) (16%) (13%)
AverageNumber ofProblems perMember 1,52 1,26 1,08 1,19 1,36
Problems coded as 'spiritual' include meaninglessness, Iack of direction and purpose, a sense of powerlessness, poor self image. Problems coded as 'interpersonal' include martial problems, child rearing problems, parental problems, and other relational problems. Problems coded as 'character' include drugs,alcohol,self-centeredness, and various personality problemssuch as uncontrollable temper. Problems coded as 'material' include unemployment, job dissatisfaction, finances, and school-related problems. Problems coded as 'physical' include headaches, nervousness, chronic illness, obesity, Iack of energy and so on. (entnommen aus Snow/Phillips 1980, S.434) Diese Ergebnisse scheinen auf den ersten Blick die Tension-Hypothese von Lofland und Stark zu bestätigen. Aber Snow/ Phillips erheben zwei Einwände gegen das Krisenkonzept Gestützt auf Untersuchungen zur psychischen Gesundheit der amerikanischen Bevölkerung suchen die beiden Autoren nachzuweisen, daß das Konfliktpotential potentieller oder faktischer Konvertiten sich nicht von Anzahl und Art der in der Gesamtpopulation auffindbaren Lebenskrisen unterscheidet: "A 1957 University of Michigan Survey of how American adults viewed their mental health revealed that roughly 41 percent experienced martial problems, 75 percent encountered problems in raising their children, 29 percentbad job related problems, 35 percentavowed various personality shortcomings, and 19 percentfeit they were on the verge of a nervaus breakdown at one time or another" (S.434). Die Untersuchung zeigt nach Meinung der Autoren, daß krisenhafte Lebensphasen eine auch in der konventionellen Bevölkerung verbreitete Erscheinung darstellen. Zudem äußerten 31% der befragten Kult-Mitglieder, sie hätten vor ihrer Konversion keine besonderen Probleme gehabt (1980, S.435). Auch Heirich (1977, S.666) kommt in seiner Analyse von Konversionen zu christlichen Charismatikem zu der Feststellung: " stress at least as measured here, is
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3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsfonnen
insufficient to account". Ähnlich kommt Hine in ihrer Analyse von Deprivationsmodellen zu dem Schluß: "behavioural deprivation is an effect of movement dynamics, not a precondition" (Hine 1979, S.666). Bromley/ Shupe (1979, S .169) bemängeln an der Tension-Hypothese, sie sei an einer zu geringen Zahl von Personen, ohne Vergleichsgruppe und nicht systematisch überprüft worden. StreB und Entfremdungsgefühle können ebenso durch den Prozeß der Konversion zu einer nichtkonventionellen Religion selbst erzeugt werden (S .168). Auch Zygmunt (1972, S 257) betont, daß in diese Modelle die unreflektiert vorausgesetzte Basisannahme eingehe, Konvertiten müßten sich von Nicht-Konvertiten in irgendeiner erkennbaren Weise unterscheiden. Nach Taylor (1976, S.11) vernachlässigen Modelle, die bei der Erklärung von Konversionen auf 'prädisposing conditions' abzielen, die aktive Rolle des Konvertiten. Soziologen, die dieses Modell benutzen, verwandeln das soziologische Problem der Konversion in ein soziales Problem des Konvertiten. Diese Perspektive führt nach Bromley/ Shupe, Taylor und Zygmunt entweder zu einer mechanistischen Auffassung, in dem der Konvertit als passives Objekt sozialer Kräfte erscheint, oder zu einer Psychologisierung der Prozesse, wobei dann persönliche 'Defekte' oder Defizite zu Konversionen führen. Bromley/ Shupe bemerken, daß diese Modelle, die mit dem 'warum' das 'wie' erklären wollen, den Prozeß des Vollzugs einer Konversion nicht fassen können (S.168). Sie schlagen deshalb eine rollentheoretisch orientierte Perspektive von Konversionsprozessen vor, bei denen prädisponierende Faktoren nur den ersten Kontakt mit der Gruppe beeinflussen, die weiteren Phasen der Konversion hingegen aus der Aufnahme wechselseitiger Rollen von Novizen und Voll-Mitgliedern zufassen sei.
3.2.2 Einwände gegen die Kritik an 'Predisposing Conditions' und 'Tension' Die Kritik an den Stufen 'Predisposing Conditions' und 'Tension' des Modells von Lofland/Stark läßt sich (bei Snow/ Phillips in einem Argumentationszusammenhang) einander z.T. widersprechende Argumentationslinien aufteilen: 1.
2.
Spannungen und krisenhafte Lebenssituationen werden als allgemein vorhanden und als für eine Konversion nicht hinreichend gesehen (Snow/ Phillips). Spannungen und Lebenskrisen werden nicht bei allen Konvertiten vorgefunden (Austin 1977, Heirich 1977, Snow/Phillips 1980).
