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German Pages 148 Year 1979
Linguistische Arbeiten
63
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Günther öhlschläger
Linguistische Überlegungen zu einer Theorie der Argumentation
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Öhlschlager, Günther: Linguistische Überlegungen zu einer Theorie der Argumentation / Günther Öhlschläger. — Tübingen : Niemeyer, 1979. (Linguistische Arbeiten ; 63) ISBN 3-484-10301-9
ISBN 3-484-10301-9 Max Niemeyer Verlag Tübingen 1979 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdruckliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: fotokop Wilhelm weihert KG, Darmstadt.
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
VII
1.
EINLEITUNG
1
2. 2.1
GRUNDZÜGE DER PRAKTISCHEN SEMANTIK
7
2.2 2.3 2.4 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
4.
Bedeutung als Gebrauch Sprachspiele Der Begriff der Regel Über praktisch-seraantische Beschreibungen ZUR STRUKTUR VON ARGUMENTATIONEN UND ARGLMENTATIONSHANDLUNGEN
11 16 22
33 42 42
Terminologische Vorklärungen Logische Behandlung von Argumentationen Das Mißverständnis des modus ponens Das Konzept von Ryle und Toulmin Der Begriff der Schlußpräsupposition Vergleich der verschiedenen Theorien der Struktur von Argumentationen und Argumentationshandlungen
1o2
ABSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN
125
LITERATUR
51 66 77 88
13o
VORWORT
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich un die überarbeitete Fassung meiner im Wintersemester 1973/74 von der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg angencranenen Dissertation (Gutachter: Prof. Dr. Hans Jürgen Heringer, Prof. Dr. Peter von Polenz). Den Gutachtern sowie allen ändern, die - auf die unterschiedlichste Weise - dazu beigetragen haben, daß diese Arbeit geschrieben und abgeschlossen werden konnte, möchte ich ganz herzlich danken - es sind zu viele, als daß ich sie alle nennen könnte.
Günther Öhlschläger
1.
EINLEITUNG
- Jegliches Kommunizieren beruht, wie überhaupt jegliches Interagieren, auf dem Bestehen intersubjektiv gültiger Regeln; nur dadurch, daß Konmunikationspartner über gleiche oder zumindest ähnliche Regeln verfügen, können sie sich bzw. ihr Verhalten und Handeln wechselseitig verstehen: Wenn wir miteinander sprechen, handeln wir nach bestürmten Regeln. - Verständigungs- und Verstehensprobleme, Mißverstehen und Konnunikationskonflikte im Zusammenhang mit Sprache sind sehr häufig darin begründet, daß die Teilhaber einer Sprache nicht alle die gleichen Regeln befolgen, sondern nach unterschiedlichen Regeln handeln, daß sie nicht alle über die gleichen Regeln verfügen, sondern jeder Sprachteilhaber aufgrund seiner individuellen Sozialisation und Lebensgeschichte eine Sprachkonpetenz besitzt, die sich von der anderer mehr oder minder unterscheidet, und daß diese Unterschiede den Kormunikationspartnern oft nicht oder nicht ausreichend bekannt und bewußt sind. - Mißverstehen, Verständigungs- und Verstehensprobleme sind eher zu vermeiden bzw. leichter und schneller zu erkennen, besser aufzuklären und zu beheben, bewußteres und reflektierteres sprachliches Handeln und besseres Verstehen sprachlicher Handlungen ist eher möglich, wenn die Sprachteilhaber über bessere Einsicht in die Regeln sprachlichen Handelns und einen besseren überblick über den Aufbau und den Zusammenhang der von ihnen und ändern befolgten Regeln verfügen, wenn sie die Unterschiede hinter den "alles gleichmachenden Kleidern unserer Sprache" sehen, und wenn sie darüber hinaus die Fähigkeit haben, Probleme, die in der sprachlichen Kommunikation auftreten, zu thematisieren, sowie Verfahren und Methoden beherrschen, problematisch gewordene Regeln und Kcmnunikationen zumindest ansatzweise zu beschreiben. Dies sind - in thesenhafter Form - einige der Grundgedanken der sog. praktischen Semantik, einer linguistischen Semantik, die aus dem Versuch entstand, l
Vgl. Wittgenstein 1953;196o:537.
Ansätze der sprachanalytischen Philosophie, besonders aber der Spätphilosophie Wittgensteins für die Linguistik fruchtbar zu machen, und die es als ihre Aufgabe ansieht, die zur Bewältigung der genannten Probleme und Schwierigkeiten beim sprachlichen Handeln notwendigen Grundlagen zu schaffen,
in-
dem sie die Struktur von sprachlicher Kommunikation und sprachlichen Kommunikationen untersucht, Regeln, die sprachlichen Handlungen zugrundeliegen, analysiert und beschreibt, einzelne Kontnunikationen modellhaft rekonstruiert sowie Methoden und Verfahren entwickelt, mit deren Hilfe Sprachteilhaber selbst zur Aufklärung und Behebung von Kommunikationsproblemen beitragen können. In diesem Rahmen ist auch die vorliegende Arbeit zu sehen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen Beitrag zur Grundlegung der praktisch-semantischen Analyse bzw. von praktisch-semantischen Analysen von Argumentationen zu leisten, zur Grundlegung insofern, als in ihr der Frage nach der Struktur und den Bedingungen von Argumentationen bzw. Argumentationshandlungen nachgegangen werden soll. Die Auswahl und Gewichtung der behandelten Fragen und Probleme ist dementsprechend im wesentlichen durch die Zielsetzungen der praktischen Semantik bedingt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die in der vorliegenden Untersuchung vorgetragenen Überlegungen
nur
für die prakti-
sche Semantik von Interesse sind bzw. sein können - ich hoffe zumindest, daß sie auch für den einen oder anderen, der sich in anderen Zusammenhängen und mit anderen Fragestellungen mit Argumentationen beschäftigt, nützlich sein können. "Logic is concerned with arguments, good and bad. With the docile and the reasonable, argunents are sometimes useful in settling disputes. With the reasonable, this utility attaches only to good arguments. It is the logician's business to serve the reasonable. Therefore, in the realm of argunents, is is he who distinguishes good from bad." - Dieses Zitat aus einem Einfüh2 rungsbuch in die Logik, das stellvertretend für viele ähnlich lautende Formulierungen steht, macht den Anspruch deutlich, der seit Jahrhunderten von Logikern vertreten bzw. von ändern an die Logik gestellt wird: die Wissenschaft zu sein, die sich mit der Erforschung und Analyse, mit der Beurteilung und Bewertung von Argumentationen beschäftigt. Es liegt deshalb nahe, bei der Behandlung der zentralen Frage dieser Arbeit, der Frage nach der Struktur von Argumentationen - ihr ist Kapitel 3, "Zur Struktur von Argumen-
Kalish/Montague 1964:3.
tationen und Argxmentationshandlungen", das Hauptkapitel der Arbeit, gewidmet - mit der logischen Auffassung der Struktur von Argumentationen zu beginnen. Dementsprechend ist die "Logische Behandlung von Argumentationen" Gegenstand des Kapitels 3.2, des Kapitels, das sich an das den Hauptteil einleitende Kapitel 3.1, "Terminologische Vorklärungen", anschließt, das sich, wie der Titel schon sagt, mit terminologischen Vorklärungen, der Festlegung einiger Termini beschäftigt, vor allem aber mit der Beschreibung dessen, was in der vorliegenden Arbeit unter Argumentationen und Argumentieren verstanden wird, und wie sich das Argumentieren in diesem Sinne zu verwandten Handlungsmustern wie dem Begründen, dem Erklären, dem Schließen usw. verhält. Ernsthaft in Zweifel gezogen wurde der vorher so gut wie unbestrittene Anspruch der Logiker bzw. an die Logik eigentlich erst vor etwa zwanzig Jahren, vor allem von Perelman und TouMin, deren Arbeiten den Anstoß zu einer bis heute währenden Diskussion pro und contra Logik als Modell für die Beschäftigung mit Argumentationen gegeben haben. Bei allen sonstigen Unterschieden stimmen Perelman und Toulmin darin überein, daß die logische Analyse und Behandlung von Argumentationen unzureichend und die Jurisprudenz als Vorbild 4 und Modell für die Untersuchung von Argumentationen vorzuziehen sei. Perelman, der vor allem auf die antike Rhetorik zurückgreift, die ursprünglich ja die Theorie der öffentlichen Rede und der Überzeugungsmittel war, bevor sie zu einer Art Stilistik, der Lehre von den schmückenden Figuren wurde, und der seine Argumentationstheorie deshalb als "Neue Rhetorik" bezeichnet, hat sich hauptsächlich mit der Klassifikation von Argumentationstypen und verschiedenen Möglichkeiten, andere zu überzeugen, mit unterschiedlichen Formulierungsmöglichkeiten, der Auswahl und Art der Prämissen u.a. beschäftigt, die Frage nach der Struktur von Argumentationen aber kaum behandelt. Im Unterschied dazu liegt einer der Schwerpunkte, wenn nicht d e r Schwerpunkt Toulmins, der auf der sog. ordinary language philosophy aufbaut, gerade hier, in der Entwicklung einer eigenen Theorie der Struktur von Argumentationen, des sog. Toulmin-Schemas, das er an die Stelle des klassischen logischen Ar3
4 5 6
Vgl. besonders Perelman/Olbrechts-Tyteca 1952 und 1958 sowie Toulmin 1958. Bei Perelman sind darüber hinaus zu nennen die Aufsatzsammlungen Perelman 1963 und 197o, die Kurzfassung von Perelman/Olbrechts-Tyteca 1958, Perelman 1968, sowie als knapper Überblick Perelman 1971. Vgl. etwa Toulmin 1 9 5 8 : 7 f . , 1 5 f f . , Perelman 1971:147. Vgl. etwa Ueding 1976:48ff. Der Rückgriff Perelmans gilt allerdings mehr den Problemen der Rhetorik und ist nicht als Versuch einer völligen Wiederbelebung der antiken Rhetorik mit ihrem ganzen Instrumentarium und ihrer Begrifflichkeit zu verstehen.
gumentationsschemas "Oberprämisse; Unterprämisse; also: Konklusion" setzt, das nach seiner Meinung inadäquat ist. Ich möchte deshalb darauf verzichten, näher auf Perelman einzugehen, und stattdessen im Anschluß an die logische Behandlung von Argumentationen nur die Auffassung Toulmins erörtern, wobei ich - wie schon der Titel dieses Kapitels 3.4, "Das Konzept von Ryle und Toulmin", sagt - auch den Ansatz von Ryle mit einbeziehen werde, dem Toulmin entscheidende Anregungen verdankt. Neuere Arbeiten zur Argumentationstheorie, die in den letzten Jahren p nicht zuletzt durch die Arbeiten von Perelman und Toulmin bedingt - allein schon von der Quantität her einen starken Aufschwung genommen hat, haben zwar eine ganze Reihe interessanter Ergebnisse und Anregungen gebracht, 9 und auch innerhalb der Logik hat es Entwicklungen gegeben, die darauf abzielen bzw. dazu geführt haben, Argumentationen in natürlichen Sprachen besser als bisher gerecht werden zu können - hinsichtlich der Struktur von Argumentationen sind jedoch keine Erkenntnisse zu verzeichnen, die über die beiden alternativen Theorien - die logische und die Toulmins - hinausgehen, keine Theorien der Struktur von Argumentationen, die entscheidend Neues gebracht hätten. Es scheint mir deshalb ausreichend und im Hinblick auf die skizzierte Aufgabenstellung dieses Buches auch sinnvoller, nur die beiden genannten Theorien, die zudem wohl auch die bekanntesten und am weitesten verbreiteten Ansätze zur Beschäftigung mit Argumentationen darstellen, ausführlicher zu behandeln und miteinander zu vergleichen. Dieser Vergleich wird in Kapitel 3.6, "Vergleich der verschiedenen Theorien der Struktur von Argumentationen und Argumentationshandlungen" , durchgeführt; besonderes Gewicht kamt dabei - ent-re7 8 9 10
11
Vgl. Ryle 195o. Auf weitere Gründe für diesen Aufschwung bin ich in Öhlschläger, erscheint, eingegangen. Vgl. hierzu die Übersicht in dem schon in der letzten Anmerkung genannten Aufsatz Öhlschläger»erscheint. Ich denke hier an die Entwicklung von Modallogiken - vgl. hierzu etwa Rescher 1968 -, an die oft als Ansätze in dieser Richtung interpretierten Arbeiten von Montague - z . B . Montague 197oa und 197ob - sowie an die Bemühungen um die sog. "fuzzy logic" - vgl. etwa Zadeh 1975 -, um nur einiges zu nennen. Propagiert hat eine solche Orientierung der Logik am Aufgabengebiet "Argumentationen in natürlichen Sprachen" vor allem Y.Bar-Hillel in einer Reihe programmatischer Aufsätze und Vorträge: Bar-Hillel 1967, 1969a und 1969b, 197oa und 197ob. Vgl. auch die von Bar-Hillel initiierte und geleitete Diskussion in StaaKHg.) 1969. Einen ausführlicheren Überblick über verschiedene Argumentationstheorien sowie eine Auseinandersetzung mit einigen neueren Arbeiten zum Thema "Argumentation" bietet Öhlschläger,erscheint. - Weitere Übersichten und Diskussionen in Johnstone 1968, Kindt 1975 und Metzing 1976.
sprechend unserer Zielsetzung - der Beschäftigung mit dem Fragenkomplex zu, inwiefern die jeweiligen Theorien als Grundlage für die praktisch-semantische Analyse geeignet sind, welche Aufschlüsse sie im Hinblick auf das bessere Verstehen von Argumentationen sowie auf besseres Argumentieren ermöglichen usw. Meiner Meinung nach ist der Ansatz von Ryle und Toulmin der praktisch-semantischen Zielsetzung angemessener als das logische Konzept - dies zu zeigen, ist eine der zentralen Aufgaben dieses Buches. Allerdings weist er eine Reihe von Unklarheiten und Mängeln auf, die schon häufig Gegenstand berechtigter Kritik waren. Deshalb möchte ich - in Kapitel 3.5, "Der Begriff der Schlußpräsupposition" - eine weitere, eigene Theorie der Struktur von Argumentationen entwickeln, die als dritte Theorie in den Theorienvergleich in 3.6 einbezogen werden soll. Diese Theorie ist zwar mit der Ryle/Toulminschen Theorie verwandt, unterscheidet sich aber in entscheidenden Punkten deutlich von ihr. Zwischen die Kapitel 3.2 und 3.4 habe ich - dies habe ich bei meiner kurzen Inhaltsübersicht noch nicht erwähnt - als 3.3 das Kapitel "Das Mißverständnis des modus ponens" eingeschoben, in dem ich mich mit einem häufig auftretenden Mißverständnis der logischen Behandlung von Argumentationen und einigen der wichtigsten Gründe für dieses Mißverständnis befasse. Dieses Kapitel ist einerseits als Ergänzung zu 3.2 zu verstehen, hat andererseits aber auch eine wichtige Funktion im Hinblick auf den Vergleich in 3.6, da dieses Mißverständnis in der Diskussion pro und contra Logik bzw. pro und contra Ryle und Toulmin eine nicht unbedeutende Rolle spielt. In Kapitel 4, "Abschließende Bemerkungen", schließlich möchte ich kurz noch einige Gesichtspunkte, Fragen und Probleme erwähnen, die bei der praktisch-semantischen Analyse und Beschreibung von Argumentationen bzw. Argumentationshandlungen auf der Grundlage des in der vorliegenden Arbeit entwickelten und begründeten Konzepts zu berücksichtigen sind, deren ausführlichere Behandlung aber weit über den gegebenen Rahmen hinausführen würde. Bevor ich mich all diesen Fragen und Problemen zuwende, möchte ich jedoch noch - in Kapitel 2, "Grundzüge der praktischen Semantik" - einige der zu Beginn angedeuteten Grundgedanken der praktischen Semantik ausführlicher darlegen und begründen. Entsprechend den Funktionen dieses Kapitels - als Erläuterung des Rahmens, in dem die vorliegende Arbeit zu sehen ist, und als Vorbereitung des 3.Kapitels, insbesondere der Kapitel 3.5 und 3.6 - werde ich mich dabei auf das Darstellen und Plausibelmachen beschränken und auf
die Abgrenzung und/oder Rechtfertigung der praktischen SenantUc gegenüber anderen seroantischen Theorien verzichten. 12
12
Vgl. hierzu etwa Heringer 1974a:9-27,83-96.
2.
GRUNDZÜGE DER PRAKTISCHEN SEMANTIK
In der Einleitung habe ich schon darauf hingewiesen, daß die praktische Semantik der Spätphilosophie Wittgensteins ganz entscheidende Anregungen verdankt und in vielan auf Wittgenstein und seinen Überlegungen zur Sprache, zum Verstehen, zu den Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke u.a. aufbaut. Dementsprechend beruht auch meine Darlegung von Grundzügen und Grundgedanken der praktischen Semantik im vorliegenden Kapitel an vielen Stellen auf den Ausführungen Wittgensteins. Wittgenstein als Ausgangspunkt und Grundlage einer linguistischen Semantik, einer Theorie sprachlichen Handelns - dies ist ein Ansatz, gegen den eine Reihe von Einwänden vorgebracht werden können, ein Ansatz, der der Erläuterung und Rechtfertigung bedarf. Denn zweifellos ist es richtig, daß es - wie eingewandt werden könnte - nicht Wittgensteins Absicht war, die Grundlagen für eine linguistische Semantik zu liefern, und daß es ihm - trotz seiner zahlreichen minutiösen Sprachanalysen - nicht um eine Untersuchung der Sprache um ihrer selbst willen ging, um den "semantischen Nuancenreichtum der Umgangssprache", sondern um eine Kritik der traditionellen Philosophie, deren Probleme er im wesentlichen auf sprachliche Mißverständnisse, auf irreführende Sprachgebräuche, auf mangelnde Übersicht über den Gebrauch bestiinnter Wörter u.a. zurückführt - so spricht er davon, daß die philosophischen Probleme entstehen, "wenn die Sprache feiert", "wenn die Sprache leerläuft" -, und die seiner Meinung nach nur dadurch zu lösen sind, daß man sie durch Sprachkritik, durch Klärung, d.h. Klarlegung der Sprachregeln, 4 des Sprachgebrauchs zum Verschwinden bringt. Wittgensteins Ausführungen zu 1 2 3 4
Tugendhat 1976:386. Wittgenstein 1953:§ 38. Wittgenstein 1953:§ 132. Vgl. etwa Wittgenstein 1953;196o:534: "Eine ganze Wolke von Philosophie kondensiert zu einem Tröpfchen Sprachlehre." - Oder: "... Denn die Klarheit, die wir anstreben, ist allerdings eine vollkommene. Aber das heißt nur, daß die philosophischen Probleme vollkommen verschwinden sollen." (Wittgenstein 1953:§ 133). Vgl. auch Wittgenstein 1969a:68.
Fragen der Sprache sind also in der Tat im wesentlichen als Werkzeuge gegen die philosophische Praxis, als Therapie bzw. als Anleitung zur Therapie zu sehen, als die Wittgenstein seine Philosophie versteht. Dennoch scheint es mir vertretbar zu sein und nicht gegen Wittgensteins Konzeption zu verstoßen, seine Methode der Untersuchung und Klärung der Gebräuche philosophisch bedeutsamer Ausdrücke, von Ausdrücken, deren Gebräuche zu philosophischen Probienen, zu Mißverständnissen usw. führen können, auch auf den allgemeinen Sprachgebrauch, auf die Alltagssprache zu übertragen, auf Ausdrücke, die zwar nicht von philosophischem Interesse sind, deren Gebräuche aber in anderen Zusammenhängen die Ursachen von Verständnisproblemen sein können, also den Anwendungsbereich seiner Methode zu erweitern. Und ob es wirklich Wittgensteins Intentionen widerspricht, seine Bemerkungen über Sprache, über Verstehen, über die Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke usw. (auch) als theoretische Aussagen über die Sprache, als Theorie der Sprache und als Bedeutungstheorie zu interpretieren, scheint mir keineswegs so sicher zu sein, wie es aufgrund einer Reihe von Stellen bei Wittgenstein den Anschein hat. Denn wenn sich Wittgenstein gegen Theorien und Erklärungen ausspricht, hat er immer nur Theorien im naturwissenschaftlichen Sinn im Auge, "the method of reducing the explanation of natural phenomena to the smallest possible number of primitive natural laws", und dementsprechend sind für ihn Erklärungen in diesem Zusammenhang immer nur Kausalerklärungen, versteht er erklären dabei immer im Sinne von 'erklären, warum', nicht in der Bedeutung Q
'erklären, wie 1 , 'erklären, was'. Die gerade teilweise schon zitierte Stelle aus Wittgenstein 1958, die mit Wittgenstein 1953:§ 1o9 verwandt ist, zeigt dies sehr deutlich: "Philosophers constantly see the method of science before their eyes, and are irresistibly tempted to ask and answer questions in the way science does. This tendency is the real source of metaphysics, and leads the philosopher into complete darkness. I want to say here that it can never be our job to reduce anything to anything, or to explain anything. Q Philosophy really is 'purely descriptive1." Schließlich - und dies ist 5
6
7 8 9
Vgl. etwa Wittgenstein 1953:§ Io9: "Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache." Ähnlich auch Wittgenstein 1958;1965:27. Vgl. auch Wittgenstein 1953: §§ 133, 255, 3o9. So etwa Wittgenstein 1953:§ Io9: "... Und wir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unsern Betrachtungen sein. Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten." Wittgenstein 1958;1965:18. Zu dieser Ambiguität von erklären und Erklärung vgl. Tugendhat 1976:187. Wittgenstein 1958;1965:18.
vielleicht der wichtigste Gesichtspunkt in unserem Zusammenhang - scheinen mir die Ausführungen Wittgensteins einfach so interessant und wichtig zu sein im Hinblick auf die Entwicklung einer linguistischen Semantik, einer Theorie sprachlichen Handelns, daß ich den hier vorgelegten Ansatz selbst dann für gerechtfertigt halten und ihn weiter vertreten würde, wenn er wirklich im Widerspruch zu Wittgensteins An- und Absichten stünde, wenn er wirklich eine Interpretation g e g e n Wittgenstein darstellen würde. ° Diese Bemerkungen machen auch den Charakter der Darlegungen im vorliegenden Kapitel noch deutlicher: Natürlich ist dabei in gewisser Weise auch der Anspruch einer Wittgenstein-Interpretation, einer Interpretation der Äußerungen Wittgensteins zu Fragen der Sprache gestellt, doch geht es primär um die Entwicklung und Darstellung einer - von Wittgenstein ausgehenden - linguistischen Semantik, einer - auf Wittgenstein aufbauenden - Theorie sprachlichen Handelns. Mit ändern Worten: Ich hoffe zwar, daß ich Wittgenstein und seine Überlegungen richtig verstanden und richtig dargestellt habe, doch würden etwaige Fehler und Mißverständnisse in der Interpretation nur die Herleitung der praktischen Semantik von Wittgenstein in Frage stellen, aber nicht automatisch auch den Ansatz der praktischen Semantik, denn die Entscheidung darüber, ob die praktische Semantik als linguistische Semantik brauchbar oder nicht ist, ob die theoretischen Aussagen der praktischen Semantik als Aussagen über die Struktur sprachlichen Handelns richtig oder falsch, berechtigt oder unberechtigt sind, ist unabhängig von einer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit Wittgenstein. Zwei weitere Bemerkungen scheinen mir in diesem Zusammenhang noch wichtig zu sein: Ich habe bisher intner von der Spätphilosophie Wittgensteins gesprochen, in Anlehnung an einen üblichen Sprachgebrauch, der zwischen der frühen Philosophie Wittgensteins, wie sie im "Tractatus" ausgeführt ist, 12 und nd cder Spätphilosophie, der besonders in den "Philosophischen Untersuchungen"«13 entwickelten Philosophie, unterscheidet. Dieser Begriff der Spätphilosophie Wittgensteins ist jedoch in mindestens zwei Hinsichten problematisch (geworden) : Zum einen hat die Veröffentlichung einiger Manuskriptbände aus der Zwischenphase zwischen "Tractatus" und "Philosophischen Untersuchungen" seit 10
11 12 13
Mit der Frage, ob es gerechtfertigt ist, Wittgensteins Ausführungen, insbesondere die, die mit Sprache als Thema zu tun haben, auch als Theorie zu interpretieren, hat sich Feyerabend besonders intensiv auseinandergesetzt. Vgl. hierzu Feyerabend 1954;196o:46f. und 1955;1966:145-15o. Umfassende Interpretationen Wittgensteins z.B. bei Pitcher 1964, Kenny 1972. Wittgenstein 1922. Wittgenstein 1953.
1
Mitte der sechziger Jahre, 14 die es ermöglicht hat, den Übergang von der sog. frühen zur sog. späten Philosophie besser nachzuvollziehen, in zunehmendem Maße zu Zweifeln geführt, ob es berechtigt ist, so scharf zwischen Wittgenstein I und Wittgenstein II zu trennen, wie sich dies nach der Veröffentlichung der "Philosophischen Untersuchungen" eingebürgert hat - eine Reihe von Autoren betont dementsprechend die Kontinuität zwischen "Tractatus" und "Philosophischen Untersuchungen" wieder stärker -, zum ändern umfaßt das, was man normalerweise die Spätphilosophie Wittgensteins nennt, Arbeiten aus einem Zeitraum von etwa zwanzig Jahren, aus einem Zeitraum also, in dem sich mit Sicherheit viele Auffassungen Wittgensteins gewandelt haben, so daß man nicht ohne weiteres pauschal von "der" Spätphilosophie Wittgensteins sprechen kann. Auf das vorliegende Kapitel haben diese Probleme jedoch keinen unmittelbaren Einfluß, denn für die Zielsetzung des Kapitels kann der erste Punkt sicherlich außer Betracht bleiben, und auch was den zweiten Punkt angeht, scheint es mir vertretbar, im gegebenen Rahmen trotz der erwähnten Bedenken weiterhin von "der" Spätphilosophie Wittgensteins zu sprechen, da das Herausarbeiten von Entwicklungen und Unterschieden zwischen verschiedenen Stadien sehr schwierig ist und akribischste Feinarbeit bedeuten würde, die in keinem Verhältnis zur Funktion und zum Stellenwert der Darstellung dieses Kapitels innerhalb der vorliegenden Abhandlung stehen würde. Dennoch scheint mir dieser Hinweis zur richtigen Einschätzung des Kapitels notwendig zu sein. Das zweite Problem, das ich noch ansprechen möchte, besteht darin, daß außer dem "Tractatus", dem kleinen Aufsatz "Some remarks on logical form" und - mit Einschränkungen - den "Philosophischen Untersuchungen" alle Arbeiten Wittgensteins, die heute allgemein zugänglich sind, nicht in dieser Form für eine Veröffentlichung bestimmt waren, sondern posthum herausgegeben wurden, wobei noch hinzukamt, daß die uns vorliegenden Fassungen meist keine Veröffentlichungen von Manuskripten und Zetteln sind in der Form, in der sie in Wittgensteins Nachlaß gefunden wurden, sondern Auswahlen und Kompilatio14
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Wittgenstein 1956; 1974, Wittgenstein 1958, Wittgenstein 1964, V.!ittgenstein 1967, Wittgenstein 1969a. - Wertvolle Aufschlüsse bietet auch der aus dem Nachlaß Friedrich Waismanns herausgegebene Band Waismann 1967, in dem Niederschriften von Gesprächen Waismanns mit Wittgenstein in den Jahren 1929-1932 enthalten sind. So z.B. Pears 1971 und Kenny 1972;1974, dessen 12.Kapitel (255-27o) "Die Einheit der Philosophie Wittgensteins" überschrieben ist. Zu den Entwicklungen und Unterschieden bei Wittgenstein sowie detailliert zu den in Anm.14 genannten Bänden am besten Kenny 1972. Wittgenstein 1929.
11
nen aus verschiedenen Manuskripten darstellen.
1R
Wenn also - wie auch in
der vorliegenden Arbeit - von den Gedanken und Ausführungen Wittgensteins die Rede ist,
so ist inmer zu berücksichtigen, daß es sich dabei - bis auf
die erwähnten Ausnahmen - um Wittgensteins Gedanken und Ausführungen in ei19 ner durch die Herausgeber gefilterten Form handelt. 2.1
Bedeutung als Gebrauch
Wittgensteins entscheidende und grundlegend neue Einsicht hinsichtlich des Funktionierens von Sprache besteht in der Erkenntnis, daß die Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke in ihrem Gebrauch bestehen: "Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes "Bedeutung1 - wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung - dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache." ° Wittgenstein bricht damit mit der traditionellen realistischen bzw. gegenstandstheoretischen Bedeutungsauffassung, die lange Zeit
die
Bedeutungsauffassung darstellte und die
auch heute noch - nicht zuletzt in einer Reihe von linguistischen Semantiktheorien - weitverbreitet ist. Trotz zahlreicher, z.T. weitgehender Unterschiede der einzelnen Versionen der gegenstandstheoretischen Auffassung gehen alle diese Bedeutungstheorien davon aus, daß die Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke in irgendeiner Weise gegenständlich sind und (mehr oder weniger) unabhängig von der Sprache existieren, sei es, daß sie - wie in der einfachsten Fassung der sog. Referenztheorie - als die Gegenstände aufgefaßt werden, für die die Ausdrücke stehen, sei es, daß sie in der Relation zwischen Zeichen und Gegenstand gesehen werden, wie in modifizierten Versionen der Referenztheorie, sei es, daß sie als Vorstellungen oder Ideen bezeichnet werden, wie in den sog. Vorstellungstheorien - um nur einige Haupttypen rea18 19
20
Vgl. hierzu die Anmerkungen der jeweiligen Herausgeber in den in Anm.14 genannten Bänden. Eine Begründung für ihr Vorgehen, d . h . , warum sie nur Auswahlen veröffentlichen, geben die Herausgeber in der Regel nicht. Stattdessen begnügen sie sich mit Feststellungen wie: "Die Herausgeber waren der Ansicht, daß dieses Manuskript eine Fülle wertvoller Gedanken enthält, wie sie sonst nirgendwo in Wittgensteins Aufzeichnungen anzutreffen sind. Andererseits schien es ihnen auch klar, daß das Manuskript nicht ungekürzt veröffentlicht werden konnte. Deshalb war eine Auswahl unumgänglich." (Wittgenstein 1956;1974:32). Oder: "Im Vorwort zur Erstausgabe haben die Herausgeber die Vermutung geäußert, daß es später vielleicht wünschenswert wäre, auch das Weggelassene zu drucken. Sie sind noch derselben Meinung - aber auch der, daß für den Druck sämtlicher Manuskripte Wittgensteins über diese und andere Gegenstände die Zeit noch nicht gekommen ist."(Wittgenstein 1 9 5 6 ; 1 9 7 4 : 3 3 f . ) . Wittgenstein 1953:§ 43.
12
listischer Bedeutungstheorien zu nennen. Die Mängel und Probleme dieser Theorien wie allgemein der gegenstandstheoretischen Auffassung der Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke sina schon oft ausführlich dargelegt worden; ich kann mich deshalb auf Andeutungen beschränken:
Gegen alle Formen der Referenztheorie spricht schon, daß nicht
alle sprachlichen Zeichen auf Gegenstände referieren - z.B. fünf, rot, und, weil - und daß zudem Wörter, bei denen man schon in gewisser Weise sagen könnte, daß sie für Gegenstände stehen, nicht iitmer auf Gegenstände referie22 ren - z.B. bei Befehlen wie Wasser!, Platte! o.a. Die Vorstellungstheorien versuchen diesen Schwierigkeiten zu entgehen, indem sie Vorstellungen als Bedeutungen annehmen, also zwar auch Gegenstände, aber Gegenstände anderer Art, Gegenstände, für die auch - nach Meinung der Vorstellungstheoretiker Wörter wie fünf, rot, und, weil usw. stehen könnten. Eines der Hauptprobleme dieser Theorien ist sicherlich die Bestimmung dessen, was unter einer Vorstellung zu verstehen ist - hier gibt es auch sehr weitreichende Unterschiede. Ein weiteres Problem - vielleicht das größte und wichtigste - liegt darin, daß Vorstellungen jeglicher Art nicht direkt erkennbar sind, sondern immer nur über Handlungen, über Äußerungen u.a. erschlossen werden können: Um auf die als Vorstellungen gedachten Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke schließen zu können, muß man also schon die Handlungen bzw. Äußerungen, bei denen die jeweiligen Ausdrücke verwendet werden, verstehen, d.h. schon die Bedeutungen dieser Ausdrücke kennen, die demnach keine Vorstellungen sein
können. 23 Dieses Problem wie auch einige andere, mit denen Vorstellungstheo21
22
23
Ausführlichere Diskussionen der realistischen Bedeutungstheorien bieten - außer Wittgenstein - Ryle 1957, Austin 1961, Aiston 1964a:lo-31, Black 1968:2o6-223, Kutschera 1971:117-161, Heringer 1974a:9-18; teilweise wird dabei auch die hier nicht angeführte behaviouristische Bedeutungstheorie behandelt. - Die meiner Meinung nach differenzierteste und detaillierteste Kritik der gegenstandstheoretischen Auffassung (am Beispiel Husserl) findet sich in Tugendhat 1976, bes. 131-175 und 349-357. Von der Problematik der Redeweise, daß Wörter für Gegenstände stehen bzw. auf sie referieren, möchte ich hier nicht näher eingehen. Es sind nämlich nicht Wörter, die auf Gegenstände referieren, sondern die Sprecher, die mit Hilfe sprachlicher Zeichen auf Gegenstände referieren, mit Hilfe solcher Zeichen, deren Bedeutung u.a. darin besteht, daß man mit ihnen auf die jeweiligen Gegenstände referieren kann. Vgl. hierzu etwa Linsky 1967 sowie Wimmer 1975b. "Was ist das Kriterium der Gleichheit zweier Vorstellungen? ... Für mich, wenn der Andre sie hat: was er sagt und tut."(Wittgenstein 1953: § 377). - Das Problem der Annahme sprachunabhängiger Vorstellungen allgemein veranschaulicht meiner Meinung nach das folgende Zitat sehr gut: "Versuche folgendes: Sage einen Satz, etwa: 'das Wetter ist heute sehr schön'; so, und nun denke den Gedanken dieses Satzes, aber ohne Satz, sondern rein."(Wittgenstein 1969a:155).
13
rien wie allgemein realistische Bedeutungstheorien konfrontiert sind, 24 sind nicht auf bestinmte Schwächen einzelner Theorien, einzelner Versionen zurückzuführen, sondern schon im gegenstandstheoretischen Ansatz begründet. Sie lassen sich deshalb nicht durch einzelne Modifikationen beseitigen, sondern sind nur dann zu vermeiden, wenn man die Auffassung aufgibt, daß Bedeutungen in irgendeiner Weise gegenständlich sind, daß sprachliche Ausdrücke in irgendeiner Weise "für etwas stehen" und die Zuordnung von Ausdruck und Bedeutung primär ist gegenüber der Sprachverwendung, d.h. daß die Ausdrücke nur aufgrund dieser schon bestehenden Zuordnung auf bestiitinte Weise verwendet werden können, und wenn man stattdessen - wie es Wittgenstein getan hat - die Sprachverwendung als konstitutiv für die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke ansieht, wenn man annimmt, daß sprachlichen Ausdrücken gerade und nur dadurch Bedeutung zukommt, daß sie auf bestinmte Art und Weise verwendet werden, d.h., daß ihre Bedeutung gerade darin, also in ihrem Gebrauch besteht.26 Gegen die Rede von der Bedeutung sprachlicher Zeichen als ihrem Gebrauch ist häufig - auch von Leuten, die diese Redeweise prinzipiell für berechtigt halten - vorgebracht worden, daß der Zentralbegriff "Gebrauch" zu vage und zu unklar sei, und es ist an Wittgenstein auch oft kritisiert worden, daß er nicht näher ausgeführt habe, was er unter dem Gebrauch eines sprachlichen Zeichens versteht. Als ein Beispiel für viele sei die Kritik von Aiston angeführt, der selbst die sog. Gebrauchstheorie der Bedeutung vertritt: "... despite the wide currency of the general conviction, and despite the 24 25 26
Vgl. hierzu die in Anm.21 genannte Literatur. Zur Analyse der Hauptursache der Auffassung, Bedeutungen seien Gegenstände, vgl. Black 1968:22o-223. Bei diesen Formulierungen lehne ich mich an Schneider 1975:92-97 an, wo dieser Unterschied sehr treffend herausgearbeitet wird. - Die Gegenüberstellung zeigt übrigens auch - dies sei nebenbei noch angemerkt - die Problematik der vielstrapazierten Unterscheidung von Semantik und Pragmatik: Sie ist nämlich nur bei einer gegenstandstheoretischen Bedeutungsauffassung sinnvoll, da bei ihr zur Eigenschaft sprachlicher Zeichen, Bedeutung zu haben, zusätzlich - in der Redeweise dieser Auffassung - noch hinzukommt, daß die Zeichen in bestimmter Weise verwendet werden können. Bei einer Auffassung, nach der die Bedeutung sprachlicher Zeichen im Gebrauch besteht, tritt jedoch - und dies ist vielfach übersehen worden - kein Unterschied zwischen Bedeutung haben und in bestimmter Weise verwendet werden können a u f , sondern ist beides identisch, so daß jede Pragmatik auch Semantik ist und umgekehrt. Anders ausgedrückt: Die Unterscheidung ist dann weder notwendig noch sinnvoll, und die Frage, ob man das Gebiet, das sich mit dem Gebrauch sprachlicher Zeichen beschäftigt, Semantik oder Pragmatik nennt, eine rein terminologische. Vgl. zu dieser Frage auch Wimmer 1977.
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numerous and wide-ranging investigations that have gone on under its aegis, no one has made a serious attempt to say, explicitly and in detail, what is to be meant by 'use1 in these contexts, i.e., what is and what is not to count as revealing the use of a term." 27 Dies sei aber notwendig, da es nur zu offensichtlich sei, "that many sorts of rules which govern linguistic activity have nothing to do with use in any sense of that term in which meaning could conceivably be a function of use." 28 Als Beispiele hierfür führt Alston Regeln an, die den Gebrauch von derben oder obszönen Wörtern in bestimnten Umständen verbieten oder soziale Unterschiede in Verwendungswei29 sen betreffen. Einwände dieser Art verkennen jedoch, 3o daß Wittgenstein keine neue Bedeutungstheorie begründen wollte in dem Sinne, daß an die Stelle von Gegenständen oder Vorstellungen der Gebrauch in irgendeinem gegenständlichen Sinn treten sollte, sondern daß es Wittgenstein darum ging, und dies auch das Entscheidende und Wesentliche an der Erkenntnis ist, daß die Bedeutungen sprachlicher Zeichen in ihrem Gebrauch bestehen, "to get us away from our fascination with the dubious relation of naming, of meaning", daß es ihm darum ging, von der Vorstellung zu befreien, Bedeutung müsse etwas Gegenständliches sein: "The mistake we are liable to make could be expressed thus: We are looking for the use of a sign, but we look for it as though it were an object co-existing with the sign. (One of the reasons for this mistake is again that we are looking for a 'thing corresponding to a substantive.')" Wittgensteins Rede von der Bedeutung sprachlicher Zeichen als ihrem Gebrauch ist also wesentlich als Warnung vor Hypostasierungen zu verstehen, als methodischer Hinweis, bei der Beschäftigung mit Bedeutungen sprachlicher Zeichen nicht nach irgendwelchen Gegenständen, nach Vorstellungen o.a. zu suchen, sondern auf ihren Gebrauch zu sehen: "Laß dich die Bedeutung der Worte 27 28 29 30
31 32
Aiston 1964b:142. Aiston 1964b:142f. Vgl. Aiston 1964b:143. Auch ein weiterer oft vorgebrachter Einwand, es sei nicht k l a r , ob mit Gebrauch die konkreten Verwendungen, die Menge der Verwendungen, oder die Gebrauchs w e i s e gemeint sei, scheint mir unberechtigt, da sowohl aufgrund der für Gebrauch verwendeten Varianten wie Funktion, Rolle, Zweck u . a . als auch aufgrund des ganzen Zusammenhangs eindeutig ist, daß Gebrauch im Sinne von Verwendungsweise zu verstehen ist. In Wittgenstein 1969b;197o:§ 61 heißt es auch explizit: "Eine Bedeutung eines Wortes ist eine Art seiner Verwendung. Denn sie ist das, was wir erlernen, wenn das Wort zuerst unserer Sprache einverleibt wird." Strawson 1954;1966:25. Wittgenstein 1958;1965:5.
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von ihren Verwendungen lehren!" Besser als im § 43 der "Philosophischen Untersuchungen", der meist zitiert wird, kennt dies im § 56o des gleichen Buches zum Ausdruck - "'Die Bedeutung des Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt.' D.h.: willst du den Gebrauch des Worts 'Bedeutung' verstehen, so sieh nach, was nan 'Erklärung der Bedeutung1 nennt." 34 - sowie vor allem in der folgenden Stelle aus der "Philosophischen Grammatik", die in gewisser Weise als Vorfassung der "Philosophischen Untersuchungen" angesehen werden kann: "Die Bedeutung eines Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt... Die Erklärung der Bedeutung erklärt den Gebrauch des Wortes. Der Gebrauch des Wortes in der Sprache ist seine Bedeutung." Diese Stelle, die auch den Zusammenhang zwischen § 43 und § 56o der "Philosophischen Untersuchungen" explizit macht, wird etwas später dann noch so erläutert: "Unsern Satz, 'die Bedeutung sei, was die Erklärung der Bedeutung erklärt', können wir so ausdeuten: Kümmern wir uns nur um das, was die Erklärung der Bedeutung heißt, und um die Bedeutung sonst in keinem Sinne." Diese Zitate zeigen nach meiner Meinung auch eindeutig, daß die von einigen vorgetragene Interpretation falsch ist, die Einschränkung im § 43 der "Philosophischen Untersuchungen" - "... wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung" - sei so zu verstehen, daß die Bedeutungen nicht a l l e r Wörter ihr Gebrauch in der Sprache sei, d.h., daß die Bedeutung einiger Wörter n i c h t ihr Gebrauch sei. Mit dieser Einschränkung scheint Wittgenstein eher Fälle der Verwendung von Bedeutung zu meinen wie in (1) Diese Frage ist für mich von großer Bedeutung. (2) Ich habe die Bedeutung dieses Mannes überschätzt. und analog in (3) Dieses Wort hat für mich große Bedeutung. (4) Die zentrale Bedeutung dieses Wortes steht außer Frage. Darauf läßt auch das folgende Zitat schließen: "Was wir zur Erklärung der 38 Bedeutung, ich meine der Wichtigkeit, eines Begriffs sagen müssen ..." 33 34
Wittgenstein 1953;196o:532. Tugendhat nennt diesen Satz, der bei ihm eine zentrale Rolle spielt, den "Grundsatz der analytischen Philosophie"(Tugendhat 1976:199).
35 Wittgenstein 1969a:59f. 36 37 38
Wittgenstein 1969a:69. Vgl. zu der hier behandelten Frage auch Wittgenstein 1958;1965:1. Als Beispiele seien nur Hintikka 1968:47 und Lenk 1967:462 genannt. Wittgenstein 1953;196o:353.
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2.2
Sprachspiele
Wittgensteins Erkenntnisse hinsichtlich des Funktionierens von Sprache, hinsichtlich der Struktur von Sprache und sprachlicher Kannunikation beruhen im wesentlichen auf seinem Vergleich der Sprache mit Spielen, auf seiner Idee, bei der Beschäftigung mit Sprachen Spiele als Modelle zu verwenden, das Sprechen einer Sprache als Spielen eines Spiels, eines - wie er es nennt 39 Sprachspiels zu verstehen. Den Ansatzpunkt bildet dabei die Überlegung, daß sowohl für Sprachen als auch für Spiele das Bestehen von Regeln notwendig ist: Wenn Ausdrücke wie die, Bedeutung, sprachlicher, die Bedeutung sprachlicher Zeichen besteht in ihrem Gebrauch usw. beliebig verwendbar wären, könnte man sich mit ihnen nicht verständigen, wären sie keine
s p r a c h l i c h e n Ausdrücke, da
man mit jeder Verwendung dieser Ausdrücke Beliebiges meinen und bei jeder Verwendung durch andere Beliebiges verstehen und damit nichts meinen und nichts verstehen könnte, ebensowenig wie ein Spiel wie etwa das Schachspiel möglich wäre, wenn man mit den Schachfiguren, besser: mit den Gegenständen, die beim Schach als Schachfiguren fungieren, Beliebiges machen könnte, wenn man sie beliebig verwenden könnte. Erst dadurch, daß es Regeln gibt, wie Ausdrücke wie die, Bedeutung usw. bzw. wie bestimmte Gegenstände aus Holz, Elfenbein o.a. zu verwenden sind, was man mit ihnen machen kann und darf, und damit auch, was man mit ihnen nicht machen kann und darf, wie bzw. als was ihre Verwendungen gemäß der Regeln zu verstehen sind, kann man sich mit ihnen verständigen bzw. mit ihnen Schach spielen, oder anders ausgedrückt: erst dadurch, erst durch das Bestehen von Regeln für ihre Verwendung, werden Ausdrücke, Gegenstände usw. bedeutungsvoll, werden sie zu Zeichen. Daß diese Regeln in der Tat konstitutiv sind für die Bedeutung von Spielfiguren wie von sprachlichen Zeichen und nicht schon - wie es die realistischen Bedeutungstheorien annehmen - voraussetzen bzw. erst dadurch möglich sind, daß die Zeichen schon Bedeutung haben in dem Sinne, daß die Ausdrücke für einen Gegenstand, für einen gegenständlich gedachten Inhalt stehen, macht das Bei4o spiel der Spielfiguren besonders deutlich - deshalb geht auch die Ein-
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Wittgenstein war aber nicht der erste, der die Sprache mit Spielen verglichen hat - so hat ja auch Saussure die Sprache mehrfach mit dem Schachspiel verglichen. Er ist aber wohl der erste, der den Vergleich so konsequent durchführte, der ihn nicht nur zur Veranschaulichung benutzte, sondern auch wichtige Erkenntnisse daraus zog. Vgl. hierzu etwa auch Waismann 1967:lo5.
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sieht, daß die Bedeutung sprachlicher Zeichen in ihrem - regelhaften - Gebrauch besteht, entscheidend auf den Vergleich der Sprache mit Spielen zurück: Denn wenn einem Gegenstand wie etwa einem Stück Elfenbein nur dadurch Bedeutung zukommen könnte, daß es für etwas steht, d.h., wenn Bedeutung etwas Gegenständliches wäre, wären Schachfiguren bzw. die Gegenstände, die im Schachspiel als Schachfiguren fungieren, bedeutungslos, da sie für nichts stehen, wären sie nur einfach Gegenstände aus Elfenbein, könnte man mit innen nicht spielen. Offensichtlich haben sie jedoch Bedeutung, kann man mit ihnen spielen, und zwar deshalb, weil sie auf bestimmte Weise verwendet werden können, weil sie einen regelhaften Gebrauch haben: "... die Bedeutung 41 eines Steines (einer Figur) ist ihre Rolle im Spiel." Man kann deshalb "nicht sagen: Das ist ein Bauer und für diese Figur gelten die und die Spielregeln. Sondern die Spielregeln bestimmen erst diese Figur: Der Bauer 42 ist die Summe der Regeln, nach welchen er bewegt wird ..." Und entsprechend gilt auch für Wörter: "Es kann keine Diskussion darüber geben, ob diese Regeln, oder andere, die richtigen für das Wort 'nicht' sind (ich meine, ob sie seiner Bedeutung gemäß sind). Denn das Wort hat ohne diese Regeln noch keine Bedeutung; und wenn wir die Regeln ändern, so hat es nun eine andere Bedeutung (oder keine), und wir können dann ebensogut auch das Wort ändern."43 Verwendungen sprachlicher Zeichen, besser: sprachliche Handlungen, sind also ebenso wie Spielzüge beim Schachspiel etwa nur aufgrund des Bestehens von Regeln für die Verwendung der jeweiligen Ausdrücke bzw. Spielfiguren verstehbar, aufgrund des Bestehens von Regeln, die besagen, daß bestimmte Gegenstände bzw. Verhalten als Gegenstände bzw. Handlungen bestimmter Art zählen. D.h.: ttn das zu verstehen, was jemand gesagt hat, muß ich ebenso die Regel kennen, die derjenige, der etwas gesagt hat, befolgt hat, wie ich einen Spielzug in einem Spiel nur dann verstehen kann, wenn ich die betreffende Regel kenne. In beiden Fällen besteht das Verstehen im Grunde darin metaphorisch ausgedrückt -, das jeweilige Verhalten einer Regel zuzuordnen. Wenn aber das Verstehen von Handlungen nur auf dem Bestehen und der Kenntnis von Regeln beruht, so bedeutet das, daß man auch nur aufgrund von Regeln etwas meinen kann, d.h. etwas tun kann, das für andere verstehbar ist. An einem Beispiel illustriert: Mit einer Verwendung, z.B. einer Behaup41 42 43
Wittgenstein 1953:§ 563. Waismann 1967:134. Wittgenstein 1953;196o:456.
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tung, von Die Bedeutung sprachlicher Zeichen besteht in ihrem Gebrauch etwa kann ich nur deshalb etwas meinen, weil es eine Regel für die Verwendung dieses Satzes gibt, weil dieser Satz eine Bedeutung hat, und weil andere das, was ich mit meiner Verwendung meine, nur aufgrund des Bestehens und der Kenntnis dieser Regeln verstehen können. 44 Das Meinen ist somit kein geistiger Vorgang, wie man oft - auch für das Verstehen - angenommen hat, kein geistiger Vorgang der Art, wie ihn etwa Feyerabend im Zusammenhang seiner Darstellung der Wittgensteinschen Kritik an dieser Auffassung beschreibt: "Die Gegenwart eines bestaunten Bildes im Verstande beseelt das Zeichen und macht es bedeutungsvoll für den, der es ausspricht (der es in bestimmter Weise meint), und für den, der es empfängt (der es in bestimmter Weise versteht)." 45 Wittgenstein hat dies in seiner ausführlichen und sehr detaillierten Beschäftigung mit dieser Theorie deutlich gezeigt: "Kann ich mit dem Wort 'bububu1 meinen 'Wenn es nicht regnet, werde ich spazieren gehen1? - Nur in einer Sprache kann ich etwas mit etwas meinen. Das zeigt klar, daß die Grammatik von 'meinen1 nicht ähnlich der ist des Ausdrucks 'sich etwas vorstellen' und dergl."46 So wie Partner nur dann miteinander ein Spiel wie Schach spielen können, wenn sie die Regeln des Schachspiels beherrschen, wenn sie über die gleichen Regeln verfügen und sie anerkennen - denn wenn sie sie nicht anerkennen, d.h. nicht an sie halten, ist die Verstehbarkeit ihrer Handlungen, ihrer Züge nicht mehr gewährleistet - , ist also auch die sprachliche Kommunikation, das Meinen und das Verstehen, nur dann möglich, wenn die Partner über die gleichen Regeln verfügen und die gleichen Regeln anerkennen, wenn sie in ihren
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Die Frage "Was meinst du mit diesem Satz?" ist deshalb gleichbedeutend mit der Frage "Wie verwendest du diesen Satz?": vgl. Wittgenstein 1958; 1965:65. - Ausführlicher zum Zusammenhang und Verhältnis von Regeln und Meinen, von Bedeutung und Meinung vgl. etwa Heringer 1974a:124-144, Keller 1975:16-22 und Öhlschläger 1976. Feyerabend 1954;196o:37f. Wittgenstein 1953;196o:3o8. Vgl. auch Wittgenstein 1953:§ 5o9.- Einem möglichen Mißverständnis dieser Beispiele begegnet Wittgenstein an anderer Stelle: "Aber wie, - kann ich denn nicht sagen 'Mit 'abrakadabra' meine ich Zahnschmerzen'? Freilich; aber das ist eine Definition; nicht eine Beschreibung dessen, was in mir beim Aussprechen des Wortes vorgeht. "(Wittgenstein 1953:§ 665). Ausführlichere Darstellungen von Wittgensteins Analyse des Meinens und Verstehens finden sich in Feyerabend 1955, Pitcher 1964:255-28o und Kenny 1972;1974:164-185.
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Regeln übereinstiirmen: 47 "... das Phänomen der Sprache benäht auf der Regelmäßigkeit, auf der Übereinstimmung im Handeln." Auf diese Eigenschaften von Sprache und sprachlicher Kcnmunikation, auf diese Analogien zwischen dem Sprechen einer Sprache und dem Spielen eines Spiels will Wittgenstein hinweisen, wenn er von Sprachspielen spricht, von sprachlichen Handlungen als Zügen im Sprachspiel, davon, daß "eine Sprache 49 verstehen, heißt, eine Technik beherrschen" usw. Darüber hinaus macht der Vergleich deutlich, daß eine einzelne sprachliche Handlung ebensowenig wie ein einzelner Zug im Schachspiel beispielsweise isoliert zu verstehen ist, sondern daß beide erst im Zusammenhang, sozusagen auf dem Hintergrund der
Sprache bzw. des Spiels, richtig verstanden werden können." 5o Das Wort Sprachspiel soll aber auch - und dies ist sicherlich nicht seine unwichtigste Funktion - hervorheben, daß "das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform",
daß das Sprechen einer Spra-
che keine isolierte Tätigkeit, sondern eng mit nichtsprachlichen Tätigkeiten verbunden ist, daß es "Teil einer gemeinschaftlichen Tätigkeit, einer Art 52 des Lebens in der Gesellschaft, die Wittgenstein 'Lebensform1 nennt", ist. Als ein Beispiel für diesen Zusammenhang führt Wittgenstein den Ausdruck ausdrucksvolles Spiel an: Die Frage, was es heißt, die Bedeutung von ausdrucksvolles Spiel im Zusammenhang mit Musik zu kennen bzw. wie man jemandem die Bedeutung von ausdrucksvolles Spiel erklären kann, beantwortet Wittgenstein so: "Wer in einer bestimmten Kultur erzogen ist, - dann auf Musik so und so reagiert, dem wird man den Gebrauch des Wortes 'ausdrucksvolles 47
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Einen alternativen Ansatz, der nicht Regeln, sondern das Meinen, Intentionen als primär, als konstitutiv für sprachliche Kommunikation und die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke ansieht, hat Grice vorgelegt: Vgl. Grice 1957, Grice 1968 und Grice 1969 sowie als Weiterentwicklung Schiffer 1972. - Zur Kritik an diesem Ansatz, auf den ich hier aufgrund der Funktion des vorliegenden Kapitels nicht eingehen möchte, vgl. Black 1973 und Tugendhat 1976:232ff. - Zum Verhältnis beider Ansätze, des Griceschen und des auf Wittgenstein zurückgehenden, vgl. Falkenberg 1975 sowie Keller 1977a. Wittgenstein 1956;1974:342. Vgl. auch Wittgenstein 1956;1974:196: "Bestünde keine Übereinstimmung in dem, was wir 'rot 1 nennen, etc., etc., so würde die Sprache aufhören." Wittgenstein 1953:§ 199. Vgl. etwa Wittgenstein 1969a:5o: "Das Verständnis der Sprache, quasi des Spiels, scheint wie ein Hintergrund, auf dem der einzelne Satz erst Bedeutung gewinnt." Den prägnantesten Ausdruck hat diese Erkenntnis in dem berühmten Satz gefunden: "Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. " (Wittgenstein 1953:§ 199). Wittgenstein 1953:§ 23. Kenny 1972;1974:191.
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Spiel1 beibringen können." Ähnlich wird man auch - um noch einige weitere Beispiele zu nennen - nur von denjenigen sagen, daß sie die Bedeutung von Fermate, Glissando, Schlenzen usw. kennen, die wissen, wie man diese Wörter gebraucht, wenn sie wissen, was damit gemeint ist, wenn jemand diese Wörter verwendet, wenn sie beim Lesen bzw. Hören eines Musikstücks in der Lage sind, Fermaten als Fermaten zu erkennen, Glissandotöne als solche zu identifizieren, die richtigen Handlungen als Schlenzen bezeichnen können usw. Von jemandem dagegen, der nur weiß, daß Fermaten "Verlängerungs-, Aushaitezeichen über einem Ton oder einer Pause", 54 Glissando eine "gleitende Verbindung von Tönen", und Schlenzen "den Ball schlagen, ohne auszuholen" im Hockey ist, der aber das Wort sonst nicht richtig verwenden und verstehen kann, kann man zwar sagen, HaR er Formulierungen bzw. Beschreibungen der Bedeutungen, der Verwendungsregeln dieser Wörter kennt, aber nicht, daß er die Bedeutungen dieser Wörter kennt, daß er ihre Verwendungsregeln kennt bzw. beherrscht. Dieser enge Zusammenhang von Sprache und sog. Nichtsprachlichem, von sprachlichen und nichtsprachlichen Tätigkeiten besteht aber nicht nur - wie man aufgrund der Beispiele vielleicht vermuten könnte - in Fachsprachen, sondern ganz allgemein. So gehört es etwa - um ein viel strapaziertes Beispiel zu erwähnen - zum Verstehen eines Befehls, der das Verstehen des beim Befehlen verwendeten Satzes einschließt, dazu, daß man weiß, wie der Angesprochene handeln kann, welche Handlungen als Befolgungen des BeCO fehls gelten, welche nicht usw. Diese wenigen Beispiele zeigen schon, daß Wörter und sprachliche Handlungen "nur im Rahmen der nichtsprachlichen menschlichen Tätigkeiten" zu sehen sind, "in die der Gebrauch der Sprache eingebettet ist: Die Wörter zusanroen mit der verhaltensmäßigen Situation machen das Sprachspiel aus",59 daß "eine Sprache vorstellen heißt, sich eine
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Wittgenstein 1967:§ 164. Wahrig 1966:1242. Wahrig 1966:1541. Wahrig 1966:3117. Auf den Unterschied zwischen Regeln und Regelformulierungen bzw. -beschreibungen sowie auf den Unterschied zwischen dem Kennen und dem Beherrschen einer Regel werde ich gleich, d.h. zu Beginn des folgenden Kapitels 2 . 3 , noch näher eingehen. Dies kommt auch bei der Beispielliste für Sprachspiele zum Ausdruck, die Wittgenstein in Wittgenstein 1953:§ 23 gibt; dort ist als ein Sprachspiel "Befehlen, und nach Befehlen handeln" genannt. Kenny 1972;1974:26.
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Lebensform vorstellen." Aufgrund des Zusammenhangs der Sprache, der sprachlichen Handlungen mit nichtsprachlichen Tätigkeiten, mit Auffassungen, Werten usw., also all dem, was eine Lebensform ausmacht, ist es klar - dies sei der Deutlichkeit wegen abschließend noch betont, obwohl es die bisherigen Ausführungen schon gezeigt haben dürften -, daß eine sog. Einzelsprache wie das Deutsche im Grunde aus einer Vielzahl verschiedener Sprachspiele mit je spezifischen Regeln besteht - die Rede von Sondersprachen, von Fachsprachen, von Soziolekten u.ä weist ja auch in diese Richtung -, die sich teilweise überschneiden und überlappen. Auf diesen Sachverhalt werde ich in 2.4 noch einmal zurückkommen, denn hierin liegt eine der wichtigsten Ursachen für Probleme im Zusammenhang mit Sprache. Zuvor möchte ich jedoch noch im folgenden Kapitel eine Präzisierung des vorliegenden Kapitels vornehmen: Ich habe das Wort Regel bisher inner ohne nähere Erläuterung verwendet und damit so getan, als sei es selbstverständlich, wie man Regel verwendet, was man unter einer Regel zu verstehen hat, als sei es selbstverständlich, was es heißt, daß man eine Regel kennt, daß man über eine Regel verfügt, daß man sie befolgt usw. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, es gibt im Gegenteil sehr viele und sehr unterschiedliche Meinungen darüber, was Regeln sind, wie Regel zu verwenden und zu verstehen ist. Und da - wie das vorliegende Kapitel gezeigt hat - dem Begriff der Regel entscheidende Bedeutung für eine auf Wittgenstein aufbauende Semantik wie die praktische Semantik zukommt, möchte ich im folgenden Kapitel 2.3 genauer erläutern, wie Regel in der vorliegenden Arbeit verwendet wird bzw. zu verstehen ist, welche Eigenschaften Regeln und regelgeleitetes Handeln haben. 60
61
Wittgenstein 1953:§ 19. An anderer Stelle beschreibt Wittgenstein den Zusammenhang so, daß der Gebrauch eines Wortes ein "Teil unseres Lebens" sei, daß der Gebrauch ins Leben eingreife (Wittgenstein 1969a;65), daß unsere Rede durch unsere übrigen Handlungen ihren Sinn erhalte (Wittgenstein 1969b;197o:§ 2 2 9 ) , daß - im Zusammenhang der Frage, wie man gänzlich fremde Sprachen verstehen und deuten könne - "die gemeinsame menschliche Handlungsweise ... das Bezugssystem [sei], mittels welches wir uns eine fremde Sprache deuten"(Wittgenstein 1953:§ 2o6), um nur einige der zahlreichen Beispiele für Darlegungen dieses Zusammenhangs zu nennen. Der hier skizzierte Sprachspielbegriff - dies sei noch erwähnt - ist nicht der einzige bei Wittgenstein, wohl aber der wichtigste seiner letzten Arbeiten. Auf andere Sprachspielbegriffe geht z.B. Kenny 1972; 1974:186-2o7 ein. Man vergleiche nur einmal die bei Caillieux 1974:26-33 zitierten Lexikonartikel zum Stichwort Regel.
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2.3
Der Begriff der Regel
Regeln in unserem Sinne sind zunächst streng zu unterscheiden von Regelformulierungen bzw. -beschreibungen, die auch häufig Regeln genannt werden. Diese Ambiguität von Regel sei anhand der folgenden Beispiele kurz verdeutlicht: (1) Im Deutschen gilt die Regel "Nach trotz muß der Genitiv stehen". (2) Die Regel "Nach trotz muß der Genitiv stehen" besteht aus sechs Wörtern. In (2) wird mit Regel offensichtlich auf einen sprachlichen Ausdruck Bezug genormen, denn nur von sprachlichen Ausdrücken kann man sagen, daß sie aus einer bestimmten Zahl von Wörtern bestehen. In (1) dagegen kann Regel nicht als Bezeichnung für einen sprachlichen Ausdruck verstanden werden, wie man schon daran sieht, daß man auch dann, wenn man für "Nach trotz muß der Genitiv stehen" andere Ausdrücke, wie beispielsweise "Nach der Präposition trotz muß der Genitiv stehen" oder "Nach trotz muß der zweite Fall stehen" oder äquivalente Ausdrücke anderer Sprachen einsetzen würde, sagen würde, daß es sich in allen Fällen um dieselbe Regel handle, die nur unterschiedlich ausgedrückt sei. Regel wird in Fällen wie (1) also als Bezeichnung für das, was durch einen oder mehrere sprachliche Ausdrücke ausgedrückt wird, verwendet und verstanden. Dementsprechend bleiben die Wahrheitsbedingungen gleich, wenn man die erwähnten Alternativausdrücke in (1) einsetzt (3) Im Deutschen gilt die Regel "Nach der Präposition trotz muß der Genitiv stehen". (4) Im Deutschen gilt die Regel "Nach trotz muß der zweite Fall stehen". haben die gleichen Wahrheitsbedingungen wie (1) -, während die entsprechenden Einsetzungen in (2) zu Änderungen in den Wahrheitsbedingungen führen: (2) ist wahr, (5) Die Regel "Nach der Präposition trotz muß der Genitiv stehen" besteht aus sechs Wörtern. (6) Die Regel "Nach trotz muß der zweite Fall stehen" besteht aus sechs Wörtern. dagegen sind falsch. Un diesem Unterschied Rechnung zu tragen und um Mißverständnisse aufgrund dieser Mehrdeutigkeit von Regel zu vermeiden, halte ich es für sinnvoll und
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notwendig, zwischen Regeln einerseits und Regelformulierungen bzw. -beschreibungen, also sprachlichen Ausdrücken für Regeln, andererseits terminologisch fi? zu unterscheiden. Wenn in diesem Buch von Regeln die Rede ist, sind also inner Regeln in dem Sinne wie in (1) ganeint, nie Regelformulierungen bzw. -beschreibungen, also nie sprachliche Ausdrücke. ( 2 ) , (5) und (6) müßten dementsprechend umformuliert werden in (7)-(9): (7) Die Regelformulierung "Nach trotz muß der Genitiv stehen" besteht aus sechs Wörtern. (8) Die Regelformulierung "Nach der Präposition trotz muß der Genitiv stehen" besteht aus sechs Wörtern. (9) Die Regelformulierung "Nach trotz muß der zweite Fall stehen" besteht aus sechs Wörtern. Während man bei Regelformulierungen und -beschreibungen also davon sprechen kann, daß sie aus einer bestimmten Anzahl von Wörtern bestehen, daß sie eine bestimmte Form, eine bestimmte syntaktische Struktur haben usw., kann man dies von Regeln in unserem Sinne nicht sagen. Andererseits sind das, was wir beim Handeln befolgen, wovon wir abweichen usw., keine Formulierungen, keine sprachlichen Ausdrücke - sprachliche Ausdrücke kann man weder befolgen noch kann man von ihnen abweichen -, sondern das, was wir befolgen und wovon wir abweichen usw., sind die Regeln, die - und dies zeigt zugleich den Zusammenhang und den Unterschied von Regeln und Regelformulierungen bzw. -beschreibungen - mit Hilfe von Regelformulierungen formuliert, mit Hilfe von Regelbeschreibungen beschrieben werden können.
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63 64
Natürlich könnte man auch die sprachlichen Ausdrücke Regeln nennen. Dann müßte man aber einen ändern Terminus für das finden, was ich Regeln nenne, denn um Mißverständnisse zu vermeiden, sollte der skizzierte Unterschied auf jeden Fall einen Niederschlag in der Terminologie finden. Ob man Regel so verwendet, wie ich es vorgeschlagen habe, oder ob man es für die sprachlichen Ausdrücke verwendet, ist dann eine rein terminologische Frage. Allerdings - dies sei noch kurz angefügt - gibt es für einige aus bestimmten erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Gründen gar keine Regeln in unserem Sinn, sondern nur Regelformulierungen bzw. -beschreibungen, die auch Regeln genannt werden. Darauf kann ich hier aber nicht eingehen; ich habe mich an anderer Stelle mit dieser Auffassung auseinandergesetzt: vgl. Öhlschläger 1974. Zum Unterschied von Regelformulierung und Regelbeschreibung vgl. Öhlschläger 1977. Vgl. zu den Unterschieden zwischen Regeln und Regelformulierungen besonders Black 1962a, aber auch Shwayder 1 9 6 5 : 2 4 1 f f . , Heringer 1 9 7 4 a : 2 2 f f . , Keller 1974.
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In der Linguistik hat die Mehrdeutigkeit von Regel - einmal in der Bedeutung 'Regel1, einmal in der Bedeutung 'Regelformulierung' - nicht zuletzt deshalb zu vielen Verwirrungen und Mißverständnissen geführt, weil auch in der generativen Transformationsgranmatik, die die Entwicklung der Linguistik in den letzten beiden Jahrzehnten entscheidend bestimmt hat, Regel bzw. rule ambig verwendet wird. So heißt es bei Katz beispielsweise: "Es ist kaum zu bezweifeln, daß in gewissem Sinne jemand, der eine natürliche Sprache beherrscht, stillschweigend auch ein System von Regeln kennt." Und wenig später ist dann davon die Rede, daß Regeln Satzstrukturen beschreiben, daß sie "empirische Generalisierungen über die syntaktische Struktur des Englischen zum Ausdruck" bringen, oder: "Technisch heißen diese Regeln 'Phrasenstrukturregeln', d.h. sie haben die Form X -» Y, wobei X und Symbolreihen von finiter Länge sind, ..." 68 Bei den letzten Beispielen sind unter Regeln also eindeutig (sprachliche) Ausdrücke, Regelformulierungen zu verstehen, während im ersten Fall bestimmt nicht gemeint ist und sinnvollerweise auch gar nicht gemeint sein kann, daß jeder, der eine natürliche Sprache beherrscht, ein System von Regelforntulierungen, etwa von Phrasenstrukturregeln kennt, denn dann würden ja nur sehr wenige, nicht eirmal alle Linguisten natürliche Sprachen beherrschen. Außerdem wäre dann die Frage, welche Formulierungen ein Sprecher kennen müßte, denn die gleiche Regel kann sehr unterschiedlich formuliert sein, wie schon die Existenz zahlreicher, z.T. sehr unterschiedlicher Grammatiken einer Sprache zeigt, die doch alle dieselben Regeln, nämlich die Regeln dieser Sprache, formulieren bzw. befn schreiben. Eine Regel kennen heißt also nicht, auch die entsprechenden Regelformulierungen zu kennen oder die jeweilige Regel formulieren zu können. Und das Gleiche gilt umgekehrt: Regelformulierungen kennen bedeutet nicht automa-
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Katz 1966 ,-1969:94. Katz 1966;1969:115. Katz 1966:1969:118. Katz 1966;1969:117. Vgl. hierzu etwa Black 1962a:lol. - Wozu die Nichtunterscheidung von Regel und Regelformulierung, die ambige Verwendung von Regel bzw. rule führen kann, belegt das Buch Ganz 1971 sehr gut, das meiner Meinung nach den Gipfel der Verwirrung und Verwechslung von Regel und Regelformulierung darstellt. In diesem Buch werden sowohl Regeln als "sensorily perceptible utterances"(8) und "linguistic entities"(26) bezeichnet - auch von "syntactic criteria for rules"(17) ist die Rede - als auch gesagt, daß Regeln "followable and breakable"(27) seien, und daß Verhalten "directed by rules"(14) sei.
25 tisch auch die formulierte Regel kennen oder gar beherrschen. ° Wenn jemand beispielsweise zwar die Regeln des Schachspiels oder Regeln des Deutschen aufsagen kann oder Auskunft über die Regeln geben kann, aber auf Züge bzw. Handlungen anderer ständig falsch reagiert, sie nicht versteht, und/oder beim Spielen bzw. Sprechen ständig Fehler macht, ständig gegen die Regeln verstößt, kann man zwar sagen, daß er Formulierungen der Regeln kennt, man würde aber kaum sagen, daß er die Regeln kennt bzw. beherrscht. Wohl aber würde man dies sagen, wenn jemand fehlerfrei Schach spielt oder nie gegen die Regeln des Deutschen verstößt, auch wenn er diese Regeln nicht formulieren kann. Daß jemand die Regeln seiner Sprache, die er ständig befolgt, auf Verlangen nicht formulieren kann, dürfte sogar eher der Normalfall sein; wenn man eine Regel erlernt, so lernt man normalerweise auch nur, nach ihr 72 vorzugehen, sie anzuwenden, aber nicht, sie zu formulieren. Dafür, daß man von jemandem sagen kann, er kenne bzw. beherrsche eine Regel, er befolge bei seinen Handlungen bestim-nte Regeln, er verstehe Handlungen anderer aufgrund bestimmter Regeln usw., ist es nicht einmal notwendig, daß sich der Betreffende dieser Regeln bewußt ist.
Denn Regeln werden norma-
lerweise nicht bewußt befolgt, man folgt ihnen "blind": "Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. - Ich folge der Regel blind."
Dies ist in der Er-
lernung von Regeln begründet, die nicht über das Bewußtsein geht, sondern eine Art Abrichtung, eine Einübung in eine gemeinsame Praxis aufgrund von Korrekturen, von positiven und negativen Sanktionen darstellt: "Einer Regel folgen, das ist analog dem: einen Befehl befolgen. Man wird dazu abgerichtet
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Zwischen dem Kennen und dem Beherrschen einer Regel unterscheide ich in der Weise, daß man dann sagen kann, daß jemand eine Regel kennt, wenn er Handlungen nach dieser Regel als Handlungen nach dieser Regel versteht bzw. verstehen kann, während man vom Beherrschen einer Regel nur dann sprechen kann, wenn der Betreffende auch selbst nach dieser Regel vorgehen kann. D . h . , der Unterschied entspricht etwa dem zwischen aktiver und passiver bzw. - um in der obigen Reihenfolge zu bleiben - zwischen passiver und aktiver Kompetenz. Wenn ich davon spreche, daß jemand über bestimmte Regeln verfügt, so ist dies neutral im Hinblick auf den Unterschied zwischen Kennen und Beherrschen. Vgl. etwa Wittgenstein 1967:§ 525: "Ich will nun sagen, daß Menschen, welche einen solchen Begriff verwenden, seinen Gebrauch nicht müßten beschreiben können. Und sollten sie es versuchen, so wäre es möglich, sie gäben eine ganz unzulängliche Beschreibung. (Wie die meisten, wenn sie versuchen wollten, die Verwendung des Geldes richtig zu beschreiben.) (Sie sind auf so eine Aufgabe nicht gefaßt.)" - Vgl. auch Wittgenstein 1953:§ 78. Vgl. Wittgenstein 1967:§ 114. Wittgenstein 1953:§ 219.
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und man reagiert auf ihn in bestimmter Weise." 74 Entscheidend dafür, daß man sagen kann, daß jemand eine Regel kennt oder beherrscht, daß er bei seinen Handlungen diese Regel befolgt, ist allein die Anwendung, die er von der Regel macht, d.h., wie er nach dieser Regel vorgeht, wie er handelt, ob er Befolgungen der Regel von Abweichungen und Fehlern unterscheiden kann usw., ob es "im Zusammenhang mit dem, was er tut, einen Sinn ergibt, wenn nan zwischen einer richtigen und einer falschen Weise, etwas zu tun, unterscheidet. Wo dies einen Sinn ergibt, muß es auch sinnvoll sein zu sagen, er wende ein Kriterium an, selbst wenn er es nicht formuliert und vielleicht nicht einmal formulieren kann." Dies gilt nicht nur für die Fragen, ob jemand bei einer bestimmten Handlung eine bestimmte Regel befolgt und ob jemand eine bestimmte Regel beherrscht, sondern auch für die Existenz von Regeln allgemein: Für die Existenz von Regeln ist es nicht notwendig, daß sie formuliert werden können; "ihre Existenz besteht einfach darin, daß bestimmte Handlungen als richtig, andere als unrichtig bezeichnet werden." Diese Möglichkeit des Abweichens und des Fehlermachens ist konstitutiv für den Begriff der Regel in unserem Sinn. Denn - dies haben wir schon in 2.2 gesehen - wenn es keinen Unterschied gäbe zwischen Handlungen, die nach der Regel sind, und Handlungen und sonstigen Aktivitäten, die nicht nach der Regel sind und als Abweichungen von dieser Regel gelten, wären alle Handlungen beliebig und damit nicht verstehbar, jedes Verstehen und Sichverständlichmachen, jede Kommunikation und Interaktion wäre unmöglich. In der Funktion von Regeln, Verständigung, Konnunikation, Interaktion zu ermöglichen und zu sichern, ist es auch begründet, daß man nur dann von Regeln sprechen kann, wenn Abweichungen von einer Regel als Abweichungen von dieser Regel erkennbar sind, d.h. wenn auch andere als der Handelnde bestimmte Handlungen oder andere Aktivitäten als Fehler erkennen können, nicht nur der
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Wittgenstein 1953:§ 2o6. - Dies ist allerdings nicht so zu verstehen, als handle es sich bei der Erlernung von Regeln um eine Konditionierung im behaviouristisehen Sinne, denn das Erlernen von Regeln ist kein reines Kopieren der Handlungen anderer, sondern besteht im Erwerb der Fähigkeit, ein bestimmtes Kriterium anzuwenden: Der Schüler, d.h. derjenige, dem eine Regel beigebracht werden soll, "muß nicht nur lernen, etwas in der gleichen Weise zu tun wie sein Lehrer, sondern auch lernen, was als die gleiche Weise gilt."(Winch 1958;1966:78). Winch 1958;1966:77. - Vgl. auch Waismann 1967:78, Wittgenstein 1969a: 6 2 f . , Wittgenstein 1953:§ 146. Tugendhat 1976:213f. Vgl. auch Tugendhat 1976:188. Vgl. hierzu auch Winch 1958;1966:45.
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Handelnde selbst aufgrund privater Standards, privater Kriterien. Denn sonst könnte jeder tun, was er wollte, unabhängig von der Einschätzung anderer; nur könnte er sich damit anderen nicht verständlich machen, da das Verstehen ja die Kenntnis der beim Handeln befolgten Regeln voraussetzt. Diese Kenntnis kann aber nicht gegeben sein, wenn nur der Handelnde seine (private) Regel kennt und nur der Handelnde entscheiden kann, ob eine bestimmte Handlung bzw. Aktivität eine Abweichung darstellt oder nicht: "Ein Fehler ist ein Verstoß gegen ein als richtig Etabliertes. Als solcher muß er erkennbar sein. Wenn ich zum Beispiel im Gebrauch eines Wortes einen Fehler mache, müssen andere Leute in der Lage sein, mich darauf hinzuweisen. Wenn das nicht der Fall ist, kann ich tun, was ich will, und es gibt für meine Handlungen keine äußere Kontrolle; das heißt, es ist nichts etabliert. Die Etablierung eines Standards läßt sich sinnvollerweise nicht einem Individuum in völliger Isolierung von anderen Individuen zuschreiben. Denn allein der Kontakt mit anderen Individuen ermöglicht die äußere Kontrolle der Handlungen eines Menschen, von welcher die Etablierung eines Standards nicht zu trennen 78 ist." Mit ändern Worten: "Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein. Es kann nicht ein einziges Mal nur eine Mitteilung gemacht, ein Befehl gegeben, oder verstanden worden sein, etc. - Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen)." 79 Und: "Darum ist 'der Regel folgen1 eine Praxis. Und der Regel zu folgen glauben ist nicht: der Regel folgen. Und darum kann man nicht der Regel 'privatim' folgen, weil sonst der Regel zu folgen glauben dasselbe wäre, wie der Regel folgen."
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In der Möglichkeit der Abweichung liegt auch ein entscheidender Unterschied zwischen regelgeleitetem Handeln wie z.B. dem Sprechen einer Sprache, dem Spielen eines Spiels usw. einerseits und gesetzmäßigem Geschehen wie dem Fallen eines Steins, der von einem Turm geworfen wurde, den Bewegungen der Planeten, physiologischen Vorgängen bei Menschen und Tieren usw. andererseits - ein Unterschied, der oft nicht deutlich genug gemacht wird: Von Regeln kann man abweichen, von Naturgesetzen bzw. den Gesetzmäßigkeiten der 78 79 80
Winch 1958;1966:45f. Wittgenstein 1953:§ 199. Wittgenstein 1953:§ 2o2. - Dies bedeutet aber nicht - Winch 1958;1966:46 hat dies nachdrücklich betont -, daß es nicht Regeln geben kann, die nur einer befolgt; entscheidend ist nur, daß diese Regeln prinzipiell für andere erkennbar sind. - Wittgensteins These von der Unmöglichkeit privater Regeln ist nicht unwidersprochen geblieben,· vgl. hierzu etwa Jones (Hg.) 1971 sowie die ausgezeichnete Diskussion in Kenny 1972;1974:Kap.lo
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Natur nicht. Wenn man beispielsweise eine Beschreibung oder Teilbeschreibung des Sprachgebrauchs eines Sprachteilhabers macht, d.h. die Regeln beschreibt, über die dieser Sprachteilhaber verfügt, und feststellt, daß sein sprachliches Handeln nicht mit dieser Beschreibung übereinstlntnt, so kann dies zum einen auf eine schlechte, nicht angemessene Beschreibung zurückgeführt werden, zum ändern kann es aber auch sein, daß die Beschreibung trotzdem richtig ist, und der Sprachteilhaber in seinem Handeln Fehler gemacht hat, d.h. von den Regeln, die seinen Sprachgebrauch ausmachen, abgewichen ist. Diese zweite Möglichkeit ist bei gesetzmäßigen Geschehen ausgeschlossen: Wenn eine Theorie über die Planetenbewegungen etwa nicht mit den Bewegungen der Planeten übereinstimmt, wird man kaum annehmen, die Planeten hätten Fehler gemacht, sondern man wird diese Diskrepanz auf Fehler in der Theorie zurückführen und die Theorie ändern. Der Grund für dieses unterschiedliche Verhalten bei einer Diskrepanz zwischen Theorie und Verhalten des Objekts ist darin zu sehen, daß der einzige Beurteilungsmaßstab für Theorien über gesetzmäßiges Geschehen gerade in der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstinrnung von Geschehen und Theorie besteht, da das natürliche Geschehen für uns erst dadurch verständlich wird, daß wir die einzelnen Beobachtungen in einen Zusammenhang bringen, daß wir sozusagen erst eine Struktur herantragen, also eine Theorie, die dann aufgrund der Beobachtungen zu verifizieren bzw. zu falsifizieren ist. Wenn man nun Fehler von Naturobjekten zulassen würde, hätte man sich dieses einzigen Maßstabs beraubt. Bei regelgeleitetem Handeln dagegen führt das Akzeptieren von Abweichungen, das Zulassen der Möglichkeit des Fehlermachens nicht zu dieser Konsequenz, da das soziale Handeln nicht erst durch das Herantragen einer Struktur verstehbar wird wie das naturhafte Geschehen, sondern schon sinnhaft strukturiert ist - nämlich, wie wir gesehen haben, durch das Bestehen intersubjektiv gültiger Regeln. Ja, ohne solche Regeln wären gar keine Regelmäßigkeiten im sozialen Handeln feststellbar. Mit ändern Worten: Im Gegensatz zu den Regelmäßigkeiten des naturhaften Geschehens, die unabhängig vom Menschen bestehen und schon vor der Existenz von Menschen bestanden haben, ist das Bestehen sozialer Regelmäßigkeiten, besser: von Regelmäßigkeiten Im sozialen Handeln, von den Menschen abhängig, Regeln werden von Menschen gemacht - sei es, wie etwa Verkehrsregeln, durch bestimmte Institutionen, sei es, wie die Regeln der Sprache, durch die gemeinsame gesellschaftliche Praxis.81 81
Vgl. hierzu Keller 1974:14.