3.2 Kritik am Konversionsmodell von Loßand und Stark
3.
71
Kausalmodelle unterstellen, unzureichend ausgewiesen, daß Konvertiten sich von konventionelllebenden Personen in irgendeiner Weise grundlegend unterscheiden.
Die Argumentation, die aufRekonstruktion abzielt:
4.
5.
Kausale Modelle, die Gründe für Konversionen in Bedingungen weit vor dem Prozeß der Konversion suchen, mißachten den aktiven Status des Konvertiten und die Missionierungsaktivitäten der Gruppe. Die Gründe für eine Konversion entstehen erst im Prozeß der Konversion, Streß und Spannungen sind Produkte des Konversionsprozesses selbst Konversionsberichte sind rekonstruktive Aktivitäten, geleitet von der neuen Perspektive, die 'richtigen' Gründe für eine Konversion werden durch das neue Weltbild bestimmt.
Gegen die Argumentation 1 von Snow/ Phillips lassen sich folgende Einwände formulieren: Es trifft zu, daß sowohl die von Snow/ Phillips untersuchten Konvertiten, als auch die zu Vergleichszwecken herangezogene Untersuchung keine quantitativen Unterschiede in der Nennung von Problemlagen aufweist Wohl aber sind qualitative Differenzen festzustellen: So nennen 69% der Konvertiten spirituelle Probleme, während die Normalpopulation am häufigsten Erziehungsschwierigkeiten (75%) nennen. Dieser Unterschied weist auf unterschiedliche Problemlagen hin. Denn Erziehungsprobleme bedeuten Konflikte innerhalb sozialer Bindungen, während 'spirituelle' Probleme religiös formulierte Krisen in der Konstitution von sinnhafter Lebensführung überhaupt betreffen und damit auf sozialer Ebene generelle Problematiken im Umgang mit sozialen Bindungen bedeuten dürften. Abgesehen aber von der aufgrund der unterschiedlichen Erhebungsmethoden ohnehin problematischen Vergleichbarkeit beider Untersuchungen, wäre auch die exakte Darlegung sowohl quantitativ wie qualitativ gleichartiger Problemnennungen bei Konvertiten und normaler Vergleichspopulation keine Widerlegung der Tensionhypothese von Lofland/ Stark, da diese Autoren auf die subjektive Verarbeitung von ;objektiven' Krisen abzielen: Konvertiten mögen den gleichen Spannungen ausgesetzt sein, wie zahlreiche Personen mit konventioneller Lebensführung. Sie neigen aber dazu, Krisen als drängender und belastender zu empfinden, bzw. sind ihnen längere Zeit ausgesetzt, ohne Möglichkeiten der Entlastung zu finden. Snow/ Phillips berücksichtigen damit die im Modell von Lofland/ Stark angelegte Differenzierung von objektiv belastenden Faktoren und subjektivem Streß-Empfmden nicht.9 9 Dazu auch Bankston/ Forsyth/ Floyd 1981, die von einer interaktionistischen Konversion als eine Form des Identitätswandels begreifenden Ansatz ausgehen: "Tension which produces dissatisfaction with current identity would seem axiomatic in the understanding of any conscious identity change. We suggest, then tension may be taken as the initial precipating experience in the career of the radical convert" (S.287).
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3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsformen
Richardson/ Stewart (1978) kommen in ihrer Analyse des Modells von Lofland/ Stark zu dem Schluß, diese subjektiv stärker empfundene Belastung deute auf geringere Frustrationstoleranz, mithin auf den Typus übersozialisierter Personen mit konservativer oder fundamentalistischer Erziehung hin, deren Diskrepanzerlebnis zwischen internalisierten Idealvorstellungen und gesellschaftlicher bzw. psychischer Realität permanente Frustrationen erzeugt. Aber auch ohne diese These von Richardson/ Stewart für alle Fälle von Konversionen anzunehmen, muß in jedem differenzierten Modell von Konversion zwischen objektiver Krisenlage und subjektiver Definition und Erfahrung unterschieden werden. Auch dürften Snow/ Phillips insoweit recht haben, als krisenhafte Lebenssituationen auch Bestandteil des Lebens fast aller Menschen darstellen. Die Krisen von Konvertiten und Nicht-Konvertiten dürften sich auch nicht in der objektiven Härte der Belastung unterscheiden lassen, sondern danach, ob eine Person in ihrem sozialen Umfeld anerkannte Methoden der Problembewältigung als ausreichend erfährt oder nicht.lO Eine weitere notwendige Bedingung ist neben den Dimensionen Krise und Krisendefmition und Verarbeitung die momentane Verfügbarkeil eines potentiellen Konvertiten und die Erreichbarkeil bzw. der Kontakt mit einer Gruppe, die der Disposition des Konvertiten entspricht (vgl. Abschnitt über Konversion und Disposition). Die Annahme von Spannungen als konversionsfördernden Faktor müßte in ein Konzept der Lebenssituation des Konvertiten eingefügt werden, das folgende vier Ebenen unterscheidet: 1.