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ün Mißverständnisse und falsche Gleichsetzungen zu vermeiden und zu verhindern, halte ich es für sinnvoll und notwendig, den erwähnten Unterschieden auch in der Terminologie Rechnung zu tragen und zwischen regelgeleitetem Handeln und naturhaftem gesetzmäßigem Geschehen und entsprechend zwischen sozialen Regeln und natürlichen Regelmäßigkeiten bzw. Naturgesetzen zu un82 terscheiden. Der Unterschied sei noch anhand eines Beispiels verdeutlicht: Wenn jemand mit dem Auge zwinkert, dann kann dies sowohl eine Handlung als auch nur ein Geschehen sein. Es kann nämlich dazu dienen, einem ändern ein Zeichen zu geben, ihn auf etwas hinzuweisen, etwas zu kormentieren u.a. dann wäre es eine Handlung; es kann aber auch nur durch Nervosität, durch einen Fremdkörper im Auge, durch Geblendetsein u.a. bedingt, also nur ein naturhaftes gesetzmäßiges Geschehen sein. Theorien, die - wie der Physikalismus und teilweise der Behaviourismus - auch Handlungen wie Geschehen behandeln, können diesen Unterschied nicht erklären, weil sie nur Erklärungen mit Hilfe physiologischer bzw. physikalischer Zustände zulassen, sich nur auf das im naturwissenschaftlichen Sinne "Beobachtbare" beschränken. Eine solche Erklärung ist jedoch nur bei Geschehen sinnvoll, also nur beim zweiten Fall bei unserem Beispiel mit dem Zwinkern; bei der Erklärung des ändern Falls dagegen, bei der Erklärung von Handlungen, geht es um Erklärungen mit Hilfe von Regeln, von Motiven usw. Eine noch so detaillierte und richtige Beschreibung physiologischer Zustände kann nichts zum besseren Verstehen einer Handlung beitragen - dies kann nur die Angabe von Regeln und Motiven. 83
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Naturgesetz wird ebenso wie Regel häufig ambig verwendet, einmal für die Erklärungen von Regelmäßigkeiten der Natur wie etwa die Keplerschen Gesetze der Planetenbewegungen, zum ändern aber auch für die Gesetzmäßigkeiten der Natur selbst. Nur in dieser zweiten Bedeutung können Naturgesetze überhaupt Regeln entsprechen und mit ihnen verglichen werden, während Naturgesetze in der ersten Bedeutung Regelformulierungen bzw. -beschreibungen entsprechen. Es scheint mir jedoch einiges dafür zu sprechen, bei den Erklärungen von Naturgesetzen zu reden, und im ändern Fall von Regel- bzw. Gesetzmäßigkeiten der Natur, wobei ich von Gesetzmäßigkeiten dann sprechen möchte, wenn es sich um Regelmäßigkeiten handelt, die durch ein Naturgesetz erklärbar sind, und wenn dies nicht der Fall ist, nur von Regelmäßigkeiten. Genauer zu dieser Frage öhlschläger 1974: 9 4 f . , lol. Vgl. hierzu auch Winch 1958;1966:lolf., an dessen Formulierungen ich mich angelehnt habe. - Eine wesentlich ausführlichere Darstellung und Begründung der hier angedeuteten Auffassungen zum Verhältnis von Regeln und Naturgesetzen bzw. von regelgeleitetem Handeln und gesetzmäßigem Geschehen findet sich in Öhlschläger 1974. Außerdem sei zu dieser Problematik auf Keller 1974 sowie auf die Diskussion des Handlungsbegriffs in Heringer 1974a:28-4o verwiesen.
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Daß man von Pegeln abweichen kann, bietet gleichzeitig auch eine Möglichkeit der Veränderung von Regeln. So kann sich dadurch, daß öfter in gleicher Weise von einer Regel abgewichen wird, mit der Zeit eine neue Regel herausbilden, die in Konkurrenz zur alten Regel treten oder diese gar verdrängen und ersetzen kann. Bestimmte Handlungen, die zuerst Abweichungen von einer Regel R., sind bzw. waren, wären dann nicht mehr als Abweichungen von R.., sondern als Befolgungen einer neuen Regel R- aufzufassen; diese Grenze ist allerdings fließend. Veränderungen dieser Art können unbewußt, aber auch bewußt, mit der Absicht der Veränderung, erfolgen. In der Veränderbarkeit von Regeln besteht somit ein weiterer Unterschied zwischen Regeln und Naturgesetzmäßigkeiten, die nicht vom Menschen veränderbar sind. Allerdings bedeutet die Tatsache, daß man Regeln verändern kann, nicht, daß man alle Regeln irritier beliebig verändern kann, ebensowenig wie die Tatsache, daß man von Regeln abweichen kann, bedeutet, daß man inner von allen Regeln beliebig und ohne weiteres abweichen kann: In den meisten Fällen ziehen Abweichungen und dementsprechend auch Versuche zur Veränderung von Regeln Sanktionen nach sich, die von kaum ins Gewicht fallenden bis zu massivsten Konsequenzen, ja bis zum Ausschluß aus einer Gemeinschaft reichen können. So muß schon derjenige, der - um einige Beispiele zu nennen - nach trotz den Dativ verwendet, der vor Eigennamen den Artikel gebraucht, der statt Linguist Linguistiker sagt, der statt links lings schreibt, der beim Sprechen der Hochsprache dialektal bedingte Abweichungen macht usw., zxmindest teilweise mit gewissen Sanktionen rechnen, wie etwa - je nach den jeweiligen Unständen - mit einer negativeren Einschätzung seiner Person, mit einer negativeren Einschätzung seiner Intelligenz, mit schlechteren Noten in der Schule, geringeren Aussichten bei Stellenbewerbungen usw. Mit noch wesentlich weitgehenderen Sanktionen würde ein Sprachteilhaber jedoch konfrontiert werden, wenn er beispielsweise statt trotz irrmer wegen verwenden würde und umgekehrt, wenn er statt Tisch immer Stuhl sagen würde und umgekehrt, wenn er alle gelben Gegenstände als schwarz, alle schwarzen Gegenstände als grün bezeichnen würde usw., oder wenn er nicht akzeptieren würde, daß jeder, der die Wahrheit etwa von (1o) und (11) (10) Alle Menschen sind sterblich. (11) Sokrates ist ein Mensch. 84
Das "zumindest teilweise" soll darauf verweisen, daß einige der aufgeführten Fälle für viele schon gar nicht mehr als Abweichungen zählen, sondern eher schon als Befolgungen einer neuen Regel aufgefaßt werden.
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anerkennt, auch die Wahrheit von (12) Sokrates ist sterblich. anerkennen nuß, und stattdessen iitmer auf das Gegenteil, also in unserem Fall auf (13) Sokrates ist nicht sterblich.
schließen würde, usw.: Bei Abweichungen dieser Art können die Sanktionen in oider Tat bis zum Ausschluß aus einer Gemeinschaft führen. Diese Grenzen der Möglichkeiten des Abweichens und des Veränderns von Regeln sind teilweise darin begründet, daß jede Gemeinschaft, daß jegliche soziale Interaktion auf einen gewissen Konsens angewiesen ist, durch den allein die Verstehbarkeit und damit die Konnunikation und Interaktion möglich 86 und garantiert sind - ich habe dies in 2.2 schon näher ausgeführt -, teilweise aber auch darauf zurückzuführen, daß die Geltung bestimmter Regeln in bestimmten Lebensformen nut Ansprüchen verbunden ist, die bei Abweichungen bzw. Veränderungen in Frage gestellt würden - dieser Gesichtspunkt spielt insbesondere in den Diskussionen un den Begriff der Norm eine große Rolle R7 und hat dort auch ausführliche Behandlung gefunden. Die Stärke der jeweiligen Sanktionen bei Abweichungen bzw. des jeweiligen Widerstands gegen Veränderungen hängt - um die beiden wohl wichtigsten Faktoren zu nennen - zum einen vom Grad der Abweichung bzw. der Veränderung ab, zum ändern von der Stellung und Bedeutung der jeweiligen Regel in der jeweiligen Lebensform, d.h. vom Gewicht der betreffenden Abweichung und vom Ausmaß und der Bedeutung der Konsequenzen der betreffenden Veränderung für die Lebensform. 88
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Man denke nur an Schizophrene, für deren Sprache u.a. Vertauschungen von Wörtern und sog. alogisches Verhalten charakteristisch sind, und die auch als geistesgestört aus der Gemeinschaft ausgeschlossen sind. - Beispielfälle von Sprache von Schizophrenen werden in Heringer/öhlschläger/ Strecker/Wimmer 1977:234-25o analysiert. Dort wird auch gezeigt, wie problematisch die weitverbreitete Annahme ist, die Sprache Schizophrener sei unverständlich, unzusammenhängend, alogisch usw. Vgl. auch Wittgenstein 1953:§ 142: "... würde, was Regel ist, Ausnahme und was Ausnahme, zur Regel; oder würden beide Erscheinungen von ungefähr gleicher Häufigkeit - so verlören unsere normalen Sprachspiele damit ihren W i t z . " Vgl. hierzu etwa für das Gebiet der Sprachnormen von Polenz 1973 sowie Heringer/öhlschläger/Strecker/Wimmer 1977:4o-59, wo jeweils auch weitere Literatur zu diesem Themenbereich genannt wird. Sehr ausführlich und sehr anschaulich werden alle diese Fragen in Berger/Luckmann 1966;1969 behandelt.
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Von da her ist es auch erklärbar, daß die Abweichungen der ersten Beispielgruppe, also der Gebrauch des Dativs nach trotz usw., weniger und schwächer sanktioniert werden als die Abweichungen der zweiten Gruppe. Denn weder handelt es sich beim Gebrauch des Dativs nach trotz, beim Gebrauch des Artikels bei Eigennamen u.a. um so starke Abweichungen, die die Verstehbarkeit ernsthaft gefährden oder gar unmöglich machen, wie bei der Vertauschung von trotz und wegen, von Tisch und Stuhl, von gelb und schwarz u.a., noch ist die Regel, daß nach trotz der Genitiv steht usw. von solcher Bedeutung für unsere Lebensform, hätte ihre Veränderung solche weitreichenden Auswirkungen, wie es etwa bei der erwähnten Schlußregel mit Sokrates, der sog. Schlußregel des modus ponens, der Fall ist bzw. wäre. 89 Der Weg über die Abweichung ist aber nicht die einzige Möglichkeit, Regeln zu verändern, denn natürlich werden viele Regeln auch durch die explizite Einführung neuer Regeln bzw. Gebrauchsweisen verändert - auf diese Vfeise werden normalerweise Regeln von Spielen und im Sport verändert, aber auch normierende Eingriffe bei der Sprache wie etwa die Einführung einer neuen Terminologie fallen unter diese Kategorie. Inwieweit solche Regelveränderungen und Eingriffe wirklich zu Veränderungen im Gebrauch führen, d.h. inwieweit sie auch von anderen akzeptiert bzw. befolgt werden, ist eine andere Frage; dies hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, nicht zuletzt von der Befugnis des Verändernden, solche Veränderungen und Eingriffe vornehmen zu dürfer), und seinen Möglichkeiten, diese Veränderungen auch durchsetzen zu können. Eine dritte Möglichkeit eröffnet eine weitere Eigenschaft von Regeln, die ich bisher noch nicht erwähnt habe und auf die ich abschließend noch kurz eingehen möchte: ihre Offenheit. In vielen Fällen, z.B. bei Wörtern wie Bach - Fluß - Stron oder bei Hütte - Häuschen - Haus - Gebäude - Gebäudekonplex o.a., gibt es keine strikten Regeln, wie diese Vtörter zu verwenden sind, was als Befolgung der Regel gilt und was nicht, keine Regeln, die die
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Daß es praktisch unmöglich ist, Regeln wie die modus-ponens-Regel in unserer Lebensform zu verändern, hat oft dazu geführt, solche Regeln nicht als (soziale) Regeln, sondern als gleichsam naturhafte, objektiv gültige, vom Menschen unabhängige und unveränderbar vorgegebene Gesetze bzw. Gesetzmäßigkeiten aufzufassen - ähnlich physikalischen und anderen Naturgesetzen bzw. Naturgesetzmäßigkeiten -, also ihre Konventionalität, ihre Relativität und ihre Veränderbarkeit nicht zu erkennen. - Vgl. auch hierzu Berger/Luckmann 1966;1969 sowie - besonders im Hinblick auf die Relativität von Regeln - Winch 1964. Vgl. hierzu die in Anm.87 genannte Literatur.
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Bedeutungen der einzelnen Wörter klar und eindeutig abgrenzen. Stattdessen sind die Übergänge fließend, d.h., die Regeln sind in gewisser Weise offen, sie haben eine unscharfe Randzone, 91 durch deren allmähliche, im Grunde fast unmerkliche Verschiebung es ebenfalls zu Regelveränderungen kcnmen kann und 92 auch oft kommt. Diese Offenheit tritt zwar bei Sprachregeln und anderen Regeln des sozialen Handelns häufiger auf als bei Spielregeln, die normalerweise genauer festlegen, welche Züge z.B. mit einer bestimmten Figur gemacht werden dürfen und welche Züge Verstöße, Abweichungen sind, doch ist auch bei Spielen nicht alles von Regeln begrenzt, wie Wittgenstein am Beispiel des Tennis sehr schön zeigt: "... es gibt ja auch keine Regel dafür z.B., wie hoch man im Tennis den Ball werfen darf, oder wie stark, aber Tennis ist 93 doch ein Spiel und es hat auch Regeln." 2.4
Über praktisch-semantische Beschreibungen
Gegen Ende von 2.2 habe ich darauf hingewiesen, daß in der Vielzahl verschiedener Sprachspiele mit je spezifischen Regeln und besonders darin, daß sich diese Sprachspiele teilweise überschneiden und überlappen, eine der wichtigsten Ursachen für Probleme im Zusammenhang mit Sprache begründet ist. Denn dadurch, daß jeder Sprachteilhaber nicht nur an einem, sondern an sehr vielen, z.T. sehr unterschiedlichen Sprachspielen teilhat bzw. teilnimmt, und jeder Sprachteilhaber eine je spezifische Sozialisation und Lebensgeschichte hat, d.h. jeder an ändern Sprachspielen teilgenommen hat bzw. teilnimmt, verfügt jeder Sprachteilhaber über eine spezifische Sprachkompetenz, die sich von der von ändern mehr oder minder unterscheidet. 94 Und dies führt deshalb zu Verstehensproblemen und Komnunikationskonflikten, weil diese Un91
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Natürlich ist es möglich, durch definitorische Festlegungen, etwa durch die Angabe bestimmter Merkmale, eindeutig zwischen diesen Wörtern zu unterscheiden. Doch wäre dies ein normativer Eingriff, keine Beschreibung des faktischen Sprachgebrauchs. Ich denke hier auch an Wörter wie Sozialismus, Sympathisant, links u . a . , deren Bedeutungen in letzter Zeit derartige Verschiebungen - und mehr als das - erfahren haben. Vgl. hierzu etwa die Kapitel 2 und 5 sowie 3 in Heringer/Öhlschläger/Strecker/Wimmer 1977. Wittgenstein 1953:§ 68. Ein ähnlicher Vergleich - mit Verkehrsregeln findet sich in Wittgenstein 1967:§ 44o. Zur Offenheit von Regeln darüber hinaus Wittgenstein 1953:§§ 69, 80, 84. - Mit dem letzten Satz in unserem Zitat begegnet Wittgenstein dem Einwand, daß man nur dann sagen könne, es handle sich bei etwas um ein Spiel, eine Figur bzw. ein Ausdruck habe eine Bedeutung, wenn es strikte, eindeutige Regeln gebe. Vgl. hierzu auch Wittgenstein 1953:§ 80. Vgl. hierzu - allgemein für Regeln, nicht nur für Sprachregeln - Berger/ Luckroann 1966;1969:141ff.
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terschiede sehr häufig gar nicht oder nicht ausreichend bekannt und bewußt sind, da - um das Wittgenstein-Zitat aus der Einleitung noch eirmal aufzugreifen - "die Kleider unserer Sprache alles gleichmachen", 95 und weil die Sprachteilhaber auch dann, wenn ihnen Unterschiede bekannt und bewußt sind, die Regeln anderer sehr oft nicht ausreichend, nicht gut genug kennen. Durch Vereinheitlichungen und Normierungen ist es zwar teilweise und für bestinmte Gruppen möglich, bestürmte Unterschiede aufzuheben und damit mögliche Mißverständnisse zu vermeiden; beseitigen lassen sich die erwähnten Unterschiede auf diese Weise - entgegen einer öfter geäußerten Meinung aber nicht. Denn es ist weder möglich noch wünschenswert, alle Teilhaber einer Sprache, etwa alle Sprecher des Deutschen, auf eine bestinmte Gebrauchsweise eines Ausdrucks festzulegen und diese festzuschreiben, zumal die Unterschiede im Sprachgebrauch nicht äußerlich, sondern in unterschiedlichen Lebensformen begründet sind, d.h. die Normierung und Vereinheitlichung sich auch auf die Lebensformen erstrecken müßte. Auf dm Wege der Normierung ist also keine, zumindest keine spürbare Verbesserung, kein spürbarer Fortschritt im Hinblick auf die Verminderung und die bessere Bewältigung kommunikativer Probleme zu erreichen. Dies ist meiner Meinung nach nur dadurch möglich, daß die Sprachteilhaber sich der Unterschiede bewußter werden, ja sich teilweise überhaupt erst des Bestehens solcher Unterschiede und deren Bedeutung für das Verstehen bzw. Mißverstehen bewußt werden, um Verstehensproblane und ihre Ursachen schneller und besser erkennen zu können, daß die Sprachteilhaber über einen besseren Überblick sowohl über die Regeln, die sie selbst befolgen, als auch über die Regeln anderer verfügen, um einerseits beim eigenen sprachlichen Handeln mögliche Mißverständnisse antizipieren und so nach Möglichkeit vermeiden zu können, sowie andererseits andere noch besser verstehen zu können, Qfi und daß sie schließlich zumindest ansatzweise Methoden und Verfahren beherrschen, mit deren Hilfe sie auftretende VerStehensprobleme thematisieren und nach Möglichkeit auch aufklären können. Damit sind im Grunde auch schon wichtige Aufgaben und Arbeitsbereiche einer praktisch orientierten linguistischen Semantik wie der praktischen Semantik anrissen, für die es eine, wenn nicht d i e zentrale Aufgabe sein 95 96
Vgl. Wittgenstein 1953;196o:537. Vgl. etwa Wittgenstein 1953:§ 122: "Es ist eine Hauptquelle unseres Unverständnisses, daß wir den Gebrauch unserer Wörter nicht übersehen. Unserer Grammatik fehlt es an Übersichtlichkeit. - Die übersichtliche Darstellung vermittelt das Verständnis, welches eben darin besteht, daß wir die 'Zusammenhänge sehen'."
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muß, einen Beitrag zur Bewältigung der angesprochenen kcmnunikativen Probleme zu leisten: - Es ist notwendig, Verfahren und Methoden zur Beschreibung von Bedeutungen, d.h. des Gebrauchs bzw. der Gebräuche sprachlicher Zeichen, zur Beschreibung von Regeln zu entwickeln, und zwar insbesondere auch solche Verfahren und Methoden, die die Sprachteilhaber selbst anwenden können, denn kcmnunikative Probleme, die auf unterschiedliche Gebräuche von Ausdrücken, auf unterschiedliche Regeln zurückgehen, sind nur durch die Beschreibung und Darlegung dieser Gebräuche aufzuklären. - Es ist notwendig, die Gebräuche sprachlicher Zeichen, die sprachlichen Handlungen zugrundeliegenden Regeln zu analysieren und zu beschreiben, im so einen besseren Überblick über Gebräuche und Regeln und damit auch über Unterschiede zu bekommen. Denn erst aufgrund solcher Beschreibungen kann auch ändern Sprachteilhabern ein solcher überblick vermittelt werden, ein Überblick, dem - wie wir gesehen haben - im Hinblick auf die Verbesserung der kcmnunikativen Fähigkeiten, einschließlich der Verbesserungen der Möglichkeiten des VerStehens, ganz entscheidende Bedeutung zukommt. - Es ist notwendig, bestimmte Kommunikationen gleichsam modellhaft zu beschreiben, um so Hinweise zu geben, wie die Sprachteilhaber selbst beim Auftreten von kommunikativen Problemen vorgehen können und wie sie nicht offensichtliche Verstehensprobleme überhaupt erst als solche erkennen können. 97 Die Bedeutung, d.h. den Gebrauch, eines sprachlichen Zeichens kennen, eine sprachlichen Handlungen zugrundeliegende Regel kennen heißt - so habe ich es in 2.2. ausgeführt - auch den Zusammenhang des Zeichens bzw. der Regel mit ändern Zeichen und Regeln kennen, den Zusarrmenhang mit nichtsprachlichen Handlungen und Tätigkeiten, den Zusanmenhang mit bestimmten Auffassungen, Werten usw., kurz: den Zusammenhang mit und den Stellenwert in der jeweili-
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Ausführlicher zu den Zielen und Aufgabenstellungen der praktischen Semantik vgl. Heringer 1974a:96-lll sowie Heringer 1972 und Wimmer 1975b: 55-6o. Dort werden auch weitere Ziele genannt, die ich nicht mit aufgeführt habe. - Besonderes Gewicht für die Erreichung der genannten Ziele und die Vermittlung der erwähnten Fähigkeiten kommt dem Primärsprachunterricht zu. Vgl. zu diesem Zusammenhang von praktischer Semantik und Sprachunterricht Heringer 1974b und 1974c, Wimmer 1974 und 1975a, Arbeitsgruppe Kommunikativer Unterricht 1974, Heidelberger Studiengruppe 1974: 35-39, 49-55 sowie die auf dieser Konzeption aufbauenden Sprachbücher Kaleidoskop 1974 und Wortwechsel 1976ff.
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gen Lebensform kennen. Ist es dann aber - so ein häufig zu hörender Einwand - überhaupt möglich, den Gebrauch eines Wortes, sprachlichen Handlungen zugrundeliegende Regeln zu beschreiben? Bedeutet diese Auffassung nicht, daß man all diese Zusanmenhänge auch beschreiben muß, wenn man den Gebrauch eines Wortes, wenn man eine sprachliche Regel beschreiben will, und ist es nicht völlig unmöglich, dies zu tun? Ist das hier kurz erläuterte Programm der praktischen Semantik deshalb nicht ein utopisches Programm? Ohne Frage ist es richtig, daß all die erwähnten Zusammenhänge in eine Gebrauchsbeschreibung mit einbezogen werden müssen: "Die Bedeutung eines Wortes darlegen heißt beschreiben, wie es gebraucht wird, und das wiederum heißt die sozialen Wechselbeziehungen beschreiben, in die es eingeht." 98 D.h.: wenn ich beispielsweise die Bedeutung von Fermate oder Glissando beschreiben will, muß ich auch musikalische Zusanmenhänge usw. dabei berücksichtigen, oder wenn ich den Gebrauch von ästhetischen Ausdrücken beschreiben will, muß ich dabei auch den jeweiligen kulturellen Zusammenhang, in dem die Ausdrücke gebraucht werden, mit einbeziehen, da diese Ausdrücke nur auf 99 diesem Hintergrund richtig verstehbar sind, usw. Und ebenso trifft es zu, daß es unmöglich ist,
all dies zu beschreiben. Es ist darüber hinaus auch
deshalb unmöglich, weil die Regeln und Zusammenhänge ständig im Fluß, ständig in Veränderung begriffen sind. Dennoch aber ist der Einwand unberechtigt, da er fälschlicherweise davon ausgeht, daß es sich bei Beschreibungen um Abbilder, um "Wortbilder der Tatsachen" °° handelt - eine Auffassung, die insbesondere Wittgenstein sowie Toulmin und Baier in ihrem ausgezeichneten Aufsatz "On describing"
einer grundlegenden Kritik unterzogen haben.
Wittgenstein und Toulmin/Baier haben - meiner Meinung nach sehr überzeugend - begründet und dargelegt, daß Beschreibungen keine Abbilder sind, die - etwas überspitzt formuliert - gemacht werden, weil man sie machen kann, also um ihrer selbst willen, sondern daß Beschreibungen immer eine Funktion 98 99
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Winch 1958;1966:157. Vgl. etwa Wittgenstein 1966;1968:28: "Die Wörter, die wir als Ausdrücke ästhetischen Urteils bezeichnen, spielen eine sehr komplizierte, aber sehr wohl festgelegte Rolle in dem, was wir die Kultur einer Epoche nennen. Um sie zu beschreiben, oder um zu beschreiben, was man unter einem kultivierten Geschmack versteht, muß man eine Kultur beschreiben. Was wir heute als kultivierten Geschmack bezeichnen, gab es im Mittelalter vielleicht nicht. Verschiedene Zeiten haben ganz und gar ver-. schiedene Spiele." - Vgl. auch das in 2.2 angeführte Beispiel Wittgensteins, unter welchen Umständen und wie man jemandem die Bedeutung von ausdrucksvolles Spiel in der Musik erklären kann. Wittgenstein 1953.·§ 291. Toulmin/Baier 1952.
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haben, daß Beschreibungen inner Beschreibungen für einen bestaunten Zweck, für bestimmte Personen usw. sind: "Was wir 'Beschreibungen' nennen, sind Instrumente für besondere Verwendungen. Denke dabei an eine Maschinenzeichnung, einen Schnitt, einen Aufriß mit den Maßen, den der Mechaniker vor sich hat. Wenn man an eine Beschreibung als ein Wortbild der Tatsachen denkt, so hat das etwas Irreführendes: Man denkt etwa nur an Bilder, wie sie an unsern Wänden hängen; die schlechtweg abzubilden scheinen, wie ein Ding aussieht, wie es beschaffen ist. (Diese Bilder sind gleichsam müßig.)" ° Wenn also die Pede davon ist, daß es zur Bewältigung kommunikativer Probleme notwendig ist, den Gebrauch sprachlicher Zeichen, die sprachlichen Handlungen zugrundeliegenden Regeln zu beschreiben, wenn davon die Rede ist, daß man bei der Beschreibung des Gebrauchs auch die Zusammenhänge der Sprachregeln mit ändern Regeln, mit bestimmten Tätigkeiten, Auffassungen usw. mit einbeziehen und den jeweiligen Stellenwert innerhalb der Lebensform berücksichtigen muß, so heißt dies nicht, daß mäh alle Zusammenhänge, also die ganze Lebensform, bis in alle Details beschreiben, also sozusagen ein vollständiges Abbild geben müßte, sondern nur, daß alle diese Zusammenhänge bei Beschreibungen eine Rolle spielen können, wobei es aufgrund der prinzipiellen Zweckgebundenheit von Beschreibungen von der jeweiligen Funktion, den jeweiligen Adressaten usw. abhängt, welche Teile des Gebrauchs, welche Teile des Zusanmenhangs mit in die Beschreibung einbezogen werden müssen bzw. sollten.103 Auch dies sei anhand von Beispielen noch illustriert: Wenn es darum geht, jemandem, der zwar die Fußballregeln in etwa kennt, aber die Abseitsregel noch nicht ganz verstanden hat, diese Regel zu erklären, dann dürfte es normalerweise ausreichend sein, ihm kurze Erläuterungen zu geben, ihm die Regel an einigen Beispielen zu demonstrieren o.a. Wenn der Betreffende dagegen gar keine Ahnung vom Fußball hat, muß man natürlich bei einer Erklärung der Abseitsregel wesentlich weiter ausholen, muß man auch den Zusammenhang der Regel mit ändern Regeln usw. beschreiben. Oder wenn ein B bei einer Äußerung
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Wittgenstein 1953:§ 291. - Vgl. zu dieser Frage außerdem Heringer 1974d. Vgl. hierzu etwa auch Wittgenstein 1953:§ 87: "Eine Erklärung dient dazu, ein Mißverständnis zu beseitigen, oder zu verhüten - also eines, das ohne die Erklärung eintreten würde; aber nicht: jedes, welches ich mir vorstellen kann." Ähnlich auch Wittgenstein 1967:§ 432, Wittgenstein 1969a:115. - In diesem Zusammenhang ist Erklärung - ich erinnere an S.8 der vorliegenden Arbeit - nicht in der Bedeutung 'Erklärung, warum 1 , sondern im Sinne 'Erklärung, w a s ' , "Erklärung, wie' zu verstehen.
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eines A, etwa einer Behauptung von (1) Das Verstehen von Handlungen beruht auf der Kenntnis von Regeln., nachfragt (2) Was meinst du hier mit Regel?, um (1) besser, d.h. genauer verstehen zu können, dann wird es genügen, B eine Angabe wie (3) oder (4) (3) Regel wird hier im Sinne Wittgensteins verstanden. (4) Regel bedeutet hier soviel wie Handlungsmuster. zu geben, wenn A davon ausgehen kann, daß B weiß, was Regel bei Wittgenstein bedeutet bzw. B weiß, wie Handlungsmuster zu verstehen ist. Und ebenso werden solche Angaben ausreichend sein, wenn ich, um Mißverständnisse zu vermeiden, zu Beginn eines Vertrags etwa über Regeln erläutern möchte, wie Regel in diesem Vortrag zu verstehen ist, wenn ich bei meinen Zuhörern diese Kenntnis voraussetzen kann. Wenn B bzw. die Zuhörer diese Kenntnis jedoch nicht haben, wenn sie nicht wissen, wie Regel bei Wittgenstein zu verstehen ist, was Handlungsmuster sind, ist es erforderlich, eine ausführlichere Erklärung zu geben, mehr zu beschreiben, d.h. den Zusammenhang des Regelbegriffs bei Wittgenstein mit anderen Begriffen, Annahmen usw. darzulegen, diesen Gebrauch von Regel gegenüber anderen Gebräuchen abzugrenzen usw. Der Umfang, die Auswahl und die Gewichtung der Beschreibung hängen dabei zusätzlich noch davon ab, wie genau die Adressaten Regel - gleiches gilt natürlich auch für das Beispiel mit der Abseitsregel - verstehen müssen bzw. sollten, wozu sie Regel verstehen müssen usw. Und in gleicher Weise wird es auch bei Beschreibungen der vorne erwähnten Beispiele - von Fermate, von Glissando, von ästhetischen Ausdrücken, von ausdrucksvolles Spiel - von der jeweiligen Funktion und den jeweiligen Adressaten der Beschreibung abhängen, welche musikalischen Zusammenhänge, welche Aspekte der jeweiligen Kultur usw. mit in die Beschreibung aufgenotinen werden müssen. Es wäre jedoch falsch, die ausführlicheren und umfangreicheren Beschreibungen automatisch auch als vollständiger und/oder präziser anzusehen, denn - auch dies hat Wittgenstein herausgearbeitet - Vollständigkeit und Präzision sind relative Begriffe, d.h., man kann immer nur davon sprechen, daß etwas, z.B. eine Beschreibung, vollständig ist im Hinblick auf eine bestimmte Zielsetzung, präzis genug ist für einen bestimmten Zweck: "Eine Rede vollständig (oder unvollständig) wiedergeben. Gehört dazu auch die Wieder-
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gäbe des Tonfalls, des Mienenspiels, der Echtheit oder Unechtheit der Gefühle, der Absichten des Redners, der Anstrengung des Redens? Ob das oder jenes für uns zur vollständigen Beschreibung gehört, wird vom Zweck der Beschrei1o4 bung abhängen, davon, was der Empfänger mit der Beschreibung anfängt." Und - bezogen auf die Genauigkeit: "Ist es unexakt, wenn ich den Abstand der Sonne von uns nicht auf 1 m genau angebe; und dem Tischler die Breite des Tisches nicht auf
,
mm?" ° Mit ändern Worten: "Ein Ideal der Genauig-
keit ist nicht vorgesehen."
Eine kurze, knappe Beschreibung kann deshalb
u.U. präziser sein als eine wesentlich ausführlichere, die ihren Zweck aber nicht so gut erreicht wie die kürzere. Es gibt also auch nicht d i e Beschreibung der Bedeutung eines sprachlichen Zeichens,
d i e Beschreibung einer sprachlichen Regel; auch lingui-
stische Beschreibungen, die oft als zweckunabhängige, "reine" Beschreibungen aufgefaßt werden, als Abbilder des Sprachgebrauchs, sind nur Beschreibungen, die zwar für bestimmte Zielsetzungen angemessener sein können und z.T. auch sind als andere, die aber nicht in allen Fällen, d.h. für alle Zielsetzungen, ändern Beschreibungen überlegen sind, sondern teilweise auch unterlegen, d.h. für bestimmte Funktionen und Adressaten weniger angemessen sein können. So wird einem, der die Bedeutung eines Wortes wie etwa bilateral nicht kennt, mehr geholfen sein, wenn ich ihm sage, daß bilateral die gleiche Bedeutung hat wie zweiseitig, als wenn ich ihm z.B. eine semanalytische Beschreibung von bilateral gebe. Und entsprechend sind linguistische Beschreibungen auch nicht an sich präziser - wie es besonders für formale linguistische Beschreibungen oft reklamiert wird - oder vollständiger als andere Beschreibungen: Auch die Präzision und Vollständigkeit linguistischer Beschreibungen bemißt sich nur relativ zu ihren jeweiligen Zielsetzungen. Zum Abschluß dieses Kapitels möchte ich noch kurz darauf eingehen, was unter praktisch-semantischen Beschreibungen eigentlich zu verstehen
ist,
d.h., wie praktisch-semantische Beschreibungen eigentlich aussehen bzw. aussehen können. Diese Frage nach dem Aussehen praktisch-semantischer Beschreibungen ist - dies haben die bisherigen Überlegungen wohl schon hinreichend deutlich gemacht - nicht in der Weise zu beantworten, daß man ein bestimmtes 104 105 106
107
Wittgenstein 1967:§ 311. Wittgenstein 1953:§ 88. Wittgenstein 1953:§ 88. Vgl. auch an gleicher Stelle: "Wenn ich Einem sage 'Halte dich ungefähr hier a u f ! ' - kann denn diese Erklärung nicht vollkommen funktionieren? Und kann jede andere nicht auch versagen?" Zur Relativität formaler Beschreibungen vgl. auch den ausgezeichneten Aufsatz Wang 1955.
4
Beschreibimgsverfahren als d a s Beschreibungsverfahren der praktischen Semantik angeben könnte; die praktische Semantik geht ja gerade davon aus, daß es keine allgemeingültigen Beschreibungsverfahren gibt, sondern daß es von den jeweiligen Zielen, Aufgabenstellungen, Adressaten usw. abhängt, was und wie beschrieben wird. So kann für die Ziele der praktischen Semantik um nur einige Möglichkeiten zu nennen - die Angabe von synonymen Ausdrücken, von Antonymen o.a. in bestimmten Fällen ebenso nützlich sein wie in ändern Fällen die Angabe der syntaktischen Kategorie eines Wortes oder eine Analyse •i p der syntaktischen Struktur eines Satzes, kann eine Bedeutungserklärung in Form der Angabe von genus proximum und differentia specifica teilweise ausreichend sein, während teilweise eine Bedeutungserklärung unter Einbezug des Zusammenhangs eines Wortes mit bestimmten Tätigkeiten, Institutionen, hierarchischen Verhältnissen usw. notwendig sein kann, kann das Beschreiben semantischer Relationen zwischen Sätzen - von Folgebeziehungen, Präsuppositionen usw. - in bestimmten Fallen ebenso sinnvoll sein wie in ändern Fällen eine Analyse der Bedingungen eines Sprechakts bzw. Sprechakttyps und der Struktur dieses Handlungsmusters, wobei sich diese verschiedenen Möglichkeiten natürlich nicht ausschließen. Weitere Möglichkeiten bestehen darin, die Bedeutung eines Wortes, etwa von demokratischer Sozialismus, durch die Angabe von Beispielen zu beschreiben, in unserem Beispiel etwa durch die Angabe von (5) Die SPD, die Sozialisten in Frankreich, die Labour Party in England beispielsweise vertreten einen demokratischen Sozialismus, die DKP und die kommunistischen Parteien in Osteuropa dagegen nicht., Beispielsätze anzuführen, in denen man ein Wort verwenden kann, und gleichzeitig Sätze, in denen man es nicht verwenden kann, oder darin, charakteristische Verwendungssituationen z.B. eines Worts zu beschreiben sowie auch hier Situationen, in denen man das Wort nicht verwenden kann. 1o9 108
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Denn auch die Beschreibung syntaktischer Phänomene ist Teil einer Bedeutungsbeschreibung in unserem Sinn: vgl. hierzu Heringer 197o;1973: 6o-74, Heringer 1974a:158-16o. Vgl. auch Chomsky 1957:lo4: "In describing the meaning of a word it is often expedient, or necessary, to refer to the syntactic framework in which this word is usually embedded." Die beiden letztgenannten Verfahren nennt Austin "explaining the syntactics of a word" bzw. "demonstrating the semantics of a word" (Austin 1961;197o:57). Wie schon angedeutet, ist diese Aufzählung natürlich nicht vollständig: Es gibt sowohl in der Linguistik als auch bei Wittgenstein und in der an ihn anschließenden ordinary language philosophy - damit will ich al-
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lerdings nicht behaupten, daß Wittgenstein dieser Philosophie zuzuordnen sei - noch zahlreiche weitere Möglichkeiten für die Beschreibung der Bedeutung sprachlicher Zeichen, der sprachlichen Handlungen zugrundeliegenden Regeln, die für die praktische Semantik und ihre Ziele von Nutzen sein können. Für die Verfahren und Methoden, die Wittgenstein angewandt, aber nie explizit beschrieben hat, und die in der ordinary language philosophy z.T. weiterentwickelt wurden, vgl. etwa Pitcher 1964:314-323, Waismann 1965:163-193, Black 1968:175-179. Beispiele für praktisch-semantische Beschreibungen, die das hier Ausgeführte noch verdeutlichen und veranschaulichen können, sind Keller 1977b, Wimmer 1978 sowie Heringer/Öhlschläger/Strecker/Wimmer 1977, wo verschiedene praktisch-semantische Arbeitsweisen, Methoden und Beschreibungsverfahren anhand der Analyse konkreter Beispiele vorgeführt werden.
3.
ZUR STRUKTUR VON ARGUMENTATIONEN UND ARGUMENTATICNSHÄNDLUNGEN
3.1
Terminologische Vorklärungen
Nach einen weitverbreiteten Verständnis von Argumentation spricht man dann von Argumentationen, davon, daß jemand argumentiert, wenn die Wahrheit eines Satzes bzw. einer Behauptung zu der eines bzw. einer ändern in Beziehung gesetzt, genauer: wenn die Wahrheit eines Satzes auf die eines ändern zurückgeführt bzw. von ihr abgeleitet wird. In dieser Bedeutung sind Argumentation und argumentieren im Grunde also gleichbedeutend mit Schluß und schließen. Oft wird Argumentation aber auch in einer engeren Bedeutung verwendet und verstanden, nach der Argumentationen und Argumentieren nur dann vorliegen, wenn die Wahrheit oder Falschheit eines Satzes bzw. einer Behauptung in Frage steht und etwas behauptet wird, um das in Frage Stehende zu stützen. Diese unterschiedlichen Verwendungsweisen von Argumentation und argumentieren, die oft gar nicht oder zumindest nicht ausreichend bewußt sind, möchte ich anhand einiger Beispielsituationen noch kurz verdeutlichen: (1) A und B unterhalten sich über ihren gemeinsamen Bekannten C und kamen dabei auch darauf zu sprechen, daß C sehr unmusikalisch ist. A: Ich finde es besonders deshalb so erstaunlich, daß C so unmusikalisch ist, weil Cs Bruder ein ausgezeichneter Musiker ist. B: So? Das kann ich mir aber kaum vorstellen! A: Doch, Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. (2) A und B treffen sich am Tag nach einer Landtagswahl. A kennt das Wahlergebnis noch nicht und fragt B: Wie ist die Wahl gestern eigentlich ausgegangen? B: Die FDP ist unter der Fünfprozenthürde geblieben. l
Auf die Frage, wem ein Wahrheitswert zukommt, ob Sätzen, Behauptungen o.a., werde ich gleich noch näher eingehen. Zunächst spreche ich der Einfachheit halber von der Wahrheit und Falschheit von Sätzen.
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A: Also ist sie nicht mehr im Landtag vertreten. (3) Ein Chemielehrer macht einen Versuch: Er taucht rotes Lackmuspapier in eine Flüssigkeit. Alle sehen, daß sich das Papier blau färbt. Auf die Frage eines Schülers: Warum hat sich das Papier denn verfärbt? antwortet der Lehrer: Weil ich es in eine basische Flüssigkeit getaucht habe. Wenn man Argumentation in der ersten Bedeutung, also gleichbedeutend mit Schluß, versteht, haben wir es in allen drei Fällen mit Argumentationen zu tun, denn in allen Fällen wird geschlossen, wird die Wahrheit eines Satzes auf die eines ändern zurückgeführt bzw. von ihr abgeleitet, wie die folgenden Paraphrasen zeigen, in denen diese Verbindung durch die Konjunktionen denn, also und weil angezeigt wird: (4) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, denn er ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. (5) Die FDP ist unter der Fünfprozenthürde geblieben; also ist
sie
nicht mehr im Landtag vertreten. (6) Das rote Lackmuspapier hat sich blau verfärbt, weil ich es in eine basische Flüssigkeit getaucht habe. Nach dem zweiten, dem engeren Verständnis von Argumentation dagegen handelt es sich zwar bei (1) um eine Argumentation, bei (2) und (3) aber nicht. Denn während bei (1) durch Bs Äußerung in der Tat etwas in Frage steht, nämlich ob
(7) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, wahr ist,
und A
(8) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. behauptet, um die Wahrheit von (7) zu stützen, steht weder bei (2) noch bei (3) etwas in Frage: Weder (9) Die FDP ist nicht mehr im Landtag vertreten, in (2) noch (1o) Das rote Lackmuspapier hat sich rot verfärbt. in (3) stehen in irgendeiner Weise zur Diskussion. Und dementsprechend werden weder
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(11) Die FDP ist unter der Fünfprozenthürde geblieben, noch (12) Ich habe das rote Lackrauspapier in eine basische Flüssigkeit getaucht. 2 behauptet, um etwas zu stützen. Stattdessen zieht A in (2) aus einer bestinmten Information, nämlich aus der Wahrheit von (11), eine Schlußfolgerung, also eine weitere Information, die, daß auch (9) wahr ist, und geht es in (3) darum, einen Grund zu erfahren bzw. zu nennen, warum sich das Papier verfärbt hat. Allgemein ausgedrückt: Die Ausgangsfrage in Fällen wie (1) lautet: (13) Ist etwas der Fall?, die in Fällen wie (2) bzw. (3) (14) bzw. (15): (14) Welche Erkenntnis kann man aus einer bestirnten Information ziehen? (15) Warum ist etwas der Fall? In der vorliegenden Arbeit werden Argumentation und argumentieren ausschließlich in der engeren Bedeutung verstanden, d.h., um eine Argumentation handelt es sich immer dann und nur dann, wenn jemand etwas behauptet, um etwas, das in Frage steht, zu stützen. Statt von Argumentationen und Argumentieren im weiteren Sinne werde ich von Schlüssen und Schließen sprechen, und bei Fällen wie den Schlüssen in (2) und (3) von Schlußfolgerungen, vom Schlußfolgern oder Schlüsseziehen - bei (2) -, von Begründungen bzw. Erklärungen bei (3), wobei von Begründungen im Zusammenhang mit Handlungen, von 2
Daß A in (2) (11) nicht explizit behauptet, kann hier vernachlässigt werden, da aufgrund des Zusammenhangs in (2) klar ist, daß es sich bei As zweiter Äußerung im Grunde um eine Kurzform von (5) handelt, in der (11) behauptet wird. 3 Oft wird auch der Versuch, andere zu überzeugen, als konstitutiv für Argumentationen und Argumentieren aufgefaßt - so spricht etwa Strawson 1952:12 davon, daß "the aim of argument is conviction", und auch Searle meint, daß Argumentieren "essentially tied to attempting to convince" sei, daß " am arguing that p_ and not attempting to convince you' sounds inconsistent."(Searle 1969:66). Ohne Zweifel dienen Argumentationen sehr häufig dazu, andere zu überzeugen, doch scheint mir dies nicht konstitutiv zu sein, da man meiner Meinung nach auch dann, wenn jemand nicht die Absicht hat, andere zu überzeugen, sagen kann, daß er argumentiert, wenn er etwas behauptet, um etwas, das in Frage steht, zu stützen. Außerdem halte ich es für sinnvoll, zwischen dem illokutionären Akt "Argumentieren" und dem perlokutionären Akt "überzeugen" zu unterscheiden: vgl. dazu auch Austin 1962;1971:lolff. sowie Black 1973;1975:126f.