Krise als objektivierbare (vergleichbare) Situation bzw. Kombination von Situationen
2.
Krisendefinition (als besonders belastend und nicht mit konventionellen Mitteln lösbar)
3.
Erreichbarkeil und freie Zeit für die Suche nach Alternativen
(3.a Vorhandensein oder Entwicklung einer religiösen Problemlösungsperspektive11) 4.
Kontakt zu einer religiösen Gruppierung
10 Diese Annahme impliziert Notwendigkeit bei Konversionen den Faktor subjektiven Erlebens zu berücksichtigen, ob im Sinne des Symbolischen Interaktionismus oder aus der Perspektive des 'rational choice approach', wie dies Gatrell und Shannon (1985) versuchen. Die beiden Autoren kommen bei ihrer Studie von Konversionsprozessen in die Divine Light Mission zur selben Schlußfolgerung: "Prior their involvement with the OLM, converts encountered a series of problems that could not be explained by conventional means" (S.37). 11 Die religöse Perspektive ist keine notwendige Voraussetzung für Konversion. Viele Personen entwickeln eine dezidiert religiöse Perspektive erst in Kontakt mit der Gruppe. So z.B. bei Konversionen zu therapeutisch-religiösen Gruppierungen wie der
3.2 Kritik am Konversionsmodell von Lotland und Stark
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Mit diesem Modell können Konversionen aus kritischen Lebenssituationen heraus beschrieben werden. Damit ist nicht behauptet, daß alle Konvertiten aus massiven Krisen heraus in eine religiöse Gruppe konvertierten. Das Modell gilt nur für den Fall plötzlich belastender Lebenssituationen und ist nicht für die Erklärung des vollen Prozesses zureichend. Wie Argument 2 zeigt, gaben viele Konvertiten an, sich vor ihrer Konversion nicht in kritischen Lebensumständen befunden zu haben. Hier ist anzumerken, daß Konversionen radikaler Art immer mit einem Brüchigwerden bestehender Deutungsmuster einhergehen. Wandlungen, die stetiger verlaufen oder einen weniger drastischen Wandel implizieren, müssen nicht von starken StreBgefühlen begleitet sein, sondern können als Lernvorgang bzw. als versuchsweise Übernahme einer Perspektive vonstauen gehen.12 Die zweite Argumentationslinie problematisiert an den berichteten Krisen ihren rekonstruktiven Charakter und stellt damit generell die Objektivität des Erfahrungsmaterials in Zweifel, das überwiegend aus Berichten von Konvertiten nach erlebter Konversion besteht. Gegen die ausschließliche Determination der biographischen Schilderung durch die bei der Konversion übernommenen neuen Perspektive spricht schließlich die Annahme der aktiven Rolle des Konvertiten. Wenn das konvertierende Subjekt wesentlich zum Prozeß der Konversion beiträgt, so ist nicht einzusehen, warum dieses aktive Moment nach der Konversion, in der Zeit der Mitgliedschaft, in einer Bewegung nicht mehr vorhanden sein sollte (vermutlich steckt in in dieser Annahme ein Rest des Gehirnwäsche-Mythos, der Freiheit und Selbständigkeit des Individuums mit der Rekrutierung erlöschen sieht).
Transzendentalen Meditation, der Scientology oder der Gruppe des Bhagwan. Hier wird primär Uber ein therapeutisches Interesse Kontakt geschaffen, die therapeutische Deutung wird in vielen Fällen mit religiösen Mustern erst im Verlauf der Interaktion in der Gruppe durchsetzt (vgl. z.B. Altmann 1982). 12 V gl. dazu den Abschnitt 'Zur Bedingung von religiöser Problemlösungsperspektive und religiöser Sucherschaft' - hier wird zwischen Formen der Konversion und Alternation unterschieden. Altemalionen sind nach dem bisher Ausgeführten nicht notwendig von Krisen, sei es als mobilisierender Faktor, sei es als Folge des Wandungsprozesses selbst, begleitet. Zur probeweisen Übernahme- vgl. Abschnitt 'Die Rolle des religiösen Suchers' Zur Wandlung als Lemprozeß- vgl. Abschnitt 'Rekrutierungsstrategien bei den Zeugen Jehovas'.
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3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsformen
3.2.3 Zur Problematik des rekonstruktiven Charakters der Berichte von Konvertiten Soziologische Forschung, die nicht nur auf kausale Modelle des Konversionsprozesses aus ist,B muß auf die Schilderung der Konvertiten zurückgreifen.l4 Diese Schilderungen werden in der Regel nur nach vollzogener Konversion erstellt. Snow und Machalek sehen drei Problembereiche, die gegen eine Verwendung dieser Berichte als objektive Daten sprechen: der durch die neue Sozialwelt vennittelte konstruktive Charakter der Erzählungen, ihre zeitliche Variabilität und ihr retrospektiver Charakter.
Der sozial konstruierte Charalaer der Berichte Eine weitere Problematik der Tension-Hypothese besteht für Snow/ Phillips, wie schon besprochen, in der Kontextabhängigkeit biographischer Rekonstruktionen. So kann nach ihrer Meinung die Charakterisierung eines problembeladenen Lebens vor der Konversion ein Produkt der Konversion selbst sein, d.h. eine von der neuen Wehanschauung geforderte Abqualifizierung der früheren Existenz und damit eine rekonstruktive Herstellung von Gründen für die Konversion beinhalten. Ähnlich argumentiert Wallis (1984, S.119), der Gründe für den Beitritt zu einer religiösen Bewegung als konkrete Motive erst durch den Kontakt mit der Bewegung entstehen sieht Den rekonstruk:tiven Charakter von eigenerlebten Konversionsberichten belegt Beckford (1978), der Konversionsbeschreibungen von Mitgliedern der Zeugen Jehovas untersuchte und feststellte, daß Wandlungen in der Weltanschauung dieser Gruppe zu anderen 'typischen' Darstellungen von Konversionen führten. Zum Zeitpunkt der Untersuchung ( 1978) wurden Bekehrungen von den 'Zeugen' als langer Prozeß mit Fortschritten, vor allem in der kognitiven Dimension unter Betonung der Eigenleistung des Konvertiten interpretiert. Erfahrungen plötzlicher oder ungewöhnlicher 'Erleuchtung' sind mit der gegenwärtigen Weltsicht der Zeugen unvereinbar (Beckford 1978, S.249). Aus ethnomethodologischer Sicht charakterisiert B.Taylor ( 1978, S.317) das Erzählen über Konversionen als ein Sprachspiel, das bestimmt ist von den Erfordernissen, sich in der Gegenwart als kompetenter Sprecher darzustellen. 13 In denen objektiv ermittelbare Faktoren sozialer Art, wie Herkunft, Erziehung, Ausbildungsverlauf, Drogenkonswn und Krisensituationen (wobei Krise nicht mehr als rein objektives Moment ermittelt werden kann) und deren spezifische Kombination den Prozeß der Konversion 'bewirken'. 14 Auf diese Schilderung zurückgreifen muß auch die objektiv vorgehende Forschung, da sie ja Kriterien dafür braucht, daß eine Konversion stattgefunden hat. Und die Mitgliedschaft bei einer Gruppierung alleine ist noch kein sicheres Zeichen für eine Konversion, gefaSt als Wechsel von Weltbild und sozialer Praxis (vgl. Snow/ Machalek 1984).
3.2 Kritik am Konversionsmodell von Lotland und Stark
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Konversionen werden deshalb mit den kognitiven Ressourcen der gegenwärtigen Realität als 'typische' Konversionen, d.h. als mögliche, verständliche und relevante Aktivitäten dargestellt, die als erfolgreich (d.h. angemessen) vollzogene, den Konvertiten als erfolgreichen Konvertiten und damit als kompetentes Mitglied der neuen Realität erscheinen lassen. (Diese Darstellung kann, je nach der Perspektive der neuen Realität auch Krisen beinhalten, die im alten Leben 'zu erleben' waren.) Wie schon oben angesprochen weist Beckford (1978) nach, daß bei den Zeugen Jehovas die Konversionsberichte der Mitglieder von den in einem Zeitraum gültigen offiziellen Deutungsmustern geprägt sind. Damit erscheinen die Schilderungen persönlicher Erfahrungen als individuelle Handhabungen der offiZiellen Ideologie der Wachturm-Organisation. Ähnlich argumentiert auch Preston (1981), der darlegt, wie Praktizierende des Zen-Buddhismus im Verlauf ihrer Übungen lernen, nicht nur die Übungen korrekt auszuführen, sondern auch ihre Erfahrungen dabei korrekt zu interpretieren. Da dieser Lernvorgang auch intime Gefühle und Regungen, körperliche Empfindungen sowie eine perspektivische Anordnung dieser korrekten Interpretationen hin auf die Leitvorstellung spiritueller Entwicklung umfaßt, findet so allmählich eine Rekonstruktion der gesamten Deutungsmuster des Praktizierenden statt. Der Zen-Anhänger lernt nicht nur die Meditation zu praktizieren, sondern auch wie über diese Meditation zu denken und zu sprechen ist.
Zeitliche Variabilität der Berichte Beckford wies nicht nur die Konstruktion mittels der neuen sozialen Perspektive nach, sondern auch den Wandel der typischen Berichte in Abhängigkeit vom Wandel der offiziellen Ideologie der Gruppe. Ähnlich Snow/ Rochford (1983) für die Berichte von Mitgliedern der Nichiren Sohsu und der ISKCON sowie Jules-Rosette (1975) für Wandlungen in den Bekehrungsberichten der afrikanischen Apostolischen Kirche des John Maranke.