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Erklärungen dm Zusammenhang mit Geschehen bzw. Ereignissen die Rede sein 4 soll: Handlungen werden begründet, Ereignisse werden erklärt. In (3) hätten wir es demnach mit einer Erklärung zu tun, im folgenden Beispiel (16) dagegen mit einer Begründung: (16) Bei einer Gerichtsverhandlung fragt der Richter A den Angeklagten B, der schon ein Geständnis abgelegt hat: Können Sie mir sagen, warum Sie die zehntausend Mark unterschlagen haben? B: Meine Schulden waren mir einfach über den Kopf gewachsen. Mit dieser Redeweise ist es möglich, einerseits Verwechslungen und Vermischungen der beiden genannten Gebrauchsweisen von Argumentation und argumentieren zu vermeiden, und andererseits die anhand der Beispiele (1)-(3) skizzierten Unterschiede auch terminologisch zu erfassen, d.h. auch durch die Terminologie deutlich zu machen, daß es sich hier um verschiedene Handlungsmuster mit je spezifischen Bedingungen handelt. Mit meinen Bemerkungen zum Gebrauch von - ich beschränke mich auf die jeweiligen Verben - argumentieren, schließen, schlußfolgern, begründen und erklären ist nicht - dies sei ausdrücklich betont, um keine Mißverständnisse aufkamen zu lassen - der Anspruch verbunden, den Gebrauch dieser Wörter zu beschreiben im Sinne einer Erfassung der Art und Weise(n), wie sie (normalerweise) verwendet werden, und schon gar nicht der Anspruch, zu beschreiben, was sie "eigentlich" bedeuten, d.h. das "Wesen" des Argxmentierens, des Begründens usw. auszudrücken. Stattdessen sind sie als terminologische Vorschläge zu verstehen, als normative Eingriffe in den Sprachgebrauch mit der
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5
Hier handelt es sich wieder um erklären in der Bedeutung 'erklären, war u m 1 : vgl. die Anm.8 und Io3 in Kapitel 2. Zu der hier vorgenommenen Unterscheidung von Begründen und Erklären vgl. auch Heringer/öhlschläger/Strecker/Wimmer 1977:275-277. - Auf Gründe für diese Unterscheidung einzugehen, würde in unserem Rahmen zu weit führen. Es sei deshalb auf den Aufsatz Öhlschläger 1974 verwiesen, wo die terminologische Unterscheidung von Begründen und Erklären zwar noch nicht eingeführt ist, der Unterschied zwischen Erklärungen von Geschehen und Erklärungen von Handlungen, die ich jetzt Begründungen nenne, aber schon ausgeführt und begründet wird. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Behandlung der Unterscheidung von Geschehen und Handlungen in Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit. Auf eine weitergehende Differenzierung, die auch Handlungsmuster wie das Beweisen, das Rechtfertigen usw. mit erfassen müßte, habe ich im gegebenen Rahmen verzichtet, da es ja primär um eine Klärung des Gebrauchs von Argumentation und argumentieren geht. Zum Beweisen vgl. etwa Strecker 1976, zum Rechtfertigen Fritz/Hundsnurscher 1975.
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Absicht, mögliche Mißverständnisse aufgrund unterschiedlicher Gebrauchsweisen zu verhindern und bestimmte Unterschiede klarer zu fassen, als dies nach dem alltäglichen Sprachgebrauch möglich ist.
Am besten und anschaulichsten
läßt sich der Status meiner Bemerkungen mit Hilfe zweier Wittgenstein-Zitate charakterisieren: "Wollen wir aber, zur Klärung eines philosophischen Paradoxes, im Gebrauch eines Worts Grenzen ziehen, so stellen wir dem tatsächlichen Bild dieses Gebrauchs, worin sozusagen die verschiedenen Farben ohne scharfe Grenzen ineinander fließen, eines an die Seite, dem ersten in bestimmter Weise ähnlich, aber aus klar aneinander grenzenden Farben bestehend."
Und: "Wallen wir, für unsere Zwecke, den Gebrauch eines Wortes be-
stimmten Regeln unterwerfen, so stellen wir seinem fluktuierenden Gebrauch einen ändern an die Seite, indem wir einen charakteristischen Aspekt des ersten in Regeln fassen."
Dementsprechend spricht es nicht gegen die von mir
vorgeschlagenen Gebrauchsweisen von argumentieren, begründen usw., daß es auch andere Gebrauchsweisen dieser Wörter gibt, daß argumentieren - wie beschrieben - teilweise gleichbedeutend mit schließen verwendet wird, daß schlußfolgern oft synonym mit schließen verstanden wird, daß begründen und erklären oft gar nicht und teilweise anders unterschieden werden, als ich es vorgeschlagen habe, usw. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist nur die Analyse von Argumentationen im hier festgelegten Sinn, also in der engeren Bedeutung von Argumentation. Doch da Argumentieren, Schlußfolgern, Begründen und Erklären miteinander verwandte Handlungsmuster sind - bei allen wird geschlossen -, dürfte vieles von dem, was für Argumentationen und Argumentieren gilt, auch - u.U. 6
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Wittgenstein 1969a:76. - Daß Wittgenstein hier von der Klärung eines philosophischen Paradoxes spricht, ist durch den gegebenen Zusammenhang zu erklären und schließt andere Notwendigkeiten für das "Ziehen von Grenzen" nicht aus: vgl. auch meine Überlegungen zu Beginn des Kapitels 2. Wittgenstein 1969a:77.- Dieses und das vorhergehende Zitat machen - n e - . benbei bemerkt - auch deutlich, daß der vielzitierte Satz Wittgensteins "Ordinary language is all right" nicht bedeutet, daß der normale Sprachgebrauch immer in Ordnung und sozusagen sakrosankt, unantastbar sei: vgl. auch etwa Wittgenstein 1953:§ 132. Stattdessen wendet sich Wittgenstein mit diesem Satz nur gegen Bestrebungen, die natürlichen Sprachen durch "Idealsprachen" zu ersetzen. Der Kontext des zitierten Satzes zeigt dies ganz klar: "It is wrong to say that in philosophy we consider an ideal language as opposed to our ordinary one. For this makes it appear as though we thought we could improve on ordinary language. But ordinary language is all right. Whenever we make up 'ideal languages' it is not in order to replace our ordinary language by them; but just to remove some trouble caused in someone's mind by thinking that he has got hold of the exact use of a common word."(Wittgenstein 1958;1965:28). Vgl. auch Wittgenstein 1953:§§ 81 und 98.
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in modifizierter Form - für das eine oder das andere, z.T. auch für alle o diese Kandlungsmuster Gültigkeit haben. Insofern kann die Behandlung von Argumentationen in der vorliegenden Arbeit sicherlich auch Hinweise und Anregungen für die Analyse des Schlußfolgerns, des Begründens und des Erklärens geben. Insbesondere trifft dies wohl für das Schlußfolgern zu, das bis auf die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen im wesentlichen dem Argumentieren entsprechen dürfte, wahrscheinlich weniger dagegen für das Erklären und das Begründen, das sich allem Anschein nach nicht nur in den Ausgangsbedingungen vom Argumentieren unterscheidet (8) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker . als Argument, aber nicht als Begründung für (7) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. akzeptabel ist, da (7) eher als Voraussetzung für (8) anzusehen ist, und daß - um noch ein weiteres Beispiel zu nennen (17) Man hat As Fingerabdrücke in Bs Wohnung gefunden. ein Argument, aber kein Grund für (18) A war in Bs Wohnung. sein kann, deutet dies an. Inwieweit bestimmte Einsichten in die Struktur von Argumentationen im einzelnen auch für Begründungen, Erklärungen, Schlußfolgerungen usw. gelten, wo Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten vorliegen, kann jedoch nur eine genaue Analyse dieser Handlungsmuster ergeben; dies zu leisten, ist aber nicht die Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Bevor ich mich in den folgenden Kapiteln genauer mit dem zentralen Gegenstand dieser Arbeit, genauer mit der Struktur von Argumentationen bzw. verschiedenen Theorien der Struktur von Argumentationen befasse, möchte ich jedoch noch auf die zu Beginn des Kapitels angesprochene Frage zurückkommen, wem Wahrheitswerte zukommen, ob Sätzen, Behauptungen o.a. S ä t z e n wie (7), ( 8 ) , (17), (18) oder (11) Die FDP ist unter der Fünfprozenthürde geblieben. (19) Es regnet. usw. kann man schwerlich einen Wahrheitswert zuordnen, denn in bestimmten Fällen, 8
Dies wie auch das Folgende t r i f f t natürlich auch für die in Anm.5 genannten verwandten Handlungsmuster wie Beweisen, Rechtfertigen usw. zu.
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bei bestirtinten Äußerungen dieser Sätze werden (7) usw. wahr sein, bei ändern falsch - je nachdem, auf wen mit Cs Bruder usw. referiert wird, wo und wann die jeweilige Äußerung gemacht wird bzw. wurde usw. Wahr oder falsch scheinen demnach nicht die Sätze, sondern die Äußerungen von Sätzen, die Satzverwendungen zu sein. Aber auch diese Bestimmung ist noch unbefriedigend, denn zum einen gibt es viele Sätze, deren Äußerungen nicht wahr oder falsch sein können, wie etwa (2o) oder (21) (20) Kennst du Cs Bruder? (21) Gib mir bitte mal die Butter!, vor allem aber sind auch nicht alle Äußerungen von Sätzen, deren Äußerungen wahr oder falsch sein können, nach Wahrheit oder Falschheit beurteilbar, dann nämlich nicht, wenn z.B. mit der Äußerung eines solchen Satzes, etwa von (22) Das Fenster ist offen., ein Befehl gegeben wird, wenn ein solcher Satz als Beispielsatz geäußert wird, wenn er bei einer Sprechübung, bei einer Mikrophonprobe verwendet wird u.a. Nach Wahrheit und Falschheit sind solche Sätze nur dann beurteilbar, wenn sie behauptet werden bzw. worden sind. Mit ändern Worten: Wahr oder falsch sind weder Sätze noch Äußerungen bzw. Satzverwendungen, wahr oder falsch sind Behauptungen, wobei Behauptung hier nicht Behauptungshandlungen, das Behaupten als Akt meint, sondern das Be9 hauptungsergebnis, das, was behauptet wird, das Behauptete. Das, was jemand behauptet, der eine Behauptung macht, das, was jemand ausdrückt, der einen Satz behauptet, also das, was wahr oder falsch ist bzw. sein kann, nennt man oft - und diesem Sprachgebrauch möchte ich mich anschließen - die Proposition. Propositionen in diesem Sinne sind zwar keine sprachlichen Einheiten, dennoch aber - und das scheint mir das wichtigste Charakteristikun des Gebrauchs von Proposition zu sein, den ich in dieser Arbeit zugrundelegen möchte, und das ihn von vielen ändern Gebräuchen von Proposition unterscheidet - sprachabhängig, d.h. keine Vorstellungen, Ideen o.a., die unab9
Zu dieser Ambiguität von Behauptung vgl. etwa Cartwright 1962:84-86, BarHillel 1969a;197o:196f. - Daß Behauptung im Sinne von 'Behauptungshandlung 1 zusätzlich noch insofern ambig ist, als es sowohl die Handlung des Behauptens als Typ, das Handlungsmuster "Behaupten", als auch konkrete einzelne Handlungen des Behauptens bezeichnen kann, spielt in unserem Zusammenhang keine Rolle; vgl. hierzu Cartwright 1962:84 sowie Tugendhat 1976:278.
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hängig von jeglicher Sprache existieren, sondern Gegenstände, die uns inner nur über Sätze, über Sprache gegeben, die uns imner nur über Sprache zugänglich sind.10 Daß man in manchen Fällen dennoch berechtigterweise von wahren bzw. falschen S ä t z e n sprechen kann, ist darin begründet, daß es Sätze gibt, die nur eine einzige Proposition ausdrücken, Sätze, bei denen das Ergebnis aller mit ihnen vollzogenen Behauptungshandlungen wahr (bzw. falsch) ist, wie etwa bei (23) (24) (25) (26)
Zwei mal zwei ist vier. Zwei mal zwei ist fünf. Eisen ist ein Metall. Die FDP ist bei den Landtagswahlen in Niedersachsen 1978 unter der Fünfprozenthürde geblieben. (27) Es regnet am 12.März 1978 um 16.25 Uhr MEZ im Garten hinter dem Haus Neckarstaden 14 in D-69co Heidelberg (Bundesrepublik Deutschland). usw. Sätze dieser Art nennt man normalerweise "ewige" Sätze. 10
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Der Relativsatz deutet an, daß Gegenstand hier nicht im naiven Sinne zu verstehen ist und daß diese Redeweise keinen Rückfall in den in Kapitel 2 kritisierten gegenstandstheoretischen Ansatz bedeutet; vgl. hierzu Tugendhat 1976:278ff. - Es würde im gegebenen Rahmen aber zu weit führen, den genannten Propositionsbegriff noch näher zu erläutern oder ihn gar mit ändern Propositionsbegriffen zu vergleichen und im einzelnen darzulegen, inwiefern sich die einzelnen Begriffe, die einzelnen Gebrauchsweisen voneinander unterscheiden. Stattdessen möchte ich auf die Arbeiten Cartwright 1962, Prior 1971:3-3o und Tugendhat 1976, bes. 6165, 155-158 und 277-288 verweisen sowie - an Linguistischen Arbeiten auf Heringer 1974a:118-123, Keller 1974:23f. und Strecker 1976:53-99. Allerdings stimmen diese Arbeiten in ihrem Gebrauch von Proposition nicht in allen Punkten überein. Außerdem möchte ich an dieser Stelle erwähnen, daß der Begriff der Proposition nicht nur über das Behaupten, sondern auch über andere sprachliche Handlungen definiert werden kann bzw. müßte.. Da wir es in der vorliegenden Arbeit aber im Grunde nur mit Behauptungen zu tun haben, habe ich mich auf die engere Definition beschränkt. Vgl. hierzu Searle 1969: 29-33 und Tugendhat 1976:497ff. Vgl. Quine 196o:193f., Quine 197o:13f. Der Terminus ewiger Satz ist etwas irreführend, denn - wie Quine 197o:14 ausdrücklich betont -: "When we call a sentence eternal ... we are calling it eternal relative only to a particular language at a particular time." D . h . : Wenn ein Satz ewig wahr genannt wird, heißt das nicht, daß seine Wahrheit unveränderbar sei und für alle Zeiten gelten müsse. Einen instruktiven Überblick über verschiedene Antworten auf die Frage, wem Wahrheitswerte zukommen, bietet die Diskussion in Staal(Hg.) 1969,
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Die erwähnte Akt-Cbjekt-Ambiguität von Behauptung verweist noch auf eine weitere Ambiguität von Argumentation , auf die ich bisher noch nicht eingegangen bin, die bei der Beschäftigung mit Argumentationen aber ebenfalls zu berücksichtigen ist. Denn so wie Behauptung einerseits eine Bezeichnung für Handlungen des Behauptens und andererseits eine Bezeichnung für die Ergebnisse dieser Handlungen, für das jeweils Behauptete, darstellt, kann auch Argumentation sowohl für Argumentationshandlungen als auch für die Ergebnisse dieser Handlungen verwendet werden: Wenn beispielsweise im Zusammenhang mit der Beispielsituation (1) die Rede davon wäre, daß As Argumentation dazu diene, die Wahrheit von (7) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. zu stützen, so wäre mit Argumentation dabei auf eine Handlung von A Bezug genommen; wenn jedoch davon gesprochen würde, ffoft die Argumentation (4) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, denn er ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. gültig sei, oder daß in dieser Argumentation das Argument (8) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. wahr sei, dann ginge es offensichtlich um das Ergebnis der betreffenden Argumentation (shandlung) . Um diesen Unterschieden Rechnung zu tragen, werde ich im folgenden nur bei den jeweiligen Handlungsergebnissen von Behauptungen und Argumentationen sprechen, bei den jeweiligen Handlungen dagegen von Behauptungs- und Argumentationshandlungen bzw. - noch kürzer - von Behaupten und Argumentieren. Nach dieser Terminologie wäre also die A r g u m e n t a t i o n (4) gültig, das Argument (8) in A r g u m e n t a t i o n (4) wahr, und würde As A r g u m e n t a t i o n s h a n d l u n g bzw. As A r g ' u m e n t i e r e n dazu dienen, die Wahrheit von (7) zu stützen.
die auch insofern charakteristisch ist, als sie deutlich die terminologischen Unterschiede zeigt, die noch zusätzliche Probleme mit sich bringen. Denn nicht nur für Proposition, sondern auch für Satz, Behauptung, Äußerung, Statement usw. gibt es unterschiedliche Gebrauchsweisen, die sich teilweise auch überschneiden, so daß z.B. das, was einer Proposition nennt, von einem ändern statement genannt wird, während wieder andere Statement und Behauptung (im Sinne von Behauptungshandlung) synonym verwenden usw. Im gegebenen Zusammenhang sind diese Unterschiede aber nicht weiter von Bedeutung, so daß ich es bei diesen Andeutungen belassen kann.
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3.2
Logische Behandlung von Argumentationen
In der Einleitung habe ich schon erwähnt, daß die Logik weithin als
die
Wissenschaft gilt, die sich mit der Erforschung und Analyse, mit der Beurteilung und Bewertung von Argumentationen beschäftigt, und daß es aus diesem Grund naheliegt, bei der Frage nach der Struktur von Argumentationen und Argumentationshandlungen, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht, mit der logischen Behandlung von Argumentationen zu beginnen. Dabei muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß für Logiker Argumentation und Schluß in der Regel gleichbedeutend sind, d.h., daß sie Argumentation in der weiteren der beiden in 3.1 erläuterten Bedeutungen verstehen. Dies ist darauf zurückzuführen, daß es der Logik einzig und allein auf die Richtigkeit, die Gültigkeit der jeweiligen Übergänge, der jeweiligen Ableitungen von der Wahrheit einer bzw. mehrerer Propositionen auf die einer ändern ankonmt, und die in 3.1 beschriebenen Unterschiede zwischen Argumentieren, Schlußfolgern, Begründen und Erklären für sie keine Rolle spielen, so daß dementsprechend auch keinerlei Anlaß für Logiker besteht, derartige Unterscheidungen vorzunehmen und eine derartige Terminologie einzuführen, wie ich das im letzten Kapitel im Hinblick auf die Untersuchung von sprachlichen Handlungen getan habe. 12 Da all das, was für Argumentationen im weiten Sinne gilt, aber auch für Argumentationen in unserem Sinne Gültigkeit hat, da es sich bei allen Argumentationen im engeren Sinne gleichzeitig auch um Argumentationen im weiteren Sinne, nach unserer Terminologie: auch um Schlüsse handelt, scheint mir die Tatsache, daß Argumentation in der Logik normalerweise anders verwendet und verstanden wird als in der vorliegenden Arbeit, nicht dagegen zu sprechen, auch bei einer Untersuchung, der es nur um Argumentationen bzw. Argumentationshandlungen im engeren Sinne geht, mit der logischen Behandlung von Argumentationen zu beginnen. Ich werde jedoch bei der folgenden Darstellung der logischen Behandlung nicht (nur) von Argumentationen in unserem Sinne sprechen, sondern allgemeiner von Schlüssen, um damit deutlich zu machen, daß die Aussagen der Logik nicht nur für Argumentationen in unserem Sinne, sondern für alle Schlüsse gelten. Unter einem Schluß versteht die Logik ein geordnetes Paar von Sätzen bzw. Propositionen, 12 13
bestehend aus der bzw. den sog. Prämisse(n) einerseits und
Vgl. hierzu auch Strawson 1952:13. In der Logik wird meist nicht zwischen Sätzen, Behauptungen und Propositionen unterschieden und meist von der Wahrheit bzw. Falschheit von Sätzen gesprochen. Für die Logik ist diese Unterscheidung in der Tat auch nicht so wichtig, da es ihr nur auf die Wahrheitswerte ankommt, aber
52
der sog. Konklusion andererseits, das normalerweise in der Form (1), (2), (3) o.a. dargestellt wird: (1) Prämisse(n) Konklusion (2) Prämisse(n) Deshalb: Konklusion (3) Prämisse (n) .*. Konklusion Am Schluß aus der Beispielsituation (1) in Kapitel 3.1 veranschaulicht: (4) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. Die Beziehung zwischen Prämisse(n) und Konklusion ist dabei derart bestimmt, daß ein Schluß gültig ist, wenn die Prämisse(n) die Konklusion logisch impliziert/implizieren, wenn - um einen ändern Terminus zu verwenden - die Konklusion logisch aus der bzw. den Prämisse(n) folgt. Wenn die Konklusion dagegen nicht logisch aus den Prämissen folgt, ist der betreffende Schluß ungültig, d.h. kann nicht von den Prämissen auf die Konklusion geschlossen werden. Daß ein Schluß gültig ist, heißt aber nicht, daß man in jedem Fall von den jeweiligen Prämissen auf die Wahrheit der Konklusion schließen kann, sondern nur, daß man dann, wenn die Prämissen wahr sind, auf die Wahrheit der Konklusion schließen darf. Damit man in einem Fall wie (4) beispielsweise von der Prämisse auf die Konklusion schließen darf, ist es zum einen notwendig, daß (4) gültig ist, zum ändern, daß die Prämisse wahr ist.
14 15 16
nicht - zumindest nicht primär - darauf, wem Wahrheitswerte zukommen. Da für unsere Ziele die erwähnten, in 3.l erläuterten Unterscheidungen aber von großer Bedeutung sind, werde ich bei meiner Darstellung der logischen Behandlung von Schlüssen diese Unterscheidungen berücksichtigen. Der Darstellungsform ( 1 ) werde ich mich auch im folgenden immer bedienen. Der Einfachheit halber spreche ich jetzt nur noch von Prämissen, nicht mehr von der bzw. den P r ä m i s s e ( n ) . Dies zu betonen, ist besonders deshalb wichtig, weil man oft sagt, daß dann, wenn ein Schluß gültig ist, das Schließen von den Prämissen auf die Konklusion gerechtfertigt ist, und dabei teilweise übersehen wird, daß das Schließen nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Prämissen wahr sind. Vgl. hierzu auch schon Prege 1923-26;1966:85f.
53
aus Vom Bestehen einer logischen Folgebeziehung, davon, daß ein Satz 17 18 einem Satz S. logisch folgt bzw. S S logisch impliziert, spricht man dann, wenn die aus S. und S gebildete Konditionalverknüpfung S. => S , also l
fc
mit S als Vorder- und S
«
als Hinterglied, logisch wahr
ist die Konditionalverknüpfung S1 ^ S
ist.
l
A
19 W a h r
genauer: eine mit dieser Konditio-
naiverknüpf ung gemachte Behauptung, nach der logischen Definition von => dann, wenn die mit S. und S_ gemachten Behauptungen beide wahr oder beide falsch sind, oder wenn die mit S- gemachte Behauptung falsch und die mit S gemachte Behauptung wahr ist; nur wenn die mit S gemachte Behauptung wahr und die 2 mit S0 gemachte Behauptung falsch ist, ist die betreffende Behauptung
S, J S„ falsch. Mit Kilfe einer Wahrheitstafel dargestellt:
—l
(5)
L o g i s c h
S
1
S
2
W
W
V^2 W
W
F
F
F
W
W
F
F
W
wahr ist eine Konditionalverknüpfung - wie überhaupt jeder
Satz bzw. jede Behauptung - dann, wenn sie bzw. die mit ihr gemachte Behauptung nicht nur wahr ist,
sondern auch bei jeder beliebigen Einsetzung - die
logischen Konstanten, in unserem Fall also
^ ausgenamen - wahr bleibt,
oder anders ausgedrückt: wenn das der jeweiligen Konditionalverknüpfung bzw. allgemein dem jeweiligen Satz zugrundeliegende logische Schema, also das
17
18
19 2o
Wie wir gleich sehen werden, ist es im Zusammenhang mit der logischen Folgebeziehung nicht notwendig, zwischen Propositionen, Behauptungen und Sätzen zu unterscheiden. Denn logische Folgebeziehungen gelten nicht nur für bestimmte Propositionen, sondern für alle Propositionen, die durch einen Satz ausdrückbar sind. Weitere synonyme Ausdrücke für S folgt logisch aus S und S impliziert S logisch sind: S impliziert S , S L-impliziert S , S entails S , zwischen S. und S besteht die Beziehung der (logiscnen) Implikation, S ist eine" logische Konsequenz aus S , um nur einige der gebräuchlichsten zu nennen. So beispielsweise die Definition bei Quine: Quine 194o;1962:28, Quine 195o;1962:33f. Ich werde im folgenden öfter wie hier von einer Behauptung bzw. Proposition S sprechen, wenn ich eine mit S gemachte Behauptung, die bei der entsprechenden Behauptungshandlung mit S ausgedrückte Proposition meine, denn die ausführlichere Redeweise scheint mir für den Leser auf die Dauer zu ermüdend zu sein. Die Gefahr, daß die verkürzte Ausdrucksweise zu Mißverständnissen führen könnte, halte ich nicht für sehr groß.
54
Schema, als dessen Interpretation der betreffende Satz aufgefaßt werden kann, logisch wahr ist, d.h., wenn keine Interpretation dieses Schemas zu einem falschen Satz bzw. zu einer falschen Behauptung führt. 21 Ob ein Schema logisch wahr ist oder nicht, läßt sich am einfachsten mit Hilfe der Wahrheitstafelmethode bestirnten: Wenn ich beispielsweise feststellen will, ob das Schema (6) (p 3 q)p =3 q
logisch wahr ist, kann ich in einer Wahrheitstafel alle möglichen Wahrheitswsrtkatibinationen für £ und 3 darstellen 22 und aufgrund der in der Logik geltenden Wahrheitsbedingungen - in unserem Fall von Konjunktion und Konditional - die Wahrheitswerte von (6) bei allen möglichen Einsetzungen, genauer: die Wahrheitswsrte aller möglichen Einsetzungen für (6) berechnen. Wenn das betreffende Schema bei allen möglichen Wahrheitswertkombinationen, d.h. bei allen Einsetzungen, wahr ist, die Spalte unter dem Hauptjunktor also nur Ws aufweist - wie das bei (6) auch der Fall ist -, ist bewiesen, daß das Schema logisch wahr ist: (7)
21
22
23
(p
=>
q)
W
W
W
W
F
F
F
W W F
F
W W
F
W F
F
F
W F
1
2
3
1
4
1
p
r>
q
W
W
W
W
F
W W F
1
Vgl. etwa Quine 194o;1962:28. - Schemata nennt man die Ausdrücke, die wie etwa die Beispiele (6) und (8) - Variablen enthalten, also selbst keine Sätze sind, aber zu Sätzen werden, wenn für die Variablen Konstanten, d.h. bestimmte Sätze bzw. Propositionen eingesetzt werden. Diese Einsetzung von Konstanten in Schemata nennt man - und damit ist auch der zweite oben verwendete Terminus erklärt - Interpretation. Vgl. hierzu Quine 195o;1962:22f., wo der Begriff der Interpretation eines Schemas auch noch genauer erläutert wird. Da es in der Logik nur um Wahrheitsfunktionen und Wahrheitswerte geht, und jeder Satz bzw. jede Proposition in der zweiwertigen Logik entweder wahr oder falsch ist, ist es nicht nötig, alle Sätze bzw. Propositionen, die für p_ und Q eingesetzt werden können, zu berücksichtigen, sondern genügt es, sich auf die Wahrheitswerte zu beschränken: vgl. Quine 195o; 1962:22f. Vgl. zu dieser Methode etwa Angell 1964:188f. sowie Hughes/Cresswell 1968:llf. - Ein weiteres Verfahren, die logische Wahrheit von Sätzen bzw. Schemata zu testen, ist die Reduktionsmethode: Vgl. Hughes/Cresswell 1968:12-14, Quine 195o;1962:22-27,34.
55
Wenn die Spalte unter dem Hauptjunktor dagegen nicht nur Ws aufweist, wie dies etwa bei dem Schema (8) (p => q)q o p
der Fall ist, (9)
ist das betreffende Schema nicht logisch wahr: (p
=> q)
q
z) p
W W W W W W W W F
F
F
F W W
F
W W W W F
F
W F
F
F
1
2
3
1 .4
1
F
W F 1
Wenn ich nun also - um die bisherigen Ausführungen mit Hilfe eines Beispiels zu veranschaulichen und zu verdeutlichen - feststellen will, ob ein bestürmter Satz, z.B. (10) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker, und er ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. den Satz (11) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. logisch impliziert, d.h., ob (11) aus (1o) logisch folgt, muß ich zunächst die entsprechende Konditionalverknüpfung mit (1o) als Vorder- und (11) als Hinterglied bilden, also: (12) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker, und er ist Mitglied der Berliner Philharmoniker z> Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. Dann muß ich das (12) zugrundeliegende Schema ermitteln, d.h. das Schema, dessen Interpretation (12) darstellt - aufgrund der in der Logik üblichen Übersetzung von wenn-dann durch = ist (6) das (12) zugrundeliegende Schema -, und - mit Hilfe der Wahrheitstafel- oder der Reduktionsmethode - überprüfen, ob dieses Schema logisch wahr ist. Wie ich schon gezeigt habe, ist (6) logisch wahr, d.h.: impliziert (1o) (11) logisch, folgt (11) logisch aus (1o). Primär besteht die logische Folgebeziehung also zwischen Schemata, in unserem Fall zwischen
56
(13) (p => q)p und p_, und zwischen Sätzen, wie zwischen (1o) und (11), nur abgeleitet, und zwar insofern, als sie Interpretationen von Schemata sind, zwischen denen 24 eine logische Folgebeziehung besteht. Der Begriff der logischen Folgebeziehung wird aber nicht inner über die logische Wahrheit von Kbnditionalverknüpfungen definiert. Nach ändern Definitionen spricht man dann davon, daß S„ logisch aus S folgt, wenn - um einige Beispiele zu nennen -
es inkonsistent wäre, S1 zu behaupten und S„ zu bestreiten,
-
wenn es zu einer inkonsistenten bzw. zu einer logisch falschen Behauptung führen würde, wenn man S., behaupten und S_ bestreiten würde,
-
wenn es logisch unmöglich ist, S zu behaupten und S zu bestreiten,
-
wenn es logisch notwendig ist, daß eine mit S_ gemachte Behauptung wahr ist, wenn die entsprechende mit S gemachte Behauptung wahr ist,
-
wenn dann, wenn eine mit S., gemachte Behauptung wahr ist, (aus logischen Gründen) iitmer auch die entsprechende mit S gemachte Behauptung wahr
ist, usw. Bei all diesen Definitionen handelt es sich letztlich aber nur um Varianten in der Formulierung, nicht um Definitionen anderer Begriffe der logischen Folgebeziehung. Denn alle hier aufgeführten Definitionen besagen - teils explizit, teils ijiplizit -, daß S_ dann aus S. folgt, wenn S^.-S 2 logisch falsch (inkonsistent) ist, d.h., wenn es keine Interpretation des S^.-S., zugrundeliegenden Schemas gibt, die zu einem wahren Satz bzw. zu einer wahren 25 Behauptung führt. Und da zum einen die Negation logisch wahrer Sätze bzw. Schemata logisch falsche Sätze bzw. Schemata ergibt und umgekehrt, z\m ändern
(14) p = q und
(15) -(p q) logisch äquivalent sind, d.h., irnner dann, wenn (14) bzw. eine Interpreta24
25
Vgl. hierzu auch Quine 195o;1962:37: "Implication may be made to relate statements as well as schemata. When one schema implies another, and a pair of statements are obtained from the schemata by interpretation, we may say by extension that the one statement implies the other." Imply ist hier gleichbedeutend mit logisch implizieren verwendet, zum Gebrauch von Statement vgl. Anm.13. · Der Punkt ist das Zeichen für die Konjunktion, das -_ das Zeichen für die Negation.
57
tion von (14) wahr ist, auch (15) bzw. die entsprechende Interpretation von (15) wahr ist und umgekehrt, bedeutet die Definition, daß S dann aus S logisch folgt, wenn S-| .-S^ logisch falsch ist, nichts anderes als die zuerst vorgestellte Definition, daß S dann aus S logisch folgt, wenn S., r> S„ lo2
l
—l ·
2
gisch wahr ist: Wenn
(16) S .-S2 logisch falsch ist, ist gleichzeitig (17) -(S r -S 2 ), also die Negation von (16) , logisch wahr, und aufgrund der Äquivalenz von (14) und (15) heißt das, daß auch
(18) S1 = S2 96 logisch wahr ist. Daß es dennoch verschiedene Auffassungen der logischen Folgebeziehung gibt, liegt nicht an der unterschiedlichen Form der verschiedenen Definitionen, an unterschiedlichen Formulierungen, sondern daran, daß logisch wahr unterschiedlich verwendet und verstanden wird. Denn außer der bisher erläuterten Verwendungsweise, in der logisch wahr soviel bedeutet wie formallogisch wahr, wahr nur aufgrund der logischen Form, gibt es noch eine zweite Verwendungsweise, in der logisch wahr gleichbedeutend ist mit analytisch, das normalerweise so verwendet wird - wenn man bei der Vielzahl von Definitionen von analytisch überhaupt von einer normalen Verwendungsweise sprechen kann -, daß man all die Sätze bzw. Behauptungen analytisch nennt, die allein aufgrund ihrer Form bzw. aufgrund der Bedeutung der in ihnen vorkommenden Wörter wahr sind, unabhängig von empirischen Überlegungen und Beobachtungen, wie z.B. (19) Kein Junggeselle ist verheiratet. (20) Kreise sind rund. (21) Pferde sind Tiere. Nach diesem Verständnis von logisch wahr ist die Bedingung dafür, daß ein Satz S_ aus einem Satz S. logisch folgt, also nicht so zu verstehen, daß 26
27
Ich möchte darauf verzichten, auf die unterschiedlichen Definitionen der logischen Folgebeziehung, auf ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten, auf ihre jeweiligen Vor- und Nachteile usw. näher einzugehen, da dies zum einen den gegebenen Rahmen sprengen würde, zum ändern für die Ziele der vorliegenden Arbeit auch nicht notwendig ist. Als ein Beispiel für viele sei Strawson 1952:21 genannt.
58
S _o_S formallogisch wahr sein muß, d.h., daß das S r> S zugrundeliegende Schema logisch wahr sein muß, sondern daß S._^S , - | . . . 2 analytisch, d.h. wahr aufgrund der Form oder der in S und S vorkcmnenden Wörter sein muß. Zwischen all den Sätzen bzw. Schemata, zwischen denen nach der ersten Definition eine logische Folgebeziehung besteht, besteht auch nach der zweiten Definition eine logische Folgebeziehung, da alle Sätze, die logisch wahr sind in der ersten Bedeutung von logisch wahr, auch in der zweiten Bedeutung logisch wahr, d.h. analytisch sind, also auch alle Konditionalverknüpfungen, die logisch wahr sind - ich werde logisch wahr künftig nur noch im Sinne von 1
formallogisch wahr1 verwenden -, auch analytisch sind. Unterschiede treten
jedoch bei Fällen wie den folgenden auf: (22) Bnil ist nicht verheiratet folgt logisch aus Bnil ist Junggeselle. (23) Fritz ist unter dreißig Jahre alt folgt logisch aus Fritz ist neunundzwanzig Jahre alt. (24) Dieser Zettel ist nicht blau folgt logisch aus Dieser Zettel ist
rot. Nach der ersten Definition der logischen Folgebeziehung sind (22)-(24) offensichtlich falsch, denn die aus den beiden Sätzen in (22)-(24) jeweils gebildeten Konditionalverknüpfungen, also (25) Bnil· ist Junggeselle ^ Emil ist nicht verheiratet. (26) Fritz ist neunundzwanzig Jahre alt o Fritz ist unter dreißig Jahre alt. (27) Dieser Zettel ist rot D Dieser Zettel ist nicht blau., sind keine logisch wahren Konditionalverknüpfungen: Das den Sätzen (25)-(27) zugrundeliegende Schema p o g ist - dies zeigt schon die Wahrheitstafel (5)nicht logisch wahr. Nach der zweiten Definition dagegen sind (22)-(24) wahr, da alle mit (25)-(27) gemachten Behauptungen wahr sind unabhängig von der empirischen Überprüfung ihrer Wahrheit, nur aufgrund ihrer Bedeutung, (25)(27) also analytisch sind: Aufgrund der Bedeutungen von Junggeselle und verheiratet ist nämlich die einzige Möglichkeit, bei der eine mit (25) gemachte Behauptung falsch sein könnte, der Fall, daß die Behauptung (28) Bnil ist Junggeselle, wahr, und die entsprechende Behauptung (29) Bnil ist nicht verheiratet.
59
falsch ist,
ausgeschlossen; gleiches gilt analog für (26) und (27) - hier
aufgrund der Bedeutungen von dreißig und neunundzwanzig bzw. von blau und
rot. Aufgrund der Problematik des Begriffs der Analytizität - nicht zuletzt im Hinblick auf die Grenze bzw. Nichtgrenze zwischen analytischen und nichtanalytischen, den sog. synthetischen Sätzen - scheint es mir sinnvoller, den Begriff der logischen Folgebeziehung enger zu fassen und nur dann davon zu sprechen, daß S_ logisch aus S. folgt, wenn S. r > S _ logisch wahr ist. i
\
—
i.
Es
würde in unserem Rahmen jedoch zu weit führen, dies näher zu begründen, und ebensowenig ist es hier möglich, genauer auf die angesprochene Problematik, auf die verschiedenartigen Probleme im Zusammenhang mit dem Begriff bzw. den 28 - z.T. recht unterschiedlichen - Begriffen der Analytizität einzugehen. Denn in erster Linie kam es mir mit den vorangehenden Bemerkungen darauf an zu zeigen, daß es unterschiedliche Auffassungen des Begriffs der logischen Folgebeziehung gibt, und daß es wichtig ist,
diese Unterschiede bei der Be-
schäftigung mit Schlüssen und logischen Folgebeziehungen zu berücksichtigen.29 Der Schluß in Beispielsituation (1) in Kapitel 3.1, an der ich im vorliegenden wie auch in den folgenden Kapiteln jeweils die verschiedenen Ansätze zur Behandlung von Argumentationen bzw. Schlüssen, die verschiedenen Theorien der Struktur von Argumentationen exemplifizieren möchte, ist - dies habe ich eingangs schon erwähnt - als (4) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, darzustellen, also als Schluß mit (3o) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, als Prämisse und (11) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, als Konklusion. Gültig ist dieser Schluß nach den hier skizzierten Maßstäben
28 29
Als vielleicht bekanntestes Beispiel sei nur die Kritik von Quine und White am Konzept der Analytizität genannt: Vgl. Quine 1951, White 195o. Ausführlicher zum Verhältnis der beiden Definitionen der logischen Folgebeziehung mit Hilfe der logischen Wahrheit bzw. der Analytizität vgl. Quine 1953;1966:138-14o.
6 der Logik
3
dann, wenn (11) aus (3o) logisch folgt, d.h., wenn die aus (3o)
und (11) gebildete Konditionalverknüpfung (31) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker r> Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. logisch wahr ist. Wie die Wahrheitstafel (5) zeigt, ist p p g als das (31) zugrundeliegende Schema aber nicht logisch wahr, d.h. ist
(32) p
kein gültiges Schlußmuster, (4) also kein gültiger Schluß. Mit ändern Worten: Nach den Kriterien der Logik kann man nicht von der Wahrheit einer Behauptung (3o) auf die Wahrheit der entsprechenden Behauptung (11) schließen. Dies gilt selbst dann, wenn man als Bedingung für das Bestehen einer logischen Folgebeziehung anniumt, daß die entsprechende Konditionalverknüpfung analytisch sein muß, denn (31) ist nicht nur nicht logisch wahr, sondern auch nicht analytisch. Ebensowenig wie der Schluß aus der Beispielsituation (1) aus Kapitel 3.1 sind auch die Schlüsse der Beispielsituationen (2) und (3) aus 3.1 gültige Schlüsse nach den Maßstäben der Logik, denn sowohl (33) als auch (34) haben die gleiche Form wie (4): (33) Die FDP ist unter der Fünfprozenthürde geblieben.
Die FDP ist nicht mehr im Landtag vertreten. (34) Der Lehrer hat das rote Lackmuspapier in eine basische Flüssigkeit getaucht. Das rote Lackmuspapier hat sich blau verfärbt. Und da die meisten Schlüsse von dieser Art sind, d.h. Interpretationen von (35) q, denn p. (36) p, also q.
30
31
Ausführlichere Darstellungen finden sich in jedem Einführungsbuch in die Logik, so etwa - um nur einige Beispiele zu nennen - bei Black 1946; 1952, Carnap 1954; 1968, KLeene 1967, Quine 194o,-1962, Quine 195o;1962, Strawson 1952. Auf den durch "d.h." ausgedrückten Zusammenhang, d . h . auf das Verhältnis von logisch wahren Schemata und gültigen Schlußmustern, sowie wie auf die hier verwendete Terminologie werde ich gleich noch etwas ausführlicher zu sprechen kommen.
61
(37) q, da p. (38) Weil p, q. usw.,
würde dies nichts anderes bedeuten, als daß es sich bei der überwiegenden Mehrzahl der Schlüsse nach den Maßstäben der Logik um ungültige Schlüsse handeln würde, und zwar auch dann, wenn es - wie bei unseren Beispielen ja auch - Schlüsse sind, die man normalerweise als plausibel, als akzeptabel, als legitim, korrekt usw. bezeichnen würde. Viele Logiker fassen deshalb solche Schlüsse als verkürzte Versionen (gültiger) Schlüsse der Form (39) bzw. (4o)
Ga
auf, die sich von "vollständigen" Schlüssen der Form (39) und (4o) nur dadurch unterscheiden, daß eine Prämisse nicht explizit ausgedrückt ist, weil - um nur einige der am häufigsten genannten Gründe zu erwähnen - sie offensichtlich wahr ist, 32 weil ihre Wahrheit zun allgemeinen Wissen gehört, allen bzw. den meisten bekannt ist bzw. von ihnen akzeptiert wird, weil der Sprecher als sicher annehmen kann, daß seine Hearer die Prämisse als wahr akzeptieren 34 bzw. automatisch mitverstehen, 35 weil sie gerade Gesprächsgegenstand ist bzw. war, aber auch in persuasiver Absicht, z.B. um die Aufmerksamkeit von einer Prämisse wegzulenken, deren Wahrheit bezweifelt werden könnte: "In daily life and public affairs, it is conmon for arguments to be given in which the intended premises (or assumption formulas A..,..., A ) are not all of them explicitly stated. It would be beside the point to chide a speaker by saying that his argument is not valid because not A ,..., A ^ B where A..,..., A express the premises he stated, when it would be fair to 32 Vgl. Carney/Scheer 1964:27o, Copi 1954;1967:155. 33 Vgl. Copi 1954;1967:155, Kleene 1967:68, Quine 195o ; 1962:186. 34 35
Vgl. Copi 1953;1968:194. Vgl. Angell 1964:383.
36 37
Vgl. Carney/Scheer 1964:27o, Kleene 1967:68. Vgl. Angell 1964:384, Kleene 1967:68.
62
assume that he intended further premises Ap+1.,,..., Am to be understood." 38 3g "Unvollständige" Schlüsse dieser Art nennt man normalerweise Enthymeme. Wenn eine der erwähnten Bedingungen (oder eine ähnliche) als erfüllt angesehen werden kann, wäre der Schluß in der Beispielsituation (1) aus Kapitel 3.1 nach dieser Auffassung also darzustellen als (41) oder (42) bzw. (43), wobei es sich bei (42) und (43) nur um Fonnulierungsvarianten handelt - und analog wären, wenn auch mit gewissen Modifikationen, die Schlüsse in den Beispielsituationen (2) und (3) aus 3.1. zu behandeln: (41) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. (42) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. (43) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. Diese Schlüsse sind im Gegensatz zu (4) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, gültig, denn die Schemata (6) und (44) (6) (p => q)p => q 38 39
Kleene 1967:67.£ ist Kleenes Zeichen für 'impliziert logisch 1 . Enthymeme nennt man aber nicht nur die Schlüsse, bei denen die erste Prämisse, die sog. Oberprämisse, nicht ausgedrückt ist bzw. als nicht ausgedrückt angesehen wird, sondern auch Schlüsse, bei denen die zweite, die sog. Unterprämisse, oder die Konklusion fehlt. Man spricht deshalb auch von Enthymemen erster, zweiter und dritter Ordnung, je nachdem, ob die Oberprämisse, die Unterprämisse oder die Konklusion weggelassen wurde: vgl. hierzu etwa Copi 1953;1968:l94f. Für ausführlichere Behandlungen von Enthymemen sei verwiesen auf Angell 1964:383-393, Carney/Scheer 1964:27of., Copi 1953;1968:193-195, Copi 1954;1967:154-157, Kleene 1967:67-73, Quine 195o;1962:185-189.
63 (44)
( ) (Fx o Gx)Fa z> Ga
die den aus den Prämissen und der Konklusion der jeweiligen Schlüsse gebildeten Konditionalverknüpfungen zugrundeliegen
4o
- (6) bei ( 4 1 ) , (44) bei
(42) und (43) - sind im Unterschied zu (14) und (45)
(14) p =3 q (45) Fa z> Ga als den (4) zugrundeliegenden Schemata logisch wahr,
41
oder anders ausge-
drückt: die Schlußmuster (39) und (4o), deren Interpretationen (41)-(43) sind, sind gültige Schlußmuster, d.h., die Regel, daß man von der Wahrheit eines Satzes bzw. einer Behauptung der Form (13) bzw. (46)
(13) (p a q)p (46)
(x)(Fx ^ Gx)Fa
auf die Wahrheit der entsprechenden Behauptung der Form £ bzw. to schließen kann, ist eine gültige Schlußregel - als sog.
Abtrennungsregel oder Regel
des modus ponens übrigens die wichtigste logische Schlußregel. 40
41
42
42
Nachdem ich mich bisher auf die Aussagenlogik beschränkt habe, möchte ich nun auch die Prädikatenlogik einbeziehen, für die die bisherigen Ausführungen analog gelten. Für (6) habe ich dies schon auf S.54 gezeigt; auf den Beweis, daß auch das entsprechende prädikatenlogische Schema ( 4 4 ) logisch wahr ist, kann ich hier verzichten, da er in Einführungsbüchern in die Logik leicht nachgelesen werden kann. Normalerweise wird die Gültigkeit prädikatenlogischer Schlüsse dadurch ermittelt, daß man die Konjunktion aus den Prämissen und der Negation der Konklusion bildet - in unserem Fall wäre dies ( x ) ( F x => Gx).Fa.-Ga und p r ü f t , ob diese Konjunktion logisch falsch ist; wenn sie logisch falsch ist, dann ist der entsprechende Schluß gültig. Da - wie ich auf S.56f. schon erwähnt habe - die logische Falschheit von pq aber gleichbedeutend ist mit der logischen Wahrheit von p o q, habe ich der Einfachheit und Einheitlichkeit wegen die Gültigkeit prädikatenlogischer Schlüsse der Form (4o) wie die aussagenlogischer Schlüsse an der logischen Wahrheit der Konditionalverknüpfung aus Prämissen und Konklusion festgemacht. Vgl. hierzu etwa Quine 195o,· 1962 : l o o f . , 113f. Analog zur Unterscheidung von Satz und Schema unterscheide ich - einer üblichen Praxis folgend - auch zwischen Schluß und Schlußmuster: Schlüsse - wie z.B. ( 4 1 ) - ( 4 3 ) - enthalten keine Variablen, sondern nur Konstanten, während Schlußmuster - wie etwa (39) und (4o) - Variablen enthalten. Im Unterschied zu ( 4 1 ) - ( 4 3 ) beispielsweise sind (39) und (4O) nicht das Ergebnis eines Schließens von den Prämissen auf die Konklusion, denn dazu wäre eine notwendige Voraussetzung, daß die Prämissen in (39) und (4o) wahr sein könnten - als Schemata können sie aber weder wahr noch falsch sein. Stattdessen haben Schlußmuster den Charakter von Schlußregeln, d.h. von Regeln, die besagen, daß es zulässig ist, von der Wahrheit bestimmter Prämissen auf die Wahrheit bestimmter Konklusionen zu schließen - die den Schlußmustern (39) und (4o) entsprechenden habe
64
Wenn wir diese Analyse der Argumentation in unserer Beispielsituation auf die Argumentationshandlung übertragen, deren Ergebnis diese Argumentation ist, so würde nach dieser Auffassung derjenige, der argumentiert, also A, (3o) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, und (implizit) (47) bzw. (48) bzw. (49) 4 3 (47) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. (48) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. (49) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. behaupten, um die Wahrheit der entsprechenden Behauptung (11) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. zu stützen, d.h., es würde nach dieser Auffassung bei dieser Argumentationshandlung von (3o) und (47) - bzw. (48) bzw. (49) -, von der Konjunktion von (3o) und (47), auf (11) geschlossen, und zwar aufgrund der Schlußregel des 44 modus ponens, aufgrund der logischen Wahrheit von (12) bzw. (6):
43 44
ich oben formuliert. Jedem gültigen Schlußmuster und jeder gültigen Schlußregel entspricht darauf soll das "anders ausgedrückt" verweisen - eine logisch wahre Konditionalverknüpfung mit den Prämissen als Vorder- und der Konklusion als Hinterglied. Auf dieser Entsprechung baut die moderne Logik auf, die die gültigen Schlüsse in der Regel nicht durch die Aufstellung gültiger Schlußmuster bzw. die Formulierung gültiger Schlußregeln erfaßt und systematisiert, sondern die den gültigen Schlußmustern und Schlußregeln entsprechenden logischen Wahrheiten systematisiert; deshalb habe ich im vorliegenden Kapitel die Gültigkeit von Schlüssen auch über die logische Wahrheit der entsprechenden Konditionalverknüpfungen definiert. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf Gründe dafür einzugehen; entscheidend für unseren Zusammenhang ist, daß ein Unterschied zwischen logischen Wahrheiten und Schlußmustern bzw. -regeln besteht, welcher Art dieser Unterschied ist, und in welchem Verhältnis beide zueinander stehen. Auf die Bedeutung dieses Unterschieds, der lange Zeit nicht (mehr) gesehen wurde, hat als erster wieder Lukasiewicz hingewiesen, der gezeigt hat, daß hierin auch ein entscheidender Unterschied zwischen der aristotelischen Logik einerseits und der stoischen und der scholastischen Logik als Regellogiken andererseits liegt. Vgl. Lukasiewicz 1929; 1963:9-13, Lukasiewicz 1935:113-115. Je nachdem, ob die Argumentation als Kurzversion von ( 4 1 ) oder ( 4 2 ) bzw. (43) aufgefaßt wird. Analog gilt dies natürlich auch für die ändern Rekonstruktionsmöglichkeiten dieser Argumentation bzw. Argumentationshandlung.
65
(12) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker, und er ist Mitglied der Berliner Philharmoniker r> Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musi-
ker. (6) (p r> q)p r> q
Häufig wird die Schlußregel des modus ponens auch so verstanden, als besage sie, daß dann, wenn ein Satz S» aus einem Satz S- folgt und S. bzw. eine mit S1 gemachte Behauptung wahr ist, auch die entsprechende Behauptung S« wahr ist, d.h., daß man dann auf die Wahrheit der Behauptung S2 schließen kann. Dementsprechend werden Schlüsse der Form (39) und (4o) oft so interpretiert, als werde bei den entsprechenden Handlungen von der (Wahrheit der) Unterprämisse auf die (Wahrheit der) Konklusion geschlossen
a u f g r u n d
der (Wahrheit der) Oberprämisse, d.h., als stelle die Oberprämisse das jeweilige Schlußprinzip dar, als drücke sie das Schlußprinzip aus - insofern als angenommen wird, daß ihre Wahrheit bedeutet, daß die Konklusion aus der Unterprämisse folgt -, als komme der Oberprämisse eine Rechtfertigungsfunktion für das Schließen von der Unterprämisse auf die Konklusion zu. Nach dieser Interpretation wäre die Rekonstruktion der Argumentation bei unserem Beispiel als ( 4 1 ) - analoges gilt auch hier für (42) und (43) - also nicht so zu verstehen, daß A bei der entsprechenden Argumentationshandlung von (47) und (3o) auf (11) schließt, sondern so, daß er von (3o) auf (11) schließt aufgrund von (47). Wer Schlüsse der Form (39) und (4o) bzw. die entsprechenden Schlußhandlungen, wer die Schlußregel des modus ponens so (miß)versteht, geht jedoch zum einen - bei Schlüssen der Form (39) - von der falschen Voraussetzung aus, daß Konditionalverknüpfungen Folgebeziehungen ausdrücken, und verkennt zum ändern, daß es sich bei der modus-ponens-Regel um eine logische Schlußregel handelt, daß Schlüsse der Form (39) und (4o) Interpretationen logisch gültiger Schlußmuster sind. Da dieses Mißverständnis aber ziemlich weit verbreitet ist, und es zudem - dies habe ich schon in der Einleitung angedeutet - im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit eine wichtige Itolle spielt, möchte ich im nächsten Kapitel etwas genauer auf dieses Mißverständnis und einige seiner Gründe eingehen.
66
3.3
Das Mißverständnis des modus ponens
Die Annahme, Konditionalverknüpfungen seien Sätze über Folgebeziehungen, und das Verkennen des (formal)logischen Charakters des raodus ponens habe ich am Ende des letzten Kapitels als die beiden wohl wichtigsten Gründe für das erwähnte Mißverständnis des modus ponens genannt; dies soll im vorliegenden Kapitel etojas näher ausgeführt und begründet werden. Beginnen werde ich dabei mit der Annahme, Konditionalverknüpfungen seien Sätze über Folgebeziehungen, einer Annahme, die mindestens ebenso weit verbreitet ist wie das Mißverständnis des modus ponens. Daß Konditionalverknüpfungen keine
l o g i s c h e n
Folgebeziehungen
ausdrücken, daß p => q und aus £ folgt c[ logisch nicht die gleiche Bedeutung haben, da p ~=> g nicht logisch wahr ist, hat schon Kapitel 3.2 gezeigt. Dennoch wurden und werden Konditionalverknüpfungen immer wieder als Sätze über logische Folgebeziehungen mißdeutet, und wurde und wird £> als das Zeichen für die logische Folgebeziehung, als bedeutungsgleich mit impliziert logisch, also als Konverse von folgt logisch aus verstanden. E i n wichtiger Grund dafür liegt sicherlich darin, daß - entsprechend der in 3.2 angesprochenen Praxis der modernen Logik, die den gültigen Schlußmustern entsprechenden logischen Wahrheiten zu erfassen und zu systematisieren - das Bestehen logischer Folgebeziehungen oft mit Hilfe (logisch wahrer) Konditionalverknüpfungen wie etwa (1) und (2) (1) (p r> q)p => q (2) (p 3 q) 3 (q 3 p)
ausgedrückt wird, d.h., Konditionalverknüpfungen wie (1) und (2) im Sinne von (3) und (4) (3) Aus (p o q)p folgt logisch 3 (4) Aus p J q folgt logisch q r> p verstanden werden können. Daß ^ in (1) und (2) als impliziert logisch gelesen und verstanden werden kann, ist jedoch - und dies übersehen diejenigen, die daraus schließen, ^ und impliziert logisch seien synonym - darauf zurückzuführen, daß dann, wenn eine Konditionalverknüpfung logisch wahr ist, gilt, daß das Hinterglied der Konditionalverknüpfung aus dem Vorderglied logisch folgt, und (1) und (2) logisch wahr sind. Mit ändern Worten: Das Konditionalzeichen 3 ist nur dann mit impliziert logisch übersetzbar, wenn es der Hauptjunktor einer logisch wahren Konditionalverknüpfung ist, d.h., wenn es der Hauptjunktor einer Konditionalverknüpfung ist, die als Kurzform von
67
(5) p => g ist logisch wahr. verstanden wird und verstanden werden kann, wie bei (1) und (2) beispielsweise von (6) und (7):
(6) (p ^ g)p => g ist logisch wahr. (7)
(p r> g) ^ (g
) ist
logisch wahr.
Die ändern Konditionalzeichen in (1) und (2) dürfen deshalb nicht als irnpli< 5 ziert logisch gelesen werden, da weder p => g noch g r> p logisch wahr sind. Daß p auch dann, wenn es Hauptjunktor einer logisch wahren Konditionalverknüpfung ist,
also als Impliziert logisch übersetzbar ist,
nicht schon an
1
sich 'impliziert logisch bedeutet, zeigt sich auch daran, daß (6) beispielsweise dann, wenn ^ schon 'impliziert logisch1 bedeuten würde, nicht besagen würde, daß die Konditionalverknüpfung (1) logisch wahr ist, logisch wahr ist, wahr ist,
sondern daß es
daß cj aus (p => g)p logisch folgt, also, daß es logisch
Haft (p n g)p z> g logisch wahr ist.
Zusätzlich begünstigt wird die Interpretation des Konditionalzeichens o als Zeichen für die logische Folgebeziehung, von Konditionalverknüpfungen als Sätzen über logische Folgebeziehungen noch dadurch, daß Konditionalverknüpfungen oft auch - und dieser Terminus ist sogar der gebräuchlichere als materiale Implikationen bezeichnet werden, daß Sätze wie (8) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker rj Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. 47 oft als (9) bzw. (1o) wiedergegeben werden (9) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philhantoniker impliziert material Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. (1o) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker impliziert material Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker.,
45 46
47
Vgl. Strawson 1952:93f., 217-223. Vgl. Strawson 1952:35. - Es kommt hinzu, daß o und impliziert logisch schon deshalb nicht bedeutungsgleich sein könnten, weil impliziert logisch im Gegensatz zu ^ kein Junktor ist, der auf derselben Sprachstufe steht wie seine Glieder, sondern ein Prädikat mit den Namen der Glieder als Argumenten, d.h. einer ändern Sprachstufe angehört als die entsprechenden Glieder. Vgl. hierzu etwa Quine 194o;1962:27-29, Quine 195o; 1962:37f. Natürlich ist nur ( l o ) korrekt, doch wird oft übersehen, daß impliziert material so wie impliziert logisch im Unterschied zu o nicht derselben Sprachstufe angehört wie p_ und cj, und deshalb gesagt, p z» q könne gelesen werden als p impliziert g material. Vgl. Quine 194o;1962:29.
68
was insbesondere deshalb, weil das material oft weggelassen wird, weil bei Sätzen der Form p => g oft von Implikationssätzen die Rede ist usw., zur Verwechslung und Vermischung mit der logischen Implikation geführt hat und führt, die zudem auch oft nur Implikation genannt wird, ün solche Mißverständnisse gar nicht erst entstehen zu lassen, scheint es mir - dies sei nur nebenbei angemerkt - sinnvoll zu sein, auf den Terminus materiale Implikation ganz zu verzichten und stattdessen - wie ich es in der vorliegenden Arbeit bisher auch schon getan habe - der Terminologie Quines zu folgen, der statt von materialer und logischer Implikation von Konditional(Verknüpfung) und Implikation spricht. Der Terminus materiale Implikation ist aber nicht nur deshalb unglücklich, weil er die Verwechslung und Vermischung von Konditionalverknüpfung (bzw. materialer Implikation) und (logischer) Implikation begünstigt, sondern auch schon deshalb, weil das Wort Implikation normalerweise eine Beziehung des Enthaltenseins, eine Folgebeziehung ausdrückt und dadurch nahegelegt wird, daß materiale Implikationen irgend etwas mit Folgebeziehungen zu tun haben. Dementsprechend wird teilweise die Meinung vertreten, daß materiale und logische Implikationen zwar nicht identisch seien, Haft es sich bei der materialen Implikation aber doch um eine Folgebeziehung handle, wenn auch um eine schwächere als es die logische Implikation darstelle, daß materiale Implikationen, d.h. Sätze der Form p => g doch Folgebeziehungen ausdrückten, wenn auch keine logischen: 49 So wie dann, wenn eine Konditional48
49
Vgl. Quine 195o;1962:12-17, 33-38. - Ich werde in der vorliegenden Arbeit allerdings insofern von Quine abweichen, als ich statt nur von Implikation von logischer Implikation sprechen werde - zum einen zur zusätzlichen Verdeutlichung, vor allem aber zur Abgrenzung gegenüber anderen, nicht-logischen Implikationen bzw. Folgebeziehungen, auf die ich gl-eich noch genauer eingehen werde. Daß materiale Implikation hier einmal als Bezeichnung für Sätze der Form p s g, einmal als Bezeichnung für die Beziehung verwendet wird, von der angenommen wird, daß sie im Falle der Wahrheit des entsprechenden Satzes bzw. der entsprechenden Behauptung eines Satzes der Form p ^ g zwischen den durch > verknüpften Gliedern besteht, geht nicht auf eine Unachtsamkeit meinerseits zurück, sondern spiegelt nur die übliche Verwendungsweise von materiale Implikation. Vgl. auch Patzig 197o:23,Anm.lo. Inwieweit die Nichtberücksichtigung des Unterschieds zwischen Satzverknüpfungen und Beziehungen zwischen Sätzen dabei eine Rolle spielt bzw. gespielt hat, sei hier dahingestellt. Dieser Unterschied verweist übrigens noch auf eine weitere Differenz zwischen Konditionalverknüpfungen bzw. materialen Implikationen (im Sinne von Sätzen der Form p j g) als Sätzen bzw. Satzverknüpfungen - und der logischen Implikation - als einer Beziehung zwischen Sätzen, die dann besteht, wenn die entsprechende Konditionalverknüpfung logisch wahr ist.
69
Verknüpfung logisch wahr ist,
gelte, daß das Vorderglied das Hinterglied lo-
gisch impliziert, gelte, daß das Vorderglied das Hinterglied material impliziert, wenn die betreffende KonditionalVerknüpfung wahr
ist.
Zwar spricht prinzipiell nichts dagegen zu sagen, daß dann, wenn eine mit einer Konditionalverknüpfung, ist,
z.B. mit (8), gemachte Behauptung wahr
die erste Teilbehauptung, in unserem Fall also die mit (11) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker,
gemachte Behauptung, die zweite Teilbehauptung, d.h. die mit (12) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. gemachte Behauptung, material impliziert. Doch hat dies nichts damit zu tun und besagt es in keiner Weise, daß (12) bzw. die mit (12) gemachte Behauptung in irgendeiner Weise aus (11) bzw. der mit (11) gemachten Behauptung folgt, daß zwischen (11) und (12) bzw. den entsprechenden Behauptungen ein Zusammenhang etwa der Art besteht, daß dann, wenn eine mit (11) gemachte Behauptung wahr ist,
auch die entsprechende Behauptung (12) wahr sein muß.
5o
Daß impliziert material keine Folgebeziehung bezeichnet, daß Sätze der Form p => g bzw. mit Sätzen dieser Form gemachte Behauptungen nicht nur keine logischen, sondern gar keine Folgebeziehungen ausdrücken, zeigt schon ein Blick auf die Wahrheitstafel für Sätze bzw. Behauptungen von Sätzen der 5o
Folgen verwende ich hier wie auch im folgenden nicht in der technischen Bedeutung der Logik, also synonym mit logisch folgen, sondern in der normalen, der sog. alltagssprachlichen Bedeutung, die wohl auch diejenigen im Auge haben, die die Auffassung vertreten, bei der materialen Implikation handle es sich um eine Folgebeziehung. Nach diesem "normalen" Gebrauch von folgen kann man dann vom Bestehen einer Folgebeziehung sprechen, davon, daß ein Satz S bzw. eine Proposition P aus einem Satz S bzw. einer Proposition P folgt, wenn dann, wenn eine mit S gemachte Behauptung, wenn P wahr ist, notwendigerweise (sehr wahrscheinlich, wahrscheinlich, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit,...) auch die entsprechende mit S gemachte Behauptung, auch P wahr ist, wobei das notwendigerweise hier - dies sei der Vorsicht halber betont - unspezifisch zu verstehen ist, d.h. nur die Allgemeinheit ausdrücken soll. Dieser Gebrauch von folgen ist also weiter als der normierte Gebrauch der Logik, denn ein Satz S folgt - wie wir in 3.2 gesehen haben - nur dann l o g i s c h aus S , wenn dann, wenn eine mit S gemachte Behauptung wahr ist, logisch notwendig, d.h. nur aufgrund der (logischen) Form von S und S , auch die entsprechende mit S gemachte Behauptung wahr ist. Beim Vorliegen solcher Folgebeziehungen werde ich zur Unterscheidung - wie auch schon bisher - immer von logischen Folgebeziehungen, vom logischen Folgen bzw. - abgekürzt - vom L-Folgen sprechen. Und analog zur Unterscheidung von Folgen und L-Folgen als einem Spezialfall des Folgens werde ich auch zwischen Schließen und L-Schließen unterscheiden.
7
Form
q: (13)
q
p 3q
W
W
VJ
W
F
F
F
W
W
F
F
W
Mit ändern Worten: Eine mit einem Satz der Form p n q gemachte Behauptung ist wahr, wenn entweder die beiden Teilbehauptungen p und g den gleichen Wahrheitswert haben, oder wenn p_ falsch und 3 wahr ist, und sie ist nur dann falsch, wenn JD wahr und c[ falsch ist. Wenn eine mit einer Konditionalverknüpfung wie (8) gemachte Behauptung wahr ist, also - nach der fraglichen Redeweise - die mit (11) gemachte Behauptung die mit (12) gemachte Behauptung material impliziert, heißt dies deshalb nur, daß es nicht zugleich der Fall ist, daß - im Falle von (8) - Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker und kein ausgezeichneter Musiker ist, d.h., daß nicht zugleich die erste Teilbehauptung wahr und die zweite Teilbehauptung falsch ist. Denn wenn dies der Fall wäre, müßte die entsprechende mit der Konditionalverknüpfung (8) gemachte Behauptung falsch sein. Die Wahrheit einer mit (8) gemachten Behauptung besagt jedoch nichts über eine Beziehung irgendeiner Art zwischen dem Vorderglied und dem Hinterglied, etwa der Art, daß dann, wenn die erste Teilbehauptung wahr ist, die zweite nicht falsch sein kann, d.h. notwendigerweise wahr ist, daß dann, wenn die erste Teilbehauptung wahr ist, auch die zweite mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wahr ist o.a., was aber notwendig wäre, um zu Recht sagen zu können, daß es sich bei der materialen Implikation um eine Folgebeziehung handelt - denn bei den Wahrheitsbedingungen von Konditionalverknüpfungen bzw. von mit Konditionalverknüpfungen gemachten Behauptungen ist nur von den Wahrheitswerten der Teilbehauptungen die Rede, aber nicht von irgendwelchen Beziehungen zwischen diesen Behauptungen bzw. den bei den jeweiligen Behauptungshandlungen verwendeten Sätzen. Zu Beginn dieser Diskussion habe ich gesagt, daß prinzipiell nichts gegen die Redeweise spricht, daß dann, wenn eine mit einer Konditionalverknüpfung gemachte Behauptung wahr ist, die erste Teilbehauptung die zweite material impliziere - wenn damit nicht der Anspruch erhoben wird, es handle sich dabei um eine Folgebeziehung. Dies gilt auch weiterhin. Dennoch - und das "prinzipiell" hat dies teilweise schon angedeutet - scheint es mir sinnvoll,
71
auf diese Redeweise ganz zu verzichten, da das Wort implizieren in diesem Zusammenhang einfach zu leicht zu Mißverständnissen führt. Es könnt hinzu, daß eigentlich auch keine Notwendigkeit für diese Redeweise besteht, denn man sagt ja auch nicht, daß dann, wenn eine mit einer Konjunktion wie etwa (14) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker und ein ausgezeichneter Musiker. genechte Behauptung wahr ist, die mit (11) gemachte Behauptung und die mit (12) gemachte Behauptung (sich) konjugierten, oder daß dann, wenn eine mit einer Disjunktion wie (15) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker oder ein ausgezeichneter Musiker. gemachte Behauptung wahr ist, die mit (11) und (12) gemachten Behauptungen (sich) disjungierten, usw. Weitere Ursachen für die Auffassung, materiale Implikationen seien Folgebeziehungen, Sätze der Form p ^ g drückten Folgebeziehungen aus, liegen sicherlich in der häufigen Nicht-Unterscheidung von Sätzen und Behauptungen bzw. Präpositionen, genauer: darin, daß die Argumente des Prädikats impliziert material oft nicht als Propositionen (im in 3.1 erläuterten Sinn), sondern fälschlicherweise als Sätze verstanden werden, sowie darin, daß relativ häufig bei der Erklärung und Klärung der Bedeutung der Konditionalverknüpfung Beispielsätze verwendet werden, die nur eine Proposition ausdrük-
ken, wie z.B. bei (16) Eisen ist ein Metall r> Eisen ist dehnbar. Denn die Wahrheit von (16) bedeutet, daß es nicht zugleich der Fall ist, daß die durch (17) Eisen ist ein Metall, ausgedrückte Proposition wahr und die durch (18) Eisen ist dehnbar. ausgedrückte Proposition falsch ist, und da bei Sätzen wie (17) und (18), also Sätzen, die nur eine Proposition ausdrücken, ininer, wenn sie behauptet werden, die gleiche Proposition behauptet wird, heißt dies nichts anderes, als daß für alle Fälle des Behauptens von (17) gilt, daß es nicht zugleich der Fall ist, daß (17) bzw. die mit (17) gemachte Behauptung - beides ist in solchen Fällen ja identisch - wahr und (18) falsch ist.
72
Der wohl wichtigste Grund für die Fehleinschätzung von Konditionalverknüpfungen, von "materialen Implikationen", der auch zusammen mit den beiden vorgenannten sowie weiteren, hier nicht erwähnten Ursachen für die Wahl des Terminus materiale Implikation verantwortlich sein dürfte - dies genauer zu begründen, würde hier allerdings zu weit führen -, ist jedoch in der weithin üblichen Übersetzung von 5 durch wenn-dann und vice versa zu sehen. Denn 3 und wenn-dann sind nicht bedeutungsgleich: Während Konditionalverknüpfungen, also Sätze der Form
(19) p = q , keine Folgebeziehungen ausdrücken, drücken Sätze der Form (20) Wenn p, dann q - zumindest in einer, der vielleicht häufigsten, auf jeden Fall der uns hier in erster Linie interessierenden Gebrauchsweise von wenn-dann
- Folgebe-
ziehungen aus, besagt die Wahrheit einer - um wieder unser Standardbeispiel zu nehmen - mit (21) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist,
dann ist
er ein ausgezeichneter Musiker. gemachten Behauptung im Gegensatz zur Wahrheit einer mit (8) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker D Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. gemachten Behauptung, daß dann, wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, er auch ein ausgezeichneter Musiker ist,
d.h., daß die Wahr-
heit einer durch (12) ausgedrückten Proposition aus der Wahrheit der entsprechenden durch (11) ausgedrückten Proposition folgt, also aus ihr ge52 schlössen werden kann. Während das Bestehen von Beziehungen zwischen den Gliedern bei Konditionalverknüpfungen nicht Teil der Wahrheitsbedingungen ist,
sondern nur die Wahrheitswerte der Teilbehauptungen entscheidend sind,
und eine mit einer Konditionalverknüpfung wie beispielsweise (8) gemachte Behauptung dann wahr ist,
wenn es nicht zugleich der Fall ist,
daß die er-
ste Teilbehauptung - (11) - wahr und die zweite Teilbehauptung - (12) -
51 52
Für andere Gebrauchsweisen von wenn-dann vgl. etwa Strawson 1952:37,88f. Wunderlich 1974:172. Damit ist gleichzeitig auch schon erläutert, wie es zu verstehen ist, wenn ich davon spreche, daß Sätze Folgebeziehungen ausdrücken, daß mit dem Behaupten bestimmter Sätze Folgebeziehungen ausgedrückt werden.
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falsch ist,
ist es nämlich für die Wahrheit eines mit einem wenn-dann-Satz,
z.B. mit (21), gemachten Behauptung notwendig, daß zwischen den beiden Gliedern eine Beziehung besteht, eine Beziehung der Art, daß es ausgeschlossen ist,
ffofl die mit dem ersten Teilsatz ausgedrückte Proposition - (11) - wahr
und die mit dem zweiten Teilsatz ausgedrückte Proposition - (12) - falsch ist,
d.h., daß die Wahrheit der ersten Proposition eine hinreichende Bedin-
gung für die Wahrheit der zweiten Proposition ist.
Während also - dieses
Beispiel macht den Unterschied noch deutlicher - eine mit (22) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker = Der Dollarkurs fällt. gemachte Behauptung dann wahr ist,
wenn es nicht zugleich der Fall ist, daß
es wahr ist, daß Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, und falsch, daß der Dollarkurs fällt, würde man von mit (23) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist,
dann
fällt der Dollarkurs. gemachten Behauptungen wohl kaum sagen, daß sie wahr seien, und zwar unabhängig davon, ob nun Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist oder nicht, und ob der Dollarkurs fällt oder nicht, da die Wahrheit von mit (11) gemachten Behauptungen keine hinreichende Bedingung für die Wahrheit der entsprechenden mit (24) Der Dollarkurs fällt. gemachten Behauptungen
ist.
Die Wahrheitsbedingungen von Sätzen der Form (19) und Sätzen der Form (2o) stimmen also insofern überein, als es sowohl für die Wahrheit von mit Sätzen der Form (19) als auch für die Wahrheit von mit Sätzen der Form (2o) gemachten Behauptungen notwendig ist,
daß es nicht zugleich der Fall
ist,
daß das Vorderglied wahr und das Hinterglied falsch ist - denn wenn das Vorderglied einer mit einem wenn-dann-Satz gemachten Behauptung wahr und das Hinterglied gleichzeitig falsch ist, n i c h t
ausgeschlossen ist,
bedeutet dies ja automatisch, daß es
daß das Vorderglied wahr und das Hinterglied
falsch ist. Sie unterscheiden sich jedoch darin - und deshalb drücken wenndann-Sätze im Gegensatz zu Konditionalverknüpfungen Folgebeziehungen aus -, daß diese Bedingung für die Wahrheit von mit KonditionalVerknüpfungen ge53
Diese Bestimmung wird später noch zu modifizieren sein. Für den gegenwärtigen Zusammenhang spielt diese Modifikation aber keine Rolle.
74
machten Behauptungen nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend ist, während sie für die Wahrheit von mit wenn-dann-Sätzen gemachten Behauptungen n i c h t hinreichend ist, da bei diesen Sätzen bzw. Behauptungen noch die Bedingung hinzukamt, daß es nicht zugleich der Fall s e i n k a n n , daß das Vorderglied wahr und das Hinterglied falsch ist. Deshalb gilt zwar, daß inner dann, wenn eine mit einem Satz der Form (2o) Wenn p, dann q
gemachte Behauptung wahr ist, auch die entsprechende mit einem Satz der Form
(19) p o q gemachte Behauptung wahr ist, aber nicht das Umgekehrte: Wenn eine mit (21) gemachte Behauptung wahr ist, muß auch die entsprechende Behauptung (8) wahr sein, aber wenn eine mit (8) gemachte Behauptung wahr ist, muß nicht auch die entsprechende Behauptung (21) wahr sein. 54 Allsätze, d.h. Sätze der Form (25) (x) (Fx 3 Gx) ,
drücken ebenso wie Sätze der Form (2o) im Unterschied zu Sätzen der Form (19) Folgebeziehungen aus. Denn wenn man einen Allsatz wie etwa (26) bzw. (27) usw.55
54
55
Diese Diskrepanz in den Bedeutungen von 3 und wenn-dann ist oft kritisiert worden. Bei dieser Kritik wird in der Regel jedoch zum einen übersehen, daß es der Logik nur auf die wahrheitswertfunktionalen Verhältnisse ankommt - und hierin stimmen 3 und wenn-dann ja überein: o ist sozusagen das wahrheitswertfunktionale Gerüst von wenn-dann, d.h. die Bedeutung von o ist d e r Teil der Bedeutung von wenn-dann, der sich auf das wahrheitswertfunktionale Verhältnis der beiden Glieder bezieht -, zum ändern wird nicht berücksichtigt, daß es der Logik nicht auf die Obereinstimmung mit dem normalen Sprachgebrauch ankommt, sondern daß im Hinblick auf ihre Ziele Kriterien wie Einfachheit, Eindeutigkeit usw. wichtiger sind. - Vgl. hierzu etwa Quine 1953;1966:14of., 146-149, Copi 1958 oder schon Frege, z . B . Frege 1879;1964:XI, Frege 1923-26;1966:83. Auf die angesprochenen Ziele der Logik werde ich in anderem Zusammenhang in Kapitel 3.6 noch zurückkommen. Zur Diskussion der verschiedenen Mißverständnisse von , die u . a . auch zum Scheinproblem der sog. Paradoxien der materialen Implikation geführt haben, und zu den Gründen hierfür vgl. auch - um nur einiges zu nennen Carnap 1934;1968:196-198, Carnap 1954;1968:9, Quine 195o;1962:37f., Strawson 1952:35-38, 82-95. Es gibt mehrere natürlichsprachliche Übersetzungen von (25) bzw. Sätzen der Form ( 2 5 ) . Ich werde im folgenden meist die Formulierung wie in (26) verwenden.
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(26) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (27) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist,
dann ist
er ein ausgezeichneter Musiker. behauptet, behauptet man ja nichts anderes, als daß jeder, der Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, auch ein ausgezeichneter Musiker ist, d.h., daß es keinen gibt, der zugleich Mitglied der Berliner Philharmoniker und kein ausgezeichneter Musiker ist,
daß es also ausgeschlossen ist,
daß je-
mand Mitglied der Berliner Philharmoniker und kein ausgezeichneter Musiker ist.
Schlüsse der Form
(28) (x) (Fx z. Gx) Fa Ga
unterscheiden sich von Schlüssen der Form
(29) p D q P
also dadurch, daß die Oberprämisse bei ihnen eine Folgebeziehung ausdrückt, daß sie - anders formuliert - eine Oberprämisse haben, deren Wahrheit in der Tat bedeutet, daß man von der Wahrheit der als Unterprämisse fungierenden Behauptung auf die Wahrheit der Konklusion schließen kann. Wer daraus jedoch folgert, daß die Oberprämisse in Schlüssen der Form (28) auch wirklich als Schlußprinzip fungiert, d.h. anniirmt, bei den entsprechenden Handlungen werde von der (Wahrheit der) Uhterprämisse auf die (Wahrheit der) Konklusion geschlossen aufgrund der (Wahrheit der) Oberprämisse, verkennt - und damit sind wir beim zweiten der eingangs genannten Gründe für das Mißverständnis des modus ponens - den formallogischen Charakter des modus ponens, verkennt, daß es sich bei Schlüssen der Form (28) um Interpretationen eines L-gültigen Schlußmusters handelt: Die durch die jeweiligen Oberprämissen in Schlüssen der Form (28) ausgedrückten Folgebeziehungen haben mit der Folgebeziehung, um die es beim modus ponens geht, nichts, aber auch gar nichts zu tun. Denn 56
Mit dem "ausgeschlossen" ist hier nicht gemeint, daß es für immer ausgeschlossen sei, daß - in unserem Fall - jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker und kein ausgezeichneter Musiker ist, sondern nur, daß es zum Zeitpunkt der jeweiligen Behauptungshandlung ausgeschlossen ist.
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die modus-ponens-Regel beruht nur auf der Beziehung zwischen den Prämissen einerseits und der Konklusion andererseits, darauf, daß die Konklusion aus den Prämissen L-folgt; ob und wenn ja, welche Beziehung zwischen Unterprämisse und Konklusion - genauer: den als Unterprämisse und als Konklusion fungierenden Sätzen bzw. Propositionen - besteht, ob die jeweilige Oberprämisse eine Folgebeziehung irgendeiner Art ausdrückt oder nicht, ist für das Schließen nach dem modus ponens völlig unwichtig:
(30) Ga L-folgt aus (31) (Fa = Ga)Fa genauso wie aus (32) (x) (Fx => Gx)Fa, d.h., von der Wahrheit eines Satzes der Form (31) kann genauso auf die Wahrheit eines Satzes der Form (3o) L-geschlossen werden wie von der Wahrheit eines Satzes der Form (32), obwohl Sätze der Form (33) Fa z» Ga
- (33) ist das prädikatenlogische Pendant zu p u g - im Gegensatz zu Sätzen der Form (25)
(x) (Fx o Gx)
keinerlei Folgebeziehungen ausdrücken. Dies bedeutet gleichzeitig, daß die Auffassung, aussagenlogische Schlüsse nach dem modus ponens, also Schlüsse der Form (29), seien so zu verstehen, daß bei den entsprechenden Handlungen von der Unterprämisse auf die Konklusion aufgrund der Oberprämisse geschlossen werde, daß die Oberprämisse also als Schlußprinzip fungiere, auch dann falsch wäre, wenn Konditionalverknüpfungen wirklich so wie wenn-dann-Sätze Folgebeziehungen ausdrücken würden, da dies für das Schließen nach dem modus ponens irrelevant ist. Mit ändern Worten: Wer Schlüsse der Form (29) bzw. die diesen Schlüssen entsprechenden Handlungen auf die beschriebene Weise (miß)versteht, begeht - wie eingangs schon erwähnt - nicht nur den Fehler, Konditionalverknüpfungen als Sätze über Folgebeziehungen aufzufassen, sondern darüber hinaus noch den Fehler, den formallogischen Charakter des modus ponens nicht zu erkennen. Eine weitere Ursache für das Mißverständnis von Schlüssen der Form (28) ist sicherlich darin zu sehen, daß Allsätze, d.h. Sätze der Form (25), teil-
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weise so verstanden werden, als drückten sie logische Folgebeziehungen aus, als bedeute die Wahrheit eines Satzes bzw. einer Proposition der Form (25), daß es dann, wenn ein a F ist, l o g i s c h notwendig sei, daß a auch G ist, also - an unserm Standardbeispiel illustriert - daß dann, wenn (26) bzw. eine mit (26) gemachte Behauptung wahr ist, es logisch notwendig sei, daß dann, wenn eine Proposition (11) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, wahr ist, auch die entsprechende Proposition (12) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. wahr ist. Begünstigt wird dieses Mißverständnis von Allsätzen - ähnlich wie das Mißverständnis von Konditionalverknüpfungen - noch durch die Terminologie. Denn so wie der Terminus materiale Implikation oft zur Gleichsetzung und Verwechslung von Konditionalverknüpfung und logischer Implikation geführt hat und führt, besteht auch bei der recht verbreiteten Praxis, Sätze Im; der Form (25) formale oder allgemeine Implikationen zu nennen, die Gefahr 58 einer Gleichsetzung bzw. Verwechslung.' 3.4
Das Konzept von Ryle und Toulmin (1) A und B unterhalten sich über ihren gemeinsamen Bekannten C und können dabei auch darauf zu sprechen, daß C sehr unmusikalisch ist. A: Ich finde es besonders deshalb so erstaunlich, daß C so unmusikalisch ist, weil Cs Bruder ein ausgezeichneter Musiker ist. B; So? Das kann ich mir aber kaum vorstellen! A: Doch, Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker.