Der retrospektive Charakter der Berichte Diesen Charakter trägt jeder Lebensbericht Hier dies nur gegenüber Konvertiten anzuführen, würde ein rationalistisches Vorurteil bedeuten. Denn nach Mead (1932), Schütz sowie Berger/ Luckmann wird jede persönliche Vergangenheit im Lichte neuer Erfahrungen urndefmiert Allerdings beinhaltet die Rekonstruktion eines Konvertiten u.U. eine radikalere Form der Wandlung als bei konventionellen Lebensverläufen. Snow/ Machalek behaupten nun in Übereinstimmung mit Taylor (1978), die Äußerungen des Konvertiten seien nicht als objektive Daten für die wissenschaftliche Modellbildung zu verwenden, sondern als Material für die Prozesse der Konstruktion und Rekonstruktion von Biographien unter der Bedingung tiefgreifender Änderung zu betrachten.
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3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsformen
Seit kurzem beschäftigt man sich auch in der deutschsprachigen Soziologie mit Konversionsforschung (Kuner 1983, Sprondel 1984, Ulmer 1988). In diesem Zusammenhang relevant ist vor allem Ulmer, der sich mit der Problematik der biographischen Rekonstruktion von Konversionserlebnissen auseinandersetzt Ausgehend von der Tatsache, daß sich Konvertiten bei ihren Schilderungen des Konversionserlebnisses von den Deutungsmustern ihrer religiösen Gruppe leiten lassen, will Ulmer die Frage beantworten, inwieweit Konversionserzählungen eine eigene rekonstruktive Gattung bilden (Ulmer 1988, S.20). Unter 'rekonstruktiver Gattung' versteht Ulmer in Anlehnung an Lockmann (1986) allgemein "kommunikative Vorgänge, in denen vergangene Ereignisse und Erlebnisse nach gesellschaftlich verfestigten und intersubjektiv verbindlich vorgeprägten, kommunikativen Mustern rekonstruiert werden" (Ulmer, S.21). Das Besondere an Ulmers Ansatz, im Gegensatz zu den Arbeiten von Beckford u.a., die gruppenspezifische Einflüsse auf Konversionsberichte nachzuweisen suchten, will Ulmer das gemeinsame Muster aller Konversionsberichte aufdecken: "dieses Muster für die Rekonstruktion einer eigenerlebten Konversion darf dabei nicht nur für einzelnen religiösen Gruppen Geltung haben, sondern muß von Konvertiten gleich welcher religiösen Anschauung, beim Erzählen ihrer Konversion verwendet werden" (S.20). Ulmer berücksichtigt die situativen Momente, die beim Vollzug der Schilderung variieren können und stellt folgende universalenlS Merkmale fest: alle Konversionsberichte weisen einheitlich eine dreigliedrige Zeitstruktur auf, die Zeit davor, den Wendepunkt und die Zeit danach. Diese Zeitstruktur bildet nach Ulmer das Grundgerüst jeder Konversionserzählung.
Die Zeit vor der Konversion Die Schilderung der Zeit vor der Konversion setzt in einer Phase weit vor der Konversion, meist in der Kindheit ein: "Durch die Berücksichtigung der frühen Lebensabschnitte in der Konversionserzählung machen die Erzähler bereits zu Beginn deutlich, daß es sich bei den Ereignissen, die sie zu schildern beabsichtigen, nicht um eine begrenzte oder vorübergehende biographische Episode handelt Vielmehr wird die Konversion schon hier als etwas vorbereitet, das für die gesamte Biographie des Erzählers, von seiner Kindheit bis in die Gegenwart, von zentraler Bedeutung ist" (S.23). Gemeinsam ist allen Darstellungen, die Herausarbeitung des Gegensatzes zu früherer Lebensform und dem Leben nach der Konversion. Ofunals werden, nach Ulmer, vorkonventionelle Lebensformen geschildert, die mit der religiösen Lebensweise nach der Konversion "völlig unvereinbar" sind. Die LebensIS Uhner stützt seine Analyse auf zehn aufgenonunenen und später niedergeschriebene Konversionserzählungen. Die Berichte stammen aus recht unterschiedlichen Gruppierungen. Auch die Erzählsituation wurde variiert (Ulmer, S.20).
3.2 Kritik am Konversionsmodell von Loßand und Stark
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phase vor der Konversion wird von den Erzählern negativ bewertet, wobei diese Bewertung durch gemäßigte, die damalige begrenzte Perspektive berücksichtigende Darstellungsweisen relativiert wird. Nach Ulmer zeigt diese Form der Darstellung, daß die Konvertiten das frühere Leben nicht ausgrenzen, sondern in ihre neue erworbene Identität integrieren wollen und sie als notwendige Vorstufe zum jetzigen Leben ansehen (S.24).
Krise und Konversionserlebnis Wichtiger Bestandteil der Erzählungen über das Leben vor der Konversion ist der Aufweis des Erzählers, welche Ereignisse oder Entwicklungen zur Konversion geführt haben. In allen Schilderungen wird laut Ulmer eine biographische Krise als Anlaß für die Konversion dargestellt. Auslöser für diese Krise sind Ereignisse in der Alltagswelt der Konvertiten: Trennung vom Partner, Schwierigkeiten in der Schule, emotionale Probleme. Alle Versuche, diese Probleme mittels der üblichen Lösungsformen zu bewältigen, scheitern. Die Darstellung des Scheiteros von sozial anerkannten Lösungsversuchen wird zum ersten die Entwicklung der Problematik zum existentiellen Problem verdeutlichen, zum zweiten wird auf die Grenzen der Alltagswelt und auf die Notwendigkeit der Lösung in einem den Alltag transzendierenden Bereich hingewiesen. Im weiteren Verlauf wird die biographische Krise zunehmend verinnerlicht: zuerst werden die Konflikte als rein individuelles Problem interpretiert, sodann immer mehr ins Innenleben der Person verlagert. Diese Verlagerung und die damit einhergehende Umdefinition des Problems bildet die Voraussetzung für den Wendepunkt der biographischen Schilderung, das eigentliche Konversionsereignis. Die Schilderung des Konversionsereignisses bildet den Höhepunkt der Konversionserzählungen. Das Konversionserlebnis als außeralltägliches Erlebnis ist, im Gegensatz zu den bisher geschilderten Passagen, 'nur schwer in Worte zu fassen'. Der Konvertit steht hier vor dem Dilemma, daß eine adäquate Darstellung des Erlebnisses kaum erreichbar16 ist, er aber andererseits mit dieser Schilderung deutlich machen muß, daß das Erlebnis beeindruckend genug war, um eine grundlegende Wende in seinem Leben herbeizuführen. Das Erlebnis stellt sich als rein persönliches, von der sozialen Umwelt losgelöstes Ereignis dar, der Konvertit ist laut Ulmer meist alleine17: "Mit der Ausgrenzung 16 Das Erlebnis darf nicht voll in alltägliche Deutungsmuster integrierbar sein, sonst verliert es für den Konvertiten den außeralltäglichen, damit aber auch legitimierenden Charakter. 17 Hier legt Ulmer wiederum das paulinische Erleben paradigmatisch zugrunde. Daß Konversionserlebnisse nicht alleine stattfinden müssen, hätte er bei der Gruppe des Bhagwan sehen können (vgl. Abschnitt 5.6). Das Erlebnis muß auch bei mystischem Charakter kein rein persönliches, von der sozialen Umwelt abgelöstes Ereignis
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3. KonveiSionsprozesse: VOiaussetzungen und Verlaufsformen
der sozialen Umwelt und der Verlagerung des Geschehens in die Innenwelt wird ein geeigneter "Ort" für die Konversion geschaffen" (Ulmer, S.27). Das eigentliche Konversionserlebnis wird in den Schilderungen der Konvertiten durch vier thematischen Schwerpunkte charakterisiert: die Öffnung des Konvertiten auf eine alltagstranszendente religiöse Dimension hin, der passiven Haltung des Konvertiten, der Schilderung des außergewöhnlichen Ereignisses, das mit einer Zwangsläufigkeit stattfmdet, die den Konvertiten zum passiven Objekt einer ihm unbekannten Macht werden läßt, der beim Konvertiten ausgelösten emotionalen Erschütterung, "die ihn vollkommenerfaßt und durchdringt" (Ulmer, S.29). Diese Phase der Erschütterung soll nach Ulmer indirekt die Realität der religiösen Konversionserfahrung belegen sowie die Tatsache verdeutlichen, daß die Konversion ohne Zutun des Konvertiten und ohne verstandesgemäße Kontrolle stattgefunden hat.