Nach dem logischen Verständnis der Struktur von Argumentationen liegt bei diesem Beispiel - das Erfülltsein bestimmter Bedingungen vorausgesetzt ein Enthymem vor, d.h. ein Schluß mit einer nicht ausgedrückten Prämisse,
57
58
Bochenski/Menne 1965:59 beispielsweise sprechen von "formaler Implikation", Carnap 1954,-1968:36 von "allgemeiner" und "universeller Implikation". So wie im Falle der materialen Implikation bzw. Konditionalverknüpfung scheint mir auch hier Quines Terminologie sinnvoller, der statt von formaler oder allgemeiner Implikation von "generalized conditional" spricht - zu deutsch etwa "allgemeine" bzw. "verallgemeinerte Konditionalverknüpfung"; vgl. Quine 195o;1962:14,66,87.
78
eine verkürzte Version von (2) bzw. (3):
59
(2) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. (3) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. Mit ändern Worten: Bei der in (1) vorliegenden Argumentationshandlung behauptet A (4) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker., und (implizit) (5) bzw. (6) (5) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. (6) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker., um die Wahrheit der entsprechenden Proposition (7) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. zu stützen, d.h., es wird bei dieser Argumentationshandlung nach der in Kapitel 3.2 erläuterten logischen Auffassung der Struktur von Argumentationen von (4) und (5) bzw. von (4) und (6) auf (7) geschlossen, und zwar L-geschlossen, wobei (4) und (5) bzw. (4) und (6) jeweils die gleiche Funktion haben. Nach der Theorie des Argumentierens, wie sie - in bewußter Abgrenzung und Absetzung von der Logik - besonders von Ryle und Toulmin begründet und entwickelt wurde, unterscheiden sich (5) und (6) einerseits und (4) andererseits dagegen deutlich hinsichtlich ihrer Funktion. So fungiert für Ryle ° (5) bei der Argumentationshandlung in (1) nicht als zweite Prämisse, sondern als "inference license", als "inference warrant", d.h. als Schlußprinzip, das 59
60
Je nachdem, ob es sich um eine aussagenlogische oder eine prädikatenlogische Rekonstruktion handelt. Strenggenommen müßte das wenn-dann der Oberprämisse in (2) durch ^ ersetzt werden; darauf werde ich in Kapitel 3.6 noch genauer eingehen. Vgl. Ryle 195o.
79
dem Schließen von (4) auf (7) zugrundeliegt: Wenn (5) wahr ist - gleiches gilt natürlich auch für (6) -, heißt dies, daß es gerechtfertigt ist, von der Wahrheit einer Behauptung (4) auf die Wahrheit der entsprechenden Behauptung (7) zu schließen, daß der entsprechende Schluß gültig ist.
Ge-
schlossen wird bei der Argumentationshandlung in (1) nach Ryle also nicht von der Konjunktion aus (4) und (5) auf ( 7 ) , sondern von (4) auf (7) Ü b e r e i n s t i m m u n g (5).
mit,
a l s
A n w e n d u n g
i n v o n
61
Den Begriff "inference license" erläutert Ryle mit Hilfe eines Vergleichs mit einer Eisenbahnfahrkarte: So wie es der Besitz einer Fahrkarte von London nach Oxford erlaube, von London nach Oxford zu fahren, erlaube das Wissen um die Wahrheit eines wenn-dann-Satzes bzw. einer durch einen Satz dieser Form ausgedrückten Proposition, von der Wahrheit einer durch das Vorderglied ausgedrückten Proposition auf die Wahrheit der entsprechenden durch das Kinterglied ausgedrückten Proposition zu schließen:
"When I learn
'if p, then g , ' I am learning that I am authorised to argue 'p, so g,' provided that I get my premiss 'p.'" Von "in ubereinstimnung mit" bzw. "als Anwendung von" könne deshalb gesprochen werden, weil - so Ryle - die Glieder in Sätzen der Form wenn p, dann g bzw. if p, then g nicht behauptet werden, also bei mit Sätzen dieser Form gemachten Behauptungen keine Behauptungen sind, sondern sozusagen Leerstellen für Behauptungen darstellen, "statement specifications or statement indents - bills for statements that statements could fill": "It is because hypothetical statements embody statement specifications, that an inference from one statement to another can be described as being 'in accordance with' or being 'an application of
the hypothetical.
The premiss fills the protasis bill; the conclusion fills the apodosis bill. They 'fulfil the conditions.1" Stephen Toulmin hat in "The place of reason in ethics" to the philosophy of science"
61 62
63 64 65 66
und "Introduction
andeutungsweise und dann vor allem in "The
Vgl. Ryle 195o:3o7. - Die englischen Ausdrücke lauten "in accordance with" und "as an application of". "Knowing 'if p, then g' is, then, rather like being in possession of a railway ticket. It is having a license or warrant to make a journey from London to Oxford."(Ryle 195o:3o8). Ryle 195o:312. Ryle 195o:314. Zum Begriff der "Anwendung" vgl. auch die Seiten 31o-314. Toulmin 195o. Toulmin 1953.
8 uses of argument" den Ansatz von Ryle weiter ausgearbeitet und ihn - auch durch die Jurisprudenz angeregt, die für ihn d a s Modell für die Untersufift chung von Argumentationen darstellt - zu einer Theorie der Struktur von Argumentationen erweitert, zu einem Schema, das mittlerweile Unter dem Namen "Toulmin-Schema" bekannt geworden ist. Toulmin geht bei der Entwicklung und Begründung dieser Theorie von einer einfachen Argumentationssituation aus - vergleichbar unserem Beispiel (1): 69 Wenn jemand etwas behauptet, z.B. (8) Harry is a British subject.,
stellt er damit einen Wahrheitsanspruch für (8), für das Behauptete, auf. Wenn die Wahrheit dieser Behauptung bezweifelt ° wird, wird derjenige, der die Behauptung gemacht hat, in der Regel weitere Tatsachen anführen, um die (Wahrheit der) Behauptung zu stützen, Tatsachen, auf denen der ursprüngliche Wahrheitsanspruch beruht - im Falle von (8) beispielsweise (9) Harry was born in Bermuda.
Die Behauptung, die es zu stützen gilt - the "conclusion whose merits we are seeking to establish" -, nennt Toulmin "claim", die Behauptungen, die die claims stützen sollen - "the facts we appeal to as a foundation for the 72 73 claim" - "data", abgekürzt: C und D. Häufig - so Toulmin - treten jedoch auch dann, wenn derjenige, der die erste Behauptung gemacht hat, solche Daten angeführt hat, noch weitere Fragen auf, Fragen, die nicht auf zusätzliche Daten abzielen, sondern das Verhältnis von Daten und claim bzw. Konklusion betreffen, "the bearing on our conclusion of the data already produced", 74 mit ändern Worten: die Rechtfertigung des Übergangs von den Daten zur Konklusion, denn "to present a particular set of data as the basis for some specified conclusion coomits us to a certain 67 68 69 70 71 72 73
74
Toulmin 1958. Vgl. Kapitel l, S.3. Vgl. Toulmin 1958:97-lo7. Toulmin spricht von "challenged"(Toulmin 1958:97). Toulmin 1958:97. Toulmin 1958:97. Im weiteren Verlauf werde ich auch von den deutschen Übersetzungen der Toulminschen Termini Gebrauch machen, die Ulrich Berk in seiner Übersetzung von Toulmin 1958 (Toulmin 1958;1975) vorgeschlagen h a t , wenn ich diese Übersetzungen auch nicht immer für sehr glücklich halte. Im vorliegenden Fall spricht Berk statt von "claim" von "Konklusion" und statt von "data" von "Daten"(Toulmin 1958;1975:89). - Zur Übersetzung Berks vgl. auch öhlschläger, erscheint. Toulmin 1958:98.
81
step."
Die Sätze,
die diese Funktion der Rechtfertigung erfüllen -
"rules, principles, inference-licences or what you will"
- heißen bei
Toulmin "warrants" ("Schlußregeln"} , kurz: W bzw. SR. Unter warrants bzw. Schlußregeln sind also zu verstehen "general, hypothetical statements, which can act as bridges, and authorise the sort of step to which our particular 78 argument conmits us." Beim Übergang von (8) auf (9) wäre dies etwa (10) A man born in Bermuda will be a British subject. Da Schlußregeln "may confer different degrees of force on the conclusions 79 they justify", führt Toulmin zusätzlich noch die Kategorie der qualifiers (Operatoren) - kurz: Q bzw. O - ein, als "explicit reference to the degree ßr*
of force which our data confer on our claim in virtue of our warrant." So sind Konklusionen mit notwendig(erweise) zu qualifizieren, wenn die Schlußregeln "authorise us to accept a claim unequivocally, given the appropriate data", 81 mit wahrscheinlich oder vermutlich, wenn die Schlußregeln "authorise us to make the step from data to conclusion either tentatively, or else subject to conditions, exceptions, or qualifications", 82 usw. Diese Bedingungen, bei deren Erfülltsein die Schlußregel nicht angewandt werden kann/ darf, gehen als "Bedingungen der Ausnahme und der Zurückweisung"("conditions of exception or rebuttal") - abgekürzt: AB bzw. R - als eigene Kategorie in das Toulmin-Schema ein. 83 So ist, wie Toulmin an seinem Beispiel illustriert, der Übergang von (9) auf (8) nur dann gerechtfertigt, wenn keine AB wie etwa (11), (12) o.a. (11) Both his parents were aliens. (12) He has become a naturalised American. erfüllt ist; der Übergang von (9) auf (8) ist deshalb nicht in jedem Fall gerechtfertigt, d.h., die Konklusion muß mit presumably qualifiziert werden. Als letzte Kategorie in seiner Theorie der Struktur von Argumentationen nennt Toulmin die sog. "backings"("Stützungen"). Sie sind seiner Meinung 75 76 77 78 79 80 81 82 83
Toulmin 1958:98. Toulmin spricht von "propositions", scheint proposition allerdings etwas anders zu verwenden, als es in der vorliegenden Arbeit verwendet wird. Toulmin 1958:98. Toulmin 1958:98. Toulmin 1958:loo. Toulmin 1958:lol. Toulmin 1958:loo. Toulmin 1958:loo. Vgl. Toulmin 1958:lol.
82
nach dann notwendig und müssen dann angeführt werden, wenn in Frage steht, ob eine bestirmite Schlußregel überhaupt akzeptabel ist, d.h., wenn jemand eine Frage stellt wie beispielsweise '"You presume that a man born in Bermuda can be taken to be a British subject,' ..., 'but why do you think that?'" Diese backings bzw. Stützungen - kurz: B bzw. S - sind also "other assurances, without which the warrants themselves would possess neither authority nor currency", im Beispielfall Toulmins mit Harry "the terms and the dates of enactment of the Acts of Parliament and other legal provisions / governing the nationality of persons born in the British colonies." Die Struktur von Argumentationen, wie sie sich nach dieser Theorie darstellt, veranschaulicht Toulmin mit Hilfe eines Schemas, des schon erwähnten sog. Toulmin-Schemas (13): 87 QC
(13)
So, Q, C
Since W
Unless R
On account of B Die Struktur der von Toulmin verwandten Beispielargumentation mit Harry wäre mit Hilfe dieses Schemas folgendermaßen darzustellen: 88 (14)
f Harry is a -»So, presumably, ^British subject
Harry was born"\ in Bermuda J Since
A man born in Bermuda will generally be a British subject
Unless
I
Both his parents were aliens/ he has becone a naturalised American/...
On account of
I
The following statutes and other legal provisions:
83
Daß nach dieser Theorie der Struktur von Argumentationen bei unserer Beispielargumentation in (1) (4) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, als Datum und (7) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. als Konklusion aufzufassen sind, ist wohl eindeutig. Wesentlich schwieriger ist es jedoch - wenn wir von den Operatoren und den Ausnahmebedingungen einmal absehen -, die Schlußregel und die Stützung zu bestimmen, und zwar deshalb, weil Itoulmins Ausführungen zu diesen Kategorien, insbesondere zu ihrem Unterschied und ihrem Verhältnis zueinander, ziemlich unklar und teilweise auch widersprüchlich sind. Den Unterschied zwischen Schlußregeln (warrants) und Stützungen (backings) beschreibt Toulmin zunächst so: "... statements of warrants, we saw, are hypothetical, bridge-like statements, but the backing for warrants can be expressed in the form of categorical statements of fact quite as well as 89 can the data appealed to in direct support of our conclusions." Und - bezogen auf das Harry-Beispiel: "... the resulting discovery, that such-andsuch a statute enacted on such-and-such a date contains a provision specifying that people born in the British colonies of suitable parentage shall be entitled to British citizenship, is a straightforward statement of fact. On the other hand, the warrant which we apply in virtue of the statute containing this provision is logically of a very different character - 'If a man was born in a British colony, he may be presumed to be British.' Though the facts about the statute may provide all the backing required by this warrant, the explicit statement of the warrant itself is more than a repetition of these facts: it is a general moral of a practical character, about the 9o ways in which we can safely argue in view of these facts." Weitere Aufschlüsse über TouMins Auffassung dieses Unterschieds lassen sich durch seine Behandlung noch anderer Beispiele gewinnen. So spricht er etwa davon, daß 84 85 86 87
88 89 90
Toulmin 1958:lo3. Toulmin 1958:Io3. Toulmin 1958:Io5. Toulmin 1958:lo4. - In der deutschen Übersetzung wird since mit wegen, on account of mit aufgrund von, so mit deshalb und unless mit wenn nicht übersetzt (Toulmin 1958;1975:95). Toulmin 1958:lo5. Toulmin 1958:lo5. Toulmin 1958:lo5f.
84
beispielsweise Sätze der Form Scarcely any A's are B's, wie etwa (15) Scarcely any Swedes are Reman Catholics., insofern artibig seien, als ein Satz wie (15) bzw. eine mit (15) gemachte Behauptung sowohl als "simple statistical report" - formulierbar "in the fuller form" z.B. als (16) The proportion of Swedes who are Roman Catholics is less than 2%. als auch als "genuine inference-warrant" zu verstehen sei - ausgedrückt als (17) A Swede can be taken almost certainly not to be a Roman Catholic. In der Lesart (16) fungiere (15) in Argumentationen als Stützung, in der Lesart (17) als Schlußregel. 91 Gleiches gilt nach Toulmin auch für Sätze der Formen All A*s are B's, No A's are B's, Almost all A's are B's, usw.: "The form of Statement 'All A's are B's 1 is as it stands deceptively simple: it may have in use both the force of a warrant and the factual content of its backing, two aspects which we can bring out by expanding it in different ways. Sometimes it may be used, standing alone, in only one of these two ways at once; but often enough, especially in arguments, we make the single statement do both jobs at once and gloss over, for brevity's sake, the transition from backing to warrant - from the factual information we are presupposing to the inference-licence which that infromation justifies us in employing." 92 Sicherlich hat Toulmins Unterscheidung von Schlußregel und Stützung - von warrant und backing - etwas mit der schon in Kapitel 3.2 behandelten Unterscheidung von (wahren oder falschen) Sätzen und (gültigen oder ungültigen) Schlußregeln zu tun - die hier angeführten Beispiele und Zitate legen es zumindest nahe, daß es ihm darauf ankam, zu erfassen, daß der Wahrheit einer Behauptung wie etwa (6) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. die Gültigkeit der Schlußregel entspricht, daß man dann, wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, schließen kann, daß er auch ein aus-
91 92
Vgl. Toulmin 1958:lo8f. Toulmin l 9 5 8 : U l f . - Vgl. auch Toulmin 1958:llo-l13.
85
gezeichneter Musiker ist. 93 Toulmin scheint mit der Unterscheidung von Schlußregel und Stützung aber auf noch mehr abzuzielen - darauf weist auch schon die Formulierung (16) hin. So heißt es an anderer Stelle, daß die Form All A*s are B*s unterschiedlich expandiert werden könne "in order to make explicit the nature of the backing it is used to express": "In one case, the statement will become "The proportion of A 1 s found to be B's is 1oo%'; in another, 'A's are ruled by statute to count unconditionally as B's 1 ; in a third, "The class of B's includes taxononically the entire class of A's 1 ; and in a fourth, "The practice of doing A leads to the following intolerable consequences, etc.'" 94 Bei einem weiteren Beispiel wird die durch (18) All Jack's sisters have red hair, ausgedrückte Stützung als (19) All Jack's sisters have previously been observed to have red hair. 95 formuliert, und schließlich - um ein letztes Beispiel anzuführen - wird das Verhältnis von Schlußregel und Stützung sogar als Verhältnis wie zwischen Naturgesetzen und Beobachtungssätzen verstanden: Im Zusanrnenhang mit dem Übergang von bestürmten Beobachtungen zur Voraussage der nächsten MDndfinsternis bezeichnet Toulmin die "current laws of planetary dynamics" als Schlußregeln, die "totality of experience on which the current laws are nf based" als Stützung. Bei diesen Beispielen ist als Stützung offensichtlich nicht die der jeweiligen Schlußregel entsprechende Behauptung zu verstehen, sondern die Behauptung, die sowohl die Schlußregel als auch die ihr entsprechende Behauptung "stützt", d.h. die Behauptung, die dann notwendig ist, wenn die Gültigkeit der jeweiligen Schlußregel und damit auch die Wahrheit der ihr entsprechenden Behauptung in Frage steht. Die Ursache für diese Problematik scheint mir darin zu liegen, daß Toulmin (fälschlicherweise) davon ausgeht, daß die einer Schlußregel wie etwa - um bei unserem Beispiel (18) zu bleiben 93
94 95 96
Darauf deutet auch das folgende Beispiel Toulmins bzw. seine Formulierung hin: "The information that every one of Jack's sisters has red hair, we may say, serves as a backing for the warrant that any of his sisters may be taken to have hair of that colour ..."(Toulmin 1958:13o). Zum Unterschied von Satz und Schlußregel vgl. Kapitel 3 . 2 , S.64, Anm.42. Toulmin 1958:112. Vgl. Toulmin 1958:126. Vgl. Toulmin 1958:184.
86
(2o) Any sister of Jack's may be taken to have red hair.
97
entsprechende Behauptung als (19) zu formulieren sei, d.h., daß - allgemein ausgedrückt - der Schlußregelaspekt von Sätzen der Form All A's are B's, Almost all A's are B*s, usw. in Sätzen der Form An A can certainly be taken to be a B u.a., der Behauptungs- oder Informationsaspekt in Sätzen der Form The proportion of A's found to be B's is x%, The class of B's includes taxonom98 ically the entire class of A's usw. formuliert werden könne. Diese Annahme ist jedoch falsch, denn Sätze der Form All A's are B's und The proportion ... usw., bei unserem Beispiel (18) und (19), stehen auf verschiedenen Ebenen: Wenn ich (18) behaupte, behaupte ich nur, daß alle Schwestern Jacks rote Haare haben, sage aber nichts darüber, worauf ich mich dabei stütze, d.h., ich behaupte nicht gleichzeitig (implizit) einen Satz wie etwa (19). Sätze bzw. Propositionen wie (19) können erst dann ins Spiel, wenn die Wahrheit einer Proposition wie (18) in Frage steht: Dann kann ich z.B. darauf verweisen, daß beobachtet worden sei, daß alle Schwestern Jacks rote Haare haben, u.U. auch, wer dies beobachtet hat, ich kann anführen, daß Jack selbst mir das gesagt habe, usw. Ebenso kann es zwar sein, daß ich, wenn ich beispielsweise (15) behaupte, dies auf der Grundlage einer Statistik tue; aber ich behaupte, wenn ich (15) behaupte, nichts über diese Statistik, ich gebe nicht, wie Toulmin meint, einen statistischen Bericht, ich sage nichts darüber, worauf ich mich stütze, wenn ich (15) behaupte, nichts darüber, wie die Wahrheit von (15) gestützt ist bzw. gestützt werden kann. Dies werde ich erst dann tun - etwa dadurch, daß ich (16) behaupte -, wenn die Wahrheit von 99 (15) in Frage steht. Durch diese Vermischung von Schlußregeln entsprechenden Behauptungen mit Behauptungen, die sowohl die jeweiligen Schlußregeln als auch die diesen Schlußregeln jeweils entsprechenden Behauptungen "stützen", und die dadurch bedingte Ambiguität von backing bzw. Stützung gerät der Begriff der Stützung - und mit diesem auch der eng verknüpfte Begriff der Schlußregel (warrant) natürlich ins Zwielicht, werden diese Begriffe unklar und z.T. widersprüchlich, wird nicht deutlich, worin der Unterschied zwischen Schlußregeln und Stützungen genau besteht bzw. bestehen soll.Es könnt hinzu, daß Toulmin 97 98
99
Vgl. Toulmin 1958:126. Vgl. Toulmin 1958:112. - Mit den Ausdrücken "Schlußregelaspekt" und "Behauptungs- oder Informationsaspekt" lehne ich mich an Toulmin l 9 5 8 : U l f . an. Darauf haben auch schon Castaneda 196o:282 und Hardin 1959:161 in ihrer Kritik an Toulmin hingewiesen.
87
nicht erklärt, was er unter Stützen versteht, wenn damit mehr gemeint
ist
als nur die Entsprechung von Behauptung und Schlußregel. Zwar spricht er an einer Stelle von "using our observations of regularities and correlations as the backing for a novel warrant" und bringt dabei den Übergang von einer Stützung zu einer Schlußregel mit dem Begriff der Induktion zusanmen, °° zwar unterscheidet er zwischen "warrant-using" und "warrant-establishing arguments", wobei letztere mit den Stützungen zu tun haben sollen,
doch
sind solche Bemerkungen zum einen zu selten, als daß man daraus auf Toulmins Auffassung von Stützen in diesem Sinne schließen könnte, vor allem aber werfen diese wenigen Bemerkungen noch zusätzliche Probleme auf und tragen auf diese Weise eher noch zu größerer Unklarheit bei: Denn sind für Übergänge dieser Art, z.B. von einer Beobachtung zu einer Schlußregel, nicht auch wieder Schlußregeln erforderlich? und wenn ja, welcher Art? Wie hat man sich den Übergang in ändern Fällen, z.B. bei dem Harry-Beispiel von einem Gesetz zu einer Schlußregel, vorzustellen? Handelt es sich bei dieser Art der "Stützung" nicht eigentlich um n e u e Argumentationen? Daß der von Toulmin postulierte Unterschied zwischen Schlußregel (warrant) und Stützung (backing) sowie ihr Verhältnis zueinander so unklar bleibt und damit gerade der Teil in Toulmins Schema, an dem es sich am deutlichsten von der logischen Auffassung der Struktur von Argumentationen unterscheidet, ist ein ganz entscheidender Mangel des Konzepts von Toulmin. Er ist umso bedauerlicher, als Toulmins Theorie von ihrem Grundgedanken her für die in Kapitel 1 und 2.3 erwähnten und erläuterten praktisch-semantischen Aufgabenstellungen und Ziele meiner Meinung nach geeigneter ist
als
das logische Konzept - dies wird in Kapitel 3.6 noch genauer auszuführen und zu begründen sein. Ryles Ansatz ist zwar nicht mit den Problemen behaftet, die bei Toulmin negativ zu Buche schlagen, doch ist sein Ansatz eben wirklich nur ein Ansatz, d.h. mehr ein Denkanstoß, eine Anregung, in eine bestimmte Richtung weiterzudenken, weiterzuarbeiten, aber keine ausgearbeitetere Theorie der Struktur von Argumentationen bzw. Argumentationshandlungen. Aus diesen Gründen möchte ich im folgenden Kapitel 3.5 eine dritte, eigene Theorie der Struktur von Argumentationen und Argumentationshandlungen wickeln, die den Konzepten von Ryle und Toulmin zwar verwandt ist,
ent-
die sich
an entscheidenden Stellen aber von diesen unterscheidet und damit - so hoffe ich zumindest - sowohl die Probleme und Unklarheiten Toulmins vermeidet als 100 101
Toulmin 1958:121f. Vgl. Toulmin 1958:12of.
88
auch genaueren Aufschloß über die Struktur von Argumentationen und Argumentationshandlungen zu geben vermag als Ryles mehr skizzenhafte Ausführungen. 3.5
Der Begriff der Schlußpräsupposition
Wer argumentiert, d.h. einen Satz wie beispielsweise (1) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. behauptet, um damit die Wahrheit eines anderen Satzes bzw. einer anderen Proposition - in unserem Beispielfall der entsprechenden Proposition (2) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. zu stützen, p r ä s u p p o n i e r t , daß - wieder auf das Beispiel bezogen - (2) aus (1) folgt, d.h., daß eine entsprechende Proposition wie (3)(6) o.a. wahr ist: (3) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (4) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. (5) Die meisten Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete. Musiker. (6) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist es sehr wahrscheinlich, daß er (auch) ein ausgezeichneter Musiker ist. Dies ist die Grundthese meiner Auffassung der Struktur von Argumentationshandlungen bzw. Argumentationen, die ich im folgenden näher ausführen und begründen möchte. Ausgehen werde ich dabei von einer Erörterung der Begriffe des Präsupponierens und der Präsupposition im Zusammenhang mit dem Behaupten, wo das Präsuppositionskonzept auch seinen Ursprung hat. Seit Strawsons Aufsatz "On referring" ° ist es weithin - wenn auch nicht allgemein - üblich geworden zu sagen, daß jemand, der einen Satz wie beispielsweise (1) behauptet, dabei präsupponiert, daß C einen Bruder hat, also, daß die entsprechende Proposition (7) C hat einen Bruder. wahr ist. Damit ist gemeint, daß es dafür, daß eine mit (1) gemachte Behauptung wahr oder falsch sein kann, d.h., daß ihr überhaupt ein Wahrheitswert Io2
Strawson 195o.
89
zukamen kann bzw. zukommt, notwendig ist, daß (7) wahr ist.
Denn wenn die
entsprechende Proposition (7) - die sog. Presupposition - falsch wäre, würde - so die Argumentation - die Frage der Wahrheit oder Falschheit der mit (1) gemachten Behauptung gar nicht auftreten, d.h., könnte dieser Behauptung gar kein Wahrheitswert zukommen. °
Was unter Präsupponieren und Präsupposi-
tionen jedoch genau zu verstehen ist,
ob Präsupponieren eine Handlung ist
oder nicht, wer präsupponiert - ob Sprecher, Sätze, Behauptungen, Propositionen usw. -, was präsupponiert wird - Sätze, Propositionen, Gegenstände usw. -, darüber gehen die Meinungen in der Literatur weit auseinander. Es würde in unserem Zusanmenhang zu weit führen, ausführlicher auf diese verschiedenen Meinungen einzugehen und das jeweilige Für und Wider zu diskutieren; stattdessen möchte ich mich auf die Darstellung meiner Auffassung von Präsupponieren und von Präsuppositionen und eine kurze Abgrenzung dieser 1o4 Auffassung von ändern beschränken. Ernst Tugendhat hat sich in seinem Buch "Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie"
sehr ausführlich und sehr detailliert
und differenziert mit der Sprechhandlung "Behaupten" beschäftigt und dabei gezeigt, daß das Wesen der Sprechhandlung "Behaupten" darin besteht, daß es - anders ausgedrückt - der Sinn von Behauptungshandlungen ist, einen Wahrheitsanspruch für das Behauptete aufzustellen, so daß man - wie es Tugendhat formuliert - sagen kann, "daß derjenige, der etwas behauptet, iitmer auch schon die Richtigkeit (Wahrheit) seiner Behauptung mitbehauptet." ° Dies ist nach Tugendhat darin begründet, daß Behauptungshandlungen Garantiehandlungen seien bzw. sind: "Daß der, der einen assertorischen Satz 'p' verwendet, etwas behauptet, heißt - so können wir sagen -, daß er eine Garantie dafür übernimmt, daß es wahr ist,
daß p."
Den Begriff der Garantie bzw.
des Übernehmens einer Garantie erläutert er so: "Wer eine Garantie über103
104
105 106 107
Vgl. etwa Strawson 1952:173ff. - Ausgangspunkt und Anlaß zur Entwicklung seines Präsuppositionskonzepts, mit dem er an Frege 1892 anknüpft, war für Strawson die Kritik an Russells Theorie der Kennzeichnungen (theory of definite descriptions), die ihrerseits aus einer Kritik an Frege hervorgegangen ist - vgl. Russell 19o5. - Ausführlicher hierzu Keller 1975:31ff. Für ausführlichere Diskussionen verschiedener Präsuppositionstheorien vgl. etwa Garner 1971 und Keller 1975. Einen guten Überblick über die unterschiedlichen Ansätze vermittelt auch der Sammelband Petöfi/Franck ( H g . ) 1973, der zusätzlich eine recht umfangreiche Bibliographie enthält. Tugendhat 1976. Tugendhat 1976:255. Tugendhat 1976:254.
9
nimmt, verbürgt sich dafür, daß gewisse von ihm angegebene Bedingungen erfüllt sind."108 Dieses Übernehmen einer Garantie beim Behaupten ist, wie besonders das vorletzte Zitat schon andeutet, nichts Freiwilliges, nichts, das zum Behaupten noch hinzukäme, keine zusätzliche Handlung irgendeiner Art: Man kann zwar einen Satz wie (1) auch äußern, ohne eine Garantie für die Wahrheit der dabei ausgedrückten Proposition zu übernehmen, etwa wenn man (1) als Beispielsatz verwendet, wie ich es hier getan habe, bei einer Mikrophonprobe, bei Sprechübungen usw., aber man kann (1) nicht b e h a u p t e n , ohne die Garantie für die Wahrheit der beim Äußern bzw. Behaupten von (1) ausgedrückten Proposition zu übernehmen. Denn "etwas behaupten" ist ja gerade durch das übernehmen der Garantie für die Wahrheit des Behaupteten bestiimt: Wer (1) behauptet, bringt damit gerade zum Ausdruck, daß er die Garantie für die Wahrheit der jeweiligen Proposition (1) übernimnt. Statt von übernehmen einer Garantie könnte man deshalb auch - in Anlehnung an die bei solchen Fällen im Englischen übliche Redeweise vom cotmitment - vom Verpflichtetsein durch das Behaupten sprechen und sagen, daß das Behaupten eines Satzes wie z.B. von (1) denjenigen, der diese Behauptungshandlung vollzieht, auf die Wahrheit der dabei ausgedrückten Proposition, auf das Erfülltsein der für die Wahrheit notwendigen Bedingungen verpflichtet, d.h., daß er auf die Wahrheit dieser Behauptung und das Erfülltsein der erwähnten Bedingungen festgelegt werden kann. Das übernehmen einer Garantie bzw. das Garantieren der Wahrheit einer Proposition usw. hat demnach auch nichts mit dem Fürwahrhalten, Glauben usw. einer Proposition zu tun: Wer eine Behauptung macht, übernimmt qua Behaupten, d.h. aufgrund der für das Behaupten gültigen Re-
Io8
Tugendhat 1976:254. - Es würde in unserem Rahmen zu weit führen, Tugendhats sehr umfangreiche, komplexe und differenzierte Ausführungen und seine Begründung für seine Auffassung vom Charakter der Sprechhandlung "Behaupten" auch nur in ihren Grundzügen wiederzugeben; stattdessen sei nachdrücklich auf Tugendhat 1976 verwiesen. Ich sehe außerdem davon ab, daß Tugendhat die Rede vom Übernehmen einer Garantie letztendlich wieder aufgibt und - präzisierend - Behauptungshandlungen schließlich als Eröffnungszüge eines Spiels definiert, das er das "Spiel der assertorischen Rede" nennt (vgl. Tugendhat 1976: 2 5 8 f f . ) . Ich sehe deshalb davon ab, weil es die Übernahme dieser Definition erforderlich gemacht hätte, sehr viele Voraussetzungen einzuführen und zu erläutern, was zu einer sehr umfangreichen Darstellung geführt hätte, die mir im gegebenen Rahmen nicht notwendig und nicht angemessen scheint, zumal diese neue Definition Tugendhats nicht in Widerspruch zur hier zugrundegelegten steht, sondern nur eine Präzisierung darstellt.
91
geln, die Garantie für die Wahrheit der beim Behaupten ausgedrückten Proposition und garantiert dafür, unabhängig davon, ob er sie wirklich für wahr hält bzw. glaubt oder nicht. Zu sagen, daß jemand auf die Wahrheit einer bestiitmten Proposition oder das Erfülltsein bestimmter Bedingungen festlegbar ist, daß er dafür garantiert, ist deshalb nicht gleichbedeutend mit einer Aussage darüber, was der Betreffende für wahr bzw. für erfüllt hält. Zu den Bedingungen, für deren Erfülltsein derjenige, der etwas, z.B. (1), behauptet, garantiert, gehören auch - und damit können wir zu unserem Ausgangspunkt zurück - die sog. Präsuppositionen, d.h. bei unseren Beispiel die Bedingung, daß C einen Bruder hat, also, daß die der Behauptung (1) entsprechende Proposition (7) wahr ist. Denn wenn - wie wir eingangs gesehen haben - einer mit (1) gemachten Behauptung überhaupt nur dann ein Wahrheitswert zukamen kann, wenn die entsprechende Proposition (7) wahr ist, bedeutet dies a fortiori, daß die Behauptung (1) auch nur dann wahr sein kann, wenn (7) wahr ist. Daß jemand, der etwas behauptet, dabei etwas präsupponiert, heißt demnach, daß er mit seiner Behauptungshandlung dafür garantiert d.h. darauf festzulegen ist, daß die Bedingung(en) erfüllt ist/sind, die erfüllt sein muß/müssen, damit der entsprechenden Behauptung überhaupt ein Wahrheitswert zukommen kann. 1o9 Und da das Übernehmen einer Garantie weder eine Handlung ist noch etwas mit Fürwahr- oder Fürfalschhalten zu tun hat, darf auch das Präsupponieren weder als Handlung angesehen, noch mit dem Fürwahrhalten gleichgesetzt oder in Zusammenhang gebracht werden. Was jeweils präsupponiert wird, ist abhängig von der Bedeutung des bei der jeweiligen Behauptungshandlung verwendeten Satzes: So ist es beispielsweise Teil der Bedeutung des Satzes ( 1 ) , daß jeder, der diesen Satz behauptet, d.h. bei einer Behauptungshandlung verwendet, die entsprechende Proposition (7) präsupponiert, d.h. für die Wahrheit der entsprechenden Proposition (7) garantiert, also auf die Wahrheit dieser Proposition festlegbar ist. 112 109 110 111 112
Vom Präsupponieren als einem commitment sprechen beispielsweise auch Strawson 1952:175 und Black 1958;1962:56f. Wie etwa in Heringer 1974a:142, wo die Rede davon ist, daß derjenige, der etwas präsupponiert, etwas behaupte, ohne etwas zu äußern. Wie etwa in Keller 1975:lo6 und passim. Der Korrektheit halber muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß Tugendhat selbst dem Präsuppositionskonzept sehr skeptisch gegenübersteht: vgl. Tugendhat 1976:384ff. Für Tugendhat würde aus der Falschheit von (7) z.B. nicht folgen, daß der entsprechenden Behauptung (1) kein Wahrheitswert zukommt, sondern - wie für Russell - daß die Behauptung (1) falsch ist. Da dieser Unterschied aber nicht den Status des Präsupponierens als eines Garantierens bestimmter Bedingungen be-
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Teilweise werden Präsuppositionen nicht als notwendige Bedingungen für das Zukamen eines Wahrheitswerts definiert, wie ich dies bisher getan habe, 113 sondern als notwendige Bedingungen für das Vorhandensein einer Behauptung, d.h., es wird angencnmen, daß dann, wenn die entsprechende Präsupposition falsch ist, gar keine Behauptung vorliegt. 114 Da damit sicherlich nicht gemeint ist, daß dann überhaupt nichts vorliegt, handelt es sich bei dieser Definition aber nicht um eine grundsätzlich andere, mit der ersten inkompatible Definition des Begriffs der Präsupposition, wie teilweise angenommen wird, sondern nur um eine Variante dieser Definition. Denn daß einer Behauptung kein Wahrheitswert zukommt, bedeutet aufgrund der Tatsache, daß der Sinn von Behauptungshandlungen darin besteht, einen Wahrheitsanspruch für das Behauptete aufzustellen, daß die entsprechende Handlung als Behauptungshandlung mißlungen ist, oder anders ausgedrückt, daß eigentlich
t r i f f t - auch für Tugendhat garantiert derjenige, der (1) behauptet, daß die entsprechende Proposition (7) wahr ist, nur die Auswirkungen der Falschheit von (7) sind andere -, scheint mir die Bezugnahme auf Tugendhat bei der Klärung der Begriffe des Präsupponierens und der Präsupposition trotz dieser Differenz vertretbar und gerechtfertigt. Auf die dadurch aufgeworfene Frage nach der Berechtigung des Präsuppositionskonzepts kann ich in unserem Zusammenhang nicht eingehen, da dies eine eigene Monographie erfordern würde; für unseren Zusammenhang sei die Berechtigung dieses Ansatzes einmal vorausgesetzt. Eine ausführlichere Diskussion verschiedener Einwände gegen die Annahme von Präsuppositionen sowie eine Widerlegung dieser Einwände und eine Rechtfertigung des Präsuppositionsansatzes finden sich in Keller 1975. Vgl. auch die klassische Diskussion dieser Problematik zwischen Strawson und Russell in Strawson 195o, Strawson 1952 und Russell 1957. 113 Die Formulierung, daß Präsuppositionen notwendige Bedingungen für das Zukommen eines Wahrheitswerts sind, ziehe ich der alternativen Formulierung vor, daß Präsuppositionen notwendige Bedingungen für die Wahrheit oder Falschheit bzw. Wahrheit-oder-Falschheit der entsprechenden Behauptungen seien, da diese Ausdrucksweise leicht im Sinne von 'notwendige Bedingung für die Wahrheit oder notwendige Bedingung für die Falschheit' bzw. 'notwendige Bedingung für die Wahrheit und notwendige Bedingung für die Falschheit' mißverstanden werden kann und auch schon wurde. Vgl. hierzu Kellers Kritik an Nerlich 1965 in Keller 1975:66f. 114 Dies scheint in etwa die Position Freges in Frege 1892 zu sein, der dies allerdings nicht explizit sagt. Vgl. hierzu etwa Black 1958;1962: 4 9 f . , Garner 1971:28 und Keller 1975:42-45. In der vorliegenden Arbeit beschränke ich mich auf Präsuppositionen bei Behauptungen, da mir dies im gegebenen Zusammenhang ausreichend erscheint. Eine umfassendere Definition und Behandlung des Präsuppositionsbegriffs müßte auch noch Präsuppositionen bei anderen Handlungen, wie z.B. beim Fragen, Befehlen usw., mit berücksichtigen. 115 So etwa bei Nerlich 1965, der Strawson unterstellt, zwischen diesen beiden "inkompatiblen" Positionen zu schwanken (vgl. bes. Nerlich 1965: 3 3 f . ) . Zur Kritik vgl. etwa Keller 1975:63-75.
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gar keine Behauptungshandlung und damit auch gar keine Behauptung vorliegt, da der mit der Behauptungshandlung aufgestellte Anspruch gar nicht einlösbar ist, wenn die entsprechende Behauptung bzw. die bei der betreffenden Handlung ausgedrückte Proposition nicht nach Wahrheit und Falschheit beurteilbar ist.116 Ein wichtiges Verdienst dieser alternativen Präsuppositionsdefinition liegt zweifellos darin, daß - wenn auch oft nur implizit - auch die Konsequenzen der Falschheit von Präsuppositionen für die jeweiligen Handlungen mit einbezogen werden, während bei der ersten Definition nur von den Behauptungen die Rede war. Für weniger glücklich halte ich die Redeweise, im Falle der Falschheit einer Präsupposition einfach zu sagen, daß dann keine Behauptungshandlung und keine Behauptung vorlägen, wenn dies auch in gewisser Weise richtig ist. Denn bei dieser Redeweise ist der Unterschied zwischen Fällen wie dem, daß jemand (1) behauptet, d.h., (1) mit dem Anspruch auf Wahrheit der dabei ausgedrückten Proposition äußert, die Präsupposition (7) aber falsch ist, und Fällen wie dem, daß jemand (8) Schließ die Tür! äußert oder mit (9) Ist Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker? eine Frage stellt, usw., also Fällen, in denen ein Wahrheitsanspruch gestellt wird, aber nicht einlösbar ist, und Fällen, in denen dieser Anspruch gar nicht gestellt wird, nicht zu erfassen: In allen Fällen müßte man sagen, daß keine Behauptungshandlungen und keine Behauptungen vorliegen. Es scheint mir deshalb besser, die zuerst eingeführte Präsuppositionsdefinition beizubehalten bzw. sie im Hinblick auf die Konsequenzen für die jeweiligen Behauptungshandlungen zu erweitern und zu sagen, daß dann, wenn die Präsupposition falsch ist,
der entsprechenden Behauptung, d.h. der bei
der jeweiligen Handlung ausgedrückten Proposition, kein Wahrheitswert zu118 kctimt und die jeweilige Behauptungshandlung deshalb mißlungen ist, daß 116
Bei der Definition der Präsupposition als notwendiger Bedingung für das Vorliegen einer Behauptung wird Behauptung in der Regel ambig verwendet und verstanden, d . h . , mit der Bestimmung, daß dann, wenn die Präsupposition falsch ist, gar keine Behauptung vorliegt, ist nicht nur gemeint, daß keine Behauptung in unserem Sinne, sondern auch, daß keine Behauptungshandlung vorliegt. 117 Diese Formulierung wird in Kapitel 4 noch etwas zu erläutern und zu modifizieren sein. 118 Zum Begriff des Mißlingens einer Handlung vgl. Austin 1962;1971:14ff.