Das Leben nach der Konversion Im Zentrum der Erzählung steht hier nach Ulmer die Darstellung der unmittelbaren Auswirkungen der Konversion. Hier fmdet spiegelbildlich zur Verinnerlichung und Personalisierung im Moment der Krise vor der Konversion eine Veräußerlichung des Konversionserlebnisses nach der Konversion statt. Positive Wirkungen gehen von der unmittelbaren psychischen und körperlichen Befmdlichkeit bis hin zur Veränderung in den sozialen Beziehungen des Konvertiten. Auch hier wird Realität und Wirksamkeit des Konversionserlebnisses durch die dauerhafte Wandlung der Lebenssituation des Konvertiten belegt. Dieser Beleg kann durch vergleichende Schilderungen im Stile des 'vorher - nachher' vonstatten gehen. Zentrales Erzählungsmuster bei Konversionsberichten ist die neue Lebensthematik: "Einen großen Teil ihrer Schilderungen der nachkonversionellen Biographie widmen die Erzähler der neuen Lebensweise und der Lebenseinstellung, die der Konvertit nach der Konversion zu entwickeln beginnt. Dabei steht die Religiosität stets im Mittelpunkt seiner Handlungen" (Ulmer, S.3I).l8 darstellen. In der Regel wirkt die alltägliche Interaktion als weltbildstabilisierend und damit als konversionshemmend (vgl. Berger/ Luckmann, 1969). Werden dagegen außeralltägliche Situationen sozial hergestellt, so können durchaus gemeinsame mystische Erfahrungen erlebt werden (vgl. für die Anhänger des Bhagwan Abschnitt 5.6 und für die ISKCON Wiesherger 1980). 18 Hier ist zu fragen, in welcher Phase nach der Konversion sich der Konvertit befindet. In der ersten Zeit nach der Konversion findet eine Einübung der neuen Interpretationsmuster statt. Der Neuling winl wesentlich öfter religiöse Themen auch in
3.2 Kritik am Konversionsmodell von Loßand und Stark
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Die Schilderungen beinhalten die beginnende religiöse Praxis, den Kontakt zu einer religiösen Gruppe sowie die zunehmende Interpretation der ihnen widerfahrenden Ereignisse aus der neuen religiösen Perspektive: "Mit ihnen (den Schilderungen, Anm. d. Verf.) zeigen die Erzähler auf, wie die Konversion, die ja als einzigartige und momentane religiöse Erfahrung dargestellt wurde, in eine dauerhafte stabile religiöse Orientierung übergeht., die fortan das Leben des Konvertiten umfassend durchdringt und entscheidend prägt" (Ulmer, S.31). Nach Ulmer muß der Konvertit mit seiner Erzählung ein zentrales kommunikatives Problem lösen: "die persönliche religiöse Offenbarung, die vom Erzähler als Ursache und Anlaß der eigenerlebten Konversion geltend gemacht wird, auf plausible und glaubwürdige Weise darzustellen und intersubjektiv zu vermitteln" (Ulmer, S.31). 3.2.3.1 Argumente gegen die 'rekonstruktiven' Positionen Die von Beckford (1978) untersuchten Konversionsschilderungen sind durchweg vorbildliche, in der offiziellen Zeitschrift der Zeugen Jehovas, dem 'Wachturm', veröffentlichte Berichte, die für den Zweck der Missionierung niedergeschrieben wurden. Da im 'Wachturm', als ideologischen Publikationsorgan der Gruppe, nur mustergültige Erlebnisberichte veröffentlicht werden, stellen Erzählungen dieser Art vorbildliche und nicht notwendigerweise typische Erfahrungen des Bekehrungsprozesses dar. Zudem kann der von Beckford festgestellte Wandel in den Konversionsschilderungen während der Geschichte der Bewegung einem realen Wandel der Rekrutierungsart im 'Watch Tower Movement' entsprechen. Mit anderen Worten, den typischen Unterschieden in den Schilderungen können real unterschiedliche Konversionserfahrungen zugrunde liegen, da zu verschiedenen Zeiten verschiedene Typen von Konvertiten zur Bewegung stießen und der Rekrutierungsprozeß durch die Missionare der Gruppe unterschiedlich gestaltet wurde. Gegen Beckford und Taylor ist einzuwenden, daß die Unterstellung vollständiger Kontextabhängigkeit biographischer Schilderungen von Konversionen jede Vergangenheitsdimension auf den rein gegenwärtigen Kontext schrumpfen läßt, was keinerlei sozialwissenschaftliche Erfassung von derartigen Prozessen mehr zuließe (vgl. Wallist Bruce 1983). Bei Ulmer wird nicht klar, ob nun die Schilderungen der Konvertiten als objektive Merkmale der Konversion oder nur als Konstrukte analysiert werden alltäglichen Zusammenhängen thematisieren, als dies der Fortgeschrittene tut, der in seiner Thematisierung kompetenter ist, diese aber weniger in alltäglichen Situationen vollzieht, es sei denn, er missioniert oder belehrt Novizen.
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3. Konversionsprozesse: Voraussetzungen und Verlaufsformen
können.l9 Denn inwieweit unterscheiden sich die biographischen Berichte von Konvertiten von den biographischen Erzählungen anderer Personen- außer durch ihre größere Reflektiertheit, wenn Ulmer selbst schreibt: "Dadurch, daß der Konvertit mit der Konversion einen neuen Schlüssel für die Deutung seiner Biographie erworben hat, steht er beim Erzählen seiner Konversionsgeschichte und insbesondere bei der Rekonstruktion seiner Vorkonversionellen Biographie vor einer komplizierten Aufgabe. Alle Vorkonversionellen biographischen Ereignisse müssen einerseits so geschildert werden, daß deren Deutung sichtbar wird, wie sie vor der Konversion Gültigkeit hatte. Andererseits muß aber auch die Revisionsbedürftigkeit dieser Interpretationsweise zum Ausdruck gebracht werden und die nach der Konversion favorisierte Darstellungsweise desselben Ereignisses zur Darstellung kommen" (Ulmer, S.25). Man könnte in Fortführung von Ulmer argumentieren, die Konvertiten seien gezwungen, die Konsistenz von zwei unterschiedlichen Lebensabschnitten vor und nach der Konversion sowie den Übergang zwischen beiden Formen plausibel herzustellen und deswegen genötigt, größere Einheitlichkeit zu konstruieren, als dies konventionell lebende Personen bei autobiographischen Erzählungen gewöhnlich tun - aber auch konventionelllebende Personen benutzen sozial anerkannte Muster, um ihren Lebenslauf als konsistenten und verständlichen Ablauf darzustellen (vgl. Fuchs 1984, S.31 ff.). Zudem weisen alle von Ulmeruntersuchten Konversionen paulinischen Charakter auf. Diese gemeinsame Form ist die notwendige Voraussetzung für die Ulmersche Theoriebildung, die nach allgemeinen strukturellen Merkmalen von Konversionserzählungen fragt. Daß andere Formen von Konversion erlebt oder zumindest berichtet werden, müßte auch Ulmer klar sein, da er selbst J.A. Beckford zitiert, der eigenerlebte Konversionsberichte vom stetigen, der paulinischen Form konträren Typus diskutiert. Damit kann weder die von Ulmer herausgearbeitete einheitliche Formalstruktur der Konversionserzählungen, noch das angeblich durch diese Form gelöste kommunikative Problem, den Grad von Allgemeinheit beanspruchen, den der Autor für seine Ergebnisse behauptet.20
19 Wenn Ulmer schreibt, daß alle vorkonversioneilen biographischen Ereignisse aus zwei Deutwlgsmustem heraus beschrieben werden müssen, so unterstellt dies ein von beiden Deutwlgsmustem relativ unabhängiges Ereignis, damit also seinen objektiven Charakter. Andererseits betont Ulmer den rekonstruktiven Charakter, der es verbiete, Konversionserzählungen "als Material über Konversionen zu benutzen" (S. 19). 20 Zu fragen ist, ob die Erzählungen durch die Erwartung von Ulmer die einheitliche Grundstruktur aufweisen (Problem der Selektivität oder der wissenschaftlichen Rekonstruktion), ob Ulmer tatsächlich nur Konvertiten des mystischen Typus befragte (Problem der Verallgemeinerbarkeit), ob die Erzählung der eigenerlebten Konversion gemäß der paulinischen Form gegenwärtig Mode ist (Problematik subkultureHer htterpretationsmuster) oder ob zur Zeit in allen religiösen Bewegungen überwiegend paulinische
3.2 Kritik am Konversionsmodell von Lofland und Stark
81
3.2.3.2 Empirische Belege für die Gültigkeit der Tension-Hypothese Für die Gültigkeit der Tension-Hypothese und gegen die reine Kontextabhängigkeit der Rekonstruktion von Konversionsberichten sprechen auch die beiden folgenden empirischen Arbeiten. Gegen den von Skonvod u.a. formulierten Einwand, der Zustand der Mitglieder einer Gruppierung vor ihrer Konversion sei immer erst nach vollzogener Konversion rekonstruktiv festzustellen, kann die Untersuchung von M. Galanter angeführt werden. Galanter nahm an den Rekrutierungsveranstaltungen der Unification Church teil und testete die Besucher dieser 'Workshops'. Diese Untersuchung ist von zentraler Bedeutung, da sie meines Wissens die einzige Studie darstellt, in der quantitativ vergleichbare Daten zur psychischen Situation der Konvertiten vor, bzw. während des Prozesses der Konversion und nicht im nachhinein erhoben wurden. Galanter verglich Langzeitmitglieder der U .C. mit Besuchern, die nach zwei Tagen die Workshops verließen (den 'early drop outs') sowie die Konvertiten aus der Gruppe der Gäste mit einer studentischen Vergleichsgruppe und fand signifikante Unterschiede in den Werten auf dem 'general well-being score' (vgl. dazu auch Kapitel2): Psychologlcal General Weii-Belng Schedule (S) Sores of Long-Standlng Members of the Unlflcatlon Church, a Nonmember Comparlson Group and Nonmembers AUending Church Workshops General Well-Being Scores SD Mean
Group:
Comparison wilh LonR-SlandinR Members t Signijicance
Long-standing members
(N=237)
74,4
17,2
Nonrnember comp. group
(N=305)
83,4
16,2
6,24
Dropouts after "2-day workshop"
(N=74)
74,7
17,9
0.28
Guests who continued beyond "2-day workshop"
(N=30)
67,2
19,2
1,95
p