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wir es dann mit einer "vermeintlichen", einer "unechten" Behauptungshand119 lung und einer "vermeintlichen", einer "leeren" Behauptung zu tun haben, einer Behauptung, der kein Wahrheitswert zukamt.
Denn wenn wir bei den
Fällen der ersten Art von vermeintlichen bzw. mißlungenen Behauptungshandlungen sprechen, tragen wir zum einen der Tatsache Rechnung, daß dann, wenn die Präsupposition falsch ist,
keine Behauptungshandlungen und keine Behaup-
tungen vorliegen, denn vermeintliche Behauptungshandlungen bzw. Behauptungen sind eben
k e i n e
Behauptungshandlungen/Behauptungen - insofern stimmt
diese Ausdrucksweise mit der alternativen Redeweise überein -, gleichzeitig ermöglicht sie aber auch die Erfassung des Unterschieds zwischen den Fällen der ersten und denen der zweiten Art, also zwischen Fällen, bei denen der Anspruch von Behauptungshandlungen gestellt wird, dieser Anspruch aufgrund der Falschheit der Präsupposition aber nicht einlösbar ist, 121 denen dieser Anspruch gar nicht gestellt ist.
und Fällen, bei
Wenn wir die bisherigen Überlegungen zum Begriff des Präsupponierens und der Präsupposition auf die Analyse des Argumentierens und von Argumentationen übertragen, zeigt sich, daß (3) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. bzw. (4)-(6) o.a. im Hinblick auf das Argumentieren von (1) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, auf
(2) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. bzw. für (2) mit Hilfe von (1) in der Tat die gleiche Funktion hat wie (7) C hat einen Bruder. im Hinblick auf das Behaupten von ( 1 ) , d.h., daß es gerechtfertigt ist zu sagen, daß derjenige, der argumentiert, der beispielsweise (1) behauptet, um die Wahrheit der entsprechenden Proposition (2) zu stützen, präsuppo-
119 120 121
Keller 1975:6of. spricht von "vermeintlichem Behaupten", Strawson 195o: 329 vom "spurious or pseudo-use" eines Satzes. Austin 1962;1971:136 spricht von "null and void Statements". Vgl. zu diesem Abschnitt auch Austin 1962;1971, wo zwischen "act" einerseits und "purported act", "attempt of an act", "empty act" andererseits ( 1 6 f . ) bzw. zwischen dem "act of doing x" und dem "act of attempting to do x " ( l o 5 ) unterschieden wird.
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niert, daß (2) aus (1) folgt, daß (3) oder eine entsprechende Proposition wahr ist. Wer etwas behauptet, stellt damit - und darin besteht, wie ich eingangs im Anschluß an Tugendhat dargelegt habe, der Sinn des Behauptens den Anspruch, daß das von ihm Behauptete wahr ist, garantiert für die Wahrheit seiner Behauptung. Wer argumentiert, behauptet -vgl. Kapitel 3.1 etwas, un etwas anderes, das in Frage steht, zu stützen, d.h. erhebt den Anspruch, daß seine Behauptung das, was in Frage steht, stützt, garantiert also dafür, daß seine Behauptung - das sog. Argument - das in Frage Stehende - die sog. Konklusion - stützt. So wie es qua Charakter des Behauptens unmöglich ist, daß jemand etwas behauptet, ohne den genannten Anspruch zu er122 heben, weil das Behaupten ja gerade darin besteht, ist es qua Charakter des Argumentierens unmöglich, zu argumentieren und nicht den Anspruch des Stutzens zu stellen - denn argunentieren heißt eben etwas behaupten, uti etwas, das in Frage steht, zu stützen. Wie wir gesehen haben, ist der Anspruch bei Behauptungshandlungen, daß das Behauptete wahr ist, nur einlösbar, wenn der Behauptung überhaupt ein Wahrheitswert zukamen kann, wenn die sog. Präsupposition - wie im Falle von (1)
(7) - wahr ist. Wenn die Präsupposition dagegen falsch ist, bedeutet
das, daß der mit der jeweiligen Handlung gestellte Anspruch gar nicht einlösbar ist, d.h., daß die betreffende Handlung als Behauptungshandlung mißlungen ist, daß nur eine vermeintliche Behauptungshandlung vorliegt. Analoges gilt - und deshalb scheint es mir gerechtfertigt zu sein, auch beim Argunentieren in der vorgeschlagenen Weise vom Präsupponieren zu sprechen für den bei bzw. mit einer Argurnentationshandlung erhobenen Anspruch, daß die als Argutient angeführte Behauptung die in Frage stehende Konklusion stützt: Auch dieser Anspruch ist nur dann einlösbar, wenn die als Argvjnent angeführte Behauptung die Konklusion überhaupt stützen kann, d.h., wenn die (eventuelle) Wahrheit dieser Behauptung auf die Konklusion überhaupt übertragen werden kann, also - anders ausgedrückt -, wenn die Konklusion aus dieser Behauptung folgt, wenn gilt, daß man von der Wahrheit dieser Behauptung auf die Wahrheit der betreffenden Konklusion schließen kann. Denn wenn zwischen dem Argunent bzw. der als Argunent vorgebrachten Behauptung und der Konklusion keine Folgebeziehung besteht, ist der mit der Argumentationshandlung aufgestellte Anspruch - daß die als Argunent vorgebrachte Behauptung die Konklusion stützt - nicht einlösbar, da die betreffende Behauptung die Konklusion gar nicht stützen kann bzw. könnte, selbst wenn sie wahr wäre. 122
Vgl. S.9o.
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Wenn jemand beispielsweise die Behauptung (1) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, als Argument für (2) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, vorbringen, (2) aber nicht aus (1) folgen würde, oder wenn jemand (1o) Der Dollarkurs fällt. als Argument für (2) anführen würde, obwohl - hier dürfte wohl allgemeines Einverständnis bestehen - (2) nicht aus (1o) folgt, die Behauptung (1o) also (2) auch dann nicht stützen könnte, wenn (1o) wahr ist bzw. wäre, sind diese Handlungen als Argumentationshandlungen ebenso mißlungen, weil der mit Argumentationshandlungen qua Argumentationshandlungen aufgestellte Anspruch gar nicht einlösbar ist, sind diese Handlungen ebenso nur vermeintliche Argumentationshandlungen und die entsprechenden Argumentationen nur vermeintliche, leere Argumentationen, wie nur eine vermeintliche Behauptungshandlung bzw. Behauptung vorliegt, wenn jemand beispielsweise (1) behauptet, aber (die Präsupposition) (7) C hat einen Bruder. falsch ist,
wie nur eine vermeintliche, eine mißlungene Befehlshandlung bzw.
nur ein vermeintlicher Befehl, ein Befehl, der gar nicht befolgt werden kann, vorliegt, wenn jemand mit (8) Schließ die Türl einen Befehl gibt bzw. geben will, aber gar keine Tür da ist, die geschlossen werden könnte, wie eine Handlung als Fragehandlung mißlungen ist,
bei
der jemand (9) Ist Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker? fragt, aber (die Präsupposition) (7) falsch ist, die Frage also gar nicht 123 beantwortbar ist, usw. Wenn dagegen das Argument - bei unserem Beispiel 123
Bei dem letzten Beispiel könnte man einwenden, die Frage (9) sei auch dann beantwortbar, wenn (7) falsch sei, denn man könne doch antworten, daß C gar keinen Bruder habe. Solche Entgegnungen möchte ich jedoch nicht als Antworten klassifizieren, da es mir sinnvoll scheint, zwischen Antworten im engeren Sinn und Antworten im weiteren Sinn, die ich lieber Reaktionen nennen möchte, zu unterscheiden. Vgl. hierzu ausführlicher Heringer/Öhlschläger/Strecker/Wimmer 1977:126-145. Dort finden sich auch nähere Ausführungen zum Präsupponieren im Zusammenhang mit Fragehandlungen.
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(1) - falsch ist, wird die Konklusion - (2) - zwar auch nicht durch das Argument gestützt - denn eine als Argument vorgebrachte Behauptung stützt eine Konklusion nur dann, wenn die Konklusion aus dem Argument folgt und das Argument wahr ist, da man nur von der Wahrheit einer Behauptung auf die Wahr124 heit einer ändern Behauptung schließen kann -, doch ist in diesem Fall die betreffende Argunentationshandlung nicht mißlungen, liegt keine ver125 meintliche, keine leere, sondern eine richtige Argumentation vor - auch falsche Behauptungen sind ja "richtige" Behauptungen, daß das bei einer Behauptungshandlung Behauptete falsch ist, bedeutet ja auch nicht, daß die Behauptungshandlung - als Behauptungshandlung - mißlungen ist.
12fi
In Kapitel 3.3 habe ich davon gesprochen, daß Sätze der Form Wenn p, dann 3, Allsätze u.a. Folgebeziehungen ausdrücken, insofern, als dann, wenn eine mit einem Satz dieser Art, z.B. mit (3) oder (11) (3) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (11) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. gemachte Behauptung wahr ist, gilt, daß daraus, daß jemand bzw. Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, geschlossen werden kann, daß er ein ausgezeichneter. Musiker ist.
Es ist deshalb möglich, die beim Argu-
mentieren gemachte bzw. eingegangene Präsupposition auch mit einem Satz dieser Art anzugeben, also - so wie ich dies eingangs dieses Kapitels auch schon getan habe - zu sagen, daß derjenige, der z.B. mit Hilfe von (1) für die Wahrheit von (2) argunentiert, präsupponiert, daß eine entsprechende Proposition wie ( 3 ) , (11) o.a. wahr ist.
124 125 126
127
Vgl. hierzu auch S.52. Richtig ist hier natürlich nur als Gegensatz zu vermeintlich zu verstehen. Vgl. hierzu auch die logische Unterscheidung zwischen gültigen und schlüssigen Argumentationen bzw. Schlüssen. In Anknüpfung an diese Redeweise könnte man sagen, daß im ersten der beiden Fälle eine ungültige Argumentation vorliegt, daß die Argumentation im zweiten Fall dagegen gültig, aber nicht schlüssig ist, d . h . , daß zwar gilt, daß man dann, wenn das Argument wahr ist, auf die Wahrheit der Konklusion schließen kann, das Argument aber nicht wahr ist. (Vgl. S . 5 2 ) . - Daß gültig in der (deduktiven) Logik enger, nur im Sinne von 'logisch gültig 1 , verwendet und verstanden wird, kann im gegenwärtigen Zusammenhang außer acht gelassen werden - vgl. hierzu auch S.69, Anm.So. Vgl. S.72 und 7 4 f . Zur Entsprechung vgl. auch S,63, Anm.42.
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In 3.3 habe ich außerdem darauf hingewiesen, daß folgen und notwendig folgen nicht synonym sind, sondern daß man auch in Fällen, in denen beispielsweise dann, wenn eine Proposition P.. wahr ist, sehr wahrscheinlich auch die entsprechende Proposition P wahr ist, o.a., sagen kann, daß P aus P folgt, wenn auch nicht notwendig, sondern nur mit sehr großer Wahrscheinlichkeit, usw. Daß derjenige, der argumentiert, präsupponiert , daß die Konklusion aus dem Argument folgt, heißt also nicht, daß er präsupponiert, d.h. darauf festlegbar ist, daß die Konklusion notwendig (oder gar logisch notwendig) aus dem Argument folgt, daß - bezogen auf unser Beispiel - (3) wahr ist: Eine Argumentationshandlung ist auch dann als Argumentationshandlung gelungen, wenn die Konklusion mit sehr großer, mit großer, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit o.a. aus dem Argument folgt, wenn - anders ausgedrückt - eine entsprechende Proposition wie z.B. - wieder auf unser Stan100 dardbeispiel bezogen - (5), (6) oder (12)-(21) wahr ist: 3 (5) Die meisten Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (6) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist es sehr wahrscheinlich, daß er (auch) ein ausgezeichneter Musiker ist. (12) Eigentlich sind alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker ausgezeichnete Musiker. (13) Fast alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (14) In der Regel ist jemand, der Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, ein ausgezeichneter Musiker. (15) Sehr viele Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker.
128 129
Vgl. S.69, Anm.So. Denn auch diese Sätze drücken wie wenn-dann- und Allsätze Folgebeziehungen aus: So wie dann, wenn beispielsweise eine mit (3) gemachte Behauptung wahr ist, gilt, daß daraus, daß jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, notwendig folgt, daß er ein ausgezeichneter Musiker ist, gilt auch, daß. daraus, daß jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, mit großer Wahrscheinlichkeit folgt, daß er ein ausgezeichneter Musiker ist, wenn eine mit (6) gemachte Behauptung beispielsweise wahr ist, daß dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit folgt, wenn eine mit (16) gemachte Behauptung wahr ist, usw. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Das notwendig bei folgt notwendig ist nur als Ausdruck der Allgemeinheit zu verstehen und drückt keinerlei andere Notwendigkeit aus.
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(16) Viele Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (17) Die Mehrzahl der Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (18) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist es so gut wie sicher, daß er ein ausgezeichneter Musiker ist. (19) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er normalerweise ein ausgezeichneter Musiker. (20) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist es wahrscheinlich, daß er ein ausgezeichneter Musiker ist. (21) Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist es wahrscheinlicher, daß er ein ausgezeichneter Musiker ist, als daß er kein ausgezeichneter Musiker ist. Um die spezifische Art und Funktion dieser Präsuppositionen beim Argumentieren deutlich zu machen, um auszudrücken, daß ihre Wahrheit bedeutet, daß von der (eventuellen) Wahrheit des Argunents auf die Konklusion geschlossen werden kann, ihr also eine Rechtfertigungsfunktion für das Schließen von Argument auf die Konklusion zukommt, möchte ich diese Präsuppositionen Schlußpräsuppositionen nennen. Fassen wir das Ergebnis dieses Kapitels zusammen: Wer argvmentiert, behauptet etwas - das sog. Argument -, um etwas, das in Frage steht - die sog. Konklusion - zu stützen, und präsupponiert, daß die Konklusion aus dem Argument folgt, d.h. schließt vom Argonent auf die Konklusion aufgrund der Schlußpräsupposition. Graphisch läßt sich dieser Zusammenhang folgendermaßen darstellen:131 (22)
Argument —-^—^—^— Schlußpräsupposition Konklusion
13o
131
Diesen Terminus habe ich in Anlehnung an Rescher gewählt, der in Rescher 1961 von "inferential presuppositions" spricht ( 5 2 5 f . ) . Reschers Verständnis von Schlußpräsuppositionen unterscheidet sich allerdings deutlich von der hier vorgeschlagenen Gebrauchsweise. Der Pfeil soll dabei den Übergang vom Argument zur Konklusion ausdrükken, die waagrechte Kante ist zu lesen als "aufgrund von" bzw. "aufgrund der" und soll die Rechtfertigungsfunktion der Schlußpräsupposition im Hinblick auf das Schließen vom Argument auf die Konklusion anzeigen.
1oo
Gestützt wird die Konklusion durch das Argument dann, wenn sowohl das Argument als auch die Schlußpräsupposition wahr sind. Ist die Schlußpräsupposition falsch, liegt nur eine vermeintliche Argunentationshandlung und dementsprechend nur eine vermeintliche, eine leere Argumentation vor. Ist dagegen das Argument falsch - die Schlußpräsupposition aber wahr -, ist die Argunentationshandlung als Argunentationshandlung gelungen, liegt eine richtige Argunentation vor, wenn auch eine, bei der das Argument die Konklusion nicht stützt. Auf das Ausgangsbeispiel aus 3.1 angewandt, bei dem A mit (1) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, für
(2) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. 132 argumentiert, müßte man nach der im vorliegenden Kapitel dargelegten Auffassung sagen, daß A (1) behauptet, un (2) zu stützen, und präsupponiert, daß (2) aus (1) folgt, daß - anders ausgedrückt - eine entsprechende Proposition wie etwa (3), ( 5 ) - ( 6 ) , (11) oder (12)-(21) wahr ist, d.h., daß A von (1) auf (2) schließt aufgrund der Schlußpräsupposition wie (3) usw. Mit Hilfe des Schemas (22) dargestellt:
(23)
Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker
(24)
Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker
Die meisten Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker (25)
Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philhanroniker Wenn jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, 'dann ist es wahrscheinlich, daß er ein ausgezeichneter Musiker ist Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker
usw. Gestützt wird die Konklusion (2) durch das Argvment (1) dann, wenn sowohl (1) als auch (3) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (5) Die meisten Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. o.a. wahr sind. Ist (3), (5) o.a. falsch, ist As Argunentationshandlung mißlungen, ist (1) falsch, aber (3), (5) o.a. wahr, wird (2) zwar auch nicht gestützt, As Argunentationshandlung ist jedoch als Argimentationshandlung gelungen.
1o2
3.6
Vergleich der verschiedenen Theorien der Struktur von Argumentationen und Argumentationshandlungen
Am Ende des Kapitels 3.4 habe ich davon gesprochen, daß meine - im vorangehenden Kapitel dargelegte - Auffassung der Struktur von Argumentationen bzw. Argumentationshandlungen mit den Ansätzen von Ryle und Toulmin verwandt
ist,
daß sie sich an entscheidenden Punkten aber von diesen unterscheidet. Verwandt sind die Auffassungen insofern, als nach allen drei Konzepten - um es wieder an unserem Philharmonikerbeispiel zu demonstrieren - (1) bzw. (2) o.a.
(1) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (2) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. einerseits und (3) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, andererseits beim Argumentieren für (4) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. unterschiedliche Funktionen haben - (1) und (2) als Schlußregel/Stützung bzw. Schlußpräsupposition, (3) als Datum bzw. Argument -, wodurch sie sich grundlegend von der in 3.2 dargestellten (logischen) Theorie der Struktur von Argumentationen bzw. Schlüssen unterscheiden, nach der (1) bzw. (2) und (3) beim Argumentieren für (4) gleichberechtigt sind und die gleiche Funktion besitzen, nämlich als Prämissen, von denen (logisch) auf (4) geschlossen wird bzw. werden kann. Unterschiede zwischen den Ansätzen bestehen vor allem hinsichtlich der genauen Funktion von Propositionen wie ( 1 ) , (2) o.a., hinsichtlich der genauen Rolle und des Status, die (1), (2) o.a. beim Argumentieren, innerhalb einer Argumentation zukommen. In 3.4 habe ich erwähnt, daß Sätze wie (1) für Toulmin mehrdeutig sind, daß sie seiner Meinung nach sowohl "the force of a warrant" als auch "the factual content of its backing" unser Beispiel - (1) sowohl als
133 Toulmin 1958:111.
haben können, also - wieder bezogen auf
1o3
(5) Wenn janand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er mit Sicherheit ein ausgezeichneter Musiker. 134 als auch als (6) Man hat festgestellt, daß jedes Mitglied der Berliner Philharmoniker ein ausgezeichneter Musiker ist. o.a. formulierbar und verstehbar ist, und daß Toulmin deshalb (1) unterschiedliche Funktionen in seinem Argumentationsschema zuweist, nämlich zwischen (1) in der Lesart (5) als Schlußregel (warrant) und (1) in der Lesart (6) als Stützung (backing) trennt. Bei dein im letzten Kapitel vorgestellten Ansatz dagegen wird angenommen, daß (1) beim Argumentieren von (3) auf (4) als Schlußpräsupposition fungiert, daß diese Schlußpräsuppogition auch als (5) o.a. formulierbar ist, während (6) nach dieser Auffassung nicht Teil dieser Argumentation ist, sondern höchstens in einer n e u e n Argxmentation als Argument fungieren könnte, einer neuen Argumentation mit (1) bzw. (5), also der Schlußpräsupposition der ersten Argumentation, als Konklusion und einer neuen Schlußpräsupposition, die derjenige, der von (6) auf (1)/(5) schließt, präsupponiert. Auf die Probleme des Toulminschen Konzepts, insbesondere seiner Unterscheidung von Schlußregel und Stützung, habe ich schon in 3.4 hingewiesen: daß der Begriff der Stützung unklar und schillernd bleibt, da sowohl die einer Schlußregel entsprechende Behauptung als auch Behauptungen, die die betreffende Schlußregel u n d die ihr entsprechende Behauptung "stützen", als Stützungen bezeichnet werden - wobei diese Vermischung auf die falsche Annahme Toulmins zurückgeht, daß (6) beispielsweise eine Lesart von (1) darstelle, daß Sätze wie (6) den "Behauptungs- bzw. Informationsaspekt" von Allsätzen ausdrückten -, daß durch diese Unklarheit auch der Unterschied 134
Alternative Formulierungen für
(5) wären etwa:
(i) Daraus, daß jemand Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, kann man mit Sicherheit schließen, daß er ein ausgezeichneter Musiker ist. (ii) Jedes Mitglied der Berliner Philharmoniker kann als ausgezeichneter Musiker angesehen werden. o.a.
135
Auf die Probleme beim Formulieren von Schlußregeln und auch von Stützungen - wie beim folgenden Beispiel (6) - habe ich ja schon in 3.4 verwiesen. Vgl. S.83f.
1o4
zwischen Schlußregel und Stützung nicht deutlich wird, und daß Toulmin zudem das Verhältnis zwischen Stützung (in der zweiten Bedeutung) und Schlußregel, den Charakter der "Stützungsfunktion" der Stützung im Hinblick auf die Schlußregel im dunkeln läßt. Bei dem Ansatz aus 3.5, dem Schlußpräsuppositionsansatz, wie man ihn abkürzend nennen könnte, treten diese Probleme und Unklarheiten dagegen nicht auf, da bei ihm (6) nicht als Lesart von (1) behandelt, sondern zwischen (1) als der der Schlußregel (5) bzw. (i) bzw. (ii) usw. entsprechenden Behauptung und (6) als der Behauptung/Proposition, die sowohl (1) als auch (5) usw. stützen kann bzw. könnte, unterschieden wird, und so deutlich wird, daß es sich bei dem, was Toulmin Stützung nennt, im ersten Verständnis dieses Begriffs nur um eine alternative Formulierung der Schlußregel bzw. Schlußpräsupposition handelt, und im zweiten Verständnis um ein Argument in einer neuen Argumentation mit der Schlußregel/Schlußpräsupposition der ersten Argumentation als Konklusion und einer neuen Schlußpräsupposition. Ein weiterer Vorteil des Schlußpräsuppositionsansatzes liegt meiner Meinung nach darin, daß bei ihm besser als bei Ryle und Tbulmin erfaßt wird, welche Rolle Sätze bzw. Propositionen der Form (7) Wenn p, dann q. (8) Alle F sind G. (9) Die meisten F sind G. u.a., also Propositionen wie ( 1 ) , (2), (5) usw. im Hinblick auf das Argumentieren bzw. Schließen von einer Proposition auf eine andere, etwa - wie in unserem Beispiel - von (3) auf ( 4 ) , spielen, daß durch die Annahme, daß derjenige, der - z.B. mit Hilfe von (3) für (4) - argumentiert, p r ä s u p p o n i e r t , daß die Konklusion aus dem Argument folgt, daß eine entsprechende Proposition der Form (7)-(9) usw. wahr ist, die Struktur von Argumentations h a n d l u n g e n besser erklärt wird als bei Ryle und Touümin: Ryle und Toulmin sprechen nur davon, daß Argumentationen der Form (10) p, also q. (11) q, denn p. u.a. Anwendungen von Sätzen bzw. Propositionen der Form (7) seien, 136 137
Vgl. Kapitel 3.4, S.83-87. Vgl. Ryle 195o:3o7.
wobei der
1o5
Begriff der Anwendung zwar noch näher erläutert wird,
1 oo
aber dennoch - zu-
mindest für mich - ziemlich verwaschen bleibt, bzw. davon, daß Schlußregeln (warrants) "can act as bridges, and authorise the sort of step to which our particular argument ccranits us." Alle diese Unterschiede sind jedoch - dies sei noch einmal ausdrücklich betont - keine grundlegenden Unterschiede, sondern Unterschiede zwischen verwandten Theorien, zwischen Theorien, die - wie eingangs dieses Kapitels schon erwähnt - in ihrer Grundauffassung übereinstimmen, daß Propositionen wie
(1) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (2) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist,
dann
ist er ein ausgezeichneter Musiker.
usw. beim Argumentieren für (4) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, mit Hilfe von (3) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. eine andere Holle spielen als die Proposition ( 3 ) , und die sich darin von der logischen Theorie der Struktur von Argumentationen grundlegend unterscheiden, nach der (1), (2) usw. sowie (3) die gleiche Funktion haben. 138 Vgl. Ryle 195o:31off. 139 Toulmin 1958:98. - An anderer Stelle findet sich bei Toulmin zwar auch die Formulierung "... the warrant is, in a sense, incidental and explanatory, its task being simply to register explicitly the legitimacy of the step involved and to refer it back to the larger class of steps whose legitimacy is being presupposed"(loo), doch scheint mir das "presuppose" hier nicht terminologisch gebraucht zu sein, denn Toulmin führt an keiner Stelle den Präsuppositionsbegriff ein und macht auch keinerlei Ausführungen dazu, was der Fall wäre, wenn ein Schritt nicht gerechtfertigt ist. Da es mir vor allem auf die Funktion von Propositionen wie ( 1 ) , (2) usw. beim Argumentieren bzw. innerhalb von Argumentationen ankommt, möchte ich auf die Diskussion weiterer Unterschiede verzichten - so auch auf eine nähere Begründung dafür, daß bei mir im Gegensatz zu Toulmin die Kategorien "Operator" und "Ausnahmebedingungen" nicht auftreten: Durch die Angabe der Schlußpräsupposition scheint mir - um eine Begründung wenigstens anzudeuten - die durch den Operator bei Toulmin bezeichnete Stärke des Arguments im Hinblick auf die Konklusion schon ausgedrückt zu sein, und auch eine separate Angabe von Ausnahmebedingungen scheint mir nicht unbedingt notwendig zu sein.
1o6
Ryle und Toulmin haben die Überlegenheit bzw. Notwendigkeit dieser Konzeption damit begründet, daß - so Ryle - die logische Auffassung zu einem infiniten Regreß führe, daß - so Toulmin - die logische Theorie zu 'sehr vereinfache und damit der Komplexität von Argumentationen nicht gerecht werde: Zun einen seien Strukturdarstellungen nach dieser Theorie mehrdeutig, zum ändern werde der Unterschied von Ober- und Unterprämisse hinsichtlich ihrer Funktion innerhalb der Argumentation durch die Benennung "Prämisse" für beide verschleiert. Gilbert Ryle hat seine Kritik im Rahmen seines schon mehrfach genannten 14o Aufsatzes " ' I f , 'so', and 'because'" formuliert, in dem er sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern die Gültigkeit einer Argumentation der Form
(12) p, so q. - oder deutsch: (1o), (11) o.a. - der Wahrheit des entsprechenden "hypothetical Statements" (13) If p, then q. - bzw. deutsch: Wenn p, dann q - bedarf. Bevor er das schon in Kapitel 3.4 vorgestellte Konzept der "inference licenses" entwickelt, mit dem er diese Frage beantwortet, diskutiert er nämlich einige andere mögliche Antworten auf diese Frage, darunter auch die Antwort, die Logiker normalerweise geben würden: Für sie handelt es sich bei Fällen wie (1o)-(12) u.a. - in 3.2 habe ich dies schon ausführlich dargelegt - um Enthymeme, um verkürzte Versionen von Argumentationen bzw. Schlüssen der Form (14) Wenn p, dann q P
Für sie wären (13) bzw. Wenn p, dann q bzw. die entsprechenden Sätze/Propositionen dieser Form also zusätzliche Prämissen, die sich von der ändern Prämisse (der Form) JD nur dadurch unterscheiden, daß sie nicht explizit ausgedrückt wurden; 141 sie würden also etwa - um Ryles Formulierung zu verwenden - sagen: "An argunent 'p, so q' is always invalid unless the premiss fron which 'g/ is drawn incorporates not only 'JD' but also 'if p, then.q.' 'cf follows neither from 'if p, then q' by itself, nor from 'JD' by itself,
140 Ryle 195o. 141 Vgl. S.61ff.
1o7
but only fron the conjunction 'p and (if p, then g) .'"
142
Diese Antwort hält
Ryle jedoch für falsch, da dieses Vorgehen zu einem infiniten Regreß führe: Wenn - so Ryles Argumentation - If p, then g als zusätzliche Prämisse notwendig sei, um auf (j schließen zu können, dann "a critic might ask to be satisfied that '3' was legitimately drawn from 'p and (if p, then q ) ' ; and, to be satisfied, he would have to be assured that 'if (p and [if p, then q ] ) , then q.' So this new hypothetical would have to be incorporated as a
third component of the conjunctive premiss, and so on forever - as the 1t>rtoise proved to Achilles."
143
Deshalb gelte: "The principle of an inference
cannot be one of its premisses or part of its premiss. Conclusions are drawn from premisses in accordance with principles, not from premisses that 144 embody those principles." Ryles Kritik ist jedoch unberechtigt, da sie von der Voraussetzung ausgeht, daß Sätze bzw. Propositionen der Form (13) bzw. (7) Wenn p, dann q. in Schlüssen der Form (14) , in Schlüssen nach dem modus ponens, als Schlußprinzipien fungieren. In den Kapiteln 3.2 und 3.3 habe ich ausführlich dargelegt, daß diese Auffassung falsch ist, daß bei den den Schlüssen der Form (14) entsprechenden Schlußhandlungen nicht von der ünterprämisse aufgrund der Oberprämisse auf die Konklusion geschlossen wird, sondern von beiden Prämissen zusanroen aufgrund des Prinzips des modus ponens, das besagt, daß dann, wenn eine Proposition der Form (7) und die entsprechende Proposition der Form £ wahr sind, auf die Wahrheit der entsprechenden Proposition der Form 3 l o g i s c h geschlossen werden kann. Es kamt hinzu, daß Ryle bei seiner Kritik nicht berücksichtigt, daß die Oberprämissen in (aussagenlogischen) Schlüssen nach dem modus ponens eigentlich nicht von der Form (13) bzw.
( 7 ) , sondern von der Form
(15) P = > q sind - deshalb sind auch sowohl (14) als auch das modus-ponens-Prinzip im 142 143
144
Ryle 195o:3o6. Ryle 195o:3o6. - Mit der letzten Bemerkung nimmt Ryle Bezug auf Lewis Carrolls berühmte Geschichte "What the tortoise said to Achilles" (Carroll 1895), eine Geschichte, die eine Reihe unterschiedlicher Interpretationen gefunden hat. Ob sich Ryle zu Recht auf diese Geschichte beruft, d . h . , ob seine Interpretation die richtige ist, sei hier dahingestellt. Zu einer Kritik an Ryles Interpretation vgl. etwa Bartley 1962/63:27-33. Ryle 195o:3o6f.
1o8
vorangehenden Satz nicht ganz korrekt formuliert 145 -, und daß die Oberprämissen in (aussagenlogischen) Schlüssen nach dem modus ponens schon deshalb gar keine Schlußprinzipien sein bzw. als solche fungieren können, weil Sätze der Form (15) im Gegensatz zu solchen der Form (7) bzw. (13) keine Folgebeziehungen ausdrücken. Das logische Vorgehen, Argumentationen der Form (1o)-(12) u.a. als Enthymeme, also als verkürzte Versionen von Argumentationen der Form (14) bzw.
aufzufassen, darf deshalb entgegen der Annahme Ryles nicht so verstanden werden, als sei es nach logischem Verständnis notwendig für die Gültigkeit von Argumentationen bzw. Schlüssen, daß das Schlußprinzip eines Schlusses Teil der Prämisse bzw. eine zusätzliche Prämisse in diesem Schluß ist: Wie ich in Kapitel 3.2 schon gezeigt habe, ist das Vorgehen nur darin begründet, daß Schlüsse der Form (1o)-(12) keine logisch gültigen Schlüsse sind, wohl aber solche der Form (16), d.h., daß Schlüsse der Form (1o)-(12) nur dann als logisch gültige Schlüsse behandelt werden können, wenn man annimmt, daß sie eigentlich Schlüsse der Form (16) sind, deren Oberprämisse nur nicht explizit ausgedrückt ist. Da Schlüsse der Form (16) im Gegensatz zu denen der Form (1o)-(12) u.a. schon logisch gültig sind, ist bei ihnen die Annahme einer zusätzlichen, nicht explizit ausgedrückten Prämisse nicht notwendig 147 von einem infiniten Regreß kann also keine Rede sein. TouMins erster Kritikpunkt - die Darstellung von Argumentationen nach dem logischen Schema "Oberprämisse; Unterprämisse; also: Konklusion" führe zu Mehrdeutigkeiten - geht auf seine schon in Kapitel 3.4 erläuterte Auffassung zurück, Sätze bzw. Propositionen der Form All A's are B's, Scarcely any A's are B's usw. seien insofern ambig, als sie sowohl "the force of a warrant" als auch "the factual content of its backing" haben könnten. Auf145
Gleiches gilt für die modus-ponens-Formulierungen in 3.2 und zu Beginn von 3.4. Doch da es für => - außer dem sehr umständlichen Ausdruck nicht zugleich ... und nicht ... - nur wenn-dann als natürlichsprachliche Entsprechung gibt, ist man trotz der Bedeutungsunterschiede und der Gefahr von Mißverständnissen gezwungen, Sätze der Form p => g als Wenn p, dann g zu übersetzen, wenn man rein natürlichsprachlich formulieren will. 146 Vgl. S . 5 9 f f . 147 Vgl. hierzu auch Geach 1965:451f. 148 Toulmin 1958:111.
1o9
grund dieser Ambiguität hätten auch - so Toulmin - Darstellungen der Form (17) Alle As sind Bs X ist ein A X ist ein B
zwei Bedeutungen: Ein Quasi-Syllogismus
149
wie z.B.
(18) Petersen is a Swede; Scarcely any Swedes are Reman Catholics; So, almost certainly, Petersen is not a Reman Catholic. könne nämlich sowohl im Sinne von (19) Petersen is a Swede; A Swede can be taken almost certainly not to be a Reman Catholic; So, almost certainly, Petersen is not a Reman Catholic. als auch im Sinne von (20) Petersen is a Swede; One proportion of Roman Catholic Swedes is less than 2%; So, almost certainly, Petersen is not a Reman Catholic. verstanden werden, also einmal mit der Schlußregel (warrant), eirmal mit der 15o Stützung (backing) in der mittleren Zeile: "A crucial difference in practical function can in this way pass unmarked and unnoticed." Sein eigenes 152 Schema dagegen "leaves no roan for ambiguity," da er zwischen Schlußregel 153 und Stützung unterscheide. Als zweiten Mangel der logischen Darstellungsweise von Argumentationen sieht es Toulmin an, daß dabei die beiden Prämissen gleich behandelt würden, obwohl sie sich schon dann, wenn die Oberprämisse als Stützung, vor allem aber dann, wenn sie als Schlußregel interpretiert werde, deutlich in ihrer Funktion unterschieden. Denn während die Unterprämisse - bei unserem Stan149
150 151 152 153
Toulmin illustriert die von ihm postulierte Mehrdeutigkeit nicht an Syllogismen, d.h. Schlüssen der Form ( 1 7 ) , sondern an sog. Quasi-Syllogismen wie (18), bei denen die Oberprämisse kein Allsatz ist, da er diese Fälle für anschaulicher hält (vgl. Toulmin 1958:lo8). Doch gelten alle Aussagen, die im Hinblick auf Quasi-Syllogismen gelten, entsprechend auch für "richtige" Syllogismen (vgl. Toulmin 1958:111, 1 2 3 f f . ) . Vgl. Toulmin 1958:lo9. - Zu den verschiedenen Paraphrasen von Scarcely any Swedes are Roman Catholics, vgl. Kapitel 3 . 4 , S.84. Toulmin 1958:111. Toulmin 1958:111. Vgl. genauer zu dieser Argumentation Toulmin 1958:Io7-113.
11
dardbeispiel (3) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. "expresses a piece of information from which we are drawing a conclusion", drücke - in der Lesart als Schlußregel - die Oberprämisse - in unserem Fall (1) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. "not a piece of information at all" aus, "but a guarantee in accordance with which we can safely take the step from our datum to our conclusion": "Once again" - so Toulmins Schluß - "the two-fold distinction between 'premisses' and 'conclusion' appears insufficiently complex and, to do justice to the situation, one needs to adopt in its place at least the four-fold distinct154 ion between 'datum 1 , 'conclusion', 'warrant' and 'backing'." Beide Kritikpunkte Toulmins sind jedoch ebensowenig wie Ryles Kritik und zwar aus demselben Grund - Einwände, die die logische Darstellungsweise von Argumentationen treffen. Denn da die Oberprämisse in Schlüssen nach dem modus ponens n i c h t als Schlußprinzip fungiert, ist weder die Kritik der Ambiguität berechtigt - von der dieser Kritik zugrundeliegenden, in 3.4 schon diskutierten problematischen Unterscheidung von Schlußregel und Stützung einmal ganz abgesehen -, noch kann davon gesprochen werden, daß die Gleichbehandlung der Prämissen ihren Funktionsunterschied verschleiere, denn er besteht ja gar nicht. Das Urteil eines der Rezensenten von Toulmin 1958, daß "Toulmin's arguments against formal logic unconvincing at key points" seien, scheint mir daher durchaus berechtigt zu sein. Die zentrale Frage des vorliegenden Kapitels, die Frage, welche der in den vorangehenden Kapiteln dargestellten Theorien der Struktur von Argumen154 155 156
Toulmin 1958:114. Hardin 1959:162. Dies ist auch der Tenor der meisten Reaktionen auf Toulmins Buch. Zur Rezeption von Toulmin 1958 vgl. etwa Abelson 196o/61, Castaneda 196o, Cooley 1959, Cowan 1964, Hardin 1959, Körner 1959, Presley 1959 und Will 196o. Dort werden auch weitere Punkte thematisiert und problematisiert, die in der vorliegenden Arbeit nicht zur Sprache kommen in der Regel deshalb, weil sie sich nicht auf die zentrale Frage dieser Arbeit, die Frage nach der Struktur von Argumentationen und Argumentationshandlungen, beziehen. Zu diesen Punkten gehört auch Toulmins Kritik am "analytischen Ideal" der Logik, an der vorherrschenden bzw. ausschließlichen Beschäftigung der Logiker mit analytischen Argumentationen bzw. Schlüssen; auf diese Kritik gehe ich hier deshalb nicht näher ein, weil sie im wesentlichen auf den schon diskutierten und zurückgewiesenen Einwänden aufbaut.
111
tationen bzw. Argumentationshandlungen richtig bzw. vorzuziehen ist, gische oder die alternativen,
die lo-
ist mit der Zurückweisung der Kritik von
Ryle und TouMin an der logischen Auffassung der Struktur von Argumentationen, an der logischen Behandlung von Argumentationen aber - entgegen der Meinung einiger Toulmin-Kritiker, die dies anzunehmen scheinen - noch keineswegs zugunsten der logischen Position beantwortet. Denn daß diese Kritik - zumindest die hier diskutierten zentralen Einwände - unberechtigt
ist,
bedeutet ja nicht, daß damit die Richtigkeit bzw. Berechtigung des logischen und die Falschheit bzw. fehlende Berechtigung des Alternativkonzepts erwiesen ist,
sondern nur, daß die von Ryle und Toulmin vorgebrachten Argu-
mente nicht geeignet sind, die Richtigkeit und Berechtigung der logischen Theorie zu bestreiten und die von ihnen vorgeschlagene Lösung zu stützen, wozu sie eigentlich gedacht waren. Ebenso unberechtigt ist der teilweise zu hörende Einwand gegen Ryle und. Toulmin - der natürlich in gleicher Weise gegen meinen Ansatz aus 3.5 vorgebracht werden könnte -, daß es sich bei diesen Ansätzen nur um terminologische Varianten des logischen Konzepts handle und daß sie deshalb überflüsi ^ß sig seien. Und zwar ist dieser Einwand aus demselben Grund unberechtigt wie Ryles und Toulmins Kritik an der logischen Behandlung von Argumentationen, denn wie diese beruht er auf dem in 3.3 ausführlich behandelten Mißverständnis des modus ponens: Während nach der von Ryle, TouMin und mir vertretenen Auffassung bei einer Argumentation wie der in unserer Beispielsi159 tuation eine Proposition wie (1) als Schlußprinzip fungiert, d.h. bei der entsprechenden Handlung von (3) auf (4) aufgrund von (1) geschlossen wird, fungiert nach der logischen Darstellung - wie schon mehrfach gesagt - nicht (1) als Schlußprinzip, sondern das Prinzip des modus ponens, d.h., es wird nach dieser Auffassung von (1) und (3) auf (4) L-geschlossen, aufgrund des modus ponens. Mit ändern Worten: Nach der einen Analyse handelt es sich um einen Schluß bzw. eine Schlußhandlung, dem/der ein formallogisches Schluß157
158 159
Da die Unterschiede zwischen den Ansätzen von Ryle, Toulmin und mir, die ich eingangs des vorliegenden Kapitels erläutert habe, keine grundlegenden Unterschiede sind, sondern nur Differenzen zwischen Theorien, die in ihrer Grundauffassung übereinstimmen und sich in gleicher Weise von der logischen Auffassung unterscheiden - vgl. S.loS -, scheint es mir trotz dieser Unterschiede gerechtfertigt, die Frage so zuzuspitzen, d.h. die Konzepte von Ryle, Toulmin und mir zusammenzufassen und sie geschlossen der logischen Theorie gegenüberzustellen. Vgl. hierzu etwa Castaneda 196o. Natürlich ist (1) nicht das einzig mögliche Schlußprinzip, wie Kapitel 3.5 gezeigt hat; doch spielt dies im gegebenen Zusammenhang keine Rolle.
112
prinzip zugrundeliegt, nach der ändern um einen Schluß, um ein Schließen nach einem - als inference license, Schlußregel (warrant) oder Schlußpräsupposition erklärten - nicht-logischen, inhaltlichen Schlußprinzip. "Natürlich besteht ein Unterschied zwischen der logischen und der von Ryle und Toulmin ausgehenden Behandlung von Argumentationen, und es sei auch zugestanden, daß es möglich ist, Argumentationen auf diese alternative Weise zu analysieren, also nicht-logische, inhaltliche Schlußprinzipien anzunehmen. Doch ist diese Art des Vorgehens nicht notwendig, sind die Alternativansätze überflüssig, da jeder Schluß, der als Schluß nach einem nicht-logischen Schlußprinzip aufgefaßt wird, auch als Schluß nach einem logischen Schlußprinzip dargestellt werden kann, indem man das nicht-logische Schlußprinzip als zusätzliche Prämisse anninmt, wobei diese Analyse darüber hinaus den Vorteil der Einfachheit hat, da sie mit weniger Schlußprinzipien als die alternative Analyse auskommt." - Dies ist ein weiterer häufig geltend gemachter Einwand gegen Ansätze der Art, wie sie Ryle, Toulmin und auch ich vertreten, ein Einwand, der im Gegensatz zu dem zuvor erwähnten auch durchaus seine Berechtigung hat. Denn daß es möglich ist,
einen Schluß wie den
in unserer Beispielsituation, der nach meiner Theorie - entsprechendes gilt analog für Ryle und Toulmin - als Schluß mit (3) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, als Argument, (4) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, als Konklusion und (1) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. als Schlußpräsupposition beschrieben würde, also als Schluß, dem ein nicht-logisches Schlußprinzip zugrundeliegt, auch als Schluß aufgrund eines logischen Schlußprinzips, des modus ponens nämlich, darzustellen, als Schluß mit (1) und (3) als Prämissen und (4) als Konklusion, haben die
bis-
herigen Ausführungen schon hinreichend gezeigt: Jeder Schluß, der bei der ersten Analyse gültig ist,
ist also in der Tat auch als logisch gültiger
161
Schluß beschreibbar.
160 Vgl. aber Anra.159. 161 Von Schlüssen mit wahrscheinlich, fast alle usw. sei zunächst abgesehen; ich werde darauf aber gleich noch zu sprechen kommen.
113
Von der Sicht der Logik aus ist diese Argumentation zwingend: Ihr kommt es darauf an/ auf möglichst einfache Weise, mit möglichst wenigen und möglichst allgemeinen Schlußprinzipien alle gültigen Schlüsse zu erfassen und bei gegebenen Schlüssen auf möglichst einfache und mechanische Weise feststellen zu können, ob sie gültig sind oder nicht. Wenn also - wie in unserem Fall - gilt, daß jeder Schluß, der bei der einen Analyse gültig ist, bei der ändern gültig ist,
auch
und die zweite Analyse insofern einfacher als die
erste ist, als sie mit weniger Schlußprinzipien auskommt, und diese Prinzipien darüber hinaus auch allgemeiner sind, ist die Entscheidung aus logischer Sicht eindeutig. Es könnt hinzu, daß das Einbeziehen aller Schlußprinzipien im Sinne der alternativen Theorien nicht nur zu einer weniger einfachen, zu einer komplexeren Logik führen würde, sondern zu einer derart komplexen Logik, daß sie für die Zwecke einer Logik - alle gültigen Schlüsse systematisch zu erfassen, um bei gegebenen Schlüssen eindeutig entscheiden zu können, ob sie gültig sind oder nicht, u.a. - unbrauchbar wäre - ganz davon abgesehen, daß es wohl auch unmöglich sein dürfte, alle diese Schlußprinzipien systematisch zu erfassen, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Menge der Schlußprinzipien ständig verändert. Mit ändern Worten: Die in 3.2 beschriebene logische Behandlung von Argumentationen, bei der die Zahl der Schlußprinzipien wesentlich geringer ist als bei den alternativen Ansätzen und bei der alle nicht-logischen Schlußprinzipien als Prämissen dargestellt werden, ist von der Sicht der Logik aus nicht nur aus Einfachheitsgründen vorzuziehen, sondern aufgrund ihrer Ziele sogar notwendig. Wer jedoch andere Ziele bei der Beschäftigung mit Argumentationen und Argumentationshandlungen im Auge hat, wem es nicht auf die systematische Erfassung aller gültigen Schlüsse ankcrnmt, auf die (mechanische) Überprüfung bzw. überprüfbarkeit von Argumentationen bzw. Schlüssen im Hinblick auf ihre Gültigkeit, sondern wer Ziele wie die der praktischen Semantik verfolgt und darum geht es ja auch in der vorliegenden Arbeit, deren Aufgabe darin besteht, einen Beitrag zur Grundlegung von praktisch-semantischen Analysen von Argumentationen und Argumentationshandlungen zu leisten 162
163
-, wessen
Allerdings ist es nicht unbedingt notwendig, nur logische Schlußprinzipien im Quineschen Sinne zuzulassen; es ist ebenso möglich, auch analytische Schlußprinzipien, modallogische Schlußprinzipien usw. mit einzubeziehen - die Entwicklung zahlreicher Logiken, die über die extensionale Logik hinausgehen, zeigt dies deutlich. Entscheidend ist auf jeden Fall, daß die Zahl der Schlußprinzipien relativ klein gehalten wird, wesentlich kleiner, als sie nach dem alternativen Konzept wäre. Vgl. S.2.
114
Ziel es also ist, Verfahren und Methoden für die Analyse und Beschreibung einzelner Argumentationen und Argumentationshandlungen zu entwickeln und bereitzustellen, insbesondere solche Verfahren, die auch Sprachteilhaber selbst anwenden können, sowie einzelne Argumentationen bzw. Argumentationshandlungen zu beschreiben, um auf diese Weise zur Aufklärung und Behebung von Konmunikationsproblemen im Zusammenhang mit Argumentationshandlungen, zum besseren Verstehen von Argumentationshandlungen sowie zum besseren Argurentieren beizutragen, 164 - für den ist weder das Argument der größeren Einfachheit der logischen Darstellungsweise zwingend, noch besteht für ihn eine Notwendigkeit, die Zahl der Schlußprinzipien zu beschränken. Stattdessen kennt es ihm entscheidend auf die Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch an, auf die möglichst genaue Erfassung des Sprachgebrauchs, dessen, was die Sprachteilhaber beim Argumentieren wirklich tun. Und hier scheinen mir die Konzepte von Ryle, Ibulmin und mir - bei allen Unterschieden - der logischen Behandlung von Argumentationen gegenüber im Vorteil zu sein: Wie schon mehrfach erwähnt, drücken Sätze der Form (7) Wenn p, dann q. (8) Alle F sind G. usw. Folgebeziehungen aus, gilt, daß dann, wenn eine Proposition wie etwa (1) oder (2) (1) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (2) Wenn Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, dann ist er ein ausgezeichneter Musiker. wahr ist, davon, daß jemand bzw. Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, darauf, daß er ein ausgezeichneter Musiker ist, geschlossen werden kann. Dementsprechend wird bei einer Argumentation wie der in unserem Standardbeispiel die Funktion von Propositionen wie (1) oder (2) im normalen Sprachgebrauch als eine andere verstanden als die von (3) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker.: denn beispielsweise B in unserem Standardbeispiel auf As Behaupten von (3) - mit dem A die Wahrheit der zwischen A und B umstrittenen Proposition 164 165
Vgl. hierzu die ausführlicheren Formulierungen in 1. und 2 . , bes. Vgl. S.42.
2.4.
115
(4) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. stützen möchte - mit einer Frage wie (21) Ja, und? reagieren und A mit (1) oder (2) darauf antworten würde, so würden die Sprachteilhaber (1) bzw. (2) nicht als zusätzliches Argunent für ( 4 ) , als gleichrangig und gleichgeordnet mit (3) auffassen, sondern As Behaupten von (1) bzw. (2) als den Versuch einer Rechtfertigung seines Schritts von (3) zu (4) verstehen, als Argumentieren dafür, daß (3) ein Argunent für (4) ist. Die Ansätze von Ryle, Toulmin und mir erfassen diesen Unterschied, indem sie ihn als Unterschied von Datun bzw. Argunent einerseits und inference license bzw. warrant (Schlußregel) bzw. Schlußpräsupposition andererseits erklären bzw. beschreiben, während die logische Darstellungsweise diesen Unterschied - und deshalb halte ich die Alternativen in dieser Beziehung für überlegen nicht erfaßt, sondern (1) bzw. (2) und (3) als gleichberechtigt behandelt, nämlich beide als gleichgeordnete Prämissen. Um nicht mißverstanden zu werden: Ich bin weder der Meinung, daß die Ansätze von Ryle, Toulmin und mir in einem absoluten Sinne dem logischen Konzept überlegen sind, weil sie den Sprachgebrauch besser erfassen, weil sie besser beschreiben, was Argunentierende beim Argumentieren wirklich tun, noch bin ich gar der Meinung, daß die logische Behandlungsweise von Argunentationen im Widerspruch zum Sprachgebrauch steht, weil sie Propositionen wie (1) bzw. (2) und (3) als gleichberechtigt und gleichgeordnet versteht. Das Argunent mit der besseren Erfassung des Sprachgebrauchs ist kein absolut gültiges Argunent, sondern nur ein Argunent im Hinblick auf Ziele wie die der praktischen Semantik. Für die Ziele der Logik dagegen ist der erwähnte Funktionsunterschied im normalen Sprachgebrauch von Propositionen wie (1) und (2) einerseits und (3) andererseits unwichtig, da es der Logik nicht auf die möglichst genaue Erfassung, auf eine möglichst angemessene Beschreibung des Sprachgebrauchs ankommt, sondern auf das möglichst einfache systematische Erfassen aller gültigen Schlüsse, darauf, bei gegebenen Schlüssen auf möglichst einfache und mechanische Weise feststellen zu können, ob sie 166
Insofern hat Toulmins auf S.lo9 erwähnte Kritik, bei der logischen Analyse von Argumentationen werde der Funktionsunterschied zwischen Propositionen wie (1) und (3) beim Argumentieren verschleiert, indem beide als Prämissen bezeichnet würden, schon eine gewisse Plausibilität und Berechtigung, wenn sie auch in der Form, in der sie Toulmin vorbringt, ungerechtfertigt ist (vgl. S . l l o ) .
116
gültig sind oder nicht. Und die logische Behandlung von Argumentationen steht auch nicht im Widerspruch zum Sprachgebrauch, da es der Logik einzig und allein um die W a h r h e i t s Verhältnisse, um die Wahrheitsbeziehungen geht, und sie darin sowohl mit dem Sprachgebrauch als auch mit den alternativen Darstellungen übereinstimmt: In jedem Fall ist es - wieder auf unser Beispiel bezogen - dafür, daß man auf die Wahrheit von (4) schließen kann, notwendig, daß (1) bzw. (2) und (3) wahr sind. 168 Fassen wir zusammen: Sowohl in der Kritik von Ryle und Toulmin an der logischen Behandlung von Argumentationen als auch in der sich an diese Kritik anschließenden Diskussion spielt die Frage, welcher der Ansätze richtig, welcher falsch ist, eine entscheidende Bolle. Die Darlegungen im vorliegenden Kapitel 3.6 haben jedoch deutlich gemacht, daß diese Fragestellung dem Verhältnis der unterschiedlichen Konzepte nicht gerecht wird, daß keines "falsch" ist, zu internen Schwierigkeiten führt - wie es etwa Ryle angenom1 fiQ men hatte - oder im Widerspruch zum Sprachgebrauch steht. Sie haben darüber hinaus gezeigt, daß - und auch dies steht im Gegensatz zu den stillschweigenden Voraussetzungen, die sowohl Ryle und Toulmin als auch die überwiegende Mehrzahl ihrer Kritiker wie ihrer Befürworter machen - kein Ansatz dem ändern in einem absoluten Sinne überlegen ist - weil er "einfacher" ist o.a. -, sondern daß eine Entscheidung für oder gegen einen der Ansätze nur im Hinblick auf bestimmte Ziele, nur im Hinblick auf bestimmte Aufgabenstellungen zu treffen ist. Mit ändern Worten: Die logische Behandlung von Argumentationen einerseits und die Theorien von Ryle, Toulmin und mir andererseits schließen sich nicht aus, sondern sind als unterschiedliche Modelle zur Erfassung und Beschreibung von Argumentationen bzw. Argumentationshandlungen zu sehen, als Modelle, die für bestimmte Zwecke geeigneter sind als für andere: ° Die in Kapitel 3.2 erläuterte logische Behandlung von Argumentationen ist - wie wir gesehen haben - den Aufgabenstellungen der bzw. einer Logik angemessener als die alternativen Ansätze, ja, für diese Anfor167
Vgl. etwa Quine 1953;1966:146-149. Außerdem sei in diesem Zusammenhang noch einmal auf meine Bemerkungen zum Verhältnis von wenn-dann und 5 in Kapitel 3.3 verwiesen (S.74, Anm.54). 168 Vgl. allerdings die in Anm.161 gemachte Einschränkung. 169 Wie ich zu Beginn des vorliegenden Kapitels gezeigt habe, gilt dies insbesondere für Toulmins Modell nicht uneingeschränkt. Da dies aber nur für eine bestimmte Ausformung des Alternativkonzepts z u t r i f f t , scheint mir die oben gemachte Behauptung dennoch gerechtfertigt. 170 Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 2.4, insbesondere zur Zweckgebundenheit von Beschreibungen.
117
derungen sogar notwendig, während sie im Hinblick auf Ziele wie die der praktischen Semantik diesen Alternativen unterlegen ist, diese also auch im Hinblick auf die Ziele der vorliegenden Arbeit vorzuziehen sind, wobei hier wiederum - wie ich eingangs dieses Kapitels zu zeigen versucht habe - der von mir in Kapitel 3.5 entwickelte Schlußpräsuppositionsansatz Vorteile hat 172 gegenüber den Konzepten von Ryle und Toulmin. 171 172
Vgl. allerdings Anm.162. Ich bin bisher immer davon ausgegangen, daß es gerechtfertigt ist zu sagen, daß Sätze der Form Alle F sind G bzw. Wenn p, dann g Folgebeziehungen ausdrücken und als Schlußprinzipien fungieren können, daß es gerechtfertigt ist zu sagen, daß dann, wenn eine Proposition der Form Alle F sind G oder der Form Wenn p, dann g - genauer: eine mit einem Satz der Form Alle F sind G oder der Form Wenn p, dann g ausgedrückte Proposition (vgl. S.53, Anm.2o) - wahr ist, von der Wahrheit der entsprechenden Proposition der Form Fa bzw. p_ auf die Wahrheit der entsprechenden Proposition der Form Ga bzw. g^ geschlossen werden kann, also, daß die logische Behandlung von Argumentationen und die Konzepte von Ryle, Toulmin und mir wirklich als Alternativen anzusehen sind. Diese Auffassung ist jedoch keineswegs allgemein akzeptiert, denn teilweise wird - explizit oder implizit - die Meinung vertreten, daß man nur bei L-Schlüssen und beim L-Folgen wirklich von Schlüssen und von Folgen sprechen könne, daß nur deduktive Schlüsse wirklich gerechtfertigte Schlüsse seien, alle ändern dagegen nur Scheinschlüsse, die nur dann als in gewisser Weise gerechtfertigt betrachtet werden könnten, wenn sie als verkürzte deduktive Schlüsse, also als Enthymeme, verstanden werden könnten, bzw. - in abgeschwächter Form - die Meinung, daß die logischen Schlußprinzipien - als "Naturgesetze des Denkens", als die "Gesetze, auf denen alle Erkenntnis beruht" o.a. - primär seien und alle ändern (nicht-logischen) Schlußprinzipien höchstens sekundären, höchstens abgeleiteten Status hätten. Von diesen Positionen aus handelt es sich bei den verschiedenen im vorliegenden Kapitel verglichenen Ansätzen natürlich nicht um Alternativen und die Entscheidung für oder gegen eines der Konzepte ist dann natürlich keine Frage der Angemessenheit im Hinblick auf bestimmte Ziele und Aufgabenstellungen, da es sich nach diesen Auffassungen bei den Ansätzen und Beschreibungen von Ryle, Toulmin und mir nur um Pseudo-Erklärungen bzw. Erklärungen handelt, die der logischen Behandlung auf jeden Fall unterlegen sind, da allen nicht-logischen Schlußprinzipien höchstens ein sekundärer Status zugesprochen werden kann. Ich bin auf diese Positionen aber aus verschiedenen Gründen nicht eingegangen und ich möchte sie auch an dieser Stelle nur erwähnen: Zum einen behandeln die meisten Logiker Schlüsse wie in unserem Beispiel aus den genannten Einfachheitsgründen u.a. als Enthymeme, aber nicht, weil sie den logischen Schlußprinzipien einen ontologischen Sonderstatus zubilligen, zum ändern würde eine ausführliche Behandlung dieser philosophischen Fragen den Rahmen des vorliegenden Buches bei weitem sprengen - ganz davon abgesehen, daß ich mich als Linguist für eine angemessene Erörterung dieser Probleme nicht kompetent genug fühle. Ich möchte jedoch nachdrücklich auf die Arbeiten Wittgensteins verweisen, insbesondere auf Wittgenstein 1956;1974 und Wittgenstein 1969b;197o, in denen die angesprochenen Fragen des Sonderstatus der logischen Schlußprinzipien und des deduktiven Schließens sehr ausführlich diskutiert werden.
118
Bei der bisherigen Diskussion der verschiedenen Positionen habe ich die Argumentationen mit die meisten, wahrscheinlich usw. ausgeklammert; auf diese Argumentationen möchte ich nun noch - zum Abschluß des Kapitels - zu sprechen können. Daß eine Argumentation, die nach unserer Hieorie als Argumentation mit (3) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, als Argument, (4) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, als Konklusion und (1) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. als Schlußpräsupposition dargestellt würde, auch als deduktiv gültige Argumentation zu beschreiben ist, indem man die Schlußpräsupposition (1) als zusätzliche Prämisse annirmt, habe ich schon dargelegt.
Bei Argumentationen
mit die meisten, wahrscheinlich usw. ist dies dagegen nicht möglich: Wenn ich etwa bei unserem Beispiel nicht ( 1 ) , sondern (22) Die meisten Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. als Schlußpräsupposition auffasse, dann kann ich diesen Schluß nicht auch als Schluß nach einem logischen Schlußprinzip darstellen, denn der Schluß, den ich erhalte, wenn ich (22) statt als Schlußpräsupposition als zusätzliche Prämisse annehme, nämlich (23) Die meisten Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker., ist im Gegensatz zu
173
Gute Darstellungen der Wittgensteinschen Position in diesen Fragen Wittgenstein argumentiert m . E . sehr Oberzeugend gegen die Auffassung, den logischen Schlußprinzipien und dem deduktiven Schließen komme ein besonderer Status zu - finden sich in Stroud 1965;1966 sowie in Oilman 1973. Vgl. S.112.
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(24) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. nicht deduktiv gültig. Bei Argumentationen bzw. Schlüssen mit die meisten, wahrscheinlich usw. sind die in 3.2 erläuterte logische Behandlung von Argumentationen und die Konzepte von Ryle, Toulmin und mir also keine Alternativen; Argumentationen dieser Art sind bei der logischen Behandlung von Argumentationen nicht zu erfassen. Daß Argumentationen mit die meisten, wahrscheinlich usw. mit dem in 3.2 dargestellten Verfahren nicht zu erfassen sind, spricht aber nicht generell gegen die logische Analyse und Behandlung von Argumentationen, denn es gibt - in Kapitel 1. habe ich es schon erwähnt - noch andere Logiken außer der deduktiven Logik. So hat etwa die sog. induktive Logik, deren Entwicklung zu einem großen Teil Rudolf Carnap zu verdanken ist,
gerade Argumentationen
und Schlüsse mit die meisten, wahrscheinlich usw., die sog. induktiven Schlüsse,
im Auge. Induktives Schließen besteht für Carnap
darin,
daß einer Hypothese bzw. Konklusion aufgrund der Wahrheit bestimmter Informationen bzw. Propositionen, die die Konklusion nicht L-iirplizieren, wohl aber die Wahrheit der Konklusion wahrscheinlich machen, - der sog. Evidenz -, ein bestimmter Wahrscheinlichkeitswert
zugeordnet wird. Un es an einem
Beispiel von Carnap selbst zu verdeutlichen: Wenn wir (25)-(27) (25) Die Zahl der Einwohner Chicagos beträgt drei Millionen. (26) Zwei Millionen der Einwohner Chicagos haben schwarze Haare. (27) A ist Einwohner von Chicago. 174
175
176
Ursprünglich verstand man unter induktiven Schlüssen nur Schlüsse vom Besonderen auf das Allgemeine, wie etwa in den empirischen Wissenschaften die Schlüsse von einzelnen Beobachtungen auf eine Theorie; teilweise wird induktiv auch heute noch so verwendet und verstanden. Mittlerweile ist es jedoch üblich geworden, induktiv weiter zu verstehen und alle Schlüsse, bei denen die Konklusion nicht notwendig aus den Prämissen bzw. dem Argument folgt, als induktive Schlüsse zu bezeichnen. In diesem Sinne ist induktiv auch hier zu verstehen. Vgl. etwa Carnap 195o, Carnap 1962 und Carnap/Stegmüller 195 , um nur einige der zahlreichen Arbeiten Carnaps zur induktiven Logik zu nennen.' Für ausführlichere Literaturangaben zu Carnap sei auf Essler 197o:37of. verwiesen. Entgegen einer öfter zu hörenden Meinung geben Wahrscheinlichkeitswerte keine Grade der Wahrheit einer Proposition an, sondern nur den Grad der Wahrscheinlichkeit, daß diese Proposition wahr ist; vgl. hierzu auch Essler 197o:67.
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als Evidenz (als Prämissen) haben, dann bedeutet das, daß der Hypothese (der Konklusion) (28) A hat schwarze Haare. der Wahrscheinlichkeitswert 2/3 zugeordnet werden kann, oder anders ausgedrückt: daß man von (25)-(27) auf (29), (3o) o.a. (29) Aufgrund der Evidenz (25)-(27) ist es im Grad 2/3 wahrscheinlich, daß A schwarze Haare hat. (30) Die Wahrscheinlichkeit, daß A schwarze Haare hat, ist im Hinblick auf die Evidenz (25)-(27) 2/3. schließen kann. Unsere Beispielargumentation, die nach unserer Analyse vgl. S.118 - als Argumentation mit (3) als Argument, (4) als Konklusion und (22) bzw. (31) 9/1o der Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. als Schlußpräsupposition zu beschreiben wäre, würde nach den Prinzipien der induktiven Logik folglich als Argumentation mit (3) und (31) als Evidenz (als Prämissen) und (32) Aufgrund der Evidenz (3) und (31) ist es im Grad 9/1o wahrscheinlich, daß Cs Bruder ein ausgezeichneter Musiker ist. (33) Die Wahrscheinlichkeit, daß Cs Bruder ein ausgezeichneter Musiker ist, ist im Hinblick auf die Evidenz (3) und (31) 9/1o. o.a. als Konklusion dargestellt werden, also als
177 178
Das originale englische Beispiel in Carnap 195o:2oo. Diese Modifizierung nehme ich vor, weil Carnaps Wahrscheinlichkeitsbegriff ein quantitativer ist und ich auf die Frage der Berechtigung dieser Konzeption hier nicht näher eingehen möchte, wie ich überhaupt auf eine genauere Darstellung der induktiven Logik, auf eine Diskussion verschiedener Wahrscheinlichkeitsbegriffe usw. verzichten möchte, da es in unserem Zusammenhang nur um die Struktur geht und eine Behandlung der angesprochenen Fragen dafür nicht notwendig ist. Für ausführlichere Darstellungen sei auf die in Anm.175 genannten Arbeiten von Carnap und Carnap/Stegmüller sowie auf Essler 197o verwiesen.
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(34) 9/1o der Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Aufgrund der Evidenz, daß 9/1o der Mitglieder der Berliner Philharmoniker ausgezeichnete Musiker sind und Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, ist es im Grad 9/1o wahrscheinlich, daß Cs Bruder ein ausgezeichneter Musiker ist. So wie jede Argumentation, die nach unserem Konzept aus 3.5 als Argumentation mit einem Allsatz oder einem wenn-dann-Satz als Schlußpräsupposition beschrieben würde, auch als deduktiv gültige Argumentation darzustellen ist, indem man die Schlußpräsupposition als zusätzliche Prämisse annimmt, sind also auch Argumentationen mit Schlußpräsuppositionen wie (22) oder (31) logisch erfaßbar, als Schlüsse der induktiven Logik, indem man die Schlußpräsupposition als zusätzliche Prämisse (Evidenz) versteht und die Konklusion durch die Zuordnung eines Wahrscheinlichkeitswerts abschwächt. Doch was für die in 3.2 erläuterte logische Behandlung von Argumentationen gilt, gilt auch für die Darstellung von Argumentationen mit Hilfe der induktiven Logik: Im Hinblick auf die Ziele der praktischen Semantik sind diese Beschreibungen den alternativen Beschreibungen von Ryle, Toulmin und mir unterlegen, da der Unterschied im normalen Sprachgebrauch hinsichtlich der Funktion von Propositionen wie (1) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (22) Die meisten Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. (31) 9/1o der Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. usw. einerseits und Propositionen wie (3) Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker, andererseits beim Argumentieren für eine Proposition wie (4) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. bei ihnen - im Unterschied zu den Alternativkonzepten - nicht zum Ausdruck kommt - so wie (1) und (3) in einem prädikatenlogischen Schluß nach dem modus ponens absolut gleichberechtigt und gleichgeordnet sind, sind auch
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(31) und (3) in einem Schluß der induktiven Logik wie (34) absolut gleichberechtigt und gleichgeordnet. Aber auch absolut gesehen, d.h. unabhängig von Überlegungen im Hinblick auf bestürmte Aufgabenstellungen und Zielsetzungen, scheint mir Carnaps Behandlung von Argumentationen mit die meisten, 9/1o usw. nicht angemessen, scheint es mir sehr fraglich, ob diese Art der Erfassung diesen Argumentationen gerecht wird. Denn zum einen besteht ein Unterschied, ob - wie ursprünglich (4) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, oder aber (35) Aufgrund der Evidenz, daß 9/1o der Mitglieder der Berliner Philharmoniker ausgezeichnete Musiker sind und Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, ist es im Grad 9/1o wahrscheinlich, daß Cs Bruder ein ausgezeichneter Musiker ist. die Konklusion darstellt - es ist durchaus möglich, daß zur gleichen Zeit (35) wahr und (4) falsch ist -, zum ändern wird durch die Abschwächung der ursprünglichen Konklusion und die damit vollzogene Überführung der ursprünglichen Argumentation in eine Argumentation, bei der die Konklusion (logisch) notwendig aus den Prämissen bzw. Argumenten folgt, bei der die Konklusion notwendigerweise wahr ist, wenn die Argumente wahr sind, das eigentliche Charakteristikum von Argunentationen mit die meisten, 9/1 o usw. nicht erfaßt, daß die Argumente die Wahrheit der Konklusion nämlich nur wahrscheinlieh(er) machen bzw. machen sollen. 179 Max Black, auf den ich mich bei meiner Kritik im vorangehenden Abschnitt 179
Vgl. zu dieser Kritik besonders Black 1967;197oa:75-78, Black 1969; 197oa:139f. sowie Black 197ob;1975:41f. Daß Carnaps Vorgehen im Zusammenhang des sog. Induktionsproblems zu sehen ist, daß es ihm - aufgrund der schon erwähnten Auffassung, daß nur deduktive Schlüsse wirklich gerechtfertigte Schlüsse seien (vgl. Anm. 172) - nur auf diese Weise möglich schien, induktive Schlüsse als gerechtfertigt behandeln zu können, kann hier nur erwähnt, aber nicht näher ausgeführt und diskutiert werden, denn eine Erörterung der sog. Induktionsproblematik kann nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Eine sehr gute, konzise Darstellung des Induktionsproblems sowie einen sehr guten Überblick über verschiedene Auffassungen zu diesem Problem bietet Black 1967;197oa. In diesem Aufsatz wie auch in den anderen oben genannten Arbeiten Blacks - zusätzlich sei noch Black 1966;197oa erwähnt - werden übrigens auch weitere zentrale Fragen des induktiven Schließens und der induktiven Logik behandelt, auf die ich in unserem Zusammenhang nicht eingehen kann (vgl. auch Anm.178).
123 1 ft/^
wesentlich gestützt habe, hat deshalb vorgeschlagen, die Konklusionen induktiver Argumentationen bzw. Schlüsse nicht als Behauptungen über Wahrscheinlichkeiten aufzufassen, sondern als sog. "guarded assertions" bzw. "qualified assertions", 181 also als vollgültige Behauptungen, die sich von anderen Behauptungen nur dadurch unterscheiden, daß bei ihrem Behaupten eine Angabe hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit ihrer Wahrheit gemacht wurde, eine Angabe hinsichtlich der Sicherheit des Behauptenden, daß das Behauptete wahr ist, usw. - wie etwa es ist wahrscheinlich, daß, nach menschlichem Ermessen, soviel ich weiß u.a. Der Bezug auf Wahrscheinlichkeiten wird demnach bei Black nicht als Teil der Konklusion selbst verstanden und dargestellt, wie bei Carnap, sondern als Qualifikator, als Hinweis, daß die Wahrheit der Konklusion nicht notwendig aus den Argumenten bzw. Prämissen folgt, sondern nur mit der durch den Qualifikator angegebenen Wahrscheinlichkeit. Dementsprechend haben Blacks Beschreibungen induktiver Argumentationen folgende Form: 182 (36) P
2
P n
Therefore (probably), K Unser Beispiel wäre demnach folgendermaßen zu beschreiben: (37) Die meisten Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. Deshalb (wahrscheinlich), Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. 180
Vgl. etwa Black 1966;197oa:146-148, Black 1969;197oa:141f., Black 197ob 1975:41-46. 181 Übersetzbar etwa als "Behauptungen unter Vorbehalt", "Behauptungen mit Einschränkung" o.a. 182 Black 1966;197oa:147. - Mit £ bezeichnet Black die Prämissen, mit 1C die Konklusion. Natürlich könnte probably auch der Konklusion direkt zugeordnet werden, dürfte dann aber nur als Qualifikator verstanden werden, nicht als Bestandteil der Konklusion. Black hat es jedoch vorgezogen, das probably dem therefore zuzuordnen, um möglichen Mißdeutungen im genannten Sinne vorzubeugen (vgl. etwa Black 197ob;1975:43f.).
124 Bzw.:
(38) 9/1 o der Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharnioniker. Deshalb (mit einer Wahrscheinlichkeit von 9/1 o), Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker. Diese Art der Darstellung induktiver Argumentationen hat sicherlich deutliche Vorteile gegenüber der Carnaps, da sie die auf S.122 kritisierten Mängel der Carnapschen Behandlungsweise nicht aufweist; der zweite gegen Carnap vorgebrachte Einwand dagegen, daß bei dieser Darstellungsweise der Unterschied im normalen Sprachgebrauch hinsichtlich der Funktion von Propositionen wie (22), (31) u.a. einerseits und Propositionen wie (3) andererseits beim Argumentieren für eine Proposition wie (4) nicht zun Ausdruck könne, 183 kann auch gegen Black geltend gemacht werden, wie auch - um dies noch anzufügen - gegen alle ändern logischen Ansätze zur Behandlung von Ar1 AA gumentationen, da sowohl bei Black als auch bei allen ändern Ansätzen die Propositionen wie (22), (31) u.a. und die wie (3) als gleichgeordnet behandelt werden und nach diesen Darstellungen beim Argumentieren von Propositionen wie (22) usw. und (3) gemeinsam, aufgrund eines logischen (induktiv-logischen, modallogischen usw.) Schlußprinzips, auf die Konklusion geschlossen wird. 185 Un es aber zun Abschluß dieses Kapitels noch einmal ausdrücklich zu betonen: Dieser Einwand ist kein Einwand, der absolute Gültigkeit hat - für die angesprochenen Ziele einer Logik haben die logischen Behandlungsweisen eindeutige Vorteile gegenüber den Konzepten von Ryle, Toulmin und mir -, sondern ein Einwand, der nur vor dem Hintergrund der Zielsetzungen und Aufgabenstellungen der praktischen Semantik und ähnlicher Konzeptionen seine * Berechtigung hat - und damit aber auch im Hinblick auf die Zielsetzungen der vorliegenden Arbeit, die sich als Beitrag zur Grundlegung von praktisch-semantischen Analysen und Beschreibungen von Argumentationen und Argumentationshandlungen versteht.
183 184 185
Vgl. S.121f. Vgl. Arun.lo in Kapitel l, S. 4. Auf diese Gemeinsamkeit habe ich abgehoben, als ich in Kapitel l davon gesprochen habe, daß die Entwicklungen in der Logik, die zahlreichen neuentwickelten Logiken hinsichtlich der Struktur von Argumentationen keine Änderungen mit sich gebracht haben (vgl. S . 4 ) .
4.
ABSCHLTESSENDE BEMERKUNGEN
Das in Kapitel 3.5 vorgestellte und in Kapitel 3.6 gegenüber den ändern in den vorangehenden Kapiteln dargestellten Ansätzen begründete Konzept zur Analyse und Beschreibung der Struktur von Argumentationen und Argumentationshandlungen kann für die praktisch-sonantische Analyse von Argumentationen, Argumentationshandlungen, argumentativen Texten, argumentativen Interaktionen usw. selbstverständlich nur einen Rahmen bilden, ein Grundraster darstellen, denn für solche Analysen spielen noch zahlreiche andere Gesichtspunkte eine Rolle, die ich in der vorliegenden Arbeit nicht behandelt habe, da es in ihr nur um die Struktur von Argumentationen und Argumentationshandlungen geht. Es scheint mir jedoch sinnvoll, einige dieser Punkte zum Abschluß wenigstens noch kurz zu erwähnen. In Kapitel 3.5 habe ich ausgeführt, daß derjenige, der argumentiert, der etwas - das Argument - behauptet, um etwas, das in Frage steht, - die Konklusion - zu stützen, präsupponiert, daß die Konklusion aus den Argument folgt, daß die bzw. eine entsprechende Schlußpräsupposition wahr ist, d.h., daß die Wahrheit der betreffenden Schlußpräsupposition eine notwendige Bedingung dafür ist, daß die jeweilige Argumentationshandlung als gelungen bezeichnet werden kann. Diese Bestürmung bedarf jedoch - ich habe in 3.5 schon 2 darauf hingewiesen - noch einer Modifizierung bzw. Spezifizierung: Entscheidend dafür, ob eine Argumentationshandlung gelungen ist oder nicht, ist, ob d i e betreffende Schlußpräsupposition i n der jeweiligen K o m m u n i k a t i o n s s i t u a t i o n , für die an der Kommunikation Beteiligten, in der 1
2
Ich habe mich in der vorliegenden Arbeit auf Fälle beschränkt, bei denen für die Wahrheit einer Proposition argumentiert wird, und Argumentationen und Argumentationshandlungen, bei denen es um die Falschheit einer Proposition, um die Berechtigung bzw. Richtigkeit von Normen, um die Berechtigung bestimmter Handlungen usw. geht, ausgeklammert. Diese Fälle können jedoch analog zu den in der Arbeit behandelten Fällen analysiert und beschrieben werden. Vgl. S.93, Anm.117.
126
j e w e i l i g e n L e b e n s f o r m usw. wahr ist oder nicht, nicht, ob die Schlußpräsupposition in einem absoluten Sinne wahr ist oder nicht was auch inner das heißen mag -, und auch nicht, ob - bezogen auf unseren Gegenstand, die (linguistische) Analyse und Beschreibung von Argumentationen und Argumentationshandlungen - die Schlußpräsupposition für den Beschreibenden wahr ist oder nicht. Denn wenn das Wahrsein im absoluten Sinne oder das Wahrsein für den Beschreibenden den Maßstab dafür bilden würden, ob eine Argumentationshandlung als gelungen oder als mißlungen zu betrachten ist, müßten - und dies scheint mir eine nicht akzeptable Konsequenz zu sein alle Argumentationshandlungen in anderen Lebensformen, in früheren Zeiten, anderen Kulturkreisen usw., deren Schlußpräsuppositionen h e u t e , für uns, für d e n B e s c h r e i b e n d e n usw. falsch sind bzw. als falsch gelten, als mißlungene, als vermeintliche Argumentationshandlungen angesehen werden, würden in manchen Lebensformen u.U. nur vermeintliche Argumentationshandlungen vorliegen. In den vorangehenden Kapiteln habe ich schon mehrfach betont, daß dann, wenn eine Argumentationshandlung gelungen ist, die entsprechende Konklusion nicht notwendigerweise wahr ist, wenn das Argument wahr ist, sondern daß sehr viele Argumente die Wahrheit der Konklusion nur wahrscheinlich(er), sehr wahrscheinlich, ziemlich wahrscheinlich usw. machen sollen, und ich habe auch schon erwähnt und bin auch schon danach verfahren, daß die Stärke, die einem Argument im Hinblick auf die Konklusion zukamt bzw. zukamen soll, durch die Angabe der entsprechenden Schlußpräsupposition ausgedrückt werden kann. Auf die Frage, nach welchen Kriterien man entscheiden kann, welche Stärke einem Argument zukamen soll, wie der Argumentierende selbst seine Argumentationshandlung verstanden haben möchte, bin ich jedoch noch nicht eingegangen. Unproblematisch sind die Fälle, bei denen die Stärke explizit angegeben wird, wie etwa bei (1), (2) o.a.: (1) Es ist wahrscheinlich, daß Cs Bruder ein ausgezeichneter Musiker ist, denn er ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. (2) Ich glaube, daß Cs Bruder ein ausgezeichneter Musiker ist, denn er ist Mitglied der Berliner Philharmoniker und fast alle Mit4 glieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. 3 4
Analog gilt dies natürlich auch für Behauptungs-, Frage-, Befehlshandlungen usw. - Vgl. ausführlicher zu diesem Thema Keller 1975:94-lo7 sowie Heringer/Öhlschläger/Strecker/Wimmer 1977:86-lo5. Es ist wahrscheinlich, daß und ich glaube, daß sind hier natürlich als Qualifikatoren zu verstehen (vgl. S.123).
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Wesentlich häufiger wird beim Argumentieren jedoch nicht auf die Stärke des Arguments im Hinblick auf die Konklusion verwiesen. Dann ist die Frage, wie eine Argumentationshandlung zu verstehen ist, welche Stärke dem Argument zukamen soll, nur durch Rückfragen, Aufforderungen zur genaueren Explizierung usw. sowie - wenn dies nicht möglich ist, was sehr oft der Fall sein dürfte - mit Hilfe hermeneutischer Verfahren zu klären, durch das Aufstellen und Überprüfen von Hypothesen aufgrund der Situation, aufgrund der Kenntnis, die man über den Argumentierenden und den Gegenstand hat, um den es geht, usw. Die Art der Formulierung einer Argumentation ist ein weiterer Punkt, den ich aufgrund der Zielsetzung der vorliegenden Arbeit nicht behandelt habe, dem bei der Beschreibung von Argumentationen und Argumentationshandlungen aber zentrale Bedeutung zukamt. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob bei einer Argumentation die Schlußpräsupposition nicht ausgedrückt ist - wie in (3) -, ob die Konklusion nicht ausgedrückt ist - wie in (4) -, oder ob das Argument nicht explizit angeführt ist - wie in (5): (3) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, denn er ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. (4) Alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker und Cs Bruder ist Mitglied der Berliner Philharmoniker. (5) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, denn alle Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind ausgezeichnete Musiker. Ebenso spielt es eine Rolle, ob bei einer Argumentationshandlung (6) oder (7) (6) Cs Bruder ist ein ausgezeichneter Musiker, da er Mitglied der Berliner Philharmoniker ist. (7) Da Cs Bruder Mitglied der Berliner Philharmoniker ist, ist er ein ausgezeichneter Musiker. geäußert wird, d.h., in welcher Reihenfolge die Argumentationsteile erschei5
Vgl. hierzu die ausführlicheren Darlegungen sowie die Beispielanalysen in Heringer/Öhlschläger/Strecker/Wimmer 1977:268-273. Bei der expliziten Angabe der Stärke durch den Argumentierenden muß aber berücksichtigt werden, daß Ausdrücke wie alle, wenn-dann, wahrscheinlich usw. nicht einheitlich verwendet werden, daß alle in der Umgangssprache auch oft in der Bedeutung 'fast alle 1 o.a. verwendet wird (vgl. etwa auch Strawson 1952:195), daß wenn-dann-Sätze nicht nur zum Ausdrücken notwendiger Folgebeziehungen verwendet werden, sondern häufig auch - ich habe dies schon angedeutet (S.73,Anm.53) - zum Ausdrücken nicht-notwendiger FolgebeZiehungen, daß wahrscheinlich unterschiedlich verwendet und verstanden wird, usw. Dies kann teilweise weitere Rückfragen notwendig machen (vgl. Heringer/Öhlschläger/Strecker/Wimmer 1977:265f.).
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nen, ob eine Konjunktion verwendet wird, und wenn ja, welche, welche Wörter und syntaktischen Konstruktionen sonst noch in den bei der Argumentationshandlung verwendeten Sätzen auftreten, usw. Nicht zuletzt ist bei Beschreibungen von Argumentationshandlungen natürlich auch zu berücksichtigen, daß mit Argumentationshandlungen in der Regel bestimmte Ziele und Zwecke verfolgt werden - am häufigsten wohl das Ziel, andere zu überzeugen. Von da her haben auch die Absichten des Argumentierenden ihren Platz in der Beschreibung einer Argumentationshandlung, seine Annahmen hinsichtlich des bzw. der Adressaten, usw. - so kann beispielsweise ein Argumentierender A nur dann sinnvoll annehmen, daß er seinen Adressaten B mit seiner Argumentationshandlung von der Wahrheit einer Proposition überzeugen kann, wenn er annimmt, daß B sowohl annimmt, daß das Argument wahr ist, als auch,